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German Pages 698 [700] Year 1981
Martin Schwind Das Japanische Inselreich, Band 2
Martin Schwind
Das Japanische Inselreich Eine Landeskunde nach Studien und Reisen
Band 2 Kulturlandschaft Wirtschaftsgroßmacht auf engem Raum
W DE G Walter de Gruyter • Berlin • New York 1981
Dr. habil. Martin Schwind Professor an der Ruhr-Universität Bochum ( 1 9 4 2 - 1 9 4 5 Technische Hochschule Danzig) Das Buch enthält 50 Bilder, 60 Abbildungen und 68 Tabellen Eine farbige topographische Karte des Inselreichs im Maßstab 1 : 2 Mio. ist Band 1 beigegeben
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Schwind, Martin: Das japanische Inselreich : e. Landeskunde nach Studien u. Reisen / Martin Schwind. - Berlin ; New York : de Gruyter Bd. 2. Kulturlandschaft, Wirtschaftsgrossmacht auf engem Raum. - 1981. ISBN 3-11-008319-1
© Copyright 1981 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, G. J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin. — Bindung: Dieter Mikolai, Berlin.
Vorwort zu Band 2
Die Fragestellung für die dreibändige Landeskunde unter dem Titel „Das Japanische Inselreich" ist in Band 1 enthalten. Die Bände 2 und 3 beschäftigen sich mit den kulturlandschaftlich wirksam gewordenen Antworten, die vom japanischen Staat und seinem Volk auf die Herausforderungen des „environment" gegeben wurden. Dieses „environment" ist dreigliedrig: Sein relativ beständigster Bereich ist die in Band 1 behandelte Landesnatur. In diese eingeprägt ist das aus zeitlichem Wandel hervorgegangene und deshalb vielschichtige kulturlandschaftliche Erbe. Beiden gegenüber steht die Veränderung fordernde soziale, wirtschaftliche und politische Situation der jeweiligen Gegenwart. Daraus ergibt sich, daß die als vorwiegend passiver Prozeßregler wirkende Landesnatur, die aus der Geschichte überlieferten und mehr oder weniger verfestigten kulturlandschaftlichen Strukturen und der zu raumwirksamen Veränderungen drängende Entscheidungswille der jeweils die Verantwortung tragenden Menschen das dreigliedrige Bezugssystem darstellen, innerhalb dessen sich die länderkundliche Forschung mit dem Ziele bewegt, das kulturlandschaftliche Geschehen einer Zeit geistig zu bewältigen. Bestrebungen, einen dieser Wirkungsbereiche aus diesem Forschungssystem herauszubrechen, würden zu einer Zerschneidung des bezeichneten Spannungsfeldes und damit zur Verödung länderkundlicher Forschung führen. Für Japan haben in Verfolgung dieses Forschungsziels drei Fragenbündel übergeordneten Rang: 1. In welcher Weise hat das Land, als Volk und Staat verstanden, auf die erste historisch belegte Herausforderung geantwortet, die sich aus dem Eindringen der chinesischen Kultur im 6. und 7. Jahrhundert ergab und bis ins 9. Jahrhundert hinein andauerte, und welche der raumwirksamen Maßnahmen jener Jahrhunderte sowie der Vorzeit haben sich als so gültig erwiesen, daß sie noch heute nicht nur landschaftlich sichtbar, sondern auch von funktionaler Relevanz sind? 2. Welche raumwirksamen Folgewirkungen hatte die im 17. Jahrhundert vollzogene Abschließung des Landes in Antwort auf den abendländischen Versuch, Japan in den Vorgang der Kolonisierung der Erde einzubeziehen? Üben raumwirksam gewordene gesellschafts-, wirtschafts- und staatspolitische Entwicklungsformen der Tokugawa-Zeit noch heute kulturlandschaftlich bedeutsame Funktionen aus? 3. Welchen Umbruch erfuhr die überlieferte Kulturlandschaft nach der Landöffnung seit der Meiji-Zeit in Antwort auf die bis heute permanent gebliebenen Herausforderungen der technischen Welt und der Weltwirtschaft? Welche räumlichen Strukturen der Vergangenheit und welche Maßnahmen der jüngsten Gegenwart erwiesen sich als entscheidend beim Aufbau des Industriestaates und bei der Entwicklung eines der Industrie- und Leistungsgesellschaft dienenden kulturlandschaftlichen Funktionsgefüges?
VI
Vorwort
Mit diesen Kardinalfragen werden insbesondere jene historischen Situationen angesprochen, in denen sich Japan mit Einflüssen von außen her auseinanderzusetzen hatte. Selbstverständlich hat es auch an eigenständig-innenpolitischen Herausforderungen nicht gefehlt. Unter diesen ist die Errichtung der Militärdiktatur von Kamakura (1192—1333) von hervorragender Bedeutung gewesen und ist heute die vom Industrialisierungsvorgang heraufbeschworene Kògai (Umweltschädigung) die umfassendste. Die Kògai erfolgte zunächst schleichend und blieb deshalb unreflektiert; sie war Begleiterscheinung des Anpassungszwangs, dem sich Japan in Antwort auf die Herausforderungen der westlich-technischen Welt seit 1868 unterworfen sah — und noch sieht. Die Industrialisierung, die alle Wirtschaftszweige und die gesamte gesellschaftliche Entwicklung in ihr Schlepptau nahm, ist der weitaus bedeutendste Gegenstand des vorliegenden Bandes. Da sie schwerpunktmäßig einen nur schmalen, küstengebundenen Streifen ergriff, entstand durch sie ein wirtschaftlich wie gesellschaftlich sehr ungleich geteiltes Japan: Es ist im Kern das Industrie- und Hafenband, das vom Kantö über das Chukyò und Kansai in den Raum der Setonaikai bis zur Straße von Shimonoseki und Nordkyüshü verläuft und als Wirtschaftsachse das gesamte übrige Japan, 80% des Landes, in wirtschaftlich und gesellschaftlich periphere Lage gedrängt hat. Dieses Phänomen, das nach 1960 seine Übersteigerung erfuhr, rückte für die Beantwortung der in Band 1 gestellten Frage den regionalen Gesichtspunkt derart in den Vordergrund, daß es sinnvoll erscheinen mußte, von einer Behandlung der Regionen, wie sie für Band 3 vorgesehen war, abzusehen und an deren Stelle Analysen von Stadtlandschaften zu setzen; denn gerade in den Städten reiben sich Industrialisierung und Kommerzialisierung mit dem kulturellen Erbe in unterschiedlicher Härte, und da jede große Stadt nur aus der Region verstanden werden kann, in der sie liegt, kommt auch in dieser Blickrichtung die regionale Geographie zu ihrem vollen Recht. Es wäre mir nicht gelungen, mich mit den Problemen der japanischen Landesentwicklung so eng vertraut zu machen, wenn ich nicht Unterstützung von vielen Seiten erfahren hätte. Ich fühle mich Persönlichkeiten und Ämtern in Japan wie in Deutschland zu tiefem Dank verpflichtet. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Bonn) ermöglichte mir, auf Forschungsreisen in den Jahren 1956, 1967, 1971, 1974, 1979 und zuletzt im Anschluß an den Internationalen Geographentag in Tòkyo 1980 den kulturgeographischen Wandel zu studieren. Hilfe bei der Niederschrift des vorliegenden Bandes erfuhr ich durch den „Verein zur Förderung der kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Japan und der Bundesrepublik Deutschland", insbesondere durch die Herren Prof. G. Baumgärtel und R. Günther. Anregenden Anteil am Fortgang meiner Arbeit nahm Herr Prof. Peter Schöller, Ruhr-Universität Bochum. Es drängt mich, auf den ersten Seiten dieses Bandes all den japanischen Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zu danken, ohne die mein Bemühen im Lande ohne Erfolg geblieben wäre. Aus dem Bereiche der Wissenschaft erfreute ich mich der Hilfe der Herren Professoren (alphabetische Reihenfolge) Hiromi Futagami (Toyama), Eiji Gojo (Tsukuba), Noboru Hida (Akita), Motosuke Ishii (Tòkyo), Shuzo Itow (Nagasaki), Tetsumitsu Kawamoto (Tsukuba), Mitsuo Kimura (Asahikawa), Shinzo Kiuchi (Tòkyo), Iwao Kobori (Tòkyo), Yasuo Masai (Tòkyo), Tomoo Matsuda (Tòkyo),
Vorwort
VII
Yoshiaki Miyauchi (Tokyo), Yasuo Miyakawa (Nagoya), Akira Miyawaki (Yokohama), Hiroshi Morikawa (Hiroshima), Nobuo Muroga (Kyoto), Takamasa Nakano (Tokyo), Kazuo Nishida (Nara), Kasuke Nishimura (Sendai), Toshio Noh (Sendai), Makoto Numata (Chiba), Kioshi Okutomi (Tokyo), Masahiko Oya (Tokyo), Takeshi Sekiguchi (Tokyo), Mankichi Shiina (Chiba), Yoshiko Shirai (Köbe), Shiro Sugai (Tokyo), Hyoji Suzuki (Hiroshima), Rikio Takahashi (Izumi), Tetsuo Takara (Naha-Shuri), Keiichi Takeuchi (Tokyo), Yoshiro Tomita (Sendai), Usao Tsujita (Nara), Akira Watanabe (Chiba), Kazuo Watanabe (Tokyo), Soki Yamamoto (Narashino), Masaki Yamaoka (Muroto), Jiro Yonekura (Hiroshima), Masatoshi M.Yoshino (Tsukuba) und Shoichi Yokoyama (Matsuyama), der 1979 viel Zeit und Mühe auf mich verwendete, um mir Einblick in die Probleme des EhimeKen zu vermitteln. Mit Dankbarkeit gedenke ich meines Freundes Fumio Tada ( f 1978), der an meiner Arbeit seit 1934 regen Anteil nahm und sie förderte. Freundschaftliche Bande bestehen seit vielen Jahren mit dem zur Tada-Schule gehörenden Kollegen Taiji Yazawa; er hat mir in aufopfernder Weise die Wege für meine Forschungsreise 1979 geebnet, die mich von Okinawa bis zur japanisch-sowjetrussischen Demarkationslinie führte. Es ist selbstverständlich, wenn ich ihm meinen besonderen Dank ausspreche. Obgleich meine letzte große Japanbereisung schon vorwiegend im Zeichen des dritten Bandes stand, haben die Bemühungen um Stadtanalysen in vielen Fällen noch den vorliegenden Band befruchten können. Bei vielen Bürgermeistern erhielt ich hilfreiche Einblicke in den Wandel der japanischen Gesellschafts- und Wirtschaftsentwicklung. Ich danke (in alphabetischer Folge der Städte) den Oberbürgermeistern von Akita (Keiji Takada), Chiba (Asahi Matsui), Fukuoka (Kazuma Shinto), Gifu (Hiroshi Makita), Hachinohe (Kojiro Akiyama), Hiroshima (Takeshi Araki), Ise (Dr. med. F. Kato), Iwakuni (Takeo Kawakami), Kamakura (Takashi Watanabe), Kyoto (Motoki Funahashi), Matsuyama (Tokio Nakamura), Morioka (Iwao Kudo), Nagasaki (Yoshitake Morotani), Niigata (Kihachiro Kawakami), Niihama (Izumi Keitaro), Öita (Masumi Sato), Okayama (Hirao Okazaki), Sapporo (Takeshi Itagaki), Sendai (Takeshi Shimano), Tokyo (Shunichi Suzuki), Yokohama (Michikazu Saigö). Dank gilt in gleicher Weise den Städten, in denen sich die Bürgermeister durch ihre Kacho und Buchö vertreten ließen, außerdem den Herren Juichi Chi tose (Tokyo), Jun Ishii (Niigata), Keitaro Kawabe (Sapporo), Naomasa Kuromizu (Nobeoka), Yoshiro Murakami (Sendai), Shinya Ogasawara (Matsuyama), Hidetoshi Ogura (Sapporo), Jirö Okamura (Köbe), Shintarö Suzuki (Tokyo), Hiromi Tawara (Hokkaidö Nature Conserv. Div., Sapporo), Masao Yamashita (Sapporo), sowie den sachdienliche Hilfe gegebenen Damen Noriko Furui (Saga), Eiko Tsutsumi (Kyoto), Katsuyo Ukezeki (Nobeoka), ganz besonders aber Fujiko Momma, die sich als Referentin für „International Relations" im Rahmen der Städtefreundschaft Sapporo—München so ausgezeichnete deutsche Sprachkenntnisse erwarb, daß sie wertvolle Übersetzungsarbeit leisten konnte. Auf allen Reisen erfreute ich mich auch der Hilfestellung von Wirtschaftsfirmen. Schon 1956 wurde ich von den „Yawata Steel Works" gastlich aufgenommen, und auf späteren Reisen standen mir die Tore auch der anderen, inzwischen zur Nippon Steel Corporation vereinigten Eisen- und Stahlwerke offen. Die Herren
VIII
Vorwort
Toshio Higuchi (Hirohata-Werk) und Atsushi Takeda (z.Zt. Kimitsu-Werk) bewiesen für meine Arbeit besonderes Verständnis. Freundliche Aufnahme fand ich auch in den Firmen Mitsui, Hitachi, Toyota, Mitsubishi Nagasaki Shipyard and Engine Works, Jujo Seishi (Yatsushiro), Öji Seishi (Nichinan), Chichibu Cement, Übe Industries, Olympus Optical (Suwa), Nippon Beet Sugar Mfg (Obihiro), Morinaga Nyügyö (Chiba) und in vielen Elektrizitätswerken insbesondere der Stautreppen Mitteljapans und des Fukushima-Ken. Gern erinnere ich mich der wiederholten Gespräche mit dem als Verwaltungsdirektor des Ise Jingü tätigen Priester, Herrn Yasuo Hagiwara, dem ich freundschaftlich verbunden bin. Seinem Forstmeister Yoshiö Masui verdanke ich den Einblick in die waldwirtschaftlichen Sorgen des Großschreins. Es verbleibt mir noch, all denen zu danken, die bei der Ausstattung des Buches behilflich waren. Frau Michiko Kaya, Direktor der „International Society for Educational Information" (Kokusai Kyöiku Jöho, Tokyo) überließ mir die Druckgenehmigung von zahlreichen Fotos und ermöglichte damit die Vervollständigung der Bild-Dokumentationen. Die Herren Dieter Heidorn, Bernhard Höfer und Werner Brauner verwandelten die Entwürfe für die Abbildungen in druckreife Zeichnungen. Meine Frau bearbeitete das umfangreiche Register. Von einem Gesamtverzeichnis des verwendeten Schrifttums wurde abgesehen. Um den engen Zusammenhang zwischen Text und Schrifttum deutlicher zu machen, wurden Verzeichnisse für die Kapitel oder auch größeren Abschnitte erstellt, in denen die Schriften in alphabetischer Reihenfolge numeriert sind. Das ermöglichte zugleich das Wegfallen vieler Fußnoten. Die Schrifttumshinweise befinden sich im Text in Klammer hinter den Zitaten derart, daß die SchrifttumsNummer genannt wird und gegebenenfalls, durch Komma getrennt, die Seitenzahl. Falls zwei Schrifttums-Nummern aufzuführen sind, werden diese durch Semikolon geschieden. Der Text des Bandes wurde zum Jahresende 1980 endgültig abgeschlossen. Unter den zahlreichen Rezensionen, die Band 1 erfuhr, befinden sich einige, die sich offen für die vorliegende Problemstellung zeigen und an die Bände 2 und 3 große Erwartungen knüpfen, andere wiederum, die daran zweifeln, daß sich auf dem Gedanken der Kulturlandschaft als geistiger Leistung und Ergebnis entsprechender Verhaltensweisen, analysiert nach Sinngehalt und Ausdruckswert, eine umfassende Länderkunde aufbauen lasse. Beide Stellungnahmen haben zur Vertiefung meiner Arbeit beigetragen. Ich bin überzeugt davon, daß die grundlegende Idee, die ich erstmals an meiner Länderkunde von Süd-Sachalin (Karafuto) 1942 entwickelte und 1948 auf dem Deutschen Geographentag in München zum Programm machte, den Forschungsbereich der Geographie erweitern und vertiefen wird. Hannover 1981
Martin Schwind
Inhalt
Einleitung
1
A. Die Herkunft des japanischen Volkes
1
B. Die Ansätze zur Herausbildung eines raumwirksamen japanischen Kulturgefüges 1. Die Bevölkerung in altjapanischer Zeit 2. Staat und Gesellschaft einer sich entwickelnden theokratischen Monarchie 3. Agrargeographische Merkmale 4. Frühes Gewerbe 5. Religion und Landschaft in den Jahrhunderten vor der Nara-Zeit . .
5 5 7 11 11 12
Teil I Die geographisch bedeutsamen Antworten von Mensch und Staat auf die Herausforderungen der Natur und Geschichte seit Shötoku Taishi (594) bis zum Ende der Tokugawa-Zeit (1868) 1. Kapitel Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
23
1. Abschnitt Die Konzeption des Shôtoku Taishi als Antwort auf den Einbruch chinesischer Kultur
23
2. Abschnitt Das kulturlandschaftliche Gefüge im 8. und 9. Jahrhundert, vornehmlich der Nara-Zeit (710-782) und der frühen Heian-Zeit (bis 900)
25
A. Die Quellen
25
B. Die staatliche Organisation und das Staatsgebiet
26
C. Das Staatsvolk I. Zahl, Dichte und Verteilung der Bevölkerung II. Die kulturlandschaftliche Bedeutung des gesellschaftlich pyramidal aufgebauten Beamtenstaates
31 31
D. Die kulturlandschaftliche Funktion von Shintôismus und Buddhismus . . I. Der zentralistische Beamtenstaat und sein Verhältnis zu den beiden Religionen
34 36 36
X
Inhalt
II. Kultstätten des Buddhismus III. Kultstätten des Shintö und Ryöbushintö E. Die kulturgeographischen Auswirkungen des agrarsozialen und agrarwirtschaftlichen Geschehens I. Die Übernahme des chinesischen Handensystems und die Jöri-Feldeinteilung II. Die Feldfrüchte und die Viehhaltung III. Die Funktion des Waldes IV. Die Funktion von Meer und Binnengewässern Entwicklung der Gewerblichen Wirtschaft Herstellung militärischer Ausrüstung Herstellung von Textil- und Papierwaren Nahrungs- und Genußmittelerzeugung 1. Tee-Erzeugung 2. Sake-Brauerei 3. Speisesalz-Gewinnung IV. Das Baugewerbe V. Keramik- und Lack-Kunsthandwerk VI. Bergbau und Metallverarbeitung VII. Der Bootsbau
38 39 44 44 48 52 53
F. Die I. II. III.
54 55 55 56 56 56 56 56 59 60 61
G. Die Städte I. Reichshauptstädte 1. Heijökyö (Nara) 2. Nagaoka 3. Heiankyö (Miyako, Kyoto) II. Die Provinzhauptstädte (Kokufu) III. Andere Orte städtischer Funktionsbereiche
62 62 62 64 65 69 70
H. Leitlinien des Infrastrukturgefüges
71
I. Zusammenfassende Wertung und Deutung des geographisch bedeutsamen Geschehens vom 7. bis 9. Jahrhundert
72
Schrifttumverzeichnis für Einleitung und 1. Kapitel
78
2. Kapitel Mensch und Landschaft in der Kamakura-Zeit ( 1 1 8 0 - 1 3 3 3 )
81
1. Abschnitt Minamoto Yoritomo als Reichsverweser (Shögun) und seine Konzeption von Kamakura als politischer Hauptstadt
81
A. Die Verlagerung der Reichsgewalt vom Tennöhof der Reichshauptstadt in die Provinz als Akt von geographischer Bedeutung
81
B. Die Konzeption von Kamakura als politischer Hauptstadt
82
C. Die Verwirklichung der Konzeption von Kamakura als Hauptstadt . . .
84
Inhalt
XI
2. Abschnitt Die Rückwirkungen der neuen politischen Hauptstadt auf die übrigen Schwerpunkte des Reichs
90
A. Die Entwicklung des politisch geschwächten Kyoto
90
B. Die I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII.
94 94 94 95 96 96 96 97 97
Entwicklung anderer Orte städtischer Funktionsbereiche Nara Hiraizumi Dazaifu und Hakata Öuchi (Yamaguchi) Hafenstädte Städte kultischer Zentralität Provinzhauptstädte (Kokufu) Yoshino
3. Abschnitt Das Staatsvolk A. Die I. II. III. IV. V.
gesellschaftliche Gliederung der Bevölkerung Hofadel und Schwertadel; Kuge und Buke Priester, Mönche und Klöster Bauern, landwirtschaftliche Arbeiter und Knechte Handwerker, Händler und Schauspieler Räuber und Bettler
98 98 98 100 101 102 102
B. Die Entwicklung und räumliche Verteilung der Bevölkerung 103 I. Die Schwierigkeiten für die Ermittlung der Bevölkerungszahlen . . 103 II. Die Bevölkerungsverteilung 105 C. Die I. II. III.
Lebensweise der Bevölkerung Das Haus Die Kleidung Die Ernährung
105 105 106 106
4. Abschnitt Wirtschaftsgeographische Entwicklungen
107
A. Agrargeographische Neuerungen I. Die bäuerliche Gesellschaft und die Besitzverhältnisse II. Die Nutzfläche und ihre Feldfrüchte
107 107 108
B. Fischereigeographische Entwicklungen
110
C. Gewerbegeographische Entwicklungen I. Eisengewinnung und -Verarbeitung II. Textil- und Papiergewerbe III. Nahrungs- und Genußmittelindustrie 1. Saatgutgewinnung 2. Teegewinnung 3. Die Sake-Brauerei
110 110 111 111 111 111 112
XII
Inhalt
IV. V. VI. VII.
Das Baugewerbe Erzeugung von Keramik, Lackwaren und Haushaltgeräten Tempelkunst Der Bootsbau
113 114 115 116
5. Abschnitt Infrastruktur, Außenbeziehungen und Landesverteidigung
116
A. Der Straßen- und Küstenverkehr
116
B . Die Außenbeziehungen I. Die politischen Außenbeziehungen II. Die Handelsbeziehungen, insbesondere zu China
118 118 119
6. Abschnitt Zusammenfassende Betrachtung und Deutung
119
Schrifttumverzeichnis für das 2. Kapitel
126
3. Kapitel M e n s c h und Landschaft in der Tokugawazeit ( 1 6 0 3 — 1 8 6 8 )
129
1. Abschnitt Der Obrigkeitsstaat des Tokugawa-Regimes als gültige Antwort auf den zentrifugalen Regionalismus 129 A. Die Wegbereiter
129
B . Staatsaufbau und Staatsgedanke
129
I. Die Spitze des Staates: Shögun und Tennö II. Die Funktion des Tennö III. Ieyasus geschichtliche Stellung C. Staatsgebiet und Außenbeziehungen I. II. III. IV. V.
Sicherung und Vermessung des Staatsgebietes Versuche zur Entwicklung des nördlichen Grenzraums Die Auswirkungen der offenen Flanke im Süden Ausweitung des Kulturraums innerhalb des Archipels Die Größe des Staatsgebiets insgesamt
D. Die Staatsbevölkerung
129 130 130 132 132 133 134 135 135 136
I. Bevölkerungsgruppen und Bevölkerungsentwicklung insgesamt . . 136 1. Der Adel 136 2. Das Volk der nö-kö-shö 137 3. Die Semmin 137 4. Die Bevölkerung der Außengebiete 138 5. Die Bevölkerung insgesamt 138 II. Das Ursachengeflecht der stagnierenden Bevölkerungsentwicklung . 138 1. Das unveränderte Festhalten an der Militärhierarchie 138
XIII
Inhalt
2. Die Verarmung der Bauern 3. Hungersnöte III. Die Stellung des Volkes im Staat
. . 139 140 141
E. Die Shögunatshauptstadt Edo I. Die Verwirklichung politischer Vorstellungen bei der Lagebestimmung der Hauptstadt II. Die Nutzung der natürlichen Gegebenheiten und der Lagegunst beim Aufbau der Burgstadt als Hauptstadt III. Die Burg und die gesellschaftliche Zonierung der Stadt 1. Die Burg 2. Die Stadt IV. Das Sankin-Kötai-System als Faktor für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung Edos 1. Die Auswirkungen der Sankin Kötai auf Edo 2. Das Anwachsen der ständigen und nichtständigen Einwohner der Stadt V. Edo als Hafenstadt
144 144 147 149 149 152 157 158 158 159
2. Abschnitt Geographisch relevante Maßnahmen zur Förderung und Festigung des Zentralismus 160 A. Die Rückwirkungen der Sankin-Kötai auf die Daimyate(han) I. Die Burgstädte (Jökamachi), ihre gewachsene Funktion und ihre Funktionsentleerung II. Maßnahmen zur Schwächung der Daimyate und deren Rückwirkung auf die Jökamachi 1. Überbeanspruchung der fürstlichen Finanzkraft durch die Residenzpflicht 2. Leistung von speziellen Vasallendiensten 3. Die Aufgaben der Verwaltung und der Entwicklung des Han . .
160 161 163 164 164 165
B. Die Rückwirkungen der Entwicklung Edos auf Kyoto 166 I. Kyoto um 1600. Auswirkungen der Kriegswirren und erster Wiederaufbau durch Toyotomi Hideyoshi 166 II. Kyoto im Schatten von Edo bis 1868 168 C. Die I. II. III. IV.
Städtehierarchie unterhalb der Shögunatshauptstadt 171 Osaka im Gegenspiel zu Kyoto und Edo 171 Sakai 173 Nagasaki 176 Die großen Burgstädte Kanazawa, Nagoya, Sendai, Hiroshima und Kagoshima 178 1. Kanazawa und Nagoya 178 2. Sendai und Hiroshima 179 3. Kagoshima 182
XIV
Inhalt
V. Die Mittel- und Unterzentren 1. Regionale Nebenzentren 2. Hafenorte und Monzenmachi D. Die Infrastrukturentwicklung in ihrer Ausrichtung auf Edo
183 183 184 186
3. Abschnitt Die Wirtschaftslandschaft und die Objektivationen der Geisteskultur im kulturgeographischen Gesamtgefüge 190 A. Die Wirtschaftslandschaft I. Die Agrarlandschaft 1. Die gedanklichen Hintergründe für die Entwicklung der Agrarlandschaft 2. Die Ausweitung der Nutzfläche a) Kaitaku oder Binnenkolonisation im engeren Sinne b) Kantaku: Landgewinnung am Meer c) Die Erweiterung der Ackerfläche in vertikaler Richtung: Intensivwirtschaft 3. Bewässerung und Entwässerung als Voraussetzungen für die Ausweitung der Nutzfläche 4. Die wirtschaftliche Inwertsetzung der Nutzfläche a) Die Feldfrüchte b) Die regionale Verteilung der feldwirtschaftlichen Erzeugung . c) Die viehwirtschaftlichen Nutzflächen d) Die waldwirtschaftlichen Nutzflächen 5. Die Inwertsetzung der Nutzfläche insgesamt in ihrer regionalen Abwandlung II. Die landschaftlich bedeutsamen Elemente der Gewerblichen Wirtschaft 1. Das Handwerk als Faktor für die Gestaltung der Agrar- und Stadtlandschaft 2. Der Bergbau als kulturlandschaftliches Element 3. Der Handel als Faktor für die Entwicklung der Städte 4. Die Enge des Marktes und Beschränkung der Handelsfreiheit . B. Die Geisteskultur in ihren landschaftlichen Objektivationen und deren Bedeutung im Landschaftsgefüge I. Der Konfuzianismus und die Ausschaltung des Christentums . . . . II. Rangaku und Schulbildung III. Bushidó als Bestandteil des Volkscharakters IV. Konfuzianismus, Zen-Buddhismus und Bushidò in ihrem landschaftlichen Niederschlag 1. Landschaftsgärten 2. Sinngebung der Natur auf Wallfahrten 3. Das Teehaus und landschaftliche Sinngebungen durch Pflanzen und Blüten
190 190 190 191 191 193 193 194 196 196 199 199 200 201 204 204 208 210 212 213 213 216 217 218 218 222 223
Inhalt
XV
4. Abschnitt Zusammenfassung und Deutung
224
A. Das politisch-geographische Ziel der Tokugawa
224
B. Sakoku, die Abschließung des Landes von der Außenwelt I. Der Einfluß auf das innere Infrastrukturgefüge des Landes . . . . II. Der Einfluß der Landabschließung auf die Gesellschaftsstruktur . . III. Der Einfluß der Landabschließung auf die Geisteskultur im Spiegel der Landschaft C. Die Maßnahmen für die Errichtung und Erhaltung der Reichseinheit . . I. Die räumliche Trennung der Reichshauptstadt von der kaiserlichen Residenzstadt 1. Die politische Isolierung des Tennöhofes 2. Der Aufbau der Shögunats- und Reichshauptstadt II. Die Sankin Kötai oder Aufwartungs- und Residenzpflicht der Daimyö
225 225 226 227 228 228 228 229 230
D. Dualistische Entwicklungsformen in Wirtschaft und Gesellschaft als Folge einer fehlenden Konzeption für die Landesentwicklung insgesamt . . . . I. Agrarwirtschaftliche Entwicklungen als Maßnahmen der Daimyö zur Behebung ihrer durch Dienstleistungen verursachten Armut . . II. Stagnation in der Gewerblichen Wirtschaft durch Behinderung des Wettbewerbs III. Montanwirtschaftliche Zerteilung des Reiches IV. Dualismus von hanfürstlicher Natural- und staatlicher Geldwirtschaft V. Dualismus in der Entwicklung von Städten
233 233 234 234
E. Zusammenfassende Wertung
235
Schrifttumverzeichnis für das 3. Kapitel
243
231 231
Teil II Industrialisierung des Landes als Antwort auf den Einbruch der technischen Welt (Anpassungszwang und seine Uberwindung) 4. Kapitel Die geographische Bedeutung der Meiji-Restauration
251
1. Abschnitt Die Umwandlung von Staat und Gesellschaft
252
A. Die Neuordnung des Staates 252 I. Die Zielsetzung, Verfassung und das Ringen um die volle Unabhängigkeit 252
XVI
Inhalt
II. Die Neugliederung des Reichsgebiets 1. Die Reichshauptstadt 2. Die Provinzen und Provinzhauptstädte 3. Die Außengebiete B. Die Neugliederung der Gesellschaft I. Die Anbahnung einer vor dem Gesetz homogenen Gesellschaft . . II. Die Maßnahmen zur Eingliederung des Adels und der Samurai in den zu entwickelnden Industriestaat 1. Die Eingliederung des Adels (Kazoku) 2. Die Eingliederung der Samurai (Shizoku) 3. Die Stellung der Bauern in den Jahren der Meiji-Restauration .
253 253 254 255 261 261 262 262 262 263
2. Abschnitt Idee und Wirklichkeit im Vorgang des wirtschaftlichen Anpassungszwangs an die westliche Welt 264 A. Die problematischen Voraussetzungen für die Industrialisierung Japans . 264 B. Die ungünstigen Faktoren für die Industrialisierung I. Die Rohstofflage 1. Agrar- und meereswirtschaftliche Rohstoffe 2. Forstwirtschaftliche Rohstoffe 3. Montanwirtschaftliche Rohstoffe II. Der Mangel an Energiequellen 1. Die vorhandene Kohle und ihr Heizwert 2. Erdöl und Erdgas 3. Die Wasserkräfte III. Der Mangel an technischem Know-how IV. Der Mangel an Verkehrseinrichtungen V. Die Kapitalarmut VI. Der Mangel an Unternehmergeist VII. Der begrenzte Absatzmarkt
265 265 265 266 267 268 268 270 270 271 273 274 275 278
C. Die günstigen Faktoren für die Industrialisierung
279
I. Tiefe und Qualität der Arbeitskraft-Reserven II. Der Hafenreichtum III. Die Welthandelslage im Großkreis Schrifttumverzeichnis für das 4. Kapitel
279 282 282 283
XVII
Inhalt
5. Kapitel Zeitliche Stufung und räumliche Ausbreitung der industriewirtschaftlichen Entwicklung 285 1. Abschnitt Die sich über 100 Jahre erstreckende industriewirtschaftliche Antwort auf die Herausforderungen der westlichen Welt 285 2. Abschnitt Die Entwicklungsstufen und deren Nachwirkungen bis in die Gegenwart . . 286 A. Der I. II. III. IV. V.
industrielle Aufbau bis 1914 Der Aufbau der Textilindustrie Die Anfänge der modernen Schwerindustrie Andere Industrien Der Bergbau Erstes Strukturgefüge
B. Die Stufe des Ausbaus und der Harmonisierung von Industrie und primärem Wirtschaftssektor im territorial erweiterten Staatsgebiet, 1914 bis 1930 I. Wirtschaftsimpulse durch den Ersten Weltkrieg II. Die wirtschaftliche Bedeutung des Mandatsgebiets III. Die wirtschaftlich wirksam werdenden, vor 1914 angegliederten Außengebiete IV. Die dynamisch wachsende Bevölkerung als Faktor der Industriebelebung V. Der Rückschlag durch das Große Erdbeben 1923
286 286 286 287 287 287
288 289 289 290 '290 293
C. Industriewirtschaftliches Hegemoniestreben im Rahmen Ostasiens, 1931 bis 1945 I. Die Idee der ostasiatischen Wohlstandsphäre II. Die Schwerindustrie als Kern der Entwicklung D. Zusammenbruch und Wiederaufbau 1945—1960 vor dem Hintergrund der Weltpolitik und des Korea-Konflikts I. Die Gebietsverluste II. Fakten des wirtschaftlichen Zusammenbruchs III. Beginnender Wiederaufbau seit 1948
297 297 298 299
E. Ausblick: Der absolute Industrie- und Dienstleistungsstaat
302
Schrifttumverzeichnis für das 5. Kapitel
302
6. Kapitel Die einzelnen Industriezweige als geographische Faktoren
305
1. Abschnitt Die Eisen und Stahl erzeugende Industrie
305
293 293 296
XVIII
Inhalt
A. Die Nippon Steel Co als Modellfall
305
B. Die Eisen- und Stahlindustrie insgesamt I. Die Gewichtung der regionalen Verteilung durch die Großhüttenkonzerne: Monoregionale Landesentwicklung II. Die besonderen Infrastrukturbedingungen für die Niederlassung von Industrie 1. Die Sicherstellung des Nutzwasserbedarfs 2. Die Bereitstellung des Baugeländes und der infrastrukturellen Notwendigkeiten 3. Ausreichende Humaninfrastruktur 4. Kögai-Schutz III. Die Produktionsleistung der Eisen- und Stahlindustrie 1. Die Produktionsentwicklung 2. Der Rohstoff- und Energiebedarf a) Sicherstellung des Eisenerzbedarfs b) Sicherstellung des Bedarfs an Kokskohle c) Sicherstellung der Elektro-Energie 3. Die Rationalisierung des Werkaufbaus IV. Die Funktion der Mittel- und Kleinbetriebe V. Die Bedeutung der Eisen- und Stahlindustrie für die regionale Differenzierung der Industrialisierung
309 309 315 315 318 323 325 326 326 329 329 331 332 332 334 335
Schrifttumverzeichnis für das 6. Kapitel, 1. Abschnitt
335
2. Abschnitt Die Werftindustrie A. Die geschichtliche Entwicklung I. Die Ausgangslage II. Die Entwicklung seit der Landöffnung
337 337 337 337
B. Die Produktionsleistung und die Hierarchie der Werftfirmen I. Die Produktionssteigerung seit der Jahrhundertwende 1. Die quantitative Produktionsentwicklung insgesamt 2. Produktionsprobleme II. Hierarchie der Werften
339, 339 339 341 343
C. Standorte der Werften 347 I. Neue Werften und bedeutende Werfterweiterungen in der Achse Tokyo—Nagasaki 349 1. Neue Werften in NW-Kyüshü 349 2. Neue Werften im Bereich der Inlandsee 351 3. Neue Werften in der Subregion Ise-Bucht 353 4. Neue Werften an der Tokyo-Bucht 354 II. Die Schiffbau-Industrie an den Zugängen zur Inlandsee 355 III. Die Schiffbau-Industrie in den vom Shinzan-Toshi-Programm geförderten Regionen 356
Inhalt
XIX
IV. Kann Mangel an Standortmöglichkeiten Ursache für Verlagerung des Schiffbaus ins südliche Ostasien sein?
357
D. Zusammenfassende Betrachtung
358
Schrifttumverzeichnis für das 6. Kapitel, 2. Abschnitt
360
3. Abschnitt Die geographische Bedeutung der metallverarbeitenden Industrie (ohne Schiffbau) 361 A. Der Maschinenbau als geographischer Faktor 362 I. Der Schwermaschinenbau und die Herstellung industrieller Ausrüstung 362 II. Der Leichtmaschinenbau 365 B. Der Fahrzeugbau I. Die Fahrradindustrie II. Die Kraftfahrzeugindustrie 1. Die Vorgeschichte 2. Die Standorte der Kraftfahrzeugindustrie in der ersten Aufbauphase 3. Die Standorte und Leistungen der nach dem Weltkrieg aufgebauten Kraftfahrzeugindustrie III. Die Industrie für Rollendes Material IV. Die Flugzeugindustrie
366 367 367 367
C. Die elektronische, optische und feinmechanische Industrie I. Die elektronische Industrie II. Die optische und feinmechanische Industrie
373 373 375
D. Die Nichteisen (NE)-Metallindustrie I. Gewinnung und Verarbeitung von Kupfer, Blei und Zink II. Die Aluminium-Industrie
376 376 377
Schrifttumverzeichnis für das 6. Kapitel, 3. Abschnitt
378
4. Abschnitt Die Energiewirtschaft in ihrer landschaftlichen Bedeutung
378
A. Geschichtlicher Rückblick
378
B. Die Energieträger I. Kohle als Energieträger II. Die Wasserkraftreserven als Energiequelle 1. Die Organisation der Wasserkraftnutzung 2. Die geschichtliche Entwicklung der Wasserkraftnutzung 3. Die Staudämme und Stauseen in ihrer kulturlandschaftlichen Funktion III. Andere Energiequellen (außer Kohle) 1. Erdöl
379 379 382 382 385
368 368 372 372
386 396 396
XX
Inhalt
2. Alternative I zum Erdöl: Atomkraft 3. Alternative II zum Erdöl: Naturgas 4. Alternative III zum Erdöl: Geothermische Quellen
399 402 403
C. Zusammenfassende Betrachtung
403
Schrifttumverzeichnis für das 6. Kapitel, 4. Abschnitt
404
5. Abschnitt Die chemische Industrie
405
A. Ausgangsstellungen für die Nachkriegsentwicklung
405
B. Die Erdölraffinerien I. Die regionale Verteilung der Raffinerien II. Das Bemühen um die Stabilisierung des Rohöl-Imports III. Die Haupterzeugnisse der Raffinerien
406 406 412 414
C. Die petrochemische Industrie und ihre Standorte 415 I. Die Produkte der petrochemischen Industrie 415 II. Die Struktur und die Standorte der petrochemischen Industrie . . 416 D. Die I. II. III.
traditionelle chemische Industrie Die Düngemittelindustrie Die Säure- und Alkali-Industrie Die Teerfarbenindustrie
419 419 420 421
E. Die Gummi-Industrie
421
F. Pharmazeutische Industrie
422
Schrifttumverzeichnis für das 6. Kapitel, 5. Abschnitt
424
6. Abschnitt Bauindustrie und Industrie der Steine und Erden
425
A. Die I. II. III.
Bauindustrie Die Herausforderung der Nachkriegsjahre Bedeutende Leistungen der Bauindustrie Baufirmen und Bauherren
425 425 427 436
B. Die Zementindustrie I. Die Rohstoffbedingungen für die Zementindustrie II. Die Standortfrage
439 439 440
C. Die keramische Industrie
443
Schrifttumverzeichnis für das 6. Kapitel, 6. Abschnitt
444
7. Abschnitt Die Textilindustrie
444
A. Die Verdrängung der Textilindustrie aus der zentralen Stellung im japanischen Wirtschaftsgeschehen 444
Inhalt
XXI
I. Die Schwächung der Konkurrenzfähigkeit im Außen- und Binnenhandel 444 II. Die Veränderungen in der Finnenstruktur 446 B. Die einzelnen Industriezweige I. Die Seidenindustrie II. Die Baumwollindustrie III. Die Wollindustrie IV. Die Reyon- und Zellwollindustrie V. Die Industrie synthetischer Fasern
448 448 448 449 450 450
Schrifttumverzeichnis für das 6. Kapitel, 7. Abschnitt
451
8. Abschnitt Die Papierindustrie A. Die Entwicklung bis zum Zweiten Weltkrieg
451
B. Die Rohstoffgrundlage und die Fabrikstandorte I. Der Weg zur Importabhängigkeit 1. Die landeseigenen Grundlagen 2. Der Import an Holz und Pulp II. Die Standorte 1. Die räumlichen Industriekerne 2. Die Standorte der Mittel-, Klein- und Kleinstbetriebe
452 452 452 454 456 456 457
C. Das traditionelle Gewerbe für handgeschöpftes Papier
457
Schrifttum Verzeichnis für das 6. Kapitel, 8. Abschnitt
458
9. Abschnitt Die Nahrungs- und Genußmittelindustrie
459
A. Die zwei Ebenen der Nahrungsmittelindustrie
459
B. Betriebsgrößen, Produktionsrichtungen und Standorte
460
Schrifttumverzeichnis für das 6. Kapitel, 9. Abschnitt
464
Teil III Die Rückwirkungen des Industrialisierungsvorgangs auf die geographischen Funktionen der nichtindustriellen Bereiche des primären Wirtschaftssektors 7. Kapitel Die Funktionen der heutigen Agrarwirtschaft
467
1. Abschnitt Die periphere Stellung der Landwirtschaft im Rahmen des Wirtschaftsgeschehens insgesamt 467
XXII
Inhalt
A. Merkmale des Funktionsverlustes
467
B. Das gegenwärtige Problem der Ernährungswirtschaft
469
2. Abschnitt Die Agrarbevölkerung
471
A. Die I. II. III. IV.
Entwicklung der Agrarbevölkerung Der zahlenmäßige Anteil an der Bevölkerung insgesamt Die Voll- und die Teilbeschäftigung in der Landwirtschaft Die Abwanderung der ländlichen Bevölkerung in die Städte . . . . Der Aufbau der Agrarbevölkerung nach Alter und Geschlecht . . .
471 471 474 476 482
B. Die soziale Lage der bäuerlichen Bevölkerung I. Betriebsgrößen und Besitzverhältnisse 1. Die landwirtschaftlich nutzbare Fläche insgesamt und die Zahl der landwirtschaftlichen Haushalte vor und nach der Landreform bis zur Gegenwart 2. Die regionale Struktur der Betriebsgrößenverteilung II. Fragen des Lebensstandards 1. Das Einkommen 2. Die Technisierung der Betriebe 3. Rentabilitätsförderung der Betriebe durch übergeordnete Stellen III. Ie, Dözokudan und die Dorfgemeinschaft im Rahmen der administrativen Neugliederung 1. Das Ie-System 2. Die Dözokudan 3. Die Dorfgemeinschaft 4. Die Burakumin
484 484
3. Abschnitt Die landwirtschaftliche Nutzfläche A. Größe und regionale Verteilung der potentiellen und bewirtschafteten Nutzfläche I. Der Anteil der landwirtschaftlichen Nutzfläche am Staatsgebiet . . II. Nutzflächenverlust und Nutzflächengewinn: Bodenbilanz III. Der regionale Wandel von Gunst und Ungunst der ökologischen Bedingungen für die Landwirtschaft und seine Rückwirkung auf die Flächennutzungsrate B. Die I. II. III.
Hauptanbaufrüchte Die Anteile der Feldfrüchte an der Anbaufläche insgesamt Reis, die traditionelle Feldfrucht in Naßfeldern (suiden) Feldfrüchte auf Trockenfeldern (hatake) 1. Körnerfrüchte 2. Hülsenfrüchte einschließlich Erdnüsse 3. Gemüse und Knollenfrüchte 4. Baumfrüchte und Nüsse
484 487 492 492 493 494 495 495 497 498 500 501 501 501 502 504 509 509 511 519 519 520 521 522
Inhalt
XXIII
5. Industriepflanzen a) Raps b) Die Maulbeerpflanzungen für die Seidenerzeugung c) Papiermaulbeersträucher-Pflanzungen d) Igusa e) Tee f) Tabak g) Zuckerrohr und Zuckerrübe h) Pfefferminz und Pyrethrum i) Indigo, Wachsbaum (haze-no-ki) und Lackbaum (urushi) . .
526 526 526 528 529 529 532 532 533 534
C. Die Landnutzung durch Viehwirtschaft I. Die viehwirtschaftliche Nutzung des Archipels als eine für Japan agrargeographische Innovation II. Der Viehbesatz III. Die Futterversorgung: Waldweiden, Grasländer und Feldfutteranbau
534 534 535 540
4. Abschnitt Die agrargeographisch-regionale Gliederung Japans
542
A. Gliederung auf der Grundlage ökologischer Bedingungen
543
B. Gliederungskomponenten aus dem sozio-ökonomischen Bereich . . . .
544
C. Die agrargeographisch-regionale Gliederung aus der Zusammenschau von ökologischen und sozio-ökologischen Faktoren 544
5. Abschnitt Raumwirksame Agrarpolitik
548
A. Landgewinnung I. Landgewinnung durch Binnenkolonisation (Kaitaku) II. Landgewinnung durch Einpolderungen (Kantaku)
549 549 550
B. Bodenverbesserung durch Bewässerung
552
C. Raumwirksame Hilfe für gefährdete oder von Katastrophen betroffene Gebiete 559 I. Hilfe für die Gemarkungen mit Terrassenfeldbau an steil geneigten Hängen 559 II. Wiederherstellung von Katastrophenschäden 560 D. Sozialbrache als Merkmal der Agrarlandschaft des Industriestaates und die Frage nach einer neuen Inwertsetzung 560 Schrifttumverzeichnis für das 7. Kapitel 561
XXIV
Inhalt
8. Kapitel
Die geographisch relevanten Funktionen der heutigen F i s c h e r e i . . . . 565 1. Abschnitt Die Fischerei im industriestaatlichen Wirtschaftsgefüge
565
A. Die besondere Stellung der Fischerei im primären Wirtschaftssektor . . 565 B. Japans fischereiwirtschaftliche Verflechtung mit der Fischereiwirtschaft der Welt 566 C. Die Organisation der Fischerei und der Einsatz fischereiwissenschaftlicher Forschung 571 2. Abschnitt Das fischereiwirtschaftliche Wirkungsfeld innerhalb der 200-Meilenzone und 572 im Binnenland A. Die Nutzung des Meeres im Schelfbereich I. Die Gemarkung des Fischerdorfs als Fläche der Sammelwirtschaft und Küstenfischerei II. Die Küstengemarkungen als Nutzflächen für Sonderkulturen . . . . 1. Die Algenkulturen 2. Die Austernkulturen a) Die Kulturen für Speise-Austern b) Die Kulturen für Perl-Austern
572 572 573 573 574 574 575
B. Die Hochsee- und Fernfischerei 576 I. Das für Meereslebewesen günstige Ökosystem zu beiden Seiten der Inselgirlande 576 II. Die Fischerei-Regionen 576 C. Die Binnenfischerei
578
3. Abschnitt Anlandungsplätze, Fischereihäfen und Fischmärkte
580
A. Das Fischerdorf und seine Anlandungsplätze
580
B. Die Fischereihäfen I. Die Hafenkategorien gemäß Fischereihafen-Gesetz II. Hafengruppen nach Anlandung von Fischarten, von Tonnagemengen und nach ihrer geographischen Lage III. Struktur und Funktionen von Fischereihäfen, behandelt in Beispielen 1. Nemuro 2. Hachinohe 3. Mitsuhama
581 581 582 584 584 587 590
Schrifttumverzeichnis für das 8. Kapitel
593
Inhalt
XXV
9. Kapitel Die seit dem 7. Jh. entwickelte Kulturlandschaft als Werk geistiger Kräfte und menschlicher Verhaltensweisen 595 A. Der raumwirksame Ausdruck der Naturverbundenheit
595
B. Aufnahmebereitschaft und Toleranz als Kennzeichen bei Rezeptionsvorgängen; die Überzeugung vom Kokutai I. Rezeption chinesischer Kultur; die nationale Kraft des Kokutai . . II. Das Kokutai bei späteren Rezeptionen und heute III. Kulturelle Einschmelzungsvorgänge 1. Religiöse und wirtschaftliche Einschmelzungsvorgänge 2. Städtebau unter chinesischem Einfluß .' 3. Kokutaigedanken bei der Lösung sozialer Fragen, insbesondere in der Landwirtschaft 4. Sprache und Schrift im Rezeptionsvorgang 5. Ein unverarbeitet gebliebenes festländisches Kulturelement: Die Anomalie der Pferdehaltung
602
C. Die Herausformung japanischer Wesenselemente unter Abschluß von der Außenwelt I. Grundsätze der Militärdiktatur 1. Das Herrschaftssystem 2. Die Shògunatshauptstadt II. Dualismus in der Entwicklung der übrigen Städte III. Dualismus in der Gewerblichen Wirtschaft IV. Funktionsleer gewordene Burgen und Samurai V. Die in den Schatten der Militärdiktatur gedrängte Landwirtschaft .
603 603 603 605 605 606 606 607
D. Aus dem Landschaftsgeschehen 1868—1980 erkennbare Tradition und neu sichtbar gewordene Entwicklungsprinzipien und Verhaltensweisen . I. Kokutai, Anpassungszwang und Versuche zu dessen Überwindung . II. Extremisierung der einseitigen Landesentwicklung durch Erdölindustrien E. Jüngste Antworten auf die Herausforderungen der natürlichen Gegebenheiten des Inselreichs I. Erweiterung der Bebauungsfläche landein und gegen das Meer: Landabtragung und Landaufschüttung II. Verwirklichung des Gedankens, dem Inselreich auch Vorteile eines Festlandstaats einzufügen III. Die Verkürzung der Entfernungen durch die Shinkansen, die „Neuen Haupteisenbahnlinien" IV. Verminderung des Erdölimports durch Errichtung von Kernkraftwerken an raumplanerisch sinnvollen Standorten. Besinnung auf die Naturverbundenheit
597 597 597 599 599 599 601 601
609 609 611 613 613 614 614 615
F. Katalog der wesentlichen Verhaltensweisen des japanischen Volkes, soweit diese aus dem landschaftlichen Geschehen seit dem 7. Jh. bis heute als beständig wiederkehrend und aus jüngsten Befunden erkennbar sind . . 615
XXVI
Inhalt
Anhang 1. Momotaro. Verkürzt nacherzählt von Eva Klamroth
621
2. Jahresdevisen (nengö) seit 593
622
3. Die japanischen Kaiser (Tennö)
625
4. Glossar
626
5. Maße und Gewichte
633
Register
635
Autoren-Register
656
Verzeichnis der Abbildungen
9 1 Die Suche nach der Reichsmitte: Vom Nara- zum Kyoto-Becken . . . 2 Der Naikü des Ise-Jingü 13 3 Die altjapanische Provinz- und Regionalgliederung nach dem Engishiki, 927. Überarbeitung der von B. Lewin entworfenen Darstellung von 1976 . 27 4 Die Infrastruktur der Izumo-Provinz, dargestellt auf der Grundlage des Izumo Fudoki vom Jahre 733 32 5 Schematische Darstellung der Jöri-Feldeinteilung 45 6 Plan des Höryüji (Nara-Ken). Nach Unterlagen der Höryüji-Verwaltung entworfen v. M. Schwind 59 7 Der Stadtplan von Heiankyö nach dem Aufbau der Stadt um das Jahr 800. Nach Heinz Brasch 66 8 Die Shögunatshauptstadt Kamakura. Holzschnitt von Hösei Ikkosai, Ende 13. Jh., überlassen vom Kamakura-Bürgermeister Takashi Watanabe. Eintragungen von M. Schwind 87 9 Mannö-ike, ein Stausee der Narazeit. Wiedergabe nach heutigen topogr. Karten 109 10 Die Standorte der Sakaya-Dosö (Sakebrauer-Geldverleiher) in Kyoto während der Muromachi-Zeit (1338-1573). Nach Tadao Nöda im Standard-Atlas zur Geschichte Japans, 1970 112 11 Hauptstraßen und Orte von zentralen Funktionen zur Nara-Zeit (710— 794) 117 12 Die Edo-Burg zu Ende der Tokugawa-Zeit. Nach Standard-Atlas zur Geschichte Japans, 1970 150 13 Die funktionale Gliederung der Burgstadt Edo zu Ende der TokugawaZeit (1854-1868). Entwurf auf der Grundlage der Karte 42 des Standard-Atlas zur Geschichte Japans, 1970 154 14 Die Handelsstadt Sakai zu Beginn der Tokugawa-Zeit, 1615—1624. Nach T. Toyoda, 1969 175 15 Zentrale Orte und Verkehrsinfrastruktur in der Tokugawa-Zeit. Nach Standard-Atlas zur Geschichte Japans, 1970 u. a 185 16 Die Standorteigenschaften von Werken der Nippon Steel Co, gezeigt an den Yawata- und Tobata-Werken von Kitakyüshü 308 17 Die geographische Verteilung der japanischen Eisen- und Stahlindustrie, 1980. Nach Unterlagen der führenden Stahlwerke und Jap. Company Handbook, 1980 310 18 Die geographische Verteilung der japanischen Industrie insgesamt, 1980 313 19 Infrastrukturleistungen im Industriegebiet Ösaka-Südhafen und SakaiSenboku. Nach Unterlagen des Ösaka-Fu ...317 20 Die Küstenfront von Kawasaki, 1980 319
XXVIII
Verzeichnis der Abbildungen
21
Die räumliche Gliederung des Großhüttenwerks Hirohata der Nippon Steel Co, 1979. Nach Unterlagen der Werkleitung 22 Die Entwicklung der Tankergrößen, aufgezeigt an den Spitzenleistungen der japanischen Werftindustrie in den Jahren 1952—1972. Nach Zösen Yearbook 1974-1975 23 Die geographische Verteilung der Werften Japans 24 Die Streuung der Auto-Industrie in den Regionen Keihin und Chükyö. Nach A. Takeuchi, 1971 25 Die Stauseetreppe des Tadamigawa, Fukushima-Ken. Nach Unterlagen der Tadamigawa-Zentralstelle 26 Die Stauseetreppe des Azusagawa, Nagano-Ken. Nach Tökyö-DenryokuInformationen 27 Die Elektrizitätsversorgung des Kantö. Nach Tokyo Denryoku-Informationen 28 Die Elektrizitätsversorgung in Chükyö. Nach Kansai- und ChübuDenryoku-Informationen 29 Die geographische Verteilung der Kraftwerk-Typen und Hochspannungseitungen in Japan. Nach Japan-Atlas 1974 30 Die Kernkraftwerke an der Küste der Wakasa-wan. Nach Yutaka Furutani, 1974 31 Im Aufbau befindliche Brückenketten über die Setonaikai, 1979. Nach einer Zeichnung der Tokyo „Mainichi Daily News" 32 Schematische Darstellung des Honshü und Hokkaidö verbindenden Seikan-Tunnels. Fertigstellung im Frühjahr 1982 33 Die Küste Japans in ihren Anteilen von natürlich gebliebenen und künstlich veränderten Küstenstrecken. Bearbeitete Pressezeichnung auf Grundlage des „Environment Agency's Natural Environment Survey", 1973 34 Die Siedlungsabfall-Verbrennungsanlage Suginami, Tokyo. Aus: Tokyo Municipal News, Vol. 25, 1975 35 Die geographische Verteilung der Zementindustrie, 1980 36 Die Herkunft des Pulp-Holzes nach Menge und Art, 1960-1975. Nach JFI, 1976, Nr. 32 37 Die geographische Verteilung der Pulp- und Papierfabriken, 1979. Nach: Japan Paper Ass., Pulp and Paper Statistics 1979 38 Die Beschäftigten in Land- und Forstwirtschaft in ihrem Anteil an der werktätigen Bevölkerung insgesamt. Nach J. Stat. Yb. 1977 39 Typisierung der Ken nach den Anteilen von landwirtschaftlichen „Fulltime"-Haushalten (mopparagyö) und ,,Part-time"-Haushalten (kengyö), 1975 40 Bevölkerungsverlust und -gewinn in den Gemeinden von Hokkaidö während der Jahre 1965-1970 41 Die Strukturen der 47 Ken (Do, To, Fu, Ken) nach ihrem Anteil an den landwirtschaftlichen Betriebsgrößenklassen von 1—2 ha und weniger als 0,7 ha (1976). J. Stat. Yb. 1977 u. a 42 Die Nutzungsraten für die landwirtschaftlichen Nutzflächen 1970 und 1973. J. Stat. Yb. 1970-1977
333 342 348 369 388 389 392 394 398 400 429 430
432 435 440 454 455 473 475 480 489 507
Verzeichnis der Abbildungen
43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 a 54 b 55 56 57 58 59 60
XXIX
Die Anteile der Naßreis- und Trockenfelder, kenweise, und die Anbaugrenzen wichtiger Feld- und Obstfrüchte, 1975. J. Stat. Yb. bis 1977 . 508 Typisierung der Ken nach ihren Hauptanbaufrüchten 511 Das Vordringen des Reisanbaus in Hokkaidö 1877-1929 und die Anbaugrenze 1967. Nach Akira Watanabe (1957), Hokkaidö Agricultural Experim. Station (1967) und Feststellungen des Verf. (1979) 518 Die regionale Verteilung des Mandarinen- und Apfelanbaus sowie die Hauptanbaugebiete für Maulbeersträucher. Nach J. Stat. Yb. 1977 u. Understanding Japan, Bull. 30, 1972 524 Die Entwicklung der Viehhaltung 1940-1975. Nach J. Stat. Yb. 19491977 u. Understanding Japan, Bull. 30, 1972 536 Die agrarwirtschaftlichen Bezirke auf Hokkaidö. Nach Akira Watanabe 1957 und Feldarbeit d. Verf. 1979 537 Die agrarwirtschaftlichen Regionen Japans, 1980 545 Agricultural Regions. Nach Shirö Sasaki 1959 547 Ariake-Kai. Polderlandgewinnung seit der Tokugawa-Zeit. Nach Reiji Okazaki in: Proc. IGU 1959, überarbeitet f. die Gegenwart vom Verf., 1980 551 Das Gandö-Stausee-Bewässerungs-System. Nach Unterlagen des IwateKenchö u. Feldbegehung d. Verf. 1971 553 Die Bewässerung des Nara-Beckens. Nach Unterlagen des Wasserwirtschaftsamts Nara, 1971 557 Die Verengung des freien Meeres durch die international eingeführten „Wirtschaftszonen". Kartenskizze nach einer Veröffentlichung in den „Mainichi Daily News", 15. 3. 1976 568 Japans 200-Seemeilen-Grenze 1975 — Japanisch-Koreanische Fischereigrenze im Raum der Cheju-Insel, Vertrag von 1965 568 Der Anteil Japans an den Fangmengen in Weltmeeren, 1973. Nach: Fisheries of Japan, 1975 570 Fischerei-Regionen Japans und ihre Fischereihäfen. Nach: Fisheries of Japan, 1975; ergänzt v. Verf 578 Fleisch- und Fischverzehr in einigen Industriestaaten der Erde, 1975. Nach „Mainichi Daily News", 17. 3. 1976 583 Die Fischereihäfen Nemuro-Altstadt und Nemuro-Hanasaki, 1980. Nach Topogr. Karte 1 : 50 000, bearbeitet vom Verf 586 Die Fischereihäfen von Hachinohe, 1980. Nach den Stadt- und Hafenplänen von Hachinohe, bearbeitet vom Verf 589 Mitsuhama (Matsuyama). Funktionale Gliederung einer Fischereihafenstadt, 1979. Ausschnitt einer farbigen Karte, aufgenommen von Shöichi Yokoyama 592
Verzeichnis der Bilder
1
2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Der Naikü des Ise Jingü in der Neu-Errichtung (sengü) des Jahres 1973. Im Vordergrund das „kodenchi", das Alternativ-Grundstück, auf dem 1953—73 der alte Schrein stand und auf dem 1993 die Neu-Errichtung (sengü) erfolgen wird. Aufn. Geschenk vom Ise Jingü 14 Das große Torii vor der Uji-Brücke, dem Eingang zum Ise Jingü (Naikü). Aufn. Geschenk vom Ise Jingü 15 Der Izumo Taisha, Groß-Schrein von Izumo. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, Tokyo 17 Nintoku Misasagi, das Großhügelgrab des Nintoku Tennö inmitten der Stadt Sakai. Aufn. durch Rikio Takahashi, Izumi . 18 Tödaiji in Nara. Die bedeutendste und den Großen Buddha enthaltende Tempelhalle Japans 37 Itsukushima, auch Miyajima genannt, unfern Hiroshima. Shintö-Großschrein, von Fischern stark besucht. Aufn. Jap. Fotograf in Hiroshima . 43 Hachiman Jingü in Kamakura. An der linken Treppenseite der historisch bedeutsame Ginkgo. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, Tokyo 85 Daibutsu, der Große Buddha von Kamakura. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, Tokyo 115 Die Himeji-Burg. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, Tokyo 162 Der Aufgang zum Suwa-Schrein in Nagasaki. Aufn. M. Schwind, 1979 . 178 Tökaidö am Hamana-ko. Aufn. M. Schwind, 1979 188 Reisbeet-Terrassen im Tal des Monobegawa, Köchi-Ken. Aufn. M. Schwind, 1956 197 Aikawa auf der Insel Sado: Fischer beim Netzflicken am Auflaufstrand; die eng bebaute Fischer-, Keramikgewerbe- und frühere Bergmannstadt. Aufnahme vom Ortsfotografen in Aikawa 209 Ryöanji, ein Trockengarten oder „karesansui" in Kyoto (15. Jh.). Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, Tokyo 219 „Omiwatari" im Suwa-See am 16. 1. 1977. Aufn. Mitsunaga Kurenuma, Tokyo 243 Kushiro. Einfahrt zum submarinen Kohlenabbau. Aufn. M. Schwind, 1979 269 Yawata Eisen- und Stahlwerk der Nippon Steel Co (Shin Nippon Seitetsu). Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, Tokyo 306 Abtragung der Küstenterrasse an der Setonaikai-Küste des Stadtgebiets von Möji u. die Verwendung des Steinmaterials zur Schaffung von küstennahem Aufschüttungsland. Aufn. M. Schwind, 1979 322 Abtragung einer Hügellandschaft bei Kure auf der rechten Uferseite des Kurosegawa. Aufn. M. Schwind, 1979 323 Grüngürtel als Kögai-Schutz rund um das Eisen- und Stahlwerk Öita. Aufn. M. Schwind, 1979 324
XXXII
21
22 23
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28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39
Verzeichnis der Bilder
Die Koyagi-Werft der Mitsubishi Nagasaki Shipyard and Engine Works, Neubau-Dock 990 m lang, 100 m breit. Anlage auf Umetate-chi in der Bucht von Nagasaki. Aufn. 1974, durch Freundlichkeit des Tokyo News Service, Ltd Die Werft in Sasebo der Sasebo Heavy Industries Co. Docks mit Kapazitäten bis 400000 dw/t. Aufn. 1974, durch Freundlichkeit des Tokyo News Service, Ltd Hitachi-shi. Das Kaigan-Werk der Fa. Hitachi, dem Hauptarbeitgeber für die Bewohner der Stadt. Im Hintergrund der Schornstein der HitachiKupfergrube im Abukuma-Gebirge. Aufn. 1971, durch Freundlichkeit der Werkleitung Yanaizu, an der Stauseetreppe des Tadamigawa, Fukushima-Ken. An der Kleinstadt ist die Energie-Erzeugung vorübergegangen. Sie ist lediglich zur „Seestadt" geworden. Nach wie vor ist sie Pilgerzentrum für den Kokuzo, dem 807 gegr. buddh. Tempel auf einem Kalksteinsockel hoch über dem Tadamigawa. Aufn. M. Schwind, 1971 Reaktor Okuma, Fukushima-Ken. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, 1978 . Küstenfront von Kawasaki (vgl. Abb. 20) mit dem Keihin-Kanal. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, 1979 Der Öl-Terminal von Küre bei Kagoshima. Die von Süden einfahrenden Großtanker löschen in die Großtanks, die kleineren, für die Häfen an japanischen Küsten bestimmten Tanker werden auf den Reeden im nördlichen Bereich des Terminals gefüllt. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, 1979 Der Küstenbereich der Stadt Yokkaichi, beherrscht von Erdöl-Raffinerien und chemischer Industrie. Aufn. M. Schwind, 1979 Die Stadt Nobeoka, beherrscht von der Asahi Chemical Industry. Landmarke ist der 180 m hohe Schornstein. Aufn. besorgt durch Katsuyo Ukezaki u. Naomasa Kuromizu, 1979 Das Werk-Kombinat der Ube-Kösan, z. T. auf Umetate-chi, 1971. Aufn. von der Werksleitung Toyota. Ein Danchi-Komplex auf abgetragenem Hügelland, 1979. Aufn. der Toyota-Werkleitung Die Große Kanmon-Brücke (Kanmon Öhashi), 1979. Besorgt von Taiji Yazawa, Tokyo Port Island, Köbe. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, 1979 Die gigantischen Hochhäuser von Shinjiku in Tokyo. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, 1979 Die Papierfabrik von Fuji-Yoshiwara an der Küste vor dem Fujisan. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, 1979 Verlassenes Dorf in Töhoku. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, 1979 . . Reisfelder mit Erntegarben im Becken von Yonezawa. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, 1979 Landwirtschaftlicher Betrieb auf der Nehrung Yumigahama bei Yonago. Gewächshauskultur. Aufn. M. Schwind, 1979 Vinylbeete zum Zwecke einer früheren Ernteausbringung. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, 1979
349 350
363
390 401 409
410 411 416 417 426 428 431 434 456 477 512 514 516
Verzeichnis der Bilder
XXXIII
40
Teestrauch-Terrassen in Shizuoka-Ken. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, 1979 41 Teesträucher an einem Bauernhaus bei Ureshino, Saga-Ken. Aufn. M. Schwind, 1971 42 Viehwirtschaftshof in Hokkaidö: Nakashibetsu in Nemuro-shichö. Besorgt durch Miyako Katsube, Ishikari-chö, Hokkaidö, 1981 43 Das Gandö-Damm-Bewässerungssystem: Siphonleitung über den Kitakamigawa und der Hauptverteiler auf der Westseite des Flusses. Aufn. M. Schwind, 1979 44 Wassererwärmungs-Stufen im Flußbett des Matsukawa, Iwate-Ken. Aufn. M. Schwind, 1979 45 Kulturterrassenhang an der Küste des Uwa-no-umi von Ehime. Besorgt durch Shöichi Yokoyama, Matsuyama, 1976 46 Nori-Gewinnung an der Boso-Halbinsel. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, 1979 47 Teichfischerei mit Sprinkleranlage am Hamana-ko. Aufn. M. Schwind, 1979 48 Der Grenzhafen Wakkanai. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, 1979 . . 49 Der Ausweich-Grenzhafen Nemuro-Hanasaki. Aufn. M. Schwind, 1979 50 Der funktionsarm gewordene Alt-Hafen Nemuro. Aufn. Geschenk der Stadtverwaltung Nemuro, 1979
530 531 554 555 559 573 579 582 585 587 590
Verzeichnis der Tabellen
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
Die Bevölkerung Japans in den Jahren 1726-1846 (in 1000), nach historisch begründbaren Schätzwerten Die Vielzahl der von Kaufleuten und Handwerkern in Edo, Osaka und Kyoto im Jahre 1692 angebotenen Waren, geordnet nach Bedarfsbranchen (zusammengestellt nach Rozman, 1973) Die Gebietsfläche Japans und seiner Präfekturen (1976) und deren Anteile an den Geländeformen. Nach Japan Stat. Yearbook 1977, bearbeitet von M. Schwind Abflußkoeffizienten einiger Flüsse (nach Rikanenpyö 1966 u.a.) . . . Zeitpunkte, zu denen Japan Fertigwaren zu exportieren und damit den Import einzuschränken begann (nach Takahashi, 1969) Die Bevölkerung Japans 1872-1980, in 1000 Die Erzeugung von Rohzucker im japanischen Reichsgebiet, 1897— 1940 Außenhandel Japans im Großraum Ostasien, 1933 und 1938 (in 1000) Kunstfaserproduktion Japans 1931-1945 in 1000 lbs (nach Textile Yearbook 1951 und The Daiwa Investment Series 1953) Die Hierarchie der Eisen- und Stahlfirmen Japans (Bearbeitet unter Benutzung des Japan Company Handbook 1977 u. 1980) Die Aufschüttungsflächen einiger Küstenstädte nach dem Stand von 1979 Die Entwicklung der Roheisen- und Rohstahlproduktion Japans 19011980 in 1000 t (Nach Japan Stat. Yearbook) Anteile der 5 großen Stahlfirmen an der Rohstahlproduktion Japans insgeamt, 1965-1979 Importabhängigkeit der japanischen Eisen- und Stahlindustrie, 19601975 (Nach Japan Stat. Yearbook) Regionale Herkunft der Roh- und Heizstoff-Importe Japans, in %, 1975 (Nach Japan Stat. Yearbook 1977) Wachstum der Schiffstonnage Japans und Deutschlands, 1908—1976 (Nach Lloyd's Register of Shipping) Vom Stapel gelaufene Schiffstonnage in Japan, 1966-1978, in G/T (Nach Lloyd's Register of Shipping) Vom Stapel gelaufene Schiffstonnage in den großen Schiffbauländern der Erde, 1973-1978 (in 1000 G/T und in %) Die 28 führenden Schiffbauer Japans und ihre Werften, 1978 Schiffsmaschinenproduktion in Japan, in Mio. Yen, 1970-1975 (Nach Zosen, 1975 u. 1977) Standorte der 68 führenden Werften Japans (Nach Zösen Yearbook, 1976-1977)
138 212 256 270 277 278 292 295 297 311 320 327 328 330 331 339 340 340 344 347 351
XXXVI
Verzeichnis der Tabellen
22
Der Export an Anlagegütern der Schwermaschinenindustrie 1965-1975 im Vergleich zu deren Import (Quelle: Jap. Stat. Yb. 1977) 23 Erzeugung und Export von Nähmaschinen 1950-1978 (Nach Jap. Stat. Yb. 1960 u. 1977; Nippon Böeki Geppö 1980) 24 Die jährliche Produktion der Fahrrad-Industrie, 1960-1975 (Nach J. Stat. Yb. 1977) 25 Die führenden Kraftfahrzeugfirmen und ihre Standorte, 1980 (Nach Japan Company Handbook 1980) 26 Kraftwagen-Produktion Japans im Vergleich zu den Produktionen anderer Staaten, 1965, 1970, 1975, 1979 27 Die Erzeugung von Rundfunk- und Fernsehempfangsgeräten in Japan und anderen Staaten, 1965-1979 (UN-Yearbook) 28 Produktionsleistungen der optischen und feinmechanischen Industrie, 1960-1975, in 1000 Stück 29 Kohleförderung in 1000 t und Zahl der im Kohlebergbau Beschäftigten, 1875-1978 30 Bevölkerungsverlust der Bergbaustädte in Sorachi (Hokkaidö) und im Chikuho (Kyüshü), 1965-1975 31 Die Verwendung von heimischer Kohle, in 1000 t (Fiskal-Jahre) . . . 32 Zahl der Kraftwerke und installierte Kapazitäten, 1912-1980 (J. St. Yb.) 33 Organisatorische Gliederung der Elektrizitätswirtschaft Japans . . . . 34 Hydro-Elektrizitätswerke an Staudämmen des Kantö (1976) 35 Elektrizitätserzeugung 1930-1978 (J. Stat. Yb. 1961 u. 1978) . . . . 36 Japans Rohöl-Importe in den Jahren 1955—1979 (Nach Zösen 1975, J. Stat. Yb. 1977, Nippon Böeki Geppö 1979) 37 Rohöl-Raffinerien Japans, 1978 38 Tätigkeit japanischer Erdölgesellschaften im Ausland. Stand 1974 (Nach Ushijima) 39 Rohölprodukte, 1973-1980. Produktion und Produktionsplanung (in 1000 t) 40 Chemische Industrie, führende Firmen 1980 41a. Synthetische Faserstoff-Industrie, führende Firmen 1980 41b. Große Gas-Gesellschaften 42 Führende Firmen der Pharmazeutischen Industrie und ihre Standorte, 1980 (Nach Jap. Company Handbook 1980) 43 Bedeutende Firmen der Bauindustrie, ihre Standorte und Belegschaften 44 Bau-Aufträge nach Funktionsbereichen und Wert (in Mio. Y) in den Jahren 1965-1975 45 Standorte der Zementwerke und Zementfirmen 1980 46 Führende Firmen der Textilindustrie und ihre Standorte (1980) . . . . 47 Produktion an Garn 1966-1978 48 Führende Pulp- und Papierfirmen und ihre Standorte 1980 49 Herkunft des Pulp-Holzes nach Menge und Art, 1960-1975 50 Repräsentative Firmen der Nahrungs- und Genußmittelindustrie, 1980 . 51 Landwirtschaftliche Haushalte (lw. H.), 1906-1977
365 366 367 370 371 374 376 380 381 381 383 384 393 397 397 407 413 415 418 419 419 423 437 438 442 447 450 452 453 460 468
Verzeichnis der Tabellen
XXXVII
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Strukturentwicklungsplan 1972-1982 für die Produktionsleistungen der japanischen Landwirtschaft (fiskalische Jahre) 53 Die Beschäftigten in Land- und Forstwirtschaft in ihrem Anteil an der werktätigen Bevölkerung insgesamt 1880-1977 (in 1000) 54 Verlust an landwirtschaftlichen Haushalten insgesamt und Abnahme der landwirtschaftlichen Vollbetriebe (full-time-households) 1960-1975, in %. Dargestellt an 15 repräsentativen Provinzen 55 Zielräume der Abwanderer aus Agrargebieten in den Jahren 1958—1968 56 Die Landflucht, ausgedrückt im Anteil der 20—29jährigen (Gruppe A) und 40—49jährigen (Gruppe B) an den Werktätigen insgesamt ausgewählter Gemeinden, 1975 (Nach Stat. Yb. 1977) 57 Das landwirtschaftliche Nutzflächenpotential 1880—1976 in Relation zu den landwirtschaftlichen Haushalten 58 Landwirtschaftliche Besitzverhältnisse, 1884-1975 59 Landwirtschaftliche Haushalte und deren Betriebsgrößen, 1976, kenweise als Grundlage für eine Typisierung der Ken nach Betriebsgrößenstrukturen 60 Meinungsumfrage über das Ie-System, 1960. In % der Antworten . . 61 Bodenbilanz 1965-1974. Nach Ministerium f. Landwirtschaft und Forsten: Köchi oyobi sakufu menseki tokei. Tokyo, Shöwa 50 (1975) . 62 Anbauflächen (Ernteflächen) von 42 Feldfrüchten Japans, 1965—1975, in 1000 ha 63 a. Die führenden obsterzeugenden Ken, 1969. Produktion in 1000 t . . 63 b. Die örtliche Verschiebung der Produktionszentren innerhalb der Mandarinen-Orangen-Region, geordnet nach Ken, 1926-1969 (In % der Produktion insgesamt) 64 Maulbeerenbauflächen, Zahl der Seidenraupenhaushalte, Kokon- und Seidenerzeugung, Shöwa 1 - 5 0 (1926-1975) 65 Die Großviehhaltung Japans 1905-1976 66 Die Schweine- und Hühnerhaltung Japans, 1905-1976 67 Die Fischerei-Anlandungen der Welt insgesamt sowie der 20 führenden Fischereiländer, 1972-1976 (nach Fisheries Statistics of Japan 1976) . 68 Anlandungen in Hachinohe 1974-1977, in t (Nach Hachinohe, Fakten zur Stadt 1979)
470 472 479 480 483 484 485 490 497 503 510 525 526 528 539 540 566 588
Abkürzungen
Arch. Ass. Ann. ATGA
Archiv Association Annals Annals of the Tohoku Geogr. Association
Bd. B Statist Bull.
Band Bureau of Statistics, Office of the Prime Minister, Tôkyô Bulletin
Ch. Z. Com. Conf.
Chigaku Zashi Committee Conference
Ek
Erdkunde
Geogr. GRJ GZ GR Ges. Gesch.
Geographisch, Geographical Geographical Review of Japan (Chirigaku Hyôron) Geographische Zeitschrift Geographische Rundschau Gesellschaft Geschichte
IBJ Inst. Int. IGU
Industrial Bank of Japan Institute International International Geographical Union
Jap. JFI J. Stat. Yb. Journ. JHB Jh.
Japanese (Survey of) Japanese Finance and Industry of the IBJ Japan Statistical Yearbook Journal Japanhandbuch, hrsg. v. Martin Ramming Jahrhundert; im Gen. ausgeschrieben: des Jahrhunderts
KBS K1WJ
Kokusai Bunka Shinkokai Kleines Wörterbuch d. Japanologie, Bochum 1967.
Mittn
Mitteilungen
Nachr. NS
Nachrichten Nihon Shoku, Nihongi
XL
Abkürzungen
OAG
Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft f. Natur- und Völkerkunde Ostasiens = Ost-Asiatische-Gesellschaft, Tokyo
Proc. Pt
Proceedings Part
RKS Rep.
Rikkokushi (Die Sechs Reichsgeschichten) Report
Sei. Science Sei. Rep. TU Science Report of the Töhoku University, 7 th Series, Geography Ser. Serie(s) Soc. Society Tl.
Teil
TrASJ
Transactions of the Asiatic Society in Japan
Univ.
University
Völkde. Vol.
Völkerkunde Volume (Vols. Volumes)
Zs.
Zeitschrift
Einleitung
A. Die Herkunft des japanischen Volkes Kultur und Kulturlandschaft entstehen überall dort, wo die Umwelt (environment) den Menschen herausfordert zu schöpferischer Tat, oder anders ausgedrückt: wo es Menschen gibt, die den Herausforderungen der Umwelt, als welche sich jeweils Landesnatur und historische Situation darbieten, gültige Antworten zu geben vermögen. Damit ist gesagt, daß sich die „Umwelt" jeweils dreigliedrig darstellt: grundlegend und relativ konstant ist die Landesnatur; in diese eingeprägt ist das aus zeitlichem Wandel hervorgegangene und deshalb vielschichtige kulturlandschaftliche Erbe; beiden gegenüber steht die Veränderung fordernde soziale, wirtschaftliche und politische Situation der jeweiligen Gegenwart. Daraus ergibt sich, daß die als vorwiegend passiver Prozeßregler wirkende Landesnatur, die aus der Geschichte überlieferten und mehr oder weniger verfestigten kulturlandschaftlichen Strukturen und der zu raumwirksamen Veränderungen drängende Entscheidungswille der jeweils die Verantwortung tragenden Menschen das dreigliedrige Bezugssystem darstellen, innerhalb dessen sich die länderkundliche Forschung mit dem Ziele bewegt, das kulturlandschaftliche Geschehen einer Zeit geistig zu bewältigen. Die Frage nach der in solcher Weise entstandenen Kulturlandschaft erheischt im einzelnen die Erhellung der Form, in der sich der subjektivschöpferische Geist in der Landschaft objektivierte und zur Zeit objektiviert, und dies sowohl in deren physiognomischem als auch funktionalem Gefüge. Mit dieser These, die den Gedankengängen von E D U A R D SPRANGER, H A N S und A R N O L D J. TOYNBEE nahesteht, wurde die Aufgabe für diese Länderkunde in Band 1 bereits gekennzeichnet (Bd. 1, S. 64). Darüber hinaus wurde das Vorhaben durch die drei im Buchtitel enthaltenen, die Aufgabe fest umreißenden Begriffe mitbestimmt: Der behandelte Ausschnitt der Erdoberfläche ist ein politisches Reich; dieses Reich besteht ausschließlich aus Inseln, und dieses Inselreich ist japanisch nicht nur als politischer Besitz, sondern auch in seiner kulturlandschaftlichen Erscheinung und seinen Bezugssystemen. Der dritte dieser Begriffe unterstellt freilich den Gedanken, daß es etwas wesentlich „Japanisches" gibt; in dieser Prämisse, so scheint es, liegt die Fragwürdigkeit der Aufgabenstellung. „Der japanische Mensch" läßt sich weder aus der Summe von somatischen Befunden eindeutig definieren, noch läßt er sich aus den Verhaltensweisen der im Ablauf von mehr als 2000 Jahren wechselnden Elite inmitten von ebenfalls wechselnden gesellschaftlichen Gruppen in seiner geistigen Gestalt auch nur annähernd formelhaft erfassen. Aber darum soll es auch nicht,gehen. Die Analysen würden sich sogar um ihren Ertrag bringen, wollten sie eine abstrakte Definition für „den" japanischen Menschen von vornherein zugrunde legen. Das Gegenteil steht im Versuch: Aus den Antworten, die von den Menschen dieses Archipels in den verschiedenen Zeiten auf die Herausforderungen der Umwelt gegeben wurden, FREYER, E R I C H ROTHACKER
2
Einleitung
soll deutlich gemacht werden, welcher Art diese Menschen waren. Im Fortgang der Untersuchung wird sich herausstellen, welche der Antworten sich durch die Zeiten hindurch im kulturlandschaftlichen Gefüge lediglich „mitschleppten" oder sich durch fortwährende Erneuerung als typisch erwiesen, schließlich auch, was an Antworten neu gefunden wurde. Mit anderen Worten: Unter dem auf die Herausforderungen der Umwelt antwortenden Menschen wird nicht ein von vornherein fest definiertes Subjekt verstanden, sondern eine sich wandelnde Gesellschaft, deren sich ebenfalls wandelnde Repräsentanz ihren Willen der Kulturlandschaft anheimgab. Das schließt nicht aus, daß bei vergleichender Betrachtung über große Zeitspannen hinweg immer wiederkehrende Verhaltensweisen sichtbar werden können, von denen man schließlich sagen dürfte, daß sie „japanisch" seien. Die überlieferten Quellenwerke erlauben es, Bild und Funktionsgefüge der japanischen Kulturlandschaft erstmals für die Zeit um das Jahr 700 zu rekonstruieren. Was in den vorausgehenden Jahrhunderten geschah, ist zwar durch chinesische und koreanische Geschichtsquellen und durch die Auswertung der zahlreichen Funde und Muschelhaufen (kaizuka), Feuerstellen, Wohnplätzen und Gerätschaften aus prähistorischer Zeit und der immer häufiger werdenden Entdeckungen von kulturellen Relikten aus protohistorischer Zeit mit zunehmender Deutlichkeit ans Licht getreten, reicht aber noch nicht aus für die Erstellung eines kulturlandschaftlichen Bildes, geschweige denn für die Ermittlung eines kulturlandschaftlichen Funktionsgefüges. Theoretisch müßte die Darstellung mit der Zeit des späten Pleistozän beginnen, in der sich einleitete, was zu Beginn des Holozän um die Jahre 10 000 bis 9 000 v. Chr. vollzogen war: die endgültige Lösung Japans vom Kontinent 1 ; denn diese war zugleich das erste bevölkerungsgeographisch bedeutsame Geschehen. Es eröffnet einen Ausblick auf die Herkunft der Jömonleute, der ältesten auf japanischem Boden feststellbaren Kulturträger, benannt nach dem Schnurmuster (jömon), das ihre Tongefäße in späterer Zeit schmückte. Mit Hilfe der C 14 -Methode (Radiocarbonmethode, erstmals von W. F. LIBBY 1952 zusammenfassend dargelegt) wurde errechnet (45, 356), daß diese Menschen schon im späteren Pleistozän, etwa um die Zeit 15 000 v. Chr., auf den japanischen Inseln siedelten. Man verlegt ihr Mesolithikum in die Zeit von 12 000 bis 9 000 v. Chr., und setzt mit dem Jahre 9 000 v. Chr. das Neolithikum an, das von der genannten Schnurmuster-Keramik charakterisiert wird (46,356). Wenn der Landzusammenhang mit Korea um das Jahr 10 000 verloren ging, wie das geologische, morphologische und biogeographische Befunde wahrscheinlich machen, dann muß man die Möglichkeit einräumen, daß vor der Entstehung von Korea- und Tsushimastraße das heutige Japan vom Kontinent aus unmittelbar bewandert werden konnte. Es besteht für die Annahme Wahrscheinlichkeit, daß die Jömonleute Menschen des Festlandes waren. Aus den Funden paläolithischer Steinwerkzeuge läßt sich nachweisen, daß sie sich von NordwestKyüshü her bis nach Nordost-Hokkaidö (Abashiri), wenn auch in ihrer Dichte nachlassend, verbreiteten. Nur lokal wechselten sie ihre Wohnplätze im Mesolithikum und frühen Neolithikum, bedingt durch marine Transgressionen und Regressionen, wie diese für die Kanto-Ebene in Band 1 (S. 206-208) beschrieben wurden; denn fast alle großen Alluvialebenen Japans sind Aufschüttungsfächer, die unter sich die 1 Vgl. Bd. 1, S. 9 4 - 9 6 ; vor allem aber Masao Minato (45).
A. Die Herkunft des japanischen
Volkes
3
unteren, z. T. von Jömonleuten besiedelten Abschnitte jener Talsysteme begruben, die sich im Zusammenhang mit der würmeiszeitlichen marinen Regression eingefurcht hatten. Man findet die Siedlungsreste eingebettet in die Aufschüttungsschichten z. B. der Musashino- und Ömiyaterrassen. Auffallend ist, daß die Jömonleute ihre Kultur nur sehr schwach weiterentwickelten und daß sie von den Vorgängen auf dem Festland unberührt blieben. Etwa 6 000 Jahre hindurch verharrte man auf der steinzeitlichen Jäger-, Sammler- und Fischerkultur. Freilich ist noch nicht nachgewiesen, ob die körperlich kleinen Jömonleute nicht vielleicht von einem anderen, ebenfalls körperlich kleinen Volke (etwa den Ainu) abgelöst wurden (s. u.), das ebenfalls den Ackerbau noch nicht kannte. Die Quartärforschung stellt vorläufig noch fest: „New techniques of agriculture and metallic goods were first intruduced from China" (45, 357). Die um 300 v. Chr. anhebende und sich seit etwa 200 v. Chr. immer deutlicher akzentuierende Ackerbaukultur auf der Basis des Reisanbaus wird von den Yayoileuten getragen 2 . Körperlich waren sie, wie die Skelette beweisen, größer als die Jömonleute. Man nimmt an, daß die Yayoileute aus südmandschurischem Gebiet über Korea und Tsushima auf die Nordküste von Kyüshü trafen; es darf hinzugefügt werden, daß sie sicherlich ebenso auf der Japanmeerseite an der Küste von Izumo landeten, da es einfacher ist, sich von der Tsushima-Strömung treiben zu lassen als sie zu durchqueren. Von den Gebieten des nördlichen Kyüshü und von Chügoku aus hat sich die Yayoi- über die Jömonkultur gelegt, haben Yayoileute die Jömonbevölkerung durchsetzt, sich mit ihr gemischt und sie allmählich aufgesogen (50 u. 40, 414). Im Zusammenhang mit diesem Überlagerungsvorgang muß auch von einem dritten Volk die Rede sein, von den Emishi oder Ainu. Die Frage ist noch offen, ob nicht die Jömonleute mit diesen identisch seien (s.o.). Über die Herkunft der Emishi meint v. EICKSTEDT, daß sie zu jenem europiden Rassenkreis Sibiriens gehörten, dessen östlicher Flügel in Richtung auf die japanischen Inseln abfloß, als mit dem zurückweichenden Eis von Süden her die Mongoliden vorstießen. Er berechnet dieses Geschehen für das 4. bis 3. vorchristliche Jahrtausend. Für v. EICKSTEDT ist auch die Mehrzahl der aus dieser Frühzeit gefundenen Skelette vom Emishi-Typ, und er ordnet die Begleitkeramik, einen „dunkelbraunen, groben, mattenkeramischen Topftyp, bekannt als Jömonkeramik (Jömon-doki = Schnurabdruck-Töpferei)", den Emishi zu (12,483—485). Möglich ist auch, daß die Emishi, von Sachalin kommend, zunächst auf Hokkaidö Fuß faßten, sich dort zwischen die schütter siedelnden Jömonleute setzten, mit denen sie die steinzeitliche Kultur teilten, und in allmählichem Durchdringungsvorgang Honshü erreichten. Sie sind während der japanischen Frühgeschichte und auch in späteren Jahrhunderten Feinde der japanischen Reichswerdung gewesen (34, 42 u. 66) und stellen heute (1980) das einzige der Urvölker dar, das sich in seinen somatischen Merkmalen und in seiner Sprache in einigen auf Hokkaidö lebenden Nachfahren erhalten hat. Unter den Japanern wie unter den Europäern hat sich der Name Ainu gegenüber der früher verwendeten Bezeichnung Emishi durchgesetzt 3 . 2 Die Bezeichnungen Yayoileute und Yayoikultur nimmt Bezug auf den Stadtteil Yayoi-chö nahe der Tokyo-Universität, in dessen Bereich 1884 der erste, die Forschung belebende Fund scheibengedrehter Keramik gemacht wurde. 3 Der Name Ainu wird auf den folgenden Seiten in Hinblick auf die Gegenwartsbezogenheit dieser Länderkunde bevorzugt.
4
Einleitung
Schließlich muß, ehe zur Betrachtung der Yayoileute zurückgekehrt werden kann, noch auf einen vierten Einwandererstrom hingewiesen werden, für den es allerdings nur indirekte Beweise gibt. Es handelt sich um Einwanderer, die über die Ryükü-Inseln Süd-Kyüshü erreichten. Einen greifbaren Beleg für diesen Vorgang meinte schon E R W I N B A E L Z in den typologischen Ähnlichkeiten vieler Bewohner Süd-Kyüshüs mit sino-malaiischen Völkern zu sehen (8). Dies gilt für v. EICKSTEDT sogar als sicher: „Auf Kyüshü entstand damit ein Reich der Kumaso, kriegerischer, abenteuerlicher, begabter Leute, die lange noch ihre Selbständigkeit . . . halten konnten und noch heute in Typ und Wesen ihre alte Eigenart bekunden" (12, 490). Die seetüchtigen Kumaso erlangten im 3. Jh. n. Chr. besondere Bedeutung, weil (der Überlieferung nach) sie der Kaiserin Jingü Kögö erfolgreich Widerstand leisteten, worauf diese zum Kampf gegen Korea aufbrach in dem Glauben, die Kumaso seien mit den Koreanern verbündet und ein Sieg über Korea könne gleichzeitig zu einer Niederlage für die Kumaso werden (73). Vielleicht ist der viele Japaner auszeichnende Sinn für das Maritime als Erbteil der Kumaso zu deuten. Insgesamt müssen von den Yayoileuten drei Völker vorgefunden worden sein: Die Jömonleute, die Emishi, die Kumaso. Dank ihrer kulturellen Überlegenheit haben die Yayoileute wohl Anerkennung gefunden und wesentliche Teile der verschiedenartigen Urbevölkerung in sich aufgenommen. Dabei scheinen sich, räumlich gesehen, für die weitere Entwicklung drei Schwerpunkte herausgebildet zu haben: Nord-Kyüshü, Izumo, Yamato. Die Jahrhunderte der Yayoikultur erhalten aus chinesischen und koreanischen Geschichtsquellen eine gewisse Aufhellung, die unter Hinzunahme der Auswertungen von immer häufiger gewordenen Ausgrabungen gerade in den letzten Jahren schon zu konkret werdenden Vorstellungen führen. Völlig ungeklärt blieb bislang, ob die Yayoileute die kulturelle Entwicklung bis in die Eisenzeit hinein kontinuierlich fortführten oder ob sie ihrerseits wiederum abgelöst wurden. Die Funktion dieses Ablösens könnte dem Einwanderervolk zugeschrieben werden, das unter Führung des später Jimmu Tennö genannten Häuptlings das Kernland Yamato besetzte. Mit Absicht ist in Band 1 (S. 1 2 - 1 4 ) von der legendären Überlieferung gesprochen worden, weil für die Darstellung der Reichsausweitung zunächst ein Ausgangspunkt gegeben werden mußte, der es zugleich ermöglichte, jene örtlichkeiten und Personen vorzustellen, die trotz ihres legendären Charakters noch zum Kulturbewußtsein der Nation gehören. Die Hinweise auf die Jomon-Kultur mögen bereits geklärt haben, daß von einer Reichsgründung im Jahre 600 v. Chr. aufgrund der Forschung japanischer Archäologie keine Rede sein kann; sie wäre ja noch in der Steinzeit erfolgt. Die Vorgänge in der Yayoizeit rücken mit größerer Wahrscheinlichkeit an die Zeit der Reichsgründung heran; aber die Geschichtsschreibung bewegt sich mit Vorsicht um diesen Gegenstand herum. Selbst bei einem sehr gründlichen Gelehrten heißt es: „Der Zeitraum vom 3. bis zum 6. Jahrhundert, der auf die Yayoi-Epoche folgte, ist als Dolmengräberzeit bekannt" (40). Was ist mit den Yayoileuten geworden? Wurden sie von den Dolmengräberleuten besiegt? Wie kann das Geschehen um die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung auf japanischem Boden in jene Vorstellung einmünden, die im Begriff des YamatoVolkes liegt?
B. Entwicklung eines raumwirksamen
Kulturgefüges
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Durch diese Frage erhält vielleicht die ins Mythisch-Legendäre projizierte Gestalt des Jimmu Tennö ihren sinnvollen historischen Ort. Es ist klärend, wenn die Mitarbeiter für Geschichte am UNESCO-Sammelwerk über Japan, alles traditionelle Beiwerk beiseite schiebend, schreiben (26, 85): „It was probably during the third or fourth Century A. D. that a military organized and aggressive people migrated to Japan and conquered the agricultural population. These newcomers eventually established a dynasty, centering around the Tennö class". Von ähnlicher Auffassung ist auch BISHOP (5). Unter Hinweis auf ASTONS Nihongi-Übersetzung und -Kommentar (2 u. 17) führt er aus, daß während des 3. Jahrhunderts im Gebiet von Izumo ein unabhängiges Königtum mit besonders engen Beziehungen zum Land Hsin-lo bzw. Silla auf der koreanischen Halbinsel bestand. Er hält es für sehr wahrscheinlich, daß von dort aus vor Ende des 2. Jahrhunderts eine Bevölkerung nach den japanischen Inseln auswanderte und eine höhere Kultur mitbrachte, charakterisiert durch die Verwendung von Eisen, durch Haustierhaltung, durch den Brauch, auf Pferden reitend zu kämpfen und durch die Sitte, hohe Persönlichkeiten nach ihrem Ableben in Dolmen zu beerdigen, in mächtigen Erdhügeln, von denen bis auf den heutigen Tag noch zahlreiche erhalten sind. Das geringe Vorkommen von großen Dolmen in Kyüshü läßt Izumo um so deutlicher als das Zentrum des von Silla kommenden Einwandererstroms erscheinen. Zusammenfassend sei festgestellt, daß in der Bevölkerung des japanischen Archipels Volksgruppen verschiedener Herkunft aufgegangen sind, wobei wahrscheinlich ist, daß die Anteile von Einwanderern kontinentaler Herkunft überwiegen. Erst seit dem Nachlassen der Zuwanderer vom Kontinent und seit der völligen Unterwerfung der Ainu im 9. Jh. (41) vermochte sich zu konsolidieren, was heute als somatischer Befund des japanischen Menschen gelten kann.
B. Die Ansätze zur Herausbildung eines raumwirksamen j apanischen Kulturgefüges Es ist nicht Aufgabe einer geographischen Länderkunde, historische Probleme zu lösen. Eben gerade, weil bis zum Beginn des 7. Jahrhunderts so viele Bereiche der Wirklichkeit noch von allzuviel Nebel verhüllt sind, kann eine geographische Länderkunde erst mit jener Zeit einsetzen, für die sich ein kulturlandschaftliches Gefüge bereits zeichnen läßt. Hierfür ist allerdings nicht belanglos, was sich seit Beginn der Yayoizeit bis zur ersten Machtentfaltung des Tennöhauses an geographisch Relevantem ereignet hatte. Es lassen sich Bestandteile eines kulturlandschaftlichen Erbes erkennen, die für die Entwicklung im 7. und 8. Jh. von großer Bedeutung waren. Sie sind im folgenden, sachlich geordnet, zusammengefaßt (13, 24, 28): 1. Die Bevölkerung in altjapanischer Zeit Sie gliedert sich in Geschlechterverbände oder „uji" aufgrund der Blutsverwandtschaft. Jedes Uji sah sich einem Häuptling, dem uji-no-kami, verpflichtet; jedes Uji verehrte seinen Ahnherrn, dem gleichzeitig die Funktion des Schutzgottes der Sippe zufiel. Die späteren Dorf- und Schutzgottheiten leiteten sich aus dieser alten
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Einleitung
Uji-Gliederung ab. Über die Bevölkerungsverteilung vor dem 7. Jh. erlauben die überlieferten Quellen die Feststellung, daß die Landschaften der Gokinai, von Harima und Bizen, von Tsukushi und von Izumo Schwerpunkte darstellten. Seit der Yayoi-Zeit hatte sich hierin also nichts geändert. Rückschlüsse auf die Anzahl der Menschen sind noch nicht möglich. Nur dies ist einwandfrei sicher: Wiederholt erfuhr die Bevölkerung Zuwachs durch weitere Einwanderer vom Kontinent; man nannte sie, soweit sie sich naturalisieren ließen, Kikajin. L E W I N nennt „die Einwanderer aus Korea in dem etwa drei Jahrhunderte dauernden Zeitraum von 400 bis 700 n. Chr. die größte Gruppe der kontinentalen Einwanderer in Altjapan wie überhaupt in der Geschichte des Landes." (42, 33). Sie waren für die Geschlechterverbände eine Herausforderung, und es mußten Wege für ihre Eingliederung gefunden werden. L E W I N hat besonders die nachweisbar erste große Immigrationswelle, die der Aya und Hata, eingehend untersucht (39; 40, 75, 124). „Man darf mit Sicherheit annehmen, daß Gruppen chinesischer Kolonisten im Laufe der Han-Zeit bis in das Gebiet der südkoreanischen Stammestümer außerhalb des chinesischen Territoriums von Lo-lang vorgedrungen sind, daß sie zu einem bedeutenden Teil Nachkommen der unter Wei Man emigrierten Nordchinesen des alten Ch'in-Reiches waren . . .. Man wird nicht fehlgehen, wenn man die nach Japan eingewanderten Ch'in-Leute, d. h. die Hata, mit Angehörigen dieses südkoreanischen Volksteiles identifiziert." Nach dem Nihongi und Kogoshüi kamen die Hata „aus 120 verschiedenen Heimatbezirken, nach dem Shöjiroku. aus 127; eine unverhältnismäßig hohe Zahl . . . . Vermutlich soll mit dieser Zahl zum Ausdruck gebracht werden, daß es sich um mehr Einwanderer als bei den Aya handelt" . . .. „Laut Shöjiroku will man unter Yüryaku Tennö 18 670 Hata-Leute gezählt haben, und das Nihongi berichtet im Kimmei-ki, daß sich die Zahl ihrer Haushalte damals (kurz nach 500) auf 7 053 belief." Eine andere Gruppe, die Aya, sind Han-Chinesen, deren Haupt Achi no Omi war. Sie haben in der altjapanischen Geschichte eine bedeutende Rolle gespielt. Im Kojiki heißt es: „Ferner kamen herüber die Ahnen der Hata no Miyatsuko und der Aya no Atae sowie ein Mann, der Sake brauen konnte." Das Nihongi berichtet: „Achi no Omi, Ahnherr der Yamato-no-Aya, und sein Sohn Tsuka no Omi kamen an der Spitze von eigenen Leuten aus 17 Bezirken als Einwanderer ins Land." . . . „Achi no Omi und Tsuka no Omi wurden nach Wu entsandt, um Näherinnen anzuwerben." Ganz unabhängig von der Zuverlässigkeit der Einzelheiten in diesen Berichten stellt auch die vor dem Jahre 500 erfolgte Aya-Einwanderung einen erheblichen Menschenzufluß dar. Die Ansiedlung der Aya und Hata, aber auch vieler anderer Einzel- und Gruppeneinwanderer, geschah unter Anweisung des Tennöhauses. „Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß zumindest die führenden Einwandererfamilien wegen ihrer kulturellen Überlegenheit, ihrer Sprachkenntnisse und der zu erwartenden Loyalität gegenüber dem Kaiserhaus des Gastlandes nahe der Residenz angesiedelt wurden. Die in Yamato seßhaft gewordenen HanChinesen sind unter dem Namen Yamato-no-Aya bekannt. Aya wurden auch in anderen Kinai-Provinzen angesiedelt." Die größte Siedlungsbreite hatten die Hata; sie übertrifft die aller anderen Einwanderergruppen um ein Vielfaches. „Ihre Wohngebiete verteilen sich von Kyüshü bis in das Kanto-Gebiet, und es kann als sicher gelten, daß die Hata einen bedeutenden Faktor der Bevölkerung Altjapans darstellen. Die soziale Struktur der Hata war durch hohen Anteil der Halbfreien
B. Entwicklung eines raumwirksamen
Kulturgefüges
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gekennzeichnet." „Deshalb kann es nicht wundernehmen, daß die Hata frühzeitig zu öffentlichen Frondiensten herangezogen wurden. Schon unter Nintoku Tennö sollen sie zu Wasserregulierungs- und Bauarbeiten in Yamato und Kawachi eingesetzt worden sein." Soweit die Einwanderer besondere Berufe ausübten, bildeten sie eigene Zünfte. Schriftkundige und Gelehrte brachten es zu Stellungen am Hofe. Eine geschlossene Ansiedlung von Einwanderern, die zur Entwicklung eines eigenen Geschlechterstaates hätte führen können, wurde selbst in kleinflächiger Ausdehnung vermieden. LEWIN hat die nachweisbaren Wohnstätten der Yamato-noAya ( 5 . - 9 . Jh.) und der Hata ( 5 . - 9 . Jh.) kartographisch festgelegt (S. 49 u. 80). Die Schwerpunkte innerhalb der Altprovinzen, wo sich die Einwanderer besonders nützlich machen konnten und wo sie unter zentraler Kontrolle standen, sind deutlich erkennbar. Einen Einfluß auf die einheimische Wohnweise hatten die Einwanderer nicht. Die in Hiraide (Nagano-Ken) 1947—51 ausgegrabenen Arbeitsstätten von Keramikern oder haji belegten, daß man bis ins 6. Jh. bei Grubenwohnungen verblieb, wobei man allerdings in Hiraide einen Fortschritt darin erkennen konnte, daß deren Dachrand etwa 60 cm über dem Boden auflag, während bei den Behausungen in früherer Zeit das Dach auf dem Boden ruhte. „Die Grubenwohnungen hatten zunächst keine Wände, somit auch keine Fenster, nur eine Tür, die mit Mattengeflecht verhängt wurde" (vgl. 11; 25—26). Aus Grubenwohnungen dieser Art bestand auch das Handwerkerdorf oder hajibe-no-sato, das bei Sakai entdeckt wurde. Das Dorf aus Grubenwohnungen ist landschaftsphysiognomisch von sehr geringer Wirkung, funktional aber als Handwerkeransammlung von einer partiell zentralen Bedeutung gewesen. Die Einflußnahme der festländischen Einwanderer auf die Architektur beschränkte sich vorerst auf den Tempel- und Palastbau. 2. Staat und Gesellschaft einer sich entwickelnden theokratischen Monarchie Grundlage war der Geschlechterverband. Jedes uji (s. o.) war bereits organisiert wie ein Staatswesen. Unter dem uji-no-kami und in Diensten der Freien standen die Handwerker und Unfreien. Im Wei-chih, dem chinesischen Annalenwerk vom Jahre 265, wird von 100 solcher „Staaten" gesprochen. Die Vielzahl der «/¿-Staaten war der Kleinkammerung des japanischen Archipels (vgl. Bd. 1, S. 215—229) förmlich zugeordnet. Die Kleinkammerung hat sich seit Beginn der japanischen Reichsgeschichte als die bedeutendste Herausforderung der Natur an jedweden Staatswillen erwiesen, der die Landesteile von einer Zentrale aus zusammenzuhalten versuchte. Diese Herausforderung wirkte beständig durch alle Zeiten hindurch als ein passiver Prozeßregler im staatsräumlichen Geschehen, und wirkt selbst noch im 20. Jh. fort. Die Vielzahl der sich raumwirksam machenden Wasserscheiden und Zwischenwasserscheiden hatten im übrigen chinesische Beobachter schon in frühgeschichtlicher Zeit in ihrer Bedeutung erkannt. Im chinesischen Annalenwerk „Wei-chi" (um 298) heißt es, „die Bewohner legen ihre Staaten und Ortschaften in Anlehnung an Berge und Inseln an".
Die Geschlechterstaaten verfügten über eigenen Grundbesitz, ihr eigenes Volk und ihre eigene «/¿-Gottheit. Der Tennö war ursprünglich nichts anderes als der
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Einleitung
Häuptling eines der vielen uji4. In seiner Person waren aber gegenüber den anderen Sippenhäuptlingen drei Vorrechte vereint (13): 1. Die Repräsentation der verschiedenen uji gegenüber der Ahnen-Gottheit A m a t e r a s u , die als höchste aller «/(-Gottheiten galt. Es war dies die hohepriesterliche Funktion; 2. Die Repräsentation aller uji nach außen, d. h. gegenüber den Abgesandten aus China und Korea; mit dieser Funktion war zugleich der Oberbefehl im Falle kriegerischer Verwicklungen verbunden; 3. Die Schlichtungsfunktion bei Streitigkeiten zwischen den uji, d. h. die richterliche Gewalt.
Die drei Vorrechte ermöglichten seit dem 5. Jh. die Entwicklung einer theokratischen Monarchie, die sich in ihrem Grundgedanken von der chinesischen Staatsform unterschied: Da der Tennö nicht nur politische Führungskraft besaß, sondern vor allem auch der Hohe Priester des Volkes gegenüber den himmlischen Ahnen und allen anderen Götter- und Geisteswesen war, galt er als nicht absetzbar. Dieser Gedanke ist der Kern des Kokutai, der in westlicher Sprache undefinierbaren Vorstellung von der Besonderheit des japanischen Staatswesens. Die Ideologie des Kokutai trug die Entwicklung der kaiserlichen Macht, wie sie durch die Jahrhunderte hindurch bald deutlicher, bald auch nur hintergründig in Erscheinung trat, zu der Stellung zu nehmen aber eine permanente Herausforderung blieb. Selbst bei der Verfassungsgebung nach dem Zweiten Weltkrieg ist diese Stellungnahme unumgänglich gewesen. Das japanische Staatsgebilde, das bis zum 7. Jh. territorial nur Mittel- und Südwestjapan umfaßte, mußte sich bereits konsolidiert haben, als koreanische Kriegsgefangene und die chinesischen Einwanderer der Aya und Hata in das Inselreich gelangten, naturalisiert und angesiedelt wurden (39, 103); Es muß etwa seit dem Jahre 400 eine zentral geführte Organisation gegeben haben. Auffallend ist, daß der Begründer des Yamato-Reichs, dem später der Name JIMMU T E N N Ö beigelegt wurde, für sein uji das Nara-Becken als Wohnraum erwählte, und daß er der Überlieferung nach sogar hart darum gekämpft hatte. Es steht dies im Widerspruch zu der weitverbreiteten Auffassung, die Bewohner Japans seien von Haus aus ein meerverbundenes Volk gewesen. Im altjapanischen Raum gibt es keine Landschaft ähnlicher Größe, die kontinentaleren Charakter trüge als das Nara-Becken (s. Abb. 1): Es wird im Osten vom 600—900 m hohen Kasagi-Gebirge, im Westen von den Ikoma- und Kongo-Gebirgen begrenzt, wobei die Höhen des Kongösan (1112 m) und des Kasagi-Gebirges (904 m) das Becken zugleich auch südlich umgreifen. Nur gegen Norden öffnet sich die Landschaftskammer zum terrassierten Talraum des Kizugawa; aber auch dieser von Bergzügen beflankte, 6 km breite Raum führt nicht zum Meer, sondern durch die Altprovinz Yamashiro immer tiefer in das Land hinein zum Gebirgsraum des Hieizan. Vom Meer ist im Nara-Becken nichts zu sehen; nicht einmal die kühlende Brise ist über die Bergketten hinweg spürbar. Einzigen Auslaß zur Küstenregion bietet der Yamatogawa, der den Gebirgsriegel steilschluchtig ostwestlich durchbricht 5 . Das Nara-Becken ist von einer 30—80 m über dem Meeresspiegel liegenden, fast tischflachen Ebene erfüllt und täuscht größere Weite vor als ihr eigen ist; an solch meeresentrücktem, sich als kontinentale Reisebene ausweisenden Raum konnte 4 Die Bezeichnung Tennö scheint erstmals in einem Schriftwechsel mit dem chinesischen Hof kurz nach dem Jahre 600 verwendet worden zu sein. Vgl. (37). 5 Vgl. hierzu Bd. 1, S. 193, 224, 230.
B. Entwicklung eines raumwirksamen Kulturgefüges
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nicht ein seefahrender, wohl aber ein vom Festland kommender Eroberer seine Freude haben. 848m 1 2
Heijôkyô (Nara) Kuni-no-miya
3
Shigaraki-no-miya
4
Naniwa (Osaka)
5
Nagaoka
6
Heiankyô (Miyako, Kyoto)
H
Iwashimizu
•
Nintoku-tennô-ryô(Ô-sasagi)
= = = = = = 0
5
Hachimangû Hauptstraße 10
15km
633m
YAMATO Nintoku M i s a sag
H H
Unöbiylfma
[
Kasanui Miwa
7*iJ\)
a y'^vX'
199 ^ ^ T q
"
Asuka
1112m
Abb. 1
Die Suche nach der Reichsmitte: Vom Nara- zum Kyoto-Becken
Im Vergleich zu den Ebenen von Tsukushi in Nord-Kyüshü, dem zweiten Gebiet dichter Besiedlung der voraufgegangenen Yayoi-Kultur, hatte das Narabzw. Yamatobecken gewiß den Vorteil einer größeren Zentralität. Überzeugend war die Wahl aber nicht; denn die Osaka-Ebene liegt weit zentraler. Immerhin
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Einleitung
wurde von Yamato aus der erste Versuch unternommen, daß Problem der vom naturräumlichen Mosaik begünstigten Vielstaaterei zu lösen. Von hier aus glückte die Einigung der Geschlechterstaaten sowie die erste Unterwerfung der fremdstämmigen Altbevölkerung, der Ainu und Kumaso. Verwaltet wurden die vom Yamato-uji in Abhängigkeit gebrachten Gebiete durch Kuni-no-Miyatsuko, d. h. durch Königliche Hausknappen des Landes 6 . Mit solchem Amt und Titel wurden außer Mitgliedern des Tennö-uji auch die ursprünglich selbständigen Häuptlinge der uji beliehen, insbesondere wenn der Yamato-Hof erkannt hatte, daß ein Häuptling Schwierigkeiten bei der Eingliederung ins Yamato-Reich zu machen versuchte, wie das am Beispiel des Häuptlings von Izumo überliefert ist (s. u.). Nicht nur um das Ansehen der vom Yamato-Hof ernannten Landesverwalter zu erhöhen, sondern auch um «/¿-Traditionen fortzuführen, wurde dem Kuni-no-Miyatsuko über die Verwaltungsaufgaben hinaus auch die Funktion des örtlichen Hohenpriesters übertragen. Nach WEDEMEYER hat es 140 Kuni mit Miyatsuko gegeben (73). Außerdem amtierten Agatanushi als Verwalter jener kaiserlichen Güter, denen Abgabepflichten auferlegt waren. Die Würde des Agatanushi war erblich; im Laufe der Zeit entwickelten sich auch für die Miyatsuko Erbanspruch und Erbrecht. Das Beispiel Izumo läßt dank urkundlicher Überlieferung erkennen, wie sich das Yamato-Reich bemühte, die zentrifugale Kraft einer Landschaftszelle zu ersticken und sogar ins Gegenteil zu kehren (s. u.). Es kennzeichnet den Sinn für staatliche Ordnung, wenn sich die Uji-Territorien mancherorts schon klar gegeneinander abhoben. Insbesondere hat sich die Grenzbestimmung in den Altlandschaften bewundernswert in die naturräumliche Feingliederung des Landes eingepaßt, wie dies am Beispiel des von J. W. H A L L untersuchten Kuni-no-Miyatsuko-Systems von Bizen abzulesen ist (19, 29). Ein Vergleich mit der Gun-Gliederung des Okayama-ken vom Jahre 1970 läßt erkennen, daß die Verwaltungsgrenzen cum grano salis 1200 Jahre hindurch dem Angebot der Landesnatur folgten. Freilich ist solches frühzeitige Zusammenklingen nicht für ganz Japan nachgewiesen. L E W I N stellt sogar fest, daß „eine administrative Erschließung des Inselreichs mit Konkretisierung der Gebietsgrenzen und Installierung einer Regionalverwaltung de facto erst durch die Taika-Reform eingeleitet wurde und erst im 9. Jh. grosso modo zum Abschluß kam" (43). Dies widerspricht aber nicht der Feststellung, daß die Reform in vielen Fällen auf bereits klaren Verhältnissen aufbauen konnte. Das geringe Maß an Grenzstreitigkeiten wirkte als ein Faktor der Stabilität und die weithin klare Großgliederung der Inseln erwies sich als passiver Prozeßregler in der territorialen Entwicklung des Reichs. Die politische Meinungsbildung lag schon im 5. und 6. Jh. eindeutig beim Tennöhaus und bei den Adelsgeschlechtern, die unmittelbar zu ihm gehörten. Nicht alle Kuni-no-Miyatsuko konnten sich solcher Nähe rühmen. Hervorstechende Adelsgeschlechter waren die Otomo, Mononobe, Soga, Nakatomi. Sie bildeten den Hochadel der Öomi und Ömuraji, in deren Hände die administrative, sakrale und militärische Führung gegeben war. Die Masse des freien Bauern6 WEDEMEYER, ANDRE: Japanische Frühgeschichte, S. 236 ff. Die Kleinstaaten wurden in chinesischen Quellen als kuoh, d. h. Länder bezeichnet; japanisch wird das hierfür verwendete Schriftzeichen „kuni" gelesen; „no" ist wie „tsu" lediglich Genetivsilbe; „ya" bedeutet Haus, „miya" das vornehme Haus; „ko" steht hier für „Sohn", „Knappe".
B. Entwicklung
eines raumwirksamen
Kulturgefüges
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volkes war bereits „um die Wende zum 5. Jh. in einen halbfreien Status gefallen: Außer Steuerlasten und Heeresfolge wurde ihm die Bindung an einen festen Wohnsitz und die Verpflichtung zu öffentlichen Arbeiten auferlegt. Die wirtschaftlich starken Bauern konnten sich durch Ablösungen den Verpflichtungen entziehen, während die schwächeren . . . in Abhängigkeit gerieten" (39, 103). 3. Agrargeographische Merkmale Von bleibender Bedeutung war die Einführung der Naßfeld-Reiskultur. Sie drang bis zum Jahre 200 v. Chr. von Nordkyüshü bis zum Kansai vor, erreichte um 100 v. Chr. den Raum von Shizuoka und um 100 n. Chr. das Kantö (28; 41). Zur Sicherung der Bewässerung von Reisfeldern wurden auf Anordnung von NINTOKU 7 T E N N Ö ( 4 . Jh. n. Chr.) Teiche angelegt . Um die Volksernährung auch in Notzeiten zu gewährleisten, erbaute man Speicher, die man im Gegensatz zu den überdachten Grubenwohnungen auf 8 Pfosten bis zur Höhe von 1,50 m über den Erdboden hob. Wohnhäuser mit erhöhtem Boden waren noch selten. Speicher mit erhöhtem Boden findet man noch heute in Tsushima, Hachijöshima, Amami Öshima und im südlichen Satsuma. Neue Impulse hatte die Agrarwirtschaft von den chinesischen Einwanderern der Hata und Aya erfahren. Die Hata sollen, auf die verschiedenen Distrikte verteilt, angehalten worden sein, „Seidenraupen zu züchten und Seidenstoffe zu weben und diese als Sachgabe darzubringen" (39, 131). Man muß auch davon ausgehen, daß durch die Einwanderer der Anbau von Gerste, Weizen und von Bohnenarten entweder begonnen oder aber zu verstärken versucht wurde; denn noch durch das 6.-8. Jh. zieht sich die Sorge um den Anbau aller der in China als erforderlich geltenden „fünf Körnerfrüchte" (49, 30. Buch). Auffallend ist, daß von Nutztieren in den überlieferten Quellen nicht geredet wird; nur das Pferd wird im Zusammenhang mit Kriegern oder auch in Verbindung mit Kultstätten genannt (Shimme, das heilige Pferd). 4. Frühes Gewerbe Das Handwerk ist verschiedentlich schon gut entwickelt. Es gab HandwerkerZünfte oder tomobe; sie standen als Berufsverbände im Dienste der uji. Berichtet wird von einer Weberzunft (hataori-be), Tonbrennerzunft (hashi-be), von Zünften der Perlenschleifer (tamatsukuri-be), Metallspiegelbearbeiter (kagamitsukuri-be), Sakebrauer (sake-be); auch Sattler, Maler, Brokatweber, Schneider, Eisenschmiede und Glockengießer, meist Flüchtlinge aus dem koreanischen Paekche, sind bekannt und arbeiten im Dienste des Hofes oder auch der Kuni-no-Miyatsuko und Agatanushi. Die Einwanderung von Zimmerleuten, Töpfern, Weberinnen und Schneiderinnen soll von YURYAKU T E N N Ö ( 4 5 6 — 4 7 9 ) veranlaßt worden sein. In dessen Zeit wurden erstmals seidene Kleider getragen (46; 25 u. 4; 55). Selbstverständlich standen die Zimmerleute, unentbehrlich bei der Errichtung von Heiligtümern und Gebäuden jedweder Art, der Bedeutung nach in vorderster Reihe. 7 Ob es NINTOKU TENNÖ wirklich gegeben hat oder ob unter diesem Namen die Chronisten eine ihnen unterlaufene Zeitlücke interpolieren, ist noch nicht geklärt. Man identifiziert Nintoku auch mit TSAN, auch mit ÖJIN, für welchen am meisten spricht; vgl. hierzu LEWIN, B.: Aya und Hata, S. 30—31.
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Einleitung
Nahe des Nintoku-Misasagi hat man in den Jahren 1 9 7 3 - 7 5 die Spuren eines ganzen Handwerker-Dorfes, eines hajibe-no-sato, mit den Wohnplätzen und Werkstätten der Handwerker und Kunsthandwerker freigelegt, die zur Zeit des Mausoleum-Baus im heutigen Bezirk Sakai tätig waren. Die Keramikfunde werden im Bericht des Ösaka-fu vom Jahre 1975 auf das 5. und frühe 6. Jh. datiert, ebenso die Meißel, Stößel, ein Schwert und ein hölzerner Sattel sowie Keramik, die etwa 800 m nördlich des Dorfes zutage gebracht wurde. 5. Religion und Landschaft in den Jahrhunderten vor der Nara-Zeit Seit der Gründung des Yamato-Reichs entwickelte sich die animistische KamiLehre zum Kult der Ahnengottheiten, ohne daß der primitive Kami-Glaube dabei Einbuße erlitt. An der Spitze der Götterhierarchie stand und steht noch heute — soweit der Shintoismus als Volksreligion noch lebendig ist - die Sonnengöttin AMATERASU ÖMIKAMI8, die Ahnengottheit des Tennö-uji. Kulturgeographisch von Bedeutung wurde die für Amaterasu vollzogene Gründung des Shintö-Großschreins von Ise, des Ise Jingü. Zu welchem Zeitpunkt die Gründung erfolgte, konnte bislang nicht genau ermittelt werden. Die Überlieferung spricht davon, daß sich die drei himmlischen Kultgegenstände — Spiegel, Schwert, Krummjuwel — im Hause oder miya des Tennö befunden haben, schließlich aber zur Betreuung und zur Befolgung der Kulthandlungen, wahrgenommen durch eine Prinzessin, an einen besonderen Platz in Kasanui gebracht worden seien (Kasanui, s. Abb. 1). Die Verlegung des Kultes aus dem örtlich mit jedem Tennö wechselnden Regierungshause (miya) an einen festen Ort führte sehr bald zur Suche nach einer Baustelle abseits vom politischen Geschehen, möglichst inmitten der waldreichen Natur. Man fand ihn am Flusse Isuzu auf der Shima-Halbinsel. Der hier errichtete „Große Schrein" (jingü) erlangte in den mannigfaltigsten historischen Situationen zentrale Bedeutung, nicht nur für eine Epoche, wie das Orakel von Delphi, sondern fortlaufend bis in das 2 0 . Jh. hinein. Es heißt, unter YÜRYAKO TENNÖ (s. o.) sei im Jahre 4 7 8 auch der Kult der bis dahin in der Landschaft Tamba verehrten Nahrungsgöttin Toyo-uke, wahrscheinlich um deren Prestige zu erhöhen, nach Ise verlegt worden (57). Unter dieser Annahme müßte der Amaterasu-Schrein von noch höherem Alter sein. Die Gründung erfolgte wahrscheinlich im 4. Jh. Seit Errichtung des Schreins für die Nahrungsgöttin stehen im Walde des Isuzugawa, 3,5 km über den Fluß hinweg voneinander entfernt, zwei höchste Heiligtümer, deren Zusammengehörigkeit in ihrer Bezeichnung zum Ausdruck kommt: Das ältere und ursprüngliche ist der Naikü (Naigü) oder Innere Schrein, das jüngere ist der Gekü (gegü) oder Äußere Schrein. Beide werden im Namen Ise Jingü als Einheit aufgefaßt (s. Abb. 2). Das erste feste Datum ist für den Jingü aus dem Jahre 685 überliefert (53, 159). In diesem Jahre wurde auf kaiserlichen Beschluß erstmals der Naikü (bald darauf 8 Kami bedeutet „oben" oder „der Obere" und meint zugleich jedwede Gottheit der Shintö-Religion. Im Japan-Handbuch (1941) heißt es: „Jede Menschenseele wird nach dem Tode ein Kami. Die ganze Natur ist von Kami beseelt." Mit der Einführung der chinesischen Schrift und Kultur hebt sich der ursprünglich profane Begriff für K. zu dem Begriff Geistwesen (chines. shen); aus dem chinesischen Schriftzeichen für shen, sinojapanisch shin, ergibt sich die Verbindung mit dem Schriftzeichen für tö (der Weg), der Begriff shintö, d. h. der Weg der Geistwesen oder der Weg der Gottheiten.
B. Entwicklung eines raumwirksamen
Kulturgefüges
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F u t a m i g a - ura
lai J i n g G ( N a i k ü )
0
Abb. 2
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Der Naikü des Ise-Jingü
1 Uji-Brücke über den Isuzugawa, zu beiden Seiten je ein Torii 2 Wasserbecken für die kultische Reinigung 3 Erstes Torii 4 Zweites Torii 5 Mitarashi, Platz für die Reinigung durch das geheiligte Isuzagawa- Wasser 6 Saikan, die Reinigungshalle 7 Stall für Shimme, das heilige Pferd 8 Kagura-den, Halle für den kultischen KaguraTanz 9 Imibiya-den, die kultische Küche mit dem „reinen Feuer" (entzündetdurch Reibung von zwei Zedernhölzern) 10 Minie-Chösha, der Platz zur Bereitung der Opferspeise
100
150
200 m
11 Kotaijingü oder Naiku, das der Sonnengöttin geweihte höchste Heiligtum; Grundstück 53 x 126 m. 12 Kodenchi oder das Alternativgrundstück für die nach jeweils 20 Jahren erfolgende Erneuerung des Kotaijingü (Shikinen Sengü) 13 Bekku, ein Nebenschrein, ebenfalls alle 20 Jahre versetzt 14 Gehei-den, die Schatz-Halle 15 Mishine-no-mikura, das Reis- Vorratshaus 16 Bekku, ein Nebenschrein, ebenfalls alle 20 Jahre versetzt 17 Takimatsuri-no-Kami (Nebenschrein) 18 Stall für Shimme, das heilige Pferd 19 Naikü Kyozensho 20 Naikü-Sanshu-den, Rasthaus 21 Jingü-Shichö, die Hauptverwaltung des GroßSchreins (einschließlich Gekü)
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Einleitung
auch der Gekü) in allen seinen Teilen in völlig unveränderter Form nachgebildet und unmittelbar neben das abbruchreife Altgebäude gesetzt9. Dieser Vorgang ist der Beginn des verfügten shikinen sengü, d. h. der aller 20 Jahre zu besorgenden Neuerrichtung des Schreins, wobei jeweils das geräumte Grundstück nebenan als kodenchi, d. h. Alternativgrundstück, für 20 Jahre leer liegenbleibt (Bild 1). Wahrung der Tradition bei stetig unveränderter Erneuerung; dieser Gedanke mag im shikinen sengü Ausdruck gefunden haben. Hebt sich schon hierdurch dieses Heiligtum von allen übrigen auf der Welt ab, so erst recht durch den im Bauwerk bis zur letzten Konsequenz objektivierten Gedanken, daß die Natur schlicht und rein ist und damit den rechten Weg für den Menschen weist. Ein Priester des Naikü meinte, BRUNO TAUT (70) habe den in der Architektur zum Ausdruck gebrachten Shintö am klarsten zu interpretieren vermocht, als er schrieb: „Die Konstruktion der Schreine ist zwar einfach, aber in sich selbst logisch. Sie wird nicht durch angehängte Decken, wie später in Japan, dem Auge entzogen, sondern selber zum ästhetischen Element gemacht. Deshalb aber brauchen die Pfosten und sonstigen Hölzer nicht einer statischen Berechnung zu folgen. Es handelt sich hier um Architektur und nicht um Ingenieurbau, nicht anders als beim Parthenon. Aber wie dort im Marmor, so ist hier im Holz und im Strohdach die letzte endgültige Form geschaffen 9 Das Grand Shrine Office schreibt in der Informationsschrift „Jingu, the Grand Shrine of Ise": „The founding of the Shrine is traditionally assigned to the year 4 B.C.".
Bild 1 Der Naikü des Ise Jingü in der Neu-Errichtung (sengü) des Jahres 1973. Im Vordergrund das „kodenchi", das Alternativ-Grundstück, auf dem 1953—73 der alte Schrein stand und auf dem 1993 die Neu-Errichtung (sengü) erfolgen wird. Aufn. Geschenk vom Ise Jingü
B. Entwicklung eines raumwirksamen
Kulturgefüges
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worden. Wie das Parthenon in Proportion und Profilen seine Form von der durchsichtig klaren Luft Griechenlands empfängt, so der Ise-Schrein von der trübfeuchten und regnerischen Japans. Unter sehr divergierenden Grundbedingungen hat in beiden Fällen der menschliche Geist die reinste tektonische Form geschaffen. Alles in Ise ist künstlerisch, nichts ist künstlich. Keine Sonderbarkeiten; das Naturholz ist sauber und wunderbar geglättet, ebenso sauber das Strohdach in seiner prachtvollen Kurve, doch ohne Schwingung der Traufe oder des Firstes, ebenso sauber die Verbindung des Holzes mit Stein am Fundament, und kein Ornament, das nicht den tektonischen Charakter unterstützt. Die Goldkapseln auf den Querhölzern oben auf dem First kommen zur Harmonie mit Stroh und Hinokiholz. Die weißen Papiere und grünen Zweige des Shintokultes stimmen unübertrefflich zu dem Ganzen. Japaner behaupten oft, daß der Duft des Alters einen besonderen Reiz auf sie ausübe, und fassen eine ganze Kunstauffassung mit dem Begriff wabi zusammen. Am Ise-Schrein aber ist nichts wabi. Er ist immer neu. Gerade das scheint mir eine ganz speziell japanische Sache zu sein. Der niederdrückende Moderduft des Alters ist verbannt und mit ihm alles unarchitektonische Beiwerk, alle der reinen Architektur widersprechende Ornamente. Sie sind ohnehin ein Ballast und fielen hier dadurch fort, daß man ihre immerwährende Wiederholung alle zwanzig Jahre sinnlos fand."
Es muß hinzugefügt werden, daß der Schrein nur aus dem Holz der Zypresse Chamaecyparis obtusa, japanisch hinoki, errichtet werden darf, weil nur dies ganz weiß ist und dem Idol der Reinheit voll entspricht. Vielleicht geht die Erneuerung des Schreins im shikinen-sengü z. T. auch darauf zurück, daß die Verwitterung den naturweißen Glanz des frischen Holzes sehr bald vermindert und schließlich ganz nimmt.
Bild 2 Das große Torii vor der Uji-Brücke, dem Eingang zum Ise Jingü (Naikä). Aufn. vom Ise Jingü
Geschenk
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Einleitung
Zum Wesen des Schreins gehört die ihn umgebende Natur, insbesondere der Hochwald, zu dessen unterer Baum- und Strauchschicht er gleichsam gehört. Die 400jährigen Zedern (sugi), zwischen denen der Weg zum Ise Jingü führt, sind 40—53 m hoch, ihre Stämme haben Durchmesser von 150—240 cm. Allein schon vor diesen Baumriesen haben Schnörkel, Kitsch und Eitelkeit keinen Bestand (Bild 1). Letzthin wollen die Shinto-Schreine nur den Platz bezeichnen, an dem die Kräfte der Natur Verehrung finden sollen (vgl. Bd. 1, S. 4 0 6 - 4 0 8 u. 410-419). Der Ise Jingü hat für alle Schreine der späteren Zeit — im Jahre 1970 zählte man deren 80 924 — das Modell gesetzt. Auch die walzenförmigen Hölzer, die katsuogi oder „Fischhölzer", die quer über das Giebelholz gelegt sind, fanden Verbreitung, und sie geben häufig Auskunft über den Rang des Schreins. Auf dem Naikü liegen 10, auf dem Gekü 9. Ähnlich zeichnen sich auch andere Großschreine aus. Auf Provinzschreinen oder gar Dorfschreinen liegen weniger. Ursprünglich trugen auch die Häuser (miya) der Vornehmen uogi. Außer auf Schreinen findet man sie heute aber nicht mehr (11). Zur Pilgerstätte für das ganze Volk ist der Ise Jingü erst seit 1650 geworden (okage mairi) (18); hiervon wird im Zusammenhang mit den Funktionen zu sprechen sein, die das Heiligtum in wachsendem Maße auf die engere und weitere Umwelt ausübte. Schon früh hat zwischen dem Ise Jingü und Izumo Taisha (Name für den Großschrein an der Japanmeerküste) ein Gegensatz bestanden, den auszugleichen zu einem staatspolitischen Akt höchsten Ranges wurde. Durch Einfluß des Tennöhauses wurden beide zu einer dialektisch entzweiten Einheit zusammengebunden und als solche in den Staatsmythos projiziert: die Sonnengöttin AMATERASU und der Sturmgott SUSANOWO wurden zu den geschwisterlichen Nachfahren des Urgötterpaares IZANAGI und IZANAMJ. Das Izumo Fudoki (24) gibt Zeugnis für die Schwierigkeiten, die es bei der Einverleibung von Izumo ins Yamato-Reich gegeben hat. Als hoher Priester des Izumo Taisha verfügte der dort waltende Kunino-Miyatsuko über politische wie über religiöse Machtfülle, und im übrigen waren Spiegel, Schwert und Krummjuwel auch in seiner Hand: Sie waren wahrscheinlich von den Einwanderern aus Korea (s. o.) hierher gebracht worden, nach Kizuki, das erst später als Land den Namen seines Miyatsuko, nämlich des I Z U M O F U R U N I , erhielt. Die Reichsannalen des frühen 8. Jahrhunderts (40, 49) erzählen im übrigen eine Legende, nach welcher S U J I N T E N N Ö (wahrscheinlich 3 . Jh) beabsichtigte, die heiligen Plätze, die unter der Aufsicht von I Z U M O F U R U N E standen, zu konfiszieren (24, 63). Die Herausgabe der Schätze sollte die Gegenleistung für die Anerkennung Izumos durch den Yamatohof sein. Von welch großer Bedeutung das religiöse und politische Gewicht Izumos war, erhellt sich aus der Tatsache, daß dem Izumo Kuni-no-Miyatsuko noch bis in das beginnende 9. Jh. die Würde zufiel, stellvertretend für alle Statthalter und Provinzgottheiten dem Tenno bei besonderem Anlaß die in der Frühzeit in Izumo verfaßte kamuyogoto, eine göttliche Gratulationsliturgie 10 , vorzutragen und dabei Geschenke zu überreichen, die den hohen Rang des Gebenden zum Ausdruck brachten. Zu diesen Geschenken sollen — beziehungsreich genug — einmal ein Spiegel, ein Schwert und ein grauweißes Pferd gehört haben (24, 19). Der Vorgang der territorialen Arrondierung 10 Diese Liturgie ist bis heute erhalten und eine bedeutende Geschichtsquelle.
B. Entwicklung
eines raumwirksamen
17
Kuhurgefüges
des Yamato-Reiches, solcherart zu einer Zeremonie hochstilisiert, ist so tiefgreifend in das historische Bewußtsein eingegangen, daß HIROHITO T E N N Ö mehr als 1000 Jahre später, am 2. 6. 1948, die kamuyogoto erstmals wieder verlesen ließ (61 u. 24, 21). Die politische Eingliederung Izumos ins Yamato-Reich konnte aber erst als wirklich vollzogen gelten, wenn für die Izumo-Gottheiten eine Heimat auch in der Zentrale gesichert war. Deshalb wohl versuchen die Reichsannalen glaubhaft zu machen, daß zwischen Izumo und dem im Nara-Becken stehenden Heiligtum von Miwa (Abb. 1 ) uralte Verbindungen bestanden. Sie gehen auf Ö K U N I N U S H I zurück, den man als Nachkommen des Sturmgottes verehrt. Ihm schreibt man die Einführung der Landwirtschaft und Seidenraupenkultur vom Festland zum Inselland zu - eine Mythe, die nicht nur die hohe Funktion belegt, die Izumo in frühgeschichtlicher Zeit für ganz Japan hatte, sondern zugleich auch erkennen läßt, daß Yamato Vorteile darin sah, wenn eine mit so hohen Taten ausgestattete Gottheit auch in der Reisebene von Nara Tradition hätte. Für SUSANOWO selbst hat man den Gion bzw. Yasaka-Tempel des späteren Kyoto als Wohnsitz bereit gehalten. Damit aber Izumo unter den Göttern nicht nur als der bloße Verlierer in diesem Geschehen erscheine, erhielt sein Großschrein (Taisha) eine für ganz Japan geltende Funktion: Der Monat Oktober wurde zum kamiarizuki gemacht, d. h. zum Monat, in dem sich, mit Ausnahme der Sonnengöttin, alle Götter Japans im Taisha versammeln. Zugunsten Izumos lebt dann der übrige Archipel im kanna-
Bild 3
Der Izumo Taisha, Groß-Schrein
von Isumo. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho,
Tokyo
18
Einleitung
zuki, d. h. im Monat ohne Götter. Auch noch heute ist dies für Kulthandlungen und für Pilgerfahrten von Bedeutung. Architektonisch weicht der Izumo Taisha in mancherlei Hinsicht vom Ise Jingü ab (Bild 1 u. 3). Er verrät einige chinesische Elemente, wird auch nicht in feststehend zeitlichen Abständen erneuert, hat also wabi, Atmosphäre des Alters. Das zeigt bereits das von chinesischer Baugesinnung beeinflußte Haiden (kulturelle Gebetshalle). Wuchtig hebt sich der Hauptbau (Honden) über seinem 4,5 m hohen Pfahlsockel auf. Mit 24 m ist er höher als der Naikü von Ise; aber es liegen keine Beweise dafür vor, daß die Anlage der ursprünglichen entspricht. Im Jahre 659 wurde der Taisha, wie es scheint, das erste Mal repariert; der heutige Bau stammt aus dem Jahre 1744. Die Höhe des Schreines hat gewechselt (11, 18); Vorschriften über die Erhaltung alter Formen gab es nicht. Aber traditionell gehört auch hier wie überall im Lande die Vegetation des Waldes zum Schrein. Der geweihte Hain umfaßt 81 ha. Wo die Straße von Taisha-machi in den Wald des Taisha führt, erhebt sich eines der mächtigsten Torii Japans. Allerdings besteht es heute aus Granit, nicht aus Hinoki-Holz.
Bild 4 Nititoku Misasagi, das Großhügelgrab durch Rikio Takahashi, Izumi
des Nintoku
Tennö inmitten der Stadt Sakai.
Aufn.
B. Entwicklung eines raumwirksamen
Kulturgefüges
19
Die aus der Kraft mythologischer Tradition lebende Tennö-Theokratie hat vom 3. bis 6. Jh., mit Nachklängen bis ins 8. Jh., landschaftlich auch bemerkenswerten Niederschlag in der Anlage von Hügelgräbern oder Kofun gefunden. Man hat sie für so charakteristisch gehalten, daß man dieser Epoche auch den Namen KofunZeit gab. Die Grabanlagen sind verschieden in Form und Größe. Sie haben entweder runde Hügelform, bestehen gelegentlich aus zwei gegeneinander geschobenen Hügeln oder aber sie bedecken als Kaisergräber (misasagi) eine Fläche von mehreren ha Größe, wobei für den Hügel die Schlüssellochform bevorzugt wurde und die gesamte Anlage einem Park gleicht {zempö köeri). Solche Formen sind meist von Wassergräben umgrenzt. Sehr viele dieser Grabanlagen wurden pietätvoll durch die Jahrhunderte hindurch gepflegt, aber im Vorgang der Kulturlandschaftsentwicklung funktionslos mitgeschleppt. Sie kommen in allen Landschaften zwischen Süd-Kyüshü und Sendai vor, bleiben meist unauffällig, nehmen aber in einigen Gegenden des altjapanischen Zentralraums z. T. umfangreiche Flächen ein (28, 148). Noch heute sprechen Orts- und Flurnamen von bedeutenden Einzelgräbern und von Gräberfeldern: Ötsuka ist ein „Großes Grab"; Senzuka heißt „1000 Gräber"; Tsukahara ist „Gräberfeld". Die Gräber der «//-Häuptlinge und der Kuni-no-Miyatsuko sind an Umfang kleiner als die des zentralen Herrscherhauses. Das landschaftlich wirksamste Kofun oder Misasagi liegt inmitten der heutigen Industrie- und Handelsgroßstadt Sakai (Bild 4). Es bedeckt eine Fläche von 46 ha, ist 820 m lang und steigt in seinem schlüssellochförmigen Kern bis zu 40 m über den Wasserspiegel von drei Grabengürteln auf, die den Hügelzug umfassen (71 u. 28,151). Es stellt das Grab des NINTOKU T E N N Ö dar (vgl. Fußnote 23). Man sagt, dieser Tennö habe die Arbeit daran um 372, also 20 Jahre vor seinem Tode, aufnehmen lassen. Eine Massierung von Kofun findet sich, eingefügt in hügeliges Land, am Nordrand der Nara-Ebene. Die 250 x 150 m großen Misasagi sind von Wassergräben umzogen, sind bewaldet wie das Nintoku Misasagi, und nehmen insgesamt eine Fläche von 3,5 km 2 ein. Sie gelten als sakral und sind damit dem Zugriff der Landesplanung entzogen. Mit insgesamt 14 km 2 noch umfangreicher ist die KofunLandschaft von Furuichi am Yamatogawa im Mündungsbereich des Ishikawa. Hier liegen die Misasagi von Herrschern des 3. bis 5. Jahrhunderts, dazwischen und auf der Anhöhe des Tamatehügels scharen sich förmlich die Grabhügel von Personen geringeren Ranges. Die Führung der Bahntrassen läßt erkennen, wie vorsichtig man mit diesen alten Kulturstätten umgeht und wie sie Infrastrukturplanungen negativ zu beeinflussen vermögen. Die Hügelgräber geben Aufschluß über die gesellschaftliche Struktur ihrer Zeit. Sie machen in ihren verschiedenen Größen die strenge Einhaltung einer Rangordnung innerhalb der Aristokratie deutlich, und sie sprechen zugleich von der Unfreiheit der Untertanen; denn so gewaltige Erdarbeiten, wie sie das NintokuGrab erforderten, sind nur möglich unter dem monate- oder jahrelangen Einsatz eines Heeres von Fronarbeitern. Man berechnete, daß rund 6000 Arbeiter über ein Jahr lang am Misasagi des NINTOKU T E N N Ö hätten arbeiten müssen (22). Außer den Erdarbeitern waren auch Handwerker und Kunsthandwerker der verschiedensten Richtungen an solch einem Bauwerk beschäftigt. Holz- oder auch Steinsärge mußten gefügt, vielerlei Beigaben in Form von Waffen und Schmuck gefertigt werden, darunter Helme, Panzer, in späterer Zeit auch Keramikwaren, wie
20
Einleitung
haniwa, d. h. Miniatur-Nachbildungen von Häusern, Geräten, Vögeln, Pferden und Menschen (28). Diese haniwa sind von unschätzbarem Wert, auch als Dokumente für den Kulturinhalt der damaligen Zeit. Sie lassen u. a. erkennen, daß der Izumo-Taisha nichts anderes ist als ein für sakrale Zwecke errichtetes Wohnhaus, eben das Wohnhaus des hier verehrten Gottes. Die zahlreichen Pferde- und Reiter-Haniwa sind geradezu ein Beleg für die These, daß die herrschenden Geschlechter einem Reitervolk entstammten, das vom Festland kam (10). Die kontinentale Herkunft des Yamato-Geschlechts ist durch jüngste Entdeckungen in den Kaisergräbern immer wahrscheinlicher geworden. Die japanische Presse rechnete zu den 10 größten Ereignissen des Jahres 1972 „die Entdeckung der Grabwandgemälde von Asuka." 11 M A S A O SUENAGA, verdient um die Frühgeschichte Japans, sieht in der Anordnung und im Aussehen der auf den Wandgemälden dargestellten Menschengruppen Verwandtschaft mit entsprechenden Grabgemälden im Yangtse-Tal (44). Die Wandgemälde sind in ihren Farben so gut erhalten, daß man sie auf Sonderbriefmarken wiedergeben konnte. Inzwischen ist die frühgeschichtliche Forschung, von diesem Funde stark belebt, vom „Kashihara Archeological Research Institute" verstärkt aufgenommen worden. Die Sichtung all dessen, was an materieller und geistiger Kultur in der Zeit bis zum beginnenden 7. Jh. der Landschaft des japanischen Archipels anheimgegeben wurde, läßt erkennen, daß Japans Entwicklung starke Impulse vom Kontinent erfuhr, weitgehend aber auch in eigenen Bahnen verlief, mitgeprägt von der natürlichen Ausstattung des Landes und entscheidend mitgestaltet von den im Geschlechterstaatsverband schon mitgegebenen Wurzeln für die Herausbildung einer theokratischen Monarchie. 11 Asuka ist ein Dorf in Nara-Ken (vgl. Abb. 1). Zu diesem Dorf gehört das Takamatsu-zuka (zuka = Hügelgrab). Die Veröffentlichungen über den Fund verwenden als Ortsangabe auch „Takamatsu-zuka". Hierzu auch: Discovery of Asuka Mural Barrow. Mainichi Daily News, 3. 4. 1972.
Teil I Die geographisch bedeutsamen Antworten von Mensch und Staat auf die Herausforderungen der Natur und Geschichte seit SHÖTOKU TAISHI (594) bis zum Ende der Tokugawa-Zeit (1868)
1. Kapitel Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
1. Abschnitt Die Konzeption des SHÖTOKU Einbruch chinesischer Kultur
TAISHI
als Antwort auf den
Das Einströmen von Buddhismus und chinesischer Kultur brachte im 6. Jh. das überlieferte System von Geschlechterstaaten aus dem Gleichgewicht. Die Geschlechter Mononobe und Soga, dem Tennö-uji im Ansehen fast ebenbürtig, wetteiferten um ihren Einfluß am Hofe und ihre bis zur berechnenden Pietätlosigkeit gesteigerte Rivalität rieb sich an der Frage, wie man sich gegenüber dem Buddhismus verhalten solle, bis zur Feindseligkeit hoch. Die Mononobe stellten sich auf die Seite der Traditionsverfechter, die Soga gaben sich im Sinne des Anpassungszwangs progressiv, indem sie meinten, man dürfe dem Festland, auf dem man den Buddha verehre, nicht nachstehen (4 u. 53). Äußerer Anlaß des Streites waren das Buddha-Bildnis und die buddhistischen Schriften, die vom Königreich des im Südwesten Koreas gelegenen Kudara (Paekche) dem Tennö im Jahre 552 überreicht worden waren. Der Tennö vermochte zu diesen fremden Kulturgütern keine eigene Stellung nehmen; er anvertraute das Buddhabild den Soga, die es aufstellten und damit eines ihrer Landhäuser zum ersten buddhistischen Tempel auf japanischem Boden machten. Der Streit um die Aufnahme fremder Kultur führte bis zur Auslöschung des Geschlechts der traditionsbewußten Mononobe. Grundsätzlich war es aber nicht nur die fremde Religion, die den Staat in Bewegung brachte. Es war die als überlegen empfundene chinesische Kultur insgesamt, die sich als eine immer stärker werdende Herausforderung erwies. Es ging ebenso um die Konfrontation mit dem Kaiserlichen Konfuzianismus, um die Übernahme der Schrift, um die Behauptung der Sprache, um die soziale Neugliederung des Volkes wie um den neuen Stil des Regierens: also um all das, was man im modernen Sprachgebrauch unter Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur versteht. Die Stellungnahme gegenüber dem Einströmen chinesischer Welt mußte grundlegend und so umfassend sein, daß eine einschneidende Auswirkung auch auf den Staatsraum nicht ausbleiben konnte. Den Weg zu den erforderlichen Reformen wies SHÖTOKU TAISHI (572—621), Prinz Shötoku 12 , dem die Kaiserin SUIKO im Jahre 593 die Regentschaft übertragen hatte. In Anlehnung an den chinesischen Staatsgedanken konzipierte er eine Synthese aus Kaiserlichem Konfuzianismus, Buddhismus und heimischer Tradi12 Zur Persönlichkeit dieses überragenden Staatsmannes vgl. (6).
24
I. Kapitel: Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
tion, die allerdings erst 645, also lange nach seinem Tode, die „Große Wandlung", d. h. die Taika-Reform herbeiführte. Mit dieser „Wandlung" hatten sich die folgenden Jahrhunderte auseinanderzusetzen, und dies nicht nur theoretisch im Sinne eines Ringens um die ideologische Substanz, sondern auch im Gegenüber des seit Shötokus Wirken in immer stärkerem Maße kulturlandschaftlich veränderten Staatsraums: Denn die Neugliederung des Agrarlandes, die Siedlungsweise, die Verwirklichung einer buddhistischen Tempelhierarchie und die Auswirkungen der Verwaltungsgliederung hatten sich sehr bald so gültig und unverrückbar in die Landschaft eingegraben, daß ihnen für die weitere Entwicklung des Staatsraums die Funktion passiver Prozeßregler zufiel. Einige der kulturlandschaftlichen Schöpfungen des Shötoku-Jahrhunderts gehören, wenn auch in veränderten Funktionen, noch heute in zahlreichen Landschaften zu den raumwirksamen Wesensmerkmalen. Im System des chinesischen Beamtenstaates hatte Prinz SHÖTOKU das geeignete Mittel erkannt, mit dessen Handhabung der im japanischen Archipel von Natur aus begünstigte Regionalismus ausgeschaltet werden könnte. Fern lag ihm dabei, das mit dem Kaiserlichen Konfuzianismus Chinas verbundene Literati-System konsequent zu übernehmen; denn gerade ohne solche besonders geschulte Beamtenreserve war die Beleihung des Hochadels und Adels mit Beamtenwürde erst möglich. Stützung erfuhr die konfuzianische Lehre im übrigen durch den im Lande fest verwurzelten Kamiglauben, der in der Verehrung der Sonnengöttin seine schon selbstverständlich gewordene Spitze erfahren hatte und deshalb auch dem Jimmu-uji den Vorrang für das höchste Staatsamt garantierte. Der Shintöglaube erwies sich dem Konfuzianusmus insofern als zugeordnet, als er den obersten Repräsentanten des Staates eine über chinesische Verhältnisse sogar hinausgehende sakrale Würde mit der Unabsetzbarkeit des Jimmu-Hauses verlieh. Gegen solche Spitze anzugehen, mußte allein aus Glaubensgründen verwerflich sein. Der Buddhismus schließlich schenkte dem Lande, auch wenn er zunächst nur die führende Bevölkerungsschicht erfaßte, eine von hoher Sittlichkeit getragene Religion, in der die Vorstellungen des Shintö aufgehen und vertieft werden konnten. Vieles hat SHÖTOKU schon zu seinen Lebzeiten einleiten oder auch verwirklichen können. Zu seinen ersten Maßnahmen gehörte, daß er den Buddhismus zur Staatsreligion erhob ( 5 9 4 ) ; ein folgenschweres, bis in die jüngste Gegenwart nachwirkendes Ereignis. Er wurde zum Gründer weltberühmt gewordener Heiligtümer, wie des Höryü-ji (607) bei Nara und des Shitennö-ji in Ösaka. Er stiftete Mönchs- und Nonnenklöster, so daß sich SUIKO TENNÖ 6 2 4 veranlaßt sah, eine eigene Aufsichtsbehörde für den japanischen Buddhismus zu schaffen (38). Vornehmlich an die neueingesetzte Beamtenschaft richtete er den Inhalt eines im Jahre 604 erlassenen Grundgesetzes (kempö jüshichijö) mit 17 Artikeln 13 , „worin er mit vielen buddhistischen und konfuzianischen Zitaten zum Glauben an den Buddhismus, zur 13 Die 17 Artikel wurden, wie sie im Jahre 720 im Annalenwerk Nihongi wiedergegeben sind, von Karl Florenz übersetzt und erklärt. In: OAG, Supplement 1903. In Artikel 3 heißt es u. a.: „Den Fürsten soll man wie den Himmel, die Untertanen wie die Erde erachten. Der Himmel bedeckt, die Erde trägt. Will die Erde über dem Himmel sein, so wird es zu Zerstörungen kommen . . .. Deshalb soll der Obere walten, der Untere gehorchen." In Artikel 12: „Die Kuni-no-Miyatsuko sollen das Volk nicht für sich selbst besteuern. In einem Staat sollen nicht zwei Fürsten sein, und das Volk soll nicht zwei Herren haben."
A. Die Quellen
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Loyalität gegen das Kaiserhaus, zu unbestechlicher Amtstreue, zur Milde gegenüber dem Volke und zur Eintracht unter den Großen mahnt. Der einheimischen Religion, die in den 17 Artikeln mit keiner Silbe erwähnt ist, beließ er 607 durch einen neuen Erlaß ihre Funktion, wobei er im Geist des Konfuzianismus den Kult der Götter des Himmels, der Erde, der Berge und Flüsse nach dem Vorbilde der Ahnen empfahl. Zum erstenmal in der Geschichte zeigt sich hier die echt japanische Stellungnahme gegenüber der Mannigfaltigkeit der Religionen: Es werden alle zugleich anerkannt, alle aber auch dem nationalen Interesse dienstbar gemacht" (18, 20).
2. Abschnitt Das kulturlandschaftliche Gefüge im 8. und 9. Jahrhundert, vornehmlich der Nara-Zeit (710—782) und der frühen Heian-Zeit (bis 900) A. Die Quellen Über die von SHÖTOKU TAISHI eingeleitete und im Jahte 6 4 unter Mithilfe des Kanzlers KAMATARI 14 von KÖTOKU T E N N Ö 1 5 ins Werk gesetze Reform des Staates und seiner Gesellschaft (Taika-Reform) liegen mehrere Zeugnisse vor. Allen voran stehen die Reichsannalen: das im Jahre 712 niedergeschriebene Kojiki und das Nihongi oder Nihonshoki von 720 (8, 2, 49). Ergänzt werden diese Geschichtswerke durch das Taihö-ryö vom Jahre 701, einer Gesetzessammlung, deren Original zwar nicht überliefert, aber deren Inhalt im Yörö-Kodex (Yörö-ryö) von 718 verwendet und aufgrund des Yöröryö- Textes im Ryö-no-gige 833 kommentiert wurde; sie wurde im Shoku-Nihongi vom Jahre 797 vielfach zitiert (54). Außer Strafbestimmungen enthält der Yörö-Kodex Gesetze über die Rangklassen der Beamten, über Religion und Geistlichkeit, die Haushaltungen, Reisfelder, Bauten, Märkte, Grenzen u. a. (47 c). Wertvolle Beiträge liefern die seit 713 auf kaiserlichen Befehl geschriebenen Fudoki oder Provinzbeschreibungen, die auch der Kartographie erste Anregungen gaben (s. Bd. 1, S. 1 5 — 1 6 ) . Die Provinzen waren angewiesen, darin über die Bodenbeschaffenheit, die Landesprodukte, Lokalsagen, über außergewöhnliche Begebenheiten und über die Herkunft der Ortnamen zu berichten, wobei die Ortsnamen mit chinesischen Schriftzeichen festzulegen waren In Artikel 15: „Seinen privaten Angelegenheiten den Rücken zu kehren und sich den öffentlichen Angelegenheiten zuzuwenden, das ist die Aufgabe des Untertanen." In Artikel 16: „Das Volk zu rechter Zeit zu benutzen, das ist ein guter Grundsatz der alten Zeit. Daher zieht das Volk heran zu Diensten in den Wintermonaten . . .. Die Zeit vom Frühling bis zum Herbst jedoch ist die Zeit, in der die Felder bebaut und die Maulbeersträucher gepflegt werden." 14 Nakatomi Kamatari (614—669) wurde in Anerkennung seiner Verdienste im Jahre 669 mit der Verleihung des Familiennamens FUJIWARA geehrt. Es war dies der Geburtsakt einer mächtigen Familie, aus der berühmt gewordene Männer erwuchsen und aus der lange Zeiten hindurch die Kaiserinnen ausgewählt wurden. 15 Die treibende Kraft war weniger KÖTOKU als der Kronprinz NAKANO-OE, der später als TenchiTenno dem Kanzler Kamatari den Namen FUJIWARA verlieh.
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1. Kapitel: Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
(37). Der Befehl zu diesen Niederschriften wurde 738 und 796 wiederholt. Teile der ältesten Berichte sind nur von den Harima-, Hitachi-, Bungo- und HizenFudoki erhalten, während das Izumo-Fudoki (24) in der Bearbeitung vom Jahre 733 vollständig vorliegt. 16 Da das Nihongi, die erste der amtlichen „Sechs Reichsgeschichten" (Rikkokushi, abgekürzt RKS), mit dem Jahre 697 schließt, ist es ein besonderer Glücksumstand, daß auch die zweite Reichsgeschichte, das Shoku Nihongi, vollständig erhalten blieb; sie wurde 797 vollendet und behandelt das gesamte 8. Jh. (64; 57; 78). Hinzu treten einige andere Schriften von Bedeutung, wie das Wamyö-ruijushö (kurz Wamyöshö) vom Jahre 934, ein erstes Wörterbuch in japanischer Sprache, in dem u. a. die 68 Provinzen aufgeführt werden. Die offizielle Verwendung des Chinesischen Kalenders, von SHÖTOKU-TAISHI im Jahre 604 angeordnet, verleiht den historischen Daten seit Beginn des 7. Jahrhunderts Zuverlässigkeit. In den genannten Quellen hat Niederschlag gefunden, was an politischer, gesellschaftlicher und landschaftlicher Veränderung durch die TaikaReform und deren Folgewirkungen herbeigeführt wurde. Sie gestatten das Wagnis, eine erste Erstellung der geographischen Situation zu entwerfen. Dieser Versuch wird unterstützt durch die Kulturlandschaftsforschung der japanischen Geographie seit 1920. In zahlreichen Beiträgen hat sie aus den noch heute sichtbaren kulturlandschaftlichen Zeugnissen aus dem 6. bis 9. Jh. wertvolle Einsichten in die raumwirksame Tätigkeit von Staat, Gesellschaft und Religion gewonnen.
B. Die staatliche Organisation und das Staatsgebiet Der mit der Taika-Reform geschaffene Staat ist eine absolutistisch-theokratische Monarchie, geführt vom T E N N Ö , dem allein das Staatsvolk untersteht und das Staatsgebiet gehört. Der Tennö ist nicht Staatsoberhaupt kraft seiner Fähigkeiten und Tugenden, sondern kraft seiner Geburt. Er ist nicht absetzbar, und die Linie seiner Familie kann nicht abgerissen oder auch nur unterbrochen werden. Gerade darin bewährte sich das überlieferte „Kokutai" und unterscheidet sich der japanische vom kaiserlich-chinesischen Staat. Es hat auch den Staat über die Katastrophe von 1945 hinweggehoben. Der Tennö verbindet auf der Basis der Taika-Reform mit der Staatsführung zugleich das Amt des Hohen Priesters gegenüber der zur nationalen Gottheit erhobenen Ahnfrau AMATERASU ÖMIKAMI. Die Verehrung der Sonnengöttin wurde indirekt auch zur Verehrung des Tennö und umgekehrt. Aus diesem Grunde untersteht dem Tennö die Shintö-Behörde, das Jingikan oder Kami-tsukasa, eine Einrichtung, wie sie auf chinesischem Boden unmöglich gewesen wäre. Die Funktionsfülle, die sich in der Person des Tennö vereinigte, war die wirksamste Barriere gegen eine Überfremdung durch kontinentale Einflüsse und gegen ein allzu starkes Zurückdrängen des Shintöglaubens durch den Buddhismus. Der Aufbau der politischen Zentralverwaltung wurde in Anlehnung an den zentralistischen Beamten16 Wahrscheinlich ist dies die zweite Bearbeitung, da die Fertigstellung auf 733, Tempyö 5, datiert ist, also 20 Jahre nach dem Erlaß von 713 vorgelegt wurde. Es wird auch geltend gemacht „in order to demonstrate his power and influence, H I R O S H I M A may have undertaken a new fudoki by revising, updating and enlarging the first." H I R O S H I M A hat den Text in seiner Eigenschaft als Kuni-noMiyatsuko von Izumo persönlich mit „Izumo no Omi Hiroshima" unterschrieben.
B. Die staatliche Organisation und das Staatsgebiet
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Staat Chinas im Taihö-Gesetzeswerk (Taihö-ryd) vom Jahre 701 bzw. im Yörö-ryö von 718 (s. o.) kodifiziert (47; 53). Der Dajökan, der oberste Reichsrat, stellte die Spitze der bürokratischen Pyramide dar. Neben dem Dajödaijin oder Großkanzler gehörten ihm der Kanzler zur Linken (Sadaijin) und der Kanzler zur Rechten (Udaijin) an, im weiteren Sinne auch die Geheimen Räte: der Oberrat (Dainagon),
Abb, 3 Die altjapanische Provinz- und Regionalgliederung nach dem Engishiki, 927. Überarbeitung der von B. Lewin entworfenen Darstellung von 1976. Abkürzungen: OY Oberprovinz Yamashiro, OS Oberprov. Settsu, GY Großprov. Yamato, GK Großprov. Kawachi, U Unterprov. Izumi. Diese 5 Provinzen bilden das KINAI. Provinzen Ch Chikuzen, Ch'o Chikugo, B Buzen, B 1 Bingo, B 2 Büchü, B 3 Bizen, A Awaji, H Höki, IG IGA, In Inaba, Iw Iwami, Mi Mikawa, M Mimasaka, N Nagato, K Kazusa, O Owari, S Sanuki, Sa Sagami, Sh Shimosa, Su Suruga, Ta Tango, Tj Tajima, T Tötömi, Wa Wakasa
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1. Kapitel: Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
Mittlere Rat (Chünagon) und Untere Rat (Shonagon). Unterhalb dieser Spitze folgen von oben nach unten: 8 Ministerien (shö) mit mehreren Abteilungen (shiki) und Büros (ryö); die Oberämter (shi) und Ämter (fu); die Provinzverwaltungen (kuni) und die Landkreis- (köri) bzw. Distriktverwaltungen (43, 53; s. Abb. 3). Unter den Ministerien sind bemerkenswert das Mimbu-shö für Census, Steuern, Fronarbeit, Brücken, Wege und Häfen; das Hyö-shö für das Heer, für Waffen, Festungswerke und Poststationen; das Ökura-shö für Finanzen, Prägung von Münzen, für Gewerbe, insbesondere für Weberei und Lackwaren-Herstellung. Das Nakatsukasa-sho oder Zentral-Ministerium unterhielt ein besonderes Büro für „Yin und Yang", d. h. für Sternenkunde, Kalender, Geomantik, Voraussagungen und Divination. Das Shikibu-shö oder Ministerium der Verwaltung und des Beamtenwesens war u. a. auch verantwortlich für die Schulen und die Prüfungen, insbesondere für die Daigaku (Hochschule). Besondere Beachtung verdient die Statthalterschaft bzw. das Dazaifu für die Insel Kyüshü (47, 740—742). Die Region der Tsukushi-Ebene mit dem Hafen Hakata hatte schon vor der Taika-Reform dank ihrer Lage an der Korea-Straße eine hohe Bedeutung. Die Taihö-Gesetzgebung bestätigte deren Sonderstellung. Der Gouverneur von Tsukushi wurde mit Funktionen ausgestattet, die über das übliche Maß hinausgingen. Sein Titel war Dazai-no-sotsu, d. h. Inhaber der Zivilund Militärgewalt. Mit diesen Funktionen war der dritte Rang an Würde verbunden, wie er Prinzen zustand. Nicht nur die Verteidigung, auch eine politischkonsularische Aufgabe lag in seinen Händen, insbesondere der Empfang der im Hafen Hakata landenden Fremden, deren Bewirtung und gegebenenfalls Naturalisierung und schließlich deren Weiterleitung ins Reichsgebiet. Von der im Zusammenhang mit dem Dazai no sotsu erwähnten Rangordnung ist im Abschnitt über die Bevölkerung die Rede; sie ergab sich aus dem zentralistisch aufgebauten Beamtenstaat konfuzianischer Prägung, der sich gesellschaftlich in einer Pyramide bürokratisch bestimmter Funktion und Würde niederschlug. Das uji, der Geschlechterverband, bestimmte die überlieferte Gliederung der Gesellschaft; sie bedeutete im neuen Beamtenstaat, äußerlich gesehen, nichts. Im Staat galt nur noch das „kabane", die Rangklasse. Die Rangklassengliederung gelangte zu Beginn des 8. Jahrhunderts zu abschließender Regelung und bestand bis zur Meiji-Restauration 1868 fort (47b, 745ff.). Das Dazaifu einbezogen, war das Reich in 72 Kuni (Provinzen) und 595 Köri (Distrikte, die heutigen Gun) gegliedert (Abb. 3). Die Zahl der Sato (Gemeinden) lag bei annähernd 4000, wovon auf Kinai rd. 9%, Tökai-dö 25%, Tösan-dö 18%, Hokuriku-dö 6%, Sanindö 10%, Sanyö-dö 12%, Nankai-do 12% Saikai-dö 8% entfielen. Die Großraumgliederung in „dö" ist ohne beamtenstaatliche Relevanz, wohl aber von politisch-geographischer Bedeutung. Man bediente sich ihrer, um die jenseits der Zentralprovinzen (Gokinai) liegenden „Außenprovinzen" ihrer Lage nach zusammenfassend zu charakterisieren. In der feingliedrigen Gestalt des Archipels, die ganze Regionen bestimmten Meeresteilen zuordnet, lag von früh an das Angebot der Natur für die Unterscheidung von politischen Großräumen. Aus dem Blickwinkel der überwiegend küstenlosen Zentralprovinzen liegen nach Norden an der Japanmeerseite die Nordländer entlang am Hokuriku-dö, nach Osten die Provinzen am Tökai-dö, dem Ostmeerweg. Im Süden und Südwesten schließen sich die Provinzen von Kii
B. Die staatliche Organisation
und das
Staatsgebiet
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bis Iyo am Südmeerweg, dem Nankai-dö zusammen. Nach Westen folgen die Provinzen zu beiden Seiten der Wasserscheide je einer südlichen und nördlichen Straße, dem Sanyö-dö oder Bergsonnenweg und dem Sanin-dö, dem Bergschattenweg. Beide treffen sich am westlichen Ende von Honshü und leiten über zu den Provinzen des Westweges, des Saikai-dö, auf den ganz Kyüshü ausgerichtet ist. Lediglich der Nordosten von Honshü, zusammengefaßt als Länder des Tösan-dö, des Ostgebirgsweges, erschien als ein noch ungegliederter Raum: Im weiteren Sinne ist es der Kolonialraum, weder erlebnismäßig noch kulturell bewältigt und insgesamt noch als „frontier" von Garnisonplätzen, Verteidigungswerken und Wegsperren gekennzeichnet. Erst später zog sich der Name Tösan-dö auf die zentralen Gebirgsregionen zurück, als man erkannt hatte, daß vom Kantö bis zur Tsugaru-Straße eine wesenseigene Landschaftsgliederung besteht.17 In den Erlassen des 7.—10. Jahrhunderts ist immer wieder die Rede von den Zentralprovinzen (Kinai) und den sieben Außengebieten, den dö, und dies ist zugleich Ausdruck dafür, daß in dem zentralistisch aufgebauten Staat die Intensität der Landesentwicklung mit der Entferung von der Hauptstadt abnahm und Subzentren verschiedener Gradstufen nur geschaffen wurden, wo dies zum Nutzen der Zentrale war. Solches Subzentrum mußte vor allem im festlandnahen Nordkyüshü sein, wo immer wieder Chinesen und Koreaner landeten; auch Izumo wurde, und dies von Koreanern, oft aufgesucht, blieb aber infolge seiner ungünstigen Hafenverhältnisse kein Schwerpunkt von Dauer. Der Verwaltungszentralismus der Nara- und Heianzeit machte sich zusätzlich darin geltend, daß man über die dö hinweg ein zweites Unterscheidungsmerkmal legte. Man sprach im Hinblick auf die Zentralprovinzen (kinai oder gokinai) von nahen, mittelfernen und fernen Provinzen, ganz gleich, welcher Dö-Region sie angehörten. Die „nahen" Provinzen (kinki) reichten nach Osten bis Mino und Mikawa, im Westen bis Inaba und Bizen (s. Abb. 3), die mittelfernen (Chügoku) endeten im Westen mit Izumo und Awa, im Osten mit Shinano, Suruga und Izu. Ferne Provinzen (Empö-no-Kuni) waren bereits Sagami, Echigo, die Insel Sado, und im Südwesten Iyo, Aki, erst recht alle Provinzen von Kyüshü. Die Begriffe „nah", „mittelfern" und „fern" stehen zugleich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, für die vom Reichskern nach außen hin abnehmende Kulturintensität. Als Schwerpunkt des Reiches gelten die Hauptstadt, der Hafen Naniwa (Osaka) in Settsu und das Generalgouvernement Dazaifu, das den Provinzen von NordKyüshü vorgesetzt war. Diese drei Plätze erfuhren schon im zweiten Kapitel des Yöryöryö, das die Gebote über das Verwaltungspersonal (Shokuinryö) enthält, eine besondere Behandlung. Dem Schutz des Reichskerns dienten unmittelbar an den Gokinaigrenzen errichtete Wegsperren und im fernen Bereich die Befestigungswerke in den ausdrücklich zu Grenzgebieten erklärten Provinzen. Die „Drei Wegsperren" (san-kan) des Kinki wurden im Jahre 789 aufgehoben; die Verteidigungsfunktion der Grenzgebiete währte in späteren Jahrhunderten noch fort. Von den „Drei Wegsperren" war die Fuwa-no-seki an der Grenze zwischen Ömi und Mino die älteste und zugleich bedeutendste; ihr strategischer Wert offenbarte sich Jahrhunderte später in der Schlacht von Sekigahara. (s. 3. Kap.). Die Arachi-no-seki der Provinz Echizen an der Grenze zu Ömi diente dem Schutz 17 Über die bis in die Gegenwart nachwirkende Dö-GIiederung s. Bd. 1, S. 46—51.
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1. Kapitel: Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
gegen den Norden. Die Suzuka-no-seki, eine Sperre zwischen den Provinzen Ise und Ömi, übte nur ergänzende Funktion für die Fuwa-Sperre aus. Insgesamt bewachten die san-kan konzentrisch den Zugang zur Provinz Ömi, von der aus allein das Gokinai vom Osten und Nordosten her leicht zugänglich war. Diese Verteidigungsaufgabe war im Verlauf des 8. Jahrhunderts durch den starken Ausbau der militärischen Stellung in den Grenzgebieten von Mutsu und Dewa hinfällig geworden, auch wenn die Ainu noch im gleichen Jahrhundert durch überraschende Vorstöße sogar die Kantö-Ebene erreicht haben sollen. BISHOP legt die umkämpfte „frontier" an der Japanmeerseite auf etwa 40° n. Br. und weist auf das um 733 errichtete Fort von Akita hin (5, 547—68). Auf der pazifischen Seite vollzog sich der Vorstoß nach Norden weit schwieriger. Das Festungswerk Taga bei 38° 18' n. Br. (9 km nordostwärts vom heutigen Sendai, als Taga-jö ein Stadtteil von Shiogama) war bis zum Jahre 801 Sammelund Operationsbasis für die Eroberung des nördlich der Koromogawa-Mündung bis zum heutigen Morioka reichenden Kitakami-Beckens. Dessen Schmalheit, enge Begrenzung von Bergwäldern und sumpfreiche Ufer gaben den Ainu Möglichkeiten zur Anwendung von Guerillamethoden, und dies brachte den japanischen Truppen schwere Verluste bei. Von Taga aus wurden Verteidigungs- und Ausfallstellungen ins Sempoku, den Nordrand der Sendai-Ebene vorgeschoben, der aufgrund seines von flachen Plateau- und Sumpfländern ost-westlich durchschnittenen Charakters schon immer als ein Stagnationsraum gegolten hatte (75). Die Festungswerke Momoo, Iji, Kakubetsu wurden durch die dazwischengeschobenen Palisadenwerke von Oshika, Shikama, Nakatsuyama, Tamatsukuri, Niita verstärkt. Die nördlichste Verteidigungsstellung lag in Koromo, dem späteren Platz der Schloßburg Hiraizumi (1094-1189). Aus diesen gestaffelten Stützpunkten heraus gelang es TAMURAMAKO im Jahre 801, in das Kitakami-Becken einzubrechen und in Izawa, dem heutigen Mizusawa, eine Festung zu errichten (803). Seinen Erfolgen wurde soviel Bedeutung beigemessen, daß er zum „Obersten Heerführer zur Unterwerfung der Barbaren", zum Feldherrn im Rang eines Shögun ernannt wurde; es war die erste Verleihung dieses für die Geschichte Japans so bedeutsamen Titels (41). Gelände und Wälder sind den Ainu in diesen Breitenlagen viel vertrauter gewesen als den Japanern, was immer wieder Angriffe aus dem Hinterhalt möglich gemacht hatte. In Band 1 (S. 113 f.) wurde darauf hingewiesen, daß sich gerade in der Breite von Sendai die Ablösung des immergrünen Laubwaldes durch sommergrünen Laubwald vollzieht, sich der Japaner an einer psychisch ähnlich wirkenden Landschaftsgrenze befand, wie die Römer am Limes. Die Unvertrautheit mit den andersartigen ökologischen Bedingungen wird auf der binnenländisch charakterisierten Ostseite von Tohoku von größerem Nachteil gewesen sein als auf der Japanmeerseite, an der sich die Beckenlandschaften gegen das Meer öffnen und damit allei schon für den Nachschub Vorteile bieten. Als Grenzgebiete im Südwesten galten die „fernen" Provinzen Satsuma, Ösumi und Hyüga von Kyüshü sowie die Inseln im strategischen Vorgelände des Reichs, wie Tanegashima, Iki, Tsushima und Oki. Sie standen unter der besonderen Befehlsgewalt des Dazai-no-sotsu in Dazaifu und stärkten dessen militärischen Rang. Seit wann das Yamato-Reich die auf Sippenverbänden beruhenden Teilstaaten zusammengeschlossen hatte und man für den Einheitsstaat den Namen Nihon oder
C. Das
Staatsvolk
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Nippon verwendete, seit wann füglicherweise von einem Staatsvolk gesprochen werden kann, das aus europäischer Sicht „japanisch" ist: diese Frage wurde bislang nicht aufgeworfen. Man darf sie aber damit beantworten, daß dies spätestens mit dem Jahre 720 einsetzt, als die Reichsgeschichte MTion-shoki (Nihongi) vorgelegt wurde, die den Reichsnamen ausdrücklich nennt. Es ist deshalb legitim, für die Zeit seit dem frühen 8. Jh. das auf dem Archipel lebende Staatsvolk als „Japaner" zu begreifen, was selbstverständlich noch keine Wesensaussage über den „japanischen" Menschen sein kann und im übrigen auch nicht hindert, einige der Bevölkerungsgruppen nach ihrer Herkunft zu bezeichnen.
C. Das Staatsvolk I. Zahl, Dichte und Verteilung der Bevölkerung Mit großer Wahrscheinlichkeit war Japan - ohne die noch nicht voll eroberten Gebiete nördlich vom 39. Breitengrad - in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts von etwa 8 Millionen Menschen bewohnt. Diese Zahl wurde, worüber Nachod berichtet (47b, 698), bereits im 18. Jh. von A R A I HAKUSEKI (1657-1725) angegeben, später von P . MAYET (1887) und von YANAGISAWA (1912) genannt, ohne daß dabei die Frage ihrer Berechnung berührt wurde. Der vom Verf. unternommene Versuch, die Zahl indirekt mit Hilfe der Angaben im Izumo-Fudoki zu ermitteln, kommt zu gleichem Ergebnis und eröffnet noch weitere Perspektiven. Für jeden der Distrikte (kori) von Izumo werden im Fudoki die sato, amaribe, umaya und kambe genannt, so daß sich die Bevölkerungszahl zwar nicht genau, aber in ihrer Größenordnung ermitteln läßt, insbesondere wenn man sich jeweils an die untere Grenze der für die einzelnen Siedlungsformen geltenden Faustzahlen hält. 18 Daraus ergibt sich für die Izumo-Provinz eine Sato-Bevölkerung von 78 000, die man ohne Übertreibung unter Hinzurechnung von Bevölkerung der amaribe, kambe und umaya um 10%, also auf insgesamt 85000 erhöhen darf. Für die 9 Distrikte lassen sich auch die Bevölkerungsdichten bestimmen; sie liegen in den von Bergländern erfüllten Distrikten Nita und Iishi (vgl. Provinzkarte, Abb. 4) bei 14 bzw. 16 (heute bei 57 bzw. 49); in den Distrikten der Ebene und Küste bewegen sie sich zwischen 40 und 90. Im mathematischen Mittel errechnet sich für Izumo die Dichte 38. Aus diesen Ergebnissen erwächst die Frage, ob sich mit ihnen auch Licht auf das übrige Reichsgebiet werfen läßt. Dabei ist zunächst be18 Für ein sato, eine Dorfgemeinschaft, meist aus mehreren geographisch getrennten Ortsteilen (kozato) bestehend, gelten 50 Haushalte zu je 25 Personen als Schnitt; für ein amaribe wurden vom Verf. im Schnitt 600 Menschen, also die knappe Hälfte einer Dorfgemeinscliaft angesetzt. Das amaribe entstand durch die Bestimmung des Taiho-ryö, jeweils nur 50 Haushalte zu einem sato zusammenzuschließen, woraus sich Resthaushalte ergaben, deren Zahl für die Errichtung einer sato-Gemeinschaft nicht ausreichte. Amaribe sind demnach bis zu 49 Überschußhaushalte, die verstreut oder z. T. geschlossen in der Landschaft liegen. Umaya ist eine Poststation. Ihrer Aufgabe entsprechend, befinden sich bei ihr mehrere Haushalte (ko); bei der Berechnung wurden jeweils zwei angenommen, d. h. 50 Personen. Kambe sind Schreinhaushalte, d. h. zu den Shintöschreinen gehörende Haushalte, die ihre Steuern aus den landwirtschaftlichen Erträgen an die Schreinverwaltung abliefern. Zum Izumo-Schrein gehörte ein volles Dorf (kambe no sato), das zwei Ortsteile (kozato) umfaßte. Ein kambe wurde im Schnitt mit 4 0 0 Menschen in die Rechnung eingesetzt.
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1. Kapitel: Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
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S i e d l u n g s l a n d der P o s t s t a i i o n (Umaya)
Abb. 4 Die Infrastruktur Jahre 733
Durch Stickstoffablagerung seit dem 8. Jh. gewonnenes Land
Umaya
Berggipfel
Sanindö
Marine-Hafen
Provinzstraße
Armee-Befehlsstelle
Distrikt-Grenze
Festungswerk
Provinz - Grenze
D i s t r i k t - Hauptstadt
der Izumo-Provinz,
1
Seezeichen
dargestellt auf der Grundlage des Izumo Fudoki
vom
merkenswert, daß die geschätzte Gesamtbevölkerung von 8 Mio. Menschen, aufgeteilt auf die 72 kuni, eine mittlere Gesamtbevölkerung für das südlich vom 39. Breitengrad liegende rd. 246000 km 2 große Japan von 32 ergibt, die Dichte von Izumokuni also fast dem Reichsdurchschnitt entsprach. Bei Auswertung der prozentualen Anteile der 7 Do und der Zentralregion an der Zahl aller sato errechnet sich für die Gokinai-Provinzen die Dichte von rd. 70; für die Tökaidö-
C. Das Staatsvolk
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Provinzen liegen sie bei 35, für den Sanin-dö insgesamt nur bei 28. In Sakai-dö, Hokuriku-dö und Tösan-do, also für die Außengebiete, bleiben die Dichtemittel unter dem Reichsdurchschnitt. Damit heben sich Kinai, Tökaido und Izumo im 8. Jh. als Regionen der Bevölkerungsverdichtung heraus. Mit dem Jahre 1970 verglichen, stiegen Bevölkerungszahl und -dichte des Gebiets von Izumokuni um das Fünffache. Dieser Landesteil, der im 8. Jh. bevölkerungsgeographisch mit dem Tökaido wetteiferte, dabei ohne stärkere Belastung durch Verwaltung, Hand- und Kunsthandwerk war, ist in der Vergangenheit Prototyp einer entwickelten Agrarprovinz gewesen, und er ist es bis heute geblieben: Verfünffacht man die Zahl der Gesamtbevölkerung des Agrarstaates der Nara-Zeit, so ergeben sich 40 Mio. Das ist die Bevölkerungsmenge, die 1970 (ohne Hokkaidö) jenseits der TökaidöSanyodö-Region lebte, und man könnte daraus eine Vorstellung darüber gewinnen, bis zu welcher Höhe sich die Bevölkerungszahl Japans entwickelt hätte, wenn das Land nach dem Beispiel von Izumo auf der Stufe eines leicht industrialisierten Agrarstaates verblieben wäre. Bei solcher Deutung tritt um so krasser hervor, wie stark der Archipel im 20. Jh. allein auf dem schmalen Küstenband zwischen Nordkyüshü und dem Kantö mit 80 Mio. Menschen belastet wurde. Im Verlauf des 8. Jahrhunderts war das Staatsgebilde durch die Eroberungen jener Flächen, die heute von den Provinzen Akita und Iwate eingenommen werden, um rd. 27000 km2, und im 9. Jh. durch friedliche Durchdringung des heutigen Aomori-ken um 10000 km2 erweitert worden. Es umfaßt damit rd. 290000 km2. Weniger durch die Gebietsgewinne als durch Vorgänge der Bevölkerungsbewegung war die Bewohnerzahl bis in das 9. Jh. auf etwa 10 Mio. angewachsen. Das hatte verschiedene Ursachen. Die Einwanderungen vom Kontinent, auch wenn sie nachgelassen hatten, führten noch immer zahlreiche Familien zu. Koreanische Einwanderer wurden in den Jahren 752, 760, 817, 822, 842 und noch später aufgenommen (53), wobei auffällt, daß man mit ihnen vor allem die Bevölkerung der Ostprovinzen verstärkte. Im Jahre 779 wurden sogar 395 Einwanderer aus Bokkai19 im Grenzgebiet Dewa angesiedelt (37). Kriegsgefangene Ainu wurden je nach dem Grade ihrer Zuverlässigkeit in den ihnen vertrauten Grenzlanden seßhaft gemacht, oder aber sie wurden bis nach Südwest-Japan verteilt, wobei man das Gokinai von ihnen freihielt. Eine große Sorge brachte der Große Staatsrat (Dajokan) aber schon 723 mit der Feststellung zum Ausdruck, daß sich die Bevölkerung rascher vermehre als sich die Vergrößerung der landwirtschaftlichen Nutzfläche ermögliche (49, 53). Im Rodungsappell vom Jahre 743 wurden rd. 1 Mio. chö, das sind 990000 ha, zur Bewirtschaftung freigegeben; jede Person, die mehr als 1000 koku Reis (180 t oder 1800 dz) erntete, sollte lebenslänglich steuerfrei sein. Dieser Beschluß wurde vom Blutsadel und von den Bauern als Eingeständnis des Staates dafür gewertet, daß die Übernahme des chinesischen Handensystems, wodurch alles Land zu Staatsland geworden war, eine Fehlentscheidung gewesen war. Man sah nun den Weg geöffnet für die Beschaffung von abgabefreien Ländereien, wie sie dem Blutsund sogar dem Amtsadel (als Belohnung für Dienste), den Schreinen und Tempeln schon zugebilligt waren; diese Neuländereien wurden als „shöen", d. h. Landgüter bezeichnet. 19 Nachfolgestaat des nordkorean. Koguryö, der bis in die SO-Mandschurei ausgriff (37).
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1. Kapitel: Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
II. Die kulturlandschaftliche Bedeutung des gesellschaftlich pyramidal aufgebauten Beamtenstaates Es wäre nicht sinnvoll, den gesellschaftlich hierarchischen Aufbau der theokratisch-absolutistischen Monarchie von unten her zu beschreiben, da für die breite Basis die überlieferten Nachrichten zu lückenhaft und von geringerer Eindeutigkeit sind als die für die obere Gruppe. Von der Spitze, dem Tennö, wurde bereits ausführlich gesprochen. Der Staatswille formte sich jedoch nicht nur in seiner Person, wenn er auch in deren Namen verkündet wurde. Die Würdenträger aus dem Kreis der engsten Verwandtschaft und des Hochadels, soweit diesen Regierungsverantwortung übertragen war, und indirekt der Adel, der im Rahmen der Beamtenhierarchie Funktionen erhalten hatte, wirkten an der Meinungs- und Willensbildung mit, insbesondere in Zeiten eines Tenno, der schon in Kindheitstagen den Thron bestiegen hatte. Durch Erlaß vom Jahre 684 war der Adel in 8 erbliche kabane oder Rangstufen neu und in der Form gegliedert worden, die sich bis 1868 erhielt. 20 Diese an der Geburt und nicht auch an der Leistung für den Staat gemessene Einteilung war mit der Konzeption eines konfuzianistischen Beamtenstaates nicht in Deckung zu bringen. Dennoch machte die Gesetzgebung von 701 mit ihrer lOteiligen Rangskala den Versuch, jedem einzelnen Beamten seine Stelle innerhalb der Beamtenhierarchie anzuweisen. Dies war zweifellos ein Fortschritt gegenüber dem KabaneSystem; aber er regelte nur die Gesellschaft des Staatsapparats. An der Masse des Volks ging diese soziale Neuordnung vorbei; denn so reich an Personen und Einfluß das Beamtenheer auch war, es stellte doch nur einen Bruchteil des Staatsvolkes dar. Die Masse bestand aus Bauern (nö), Handwerkern (kö) und Kaufleuten (shö); sie waren die sogenannten „Freien" und fanden ihre Ansehensgliederung im Rahmen chinesisch-konfuzianischer Tradition. In unterster Gesellschaftsstufe befanden sich die „Unfreien", zu denen drei Klassen von Hauseigenen 21 und zwei Arten von Sklaven oder „nuhi" 22 gehörten, die staatlichen und die privaten. Ein Aufstieg aus der Masse der Freien war zwar grundsätzlich nicht unmöglich, aber sehr selten und abhängig von Gunst. Das chinesische Modell zur Entwicklung einer Beamtenreserve in Gestalt der Literati war zwar als vorbildlich erkannt, blieb aber nur auf den Adel beschränkt. Die Voraussetzung für die Erlangung eines Ranges war zwar auch im japanischen Beamtenstaat das Bestehen einer Prüfung nach Ableistung des Studiums an der Hochschule (Daigaku), aber diese Hochschule stand grundsätzlich nur dem Adel offen. Nur sehr selten kamen
20 In dieser Ordnung folgen aufeinander: 1. Mahito, für entfernte Verwandte des Tennöhauses; 2. Asomi, für Angehörige des Hofadels (entspricht dem alten Omi); 3. Sukune, für Angehörige des Hofadels (entspricht dem alten Muraji); 4. Imiki, für Angehörige des Landadels und Einwandereradels; 5. Michinoshi, für Gelehrte und Künstler (fast nie vergeben); 6. Omi, für niederen Dienstadel, frühere uji-no-kami, Miyatsuko, auch Fubito (Schreiber); 7. Muraji, für niederen Dienstadel, frühere uji-no-kami, Miyatsuko; 8. Inagi, für Landadel, örtliche Würdenträger (fast nie verliehen). 21 Es sind kenin, kambe und hakabe; kenin sind Hauseigene durch blutsverwandtschaftliches Verhältnis; kambe sind Hauseigene der Shinto-Schreine und buddh. Tempel; hakabe sind die GrabwächterFamilien. 22 „nu" ist Sklave, „hi" Sklavin; die staatlichen Sklaven: kanuhi.
C. Das Staatsvolk
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daher unter den zahlreichen Beamten Personen vor, die nicht einem der 8 alten kabane angehörten. Die Hochschule sortierte nur innerhalb des Adels die Bewerber um jene Qualifikationen aus, die für die Ausübung der verschiedenen Funktionen innerhalb der Rangskala erforderlich waren, und dabei war sogar diesem Bemühen noch eine Grenze gesetzt: Die obersten Ränge durften nur durch „Prinzen von Blut" (shinnö) eingenommen werden (47, 747). Es war ganz eindeutig nur diese Staatsspitze, die alles Geschehen bestimmte und damit auch für die Landesentwicklung verantwortlich war. Die Funktionen der „freien" Bürger, deren Zahl SAWADA GOICHI für die Narazeit auf etwa 75% der Bevölkerung schätzt (58), lagen in der Aufrechterhaltung der Wirtschaft, in der Landesverteidigung, in der Ableistung von Arbeitsdienst (saiyaku, die Jahresfron) und vor allem in der Ablieferung von Steuern (9), die sich aufgliederten in Kopfsteuer (mitsugi), Feldsteuer (so), gemischte Steuer (zatsuzei), Fronablösung (yö) und gegebenenfalls zusätzlichem Arbeitsdienst (yöeki), der ablösbar war. Der „freie" Mann sah sich vom zentralistischen Beamtenstaat vorwiegend in Pflicht genommen. Aber nicht dies war es, wonach er sich gesehnt hatte. Er wollte frei sein als Eigentümer seines Landes und wollte nicht allein die Bürde des Staatshaushaltes tragen müssen. Der Modell-Haushalt mußte, ganz abgesehen vom Truppendienst, 28% seiner Einnahmen als Abgaben und Fronen abführen, was den Haushalt in Verschuldung, auch zu Versuchen der Steuerhinterziehung brachte, in vielen Fällen einzelne Mitglieder sogar zum Weggang vom Hof veranlaßte. Diese Flüchtigen (rönin, ukarebito) bzw. Steuerflüchtlinge suchten Unterschlupf an Plätzen, die ihnen Sicherheit zu bieten schienen: In der Hauptstadt, deren Bewohner steuerfrei waren, und auf den Latifundien des Bluts- und Amtsadels sowie in den Schrein- und Tempelgemeinden. Denn hierin hatte die Verwicklichung der Idee des köchi-kömin, d. h. des Staates als des alleinigen Besitzers von Land und Volk (24, 5), von Anfang an auf japanischem Boden den leicht erodierbaren Riß, daß bei der Landverteilung dem Adel und den Heiligtümern, nur um sie für die Reform zu gewinnen, Privilegien weitreichender Art zugebilligt worden waren und weiterhin zugebilligt wurden. Die Sonderbeleihungen waren die Ansatzflächen für die Entwicklung der schon genannten shöen, die sich zu größeren Latifundien ausweiteten, z. T. steuerfrei und unabhängig von den Lokalverwaltungen waren und damit den Flüchtigen einen sicheren Unterschlupf zu gewähren vermochten. Die Abwanderungen aus den Haushalten in die Hauptstadt und die shöen war dem Staat nicht unbekannt geblieben. Er veranlaßte 785 eine besondere Untersuchung zur Rönin-Frage, nachdem er schon 769 rd. 2500 solcher Abwanderer gesammelt und bei der Festung Iji-jö in Mutsu angesiedelt hatte (53, 206 u. 217). Diese Volksteile bildeten den Kern einer landwirtschaftlich tätigen Kolonialmiliz (Tondenhei), deren Zugehörige die Siedlungen bei Strafe nicht unaufgefordert verlassen durften (54, 321). Unter den Dienstleistungen, die von den Freien abzugelten waren, wurden die allgemeine Wehrpflicht als besondere Belastung empfunden; sie wurde 792 abgeschafft, nachdem man die Ainu im wesentlichen unterworfen hatte. Von je drei kräftigen Leuten einer Hausgemeinschaft wurde ein Mann zum Wehrdienst ausgehoben (47b, 791). Zusammenfassende Zahlen über die Truppenstärke liegen nicht vor; es muß sich aber in Zeiten schwerer Kämpfe um Kontingente gehandelt haben, die nahe an 100000 Mann kamen. Allein für 724 wird berichtet, daß
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1. Kapitel: Mensch und Landschaft
vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
30000 Krieger der 9 Provinzen des Bandö 23 ausgebildet wurden (47b, 180). Im Jahre 788 heißt es, „in den Gauen Tökaidö und Tosandö und in sämtlichen Provinzen des Ostlandes sind mehr als 52 800 Mann Fußvolk und Berittene einzuberufen, die sich . . . in der Feste Taga der Provinz Mutsu zu sammeln haben" (63, 235). Allein der Troß für die Verpflegung der Truppen mit Reis bestand aus 12440 Mann, die für den von Ainu-Guerillas berunruhigten Weg von Tamatsukuri bis nach Shiwa (rd. 100 km!) hin und zurück 24 Tage benötigten. Im übrigen scheint die schwierige Kampfführung, von der schon gesprochen wurde, auch auf die geringe Kampfmoral und den unzureichenden Ausbildungszustand der Truppe zurückzuführen sein. REISCHAUER (53) stellt fest, „in reality its armies were worthless, for its troops were little more than half-starved laborers. Its small farmers were so heavily taxed that they were destroyed as a class". Die Zahl derer, die im Kampf zum Gegner überliefen oder auch vom Gegner gefangen genommen wurden, muß relativ hoch gewesen sein. Hunderte der von den Ainu gefangenen Japaner wurden in den Jahren 776—795 zurückgewonnen und nach SüdwestJapan gebracht, wo sie unter Aufsicht gehalten werden konnten. Im Jahre 811 wurden die Provinzen aufgefordert, über die aus der Ainu-Gefangenschaft zurückgewonnenen Japaner zu berichten (53). Die wirtschaftliche Lage der Freien, aus deren Reihen die Truppen zusammengestellt wurden, wird die Haltung des Kriegers gegenüber dem Staat sehr beeinträchtigt haben. Der Wille, diesem Staat zu dienen und für ihn sein Leben aufs Spiel zu setzen, scheint wenig entwickelt gewesen zu sein.
D. Die kulturlandschaftliche Funktion von Shintöismus und Buddhismus I. Der zentralistische Beamtenstaat und sein Verhältnis zu den beiden Religionen Das Jingikan, die Behörde für Shintö-Angelegenheiten, war verantwortlich für das Schrein-, Ritual- und Opferwesen „und trug Sorge, daß den Shintö-Gottheiten von wichtigen Staatsereignissen ordnungsgemäß Mitteilung gemacht wurde" (21,1025). Diesem traditionellen Nationalkult stand seit dem Jahre 594 der zur Staatsreligion erhobene Buddhismus gegenüber, der anfangs zwar nur als Religion der Hofaristokratie Bedeutung erlangte, bald aber auch den Weg ins Volk fand. Hierzu hatte das von Kaiserin SAIMYÖ 657 eingeführte buddhistische „Aller Seelen", das Urabon oder Bon, besonders beigetragen, das noch heute an einem der Juli-Tage im ganzen Lande als eines der größten Feste gefeiert wird. „Die Bon-Feier . . . wandelte sich in der Auffassung des Volkes zu einem Speise-, Blumen- und Weihrauchopfer für die Toten selbst, die zur Bon-Zeit als schon erlöste Buddhas (Hotoke) das nächtlich mit Laternen erleuchtete Heim der Ihrigen besuchen, und wurde so zum intimsten Familienfest des japanischen H a u s e s . . . . So fand die neue 23 Als Bandö faßte man 9 Provinzen ostwärts des Ashigara-töge (A.-Paß) und Usui-töge zusammen, später Kantö genannt.
D. Landschaftliche
Bild 5
Funktion der Religionen
Tödaiji in Nara. Die bedeutendste und den Großen Buddha enthaltende Tempelhalle
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Japans
Religion den Anschluß an das Grundmotiv der alten, an das Gefühl der Verbundenheit mit den Ahnen . . ." (18, 34). Das Tennöhaus nahm auch den Buddhismus behördlich in Griff, indem es sich das Recht sicherte, die Mitglieder der buddhistischen Priesterhierarchie einzusetzen. „Dem shintoistischen Zentrum, dem Großschrein von Ise, stellte man jetzt ein buddhistisches Zentrum mit dem im Jahre 728 vom Priester ROBEN (689—773) in Bau genommenen Tödai-Tempel von Nara, dem kaiserlichen Haustempel, zur Seite" (21, 1028, Bild 5). An Bemühungen, die beiden Religionen ineinander aufgehen zu lassen und damit auch den religiösen Bereich in den zentralistischen Staatsgedanken einzubinden, hat es nicht gefehlt. Führende buddhistische Priester verkündeten, die Shinto-Gottheiten seien nichts anderes als Erscheinungsformen buddhistischer Gottheiten auf japanischem Boden. Schon 722 hieß es in einem Erlaß: „Die inländische Lehre und die fremde Lehre haben übereinstimmende Ziele, wenn auch der Inhalt voneinander abweicht" (63). Nach langer Andacht am Ise-Jingü wird dem vielseitig tätigen buddhistischen Priester Gyögi (668—749) das Orakel zuteil, daß sich die Sonnengöttin mit Vairocana-Buddha identifiziert, mit der „Großen Sonne", dem höchsten himmlischen Buddha, japanisch Dainichi; „eine Deutung, die angeblich den Kaiser SHÖMU durch die ihm im Traume erscheinende Amaterasu selbst bestätigt wird" (47b, 806). Der Verschmelzung der beiden Kulte, als Ryöbu Shintö bezeichnet, konnten auf die Dauer nur die Großschreine von Ise und Izumo mit Erfolg widerstehen. Erst 1871 wurde durch kaiserlichen Erlaß die Verbindung von Kamikult und Buddhismus rückgängig gemacht.
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1. Kapitel: Mensch und Landschaft
vom 7. bis zum 9.
Jahrhundert
II. Kultstätten des Buddhismus SHÖMU T E N N Ö , der sich selbst einen „Knecht des dreifachen Kleinods" nannte, brachte mit der Errichtung seines Hoftempels, des Tödaiji in Nara, ein neues Element in die Kulturlandschaft. Der Bau wurde 728 begonnen, und schon 741 ordnete SHÖMU an, in jeder Provinz einen Provinztempel, Kokubunji, mit einer großen Buddhafigur und zwei Bodhisattvastatuen sowie einer siebenstöckigen Pagode zu errichten, wobei jeder Tempel mit umfangreichen Ländereien und mit einem Doppelkloster für je 20 Mönche und 20 Nonnen ausgestattet werden sollte. Der Hoftempel Tödaiji, dessen Anlage an Großartigkeit alles bisherige übertraf, wurde für diese Provinzhaupttempel der Mittelpunkt, zum Sö-Kokubunji (18, 38). Er zählte bald an die 5000 Mönche und Nonnen und wurde 749 mit einer 15,9 m hohen und vergoldeten Buddhastatue beschenkt, die ihn als den bedeutendsten Tempel und als krönende Spitze der im Gleichklang mit der staatlichen Verwaltungshierarchie errichteten Tempelhierarchie bezeichnete. Der Rangfolge von Provinz (kuni, koku), Distrikt (köri), Gemeinde (sato) und Dorf (mura) entsprach fortan das Bedeutungsgefälle der im Einvernehmen mit dem Staat erbauten Tempel in den Verwaltungszentren. Kein Tempel sollte umfangreicher sein als der Tödaiji, keine Buddhafigur größer als seine. Für die Standortwahl der Provinztempel oder Kokubunji galt der Grundsatz, nicht unbedingt den engeren Raum einer Siedlung zu nutzen, sondern eine naturschöne, die seelische Konzentration begünstigende Umwelt zu bevorzugen.
„Für die Gesamtentwicklung des Buddhismus wirkte sich die Tatsache günstig aus, daß seine damaligen Vertreter noch keine separatistischen Tendenzen verfolgten" (21, 1030), wenngleich schon mehrere „Schulen" oder Sekten in Japan Fuß gefaßt hatten, die als die „sechs Schulen des Nara-Buddhismus" zusammengefaßt wurden (darunter Kegon, Hossö, Ritsu). Einige der Tempel, auch solche, die außerhalb der Verwaltungshierarchie gegründet worden waren, galten ihrer Ausstattung und ihrer Ländereien wegen als Dai-ji oder Großtempel. Hierzu gehörten die „Sieben Großtempel" von Nara 24 , der Shitennöji in Naniwa (Ösaka), ebenso einige der im Zusammenhang mit der Verlegung der Hauptstadt gegründete Tempel in Miyako (Kyoto), der bei Dazaifu 746 errichtete Kanzeonji (das buddhistische Zentrum von Nordkyüshü) und einige der Tempel, die sich als Zentren neuer Sekten entwickelten: Der Priester K Ü K A I ( 7 7 4 - 8 3 5 ) war nach Beendigung der Studienjahre in China im Jahre 806 zum Verkünder der Shingonlehre geworden, der Mönch SAICHÖ (767—822), zu gleicher Zeit wie K Ü K A I in China Studien hingegeben, hatte die Weisheiten der Tendailehre nach Hause gebracht. KÜKAI, der spätere K Ö B Ö D A I S H I , dem Ryöbu-Shintö (s. o.) nahestehend, errichtete 816 auf dem Takanoyama (KiiHalbinsel) den Kongöbuji, einen Berg-Großtempel, der sich später zu einer Stadt von Tempeln ausweitete und unter dem Namen Köyasan bekannt wurde. SAICHÖ hatte schon 788 einen Tempel auf dem Hieizan erbaut und begründete von dort aus 805 die Tendaischule, wobei seiner immer bedeutender gewordenen Tempelanlage vom Tennö im Jahre 823 der Ehrenname Enryakuji25 gegeben wurde.
24 Außer dem Tödaiji üben noch heute der Höryüji (gegr. 607), Yakushiji (gegr. 662), Köfukuji (gegr. 710) und Saidaiji (gegr. 749) zentrale Funktionen für den Buddhismus und die Touristik aus. 25 Die Regierungszeit des K A M M U T E N N Ö (782—806) trägt das nengö Enryaku. Im Jahre 645 wurde die festländische Tradition übernommen, eine politische Ära, meist Regierungszeit eines Tennö, mit einer Devise zu versehen. Mit der Ära Taika (Große Wandlung s. S. 24) machte man 645 den Anfang. Enryaku bedeutet als Devise „umsichtige Politik."
D. Landschaftliche Funktion der Religionen
39
Koyasan und Enryakuji haben seither — und dies ununterbrochen - große Fernwirkungen ausgeübt. In ihnen haben sich ganze Epochen objektiviert.
III. Kultstätten des Shinto und Ryöbushinto Der Ise Jingü konnte auch innerhalb des buddhismusfreundlichen Beamtenstaates seine Funktion als Kultstätte höchsten Ranges behaupten. Die Tradition, daß eine kaiserliche Prinzessin das Amt der höchsten Dienerin der Sonnengöttin ausübte, setzte sich fort. Die Tempelhierarchie mit dem Tödaiji an der Spitze forderte geradezu heraus, auch die Hierarchie der Schreine zu profilieren. Dem Ise Jingü folgen rangmäßig eine Anzahl kaiserlicher Schreine (kampeisha) mit verschiedensten Funktionen, ebenso höchste Regierungsschreine (kokuhei-sha)26. Dann aber setzt die Stufung abwärts im Sinne der beamtenstaatlichen Verwaltungshierarchie ein: Von den Metropol- und Provinzschreinen geht es abwärts bis zu den Gemeinde- und Dorfschreinen (gösha, sonsha). Dabei erfuhren die übergeordneten Gruppen der kaiserlichen und staatlichen Schreine eine Untergliederung in Große, Mittlere und Untere Schreine, d. h. in Taisha, Chü-sha und Shö-sha. Beide Religionen verfügten seither in gleicher Weise über Groß-Kultstätten, die sich der Gunst des Kaiserhauses erfreuten, und über die breite Menge von Kultstätten, die den Verwaltungszentren, der Rangfolge dieser entsprechend, beigegeben waren. Orten, in denen shintöistische und buddhistische Kultstätten mit Ämtern der Verwaltung zusammenfielen und in denen sich womöglich auch noch eine Großkultstätte befand, waren Zentralitätsfunktionen vorgegeben, die für das Infrastrukturbild des Inselreichs hätten mitbestimmend werden können. Die Entwicklung schon in der späteren Heianzeit erwies allerdings, daß jene Vorgaben in den meisten Fällen zu schwach waren, insbesondere wenn man versäumt hatte, sie dem System der natürlichen Leitlinien einzupassen. An Großschreinen treten nach dem Jahre 700 zahlreiche neue von überregionaler Bedeutung hinzu. Einige davon erhielten ihren Glanz als Schöpfungen des Ryöbu-Shintö. Insbesondere stellt sich der Usa Jingü als kulturlandschaftlicher Distrikt von eigener Prägung dar. Er setzt sich aus den von zwei Hauptschreinen besetzten Arealen zusammen, zu denen zahlreiche kleinere Kultstätten gehören, die sich insgesamt zu Kleinlandschaften aus Hügeln, Tälchen, Wasserfällen, Teichen und ebenen Flächen zusammenfügen, bedeckt von einer naturnahen Vegetation, die seit Anbeginn unter sakralen Schutz genommen wurde. Hier wachsen standortgerecht bis 40 m hohe immergrüne Eichen (Cyclobalanopsis) und Kampferbäume (Cinnamomum camphora), die ihre Äste über eine Schicht von Steineiben (Podocarpus nagi), Rapanaea neriifolia und anderen immergrünen Gehölzen breiten, unter denen Stauden und Kräuter in vielfältigem Grün wuchern. Die wechselvolle Komposition ist reich an Plätzen, die heitere Aussicht gewähren, reich aber auch an Winkeln, die zur Meditation einladen. Sie ist Ausdruck des von Buddhismus und Taoismus beeinflußten naturnahen Shintö. Die Anlage ist wesenhaft verschieden von der Waldlandschaft rings um den Ise Jingü. Der Großschrein soll 725 gegründet worden sein. Er dient vornehmlich der Verehrung des Kriegsgottes Hachiman, weshalb man auch vom „ Usa Hachiman Jingü" 26 Eine Übersicht über die kampeisha nach dem Stand von 1942 gibt Ponsonby-Fane in (51).
40
1. Kapitel: Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
spricht, was überdies erforderlich wurde, weil sich Hachiman-Schreine aller Größenordnungen bald über das ganze Reich verbreiteten. In Usa hat der Tennohof des 8. Jahrhunderts Orakel wie in Ise eingeholt (38). Der Standort Usa für den zunächst bedeutendsten Hachimangü hat einen politisch-geographisch besonderen Sinn. Das Japan des 7. und 8. Jahrhunderts hatte zwei Fronten. Die Kolonisationskämpfe mit den Ainu im Nordosten waren reine Unterwerfungsakte gegenüber kulturell unterlegene Primitive; sie konnten grundsätzlich keine Rückwirkungen auf den Bestand des Reiches haben. Die bedrohliche Wetterseite lag an der Korea-Straße, in Nordkyüshü. Wie an jeder internationalen Meeresstraße forderten auch die beiden Küsten zum Nehmen und Geben heraus, sowohl im friedlichen wie auch machtpolitischen Sinne. Schon aus diesem Grunde war es verständlich, wenn der Kriegsgott in der Nähe war. Über die Meeresstraße hinweg hat schon das Yamato-Reich seit frühen Jahrhunderten Flüchtlinge als Einwanderer aufgenommen; auf gleichem Wege ist festländisches Kulturgut über Kyüshü bis ins Gokinai geflossen. Aber das Yamato-Reich hat auch den verhängnisvollen Schritt zur Reichsausweitung über das Meer getan und hat im 4. Jh. an der mittleren Südküste Koreas ein Protektorat unter dem Namen Imna, japan. Mimana, errichtet, was in geschichtlicher Logik zur Verwicklung in politische Auseinandersetzungen auf der koreanischen Halbinsel führen mußte. Die Kämpfe zwischen den drei altkoreanischen Reichen Koguryö (Kokuri), Paekche (Kudara) und Silla (Shiragi), in die auch die Garnison des Protektorats verstrickt worden war, fanden 663 mit einem durch Chinas Hilfe erfochtenen Sieg des Königreiches Silla über die anderen Königreiche und darüber hinaus mit der Vernichtung des japanischen Protektorats und der japanischen Flotte ihr Ende.
Mit dem Rückzug vom Festland, den TENCHI TENNÖ (bis 671) zum Zwecke der Wiederherstellung friedlicher Beziehungen zu China hinnahm, setzte aber eine erhöhte Wachsamkeit an der Korea-Straße ein: Tsushima, die Insel Iki und die Küste von Nordkyüshü erhielten Befestigungswerke, und es war fast selbstverständlich, wenn man dem Kriegsgott, dem Wächter gegen Angreifer, einen bedeutenden Rang beimaß. Dem entsprach die Erhöhung des Usa-Schreins zum Hachimangü, d. h. zu einem Großschrein. Dies war um so gerechtfertigter, als man die Geschichte des Schreins in den Reichschroniken von 712 und 720 bis in die legendenhafte Zeit zurückverfolgen konnte. Hiernach soll die Kaiserin JINGÜ KÖGÖ das koreanische Königreich Silla kurz nach dem Jahre 200 unterworfen und dabei den Kriegsgott HACHIMAN ins nationale Bewußtsein gerückt haben: „Unter diesem Namen wird der durchaus friedliche Kaiser Ö J I N verehrt, dessen schon bevorstehende Geburt von seiner Mutter, der Kaiserin JINGÜ KÖGÖ, während ihres koreanischen Feldzuges drei Jahre lang künstlich hingehalten worden sein soll und der deshalb als der sie beseelende kriegerische Geist gelten konnte" (18, 52). Wahrscheinlich gaben die Unternehmungen gegen Korea, zu deren Lenkung Hachiman besonders geeignet erscheinen mußte, überhaupt den Anlaß, ihm zu Usa in Schutzlage zur Korea-Straße einen großen Schrein zu errichten. Welchen Wirklichkeitsgrad man den heute als Legende erkannten Vorgängen im 8. Jh. noch beimaß, geht aus der Tatsache hervor, daß man etwa zur gleichen Zeit, als man den Usa-Schrein zum Großschrein erhob, an der Küste von Fukuoka den KashiiSchrein erbaute, weil von dieser Stelle aus JINGÜ KÖGÖ der Legende nach zu ihrer Fahrt nach Korea aufbrach. Um auch dem Gemahl der Kaiserin die Ehre zu geben,
D. Landschaftliche
Funktion der
Religionen
41
ist er dem C H Ü O T E N N Ö gewidmet, der kurz vor dem Korea-Feldzug an diesem Orte starb. Der Usa-Hachimangü wurde so eingehend beleuchtet, weil er für die kulturlandschaftliche Entwicklung repräsentative Bedeutung hat. Verstieg sich doch der religiöse Erneuerer NICHIREN (1222—1282) im Zusammenhang seiner Lehre zu der Äußerung, alle Japaner seien in gewissem Sinne „Kinder Hachimans" (18, 108) und galt doch während der Tokugawazeit Hachiman als nationaler Schutzgott! Es ist verständlich, wenn man auch in nächster Nähe des Tennöhofes einen Hachiman-Großschrein haben wollte, um nicht den weiten Weg nach Usa gehen zu müssen (51, 78). Als Standort wählte man den 10 km südlich vom heutigen Kyoto gelegenen Otokoyama, die Endkuppe eines Höhenriegels, der die Kyoto- von der Osaka-Ebene scheidet, bis auf nur 1000 m Abstand gegen den Tennözan (270 m) 27 vorstößt und mit dieser paßartigen Enge die Flüsse Katsura, Uji und Kizu zur Vereinigung zwingt, woraus sich der Yodogawa, der Strom Osakas, ergibt. Diese Landmarke, von der aus man die beiden zentralsten Ebenen Altjapans überschaut, forderte zur Errichtung einer Kultstätte im Geiste des Ryöbu-Shintö geradezu heraus. Sie wurde 859 über der steilen Ostflanke des Hügels mit dem Hachimangü Iwashimizu besetzt und ist von buddhistischen Tempelchen umschwärmt. Das dem Tennöhaus verwandte Haus der Minamoto sah im Iwashimizu Hachimangü die Wohnstätte ihres Ahngottes (uji-gami). Die Minamoto haben beim Bau dieses Hachimangü in Zugzwang gegenüber der mächtigen Familie der Fujiwara gestanden, die schon 768 von sich aus ihrem Ahngott den prächtigen Kasuga-Schrein am Berghang des waldreichen Kasuga (460 m) im Osten von Nara errichtet hatten, einen Großschrein mit eigener, als KasugaStil bezeichneten Architektur, eine Schöpfung des Ryöbu-Shintö, zusätzlich betont dadurch, daß er in enger Verbindung mit dem buddhistischen Fujiwara-Haustempel (uji-dera) Köfukuji stand. Eine Sonderstellung von großer Fern- und Tiefenwirkung fällt dem Großschrein in Dazaifu zu. Seine Errichtung im Jahre 905 erfolgte in Verehrung des zu Unrecht nach Dazaifu verbannten und aus der Stellung des Großkanzlers zum stellvertretenden Statthalter Kyüshüs degradierten, 9 0 3 gestorbenen SUGAWARA M I C H I Z A N E . Man erfand vom Hofe aus zur posthumen Wiedergutmachung dieses Unrechts einen guten Grund: Da es zweckmäßig sei, bei der Zweiteilung der Staatsgeschäfte in einen zivilen und militärischen Zweig (bun und bu) neben dem Kriegsgott auch einen Beschützer der Zivilverwaltung, Wissenschaft und Künste zu haben, „teilte man diese Rolle dem Temman Tenjin, d. h. dem Geiste des Staatsmannes, Gelehrten und Dichters SUGAWARA M I C H I Z A N E , in dem neugegründeten Großschrein zu" (18, 111). Es war dies Ausdruck für ein bereits geschwächtes Kaiserhaus, ein Zugeständnis an öffentliche Meinung. Zusätzlich suchte man den Geist Sugawara Michizanes in Miyako (Kyoto) durch den Bau des Kitano Tenjin zu besänftigen. Seither sind im ganzen Lande ähnliche Schreine errichtet worden; wer vor einer Prüfung steht, versichert sich gern der Zuneigung und Hilfe des göttlich verehrten Weisen.
27 Ostrand des südlichen Tamba-Plateaus. Vgl. Bd. 1, S. 225. Der Otokoyama liegt 4 km südlich von der vergeblich in Bau genommenen Hauptstadt Nagaoka (vgl. S. 64).
42
1. Kapitel: Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
Ohne ausdrücklichen Bezug auf Kaiserhaus und Staat und dessen Verwaltungshierarchie ist der dem Buddhismus nahestehende Inari-Taisha (7). Er wurde zum Prototyp von Tausenden von Inari-Schreinen, die sich bis auf fernste Dörfer des Landes verteilen. Er wurde 711 gegründet, als sich, wie die Legende sagt, die Göttin der „ine", d. h. Reispflanze, auf dem später Inariyama genannten Hügel am Ostrand von Fushimi niederließ. Zu ihr gesellten sich zwei weitere Göttinnen, und gemeinsam sind sie für die 5 Körnerfrüchte und die Fruchtbarkeit verantwortlich. Die Farbe der Schreine und zahlreichen Torii, die in Fushimi einen ganzen Berghang besetzen, ist rot. Weiß hingegen sind die Reisähren tragenden Füchse, deren Skulpturen aus Holz oder Stein das Schreingelände bewachen. Der Fuchs gilt als Bote der Göttinnen; im Volksmund werden die Inari-Schreine deshalb oft auch als Fuchsschreine verstanden (29). Die Provinz-, Gemeinde- und Dorfschreine gehen über ihre lokale Bedeutung meist nicht hinaus. Dennoch haben einige so viele Funktionen an sich zu ziehen vermocht, daß auch sie in den Rang eines Kampei-sha aufstiegen. Das gilt für den Kagoshima-Jingü, den Ube-Schrein der alten Provinz Inaba (heute Tottori), den Kehi-Schrein von Tsuruga, der mit seinem über 10 m hohen Torii heute jedem von Kyoto nach Fukui Reisenden vom Zug aus sichtbar ist, und vom Ökunitama-Jinja in Fuchü, der Hauptstadt der alten Musashi-Provinz. Es handelt sich ausnahmslos um Ichi-no-miya, um Provinzhauptschreine (s. o.). Das Torii scheint im übrigen erst seit dem 8. Jh. zu den Merkmalen eines Schreins zu gehören. Im Jahre 746 wird es erstmals erwähnt; der Regierungserlaß von 771 legt fest, daß für kleine Schreine ein Torii, für größere zwei (ein inneres und ein äußeres) zu errichten seien, wobei auch Höhe und Breite der Bedeutung des Schreines zu entsprechen haben. Das Torii ist ein lichter Portikus, meist aus Holz, gelegentlich aus Stein oder Bronze, und besteht aus zwei Pfosten, die oben durch zwei waagerechte, seitlich überstehende Balken verbunden sind (vgl. Bild 6). Ursprünglich soll es sich um die Sitzstangen für die von größeren Schreinen gehaltenen Hühner (tori = Vogel, Huhn; iru = sitzen) gehandelt haben, von denen aus der Hahn den Aufgang der Sonne meldet. Torii werden als symbolisches Ornament in großer Anzahl auch hintereinander über den Weg gestellt (z. B. am InariSchrein in Fushimi). Mit religiösen Funktionen von kulturgeographischer Relevanz werden seit dem 7. Jh. viele Berge zunächst im Gokinai, dann aber auch bis nach Kyüshü und Dewa belegt (vgl. Bd. 1, S. 189 u. 198). Nach shintoistischem Kamiglauben kann ein Berg Wohnsitz eines Kami sein, er kann aber auch von seinem Gipfel aus den Bergsteiger das Eins-sein mit der Gottheit zum Erlebnis werden lassen. Auf diesen Shintö-Vorstellungen vermochte der vom Buddhismus mitgebrachte asketischexorzistische Taoismus die Glaubensform des Shugendd zu entwickeln, den Weg (dd), sich durch die Übung (shu) magisch-religiöser Riten in den Bergen übernatürliche Kräfte zu erwerben und Wunderwirkungen (gen) zu manifestieren (55). Als Sitz von Gottheiten wurden bestimmte Berge zu Pilgerzielen und Stätten religiöser Übungen. Es entwickelte sich ein sehr aktiver Berg-Buddhismus neben altem Berg-Shintöismus und in diesem Beeinander war das Shugendd sichtbarster Ryöbu-Shintö. Die Anhänger des Shugendd heißen Yamabushi. Unter den Vulkanen wurden die aktivsten oder auch höchsten zu sakralen Objekten, von den übrigen Bergen standen jene unter Verehrung, die den Wasserscheiden als Krö-
43
Bild 6 Itsukushirria, auch Miyajima genannt, unfern Hiroshima. stark besucht. Aufn. Jap. Fotograf in Hiroshima
Shintö-Großschrein,
von
Fischern
nung aufgesetzt erscheinen und damit zum Sitz der wasserverteilenden Gottheiten (mikumari no kami) wurden. Zur ersten Gruppe gehören Asösan (35), Fujisan, Kirishimayama 28 , Hikosan 29 , Daisen 30 , Hakusan, Ontake, Gassan 31 , zur zweiten die zahlreichen mit dem Namen Dainichi versehenen Berge, dann aber besonders die Wasserscheidenberge auf der Kii-Halbinsel und auf Shikoku 32 . Sie alle wurden zu zentralen Orten religiös-asketischer Übung und blieben damit ausgespart vom alltäglichen Leben. Im 20. Jh. erscheinen sie ausnahmslos in der Liste der Naturparks als Erholungslandschaften für die Industriegesellschaft. Im übrigen hatte der Berg-Buddhismus durch den Bau der Großtempel auf dem Köyasan und Hieizan (Enryakuji) wie auch durch die Errichtung des Hachimangü auf dem Otokoyama die Bestätigung dafür gefunden, daß er auf dem richtigen Wege war. 28 Aktiv ist noch heute der Takachiho; die Legende berichtet, daß auf ihn der Enkel der Sonnengöttin herabstieg. 29 Eines der ältesten Shintö-Zentren von Kyüshü ist der Hikosan-Schrein in 1200 m Höhe, der auch zu einem Mittelpunkt des Shugendö wurde. 30 Der am oberen NW-Hang gelegene Daisenji, 718 gegründet, war lange Zeit mit seinen Klöstern und Nebentempeln religiöses Zentrum. 31 Der Gipfel des Berges (1980 m), seine parasitären Staukuppen Yudonosan (1504 m) undHagurosan (419 m) sind als die „Dewa Sanzan" Pilgerziel für Shintoisten und Buddhisten. 32 Die Berglandschaft von Yoshino bis zur Küste von Awase und Kumano, ferner die Vulkanruine des Ishizuchiyama (1981 m), des höchsten Punktes der Hauptwasserscheide von Shikoku.
44
1. Kapitel: Mensch und Landschaft
vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
E. Die kulturgeographischen Auswirkungen des agrarsozialen und agrarwirtschaftlichen Geschehens I. Die Übernahme des chinesischen Handensystems und die Jöri-Feldeinteilung Mit der Taika-Reform und der Kodifizierung des Beamtenstaates im Yöröryö war alles Land zu Eigentum des Tennö erklärt worden. Die Zentralgewalt vermochte die Neuregelung für die Verteilung der landwirtschaftlichen Nutzflächen durchzusetzen, die erforderlich war, um die überlieferten sozialen Mißstände zu beseitigen. Als sozial gerecht betrachtete man das im China der Tang-Zeit angewendete Handen-System, das im Reisfeldverteilungsgesetz (handen-shüjuhd) auf japanische Verhältnisse zugeschnitten wurde. Hiernach wurde das Land grundsätzlich als Kubunden vergeben, d. h. nach Mund- oder Kopfanteilen. Jede männliche Person von mehr als 6 Jahren erhielt 2 tan Ackerland (vornehmlich Reisfeld), jede weibliche gleichen Alters Zweidrittel davon, wobei sich 1 tan auf rd. 1200 m 2 berechnete. Wenn der Haushalt erlosch, fiel der erhaltene Anteil an den Staat zurück. Besonders verliehen wird auch ein Stück Gartenland (en-chi) (9), das nach dem Ryö-no-gige als Eigentum der Haushalte galt und daher auch verkauft oder verpachtet werden konnte. Zur Durchführung der Neuregelung bedurfte er der Landvermessung und Landaufteilung. Man bediente sich dabei des Jöri-Systems, das über das Gelände ein Gitternetz von Quadraten legte, die aus den Achsen Ost-West und Nord-Süd gebildet wurden. Die nord-südlich verlaufenden Quadratseiten bezeichneten das jö, die ost-westlichen das ri. Diese Landaufteilung ist bis heute in vielen Landschaften erhalten (Abb. 5 ) . Y. TAKEKOSHI, JIRO YONEKURA, T . SEKINO, I . WATANUKI, M. FUKAYA und ganz besonders TAKEO TANIOKA haben die überlieferte Jöri-Landschaft kartographisch aufgenommen und für Gebiete, in denen sie nur noch in Resten feststellbar ist, rekonstruiert (77; 72; 68; 69; Abb. 5). Die hier gegebene Beschreibung dessen, was das Jöri-System darstellt, folgt diesen verdienstvollen Untersuchungen. Vorweggenommen sei das von TANIOKA zusammengefaßte Ergebnis: Das Jöri-System ist nicht nur während der drei Jahrhunderte nach der Taika-Reform geübt worden, und nicht nur dort, wo das Land dem kaiserlichen Yamato-Hof gehörte; der Einfluß des Jöri auf die japanische Agrarlandschaft ist von fundamentaler Bedeutung, und die meisten Regionen Japans sind ihm unterlegen gewesen. Ohne Übertreibung läßt sich sagen, daß die Jöri-Aufteilung noch heute für viele Teile der japanischen Agrarlandschaft charakteristisch ist. Im 25. Buch des Nihongi heißt es bei der Verkündigung der Reform-Edikte in Punkt 3: „Zum ersten Male mache ich Gesetze mit Bezug auf Hausregister, Rechnungslisten, Einteilung der Reisfelder und Rücknahme und Neuverleihung." Die Ausführungen beginnen mit der Feststellung: 50 Häuser machen ein sato aus; in jedem sato wird ein osa (Dorfältester) eingesetzt; diesem obliegt die Aufsicht über den Ackerbau und die Maulbeerkulturen. Das Gitternetz bestand aus Parallelen im Abstand von 1 ri. Das japanische ri zählte, als es von China übernommen wurde, 655 m und setzte sich aus 6 chö von je 109,09 m zusammen 33 . Die Parallelen zur möglichst von Nord nach Süd laufenden 33 Das heutige ri hat eine Länge von 36 chö = 3927 m.
E. Landschaftliche
Auswirkungen
der
45
Agrarwirtschaft
ZÄHLWEISE DER jô UND ri
4
3
sato
sato
1
2
1
2
3
4
t sato 6chô = 655m •
sato
1 2
N L
x)
x)
3
jô
4 '' x) sanjô-niri
x) s a n j ô - n i r i
UNTERTEILUNG EINES sato IN 36 tsubo 31 25 19 13
7
1
1
12 13 24 25 36
32 26
20 14
B
2
2
11 14 23 26 35
33 27
21 15
9
3
3
10 15 22 27 34
34 28 22 16 10
4
4
9
5
8
17 20 29 32
6
7
18 19 30 31
35 29 23 17 11
5
36 30 24 18 12
6
[ 1 chô = 109m
uu
16 21 28 33
1 chô
11 chô = 109m
1 chô
AUFTEILUNG EINES tsubo IN 10tan Ein tsubo aufgeteilt nach dem System nagachi 1 tan
Ein tsubo aufgeteilt nach dem System haori ) 6bu = 10,9m
1 ch = 60 bu = 109m Abb. 5
Schematische
Darstellung
1tan
30bu = 54,5m der
1 tan
[12bu = 21,8m
30bu = 54,5m
Jöri-Feldeinteilung
Ordinatenachse waren die n-Linien, die Parallelen der Abszissenachse die jöLinien. Die /o-Linien wurden in jedem Falle von Nord nach Süd gezählt, die riLinien von Ost nach West oder umgekehrt. Das im Edikt genannte sato ist ein von jö- und W-Linien umschlossenes Quadrat-ri, d. h. ein Flächenquadrat von rd.
46
1. Kapitel: Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
655 m Seitenlänge = rd. 43 ha. Es ist mit Hilfe der Gitterlinien eindeutig bestimmbar. Das auf Abb. 11 herausgehobene Dorf sanjö-niri (3 jö—2 ri) ist, von Nord nach Süd gezählt, das dritte, von Ost nach West gezählt, das zweite sato. Da ein sato die Seitenlänge von 6 chö hat, läßt es sich in 36 kleinere Quadrate von je 1 chö Seitenlänge gliedern; es sind 36 tsubo. Jedes tsubo ist eine Fläche von 1,2 ha. Für die Zählung dieser tsubo gab es verschiedene Bräuche. Entweder zählte man sie in der parallelen Anordnung von Nord nach Süd oder man zählte derart, daß man die tsubo an einer fortlaufenden Linie aufreihte, also für die Nummern 1—6 von Nord nach Süd ging, für 7 - 1 2 von Süd nach Nord zurückkehrte, und man in diesem Hin und Zurück schließlich 36 erreichte. Das tsubo ist, wie auch heute noch, in 10 tan geteilt. Dabei ergeben sich 10 in ostwestlicher Richtung liegende Streifen von 60 bu Länge und 6 bu Breite, d. h. Streifen von rd. 109 mal 10,9 m. Diese Form der Unterteilung wird nagachi genannt. Daneben war auch die Unterteilung haori üblich. Sie zerschneidet den tsubo in 10 tan von 30 mal 12 bu, d. h. in Stücke von rd. 54,5 mal 21,8 m. Es entsteht dadurch ein von Nord nach Süd laufender Mittelweg, zu dessen Seiten je 5 tan liegen. In beiden Fällen ergibt sich für 1 tan eine Fläche von 1190 m 2 ; das ist etwas mehr als 0,1 ha. Die Unterteilung der tsubo (cho) in tan und bu belebte die quadratische Großteilung der Landschaft in sato durch breitere und schmalere Rechtecke. Gemäß Edikt betrugen die Mundanteile (kubun-den) für den Bauern 2 tan (2380 m 2 ), für die Bäuerin Zweidrittel von 2 tan (1590 m2), zusammen 3970 m2 oder 0,4 ha. Diese Wirtschaftsfläche erweiterte sich um die Anteile der Mithelfenden; so entfielen auf einen „nu" (Leibeigner) ein Drittel von 2 tan (790 m2), auf eine „hi" (Leibeigene) zwei Neuntel (530 m2), so daß sich für kinderlose Bauersleute mit nuhi eine Wirtschaftsfläche von 0,53 ha ergab, die bei wachsender Kinderzahl bis auf 0,8 ha erweitert werden konnte. Gerade mit Rücksicht auf den Wechsel des Familien- und Hausstandes sollte die Landverteilung jeweils nach Ablauf von 6 Jahren überholt werden. Dabei veränderten sich meist die Verhältnisse ein wenig zugunsten der Bauern. Für die Größen der Wirtschaftsflächen ist mit der JonAufteilung für alle künftigen Zeiten gleichsam das Maß gesetzt worden. Noch 1935 wurden 0,5 ha und weniger von 34% der Bauern bewirtschaftet; im Jahre 1965 waren es sogar 39%, davon allerdings ein bereits großer Teil mit Nebenverdienst.
Die planmäßige Aufteilung der Nutzfläche bestimmte auch die für das Landschaftsbild charakteristische Linienführung von Bewässerungs- und Entwässerungsgräben, von Deichen und Dammbauten, Wegen und Straßen. Selbstverständlich griff das System auch auf die Verteilung der Wohnstätten über. Im Edikt stand ausdrücklich, die Häuser sollten den Reisfeldern nahe liegen. Es mußten deshalb Flächen ausgespart bleiben für Hofstätten, Gartenland, Kultbauten und Vorratshäuser. Nach Möglichkeit wurden je 5 Haushalte zum Zwecke des gegenseitigen Beistandes zu einer Gruppe zusammengebracht (Goho oder Fünferschaft mit gegenseitiger Beistands- und Überwachungspflicht). Keinem Besucher des Nara-Beckens kann es entgehen, daß die Straßen und Wege noch heute vorherrschend im Sinne des überlieferten Jöri-Systems verlaufen. Hier wurde von Nord nach Süd der große Mittelweg, Shimotsu Michi gelegt, auch Naka Gaidö genannt, der noch heute in Kashihara-shi die Yoko Öji, die „Große Querstraße", kreuzt.
Was für die Nara-Ebene insgesamt noch charakteristisch ist, läßt sich in anderen Gegenden Japans iq verschiedenen Gradstufen der Deutlichkeit wiederfinden. Die von T A K E O T A N I O K A entworfene Karte der Verbreitung des Jöri-Systems ist ein Beleg für das, was im Abschnitt über das Staatsgebiet gesagt wurde: Ganz eindeutig heben sich die Kinai-Provinzen Yamato, Yamashiro, Kawachi, Izumi und Settsu als Kernräume des Reiches heraus, in denen die kulturlandschaftlichen Veränderungen am intensivsten herbeigeführt wurden. In den „Fernen Provinzen" des südlichen Kyüshü scheint der Zugriff durch die Reichszentrale noch schwach ge-
E. Landschaftliche Auswirkungen
der
Agrarwirtschaft
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wesen zu sein, und Nordost-Honshü war noch erfüllt vom Kampf gegen die Ainu. Die mittelfernen Provinzen nehmen eine Zwischenstellung ein. Zwei Kräfte bewirkten sehr bald eine zunehmende Auswaschung und schließlich die Auslöschung des mit Idealismus in Bewegung gesetzten Handensystems: Zum ersten die Ansehens- oder auch Machtgelüste der viel zu schonend behandelten und entgegen der Konzeption des Beamtenstaates mit viel zu großen Privilegien ausgestatteten Aristokratie und Kurie, zum zweiten die Trägheit einer den Anforderungen des Handensystems nicht gewachsenen Beamtenschaft. Von Anfang an hatte der Staat bei der Verstaatlichung des Landes weitgehende Zugeständnisse an Adel und Kurie machen müssen, um sich deren Wohlverhalten zu versichern. Latifundien oder shòen in Besitz einzelner waren also dem Beamtenstaat als Hypothek mitgegeben, die allmählich zu beseitigen eine Aufgabe gewesen wäre. Man tat nichts in dieser Richtung. Statt dessen bemühten sich die Besitzer von shöen sogar mit Erfolg um die Befreiung von Abgaben und schließlich um die Lösung jeder Abhängigkeit von der Distrikt- und Provinzverwaltung. Man fand auch Wege, selbst die Arbeitskräfte auf den shòen von staatlichen Verpflichtungen zu entbinden, und so bildeten sich selbständige Zellen wie kleine Staaten im Staate heraus. Schon im 8. Jh. wurde solche Entwicklung von der immer schwächer werdenden Regierung durch ein System von Beleihungen geradezu gefördert. Landbeleihungen erfolgten nicht nur in Form der Bestätigung von Privatbesitz, der nach der Taika-Reform im Jahre 701 aus irgendwelchen Gründen anerkannt worden war, sondern vor allem in Form von Verdienst- und Funktionsfeldern (9,35; 47b, 762). Als solche gab es: a) Tempel-Reisfelder (ji-den) und Schrein-Reisfelder (shin-den), die vom Staat den Groß-Kultstätten für immer verliehen worden waren und zu steuerfreien shöen wurden; der Ise-Jingü verfügte im Jahre 780 über 1023 landwirtschaftliche Schreinhaushalte (kambe), der Usa Hachiman-gü etwa über 1400 (47b, 845). b) Köden oder Verdienstfelder, deren Fläche je nach Meriten verschieden war; c) ¡den oder Rangfelder — bis zu 80 ha — für die Beamten vom 5. Rang an aufwärts; d) Shiden oder Ehrengeschenkfelder für einmalige Leistungen von besonderer Bedeutung; e) Shikibunden oder Dienstreisfelder für die Distriktbeamten; in Izumo waren es z. B. etwa 80 ha, die unter die Beamten verteilt wurden 34 . f) Ekiden oder Poststation-Reisfelder, die den Haushalten gewährt wurden, die eine Poststation an einer Reichsstraße verwalteteten; g) Konden oder Felder, die privat urbar gemacht worden waren (vgl. den Beschluß des Großen Staatsrats von 723).
Brachte schon die Durchsetzung des Reichsgebiets mit Shóen verschiedenster Größe und Rechtsgeltung Unordnung in das Handensystem, so erwies sich die in diesem System begründete permanente Überprüfung und gegebenenfalls Neuverteilung der Parzellen als eine wirklichkeitsfremde Überforderung der Beamten. Das Wamyö-ruijusho gibt für das Jahr 810 insgesamt 862796 chò Nutzland an; das sind nach heutigem Maß etwa 700000 ha. Unklar bleibt, ob es sich dabei nur um Reisland handelt oder die Trockenfelder einbezogen sind. Diese Fläche alle 6 34 Der als Kuni-no-Miyatsuko im Amt des Distrikt-Gouverneurs verbliebene Hohe Priester der Izumono-Omi-Familie war infolge der Einkünfte aus den Shikibunden und Shinden der reichste und mächtigste Mann der Provinz (24, 18). Ähnlich fielen Shöen-Besitz, Priester- und Beamtenwürde in der Aso-Familie (Kyüshü) zusammen (35).
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1. Kapitel: Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
Jahre, wie im Gesetz vorgesehen, auf ihren Katasterstand zu überprüfen, mußte die Beamten zur Resignation zwingen. Tatsächlich ist im 8. Jh. nur siebenmal eine Neuverteilung vorgenommen worden, und bald verlängerte man auch offiziell den Abstand zwischen zwei Überprüfungen auf 12 Jahre (47b, 767). Im übrigen war man auch einverstanden, wenn die Relation zwischen Kubunden und Haushaltsangehörigen innerhalb der Verwandtschaft geregelt wurden. Die heimliche Abwanderung junger Arbeitskräfte nach der steuerfreien Hauptstadt oder nach den Shöen des Adels und nach den Kultstätten-Shöen war bedeutend, weil man allein schon dadurch die wirtschaftlichen Verhältnisse im Elternhaushalt verbessern konnte. Die soziale Notlage der Bauern spricht auch aus dem Verbot, Land an buddhistische Tempel zu verkaufen (795) und umgekehrt aus den Warnungen an die Tempel, Reisfelder und Gartenstellen aufzukaufen (746). Im Jahre 772 wird berichtet, daß Bauern aus Shimotsuke (heutiges Tochigi) nach dem steuerfreien Mutsu hinwegliefen (53, 210). Die Ausbreitung des Shöen-Besitzes und der Zerfall des Handensystems verliefen nicht nur parallel, sondern förderten sich auch gegenseitig, und dies schwächte den Staat durch Entzug von Steuereinnahmen wie eine schleichende Krankheit, brachte ihn im 9. Jh. in Ansehensverlust und im 10. Jh. in seinem Charakter als zentralistisch aufgebauten Beamtenstaat zum Zusammenbruch. Der verlorene Wettlauf zwischen Landeserschließung und Nahrungsbeschaffung, der die freien Bauern immer durchgreifender in Abhängigkeit der Feudalherren brachte, ist die kulturgeographisch bedeutsame Begleiterscheinung. II. Die Feldfrüchte und die Viehhaltung Im Ryö-no-Gige vom Jahre 834, dem amtlichen Kommentar zum Yörö-Kodex von 718, sind Anordnungen über die Feld- und Viehwirtschaft, über Bewässerungsmaßnahmen, Steuern und Fronden enthalten, die zusammen mit den übrigen Quellenwerken eine ungefähre Vorstellung von der agrarischen Nutzung des Landes zu vermitteln vermögen. 1. Die Feldfrüchte Die Hauptfeldfrucht ist wie in der Vergangenheit der Reis. Er dient nicht nur der Ernährung, sondern auch als Grundlage der Steuerbemessung. Er wird nach „tsuka" berechnet; das sind 3,6 1 die man in 10 „taba" unterteilt35. Reisanbau ist in Japan vornehmlich Naßfeldbau, weshalb den Bewässerungsfragen hohe Bedeutung zufällt. Reis gehört zu den „5 Körnerfrüchten", deren Anbau zu betreiben von der Regierung in wiederholten Erlassen gefordert wird. Außer Reis gehören hierzu Hirse, Weizen, Gerste und Bohne. Die Reiserträge dürfen mit 50 tsuka je tan angenommen werden, das sind 18000 kg je tsubo oder 1500 kg je ha (= 15 dz). Diese geringen Erträge — verglichen mit 1970 sind es 32% — machen deutlich, welche Last die Steuerabgaben darstellten und welche Bedeutung auch den staatlichen Reisspeichern zur Überbrückung von Notlagen zukam. Allein schon um die Miß35 Eine Übersicht über das Maßsystem der Nara-Zeit und eine mögliche Gleichsetzung mit heutigen Maßen gibt H. A. DETTMER in (9).
E. Landschaftliche Auswirkungen der Agrarwirtschaft
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ernten in regenarmen Jahren auszugleichen, wird der Anbau auch der übrigen Körnerfrüchte angeordnet. Im Jahre 839 ergeht ein Befehl der Kinai-Verwaltungen, auch Buchweizen anzubauen (53, 247). Größere Anbauflächen nehmen nunmehr auch die Maulbeersträucher und die Anpflanzungen von Lackbäumen ein (Lack-Sumach, Rhus verniciflua). Das Pflanzen von Maulbeersträuchern wird im Jahre 693 für alle Provinzen angeordnet, nachdem die Seidenraupenzucht und die Herstellung von Seidenstoffen von den Hata wohl in genügendem Maße erlernt worden war. Anweisungen für die Vermehrung der Anbauflächen wiederholen sich bis ins 9. Jh. hinein. Es wird zusätzlich darauf hingewiesen, daß auch im Gartenland Sträucher angepflanzt werden sollten, soweit dies dafür geeignet ist. Das gilt auch für die Lackbäume. NACHOD ermittelte aus dem Nihon Isshi (47 b, 989), daß 817 eine bestimmte Anzahl von Bäumen für 2 Köri der Provinz Ise vorgeschrieben wurden (was von ShintöPriestern zu überwachen war): 136533 Maulbeer- und 10773 Lackbäume für den Distrikt Taki, 58450 Maulbeer- und 13040 Lackbäume für den Distrikt Watarai (die heutigen Gun Taki und Watarai grenzen an das Stadtgebiet Ise). Eine Besonderheit von allerdings noch geringer Bedeutung war der Anbau von Tee. Die ersten Teekulturen soll GYÖKI angelegt haben. Belegt ist, daß DENGYÖ DAISHI, der Stifter der Tendaisekte auf dem Hieizan, im Jahre 801 Teesamen aus China mitbrachte und eine Pflanzung am unteren Hang gegen den Biwasee, etwa bei Sakamoto anlegte. Im Jahre 815 erging eine ausdrückliche Anweisung an die Kinai-Provinzen und die ihnen anliegenden Gebiete von Ömi, Tamba und Harima, den aus China eingeführten Strauch nicht nur anzupflanzen, sondern dessen zubereitete Blätter jährlich auch beim Hof abzuliefern (20, 237). Noch ganz im Anfang stand die Baumwollkultur. A n der Küste der Provinz Mikawa (heute: Aichi-Ken) war ein Mann aus Hinterindien gestrandet, der Baumwollsamen bei sich hatte. Man verteilte den Samen auf die 6 Nankaidö-Provinzen (Kii, Awaji, Awa, Sanuki, Iyo, Tosa) und das Generalgouvernement Dazaifu, wobei man ausführliche Kulturanweisungen mitgab (54, 410 u. 426). Die auf Trocken- und Naßfeldern eingebrachten Erträge schwankten in ihren Mengen mit den Unregelmäßigkeiten des jährlichen Wetterablaufs. Gegen Klimaschwankungen (vgl. Bd. 1, S. 331ff.), insbesondere gegen Dürre, war man völlig ungeschützt. Deshalb begann man im 7. Jh. die vereinzelt schon früher betriebene Errichtung von Vorratsspeichern zu verstärken. Von den Erträgen jedes Erntejahres wurden die Steueranteile als Vorräte in besonderen Magazinen aufbewahrt. Von Bedeutung waren die kaiserlichen Vorratskammern, wie sie sich in den Provinzen Yamato, Kawachi und Settsu befanden (39, 112). Daß die Vorratswirtschaft bald über das ganze Land verbreitet war, erhellt aus der Anordnung vom Jahre 791: „ D i e Getreidespeicher in sämtlichen Provinzen dürfen nicht aneinander anschließen. Wenn ein Speicher in Brand gerät, brennt bei nebeneinanderliegenden Gebäuden alles nieder" (54, 275). Zur Sicherung der Reisernte legt man in zunehmendem Maße Bewässerungsteiche an. Wahrscheinlich gehen sie auf eine koreanische Anregung zurück. Die ersten Anlagen sind wohl die aus der Zeit von NINTOKU TENNÖ ( 3 1 3 - 3 9 9 ) . Die neueren Teiche wurden dem Jöri-System eingefügt. Sie haben rechteckige Form und sind wechselnd groß, 5—5000 tan. Viele der 6000 Bewässerungsteiche in der heutigen Nara-Ebene stammen aus der Nara-Zeit. In anderen Landschaften hat man schon versucht,
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auch Wasserklemmen mit Hilfe gestauten Wassers zu überwinden. Für das Jahr 665 wird im Nihongi vom Bau eines größeren Staudamms in Tsukushi (Kyüshü) gesprochen. Im Staudammregister der Welt (74) werden für das 8. Jh. zwei Dammbauten mit Kronenlängen von 60 bzw. 155 m aufgeführt. Ein Kommissar, der das Amt für Wasserbauten (zöchishi) leitete, wurde 764 eingesetzt. Er machte sich um den Deichbau in der Provinz Ömi verdient. Eine Flußregulierung im Distrikt Sumiyoshi (Settsu), an der 230000 Arbeitskräfte tätig waren, erweiterte die Nutzfläche nördlich der Yamatogawa-Mündung bis zum Meere. Im Jahre 829 erging die Anordnung, Wasserräder zur Erleichterung der Feldbewässerung einzubauen. Eine große Aufgabe wurde dem Amt für Wasserbau auferlegt, als es die Urbarmachung der freigegebenen Waldbodenfläche von fast 1 Mio. ha zu überwachen galt (Erlaß von 743). 2. Die Viehhaltung Japan ist Waldland. Trotz der bis zu 3000 m aufsteigenden Gebirge mangelt es selbst in den Höhenstufen an natürlichen Wiesen und an Weideland. Keine Region konnte einem kontinentalen Reitervolk weniger zugeordnet sein als der zerstückelte, waldüberzogene japanische Archipel (vgl. Bd. 1). a) Das Pferd ist unter solchen Bedingungen landschaftsfremd; dennoch stand es, vom Festland eingeführt, seit frühen Jahrhunderten in seinen Dienstleistungen allen anderen Nutztieren bis ins 20. Jh. hinein voran. Zur Staatsverwaltung gehörte schon im 8. Jh. ein Pferdeamt (meryö, auch ma no ryö). Alljährlich wurde, wie im Jahre 811 berichtet (53, 234), ein kaiserliches Pferdefest mit Schimmelparaden veranstaltet, dessen Sinngebung chinesische Herkunft verriet; denn es diente der Huldigung der beiden Wesensprinzipien der Welt, dem yang und dem yin (onyö). Das Pferd symbolisiert das „yang", japan. „yd", das Prinzip der Männlichkeit und des Lichts; „yin" ist das Prinzip des Weiblichen und des Dunklen. Der gute Ablauf des Festes verhieß dem Lande Glück. Das weiße Pferd mit leicht bläulich-grünlichem Schimmer symbolisierte das „yang" am eindrucksvollsten; noch im 20. Jh. zeigte sich der Tenno bei Paraden auf einem Schimmel solchen Typs. Eine Angabe über den im 8. oder 9. Jh. vorhandenen Pferdebestand liegt nicht vor. Zieht man in Betracht, daß das Pferd als Reit- und Lasttier verwendet wurde und daß es das einzige Verkehrsmittel zwischen Zentralregierung und den Provinzen darstellte, so muß der Bedarf an Pferden allein schon für die Verwaltung groß gewesen sein, besonders hoch aber für den Nachrichtendienst im Kampf gegen die Ainu und für die Befehlsgebung innerhalb des Heeres. Im Jahre 721 erging ein Erlaß (53, 178), der anordnet, ein Registerbuch über die Pferde zu führen und die den Würdenträgern und Beamten zukommende Zahl von Dienstpferden aus Sparsamkeitsgründen zu beschränken" (47b, 991). Es werden u. a. darin festgelegt: Für Minister und Prinzen nicht mehr als 20 Pferde, andere Angehörige des Kaiserhauses und Beamte vom 3. Rang und darüber: Nicht über 12 Pferde. Die Anzahl fällt bis auf 3 Pferde für ranglose Untertanen. „Den Provinzialbehörden werden für die Reise von und nach der Hauptstadt bewilligt: 6 Pferde für Gouverneure vom 4. Rang 5 Pferde für Gouverneure vom 5. Rang 4 Pferde für Gouverneure vom 6. Rang und darunter 3 Pferde für Vizegouverneure und Verwalter 2 Pferde für Sekretäre und darunter."
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Auswirkungen
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Es erhebt sich die Frage nach der Unterbringung und Futterbeschaffung für diese Tiere. Sorge trugen hierfür die bokkan der Provinzen, Viehwirtschaftszentralen, denen die Aufzucht von Jungvieh oblag und die über Weideland verfügten. Wahrscheinlich wurde Laubwald zur Weide benutzt. Ein Erlaß zur Gründung solcher Viehhaltungszentralen war im Jahre 700 an alle Provinzen ergangen (53, 164). Schon 666 waren bei der Verlegung der Residenz von Asuka (Yamato) nach Ötsu am Biwasee (Ömi) die Anlage eines militärischen Übungsplatzes und die Freigabe von Weideland für die Pferde angeordnet worden (53, 152). Die Weideplätze scheinen jeweils in leicht erreichbarer Nähe der Verwaltungen gelegen zu haben; von Weidegebieten in größerer Entfernung oder gar in Gebirgen wird nicht berichtet. Nur aus der Gemenglage mit der übrigen Wirtschaftsfläche ist die 860 ergangene Anordnung für Ösumi verständlich, das Viehhaltungszentrum abzuschaffen, weil es die Landwirtschaft schädige (53, 257). Die Weide Hi 36 im Bezirk Uda (Yamato) wurde 799 aufgegeben, weil sie an die Wohnstätten angrenzte und den Feldern wie den Gärten schadete (54, 410). Von der Größe der Weideflächen erhält man eine Vorstellung durch die im Jahre 804 erfolgte Beleihung einer Prinzessin (54, 460) mit einem bislang ungenutzten, aber zur Weide geeigneten Feldstück von 300 chö (umgerechnet aus derzeitigen Flächenmaßen heute etwa 240 ha). b) Rinder werden als Last- und Zugtiere benutzt. Ihre Zahl war geringer als die der Pferde. Sie wurden sowohl in den Viehhaltungszentralen (bokkan) als auch von einzelnen Bauern gehalten. Am intensivsten war die Rindviehhaltung im Kinai. Hier rechnete man auf 2 cho 2 Rinder (47 b, 764). Im Jahre 713 erschien erstmals auch ein Erlaß zur Haltung von Milchkühen: In Yamashiro waren 50 MilchkuhHaushalte einzurichten (53, 173). Verbunden war hiermit der im Reichszentrum angestellte Versuch, Reis mit Milch zu kochen. Da man die Bevölkerung nicht dafür gewinnen konnte, fiel die Verwendung der Milch bald wieder zurück. Das buddhistische Verbot, Fleich von Rindvieh, Pferden und Geflügel zu essen, legte der Viehwirtschaft Fesseln an. Das Verbot war schon 675 durch einen kaiserlichen Erlaß verkündet worden; es wurde von Zeit zu Zeit in Erinnerung gebracht, wie in den Jahren 741 und 770. Um allen Versuchungen vorzubeugen, wurde auch verboten, Rinderhäute zu Sätteln und Pfeilköchern zu verarbeiten; das nützliche Lasttier dürfe nicht des Leders wegen leichtfertig getötet werden (47b, 991). c) Andere Haustiere werden in den überlieferten Quellen nur selten erwähnt. J . W. HALL stellt die Frage „Why was so little attention given to animal husbandry" (19, 41)? Seine Antworten stimmen etwa mit dem überein, was soeben zur Pferde- und Rinderhaltung gesagt wurde, bedürfen aber einer entscheidenden Ergänzung. Am billigsten und bequemsten erhielt man die Fleischnahrung aus dem Meer. Wenn auch die Provinzstädte inmitten der Reisebenen angelegt wurden, so hielten sie doch durch ihre Lage an einem Fluß Kontakt mit dem Meer. Im Provinzhafen an der Flußmündung verlud man nicht nur einen Teil der abzuliefernden Sachsteuern; man landete hier auch an, was das Meer an Nahrungsmitteln bietet: Fische, Muscheln, Krebse, eßbaren Seetang (nori) und Salz aus Salzgärten verschiedenen Leistungsvermögens. Die Haltung von Schweinen, Schafen, Ziegen, 36 Heute liegt hier die Kleinstadt Haibara im Tal des Udagawa. Der zweite Teil des Ortsnamens erinnert noch an die Weidefunktion.
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soweit sie von festländischen Einwanderern (kikajin) eingeführt worden waren, verursachte Mühen ungewohnter Art und fand allein schon wegen des buddhistischen Verbots, das Fleisch dieser Tiere zu essen, keine nennenswerte Verbreitung. Am ehesten gehörten Hühner der Eier wegen zum bäuerlichen Betrieb. Auf eine weite Verbreitung des Federviehs weist auch die Hühnerhaltung der Shintöschreine hin (vgl. Torii, S. 42). Letztlich muß als „Haustier" die damals schon weit verbreitete Seidenraupe (Bombyx mori) genannt werden (vgl. Bd. 1, S. 440). III. Die Funktion des Waldes Die im 8. Jh. eingeleitete Rodungsaktion war der Anlaß, durch staatliche Waldund Wasserämter die Vorgänge in der Landschaft unter Kontrolle zu nehmen. Wiederholt wurden Verbote gegen das unerlaubte Holzfällen erlassen. Besondere Sorge galt auch den Landstücken, die gerodet, dann aber aufgegeben und als Brachland liegen geblieben waren. Umsicht mußte walten bei der Vergabe von Weideland (s. o.). Man mag schon damals empfunden haben, daß dem Eingriff des Menschen in den Naturhaushalt Grenzen gesetzt sind. Die Einführung des Reisanbaus in der Yayoi-Zeit hatte die erste landschaftsverändernde Phase auf dem Archipel eingeleitet. Bis zum 7. Jh. wurde die natürliche potentielle Vegetation Zug um Zug durch Reisfelder aus den flachen Ebenen und Beckenlandschaften verdrängt. Die Sitte, Verstorbene auf Höhen zu begraben, hatte auch an Berghängen und auf Hügelkuppen den Vegetationsbestand hier und da verändert. Die Rodungsaktion des 8. Jahrhunderts leitete die zweite Phase großmaßstäblicher Vegetationsveränderung ein und lief parallel mit der umfassenden Entwicklung, die seit der Taika-Reform durch Übernahme chinesischer Kultur und durch Auseinandersetzung mit dieser vom Staat inganggesetzt worden war. Bei der Urbarmachung des freigegebenen Waldlandes wird ohne Zweifel mitgeschwungen haben, was auf dem Köyasan und Hieizan zu kulturlandschaftlichen Prägungen gültigen Charakters geführt hatte; der Bergbuddhismus hatte sich als durchaus waldfreundlich erwiesen, hatte aber für eine Lichtung und vor allem für eine Veränderung in der Zusammensetzung des Baumbestandes gesorgt. Die im Kojiki und Nihongi enthaltenen Legenden hatten rückblickend und für die Zukunft den Vegetationswandel geradezu legitimiert. Sie schreiben dem Sturmgott Susanowo die Erschaaung der Wälder aus den Haaren seines Körpers zu. Es entstanden sugi (Cryptomeria japonica), hinoki (Chamaecyparis obtusa), maki (Podocarpus .nacrophylla) und kusunoki (Cinnamomum camphora). Und der Gott bestimmte die Verwendung: Aus Kryptomerie und Kampferbaum sollten die „schwimmenden Schätze", d. h. Boote und Schiffe, gebaut werden, aus hinoki sollte man Tempel und Paläste errichten, aus maki die Särge für die Verstorbenen zimmern. Was in der Legende Niederschlag fand, war natürlich längst Brauch gewesen, und uie Verwendung der Hölzer ist bis heute grundsätzlich ähnlich geblieben, nur ist sie weit vielgestaltiger geworden. Aber die in der Legende enthaltene göttliche Empfehlung hat viel dazu beigetragen, die ursprünglichen Pflanzengemeinschaften zugunsten jener von Susanowo angesprochenen Bäume zu verändern. Auch andere Gewächse werden in den beiden Geschichtsquellen schon hervorgehoben. Die Göttin Uzume lockte AMATERASU durch einen Tanz mit Spiegel und einem Zweig Sakaki (Cleyera japonica) aus ihrem Versteck hervor.
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versammelte im Jahre 6 4 5 seine Beamten an einer großen Keyaki (Zelkowa). Beide Erwähnungen sprechen dafür, daß diesen Bäumen besondere Bedeutung beigemessen wurde, und tatsächlich gehören sie zu jenen, die in Tempelhainen und in Gärten vor vielen anderen bevorzugt werden. Es ist charakteristisch, wenn im Izumo Fudoki vom Jahre 734 die folgenden Bäume und Sträucher als die in allen Distrikten vorkommenden verzeichnet werden: Immergrüne Eichen, der Kampferbaum, der Kiri (Paulownia), die Camellia, Zelkowa37, Catalpa37 und die Koniferen Sugi (Cryptomeria japonica), Hinoki (Chamaecyparis obtusa) und Matsu (Kiefern). Daß diese Holzgewächse zumindest schon zu Beginn unserer Zeitrechnung in SW-Japan heimisch waren, haben die pollenanalytischen Untersuchungen der yayoizeitlichen Ablagerungen in der Tokaidö-Region ostwärts bis zum yayoizeitlichen Wohnort Toro 38 und im Nara-Becken ergeben (76). Auch in diesen beiden Regionen stellt neben immergrünen Eichen (Quercus gilva, Q. glauca, Q. acuta) und Castanopsis die Cryptomeria japonica (sugi) mit 15% des Baumbestandes einen Charakterbaum dar, als welcher er für das Nara-Becken von pflanzensoziologischer Seite aus nicht betrachtet wird39. In anderen Quellen werden auch Sakura (japanischer Kirschbaum), Momo (Pfirsich) und Ume (Aprikose) hervorgehoben, finden sich aber bevorzugt in Gärten. Der Öomi hatte, so wird im Nihongi für das Jahr 626 vermerkt, in seinem Garten einen kleinen Teich angelegt und in dem Teich eine kleine Insel aufgebaut; es war der Beginn der Landschaftsgärtnerei. Wie stark solche Gärtnerei die Mentalität des Volkes getroffen hatte, darf man daraus ableiten, daß man diesen Öomi künftig „Shima-no-Öomi" nannte, den Insel-Öomi. KÖTOKU TENNÖ
IV. Die Funktion von Meer und Binnengewässern Im Reichtum an Lebewesen verfügt Japan über eine sichere und sich im Überfluß anbietende Nahrungsquelle; sie ist zudem, ergänzt durch die Süßwasserlebewesen der Flüsse und Binnenseen, von einmaliger Artenfülle. Da mehr als 80% der Bevölkerung in Küstenprovinzen wohnen, ist der Zugang zu dieser Nahrungsquelle so leicht, daß sich, abgesehen von dem vom Buddhismus auferlegten Verbot des Fleischgenusses, allein schon daraus erklärt, daß man zur Beschaffung von tierischem Eiweiß den bequemsten Weg ging, der eben im Fischfang lag. Zur kostenraubenden Viehhaltung sah man keine zwingende Veranlassung. Es bedurfte in den frühen Jahrhunderten auch keiner der Landverteilung ähnlichen Aufteilung der Küstenabschnitte. Die Frage der Küstengemarkungen regelte sich auf unterer und mittlerer Ebene ohne Aufhebens über die Geschlechterverbände und die Beteiligung der Fischereigottheiten, d. h. deren Kultstätten, unter denen der Großschrein der Meeresgöttinnen, der Sumiyoshi-SchTem zwischen Naniwa (Osaka) und Sakai, der bedeutendste ist. Ebisu, eine der 7 Glücksgottheiten, dargestellt als
37 Zelkowa und Catalpa wurden für die Herstellung von Bogen und Pfeilen benötigt. 38 In einem Rundfunkvortrag (1971) über den „Wandel von Natur und Umwelt" hat Fumio Tada die yayoizeitliche Siedlung Toro im heutigen Shizuoka behandelt. 39 Diskussion hierzu in meinem Aufsatz „Umweltgefährdung und Umweltschutz in Japan". In: Erdkunde, Bd. 29, 1975, S. 1 4 1 - 1 4 8 .
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bärtiger Mann mit Angelrute und einer dicken Meerbrasse (tai) unterm Arm, ist der Schutzpatron der Fischer, und Efew-Schreinen begegnet man im ganzen Land, besonders aber in den Küstenregionen. Besonders hervorzuheben ist der wahrscheinlich schon um 592 errichtete Schrein von Itsukushima (Miyajima), der nach seiner Zerstörung allerdings fast vergessen worden war, aber von TAIRA KIYOMORI (1118—1181) erneuert wurde. Von sakralem Charakter ist das gesamte natürliche Objekt der bis 530 m ansteigenden Insel, die zu betreten niemandem außer den Priestern erlaubt war; nur so konnte sie vor Verunreinigung geschützt werden. Es gab keinen Grabstein auf ihr, der von einem Toten gekündet hätte. Dem Gebote der Reinheit folgend, stand der Schrein nicht auf der Insel, sondern vor ihr auf der Strandplatte im Bereich der Gezeitenströmungen. Die Fischer fahren — noch heute — bei Flut bis an den Schrein heran (s. Bild 6). Die meisten Fischer waren zugleich auch Bauern und waren in solchem Falle volle Selbstversorger. Da mit Meeresprodukten Steuerlast als Sachleistung beglichen werden konnte, enthob dies den Bauer-Fischer mancher Sorge. Nach den Steuerregelungen der Narazeit war es 21 Provinzen möglich, ihre Steuern ganz oder teilweise in Belieferungen mit Meeresprodukten abzugelten (9, 20). Da sich unter den Abgaben an bevorzugter Stelle auch der Bonitofisch (Katsuwonus pelamys) befand, muß bereits küstenferne Fischerei betrieben worden sein (vgl. Bd. 1, S. 447 u. 453). Im Izumo Fudoki sind bei der Beschreibung der Distrikte die Küstenabschnitte bezeichnet, an denen eßbarer Seetang (Laminaria japonica) geerntet wurde. Die Gewinnung von Speisesalz aus Meerwasser ist insbesondere durch Steuererlasse belegt. Mit Salz konnte die Kopfsteuer beglichen werden (9, 28 u. 43).
F. Die Entwicklung der Gewerblichen Wirtschaft Das im 6. Jh. schon breit aufgefächerte Handwerk gelangte vom 7. bis 9. Jh. in einzelnen Zweigen zu erster Blüte. Die Errichtung neuer Tempel und Schreine regte nicht nur Architekten und Zimmerleute zu immer vollendeteren Schöpfungen an, sondern förderte in gleichem Sinne auch das Kunsthandwerk: Bildhauer, Schnitzer, Lackmaler, Bildsticker, Hersteller von Dach- und Schmuckziegeln fanden reiche Betätigung; neben Kunstwerken von den Ausmaßen des Großen Buddha von Nara entstanden wertvolle Kleinaltäre, deren wohl kostbarster im Tamamushi-no-zushi überliefert ist, aufbewahrt als Nationalschatz im Kondö des Höryüji. In gleicher Weise wurde das Hand- und Kunsthandwerk für die Palastbauten benötigt, wie sie bei der Gründung von Nara errichtet wurden, wie auch bei den Versuchen, die Hauptstadt nach Yamato-kuni, Shigaraki, Naniwa und Nagaoka zu verlegen, bis man schließlich mit dem Aufbau von Heiankyö (Kyoto) eine endgültige Lösung fand. Über die Standorte dieser Handwerker ist nur so viel zu sagen, daß sie sich möglichst in der Nähe des Baugeschehens befanden, d. h. daß sie mit den Hauptstadtverlagerungen wechselten. Das gilt auch für die Waffenschmieden und die Werkstätten für andere Kriegsausrüstung; denn das Kriegsministerium war insbesondere während der Kämpfe gegen die Ainu dauernder Auftraggeber für die Gewerbliche Wirtschaft.
F. Die Entwicklung
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I. Herstellung militärischer Ausrüstung In einem Erlaß von 780 heißt es, daß „nunmehr Rüstungen und Helme bevorzugt aus Leder anzufertigen und jedes Jahr von ihnen ein Muster einzureichen sei", was nicht bedeute, daß die Rüstungen aus Eisen beiseite gelegt werden sollten (54, 1). Leder- wie Eisenrüstungen waren jeweils nach drei Jahren auszubessern. Im Frühjahr 790 erging an alle Provinzen der Befehl, 2000 Lederpanzer anzufertigen, im Sommer 791 hieß es, 3000 eiserne Rüstungen der „neuen" Form seien erforderlich (54, 6). Im gleichen Jahre wurde allein für die Kuni des Tokaidö und Tösandö die Herstellung von 34 500 Kampfpfeilen angeordnet. Daß solche Aufträge häufig erteilt werden mußten, kann daraus errechnet werden, daß jeder Krieger, der einen Bogen trug, seinen Köcher jeweils mit 50 Pfeilen zu füllen hatte. Bei der soeben genannten Zahl für Pfeile handelt es sich nur um die erstmalige Anlieferung für 690 Krieger. Selbstverständlich war die Hauptstadt die Hauptwaffenkammer des Landes; die Erlasse machen aber deutlich, daß Gewerbliche Wirtschaft auch in jedweder Provinz bereits entwickelt war und man zumindest die Provinzhauptstädte (Kokufu) als Standorte hierfür ansprechen durfte. II. Herstellung von Textil- und Papierwaren Von großer Streuung ist zunächst auch das Textilgewerbe einschließlich der Färberei, das seit dem 7. Jh. von besonderen Gilden (be) wahrgenommen wurde. Es hat von den Kikajin, den Einwanderern vom Kontinent, entscheidende Anregung erfahren. „Die raffiniertesten Stoffe in Techniken, die nur das 8. Jh. in Japan kannte oder die zu dieser Zeit aus China importiert wurden, bewahrt das Shösöirt. Neben Köper- und Damastgeweben (aya) sind Ketten-Brokate (tatenishiki), die weniger seltenen Schuß-Brokate (yoko-nishiki), Wirkereien wie auch Gaze als Webarten vertreten. Die Färbtechniken auf Wandschirmen im Shösöin zeigen das Abbindeverfahren (kökechi), Batik (rökechi) und Schablonenfärben gefalteter Stoffe (kyöechi) (37, 471). Ein Zentrum für Seidentextilien entwickelte sich nach 800 in Heiankyö (Kyoto) als Stadtteil Nishijin, wo noch heute Seidenstoffe in Handarbeit erzeugt werden40. Die weite Verbreitung der Textilienherstellung läßt sich aus der Steuergesetzgebung ersehen (9): 29 Provinzen hatten die Auflage, feine Seide, 10 Provinzen grobe Seide abzuliefern; Tuch, vor allem Leinen, konnten 20 Provinzen zur Steuerablösung mitverwenden. Die Bestimmungen lassen regionale Unterschiede erkennen; feine Seide wurde in SWHonshü, Shikoku, Aichi und in Hokuriku (mit Ausnahme von Etchu, dem heutigen Toyama) gefertigt, grobe Seide in Mitteljapan, insbesondere am Tokaidö von Suruga bis ins Kantö. Die „Außengebiete" Kyüshü, Kantö und NO-Honshü waren die Lieferanten von Tuch. Baumwollgarne und Baumwollstoffe wurden erst nur vereinzelt hergestellt. War doch Baumwollsamen erst im Jahre 799 bekannt geworden (54, 9). Die Borkenfaser der Maulbeerstraucharten Közo (Broussonetia Kajinoki Sieb.), Ganpi (Diplomorpha shikokiama) und Mitsumata (Edgeworthia papyrifera Sieb, et Zucc.) wurde, seitdem mit dem koreanischen Priester DONCHÖ im Jahre 610 das 40 Der Nishijin-Distrikt gilt heute als die sichtbarste Antithese zur modernen Massenproduktion.
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Wissen um die Papierbereitung nach Japan gebracht worden war (49), in immer stärkerem Maße zur Herstellung von washi benutzt, eines handgeschöpften Papiers, das sich sehr bald in Feinheiten vom chinesischen unterschied (27). Die Papierbereitung war wie die Seidenerzeugung ein bäuerliches Nebengewerbe und war weit verbreitet; ihre Standorte mußten sich allerdings nach den Anbaugebieten der Sträucher und Bäume ebenso richten wie nach dem Vorkommen klaren Flußwassers; höhere Hang- und Gebirgslagen waren vorteilhaft (48; 65). Die im Wasser geweichten, seidenartigen Fasern wurden mit Bambussieben geschöpft und zu einem Papier von großer Weichheit, aber doch Zähigkeit geschlagen. Im Bergland von Echizen werden noch heute Legenden von alten Papiermachern erzählt. III. Nahrungs- und Genußmittelerzeugung 1.
Tee-Erzeugung
Da das Teetrinken zunächst nur bei Adel und Klerus Eingang gefunden hatte, war der Anbau von Teesträuchern noch gering; die Herrichtung der Teeblätter bis zur Bereitstellung für das Getränk vollzog sich innerhalb der Hauptstadt. 2.
Sake-Brauerei
Ähnlich verbreitet wie das Textilgewerbe war das Brauen von Sake; auch hierfür wurde die jeweilige Provinzhauptstadt zum Zentrum. Am 1 1 . 3 . 797 wurde A S U M I TANAKA zum Leiter der Amtsstelle für die Sake-Brauerei gemacht (54, 8). Die Brauereien standen also unter staatlicher Aufsicht. 3.
Speisesalz-Gewinnung
An fast allen Küsten SW-Japans, sofern sie flach genug waren, wurden Salzgärten bearbeitet. Mit Salz konnten Fronabgaben geleistet werden. Hierfür enthält das Engishiki Belege, wie dies H A L L für die Inlandseeprovinz Bizen mitteilt (19, 93). Selbst die Provinz Shima (Ostküste von Kii) führt solche Abgabe in ihrem Register vom Jahre 729 auf (9). Ähnliches gilt für Echizen. Es ist bemerkenswert, daß in neuerer Zeit diese Regionen nicht mehr am Salzaufkommen beteiligt waren; die Rentabilität wurde zu gering. In den Jahren des 7 . - 9 . Jh. sahen sich Fischer wie Bauern besonders in schlechten Jahren schon mit kleinen Mengen geholfen. IV. Das Baugewerbe In der Nara-Zeit hatte das Haus der nichtadeligen Bevölkerung Wände aus Brettern. Das Bretterschneiden und die Verwendung von Brettern für den Hausbau, der mit Grubenwohnungen in vorangehenden Jahrhunderten begonnen hatte, „ist das Ergebnis einer langen Entwicklung der Zimmermannskunst, wie sie vom Festland gelernt wurde (11, 25). Aus dem „Handbuch der japanischen Geschichte"41 entnimmt E D E R das Beispiel, daß ein Beamter aus Echizen auf einem dort befindlichen Grundstück des Tödaiji42 ein taya, ein Bretterhaus, bewohnte, das gras41 Nihon Rekishi Daijiten, I. S. 355. 42 Der Tödaiji (Nara) hatte im Anschluß an den Rodungsappell von 743 in mehreren Provinzen shöen erworben.
F. Die Entwicklung der gewerblichen
Wirtschaft
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bedeckt war und einen Bretterboden (itajiki) hatte. „Die Fensteröffnungen konnten mit aufrollbaren Matten verdeckt werden." Der Grundriß war vorwiegend quadratisch. Ziegelbedachung war nur den Tempel- und Palastbauten vorbehalten, aber auch für diese war das in der Nara-Zeit noch nicht allgemein. Wirklich kennzeichnend wurde das erst für die Heian-Zeit. Im Rikkokushi findet sich für den 4. 6. 806 sogar der Hinweis, daß die Posthöfe in den Provinzen Bingo, Aki, Suwö, Nagato (Chöshü) Ziegelbedachung und getünchte Wände haben, weil sie ursprünglich für die Aufnahme von Besuchern vom Kontinent gebaut worden seien. Das Ziegeldach kennzeichnet demnach die repräsentative Funktion eines Gebäudes. Eine Weiterentwicklung der Hausformen, wie sie aus den Kofun-Grabbeigaben der Haniwa-Figuren überliefert sind, kann der Verf. in den Bretterhäusern der Nara-Zeit nicht sehen. Nichts berichtet in den verfügbaren Quellen darüber, daß die Irimoya-Dachformen, die für die Haniwa-Modelle charakteristisch sind, übernommen oder gar verfeinert worden wären. Wohl aber wurden solche Formen in China für Tempel- und Palastdächer verwendet und kamen zusammen mit dem Tempelbau nach Einführung des Buddhismus erneut auf japanischen Boden. Die aus den Grubenwohnungen hervorgegangenen Häuser sind in ihrer Schlichtheit von den ersten Shintöschreinen beeinflußt, vor allem von der Bauweise des Ise Jingü. Die Weiterentwicklung in der Heianzeit erhielt wesentliche Impulse aus dem Baugedanken der Adelsresidenzen, die in Heiankyo immer zahlreicher wurden (11). Es handelt sich dabei um die Gebäudekompositioin des shinden-zukuri, die durchschnittlich 40 Quadrat-Chö bzw. 8000 m 2 in Anspruch nahm. Auf dieser Fläche standen auf erhöhtem Bretterboden das Haupthaus oder Shinden (Schlafhalle) mit südlich gerichteter Front, von der aus auf beiden Seiten je ein überdeckter Gang zu den nach Süden vorgeschobenen Gartenhäusern führte, wodurch eine Begrenzung des Gartens nach Osten und Westen erreicht wurde, während der Blick vom Haupthaus nach Süden hin offen blieb 43 . Die beiden Gartenhäuser wurden mit Vorzug an den Rand eines die Südseite begrenzenden Teiches gesetzt, in dem nach dem vom Shima-no-Öomi gesetzten Vorbild eine Insel eingebaut war, mit der eine Brücke verband. Die überdachten Gänge verfügten über eine Öffnung, von der aus man den Garten im mittleren Bereich betreten konnte. Die beiden Öffnungen nannte man Chümon, d. h. Mittlere Tore, woraus sich für die Gänge selbst der Namen Chümon-ro ableitete. Außerhalb dieser Chümon-ro lag je ein Wagenschuppen (kuruma-yadori). Um die gesamte Residenz zog sich ein Erdwall mit je einem Ost- und Westtor, die mit dem Chümon auf gleicher Achse lagen. In der Haupthalle des Hauses residierte der Hausherr, in den Nebenzimmern wohnte die Familie. Später wurde die Schlafstätte des Hausherrn von der übrigen Haupthalle durch einen Vorhang getrennt, und vor diesem wurde ein Bodenbelag aus Strohgeflecht ausgebreitet: der Vorläufer der tatami. Zum Sitzen legte man runde Sitzpolster auf den blanken Bretterboden. Faltbare Wandschirme machten eine Gliederung der Halle möglich. Rings um die Halle zog sich eine mit Geländer versehene Veranda; sie hatte einen Fußboden aus gesplissenen Bambusstäben. Die
43 Das überliefert bedeutendste Beispiel hierfür ist der Byödöin, ein Tempel in Uji, der ursprünglich das shinden-zukuri des Aristokraten Minamoto Töru ( 8 2 2 - 8 9 5 ) war und später von den Fujiwara bewohnt wurde.
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1. Kapitel: Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
Residenzbauten wurden in vereinfachten Formen in den Wohnbauten niederer Ränge und selbst bei der Errichtung von Bauernhöfen nachgeahmt. In zahlreichen Elementen des Töhoku-Bauernhauses leben sie noch heute fort. Den bedeutendsten Einfluß auf die Architektur erfuhr Japan durch den chinesischen Tempelbau, dessen Monumentalität und Vielseitigkeit in polarem Gegensatz zum Schreinbau steht. Als erste Großtempel erwuchsen der Shitennöji (592) und Höryüji (607). „Koreaner und Chinesen oder naturalisierte Nachkommen von Koreanern und Chinesen, wie Tori, Öguchi und Tokuho werden ihre Meister sein, wenn sie auch die Hilfe japanischer Handlanger genossen haben mögen" (36, 109). Entsprechend sind diese Tempel und viele andere bis in die ersten Jahre des 8. Jahrhunderts nicht deutbar als Objektivationen japanischen Geistes, es sei denn, man beschränkt sich bei solcher Deutung auf die ersten Abweichungen vom eingeführten Modell. Bis zu Beginn des 8. Jahrhunderts war allerdings soviel von fremden Künstlern gelernt worden, daß von maßgeblicher Seite gesagt werden konnte, „die Nara-Zeit gilt mit Recht als das goldene Zeitalter des Buddhismus und der buddhistischen Kunst" (36, 113). Neben den Chinesen und Koreanern treten jetzt Meister mit echt japanischen Namen auf; auch für Werke der Plastik und Malerei trifft das zu. Zu einer buddhistischen Tempelanlage gehören im allgemeinen mehrere Bauwerke, im einzelnen (vgl. Abb. 6): 1. Das Mon, ein zwei-, aber auch einstöckiges Torgebäude als Haupteingang zum Tempelbezirk, meist auf der Süd-, gelegentlich auf der Ostseite; 2. Hondö (Butsudö, Kondö), der Haupttempel; 3. Ködo, die Predigthalle; 4. To, die mehrstöckige Pagode; 5. Shörö, der Glocken- oder Gongturm; 6. Kyözö, die Bücherei zum Aufbewahren der heiligen Schriften. Dazu können noch viele andere Bauwerke treten, etwa die Halle des Stifters einer Sekte, eine Stupa, die Priesterwohnungen, das Schatzhaus, die Küche, Empfangsräume u. a. Der Haupttempel (hondö) ist eine rechteckige, in drei Kammern aufgeteilte Säulenhalle, wobei die Decke des Mittelschiffs meist höher als die der Seitenschiffe ist (52, 34). Die ersten Abweichungen vom chinesischen Bauplan gehen auf Shötoku Taishi selbst zurück. Im Höryüji-Bezirk wurde das chinesische Prinzip der Symmetrie durchbrochen. Hondö und Pagode stehen nebeneinander. Der aesthetische Reiz der Asymmetrie fand seine erste bedeutende Objektivation. Beide Gebäude werden durch einen den Hof umgrenzenden und bedachten Umgang zusammengefaßt, wodurch die Asymmetrie in der Anordnung der zentralen Gebäude um so betonter wirkt. Ihren besonderen Impuls erhielt die Baukunst während des Aufbaus der neuen Hauptstadt Heiankyö (Kyoto) und der gleichzeitigen Entwicklung des RyöbuShintö, der eine originelle Durchdringung der Stilelemente buddhistischer und traditionell shintöistischer Herkunft ermöglichte. Die großen Bergklöster und die Hachimanschreine sind Beispiele hierfür. Freilich wurden Tempel wie auch der Kaiserpalast von Kyoto wiederholt durch Brände zerstört, und „von all der buddhistischen Herrlichkeit hat das Schicksal nichts verschont als die goldene Halle und die Pagode des Muröji" 44 , deren graziöse Form und landschaftliche 44 Muröji ist 25 km vom Nara-Becken entfernt. Es ist mit der Kinki Nippon-Eisenbahn zu erreichen, die von Sakurai aus, das Kasagi-Gebirge und Nunobiki-Bergland durchquerend, nach Ise führt.
F. Die Entwicklung der gewerblichen
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Wirtschaft
S A I - I N G A R A N ( W e s t - B e z i r k : der Tempel)
TO-IN GARAN
(Ost - Bezirk: die ehemalige
Residenz des Prinzen Shötoku)
Abb. 6 Plan des Höryüji Schwind 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
(Nara-Ken).
Nach Unterlagen der Höryüji- Verwaltung entworfen v. M.
Nan-Daimon, Süd-Tor Tempelbüro Chü-Mon, Mittel-Tor Kondd, Goldene Halle Fünfstöckige Pagode Ködö oder Dai-Ködö, Große Predigthalle Kyözd, Sutra-Bibliothek Shdrö, Tempelglocke Kairo, Überdeckter Rundgang Kami-no-midö, Obere Halle Sangyö-in, Westliches Priesterquartier Shoryö, Halle des gesegneten Geistes
13 14 15 16 17 18 19
Saiendö, Westliche Rotunde Tö-Daimon, Großes Ost-Tor Nammon, Süd-Tor Yumedono, Halle der Träume Shariden u. Eden, Reliquien u. Gemäldehalle Denpödo, Halle der Erleuchtung Kita-muroin Hondo, Nord-Aufbewahrungshalle 20 Chügüji, Nonnentempel 21 Shörö, Tempelglocke Die mit Raster versehenen Gebäude gelten als wichtiges Nationales Kulturgut
Lage sie allerdings „zu den eindrucksvollsten buddhistischen Bauten Japans machen" (36, 128). Daß das Zerstörte nach alten Plänen immer wieder erneuert wurde, erklärt sich aus der Gültigkeit, die man den Bauwerken beimaß, und so sprechen uns Nara- und Heianzeit im Enryakuji, Töji, Daigoji, Ninnaji, Koyasan, Tödaiji und in so vielen anderen Großtempeln und Großschreinen noch unmittelbar an, auch wenn das Holz und die Mauern in den meisten Fällen Ersatz für das Ursprüngliche sind. V. Keramik- und Lack-Kunsthandwerk Tokoname auf der Chita-Halbinsel begründete in der Heian-Zeit seinen Ruf als Keramik-Zentrum. Darüber hinaus wurden an mehreren Plätzen des Landes Dachziegel gebrannt, mit denen die Dächer der nach chinesischem Vorbild errichteten Paläste und Tempel gedeckt wurden. Auch Regierungsgebäude, Residenzen der Aristokratie und Gebäude, in denen öffentliche Funktionen wahr-
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1. Kapitel: Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
genommen wurden, erhielten in zunehmendem Maße Ziegeldächer. Auf Lackarbeiten wird erstmals durch YÖMEI T E N N Ö ( 5 8 6 - 5 8 7 ) hingewiesen. Die konservierenden Eigenschaften des Lacks wurden schon früh zum Schutz gegen Feuchtigkeit und Rost ausgenutzt. „Die künstlerischen Möglichkeiten dieses Stoffes haben die Japaner wohl zuerst in der Nara-Zeit den Chinesen abgeschaut, aber nicht nachahmend verwertet, sondern mit einer Selbstverständlichkeit und Einfühlung in die Natur des Stoffes gestaltet, so daß die aus dieser Zeit im Shösoin erhaltenen Lacke zu den herrlichsten zeitlosen Werken dieser Kunst zu zählen sind" (52, 350). Der Grundstoff wurde und wird noch heute aus dem Saft des Lackbaums Rhus verniciflua, auch Sumach genannt, gewonnen (s. 3. Kap., 3. Abschn.). Das Interesse des Staates an den Lackarbeiten wurde durch die Einrichtung eines Lackamtes bekundet, dessen Werkstatt übrigens im Jahre 808 mit der des Hofamtes für Malerei zusammengelegt wurde (36, 125). VI. Bergbau und Metallverarbeitung Über die Verwendung von Eisen für Speere, Schwerter und Messer berichtet das Kojiki (712) schon aus früher Zeit. „Die Funde lehren unzweideutig, daß die vorgeschichtlichen Japaner alle Künste des Metalls meisterhaft beherrschten" (36, 104). Im Jahre 668 wird sogar von Erdöl oder „brennendem Wasser" (moyuru mizu) aus Echigo berichtet, das dem TENCHI T E N N Ö zum Geschenk gemacht wurde (37, 25). Die Entdeckung von Kupfervorkommen im Jahre 708 war für die Kaiserin Gemmyö wichtig genug, um dieses Datum als den Anfang eines neuen Nengö zu benutzen; sie nannte es Wado, d. h. japanisches Kupfer. Kupfer wurde zum Hauptmaterial für die Herstellung von Götterbildern, auch für den Guß des Großen Buddha im Tödaiji. Als Tributgeschenk wird Kupfer 708 aus Musashi, Gold 749 und 750 aus Mutsu abgeliefert (9). Zu den ältesten und noch heute fündigen Kupfer- und Silbergruben rechnen Ikuno (Hyögo), Kamioka (Gifu), Osarizawa (Akita). Die Erzfunde leiteten auch die Prägung von Münzen und damit den Wechsel von der Natural- zur Geldwirtschaft ein. Zwischen den Jahren 708 und 958 wurden zwölf Münzprägungen vorgenommen. Es waren meist Kupfermünzen mit quadratischem Loch in der Mitte, um sie auf Schnüren aufreihen zu können (37, 97). Die Sorge der Regierung über die von ihr selbst geförderte Geldwirtschaft kommt im Erlaß vom 30. 3. 797 (RKS) zum Ausdruck: „Das Wesen der Reissammelstellen besteht darin, für Uberschwemmungs- und Dürrezeiten Vorsorge zu treffen. Den Besitz von Münzgeld kann man nicht verzehren, wenn Hunger herrscht. Wie uns jetzt zu Ohren gekommen ist, geschieht es häufig, daß die Verwaltung der Hauptstadt die Steuern in Form von Münzgeld erhebt. In dieser Frage sollte man . . . auf das Wesentliche achten und das Erheben in Form von Münzgeld völlig einstellen." Die Geldwirtschaft verlockte schon früh auch zum Fälschergewerbe. Im RKS heißt es 796: „In letzter Zeit sind nicht zugelassene Schmelzöfen in üppiger Zahl emporgeschossen und Falschmünzerei ist weit verbreitet." Insgesamt kam die Geldwirtschaft infolge des noch unentwickelten freien Handels nicht recht in Gang. Nicht einwandfrei erwiesen ist der Umfang, in dem die Metallbearbeitung auch für die Herstellung landwirtschaftlicher Geräte entwickelt wurde. H A L L berichtet in seinem Kapitel über die Provinzen des südlichen Kibi im 5. Jh. von Geräten aus
F. Die Entwicklung der gewerblichen
Wirtschaft
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Eisen und weist darauf hin, daß Bitchu, das westliche Gebiet des heutigen Okayama-ken, der 4zinkigen Grabgabel, die zur Bearbeitung der Reisfelder benutzt wird, sogar den Namen gab (19, 41). Unabhängig von der Materialfrage besteht die Tatsache, daß im 8. Jh. kuwa und suki, Hacke und Spaten, wie schon in den vorangegangenen Jahrhunderten für die Bodenbearbeitung die wichtigsten Geräte darstellten, während der Pflug noch recht selten war. Die Geräte bestanden zunächst nur aus Holz; sehr bald aber kam es zur Entwicklung „von Hacken mit Holzblatt und aufgestecktem Eisenschuh und solchen mit ganz aus Eisen gefertigtem Blatt" (25 a). Das Holzgerät hatte sich so lange bewährt, als es ganz vornehmlich um die Bearbeitung der Reisfelder ging. Mit den Rodungsaktionen des 8. Jahrhunderts mußte notgedrungen das eiserne Gerät an Bedeutung gewinnen. Nicht jeder Bauer war in der Lage, sich das Gerät selbst herzustellen, und so entstanden handwerkliche Zentralen, wie sie aus den Provinzen Bizen und Bingo für die Erzeugung von eisernen Hacken aus den Jahren 796, 797 und 805 belegt sind (25 a, 145). Da die Landwirtschaft die bedeutendste Wirtschaftsabteilung war und Hacke und Spaten die wichtigsten Geräte für die Bodenbearbeitung darstellten, läßt sich verstehen, daß die Gedanken von Bauern und von Shöen-Besitzern, sofern sie gute Erträge auf ihren Feldern erzielen wollten, um die Beschaffung einer genügenden Anzahl einsatzfähiger Geräte kreisten. Das Gerät galt als ein wertvolles Geschenk. „Die Hacke wird als Bezahlungsmittel für Staatsbeamte genannt. Das Ryö-no-shuge (857—876) führt u. a. auch Hacken als Entschädigungen für Beamte aus dem Dazai (Kyüshü-Statthalterschaft) sowie von Inseln Iki und Tsushima an: Inhaber des ersten Hofranges erhalten 140 Stück, des zweiten 100, des wirklichen dritten Ranges 80, die folgenden dritten Ranges 60, des richtigen vierten Ranges 30, des richtigen fünften Ranges 20, des richtigen sechsten, siebenten und achten Ranges 15, des folgenden achten Ranges 10, des letzten Ranges ebenfalls 10 bzw. 5. Diese Geräte sollen zur Bebauung der den Beamten zur Verfügung gestellten shokubun-den und iden verwendet werden (25 a, 144). Im Shoku-Nihongi ( 6 9 7 - 7 9 1 ) wird zweimal auf Hacken als Gaben des Tennö an verdiente Beamte und an Bauern hingewiesen. Allein schon um diese Schenkungsakte in den 68 Provinzen zu vollziehen, bedurfte es beinah einer Massenproduktion von Hacken und Spaten, und man geht nicht fehl in der Annahme, daß neben dem Baugewerbe die Herstellung von landwirtschaftlichen Geräten das bedeutendste Gewerbe der Nara- und Heianzeit war.
Die Wertschätzung der lebenswichtigen Ackergeräte war gleichzeitig im Kultischen verankert. Im Jahresbrauchtum des Ise-Schreins wird seit alten Zeiten vor der Bestellung der schrein-eigenen Reisfelder ein kuwa-yama-shinji (HackenBerg-Fest) begangen. An diesem Tage steigen Priester auf einen bestimmten Berg und fällen nach Anbetung der Gottheiten des Berges und des Waldes eine immergrüne Eiche, aus deren Holz eine Hacke hergestellt wird. „Mit dieser yu-kuwa (Tabu-Hacke) wird dann auf den Feldern die Zeremonie der Aussaat durchgeführt" (25 a, 148). Wanderpriester aus Ise haben das Brauchtum des sog. Kuwagami, des „Hacken-Schutzherrn", durch das Land getragen.
VII. Der Bootsbau Auf der Grundlage des Taihö-Kodex von 701 erstand in der Nara-Zeit das Schifffahrtsamt (fune-no-tsukasa). Es überwachte den Bootsbau und die Schiffahrt im Bereich des Archipels sowie über See nach Korea und China. Die meisten Boote dienten der Fischerei und dem Sachsteuertransport. Hergestellt von der Bootsbauerzunft (fune-be) wurden für den heimischen Verkehr offene und halbver-
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1. Kapitel: Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
deckte Bretterboote mit senkrecht aufsitzenden Seitenwänden. Segel waren bekannt. Größere Segelboote wurden im Auftrag des Dazaifu in Nordkyüshü (Hakata) für den Gesandtschaftsverkehr gebaut; sie waren bis zu 30 m lang und 4 m breit, waren aber wenig seetüchtig (37, 388). Die Koreaner waren im Schiffsbau überlegen. Das geht aus einer Anordnung des Hofes im Jahre 839 hervor, durch die das Dazaifu bewogen wurde, ein „Silla"-Schiff zu bauen, das dem Sturm widersteht ( 5 6 , 137); auch die Entscheidung des FUJIWARA TSUNETSUGU 4 5 zugunsten eines koreanischen Schiffes belegt, daß der japanische Beamtenstaat in der Technik des Bootsbaus noch zurücklag. SANSOM meint, daß sich die geringe Erfahrung auf dem Gebiet der Schiffahrt daraus erklären könne, daß „die zentrale Regierungsgewalt ihren Sitz inmitten des Agrarlandes und nicht an der Küste hatte" (56).
G. Die Städte I. Reichshauptstädte 1, Heijökyö Heijökyö, das heutige Nara, ist die erste und älteste Stadt Japans. Sie wurde 710 ausdrücklich als Hauptstadt gegründet. Vorher gab es nur Residenzen. Es ist ermittelt worden, daß die Tennö-Residenz 40mal ihren Platz wechselte, meist innerhalb des Nara-Beckens (23). Zur Zeit der Taika-Reform regierte man in Asuka, ostwärts des Unebiyama. Für die Jahre 6 5 2 - 6 5 4 verlegte man den Sitz nach Naniwa (Osaka), kehrte dann aber nach Asuka zurück46. Ein erneuter Versuch, das Nara-Becken zu verlassen, war die Errichtung von Ötsu-no-miya, einer Residenz am Südende des Biwa-Sees; sie erfüllte ihre Funktion nur 667—672, als man wiederum nach Asuka zurückkehrte. Nach 22 Jahren, 694, wechselte man nach Fujiwara. Von dort aus erkannte man nach der Jahrhundertwende das Nordende des Yamato-Beckens einschließlich seiner Bergränder als geeignet für die Anlage einer Hauptstadt, die sich bei repräsentativer Ausstattung mit Changan, der Hauptstadt Chinas zur Zeit der Tang-Dynastie, messen könne: Denn darüber hatte man Klarheit erlangt, daß der aufblühende Beamtenstaat eine örtliche Festlegung der zentralen Verwaltung und die Ausweitung einer Residenz zu einer Staatszentrale erforderte, die auch den Rahmen bei einem Empfang von ausländischen Gesandtschaften abzugeben vermochte.
Heijökyö, bzw. die Hauptstadt Heijö, wurde in ihrem Grundriß und in ihren Funktionsbereichen als Schwesterstadt von Changan bzw. Hsingan, dem späteren Hsian-fu, entworfen. Es ist bemerkenswert, daß dies der Bürgermeister vom Jahre 1969 nochmals bestätigte, als er Hsian anregte, mit Nara eine Schwestern-Partnerschaft zu begründen - was 1974 vollzogen wurde (Pressemeldung vom 28. 1.). Mit der durch Minister FUJIWARA FUHITO und GEMMYÖ TENNÖ (707—715) getroffenen Entscheidung, Nara für das Jahr 710 als Hauptstadt fertigzustellen, hatten sich Hofaristokratie und Kaiserhaus für die Fortführung der Tradition im Nara-Becken entschieden, und sie schleppten damit die bereits gekennzeichneten Zentralitätsmängel dieser Landschaftskammer in jenes Jahrhundert hinein, in dem 45 Er war Dazaishi und wurde unter Nimmyö Tennö zum Gesandten nach China auserwählt, schiffte sich 838 ein und kehrte 839 zurück. 46 Asuka war, ohne städtischen Charakter gehabt zu haben, länger Residenz als Nara, nämlich 592—694 (102 Jahre!). Asuka gehört zum engeren Bezirk rings um den Unebiyama, von dem aus 5 km nördlich Kasanui liegt, wo wahrscheinlich der miya stand, der als Vorläufer des Ise Jingü gilt.
G. Die Städte
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das Novum eines Beamtenstaates verwirklicht werden sollte, für den ein Höchstmaß hauptstädtischer Zentralität wünschenswert gewesen wäre. Die ganze NaraZeit hat an dieser Fehlentscheidung gelitten, bis sich die Staatslenker endgültig umzuziehen entschlossen. Der von K. FUJIOKA vorgetragenen Meinung (15), das Nara-Becken habe den Vorzug der Schutzlage gegen Feinde von außen gehabt, muß mit der Frage begegnet werden, um welchen Feind es sich damals wohl handeln konnte, da doch die Kampflinie gegen die Ainu bereits in Tohoku lag. Daß das Verteidigungsmotiv bei der Stadtanlage keinerlei Rolle spielte, erhellt daraus, daß man bei aller Nachahmung von Hsian das auffallendste Charakteristikum der chinesischen Stadt, die hohe Stadtmauer mit ihren schweren Toren, völlig außer acht ließ und man gerade durch den Verzicht auf die Mauer mitsamt ihren funktionalen Rückwirkungen auf Breitenentwicklung und Aufriß der Stadt freie Hand für eigene Lösungen gewann, insbesondere für den gleitenden Übergang von Stadt zu Tempelbezirken bis hin zum immergrünen Bergwald. Die Öffnung der Stadt zur Natur ist ein Merkmal auch für spätere Zeiten geblieben. Erste europäische Beobachter Ostasiens haben schon in der Regni Chinensis Descriptio des Jahres 1639 darauf hingewiesen, daß im Fehlen der Mauer ein Gegensatz der japanischen zur chinesischen Stadt beruht (59). Chinesisches Erbe enthält Naras Grundriß. Das aus jö- und n'-Linien bestehende Gitternetz der Agrarlandschaft wächst aus der Ebene in die Stadt hinein bzw. aus der Stadt in die Ebene hinaus: Die breite Mittelstraße, suzaku öji, lief vom Palast aus nach Süden. Rechts von ihr breitete sich ukyö aus, die Weststadt, links von ihr sakyö, beide mit dem Straßengitter des Jori-Systems. Die Querstraßen unterteilten das Ganze in jö. Die Anlage war zehnmal größer als die heutige Stadt. Der Grundriß erwies sich als zu groß, erst recht in späteren Zeiten, als die Stadt ihre politische Funktion verlor. Erst heute hat der Wohnraumbedarf die Aufmerksamkeit auf die offen gebliebene Weststadt (ukyö) gelenkt (s. Bd. 3). In der Narazeit war nur sakyö bebaut. Das Straßennetz, insbesondere die zentrale Querstraße San-jö, führte im 8. Jh. geradewegs aus der Stadt nach Westen in freies Umland. Im Hügelgelände auf der Nordseite - das entsprach chinesischer Geomantik — fanden die verstorbenen Kaiser ihre Ruhestätte: Die Misasagi der Tennö GEMMYÖ (707-715), G E N S H Ö (715-724), SHÖMU (724-749) und K O K E N (749—758) schließen sich hier zu einer Kofun-Landschaft zusammen. In Richtung auf den östlichen, vom Wakakusayama (342 m) beherrschten Bergrahmen zerfließt die Stadt in einen Raum von Tempeln und Schreinen, und sie kristallisiert sich im Tödaiji und Kasuga-Schrein, den trotz ihres Alters inmitten von Wald aus symbolkräftigen Bäumen noch heute gültig erscheinenden Heiligtümern. Das nüchterne Straßengitter der eigentlichen Stadt war erfüllt von Regierungsund Verwaltungsgebäuden sowie von den Wohnhäusern des Beamtenheeres: 8 Ministerien mit ihren Unter- und Nebenabteilungen, die Hochschule (Daigaku) mit Lehrern und Schülern, private Lehranstalten, Bibliotheken und Vorratshäuser, nicht zuletzt der kaiserliche Palast mit Hofaristokratie und Hofpersonal fügten sich zum zentralen Staatsapparat zusammen und gaben der Stadt mit ihren Menschen ein ständisch-aristokratisches Gepräge. Es fehlte der Bauer, der Markt, das Gewerbe, jedes Anzeichen einer funktional gewachsenen Zentralität, und so mußte die Stadt ins Provinzielle absinken, als die Regierung herauszog; ihre Bevölkerungszahl, die 200000 erreicht hatte, mußte schrumpfen; das sich über
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1. Kapitel: Mensch und Landschaft
vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
22 km 2 spannende Straßengitter der Planung war auf Zukunft geschneidert und erwies sich als zu weit: Es schrumpfte auf 4 km 2 zusammen. Zentralität behielt die Stadt nur im kultischen Bereich. 2.
Nagaoka
Nachdem Nara 30 Jahre hindurch versucht hatte, seine Funktion als Hauptstadt auszuüben, machte sich in immer stärkerem Maße die Notwendigkeit einer Verlegung des Reichszentrums geltend. Angaben über die eigentliche Ursache der Verlegungsbemühungen sind unbekannt. Kein Zweifel kann darüber bestehen, daß das Maß des natürlichen Zentralitätscharakters, über das die Yamato-Ebene verfügt, nicht ausreichte, um einen harmonischen Gleichklang mit den Aufgaben eines zentralistisch arbeitenden Beamtenstaates entwickeln zu können. Die große natürliche Leitlinie Japans verläuft von der Tsukushi-Ebene nach dem Sanyödö und von diesem zum Tökaidö. An diese Leitlinie ist das Yamato-Becken nur seitlich angeheftet. Das Bemühen, an die zentrale Binnenlinie heranzurücken, ist aus der Wahl für einen neuen Standort der Reichshauptstadt abzulesen (s. Abb. 1). Der erste Vorschlag richtete sich auf das nur 6 km nördlich vorbeiziehende Tal des Kizugawa, das nach Norden die Verbindung mit der Yamashiro-Ebene (KyotoEbene) herstellt und nach Osten den Anschluß an den Tökaidö ermöglicht. Mit großem Einsatz ging man 740 an die Verwirklichung dieses Gedankens: Es entstand die Hauptstadt Kuni mit dem Zusatz Yamato-Kuni, obgleich der Platz bereits in Yamashiro lag (63); 741 hielt SHÖMU T E N N Ö das erste Mal Hof im Kuni-no-miya (53, 187). Noch vor der Vollendung erkannte man eine noch nördlichere Lage für vorteilhafter, und man begann an einer Stelle am Ujigawa, nicht weit von dessen Ausfluß aus dem Biwasee, mit dem Bau der Stadt Shigaraki-no-miya, wohin von Kuni aus ein durch Ömi-kuni verlaufender Weg erstellt wurde. In Shigaraki war es auch, wo man mit dem Guß des Großen Buddha begann, den man später in Nara für den Tödaiji vollendete. Wahrscheinlich erwies sich die Landschaftskammer von Shigaraki wie die von Yamato-kuni als zu eng. Als neuer Vorschlag setzte sich Naniwa durch, das schon kurz nach der Taika-Reform vorübergehend Hauptstadt gewesen war. Wenn man schließlich 745 nach Nara zurückkehrte, dann bedeutete dies nicht, daß die Problematik um die Hauptstadt eine Lösung in Resignation gefunden hatte. Der äußere Anlaß zur Rückkehr waren die mehr als eine Woche hindurch anhaltenden Erdbeben gewesen, die von den Priestern der Groß-Tempel Naras wie vom Tennö selbst als Zorn der Götter über die Verlegungsabsichten ausgelegt wurden (49; 53, 190). KAMMU T E N N Ö (781—806) war von der Notwendigkeit der Hauptstadtverlegung erneut überzeugt und hat den Gedanken mit Konsequenz verfolgt. Er hatte ohne Zweifel die Ebenen des Yodogawa und der ihn bildenden Zuflüsse als das Herz seines von Kyüshü bis Töhoku reichenden Staatsgebietes erkannt. Wahrscheinlich hat er sich diesen Kernraum vom Otokoyama aus betrachtet, der später mit einem Hachimangü des Ryöbu-Shintö besetzt wurde. Das gegenüber liegende Dorf Nagaoka muß er als eine Herausforderung für seine Idee empfunden haben; es muß ihm als das Gelenkstück zwischen der Inlandsee und dem kontinentalen Mittel- und Nordjapan erschienen sein, als Umschlagsort zwischen der Schiffahrt von Naniwa und den großen Binnenlandstraßen. Diesen Gedanken spricht er sogar
G. Die Städte
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aus; in einem Erlaß vom Jahre 787 heißt es: Wir haben wegen der Vorteile zu Wasser und zu Lande die Hauptstadt in diese Ortschaft verlegt (54, 206). Im übrigen der erste authentische Hinweis auf die Lebenswichtigkeit des Meeres! Der Bau begann 784; innerhalb eines Jahres hatte man aus der Bevölkerung aller Provinzen 314000 Mann zur Lohnarbeit gedungen (54, 176). Schon 786 konnten die Regierungsgebäude bezogen und die Beamtenschaft vom Tennö im Thronsaal von Nagaoka empfangen werden (54, 193). Eines war bei allen Lagevorteilen Nagaokas aber nicht bedacht gewesen: Der amphibische Charakter der vor diesem Ort liegenden Ebene, in der die in ihrem Gefälle verlangsamten Flüsse vor dem Otokoyama stagnierten und den 25 km2 großen Ogura-Rückstausee bildeten, dessen Wasserfläche je nach Jahreszeit schrumpfte und wuchs. Er durchfeuchtete die alluviale Niederung bis zu Füßen der 10 m höher liegenden Diluvialterrasse, auf der die Hauptstadt Platz gefunden hatte. Diese amphibische Niederung erschwerte nicht nur den Verkehr nach Osten, sondern widersprach auch den geomantischen Erfordernissen, und so war es keine Frage, daß ein Platz oberhalb der Flußvereinigungen günstiger gewesen wäre. Mit diesem Gedanken beschäftigte man sich, noch ehe die Arbeiten in Nagaoka abgeschlossen waren (54, 301). Die Wahl fiel auf die alluviale Aufschüttungsebene zwischen den Flüssen Katsura und Kamo kurz oberhalb von deren Vereinigung: Es sollte das Ende aller Verlegungsgedanken sein; denn hier wurde Heiankyö, die Hauptstadt des Friedens, das spätere Kyoto, errichtet. Die Mitteilung darüber an den Ise Jingü erging schon 793; im Jahr darauf begannen die Arbeiten am Aufbau dieser 1075 Jahre hindurch gültig gebliebenen Hauptstadt. 3. Heiankyö (Miyako, Kyoto) Wie Nagaoka liegt Heiankyö zentral an der großen natürlichen Leitlinie des Archipels. KAMMU TENNÖ hob diesen Vorzug im Erlaß von 794 hervor: Der Platz ist bequem für die Bevölkerung aller Provinzen zu erreichen (54, 311). Der Platz entsprach darüber hinaus geomantischen Vorstellungen (und es gab seit 690 beim Zentralministerium ein Büro für „yin und yang"); gegen Nordosten, aus welcher Richtung die dunklen Kräfte Unheil bringen, war die neue Hauptstadt durch das 800 m hohe Gebirge des Hieizan geschützt, und diese Schutzwirkung konnte durch Kultstätten noch verstärkt werden. Ganz anders war dies in Nagaoka gewesen, es war gegen N O offen, und das Unheil lag in der amphibischen Niederung vor den Toren. In der Planung des Stadtgrundrisses folgte Heiankyö demselben Vorbild wie Nara, und die städtebauliche Verwandtschaft mit dem chinesischen Changan, heute Hsian, wurde 1974 mit der Unterzeichnung des Schwesterstädteverhältnisses ebenso besiegelt wie im Falle Naras. Das auf der Alluvialebene zwischen Kamound Katsuragawa ausgelegte, von Nord nach Süd von 80 bis 30 m fallende, 5,3 km lange und 4,6 km breite Rechteck der geplanten Stadt wurde wie Nara schachbrettartig aufgeteilt, wobei das Bett des Kamogawa dem Rechteck zuliebe so weit wie erforderlich in strengere Nord-Südrichtung gebracht wurde (15, 14). Auch Heiankyö verlieh man gegenüber dem chinesischen Vorbild im Verzicht auf die Stadtmauer die japanisch-eigenständige Komponente. Von Anfang an war Heiankyö Residenz- und Regierungssitz, keine Festung. Der Tennö-Palast war
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Abb. 7 Der Stadtplan von Heiankyö nach dem Aufbau der Stadt um das Jahr 800. Nach Heinz Brasch 1 Dairi, der Tennd-Palast 2 Taikyoku-den (diesen Namen trug nur der nördliche Teil des mit Nr. 2 bezeichneten Gebäudes, des Chödö-in ^ | Regierungsgebäude 5 Suzaku-mon
(Tor zum Dai-Dairi)
6 Suzaku-Öji (Die große Mittelstraße) R Rashömon (Tor zur Mittelstraße) 7 Töji (Ost-Tempel) 8 Saiji (West-Tempel), 1077 vernichtet 9 Ost-Markt 10 West-Markt 11 Shinsen-en (Garten)
das Zentrum, von ihm aus erhielt die Stadt ihr Gepräge. Der Palast lag 1000 m westlich vom heutigen, und von seinem Südtor aus zog die 85 m breite Mittelstraße, suzaku no öji, bis zum Rashömon, dem Südtor der Stadt 47 . Im Blick nach Süden lag wie in Nara sakyo als linke Stadthälfte auf der Ostseite, ukyö auf der Westseite. Rechtwinklig dazu schnitten wie im Jori-System die Jö-Straßen von West nach Ost; es waren 9, und sie wurden von Nord nach Süd gezählt, also Ichi-jo, Ni-jö, San-jö, Shi-jö usw., Straßennamen, die noch heute gelten. Die 47 suzaku (öji), auch sujaku; Rashömon: auch „Rajömon" gelesen.
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Straßen führen nach Osten aus dem Plan-Rechteck hinaus, überqueren auf Brücken den Kamogawa und verbinden die Stadt mit den von immergrünen Laubbäumen und Zedern bestandenen Berghängen des Higashiyama (Ostgebirge, findet Fortsetzung im Hieizan), an denen sehr bald, wie in Nara, shintöistische und buddhistische Kultstätten errichtet wurden. Zum Schutzschrein der Stadt hatte KAMMU T E N N Ö noch vor Baubeginn den unmittelbar nördlich der Stadt am Kamogawa gelegenen Kamo Jinja erhoben (51, 70). Im übrigen war durch kaiserlichen Erlaß vom Sommer 783 die Zahl der zugelassenen buddhistischen Tempel begrenzt worden (63, Buch 37): „Gegen das heimliche Erbauen von Tempeln ist vordem bereits eine Verordnung ergangen. In letzter Zeit sind aber die zuständigen Beamten nachlässig geworden und stellen überhaupt keine Untersuchungen mehr an. Wenn das Generationen lang so weitergeht, gibt es keine Stelle mehr, an der nicht ein buddhistischer Tempel stünde. Es soll ein strenges Verbot ergehen: Von jetzt an sollen für das heimliche Errichten von buddhistischen Kultstätten sowie für die Stiftung von Feldern, Wohngrundstücken und Gartenland, desgleichen auch für deren Veräußerung an buddhistische Tempel durch Verkauf oder Tausch, die Beamten vom Sekretär aufwärts ihrer innegehabten Stellungen enthoben werden, und die übrigen sollen, ohne daß ein Loskauf unter der Hand in Betracht kommt, zu 80 Stockschlägen verurteilt werden. Die gleiche Strafe trifft auch diejenigen Beamten, welche davon gewußt, es aber nicht verboten haben."
Das ist eine klare Haltung gegen Willkür, gegen Korruption und gegen eine mögliche Zersiedlung der Landschaft. Wo ein Tempel sinnvoll und sogar nützlich war, erhielt er des Kaisers Unterstützung. So schenkte er dem 798 gegründeten Großtempel Kiyomizudera am Hang des Kazanyama, wo die Gojö-Straße mit einer Brücke über den Kamogawa führt, zu seiner Erstausstattung die Zeremonienhalle (shishin-den) aus dem Palast von Nagaoka. Und wie er den Kamoschrein zum Schutzschrein der neuen Hauptstadt erhob, so sorgte er schon 796 dafür, daß am Südtor der Stadt in Entsprechung zu Nara ein Osttempel, Töji, und ein Westtempel, Saiji, erbaut wurden (38, 463). Begünstigung erfuhr der Mönch SAICHÖ, Begründer der Tendailehre. Er hatte nicht nur mit dem Einbau des Shinto in den Buddhismus den Interessen des Staates gedient, sondern auch durch die Errichtung eines Tempels auf dem Hieizan der neuen Hauptstadt Schutz gegeben (s. Geomantik). Auf beide Verdienste geht die Ehrung des Tempels mit der Namensgebung Enryakuji zurück (s. Anhang 2). Der Priester KUKAI ( K Ö B Ö D A I S H I ) , Begründer des Shingon und nach KAMMUS Tod Erzieher am Hofe, erhielt 823 den Töji als Zentrum seiner Lehre im Bereiche der Hauptstadt; er dehnte dabei seinen Einfluß bis auf den um 100 Jahre älteren /nan-Großschrein aus, der bei seiner geringen Entfernung vom Rashömon an Zentralität gewonnen hatte. Die durch das Straßengitter herausgeschnittenen Gevierte enthielten insgesamt fast 40000 ko oder Grundstücke. Bei voller Besetzung der Grundstücke wäre eine Stadtbevölkerung von mehr als 500000 Menschen möglich gewesen. Aber auch hier erwies sich wie in Nara das vorgeschneiderte Maß als zu groß; auch hier blieb bis ins 9. und 10. Jh. hinein nur sakyö voll entwickelt, so daß der Tenno-Bezirk nur dem Plane nach die Mitte der Nordseite ausfüllte. Zum Tenno-Bezirk zählten der Palast selbst, auch Dairi genannt, die Empfangs- bzw. Krönungs-Halle (Chödöin), die Festhalle (Buraku-in) und 50 Gebäude, darunter die Ministerien, die in steif paralleler Anordnung die zentralen Hallen umgaben. Es wird angemerkt, daß manche Gebäude bereits Dachziegel trugen.
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Im übrigen läßt Heiankyö bereits deutlich die Entwicklung einer gewerblichen Wirtschaft erkennen. Die militärische Behauptung der Nordgebiete erforderte noch immer Herstellung von Ausrüstung; und noch immer war die Hauptstadt die Waffenkammer des Reichs. Dann aber waren die Einwanderer aus Korea und China, soweit sie besondere Fähigkeiten aufwiesen, eingebürgert oder wenigstens in der Nähe der Hauptstadt angesiedelt worden. Von diesen ließen sich diejenigen, die das Spinnen und Weben von Seide verstanden, unmittelbar nordwestlich des Palastbezirks nieder, wo sie den Stadtteil Nishijin, d. h. Westkamp begründeten. Mit der Weberei verbanden sich die Färberei und die Herstellung von Kleidung für den Hof. Auch die Sake-Brauerei fand ihren offiziellen Mittelpunkt in Heiankyö. Durch kaiserlichen Erlaß wurde 797 ein Leiter der Amtsstelle für Sake-Brauerei ernannt (54, 350). Bemerkenswert sind die Grundstücke für den Ost- und Westmarkt (ishi), die zu beiden Seiten der zentralen suzaku öji auf der 7. Querstraße ausgespart waren: Diese Märkte boten neben Lebensmitteln auch Stoffe und Keramikwaren an. Solche „Märkte" waren auch im Stadtplan der Tang-Hauptstadt Changan (Sian) ausgewiesen. Es kann sich aber in Heiankyö nicht nur um eine bloße Nachahmung gehandelt haben. Es muß ihnen bereits eine Funktion zugewiesen worden sein, denn das Nihon-Köki berichtet unter dem 31. 7. 794 ausdrücklich, daß „die Märkte von Nagaoka in die neue Hauptstadt verlegt und auch die Bewohner des Marktes umgesiedelt wurden" (54, 307). Belebende Auswirkungen auf die Stadt übte der noch nicht beendete Krieg gegen die Ainu aus; das Kriegsministerium war dauernder Auftraggeber für die gewerbliche Wirtschaft. Von stadtlandschaftlich noch größerem Einfluß war das Steuerwesen, das infolge seiner umfassenden Form von zwei verschiedenen Ministerien bearbeitet wurde, dem MIMBU-SHÖ (für Bevölkerungswesen) und dem ÖKURA-SHÖ (Schatzamt). Steuerleistungen wurden in Reis, Seide, Früchten, Meeresprodukten, Salz, Eisen und Eisenwaren in solchen Mengen aus dem ganzen Reich nach der Hauptstadt gebracht, daß nicht nur Lagerhäuser verschiedenster Art, sondern auch Herbergen größeren Umfangs erforderlich waren. Welche Scharen von Trägern ihre Lasten zur Hauptstadt beförderten, meldete schon zur Nara-Zeit die Provinz Tajima in ihrem Hauptfeldsteuer-Register vom Jahre 737 (9): 1060 Leute schickte sie damals auf den Weg. 4 8 Es wird angenommen, „daß von einer Provinz mit 80 000 Einwohnern für den Steuertransport jährlich über 400 Träger benötigt wurden." Sicherlich hat die Frage der sicheren und pünktlichen Steuereintreibung bei der Entscheidung über die Verlegung der Hauptstadt nach der Verkehrsachse Sanyödö-Tökaidö eine Rolle gespielt. In noch höherem Maße als Nara wurde Heiankyö das Zentrum der Bildung und der Geisteskultur überhaupt. Die Hochschule (Daigaku) war über Nagaoka nach Heiankyö gekommen; die Tendai- und Shingonlehre waren Schöpfungen der Heianzeit und gewannen in der geistigen Auseinandersetzung mit der chinesischen Rezeption zunehmend an politischer Bedeutung. Der kraftvolle KAMMU TENNÖ versuchte zwischen den verschiedensten Kräften harmonischen Ausgleich herzustellen, konnte aber den sich deutlich ankündigenden Niedergang der staatlichen Macht nicht aufhalten. Die Steuereinnahmen wurden infolge der vom Staat selbst 48 Tajima und Tango gehören landschaftlich zum Sanin-dó.
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geduldeten und geförderten Entwicklung der Shöen immer geringer. Der Rodungsappell des Jahres 743 hatte den Gedanken, daß alles Land Staatsland sei, aufgeweicht und hatte den alten Adelsgeschlechtern, denen schon vorher Besitzprivilegien eingeräumt worden waren, freie Hand zur Entwicklung privater Wirtschaftsmacht gegeben. Selbst die Zahl der Bauern, die lieber Pächter von Privatland als Steuerzahler auf öffentlichem Land sein wollten, nahm laufend zu. Unter dem Adel war der Fujiwara-Clan der mächtigste. Er war durch Nakatomi Kamatari begründet worden, dem vom Kaiser im Jahre 669 das Kabane „Fujiwara" als Auszeichnung für Verdienste um den Staat verliehen worden war. Zu diesem Clan traten nach Kammus Tode noch zwei andere von Bedeutung hinzu, die aus der kaiserlichen Familie selbst hervorgegangen waren: Die Minamoto (oder Genji) und die Taira (oder Heike). „In der Mittleren und Späten Heian-Zeit lag die tatsächliche Kontrolle der Regierung in den Händen einer Reihe von Oberhäuptern des mächtigen Fujiwara-Clans. Die Kaiser herrschten zwar, aber sie beherrschten das Land nicht mehr" (62). Die Fujiwara „lenkten nicht nur die Geschicke des Staates als Regenten und Zivildiktatoren, sie nahmen auch als Gelehrte, Dichter, Künstler und Priester die hervorragendsten Stellen im kulturellen Leben ein" (21). Dies war der Weg vom zentralistisch aufgebauten Beamtenstaat zum Zerfall in einen Feudalismus, der von der Gliederung des Landes in Hunderte von selbständigen Siedlungskammern und von der Gliederung der führenden Gesellschaft in Sippenverbände auf der Basis von Hausgöttern immer wieder begünstigt wurde. II. Die Provinzhauptstädte (Kokufu) Mit der Neugliederung des Reiches in zunächst 68 Provinzen, deren Zahl sich nach Unterwerfung der Ainu auf 72 erhöhte, mußten Provinzverwaltungen aufgebaut werden. Man gründete Koku-fu, Provinzhauptstädte, in denen ein Koku-shi oder Provinzgouverneur residierte; ihm unterstanden das Verwaltungsamt, Landamt, Finanz-, Polizei- und das Militäramt. Untergebracht waren diese Ämter im Kokuga, dem Regierungsgebäude, zu dessen Außenbereich auch Schule, Garnisonsgebäude und die Speicher bzw. Vorratslager (mikura, miyake) für das Speichern der Sachsteuerleistungen gehörten. Das Kokuga stand in der Mitte der Stadt, die in ihrem Grundriß und ihrem Straßengitter ein Abbild der Hauptstadt war, nur daß man sie als quadratische Fläche und viel kleiner abgesteckt hatte (16). Nach Fujioka hatte Suha, die Hauptstadt von Suö (heute Yamaguchi-ken) eine Größe von 1 km 2 ; die Kokufu von Bizen war sogar ein wenig kleiner, 850 mal 850 m (19, 74). Dagegen nahm Dazaifu unter den Provinzstädten eine Sonderstellung ein, da es die Funktion eines Generalgouvernements hatte und einen umfangreichen Beamtenapparat benötigte; der Raumbedarf erweiterte den Stadtgrundriß zu einem Rechteck von 3,2 km in nordsüdlicher und 2,5 km in ostwestlicher Richtung. Die noch größere Ähnlichkeit mit der Hauptstadt zeigte sich auch darin, daß die Regierungsgebäude des Dazai no sotsu an der Nordseite mit Blick auf die nach Süden laufende Mittelstraße lag. Alle Kokufu erhielten eine Betonung ihres zentralen Charakters durch die Errichtung von Kultstätten von Provinzrang, die entweder im Stadtbereich selbst oder in dessen Nähe errichtet wurden. In der Tempelhierarchie nahmen die Kokubunji (Provinztempel) und Kokubun-niji (Nonnenklöster) eine Stellung in der oberen
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1. Kapitel: Mensch und Landschaft
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Hälfte ein, und die Shinto-Verwaltung gab den Schreinen bei der Provinzverwaltung den Rang des Ichi-no-miya, des Schreines Nr. 1 der Provinz. Auch hierin machte Dazaifu eine Ausnahme: Der Kanzeonji und der Dazaifu Temmangü waren von überregionaler Bedeutung. Ihrer Lage nach geben die Kokufu Anlaß, dem in der Einleitung herausgestellten Gedanken Nachdruck zu verleihen; die Bindung des Siedlungsgeschehens ans Meer ist noch nicht als vorrangig zu erkennen. Selbst von Karten kleinen Maßstabes läßt sich das ablesen. Ihrer Funktion entsprechend, mögen die Kokufu inmitten der Ebenen die Reissteuerabgaben besser unter Kontrolle gehabt haben als von der Küste aus, obgleich die Küstenlage eine günstige Möglichkeit für den Abtransport in die Reichszentrale auf Schiffen ermöglicht haben könnte: Warum aber auf Schiffen, da ja die Hauptstadt auch im Binnenland lag! Leider ist keine der Kokufu aus der Nara- und Heianzeit erhalten, so daß entsprechende Analysen nicht bis in die Einzelheiten vorgenommen werden können. Der Zentralitätscharakter dieser Städte ging in den meisten Fällen verloren und damit löschte sich ihr Erscheinungsbild fast völlig aus. Die Kokufuba, d. h. die Standorte der Kokufu, sind aber so klar ermittelt wie deren Grundrisse. Relikte der alten Verwaltungsgebäude (Kokuga) wurden in Seta (Ömi-kuni, heute Shiga-ken) und Suha (Suöken, heute Yamaguchi-ken) ausgegraben (15). Auf der Flur des Takashima-son, heute nach Okayama-shi einverleibt, wurde die Fläche freigelegt, auf der das Regierungsgebäude stand (19, 73). Einige Kokufu leben auch in Ken-Hauptstädten weiter, wie Takefu in Fukui, Sumpu in Shizuoka. Alle diese Orte liegen nicht an der Küste, mit der man zwar insofern wenigstens Verbindung gesucht hatte, als man die Binnenlage mit der Flußlage verband, die den Bootsverkehr zu den Küstengewässern ermöglichte. Die vom Meere abgerückte Lage der weitaus größten Zahl der Provinzhauptstädte des Beamtenstaates erbte sich fort bis in die Gegenwart; ein bemerkenswert kontinentales Motiv für die Agglomeration städtischer Funktionsbereiche in einem Land, das man so häufig als das „meeresverbundene" schlechthin bezeichnet. III. A n d e r e O r t e städtischer Funktionsbereiche Die überlieferten Reichsannalen erwähnen wiederholt Hafenplätze und große Kultstätten. In einigen Fällen haben auch diese in der Nara- und Heianzeit zu einer verstärkten Menschenansammlung geführt, so daß man seither schon von Hafenund Kultstädten sprechen kann. Hakata (Fukuoka) ist ältester Kontaktpunkt zum Festland gewesen. In seinem Hafen wurden die Ankömmlinge überprüft. Aufsicht über dieses Verfahren übte man von Dazaifu aus. Die örtlichen Einrichtungen hierzu und die Wohnungen der Beschäftigten bildeten die Hafenstadt. Dasselbe gilt für die Hafenstadt Naniwa (Osaka) an der Yodogawa-Mündung. Diesen Flußhafen hatte KAMMU T E N N Ö angesprochen, als er die Lage von Nagaoka als günstig bezeichnete. Wiederholt hat die Hafenstadt, allerdings jeweils für kurze Zeit, als Hauptstadt gedient; noch öfter hat man nur mit dem Gedanken gespielt, sie zur Hauptstadt zu machen. Ise und Taisha rechnet FUJIOKA schon für die Heianzeit zu den Städten (16, 638). Für Ise gilt dies ohne Zweifel, da es zugleich eine Kokufu war. Über Taisha aber fehlt im Izumo Fudoki vom Jahre 733 (Tempyo 5) jeder Hinweis dafür, daß dies
H. Leitlinien des
Infrastrukturgefüges
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ein größerer Ort gewesen wäre. Der Schreinhaushalt bestand aus dem kambe-nosato, das etwa 50 Familien enthielt (24, 116). Die Gemeinde Izumo, nur 1200 m südöstlich vom Taisha gelegen, bestand aber nur aus der Distrikt-Verwaltung.
H. Leitlinien des Infrastrukturgefüges Die regionale Großgliederung des Archipels in „Dö", d. h. in Provinzgruppen entlang von Küstenwegen, folgte dem Angebot, das die Landesnatur mit ihren Küstensäumen, Ebenen und Tälern dem siedelnden Menschen entgegenbringt. Von NO her vereinigen sich die „Wege" am Biwasee in der Altlandschaft Ömi; von SW her finden sie sich in der Altprovinz Yamashiro zusammen; es bedurfte nur einer geringen Initiative, die beiden Seiten über den Higashiyama hinweg zu verbinden. Heiankyö (Kyoto) ist das Bindeglied. Diesem Leitliniensystem legte sich das Straßennetz auf. Der seit 645 bestehende Beamtenstaat erstreckte sich im 9. Jh. über mehr als 1500 km. Zentrales Regieren verlangte einen schnell arbeitenden Nachrichtendienst. Es war unmöglich, diesen mittels der Schiffahrt oder eines Postkutschensystems aufzubauen. Das Nachrichten- und Verkehrswesen bediente sich eines Heeres von Reitern, die ihre Pferde auf Poststationen (eki, auch umaya) wechseln konnten. „Das System der Poststationen wurde bereits im Taihóryó und Yöröryö kodifiziert. Die Haushaltungen der Poststationen hatten neben ihren Kopfanteilfeldern (kubunden) die Felder der Poststation zu bestellen, mit deren Ertrag die Poststationen unterhalten wurden" (9, 120). Die Fläche für die Postfelder bemaß man an Großstraßen auf 4 chö, an Mittelstraßen auf 3 chö, an Kleinstraßen auf 2 chö. Großstraßen waren Sanyödö einschließlich Daizaifu-Straßen, Mittelstraßen Tökaidö und Tösandö; alle übrigen galten als Kleinstraßen. Diese Einteilung entsprach dem Verkehrsaufkommen. In den Reformerlassen des KÖTOKU T E N N Ö von 646 wird auch die Zahl der Postpferde (hayuma) und Ersatzpferde festgelegt. Für die Poststationen des Sanyödö sollten es 20 sein, wobei die Unterhaltspflicht bei den benachbarten Bauern lag: je 50 Haushalte hatten für ein Postpferd zu sorgen und waren dafür von Frondienstleistungen befreit. Auf die Poststationen der übrigen Straßen entfielen im allgemeinen 15 Pferde. Hervorgehoben wurden im Jahre 806 die Posthöfe der Provinzen Bingo, Aki, Suö und Nagato, die ursprünglich für Besucher aus den Randstaaten des Kontinents bereitgehalten wurden und mit Ziegelbedachung sowie getünchten Wänden versehen waren (54,545). Die Anzahl der in einer Provinz liegenden Poststationen richtete sich nach der Länge der auf sie entfallenden Wegstrecken und nach dem Gelände, durch das die Wege zogen. Ausgebaute Straßen gab es nur sehr wenige; im allgemeinen führte man die Wege an den Bergfüßen entlang, weil die Ebenen bei anhaltendem Regen häufig von den Flüssen überschwemmt wurden. Dies ist im übrigen ein weiterer Grund auch für die Bevorzugung solcher Binnenlage für die Kokufu. Die Poststationen hielten im allgemeinen einen Abstand von etwa 14 km zueinander. Wie unterschiedlich dies im einzelnen war, läßt sich aus dem Izumo Fudoki erkennen. Die Provinz Izumo wird vom Sanindö durchschnitten und hatte 5 Posthöfe (s. Abb. 4), die voneinander 11, 20, 14,5 und 10 km entfernt waren, im Durchschnitt also 14 km. Die unregelmäßige Wasserführung der Flüsse nötigte sehr bald zum Brückenbau oder zur Bereitstellung von „schwimmenden Brücken", wie ein Erlaß vom
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Jahre 801 die Fähren nannte (54, 433). Um derartige Verkehrsverbesserungen war der Staat vor allem für die Jahreszeiten der Steuerabgaben sehr besorgt. Aufmerksamkeit galt auch der Schiffahrt. Das Izumo Fudoki nennt 4 Hafenplätze an der rd. 50 km langen Nordküste der Provinz und berichtet von 5 mit Seezeichen versehenen Hügelpunkten. Die Sicherung der See war allein schon für den Verkehr mit den Inselprovinzen erforderlich, von Kyüshü aus mit den Provinzen Tsushima und Iki, von Echigo aus mit der Sado-Provinz und von Izumo aus mit der Provinz Oki. In Izumo zweigte vom Sanindö eine 18 km lange Nebenstraße ab, die nach der Nordküste führte, wo von der Poststation Chikumi aus die Überfahrt nach Oki erfolgte. Übrigens wäre ohne den Reiterdienst bis zur Küste die Verbindung der Inselprovinzen mit der Hauptstadt viel zu schwach gewesen. Die Kombination der Verkehrsmittel Pferd und Schiff ist selbstverständlich auch zwischen der Hauptstadt und den Hauptinseln Kyüshü und Shikoku üblich gewesen, und allein dies schon erforderte eine Instandhaltung der Hafenplätze und aller der Schiffahrt dienenden Einrichtungen, insbesondere der Feuerzeichen.
I. Zusammenfassende Wertung und Deutung des geograpisch bedeutsamen Geschehens vom 7. bis 9. Jahrhundert Das geographisch bedeutsamste Ereignis in der Zeitspanne vom 7. bis 9. Jh. ist die Konstituierung des gesetzlich verankerten Staates mit durchorganisierter Regierung, klar begriffenem Staatsvolk und einem in Provinzen gegliederten Staatsgebiet. Leitbild hierfür war die vom Kaiserlichen Konfuzianismus getragene chinesische Staatsform, die in ihrem straffen Aufbau auseinanderstrebende Kräfte zusammenzubinden vermochte. Im System des hierarchisch gegliederten Beamtenstaates mit autoritärer Spitze lagen grundsätzlich alle Entscheidungen beim Kaiser. Er war deshalb auch der allein Verantwortliche für alle Landesentwicklung, insbesondere für die raumwirksame Tätigkeit des Staates. Die Übernahme des chinesischen Modells fand Kritik, aber auch weithin Anklang; denn in seiner Konstruktion, so schien es, lag ein Grundgedanke der traditionseigenen Vorstellung des Kokutai. Die Spitze des Staates sah man in Japan sogar noch stärker betont, da der Kaiser nicht, wie in China, als vom Himmel nur „beauftragt" galt und die Würde verlieren konnte, sondern ein Glied in der Nachkommenschaft von Göttern darstellte und damit unabsetzbar war. Die Persönlichkeit des chinesischen Kaisers wurde nach dessen Verhältnis zu den konfuzianischen Moralgesetzen gemessen, die des Tennö leitete sich aus der Geburt innerhalb der Geschlechtsfolge ab. Die im Yamato-Staat vorentwickelte Monarchie war nunmehr die legitime Staatsform. Die vom chinesischen Modell grundsätzlich abweichende Konzeption der Staatsspitze war die Ursache für die sehr bald sichtbar werdende Sonderentwicklung des japanischen Kaiserreiches. Im 7. bis 9. Jh. bahnte sich solcher Vorgang erst an, war aber nur deshalb hintergründig, weil man zunächst von dem konfuzianischen Gedanken der Machtkonzentration in der Staatsspitze ergriffen war, der die überlieferte Vorstellung des Kokutai (32) zu bestätigen schien. Die Erwartungen, die man am Tennohof auf ein zentralistisch organisiertes Staatswesen setzte, ließen übersehen, daß gerade im Kokutai auch ein Element enthalten ist, das der Ent-
I. Wertung und Deutung
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wicklung einer autoritären Staatsspitze entgegenstand. Hiernach sollte der Herrscher vom Streben nach musubi, vom Streben nach Harmonie geleitet sein (32,129). Bedeutete doch schon der ursprüngliche Reichsname Yamato in seinen seit dem Jahre 737 verwendeten Schriftzeichen (ic #1) nichts anderes als „Große Eintracht", Große Harmonie. Und hieß es doch im letzten der 17 Artikel von Shotoku Taishi: „Wichtige Angelegenheiten dürfen nicht allein entschieden werden, man muß sie mit allen gemeinsam sorgfältig besprechen." Der Proklamierung des köchi-kömin, mit der sich der zentralistisch geführte Staat zum Besitzer des Volkes und des Landes machte, fehlte jeder Hauch von musubi und mußte für die Häupter der Geschlechterverbände, die sich wie das Tennö-uji ebenfalls von göttlichen Ahnen herleiteten, eine Herausforderung zum Widerstand sein. Solcher Widerstand war nur zu vermeiden, wenn man eine „Harmonie" derart gewährte, daß man den UjiHäuptern weitreichende Privilegien einräumte. Diese Privilegien waren es aber, mit denen sich der Staat dem musubi zuliebe im Verlauf von zwei Jahrhunderten dezentralisierte und entmachtete. Eine ebenso verhängnisvolle Abweichung vom chinesischen Beamtenstaat lag in der Auswahl der Beamten, die den Staat tragen sollten. Die Ausbildung für den Staatsdienst, die in der Hochschule (Daigaku) erfolgte, stand nur den Bewerbern aus dem Adel offen. Es gab kein „Tschün-tzu", das wie in China den Aufstieg eines Begabten aus den Gruppen der Freien ermöglicht hätte 49 . Die Form, durch die sich der japanische Staat in der Durchdringung des Gedankengutes aus Konfuzianismus und Kokutai-Vorstellungen konstituierte, läßt sich als Ausdruck einer Geisteshaltung deuten, die nicht ihresgleichen hat und „japanisch" genannt werden darf - allerdings mit der Einschränkung, daß die Träger dieses Gedankengutes nicht aus dem ganzen Volk bestanden, sondern nur aus der zahlenmäßig dünnen Schicht der Aristokratie und des Klerus. Allein die Veränderung, die der chinesische Staatsgedanke auf japanischem Boden erfuhr, macht deutlich, daß die chinesische Kultur die japanische Tradition nicht einseitig zu überprägen vermochte, sondern in ihrem Ansturm als Herausforderung wirkte, mit der es sich auseinanderzusetzen galt. Es ist dabei zur Verschmelzung von Wesenszügen beider Seiten gekommen. Es handelt sich um eine Kulturdurchdringung, nicht um das Unterliegen der einen oder andern Seite. Vielleicht kann in diesem Vorgang das erste umfassende Beispiel für das loyale Verhalten gegenüber einer fremden Kultur gesehen werden, als Beispiel für die Bereitschaft, Fremdes zu überprüfen und gern zu übernehmen, soweit es sich für die Fortentwicklung des Überlieferten als sinnvoll erweist, es aber auch zu verwerfen, sofern es sich nicht einordnen läßt. Im Sinne einer von Pragmatismus geleiteten Kulturdurchdringung heben sich folgende kulturlandschaftlich physiognomische und funktional bedeutsame Innovationen vor allen anderen heraus: 1. Die Antwort des Staates auf die zur Dezentralisierung disponierte, naturräumliche Gliederung des Archipels war der Aufbau einer zentralen Regierung mit einer konsequent durchgeführten Provinz- und Distriktgliederung bei gleichzeitiger Gründung von Provinzhauptstädten und Distriktverwaltungen sowie der Errichtung eines alle anderen Orte überragenden Reichsmittelpunktes, der nach 49 Das von Konfuzius geschaffene Leitbild des Tschün-tzu ist der Edle, der des Aufsteigens würdig ist, unabhängig von häuslichem Rang und von Geburt. Vgl. Toyotomi Hideyohsi.
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1. Kapitel: Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
80jährigem Einfühlen in die Funktionsnotwendigkeiten einer Hauptstadt in Heiankyö, dem späteren Kyoto, seinen für mehr als 1000 Jahre gültigen Standort fand. Die Lage Kyotos und der älteren Hauptstädte berechtigen zu der Deutung, daß bei ihrer Festlegung das Lebensgefühl binnenländisch orientierter Menschen ausschlaggebend war. Erhärtet wird diese These dadurch, daß auch die Hauptstädte der 72 Provinzen, wie sie im Engishiki des Jahres 927 lückenlos aufgeführt wurden, mit Vorzug in Abstand von der Küste liegen. Dies stellt die herkömmliche Auffassung in Frage, die Herkunft der auf dem Archipel siedelnden Menschen sei vornehmlich in meeresverbundenen Kulturbereichen zu suchen. 2. Der Städtebau war eine der bedeutenden kulturlandschaftlichen Innovationen, die Japan von China aus erfuhr. Adoptiert wurde allerdings außer der Grundidee vornehmlich der Grundriß einschließlich seiner geomantisch deutbaren Ausrichtung. Das Gitternetz der Straßen, die Lage des Palastes und die vom Palast aus nach Süden führende Mittelstraße waren chinesische Grundelemente. Der Verzicht auf die Stadtmauer war eine landeseigene Entscheidung, und dieser Verzicht ermöglichte das Übergleiten des bebauten Stadtraums in den die Ostseite begrenzenden Bergwald mit seinen Schreinen und Tempeln. Eingefügt in den kosmisch bedingten Nord-Süd-Gegensatz und verbunden mit den immergrünen Bergwäldern auf der Sonnenaufgangseite, finden sich Staatsspitze, Zentralverwaltung, Kultstätten und Natur in den Komplexen der ersten Hauptstädte in harmonischer Einheit zusammen. Der Versuch, Nagaoka als Hauptstadt aufzubauen, wurde wahrscheinlich aufgegeben, weil der gewählte Platz die geomantischen Voraussetzungen entbehrte, insbesondere nach NO und O eine offene Flanke gegen eine sumpfige Niederung hatte, auf der weder die Errichtung von kultischen Stätten zur Abwehr böser Geister noch jener für die Repräsentation der Staatsreligionen möglich war. 3. In der Verwaltungsgliederung ahmte man zwar chinesisches Vorbild nach, vollzog sie aber territorial in einem so hohen Maß von Einpassung in die naturräumliche Gliederung des Archipels, daß sie im Grundsätzlichen bis ins 19. Jh. gültig blieb und selbst in den Provinzgrenzen von heute noch erkennbar ist. Dies spricht in erster Linie nicht für historisches Beharrungsvermögen, sondern für Naturverbundenheit bzw. für eine Verhaltensweise, die sich in Harmonie mit der Natur wissen möchte. 4. Die Antwort des Staates auf die Herausforderungen der Natur, sofern sich deren allgemeine Gunst (s. Bd. 1, S. 479) durch hereinbrechende Katastrophen ins Gegenteil verkehrte, lag nicht in gefügigem Hinnehmen, auch nicht in der bloßen Beschwörung von Göttern, das Unheil abzuwenden, sondern im systematischen Ausbau einer Vorratswirtschaft, die zumindest die Ernährung der Bevölkerung in den Katastrophengebieten sicherstellte. In jeder Provinzstadt, erst recht in der Hauptstadt, aber auch in Nachbarschaft von Schreinen, Tempeln und AristokratenResidenzen wurden feuerfeste und zum Schutz vor Überschwemmungen und Ratten hochgestellte Speicher (kura) errichtet, wie sie aus früherer Zeit vereinzelt als Aufbewahrungshütten für Wertgegenstände überliefert waren. Im System der Speicher wurden die Sachsteuern von Reis und anderen Körnerfrüchten registriert, zur Disposition gestellt und nach Bedarf an die Zentralspeicher in Kyoto abgerufen. Die Sorge um die Sicherstellung der Volksernährung war für das Tennöhaus
I. Wertung und Deutung
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von so großer Bedeutung, daß es sogar gegen die von China übernommene Geldwirtschaft, sofern diese die Vorratswirtschaft gefährden könnte, Gegenmaßnahmen ergriff. Hierin offenbarte sich jene Haltung, die sich von bloßer Loyalität gegenüber den Untergebenen zur sozialen Verpflichtung (giri) vertiefte, ohne welche die soziale Harmonie nach japanischer Auffassung nicht gedeihen kann. 5. Die Neuverteilung der landwirtschaftlichen Nutzflächen war eine Maßnahme zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit. Auch dieser im Sinne moderner Landesplanung und Raumordnung vollzogene Akt ist deutbar aus der Haltung des giri, der Verpflichtung zu sozialer Gerechtigkeit. Freilich war eine Agrarreform auch erforderlich geworden durch die Schwierigkeiten, die sich für die Ernährung der stetig wachsenden Bevölkerung ergaben. Aber die Entscheidung für das „Wie" der Lösung des Problems mit Hilfe des in China angewandten Handensystems ermöglichte erst die Erfüllung des giri. Das für die Vermessung der Mundanteile verwendete Jöri-Gitter erwies sich als ein kulturlandschaftlicher Innovationseffekt von weiträumlich und langzeitiger Gültigkeit; noch heute steht die Jori-Einteilung der Reisflächen auf Talböden und Ebenen im Einklang mit dem Bewässerungssystem. Als schwerfällig erwies sich die Zuordnung der Mundanteile an die rasch wechselnde Personenzahl der Familie: Wenn auch zur Erhaltung der „Gerechtigkeit" die Zuteilungen nach Ablauf von je 6 Jahren erneuert werden sollten, so mußte dies sehr bald bei der bloßen Absicht verbleiben, weil die Beamten diesem Arbeitsanfall nicht gewachsen waren und die Bauern, nach Selbsthilfe greifend, aus der Legalität ausbrachen. Die Ausnutzung der Gesetzeslücken förderte die Beschleunigung der Landgewinnung durch das Shöen-System und die Flucht der Bauern in die Shöen der Aristokratie und Kultstätten. Das Spannungsverhältnis zwischen Handensystem und Shöen-System löste sich zugunsten des letzteren, und diese Entwicklung kann als die erste Willensäußerung des gesamten Volkes, sowohl der privilegierten Landeigentümer wie auch der Bauern, gegenüber der starren Anwendung eines traditionsfremden Systems betrachtet werden. Landschaftlich erfuhr dieser Vorgang seine Ausprägung in der Erweiterung der landwirtschaftlichen Fläche, insbesondere in der Urbarmachung von Trockenböden. 6. Die Sorge um die Ernährung des Volkes hatte im 7. Jh. dazu geführt, daß man die Nutzfläche durch Zusammenlegung der weit verteilten Grabstätten in Friedhöfe zu erweitern suchte. Ein Erlaß vom Jahre 646 (Nihongi) besagt, daß Gräber weder an erhöhten Orten noch in der Ebene anzulegen seien: „Ich will nun diese Orte bebauen lassen und bewirken, daß man sie nach dem Wechsel der Generation nicht mehr erkenne . . .; zum Zwecke der Beerdigung sollen bestimmte Plätze festgesetzt werden, um nicht alles zu verunreinigen." Die Erhaltung der Nutzfläche war auch die Absicht des 783 verkündeten Erlasses gegen das Zersiedeln des Landes durch buddhistische Klöster. Nicht zuletzt hatte die für das Jahr 824 erstmals belegte Anweisung, alle 12 Jahre die Distriktkarte (Köri-Karte) zu erneuern (RKS, S. 241), den tieferen Sinn, die Veränderungen in der Nutzung des Landes zu kontrollieren. Daß all diese Maßnahmen zum Wohle des Volkes erforderlich waren, besagt bereits der Erlaß vom Jahre 723, mit dem sich der Tennöhof — es mag schweren Herzens geschehen sein — erstmals vom Handensystem abzuweichen genötigt sah, indem er die Urbarmachung von Waldland empfahl, das steuerfrei bewirtschaftet werden konnte. Diese Empfehlung wurde 743 in Form eines Appells verstärkt. Auch der Rodungsappell war ein Akt von
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1. Kapitel: Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
„giri": Die soziale Verpflichtung erwies sich gegenüber dem von China übernommenen Handensystem als progressive Kraft, auch wenn die Rodungsarbeit mit Hilfe der nach Steuerfreiheit suchenden Bauern vor allem den Landbesitz von Aristokratie und Klerus vermehrte. 7. Als Antwort auf akute und potentielle Bedrohungen von außen sowie auf das Einströmen von Flüchtlingen und Auswanderern wurde nicht nur das Staatsgebiet klar definiert, begrenzt und mit Schutzeinrichtungen versehen, sondern auch das Staatsvolk geschaffen. Zum Staatsgebiet rechnet der gesamte von Provinzgrenzen umschlossene Raum; zum Staatsvolk gehörten von nun an außer denen, die im Lande geboren waren, auch jene Fremdgebürtigen, die aufgrund ihrer Verwendbarkeit im Dienste des Staatsganzen naturalisiert wurden. Angesiedelt wurden die Fremden, wo sie ihren Fähigkeiten entsprechende Funktionen übernehmen konnten: Die Schriftkundigen, Künstler, Kunsthandwerker und Handwerker bevorzugt im Gokinai, aber auch in den Gebieten des Tökaidö und Sanyödö; die Bauern dort, wo leeres Land zu besiedeln war, d. h. mit Vorzug im Nordosten, wo sie gleichzeitig im Kampf gegen die Ainu eingesetzt werden konnten. Das Einbeziehen der Fremden ins Staatsvolk ist als ein Akt von Loyalität und Menschlichkeit anzusehen, dies um so mehr, als der Staat die volle Vorsorgeplicht für jeden einzelnen übernahm: Fremder Adel wurde in die heimische Aristokratie eingereiht und vermochte sogar hohe Staatsämter zu übernehmen; die an der Nordgrenze in Kampftruppen eingereihten Fremden erwarben bei Bewährung dieselben Anrechte auf eroberten Boden wie jeder andere Krieger. 8. Der von China übernommene Buddhismus wurde zum festen Bestandteil des japanischen Geisteslebens. Er wurde neben dem Shintöismus zur Staatsreligion erhoben. Das Tennöhaus errichtete den Tödaiji als Hoftempel, der zur Spitze einer Tempelhierarchie gemacht wurde, die der Hierarchie der Shintöheiligtümer mit der Spitze der Ise Jingü voll entspricht. Zum erstenmal erwies sich auf japanischem Boden die großzügige Toleranz gegenüber den verschiedenen Religionen: Voraussetzung für die Anerkennung einer Religion war seither nur, daß sie den staatlichen Interessen nicht entgegenstehe, sondern dem Staat auch irgendwie dienen könne. Solche Haltung ist zugleich Ausdruck von Pragmatismus. Die staatliche Einflußnahme auf den Buddhismus zeigte sich darin, daß sich die Tempelhierarchie wie die der Shintöschreine der Verwaltungsgliederung einpaßte. Tempel wie Schreine verstärkten den Zentralitätscharakter der Verwaltungsorte. Die geistige Durchdringung von Shintöismus und Buddhismus erfolgte im Ryöbu-Shintö, der Großtempel auch auf Berghöhen errichtete (Köyasan, Iwashimizu-Hachimangü) und sich als Shugendö zum Bergbuddhismus entwickelte. In diesen Lehren und deren Kultstätten bewährte sich die starke Einfühlungs- und Assimilationskraft der führenden Menschen jener Zeit. 9. Die Errichtung von Poststationen, wie sie im Reformerlaß des KÖTOKO TENNÖ 646 gefordert worden war (RKS, S. 147), wurde zügig durchgeführt. Das Hauptstraßensystem erhielt unter Nutzung der natürlichen Leitlinien im Kinai sein Zentrum und wurde in möglichst regelmäßigen Abständen — in Izumo waren es 15—20 km (heute bis zu 5 ri) — mit umaya oder eki besetzt, in denen je nach Straßenklasse Personen (Familien) und Kurierpferde zur Verfügung standen, die im Ablöseverfahren Eilnachrichten weiterleiteten. Uber den Nachrichtenverkehr hinaus dienten die Straßen dem Transport der Steuerabgaben und der Ware für
I. Wertung und Deutung
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die Märkte, dem Personenverkehr und der Bewegung von Truppenverbänden. Der Verkehr zu Wasser war eingespannt in den der Straßen. Im Jahre 801 wurden die Provinzen angewiesen, Pontonbrücken und Boote zur Erleichterung des Transports von Steuern und Tributen zu bauen, 845 werden für die Küste von Awaji erstmals Fährleute und Fährboote erwähnt (54, 251). Die Betonung des Landverkehrs, wie sie durch die Binnenlage der Hauptstadt erforderlich war, und die Haltung einer großen Zahl von Pferden, die im Grunde genommen für das Waldland Japan landschaftsfremd waren, sind Ausdruck von Umweltvorstellungen kontinentaler Herkunft, die in den Menschen des 7. und 8. Jahrhunderts noch sehr wirksam gewesen sein müssen. Dafür sprachen auch die Pferdefeste unter Huldigung des von China erfahrenen kosmischen Prinzips des „ y i n " und „yang" und die am Nifu-Schrein dargebrachten Pferdeopfer, wenn man bei anhaltender Dürre die Götter zum Spenden von Regen bewegen wollte. 50 10. Fragwürdige Ergebnisse zeitigte die auf der Basis konfuzianischen Gedankengutes versuchte soziale Neugliederung des Volkes. Die Vorrechte des Geburtsadels, de iure abgebaut, behielten de facto im Interesse des musubi durch Gewährung außerordentlicher Privilegien ihre Gültigkeit. Der neue Beamtenadel schmolz mit dem Geburtsadel, wenn auch in etwas veränderten Stellenwerten, zu einer Einheit neuer Form zusammen. Mit dem Bemühen um musubi unterlief der Tennohof sich selbst. Die soziale Spannung lautete Besitzadel contra befreites, aber in neue Abhängigkeiten und erneute Armut geratenes, mit Fron und Abgaben belastetes Bauernvolk. Diese Zerrung zwischen „ o b e n " und „unten" erhielt durch den Konfuzianismus geradezu ihre Legitimation, und sie war starrer als auf dem Kontinent, weil es kein Tschün-tsu gab. 49 Ventile für die Befreiung aus der mißlichen Lage waren die Flucht vom väterlichen Hof in eine Dienstleistung innerhalb der Hauptstadt oder in das Shöen eines Aristokraten, eines Schreins oder Tempels, wo man steuerfrei wurde, Flucht in die kämpfende Truppe, um von dort aus zum Gegner überzulaufen, Flucht schließlich in das aufkommende Straßen- und Seeräubertum, übrigens alles Vorgänge, die der ordentlichen Führung des Bevölkerungsregisters (koseki, auch jin-seki) Schwierigkeiten machten: Der Glanz von Nara und Heiankyö (Kyoto) bestand in der vom Hof, von der Aristokratie und vom Klerus getragenen Kultur; das Volk hatte daran nur dienenden, keinen mitwirkenden und erst recht keinen gestaltenden Anteil — es sei denn, es gehörte zum Hand- und Kunsthandwerk. Neben den zahlreichen kulturlandschaftlichen Innovationseffekten gab es auch Beharrendes, die Tradition Fortführendes, wie dies in den vorstehend behandelten Sachverhalten schon hier und da anklang. 1. Das gilt in erster Linie vom Ise Jingü. Er verlor trotz der Errichtung des kaiserlichen Hoftempels Todaiji in Nara und trotz der Erhebung auch des Buddhismus zur Staatsreligion keineswegs seine Funktion als Sprachrohr göttlichen Willens und wurde befragt, ob er z. B. die Verlegung der Hauptstadt gutheiße. Die atmosphärische Präsenz zweier Kultrichtungen am Tennöhof bezeugt besonders deutlich dessen Loyalität den Religionen gegenüber; dienten sie doch beide dem Staat! Diese Loyalität ermöglichte auch, daß sich der Ise Jingü von Einflüssen 50 Nifu, heutige Lesung Nyu (nach Auskunft von B. Lewin); Nyü liegt 8 km südwestl. von Yoshino, der Residenz der Südkaiser im Namboku-chö (1336—1329).
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1. Kapitel: Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
chinesischer Tempelbaukunst frei halten konnte, und nicht nur er; auch der Izumo Taisha, Atsuta Jingü und manch anderer in der Schrein-Hierarchie. 2. Unverändert blieb die von der Nahrungsgöttin in Ise beschützte Ernährungsweise. Sicherlich hat es an Versuchen nicht gefehlt, Rind und Schwein als Haustiere einzuführen, aber Fleischnahrung fand keinen Eingang — hierfür leistete der Buddhismus mit seinen Tabu-Erklärungen sogar Hilfe. Die Viehwirtschaft begnügte sich mit der Pferde- und Rinderhaltung für die Zwecke des Verkehrs; Großvieh als Haustiere gab es nicht; selbst Schwein und Schaf waren nicht begehrt. Der hohe Arbeitsanfall in der Bewässerungskultur, die Beachtung der ökologisch optimalen Ansprüche der Reispflanze in jeder ihrer Wachstumsphasen, die Möglichkeiten einer Ergänzungswirtschaft auf Trockenfeldern mit anderen Körnerfrüchten, Maulbeersträuchern und Tee, die nebenbei leicht beschaffbare Fleischnahrung durch Fischfang und Jagd, die geringe Aufmerksamkeit, die man der Viehhaltung schenkte: Dieses Funktionsgefüge bestimmte die täglichen Überlegungen und die Arbeit der Bauern wie schon vor der Taika-Reform auch bis in die späteren Jahrhunderte hinein, hielt die Bauern in dauernd engstem Kontakt mit dem Naturgeschehen und ließ den bewirtschafteten Boden als Teil ihres Wesens, als ihren Besitz erscheinen, auch wenn im Taihö-ryö geschrieben stand, daß das ganze Land Eigentum des Tennö sei (1). 3. Landschaftlich mitgeschleppt bis über die Heianzeit hinaus wurden die Kofun, die großen Hügelgräber. Pietät verbot es, die Erinnerung und Verehrung gegenüber den verstorbenen Mitgliedern des Tennögeschlechts auszulöschen. Ohne jede andere Funktion wurden sie zu Denkmalen des Yamato-Reichs. Daß man sie auch weiterhin erhielt, ergab sich aus dem Vorstellungsbereich des Kokutai.
Schrifttumverzeichnis für Einleitung und 1. Kapitel 1. Asakawa, Kanichi: Land and Society in Medieval Japan. Japan Soc. for the Promotion of Science. 1965. 2. Aston, W. G.: Nihongi, Chronicles of Japan from the Earliest Times to A . D . 697 (1896). Nachdruck London 1956. 3. Baelz, Erwin: Die Menschenrassen Ostasiens mit spezieller Rücksicht auf Japan. Z. f. Ethnologie, Bd. 33, 1901. S. 1 1 6 - 1 9 0 . 4. Bersihand, Roger: Geschichte Japans von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 1963. 5. Bishop, Carl Whiting: A Historical Geography of Early Japan. In: The Geographical Review, Vol. 13, 1923, u. Smithsian Report for 1925, pp. 5 4 7 - 5 6 8 . Washington 1926. 6. Bohner, Hermann: Shotoku Taishi. OAG, Bd. 29, T1 C. Tokyo 1936. 7. Buchanan, D. C.: Inari. Its Origin, Development and Nature. In: TASJ, 2nd Series, Vol. XII. Tokyo 1935. Inari bedeutet soviel wie Reisgarbe tragen (s. Glossar). 8. Chamberlain, Basil Hall: Translation of the „Kojiki" or „Records of Ancient Matters". In: TASJ, Vol. X, Supplement. Yokohama 1883. 9. Dettmer, Hans Adalbert: Die Steuergesetzgebung der Nara-Zeit. Wiesbaden 1959. 10. Egami, Namiyö: Die Tennö-Familie - Mongolische Reiter? Chuo Koronsha, Tokyo 1971. 11. Eder, Matthias: Die Kulturgeschichte des japan. Bauernhauses. Folklore Studies, Monograph No. 2. Tokyo 1963.' 12. Eickstedt, Egon von: Rassendynamik von Ostasien. Berlin 1944. 13. Florenz, Carl Adolf: Die staatliche und gesellschaftliche Organisation im alten Japan. OAG, Bd. 5, 44. Heft, 1890. S. 1 6 4 - 1 8 2 . 14. Franke, Otto: Geschichte des Chinesischen Reiches, Bd. 1. Berlin 1930. 15. Fujioka, Kenjirö: Historical Development of Japanese Cities. In: Japanese Cities. Special Publication No. 2, Assoc. Japanese Geographers, 1970. S. 13—16.
J. Schrifttumverzeichnis fiir Einleitung und 1. Kapitel
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16. Fujioka, Kenjirö: Some of the problems on the Kokufu (Japanese Ancient Cities) from the view point of historical geography. In: GRJ, Vol. 30, 1957, 8. S. 6 3 3 - 6 5 1 (Engl. Zusammenfassung). 17. Griffis, W. E.: Corea, the Hermit Nation. New York 1882. 18. Gundert, Wilhelm: Japanische Religionsgeschichte. Stuttgart 1935. 19. Hall, John Whitney: Government and Local Power in Japan, 500 to 1700. A Study based on Bizen Province. Princeton 1966. 20. Hammitzsch, Horst: Cha-Do. Der Teeweg. München 1958. 21. Hammitzsch, Horst: Geschichte Japans bis zum Beginn der Neuzeit. In: Die Große Illustrierte Weltgeschichte, Bd. 1: Urgeschichte bis Mittelalter, S. 1010-1063. Gütersloh 1964. 22. Hubert, Karl: Japan und China - Tochterkultur und Mutterkultur. In: Saeculum, Bd. 1, Jg. 1950. S. 590-612. 23. Ihmoto, Noboyuki: Die politischen Zentren Japans und ihre geographische Wanderung. In: JimbunKagaku, Vol. 8, 1956. S. 4 1 - 4 8 . 24. Izumo Fudoki. Translated with an Introduction by Michiko Yamaguchi, Sophia University, Tokyo 1971. 25. Janata, Alfred u. Erich Pauer, Josef Kreiner: Zur Geschichte des Pfluges (Karasuki). In: Arch. f. Völkerkde 1970. H. 24, S. 207-264. 25 a. Janata, Kreiner und Pauer: Materialien zu kuwa und suki. In: Arch. f. Völkde, 23, Wien 1969. S. 101-159. 26. Japan. Its Land, People and Culture. Compiled by Japanese National Commission for UNESCO. Tokyo 1964. 27. Kaempfer, Engelbert: Über die Verfertigung des Papiers in Japan. In: Geschichte und Beschreibung von Japan. Neudruck. Bd. 2, S. 385-393. Stuttgart 1964. 28. Kidder, J. E.: Japan before Buddhism. London 1959. 29. Kiyoshi, Nozaki: Kitsune, Japan's Fox of Mystery, Romance and Humor. Kyoto 1961. 30. Kobayashi, Hiroshi: The Modernization of Kyoto. In: Japanese Cities, 1970. 31. Kojiki. a) Translated by Basil Hall Chamberlain. 1883. b) —, mit Anmerkungen von W. C. Aston. 2 Bde, 2. Aufl. Asiatic Society of Japan, Tokyo 1932. 32. Kokutai no Hongi. Cardinal Principles of the National Entity of Japan. Translated by John Owen Gauntlett, ed. by Robert King Hall. Harvard Univ. Press, Cambridge/M. 1949. 33. Kono, Seiko u. Friedrich M. Trautz: Der Große Stupa auf dem Koyasan. Kyoto 1934. 34. Koya, Y.: Rassenkunde der Ainu. Tokyo 1937. 35. Kreiner, Josef: Geschichtlicher Abriß des Aso-Raumes. In: Aso. Vergangenheit und Gegenwart eines ländlichen Raumes in Südjapan, Hrsg. A. Slawik, J. Kreiner, S. Linhart, E. Pauer. Bd. 1, S. 5 6 - 1 2 3 . 36 a. Kümmel, Otto: Die Kunst Chinas, Japans und Koreas. Potsdam 1929. 36b. Kümmel, Otto: Kunstgewerbe in Japan. Berlin 1911. 37. Lewin, Bruno: Kleines Wörterbuch der Japanologie. Bochum 1967. 38. Lewin, Bruno: Kommentar zum Shoku-Nihongi. In: Rikkokushi, Hrsg. Horst Hammitzsch. Tokyo 1962. 39. Lewin, Bruno: Aya und Hata. Bevölkerungsgruppen Altjapans kontinentaler Herkunft. In: Studien zur Japanologie. Bd. 3. Wiesbaden 1962. 40. Lewin, Bruno: Japan — Land der aufgehenden Sonne. In: Kulturgeschichte der Welt. S. 412—485. Braunschweig 1966. 41. Lewin, Bruno: Die Japanischen Beziehungen zu den Emishi um das Jahr 800. In: Oriens, Vol. 1 8 - 1 9 , S. 304-326. 42. Lewin, Bruno: Der koreanische Anteil am Werden Japans. In: Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften. Geisteswissenschaften. Vorträge — G 215. Opladen 1976. 43. Lewin, Bruno: Die administrative Erschließung des altjapanischen Reiches. In: Der Staat und sein Territorium. Festschrift f. M. Schwind, Hrsg. Friedr.-Rauch-Institut, S. 73—85. Wiesbaden 1976. 44. Mainichi Daily News, Tokyo, 3. 4. 1972. Discovery of Mural Barrow. 45. Minato, Masao u. a.: The Geologie Developments of the Japanese Islands, Tokyo 1965. 46. Naberfeld, Emil: Grundriß der japanischen Geschichte. OAG, Supplementband 19. Tokyo 1940. 47. Nachod, Oskar: Geschichte von Japan. a) 1. Band: Die Urzeit bis 645 n. Chr. Asia Major, Leipzig 1906. b) 2. Band, 1. Hälfte: Die Übernahme der chinesischen Kultur bis ca. 850. Leipzig 1929. c) 2. Band, 2. Hälfte: Die Übernahme der chinesischen Kultur. Leipzig 1930.
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1. Kapitel: Mensch und Landschaft vom 7. bis zum 9. Jahrhundert
48. Narita, Kiyofusa: Japanese Paper-making. Tòkyo 1954. 49. Nihongi. Übersetzt von Karl Florenz. Buch 1 - 2 (Mythologie). OAG Tokyo 1901. Buch 2 2 - 3 0 (Annalen). OAG, 1903. 50. Nihon Rekishi Daijiten (Enzyklopädie der japanischen Geschichte). Tòkyo 1959. 51. Ponsonby-Fane: Studies in Shintô and Shrines, Kyôtô 1942, 3. Aufl. Kyoto 1957. 52. Ramming, Martin (Hrsg.): Japan-Handbuch. Berlin 1941. 53. Reischauer, Robert K.: Early Japanese History (c. 40 B . C . - A . D . 1167); 2 Bde, Princeton 1937. 54. RKS = Rikkokushi s. Zitat 38. 55. Rotermund, Hartmut: Die Yamabushi. Monographien zur Völkerkunde, Hamburg 1968. 56. Samson, George B.: Japan. Von der Frühgeschichte bis zum Ende des Feudalsystems. Essen 1975. 57. Satow, J. E. M.: The Shintô Temples of Ise. In: TASJ, Vol. II, 1874. S. 101-124. 58. Sawada, Goichi: Nara-chô-jidai minseikeizai no shuteki-kenyu (Studie über den ZivilverwaltungsHaushalt der Nara-Zeit) Tokyo 1943. Zitiert bei Reischauer u. A. Dettmer. 59. Schwind, Martin: Die wissenschaftsgeschichtliche Stellung der „Descriptio Regni Japoniae". In: Descriptio Regni Japoniae, Beschreibung des Japanischen Reiches. Unter Mitarbeit von L. Brüll hrsg. und kommentiert von M. Schwind u. H. Hammitzsch. S. XVII-XXXIX. Darmstadt 1974. 60. Schwind, Martin: Die Kulturlandschaft Japans um das Jahr 800. In: Asien, Tradition und Gegenwart. Festschrift Horst Hammitzsch. S. 555-570. Wiesbaden 1971. 61. Senge, Takamune: Izumo Taisha. Gakuseisha, Tòkyo 1968. 62. Shelden, Charles: Politik und Gesellschaft vom 8. Jahrhundert bis 1868. In: Der Ferne Osten, Hrsg. Arnold Toynbee. S. 213-224. Braunschweig 1974. 63. Shôku Nihongi, Kommentar, s. Zitat 38. 64. Snellen, J. B.: Shoku Nihongi. Chronicles of Japan, continued A.D. 687-791. In: TASJ, Sect. Ser. XI. 1934. 65. Sòma, Masatane: The Cultivation of Mitsumata on Shifting Fields in Shikoku. In: IGU, Proc. 1957. S. 470-477. Tòkyo 1959. 66. Sternberg, L.: The Ainu Problem. In: Anthropos, Bd. 24, 1929. S. 755-799. 67. Takekoshi, Y.: The Economic Aspects of the History of the Civilisation of Japan. London 1930. 68. Tanioka, Takeo: The Jôri-type Paddy Fields in the Eastern Harima Plain (japanisch). In: G. R. J., Vol. 27, S. 275-286. Tòkyo 1954. 69. Tanioka, Takeo: Le Jôri dans le Japon ancien. In: Annales, 14e Année, 1959. S. 625—639. 70. Taut, Bruno: Grundlinien der Architektur Japans. Kokusai Bunka Shinkokai, S. 16—17. Tokyo 1936. 71. Toyoda, Takeshi: Sakai. Feudalistische Städte Japans (japanisch). Iwanami Shoten, Tòkyo 1957. 72. Watanuki, I. und M. Fukaya: Verbreitung und Form des Jöri-Systems (japanisch). In: GRJ, Vol. 11, S. 561ff. Tokyo 1935. 73. Wedemeyer, André: Japanische Frühgeschichte, Untersuchungen zur Chronologie und Territorialverfassung von Altjapan bis zum 5. Jh. n. Chr. Tòkyo-Leipzig 1930. 74. World Register of Dams. Vol. III: Japan. Paris 1964. 75. Yamada, Yasuhiko: About the Geographical Conditions bearing on Transitional Zone of the ancient Ritsuryo Statutory State in Northeastern Japan. In: GRJ, Vol. 46, 1973. S. 707-730. 76. Yasuda, Yoshinori: Perhistoric Environment in Japan. Palynological Approach. Institute of Geography, Tôhoku University, Sendai 1978. 77. Yonekura, Jirô: The Development of the Grid-Pattern Land Allotment System in East Asia. In: Proc. IGU, Japan 1957. S. 545-549. Tôkyô 1959. 78. Zachert, Herbert: Semmyô. Die kaiserlichen Erlasse des Shoku-Nihongi. Berlin 1950.
2. Kapitel Mensch und Landschaft in der Kamakura-Zeit (1180-1333)
1. Abschnitt Minamoto Yoritomo als Reichsverweser (Shögun) und seine Konzeption von Kamakura als politischer Hauptstadt A. Die Verlagerung der Reichsgewalt vom Tennohof der Reichshauptstadt in die Provinz als Akt von geographischer Bedeutung Der zerbröckelnde Beamtenstaat, der vom 10. bis 12. Jh. in völlige Abhängigkeit der großen Klöster, des Hofadels und des Schwertadel genannten provinziellen Kriegerstandes geraten war, bedurfte einer Ablösung, die zugleich den Kämpfen zwischen den drei nach Vorherrschaft drängenden Machtgruppen ein Ende setzte. Unter den rivalisierenden Kräften hatten sich die Schwertadelsgeschlechter der Taira und Minamoto als die mächtigsten erwiesen. Beide waren kaiserlicher Herkunft 1 ; in Steigerung ihres Geltungsbedürfnisses wurden sie zu Feinden. Während aber die Taira unter Führung ihres Oberhauptes KIYOMORI auf dem Weg einer Wiedereingliederung in die Hofaristokratie und sogar in die Tennöfamilie ihre Macht zu festigen versuchten, sah YORIMOTO die künftige Kraftquelle des Reiches in dem von der Dekadenz des Hofes unberührten Kriegerstand, der sich in den mittelfernen und besonders in den „fernen" Grenzmarken des Nordostens und Südwestens auf der wirtschaftlichen Basis des Shoen-Besitzes entwickelt hatte. Obgleich 1160 als nur 13j ähriger, aber letzter Sproß der im Geschlechterkampf aufgeriebenen Minamoto-Hauptlinie von den Taira nach Izu verbannt 2 , wo er 20 Jahre hindurch bewacht wurde, gelang es Yorimoto 1180, in wenigen Monaten eine Gefolgschaft zu gewinnen, mit deren Hilfe, wenn auch bei wechselndem Kriegsglück, die Taira in der Seeschlacht von Dannoura 1185 vernichtend geschlagen werden konnten. YORIMOTOS Ansehen und Macht breitete sich über den
1 Die TAIRA, auch Heike oder Heishi genannt, entstammen der Familie des KAMMU TENNO (782—794); ihr Ahnherr ist der Prinz Katsurabara ( 7 8 6 - 8 5 3 ) . Die Minamoto oder Genji (s. S. 69) sind Nachkommen von Prinzensöhnen, die im 9. und 10. Jh. aus ökonomischen Gründen aus der Tennöfamilie ausschieden; sie stammen von den Kaisern der Jahre 809—897 ab, insbesondere von Saga, Seiwa und Uda, weshalb man auch von Saga Genji, Seiwa Genji, Uda Genji spricht. YORJTOMO gehörte zu den Seiwa Genji. Er war 1247 geboren und starb, 52 Jahre alt, 1299. 2 Verbannungsort war Hirugakojima am Kanogawa, nahe von Nirayama. Dieser Verbannungsort deutet darauf hin, daß Izu im 12. Jh. noch wenig erschlossen war. BARTH meint (Tl. 1, S. 28) in Kyoto habe man den Ort für eine Insel gehalten; auch solche Vorstellung würde auf nur geringe Vertrautheit mit diesem Landesteil hinweisen.
82
2. Kapitel:
Mensch und Landschaft
in der
Kamakura-Zeit
gesamten Archipel aus, und seine Erfolge erhielten ihre Krönung 1192, als er vom Tennö zum Shögun ernannt wurde. Diese Würde, seit dem 8. Jh. als militärische Auszeichnung verliehen, wurde bei der Verleihung an YORIMOTO weit mehr als ein Titel. YORIMOTOS Titel bedeutete vom Tennö verliehene politische Macht. Dieser historische Akt teilte die oberste Reichsgewalt, und dies war das offizielle Ende des im 7. Jh. errichteten zentralistischen Beamtenstaates sowie der Beginn einer Hausmeier-Diktatur, die bei nur kurzer Unterbrechung Bestand bis 1867 hatte. Wenn auch der Tennöhof als religiös begründete Staatsspitze und als kaiserlicher Regierungsapparat bestehen blieb, so lag für 675 Jahre der Vollzug politischer Willensakte vorwiegend beim Shögun. Das galt auch und besonders für alle Fragen der Gebietsausweitung und Landesentwicklung. Die erste raumwirksame Entscheidung des Shögun lag darin, daß er die Funktionsteilung zwischen Tennöhof und Militärregierung auch räumlich zum Ausdruck brachte: Er baute eine eigene Hauptstadt mit einer unabhängig eigenen Zentralregierung auf. Das war von geographisch grundsätzlicher Relevanz. Das schwächte Kyoto um zahlreiche Funktionen, verlagerte sie in die Provinz und erzeugte erstmals ein räumlich zweipoliges Staatsgebiet. Mit der Erhebung Kamakuras zum Zentrum politischer Machtausstrahlung trat das erste Mal die größte Siedlungskammer Japans, das Kantö, als Alternative für den Sitz der Reichszentrale in Erscheinung. Zwar ist Kamakura nicht Teil der Ebene selbst, aber es ist der Torwächter zu dieser, und wer immer vom Westen auf dem Tökaidö zum Kantö gelangen oder vom Nordosten über das Kantö am Meer entlang Kyoto erreichen wollte, mußte zu jener Zeit noch quer durch die neu gegründete Stadt.
B. Die Konzeption von Kamakura als politischer Hauptstadt Für die Entwicklung des Dorfes Kamakura zur Shögunatshauptstadt trafen in YORITOMO mehrere Gedanken zusammen. Nachweisbar sind folgende: 1. Von seinen Vorfahren hatten YORIYOSHI (995-1082), YOSHIIE (1041-1108) und sein Vater YOSHITOMO (1144) schon in Kamakura gewohnt. YORIYOSHI hatte auf kaiserlichen Befehl einen Feldzug gegen die aufständische Abe-Familie, die sechs Distrikte in Mutsu beherrschte, erfolgreich geführt und war zum Herrn der Provinz Sagami, in der Kamakura liegt, ernannt worden. YOSHIIE, der seinen Vater im Kampf in den Grenzlanden begleitet und sich später bei der Bekämpfung der kriegerischen Mönche des Miidera in Ömi verdient gemacht hatte, wurde zum Mutsu-no-kami erhoben; bevor er mit seiner Truppe nach Mutsu auszog (1086), hatte er auf dem 93 m hohen Hügel hinter seinem Hause die weiße Minamotobzw. Genji-Fahne gehißt, weshalb diese fast zum inneren Stadtbereich des heutigen Kamakura gehörende Kuppe seither den Namen Genjiyama trägt. YOSHITOMO (1123-1160) war Herr des Lehens Kamakura und hat zuwenigst 1144 in Kamakura residiert (4 a, 21—24). Wenn auch YORITOMO seine Kindheit und Jugendzeit in der Fremde und in der Verbannung verbracht hatte, mußte ihm Kamakura aus Gründen der Familientradition seelisch sehr nah gelegen haben und als eine Verpflichtung erschienen sein.
A. Die räumliche
Verlagerung der
Reichsgewalt
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2. Wie schon YORIYOSHI und YOSHIIE hatte YORITOMO sein Schicksal der Gottheit Hachiman anvertraut. Vor seinem Auszug zum Kampf hatte YORIYOSHI vor dem Schrein des Hachiman in Iwashimizu gelobt, der Gottheit einen weiteren Schrein zu errichten, falls der Feldzug erfolgreich sei. Das Versprechen hatte er eingelöst mit dem Bau eines Schreines im Dorf Yui, an der Küste Kamakuras. YOSHIIE, am Iwashimizu Hachimangü für mündig erklärt, vergrößerte den YuiSchrein. YORITOMO ließ den Schrein von der Yui-Küste an das Nordende der Talung verlegen und machte ihn zum Zentrum der Stadt. 3. Hachiman war für YORITOMO weniger der Kriegsgott als der Beschützer der Krieger, der Ritter, Bushi oder Samurai, deren Stellung in der Gesellschaft des Staates in Ansehen zu bringen sich Yoritomo zu einer seiner Aufgaben gemacht hatte. Hierbei kam ihm zu Hilfe, was mit dem Einschmelzen des Shintöglaubens in buddhistische Vorstellungen (s. Ryöbu-Shintö) an ethischen Normen in die Geisteskultur einzufließen vermochte. Der Zen-Buddhismus bzw. das Zen, gerade im 12. Jh. nach Japan gebracht, „mußte mit seiner Männlichkeit und Zucht, seiner schlichten Lebenskunst und Todesverachtung, seiner Vornehmheit und Ritterlichkeit" für die Schaffung eines kulturellen Mittelpunktes in Kamakura „wie gerufen erscheinen" (14, 95). Es war nicht nur selbstverständlich, sondern dringend erforderlich, auch dem Buddhismus einen wesentlichen Anteil an der Gestaltung der neuen Hauptstadt einzuräumen. 4. Die Landschaftskammer von Kamakura bot sich als Festung an, leicht zu verteidigen und schwer einzunehmen — und ein möglicher Angriff von Kyoto her mußte bedacht werden. Von drei Seiten ist der 3 km lange, für die Anlage des Stadtkerns zur Verfügung stehende Talboden des Namerigawa von Hügeln umschlossen. Dabei ist die ebene Talfläche, die sich von einer 2000 m breiten Küstenfront landein auf 800 m verschmäh, leicht überschaubar und hervorragend zu verteidigen, weil mehr als drei Dutzend Seitentälchen, yatsu genannt ( 4 , 4 - 6 ) , die Talwände gliedern, in Kuppen auflösen und damit Verstecke schaffen, aus denen heraus überraschend vorgestoßen werden konnte, ganz abgesehen davon, daß sich diese yatsu auch für die Ansiedlung von Kriegern als günstig erwiesen. Von der offenen Seite, vom Meere aus, meinte man übrigens nicht gefährdet zu sein; denn trotz seiner Meeresnähe ist der Siedlungsraum von kontinentalem Charakter. Der Versuch, die Anlegestelle von Wakaejima zur Schiffahrt zu nutzen, mißglückte um das Jahr 1210 völlig. Als Shögun SANETOMO den Bau eines Schiffes veranlaßt hatte, das ihn mit 60 Mann Begleitung nach China bringen sollte, erwies sich dieses Boot bereits als zu groß; „es konnte trotz aller Anstrengungen nicht durch das seichte Ufer ins offene Meer gebracht werden, es zerbrach im Sturm und in der Brandung" (4). Damit zerschlugen sich auch für spätere Zeiten alle Versuche, dem Meere für Kamakura eine andere Bedeutung als die des Schutzes der Bergfestung zu geben. Die örtlich günstige militärische Infrastruktur erhöhte sich durch den Umstand, daß Kamakura mit der ostwärts anschließenden Miura-Halbinsel als das Endstück des Tökaido und als Anfang des Weges nach den „fernöstlichen" Landesteilen betrachtet werden konnte. Was am Meere entlang vom Westen nach dem Osten und Nordosten verkehren wollte, mußte sich im Kantö der Wegstrecke bedienen, die vom Ashigara-Paß im Hakonegebirge über die Kokufu Közu nach Fujisawa führte. Unter Verwendung eines Bootes wurde die damals noch lagunenhaft breite Sakaigawamündung überquert, wodurch man Kamakura erreichte und darüber
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft in der
Kamakura-Zeit
hinaus die Küste von Mutsu-ura und Hashirimizu, von wo aus man zur BosoHalbinsel übersetzen konnte, wenn man das östliche Kantö oder gar Hiraizumi in Mutsu zum Ziel hatte. Bewacht wurde der Umschlagverkehr durch den Burgherrn von Kinugasa von der Bergschulter des Ogusuyama aus, dem 243 m hohen Hügelrücken von Miura. Gerade diese Schlüssellage für den Verkehr war bei der Wahl von Kamakura zur politischen Hauptstadt mitentscheidend gewesen: denn der Verkehr aus den Provinzen der inneren Kantö-Ebene bevorzugte die Route über den damals noch zu Musashino gehörenden Küstenort Mutsu-ura, um von dort aus den Anschluß an den Tökaido zu finden. Selbst wenn man versuchte, einen weniger üblichen Weg nordwärts Kamakura zu benutzen, befand sich der Ort im Vorteil seiner Riegellage: Aus der hügelumschlossenen Stadt führen, die yatsu verlängernd, sieben Wege nach Westen, Norden und Osten über die Höhen. Die naturgegebene Infrastruktur in die neue Hauptstadt einzubinden und zu intensivieren: dies war ein Bestandteil der Konzeption von Anfang an. 5. Letzthin war die Reichshauptstadt Kyoto der städtebauliche Kontrapunkt für den Aufbau Kamakuras. Stadtgrundriß wie -aufriß mußten deutlich machen, daß das Bakufu (oder Shögunat) als Inhaber der Staatsgewalt dieselben politischen .und kulturellen Funktionen auszuüben vermochte wie sie Heiankyö bzw. Kyoto auszeichneten, und daß den Schwertadelsgeschlechtern, den büke, derselbe Rang zukam wie den Hofadelsgeschlechtern, den kuge. Dabei wollte YORITOMO kein Gegner des Tennö sein. Nie hat er daran gedacht, diesem den Rang streitig zu machen; immer sah er in seinem Nebeneinander zum religiös wie politisch zu respektierenden Terinöhof das unauslöschbare Kokutai (4 a, 91). YORITOMO bewies bei der Verwirklichung seiner Konzeption von Kamakura wie auch sonst das richtige Augenmaß 3 .
C. Die Verwirklichung der Konzeption von Kamakura als Hauptstadt Die erste Tat für die Errichtung seiner Hauptstadt vollzog YORITOMO schon 1180 bei seiner Ankunft in Kamakura nach der Entlassung aus der Verbannung: Er ließ den Hachiman-Schrein von der Küste an den Bergfuß am Nordende der Talebene verlegen (4, 45), dabei ihn vergrößern und vor seinem Eingang einen Teich (Genpei no ike) ausgraben, in den Lotos gepflanzt wurde. Der Schwerpunkt für die Anlage der Stadt und das geistige Fundament des Bakufu waren damit gelegt: Nicht er, YORITOMO, stellte sich in die Mitte, sondern er trat diese Funktion an den göttlichen Beschützer des Kriegerstandes ab und führte auf diese Weise eine Entsprechung zum religiös begründeten Zentrum Kyotos herbei. „Unter der Fahne des Hachiman sammelte YORITOMO die im Kantö und im ganzen Lande verstreuten Genji wieder zu gemeinsamer Aktion" (4, 45). Mit der Errichtung dieses städtebaulichen und ideologischen Kerns war das Hauptmotiv festgelegt, aus dem sich die Komposition der Stadt in den beiden folgenden Jahrhunderten entwickelte. Dabei ist es von geographisch geringerer Bedeutung, in welch' zeitlicher Reihenfolge oder auch durch welchen der Shögune die Ausführung und Erfüllung der Gesamtkonzeption erfolgte, wenn auch die 3 Murdoch (25, 404) erzählt folgende Episode: Als YORITOMO mit Kimi angesprochen wurde, verbot er, daß solches geschähe, da diese Anrede nur dem Tennö gebühre.
C. Die Verwirklichung der Konzeption
von
Kamakura
Bild 7 Hachiman Jingü in Kamakura. An der linken Treppenseite der historisch bedeutsame Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, Tokyo
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Ginkgo.
H Ö J Ö YOSHITOKI ( F 1224), YASUTOKI ( F 1242) und TOKIYORI ( F 1263) besonderen Anteil an der Vollstreckung des von YORITOMO ( t 1199) gleichsam hinterlassenen Testamentes hatten. Es ist ebenfalls ohne grundsätzliche Bedeutung, daß Kamakura durch Feuer, Taifune und Erdbeben wiederholt schweren Schaden erlitt und daß nach dem Brand von 1191 der Hachimanschrein vom Fuße des Hügels auf den Tsurugaoka hinauf gehoben wurde, wo er noch heute steht, und daß man ihn mit einer breiten Treppenflucht versah (4, 83; Bild 7). Wie in Kyoto vom Kaiserpalast, so führt in Kamakura vom Hachiman-Schrein die breite Hauptstraße, hier Wakamiya Öji genannt, schnurgerade von Nord nach Süd (genauer NNO-SSW) und teilt die Stadt in eine östliche und westliche Seite. 4 An diesem repräsentativen Zuweg zum Hachiman-Schrein wurde geradezu gefeilt:
Vom Meer aus gesehen, folgen drei hohe Torii mit Abstand von zuerst 1000 und dann 500 m aufeinander. Die kürzere Strecke zwischen dem zweiten und dritten Torii wurde in ihrer Mitte erhöht, von Steinen eingefaßt und gestützt und von den Seiten her durch Kiefern, später auch Kirschbäumen, beschattet. Diese Strecke heißt Dan-Kazuras; sie hat städtebaulich den Sinn, mit der Verengung des Weges perspektivisch die Straße viel länger erscheinen zu lassen, als sie in Wirklichkeit ist (4, 51). Schließlich endet die Dan-Kazura am Lotosteich, über den eine gewölbte Brücke zum Fuße des Tsurugaoka führt. 4 Es ist eine Besonderheit, daß sie von Parallel-Wegen begleitet wird, von den Komachidöri. 5 Dan-Kazura: Eine von Steinen ornamental umfaßte Stufe. Es handelt sich um eine zwischen 1,1 m hohen Mauern mit Erde aufgefüllte Erhöhung, die von Sakura-Bäumen bepflanzt ist, zwischen denen ein anfangs 5 m breiter, sich allmählich auf 3,4 m verschmalender Weg verläuft und mit dieser Verschmalung das perspektivische Zusammenlaufen der Wegseiten künstlich betont.
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2. Kapitel:
Mensch und Landschaft
in der
Kamakura-Zeit
A n der Gestaltung des Zuweges hat YORITOMO entscheidenden Anteil. Es war ihm völlig klar, daß die Enge des in Kamakura zur Verfügung stehenden Raumes andere Maßstäbe setzte als in Kyoto. Zudem führt hier die Öji als große Mittelstraße nicht wie in Kyoto auf eine Ebene hinaus, sondern endet an einer flachen Küste. Der weit engere Kamakura-Raum zwang förmlich zu zurückhaltender Stadtplanung und symbolisierte geradezu den von YORITOMO respektierten RangAbstand zum Tennö — was nicht bedeuten konnte, daß sich die kulturelle Ausstattung Kamakuras mit jener Kyotos nicht messen dürfte. Kamakura sollte anders und im Rahmen der Tradition auch etwas Neues sein. Die originelle Neuschöpfung des Dan-Kazura bezeugte dies ebenso wie die Restaurierung überlieferter Kultstätten und die Errichtung neuer, vor allem zen-buddhistischer, dem Bushi-Ideal dienender Tempel und Klöster. Die Große Mittelstraße, die Öji, die vom kultpolitischen Schwerpunkt nach Süden zieht und die schachbrettartige Aufgliederung der Seitenräume bedingt, stellt Kamakura als Stadttyp an die Seite von Nara, Nagaoka, Kyoto, Dazaifu und der diesen nachgebildeten Kokufu. Sie alle ahmen in ihrem Grundriß Changan nach, unterscheiden sich von diesem aber dadurch, daß sie auf schützende Mauern verzichteten. Es sind Öji-Städte, im Grundriß geprägt von der Nord-Süd-Straße. In ihnen ist der Palast zwar der politische und kultische Schwerpunkt, nicht aber die räumliche Mitte; er ist gleichsam die nördliche Basis der sich südwärts ausbreitenden Stadt. In Kamakura wurde der Palast durch den Hachiman-Schrein ersetzt (Abb. 8). Unmittelbar an der Ostseite des Hachiman-Schreins lag am Hang des Ökurayama das Ökura Bakufu6, Wohn- und Verwaltungsbereich der Militärregierung. Diese Stelle, heute nur noch von der Grabstätte YORITOMOS bezeichnet, gilt als der Geburtsort des Bushidö, des „Weges der Ritter". Die Regierungsgebäude enthielten die drei Ministerien, mit denen sich das Shögunat (Bakufu) begnügte: Das Mandokoro (Zentralverwaltung), das Samuraidokoro (Samurai-Amt) und das Monchüjo (Justizverwaltung). Die Wohnungen der obersten Amtsleiter (bettö) gehörten wie die Wohnung des Schögun unmittelbar zum Bezirk des Ökura Bakufu. Die im Verhältnis zum Hachiman-Schrein seitwärts gerückte Lage des Ökura Bakufu wirkte keineswegs beengend; denn das Namerigawa-Tal, das in seinem mittleren Abschnitt ostwestlich verläuft und erst am Ökurayama rechtwinklig nach Süden zum Meere hin umknickt, bietet gerade inmitten des Hügelkranzes, aus dem es heraustritt, mit seinen yatsu so viele windgeschützte und sonnige Wohnplätze an, daß hier ein zweiter, vom Wakamiya Öji aus nicht einsehbarer Stadtteil entstehen konnte. Die großen Anwesen der Samurai am Mittellauf des Namerigawa und des yatsu Nikaidö waren ebenso Schwerpunkte der Samuraisiedlung wie die Bushi-machi, d. h. die Samurai-Stadt vor dem Hachiman-Schrein, und beide wurden ergänzt von den Samuraiverdichtungen von Nagoe vor dem Paß nach Zushi und im Sasukeyatsu südwestlich vom Genjiyama (4, 51).
6 Bakufu heißt chinesisch „ Z e l t - R e g i e r u n g " , d. h. Feldlager eines Generals, in Japan für die Residenz des Kommandeurs der kaiserlichen Leibwache und als Titel für diesen verwendet. YORITOMO war seit 1190 dieser „ B a k u f u " und durch ihn übertrug sich diese Bezeichnung auf die Militärregierung. D a es auch nach der Kamakurazeit „ B a k u f u " an anderen Standorten gab, nennt man das KamakuraBakufu auch Ökura-Bakufu, weil es seine Regierungsgebäude am Hang des Ökurayama hatte.
Abb. 8 Die Shögunatshauptstadt Kamakura. Holzschnitt von Hösei Ikkosai, Ende 13. Jh., überlassen vom Kamakura-Bürgermeister Takahashi Watanabe. Eintragungen von M. Schwind. Gozan, die 5 Bergtempel: 1 Kenchdji 2 Engakuji 3 Jüfükuji 4 Jöchiji 5 Jdmydji = A Genjiyama B Genpei-no-ike C Wakamiya D Ginkgo E Dan-Kazura inmitten der Wakamiya-Oji F Tökaidö G Namerikawa H Nikaidö-yatsu J Yoko-Oji K Komachi-döri L Zaimakusa Kaigan M Yuigahama N Gokurakuji (erbaut 1259) P Daibutsu R Stadtteil Hase S Straße nach Fujisawa (Tökaidö)
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft in der
Kamakura-Zeit
Die sich auf einer Fläche von 6 km 2 zusammendrängenden Anwesen machten Kamakura zu einer Stadt der Samurai. In ihrer größten Ausdehnung unter H Ö J Ö YASUTOKI (T 1 2 4 2 ) reichte sie von Koshigoe bis nach Zushi. Nunmehr wurde Kamakura als Stadt auch einer Magistratsverwaltung unterstellt. Die Einwohnerzahl soll 1 0 0 0 0 0 oder gar mehr betragen haben, da sich für die Versorgung der Samurai auch die verschiedensten Gewerbe angesiedelt hatten. Ein Verkehrszentrum hatte sich an der Geba-bashi entwickelt, wo die Wakamiya Öji vom Tökaidö gekreuzt wird. „Hier beiderseits der zum Strand laufenden Straße lagen Kaufläden, Trinkstuben und Freudenhäuser. Auch an anderen Stellen der Stadt und am Kehaizaka waren für diese Gewerbe begrenzte Gebiete freigegeben" (4, 119). In der Komachi-döri schlössen sich die Häuser der südwärts vom Hachiman-Schrein wohnenden Vasallen mit den vom Küstenstreifen aus nordwärts vordringenden Häusern der Händler zusammen. Im Küstenbereich herrschten die Händler und Gewerbetreibenden ausschließlich vor. In den Stadtviertelnamen Kanemachi (Geldwirtschafts- bzw. Händlerstadt), Uwo-machi (Fischerstadt), Zaimokusa (Holzgewerbeviertel) ist die Quartieraufteilung noch heute kenntlich. YASUTOKI sorgte auch für die Verbesserung der Infrastruktur bis in die weitere Umgebung hinein, indem er die Hügel ringsum, wo dies erforderlich war, durch Ausgrabung von Hohlwegen zerlegte. Diese Durchstiche (kiridöshi) verkürzten den Weg nach Mutsuura, auf dem die Versorgung mit Lebensmitteln aus dem Nordosten des Reiches erfolgte (4, 131). Auch die Querstraße, Yoko Öji, die vom Bakufu aus die Wakamiya Öji vor dem Hachiman-Schrein kreuzt und über den Kehaizaka und Kaizöji nach Fujiwara verläuft, wurde ausgebaut. Dasselbe gilt für die Verbindung nach Fuchü und Kawagoe in Musashi. Nach dem Beispiel Kyotos wurden an allen Straßenecken der Stadt Holzfeuer (kagaribi) zur nächtlichen Straßenbeleuchtung entzündet 7 . Die kulturelle Funktion der Stadt lag vornehmlich im kultischen Bereich. Die Entwicklung von Kultstätten verlief parallel zu Kyoto: Überlieferte Schreine und Tempel wurden erneuert und erweitert, neue in unterschiedlicher Betonung des Ryöbu-Shintö wurden errichtet und als besondere Innovation baute sich ein System von Klöstern und Tempeln des Zen-Buddhismus auf 8 . Die vom Hieizan ins junge Ming-Reich Chinas gereisten Priester EISAI (1191) und D O G E N (1228) hatten den Zen-Buddhismus nach Japan gebracht, wo nun 30 Klöster mit besonderen Vorrechten ausgestattet wurden, nämlich je 5 in Kyoto und Kamakura, die „Fünf Berge" (gozan) als die höchsten, je zehn Stätten (jissetsu) als nächste im Rang (14, 109). Diese Tempel wurden auch zu Pflegestätten des für die weitere Entwicklung der Geisteskultur bedeutsamen Lebensstils (Teezeremonie, Malerei, Kalligraphie, Gartenbaukunst). Den Priester D O G E N wie vorher EISAI nach Kamakura zu ziehen, mißlang ebenso wie ihn an Kyoto oder den Hieizan zu binden. D O G E N (SHÖYÖ D A I S H I ) machte in Hokuriku, nahe der Provinzhauptstadt von Echizen, eingebettet in ein Waldtal, das am Eiheijiyama (808 m) seinen Anfang nimmt, den nach seinen Vorstellungen 1244 errichteten Eiheiji zum Mittelpunkt der von ihm gegründeten Sodö-Sekte des Zen-Buddhismus. 7 In Kyoto waren sie vom Bakufu-Tandai eingerichtet worden. 8 Heute befinden sich im Raum Kamakura insgesamt 65 buddhistische Tempel und 19 Shintöschreine (Official Guide 1963, S. 336).
C. Die Verwirklichung der Konzeption von Kamakura
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Schon 1 1 8 1 hatte YORITOMO veranlaßt, den Benten-Tempel auf Enoshima und die Tempel Sugimoto (später Samponji) sowie die Kannon im Stadtteil Hase zu erneuern. Seine besondere Aufmerksamkeit hatte dann dem Hachiman-Schrein gegolten (s. o.). Neu errichtet wurden 1191 der Inari-Schrein oberhalb der Sasukeyatsu im Westen der Stadt und 1193 der Eifukuji im Stadtteil Nikaidö. Mit dem Eifukuji wollte YORITOMO die Götter versöhnen, da er die in Hiraizumi (Mutsu) von den Fujiwara 1094 begründete Residenz, die ihm potentiell als Konkurrenz erschien, zerstört hatte. Starke Vermehrung erfuhren die Kultstätten im 13. Jh.; aus dieser Zeit stammen u. a. die Tempel Kakuonji ( 1 2 1 8 ) , Ennoji ( 1 2 5 0 ) , Gokurakuji ( 1 2 5 9 ) , Tökeiji ( 1 2 8 5 ) , der Große Buddha (Daibutsu, ein 1 1 , 4 m hoher Bronzeguß vom Jahre 1 2 5 2 ) , die zahlreichen durch das Wirken des Priesters NICHIREN in Kamakura entstandenen Tempel — es sind nach J. BARTH mehr als ein Drittel aller Tempel der Stadt ( 4 , 1 6 5 ) — darunter Ryököji (kurz nach Nichirens Tod 1 2 8 2 ) , Kömyöji ( 1 2 4 3 ) , Ankokuronji ( 1 2 7 4 ) , Myöhonji ( 1 2 7 5 ) . Ihre geistige Führung erhielt die Tempelkultur in den gozan, den „Fünf Bergen" des Zen-Buddhismus, zu welchen in der Reihenfolge ihres Ranges Kenchöji ( 1 2 5 3 ) , Engakuji ( 1 2 8 2 ) , Jufukuji ( 1 2 0 0 ) , Jöchiji ( 1 2 8 3 ) und Jömyöji ( 1 1 8 8 ) erhoben wurden (in Klammern das Baujahr). Erster Abt des YORITOMO gewidmeten Jufukuji wurde EISAI, der von MASAKO, der Witwe YORITOMOS nach Kamakura berufen wurde und als erster die Lehre des Zen-Buddhismus zu verbreiten begann. Diese „Fünf Berge" sind bis zum heutigen Tage von Bedeutung geblieben, nicht nur für die buddhistische Lehre, sondern auch durch ihren Beitrag für die Erhaltung des landschaftsökologischen Gleichgewichts; denn im Schutz der Tempel sind auch die umfangreichen Tempelhaine von der Zerstörung verschont geblieben. Gegenüber der durchgreifenden Wirkung des von Kamakura ausstrahlenden Zen-Buddhismus dürfen andere Kultureinrichtungen nicht vergessen werden. Schon 1190 war durch eine Zweiglinie der Minamoto die Ashikaga Gakkö gegründet worden, ein Lehrinstitut, das sich dem Studium des Chinesischen und des Konfuzianismus widmete. Wenn es auch im mittleren Kantö lag, so vermochte es bis nach Kamakura zu wirken, besonders da sich in Mutsuura, gleichsam dem Hafen von Kamakura, die um 1270 gegründete Bibliothek, die Kanazawa Bunko, befand, die über eine reiche Sammlung japanischer und chinesischer Schriften verfügte. Nach chinesischem Vorbild war in Kamakura selbst schon im Jahre 1213 ein gakumon dokoro errichtet worden, eine Art Akademie der Wissenschaften, die sich unter den HöjöSchögunen kräftig entfaltete (4, 121). Um 1260 gab es am Ort auch eine Anzahl von Bibliotheken nach dem Muster der Kanazawa Bunko; ebenso wirkten hier Kamakura-Hayashiruban, offiziell eingesetzte Betreuer für Dichtung, Musik und Spiel (4, 170). YORITOMO war es, der 1 1 8 6 den großen Wandermönch SAIGYÖ ( 1 1 1 8 - 1 1 9 0 ) in Kamakura für einige Wochen bei sich behielt, um sich von ihm im Reiten, Fechten und in der Dichtkunst unterrichten zu lassen; denn SAIGYÖ, ein Fujiwara, hatte die Künste eines Samurai erlernt und hatte zur Eskorte des Exkaisers gehört, ehe er sich für die Mönchskutte entschied. YORITOMO veranstaltete fröhliche Feste zur Zeit der Baumblüte; es mag sein, daß SAIGYÖ hier zu den Versen angeregt wurde (13, 72):
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft in der
Kamakura-Zeit
Daß seine Blüten Zu genießen, das Stadtvolk Scharen weis herströmt: Schade, das ist des schönen Kirschbaums einziger Fehler!
Yoritomos Sohn SANETOMO war von der Dichtkunst so ergriffen, daß er aus Kamakura am liebsten ein zweites Kyoto gemacht hätte. Zu den Festen gehörten auch die ritterlichen Wettkämpfe. Für Japan erstmals wurde ein Yabusame veranstaltet, ein Wettstreit, bei dem galoppierende Reiter ihre Kunst im Bogenschießen zeigen. Beim jährlich sich wiederholenden Wettstreit wurde Kamakura für die bushi zum selbstverständlichen Treffpunkt. Yabusame gehört heute zur Folklore und wird bei vielen Schrein- und Tempelfesten vorgeführt. Die Presse meldete am 29. 4. 1976: Der alte Sport der „horseback archery" (yabusame) wird am 5. 5. 1976 im Bereich des Shimogamo-Schreins 9 in Kyoto gezeigt. Mehr als 70 Teilnehmer werden ihre Kunst unter Beweis stellen. Die Veranstaltung soll zu einem alljährlich wiederkehrenden Ereignis werden (24). Das Kyoto von heute hat sich damit eine zusätzliche Funktion für die Touristik zugelegt.
2. Abschnitt Die Rückwirkungen der neuen politischen Hauptstadt auf die übrigen Schwerpunkte des Reichs A. Die Entwicklung des politisch geschwächten Kyoto Trotz der an Kamakura abgetretenen Funktionen verfügte Kyoto über noch so viele Kultstätten und Ämter zentralen Charakters und über zwei so leistungsfähige Märkte für eine großstädtische Einwohnerzahl, daß es sich weiterzuentwickeln und auch auszudehnen vermochte. Sowohl der Tennöhof als auch die als zivile Scheinregierung arbeitende, sich in den Provinzen weiterhin behauptende Beamtenhierarchie betrachteten sich als die jederzeit aktiv werden könnende Alternative zum Bakufu. Es gab sogar einen Versuch, sich der Schögunatsregierung zu entledigen (1219-1221). Durch SHIRAKAWA T E N N O hatte sich zumindest gegenüber der Hofaristokratie die Stellung des Tennöhauses sogar wieder stärken können; er hatte 1073 das vom Fujiwara-Clan geübte Gewohnheitsrecht, bei Minderjährigkeit des Thronfolgers die Regentschaft auszuüben, radikal beseitigt, indem er zugunsten seines achtjährigen Sohnes abdankte und die Regentschaft in eigene Hände nahm. „Diese Regierungsform, bei welcher der Extenno die praktische Staatsführung, der regierende Tenno nur die zeremoniellen Funktionen ausübte, hielt sich - allerdings immer mehr an Wirksamkeit einbüßend — bis in das Jahr 1321. Da der abgedankte Tenno zumeist von einem Kloster aus als Mönchskaiser (Höö) regierte, führt diese Form der Regierung die Bezeichnung Insei (18, 1035) 1 0 . SHIRAKAWA war Tenno 1 0 7 3 - 1 0 8 7 , Höö Tenno im Insei bis 1129. 9 Über den Kamoschrein (Shimogamo, Kamigamo) s. S. 67 dieses Bandes. 10 sei heißt Regierung, in bedeutet buddh. Tempel; insei ist also Regierung vom Tempel aus.
A. Die Entwicklung
des politisch geschwächten
Kyoto
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Parallel zu den Schattenkaisern des Insei-Systems traten in Kamakura nach Yoritomos Tod einige Kinder-Shögune in Erscheinung, da das Bakufu den Wert solcher Regierungsart für die Erhaltung der Erbfolge schnell erkannt hatte. Es war im besonderen die kluge MASAKO, Witwe des YORITOMO, die sich infolge ihrer politisch unbegabten Söhne veranlaßt sah, das Insei-System nachzuahmen. Wie für den Tenno der Exkaiser regierte, so war anstelle des Shöguns der Shikken wirklicher Machthaber. Solange die Söhne Yoritomos die Shögunwürde trugen, lag im Bakufu die führende Stimme bei MASAKO und deren Vater HÖJÖ TOKIMASA. Nach der erfolgreichen Abwehr des von Kyoto ausgehenden Versuchs, das Shogunat zu liquidieren (s. o.), wurde der Shögun-Titel an ein Mitglied der Fujiwara gegeben, seit 1252 an kaiserliche Prinzen; die Shikken wurden aber ausschließlich von den HÖJÖ gestellt, die nunmehr für mehr als 100 Jahre die wirklichen Herrscher Japans waren. Es ist Ironie der Geschichte, wenn das von MINAMOTO YORITOMO geschaffene Bakufu durch die Mitwirkung seiner Frau in die Verantwortung seiner ursprünglichen Widersacher geriet; denn die HÖJÖ hatten auf der Seite der Taira gestanden.
Das Faktum der nicht immer klar durchschaubaren Zuständigkeiten zwischen den jeweils zweimal zwei Oberhäuptern war der Nährboden von Intrigen und für das Anwachsen des von Anfang an mitgegebenen Mißtrauens zwischen Kyoto und Kamakura. Um die Vorgänge im Westen des Reichs unter Kontrolle zu halten, ernannte das Bakufu für Kyoto einen Tandai, einen Militärgouverneur, ohne dessen Genehmigung Ernennungen von Hofbeamten, politische Heiraten und andere für den politischen Bereich bedeutsam erscheinende Vorgänge nicht in Kraft treten konnten (4, 117 u. 122). Er nahm seinen Sitz in Rokuhara, auf der Bergseite des Kamogawa, wo einst die Taira residiert hatten. Dem Kyöto-Tandai unterstand zugleich die Kontrolle der westlichen Reichsgebiete, die unter Ausnutzung der Entfernungen nach Kamakura dem Bakufu nur zögernd Anerkennung zollten. Auch der Kampf gegen Räuberei und Brändstiftung, die in Kyoto und im westlichen Reichsgebiet als Folge des allgemeinen Sittenzerfalls um sich gegriffen hatten11, lag in der Hand des Tandai. Zur Erhöhung der Sicherheit hatte der Tandai 1238 u. a. die für Japan erste nächtliche Straßenbeleuchtung eingerichtet: 48 Fackelstationen innerhalb der Stadt. Diese Maßnahme fand in Kamakura Nachahmung (s. o.). Die Brände von 1177 und 1188 sowie die Einäscherung des Tennöpalastes 1228 (7, 81) hatten dazu geführt, daß es um 1228 in Kyoto kaum noch ein Gebäude aus der frühen Heian-Zeit gab (9, 11). Nur das alte Straßengitter blieb durch die Jahrhunderte bestehen, sogar erweitert um die Ost-WestStraße Imadegawa, die unmittelbar an der nördlichen Einfriedung des früheren Tennopalastes entlangläuft. Der Shinsen-en, ein kleiner Park an der Südseite des 1603 erbauten M/o-Palastes, stellt den bis heute erhaltenen Rest des niedergebrannten Tennöpalastes dar. Niedergang hatte auch die Universität erlebt; „sie gab es nur noch dem Namen nach" (25, 407). Der allgemeine Sittenverfall begünstigte das politische Machtstreben der Klöster; sie bemühten sich mit Erfolg um die Errichtung neuer Tempel, durch die man die Hilfe der Götter herbeirufen könne. Die im Enryakuji auf den Hieizan geschulten Religionsführer H Ö N E N (1133-1212), SHINRAN (1173-1262), E I S A I (1140-1215) und NICHIREN ( 1 2 2 2 1282) haben mittelbar und auch unmittelbar durch neue Tempelbauten mit z. T. bedeutenden Gärten die Stadtlandschaft Kyotos bereichert. Hierzu zählen die „Fünf Berge" (gozan) des Zen-Buddhismus, die mit Ausnahme des Tenryüji und Shökokuji an der Bergseite des Kamogawa, also außerhalb der geplanten Stadt,
11 Vgl. die weiteren Ausführungen, insbesondere zum mappö.
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft in der
Kamakura-Zeit
errichtet und 1291 zusätzlich um den übergeordneten Nanzenji vermehrt wurden. KAKUNYO (1270—1351) baute die Grabstätte Shinrans zum Honganji im Südstreifen des Straßengitters aus und schuf damit die Voraussetzung für die 1603 erfolgte Teilung in die beiden Großtempel Higashi- und Nishi-Honganji. Von besonderer Einmaligkeit ist die 118 m lange Tempelhalle Sanjüsangendö12, die von 1001 vergoldeten Kannonstatuen erfüllt ist. Sie wurde zwar schon 1164 erbaut, wurde aber nach den Bränden von 1249 und 1266 immer wieder mit großer Sorgfalt erneuert (7, 77ff.). Mit der Bevorzugung der Bergseite für Tempelanlagen verlängerten sich fast alle West-Ost-Straßen durch Brücken über den Kamogawa hinweg und verstärkten damit die Funktion der linken, d. h. Ostseite (sakyö) der Stadt. Der Közanji, ein schon IIA im NW der Stadt gegründeter Tempel, gelangte in der Kamakura-Zeit durch den Mönch MYÖE (1173-1232) zu historischer und bis in die Struktur der Kulturlandschaft hineinreichender Bedeutung. MYÖE hatte von dem Zen-Buddhisten EISAI (s. O.) Teesamen erhalten und diesen versuchsweise bei seinem Tempel eingesät. Der Erfolg war überraschend. „Dieser Tee wurde bei den Tee-Wettstreiten der späteren Zeit als honcha . . . gegenüber den Teesorten anderer Teegärten, den hicha, bezeichnet" (17, 34). Der Anbau von Tee erfuhr in Verbindung mit der Ausbreitung des Zen-Buddhismus seine erste Entwicklung. Kyoto war der Hauptabnehmer. Von fast staatsgefährdender Dynamik erschien vielen Persönlichkeiten das Wirken des Mönchs NICHIREN ( 2 1 , 7 ; 1 4 ) . Er predigte und schrieb als Beunruhigter und Beunruhiger, der den Zerfall im gesellschaftlichen und politischen Leben, wie es sich insbesondere in Kyoto darbot, aufhalten zu können meinte. Im Sinne buddhistischer Apokalyptik deutete er den Luxus und Sittenzerfall, begleitet von Erdbeben ( 1 2 5 7 ) , schweren Taifunen ( 1 2 5 8 ) , Hungersnöten ( 1 2 5 9 ) und Epidemien ( 1 2 6 0 ) als den Beginn des Mappd, der von Buddha prophezeiten, zehntausendjährigen verderbten Endzeit der Welt, wobei er aus den Sutren las, daß das schlimmste Unglück noch ausstand: Die Landung fremder Truppen. Er forderte Umkehr zur Wahrheit der Lotus-Schrift und forderte das Bakufu auf, alle anderen religiösen Schulen zu verbieten, da nur er die Rettung vom Untergang bringen könne. Die mongolischen Landungsversuche an der Küste von Fukuoka in den Jahren 1274 und 1281 schienen ihm recht zu geben, und dies trug zur Ausbreitung seiner Lehre bei. In Kyoto entstanden mitten in der Stadt Tempel seiner Lehre (Honnöji, Ryühonji, Myörenji). Durch NICHIREN angesprochen mußten sich außer dem Hofadel insbesondere die Shöen-Besitzer fühlen, die durch Zuzug in die Kaiserstadt deren gesellschaftliche Struktur merklich verschoben hatten. Die Shöen-Besitzer stellten die neue Gruppe der Besitzrentner dar, die ihre Landgüter Verwaltern übergaben und sich von diesen nach Kyoto das liefern ließen, was sie für ihr Leben benötigten (28, 37). Dies war nicht wenig; denn zu ihren Residenzen gehörten auch Samurai, die sie beim Umzug in die Stadt zu ihrem persönlichen Schutz und zur Erhöhung ihres Ansehens von den Landgütern nach Kyoto mitgebracht hatten. Diese Residenzen hatten unmittelbar, aber auch mittelbar ein Ansteigen der Einwohnerzahl zur 12 Dieser Name heißt „Halle mit 33 Abständen": sie wird an ihrer Vorderseite von 35 Säulen getragen, woraus sich 33 Abstände ergeben.
A. Die Entwicklung des politisch geschwächten
Kyoto
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Folge 13 , förderten aber auch den Zusammenbruch der Marktordnung. Die von den Landgütern schon seit der späten Heianzeit nach Kyoto einfließende Ware entzog sich aller Kontrolle, und dieser Vorgang schwächte zugleich das steuerliche Reisaufkommen, das sich in den Speichern der Kokufu sammelte, um von dort nach Kyoto gebracht zu werden. Es entstanden, von verstärkter Nachfrage begünstigt, neben den staatlich kontrollierten Märkten Einzelhandelsgeschäfte, die ihre Ware aus unkontrollierten Quellen bezogen. Diese Geschäfte bevorzugten, nach Branchen geordnet, die Straßen in Nachbarschaft der offiziellen Märkte. Belebt wurde das Geschäft dadurch, daß die Besitzrentner aus Gründen der Bequemlichkeit von der Belieferung aus ihren Landgütern abkamen, den Reis und anderes verkaufen ließen und dann vom Erlöß die benötigte Ware in Kyoto gegen Barzahlung einkauften. Zu solchem Geschäftsgang boten sich die Reismärkte an, die sich an Umschlagplätzen für die nach Kyoto abzuliefernde Steuer in Sachleistungen entwickelt hatten. Hierzu gehörten Yodo14, durch den Yodogawa mit Osaka und der Inlandsee verbunden, Ötsu, seinem Namen nach „Großhafen" (der zentrale Umschlagplatz für die Provinz Ömi), und Hyögo (späteres Köbe) für die mittleren und westlichen Inlandsee-Provinzen. Parallel zur Entstehung dieses Wirtschafts- und Handelsgefüges sank die Bedeutung der Kokufu, deren Vorratshäuser in vielen Fällen fast leer blieben. Die Entwicklung eines geradezu freien Marktes belebte die Stadt Kyoto ungemein. Die Bevölkerungszahl konnte sich deshalb trotz der an Kamakura abgegebenen Funktionen auf 500000 halten (28, 37). Damit war Kyoto auch in der Kamakura-Zeit der eindeutig zentrale Ort höchsten Ranges, zugleich auch für die weithin periodisch abgehaltenen Märkte die Mitte eines Markt-Netzes, das sich aus der Kommerzialisierung der Shöen-Wirtschaft entwickelt hatte und im 14. Jh. als ausgebaut gelten konnte (32). Ganz eindeutig bildeten Hof, Hofaristokratie und Klerus der Reichshauptstadt trotz des Sittenverfalls und des Luxus nach wie vor den inneren Kreis des kulturellen Lebens. Die Traditionen der Heian-Zeit lebten hier fort. Das literarische Schaffen hatte sich, nachdem im 8. und 9. Jh. mit Hilfe der aus chinesischen Schriftzeichen abgeleiteten Silbenschriften Hiragana und Katakana (s. Bd. 1, S. 4 3 - 4 9 ) die Umsetzung der Sprache in eigene Schriftbilder möglich geworden war, schon in der späteren Heianzeit von chinesischen Vorbildern gelöst. Meisterwerke der Erzählprosa, Tagebücher, Gedichte in Waka-Form entstanden. Aus der Kamakura-Zeit heben sich die großen Kriegserzählungen, allen voran das Heike Monogatari hervor, das den mächtigen KIYOMORI und die Vernichtung der Taira durch die Minamoto besingt, wobei sich die nüchterne Prosa bis zu traditioneller, meisterhaft geprägter Lyrik steigert (13, 80): „Was grünend aufkeimt, Was verdorrt, es ist beides Gras auf dem Felde: Wo wäre auch eines nur, das seinem Herbst entginge!" 13 Die Entwicklung hatte schon am Ende der Heianzeit eingesetzt. Die Weiterentwicklung in der Kamakura-Zeit hat den durch Funktionsverlust gegenüber Kamakura bedingten Rückgang der Kyoto-Bevölkerung wettgemacht. 14 Der später zur Jokamachi erhobene Handelsplatz ist heute ein funktionsschwacher Ortsteil des Fushimi-ku innerhalb des Stadtbezirks Kyoto.
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft in der
Das Nebeneinander von Kunst und jenem Sittenzerfall, in dem Mappö sah, ist charakteristisch für das Kyoto der Kamakura-Zeit.
Kamakura-Zeit
NICHIREN
das
B. Die Entwicklung anderer Orte städtischer Funktionsbereiche I. Nara Die Taira hatten 1180 den Tödaiji und Köfukuji während ihrer Auseinandersetzung mit den Minamoto niedergebrannt; als religiöses Zentrum schien Nara damit ausgelöscht zu sein. YORITOMO machte für den Neubau des Tödaiji große Stiftungen, und bei der Einweihung des neuen Tempels schenkte er zusätzlich, so heißt es, 1 0 0 0 0 koku Reis, 7 1 3 Pferde, Geld und Seidenstoffe ( 3 , 2 9 6 ) . Der kultisch zentrale Charakter Naras war wiederhergestellt. Wirtschaftlich hatte die Stadt aber nur als Reismarkt noch Bedeutung. Die Einwohnerzahl war seit der Narazeit von 2 0 0 0 0 0 auf etwa 1 0 0 0 0 gesunken ( 2 8 , 3 7 ) : Ein Beleg dafür, daß das Narabecken für die Anlage einer Hauptstadt im Rahmen des natürlichen Infrastrukturgefüges mit einem viel zu geringen Maß an Zentralitätsmerkmalen ausgestattet war.
II. Hiraizumi Im Angriffs- und Verteidigungssystem von Taga (s. 1. Kap.) hatte sich die kleine Talmündungsfläche des Komorogawa als ein strategisch hervorragender Platz erwiesen. Er ist eine Geländetasche unmittelbar vor der Talenge, die der Kitakamigawa beim Durchsägen des Gebirgsriegels schuf, der die Längsfurche des Kitakami vom Sempoku, dem Nordrand der Sendai-Ebene, trennt. Von hier aus läßt sich die vom Strom geschaffene Gebirgslücke, gleichsam die Mutsu-no-Porta, ebenso leicht schließen wie offenhalten. Hier errichtete FUJIWARA KIYOHIRA im Jahre 1 0 9 4 anstelle des vorhandenen Bollwerks die Burg Hiraizumi. Er war zum General der Nordprovinzen Mutsu und Dewa ernannt worden und führte den Titel eines Chinjufu-Shögun oder Provinzgenerals. Die von ihm zu beherrschende Region umfaßte 7 5 0 0 0 km 2 , d. h. etwa ein Viertel des damaligen Staatsgebietes, wodurch KIYOHIRA ein Gewicht zufiel, das dem des Gouverneurs von Kyüshü in Dazaifu ähnlich war. Der Enkel Kiyohiras, FUJIWARA HIDEHIRA, entwickelte Hiraizumi zu einem glanzvollen Zentrum des „fernen Ostens". Das durch Erdwälle geschützte Westufer des Kitakamiflusses füllte sich mit Samuraihäusern, südlich der Komorogawa-Mündung erhob sich die Burg, umgeben von Verwaltungsgebäuden, und an den Talhängen standen Shintö-Schreine und buddhistische Tempel, darunter der Chüsonji. Hiraizumi war für Kamakura die einzige von Norden her potentiell bestehende Konkurrenz bzw. Gefahr, vermehrt dadurch, daß FUJIWARA HIDEHIRA hohes Ansehen genoß und daß der Sieger in der Schlacht von Dannoura, Y O S H I TSUNE, bei ihm wiederholt Unterschlupf gefunden hatte. In den Augen YORITOMOS war es ein Akt von historischer Logik, wenn er Hiraizumi im Jahre 1189 zerstörte. Da sich die Stadtanlagen, von Kanälen abgesehen, nicht in die Erde eingegraben hatten und an dieser Stelle der Neuaufbau einer Stadt mit Verteidigungsfunktionen nicht mehr erforderlich war, wurde Hiraizumi zu einer der großen wüsten Marken Japans, deren Spuren zusätzlich durch die Flußverlegung des Kitakami zu großem
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Funktionen
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Teil verwischt wurden. Ein Waldbrand vernichtete 1337 die meisten Gebäude des Chüsonji. Der Chüsonji am westlichen Talhang gehört noch heute zu den nationalen Wertgütern und ist wie die Konjiki-dd, die Goldene Halle, zum Touristenziel geworden. Ein Überbau aus Stahlbeton, der vor Verwitterungsschäden schützt, wurde 1965 fertiggestellt (Neues aus Japan, Nr. 115, 1966, S. 8 - 1 0 ) . III. Dazaifu und Hakata Im Gegensatz zu Hiraizumi erfuhr das Nebenzentrum Dazaifu-Hakata die volle Aufmerksamkeit des Kamakura-Bakufu. Wie später für Kyoto, so wurde hier schon 1186, also noch durch YORITOMO, das Amt eines militärischen Generalgouverneurs geschaffen, eines Chinzeibugyd, dem später in der Person des KyüshüTandai auch die Funktionen des Dazaifu-sotsu zufielen. Hier galt es, eine von außen auf Japan zukommende Gefahr abzuwehren, die als die größte seit dem Bestehen des Kaiserreichs betrachtet werden mußte: Die Gefahr, durch KUBLAI K H A N ins Chinesische Reich integriert zu werden. KUBLAI KHAN, der China erobert und 1264 Yenking unter der Bezeichnung Tschungtu (Hauptstadt der Mitte, das spätere Peking) nach eigener Konzeption umgebaut und zur Hauptstadt gemacht hatte (11, 333), griff nach Niederwerfung der Sung in Südchina mit immer stärker werdendem Druck nach Japan. Schon 1266 wurde eine Gesandtschaft mit einem Schreiben des Inhalts auf den Weg nach Japan geschickt, daß der Vorfahr des Kaisers den Auftrag des Himmels erhalten habe, die Länder der Erde zu beherrschen" (11, 433). Diese Gesandtschaft geriet vor Japan in so starken Sturm, daß sie umkehren mußte. Die Entsendung weiterer Gesandtschaften folgte. Die Berichte darüber weichen in japanischen Quellen von denen in chinesischen ab. Von beiden Seiten belegt ist der Entschluß KUBLAI KHANS, das Inselvolk durch eine Machtentfaltung großen Stils gefügig zu machen. Mit 900 von Korea gestellten Schiffen, 15000 Seeleuten (Ruderern) und 10000 Kämpfern entfaltete er 1274 einen Angriff auf Tsushima, Oki und die Küste von Hakata, aber ohne Erfolg: Den aus Mongolen, Chinesen und Koreanern bestehenden Truppen gingen im Kampf gegen die starken Widerstand leistenden Samurai die Pfeile aus, aufkommender Taifun verursachte Wirrwarr und zerschellte zahlreiche Schiffe, so daß die Angreifer ihr Heil im Rückzug suchen mußten. Wiederum eintreffende Gesandtschaften Kublais wurden von japanischer Seite mit Hohn behandelt; eine aus fünf Mitgliedern bestehende, in Kamakura eintreffende Gesandtschaft wurde 1275 kurzerhand hingerichtet: ein Gedenkstein am Joryü-Tempel von Katase kündet davon. KUBLAI K H A N erklärte nun Japan für eine Provinz seines Reiches und machte den in vielen Kämpfen gegen die Sung bewährten General A-la-han zum Gouverneur davon" (11, 438). Der Angriff im Jahre 1281 sollte die Entscheidung bringen. Zwei Truppenkontingente wurden ausgerüstet: Von Korea aus griffen über Tsushima und Oki, wie es heißt, 50000 Mongolen und 20000 Koreaner an, von Fukien aus landeten 100000 Chinesen auf den Inseln Hirado und Goto. Die Kämpfe verliefen blutig, bis am 19. September ein Taifun aufkam 1 5 , der „vermutlich den größten Teil der Schiffe gegeneinander oder an den Strand trieb und zertrümmerte. Die Heerführer und ihre seemännischen Berater sahen keine andere Rettung aus der Katastrophe, als die unversehrt gebliebenen Schiffe zu sammeln und mit ihnen die Rückfahrt anzutreten . . . . Der Hauptteil der Flotte scheint vor der Insel Goto oder vor Hirado gelegen zu haben. Von ihm war fast alles vernichtet" (11, 440). Wer die Schiffe nicht erreichen konnte, wurde getötet oder als Gefangener abgeführt. Diese Schonung gewährte man allerdings nur Chinesen; man machte sie zu Sklaven. Es sei an dieser Stelle die Vermutung ausgesprochen, daß vielleicht ein Teil der heutigen eta auf diese Gefangenen zurückgeht. 15 Die Tage um den 16. September sind ihrer Taifunhäufigkeit wegen in Japan besonders gefürchtet. Vgl. Bd. 1, S. 237.
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft in der
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Das ganze Jahr 1285 war auf chinesischer Seite ausgefüllt von Vorbereitungen zu neuen Angriffen. Es ist nicht geklärt, warum sie unterblieben. Auf japanischer Seite wurden aber die schon seit 1270 gemachten Anstrengungen verstärkt, die Verteidigung der Küsten durch die Errichtung von Steinmauern und Erdwällen zu erleichtern, die im übrigen entlang der Strecke von Katsura bis Munakata und Onga als Reste noch heute auffindbar sind (30, 21). Nicht nur die große Zahl der Samurai, auch das Arbeiterheer für den Bau der Schutzanlagen, den man erst 1332 einstellte, als man sich vor Mongoleneinfällen sicher fühlte, hat zu jenen Jahrzehnten Hakata zu einer großen Stadt und einem wichtigen Hafen anwachsen lassen. Die Freude der Japaner über die Siege gegen den Angreifer ist verständlich. Der Samurai von Haltung schrieb sich den Erfolg nicht allein zu. Hilfe wurde ihm mehrmals durch die Götter zuteil; der kamikaze, der Götterwind, der als Taifun einbrach, führte die letzten Entscheidungen herbei. Die legendenhafte Wirkung dieser Stürme lebte im Volk bis ins 20. Jh. fort. Im Zweiten Weltkrieg ehrte man ein Luftgeschwader mit dem Namen „Kamikaze". Bedeutender als dies war aber, daß zum ersten Male zumindest unter den Kriegern eine Form von Nationalstolz aufgekommen war. Er fand allerdings am Materiellen eine deutliche Grenze: Man war enttäuscht darüber, daß nur sehr magere Kriegsbeute verteilt werden und auch aus der Staatskasse, die infolge der Kriegskosten erschöpft war, keine Belohnung gezahlt werden konnte. IV. Öuchi (Yamaguchi) Für die Verteidigung Nord-Kyüshüs übte SW-Chügoku eine flankierende Funktion aus. Deshalb war auch hier ein Tandai eingesetzt, unter dessen Kommando die Küste befestigt wurde. Durch diesen Chügoku-Tandai erhielt Öuchi, das spätere Yamaguchi, eine zentrale Bedeutung, die über die Aufgaben eines bloßen Kokufu hinausging. Die Einwohnerzahl wird für das 14. Jh. auf etwa 10000 geschätzt (28, 45). V. Hafenstädte Ösaka, Hyögo, Sakai, Kagoshima, Hakata und Tsuruga waren als Umschlagplätze für die Reissteuer und dem sich daraus ergebenden Markt (s. o.) zur Entwicklung gekommen. Sakai war schon seit der Heianzeit der Fisch- und Salzlieferant für den benachbarten Sumiyoshi-Schrein (heute Stadtteil von Ösaka) gewesen; es hatte auch Nanto, wie man Nara damals nannte, insbesondere den Großschrein Kasuga und den Großtempel Köfukuji, versorgt und schließlich den Handel bis nach den Kultstätten von Yoshino ausgedehnt. Es wird mehr als 10000 Einwohner-gehabt haben, wovon 30% zu den Fischern gehörten (35, 3). Tsuruga war der Hauptsammelplatz für die Sachsteuern aus Ura-Nippon; sie wurden von hier aus nach Kyoto gebracht. VI. Städte kultischer Zentralität Unter diesen Orten gelangte Nagano zu Bedeutung; man nannte den Ort auch Zenköji, da sich die Stadt vor dem Tore dieses Tempels entlang der Zufahrtsstraße
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Funktionen
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entwickelte. Solchen Stadttyp bezeichnet man als „monzen-machi", d. h. Stadt vor dem Tempeltor. Der Tempel soll im Jahre 670 gegründet worden sein. Nagano mag schon früh aus seiner Lage Vorteil gezogen haben. Das spätere Städtedreieck Nagano—Matsumoto-Suwa (Takashima) stellt gleichsam den geometrischen Ort ganz Japans dar; wollte man solcher Mitte Vorrang für die Anlage eines Regierungssitzes geben, würde die Hauptstadt des Reiches in der heutigen Stadt Nagano liegen müssen. Über auch nur ähnlichen Lagevorteil verfügte die Monzen-machi Kominato an der Ostküste der Boso-Halbinsel nicht; sie war vor einem NichirenTempel 1276 angelegt worden, fiel aber bald zurück. Der für die Geisteskultur bedeutsame Eiheiji südöstlich Fukui hat, wie es scheint, die Entwicklung einer Monzen-machi bewußt verhindert und blieb konzentriert auf seine zen-buddhistischen Aufgaben.
VII. Provinzhauptstädte (Kokufu) Infolge der Ausbreitung des Shöen-Besitzes wurden die Kokufu in ihrer Bedeutung als Zentralen der Steuereintreibung zunehmend geschwächt (s. o.), erlangten andererseits eine Stärkung durch die vom Kamakura-Bakufu schon seit 1185 eingesetzten shugo und jitö. Der Shugo hatte als Truppenkommandeur den Bürger zu schützen und das Land vor Unruhen zu bewahren; dem Jitö war die Aufgabe gestellt, die Steuern einzuziehen und die Shoen zu überwachen. Für Kyoto, Yamaguchi und Dazaifu lag das Amt des Shugo in den Händen des Tandai, während für einige Provinzen, wie Iwanami, Hida, Awa auf Boso, Mutsu und Dewa diese Funktion vom Shögun unmittelbar ausgeübt wurde. Überall aber gab es einen Jitö. In der Steuerkraft an erster Stelle stand die Provinz Kaga, in der sich Kanazawa als Kokufu zu einer Stadt mit steigender Bevölkerungszahl entwickelte.
VIII. Yoshino Die vom Ryöbu Shintö geprägte Kultstätten-Landschaft von Yoshino (s. Bd. 1, S. 411) erhielt in den fünf Jahrzehnten, die auf die Kamakura-Zeit folgten (1336— 1392), die Funktion eines politischen Reichskerns. Das Tennöhaus hatte eine Teilung in zwei Dynastien erfahren, eine Süd- und eine Norddynastie, weshalb man die betroffene Zeitspanne auch als Nambokuchö bezeichnet 16 . G O - D A I G O T E N N Ö , vom Shögun ASHIKAGA TAKAUJI zugunsten eines Nachkommens anderer kaiserlicher Linie abgesetzt, hatte sich in die zum alten Yamato gehörenden Bergklöster von Yoshino begeben. Da er im Besitz der Reichsinsignien war, wird seine Dynastie von der Geschichtsschreibung als die rechtmäßige betrachtet. Räumlich sind Yoshino und Kyoto gleich weit von Nara, der alten Hauptstadt, entfernt, aber im Range seiner natürlichen Infrastruktur steht Yoshino hinter den beiden anderen, insbesondere hinter Kyoto, weit zurück. Aus den Gegebenheiten von Lage und natürlicher Ausstattung ließ sich das kultische Zentrum weder zu einer Stadt von räumlicher Bedeutung noch zu einer solchen von zeitlicher Dauer entwickeln. Der Tennö bewohnte Klosterräume. 16 nam = Süd; boku, hoku = Nord.
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft in der
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3. Abschnitt Das Staatsvolk A. Die gesellschaftliche Gliederung der Bevölkerung Die gesellschaftliche Stellung des Menschen wurde mehr und mehr von seiner Beschäftigung, weniger von seiner Geburt bestimmt. Noch stand an der Spitze der Hofadel, zwischen ihm und dem Bauern schob sich aber der Krieger (Samurai) ein; der Bauer als Steuerzahler galt also weniger als der Schwertträger. Die übrigen Bevölkerungsschichten folgten in der überlieferten Weise.
I. Hofadel und Schwertadel; Kuge und Buke Der Hofadel (kuge) verlor seine Vorrangstellung mit der Schwächung der kaiserlichen Macht und der Stärkung des Provinzadels auf der Basis des stetig wachsenden Shöen-Besitzes. Da der Staat den Schutz des Besitzes nicht mehr gewährleisten konnte, schuf sich der Provinzadel (büke) — dies war ein Akt der Selbsthilfe — seine eigenen Schutztruppen. Es entstanden Kriegerverbände (bushidan), die als Schwertträger den Besitz sicherten oder ihn auch erweitern halfen. Das Ansehen des Besitzers und die Sicherung seiner wirtschaftlichen Grundlagen bestimmten weithin die Größe der Truppe, die sich der Großgrundherr hielt. Die Kriegerverbände setzten sich aus Mitgliedern der Familie und der Nebenlinien sowie aus den Hausleuten zusammen. „Es spiegelt sich auch hier die traditionelle japanische Familienstruktur: Das Familienoberhaupt und die Mitglieder der Familie (ichimon, ichizoku), die Mitglieder der Nebenlinien (ie no ko), dazu die Hausleute und in Dienst genommene Krieger (kenin). Das Oberhaupt (söryö) übte religiöse Funktionen aus und hatte zugleich die Pflicht, auf das Wohl des Hauses und seiner Mitglieder zu achten . . . . Diese familiäre Organisation konnte erweitert werden durch Zusammenschlüsse mit weiteren militanten Verbänden. Und es waren die kaiserlichen Prinzen, die Großsippen der Fujiwara, Minamoto, die Sippen der Abe und Kiyohara in den Provinzen und andere, die als Führer solcher Großverbände vor allem in Erscheinung traten" (16, 270-72). In den Kriegerbänden lag der von MINAMOTO YORITOMO geschaffene Stand der Bushi vorbereitet, und die Grundbesitzverwaltungen waren so üblich, daß YORITOMO sie nur auf höherer Ebene zu systematisieren brauchte. Schon die Taira hatten für einige ihrer zahlreichen Landgüter jitö (Verwalter) eingesetzt, die für die Verteilung der Ernte zu sorgen hatten, insbesondere aber für die Steuerablieferungen verantwortlich waren und damit beamtenähnliche Funktionen ausübten. Auch Shugo gab es schon, die das Kommando über die Krieger bzw. die Schutztruppe führten und mit polizeilichen Vollmachten ausgestattet waren. In der Sache knüpfte YORITOMO nur an Vorhandenes an, wenn er sich bei seiner Ernennung zum Shögun die Vollmachten eines obersten Landesverwaltes (sö-jitö) und eines obersten Militärgouverneurs (sö-shugo) verleihen ließ; neu war daran, daß das Jitö-Shugo-System aus dem privaten Bereich der Grundbesitzer auf Reichsebene gehoben wurde, wodurch die Grundbesitzer den Provinzverwaltungen unterstellt und damit an Kamakura gebunden wurden. Der Steuerzuschlag, der an das Bakufu für die Finanzierung der in den Provinzen tätigen Bakufu-Funktionäre
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erhoben wurde, erinnerte laufend an die Machtstellung des Shögunats. Organisatorisch waren die Ämter des Grundbesitzverwalters (jitö) und des Truppenkommandeurs (shugo) den von Kyoto eingesetzten Provinz- und Distriktverwaltungen beigeordnet. Die Provinzgouverneure standen deshalb im Kräftespiel zwischen Kyoto und Kamakura. Dies offenbarte sich grundsätzlich auch in den verschiedenen Verhaltensweisen der zur Provinzverwaltung zählenden Personen; denn wer in die Dienste YORITOMOS getreten war, hatte sich auf die ethischen Grundsätze verpflichtet, wie sie von den großen Gestalten des Heike Monogatari vorgelebt und zum Lebensinhalt gemacht worden waren. Es waren Selbstzucht, Einfachheit, Mut, Loyalität, unbedingte Treue, Erfüllung der eingegangenen Verpflichtung (gimu) bis zur Selbstaufgabe. Diese einander verwandten Tugenden berührten sich mit den Idealen der Mönche des Zen-Buddhismus und waren als Lebensinhalt zugleich eine Antwort auf den Sittenverfall und Luxus des damaligen Kyoto. Diese ethischen Zielsetzungen waren es, die YORITOMO zum Begründer des Ritterstandes machten, in den auch einging, was man unter einem Samurai verstand. Eines der drei Ministerien, mit denen sich Yoritomo begnügte, war das Samuraidokoro. Durch MIYOSHI YASUTSURA wurden 1232 die Zuständigkeiten und Gewohnheitsrechte des Kriegerstandes im Joei Shikimoku kodifiziert. Dieses in schlichter Sprache verfaßte Gesetzeswerk befaßt sich insbesondere mit den Fragen des Landbesitzes, der Erbfolge, des Strafrechts und mit den Rechten der Steuer- und Polizeiverwalter (jitö und shugo). Es ist bis 1868 eine der Grundlagen für die Rechtsprechung geblieben (4, 127). Als oberster Grundsatz der Rechtsprechnung galt, daß sie ohne Rücksichtnahme auf verwandtschaftliche Bindungen oder auf persönliche Ab- und Zuneigung erfolgen und ein Urteil ohne Furcht und Begünstigung nur in Ubereinstimmung mit dem gesunden Menschenverstand finden solle (31, 394). Der hierzu gesprochene Eid machte die Befolgung dieses Grundsatzes im Namen der buddhistischen und shintoistischen Gottheiten zur heiligen Pflicht; denn es heißt darin: Wenn auch im leisesten von diesen Prinzipien abgewichen wird, dann sollen alle Götter der mehr als 60 Provinzen Japans, insbesondere die Götter von Izu, Hakone und Mishima, die großen Bodhisattva Hachiman, Temmangü 17 und Jizai Tenjin17 uns und unsere Familien mit Strafen der Götter und Buddhas belegen.
Wenn es YORITOMO gelungen war, den Schwertadel (büke) in ranggleiches Ansehen mit dem Hofadel (kuge) zu heben, so blieb es nicht aus, daß mancher der Bushi glaubte, einen Nachholbedarf an Eleganz und Lebensführung gegenüber dem Hofadel zu haben, und sie konnten den Verlockungen nicht voll widerstehen, die das höfische Leben der Kaiserstadt ausstrahlte. Symptomatisch hierfür war, daß SANETOMO, Yoritomos jüngerer Sohn, seiner Mutter gegenüber darauf bestand, eine in den höchsten Kreisen Kyotos aufgewachsene Frau heiraten zu dürfen. Sie traf 1206 mit großer Begleitung im Ökura Bakufu Kamakuras ein (4, 102). Das Vorbild war gesetzt. Von den Höjö, die später als „Shikken" die Shögunatsmacht innehatten, mahnte noch TOKIYORI 1252 seine Bushi, den Luxus einzuschränken und sich „durch Übung im Bogenschießen, im Reiten und Ringkampf körperlich tüchtig zu erhalten" (4, 162). Die Mahnung verhallte. Kamakura wurde zu einem zweiten Zentrum höfischer Kultur, bis schließlich durch ASHIKAGA TAKAUJI im Jahre 1338 die Residenz des Shögun unmittelbar nach Kyoto verlegt wurde. 17 Temmangü ist der Sugawara no Michizane gewidmete Großschrein in Dazaifu; als Dai-jizai-ten spielt die indische Gottheit Shiva eine Rolle im Shingon-Kult des Köyasan.
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft
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Kamakura-Zeit
Auch in den Provinzhauptstädten, den Kontaktstellen zwischen Hof- und Schwertadel, unterlag manch ein Bushi den Verlockungen. Daß dem Gouverneur je ein Landverwalter und Truppenkommandeur des Bakufu beigeordnet wurde, verlieh der Verwaltungsspitze dualen Charakter. Dabei verstärkte sich die Stellung der Bakufu-Funktionäre erheblich durch die Vermehrung an Gokenin. Unter einem Gokenin verstand man einen Shöen-Besitzer, der sich freiwillig in die Vasallität des Shögun begab, dafür eine schriftliche Beurkundung seines Besitzes und die Zusicherung des Schutzes durch das Bakufu erhielt (36, 113). Die Gokenin übernahmen in Gegenleistung verwaltungsmäßige, finanzpolitische, aber auch militärische Aufgaben und wurden zur Grundlage der Bakufu-Macht überhaupt; sie halfen nicht nur, die allen Shöen auferlegten Sondersteuern einzutreiben, mit denen das Jitö-Shugo-System finanziert wurde, sondern öffneten auch die Einflußmöglichkeiten auf das Volk, zu welchem die Landverwalter und Truppenkommandeure de iure keinen Zugang hatten. Im Laufe der Zeit wurden die Landverwalter und Truppenkommandeure, die auch für sich selbst Shöen in ihrer Provinz erwarben, wirtschaftlich so stark, daß sie nicht nur der Lebensart des Hofadels zuneigten, sondern auch ihre Vasallendienste gegenüber Kamakura vernachlässigten und sich sogar eigene Gokenin zulegten, die sie wie Vasallen behandelten. Mit anderen Worten: Die Buke mit großem Landbesitz und eigenen Truppen gaben sich den Charakter von Provinzfürsten; sie waren Shugo-Daimyö. Sie vermochten sogar die Ämter für ihre Erben zu sichern. Unabhängig vom Tennöhof unterhielten sie ein loyales Verhältnis zum Bakufu, dem sie ihre Verbundenheit durch gelegentliche Steuerabgaben bekundeten. Als Jitö beherrschten H A S E B E den größeren Teil der Landgüter von Noto, ITÖ alle Landgüter von Hyüga; die Hälfte aller Landgüter von Hizen standen unter Kontrolle des Jitö R Y Ü Z Ö J I (25, 389). II. Priester, Mönche und Klöster Wie in der Nara- und Heianzeit spielten auch nach dem 10. Jh. bis weit in die Kamakurazeit hinein die Priester und Mönche eine den Aristokraten rangähnliche gesellschaftliche und politische Rolle. Etwa um das Jahr 1100 verfügten alle bedeutenden Tendai-Klöster und auch einige der Shintö-Schreine (Gion, Hiyoshi, Kitano, Kumano) über stehende Truppen, mit denen die Shöen der Kultstätte geschützt, aber auch Streitigkeiten untereinander ausgetragen wurden. Selbst an innenpolitischen Auseinandersetzungen nahmen die Klöster teil, wobei sie sich auf die jeweils für sie günstig erscheinende Seite schlugen. Die Truppen waren in Ausbildung und Moral nicht mit den Bushi bzw. Samurai vergleichbar. Sie bestanden aus angeworbenen, z. T. recht rauflustigen und beutegierigen Knechten; man nannte sie söhei, d. h. Priestersoldaten. Durch Klosterkriege gingen Klöster samt Urkunden und Kunstschätzen in Flammen auf und verloren viele Mönche ihr Leben. Vom Hieizan aus wurde Kyoto wiederholt bedroht, und die Bergmönche des Enryakuji zerstörten 1081 das am Biwasee gelegene Kloster Mii-dera (auch Onjo-ji genannt) von Grund auf. Bei den meisten Streitigkeiten ging es nicht darum, Fragen von religiöser Relevanz gewaltsam zu klären, sondern Besitz und Vermögen entweder zu sichern und zu erweitern oder die Steuerfreiheit des von verschiedenen Seiten überlassenen Landbesitzes zu behaupten (4, 35). Die Forderungen nahmen z. T. blasphemische Form an, wenn die Söhei den Klöstern ge-
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hörende sakrale Objekte als Angriffswaffe vor sich hertrugen, gegen die anzugehen, um nicht den Zorn der Götter heraufzubeschwören, niemand wagte. Den Mönchskriegen zu begegnen, richtete YORITOMO schon 1184 an den Tennöhof ein Schreiben folgenden Inhalts18: „Es ist wünschenswert, daß die Tempelländereien und Klöster wieder instandgesetzt werden. In den vergangenen Jahren haben einige Mönche in Sucht nach militärischer Geltung die Beachtung buddhistischer Gebote vernachlässigt. Dem ist mit strengsten Maßnahmen zu begegnen. Es wird empfohlen, die im Besitz von Mönchen befindlichen Waffen an die Regierungstruppen auszuliefern, die mit der Unterwerfung von Feinden der Nation beauftragt sind." Mit der Übernahme der obersten Militärgewalt durch YORITOMO erledigte sich die Frage von selbst. Die kaiserlichen Regierungstruppen, die auch die Schutzgarde für den Tennö-Palast stellten, setzten sich gemäß Bakufu-Erlaß von 1197 aus Samurai zusammen, die von den feudalen Großgrundbesitzern und den an Shöen reichen Klöstern anteilig nach Kyoto abzuordnen waren und dort unter dem Kommando des Tandai standen. Sie wurden u. a. auch zur Verstärkung der Bushi bei der Abwehr der Mongolen eingesetzt. Nach YORITOMOS Tod regten sich die Klöster wieder und wurden so unruhig, daß 1235 Gesetze zur Überwachung der Mönche und zum Verbot des Waffengebrauchs erlassen werden mußten (18, 254). YORITOMOS Verdienst aber ist es, die Klöster verstärkt auf ihre Aufgaben hingewiesen zu haben. Sie müssen, trotz der voraufgegangenen Zerstörungen, als die eigentlichen Kulturstätten des 12. und 13. Jahrhunderts betrachtet werden. Dichtung. Malerei und Bildhauerei fanden in ihnen besondere Pflege. I I I . Bauern, landwirtschaftliche A r b e i t e r und Knechte Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe hat sich infolge der Entwicklung der Shöen seit dem 8. Jh. vervielfacht. Die Zahl der freien Bauern war nicht in gleichem Maße gestiegen; denn die Shöen hatten vor allem die Rönin (ukarebito) an sich gezogen, die vom väterlichen Hof aus steuerlichen Gründen geflüchteten Söhne. Aus ihnen bildete sich die neue gesellschaftliche Gruppe der landwirtschaftlichen Arbeiter (saku-otoko), die mehr waren als Sklaven, aber weniger als selbständige Bauern. Sie wurden auf Zeit angeworben und gehörten nicht zum Feld, sondern zur Arbeit. Sie konnten den Dienstherrn wechseln; viele von ihnen blieben aber ihr Leben lang bei diesem (2). Man hielt für eine Reisfläche von weniger als 2 ha die Hilfe von einem oder zwei saku-otoko für erforderlich. BARTH weist darauf hin (4), daß auf den Bildern des Tökaidö aus der Kamakura-Zeit Samurai zu Pferde dargestellt werden, denen lanzentragende Knappen zu Fuß nebenhergehen. Auch in diesen Personen handelt es sich um junge Menschen, die das väterliche Haus verließen, sich aber nicht als Landarbeiter verdingten, sondern als Knechte bzw. Fußsoldaten (ashigaru) zur breiten Grundmasse der Ritterheere gehörten, von denen das Heike Monogatari berichtet, daß sie nach Zehntausenden zählten19. 18 Azuma kagami, 1184, 2. Monat, 25. Tag. In englischer Ubersetzung bei Minoru Shinoda: The Founding of the Kamakura Shogunate 1180-1185. S. 254. New York 1960. 19 Für die Schlacht am Fujikawa (1180) soll YORITOMO mehr als 200000 Krieger zusammengezogen haben (Heike Monogatari, Engl. Ausgabe, Tokyo 1975).
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft in der
Kamakura-Zeit
IV. Handwerker, Händler und Schauspieler Der Bedarf an handwerklichen Erzeugnissen, Dienstleistungen und Vergnügungen erfuhr durch das luxuriöse Hofleben in Kyoto sowie durch die Entwicklung der Shögunatshauptstadt eine bedeutende Belebung. Verstärkt wurde der Bedarf durch den Wiederaufbau von zerstörten Klöstern und von Stadtteilen, die durch Erdbeben oder auch Kriegshandlungen niedergebrannt waren. Diese Geschehnisse führten zu einer Konzentration der Arbeit, zur Bildung von Handwerkergilden (za), denen der Patronatsherr das Monopol gewährte. Sie ermöglichte Qualitätssteigerung. In Kyoto wie in Kamakura entstanden Straßen oder ganze Viertel, in denen sich bestimmte Handwerker und Händler niederließen. Unter den Handwerkern hoben sich die Kunsthandwerker auch in ihrer gesellschaftlichen Stellung heraus; sie waren an den Höfen begehrt. „Schwertfeger wie AWATAGUCHI Y O S H I MITSU in Kyoto, O S A F U N E NAGAMITSU in Osafune in der Provinz Bizen und OKAZAKI MASAMUNE (1264—1340) in Kamakura waren Meister ihres Faches. Die Töpferei fand ihre Aufgaben, nachdem der Priester E I S A I den Brauch des Teetrinkens neu belebt hatte" (16, 280). Der Töpfer Töshiro 20 aus Seto (Owari) wurde aufgrund seiner in China erworbenen Kenntnisse zum Schöpfer des als Setomono bekannt gewordenen Porzellans. Das Stadtvolk wurde auf offenen Plätzen durch Vorführung von Possen, durch Lieder mit Biwabegleitung21 über die Geschehnisse im Heike Monogatari oder auch durch das Auftreten professioneller Sumökämpfer unterhalten 22 . V. Räuber und Bettler Die Kaiserstadt hielt es für erforderlich, für den Empfang des Shöguns YORITSUNE im Jahre 1238 Sicherheitsmaßnahmen zu treffen, da die Menschen in den Straßen noch immer von Räubern bedroht und von Bettlern belästigt wurden, ja sogar Söhne vornehmer Häuser aus Lust am Rowdytum vor kriminellem Tun nicht zurückschreckten (31, 403). Um 1250 wies das Bakufu auch seine Vertreter in den Provinzen an, gegen die sog. Akuto vorzugehen, worunter man Räuber, Glücksspieler und Erpresser verstand, die sich besonders in Jahren von Mißernten oder Naturkatastrophen breit machten. Diese Anordnung mußte das Bakufu 1270, 1271 und 1286 wiederholen (4, 168), ein Zeichen dafür, daß es sich in den Akuto um eine latent im Untergrund schwelende Bevölkerungsschicht handelte. In die Kamakurazeit fallen auch die von IPPEN SHÖNIN begründeten Verbände der Wanderpriester, zu denen Mönche wie Nonnen gehörten, die schließlich zu Banden von Verkommenen entarteten. Es waren Leute, so heißt es, „die sich weder den Kopf Schoren noch Meditation trieben und sich nicht scheuten, in schmutziger, zerrissener Kleidung unter das Volk zu gehen" (4, 167). 20 Unter dieser Abkürzung ist sein Name Katö Shirozaemon in die Geschichte eingegangen. 21 Die Biwa ist ein der Mandoline ähnliches, mit kürbisförmigem Resonanzboden versehenes, vierseitiges Musikinstrument mit drei oder mehr Stegen. 22 Sumö ist die älteste Art von Ringkampf auf japanischem Boden; der Legende nach soll der erste Sumokampf zwischen zwei Gottheiten um den Besitz von Izumo ausgetragen worden sein. Zur Zeit des SHÖMU TENNÖ ( 7 2 4 - 7 4 8 ) waren diese Kämpfe Bestandteil von Hoffesten. Das KamakuraShögunat betrachtete die Ausbildung im Sumökämpfen als unentbehrlich beim Mann-gegen-MannKampf.
B. Entwicklung
und räumliche Verteilung der
Bevölkerung
103
B. Die Entwicklung und räumliche Verteilung der Bevölkerung I. Die Schwierigkeiten für die Ermittlung der Bevölkerungszahlen Eine Ermittlung der Bevölkerungszahl etwa für das 13. Jh. ist auf indirekte Wege angewiesen. Die Haushaltsregister (koseki), die im 7. und 8. Jh. für die Bemessung der Feldzuteilungen geführt wurden, hatten mit dem Aufkommen der Shöen-Entwicklung nach und nach ihren Sinn verloren, hätten aber noch am ehesten, wenn sie erhalten geblieben wären 23 , für eine Berechnung der Gesamtbevölkerung verwendet werden können. Neuauflagen der Fudoki sind aus der Kamakurazeit nicht überliefert. Es fehlen Angaben über die Zahl neu angelegter Dörfer. Geblieben sind die aus der Heianzeit übernommenen Verwaltungsbezirke der Provinzen (kuni), Distrikte (köri) und Dörfer (sato). Die Sato, meist mehrere geographisch selbständig erscheinende Dörfer (mura), in einigen Landesteilen auch Go genannt, verloren durch zwei Umstände an Profil, so daß von dieser Basis aus eine Schätzung der Bevölkerung sehr fragwürdig erscheinen muß. Zum ersten erfolgte eine statistisch nicht erfaßbare Entwicklung von Weilersiedlungen innerhalb des Gemeindebezirkes, die man mit Ho bezeichnete. Dieser Name erinnerte an das GohoSystem, das mit der Feldeinteilung der Taika-Reform verbunden war, aber schon in der Heianzeit keine Bedeutung mehr hatte. In der Kamakurazeit tauchte das Ho zunächst in der städtischen Verwaltung wieder auf, aber „man verstand nun darunter nicht mehr eine Häusergruppe, sondern einen von der Häuserzahl unabhängigen Stadtbezirk" (33). Dieses. Ho wurde nun (vielleicht von den in den Städten lebenden Shöen-Besitzern) auch in die Struktur der ländlichen Distrikte eingefügt und dabei mit der Funktion versehen, unter Leitung eines aus den Familien erwählten Mannes eine polizeilich wie militärisch eigene Verantwortung zu tragen (15). Zum zweiten erfuhren die Landgemeinden eine Veränderung durch Großgrundbesitzer, die Teile oder sogar das gesamte Sato-Gebiet in Besitz nahmen und damit zur Shöen-Verwaltung schlugen. J. W. H A L L ermittelte (15, 159), daß um das Jahr 1200 in der Provinz Bizen nur 25 Landeinheiten als Sato (oder Go) angesprochen werden konnten, alle übrigen aus Ho und Shöen bestanden sowie aus Kokugaryö, d. h. jenen letzten Stücken von Staatsland, wie dies einst unter dem köchi-kömin verstanden worden war 24 . Solches Staatsland machte in sehr fernen Provinzen, wie in Satsuma, Ösumi und Hyüga nur noch ein Zehntel bis ein Hundertstel der Territorien aus; in Bizen und Awaji erreichte dieser Anteil noch ein Drittel: Die Nähe des Hofes machte sich darin ebenso geltend wie in der Tatsache, daß die Grundherren der Shöen von Bizen im benachbarten Gokinai wohnten und Interesse an der geringen Entfernung zum Besitz und an dessen Beaufsichtigung hatten; als Grundherren traten auf: Der Tenno, der Tennohof, einige Großtempel (Todaiji, Daianji, Enryakuji u. a.), der Hachimangü von Iwashimizu und Kultstätten von örtlicher Bedeutung. Zu Beginn des 13. Jh. gab es in Bizen 44 Shöen-Areale; in 36 Fällen konnten deren Besitzer festgestellt werden: 11 gehörten der kaiserlichen Familie, 14 buddhistischen Tempeln, 10 Shintöschreinen und 4 der Hofaristokratie (15, 171). Nur
23 Sie wurden nach jeweils 30 Jahren vernichtet. Vgl. K1WJ., S. 226. 24 Im 14. Jh. wurden die Kokugaryö schließlich Privatbesitz des Shögun (Hall, S. 165).
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft in der
Kamakura-Zeit
10 dieser Flächen wurden unmittelbar von Institutionen innerhalb der Provinz verwaltet (Tempel und Schreine von örtlicher Bedeutung), alle anderen in Vertretung der ortsfernen Besitzer von Shöen-Verwaltungen aus bewirtschaftet. Eine solche Verwaltung arbeitete unter einem Verantwortlichen mit einer Hierarchie von Mitarbeitern, d. h. die Shöen-Verwaltungen brachten zusätzliche Bevölkerung in die Provinz. Wie hoch die Zahl der provinzfremden Personen war, läßt sich nur erschließen. Das Osada-no-Shöen im nordwestlichen Bizen, das mit 155 km 2 etwa 35% des heutigen Mitsu-gun ausmachte, lieferte an die kaiserliche Grundherrschaft außer Reis noch Holz, Holzkohle, Papier, Seide und andere Textilien, wofür Arbeitskräfte benötigt wurden, die außerhalb der Agrarwirtschaft tätig waren. Darüber hinaus verlangte die Erschließung von Neuland nach Landarbeitern. Der Großtempel Tödaiji erweiterte allein in Bizen seine Nutzfläche um 260 chö (etwa 260 ha). Da man für die laufende Feldbestellung eine Arbeitskraft je chö veranschlagte, mußten vom Tödaiji 260 Personen herbeigeschafft werden. Einer der größten Grundherren war der Kongöbuji auf dem Köyasan. Er hatte bei seiner Gründung 816 vom kaiserlichen Hof 10000 chö Land erhalten, das sind 99 km 2 , die Größe eines Distrikts. Im Laufe der Zeit hat sich der Tempel die Besitztitel für die in diesem Bereich liegenden Agrarflächen erworben und hat darüber hinaus weithin Neuland gewonnen (2). ASAKAWA bemerkt (2, 81), daß der Ausdruck Siedler oder yoriuto für die Einwohner eines shö verwendet wurde, um sie von den selbständigen Bauern und den hyakushö, den Trägern von Familiennamen, zu unterscheiden. „Wenn ein neues shö geschaffen werden sollte, mußten Menschen für die Urbarmachung des Geländes angeworben werden. Schon seit dem ausgehenden 8. Jh. verwendete man dafür neben den Rönin auch straffällig gewesene Leute." Sie bildeten gemeinsam die landwirtschaftlichen Arbeiter, von denen sich mancher auch zum Bauern mit dem Status gewisser Selbständigkeit emporarbeitete. Vom 13. bis 16. Jh. entwickelte sich Köya zu einem Distrikt von 2063 Dörfern bzw. bäuerlichen Gemeinschaften, die eine Jahresrente von 173000 Koku Reis aufbrachten (2, 189). Die aufgeführten Tatsachen machen deutlich, daß für die Kamakurazeit wie schon für das 10. und 11. Jh. eine Schätzung der Bevölkerungszahl nur auf allgemeinster Basis möglich ist. Nur dies ist zweifelsfrei: Wenn man für die Mitte des 8. Jahrhunderts mit einer Bevölkerung von 8,0 Millionen Menschen rechnen darf, dann muß die Zahl in der Kamakurazeit, also 500 Jahre später, höher gelegen haben. Selbst bei der Annahme, die Bevölkerung wäre jährlich nur um 0,5% gewachsen, würde sich eine Vermehrung um 30 Millionen Menschen ergeben haben. Da man weitere 300 Jahre später aber von nur 18 Millionen Bewohnern spricht, könnte man für das Jahr 1250 mit größten Vorbehalten etwa 14 Millionen ansetzen; das würde einem durchschnittlichen Wachstum von 14000 Menschen oder 0,18% jährlich entsprochen haben. Nur größte Menschenverluste durch Krieg, Naturkatastrophen, Hungersnöte, Krankheiten und vielleicht auch durch Kindertötung vermöchten ein so geringes Anwachsen der Bevölkerung erklären. Allein in Kamakura sollen im großen Erdbeben von 1293 mehr als 20000 Menschen umgekommen sein; es wird berichtet, daß viele Bauern, die in Zeiten von Mißernten die ihnen auferlegten Steuern nicht entrichten konnten, „ihr Land im Stich ließen und sich Rettung suchend nach Kamakura wandten, wo man dann ihre abgezehrten Leichname in den Straßen der Stadt fand" (4, 171).
C. Die Lebensweise der Bevölkerung
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II. Die Bevölkerungsverteilung Die Bevölkerungsverteilung läßt sich im Grundsätzlichen mit größerer Wahrscheinlichkeit rekonstruieren, wenn auch hierfür zahlenmäßige Angaben fehlen. Die Kriegerheere, die auf die regionalen Zentren Kyoto und Kamakura in Bewegung gesetzt wurden, mußten schon ihrer Verpflegung wegen die Straßen benutzen, die landwirtschaftlich günstig entwickelt waren. Die Streitmacht, mit der NITTA YOSHISADA 1 3 3 8 Kamakura vernichtete, soll 6 0 0 0 0 0 Mann stark gewesen sein (8, 343); allein aus der Provinz Kozuke im nordwestlichen Kantö hatte er 20 000 Mann gesammelt. Die Verteidiger Kamakuras werden auf ebenfalls mehrere Zehntausend angegeben. Selbst wenn man diese Zahlen auf ein Zehntel herabsetzen würde, ergäben sich Kriegermassen von modernen Divisions- und Regimentsstärken. Sie bewegten sich zwischen Kamakura und Kyoto auf den drei traditionell benutzten Wegen: Dem Tökaidö, dem Tösandö und Hokuriku-dö (8, 343). Es sind dies jene Leitlinien, an denen kleinere und größere Küstenebenen oder auch Gebirgsbecken aufgereiht sind, die nicht nur Rast und Verpflegung gewährten, sondern bei der Uberquerung von Flüssen auch mit Fähren ausgestattet waren. Es muß bemerkt werden, daß sich am Hokurikudö die Provinzen Kaga und Echizen als Verpflegungsregionen auszuzeichnen schienen, woraus auf eine stärker gewordene Agrarbevölkerung geschlossen werden kann. Vom Westen aus in Richtung auf Kyoto heben sich ebenfalls die schon in früheren Jahren benutzten Straßen vor allen anderen heraus. Insgesamt spricht aus der Bevölkerungsverteilung die Struktur des natürlichen Leitliniensystems, wobei die Großstadt Kyoto mit den Kinai-Provinzen und die Großstadt Kamakura mit den Kantö-Provinzen die Kraftzentren darstellten, aus denen heraus sich die Verkehrsspannung ergab. Nebenzentrum war Nord-Kyüshü, vorübergehend mit Bevölkerung angereichert, als die Gefahren der Mongoleneinfälle militärische Konzentration in den Küstenbereichen von Hakata, Karatsu und Hirado erforderten und selbst die SW-Provinzen von Honshü in Alarmbereitschaft versetzten (NagatoTandai 1275 mit Sitz in Yamaguchi).
C. Die Lebensweise der Bevölkerung I. Das Haus Die stroh- oder schilfbedeckten Bretterhäuser (taya) bestanden weiterhin, aber in ihrer Ausstattung haben sie Verbesserungen erfahren. Der hölzerne Fußboden ist schon teilweise mit dicken Matten (tatami) belegt, an die Stelle von Fensterklappen sind Schiebewände (.shöji) getreten, die es ermöglichen, bei Tage das Haus voll zu öffnen. Nägel wurden beim Hausbau wenig verwendet; sofern sie notwendig waren, benutzte man aus Bambus gefertigte. In den über dem Erdboden erhöhten Räumen befand sich ein nochmals erhöhter Teil, dessen Boden mit feinen Strohmatten bedeckt war, das tokonoma, das als Schlafplatz, auch als Sitzplatz für Besucher diente (4, 26). Neu ist das Kriegerhaus (bukezukuri). Es ist Ausdruck des Samurai-Ideals der Einfachheit und Beschränkung auf das Notwendige; in Umfang und Ausstattung steht es im Gegensatz zu den höfischen Adelsresidenzen (shindenzukuri). Das
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2. Kapitel:
Mensch und Landschaft
in der
Kamakura-Zeit
Grundstück, von einem Graben umgeben, gliederte sich in zwei von Bretterplanken umfaßte Teile mit einem äußeren und inneren Tor. Es enthielt außer den Wohnräumen Bereiche für das Bogenschießen, für das Reiten (Pferdeunterkünfte) und für den Wachturm. Die Wohnräume waren klein und anspruchslos ausgestattet. Im Hauptraum stand auf podiumartiger Erhöhung ein als Lackarbeit gefertigter Stuhl für ranghohen Besuch. Daneben gab es einen Raum für Frauen, ein Dienerzimmer und eine Küche. Die Fußböden waren mit Tatami belegt. Man saß auf seidenen, mit Baumwolle gefüllten Kissen. Für die Erwärmung des Raums sorgte ein Kotatsu. Das Dach war meist mit Brettern belegt; höher gestellte Personen gaben ihren Rang durch ein Ziegeldach, gelegentlich auch durch ein Kupferblechdach kund, dessen Material aus China importiert wurde. Die Bretterdächer, auch die der Bauern, wurden zum Schutz gegen starken Wind mit Steinen beschwert (10, 32). An den großen Verkehrswegen mehrten sich die Rast- und Gasthäuser. Sie waren meist zugleich die Shukuba, die Stationen des Pferdewechselns. Solche Gasthäuser bestanden aus mehreren Gebäuden, da sie nicht nur die Reisenden beherbergten, sondern auch Pferdeknechte und die für die Unterhaltung der Gäste dienenden Freudenmädchen. Yahagi am Yahagigawa (Mikawa) war ein solcher Rastort; die meisten Rastorte haben später ihre Funktion an andere Plätze abgegeben. Im übrigen übernachteten in diesen Gasthäusern nur Personen höheren Ranges; das gemeine Volk bat um Schlafstätten in einem Tempel. II. Die Kleidung Die früher übliche Tracht von Rock und weiter Hose wurde immer mehr zugunsten des Kimono aufgegeben, den man aus chinesischer Unterkleidung entwickelte und zu einem Obergewand in japanisch eigener Art machte. Letztlich durchgesetzt hat sich der Kimono erst in der auf die Kamakura-Zeit folgenden Muromachi-Zeit (1338—1574). Als Fußbekleidung kamen die als Geta bezeichneten Holzsandalen auf, auch solche auf hohen Stelzbrettern (ashida), die bei Regen den Fuß etwas über die Straßenebene heben. Auf Reisen trug man Waraji und Zöri, flache Strohsandalen, die man wegwarf, wenn sie durchgelaufen waren. Aus Bambus hergestellte Schirme überzog man mit geöltem Papier oder auch mit Seidenstoff (4, 148—152). Die Krieger trugen — wohl des Helmes wegen — ihr Haar kurz, bis zum Kopfscheitel rasiert, und damit unterschieden sie sich vom Hofadel, der das Haar lang wachsen ließ und es mit Papier zu einem Zopf zusammenraffte (8, 373). III. Die Ernährung Neben Fisch und Reis sowie den übrigen der „fünf Körnerfrüchte" (s. Glossar) dienen die schon in der Nara-Zeit bekannt gewesenen Gemüse und Obstarten der Nahrungsergänzung. Es werden genannt oder auch auf Bilderrollen (emaki-mono) dargestellt: Süßkartoffel (taro), Melone (uri), Kürbis (kabocha), Gurke (kiuri), Eierpflanzen (nasu), Pfirsich (momo), Pflaume (ume), Biwa (engl, loquat) und die später hinzugekommenen Früchte wie eßbare Kastanie (kuri), Mandarine (mikan), Kaki (Kakifeige, persimmon), Aprikose (anzu), Birne (nashi), Erdbeere (ichigo), Granatapfel (zakuro), Lotuswurzeln (renkon), Bambussprossen (takenoko). Aus
A. Agrargeographische
Neuerungen
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chinesischen Aufzeichnungen ist belegt, daß die Aufzucht von Gänsen, Enten und Hühnern gepflegt wurde (23, 279). Rinder und Schweine sind als Schlachttiere nicht bekannt. BRINKLEY schreibt, die Krieger verwahrten sich gegen religiöse Skrupel hinsichtlich des Fleischessens; sie aßen alles außer Rind und Pferd (8, 374). Als Getränk diente noch vornehmlich Wasser. Seit sich das Shögunat für das Teetrinken entschieden hatte, fand der Anbau dieses schon in der Heianzeit aus China eingeführten Strauches größere Verbreitung, und Tee wurde als Getränk häufiger. Sake, der alkoholhaltige Reiswein, war weit verbreitet. Man konnte ihn damals schon als Volksgetränk bezeichnen. Die Bauern stellten ihn als Doburoku, d. h. unverfeinerten Sake, auch selbst her. Er wurde in Krügen von 20 shö Gehalt aufbewahrt. Die für die Sakebereitung geltenden Steuern bemaßen sich nach der Anzahl der im Hause befindlichen Krüge. Die Samurai, in ihrer Lebensführung vom Ideal der Selbstzucht bestimmt, mieden den Sakegenuß. Zentrum der Herstellung blieb deshalb Kyoto.
4. Abschnitt Wirtschaftsgeographische Entwicklungen A. Agrargeographische Neuerungen I. Die bäuerliche Gesellschaft und die Besitzverhältnisse Die bäuerliche Gesellschaft hat, mit der Shöen-Entwicklung beginnend, einen zunehmend dualen Charakter angenommen. Auf der einen Seite stehen die nach dem Mundanteil-System arbeitenden, nach und nach inoffiziell mit Erbrecht ausgestatteten, schwere Steuerlast tragenden Bauern, auf der anderen Seite, immer stärker werdend, formierte sich die Shöen-Gesellschaft mit der Spitze eines meist ortsfremden Grundherrn, in der breiten Mitte mit zahlreichen Untereigentümern (hyakushö) von sehr unterschiedlichen Abgaben- und Dienstverpflichtungen und schließlich in unterster Schicht die Landarbeiter oder Saku-otoko verschiedenster Herkunft (2, [175]). Das Shöensystem ist die japanische Form eines agrarwirtschaftlichen Rentenkapitalismus. Als Rentenkapitalisten treten vier Gesellschaftsspitzen auf: Die Kultstätten (Tempel und Schreine), der Tennohof, die höfische Aristokratie (kuge) und — seit der mittleren Kamakurazeit stärker werdend — der Schwertadel (büke). Von den Kultstätten waren Enryakuji, Tödaiji, Köya (-san) und Iwashimizu Hachimangü besonders mächtige Grundherren (15, 189). Aus dem Hofadel hoben sich die Fujiwara besonders heraus: FUJIWARA H I D E H I R A (1096-1187) soll kurz vor Beginn der Kamakurazeit 25% der Reichsfläche beherrscht haben. Da die Shöen erblicher Besitz waren, ist der Reichtum Hidehiras auf andere Fujiwara übergegangen. Im Verlauf der Kamakurazeit vereinigten die Samurai (Bushi) etwa die Hälfte aller Shöen außerhalb der Kultstättenshöen auf sich. Die meisten der Grundherren residierten in Kyoto. G O - T O B A T E N N Ö soll erklärt haben, daß er insgesamt 1180 Shöen, verteilt auf 59 Provinzen, besaß. Die Entwicklung in der Besitzverteilung führte zu völligem Zusammenschmelzen des Staatslandes, als welches aller Grund und Boden unter der Devise des köchi-kömin aufgefaßt worden war. Wenn eine Bauernstelle innerhalb des überlieferten Jöri-
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft in der
Kamakura-Zeit
systems ohne Erben und damit ohne Bewirtschaftung blieb — es war dies die erstmalige Entstehung von Sozialbrache — dann übernahmen Klerus und Adel die Anteile. II. Die Nutzfläche und ihre Feldfrüchte Nach A N D O soll um das Jahr 1000 die Anbaufläche von Reis in dem Gebiet von Kyüshü bis Mittel-Honshü 850000 ha betragen haben (1). Er wurde vornehmlich in den Niederungen angebaut. Da der Rodungsappell schon im Jahre 743 fast 1 Mio. ha zur Bewirtschaftung freigegeben hatte, darf man annehmen, daß die gesamte Nutzfläche während der Kamakurazeit bei 2,0 Mio. ha lag25. Schätzt man, daß die von A N D O für die Zeit um das Jahr 1000 berechnete Reisfläche bis zum 13. Jh. auf 1,5 Mio. ha angewachsen war, so würden für die übrigen Anbaufrüchte während der Kamakura-Zeit 500 000 ha vielleicht nicht zu hoch angeschlagen sein: Denn die laufende Mahnung, alle fünf Körnerfrüchte zur Sicherung der Volksernährung anzubauen, also auch Weizen, Gerste, Hirse und Bohnen, wird nicht erfolglos geblieben sein, insbesondere weil auch die Steuerleistungen z. T. mit diesen Feldfrüchten erbringbar waren. Hinzu gerechnet werden müssen die Flächen, die man für die Aufzucht von Seidenraupen mit Maulbeersträuchern bepflanzte; denn Seide war am Hofe sehr gefragt. Auch die zur Ergänzung der Hauptnahrungsmittel dienenden Gemüse und Obstarten haben Nutzflächen beansprucht, und schließlich sind auch die kleineren Areale in die Berechnung mit einzubeziehen, die für den Anbau von Trockenreis, von Lackbäumen, Hanf, Indigo, Tee sowie von Papierrindensträuchern benötigt wurden. Völlig im Unklaren müssen die Vorstellungen über die Beschaffung des Pferdefutters bleiben. Weiden gab es in der Nähe von Viehhaltungszentralen, wie sie als bokkan schon in der Nara-Zeit eingerichtet worden waren. Der Bestand an Pferden muß in der Kamakura-Zeit, den mächtigen Heerscharen und der Anzahl der Samurai entsprechend, in die 100000 gegangen sein. Auch die zahlreichen Ochsen, als Zugtiere in der Landwirtschaft und im Straßenverkehr (Transport der Steuerabgaben) verwendet, werden verkehrsnahe Weiden in Anspruch genommen haben. Bemerkenswert sind die ersten Versuche, die Anbaufläche nicht nur horizontal, sondern auch vertikal dadurch auszuweiten, daß man in den klimatisch begünstigten Regionen SW-Japans die Reisfelder nach Einbringung der Ernte mit einer zweiten Feldfrucht (nimösaku, Wechselernte) bestellte, die vor dem Setzen der Reispflanzen im Frühsommer abgeerntet werden konnte (20, 60). Noch aber scheint nicht geklärt zu sein, ob sich dies schon um den Wechsel zwischen Reis und Gerste bzw. Weizen handelte. 25 Die im Wamyö-ruijüshö (923—930) und im Shükaishö (Anfang 14. Jh.) angegebenen Werte, die v o n JANATA, KREINER, PAUER u n d KL. MÜLLER ( 1 9 7 2 ) z i t i e r t w e r d e n , l i e g e n b e i 8 M i o .
bzw.
9 Mio. ha, sind aber m. E. nur erklärbar, wenn man sie als Aufrechnungen aus dem Shoen-Besitz versteht, der sich auch über ganze Distrikte hinzog, die sich überwiegend aus gebirgigem Waldland zusammensetzten. Wenn 9 Mio. ha handgenutzt worden wären, würden das 30% der Reichsfläche, ohne Hokkaidö, gewesen sein; ein völlig unmöglicher Anteil. Am Ende der Tokugawa-Zeit betrug die Nutzfläche insgesamt 4,4 Mio. ha; bei der Vermessung im Jahre 1880 ergaben sich 4 433 000 ha, die zu 60% aus Reis-, zu 40% aus Trockenfeldern bestanden (Statistik nach Ogura, T.: One Hundred Years of Agricultural Statistics in Japan. Tokyo 1969).
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft in der
Kamakura-Zeit
Wie ein feuchtes Reisfeld in ein Trockenfeld verwandelt wird, ist aus der Tokugawa-Zeit anschaulich beschrieben worden und kann noch heute im Lande beobachtet werden. Ob die Technik bei den ersten Versuchen in der Kamakura-Zeit schon voll ausgebildet war, ist unbekannt. Von Bedeutung für diesen Vorgang ist der Stand der Bewässerungskultur. Wenn auch angenommen werden darf, daß der erste Anbau von Reis in Sumpffeldern auf Küstenschwemmland erfolgte, so belegt die Ausgrabung von Toro im Jahre 1949, daß bereits in der späteren Yayoizeit höheres, über dem Sumpfniveau liegendes Land bewässert wurde (34). „Dem großen Raum, den die Bewässerung unter den Feldarbeiten einnimmt, entspricht auch eine kultische Bedeutung: Die Eintrittsöffnung minakuchi des Bewässerungskanals in das Feld ist Kultplatz der Wassergottheit mizu no kami oder der Feldgottheit ta no kami" (20, 60). Mit der Taika-Reform war alles Wasser Eigentum des Staates geworden; füglich unterlag auch die Feldbewässerung seiner Fürsorge und Kontrolle. Mit der Shöen-Entwicklung verringerte sich die Macht des Staates auch über das Wasser. „Spätestens mit dem Engishiki war die Existenz privaten Wassers anerkannt, als man verfügte, daß Wasser, wenn es im Uberfluß vorhanden ist, privat genutzt werden könne (20, 70). Das „World Register of Dams" (37) nennt 8 Staudämme, deren Errichtung in der Zeit vom 8. bis 13. Jh. erfolgte. Es sind ausnahmslos 15—32 m hohe Erddämme mit Kronenlängen bis zu 171 m und einem Stauvermögen bis zu 218000 m3 Wasser. Sie erfüllen noch heute ihre Funktion; als Beispiel diene der Mannö-Stausee (Abb. 9). Bezeichnenderweise erfolgten der Bau von Staudämmen und die Anlage von Teichen mit Reservewasser vornehmlich in jenen Regionen, die der Gefahr zu geringer Niederschläge ausgesetzt sind (Klimaprovinz Setonaikai, vgl. Bd. 1, S. 300). Hier vermögen Wasserreserven die Reisernten zu sichern und Trockengebiete in Reisfelder zu verwandeln.
B. Fischereigeographische Entwicklungen Noch immer beschränkt man sich auf die Süßwasser- und Küstenfischerei. Die Fanggeräte reichten noch nicht aus, um Makrelenhecht und Gelbschwanz, die zu schnell sind, oder auch Kabeljau aufzubringen, der sich in zu großer Tiefe aufhält. Tintenfische und eßbarer Seetang wiegen im Meeresertrag vor. Durch Taucher wurden Muscheln und Schnecken gesammelt. Neu waren Uferwaden für den Taifang, die Anwendung von Schleppnetzen und einfachen Umzingelungsnetzen. Riesenreusen mit langen Leitzäunen aus Bambus wurden im Süßwasser des Biwasees ausgelegt (5). Fischer und Fischhändler waren in Gilden zusammengeschlossen; in Kamakura bewohnten sie den Bezirk der Fischerstadt (Uwo-machi). Die nächtliche Kormoranfischerei bei Laternenschein wurde um Kyoto und am Nagaragawa (Gifu) sehr beliebt.
C. Gewerbegeographische Entwicklungen I. Eisengewinnung und -Verarbeitung Ihr besonderes Kennzeichen erhielt die Kamakurazeit durch die Entwicklung der Eisengewinnung und Eisenverarbeitung. Schwerter, Rüstungen, landwirtschaft-
C. Gewerbegeographische
Entwicklungen
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liehe Geräte, Angelhaken aus Eisen waren mehr gefordert als vorher. Die am Tökaido liegenden Tatara, Orte der Schmieden26, zeugen von dem blühenden Gewerbe der Zeit, wenn auch die große Produktion der qualitativ hervorragenden Schwerter erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts einsetzte (4, 7 u. 63). Mittelpunkt für Schwertfeger waren Kamakura und Kyoto. Die Roheisengewinnung im Tatara-Verfahren lag in der Auswertung von Eisensanden, wie sie noch heute insbesondere an der NO-Küste von Töhoku vorkommen. II. Textil- und Papiergewerbe Das Textil- und Bekleidungsgewerbe erhielt einen Impuls durch die Nachfrage nach Stoffen für die in Mode gekommenen Kimono. Mittelpunkt der Seidenweberei war und blieb der Stadtteil Nishijin in Kyoto. Mit der Weberei war die Färberei von Stoffen eng verbunden. Auf der Reise trugen Frauen von Rang „große Hüte aus Stroh oder aus mit Stoff bespannten Bambusrahmen" (4). Beim einfachen Volk waren noch lange Hose und Rock im Gebrauch, bevor man zum Kimono überging. Schirme als Sonnen- und Regenschutz wurden aus Bambus hergestellt, wurden aber mit geöltem Papier oder mit Seidenstoff überzogen (8, 373). Auch das Tragen eines Schirms zeigte Würde an. Das Volk verzichtete darauf. III. Nahrungs- und Genußmittelindustrie 1. Saatgutgewinnung Es steht außer Zweifel, daß man die Vegetationsdauer und die Reifezeiten von Reis in den verschiedenen Regionen Japans beobachtete und man auf empirischem Wege zu jener Sortierung des Saatgutes kam, die es ermöglichte, sowohl in höheren Lagen als auch auf Wechselfeldern Reissorten zu pflanzen, die mit veränderten ökologischen Bedingungen vorlieb nahmen. Eine eigentliche Saatzucht war dies noch nicht; von einem Gewerbe hierfür kann noch nicht gesprochen werden. 2. Teegewinnung Der Anbau des Teestrauchs durch den Mönch MYÖE war von durchschlagenderem Erfolg; es war der erste, im Anfang des 9. Jahrhunderts gemachte Versuch, den Anbau von Tee von China nach Japan einzuführen. Durch Tee-Wettstreite wurden die besten Sorten ermittelt, die bereits mit Markennamen, wie honcha oder hicha gehandelt wurden (17). Ihren besonderen Aufschwung erfuhr die Teekultur durch Shögun MINAMOTO SANETOMO, der mit EISAI, dem Abt des Jufukuji in Kamakura, in engem Gedankenaustausch stand. EISAI hatte 1191 Teesamen aus China mitgebracht, ihn zunächst in Nord-Kyüshü (Chikuzen) für Pflanzungen ausgesät und einen Teil des Samens auch dem Mönche MYÖE überlassen. Wie EISAI war SANETOMO bestrebt, mit der Verbreitung des Tees dem übermäßigen Sake-Genuß entgegenzuwirken (4, 107). 26 tatara = Blasebalg, tataraba = Schmiede; tatara auch als pars pro toto verwendet. Es ist die Methode für die Eisenerzeugung bis ins 19. Jh.
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft in der
Kamakura-Zeit
3. Die Sake-Brauerei Da in Kyoto der Leiter der Amtsstelle für Sake-Brauerei residierte und die Hofaristokratie sich als eine wichtige Kundschaft für dies anregende Getränk erwies, waren die Zeichen für die Entwicklung eines blühenden Sakebrauereigewerbes gesetzt. TADAO NÖDA hat für das Kyoto der Muromachi-Periode ( 1 3 9 2 - 1 4 8 1 ) , also einer etwa 100 Jahre späteren Zeit, die Verteilung der Sakebrauereien
Abb. 10 Die Standorte der Sakaya-Dosö (Sakebrauer-Geldverleiher) in Kyoto während der Muromachi-Zeit (1338-1573). Nach Tadao Nöda im Standard-Atlas zur Geschichte Japans, 1970
C. Gewerbegeographische
Entwicklungen
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(Sakaya) kartographisch niedergelegt27. Wenn diese Karte (Abb. 10) auch einen späteren Entwicklungsstand wiedergibt, so vermittelt sie doch eine Vorstellung von der Basis, auf der dieses Gewerbe zur Blüte kam. Da die Sakebrauer zu den vermögenden Kaufleuten zählten, waren sie zugleich Geldverleiher (dosö oder dokura). Die Karte stellt beides dar: Die Sakaya und die Dosö; sie ist deshalb eine Sakebrauerei- und Geldverleiher-Verbreitungskarte von Kyoto in den Jahren von 1425—1467, zeigt demnach den Zustand einer Epoche, die 100 bis 130 Jahre später als die Kamakurazeit liegt. Die Karte schöpft aus drei Quellen: Es sind das Sake Köjishi Kishömon von 1419, das Sakaya Meibo von 1425 und 1426, das Onsake Ichizen-za von 1467. Die ersten beiden befinden sich im Besitz des KitanoSchreins, die dritte wird im Nanzenji Shinjöin aufbewahrt. Nach diesen Quellen gab es 1419 in Kyoto insgesamt 52 Brauer-Geldverleiher; die Zahl schwoll bis 1426 auf 347 an und sank 1467 auf 22 ab. Das Gewerbe verteilte sich von Awadaguchi am Ostufer des Kamogawa bis nach Saga im Westen am Katsuragawa, konzentrierte sich aber besonders im Sakyö, dem Ostteil der Altstadt, zwischen den Tempeln am Osthang des Kamogawa und dem vom Hof und der Hofaristokratie eingenommenen Stadtraum, unabhängig von den offiziellen Märkten.
IV. Das Baugewerbe Noch immer war Holz das Baumaterial für Paläste, Kultstätten, Adelsresidenzen und für die Wohnhäuser des Volkes, noch immer weiteten sich Feuersbrünste zu örtlichen Katastrophen aus und forderten das Baugewerbe zur Wiedererrichtung des Zerstörten heraus. Kyoto ging 1177 und 1188 in Flammen auf. Der Tennöpalast (Dai Dairi), im Jahre 960 nach dem ersten Brand wiederaufgebaut, wurde bis zum Jahre 1058 durch Feuer 15mal zerstört und nach dem Großbrand vom Jahre 1228 für die nächsten Jahrhunderte endgültig aufgegeben. Der Tennö residierte fortan in zeitweilig gewählten Unterkünften, etwa bei einem Prinzen oder einem Fujiwara, dessen Haus dann als Uchi-dairi bezeichnet wurde. Kamakura erlitt durch die Feuersbrunst von 1191 und durch die Erdbeben von 1222, 1223, 1228 und 1293 schweren Schaden. Die Taira hatten 1180 die Tempel von Nara zerstört; in Mönchskriegen waren auch anderswo Tempel niedergebrannt. All diese Vorgänge erforderten Wiederaufbauarbeit, so daß die Zimmerleute, Tischler und Kunsthandwerker verschiedenster Richtung vollauf beschäftigt waren. Einige der Tempel wurden nicht wieder errichtet. Die von Bedeutung gewesene Palast-Burg Chihaya (Katsuragi) des Volkshelden K U S U N O K I M A S A S H I G E , 1331 auf dem Westhang des Izumi-Kongösan (1112 m) erbaut, wurde nach ihrer Zerstörung Wüstung. Besonderen Auftrieb erhielt das Baugewerbe durch die Entwicklung des Samurai-Hauses oder buke-zukuri. Städtebaulich entstand die Monzen-machi, die 27 Die Karte ist in sehr kleinem Maßstab dem Standard-Atlas der japanischen Geschichte (Tokyo 1970) auf S. 25 beigegeben, wobei das Gebiet um Saga im Westen der Stadt ausgelassen wurde. Herr Prof. Dr. Taiji YAZAWA stellte mir freundlicherweise eine Kopie des Originals zur Verfügung und erläuterte den Karteninhalt im einzelnen, wobei er sich der Mitwirkung von Historikern seiner Universität erfreuen konnte. Ich bin für diese große Hilfe zu tiefem Dank verpflichtet.
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft in der
Kamakura-Zeit
„Stadt vor dem M o n " bzw. Torgebäude eines buddhistischen Tempels (Beispiele: Nagano, Kominato). Bemerkenswert ist der Hinweis, daß NICHIREN, als er im Hause des IKEGAMI MUNENAGA in der Nähe des Tamagawa starb, auf dem Wege nach einer Heilquelle in Hitachi gewesen sein soll. Da Heilbäder (Kizunoyu) aus historischer Zeit nur etwa 40 bekannt sind, kommt in Hitachi hierfür nur Daigo bzw. Fukuroda infrage, das damit als eine der ältesten Heilbädersiedlungen ausgewiesen wäre. Zum Baugewerbe gehörte auch die Fertigung der Fußböden; sie wurden mit Tatami belegt, die im Haus der Krieger und in den Palästen von Kyoto immer häufiger verwendet wurden. Material und Ausführung der Tatamiflechtung entwickelten sich; die letzte Form stellt eine Binsenmatte von 90 x 180 cm dar, die etwa 5 cm dick ist. Die Fläche entspricht dem Platz, den ein Mensch in ausgestreckter Ruhehaltung benötigt. Die Größe der Zimmer wird seither nach der Tatamizahl bemessen (3-Tatami-Zimmer, 4- oder 8-Tatami-Zimmer usw.). Die Matten ersetzen Bettstellen und, mit Kissen versehen, auch Stühle. Die Tatamifertigung hat sich bis auf den heutigen Tag auch auf die Landwirtschaft ausgewirkt: In SW-Japan wird in reisbeetähnlichen Feldern das für Tatami verwendete I-Gras (Schilfgras) angebaut. Bei der Verwandlung der Fensteröffnungen in Schiebetüren oder Shoji (der schiebbare, mit weißem Papier bespannte Holzrahmen) konnte man sich der schon weit fortgeschrittenen Papiererzeugung bedienen.
V . Erzeugung von K e r a m i k , L a c k w a r e n und Haushaltgeräten Im Haushalt übernahm das Lackgerät einen großen Teil der Aufgaben, die anderswo der Keramik zufallen. Daß sich TÖSHIRÖ aus Seto „der chinesischen Pilgerfahrt des Zen-Priesters DOGEN anschloß, ist vielleicht kein Zufall. Es liegt nahe anzunehmen, daß er dem Zen das Teegerät schaffen sollte, das es brauchte und in Japan nicht fand. Jedenfalls ist die künstlerische Töpferei Japans dem Zen von seinen ersten Anfängen an innig verbunden geblieben" (22, 161). Das von Töshirö nach 1228 entwickelte Gebrauchsprozellan wird bis heute als Setomono gehandelt. Darunter befinden sich Teekessel, Teeschalen, Krüge vieler Art. Die Keramikherstellung in Tokoname auf Chita, zunächst ebenfalls durch den Brauch des Teetrinkens belebt, ging nach dem Jahre 1300 infolge der Seto-Konkurrenz rasch zurück, wandte sich gröberem Gerät zu und hat sich im 20. Jh. auf die Lieferung von Drainagerohren spezialisiert (29). Sie hat in der Kamakurazeit viele der SakeKrüge erzeugt, die sich für die Aufbewahrung des unverfeinerten Doburoku in den Bauernhäusern befanden. Kyoto war wie Kamakura reich an Handwerkern, die mit Blumenmustern und anderen Figuren geschnitztes Hausgerät, wie Tische, Kästen und Truhen mit haltbarem Lack (urushi) überzogen und im ganzen Land dafür Absatz fanden. Die Fischerei-Provinz Shima am Südende von Ise belieferte den Markt mit Perlen und Perlenarbeiten; sie arbeitete sogar für den Export nach China (31, 422). Für den täglichen Gebrauch benötigte man Holzsandalen (geta und ashida) und leichtere Strohsandalen (zori) oder auch bloßen Fußschutz in Form der Waraji, die man wegwarf, wenn sie sich auflösten. Besondere Aufmerksamkeit schenkte man der Herstellung von Fächern.
C. Gewerbegeographische
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Entwicklungen
VI. Tempelkunst Die Architektur der fünf großen Zen-Klöster in Chekiang hat den japanischen Baumeistern im Zusammenwirken mit den Klöstern die Anregung zur Nachahmung gegeben. Die Einfachheit der Formen und Farben steht im Gegensatz zu dem üppigen Aufwand von Tempeln der Fujiwarazeit (22, 157). Leider sind weder die „Fünf Berge" (gozan) von Kyoto noch die von Kamakura in ihrer ursprünglichen Bauform erhalten geblieben; sie haben aber vielseitige Nachwirkungen ausgeübt. Das gilt auch für das Kunsthandwerk und die Kunst, insbesondere für die statuarische Ausstattung der Tempel, die eindrucksvoll realistisch in den mächtigen Tempelwächtern am wiedererrichteten Tödaiji, in den Schnitzwerken der Patriarchen H S Ü A N - T S A N G (Köfukuji, Nara) und VASUBANDHU (Sanjüsangendö, Kyoto) und sogar in landschaftlich bedeutungsvoller Form durch den Großen Buddha (Daibutsu) von Kamakura in Erscheinung tritt. Die auf einen niedrigen Sockel gestellte Plastik des Daibutsu hat einen Umfang von 29,4 m und ist 11,4 m hoch. Ursprünglich in der Tempelhalle des Kötoku-in stehend, verlor sie ihr Dach durch eine Gezeitenwelle im Jahre 1495 (wahrscheinlich eine Tsunami; 1498 große Tsunami, vgl. Bd. 1, S. 118) und steht seither unter freiem Himmel. Sie wurde von O N O GORÖEMON 1 2 5 2 in Bronze gegossen und ist schon in ihrem Material eine Ausnahme für das 13. Jh. (22, 156). Bronzeguß wurde fast ausschließlich für die
Bild 8
Daibutsu, der Große Buddha von Kamakura. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho,
Tokyo
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft
in der
Kamakura-Zeit
großen Tempelglocken verwendet, von denen die im Jahre 1264 gegossene des Hase-dera, nur wenig vom Daibutsu entfernt, noch heute ertönt. Es ist anzumerken, daß eine Tempelglocke von außen, wie ein Gong, mit Hilfe eines langen Rammbalkens zu dumpfem Klingen gebracht wird. Die Glockengießerei war in der Kamakurazeit infolge der zahlreichen Tempelneubauten sehr beschäftigt. Noch bis zur Heianzeit hatte man Glocken aus China einführen müssen. Die Glocke des Hase-dera gehört zu den ersten, die in Japan hergestellt wurden. VII. D e r Bootsbau Auf den Bootsbau ist noch immer geringe Aufmerksamkeit gerichtet. Die Kultur der Samurai und deren Auseinandersetzung mit der höfischen Kultur bedurften des Meeres nicht; Ausnahme war die Entscheidungsschlacht von Dannoura am Westausgang der Setonaikai im Jahre 1185 gewesen, in der die Taira und Minamoto mit insgesamt 1300 Booten gegeneinander manövrierten (31, 302). Welch geringe Zahl an kleinen Booten in einem 420 km von West nach Ost messenden Binnenmeer mit zwei verkehrsoffenen und buchtenreichen, die Luftlinie an Länge weit übertreffenden Küsten! Noch immer war der japanische Bootsbau dem chinesischen technisch unterlegen. Er war Sache der privaten Unternehmung. Eigentümer von Schiffen, mit denen eine Fahrt nach China gewagt werden konnte, waren lokale Machthaber und Tempel. Zwischen China und Japan liefen jährlich etwa 50 Boote hin und her; davon war nur ein Teil japanisch. Der Versuch des Shögun SANETOMO, ein seetüchtiges Boot im Kamakura herstellen und auslaufen zu lassen, scheiterte sogar an der Unkenntnis der Tiefenverhältnisse unmittelbar vor der Küste.
5. Abschnitt Infrastruktur, Außenbeziehungen und Landesverteidigung A. Der Straßen- und Küstenverkehr Die Errichtung des Gegenpols zur Kaiserstadt Kyoto in der Shögunatshauptstadt Kamakura machte den Tökaidö zur eindeutig verkehrsreichsten Achse des Inselreichs. Seiner Funktion wegen hieß er auch Kamakura Kaidö; von der späteren, nach Tokyo (Edo) führenden Route wich er insofern ab, als er vom Sakaigawa unmittelbar nach Kamakura führte und von hier aus quer über die Miura-Halbinsel die Uraga Kaikyo (Uraga-Meeresstraße) erreichte, den Eingang zur heute Tökyo-wan genannten Meeresbucht. Entlang dieser Straße wurden, die überlieferten Poststationen eingerechnet, insgesamt 63 Shukuba eingerichtet (12, 15) und mit Gast- bzw. Übernachtungshäusern (yadoya) versehen. BAHTH (4) schreibt: „Die Reise zwischen Kyoto und Kamakura dauerte normalerweise etwa 15 Tage. Es wurden bis zu 40 km am Tage bewältigt. Aber bei Eile konnte man den Weg zu Pferde in 7 Tagen anstrengender Reise zurücklegen. Viele der Shukuba waren durch die Freudenmädchen berühmt, die hier die Reisenden erwarteten. Yahagi in Mikawa, Ikeda am Tenryügawa . . . waren solche Rastorte. . . . Unter den
A. Straßen- und
Küstenverkehr
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Freudenmädchen am Tökaidö entstand damals das Soga Monogatari mit immer neuen Liebesgeschichten und Legenden um das Leben der Soga-Brlider." 28 Längere Reisezeit nahmen die beiden Ausweichstraßen für die Uberwindung der Entfernung Kyöto-Kamakura in Anspruch; sie waren im eigentlichen auch nicht als Wege zur Lösung der Verkehrsspannung gedacht, sondern als Erschließungsstraßen für Tösandö und Hokurikudo. Sie gehören, wie schon in früheren Kapiteln ausgeführt, zum natürlichen Leitliniensystem, wobei der Hokurikudo durch seine Kokufu (in Nähe des späteren Kanazawa) und den Hafenplatz Mikuni 28 Diese Dichtung erzählt die Blutrache der zwei Brüder Soga am Mörder ihres Vaters während einer Schwarzwildjagd am Fuße des Fujisan im Jahre 1193.
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft
in der
Kamakura-Zeit
(s. Abb. 11), der Nakasendö durch die Monzen-machi Zenköji (Nagano) Belebung erfuhr. In ihren Verlängerungen erreichten der Tökaidö entlang der Tiefenfurche des Abukumagawa und der Hokurikudö, die Hochbecken der Aizu-Depression nutzend, die Ebene von Taga, die Zentrale des Nordostens (späteres Sendai). Im südwestlichen Japan blieben Sanyö-dö und Sanin-dö die Hauptadern des Verkehrs; die Notwendigkeiten der Landesverteidigung stärkten das Gewicht des Sanyö-dö. Zusätzlich wurde die Bedeutung der Inlandsee-Seite durch die Hafenplätze Sakai, Naniwa (Osaka), Hyögo und Onomichi sowie durch die Residenz des Chügoku-Tandai in Ouchi, dem späteren Yamaguchi, verstärkt. Neue Akzente erhielt das Straßennetz durch zwei Häfen in der Nankaidö-Saikaidö-Region, durch Nakamura im SW von Tosa und Bönotsu in Satsuma (s. Abb. 11). Es ist nicht zu verkennen, daß Nara und Izumo während der Kamakurazeit nur noch auf dem kultischen Sektor Bedeutung zentralen Charakters hatten. Sie lagen abseits vom politischen wie wirtschaftlichen Geschehen.
B. Die Außenbeziehungen I. Die politischen Außenbeziehungen Vom 6. Jh. bis in die Heianzeit ist die chinesische Kultur in breitem Strom nach Japan eingeflossen. SHÖTOKU T A I S H I war es, der dieser kulturellen Rezeption staatlichen Charakter gab. Die Zeichen der Geschichte hatten für Japan günstig gestanden; denn während der Tang-Dynastie, deren Dauer man vom Jahre 600 bis 900 rechnen kann, erlebte China selbst eine seiner blühendsten Epochen für Dichtung und Kunst. Es landeten an der japanischen Küste Schiffe mit chinesischen Priestern und Künstlern, und es folgten zahlreiche Japaner dem von SHÖTOKU T A I S H I gesetzten Beispiel, den Konfuzianismus im Land seiner Entstehung und den Buddhismus in seinen auf chinesischem Boden entwickelten Lehren zu studieren. Um den regen Kulturbeziehungen auch einen politisch-freundschaftlichen Charakter zu geben, brachen wiederholt Gesandtschaften auf, die dem chinesischen Kaiser die Grüße des Nachbarlandes überbrachten. Dabei mußte viel Aufmerksamkeit darauf verwandt werden, daß diese Besuche nicht als Huldigungen eines tributpflichtigen Staates erscheinen konnten. Im Jahre 895 brach Japan die diplomatischen Beziehungen zu China ab. Veranlaßt war dies von SUGAWARA M I C H I Z A N E , der die Führung einer wiederum geplanten Gesandtschaftsreise übernehmen sollte, dem Thron aber erklärte, daß der Aufwand eines solchen Unternehmens in keinem Verhältnis mehr zu dessen Nutzen stehe — wovon sich der Tennö überzeugen ließ. Dennoch floß der Kulturstrom weiterhin, und gerade die Kamakurazeit wurde von der zen-buddhistischen Gedankenwelt Südchinas außerordentlich befruchtet. E I S A I war nach Chekiang gereist, D O G E N nach dem Kloster Tientungshan der Tsaotung-Schule in Ningpo (südl. Hangchow). Aber während der späteren Kamakurazeit veränderte sich die politische Situation auf dem Festland grundlegend: K U B L A I KHAN, der neue Machthaber Chinas, versuchte Japan zu einer Provinz seines Reiches zu machen. Diese für Japan unannehmbare Herausforderung wurde vom Shögun H Ö J Ö TOKIMUNE entsprechend beantwortet und führte zu den für Japan glücklich verlaufenden kriegerischen Auseinandersetzungen, im Anschluß
Zusammenfassende
Betrachtung und
Deutung
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daran zu einer weiteren Wachsamkeit in den südwestlichen Küstenbereichen und damit zu einer Belebung der Wirtschaft vor allem in Nord-Kyüshü. Die Beziehungen zu Korea wurden durch die Mongoleneinfälle nicht getrübt. II. D i e Handelsbeziehungen, insbesondere zu China Der Handel mit China in den Jahrzehnten vor den Mongolenangriffen macht deutlich, welche Bereiche der gewerblichen Wirtschaft zu besonderer Leistungsfähigkeit gelangt waren. Die in Japan geschmiedeten Schwerter waren in China begehrt, ebenso Rüstungen und Helme. Nachfrage fanden auch Setzschirme, Fächer, Lackkästen, Lacktruhen und Perlen. Die Ausfuhr von Gold, Silber, Schwefel und Quecksilber läßt auf einen gut entwickelten Bergbau schließen. Andererseits zeigt die Einfuhrliste (31, 423), daß der Bedarf an Seide, Brokaten, Porzellan, Tee, Weihrauch und selbst Kupfermünzen durch die heimische Produktion noch nicht gedeckt werden konnte. Bemerkenswert ist die Ausfuhr von Bauholz; sie bestätigt, wie stark der Raubbau die Wälder Chinas bereits zum Schrumpfen gebracht hatte. Eine Besonderheit war die Einfuhr an gedruckten Büchern, da es Druckwerke in Japan noch nicht gab (4, 156). Dem großen Bedarf, den die Samuraikultur an Pferden hatte, konnte die heimische Aufzucht, wie es scheint, nicht voll nachkommen. Pferde wurden ebenso eingeführt wie Ochsen, die man als Last- und Arbeitstiere verwendete. Der Handel mit Korea bewegte sich in ähnlichem Rahmen. Als Handelshäfen dienten Hakata und Munakata im Norden Kyüshüs, aber auch Bönotsu im SW der Provinz Satsuma, da von hier aus Südchina leichter zu erreichen war, das man schon zu Beginn der Kamakura-Zeit bevorzugt ansteuerte, um das mongolisch besetzte Nordchina möglichst zu meiden.
6. Abschnitt Zusammenfassende Betrachtung und Deutung Die seit dem 9. Jh. immer wirksamer gewordene innere Zerspaltung der ursprünglichen Konzeption einer zentralistisch geführten Theokratie hatte das Tennöhaus in die Stellung einer nur noch aus kultischen Gründen unentbehrlichen Institution zurückgedrängt. Das Hofadelsgeschlecht der Fujiwara hatte sich in Kyoto eingenistet, beneidet und umlauert von den rivalisierenden Provinzadelsgeschlechtern der Taira und Minamoto. Den Fujiwara war es in ihrer Eigenschaft als Statthalter (kampaku) gelungen, sich mit der Tennöfamilie vielfach zu verschwägern, so daß sie die Besetzung des Thrones zu regeln vermochten, ein beschämender Brauch, dem der selbstbewußte SHIRAKAWA T E N N Ö durch die Maßnahme des Insei ein Ende setzte, d. h. durch das Regieren des frühzeitig zugunsten seines noch unmündigen Sohnes abgedankten Tennö vom Kloster aus. Für die Zerspaltung der Macht hatte der Tennö seiner Theokratie den Keim selbst eingepflanzt. Die zentrale Verfügungsgewalt über Staatsgebiet und Staatsvolk war ihm unter dem Streben nach musubi, das ihn zur Verleihung von Privilegien an Adel und Klerus veranlaßte, von Anfang an entglitten. Die damit eingeleitete Entwicklung des
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft in der Kamakura-Zeit
Erwerbs von Shöen machte Adel, Tempel und Schreine zu Besitzrentnern, entzog dem Staat Steuereinnahmen und schwächte die Stellung des Tennö, der sich sogar selbst in den Kreis der Shöen-Besitzer einreihte. Der Feudalismus hatte die theokratische Monarchie zernagt und überwuchert; der Tennöhof sah sich degradiert zum Zuschauer des Dramas, das sich in den Anstrengungen, das Joch der Fujiwara abzuschütteln, zwischen den Taira und Minamoto vor ihm abspielte, mit dem Sieg der Minamoto endete und die räumliche Trennung von Tennö-Residenzstadt und politischer Hauptstadt herbeiführte. Die vom Tennö an MINAMOTO YORITOMO erteilten Vollmachten eines obersten Militärgouverneurs (söshugo) und Landverwalters (söjitö) ermächtigten diesen, den zentralistischen Staat in veränderter Struktur zu erneuern. Was geschaffen wurde, war von ihm als eine dialektisch zerteilte Einheit konzipiert. Zwei aufeinander angewiesene Pole bildeten die Staatsspitze: Das Tennöhaus bedurfte der Stützung durch eine starke, die Einheit des Staates garantierende Kraft, der Shögun, mit welcher Würde Minamoto beliehen wurde, bedurfte der ausdrücklichen Autorisierung seiner Maßnahmen durch den Tennö. Durch ein loyales Verhalten dem Tennö gegenüber und mit der Anerkennung des Tennö als höchsten Souverän adelte sich YORITOMO selbst. Wenn man sagt, das Kaisertum wäre fortan kein politischer Faktor mehr gewesen, sondern ein nationales Prinzip, so muß man antworten: Ist eben das nicht gerade das Entscheidende (19, 89)? Tenka, die Kaiserwürdenachtung ( S T ) ist Bestandteil des Kokutai, ist gleichsam der Kontrabaß in der vielgliedrigen Fuge der japanischen Geschichte, die sich in der Kulturlandschaft widerspiegelt: 1. Das geographisch bedeutendste Ereignis dieser Epoche war die Entwicklung eines räumlich fern von Kyoto liegenden Machtzentrums in Gestalt der Shögunatshauptstadt Kamakura. Zum ersten Mal in der Geschichte Japans wird die größte Landschaftskammer des Inselreichs Gegenpol zum zentral im Altreich gelegenen Kinai oder Kansai. Das in 8 Provinzen gegliederte Kantö, von YORITOMO straff zusammengehalten, erwies sich gegenüber dem Kinai als das in die Zukunft weisende größere Potential des Reichs; es erweiterte den vom Setonaikai und den Kyötobergen bestimmten Gesichtskreis und wurde zum Vorposten für eine wirksame Erschließung des Nordostens. Im Reichsinneren aber forderte das neue Machtzentrum zur Entwicklung des Chübu heraus, der Provinzen zwischen den beiden Polen. 2. Tenka spricht aus der stadtlandschaftlichen Gestaltung von Kamakura, von YORITOMO in Anlehnung an den Grundriß von Kyoto mit einer sehr wesentlichen Abänderung konzipiert: Die nördliche Mitte, von der aus die Hauptstraße nach Süden führt, wurde nicht, wie es nahe gelegen hätte, vom Shögun-Palast eingenommen, sondern von einem Shintöschrein, vom Schrein des Hachiman, der als Kriegsgott vom Kaiserhaus in den Großschreinen von Usa und Iwashimizu ebenso verehrt wird wie von den Minamoto, die ihn zu ihrer Familiengottheit erwählten. Der Hachiman Jingü übt in Kamakura dieselbe stadtgeographische Funktion aus wie der Tennöpalast in Kyoto. Damit wahrte man den Charakter einer Öji-Stadt, wie sie Kyoto repräsentierte, rückte aber Kamakura zugleich in die Nähe einer Tempelstadt und hob sich von der Kaiserstadt ab. Die Shögun-Residenz wurde links neben dem Hachimangü errichtet, am Fuß des Ökurayama. YORITOMO verzichtete auf einen mit Kyoto in Umfang und Gliederung konkurrierenden Verwaltungsaufbau. Er begnügte sich mit drei ihm unentbehrlich erscheinenden
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Betrachtung und Deutung
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Ämtern ministeriellen Charakters, von denen eines das Samurai-dokoro war; denn in seinen Rittern lag seine Macht. Und darin mag der Hauptgedanke zu suchen sein, den YORITOMO seiner Hauptstadt gab: Sie sollte nicht versuchen, bei Kyoto nur Anleihen zu machen, sie sollte dem Geist entsprechen, den er seinen Bushi einpflanzen wollte - und hierzu schien der enge, festungsähnliche Naturraum, den es zu nutzen galt, in vorzüglicher Weise geeignet zu sein (s. Punkt 3). 3 . Die Bushi waren eine von YORITOMO geschaffene gesellschaftliche Gruppe des Staatsvolkes, in die die privaten Samurai der Grundherren und bis zu einem gewissen Grade auch die Priestersoldaten (söhei) eingingen. Das Ideal des Bushi oder Samurai entwickelte YORITOMO nicht nur aus seinen Kampferfahrungen heraus, sondern vor allem aus der buddhistischen Zen-Lehre, die mit ihren Forderungen nach Selbstzucht, Einfachheit und Erfüllung eingegangener Verpflichtung bis zur Hingabe des Lebens (Freitod, seppuku oder Harakiri) dem zugeordnet erschien, was einen einsatzfähigen Krieger auszeichnen mußte. Hierzu gehört auch die Loyalität im Sinne einer gegenseitigen Verpflichtung zwischen dem Samurai und seinem Herrn — grundsätzlich eine der Tugenden früherer Jahrhunderte. „Bakufu" bedeutet den Schriftzeichen gemäß „Lager des Feldherrn"; und Kamakura war mit seinen seitlich in die Hügelumrandung eingreifenden yatsu, den von den Samurai besiedelten kleinen Nebentälern, geradezu ideal ausgestattet für eine geschützte Bereitstellung zum Angriff aus dem Lager heraus. Man konnte für die Grabstätte YORITOMOS keinen aussagekräftigeren Platz wählen als den am Okurayama, am Hang eines solchen yatsu, an dem auch das Bakufugebäude selbst stand. Man nennt diesen Platz seit spätestens dem 17. Jh. die Geburtsstätte des bushidö, des Weges der Krieger. Zu den Spitzen der Bushi- bzw. der Samuraigesellschaft gehörten die Shugo und Jitö, die den Provinz- und Distriktverwaltungen als Truppenoffiziere und Landverwalter zugeteilt waren, um die auseinanderstrebenden Kräfte nach dem Willen des Bakufu zur Wiederherstellung von Ordnung im Lande und zur Erhaltung der Einheit des Reiches zusammenzubinden. Das war seit der Taika-Reform die zweite Antwort auf die zur Dezentralisierung disponierte naturräumliche Kleinkammerung des Archipels, die sich zwar der überlieferten Verwaltungsgliederung bedienen konnte, nicht aber einer nach chinesischem Muster aufgebauten Beamtenschaft; die Shugo und Jito waren die Repräsentanten einer straff geführten Militärregierung, die als Antwort auf den Zerfall des Beamtenstaates eine japaneigene Schöpfung war. 4. Haus und Wohnung, neue Plätze zentraler Funktionen, Verfall funktionslos gewordener Plätze. Das Kriegerhaus oder Bukezukuri, nach Maßgabe der zenbuddhistischen Ideale der Einfachheit und Selbstzucht bewußt im Gegensatz zum Shindenzukuri des Hofadels in Kyoto konzipiert, verbreitete sich mit den Shugo und Jito über die Provinzen, war aber besonders massiert in den Yatsu von Kamakura. Die Errungenschaften von Tatami und Schiebewänden (Shöji) kamen auch dem Kriegerhaus zugute. Das Tokonoma als Schlafplatz, aber auch als Sitzplatz für übergeordnete Besucher, gehörte zur charakteristischen Innenausstattung ebenso wie die mit Baumwolle gefüllten seidenen Sitzkissen. Bukezukuri wurden auch in NordKyüshü errichtet, ebenso in Öuchi (Yamaguchi), dem Sitz des Chügoku Tandai. Der Versuch der Fujiwara, eine Machtposition im Nordosten aufzubauen, wurde
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft
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von YORITOMO, der darin ein störendes Element für seine Reichsgedanken sah, von Grund auf unmöglich gemacht; die Burg von Hiraizumi und die darunter liegende Samuraisiedlung wurden zerstört, nur die Kultstätten blieben verschont. Auch die funktionslos gewordene Burg des K U S U N O K I M A S A S H I G E ( 1 2 9 4 — 1 3 3 6 ) wurde nach der Zerstörung nicht wieder errichtet. Yoshino überließ man nach Auslöschung seiner politischen Funktionen seinen kultischen Traditionen. 5. Die überlieferte Gesellschaft hatte eine bedrohliche Entwicklung zum Besitzrentnertum genommen. Es war die Gesellschaft, durch die sich YORITOMO und in den späteren Jahrzehnten der Priester N I C H I R E N ZU Gegenmaßnahmen herausgefordert sahen: Die im Luxus von Kyoto in ihren Shindenzukuri lebenden Besitzrentner standen in zu krassem Gegensatz zu den in Armut lebenden Saku-otoko, den landwirtschaftlichen Arbeitern. Die durch Shöen-Erwerb mächtig gewordenen Besitzrentner des Hofadels und der Kurie haben mit Hilfe der landwirtschaftlichen Arbeiter zweifellos die Nutzfläche des Landes erweitert und damit einen Beitrag zur Erschließung des Archipels geleistet; sie haben aber gleichzeitig auch, indem sie Landgemeinden ganz oder teilweise in ihren Besitz nahmen, bäuerliche Strukturen aufgelöst und dabei in die Freiheiten der ehemals unmittelbar dem Staate dienenden Bauern dermaßen eingegriffen, daß sich schließlich auch diese veranlaßt sahen, sich in die Besitzrentnergesellschaft einzuordnen. An dieser Entwicklung änderte sich auch nach dem Erlaß von 1230, der den Erwerb neuer Shoen untersagte, nicht viel; denn nach geraumer Zeit war er wieder vergessen, wie ja auch die Erlasse gegen den Luxus ohne nachhaltige Wirkung blieben. Die Verlockungen, die das Leben als Besitzrentner bot, griffen mit den Jahren auch auf die Bakufuvertreter in den Provinzen über; denn auch sie erwarben Shöen und kraft ihres Amtes wurden einige von ihnen zu einer Art Provinzfürsten oder zu ShugoDaimyö, eine Entwicklung, die auf eine erneute Dezentralisierung der Macht hinauslief. Atmosphärisch wurde dieser Vorgang vom Strukturwandel im Shögunat selbst unterstützt. Seit 1252 waren die Shögune in Kyoto residierende kaiserliche Prinzen, die sich in der Bakufuregierung durch einen Shikken vertreten ließen. Auch H Ö J Ö T O K I M U N E , der die Abwehr gegen die Mongoleneinfälle leitete, war ein Shikken. Insgesamt gesehen, verharrte das Staatsvolk in der überlieferten Schichtung von Adel, Bauern, Handwerkern, Händlern und Menschen mit schmutziger Tätigkeit (Bettler, Räuber und Eta), nur daß die Schicht des Adels mit dem Kriegerstand eine wesentliche Erweiterung erfahren hatte, die Buke (Schwertadel) gegenüber den Kuge (Hofadel) sogar weit in der Überzahl waren. Neu war auch die mit dem Besitzrentnertum aufgekommene Gruppe der landwirtschaftlichen Arbeiter, ohne daß sie klassifiziert wurde. Noch immer waren die unteren Stände an der öffentlichen Meinungsbildung nur indirekt beteiligt; sie blieben deshalb auch ohne unmittelbaren Einfluß auf die Vorgänge, die sich im Staatsraum vollzogen. Die Kulturlandschaft ist, sofern man sie japanisch nennt, in ihrem geistigen Gehalt noch immer Adels- und Kultstättenlandschaft. 6. Die Agrarwirtschaft beruhte wie in den früheren Jahrhunderten auf dem Anbau der „fünf Körnerfrüchte", wobei der Reisanbau weiterhin bevorzugt wurde. Mit der bedeutenden Ausweitung der Nutzfläche im Gefolge der Shöenentwicklung wurde erstmals der Staat auch als Eigentümer des Flußwassers in Frage gestellt. Er räumte der privaten Wirtschaft die freie Nutzung ein, sofern sie allge-
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Betrachtung und Deutung
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meine Interessen nicht gefährdete — wahrscheinlich eine Entscheidung im Sinne des musubi. Damit war offiziell eingeleitet, was man schon im Anschluß an den Rodungsappell von 743 in einzelnen Fällen betrieben hatte: die Feldbewässerung und sogar die Errichtung von Staudämmen im Einvernehmen mit der Anliegerschaft vorzunehmen. Die Bewässerungstechniken ermöglichten in den temperaturbegünstigten, aber regenärmeren Regionen der Setonaikai und Nordkyüshüs wahrscheinlich erstmals die „Wechselernte" (nimösaku), d. h. das Einbringen von zwei Haupternten auf gleichem Feld im Verlauf eines Jahres, genauer gesagt, das Einbringen einer Reisernte als Sommerfrucht im Naßfeld und einer Weizen- oder Gerstenernte als Winterfrucht auf dem zum Trockenfeld verwandelten Naßfeld. Zu intensiver Entwicklung gelangte das Nimösaku während der Tokugawa-Zeit. Die Feldwirtschaft wird weiterhin dazu beigetragen haben, daß man Viehhaltung zum Zwecke der Erzeugung von Fleischnahrung und Milchprodukten noch immer nicht entwickelte. Ochsen wurden als Lasttiere verwendet; Pferde benötigte man als Verkehrsträger und zu militärischen Zwecken so viele, daß man Nachwuchs aus China einführen mußte. Weidewirtschaft war unbekannt. Für die Beschaffung von Futter wurden die Bauern verpflichtet. Entlang der Straßen gab es, wie schon früher, Viehaltungszentralen (bokkan) mit möglichst leicht erreichbaren Weideplätzen. Neu war der Anbau von Tee. Shögun SANETOMO hat für die Samurai das Teetrinken als eine glückliche Alternative zum Genuß von alkoholhaltigem Sake erfolgreich gefördert; auch am kaiserlichen Hof wurde Tee bevorzugt. Noch aber war Tee kein Volksgetränk. Deshalb blieb die Nachfrage beschränkt; die Teefelder waren landwirtschaftlich von nur geringer Bedeutung. 7. Innerhalb des Gewerbes ist die Entwicklung der Eisengewinnung und Eisenverarbeitung das besondere Kennzeichen. Sie sah sich gefördert durch den großen Bedarf der Samurai an Schwertern und Ausrüstungsgegenständen verschiedener Art, aber auch durch die Nachfrage nach Pflügen von seiten der Shöenbesitzer. Man nutzte die heimischen Eisensande und bediente sich beim Ausschmelzen und Schmieden des Blasebalgs oder Tatara, weshalb man von Tatara-Methode sprach. Die weite Verbreitung von Klein- und Kleinstbetrieben entlang der großen Straßen kennzeichnet die Genügsamkeit dieser Handwerker; zu Zusammenschlüssen zum Zwecke größerer Produktion kam es nicht. Aus dem Kreis der übrigen hand- und kunsthandwerklichen Tätigkeiten sind die Töpferei und die Kunst der Schnitzerei von Plastiken hervorzuheben. Die Töpferei erfuhr neue Anregung durch den Brauch des Teetrinkens. Das erforderliche Gerät hierzu kennenzulernen, reiste der Töpfer TÖSHIRÖ aus Seto mit dem Priester D Ö G E N nach China. Das Ergebnis war die Herstellung von Steinzeug (yaki), das seither den Namen Setomono führt. Für die statuarische Ausstattung der Tempel erlangte die Schnitzerei von Holzplastiken einen Höhepunkt ihrer Entwicklung. „In der Kamakurazeit hat die japanische Plastik wohl ihr Eigenstes und Stärkstes gegeben" (22). Natürlichkeit, Selbstzucht, Ausdruck kraftvoll seelischer Konzentration wie sie im Zen-Buddhismus gepflegt wird und in das Bushi-Ideal eingegangen ist, kennzeichnen die Werke der großen Meister. Das gilt auch für den Bronzeguß des großen Buddha von Kamakura.
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in der
Kamakura-Zeit
8. Schreine und Tempel, soweit sie seit der Narazeit der staatlichen Verwaltungsgliederung zugeordnet waren und ihre hierarchischen Spitzen im Ise Jingü und im Tödaiji hatten, erfuhren in der Kamakurazeit nur in Einzelfällen eine Veränderung. Der Tödaiji wurde vor Beginn der Kamakurazeit von den Taira zerstört, aber sehr bald mit YORITOMOS Unterstützung wiederaufgebaut. Außerhalb der offiziellen Kultstättenhierarchie erfuhr aber der Tempelbau durch eine neue Welle chinesischer Anregungen eine Belebung. Immer stärker wurden die Stadtränder von Kyoto durch Großtempel besetzt. Die Klosterkultur gebar immer wieder neue Lehrmeinungen. Zwei für die Kamakurazeit charakteristische und stadlandschaftlich bedeutungsvolle Tempelgründungen verdienen hervorgehoben zu werden: Die Gozan des Zen-Buddhismus und die Nichirentempel. Beide stehen in engem Zusammenhang mit der Samuraikultur. Die „Fünf Berge" wurden zu Mittelpunkten für die Übung des Zen und für die Pflege eines vom Zengeist bestimmten Lebensstils — also für die Lebensführung der Samurai. In Kyoto, wo die Gozan vornehmlich am hohen Ufer des Kamogawa erbaut wurden, das schon von älteren Tempeln und Schreinen besetzt war, fallen sie stadtlandschaftlich weniger auf. Sowohl in Kyoto als auch in Kamakura und in vielen Provinzen hatte der Mönch NICHIREN die Sittenlosigkeit gegeißelt; er hatte vom Beginn des Mappö, der Endzeit der Welt, gepredigt. Seine Anhänger errichteten Tempel mitten in den Städten; in Kamakura waren es mehr als ein Drittel aller Tempel der Stadt. In Minobu gründete NICHIREN 1273 im Anblick des Fujisan den Kuonji als „Mittelpunkt der Welt"; dieser Tempel gehört wie der am heutigen Stadtrand von Tokyo im Stadtteil Öta-ku gelegene Hommonji (Ikegami-Tempel) zu den großen Pilgerstätten des Buddhismus. 9. Das Infrastrukturgefüge erhielt seinen Sinn aus der räumlichen Zweipoligkeit des Staatsgebiets. Von den überlieferten großen Küstenwegen wurde der Tökaidö als der kürzeste Verbindungsstrang zwischen Kamakura und Kyoto zur Hauptstraße. Er wurde mit 63 Raststationen versehen. Als Entlastungs- aber auch als Heerstraßen wurden zwischen den beiden Hauptstädten der Tösandö (später Nakasendö) und Hokurikudö benutzt. Von nächster Wichtigkeit war die Fortführung des Tökaidö über Kamakura hinaus bis nach Hiraizumi im Nordosten. Erhöhte Benutzung erfuhr der Sanyödö, auf dem die vom Festland bedrohten Küsten von Chügoku und Nord-Kyüshü am schnellsten erreichbar waren. Es ist auffallend, daß der Seeverkehr eine immer noch geringe Rolle spielt. Die Häfen sind ihrer Funktion nach Fährhäfen und Sammelplätze für Steuerabgaben. Das kontinentale Lebensgefühl, das aus der Wahl der Plätze für die Reichs- und Provinzhauptstädte zu erkennen war, ist auch, so scheint es, für die Menschen der Kamakurazeit noch stärker als das maritime. Der Bootsbau ist weniger entwickelt als in Korea oder in China; die Seefahrten nach China gelten als Wagnis, da so manches Boot nicht wiederkehrte. 10. Bewährung und Untergang; Ausblick. Aus den Antworten, die vom Kyötö-Hof und dem Kamakura-Bakufu auf die Drohungen KUBLAI KHANS gegeben wurden, war zu entnehmen, in wessen Händen die Macht des Reiches lag: Der Tennöhof erwog Verhandlungen, das Bakufu ließ die Überbringer der Drohungen hinrichten. Es ging um die Selbständigkeit Japans. Das Land stand das erste Mal einer vom Eroberungswillen gedrängten, fremden Militärmacht gegenüber, die mit einer Flotte angriff, der man nur Landstreitkräfte
Zusammenfassende Betrachtung und Deutung
125
entgegenstellen konnte. Im Verlauf von 7 Tagen wurde zweimal angegriffen, und zweimal lag der Sieg auf japanischer Seite. Der von YORITOMO geschmiedete Rittergeist hatte sich bewährt; die Samurai hatten ihr Bestes gegeben. Was sich in reichsinternen Kämpfen nie entwickeln konnte, war im Kampf gegen den von außen kommenden Feind zum Erlebnis geworden: Ein Nationalgefühl oder vielmehr ein Nationalgeist von eigener Struktur. Dem Samurai wurde bewußt, daß im Kampf zwar Tapferkeit und der Wille zur Erfüllung übernommener Pflichten, Zusammenhalten von Mann zu Mann ihre höchste Steigerung erfahren, der Sieg aber nur durch die Gunst der Götter gewiß ist; denn ohne den Kamikaze, den von den Göttern gesandten Sturm, wäre weder die Schlacht im Spätherbst 1274 noch die Schlacht im Frühherbst 1281 gewonnen worden. Mit solcher Demut ehrten die Samurai sich selbst. Es war die Gesinnung aus dem Geist des Kokutai. Nicht ebenso bescheiden dachten die Vertreter der Klöster. Rechneten doch sie sich den Hauptanteil am Sieg gegen die Mongolen zu, da sie die ganze Zeit über für den Sieg gebetet hatten und nun das Volk den Göttern dankbar sein konnte. Sie nutzten die Stimmung zur Vergrößerung ihres Besitzes und ihres Einflusses beim Hofe, traten mit gestiegenem Ansehen in den führenden Kreis der Feudalen und unterstützten den Hof im Bemühen, das lästig gewordene, zentralistisch denkende Kamakura-Bakufu abzuschütteln. Nach Willen des ASHIKAGA TAKAUJI (1305—1358), eines egoistisch zwischen den Interessen des Bakufu und des Hofes handelnden Vasallen der Minamoto, wurde Kamakura mit militärisch zahlenmäßiger Übermacht von drei Seiten aus angegriffen. Die Ostarmee wurde von den Bakufu-Kriegern abgewiesen, die Nordarmee in Schach gehalten. Der Westarmee gelang es aber, die einzig offene Seite der Bergfestung, die Küste, zu nutzen. Das Vertrauen, das YORITOMO bei der Anlage der Stadt auf das flache und, wie er meinte, schützende Meer setzte, erwies sich als Fehleinschätzung; denn der Sandstrand verlängert sich bei Ebbe in schmalem Streifen bis vor das Kliff von Inamurazaki. Den nutzten die Angreifer, umgingen das Kliff und schlitzten die Bergfestung von Süden her auf. Das Kamakura YORITOMOS ging am 22; 5.1333 brennend unter: Eine im Wesen binnenländische Stadt, die im Gezeitenwechsel auch an der Küste von einem trockenem Band umgrenzt wird. Die Shögunatshauptstadt erwies sich in ihrer Lage als so binnenländisch wie es Nara, Nagaoka und Kyoto als Reichshauptstädte waren. Da Kamakura gefallen war, meinte Tennö G O - D A I G O , die Zeit der Machtteilung zwischen Tennohof und Shögunat sei nun vorüber und er könne die Zügel allein in die Hand nehmen. Dazu war es aber schon zu spät. Der mächtige ASHIKAGA TAKAUJI, dem Go-Daigo die Shögunwürde vorenthalten hatte, richtete sich gegen ihn, zog mit Heeresmacht in Kyoto ein, errichtete hier eine eigene Regierung, fegte Go-Daigo vom Thron, besetzte diesen mit dem ihm völlig willigen KÖMYÖ TENNÖ und ließ sich 1338 die Shögunwürde verleihen. Der rechtmäßige Tennö betrachtete sich keineswegs als abgesetzt; er floh unter Mitnahme der Reichsinsignien nach Yoshino und baute hier mit seinem Kanzler KITABATAKE CHIKAFUSA ( F 1354) 29 seine Regierung neu auf. Damit begann die Zwei-Kaiser-Zeit, die Nambokuchö 29 Er verfaßte das Jinno Shotoki, das Buch von der wahren Gott-Kaiser-Herrschaft oder von der rechtmäßigen Nachfolge der göttlichen Kaiser. Übersetzung ins Deutsche durch Hermann Bohner, Tokyo 1935. 2 Bände.
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2. Kapitel: Mensch und Landschaft in der Kamakura-Zeit
jidai 30 , die erst 1392 endete, als die rechtmäßige Dynastie nach Kyoto zurückgerufen wurde. Die Zeit war erfüllt von Kriegen. TAKAUJI, ein Minamoto, hatte es fertiggebracht, nicht nur das Kamakura-Bakufu seines Vorfahren YORITOMO zu zerstören, sondern bei Verlegung des Shögunats nach Kyoto in Widerspruch zur Tenka das Tennöhaus aufzuspalten. Damit begannen sich gesellschaftliche Ordnungen aufzulösen; die Schleusen gegen den politischen Zerfall öffneten sich und gaben den Weg für die feudalen Kräfte der jüngst entstandenen Daimyö (Provinzfürsten) frei. Der zentralistisch regierte Staat der Nara- und Heianzeit, der in der Militärherrschaft des Kamakura-Bakufu — wenn auch in veränderter Form — wiedererstanden war, hatte mit den Vorgängen, für die TAKAUJI verantwortlich war, seine Autorität an die Feudalen abgeben müssen, die gegeneinander um die Ausweitung ihrer Machtbefugnisse kämpften. Die Vorstellung vom Kokutai war weithin verloren gegangen. Um so nachhaltiger wirkte die große Mahnung, die KITABATAKE C H I K A F U S A ausgesprochen hatte.
Schrifttumverzeichnis für das 2. Kapitel 1. Ando, K.: Einige Gedanken zur Geschichte der älteren japanischen Reiskultur (japanisch). Tokyo 1950. 2. Asakawa, Kanichi: Life of a Monastic Sho in Medieval Japan. In: Land and Society in Medieval Japan. S. 164-192. Tokyo 1965. 3. Azuma Kagami, Ubersetzung von Minoru Shinoda. In: The Founding of the Kamakura Shogunate 1180-1185. New York 1900. 4. Barth, Joh.: Kamakura. 2 Bde. Tl. I: Die Geschichte einer Stadt und einer Epoche. Tokyo 1969. Tl. II: Unterwegs zu den wichtigsten Kultstätten in und um Kamakura. Tokyo 1969. 5. Bartz, Fritz: Die großen Fischereiräume der Welt. Bd. 2. Wiesbaden 1965. 6. Bohner, Hermann: Jinnö-Shötoki. Buch von der wahren Gott-Kaiser-Herrschaftslinie, verfaßt von Kitabatake Chikafusa. Tokyo 1935. 7. Brasch, Heinz: Kyoto. Lausanne u. Freiburg (Br) 1965. 8. Brinkley, F. (with the Collab. of Dairoku Kikuchi): A History of the Japanese People. New York-London 1915. 9. Cole, Wendell: Kyoto in the Momoyama Period. Oklahoma 1967. 10. Eder, Matthias: Die Kulturgeschichte d. japanischen Bauernhauses. Folklore Studies, Monograph No. 2. Tokyo 1963. 11. Franke, Otto: Geschichte d. Chinesischen Reichs, 4. Bd., Berlin 1948. 12. Fujioka, Kenjiro: Historical Development of Japanese Cities. In: Japanese Cities. Special Publication No. 2, Assoc. Japanese Geographers. S. 13 — 16. Tökyö 1970. 13. Gundert, Wilhelm: Die japanische Literatur. In: Handbuch der Literatur-Wissenschaft. Potsdam 1929. 14. Gundert, Wilhelm: Japanische Religionsgeschichte. Stuttgart 1935. 15. Hall, J. W.: Government and Local Power in Japan, 500 to 1700. A Study based on Bizen Province. Princeton 1966. 16. Hammitzsch, Horst: Jaf>an im Zeitalter der Shogunate (1192-1867). In: Saeculum Weltgeschichte, Bd. 6, S. 268-602. Freiburg 1971. 17. Hammitzsch, Horst: Cha-Dö, der Teeweg. München 1958. 18. Hammitzsch, Horst: öeschichte Japans bis zum Beginn der Neuzeit. In: Die Große Illustrierte Weltgeschichte. Bd. 1, Sp. 1035. Gütersloh 1964. 19. Haushofer, Karl: Japan baut sein Reich. Berlin 1941. 30 nan = Süd, hoku = Nord, chö = Dynastie, jidai = Epoche, Periode.
Schrifttumverzeichnis far das 2. Kapitel
127
20. Janata, Alfred u. Erich Pauer, Josef Kreiner, Kl. Müller: Bewässerung (mizuhiki) und Bewässerungsgeräte. In: Archiv f. Völkerkunde, H. 26, Wien 1972. 21. Kohler, Werner: Die Lotus-Lehre. Zürich 1962. 22. Kümmel, Otto: Die Kunst Chinas, Japans und Koreas. Potsdam 1929. 23. Lin, Tsiu-sen: China und Japan im Spiegel der Geschichte. Zürich 1944. 24. Mainichi Daily News, 29. 4. 76: Über den Kamoschrein (Shimogamo, Kamigamo). 25. Murdoch, J.: A History of Japan. Vol. I, Pt 2, Neudruck New York 1964. 26. Naberfeld, Emil: Grundriß der japanischen Geschichte. OAG, Supplementband 19. Tòkyo 1940. 27. Ono, H.: The Economic Structure and its Transformation in the Shiwaku Islands under „Nimmyó"System. In: GRJ, Vol. 28. 1955. S. 328-338. 28. Rozman, Gilbert: Urban Networks in Ch'ing China and Tokugawa Japan. Princeton 1973. 29. Saint-Gilles, Amanry: Tokoname. In: Mainichi Daily News, 18. 8. 75. In Artikelfolge „Earth in Fire". 30. Standard-Atlas für die Geschichte Japans 6japan.). Tòkyo 1970. 31. Sansom, George: A History of Japan to 1334. London 1959. 32. Sasaki, Ginya: Beziehungen zwischen Shòen-System und Handel während der Kamakura-Zeit. In: Rekishi Kyöiku, Vol. 7, 1959. 33. Schüffner, Rudolf: Die Fünferschaft als Grundlage der Staats- und Gemeindeverwaltung und des sozialen Friedens in Japan zur Zeit der Taika-Reform und in der Tokugawa-Periode. In: OAG, Bd. 30, Tl. E. Tòkyo 1938. 34. Tada, Fumio: Shizen Kankyö no Henbö (Veränderungen in der natürlichen Umwelt). Univ. Press, Tòkyo Daigaku 1964. 35. Toyoda, Takeshi: Sakai. Schriften zur japanischen Geschichte (japan.) Tokyo 1957. 36. Wörterbuch: Kleines Wörterbuch d. Japanologie, Hrsg. Bruno Lewin, Bochum 1967. Zitiert unter der Abkürzung K1WJ. 37. World Register of Dams. Section Nippon Damu Taichö (Grundregister der Dämme Japans). Tòkyo 1968. Lfde*Fortschreibung.
3. Kapitel Mensch und Landschaft in der Tokugawazeit (1603-1868)
1, Abschnitt Der Obrigkeitsstaat des Tokugawa-Regimes als gültige Antwort auf den zentrifugalen Regionalismus A. Die Wegbereiter wurde 1542 im Schloß Okazaki (Mikawa) geboren. Seine Umwelt war bestimmt von den Machtkämpfen, die seit dem Niedergang Kamakuras schon mehr als 200 Jahre die Ashikaga-Zeit erfüllt hatten und nun in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ihrer stärksten Entfaltung zustrebten. Es bestand Gefahr, daß die zentrifugalen Kräfte das Land in so viele Fürstentümer zerstückelten, wie sie sich durch die naturräumliche Gliederung anboten. IEYASU vermochte die auseinanderfallenden Kräfte endgültig zusammenzubinden und die Grundlage für einen 265jährigen Frieden zu schaffen. Er konnte dies nicht allein. Er baute auf dem auf, was ihm O D A NOBUNAGA (1534—1582) und TOYOTOMI HIDEYOSHI (1536—1598) als Erbe hinterlassen hatten. O D A NOBUNAGA, 1567 vom Tennó nach Kyoto gerufen, um Unruhen niederzuschlagen, besiegte auf dem Wege dahin jene Daimyó, die sich ihm entgegenzustellen versuchten, zog 1568 als Triumphator in Kyoto ein, ernannte den ihn begleitenden TOYOTOMI HIDEYOSHI zum Gouverneur der Stadt, setzte seinen Siegeszug fort und war schließlich Herr über die Provinzen eines Gebietes von rd. 250 km rund um Kyoto (13). TOYOTOMI HIDEYOSHI vollendete die Niederwerfung der widerspenstigen Daimyate mit dem Sieg über D A T E MASAMUNE von Sendai. Nach seinem Tod 1598 brachen die Machtkämpfe erneut aus. TOKUGAWA IEYASU, 1561 zum Vasallen Oda Nobunagas und später zum Herrn von Mikawa geworden, war entschlossen, das Erbe seiner Vorgänger zu halten und auszubauen. Er besiegte seine Gegner im Jahre 1600 in der Schlacht bei Sekigahara. Es war die endgültige Entscheidungsschlacht zugunsten der Einheit des Reiches. TOKUGAWA IEYASU
B. Staatsaufbau und Staatsgedanke I. Die Spitze des Staates: Shògun und Tennö Die Erfahrungen aus den zurückliegenden Jahrzehnten und das Wissen um die Geschichte des Landes bestimmten IEYASUS Gedanken über den Staat. Er schuf — und seine Nachfolger entwickelten es konsequent weiter — ein straff gegliedertes Regierungssystem, das eine sichere Überwachung der Feudalgesellschaft gewähr-
3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
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Tokugawa-Zeit
leistete. Unter den Daimyö unterschied man: 1. die Shimpan als die Nachkommen des Ieyasu; 2. die Fudai, die schon vor der Schlacht von Sekigahara auf der Tokugawa-Seite gestanden hatten und später die wichtigsten Regierungsämter einnahmen; 3. die Tozama, die erst nach der Entscheidungsschlacht in ein Loyalitätsverhältnis zu den Tokugawa getreten waren. Zu den Shimpan gehörten die „Erlauchten Drei Häuser" (gosanke): Die Tokugawa von Owari, Kii und Mito. Sie nahmen, da sie bei Kinderlosigkeit des Shögun den Nachfolger zu stellen hatten, eine Sonderstellung ein. „In seinem Lehn war jeder Daimyö selbständiger Herr mit eigener Gerichtsbarkeit, war aber sonst einer scharfen Kontrolle durch das Shögunat ausgesetzt, die von Generalinspektoren und Inspektoren (Ömetsuke und Metsuke) ausgeübt wurde" (Hammitzsch in 105). Die Aufteilung der Herrschaftsbereiche wußten.die Tokugawa derart zu regeln, daß ein Tozama jeweils von einem in Nachbarschaft residierenden Shimpan oder einem Fudai überwacht werden konnte. Das bedeutendste Machtmittel der Tokugawa war aber das eigens zur Verhinderung eines feudalen Regionalismus entwickelte System der Sankin-Kötai, der Residenzpflicht in der Shögunatshauptstadt. IEYASU machte den Konfuzianismus, wie er in China von CHU HSI (1130-1200) interpretiert worden war und in Japan als Shushigaku insbesondere durch HAYASHI RAZAN (1583—1657) vertreten wurde, zur Grundlage seines zentralistisch konzipierten Staatswesens. Die Daimyö erhielten darin beamtenähnlichen Charakter und waren nichts anderes als nur erbliche Statthalter unter Aufsicht der Shögunatsregierung (84, 16). „Das Verhältnis von Herrscher und Untertan, die oberste der Fünf Beziehungen der Menschen untereinander (Herrscher und Untertan, Eltern und Kinder, Mann und Frau, ältere und jüngere Geschwister, Freund und Freund) und die Fünf Grundtugenden (Güte, Gerechtigkeit, Schicklichkeit, Einsicht, Ehrenhaftigkeit) wurden dem Volk allenthalben vorgehalten und gelehrt" (25). Die Prinzipien griffen über die Klasseneinteilung in Krieger, Bauern, Handwerker und Kaufleute hinweg; für alle galt die Familie als Grundlage der Gesellschaft.
II. Die Funktion des Tennö Die Spitze des Staates, den „Herrscher", sah IEYASU wie vor ihm schon YORITOMO in einer institutionell dialektisch zerteilten Einheit von Macht, die das Aufkeimen jedweder Dezentralisationsbestrebung ausschließen sollte. Die politische Macht nahm er ohne jede Einschränkung für das Shögunat (Bakufu) in Anspruch, deren Verankerung in der kultischen Tradition aber immer nur über den Tennö zu erhalten war. Nur der Tennö konnte als Inhaber der vom Himmel verliehenen Macht den Auftrag geben, diese an seiner Statt auszuüben. Tennö GO-YÖZEI ernannte IEYASU am 28. 3. 1603 zum Shögun und übertrug ihm dabei alle politische Vollmacht. Ohne diesen Akt hätte dem Shögun jede Legitimation gefehlt. Dieses Datum gilt als Beginn der 265 Jahre langen Tokugawa-Zeit. III.
IEYASUS
geschichtliche Stellung
In Wirklichkeit hatte die Tokugawa-Zeit schon mit dem Tode des TOYOTOMI HIDEYOSHI 1598 begonnen; denn IEYASU übte seither die Regentschaft aus und führte nahtlos die ohne Shögun gebliebene Zeit fort, die 1573 mit der Absetzung des letzten Ashikaga-Shögun durch ODA NOBUNAGA begonnen hatte, eine 30jährige
B. Staatsaufbau und
Staatsgedanke
131
Epoche, die in die Geschichte als Azuchi-Momoyama-Zeit einging, benannt nach der Nobunaga-Burg Azuchi (erbaut 1576, zerstört 1582) und der Hideyoshi-Feste auf dem Momoyama bei Fushimi (erbaut 1593, abgerissen 1620). Die shögunlose Epoche verfügte über die drei schon genannten Feldherren, denen die Wiederherstellung der Reichseinheit gemeinsames Ziel war. Daß IEYASU der zeitlich letzte dieser drei war, dem das Schmiedewerk gelang, macht ihn zu einem Großen zwischen zwei Zeiten. Aus geographischer Sicht ist für den Janus-Charakter seiner Gestalt nichts kennzeichnender als dies: Noch in der Ashikaga-Zeit geboren, sah er, wie sich die Daimyö mit der Stärke ihrer Burgen maßen, wie in den Folgejahren NOBUNAGA die weithin sichtbare Bergburg Azuchi erbaute, HIDEYOSHI die unbezwingbar erscheinende Großburg auf einer Flußterrasse des Yodogawa in Osaka errichtete, die ihn wohl dazu herausgefordert haben mag, die Shögunatsburg in Edo zu einem noch mächtigeren Bauwerk dieser Art zu machen - und kurze Zeit darauf leitete er die Funktionsentleerung der Burgen ein. Mit der zentralen EdoBurg und jenem Burgenkranz, der sich im Vorfeld der Reichshauptstadt befand, galt der Frieden als gesichert. An die Daimyö erging der Befehl, alle Burgen ihrer Lehen mit Ausnahme der als Residenz des Fürsten dienenden zu schleifen, keine neuen Burgen ohne Erlaubnis des Bakufu anzulegen und die verbliebenen nur mit Genehmigung des Shöguns auszubessern (106). In diesen Vorgang fügt sich unschwer ein, daß IEYASU die Ösaka-Burg als störend betrachtete und daß er sie selbst in zwei eng aufeinander folgenden Angriffen (1614, 1615) weitgehend vernichtete. In seinen „18 Gesetzen" hat IEYASU die Grundsätze seines Regierens deutlich gemacht, und in den „100 Gesetzen" (wahrscheinlich durch IEMITSU oder gar erst durch YOSHIMUNE in letzte Form gebracht) sind seine Vorstellungen von der praktischen Handhabung des Regierens niedergelegt (41 u. 81); sie sind schon von ihm, insbesondere aber von seinen Nachfolgern verwirklicht worden. In den „18 Gesetzen" werden dem Tennö mit der Begründung, die „Kaiserwürde" zu erhalten, zu erhöhen und zu schützen, alle Regierungsgeschäfte weltlichen Charakters radikal abgenommen. Und nicht nur diese: Es wurde dem Tennö sogar untersagt, nach Ise zu reisen, da dies nur den Sinn hatte, unterwegs das Volk kennenzulernen; diese Sorge um das Volk sei nun aber dem Shögun anvertraut. „Der Tennö", so heißt es, „soll seinen Palast nicht mehr verlassen". Auch durften nach diesen Gesetzen die Fürsten sich nicht in das Tennö-Schloß begeben, „sollten sie auch vom Tennö dazu befohlen sein". Der Besuch Kyotos war nur für die Außenstadt, die Rakugai, möglich und auch dies nur mit Genehmigung. Zu seiner Rechtfertigung schließt IEYASU mit den demütigen Worten: „Daß ich in diesen 18 Bestimmungen meinem Herrn Gesetze vorgeschrieben, erfüllt mich mit Furcht; aber ich habe sie abgefaßt, weil mir der kaiserliche Befehl zuteil geworden, daß hinfort die Buke die Regierung führen sollen" (41). Den Verkehr mit dem Ausland schränkte IEYASU ein. Das Christentum, das mit 1549 Eingang gefunden hatte (s. Bd. 1, S. 22), verbot und verfolgte er. Im Edikt von 1614 heißt es: Alle Missionare, fremde wie eingeborene, sollen nach Nagasaki eingeschifft und von dort nach Manila und Macao abtransportiert werden. Die Daimyö sollen die Kirchen in ihren Territorialgebieten zerstören und die christlichen Untertanen zur Aufgabe des Glaubens auffordern" (64, 119). Die Entwicklung führte schließlich 1641 zur Sakoku, der völligen Absperrung Japans vom Auslande. FRANCISCUS XAVIER
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
Die selbst Grausamkeiten nicht scheuende Konzentration auf die Herstellung einer inneren Ordnung des Reiches, das Zurückgreifen auf die Grundsätze der Yoritomo-Militärregierung, die Begünstigung des Konfuzianismus in der Prägung der Shushigaku, die Ausschaltung des Tennö von der weltlichen Macht, die mit verschiedensten Mitteln bewirkte Schwächung der Fürsten und ihrer Samurai: insgesamt „das jähe Herumwerfen des Bewegungsapparates des ganzen Reiches nach innen" bei gleichzeitiger Abschließung nach außen, nachdem HIDEYOSHI mit Heeresmassen „von der Stärke wie die deutschen und französischen von 1870 zusammengenommen" Korea mit Blick auf China zu erobern versucht hatte, veranlaßte KARL HAUSHOFER ZU der Frage: Was eigentlich bewog diesen Mann hierzu? „Daß der Tokugawa den König von Spanien nicht fürchtete . . ., wissen wir aus seinem Munde. Daß er überseeischen Instinkt besaß, beweisen die Schiffe, die er 1610 und 1613 nach Mexiko aussandte. Wie unsicher sich Portugiesen und Niederländer fühlten, verriet die demütige Haltung beider Völker in Hirado und in Deshima . . .. Auch Briten, Franzosen und Russen (s. Bd. 1, S. 21—29) beschränkten sich dem wehrhaften Inselreich gegenüber auf vorsichtige Randberührungen" (29; 113,114). Was also war die Ursache für die Schließung des Landes und für die Konzentration auf das Land selbst? Sie kann nur in umfassendem Zusammenhang gesehen werden. Die Entscheidungen IEYASUS waren eine gültige Antwort auf den wirren Verlauf der japanischen Geschichte seit dem Zerfall des zentralistischen Beamtenstaates und auf die Struktur der naturräumlichen Zerkammerung des Archipels: In immer neuen Anläufen hatte egoistisches Machtstreben, begünstigt durch das räumliche Wabengefüge, zur politischen Schwächung des Reiches geführt, und da Egoismus menschlicher Urtrieb ist, und die naturräumliche Struktur einen immerwährend passiven Prozeßregler darstellt, ist der Hang zum Dezentraiismus diesem Inselstaat mitgegeben. Dieser Hang ist nur überwindbar durch einen von Einfallsreichtum getragenen Willen, der die entwicklungshemmende Mitgift unschädlich zu machen und darüber hinaus die für eine politische wie kulturelle Sonderentwicklung in der Insularität enthaltenen Potenzen zu entfalten vermag. IEYASUS Antwort auf Natur und Geschichte des Landes war trotz ihrer vielen Bedenklichkeiten notwendig, sofern Volk und Reich sich selbst finden sollten. Diese Antwort galt zugleich den portugiesischen und spanischen Missionaren, die mit Hilfe der christianisierten Daimyö den Staat an der Wurzel anzugreifen in der Lage gewesen wären. In einem Brief an den Gouverneur der Philippinen schrieb IEYASU, Japan sei „Land der Götter, die seit den Zeiten der Vorfahren bis jetzt immer mit der höchsten Achtung geehrt worden sind. Aus diesem Grunde ist es keineswegs angängig, daß der Christen-Glaube in Japan gepredigt und verbreitet werde . . ." (64, 120).
C. Staatsgebiet und Außenbeziehungen I. Sicherung und Vermessung des Staatsgebietes An Raumerweiterungen hat das Tokugawa-Bakufu nicht gedacht, wohl aber an die Raumsicherung. Nicht unbekannt konnte die wiederholte Umseglung des Archi-
C. Staatsgebiet und Außenbeziehungen
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pels durch europäische Seefahrer bleiben (vgl. Bd. 1, S. 24—26), die Sorge erregte und zur Küstenvermessung sowie zur Erkundung der nördlich und südlich an Japan anschließenden Inseln Anlaß gab (Bd. 1, S. 18—20). Der Sicherung nördlicher Grenzgebiete galten die Reisen des Feldmessers MOGAMI TOKUNAI ( 1 7 8 5 , 1 7 8 6 , 1 7 9 2 ) , der Karten im Maßstab 1 : 3 0 0 0 0 0 anfertigte, und des Erkundungsfahrers MAMIYA RINZÖ ( 1 8 0 8 — 1 8 0 9 ) , der Sachalins Inselgestalt feststellte und einen Bericht schrieb, den SIEBOLD in den 2. Band seines „Nippon" aufnahm. Eine große Leistung war die Landvermessung 1 8 0 0 — 1 8 1 8 des INÖ CHÜKEI, auch INÖ TADATAKA genannt ( 3 2 ) . Seine „Karte des Japanischen Reiches" war es, die über SIEBOLD der westlichen Welt zur Kenntnis kam (Übersicht über diese Karten Bd. 1, S. 34—35). HAYASHI SHIHEI ( 1 7 5 4 - 1 7 9 3 ) hatte 1 7 8 6 vor einer russischen Expansion gewarnt und veröffentlichte 1792 das Kaikoku-heidan, in dem er von den Notwendigkeiten der Küstenverteidigung spricht. Wahrscheinlich fußte MATSUDAIRA SADANOBU als Minister des Shögun IENARI auf diesem Werk, als er 1 7 9 3 für die Daimyö anordnete, den Küstenschutz zu verstärken und Forts zu bauen (3, 262). II. Versuche zur Entwicklung des nördlichen Grenzraums Auswirkungen hatten die russischen Aktivitäten im Raum des Ochotskischen Meeres vor allem auf Hokkaidö. Die Erschließung der Insel war im 15. Jh. durch TAKEDA NOBUHIRO eingeleitet worden, der von Mutsu aus zur Gegenküste der Tsugaru-Straße übersetzte, um einen Aufstand der Ainu gegen japanische Fischer niederzuschlagen. Ein Nachkomme, MATSUMAE SUEHIRO, gilt als der erste Kolonisator Hokkaidös, auf das sich die Ainu nach ihrer Verdrängung aus Nord-Honshü zurückgezogen hatten. MATSUMAE YOSHIHIRO ( 1 5 5 0 - 1 6 1 8 ) erhielt das nördliche Territorium, das seinen Kern im südwestlichen Teil der Halbinsel Oshima hatte, 1 6 0 4 von TOKUGAWA IEYASU als Lehen. Es führte den Namen Ezo (Yezo). Als sich die Russen 1772 auf Etorofu niederließen, erhielt Hokkaidö das erste Mal die Funktion eines Grenzsaums von nationalem Interesse. Das Tokugawa-Bakufu unterstellte daher Hokkaidö, die südlichen Kurilen und Karafuto (Süd-Sachalin) im Jahre 1789 (ausdrücklich nochmals 1807) unmittelbar seiner Verwaltung. Erst 1821 gab es diese Rechte an den Matsumae-Fürsten zurück. Die Grenzen schienen festzustehen; SIEBOLD schreibt 1 8 3 0 : „Die Mitte von Krafto bildet die Grenze im Norden" (93 u. 86). „Aus dieser politischen Situation ergaben sich die Richtlinien der Kolonialpolitik des Bakufu von selbst, nämlich: bessere Behandlung der Ainu, Verstärkung der Verteidigungskräfte und Urbarmachung der Insel" (83). Für den militärischen Schutz wurden Samurai aus Töhoku verwendet; für die Urbarmachung warb man in allen Teilen der Hauptinseln, bot jedem Ansiedler 3,3 ha Land unentgeltlich an, stellte Acker- und Hausgeräte sowie drei Jahre hindurch die erforderlichen Reisrationen zur Verfügung: der Erfolg blieb gering; die japanische Bevölkerung nahm von etwa 3 0 0 0 0 auf nur 6 0 0 0 0 zu. Der Kaufmann KAHE aus Hyögo rüstete in der Hoffnung auf eine erfolgreiche Entwicklung sogar eine große Dschunke aus, die das politisch besonders bedrohte Etorofu und den Hafen Hakodate, den Sitz des Gouverneurs, anlief. Das mit Reis und Bedarfsartikeln befrachtete Schiff zeigte übrigens, wie alle Reis transportierenden Schiffe der Tokugawazeit, eine weiße Flagge mit rotem Sonnenball in der Mitte, das Hi-nomaru (Sonnenemblem), das von TOYOTOMI HIDEYOSHI im Kampf gegen Korea
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
dem Schiff „Nihon Maru" verliehen worden war und seiner Symbolkraft wegen zum nationalen Emblem wurde. Aus den wenigen Erfolgen, die der Erschließungsarbeit in Hokkaidö beschieden waren, heben sich die Entwicklungen der Niederlassungen von Matsumae und Esashi sowie der Aufbau der Verwaltungs- und Hafenstadt Hakodate heraus. Aus dem amerikanisch-japanischen Vertrag von Kanagawa vom Jahre 1854 ist zu entnehmen, daß dem Hakodate-Hafen bereits größere Bedeutung zugesprochen wurde. Er gehört seitdem zu den für Außenhandel geöffneten Häfen. III. Die Auswirkungen der offenen Flanke im Süden Nach Süden war die Sicherung des Reiches weit schwieriger. Das Königreich Ryükyü mit der Hauptstadt Shüri auf Okinawa galt als unsicherer Nachbar, weil es bald nach China, bald nach Japan Tributverpflichtungen nachkam. SHIMAZU IEHISA ließ sich 1 6 0 9 von IEYASU zu einer Strafexpedition nach Okinawa ermächtigen und erzwang zuwenigst die Eingliederung der Satsunan Shotö genannten Nordhälfte des Inselbogens in das Satsuma-Lehen (3, 225). Diese Inseln, deren Hauptmasse aus der Öshima-Gruppe besteht, wurden aufgrund dieser Vergangenheit im Jahre 1870 dem Kagoshima-Ken zugeschlagen. Bedroht ist der Süden von fremden Mächten immer gewesen. Der Kuroshio (Bd. 1, S. 240—47) treibt die Schiffe aus den Regionen Chinas und Südostasiens auf Japan förmlich zu. Auf solche Weise war Japan durch die Portugiesen für Europa auch entdeckt worden; sie landeten 1542 auf Tanegashima, 50 km vor der Kagoshima-Bucht (Bd. 1, S. 21ff.). Kagoshima, Nagasaki und Hirado (auf gleichnamiger Insel) wurden zu Kontaktstellen mit der abendländischen Welt. In Kagoshima begann FRANCISCUS XAVIER seine christliche Missionstätigkeit auf japanischem Boden; schon ein Jahr später trug er das Christentum nach Hirado. In der Tokugawazeit ließen sich die Holländer (1609) und die Engländer (1613) als Kaufleute in Hirado nieder. Nagasaki wurde 1614—1622 zum Mittelpunkt der Christen Verfolgung und wurde 1641, nachdem Hirado als Sitz für Fremde geschlossen und die Portugiesen von dort sogar vertrieben worden waren, zum einzigen Tor nach der westlichen Welt. TOKUGAWA IEMITSU hatte die Aufschüttung der Insel Deshima veranlaßt (s. Bd. 1, S. 22ff., mit Skizze) und befahl der holländischen Faktorei, auf diese umzusiedeln. Die Holländer waren damit zu den einzigen Europäern geworden, die über die schmale Brücke, die Deshima mit der Stadt Nagasaki verband, japanisches Land betreten konnten, und umgekehrt war den Japaner ein Kontakt mit Europa nur über die Männer von Deshima hinweg möglich geworden. Die in holländischen Diensten stehenden Männer wie E N G E L BERT KÄMPFER (1690-1692), CARL PETER THUNBERG (1775-1776), ISAAK T I T SINGH (1779-1784) und P H . FR. v. SIEBOLD (1823-1830) wurden zu Trägern europäisch-japanischer Begegnung; sie gelangten zu großer Bedeutung für die Entwicklung der japanischen Geisteskultur. Als TOKUGAWA YOSHIMUNE 1720 das Einfuhrverbot für westliche Bücher oder deren chinesische Übersetzungen aufhob, wurde die Tür nach draußen wenigstens auf geistigem Gebiet um einen Spalt breiter geöffnet. Daraus erblühte, wenn auch nur im privaten Bereich, • das Rangaku bzw. die Holländische Schule, so benannt, weil das wissenschaftliche Schrifttum in holländischer Sprache einfloß und weil, wer es studieren wollte,
C. Staatsgebiet und
Außenbeziehungen
135
vorerst Holländisch zu erlernen hatte. Die Anziehungskraft der europäischen Wissenschaft wurde insbesondere durch SIEBOLDS Wirken so groß, daß am Ende der Tokugawazeit (1856) in Edo eine Schule gegründet wurde (Bansho-torishirabedokoro, Prüfungsstelle für ausländische Schriften), aus der nach wiederholten Erweiterungen 1877 die Kaiserliche Universität Tokyo hervorging (5). IV. Ausweitung des Kulturraums innerhalb des Archipels Die im Sinne Ieyasus vom Enkel IEMITSU vollzogene totale Abschließung des Landes nach außen (Sakoku) und die Konzentration des staatspolitischen Denkens auf den Archipel selbst führten zu den Fragen nach den vorhandenen Landreserven und der möglichen Ausweitung der agrarisch nutzbaren Küstenebenen gegen das Meer. Polderland wurde an den Küsten des Ariake-Meers in mehreren Etappen gewonnen, ebenso zeigten sich hierfür das Mündungsgebiet des Takahashigawa südwestlich von Kurashiki und die Kojima-Bucht südlich Okayama als geeignet (Abb. 52). Aber auch in der inneren Edo-Bucht und an vielen anderen Stellen insbesondere am Tökaidö und Sanyödö entstand erstes Polderland. Darüber hinaus erweiterte man das Küstenland auch für nicht-agrarische Zwecke. Man schüttete, wie das Beispiel Deshima zeigt, flachen Meeresboden mit Erd- und Gesteinsmaterial auf, das man, wie KÄMPFER und SIEBOLD übereinstimmend schreiben (37 u. 93), von nahegelegenen Hügeln abtrug. Eine ähnliche Aufschüttung war auch das Land der shinchi-machi, der Chinesenstadt Nagasakis, die das Gegenstück zu Deshima darstellte; auf ihrem engen Raum befand sich die chinesische Faktorei. Beide Inseln sind als Aufschüttungsland (umetate-chi) Vorläufer der später immer häufiger gewordenen Landgewinnung für nichtagrarische Nutzung. Die 1854 vor der Küste aufgeschütteten Forts für die Verteidigung von Edo — sie belebten noch vor dem Zweiten Weltkrieg die Shinagawa-Küstengewässer vor dem Tokyo-Hafen — sind vom gleichen Typ wie Deshima gewesen. Auch das Hama-Rikyü (H.-Lustschloß), das 1659 unter TOKUGAWA TSUNAYOSHI erbaut wurde und heute als öffentlicher Park dient, ist auf Aufschüttungsland errichtet worden. Als Erbauer relativ großflächiger Umetate-chi betätigte sich die Müllabfuhr Edos, „die mit Genehmigung des Bakufu bis 1730 etwa 125 ha amphibisches Land — insbesondere jenseits des Sumidagawa - mit Müll aufkippte" (16). V. Die G r ö ß e des Staatsgebietes insgesamt Die Japaner haben, so berichtet SIEBOLD, 1830 ihre Inseln, Felsen und sichtbaren Klippen vermessen. Es sind Kartenwerke „japanischer Geduld und Pünktlichkeit" entstanden. Auf ihrer Basis berechnet, „beläuft sich der Flächeninhalt auf 7520 Quadratmeilen" (93). Bei Zugrundelegung der damals gültigen deutschen Meile sind das rd. 420000 km 2 , eine Fläche, die sich nach heutigen Größenangaben unter Einschluß der Kurilen und Karafutos auch heute ergeben würde. Für das „Eigentliche Japan", worunter er Honshü, Shikoku und Kyüshü versteht, gibt er, die Nebeninseln einbezogen, 5305 Quadratmeilen an, das sind rd. 295 000 km 2 , was der heutigen Messung entspricht. Die Darlegungen SIEBOLDS lassen erkennen, daß das Bakufu die Außengebiete im Norden und Süden noch nicht sicher im Griff hatte.
136
3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur Tokugawa-Zeit
D. D i e Staatsbevölkerung I. Bevölkerungsgruppen und die Bevölkerungsentwicklung insgesamt Für die Bezeichnung der Sozialordnung wurde der volkstümliche Ausdruck shinö-kö-shö verwendet. Er enthält die Aufzählung der quantitativ wichtigsten Gruppen im Range ihrer Geltung: Samurai (bushi) - Bauern - Handwerker Kaufleute. Ihnen sind der Vollständigkeit wegen quantitativ kleinere Gruppen voranzusetzen und anzuhängen: An der Spitze stehen Tennohof und Shögunat, Hofadel (kuge), Ritteradel (büke), der Klerus und die Gelehrten. Am Ende hätte man die Minoritäten der gesellschaftlich nicht anerkannten Gruppen von Minoritäten hinzufügen müssen (eta, hinin). 1. Der Adel Wenn auch die Würdenträger des Shögunats und des Tennöhofes die kleinste Gruppe bildeten, so stellten sie doch qualitativ die absolute Mitte dar, aus deren Zielsetzungen sich die Funktionen der übrigen Gruppen ableiteten, dies um so mehr, als sich das gesamte Staatsvolk in das konfuzianisch konzipierte Gesellschaftssystem eingebunden wußte. Höchste Funktionsträger an den beiden Höfen waren nur einzelne. Größer war die Zahl der Daimyö; sie entsprach im allgemeinen der Anzahl von Daimyaten, von denen es ( 1 8 6 7 ) 2 6 0 gab. Auch unter ihnen herrschte eine Rangordnung; sie richtete sich nach den in Reismengen bzw. koku1 umgerechneten Einkünften. „An der Spitze dieser Reihenfolge standen die ,gosanke' (s. o.), die mehr als 3 5 0 0 0 0 koku hatten, es folgten die kokushu (Provinzgouverneure), mit mindestens 2 0 0 0 0 0 koku und diejenigen Daimyö, die mehr als 1 0 0 0 0 0 koku hatten" (3, 2 2 4 ) . Die kleineren Daimyö mußten sich mit 1 0 0 0 0 - 1 0 0 0 0 0 koku begnügen. Mit weniger als 1 0 0 0 0 koku wurde kein Daimyö ausgestattet. Der Daimyö hatte den Sold für die Samurai in koku Reis zu zahlen, und als geringste Summe galten 100 koku fürs Jahr, obgleich diese Grenze auch unterschritten wurde. Das Heiraten zwischen den Familien der Kuge und der Buke war untersagt. Nur IEYASU selbst erlaubte sich, die eigene Anordnung aus politischen Gründen zu durchbrechen: Er verlobte seine Enkeltochter mit dem Tennö GO-MIZUNOO, der sie 1 6 2 0 heiratete (3, 2 3 0 ) .
Angaben über die Anzahl aller Buke (Daimyö wie Samurai) können nur auf Schätzung beruhen, da zu keiner Zeit eine Anordnung herausging, den Adel in die Volkszählung einzubeziehen; sogar die im Dienste der Kuge und Buke stehenden Personen waren von der Registrierung ausgeschlossen. Die von TOKUGAWA YOSHIMUNE veranlaßten Volkszählungen von 1 7 2 1 und 1 7 2 6 , Vorgänger der späteren Zählungen, die jedes 6. Jahr vorgenommen werden sollten, erfaßten nur „Bauern, Kaufleute, Stadtvolk, Schrein- und Tempelpriester und anderes Volk" und klammerten ausdrücklich den Adel und dessen Gesinde aus (31, 147). Gestützt auf Y . KATSU, der einer Samuraifamilie in Shizuoka angehörte, gibt DROPPERS ( 1 4 ) die Zahl der Samurai am Ende der Tokugawa-Zeit mit 3 5 0 0 0 0 an. Bei Hinzurechnung von durchschnittlich 3 Dienstleuten je Samurai würden sich 1 4 0 0 0 0 0 1 Vgl. Tab. über Maßeinheiten S. 633.
D. Die Staatsbevölkerung
137
Menschen ergeben und bei Berücksichtigung der Familien wird die Samuraibevölkerung insgesamt rd. 2 Mio. Menschen betragen haben, da vom Adel die Beschränkung der Kinderzahl auf zwei Sitte war, und er andererseits Zeiten der Hungersnöte erfolgreicher als die ärmere Bevölkerung durchstand. Die Beschränkung der Kinderzahl auf zwei wurde von der gesamten Bevölkerung nachgeahmt. 2. Das Volk der nö-kö-shö Die quantitativ bedeutendste Volksmenge der Bauern (nö), Handwerker (kö) und Händler (shö) zahlen- und anteilmäßig zu bestimmen, stößt ebenfalls auf Schwierigkeiten. Die Fortschreibungen in Hausregistern, in Koseki, war schon im frühen 10. Jh. erloschen, wurde aber in der Tokugawazeit über das System der Goningumi oder Fünferschaften (s. u.) in veränderter Form wieder aufgenommen und wurde zur Grundlage für die Volkszählungen bzw. Aufrechnungen, wie sie von YOSHIMUNE veranlaßt wurden. Die Einschränkungen aber, denen die Registrierungen unterlagen, bedingen die Schwierigkeiten, die sich den Versuchen entgegenstellen, die Bevölkerungszahl ingesamt für irgendein Jahr der Tokugawazeit zu ermitteln. Nicht registriert wurden, vom Adel abgesehen, die hinin (Bettler, Prostituierte, Zauberer, Stadtstreicher) und eta (Schinder, Gerber, Scharfrichter). Für unnötig hielt man die Registrierung von Jugendlichen unter 15 Jahren; sie kam nur vereinzelt vor. Unbeachtet blieb in allen Fällen die Bevölkerung von Ezo und der Ryükyü-Inseln. Insgesamt ergibt sich, daß die seit YOHIMUNE durchgeführten Volkszählungen (nach HONJÖ in Tab. 1, Rubrik 1) in ihren Ergebnissen, sofern man eine Vorstellung von der Bevölkerung Japans insgesamt erhalten will, ergänzt werden müssen durch die Schätzwerte für die Samuraibevölkerung (rd. 2 Mio. Menschen, Tab. 1, Rubrik 3) und die Schätzwerte für die Semmin. 3. Die Semmin Die Anzahl der hinin und eta zu schätzen, ist besonders schwierig. Immerhin stellte M. RAMMING fest ( 7 6 , 2 1 7 ) , daß man allein in Edo 3 0 0 0 0 Bettlerfamilien zählte. Wenn diese in der Millionenstadt, zu der Edo bald herangewachsen war, auch extrem zahlreich gewesen sein mögen, so werden sie in den übrigen bodensteuerfreien Städten, wie Sumpu (Shizuoka), Ösaka, Nara, Sakai, Ötsu, Nagasaki wie auch in Fushimi und Kyoto zumindest nicht gefehlt haben. Man begeht wahrscheinlich keine Übertreibung, wenn man für die Städte außerhalb von Edo insgesamt ebenfalls 3 0 0 0 0 Bettlerfamilien schätzt. Die rd. 6 0 0 0 0 zumindest dreiköpfigen Familien würden dann eine Bevölkerung von 1 5 0 0 0 0 — 1 8 0 0 0 0 Menschen gestellt haben. Die Eta-Forschung wies aus ( 1 1 0 ) , daß die Eta der Provinz Tosa im Jahre 1683 einen Anteil an der Bevölkerung insgesamt von 0,46% hatten. Nicht in allen Teilen Japans werden sie gleich zahlreich gewesen sein. Wenn man den Gesamtdurchschnitt auf die Hälfte herabsetzt, wird man keine Übertreibung begehen; man erhielte damit eine Zahl von rd. 7 5 0 0 0 Menschen, die den „zatsugyö", den unwürdig-schmutzigen Beschäftigungen nachgingen. Hinin und Eta, zusammen auch Semmin (Pöbel) genannt, würde man auf diese Weise auf 2 5 0 0 0 0 schätzen können, wobei durch zeitliche Schwankungen die Zahl unter- und auch überschritten wurde. Neuerdings wurden die Semmin für das Ende der Tokugawazeit auf 2 8 0 0 0 0 - 5 2 0 0 0 0 geschätzt ( 1 0 9 ) .
3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
138
Tokugawa-Zeit
4. Die Bevölkerung der Außengebiete Für Ezo liegt die Mitteilung über eine Zählung der Ainu im Jahre 1824 vor (93, Bd. 2); sie ergab 27811 Personen. Die japanische Bevölkerung der Insel wuchs im Verlauf der Tokugawazeit von 30000 auf 60000. Im Mittel errechnet sich eine aus Ainu und Japanern bestehende Bevölkerung von 70000 Menschen. Die Bevölkerung der Ryükyüs ist für das 17. wie das 18. Jh. auf rd. 200000 Menschen schätzbar; sie hat diese Schwelle wahrscheinlich häufiger unter- als überschritten (42). Tabelle 1. Die Bevölkerung Japans in den Jahren 1726—1846 (in 1000) nach historisch Schätzwerten 1
2
3
4
Jahr
Nô-kôshô = Bevölkerung
Index
SamuraiBevölkerung
Semmin, 1, 3 u. 4 Hokkaidôinsgesamt u. RyûkyûBevölkerung
Index
1726 1732 1750 1762
26549 26922 25918 25921
-2000
1780 1792
26011 24891 25518 27201 26908
100,0 101,4 97,6 97,6 97,9 93,7 96,1 102,4 101,3
-600 -600 -600 -600 -600 -600 -600 -600 -600
100,0 101,3 97,8 97,8 98,1 94,3 96,4 102,2
1804 1828 1846
-2000 -2000 -2000 -2000 -2000 -2000 -2000 -2000
5
begründbaren
29149 29522 28518 28521 28611 27491 28118 29801 29508
6
101,6
Die in der Rubrik 1 stehenden Zahlenwerte nach EIJIRÔ HONJÔ; die in den Rubriken 3 und 4 angenommenen Werte aufgrund der Argumente von DROPPERS und HONJÔ.
5. Die Bevölkerung insgesamt Die nicht registrierte Bevölkerung der Semmin, der Nordinsel Ezo (Hokkaido) und der südlich gelegenen Ryükyü, insgesamt rd. 600000 Menschen, ist für jede der in Tab. 1 aufgeführten Volkszählungen in Rubrik 4 hinzugefügt worden. Im Ergebnis erhält man für Japan eine Bevölkerung von knapp 30 Mio. Menschen. Die statistische Übersicht hat trotz ihrer vielfachen Bedenklichkeiten einen hohen bevölkerungsgeographischen Wert; denn sie enthält das Phänomen einer über mehr als 100 Jahre währenden Stagnation in der Bevölkerungsentwicklung, die zur Klärung von Ursachen herausfordert. Wie schon von japanischen und angelsächsischen Historikern und zusammenfassend von E. HONJÖ ( 3 1 ) dargelegt, ist diese Stagnation Ausdruck von sozialen Mißständen durchgreifender Wirkung. Einige von ihnen sind von kulturgeographisch hoher Bedeutung gewesen.
II. Das Ursachengeflecht der stagnierenden Bevölkerungsentwicklung 1. Das unveränderte Festhalten an der Militärhierarchie Die Militärhierarchie des Obrigkeitsstaates, so historisch notwendig sie für das 17. Jh. auch gewesen sein mag, wurde im Verlauf der Tokugawazeit zum Anachro-
D. Die
Staatsbevölkerung
139
nismus: Die Burgen waren ohne Verteidigungsaufgaben geblieben, die Samurai waren funktionslos geworden, lagen aber als eine 2 Millionen zählende Schicht unproduktiver Menschen als Belastung auf der Agrarwirtschaft, dem einzigen, den Staat tragenden Wirtschaftszweig. Aus den Erträgen der Reisernten zogen die Daimyö ihre Einkünfte und aus diesen entlohnten sie ihr stehendes, aus Samurai vieler Gradstufen zusammengesetztes Heer, das sie aus Prestigegründen nicht verkleinerten, obgleich jedermann wußte, daß es nicht zum Einsatz kam und daß sich die Samurai immer hemmungsloser einem luxuriösen Leben hingaben, das ihre Mittel überstieg. Anordnungen, das Luxusleben einzustellen, blieben überhört. Der Ritterkodex verbot es, die Samurai einer anderen Beschäftigung zuzuführen. Die Samurai verschuldeten. Dies um so mehr, als das von den Feudalherren entwickelte Hanchi-System die Reiszuwendungen um 25—30% verringerte 2 . Diese Maßnahme war begründet in der ebenfalls zunehmenden Verarmung der Daimyö, denen das Sankin Kötai (s. u.) übermäßige Belastungen auferlegte. Die Samurai versuchten, ihre wirtschaftliche Lage durch mancherlei Mittel aufzubessern: Sie verpfändeten ihre militärische Ausrüstung, die sie vom Pfandnehmer bei Bedarf wieder entliehen; sie entließen Bedienstete und übertrugen deren Arbeit auf die Familie; sie borgten Geld von einem Kaufmann (chönin); wenn es erforderlich wurde, einen Erben zu adoptieren, bevorzugten sie den Sohn eines reichen Kaufmanns. Die Verarmung des Samuraistandes wurde durch die Geldwirtschaft, die sich im öffentlichen Verkehr voll durchgesetzt hatte, geradezu gefördert. Die Zuwendung für seine Dienstleistung erhielt er in Reis, den Reis setzte er in Geld um, und häufig verlor er schon bei diesem Wechselgeschäft infolge der variierenden Reispreise. Den führenden Köpfen des Staates mangelte es an Ideen, mit der historisch gewandelten Situation fertig zu werden. Sie waren beherrscht vom Gedanken, Tradition zu erhalten und gefielen sich in der Pflege von Künsten, auch der Gartenkunst, von Rittersport und chinesischer Wissenschaft. Es galt bereits als beunruhigend, daß Tokugawa YOSHIMUNE 1741 das Einfuhrverbot für ausländische Bücher (mit Ausnahme christlicher Literatur) aufhob und Gelehrten wie Studenten erlaubte, sich nach Nagasaki zu begeben, um dort Holländisch zu erlernen und die in holländischer Sprache verfaßten Bücher des Auslandes zu studieren. Es hätte für die Belebung der Wirtschaft der Erweiterung von Fernbeziehungen bedurft. Da aber Wettbewerbsdenken als gesellschaftsfremd galt, unterblieb dies. Auch die Handwerker und Händler beharrten allzustark auf ihren Privilegien und drängten nicht auf Neuerungen. Im 18. Jh. hörte das Bushidö auf, ein reiner Kriegerkodex zu sein; es verbreitete sich in allen Schichten des Volkes und wurde zum Grundgefüge sittlicher Regeln" (3, 282). Dabei konzentrierten sich die Nachteile der Sakoku auf den allein produktiven Bevölkerungsteil, auf den Bauern. 2. Die Verarmung der Bauern Der Überzeugung, daß die Agrarwirtschaft das Rückgrat des Staates sei, entsprach keineswegs die Sorge um das Wohlbefinden der Bauern. Im Gegenteil, der Bauer 2 Die wachsenden Ausgaben, die auf den Daimyö zukamen, führten zur Kürzung der SamuraiGehälter, wobei der Kürzungsbetrag nominell als „vom Daimyö geliehen" galt, aber nie ausgezahlt wurde; einbehalten wurden 25—33%. Hanchi meint aber die Hälfte; der hochgestochene Begriff weist auf die Schockwirkung hin, die unter den Samurai ausgelöst wurde (nach 31, 216).
140
3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
war nur der Nahrungslieferant, seine soziale Lage kümmerte niemanden. Die Ausgaben, die auf dem Feudalherrn lasteten, zwangen diesen, auch in schlechten Erntejahren auf der vollen Höhe der steuerlichen Reisabgaben zu bestehen. Das brachte viele Bauern zum Ruin, und obgleich es verboten war, verkauften sie ihr Land und wurden Pächter oder aber sie verpfändeten das Land, um die Steuern aufbringen zu können. Nach dem von HONJÖ ( 3 1 ) zitierten ,Seji Kemmonroku' gelangte im Laufe der Zeit das Land in den Besitz reicher Bauern. Die wenigen selbständig bleibenden Kleinbetriebe waren Quälstellen; die meisten Bauern waren zu Pächtern abgesunken und wurden ärmer und ärmer. „Auf einen wohlhabenden Bauern entfielen 20 oder 30, die sich in Notlage befanden. Zur Behebung der Sorgen griff man zu Mitteln, aus denen Verzweiflung spricht: Flucht in die Stadt unter Zurücklassung von Brachfeldern, Verhinderung des Familienzuwachses, d. h. Anwendung der grausamsten Form der Familienplanung, der Kindertötung. a) Die Landflucht nahm ein solches Ausmaß an, daß viele Reisfelder zu Brachland wurden und sich die Städte mit Arbeitsuchenden füllten. Viele Männer verdingten sich als Tagelöhner oder Straßenhändler; viele Töchter wurden von ihren Eltern geradezu ermutigt, häusliche Dienste in Tokyo, Kyoto oder Osaka zu verrichten. In einer Denkschrift vom Jahre 1787 heißt es: „Die Reisfelder wurden Brachland und die Provinzstraßen verfielen." ÖGYU SORAI schreibt im Seidan, daß sich Edo infolge der Zuwanderungen bei großer Hausdichte bis auf 5 ri (20 km) ausweiten mußte ( 3 1 , 1 7 1 ) . MOTOORI NORINAGA schreibt im Tamakushige Beppon: In allen Dörfern ist die Zahl der Haushalte geringer geworden, die Felder sind sich selbst überlassen, die Armut der Dorfbewohner ist größer geworden. In einigen Provinzen hat man zwar den Bauern das Verlassen der Dörfer verboten, aber die Verbote wirken nicht, sie gleichen Versuchen, das Wasser eines Stromes zu reinigen, der schon schmutzig aus der Quelle tritt" (31, 177). b) Kindermord und Abtreibung waren über das ganze Land verbreitet. Man suchte damit die Familie klein zu halten, um sich nicht zusätzliche Existenzsorgen anzulasten. Für den Kindermord gab es u. a. den Ausdruck „mabiku", d. h. jäten, verziehen, wie man Pflanzen „verzieht". Der Zeitgenosse SATO NOBUHIRO äußerte: Diese Sitte beherrscht die Provinzen von Öu und des Kanto, und in Chügoku, Shikoku und Kyüshü ist die Abtreibung ganz allgemein. In den Provinzen Dewa und Öshu werden jährlich etwa 1 6 0 0 0 - 1 7 0 0 0 Babies getötet" ( 3 1 , 1 7 8 ) . Eindringlich berichtet Bernhard Varenius (105, 107) nach den Angaben der Jesuiten MAFFEUS und VILELA über den Kindermord, wobei sich VILELA schon vor Beginn der Tokugawazeit in Japan aufgehalten hatte, der Kindermord also ein aus der Vergangenheit übernommener Brauch war. Die Maßnahmen der Geburtenbeschränkung waren in den Städten ebenso wirksam wie in den Dörfern, wenngleich in den Städten außer Armut noch andere Gründe zur Kindertötung führten (31, 185).
3. Hungersnöte Wenn auch Epidemien, Erdbeben und Taifune katastrophaler Stärke wiederholt viele Menschenleben dahinrafften, so haben doch diese Verluste nur kurzfristige und statistisch in der Vergangenheit nicht faßbare Auswirkungen auf die Bevölke-
D. Die
Staatsbevölkerung
141
rungsentwicklung insgesamt gehabt. Anders machten sich Hungersnöte bemerkbar. In den hundert Jahren zwischen 1730 und 1840 wurde Japan infolge Ernterückgangs (s. o.) und ungünstiger Wetterlagen durch drei große Hungersnöte heimgesucht, die sich über Jahre hinwegzogen und mehrere Hunderttausend Menschenleben forderten. Die Hungersnot der Jahre 1732-1733 wirkte sich derart aus, daß die 1750 registrierte Bevölkerung noch um 1 Mio. geringer war als 1732. Die Hungersnot der Jahre 1783—1787 warf die Bevölkerungszahl abermals um 1 Mio. und mehr Menschen zurück; denn 1792 stellte man 1,1 Mio. Menschen weniger fest als 1780 (vgl. Tab. 1). Zum dritten Mal wurde das Land 1836-1837 von einer Hungersnot überzogen, von deren Verlusten sich die Bevölkerung noch 1846 nicht wieder voll erholt hatte: Denn noch immer lag die Bevölkerungszahl um 293000 niedriger als 1828. Die Hungersnöte konnten von so durchgreifender Wirkung sein, weil sie sich in einer landweit in Elend lebenden, gering widerstandsfähigen bäuerlichen Bevölkerung ausbreiteten und von da aus infolge des Ausfalles von Nahrungszufuhr auf die Städte übergriffen. Die Wiederauffüllung der Bevölkerungslücken bedurfte infolge der geübten „Familienplanung" durch Abtreibung und Kindermord langer Zeitabstände. III. Die Stellung des Volkes im Staat Die breite Masse des Volkes waren die Heimin, d. h. die im Rang unter den Samurai, aber über den Semmin stehenden Bürger, als welche die Bauern, Handwerker und Kaufleute galten. Die Bauern machten 80% und mehr dieser Bevölkerung aus. Die landwirtschaftliche Produktion war die absolute Grundlage der materiellen Kultur; in der Nahrungsmittelbeschaffung und Nahrungsmittelverteilung lagen die Hauptaufgaben der Bakufu-Verwaltungsämter. Zu deren Durchführung mußten die Heimin als möglichst harmlose, aber arbeitswillige und ergeben gehorsame Untertanen erhalten bleiben. Das wirksamste Mittel hierfür war ihre Einschmelzung in konfuzianische Tradition, nach welcher die „Fünf Beziehungen der Menschen untereinander" oberste Richtschnur für alles Handeln sind. Mit diesen „Fünf Beziehungen" war zugleich unbedingte Loyalität zwischen dem Unten und Oben gefordert sowie das Bemühen, die alle Lebensbereiche beherrschende dialektisch zerzweite Einheit der kosmischen Kräfte des Yang und Yin immer wieder zu harmonischem Ausgleich zu bringen. Das soldatische Ideal der unbedingten Loyalität des Gefolgsmanns gegenüber dem Herrn „wurde in der Edo-Zeit für alle Klassen verbindlich und galt als Prüfstein für das Verhältnis zwischen Landarbeiter und Bauer, Gehilfe und Kaufmann, Lehrling und Handwerker" (82, 338). Die Erziehung zu solcher Lebenshaltung erfolgte nicht nur innerhalb der Samurai-Hierarchie, sondern auch innerhalb aller Bevölkerungsgruppen im Verbände einer Provinz bzw. eines Fürstentums (han), einer Landgemeinde (mura), einer Kleinstadt (machi) oder eines Stadtbezirks (chö) innerhalb einer größeren Stadt. Unterstes Überwachungs- und zugleich Erziehungsorgan war das Goningumi- bzw. Fünferschaftssystem (84). Es stellte nicht eine Gruppe von Einzelpersonen, sondern eine räumlich abgrenzbare Häusergruppe dar. „Jedes an der Gruppe beteiligte Haus wurde durch seinen Haushaltsvorstand (koshu oder kachö) vertreten, so daß durch seinen Beitritt die sämtlichen ihm
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
unterstehenden Hausangehörigen nebst Dienerschaft und etwaigen Einlogierern den Vorschriften der Fünferschaft unterworfen wurden. Die Mitgliedschaft zur Fünferschaft war im Prinzip erblich" (84). Ihren Vorgänger hatte die Fünferschaft in den von TOYOTOMI HIDEYOSHI für die Samurai gebildeten Goningumi (84, 31).
Mit der Übertragung dieses Systems auf die breite Masse konnten, da ihm die Gemeindebewohner ohne Ausnahme angehörten, viele polizeiliche, sozial- und wirtschaftspolitische Zwecke wirksam verfolgt werden, insbesondere die RöninKontrolle3, Verbrecherbekämpfung und Christenverfolgung" (84, 34). Wie der Name sagt, sollte ein Goningumi aus 5 Häusern bestehen, wobei in der Stadt die Reihenfolge der Häuser, im Dorf deren Lage zueinander entschied. Nicht immer konnte der Normaltyp beibehalten werden; es gab Goningumi aus weniger oder auch mehr Häusern. Da der Zusammenschluß der Mitglieder allein nach dem Gesichtspunkt der räumlichen Nähe erfolgte, „kamen in der Fünferschaft Reiche und Arme, Grundeigentümer, Pächter und Mieter, große und kleine Bauern, Fischer, Handwerker, Kaufleute, Krämer usw. gemischt vor" (84, 36). Das schuf sozialen Ausgleich und hemmte den Ausbruch sozialer Gegensätze. Dem Goningumi stand das „Gruppenhaupt" (kumi-gashira) vor. Er wurde gewählt, mußte aber des Lesens und Schreibens kundig sein. Obgleich nur ehrenamtlicher primus inter pares, war er verantwortlich für die Beilegung von Streitigkeiten, die Beglaubigung von Urkunden, die Übermittlung von Erlassen und Führung der Korrespondenz zwischen der Gruppe und den Behörden, für die Einhaltung der im Fünferschaftsregister (goningumichö, kurz kumichö) enthaltenen Bestimmungen, wozu die Kumi-Genossen sich schriftlich verpflichtet hatten. In dem von SCHÜFFNER (84, 94—100) wiedergegebenen Register vom Jahre 1853 heißt es z. B. in Art. 2: Wer sich zur verbotenen christlichen Religion bekennt . . . ist sofort anzuzeigen; in Art. 3: (es ist) stets aufmerksam darauf zu achten, daß innerhalb des Kumi keinerlei böse Tat begangen wird; in Art. 4: Personen, die in böser Absicht Streit suchen, nur ihre eigenes Interesse verfolgen . . . und gegen ihre Eltern ungehorsam sind, zeige man an, damit sie gleich der Strafe zugeführt werden können; in Art. 9: Wenn jemand dauernd weder Ackerbau treibt, noch dem Handel, Handwerk oder sonstigen Gewerbe nachgeht, ist der Fall zu untersuchen und das Ergebnis mitzuteilen; in Art. 13: Ist jemand mit der Steuer im Rückstand und verweigert die Bezahlung, so muß das Goningumi an dessen Stelle Steuer entrichten; in Art. 16: Während der Steuer-Reis im Dorfspeicher (gökura) verwahrt wird, ist dort ein Wachposten aufzustellen. Jeden eintretenden Verlust muß das ganze Dorf ersetzen; in Art. 18: Lebt ein Bauer ganz allein, ist er z. B. entweder zu alt und ohne Frau und Kinder, oder zu jung und ohne Eltern, so haben die Dorfbeamten und das Goningumi . . . zu helfen und darauf zu achten, daß seine Felder nicht verwildern; wer faul ist, sein Land nicht selbst bestellt, sondern durch andere bebauen läßt, macht sich strafbar; in Art. 20: Kauf und Verkauf von Ackerland (dempata bai-bai) sind gesetzlich verboten (es sei denn, der Bauer hat die behördliche Genehmigung erhalten); in Art. 21: Man muß die Häuser schlichter ausführen als es die Vermögensverhältisse erlauben, vor allem nicht auffällig, auch wenn man reich ist; in Art. 23: Es ist streng verboten, buddhistische Tempel (tera) oder Shintöschreine (jinja) neu zu errichten, selbst wenn es sich dabei nur um kleine Schreine (hokora) handelt; Art. 29: Es ist streng verboten, zu welchem Zweck auch immer, sich zu verbinden, sich zu verschwören, in einmütiger Gruppe vor dem Eingang der Behörde zu demonstrieren oder mit Gewalt sich Gehör zu verschaffen (göso); Art. 36: Lange brach liegende Felder (dempata)4 sind wieder zu bestellen. Wenn es vergrößerte oder neue Felder gibt, erstatte man Anzeige. Wer Felder verheimlicht, ist sofort anzuzeigen; Art. 40: Man fertige von dieser Urkunde eine Abschrift an und verlese sie sorgfältig in der (Fünferschafts-)Versammlung (yoriai). - In der Originalurkunde folgen dem letzten Artikel die Namen 3 Samurai, die sich aus irgendwelchen Gründen aus der Vasallität gelöst hatten. In früheren Zeiten auch flüchtige Bauern. Literarisch bekannt geworden sind die ritterlichen „47 Rönin" aus Akö. 4 Naßreis (den) - und Trockenfelder (hatake)
D. Die
Staatsbevölkerung
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und Siegel der einzelnen Fünferschaftsgenossen nebst Angaben über deren Religionszugehörigkeit sowie über die Größe und den geschätzten Ernteertrag ihrer Felder. Dieser letzte Teil (84, 100) enthält das eigentliche Fünferschaftsregister, das sog. „Remmei-remban-sho" 5 . Die vorstehenden Artikel bzw. Anordnungen sind gleichsam nur die Präambel oder das Maegaki.
Seit Beginn des 18. Jahrhunderts zeigten die Kumichö eine auffallende Einheitlichkeit im Inhalt und in der Form, auch wurden die Vorschriften im Maegaki ausführlicher und zahlreicher . . . Konfuzianische Moralvorschriften bildeten den größten Teil der zusätzlichen Artikel. . . Die Behörden entwarfen Muster-Kumichö und verteilten sie unter die Gemeinden" (84, 43). Der auf unterster Ebene 250 Jahre unermüdlich intensiv vollzogene Dienst für die Moral- und Soziallehre des Staates war nicht vergebens. Die Ideale des Konfuzianismus wurden mitbestimmend für die Charakterbildung des ganzen Volkes. Aus anfänglichen Geboten wurden selbstverständliche Verhaltensweisen, die in den Geboten nur Niederschlag gefunden zu haben schienen. Das Einschmelzen konfuzianischer Grundsätze in die Überlieferung erfolgte um so harmonischer, als vieles von diesem vom Shintoismus und Buddhismus bereits vorgeformt war. Hervorzuheben sind die Verehrung der Eltern und die Wertschätzung des Familiensinnes (vgl. Art. 4); die Vertiefung des Gemeinschaftssinnes im Verband der Fünferschaft und im Verband des Dorfes (vgl. Art. 3 u. 16), die Ausrichtung des Einzelnen auf die Spitze des Staates, in der das reale Geschehen seinen gleichsam zeitlosen Ursprung hat, weshalb das gemeine Volk gut beraten ist, wenn es tut, was man ihm sagt; die Loyalität als sittliche Kraft in ihren Erscheinungsformen von Disziplin und selbstverständlicher Unterordnung (s. Art. 13, 20, 29); Schweigsamkeit und eine an Argwohn grenzende Verschlossenheit, aber auch Bereitschaft zur Anzeige eines die Loyalität gefährdenden Menschen (Art. 29); Pflichterfüllung (Art. 9, 18); Fleiß, Genügsamkeit (Art. 21), insbesondere im Wort und im Stil der Lebensführung. Das willige Dienstleisten soll nicht nur als bloße Subordination, sondern im Sinne des „Sicheinanderhelfens" verstanden sein, wie dies in Artikel 18 angesprochen ist6. Das Ideal der Genügsamkeit erfuhr allerdings schon in der Genroku-Zeit (1688-1703) eine erste Aushöhlung. In Edikten heißt es, „Stadtleute und Diener sollten keine Seide tragen . . . sollten nicht die Gewänder von Standespersonen tragen . . . sollten keine üppigen Festlichkeiten veranstalten" (82). Es mehrten sich die Stadtleute, die den Edikten nur äußerlich folgten, ein schlicht aussehendes Gewand trugen, dessen Futter aus kostbarem Material bestand, Frauen wie Dienerinnen aussahen, aber Unterkleider „aus der glänzendsten und teuersten Seide trugen." Geheuchelte, nur nach außen betonte Bescheidenheit ist seither so häufig, daß es jeweils einer stillen Überprüfung auf die Echtheit jener Tugend bedarf. Trotz mancher Ausuferungen nach der Seite des Luxus ist das Pflichtgefühl zum unveränderlichen Bestandteil in den Verhaltensweisen der breiten Masse geworden. Es wurzelt in den Leitideen von Loyalität und Pietät. Die japanische Vorstellung von Pflicht oder Giri, enthalten auch im Begriff des Harakiri, ist von kantischer Härte und führte darüber hinaus sogar zur Selbsttötung, wenn durch 5 remmei = gemeinschaftliche Namenszeichnung; remban = gemeinschaftliche Stempelung. 6 LYDIA BRÜLL hat den Begriff des „Dienens", wie er in der Tokugawa-Zeit in spezifisch japanischer Sinngebung entwickelt wurde, aufschlußreich analysiert (9).
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
solche Tat die Eltern gerettet werden konnten. „Blutrache, Harakiri, für einen anderen den Tod erleiden, sich als Mädchen verkaufen lassen, Ehescheidung der Gatten, all das findet seine Erklärung in diesem Motiv" (114, 11). Diese Haltung entspricht der Weisheit des KITABATAKE CHIKAFUSA ( 1 2 9 3 - 1 3 5 4 ) , wie er sie im Kokutai no Hongi niederlegte: Jeder erfülle seine Pflicht gemäß der Rolle, die ihm zu spielen zugefallen ist. Diese Pflichterfüllung hat Vorrang vor dem persönlichen Interesse (45).
E. Die Shögunatshauptstadt Edo I. Die Verwirklichung politischer Vorstellungen bei der Lagebestimmung der Hauptstadt Edo wurde von TOKUGAWA IEYASU wie Kamakura 400 Jahre vorher von MINAMOTO YORITOMO als Shögunatshauptstadt bewußt gegründet. Beide Shögune begannen die Stadt anzulegen, noch ehe sie zum Shögun ernannt worden waren. Beide gingen von einander ähnlichen Vorstellungen aus, aber Edo unterscheidet sich von allen früheren Hauptstädten grundlegend in der Konzeption. Edo ist keine Öji-Stadt, wie Nara, Kyoto, Kamakura es sind, und wie es auch Nagaoka, Dazaifu und die Kokufu des 8. Jahrhunderts waren. Es wurde als Jöka-machi, und zwar als Burgstadt katexochen entwickelt, mit der umfangreichsten und gewaltigsten Burg, die jene von Osaka übertreffen mußte und als solche die Stärke der zentralen Macht symbolisierte. Mit dem Gedanken, daß die Lage in der größten und zugleich zentralsten Ebene des Landes die wirkungsvollste sei, stimmte IEYASU mit Y O R I TOMO völlig überein; aber Kamakura beherrschte nicht die Mitte des Kantö, es stellte nur den Flankenschutz am Eingang zur Ebene dar. Die räumliche Trennung des Shögunats war für IEYASU von ebenso entscheidender Bedeutung wie für YORITOMO, aber der Tokugawa-Shögun brach darüber hinaus das erste Mal mit der Tradition der ausschließlich binnenländischen Orientierung der politischen Reichsmitte. Das erste Mal wurde ein Mittelpunkt gewählt, der vom Land- wie vom Seeverkehr in gleicher Weise erreichbar ist und damit der natürlichen Infrastruktur des Archipels entspricht. Über mehr als 800 Jahre hindurch war im Zusammenhang mit der politischen Hauptstadt das Erbe binnenländischen Denkens mitgeschleppt worden. Begünstigt wurde die Wahl Edos im einzelnen durch persönliche, zeitliche und örtliche Umstände, von denen 3 hervorgehoben seien: 1. Der Raum um Edo hatte schon seit dem 7. Jh. wiederholt Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Auf der Musashino-Terrasse des Kantö wurden im frühen 8. Jh. die Provinzhauptstadt Fuchü und der zu ihr gehörende Kokubunji gegründet 7 . Unter YORITOMO, der das Kantö im besonderen inwertsetzte, entstand an der Sumidagawa-Mündung ein Dorf, das unter dem Namen Edo literarisch belegt ist (65, 3 ) . Der im Dienste der Uesugi stehende Vasall Ö T A SUKENAGA ( Ö T A D Ö K A N ) erbaute 1456 zur Stärkung der politischen Stellung gegenüber den Herren des ostwärts vom Sumidagawa liegenden Shimosa (heutiges Chiba) in Edo eine aus Holz gezimmerte Burg, in der er auch residierte (58, 24f.). Sie war dank ihrer 7 Beide Orte sind heute Großstädte am Westrand von Tökyö und gehören zu Tökyö-to.
E. Die Shögunatshauptstadt
Edo
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strategischen Lage so beherrschend, daß die Höjö-Familie, die sich seit 1494 von Odawara aus des Kantö bemächtigen wollte, es nicht wagte, Edo unmittelbar anzugreifen. Die Hojo bedrohten Edo zunächst von Tamanawa aus, einem Stütztpunkt, den sie am Eingang zur Kanto-Ebene gegenüber von Kamakura auf den Hügeln von Öfuna errichtet hatten. Edo fiel erst 1524 in die Hand der Hojo. Am Ende des gleichen Jahrhunderts waren es die Hojo, die sich der Macht des TOYOTOMI HIDEYOSHI widersetzten, der Odawara nach längerer Belagerung 1 5 9 0 nahm. TOKUGAWA IEYASU erhielt nach diesem Sieg zum Dank für seine Hilfe von HIDEYOSHI 8 Provinzen des Kanto übereignet und wurde damit auch Herr über Edo. 2. HIDEYOSHI, so heißt es, habe IEYASU den Rat gegeben, nicht wie die Hojo in Odawara zu leben; „vielmehr habe er ihm das Dorf Edo . . . als den günstigsten Platz zur Errichtung seiner Residenz bezeichnet" (41). Es mag sein, daß dieser Rat die eigene Vorstellung von den Infrastrukturbedingungen einer künftigen Hauptstadt bestärkt hat: Denn daß er sich mit der Konzipierung einer politischen Reichshauptstadt schon lange beschäftigt hatte, belegt die Tatsache, daß die Entwicklung Edos schon vor der Schlacht von Sekigahara große Fortschritte gemacht hatte und daß ihre Sicherung vor Gegnern aus dem Lande heraus bereits planmäßig vollzogen worden war. IEYASU hatte nicht nur Tamanawa schleifen lassen, sondern hatte auch, wie in Nr. 54 der 100 Gesetze niedergelegt, eine Reihe von Schutzburgen im Vorfeld von Edo geschaffen, die er als „Hilfsburgen von großer Wichtigkeit für die Hauptstadt" bezeichnete (in Shimosa: Sakura, Sekiyado, Koga; in Musashi: Iwatsuki, Kawagoe, Öshi; in noch weiterer Entfernung: Utsunomiya, Takasaki und das wiederaufgebaute Odawara (3, 207). 3 . Die natürlichen Dispositionen für die Anlage einer Burgstadt mußten IEYASU weit günstiger erscheinen als jene, mit denen man sich beim Bau der Ösaka-Burg hatte begnügen müssen — und Osaka lebte in IEYASU wie eine Herausforderung (vgl. Zerstörung von Ösaka). Edos Küstenraum ist durch Etagenaufbau gekennzeichnet: Die diluviale Musashino-Terrasse steht hier mit ihrem südöstlichen Ende in 30 m hoher Stufe über der Küstenebene und den von Flüssen angeschwemmten Alluvialebenen, die nur wenig über der Null-Meter-Linie liegen (vgl. Bd. 1, S. 209). Aus dem Übereinander dieser beiden Flächen, von denen die obere, von kurzen Erosionsrinnen zerschnitten, hier und da hügeligen Charakter erhält, ergaben sich die Möglichkeiten zur Entwicklung einer dem Land- wie Seeverkehr dienenden Unterstadt (Shita-machi) und einer für Residenzen geeigneten Oberstadt (Yamanote). Darüber hinaus bot sich aber die einmalig günstige Gelegenheit für die Anlage eines vom Fuß der Terrassenhänge bis hinauf zur Kante reichenden Burgsystems, das in seiner Großartigkeit im ganzen Reich nicht seinesgleichen hatte, und von dem aus sich das Land und das Meer weithin überblicken ließen. Uber die örtliche Lagegunst hinaus vereinigt der Scheitel der Meeresbucht auf sich die höchstmöglichen Lagevorteile im gesamten Inselreich und gegenüber der fernen Welt. Nicht ohne Grund wurde schon zur Tokugawazeit die Nihonbashi inmitten der Shitamachi die Mitte Japans genannt. Von hier beträgt die Luftlinienentfernung nach Fukuoka (Hakata), dem Oberzentrum von Kyüshü, ebenso 1000 km wie nach dem Platz, auf dem später Sapporo, das Oberzentrum von Hokkaidö gegründet wurde. Aber die Nihonbashi bedeutet mehr als mathematische Mitte; denn
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
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aus beiden Himmelsrichtungen ist sie optimal günstig erreichbar. Von NordKyüshü führt die natürliche Leitlinie, seit frühgeschichtlicher Zeit als Sanyö-dö genutzt, durch den Inlandseeraum bis Osaka, setzt sich dem Yodogawa entlang fort, dabei sich gabelnd in eine vom Kizugawa vorgezeichnete Südfurche und in einen zum Biwasee leitenden nördlichen Zweig. Beide Arme sind bereits die südlichen Abschnitte des Tökaidö, von dem die Biwaseeroute in Sekigahara den Nordlandweg (Hokurikudö) aufnimmt, die Südroute bei Yokkaichi den Ise-kaidö, der den Verkehr von Kii heranführt. Die beiden Wegarme schließen sich in Miya vor dem Atsuta Jingü zum Hauptstamm des Tokaidö zusammen, der damit zur Sammelader des verästelten Leitliniensystems der westlichen Provinzen wird; er endet an der Nihonbashi. Die gleiche Brücke bezeichnet auch das Ende des Nordwegs, des Öshü-kaidö, der die meridionale Längstalfurche nutzt, die von der Mutsu-Bucht (Aomori) durch die Täler des Kitakami und Abukuma das Kantö erreicht, wobei er im Raum von Fukushima die Tiefenzonen auffängt, die das westliche Töhoku mit dem östlichen verbinden und damit den südlichen Abschnitt des Öshü-kaidö zum Stamm der sich nach Norden verästelnden Verkehrswege machen. Günstig sind auch die natürlichen Leitlinien von Ost nach West. An der Südküste des Kantö gelegen, ist die Hauptstadt Zentrum der flächengrößten Siedlungskammer des Reichs, die von der Tonegawamündung in einer Erstreckung von 200 km bis in die Mitte von Honshü vorstößt, wo dies am breitesten ist. Diese Siedlungskammer steht in Verkehrsspannung zur Japanmeerküste, dies um so mehr, als das Echigo schon immer die ertrag- und volkreichste Region UraNippons darstellte, die mit ihren Produkten nach außen drängte. Für die Lösung des Verkehrsdrucks ist es dabei günstig, daß dem Gebirgsraum von der JoetsuEbene aus über die Binnenbecken der Fossa Magna, insbesondere von Nagano, Matsumoto, Suwa und Köfu hinweg ein hohes Maß von Durchgängigkeit verliehen ist. Diesen Umstand nutzten die großen Straßen durch die Landesmitte, der Nakasendö und Köshü-kaidö, die ihren Anfang an der Nihonbashi nehmen. Die Nihonbashi ist als Treff- und Schnittpunkt bedeutender Fernstraßen in Japan ohnegleichen. Von ihr aus ist bzw. war auch das Symbol des Landes, der Fujisan, zu sehen. All diese Vorteile kamen um so wirkungsvoller zur Geltung, als die Lage Edos im Scheitel der Meeresbucht (Edo-wan) zugleich die Funktion der Mitte des bewohnten Kantö ausübte. Der um die Nihonbashi mit einem Radius von 100 km geschlagene Kreis umschließt die Halbinseln Boso und Miura, die Mündungen des Tonegawa, Sagamigawa und Sakawa, die Gebirge Hakone, Tanzawa und Chichibu und reicht nordwärts bis zu den Bergfüßen der Nasuvulkanreihe. Zudem ermöglichten die Flußmündungen die Entwicklung eines Hafens wie in Osaka und damit die Förderung der Küstenschiffahrt zwischen dem Kantö und Kansai, die dem Landverkehr durchaus konkurrierend zur Seite treten konnte. Zusätzlich waren für die übrige Meereswirtschaft günstige Grundlagen gegeben. Vor der Edo-Bucht (später Tökyö-Bucht) vollzieht sich der Zusammenschluß des Kuroshio, der warmen Meeresströmung aus südlichen Breiten, mit dem Oyashio, der kalten Strömung aus den Breiten des Ochotskischen Meeres, was die Gewässer vor den Küsten des Kantö zu den arten- und individuenreichsten Fanggründen Japans macht (vgl. Bd. 1, S. 452). Der Fischmarkt Tsukiji entwickelte sich schon in der Tokugawa-Zeit zum größten nicht nur Japans, sondern auch Ostasiens. Hier
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wurden und werden Fänge auch der nördlich und südlich liegenden Fischereiregionen angelandet. Erst am Ende der Tokugawa-Zeit wurde deutlich, daß Edo bzw. Tokyo auch über eine optimal günstige Weltlage verfügt. Es bezeichnet die Mitte des Großkreises, der von den kalifornischen Häfen nach SO-Asien zieht. Diesen Großkreis nutzend, erschienen 1853 die amerikanischen Schiffe unter Führung des Admirals Perry, der 1854 im Vertrag von Kanagawa die Öffnung der Häfen Shimoda und Hakodate erzwang. II. Die Nutzung der natürlichen Gegebenheiten und der Lagegunst beim A u f b a u der Burgstadt als Hauptstadt Für die Bewältigung des Geländes waren den Planern drei Aufgaben gestellt: 1. Schaffung einer unmittelbaren Verbindung zwischen Burg und Meer durch Anlage eines Kanals; 2. Schaffung eines ringförmigen Wallgrabensystems trotz der topographisch wechselnden Höhenlage; 3. Ausrichtung des Grundrisses im Sinne geomantischer Vorstellungen und gebührende Berücksichtigung von Standorten buddhistischer und schintöistischer Kultstätten. Die Aufgaben 1 und 2 bedeuteten Harmonisierung von Shitamachi und Yamanote: Das Meer wurde durch den Bau des von Transportkähnen befahrbaren Dosanbori bis an den Terrassenfuß geführt, während die Erdmassen, die beim Ausheben der Wallgräben im höher gelegenen Gelände sowie beim Abtragen des Kandayama 8 zugunsten der Laufverlegung des Kandagawa anfielen, zur Aufschüttung und damit Trockenlegung des Küstenstreifens verwendet werden konnten (58, 26 u. 49), Aufschüttungsarbeiten übrigens, die während der späteren TokugawaZeit fortgesetzt wurden (61) und den Raum der Shitamachi stetig verbreiterten (s. Abb. 13). Der größere Teil der Aufgabe 3 mußte im Sinne des neunten der „100 Gesetze" gelöst werden. In ihm heißt es: „Der Hauptwall der Burg erstreckt sich von SaSenryö (Osten) bis Migi-Tenko (Westen) zum Hintertor. Nach dem Sternbild des Drachen zu liegt die zweite Umwallung; in der Gegend der Ratte die dritte, im Bereich des Hahnes die vierte und im Gebiet des Affen die fünfte Umwallung." Ergänzend wird im 62. Gesetz festgelegt: „Der Bauplan des Residenzpalastes ist dem Sternensystem entsprechend; er ist von Dependenzen umgeben." Da sich IEYASU wie auch manch anderer Machthaber vor ihm durchaus in der Hand der Götter fühlte, galt eine seiner ersten Sorgen der Begründung eines Haus- und Ahnentempels. Hierfür kam ihm der schon vorhandene, 1393 unmittelbar vor Edo am Tökaidö gegründete Zöjöji, ein Tempel der Jödo-Sekte, höchst gelegen; denn zur gleichen Lehre gehörte der Tokugawa-Ahnentempel in Ieyasus Heimat Mikawa. Dem Zöjöji wurde 1598 der bevorzugte Platz an der Küste von Shiba zugewiesen, nur 1500 m vom Shiba-Tor des äußeren Wallgrabens entfernt (56). Der Tempel 8 Es handelt sich um ein Terrassenstück auf der NO-Seite der Burg, heute vom Bezirk Surugadai des Stadtteils Kanda eingenommen; es zeigt die künstlich geschaffene Geländebewegung sehr deutlich.
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur Tokugawa-Zeit
wurde in den Rang eines Sammon erhoben; das war eine Auszeichnung, die ursprünglich nur der Enryakuji auf dem Hieizan als Schutztempel für das Tennöhaus in Kyoto erfahren hatte. Geschickt vermengte IEYASU mit der Gründung anderer Sammon die Sorge ums Kaiserhaus mit der Sorge um sein eigenes. Aus mehr als 60 Provinzen wählte er 73 Tempel aus, die er zu Sammon erhob (vgl. „100 Gesetze"); der Zöjöji war für IEYASU der bedeutendste. Da in den 100 Gesetzen die traditionelle Kami-Lehre ebenso als unentbehrlich bezeichnet wurde (Gesetz 71), war es verständlich, daß man auch dem Shintöismus innerhalb und außerhalb der Burganlage Aufmerksamkeit zuwendete. Die Finanzierung der aufwendigen Burganlage wurde vom Bakufu auf die Daimyö umgelegt. Diese hatten ihrem Einkommen entsprechende Barzahlungen zu leisten, Baumaterial bereitzustellen und anzuliefern sowie die Arbeitskräfte von ihren Fürstentümern nach Edo zu bringen, wobei sich die Anzahl der zu stellenden Hilfskräfte nach dem Reisaufkommen der Daimyö berechnete; auf je 1000 koku entfiel ein Frondienst leistender Arbeiter (58, 49). Der Daimyö MAEDA TOSHINAGA, in Kanazawa (Kaga) residierend, hatte bei einem Einkommen von mehr als 1 Mio. Koku, dem höchsten im Reich, in Edo etwa 1000 Arbeitskräfte zu unterhalten. Die Herkunft der Arbeiter und ihr örtlicher Arbeitseinsatz sind noch durch heutige Stadtteilbezeichnungen bezeugt: Saga-chö, Owari-chö, Izumo-chö u. a.; an der heutigen Funktion dieser Stadtgebiete gemessen, erscheinen diese Namen ohne Sinn. Die Burganlage war 1628 zur Vollendung gebracht worden (58, 45), die Stadt aber wuchs und bedurfte neuen Baulandes und der Wasserversorgung, überdies eines wiederholten Neuaufbaus infolge der großen Brände von 1657, 1668, 1682, 1717, 1735 und 1838/39, als auch das Schloß niederbrannte. Insgesamt zählt man 80 große Feuersbrünste und viele kleinere Brände (58, 124). Man nannte das Feuer „die Blume von Edo". Die Landaufschüttungen im Küstenbereich, die zunächst das Gelände vom heutigen Shimbashi und Kyöbashi bis über den Dosanbori hinaus umfaßten, ermöglichten im Zusammenhang mit der 1594 erbauten Senjü-Brücke (SenjüÖhashi) über den Sumidagawa und der 1600 vollendeten Rokugö-Brücke über den Tamagawa die Verlegung des Tökaidö wie des Öshu-Kaidö von der Rückseite der Burg an die Küstenfront. Beide Fernstraßen treffen sich seither am Dosanbori, d. h. auf dessen Brücke, der Nihonbashi, dem Schnittpunkt des Wasser- und Landverkehrs. Der Regierungsbericht vom Jahre 1604 (58, 51) spricht von folgenden Fernstraßen, die von hier ihren Anfang nehmen: 1. Der Tökaidö nach Kyoto; 2. Der Nakasendö durch die Gebirgswelt Mitteljapans bis nach Mino, wo er auf den Tökaidö trifft; 3. Der Köshükaidö, der sich bei Kamisuwa mit dem Nakasendö verbindet; 4. Der Öshükaidö bis zum Nordende Honshüs. Später fügte sich der Nikkö-Kaidö hinzu, der zu den Grabstätten von IEYASU und IEMITSU in Nikkö führt. An der Nihonbashi befand sich 1650 auch ein Hotel, das für Fremde eingerichtet war: Das erste internationale Hotel Japans - freilich infolge der Landabschließung wohl so selten benutzt, daß es bald aufgegeben wurde. Weder E. KÄMPFER, der 1691 in Edo war, noch F. v. SIEBOLD (1826) erwähnen das Hotel, obwohl sie beide
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über die Nihonbashi gezogen sind (37 u. 93). Die von Y . M A S A I (54) entworfene Skizze der räumlichen Struktur Edos für die Zeit um 1860 hebt die 1604 vorgeformte Verkehrs- und Geschäftsachse, die von Shinagawa bis zur Senjü-Brücke reicht und in der Nihonbashi ihren Mittelpunkt hat, noch klar als die S-N-Achse der Stadt heraus. III. D i e Burg und die gesellschaftliche Zonierung der Stadt Edo war die bedeutendste stadtlandschaftliche Objektivierung der gesellschaftlichen Hierarchie des Obrigkeitsstaates. Der Shogun, auf der höchsten Kuppe des Burghügels residierend, schaute hinab auf die unter ihm noch im Wallgrabenbereich liegenden Yashiki mächtiger Daimyö, denen zoniert in abfallenden Stufen die übrigen Daimyö-Residenzen folgten, dann die der Hatamoto und Samurai, schließlich die Baracken der Ashigaru und die Hütten der Chönin (der Handwerker wie Kaufleute) in z. T. engen Straßen (Abb. 12 u. 13). 1. Die Burg Die räumliche Gliederung der Burganlage (56) enthält viele der Elemente, die für die Daimyö-Burgen schon im 16. Jh. typisch waren. Edo ist eine Jökamachi, nur ist die Burganlage die größte unter allen und die zugeordnete Stadt ist an Fläche, Bevölkerungszahl und Funktionen ohne jeden Vergleich gewesen. Die Burg war nicht nur Festung und Sitz des geradezu mit kaiserlicher Macht ausgestatteten Shogun, sondern auch Standort des Bakufu mit all seinen Ministerien. Der Burgkern bestand wie bei jeder anderen Burg dieser Zeit aus dem Hon-maru9, d. h. dem Burg-Haupthof. Er nahm eine Fläche von 600 m Länge und 300 m Breite ein, die sich südwärts auf 150 m verengte. An seiner Nordseite standen auf höchstem Platz der Palast und der fünfstöckige Hauptturm, der Tenshukaku oder Bergfried, der sich auf einem massiven Steinfundament erhob. Die Shogun-Residenz war einstöckig; ihr besonderes Merkmal war die Audienzhalle, deren Fußboden etwa 1000 Tatami zählte, d. h. rd. 1600m 2 . Dem Palast schloß sich südwärts von ähnlichem Ausmaß der Regierungskomplex an. Der von Steinmauern, Brustwehren und Wehrtürmen geschützte Honmaru war von einem Wassergraben umschlossen, über den insgesamt sechs Torbrücken zu den benachbarten Burghöfen führten; drei davon verbanden mit dem schmalen Ni-no-maru, dem Zweiten Burghof, der sich ostwärts an den Haupthof anschmiegte und über den man in den Dritten Burghof, den San-no-maru, gelangte. Die Wassergräben zwischen den Burghöfen vereinigten sich zu einem Ringgrabensystem, das nicht nur die Höfe voneinander schied, sondern zugleich auch den aus drei Burghöfen bestehenden Burgkomplex insgesamt schützend umringte. Nordwärts legte sich dem Drei-HöfeKomplex der Nördliche Burghof (Kita-no-maru) vor, den man über die Torbrücken Kitahanebashi und Takebashi betrat. Von besonderer Bedeutung war aber der westliche Burghof, der Nishinomaru. IEYASU hatte die Absicht gehabt, hier zu wohnen, sobald er sich zugunsten seines Erbsohnes von den Regierungsgeschäften zurückziehen würde. Das Vorhaben änderte sich; er wählte Sumpu
9 Maru: ein „In-sich-Abgeschlossenes", ein Kreis; hier: ein Burghof.
3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
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Tokugawa-Zeit
(Shizuoka) als Residenz. Dafür wurde der westliche Burghof zum Wohnsitz des jeweiligen Erbsohnes. IEYASU hatte die Aufmerksamkeit auf den zu diesem Burghof gehörenden Momijiyama gelenkt. Er hatte auf diesen Hügel den SannoSchrein bringen lassen (der vorher im nördlichen Burgbereich stand), um eine
Tame ike^
Shögunatsgebäude
Bürger- und Kaufmannsquartiere
Residenz der Lehensträger (Daimyö)
Grüne Wallhänge
W a l l g r a b e n u. G e w ä s s e r f l ä c h e n
Abb. 12 1970)
Die Edo-Burg
J~LJ~
zu Ende der Tokugawa-Zeit
Mauern
(Nach Standard-Atlas
zur Geschichte
1 Honmaru: a Tenshukaku, Burgturm b Audienzhalle c Regierungsgebäude 3 Sannomaru 4 Nishinomaru 5 Kitanomaru 6 Fukiage-Park 7 X Uchi-Sakurada-Tor 9 Hitotsubashi-Tor 10 Shimizu-Tor 12 Kandabashi-Tor 13 Hibiya-Tor 14 Wadagura-Tor
Japans,
2 Ninomaru Soto-Sakurada-Tor 11 Tayasu-Tor
E. Die Shögunatshauptstadt
Edo
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Stätte für die Verehrung des SADAZUMI-SHINNÖ ( 8 7 4 - 9 1 6 ) zu haben, des Sohnes des SEIWA TENNO, von dem die Familien Minamoto, Ashikaga und Tokugawa abstammen (s. 100 Gesetze Nr. 26). HIDETADA hat den Schrein verschönert. IEMITSU hat ihn jedoch von dieser Stelle weggenommen, weil er den Momijiyama für den angemessenen Platz für einen großen Schrein zu Ehren des Großvaters IEYASU hielt. Der kleine Sannö Jinja ist wahrscheinlich die Keimzelle des 1654 im Westen des engeren Schloßbezirks errichteten Sanno-Schreins geworden, der offiziell Hie Jinja, volkstümlich Sannö-sama heißt. Die Tokugawa haben sich durch ihn von den Shintögottheiten geschützt gefühlt wie durch den Zöjoji von den buddhistischen. Über einen schmalen Wassergraben hinweg setzte sich der westliche Burghof in dem westwärts leicht einhängenden Fukiage-Park fort, der am zweiten großen Wassergraben endet. Dieser Wassergraben wirkt wie ein westwärts ausgeworfener Bügel, der den westlichen wie auch den nördlichen Burghof in den BurgbergKomplex einbezieht. Dieser Wassergraben biegt an seinem südöstlichen Ende, wo sich das Soto-Sakurada- Tor befand, nach Norden um und folgt der Terrassenkante bis er auf das Uchi-Sakurada- Tor, das Südende des innersten Wallgrabenringes, trifft. Wäre es bei den 5 von diesen Wallgräben umfaßten Burghöfen geblieben, dann hätte sich die Anlage als Bergburg bzw. Bergschloß dargestellt. Aber die Eckpunkte von Uchi-Sakurada und Soto Sakurada forderten zur Ausweitung in das Gebiet der Shita-machi heraus. Das vorgetriebene Wassergrabenviereck hatte an seiner Ostseite einen ohne jeden Knick verlaufenden Grenzwallgraben, der mit den Torbrücken Hibiya, Babasaki und Wadagura versehen war. Der heute von der Uchibori-döri durchzogene, für den Verkehr unter dem Namen Kökyö Gaien (Kaiserlicher Außenpark) geöffnete Raum hat eine Fläche von etwa 35 ha. Das Viereck des kaiserlichen Außenparks könnte man als den sechsten Burghof bezeichnen, umgrenzt vom dritten Wallgraben, auch wenn dieser nur für die Ostseite der Burg als solcher gezählt werden kann. Diese Unterscheidung erweist sich als zweckmäßig, da es noch weiter östlich einen vierten Graben und schließlich noch ein fünftes Gewässersystem gab. Vom Hibiya-Wadagura Graben aus wurde der äußere Burgbezirk bis an eine Linie vorgeschoben, die sich heute als Sotoboridöri, d. h. Außenwallgraben-Allee, zu einer der Hauptverkehrsstraßen der Shitamachi entwickelt hat und das Gelände umfaßt, zu dem gegenwärtig Ötemachi, Marunouchi (einschließlich Hauptbahnhof) und Yürakucho gehören. Es hatte mit der Küstenfront, insbesondere dem Tökaidö, der Nihonbashi und mit dem Öshükaidö Verbindung durch die Brückentore (von S nach N) Sukiyabashi, Kaji-, Gofuku-, Tokiwa-, Kanda- und Hitotsubashi und wurde ostwestlich von der Nihonbashi aus vom Dosanbori (s. o.) durchquert. Die 4 Hauptwallgräben einschließlich ihrer Verzweigungen waren mit insgesamt 32 Toren (gelegentlich spricht man von 34) ausgestattet (56, 120f.). Diese Vielzahl wurde dadurch erforderlich, daß sich der Wallgrabenbau nicht des Gedankens konzentrischer Kreise bediente, sondern der Elemente von Spiralen- und Bügelbildung, so daß das gesamte System, in dem jeder Burghof für sich von Wassergräben umgeben und damit selbständig zu verteidigen war, unübersichtlich erschien und den Angreifer verwirren mußte, dies um so mehr, als die Lage der Tore die Zugänge zum Bergkern immer wieder zu Richtungsänderungen nötigte, was den Eindring-
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft
zur
Tokugawa-Zeit
ling wiederholt in die Gefahr bringen sollte, aus der Flanke heraus beschossen zu werden. Die erstaunlich ausgeklügelte Burganlage ist weder als Verteidigungswerk noch als Basis für einen Angriff jemals in Funktion getreten. Ein Angriff von außen war infolge der streng gehüteten Abschließung des Landes erschwert, ein Angriff durch innenpolitische Gegner war infolge der Schwächung des Regionalismus, sofern die Shögune die von IEYASU vertretenen Machtmittel anwendeten oder gar ausbauten, ganz unmöglich. Die Burg Edo erfüllte ihre Funktion in der Abschreckung. Die bereits erwähnte fünfte Wasserwehr umringte Burg und Stadt. Auf ihrer Ostseite bestand sie aus dem Sumidagawa und dem Meer. Für die übrigen drei Seiten wurde das Wasser des Kanda-Flußsystems genutzt. Der relativ wasserreiche Kandagawa entspringt wie seine Nebengewässer (Zempukujigawa, Myöshöjigawa) nur 12 km westlich der Burg auf der Musashino-Terrasse und trifft unfern vom Korakuen, einem 1626 geschaffenen Landschaftsgarten, auf den Bereich nördlich der Burganlage. Hier wurde sein Lauf zum Burggraben ausgebaut, dabei in Ostrichtung gebracht, wobei die besonders tiefen Geländeeinschnitte am Kandayama (s. o.) erforderlich wurden; er wurde bis zur Mündung in den Sumidigawa für kleinere Boote schiffbar gemacht. Der Abstand der Wasserschutzanlagen zum Burgkern erweitert sich auf der Strecke vom Ushigome-Brückentor im N bis zum Sujikae-Tor von 8 0 0 auf 1250 m. Von Ushigome aus wurde der Graben in etwa gleichen Abständen vom Burgkern nach S in Richtung auf Yotsuya und Akasaka bis zum Taranomon verlängert, um schließlich von Sawaibashi mit einer Wendung nach SO das Meer an der Außenmündung des Sumidagawa zu erreichen. Dieser mehr als 10 km lange Halbkreis des äußersten oder fünften Burggrabens erhöhte die Zahl der bewachten Tore auf 48. Auf weite Strecken bis heute erhalten, umgreift dieser Graben noch heute das politische und wirtschaftliche Herz Japans.
Der Kandagawa ergänzte zugleich den für die gesamte Bevölkerung Edos anfallenden Wasserbedarf, dessen Deckung von Anfang an eine der wichtigsten Aufgaben war. Der Tame-ike am Zojöji, nur 800 m südwestlich der Burg, war der anfängliche Wasserlieferant; an diesem Stauteich erfuhr man erstmals, welche Gefahren die Umweltverschmutzung mit sich bringt; für die Wasserversorgung schied er schon vor 1650 aus. Es war gelungen, einen Wasserversorgungskanal vom Tamagawa abzuleiten, den Tama Yösui, eine kulturlandschaftliche Leistung, die bis ins 20. Jh. von Bedeutung blieb. Der Kanal zapft das Ostufer des Tamagawa bei Hamura an, durchläuft Kokubunji, Koganei, Mitaka und erreicht, heute nicht mehr sichtbar, die Küste. Der Abschnitt durch Koganei wurde auf Anweisung des Shöguns Y O S H I M U N E 1735 mit 10000 Kirschbäumen aus Yoshino bepflanzt und wurde zu einem Ziel der Touristik (vgl. Bd. 1, S. 412); wenn auch heute nicht mehr von gleicher Schönheit, wird der Besuch des Koganei-Parks noch immer empfohlen (35). Der Tama Yösui versorgte zunächst die Südhälfte der Stadt mit Wasser, wurde aber bald verzweigt, um auch die westlichen und nördlichen Bezirke zu beliefern. 2. Die Stadt Das Grabensystem der Burg und die Frage der Trinkwasserversorsung bestimmten die Infrastrukturentwicklung der Stadt. Was in den ersten Jahrzehnten in der Shitamachi außerhalb des vierten Wallgrabens wild gewachsen sein konnte, da sich immer mehr gewerbe- und handeltreibende Bevölkerung, aber auch Glücksuchende, Possenreißer, Bettler und Prostituierte in die zu eng werdenden Straßen drängten, wurde durch die Brandkatastrophe vom Jahre 1657 (Meireki 3) mit einem Male hinweggefegt (58, 67ff.).
E. Die Shögunatshauptstadt
Edo
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Das ermöglichte dem Stadtplaner MATSUDAIRA NOBUTSUNA ( f 1 6 6 2 ) 1 0 , die Erfahrungen aus der Katastrophe nutzend, einen zweckentsprechenden Wiederaufbau, wobei in erster Linie berücksichtigt wurde, daß die Gefahrenseite im NW liegt, von woher die katastrophal wirkenden Brände, die vornehmlich im Winter auftraten, vom NW-Monsun von Straße zu Straße geblasen wurden. Die Gegenmaßnahmen waren: a) Sicherung der Burghöfe nach der NW-Seite durch Auflockerung der Bebauung (die Burghöfe 1 und 2 sowie der Burgfried waren niedergebrannt, der Shögun residierte im westlichen Burghof); b) Verlegung von Tempeln und Shintöschreinen nach Möglichkeit nach den Stadträndern; c) Auflockerung der Bebauung in den Geschäftsvierteln, dafür Ausweitung der Geschäftsstraßen nach N und S; d) Weitere Gewinnung von Bauland durch Aufschüttung von sumpfigem Gelände und Küstensäumen. Die Flächen des Hama Goten (Hama-Sommerpalast) und Teile des Shimbashi-Gebietes, besonders aber von Tsukiji, waren 1644 noch von Wasser bedeckt und wurden nun zu Bauland aufgeschüttet. Tsukiji bedeutet geradezu „dem Meere abgewonnenes Land". e) Freigabe der Ostseite des Sumidagawa für die Bebauung und Errichtung der Ryögoku-Brücke über den Fluß. f) Verbreiterung der Ost-West-Straßen im Sinne von Schneisen gegen das von N und NW anbrandende Feuer (man nannte diese Straßen Hiro-Köji = Breite Straßen); g) Aufbau einer Brigade zur wirksamen Feuerbekämpfung. Diese Neuordnung hat im Grundsätzlichen die folgenden 200 Jahre überdauert; sie bildet deshalb die Grundlage für die nachstehende Betrachtung der Bevölkerungsverteilung innerhalb der Stadt (vgl. Abb. 13). Nach der Funktion, die von den Bewohnern im Stadtbereich ausgeübt wurde, gliederten sich drei Wohngebietstypen aus: 1. Die Bezirke der Regierungsbeamten, Daimyö, Hatamoto 11 , Samurai und Fußknechte (ashigaru); 2. Bezirke der Kultstätten; 3. Bezirke der Chönin, ihrer Wohnsitze, Werkstätten und Geschäfte. Die 260 Daimyö, die aufgrund des Sankin-Kötai-Systems eine Residenz in Edo zu unterhalten hatten, durften ihr Yashiki 12 je höher im Rang desto näher dem Shögun anlegen: die großen Daimyö im O zwischen dem zweiten und dritten Wallgraben (im Gebiet des kaiserlichen Außenparks), die „kleineren" Daimyö zwi10 Er hatte 1633 von Iemitsu die Burg Öshi als Lehen erhalten, bekam 1635 nach erfolgreicher Bekämpfung des Shimabara-Aufstandes Kawagoe. 11 Die H. oder Bannerleute - sie werden für das Jahr 1722 mit 5205 angegeben (104, 14) — bildeten die Leibgarde des Shögun; im Rang standen sie unter den „kleinen" Daimyö und hatten Einkünfte bzw. Lehen von weniger als 1 0 0 0 0 Koku Reis, die niederen Ränge erhielten weniger als 1000, absinkend bis auf 100; als Gokenin oder Hausvasall wurde man mit weniger als 100 Koku bedacht. Diese unterste Stufe der Samurai war im Gegensatz zu den Hatamoto auch nicht hoffähig; übergeordnet waren sie lediglich den Fußknechten und Polizeikräften. 12 Herrschaftliches, mit Park versehenes Wohngrundstück.
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3. Kapitel:
Mensch
und Landschaft
zur
Tokugawa-Zeit
Yoshiwara
UENO
Kaneiji / a / •Tòshògù \ Koishikawa •Hig.Hongaiiji. .örakue1
yògakubashi Yotsuya,
anno Akasaka
|||||||
Burg - Bezirk
'.'•'• Y a s h i k i d e r D a i m y ö ^ ^ ^ ^
U n t e r s t a d t : Bezirke der H a n d w e r k e r und Händler
Kultstätten - Bezirke —
—
Reichsstraße V e r m u t l i c h e K ü s t e n l i n i e um 1 6 0 0
Abb. 13 Die funktionale Gliederung der Burgstadt Edo zu Ende der Tokugawa-Zeit (1854—1868). Entwurf auf der Grundlage der Karte 42 des Standard-Atlas zur Geschichte Japans, 1970
sehen dem dritten und vierten Wallgraben sowie im S und W vor den Toren Hibiya- und Sawaibashi bis zum Toranomon, so daß sie noch auf der Innenseite des fünften Grabensystems verblieben. Den Tokugawa-Daimyö von Mito, Kii und Owari wurden für ihre schloßartigen Yashiki größere Flächen, die 32, 43 und 25 ha umfaßten, in selbständiger Lage außerhalb der Zonierung zugestanden. Den Hatamoto wurden, damit sie ihren täglichen Dienst pünktlich nachkommen konnten, Wohnplätze, z. T. Gruppen-Residenzen (kumi-yashiki), an der Nord-
E. Die Shögunatshauptstadt
Edo
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seite der Burg zugewiesen, wo sich auch Verwandtschaft der Daimyö ansiedeln durfte. Die Samurai niederen Ranges fanden Unterkunft jenseits des fünften Wassersystems nach S in Richtung auf den Zöjöji oder auch im O auf dem Neuland in Küstennähe jenseits des Geschäftsviertels. Die Residenzen der verschiedenen Rangstufen nahmen insgesamt 60% des Stadtgebietes ein, nur 40% entfielen auf die Kultstätten und die von den Chönin bewohnten Viertel (58, 75). Der Gesichtspunkt der Kultstättenverlegung war, wie es scheint, nur ein stadtplanerisches Prinzip für die Neugründung von Tempeln und Schreinen; denn es gab 1657 kein Beispiel von Bedeutung, an dem der Standortwechsel hätte praktiziert werden können. Die junge Stadt war im Gegensatz zu Kyoto arm an größeren Tempeln und Schreinen, und in der Innenstadt, die von der Zonierung der SamuraiResidenzen und von der südnördlich verlaufenden Geschäftsstraße beherrscht war, hatte ein Tempelgrundstück nicht ausgewiesen werden können. Den Sannö-Schrein aus der Stadtmitte zu rücken, konnte man nicht wagen, weil man in ihm die Schutzgottheit Edos verehrte. Der Zojöji war vorgefunden, lag an sich schon abseits, und war zum Ahnentempel der Tokugawa erhoben worden, als welcher er kaum einen Platzwechsel vertrug. Was an bedeutenden Kultstätten vorhanden war, hatte den damaligen Stadtrand bereits von sich aus gesucht; es waren vor allen anderen drei Tempel, die in Nachahmung oder vielleicht auch aus Anpassungszwang zu Kyoto schon in den ersten Baujahren errichtet worden waren: Der von IEMITSU 1 6 2 5 in Ueno als Gegenstück zum Hieizan-Tempelbezirk gegründete Tö-ei-zan (OstHieizan), dem man den Hauptnamen Kanei-ji gab (das Nengo der Errichtung), der 1630 erbaute Tsukiji Honganji als Zweig des Nishi Honganji in Kyoto und der Asakusa Honganji ( 1 6 5 7 ) als Zweig des Higashi Honganji in Kyoto mit der Asakusa Kannon-dö vom Jahre 1651. Zum Kanei-ji tritt noch der Shinto-Schrein Töshögu von 1627. Die genannten Kultstätten, ausnahmslos von Grünflächen gegen das Umland abgeschirmt, sind vom Burgfuß 2 , 5 — 4 , 5 km entfernt. Von den Asakusa- und Ueno-Tempeln aus hätte sich, wie in vielen Burgstädten, eine Teramachi bzw. eine Tempelstraße oder Tempelregion größeren Ausmaßes entwickeln können. Der Nährboden für ein Aufblühen der Religionen stand in einer als politisches und wirtschaftliches Zentrum konzipierten Stadt nicht bereit, und so unabdingbar die Tokugawa den Shintöismus wie Buddhismus hielten, so zeigten sie sich nicht von gleicher religiöser Ergriffenheit, wie YORITOMO sie in der Gestaltung von Kamakura zum Ausdruck gebracht hatte. TSUNAYOSHI setzte 1 6 9 0 mitten in die Stadt ein Zentrum für den vom Shögunat bevorzugten Konfuzianismus, die „Gesegnete Halle von Yushima", die Yushima Seidö. Sie steht gegenüber dem Surugadai auf dem linken Ufer des Kandagawa. Ähnliche Sinngebung haben der benachbarte, dem SUGAWARA MICHIZANE geweihte Yushima Tenjin (der schon von ÖTA DÖKAN restauriert worden sein soll) und der 1 6 6 2 am NO-Rand der Stadt gegründete Kameidö Tenjin, dem noch B. H. Chamberlain 1884 eine ausführliche Beschreibung widmete (63). An der Ostseite des 4. Wallgrabens begann die sich bis zum Meere ausbreitende Handels- und Gewerbestadt, deren Hauptader der von SW nach NO verlaufende Straßenzug des Tökaidö und Öshükaidö darstellt und der seine Mitte auf der Nihonbashi hat, die zugleich als Kreuz von Land- und Wasserverkehr fungierte; denn bis hierher wurden die Fische zu Markte gebracht, bevor in Tsukiji ein küsten-
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft
zur
Tokugawa-Zeit
naher Fischmarkt eingerichtet war. Nachdem der Sumidagawa ausreichend mit Brücken versehen und die Bezirke Honjo, Fukagawa, Muköjima, Kameidö erschlossen worden waren, erwuchs der Hauptverkehrsachse eine konkurrierende Abzweigung nach Osten, die heute als Edodöri den Strom entlang bis nach Asakusa und darüber hinaus führt. Die Bürger, die auf der Ostseite des Sumida siedelten, nahmen den Nachteil auf sich, daß das Gelände nur wenig über der NullMeter-Linie lag. Diese Stadtteile mußten wiederholt infolge von Überschwemmungen geräumt werden, wie 1680, 1704, 1728, 1748, 1786, 1846. Die SumidaMündung erhielt nunmehr noch größere Bedeutung: rückte sie doch zunehmend in die Mitte der Handelsstadt! Die Landaufschüttungen von Tsukiji bis Shiba hatten den Küstenraum südlich des Dosanbori zu einer kanaldurchäderten, amphibischen Landschaft gemacht, deren Bootsverkehr schon allein die Strommündung belebte; dies wurde nun verstärkt durch die Zuflüsse der von Booten befahrenen Entwässerungskanäle auf der Ostseite des Stromes. Die Ausweitung des städtisch bebauten Gebietes lockerte die Wohndichte in den zentralen Straßen allerdings nur vorübergehend auf. Die Zuwanderung von Bevölkerung war zu stark. Edo zählte im Jahre 1700 eine Mio. Einwohner; man schätzt, daß es um 1850 etwa 2 Mio. waren. Nach ihrer Funktion hoben sich innerhalb der Stadt drei Bezirkstypen unterschiedlichen Zentralitätscharakters voneinander ab: 1. Großhandels- und Geschäftsviertel für höhere Ansprüche; 2. Stadtteilzentrale Geschäftsviertel mit vorwiegendem Kleinhandel; 3. Vergnügungsviertel mit Kleinhandel. Typ 1 beherrschte den Straßenzug Tokaidö-Öshü-Kaidö sowie die Abzweigung nach dem Sumidagawa. Hierzu gehörte das Mitsui-Haus Surugachö an der Nihonbashi 13 , so genannt, weil man von ihm aus den Fujisan fast ebenso sah wie von Suruga aus. Kennzeichnend für den Typ 1 waren die Warenlager, die Viehhöfe, der bis zur Nihonbashi vordringende Bootsverkehr und der Fischmarkt. Für Typ 2 waren neben den Kleinhandelsgeschäften die Ryökan charakteristisch, Kombinationen aus Hotel und Gasthaus. Derartige Nebenzentren durchsetzten die breite Shitamachi, entwickelten sich aber auch an den Stadträndern überall dort, wo eine der Fernstraßen einmündete, also am Koshü Kaidö, Nakasendö, Itsukaichi Kaidö auf der MusashinoTerrasse ebenso wie am Öshü Kaidö und Öyama Kaidö in der Shitamachi. Hier fingen die Ryökan den müden Reisenden auf, hier siedelten sich Kleinhandelsgeschäfte an, um die Ankommenden mit neuen Sandalen, Kleidungsstücken und sonstigem Bedarf auszustatten, und hier befanden sich — es handelte sich ja um den Stadtrand - auch Shintö-Schreine und buddhistische Tempel, die zum Verweilen einluden und an deren Zuwegen Andenken zu kaufen waren. Auch das Vergnügungsgewerbe nistete sich ein; es war besonders am Tökaidö entwickelt. Die Vergnügungsviertel bildeten sich in Anlehnung an die von vielen Menschen aller Gesellschaftsklassen besuchten Großtempel aus. Hervorzuheben sind die Bezirke rings um den Zöjöji, Kanei-ji (Ueno) und Asakusa. B. H. CHAMBERLAIN ( 6 3 ) sah in Asakusa „den malerischsten, von stärkster Lebenslust erfüllten Platz mit Theaterschmieren, Bumslokalen, Affenvorführungen, Straßenartisten, Zauberkünstlern, Ringkämpfern, Verkaufsständen für Keramikfiguren, Ningyö, Spiel13 Eine anschauliche Beschreibung des wahrscheinlich ersten „department store" befindet sich in J. G. ROBERTS: Mitsui (79).
E. Die Shögunatshauptstadt
Edo
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zeug und Lutschbonbons, und dies alles inmitten einer fast erregten, erlebnisdurstigen Menschenmasse." Nicht fern vom Nordrand dieses Vergnügungsparkes traf man auf das nach dem Meireki-Feuer 1657 von Nihonbashi nach Asakusa verlegte Yoshiwara, das seinen Namen, so heißt es, nach einer Gruppe von jungen Frauen bekam, die sich von Yoshiwara, am Tökaidö in Suruga gelegen, nach Edo begaben, um dort dem alten Gewerbe nachzugehen (10, 524f.). Dieses Freudenviertel hat bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges bestanden und hat Edo wie Tokyo vor viel Ärger auf den Straßen bewahrt 14 . Zwischen den Bezirken von Zentralitätscharakter breiteten sich die übrigen Stadtteile mit gitterförmigem Straßenmuster aus, wobei sich jeweils Handwerker gleicher Tätigkeit zusammenfanden, so daß man von tansu-machi (Schrankmachervierteln), yumi-chö (Bogenmachervierteln), daiku-chö (Zimmermannsvierteln) u. a. sprechen konnte. Die Straßen zwischen den Häuserblöcken waren nicht befestigt; die Abwässer wurden in offene Gräben geleitet. Im übrigen sorgte die Polizei für Ordnung und Sicherheit in den Quartieren. Es wurden für jeden Wohnblock Wachboxen in Form von Schilderhäusern errichtet, die Jishinban. Außerdem gehörte zu jedem Wohnblock ein Tor, das nur von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang geöffnet war (s. Fünferschaft). Die Verwaltung der Stadt geschah in der Verantwortung der Zentralregierung; sie ernannte einen MachiBugyö, einen Stadtverwalter, der gleichzeitig Befehlshaber der Polizei war (58, 118ff.).
IV. Das Sankin-Kötai-System als Faktor für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung Edos Das Sankin Kötai war ein intensiv durchdachtes System der Geiselnahme zum Zwecke der Aufrechterhaltung und Stärkung der von IEYASU begründeten erblichen Militärregierung bei gleichzeitig beständiger Schwächung der potentiell rivalisierenden Kräfte. Es war gegen die Daimyö gerichtet und war die Schmiede für die Verwirklichung des einheitlichen Reichs. Die grundlegenden Fakten waren sehr einfach, in ihren Auswirkungen aber durchgreifend. Unter Sankin Kötai verstand man die in zeitlichen Abständen immer wieder zu leistende Aufwartung der Daimyö am Hofe des Shögun (104). Die schon unter IEYASU geübte und bald selbstverständlich gewordene Residenzpflicht wurde 1634 durch TOKUGAWA IEMITSU kodifiziert und bedeutete: a) Jeder Daimyö errichtet neben seiner heimatlichen Residenz eine zweite in Edo, die zugleich Dauersitz für Frau und Kinder ist. b) Jeder Daimyö verbringt jedes zweite Jahr in Edo und kommt dort den Verpflichtungen gegenüber dem Shögun nach. Bei Rückkehr von Edo in sein Fürstentum (hart) läßt er Frau und Kinder als Geiseln zurück. c) An- und Abreise erfolgen nach Plan, wobei ein Weg über Kyoto ausgeschlossen war (Verbot der Kontaktaufnahme mit dem Tennöhof).
14 Das entsprechende Viertel in Kyoto hieß Shimabara, in Ösaka Shimmachi.
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3. Kapitel:
Mensch und Landschaft
zur
Tokugawa-Zeit
1. Die Auswirkungen der Sankin Kötai auf Edo a) Die Ausweitung des Stadtgebietes Von der Anlage der Daimyö-Yashiki war bereits die Rede. Hierzu muß ergänzt werden, daß der Grundstücksbedarf über den des Yashiki weit hinausging. Fast jeder Daimyö unterhielt vier weitere Gebäude, die im allgemeinen nicht das Gebiet der inneren Wallgräben in Anspruch nehmen konnten. Es waren das ShimoYashiki oder Ausweichquartier, das benutzt wurde, wenn das Haupt-Yashiki (Kami-Yashiki) durch Feuer oder Erdbeben Schaden erlitten hatte; das KuraYashiki oder Warenlager für die aus dem Han angelieferten Vorräte und Gegenstände; das Kakae-Yashiki oder Sommer- und Vergnügungshaus und schließlich das Naka-Yashiki der Familienangehörigen. Das Shimo-Yashiki wurde an den Stadtrand, nach Möglichkeit in noch völlig unbebautes Areal gelegt. Ähnliches galt für die Sommerresidenzen, wenn man für sie nicht einen Platz an der Küste vorzog. Die Yashiki für die Familienangehörigen zwängten sich zwischen die Bebauungen im Wallgrabenbereich, wo immer sich ein Platz dafür anbot. Das Warenlager befand sich meist in der Shitamachi an einem der Kanäle, so daß der Antransport von Gütern auch durch Boote möglich war; die Häuser waren, wie jede Kura, möglichst aus feuerfestem Material erbaut. Insgesamt verstärkten die Nebensitze der Daimyo die sternförmige Ausweitung des Weichbilds der Stadt. 2. Das Anwachsen der ständigen und nichtständigen Einwohner der Stadt a) Die Samurai und ihre Familien Wenn auch die 260 Daimyö mit ihren Familien eine nur kleine Gruppe darstellten, so scheint diese doch durch eine große Zahl von Begleitpersonen erweitert gewesen zu sein. Die verschiedenen Yashiki, die ein jeder besaß, waren von Haushalten bewohnt. TSUKAHIRA zitiert einen Gelehrten, der 1 8 0 7 schrieb, diese Yashiki seien von männlichem und weiblichem Personal gefüllt, das ein unbekümmertes und nutzloses Leben betreibe. Diese Personen seien zahlenmäßig ein Fünftel von denen, die in der heimatlichen Burg benötigt werden, aber ihr Verbrauch an Geld und Reis betrage sieben Zehntel der Gesamtausgaben des Han (104, 97). Die Menge der Begleitpersonen, die der Daimyö auf der Reise nach Edo mit sich führte, war bald zu einer Prestigefrage geworden, so daß das Bakufu Richtlinien aufstellen mußte, schon allein, um nicht die Gasthäuser entlang der Fernstraßen, insbesondere des Tökaidö und Öshü-kaidö, zu überfordern. Wenn auch die von E. KÄMPFER genannte Schätzung, ein großer Daimyö würde auf seiner Reise nach Edo von etwa 2 0 0 0 0 Personen begleitet ( 3 7 , 1 7 8 ) , zu hoch gegriffen sein mag, so läßt sich aus der von ihm gegebenen Schilderung des auf Schaustellung ausgestatteten Daimyözuges, zu dem nicht nur Samurai zu Pferd und zu Fuß gehörten, sondern auch „ein Schwärm von Gefolge für die höheren Beamten und Edelleute (37, 178), die Anzahl der Personen mit einiger Bestimmtheit auf 4000—5000 ansetzen. Da jeweils die Hälfte aller Daimyo in Edo anwesend war, darunter auch „kleinere", würde sich bei Annahme von 2 0 0 0 Personen je Daimyö eine nach Edo jeweils ein- und ausflutende Menschenmenge von 2 6 0 0 0 0 errechnen - die Einwohnerzahl hätte sich zu jedem Termin also um eine Viertelmillion aufgestockt.
E. Die Shögunatshauptstadt
Edo
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Die 1723 durchgeführte Zählung der Samurai-Bevölkerung, also auch der ständigen, erbrachte 5205 Hatamoto und 17399 Samurai unteren Ranges (weniger als 100 Koku), mit Familie sind das nach japanischen Quellen rd. 300000 Menschen (58, 136). Nicht berücksichtigt ist hierbei das Dienstpersonal, durch das die Samuraibevölkerung wahrscheinlich um 50000—100000 erhöht wurde. b) Die Chönin MITSUI SOKUBEI ( F 1633), Sohn eines hohen Samurai in Echigo, hatte als einer der ersten erkannt, daß mit der Errichtung der Tokugawa-Regierung die Zeit, in der ein Samurai noch eine Funktion haben könnte, vorüber sei. Überdies war er im Verlauf der Machtkämpfe ein Rönin, ein Herrenloser, geworden. Es ist überliefert (79, 12), daß er 1616 vor den Familienschrein trat und erklärte, die sinnentleerten Privilegien eines Samurai zu opfern und sich der materiellen Wohlfahrt der Familie hinzugeben. „Die Zeit, in der man vom Schwert leben konnte, ist vorüber. Ich werde Sake und Shoyu brauen. Auch Profit bringende Tätigkeit kann ehrenhaft sein." Von seiner Wahlheimat Matsusaka aus sah er bald, daß Edo zum blühendsten Markt Japans heranwuchs, daß die Edo-Menschen, die Edokko, einen Hang zum Verschwenderischen zeigten und daß Samurai, die auf sich hielten, gleichsam eine „Hotel-Existenz" lebten; denn sie mußten ihre täglichen Verbrauchsgüter selbst besorgen und waren immer darauf bedacht, über genügend Geld zu verfügen. Zwei Mitsui-Söhne wurden nach Edo mit dem Erfolg in die Lehre geschickt, daß der ältere ein Stoffgeschäft in Kyoto eröffnen konnte, der jüngere, HACHIROBEI, zum Begründer des Geschäfts Echigoya wurde, aus dem die spätere Welthandelsfirma Mitsui hervorging. Wie die Mitsui, so versuchten auch andere Samurai den Absprung in die Wirtschaft. Auf Sumitomo und Suminokura sei an dieser Stelle nur erst hingewiesen. Es war selbstverständlich, daß sich auch die Kaufleute aus dem Kansai angelockt fühlten; auch die Schmiede, Zimmerleute, Tischler, Bogenmacher waren entweder aus Suruga dem Shögun gefolgt oder aus dem Kansai zugelaufen, ähnlich auch die Töpfer, Weber, Pinsel- und Bürstenmacher bis hin zu den Lackarbeitern. Selbst den Fischern des Kansai erschien der Absatzmarkt Edo so verheißungsvoll, daß sich viele von ihnen an den Küsten vor der Stadt niederließen (58, 39). Hinzu kam ein Strom von Priestern und Pilgern, aber auch von Wahrsagern, Geschichtenerzählern, Schauspielern, Bademädchen, Straßenhändlern, Prostituierten und Bettlern. Das für Japan und die Welt damals einmalige Zusammendrängen von 1—2 Mio. Menschen weitete das Stadtgebiet nicht nur auf 20 km aus, sondern bedingte auch eine außerordentliche Wohndichte. Wiederholt versuchte man durch entsprechende Erlasse das Einströmen der Landbevölkerung zu verhindern; es blieb wirkungslos. Schließlich verkündete man 1843 das hitogaeshi, ein strenges Zuwanderungsverbot, das selbst jene, die sich bereits in Edo aufhielten, in ihre Dörfer zurückverwies.
V. E d o als Hafenstadt Verstärkt wurde der Zuzug von Bevölkerung durch die Entwicklung des Hafens. Es war das erste Mal in japanischer Geschichte, daß die Reichszentrale zugleich Hafenstadt war. Es war auch das erste Mal, daß der Seetransport in Konkurrenz
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
zum Landtransport trat. Im Jahre 1658 ging eine Klage von Shimada (Öigawa), der 24. Station am Tokaido ein, in der es hieß: Früher erfolgte alle Warenlieferung nach Edo auf dem Tokaido, seit kurzer Zeit geschieht das von Kuwana oder Ösaka aus durch Schiff. Falls dies nicht rückgängig gemacht wird, werden die Poststationen nicht in der Lage sein, im Geschäft zu bleiben (95). Vom 15. Jh. bis zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte die Schiffahrt einige Fortschritte gemacht. 15 Die Landabschließung (sakoku) bedeutete aber Drosselung des von HIDEYOSHI geförderten Außenhandels. Dies erhielt Nachdruck durch das von IEYASU erlassene Verbot, Schiffe mit einer größeren Tragfähigkeit als 500 Koku bzw. 90 t zu bauen; seit 1638 bedurfte sogar die Fertigung von 100-Koku-Booten einer Genehmigung. Das bedeutete allerdings nicht, daß IEYASU blind gegenüber der Notwendigkeit auch großer Schiffahrt gewesen wäre. Gerade die Wahl Edos zur Hauptstadt an einem Schnittpunkt von Land- und zumindest potentiellem Seeverkehr beweist dies. Die Küstenschiffahrt wurde allein schon zum Zwecke der Reisversorgung gepflegt. Die Daimyö SW-Japans brachten ihren Reis auf dem Schiffsweg durch die Inlandsee zur Sammelstelle Ösaka. Die Fürstentümer NOJapans sahen ihren Absatzmarkt unmittelbar in Edo, wobei man von der Ostseite aus seit 1670 die von KAWAMURA ZUIKEN erprobte Route entlang der Ostküste bis Böshü nutzte, von der Japanmeerseite aus den Reis auf dem Nishimawari-michi (s. Abb. 15) über die Straße von Shimonoseki durch die Inlandsee bis nach Ösaka oder auch bis nach Edo tranportierte. Von Ösaka und Sakai aus bestanden bald regelmäßige Schiffsverbindungen. Sofern die Boote Bakufu-Reis transportierten, zeigten sie eine Flagge mit roter Scheibe auf weißem Grund, die spätere Nationalflagge 16 . Offiziell wurde der Seeverkehr zwischen Ösaka und Edo 1619 mit einer Fracht von 250 Koku (Baumwollwaren, Rapsöl, Sake u. a.) eröffnet. Es entwickelte sich hieraus die Higaki Kaisen17, die später von der Taru Kaisen unterstützt wurde. Der Edo-Hafen für die Seeschiffahrt bestand aus der Sumidamündung. Im 18. Jh. verfügte er über 1500 Boote; eingehende Boote wurden jährlich rd. 21000 gezählt.
2. Abschnitt Geographisch relevante Maßnahmen zur Förderung und Festigung des Zentralismus A. Die Rückwirkungen der Sankin Kötai auf die Daimyate (Han) Die Schwäche der Ashikaga-Shögune hatte das Heranwachsen unabhängiger Territorialfürsten gefördert, für die allgemein die Bezeichnung Daimyö 18 verwendet wurde, wobei sich unter solchem 15 Beteiligt hieran war auch die Seeräuberei, die während der machtlosen Zeit des Ashikaga-Shögunats die Küsten der Inlandsee, Koreas und Chinas beunruhigte, wobei auch kleinere Daimyö mit den Seeräubern (wako) gemeinsame Sache machten. HIDEYOSHI unterband die Seeräuberei; unter ihm gelangte der Außenhandel zu hoher Blüte: Japanische Handelsniederlassungen gab es in Annam, Siam, Korea und auf den Philippinen. 16 Dieses Sonnenemblem war dem Schiff „Nihonmaru" während des koreanischen Feldzuges ( 1 5 9 2 98) von Toyotomi Hideyoshi als ehrendes Abzeichen verliehen worden. Vgl. S. 133. 17 Kaisen: Schiffslinie; handelt sich um die ersten Schiffslinien Japans. 18 Daimyö heißt „großer Name", ist als Wort aber eine Kürzung von daimyöshu, d. h. Besitzer von viel Namensland oder myö-den, das ist auf den Namen eingetragenes, urbar gemachtes Land.
A. Rückwirkungen
der Sankin-Kótai
auf die
Daimyate
161
Namen sehr häufig die Nachfahren der Landverwalter und Provinzkommandeure (s. Shugo-Daimyö S. 100) der Kamakurazeit verbargen. Diese Daimyö verschiedener Vergangenheit und unterschiedlichen Landbesitzes hatten sich in fortwährenden Fehden um die Vergrößerung und Abrundung ihrer Herrschaftsbereiche befunden. Seit dem 15. Jh. wurde es üblich, daß sie eine Schutz gewährende Burg zu ihrer Residenz und zum Mittelpunkt ihres „Han" bzw. ihres Daimyates machten; sie war der Keim für die Entstehung einer Burgstadt oder Jökamachi allein schon dadurch, daß die Burg in Fronarbeit durch zahlreiche Handwerker errichtet wurde und der Burgherr einen Großteil seiner Samurai bei sich hielt.
I. Die Burgstädte (Jökamachi), ihre gewachsene Funktion und ihre Funktionsentleerung Die Wahl für den Burgplatz erfolgte seit dem 14. Jh. aus den Bedürfnissen von Schutz und Verteidigung. Hügellage war bevorzugt, so daß zunächst Burg und Burgsiedlung voneinander getrennt waren. Viele Erstgründungen erwiesen sich als ungeeignet, sofern sie zugleich auch leicht zugänglicher Mittelpunkt des Han sein sollten. Es kam zu Ortsverlegungen. Aber auch in solchen Fällen behielt die Burg ihren Verteidigungscharakter. Blütezeit des Burgenbaus wurde die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. Vollkommen entwickelte Muster für die Burganlage haben ODA NOBUNAGA mit der 1 5 6 7 errichteten Burg Azuchi am Ostufer des Biwasees und TOYOTOMI HIDEYOSHI mit der 1 5 8 3 - 1 5 8 6 erbauten Burg von Osaka gegeben. Edo ist das Non-plus-ultra dessen, was jede der Jökamachi nach ihrer inneren Struktur und zugleich räumlichen Distanzierung vom bäuerlichen Umland darstellte; eine landschaftlich lang gültig gebliebene Objektivation der aus dem Konfuzianismus entlehnten obrigkeitsstaatlichen Gesellschaftsordnung des shi-nö-köshö. Jede Jökamachi war wie Edo gesellschaftlich zoniert. Die oberste Spitze wurde hier nur durch den Daimyö, nicht durch den Shögun gestellt, und wie die Daimyö sich in Edo um den Shögun gruppierten, so sind in der Jökamachi der Provinz die Samurai um den Daimyö geschart. Hier trat die Samurai-machi eng an den Burgkern heran, bewohnt von den Samurai oberen und mittleren Ranges, vereinzelt durchsetzt von unentbehrlichen Großhandelsherren. Mauern und Wallgräben trennten diesen Bereich vom Lebensraum der Handwerker und Kleinhändler, d. h. von der Chönin-machi. Dann folgten die Quartiere der niederen Samurairänge und der Ashigaru oder Fußsoldaten. Den Stadtrand besetzten die Tempel entlang einer Tempelstraße; die buddhistischen Prister überblickten gleichsam den gesamten von sozialer Spannung geladenen Raum bis hin zum Daimyö im Burgkern, überkrönt vom Tenshu-Kaku, einem drei bis sieben Stockwerke hohen Burgturm, wie er in den Jahren 1 5 7 0 — 1 6 1 5 entwickelt wurde und heute als das wesentliche Bauwerk der gesamten Burg erscheint. Tenshu heißt himmlischer Beschützer, kaku ist hohes Gebäude: mit dem Hinweis auf den Himmel ist zum Ausdruck gebracht, daß die stadtlandschaftlich dokumentierte Obrigkeitsgesellschaft kosmisch legitimiert war (Bild 9). Ein Wassergraben oder auch Erddamm umgrenzte schließlich die den Rittergeist konfuzianischer Prägung widerspiegelnde Stadt. Mit einem Graben von der übrigen Landschaft abgesetzt, die noch rein bäuerlich war: Ließ das nicht erkennen, daß man die Bauern (nö), die der Theorie nach den höchsten Rang unter Hieraus leitet sich auch die während des Ashikaga-Shögunats üblich gewordene Klassifizierung nach der Größe des Landbesitzes ab, ausgedrückt im Ernteaufkommen.
162
3. Kapitel: Mensch und Landschaft
o
Bild 9
Die Himeji-Burg.
zur
Tokugawa-Zeit
aNV
Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho,
Tokyo
dem gemeinen Volk einnehmen, in Wirklichkeit doch nur Knechte waren, deren Sinn sich in der Zulieferung des Lebensnotwendigen erschöpfte? Die hier skizzierte Gliederung der Stadt erfuhr mannigfache Abweichungen im einzelnen. In den äußeren Bezirken wohnten zuweilen Samurai und Ashigaru zusammen, sogar im Nebeneinander mit Chönin. Das hing vom Umfang der Burgstadt ab, und dieser richtete sich nach der politischen Stellung und dem Reiseinkommen des Daimyö. Es gab große Jökamachi wie Nagoya, Osaka, Matsumoto, Himeji, Matsuyama; aber auch Nekoya, kleine Jökamachi, wie sie rudimentär so vortrefflich in Rokugö nördlich Yokote erhalten ist. Eine Nekoya war auch die Burgstadt Nagoya an der Küste von Hizen im NW von Karatsu (55). Sie war von TOYOTOMI HIDEYOSHI als Truppenbasis für den Korea-Feldzug 1 5 9 2 - 1 5 9 8 angelegt worden und trug von vornherein nicht die Kennzeichen für einen späteren Ausbau. Die Chönin-machi bestand aus Kaufleuten im Dienste der Truppenversorgung. Diese Funktion war so vorherrschend, daß die Stadt verfallen mußte, als das Kriegsgeschehen vorüber war. Schließlich gab es die noch kleineren, einer Landvilla ähnlichen Gozoku-Yashiki, Anwesen von Samurai in hoher Rangstufe, wenn sie ein Dorf als Lehen erhalten hatten, das sie in Nachahmung einer Schloßanlage gern mit einem Wassergraben oder einen Damm umgaben. In den großen Jökamachi bezog sich sogar die Straßenbreite innerhalb des Stadtgebiets auf den gesellschaftlichen Rang der Anlieger, und die Besteuerung der Häuser richtete sich nach der Länge der
A. Rückwirkungen
der Sankin-Kötai
auf die
Daimyate
163
Straßenfront. Das Grundstück eines Chönin war im Durchschnitt 100—150 m 2 groß, das eines höheren Samurai bis zu 6000 m 2 , eines Ashigaru nur 20 m 2 . Das drückte sich in den großen Unterschieden der Wohndichte aus. Die Führung der Straßen ließ in allen Jökamachi das Bemühen erkennen, dem Fremden die Orientierung zum Burgeingang zu nehmen; gegeneinander versetzte Häuserblöcke sollten Unübersichtlichkeit erzeugen. In Edo, das in der Shitamachi rechtwinklig kreuzende Straßengitter bevorzugte, charakterisierten die Verwirrung erzeugenden Richtungsänderungen nur den inneren Burgbereich. In allen übrigen Elementen stellte der Burgkern Edos aber nichts anderes dar als die Kerne der übrigen Burgen auch: Die Burganlage bestand aus einem System von Höfen (kuruwa), die je nach der Konfiguration des Geländes auf gleicher Ebene oder auf verschiedener Höhenlage angeordnet waren. Nach dem Prinzip konzentrischer Kreise lag der Haupthof (hon-maru) am höchsten, es folgten der zweite (ni-no-maru) und der dritte Hof (san-no-maru) ; bei großen Burganlagen gab es noch zwei oder drei außerhalb liegende Höfe (soto-kuruwa).
Die Burgstädte verloren wie die Samurai schon bald nach Beginn der Tokugawazeit ihre ursprüngliche Funktion. Während des 265jährigen Friedens gab es nichts militärisch zu verteidigen, auch nichts anzugreifen. Die Burgen und ihre Städte repräsentierten nur noch die Größe und das Ansehen des Daimyö und seines Han; ihre ursprünglichen Funktionen waren von zivilen Aufgaben im Dienste des Bakufu überdeckt. Die Daimyö waren zu Vasallen des Shögun degradiert und stellten gleichsam eine oberste Beamtenschaft dar, wie sie es in den Zeiten des Shötoku Taishi gegeben hat. Neue Burgen durften auf Anordnung von IEYASU nur noch mit Genehmigung des Shögunats erbaut werden; sie wurde erteilt, sofern einem Fudai-Daimyö, dem ein neues Lehen gegeben worden war, die Residenz in einer Burg zustand. Diese neuen Burgen waren Schlösser: Sie konnten auf Verteidigungsfunktionen weitgehend verzichten (111), wählten oft auch ebenes Gelände 19 . Alte Burganlagen durften, und dies mit Genehmigung, nur ausgebessert, nicht aber erweitert werden. Im übrigen ist bemerkenswert, daß weder die alten noch die neuen Burgen eine Verbindung mit dem Meere suchten. Kumamoto, Matsuyama, Okayama, Himeji, Kanazawa, Toyama, Matsumoto, Shizuoka (Sumpu), Mito, Sendai, Morioka, AizuWakamatsu und viele andere sind ohne primären Bezug zum Meer; nur 25% der Jökamachi haben eine Küstenfront. Das ist eine Erscheinung, die an die Kokufu erinnert. Die Standortwahl fiel schon im 16. Jh. mit Vorliebe auf einen Platz mit günstiger Verkehrslage zu einer der Fernstraßen. Mit Sorge verfolgte das Shögunat, daß einige Jökamachi dank solcher Lage wirtschaftlich wuchsen. Eine Vermehrung des Reichtums insbesondere der schwer kontrollierbaren Tozama-Daimyö in Chügoku, Shikoku und Kyüshü mußte aber verhindert werden; denn viele Provinzfürsten waren für den zentralistisch geführten Staat die potentiellen Quellen für die Wiederbelebung feudalistischer Sonderinteressen. II. Maßnahmen zur Schwächung der Daimyate und die Rückwirkungen auf die Jökamachi Grundlage der Macht war die Verfügungsgewalt über den Boden, der im Sinne des Konfuzianismus das wertvollste Mittel der Produktion darstellte. Vom Shögun wurde er als Lehen an die Vasallen vergeben, zu denen auch die Daimyö gehörten, was sie jedem neuen Shögun durch Unterzeichnung des schriftlich festgelegten 19 YAMORI nennt Sabae, gegr. 1720, als typisch hierfür.
164
3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
Schwurs immer wieder zu bestätigen hatten. Etwa 74% des Reiches waren Lehen in der Hand von Feudalfürsten, die innerhalb ihres Territoriums grundsätzlich autonom regieren durften, aber unter Beobachtung eines Kontrolleurs, des Metsuke (82, 436). Die Maßnahmen, mit Hilfe deren eine Stärkung zentrifugaler Kräfte verhindert wurde, lassen sich in drei Gruppen gliedern: 1. Überbeanspruchung der fürstlichen Finanzkraft durch die Residenzpflicht (Sankin Kötai); 2. Leistung von speziellen Vasallendiensten; 3. Geordnete Verwaltung und Entwicklung des Fürstentums trotz unvermeidlicher Verschuldung. 1. Überbeanspruchung
der fürstlichen Finanzkraft durch die
Residenzpflicht
Von den Aufwendungen für die Zweitregierung in Edo wurde bereits gesprochen. OGYÜ SORAI ( 1 6 6 6 - 1 7 2 8 ) weist darauf hin, daß ein Daimyö, selbst wenn er sich nicht von dem verschwenderischen Leben in Edo verlocken ließ, weit höhere Ausgaben hatte als er vor seinem Han verantworten konnte. Er unterlag immerfort Verpflichtungen, die er seinem Rang schuldig war, dem Kaku. Kaku beinhaltet das Minimum der für jeden Daimyö-Rang erforderlichen Großzügigkeit und schließt kleinlich-ökonomische Denkhaltung aus. Kaku bestimmte die Verhaltensweisen im gesellschaftlichen wie im privaten Leben, bezog sich auf Kleidung, Speise und Wohnung, auf den Umgang mit Gefolgsleuten und Dienern, auf das Zeremoniell der Ehefrau, auf die Ausstattung von Hochzeiten, Begräbnissen, auf die Aufmachung der Reisegesellschaft, wenn der Daimyö in sein Fürtentum zurückkehrte oder wieder nach Edo aufbrach. Der Daimyö lebte in dauerndem Streß um das Kaku. Ogyü Sorai kommt im Seidan zu dem Schluß, daß das Sankin Kötai den Daimyö verarmte und ihn außerstandsetzte, seine militärischen und sonstigen Verpflichtungen gegenüber dem Bakufu zu erfüllen, ohne sich in Schulden zu bringen (104, 109ff.). Die Wirtschaft der Fürstentümer degradierte den Daimyö zu einem Geldproduzenten für das Leben in Edo. Die Gewinner waren die dortigen Kaufleute. 2. Leistung von speziellen
Vasallendiensten
Allein schon die Anwesenheit in Edo wurde als Dienstleistung betrachtet; sie unterlag im übrigen einem Audienz-Programm. Die Daimyö hatten an bestimmten Monatstagen im Shögun-Palast zu erscheinen, meist waren es der 1., 15. und 28. des Monats. Darüber hinaus gab es besondere Anlässe. Bei Gelegenheit von Festen, insbesondere bei Antritt des Aufwartungsdienstes war ritueller Tribut in Form von Geschenken zu überreichen. Vielseitig wurden die tetsudai, die gelegentlich kleinen Dienstleistungen verstanden (104, 20). Hierzu gehörte die Hilfe bei der Instandsetzung der Edoburg, der Bakufu-Schlösser und -Befestigungswerke, der Wallgräben, des Uferschutzes und der Straßen. Auch beim Aufbau der Hauptstadt war Hilfe zu leisten. Ebenso galt die tetsudai für die Tokugawaburgen Nagoya, Wakayama und das Nijö-Schloß in Kyoto, auch wenn dies kaum benutzt wurde. Alle diese Arbeiten wurden anteilmäßig auf die Daimyö vergeben. Ihren vornehmsten Dienst hatten sie für die Verteidigung des Reiches zu leisten, auch wenn man davon ausging, daß Krieg unmöglich war. Die Truppe erfüllte ihren Sinn „in
A. Rückwirkungen der Sankin-Kötai auf die Daimyate
165
being" und hatte stets intakt zu sein. Auf jeden Daimyö entfiel ein dem Reisaufkommen entsprechendes Kontingent. Die Daimyö hatten in bestimmter Reihenfolge auch die Wachen für die Tennö-Schösser, für die Burgen in Osaka und Sumpu (Shizuoka), den Hafen von Nagasaki und für Küsten Verteidigungsplätze abzuordnen. In Edo hatten die Daimyo während der Ableistung ihrer Residenzpflicht die Wachen für die Burgtore zu stellen. Auch die Kontrollpunkte (sekisho) der Fernstraßen wurden mit Posten der Daimyo versehen. 3. Die Aufgaben der Verwaltung und der Entwicklung des Han Das Wirtschaftsaufkommen des Han wurde in Koku Reis gemessen. Mehr als 200000 Koku schrieb man 22 Daimyaten zu; darunter waren 7 Daimyate mit mehr als 500000 Koku. Aber dieses beim Bakufu registrierte Aufkommen war nicht das wirkliche; es hatte nur nominellen Wert, es war das omotedaka, das den Status des Han kennzeichnete. Das wirkliche Aufkommen, gemessen jeweils nach eingebrachter Ernte, war das nai- oder jitsudaka (104, 82). Nur an ihm war die Entwicklung abzulesen. Von der Jahresernte hatten die Landgüter jeweils 40—60% an den Grundbesitzer als Feldsteuer (nengu) abzuliefern. Diese Abgaben bildeten die Hauptmasse des verfügbaren Einkommens (kura-iri). Einige Nebeneinnahmen erhöhten den Grundstock, so die Steuern für die Nutzung von Wald- und Weideland, Erträge aus Handel und Gewerbe, wobei Monopolrechte für die Erzeugung von Papier, Indigo, Lack, Zucker, Salz und Textilien geltend gemacht wurden (104, 83). Was nur irgendwie an Reis zu erübrigen war, wurde in Osaka oder in Edo bei Reishändlern gegen Bargeld eingelöst. Der Daimyö trieb eine duale Wirtschaft; als Oberhaupt seines Han rechnete er in Ware, als Vasall des Shögun in Geld. Schon gegen das Ende des 17. Jahrhunderts stand die Mehrheit der Daimyö in Geldschuld bei den Reishändlern: Sie hatten in Vorgriff auf künftige Ernten Geld aufgenommen. Es ist verständlich, wenn die Daimyö eine Erhöhung des naidaka durch Ausweitung der Nutzflächen erstrebten, die Terrassenleisten flußaufwärts in Kultur nehmen ließen und wo immer nur möglich an die Gewinnung von Neuland durch Einpolderungen an der Küste gingen (vgl. Abschnitt Agrarlandschaft). Aber diese Maßnahmen erforderten Investitionen, und bevor sie wirksam werden konnten, wurden auch sie zum Anlaß der Verschuldung bei Kredit gewährenden Kaufleuten. Wenn TANAKA in seinem Modell für ein neues Japan (100, 172) darauf hinweist, daß es den meisten japanischen Städten an kulturellen Einrichtungen mangele, während er deren in europäischen und amerikanischen Orten abseits der Hauptstadt so viele gesehen habe, dann berührte er ein bedeutendes Faktum japanischer Vergangenheit. Die Verarmung der Feudalfürsten während der Tokugawazeit mußte das Entstehen eines Weimar, Detmold, Heidelberg oder Bayreuth geradezu verhindern, ganz abgesehen davon, daß die streng voneinander geschiedenen Stände auch kein Publikum für die Kulturstätten gewesen wären. Der Mangel an kulturellen Einrichtungen, der mit wenigen Ausnahmen die Städte bis in die Meijizeit begleitete und noch heute nachklingt, hat seine Ursache nicht allein in Brandund Naturkatastrophen, sondern auch in den Folgeerscheinungen des Sankin Kötai. Das kulturelle Antlitz der Städte zeigen nur die buddhistischen Tempel und die Shintö-Schreine, gegebenenfalls auch die Landschaftsgärten.
166
3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
B. D i e Rückwirkungen der Entwicklung E d o s auf K y o t o I. Kyoto um das Jahr 1600. Auswirkungen der Kriegswirren und erster Wiederaufbau durch TOYOTOMI HIDEYOSHI Im Onin-no-ran, dem von 1467 bis 1477 anhaltenden Erbfolgekrieg um die Shögunwürde, dem das Zeitalter der gegeneinander kämpfenden Daimyate folgte (Sengoku-jidai), wurde nicht nur der Tennö-Palast niedergebrannt, sondern auch die Stadt Kyoto in ein einziges Ruinenfeld verwandelt" ( 3 , 1 7 2 ) . Als ODA NOBUNAGA 1573 die Stadt betrat, um dem unglücklich geführten Ashikaga-Shogunat ein Ende zu setzen, war sie noch immer verödet. Vielleicht deshalb wählte er, nachdem er mit dem Aufbau einer Tennö-Residenz Tenka bewiesen hatte, für seine eigene Burg einen Platz außerhalb, wenn auch noch nah genug zur Hauptstadt, auf einem 2 0 0 m hohen Hügel am Ostufer des Biwa-Sees. Erst unter HIDEYOSHI erreichte Kyoto wieder einigen Wohlstand und neuen Glanz. Hatte es nach der Feuersbrunst von 1228 kaum noch ein Gebäude aus der Heianzeit gegeben, so war nun auch fast alles dahin, was während der Ashikagazeit den Ruf der Stadt neu begründet hatte. Ein großes Aufbauwerk stand bevor. HIDEYOSHI, der einzige Machthaber, dem der Aufstieg aus dem Bauernvolk gelungen war 20 , der 1568 zum Gouverneur der Hauptstadt ernannt, 1585 mit dem Titel eines Kampaku geehrt und 1586 zum Premierminister befördert worden war, übertrug die Aufsicht über den Wiederaufbau der Stadt dem Shoshidai, seinem Statthalter in Kyoto, gab aber selbst die Richtlinien für die Neugestaltung. Er ging davon aus, daß der Grundriß von Heiankyö in Nachahmung von Changan viel zu weiträumig konzipiert und in Wirklichkeit nur zur Hälfte ausgefüllt worden war; denn nur Sakyö, der Stadtflügel östlich der Öji, der großen Mittelstraße, war in volle Nutzung gekommen, während Ukyö nur randlich in das städtische Geschehen einbezogen worden war. HIDEYOSHI umgrenzte das nach seiner Meinung für die Stadt erforderliche Gebiet mit dem Odoi21, einem 4,5 m hohen Erdwall, den er an der Außenseite von einem 3,5 m breiten Wassergraben, dem man das Erdreich für den Wall entnommen hatte, begleiten ließ22. Er tat damit dasselbe, was für viele Jökamachi jener Zeit üblich war: Er setzte die Hauptstadt vom bäuerlichen Land ab und hatte damit zugleich ein Mittel gegen eine unkontrollierbare Zerfaserung der Stadt und einer Zersiedlung des Umlandes in der Hand (8). Der vom Odoi umgrenzte, insgesamt 1400 ha messende Raum war nicht an abstrakt-geometrischen Vorstellungen, sondern an der Wirklichkeit der bislang bebaut gewesenen Fläche orientiert. Der Odoi gab der Stadt allein schon in ihrem Umriß einen von den Notwendigkeiten der Zeit bestimmten Ausdruck. Noch sichtbarer wurde dies im Stadtinneren. Da 20 Der Aufstieg eines Begabten aus dem Volk, der nach chinesischem Konfuzianismus als „Tschüntzu" bezeichnet wurde, ist im feudalistischen Japan in dieser steilen Form nur diesem Jungen geglückt, Sohn eines Bauern in Owari, der als Ashigaru beim Vater des Oda Nobunaga diente. Zu „Tschün-tzu" vgl. S. 73. Der japanische Begriff Kakokujö trifft dies nicht ganz. 21 Ausführlich behandelt den Odoi R. PONSONBY-FANE in: Kyoto ( 7 9 4 - 1 8 6 9 ) . 22 Der Deutung, daß der Odoi Nachahmung der chinesischen Stadtmauer sei, kann ich nicht beipflichten. Die Übereinstimmung mit den Verteidigungsanlagen der Jökamachi ist größer, auch hinsichtlich des für China nicht charakteristischen Wassergrabens. Im übrigen befaßte sich HIDEYOSHI wenig später mit der Anlage einer eigenen Jökamachi auf dem Momoyama in Fushimi, die er bereits in die Stadtplanung von Kyoto einbezog. Auch die völlig unregelmäßige Form der vom Wall umgebenen Fläche entspricht nicht chinesischen Vorstellungen.
B. Die Rückwirkungen
der Entwicklung
Edos auf
Kyoto
167
das vom Odoi umzogene Gebiet im wesentlichen mit dem Sakyó zusammenfiel, für das auch der Name Raku gebräuchlich war, bezeichnete man den Raum innerhalb des Walles als Raku-chü (Innerhalb der Stadt), das Umland als Raku-gai (Außerhalb der Stadt). Im Osten vertrat der Kamogawa den Wallgraben; die Hügelhänge des Higashiyama waren bereits Rakugai (8, 162, 163; hier auch Abbildungen, die Ausschnitte aus Doppelstellschirmen zeigen). Das von T O K U G A W A IEYASU später an die Daimyó gerichtete Verbot, Kyoto zu besuchen, bezog sich auf Raku-chü; bis zur Sanjo-Brücke, die über den Kamogawa führt, war das Betreten Kyotos erlaubt. Das Raku-chü nördlich der Sanjó nannte man Oberstadt oder Kami-kyö; das südliche Raku-chü hieß Unterstadt oder Shimokyó. Beide Teile hatten einen dem Shoshidai unterstellten Bürgermeister. Der Tennópalast wurde, da der Bezug auf die Mittelstraße (óji) des ursprünglichen Planviertels nicht mehr gegeben war, dort wiederaufgebaut, wo er sich schon in den Jahren vorher behelfsweise befand: Auf der Ostseite der Karasuma-döri. Auf den Südausgang des Palastes ausgerichtet, ließ H I D E Y O S H I von Fushimi aus die Gokòmachi-dori durch das Raku-chü schneiden, eine breite Straße als Prozessionsweg zwischen beiden Schlössern; sie mündete zwischen der heutigen Teramachi-dóri und der alten Tominokòji in die Marutamachi-dóri. Auf einem Teil des alten Palastgrundstückes, des Daidairi der Heianzeit, errichtete er 1586 den Jürakudai, einen kostbaren Palast, in dem er bis zur Fertigstellung der Fushimi-Burg residierte. Für die Wohnbereiche der Chònin schuf er dadurch neue Bebauungsflächen, daß er die Straßen auf 6 m Breite verengte; die vorherigen 12 m breiten Straßen hatten im übrigen viel zu starke Entfaltung von Straßenkämpfen ermöglicht. Die breite, auf das alte, aber abgebrannte Daidairi führende Suzaku-oji war ohnehin im Zusammenhang mit dem Aufwerfen des Odoi verschwunden; sie fiel mit der Westgrenze des Raku-chü zusammen. Den west-östlich verlaufenden Straßen wurden einige hinzugefügt, die Zahl der nord-südlich verlaufenden wurde verdoppelt. Es bestand die Absicht, die Tempel zusammenzulegen; hierfür wurden 3 Distrikte ausgewählt: die Teramachi-dóri, die Tera-no-uchi (im N) und die Shimo-Teramachi westlich Ömiya. Wo sich Straßen kreuzten, wurden für die einzelnen Straßenführungen Tore angebracht, die für die Nacht geschlossen werden konnten. Die Bewohner der Straßen waren zu Fünferschaften (goningumi) zusammengefaßt. Die von H I D E Y O S H I ergriffenen Initiativen haben die Rückkehr der Kaufleute und Handwerker in die verödete Stadt erleichtert (13, 18). Es fanden sich Zimmerleute, Schmiede, Architekten, Getamacher, Maler, Tapezierer, Kupferbearbeiter, Schirmmacher, Töpfer, Sake- und Soya-Brauer, Silberschmiede und Geldmakler ein, die sich zu Gilden (za) zusammenschlössen. Die wichtigste Geschäftsstraße war das Ende und die Fortsetzung des Tòkaidò in das Raku-chü hinein. Schon vor der Sanjo-Brücke, also noch im Rakugai von Awadaguchi, standen die Brennöfen der Keramikmacher, und noch kurz vor der Brücke hatten die Bronzespiegelmacher ihren Sitz. Seine stärkste Verdichtung erhielt das Geschäftsviertel in der Sanjo-döri. H I D E Y O S H I führte sogar Weber, die während des Sengoku Jidai nach Sakai ausgewichen waren, nach Nishijin zurück; die Baumwollverarbeitung, da sie zum Färben Wasser benötigte, hatte am Kamogawa nordöstlich der Sanjo-Brücke ihren Platz. Pharmazeutisches Gewerbe und Sakebrauereien häuften sich im Bezirk Sanjò-dòri. Als Geschäftsstraße von geringerer Lebensdauer erwies sich die lange Gokòmachidóri. Da sie sich zu Zeiten der Prozessionszüge von Fushimi und der Erwiderungs-
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
Prozessionen des Tennö nach Fushimi mit schaulustigen Menschen füllte, hatten sich an ihr Gastwirtschaften und Kaufläden aufgebaut, auch zahlreiche Bordelle, die ihre Prostituierten (jorö) aus dem Freudenviertel Shimabara bezogen. Am wenigsten hatten unter den Feuersbrünsten und Kriegswirren jene Gebiete gelitten, die nunmehr zum Rakugai, zum „Außerhalb" der Stadt gerechnet wurden. Nur die 16 Tempel des Enryakuji auf dem Hieizan, deren Mönche, Anhänger der Jödo-shinshü, sich den Bemühungen um die Herstellung politischer Ordnung im Reiche widersetzt hatten, waren 1571 mitsamt den 3000 Mönchsbehausungen von Oda Nobunaga niedergebrannt worden. Völlig unversehrt waren der Sanjüsangendö und Kiyomizu-dera geblieben (13, 24f.), nur wenig Schaden hatten die Gozan erlitten, und ganz ohne Folgen waren die Kriege für die westlich der Stadt liegenden Tempel und Landschaftsgärten geblieben. Auch eine Anzahl der bedeutenden Tempel- und Gartenanlagen der Ashikagazeit hatte dank ihrer Lage im Raku-gai die Kriegswirren überstehen können, so der Kinkakuji (angelegt 1394, Bild in Bd. 1, S. 405), der Ginkakuji (1482), Ryoanji (1473) und Saihöji (1339). Der Hököji, die Große Buddhahalle am Higashiyama mit einer 19 m hohen Buddha-Statue, wurde 1586 von HIDEYOSHI dem kultstättenreichen Raku-gai hinzugefügt. Der gesamte Tempel wurde aber schon 1596 durch ein Erdbeben zerstört. Insgesamt bot sich Kyoto bei Eintritt in die Tokugawazeit als eine im Wiederaufbau befindliche, von regem Wirtschaftsgeist der Kaufleute und Handwerker belebte Stadt dar, arm an Kulturstätten im Raku-chü, reich an diesen im Raku-gai. Die Bevölkerung war aus einem Tief von 40000 Menschen wieder auf mehr als 400000, wahrscheinlich sogar auf 500000 angewachsen.
II. Kyoto im Schatten von E d o bis 1868 Den wirtschaftlichen Aufschwung hatte Kyoto bis 1600 nicht zuletzt dadurch erfahren, daß HIDEYOSHI seine Herrschaft mit Hilfe mächtiger Daimyö ausübte, die sich am Jürakudai niederließen und gemeinsam mit ihrer Gefolgschaft gute Kunden bei den Handwerkern und Kaufleuten waren (74, 382-385). Mit der Ernennung IEYASUS zum Shögun und der Verlegung des Shögunats nach Edo veränderte sich das Strukturbild des in Kyoto lebenden Adels fast schlagartig. Die Tokugawa zwangen den Militäradel (büke) nicht nur zur Übersiedlung nach Edo, sondern auch zur Aufgabe ihrer Wohnplätze in Kyoto. Den Daimyö war vorgeschrieben, auf dem Wege nach Edo jeweils Kyoto zu umgehen. In der alten Hauptstadt blieben weisungsgemäß nur der Shoshidai, seine Beamten und 150 Mann Polizeitruppe. Als Sitz des Shoshidai wurde 1603 das Nijö-Schloß (Nijö-jö) fertiggestellt, das IEYASU bis 1611 auch selbst benutzte, im übrigen aber als Dienststelle des Shögunats galt. Das Nijö-Schloß steht noch heute an derselben Stelle, an der sich vorher der Palast des letzten Ashikaga erhoben hatte. Das Shögunat wirkte auf diese Weise von der Mitte der Stadt auf das Geschehen ringsum ein. Die unmittelbaren Mitarbeiter des Shoshidai waren die beiden für Ober- und Unterstadt im einzelnen verantwortlichen Bürgermeister (Machi-Bugyö). Mit dem Wegzug des Militäradels nach Edo verlor Kyoto Menschen und Wirtschaftskraft; mit der Verlegung der Staatsgewalt nach Edo verlor es seine politische
B. Die Rückwirkungen
der Entwicklung Edos auf Kyoto
169
Funktion. Es war nur natürlich, wenn die Bevölkerungszahl gegenüber Edo schon nach kurzer Zeit zurückfiel. PONSONBY (74, 4 2 3 - 4 2 5 ) hat die für die Bestimmung der Bevölkerungsmenge zugänglichen Quellen kritisch überprüft. Es zeigt sich, daß bis 1634 die Einwohnerzahl auf 420000 zurückfiel, sich bis 1696 auf 507000 erholte und 1750 nur 20000 mehr registriert werden konnten, während man Edo schon als Millionenstadt ansprach. Für jüngere Jahre liegen japanische Quellen nicht vor. SIEBOLD gibt für 1826 unter Abzug der Kuge und Buke 780000 Einwohner an (93, S. 164), wobei er sich auf die Häuserzahl bezieht, die zur Grundlage der Berechnung zu machen von PONSONBY abgelehnt wird, weil dabei außeracht bleibt, daß man zwischen großen (dai), mittleren (chü) und kleinen Häusern (shó) unterschied, wobei ein „großes Haus" aus drei bis fünf Gebäuden bestand, ein „kleines" wirklich nur eines war (93, 423). Wie dem auch sei, das große Feuer von 1864 brachte einen Rückschlag, von dem sich Kyoto nicht erholen konnte, weil wenige Jahre später nicht nur der Tennò nach Edo umzog, sondern mit ihm auch die gesamte Hofgesellschaft, so daß Kyoto im Jahre 1870 von nur noch 300000 Menschen bewohnt war. Die lange Ausschaltung von politischem Geschehen bei gleichzeitig stabilem Frieden setzte in wachsendem Maße Kräfte frei, die Kyoto, wie schon in der Vergangenheit, zum Zentrum der Kulturpflege machten. In mancherlei Hinsicht wurde dies vom Shògunat sogar gefördert. Da sich das Shögunat für alles im Lande verantwortlich hielt, leistete es Hilfe, sobald Kyoto von einem großen Brande heimgesucht wurde. Großzügig beteiligte es sich am Wiederaufbau. Einige Male mußte der Tennópalast erneuert werden. Letztmals geschah dies 1854; es wurden die Gebäude erstellt, die sich noch heute dem Besucher darbieten. Geholfen wurde auch bei der Restaurierung alter und der Errichtung neuer Kultstätten. Beispielhaft sind die Vorgänge um die Honganji (74, 270-287), den westlichen Tempel (Nishi-Honganji) und den östlichen (Higashi-Honganji). Der Nishi-Honganji, Zentrum der Jödo Shinshü, greift bis in die Kamakurazeit zurück. Er durchlief eine bewegte Geschichte von Tempelzerstörungen und Orts Verlegungen; 1465 von den HiéizanMönchen niedergebrannt, versuchte man einen Neubeginn in Yamashina, wo der Tennò dem Tempel das Recht verlieh, die kaiserliche Paulownia und Chrysantheme als Emblem zu benutzen und ihm zusätzlich den Rang eines Monzeki 23 gab, was neidische Gruppen anderer Lehrmeinung nicht hinderte, den Tempel wiederum abzubrennen (1532), woraufhin sich die Mönche nach òsaka zurückzogen und den festungsartigen Ishiyama Honganji errichteten. ODA NOBUNAGA belagerte aus nicht ganz geklärten Gründen diesen Tempel 11 Jahre lang und nötigte schließlich die Mönche, nach einem anderen Platz in Ösaka auszuweichen. Hier konnte 1586 ein neuer Tempel eingeweiht werden. TOYOTOMI HIDEYOSHI war zugegen, und er setzte dem Wanderleben ein Ende: Er schenkte 1591 für den endgültigen Wiederaufbau des Tempels ein großes Grundstück in Kyoto an jenem Platz, von dem er vor 125 Jahren vertrieben worden war: Shichijö Bòmon am Südende der Horikawa-dóri. TOKUGAWA IEYASU, der bei allen Machtgruppierungen den Grundsatz des „divide et impera" verfolgte und ein eigenes Verhältnis zum Jódo-Buddhismus hatte (vgl. Zojö-ji in Edo), stiftete das Gelände für den fast unmittelbar östlich von diesem Tempel im Jahre 1603 vollendeten zweiten Honganji, wodurch man seither einen West- und einen Ost-Honganji unterscheidet. Beide, der Nishi- wie der HigashiHonganji, erhielten für ihren weiteren Ausbau wertvolle Teile der abgebrochenen Schlösser Fushimi und Jürakudai. Beide Tempel gehören noch heute zu den markanten Wahrzeichen der Altstadt westlich vom Kamogawa. 23 Monzeki oder Miya-monseki, ein Titel, den jene Tempel erhielten, die einem kaiserlichen Prinzen unterstellt wurden. Zu diesen Tempeln gehörten in Kyoto 13, darunter Chion-in, My6hö-in, Shögo-in, Nishi-Honganji, in Edo: Kanei-ji (Ueno), dazu Nikkö.
170
3. Kapitel: Mensch und Landschaft
zur
Tokugawa-Zeit
Der Chion-in (Gion-Tempel, eine der ausgedehntesten Tempelanlagen am Higashiyama, auch ein Zentrum der Jödo-Lehre, Kamakura-Zeit), wurde durch TOKUGAWA IEYASU und seine Nachfolger mit besonders großen Zuwendungen bedacht. Nach dem Brand von 1633 wurden fast alle Gebäude auf dem rd. 15 ha umfassenden Gelände vom Shögunat erneuert. Das Chion-in stellt noch heute den Mittelpunkt des Jödo-Buddhismus für das ganze Land dar. Das 24 m hohe Sammon, ein zweistöckiges Tempeltor, ist das eindrucksvollste Werk dieser Art in Japan. Da die geistig-sittliche Führung unter den Tokugawa aber nicht dem Buddhismus schlechthin, sondern jenen Lehren zugedacht war, die sich der Lehre des Konfuzius näherten, wie dies im Zen-Buddhismus am ehesten der Fall war, ist Kyoto während er übrigen Tokugawa-Zeit an bedeutenden Tempeln nicht um vieles reicher geworden. Es charakterisierte sich damit schon früh als eine aus ihrer Vergangenheit Kraft schöpfende Stadt. Aus der kleinen Anzahl der im Verlauf von 250 Jahren erfolgten Neugründungen sind nur der Chishaku-in (1615), Reikanji (1633), Rinkyüji (1680) und allenfalls noch der im Onin-Krieg zerstörte, aber vom Bakufu geförderte Shögo-in sowie der von einem chinesischen Priester gegründete Mampukuji hervorzuheben (s. u.). Sie wurden ausnahmslos im Gebiet des Rakugai errichtet und haben die Struktur der Altstadt nicht verändert. Mit Ausnahme des Mampukuji befinden sie sich an den Berghängen des Higashi- und Daimonjiyama. Der Rinkyüji gehört zur Komposition der Shügakuin (s. Landschaftsgärten), der Chishaku-in bildet mit dem älteren Myöhö-in einen stadtlandschaftlichen Komplex am Südost-Ausgang der Stadt, erweitert durch den Hökö-ji (s. o.), das Nationalmuseum und den Sanjüsangendö. Der Shögo-in wurde 1613 zum Zentrum der Tendai-Sekte erhoben, ein Monzeki, das 1788 der Tennö als Zuflucht in Anspruch nahm. Traditionell versammelten sich hier am 3.8. jeden Jahres die Tendai Yamabushi zur gemeinsamen Pilgerfahrt zu den drei Schreinen von Kumano (74, 395). Der Mampukuji, 1664 südlich Fushimi vom chinesischen Zenmeister Yin-Yuan, japanisch I N G E N , gegründet, ist zum Mittelpunkt der Sekte Öbaku-shü geworden, neben Rinzai und Sötö die dritte zenbuddhistische Sekte. Weil INGEN seit seiner Ankunft in Nagasaki 1654 einen guten Einfluß ausgeübt hatte, erhoffte sich das Bakufu „von ihm sittliche Hebung des Klerus" (20, 118). Er bekam das Land in Uji bei Fushimi geschenkt und errichtete darauf in chinesischem Baustil einen Komplex von Gebäuden, wie er für einen buddhistischen Tempel nicht vollständiger sein kann. Sie stehen heute fast alle unter Kulturschutz. Der Mampukuji ist eine deutliche Aussage dafür, daß die Tokugawa trotz des Gebots der Landabschließung tolerant gegenüber dem Ausland sein konnten, sofern es sich für den Staat als nützlich erwies. Vom südlichen Umland muß sich der Blick noch zum Hieizan im NO wenden. Da HIDEYOSHI es nicht verantworten konnte, die Abwehr der Stadt gegen dämonische Kräfte aus dem NO ohn jede priesterliche Unterstützung nur dem Bergzug des Hieizan zu überlassen, baute er den von Nobunaga zerstörten Enryakuji so weit wie möglich wieder auf. Nur weil der Hieizan seinen Tempel wiedererhalten hatte, war es sinnvoll, wenn TOKUGAWA IEMITSU in Edo (Ueno) einen Tempelbezirk zum Gegenpol des Hieizan machte und diesen Tö-ei-zan nannte (s. S.155).
C. Die
Städtehierarchie
171
C. Die Städtehierarchie unterhalb der Shögunatshauptstadt I. Osaka im Gegenspiel zu Kyoto und Edo Die Städtehierarche hat während der Tokugawa-Zeit ihre überragende Spitze in Edo. Kyoto ist zurückgefallen. So stagnierend das Aufblühen Edos auf die Entwicklung Kyotos einwirkte, so stark wurde Ösaka von Edo aus begünstigt, so daß es im Kansai bald zwei ähnlich volkreiche Großstädte gab, ohne jedoch in gegenseitig störende Konkurrenz zu geraten. Kyoto war unbestrittene Residenzstadt des Tennö, Hüter der Tradition und Lieferant von qualitativ hochwertigen Erzeugnissen eines vielseitigen Kunsthandwerks, eine Stadt, die aus dem Inneren des Landes heraus wirkte. Ösaka war die Handelsstadt an der Küste und der Reismarkt des Reiches. Von den zahlreichen Warenbörsen war die Döjima-Reisbörse (Döjima Rice Exchange) die bedeutendste; ihrer bedienten sich Daimyö, Hatamoto und schließlich auch die Samurai, wenn sie zu Bargeld für die Ausgaben in Edo gelangen wollten. Kreditwesen, Börsenfunktionen und Schiffahrt haben sich gegenseitig gefördert, haben Kaufleute, aber auch Menschen der Dienstleistungsberufe nach Ösaka gezogen. Dabei besaß Ösaka auch als Stadt kultureller Tradition schon einen guten Ruf. In Naniwa, wie der Platz an der Yodogawamündung ursprünglich hieß, soll sich im 5. Jh. die Residenz des später im Großhügelgrab (misasagi) von Sakai beigesetzten NINTOKU TENNÖ befunden haben. Hier gingen im Jahre 5 5 2 auch jene Koreaner an Land, die den Buddhismus nach Japan brachten, und hier erfolgte auch, durch SHÖTOKU TAXSHI veranlaßt, die Errichtung des Shitennöji, des ersten buddhistischen Tempels auf japanischem Boden (Tempel und Parkanlage, 8 ha, gehören heute zum Stadtteil Tennö-ji-ku). Wenig südlich davon befindet sich am rechten Ufer des Yamatogawa der wahrscheinlich noch ältere Sumiyoshi-Shintöschrein, der den Meeresgottheiten geweiht ist. Auch der Temmangu im N des heutigen Nakanoshima-Parks war schon früh ein Pilgerziel. Zum Schnittpunkt politischen und wirtschaftlichen Geschehens wurde Ösaka durch TOYOTOMI HIDEYOSHI gemacht. In den Jahren 1 5 8 3 - 1 5 8 6 ließ er die Burg erbauen, die an Größe alle anderen im Lande übertraf. HIDEYOSHI umgab sich mit namhaften Familien, deren Yashiki sich eng an den Burgkern drängten, und er rief Chönin, Handwerker wie Kaufleute, aus Sakai und Fushimi zur Entwicklung der Jökamachi herbei. Der angebotene Stadtraum enthielt traditionell die Funktionen der Schifffahrt ebenso wie die des Landverkehrs aus dem Zusammentreffen von Fernstraßen. Kanäle waren hier von gleicher Bedeutung wie Straßen. Zum Bau von Kanälen forderten sogar die natürlichen Gegebenheiten heraus; denn das zwischen der Burgterrasse und dem sich südwärts wendenden Mündungsbogen des Yodogawa liegende Gelände ist Schwemmland, das nur wenig über der Null-Meter-Linie liegt und für eine geordnete Bebauung einer umsichtigen Entwässerung bedarf. Aus dieser Notwendigkeit ergab sich die Herstellung eines auf Gewässern umfahrbaren Stadtkerns, der nach N und W im Yodogawa seine natürliche Begrenzung hatte, im O und S von Kanälen umschnitten werden mußte. Es entstand ein Grundriß, der quadratähnliche Form annahm, da man die etwa gleichschenkligen, 4,3 km langen Kanalseiten in rechtem Winkel aufeinandertreffen ließ. Der östliche Kanal zieht als Higashi-yoko-böri in jenem Bereich vor der Burg entlang, in welchem die
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
Diluvialterrasse in das Schwemmland einsinkt; der südliche Kanal, Döton-bori (Dötombori) genannt, weil ihn D ö t o n Y a s u i 1 6 1 2 auszuheben begann ( 3 5 , 6 1 8 ) , ist zu einer bedeutenden Ost-West-Achse der Stadt geworden. Zu seinen Seiten haben sich Theater, wie das Kabuki, insbesondere aber das für Osaka besonders charakteristische Puppentheater (Jöruri) niedergelassen, als erstes 1685 das Takemoto-za, später das Bunraku-Theater, unter welchem Namen das Puppenspiel als literarische Gattung lebendig geblieben ist; das Theater in Osaka hat inzwischen seinen Namen in Asahi-za geändert. Die Straßen am Dotonböri wurden zum Vergnügungsviertel. Das Freudenviertel nahm in der Tokugawazeit den Bezirk Shimmachi im heutigen Stadtteil Nishi-ku ein. Parallel zum Dotomböri wurden einige ostwestlich ziehende, z. T. schmälere Kanäle gezogen, das gesamte Gewässerquadrat schließlich in seiner Mitte durch den Yokobori in eine östliche und westliche Hälfte zerlegt, womit sich das Kanalgitternetz vollendete. Auf dieses legte sich, viele Brückenbauten bedingend, das Straßengitter, das sich an den Achsenkreuzen des Kanalsystems ausrichtete. Die große, von N nach S ziehende Mittelstraße ist die heutige Midozuji, der u. a. die Shinsaibashi-suji und Sakai-suji parallel laufen. Die ostwestliche Querachse wird durch die Sueyoshi-bashi-döri dargestellt, die im O über die Diluvialterrasse (Uemachi), im W ins Hafengebiet (Minato-ku) führt. Es sei noch hinzugefügt, daß die auf S. 171 genannten Kultstätten wie auch noch andere von Bedeutung außerhalb des Chönin-Quadrats blieben. Der Hafen verdankt seine Entstehung der Lage am wasserreichen YodogawaDelta im Scheitel der Bucht, die nach der Stadt benannt wurde. Dieser Platz bezeichnet das östliche Ende der 420 km langen Inlandseeregion, die seit frühgeschichtlicher Zeit Verkehrsraum auch für die Pflege von Fernbeziehungen ist. Die Häfen am westlichen Ende dieses Binnenmeeres konnten nicht zu ähnlicher Bedeutung kommen, da ihnen das Hinterland fehlt: Bei Fahrt bis zur YodogawaMündung dringt man am tiefsten in den Archipel ein, auch wenn man vom Pazifischen Ozean aus den Zugang durch die Kii-Straße über die Tomogashima-Suidö benutzt. Da das Schwemmland des Yodogawa rezenter Entstehung ist (und noch heute wächst), hat die ursprüngliche Anlegestelle mit Bestimmtheit östlich vom heutigen Hafen gelegen. Schon das alte Naniwa hatte von der diluvialen Platte Besitz ergriffen, die sich vom heutigen Abeno-ku über Tennöji-ku nach Uemachi in Higashi-ku in 1000 bis 2 5 0 0 m Breite erstreckt und sich dabei mit 1 0 — 2 0 m über der Null-Meter-Linie aufhebt. In Uemachi wird noch die Stelle gezeigt, auf der das Naniwa-Schloß gestanden haben muß: ein trockener Platz nicht fern der Null-Meter-Linie, bis zu der das Wasser für anlegende Schiffe reichte, ein Platz, der einen weiten Blick über das Meer und über die Ebene des Yodogawa ermöglichte. Es spricht für den strategischen Instinkt d e s - T 0 Y 0 T 0 M i H i d e y o s h i , wenn er das über dem Yodogawa stehende Nordende der diluvialen Platte zum Standort seiner Burg erwählte, von der aus er der Seefahrt, der Flußschiffahrt und der Stadt den besten Schutz gewähren konnte. Diese bedeutsame Stadt wurde dem Edo-Bakufu unmittelbar unterstellt. Das Kommando über die Burg erhielt der Ösaka-jödai (Burgvogt), die Überwachung der Stadt übertrug man einem Machi-Bugyö. Im Zusammenwirken beider entwickelte sich Osaka zum überragenden Handelszentrum des Reiches. Hier entstanden die ersten regelmäßig verkehrenden Schiffslinien nach Edo; hier
C. Die
Städtehierarchie
173
trafen die beiden Reistransportlinien auf, die man als mawari-michi, d. h. „UmwegRouten" bezeichnete und für die es keine Alternative gab: Es sind der JapanmeerWeg bzw. der Nishi-mawari-michi von Akita bis Shimonoseki, der sich durch die Inlandsee fortsetzt, und der West-Meer-Weg, der von den Küsten Kyüshüs aus ebenfalls durch die Inlandsee führte. Dem Verkehr ins Landesinnere dienten die Flußschiffahrt auf dem Yodogawa bis nach Fushimi und die großen Fernstraßen des Tökaidö, Sanyödö und Nankaidö. Die Bewohner der Shiwaku-Inseln, die den Wasserweg der Inlandsee in der Enge zwischen Sakaide und Shimotsui beherrschen (Honjima, Hiroshima, Teshima, Takamishima u. a.) hatten sich den Vorteil ihrer Verkehrslage im System der Reistransporte sehr bald zunutze gemacht (72, 338). Als geschickte Schiffbauer und erfahrene Seeleute bildeten sie eine Gilde von etwa 6 5 0 Mann, denen es gelang, sich für die sichere Abwicklung der Reistransporte auf dem Wasserwege vom Shogunat in Pflicht nehmen zu lassen, wofür sie ihre Anerkennung als amtlich monopolisierte Bootsfuhrleute eintauschten (Nimmyö-System). Sie bedurften keines besonderen Geschäftshauses in Osaka; sie waren jederzeit von den Shiwaku-Inseln abrufbar. Sie beherrschten den öffentlichen Schiffsgut-Transport im Raum der Setonaikai völlig. Ein erstaunliches Maß an Initiative und Einsicht in die Möglichkeiten des Handelns innerhalb der totalitären Wirtschaftsorganisation!
In Osaka erhielt Japan seine erste Handelsstadt, die auf der Basis von Seewegen und Fernstraßen zum Warenzentrum und Waren Verteiler wurde. Kyoto gab im wesentlichen Ware in Form von Kunsthandwerk ab. Edo war das große Zentrum des Konsums, es zog die Ware an, exportierte aber kaum, da es selbst benötigte, was es erzeugte. Ösaka wuchs im Verlauf der Tokugawa-Zeit zu einer Stadt von 400000 Einwohnern an. Da Edo ebenso stimulierend auf die Entwicklung Osakas ausstrahlte wie es auf Kyotos Leben stagnierend einwirkte, erhielten die beiden Städte schon um das Jahr 1700 einen etwa gleichen Rang. Da sie, von der OsakaBurg bis zum Flußhafen von Fushimi gemessen, nur gegen 30 km voneinander entfernt sind, dabei aber ebenso bakufu-unmittelbar wie die größeren Ländereien zwischen ihnen waren, wuchsen sie bevölkerungsgeographisch aufeinander zu. Wie im Kantö wurde auch hier das shögunatseigene Land von Hatamoto verwaltet (80, S. 261 ff.), die zugleich als stille Stützen für die Kernstädte dienten. Im Umkreis von 25 km entstanden etwa 20 auf Ösaka ausgerichtete Landstädte (zaikata-cho) von etwa 3 0 0 0 - 1 0 0 0 0 Einwohnern, einige davon als Häfen, wie Nishinomiya (7000 Einw.), einige als Relikte ehemaliger Jökamachi, die sich, wie Itami, um eine der von IEYASU verbotenen Nebenburgen gebildet hatten. Rechnet man das Nebenzentrum Sakai hinzu, das allein auf 100000 Einwohner angewachsen war, dann errechnete sich für das Kinki eine Bevölkerung und Bevölkerungsdichte, die nicht weit hinter den Werten für Edo und dessen Umland zurückblieb. Der Unterschied lag nur darin, daß es im Kantö einen alle übrigen Orte des Reiches überragenden Mittelpunkt gab, während sich im Kinki die zentralen Funktionen auf zwei Oberzentren verteilten. II. Sakai Die Hafenstadt stand im Rang hinter Ösaka und Kyoto, war aber lange Zeit die viertgrößte Stadt des Archipels. Erstmals trat es kulturlandschaftlich als die Stätte des Nintoku Tenno-Misasagi (Bild 4) in Erscheinung. Dieses Grab auf dem Boden von Sakai bezeugt die seit frühgeschichtlicher Zeit enge Verbindung der Stadt mit Sumiyoshi, dem Großschrein für die Fischereigottheiten, der nicht nur unter dem
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
Schutz des Herrscherhauses stand, sondern dem Tennó wiederholt auch als vorübergehende Residenz diente. Sakai gehörte zur Gerichtsbarkeit von Sumiyoshi, und der Akuchi Jinja war ein Nebenschrein dieses Großschreins (103). Die Zugehörigkeit zu Sumiyoshi bewahrte der Stadt ihre Selbständigkeit. Zu ihrer ersten politischen Bedeutung gelangte sie in den Jahren des Namboku-chò, der Zerteilung des Tennóhauses in eine Süd- und eine Nord-Dynastie (1336-1392). Sakai befand sich auf der Seite des Go-Daigo Tennó, der nach Yoshino im südlichen Yamato ausgewichen war und sich dort des Beistands von KITABATAKE CHIKAFUSA und KUSUNOKI MASASHIGE sicher war. Das Daimyo-Haus Kusunoki übte von seiner Burg am Kongòzan die Herrschaft auch über Izumi und Settsu aus, womit ihm auch Sakai und Sumiyoshi unterstanden. Für die Yoshino-Dynastie wurde Sakai Versorgungs- und Kriegshafen. Nach den Erbfolgekriegen 1467-1477 erhielt Sakais Entwicklung einen neuen Impuls durch die Kenmin-sen, einer Schifffahrtsverbindung mit dem China der Ming-Dynastie. O D A NOBUNAGA nahm die reich gewordene Stadt unter seinen unmittelbaren Schutz. Sakai war Stadt des Pferdehandels, der Gewehrerzeugung, der Färberei und der Papierherstellung. Einen besonderen Ruf hatte es als Stadt der Teemeister, die infolge ihrer weiten Beziehungen die wirtschaftliche Entwicklung des Ortes zu fördern vermochten, allen voran KONISHI RYÜSA und SEN RIKYÜ. Insbesondere kam Rikyü über den „Tee-Weg" (Cha-do) in ein Vertrauensverhältnis zu O D A NOBUNAGA wie auch zu TOYOTOMI HIDEYOSHI, das sich zum Wohle der Stadt auswirkte (102). Ryüsa war übrigens, wie andere große Kaufleute in Sakai, ein Christ. Mit der Verwaltung der Stadt beauftragt, schützte er die Kirche und deren Missionare. HIDEYOSHI verschonte Sakai vor der Christenverfolgung. RYÜSA war auch Schatzmeister H I D E YOSHIS und Hüter der Teezeremonie-Geräte, von denen HIDEYOSHI wahrscheinlich die kostbarste Sammlung Japans besaß. RIKYÜ stammte aus der Familie, die in Sakai das Haupt der Fischhändler stellte, in deren Händen auch die Transportgesellschaft für den gesamten Izumi-Distrikt lag. Während viele andere Gesellschaften ähnlicher Art von HIDEYOSHI 1586 verboten wurden, blieb Sakai von dieser Maßnahme unberührt. Unter TOKUGAWA IEYASU wurde Sakai zunächst Kriegshafen während der Zeit des Kampfes um die Burg von Osaka. Nach der endgültigen Bezwingung der Ösaka-Burg wurden auch Sumiyoshi und Sakai in Brand gesteckt. Der Wiederaufbau erfolgte in der Weise, wie dies der Stadtplan aus der Gennazeit (1615-1624) wiedergibt (Abb. 14). Bemerkenswert ist die ostwestliche Mittelstraße, Òkoji-dòri, die vom Lande her auf das Hafenbecken zuführt, dies aber nicht ganz erreicht, weil ihr eigentliches Ziel der Reismarkt ist, an dem sich der vom Hafen kommende Stichkanal nordwärts wendet, um den Frachtbooten Anlegeplätze für den Warenumschlag zu gewähren. Die Ökojidori wird von einer Nordsüd-Achse rechtwinklig gequert, und an diesem Straßenkreuz hat sich die übrige Aufteilung der Stadt ausgerichtet. Die Ökoji-dori scheidet eine Süd- von einer Nordstadt. Die Südstadt besteht aus 10 der Ökoji-dori parallel laufenden Straßen, die 10 von zahlreichen Nordsüdstraßen gegliederte chö oder Unterbezirke darstellen. Die Nordstadt war an sich spiegelbildlich ebenfalls mit 10 chö gedacht; die Verlängerung des Stadtgebietes bis nahe an den Yamatogawa machte jedoch — bei leichter Richtungsänderung - 4 weitere chö möglich. Sakai ist keine Burgstadt; wiederholt war sie aber Festung, weshalb die Seitenflächen des Hafenbeckens an der Wasserfront mit Geschützstellungen versehen waren.
C. Die
175
Städtehierarchie
Nicht nur das Umringen der Stadt mit Wassergräben, auch die Entwicklung einer Tera-machi am äußeren Stadtrand ruft Erinnerungen an eine Jökamachi wach. Andererseits lassen die große Mittelstraße und das Straßengitter eine Nachahmung von Nara und Kyoto vermuten (Abb. 14).
Abb. 14
Die Handelsstadt Sakai zu Beginn der Tokugawa-Zeit,
1615—1624.
Nach T. Toyoda,
1969
Sakai wurde wie Osaka dem Bakufu unmittelbar unterstellt: es erhielt einen Machi-Bugyö. Soweit Außenhandel in der Tokugawazeit möglich war, wurde auch Sakai davon berührt. Der Holländer HENDRICK BROUWER, Leiter der Handelskompanie in Hirado, stationierte seine Schiffsbesatzungen u. a. in Sakai, wenn er Tuche, Farben, Pelze, Parfüme und Rohseide im Raum von Osaka-Kyoto einkaufen wollte. Auch J O H N SARIS, der erfolgreiche britische Kaufmann, nahm hier Quartier, obgleich er seine Geschäfte in Osaka abwickelte, wobei er die Gelegen-
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3. Kapitel:
Mensch und Landschaft
zur
Tokugawa-Zeit
heit nahm, WILL ADAMS bei IEYASU einzuführen. Mit Ösaka, das sich entschieden von einer Jökamachi zu einer Gewerbe- und Handelsstadt verwandelte, geriet Sakai auf dem Gebiet des Textilfaser- und Garnhandels in Rivalität, wobei es schließlich unterlag. Noch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts berichtete man von 1 0 0 0 0 0 Einwohnern in Sakai. Am Ende des Jahrhunderts sollen es nur noch 5 0 0 0 0 gewesen sein ( 8 0 , 2 6 1 ) . III. Nagasaki Die Hafenstadt Nagasaki stand wie Sakai unmittelbar unter dem Schutz und der Kontrolle des Bakufu. Auch hier übte ein von Edo eingesetzter Machi-Bugyö die Verwaltung aus. Trug doch, räumlich gesehen, dieser Hafen seit 1641 das Schwergewicht für die strenge Einhaltung der Landabschließung und der Überwachung der einzig möglichen Ausnahmen von diesem strengen Gesetz! Nagasaki war unter IEYASU noch keine Stadt. An der schmalen, tief eingreifenden Bucht bestand lediglich das Fischerdorf Fukae-no-ura (heutiger Stadtteil Öura), das einer Familie Nagasaki gehörte (67), weshalb für das Dorf auch dieser Name üblich wurde. Der Daimyö ÖMURA SUMITADA ( 1 5 3 2 — 1 5 8 7 ) , wie alle übrigen Daimyö um die Erhöhung seines Einkommens bemüht, veranlaßte 1568 nach Übertritt zum christlichen Glauben ( 1 5 6 2 ) die Portugiesen, die im 8 0 km nördlich gelegenen Hirado eine Faktorei betrieben, zu einer zweiten Niederlassung in Nagasaki. Damit wurde der Ort nicht nur ein Zielpunkt fremder Seefahrt, sondern auch ein Zentrum des japanischen Christentums in Japan. In ihm erreichte die Christenverfolgung unter HIDEYOSHI 1 5 9 7 mit der Kreuzigung der 2 6 Märtyrer auf dem Nishizaka ihren ersten Höhepunkt; sie trieb der völligen Ausrottung des Christentums zu, als IEYASU 1 6 1 4 das Verfolgungsedikt erließ, demzufolge alle christlichen Missionare in Nagasaki einzuschiffen und nach Manila zu bringen waren. Den Schlußakt forderte der sog. Shimabara-Aufstand von 1 6 3 7 - 1 6 3 8 heraus: Die Sakoku, die 1641 wirksam gewordene Absperrung Japans vom Ausland. Sie war für Nagasaki von entscheidender Bedeutung; denn mit ihr erhielt es die Funktion des für Japan einzigen Fensters für den Blick in die weite Welt (s. Bd. 1, S. 2 2 - 3 4 ; Plan von Deshima). Nun erst wurde auch die natürliche Ausstattung für die Entwicklung einer Hafenstadt voll wirksam. Sie zeigt Gunst und Ungunst. Mit allen übrigen Häfen der Region teilt es die Ungunst des räumlich engen und dabei gebirgigen Hinterlandes. Vor allen anderen Ankerplätzen ist Nagasaki aber ausgezeichnet durch die Gunst der Lage zu fernen Gestaden, und daraus begreift sich auch seine Sonderstellung für die nationale Entwicklung. Eingelegt in das Ende einer 8 km langen Riasbucht von nur 1000 m Breite, und doch weit vorgeschoben gegen das Meer, ist der rings von Bergen geschützte Hafen China am nächsten. Die Raumenge gewährleistete die Überwachung des eigens für den Fremdhandel aufgeschütteten Eilands Deshima und des seitlich davon angelegten Shinchi, des Platzes für den Chinahandel. Uber die verschließbare Brücke nach Deshima bewegte sich 1641 — 1859 der japanisch-europäische Handel, auch der Strom europäischer Gedanken und Wissenschaften, die unter den Namen Rangaku (Wissenschaften in holländischer Sprache) zusammengefaßt wurden und ihren bedeutendsten Vertreter im Gelehrten und Staatsmann ARAI HAKUSEKI ( 1 6 5 7 - 1 7 2 5 ) fand. Für die städtische Entwicklung boten sich landein nur zwei zur Bucht entwässernde
C. Die Städtehierarchie
177
Talrinnen an, die vom Andesitrücken des Kompirayama (366 m ) voneinander getrennt sind: Das wie eine landfest gewordene Fortsetzung der Riasbucht erscheinende Tal des Urakamigawa auf der Westseite des Hügelrückens und die Rinne des Nakajimagawa-Tals auf der SO-Seite, das mit den Anschwemmungen an seiner Mündung am Südfuß des Kompira eine schmale Verbindungsleiste zur Urakamimündung herstellte und damit der Stadtentwicklung eine Mitte zwischen dem Hafenraum und den beiden Talflügeln anbot. Die beiden Täler übten im Werden der zweiflügeligen Stadt die Funktion des passiven Prozeßreglers aus. Inwertgesetzt wurde zuerst der Raum des Nakajimagawa. Er enthält das Nagasaki d e r T o k u g a w a z e i t , w i e e s v o n ENGELBERT KÄMPFER u n d v o n P H . F . v . SIEBOLD
gesehen und beschrieben wurde. KÄMPFER (37, 7) gliederte es in eine Innenstadt (uchi-machi) und Außenstadt (soto-machi), wobei er hervorhebt, daß die zuströmenden Einwohner in Gassen angesiedelt wurden, die man nach der Herkunft der Zuwanderer benannte, so daß es neben einer Edo-machi eine Hirado- und Ómura-machi gab, Bezirke übrigens, die noch heute im Stadtkern bestehen. Unter der Außenstadt verstand er sowohl die gegenüberliegende westliche Buchtseite (Inasadake, 333 m ) als auch die auf den Höhen über dem Stadtkern sich vereinzelnden Kultstätten und Häuser, zu denen das Haus in Narataki gehörte, in dem v. SIEBOLD nach seiner Hochzeit mit einer japanischen Frau wohnte. Im Stadtflügel des Nakajimagawa gibt es nur im Küstenstreifen gerade verlaufende Straßen; an den Hängen aufwärts entstand ein Gewirr von Gassen, Stufen und Treppenaufgängen, das in seiner Gesamtheit und mit seinen Ausblicken auf die blau glänzende Bucht an mediterrane Küstenstädte erinnert und Nagasaki als Typ von den übrigen Hafenstädten Japans abhebt. Bemerkenswert sind die beiden über das Tal hinweggreifenden, den Rand der Altstadt in hoher Hanglage bezeichnenden Tempelstraßen. A m Hang des Atagoyama (227 m) und seiner Nebenkuppe Kazagahira folgen wie auf einer Isohypse einander die im 17. Jh. erbauten buddhistischen Söfukuji, Daionji, Ködaiji, Köfukuji. Über das Tal hinweg steht der shintöistische Asuwa-Schrein, der schon um 1550 an dieser Stelle als Zweigniederlassung des Suwa-Schreins (Nagano-Ken) erbaut wurde. V o m animistischen Zauber, der den Doppel-Schrein am Suwa-See beherrscht24, zeigte sich das Tokugawa-Bakufu stark beeindruckt: das „Ókunchi" des Suwa-Schreins in Nagasaki gehört noch heute zu den größten Festveranstaltungen Japans (Bild 10). In räumlicher Fortsetzung folgen nach W die buddhistischen Tempel Seifuku(ji), Honren(ji) und Fukusai(ji). Die Vielzahl buddhistischer Kultstätten sollten dem Christentum ein starkes Gegengewicht verleihen, auch in der Zeit, als die Christen als Kakure Kirishitan in den Untergrund gegangen waren. Eine Burg hat Nagasaki zu keiner Zeit gehabt. Als Handelsplatz und Stadt kultureller Kontaktaufnahme zählte sie 1614 etwa 50000 Einwohner (76, 415). Diese Zahl hat sich durch die Jahrhunderte gehalten. Eine leichte Belebung setzte ein, als ein Vorbote der Industrialisierung auf der Westseite der Bucht Fuß faßte. Die Regierung hatte die Notwendigkeit einer Heranbildung technischer Fachkräfte erkannt. Sie erteilte 1857 den „Nagasaki Iron Works" die Erlaubnis, eine Schiffsreparaturwerkstätte aufzubauen. Sie wurde zum Vorläufer der späteren Mitsubishi-Werft.
24 Vgl. die von TAIJI YAZAWA vorgelegte Untersuchung über den „Omiwatari" (113).
178
Bild 10
3. Kapitel: Mensch und Landschaft
Der Aufgang zum Suwa-Schrein
in Nagasaki. Aufn. M. Schwind,
zur
Tokugawa-Zeit
1979
IV. Die großen Burgstädte Kanazawa, Nagoya, Sendai, Hiroshima und Kagoshima Die fünf großen Burgstädte von 100000 und mehr Einwohnern wirkten als Oberzentren in den Regionen außerhalb von den vom Bakufu unmittelbar regierten Städten Kyoto, Osaka, Sakai und Nagasaki. Kanazawa und Nagoya waren eindeutig die Mittelpunkte des Chübu; Sendai blieb während der gesamten Tokugawazeit unbestritten der Kern von Töhoku; Hiroshima verfügte über das größte Reisaufkommen im Bereich der Setonaikai, und Kagoshima, von ähnlich hohen Einnahmen wie Kanazawa, galt mit seinem wirtschaftlich regen Satsuma-Han als der starke südliche Eckpfeiler des Reichs. 1. Kanazawa und Nagoya Kanazawa und Nagoya vereinigten auf sich etwa 5% des gesamten Reisaufkommens. Beide Fürstenhäuser vermochten an ihre Burgen eine in sich tief gegliederte Samuraigesellschaft zu binden, zu deren Versorgung sich so viele Chönin ansiedelten, daß die Städte den Charakter eines zentralen Marktes erhielten. Dabei unterschieden sich Kanazawa und Nagoya grundlegend in ihrer infrastrukturellen Situation. Kanazawa war im gesamten Ura-Nippon, insbesondere aber im Kaga-Han, das seinen Einfluß unmittelbar bis auf Noto und Etchü ausdehnte, die einzige Stadt dieser Größenordnung; erst in weitem Abstand folgte Fukui, dessen Einwohnerzahl sich um 50000 bewegte.
C. Die
Städtehierarchie
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Nagoya sah sich in Omote-Nippon eingefügt in das überregionale Dreieck EdoKyöto-Ösaka und war damit in seiner „Fernwirkung" auf das Owari-Han beschränkt; schon in Mikawa, Mino und Ise mußte es den Sog spüren, der von den drei größten Metropolen ausgeübt wurde. Die Tokugawa-Burgstadt hatte aber immerhin den Vorteil, daß sie von kleineren Burgstädten umschwärmt war, von Karya, Koromo, Okazaki, Anjö, Nishio, Toyohashi, Inuyama, Ögaki, Kuwana, Tsu. Kanazawa wuchs besonders steil in den Jahren nach 1650 (80, 119f). Der Daimyö versuchte die Landflucht zu drosseln, weil er das Ernteaufkommen nicht geschwächt haben wollte. Aber gegen das Verfahren, daß Bauern außerhalb der Jökamachi Land pachteten und Wohnstätten vermieteten, die man Landflüchtigen billig als Unterschlupf anbot, war man über die Jahre hinweg machtlos, weil die Stadt von sich aus die Landflucht förderte, indem sie immer wieder Eingemeindungen vornahm: 1665 wurden 995 Häuser zur Stadt geschlagen, 1687 weitere 191, und schließlich kam 1821 im Zuge einer größeren Neuordnung offenes Agrarland in den Stadtbezirk. Während Kanazawa zu Beginn der Tokugawazeit aus 27 Honmachi oder „inneren Stadtbezirken" und 7 Randbezirken bestand, war bis zum 19. Jh. die Zahl der Honmachi auf 40, die der Rand-machi auf 129 gestiegen. Diese Ausweitung geschah unter einer gesellschaftlichen Zonierung: In den Honmachi nahmen die Kaufleute und Handwerker 79% der Bevölkerung ein, die Samurai 7%, die Gruppe der Hilfspersonen (Diener, Knechte, Tagelöhner, auch Bettler) 14%; in den Randmachi entfielen nur 36% auf Chonin, aber 33% auf Samurai unteren Ranges, und in den Gebieten, die noch nicht zu einer „machi" formiert waren, stellten die unteren Samurairänge mit 37% die Mehrzahl, die Hilfspersonen waren mit 34% eine fast gleiche Gruppe (80, 256—57). Das Anschwellen des Samurai-Anteils in den Außenbezirken aufgrund der billigen Unterkünfte wirft Licht auf die immer stärker gewordene Verarmung dieses Standes. In Kanazawa, dessen Burganlage seiner landschaftsgärtnerischen Schönheit wegen im Rufe eines „Klein-Kyöto" stand (s. S. 222), schlug sich in der Achse von der Burg zum zersiedelten Stadtrand die soziale Spannung, in der das Volk am Ende der Tokugawa-Zeit lebte, besonders wirkungsvoll nieder. 2. Sendai und Hiroshima Auch Sendai und Hiroshima sind bei ähnlicher Funktion in ihrer Region von gegensätzlicher Ausstattung in ihrer Infrastruktur. Sendai ist Binnenstadt, Hiroshima Hafenstadt; Sendai ist die Mitte des in der Tokugawazeit erst voll inwertgesetzten Koloniallandes, Hiroshima ist die Mitte der Setonaikai, des landschaftlichen Herzens Altjapans. Die Burgstadt Sendai ist eine Gründung der Tokugawazeit. Der Daimyö D A T E MASAMUNE, Herr des Yonezawa-Han (300000 koku), wurde von IEYASU im Jahre 1600 mit Distrikten von Rikuzen belehnt (620000 koku). MASAMUNE machte eines der mächtigsten Daimyate daraus. Er wählte den Platz des schon bestehenden, aber bedeutungslos gewesenen Befestigungswerkes Iwatezawa zur Errichtung einer repräsentativ wirkenden Burg, die er 1602 bezog, wobei er die Burg Aobajö, aber die Stadt Sendai nannte 25 . Als guter Kenner des Nord25 Der Name Sendai erlaubt die Übersetzung „Erfreuliche Einsiedelei". Aoba-jö schloß".
ist das „Laubblatt-
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur Tokugawa-Zeit
Ostens wußte er um die Funktionen, die Rikuzen seit dem 8. Jh. für die Schaffung des Reichsganzen ausgeübt hatte. Die im Vorfeld von Sendai liegende Festung auf dem engräumigen Hügel von Taga hatte als Operationsbasis für die Eroberung von Mutsu gedient. FUJIWARA KIYOHIRA hatte mit der Errichtung seiner Feste Hiraizumi die Basis nach Norden vorgeschoben und hatte von da aus die Ainu endgültig unterworfen. Beide Stützpunkte hatten ihre Funktion erfüllt. In der Tokugawazeit ging es nicht mehr um die Niederwerfung von Gegnern, sondern um das straffe Regieren innerhalb von Regionen. Die Nordostregion bzw. Töhoku bestand nicht nur aus Mutsu, sondern auch aus dem an der Japanmeerseite liegenden Dewa. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß DATE MASAMUNE die Disposition des von ihm gewählten Burgplatzes zur Entwicklung eines für Tohoku überregionalen Zentrums erkannt hatte. Sendai liegt im S des im allgemeinen als Sendai-Ebene zusammengefaßten Tief- und Hügellandes, und der Küstenstreifen vor der Stadt fängt die Leitlinien der Verkehrsmöglichkeiten zwischen den vier Himmelsrichtungen auf. Von N mündet hier die meridionale Depressionsfurche des Kitakamigawa ein, die sich vom Küstensaume Sendais aus in leicht westlicher Versetzung als Abukumagawa-Furche mit dem Kantö verbindet. Von dieser Meridionalfurche zweigt die Aizu-Wakamatsu-Depression in nahezu rechtem Winkel ab, die das Öu-Gebirge quert und die einzige Öffnung zur Japanmeerseite schafft. Kein anderer Ort in Tohoku hängt so günstig im natürlichen Infrastrukturgefüge wie Sendai. Zur Wahl des Ortes im einzelnen sind einige stadtgeographisch bedeutsame Feststellungen zu treffen. Die erste bezieht sich auf die irreführende Vorstellung, die der Begriff „Sendai-Ebene" hervorruft und auch von Atlaskarten genährt wird. Viele farbige Landkarten überdecken diesen Raum mit einheitlich grüner Farbe und lassen ihn ungegliedert erscheinen, weil das Formengewirr, das aus der Zerschneidung von spätmiozän-pliozänen Plateaus entstand, in Meereshöhen liegt, die unter der 200 m-Linie verbleiben. Kein anderes Tiefland als der westlich vom Kitakamigawa befindliche Teil des Miyagi-Ken ist weniger überschaubar und reicher gegliedert. Man steht hier vor einem Maschennetz von Flußbecken, vor einem Mosaik aus niedrigen Plateauresten, Hügeln, Klein- und Kleinstebenen, wobei man sich sträubt, diese Becken „intramontan" zu nennen. Es sind intracolline Becken, so klein, daß sich in ihnen auch nur Dörfer oder Kleinstädte entwickeln konnten, wie Tsukidate, Wakayanagi, Takashimizu, Kashimadai, Yoneyama u. a. Das Stadtgebiet von Sendai ist eines dieser intracollinen Becken, allerdings ausgestattet mit Besonderheiten. Es lehnt sich im W unmittelbar an die 300—500 m hohen Bergfüße des Öu-Gebirges an, und es öffnet sich nach O frei nach einer 8 km breiten Küstenebene. Aber weder das Gebirge im W noch der Küstensaum im O erhielt beim Aufbau der Burgstadt eine Funktion. Wesentlich war das intracolline, wenn auch nach O aufgeschnittene Becken zwischen den Nanakita-Hügeln im N O und dem Aoba-Hügelland im SW, ein Becken, das bei westöstlichem Gefälle von 60 auf 10 m einen etwa 13 km2 messenden Siedlungsraum bereitstellt26. Die Begrenzung nach SW wird durch den wasserreichen
26 Zur Morphologie der Stadtgebiete vgl. 107, 3 0 - 5 2 und 66, 19-30.
C. Die Städtehierarchie
181
Hirosegawa verschärft, der das Aoba-Bergland unterschnitt und damit ein Steilufer schuf, das sich als 70 m hohe Mauer aufhebt. Das steile Ufer, von dem aus sich das ganze Becken überblicken läßt, wurde selbstverständlich zum Standort der Burg. Der gegenüber liegende, durch Flußterrassen gegliederten Hang der Nanakita-Hügel (70—100 m) wurde als Stadtrand wie in jeder Jökamachi von Tempeln bewacht; Tempel scharten sich auch im Bereich der Ausmündung des Beckens in den Küstensaum. A n der Grenze gegen die Berge des Binnenlandes errichtete man auf den hohen Ufern des ins Becken eintretenden Hiroseflusses je einen Hachimangü, sichtbarer Ausdruck dafür, daß sich der eigenwillige Daimyö trotz Konfuzianismus zum Gedenken des Kokutai bekannte. Die Stadt blühte rasch auf. Schon am Ende des 17. Jahrhunderts hatte sie so viele Menschen aus dem Gewimmel von Dörfern und Landstädtchen ringsum auf sich versammelt, daß die Einwohnerzahl zu mehr als 100000 anstieg. AizuWakamatsu, Akita und Hirosaki waren zu Nebenzentren des Töhoku geworden. Hiroshima ist im Gegensatz zu Sendai eine meeresverbundene Burgstadt gewesen, dazu noch in der maritimsten Region gelegen, die Japan aufweist. Keine andere Bucht der Setonaikai dringt so tief ins Land ein, keine andere hat so lange, auf den Scheitel der Bucht zustrebende Küstenschenkel, keine andere ist trotz der Weite des vor ihr liegenden Golfes so günstig durch Inselkulissen nach außen abgeschirmt wie die Hiroshima-wan. Die innere Bucht wirkt wie ein Binnensee, und die vom Ötagawa aufgeschwemmte Ebene erschiene binnenländisch, wenn sie nicht ihren maritimen Charakter dadurch zurückerhielte, daß sie von sechs DeltaArmen zu Inseln und Halbinseln zergliedert wird. Die Verbindung von Ebene, Flußdelta, der von Inseln geschützten Bucht, und dies alles eingefügt in einen ebenfalls schützenden Hügelkranz von 300—600 m Höhe, hat die Menschen schon früh zur Ansiedlung gereizt. Es ist der Kern der Altprovinz Aki, die das Ötagawaflußsystem umfaßte; sie ist eine jener Landschaftskammern, die in ihrer Geschlossenheit die feudalistische Kleinstaaterei begünstigte. Im 12. Jh. gehörte Aki dem mächtigen TAIRA KIYOMORI, durch den auch die Götterinsel Itsukushima (Miyajima) neuen Glanz erhielt. Im 16. Jh. gelangte die Provinz in die Hand des Daimyö MORI TERUMOTO, der 1593 die Burg Hiroshima erbaute und damit die Entstehung einer Jökamachi einleitete, die nach 1619 von der Asano-Familie vollendet wurde. Die Burg wurde dort errichtet, wo der Ötagawa durch eine erste Aufzweigung ein halbinselartiges Landdreieck (Hakushima) in seine Gabel nimmt und damit einer Befestigungsanlage auf zwei ihrer Seiten natürliche Wassergräben schenkt. Nur die Basis dieses Dreiecks stellte die Verbindung mit dem Land her, und diese Seite erhielt ihre Begrenzung durch den Sanyö-dö, der großen, an der Inlandseeküste entlang laufenden Verbindungsstraße zwischen dem W des Archipels und den Metropolen des Kinai. V o m Burgdreieck aus erhielt die Stadt zwischen den Deltaflüssen ihre Gestalt. Kernstück wurde daher die Insel zwischen Kyöbashi- und Motoyazugawa. Auf ihr lief von der Burg aus, den Sanyö-dö rechtwinklig kreuzend, die breite Mittelstraße geradlinig nach SW zu den Schiffsanlegeplätzen an der Deltamündung. Innerhalb des Burgbereichs zählte man drei größere, 47 mittlere und 152 kleinere Samurai-Yashiki. Die unteren Samurairänge, verteilt auf 354 Anwesen, hatten Platz in der Bürgerstadt gefunden. Daß innerhalb der Stadt auch den Chönin je nach ihrem Reichtum verschiedenes Ansehen zufiel, kam in der Länge der Straßenfronten zum Ausdruck, die ihre Häuser in Anspruch nahmen.
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur Tokugawa-Zeit
An den 125 Haushalten eines herausgegriffenen Chö stellt ROZMAN dar ( 8 0 , 8 9 ) , daß nur 67 von diesen auch Hauseigentümer waren. Von diesen wiederum verfügten nur 10 über eine Straßenfront von mehr als 12 m, die übrigen begnügten sich mit einer solchen von weniger als l i m oder gar weniger als 7 m. Insgesamt soll die Stadt im 17. Jh. etwa von 1 0 0 0 0 0 Menschen bewohnt gewesen sein, von denen 7 0 0 0 0 zu den Chönin rechneten, doppelt so viel wie in Okayama, dem an der östlichen Setonaikai gelegenen potentiellen Rivalen, der nur infolge seiner Nähe zu den Metropolen Osaka und Kyoto nicht zu gleicher Entwicklung kam. Für Hiroshima war noch von Vorteil, daß sich der zum Han gehörende Seehafen Onomichi ebenso in Abhängigkeit zur Han-Hauptstadt befand wie die Landstadt (zaikata-chö) Miyoshi, die als zentraler Ort im gebirgigen Binnenland den Verkehr zum Sanindö vermittelte, insbesondere nach Matsué und Yonago. 3. Kagoshima Kagoshima, Hauptstadt von Satsuma, ist dank seiner extrem südlichen Lage an einem Außenflügel des Archipels und damit dank seiner nur großen Mühen unterliegenden Erreichbarkeit, Hort von Eigenwilligkeit und in gewissem Grade von freiheitlichem Denken gewesen. Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem bewies Daimyö SHIMAZU TAKAHISA, als 1 5 4 9 ( 1 5 . August) der Priester FRANCISCUS XAVIER in Begleitung des Japaners HANJIRÖ (Anjirö, Angerö) um Erlaubnis bat, in Satsuma zu predigen (vgl. Bd. 1, S. 22). Die Genehmigung hierfür, die der Daimyö in der Hoffnung gab, daß er damit portugiesische Handelsschiffe nach Kagoshima locken könnte, erwies sich als ein Akt von höchster innenpolitischer Bedeutung: sie enthielt nicht weniger als den Keim für die erste Auseinandersetzung Japans mit der abendländischen Welt. Als 1863 unter den Bemühungen, freien Handel mit Japan zu erzwingen, das britische China-Geschwader mit 7 Schiffen vor Kagoshima erschien und die Stadt beschoß, war Daimyö SHIMAZU SABURÖ von der technischen Überlegenheit der Engländer so beeindruckt, daß er beim Shögun auf Verhandlungen mit den Engländern über den Kauf von Schiffen und Kriegsmaterial drängte (62, 735). Auch waren „die Shimazu der erste feudale Clan, der sich ernsthaft um die Kenntnis westeuropäischer Techniken zum Zwecke der Modernisierung seines Gebietes bemühte" (44, 24). Kagoshima wurde bekannt durch die Einführung ausländischer Textilmaschinen, die vom Daimyö Shimazu Nariakira bewirkte Aufstellung eines Reflektor-Hochofens ( 1 8 5 2 ) , durch die Herstellung von Waffen und von Pharmazeutika. Die Shimazu standen in ihrem offiziellen Reisaufkommen ( 7 7 0 8 0 0 Koku) an zweiter Stelle aller Daimyö des Reichs. In der Anlage ihrer Burgstadt zeigten sie Zurückhaltung in der Ausstattung. Die Burg wurde vor der 107 m hohen vorderen Kante des Plateaus errichtet, das den Sommarand der in die Meeresbucht abgesunkenen Ata-Caldera darstellt (vgl. Bd. 1, S. 169). Die aus Tuffen und Bimsstein aufgebaute Kante gibt der Küstenebene nur einen 800 m breiten Raum: Die Burgstadt charakterisierte sich durch Enge. Viele der Samurai richteten ihr Yashiki außerhalb von Stadt und Burg ein, aber in Sichtweite der Burg. Die z. T. heute noch erhaltenen Samuraiyashiki werden fumoto genannt, d. h. „zu Füßen des Berges". Da Kagoshima als Han-Hauptstadt Einfluß auf ganz Süd-Kyüshü ausübte und allein eine Samuraibevölkerung von wenigstens 4 0 0 0 0 Menschen unter-
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hielt (80, S. 270), wuchs es sehr bald zur bevölkerungsreichsten Stadt von Kyüshü auf. Sie war zur Tokugawazeit die einzige „Großstadt" der Insel; sowohl FukuokaHakata als auch Kumamoto und Nagasaki folgten nur mit Abstand. V. Die Mittel- und Unterzentren 1. Regionale Nebenzentren Der hohe Zentralitätsrang, der den Städten Kanazawa und Kagoshima während der Tokugawazeit zufiel, ist ebenso bemerkenswert wie die Tatsache, daß sich in der räumlichen Verteilung der übrigen Großstädte die starke Konzentration von Bevölkerung und Wirtschaft in der Tokai-Sanyödö-Region widerspiegelt, während sich die Außenflügel der Stamminseln durch Ausbildung von Nebenzentren kennzeichnen. Das gilt vor allem von Sanin-dö, von ganz Shikoku, von Kii und der Japanmeerseite von Töhoku, und dies trotz der Tatsache, daß einige der betroffenen Han-Mittelpunkte über ein Reisaufkommen verfügten, das über dem Durchschnitt lag. Beispiel ist Wakayama, die Hauptstadt eines Tokugawa-Daimyats, das der Wohlhabenheit nach im Reich an fünfter Stelle stand. Wakayama ist Hauptstadt eines Außenflügel-Han, dessen Gebirgsmasse auf drei Seiten vom Meer umspült wird und an der Breitseite im N an vier Provinzen grenzte, die ausschließlich auf die Mittelpunkte Osaka, Kyoto und Nagoya ausgerichtet waren. Der gedrosselte Außenhandel gab nicht einmal die Möglichkeit, die Disposition des Ortes für die Entwicklung einer Hafenwirtschaft zu wecken. Das Vorhandensein einer größeren Zahl von Samuraifamilien in der Burgstadt genügte allein nicht als Impuls für die Ansiedlung von Chönin; wesentlicher war, ob diese Samurai ihre Bedarfsgüter, von den Lebensmitteln abgesehen, am Ort zu decken versuchten. Diese aber besorgten sich die Wakayama-Samurai in den nicht allzu entfernt liegenden Metropolen: Ein bedeutender Unterschied zu Kagoshima, wo man infolge der großen Ferne zu überregionalen Zentren darauf angewiesen war, eine vielfach gefächerte Produktion von Bedarfsgütern auch am Ort zu entwickeln. Wakayamas Einwohnerzahl stagnierte bei 50000. Auch Hagi am Sanindö, 1610 zur Burgstadt der Provinzen Nagato (Chöshü) und Suo mit einem Reisaufkommen von 370000 Koku gemacht, entbehrte, von seinem Hafen abgesehen, jeder Gunst im Gefüge natürlicher Leitlinien. Die Hafenstädte Shimonoseki und Chöfu (Toyoura) und die Binnenstadt Yamaguchi sogen die Kaufleute und Handwerker von Hagi förmlich ab; es blieb eine kleine Stadt von 10—16000 Einwohnern. In ganz ähnlicher Weise stand die TokugawaStadt Mito unter der Sogwirkung von außen: Sowohl der Daimyö als auch viele der 21000 Samurai lebten im eigentlichen Sinne in Edo, so daß die Burgstadt weniger als 20000 ständige Bewohner zählte (80, 198). Unter dem Edo-Sog litten ebenfalls alle die im Kantö bestehenden Burgstädte, wie Odawara, Kawagoe (1698: 9000 Einw., davon 3000 aus Samuraifamilien), Hachiöji (1854: 7400 Einw.) und selbst Utsunomiya, das als Hauptstadt eines Han mit 80000 Einwohnern auf nur etwa 5000 Einwohner kam (80). Geradezu als Bushi- bzw. Samuraistadt konnte Hikone angesprochen werden, wobei das Verbot, Kyoto zu besuchen, wahrscheinlich wie ein Marktstau wirkte, der den Kaufleuten zugute kam. Für 1695 errechnet sich eine Bevölkerung von rd. 36000 Menschen, von denen 19000 auf die Samurai-
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
familien, 15500 auf die Chönin (davon 64% Kaufleute) entfielen (80). Eine über die Grenzen des Han greifende Marktwirkung hat die Stadt jedoch nicht ausgeübt. 2. Hafenorte und
Monzenmachi
Zu den genannten Burg- und Marktstädten ländlichen Charakters treten noch die z. T. ohne Anlehnung an eine Burg entstandenen Hafenorte und die Monzenmachi, die ursprünglich in Verbindung mit einem buddhistischen Tempel entstanden, aber auch im Vorgelände eines Shintöschreins vorkommen. Von den Hafenstädten wurden bereits die unter der Bakufukontrolle stehenden als die wichtigsten hervorgehoben. Im Hinblick auf spätere Entwicklung sei aber gesagt, daß neben Osaka und Sakai auch Hyögo, das spätere Köbe, die Funktion eines Hafens ausübte. TAIRA KIYOMORI mag die Zukunft dieses Platzes vorausgeahnt haben, als er in Fukuhara (heute Köbes westlicher Stadtteil) einen Palast errichten ließ, der vorübergehend sogar den Tennö aufnahm. Als Hafen der Reiszufuhr dienten Chöshi für Edo, Nakaminato für Mito, Shiogama für Sendai, die Verwaltungsstadt Hakodate für das gesamte Hokkaidö. Niigata exportierte Reis; Tsugaru und Obama an der Wakasabucht waren, sofern man für den Reistransport vom westlichen Töhoku aus die „mawari"-Route nicht auf sich nehmen wollte, Umschlaghäfen für den Transport nach Kyoto und Osaka. Shimonoseki galt schon immer als Ankerplatz für die in die Setonaikai einfahrenden Schiffe; Hakata (Fukuoka) war seit alten Zeiten das Tor von Nordkyüshü; Tokushima, auf den Delta-Inseln des Yoshinogawa angelegt, betrieb den Schiffsbau und stand auf dem Wasserweg in Verbindung mit den Häfen der Ösaka-wan. Onomichi, das von E. KÄMPFER erwähnte Muro, d. h. Murotsu (heute Mitsu) sowie Takamatsu und zahlreiche Häfen der Setonaikai-Inseln verrichteten den Fährverkehr und dienten dem Reistransport. Unter den Tempelstädten hatte die schon ältere Monzen-machi Nagano (rd. 30000 Einw.) als die zugleich wirtschaftlich bedeutendste Stadt der Provinz Shinshü die größte Ausstrahlung. Monzen-machi waren nach Anlage und Funktion auch Zentsuji, das als Geburtsort des Köbö Daishi und Zentrum der Shingonlehre Ströme von Pilgern aufnahm, die zugleich auch die nur 5 km entfernte Monzenmachi Kotohira aufsuchten, deren Tempel, von Köbö Daishi gegründet, während der Tokugawazeit noch buddhistisch war, und dessen Gottheiten die Seefahrt, das Seidengewerbe sowie jedweden Reichtum schützten (20 u. Abb. 9). Von den Städten shintöistischer Prägung, man könnte diesen Typ als Jingü-machi bezeichnen, sind Uji-Yamada, Atsuta und Dazaifu hervorzuheben. Für Uji-Yamada (28000 Einw.) stellte das Bakufu einen Verwalter (Bugyö) zur Überwachung des Pilgerverkehrs. Atsuta (25000 Einw.) war zugleich Einschiffungshafen zur Überquerung der Owari-Bucht nach Kuwana (s. u.). Dazaifu, das in der Tokugawazeit keine Verwaltungsfunktion mehr ausübte, erhielt eine wachsende Bedeutung durch den 1590 erneuerten Temmangü, an dem man SUGAWARA M I C H I Z A N E verehrte (s. 1. Kap., 2. Abschn., D). Funktional gesehen, ist auch Nara zur Tokugawazeit nichts anderes als eine Monzenmachi. Schließlich aber erhält die Städtepyramide, wie sie der kartographischen Darstellung in Abb. 15 zu entnehmen ist, eine Verbreiterung ihrer durch Landstädte gebildeten Grundschicht durch die zahlreichen Shukuba-machi, die Poststationsstädte entlang den großen Reichsstraßen.
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft
zur
Tokugawa-Zeit
D. Die Infrastrukturentwicklung in ihrer Ausrichtung auf Edo Die bei der Behandlung von Edo genannten Reichsstraßen waren für die Landesentwicklung von großer Bedeutung und bedürfen einer genaueren Betrachtung (95 u. 104) 27 . Den Verlauf der Straßen zeigt Abb. 15. Wesentliches Merkmal der Straßen waren seit dem 7. Jh. die Poststationen, eki, auch umaya genannt, weil man an diesen Plätzen die Pferde wechseln konnte. Am Tökaidö gab es zwischen der Nihonbashi in Edo und der Sanjö Öhashi in Kyoto 53 Stationen 28 , und die Verlängerung des Weges nach Osaka erbrachte 5 zusätzlich (Fushimi, Hashimoto, Yodo, Hirakata, Moriguchi). Der Nakasendö war von Itabashi (Edo) bis zu seiner Einmündung in den Tökaidö bei Kusatsu am Biwasee mit 67 Stationen besetzt. Der Tökaidö war rd. 500 km, der Nakasendö 542 km lang. Viele Benutzer des Tökaidö wählten zur Verkürzung der Reise die von Atsuta abzweigende Südroute, die nach Überquerung der Bucht mit Boot bis nach Kuwana über YokkaichiKameyama nach Seki führte und von dort aus in Kusatsu die Hauptroute wieder erreichte. Im übrigen konnte man, wenn man bis Osaka reisen wollte, in Fushimi ein Boot besteigen und den Wasserweg Ujigawa-Yodogawa benutzen. Die längste der fünf Oststraßen war mit 750 km der Öshü-Kaidö mit 87 Stationen. Der Köshü-Kaidö, der von Edo aus über Köfu den Nakasendö in Suwa erreichte, war 290 km lang und hatte 34 Stationen. Der kürzeste Kaidö führte mit 24 Stationen auf 190 km nach Nikkö. Insgesamt bestanden an den 5 Kaidö 270 Poststationen. Rechnet man die Stationen am Sanyö-dö, Sanin-dö, Hokuriku-dö, Nankai-dö und an allen Straßen 2. Ranges noch hinzu, dann errechnen sich etwa 1800 Stationen, mit deren Hilfe das Bakufu den Nachrichtendienst fest in der Hand hatte. Für die Kennzeichnung der Entfernungen begann man 1604 in Abständen von 1 ri Meilensteine aufzustellen (95, 51). Ein ri (36 chö) entsprach 3,93 km, also rd. 4 km oder einer Wegstunde. Im Schnitt konnte man nach 2 ri eine Station erwarten. Je nach der Konfiguration des Geländes vergrößerten oder verkleinerten sich die Abstände. Potentiell hatte jede der Poststationen oder Shuku die Möglichkeit zur Entwicklung eines zentralen Ortes wenigstens unterer Ordnung, zu einer Shukubamachi oder einer „Poststationsplatz-Stadt". Faktoren für eine Entwicklung waren die vom Bakufu ausgegebene Straßenordnung, die natürliche Beschaffenheit des Umlandes, die kulturlandschaftlich bedeutsamen Objekte am Ort oder in der Umgebung, die verschieden starke Initiativkraft einzelner Bürger und die Verhaltensweisen der Bauern ringsum. Charakteristisch für den Grundriß der Shukuba-machi war die beidseitig bebaute gerade Straße, die an beiden Ortsenden abknickte, ehe sie sich im freien Gelände fortsetzte. Auf diese Weise stellte die bebaute Straße einen Innenraum dar. Dessen Mittelpunkt war das vom Bakufu an den großen Straßen geforderte Honjin, ein repräsentatives Hotel, meist mit Gartenanlage versehen. Im Honjin übernachteten Beauftragte des Bakufu und die Daimyö, wenn sie zur Wahrnehmung ihrer Residenzpflicht nach Edo zogen oder sich von dort zurückbegaben. Da die Anmeldungen zur Übernachtung die Fassungskraft eines Honjin häufig überstiegen, errichtete man Waki-Honjin, dem Haupthaus angeschlossene Unterkünfte. In einigen Shukuba-machi standen zwei, in Odawara 27 Anschauliche Beschreibung des Nakasendö gab J. R E I N in Ergänzungsheft 59, Pet. Mittn. 1880. 28 Shinagawa war Nr. 1, Ötsu Nr. 53 - Vgl. die Holzschnitte: The Fifty-three Stages of the Tökaidö, by H I R O S H I G E . Heibonsha, Tokyo 1960. Mit Karte und 55 farbigen Wiedergaben.
D. Infrastrukturentwicklung
in Ausrichtung auf Edo
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sogar 4 Honjin mit 4 Waki-Honjin. Das Gefolge des Daimyözuges wurde in Shitayado oder Hotels zweiter Klasse untergebracht. Zu Seiten der Hotels reihten sich die Gastwirtschaften und Kaufläden sowie jene handwerklichen Betriebe an, die Reparaturarbeiten für die Reisenden besorgten, aber auch die Erzeugnisse ihrer Handwerkskunst verkauften. In Hodogaya lebten im Jahre 1755 vom Reisebetrieb mehr als 2000, 1850 mehr als 3000 Menschen (590 Familien). Neben 69 Gastwirtschaften — davon 49 mit Damenbedienung - gab es 250 Geschäfte und 52 Gewerbebetriebe (1, 273—275). Wesentliche Elemente der Poststation waren auch die Einrichtungen für die Gepäcklagerung, Gepäckbeförderung und für die Pferdehaltung. Diese Tonyaba lagen in den Händen der vom Bakufu eigens hierfür eingesetzten Tonya (was nicht hinderte, daß im Laufe der Zeit daraus lizensierte Geschäftsunternehmen wurden). Den Tonya standen Schreiber und Knechte zur Verfügung. Am Tökaidö unterhielt jede Station im Schnitt 100 Pferde und 100 Reitknechte, am Nakasendö die Hälfte davon, an den übrigen Straßen ein Viertel. Diese Verteilung entsprach dem Bedarf. Von den 245 Daimyö, die 1821 der Sankin Kötai nachzukommen hatten, wählten für ihre Anreise 146 (= 60%) den Tökaidö, 15% den Öshü Kaidö, 12% den Nakasendö. Auch die aus SW-Japan anreisenden Daimyö zogen ab Osaka bzw. ab Kusatsu am Biwasee den Tökaidö vor: Er war die abwechslungsreichste Straße, und er verfügte über Stationen, von denen aus sich auch kurze Abstecher machen ließen; von Kameyama aus besuchte man Ise, in Miya verweilte man am Atsuta Jingü, auf dem Wege nach Owari, Mikawa und Totomi streifte man bedeutende Jökamachi, wie Okazaki, Yoshida, Hamamatsu und Kakegawa, die zugleich auch Poststationen waren, wobei gerade Okazaki wie das vor Hakone liegende Mishima durch ihre Liebesdienerinnen bald so bekannt wurden, daß man 1804 Schutzgesellschaften gründete, die unter dem Motto „Sicherheit und keine Mädchen von schlechtem Ruf" handelten. Die für den Nachrichtendienst tätigen Eilboten waren Läufer und Reiter. Die Läufer oder Hikyaku (fliegende Füße) liefen zu zweien; sie benötigten von Edo bis Kyoto 82 Stunden; Rekordleistungen waren 40—60 Stunden (95, 67). Die Eilboten zu Pferd oder Haya-uma (Eilpferd) wechselten auf Zwischenstationen die Tiere, die gefüttert und gepflegt werden mußten (Wechsel der Strohschuhe, die durchgelaufen waren; Hufeisen gab es noch nicht). Auch die Samurai bedienten sich auf ihren Reisen des Pferdes; dies war um so naheliegender, als die Straßen nicht befestigt waren und bei Regenwetter unbegehbar wurden. Bezeichnet waren die Straßen im offenen Gelände nur durch Baumreihen, meist Kiefern (Pinus densiflora), die Schatten spendeten und den gröbsten Regen auffingen (Bild 11). Da die Nachfrage nach Pferden immer häufiger wurde, verordnete das Bakufu, daß die Bauern, die bis zu 12 km seitwärts der Straßen wohnten, Hilfspferde stellten. Da diese „Hilfeleistungsdörfer" oder sukego den Fehlbedarf noch nicht decken konnten, schob man die Sukego-Streifen bis auf 40 km Tiefe ins Land vor. Die Bauern folgten nicht gern; denn die geringe Vergütung für die Hilfeleistung deckte den Verlust, der durch Arbeitsausfall auf den Feldern entstand, nicht annähernd. Das SukegoSystem trug zur Verarmung der Bauern bei. Die Ausgaben, die ein Daimyö auf sich zu nehmen hatte, waren schon erheblich, bevor er sein Yashiki in Edo erreicht hatte. Sie enthielten folgende Posten: Ausstattung der Reiseprozession, die mehr und mehr zur bloßen Selbstdarstellung des Machtpotentials der Daimyö wurde; Übernachtung für den Prozessionszug und Verpflegung; Fütterung und Pflege der Pferde; Unkosten bei Überquerung
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Bild 11
3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tdkaidö am Hamana-ko.
Aufn. M. Schwind,
Tokugawa-Zeit
1979
der Flüsse; unvorhergesehene Aufenthalte bei Starkregen. Die beiden letzten Fakten waren von politisch-geographischer Bedeutung. IEYASU ließ zwar in seinem heimatlichen Mikawa eine Brücke über den Yahagigawa bauen und die über den Toyo in Ordnung halten, aber im weiteren Verlauf des Tökaidö mußten der Tenryü-, Öi-, Abe- und Fujikawa auf Fährbooten oder zu Fuß durchquert werden, wobei verboten war, Pferde bei Wassertiefe von 1,20 m hindurchzutreiben und Personen bei Wasserstand 1,35 m durchwaten zu lassen. Man hatte zu warten, bis sich der Wasserspiegel senkte, und dies konnte lange dauern. Beträgt doch der Abflußkoeffizient des Tenryü 1010, d. h. die Wassermassen können in der regenreichen Frühsommerzeit und im Herbst fast lOOOmal größer sein als zur winterlichen Trockenzeit (s. Tab. 4). Das untätige Warten an den brückenlosen Flüssen war vom Bakufu eingerechnet; denn es auferlegte den Daimyö zusätzliche Ausgaben und erschwerte überdies jeden Versuch, einmal in ernster Form gegen Edo vorgehen zu wollen. Diese aus der zentralistischen Staatskonzeption geborenen Gedankengänge haben sich negativ in der Landesentwicklung niedergeschlagen.
D. Infrastrukturentwicklung
in Ausrichtung
auf Edo
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Gewonnen haben durch sie die Shukuba-machi zu beiden Flußseiten; sie hatten für die Hochwasserzeiten vorgesorgt durch Verstärkung der Übernachtungseinrichtungen. Für Hamamatsu vor dem Tenryü, für Shimada am Öigawa und Sumpu (Shizuoka) am Abegawa lag die Zahl der Hotels mit mehr als 120 sehr hoch.
Auf die Wegsperren, die sich schützend um den Außenrand des Kantö legen, muß noch hingewiesen werden. Auch sie bedeuteten nicht nur Sicherung, sondern Aufenthalt. Die Reisenden wurden auf Waffen untersucht; Frauen wurden durch weibliche Inspektoren visitiert und hatten ihren Paß bzw. die Reisegenehmigung vorzuweisen; denn man vermutete, daß sich zu jungen Männern herangewachsene Kinder durch Verkleidung aus Edo herausschmuggeln könnten, um sich damit dem Akt der Geiselnahme zu entziehen. Auf Benutzung von Schleichwegen stand Tod durch Kreuzigung. Die Schlagbäume waren nur von morgens 6 Uhr bis abends 6 Uhr geöffnet. Das bedeutete in vielen Fällen Übernachtung und Erhöhung der Unkosten (95, 57). Die Linienführung der Straßen und die Gesamtheit des Straßennetzes erhielten vom 17. bis 19. Jh. eine für die vorindustrielle Zeit gültige Form. Nur Orte, die an diesen Straßen lagen, nahmen an der Landesentwicklung teil. Befestigte Straßen waren noch unbekannt. Bei Regen- und Tauwetter waren sie kaum begehbar; in solchen Fällen bewährten sich Pferd und Rind als Transportmittel. Die Straßen hatten vornehmlich drei Funktionen: 1. Sie waren das einzige Adernetz für die Nachrichten- und Befehlsübermittlung von der Zentralregierung aus über das gesamte Staatsgebiet hinweg. 2. Sie waren Träger des Personenverkehrs und der sich planmäßig vollziehenden Daimyö-Prozessionen in Erfüllung der Sankin Kötai. Das auf Edo ausgerichtete Straßennetz hatte eine entscheidende Funktion im Rahmen des zentralistischen Staatsaufbaus. Die Nihonbashi in Edo stellte den räumlich sichtbaren Mittelpunkt des Verkehrsnetzes dar. 3. Sie waren die zunächst ausschließlichen Transportwege für die Versorgungswirtschaft. Der Fährverkehr in der Setonaikai hatte nur Ergänzungsfunktion. Das gilt auch für die Küstenschiffahrt, wie sie von Rikuzen nach Edo und von der Japanmeerküste Tohokus als „Mawari-Route" entwickelt wurde; auch die Gründung der Schiffahrtslinien zwischen Ösaka und Edo war nur ein Symptom künftiger Entwicklung.
Für das Aufblühen einer Stadt war die Lage an einer der großen Straßen Voraussetzung. Der Idealfall war gegeben, wenn der Ort eine Poststation und zugleich eine Jökamachi (Kameyama, Okazaki, Hamamatsu) oder Jingümachi (Miya) war und zusätzlich über einen Hafen (Ösaka) verfügte. Die Hafenfunktion war zunächst aber von zweiter Bedeutung: Viele der großen und größeren Städte lagen abgerückt von der Küste und waren auf den Landverkehr ausgerichtet, wie Kyoto, Kanazawa, Sendai, Aizu-Wakamatsu, Akita, Hirosaki, Fukui, Tottori, Okayama, Kochi, Matsue. Andererseits blieb ohne Einfluß, daß die von SIEBOLD wie auch von KÄMPFER besuchte Hafenstadt Muro (Murotsu, heute Mitsu) zugleich Poststation mit 21 Honjin war, in denen die Daimyö von Kyüshü und Chügoku zu übernachten pflegten 29 . Erst die von TOKUGAWA IEYASU gegründete Osthauptstadt, die erste Großstadt, die in so starker Verkehrsspannung mit Ösaka stand, daß für den Warenverkehr die Landstraßen nicht ausreichten, gab das Signal für die intensivere Nutzung des Meeres für den Verkehr. Edo und Ösaka wurden zu den Schrittmachern für die Entwicklung künftiger Hafenstädte. 29 Das Honjin „Hizenya" ging 1975 in Flammen auf. Anläßlich dieses Verlustes gab die „Mainichi Daily News" einen historischen Rückblick.
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft
zur
Tokugawa-Zeit
Es muß hinzugefügt werden, daß das Straßennetz in der späteren Tokugawazeit eine erhebliche Verdichtung erfuhr. Die Unlust, sich den strengen Vorschriften auf den Reichsstraßen zu beugen, erzeugte die Herausbildung von Gewohnheitswegen, die parallel zu den großen Straßen verliefen oder auch aus den Seiten auf sie zustießen. Am Beispiel des Nakasendö im Raum westlich des Usui-töge zeigt H A R A S A W A die zusätzliche Durchäderung des Landes mit Straßen auf, die schließlich das offizielle Netz der Poststationen-Straßen in seinem Verkehrs- und Wirtschaftsaufkommen schwächten (27, 277—291).
3. Abschnitt Die Wirtschaftslandschaft und die Objektivationen der Geisteskultur im kulturgeographischen Gesamtgefüge A. Die Wirtschaftslandschaft I. Die Agrarlandschaft 1. Die gedanklichen Hintergründe für die Entwicklung der Agrarlandschaft Wenn man, von der ursprünglichen Landnahme abgesehen, den Rodungsappell vom Jahre 743 als den ersten umfassenden Angriff auf die natürliche Landschaft bezeichnen darf, dann kann die Zeit der Shoen-Erwerbungen als ein zweiter, wenn auch ohne jede Konzeption durchgeführter Versuch gewertet werden, dem Land soviel Nutzfläche wie technisch möglich abzugewinnen. In der Tokugawazeit stellte sich zum dritten Male die Frage an die Natur nach einem Mehr an Nutzfläche, und ihre Lösungen ergaben sich in der Auseinandersetzung mit den Hügel- und Terrassenländern, den unteren Bergregionen und den Küstengewässern. Dabei ging man von den Erwartungen aus, den Lagen über den Talböden und den von den Gezeiten überspülten Flachküsten Naßreisfelder abtrotzen oder auf den von Natur aus trockenen Ländereien wenigstens Marktfrüchte und Gewerbepflanzen anbauen zu können. Den Rodungsvorgang von 743 erheischte die wachsende Bevölkerung. Die Shöen-Entwicklung erfuhr ihren Impuls aus der Sucht nach persönlichem Ansehens- und Machtzuwachs. Die Landesentwicklung während der Tokugawazeit hatte komplexere Hintergründe. Als auslösende Ursache für die Nutzlandgewinnung kann die Vermehrung der Bevölkerung nur zum Teil gelten. Nach Herstellung des Landesfriedens durch IEYASU erfuhr die Bevölkerungsentwicklung zweifellos einen Aufschwung. Das Volk nahm im Verlauf des 17. Jahrhunderts von 18 auf 26 Mio. Menschen zu. Später setzte die in Tab. 1 belegte Stagnation ein; die Zahl der Menschen bewegte sich konstant zwischen 27 und 30 Mio. Daraus war eine Notwendigkeit zur Verbreiterung der Ernährungsbasis nicht mehr ableitbar. Die Erschließung der neuen Nutzflächen erfolgte nicht von der Zentralregierung aus; sie geschah durch Initiative der Daimyö, die ihre Schulden bei Kaufleuten und Großbauern durch ein erhöhtes Reisaufkommen zu decken versuchten. Dabei erstrebten sie nicht, in der Skala der offiziellen Kokuschätzung durch Vermehrung des omotedaka in einen höheren Rang zu kommen, der noch
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Wirtschaftslandschaft
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größere Verpflichtungen nach sich gezogen hätte. Es war ihnen nur an der Steigerung des naidaka bzw. jitsudaka gelegen, des realen Einkommens, aus dem persönliches Vermögen (kura-iri) abgeschöpft werden konnte. Auf kurze Formel gebracht: Es handelte sich um ein Ausbrechen aus dem Teufelskreis der hierarchisch aufgebauten, das Wirtschaftsleben reglementierenden und den persönlichen Wohlstand drosselnden Gesellschaft, deren oberste Träger — Ironie der Geschichte genug — die Daimyö zwangsweise auch selbst waren. Die Ausweitung der Ackerfläche von etwa 2,1 Mio. ha auf 3,2 Mio. ha (43), d. h. um 55%, war eine kulturlandschaftliche Leistung von hohem Rang 30 ; in der dahinter stehenden Zielsetzung und in den Methoden ihrer Durchsetzung war aber eine von Egoismus und kapitalistischer Gesinnung getragene Verhaltensweise unverkennbar. Zwangsläufig wurde der Shögun als Herr eines auf rd. 8 Mio. Koku berechneten Privatbesitzes (das waren 25% des Ackerlandes ganz Japans) in den Vorgang einbezogen, sofern er seine Einkommensrelationen zu den großen Daimyö nicht zu seinen Ungunsten verschoben wissen wollte. 2. Die Ausweitung der Nutzfläche Mit einem Zuwachs von 1,13 Mio ha landwirtschaftlicher Nutzfläche kennzeichnete sich die Tokugawazeit als die bedeutendste Periode der Binnenkolonisation. Es entstanden 14000 Neusiedlungen, denen man im Gegensatz zu den Altdörfern (honden) die Typbezeichnung Shinden gab, d. h. „neue Reisfelder". Wenn auch die Neusiedlungen nicht durchweg Reisfelddörfer sein konnten, so enthält die Prägung des Begriffs „shinden" doch die Absicht, die wertmäßig in Reis-koku umgerechneten Erntemengen durch Schaffung neuer Siedlungen zu vergrößern. Im Durchschnitt entfielen auf ein Shinden 75—80 ha Ackerfläche. Die vom wirtschaftlichen Nützlichkeitsdenken beherrschte Landerschließung drückte sich in der Dorf- und Flurform aus; die Bodenfläche optimal zu nutzen, herrschten geradlinig gezogene Aufteilungen vor. Das galt für die Shinden im Binnenland ebenso wie für die Polderland-Shinden an der Küste. Die Kolonisation als „Kaitaku" sei aber dennoch der des „Kantaku" gegenübergestellt: a) Kaitaku oder Binnenkolonisation im engeren Sinne. Kennzeichen der Dörfer sind die geradlinig verlaufende, an beiden Seiten von Bauernhäusern bestandene Straße und die hinter den Häusern handtuchartig ausgeworfenen, rechteckigen Parzellen, die in vielen Fällen am Grenzwald der Gemarkung enden. Diese Shinden sind im Erscheinungsbild den Waldhufendörfern ähnlich. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg waren sie auf der Musashino-Terrasse des Kantö in ungestörter Form zu sehen. K I K U C H I (43) hat Shinden auf ihre zeitliche Entstehung und räumliche Verteilung untersucht. Er unterscheidet 3 Perioden von intensiver Shinden-Gründung: die Jahre 1 6 3 0 - 1 6 7 6 , d. h. die frühe Tokugawazeit; die Jahre 1696—1746, die besonders durch YOSHIMUNE geführte mittlere Tokugawazeit; die Schlußphase der Tokugawazeit der Jahre 1804—1867.
30 ÖGURA (70, 389) schätzt die Nutzfläche um 1850 sogar auf 4,5 Mio. ha.
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
Nur für die erste Periode trifft zu, daß der wachsenden Bevölkerung ein breiterer Siedlungsraum gegeben werden mußte. In den beiden späteren Perioden drängten sich andere Motive in den Vordergrund. Dabei ergriff die Urbarmachung von Terrassenländereien zunächst die kulturlandschaftlich an sich schon intensiver genutzten Kansai-Provinzen und Chügoku. Nach den weniger entwickelten Provinzen des Südwestens griff sie schließlich stärker, nach Töhoku schwächer vor. Während der mittleren Tokugawazeit, nachdem sich das Shögunat in den Vorgang der Landerschließung eingeschaltet hatte, blieben Kansai und Chügoku zwar noch als Ausstrahlungszentren bestehen, erstreckte sich aber die Shindenauslegung über alle Provinzen der Stamminseln hinweg. Die dritte Rodungsperiode fand vom Kansai aus ihren größten Widerhall im Südwesten; in Töhoku blieb man auffallend untätig, wodurch sich die sog. „Tokugawa-Linie" herausbildete, die den relativ unentwickelt gebliebenen Nordosten vom übrigen Honshü scheidet und Anlaß für eine intensivere Erschließungsarbeit nach der Meiji-Restauration wurde. Dies besagt aber nicht, daß die Shinden für Töhoku von geringerer Bedeutung gewesen wären. Da der Nordosten viel geringer besiedelt war als die Altprovinzen, nahmen allein schon die Shinden, die in den beiden ersten Erschließungsphasen der Tokugawazeit entstanden waren, einen prozentual höheren Anteil an der Gesamtzahl von Dörfern ein als im Kansai und im Setonaikai-Bereich. Töhoku war noch „unterentwickeltes Land" und hatte so großen Nachholbedarf, daß dieser während der Tokugawazeit nicht aufgefüllt werden konnte. Insgesamt gesehen, wuchs das bestellbare Ackerland in den Altprovinzen um 11%, in den angrenzenden Gebieten um 2% und in den am wenigsten entwickelten Außenflügeln der drei Stamminseln um 34% (43, 364). Hokkaidö blieb von diesem Geschehen unberührt. Die beiden Funktionen der Shinden, landlos gewordener bäuerlicher Bevölkerung eine Lebensgrundlage auf der Basis der Selbstversorgung zurückzugeben und durch Steuerleistungen die Finanzkraft der Han-Fürsten zu mehren, erfuhren in den entwickelten Altprovinzen und den unterentwickelten Provinzen der Außenflügel des Reichs eine unterschiedliche Behandlung. Da die meisten Daimyö die bei Kaufleuten aufgenommenen Investitionsgelder rasch zurückzahlen wollten, verkauften sie das Neuland gegen Barzahlung an wohlhabende Alt-Bauern aus Altdörfern (honden) und an Geschäftsleute. Daraus ergab sich die Gesellschaftsstruktur von wenigen Landbesitzern und zahlreichen Pächtern, die von einem Altdorf in ein Shinden umzogen, weil sie allein schon in der Bewirtschaftung eines Pachtlandes einen Aufstieg aus ihrem Knechts- und Tagelöhner-Dasein sahen, das ihnen im Honden auferlegt war. Aber diese Pächter wurden zu einem mobilen Teil der Gesellschaft gemacht. Sie wurden ausgewechselt, wenn der Landbesitzer mit der geleisteten Arbeit unzufrieden war. Solche Willkür, die gegen konfuzianische Grundgedanken verstieß, wurde vom Han-Fürsten still geduldet. Viel größerer Wert wurde auf den Rentabilitätsgedanken gelegt. Im großen Geschehen handelt es sich um die Umstellung der auf Selbstgenügsamkeit bedachten Agrarwirtschaft auf Geld- und Warenwirtschaft (vgl. Anbaupflanzen), die von der im Altland stetig wachsenden städtischen Bevölkerung geradezu herausgefordert wurde und vom Bakufu Unterstützung erhielt. Viele Shinden standen schon völlig im Dienste der gewerblichen Wirtschaft, und die Dorfgesellschaft, gekennzeichnet von wenigen Unternehmern und zahlreichen in deren Dienst stehenden Pächtern, gab schon das Signal für eine in weiter Zukunft liegende Entwicklung.
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Wirtschaftslandschaft
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Die Shinden in Töhoku waren von der kommerziellen Entwicklung noch nicht erfaßt. Der für die Landgewinnung verantwortliche Unternehmer verlieh den Bauern das Ackerland gegen Abgabe von Steuern zu dauernder Bearbeitung. Die Bauern, soweit sie beliehen waren, und der Unternehmer, d. h. der Daimyö, waren für das Dorf gemeinsam verantwortlich. Die verliehenen Feldstücke waren im übrigen in Rücksicht auf die weniger günstigen klimatischen Verhältnisse größer als in den Altprovinzen. Maßstab hatten die Tokugawa im Kantö gesetzt. In den Musashino-Shinden, die sich vornehmlich mit Trockenfeldkulturen begnügen mußten (Gerste, Weizen, Maulbeer), verfügte der Neubauer über etwa 10 ha Ackerland, wovon er die Hälfte mit Feldfrüchten versah, die andere Hälfte mit Gras besäte, das er als Gründüngung benutzte (43, 364).
b) Kantaku: Landgewinnung am Meer Die Ausweitung der Agrarfläche entlang den Küsten erfolgte in zweierlei Form: Als Regulierung der Deltamündungen und als Gewinnung von Polderland. Mit der Einpolderung erweiterte man gleichzeitig das Staatsgebiet. Deltamündungen erschwerten die agrarische Nutzung infolge der häufigen Verlegung von Flußverzweigungen und der fast alljährlichen Überflutungen bei Hochwasser. Gewonnen werden konnte in diesen Gebieten Agrarland nur durch Flußregulierung, d. h. durch Ausgraben ausreichend tiefer und breiter Abflußrinnen. Diese Arbeit war oft mühseliger als die Einpolderung an Flachküsten, die im Gezeitenwechsel nur leicht überspült wurden. Häufig verbanden sich Deltamündungen mit Einpolderungsgebieten, und Shinden konnten auf beiden Neulandtypen angelegt werden. Flächenmäßig bedeutende Einpolderungen nahm man an vielen Küstenstrichen vor, so in Kyüshü am Scheitel des Ariake-Meeres südlich Saga (rd. 6000 ha), an der Bucht von Isahaya (2546 ha), an der Yatsushiro-wan (vgl. Abb. 52); an den Küsten der Setonaikai bei Okayamaian der Mündung des Takahashi-gawa und an der Kojima-wan, in der Osaka-Bucht, im Scheitel der Isebucht und selbstverständlich vor Edo und von da aus zu beiden Seiten der Edo-Bucht, wobei es sich vor Edo weniger um Polderland als um reine Aufschüttungsflächen für die Stadtverwaltung handelte. Nicht immer waren die Arbeiten erfolgreich; oft mangelte es an der erforderlichen Bewässerungs- und Entwässerungstechnik. An der Frage von Be- und Entwässerung entschied sich aber die Brauchbarkeit sowohl der Kantaku- als auch der Kaitakuflächen. c) Die Erweiterung der Ackerfläche in vertikaler Richtung: Intensivwirtschaft Auf der Reise von Nagasaki nach Edo machte FR. v. SIEBOLD am 19. 2. 1826 in der Tsukushi-Ebene folgende Beobachtung: „Von den Reisfeldern gewinnt man hier eine zweimalige Ernte. Man häuft im Spätherbst die Erde zu drei Fuß breiten Beeten auf und besät sie in quer laufenden Zeilen mit Frühgerste, oft auch mit Weizen. Die so besäten Beete erheben sich als üppige Rasenbänke aus dem überschwemmten Felde und gewähren dem Auge einen wohltätigen Ruhepunkt. Die Frühgerste reift bereits zu Anfang Juni, und das umgestürzte und durch Stoppeln und Gründüngung mit Nährstoffen bereicherte Land wird dann sogleich mit Reis
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft
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Tokugawa-Zeit
bepflanzt. . . und bringt eine zweite Ernte" (93, 90)31. SIEBOLD spricht mit diesen Worten die von Japanern nimösaku. genannte Wechselernte an, d. h. die innerhalb eines Jahres zweimalige Bestellung des Feldes mit einer Hauptfrucht, insbesondere die Aufeinanderfolge von Naßfeldreis und Trockenfeldgetreide. Die Fertigkeit, ein im Sommer sich als feuchttropisch darbietendes Naßreisfeld im Winter als steppenklimatisches Weizen- oder Gerstenbeet erscheinen zu lassen, ist eine der bedeutenden Leistungen der materiellen Kultur Ostasiens. Wo und wann diese Art der Wechselernte in Japan erstmals auftrat, ist bislang noch nicht nachgewiesen worden. Quellen der Kamakura-Zeit sprechen wohl von zwei Ernten, es fehlt jedoch der Hinweis, ob diese im Wechsel von Reis und Trockenfeldgetreide erfolgten. Zwei Reisernten in einem Jahr sind im tropischen Ostasien bis nach Taiwan, Okinawa, Amami-Öshima, Süd-Kyüshü und Tosa (Köchi-ken) durchaus möglich und z. T. sogar noch üblich, sofern die zweite Ernte rentabel erscheint. Die nimösaku tritt dort auf, wo eine zweite Reisernte gegenüber einer Feldbenutzung durch Trockenfeldgetreide als unrentabel erscheint. Andererseits findet sie nach Norden dort ihre Grenze, wo die ökologischen Bedingungen entweder durch schneereichen Winter oder durch Wassermangel einer Winterfrucht entgegenstehen. Das galt in der Tokugawa-Zeit für den Raum nördlich der Owari-ÖmiFurche. Wassermangel hatte Nimösaki-Feldbestellung auch im Setonaikai überall dort unmöglich gemacht, wo es an Bewässerungszuleitungen fehlte. Den Missionaren, die seit 1549 bis in die frühe Tokugawazeit in Japan tätig waren und viele Berichte nach Europa schrieben, ist die nimösaku wohl nicht aufgefallen; entsprechend findet man auch bei dem gerade nach geographischen Fakten suchenden B. V A R E N I U S keinen Hinweis. KÄMPFER erwähnt die Wechselernte nicht, ebenso schweigt C A R L THUNBERG darüber. Erweiterung der Nutzfläche in vertikaler Richtung ist auch jede andere Intensivierung der Feldnutzung. Zu nennen sind hier die Erzeugung verbesserter Ackergeräte durch das fortgeschrittene Handwerk und die Bereitstellung von Saatgut in der Differenzierung für auch ökologisch ungünstigere Wachstumsbedingungen. K I K U C H I stellt fest ( 4 3 , 3 6 5 ) , daß in den Shinden auf der Musashino-Terrase die Erträge von Gerste zu Beginn der Tokugawazeit bei 100 kg je ha lagen, in der mittleren Tokugawazeit bei 1330 und in den letzten Jahrzehnten bei 1760 kg. Die Erhöhung der Erntemenge entspricht einer Ausweitung der Ackerfläche im Verlauf der Tokugawazeit um 75%. Viel höhere Erträge konnten für Reis in den Shinden des Polderlandes erzielt werden. 3. Bewässerung und Entwässerung als Voraussetzungen für die Ausweitung der Nutzfläche Seit Anbeginn ist der Naßreiskultur die Sorge um die Feldbewässerung mitgegeben. Solange die Reisböden vornehmlich die Talböden einnahmen, machte die Zuleitung des Wassers von der Mitte und den Seiten keine Schwierigkeiten. Wo 31 Es kommt bei diesem Zitat auf das Grundsätzliche der Beobachtung an. Die Beobachtung „aus dem überschwemmten Feld" ist wohl aufgrund des Regenwetters geschehen. In Wirklichkeit sind die Furchen zwischen den Zeilen trocken und erlauben sogar die Düngung des Weizens mit Fäkalien, die dann natürlich eine Zeitlang als Feuchtigkeit sichtbar sind. Die Furchen erlauben auch, daß man zwischen die Zeilen treten, die vom Sturm geknickten Halme aufrichten und das Unkraut jäten kann.
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fließendes Wasser in zu geringer Menge zur Verfügung stand, behalf man sich schon seit dem 8. Jh. mit Zisternen und Teichen, die Regenwasser speicherten. Die ersten hinter Erddämmen in Taleinschnitten gebildeten Stauseen sind aus der Narazeit bekannt. Mit einigen Stauseen der Kamakurazeit war schließlich der Beweis erbracht worden, daß alle niedriger liegenden Talhänge und Hügel zu gegebener Zeit regelmäßig bewässert werden können. Das hervorragende Beispiel war der Mannöstausee, von dem aus das stufenweise an den Hängen aufsteigende System von Reisterrassen bis zu 160 m Höhe, der Wasserspiegellage des Stausees entsprechend, zu bewässern möglich war. Das sich mannigfach zerteilende Netz von Bewässerungsgräben wurde schließlich in der Kotohira-Ebene von der Vorflut des Kanekuragawa wieder aufgefangen. Diese Erfahrungen konnten für die Urbarmachung der Shinden voll genutzt werden; denn ihre Lage über den Talböden und an Hängen erzwang geradezu eine regelmäßige Wasserführung, die vpn den Unregelmäßigkeiten des Regenniederschlags unabhängig machte. In den Jahren 1603—1867 wurden allein 556 Staudämme von 1 5 - 2 9 m Höhe erbaut (68), von denen 30% eine Kronenlänge von mehr als 100 m hatten (Kiyama-ike im heutigen Òsaka-fu 3254 m, Kakidaòdame in Mieken 800 m). Die räumliche Verteilung dieser Stauseen läßt die Regionen erkennen, die aus der Intensivierung der Agrarwirtschaft die größten Vorteile zogen: Südwestlich der Owari-ÒmiFurche entstanden 88% der genannten Staudämme. Im einzelnen entfielen auf: Kyüshü Chügoku Kinki Shikoku Chübu Tòhoku
146 174 128 38 41 24
26.0%
32.0% 23.0% 7.0% 7.5% 4.5%
88% 12%
Das Netz der Bewässerungsgräben nahm seinen Ausgang von Stauseen oder auch Flußläufen, sofern diese über größere Abflußmengen verfügten und im Mittel- oder gar im Oberlauf angezapft werden konnten. Die Bewässerungsgräben waren z. T. sehr lang, wenn das Wasser aus den Mittel- oder Oberlaufabschnitten eines Flusses herangeführt werden mußte. Anlage und Instandhaltung der Bewässerungsgräben lagen in unterster Instanz in den Händen einer Art von Genossenschaften, die sich kurz Yosui nannten, was eigentlich nur „Bewässerungsgraben" bedeutet (vgl. Edo, Burgbeschreibung). HASHIMOTO hat die Funktionen der Yósui am Beispiel des Tonami-Distrikts in der Provinz Etchü, dem heutigen Toyama-ken, untersucht (28, 761—775). Es handelt sich um ein Bewässerungsgebiet von rd. 500 km 2 , das im O vom Shòkawa, im W und NW vom Oyabegawa begrenzt wird. Morphologisch stellt es den vornehmlich vom Shòkawa bei Austritt aus dem Gebirge abgelagerten Schuttfächer dar (s. Bd. 1, S. 204, Abb. 54), der sowohl nordwärts bis zur Delta-Ebene als auch nordwestwärts zum Oyabegawa von 100 m bis auf 20 m absinkt. Die am Gebirgsaustritt des Shòkawa abgeleiteten Bewässerungsgräben durchäderten den Schuttfächer, sich mehr und mehr verzweigend, wobei es über die weiten Entfernungen hinweg nicht ausblieb, daß sich Genossenschaften verselbständigten, weil sie die örtlichen Gegebenheiten besonders berücksichtigt wünschten. Aus der wechselnd harmonischen Zusammenarbeit zwischen dem Fürsten des Kaga-Han und der Yosui ergab sich eine wasserwirtschaftliche
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
Differenzierung des Gebiets derart, daß einige Flächen in agrarwirtschaftlichen Rückstand gerieten; eine Entwicklung, die andere Bewässerungsgebiete großen Umfangs in ähnlicher Weise betroffen haben mag. Wo man Reisbeete an Taleinschnitten oder gar an mehr als 15° geböschten Hängen hochstufte, wie in Ehime und Tosa, Bungo und Hyüga, aber auch im Raum des Shiojiri-töge zwischen den Hochbecken von Nagano und Suwa, sah man sich herausgefordert, die Bewässerungsgräben schon von den Oberläufen der Flüsse abzuleiten, sie an der oberen Talkante langsamer als den Talgrund fallen zu lassen, so daß sie schon bald zum Bereich der hohen Hanglagen gehörten. Der Landhunger muß im Verlauf der Tokugawazeit extrem stark gewesen sein, denn die in höchsten Hanglagen erzielten Erträge haben den Arbeitsaufwand für diese Bewässerungskunst nie aufgewogen (Bild 12). Nicht nur die Zuleitung des Wassers, sondern auch und vor allem die Hochstufung der Reisbeete durch steingefügte Wände, wie sie im Abendland für die Errichtung von Weinbauterrassen üblich sind, erfordern Fleiß und Gebuld und viel mehr Einfühlung in die Natur, als dies für den Bau von Weinbauterrassen gilt, da für das fließende Wasser der Gleichklang mit den Isohypsen zu suchen ist, was Beete erzeugen kann, die wie Mosaiksteinchen wirken und so klein sind, daß man für sie den Namen tagoto-no-tsuki erfand, weil sie als glitzernde Wasserflächen es ermöglichen, den sich in ihnen spiegelnden Mond mit einem Blick mehrfach zu sehen 313 . Auch der Ausdruck semmaida oder „1000 Reisfelder in einem Blick" begreift die Schönheit dieser agrarwirtschaftlichen Wunderwerke, überdeckt aber die Not, die Sorge und die Last der Arbeit, die in ihnen verborgen liegt. Hervorragende Wasserbaukunst bewährte sich auch in der Anlage der Minumadai-yösui von Saitama, der Hakone-yösui und im Bau des Stausees Iruka-ike in Aichi. Der Wasserbau-Ingenieur SUMINOKURA RYÖI ( | 1 6 1 4 ) kanalisierte nicht nur den Öigawa und machte ihn dadurch zeitlich schiffbar, sondern er beseitigte auch die Felsbarrieren im Bett des Hözugawa so weit, daß 1608 das für den Bau des Hököji Daibutsu in Kyoto benötigte Material herbeigeflößt werden konnte. 4. Die wirtschaftliche Inwertsetzung der Nutzfläche a) Die Feldfrüchte Reis war die traditionelle Hauptfrucht. Nach dem Reisaufkommen bemaß sich der offizielle Kokudaka, d. h. der auf der Basis von Reiseinheiten festgelegte Bodenwert, aus dem sich die Höhe der Steuern errechnete. Wie groß die von Reis bestellte Nutzfläche war, läßt sich weder absolut noch prozentual genau ermitteln. Schätzungsweise hat der Anteil bei 70% gelegen. Bei Ansatz einer Nutzfläche von 3,2 Mio. ha insgesamt würde dies für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Reisfeldfläche von 2,2 Mio. ha ergeben haben. Das landschaftliche Erscheinungsbild der Reisbeete wurde in Bd. 1, S. 394 beschrieben. Von der Verwandlung von Reisbeeten zu Trockenfeldern im südwestlichen Japan war bereits an anderer Stelle die Rede. Die Handhabung der nimösaku erweiterte gleichzeitig die Anbauflächen für Wintergerste und Winterweizen. Gerste (ömugi), Weizen (komugi) nahmen im übrigen auch abgesehen von diesem Zuwachs den größeren Teil des von 31a Die Auskunft über diesen Namen verdanke ich Herrn Taiji Yazawa.
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Reisbeet-Terrassen im Tal des Monobegawa, Köchi-Ken. Aufn. M. Schwind 1956
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
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Trockenfeldfrüchten bestandenen Areals des hatake ein. In Abstand folgten Süßkartoffel (kansho) einschließlich Taro (sato-imo), Maulbeerbäumchen und -sträucher, Baumwolle, der natane genannte Raps (auch als Winterfrucht bei nimösaku), Hirse, Daikon (Rettich), Buchweizen (soba), Bohnen insbesondere azuki und daizu, die Sojabohne), Tee, Tabak 32 , Citrusfrüchte 32 , Igusa oder I-Gras (eine Binse zur Mattenbereitung). Noch geringere Flächen nahmen die auch gartenmäßig anbaubaren Früchte und die als Gruppen- oder Einzelbäume auf der Wirtschaftsfläche verteilten Obstbäume ein, wie die von China übernommene Persimonfeige Kaki (Diospyros Kaki Thunb.) 33 , die Biwa (Löquat: Meliosma rigida), Aprikose (ume), Birne (nashi), Kuri (Castanea crenata) und der Pfirsich, aber auch Lotus (renge, hasu), dessen Rhizom, Renkon genannt, gegessen wird, ferner der in seinen Sprossen eßbare Bambus Phyllostachus pubescens (takenoki)34, verschiedene Melonenarten, Banane und Konnyaku (die Wurzel der Teufelszunge Amorphophalus konjac) und an wenigen Plätzen auch Wein. Auf örtlichkeiten beschränkt oder auch in Einzelbeständen über die Wirtschaftsfläche hinweg, traf man auf Stauden- und Holzgewächse, die gewerblicher Nutzung dienten. Hanf zur Bereitung von Leinen war schon seit der Heianzeit bekannt. Ebenso wurden die Papierrindensträucher Közo, Ganpi, Mitsumata weiterhin genutzt, auch zur Herstellung von Papiergeld. Zu besonderer Bedeutung gelangten die Lackbäume, die Hazebäume und die Sträucher wie Kräuter, die der Gewinnung von Farbstoff dienten, allen voran Indigo und die Färberdistel Saflor. Der Lackbaum (Lack-Sumach oder Rhus verniciflua) stammt wie seine Nutzung aus China. Der aus der aufgeschnittenen Rinde heraustretende Saft, Rohlack (ki-urnshi) im engeren Sinne genannt, wird durch Zusatz von Ölen und Farbstoffen zu den verschiedensten Lackarten gemacht. „Als Träger der Lackschichten ist fast jeder Stoff möglich, bevorzugt aber wird Holz" (75, 350); besonders werden Hinoki (Chamaecyparis obtusa), Sugi (Cryptomeria japonica), Keyaki (Zelkova serrata) und Kiri (Paulownia tomentosa) verwendet (s. Bd. 1, S. 402—407). Die künstlerischen Möglichkeiten, die der Lacküberzug anbot, wurden schon während der Narazeit durch Anregungen aus China entwickelt. Die Früchte des im Herbst rötlich schimmernden Haze- oder Wachsbaums Rhus succedanea enthalten ein Fett, das man auspreßte und zu Wachskerzen (rösoku) verarbeitete. Da es an Talglichtern fehlte, wurde der Gebrauch dieser Wachskerzen allgemein; sie wurden sogar in den Außenhandel gebracht. Der Hazebaum gedeiht vornehmlich in SW-Japan (s. Bd. 1, S. 32). Der Indigostrauch Indigofera, japan. Komatsunagi, ist schon seit der Heianzeit bekannt, gelangte aber in der Tokugawazeit auf Shikoku im Tal des Yoshinogawa zu intensiverem Anbau. Für die in Japan beliebte blaue Musterung von Stoffen wurde er unentbehrlich. Farbstoff lieferte auch Polygonum und vor allem die Färberdistel Saflor, ein stacheliger Korbblütler (Carthamus tinctorius), der von 32 Tabak ist Ende des 16. Jahrhunderts von Portugiesen und Spaniern nach Japan gebracht worden. Erste Anpflanzungen nach 1600. Orangepflanzen und Pfirsiche wurden schon in frühgeschichtlicher Zeit aus China eingeführt, wahrscheinlich im 4. Jh. Auch Lotos wurde von China nach Japan gebracht. 33 Kaki wurde um 1700 in Japan bekannt; Herkunftsland China. 34 Vgl. hierzu Bd. 1, S. 396; dort muß es pubescens statt mitis heißen; Phyll. pubescens wurde im 16. Jh. aus Südchina eingeführt.
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seiner leuchtend roten Blüte den Namen benibana erhielt35. Der Farbstoff ist ebenfalls rot und lieferte u. a. die feinste rote Schminke. b) Die regionale Verteilung der feldwirtschaftlichen Erzeugung Nordost-Honshü, gegenüber Mittel- und SW-Japan nach Klima und Bodenbeschaffenheit benachteiligt und politisch Jahrhunderte hindurch als Außengebiet betrachtet, trat mit Beginn der Tokugawa-Zeit in seine erste, von der Reichsregierung zentral gesteuerte Erschließungsphase regionalen Charakters ein. Die Auseinandersetzung der hierher gebrachten oder auch freiwillig eingewanderten Bevölkerung mit den gegenüber dem Altland andersartigen Lebensbedingungen vollzog sich zögernd und nicht überall gleich erfolgreich. Nach heutiger Vorstellung handelte es sich nördlich und nordöstlich der Linie, die sich von der Tonegawamündung in geschwungenem Bogen zum nördlichen Echigo am Japanmeer ziehen läßt, um ein Entwicklungsland von Grund auf; als solches ist es im Sinne eines nationalen Anliegens nicht begriffen worden, weil die Gedanken noch allzusehr von persönlichem Machtstreben gelenkt waren. Der volle kulturlandschaftliche Anschluß an das übrige Japan war deshalb bis Ende der Tokugawazeit noch nicht erreicht; der Nachholbedarf ist noch heute so sichtbar, daß Y . OGASAWARA 1 9 5 0 Töhoku und das östliche Kantò agrargeographisch als Frontier-Zone bezeichnete und deren Abgrenzung zum hochentwickelten Altland Tokugawa-Linie nannte ( 6 9 , 9 5 — 1 1 9 ) . Dieser Name soll in positivem Sinne so verstanden werden, daß von dieser Linie aus die Angleichung der Landesentwicklung des Nordostens an jene des Altlandes begann (vgl. Abb. 44). Noch in den ersten Anfängen der Landeserschließung befand sich die damals Ezo genannte Nordinsel. Die Versuche, wenigstens die Halbinsel Oshima als Hinterland von Matsumae und der Verwaltungshauptstadt Hakodate agrarwirtschaftlich zu nutzen, ergaben eine genutzte Ackerfläche, die 1860 auf nur insgesamt 650 ha geschätzt wurde (99). Nur ein kleiner Teil davon bestand aus Reisfeldern, so daß die 30-60000 Japaner, die außer den Ainu die Insel bewohnten, nur bis zu 2% ihres Reisbedarfs aus der eigenen Reisernte decken konnten und auf den Import aus Honshü angewiesen waren. Bis zum Ende der Tokugawazeit blieb Ezo (Hokkaido) die einzige Region des Inselreichs, deren Wirtschaft nicht auf dem Ackerbau, sondern auf der Ausbeutung des Meeres beruhte (Hering, Lachs, Krabben, Kombu). c) Die viehwirtschaftlichen Nutzflächen Die Tierhaltung hat sich in ihrem Artenbestand gegenüber der Kamakurazeit nicht verändert. Pferd und Rind sind das vorwiegende Großvieh. Die Zahl der Pferde ist infolge der systematischen Ausstattung der Umaya-eki, den Pferdewechselstationen in den Shukuba, erheblich gewachsen und hat die Zahl der Rinder überstiegen. Nach 1800 rechnete man mit insgesamt 1,2 Mio. Pferden, d. h. es entfiel im mathematischen Durchschnitt ein Pferd auf 22 Einwohner. Es ist bemerkenswert, daß über deren Bedeutung für die Agrarlandschaft so wenig bekannt geworden ist. Das Waldland Japan ist einer so intensiven Pferdehaltung keineswegs zugeordnet. 35 beni, das Saflorrot; hana, die Blume, Blüte.
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Überliefert ist nur, daß die Bauern, die ins Swfcego-System eingespannt waren, nicht nur Pferde zu stellen, sondern für die Pferdestation auch Futter abzuliefern hatten. Sie waren gezwungen, das Unterholz und die Krautstufen ihrer Wälder für die Futterbelieferung auszuplündern und das nur in wenigen Fällen vorhandene Gras so oft wie möglich zu schneiden. Wenn derartige Futterbeschaffung für die Verkehrspferde genügt haben sollte, bleibt immer noch die Frage nach der Versorgung der weit größeren Anzahl von Pferden in den Händen der Daimyö und Samurai offen, auch die Frage nach dem Futtertransport nach Edo, wo jeder Daimyö für seinen Bedarf Pferde bereit halten ließ. Über natürliche Weiden von nennenswerter Ausdehnung verfügt Japan nicht. Es ist nichts bekannt über Methoden, mit denen man die Bergwälder in den Dienst der Pferdehaltung gestellt hatte. Gelegentlich heißt es in Urkunden, daß Weiden größeren Umfangs als Schenkung vergeben wurden, wobei leider nicht erklärt wurde, was man unter „Weide" verstand. Auffallend ist, daß man die Pferdehaltung im Verlauf der Tokugawazeit zunehmend in die Außengebiete des Archipels verlegte, nach Töhoku und Südkyüshü. Die Rinder dienten weiterhin als Zug- und Lasttiere; Milchwirtschaft spielte noch immer keine Rolle. In der Kleintierhaltung hat sich gegenüber den vorangehenden Jahrhunderten grundsätzlich nichts geändert. Die Hühner gehörten zum Bauernhof. Mit der Gewinnung von Trockenfeldern auf Terrassen und Berghängen erweiterten sich die Anbauflächen für Maulbeersträucher und dies belebte die Seidenraupenwirtschaft. d) Die waldwirtschaftlichen Nutzflächen Der Bedarf an Bauholz war sehr groß. Allein für den Aufbau der Millionenstadt Edo waren bedeutende Einschläge im Waldbestand des Kantö erforderlich. Insbesondere wurden unter den Holzarten die Kiefern und Zedern (sugi, hinoki, sawara, hiba — vgl. Bd. 1, S. 401) für den Haus-, Tempel- und Palastbau verwendet. Der Bedarf war um so größer, als wiederholte Feuersbrünste nicht nur Edo und Kyoto in Asche legten, sondern jedwede Siedlung leicht erfassen konnten und zum Wiederaufbau nötigten. So entstanden die Hibawälder in Tsugaru, die Sugi-Wälder in Akita, die Hinokiwälder in den Bereichen des Hida- und des Shikoku-Gebirges. Auch große Tempel und Schreine verfügten über Waldland, das sie mit Nutzholz bestellten. Der Ise Jingü bezog seinen Bedarf an Hinoki-Holz aus den Wäldern des Kisogawa, weshalb auch dort durch die Jahrhunderte hindurch Wiederaufforstung betrieben werden mußte (s. Bd. 1, Abb. 114). Zur Vorbereitung der Shikinen Sengü war alle 20 Jahre ein bedeutender Holzeinschlag erforderlich. Die Erhaltung der Wälder und Haine, die unmittelbar zum sakralen Bereich der Kultstätten gehören, blieben von forstwirtschaftlichen Eingriffen weitgehend bewahrt und wurden zu Inseln alter Pflanzengesellschaften wie auch die als sakral empfundenen Wälder an den naturreligiös verehrten Bergen (Fujisan, Yoshino-Kumano-Park) und die Wälder in unzugänglichen Gebirgsteilen (s. Bd. 1, S. 387, 406f. und Abb. 110). Diesen Inseln naturnaher Wälder müssen jene Regionen entgegengesetzt werden, die durch Waldraub der Bodenerosion verfielen und damit zu einer Frage der Kögai geworden sind. Zwischen diesen Gegensätzen bewegte sich schon in der Tokugawazeit die Behandlung des Waldbodenlandes. Die Belieferung der Salz-
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felder mit Brennholz hat in den küstennahen Gebirgen des Sanyödö zunächst den immergrünen Wald aufgezehrt, den man darauf im 17. Jh. durch Kiefernbestände (Pinus densiflora) ersetzen zu können meinte; dann aber erwiesen sich die standortfremden Kiefern als zu schwach gegenüber der Ausplünderung des iriaichi im Bereich der oberen Hangteile, die eine Bodenzerfurchung und schließlich Bodenzerstörung so irreversiblen Ausmaßes herbeiführte, daß eine Begrünung der Bergkuppen auf natürlichem Wege ausgeschlossen blieb (ausführliche Darstellung s. Bd. 1 und (12)). Ganz ähnliche Waldzerstörungen erlitten das Tanzawa-Gebirge am Westrand das Kantö und verschiedene granitische Teile der Gebirge im Kansai. 5. Die Inwertsetzung der Nutzfläche insgesamt in ihrer regionalen
Abwandlung
Die Achse Kansai-Kantö wurde endgültig zum Träger der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung. Während aber das Kansai 800 Jahre hindurch schon Brenn- und Ausstrahlungspunkt für das südwestliche Japan gewesen war und auch nach 1603 die Innovationsimpulse an diese Region weitergab, stellte das Kantö das Endglied der entwickelten Region dar: Denn bereits jenseits des Tonegawa begann die Region des unterentwickelten Nordostens, in die es zwar Anregungen hineinzuleiten galt, von der aus aber nur weniges zurückstrahlte. Die von OGASAWARA gezogene Tokugawalinie kennzeichnet insbesondere für die Inwertsetzung des Nutzlandes die kulturlandschaftliche Situation. Dem unterentwickelten Nordosten entsprach im Südwesten das zurückgebliebene Südkyüshü, so daß sich für den Archipel eine Dreiteilung ergab: A n die von Edo bis Nagasaki sich über 1000 km hinstreckende Kernregion legte sich zu beiden Seiten je ein Endland, wobei das südwestliche weit weniger problematisch war als das nordöstliche, das sich zudem im noch völlig unerschlossenen Ezo fortsetzte. Unter Einschluß des östlichen Kantö (Ibaraki, Tochigi) umfaßte die als Töhoku zusammengefaßte Nordostregion knapp 80000 km2 oder 27% Japans ohne Ezo. Für das gesamte Staatsgebiet war zu beobachten, daß sich die Inwertsetzung des Landes in die von Natur aus gegebenen Bedingungen einpaßte. Der Wille, diese zu verbessern oder gar ihnen zu trotzen, war noch wenig ausgeprägt. Immerhin war mit der Entwicklung der Wechselernte (nimösaku) ein erster, mit dem Bau von Staudämmen ein zweiter und mit der Gewinnung von Polderland ein dritter bedeutender Schritt in dieser Richtung getan. Diese drei von Erfolg begleiteten Leistungen waren erste Antworten auf den zu engen Agrarraum, der von der Natur angeboten wird. Bei der Erteilung dieser Antworten war die Kernregion führend. Im unentwickelten Nordosten war freilich die Wechselernte aus klimatischen Gründen nicht möglich. Ihre Passivität erwiesen aber beide Außenregionen beim Staudammbau und bei der Einpolderungsarbeit. Im Nordosten entfielen am Ende der Tokugawazeit noch 3 300 km 2 auf einen größeren Staudamm, in Südkyüshü 3050 km2, während sich für das Kernland 400 km2 je Staudamm errechneten. Polderland entstand in den Außenregionen in kaum nennenswerten Flächen. Bei entsprechender Bewässerung wäre in Südkyüshü nicht nur Wechselernte, sondern sogar zweimalige Reisernte auf gleichem Feld in weit größerem Umfange möglich gewesen, als dies versucht wurde. Die argrarwirtschaftliche Karte für die Tokugawa-Zeit, die in einem Geschichtsatlas von 1970 enthalten ist (97, 34), läßt bereits die regionalen Verschiedenheiten in der Landnutzung und Verwertung der
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Feldgewächse erkennen. Zunächst macht sie deutlich, daß das Grundnahrungsmittel Reis in allen Landesteilen erzeugt wurde, auch in Töhoku bis in die Breite von Hirosaki, da selbst hier die Länge und Wärme der Wachstumsperiode für Reis noch ausreichen; sie läßt aber auch erkennen, daß für damalige Verhältnisse die Nordgrenze für den Reisanbau erreicht war; denn die Ebene von Aomori ist wie ganz Ost-Tsugaru nicht als Reisland gekennzeichnet. Da aber gerade im Einzugsgebiet des Yoneshirogawa vier der wenigen in Töhoku gebauten größeren Staudämme errichtet wurden, ist anzunehmen, daß entgegen der Darstellung im angeführten Geschichtsatlas auch in diesem zwischen Akita und Hirosaki liegenden Bereich Reisfelder bewirtschaftet werden konnten. Einige für die Tokugawazeit charakteristische Spezialkulturen beschränkten sich ausschließlich auf die zentrale Region und haben weder die Tokugawa-Linie noch die südliche „frontier" bzw. Satsuma-Linie überschritten. Es sind vor allem Tee, Orangen, Melonen, Baumwolle, Indigo und Wein. So bemerkenswert für einige örtlichkeiten wie Ureshino in Nord-Kyüshü der Anbau von Tee auch war und blieb, so wurden die größeren Anbauflächen doch wesentlich von den Verbraucherzentren Edo und Kyoto-Osaka bestimmt. Auf die Region des Tökaidö mit Einschluß des Kansai entfielen etwa Zweidrittel des Teestrauch-Areals. Der OrangenAnbau, vornehmlich war es der Anbau von Mikan (Mandarinen), erfuhr seine besondere Förderung durch den Daimyö von Kii in Wakayama (60, 420—428). Er ermunterte die Bauern des Aridagawatals zum Mikan-Anbau, ernannte Beamte für die Belebung der Mikanproduktion, die zunächst den Markt des Kansai versorgte, und er erschloß für seine Bauern 1634 den Edo-Markt, was ihm um so leichter gelang, da er als einer der sänke zu den einflußreichsten Tokugawa in Edo gehörte 36 . Die Anbaugebiete von Higo (Kumamoto) und am Tökaidö wurden, infolge der Vorrangstellung, die dem Wakayamagebiet zufiel, an zweite Stelle gerückt. Im übrigen verteilte sich der Mandarinenanbau in kleineren Flächen und Einzelbeständen über den Archipel hinweg, soweit die Jahresisotherme zwischen 14° und 17°C liegt. Damit schieden der Nordosten und die Ryükyü-Inseln aus ökologischen Gründen als Anbaugebiete von vornherein aus. Auf Indigo zur Belieferung der im Kansai und Kantö arbeitenden Färbereien waren die Bauern des Yoshino-Tales oberhalb Tokushima in der Altprovinz Awa spezialisiert. Den gleichen Nebenverdienst erwarb man sich, wenn auch unter geringerer Beteiligung, im Nagano-Becken, in Owari und bei Yonago. Weinanbau pflegte man um Köfu und an den Hügeln des südlichen Kawachi; in beiden Landschaften wie auch um Suwa und im Hidagawatal reiften in größerer Anzahl die Kaki. Melonen waren weit verbreitet. Der Baumwollanbau fand seine Schwerpunkte im Kantö, in Mikawa-Owari, im Kansai und am Sanyödö. Es lag nahe, daß die intensivere Agrarwirtschaft vom westlichen Kantö aus die Tokugawa-Linie zuerst und am wirkungsvollsten überschritt. Ins östliche Kantö griffen der Anbau von Sojabohnen, von Hanf (verbunden mit der Herstellung von Leinen), von Baumwolle und von Tabak vor, dazu all das, was sich noch weiter nordostwärts bis etwa zur Linie Sakata-Sendai vorschob: die Lackbaum-, Papierstrauch- und Maulbeerkultur (Rohseidengewinnung), der Anbau der Färberdistel 36 Drei Familien, aus denen der Shogun erwählt wurde: die Daimyö von Wakayama (Kii), Nagoya (Owari) und Mito (Hitachi).
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Saflor (benibana) und vereinzelt auch im Hochbecken von Aizu und im YonezawaBecken der Wachsbaum Hazenoki. Insgesamt handelte es sich aber um erste Ansätze für die Entwicklung von Sonderkulturen. Im Landschaftsbild und in ihrer wirtschaftlichen Funktion wirkten sie nicht prägend; sie waren Ausnahme und Dekor. Ähnlich vollzog sich die Entwicklung in Süd-Kyüshü. Aber hier kamen die Innovationen von zwei Seiten. Vom Süden war der Tabakanbau zuerst aufgenommen worden und hatte im Verlauf der Tokugawazeit eine rasche Verbreitung erfahren. Er war in Kyüshü neben dem Reis zur Charakterpflanze geworden. Ebenso hat die Bananenstaude Japan über Süd-Kyüshü erreicht. Vom mittleren Kyüshü aus sind die Färberdistel und der Hazebaum, aber auch der Rettich (daikon) in Satsuma zu wirtschaftlicher Bedeutung gelangt. Insgesamt aber mangelte es dem äußersten Süden wie dem Nordosten an der Vielfalt der Kulturpflanzen, die der Zentralregion schon eigen war. Für beide Außenregionen wesentlich wurde die Bevorzugung der Pferdehaltung. Im Süden wurden hierfür sogar Inseln in Anspruch genommen: Tanegashima wie die Koshiki-Inseln dienten als Futterplätze. Die Viehhändler, die insbesondere von der Vermietung von Pferden lebten, hatten wohl erkannt, daß in den intensiv genutzten Agrargebieten, in denen es an Waldweiden und Raufutter mangelt, Standorte für Pferdehaltung- und Pferdeverleihbetriebe ungünstig seien und die in ihrem Vegetationsbestand unversehrter gebliebenen Außengebiete dafür geeigneter wären. Es scheint, als hätte das östliche Tsugaru bis hin zur Shimokita-Halbinsel erst durch die Pferdehaltung ihren Anschluß an die Tokugawa-Wirtschaft gefunden. Die Überlegungen, die zur Nutzung der Außengebiete durch Pferdehaltung führten, sind bislang kaum zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht worden. Die Rinderhaltung hat eine geringere Ausbreitung erfahren. Das Rind ist Lastund Zugtier der Kernregion geblieben. Auch forstwirtschaftliche bzw. forstgeographische Zusammenhänge lassen sich erkennen. Die Nachfrage für Brennholz ist in der Region der Salzgewinnung so stark gewesen, daß die Holzvorräte der angrenzenden Küstenregionen nicht ausreichten und durch Importe aus anderen Regionen hätten ergänzt werden müssen. Diese aber blieben verschont, und so sind die Naturwälder und die nachfolgenden Rotkieferbestände im Hinterland der Salzfelder der Vernichtung anheimgefallen. Die große Nachfrage für Bauholz mußte allerdings von vornherein aus anderen Waldgebieten gedeckt werden. Dabei entstanden Forsten in Monokultur, wie die Sugi- und Hiba-Forsten bei Akita oder, die Hinoki-Forsten im Bereich des Kisogawa. Nur Satsuma trat nicht als Holzlieferant auf, jedoch war das südlich vorliegende Yakushima in die Holzlieferung einbezogen. Die Meereswirtschaft, vornehmlich von den bäuerlichen Küstenbewohnern getragen, beschränkte sich auf die küstennahen Gewässer. Unentbehrlich für die Ernährung waren nicht nur die Fische, Krabben, Tintenfische, Muscheln und die vor der Küste erscheinenden Wale, sondern auch der eßbare Seetang (s. Bd. 1, S. 404f.), an der Südküste von Ezo der breitblättrige Kombu, an den übrigen Küsten der zartere Nori. Für reiche Ernte waren die Inlandseeküsten bekannt, aber auch in der Ise- und Edo-Bucht, in der Ömura- und Yuya-wan sowie an der Noto-Halbinsel und vor der Insel Sado wurde viel Nori aufgebracht. Mit der Fischerei hat sich die Nordinsel Ezo in der Tokugawazeit eine feste Funktion im Wirtschaftsgeschehen
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des Landes erworben. Die Fischer waren im 18. Jh. bis nach Süd-Sachalin vorgedrungen, wo sie unter dem Schutz von Samurai eine Niederlassung in Kushunkotan unterhielten ( 8 6 , 7 6 ) . KRUSENSTERN berichtete hierzu ( 4 8 ) , daß die Japaner nur im Sommer in den Norden kamen. Dies stimmt überein mit dem Verfahren, das man für die Erschließung von Ezo anwandte: Die Küstengewässer hatte man in Abschnitte oder Bashö eingeteilt und zur Nutzung vergeben, wobei die ostwärts der Kuromatsunai-Landenge gelegenen Bashö aus Sicherheitsgründen nur im Sommer aufgesucht werden durften ( 1 0 8 ) . Das System war ostwärts bis Kunashiri und Etorofu wirksam und gab die Grundlage ab für die spätere Entwicklung von Fischereiplätzen.
II. Die landschaftlich bedeutsamen E l e m e n t e der Gewerblichen Wirtschaft 1. Das Handwerk als Faktor für die Gestaltung der Agrar- und Stadtlandschaft Noch immer nehmen die Produktionsstätten von Handwerk und Kunsthandwerk eine im Stadtbild unauffällige Stellung ein, auch wenn sich die einzelnen Produktionszweige in besonderen Straßen oder Stadtvierteln zusammenfanden, wie dies im Nishijin Kyotos schon seit der Heianzeit für die Weberei Tradition war und in abgewandelter Form auch für die Sake-Brauerei Kyotos seit dem 15. Jh. galt (s. Abb. 10). Da die Werkstätten jeweils in den Wohnhäusern oder in deren Höfen lagen, unterschieden sich die Handwerkerstraßen nicht wesentlich von den übrigen Bezirken der bürgerlichen Stadt. Viel beherrschender drückten sich aber einige Gewerbe mittelbar in der Agrarlandschaft aus. Die für die Seidenraupenhaltung unentbehrlichen Maulbeerfeldkulturen, vor der Tokugawazeit vorwiegend auf die inneren Provinzen beschränkt, erhielten mit den Shinden große Ausbreitungsmöglichkeiten; die Herstellung von Baumwollgarn, der man sich im 16. Jh. erstmals zugewendet hatte, erforderte in zunehmendem Maße Baumwollfelder; die Papierbereitung nutzte die Papierstrauchfelder der höheren Hanglagen, die Färberei bediente sich der Farbpflanzen; die Lackmeister bedurften der Lackbaumkulturen, die Kerzenmacher die der Hazebäume; d. h. die Agrarwirtschaft stand weithin im Dienste des Gewerbes, das je nach der Marktlage größere oder kleinere Anbauflächen für rohstoffliefernde Pflanzen zweckmäßig erscheinen ließ. Funktional waren freilich die Handwerker auch für die Stadt von größerer Bedeutung, als dies von ihren Wohnvierteln abzulesen war. Der in Edo betriebene Luxus forderte zur Ansiedlung von Handwerkern und Kunsthandwerkern geradezu heraus, und diese vermehrten nicht nur zahlenmäßig die Bevölkerung, sondern stärkten auch den zentralen Charakter der Stadt. Wo es Handwerk von erlesenem Geschmack gab, erblühte der Handel. Keine andere Stadt bewies das eindeutiger als Kyoto. Obgleich im Schatten Edos stehend, zog es durch die Qualität seiner Erzeugnisse derart an, daß selbst die Daimyö, denen das Betreten der Stadt verboten war, in ihr alles das einkaufen ließen, was zum Glanz der Repräsentation in Edo gehörte. Von den 1 0 3 5 5 kämme Silber, die dem Daimyö von Kaga im Jahre 1 7 9 1 seine Lebenshaltung kostete, flössen für Aufwendungen 55% nach Edo, 10% nach Ösaka und Kyoto, und nur 35% kamen dem eigenen Fürstentum zugute (104, 88). TSUKAHIRA bemerkt hierzu, daß die Ausgaben in Edo, Ösaka und Kyoto ständig
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höher waren, als durch den Reisverkauf in Edo und Ösaka verdient wurde. Im angegebenen Jahr betrug das Defizit 30%. Zu den hand- und kunsthandwerklichen Erzeugnissen von starker Anziehungskraft gehörten die Seide für Frauen- und Männerkimono, die Geräte und Gebrauchsgegenstände der Lackkunst 37 , Gebrauchskeramik bis hin zur Teeschale (chawan), die Arbeiten der Schwertfeger und Plattner. Die Meister des Schwertschmucks, insbesondere des Stichblatts (tsuba), kamen fast sämtlich aus Kyoto. „Zu Anfang des 17. Jahrhunderts verbreiten sich die Meister von Kyoto über die Provinz und gründen überall, vor allem in Nagato 38 , Edo und Higo (Kumamoto) blühende Werkstätten" ( 5 0 , 1 8 0 — 1 8 1 ) . Aber wenn auch das Kunsthandwerk manchen, Meister nach Edo abgab und sich bis in die Provinzhauptstädte verbreitete, behauptete Kyoto seinen Rang als Zentrum von Kunsthandwerk und Kunst. Für die feudalistisch geprägte Gesellschaft galt eine Stadt von entwickeltem Handwerk und Kunsthandwerk als Träger von hoher zentraler Funktion. Solche Funktion übte Kyoto u. a. auch für das Bekleidungsgewerbe aus. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts hatte sich der Kimono allgemein durchgesetzt, und um die Mitte des 17. Jahrhunders kam eine neuartige Färbetechnik, das yüzen-zome, in Mode, das eine höchst verfeinerte Stoffbemalung möglich machte 39 . Die von der in Edo lebenden Frau gewünschten Kimonoseiden und Obi-Brokate ließ der Daimyö in Kyoto besorgen. Zum Kimono wurde für passende Gelegenheit noch ein Haori als Jacke getragen. Als Fußbekleidung für die Straße dienten Holzsandalen (geta), für das Haus von Seide überzogene Strohsandalen (zöri). Diese Kleidung wurde zur Tradition, und auch die Seidenstoffe aus Kyoto behielten ihren guten Ruf. Wenn man das Luxusleben in Edo geißelte, bezog sich dies auch auf den besonderen Aufwand für die Kleidung. Im Keramikgewerbe ist es zur Entwicklung eigener Siedlungen gekommen. Vorgänger hierfür ist Seto, das Töpferdorf, das im 13. Jh. durch die Tatkraft des TÖSHIRÖ entstand. Die setomono waren ein vorzügliches Steinzeug, noch kein Porzellan. Die Geschichte des Porzellans begann mit der Entdeckung der Kaolinlagerstätte am Izumiyama bei Arita in Hizen durch den koreanischen Töpfer RISAMPEI. In Arita vervollkommnete KAKIEMON SAKAIDA ( 1 5 9 6 — 1 6 6 6 ) „um 1 6 4 5 die Porzellanherstellung bis zu der technischen Höhe der chinesischen Schmelzmalerei" (49, 179). Die Technik wurde von den Töpfern Aritas übernommen, und so entstand eine nach gleichen Methoden arbeitende Töpfergilde, die das wirtschaftliche Leben des Ortes prägte. Dieser Erfolg fand Nachahmung. Schon 1650 gründete der Daimyo MAEDA von Kaga die Porzellanhütten Kutani, die 1 8 2 4 nach Yamashiro, 12 km nordwestlich der Lagerstätten, verlegt wurden. Der bis dahin nur als Onsen bekannte Ort (s. Bd. 1, S. 500) wuchs bis zum 19. Jh. um 3000 in der Porzellanherstellung tätige Arbeitskräfte. Die Kaolinlager auf Hirado wurden 37 Kleiderständer (emonkake, ikö) Schränkchen (tansu), Simse und Etageren (chigaidana), Schreibkästen (suzuri-bako), kleine und größere Dosen (kogö u. kobako), Tabakservice (tabako-bon) Musikinstrumente (insbesondere Biwa) sind nur einige der vielen Gegenstände. Viel verwendet wurden auch die Inrö, die Medizin- und Pillenbüchsen (s. Glossar). 38 In sinischer Aussprache Chöshü; es ist der NW-Teil des heutigen Yamaguchi-Ken (s. Bd. 1, S. 49). 39 Die Kimono werden mit der Hand genäht. Der Stoff wird in Rollen von genormter Größe gehandelt, 0,33 m breit und 10 m lang. Ein Obi ist etwa 4 m lang. Dasselbe gilt auch für die seit dem 17. Jh. aus Baumwolle gefertigten Kimono sowie für die ebenfalls baumwollenen Yukata.
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1712 Anlaß zur Errichtung von Werkstätten durch Koreaner; ihr Porzellan ist als Mikochi-yaiti40, auch als Hirado-yaki bekannt geworden. In Nord-Kyushü übernahm die Stadt Imari den Export für die Porzellanorte von Hizen, woraus sich der Sammelname Imari-Porzellan (Imari-yaki) ableitete. Einer besonderen Erwähnung bedarf das Mumyoi-yaki der Insel Sado, ein Steinzeug aus rotem Ton, das glasiert ist und durch eingeritzte Schmuckzeichnungen geziert wird. Aikawa war in gleichem Maße Töpfer- wie Bergwerkstadt (s. u.). Kagoshima sah die Anfänge der Porzellanherstellung auf japanischem Boden und hat sich mit dem Satsuma-Porzellan durch die Jahrhunderte hindurch eine Sonderstellung bewahrt 41 . Die Erzeugung begann mit den 17 koreanischen Töpfermeistern, die der Shimazu-Daimyö 1598 aus Korea mitgebracht und in Kagoshima sowie in Chösa Onsen (heute ein Ortsteil von Aira-chö) angesiedelt hatte. Die zahlreichen Keramikzentren von größerem und kleinerem Gewicht, wie sie sich im Gebiet zwischen Aikawa und Kagoshima entwickelten, anerkannten Kyoto als Mitte für die künstlerische Geschmacksbildung, womit sich auch der Handel mit Teeschalen, Vasen und Gebrauchsgegenständen auf die Kaiserstadt konzentrierte. Auf Eisen und Bronze beschränkte sich im wesentlichen das Material des Metallhandwerks. Für die Eisengewinnung wurde noch immer die Blasebalgmethode der Tatara verwendet. Soweit sich das Kunsthandwerk in der Tokugawa-Zeit mit der Herstellung von Schwertern, Stichblättern, Rüstungsteilen und von Geräten für kultische Zwecke beschäftigte, hat es nach KÜMMELS Urteil kaum seinesgleichen (49, 55 ff.). Schwieriger gab sich die Einführung metallener Elemente in die Werkzeuge für den Ackerbau (34). Die Verbesserung des Pfluges, insbesondere der Pflugschar, wurde um 1600 in Chikuzen von Schmieden vorgenommen, die noch für den Korea-Feldzug des HIDEYOSHI als Waffenschmiede tätig gewesen waren. Die Erweiterung der Trockenfeldareale durch die Shinden wies dem Pflug die neue Funktion zu, größere Flächen rentabel umzubrechen. Als Schmiedezentren hebt FURUSHIMA die Stadt Sakai und einige Plätze in NordKyüshü heraus (34, 229; 19, 2 1 - 4 3 ) . Bezeichnend aber ist die geringe Bereitschaft der Bauern, den Pflug mit gußeiserner Schar anzunehmen. Begründet mag dies in der Betriebsform der Kleinbauern und Pächter sein, die bei ihrer gärtnerischen Feldarbeit mit der Hacke voll auskamen. Die kleine Betriebsgröße ist auch nicht die alleinige Ursache für die geringe Durchschlagskraft des modernen Geräts; denn „als Ostgrenze des Pfluges erscheinen während der Edo-Periode die Ostgrenzen der Provinzen Owari, Hida und Etchü" (34, 227). Damit war nicht einmal die Tokugawalinie erreicht, wobei gerade im westlichen Kanto, Köshü und Suruga der Pflug bei der Auslegung von Shinden hätte gute Dienste leisten können. Daß die Annahme, die Betriebsgröße sei der entscheidende Faktor für die zögernde Verbreitung des Pfluges gewesen, von falscher Voraussetzung ausgeht, wird durch den von FURUSHIMA gegebenen Hinweis deutlich: „Mit dem Pflug können Felder mit vielen Wurzeln von Gesträuch und Schilf, Trockenfelder, Sumpf- bzw. Steinfelder nicht gut umgebrochen werden" (34, 227). Die Ländereien im Kinki, in
40 yaki bedeutet Töpferware, sowohl Steingut, Steinzeug als auch Porzellan; Porzellan im besonderen heißt jiki. 41 Es zeichnet sich durch seine feingesprüngelte Elfenbeinglasur aus, z. T. auch durch die sog. Schlangenhautglasur.
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Westjapan und z. T. in Hokuriku waren für die Verwendung des Pfluges besser vorbereitet, weil auf den Shöen große und für das Pflügen mit Rind geeignete Felder schon entstanden waren. Die Anschaffung eines Pfluges war nur für einen Großbauern des mittleren und westlichen Japan sinnvoll, sofern ihm gelernte Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Weiter nördlich ging es zunächst um härtere Rodungsarbeit. Der Impuls, den das eisenverarbeitende Gewerbe von der Agrarwirtschaft erhalten hatte, blieb deshalb von räumlich beschränkter Wirkung. Das Bauhandwerk umfaßt mehrere Gruppen; das japanische Wort daiku für Zimmerleute meint in Holz arbeitende Handwerker insgesamt, einbezieht also auch Tischler, Dachdecker, Böttcher und sogar Schiffsbauer (15, 66—82). Die Zimmerleute nehmen im Hausbau den höchsten Rang ein. Ihr Ansehen stieg mit der Nachfrage im Vorgang des Burgen- und Städtebaus. Ihr Meister (töryö) genoß innerhalb eines Han so hohes Ansehen, daß er als Vertreter seiner Zunft amtliche Funktionen ausübte. „In Kyoto wurde das Meisteramt in der Familie N A G A I erblich. Zu Beginn der Neuzeit unterstanden ihr 20 Gruppen (kumi) von Zimmerleuten, dazu noch Zimmerleute in anderen Territorien, zusammen 7—8000 Handwerker. In Edo gab es vier solcher alter Meisterfamilien, denen zusammen 44 Gruppen unterstanden" (15, 67). Auch die Bevölkerung der Burgstädte durfte die Zimmerleute in Anspruch nehmen; in den Dörfern war der Hausbau jedoch Gemeinschaftsarbeit der Bewohner. In Fischerdörfern verfügten die Bootbaumeister über hohes Ansehen. Die tragenden Bestandteile des Hauses waren hölzerne hashira oder Säulen (Pfosten) und keta, die Balken, die auf den Längsseiten des Hauses die Säulenköpfe verbinden. Als Material verwendete man bestes Holz: Keyaki (Zelkova serrata), Hinoki (Chamaecyparis obtusa) oder Sugi (Cryptomeria japonica); bei Häusern für einfachere Ansprüche verwendete man Matsu (Pinus densiflora). Der Zimmermeister hatte zugleich gute Kontakte zum Holzhandel zu pflegen. Zum Dachdecken wurden im allgemeinen Schilf, Riedgras, Weizen- und Reisstroh, Hanfstengel, Bretter und Baumrinde benutzt. Ziegeldächer, mit dem Tempelbau von China nach Japan gekommen, wurden schon seit der Narazeit für repräsentative Bauten verwendet; sie wurden von den Daimyö insbesondere seit ODA N O B U N A G A bevorzugt, nachdem dieser für den Bau von Azuchi im Jahre 1576 einen Ziegelfachmann aus China herbeigerufen hatte. Die chinesischen Dachziegel waren weniger schwer und konnten auch für Dächer leicht gebauter Häuser verwendet werden: die Entstehung von Ziegeleien war die Folge. In Edo wurden nach der Brandkatastrophe von 1657 Ziegeldächer anbefohlen. Da das weniger begüterte Volk bei Riedgrasdächern verblieb, wurde 1732 angeordnet, wenigstens eine Schicht Muscheln aufzulegen. Von den Schilf- und Riedgrasdächern wird gesagt, daß sie 50 Jahre brauchbar waren. Die drei- bis vierstöckigen Großfamilienhäuser in Shirakawa (am Hidegawa) erneuerten ihre Riedgrasdächer nach jeweils 25—30 Jahren, wofür Riedgrasplätze im Gebirge gehalten wurden. Weitgehende Selbsthilfe machte den Dachdecker in den ländlichen Räumen entbehrlich. Keines der Handwerke, auch nicht die Töpferei, ist zu einer industriellen Produktionsweise übergegangen. Nicht einmal die Hölzer für die genormten Wohnhäuser wurden in Serienproduktion bereitgelegt. Am ehesten lassen sich die Ziegeleien als Vorläufer einer Fabrik betrachten. H O N J Ö stellt fest (31, 301—304), daß es am Ende des 18. Jahrhunderts einen Versuch gab, die Erzeugung westeuro-
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päischer Textilien nachzuahmen und hierfür eine Fabrik einzurichten. Am Ende der Tokugawazeit wurden die Kontaktnahmen mit der technischen Welt häufiger. Der Satsuma-Daimyò SHIMAZU NARIAKIRA ( F 1 8 5 8 ) ließ in seinem Burggarten nach holländischer Methode Kanonen gießen und Maschinen bauen; eine ElektroMaschine wurde 1855 konstruiert. Ebenfalls vom Shimazu Clan wurde in Kagoshima 1867, und dies mit englischer Hilfe, die „Kagoshima Spinning Mill" errichtet, die erste ihrer Art in Japan. Der Daimyó von Mito unternahm es 1 8 5 3 — 1 8 5 6 , das erste Kriegsschiff nach westlichem Muster zu bauen; es wurde in der eigens hierfür im Hafengebiet von Edo erstellten Werft auf Kiel gelegt. Es war dies der Beginn für die Entwicklung der späteren Großfirma Ishikawajima. 2. Der Bergbau als kulturlandschaftliches
Element
Über die seit der Narazeit bekannten Fundorte hinaus waren bis zur Tokugawazeit noch eine Anzahl anderer abbauwürdiger Lagerstätten von Erzen, Steinen und Erden bekannt geworden, die abzubauen von den nach Einnahmequellen suchenden Daimyò erstrebt wurde. Im Hinblick auf den Reichtum, der sich möglicherweise damit gewinnen ließ, wurden jedoch die wichtigsten Erzgruben von den Tokugawa verstaatlicht. „Das Grubenwesen wurde durch eine Bergbauverordnung in 53 Artikeln reglementiert" (52, 26). In staatlichen Griff genommen wurden vor allen anderen die Goldgruben von Aikawa auf Sado. Wenn auch im südlichen Inselteil bei Sawane und Nishimakawa schon vor 1600 Gold abgebaut wurde, so begann „die Erschließung der reichen Goldvorkommen bei Aikawa erst 1603 und ließ das kleine Fischerdorf explosionsartig zu einer Goldgräberstadt von etwa 100000 Einwohnern anwachsen. Sado wurde wichtigster Lieferant für die Münzprägungen des Shógunats" (53, 7—27). Zur Überwachung des Bergbaus wurde vom Shógunat ein Inselkommissar, der Sado-Bugyó, mit Sitz in Aikawa eingesetzt. Aikawa wurde das von Samurai getragene Verwaltungs- und Kulturzentrum der Insel; es löste hierin die am Südende der Insel liegende Hafenstadt Ogi ab, eine kleine Jókamachi, die 1637 aufgegeben wurde. Die Entwicklung der Bergbaustadt Aikawa leitete zugleich eine Verschiebung des Infrastrukturgefüges auf der Insel ein. Die Verkehrsverbindung der Insel mit Honshü lief traditionell von der südlich vom Yahikosan 54 (vgl. Bd. 1) bestehenden Poststation aus, die zugleich Fährhafen war; Ogi leitete seine Ähnlichkeit mit Kyoto davon ab, daß es im NO von einer Höhe geschützt wird, auf der der Tempel Renge (Rengeji) steht; die Höhe erhielt den Namen Kohié, d. h. Kleiner Hieizan. Der Rengeji soll aus dem frühen 9. Jh. stammen (52). Von Ogi aus führte der Weg, der Westküste folgend, zur Mano-Bucht, an der sich das alte Kulturzentrum, die Kokufu mit dem Kokubunji befand. Das Anwachsen des Fischerdorfes Aikawa zur bevölkerungsreichen Stadt bedeutete die Verlegung des Schwerpunktes auf die Nordhälfte der Inselprovinz, und dies legte die Möglichkeit nahe, über die Reisebene der Mitte hinweg den kürzeren Weg zur Ryótsu-wan zu wählen, wenn man eine Verbindung mit der EchigoEbene suchte. Eine Közan-machi oder Bergwerkstadt im engeren Sinne ist nur die langgestreckte, aus den verschiedensten Elementen (Verwaltung, Baracken, Werk54 Vgl. hierzu Chökai Vulkane, Bd. 1, S. 149ff. Der auf S. 151 genannte Tahozan ist durch Yahikosan zu ersetzen. Dasselbe gilt für Bd. 1, S. 485.
A. Die
Wirtschaftslandschaft
Bild 13 Aikawa auf der Insel Sado: Fischer beim Netzflicken am Auflaufstrand; die eng Fischer-, Keramikgewerbeund frühere Bergmannstadt. Aufnahme vom Ortsfotografen in
209
bebaute Aikawa
210
3. Kapitel: Mensch und Landschaft
zur
Tokugawa-Zeit
schuppen) bestehende Talsiedlung gewesen, die 2 km tief im Gebirge liegt; die Wohnsiedlung mit den Kleinhandelsgeschäften und der Keramikerzeugung zog sich straßendorfartig auf der Küstenterrasse entlang (Bild 13). Von ähnlich nachdrücklicher Wirkung auf die Landschaft sind die übrigen Bergwerkorte nicht gewesen. Das Bakufu sah sich auch nicht veranlaßt, einen weiteren Bugyö für einen Bergwerkort einzusetzen. Immerhin entstanden neu die Kupfergruben von Ashio (1610) im Gebirge von Nikkö, von Ani (1670) am Moriyashiyama von Akita-ken und die bedeutende Grubenregion von Besshi am Nordabfall des Shikoku-Gebirges nahe der Setonaikai-Küste der Hiuchi-nada. Besshi stellte insofern eine Ausnahme dar, als es 1691 der inzwischen zu hohem Rang aufgestiegenen Familie SUMITOMO zum Abbau übergehen wurde. Sie verfügte als „Besshi Kupferbergbau" noch bis zur Erschöpfung der Erzvorräte in der Nachkriegszeit über die Schürfungsrechte. Besshi wurde zu einem Kozan-Dorf: Die gesamte Bevölkerung stand im Dienste des Kupferbergbaus (39, 259—274). Bergbau und Dorf wurden 1971-1973 aufgegeben. Neben dem Gold- und Kupferbergbau war die heimische Eisenerzgewinnung recht gering. Wie schon vorher, gewann man das Eisen im Tataraverfahren aus den Eisensanden der Mutsu- und Rikuchü-Küste und aus den geringprozentigen Vorkommen in den höheren Teilen des Chügoku-Gebirges zwischen dem Daisen und dem Sandankyo. Die von SIEBOLD beobachteten Eisenhämmer mit ihrer Fabrikation von Messern und Gewehren in Matsubara bei Ömura (93, 81 u. 102) müssen ihr Erz auf dem Handelsweg erworben haben. Kohle wurde im Bereich des Ongagawa von Nord-Kyüshü fündig. Schon SIEBOLD stellte fest, daß es sich um eine Steinkohle handele (92). Insgesamt betrachtet, war eine Montan Wirtschaft im Dienste der Landesentwicklung noch nicht angestrebt. Die Bodenschätze galten grundsätzlich als staatlich: Aber nicht in einer wirtschaftlichen Konzeption, sondern aus Gründen der Machtpolitik; denn aus der Sicht des Obrigkeitsstaates waren die Bodenschätze eine Vermögensquelle des Bakufu, und es mußte nach Möglichkeit erschwert werden, daß auch Hanfürsten aus dieser Quelle Nebeneinnahmen von nicht vorausbestimmbarer Höhe schöpften. Aus diesen wirtschaftlich konzeptionslosen Gesichtspunkten erklärt sich die nur lokal gebliebene Bedeutung der Bergwerke: Ihr Gewinn gab der Wirtschaft keinerlei Impuls. Die genannten Aspekte ließen es dem Bakufu als zweckmäßig erscheinen, den Hanfürsten nur die kaum rentablen Gruben zu überlassen, die rentablen aber für sich zu behalten. Die Goldgruben von Aikawa sind das einzige Beispiel von räumlich ausgreifender Wirkung gewesen. Im übrigen hat die Insel Sado keinen unmittelbaren Anteil am Gewinn der Goldgruben gehabt, wohl aber den Profit aus der Versorgungswirtschaft für die zahlreichen im Bergbau beschäftigten Menschen. 3. Der Handel als Faktor für die Entwicklung der Städte Die Entwicklung des Handels auf der Basis des Geldes ist das eigentliche wirtschaftsgeschichtlich bedeutsame Ereignis der Tokugawa-Zeit; es hat schließlich den wirtschaftlich sterilen Polizeistaat mit seiner starr verstandenen konfuzianischen Gesellschaftshierarchie ad absurdum geführt. Das Geiselnahmesystem der Sankin Kötai bedingte ungewollt die Hinwendung zur Geldwirtschaft; denn das traditionelle Zahlungsmittel Reis in Koku-Mengen dem Reisegepäck zuzuschlagen, verbot
A. Die
Wirtschaftslandschaft
211
sich von selbst. Es wurde vorher eingewechselt in Geld. Es bestand eine Währung, die auf dem für Nutzflächen vereinheitlichten Maßsystem beruhte. Sie war von TOYOTOMI HIDEYOSHI geschaffen worden, und auf ihrer Basis beruhten die offiziellen Koku-Einschätzungen (omotedaka) für die Daimyate, und diese bürgte für die Leistungsfähigkeit eines um Kredit nachsuchenden Fürsten. Döjima, der Reismarkt von Osaka, bestand seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, der Markt in Edo wurde 1730 lizensiert (95, 125). Nicht nur die Fürsten bedienten sich der Wechselbörsen, sondern auch die Vasallen, deren Dienste in Koku Reis bezahlt wurden; für das Leben in Edo benötigten auch die Samurai Bargeld. Es blieb nicht beim Umwechseln. Der in Edo betriebene Aufwand verleitete zur Kreditaufnahme. Aus diesen Vorgängen ergaben sich Verschuldung und Abhängigkeit von den Reishändlern. Das begünstigte Verschiebungen in der sozialen Ordnung auf der Basis des Geldes. Die führenden Kaufleute erlangten unversehens immer höheren Rang auf der sozialen Stufenleiter, ließen Handwerker und Bauern unter sich und drangen vereinzelt in die Etage der Bushi ein. Die Kaufleute waren es, die in Edo, Osaka und Kyoto den Luxus anheizten, einen Hauch der Metropolen auch in der Chonin-machi der Provinzstädte spüren ließen und den Ehrgeiz schürten, aus der Jökamachi ein „Klein-Edo" oder „Klein-Kyöto" zu machen. Sakai und Nagasaki waren die zeitlich ersten Handelsstädte von Rang, die auf japanischem Boden entstanden; beide erblühten unter der Mitwirkung von Fernbeziehungen. Das Bakufu hatte das Neuartige an ihnen deutlich erkannt: Es nahm die Kaufleute in Griff, indem es die Bürgermeister oder Statthalter, die macht bugyö, stellte. In Osaka vollzog sich der Wandel von der Burg- zur Handelsstadt. Über das gesamte Land verbreitet waren, seit der Handel von O D A NOBUNAGA im freien Markt ohne Gildenzwang erlaubt war, kleinere und größere Marktstädte entstanden, noch heute an ihren Namen zu erkennen; es gibt ichiba-machi oder Marktstraßenstädte, häufig an Schnittpunkten von Straßen gelegen, wie Futsukaichi42 (Fukuoka-Ken), Mikkaichi (Toyama-Ken), Yokkaichi (Mie-Ken), Itsukaichi (Tökyö-to), Muikaichi (Akita-Ken) usw. Der Händler als Mittler zwischen dem Erzeuger und Verbraucher war in der weiten Spezialisierung, wie sie die Tokugawazeit hervorrief, etwas Neues. Der Charakter einer Stadt ließ sich geradezu von der Anzahl und Diversifizierung der Geschäfte ablesen. Für das Jahr 1692 vergleicht R O Z M A N (80, 136) Edo, Osaka und Kyoto unter diesem Gesichtspunkt (vgl. Tab. 2). Osaka weist sich als die Stadt mit dem vielfältigsten Warenangebot aus, wobei der Schwerpunkt auf Gebrauchsartikeln und Medikamenten liegt. Edo und Kyoto halten sich etwa die Waage; deutlich aber sind Edos großer Bedarf an Nahrungsmitteln und Kyotos Spezialisierung auf das Kunsthandwerk zu erkennen. Diese drei Städte galten als Maßstab. Je näher das Warenangebot am Niveau dieser Metropolen lag, desto höher empfand man die Qualität der Stadt, in der man lebte. So verfügte die Jokämachi Okazaki, die Hauptstadt von Mikawa, immerhin schon über Geschäfte, die 40 verschiedenen Branchen zugehörten (80, 128). In einigen Shukuba-machi drängten sich Geschäfte dicht aneinander; Hodogaya hatte deren 250. 42 Futsuka-ichi bedeutet „ A m zweiten Tag Markt"; entsprechend Mikka-ichi am dritten, Yokka-ichi am vierten Tag des Monats jeweils Markttag; Itsu am 5., nanoka am 7., toka am 10., muika am 6. Tag. Die Bezeichnung bezieht sich auf den Mondkalender: A m 2. Tag des ersten Monats beginnt die Marktzeit.
212
3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
Tabelle 2. Die Vielzahl der von Kaufleuten und Handwerkern in Edo, Osaka und Kyoto im Jahre 1692 angebotenen Waren, geordnet nach Bedarfsbranchen (zusammengestellt nach Rozman, 1973). Artikelbranche
Anzahl der angegebenen Waren in: Edo Ósaka Kyöto (in Klammer die Vielzahl der Waren im prozentualen Verhältnis der Städte untereinander)
Nahrungsmittel (ohne Reis) Tägl. Gebrauchsartikel einschl. Kleidung und Reis Drogen Veröffentlichungswesen Kunsthandwerk Waffen, Waffenteile
64 (50) 178 126 49 154 83
Insgesamt
654
(20) (20) (38) (41) (32)
23 (18) 429 442 50 49 96
(49) (69) (38) (13) (38)
1089
40 (32) 266 70 31 175 76
(31) (11) (24) (46) (30)
658
4. Die Enge des Marktes und Beschränkung der Handelsfreiheit Der Handel, der noch vor 1600 infolge des von Oda Nobunaga verkündeten freien Marktes (raku-ichi) und der Aufhebung von Gildenprivilegien (raku-za) 43 großen Aufschwung erfahren hatte, wurde durch die Abschließung des Landes von den überseeischen Ländern (sakoku) einer seiner entscheidenden Triebkräfte beraubt. Er war nur noch als Binnenhandel möglich, für den sich ein Absatzmarkt von nur 20% der Bevölkerung anbot, da die Bauern Selbstversorgungswirtschaft betrieben. Es handelte sich demnach um einen Absatzmarkt von 5 Mio. Menschen, die zum größeren Teil von den Chönin selbst und den Semmin gestellt wurden, deren Kaufkraft sich in mäßigen Grenzen hielt. Im wesentlichen galt es den Bedarf der Aristokratie zu nutzen, deren Personenkreis man auf 2 Mio. schätzte. Der Wettbewerb um die begrenzte Kundschaft schloß alle Möglichkeiten der Unlauterkeit ein; er nötigte zur Kontrolle. Sie geschah auf zwei Ebenen, einer ethischen und einer organisatorischen. Es wurde die Lehre vom Chönin-dö entwickelt, vom „Weg der Kaufleute", deren Hauptgrundsätze konfuzianisch waren: Verehrung der Familientradition und Übung in praktischem Denken und Handeln, worunter Fleiß, Aufrichtigkeit, Einfachheit und Genügsamkeit verstanden wurden (91, 96). Die Übernahme des für die Familie geltenden Oyabun-Kobun-Verhältnisses durch Handwerk und Handel band den Lehrling in strenge Abhängigkeit zum Meister. Im Testament von HACHIROBEI TAKATOSHI, Gründer des Hauses Mitsui, stehen die Sätze (79): „Vergiß nicht, daß du ein Kaufmann bist. Sparsamkeit ist die Grundlage des Wohlstandes, Luxus ruiniert. Aufrichtigkeit und Geschäftsmoral sind unter allen Umständen zu bewahren. Jedermann ist verpflichtet, der Lehre des Konfuzius zu folgen." Die überlieferten za gingen später in den nakama auf: Dies waren genossenschaftliche Zusammenschlüsse von toiya, von Großhändlern, Zwischenhändlern und Handwerksmeistern zur Erlangung und Sicherung von Monopolstellungen (103, 78—83). Vom Bakufu anfänglich geduldet, wurden sie später zu Instrumenten der feudalistischen Kontrolle des Handels, auch des Nagasaki-Handels; sie vermehrten durch die Entrichtung von Gebühren für die Lizenz43 za war bis in die frühe Tokugawazeit die Bezeichnung für Handwerkszünfte und Kaufmannsgilden.
B. Geisteskultur in landschaftlichen
Objektivationen
213
erteilung zusätzlich die Einnahmen der Staatskasse. Die nakama, die durch Gebührenabgabe den ausdrücklichen Gewerbeschutz erworben hatten, durften sich kabu-nakama nennen. Diese Lizenz durfte vererbt, verkauft oder auch übertragen werden. Untergliederungen der nakama nannte man kumi oder ko. Die nakama insgesamt verfolgten das Ziel, jeden Wettbewerb durch Nichtmitglieder auszuschalten. Das bedeutete im einzelnen: 1. Verhinderung jeden Wettbewerbs auch innerhalb der Gruppe 2. Begrenzung der Anzahl von neuen Mitgliedern und öffentliche Bekämpfung von Außenseitern, die monopolistische Ziele verfolgen könnten; 3. Marktkontrolle durch Festsetzung der Preise und Festlegung des Marktangebots 4. Vorsichtige Überprüfung der Handelspartner 5. Überprüfung der Warenangebote, Vereinheitlichung der Maßeinheiten, Vereinbarungen über die Verpackung der Ware u. a. Da die kabu-nakama und nakama feste Preise und Qualitätsware garantierten, waren sie den Kunden willkommen. Für die Entwicklung der Wirtschaft bedeuteten die nakama Stagnation, und da die Behinderung des freien Wettbewerbs durch weitere Faktoren verstärkt wurde, gerieten Wirtschaft und Gesellschaft in eine ausweglos scheinende Sackgasse. Erstens blieben von der Aufnahme in eine nakama alle jene Handwerke ausgeschlossen, die nur von den geächteten Hinin und Eta ausgeübt wurden; das betraf die Färber, Gerber, Lederverarbeiter, Feinarbeiter in Holz und Bambus und Korbmacher, die sich in ausgewiesenen Stadtteilen oder in eigenen Dörfern niederzulassen hatten. Zweitens wachten die Hanfürsten darüber, daß der Warenaustausch über die Hangrenze hinweg zurückgehalten wurde; die Außenhandelsbeschränkung wurde damit durch kleinstaatliches Denken im Binnenhandel verstärkt. Am verhängnisvollsten erwies sich aber der geradezu gezüchtete Mangel an Unternehmergeist, der sich scheute, angesammeltes Kapital arbeiten zu lassen. Man freute sich an den Zinsen und investierte kaum; man hatte Freude am Erreichten. Das Geld floß allenfalls in luxuriöses Leben. „Für den wohlhabenden Kaufmann gab es keine höhere Ehre, als zwei Schwerter tragen und sich den Samurai ähnlich fühlen zu können." (91, 174). Der prominenteste Kaufmann von Ösaka, YODOYA SABUROEMON, führte unter dieser Devise ein Leben, das ihm nach Meinung des Bakufu nicht zustand. Im Jahre 1709 konfiszierte man das Vermögen des Hauses: Ein Vorgang, der die Chönin zur Einfachheit mahnen sollte. Daß solche Lebensweise nicht für alle Großkaufleute erstrebenswert war, bewies das Haus MITSUI: ES investierte sogar, gründete von Edo aus ein Zweighandelsgeschäft in Kyoto und kurz darauf ein solches in ösaka. Es nahm damit den Gedanken einer überregionalen Handelstätigkeit auf und schuf die erste Geschäftskette. Es gab hierfür sogar schon ein Vorbild für den auf Edo beschränkten Geschäftsbereich: ISEYA, dessen Familie übrigens auch aus Matsusaka kam, hatte eine Kette von Textilgeschäften eingerichtet, die alle Stadtteile einbezog.
B. Die Geisteskultur in ihren landschaftlichen Objektivationen und deren Bedeutung im Landschaftsgefüge I. Der Konfuzianismus und die Ausschaltung des Christentums Der Konfuzianismus galt für die Tokugawa als die geistig tragende Macht von Staat und Gesellschaft. Religionen wurden nach dem Beitrag bewertet, mit dem sie den
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft
zur
Tokugawa-Zeit
Staat zu stützen vermochten. Der Zen-Buddhismus, dem schon YORITOMO zugeneigt war, stand dem Konfuzianismus am nächsten. Der Shintöismus konnte mit seiner Tradition der Ahnenverehrung voll bejaht werden, war aber durch die Art, wie er von IEYASU zur Begründung seiner Machtübernahme verwendet worden war, bis zur Grenze dessen mißbraucht worden, was noch Kaiserverehrung genannt werden konnte. Wahrscheinlich hatte nur die Scheu vor der magischen Kraft der drei göttlichen Reichsinsignien ihn dazu bewogen, die Machtübernahme mit einer Demütigungserklärung zu vollziehen. Die wenig überzeugende Begründung hing geistesgeschichtlich von Anbeginn wie ein Damokles-Schwert über den Tokugawa. Ungewollt hatte IEYASU für die Stärkung des Tennögedankens sogar selbst den Boden bereitet, da er sich in seinen 1 8 Gesetzen nicht nur auf SHÖTOKU T A I S H I berief, sondern auch ausdrücklich befahl, die Shikinen Sengü für den Ise Jingü einzuhalten, „damit das Land glücklich sei" 44 . Schon 50 Jahre später hatten sich starke Kräfte entwickelt, die den traditionellen, politisch im Tennöhaus gipfelnden Shintöglauben von den Überdeckungen durch Konfuzianismus und Buddhismus wieder freizulegen und zu beleben versuchten. Die Kokugakusha genannte Gruppe geistiger Elite, bis zum Ende der Tokugawazeit vornehmlich vertreten durch die Meister- und Schülerfolge K A M O M A B U C H I ( 1 6 9 7 — 1 7 6 9 ) , MOTOORI NORINAGA (1730-1801),
HIRATA A T S U T A N E ( 1 7 7 0 - 1 8 4 3 )
und
ÖKUNI-TAKAMASA
(1793-
war der beständige Quell für das schließlich erfolgreiche Bemühen um die Wiedererweckung des nationalen Bewußtseins im Sinne des Kokutai (23 u. 9). 1871),
„Die Wallfahrtsströme nach dem Ise Jingü, seit 1650 alle 60 Jahre veranstaltet, ergriffen ganze Volksmassen, so daß z. B. 1830 in der Stadt Tokushima nicht ein Bewohner zurückblieb. Die allgemein geduldete Sitte des heimlichen Verschwindens aus Haus und Dienst zum Besuch der Iseschreine, Nuke-mairi45, übte ihren Reiz auf die Abenteuerlust der Jugend aus" (20, 142). Das Wirken der Kokugakusha nagte am Ansehen des Shögunats und bereitete dessen Sturz vor. A T S U T A N E und seine Schule erreichten immerhin schon die Wiederherstellung des im 8. Jh. eingerichteten und später vernachlässigten Jingikan, des Amtes für Shintöangelegenheiten (23, 27). Wenn in den „100 Gesetzen" des IEYASU ZU lesen ist, daß die Vernachlässigung der Kamilehre dasselbe sei wie Untreue gegenüber dem Gebieter, so ist solche Äußerung nur als ein taktisches Mittel zur Gewinnung der öffentlichen Meinung zu sehen. Die wirkliche Gesinnung objektivierte sich nirgends deutlicher als beim Aufbau der Reichshauptstadt Edo. In der Konzeption der Stadt waren Tempel und Schreine nur so weit berücksichtigt, als sie einen politischen Sinn haben konnten. Da man dem Christentum einen staatspolitisch negativen Sinn gegeben hatte, wurde es städtebaulich nur durch das Gefängnis Kirishitan Yashiki auf dem Hügel in Koishikawa repräsentiert, den man Kirishitan-zaka nannte (73, 284). Hier wurde zu Tode gebracht, wer als Christ erkannt worden war oder trotz des Verbots gewagt hatte, das Land zu betreten. Die konsequente Ausschaltung des Christentums als einer geistigen Kraft im Lande ist nicht als eine Handlung des Hasses gegenüber dem japanfremden Glau4 4 Für die Shikinen Sengü stellte /EYASU sogar das Bauholz aus den Tokugawa-Domänen zur Verfügung (20, 123). 45 Ein Ausdruck, der eigens für solchen Besuch der Iseschreine verwendet wurde, im Gegensatz zu den offenen Wallfahrtströmen, den Ökage-mairi (vgl. Gundert, 20, 142).
B. Geisteskultur
in landschaftlichen
Objektivationen
215
ben zu verstehen. Man konnte nicht erwarten, daß HIDEYÖSHI und IEYASU, absorbiert von den politischen Vorgängen in einer der bedeutendsten Phasen japanischer Reichsgeschichte, es der Mühe wert hielten, sich mit den Inhalten einer von außen her eingedrungenen Religion zu beschäftigen, von der im übrigen auch der Eindruck umging, sie sei eine der neuen buddhistischen Sekten. Man mußte vielmehr erwarten, daß IEYASU in seinem gigantischen Bemühen um die Verwirklichung eines zentralistisch geführten und den Frieden sichernden Reichs jede Kraft, die potentiell Störung bedeuten konnte, bis zur Vernichtung bekämpfen würde. Als solch störendes Potential waren die christlichen Missionare aber schon HIDEYÖSHI erschienen, nachdem Franziskaner 1593 und 1594 als Gesandte des spanischen Statthalters der Philippinen erste Kontakte mit Japan aufgenommen hatten, 1596 eine mit Waffen beladene spanische Galeone an der Nehrung von Urado (Köchi) gestrandet war und der Kapitän im Verhör „auf einer Karte die ausgedehnten Besitzungen des Königs von Spanien gezeigt und großsprecherisch erklärt hatte, den Eroberern werde von den Missionaren der Weg bereitet" (3, 217). HIDEYÖSHI hatte mit der Kreuzigung von 26 Christen in Nagasaki geantwortet. Als Unruhe stiftendes Potential mußte das Christentum auch IEYASU erscheinen, obgleich er anfangs die Christen großzügig tolerierte. Seine Meinung, die schließlich zum Verbot des Christentums führte, bildete er auf der Grundlage von Erfahrung und Beratung. In Distrikten, in denen Christen konkurrierend mit dem Buddhismus auftraten, war es zu Ausschreitungen gekommen; es war auch bekannt, daß katholische Portugiesen und Spanier gegen die protestantischen Holländer und Briten intrigierten, und daß Portugiesen und Spanier unter sich Händel austrugen. HAYASHI R A Z A N ( D Ö S H U N ) , ein Vertreter der China-Gelehrten, seit 1606 von IEYASU beauftragt, über die laufenden Vorgänge zu berichten, mag die vom Christentum drohende Gefahr verdeutlicht haben, nicht ohne Hinweis auf die Philippinen, auf denen 1565 auf Grund der Arbeit von Missionaren der König von Spanien durch einen Gouverneur die politische Macht übernommen hatte (87, 518-530). Mit dem Edikt vom 22. 1. 1614 verbot IEYASU das Christentum auf japanischem Boden. Die kulturlandschaftlichen Elemente, die von den Christen geschaffen waren, wurden zerstört. Zur Zeit des Verbots gab es mehr als 500000 Christen und etwa 190 Kirchen. Nicht ausgerottet werden konnte das in den Kindern und Kindeskindern fortlebende „heimliche Christentum" der Sempuku Kirishitan (Geheimchristen). Die Christenverfolgung wurde seit 1614 konsequent betrieben, erreichte im sog. Shimabara-Aufstand 46 1637-1638 ihren Höhepunkt (78), wurde aber auch nach der Landabschließung fortgesetzt, so daß noch 1853 in den Anweisungen für die Goningumi an vorderster Stelle zu lesen war, heimliche Christen seien sofort anzuzeigen. Die Bewertung einer Religion erfolgte nach dem Maße der Unterstützung, die der Staat konfuzianischer Prägung durch sie erhielt — wobei der jeweilige Shögun von diesem Grundsatz abwich, wenn er an die Verehrung seiner Ahnen oder an sein eigenes Seelenheil dachte, wie dies IEYASU durch die Erhebung des Zöjöji zum Tokugawa-Ahnentempel und durch die großzügige Hilfe für die Ise-Schreine zum 46 Auf die Halbinsel Shimabara hatten sich viele Samurai zurückgezogen, denen wegen ihres Christentums die Einkünfte entzogen worden waren. Die Belastung der Bauern, denen Steuerabgaben zugunsten dieser Samurai auferlegt wurden, führte zu sozialen Spannungen, die den Aufstand hervorriefen.
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
Ausdruck brachte. In der Konzeption der Reichs- und Shögunatshauptstadt waren die Kultstätten auf Außenplätze gerückt. IEYASUS Nachfolger sahen sich aus Gründen des Ansehens aber veranlaßt, dem Hieizan-Tempelbezirk im NO Kyotos einen Ost-Hieizan-Tempel (tö) im NO der Edoburg zu errichten, den Kaneiji; zur Wahrung des Gleichgewichts wurden den beiden Honganji von Kyoto zwei Honganji in Edo entgegengesetzt. Viel wichtiger aber war die konfuzianische Yushima Seidö in der Mitte der Stadt (s. Abb. 13). „Das Kuriosum, daß TOKUGAWA IEYASU 1 6 1 6 erst auf dem Kunosan bei Shizuoka nach dem Ritus des Yui-itsu Shinto, 1617 aber zu Nikko von dem Tendai-Abte Tenkai in den Formen des Sannö Ichijitsu Shindö bestattet wurde, bezeichnet die diplomatische Haltung seines Hauses zum Shintöismus: Der Kami-Kult war wichtig als Hort des Nationalismus, sollte aber der buddhistischen Bevormundung nicht ganz entwachsen" (20, 123). Die Ausmerzung des Christentums bedeutete das Ende jeder unmittelbaren geistigen Beeinflussung der Bevölkerung durch nichtjapanische Personen, nicht aber den Bruch mit der materiellen und geistigen Kultur der westlichen Welt; denn für deren Anregungen blieb das Brückentor zu Deshima, wenn auch unter scharfer Kontrolle, geöffnet. Da diese schmale Verbindung allein mit den Holländern erhalten blieb, lief dieser Verkehr über die holländische Sprache; dem diente die „Rangaku". II. Rangaku und Schulbildung Die Beschäftigung mit europäischen Wissenschaften setzte Schulbildung voraus. Dabei waren die Bildungsmöglichkeiten der Aristokratie von denen der Bürger sehr verschieden. Wer nach Nagasaki ging, war Sohn eines Samurai, der in einer Bakufu- oder Daimyatschule vorgebildet war. Die Schulen standen ausnahmslos unter den Leitgedanken des Konfuzianismus (73, 586 u. 683). Vorbild war die 1630 in Edo gegründete Bakufuschule Shöhei-kö, die 1645 in Nagasaki als „Meirin-do" ihre erste Nachahmung erfuhr. Lehrfächer waren anfangs nur Chinesische Literatur und Militärische Künste einschließlich Ritterethik, wie sie von YAMAGA SOKÖ (1622-1685) als Bushidö (Weg des Ritters) kodifiziert worden war. Später traten auch Japanische Geschichte und Europäische Wissenschaften als Lehrfächer auf, um jenen Jugendlichen eine Vorbereitung zu geben, die in Nagasaki an den Quellen der Rangaku lernen wollten. Da die beiden BakufuSchulen den Bildungsbedarf nicht decken konnten, errichteten die größeren Daimyo Daimyatschulen, die Shöhan-Gakkö. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts waren Bildungsmöglichkeiten dieser Art im Raum zwischen Yonezawa und Kagoshima schon ziemlich gleichmäßig verteilt. Im 19. Jh. wurde das Schulnetz im mittleren Honshü durch Bakufuschulen verdichtet. Auffallend ist die Vernachlässigung von Kyoto und Ösaka durch das Bakufu. Obgleich diese Städte unter der Verantwortung eines Bugyö standen, überließ man dort die Schulgründung privater Hand. Hervorzuheben sind die Sonderangebote im Lehrbetrieb der Schulen von Wakayama und Sendai; beide lehrten zusätzlich Holländisch, Sendai darüber hinaus Russisch und Musik. 47 Zum Begriff „Rangaku" s. S. 176.
B. Geisteskultur in landschaftlichen
Objektivationen
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Für die breite Bürgerschicht gaben die Tempelschulen oder Terakoya Bildungshilfe; sie waren eine Art Elementarschulen, die vom Bakufu und von den Hanfürsten gefördert wurden. Gelehrt wurden Lesen und Schreiben, seit etwa 1700 auch Rechnen mit Hilfe des Soroban, eines Rechengeräts in Form eines rechteckigen Holzrahmens mit quergestellten Stäbchen, auf denen sich verschiebbare Kugeln (tama) befinden. Gelesen wurden Moralbücher, die in einfacher Sprache konfuzianische Ethik vermittelten (52, 468—470). Die allem Unterricht zugrunde liegende Ritterethik (Bushidö) ist trotz der ersten literarischen Behandlung durch Y A M A G A SOKÖ nie in ein geschlossenes System gebracht worden, wurde aber in ihren wesentlichen Grundsätzen zum selbstverständlichen geistigen Besitz aller Bevölkerungsschichten. Es erklären sich hieraus auch Verhaltensweisen, die den Europäern ungewöhnlich sind. Die ethischen Forderungen, die schon YORITOMO an seine Bushi stellte, wurden dem ZenBuddhismus entlehnt. Das seit der Kamakurazeit durch mehrere Generationen der Ashikagazeit erlebte dialektische Neben- und Gegeneinander von Kriegslärm und dem Verlangen nach seelischem Sich-selbst-finden, die immer erneut abgeforderte Entscheidung zwischen Ritterpflicht und Herzensneigung, hat zu vertieftem Verstehen der ethischen Normen geführt und jene Verhaltensweisen herausgebildet, die den Bushidö der Tokugawazeit bestimmen. III. Bushidö als Bestandteil des Volkscharakters Diese Ritterethik wurde zur Substanz für die Verhaltensweisen der Aristokratie, und infolge einer 250 Jahre hindurch unermüdlichen Lehrtätigkeit und ihres Einbaus in die Gemeindeordnungen bis hinab in die Fünferschaft auch zum Bestandteil dessen, was man im Falle Japans als Volkscharakter bezeichnen darf. Diese sittlichen Werte konnten von außen her, solange das Sakoku galt, nicht angezweifelt werden, und sie fanden auch im Lande selbst im Grundsätzlichen keinen ernsthaften Widerspruch. Wie stark der Samuraigeist die Herzen des Volkes gewann, wird jedem noch heute offenbar, wenn er mit den Tausenden Menschen am 14. Dezember das Gishi-sai, das Fest der treuen Lehensmänner, am SengakuTempel in Tokyo besucht. Es wird in Erinnerung an die 47 Rönin (Chüshingura) gefeiert, die im Jahre 1701 ihr Lehen durch Harakiri (seppuku) beendeten, weil sie nicht anders die Schuld sühnen konnten, die sie in Erfüllung ihrer Samuraipflicht mit der Tötung des Bakufu-Zeremonienmeisters auf sich genommen hatten, der für die Selbstentleibung ihres Herrn, des Daimyo von Akö, verantwortlich gewesen war. Im einzelnen enthält diese Ethik einen reichen Katalog von Tugenden, die sich auf der Grundlage dessen aufbauten, was MINAMOTO YORITOMO erstmals von seinen Bushi gefordert hatte und wie sie 1232 verschiedentlich kodifiziert worden waren. HAMMITZSCH (24, 40f.) faßt sie zusammen als „absolute Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit, Treue gegen den Herrn und stete Bereitschaft zur Hingabe des eigenen Lebens für diese Verpflichtungen. Die klare Einstellung zu Leben und Tod, die Erkenntnis, daß das Leben dem Wandel unterliegt, der Tod schon im Leben eingeschlossen ist." Dieser Kodex hatte in der Ashikagazeit bedeutende Ausweitungen erfahren. Ganz selbstverständlich flössen in ihn die konfuzianische Lehre von den „Fünf Beziehungen der Menschen untereinander" ein ( g o r i n )
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
und die fünf Gebote (gokai) des Buddhismus. Vom Shintöismus entlehnt wurden die Ideale der Natürlichkeit und Reinheit, da Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit nur auf deren Boden wachsen können. Auch die Prinzipien der Einfachheit, Schlichtheit und in gegebenen Fällen des Verzichtenkönnens bis zum UnbedingtNotwendigen waren damit gesetzt. Symbol des Kriegers war letzthin das Schwert. Nur der seelisch saubere Mensch ist berufen, eine Klinge zu tragen; nur er wird sie nicht mißbrauchen; in ihrer Kraft, Schönheit und Reinheit soll sie nicht nur Werkzeug der Vernichtung, sondern Ausdruck des Wesens des Kriegers, seine „Seele" sein. „Das Fechten ist in der Hauptsache ein Ausdruck der geistigen Haltung. Nur wer jeden Tag seines Lebens als den letzten ansieht, besitzt die tiefe innere Ruhe, aus der sich allein der Blitz des Angriffs entladen kann" (51, 96—99). Der Träger des Schwertes ist eingeordnet in das Wesen der Natur, das sich nach taoistischer Auffassung aus den Urkräften Yang und Yin bestimmt, dem Werden und Vergehen, dem Sich-Bewegenden und Ruhenden, dem Männlichen und Weiblichen. Es gibt nichts in der Welt, was diese dialektisch entzweite Urkraft der Natur nicht enthält. Hofadel wie die Fürsten und deren Samurai waren schon während der Ashikagazeit von den genannten Idealen mehr oder weniger ergriffen. Die Kriegsereignisse hatten auch immer wieder Gelegenheit gegeben, sie zu verwirklichen. Die Tokugawa-Zeit, deren besonderes Merkmal der anhaltende Friede war, hat die Samurai funktionslos gemacht; der „Ritter" wurde politisch zur Staffage und wirtschaftlich als Heer von Rentnern eine Bürde. Er vermochte nun seine Energien stärker als vorher den ritterlichen Künsten, dem Studium konfuzianischer Lehre und den schönen Künsten zuzuwenden. IV. Konfuzianismus, Zen-Buddhismus und Bushidö in ihrem landschaftlichen Niederschlag 1.
Landschaftsgärten
Geographisch bedeutungsvoll wurde die Pflege der Gartenkunst, insbesondere die Fortführung der schon in der Ashikagazeit betriebenen Anlage von Landschaftsgärten. Als Vorbilder boten sich die im Kyöto-Rakugai von der Zerstörung verschont gebliebenen Meisterwerke an. Vielleicht kann der Ryöanji-Garten (Bild 14) als jener gelten, in dem sich Gedankengut am eindrucksvollsten objektivierte. Beim ersten Anblick erscheint er als ein Versuch, KANTS phänomologische Bloßlegung der Kategorien der Anschauung zu versinnlichen. Aber dem Schöpfer des Gartens, dem Teemeister und Dichter SÖAMI, ging es nicht um die Anschauung an sich, sondern um die Frage, was denn von der konkreten Vorstellung „Landschaft" übrig bleibe, wenn man ihre Vielfalt in Form und Farbe abstreift. Das schließlich Verbleibende ist, was die Chinesen mit dem Begriff shanshui, die Japaner mit sansui meinten und auch durch entsprechende Schriftzeichen wiedergaben: 48 Berg und Wasser, Land und Meer. Im Ryöanji hat SÖAMI eine noch weitere Abstraktion vollzogen: das Land ist dargestellt durch Inseln nachahmende Felsgruppen, der Ozean symbolisiert durch Kies-Sandflächen ringsum, die, durch 48 Der Begriff ist nur für die Naturlandschaft anwendbar.
B. Geisteskultur in landschaftlichen
Objektivationen
Bild 14 Rydanji, ein Trockengarten oder „karesansini" in Kyoto (15. Jh.). Aufn. d. Kokusai Jöho, Tokyo
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Kyöiku
einen Rechen in Wellenrillen zerlegt, die Kliffs und Eilande sorgfältig umkreisen: sansui mit Wasser aus Sand! Ein Trockengarten also, ein karesansui. Der Abt des Klosters hat ihn in einer Broschüre wie folgt beschrieben (8, 136): „Wir können den Garten als eine Gruppe von gebirgigen Inseln in einem großen Ozean oder als Berggipfel, die ein Wolkenmeer überragen, betrachten. Wir können ihn auch als ein von der altertümlichen Lehmmauer umrahmtes Bild, als etwas Unerlebtes, das wie ein Nationalschatz angesehen wird, auffassen. Oder wir können den Rahmen vergessen, wenn wir der Wahrheit des Meeres, das sich in das Unendliche ausdehnt, gewahr werden. S Ö A M I S Art der Darstellung wird für immer zu denen sprechen, die den Garten mit den inneren Augen schauen. Von dem Anblick gefesselt, werden wir, die wir uns mit ihm verwandt fühlen, mit erhabener Verwunderung erfüllt, indessen wir das absolute Ich erschauen und unseren getrübten Geist reinigen.
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Selbst ein Grashalm offenbart im Zen die letzte schlichte Garten uns von selbst auf den wahren Weg vergleichbar mit jeglichem anderen Garten der Welt, Kü-tei (Garten der Leere) genannt werden sollte als
Tokugawa-Zeit
Wirklichkeit. So können wir sagen, daß dieser weist. Es ist ein Garten von tiefstem Inhalt, unso daß er eher Mu-tei (Garten des Nichts) oder Seki-tei (Garten der Steine)."
Als ich den Garten das erste Mal betrachtete - es war in den Nachkriegsjahren — saßen seitlich von mir junge Leute. Ein älterer Herr sprach zu mir: „So lange die Jugend diese Schöpfung meditierend zu beschauen vermag, ist mir nicht bang um die Zukunft Japans." Aber der Ryöanji-Garten dient nicht dem Dazwischen-sein, dem Erlebnis der Einheit von Natur und Mensch, sondern der Betrachtung, der Meditation, der Wesenserkenntnis. Er teilt diese Funktion mit anderen karesansui, wie denen am Daisen-in (1509), Nishi-Honganji (1620), Nanzenji (1632), Manshü-in (1656) u. a. Die weitaus meisten Landschaftsgärten suchten aber nicht die Abstraktion, sondern die Wirklichkeit von Natur und Menschengeist in deren gegenseitiger Durchdringung. Die Gärten gehörten zum Erlebnisraum des Wohnens, waren ans Haus herangezogene Abbildender Natur, eine intensive, doch mit aesthetischem Feingefühl zusammengerückte Vielfalt von Geländeformen, Gewässer- und Vegetationstypen der japanischen Umwelt. In ihrer Verbindung mit Elementen des Menschenwerks wurden sie zu richtungweisenden Symbolen einer Kulturlandschaft, die den Menschen in harmonischem Eins-sein mit der Natur erscheinen läßt. Teehaus, Steinlaternen, Erd-, Stein- und Holzbrücken über fließenden und stehenden Gewässern, Steinwasserbecken, Wasserleitungen aus Bambus, Trittsteinpfade und schließlich das Wohnhaus oder auch der aus Holz gefügte „Palast" ordnen sich den immergrünen Eichen, den Zypressen, Zedern und Kiefern, den Ahorn- und Ginkgobäumen und dem Strauchwerk aus Camellia, Hibiscus und Hamamelis unter, als seien sie nicht künstlich angelegt, sondern mit der grünen Natur gewachsen. Gärten dieser Art haben eine Geschichte, die bis ins 7. Jh. zurückreicht. Für den Usa Hachimangü wurde ein solcher schon im 1. Kapitel kurz beschrieben. Die Landsitze oder shinden-zukuri der Heianzeit fanden ihre atmosphärische Mitte bereits in einem Garten mit seeartigem Teich. Die Tempelgärten der zen-buddhistischen gozan haben erstmals die Teehütte bzw. den Teeraum (cha ya) in die Gartenanlage einbezogen. Der Landschaftsgarten, auch wenn seine Anlage von Korea und China angeregt sein mag, ist auf japanischem Boden zu einem eigenen Kulturelement entwickelt worden. B R U N O T A U T hat den Garten des Katsura Rikyü als eine so vollendete Schöpfung dieser Art erkannt, daß er sie als das „Permanent", das Gültig-Bleibende, bezeichnete (101). Der Katsura, wie der Palast und sein Garten zusammenfassend genannt werden soll, wurde in den Jahren 1620—1624 am rechten Ufer des Katsuragawa angelegt, gehört also zum Rakugai Kyotos. Nichts an diesem Sommerschloß ist unzweckmäßig, nichts ist bloßes Schaustück. „Die Bauwerke, sei es der Hauptbau, sei es das Teehäuschen Shökin-tei (Laube zur Kieferharfe) oder die anderen Teelauben und die Wartehallen, sie alle bilden eine vollkommene Harmonie mit dem Garten, der eine Miniaturlandschaft mit vielen Variationen darstellt" (8). Das Tsiikimidai, die kleine offene Terrasse vor dem Hauptgebäude, ist der Schwerpunkt der Komposition. Tsukimidai heißt „Terrasse zum Beschauen des Mondes". Sie ist aus einfachsten Mitteln erbaut. „Ein Holzgestellt trägt den Boden, der aus dicht nebeneinander gelegten Bambusstäben besteht. Von hier aus ist der Blick frei auf den inmitten des Gartens liegenden Teich, dessen Inseln und Buchten gleichsam das Meer bis in den Garten hereinziehen, und dessen immer gleichbleibender Wasserspiegel die Seele mit Ruhe und Stille erfüllt.
B. Geisteskultur in landschaftlichen Objektivationen
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Im Blick nach oben erschaut man den Mond im Spiel mit den Wolken, im Blick nach unten erfreut man sich an seinem Doppel in der Tiefe des Wassers." Teil des Gartens ist auch die Mini-Region um das Teehaus am Gegenufer des Teiches. Der Weg dahin erfordert Konzentration, ist beschwerlich, mit groben Steinen belegt. Das Teichufer gibt sich mit seinen Gesteinsbrocken ernst, die kiesige Landzunge, die sich aus ihnen vorschiebt, und deren Ende eine Steinlaterne bezeichnet, weckt das Gefühl von Einsamkeit und Verlassenheit: Einstimmung in die chanoyu, die Teezeremonie, deren Sinngehalt im Versuch einer Wesenserfassung der Teeschale (Bd. 1, S. 69) bereits vermittelt wurde. Über den Schöpfer von Katsura, den Gartenarchitekten Kobori Enshü (1579-1647), äußerte sich TAUT: „Wir bewundern Deine Baukunst; letzte notwendigste Einfachheit, Bescheidenheit, und deshalb Freiheit." V o n T A U T wie v o n BRASCH wird Katsura in Gegensatz zu N i k k ö gestellt, mit d e m die Tokugawa ein Gegengewicht z u m Kulturraum des Kansai schaffen wollten. N i k k ö sollte nach Meinung des B a k u f u dazu beitragen, daß der E h r e n n a m e Kamigata ( O b e r e G e g e n d ) v o m Kansai aufs Kantö überging. A b e r auch mit N i k k ö war das kulturelle Gegengewicht noch nicht geschaffen. Nikkö ist eine Komposition aus einem alten buddhistischen Tempel, dem Monganji (Rinnöji), und dem zu Ehren des TOKUGAWA IEYASU 1634-1636 errichteten Tóshógü. Diese Komposition ist voller Pomp, von unvergleichlich farbigem Glanz, ermöglicht durch die finanziellen Stiftungen der Fürsten aller Han. „So prachtvoll diese Bauten auch sind, so verkörpern sie keineswegs den Geschmack der Nation", so schreiben die japanischen Mitarbeiter am „Lexikon der Geographie (Westermann, Braunschweig 1969), und TAUT nennt Nikkö „barbarisch überladenes Barock" (101, 265). W e l c h e Kunstkritik man auch an d e n T e m p e l n üben mag, N i k k ö stellt das umfassendste Beispiel des „Shakkei" dar, des „Borgens v o n Landschaft", zur V e r tiefung des Genusses einer Kulturschöpfung. D i e T e m p e l am Talhang des D a i y a gawa „erborgen" sich die natürliche Landschaft, die sich ringsum in unvergleichlicher Vielfalt und T i e f e aufbaut. Sie steigt über den Tempeln zu 2500 m auf und fällt zu ihnen in zwei Stufen wieder ab. Die obere Etage wird vom Nantaisan-Vulkan und dem Stausee Chüzenji beherrscht, der das obere Daiyatal ausfüllt, seit dies von einem Lavastrom des Nantaisan verriegelt wurde (s. Bd. 1, S. 144 u. 473). Die untere Etage ist das offen gebliebene Daiyatal, in das der Chüzenji-See sein Wasser im 100 m hohen Strahl des Kegon-Falles überfließen läßt. Das Talstück, an dem die Nikkötempel liegen, ist eingeschnitten in das Gebirgsland von 1000 m Höhe. Es nimmt kaskadenreiche Schluchten in sich auf, bestanden von sommergrünen Buchen, Eichen und von Ahornarten, deren Laub im Herbst in Tönungen von Gelb, Rot und Braun bunt leuchtet, in einem festlichen Kontrast zu den dunklen Zedern, die den Tempel der Sicht aus der Ferne entziehen. Der Zedernwald aus Cryptomeria japónica (sugi) und Chamaecyparis obtusa (hinoki), ist bereits Mittler zwischen der „geborgten" Landschaft und dem Kulturwerk; er gehört unmittelbar zur Baugeschichte des Töshögü. MATSUDAIRA MASATSUNA, Daimyö von Kawagoe, löste seinen materiellen Beitrag zur Errichtung des Grabmals dadurch ein, daß er den Reiheishi Kaidö in den Jahren 1628-1657 mit Kryptomerien bepflanzen ließ (s. Bd. 1, S. 402). D i e Pilger waren, w e n n sie diese A l l e e benutzten, schon 3 0 k m vor d e m Tempelbezirk v o n sakraler A t m o s p h ä r e umfangen. V o n den 8 Mio. Menschen, die in jüngster Zeit N i k k ö jährlich besuchen, sind die wenigsten noch Pilger, und die M e n g e benutzt m o d e r n e Verkehrsmittel zur Anfahrt. A b e r die bis 50 m h o h e n B ä u m e der A l l e e und alle die Baumriesen inmitten des Tempelbezirks sind Wesensteile der Tempellandschaft geblieben und stehen als nationales Kulturgut unter Schutz 4 9 . 49 Im Bd. 1, S. 402 muß es berichtigt heißen: noch heute stehen etwa 1300 davon, inzwischen bis zu 50 m hoch geworden, mit Durchmessern von 1,6—2,1 m.
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
Shakkei, der Einbezug der Landschaft in den Garten, ist am nördlichen Stadtrand von Kyoto im Shugakü-in beispielhaft geglückt. Die Schöpfung geht auf den Ex-Tenno GO-MIZUNO-O zurück, der 1655 beim Besuch des Teehauses Rinuntei vom Blick auf den Hieizan so bezaubert war, daß er an dieser Stelle einen Landsitz erbauen ließ und diesen mit zwei anderen, schon als Tempelgärten angelegten Plätzen zu einem sich stufenförmig erhebenden Gartenkomplex zusammenfügte, dessen Teile in besonderen Teehäusern ihre Mitte fanden. Man betritt den Gartenkomplex im Shimo no chaya (dem unteren Teehausgarten), erreicht über Kiefernalleen den Naka no chaya (den mittleren Teehausgarten) und schließlich den Kami no chaya (den oberen Garten) mit dem Rinuntei, von dem aus deutlich wird, daß die drei Gärten in die Bergwelt eingebettet erscheinen und von dieser ihren gemeinsamen Rahmen, aber auch ihren Sinn als Herz der größeren Landschaft erhalten. In dieser Zusammenschau bewährt sich der im Grundsatz der Schlichtheit wurzelnde Gedanke, im Landschaftsgarten Polychromie zu vermeiden und ihn möglichst monochrom in vielfacher Tönung des Grün zu halten. Ein vielfarbiger Vordergrund im Rahmen des „Shakkei" würde sich betont gegen die größere Landschaft absetzen und sich damit als „unharmonisch" erweisen.
Aus der Vielzahl der Landschaftsgärten Kyotos seien noch zwei besonders herausgehoben. Der Silber-Pavillon (Ginkaku-ji oder Jishö-ji), der 1482 von ASHIKAGA YOSHIMASA angelegt wurde, hatte noch bis in die Tokugawazeit eine besondere Funktion. In seinen Tempelräumen befand sich das erste Teezimmer, und dies setzte in seiner bescheidenen Größe von 4V2 Tatami, d. h. rd. 3 m 2 , das Maß für alle späteren chashitsu bzw. chaya. Die übrige Tempelausstattung übte bis in die bürgerliche Wohnkultur einen Innovationseffekt aus: Die Fußböden waren ausnahmslos mit Tatami belegt, in den Wohnräumen gab es wie im Teeraum eine tokonoma und chigaidana, d. h. eine Bildnische und eine Nische mit Wandbrettern zum Abstellen von Schriftwerken. „Dem Hauptraum vorgelagert war ein besonderer Vorraum, genkan, wie er sich auch bei dem heutigen Wohnbau japanischen Stils finden läßt" (24, 45). Die Räume waren durch Schiebewände (fusuma) voneinander abtrennbar oder sie waren bei Bedarf auch miteinander zu verbinden. Der Ginkaku-ji steht mit seinem zum größeren Teil als karensui konzipierten Garten in Gegensatz zum Kinkaku-ji (Goldener Pavillon oder Rokuon-ji), der 1394 erbauten Residenz von ASHIKAGA YOSHIMITSU. Der Rokuon-ji erstrebt und erfüllt den Gedanken der Harmonie zwischen Menschenwerk und Natur in der Fülle ihrer Erscheinung. Der dreistöckige Tempel spiegelt sich in einem Teich. Im Vergleich zu Kyoto mußte Edo als arm an großen Gärten erscheinen. Hier hoben sich aus der Menge von Yashiki-Gärten nur das Gelände des Kaneiji, das später zum Ueno-Part umgestaltet wurde, und der Korakuen (1626) heraus. Unter den Yashiki-Gärten war der um 1700 angelegte Rikugi-en des Köfu-Daimyö YANAGIZAWA YOSHIYASU der bedeutendste. Größere Aufmerksamkeit widmeten die Daimyo der Kultur von Landschaftsgärten an der Burg ihrer Han. Es bestand der Ehrgeiz, aus der eigenen Jökamachi ein „Klein-Kyöto" zu machen. Am erfolgreichsten erwiesen sich hierbei drei „große" Daimyo. Der Fürst von Okayama schuf um 1700 den Koraku-en, der Fürst von Kanazawa 1819 den Kenroku-en, der Fürst von Mito 1843 den Kairaku-en (Tokiwa Köen). Diesen Gärten folgten im Rang u. a. Suisenji (1632, Kumamoto), Ritsurin (um 1700, Takamatsu), Shukkei-en (1620, Hiroshima). 2. Sinngebung der Natur auf Wallfahrten Der Gedanke des Shakkei, der am Beispiel des Shugakü-in erläutert wurde, war schon in die Gestaltung des Ginkaku-ji eingeflossen und ist auch im Ritsurin und
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Objektivationen
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Shukkei-en zur Wirkung gekommen. Er ist zweifellos aus der Grundhaltung erwachsen, daß die Nähe zu den Göttern und das höchste Maß an Schlichtheit und Einfachheit inmitten der Natur erreicht werden können. Solche Haltung mündet in die Kulthandlungen ein, die im Shugendo des Ryöbu Shintö seit dem 8. Jh. nicht nur von den Yamabushi, sondern auch von vielen Anhängern der Shingonsekte (Gründer Köbo Daishi) und der Tendaisekte (Gründer Dengyo Daishi) geübt wurden. Beide Sekten verbinden Buddhismus und Shintöismus dadurch, daß sie die japanischen Gottheiten (kami) als Inkarnationen der Buddha (hotoke) auffassen. Insbesondere brachte die Shingonsekte die Zentralgestalt ihrer Lehre, den Lichtbuddha Dainichi Nyorai in Einklang mit der Sonnengöttin Amaterasu. Auf den Wallfahrten zu den 88 heiligen Stätten von Shikoku, über die erstmals ein illustriertes Buch aus dem Jahre 1690 berichtet (51), durchläuft der Heilsuchende in den vier Provinzen die vier Glaubensstufen 50 und nimmt alle erdenkliche Demütigung und Entbehrungen bis zum Unbedingt-Notwendigen auf sich, um jene Läuterung seines Ich zu erfahren, die ihm die Welt der Buddha öffnet. Das Leid erfuhr der Pilger in Tosa, die Erleuchtung in Iyo, dem Geburtsland des Köbö Daishi, die Befreiung des Ich in Sanuki am Ökubo-Tempel, der 88. Stätte. „Hat der Pilger diesen hinter sich, so kann er getrost dem Tode entgegengehen: Angetan mit dem weißen Gewände, das nun die Stempel aller heiligen Stätten trägt, ist er gewiß, ins Nirwana einzugehen" (4, 48). Ähnliche Wallfahrtswege wurden in Nachahmung der großen Köbö-Daishi-Straße in anderen Landesteilen Sitte, so die „33 Tempel von Bandö" 51 , die „34 Tempel von Chichibu", die „88 Tempel von Edo und Umgebung".
Am Shögo-in von Kyoto versammelten sich seit 1613, in welchem Jahr der Tempel durch Mitwirkung des Bakufu zu einem Mittelpunkt der Tendaisekte gemacht worden war, zu jedem 3. August die Tendai-Yamabushi, um von hier aus die Pilgerfahrt zu den drei Kumano-Schreinen auf Kii anzutreten (74, 395). Daß die Götter in Kumano lebten, stand außer Zweifel 52 , auch daß man ihnen dort begegnen könne, sei es in den tiefen Schluchten der Wildbäche, an den Felswänden und Kaskaden oder in den stillen Wäldern der Hochfläche und ihrer Gipfel. Hatte doch UDA TENNO im Jahre 9 0 7 selbst schon solche Pilgerfahrt auf sich genommen und hatte doch TOBA TENNÖ ( 1 1 0 7 — 1 1 2 3 ) im Jahre 1 2 2 1 am Kumano-Schrein einen Sakura gepflanzt! Aus dieser Sicht gewinnt das Reiseverbot, das dem Tenno durch TOKUGAWA IEYASU auferlegt worden war, seine historische Tiefe. Kumano und Ise, beides Pilgerziele von Tausenden, beide von starker Ausstrahlungskraft für eine Wiederbelebung des Shintöismus, hätten bei Besuchen des Tenno Stätten demonstrativer Bekenntnisse zum Tennöhaus werden können. Beide Schreine waren Zentren des Kamiglaubens, potentielle Gegenpole zum Konfuzianismus des Shogunats. 3. Das Teehaus und landschaftliche Sinngebungen durch Pflanzen und Blüten Das Teehaus macht Schlichtheit und Reinheit, die Grundprinzipien der Natur, auf engstem Raum zum Erlebnis. Es versetzt den Menschen in die Atmosphäre kultivierter Armut und einfachster Unscheinbarkeit (85, 179). „Man errichte einen 50 Es sind Hosshin (das religiöse Erwachen), Shugyö (die Prüfung im Leid oder Übung im Wandel), Bodai (die Erleuchtung), Nirwana (die Vollendung). 51 Als Bandö bezeichnete man gelegentlich die Provinzen des Tökaidö, die östlich der KansaiBarrieren lagen. 52 Diese Schreine sind der Kumano Hongü auf der Hochfläche des Kii-Gebirges, der KumanoHayatama-Schrein in Shingü und der Nachi-Schrein gegenüber den Nachi-Wasserfällen, von denen der mächtigste 130 m in die Tiefe stürzt. Die drei Kumano-Schreine gehören zu den ältesten Kultstätten Japans. Die südwestliche vom Kumano Hongü austretende 90° C heiße Quelle soll schon vor 1700 Jahren bekannt gewesen sein (Bd. 1, S. 501).
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
kleinen Raum im Schatten eines Bambushaines oder unter Bäumen, lege Wasserläufe an und Felsen, pflanze Gräser und Bäume, lege Holzkohle auf, hänge einen Kessel darüber, ordne Blumen an und bereite das Teegerät vor. Und indem wir all dies, Flüsse und Berge, die Natur der Wasserläufe und Felsen in diesen einen Raum hineinverpflanzen, erfreuen wir uns an den Landschaften der Jahreszeiten, des Schnees, des Mondes und der Blumen, erleben die Zeiten des Blühens und Welkens an den Gräsern und Bäumen, und lassen, unsere Gäste begrüßend, Ehrfurcht walten. Wir lauschen dem Wasser im Kessel, das wie der Wind in den Kiefern singt, vergessen die Sorge und Kümmernisse der irdischen Welt, und indem wir die Wellen des Wei-Flusses aus unserem Wasserschöpfer fließen lassen, spülen wir allen Staub von unseren Herzen" (24, 116-117). Das Einzelne erhielt seinen Symbolwert im Rahmen des Ganzen, und dieser übte rückwirkende Kraft auf Haus, Garten und die Kulturlandschaft insgesamt aus. Einige Pflanzen aus der üppigen Vegetation erhielten stellvertretend für ganze Jahreszeiten, Monate oder auch Tage Symbolwert. Der Blumenalmanach, der 1824 in Edo erschien, führte den Titel „Sammlung von Bouquet-Blumen für den Teeraum" und enthielt den Blumenkalender für die 12 Monate (s. Bd. 1, S. 409). SIEBOLD bemerkte, es vergehe kein Monat, ohne daß sich irgendeine Blume im Freien öffnet und als ein untrügliches Merkmal den Jahresablauf anzeigt (s. Bd. 1, S. 409). Vom Teeraum aus setzt sich der Blumenkalender großmaßstäblich in die Kulturlandschaft um. Da jeder Garten, sofern er nicht ausdrücklich monochrom sein soll, nach Möglichkeit wenigstens die Charakterpflanzen einiger Monate enthält, sind die bevorzugten Blüten über alle Inseln hinweg landschaftlich wirksam. Allen voran steht Sakura, die japanische Kirsche, über deren Sinngebung und Verbreitung bis hin zu den Sakurawäldern am Yoshinogawa in Bd. 1 (S. 410f.) schon gesprochen wurde. Von besonderem Symbolwert ist auch Ume (Prunus mume), eine Aprikosenart, die man als „Pflaume" bezeichnet (Bd. 1, S. 413). Iris, Azaleen, Chrysanthemen, Orchideen, Kamelien finden sich zuweilen in Landschaftsgärten konzentriert. Aber auch einige Koniferen rechnen zu den bevorzugten Bäumen. Die Kiefer, Rot- wie Schwarzkiefer, deren zerzaustes, von Stürmen gepeitschtes Geäst von der Widerstandskraft des Samurai spricht, fehlt an keiner Burgmauer, und Kiefern charakterisieren auch die sankei, die drei für Japan als besonders typisch geltenden Landschaften (s. Bd. 1, S. 413). Die hohen Zedern gelten ihres Alters wegen verehrungswürdig. Die Freude am sonnigen Herbst genießt man in der Pracht der buntgefärbten Momiji, der Ahornbäume und -sträucher (Bd. 1, 417f.). Der Wunsch, die freie Natur bis hinein in die Enge des Hauses zu ziehen, hat die Gärtner der Tokugawazeit angeregt, Miniaturbäume und Miniaturlandschaften, Bonsai und Bonkei, zu entwickeln (s. Bd. 1, 419). Das innige Verhältnis zur Natur erweist sich am eindrucksvollsten in der von China zwar entlehnten, in Japan aber um eigene Akzente bereicherten „Kunst des Blumenstellens"; sie ist im eigentlichen Ausdruck der Verhaltensweise gegenüber der Pflanze, insbesondere der Blume, Ausdruck des ka-do, des „Blumen-Weges" und ist in verschiedene Kunstzweige gegliedert, von denen Ikenobö, Ikebana und Chabana die bekanntesten sind. Die Kunst des Blumenstellens hat die Mentalität der Japaner so zentral getroffen, daß es kein Wohnhaus gibt, in dem die Tokonoma genannte Bildnische ohne Blume bleibt (s. Bd. 1, 419).
4. Abschnitt Zusammenfassung und Deutung A. Das politisch-geographische Ziel der Tokugawa Die Tokugawa haben das Angebot, das die Natur in Gestalt des buchtenreichen Archipels dem Menschen für die Entwicklung von Seefahrt und Handel macht, als eine Verlockung betrachtet, der nachzugehen das Werden von Staat und Nation erschweren oder gar verhindern könnte. Schon SHÖTOKU T A I S H I hatte die Gefahr
B. Sakoku, die Abschließung
des Landes
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erkannt, die dem Inselreich mit seiner naturräumlichen Gliederung eingelegt ist: Das morphologisch in viele Kleinräume zerfallende Land fördert die zentrifugalen und schwächt die zentripetalen Kräfte. Tausend Jahre hindurch, bis zum Ende der 250jährigen Ashikaga-Herrschaft, hatte der Staat im Spannungsfeld zwischen den Kontaktaufnahmen mit der Außenwelt und den Sonderinteressen feudaler Kräfte um Frieden gerungen; die Kriege, die in ihrer Endphase TOKUGAWA IEYASU noch selbst erlebte, hatten das Land zur Erschöpfung gebracht. Die Kaiserstadt war verödet. Aus dem Für und Wider der geographsichen Mitgift des Archipels entschloß sich IEYASU, den Blick in die räumliche Ferne zunächst abzublenden und die Sakoku einzuleiten, die den Kontakt mit Überseevölkern nur soweit zu pflegen erlaubte, wie das für den zentralistisch geführten Staat nützlich sein konnte. Die Einheit einer Nation zu schmieden, war sein Ziel. Die Sonderinteressen in ihrem Potential abzubauen und sie gegebenenfalls mit persönlich schmerzender Strenge niederzuhalten, um sie schließlich zum Vergessen zu bringen: das war der Sinn seiner Maßnahmen, die auch von seinen Söhnen und Enkeln befolgt wurden und dem von der Außenwelt abgeschlossenen Volk einen mehr als 250jährigen Frieden sicherten. Es konnte im vorstehenden Kapitel nicht darum gehen, die historische Leistung der Tokugawa zu würdigen, wohl aber darum, die Auswirkungen der politischen Maßnahmen auf die Landesentwicklung des Staatsgebietes zu ermitteln. Sie lassen entwicklungsfördernde und entwicklungshemmende Auswirkungen unterscheiden. Es wäre naheliegend, sie in diesem Nacheinander aufzulisten. Ein solches Verfahren würde aber viele Zusammenhänge auseinanderreißen und würde bedeutende kulturlandschaftliche Objekte aus der Sicht ihrer zweifachen Bewertungsmöglichkeiten rücken. Hierfür ist die allgemeinste Maßnahme, die Sakoku, das vordergründigste Beispiel.
B. Sakoku, die Abschließung des Landes von der Außenwelt I. Der Einfluß auf das innere Infrastrukturgefüge des Landes Mit der 1641 erfolgten Kodifizierung der Sakoku wurde Japan von einer unsichtbaren Mauer umgeben, in der es nur eine Tür gab: Die verschließbare Brücke zum künstlich aufgeworfenen Deshima vor der Küstenfront von Nagasaki. Die Landabschließung schnitt alle freien Fernbeziehungen ruckartig ab, lenkte aber die Aufmerksamkeit um so intensiver auf die Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb des Staatsgebietes. Außer Nagasaki hat während der 250 Friedensjahre keine Stadt einen Entwicklungsimpuls aus dem Handel mit überseeischen Ländern erfahren können. Der Begriff „Fernbeziehungen" ist für diese Zeit nur für Verkehr und Handel innerhalb des Reichs verwendbar und damit sehr eingeschränkt, wenn auch die Entfernungen von Kagoshima bis Hakodate 2000 km betragen. Da ein Binnenhandel von überregionalem Rang noch unbekannt war, vermochten vorerst nur Edo als Hauptstadt und Osaka als Reisbörse aus der Landabschließung Vorteile zu ziehen, beides Orte, die zugleich Hafenstädte waren. Der infrastrukturell neue Hauptstadt-Typ, von IEYASU als Schnittpunkt von See- und Landverkehr konzipiert, hat keine Signalwirkung ausgelöst. Im Gegenteil, die Abschließung
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3. Kapitel:
Mensch und Landschaft
zur
Tokugawa-Zeit
des Landes schien dafür zu sprechen, daß die alte Vorliebe für binnenländische Umwelt, wie sie seit Beginn der Reichsgeschichte mitgeschleppt worden war, geradezu legalisiert wurde. Es ist, wie es scheint, auch nicht aufgefallen, daß das auf seine Vorteile bedachte Bakufu Osaka, Sakai und Nagasaki — die beiden älteren Häfen und den neuen — ausdrücklich seiner Verwaltung unterstellte. Nicht einmal Kanazawa hatte den Wert erkannt, den ein eigener Hafen zur Abwicklung der Reistransporte von Ura- nach Omote-Nippon hätte haben können. Das von Edo gesetzte Signal ist nicht gesehen worden. Das bezeugen die Mittel- und Unterzentren Sendai, Mito, Kanazawa, Sumpu (Shizuoka), Hamamatsu, Okazaki, Nagoya, Okayama, Saga, Kumamoto, Matsuyama und viele andere: Sie liegen knapp ab vom Meer und haben die Verbindung zum Meere nicht gesucht. Mangel an Unternehmungsgeist, vielleicht auch Scheu, aus dem allgemeinen Rahmen auszubrechen, mögen hierfür verantwortlich gewesen sein. Das Infrastrukturgefüge wurde vornehmlich von den Landstraßen, nicht von den Hafenplätzen bestimmt. Die Landstraßen nutzten traditionell die natürlichen Leitlinien der Inseln, und in ihrem System ließ sich ohne größere Schwierigkeiten der Schwerpunkt vom Kansai ins Kantö verschieben. Der Zentralitätsgrad einer Stadt ergab sich aus ihrer Lage im Rahmen dieses mit den neuen Bedeutungszentren versehenen Straßensystems (s. Abb. 15). Ein Hafen konnte hierfür förderlich sein, war aber nicht entscheidend. Die Städte zehrten von der Funktion, die sie für die Wege nach Edo, aber auch zur Reisbörse Osaka hatten. Je zahlreicher in einem Ort die Seitenwege waren, die in Richtung auf Edo und Osaka in die Hauptwege einmündeten, desto mehr Reisende sammelten sich in ihnen und um so größeren Nutzen konnte aus dem Versorgungsgeschäft gezogen werden. Übernachtungsstätten, Händler und Handwerker in ausreichender Zahl und Funktionsverschiedenheit waren die Gradmesser für die Zentralität der Städte, von denen sich einige zu Märkten von örtlicher und auch regionaler Bedeutung entwickelten.
II. Der Einfluß der Landabschließung auf die Gesellschaftsstruktur Der unter Abschluß von der Außenwelt zentralistisch geführte Staat hatte sich zum Garanten des Friedens gemacht. Krieg im Lande war als Möglichkeit so gut wie ausgeschaltet; Angriff von außen war unwahrscheinlich. Der „Große Friede" nahm dem Krieger die eigentliche Funktion, gab keine Gelegenheit zur Erlangung von Ruhm und zwang zum Rückzug auf den Gedanken, daß die Einheit des Reiches allein schon auf dem Vorhandensein militärischer Kraft beruhe. Da die Samurai keinen Berufsstand, sondern eine Gesellschaftsklasse darstellten, setzte sich das Heer aus Kriegern aller Altersgruppen zusammen; es gab keine Entlassung aus den Verpflichtungen. Das bedeutete, daß schließlich eine unproduktive Schicht von zwei Millionen Menschen als Belastung auf der Agrarwirtschaft lag, dem einzigen, den Staat tragenden Wirtschaftszweig. Diese Belastung war für jeden Hanfürsten so groß, daß sie seine regulären Einnahmen überstiegen. Das führte zu Kürzungen der mit den Samurai vereinbarten Reiszuwendungen und zur Erhöhung der Abgaben der Bauern an die Fürsten, und diese Notmaßnahmen endeten in der Verschuldung der Samurai und in der Auflösung bäuerlicher
B. Sakoku, die Abschließimg
des Landes
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Betriebe. Nutznießer waren die Geldverleiher. Eine Behebung dieser Notlagen hätte nur die Verkleinerung der Samuraigesellschaft erbracht. Erwägungen solcher Art zerschlugen sich am Prestige-Denken der Fürsten, aber auch am Ritterkodex, der es untersagte, dem Samurai außerritterliche Tätigkeiten zuzumuten. Einige Samurai verbesserten ihre Lage dadurch, daß sie Söhne reicher Kaufleute adoptierten. Andere kehrten dem Ritterkodex den Rücken und ergriffen von sich aus einen Beruf, der sie in die Gesellschaftsklasse der Chonin hinabstufte. Der Staatsführung mangelte es an Ideen zur Entwicklung von Möglichkeiten, wenigstens einen Teil der Samurai aus ihrer passiven, parasitisch wirkenden Funktion in eine andere, aktive überzuleiten. Die Frage hätte vom Bakufu geregelt werden müssen, deren Mitglieder allerdings geistig so konservativ waren, daß sie sich über T O K U GAWA YOSHIMUNE erregen konnten, als er 1741 das Einfuhrverbot für ausländische Bücher aufhob. Das pietätvolle Festhalten an den von IEYASU gegebenen Gesetzen, von denen sich im Fortgang der Zeit ein Teil immer deutlicher zu Anachronismen entwickelt hatten, entsprach zwar konfuzianischer Verhaltensweise, mußte sich aber am Ende selbst ad absurdum führen.
III. Der Einfluß der Landabschließung auf die Geisteskultur im Spiegel der Landschaft 1. Die ungestörte Pflege des Konfuzianismus. Der Konfuzianismus in der Ausprägung der Shushigaku wurde zur geistig tragenden Kraft für Staat und Gesellschaft erklärt. Die Abschließung des Landes bewahrte diese Lehre vor Störungen durch geistige Kräfte des Auslandes. Da das Christentum als potentiell störend erkannt worden war, wurde es so radikal wie möglich ausgemerzt. Die seit dem 16. Jh. erbauten, insgesamt etwa 190 Kirchen wurden zerstört; als einziges stadtlandschaftliches Element überdauerte das Kirishitan Yashiki (Christengefängnis) die Tokugawazeit. Seinen besonderen Niederschlag fand der Konfuzianismus im Bushidö, dem Weg des Ritters, in dem die Ideale der Treue gegenüber dem Herrn, der Natürlichkeit, Reinheit und des Verzichtenkönnens bis zum nur Unbedingt-Notwendigen enthalten sind. Sie wurden unermüdlich in den Schulen und in den Gemeinden bis hinab zu den Goningumi gelehrt, und wurden allmählich zu Wesenszügen des ganzen Volkes. In dieser Weise sittlich gefestigt, konnte sich der Samurai auch der Rangaku zuwenden, der „holländischen" Wissenschaft, die über Deshima Eingang nach Japan fand. 2. Im Schutze des „Großen Friedens" wuchs die Pflege von Wissenschaften und Künsten. Das hochentwickelte Kunsthandwerk, insbesondere die Fertigung von Schwertern und Stichblättern, war durchdrungen von den Idealen der Natürlichkeit, Reinheit und Schlichtheit, wie sie der Ritterethik entsprechen. Kunst war auch die Gestaltung von Landschaftsgärten, von denen Impulse auf die Ausstattung bürgerlicher Gärten ausstrahlten bis hin zur Gestaltung von Miniaturgärten, die man bis in den Wohnraum tragen konnte. Im Schutze der Abschließung des Landes konnte all das gedeihen, was man in Kleidung, Haus und Hausrat gern als „typisch japanisch" bezeichnet. Dieses „Typische" ist von den Idealen getragen, wie sie in der Teezeremonie ihren konzentriertesten Ausdruck fanden.
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
C. Die Maßnahmen für die Errichtung und Erhaltung der Reichseinheit I. Die räumliche Trennung der Reichshauptstadt von der kaiserlichen Residenzstadt 1. Die politische Isolierung des Tenndhofes Für die Errichtung eines geeinten Reiches knüpfte IEYASU an Gedanken YORITOMOS an. Geographisch am bedeutungsvollsten war, wie schon zur Kamakura-Zeit, die räumliche Trennung der politischen Hauptstadt von der Residenzstadt des Tennö. IEYASU beließ es nicht bei der bloßen Trennung. Während YORITOMO im Sinne des Kokutai alles getan hatte, was er der Kaiserverehrung schuldig war, überzog IEYASU seinen Machtanspruch damit, daß er den Tennö förmlich in Hausarrest setzte und seinen Beitrag für die Wahrung der Kaiserwürde mit der Demütigungserklärung am Ende seiner Gesetzesniederschrift als abgegolten zu haben meinte. Das dem Tennö auferlegte Verbot, zum Ahnenschrein nach Ise zu reisen, die Anweisung für die Daimyö, bei ihren Anwegen nach Edo die Kaiserstadt zu umgehen, waren Maßnahmen, die das dialektische Verhältnis zwischen kaiserlicher Autorität und tatsächlichem Machtinhaber überspannten. Der Tokugawa-Staat ist an seiner brutalen Machtausübung schließlich zerbrochen. Daß Kyoto trotz der völligen Verödung im Jahre 1573 in der Volksmeinung weiterhin Kamigata, das „Oben" des Landes hieß und sich als Kulturzentrale wieder erholen konnte, spricht für die Kraft der Sinngebung, die diesem Platz verliehen worden war. Sehr bald hatten sich einige Daimyö heimliche Absteigequartiere in Kyoto geschaffen. Im 19. Jh. war dies kein Geheimnis mehr. Der Autor des Genji Yume Monogatari schreibt, daß sich im Frühjahr 1863 mehr als 40 Daimyö in Kyoto trafen, und es heißt weiterhin (62, 724): „Das Prestige des Hofes war so gewachsen, daß jeder Daimyö danach strebte, eine offizielle Residenz in Kyoto einzurichten. Der Fürst von Satsuma (Kagoshima) 53 erbaute eine solche auf etwa 8000 m 2 gegenüber dem Shökoku-Tempel, die Fürsten von Tosa (Köchi), Chöshü (Hagi), Kurume, Yanagawa (Chikugo), Sendai und Izumo erweiterten ihre Anwesen, während die Fürsten von Chikuzen (Fukuoka), Inaba (Tottori), Higo (Kumamoto) u. a. neue Plätze innerhalb der Stadt und die Fürsten von Owari (Nagoya), Echizen (Fukui), Kishü (Wakayama), Awa (Tokushima), Aki (Hiroshima), Aizu (Wakamatsu) und Kuwana neue Plätze außerhalb der Stadt erwarben. Alle übrigen Fürstenfamilien, selbst Hatamoto, erbauten sich inner- oder außerhalb der Stadt Wohnhäuser. Da auch Samurai mitgeführt wurden, nahm sich Kyoto wieder als eine von Leben erfüllte, blühende Stadt aus; überall eröffnete man Geschäfte, und die Bevölkerung bis zu den untersten Schichten begann wohlhabender zu werden." Die Aufstellung zeigt, daß nicht nur Tozama-Fürsten, sondern auch Fudai und sogar Shimpan (Wakayama, Nagoya) das Verbot mißachteten, Kyoto aufzusuchen. Das Shögunat hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegenüber dem Tennöhaus an Autorität verloren.
53 Die in Klammer gesetzten Stadt- oder Provinznamen wurden vom Verf. dieses Buches zur besseren Orientierung hinzugesetzt.
C. Errichtung und Erhaltung der Reichseinheit
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2. Der Aufbau der Shögunats- und Reichshauptstadt Bei der Wahl des Standortes für das neue Machtzentrum kam IEYASU ZU ähnlichem Ergebnis wie YORITOMO: Die große Siedlungskammer im Osten des Altreichs, die topographische Mitte des künftigen Gesamtreichs, wurde als der einzig wirksame Gegenpol zum Kansai erkannt. Dabei war der Platz an der Edogawa-Mündung weitaus günstiger als der von Kamakura. Er entsprach — und dies war etwas Erstmaliges im Verlauf der Reichsgeschichte — der Struktur des Staatsgebiets und seiner Wesenheit als Inselreich: Denn Edo bezeichnet nicht nur die Mitte des Landes, auf die das Strahlenbündel des Landverkehrs zustrebt, sondern es liegt auch an einer von Schiffen befahrbaren Meeresbucht, die 80 km tief ins Kantö eindringt und im Zusammenklang von Land und Meer die Wesenselemente des Archipels repräsentiert. Wie sein Entschluß zur Landabschließung schon erkennen ließ, so hat sich IEYASU auch bei der Wahl des Standortes der Hauptstadt als hervorragender Kenner der geographischen Struktur des Staatsgebietes erwiesen. Die Lage der Hauptstadt trägt den Charakter einer von der naturräumlichen Gliederung getragenen Gültigkeit. Einfühlungsvermögen in die natürlichen Gegebenheiten spiegelt sich auch in der Anlage der Stadt wider. Darüber hinaus sprechen die Ausmaße der Burg wie der Stadt von Machtbewußtsein und Machtfülle, wie sie in ihrer Stärke in noch keinem anderen geographischen Objekt vorangegangener Zeiten sichtbar geworden waren. Es fügt sich in das Bild ein, wenn die Daimyö für die Errichtung der Anlage gehorsamst frondienstverrichtende Untertanen stellten und die Unkosten übernahmen, die für die Materialbeschaffung und für den Transport erforderlich waren. Anders als durch Umlage von Arbeit und Ausgaben auf die Fürsten des gesamten Landes wären der Aufbau von Burg und Stadt, die Kanalbauten, Landabtragungen und Landaufschüttungen zur Trockenlegung tiefliegender Küstengebiete und zur Erweiterung des Stadtgebietes gegen das Meer in so kurzer Zeit nicht möglich gewesen. Die gesamte Erstanlage der Stadt, die in ihren Grundzügen noch den heutigen Stadtkern bestimmt, ist deshalb zugleich Ausdruck für den Funktionswandel, den die Feudalfürsten mit der Machtübernahme durch IEYASU erfahren hatten: Sie waren zu Vasallen des Shögun geworden und waren diesem Dienstherrn schuldig, was ihnen der Ritterkodex vorschrieb. IEYASU hatte Edo zum grandiosen Muster einer Jökamachi gemacht. Die Burg, das Machtsymbol des Shögunats, war die weitaus umfangreichste des Landes. Sie war umkränzt von den Yashiki des gesamten Ritteradels (büke), und in der Zonierung der Wohnbereiche schlug sich in Edo nicht nur wie in jeder anderen Burgstadt das gesellschaftliche Klassensystem shi-nö-kö-shö nieder, sondern sogar die gesellschaftliche Differenzierung innerhalb der shi. Die Daimyö spielten gegenüber dem Shögun die Rolle, die in den Burgstädten der Fürsten den Samurai zufiel: Nach ihrem Rang geordnet umkreisten sie mit ihren Residenzen den Burgherrn wie Sterne die Sonne. Aus der räumlichen Zonierung in Edo vermochte jeder Samurai abzulesen, wie es um das Ansehen seines Daimyö stand. Nichts anderes als dies machte deutlicher, daß der Staat nur in Theorie und Form feudalistisch war, in Wirklichkeit aber eine antifeudale Diktatur darstellte.
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
II. Die Sankin Kötai oder Aufwartungs- und Residenzpflicht der Daimyö Mit der Aufwartungs- und Residenzpflicht in Edo erfuhr der gesamte Ritteradel seine tiefste Demütigung. Diese Verpflichtung wurde als tetsudai verstanden, eine Dienstleistung im staatlichen Interesse. Sie war damit eine der Auflagen, die den Zweck hatten, die Finanzkraft der potentiell zentrifugalen Kräfte, als welche die Han-Fürsten galten, zu schwächen oder gar zu ersticken. Im Tetsudai-Katalog befanden sich u. a. folgende Verpflichtungen: a) Gestellung von Samurai für die Bewachung der 32 Außentore der Edo-Burg und der Bewachung der 20 Wegsperren im Umkreis von Edo, die jeden Waffenschmuggel aus und nach der Hauptstadt und jedes Entweichen einer weiblichen Person aus Edo zu verhindern hatten — wodurch die Wegsperren den Charakter der Gefangenschaft kennzeichneten, in der sich die Fürstenfamilien in Edo befanden. b) Gestellung von Samurai zur Begleitung des Shögun auf seinen Reisen durchs Reich. c) Übernahme der in Frondienst auszuführenden Arbeiten, im einzelnen: Flußregulierungen, Deichbauten, Kanalarbeiten, Wiederaufbau von Zerstörungen durch Feuersbrünste, Erdbeben und Überschwemmungen, soweit sich diese Katastrophen in Edo und in den vom Bakufu verwalteten Städten ereigneten, und schließlich Erneuerungsarbeiten an Tokugawa-Burgen. Die Arbeitskräfte für die Frondienste mußten von den Daimyo gemeinsam, aufgeschlüsselt nach dem Reisaufkommen der einzelnen Han, aufgebracht werden. d) Es ist Ausdruck der Nichtachtung von Menschenwürde, wenn der Shögun die Sankin Kötai in die Tetsudai einreihte; denn mit ihr verbunden war die umfangreichste Geiselnahme der japanischen Geschichte. Die eigentliche Dienstleistung für den Staat war die in regelmäßigen Abständen durchzuführende Hofreise vom Fürstentum nach Edo. Vordergründig war hierfür der Huldigungsgedanke, die immer wieder zu erneuernde Versicherung der Loyalität und Treue gegenüber dem Shögun. Dieser Gedanke verband sich mit der Absicht, die Daimyö finanziell soweit auszuzehren, daß ihnen ein Abfall vom Shögunat allein schon von der materiellen Basis aus nicht möglich war. Aber die Geiselnahme machte jedwede Abtrünnigkeit auch vom Menschlichen her unmöglich; denn sie bedeutete bei Untreue des Daimyö die Vernichtung seiner Familie. Man muß fragen, welche Gründe die Fürsten bewogen haben mögen, die maßlosen Demütigungen 250 Jahre hindurch geduldig hinzunehmen. Revolten gegen Hunger und Armut hat es von Seiten der Bauern gegeben, nicht aber konnten Ritter zu solchem Mittel greifen. Widerstandskräfte gab es, aber sie setzten sich erst frei, als es um den Reichsbestand selbst ging, d. h. auch um die Frage, ob die Landschließung nicht durch eine Landöffnung zu beenden sei. Für Edo war die Sankin Kötai von ausschlaggebender Bedeutung gewesen. Als Wohnort von 200 bis 260 Fürstenfamilien, die lebenslang hier festgehalten waren und über deren Schicksal zu verfügen dem Shögun oblag, stellte Edo eine sozialgeographische Singularität extremen Ausmaßes dar. Jede dieser Familien verfügte neben ihrem Haupt-Yashiki über Nebenniederlassungen, umfangreiches Dienstpersonal und insbesondere auch über ein bestimmtes Kontingent von Samurai und
D. Dualistische
Entwicklungsformen
in Wirtschaft und
Gesellschaft
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Hatamoto. Die Fürstinnen, deren Männer nur in zeitlich weiten Abständen anwesend waren, stellten die Spitzen einer vom Prestigegedanken ergriffenen Verbrauchergesellschaft dar, Abnehmer von Waren aller Art und gaben der Entwicklung von Handel und Handwerk stärksten Auftrieb. Das von den Daimyö in ihre Edo-Residenzen fließende Geld wurde zum Motor für das Anwachsen der EdoBevölkerung. Es übte Kettenwirkung aus; den Händlern von Reis, Meeresprodukten und täglichen Gebrauchsgütern folgten jene für Stoffe, Kleidung und Luxusartikel; die Handwerker für den sich immer neubelebenden Hausbau zogen die Fachkräfte für die Innenausstattung bis hin zu kunstgewerblichen Betrieben nach. Edo wurde zum größten Holzmarkt des Landes. Die Bevölkerung wuchs zusätzlich durch das Einströmen der gesellschaftlichen Parasiten, der Schausteller, Straßenerzähler, Bettler und Prostituierten. Mit mehr als 1 Mio. Menschen — im 19. Jh. waren es fast 2 Mio. — wurde die Stadt zu einem nationalen Problem; das Bakufu mußte die weitere Zuwanderung verbieten. Edo wurde zum größten Konsumentenzentrum des Reichs. Hieraus ergab sich die Einrichtung des ersten Schiffahrtslinienverkehrs zwischen Osaka und Edo. Beide Städte wurden zu Ansatzpunkten für die Entwicklung einer Dienstleistungsgesellschaft, die sich im Chonin-dö ihre eigenen, auf konfuzianischen Gedanken beruhenden sittlichen Normen gab. Dieser „Weg der Kaufleute", nachgeahmt dem Bushi-dö, versuchte konfuzianische Ethik mit den Realitäten des Geschäftswesens zu verbinden. Dabei bildeten sich zwei Kaufmannstypen heraus: der von den Realitäten des Lebens stärker erfaßte Edo-Kaufmann und der tenka no shönin, der „Kaufmann des Kaiserreichs", der in Osaka Moral und Geschäft zu integrieren trachtete. Selbstverständlich gab es Ausnahmen; das Haus Mitsui, dessen Hauptgeschäft in Edo stand, verfügte über Filialen in Kyoto und Osaka und war von dort aus geprägt. Die wirtschaftliche Konkurrenz Edo-Ösaka hat vom kaufmännischen Bereich ihren Ausgang genommen.
D. Dualistische Entwicklungsformen in Wirtschaft und Gesellschaft als Folge einer fehlenden Konzeption für die Landesentwicklung insgesamt I. Agrarwirtschaftliche Entwicklungen als Maßnahmen der Daimyö zur Behebung ihrer durch Dienstleistungen verursachten Armut Seit der Entwicklung von Shöen im 8. Jh. hatte die Zentralregierung die Kontrolle über die Landwirtschaft verloren. Auch die Tokugawa haben, weil sie dies im Rahmen ihrer politischen Vorstellungen für zweckmäßig hielten, die agrarwirtschaftlichen Fragen nicht unmittelbar in ihr Programm aufgenommen. Sie haben die Landwirtschaft den Hanfürsten überlassen, die ihrerseits dafür Sorge zu tragen hatten, aus dem Hauptwirtschaftszweig so viel Einnahmen herauszuschlagen, daß die ihnen auferlegten Dienstleistungen einschließlich der Sankin Kotai bestritten werden konnten. Das war allerdings nicht möglich, ohne Schulden aufzunehmen. Deshalb waren die Hanfürsten bemüht, ihr Kokudaka bzw. Ernteaufkommen zu erhöhen, nicht das offiziell festgelegte Omotedaka, sondern das angeblich unkontrolliert bleibende Naidaka, das reale Einkommen. Hierfür wurden folgende
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft
zur
Tokugawa-Zeit
Möglichkeiten genutzt: Ausweitung der Nutzfläche durch Binnenkolonisation (kaitaku), Polderlandgewinnung (kantaku) und Intensivbewirtschaftung durch Wechselernte (nimösaku), die allerdings an wasserwirtschaftliche und klimatische Voraussetzungen gebunden ist. Die Impulse für die Ausweitung des Nutzlandes strahlten von den Kansai-Daimyaten aus; sie erreichten zeitlich die Außengebiete später und auch weniger intensiv. Im NO zeichnete sich eine Intensitätsgrenze ab, die man im Schrifttum als Tokugawalinie bezeichnet; sie verläuft von der BosoHalbinsel durch das östliche Kantö bis etwa zum Nezugaseki. Was nordöstlich davon liegt, erforderte größeren Arbeitseinsatz bei der Kultivierungsarbeit, war auch noch weniger dicht bewohnt und deshalb ärmer an Arbeitskräften. Es verdankt aber der Tokugawazeit seine erste intensivere Nutzung, wenn diese auch hinter den übrigen Reichsteilen zurückblieb. Nach den Untersuchungen von T . C H I B A ( 1 2 ) war es noch im 1 8 . Jh. ein Wagnis, in die Hügel- und Bergwälder selbst des Kantö einzudringen, weil sie noch von vielen Bären und Wildschweinen bestanden waren (s. Bd. 1, S. 438). Fast völlig unberührt von den agrarwirtschaftlichen Impulsen blieben die Gebiete nördlich der Tsugaru-Straße, d. h. Ezo, die Kurilen und Karafuto. Hier hätte, da das Daimyat Matsumae (7000 koku) zu schwach dafür war, die Kulturlandgewinnung der Initiative des Bakufu bedurft. Es begnügte sich aber damit, Bestimmungen für die fischereiwirtschaftliche Nutzung einiger Küstenstrecken zu erlassen: ein Ausdruck dafür, daß die Tokugawa den Gedanken einer Reichserweiterung weniger verfolgten als das Ziel der inneren Festigung. Ähnliches galt für die südlichen Außengebiete. Hier erreichten die agrarwirtschaftlichen Impulse gerade noch Amami Öshima, das dem Reich nicht durch die Tokugawa, sondern durch den Satsuma-Daimyö S H I M A Z U IEHISA 1609 angegliedert wurde. Die meisten der neuen Kulturländereien waren auf frühkapitalistischer Basis gewonnen worden. Die Daimyo nahmen Darlehen bei Geschäftsleuten auf, verkauften, da sie die Schulden rasch abtragen wollten, die Grundstücke an wohlhabende Bauern gegen Barzahlung, und diese Bauern verpachteten die Parzellen an landhungrige Knechte und Tagelöhner, denen gekündigt werden konnte, wenn sie unrentabel wirtschafteten. Der Bauernstand zerspaltete sich immer tiefer in eine kleinere Gruppe von Großbauern, eine mäßig große Gruppe von Selbstversorgungsbauern und eine sehr große Gruppe von in Not befindlichen Kleinbauern, Pächtern und Afterpächtern. Von Seiten des Shögunats gab es kein Bemühen gegen die Zersplitterung der nach konfuzianischer Rangordnung immerhin zweiten Gesellschaftsklasse. Die soziale Frage war auf die Schultern der Daimyo geschoben; dem Bakufu war nur an der Einhaltung der Dienstleistungen gelegen. Die Inwertsetzung der erweiterten Nutzflächen ließ ein steigendes gewerbliches Interesse erkennen. Die neuen Trockenfelder wurden nicht nur mit Körnerfrüchten und Gemüse bestellt, sondern erlaubten auch einen stärkeren Anbau von Tee, Tabak, Baumwolle, Maulbeersträuchern, Obst einschließlich Orangen, von Lackbäumen u. a. Einige der Industriepflanzen und Marktfrüchte wurden für bestimmte Landschaften so charakteristisch, daß die zuständigen Daimyo für sie Monopolstellung und damit maßgeblich Einfluß auf die Preisbildung anstrebten. In solchen Fällen übernahmen Fürsten die Funktion von Kaufleuten und stellten ihre Würde in Frage. H O N J Ö ( 3 1 ) zitiert aus den Keizairoku, daß sich am Ende der Tokugawazeit der Daimyo von Iwami sein auf 40000 Koku geschätztes Kokudaka mit Hilfe
D. Dualistische Entwicklungsformen
in Wirtschaft und Gesellschaft
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der Produktion von Papier und Pappe auf 150000 Koku, der Daimyö von Tsushima seine 20 000 Koku auf der Basis von koreanischem Ginseng auf 200 000 Koku erhöhte. Dem Daimyö von Kii gelang es, für seine Mandarinenkulturen schon im Jahre 1634 den Absatzmarkt von Edo zu sichern (60). Eine Hinwendung zur Viehund Milchwirtschaft, die sich für die auf Terrassenland gegründeten Shinden anbot, ist aus keinem Landesteil gemeldet. Gras und Laub wurden als Gründünger verwendet (71), gegebenenfalls als Futter für die noch immer starke Pferdehaltung, deren Zentren sich in die waldreichen Außenregionen im NO und SW verlegten. Die starke Pferdehaltung belegt noch immer den Vorrang des Transports und Verkehrs auf der Straße gegenüber der Nutzung des Seeweges. II. Stagnation in der Gewerblichen Wirtschaft durch Behinderung des Wettbewerbs Die vielseitig entwickelte gewerbliche Wirtschaft sah sich infolge des Landabschlusses und der sich selbst versorgenden Landbevölkerung vor einer so begrenzten Kundschaft, daß sie Sorge um die Existenz zur Wiederentwicklung von Gilden (kabunakama) führte, die jede Form des Wettbewerbs einschränkten. Die Lizenz hierfür wurde ausschließlich vom Bakufu gegen Gebühr erteilt. Nicht gildenwürdig waren Handwerke, deren Ausübung von Hinin und Eta betrieben wurden. Da dies auch die Gerber, Lederarbeiter, z. T. auch Färber und Korbmacher betraf, fehlte es dem System an Basisbreite. Gerade der Gewerbeschutz, so willkommen er den Betroffenen sein mußte, erstickte in Verbindung mit einseitig praktiziertem Konfuzianismus den Unternehmergeist und Wettbewerb. Die Nachwuchskräfte in Handwerk, Groß- und Zwischenhandel waren dadurch, daß dem Meister gegenüber das Oyabun-KobunVerhältnis galt, in die Gildenordnung derart eingespannt, daß sie nichts anderes tun konnten, als nur Tradition zu wahren. Die Entwicklung des Handwerks wurde zusätzlich durch die Hanfürsten eingeschränkt. In ihrer auf Eigennutz bedachten Sorge verengten sie den Absatzmarkt noch dadurch, daß sie dem Handel über die Hangrenzen hinweg Schwierigkeiten machten. Die Ware war vornehmlich und zuerst auf den Markt der Jökamachi zu bringen. Soweit sich bei Handwerk und Handel Kapital ansammelte, blieb es grundsätzlich tot liegen, einmal, weil man sich rentnerhaft am Erreichten freute und sich gegebenenfalls einen prestigefördernden Luxus leisten konnte, zum anderen aber, weil es gar nicht möglich war, von sich aus das Geld in Investitionen fließen zu lassen, die außerhalb der gildenbestimmten Tätigkeit lagen. Nur über den Geldverleih an verschuldete Daimyö konnte das Kapital inwertgesetzt werden. Die Ausnahmestellung der Mitsui beruhte darauf, daß die neun Teilhäuser als MitsuiGumi eine selbständige Teilgilde bildeten, herausgehoben durch den 1707 vom Bakufu erteilten Auftrag, die Bankgeschäfte der Regierung zu führen (79, 30). III. Montanwirtschaftliche Zerteilung des Reiches Auf keinem anderen Gebiet war die Konzeptionslosigkeit der Landesentwicklung sinnfälliger als in der Montanwirtschaft. Noch am zweckmäßigsten wäre es ge-
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3. Kapitel:
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zur
Tokugawa-Zeit
wesen, die Ausbeutung der über den Archipel verteilten Erz- und Kohlelagerstätten entweder ganz den zuständigen Hanfürsten oder ganz dem Bakufu zu übertragen. Aus der Befürchtung aber, Erzbergbau könnte einen der Daimyö übermäßig bereichern, wählte man den Weg der Zerspaltung. Was rentabel erschien, nahm das Bakufu in Ausbeutung, was als unrentabel erkannt wurde, durften die Hanfürsten bewirtschaften. Dieses Verfahren ließ jede Absicht für den Aufbau einer nationalen Wirtschaft vermissen; es entsprach aber dem Vorrang politischorganisatorischer Zielsetzungen gegenüber den Aufgaben der Landeserschließung. IV. Dualismus von hanfürstlicher Natural- und staatlicher Geldwirtschaft Reis war seit Urzeiten wichtigstes Tausch- oder Verrechnungsmittel. Das Kokudaka, d. h. die Menge an verfügbaren Koku Reis in Wert, war die Grundlage der Vermögenseinschätzung; das Koku Reis war die Verrechnungseinheit. Die wirtschaftliche Kraft und damit die Bedeutung eines Daimyö, wurde in Koku Reis ausgedrückt. Der Fürst bezahlte seine Hatamoto, Samurai und seine Kämpfer zu Fuß in Koku Reis. Die Hofreisen zur Erfüllung der Sankin Kötai zwangen zum Einwechseln der Ware in Münzwert. An der Börse kamen die Relationen mit dem Sinken und Steigen der Reispreise ins Wanken; der Reis büßte seinen zuverlässig beständigen Wert ein. Das Festhalten an der Naturalwirtschaft im Han bei gleichzeitig immer stärker werdenden Belastungen durch die Sankin Kötai vergrößerte die Schuldenlast der Daimyö. Das Nebeneinander von Natural- und Geldwirtschaft mußte zu finanzwirtschaftlicher Unordnung und zum Verfall führen. Eine zentrale Regelung zugunsten der Geldwirtschaft bei gleichzeitiger Vereinheitlichung der Münzen und Wertscheine blieb aus. Für Börsen und Geldverleiher war dies ein günstig auswertbares Dunkelfeld. V. D e r Dualismus in der Entwicklung von Städten Es gab Bakufustädte und Hanstädte. Beide waren Zentren politischer Macht oder zumindest politischen Ansehens. Die Städte unterschieden sich nicht durch die Bedeutung ihrer Märkte, sondern nach der Funktion im Obrigkeitsstaat. Die Shögunatshauptstadt, die Kaiserstadt, die Hafen- und Reisbörsenstadt Osaka mit der benachbarten Hafenstadt Sakai, die für den Außenhandel mit China und Holland geöffnete Hafenstadt Nagasaki und schließlich die Bergwerkstadt Aikawa auf Sado wurden von einem Bakufu-Bugyö verantwortlich verwaltet: Ihr Wiederaufbau nach Feuersbrünsten, Erdbeben oder Überschwemmungen erfolgte jeweils rasch, da diese Arbeiten zu den Dienstleistungen gehörten, die den Daimyö für das Shögunat aufgegeben waren. Von diesen 6 Städten überragten 3 in ihrer Einwohnerzahl und ihren Funktionen alle übrigen Städte bei weitem; in diesen Metropolen pulsierte das Leben des Landes, wobei die Millionenstadt Edo das absolut oberste Zentrum war. Die Mehrzahl der übrigen Städte waren Jökamachi, deren Wohlhabenheit und Einwohnerzahl sich weniger aus der territorialen Größe und nicht nur aus dem Reisaufkommen des Daimyö ergab, sondern aus der Mitwirkung der Verkehrslage und der Anzahl von kleinstädtischen, die Burgstadt umkreisenden Subzentren. Diese Vorteile begünstigten die regionalen Zentren Sendai, Nagoya, Hiroshima, Kagoshima und Kanazawa. Unter ihnen sind die beiden letzt-
E. Zusammenfassende
Wertung
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genannten besonders bemerkenswert, da sie nach der Tokugawazeit ihre Bedeutung verloren. Die regionalen Zentren verfügten im Mittel über rd. 100000 Einwohner; im Verhältnis zu Ösaka und Kyoto waren dies je 20%; alle übrigen Städte waren noch wesentlich kleiner. In der Behinderung von Bevölkerungszentren außerhalb von Edo und der Bakufustädte erfüllten sich die Maßnahmen des Shögunats zur Verarmung der Daimyö und ihrer Daimyate. Unter diesen Umständen ist das Anwachsen zu einer Stadt von 100000 Einwohnern schon Ausdruck einer sehr vorteilhaften Nutzung der in den Han liegenden natürlichen Reserven, der Erhöhung des offiziell geschätzten Koku-Einkommens (Omotedaka) zu einem beträchtlichen, aber geheimgehaltenen Naidaka (Real-Einkommen).
E. Zusammenfassende Wertung ist Beispiel dafür, daß ein einzelner Mensch einen als richtig erkannten Gedanken in seiner Umwelt zu verwirklichen und dabei zugleich Initialzündungen für Veränderungen in allen Lebensbereichen auszulösen vermag. Seine Taten und Werke, soweit sie von geographischer Bedeutung waren, zeugen von genialem Weitblick, höchsten Verstandeskräften und rücksichtsloser, bis zur Grausamkeit greifender Strenge, wobei nicht ausblieb, daß die Subsumierung alles Denkens unter die Interessen eines autoritären Staates zu Unausgewogenheiten und Fehlentwicklungen führte. Die Nachwelt hat dieser Persönlichkeit mit Zustimmung des Tennö den Rang eines Töshö-Daigongen, eines hohen Shintö-Kami, verliehen, hat ihm zu Ehren unter Mitwirkung aller Daimyö den Töshögu in Nikkö errichtet, einen Großschrein-Bezirk, zu dem Tausende von Menschen pilgerten, um der Seele IEYASUS ihren Respekt zu erweisen. Der Großschrein unterstand bis Ende 1868 jeweils einem kaiserlichen Prinzen als Abt. Daß nicht nur die Aristokratie, sondern auch breite Schichten des Volkes den großen Shögun noch posthum verehrten, läßt darauf schließen, daß dessen Taten und Werke letzthin volle Billigung fanden und daß man IEYASU als einen Repräsentanten zumindest für mehrere Aspekte japanischen Wesens betrachten darf. Zu seinen Entscheidungen und Werken gehören auch die 6 hier ausgewählten kulturlandschaftlichen Leistungen, die im vorstehenden Kapitel vorwiegend nach ihrem Sinngehalt behandelt wurden, an dieser Stelle aber vor allem nach ihrem menschlichen Wesensausdruck befragt werden sollen. Es sind TOKUGAWA IEYASU
1. Sakoku, die Abschließung des Landes 2. Die Übernahme der absoluten Staatsgewalt und räumliche Trennung von der Residenzstadt Kyoto 3. Die Schaffung der Nation 4. Die Errichtung der politischen Reichshauptstadt Edo 5. Die Sankin Kötai und deren kulturgeographische Folgewirkungen 6. Der wirtschaftliche Dualismus 1. Sakoku, die Abschließung des Landes Ieyasu lieferte ein Musterbeispiel dafür, daß es in der Hand des Menschen liegt, inwieweit oder ob überhaupt die geographischen Gegebenheiten inwertgesetzt wer-
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
den. Der Reichtum an natürlichen Hafenplätzen und die Durchdringung von Land und Meer waren für IEYASU abblendbare Fakten. Die Insularität des Landes wurde vor allem in ihrem negativen Potential des Sich-Trennen-Könnens von der übrigen Welt genutzt. Die Landabschließung war zusammen mit der Errichtung des zentralistisch geführten Staates eine Antwort auf den von der naturräumlichen Gliederung des Inselreiches geförderten Zerfall des Reichs in zahlreiche gegeneinander verstrittene Fürstentümer, denen eine Entscheidung über das Schicksal des Archipels nicht überlassen werden durfte; erfolgte doch die Landabschließung in dem Zeitraum, in dem europäische Kolonialmächte bereits unmittelbar vor den Toren Japans standen! Die Sorge um die Abwehr der drohenden Gefahr begegnete sich mit der Notwendigkeit, aus dem Volk der japanischen Inseln eine Nation zu schmieden. Der Abschluß nach außen mußte die zweckmäßigste Maßnahme zur Erreichung beider Ziele sein. Aus der Sakoku sprechen weit vorausschauende Planung und tief verwurzeltes Pflichtgefühl gegenüber dem Land, ein Respekt erheischender Patriotismus. Die Mittel, deren sich Ieyasu zur Durchsetzung seiner Ziele bediente, waren freilich umstritten; sie waren menschlich z. T. grausam. Hierzu gehören die von ihm eingeleitete Christenverfolgung wie auch die Demütigung der Fürsten. 2. Die Übernahme der absoluten Staatsgewalt und räumliche Trennung von der Residenzstadt Kyoto Die Übernahme der absoluten Staatsgewalt war insofern von geographischer Relevanz, als sie eine räumliche Trennung des Shögun von der Kaiserstadt herbeiführte und damit die Zweipoligkeit in der Landesentwicklung erneuerte, die sich während der Kamakurazeit bewährt hatte. Die sachlichen Überlegungen, die für die räumliche Aufspaltung der Staatsspitze sprachen, bekunden souveräne Kenntnis des Landes und ein ebenso souveränes Einfühlungsvermögen in das Wesen der Bewohner, denen er unter Ausnutzung ihrer Schwächen seelische Belastungen zuzumuten vermochte, die in der Sicht eines Außenstehenden das Maß des Erträglichen überschritten. Schon die Handlungsweisen, deren sich IEYASU für die Erlangung der legitimen Macht bediente, lassen List und Grausamkeit hervortreten. H I D E YOSHI hatte, um die Zukunft seines noch minderjährigen Sohnes HIDEYORI zu sichern, noch auf seinem Sterbelager ein Regentengremium von fünf großen Daimyö, darunter IEYASU als Vorsitzenden, eingesetzt, das die Vormundschaft für den Erben bis zu dessen Volljährigkeit ausüben sollte; alle Fünf hatten HIDEYOSHI hierfür Treue gelobt (1, 213f.). Aber nach HIDEYOSHIS Tod 1598 schob IEYASU den Fünferrat beiseite, machte sich zum alleinigen Vormund und ließ sich in Hideyoshis Burg Fushimi als Regent nieder. Die Einsprüche gegen das eigenmächtige Vorgehen spalteten das Land in zwei Lager auf, zwischen denen die Schlacht von Sekigahara geschlagen wurde. IEYASU gewann sie durch Absprache mit einem Verräter auf der gegnerischen Seite. Nach dem Siege zog er in Kyoto ein, entkleidete HIDEYORI auch nominell aller Ansprüche und stellte sich selbst an die Spitze der Regierung. HIDEYORI verblieb die Burg Osaka mit ihren Ländereien. Um seinen eigenen Anspruch auf das Shögunat zu bekräftigen, gab IEYASU die Bearbeitung seines Stammbaums in Auftrag; die Untersuchung gipfelte in der Entdeckung, daß die Tokugawa bis auf einen
E. Zusammenfassende
Wertung
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Minamoto-Enkel verfolgbar, mithin verwandt mit YORITOMO sind und damit letzthin kaiserlicher Herkunft waren (14, 661). Die von IEYASU konzipierten Gesetze, insbesondere die „ 1 8 Gesetze", warfen weiteren Schatten auf seinen Charakter: Die von ihm geübte Wahrung der Kaiserwürde war Ausdruck von Scheinheiligkeit; denn er beraubte den Tennö des letzten Restes von Unabhängigkeit, machte ihn sogar zum Gefangenen im eigenen Schloßbereich und isolierte ihn von Fürsten und Volk, wobei er in Demut versicherte, daß dies in Erfüllung des kaiserlichen Befehls geschehe, das Reich politisch zu führen. Der Respekt vor der Sakralität des Tennötums war für IEYASU nur ein formal notwendiger Akt; denn ohne die Legitimation durch den Tennö hätte er seinem Machttrieb keinen freien Lauf geben können. Zur ungestörten Ausübung der Macht war nicht nur der Verzicht des Tennö auf jedwede politische Funktion die Voraussetzung, sondern auch die räumliche Trennung des Machthabers von Kyoto durch Gründung einer neuen politischen Hauptstadt in der größten Ebene des Reichs. Nur eine von jedwedem Einfluß des Tennöhofes freie politische Hauptstadt ermöglichte die volle Selbstdarstellung des Diktators. 3. Die Schaffung der Nation Die Schaffung der Nation, das Hauptziel des IEYASU, erfolgte durch Überprägung der Gesellschaft mit den ethischen Gehalten eines als Shushigaku bezeichneten Konfuzianismus, der von dem Grundsatz ausging, daß mit jedem Platz, den ein Mensch in der Gemeinschaft einnimmt, ein Unten und ein Oben gesetzt ist. Das galt für Daimyö und Samurai ebenso wie für Bauern, Handwerker und Kaufleute, auch und gerade für jede Familie. Über 250 Jahre hindurch wurde das Volk auf dieselben ethischen Normen ausgerichtet, so intensiv, daß jeder einzelne der Auffassung sein konnte, diese Verhaltensweisen nicht erlernt, sondern in Tradition von Eltern und Großeltern übernommen zu haben. Aus anfänglichen Geboten waren selbstverständlich erscheinende Verhaltensnormen geworden, die in den Geboten, so mußte es scheinen, nur ihren Niederschlag gefunden hatten. Das Einschmelzen konfuzianischer Grundsätze in den Volkscharakter vollzog sich um so harmonischer, als sich manches ihrer Inhalte mit Shintö-Überlieferungen deckte, wie die Verehrung der Eltern, die Wertschätzung des Familienverbandes, die Verpflichtung gegenüber der Nachbarschaft und der größeren Wohngemeinde, das „Sicheinanderhelfen", die Wahrung von Reinheit, Einfachheit und Natürlichkeit. Anderes war von konfuzianischer Weisheit: Die Anerkennung des Unten und Oben, das geduldige Aufsichnehmen von Last, das Oyakobun, der Gehorsam, die Treue in der Erfüllung von Pflichten (giri). Am bemerkenswertesten war die Selbstverständlichkeit, mit der man die Gliederung der Gesellschaft nach dem Prinzip shinö-kö-shö und der „Nicht-Menschen" (hinin) hinnahm. Revolten gegen die soziale Ordnung hat es nicht gegeben, wohl aber Bauernaufstände aus der Verzweiflung von Armut und Hunger. Die über breiteste Volksteile zur Übereinstimmung gebrachten Verhaltensweisen machten noch nicht das Nationalbewußtsein aus, das zu entwickeln stand; sie waren aber wesentlich, um einem solchen Farbe zu geben. Es ist Ironie der Geschichte, daß die Tokugawa infolge ihrer Überbetonung des konfuzianisch-chinesischen Geistesgutes die Gegenkräfte weckten, die der shintoistisch-nationalen
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft
zur
Tokugawa-Zeit
Tradition den Vorrang gaben. Unbeabsichtigt hatte IEYASU sogar den Keim für solche Gegenbewegung schon gelegt, als er sich auf Shötoku Taishi berief und als er den Befehl erließ, die Shikinen Sengü des Ise Jingü gewissenhaft einzuhalten. In der Kokugakusha hatten sich jene Kräfte gesammelt, von denen ausschließlich die Überzeugung von der Besonderheit der Japaner als einer Nation im Sinne des Kokutai in allen Schichten der Bevölkerung tiefe Wurzeln schlug und das Band um die Summe der gültig gewordenen Verhaltensweisen schlug. Die patriotische Haltung, gelegentlich verbunden mit einer an Argwohn grenzenden Verschlossenheit Fremden gegenüber, darf für die Japaner als ein Erbe aus der Tokugawazeit betrachtet werden. 4. Die Errichtung der politischen Hauptstadt Edo Mit Edo wollte IEYASU das politische und wirtschaftliche „Oben" des Reiches setzen, das neue Kamigata, als welches traditionell das Kansai mit Kyoto und Osaka galt. Insbesondere aber sollte Edo die unangreifbare Macht des Shögun zur Schau stellen und mit seiner Burg, dem bewundernswert ausgeklügelten und gewaltigsten Verteidigungswerk des Landes, einen jeden abschrecken, der den Sturz des Shögunats auch nur im Schilde führte. Die starke Burg war gleichsam der Garant für den dauerhaften Frieden; sie war eine Macht „in being" und hat eine andere Funktion nie ausgeübt. Darüber hinaus war Edo die räumlich sichtbar gemachte und täglich erlebbare Darstellung der den Staat tragenden pyramidal aufgebauten Gesellschaft, in der ein jeder seinen Platz zwischen Oben und Unten hat: Vom Shogun-Palast auf dem Burghügel bis hinab in die von offenen Abwässergräben durchzogenen engen Gassen der Chonin in der Unterstadt fanden sich die Bewohner, ihrer Rangstufe entsprechend, zoniert: Eine hervorragende Raumordnung, die als Ausdruck konfuzianischer Lehre wie als etwas Naturgegebenes und Unverrückbares erschien, vom „Oben" als unreflektiertes Faktum skrupellos hingenommen, vom „Unten" in schicksalhafter Ergebenheit geduldig ertragen. Zweidrittel des Stadtgebietes bewohnten die nach Hunderten zählenden Fürsten mit ihren Samurai, Eindrittel entfiel auf die eine Million überschreitenden Volksmassen. Im einzelnen offenbart Edo auch andere für Ieyasu und seine Erbfolger charakteristische Verhaltensweisen. Die in der Anlage der Stadt vernachlässigte Berücksichtigung der Kultstätten, insbesondere das Fehlen einer für alle Jökamachi charakteristischen Teramachi, verrät ein gestörtes Verhältnis zu den Religionen. Animistischer Aberglaube war in ihm so lebendig, daß die Burg in geomantischer Sinngebung angelegt werden mußte. Das gering entwickelte religiöse Verständnis war wohl auch die seelische Voraussetzung dafür, daß er den Ersatz in der konfuzianischen Morallehre suchte. Die Frage nach dem Seelenheil blieb dabei unbeantwortet. Gerade sein Aberglaube mag es gewesen sein, daß er aus Gründen der Absicherung gegenüber den Göttern Anlehnung an den Buddhismus wie an den Shintöismus suchte; den Zözöji erhob er zum Ahnentempel und dem Sannö Jinja wies er einen bevorzugten Platz im Stadtgefüge an. Was später an Kultstätten errichtet wurde, verdankte seine Entstehung dem Prestigedenken gegenüber Kyoto. Original war nur die Erbauung einer Konfuziushalle, der Yushima Seidö, am Kandagawa.
E. Zusammenfassende
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Wertung
5. Die Sankin Kötai und deren kulturgeographische
Folgewirkungen
Die Residenzpflicht, die den Daimyö als eine für den Staat wichtige Dienstleistung auferlegt wurde, war ein Mittel zur Niederhaltung jedweden Auflebens regionalabtrünniger Bewegungen. Als naive Skrupellosigkeit und Grausamkeit offenbarte sie sich in ihren Absichten, die Hanfürsten zu verarmen und sie infolge der Geiselnahme von Frau und Kindern völlig willfährig zu machen. Die Demütigungen, die der Daimyö durch die Geiselnahme seiner Familie erfuhr, durfte ihn nicht davon abhalten, seinen Pflichten voll nachzukommen, zum Schutze des Landes die Küsten zu bewachen, die Samurai in voller Zahl und Kampfkraft zu erhalten, die hohen Ausgaben für den Unterhalt seines zweiten Hofstaates in Edo, für die in vorgeschriebenen Abständen erforderlichen Hofreisen nach Edo und für die zahlreichen anderen Dienstleistungen zu tragen. Es blieb ihm aber überlassen, die Reisssteuern zu erhöhen und damit die Armut an die Bauern weiterzugeben, die Frondienste zu vermehren, um das Nutzland zu erweitern, dabei sich für die Bezahlung der Investitionskosten bei Kaufleuten zu verschulden, einen Teil der den Samurai zustehenden Vergütungen als Borgschuld einzubehalten und damit auch diesen Stand in den unlösbaren Verschuldungskreis einzubeziehen. Seit IEYASUS Befehl, daß alle Nebenburgen zu schleifen und zu verlassen seien, gab es in jedem Daimyat grundsätzlich nur eine Burgstadt: Die des Daimyö. Die soziale Rangordnung spiegelte sich in jeder Jökamachi ebenso wider wie in Edo. Arm an Finanzkraft und Funktionen schleppten sie ihren traditionellen Aufbau durch die Jahrhunderte; Änderungen von differenzierender Kraft scheiterten meist an der Armut des Daimyö, an den alle Entwicklungen kritisch beobachtenden Shögunatskontrolleuren (Metsuke) und damit auch am Einschläfern individueller Ideen. Die heute vielfach beklagte Ausstattung der Städte an kulturell zentralen Einrichtungen hat ihre Wurzel in der strengen Einbindung der zu Vasallen erniedrigten Feudalfürsten in den Obrigkeitsstaat, der Sonderentwicklungen nur in den von einem BakufuBugyö verwalteten Städten zuließ. Viele Fürstenhöfe, insbesondere auch der Tennöhof, kompensierten ihre politische und wirtschaftliche Funktionslosigkeit durch Anlage und Pflege von Landschafts- und Teegärten im engeren oder weiteren Burgbereich. Die finanzielle Ausbeutung der Daimyö durch das Shögunat schlug sich am empfindlichsten im Bauernstand nieder. Auf einen wohlhabenden Bauern entfielen bis zu 30, die sich in Not befanden (31). Der Ausweg hieß Flucht in die Stadt und Verhinderung des Familienzuwachses z. T. in der grausamen Form der Kindestötung. Der Pater FROIS (17) berichtet als Augenzeuge, daß diese Sitte schon vor der Tokugawa-Zeit gebräuchlich war und sich niemand daran stieß. Keiner der Shögune hat gegen diesen Brauch etwas getan: er hätte denn von sich aus gegen das mabiku (Kinder-,,Jäten") einschreiten müssen. Durch Nichtbehandlung dieser Frage wurde der Kindermord legitimiert. 6. Der wirtschaftliche Dualismus Das System des polizeistaatlichen Denkens war von den Absichten geleitet, die zentrale Macht zu stärken und die regionalen Kräfte durch finanzielle Belastungen handlungsunfähig zu machen. Daß es mehr als 250 Jahre wirksam war, spricht von einer ungewöhnlich starken Geduld und von gehorsamer Obrigkeitsgläubigkeit. Das führte zu Fehlleistungen in der Landesentwicklung. Der regionale Aspekt war
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
so verpönt, daß ihm vom Shögunat keine positiven Werte abgewonnen werden konnten. Die Steuerfreiheit der Daimyö bedeutete nur nominell freie Verfügung über das Wirtschaftspotential zum Nutzen des Han. Die Kontrollorgane des Shogunats sorgten dafür, daß sich die Ausbeutung der Ressourcen in Grenzen hielt. Erwies sich eine Erzgrube als rentabel, wurde sie in Verwaltung des Shogunats genommen. Das Verfahren, jeden Ansatz regionalen Machtzuwachses zu unterbinden, führte zu einer zweigleisig strukturierten Wirtschaft: Während das Shögunat die rentablen Bergwerke übernahm, verblieben dem Daimyat die wenig ergiebigen; während das Shögunat wichtige Handelsplätze, wie Osaka, Sakai, Hakata und Nagasaki, aus den Fürstentümern herausschnitt und verstaatlichte, fielen die Hanstädte in der Entwicklung zurück; während die Dienstleistungen einschließlich Sankin Kötai bares Geld erforderten, war der Daimyö genötigt, die Steuern als Ware einzutreiben und damit das Daimyat auf der Stufe der Naturalwirtschaft zu belassen. Diese immer deutlicher heraustretenden Dualismen offenbarten die Blindheit für den Gedanken, daß der politischen Entwicklung einer Nation auch eine solche der nationalen Wirtschaft gleichlaufen müsse. Der weltpolitische Weitblick IEYASUS, aus dem die Maßnahmen zur Einigung des Reichs geboren wurden, erwies sich als derart gefangen von der Vorstellung einer starken Machtzentrale, daß der Nutzen, der dem Reich durch eine ausgewogene Entwicklung aller Ressourcen hätte erwachsen können, nicht gesehen wurde. Regionale Entwicklung schien geradezu dem konfuzianisch-pyramidalen Aufbau aller Dinge zu widersprechen. Von dieser Warte aus erhellt sich auch der Umstand, daß das Shögunat von der Entwicklung zusätzlicher Regionen absah und Hokkaidö, die Kurilen und Sachalin in losem Staatsverband beließ. Es genügte ihm, in Abwehr der Fremden Verträge zu schließen, die der eingespielten Nutzung von Land und Meer einigermaßen entsprachen. Eine solche Vereinbarung war der Vertrag von Shimoda vom Jahre 1855, durch den mit Rußland die Grenzfrage im Kurilenbogen geregelt wurde (s. Bd. 1, S. 4). Soweit sich aus geographisch relevanten Vorgängen entnehmen läßt, war T O K U ein Machtmensch, der seinen Willen mit naturhafter Skrupellosigkeit durchsetzte, List und Täuschung nicht scheute, Gewalt anwendete, wie im Falle der Christenverfolgung, die Anwendung von Gewalt androhte, wie im Falle der Geiselnahme ganzer Familien. Machtpolitischer Weitblick und aufrichtige Sorge um die Zukunft des Landes waren in ihm verquickt mit egoistischer Verblendung, die ihn innerpolitische Notwendigkeiten nicht sehen ließen, wie etwa die Auflösung wirtschaftlicher Dualismen bis hin zum regionalen Dualismus agrarischer Entwicklung (Tokugawa-Linie). Das Syndrom seiner Persönlichkeit enthält einander so widersprüchliche Werte, daß man sich fragen muß, worin das Volk die Verehrungswürdigkeit erblickte, derentwillen es nach Nikkö pilgerte, um IEYASU noch posthum Respekt zu erweisen. Es muß ein von breitesten Schichten des 17. und 18. Jahrhunderts noch geschätzter Wert gewesen sein, den IEYASU trotz seiner Skrupellosigkeit und Grausamkeiten verkörperte. Dieser Wert muß das Volk besonders angesprochen haben. Er kann in nichts anderem liegen als in dem starken Willen, durch den die Einigung des Reichs vollbracht und dauerhafter Frieden gesichert wurde. Der Gedanke von der nationalen Einheit des Reiches und das Verlangen des Volkes nach Frieden hatten in IEYASU eine Symbolgestalt erhalten. GAWA IEYASU
Im Respekt vor dem Einiger des Reiches und im Verlangen nach Frieden ließen
E. Zusammenfassende
Wertung
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die Menschen Wertvorstellungen erkennen, die nicht der konfuzianischen Morallehre entstammten, sondern in ihren Herzen wohnten. Dies sei der Anlaß zu folgender Anmerkung: Es lassen sich Verhaltensweisen, die sich aus der lebendigen Auseinandersetzung mit dem geschichtlichen Geschehen und der natürlichen Umwelt formen, von jenen unterscheiden, die durch bewußte Erziehungsakte in den Menschen eingeprägt werden. Die Erziehungsakte können von so tiefgreifender Wirkung sein, daß die anerzogenen Verhaltensweisen nicht mehr als fremd, sondern als gewachsen empfunden werden und als so selbstverständlich erscheinen, daß man sie sogar verteidigt. Dies trifft auf die konfuzianischen Grundsätze zu, wie sie im einzelnen im Zusammenhang mit dem Bushidö behandelt wurden. Traditionell in den Herzen der breiten Bevölkerung, d. h. in den Bauern lebende Verhaltensweisen, lassen sich nur aus der bäuerlichen Landschaft erkennen. Manches von diesem ist in die Tugendlehre des Bushidö aufgenommen worden. Das Bauernhaus, das in der Tokugawazeit seine Form fand, erscheint besonders geeignet für eine Wesensaussage über das Volk; für etwa 80% aller Staatsbürger war es der engste Lebensbereich. An bevorzugter Stelle birgt es den Ahnenschrein, vor dem sich die Sippe zur Feier nach Shintö-Ritus versammelt. Das Haus insgesamt gleicht einem Schrein; es ist Teil der Natur. Nicht Mauern trennen oder schützen vor einer wohnfeindlichen Umwelt, sondern geöffnete Schiebetüren und Schiebefenster ermöglichen, daß Bäume, Sträucher und Felder in das Haus hineinwirken und förmlich hineinwachsen. Naturverbundenheit bedeutet auch Schlichtheit und Reinheit. Das Holz, aus dem man das Haus errichtete, spricht die Bewohner in der natürlichen Maserung an; Überdeckung mit Farbe wäre unecht. Der Schmutz der Straße und Felder darf nicht ins Haus getragen werden; man läßt die Fußbekleidung vor dem Eingang stehen. Im Garten liegt kein welkes Blatt, kein Unkraut stört die nach Symbolwert ausgewählten Kräuter, Büsche und Bäume. Wie der Garten, so ist das Feld; denn der japanische Bauer gleicht einem Gärtner. Die Mehrzahl der Bauern bewirtschaftete weniger als einen Hektar. Deshalb konnte die Bestellung der Felder bei der Handarbeit verharren. Jede einzelne Erdscholle des handgepflügten Reisbeetes glitt bei der Vorbereitung zum Reisstecken durch die Hand. Die Reis- und Weizenbeete werden gejätet. Die Sorge um jeden Halm und die Sauberkeit aller Felder, ob Reisbeet, Maulbeerfeld oder auch Teepflanzung: Das sind Verhaltensweisen, die sich nicht nur aus dem geringen Umfang der Wirtschaftsfläche ergeben, sondern einer bestimmten geistigen Form entwachsen. Die Bewirtschaftung vor allem der Reisfelder führt, wie bei allen Sumpfreis bauenden Völkern, zur Gemeinschaftsarbeit und Ausprägung eines Gruppengeistes. Das „Sich-Einander-Helfen" (aitasuku, vgl. Brüll, 9) ist die natürlichste Form des Dienens. Die Vorgänge der Be- und Entwässerung bedingen Flurzwang; denn wenn in das oberste Beet Wasser einläuft, fließt es unaufhaltsam nach unten, und wenn der zuoberst wirtschaftende Bauer zu ernten beginnt und das Wasser staut oder ablenkt, legt er die übrigen Reisfelder trocken. Diesem Gemeinschaftszwang, der in ähnlicher Form auch für die Fischer gilt, stellt man gerne auch den Willen zur Vereinzelung entgegen, allerdings nur im Sinne der Familie als Einheit. Dies trifft sich mit dem Hang, nicht auffallen zu wollen, und beides äußert sich häufig in der Ortslage des Hauses. Man wohnt gern ab von der Straße, nach Möglichkeit umhüllt von hainartigen Baumgruppen.
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft
zur
Tokugawa-Zeit
Ausdruck eines starken Einfühlungsvermögens in die Natur, insbesondere in die Konfiguration des Geländes, sind die seit dem 17. Jh. in immer höhere Hangteile steigenden Reisterrassen. Sie erforderten den Bau der aus den Flußoberläufen oder aus Stauseen abgeleiteten Zuleitungsgräben und die Herstellung eines ausgewogenen Gefälles bis hinein in die obersten Lagen der terrassierten Hänge, von wo aus das Wasser durch die Reisbeete hinab bis zu den Talböden zurückfindet, wobei es, um die Erodierung der mühsam aufgebauten Beetstufen und pämme zu vermeiden, fast unmerklich die leicht geneigten Parzellen durchfließen muß. Für die Errichtung solcher Meisterwerke der Agrikultur war es notwendig, dem Verlauf der Isohypsen bis in die schmälsten Hangnischen nachzuspüren, ohne daß man über Vermessungsgeräte moderner Art verfügte. Es ging um mühsame Kleinarbeit, die für die Errichtung auch kleinster Reisbeete die gleiche Sorgfalt abverlangte wie sie größeren zugewendet wurde; denn auch die kleinen Beete üben im Isohypsengefüge entscheidende Stützwirkung für die darüber liegenden Terrassenstücke aus. Das Kleinstbeet-Mosaik verdichtete sich in vielen Fällen zu jenen tagoto-no-tsuki, in denen nicht nur die Mühe und Sorgfalt in scheinbar verspielter Schönheit, sondern auch die Armut der Bauern zum Ausdruck kommt: Denn in diesen schwer erreichbaren Lagen entgingen nicht angemeldete Parzellen (nawanobi, Geheimparzellen) am leichtesten der Kontrolle und damit der Steuerzahlung; sie waren ein kleiner Beitrag zur Linderung der ärgsten Not. Die Bewirtschaftung von Geheimparzellen war ein allgemeiner Brauch, den man sich nicht als Hintergehung anrechnete; er war nur ein Akt der Nachahmung dessen, was der Daimyo in größerem Maßstab betrieb, wenn er sein Naidaka unkontrolliert erhöhte. Die Überraschungen, mit denen die Natur in ihrem fortwährenden Wandel der ökologischen Faktoren Menschenwerk zu vernichten vermag, sei es durch Taifune, Erdbeben oder Vulkanausbrüche, haben bei aller Einfühlung in die Natur die Furcht vor den Göttern verstärkt. Kultstätten als Zeugnisse für die schicksalhafte Abhängigkeit von Göttern sind ebenso Merkmale der Agrarlandschaft wie die Bewässerungsgräben. Der Eintritt des Bewässerungskanals in größere Feldsysteme ist Kultplatz (minaguchi) für die Wassergottheit wie für die Feldgottheit, häufig gekennzeichnet durch ein Torii. Inmitten der Reisfelder stehen rote Fuchs- bzw. Inari-Schreine, weil Inari der Bote des Fruchtbarkeitsgottes ist und die Meldungen über die Entwicklung der Feldfrucht überbringt. Die Gottheiten machen ihr Wirken auch unmittelbar sichtbar. T. Y A Z A W A ( 1 1 3 ) berichtet von dem Glauben an die Gottheit, die man in den beiden Suwa-Schreinen zu Seiten des Suwasees verehrt. Die Gottheit wechselt im Winter ihren Wohnsitz über den See hinweg; sie wirft dabei die Eisdecke bogenförmig hoch auf, was man Omiwatari nennt, den Gang der Gottheit quer durch den See (Bild 15). Die Menschen sahen „in Lage und Richtung des jeweiligen Omiwatari einen Götterspruch für die Ernte im kommenden Sommer, weshalb in jedem Winter, wenn sich der Omiwatari gebildet hatte, von bestimmten, bevorrechteten Bauern eine Sichtungszeremonie veranstaltet wurde. Nach Erfüllung der hierfür entwickelten Formalitäten wurden an die Tokugawa-Shögunatsregierung, später nur noch an das Haupt des SuwaClan . . . Berichte eingereicht" (113, 176). Die Einsicht in die Unbeständigkeit des Irdischen einschließlich des Lebens hat die Menschen in hohem Maße immun gegen Mißgeschick gemacht; man weiß, daß allem Geschaffenen die Vergänglichkeit mitgegeben ist, so wie man im Frühling
Schrifttumverzeichnis für das 3. Kapitel
Bild 15
„Omiwatari" im Suwa-See am 16. 1. 1977. Aufn. Mitsunaga Kurenuma,
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Tokyo
schon um den Winter bangt. Naturfrömmigkeit, Ergebenheit ins Schicksal, Wiederaufbauwille, das Einanderhelfen, Sorgfalt, Fleiß und eine nie versiegende Geduld: das sind Charaktermerkmale, die aus der bäuerlichen Landschaft der TokugawaZeit abzulesen sind. Sie wurden um die Tugenden des Bushidö bereichert und stehen insgesamt in dialektischem Gegenüber zu brutalen Verhaltensweisen, wie sie von den Tokugawa in der Entwicklung der Sankin Kotai exemplarisch zum Ausdruck gebracht wurden.
Schrifttum Verzeichnis für das 3. Kapitel 1. Asaka, Sachiô: Development of Towns and Villages in the Edo Period. In: IGU Proc. 1957, Tôkyô 1959. S. 273-275. 2. Association of Japanese Geographers: Japanese Cities — a Geographical Approach. Tôkyô 1970.
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3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
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Schrifttumverzeichnis für das 3. Kapitel
245
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246 79. 80. 81. 82. 83. 84.
85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92. 93.
94.
95. 96. 97. 98. 99. 100. 101. 102. 103. 104. 105.
106. 107. 108. 109. 110. 111. 112.
3. Kapitel: Mensch und Landschaft zur
Tokugawa-Zeit
Roberts, J. G.: Mitsui, Tokyo 1973. Rozman, Gilbert: Urban Networks in Ch'ing China and Tokugawa Japan. Princeton 1973. Rudorff, Otto: Die Tokugawa-Gesetz-Sammlung. In: O A G , Suppl. Heft zu Bd. V, 1889. Sansom, George B.: Japan. Von der Frühgeschichte bis zum Ende des Feudalsystems. Essen 1975. Scheinpflug, Alfons: Die japanische Kolonisation in Hokkaido. In: Mittn. Ges. Ek. Leipzig, Bd. 53. Leipzig 1935. Schüffner, Rudolf: Die Fünferschaft als Grundlage der Staats- und Gemeindeverwaltung und des sozialen Friedens in Japan zur Zeit der Taikwa-Reform und in der Tokugawa-Periode. In: O A G , Bd. 30, 1938, Teil E. Schwalbe, Hans: Acht Gesichter Japans. Tòkyo 1970. Schwind, Martin: Die Gestaltung Karafutos zum Japanischen Raum. Gotha 1942. Schwind, Martin: Allgemeine Staatengeographie. Berlin 1792. Schwind, Martin: Die älteste Japanbeschreibung in europäischer Sprache. Descriptio Regni Japoniae von Bernhard Varenius, 1649. GRJ, Vol. 46, 1973. S. 8 1 - 9 1 . Schwind, Martin und Horst Hammitzsch (Hrsg.): Bernhardus Varenius, Descriptio Regni Japoniae, Beschreibung des Japanischen Reiches. Darmstadt 1974. Siehe auch Nr. 105. Scientific Japan, Past and Present. Prepared in Connection with the third Pan-Pacific Sci. Congress, Tòkyo 1926. Sheldon, C. D.: The Rise of the Merchant Class in Tokugawa Japan, 1 6 0 0 - 1 8 6 8 . New York 1958. Shimmura, Izuru: Western Influences on Japanese History and Culture in Earlier Periods ( 1 5 4 0 - 1 8 6 0 ) . KBS, Tòkyo 1936. Siebold, Ph. Fr. v.: Nippon. Archiv zur Beschreibung von Japan. 2 Bde. Vollständiger Neudruck der Urausgabe zur Erinnerung an Ph. Franz v. Siebolds erstes Wirken in Japan 1 8 2 3 - 3 0 . Dazu ein neuer Ergänzungsband u. Indexband von F. M. Trautz. Berlin 1930—31. Slawik, A. und J. Kreiner, L. Linhart, E. Pauer: Aso-Vergangenheit und Gegenwart eines ländlichen Raumes in Südjapan. Bd. 1: Einführung und Überblick. Beiträge zur Japonologie, 12. Wien 1975. Smith, N. Skene: Materials on Japanese Social and Economic History. In: TASJ, Vol. 14, 1937. Soma Masatane: The Cultivation of Mitsumata on Shifting Fields in Shikoku. IGU, Proc. 1957. Tòkyo 1959. S. 4 7 0 - 4 7 7 . Standard-Atlas für die Geschichte Japans (japan.) Tòkyo 1970. Tada, Fumio: Der Wandel in Natur und Umwelt. In: Bunka Koza. Sammlung von Rundfunkvorträgen der NHK, Tokyo 1962. Takaoka, K.: Die innere Kolonisation Japans. Staat- und sozialwiss. Forschungen, Bd. 23, H. 3. Leipzig 1904. Tanaka, Kakuei: Building a New Japan. Tòkyo 1972. Taut, Bruno: Houses and People of Japan. Tòkyo 1937 und 1958. Toyoda, Takeshi: Sakai. Feudalistische Städte Japans (Japan.), Iwanami Shoten, Tòkyo 1957. Toyoda, Takeshi: A History of Pre-Meiji Commerce in Japan. Tòkyo 1969. Tsukahira, Toshio G.: Feudal Control in Tokugawa Japan. The Sankinkòtai-System. Harvard East Asian Monographs, 20, 1966. Varenius, Bernhardus: Descriptio Regni Japoniae. Beschreibung des Japanischen Reiches. Amsterdam 1649. Unter Mitarbeit von Lydia Brüll herausgegeben und kommentiert von M. Schwind und H. Hammitzsch. Darmstadt 1974. Wals, K.: Japanische Burgen. In: Nippon. 5. Jh., 1939. S. 1 4 4 - 1 4 8 . Watanabe, Yoshio: The Urban Region of Sendai. In: Sei. Rep. 1953, Nr. 2, S. 3 0 - 5 2 . Watanabe, Akira u. a.: Hokkaido Guidebook. IGU Conferences, Tòkyo 1957. Wetherall, W. and G. A. Devos: Ethnic Minorities in Japan. In: Case Studies . . ., Pubi, for the Foundation for the Study of Plural Societies. Vol. I. S. 3 3 5 - 3 7 5 . The Hague 1975. Yamaoka, Masaki: Social Outcasts Villages along the Shikoku Pacific Coast. In: IGU Proc. 1957, Tòkyo 1959. S. 5 3 7 - 5 4 3 . Yamori, Kazuhiko: On the Regional Structure of Japanese Castle Towns. In: Japanese Cities. Assoc. of Japanese Geographers, Tòkyo 1970. S. 17—21. Yazaki, Takeo: The Japanese City. A Sociological Analysis. Tòkyo 1963.
Schrifttumverzeichnis ßr das 3. Kapitel
247
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Teil II Industrialisierung des Landes als Antwort auf den Einbruch der technischen Welt (Anpassungszwang und seine Überwindung)
4. Kapitel Die geographische Bedeutung der Meiji-Restauration (Vgl. hierzu Bd. 1, S. 3 6 - 5 2 )
Die 1868 proklamierte Wiederherstellung der Tennö-Herrschaft (ösei fukko) war im Rückblick auf die Vergangenheit eine Restauration, im Blick nach vorn der Versuch einer Erneuerung (ishin) von Gesellschaft und Wirtschaft in Antwort auf die Anachronismen des machtlos gewordenen Tokugawa-Regimes und die mit Dynamik an das Inselreich gestellten Herausforderungen der technischen Welt. Japan sah sich von der Gefahr bedroht, wie China zur Halbkolonie gemacht zu werden. Die vordringliche Aufgabe der meiji-kaiserlichen Zentralregierung mußte sein, mit den neuabendländischen und abendländischen Eindringlingen zu einem partnerschaftlichen Verhältnis zu kommen und eine Fremdherrschaft zu verhindern. Diese Situation stellte den restaurierten Tennöstaat vom ersten Tag an unter das Gebot des Anpassungszwangs an die westlich-amerikanische Welt. In die Klammer zwischen Eigen- und Fremdkultur genommen, mußten Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Geisteskultur neue Daseinsformen finden. Hierfür bot sich der Vorteil, „daß die Staatsordnung der Tokugawa-Shogune so fest gefügt war, daß man sie zunächst völlig intakt übernehmen konnte, daß also Japan vom Anfang der Meiji-Zeit an innerlich ein verwaltungsmäßig geeinter Staat mit einer festen Zentralregierung war" (5). Von dieser Ausgangsbasis aus konnten die Führer der neuen Tennöherrschaft — es waren junge Samurai aus dem Südwesten — mit förmlicher Besessenheit und doch Weitsicht das neue Japan planen und errichten. Daß sie zunächst eine starke Militärmacht zu entwickeln strebten, lag an ihrer Herkunft und an den Erfahrungen, die man seit 1853 mit den Fremden gemacht hatte; doch sie erkannten auch, „daß die Grundlage militärischer Stärke nur ein gut ausgebildetes Volk, eine gesunde Wirtschaft und eine technisch hochentwickelte Industrie sein konnte" (5). Die von militärischen Bedürfnissen abgeleitete, bewußt betriebene Industrialisierung des Inselreichs ergriff über die Jahrzehnte hinweg alle Bereiche des Lebens und der Wirtschaft, auch der Landwirtschaft, und rückte schließlich den Staat in die vorderste Gruppe jener Industrienationen, die vor 100 Jahren noch geneigt waren, Japan als Kolonialland zu betrachten.
252
4. Kapitel: Geographische Bedeutung der Meiji-Restauration
1. Abschnitt Die Umwandlung von Staat und Gesellschaft A. Die Neuordnung des Staates I. Die Zielsetzung, Verfassung und das Ringen um die volle Unabhängigkeit Die Anpassung an die westliche Welt mußte mit der Umformung von Staat und Gesellschaft beginnen. Als Grundlage für eine moderne Verfassung diente die kaiserliche Fünf-Punkte-Proklamation von 1868, die an erster Stelle die Einberufung von Ratsversammlungen gelobte, damit das Land gemäß der öffentlichen Meinung regiert werden könne (17, 635). Die Ausarbeitung einer Verfassung wurde sehr sorgfältig unter Verwendung europäischer Vorbilder vorgenommen. Nachdem Fürst ITÖ HIROBUMI 1 8 8 2 von seiner Europa-Studienreise zurückgekehrt war und er als Premierminister eine erste Kabinettsregierung eingerichtet hatte, ließ er eine Verfassung erarbeiten, der die deutsche als Vorbild diente, soweit nicht die Würdigung japanischer Traditionen Abweichungen erforderte. Sie wurde bei gleichzeitiger Mitteilung an den Ise Jingü am 11. 2. 1889 feierlich proklamiert. Dieses Monatsdatum wurde für die Verkündung gewählt, weil es den Reichsgründungstag oder Kigensetsu bezeichnet und es damit die Wiederherstellung der kaiserlichen Macht atmosphärisch mit der legendären Zeit des Jimmu Tennö verbindet 1 . In dieser Verfassung wurden jedem Bürger die Grundrechte garantiert: Jedem Japaner standen nun alle Ämter offen, er besaß Redefreiheit, Freiheit der Religion, Freizügigkeit und Unantastbarkeit des persönlichen Eigentums (5, 369). Uber diesem westeuropäisch wirkenden Verfassungsgebäude saß jedoch das uralte theokratische Dach des Artikels 1: „Das japanische Kaiserreich wird beherrscht und regiert von einer seit ewigen Zeiten ununterbrochenen Reihe von Kaisern." Dieser Artikel bedeutet: Die konstitutionelle Monarchie europäischer Prägung wurde unter Einschmelzung des Kokutai-Gedankens umgeprägt. Das Parlament bestand aus zwei Häusern, dem Ober- und dem Repräsentantenhaus. Dem Oberhaus gehörten Adlige, dem Unterhaus die gewählten Repräsentanten der zahlreich ins Leben gerufenen Parteien an, die vor allem darauf drängen konnten, daß das Parlament die Kabinettsmitglieder zur Verantwortung zog. Die Meinungsverschiedenheiten wurden meist ausgeglichen; auch dies brachte zum Ausdruck, daß sich das Land zwar den äußeren Formen nach dem Westen angepaßt hatte, daß aber innerhalb dieser Formen nach wie vor der Geist patriarchalischer und autoritärer Staatsführung wirkte (5, 370). Japans Suche nach gegenseitig meistbegünstigender Partnerschaft mit fremden Mächten war zunächst durch die politischen Hypotheken erschwert, die aus dem Ende der Shögunatszeit übernommen worden waren. Es handelt sich um die 1 Auf den 11. Februar fällt nach dem chinesischen Mondkalender der erste Tag des ersten Monats. Dies wurde für den am 1. 1. 1873 eingeführten Gregorianischen Kalender aufgrund des SechzigerZyklus errechnet (s. Ramming, (16)). Der 11. Februar gilt seit 1967 wieder als nationaler Feiertag, nachdem er als solcher nach dem Kriege abgeschafft worden war. Die zehnjährige Wiederkehr des Tages der Wiedereinsetzung dieses Feiertages wurde 1977 vor dem Jimmu Tennö-Schrein in Kashiwara (Nara-ken) unter Beteiligung von 50000 Menschen gefeiert (Mainichi Daily News, 12. 2. 1977).
A. Die Neuordnung
des Staates
253
zwischen 1858 und 1861 mit den U.S.A., Rußland, den Niederlanden, Großbritannien, Frankreich, Portugal und Preußen abgeschlossenen Verträge, in denen nach dem Muster des mit China 1860 ratifizierten Peking-Vertrages den Fremden das Recht der Exterritorialität zugestanden und zudem Zölle festgesetzt worden waren. Diese Verträge waren es gerade, mit denen sich die Gefahr angemeldet hatte, zur Halbkolonie gemacht zu werden. Die Nichtunterstellung der Fremden unter japanisches Recht mußte man als Diskriminierung und Belastung der gegenseitigen Beziehungen empfinden; die sehr niedrig festgesetzten Zolltarife brachten die Staatskasse um Einnahmen. Eine Mission nach Europa 1872 erreichte nur, daß die französischen und britischen Truppen, die seit 1863 Yokohama besetzt hielten, im März 1875 zurückgezogen und daß 1879 die britische, 1880 die französische Post abgeschafft wurden, nachdem Japan 1877 in den Weltpostverein aufgenommen worden war (1, 340 u. 349). In London wurde schießlich 1894 ein Vertrag unterzeichnet, ratifiziert 1899, der die Ungleichheiten beseitigte (1, 351). Erst damit war Japan de iure für die Fremden geöffnet, „die nun im ganzen Reich umherreisen, wohnen und Besitz haben, jedes Gewerbe und jede Industrie ausüben durften und Gewissens- und Glaubensfreiheit genossen . . . und Japan setzte von sich aus Zolltarife fest; die Meistbegünstigung wurde vertraglich festgelegt." Dieser Vertrag wurde inhaltlich in gleicher Weise auch mit den anderen Mächten geschlossen. Er beendete einen 20jährigen Abschnitt halbkolonialer Zeit. Der Status einer Halbkolonie war freilich durch die Fakten des inzwischen straff geführten Staatswesens und eines schon weithin im Volk vorhandenen Staatsbewußtseins, das der Anwendung des Prinzips „Aufnahme des Westens zum Zwecke seiner Abwehr" stille Zustimmung gab, nicht vordergründig spürbar gewesen. Er hatte deshalb die Gesamtentwicklung des Reiches nicht hemmen oder gar verhindern können, wie dies in China geschah. Die Verträge mit den U.S.A. traten 1897, mit Österreich und Frankreich erst 1899 in Kraft. Die Zeitverschleppungen machten den Japanern die Richtigkeit dessen um so deutlicher, was sie 1872 in Berlin erfahren hatten und ihrer eigenen Überzeugung entsprach. BISMARCK soll ihnen erklärt haben, „Japan müsse sich so stark machen, daß es sich allein auf seine eigene Kraft stützen könne" (1, 339). Unter dieser Devise ging es nach dem Sieg über China 1895 mit verstärkten Anstrengungen an die Industrialisierung.
II. D i e Neugliederung des Reichsgebiets 1. Die
Reichshauptstadt
Tokyo wurde, was Kyoto bis zur Heianzeit gewesen war: Residenz des Tennö und politisches Machtzentrum zugleich. Meiji Tenno verließ 1869 Kyoto und bezog die Burg in Edo, das inzwischen in Tokyo, d. h. „östliche Hauptstadt" umbenannt worden war. Für die Stadt wie für die Reichsentwicklung war dies ein bedeutsamer Schritt: Tokyo wurde zum Mittelpunkt der Auseinandersetzungen mit der westlichen Welt. Von hier aus übten die Innovationen, die überreich auf das Inselreich einstrahlten, ihre Einflüsse auf die übrigen Reichsteile aus. Mit der Wahl Tokyos zur Reichshauptstadt sowohl für die Politik als auch für die Wirtschaft und Kultur, fand die mehr als 1000 Jahre alte Herausforderung nach der Suche einer strukturgerechten Mitte, vorbereitet durch IEYASU, ihre endgültige Antwort im Sinne des
254
4. Kapitel: Geographische; Bedeutung der
Meiji-Restauration
Musubi. Es zeugte von Musubi-Denken, wenn der Tennö den 1000jährigen Sitz des Tennöhofes zugunsten der strukturellen Reichsmitte aufgab. Die Inlandseeküste war mit den Häfen Ösaka, Kobe und Sakai, solange es mit Ausnahme von China und Korea keine Notwendigkeit zur Pflege von Außenbeziehungen gab, die zweckmäßige Ausgangsregion für die Schiffahrt gewesen; aber das Kanto und die Tokyo-Bucht erscheinen seit der Meijizeit geradezu als vorprogrammiert für die Ausübung globaler Funktionen. 2. Die Provinzen und die Provinzhauptstädte Das kaiserliche Dekret vom August 1871 hob die Daimyate (Han) auf und gliederte das Reichsgebiet in Provinzen, Präfekturen bzw. Ken, für deren Benennung man Namen verwendete, die keine Verwechslung oder gar Identifizierung mit alten Daimyaten ermöglichten. Im übrigen decken sich die Ken auch nur in 12 Fällen räumlich mit den ehemaligen Han. Das gilt für die vier Ken von Shikoku, deren Wasserscheidengrenzen sich durch alle Zeiten hindurch bewährt hatten; für die Beckenprovinzen Nara (Yamato) 2 , Shiga (Ömi), Nagano (Shinshü), Toyama (Etchü) und Yamanashi (Köshü); für die beiden Gebirgsrand- und Paßprovinzen Gumma (Kötsuke) und Tochigi (Shimotsuke) im nördlichen Kanto; und schließlich für die beiden das mittlere Kyüshü zu beiden Seeseiten traditionell einnehmenden Ken Kiyazaki (Hyüga) und Kumamoto (Higo). Alle anderen 35 Präfekturen wurden durch Zusammenlegung alter Han, z. T. auch durch Hinzufügung von Teilen benachbarter Han gebildet (vgl. hierzu Bd. 1, S. 46—50). Insgesamt ergaben sich unter Berücksichtigung der 1906 erfolgten Gebiets- und Namensbereinigungen die noch heute (1980) bestehenden 47 Präfekturen, von denen 43 als Ken, 2 als Fu (Großstadtbezirk), eine als To (Hauptstadtbezirk Tökyö-to) 3 und eine als Do oder Region (Hokkaidö) bezeichnet werden. Jede der Präfekturen wird von einem Gouverneur oder Chiji verwaltet. Die Präfekturen liefern seit 1871 die Daten für statistische Erhebungen aller Art. Von den Zentren der ehemaligen Fürstentümer - es handelt sich ausnahmslos um Burgstädte (Jökamachi) — verloren 36 einen Teil ihres zentralen Charakters. Das traf einige, wie Himeji, Matsumoto, Odawara und Shimonoseki besonders hart. Neu verliehen erhielten zentrale Verwaltungsfunktionen die Präfekturhauptstädte Aomori, Kobe, Nagano, Saga, Sapporo, Urawa und Yokohama. Mit den auf 46 Provinzhauptstädte übertragenen Verwaltungsfunktionen wurden die Vorgänge der Landesentwicklung wesentlich gesteuert. Dabei haben sich die unterschiedlichen Gebietsgrößen, wie sie sich aus Gründen der Tradition und des Entwicklungsstandes zur Zeit der Meiji-Restauration ergaben, auf das Maß der Infrastruktur-Entwicklung mitbestimmend ausgewirkt. Dieser Faktor sei deshalb etwas deutlicher sichtbar gemacht. Sieht man von dem Landblock Hokkaidö und der langen Inselgirlande des Okinawa-Ken ab, so verteilen sich die 45 verbleibenden Präfekturen auf insgesamt 291729 km 2 Land. Im Durchschnitt würden auf die einzelne Präfektur 6500 km 2 entfallen. Die Wirklichkeit weicht erheblich davon ab. Wenn man dem Mittel eine Toleranz von 5700—7300 km 2 einräumt (12% 2 Alte Namen in Klammer. 3 Zunächst war auch Tokyo ein Fu. Die Bezeichnung to wurde 1943 gewählt, als die Verwaltung der Stadt mit der des Landkreises zusammengelegt wurde.
A. Die Neuordnung des Staates
255
mehr oder weniger), dann entsprechen ihm nur 11 Präfekturen (25%). Etwa 30% der Präfekturen weisen extreme Abweichungen vom mathematischen Durchschnitt auf, so daß Gebietsgrößen von 1 0 0 0 0 - 1 5 0 0 0 km 2 solchen von weniger als 2000 km 2 gegenüberstehen (Tab. 3). Die Fläche von Iwate-Ken ist 8mal so groß wie die von Kagawa-Ken, die von Fukushima-Ken 6mal so groß wie die von SagaKen. Während sich die 6 Ken von Töhoku über 67000 km 2 erstrecken, verfügen die 6 Kansai-Ken Kyoto, Ösaka, Shiga, Nara, Wakayama zusammen mit Mie über nur 25 000 km 2 . In besonderer Ungleichheit zu allen übrigen Provinzen steht seit Anbeginn Hokkaidö, seiner Ausdehnung wegen nicht als Ken, sondern als D o oder Region betrachtet. Die Insel umfaßt mit Nebeninseln 4 83511 km 2 oder 22% des gesamten Staatsgebiets. Das ist etwa die Größe ganz Österreichs; wenn Hokkaidö mit 5,3 Mio. Menschen (1975) weniger dicht bewohnt ist als jenes, so kennzeichnet es als ein heute noch nicht voll entwickeltes Außengebiet. Es ist fünfmal so groß wie Iwate-Ken und übertrifft Kagawa-Ken um das 42fache. Aus der Flächengröße ergibt sich, daß die Verwaltungsgliederung in 14 Shichö, deren Flächen bis zu 10000 km 2 betragen (Tokachi-shichö 10212 km 2 ) einer Ken-Gliederung näher als einer Kreisgliederung steht, weshalb man Shichö am treffendsten mit „Unterpräfektur" übersetzen sollte. Dem Reichsgebiet war mit den z. T. extrem ungleichen Flächengrößen der Präfekturen eine verschiedene intensive Inwertsetzung der Landesteile besonders dann vorgegeben, wenn die Großflächigkeit mit nur geringer, die Kleinflächigkeit aber mit hoher Bevölkerungsdichte verbunden war. Was dies nach 100 Jahren im Ergebnis bedeutet, ist mit den Hinweisen gekennzeichnet, daß in den Shichö Hokkaidos 1975 die Dichte zwischen den Werten 16 bis 56 lag, im flächenkleineren Kagawa-Ken 512 betrug. Die ungleichen Entwicklungsdispositionen in den 1871 festgelegten und bis heute (1980) territorial nur unwesentlich veränderten Präfekturen erfahren zusätzlich Profilierung durch extrem unterschiedliche naturräumliche Ausstattung. Wenn das relativ kleine Wakayama-Ken zu 85% von Gebirge erfüllt ist und nur über 6% Tiefland verfügt, ist es von vornherein gegenüber dem ähnlich großen Shiga-Ken, das sich eines Tieflandanteils von 39% erfreut, weit im Nachteil. Für die Landesentwicklung stellen sich aus den Ungleichheiten in Flächengröße und naturräumlicher Ausstattung grundlegend verschiedene Probleme (24). Eine Vertiefung in diesen Gedanken erlaubt Tabelle 3, der die Landvermessung des Geographical Survey Institute aus dem Jahre 1972 zugrunde liegen. Der für das Reich insgesamt errechnete Durchschnitt von 13% Tieflandanteil liegt in 25 der 47 Präfekturen wesentlich darunter oder darüber; über den geringsten Wert verfügt Nagasaki mit 2%, über den höchsten Shiga mit 39%. Mit Ausnahme von 8 haben alle Ken Anteil an der 29751 km Küste. Davon entfallen auf Hokkaidö 10%, die küstenreichen Ken Nagasaki, Okinawa, Ehime und Yamaguchi zusammengenommen fast 30%. 3. Die
Außengebiete
Die Außengebiete erfuhren im Gegensatz zur Tokugawazeit nunmehr eine außergewöhnlich starke Beachtung. Hierfür gab es drei Motive: 4 In diesem Falle die politisch umstrittenen Inseln einbezogen.
4. Kapitel: Geographische Bedeutung der Meiji-Restauration
256
Tabelle 3. Die Gebietsfläche Japans und seiner Präfekturen (1976) und deren Anteile an den Geländeformen. Nach Japan Stat. Yearbook 1977 bearbeitet von M. Schwind Japan, insgesamt u. 47
Fläche in km 2
Prafektaen JL ' , . u ' 1o Do) ' Japan (insgesamt) 1 Hokkaidö 2 Aomori 3 Iwate 4 Miyagi 5 Akita 6 Yamagata 7 Fukushima 8 Ibaraki 9 Tochigi 10 Gumma 11 Saitama 12 Chiba 13 Tökyö 14 Kanagawa 15 Niigata 16 Toyama 17 Ishikawa 18 Fukui 19 Yamanashi 20 Nagano 21 Gifu 22 Shizuoka 23 Aichi 24 Mie 25 Shiga 26 Kyoto 27 Osaka 28 Hyögo 29 Nara 30 Wakayama 31 Tottori 32 Shimane 33 Okayama 34 Hiroshima 35 Yamaguchi 36 Tokushima 37 Kagawa 38 Ehime 39 Köchi 40 Fukuoka 41 Saga 42 Nagasaki 43 Kumamoto 44 Öita 45 Miyazaki 46 Kagoshima 47 Okinawa
a) 372686,01 a) 78518,18 b) 9614,62 15277,45 7291,01 b) 11609,61 9326,13 c) 13781,99 6089,63 6413,79 6355,61 3799,32 5119,45 2145,49 2391,36 12577,43 4252,16 d) 4196,13 4188,83 4463,48 e) 13584,62 10595,75 f) 7772,01 5118,22 5773,96 g) 4016,00 4612,83 1859,99 8368,86 3692,15 4722,54 h) 3491,92 6626,85 0 7083,56 8458,77 6098,52 4145,02 1879,86 5665,15 7106,64 4949,52 2419,15 4103,85 7399,53 6330,90 7734,18 9156,89 2248,61
Anteil der Geländeformen in % j
n
m
Gebirge
Vulkane
Vulkanhänge
54 41 41 63 34 44 57 69 31 45 40 30
7 12 11 10 9 13 8 5
IV
3 5 4 2 3 3 2 3
-
-
4 24
7 17
-
-
-
-
-
28 27 57 58 50 80 76 64 78 53 45 66 48 87 29 66 85 85 52 59 68 75 57 84 34 83 89 43 19 29 54 59 70 47 25
15 8 5 2 2 -
1 -
1 -
4 13 6 15
8 6 -
6
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
7
12
1
1
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
4 6 8 10 1 3
4 8 4 1 2 2 -
v
VI
v n
Hügel u. Bergfußflächen
Terrassenland
Tiefland
12 10 9 10 26 17 11 8 1 8 2 8 31 9 22 12 12 30 3 1 2 5 4 15 11 11 2 22 16 7 8 17 34 18 19 30 1 36 6 3 21 44 50 9 18 6 11
12 21 19 8 5 7 7 5 44 20 12 28 44 32 25 5 4 4 2 3 8 3 7 15 10 2 1 21
13 11 15 7 23 17 16 10 24 16 5 34 25 16 18 21 24 13 15 9 7 8 15 25 13 39 10 28 15 7 6 12 6 12 5 10 13 30 10 5 35 29 2 12 8 6 5 15
-
1 1 -
1 1 1 1 3 2 -
5 13 4 15 32 60
KüstenLänge, km
j) 29751,0 2904,2 681,1 669,8 842,7 255,2 113,8 147,0 171,7 -
492,4 755,6 413,0 575,7 142,9 657,2 408,2 -
509,6 530,1 1052,8 -
310,0 184,8 723,6 -
596,9 127,5 813,6 532,7 1069,8 1453,3 379,7 674,9 1561,2 684,6 655,6 364,1 4139,3 1107,0 638,7 398,0 1086,3 1626,5
A. Die Neuordnung des Staates
257
a) Die Erweiterung der Rohstoffbasis und des Absatzmarktes für die im Aufbau befindliche Industrie b) Die militärische Sicherung des Reiches gegenüber den Kolonialmächten c) Anpassung an den imperialistischen Stil der Kolonialmächte durch Errichtung eines eigenen Kolonialreichs und damit die Herbeiführung der Ranggleichheit mit den westlichen Industriestaaten. Während der Meiji-Zeit erwarb Japan die Ryükyüs südlich Amami Öshima, die Kolonialgebiete Taiwan (Formosa), Penghu (Pescadores, japan. Hokoto), SüdSachalin (Karafuto) und das Pachtgebiet Kantung (Liautung), insgesamt 77790 km2. Als Protektorat wurde Korea mit 220776 km2 angefügt; über die SüdMandschurische Eisenbahngesellschaft wurde die Wirtschaftsregion der SüdMandschurei mit mehr als 100000 km2 angegliedert. Insgesamt verfügte Japan damit über Außengebiete von nahezu 400000 km2; sie waren ebenso umfangreich wie die vier Kerninseln des Reiches, zu denen außer Kyüshü, Shikoku und Honshü nun auch Hokkaidö zählte, obgleich es gerade erst zur Meiji-Zeit zu einer ersten, durchgreifenden Entwicklung gebracht wurde. Im einzelnen erfüllten die genannten Außengebiete für den Aufbau eines Industriestaates verschiedene Funktionen. Taiwan, einschließlich Penghu, während der Meijizeit von 3 Mio. Menschen bewohnt, fiel nach dem Japanisch-Chinesischen Krieg (1894—95) im Frieden von Shimonoseki an Japan. Die Inseln, insgesamt eine Fläche von 35981 km 2 , waren die erste Kolonie Japans. Sie stellte Japan an die Seite der Kolonialmächte, und dies machte bereits 27 Jahre nach der Landöffnung deutlich, ein wie schwerer Verstoß gegen den Gedanken des Kokutai es gewesen wäre, wenn sich Japan in die Abhängigkeit fremder Mächte begeben hätte und selbst Kolonie geworden wäre. Das durch den Frieden von Shimonoseki gewonnene Ansehen stärkte das Nationalbewußtsein und die Überzeugung, daß der Vorgang der Industrialisierung vom Ausbau des militärischen Potentials begleitet sein müsse. Taiwan diente in erster Linie als kolonialwirtschaftlicher Ergänzungsraum für das Stammland: Es lieferte Nahrungsmittel (Reis, Zucker, Salz), Rohstoffe (Kampferholz, Tabak, Kohle) und erweiterte den Absatzmarkt. Als Siedlungskolonie bewährte es sich nicht. Noch 1905 machten die Japaner nur knapp 2% der Bevölkerung aus (29). Diese geringen Anteile setzten sich aus Verwaltungsbeamten, Technikern und Kaufleuten zusammen, die in der Mehrzahl in Taipei wohnten. In zweiter Linie diente
a) Seit 1975 gibt das Statistische Jahrbuch ein Staatsgebiet von insgesamt 377681,92 km 2 an. Dieser höhere Wert entsteht bei Hinzurechnung der vor der Ostküste Hokkaidös liegenden Inseln bzw. Inselgruppen Habomai (101,6 km 2 ), Shikotan (255,12 km 2 ), Kunashiri (1500,04 km 2 ) und Etorofu (3139,00 km 2 ), insgesamt 4995,76 km 2 . Die Inseln, die traditionell zu Japan gehörten, nach dem Zweiten Weltkrieg in sowjet.-russ. Verwaltung genommen wurden, beansprucht Japan zurück. Sieht man von deren Gebietsflächen ab, errechnen sich für das 1978 de facto bestehende Staatsgebiet 372686,01 km 2 . Für Hokkaidö ergeben sich statt 83 513,18 km 2 (1975 Popul. Census, Vol. 3, Pt. 1: Hokkaidö) nur 78518,18 km 2 . Vgl. hierzu Bd. 1, S. 3 - 4 b) Ohne Towada-See (59,77 km 2 ), der zu 2 Ken gehört: Aomori und Akita c) Einschließlich Inawashiro-See (103,87 km 2 ) d) Einschließlich Kahoku-Lagune (21,64 km 2 ) e) Einschließlich Suwa-See (14,06 km 2 ) f) Einschließlich Hamana-Lagune (69,32 km 2 ) g) Einschließlich Biwa-See (673,81 km 2 ) h) Ohne Naka-umi, das zu 2 Ken gehört: Tottori und Shimane i) Einschließlich Shinji-See (79,70 km 2 ). Zu diesen Seen s. Bd. I, S. 307-311. Die Flächen wurden neu vermessen; hierbei ergaben sich Differenzen zu früheren Vermessungen von 0 , 1 - 3 % . Stärkere Korrektur ist für den Shinji-See vorzunehmen. Die Differenz für die Kahoku-Lagune ergibt sich aus dem inzwischen ausgeführten Hafenbau. j) Nach Statistic of the Coasts, 1977 (Stat. d. Küsten, 1977)
258
4. Kapitel: Geographische Bedeutung der Meiji-Restauration
Taiwan machtpolitischen Zwecken, insbesondere, da sich Japan mit der Beteiligung an der Niederwerfung des „Boxeraufstandes" die Provinz Fukien als „Interessensphäre" erworben hatte und damit die Vorherrschaft über den Seeraum der Taiwan-Straße auszuüben vermochte. Korea war für die Bewohner des japanischen Archipels schon seit frühesten Zeiten der räumlich unmittelbarste Partner. Von Korea aus konnte das heutige Inselreich bis etwa zum Jahre 10000, als der Einbruch der Korea- und Tsushimastraße erfolgte, sogar bewandert werden. Dieser Einbruch hat die Beziehungen nicht zerrissen, sie wurden zu Schiff fortgesetzt. Einwanderer kamen über die koreanische Landmole und brachten in wiederholten Strömen chinesisches und koreanisches Kulturgut auf die Inseln und japanische Machthaber fühlten sich wiederholt verlockt, ihre Herrschaft über die Meeresstraßen hinweg nach Korea auszudehnen. Wie ein Akt der Nachahmung dessen, was die westlichen Mächte Japan abgefordert hatten, erscheint das Vorgehen Japans gegen das ebenfalls vom Ausland abgeschlossen gewesene Korea; Japan vollzog die Landöffnung Koreas durch einen Gewaltakt im Jahre 1875 5 und auferlegte dem Inselstaat 1876 einen ähnlich ungleichen Vertrag, wie er ihm selbst zugemutet worden war: „In 1876 Japan concluded a treaty of amity and commerce with Korea in the same unequal terms as these forced on herseif by the Western powers and for the first time this opened up that hermit nation to world commerce" (8, 129). Mit diesem Vorgang erstrebte Japan die Beseitigung der politischen Einflußnahme Chinas, das Korea als selbstverständliches Anhängsel seines Reichs verstand und sogar Truppen im Land unterhielt. Die Verwicklungen mit China auf koreanischem Boden waren es schließlich, die zum Japanisch-Chinesischen Krieg 1 8 9 4 - 9 5 mit dem Ergebnis führten, daß beide Länder die Selbständigkeit Koreas anerkannten; de facto hatte Japan damit eine Ausgangslage zur Gewinnung der Vorherrschaft gewonnen, die es um so nachdrücklicher nutzte, als die Russen gefährlich zu werden drohten; denn Rußland hatte sein besonderes Interesse am koreanisch-mandschurischen Raum schon damit bekundet, daß es die von Japan im Frieden von Shimonoseki erhobene Forderung nach der Liautung-Halbinsel (Kantung) zu Fall gebracht hatte. Die kurz darauf 1876 erfolgte Gründung der Russisch-Chinesischen Bank, die Verwandlung der Liautung-Halbinsel zum russischen Pachtgebiet 1898, der Bau einer von der Transsibirischen Eisenbahn in Harbin abzweigenden Bahnlinie bis nach dem in Liautung errichteten Kriegshafen Port Arthur (Lu-shun) ließen zur Genüge die Absicht erkennen, für Vladivostok am Golf von Chili einen eisfreien Ausweichhafen zu schaffen. Mit dieser Gefahr erhielt Korea das Gewicht einer strategisch höchst wichtigen Flankenstellung. Der Eisenbahnbau von Pusan bis nach Antung an der mandschurischen Grenze war weniger ein Akt der Landesentwicklung als die strategische Antwort auf die russische Absicht, Korea in die Zange zwischen Vladivostok und den Golf von Chili zu nehmen. Die Gegensätze lösten den Japanisch-Russischen Krieg 1 9 0 4 - 0 5 aus. Der Friedensvertrag von Porthmouth (New Hampshire) erbrachte Japan folgenden Macht- und Gebietszuwachs: 1. Rußland verzichtet auf jede Einmischung in die Interessen Japans in Korea; 2. Die russischen Pachtrechte von Port Arthur und Kantung gehen auf Japan über; 3. Die Mandschurische Eisenbahn wird in ihrer südlichen Hälfte, d. h. von Changchun bis Dairen (Talien), an Japan abgegeben; 4. Rußland und Japan verpflichten sich, außer für den Schutz der Eisenbahn kein Militär in der Mandschurei zu stationieren; 5. Rußland tritt den Karafuto genannten südlichen Teil Sachalins an Japan ab. Aus diesen Vereinbarungen leitete Japan 1906 das Recht ab, die Verwaltung Koreas zu übernehmen und 1910 Korea als Protektorat ins Japanische Kaiserreich einzuverleiben. Für den industriellen Aufbau Japans bedeutete dies: a) Erweiterung des Absatzmarktes um die (1910) 13 Mio. zählende koreanische Bevölkerung; b) Ausweitung des Absatzmarktes über die nordkoreanische Grenze hinweg bis in die SüdMandschurei; 5 Infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen mit Japan (TOYOTOMI HIDEYOSHI) und den Mandschu, den späteren Begründern der Ching-Dynastie in China, verschloß Korea 1640 seine Grenzen gegenüber dem Ausland. Wie in Japan, durfte auch hier niemand das Land verlassen, und kein Fremder durfte es betreten. Japan erzwang die Öffnung der Häfen Pusan, Inchon und Wonsan. Erst 1882—1884 wurden Verträge auch mit den U.S.A., mit England, Rußland und Preußen geschlossen ( A N D R É ECKARDT: Korea. Baden-Baden 1960, S. 6 9 - 7 1 ) .
A. Die Neuordnung des Staates
259
c) Zuwachs an Bodenschätzen, insbesondere an Gold, Steinkohle und Wolframerz; d) Möglichkeiten für den Baumwollanbau; e) Verbreiterung der Grundlage für die Ernährungswirtschaft durch die koreanische Reisproduktion und den Anbau von Sojabohnen; Erweiterung der Fanggebiete für die japanische Fischerei. Kantung und die Südmandschurische Eisenbahn (SMR)-Zone Das Kantung-Pachtgebiet umfaßte mit 3462 km 2 das Südende der Liautung-Halbinsel, die eine Schlüsselstellung für die Erschließung der gesamten Mandschurei einnimmt, da deren eigentliches Tor, die Ebene des Liau-ho, mit einer flachen Schwemmlandküste ans Meer grenzt und den Seeverkehr, wie dies der Flußmündungshafen Yingkow erwiesen hatte, außerordentlich erschwert. Die Vorteile der buchtenreichen Küste von Liautung waren schon von den Russen gesehen worden; sie hatten die Fischereihäfen Lushun und Talien unter den Namen Port Arthur und Dalny zu Endpunkten der Mandschurischen Eisenbahn gemacht. Im Friedensvertrag von Portsmouth (1905) wurden das Kantung-Gebiet, die Eisenbahn zwischen Port Arthur und Changchun, deren Zweiglinien sowie die Kohlengruben entlang dieser Bahn, insbesondere Fushun und Yentai, an Japan gegeben. Im Vertrag zu Peking vom 22. 12. 1905 erhielt Japan das Recht, die im Krieg angelegte Eisenbahnstrecke von Antung nach Mukden weiterhin zu bewirtschaften und auszubauen (30 a, 194-198). Insgesamt verfügte Japan damit über 1125 km Eisenbahnstrecke und im Kantung zusätzlich 260 km 2 Land in Form von Schutzstreifen entlang dieser Eisenbahnen. Ausstrahlungszentrum für die wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten der Eisenbahnzonen wurde Dalny, das nach raschem Ausbau zum Großhafen unter dem Namen Dairen 1907 für den Weltverkehr freigegeben werden konnte.
Dairen war nicht nur Sitz des Generalkommandos der Kantung-Armee, sondern auch das Zentrum der 1906 gegründeten „Südmandschurischen Eisenbahngesellschaft" (SMR Company), in deren Hand die gesamte Verwaltungs- und Entwicklungsarbeit von Staatswegen gelegt wurde (30a, 203—214). „Die South Manchurian Railway Company ähnelte der English East India Company in Organisation und Funktion. Sie war eine halbstaatliche kolonialpolitische Gesellschaft, die finanziell zur Hälfte vom Staat getragen wurde und mit der Wahrung japanischer Interessen in der Mandschurei beauftragt war" (8, 130). Für den Aufbau der japanischen Industrie erlangte die Mandschurei bald hohen Wert. Die Kohle-, Ölschiefer- und Eisenerzlager bedurften zwar der Erschließung, erwiesen sich aber als große Hilfe; die Agrarproduktion der Mandschurei verbreiterte die Ernährungsbasis und gab dem Außenhandel neue Impulse. Gleichzeitig stand Japan mit seinen wirtschaftlichen Niederlassungen in der Mandschurei unmittelbar vor dem Tore des potentiell größten Absatzmarktes der Erde, dem China hinter der Großen Mauer von Shanhaikwan. Karafuto (Süd-Sachalin) mit der Nordgrenze am 50. Breitengrad wurde nach Artikel IX des Friedensvertrags von Portsmouth an Japan gegeben; in Artikel XI wurden Fischereirechte vor den russischen Küsten der Beringsee, des Ochotskischen Meers und der Japansee eingeräumt. Der 36 090 km 2 große Inselteil wurde zunächst unter Militärverwaltung gestellt, die 1907 von einer Zivilverwaltung abgelöst wurde; seit 1917 trug das Kolonialministerium die Verantwortung (21, 88). Für die wirtschaftliche Entwicklung Japans stellte Karafuto fischreiche Küstengewässer, Lagerstätten tertiärer Kohle von mittlerem bis geringem Heizwert und holzreiche Wälder bereit, die rd. 90% des ganzen Landes überzogen und zum weitaus größeren Teil (63%) aus Nadelbäumen bestanden, vor allem aus Tannen (Abies sachalinensis) und Fichten (Picea jezoensis). Ausgebeutet wurde in der ersten Phase der Kolonisationsarbeit nur das Meer, weshalb die im Friedensvertrag zugebilligten Fischereirechte an den russischen Gegenküsten besonders willkommen waren. Einen Absatzmarkt bot die noch sehr wenig bewohnte Kolonie in nur geringem Maße dar.
Hokkaidö war bis zum Ende der Tokugawazeit die einzige Region Japans geblieben, deren Wirtschaft nicht auf Ackerbau, sondern auf der Ausbeutung des Meeres beruhte. Was im kaiserlichen Edikt von 1869 enthalten war, mußte in vollem Umfang für Hokkaidö gelten: Die Insel ihrer strategischen Bedeutung
260
4. Kapitel:
Geographische
Bedeutung
der
Meiji-Restauration
wegen zu erschließen und auch in ihrem wirtschaftlichen Potential zu entwickeln. Zur Durchführung der Binnenkolonisation bildete man ein Entwicklungsamt, das Kaitakushi. Es hatte anfangs seinen Sitz in Hakodate, siedelte aber nach Sapporo um, das man 1870 als Hauptstadt der Insel am Toyohiragawa in der nördlichen Ishikari-Ebene aufzubauen begann. Drei verschiedene Personengruppen boten sich als Kolonisten an: Die angeworbenen freien Einwanderer, die seit der MeijiReform funktionslos gewordenen Samurai und die im Dienste von Klöstern und anderen Großgrundbesitzern stehenden Menschen, soweit sich deren Herrschaften um Neubesitz in Hokkaidö bewarben. Unter den freien Einwanderern befanden sich vornehmlich besitzlos gewordene Bauern aus Tohoku und Hokuriku, die noch am ehesten den harten ökologischen Bedingungen im Norden gewachsen waren. Aber sie folgten der Werbung nur zögernd. Von durchschlagender Wirkung war die Entwicklung des Kolonialmilizsystems mit Hilfe der Samurai. Wie die Tondenhei des 8. Jahrhunderts, die den Grenzbereich gegen die Ainu in Tohoku zu sichern hatten, sollten die Samurai als bäuerliche Soldaten zwei Funktionen ausüben: Das Land entwickeln und sichern. Es wurden Tondenhei-son gegründet, agrarwirtschaftliche Soldatendörfer von meist 220 Haushalten (31 u. 11, 100). Diese Dörfer zogen auch freie Einwanderer an, die sich in der Nähe der Tondenhei geborgen fühlen konnten. Von 1875 bis 1899 ließen sich 7337 Tondenhei mit ihren Familien auf 39 Plätzen nieder, die sich über die Shichö Ishikari, Kamikawa, Nemuro und Kushiro verteilten; auch Muroran gehörte dazu. Nach Erledigung der ersten Pionieraufgaben wurde das Kaitakushi 1882 von der Präfekturverwaltung abgelöst; in ihr wurde die Landesentwicklung einer besonderen Abteilung übergeben; es ist seit 1951 das Kaihatsu-kyoku. Für die Landesentwicklung am vordringlichsten ergaben sich folgende Aufgaben: Erstellung einer Verkehrsinfrastruktur unter Nutzung der naturräumlichen Gliederung, insbesondere der natürlichen Leitlinien der Insel; Gliederung des Landes für die mittlere Verwaltungsebene; Schaffung der Shichö-Verwaltungen; Erstellung eines agrarwirtschaftlichen Entwicklungsplanes unter Berücksichtigung der besonderen und z. T. sehr nachteiligen ökologischen Bedingungen (vgl. Bd. 1, S. 284-292); Einordnung des Inselgebietes in den vorgesehenen Industrialisierungsvorgang des Reiches, insbesondere die Entwicklung des Kohlebergbaus und von Häfen. Um 1900 lag die Einwohnerzahl bei der Millionengrenze; für die mehr als 78 500 km 2 große Insel ergab das eine mathematische Bevölkerungsdichte von nur 13; ein Kennzeichen für die Entwicklungsbedürftigkeit. Die Ryükyüs südwärts Amami Öshima, noch während der Tokugawazeit ein selbständiges Königreich mit der Hauptstadt Shuri auf Okinawa, wurden infolge ihrer unklaren Haltung gegenüber China und Japan im Zuge der Auseinandersetzungen mit China schon 1879 als Okinawa-Ken ins Japanische Reich eingegliedert. Es handelte sich um einen Gebietszuwachs von 2248 km 2 mit einer Bevölkerung von 330000 Menschen (über die Gebietsgliederung s. Bd. 1, S. 2). Im Gegensatz zu Hokkaidö, wo die 16000 einheimischen Ainu für die Landesentwicklung ohne Bedeutung blieben, stellte sich für Okinawa das Problem einer Auseinandersetzung mit volkseigener Tradition in aller Deutlichkeit. Die Bevölkerung hatte während der Tokugawazeit gleichsam vor der Tür gestanden, war für Fremdeinfluß offen gewesen und hatte weder an der Entwicklung der Geisteskultur unter den Tokugawa noch an der Entstehung eines japanischen National-
B. Die Neugliederung
der
Gesellschaft
261
gefühls teilnehmen können; ihre Verhaltensweisen, ihre Sozialstruktur und ihre Wirtschaftsorganisation unterschieden sich wesentlich von den Erscheinungsformen im Reichsverband. Es entstand zunächst eine Situation der Verlegenheit, die sich im „Do Nothing" ausdrückte, wie G . K E R R dies nannte ( 1 0 , 4 0 0 ) . Wirtschaftlich anzubieten hatte Okinawa dem Reich nichts außer der Möglichkeit einer kleinen ernährungswirtschaftlichen Hilfe, die in der Verwandlung von Reisfeldern in Zuckerrohrfelder bestand, wodurch die Zuckererzeugung im Verlauf von 25 Jahren vervierfacht werden konnte. Der Wert der Ryükyüs lag in ihrer strategischen Lage zwischen den Hauptinseln Japans und Taiwans sowie in ihrer Funktion der ozeanwärtigen Begrenzung des Ostchinesischen Meers. Ogasawara bzw. Bonin-Inseln, 106 km 2 , verteilt auf 3 Inselgruppen und 4 einzelne Eilande (s. Bd. 1, S. 3, 74 u. 162), wurden 1880 ins Reich einverleibt und werden seither von Tokyo aus verwaltet. Mit ihnen stößt das Japanische Reich am weitesten in den offenen Ozean nach Süden vor.
B. Die Neugliederung der Gesellschaft I. Die A n b a h n u n g einer vor dem Gesetz homogenen Gesellschaft Die Abkehr von der mittelalterlich-feudalistischen Gesellschaft bei gleichzeitiger Anpassung an die Verhältnisse der westlichen Welt erforderte ein geradezu schlagartiges Handeln. Es glich einer „Revolution", die freilich von oben her erfolgte. Das Kaiserliche Dekret vom 17. 6. 1869 (Meiji 2) erklärte a) alle Japaner zu unmittelbaren Untertanen des Tennö b) alles Land als Eigentum des Tenno c) die Gliederung des Staatsvolks in drei Klassen (1, 329): 1. Kazoku, der Hochadel. Zu ihm rechneten die ehemaligen Hofbeamten (Kuge) und die ehemaligen Daimyö. Im einzelnen wurden 5 Stufen unterschieden: Fürst, Marquis, Graf, Vicomte, Baron. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Adel als Stand abgeschafft, sogar das Tragen des Adelstitels wurde untersagt. 2. Shizoku, die ehemaligen Samurai. Diese Standesgruppe erlosch erst 1938 durch Gesetz, obgleich sie bereits 1906 ihre Vorrechte verloren hatte und seither im Bürgerstand aufzugehen begriffen war; 3. Heimin, die Bürger. Zu ihnen gehören seit 1869 grundsätzlich alle Zugehörigen des Volkes, seit Ende des Zweiten Weltkrieges auch der Adel: das gesamte Regierungspersonal, Bauern, Kaufleute, Arbeiter und Angestellte, aber auch die Eta und Hinin, die man inzwischen als Buraku-min zusammenfaßt, als welche sie noch immer um ihre gesellschaftliche Anerkennung de facto ringen ( 3 4 , 3 4 1 - 3 4 4 ) . Für alle Staatsbürger gilt seither freie Berufswahl sowie — nach Gesetz — Freiheit bei der Wahl des Ehepartners.
4. Kapitel: Geographische Bedeutung der
262
Meiji-Restauration
II. Die Maßnahmen zur Eingliederung des Adels und der Samurai in den zu entwickelnden Industriestaat 1. Die Eingliederung des Adels
(Kazoku)
Die Auflösung der Daimyate erfolgte, von einigen Widerstand leistenden Fürsten abgesehen, zum größten Teil ohne Schwierigkeiten. Die Daimyö von Chöshü, Hizen, Satsuma und Tosa gaben in Erkenntnis der nationalen Notwendigkeit die Lehnsrechte an den Tennö zurück. Dem Beispiel folgten viele andere. Sie blieben zunächst „als kaiserliche Gouverneure an der Spitze ihrer Clans und erhielten ein Gehalt in Höhe eines Zehnten ihrer früheren Einkünfte (1, 329). Da ihr weiteres Verbleiben in ihren Burgen im Vorgang der neuen Verwaltungsgliederung als potentiell störend und disharmonisch empfunden wurde, hatten sie ihren Wohnsitz in ihrem aus der Tokugawazeit überkommenen Anwesen (Yashiki) einzunehmen, das sie bei Aufhebung der Sankin Kötai verlassen hatten. Schon 1871 hatten sie die Eigenschaft eines kaiserlichen Gouverneurs verloren und erhielten als Abfindung eine Pension in Höhe der seit 1869 bezogenen Einkünfte. Negativ bedeutete diese Regelung die abschließende Sinnentleerung aller Burgen im Lande; positiv wirkte sie als Neubelebung von Tokyo infolge der Rückkehr finanzkräftiger Einwohner. Die Burgen der Jökamachi wurden vom Staatsfiskus übernommen. Einige Daimyögeschlechter traten in den Staatsdienst. Nabeshima Kansö, vorher Daimyö von Hizen, wurde 1869 Leiter des Kolonialamtes (Kaitakushi) für Hokkaidö. 2. Die Eingliederung der Samurai
(Shizoku)
Um 1868 gab es etwa 500000 Samurai, mit ihren Familien waren sie eine Gruppe von 2 Millionen Menschen. Das waren 6% der für 1872 auf 34,8 Mio. geschätzten Bevölkerung. Diese Masse funktionslos gewordener, qualitativ wertvoller Menschen in die sich anbahnende Industriegesellschaft einzugliedern, erforderte weit vielfältigere Maßnahmen als sie für die Verabschiedung der nur etwa 500 männlichen Mitglieder der Kazoku zur Überlegung standen. In fast allen Berufszweigen suchte man für die Shizoku Wege zu öffnen. Naheliegend war die Verwendung in der nach europäischem Muster aufzubauenden Militärmacht, wenn auch die 1871 eingeführte allgemeine Wehrpflicht die Samurai insofern bekümmert hatte, als sie sehen mußten, wie sich ihr Privileg im Volk insgesamt auflöste. Eine zweite Möglichkeit lag in der Hinwendung zur Landwirtschaft. Sie hatten im Zuge der Neuordnung zwar ihren Landbesitz verloren, durften aber für die ihnen hierfür gewährte Pension erneut Land erwerben. Eine Erwerbsschleuse öffnete sich mit der 1869 ins Werk gesetzten Erschließungsarbeit auf Hokkaidö, dessen Entwicklungsbehörde (Kaitakushi) Samurai als Pionierbauern für die Gewinnung großer Rodungsflächen anwarb. Die Samurai, die dem Ruf folgten, wurden zu Soldatenbauern, wie dies die Tondenhei im 8. Jh. gewesen waren. Selbstverständlich waren sie äußerlich nicht mehr als Samurai zu erkennen; das Schwert zu tragen, war ihnen schon 1876 untersagt worden. Andere Samurai traten in den Verwaltungsdienst ein oder aber sie überwanden die ihnen anerzogene Mißachtung des Geldes und wurden Kaufleute, wie dies in der Tokugawa-Zeit schon viele getan hatten, wenn sie sich mit Kaufleuten verschwägerten. Insbesondere wurde der Erfolg des Hauses MITSUI zum Leitstern.
B. Die Neugliederung
der
Gesellschaft
263
Auch SHIBUSAWA und IWASAKI, beide führend in der neuen kapitalistischen Gesellschaft, waren Samurai der unteren Schicht gewesen. Personell sahen sich Wirtschaft und Politik sehr bald so stark von ehemaligen Samurai durchdrungen, daß TAKAHASHI sagen konnte, die Restauration verschob die Macht nicht aus dem Samuraistand heraus, sondern löste nur innerhalb dieses Standes, allerdings im Kleide des Bürgers, einen Wandel von unten nach oben aus (27, 171 — 175). Allerdings wäre dies ohne die kapitalstarken Kaufleute nicht möglich gewesen; denn sie liehen das Geld, machten die Samurai handlungsfähig und zogen daraus viel sicherer als in den vergangenen Zeiten ausreichenden Profit. Die Ösaka-Kaufleute finanzierten auch die Kämpfe gegen jene Daimyate, die sich der Restaurationsbewegung zu widersetzen versuchten. Da 70% des japanischen Kapitals in Osaka lagen, ist sogar bezweifelt worden, ob ohne Osaka die Meiji-Regierung aktionsfähig gewesen wäre (27). 3. Die Stellung der Bauern in den Jahren der Meiji-Restauration Die Ablösung der Feudalherrschaft wurde als Bauernbefreiung empfunden. Die Wiedereinsetzung des Tennö als alleinigen Eigentümer jedweden Landes zog eine neue Grundbesitzordnung nach sich. Sie erlaubte dem Bauern, Land zu kaufen und zu verkaufen und befreite ihn von den Einschränkungen in der Wahl seiner Anbaufrüchte. Da die bäuerliche Bevölkerung 80% der Bevölkerung insgesamt ausmachte, war die Bauernbefreiung ein Vorgang von durchgreifender, den Staat bejahender Wirkung. Freilich auferlegte das Reformwerk der zahlenmäßig stärksten Gesellschafts- und Wirtschaftsgruppe auch den bedeutendsten Anteil am Steueraufkommen. FUKUTAKE vertritt die Auffassung, daß es „nicht übertrieben sein würde, wenn man sagte, die japanische Wirtschaft entwickelte sich auf Kosten der Landwirtschaft" (3, 5). Die neue Besitzordnung machte im übrigen allein schon aus steuerlichen Gründen eine reichsweite Nutzflächenaufnahme erforderlich, wobei es nach Möglichkeit jede einzelne Parzelle zu erfassen galt. Die Angaben aus der Feudalzeit waren nicht verwendbar. Die Bemühungen der Daimyö, ihr Naidaka gegenüber dem Omotedaka u. a. auch durch Ausweitung der Nutzfläche unkontrolliert zu erhöhen, war von den Bauern nachgeahmt worden; auch sie hatten sich Nutzlandstücke zugelegt, die „geheim" blieben und damit der Besteuerung entgangen waren und noch entgingen. Zwischen den Angaben in den Grundbüchern und den wirklich bewirtschafteten Flächen bestanden Unterschiede, die erst 1950 beseitigt wurden 6 . Die Ermittlung der nawanobi bzw. der Geheimparzellen war ein zeitraubender Vorgang. Trotz der Mängel, die infolgedessen der ersten Nutzflächenaufnahme anhaften mußten, war die Erstellung eines Katasters, das erstmals in der japanischen Geschichte die Besitzer der Landstücke, das Areal und dessen Bodenwert bis zur einzelnen Parzelle (hitsu) sowie die erhebbare Steuerlast festlegte, nicht nur eine in den wenigen Jahren von 1873 bis 1876 erbrachte große Leistung der neuen Beamtenschaft, sondern auch ein Aktenwerk von grundlegendem Wert für alle folgenden Jahre. Für das Wald- und Ödland wurde die Katasteraufnahme 1881 abge6 Großbauern wie Kleinbauern und Pächter waren bei der Katasteraufnahme 1873 daran interessiert, daß das nawanobi übersehen wurde. Durch Bestechungspraxis ist manche Fläche der Aufnahme entglitten. Vgl. hierzu Ogura, Lit. 14, Fußnote 18.
264
4. Kapitel: Geographische Bedeutung der
Meiji-Restauration
schlössen (14, 22). Damit waren die Voraussetzungen für die Erarbeitung von einigermaßen zuverlässigen Daten über die Landnutzung Japans ab 1882 geschaffen. Für die vorangehenden Jahre waren seit 1877 Angaben im Nosanhyö (Statistiken für landwirtschaftliche Produkte) erschienen; sie betrafen überall vorkommende und 28 auf örtlichkeiten beschränkte Feldfrüchte. Diese Fakten wurden später in Übersichten zur agrarwirtschaftlichen Entwicklung berücksichtigt. Die Verwaltungsreform von 1871 — 1885, die das Land in Präfekturen bzw. Ken gliederte, schuf auch das „Administrative Dorf", das der Zwischeninstanz bzw. dem Gun unterstellt wurde. Zahlreiche geographisch selbständig erscheinende Siedlungskörper - gewachsene oder „natürliche" Dörfer, verloren ihren dorfgemeindlichen Eigenwert und wurden zu Ortsteilen oder „Buraku" eines bäuerlich stärkeren Dorfes oder Mura bzw. einer Kleinstadt (chö, machi).
2. Abschnitt Idee und Wirklichkeit im Vorgang des wirtschaftlichen Anpassungszwangs an die westliche Welt A. Die problematischen Voraussetzungen für die Industrialisierung Japans So vordringlich und „not"-wendig man die industrielle Entwicklung auch betrachtete, so wenig konnte man die Augen darüber verschließen, daß einige natürliche Gegebenheiten und einige im menschlichen Bereich liegende Umstände der Verwirklichung des Vorhabens entgegenstanden. So vorteilhaft die von den Tokugawa geschmiedete Staatsordnung in der Situation der Herausforderung zur Öffnung des Landes war, so nachteilig mußte sich die überlieferte Konzeptionslosigkeit auf allen Gebieten der Wirtschaft erweisen. Der finanzpolitische Egoismus der Shögune hatte sich in den dualistischen Formen der Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Montanwirtschaft und des Gewerbes niedergeschlagen und hatte nirgends eine Vorstellung vom nationalen Wirtschaftspotential zur Entwicklung kommen lassen. Erst jetzt wurde sichtbar, wie arm an organischen wie mineralischen Rohstoffen und an Energiequellen der Archipel für den Aufbau einer Industriewirtschaft war, wie es an Verkehrseinrichtungen moderner Art ebenso mangelte wie an technischem „Know-how", an Kapital und Unternehmergeist. Die Summe der unzureichenden Grundlagen für eine Industrialisierung hätte davon abhalten können, den Konkurrenzkampf mit den westlichen Ländern aufzunehmen; denn der Vorteile, die man einzubringen vermochte, konnte man sich noch nicht bewußt sein. Es waren vornehmlich drei: Die einmalig günstige, aber während der Landabschließung nicht inwertgesetzte natürliche Infrastruktur für den Seeverkehr; das hohe moralische Niveau des Volkes bis in die Menschenmassen der Bauern und Handwerker hinein; die Arbeitskraftreserven, die an Tiefe noch gewinnen konnten, wenn man die Zahl der Kinder durch mabiku nicht weiterhin beschränkte. Das Spannungsverhältnis zwischen den Faktoren, die einer Industrie-Entwicklung entgegenstanden und jenen, die sie fördern konnten, gilt es zu überprüfen, bevor die vollbrachte Leistung gewürdigt werden kann.
B. Die ungünstigen Faktoren für die
Industrialisierung
265
B. Die ungünstigen Faktoren für die Industrialisierung I. Die Rohstofflage 1. Agrar- und meereswirtschaftliche
Rohstoffe
Die Agrarwirtschaft stand bis zum Beginn der Meiji-Zeit vorwiegend im Dienste der Volksernährung. Als Grundlage für die Entwicklung einer umfangreichen Industrie boten sich ihre Produkte nicht an. Die Herstellung von gebrauchsfertigem Tee und Tabak sowie die Brauerei von Sake vollzogen sich in häuslichen Betrieben, z. T. im Nebenerwerb. Eine gewerbefördernde Sonderstellung nahm seit dem 7. Jh. die mit dem Anbau von Maulbeersträuchern verbundene Seidenraupenkultur ein. Das meist in Bauernhäusern erzeugte Seidengarn wurde nach chinesischem Vorbild in städtischen Seidenwebereien verarbeitet. Der Stadtteil Nishijin in Kyoto war dabei führend gewesen. Mit der Verlegung des Shögunats nach Edo (Tokyo) war ein zweiter Absatzmarkt für Seidenstoffe und Brokate im Kanto entstanden und mit ihm waren Maulbeer- und Seidenkultur nordwärts bis Akita und Morioka gewandert 7 . Seide und Tee gelangten bei der Landöffnung zu Bedeutung; sie gehörten zu den wenigen Exportgütern, mit denen die hohen Importkosten für technische Artikel wenigstens zu kleinem Teil ausgeglichen werden konnten. Ihr Anteil am Exportvolumen lag 1868 bei 60% (18). J. R E I N hat mit seiner „Übersichtskarte zur Verteilung der Seiden- und Tee-Cultur" (19) die Regionen gekennzeichnet, wie sie sich um 1875 darboten. Als Hauptanbaugebiete des Maulbeerstrauchs nennt er Gumma, Yamanashi und Nagano, in zweiter Linie Fukushima mit den Seidenmärkten Miharu, Nihommatsu, Motomiya und Sukagawa. Für den Seidenbedarf des Hofes in Tokyo und für den schon 1859 gegründeten Außenhandelshafen Yokohama lagen die Anbaugebiete sehr günstig. Die Orientierung der Seidenerzeugung auch am internationalen Markt war für Japan etwas grundsätzlich Neues. Sie förderte die Landesentwicklung nachhaltig. Ein Zufall war für die Seidenerzeugung zum Innovationseffekt geworden: Seit 1845 waren in Europa bei Kartoffel, Weinstock und Seidenraupe Krankheiten aufgetreten, die in den Jahren 1860-1870 Ostasien erreichten, wobei nur Japan ausgespart blieb. Diesen Vorteil nutzend, dehnte man die Anbauflächen für Maulbeersträucher von 93 000 ha (1884) auf 242000 ha (1890) aus. Mit 700000 ha fand der Maulbeerstrauch 1930 seine größte Verbreitung. Von der Nutzfläche insgesamt nahm er 12% ein (29); auf die Trockenfelder bezogen, waren dies 22%. In rascher Aufwärtsentwicklung waren die Maulbeerfelder nach dem ersten Meiji-Jahrzehnt zu einem Charakteristikum der Agrarlandschaft geworden. Dennoch konnte die Seidenindustrie nicht zu einer Kernindustrie werden, die Japan an die Seite der großen Industrieländer hätte stellen können. Das galt erst recht für die Teegewinnung, die im übrigen trotz
7 Maulbeerbaum (Morus alba), japan. Kuwa, wird als Baum, als Halbstamm, aber am häufigsten als Strauch genutzt. Wenn man die Pflanze nach Art der Korbweidenkultur köpft, treibt der sich bildende Kopf jeden Sommer eine große Zahl von Ruten voll von großen Blättern. Bei Halbstammkultur köpft man in 1 - 2 m Höhe, wobei die Abstände Simultankulturen zulassen. Diese Form der Nutzung sah Verf. in Töhoku. D i e Nutzung des hochstämmigen Baums ist heute nicht mehr üblich. In diesem Band wird für die verschiedenen Wuchsformen im allgemeinen der Ausdruck „Maulbeerstrauch" verwendet.
266
4. Kapitel: Geographische
Bedeutung der
Meiji-Restauration
ihrer Exporte einer nur geringen Ausweitung der Anbaufläche bedurfte. Mit 63000 ha im Jahre 1892 hatte sie bereits ihre größte Ausdehnung gewonnen (14, 162). Ohne merklichen Aufschwung blieben der Tabakanbau und die Tabakindustrien. Von geringem Erfolg war auch das Bemühen, den Baumwollanbau zu verstärken. Die aus der Tokugawazeit übernommene Anbaufläche konnte zwar bis auf 98 000 ha erhöht werden, fiel aber bald wieder zurück. Mit 40 000 ha war sie 1898 kleiner als die Anbaufläche für Tabak, und zu Ende der Meiji-Zeit war sie soweit geschrumpft, daß sie als kulturlandschaftliche Seltenheit betrachtet werden konnte (14, 158). Die heimische Baumwolle war weder in Quantität noch in Qualität konkurrenzfähig zur importierten Ware. Über Wolle verfügte Japan nur sehr spärlich. Japan war nie Weideland; Schafhaltung wurde nur vereinzelt betrieben 8 . Als man 1935 einen Plan zur Entwicklung der Schafhaltung entwarf, betrug der Anteil der heimischen Rohwoll-Erzeugung am industriellen Bedarf nur 0,1%. Weithin abgeblendet war zu Beginn der Meiji-Zeit noch die Milchwirtschaft. Wie in der Vergangenheit waren Kühe wie Ochsen nur Zug- und Lasttiere. Die Milch „gehört ausschließlich dem säugenden Kalbe und versiegt, sobald dasselbe entwöhnt wird", beobachtete J. R E I N (19, 217). Nur vereinzelt traf man in den großen Städten auf Viehhaltung zur Gewinnung von Milch. Das Meer hielt ein reiches Angebot von Lebewesen für die Entwicklung der Ernährungswirtschaft bereit. Der Arten- und Individuumreichtum an Fischen, Crustaceen, Mollusken und das Vorkommen von Walen wurde in Bd. 1 (S. 445— 457) behandelt, ebenso die Meeresalgenkulturen an den Küsten (S. 404-405). Zu Beginn der Meiji-Zeit beschränkte sich die Fischereiwirtschaft noch auf die küstennahen Regionen; sie griff erst mit dem Bau motorisierter Boote wirksam nach der Hochsee aus. Eine Fischkonservenindustrie europäischen Musters erlangte erst im Japanisch-Chinesischen Krieg von 1894—95 einige Bedeutung. Zum Export kamen Fischkonserven erstmals nach 1905. 2. Forstwirtschaftliche
Rohstoffe
Japan ist Waldland. Der bedeutendste organische Rohstoff war schon immer das Holz (s. Bd. 1, S. 353-408). Fast 66% des Landes sind Waldbodenflächen. Auf der Grundlage des Holzreichtums konnte schon 1889 eine in europäischer Technik arbeitende Papierbrei- und Papierfabrik errichtet werden, die Öji Paper Mfg Co. Das seit der Nara-Zeit bekannte handgeschöpfte Papier aus Papierstrauchrinde, traditionell in Bauernhäusern erzeugt, war noch immer sehr beliebt, so daß der Anbau von Papierfabriken europäischen Musters nicht zu den vordringlichsten Aufgaben gehörte. Europäisches Papier wurde aber besonders für Zeitungen, Schulbücher und Zeitschriften benötigt. Für Papiergeld und Urkunden bevorzugte man noch lange Zeit handgeschöpftes Papier; die Statistik von 1910 führt noch 28000 ha Papiermaulbeerflächen auf (14, 158).
8 Ogura (14) führt für das Jahr 1898 erstmals die Zahl der Schafe auf: 2462; bis 1920 stieg sie auf 9353, erreichte 1957 mit 9 4 4 9 4 0 ihren höchsten Wert und sank bis 1966 auf 146270. Das J. Stat. Yb. 1977 gibt für 1976 nur noch 10190 an, die sich auf 2190 Hauhalte verteilen.
B. Die ungünstigen Faktoren für die Industrialisierung
3. Montanwirtschaftliche
267
Rohstoffe
a) Erze Für die Entwicklung einer leistungsfähigen Schwerindustrie waren die Erzlagerstätten quantitativ und qualitativ von Anfang an unzureichend (22, 96—108). Eisenerze, wenn auch weit verbreitet, kommen von wirtschaftlicher Bedeutung nur bei Kuchan (Hokkaido) und Kamaishi (Iwate) vor. Die Hälfte der geschätzten Vorräte entfällt auf Kamaishi. Hier wurden sie vor 200 Jahren entdeckt und erstmals genutzt; bergmännisch abgebaut werden sie erst seit der Meiji-Zeit. Es handelt sich um magnetisches Eisenerz von 33—44% Fe-Gehalt in einer Kontaktzone von sauer magmatischen Gesteinen mesozoischen Alters und paläozoischen Sedimentgesteinen. Das Kuchan-Erz hingegen ist limonitisch und stellt den Niederschlag eisenhaltiger Quellen vulkanischen Ursprungs dar; die Erzkörper sind in vulkanische Massen eingebettet. Verbreitet sind eisenhaltige Sande, denen seit der Kamakura-Zeit durch Tatara-Methode der nur bis zu 30% ansteigende Fe-Gehalt entzogen wurde. Zu einiger Bedeutung gelangten sie infolge der z. T. günstigen Beimengungen von Titanium und Vanadium. Pyrit (Schwefelkies) ist weit verbreitet. Die Lagerstätten von Yanahara (Okayama-ken) und Matsuo (Iwate) spielten noch bis 1960 eine größere Rolle für die chemische Industrie. Kupfererze, schon seit dem 8. Jh. abgebaut, verwendet und später sogar exportiert, waren zu Beginn der Meiji-Zeit über den Bedarf hinaus vorhanden; die Kupfergewinnung wurde zu einem Kernstück des japanischen Erzbergbaus. Aufgrund ihrer Genese lassen sich drei Typen von Lagerstätten unterscheiden: 1. Beimengungen von pyritischen Ablagerungen in metamorphen Schiefern, wie in Besshi und Hitachi; 2. Gangadern, entstanden in Verbindung mit tertiärem Vulkanismus, wie in Ashio (Tochigi) und Osarizawa (Akita). 3. Kuroko-Ablagerungen, auch „Kuromono" genannt, d. h. Schwarzerz-Ablagerungen von Tuffcharakter, ein für Japan charakteristisches Gemisch aus Sulfiden und Sulfaten, die in den Gruben von Hanaoka und Kosaka (beide in Akita-Ken) abgebaut werden können. Gold und Silber, meist in Verbindung mit Kupfer, Blei oder Zink, befinden sich in zahlreichen, wenn auch meist nicht abbauwürdigen tertiären Gesteinsbildungen insbesondere der „Innenzonen" N O - und SW-Japans (s. Bd. 1, S. 89). V o m Goldbergbau auf Sado während der Tokugawazeit wurde bereits gesprochen; er wurde in der Meiji-Zeit fortgesetzt, aber inzwischen aufgegeben. Als Fundstellen boten sich ebenfalls an: Takatama (Fukushima), Toi (Izu), Taio (Ôita), Teine (Sapporo), Konomai (Abashiri). Uber den Goldreichtum Japans wurden im Abendland durch die Berichte von MARCO POLO und FRANÇOIS CARON (Caronius) irrige Vorstellungen geweckt (32, 197ff.), die noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nachwirkten. Zu wirtschaftlich größerer Bedeutung konnte das Gold nach der Landöffnung nicht kommen. Blei und Zink treten meist in Verbindung miteinander auf. Aus den Hosekuragruben (Miyagi) gewann man Blei schon in der Narazeit. Ihre Belebung erfuhr die Bleigewinnung 1886, als MITSUI die Kamioka-Gruben (Gifu) übernahm, die vorher ohne größeren Erfolg der Goldschürfung gegolten hatten. Zink wurde in Kamioka erst 1906, in Hosekura 1911 entdeckt. Weder die Blei- noch die Zinkförderungen sind für ein Industrieland ausreichend.
268
4. Kapitel: Geographische Bedeutung der
Meiji-Restauration
Manganerz kommt in ergiebigen Mengen, wenn auch insgesamt nicht ausreichend, auf der Shakotan-Halbinsel Hokkaidös vor. Da die Nordinsel während der Meiji-Zeit in ihrer Erstentwicklung stand, waren diese Lagerstätten noch nicht inwertgesetzt. Chrom, Kobalt, Nickel, Titanium, Vanadium, Tungsten, Wolfram, Molybdän finden sich über den Archipel verteilt; eine größere Bedeutung hat deren Förderung nicht gewinnen können. Das in SW-Japan entdeckte Antimon wurde in der schwerindustriellen Aufbauphase während des Russisch-Japanischen Krieges 1904—05 völlig aufgebraucht. Die Bauxitlager von Sakaide (Kagawa) und Phosphatlager der Halbinsel Noto waren bald erschöpft. b) Salze, Steine und Erden Über Steinsalz verfügt Japan nicht; ebenso fehlt es völlig an Kalisalz. Das Kochsalz wurde seit alten Zeiten aus dem Meerwasser gewonnen. Die Luftfeuchtigkeit ist im allgemeinen jedoch viel zu hoch, als daß sich die Anlage von Salzgärten überall lohnen konnte. Hierfür bevorzugt wurden die Buchtenküsten der Setonaikai, die sowohl im Sommer als auch im Winter häufig im Regenschatten liegen (s. Bd. 1, S. 300). Die Erzeugung deckte noch in der Tokugawazeit den häuslichen Bedarf, kam aber gegenüber der nach 1868 einsetzenden Bevölkerungsvermehrung in Rückstand. Im Jahre 1972 wurden in der Setonaikai die Salzfelder auf staatliche Anordnung allesamt aufgegeben (s. S. 463). An Schwefel ist das Vulkanland reich. Die zahlreichen „Schwefelkrater" liefern immer neue Sedimente oder gar Schwefelströme, von denen der Ausfluß von 80000 t heißen Schwefels am Shiretoko-Iösan im Jahre 1889 der ergiebigste war (s. Bd. 1, S. 128). Kalksteine gehören zu den wenigen Rohstoffen, an denen Japan reich ist und auf deren Basis ein blühender Industriezweig, die Herstellung von Zement, aufgebaut werden konnte (22). Hochwertig sind die Kalksteine der Chichibuformation, aber auch die jüngeren Alters, wie sie sich in SW-Japan befinden. Gips, vorwiegend tertiären Alters, steht mit 35—40% S0 3 -Gehalt in weitaus genügenden Mengen zur Verfügung. Ton und Kaolin bildeten schon seit frühesten Zeiten die Grundlage der Töpferei, seit der Tokugawazeit einer hochentwickelten Porzellanmanufaktur. Granit hat weniger im Hausbau als bei der Errichtung gewaltiger Burgenmauern und beim Bau von Terrassenstützungen Verwendung gefunden.
II. D e r Mangel an Energiequellen 1. Die vorhandene Kohle und ihr Heizwert Die Vielzahl der vorhandenen Kohlenfelder (s. Bd. 1, S. 82—87) konnte der Industrialisierung des Landes im Anfang sehr hilfreich sein. Allerdings haben ihre Vorkommen zwei Mängel: Die periphere Lage und der geringe, im allgemeinen nur 5000—7000 WE betragende Heizwert. Die beiden Hauptgebiete der Kohlenförderung sind das Chikuho (Nord-Kyüshü) und das Yubari-Gebirge in ZentralHokkaidö; beide liegen in den Außenflügeln des Archipels und erfordern lange
B. Die ungünstigen
Bild 16
Kushiro.
Faktoren für die
Industrialisierung
Einfahrt zum submarinen
Kohlenabbau.
269
Aufn. M. Schwind,
1979
Transportwege. Die kleineren Vorkommen verteilen sich über das ganze Land, finden sich bei Nagasaki, in Hizen, Miike (am Ariake-kai), Übe, im Jöban und in Ost-Hokkaidö (Bild 16); sie üben nur örtliche Einflüsse aus. Für die Kohle verteuernd ist der schwierige Abbau; die Flöze liegen z.T. in großer Tiefe und weisen geologisch stark gestörte Strukturen auf. Ihres geringen Heizwertes zufolge eignet sich die Kohle im allgemeinen nicht als Kokskohle; nur wenige Flöze haben anthrazitische Merkmale. Immerhin konnte diese Kohle bei Aufbau der Textilindustrie und als Heizkohle für Kraftwerke, Schiffe und Eisenbahnen, in Büros und in Wohnungen gute Dienste leisten. Mit Ausnahme von Nord-Kyüshü fallen die später entwickelten Industriezentren nur wenig mit der Verteilung der Kohlenfelder zusammen. Das ist um so bemerkenswerter, als einige der Kohlenfelder schon in der Tokugawazeit mit ihrer Förderung begannen, für die spätere Industrie-Ansiedlung also im Vorteil einer Vorgabe waren. Das Jöban-Kohlenfeld am Ostrand des Abukama-Berglandes wurde 1819 bekannt, die Förderung bei Übe begann in ähnlicher Zeit; in Nord-Kyüshü schürfte man schon vor der Ankunft des Admirals Perry im Hafen von Uraga (1853); denn seine Schiffe wurden bereits mit Kyüshü-Kohle versorgt. Sogar auf Hokkaidö war bereits 1858 ein kleines Bergwerk, die Kayanuma-Grube, eröffnet worden, die sich später als Keimzelle für die weitere Entwicklung erwies: Von ihr aus wurde 1879 das Ishikari-Kohlenfeld erschlossen. Aus dem Faktum der geringen Bindung von Industrie an die Kohlevorkommen wird ersichtlich, daß der Entwicklung von Industriestandorten im Inselreich von Anfang an noch andere Lageorientierungen mitgegeben waren.
4. Kapitel: Geographische Bedeutung der
270
Meiji-Restauration
2. Erdöl und Erdgas Wenn auch schon im Jahre 668 dem Tennö Erdöl zum Geschenk gemacht wurde (s. 1. Kap.), ist eine Suche nach dieser Energiequelle vor der Landöffnung unterblieben. Für die anfängliche Industrie-Entwicklung stand heimisches Erdöl also nicht zur Verfügung. Die ersten Bohrungen wurden in der Akita-Region zwischen Noshiro und Sakata 1902 niedergebracht; die Förderung begann 1914. Es stellte sich sehr bald heraus, daß Japan weder in seinen Erdöl- noch in seinen Erdgasvorkommen (s. Bd. 1, S. 89—91) über ein wesentliches Energiepotential verfügt. 3. Die Wasserkräfte Das niederschlagreiche und von Flüssen eng durchäderte Land müsse, so meint man, über potentiell große Wasserkraft verfügen, insbesondere da sich der Abfluß von den 1000-3000 m hohen Wasserscheiden über die nur 7 0 - 1 0 0 km langen Abdachungen in gefällstarken Tälern zur Küste vollzieht (s. Bd. 1, S. 31 lff.). Diese potentiell gegebene Kraft erfährt jedoch eine Wertminderung infolge ihrer jahreszeitlich extrem hohen Schwankungen. Die Abflußkoeffizienten weisen viel höhere Werte auf als die europäischer Flüsse (s. Tab. 4). Die Verwendung der Wasserkraft für gewerbliche Zwecke setzte Techniken voraus, um deren Aneignung man sich seit der Meijizeit gerade erst bemühte. Den ersten Versuch zur Nutzung der Wasserkraft machte 1892 die Stadtverwaltung Kyoto mit dem Bau des Keage-Kraftwerks am Biwasee-Kanal (7) kurz vor dessen Eintritt in den Stadtbereich; es war ein Laufkraftwerk, das Nachahmung fand, auch wenn man die Abflußschwankungen an Flüssen in Kauf nehmen mußte. Zur Regelung des Wasserabflusses für die Bewässerung von Reisfeldern waren bis zur Meiji-Restauration mehr als 530 Staudämme errichtet worden, und ihre Zahl wuchs nach 1868
Tabelle 4. Abflußkoeffizienten
einiger Flüsse (nach Rikanenpyö
Region
Fluß (Lauflänge in km)
a Maxim. Abfluß in m 3 /s
b Min. Abfluß
Hokkaidö Töhoku Hokuriku Kanto Tökai
Shikoku Kyüshü
Ishikari (365) Kitakami (243) Shinano (369) Tone (322) Kiso (232) Tenryu (216) Yodo (145) Kino (134) Öta (100) Gö(no) (200) Yoshino (194) Chikugo (141)
4400 3260 3889 10208 4158 6673 7970 7360 4267 6471 10126 3750
40 19 29,9 21,1 33,1 6,6 93 1,96 4 4 12 11,8
Rhein Donau
Rhein (bei Köln) Donau (bis Passau)
10000 2100
Kinki Chügoku
660 125
1966 u. a.)
g = Koeffizient
110 172 130 484 125 1010 86 3740 1067 1618 843 375 15 17
Rangfolge der Flüsse nach Lauflänge (Bd. 1, S. 312) 2 5 1 3 6 8 86 28 40 9 12 22
B. Die ungünstigen Faktoren für die Industrialisierung
271
weiterhin. Der Nutzung für Elektrizitätsgewinnung dienten sie nicht. Hierzu kam es erst 1911, nachdem die Tökyö-Denryoku (Tokyo Elektric Power C o ) im Oberlauf des Tonegawa einen Damm ausdrücklich für ein Kraftwerk gebaut hatte (7). Die Wasserkraft ist demnach für die Erstentwicklung der Industrie kein Faktor gewesen. I I I . D e r M a n g e l an technischem K n o w - h o w Auf die Frage, wie das technische Können der westlichen Welt zu erlernen sei, waren zwei Antworten möglich: Entweder man reiste in die Industrieländer und studierte dort oder man ließ die Fremden zu sich kommen, ließ sich belehren und anlernen. Man ging beide Wege und war dabei überzeugt, daß eine äußere Übernahme technischer Fertigkeiten ohne gleichzeitige Beschäftigung mit abendländischer Kultur von den Naturwissenschaften bis hin zur Philosophie und Kunst nur halbe Sache sei. Einige Daimyö hatten solches Verfahren schon im Ausgang der Edo-Zeit geübt. Der Shimazu-Daimyö von Satsuma hatte 1867 Engländer gebeten, die „Kagoshima Spinning Mill" aufzubauen, nachdem er sich im Kampf gegen britische Kriegsschiffe von der Überlegenheit europäischer Kultur überzeugt hatte. Mit seiner Auffassung, daß man vom Überlegenen lernen solle, hatte er maßgeblichen Einfluß auf die Vorgänge der Meiji-Restauration. BRINKLEY weist darauf hin (2, 686), daß es gerade während der großen Wende der Initiative führender Persönlichkeiten bedurfte; denn die Bevölkerung war Jahrhunderte hindurch dazu erzogen worden, dem von „ o b e n " gegebenen Beispiel zu folgen, so daß sie von sich aus nicht hätte begreifen können, wieso man nunmehr die fremde Zivilisation, zu deren Abwehr das Land abgeriegelt worden war, in breiten Strömen einfließen ließ. Die Befürworter der Reformen mußten sich verpflichtet fühlen, für die Neuerungen nicht nur Verständnis, sondern auch offene Aufnahmebereitschaft zu wecken und die Initiative für die Erstellung von Modellen zu ergreifen, die den Vorteil der Innovationen deutlich machten. Ausländische Fachleute lud man als Lehrmeister ein (s. Bd. 1, S. 36—39), berief sie aber nur unter festumrissenen Aufgaben, nach deren Erledigung der Vertrag auslief. Dieses Verfahren verhinderte die Möglichkeit, daß dem Staat unversehens Schlüsselstellungen und die volle wirtschaftliche Unabhängigkeit verloren gehen konnten; auch deshalb waren Berufungen von Beratern und Arbeitskräften nicht von privater Seite, sondern nur vom Staate aus möglich. Das Wagnis zur Rezeption in Antwort auf die Herausforderungen der Kolonialmächte war zu groß, als daß man auf eine zentrale Steuerung hätte verzichten können. ERWIN BÄLZ, nach Tokyo berufen, um mit anderen Deutschen die europäische Medizin in Lehre, Praxis und Organisation aufzubauen, beschrieb am 25. 10. 1876 in einem Brief an seine Eltern in Bietigheim den Wandlungsprozeß, dem sich Japan unterzog, mit den Worten (36, 24): „Ihr müßt Euch ungefähr vorstellen, als ob das japanische Volk vor noch keinem Jahrzehnt die kulturellen Zustände unserer mittelalterlichen Ritterzeit. . . besaß, und daß es nun von gestern auf heute mit einem einzigen Satz über ein volles Halbjahrtausend unserer europäischen Kulturentwicklung hinwegsetzte und sich sofort und gleichzeitig sämtliche Errungenschaften des 19. Jahrhunderts aneignen will. Es handelt sich hier de facto um eine ganz gigantische Kultur-Revolution; denn von einer Evolution kann man nicht sprechen, wo es sich
272
4. Kapitel: Geographische Bedeutung der
Meiji-Restauration
um eine Umwälzung von den Fundamenten aus handelt. Und ich bin glücklich, der Zeuge dieses äußerst interessanten Experiments zu sein" 9 . Bei der Berufung von Beratern und Lehrmeistern wurden die Erfahrungen genutzt, die Japaner bei ihren Studien in Europa und Amerika gemacht hatten: Dabei wurde keines der Kulturvölker von vornherein bevorzugt. Franzosen erhielten den Auftrag, den Justizapparat einzurichten und beim Abfassen der Gesetzesbücher behilflich zu sein. Engländern übertrug man den Eisenbahnbau, die Herstellung der ersten Telegrafenverbindungen (Tokyo-Yokohama), die Anlage moderner Leuchttürme für die Seefahrt und den Aufbau der Marine. Amerikaner übernahmen die Einrichtung des Postwesens, berieten bei der Entwicklung des Erziehungs- und Bildungswesens und leisteten Hilfe bei der Ersterschließung Hokkaidös. Aus Italien berief man Architekten, Bildhauer und Maler. Nach deutschem Muster entwarf man die Verfassung und die Verwaltungsgliederung; seit 1885 betreute General MECKEL die Ausbildung japanischer Offiziere nach deutschem Vorbild; die von ENGELBERT KAEMPFER und PH. FR. v. SIEBOLD geschaffene Tradition wurde fortgeführt, indem man an der Kaiserlichen Universität die Medizin und einige der Naturwissenschaften in deutsche Hände legte. Mit Betroffenheit erkannte man, daß die holländische Sprache, mit deren Hilfe man seit dem 17. Jh. europäische Kultur studieren konnte (s. Rangaku), nicht von so repräsentativer Gültigkeit war, wie man geglaubt hatte. Kein geringerer als YUKICHI FUKUZAWA, der 1868 die Keio-Universität in Tokyo gründete, sah sich in größter Verlegenheit, als er 1860 von Osaka nach Edo (Tokyo) übersiedelte und in Yokohama, wo er als Dolmetscher arbeiten wollte, „weder die Beschriftung der Kaufläden noch die Klebezettel der zum Verkauf angebotenen Flaschen lesen konnte" (4, 104—105), weil sie in Englisch geschrieben waren. Der deutsche Firmeninhaber Louis KNIFFLER10 schien ihm der Retter zu sein, aber auch er wußte mit dem Holländischen nichts anzufangen (13, 24). Das war das Signal dafür, daß FUKUZAWA die folgenden Jahre damit füllte, die Sprache zu erlernen und zu verbreiten, die von den meisten der nunmehr einströmenden Fremden, den Amerikanern und Engländern, gesprochen wurde. Das Know-how fand in Japan vorwiegend über die englische Sprache Eingang. Die Abkehr von der „Rangaku" und die Hinwendung zu der weitgefächerten Kulturwirklichkeit des Abendlandes, wie sie über die englische Sprache einströmte, war eine bemerkenswerte Begleiterscheinung im großen Vorgang der ost-westlichen Auseinandersetzung. Einige Daten mögen das stürmische Aufgreifen abendländischer Kultur und Technik verdeutlichen:
9 Ursprünglich nur für zwei Jahre berufen, erhielt BÄLZ Vertragsverlängerungen und wirkte bis 1905 in Tokyo, auch als Hausarzt am Tennöhof. Nebenher bemühte er sich um die Erforschung der Heilkraft japanischer Thermalbäder, insbesondere für die Heilung der Leprakranken. Ihm verdankt das Heilbad Kusatsu (Bd. 1, S. 493) seine Entstehung. Noch im New Official Guide (1975) ist zu lesen: „ E . B. (1894-1913), a noted German physician, was a benefactor of Kusatsu. A number of Japanese doctors recently erected a monument in his memory in the town." Die Kleinstadt (9000) erwuchs um einen viereckigen Platz, der von 80 japanischen Übernachtungshäusern (ryökan) umstellt und von den Dämpfen der z. T. geräuschvoll austretenden, bis zu 64° C heißen Alum.-Eisensulfatquellen erfüllt ist; er heißt Yuba, das Heißwasserfeld. 10 Nach der Öffnung des Hafens Yokohama (Kanagawa) aufgrund des „Treaty of the Five Nations" 1859 war KNIFFLER einer der deutschen Pionier-Kaufleute, die 1863 den deutschen Klub Germania gründeten (13, 23).
B. Die ungünstigen Faktoren für die 1869
Industrialisierung
Abschaffung der Sänften. Entwicklung der Jinrikisha, angeblich durch den Amerikaner 1 8 6 7 , nach japanischer Version durch A. DAISUKE 1 8 6 9 .
273 GOBLE
1870 Gründung der Münzstätte in Ösaka 1871 Aufstellen der ersten aus Frankreich gelieferten Seidenhaspelmaschinen in Tomioka (Gumma) Einrichtung der ersten Briefpostdienste unter Mitwirkung des Amerikaners S. M. BRYAN; am 1. 3. 1871 erste Briefmarkenserie. Die Ärzte LEOPOLD MÜLLER und E D . HOFFMAN, nach Japan berufen, begründen die deutsche Tradition der Universitätsmedi2in; fortgesetzt von ERWIN BÄLZ ( 1 8 7 6 — 1 9 0 5 ) , SCRIBA u. a. ERWIN KNIPPING, an das Meteorol. Amt in Tokyo berufen, richtet Wetterdienst und Hydrographischen Dienst ein; er wirkt bis 1879 1872 Eröffnung der Eisenbahnlinie Tokyo-Yokohama, die mit englischer Beratung und Hilfe erbaut wurde Erstes Nationales Bankgesetz; revidiert 1876 Kokuritsu Ginkö (National-Bank) gegründet Eine französische Militärmission nimmt ihre beratende Funktion beim Aufbau der ersten militärischen Institutionen auf; für den Aufbau der Marine werden englische Instrukteure berufen. Marschall ARITOMO YAMAGATA ist verantwortlich für die innere Führung in Heer und Marine. 1873 Grundsteuer-Reform inkraft gesetzt TATSUMUNE entwickelt ein japanisches Maschinenmodell für die Baumwollspinnerei Deutsche Fachleute für das Bergwerks- und Hüttenwesen werden aus Freiberg (Sachsen) und Clausthal-Zellerfeld berufen Erste Seifenfabrikation in Tokyo und ö s a k a 1874 Eröffnung der Eisenbahnlinie Ö s a k a - K ö b e ; es folgt die Linie Ösaka—Kyoto 1875 Erstes Kriegsschiff läuft auf der Werft von Yokusuka vom Stapel. Werft wie Marine-Asenal von Yokosuka wurde unter Leitung des französ. Chefingenieurs VERNY errichtet. E D M U N D NAUMANN beginnt mit der geologischen Landesaufnahme; er beendet sein Wirken 1879 1876 Gründung der Mitsui Ginkö (Mitsui Bank) mit Niederlassungen in den 4 größten Städten und in weiteren 24 zentralen Orten PAUL MAYET (Berlin) beginnt seine Arbeit als Finanz- und Steuerexperte, fördert das landwirtschaftliche Vereinswesen und später die Organisation des Postwesens Erste Wolltextilfabrik in Tokyo Fertigstellung der Telegrafenverbindung von Aomori bis Nagasaki 1877 Erfindung einer japanischen Seidenhaspelmaschine Gründung der Kaiserlichen Universität Tokyo. Berufung vieler Professoren aus Europa und den U.S.A. 1878 Gründung der Kurashiki Spinning Co in Kurashiki und der Katakura-Seidenspinnerei in Nagano 1882 Gründung der Nippon Ginkö (Bank von Japan) mit Hauptsitz in Tokyo und Zweigstelle in Ösaka
IV. Der Mangel an Verkehrseinrichtungen Das von der Shogunatsregierung fortentwickelte alte Straßensystem war den Anforderungen eines beginnenden technischen Zeitalters nicht gewachsen. MEISSNER schildet, wie die deutschen Bergfachleute noch in den 80er Jahren die weite Reise von Akita aus zu Pferde unternehmen mußten, „wenn sie für ein paar Tage oder Wochen die Freuden der Hauptstadt genießen wollten" (12). Straßenschäden waren sehr häufig, und die Reparaturen konnten nicht so rasch wie heute erfolgen.
274
4. Kapitel: Geographische Bedeutung der
Meiji-Restauration
Die stärkste Reisebehinderung entstand bei der Überquerung größerer Flüsse, da sie in der Vergangenheit brückenlos geblieben waren. Von Fernverkehr konnte noch keine Rede sein; aber auch der Nahverkehr litt noch unter dem geringen Bestand an Verkehrsmitteln. Nach RATHGEN gab es 1875 im gesamten Reich nur 232000 Räderfahrzeuge (18, 31), wovon 1% auf Ochsenkarren und von Pferden gezogene Wagen, 99% auf von Menschen gezogene Lastkarren und Jinrikisha11 entfielen. Die Zählung von 1903 erbrachte zwar einen Anstieg der Pferde- und Ochsenkarren auf 127500 bzw. um 7,5%, die von Menschen gezogenen Wagen hatten aber 1,5 Mio. überschritten, weil sie sich für die engen Straßen der Städte am zweckmäßigsten erwiesen. Der Nachholbedarf im Straßenbau machte sich noch bis in die Jahre 1950—60 bemerkbar. Der Küstenschiffahrt galt erstmals die volle Aufmerksamkeit, wodurch die kulturgeographisch an sich schon begünstigten Regionen des Tökaidö und der Setonaikai infolge ihrer zahlreichen, windgeschützten Hafenbuchten in zusätzlichen Vorteil gegenüber jenen Regionen gelangten, deren Ausgleichs- oder auch Steilküste den Seeverkehr erschwerten oder unmöglich machten. Als vordringlich wurde der Bau von Eisenbahnen betrachtet. Aber es benötigte Zeit und vieler Anstöße, um den 1500 km langen Inselbogen von Honshü mit einem Gleissystem zu durchädern. Die 1872-1877 im Kantö und Kansai eröffneten ersten Eisenbahnen (s. o.) hatten mit ihren Verlängerungen bis 1882 nur 280 km Streckenlänge erreicht. Sie waren Staatsbahn. Die Überlegungen für den weiteren Ausbau wurden von zwei Fragenkreisen getragen: 1. Soll sich die Konzipierung des Schienennetzes nach strategisch-militärischen Gesichtspunkten richten oder soll sie in Rücksicht auf die wirtschaftliche Erschließung des Archipels erfolgen? 2. Soll der Staat die Eisenbahn allein bewirtschaften oder sollen Aktiengesellschaften beteiligt werden? Frage 1 wurde zugunsten der Landesverteidigung entschieden, da man eine Gefahr darin sah, daß im Kriegsfall bei Störungen in der Küstenschiffahrt die Mobilmachung erschwert werden könnte. Für die zweite Alternative fand man einen Kompromiß: Man gründete 1881 für die lange Strecke der Nord-Süd-Bahn eine staatlich subventionierte Aktiengesellschaft, regte auch für andere Strecken die Übernahme durch Aktiengesellschaften an und baute gleichzeitig das staatseigene Gleissystem aus. Im Jahre 1892 waren 890 km Streckenlänge der Staatseisenbahn und 1860 km der Privatbahnen in Betrieb (18, 32). V. Die Kapitalarmut Auf dem Gebiet der Finanzwirtschaft hießen die Aufgaben der Meiji-Regierung Liquidation der Vergangenheit und Errichtung einer neuen Ordnung. Die Staatsfinanzen lagen völlig darnieder. Aus den Beständen des Bakufu konnten nur 600000 Yen übernommen werden. Zudem waren die Schulden der 1871 abgeschafften Territorialregierungen abzutragen. Neue Einnahmen erbrachte erst die 11 Meist in der Abkürzung „Rikscha" oder „Rikischa" genannt. Eine Ablösung der Sänfte, ein zweirädriger Wagen, von einem Manne gezogen. Von Japan aus verbreitete sich die Rikscha nach China, Süd-Ostasien und Südasien. Wörtlich bedeutet Jin-riki-sha „Menschenkraftgezogener Wagen" (vgl. 37, 264).
B. Die ungünstigen Faktoren für die Industrialisierung
275
Grundsteuerreform, die 1873 inkraftgesetzt wurde. Aus ihr flössen dann zunächst 8 0 - 9 0 % der Staatseinkünfte, ein Zeichen dafür, daß das Gewerbe noch unterentwickelt war. Das private Kapital lag in den Händen der Goyö Shönin (Goyökin), der wenigen privilegierten Kaufleute, die vor allem als Reismakler während der Tokugawa-Zeit zu Kapital gekommen waren. Die Regierung erbat die Hilfe derer, die mit ihr der Überzeugung waren, daß Japans Überlebens-Chance in der Entwicklung des Außenhandels lag. Das galt in besonderem Maße vom Haus Mitsui. Im politischen Bereich war die neue Sat-Chö-Oligarchie 12 von größtem Einfluß auf das Tennöhaus; die Satsuma-Oligarchen beherrschten die Marine, die Chöshü-Oligarchen die Armee. In Finanzfragen, die das Schicksal der kaiserlichen Regierung entscheiden konnten, bedurften sie der Hilfe von dritter Seite: „Ihre Zitadelle an der Wirtschaftsfront war MITSUI" (20, 105). Dieser Name bot allein schon die Gewähr für das Gelingen selbst riskant erscheinender Vorhaben. Die MITSUI wurden auch zu Geschäftsführern der unter INOUE KAORU 1870 gegründeten und noch heute bestehenden Münze in Ösaka ernannt, deren Aufgabe zunächst die Bereinigung des verworrenen Münzwesens war. Insbesondere war aber das Bankwesen seit der Aufnahme des internationalen Geldverkehrs 1859 außer Kontrolle dadurch geraten, daß man sich der in Ostasien üblichen Silberwährung auf der Basis des mexikanischen Silberdollars, in Japan als Yen-Wert betrachtet, angeschlossen hatte, während sich Europa und die USA der Goldwährung zuwandten. Eine zentrale Führung des Geldmarktes war erforderlich geworden. Zu ihren Vorstufen rechnete die Gründung der Mitsui Bank (Mitsui Ginkö) 1876, die sich in den vier großen Städten Japans sowie in 24 anderen zentralen Orten niederließ und den Großteil der staatlichen Finanzgeschäfte bearbeitete (20, 107 u. 126). Ihren Abschluß fand diese Entwicklung in der Gründung der staatseigenen Nippon Ginkö (Bank von Japan) im Jahre 1882, die seither ihren Sitz in Tokyo und ihre Zweigstelle auf Nakanoshima im Zentrum von Ösaka hat. Erst unter Führung dieser Staatsbank gewann der Kapitalmarkt — bei anfänglich starker Verschuldung des Staates — das internationale Vertrauen. Das Zusammenspiel von Privatwirtschaft und Staat, wie es in der Tokugawa-Zeit schon eingeleitet war, blieb dabei erhalten und wurde zum bleibenden Merkmal künftiger Landesentwicklung. Die Voraussetzung für die Akkumulierung von Kapital war aber der Aufbau einer blühenden gewerblichen Wirtschaft mit Hilfe eines weiten Kreises von neuen Unternehmern, die den führenden Unternehmern aus der Edo-Zeit, wie MITSUI, SUMITOMO und IWASAKI YATARO (Gründer der Mitsubishi Kaisha) zur Seite treten konnten. VI. Mangel an Unternehmergeist Es gibt keinen Zweifel, daß im Samuraistand wie im Klerus jahrhundertelang eine geistige Elite herangebildet worden war, die nicht in wirtschaftlichen Kategorien zu denken vermochte. Aus Mangel an Fernbeziehungen hatte sich auch unter den 12 Aus Satsuma-Chöshü zusammengezogen. Aus Satsuma (Kagoshima) gehörten hinzu: Okubo Ichiö, Saigo Takamori, Matsukata Masayoshi, Kuroda Kiyotaka; aus Chöshü: Kido Takamasa, Itö Hirobumi, Inoue Kaoru, Yamagata Aritomo, Katsura Tarö.
276
4. Kapitel: Geographische
Bedeutung der
Meiji-Restauration
Bürgern ein eigentlich marktwirtschaftliches Verhalten überregionaler Dimension nicht entwickeln können. Die Reismakler und die Unternehmer des seit dem 17. Jh. zwischen Ösaka und Edo zu bewältigenden Warentransports waren die ersten Schrittmacher. Eine um sich greifende Neigung für wirtschaftliches Unternehmertum konnte daraus freilich nicht erwachsen. Die Meiji-Zeit bedurfte aber einer Vielzahl tüchtiger Unternehmer, die den Mut auch zum Wagnis hatten. Der Staat mußte sie schaffen, und so lange er nicht über eine ausreichende Reserve solcher Kräfte verfügte, mußte er, der historischen Herausforderung entsprechend, selbst als Unternehmer auftreten. Er übernahm Investitionen für jedwede Form von Infrastruktur, er förderte Pionierfirmen, er legte Modellbetriebe an, die gleichzeitig Ausbildungsstätten für künftige „im Dienst politischer Notwendigkeit" stehende Unternehmer waren (27, 142—147). In die Pionierfirmen floß zunächst das meiste Kapital; sie hatten die infrastrukturelle Vorarbeit zu leisten. Hierzu rechneten die Eisenbahn, die Post und das Telegrafenwesen, der Bergbau, die Münzstätte in Ösaka, die Einrichtung von Fabriken und Werkstätten für die Herstellung des Bedarfs von Heer und Marine, insbesondere von Kriegsschiffen, und die Entwicklung einer Maschinen- und Werftindustrie für den Aufbau einer Handelsflotte. Von den ersten Eisenbahnen war bereits die Rede. Von großer Bedeutung war die 1884 durch Kombination von Eisenbahn und Schiff hergestellte erste Verbindung zwischen Omote- und Ura-Nippon: In Ötsu wurden Personen und Fracht der aus Ösaka kommenden Züge von einem Schiff übernommen, das den Biwa-See bis nach Nagahama durchfuhr und dort Anschluß an die Bahnlinie nach Tsuruga fand, wobei die Pioniertat darin bestand, daß die große Wasserscheide der Insel Honshü erstmals von längeren Tunnels durchstochen wurde. Die Telegrafenverbindung stand schon 1876 von Aomori bis Kumamoto und Nagasaki zur Verfügung. Für die Belebung des Bergbaus ging der Staat zwei Wege. Er sorgte für die Weiterentwicklung der schon vom Shögunat und den Daimyö betriebenen Bergwerke und schuf Modellbergwerke als Ausbildungszentren. Als man beobachtete, daß die ausländischen Fachleute dabei waren, europäische Einrichtungen und Methoden schematisch auf japanische Verhältnisse zu übertragen, begann man, die Werkanlagen unter günstigen Bedingungen in private Hände zu legen. Die Pionierfirmen Sumitomo und Furukawa hatten bei ihrer Förderung von Kupfer in Besshi und Ashio durch Anwendung von „japanisierten" europäischen Verfahrensweisen so großen Erfolg, daß man diese nachahmte: Man überließ den Förderungsgang so weit wie möglich der Menschenkraft und ging nur Schritt für Schritt im harmonischen Gleichklang mit den erzielten Profiten zur Mechanisierung über. In dieser Methode arbeiteten auch die neu eröffneten Bergwerke der Firmen Mitsui, Mitsubishi und Okura. Die vom Staat 1871 eingerichtete Seidenspinnerei in Tomioka (Gumma) war ganz ausgesprochen eine Modellfabrik europäischen Musters. Die Beratung und die Maschinenlieferungen waren durch Frankreich erfolgt. Nach Plan wurde die Fabrik für 210 weibliche Arbeitskräfte eingerichtet; das erwies sich als zu groß. Alle späteren Fabriken waren kleiner und Tomioka ist lange Zeit noch die größte geblieben. Man paßte sich in Ausstattung und Größenmaßen japanischer Mentalität an: Man entwickelte einfachere, billigere und weitgehend aus Holz konstruierte Maschinen, und man verzichtete auf viele maschinelle Effekte, wenn diese durch
B. Die ungünstigen Faktoren für die
Industrialisierung
277
Einsatz vieler Hände ebenso erzielbar waren. Schließlich hielt man Belegschaften von 20—40 Personen — auch Frauen — für am zweckmäßigsten. Eine ähnliche „Japanisierung" durch Unternehmer neuen Typs erfuhr auch die Baumwollspinnerei (27). Allgemein läßt sich sagen, daß der private Unternehmergeist an Boden gewann, sobald sich westliche Technik mit Erfolg in Kleinbetrieben verwirklichen ließ. Hierin liegt der Anfang für die später immer deutlicher werdende duale Struktur der japanischen Industrie. Noch bis in die zweite Hälfte der Meiji-Zeit verdankte man es den Kleinbetrieben, wenn der Import von ausländischer Fertigware gesenkt werden konnte (s. Tab. 5). Tabelle 5. Zeitpunkte, zu denen Japan Fertigwaren zu exportieren und damit den Import begann (nach K. Takahashi, 1969)
einzuschränken
Ware
Jahr des ersten Exports
Jahr, in dem der Exportwert erstmals 5 0 0 0 0 0 Yen überstieg
Baumwollstrickwaren Streichhölzer Regenschirme Socken Handschuhe Zement Glaswaren
1878 1878 1880 1880 1880 1896 1902
1893 1887 1893 1906 1916 1903 1909
Der Schiffbau, Jahrhunderte hindurch vernachlässigt, wurde nun als eine vordringlich zu entwickelnde Industrie erkannt. Für ein Inselreich, von dem aus kein Brückenbau zum Festland möglich ist, ist das Schiff der Ersatz für die Straßen- und Schienentransportmittel insgesamt. Der Schiffbau war in der ganzen Breite vom Kriegsschiff bis zum Handelsschiff und den Küstenfahrzeugen erforderlich. In der Entwicklung der Schiffbau-Industrie liegt eine der Antworten, die Japan auf die Herausforderungen der abend- und neuabendländischen Welt gab. Der dabei eingeschlagene Weg war kennzeichnend für die Industrie-Entwicklung überhaupt: Man begann mit dem Kauf ausländischer Schiffe, versuchte sich dann in der Nachahmung zunächst des Schiffrumpfes, dann der Maschinen, kaufte Lizenzen und baute mit deren Hilfe schließlich das ganze Schiff (23, 33). Dieser Vorgang vollzog sich im Anfang mit der Einstellung von fremden Ingenieuren und Facharbeitern, die zugleich als Lehrmeister dienten, wie dies auch beim Eisenbahn- und Telegrafenbau der Fall war. Da Frankreich einen entsprechenden Kredit gewährte, erhielt ein Franzose, der Oberingenieur VERNY, den Auftrag zur Errichtung der Werft in Yokosuka (1, 332), die in enger Verbindung mit dem Yokohama-Technikum (Yokohama-Gakusha) stand, der ersten Lehranstalt zur Ausbildung landeseigener Ingenieure und Techniker (16, 65). Im übrigen hatten französische Ingenieure schon unter der Shögunatsregierung mit dem Bau einer Eisenverhüttungsanlage in Yokosuka begonnen. Werft und Hüttenanlage wurden zur Basis des späteren „Yokosuka Dockyard". Das erste moderne Kriegsschiff lief in Yokosuka 1875 vom Stapel; es war die 870 t große „Seiki". Schon 1894 verließ ein Schiff von 4228 t die Werft.
278
4. Kapitel: Geographische
Bedeutung der
Meiji-Restauration
Für den Schiffbau war zum Vorteil, daß er sich aus Schiffsreparaturwerkstätten und Maschinenfabriken entwickelte und diese Verbindung auch beibehielt (23, 8). In diesem Sinne ist die „Mitsubishi Heavy Industries" die älteste Werftfirma Japans. Sie ist aus den vom Hizen-Daimyò gegründeten „Nagasaki Shipyard and Engine Works" hervorgegangen, die 1857 als Eisengießerei begonnen hatte und später Schiffsreparaturen und die Herstellung von Maschinenteilen und Maschinen übernahm. Die heutige „Ishikawajima-Harima Heavy Industries", die sich zwar erst 1876 offiziell konstituierte, kann insofern auf eine noch ältere Geschichte zurückblicken, als sie die 1853 an der Edomündung in Tòkyo vom Mito-Daimyó gegründete Werft (s. Abschnitt „Die Werftindustrie") in sich aufnahm. Die Erfolge der ersten von Gesellschaften und nicht vom Staat geführten Werften regten zur Gründung neuer an. Es entstanden 1878 die „Kawasaki Heavy Industries" als Tsukiji-Werft in Tokyo, 1886 nach Kobe verlegt; 1881 die „Hitachi Shipbuilding and Engineering Co", zunächst als „Osaka Iron Works"; 1881 die Hakodate Steel and Machinery, 1896 zur „Hakodate Dock Co" umbenannt (23). VII. D e r begrenzte Absatzmarkt Der Absatzmarkt für die neue Wirtschaftsform konnte zunächst nur aus der Inselbevölkerung bestehen. Sie wurde zu Beginn der Meiji-Zeit (1872) auf 34,8 Mio. Tabelle 6. Die Bevölkerung Japans 1872-1980,
in 1000
Zunahme in je 10 Jahren, ab 1950 in je 5 Jahren Jahr
Bevölkerung insgesamt
1872 1875 1880 1890 1900 1910 1920 1930 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980
34806 35316 36649 39902 43847 49184 55963 64450 71933 72147 83200 89276 93419 98275 104665 111934 117057
absolut in 1000
in %
Einw. je km 2
Staatsgebiet in km 2
rd. 3 8 0 0 0 0 380000 380000 380000 380000 380000 379421 379878 380159 368284 368284 368284 369661 369661 370073 372586,16 372686,01*)
1843 33253 3945 5337 6779 8487 7483
5,2 8,9 9,9 12,2 13,8 15,2 11,6
11267 6076 4143 4856 6390 7269 5123
15,7 7,3 4,6 5,2 6,5 6,9 4,6
91 93 96 105 115 129 147 169 189 196 226 242 253 266 283 300 314
5 652 5553
4,8 4,5
331 346
Schätzungen: 1985 1990
123402 128955
1 8 7 2 - 1 9 1 0 Schätzungen; Census nach internationalem Modell erstmals 1920 *) Vgl. hierzu Tab. 3
C. Die günstigen Faktoren für die
Industrialisierung
279
Menschen geschätzt. Von diesen rechnete man 80% oder 28 Mio. zur Agrarbevölkerung, die im allgemeinen auf der gewohnten Selbstversorgungswirtschaft beharrte und gegenüber Industrieprodukten noch von Vorbehalten beherrscht war. Es verblieb ein Markt von 7 Mio. Menschen, von denen 2 Mio. auf die funktionslos gewordenen und nach neuer Betätigung suchenden Samuraifamilien entfielen. Die übrigen 5 Mio. verteilten sich auf das handwerkliche Gewerbe, den Handel und sonstige Bevölkerung. Der größte Abnehmer der Industrieprodukte war der Staat selbst: Die Textilien benötigte er für die Einkleidung des Heeres und der Marine, die Erzeugnisse der Schwerindustrie galten zunächst der Rüstung, die Papierindustrie arbeitete für das differenziert aufgebaute neue Schulwesen. Ein ausländischer Absatzmarkt mußte wie auch der binnenländische erst entwickelt werden, und diesem Bemühen standen die fremden Handelsmächte entgegen, deren Absicht es gerade gewesen war, den Absatzmarkt Japan für sich zu gewinnen. Das Ringen um die Anerkennung der gegenseitigen Meistbegünstigung war kennzeichnend hierfür. Die rasch zunehmende Bevölkerung schon während der Meiji-Zeit bis auf 50 Mio. Menschen (s. Tab. 6) und die wachsende Aufgeschlossenheit für die Verwendung von Gebrauchsgütern aus der industriellen Produktion wirkten sich belebend auf die Wirtschaft aus. Die allmähliche Ausweitung des Absatzmarktes erhielt durch den Gewinn von Außenbesitzungen ihre erste Stützung.
C. Die günstigen Faktoren für die Industrialisierung I. Tiefe und Qualität der Arbeitskraftreserven Zahlenmäßig stand für die Industrie-Entwicklung von Anfang an ein reiches Angebot von Arbeitskräften zur Verfügung. Der Bevölkerungsdruck, der sich während der Tokugawa-Zeit von den Agrargebieten mit letztlich unbefriedigendem Erfolg auf die Städte gerichtet hatte, konnte im Vorgang der Industrialisierung voll aufgefangen werden. Aus der Statistik ist sogar ablesbar, daß das vorhandene Reservoir an Arbeitskräften noch vergrößert wurde; denn seit 1872 kam die bis dahin biologisch in Stagnation gehaltene Bevölkerungsentwicklung in Bewegung: Die Bevölkerung nahm deutlich zu, und sie läßt auch erkennen, daß man sich vom Brauch des Mabiku abkehrte. Die jährliche Zunahme der Bevölkerung, die 1874 noch bei 4,6% lag, stieg 1876 auf 8,9% und erreichte 1883 erstmals mehr als 10%. Dabei pendelte sich auch das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Personen von 103 :100 bis zur Jahrhundertwende auf ungefähres Gleichgewicht ein (26). Es sei hier vorausgenommen, daß diese Entwicklung erst um 1920 einen neuen Impuls erhielt, der nach einigen Rückgängen die Zahl der Bevölkerung bis 1980 auf 117 Millionen brachte. Diese 100jährige Entwicklung wirft rückblickend auf den künstlich verursachten Stau während der friedvollen Tokugawa-Zeit ein besonders grelles Licht. Die japanische Industrie war im Vorgang ihrer Entwicklung zu keinem Zeitpunkt genötigt, ausländische Arbeitskräfte anzuwerben. Die Anwerbung war eine Frage der Bevölkerungsmobilität innerhalb des Archipels. Sie ist eng verbunden mit der Standortwahl für die verschiedenen Zweige der Industrie. In der Aufbauphase der Industrie, als welche die gesamte Meiji-Zeit verstanden werden kann (bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs), befanden sich Industriestandorte und
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4. Kapitel: Geographische Bedeutung der
Meiji-Restauration
Bevölkerungsreserven in vollem Einklang. Japan war sogar in der Lage, Tausende von Arbeitskräften abzugeben. Aus der Setonaikai-Region und den Küstensiedlungen der Halbinsel Kii wanderten Tausende von Glücksuchern aus. Aufnahmeländer waren Australien (1883), Hawaii (seit 1886), Kalifornien (von Hawaii aus), die Philippinen (1900—1907), Brasilien und Peru, insbesondere nachdem 1907 die japanische Auswanderung nach Nordamerika und Hawaii gedrosselt worden war und die Tókò Kisen Kaisha 1906 die Schiffahrtslinie Hongkong-Osaka— Valparaiso eröffnet hatte 13 . Die Abgabe von Arbeitskräften nach Übersee erfolgte aus denselben Präfekturen der pazifischen Küstenregion, in denen sich die Industrie ansiedelte; ein Beleg dafür, daß hier ein Überschuß an Arbeitskräften bestand und daß das Arbeitskräftepotential im Vorgang der Industrialisierung nicht zur Diskussion stand. Das Problem der Zukunft war aber seit der Reichsgründung vorgegeben: Die dicht bewohnten Siedlungsräume des Archipels befanden sich auf der pazifischen Seite in der als Omote-Nippon bezeichneten Region, die vom Kantó über das Chükyo zum Kansai verläuft und sich in den Küsten der Setonaikai bis nach Nord-Kyüshü fortsetzt; Omote-Nippon ist identisch mit der Tókai-SanyòdóSaikai-Region, deren Gegenüber am Japanmeer das vom Nezugaseki bis nach Nagato reichende Ura-Nippon darstellt. Omote-Nippon verfügt über 35 Siedlungskammern mit insgesamt 33500 km 2 , Ura-Nippon über 17 mit 6365 km 2 . In Omote-Nippon gibt es 19 Ebenen von mehr als 300 km 2 mit zusammen 30000 km 2 , in Ura-Nippon nur deren 4 mit 4400 km 2 ; hinsichtlich ihres Potentials an Siedlungsraum stehen Omote- und Ura-Nippon im Verhältnis 7:1. Die Landöffnung erfolgte von der pazifischen Seite aus, von hier aus drang die Technik ins Land ein; von hier aus erreichte die westöstliche Begegnung nicht nur die Führung des Staates, sondern auch die weitaus größte Masse des Volkes. Dieses Geschehen war so überwältigend, daß seine regionale Verschiedenheit völlig unreflektiert blieb. Hierin aber lag wie vorprogrammiert der Keim für die monoregionale Entwicklung des Archipels, die sich am Ende des 20. Jahrhunderts als ein irreversibler Schaden erweist. Der Wert dieser Arbeitskräfte-Reserven lag zunächst nicht in deren Wissen um das Know-how, sondern in deren Arbeitsmoral. Das Know-how ließ sich erlernen, die sittliche Haltung dem Land und dem Volk gegenüber war im Verlauf von Jahrhunderten zum Wesensbestandteil der Menschen geworden und kam in der Auseinandersetzung mit der Technologie und Kultur des Westens zu entscheidender Bedeutung. Die kulturell tragende Schicht der Samurai fühlte sich zwar enttäuscht, als sie ihre Privilegien verlor, erkannte aber bald die Möglichkeiten neuer Bewährung beim Aufbau eines auf älteste Grundsätze zurückgreifenden Staates, unter dessen Führung das Giri wie das Oyakobun-System unvermindert wirksam sein würden. Auch die Bauern waren für die neuen Zielsetzungen des Staates leicht zu gewinnen. Waren sie doch daran gewöhnt, nach oben zu schauen und das für richtig zu finden, was unter den Samurai und in der Spitze des Staates entschieden wurde. Insgesamt stand für die Industrialisierung ein Volk bereit, das diese Innovation als 13 Eine spezielle Studie hierüber veröffentlichte der Verf. in Nippon, 6. Jg. 1940, H. 4 und 7. Jg. 1941, H. 1—3: Japanische Bauern jenseits des Stammlandes. 50 S. Hier auch Nachweis über jap. Literatur.
C. Die günstigen Faktoren für die Industrialisierung
281
die nationale Aufgabe empfand, als welche sie von oben her erklärt wurde. In allen Maßnahmen in Antwort auf die Herausforderungen konnte sich die TennöRegierung auf die bejahende Haltung eines homogen gewordenen Volkes verlassen. Der Kokutai-Gedanke erwies sich als die kontrapunktische Kraft bis in die Einzelheiten bei der Neuformung von Staat und Gesellschaft. Obenan stand die von der Kokugaku schließlich durchgesetzte Renaissance des Shintö, dem die volle Stellung als Staatsreligion zurückgeben wurde. Für die Erziehung jedweden Staatsbürgers waren die Grundsätze des von MEIJI TENNÖ am 3 0 . 10. 1 8 9 0 verkündeten Erziehungsedikts verbindlich (6, 78): „Unsere Tennö Vorfahren haben Unser Reich auf einer breiten und ewigen Grundlage geschaffen und die Tugend tief und fest verwurzelt. Unsere Untertanen, geeint in Treue zum Herrscher (chü) und in Pflichterfüllung gegenüber den Eltern (kö) haben von Generation zu Generation die Herrlichkeit dieser Taten vervollkommnet. Darin liegt die unvergleichliche Eigenart Unseres Nationalwesens." Das Edikt enthält die drei zentralen Werte des sich auf Tradition berufenden neuen Staatsdenkens: Chü, die Treue, die der Untergebene dem Herrn schuldet — Ko, die Pflichterfüllung gegenüber den Eltern — Kokutai, das Besondere am japanischen Nationalwesen, das sich u. a. auch darin ausdrückt, daß der Anpassungszwang an den Westen nicht zugleich auch volle Übernahme der demokratischen Ideale bedeute (6). So waren z. B. „Gleichheit und Freiheit im westlichen Sinne andere als im japanischen" ( 6 ) ; HAMMITZSCH zitiert NAKAOKA HIROO aus dem Jahre 1944: „Die Gleichheit und Freiheit, wie sie Japan betrachtet und auch zu realisieren versucht, ist die echte Freiheit und Gleichheit, wie sie durch die Gesetze der Natur bestimmt wird. Mit anderen Worten, ein jedes Individuum erhält - ausgehend von dem Wissen um die Ungleichheit der Menschen — seinen ihm zustehenden Platz." Dieser Gedanke wurde in Verbindung mit dem Giri und dem Oyakobun-System, „das die Beziehungen zwischen Vater und Kind, Chef und Angestellten, als im erweiterten Sinne zwischen dem Oben und dem Unten regelt" (6, 81), zur Grundlage beim Aufbau jedweden wirtschaftlichen Betriebes und blieb bis 1945 gültig. Seine Nachwirkungen bis zum heutigen Tage sind unverkennbar. Die Erziehung leistete die stärkste Hilfe für die Wachhaltung und Vertiefung dieses Gedankens. Im Sinne des soeben gekennzeichneten Freiheitsbegriffs war auch die Freiheit des Glaubens zu verstehen, wie sie in Artikel 28 der 1889 gegebenen Verfassung mit dem Satz beschrieben wird: „Japanische Untertanen genießen die Freiheit des religiösen Glaubens, sofern sie die öffentliche Ruhe und Ordnung nicht stören und ihre Pflichten als Untertanen nicht verletzen." Die entscheidende Hilfe bei der Durchdringung des Volkes mit den im Erziehungsedikt festgelegten Grundwerten des Staates hatten die Wehrmacht und die Schulen zu leisten. Die allgemeine Wehrpflicht wurde am 2. 4. 1871 eingeführt; die allgemeine Schulpflicht trat am 5. 9. 1872 in Kraft. Es wurden 6 Universitätsbezirke (Tokyo, Kyoto, Osaka, Fukuoka, Sendai und Sapporo), 256 Mittelschulund 5 3 6 7 4 Grundschuldistrikte geschaffen. Aufgabe aller Bildungsanstalten, insbesondere aber der Volksschule war es, „die Kinder zu guten Japanern zu erziehen, und erst in zweiter Linie die, ihnen die nötigen Kenntnisse für das Leben zu vermitteln" (33, 11). Seit 1890 wurde das Erziehungsedikt „bei allen größeren Schulfeiern verlesen." Für jedes Schuljahr gab es nicht nur ein Lesebuch, sondern auch ein „Shüshinsho", ein Buch für Charakterschulung und Bürgerkunde (33, 23).
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4. Kapitel: Geographische
Bedeutung der
Meiji-Restauration
Der Moralunterricht ersetzte den Religionsunterricht. Die an sich schon in jeder Familie gepflegte Tradition guter Sitten, erhielt durch den Moralunterricht ihren verallgemeinernden Wert, und diese sittliche Homogenität wurde zu einem der Grundpfeiler beim Aufbau des neuen Staates und seiner Wirtschaft. II. Der Hafenreichtum Die 30000 km lange Küste des Archipels bietet Hunderte von geschützten Buchten an. Nach Gesetz vom 31. 3. 1961 galten 3800 Häfen als wirtschaftlich inwertgesetzt (35). Zwar sind 71% davon nur Fischereihäfen, aber die verbleibenden 29% stellen mehr als 1000 Handelshäfen dar, die dem Industrieaufbau ein reiches Infrastrukturangebot für die Entwicklung binnenländischer wie überseeischer Absatzmärkte bereitstellen. Im Durchschnitt entfällt auf jeden 30 km langen Küstenabschnitt ein Handels- oder Industriehafen. Dieser mathematische Durchschnitt löst sich in der Wirklichkeit zu hafenarmen und hafenreichen Regionen auf, und dieses geographische Faktum wurde zu einem entscheidenden passiven Prozeßregler bei der Standortwahl für Industrien. Die hafenreichen Küstenfronten befinden sich zusammengedrängt auf kaum ein Viertel der gesamten Küstenlänge und gehören derselben Region an, die sich als die menschenreiche ausweist: Es ist die Tokai-Sanyö-do-Region und deren Verlängerung bis zum Saikaidö, ein Küstenband, dem nur rd. 15% des Staatsgebietes anliegen. Hier fand die Industrie im Zusammentreffen von Arbeitskräfte-Reserven und einen für die Schiffahrt optimalen Infrastrukturpotential bei ihrer Suche nach Standorten ihre günstigen Voraussetzungen. III. Die Welthandelslage im Großkreis Der Inselbogen erfuhr mit der Öffnung des Landes, die in die Zeit der bereits entwickelten Dampfschiffahrt fiel, zugleich einen entscheidenden Lagewechsel: Aus der Endlandlage, die das Inselreich später als alle anderen größeren Länder in den Gesichtskreis Europas treten ließ und die Sakoku begünstigt hatte, war eine zentrale Lage zwischen der Neuen Welt und den bevölkerungsreichsten Regionen der Erde geworden, den Ländern Zentral- und Südostasiens. Dies zog auch die von Japan erworbenen bzw. in wirtschaftliche Nutzung genommenen Gebiete, besonders Taiwan, Korea und die Mandschurei an die Front des Welthandels heran, zu deren aktivstem Abschnitt die Hafenregion des Tökaidö und der Setonaikai wurde. Der Lagewechsel, der eine geradezu kopernikanische Wende im Schicksal des Inselreichs heraufbeschwor, war vergleichbar mit der Wende, die Deutschland erfuhr, als Amerika entdeckt war. Für Deutschland wirkte sich dieses Geschehen aber negativ, für Japan positiv aus: Denn Deutschland wurde aus seiner zentralkontinentalen Lage in maritime Winkellage verschoben, aus der heraus es zusehen mußte, wie der Verkehr über den Atlantik von England und Frankreich besorgt wurde. Japan hingegen rückte mit dem Erscheinen des Dampfschiffes, des bedeutendsten Symbols der frühindustriellen Zeit, aus der Endlage zu Europa in eine Zentrallage am Pazifik. Das anfängliche Nachgeben gegenüber den Forderungen der Kolonialmächte erfolgte unter dem Eindruck der technischen Überlegenheit
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des Auslands, nicht aus mangelndem Kulturbewußtsein. Die anfängliche Schwäche schlug unter Nutzung des fremden Know-how und unter Ausnutzung der Lagevorteile, die dem Inselreich durch Übernahme eben der Technik geschenkt worden waren, in Stärke um.
Schrifttumverzeichnis für das 4. Kapitel 1. Bersihand, Roger: Geschichte Japans. Stuttgart 1963. 2. Brinkley, F. (With the Collab. of Dairoku Kikuchi): A History of Japanese People. New Y o r k London 1915. 3. Fukutake, Tadashi: Japanese Rural Society. Tokyo 1967. (Erstveröffentl. 1964). 4. Fukuzawa, Yukichi: Autobiography. Übersetzt von E. Kiyooka, Einführung von Sh. Koizumi. Tokyo 1948. 5. Hammitzsch, Horst: Japan von 1868 bis 1919. In: Historia Mundi, Bd. X, Bern 1961, S. 359-383. 6. Hammitzsch, Horst: Die Religionen als gesellschafts- und staatsbildende Faktoren im neuen Japan. In: Saeculum, Bd. 19, 1968. S. 7 4 - 8 2 . 7. Japanese National Committee on Large Dams: Dams in Japan. Tokyo 1958. 8. Japan. Its Land, People and Culture. Compiled by Japanese National Commission for UNESCO. Tokyo 1964. 9. Japan Statistical Yearbook, a) 1961, b) 1975, c) 1977, d) 1980. 10. Kerr, George H.: Okinawa. The History of an Island People. Rutland (Vermont), Tokyo, 8 th Ed., 1970. 11. Kimura, Mitsuo: Die Entwicklung der Holzindustrie in Japan. Wiesbaden 1974. 12. Meissner, Kurt: Unwissenschaftliches aus der „Gelehrtenkolonie" in Tokyo in den 80er Jahren. In: OAG, Nachr., Nr. 65, 1944. 13. Meissner, Kurt: Deutsche in Japan, 1639-1960. Tokyo 1961. 14. Ogura, Takekazu: One Hundred Years of Agriculture Statistics in Japan. Institute of Developing Economics, Tokyo 1969. 15. Papinot, E.: Historical and Geographical Dictionary of Japan. Yokohama 1910. New Ed. with Introd. by T. Barrow, Rutland 1972. 16. Piper, Annelotte: Japans Weg von der Feudalherrschaft zum Industriestaat. Köln 1976. 17. Ramming, Martin (Hrsg.): Japan-Handbuch. Berlin 1941. 18. Rathgen, Karl: Die Japaner und ihre wirtschaftliche Entwicklung. Leipzig 1905. 19. Rein, J.: Japan. Bd. 2, Leipzig 1886. 20. Roberts, J. G.: Mitsui. Tokyo 1973. 21. Schwind, Martin: Die Gestaltung Karafutos zum japanischen Raum. Mit 98 Karten auf 44 Tafeln. Ergänzungsheft Nr. 239 zu Pet. Mittn. Gotha 1942. 22. Schwind, Martin: Japan. Zusammenbruch und Wiederaufbau seiner Wirtschaft. Düsseldorf 1954. 23. Schwind, Martin: Werften in Japan. Dt.-Japan. Wirtschaftsbüro. Hamburg 1976. 24. Schwind, Martin: Hokkaido. In: Japan-Handbuch, hrsg. von Horst Hammitzsch. Wiesbaden 1981. 25. Sheldon, C. D.: The Rise of the Merchant Class in Tokugawa Japan, 1600-1868. New York 1958. 26. Shinohara. Miyohei: Wirtschaftliche Entwicklung in der Vorkriegszeit. In: Wirtschaft Japans, Hrsg. Kazuo Ököchi u. Yoshiro Tamenoi. S. 2 0 - 3 7 . Düsseldorf 1973. 27. Takahashi, Kamekichi: The Rise and Development of Japan's Modern Economy (Übersetzt von John Lynch). Tokyo 1969. 28. Tanabe, Hiroshi: The Foundation of an Administration Village „Mura" in the Meiji Era: An Example of Niita-mura, Tochigi-ken. In: G. R. J., Vol. 36, 1963. S. 280-295. 29. The Japan Yearbook 1934. 30. The South Manchuria Railway: a) Report on Progress in Manchuria 1907-1928, Dairen 1929. b) Report on Progress in Manchuria, Dairen 1932. c) Report on Progress in Manchuria, Dairen 1934. d) Report on Progress in Manchuria, Dairen 1939. 31. Uehara, T.: Das Kolonialmilizsystem in Japan. In: Berichte über Landwirtschaft. Neue Folge, Bd. 5, H. 4, S. 605-629. Neudruck in: Außenpol. Studien, S. 3 3 5 - 7 0 . Stuttgart 1930.
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4. Kapitel: Geographische Bedeutung der Meiji-Restauration
32. Varenius, Bernhardus: Descriptio Regni Japoniae. Amsterdam 1649: Beschreibung des Japanischen Reiches. Unter Mitarbeit von Lydia Brüll, hrsg. und kommentiert von M. Schwind und H. Hammitzsch. Darmstadt 1974. 33. Weegmann, Carl v.: Die vaterländische Erziehung in der japanischen Volksschule, Tokuhon und Shüshinsho. O A G , Tokyo 1935. 34. Wetherall, W. and G. A. Devos: Ethnic Minorities in Japan. In: Case Studies . . Publ. for the Foundation for the Study of Plural Societies. The Hague 1975, Vol. I. S. 3 3 5 - 3 7 5 . 35. Zeitschrift-Sondernummer: Asian Affairs, Vol. VI, Nr. 1; Hrsg. Asia Kyokai, Tokyo 1961. Behandelt nach vielseitigen Gesichtspunkten die Häfen Japans. 36. Bälz, Erwin: Das Leben eines deutschen Arztes im erwachenden Japan. Tagebücher — Briefe — Berichte. Hrsg. von Toku Bälz. Stuttgart 1930. 37. Chamberlain, B. H.: Things Japanese. London 1905.
5. Kapitel Zeitliche Stufung und räumliche Ausbreitung der industriewirtschaftlichen Entwicklung
1. Abschnitt Die sich über 100 Jahre erstreckende Industrie wirtschaftliche Antwort auf die Herausforderungen der westlichen Welt Mit der Erzeugung von 119 Mio. t Stahl im Jahre 1973 (USA 137 Mio. t, UdSSR 131, BR Deutschland 50) stand Japan in der Weltrangliste an 3. Stelle und mif dem Stapellauf von 15,7 Mio. G/T Schiffstonnage (Schweden 2,5 Mio., BR Deutschland 2 Mio.) an 1. Stelle unter den Industriestaaten der Erde. Diese Produktionsleistungen dürfen stellvertretend die gültige Antwort belegen, die Japan auf die von den Kolonialmächten vor 100 Jahren gestellten Herausforderungen gegeben hatte. Der im Rückblick steil erscheinende Aufstieg vollzog sich stufenweise und nicht ohne Rückschläge. Die Anbahnung immer wieder neuen Aufschwungs aus einem Tief zu noch kräftigerem Hoch bezeugt nicht nur Gunst von Situationen, sondern auch die zielstrebige Ausnutzung dieser Situationen auf dem Weg zu einem vorderen Platz unter den Industrienationen. Der Zusammenhang zwischen Wirtschaft und dem politischen Geschehen ist für Japan seit der Landöffnung 1868 in der Weise kennzeichnend gewesen, daß die Industrie keinen ihrer großen Impulse anders als durch einen Krieg erhielt. Der Chinesisch-Japanische Krieg 1894—95, der Japanisch-Russische Krieg 1904-05, der Erste Weltkrieg 1914-18, der „Mandschurische Zwischenfall" von 1931, der Chinesisch-Japanische Krieg 1937-40, der zum Zweiten Weltkrieg 1941-45 überleitete, und schließlich der vor den Toren des Inselreiches ausgetragene Korea-Krieg der Jahre 1950—53 haben in diesem Sinne gewirkt. In Verbindung mit sachlogischen Tendenzen des ökonomischen Wachstums ergeben sich aus dem genannten kriegspolitischen Geschehen in Abweichung zu ROSTOW ( 1 0 ) , ALLEN ( 1 ) und H A X (4) die folgenden Entwicklungsstufen: A. Industrieller Aufbau, 1868-1914 B. Industrieller Ausbau; Harmonisierung von Industrie und primärem Wirtschaftssektor im territorial erweiterten Staatsgebiet, 1914-1930 C. Industriewirtschaftliches Hegemoniestreben im Rahmen Ostasiens, 1931—1945 D. Zusammenbruch der Wirtschaft und die Gefahr einer Wiederholung der Landöffnungssituation, 1945-1952 E. Der Wandel vom industrialisierten Agrarstaat zum Industriestaat, 1952—1961 F. Der Industrie- und Dienstleistungsstaat, seit 1960.
286
5. Kapitel:
Stufen der industriewirtschaftlichen
Entwicklung
Mit HAX (4) wird die Auffassung vertreten, daß solche Stufenbildung nur ein Hilfsmittel für die Erfassung eines Entwicklungsvorganges ist, der sich in Übergängen vollzog. Der gestuften Aufwärtsentwicklung waren im übrigen zwei sich stetig verstärkende und nicht in Abschnitte zerteilbare Vorgänge von kulturgeographisch wachsendem Einfluß mitgegeben: Zum ersten war dies die Bevölkerungsvermehrung in jeweils 15 Jahren um 20%, so daß der Archipel im Jahre 1910 von rd. 50 Mio., 1925 von 60 Mio., 1955 von fast 90 und 1970 erstmals von mehr als 100 Mio. Menschen bewohnt war; zum zweiten war dies die vorwiegend nur auf eine schmale Region des Archipels beschränkt gebliebene unmittelbare Betroffenheit von der Industrialisierung, die tiefgreifende und letzlich irreversibel gewordene Disparitäten zwischen dem Band der Tökai-Setonaikai-Region und dem übrigen Japan schuf und die Mehrheit des Volkes in geschädigter Umwelt zu leben genötigt hat.
2. Abschnitt Die Entwicklungsstufen und deren Nachwirkungen bis in die Gegenwart A. Der industrielle Aufbau bis 1914 I. Der Aufbau der Textilindustrie Der Aufbau schloß an das überlieferte Gewerbe an. Die Rohseidengewinnung vermochte wie der Export von Tee Devisen einzubringen, die für die Einfuhr von Kapitalgütern (Verkehrseinrichtungen, Ausrüstung von Armee und Marine einschließlich von Kriegsschiffen) erforderlich waren. Freilich bedurfte die SeidenHaspelei bereits ausländischer Maschinen, sofern sie ihre Leistung steigern wollte. Seiden-Haspelei bewährte sich als eine dezentralisierte Industrie; sie vermochte sich, soweit der Maulbeerstrauch gedieh, über das ganze Land auszubreiten (s. Abb. 47) und gab auch jenen Frauen Arbeitsplätze, die in der Landwirtschaft nicht voll beschäftigt waren. Die Baumwollindustrie, in der Tokugawa-Zeit auf der Basis heimischer Baumwolle in Kleinbetrieben arbeitend, wurde zum Schrittmacher des Import-ExportVerfahrens: Das heimische Baumwollgarn erwies sich quantitativ wie qualitativ als nicht konkurrenzfähig zum amerikanischen und indischen (damals britischen), so daß der heimische Baumwollanbau zugunsten von Maulbeerpflanzungen von Staats wegen aufgegeben wurde. Die Industrie suchte nach Standorten in den Außenhandelsplätzen, d. h. in den Häfen der Osaka-Bucht. Wollspinnerei und Wollweberei waren von Grund auf importierte Industrien. Sie waren für die Herstellung von europäischer Kleidung, insbesondere von Uniformen für Heer und Marine, notwendig geworden. Es war selbstverständlich, daß der Staat dem Aufbau dieser Industrie alle Unterstützung gab.
II. Die Anfänge einer modernen Schwerindustrie Die Erzeugung von Eisen und Stahl bedurfte fast ausschließlich der staatlichen Initiative. Der Markstein wurde mit dem 1897 aufgenommenen Bau der Staat-
A. Der industrielle Aufbau bis 1914
287
lichen Yawata Werke gesetzt; sie waren 1901, ausgestattet mit einem Hochofen und mit Bessemer-Birnen der deutschen Firma Gute-Hoffnungshütte, produktionsreif. Der Schiffbau erfuhr eine Modernisierung aus der Notwendigkeit des sich verstärkenden Außenhandels und der Landesverteidigung. Der Mangel an einer leistungsfähigen Flotte, der sich während des Krieges mit China (1894—1895) geltend gemacht hatte, führte erstmals zu einer weitgehend staatlichen Subventionierung der Werften (19, 167). Die Entwicklung begann zwar mit dem Kauf ausländischer Schiffe, führte aber bald zur Nachahmung des Schiffsrumpfes, dann der Maschinen und schließlich über den Kauf von Lizenzen zur Herstellung ganzer und immer größer werdender Schiffe (13). Die Herstellung von Schiffsmaschinen und Dampfmaschinen stand von Anbeginn im Zusammenhang mit der Werftindustrie. Die 1886 von Tokyo nach Kóbe verlegte Kawasaki-Werft verfügte über eine Abteilung für Rollendes Material. III. Andere Industrien Eine Anzahl anderer Industrien, deren Erzeugnisse für die Anpassung des öffentlichen Lebens (bis in die Einrichtungen des Bildungswesens hinein) an westliche Verhältnisse von Bedeutung erschienen, mußte ebenfalls importiert werden. Es entstanden die Zement-, Papier- und Glasindustrie, ferner erste Nahrungs- und Genußmittelindustrien, wie Zuckerfabriken, Bierbrauereien, Fischkonservenfabriken. Für die Hebung der Ernte-Erträge wurden erste Düngemittelfabriken gebaut. IV. Der Bergbau (vgl. hierzu Bd. 1, S. 8 2 - 9 1 ) Die Kohleförderung erfuhr im Zusammenhang mit dem Eisenbahnbau und der Errichtung der ersten Stahlwerke ihren allmählichen Ausbau; vor allem betraf dies das Jóban-Revier, das schon seit 1819 bekannt war, das Ishikarifeld Hokkaidòs (Erschließung seit 1879) und das Chikuho im Hinterland der Yawata-Stahlwerke. Zur bergmännischen Nutzung von Eisenerzen kam es oberhalb der Eisenhütten von Kamaishi. Die Kupferkiesvorkommen von Besshi, schon in der Tokugawazeit in geringem Maße abgebaut, gelangten im Vorgang der Industrialisierung zu wachsender Bedeutung, ebenso die Vorkommen im südlichen Abukuma-Gebirge, 5 km vom heutigen Bahnhof Hitachi entfernt. Die Gewinnung von Blei wurde aufgenommen, als die Kamioka-Gruben, ursprünglich in der Hoffnung auf Gold angelegt, 1886 in die Hände von Mitsui übergingen. Der Goldbergbau von Aikawa (Sado) wurde systematisch entwickelt. Die Kalksteine fanden ihre weitverbreitete Verarbeitung in den seit 1881 geradezu wie Pilze aufschießenden Zementwerken der Onoda-, Nippon- und Iwaki-Zementfirmen. Auf Einzelheiten, auch über die Energiegewinnung, wurde bereits im 4. Kap. hingewiesen. V. Erstes Strukturgefüge Ein Strukturgefüge ließ der industrielle Wirtschaftssektor in der Aufbauphase bis 1914 weder in funktionalem Sinne noch in seiner räumlichen Verteilung deutlich erkennen; was fürs erste „not"wendig erschien, wurde in Angriff genommen. In
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5. Kapitel: Stufen der industriewirtschaftlichen
Entwicklung
der Rangordnung von Produktion, Arbeiterzahl und landschaftlicher Auswirkung stand die Textilindustrie weit vor allen anderen Industriezweigen. Ihr folgte mit Abstand die Schwerindustrie einschließlich Schiffbau. Die übrigen Industrien spielten eine nur randliche Rolle. Mit Ausnahme der übers Land verbreiteten Seidenindustrie wählten die einzelnen Industriezweige Außenhandelshäfen zu ihren Standorten; bevorzugt wurden Tokyo und Osaka. Tokyo hielt man für günstig, weil man sich hier in der Nähe der Regierung wußte, die allein in der Lage war, Subventionen zu gewähren. Die ersten Anzeichen für die Entwicklung einer künftigen Industrieregion waren unverkennbar. Waren schon mit den alten Wirtschaftsschaftszentren Tokyo und Osaka Richtpfeiler für den künftigen Industrieraum gesetzt, so hatte der Staat mit den Yawata-Werken einen dritten Pfeiler am SWEnde der Tokai-Setonaikai-Region ausdrücklich hinzugefügt. Dieser Pfeiler war gleichsam das ans Binnenmeer herangezogene Fukuoka, und die Überlegungen, die man in ihm verwirklichte, wurden richtungweisend für die Standortwahl der Industrien überhaupt. Yawata war weder eine Stadt noch ein Hafen; es war ein Dorf an der Dokai-Bucht. Nicht dieses Dorf war von den Überlegungen getroffen worden, sondern die Bucht. KAICHIRO IMAIZUMI ( 1 8 6 7 — 1 9 4 7 ) , ein Schüler des Metallurgen NORO, hatte nach seiner Rückkehr aus Deutschland 1895 den Gedanken vertreten, daß ein Stahlwerk an einem Platz stehen müsse, der für den Antransport von Eisenerz und Kohle leicht erreichbar sei und inmitten eines Absatzmarktes liege (7). Für Japan hieß das: 1. Leicht erreichbare Lage auf dem Land- und Seeweg, d. h. in der Tökai-Setonaikai-Region; 2. Lage in einem Gebiet, das über eine ausreichende Tiefe von Arbeitskraftreserven verfügt, d. h. ebenfalls in der Tokai-Setonaikai-Region; 3. Günstige Lage, zu den Bezugs- und Absatzmärkten im Inland und in Übersee, d. h. bei A n - und Abtransport durch Schiff Nutzung des Großkreises zwischen der Neuen Welt und Ostasien, dessen Mitte in der Tökai-Setonaikai-Region auftrifft und gleichzeiig die Siedlungskerne Japans miteinander verbindet; 4. Lage unmittelbar an der Küste einer Meeresbucht mit einem Tiefenwasser, das den Verkehr für Überseeschiffe ermöglicht; 5. Unmittelbar zum Stahlwerk gehörende Kaianlagen, sei es innerhalb eines bestehenden Handelshafens oder in einem eigenen Werkhafen.
All diese Voraussetzungen optimaler Infrastruktur trafen für Yawata an der DökaiBucht zu. Der Staat setzte mit der Schaffung eines Industriewerkes in der inneren Dökai-wan ein Modell, dem nachzueifern nicht nur für andere Stahlwerke, sondern auch für die Niederlassungen aller übrigen Industrien zur Selbstverständlichkeit wurde. Die damit verbundene Transportkostenersparnis wurde seit Anbeginn zu einem wesentlichen Element der Konkurrenzfähigkeit japanischer Produktionen.
B. Die Stufe des Ausbaus und der Harmonisierung von Industrie und primärem Wirtschaftssektor im territorial erweiterten Staatsgebiet, 1 9 1 4 - 1 9 3 0 Der Ausbau der Wirtschaft wurde nach 1914 durch fünf Geschehnisse von zugleich geographischer Relevanz mitbestimmt: D e n Ersten Weltkrieg, in welchem Japan seine Bündnisverpflichtungen gegenüber England auf der Seite der Alliierten erfüllte;
B. Entwicklung
im territorial erweiterten
Staatsgebiet,
1914—1930
289
den Gebietsgewinn in Form der 1919 vom Völkerbund verliehenen Mandatshoheit über die ehemals deutschen Inselgruppen der Marianen, Karolinen und Marshalls, insgesamt 2550 Inseln und Eilande mit 2 1 4 9 km 2 , zusammenfassend Nanyö-to genannt, verwaltungstechnisch Nanyo-chö (12); die wirtschaftlich wirksam werdende Integration der vor 1914 ans Reich angeschlossenen Außengebiete; das dynamische Wachsen der Bevölkerung von 51 (1913) auf 64 Mio. Menschen, d. h, um 25%; die Katastrophe des Großen Erdbebens von Tokyo am 1. 9. 1923.
I. Wirtschaftsimpulse durch den Ersten Weltkrieg Infolge seiner vom europäischen Kriegsschauplatz abseitigen Lage kamen auf Japans Industrie Funktionen zu, die von den kriegführenden Staaten vorübergehend nicht voll wahrgenommen werden konnten. Vorteile zog hieraus vor allem die Schwerindustrie. „Mit großem Elan wurde die Konjunktur genutzt. Die Zahl der/ Docks und Werften für Schiffe von über 1000 t hat sich von 1913 bis 1928 vervierfacht. . . . Den über 20 Schiffbaugesellschaften von 1913 standen 1918 schon 52 und nach dem Kriege mehr als 70 gegenüber" (4). Je mehr Handelsschiffe während des Krieges durch deutsche U-Boote versenkt worden waren, desto häufiger und größer wurden die Aufträge für japanische Werften. Die Belebung des Schiffbaus wirkte sich auch vorteilhaft auf die eigene Handelsflotte aus. Der Außenhandel konnte 1928 schon zu 66% durch eigene Schiffe bewältigt werden. Ein ganzes Netz eigener Schiffahrtslinien wurde über den Pazifischen Ozean geknüpft, und regelmäßige Verbindungen wurden auch mit allen großen Häfen der übrigen Welt eingerichtet. Unter Einschluß von Korea, Kantung und Taiwan bestand die Handelsflotte 1913 aus einer Schiffstonnage von 2,3 Mio. BRT (davon entfielen 1,5 Mio. auf Motor- und Dampfschiffe, 0,8 Mio. auf Segelschiffe); sie war bis 1929 auf 5 Mio. t angewachsen (3,8 Mio. und 1,2 Mio. BRT). Die Gewinnung von Roheisen stieg 1913 bis 1929 von 243000 auf mehr als 1 Mio t., die von Rohstahl von 255000 auf 2 Mio. t. Mit diesem Aufschwung verbanden sich gesteigerte Einfuhren an Eisenerzen (China, Malaya), Roheisen und Schrott (U.S.A.) und wachsender Energiebedarf. Das bedeutete stärkere Nutzung der Kohlenfelder des Chikuho, des Jöban-Reviers und der Ishikari-Region, wobei Kokskohle bereits importiert werden mußte. Seit 1911 nahm man sich auch der Errichtung von Staudämmen an, um Hydroelektrizität zu gewinnen; ihren ersten Aufschwung erfuhr diese Energiegewinnung aber erst um 1929. II. Die wirtschaftliche Bedeutung des Mandatsgebiets Mit den Nanyö-tö, den Südsee-Inseln, reichte Japan über die vom Hauptarchipel südwärts ziehenden Inselschwärme, ohne von fremden Staatsgebieten durchlagert zu sein, fast bis zum Äquator. Von Kapingamaringi (1° 20' N) bis zur Nordgrenze Karafutos ergab sich eine meridionale Ausdehnung von 5500 km mit einer Gebietsfläche von 681012 km 2 Inselland. Ihre Kontrolle bedurfte einer vielgliedrigen Flotte, deren Bau von den heimischen Werften übernommen wurde. Die Mandatsinseln lieferten einen Beitrag zur Ernährungswirtschaft des Stammlandes. Auf der Basis der Zuckerrohrernten entwickelte die Nanyö-Kolonisationsgesellschaft auf den Inseln Saipan und Tinian Raffinerien, denen auch die Herstellung von Alkohol und Rum angeschlossen war.
290
5. Kapitel:
Stufen der industriewirtschaftlichen
Entwicklung
III. Die wirtschaftlich wirksam werdenden, schon vor 1914 angegliederten Außengebiete Die Schwerindustrie wurde von dem Ausrüstungsbedarf an industriellen Anlagen belebt, die Japan für die Verkehrserschließung und Landesentwicklung in Korea, der Mandschurei, Taiwan und Karafuto benötigte. Koreas Goldförderung wurde von 1911 bis 1931 um 140% erhöht, die Eisenerzgewinnung 1911-1929 um 600%. Die Taiwan Sugar Mfg Co, 1901 gegründet, hatte bis 1930 etwa 40 Zuckerfabriken mit einer Tagesleistung von 27 000 t in Arbeit gesetzt. Die Produktion der Außengebiete insgesamt (Mandatsgebiet, Taiwan, Okinawa und Rübenzucker von Hokkaidö und Karafuto) machten einen Zuckerimport überflüssig. Die Kohleförderung in Karafuto war bis 1929 auf 635000 t gestiegen, so daß bereits 16000 t nach den Stamminseln ausgeführt werden konnten. Im Jahre 1914 hatte die Mitsui Bussan in Ochiai eine Fabrik errichtet, in der die Tannen- und Fichtenbestände Karafutos zu Papierbrei verarbeitet wurden. Als während des Weltkriegs die Zellstoffeinfuhren aus Europa wegfielen, wurde die japanische Eigenproduktion stark belebt, und da im Stammland die Holzbestände in den zugänglichen Gebirgslagen schon während der Meiji-Zeit von den ersten Papierfabriken stark in Anspruch genommen worden waren, entstanden in rascher Folge in Hokkaidö wie in Karafuto nach dem Vorbild der Ochiai-Fabrik weitere Pulp- und Papierfabriken. Es waren in Karafuto bis 1930 insgesamt 8 Fabriken, die 1935 noch um die Shikuka-Rayon-Pulp-Werke vermehrt und zur Öji Seishi amalgamiert wurden. Karafuto wurde zum führenden Holzstofflieferanten des Inselreichs (11). Die stärksten Impulse erhielt die Industrie der Stamminseln aus den Produktionsleistungen der SMR-Gesellschaft, die das Eisenerz von Anshan und Penhsihu und die reichen Kohlenlager von Fushun abbaute, wobei das Hangende der offenen Kohlengruben von Ölschiefern gebildet wird, aus denen 1928 etwa 1 Mio. t Dieselöl gewonnen werden konnten. Die Roheisenproduktion von Anshan lag in den Jahren 1927-1929 bei 200000 t, die Steinkohle-Förderung 1928 bei 7 Mio. t, von denen 1,9 Mio. t ins Stammland exportiert wurden.
IV. Die dynamisch wachsende Bevölkerung als Faktor der Industriebelebung Der heimische Absatzmarkt wuchs nicht nur durch den Bedarf an Infrastrukturverbesserungen (Eisenbahn, Telegrafendienst, Hafenanlagen), sondern vor allem auch durch die erhöhte Nachfrage nach Konsumgütern infolge der gestiegenen Bevölkerungszahl: die Stamminselbevölkerung zählte 1930 bereits 64 Mio. Menschen, die koreanische Bevölkerung näherte sich 1930 der 20 Millionen-Schwelle, Taiwan hatte knapp 5 Mio. Einwohner. Für die japanischen Industrieartikel stand schon ein Binnenmarkt von insgesamt 90 Mio. Menschen zur Verfügung. Diese Tatsache allein erklärt schon, warum die Textilindustrie ihre führende Stellung gegenüber den anderen Industriezweigen behielt. Das galt auch für die Gewinnung von Rohseide, die sich von 1913 bis 1929 um 235% erhöhte. Die absolute Führung aber übernahm die Baumwollindustrie. In ihr hatte sich ein Konzentrationsprozeß mit gleichzeitig durchgreifender Rationalisierung vollzogen (4, 201). Den Spinne-
B. Entwicklung im territorial erweiterten Staatsgebiet,
1914-1930
291
reien gliederten sich betriebseigene Webereien an, und schließlich mehrten sich auch die reinen Webereien. Mit steigendem Inlandbedarf und Export nach den U.S.A. stieg auch der Import von Rohbaumwolle. Osaka gewann seine zentrale Stellung im Baumwollhandel wie auch in der räumlichen Struktur der Baumwollindustrie. Von den Fabrikarbeitern, die 1930 in Betrieben von fünf und mehr Beschäftigten gezählt wurden, entfielen 50% auf die Textilindustrie (4, 202). Die Wollindustrie hatte daran einen geringen Anteil; sie befand sich noch in der Umstellung von der Einfuhr von Wollgarnen auf Einfuhr von Rohwolle. In der metallverarbeitenden Industrie erhielt die Herstellung von Fahrrädern einen vorderen Platz. Die heimische Nachfrage war groß. Zunächst betrieb man Montage-Industrie, in der das Fahrzeug aus standardisierten Einzelteilen zusammengesetzt wurde. Dieses Verfahren schien der Vorliebe der Japaner für Kleinbetriebe förmlich zugeordnet zu sein; denn es bediente sich einer großen Zahl von kleinen und mittleren Zulieferbetrieben. Es hatte darüber hinaus den Vorteil, daß man die Ausstattungskosten für einen Großbetrieb ersparte, die Herstellung damit verbilligte und es möglich machte, das Fahrrad zu niedrigen Preisen auf den Weltmarkt zu bringen. Auch einige andere, schon in der Meiji-Zeit importierte Industrien vermochten seit 1914 ihre Produktion derart zu steigern, daß sie für den Binnen- wie für den Außenhandel Bedeutung erlangten. Die maschinell arbeitende Papierindustrie, vom Ministerialbeamten EÜCHI SHIBUSAWA aus den U.S.A. eingeführt und erstmals 1867 in Öji (heute Tokyo, Kita-ku) in Betrieb genommen, war 1888 von der Verwendung von Papierstrauch und Reisstroh zur Nutzung von Holz-Zellstoff übergegangen, hatte bis nach Kyüshü Verbreitung gefunden und hatte sich durch den Ausfall von Zellstoff-Importen während der Kriegsjahre nach 1914 herausgefordert gesehen, Zellstoff im Lande selbst zu erzeugen. Von dieser Entwicklung war bereits die Rede. Für die Niederlassung der Kautschuk-Industrie spielten zunächst englische und amerikanische Firmen eine Rolle. Die englisch geleitete Fabrik „Ingram Rubber C o " , 1908 in Köbe errichtet, war für Japan die erste ihrer Art. Ihr folgte, ebenfalls in Köbe, die „Dunlop Rubber C o " . Beide Firmen belieferten die Fahrradindustrie (s. o.) mit Schläuchen, die im übrigen schon vor dem Ersten Weltkrieg auch exportiert wurden. Seit Ausbruch des Ersten Weltkriegs breitete sich der Industriezweig sprunghaft aus. Japan verwandelte sich auf diesem Gebiet zum ersten Mal vom Importeur zum Exporteur. Selbst die Herstellung von Autoreifen und Autoschläuchen durch die „Yokohama Rubber C o " , die durch das Erdbeben von 1923 unterbrochen worden war, wurde bis 1930 bis zur Exportfähigkeit gesteigert. Die „Bridgestone-Tire C o " gründete 1931 in Kurume (Kyüshü) eine Reifenfabrik, die nebenher auch gummibesohlte tabi1 und Turnschuhe fertigte. Die Chemische Industrie war schon seit der Landöffnung mit einigen Zweigen vertreten. Die Schwefelsäure-Industrie wurde auf der Basis des heimischen Pyrit in Betrieb gesetzt, und da der Rohstoff in großen Mengen verfügbar war, wurde Japan in den dreißiger Jahren nach den U.S.A. sogar zum bedeutendsten Schwefel1 Sockenartige Fußbekleidung aus weißem oder schwarzem Stoff, bei denen die große Zehe ein Fach für sich hat. Die tabi ersetzen Schuhe; sie werden von Handwerkern, Straßenverkäufern, besonders gern auch von Bergführern getragen.
5. Kapitel: Stufen der industriewirtschaftlichen
292
Entwicklung
säure-Produzenten der Erde (12, 183). Die meisten der Schwefelsäurefirmen produzierten zugleich Düngemittel. Die Alkali-Industrie, obgleich ohne heimische Grundlage arbeitend, durfte sich der staatlichen Subentionierung erfreuen. Sie kam in der Zeitspanne von 1907-1930 mehr als 10 Soda- und Ätznatronfirmen zugute, deren Standorte sich über die Küsten der Setonaikai und des Tökaidö verteilten, aber auch die Toyamä-Küste Ura-Nippons nutzten. Die Flachglas-Industrie nahm ihre Produktion zu Beginn des Ersten Weltkrieges in größerem Umfang auf und steigerte die Auslieferungen bis 1919 um das Zehnfache. Sie wurde vornehmlich in den Omote-Bezirken von Fukuoka, Hyogo, Ösaka, Aichi, Kanagawa und Tokyo betrieben. Der Rohstoff Quarzsand wurde aus Korea bezogen. In der Nahrungs- und Genußindustrie erhielten die Zuckerindustrie und die Bierbrauerei starken Auftrieb. Taiwan ist erst durch Japan zum Zuckerrohrland gemacht worden. Okinawa und die Mandatsinseln sind ebenfalls zu Zuckerlieferanten entwickelt worden (s. Tab. 7). Die Erfolge in den Südräumen hatten geradezu die Vernachlässigung des Rohranbaus im eigenen Lande bedingt und die Aufmerksamkeit von den Möglichkeiten des Anbaus von Zuckerrüben in Korea und in den Nordgebieten abgezogen, obgleich der Gouverneur von Karafuto bemüht darum war, den Rübenanbau von Hokkaidö über die Soya-Straße hinweg nach Norden zu ziehen (die Rübenzuckerfabrik in Toyohara wurde 1935 errichtet). Fast alle Zuckerfirmen unterhielten Zuckerfabriken sowohl in den Anbaugebieten als auch auf den Stamminseln. Im Jahre 1923 lag die tägliche Kapazität für die Verarbeitung von Rohzucker zu raffiniertem Zucker bei 2000 t (12, 208). Tabelle 7. Die Erzeugung von Rohzucker im japanischen Reichsgebiet,
1897—1940
in 1000 t Zuckeijahr Taiwan*
Okinawa*
1897/98 1919/20 1930/31 1934/35 1939/40
48 66 87 95
41 223 797 966 1133
Hokkaido** und Karafuto**
Korea**
MandatsStammgebiet inseln* (Nanyö-cho)*
Insgesamt
__
_
_
95 293 935 1172 1331
-
22 35 28
-
1
-
39 68 61
54 22 10 16 14
* Rohrzucker ** Rübenzucker Quelle: Sugar Yearbook, 1928 u. 1941
Das traditionelle Brauereigewerbe erfuhr seit der Landöffnung eine immer deutlicher werdende Aufspaltung. Neben Sake entwickelte sich Bier als Volksgetränk, wenn anfangs auch sehr zögernd. Die Wirkung war ein allmähliches Sinken der Anzahl von Sake-Brauereien, bei allerdings gleichzeitig größerer Konzentration der Betriebe. Um 1920 wurden 10235 Sake-Brauereien gezählt, die sich über alle Inseln verteilten. Hyögo, Okayama, Hiroshima, Fukuoka und Kumamoto galten als die Bezirke, aus deren Reis sich der beste Sake brauen ließ. Wenn die Produktion von 11,2 Mio. hl im Jahre 1923 auf 8,7 Mio. hl im Jahre 1930 sank, dann hieß das noch nicht, daß Sake seine Rolle als alkoholisches Hauptgetränk ausgespielt
C. Hegemoniestreben
im Rahmen Ostasiens, 1931 — 1945
293
hatte. Für Bier fehlte noch die Rohstoffbasis. Die in Japan angebaute Gerste erwies sich als wenig geeignet; der Hopfenanbau, für den Töhoku und Hokkaido in Frage kamen, war zwar versucht worden, hatte aber zu keinen Ergebnissen geführt. Hopfenlieferanten mußten Deutschland, Tschechoslowakei und die U.S.A. sein. Die Mitverwendung von Reis und Weizen im Herstellungsverfahren gab dem Bier einen eigenen Geschmack. Im Jahre 1924 erreichte die Produktion mit 1,6 Mio. hl ihren ersten Höhepunkt (6, 630). Wesentlichen Anteil hatten daran die 1907 in Yokohama errichtete Kirin-Brauerei (Yokohama, Tòkyo, Sendai) und die später gegründeten Zweigwerke der „Dai Nippon Brewery" (Tokyo, Nagoya, Osaka, Fukuoka).
V. Der Rückschlag durch das Große Erdbeben von 1923 Das Große Erdbeben vom 1. 9. 1923 wurde als eine Katastrophe für die gesamte Nation empfunden (s. Bd. 1, S. 120—123). Die von TOKUGAWA IEYASU aufgebaute und seit der Meiji-Restauration in ihrer Funktion noch erhöhte infrastrukturelle Mitte des Reichs war funktionslos gemacht: Straßen, Brücken, die fast ganze Shitamachi mit Hafen, Handels- und Wohnvierteln sowie ein hoher Prozentsatz der seit 1868 entwickelten Industrie waren zerstört. Nicht nur die Unterstadt von Tòkyo, auch die Küstenregion bis nach Yokohama und Yokohama selbst waren schwer getroffen. Ein kaiserliches Edikt vom 12. 9. 1923 erklärte u. a.: „Tòkyo soll wie bisher Hauptstadt bleiben; deshalb soll es wiederaufgebaut werden und dabei gilt es nicht nur Altes wiederhinzustellen, sondern eine neue Ordnung zu schaffen, die eine Entwicklung in die Zukunft ermöglicht" (18, 213, 214). Hilfe traf aus allen Landesteilen und aus vielen Ländern ein. Die Neuordnung des Straßensystems, Wiederherstellung der Kanäle und Brücken, Anlage von Grünflächen, der Aufbau der Zentralen Großmarkthalle Tsukiji, die Errichtung von 106 Volksschulen, von Hospitälern, Wasserwerken, Verkehrseinrichtungen, nicht zuletzt auch die Aufschüttung von Küstenland wirkten sich belebend auf alle Industriezweige des Landes aus. Der Wiederaufbau der Hauptstadt war zur nationalen Sache geworden; die gemeinsamen Anstrengungen ermöglichten es, daß nach 7 Jahren die neue und moderne Stadt als vollendet gelten konnte (über das heutige Tòkyo s. Bd. 3). Neue Industriegebiete entstanden auf dem Aufschüttungsland an der Sumidagawa-Mündung und entlang der Keihin-Küste (Tòkyo—Yokohama). Nach Norden und Osten drang die Industrie bis nach Arakawa vor. Die Entwicklung des späteren Industriebandes entlang der Eisenbahn von Shinjuku nach Hachioji (Chüo-Linie) bereitete sich vor.
C. Industriewirtschaftliches Hegemoniestreben im Rahmen Ostasiens, 1 9 3 1 - 1 9 4 5 I. Die Idee der ostasiatischen Wohlstandsphäre Schon nach dem Großen Erdbeben wurde führenden Kreisen der Politik und Wirtschaft immer deutlicher, daß ein Wirtschaftsaufbau auf der Basis der heimischen natürlichen und technischen Hilfsquellen über ein Mittelmaß hinaus nicht möglich war, solche Entwicklung aber in Hinblick auf das steile Wachstum der Bevölke-
294
5. Kapitel: Stufen der industriewirtschaftlichen
Entwicklung
rung erforderlich erschien. Aus dieser Diskrepanz erstand die Konzeption einer ostasiatischen Integration im Sinne der seit den dreißiger Jahren von Japan gewollten „Co-Prosperity Sphere", die im übrigen der amerikanisch-britisch-deutschen Technik nicht entraten konnte und wollte. Daß militärische Kreise die „Ostasiatische Wohlstandsphäre" gewaltsam zu erzwingen versuchten, war das Unglück für Japan. Historische Daten für die imperialistische Ausbreitung sind der Mandschurische Zwischenfall von 1931, die Errichtung des Kaiserreichs Mandschukuo 1932, der Japanisch-Russische Vertrag über den Verkauf der sog. Ostchinesischen Eisenbahn 1935, die Besetzung der Paracelsus- und Spratly-Inseln durch Japan 1939. Die wirtschaftlichen Grundlagen für die Idee der Ostasiatischen Wohlstandsphäre sah man in den Fakten des starken Wirtschaftsgefälles zu allen anderen asiatischen Länder, die Japan Energie- und Rohstoffe zulieferten und Fertigwaren abnahmen, also mehr oder weniger die Funktion kolonialer Ergänzungsräume ausübten. Die Verwirklichung einer Großraumwirtschaft erhoffte man sich durch rationelle Verteilung der Produktionsaufgaben, Verstärkung der Montanwirtschaft, Energiewirtschaft, Intensivierung der Landwirtschaft „Reis-Asiens" und durch die Schaffung eines einheitlichen Bankwesens. Den breitesten Ansatz für die Entwicklung des Großraums schuf sich Japan in der Mandschurei. Der hier neu gebildete Staat, der nur 13 Jahre bestand, war de facto ein Teil des japanischen Wirtschaftsraumes. Er hatte als solcher eine vierfache Funktion: Er war Rohstoffkammer, industrieller Entwicklungsraum für japanisches Kapital, Absatzmarkt, sogar Aufnahmegebiet für japanische Menschen, Wirtschaftsführer wie siedelnde Bauern. Von höchstem Wert erschienen der japanischen Industrie die großen Reserven an Bodenschätzen, insbesondere an Kohle, Eisenerzen, Magnesit und Ölschiefern. Schon 1933—1938 gelang es, die Kohleförderung von 7,1 Mio. t auf 15 Mio. t und die Eisenerzgewinnung auf 2 Mio. t zu heben. Die Kohlengruben von Fushun, die Eisen- und Stahlwerke von Anshan und Pen-hsi-hu waren zu Ausstrahlungszentren für die Industrialisierung und Besiedlung der Mandschurei geworden (14). Pläne, die während des Zweiten Weltkrieges erfüllt wurden, sahen die Produktion von 5 Mio. t Roheisen vor. Tätigte Japan noch 1933 nur 44% seines Außenhandels (einschließlich Taiwan und Korea) mit den Ländern Ostasiens2, so war dieser Anteil bis 1938 bereits auf 58% gestiegen (Tab. 8). China, Korea, Kantung, Taiwan und die Philippinen waren in steigendem Maße zu Lieferanten von Bodenschätzen und Rohstoffen sowie zu Abnehmern der japanischen Fertigwaren geworden, während sich die Abhängigkeit vom amerikanischen Markte verringerte. Durch nordsüdlich verlaufende Verkehrsbänder sollten die Glieder des Großraums untereinander verbunden werden. Hauptstrang sollte die Chükansen werden, die „Mittellinie", die es von Karafuto bis Taiwan als Nordsüdlinie auszubauen galt und als deren Endpunkte Singapore und Surabaja vorgesehen waren. Der erste Akt für die Verwirklichung dieses Plans war die Eröffnung des am 30. 3. 1941 fertiggestellten Kanmon-Tunnels 3 , der seit
2 Der Begriff Ostasien und die Abgrenzung dieses Großraums wurden in Bd. 1, S. 8 - 1 2 besprochen. 3 Der Name Kan-mon ergibt sich aus der sinischen Lesung der beiden Schriftzeichen, deren erstes auch „seki" lesbar ist, deren zweites dem ersten Schriftzeichen von Möji entspricht. Kanmon bedeutet also Tunnel zwischen diesen beiden Städten.
C.
Hegemoniestreben
im
Rahmen
Ostasiens,
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1931-1945
295
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Die Küstenfront von Kawasaki,
1980
/ Städt. pKai-Anl. Ogi-jima /
320
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
als geographische
Faktoren
und der Akita Rinkaichi (Akita-Funakawa). Zur Suonada-Hafengemeinschaft gehören die Häfen der vor Shimonoseki zusammenlaufenden Küstenschenkel des 600 km 2 Wasserfläche umfassenden Suo-Meeresbeckens. Geplant ist die Aufschüttung von 16100 ha Umetate-chi. Von Möji aus sind die Arbeiten auf der 35 km langen, bis Nakatsu reichenden Küstenstrecke schon weit fortgeschritten; hier werden die küstennahen Hügel abgetragen und deren Gesteine als Aufschüttungsmaterial verwendet. Von Shimonoseki aus werden als Schwerpunkte solcher Entwicklung die bereits mit Aufschüttungsland versehenen Industriehäfen von Onoda, Übe, Höfu, Tokuyama, Kudamatsu und Hikari benutzt. Die Ise-wan-Hafengemeinschaft will die Häfen der Ise-Bucht einschließlich der Chita-Atsumi-Bucht erweitern und in ihren Funktionen koordinieren. Der Außenhandelshafen von Nagoya wurde um eine Kaianlagefläche von 400 ha, die Binnenhandelsanlagen um 90 ha und der Industriehafenbaugrund um 2080 ha erweitert. Vor Yokkaichi wurden bis 1980 12,5 ha Aufschüttungsfläche fertiggestellt. Der völlig neue Mikawa-Hafen in der Innenbucht der Atsumi-wan, eine Wasserfläche von 40 km 2 , wird mit 4055 ha Umetate-chi versehen. Von großer Bedeutung für Tabelle 11. Die Aufschüttungsflächen Küstenstadt
einiger Küstenstädte nach dem Stand von 1979 Umetate-Fläche in ha
Bemerkungen
1. Küstenstädte der Medianlinien-Region Nagasaki bis zur Tòkyo-wan Nagasaki Sasebo (Sakibe 76, Óshima 73,3) Karatsu Ariake-Werft òmura: Mishima Fukuoka Yawata u. Tobata
400 149 118 152 160 680 7 766
Städte an der Suö-nada Óita
16 100 5 291
Iwakuni Hiroshima Kure Fukuyama (NKK) Mizushima Niihama Takamatsu Okayama Kóbe Nishinomiya Amagasaki Òsaka Sakai u. Senboku Küstenstädte der Ise-wan Keihin-Städte Keiyö-Städte
1 031 833 522 923 2 550 465 215 1 767 1 720 270 800 3 060 2 180 6 700 4 269 13 273 71 394
Werkfläche 1 300 ha, Umetate 60%, davon '/¿o in Tobata Werkfläche 7 122 ha, davon Umetate 74,3%
B. Die Eisen- und Stahlindustrie
insgesamt
Küstenstadt
321
Umetate-Fläche in ha
Bemerkungen
2. Küstenstädte des Nankai-dô Hyûga Kagoshima-shi Kiire Naha Henzashima
182 770 200 100 280 1 532
3. Küstenstädte in Ura-Nippon und Tôhoku Yonago Kanazawa Toyama-Fushiki Jôetsu (Naoetsu) Niigata Akita-Funakawa (A.-Rinkaichi) Sendai Hachinohe
72 235 70 35 210 4 400 162 280
noch im Aufbau einschl. im Aufbau befindl. Hafeninsel mit 67 ha
6 261 4. Küstenstädte auf Hokkaidô Hakodate Muroran Kushiro Nemuro (5) — Hanasaki (16)
750 725 142 21 1 661
Insgesamt
80 848 ha (808 km 2 )
die Entwicklung der Japanmeerseite kann die Bereitstellung der IndustriehafenInfrastruktur im Akita-Rinkaichi sein. Die vom Akita-Flußhafen bis nach Funakawa 25 km lange Küstenfront wird um ein durchschnittlich 2 km breites Band von Umetate-chi gegen das Meer vorgeschoben. Insgesamt ist das Japanische Inselreich seit 1950 um rd. 1000 km 2 Aufschüttungsfläche gewachsen. In Tab. 11 sind einige der bedeutenden Aufschüttungsflächen aufgeführt. Nicht eingerechnet ist das Polderland, das sich in seiner Zweckbestimmung, in der Methode seiner Gewinnung und seiner Bodenstruktur grundsätzlich vom Umetate-chi unterscheidet. Das Aufschüttungsland ist Bauland für die Industrie- und Hafenwirtschaft sowie für städtische Wohnbezirke; das Polderland dient der Landwirtschaft. Im übrigen ist in den Jahren 1974—75 das Genehmigungsrecht für den Aufbau von Umetate-chi in die Kompetenz der Ken-Verwaltung gelegt worden; seither haben die Neu-Aufschüttungen nachgelassen (vgl. hierzu Schrumpfung der natürlichen Küstenlinie, Abb. 35). Nicht nachgelassen hat die Verfolgung der Alternative für die Erweiterung des Baulandes: Die Einebnung des Küstenlandes in Küstennähe. Der Vorgang des Bergkappens hat im Gegensatz zum Bodenaufschütten, dem Umetate, noch keinen
322
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
als geographische
Faktoren
Bild 18 Abtragung der Küstenterrasse an der Setonaikai-Küste des Stadtgebiets von Möji u. die Verwendung des Steinmaterials zur Schaffung von küstennahem Aufschüttungsland. Aufn. M. Schwind, 1979
japanischen Sammelbegriff erhalten, wahrscheinlich weil man die verschiedenen Sonderformen desselben Geschehens noch nicht einem besonderen Begriff zu subsimieren vermochte. Da der Vorgang in seiner kulturlandschaftlichen Erscheinung aber von Okinawa bis Hokkaidö sehr bemerkenswert ist, habe ich mich um solchen Begriff bemüht, allein schon, um in den Gesprächen das Phänomen bezeichnen zu können. Ich verwendete die Wortbildung „yamakiri" und sprach entsprechend zu „umetate-chi" von „yamakiri-chi" in Anlehnung an den Ortsnamen Ishikiri-yama im Tal des Toyohirakawa, einem Platz, an dem „ishi" (Steine) in einem Steinbruch „geschnitten" (kiri) werden. Uberraschend war für mich, daß der Begriff angenommen und im weiteren Gespräch auch von Japanern verwendet wurde.
Die Abtragungsflächen, z.T. durch den Bedarf an Aufschüttungsmaterial, z.T. zur Errichtung von Wohngebieten (danchi) entstanden, mögen sich auf Tausende von Hektar belaufen. Fast alle Danchi-Vororte der Großstädte wurden auf Einebnungen von Hügelland angelegt, wobei es nirgends um Schonung von natürlicher Landschaft um jeden Preis geht; die Einebnungen reichen z. B. dicht an den Nationalpark Matsushima heran. Man setzt in Japan auch der Natur gegenüber Prioritäten, und folgt dem Prinzip, daß der Dienst am Menschen Vorrang gegenüber dem Schutz landschaftlicher Unversehrtheit hat. Das ist ein aus der Landenge bedingtes pragmatisches Verhalten, das über den gesamten Archipel hinweg erkennbar ist. Die Erweiterung des Baulandes in den Verfahren des Yamakiri und Umetate ist
B. Die Eisen- und Stahlindustrie
insgesamt
Bild 19 Abtragung einer Hügellandschaft bei Kure auf der rechten Uferseite des Kurosegawa. M. Schwind, 1979
323
Aufn.
die bedeutendste Antwort der modernen Industrie- und Leistungsgesellschaft auf die Herausforderungen der natürlichen Beschaffenheit des Landes. Sie ist in diesem Zusammenwirken etwas Einmaliges und ist beispielhaft für raumenge Küstenländer. 3. Ausreichende
Humaninfrastruktur
Innerhalb der Eisen- und Stahlbranche stellt die Großindustrie mit mehr als 1000 Beschäftigten nur 1% der Firmen; aber in diesen Firmen arbeiten rd. 50% der insgesamt (1975) 530500 Beschäftigten der Branche (16, 172). Die zahlreichen Mittel- und Kleinbetriebe sind zwar ein Charakteristikum eines jeden japanischen Industriezweiges, für die Eisen- und Stahlindustrie ist ihr hoher Anteil nach Zahl und Leistung aber besonders bemerkenswert; sie tragen im übrigen wesentlich zur Verdichtung gewerblicher Niederlassungen, aber auch zu deren Streuung in das weitere Umland hinein bei. Auf sozialem Gebiet fallen sie gegenüber den Großbetrieben stark ab, sowohl im Alter der Arbeitnehmer als auch in allen Fragen der sozialen und kulturellen Vorsorge. Das Durchschnittsalter der Arbeitnehmer in den Großbetrieben, die in Tab. 10 aufgeführt sind, liegt bei 30—38 Jahren. Die Vorsorgeleistungen der Großbetriebe umfassen u. a. die Bereitstellung von Einfamilien-Miethäusern, Mietwohnungen in werkeigenen Danchi 3 , Unterkünften in 3 Unter Danchi versteht man a) vier- bis elfstöckige Apartments in Betonbauweise mit genormten Mietwohnungen, in denen meist ein Kompromiß zwischen Bauelementen japanischer und westlicher Wohnweise gefunden wurde. Industriestandorte sind heute geradezu charakterisiert durch Ortsteile, in denen ganze Straßenzüge von Danchi besetzt sind. Die häufigsten Normen für die Mietwohnungen
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische Faktoren
324
Dormitories, die Erstellung werkeigener Einkaufszentren, den Bau von Schulen, Sportplätzen, Klubhäusern und werkeigenen Hospitälern. Mit solchem Angebot haben insbesondere die Großhüttenwerke keine Schwierigkeiten bei der Besetzung von Arbeitsplätzen; die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte geschieht aus allen Reichsgebieten, sofern für die Bewerber in den Werksiedlungen eine Wohnung und für die Kinder ausreichende Bildungsstätten gewährleistet sind. Daß dabei die leichte Erreichbarkeit einer Metropole eine Rolle spielt, ist selbstverständlich. In einer Großfirma zur Stammbelegschaft zählen und damit den Lebensgang in sichere Bahnen lenken zu können, ist für viele Abiturienten und Akademiker ebenso wünschenswertes Ziel wie für Facharbeiter, denen in einigen Fällen, wie in Hitachi, sogar ein Technikum für ihre Weiterbildung zur Verfügung steht. Als Mitglied der Stammbelegschaft ist man einbezogen in das „Oyabun-kobun"Verhältnis, das zwischen Werkleitung und Arbeitnehmer besteht. Die Wohnungsmieter zahlen im allgemeinen nur 40% der laufenden Mietkosten (Versicherung, Steuer, Reparaturen, Elektrizität, Wasser); 60% trägt das Werk. An der Lebensund Krankenversicherung beteiligt sich der Arbeitgeber mit hohem Prozentsatz. Häufig haben die Betriebe auch Vereinbarungen mit Hotels und Gasthäusern getroffen, aufgrund deren die Firmenmitglieder 50—65% Preisermäßigung erhalten - ein für die Urlaubszeit, abgesehen vom landesüblichen Sommer-Bonus, willkommenes Geschenk. Über die Erstentwicklung des Danchi-Stadtteils von Fukuyama schreibt FLÜCHTER ( 9 , 22t.)
u. a.:
„Da nur ein recht kleiner Teil der NKK-Stammbelegschaft aus dem Gebiet von Fukuyama stammt, mußten für fast alle Betriebsangehörigen Wohnungen gebaut bzw. verbilligte Darlehen für preiswertes Hauseigentum gewährt werden. Die drei größten Werkssiedlungskomplexe (das A-, B- und C-Danchi) beherbergen fast schon Zweidrittel der beinahe 10000 Stammbeschäftigten. Der NKK-Werkswohnungsbau nahm seinen Anfang 1966 mit dem 4 km nördlich des Umetate-chi gelegenen A-Danchi (ca. 7000 Einwohner). 1800 Werkswohnungen für junge Ehepaare sind bei einer Wohnfläche von 2 DK und 3 DK sehr eng, aber mit einer Monatsmiete von maximal 50 DM auch recht billig. Sie bieten durch ihre vier- bis fünfstöckigen, dicht stehenden, fast immer gleich exponierten Beton-Standardbauten nicht viel Abwechslung, während lediglich am West- und Nordrand zwei hohe, bis-zu zehnstöckige Ledigen-Wohnheime die Gebäudemonotonie durchbrechen. 2500 Junggesellen wohnen hier sehr preisgünstig, aber auch bescheiden (jeweils vier Mann auf einem 33 m 2 -Zimmer). Ein Ladenzentrum in der Mitte des Danchi wird nicht, wie oft üblich, durch einen werkseigenen Supermarkt bestimmt, sondern durch etwa 30 private Einzelhandelsgeschäfte der täglichen und zum Teil der gehobenen Bedarfsstufe . . . Ein Kindergarten ist dem Einkaufsbereich gleich angeschlossen. Grund- und Mittelschule, Swimmingpool, Bowlinghalle sowie zwei Arztpraxen sind außerdem vorhanden, aber räumlich nicht konzentriert. Dem Hang zum Wohnen im eigenen (HoIz)Haus, ohnehin in Japan stark ausgeprägt, zumal bei Arbeitern aus agrarischen Räumen, hat NKK durch Unterstützung beim Bau von über 1000 Einheiten Eigenwohnungen (zinsvergünstigte Darlehen) Rechnung getragen . . . Die mittleren leitenden Angestellten ziehen das Leben in stärker städtisch geprägter Umgebung vor. Ihr 80 Wohneinheiten fassender Werksblock (Shataku) 4 in Betonbauweise liegt in der Nähe des Bahnhofs Fukuyama.. . . Das obere Management hat sich erst gar nicht in Fukuyama niedergelassen, sondern Wohnsitz und Familie im Raum Tokyo beibehalten. Häufige Dienstreisen in die Hauptstadt (etwa viermal im Monat), verbunden mit einem Familienbesuch, häufige Versetzung leitender Angestellter im allgemeinen sowie
führen die Bezeichnungen „3 D K " und „2 DK", d. h. 3 bzw. 2 Räume plus Diningroom-Kitchen (Wohnküche). Die Wohnraumfläche der „3 D K " beträgt im allgemeinen 4 5 - 6 0 m 2 ; b) Areale von Danchi verschiedener Größenordnung. 4 Shataku, von den Firmen für die Angestellten gebaute Häuser.
B. Die Eisen- und Stahlindustrie
Bild 20 1979
Grüngürtel
insgesamt
als Kögai-Schutz
rund um das Eisen- und Stahlwerk
325
Öita. Aufn. M.
Schwind,
nicht zuletzt die Attraktivität Tokyos - insbesondere auf dem Sektor Bildungseinrichtungen - können als Hauptgründe angeführt werden. Der Wohnplatz des oberen Managements während der Anwesenheit in Fukuyama ist das für 50 Personen eingerichtete „Kitamidai-Klub-Haus".
4.
Kögai-Schutz
Daß die Eisen- und Stahlindustrie infolge der Häufung ihrer Standorte in der Medianlinienregion die Umwelt in diesen Landesteilen verändert hat, steht außer Zweifel. Soweit diese Veränderungen das ökologische Gleichgewicht schädigten oder noch schädigen, ist dieser Industriezweig mitverantwortlich für all das, was man unter „Kögai" versteht: die Herabsetzung der Lebensqualität durch negativ wirkende Eingriffe in den Naturhaushalt. Kögai ist eine Begleiterscheinung fast aller Industriezweige. Deshalb wird davon erst am Ende dieses Kapitels zusammenfassend gesprochen werden. Hier soll nur auf die Bemühungen hingewiesen sein, mit denen die Eisen- und Stahlwerke die von ihnen ausgehenden Schädigungen zu lindern versuchen. Die Begrünung von Werkgeländeflächen, wie sie vorbildlich von der „Nippon Steel" eingeleitet wurde, ist nur eine der möglichen Maßnahmen. Ebenso wichtig sind die Reduzierung der Schwefelemissionen und die Vermeidung der Abgabe von Nitrogenoxyd, die Installation von Staubfiltern insbesondere in den Bereichen der Gebläse-Hochöfen, Koksöfen und der Sinteranlagen, ferner die Installationen zur Regenerierung des Brauchwassers, zur Ausscheidung von Klärschlamm und Säuren, bei Koksöfen-Abwässern die völlige Beseitigung des Phenol und Cyanogen. Eine neue Industrie ist auf der Basis des 1967 verabschiedeten „Grund-
326
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
als geographische
Faktoren
gesetzes zur Kontrolle der Umweltschädigung" (19) entstanden, eine Industrie, die sich um die Entwicklung der zweckmäßigsten Apparaturen und Installationen für die Beseitigung von Emissionen aller Art bemüht. Die „Nippon Steel" importiert seit 1972 vornehmlich Eisenerz mit geringem Schwefel-Gehalt und setzt damit schon die Schwefelemissionen wesentlich herab (23, 31). Die „Sumitomo Metal Industries" berichten (31, 8), daß im fiskalischen Jahr 1976 19,6% aller Investitionen in die „antipollution projects" flössen, die mit den für ihre fünf Werke zuständigen Ken- und Stadtverwaltungen besprochen wurden. Landschaftlich weithin sichtbare Merkmale der Emissionsbekämpfung sind die Schornsteine, deren Höhe gesetzlicher Regelung unterliegt. Nur in Rücksicht auf den Flughafen Tökyö-Haneda begnügte man sich im Umkreis von 4 km mit einer Schornsteinhöhe von 45 m; schon in 6 km Entfernung sind höhere vorgeschrieben, die aus der Menge und Art der Emissionen im einzelnen bestimmt werden. Sie können bis zu 200 m Höhe erreichen. Eine generelle Zonierung für Schornsteinhöhen gibt es nicht. Kawasaki und Tsurumi sind in ihren Küstenbereichen ökologisch durch Industrie zerstörte Räume; hier trifft man, von kleinen Golfplätzen und dem Tempelgrund des Daishi abgesehen, auf keinerlei Grün (vgl. 17, Karten 3 u. 4). III. Die Produktionsleistung der Eisen- und Stahlindustrie 1. Die
Produktionsentwicklung
Die Hinwendung zur Erzeugung von Eisen und Stahl während des dritten Jahrzehnts der Meiji-Zeit war für Japan ein Akt im Rahmen des Anpassungszwangs an die westliche Welt. Die Förderung der Schwerindustrie wurde aber mehr als das Wachstum anderer Industriezweige zu einer Frage des nationalen Prestiges (s. Kap. 5). Nur mit ihrer Stärkung konnte Japan hoffen, in den wirtschaftlichen Rang eines westlichen Industriestaates aufzusteigen. Die Konzentration auf die Maximierung der Stahlproduktion blendete die Sorge um eine regional möglichst ausgeglichene Industrialisierung ab; das läßt sich aus den seit der Meiji-Zeit durchlaufenen wirtschaftlichen Entwicklungsstufen (s. 5. Kap.) deutlich erkennen. Die Steigerung der Produktion wurde von der Öffentlichkeit mit Freude und Stolz aufgenommen: Das konnte man in der Presse lesen und im Gespräch auf der Straße hören, als in den Jahren 1958—1964 nacheinander die Stahlerzeugungen Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands (Tab. 12) überrundet wurden. Seit 1964 steht Japan mit den USA und der SU an der Spitze der stahlproduzierenden Staaten. Die Formierung der „Nippon Steel" zum großen „Stahlriesen" der Welt im Jahre 1970 wurde wie ein Sieg gewürdigt. Das Prestigedenken durchgriff auch die Firmen untereinander. „War NKK stolz darauf, 1970 seinen inländischen Konkurrenten Sumitomo Metal (Werk Wakayama) in der Rohstahlkapazität eines Einzelhüttenwerks überrundet zu haben, wurde zwischenzeitlich durch Kapazitätserweiterungen bei den ebenfalls noch im Ausbau stehenden Riesenhüttenwerken Kawasaki Steel (Mizushima) und Nippon Steel (Kimitsu) diese Position gefährdet. Seit der Erhöhung der Rohstahlkapazität auf 16 Mio. t (1973/74) ist man stolz, wieder sekai ichi (die Nr. 1 in der Welt) zu sein" (9).
B. Die Eisen- und Stahlindustrie
insgesamt
327
Die Entwicklung seit 1950 ist nicht in stetigem Aufstieg geschehen; es hat Jahre der Rezession und Jahre besonders steilen Aufschwungs gegeben (Tab. 12); in diese Schwankungen waren die Großfirmen voll einbezogen. Für kleinere Firmen reifte daraus der Entschluß, sich einer größeren anzuschließen, so daß alte Namen aus ihnen verschwanden, neue in sie eintraten, wie dies auf höchster Ebene bei der Fusionierung der Yawatawerke, Fuji Iron and Steel und Tokai Iron and Steel zur „Nippon Steel Co" geschah.
Tabelle 12. Die Entwicklung der Roheisen- und Rohstahlproduktion (nach J. Stat. Yb.) Jahr
Roheisen
1901 1920 1930 1940 1950 1955 1958 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980
1 3 2 5 7 11 15 17 19 23 27 32 40 46 58 68
51 521 162 512 233 217 394 896 821 972 936 778 502 018 095 397 147 048
74 90 90 86 86 85 78 83
055 007 437 877 600 886 589 480
Rohstahl
2 6 4 9 12 22 28 27 31 39 41 47 62 66 82 93 88 102 119 117 102 107 102 102 111 110
11 811 289 856 838 407 118 138 268 546 501 799 161 784 154 893 156 322 557 972 322 131 313 400 405 105 750 000*
Japans 1901—1980 in 10001
Anmerkungen
Kriegsnachwirkung Korea-Boom Auswirkungen des Jimmu Boom Vergleich mit BR Deutschland, Rohstahlprod. in Mio t (Pentadensummen) Japan Deutschland 1961-1965 168,3 171,8
1966-1970
352,3
203,5
1971-1975
524,2
225,0
1976-1980
533,6*
210,0*
* geschätzt
Der Wettbewerb unter den großen Firmen um die Erhöhung ihres Anteils an der Produktion des Reiches insgesamt ist aus Tab. 13 ersichtlich. In den Jahren des Jimmu-Booms von 1956 bis 1962 war das Wirtschaftswachstum Japans das höchste der Welt; getragen wurde es durch die private Investitionsfreudigkeit; man empfand die Möglichkeit eines Wiederaufstiegs als eine nationale Frage. Die Stahlindustrie investierte in die Erneuerung ihrer technischen Ausrüstung und in den Import von Linzenzen insbesondere amerikanischer Firmen.
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
328
als geographische
Faktoren
Tabelle 13. Anteile der 5 großen Stahlfirmen an der Rohstahlproduktion Japans insgesamt, Angaben in 10001, Anteile an Produktion in % in Klammer
1965—1979.
Firma
Jahr: 1965
1972
1974
1975
1976
1979
Nippon Steel Co
16 091 (39,00)
35 369 (34,34)
38 500 (32,86)
32 500 (31,76)
34 0 0 0 (31,65)
33 4 7 2 (30,0)
Nippon Kokan K.
4 286 (10,36)
14 083 (13,67)
16 200 (13,83)
14 7 0 0 (14,36)
14 7 0 0 (13,68)
14 127 (12,6)
Kawasaki Steel
4 344 (10,55)
12 086 (11,73)
14 900 (12,72)
13 4 0 0 (13,09)
13 3 0 0 (12,38)
12 903 (11,5)
Sumitomo Metal Industries
4 184 (10,16)
12 002 (11,65)
14 535 (12,40)
13 0 7 2 (12,77)
13 336 (12,41)
12 892 (11,5)
Kobe Steel
2 436 (5,92)
6 299 (6,11)
8 100 (6,91)
7 700 (7,52)
7 800 (7,26)
7 582 (6,8)
Japan insgesamt
41 161 (100,00)
102 972 (100,00)
117 131 (100,00)
102 313 (100,00)
107 4 0 0 (100,00)
111 7 5 0 (100,00)
Von diesen Lizenzverträgen waren die 2 5 0 sog. A-Lizenzen die wichtigsten; das waren jene mit einer längeren als einjährigen Dauer. Hierzu gehörten die 1951 von der „Fuji Iron" und 1952 vom Yawata-Werk mit Armco International für Bandwalzwerke abgeschlossenen Verträge. Es folgten weitere Lizenzverträge mit amerikanischen, aber auch mit europäischen Firmen; mit „Comptoir Industrial d'Etirage et Profilage de Metaux" (Frankreich) für Spritzguß, mit den deutschen Firmen Leybold und „Bochumer Verein" für die Bochumer Methode der Vakuumentgasung bzw. für die Dortmunder Methode mit den Dortmund-Hörder Hüttenwerken, mit Mannesmann für Stahlrohr-Schweißkonstruktionen u. a. Einer der wichtigsten Abschlüsse erfolgte mit den österreichischen Alpine Montanwerken für den sauerstoff-angeblasenen Konverter, den sog. „ L D " oder Linz-Donawitz-Konverter (29, 55). Schon 1965 wurden 60% des Rohstahls in Konverter gewonnen.
Der Rezeptionsvorgang in den Nachkriegsjahren, insbesondere seit dem JimmuBoom, erinnert an den Beginn der Meiji-Zeit. Weltoffen wandte sich Japan an die Industrienationen der Welt, um die neuesten Errungenschaften zu importieren und sich zu eigen zu machen. Wie schon damals griff auch jetzt die japanische Regierung unterstützend ein; sie förderte die Lizenzabschlüsse durch den „Erlaß zur Importsteuerbefreiung wichtiger Maschinentypen". Andererseits aber hatte sich das Verhältnis zur Außenwelt geändert: Während die japanischen Unternehmer während der Meiji-Zeit in Rücksicht auf japanische Mentalität manche der importierten Maschinen vereinfachten, subventionierte das MITI (Ministry of International Trade and Industry) die Forschung der Eisen- und Stahlindustrie mit dem Ergebnis, daß etwa seit 1963 japaneigene und auf dem Weltmarkt konkurrenzfähige Entwicklungen in Produktion gegeben werden konnten. „Das Vordringen japanischer Stahltechnik ins Ausland hat mit dem Werk Minas Gerais in Brasilien begonnen" (29, 57). Es war das Signal für die veränderte Funktion Japans innerhalb der technischen Welt; Japan war nicht mehr nur „Role-taker", sondern auch „Rolemaker". Hierin lag letzten Endes die Lösung aus dem „Anpassungszwang", die seelische Genugtuung in der gefundenen Antwort auf die Herausforderungen der westlichen Welt. Investitionsfreudigkeit und Förderung der Industriewerke durch den Staat bei deren Bemühungen, ihre technische Ausstattung beständig mit den Fortschritten in aller Welt zu koordinieren, haben bei gleichzeitig hoch entwickelter Markt-
B. Die Eisen- und Stahlindustrie
insgesamt
329
forschung den Aufschwung der Eisen- und Stahlindustrie bis zum Gipfel von 1973 ermöglicht. Daß dieser Gipfel keine Überhöhung erfuhr und zunächst leicht abgetragen wurde, hat die Kapazitäten nicht verändert, wohl aber hat es zu neuen Überlegungen geführt. Ein leichtes Ansteigen der Produktion lassen bereits die Zahlen nach 1975 erkennen (Tab. 12). Der dritte Platz unter den stahlproduzierenden Staaten ist Japan kaum zu nehmen; auf Platz 4 würde es nur rücken, wenn man die EG als künftiges Staatsgebilde in Betracht zöge: Beachtlich genug, wenn das territorial kleine Japan mit einer Region in Konkurrenz zu treten vermag. Im übrigen läßt Japan alle Industriestaaten hinsichtlich der Wachstumsraten schon wieder hinter sich. 2. Der Rohstoff-
und
Energiebedarf
Die Importabhängigkeit der Eisen- und Stahlerzeugung ist mit der Steigerung der Produktionsmenge und der Erhöhung der Qualitätsansprüche zunehmend empfindlicher geworden (s. Tab. 14). Wie bedrohlich für eine importintensive Industrie das Versiegen der Versorgungsströme werden kann, erlebte Japan noch drastischer als die EG-Staaten in den Jahren der Ölkrisis, die den steilen Sturz der Produktion vom Konjunkturhoch des Jahres 1973 zum Tief der Jahre 1974—1975 verursachte, aus dem sich die Weltwirtschaft bis heute noch nicht erholte. Sicherung des Rohstoffbedarfs ist für die Industrie eines rohstoffarmen Staates die bedeutendste Existenzfrage. Drei Wege werden von Japan hierfür beschritten: 1. Abschluß von langfristigen Lieferverträgen mit ausländischen Produzenten; 2. Beteiligung an der Nutzung ausländischer Rohstoffquellen und damit Sicherstellung von regelmäßiger Belieferung; 3. Abschluß von Abkommen im Sinne des „production sharing" (2—8, 28), wobei ein Teil der Rohstoffgewinnung des Produzenten in Gegenleistung für die Lieferung von Kapitalgütern und technischem Know-how zur Verfügung gestellt wird. a) Sicherstellung des Eisenerzbedarfs Direktinvestitionen im internationalen Eisenbergbau hat Japan seit 1959 aufgenommen (28, 73). Mitsubishi finanzierte 100%ig das Kapital für die Cia. Minera Atacama in Chile; auf den Philippinen übernahm die Kawasaki Steel Co. 90% Kapitalanteil der „Pellet Corporation"; in Australien traten seit 1965 Mitsui, Mitsubishi und Sumitomo als Investoren auf. Langfristige Lieferverträge schlössen japanische Gesellschaften mit Unternehmungen in allen Erdteilen. Die zahlreichen mit nord- und westaustralischen Eisenerzlagerstätten um 1970 für 10—15 Jahre geschlossenen Lieferverträge sind inzwischen erneuerungsbedürftig geworden; sie bauten im übrigen auf der Grundlage einer stetig wachsenden Rohstahlproduktion auf, die seit dem Entwicklungsknick von 1973—1974 anders als erwartet verläuft. Mit der Errichtung des Stahlwerks in Minas Gerais erlangte Japan breiten Zugang zum Eisenerzbergbau Brasiliens. Aber auch hier laufen die Verträge um 1980 aus. Immerhin sind enge Verbindungen mit der Cia. Vale de Rio Doce (CVRD) geschaffen worden, die über 8 0 - 9 0 % der für den Export fördernden Gruben verfügt (28, 83). Bemerkenswert ist der Aufschwung, den der brasilianische Schiffbau genommen hat. „Der 1978 vom Stapel gelaufene Supertanker ,Henrique Dias', ein VLCC 5 5 S. hierzu 6. Kap., 2. Abschn., Fußnote S. 341.
330
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
als geographische
Faktoren
von 337 m Länge und 2 7 7 0 0 0 t Wasserverdrängung, soll Erze nach Japan und auf dem Rückweg ö l aus dem Nahen Osten transportieren" (6). In der brasilianischen Rangliste ausländischer Investitoren nimmt Japan nach den U S A und der B R Deutschland den dritten Rang ein. Wenn auch die größeren Anteile auf die chemische Industrie u. a. entfallen, spielt doch die Eisen- und Stahlindustrie dabei eine wesentliche Rolle. Für den japanischen Eisenerzimport 1965 noch ohne Bedeutung, nahm Brasilien 1975 den zweiten Rang unter den Erzlieferanten ein (Tab. 15). Tabelle 14. Importabhängigkeit der japanischen (J. Stat. Yb. 1977) Rohstoff Eisenerz Schrott Kupfererz Bauxit Nickel Kobalt Phosphat Zink Blei Zinn Antimon Tungsten Molybdän Rohöl Kokskohle
Jahr 1960 92,0 28,5 55,8 100 100 100 100 38,51
46,0
Eisen- und Stahlindustrie,
1960—1975
in %
1965
1970
1972
1973
1974
1975
97,2 15,4 58,9 100 100 100 100 41,6 56,2 15,7 67,3
99,3 6,3 95,1 100 100 100 100
99,5 11,0 76,0 100 100 100 100
99,6 7,7 97,4 100 100 100 100
99,6 8,0 96,8 100 100 100 100
56,3
96,0 13,4 92,9 100 100 100 100 52,9 48,3 7,6 84,2 6,0 40,2
57,5
79,7
79,0
99,7 83,8
99,7 86,1
99,8 87,0
Zweifellos hat die japanische Stahlindustrie auch den Erzbergbau Chiles stark belebt. Die von japanischem Kapital voll getragene Cia. Minerva Atacama „besitzt mehrere Lagerstätten im Gebiet von Caleta de Calderilla, deren Abbau 1960 aufgenommen wurde" (28, 86). Gegenüber Brasilien ist aber Chile als Erzlieferant Japans im Jahrzehnt 1965—1975 stark abgefallen (Tab. 15). Die Eisenerzlagerstätten der Westküste Nordamerikas sind unter dem Gesichtspunkt der Transportkostenersparnis für die japanische Hüttenindustrie weit vorteilhafter als die der südamerikanischen Staaten. Die Entfernungen nach Peru und Chile betragen mehr als 9 000 sm, die Entfernung nach Brasilien ist sogar weit größer, während sie zur Westküste Nordamerikas bei nur 5 000 sm liegen. Für die Kalkulationen der Hüttenwerke schlägt aber seit 1970 nicht nur der Fe-Gehalt der Erze, sondern auch der möglichst niedrige, Umweltschäden verursachende S-Gehalt zu Buch. Souverän werden die Lieferanten gewechselt: Kanada und die U.S.A. haben ihre Bedeutung als Eisenerzlieferanten verloren, haben ihre Vorrangstellung aber in der Lieferung von Kokskohle und Nichteisenerzen (Kanada) ausbauen können (Tab. 15). In Indien wurde von der National Mineral Development Corp. (NMDC) unter technischer, organisatorischer und finanzieller Unterstützung die Erschließung der Bailadila- und Kiriburu-Lagerstätten durchgeführt, die 1968 zu fördern begannen. Beide sind küstenfern und erfordern kostenbelastende Transportwege, ganz abgesehen davon, daß die Verladehäfen zu geringe Tiefen hatten. Durch Infrastrukturverbesserungen hat Indien einen vorderen Platz unter den Erzlieferanten Japans gewonnen (Tab. 15,1). Langfristige Erzlieferungsverträge wurden auch mit Südafrika, Swaziland, Sierra Leone, Liberia geschlossen. Im
B. Die Eisen- und Stahlindustrie
insgesamt
331
liberianischen Eisenerzexport tritt Japan 1970 erstmals mit 7,5% auf; auch als Außenhandelspartner von Sierra Leone gewann Japan 1970 erstes Profil als Abnehmer von Eisenerz. Intensive Investitionstätigkeit entfalteten japanische Firmen in Indonesien (10, 181). Tabelle 15. Regionale Herkunft der Roh- und Heizstoff-Importe
1.
Import von Eisenerz Wert insgesamt 651 806 Mio. Y davon aus Australien*) Brasilien Indien Chile Peru Südafrika Philippinen Indonesien USA
45,6 17,9 15,0 6,0 2,3 1,6 0,9 0,2 0,0
(0,5) (•) (20,0) (17,9) (11,7) (6,9) (3,8) (17,9) (6,9)
Japans, in %, 1975 (St. Yb. '77)
2. Import von Nichteisenerz Wert insgesamt 522 878 Mio. Y davon aus Kanada Philippinen Indien Indonesien Südafrika Neu-Kaledonien Chile Peru Brasilien
22,7 13,9 3,7 6,0 6,0 5,1 4,0 4,9 0,2
*) in Klammer Anteil 1965 3. Import von Kokskohle Wert insgesamt 1 024 634 Mio. Y davon aus USA Australien Kanada SU China BR Deutschland
48,8 26,5 15,6 4,7 0,5 0,8
4. Import an Rohöl Wert insgesamt 5 831 691 Mio. Y davon aus Saudi Arabien Iran Indonesien Kuwait Irak China
28,9 24,4 12,7 8,7 2,0 3,8
b) Sicherstellung des Bedarfs an Kokskohle Die in Quantität wie Qualität nicht ausreichenden landeseigenen Kohlenlagerstätten (s. 4. Kap., 2. Abschn.) machen die Eisen- und Stahlindustrie abhängig von gesicherten Kokskohle-Importen. Die Förderung heimischer Kokskohle ging von 1970 bis 1975 von 8 auf 4 Mio. t zurück; 67,2 Mio. t mußten importiert werden, d. h. die Importabhängigkeit erreichte 92,8%. Berücksichtigt man, daß man sich auch minderwertigerer einheimischer Kohle bedient, um sie mit Kokskohle zu mischen, und daß man den Anteil heimischer Kohle insgesamt auf 12,5 Mio. ansetzt, dann vermindert sich die Importabhängigkeit auf 84,3%. Der für Japan bedeutendste Kokskohlenlieferant sind die U.S.A. (Tab. 15,3). Nachteilig ist dabei, daß die Fördergebiete fast ausschließlich auf der atlantischen Seite Amerikas liegen und damit nur unter Aufwendung hoher Transportkosten zu erreichen sind. Langfristige Lieferungsverträge wurden seit 1961 geschlossen (28, 192). Direktinvestitionen zur Sicherung der Lieferung liegen seit 1968 bei einer Kapitalbeteiligung von 20% an den Fördergesellschaften vor. Zur Sicherung des Bedarfs an Kokskohle auch in Krisenzeiten ist Japan zum Prinzip der Streuung der Bezugsländer übergegangen. Das führte zu einer Hinwendung an Australien, wo die ergiebigsten Steinkohlenreviere — im Gegensatz zu den Eisenerzlagerstätten - in den küstennahen Gebirgen von Neusüdwales und Queensland im
332
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische
Faktoren
Osten des Landes liegen. Als Vorteile für den Bezug australischer Kokskohle nennt SCHÄFER ( 2 8 , 1 8 7 ) „die bedeutenden noch nicht aufgeschlossenen Vorräte, die gute Kohlenqualität zahlreicher Lagerstätten, die relativ geringe Entfernung des Überseetransports nach Japan, die größtenteils guten Lagerstättenverhältnisse, die die vergleichsweise günstigen Preise australischer Kokskohle zulassen, und die politische Stabilität Australiens, die eine Gefährdung der Lieferungen durch innen- oder außenpolitische Differenzen weitestgehend ausschließt."
Der große Sprung des australischen Anteils am Gesamtimport von 14% im Jahre 1960 auf 38% im Jahre 1969 veranlaßte SCHÄFER ZU der Prognose, daß Australien trotz der künftig stärkeren Position Kanadas bei prozentualem Rückgang der Lieferungen aus den U.S.A. in Zukunft der Eckpfeiler in der Kokskohlenversorgung Japans sein werde, was sich auch in der Beteiligung japanischen Kapitals im australischen Steinkohlenbergbau ausdrücke (28, 182). Daß diese Prognose handelspolitische Überlegungen außer acht ließ, ist aus den für das Jahr 1975 geltenden Anteilwerten abzulesen (Tab. 15). Die Bedeutung, die der Kokskohlenversorgung für die japanische Kernindustrie zukommt, führte 1969 zur Gründung der „Japan Overseas Coking Coal Development Co", deren Aufgaben in der Marktforschung und in der Lagerstättenforschung in Übersee, gegebenenfalls in der Anlage von Investitionen an überseeischen Gemeinschaftsunternehmen liegen. c) Sicherstellung der Elektro-Energie Fast alle größeren Hüttenwerke unterhalten ein eigenes Wärmekraftwerk, das zum Ausgleich seiner nicht ausreichenden Kapazitäten in Verbund mit der regional zuständigen Elektrizitätsgesellschaft steht. Jede der neun Regionalgesellschaften erzeugt Wärme- und Hydroelektrizität und verfügt über Kapazitätsreserven (vgl. 6. Kap., Abschn. 4). 3. Die Rationalisierung des Werkaufbaus Die führende Stellung in der Stahlindustrie verdankt Japan nicht zuletzt dem einmaligen Angebot, das die Natur jedem einzelnen Industriewerk für die Einbeziehung des Meeres in den Produktionsvorgang zu machen vermag. Das Aufschütten eines Geländes in vorgeschobener Küstenlage ermöglicht eine freie, ohne Vorgabe belastete Werkplanung von optimal durchrationalisierter, räumlicher Ordnung, deren beherrschende Achse vom Fahrwasser der Großen Schiffahrt bestimmt wird. Der Produktionsprozeß beginnt mit der Löschung der Eisenerz- und Kohlefrachter am werkeigenen Rohstoffpier und endet am ebenfalls werkeigenen Versandpier, an dem die Fertigware auf Exportschiffe verladen wird. Dieser Weg ist in Abb. 21 am Beispiel des Großstahlwerks Hirohata dargestellt. Vom Rohstoffpier werden Kohle und Erz auf Förderbändern zum Rohstofflager gebracht, die den Hochöfen unmittelbar anliegen. Von den Hochöfen führt der Weg in ununterbrochener Folge zu den Walzstraßen, zur Herstellung von Endprodukten und zur Lagerung in den Werkhallen bis zur Verladung am Versandpier. Die Vorgänge werden bis zum einzelnen durch Komputer vom zentralen Verwaltungs-
B. Die Eisen- und Stahlindustrie insgesamt
333
334
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische
Faktoren
gebäude aus gesteuert. Durch solche Anlage wird nicht nur das Höchstmaß an betrieblichen Transport- und Energiekosten gespart, sondern auch die Zahl der Arbeitskräfte beschränkt. Eine ähnliche Nutzung der Meeresverbundenheit ermöglichte sich beim Aufbau des Kimitsu-Werkes der Nippon Steel in Chiba, des Tobata- Werkes in Kitakyüshü (Abb. 16), des Großstahlwerkes Öita und des Nippon Kokan-Werkes in Fukuyama. Ebenso läßt sich in allen übrigen Hüttenwerken zumindest das Grundsätzliche dieses Rationalisierungsgedankens erkennen, auch wenn der Durchlauf vom Erzpier bis zum Versandpier nicht immer in gleich exemplarischer Weise wie in Fukuyama, Öita und Hirohata eingerichtet werden konnte.
IV. Die Funktion der Mittel- und Kleinbetriebe Die Betriebsstatistik im Japan Statistical Yearbook 1977 enthält Zahlenwerte, die vier Jahre zurückliegen. Vielleicht soll damit zum Ausdruck kommen, daß weder die Anzahl der Betriebe in der Eisen- und Stahlindustrie noch deren Arbeitnehmerzahlen wesentlichen Schwankungen unterliegen. Nach diesen Angaben entfallen von den 8288 Betrieben insgesamt 44,5% auf extreme Kleinstbetriebe mit weniger als 10 Personen und 21,2% mit 10—19 Beschäftigten, zusammen Zweidrittel aller Betriebe dieser Industriebranche. Zieht man die obere Grenze für Kleinbetriebe bei 50 Arbeitskräften, dann machen die Kleinst- und Kleinbetriebe 85% aller Unternehmungen aus. Es verbleiben für die Mittelbetriebe mit 5 0 - 5 0 0 Arbeitnehmern 1100 bzw. 13,3%, für die Großbetriebe 1,5%. Es wäre ein Irrtum, in den Klein- und Mittelbetrieben nur eine Funktions- und Arbeitskräftereserve zu sehen, die früher oder später von den Großunternehmen aufgesogen wird. „Die Entwicklung der Großunternehmungen in Japan hat nicht die Auflösung der Klein-Mittelbetriebe zur Folge, sondern die Großunternehmungen haben ihre Produktionskapazität den Klein-Mittelbetrieben angepaßt, d. h. sie basieren auf dem Fortbestand der Klein-Mittelbetriebe. Die dualistische Struktur ist Grundvoraussetzung für diese Entwicklung. Der entscheidende Faktor für diese dualistische Struktur war die Entstehung und Beibehaltung der niedrigen Löhne" (20, 141). Freilich liegen hier je nach der Produktionsrichtung der Betriebe Unterschiede vor. Das aus der Tokugawa-Zeit überlieferte Hand- und Heimwerk wird in seinem Produktionsprogramm noch heute weitgehend durch die Bedarfsstruktur des Volkes bestimmt und hat sich darüber hinaus auch unmittelbar auf den Auslandsmarkt umgestellt („Japanwaren"). Jene Gruppen der Klein- und Mittelbetriebe, die sich den Produkten westlichen Stils zuwandten, stehen jedoch nicht für sich, sondern in Konkurrenz oder Mitarbeit zu den Großunternehmen. In Konkurrenz befinden sie sich, weil sie geringere Löhne zu zahlen vermögen, und dies aus besonders zwei Gründen (20, 142): Das vom Staat geförderte, auf Rationalisierung bedachte Großunternehmertum benötigt weit weniger Arbeitskräfte als ihm zuströmen; der Überhang nimmt, nur um unterzukommen, die geringeren Löhne in den Klein- und Mittelbetrieben in Kauf. Zum zweiten arbeiten die kleineren Betriebe billiger, weil sie, ursprünglich sogar außerhalb des Arbeitsschutzgesetzes stehend, einen weit geringeren Anteil an sozialen Ausgaben zu tragen haben. Gerade das verbilligte Herstellungsverfahren wird in den Dienst von Groß-
B. Die Eisen- und Stahlindustrie
insgesamt
335
betrieben gestellt. Es werden Zulieferungsverträge für Einzelteile bis zu Schrauben und Schiffsnägeln abgeschlossen. In solcher Funktion stehen die genannten Shitauke-Firmen (-gaisha). V. Die Bedeutung der Eisen- und Stahlindustrie für die regionale Differenzierung der Industrialisierung Die schon in der Meiji-Zeit für die Eisen- und Stahlindustrie gesetzten Schwerpunkte Kitakyüshü—Ösaka— Tokyo waren zugleich die Land- und Seemarken für die vom Außenhandel abhängige Industrie Japans überhaupt. Sie wirkten agglomerierend und strahlten jeweils in eine ganze Region aus: Tokyo in das gesamte Kantö hinein, Ösaka ins Kansai, Kitakyüshü (Yahata) gemeinsam mit Fukuoka über das nördliche Kyüshü hinweg bis zur Tsukushi-Ebene und Nagasaki. Agglomerierende Kraft besaßen und besitzen sie, weil sie mit ihrer weitgefächerten Produktion 6 Lieferanten einer eisen- und stahlverarbeitenden Industrie sind, die sich aus Gründen der Transportkostenersparung vornehmlich in der Nähe von Stahlwerken niederläßt. Vorrangige Kunden sind das Baugewerbe (Construction and Maintenance) 7 , der Schiffbau, Fahrzeugbau, die Maschinen- und Elektromaschinenindustrie und die Containerherstellung; sie nehmen 4 0 - 5 0 % der Stahlproduktion in Anspruch, etwa 2 0 - 2 5 % verteilen sich auf andere Gewerbezweige und 2 5 - 3 0 % werden exportiert (14, 14). Zwischen die Zentren von regionaler und überregionaler Bedeutung haben sich Subzentren der Eisen- und Stahlerzeugung geschoben, die ebenfalls weiterverarbeitende Industrie an sich zogen, unter deren Mitwirkung aus einer Kette von Standorten schließlich das sich von Nord-Kyüshü bis zum Kantö ziehende Industrieband wurde. Die Subzentren sind Nagasaki—Fukuoka, Hiroshima und Nagoya. Aus Gründen von Marktvorteilen wurde Nagoya das kräftigste dieser Subzentren. Auffallend ist, daß weder um Niigata noch um Toyama, Naoetsu (Jöetsu), Hachinohe, Kamaishi und Muroran industrielle Agglomerationen über größere Gebietsflächen hinweg erfolgten. Die Absatzmärkte sind in den Außenflügeln des Archipels noch immer von zu geringem Anreiz.
Schrifttumverzeichnis für das 6. Kapitel, 1. Abschnitt 1. Asahi, Isoshi: The Economic Strength of Japan. Tokyo 1939. 2. Baron, Peter: Probleme der japanischen Regionalpolitik. Schriften des Instituts f. Asienkunde in Hamburg, Bd. 36. Wiesbaden 1973. 3. Broadbridge, Seymour: Industrial Dualism in Japan. Frank Cass., London 1966. 4. Denki Kagaku Kögyö: Denka. Bericht über das Denka Sekiyu Kagaku-Werk. Chiba o. J. 5. Dentsu Advertising, Ltd: Iron and Steel. In: Industrial Japan, Quarterly No. 7, 1967. S. 56—48. 6. Die Welt: Sonderbeilage „Eisen und Stahl" vom 11. 11. 1977.
6 Stahlplatten, Stahlstangen, Falzpfähle, Profileisen, Schienen, Spundwände, Bandstahl, Randstahl, Eisenbahnräder, Stahlrohre, Bleche verschiedener Art, Drähte u. a. 7 In der Reihenfolge des Kundenanteils; das Baugewerbe nimmt etwa 20% der gesamten Stahlerzeugung auf.
336
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische Faktoren
7. Ebert, S.: Die Aufbauorganisation japanischer Industrieunternehmungen. Wiesbaden 1971. 8. Economic Planning Agency, Japan. Government ( = EPA): a) Economic Survey of Japan, 1965—1966. Japan Times, Tokyo 1966. b) Economic Survey of Japan, 1 9 7 2 - 1 9 7 3 . Japan Times, Tokyo 1973. c) New Economic and Social Development Plan, 1 9 7 0 - 1 9 7 5 . d) Basic Economic and Social Plan, 1 9 7 3 - 1 9 7 7 . 9. Flüchter, Winfried: Neulandgewinnung und Industrieansiedlung vor den japanischen Küsten. Bochumer Geographische Arbeiten, H. 21. Paderborn 1975. 10. Fremerey, Michael: Indonesien. In: Handbuch d. Dritten Welt, Bd. 4, S. 1 6 9 - 1 9 9 . Hamburg 1978. 11. Hida, Noboru: Untersuchungen über die in der Periode 1 9 3 5 - 4 4 festgestellte ursprüngliche „öffentliche Wasserversorgung der Industrie" in Japan. In: G.R.J., Vol. 45, 1972, 9. S. 6 3 3 - 6 4 7 . 12. Hida, Noboru: Verbreitung der „öffentlichen Wasserversorgung der Industrie" und das Wassergewinnungswesen. In: G.R.J., Vol. 49, 1976. S. 1 0 4 - 1 1 3 . 13. Hitachi: 1975 Annual Report. 14. (The) Industrial Bank of Japan: Iron and Steel. In: JFI, Vol. 27, 1975, Nr. 29. S. 1 - 2 3 . 15. Japanese National Committee on Large Dams: Dams in Japan 1967. Tokyo 1967. Laufende Fortschreibung. 16. Japan Statistical Yearbook 1977. 17. Kanagawa-Ken, Amt für Erziehung: Karte der realen Vegetation der Kanagawa-Präfektur. Yokohama 1972. 43 Karten 1:25000, bearbeitet im Biologischen Institut d. Staatlichen Universität Yokohama. 18. Keiyö Industrial Belt. Tökyö-Chiba, o. J. 19. Ministry of Foreign Affairs: Problems of the Human Environment in Japan. Report of the UN, March 31. Tokyo 1971 — Basic Law for Environmental Pollution Control. Enacted in 1967, amended in 1970. 20. Nakamura, Hideichirö: Industrielle Klein- und Mittelbetriebe im Prozeß des beschleunigten Wirtschaftswachstums. In: Wirtschaft Japans, hrsg. von Kazuo Ököchi u. Yoshiro Tamanoi. Düsseldorf 1973. S. 1 4 1 - 1 6 1 . 21. Nakano, Takamasa u. Iware Matsuda: A Note on Land Subsidence in Japan. In: Der Staat und sein Territorium. Festschrift für M. Schwind, S. 1 1 1 - 1 2 5 . Wiesbaden 1976. 22. NKK: Nippon Kokan. The Outline of Nippon Kokan KK., Kawasaki 1955. 23. Nippon Steel Corporation: Muroran Works. Muroran 1973. 24. Nippon Steel Corporation. Growing Rings of Green. Tokyo 1974. 25. Nippon Steel Corporation (Shin Nippon Seitetsu): Jahresbericht Showa 53 (1978). 26. Ota, Isamu and Hiroo Naito, Toshifumi Yada: Industrial Development and Trends in Geography of Manufacturing. In: Geography in Japan, Ed. by Shinzö Kiuchi. Tokyo 1976 = Special Publ. Nr. 3 of The Assoc. of Japanese Geographers. S. 1 4 9 - 1 6 6 . 27. Sakai and Senboku Harbor. The Outline of Public Enterprises on Coastal Reclamation for Industrial Use. Sakai 1966. 28. Schäfer, G.: Zur Rohstoffversorgung Japans. Nationale und internationale Maßnahmen zur langfristigen Sicherung der Rohstoffversorgung. Opladen 1972. 29. Scheppach, Walter: Die japanische Stahlindustrie. Mittn. d. Instituts f. Asienkunde, Hamburg, Nr. 48. Hamburg 1972. 30. Schwind, Martin: Werften in Japan. Dtsch-Japan. Wirtschaftsbüro, Hamburg 1976. 31. Sumitomo Metal Industries: Sumitomo Metals '77. ösaka—Tokyo 1977. 32. Taketo Tomono (Ed.): Keiyö Industrial Area, Chiba Prefecture. Chiba 1967. 33. Toyo Keizai Shinposha: Japan Company Handbook 1977. 34. Yawata Reports. 1966. 35. Yokoyama, Shöichi: The Water-Use Patterns by Industry in the Setouchi Area. S. 2 4 5 - 2 5 7 . In: A Joint Study on the Regional Development of the Seto Inland Sea Area (japan.). Eine TeamArbeit zahlreicher Experten, hrsg. von der Ehime-Universität Matsuyama 1973. 36. Yoshino, M. Y.: Japans Management. Tradition und Fortschritt. Düsseldorf 1970.
A. Die geschichtliche
Entwicklung
337
2. Abschnitt Die Werftindustrie A. Die geschichtliche Entwicklung I. Die Ausgangslage Das Inselreich ist ohne jeden Schienenstrang und ohne jede Straßenbrücke nach einem anderen Staate. Schiffe sind seit altersher das Verbindungsmittel zur übrigen Welt. Auf sie konzentriert sich ein Großteil jener Aufmerksamkeit, die man im Abendland auf internationalen Straßenbau, Autogeschwindigkeiten, Fernlastzüge, transkontinentale Eisenbahnstrecken, internationale Kanalsysteme und auf den Ausbau der Flußschiffahrt sowie der Flußhäfen lenkte und lenkt. Sind die Schiffe zu klein gegenüber den Gefahren der hohen See, wie dies zur Tokugawa-Zeit staatlich gewollt war, oder werden sie vernichtet, wie dies durch Kriegseinwirkung 1945 geschah, dann erlischt für Japan der wirtschaftliche Kontakt mit der Welt. Seehäfen sind die großen Umschlagplätze für Güter, und selbst in der Verteilung der Fracht über das Reichsgebiet leistet die Schiffahrt an Tonnenkilometern ebensoviel wie der Straßenverkehr und unvergleichbar mehr als die Eisenbahn (1973: Straße 41,7%, Schiff 41%, Eisenbahn 17,3%). Das Schiff und der Hafen gehören seit der Landöffnung zum Erlebnisbestand eines Japaners wie der Taifun und das Meer. Aber die natürlichen Häfen sind nicht gleichmäßig über die Küsten verteilt. Es gibt bis zum Schiff Wege von 150 bis 200 km. Nur die Fischereihäfen mit ihren Fangbooten reihen sich eng aneinander entlang den Küstensäumen auf. Der große Personen- und Güterverkehr wird seit frühen Jahrhunderten an der vom Meer durchdrungenen pazifischen Seite Südwest-Japans bewältigt, wo sich in der Setonaikai (Inlandsee) ein ganzes System von kleinen und großen Hafenbuchten anbietet; es setzt sich nach West-Kyüshü fort und reicht ostwärts bis zum Kantö, charakterisiert durch die windgeschützten Großbuchten von Ise-Nagoya, Suruga, Sagami und Tokyo. Zwischen Nagasaki und Tokyo hat sich, die Leitlinien der Küsten nutzend, seit jeher der große Verkehr bewegt.
II. Die Entwicklung seit der Landöffnung Als 1853 die Schiffe der in der Uraga-Bucht landenden Amerikaner die Schwäche Japans gegenüber dem westlichen Schiffspotential deutlich gemacht hatten, erlaubte die Regierung den Nagasaki-Eisenwerken, dem Vorläufer der heutigen „Nagasaki Shipyard and Engine Works", den Bau größerer Einheiten, vor allem aber die Errichtung einer Schiffsreparaturwerkstatt, um wenigstens Schiffen ausländischer Herkunft Hilfsdienste gewähren zu können. Über die erste Weiterentwicklung wurde bereits berichtet. Dank staatlicher Subventionierung erhöhte sich die Dampfschifftonnage im Zeitraum 1896-1899 von 3600 auf 18160 t. Die Entwicklung der Werftindustrie durchlief vier Stufen: In den ersten Jahren der MeijiZeit wurden bei zunächst bescheidener Unterstützung heimischer Werften vor allem fremde Schiffe zur Vergrößerung der Handelstonnage gekauft. In zweiter Stufe wurden bereits Schiffskörper gebaut und nur Stahl und Motoren importiert.
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6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
als geographische
Faktoren
Diese Zeit währte bis etwa 1920, als die dritte Stufe betreten wurde: Bau des ganzen Schiffes und Produktion aller Ausstattung bei Beschränkung des Imports auf Eisenerz und Kokskohle. Um 1920 eröffneten Firmen wie Tsuneishi, Miho und Tamano ihre Werften; Tamano wurde als Schiffbau-Abteilung bei Mitsui geführt und exportierte 1920 erstmals ein Schiff nach den U.S.A. Von großer Bedeutung wurde der gesetzlich verankerte „Verschrottungs- und Wiederaufbauplan" von 1931, der bei Verschrottung alter Tonnage Begünstigungen für Neubauten gewährte. Ihm folgte 1937 das Gesetz für den Bau von Luxusdampfern der 260001Klasse mit 24 Knoten Geschwindigkeit. Aus all diesen staatlichen Maßnahmen ergab sich noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, daß „Japan was already vying in shipbuilding with Germany for the second position in the world after Great Britain" (1, 2). Aus Tab. 16 ist zu ersehen, daß Japan im Bestand seiner Schiffstonnage den Konkurrenten Deutschland schon seit 1939 mit immer größerem Abstand hinter sich ließ. Freilich erfuhren beide Staaten mit der Kapitulation 1945 einen harten Rückschlag. Die japanische Handelsflotte war auf 796 Schiffseinheiten mit insgesamt 1,3 Mio. G/T zusammengeschrumpft. Ihre Vergrößerung war für die Wiederbelebung der Wirtschaft unabdingbar, weil auf keinem anderen als auf dem Seeweg Rohstoffe und Nahrungsmittel erreichbar waren. Im Jahre 1951 importierte Japan 25 Mio. t Ware; nur 31,4% davon konnten durch heimische Schiffe eingebracht werden. Einen ersten, vom Staat geförderten Höhepunkt erlebte der Schiffbau 1952: die Tonnage konnte auf rd. 2,8 Mio. G/T erhöht werden (10a, 136f.). Zu den staatlichen' Maßnahmen gehörte auch die 1954 den Schiffbauern .gewährte Subvention für den Export von Schiffen, sofern man, nur um die Werften in Arbeit zu halten, durch Lieferverträge auf der Basis niedriger Preise ein Export-Defizit in Kauf genommen hatte. Die staatliche Unterstützung ermutigte sogar zum Neubau von Werften, und dies ließ die Werftindustrie teilhaben am Jimmu-Boom. Schon für das Jahr 1956 konnte man eine fertiggestellte Schiffstonnage von 1,75 Mio. G/T melden und sich damit an die Spitze aller schiffbautreibenden Staaten hocharbeiten, auf einen Rang, den Japan seither ohne Konkurrenz behauptet (s. Tab. 17 u. 18). Nach einer kurzen Flaute erhielt die Wirtschaft einen wiederum vom Staat gegebenen Impuls. H A Y A T O I K E D A verkündete 1960 den Einkommen-Verdoppelungsplan, dessen Maßnahmen im Verlauf von 10 Jahren zum gewünschten Erfolg führen sollten und tatsächlich führten. Der 1966 merklich anhebende Boom behauptete sich 59 Monate hindurch und wäre nicht möglich gewesen ohne die Verstärkung der eigenen Handelsflotte und des stürmisch anschwellenden internationalen Bedarfs an Schiffen aller Typen. Gleichzeitig kam der Werftindustrie zugute, daß sich die japanische Wirtschaft seit 1956 mit Nachdruck der Schwerindustrie und Chemischen Industrie zugewendet hatte, woraus sich ein Energiebedarf ergab, der weder aus der heimischen Hydroelektrizitätserzeugung noch aus der mit japanischer Kohle arbeitenden Wärmeelektrizitäts-Erzeugung gedeckt werden konnte und Japan nötigte, den Weg zu den Ölländern zu gehen. Der Bau von Erdöltankern für Japan und die Welt wurde von erstrangiger Bedeutung. Der Zuwachs an Werften nach dem Jahre 1950 hatte die vierte und bislang letzte Entwicklungsphase der Werftindustrie eingeleitet: Die Entstehung von Großfirmen, die im Bau von Supertankern führend in der Welt wurden (Tab. 19). Sie stellen die Spitze einer Werfthierarchie dar, der (1974) insgesamt 655 Werften zugehören (3, 54ff.).
B. Die Produktionsleistung
und die Hierarchie der
Werftfirmen
339
Wirtschaftsunternehmen und Staat taten alles, um Japan zum Zentrum des Tankerbaus werden zu lassen. Dies wirkte sich akzelerierend auf den Industrialisierungs-Prozeß sowie auf die Vergrößerung der Werft- und Hafenanlagen aus.
B. Die Produktionsleistung und die Hierarchie der Werftfirmen I. Die Produktionssteigerung seit der Jahrhundertwende 1. Die quantitative Produktionsentwicklung
insgesamt
Das seit der Jahrhundertwende stetige, durch den Kapitulationsknick nur vorübergehend zurückgeworfene Anwachsen der Handelsmarine-Tonnage erreichte 1975 mit rd. 40 Mio. G / T oder 11,6% der Welthandelsflotte eine Rekordhöhe, die Japan an die Spitze der Staaten mit landeigenen Schiffen stellt (s. Tab. 16); das United Kingdom folgt mit knapp 10% der Schiffstonnage bzw. 7 Mio. G/T weniger mit Abstand 1 . Natürlich ist die Höhe der gemeldeten Schiffstonnage nicht ohne weiteres ein Kennzeichen für die Leistungsfähigkeit der nationalen Werftindustrie. Auch Japan hat noch bis in die Vorkriegsjahre hin Tonnage fremder Herkunft gekauft; es hat aber 1920 auch begonnen, Schiffe zu exportieren (Tamano-Werft, S. 338). Seit 1956 steht es an der Spitze der Schiffe herstellenden Ländern, und die jährlich vom Stapel laufende Tonnage lag im Weltvergleich seit den sechziger Jahren bis 1975 bei 50% (s. Tab. 17). Es gab grundsätzlich keine Veranlassung mehr, die eigene Flotte durch Kauf von Schiffen fremder Herkunft zu erweitern. 1 Liberia, unter dessen Flagge viele Reeder der Erde ihre Schiffe fahren lassen, bleibt für einen Ländervergleich außer Betracht.
Tabelle 16. Wachstum der Schiffstonnage of Shipping)
Japans
und Deutschlands
Japan Jahr
G T in 1000
in % d. Welthandelsflotte
1908 1910 1920 1930 1935 1939
1 1 2 4 4 5
140 147 996 317 086 629
3,2 3,0 5,5 6,3 6,4 8,2
1950 1952 1955 1960 1965 1970 1975 1979
1 2 3 6 11 27 39 37
871 787 735 931 971 004 736 992
3,1 3,7 5,3 7,5 11,9 11,6
*) ab 1950 für B R Deutschland
1908—1976
(Lloyd's
Deutschland*) in % d. GT in 1000 Welthandelsflotte 3 839 3 959 419 4 199 3 693 4 483
10,7 10,6 0,8 6,2 5,8 6,5
460 396 644 537 279 881 517
0,5 1,5 2,6 3,5 3,3 3,5 2,5
2,2 1 2 4 5 7 8
Register
340
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische Faktoren
Tabelle 17. Vom Stapel gelaufene Schiffstonnage in Japan 1966-1978, of Shipping) Jahr
Japan
1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978
6 685 7 496 8 582 9 303 10 475 11 992 12 865 15 673 17 609 17 987 14 310 9 943 4 921
in G/T (nach Lloyd's Register
Welt 461 876 970 453 804 495 851 115 276 322 286 000 000
14 307 15 780 16 907 19 315 21 689 24 859 26 714 31 520 34 624 35 897 31 046 24 167 15 407
Anteil Japans in % 202 111 743 290 513 701 386 373 410 515 859 000 000
46,72 47,50 50,76 48,16 48,29 48,24 48,17 49,72 50,85 50,1 46,1 41,1 32,0
Die Entwicklung in den siebziger Jahren macht deutlich, welch konkurrenzlose Höhe die Produktion der japanischen Werften zu halten vermag: Auf keinen der anderen schiffbautreibenden Staaten entfielen von den vom Stapel gelaufenen Schiffen der Welt auch nur annähernd 10%, während Japan selbst nach dem Ölschock seine führende Rolle mit 30—40% behaupten konnte (s. Tab. 18). Tabelle 18. Vom Stapel gelaufene Schiffstonnage in den großen Schiffbauländern der Erde 1973—1978 (in 1000 G/T und in %) Jahr
1973 G/T %
1975 G/T %
Japan Schweden BR Deutschland Frankreich United Kingdom Spanien Norwegen Dänemark Italien U.S.A. Jugoslawien Niederlande Polen Belgien Finnland Korea (Süd)
15 673 49,7 2 517 8,0 1 980 6,3 1 134 3,6 1 018 3,2 1 568 5,0 1 071 3,4 920 2,9 754 2,4 890 2,8 616 2,0 897 2,8 550 1,7 0,7 225 0,7 208 44 0,1
Welt
31 520 100,0
Staat
1977 G/T %
1978 G/T %
17 987 50,1 2 461 6,9 2 549 7,1 1 301 3,6 1 304 3,6 1 638 4,6 1 029 2,9 961 2,7 847 .2,3 1 004 2,8 639 1,8 951 2,6 608 1,7 211 0,6 257 0,7 410 1,1
4 921 32,0 1 314 8,5 600 3,9 640 4,1 813 5,3 662 4,3 2,3 349 360 2,3 309 2,0 903 5,9 241 1,6 211 1,4 684 4,4 263 1,7 297 1,9 424 .2,7
4 317 452 385 717 610 519 256 229 151 771
36,6 3,8 3,2 6,0 5,2 4,4 2,2 2,0 1,3 6,5
193
1,6
121 230
1,0 2,0
35 898 100,0
15 407 100,0
11 788 100,0
Quellen: Lloyd's Register of Shipping (ships 100 G/T or larger) Statistical Tables London 1975 u. 1976 — The Shipbuilding Industry. In: Japanese Finance and Industry — Quarterly Survey, No 27,1975. United Nations: Statistical Yearbook 1978 - Stat. Jb. 1980, Bundesrepublik Deutschland.
B. Die Produktionsleistung
2.
und die Hierarchie der Werftfirmen
341
Produktionsprobleme
Viele Pläne für neuen Werftbau oder auch nur die Erweiterung bestehender Werftplätze in Richtung auf das 1 Mio. dw/t-Schiff waren entworfen und schon zum Teil verwirklicht worden, und der Schiffbau hatte mit den Stapelläufen der beiden Globtik-Tanker (je 483 000 dw/t) gerade seinen bisher höchsten Triumph gefeiert, als die von den arabischen ölstaaten heraufbeschworene Krisis zur Umorientierung nötigte. Die Aufträge für Neubauten, die sich noch bis Ende 1973 steil vermehrt hatten, sackten mengenmäßig jäh ab; für ULCC- und VLCC-Einheiten 2 schrumpften sie „virtually to nil 1974" (3, 54). Der Tankerbau, auf den inzwischen 90% aller Exportschiffe entfielen, war besonders betroffen. Einige Firmen stellten ihre Baupläne zurück. Insbesondere sah Mitsui zunächst davon ab, den Bau eines Mammut-Docks für 1 Mio. dw/t auf dem 1,7 Mio m2 großen Aufschüttungsland an der Küste von Tsuruzaki (Öita) zu verfolgen. Andere Firmen waren in der Verwirklichung ihrer Pläne soweit fortgeschritten, daß nur die Vollendung rentabel erschien. Nicht nur Großfirmen wie Mitsubishi, Mitsui, Kawasaki, Nippon Kokan, Sasebo und Sumitomo waren vor solche Entscheidungen gestellt, auch mittlere Firmen, die sich durch Großbauten in den vorderen Rang einzuschieben erhofften, sahen sich blockiert. Das „Japan Maritime Research Institute" hat zu dieser Situation Stellung genommen (15). Man weist zunächst darauf hin, daß in der jüngeren Vergangenheit die Schwächung der europäischen Konkurrenz infolge der im Westen hohen Lohnzahlungen, die gewerkschaftlich organisierten Streiks und die geringe Investitionslust von seiten der europäischen Werftfirmen für Japan von Vorteil waren. Zusätzlich werden 12 Gründe genannt, die der Werftindustrie aus dem eigenen Lande zugute kommen: Die geographische Ausstattung des Landes (Hafengunst), die Förderung des Schiffbaus durch den Staat, das hohe Bildungsniveau der Arbeitskräfte, das gesunde Verhältnis zwischen Firma und Mitarbeitern, der Zusammenschluß von Firmen für die Erforschung des Know-how, die finanzielle Stabilität der Schiffbaugesellschaften infolge der Diversifikation ihrer Tätigkeitsbereiche, die stützende Zusammenarbeit mit der japanischen Entwicklungsbank und der Export-Import-Bank of Japan u. a. Auch der 1955—1973 immer stärker gewordene Rohöl-Import für den japanischen Eigenbedarf, der weitaus bedeutender war als z. B. der deutsche, hatte belebende Wirkung auf den Tankerbau ausgeübt. Zusätzlich hatten 1972 die Mißernten in der Sowjetunion und in anderen Ländern sowie die steigenden Erdölimporte der USA den Bedarf an Frachtschiffen und Tankern erhöht. Nach Lloyd's Statistik wurden 1973 insgesamt 72,8 Mio. G/T Schiffsraum in Auftrag gegeben: das waren 21h mal mehr als durchschnittlich auf die Jahre vorher entfallen waren; darunter befanden sich VLCCs und ULCCs mit Ablieferungszeiten für 1977 und 1978. Dem ungeachtet forderte die weltweite wirtschaftliche Rezession nun zu einer Begrenzung des Schiffbaus heraus, die aber insofern nicht voll wirksam sein konnte, als laufende Aufträge zu erfüllen waren. Noch 1977 lieferte Hitachi Zösen die mit 500000 dw/t bisher größten Tanker aus (s. Abb. 22); sie waren in der Ariake-Werft gebaut worden. Erst 1978 konnte auch in der Statistik in Erscheinung treten, was der Ölschock bewirkt hatte und zu den 2 ULCC = Ultra Large Crude Carrier: 3 0 0 0 0 0 dw/t und darüber VLCC = Very Large C. C.: 2 0 0 0 0 0 - 3 0 0 0 0 0 dw/t.
342
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
When Built
Ships Name
als geographische
Tonnage (DW/T)
Faktoren
Where Built
1952
Petra Kure
^ ^ ^ ^ ^ ^ ^
38,042 dw /1
1954
Phoenix
^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^
1955
Sinclair Petrolore
^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^
1956
Universe Leader
1959
Universe Apporo
1962
Nissho Maru
^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^
1966
Tokyo Maru
^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^
1966
Idemitsu Maru
196B
Universe Kuwait
1971
Nisseki Maru
1973
Glbbtik Tokyo
1974
Nissei Maru
1975
Homerice
1976
Esso Deutschland
^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^
1977
Esso Atlantic
^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ g ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ O O . O O O dw/t Hitachi Zosen Ariake
NBC-Kure
46,526 dw/t
NBC-Kure NBC-Kure
56,089 dw/t
NBC-Kure
85,515 dw/t 114,360 dw/t
NBC-Kure Sasebo Heavy Ind.
132,334 dw/t
Ishikawajima Harima Heavy Ind.
153,687 dw/t
Ishikawajima Harima Heavy Ind.
209,413 dw/t ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^
Mitsubishi Heavy Ind.
326,898 dw/t
Ishikawajima Harima Heavy Ind.
372 400 dw/t
'
Ishikawajima -Harima 483,664 dw/t Heavy Ind. Kure dw t 447,000 dw/t 421,000 dw/t
Abb. 22 Die Entwicklung der Tankergrößen, aufgezeigt an den Spitzenleistungen Werftindustrie in den Jahren 1952—1972. Nach Zösen Yearbook 1974-1975.
Ishikawajima - Harima Heavy Ind. Kure Ishikawajima Harima Heavy Ind. Kawasaki Heavy Ind.
der
japanischen
Überlegungen Anlaß gab, die sich in den Empfehlungen des MOT und im „White Paper on Japanese Shipbuilding" vom 28. 11. 1975 niederschlugen (8; 22). Das Ministerium stellte fest, daß die 1974 eingelaufenen Bestellungen um 48,6 Mio. G/T geringer waren als 1973, der Ausfall mithin einem Verlust in der Höhe einer Produktionsleistung von fast drei Jahren gleichkam (vgl. Tab. 17). Als Gegenmaßnahmen wurden empfohlen: Keine Vergrößerungen von Dockanlagen mit Kapazitäten über 25 000 G/T, Schwerpunktverlagerung vom Großtankerbau auf mittlere und kleinere Schiffe, Entwicklung von Spezialschiffen, fortschreitende Rationalisierung des Produktionsverfahrens. In diesem Sinne vollzog sich eine Hinwendung zum Containerschiffbau, zum Bau von LPG- und LNG-Carriers 3 , von Pure Car Carriers (PCC, Reine Auto-Transporter), von Mehrzweck-Frachtschiffen, von Fährschiffen und Dredgers (Baggerschiffen), die insbesondere beim Auswerfen von Umetate-chi (S. 352) unentbehrlich geworden sind. Auch der Bau von 3 LNG, Liquefied Natural Gas Tanker LPG; Liquefied Petroleum Gas Tanker.
B. Die Produktionsleistung
und die Hierarchie der Werftfirmen
343
nuklear angetriebenen Schiffen ist in Angriff genommen worden. Das erste dieser Schiffe, die 1970 in der Tokyo-Werft der IHI vom Stapel gelaufene „Mutsu" hat allerdings dem Staat große Sorge bereitet, da es schon 1974 leck wurde, es keine Hafenverwaltung in eine ihrer Reparaturwerkstätten einfahren ließ und sich bis 1977 vor Küsten aufhalten mußte, bis es schließlich von Sasebo aufgenommen wurde. Die „Mutsu" ist ein kleines Schiff von nur 8350 G/T, und auch die geforderten Neubauten würden zunächst nur von ähnlicher Tonnage sein (17). Die großen Werften sind infolge der Produktionsverlagerung auf Schiffe mittlerer und geringer Tonnage z. Z. funktionsentfremdet; sie stehen aber in Reserve für eine in Zukunft neubelebte Weltwirtschaft. Von Vorteil wurde der Rückgang im Großtankerbau für die Werften der kleineren Tonnage. Das „Weißbuch" (s. o.) spricht von insgesamt 1500 Werftfirmen, von denen nur 34 mit dem Bau von Schiffen über 10000 G/T beschäftigt sind, während alle übrigen Werften kleinere Einheiten bauen und im wesentlichen die Küstenschiffahrt und Fischerei bedienen. Wie es scheint, hat der Rückgang im Großtankerbau Gelder freigesetzt, mit deren Hilfe man die zurückgebliebene Erneuerung und Rationalisierung der Klein werften wettmachen konnte; von diesen Kleinwerften erhielten 5 5 - 6 0 % staatliche Hilfe (Zösen, Vol. XX, 10,1976. S. 19). II. Hierarchie der Werften Wenn auch schon vor dem Zweiten Weltkrieg die Werftindustrie wie alle anderen Industriezweige durch das Nebeneinander von sehr großen und sehr kleinen Betrieben gekennzeichnet war, erhielt diese Branchenstruktur ihre schärfste Profilierung erst nach 1952. Den Innovationseffekt lösten die von Amerikanern bewirtschafteten Kriegsschiffwerften von Kure aus (18). Die „National Bulk Carriers, Inc." (NBC) von New York benutzte die Kure-Werften für den Bau großer Tanker und von Massengüter-Frachtschiffen, wobei sichtbar wurde, daß man das vorhandene 150000 dw/t-Dock, beginnend mit 45000 dw/t-Schiffen, schließlich zur Herstellung von Schiffen der 100000 dw/t-Klasse nutzte. Die zugleich vorbildliche Rationalisierung des Produktionsvorgangs beeindruckte derart, daß japanische Firmen zur Nachahmung schritten. Es war „a favorable twist of fate for the Japanese shipbuilding to have finished its first rationalisation of yards before the so-called Suez shipbuilding boom at the time of the Suez crisis in 1956" (18, 52). Die Rationalisierung der Werften ermöglichte bei Gewährung konkurrenzfähiger Preise eine schnelle Auslieferung von Neubauten. Die Werften Japans wurden mit Aufträgen förmlich überdeckt. Dies aber ließ die Japaner nicht auf dem Erreichten ausruhen, sondern wurde zum Ansporn für immer weitere Rationalisierung und Modernisierung. Die Investitionsfreudigkeit ließ nicht nach. Die Verbesserungen in der Werftausrüstung, die Nachfrage nach immer größeren Schiffen und die vom MOT laufend gegebenen Impulse führten zur Errichtung von immer größeren Docks und zur Auslieferung immer größerer Schiffe (s. Abb. 22). „Mitsui" erbaute 1962 das Chiba-Dock mit einer Kapazität für 86000 dw/t, die „Ishikawajima-Harima" folgte 1964 mit dem 200000 dw/t-Dock in Yokohama, Hitachi-Zösen nahm 1966 seine Arbeit im Mammut-Dock von Sakai auf, das zum Schrittmacher der nachfolgenden wurde: Es sind das 1967 in Betrieb gesetzte Sakaide-Dock der „Kawasaki H. I.", das „Nippon Kokan"-Dock in Tsu vom Jahre 1969, das Oppama-Dock
344
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische
Faktoren
der „Sumitomo H. I." in Yokosuka von 1971, der Großkomplex von Koyagi des Mitsubishi-Werks in Nagasaki 1972, das Chita-Dock der IHI, vollendet 1974 südlich Nagoya und schließlich als Schlußakt dieser Entwicklung, ebenfalls 1974, die Errichtung der „Twin-Dock"-Anlage am Ariake-See mit Kapazitäten für den Bau von 1 Mio. dw/t-Schiffen durch die Hitachi Zösen (vgl. Tab. 19). Tabelle 19. Die 28 führenden Schiffbauer Japans und ihre Werften, 1978 (Drei Gruppen in jeweils alphabetischer Reihenfolge) Name
A. Großfirmen 1 Hitachi Shipbuilding and Engineering Co, Ltd
2 Ishikawajima — Harima Heavy Industries Co, Ltd
3 Kawasaki Heavy Industries, Ltd 4 Mitsubishi Heavy Industries, Ltd
Standorte d. Werften (Gründungsjahr)
Größte vom Stapel gelaufene Schiffe (dw/t)
Osaka: Chikko Shipyard (1881; 1922) Innoshima (1912) Kawasaki (1942) Mukaishima (1943) Sakai (1966) Ariake-Nagasu (1974) Maizuru (seit 1971) Tokyo (1853) Yokohama (1964) Chita (1973) Aioi (1915) Kure (1903) Kobe (1886) Sakaide (1967)
Esso Osaka (1973) 283 155 Esso Bilbao (1975) 278 798 Esso Japan (1976) 400 000 Esso Atlantic (1977) 500 000
Idemitsu Maru (1966) 209 413 Globtik Tokyo (1973) 483 664 Nissei Maru (1974) 484 377 Andros Petros (1976) 457 154 Esso Deutschland (1976) 421 681 Hilda Knudsen (1976) 416 950
Nagasaki (1857) Koyagi (1972) Kobe (1920) Yokohama (1891) Shimonoseki (1914) Hiroshima (1944)
Universe Kuwait (1968) 326 898 Aiko Maru (1976) 407 300 Chevron North (1976) 406 097
5 Mitsui Engineering and Shipbuilding Co, Ltd
Tamano (1917) Chiba (1962) Osaka (Fujinagata) Yura (1973)
Mitsuminesan Maru (1971) 227 756 Lanistes (1975) 306 971 Berge Emperor (1975) 417 007
6 Nippon Kokan K. K.
Tsu (1969)
7 Sasebo Heavy Industries Co, Ltd
Tsurumi (1940) Shimizu (1942) Sasebo (1946) Sakibe (im Bau)
Violando N. Goulandris (1972) 255 000 Jarmada (1975) 384 197 Titus (1976) 383 896 Isis (1974) 285 083 Chase Venture (1975) 280 133
8 Sumitomo Heavy Industries, Ltd B. Mittelgroße Firmen 9 Hakodate Dock Co, Ltd 10 Hayashikane Shipbuilding and Engineering Co, Ltd
Uraga (1897) Kawama (1902) Yokosuka-Oppama (1972)
Takasaki Maru (1973) 271 600 (ohne Namen) (1976) 412 000
Hakodate (1896) Muroran (1940)
Aegean Dolphin (1975) 255 518
Hikoshima (Shimonoseki, 1923) Nagasaki Yokosuka
Ocean Ambassador (1975) 82 148 African Addax (1976) 82 135
B. Die Produktionsleistung und die Hierarchie der Werftfirmen
345
Name
Standorte der Werften (Gründungsjahr)
Größte vom Stapel gelaufene Schiffe in dw/t
11 Kanasashi Shipbuilding Co, Ltd
Shimizu (Tsukama, 1936) Shimizu (Kaijima) Toyohashi (1974) Kasadoshima, Kudamatsu (1930)
Penelone of York (1975) 87 813 Sanko Prestige (1976) 87 804
12 Kasado Dockyard Co, Ltd 13 Koyo Dockyard Co, Ltd 14 Kurushima Dockyard Co, Ltd
15 Namura Shipbuilding Co, Ltd 16 Nipponkai Heavy Industries Co, Ltd 17 Onomichi Dockyard Co, Ltd 18 Osaka Shipbuilding Co, Ltd
19 Sanoyasu Dockyard Co, Ltd 20 Tsuneishi Shipbuilding Co, Ltd 21 Usuki Iron Works, Ltd
Mihara (1949)
Continental Monarch (1975) 90 992 Brilliancy (1976) 89 553 Ryutoku Maru (1975) 102 737
Onishi (1957) Hashihama (1902) Uwajima (1957) Kochi Juko Co, Ltd (Sub-Contractor) Osaka (1911) Industrial Prosperity (1975) 88 070 Imari (1974) Nicola Prosperity (1976) 88 058 Toyama (1940) Onomichi (1943) Osaka (1935) Kizugawa (1950) Öshima (Tochterges. s. Öshima, Nr 28) Osaka (1911) Mizushima (1974) Tsuneishi (1942) Usuki (1919) Saiki (1955)
C. Firmen mit Spezialisierung auf kleinere Einheiten Aus diesen heben sich hervor: 22 Kanawa Dockyard Co Ujina (1922) u. Ujina Shipb. Co, Ltd Kanawa (1951) 23 Miko Shipyard Co, Ltd Shimizu (1919) Setoda (1940)*) 24 Naikai Shipbuilding and Engineering Co, Ltd Taguma (1938) Niigata (1905) 25 Niigata Engineering Co, Ltd Misaki (Miura, 1950) 26 Shikoku Dockyard Co, Ltd Takamatsu (1934) 27 Tóhoku Shipbuilding Co, Ltd Shiogama (1957)
Mentese (1976) 53 342 Manhattan Duke (1976) 82212 Maritime Ace (1971) 33 700 Golden Bliss (1976) 33 778 Rimba Merbau (1977) 36 360 Ryoko Maru (1972) 37 800 Euro Priority (1976) 87 066 Toyo Maru (1972) 78 988 Matoco Thames (1976) 89000 Cedreoa (1974) 30 000 Garden Gate (1976) 30 332
Maya Pioneer (1976) 21 343 Tokuzan Maru (1976) 5 885 Golar Sigli (1972) 15 815 Emeraldo Amami 4 189 Seika Maru (1972) 11 700 Genyo Maru (1976) 10 000 Pacific Wing (1975) PCC 9 073
*) Ein 60000 dw/t-Trockendock wurde 1976 fertiggestellt D. Werft für mittelgroße Schiffe im Aufbau: 28 Öshima (Shipyard Co) Öshima (1973), Nagasaki Ken
4 Tanker (1974-1976) je 89 000
Es ergab sich, daß nur wenige Firmen der Entwicklung ins Große folgen konnten. Auf diese Weise erweiterte sich der Abstand in der Leistungsfähigkeit der verschiedenen Firmen untereinander. Es ist üblich geworden, von „den 8" oder „den 10" großen Schiffbauern zu sprechen (s. Tab. 19), sie von den „mittleren" zu
346
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische
Faktoren
unterscheiden, deren Dock-Kapazitäten die 100000 dw/t-Schwelle nicht erreichen, und schließlich die Firmen in einer Gruppe zusammenzufassen, die sich im allgemeinen auf den Bau von Einheiten spezialisiert haben, die unter der 30000 dw/tSchwelle liegen. Doch gehören alle diese Firmen mit ihren insgesamt 68 Werften in die führende, aus nur 3 0 - 4 0 Gesellschaften bestehende Gruppe. Unterhalb von diesen folgt die breite Masse der 1500 kleinen und kleinsten Werften. Diese Unterteilung erfährt auch vom MOT, dem zuständigen Ministerium, eine den verschiedenartigen Problemlagen angepaßte Berücksichtigung (s. o.). Nicht alle der „Großen" und „Mittleren" sind im Schiffbau allein tätig. Eine besondere Stärke des japanischen Schiffbaus liegt in seiner engen Koppelung mit dem Schiffsmaschinenbau, in der konzern- oder kombinatähnlichen Verbindung mit diesem. Das ist von Anbeginn charakteristisch gewesen: Die Nagasaki Iron Works erhielten am Ende der Tokugawa-Zeit die Erlaubnis, eine Schiffsreparaturwerkstätte zu betreiben. Die Nachfolgefirma führt Schiff- und Maschinenbau in ihrem Namen: Nagasaki Shipyard and Engine Works. Die zweifache Funktion lassen auch andere Firmen in ihrem Namen erkennen: Hitachi Shipbuilding and Engineering Co, Mitsui Shipbuilding and Engineering Co, Sumitomo Shipbuilding and Machinery Co, Sasebo Heavy Industries Co, Mitsubishi Heavy Industries (zu welcher die große Nagasaki-Werft gehört). Die „Usuki Iron Works", die auch Schiffe bauen, geben zu erkennen, daß in der Stahlkonstruktion und im Maschinenbau sogar ihr Ursprung lag. Gerade aus der engen Verbindung zwischen Schiffund Maschinenbau ist es erklärlich, daß der Schiffbau in Japan eine Grundindustrie darstellt, von der aus die Schwerindustrie einen Teil ihrer Impulse empfängt. Das Schiffbau-Jahrbuch 1974-1975 (16a) nennt außer den 28 größeren SchiffbauFirmen mit ihren 68 Werften insgesamt 160 Firmen für Schiffsmaschinenbau und mehr als 100 Firmen als Hersteller für die übrigen Ausstattungsobjekte für Schiffe. Werften und Lieferungsfirmen sind zu einem wesentlichen Bestandteil der großen Industriegasse Japans geworden: Sie haben nicht nur ihre Standorte dort gesucht, wo sie Arbeitskräfte und Zubringerfirmen vorfanden, sondern haben, wo sie sich der günstigen Wasserbedingungen wegen niederließen, auch Menschen und Zubringerfirmen an sich gezogen. Die Schiffmaschinenindustrie ist mit dem beschleunigten Wachsen der Schiffsgrößen zu immer höherer Leistung herausgefordert worden. Im Jahre 1966 wurden die „Japan Ship's Machinery Development Association" als die zentrale Einrichtung zur Entwicklung eigener Technologie mit dem Zweck gegründet, die Abhängigkeit Japans vom Import des Know-how zu reduzieren (18). Die in den Jahren 1970—1975 in steigendem Maße gebauten Schiffsmaschinen (s. Tab. 20) wurden nicht nur im Lande abgesetzt, sondern auch nach pazifischen Ländern und selbst nach Europa ausgeführt. In den Jahren 1970—1975 stieg die Produktion ums 2 V2fache, wobei bemerkenswert ist, daß die ölverbrauchenden Maschinen ihre höchste Produktionssteigerung von 1973 auf 1974 erfuhren, d. h. unmittelbar folgend auf den Ende 1973 ausgelösten ölschock. Einige Großwerften haben zur Sicherung ihres Firmenpotentials ihr Produktionsprogramm über den Schiffmaschinenbau hinaus auf die Herstellung von Objekten ausgeweitet, die nur mittelbaren Bezug zum Schiff haben, aber von geographischer Bedeutung sind, so daß sie Beachtung verdienen.
C. Die Standorte der Werften
347
Die „Mitsubishi Heavy Industries" entwickelten ein „Offshore Floating Oil Tank System", ein küstennah schwimmendes Öltank-System, das im Sinne des 1976 verabschiedeten Erdöl-Reserve-Gesetzes zur Erhöhung der Reserve-Kapazitäten beitragen und die Vorratslager des Kiire Terminal (Bild 27) ergänzen soll. Als Standort sind die Gotö-Inseln vorgesehen (21, 12). Die „Mitsui H. I." haben 1967 in ihrem Tamano-Werk eine besondere Abteilung für die Herstellung von Bohrinseln und Förderplattformen (Drilling Rigs) eingerichtet, die in den 10 Jahren bis 1976 insgesamt 14 Aufträge erledigte; darunter befanden sich auch halbtauchende Bohrinseln. Eine Gemeinschaftsleistung von sieben Werftfirmen war die Erstellung der „Aquapolis" für die „Okinawa Exhibition 1975" vor der Westküste der MotobuHalbinsel. Die „Aquapolis", bislang die größte halbtauchende Plattform der Welt, wurde konzipiert „as a prototype of future city on the sea" (Zösen, 1975). Bei einer Länge von 104 m, Breite von 100 m und Höhe von 32 m, verfügt sie über 4 Ebenen. Für die Bekämpfung der Meeresverschmutzung durch Erdöl bauen die „Mitsubishi H. I." einen Mini-Catamaran von 8 G/T mit einem Ölwasser-Rückgewinnungspotential von 20 m 3 je Stunde, wobei das an Bord von Öl gereinigte Wasser ins Meer zurückgegeben wird (20, 18). Tabelle 20. Schiffsmaschinen-Produktion in Japan, in Mio. Yen, (Nach Zösen, 1975 u. 1977) Maschinen/Jahr Turbinen Dampfkessel Dieselmotoren Außenbord-Motoren Hilfsmotoren Insgesamt
1970 (A) 13 10 98 5 69
110 490 530 510 490
197 130
1970—1975
1972 (B)
1973 (C)
1974 (D)
1975 (E)
E / A (%)
24 17 137 11 102
30 25 155 17 113
46 35 176 27 167
50 38 209 18 170
670 513 131 475 069
386,4 367,1 212,2 335,2 244,7
486 858
246,9
760 810 580 260 290
293 700
190 720 460 040 820
342 230
639 037 382 241 801
453 100
C. Standorte der Werften Die Rezessionsjahre 1974—1975 haben die räumliche Entwicklung der Werftindustrie zu einem vorläufigen Halt gebracht. Sie bieten sich daher als Zeitpunkt für eine Analyse der Standortverteilung (Abb. 23) förmlich an. Die Nachfrage nach immer mehr Schiffen und immer größeren Einheiten in den 20 Jahren von 1954 bis 1973 führte nicht nur zur Erweiterung der Kapazitäten und Werfthöfe, sondern auch zu zahlreichen Werft-Neubauten. Für die Wahl von Standorten neuer Werften waren vier Fragestellungen möglich: 1. Wo und in welchem Umfang befinden sich in der überlieferten Werftstandortachse Tokyo—Nagasaki noch Lücken? 2. Ist das traditionelle Industrieband durch Nutzung der Zugänge zur Inlandsee, also durch astartige Vorstöße gegen das offene Meer, ausweitbar?
6. Kapitel:
348
Die einzelnen
Industriezweige
als geographische
Faktoren
3. Welche Möglichkeiten bieten sich im Rahmen des staatlich geförderten Programms der Shinzan Toshi für rentable Niederlassungen außerhalb des Industriebandes? 4. Gibt es Möglichkeiten, die Raumenge des Archipels durch Verlagerung von Werftniederlassungen in Entwicklungsländer zu überwinden? Es wurden alle der in diesen 4 Fragen enthaltenen Wege beschritten.
Hokkaido
Werften der 8 großen W e r f t f i r m e n o Werften der 19 übrigen Firmen
Die N u m m e r i e r u n g entspricht der Übersicht auf Tabelle 21 lakodate Quelle: Zösen Yearbook
1977
u. Z ö s e n , Z e i t s c h r i f t b i s 1 9 8 0
Honshu
2000
OREA
,114 l ö O s a k a Ise^wan
CSNsgXsakj
Abb.
23
hikoku
Die geographische
Verteilung
der Werften
Japans
349
C. Die Standorte der Werften
I. Neue Werften und bedeutende Werfterweiterungen in der Achse Tokyo—Nagasaki Die Belebung der Werftindustrie vollzog sich in vier Subregionen: an der TokyoBucht, in der Ise-Bucht-Region, im Raum der Inlandsee und in NW-Kyüshü. Seit 1955 entstanden in diesen 4 Subregionen 15 völlig neue Großwerften, d. h. die Werften wurden, ganz abgesehen von dem ungewöhnlich großen Kapazitätenzuwachs, allein zahlenmäßig um 4 0 % vermehrt. Darüber hinaus konnten mehr als 5 0 % der älteren Werften ihre Kapazitäten wesentlich erweitern. Insgesamt konzentrierten sich auf die Industrieachse Tokyo-Nagasaki 8 0 % aller japanischen Werften mit etwa demselben Prozentsatz aller Kapazitäten. 1. Neue Werften in NW-Kyüshü Jede dieser Subregionen hebt sich von den übrigen durch Besonderheiten heraus. Die Nagasaki-Werft, die dem Schiffbau Japans seit 1853 viele Impulse gab, hat die Schwierigkeiten für eine räumliche Ausweitung ihrer Anlagen auf dem schon voll bebauten Küstenstreifen dadurch überwunden, daß sie 1972 die Insel Koyagi vor der Bucht zu einer Werftinsel umgestaltete: „A new giant yard has been added to the Nagasaki-Shipyard and Engine Works having two mammoth docks, one for shipbuilding with a length of 990 meters and width of 100 meters (16 a, 130). Die Werftinsel Koyagi ist ein industrie-geographisches Element von zugleich land-
Bild21 Die Koyagi-Werft der Mitsubishi Nagasaki Shipyard and Engine Works, 990 m lang, 100 m breit. Anlage auf Umetate-chi in der Bucht von Nagasaki. Aufn. Freundlichkeit des Tokyo News Service, Ltd.
Neubau-Dock 1974, durch
350
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
als geographische
Faktoren
schaftlich großer Fernwirkung; mit ihr hebt die Industrie-Achse Japans im Südwesten an (Bild 21). Nördlich Nagasaki ist ebenfalls jüngste Entwicklung im Gange; denn auch die Sasebo Heavy Industries Co, die auf dem Erbe einer Marinewerft aufbaute, befindet sich im Nachteil räumlicher Beengung, dies um so mehr, als sie ihren Schwerpunkt auf den Bau von Großtankern verlegt (Bild 22). Der Hafen liegt, was für die Marine einst günstig war, eingezwängt in das von Hügeln eng umschlossene Nordende eines unübersichtlichen Systems von Riasbuchten, die für den Schiffbau zwar den Vorteil großer Wassertiefen nah an der Küstenlinie haben, aber auch den Nachteil, daß ihnen Verkehrsraum entlang den Küsten fehlt. Da unter solchen Umständen eine Ausweitung der Werfthöfe für den Bau von VLCC- und ULCCEinheiten im Raum der inzwischen zu 250000 Einwohnern angewachsenen Stadt völlig ausgeschlossen bleibt, rückte die Firma mit der Errichtung einer neuen Werftanlage südwärts in den noch unbebauten Sakibe-Distrikt der Stadt und gewann an dessen Wasserfront 76 ha Aufschüttungsland. Nur 15 km entfernt, den Ausgang des Buchtsystems bewachend, hat das Eiland Öshima die Aufmerksamkeit der Ösaka-Shipbuilding Co gefunden. Sie begründete 1973 gemeinsam mit Sumitomo die Öshima Shipbuilding Co, die bereits 1974 ihre ersten Aufträge erhielt. Die völlig neue Werft umfaßt 73,3 ha mit einem Neubau-Dock von 450 m Länge. In ähnlicher Entfernung von Sasebo, aber nach Nordosten quer durch den Halbinselhals, liegt im Scheitel eines 25 km tiefen Buchtensystems die Stadt Imari. Auch
Bild 22 Die Werft in Sasebo der Sasebo Heyvy Industries Co. Docks mit Kapazitäten bis 400000 Aufn. 1974, durch Freundlichkeit des Tokyo News Service, Ltd.
dw/t.
C. Die Standorte der Werften
351
sie verfügt heute Dank der Initiative der Namura Shipbuilding Co über ein Neubau-Dock von 450 m Länge, in welchem 1974 das erste Schiff auf Kiel gelegt werden konnte. Mit sechs Werften modernster Ausstattung führt die Küste von NW-Kyüshü die Funktion fort, die ihr von der Nagasaki-Werft seit Beginn des Industrialisierungs-Prozesses eingelegt wurde: Schrittmacher für die Entwicklung zu sein. Tabelle 21. Standorte der 68 führenden Werften Japans (nach Zösen Yearbook 1976 - 77; Namen der Firmen in Klammer. Die Numerierung entspricht der auf Abb. 23.
1. Aioi (IHI) 2. Ariake-Nagasu (Hitachi) 3. Chiba (Mitsui) Chikko - Osaka 4. Chita (IHI) Fujinagata — Osaka 5. Hakodate (Hakodate) 6. Hiroshima (Mitsubishi) 7. Hiroshima - Ujina 8. Hiroshima — Kanawa 9. Imabari-Hashihama (Kurushima) 10. Imari (Namura Shipb.) Kaijima — Shimizu 11. Innoshima (Hitachi) Kanawa - Hiroshima Kasado — Kudamatsu 12. Kawama (Sumitomo) 13. Kawasaki Kizugawa - Osaka 14. Kobe (Kawasaki) 15. Kobe (Mitsubishi) 16. Kochi (Kurushima) Koyagi - Nagasaki 17. Kudamatsu (Kasado) 18. Kure (IHI) 19. Maizuru (Hitachi) 20. Mihara (Koyo Dockyard) 21. Misaki (Niigata Engin) 22. Mizushima (Sanoyasu) 23. Mukaishima (Hitachi) 24. Muroran (Hakodate Dock) 25. Nagasaki (Mitsubishi) 26. Nagasaki-Koyagi (Mitsubishi) 27. Nagasaki (Hayashikane) 28. Nagoya (IHI) 29. Niigata (N. Engineering) 30. Onishi (Kurushima) 31. Onomichi (O. Dockyard) Oppama - Yokosuka 32. Osaka ( 0 . Shipb.)
33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68.
Osaka (Namura) Osaka (Sanoyasu) Osaka-Chikko (Hitachi) Osaka-Fujinagata (Mitsui) Osaka-Kizugawa (O. Shipb.) Oshima (Osaka Shipb. u. a.) Saiki (Usuki Iron W.) Sakai (Hitachi) Sakaide (Kawasaki) Sakibe - Sasebo Sasebo (Sasebo H. I.) Setoda (Naikai Ship, b.) Shimizu (Miho Shipyard) Shimizu (Nippon Kokan) Shimizu-Kaijima (Kanasashi Shipb.) Shimizu-Tsukama (Kanasashi Shipb.) Shimonoseki (Mitsubishi) Shimonoseki-Hikoshima (Hayashikane) Shiogama (Tohoku Shipb.) Taguma (Naikai Shipb.) Takamatsu (Shikoku Dockyard) Tamano (Mitsui) Tokyo (IHI) Toyama (Nipponkai) Toyohashi (Kanasashi Shipb.) Tsu (Nippon Kokan) Tsukama — Shimizu Tsuneishi (Ts. Shipb.) Tsurumi - Yokohama Ujina — Hiroshima Uraga (Sumitomo) Usuki (U. Iron Works) Uwajima (Kurushima Docky.) Yokohama (IHI) Yokohama (Mitsubishi) Yokohama-Kanagawa (Hitachi) Yokohama-Tsurumi (Nippon Kokan) Yokosuka (Hayashikane Shipb.) Yokosuka-Oppama (Sumitomo) Yura (Mitsui)
2. Neue Werften im Bereich der Inlandsee Auch im Bereich der Inlandsee einschließlich der Ösaka-Bucht haben seit 1955 zwischen den überlieferten Werftanlagen noch neue von bemerkenswerten Kapazi-
352
6. Kapitel:
Die einzelnen
Industriezweige
als geographische
Faktoren
täten Platz gefunden. Einen zweifellos noch freien, bislang fast übersehenen, potentiell für eine Großwerft geeigneten Standort hat die Kasado Dockyard Co 1972 zur Entwicklung gebracht. Die von Inseln und Halbinseln umgriffene KasadoBucht, an ihrer Küstenfront von der Industriestadt Kudamatsu besetzt, wurde zwar schon 1930 mit ihrem vorteilhaft tiefen und stillen Wasser als günstig erkannt, aber bei weitem nicht genutzt. Nunmehr ist sie mit einem Neubau-Dock von 255 m Länge und 50 m Breite und mit bedeutenden Hellingen und Trockendocks für Schiffsreparaturen ausgestattet worden. Viel schwieriger war es für die Sanoyasu Dockyard Co, die ihrer Ösaka-Werft auferlegten Kapazitätsbeschränkungen zu überwinden. Die Firma, erst nach 1950 auf dem internationalen Markt erschienen, erwarb im Kojima-Abschnitt des Mizushima-Hafens ein 29 ha großes Gelände und vollendete 1974 einen Großwerftbau mit einem 675 m langen, 65 m breiten und 13 m tiefen Dock. Der dichte Besatz des Osaka-Hafens mit Industrieanlagen und Werften, der zur Verlängerung der Hafenfront nach Süden führte, hat das Stadtund Küstengebiet von Sakai bis nach Senboku zu neuer Bedeutung gebracht, wobei Sakai an seine große Vergangenheit als Hafen- und Handelsstadt anzuknüpfen vermochte (12). Es wurden in Erweiterung kleinerer Pläne aus der Vorkriegszeit Aufschüttungsflächen (umetate-chi) von insgesamt 18,5 km 2 geschaffen, auf denen Industrie- und Handelsfirmen unmittelbar an Wassertiefen von 16 m rückten; eine der bedeutendsten Küstenraum-Erweiterungen Japans in der Zeit des großen Wirtschaftsaufschwungs! Die Firma Hitachi (s. Tab. 19) errichtete 1964-1966 auf ihrem 82 ha umfassenden Anteil an dieser Aufschüttungsfläche eine Großwerft mit 2 Docks von 400 und 455 m Länge; 1974 lief die „World Crown", ein 238082 dw/t-Tanker, vom Stapel. Von gleichem Rang ist die in Sakaide von den Kawasaki Heavy Industries 1967 errichtete und bis 1972 laufend erweiterte Werft mit drei Docks von 380, 420 und 450 m Länge und Kapazitäten von 350000, 600000 und 500000 dw/t. Mit dieser Großwerft hat einer der bedeutenden Schrittmacher des japanischen Schiffbaus erstmals die Südküste der Setonaikai in den zentralen Strom der Entwicklung einbezogen. Die Werft hat mit ihren fast 5000 Beschäftigten auch Anteil am Wachstum von Sakaide. Die räumliche Ausweitung ihrer Produktionsstätten auf die Südküste der Inlandsee setzten die Kawasaki Heavy Industries noch dadurch fort, daß sie mit der Kurushima Dockyard Co technische Unterstützung für den Bau großer Schiffe vereinbarte, was der 1957 errichteten Werft in Önishi die Möglichkeit gab, mit einem 1972 fertiggestellten NeubauDock von 270 m Länge, 47 m Breite und 10 m Tiefe in die Reihe der Lieferanten von Schiffen des „Panamax"-Typs zu treten (16 a). Der jüngste Neubau wurde von der Kanawa Dockyard Co 1974 im Küstenraum von Hiroshima in Zusammenarbeit mit der seit 1922 bestehenden Ujina Shipbuilding Co auf dem Eiland Kanawa vollendet. Es ist eine Werft für Schiffe bis zu 25 000 dw/t, wobei eine Ausweitung der Einrichtungen bis zu Kapazitäten von 3 0 0 0 0 - 5 0 0 0 0 dw/t möglich ist. Die Mehrzahl der traditionellen Werften hat im letzten Jahrzehnt versucht, den Wettbewerb durch letzte Ausnutzung der räumlichen Gegebenheiten am alten Standort zu bestehen. Allen voran sind hier die Werften von Kure, Mihara und Tsuneishi zu nennen. Kure, die Werft der Globtik-Tanker, hätte die Spitzenleistung japanischen Schiffbaus ohne Erweiterung seiner Anlagen nicht vollbringen können.
C. Die Standorte der Werften
353
Als früherer Kriegshafen, noch bis 1962 unter amerikanischem Management, wurde die Werft erst 1959 von japanischer Hand zurückerworben und ging 1968 in der Ishikawajima-Harima Heavy Industries Co auf, nachdem die Vergrößerung eines Docks mit einer Kapazität von 5 6 0 0 0 dw/t auf 4 0 0 0 0 0 dw/t in Angriff genommen worden war; 1973 stand das Mammut-Dock bereits in Dienst; von ihm liefen die 483 000 dw/t-Globtik-Tanker vom Stapel. Das Zösen Year Book bezeichnet Kure als „the very place where present trend of building larger und larger ships was born" (16a, 106). Dafür hat Kure auch um so drastischer erfahren müssen, daß gerade die Mammut-Schiffe nicht mehr gefragt sind. Das dritte, 4 8 4 3 7 7 dw/t messende Schiff der Globtik-Klasse, das im Juni 1975 als „Nissei Maru" vom Stapel lief, wurde, von der Werft aus sichtbar, vom Auftraggeber in der Kure-Bucht vor Anker gelegt, weil es zunächst nicht verwendet werden konnte (7). Schließlich brachte man es zum Kiire-ÖlTerminal, von wo aus, um nicht noch höhere tote Kosten zu verursachen, die Jungfernfahrt zum Persischen Golf unternommen wurde.
In Mihara, dessen Werft man auch zu den Neubauten rechnen könnte, errichtete die Koyo Dockyard Co nach 1967 umfangreiche Hellinge und Docks. Das Trockendock mit einer Kapazität von 300000 dw/t wurde sogar erst 1974 fertiggestellt. Mit Mihara verlängert sich die Werftlandschaft der Onomichi-Straße, wobei auch Onomichi nach 1970 eine sehr wesentliche Ausweitung seiner Kapazitäten vornahm und dabei ein zusätzliches Aufschüttungsgelände schuf. Zu dieser Schiffbaulandschaft gehören auch die von der Hitachi-Shipbuilding und Engineering Co geleiteten Werften von Mukaishima und Innoshima sowie die mit Hitachi zusammenarbeitenden kleineren Werften der Eilande Setoda und Taguma. Mukaishima, an der Onomichi-Straße gegenüber von Onomichi gelegen, ist von der Entwicklung ihres großen Gegenübers mitgerissen worden; Innoshima auf gleichnamiger Insel südlich benachbart, hat sich seit 1970 für den Bau von Schiffen der 200000 dw/tKlasse ausgeweitet. Wie Mihara nach Westen, so verlängert die Tsuneishi Shipbuilding Co die Onomichi-Werftlandschaft nach Osten. Auch diese Werft könnte man zu den jüngsten und neuen rechnen, wenngleich der Bau von Schiffen, allerdings von Holzschiffen, bis 1918 zurückreicht. Was sich heute dem Betrachter darbietet, ist eine 8 km lange Küstenfront, 1971 durch 15 ha Aufschüttungsland zu größeren Wassertiefen vorgeschoben, dicht besetzt von 12 Docks und einigen Hellingen, deren Kapazitäten zwischen 800 und 200 000 dw/t liegen. Zu nennen sind noch die Aioi-Werft südlich Himeji, die 1970 zur Herstellung superautomatischer Großtanker überging, ferner die Tamano-Werft südlich Okayama, die 1970 für den Bau von VLCC-Einheiten erweitert wurde, und schließlich das Hauptwerk der Kawasaki-Heavy Industries in Kobe, das seine Raumbeschränkung nicht nur durch den Neubau in Sakaide überwand, sondern gleichzeitig auch durch Errichtung neuer Hellinge ihre Kapazitäten bis 157000 dw/t erhöhte. 3. Neue Werften in der Subregion Ise-Bucht Die Umstellung der japanischen Energiewirtschaft auf ölbasis und die steile Entwicklung der petrochemischen Industrie haben die Ise-wan-Region seit den sechziger Jahren für den Großtankerbau eigentlich erst erschlossen. Die Küste von Chükyö stellte tatsächlich in der Achse Tokyo—Nagasaki, vom Indüstriebesatz aus gesehen, eine Schütterzone dar: sie wurde als solche erkannt und gefüllt. Von den vier Großwerften der Region sind drei von jüngstem Alter. Die Nippon-KokanWerft von Tsu wurde 1969 vollendet, die Chita-Werft der Ishikawajima-Harima Industries (IHI) 1973, die Toyohashi-Werft der Kaftasashi 1974. Tradition aus der
354
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
als geographische
Faktoren
Vorkriegszeit (1941) hat hier nur die Nagoya-Werft, die 1964 von den IHI absorbiert wurde. Aber gerade die Enge des bisherigen Werfthofes veranlaßte die IHI, eine 76,7 ha große Fläche von Aufschüttungsland im Küstengebiet von Chita zu erwerben und hier eine Werft mit einem Neubau-Dock von 810 m Länge, 92 m Breite und 14 m Tiefe zu errichten. Der erste VLLC, der 254300 dw/t-Tanker „Andes Maru", konnte noch inmitten der Auftragsflaute von 1974 vom Stapel gelassen werden. Die Kapazität der Werft liegt für ULCC bis zu 1 Mio. dw/t und kann voraussichtlich in nächster Zeit nicht ausgenutzt werden (16 a). Die Nippon Kökan K. K., die ihre Stahlproduktion in Vorliebe mit einer Großwerft verknüpft, ließ sich in dieser Weise 1969 in Tsu, der Hauptstadt des Mie-ken, nieder. Sowohl das Neubau-Dock als auch das Reparatur-Dock ist 500 m lang und mit einer Kapazität von 500000 bis 700000 dw/t versehen. Der dritte Neubau in dieser Region wurde von der in Shimizu beheimateten Kanasashi Shipbuilding auf dem Aufschüttungsgelände des in der Entwicklung befindlichen Mikawa-Hafens bei Toyohashi erbracht. Diese Werft hat Ausdehnungsmöglichkeiten; zunächst verfügt sie über ein 380 m langes und 66 m breites Neubau-Dock mit einer Kapazität von 200000 dw/t. Das erste Schiff, ein 85000 dw/t-Tanker, lief im April 1975 vom Stapel. 4. Neue Werften an der
Tokyo-Bucht
Wenn nicht Stahl- und Chemiewerke noch vorherrschender wären, könnte der Küstensaum der Tokyo-Bucht ebenso als Werftlandschaft gelten wie der Raum von Onomichi. Im Zusammenfallen dieser Industriezweige liegt die Besonderheit und zugleich die Problematik der Umweltgefährdung, die in Japan nirgends brennender ist als hier. Vom ökologischen Standpunkt aus gesehen, sind die Küstensäume durch Industrieanlagen völlig überbesetzt. Dennoch hat sich im Gleichmaß mit der Vergrößerung der Aufschüttungsflächen rings um die Bucht eine Vielzahl von Fabriken ansiedeln dürfen, als ob dafür allein das Vorhandensein von Flächen entscheidend sei, die bis zu gewünschten Wassertiefen ans Meer grenzen. Unter diesen Neuansiedlungen befinden sich die Großwerften von YokosukaOppama, Yokohama-Negishi und Chiba-Ichihara. Die Chiba-Werft der Mitsui Shipbuilding and Engineering Co nimmt mit 92,6 ha ein Kernstück des Aufschüttungsgebietes bei Ichihara ein. Der Bau wurde 1960 begonnen; 1962 wurde das erste Schiff auf Kiel gelegt. Die ursprünglich auf nur 85 0 0 0 - 1 5 0 000 dw/t vorgesehene Kapazität wurde bis 1968 in Hinblick auf die Bestellung immer größerer Schiffe auf 300000 dw/t erweitert. Das leistungsfähigste der 4 Docks ist 400 m lang, 72 m breit und 12,5 m tief (16a, 14). Die Ishikawajima-Harima-Heavy Industries Co vollendete ihre neue Werft in Yokohama 1964 in der südlich des Hafens gegen die Stadt vordringenden NegishiBucht. Die Werft nimmt die Mitte des für das Negishi-Industriegebiet geschaffenen Aufschüttungslandes ein. Die Kapazitäten liegen bei 230 000 dw/t für Neubauschiffe und 372 000 dw/t für Reparaturen. Die Werft verfügt über ein 250 m langes und 43 m breites Schwimmdock. Die dritte und jüngste Großwerft an der Tökyö-Bucht liegt auf dem Aufschüttungsgelände von Yokosuka-Oppama. Die Sumitomo Shipbuilding and Machinery Co, die 1960 schon die frühere Marinewerft absorbiert hatte, erwarb dies neue Gelände 1970 und konnte 1972 das erste Schiff ausliefern. Das Neubau-Dock ist 560 m lang, 80 m breit und 12,6 m tief; es verfügt über eine Kapazität von 5 0 0 0 0 0 dw/t. Der Auftragsbestand belief sich Anfang 1975 noch auf 21 Schiffe mit 6,4 Mio. dw/t, davon 19 mit 5,8 Mio. dw/t für den Export.
C. Die Standorte der Werften
355
Das Entwicklungsbild in der Subregion Tokyo-Bucht ist noch durch zwei Hinweise zu ergänzen. Die Nippon Kökan hat für ihre Werft in Yokohama-Tsurumi trotz räumlicher Enge die Kapazitäten auf 160000 dw/t erweitern können und die IHI hat in ihrer Tokyo-Werft im Juli 1970 das für Japan erste Kernenergie-Schiff, den 8350 BRT großen Frachter „Mutsu" fertiggestellt. Die Frage, in welchem Umfang in die Region Tokyo—Nagasaki noch Werftneubauten eingeschoben werden könnten, hat in vorstehender Untersuchung drei Antworten erfahren: Zum ersten sind in den Jahren 1 9 5 5 - 1 9 7 5 insgesamt 15 neue Werften errichtet worden; 12 von diesen sind Großwerften modernsten Typs. Zum zweiten: Als räumliche Lücken für die Werftindustrie haben vier Küstenstriche Anziehungskraft ausüben können: NW-Kyüshü, die Küste des Yamaguchi-Ken, die Südküste der Inlandsee bzw. die Nordküste von Shikoku und die Subregion der Ise-Bucht. Drittens: In den Ballungsräumen der Osaka- und Tökyö-Bucht haben umfangreiche Aufschüttungsflächen mit tiefen Wasserfronten zum Bau moderner Mammut-Werften geradezu herausgefordert; dies hat in jenen Jahren, in denen propagiert wurde, Industrie und Bevölkerung in Sorge um die Erhaltung einer gesunden Umwelt gleichmäßiger über das Land zu verteilen, die Ballungstendenz noch verstärkt. Dies ist um so bemerkenswerter, als sich Möglichkeiten, Standorte außerhalb der Tökyö-Nagasaki-Achse zu finden, durchaus anbieten. II. D i e Schiffbau-Industrie an den Zugängen zur Inlandsee Die ausgezeichnete Buchtengliederung, verbunden mit großen, bis zur Küste reichenden Wassertiefen, die für die beiden Zugänge zur Inlandsee charakteristisch ist, erscheint wie ein Angebot an die Firmen der Tökyö-Nagasaki-Achse, soweit sich diese auf der Suche nach Ergänzungsstandorten für ihre in räumliche Bedrängnis geratenen Kernwerften befinden. Die Standortanalyse zeigt, daß von dem Angebot der Natur wenig Gebrauch gemacht wurde. Die Werften am westlichen Zugang, der Bungo Suidö, sind nicht in dem gemeinten Sinne zu deuten. Am östlichen Zugang, der Kii Suidö, befindet sich eine solche, die Yura-Werft der Mitsui Shipbuilding and Engineering Co; sie ist vorläufig die einzige dieser Art geblieben. Die Riasbucht von Yura, an ihrem Scheitel von der Kleinstadt Yura eingenommen, ist seit Jahrhundertern ein Ankerplatz. Mitsui sah in der ruhigen und ausreichend tiefen Bucht eine günstige Voraussetzung für die Anlage einer Reparaturwerft, die von Schiffen bis zu 330000 dw/t benutzt werden kann. Man baute 1973 ein 350 m langes, 65 m breites und 14,3 m tiefes Trockendock, einen 275 m langen Kai und eine 330 m lange Landungsbrücke (jetty). Ein zweites Trockendock ist vorgesehen. Die Werft ist höchst modern; das Trockendock kann in 2 Stunden ausgepumpt werden; mit Hilfe eines Laserstrahlensystems kann die Einführung der Schiffe ins Dock auch bei Nacht und an Nebeltagen erfolgen (16 a, 142). Sumitomo erwog 1973 die Nutzung der Tachibana-Bucht durch eine Großwerft mit einem 1300 m langen Dock und einer Kapazität von 1 Mio. dw/t. Diese Bucht liegt auf der Westseite der Kii Suidö in etwa gleicher Höhe mit Yura und bietet zugleich Raum genug an für einen Öl-Terminal. Die Öl-Krisis hat das Gespräch darüber stiller werden lassen. An der Bungo Suidö befinden sich drei Werften. Eine davon, die Saiki-Werft, ist neu. Sie wurde 1955 als Auslieger der 20 km nördlich gelegenen Stammwerft Usuki erbaut. Zwischen beide*) Werfthöfen besteht Arbeitsteilung derart, daß sich die Usuki-Stammwerft, ihre Tradition fortsetzend, mit dem Bau kleiner Schiffe bis zu 2 500 dw/t beschäftigt, die neue Saiki-Werft mittelgroße Schiffe bis zu 35000 dw/t herstellt. Beide Werften sind ohne Dock; sie benutzen Hellinge verschiedener Größe. Während die Usuki-Werft bislang ausschließlich für den heimischen Markt arbeitete, gingen die Aufträge bei der Saiki-Werft fast ebenso ausschließlich vom Ausland ein. Die Uwajima-Werft auf der Ostseite der Bungo Suidö, der Usuki-Bucht gegenüber, als kleine Werft schon vor dem Kriege tätig, wurde 1957 der Kurushima-Dockyard Co unterstellt. Sie verfügt über 2
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6. Kapitel:
Die einzelnen Industriezweige
als geographische
Faktoren
Hellinge; ihre Kapazitäten reichen bis etwa 8000 dw/t. Die Kurushima-Firma hat ihr Hauptgewicht auf die neue Werft Önishi an der Aki-nada der Setonaikai gelegt. Das schwache Entwicklungsbild zu Seiten der Bungo Suidö könnte eine Veränderung erfahren, wenn sich der 1973 angemeldete Plan der Mitsui Zösen verwirklichen sollte, auf den bereits erworbenen 120 ha des Aufschüttungslandes im Industriegebiet von Öita eine Werft mit Kapazitäten bis 1 Mio. dw/t zu bauen (16 a, 76).
III. Die Schiffbau-Industrie in den vom Shinzan-Toshi-Programm geförderten Regionen Die wiederholten Versuche für eine Abschwächung der Konzentration von Industrie und Mensch in der Region zu Seiten der Achse Tokyo—Nagasaki wurden 1962 staatsgesetzlich in der Konzeption einer „Förderung Neuer Industriestädte" (Shinsan Toshi oder New Industrial Cities) in die Ebene einer nationalen Aufgabe gehoben (5), für deren Verwirklichung der Staat Unterstützung bei aller infrastrukturverbessernden Vorarbeit zusicherte. Das Gesetz, das 1964 noch eine Erweiterung erfuhr, sollte mit allem Nachdruck der Entwicklung von industriewirtschaftlich unterentwickelt gebliebenen Regionen dienen, d. h. 85% des gesamten Staatsraums4. Unter diesen befinden sich auch Landesteile mit Küsten, deren Buchten und Wasserfronten zur Anlage von Werften geradezu einladen: Die Präfekturen Kumamoto, Kagoshima, Mie (außerhalb der Ise-Bucht), Fukui und Miyagi. Deshalb ist die Frage legitim, inwieweit diese Möglichkeiten genutzt wurden, da gerade in den Jahren nach Verabschiedung des genannten Gesetzes eine Welle von Werftneubauten eingesetzt hatte. Die Antwort gibt allein schon ein Blick auf die Verteilung der Werften, wie sie in Abb. 23 dargestellt ist. Insgesamt liegen nur 10% der Großwerften in den entwicklungsbedürftigen Regionen; rechnet man die an den pazifischen Zugängen zur Inlandsee bestehenden Werften hinzu, sind es 17%, d. h. das Angebot, das sowohl von der Natur als auch vom Staat gemacht wurde, ist von der Werftindustrie nur sehr zögernd angenommen worden. Schließt man die schon behandelten Werften der Bungo- und Kii-Suidö in die Betrachtung ein, so sind in den entwicklungsbedürftigen Gebieten nach 1962 nur 3 Werften gebaut worden, und am Ausbau schon älterer Werften haben, Saiki einbeschlossen, ebenfalls nur 3 Anteil. Die Maizuru-Werft gehörte vor dem Kriege der Marine; ihre Anlagen wurden nach dem Kriege für den Bau von Handelsschiffen verwendet (16a). Eine wesentliche Erweiterung erfuhr die Werft nicht. Sie wurde 1971 von der Firma Hitachi übernommen, die sich mit der Anlage der Ariake-Werft (s. u.) besondere Verdienste im Rahmen des Shinzan Toshi-Programms erwarb. Die Niigata-Werft der NiigataEngineering Co ist bei der Herstellung von Fähr- und Fischereischiffen geblieben. Die Köchi-Werft ist in Kontraktverhältnis zur Kurushima Dockyard Co getreten und baut weiterhin Schiffe bis zur Größe von 6000 dw/t. Zu wesentlichem Ausbau hat sich die „Nipponkai Heavy Industries Co" (Jükö K. K.) für ihre Werft in Toyama entschlossen. Das an der rechten Seite der Jintsugawa-Mündung eingegrabene Hafenbecken erlaubte 1940 die Anlage von Docks; sie wurden 1973 erweitert und ermöglichen nunmehr den Bau von Schiffen der 52 000 dw/t-Klasse. Der weitere Ausbau des größeren Docks bis zu 225 m Länge ist im Gange. Bedeutende Kapazitätserweiterung hat die Hakodate-Werft (Hakodate Dock Co) erfahren. Sie verfügt heute über vier Trockendocks und einen Helling. Die Kapazitäten liegen zwischen 14000 und 300000 dw/t. Der Ausbau begann 1965 und endete 1974 mit dem Bau der beiden 345 m und 360 m langen Trockendocks mit Kapazitäten für VLCC (s. Tab. 19). Die von der Firma schon 1940 übernommene Werft in Muroran dient vor allem der Reparatur von Schiffen. 4 Diese Berechnung legte Verf. in seiner „Allgemeinen Staatengeographie", Berlin 1972, vor. S. 198.
C. Die Standorte der Werften
357
Um einen Neubau handelt es sich in Shiogama, der einzigen Werft von Bedeutung im 66900 km 2 großen Landesteil Töhoku mit einer Küstenlänge von mehr als 1500 km. Die Töhoku Shipbuilding wurde erst 1957 in Zusammenhang mit der Entwicklung einer Töhoku Development Co gegründet. Sie verfügt über Hellinge, die in Kombination eine Kapazität bis zu 30000 dw/t erreichen, und über zwei Reparaturdocks für kleinere Einheiten. Die Gesellschaft liegt gleichsam auf der Lauer, um sich mit einer größeren Werft im Hafenraum von Sendai niederzulassen, sobald dieser fertiggestellt ist. Den bedeutendsten Beitrag im Sinne des nach regionalem Ausgleich strebenden Entwicklungsprogramms hat vom Sektor Werftindustrie bisher die Hitachi Shipbuilding and Engineering Co mit dem Aufbau der Ariake-Werft geleistet. Sie führt diesen Namen, weil sie am Ariake-Kai liegt, einer sich mit dem Yatsushiro-Kai über 120 km erstreckenden Meeresfläche, die infolge von Halbinseln und Inseln ähnlich wie die Inlandsee zum offenen Meer nur schmale Ausgänge hat und deshalb nicht nur als Bucht, sondern als See oder Kai betrachtet wird. Der von Hitachi gewählte Platz liegt im Raum der Kleinstadt Nagasu des Kumamoto-Ken, in Nähe von Ömuta. Der 152 ha große Werfthof besteht vorwiegend aus Aufschüttungsland (umetate-chi) entlang der Küstenfront. Er gehört zu jenen wenigen, die bereits auf den Bau von ULCC-Einheiten bis zu 1 Mio. t eingerichtet sind. Er arbeitet in einem neuen „two dock, five stage-system". Das größere der beiden parallel verlaufenden, 85 m breiten und 14 m tiefen Docks, das der Herstellung des Achterschiffes dient, ist 620 m, das kleinere für den Bug und das Mittelschiff 380 m lang. Bei voller Ausnutzung dieses Systems kann die Werft jährlich 4 VLCC-Einheiten ausliefern. Der Auftragsbestand für Großtanker ist 1978 ausgelaufen. Pläne der Hitachi Zösen gingen in die Richtung einer gleich großen Werft an der Südküste der Shimabara-Halbinsel. Die Errichtung einer Reparatur-Großwerft in Taniyama, einem Küstenort südlich Kagoshima, verfolgen die IHI auf einer Aufschüttungsfläche von 132 ha (16 a, 70). IV. Kann Mangel an Standortmöglichkeiten Ursache für Verlagerung des Schiffbaus ins südliche Ostasien sein? Dem Zösen Year Book 1974-1975 ist zu entnehmen, daß einige der großen Schiffbauer Zweigniederlassungen im südlichen Ostasien begründeten. Vor allem ist Singapore dafür gewählt worden. Die „Ishikawa-Harima Heavy Industries CO" (IHI) haben 1963 gemeinsam mit der Singapore-Regierung die „Jurong Shipyard, Ltd" (JSL) aus der Taufe gehoben. Die IHI stellt seither Fachkräfte aus ihren Werften in Tokyo, Yokohama, Nagoya und Aioi nach Jurong ab, das als Industriegebiet westlich von der Hafenstadt Singapore entwickelt wurde. Die Werft verfügt über 2 Docks mit Kapazitäten von 100000 bzw. 300000 dw/t und über ein Schwimmdock von 86 mal 18 m; alle drei dienen sowohl dem Neubau von Schiffen als auch den Reparaturen. Im Jahre 1968 stärkte die IHI ihre Aktivitäten durch eine zweite Neugründung, an der sich drei Parteien beteiligten: Die Singapore-Regierung, die JSL und die IHI; die neue Firma nennt sich „Jurong Shipbuilders Private, Ltd" (JSBL). Ihre Werft liegt auf der Samulun-Insel vor Jurong unmittelbar neben der JSL-Werft. Ihr Dock ist 335 m lang, 56 m breit, l i m tief. Es dient vor allem den Reparaturen.
358
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische
Faktoren
In Jurong hat sich auch die Hitachi Zösen angesiedelt. Sie bildete 1970 gemeinsam mit der Robin Shipyard die „Hitachi Zösen Robin Dockyard, Ltd" (HRD), die vor allem Schiffsreparaturen betreibt und hierfür auf Schiffe bis zu 300000 dw/t eingerichtet ist. Die „Mitsubishi Singapore Heavy Industries", gegründet 1973, verfügen über ein 33 ha großes Werkgelände mit einem Trockendock, das Schiffe bis zu 400000 dw/t aufnehmen kann. Die „Sumitomo Shipbuilding and Machinery" kam 1973 mit der Regierung Malaysias und mit zwei malaysischen Firmen überein, die „Malaysia Shipyard and Engineering" zu gründen. Die Werft an der Küste der Straße von Johore verfügt über zwei Trockendocks, eines für 140000 dw/t- und eines für 400000 dw/t-Schiffe. Schließlich müssen auch die Verbindungen mit dem koreanischen Schiffbau genannt sein: Die „Hakodate Dock" und die Handelsfirma Marubeni schlössen mit der „Korean Wonyang Fisheries Co" 1974 einen Vertrag über den Bau eines Docks für 100000 dw/t auf der Koje-Insel. Die Kawasaki Heavy Industries stehen in einem Vertragsverhältnis mit der „Hyundai Mipo Dockyard Co" in Ulsan.
Es ist bemerkenswert, daß sechs der größten Schiffbaufirmen Japans die Gelegenheit ergriffen, einen Filialstandort außerhalb des Inselreiches zu suchen. Die geographische Lage dieser neuen Niederlassungen macht deutlich, daß es sich dabei nicht um ein Ausweichen ins Ausland aus Mangel an Standortmöglichkeiten auf den heimatlichen Inseln handelt. Die Mehrzahl der vollzogenen Filialgründungen zielt auf die Dienstleistung von Reparaturen ab und befindet sich an der Malakka-Straße. Hierin wird die Funktion dieser Außenstellen im Rahmen des Erdöltransportes vom Persischen Golf nach Japan deutlich. In der Malakka-Straße liegt die Hälfte des Weges; hier ist Hilfeleistung gegebenenfalls am sinnvollsten. Dies schließt nicht aus, daß den neuen Werften auch eine zweite Funktion eingelegt sein kann: Die Nähe am südlichen Markt, die von noch so günstigen Standorten im Heimatland nicht aufgewogen werden kann. Letzthin sind Arbeitsmarktfragen, Lohnfragen und die komplexe Frage der Entwicklungshilfe von begleitender Gunst. Diese Begleitgedanken treten im Falle der koreanischen Abmachung sogar in den Vordergrund.
Von einem Mangel an heimatlichen Standortmöglichkeiten für Werften kann keine Rede sein. Solcher Gedanke tritt allerdings hervor, wenn man aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit an den Standort die Bedingung heftet, daß er an der Frontlinie des japanischen Wirtschaftsgeschehens liegen müsse, d. h. im Buchten- und Binnenseeraum der von Nagasaki bis zum Kantö verlaufenden Tökai-SanyöSaikaidö-Region. In dieser Region sind die günstigen Küstenplätze besetzt. Die Frage nach Ersatzlösungen mündet ein in die Problematik der japanischen Landesentwicklung insgesamt.
D. Zusammenfassende Betrachtung In der Entwicklung der Schiffbau-Industrie liegt eine der Antworten, die Japan auf die Herausforderungen der abend- und neuabendländischen Welt gegeben hat. Die Beantwortung wurde von 1868 bis heute als nationale Aufgabe gesehen. Deshalb hat sie Zielstrebigkeit, und ihr Erfolg ist von achtunggebietender Größe: Die Hälfte des Schiffbaus der gesamten Erde kommt aus japanischer Hand. Im Vorgang dieser Entwicklung sind Verhaltensweisen zu erkennen, die für die Menschen und den Staat dieses Inselreichs charakteristisch erscheinen:
D. Zusammenfassende
Betrachtung
359
1. Es besteht auf den Grundlagen der mehr als 1500jährigen Kulturgeschichte ein nicht nachahmbares Zusammenarbeiten zwischen Wirtschaft und Staat. Es hat sich seit der Landöffnung von 1868 auf das Ziel gerichtet, international wettbewerbsfähig zu werden, und nach Erreichung dieses Zieles jederzeit wettbewerbsfähig zu bleiben. 2. Die aufgenommene Arbeit wurde jeweils mit so großer Zähigkeit und so großem Fleiß verfolgt, daß notwendigerweise Aspekte einer Landesplanung abgeblendet blieben. Insbesondere waren sich im Ziel der Maximierung von Leistung und Gewinn der Staat und die Industriewirtschaft so einig, daß die für den Außenhandel mit einmaliger Infrastruktur ausgestattete Achse Tokyo-Nagasaki als Frontlinie des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Geschehens von Staats wegen begünstigt wurde. Am Geschehen voll teilhaben zu können, wurde im Laufe der Zeit gleichgesetzt mit der Möglichkeit, entlang dieser Frontlinie zu agieren. Das hat weitreichende Disparitäten innerhalb des Staatsraums heraufbeschworen und berechtigt zu der Feststellung, daß Japan ein industrie-, handels- und finanzwirtschaftlich monoregional entwickelter Staat ist, dessen industriell unterentwickelte Regionen fünfmal so groß sind wie die entwickelten. In dieses Phänomen ist die japanische Schiffbau-Industrie eng eingebunden. Von dem großen Angebot an Standorten an der 29000 km langen Küste des Archipels wurde vorwiegend nur dort Gebrauch gemacht, wo sich die Vorteile der Tokyo-Nagasaki-Achse auszuwirken vermögen. 3. Japan ist heute ein Land weitschauender Wirtschafts-Planer. Die Zeit ist vorüber, für die JIRO HARADA von seinen Landsleuten sagen durfte: „The people understand by imitation, by direct contact rather than by investigation and analysis". Die Entwicklung der Schiffbau-Industrie begann zwar mit dem Kauf ausländischer Schiffe, führte zur Nachahmung erst des Schiffsrumpfes, dann der Maschinen, zum Kauf von Lizenzen und damit zur Herstellung ganzer und immer größer werdender Schiffe, aber mit berechtigter Genugtuung äußern Japaner heute, nachdem sie sich in völlig eigenen Konstruktionen als Meister erwiesen haben, so daß sie sogar Lizenzen exportieren. Weitschauende Planung bewiesen Wirtschaft und Staat in der Behandlung der Liberalisierung des Schiffbaus. Warum, so fragt die „Mainichi Newspapers" 1968 (6), hat man den Schiffbau aus der Liste 100-prozentig liberalisierter Wirtschaftszweige gestrichen? Sie ermittelte, „that if a foreign capital with huge financial backing, advanced into Japan and started a shipbuilding business, it might hire away Japanese technicians by offering American-standard wages to build mammot vessels. In that case, the cost of mammot ships may become 7 to 8 per cent lower than the comparable Japanese shipyards (because the Japanese shipyards depend heavily on borrowed funds)". Eine Liberalisierung wurde, weil man sich gerade angeschickt hatte, Mammut-Schiffe zu bauen, nur für den Bau von Schiffen unter 200000 dw/t verfügt, für den Bau größerer Einheiten nicht. Da man voraussah, daß man dem Druck der Weltwirtschaft nicht lange widerstehen könne, gingen die Firmen an den Bau ihrer großen Docks und neuen Mammut-Werften. „In fact, the Shipping and Shipbuilding Rationalization Council, an advisory Organ to the Transportation Minister, headed by a noted economist, YOSHITARO WAKIMURA, has advised the Government and the
360
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische
Faktoren
industry to boost the scale of Shipyards in the „mammot" category in order to meet the future demand" (6, 173). Auf diese Weise schritt die Erweiterung von Werften und die Errichtung neuer, wie dies im vorstehenden Text behandelt wurde, seit 1967 so stürmisch voran. In diesem Zusammenhang seien einige der Großwerften mit Datum ihrer Fertigstellung nochmals genannt: Sakai 1966, Sakaide 1967, Tsu 1969, Koyagi 1972, Yokosuka-Oppama 1972, Chita 1974, Ariake 1974. Die Serie von Neubauten mit größten Kapazitäten wurde gleichsam zur Sperrmauer gegen alle ausländischen Versuche, bei voller Liberalisierung des Schiffbaus in Japan Fuß zu fassen. Freilich bedarf es dieser Sperrmauer nicht mehr. 4. Kurze Wartezeiten für erteilte Aufträge, hohe Qualität und günstige Preisgestaltung: diese drei Merkmale werden genannt, wenn die Gründe für den Vorsprung der japanischen Schiffbauindustrie vor jeder anderen genannt werden sollen. Dies genügt aber nicht. Es wurde davon gesprochen, daß sich die ersten Werften aus Eisen- und Maschinenwerken entwickelten. Die enge Verkoppelung mit diesem Industriezweig ist geblieben und kommt in mehreren Firmenbezeichnungen noch deutlich zum Ausdruck. Das enge Beieinander mit dem Schiffsmaschinenbau beschleunigt den Herstellungsvorgang. Zusätzlich bestehen Absprachen zwischen den Werften, etwa das technische „tie-up" zwischen Nippon Kökan und Sasebo Industries oder zwischen Kawasaki Heavy Industries und Hitachi Shipbuilding and Engineering. Es wurde von der Firmenpyramide gesprochen, von 655 Werften der verschiedensten Größenordnungen. Keine der Werften steht ganz für sich; sie sind alle in irgendeiner Form mit den nächst größeren verbunden, und die jeweils größeren bedienen sich der kleineren für die Herstellung von Teilstücken oder es bestehen sogar Kontraktverhältnisse. Solcherart ist auch die Zusammenarbeit der Werften von Innoshima mit Setoda oder Taguma. Schließlich aber erwächst die Blüte der japanischen Schiffbau-Industrie auch aus der Haltung der Belegschaft einer Werft. Es ist die Idee der sozialen Harmonie ein altes Erbgut. Konflikte werden gern vermieden. Es gibt Gruppengeist, das Einstehen für die Firma, wobei erwartet wird, daß sich die Firmenleitung wie im traditionellen Oyabun-kobun-System verhält. Solche Verhaltensweisen sind einmalig, nicht nachahmbar; sie sind das höchste Kapital, über das die japanische Industrie und damit auch der Schiffbau verfügt. Sie gewähren Zuverlässigkeit, Beständigkeit und Qualität.
Schrifttumverzeichnis für das 6. Kapitel, 2. Abschnitt 1. (The) Daiwa Securities Co: The Shipbuilding Industry in Japan. In: The Daiwa Investment Series No. 15. Tokyo 1952. 2. Hamada, Noboru: JSMDA Engaged in Untiring Research and Development. In: Zösen, Vol. 21, 1976, 1. S. 1 7 - 2 0 . 3. (The) Industrial Bank of Japan: The Shipbuilding Industry. In: Surv. JFI, No. 27, 1975. S. 5 4 - 8 3 . 4. Japan Statistical Yearbook (versch. Jahrgänge). 5. Law for Promoting New Industrial Cities, its Significance. In: Surv. JFI, Vol. 16, 1964, 2. S. 1 — 12. 6. (The) Mainichi Newspapers: Shipbuilding Industry. In: New Japan, Vol. 20, 1968. S. 1 7 2 - 1 7 4 . 7. Mainichi Daily News, 27. 6. 1975: Largest Tanker to be Idle. 8. MOT (Ministry of Transport): White Paper on Japanese Shipbuilding In: Zösen, Vol. XX, 1976,10. S. 1 8 - 2 1 ; 1976, 11. S. 1 2 - 1 5 .
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische Faktoren
361
9. Okinawa Expo 1975: World's Largest Offshore Structure „Aquapolis". In: Zósen, Vol. 20,1975,5. S. 2 4 - 2 7 u. 37. 10a Schwind, Martin: Japan. Zusammenbruch und Wiederaufbau seiner Wirtschaft. Düsseldorf 1954. 10 b Schwind, Martin: Werften in Japan. Deutsch-Japan. Wirtschaftsbüro, Hamburg 1976. 11. Shima, Hirotaka: „Jimmu-Boom" - Economic Take-Off. In: Mainichi Daily News, 16. 5. 1975. 12. Toyoda, Takeshi: Sakai. Feudalistische Städte Japans (japanisch). Iwanami Shoten, Tokyo 1957. 13. Toyo Keizai Shinposha: Japan Company Handbook, 2nd Half 1980. Tokyo, August 1980. 14. Uehara, Senroku: The Industry and Trade in Japan. London 1936. 15. Yoshida, Shigeru: Japanese Shipbuilding at Turning Point. In: Zósen, Vol. 20, 1975, 5. S. 1 2 - 2 3 . 16. Zósen Yearbook a) 1974-75, b) 1975-76, c) 1976-77. Complete Reference on Shipbuilding and Related Industries in Japan. Tokyo 1975, 1976, 1977. 17. Zósen: Gov't Should Play Leading Role in Development of N-Powered Ships. In: Zósen, Vol. 20, 1975, 7. S. 12. 18. Zósen: Development of Yard Mechanization. In: Zósen, Vol. 21, 1976, 1. S. 52—56 u. 64. 19. Zósen: Mitsui Tamano is busy building Drilling Rigs. In: Zósen, Vol. 21, 1976, 2. S. 18-19. 20. Zósen: Mitsubishi Starts Marketing of Newly-Developed Oil Skimmers. In: Zósen, Vol. 21, 1976, 3. S. 18. 21. Zósen: Mitsubishi Develops World's First Offshore Floating Oil Tank System. In: Zósen, Vol. 22, 1977, 2. S. 12 (mit Abb.). 22. Zósen: White Paper on Japanese Shipbuilding Industry, by MITI, 28. Nov. 1975. In: Zósen, Vol. 20,' 1975, 10. S. 1 8 - 2 1 ; 1976, 11. S. 1 2 - 1 5 .
3. Abschnitt Die geographische Bedeutung der metallverarbeitenden Industrie (ohne Schiffbau) Als metallverarbeitende Industrie werden sehr unterschiedliche Industriezweige zusammengefaßt. Auch die Werftindustrie gehört hinzu. Wenn diese in einem eigenen Abschnitt vorangestellt wurde, so hatte dies zwei Gründe. Die Werftindustrie ist ein geographisch so eindrucksvolles Element, daß sie sich allein schon in der Standortfrage gegenüber den anderen eisen- und stahlverarbeitenden Branchen unvergleichbar heraushebt. Die übrigen Branchen sind nicht notwendig küstengebunden, wenn sie die Nähe eines Hafens natürlich auch vorziehen. Für sie ist aber der binnenländische Absatzmarkt von gleicher Wichtigkeit. Zum zweiten ist die Werftindustrie der Maschinenindustrie im Entwicklungsgeschehen übergeordnet gewesen, und noch heute beteiligen sich einige Großwerften am Bau von Maschinen und Schiffsausrüstungen. Der Schiffbau Japans übt im Gefüge der Schwerindustrie die Funktion einer Grundindustrie aus; er gibt den vielen Zweigen der metallverarbeitenden Industrie Impulse, und viele stehen in Abhängigkeit von ihm. Insofern nimmt er eine Sonderstellung ein. Die in diesem Abschnitt in ihrer geographischen Relevanz betrachteten Industriezweige sind: Der Bau von Schwermaschinen sowie von industrieller Ausrüstung, der Leichtmaschinenbau, der Fahrzeug- und Motorenbau, die elektrotechnische Geräteindustrie, die feinmechanische und optische Industrie. Die Industriezweige überschneiden sich in vielen Fällen.
362
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
als geographische
Faktoren
A. Der Maschinenbau als geographischer Faktor I. D e r Schwermaschinenbau und die Herstellung industrieller Ausrüstung Diese Industrie umfaßt die weite Spanne zwischen der Herstellung einer einzelnen Maschine und der Lieferung ganzer Fabrikanlagen. Wie fast alle wichtigen Industrien des Landes hat auch die Maschinenindustrie ihre erste Förderung durch den Staat erfahren. Als Pionier der privaten Unternehmer gilt die 1887 in Tokyo gegründete Shibaura Seisakusho. Sie lebt in der heutigen „Tokyo Shibaura Denki" fort und hat ihren alten Namen an eine kleinere Firma des schwereren Elektromaschinenbaus abgegeben, der seine Standorte außerhalb Tokyos in Ofuna und Obama suchte. Die staatlichen Subventionen für den Bau von Schiffsmaschinen und die gleichzeitig schnelle Verbreitung der elektrischen Energienutzung im gesamten Archipel belebten schon früh den Bau von Elektromaschinen und elektrotechnischen Einrichtungen. Die Nippon Electric Co (Nippon Denki), die Tokyo Shibaura Denki sowie die älteren Werftfirmen Mitsubishi Heavy Industries und IHI haben den Maschinenbedarf des Landes während des Ersten Weltkrieges, als die Importe völlig versiegten, voll decken müssen. Aus dieser Erfahrung heraus erlebte der Maschinenbau nach dem Ersten Weltkrieg unter Nutzung ausländischer Lizenzen seine erste Blüte. Es entstanden die sehr bald in Führung gehenden Werke der Hitachi Seisakusho, Mitsubishi Denki, Fuji Denki Seizö, Komatsu und Kubota. Sie erbrachten die weite Verzweigung der Produktionsrichtungen. Eine ähnliche Situation durchstand Japan in den Jahren des Zweiten Weltkrieges. Auch nach dessen Ende ergab sich, daß trotz der intensiven Weiterentwicklung im Maschinenbau infolge der geringen Kontakte mit der Außenwelt ein Mangel an technischem Know-how entstanden war. Noch 1953 spricht die Daiwa Securities Co die Hoffnung aus, daß durch „the rationalization of its own enterprises and the use of up-to-date technologies, the machine manufacturing industry will contribute to the modernization of Japanese industries" (1, 10). Wiederum füllte man die Lücke an Know-how durch den Erwerb von Lizenzen ausländischer Firmen. Günstig wirkte sich der Gedanke aus, Reparationsleistungen als Entwicklungshilfe im Austausch mit Rohstoffen und Nahrungsmitteln durchzuführen. Zu diesen Reparationsleistungen gehörten u. a. der Bau des Danhim Stauwerkes nordöstlich Saigon und des dazugehörigen Hydro-Elektrizitätswerkes, die Beteiligung am Mekong-Projekt, die Mitarbeit an der Errichtung des Balu-Chaung-Großkraftwerkes unter Nutzung der Lawpita-Fälle in Burma, der Bau von MehrzweckStaudämmen in Indonesien, die Mitwirkung an der Errichtung des MarikinaDamms auf den Philippinen (14). Diesen Reparationsleistungen lief eine starke Belebung des Staudammbaus auf japanischem Boden parallel und beides gab der Elektromaschinen-Industrie einen außerordentlichen Auftrieb. Eindeutig in Führung gelangte die 1920 gegründete Hitachi Seisakusho (s. o.) 1 . Sie ist geographisch von mehrfacher Bedeutung. Ihre Belegschaft bildet den gesell1 Nicht zu verwechseln mit der Werftfirma Hitachi Zösen. Zur Hitachi Seisakusho-Gruppe gehören (1980): Hitachi Plant Kensetsu, gegr. 1929, B ( = Belegschaft) 2 7 6 0 Pers., Standort Matsudo; H. Seiki, gegr. 1936, B 1340, in Abiko; H. Koki, gegr. 1948, B 2 4 3 0 , in Sawa, Kasama; H. Kinzoku, gegr. 1956, B 8 6 0 0 , in Tobata, Wakamatsu, Kuwana, Yasugi;
A. Der Maschinenbau
als geographischer
Bild 23 Hitachi-shi. Das Kaigan-Werk Stadt. Im Hintergrund der Schornstein durch Freundlichkeit der Werkleitung.
Faktor
363
der Fa. Hitachi, dem Hauptarbeitgeber für die Bewohner der der Hitachi-Kupfergrube im Abukuma-Gebirge. Aufn. 1971,
schaftlichen Kern der (1975) 202000 Einwohner zählenden Stadt, die den Namen der Firma trägt, der wiederum zurückgeht auf den alten Provinznamen, den man 1868 zugunsten von Ibaraki fallen ließ (s. Bd. 1, S. 48). Hitachi ist die von der gleichnamigen Firma des Elektromaschinenbaus seit 1920 geprägte Stadt. Sie hat ihren Vorläufer in der Hitachi-Kupfergrube am Takasuzuyama (624 m), eines Gipfels auf der Wasserscheide des bei Hitachi nach Süden auslaufenden AbukumaGebirges (s. Bd. 1, S. 466). Die 1908 von der Kuhara Mining Co begonnene Kupferförderung wurde einschließlich den Bergarbeitersiedlungen Motoyama und Daiöin im Miyanodengawa-Tal von Hitachi bei der Gründung der Firma übernommen (5, 4), der das Kupfer bei der Entwicklung ihrer elektrotechnischen Industrie sehr willkommen war. Es ist daher kein Zufall, daß das Yamato-Werk am Talausgang des Miyanoden erbaut wurde und daß man erst später, um sich ausbreiten zu können, das Kaigan-Werk auf der immerhin 1000 m breiten Küstenebene errichtete. Zu diesen beiden Arbeitsstätten traten 1952 die Kokubu-Werke im heutigen Stadtteil Taga. In kurzer Zeit hatte sich ein Netz von 37 Fabriken über Ibaraki, Chiba und Tökyö-to bis in den Bereich der Inlandsee geworfen. Insgesamt beschäftigte „Hitachi" 1976 mehr als 75000 Personen. Neun der Tochter- und H . D e n s e n (Cable), gegr. 1956, B 5 0 0 0 , in Hitachi, Tsuchiura, T o y o u r a , H i d a k a ; H . Kasei, gegr. 1962, B 4 1 5 0 , in S h i m o d a t e , Yuki, S a k u r a g a w a , G o i ( C h i b a ) ; u n d die H a n d e l s f i r m a H . H a n b a i , gegr. 1955, B 3 4 0 0 .
364
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische
Faktoren
Vertragsfirmen sind von so großer Selbständigkeit und Produktionskraft, daß sie neben der Hauptfirma an der Tokyo-Effektenbörse geführt werden. Die Produktionsliste der Hitachi umfaßt weit über 100 verschiedene Gegenstände; sie enthält die Stufenleiter von Elektrodendrähten und -kabeln über Telefonanlagen, Computer, wissenschaftliche Instrumente, Stereoanlagen, Fernseher, Drahtseilbahnen, Straßen- und Eisenbahnen, elektrische Lokomotiven, mächtigen Dampf- und Wasserturbinen bis zur Lieferung von Fabrikanlagen, insbesondere von Elektrizitätswerken und Atomkraftwerken (5). Im Verhältnis von Fabrik und Kupferbergwerk lag der Keim für die Entwicklung eines Kombinatsystems, das die gesamte Stadt und die nordwärts anschließenden Küstenräume von Ogitsu und Kawajiri überspannt. Betrachtet man die räumliche Verteilung der Tochter- und Vertragswerke außerhalb Hitachi-shi, so ergibt sich im Grundsätzlichen gegenüber der Stahl- und Werftindustrie keine entscheidende Abweichung (s. Abb. 18). Eindeutig bevorzugt ist das Kantö, wobei die Hitachi-Werke einen Beitrag zum Ausgleich des Wirtschaftsgefälles vom westlichen zum östlichen Kantö leisten. Ibaraki-ken hat sich seit 1955 unter Mitwirkung von Hitachi sogar progressiver als Gumma-Ken im westlichen Kantö gezeigt. Die Bevölkerungszahl stieg kräftiger als dort und Hitachi wuchs ebenso rasch wie Maebashi. Die Herstellung von Elektromaschinen und -geräten ist übrigens die einzige Branche der japanischen stahlverarbeitenden Industrie, die sich flächenmäßig über ganz Honshü verbreitete. Es wäre übertrieben, dies auf Impulse von Hitachi zurückführen zu wollen. Dafür sind die Kraftzentren des Keihin und Kansai zu bedeutend, als daß nicht auch von ihnen aus die Marktgunst gesehen worden wäre. Entscheidend war die hervorragende Rolle, die dem Elektrogerät im japanischen Haushalt und der Elektromaschine in der Landwirtschaft zufiel. Auch die Kleinund Mittelbetriebe sind überall ihres Absatzmarktes sicher. Im Keihin haben wie im Kansai die bedeutendsten Werke der Schwermaschinenindustrie ihren Sitz. Es sind im Keihin: die Tokyo Shibaura Denki (gegr. 1904, die mit 6 5 0 0 0 Beschäftigten der zweitgrößte Hersteller von Elektromaschinen ist, zur Ishikawa-Gruppe gehört und Verbindung mit der amerikanischen GE unterhält; die „Fuji Denki" (gegr. 1923), spezialisiert in Verbindung mit Siemens (Deutschland) auf Generatoren, Transformatoren und Schaltwerke; die „Nippon Denki" (gegr. 1899), zur Sumitomo Gruppe gehörend, mit 32 000 Beschäftigten der größte Produzent für Einrichtungen des Fernmeldewesens, die Matsushita Denki Sangyö, mit 3 8 0 0 0 Arbeitskräften für Elektrogeräte der größte Lieferant der Welt (15). Die genannten Firmen sind aber nur die größten unter zahlreichen anderen, ganz zu schweigen von Mittelbetrieben bis zu 500 und von dem Schwärm von Kleinbetrieben bis hin zu 50 Beschäftigten.
Im Kansai bietet sich ein ähnliches Bild: Im Mittelpunkt stehen die integrierten Werft- und Schwermaschinenwerke der Mitsui Engineering and Shipbuilding, Mitsubishi Heavy Industries, Kawasaki Heavy Industries und IHI. Um sie scharen sich die Komatsu- und Kubota-Schwermaschinenwerke, die Zweigniederlassungen von Mitsubishi Denki, Fuji Denki und Matsushita und die selbständige Sanyo Denki (16900 Beschäftigte), die sich auch der Anti-Pollution-Maschinen angenommen hat. Es folgen zahlreiche Großbetriebe von 5 0 0 - 1 0 0 0 0 Beschäftigten und schließlich die bunte Schar der Mittelund Kleinbetriebe. Grundsätzlich besteht solche Betriebsstruktur bei geringerer Ballung von Maschinenwerken auch im Chükyö, in Shizuoka, Numazu und am Sanyö-dö in Himeji
A. Der Maschinenbau als geographischer
Faktor
365
und Okayama. Bemerkenswert aber ist, wie schon bemerkt, die Scharung von Maschinenbaubetrieben in den zentralen Orten der im übrigen industriearmen Bereiche an der Japanmeerseite und in Tohoku. Es seien hervorgehoben: Tottori, Nagano, die Industrieorte am Chikumagawa, am Saikawa, Tenryügawa und am Suwa-See (Suwa, Okaya); ferner (in Tohoku) Fukushima, Koriyama, Yonezawa, Nagai, Honjo. In Miyagi- und Iwate-Ken hat die Industrie eine beachtliche Streuung erfahren. Hokkaidö ist von der Maschinenindustrie noch weniger stark ergriffen worden. Ähnliches gilt für Köchi- und Kagoshima-Ken. Die Leistungsfähigkeit der Schwermaschinen-Industrie ist seit 1960 steil gestiegen. Ursache hierfür ist die stetig gewachsene Nachfrage aus dem Ausland (s. Tab. 22) infolge der Zuverlässigkeit der Qualität und Einhaltung von Lieferfristen. Tabelle 22. Der Export von Anlagegütern der Schwermaschinenindustrie Import (Quelle: Japan Stat. Yb. 1977)
Jahr
1965 1970 1975
A
davon B
C
D
Export in Mio. Yen Anlagegüter insgesamt
Maschinen (ohne C)
ElektroMaschinen
VerkehrsAusrüstung
841 798 2 160 378 6 415 292
224 755 722 174 1 997 075
152 622 417 300 1 091 881
372 419 807 798 2 867 034
1965—1975
im Vergleich zu deren
Import in % d. Exports
A
B
C
D
30.7 36.7 17.7
72.2 63.0 30.5
24.1 38.3 24.5
12.2 16.0 5.6
Tabelle 22 macht die noch bis 1970 stark gewesene Abhängigkeit der japanischen Wirtschaft von der Industriemaschinen-Einfuhr deutlich, von der man sich bis 1975 entscheidend löste. Zugleich läßt sie erkennen, daß der Export von Rollendem Material, Landfahrzeugen und Schiffen den Import dieser Güter völlig in den Schatten stellte.
II. Der Leichtmaschinenbau Viele der auf den vorangehenden Seiten genannten integrierten Maschinenbaufirmen sind zugleich Hersteller von Leichtmaschinen, insbesondere im Bereich des Elektromaschinenbaus. Es handelt sich um die Serienerzeugung von Ventilatoren, Staubsaugern, hauswirtschaftlichen Geräten, Telefonapparaten, Rechenmaschinen, Radio- und Fernsehapparaten, Tonbandgeräten, Stereoanlagen und vielen anderen Gegenständen der Elektrotechnik, deren jährliche Auslieferung in Millionen Stück den Inlandbedarf weit übertrifft. Einige Firmen sind ausschließlich für diesen Gerätebau eingerichtet; sie ermöglichen dank der überall vorhandenen Nachfrage die Streuung der Elektromaschinenindustrie über das ganze Land. So ist die „Matsushita-Kotobuki Electronics" mit ihren Standorten Matsuyama, Saijö, Sakaide und Waki-chö (Tokushima-Ken) ganz auf Shikoku ausgerichtet; die „Alps Electric" versorgt mit ihren Standorten Yokohama, Sorna, Namie, Marumori und Kakuda die Präfekturen Fukushima und Miyagi, soweit nicht Firmen von über-
366
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische
Faktoren
regionaler Bedeutung den Markt beherrschen, wie die im Kantö verbreiteten Firmen Matsushita und Sony. Die weitaus meisten der Provinzfirmen sind Gründungen der Nachkriegszeit; sie haben in den Regionen außerhalb der TökaiSanyödö-Region einen Innovationseffekt ausgeübt. Die Nähmaschinen-Industrie, die noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ihre Produktion aufgenommen hatte, wurde ebenfalls erst in den vierziger und fünfziger Jahren voll entwickelt. Sie hat ihre Standorte — meist sind es Mittelbetriebe mit Kleinbetrieben als Zulieferern — unmittelbar in den Ballungszentren des Kantö und Kansai gesucht. Qualitätssteigerung und niedrige Preise haben zu großer Nachfrage in dieser Branche geführt (4, 315), wobei ihr die Gunst zufiel, den Absatzmarkt der USA gewinnen zu können. Unter Angliederung auch südostasiatischer Abnehmer gelang eine steile Erhöhung des Exports (s. Tab. 23). Tabelle 23. Erzeugung und Export von Nähmaschinen 1950—1978 (nach Japan. Stat. Yb. 1960 u. 1977; Nippon Böeki Geppö Jahr
1950 1955 1960 1965 1970 1975 1978
Erzeugung in 1 000 Einheiten
1 2 4 3 2 2
513 696 749 030 776 808 597
1980)
Export in 1 000 Einheiten
Exportwert in Mio. Y
466 1 536 1 784 2 469
3 12 19 29 46 73 85
591
233 523 679 996 546 358 813
Der sich seit 1970 geltend machende Rückgang in der Stückzahl-Erzeugung wird als Folge der ersten Sättigung des Inlandmarktes gesehen; er hat den Export nicht beeinträchtigt (2a, 244). „Unter den Maßnahmen im Produktionsbereich ist vor allem die systematische Standardisierung der Einzelteile zu nennen, die sowohl eine erhebliche Qualitätssteigerung der Fertigprodukte als auch eine wesentliche Kostensenkung durch den Übergang zur Massenproduktion ermöglichte. Dieser technische Vorgang vermochte sich aber nur deshalb so günstig auszuwirken, weil es gleichzeitig gelang, eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen den Teilefertigern und der großen Zahl von Montagearbeiten unterschiedlichster Größe zu organisieren, eine Zusammenarbeit, bei der die Gesetze des Wettbewerbs voll zum Zuge kommen und Ausbeuterpositionen nicht entstehen können" (4, 317). Ähnliche Maßnahmen sind im übrigen in vielen anderen Branchen der japanischen Industrie getroffen worden; sie können als für Japan gültig betrachtet werden und erklären zugleich die bedeutende Funktion, die von den Klein- und Kleinstbetrieben ausgeübt wird.
B. Der Fahrzeugbau Er wird von der Leicht- wie von der Schwerindustrie betrieben; denn er umfaßt, vom Schiffbau abgesehen, die Herstellung von Fahrrädern, Kraftfahrzeugen, Eisenbahnfahrzeugen und Flugzeugen. In integrierten Schwerindustriewerken werden
B. Der
Fahrzeugbau
367
alle Formen von Fahrzeugen produziert. Die nachfolgenden Darlegungen sind deshalb auch auf dem Hintergrund der Mammutbetriebe zu sehen. I. Die Fahrradindustrie Die ersten Fahrräder wurden 1893 eingeführt. Sehr rasch ist das Fahrrad zum Volksverkehrsmittel geworden. Es eignete sich noch besser als die Rikscha als Verkehrsmittel auf den engen Wegen zwischen den Häusern der Wohnviertel — und noch heute ist in dieser Hinsicht vielerorts die Ortsinfrastruktur nicht verbessert. Die Entwicklung der landeseigenen Fahrradindustrie fiel aber erst in die Jahre nach 1930. Die Produktion von 118000 Stück im Jahre 1933 stieg auf 2,7 Mio. Stück 1937. Die Hauptstandorte befanden sich in den Hauptbedarfsräumen: Im Kantö, Chükyö und Kansai. Das ist bis heute so geblieben. Auch die Betriebsstruktur hat sich nicht verändert. Fabriken, in denen sich alle Arbeitsvorgänge zur Fertigung eines Fahrrades vollziehen, wie bei den Firmen „Miyata Industry" und „Nichibei Fuji", gibt es nur wenige. Hingegen sind Montagebetriebe und Betriebe für die Herstellung genormter Teile sehr häufig. Von den zur Branche gehörenden 300 Betrieben haben nur etwa 20 mehr als 300 Beschäftigte. Das Nebeneinander von einigen großen Firmen und vielen Klein- und Kleinstbetrieben ist demnach auch für solche Nebenbranche ebenso charakteristisch wie für die Schwerindustrie, einschließlich Schiffbau. Dabei ist die japanische Fahrradindustrie einige Jahre hindurch die leistungsfähigste der Welt gewesen und ist noch heute von führender Stärke. Nach einer ersten Sättigung des Binnenmarktes ist die jährlich ausgelieferte Stückzahl zwar geringer geworden (Tab. 24), der Export ist aber weiterhin von hohem Wert geblieben - auch wenn in den steigenden Millionen eine Inflationsrate enthalten ist. Im Jahre 1973 erfuhr diese Branche ihre stärkste Belastung; auch sie erlitt im Rahmen der ölschockwirkung eine deutliche Schwächung. Tabelle 24. Die jährliche Produktion
der Fahrrad-Industrie
1960-1975
(nach Japan Stat. Yb.
Jahr
Stückzahl (in 1 000)
Wert (in Mio. Y)
Mio. Y je 1 000 Stück
1960 1965 1970 1973 1974 1975
3 3 4 9 7 5
30 28 43 112 118 93
9 9 9 11 15 15
291 126 529 412 690 972
935 823 825 500 830 476
1977)
400 220 670 950 450 650
II. Die Kraftfahrzeug-Industrie 1. Die Vorgeschichte Im Jahre 1902 wurde durch Baron K. O K U R A das erste Auto nach Japan eingeführt. Es fand wenig Anklang. Die engen Straßen selbst in den Großstädten blieben der Rikscha und dem anfangs ebenfalls importierten Fahrrad zugeordnet. Erst die zerstörenden Wirkungen, die das Erdbeben von 1923 verursacht hatte, lösten ein größeres Interesse am Auto aus, das als Verkehrsmittelersatz für die
368
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
als geographische
Faktoren
unterbrochenen Eisenbahnen und Straßenbahnen verwendet werden konnte. Die Zahl der in ganz Japan angemeldeten Kraftfahrzeuge stieg bis Ende 1923 auf 16000, bis 1933 auf 107000. Fast alle diese Fahrzeuge waren von den Firmen Ford und General Motors gekauft, und diese beiden Firmen waren es auch, die in Filialen mit Hilfe japanischer Materialien und Arbeitskräfte Autoteile herstellten, die mit amerikanischen Motoren zusammengesetzt wurden und damit die ersten Autos auf japanischem Boden entstehen ließen. Bis 1929 ist die Auto-Industrie Japans Montage-Industrie geblieben (19 a, 6). Erst in diesem Jahr wurden vom Staat Kommissionen zur Überprüfung der Entwicklungsmöglichkeiten für eine landeseigene Kraftfahrzeug-Industrie gebildet. 2. Die Standorte der Kraftfahrzeug-Industrie
in der ersten Aufbauphase
Die Gründung der „Nissan Jidosha Kaisha" (Yokohama) im Jahre 1933 kann als der erste Ansatz für die japanische Kraftfahrzeugindustrie betrachtet werden. Mit einer Jahreskapazität von 10000 Autos vom Typ „Datsun" und einer wirklichen Produktion von 4066 Kraftwagen dieses kleinen Typs im Jahre 1934 stellte das Werk die größte Automobilfabrik Ostasiens dar. SÖJI YAMAMOTO, Geschäftsführender Direktor der Nissan-Werke, schrieb im Jahre 1935: „Wenn wir auf die Entwicklung der Baumwollspinnerei, der Reyonindustrie, des Schiffbaus, der Elektrotechnik und anderer Produktionen zurückschauen, so entdecken wir ein und dieselben Vorgänge. Im Anfang werden wir mit der technischen Seite einer Industrie und mit dem Management vertraut gemacht; in vielen Fällen wird uns sogar das Kapital für die Aufbauphase geliehen, dann aber, wenn die Japaner genug Erfahrung gesammelt haben, gehen die Produktionen ganz in ihre Hände über. Dieser Vorgang spricht für die Klugheit der Japaner, von ihrer schnellen Aufnahmebereitschaft und von ihrem Sinn für technische Dinge. Zu diesen Gaben tritt der Wunsch, aus Liebe zum Vaterland alles selbst tun zu können — this has been a great factor in the development of Japanese industry. In a combination of the morale of the people and the wise management of the industry lies the real root of the epochal progress now being made here" (18, 8).
Die Autoindustrie wurde außer in Yokohama und Tsurumi auch im Raum von Aichi, in Osaka und in Hiroshima mit staatlicher Unterstützung zu steiler Entwicklung gebracht. Den epochalen Fortschritt, den Yamamoto voraussah, errang Japan schon bis zum Ausbruch des Chinesisch-Japanischen Krieges. Es war dies das erste Wirtschaftswunder, mit dem das Inselreich die Welt überraschte: Innerhalb von weniger als 10 Jahren war vom Nullpunkt aus eine Kraftfahrzeugindustrie entstanden, deren Kapazitäten und Produktionen bereits ausreichten, um den Fahrzeugbestand eines nach Millionen zählenden, in China und SO-Asien kämpfenden Heeres laufend zu ergänzen und zu vermehren. 3. Die Standorte und Leistungen der nach dem Weltkrieg aufgebauten Kraftfahrzeugindustrie Der Autoindustrie setzte die militärische Niederlage ein fast totales Ende. Der SCAP (s. 5. Kap., 2. Abschn., D) verbot mit Befehl vom 25. 9.1945 die Herstellung von PKW. Die Fertigung von LKW für die Bewältigung der notwendigsten Versorgungsaufgaben wurde in nur sehr begrenztem Umfang erlaubt. Erst 1947 lockerten sich die Beschränkungen mit der Freigabe einer Jahresproduktion von 300 PKW von Kapazitäten bis zu 1500 cc. Der Aufbau mußte vom Nullpunkt aus beginnen; die Situation von 1933 wiederholte sich.
B. Der Fahrzeugbau
369
1971
Die Autofabrikanten der Vorkriegszeit gingen mit großer Zuversicht an die Neuentwicklung; man sagte ihnen Daruma-Geist nach (10b, 34), d.h. den Willen, härtesten Rückschlägen zu trotzen und jederzeit Herr der Lage zu bleiben 2 . Der Daruma-Effekt wirkte sich auf fast alle Firmen aus, auch auf neu hinzutretende. Die führenden sind in Tab. 24 zusammengestellt. Die Ubersicht läßt erkennen, daß die Autofirmen von Rang in Japan zahlreicher als in Deutschland sind, keine von ihnen aber, von der Belegschaft her gesehen, die Größe des Volkswagenwerkes oder der Fordwerke erreicht. Mit 56000 bzw. 45000 Beschäftigten sind die Nissan Motor und die Toyota Motor die größten. Dabei fällt auf, daß sich die Produktion fast aller Firmen in mehreren örtlich getrennten Teilwerken vollzieht und diese fast ausschließlich ihre Standorte in der Tökai-Sanyödö-Region haben, geballt in den Räumen des Kantö, Chükyö und des Kansai, ausstrahlend bis Hiroshima (Abb. 18). Gleichzeitig muß hinzugefügt werden, daß die in Tab. 25 gegebene Übersicht nicht voll auswertbar ist, ohne die Vielzahl der mitarbeitenden Vertrags- und Zubringerfirmen einzubeziehen, von denen die Firmenzentren förmlich umschwärmt werden. TAKEUCHI hat diesen von den Hauptwerken aus in die Land2 Daruma, jap. Name des indischen Bodhidarma, dessen Lehre mit dem Zen-Buddhismus im 12. Jh. Eingang fand, gilt als Künder der übergesetzlichen, gestaltlosen Wahrheit, ins Volkstümliche übersetzt: als die Verkörperung des Menschen, der nie unterzukriegen ist und nach jedem Fallen wieder aufsteht. In der Volkskunst wird er als „Stehaufmännchen" dargestellt.
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische Faktoren
370
schaft hineinstrahlenden Industrialisierungseffekt in Standortkarten dargestellt, die Betriebe bis hinab zu 30 Beschäftigten erfassen (Abb. 24a+b). Zur Ergänzung hierzu eine Betrachtung zur Firma „Toyota Motor" (10b, 30—32): Die Firma stützt ihr Gedeihen auf zwei Hauptpfeiler, die Fabrikationswerke der Toyota Motor und die Vermarktungsfirma Toyota Sales Co, der auch die Marktforschung und die Planung für die Weiterentwicklung obliegt. Die Fabrikwerke sind mit 280 genormte Einzelteile herstellenden Vertragsfirmen verbunden; die Vermarktung geschieht durch 284 Händler auf dem Binnenmarkt und durch eine Schar von 5000 Überseehändlern, die auch den Wartungsdienst leiten. Besonders eng arbeiten die Toyota-Werke mit den „Daihatsu Motor" und den „Hino Motors" zusammen (Nr. 5 u. 10 in Tab. 25). Eine eigene Abteilung stellen innerhalb der Firma die „Toyota Central Research and Development Laboratories" dar. Für die Entwicklung und Herstellung der zur Wagenausstattung gehörenden Elektronik ist die Nippon Densö Co zuständig. Auch verfügt das Werk über technische Einrichtungen für Versuchszwecke und Teste zur Kontrolle der Abgase, Lärm- und Vibrationsminderung; zu nennen ist das Higashi Fuji Technical Center mit einer 3,7 km langen Teststrecke am Fuße des Fujisan.
Tabelle 25. Die führenden Kraftfahrzeugfirmen und ihre Standorte, 1980 (Nach Japan Company Handbook 1980). Lfde Nr. 1
2 3 4 5 6 7
8 9 10 11 12
13
Firma (Zahl d. Beschäftigten)
Standorte in: Tökai-Sanyödö-Region
Toyota Motor/T. Jidösha Kögyö (44 800), gegr. 1937 Nissan Motor/N. Jidösha (56 700), gegr. 1933 Töyö Kögyö (vulgär „Mazda") (27 700), gegr. 1920 Mitsubishi Motors gegr. 1950 Daihatsu Motor/D. Kögyö (7 755), gegr. 1907 Honda Motor/H. Giken Kögyö (20 800), gegr. 1948 Fuji Heavy Industries F. Jükökyö (13 100), gegr. 1953 Isuzu Motors/I. Jidösha (15 600), gegr. 1937 Suzuki Motor/S. Jidösha Kögyö (8 600), gegr. 1920 Hino Motors/H. Jidösha Kögyö (8 000), gegr. 1942 Yamaha Motors/Y. Hatsudöki (9 700), gegr. 1955 Aichi Machine Industry A. Kikai Kögyö (4 200), gegr. 1949 Nissan Diesel Motor/ N. D. Kögyö (5 800), gegr. 1950
Toyota, Kamigo, Miyoshi Tsutsumi, Tahara u.a.
Regionen der Außenflügel
Yokohama, Oppama, Zama, Murayama, Tochigi Hiroshima, Fuchü (Hir.) Höfu Nagoya, Kawasaki, Mizushima Ikeda (Ósaka), Kyoto, Ryüö (Shiga), Itami Sayama (Saitama) Hamamatsu, Suzuka Mitaka, Ömiya, Öta, Isesaki, Utsunomiya Kawasaki, Tsurumi, Fujisawa Tochigi Iwata, Kosai, Toyokawa
Kumamoto
Toyama
Hino, Hamura Hamakita, Arai Nagoya, Matsusaka
Ageo, Kawaguchi
Iwate-shi
371
B. Der Fahrzeugbau
Alle Zulieferungsfirmen, Nebeneinrichtungen und Händler sind in ihrem Personalstand zu den in Tab. 25 aufgeführten Autowerken hinzuzudenken, wenn man eine Vorstellung von den Auswirkungen der Autostandorte auf die Verstärkung der Bevölkerungsballungen gewinnen will. Nur bei Hinzurechnung der Zulieferungsfirmen löst sich der Widerspruch auf, der zwischen den in Tab. 25 gegebenen Belegschaftszahlen und den Produktionsleistungen zu bestehen scheint. Dem Entwicklungswunder im Jahrzehnt von der Gründung der ersten landeseigenen Automobilfabrik bis zur Hochleistung in den Kriegsjahren folgte nach der Kapitulation das Entwicklungswunder vom absoluten Nullpunkt bis zur Höchstleistung in den drei Jahrzehnten 1947—1977 (s. Tab. 26). Man hat in Japan mit Genugtuung festgestellt, daß die Autoproduktion in Stückzahl schon 1961 erstmals höher als in Italien, 1964 höher als in Frankreich, 1966 höher als in Großbritannien lag, und man empfand bis in die breite Öffentlichkeit hinein Freude, als man Deutschland 1967 überrundete und man seither nur noch den Auto-Giganten USA über sich hat. Das Ziel des „sekai ichi", auf dem Sektor der Werftindustrie unbestritten erreicht, wurde auch in der Autoindustrie angesteuert. Aber so einfach lassen sich die in der Tab. 26 enthaltenen Zahlenwerte nicht interpretieren; denn die Größen bzw. die Leistungsstärken der PKW und LKW kommen in ihnen nicht voll zum Ausdruck. Tabelle 26. Kraftwagen-Produktion im Vergleich zu den Produktionen anderer Staaten: 1965, 1975, 1979. Angaben in 1 000 Stück (Nach Schrifttum-Nr. 9 u. 16) Staat
Jahr 1965 PKW
U.S.A. Japan Deutschland (BR) United Kingdom Frankreich Italien Welt Japan in % Deutschland in %
1970,
incl. andere Fahrzeuge
PKW
1979
1975
1970 incl. andere Fahrzeuge
PKW
incl. andere Fahrzeuge
PKW
9 306 696
11 058 1 918
6 547 3 179
8 239 5 304
6 717 4 568
8 987 6 948
8 434 9 635
2 734
2 977
3 528
3 846
2 905
3 191
4 258
1 722 1 374 1 104
2 177 1 616 1 176
1 641 2 458 1 720
2 098 2 750 1 854
1 268 2 951 1 349
1 649 3 298 1 459
1 070 3 221 1 481
19 090
24 280
22 410
29 150
25 210
33 210
3,6
7,9
14,2
18,2
18,1
20,9
14,3
12,3
15,7
13,2
11,5
9,6
Wie im zweiten Abschnitt von Kapitel 5 ausgeführt, begann der Wagenbau 1934 wie 1947 mit der Herstellung von Klein- und Kleinstwagen. Für den Binnenlandmarkt entsprach solche Wagenklasse den Gegebenheiten des Landes: Er war billig und erschien als dem allgemeinen Lebensstandard zugeordnet; er hatte
372
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
als geographische
Faktoren
geringe Ausmaße und erwies sich als wendig genug für die engen Straßen in Stadt und Land; er fuhr geringe Geschwindigkeiten, weshalb sein Chassis auf den reparaturbedürftigen Straßen nicht allzustark klapperte. Nicht nur der PKW bevorzugte die Minigröße, auch die LKW, die drei- wie die vierrädrigen; nur mit ihnen ließen sich Materialtransporte auch in den engen Wohnstraßen ermöglichen. Erst seit 1971 ist die Nachfrage nach Kleinwagen entscheidend gefallen, insbesondere aber nach der Einführung staatlicher Kontrolle über den Sicherheitsgrad der Miniwagen bei überhöhter Geschwindigkeit. Die Bevorzugung der Wagen von 1000 cc und darüber wurde deutlicher. Die Klein-LKW fanden schon seit 1969 geringeren Absatz; dennoch überwiegen die „Small trucks" und „Midget trucks" diejenigen, die man als „Standard trucks" bezeichnet, zahlenmäßig bei weitem (8). Dieser Umstand läßt Japan nach Quantität als LKW-Produzenten Nummer 1 erscheinen. In Tab. 25 sind auch die beiden Firmen enthalten, die führend in der Herstellung von Motorrädern sind: Yamaha Motor und Honda Motor. Japan erzeugt 50% aller Motorräder der Welt. Die genannten Firmen haben den größten Anteil daran (17,10). III. Die Industrie für Rollendes Material Der Bau von Dampflokomotiven wurde durch Anregung der staatlichen Eisenbahn schon vor der Jahrhundertwende von der heute noch führenden „Nippon Sharyö Seizo" 1896 aufgenommen. Andere Firmen folgten; etwa 1929 vermochte man nicht nur den landeseigenen Bedarf zu decken, sondern auch zu exportieren. Bei der Standortwahl bevorzugte man die Nähe der Stahlindustrie; Kantö, Chükyö und Kansai sind auch für diese Industrie die Zentren. Mit der Entwicklung der elektronischen Industrie und der Elektrifizierung des Verkehrsnetzes der JNR (Japan National Railways), die in verstärktem Maße 1949 in Angriff genommen wurde, verlagerte sich die Herstellung von Elektro-Lokomotiven und Personenwagen zunehmend auf die Hitachi Seisakusho. Damit verblieb die Industrie in der Tökai-Sanyödo-Region. Die letzte Dampflokomotive wurde 1975 aus dem Verkehr gezogen. IV. Die Flugzeugindustrie International erstmals bekannt wurde der japanische Flugzeugbau durch die Kamikazegö3, ein Langstreckenflugzeug, das 1937 für die Entfernung T o k y o London einen Geschwindigkeitsrekord aufstellte (12,1). Während des Zweiten Weltkrieges wurden in Japan jährlich 24000 Flugzeuge verschiedenster Typen gebaut. Bei Kriegsende wurden die Flugzeugwerke ausnahmslos demontiert. Nach Abschluß des Friedens von San Francisco begann die Wiederbelebung des Industriezweiges durch die Ishikawajima-Harima Heavy Industries und Mitsubishi Heavy Industries. Es traten die Kawasaki und Fuji Heavy Industries hinzu. Die Tokyo Keiki ist führend in der Herstellung von Ausstattungsgeräten. Die Standorte der Industrie befinden sich ausschließlich in der Tökai-Sanyodö-Region. Bei gleichzeitig bemerkenswertem Import wurden in Japan 1960 78 Flugzeuge (ein3 Zur Bedeutung von „Kamikaze" s. S. 96.
C. Elektronische, optische und feinmechanische
Industrie
373
schließlich Hubschrauber), 1973 bereits 175 gebaut (9,201). Mit der allgemeinen Rezession nach dem Ölschock fiel die Produktion wieder ab. Der Nachholbedarf auf dem Sektor der Flugzeugindustrie ist bemerkenswert. Im übrigen ist von Anfang an der Staat Hauptabnehmer von Hubschraubern und Flugzeugen für die Selbstverteidigungsstreitkräfte. Für den zivilen Flugverkehr wurde die mit 60 Sitzen ausgestattete YS—11 entwickelt und erstmals 1965 in Dienst gestellt. Auch für diese war der Staat Hauptkunde. Der Bau von Großflugzeugen vollzieht sich in amerikanischer Mitwirkung. Zwischen Boeing einerseits und Kawasaki-, Mitsubishi- und Fuji Heavy Industries sowie der italienischen Aeritalia andererseits kam es 1978 zur Vereinbarung eines gemeinsamen Großflugzeugbaus.
C. Die elektronische, optische und feinmechanische Industrie I. Die elektronische Industrie Erster Anlaß zur Beschäftigung mit der Elektrotechnik lag in der Einführung der Telegrafie 1853, der 1877 die Verwendung des Telefons folgte. Die Herstellung der Telegrafen Verbindung von Aomori bis Nagasaki im Jahre 1876 brachte erstmals eine größere Anzahl japanischer Arbeitskräfte in unmittelbaren Kontakt mit elektrotechnischen Problemen. Schon 1892 war der gesamte Archipel von einem Telegrafennetz überspannt, dem man insbesondere von militärischer Seite hohe Bedeutung beimaß. Als Industrie entwickelte sich zunächst die Herstellung von Elektroschwermaschinen. Für die elektronische Industrie war der Anfang erst 1917 mit der Erzeugung der ersten Vakuumröhre durch die Tokyo Elektronic Co (heute Tokyo Shibaura El. Co) gesetzt. In ihrem Rückblick auf die steile Entwicklung dieses Industriezweiges bemerkt die „Industrial Bank": Diese Industrie leistet einen Beitrag zur Hebung des Lebensstandards der Nation und gleichzeitig erweist sie sich als geradezu eingepaßt in die Voraussetzungen, die Japan für eine Industrialisierung mitbringt (7, 14). Gemeint ist damit die Möglichkeit für die Errichtung von Kleinbetrieben und die Beschäftigung mit einem große Fingerfertigkeit und behutsame Bearbeitung erfordernden Gegenstand. Die einschneidenden Maßnahmen der amerikanischen Besatzungsmacht trafen die elektronische Industrie besonders hart. Hinzu trat die wirtschaftliche Isolierung gegenüber den anderen Industrienationen, so daß ein Zurückbleiben hinter den technischen Fortschritten außerhalb des Landes unvermeidlich war. „Um den Rückstand zu beheben, schlössen die großen japanischen Erzeugerfirmen Verträge mit führenden Firmen in den USA und Europa über eine enge Zusammenarbeit auf technischem Gebiet ab, z.B. mit der International Standard Electric Co., der General Electric und Siemens" (4, 328). Der Kauf von Lizenzen bewährte sich auch hier. Der erste Auftrieb ergab sich aus der Entwicklung des japanischen Rundfunks im Anschluß an das Rundfunkgesetz vom Jahre 1950 (Radio Broadcasting Act), das der Öffentlichkeit das Recht auf die Sendewelle und damit der Geschäftswelt die Einrichtung eigener Sendestationen gab. Nur die Nippon Höso Kyokai (NHK) 4 ist frei von kommerziellen Bindungen, und nur sie verfügt über das Recht, Gebühren zu erheben. Aber mehr als 100 genehmigte Sender leben vom Werbe4 Hôsô = Rundfunksendung, Kyokai = Gesellschaft.
374
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische
Faktoren
senden. Es gibt keinen Haushalt, der nicht wenigstens ein Radiogerät besitzt, kein Bürogebäude, Kaufhaus, Hotel, Wirtshaus und kein Auto, in dem nicht ein Gerät eingeschaltet werden könnte. Beethoven, Jazz, Quizsendungen, Sportnachrichten, Stellungsnahmen zu Erziehungsfragen erreichen die Gäste eines jeden Büro- und Hotelzimmers. Der riesige Bedarf an Radio- und Fernsehgeräten wurde vor allem von den integrierten Großfirmen der Maschinenindustrie aufgefangen und gedeckt, wie von Hitachi, Tokyo Shibaura Electric (Handelsmarke „Toshiba"), Matsushita Electric Industrial („National"), Mitsubishi Electric, Sanyo Electric und Sony. Man hat von einem Rundfunkgeräte-Boom gesprochen, der in einen Tabelle 27. Die Erzeugung von Rundfunk- und Fernsehempfangsgeräten 1965-1979 (UN-Yearbook), Geräte in 1 000 Stück (Anteil an Weltproduktion in % in Klammer)
in Japan und anderen Staaten,
1965
1975*
1977
1979
22 4 23 72
937 (31,6) 071 (5,6) 400 (32,3) 514 (100)
14 283 (21,7) 4 415 (6,7) 1 1 8 6 1 (18,1) 65 650 (100)
19 5 12 126
933 (15,7) 589 (4,4) 486 (9,9) 566 (100)
13 881 4 234
4 2 9 29
190 (14,0) 776 (9,3) 889 (33,2) 814 (100)
12 3 8 50
15 4 8 57
210 (26,2) 370 (7,5) 020 (13,8) 973 (100)
14 350 4 105
Rundfunkgeräte Japan BR Deutschland USA Weltproduktion Fernsehgeräte Japan BR Deutschland USA Weltproduktion
453 (24,5) 356 (6,6) 204 (16,1) 860 (100)
* Für U S A 1974
Fernseher-Boom überging (s. Tab. 27) und gesteigert wurde infolge der nachlassenden Produktion in den Vereinigten Staaten. So wurde Japan auch auf diesem Gebiet sekai ichi. Diese Stellung verstärkte sich durch einen zweiten Erfolg der elektronischen Industrie, die von ESAKI entwickelte „Tunnel-Diode" (Esaki Diode), einer Halbleiterdiode mit wesentlich höherer Dotierung als die einer Gleichrichterdiode. Ihre Hochleistung erreichte die elektronentechnische Forschung in der Herstellung von Elektronen-Mikroskopen. Es kennzeichnet die psychologische Situation, die den historisch aufgedrängten Anpassungszwang an die westliche Welt seit 1868 begleitete und sich im Streben nach „Nummer 1" immer wieder geltend macht, wenn die Mainichi Daily News in ihrer Wirtschaftsbeilage vom 6.10.1966 mit unverkennbarem Triumphgefühl schreibt: „Es gibt eine japanische Industrie, die vom ausländischen Know-how unabhängig und dennoch führend in der Welt ist, die Fertigung von Elektronen-Mikroskopen, die den Weltmarkt geradezu monopolartig beherrscht." Selbst die Metallurgische Abteilung des Max-Planck-Instituts, darauf wird hingewiesen, ließ sich 1966 von Hitachi ein 650000 Volt Hochspannungs-Mikroskop liefern. Zu derartigen Höchstleistungen vermögen selbstverständlich nur die integrierten Großfirmen zu kommen, die über eigene Forschungslaboratorien verfügen, wie dies bei Hitachi, Tokyo Shibaura Electric, Mitsubishi Electric und Matsushita der Fall ist.
C. Elektronische, optische und feinmechanische
Industrie
375
Hoch leistungsfähig sind auch die Elektronikfirmen für die Herstellung von Plattenspielern, Tonbandgeräten, Stereoanlagen, Rechenmaschinen, Meßinstrumenten, Computern und schließlich auch von Hausgeräten, wie Heizkörpern, Ventilatoren, Waschmaschinen und Kühlschränken. Selbständig und der Funktion einer bloßen Zulieferfirma entzogen sind insbesondere die Firmen Sony, Pioneer Electonic, die Victor Co, die Tokyo Sanyo Electric (jede von diesen hat 5000—10000 Beschäftigte) und die für Musik-Triebwerke bekannte Sankyö Seiki. Auch diese Firmen haben sich wie die integrierten Großfirmen in der TökaiSanyödo-Region niedergelassen. Die Masse der Zulieferfirmen hat sich jedoch über das Land verteilt. II. D i e optische und feinmechanische Industrie Die Herstellung optischer und feinmechanischer Geräte gehört zu den jüngeren Industriezweigen Japans, und ihre Entwicklung vollzog sich z.T. im Zusammenhang mit der Erzeugung elektronischer Produktionen. Die optische und feinmechanische Industrie beschäftigte 1974 in 600 Betrieben von mehr als 30 Beschäftigten rd. 260000 Personen (9). Da ihre Standorte vorwiegend im äußeren Kreis der Ballungsregionen oder gar in Küstenferne liegen, übt sie eine Funktion im Sinne einer Dezentralisierung aus. Das gilt insbesondere von jenen Werken, die zu Mittelbetrieben oder gar Großbetrieben heranwuchsen. Die Olympus Optical Co, 1919 gegründet, möge hierfür als repräsentativ betrachtet werden. Mit (1976) 3100 Beschäftigten wuchs sie mit ihren Teilwerken von Tokyo aus über Hachioji bis nach Suwa und Ina in das Landesinnere hinein (11). Die Arbeit begann mit der Herstellung von kleinen Linsen, erweiterte sich auf Prismen und führte schließlich zur Erzeugung von Mikroskopen, Kameras, Tonbandgeräten und Meßinstrumenten für den wissenschaftlichen Bedarf, insbesondere für die Medizin. Von internationaler Bedeutung für die Krebsbehandlung wurden die von Olympus gelieferten Gastrocameras. Olympus gehört schon seit 1969 sowohl zur Branche der optischen als auch der feinmechanischen Industrie. Die Niederlassung in Tokyo (750 Personen) hat die Produktion zugunsten des Managements der Firma aufgegeben; ebenso arbeitet man in Hachioji im kaufmännischen Bereich. Die Produktion vollzieht sich seit 1 9 4 3 - 1 9 4 4 ausschließlich im Binnenland, wobei in Suwa vornehmlich Linsen und Kameras, in Ina Linsen und Mikroskope hergestellt werden (briefliche Mitteilung). Beide Betriebe wirken positiv auf den Arbeitsmarkt ein: sie beschäftigen (1978) nicht nur rd. 1500 Personen unmittelbar, sondern geben auch rd. 2000 Personen Arbeit in Zulieferungsbetrieben, den „Kanrengaisha". Dies darf als ein Beitrag zur Verhinderung von Abwanderung aus dem Binnenland gewertet werden. Tatsächlich ist die Bevölkerung von Suwa im Jahrzehnt 1 9 6 5 - 1 9 7 5 um 7%, von Ina um 5% gewachsen, während die Bevölkerung der Provinz Nagano insgesamt nur um 3% zunahm. Von ähnlicher Entwicklung waren auch andere Betriebe optischer Erzeugungen, wie die Dainippon Screen in Hikone und die mit der Carl Zeiss-Stiftung verbundene Yashica in Okaya. Auch diese suchten an den Außenrändern der Ballungsgebiete oder mitten im wenig industrialisierten Binnenland ihre Standorte. Zu solchen Standorten gehören außer den bereits genannten auch Chino, Fukushima, Itami, Kuze, Tanashi und Städte des Ibaraki-Ken.
376
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
als geographische
Faktoren
Für den Entwicklungsgang der letzten Jahre charakteristisch ist die Niederlassung der Nippon Kogaku in der neuen Randwohnstadt Sagamihara. Unter den ausschließlich feinmechanisch arbeitenden Firmen ist die Shimazu Seisakusho die führende; sie ist eine der Kyoto kennzeichnenden Industrien. Die hafenferne Lage der Industriewerke beruht in erster Linie auf dem relativ geringen Rohstoffbedarf, zum zweiten aber auf dem hohen Wert der Erzeugnisse, für den die Transportkosten weniger zu Buche schlagen. Bei der Wertung der Produktionshöhen des Industriezweiges (s. Tab. 29) sind selbstverständlich die Anteile zu berücksichtigen, die von den integrierten Großfirmen des Elektromaschinenbaus (Hitachi, Mitsubishi Denki) beigebracht werden. Für das steile Anwachsen der Produktion ist auch hier der „Daruma-Effekt" wirksam gewesen: Rückschläge forderten zu immer stärkerem Einsatz heraus. Während fast alle Warengattungen im Jahrfünft 1960-1965 eine Produktionssteigerung von 5 0 - 1 0 0 % erfuhren, galt es infolge des anschließend nachlassenden Binnenmarktes in vielfältiger Weise den Export so zu stärken, daß ein weiteres Wachstum erhalten blieb. Nach dem wirtschaftlichen Höhepunkt von 1973 geriet aber auch diese Industrie in den Sog der Ölschockrezession, in der sich nur die Camera- und Uhrenindustrie voll behaupten konnten. Schwankungen in der Zahl von Arbeitsplätzen sind für Facharbeiter binnenländlicher Betriebe besonders problematisch, da sich in Standorten geringer Industrieagglomeration wenig Ausgleichsmöglichkeiten anbieten und die Landwirtschaft vollwertige Arbeitsplätze nicht entgegenstellen kann. Aus diesen Umständen erklärt sich auch die Tatsache, daß die Industriebetriebe des Binnenlandes keinen stärkeren Fernsog ausüben und ihnen die Arbeitskräfte fast nur aus der Umgebung zuwachsen. Tabelle 28. Produktionsleistungen der optischen und feinmechanischen in 1 000 Stück (nach Japan Stat. Yb. 1977)
Industrie,
1960—1975,
Ware Jahr
FotoApparate
FilmKameras
Filmprojektoren
Ferngläser
Mikroskope
Taschenund Armbanduhren
1960 1965 1970 1975
1 3 5 7
594 735 1 099 1 306
119,8 213,7 454,8 543,3
296,9 601,5 519,4 230,1
84,4 133,8 700,9 287,4
7 13 23 30
859 916 813 324
106 607 778 227
Andere* Uhren
6 13 25 26
681 528 772 573
* Tischuhren, Wecker, Wanduhren, Elektr. Uhren, Stop-Uhren
D. Die Nichteisen (NE-)-Metallindustrie I. Gewinnung und Verarbeitung von Kupfer, Blei und Zink Das Prägen der ersten Kupfermünzen im Jahre 708 war für die Kaiserin Gemmyö ein so bedeutendes Ereignis, daß sie ihre Regierungszeit Wa-dö nannte, d. h. die Zeit des im Lande gefundenen Kupfers. Buddhafiguren und auch kleinere Gegenstände aus der Nara-Zeit bezeugen bereits das Gewerbe des Bronzegießens. Die in diesem Band gegebene Analyse der für eine Industrialisierung Japans zur Ver-
D. Die Nichteisen
(NE)-Metallindustrie
377
fügung stehenden Rohstoffe hebt hervor, daß für die erste Phase des Wirtschaftsaufbaus Kupfererze genügend zur Verfügung standen, jedoch Blei, Zink, Mangan und Bauxit von vornherein nicht ausreichend gefördert werden konnten. Diese Tatbestände haben sich im Verlauf der steilen Entwicklung von Schwer- und Elektro-Industrie noch viel ungünstiger als erwartet ausgewirkt. Beim Wiederaufbau der Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg betrug die Importabhängigkeit für Kupfer und Blei bereits 60%, für Zinn 92%, Nickel und Bauxit 100%. Für Kupfer hob sich diese Abhängigkeit bis 1975 auf 96,8% an. Die einst bedeutenden Kupfergruben von Ashio und Besshi mußten 1973 geschlossen werden. Dennoch verzeichnen die Statistiken von 1975, gerechnet nach Erzkonzentraten, noch Förderungen an Kupfer von 85000 t, Blei 50566 t, Zink 254423 t, Mangan 157866 t (9). Wenn aber einige der NE-Werke zu Großbetrieben aufwuchsen, dann konnten sie das nur auf der Grundlage des Imports. Die mit einer Belegschaft von 6760 Personen arbeitende Nippon Mining (Nihon Kögyö), deren moderne Werke in Mizushima und Funagawa (Akita) stehen, unterhält noch immer auch die älteren Niederlassungen, deren hohe Schornsteine von Saganoseki und Hitachi (156 m) der Seefahrt als Landmarke dienen. Die Mitsui Mining und Smelting (M. Kinzoku Kögyö), die noch 1972 die neue Blei- und Zinkschmelze von Hikoshima in Betrieb nahm, beschäftigt in ihren insgesamt fünf Standorten (Kamioka, Miike, Hibi, Takehara, Hikoshima) mehr als 7 500 Personen. Die von Mitsui betriebene Zinkerzgrube wird als die größte Asiens bezeichnet (15, 432). Wie Hikoshima erkennen läßt, werden Schmelzen und Verarbeitung an die Küste verlegt, da sich eine Bindung an ein Erzvorkommen abseits der Küste nicht mehr als rentabel erweist. Dies gilt auch für die Mitsubishi Metal (4700 Beschäftigte) und die Sumitomo Metal Mining (3 100 Beschäftigte). Auf der Basis von Kupfer, Blei und Zink sind nicht nur leistungsstarke Zubringerfabriken (Kabelwerke, Leitungsdrähte) für die Schwer- und Elektro-Industrie entstanden, sondern haben sich auch gewerbliche Betriebe für die Herstellung von Messing- und Bronzegegenständen entwickelt. Für Fushiki-Takaoka sind solche Betriebe charakteristisch, ebenso für Tokushima, wo man sich auf kultische Gegenstände, wie kleine Schreine, kultische Symbole u. a. spezialisiert hat. II. Die Aluminium-Industrie Infolge der weltweiten Preisunsicherheit für Kupfer hat man in Japan für größere Produktionsbereiche Kupfer durch Aluminium ersetzt. Das hat der seit 1934 bestehenden, aber zunächst gering entwickelten Aluminium-Industrie großen Auftrieb gegeben (21). Grundlage ist der Import von Bauxit aus Ostasien (BintanInsel). Die Schmelzöfen werden von vier großen Konzernen beherrscht; es sind Nippon Light Metal (gegr. 1939; heute 6800 Beschäftigte), Sumitomo Light Metal (1959; 3350 B.), Shöwa Aluminium (1935; 3600 B.) und eine Abteilung der Mitsubishi-Chemical Industries. Ihre Werke haben ausnahmslos Küstenlage; sie verstärken damit die Belastung der Tökai-Sanyödö-Region durch Industriewerke und Menschen. Das in Drähten und Flachblechen ausgelieferte Material wird in zahlreichen Fabriken im Inland oder auch an der Japanmeerseite für verschiedenste Zwecke verarbeitet: Kabel, Leitungsdrähte, Haushaltsartikel und ganz besonders auch Aluminium-Sashes in Form von Schiebefenstern und Schiebetüren für Neu-
378
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige ab geographische Faktoren
bauwohnungen; sie haben wesentlichen Anteil an dieser Produktion. Die „FujiSash Industries" haben sich mit ihren Werken in Chiba und Ösaka mitten in die belebtesten Neubauregionen gesetzt. Die Tateyama Aluminium Co hat sich der industrieärmeren Außenflügel des Archipels angenommen: In Takaoka-Toyama, Hyüga und Ishinomaki befinden sich ihre Hauptniederlassungen.
Schrifttumverzeichnis für das 6. Kapitel, 3. Abschnitt 1. (The) Daiwa Securities Company: The Machine Manufacturing Industry in Japan. In: The Daiwa Investment Series, No. 16, 1953. S. 1 - 1 7 . 2a. Dentsu Advertizing Ltd: Light Machinery. In: Industrial Japan, Quarterly No. 7, 1967. S. 2 3 4 - 2 5 0 . 2 b. Dentsu Advertizing Ltd: Automotive Industry In: Industrial Japan, Quarterly No. 7, 1967. S. 1 7 6 - 1 8 6 . 3. Guide to the Hitachi-Works. Hitachi 1967. 4. Hax, Karl: Japan. Wirtschaftsmacht des Fernen Ostens. Köln 1961. 5. Hitachi: 1977 Annual Report. Tokyo, März 1977. 6. (The) Industrial Bank of Japan: Postwar Development of the Japanese Optical Industry. In: JFI, Vol. 5, No. 11 u. 12, 1953. S. 5 - 1 2 . 7. (The) Industrial Bank of Japan: The Electronics Industry in Japan. In: JFI, Vol. 12, No. 3, 1960. S. 8 - 1 5 . 8. (The) Industrial Bank of Japan: The Motor Vehicle Industry. In: JFI, Vol. 24, 1972, 3. S. 1 6 - 3 1 . 9. Japan Statistical Yearbook 1977. 10. Mainichi Daily News: a) All about Japanese Automobiles. Tökyö 1967. b) do. Tokyo 1977. 11. Nakano, T.: This is Olympus. Werkbeschreibung. Tökyö 1967. 12. N. N.: Die japanische Flugzeugindustrie. In: Neues aus Japan. Hrsg. Japanische Botschaft Bonn. Nr. 115, 1966. S. 1 - 4 . 13. Olympus Optical. In: The Daiwa Investment Monthly, Vol. 13, 1975. S. 1 2 - 1 3 . 14. Schwind, Martin: Japanische Reparationsleistungen als Entwicklungshilfe. In: Übersee-Rundschau, Hamburg 1961, H. 7. 15. Toyo Keizai Shinposa (Hrsg.): Japan Company Handbook, 2nd Half 1980. Tökyö, 23. 8. 1980. 16. United Nations Statistical Yearbook 1972. New York 1973. 17. Yamaha Motor Co, Ltd. In; The Daiwa Investment Monthly, Vol. 13, 1975, 2. S. 1 0 - 1 1 . 18. Yamamoto, Söji: The Automobile Industry in Japan. In: Japan Times, Tökyö, 26. 2. 1935. 19. Takeuchi, A.: The Areal Structure of the Automobile Industry in Japan. In: G. R. J., Vol. 44, 1971. S. 4 7 9 - 4 9 7 . Zusätzliches Schrifttum für Nichteisen (NE-)-Metallindustrie 20. (The) Industrial Bank of Japan: The Nonferrous Metal Industry. In: JFI, Vol. 23, 1971,1. S. 1 - 1 2 . 21. Nonferrous Metals. In: Industrial Japan. Publ. by Dentsu Advertizing Ltd, Tökyö 1967. S. 70—79. 22. President of the Light Metals Society: Aluminium. In: This is Japan. Asahi Shimbun, Tökyö 1956. S. 6 6 - 6 7 .
4. Abschnitt Die Energiewirtschaft in ihrer landschaftlichen Bedeutung A. Geschichtlicher Rückblick Die problematischen Voraussetzungen für die Industrialisierung Japans wurden bereits im 4. Kap. durchleuchtet. Der Mangel an Rohstoff- und Energiequellen
B. Die
Energieträger
379
zieht sich als eines der Leitthemen durch die gesamte Wirtschaftsentwicklung und mußte insbesondere den Aufbau einer Eisen- und Stahlindustrie als ein Wagnis erscheinen lassen. Der Kampf um die Rohstoffe hat einige befriedigende Lösungen finden können; um die Sicherung der Energiequellen wird noch gerungen: sie ist die verwundbarste Flanke der wirtschaftlichen Großmacht. Die mit den vorhandenen Energiequellen verbundenen Nachteile — quantitative wie qualitative Mängel und die periphere Lage ihrer Vorkommen — gelten für Kohle, Erdöl und Erdgas; die Problematik der an sich reichen Wasserkräfte wurde bereits angerissen (Tab. 4). Holz und Holzkohle (sumi) waren die althergebrachten Heizmittel. Erdöl oder „brennendes Wasser" aus Echigo war schon im Jahre 668 dem Tennö zum Geschenk gemacht, später aber kaum verwendet worden. Kohle war in der Tokugawazeit bekannt. SIEBOLD (28, 103) berichtet am 21. 2. 1826, daß „man in Koyanose (im heutigen Kurategun) Steinkohlen zur Feuerung brachte, und wir erfuhren, daß diese im Sumi-yaki-yama (Kohlenbrenner-Gebirge), welches sich am rechten Ufer des Nogatagawa hinzieht, gefunden wurden"1. Diese Kohle wurde beim Aufbau des Yawata-Eisenwerks um 1900 verwendet, und die kleine 1858 eröffnete Kayanuma-Grube von Hokkaidö wurde zum Stützpunkt für die Erschließung des Ishikari-Kohlenfeldes. Auch für die Nutzung der Wasserkraft gab es einen Ansatzpunkt: Die Stadtverwaltung von Kyoto erbaute 1892 das Laufkraftwerk Keage. Die Tokyo Electric Co, 1883 gegründet, erzeugte erstmals 1886 thermische Elektrizität auf der Grundlage von Kohle.
B. Die Energieträger Kohle, Wasserkräfte, Erdöl, Erdgas und Uranerz sind in Japan die für die Haushalte und Industrie bedeutenden Energieträger; Holz als Brennholz und zur Gewinnung von Holzkohle ist zu immer geringerer Verwendung gekommen. I. Kohle als Energieträger Die Zu- und Abnahme des Kohlebedarfs, die Entwicklung der heimischen Kohleförderung und die Höhe des Kohle-Imports spiegeln den Industrialisierungsprozeß in seinen einzelnen Phasen seit 1868 wider (vgl. Tab. 29). Der Kohlebedarf war anfangs vorwiegend ein quantitatives Problem, wurde sehr bald zu einem Sortenproblem, zu einer politischen Frage und schließlich zu einer Frage der Wirtschaftlichkeit. Geographisch führte die Entwicklung bis zur Erschließung aller Kohlevorkommen einschließlich des geringwertigen Lignits, zum Anwachsen montanwirtschaftlicher Siedlungen und der mit dem Bergbau verbundenen Bevölkerung bis zum Massensterben von Zechen, zur Kohle-Produktionsschrumpfung und zur Verödung von Siedlungsteilen. So lange Industrie und Eisenbahn mit Dampfkraft arbeiteten, galt es die Kohleförderung zu steigern; Steigerungsimpulse verlieh auch der Zweite Weltkrieg infolge des Abgeschnürtseins von überseeischen Hilfsquellen; auch der Wieder1 Angesprochen ist der Ongagawa, der mit seinen Nebengewässern die Talung von Nogata durchläuft und an dessen Ostseite sich das Chikuho-Steinkohlenrevier erhebt.
380
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
als geographische
Faktoren
aufbau nach der Katastrophe und die einsetzende große Diversifizierung der Industrie rückten die Kohle als Primärenergiestoff wieder nach vorn. Aber schon in der Zeit des Jimmu-Booms traten die beiden großen Konkurrenten auf, die HydroElektrizität und der Erdölimport. Sie stellten die Frage nach der Wirtschaftlichkeit. Die Überbeanspruchung der maschinellen Einrichtungen während der Kriegsjahre sowie die vernachlässigte Pflege der Zechen und Lagerstätten forderten zu durchgreifender Modernisierung und Rationalisierung heraus. Unter dem Druck dieser Notwendigkeiten meldeten allein schon bis 1950 mehr als 90 Kleinzechen Konkurs an. Staatliche Stützungsmaßnahmen und Konzentration der Arbeit auf wenige Betriebe hielten die Förderleistungen zwar auf überlieferter Höhe und verstärkten das Förderaufkommen je Beschäftigten von 8,7 t auf 38,0 t, vermochten aber den Wettbewerb insbesondere mit dem Erdöl nicht zu bestehen. Trotz Rationalisierung und Steigerung der monatlichen Pro-Kopfleistung bis zu 68 t im Jahre 1975 sanken die Produktions- und Beschäftigungszahlen (Tab. 29). Auffallend genug, wuchsen hingegen aus Gründen der Wirtschaftlichkeit die Kohle-Importe aus den USA und Australien. Die Produktion von 1975 ist kaum noch vergleichbar mit der von 1920.
Tabelle 29. Kohleförderung in 1 0001 und Zahl der im Kohle-Bergbau (Beschäftigte in Kursivdruck)
Jahr
1875 1880 1890 1900 1910 1920 1930 1940 1950 1955 1960 1965 1970
Förderung insgesamt (in 1 0 0 0 t)
2 7 15 29 31 204 56 323 38 369 42 274 52 243 50 109 38 52
571 882 628 427 681 245 376 526 313 571 459 189 423 233 607 524 113 547 329 359
Hokkaidö
6 26 15 57 11 92 12 71 19 70 22 42 19 26
davon in NOSW Honshü Honshü in 1 0 0 0 t
727 988 106 479 375 171 809 026 043 292 133 545 039 424
2 548 15 373 3 921 28 022 3 256 31 771 3 669 25 698 4 241 22 138 3 969 11 454 3 888 6144 381 638
1975
18 597 22 849
11 0 0 0 14 758
1978
18 550 20 720
11 151 13 413
1 12 4 29 2 19 2 16 3 14 2 5
118 37
Beschäftigten,
Kyüshü
1875—1978
Kohle-Import in 1000 t
811 679 813 965 454 739 987 759 177 580 131 532 652 1 144
20 291 149 486 32 473 208105 21 374 225 508 22 958 160 750 26 146 136 514 21 880 50 016 14 750 18 647
47 51
7 169 7 402 1 281 7 270
2 693 5 167 1 935 (1951) 2 862 (USA 86%) 8 292 ( U S A 65 %) 17 080 (-) 50 172 ( U S A 62 % Austr. 2 4 % ) 62 107 ( U S A 48 % Austral. 26 %) 52 176 (Kanada 47 %, Austral. 2 1 % )
B. Die Energieträger
381
Die Beschäftigungszahl von 1975 lag um 95% niedriger als im Jahre 1950. Mit dem Kohlebergbau aufgewachsene Städte verloren im Jahrzehnt 1965-1975 bis zu 57% ihrer Einwohner (Tab. 30), wobei die Orte in Sorachi (Hokkaidö) stärker betroffen waren als die im Chikuho (Kyüshü). Die Schrumpfung der Kohleförderung ergab sich seit 1965 aus der Bevorzugung der Energieträger Wasser und Erdöl. Die Energiegewinnung auf deren Basis erwies sich von größerer Wirtschaftlichkeit. Die Nationale Eisenbahn stellte ihr gesamtes Verkehrssystem auf Elektrizität um; die Dampflokomotiven wurden völlig aus dem Verkehr gezogen. Die Aufgeschlossenheit der Japaner für die Verwendung von Elektrogeräten setzte auch den Heizkohlebedarf ganz wesentlich herab. Selbst die Gaserzeugung wandte sich von der Kohle ab (Tab. 31). Es waren 1960 noch 582 Zechen in Betrieb; sie verteilten sich im Verhältnis von 25:16:10:66 auf Hokkaidö, NO-Honshü, SW-Honshü und N-Kyüshü. Bis 1970 war die Zahl der Gruben auf 102,1975 auf 39 gesunken, von denen nur 14 eine jährliche Förderung von mehr als 250000 t aufwiesen, davon 11 in Hokkaidö, 3 in N-Kyüshü. Ganz Honshü ist seither aus der Kohleproduktion fast ausgeschieden. Tabelle 30: Bevölkerungsverlust der Bergbaustädte in Sorachi (Hokkaidö) 1965-1975 (Lit. Nr. 15a,b) Stadt/Einw.-Zahl Yubari Bibai Mikasa Akabira Utashinai Tagawa Yamada
und im Chikuho
1965
1975
Abnahme in %
Region
85 63 48 46 27 74 20
50 131 38 416 25 749 26 363 11 778 61464 14 670
41,0 39,1 46,5 43,0 57,5 17,0 27,5
Sorachi Sorachi Sorachi Sorachi Sorachi Chikuho Chikuho
071 051 184 646 744 063 235
(Kyüshü),
Tabelle 31: Die Verwendung von heimischer Kohle, in 1000 t (Fiskal-Jahre)
Nationale Eisenbahn Elektrizitätserzeugung Verbrauchsgaserzeugung Eisen- und Stahl-Industrie Heizkohle in Haushalten Textil-Industrie Chemische Industrie Keramische Industrie
1951
1960
5 323 10,8% 6 090 12,4% 2 680 5,5% 7 733 15,7% 2 400 4,9% 2 351 4,8% 5 027 10,2% 3 690
3 964 6,1% 14 843 22,9% 4 276 6,6% 12 046 18,6% 3 841 5,9% 2 874 4,5% 4 080 6,3% 5 539
Quellen: Japan Power and Fuel Year Book; Jap. Statistical Yearbook
1970
1075
_
_
18 953 49,8% 1 947 5,2% 10 140 26,7% 2 001 5,3%
7 364 39,1% 1 121 6,0% 8 066 42,9% 508 2,7%
382
6. Kapitel:
Die einzelnen
Industriezweige
als geographische
Faktoren
Über die im „National Atlas of Japan" enthaltenen Diagrammkarten zur „Quantity of Production in Mining" und „Distribution of Mines" ist die Entwicklung hinweggegangen. Eine neue Hinwendung zu Kohlekraftwerken setzte allerdings in Verbindung mit dem ölschock von 1973 ein. Aber aus dieser Belebung zog die heimische Kohleförderung keinen Vorteil: Für die Großkraftwerke nutzte man aus Wirtschaftlichkeitsgründen die qualitativ bessere Importkohle. Die in Tab. 30 angegebenen Kohleimporte erfolgten nach 1970 zu gutem Teil für Kohlekraftwerke. Seit 1975 beschäftigt man sich im MITI (Abteilung Natürliche Ressourcen und Energie) mit dem Plan zur Errichtung eines „Coal Terminals", in dem Schiffe der VLCC-Klasse Importkohle löschen können, um mit Schiffen von 60000—1000001 an die Provinzen verteilt zu werden (Pressemeldung vom 7. 1. 1976).
II. Die Wasserkraftreserven als Energiequelle 1. Die Organisation der Wasserkraftnutzung Aus dem jahreszeitlichen Rhythmus der Niederschlagsverteilung läßt sich der Archipel in 6 Regionen unterschiedlichen Wasserhaushaltes gliedern (s. Bd. 1, S. 306—316). Gemeinsam sind ihnen der Reichtum an fließenden Gewässern, die großen Abflußmengen, aber auch die jede Nutzung erschwerenden Wasserklemmen, aus denen sich z. T. extrem hohe Abflußkoeffizienten ergeben (s. Tab. 4, S. 361). Die Schwankungen zwischen Überschwemmungen der Uferräume und der Austrocknung der schottererfüllten Flußbetten forderten schon in der Narazeit zum Bau von Staudämmen heraus, hinter denen sich größere und für die Feldbewässerung effektiver nutzbare Wasserreserven sammeln konnten als in den zahllosen, zisternenartigen Teichen, wie sie seit frühesten Zeiten in den Ebenen angelegt worden waren (Abb. 9: Mannó-ike). Aus den unregelmäßigen Abflußmengen das Volumen der Wasserkraftreserven zu berechnen, ist ein schwieriges Unterfangen. Ein Forschungsbüro, das dem Verkehrsministerium unterstellt wurde, führte 1910-1913, 1918-1923 und 1933 Messungen durch, aus denen man rd. 20 Mio. kW ermittelte, ein Wert, der 1951 mit 20,9 Mio. kW nochmals bestätigt wurde (14, 1). Dieser Wert verlor aber sehr bald an Bedeutung; denn in ihm konnten allein schon die Erhöhungen durch Abflußregelungen (flood control) und erst recht nicht die Folgewirkungen großer Stauwerke enthalten sein. Schon im Jahre 1974 wurde das potentielle Volumen von den tatsächlich installierten Kapazitäten übertroffen. Nachdem die zentralistisch organisierte Elektrizitätswirtschaft im Zuge der Auflösung wirtschaftlicher Machtgruppen durch den SCAP dadurch dezentralisiert worden war, daß man die Verantwortung auf die „9 Haiden", d. h. auf die 9 regionalen Elektrizitätsgesellschaften legte, fand man 1951 zur alten Ordnung zurück. Die Erkenntnis, daß gerade der Elektrizitätserzeugung beim Wiederaufbau und in der Fortentwicklung der Japanischen Wirtschaft eine Schlüsselstellung zufallen müsse, die einer überregionalen Planung, der Aufnahme auch ausländischer Darlehen und der Bereitstellung staatlicher Mittel bedürfe, führte auf der Grundlage eines „Electric Power Development Promotion Law" am 16. 10. 1952 zur Schaffung der „Electric Power Development Co, Ltd". Ihre Aufgabe ist „speedily
383
B. Die Energieträger
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> 2 000 MW > 5 0 0 MW > 1 0 0 0 MW
Denryoku-Informationen
B. Die Energieträger
393
Großkraftwerke der Chükyö-Küstenfront sind vor allen anderen Atsumi (1700 MW), Taketoyo (1345 MW), Chita (1250 MW), Shin-Nagoya (1256 MW) und Nishi-Nagoya (1190 MW). Mit dem Kansai beginnt zwar das an längeren Flußläufen ärmere SüdwestJapan, aber die Kii-Halbinsel und das dem Biwasee angrenzende Hidagebirge rücken es im Hinblick auf die Möglichkeiten der Wassernutzung noch in die Vorteile des Chübu. Es ergibt sich eine dem Kantö ähnliche Verteilung der EnergieErzeugung. An den Küstenfronten rivalisieren in ihrer Größe die thermischen Tabelle 34. Hydro-Elektrizitätswerke
an Staudämmen des Kantö (1976)
Lfde Nr.*
DammName
Fluß (Nebenfluß)
DammLänge Funktion'* * Höhe (m,) (m)
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Yagisawa Sudagai Fujiwara Komori Naramata Shinagi Shirazuna Ótsu Nakanojö Shirasunagawa Aimata Shimokubo
Tonegawa 131,0 Tonegawa 72,0 Tonegawa 94,5 Tonegawa 33,0 72,0 Tonegawa T. (Agatsuma) 42,9 T. (Agatsuma) 23,9 T. (Agatsuma) 14,4 T. (Agatsuma) 42,0 T. (Agatsuma) 28,9 T. (Akaya) 67,0 T. (Kanna) 129,0
13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32
Nozori Hiraide Sonohara Marunuma Godo Kusaki Kawamata Ikari Kawaji Dorubu Koami Tamayodo Futase Óbora Ogochi Sagami Numamoto Tsukui Shiroyama Honzawa
T. (Naketsu) T. (Katashina) T. (Katashina) T. (Katashina) T. (Watarase) T. (Watarase) T. (Kinu) T. (Kinu) T. (Kinu) T. (Kinu) T. (Kinu) Arakawa Arakawa A. (Òbora) Tamagawa Sagamigawa Sagamugawa Sagamigawa Sagamigawa Sagamigawa
44,0 40,0 85,5 28,2 140,0 120,0 112,0 140,0 21,6 23,5 32,0 95,0 24.7 149,0 44,4 34,5 30,0 75,0 73,0
402,0 194,0 230,0 107,4 194,4 105,0 37,7 73,9 118,2 37,7 80,0 626,0
H H H H H H H H H H H H
152,5 87,0 127,0 88,2 378,0 405,0 137,0 267,0 360,0 56,0 128,0 122,0 288,5 45,0 1680,0 196,0 126,0 126,0 260,0 234,0
H H H H H H H H H H H H H H H H H H H H
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Kapazität Bauin MW jähr
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-
-
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-
-
I I
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-
-
-
-
-
F F F F F F
P P P P P P
-
-
I I I -
-
-
240,0 46,0 21,6 30,0 46,0 8,2 2,0 11,0 14,0 7,3 15,0 5,3 26,0 10,7 20,0 27,0 15,3 2,4 4,3 5,2 11,9 19,0 31,0 11,5
-
Is 115,0 Is 250,0
* Die lfd. Nummern ermöglichen das Auffinden der größeren Werke in Abb. 27. ** Es bedeuten H Hydro-Elektrizität I Irrigation, Kangai (Bewässerung) F Flood Control (Abflußkontrolle) P Public Water (Wasserversorgung) Is Industriewasser Wert nicht ermittelt
1967 1955 1957 1958 1954 1965 1939 1929 1960 1939 1958 1968
Eigner
Tokyo Denryoku EPDC EPDC Tokyo Denryoku Tokyo Denryoku Gumma — Ken Tokyo Denryoku Tokyo Denryoku Gumma — Ken Tokyo Denryoku EPDC Gumma Water Res. D. Co 1954 Tokyo Denryoku 1964 Gumma — Ken 1965 EPDC 1930 Tokyo Denryoku Water Res. D. Co 1976 Water Res. D. Co 1966 EPDC 1956 EPDC 1975 EPCD 1963 Tokyo Denryoku 1958 Tochigi — Ken 1964 Saitama - Ken 1962 EPCD 1960 Saitama — Ken 1957 Tokyo Denryoku 1945 Kanagawa - Ken 1943 Kanagawa - Ken 1943 Kanagawa — Ken 1965 Kanagawa — Ken 1965 Kanagawa — Ken
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische Faktoren
394
Kraftwerke mit den Stahlwerken und Großwerften. Es sind vor allem Kainan ( 2 1 0 0 MW), Sakai-ko Hatsudensho ( 1 7 5 0 MW), ferner die im Hafenbereich von Osaka stehenden Osaka-, Kasugado- und Tanagawa Hatsudensho (624, 312 und 462 MW), die westlich folgenden vier Kraftwerke von Amagasaki (318, 366, 312 und 312 MW) und die bedeutenden Werke Himeji 1 und 2 (422 u. 1 3 5 0 MW). Mit anderen zusammen stellen sie ein Potential von mehr als 6 000 M W dar. Landein mischen sich kleinere, zur Erzeugung von Hydroelektrizität erbaute Staudämme mit größeren Mehrzweckdämmen. Allein rings um den Biwasee sind es mehr als ein Dutzend. Ähnliches gilt für das Tamba-Plateau, das Wakasa-Bergland und die Tango-Halbinsel (s. Bd. 1, S. 225). Den äußeren energiewirtschaftlichen Kreis des Kansai bilden die Stauseelandschaften des Hidaka- und Kumanogawa (Ikehara-Damm, 350 MW) im schwer zu-
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Ontake 3 063 m
Staudamm •
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Druck-Kraftwerk
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V e r w a l t u n g s r a t der
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Kaihei, Schaltwerk Hochspannungsleitung 2 5 0 kV
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El. - G e s e l l s c h a f t
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Ontake 66 000 Miura 7 700 Jakigoshi 27500 Damm Nezame 35000 M
N a m e n d e s K r a f t w e r k s und i n s t a l l i e r t e Kapazität in kW Thermo - Kraftwerke (Nebenkarte) m i t i n s t a l l . K a p a z i f ä t e n in M W
Suhara 10 00 Japanese Zeon (Kawasaki) Tonen Petrochemical Asahi Chemical (Kawasaki) _—Okayama Butadien Japanese Zeon (Tokuyama) Japanese Zeon, Asahi C h e m i c a l j ^ v (Kasei Mizushima) Mitsubishi Chemical (Yokkaichi) Japanese Zeon (Tokuyama) Japanese Zeon (Tokuyama) A A Chemical (Tsuruzaki) (in B-B fraction)
N.B. Sumitomo Petrochemical (Niihama) and Osaka Petrochemical (Sakai) are supplying B-B fraction to Japanese Zeon and Japan Synthetic Rubber.
F. Pharmazeutische Industrie Am Wiederaufbau der pharmazeutischen Industrie haben die Hilfen von Seiten des Staates und die Tatkraft einer Gruppe von Pharmazeuten-Familien gleichen Anteil (12). Es sind hier die Firmen Takeda, Shionogi und Sankyö zu nennen, deren Vorgänger schon in der Tokugawazeit Drogenhandel betrieben (18, 475). Von 1955 bis 1968 stieg der Anteil der pharmazeutischen Industrie an der Chemie-Industrie insgesamt von 19 auf 30% (13, 57). Etwa Zweifünftel der Produktion entfielen zu gleichen Teilen auf Vitaminpräparate, Antibiotika und Mittel gegen Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems. Dabei erfuhr die Industrie eine organisatorische Straffung. Von den anfangs fast 2000 Firmen erwiesen sich zahlreiche
F. Die Pharmazeutische
423
Industrie
als nicht leistungsfähig genug, um den Anforderungen des als Richtschnur angenommenen amerikanischen Arzneibuches zu entsprechen; sie haben sich einer größeren Firma angeschlossen. Die größeren Firmen wiederum haben, angeregt durch die Liberalisierung des Handels seit 1960, Lizenzen amerikanischer und europäischer Arzneimittelfirmen erworben. Noch 1960 gab es nach MURAKAMI (18) nur 12 Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten. Für 1976 weist Tab. 42 allein 17 der 21 Firmen aus, die mehr als 1000 Beschäftigte haben. Bemerkenswert ist die Forschungstätigkeit der Firmen; so entwickelte die Nippon Kayaku das Bleomycin (BLM), kurz „Bleo" genannt, ein Mittel gegen Hautkrebs (13, 57); die Firma Eisai brachte ein Vitamin E-Präparat mit der Bezeichnung „Juvela Nicotinate" in den Handel (3, 14). Tabelle 42. Führende Firmen der Pharmazeutischen Industrie und ihre Standorte, 1980 (Zusammengestellt nach Jap. Company Handbook 1980)
Takeda Chemical Industries (T. Yakuhin Kogyo) Shionogi & Co Sankyo Co
Beschäftigte
Standorte (Außenregionen kursiv)
11 130
Hikari, Takasago, Osaka, Shimizu
6 690 5 170
Ösaka, Settsu, Akö Tökyö, Hiratsuka, Osaka, Mishima, Odawara Toda (Tökyö), Nagoya, Ösaka, Onoda ösaka, Nagoya, Fuji, Takaoka
Tanabe Seiyaku Co Fujisawa Pharmaceutical (F. Yakuhin Kogyo) Nippon Kayaku Co
5 260 5 020
Yamanouchi Pharmaceutical (Y. Seiyaku) Taisho Pharmaceutical (T. Seiyaku) Daiichi Seiyaku Co Eisai Co Chugai Pharmaceutical (Ch. Seiyaku) Dainippon Pharmaceutical (D. Seiyaku) Yoshitomi Pharmaceutical Industries (Y. Seiyaku) Toyama Chemical (T. Kagaku Kogyo) Banyu Pharmaceutical (B. Seiyaku) Nippon Shinyaku Co Tokyo Tanabe (T. Tanabe Seiyaku)
2 690
Orio (Kitakyüshü), öji, Fukuyama, Takasaki, Kokura, Asa (Hiroshima), Himeji Tökyö, Takahagi (Ibaraki) Yaizu
2 950
Ömiya, Kimiidera (Wakayama)
2 860 3 020 2 850 2 170
Tökyö, Shizuoka, Osaka Honjö (Saitama) Kawashima (Gifu) Tökyö, Nagoya, Osaka, Kagamiishi (Fukushima), Sendai, Sapporo ösaka, Suzuka
2 060
Yoshitomi (Fukuoka), Kusu (Mie)
1 960
Toyoma
2 050
Okazaki, Meguro (Tökyö)
1 760 1 370
Odawara, Morioka, Sapporo Tökyö, Fukuoka, Ösaka, Nagoya, Sendai, Sapporo
3 790
Insgesamt sind in der pharmazeutischen Industrie rd. 70 000 Personen beschäftigt; das sind 14% aller in der chemischen Industrie tätigen Menschen. Aus den Standorten der Fabriken geht hervor (s. Tab. 42), daß auch die pharmazeutische Industrie dazu beiträgt, die Bevölkerungsmassen der Tökai-Setonaikai-Region zu
424
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
als geographische
Faktoren
verstärken. Eine singuläre Standortverdichtung auf der Japanmeerseite verdient deshalb eine besondere Beachtung; sie charakterisiert Toyama-Ken. Hier haben sich, auf einer Tradition von Kräutersammlern während der Tokugawazeit aufbauend, in der frühen Meijizeit pharmazeutische Kleinbetriebe in großer Zahl eingerichtet. Heute bestehen im Stadtgebiet neben der leistungsfähigen Toyama Kagaku Kögyo (Tab. 42) noch weitere 9 Firmen, und die Freude an diesem Gewerbe hat auch die Umgebung ergriffen: nicht nur Takaoka verfügt über eine pharmazeutische Firma, sondern auch Namerikawa, Inami-machi, Kamiichi-machi, Fukuno-machi und Kosugi-machi (Imizu-Gun). Toyama ist ein Dichtezentrum dieses Industriezweiges; im Jahre 1973 entfielen auf ihn 58% des industriellen Wirtschaftsaufkommens der Stadt (29). Auch im pharmazeutischen Binnenhandel nimmt Toyama eine Sonderstellung ein. Von hier aus begeben sich jährlich bis zu 1200 Hausierer auf Wanderschaft durch das Land, die den Mangel an Apotheken in ländlichen Gebieten und Kleinstädten geschäftlich inwertsetzen. Bis in die Vorkriegszeit war es üblich, daß der Arzt die Medikamente selbst an seine Patienten verkaufte, und diese Sitte hat sich noch weithin erhalten. Der Kauf von Arzneien in Apotheken war nur in den großen Städten möglich; der selbständige Apotheker ist erst nach dem Kriege häufiger geworden. HAX schätzte 1960 den Jahresumsatz der Toyama-Hausierer auf 15 Mio. US-Dollar (5, 364).
Schrifttum Verzeichnis für das 6. Kapitel, 5. Abschnitt 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.
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A. Die Bauindustrie
425
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6. Abschnitt Bauindustrie und Industrie der Steine und Erden A. Die Bauindustrie I. Die Herausforderung der Nachkriegsjahre Im letzten Kriegsjahr wurden 66 Städte in ihrer baulichen Substanz nahezu entkernt. Von den Großstädten blieb nur Kyoto unversehrt. Tokyo allein verlor 700 000 Wohnungen, so daß 4 Mio. Menschen obdachlos wurden. Durch Kriegseinwirkung, Brände und Erdbeben wurden im Lande während der Jahre 1941-1945 mehr als 3,5 Mio. Wohnungseinheiten vernichtet, ohne zunächst wieder aufgebaut werden zu können. Stellte allein dieser Tatbestand eine große Herausforderung an die Bauindustrie der Nachkriegszeit dar, so erhielt die Aufgabe infolge der Kapitulation, die zunächst den Charakter des Totalen hatte, eine zusätzliche Dimension. Es handelte sich mehr oder minder um den Eintritt in die Endphase des 1868 eingeleiteten Anpassungszwangs an die westliche Welt. Wie sich Staat und Wirtschaft in dieser Situation verhielten, wurde in den Abschnitten 1—5 dieses Kapitels dargelegt. Jeder der betrachteten Industriezweige ist auch Zulieferer für die Bauindustrie und findet durch diese seinen besonderen landschaftlichen Ausdruck (s. u.). Aber die Bauindustrie ist mehr als nur das Sammelbecken von industriellen Produktionen: Denn das Streben nach wirtschaftlicher Größe, die vermeintliche Befreiung aus der Nachahmung westlicher Welt durch die Verwandlung vom wirtschaftlichen Role-taker zum Role-maker, war begleitet von Angriffen auf die Persönlichkeitsstruktur jedes einzelnen Menschen, von der Lockerung des Familienverbandes, vom Verlangen nach Vereinzelung bis zur Trennung von dem Gedanken der „Drei Generationen unter einem Dach": Und dieser Wandel im Bereich sozialer Verhaltensweisen wurde zur stärksten Kraft in der sich fast hektisch entwickelnden Bauindustrie. Der millionenfache Ruf von Ehepaaren jungen und mittleren Alters nach eigener Wohnung fand im
426
Bild 31 Toyota. Werkleitung
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
Ein
Danchi-Komplex
auf abgetragenem
Hügelland,
als geographische
1979.
Aufn.
der
Faktoren
Toyota-
Zusammenklang mit dem Einströmen von Arbeitskräften in die Industriestädte seinen Widerhall in der Entstehung von Betonhausvierteln und neuen Trabantenstädten (Bild), deren Sinn einseitig im Bezug zu den Ballungszentren liegt und zu vergessen machen scheint, daß anderswo das Ideal des Eins-seins mit der Natur noch lebt. Der Vorgang, einer Großstadtbevölkerung von mehreren Mio. Menschen innerhalb von kurzer Zeit die Möglichkeit für den Umzug aus Holzhäusern in Massivbauten aus Zement anzubieten, ist ein landschaftliches Novum ersten Ranges und stellte die Bauindustrie vor Aufgaben, die über ihre Kapazitäten hinausging. Man stelle sich vor, wie unermeßlich der Bedarf an Holz wäre, wenn umgekehrt in der deutschen Bevölkerung der Wille wach würde, die Steinbauwohnungen aufzugeben und in Holzhäuser umzuziehen. Trotz des seit Kriegsende zielbewußt betriebenen Wohnungsbaus wurde dem Aufbauministerium 1976 eine Empfehlung zur Errichtung von 8,6 Mio. „StandardHouses" vorgelegt, da es noch übermäßig viele „Swftstandard-Houses" gäbe (Mainichi, 15. 3. 76). Über den Wohnungsbau hinaus mündeten in den Nachkriegsjahren Vorhaben folgender Infrastrukturbereiche mit besonderen Leistungsanforderungen in die Bauindustrie ein (2): a) Der schon vor dem Krieg und während der Kriegsjahre stark vernachlässigte Straßenbau; b) der Eisenbahnbau, dessen vornehmstes Ziel die streckenmäßige und zeitmäßige Verkürzung der Entfernung zwischen Tokyo und Osaka war; c) der Brückenbau in Verbindung von Straßen- und Eisenbahnbau, aber auch zur Verkürzung der Entfernungen zwischen Inseln und Küsten an Meeresbuchten;
A. Die Bauindustrie
All
d) der Tunnelbau in Verbindung von Straßen- und Eisenbahnbau und submarin zur Verbindung von Inseln; e) der Bau von Flugplätzen; f) Gewinnung agrarischen Nutzlandes durch Binnenkolonisation und Einpolderungen sowie Erweiterung des Industrielandes und der Hafenräume durch Aufschüttungsland (umetate-chi) ; Erweiterung des Baulandes durch Einebnung hügeligen Geländes (yamakiri-chi); g) Bau neuer Häfen; h) der Bau von Küstenbefestigungen; i) der Bau von Staudämmen; j) der Bau von Be- und Entwässerungsanlagen; k) der Bau von Fabrikanlagen; 1) der Bau von Verwaltungsgebäuden, Schulen, Hospitälern, Unterkünften; m) Bau von Kögai-Bekämpfungsanlagen.
II. B e d e u t e n d e Leistungen der Bauindustrie Stahl und Zement gruben sich bei der Verwirklichung von Vorhaben in vielen Fällen höchst eindrucksvoll in die Landschaft ein. Die Ausführung von Bauten kennzeichnet in enger Aufeinanderfolge die Jahre seit 1955; einige stehen erst heute vor ihrer Vollendung, neue sind geplant. Von den landschaftlich markanten seien genannt (in der Reihenfolge der genannten Vorhabenbereiche): a) Die Autobahn Tokyo—Nordkyüshü mit ihren Teilstücken Tomei-KösokuDoro (346,7 km, Tökyö-Komaki nordöstl. Nagoya), Meishin-Kösoku-Döro (189,7 km, Komaki—Nishinomiya b. Köbe), Chügoku-Kösoku-Doro (Nishinomiya—Shimonoseki) und Teilstücke auf Kyüshü. b) Die Shinkansen, wörtlich „Neue Hauptbahnlinie", als landesweite zentrale Verkehrslinie konzipiert, ist als einziger Schienenstrang Japans mit einer Spurweite von 1,435 m versehen, voll automatisiert, vermeidet die Nähe von Städten und erreicht eine Maximalgeschwindigkeit von 210 km/Std. bei einem Durchschnitt von 170 km/Std. Der Abschnitt Tokyo-Shin-Ösaka (552,6 km) wurde 1964 in Betrieb genommen; Zwischenstationen sind nur Nagoya und Kyoto. Die Strecke Shin-Osaka-Okayama (180,3 km) wurde 1972, die Strecke Okayama-Hiroshima—Hakata/Fukuoka (443,6 km) 1975 dem Verkehr übergeben. Insgesamt beträgt die Streckenlänge Tökyö-Fukuoka 1176,5 km. Die Züge bewältigen die Gesamtstrecke in rd. 7 Stunden. Außer der in Betrieb befindlichen Strecke Tokyo—Fukuoka/Hakata sind noch folgende Shinkansen-Strecken vorgesehen oder schon in Arbeit genommen: Töhoku—Shinkansen: Tökyö-Morioka (490 km); Jöetsu-Shinkansen: Tokyo— Niigata (300 km); Narita—Shinkansen: Tokyo—Flughafen Narita (65 km). Die Fertigstellung der genannten Bahnen war für 1977 geplant, hat sich aber verzögert. c) Brückenbau wurde in reichem Maße für die Autobahnen und die Shinkansen erforderlich. Allein die Shinkansen zwischen Tokyo und Shin-Ösaka benötigt mehr als 3000 Brücken von insgesamt 44 km Länge. Darüber hinaus kam es zu einigen bedeutenden Brückenbauten. Die Wakato-Brücke wurde 1962 im Vorgang der Stadtgründung Kitakyüshü erbaut, weil für das Zusammenbinden der zu Stadtteilen gewordenen Orte Tobata und Wakamatsu der Fährverkehr über die Dökai-Bucht völlig unzureichend war. Der Brückenbau war ein gigantisches Unternehmen: Die Durchfahrt für große Schiffsgrößen erforderte eine lichte Höhe über dem Wasserspiegel von 40 m; die Länge bestimmte sich durch die 680 m breite
428
Bild 32
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische Faktoren
Die Große Kanmon-Brücke
(Kanmon Öhashi), 1979. Besorgt von Taiji Yazawa, Tokyo
Bucht und durch die Auffahrtsrampen zu beiden Seiten, so daß sich für sie insgesamt 2068 m ergaben. Um ihre vielseitigen Funktionen zu gewährleisten, wurden in ihre Konstruktion Sicherungen gegen Erdbeben und Taifunstürme (bis zu 140 km Geschwindigkeit) eingebaut. Der Bau benötigte insgesamt 2 1 0 0 0 t Stahl und 3 4 0 0 0 t Zement (9, 38). Ausdrücklich wird hervorgehoben, daß die Errichtung ohne fremde Hilfe erfolgte: „Japan may well be proud of the achievement of its engineers in the construction of the Wakato Bridge." Noch übertroffen wurde diese Leistung mit dem Bau der 1974 vollendeten Kammon-Brücke, die den westlichen Ausgang der Setonaikai, die Kammon-Kaikyö (Straße von Shimonoseki), überquert. Sie ist eine hängende Straßenbrücke von 1 0 6 8 m Länge, die bei 61 m Höhe über dem Wasserspiegel von Schiffen der 1 0 0 0 0 0 t-Klasse bequem durchfahren werden kann. Bei 26 m Straßenbreite verfügt sie über 6 Fahrbahnen und stellt damit eine enge Verbindung zwischen den Straßensystemen von Honshü und Kyüshü her. Zu einer Brückenregion wird sich die Setonaikai verwandeln, wenn
A. Die Bauindustrie
429
Abb. 31 Im Aufbau befindliche Brückenketten über die Setonaikai, 1979. Nach einer Zeichnung der Tokyo „Mainichi Daily News"
die Pläne für die Errichtung von Brückenketten verwirklicht werden, mit denen man hofft, die Insel Shikoku an die Küste des Sanyö-dö ziehen zu können (s. Abb. 31). Das 1973 infolge des ölschocks zurückgestellte Vorhaben wurde 1975 wieder aufgegriffen. Mit dem Bau der 1729 m langen Ö-Naruto-Brücke wurde 1976 begonnen; sie benötigt 100000 t Stahl und 280000 t Zement. d) Der Tunnelbau, landschaftsphysiognomisch weniger hervortretend, erfüllt dieselben wirtschaftlichen und sozialen Funktionen wie der Brückenbau: er führt die Menschen schneller über die Gebirge hinweg durch Bergtunnel und unter Meeresstraßen hinweg durch submarine Tunnel zusammen. Das erste große dieser Vorhaben war der Bau des 3614 m langen Kammon-Eisenbahn-Tunnels, der 1942 zwischen Shimonoseki und Möji 5 km südlich der heutigen Kammon-Brücke in Betrieb genommen und dem später ein 3 460 m langer, zweistöckiger Straßentunnel hinzugefügt wurde. Das mächtigste submarine Bauwerk ist der 1971 in Angriff genommene Seikan-Tunnel 1 , der die Nordinsel Hokkaido auf kürzestem Wege mit Honshü verbindet. Insgesamt ist er 36,4 km lang; 22 km verlaufen unter dem Meeresboden, 14,4 km entfallen auf die von den Küstenbereichen in die Tiefe sinkenden Zugänge (Abb. 32). Unter den Bergtunneln ist der Rokkö-Tunnel mit 16,25 km Länge der bedeutendste; er durchbohrt das Rokkö-Gebirge in Längsrichtung und wurde für die Shinkansen gebaut, die auf diese Weise das eng bebaute Stadtgebiet von Köbe umgeht. 1 Sei ist die chinesische Lesart für das erste Schriftzeichen von Aomori, Kan die Lesart des zweiten Schriftzeichens von Hakodate. Seikan-Tunnel bedeutet Aomori-Hakodate-Tunnel.
430
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische Faktoren
s
N 9,1 km Tappi
22 km
5,3 km Yoshioka
Abb. 32 Schematische Darstellung des Honshü und Hokkaidd verbindenden Seikan-Tunnels. Fertigstellung im Frühjahr 1982
e) Flugplätze zu bauen, die den Anforderungen des heutigen Flugverkehrs entsprechen, war eine der großen Aufgaben der Verkehrserschließung des mehr als 2 0 0 0 km langen Archipels. Der Flugverkehr ist eine der bündigen Antworten auf die erschwerte Erreichbarkeit der von Gebirgen umstellten Siedlungskammern. Es gibt (1978) 65 Flugplätze für den zivilen Flugverkehr. Tokyo und Osaka sind die Verkehrssterne für die Fluglinien. Der Großflughafen Tökyö-Haneda, 1931 auf 52 ha einer am Nordufer der Tamagawa-Mündung aufgeschütteten Insel angelegt, bis 1963 auf 350 ha bzw. 3,5 km 2 erweitert, wurde dem mittleren und kleineren Flugverkehr überlassen; der internationale Großverkehr wurde nach Narita verlegt, 68 km vom Tokyo-Bahnhof entfernt. Hier nimmt er, wetteifernd mit dem Londoner Heathrow Airport und dem Los Angeles International Airport, ein Gelände von 10,65 km 2 in Anspruch (5, 541); eine der 3 Startbahnen ist 4 0 0 0 m lang, ihre Landebahn mißt 4 1 2 0 m. Die Abfertigungseinrichtungen haben eine Kapazität für jährlich 16 Mio. Fluggäste (10). Eine für das heutige Japan charakteristische Leistung ist die Errichtung des Nagasaki-Flughafens vor der Küste der Stadt Ömura. Infolge des Platzmangels im Stadtgebiet und im Bemühen, die Bevölkerung vor Lärm zu schützen, kam man auf den Gedanken, Mishima, die 1 km vor der Küste von Ömura liegende, aus zwei basaltischen Kernen bestehende und bis 97 m aufsteigende Insel so weit abzutragen, daß man eine aus Aufschüttungsmaterial und Grundgebirge zusammengesetzte Flughafenebene von 134 ha erhielt, zu der man einen Zugang von der Küste aus in Form einer 970 m langen Straßenbrücke schuf. f) Zu den umfangreichsten Erschließungen von Binnenland gehört die agrarwirtschaftliche Inwertsetzung der Konzen-Platte in Ost-Hokkaidö (s. Bd. 1, S. 215). Sie ist ein Gebiet von 5 3 0 0 km 2 , ist aber klimatisch so benachteiligt, daß die Nutzungsmöglichkeiten beschränkt sind. Daß es gelang, sie in die Ernährungswirtschaft Japans einzubeziehen, muß als eine große technische Leistung betrachtet werden (s. S. 518). Die Einpolderungsarbeiten, mit denen man schon zur frühen Tokugawazeit begann, erreichten mit der Landgewinnung in der Hachirogata (220 km 2 ) ihren Höhepunkt und zugleich ihr grundsätzliches Ende: im Zusammenhang mit der Diversifizierung der Ernährungsweise — eine Begleiterscheinung der Industriegesellschaft - sind seit 1970 die Bestrebungen auf Einschränkung der Reisanbauflächen gerichtet (s. Kap. 7).
432
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische Faktoren
Von um so größerer Bedeutung waren für die Jahre 1955—1976 die Aufschüttungsflächen (umetate-chi) für Industrieansiedlung und Erstellung neuen Hafenraums (vgl. Tab. 11). Die umfangreichsten Küstenveränderungen erfuhren dadurch die Tokyö-wan, die Ise-Buchten, die Ösaka-wan (Bild) und die Suo-nada. Es sind Mammutobjekte, die für eine Verdreifachung des Handelsvolumens im Zeitraum 1 9 7 5 - 1 9 8 5 bereitstehen. Ein Regierungsbericht von 1976 stellt fest, daß 26,4 % der Küstenlinie Japans insgesamt nicht mehr „natürlich" sind (Mainichi Daily News, 29. 6 . 1 9 7 6 ) ; noch drei Jahre vorher war amtlich berichtet worden, daß es 2 1 , 2 % seien bei zusätzlich 1 9 , 2 % „semi-natürlichen" (Abb. 33). g) Die neuen Hafenbauten, von denen in Band 3 gesprochen wird, erfolgten aus zwei Motiven; zum ersten galt es zu korrigieren, was für zahlreiche Städte trotz ihrer Küstennähe Jahrhunderte hindurch versäumt worden war, d.h. die Stadt durch eine Hafenanlage mit dem Meer zu verbinden (11, 301); zum zweiten sahen sich infolge der Wirtschaftsentwicklung die Großhäfen der vier pazifischen Großbuchten genötigt, Entlastungshäfen in Nebenbuchten oder an den Einfahrten der Buchten zu gründen. Zum ersten Typ rechnen Sendai, Akita, Jöetsu, Toyama, Kanazawa, Toyohashi, Hirohata, Tottori, Köchi; zum zweiten Kashima, Chiba, Mikawa. Der für Sapporo nachträglich erbaute Ausgrabungshafen ist Tomakomai, eine Infrastrukturbereitstellung, die von der Wirtschaft weit zögernder angenommen wurde als die von Kashima vor den „Toren" von Tokyo. Eine zweite
Ishikari 29.JS Shiribeshi
Rikuchu Costline
Kagoshima Ba U
Osaka Bag
f Uwa Sea
Natural Coastline
|se
S a g a m i Bay B a u
Hiuchl Sound
Semi-natural Coastline
Artificial Coastline
Abb. 33 Die Küste Japans in ihren Anteilen von natürlich gebliebenen und künstlich veränderten Küstenstrecken. Bearbeitete Pressezeichnung auf Grundlage des „Environment Agency's Natural Environment Survey", 1973
A. Die
Bauindustrie
433
Verbindung zum Meere erhält Sapporo durch den nur 15 km vom Stadtkern entfernten, seit 1975 im Bau befindlichen Ausgrabungshafen an der Ishikari-wan. h) Die Strandversetzungen entlang der Ausgleichküsten (Bd. 1, S. 211) aufzuhalten, aber auch den Angriff des Meeres auf die Saumlandküsten insgesamt zu vermindern, werden die Küstensäume mit Wällen von Tetrapoden aus Zement belegt; diese Wälle sind viele Kilometer lang. Für ihre Herstellung hat sich ein eigener Zweig der Zementindustrie entwickelt. i) Der Bau von Staudämmen wurde in seinen vielseitigen Funktionen bereits behandelt. Hier sei hinzugefügt, daß der 1956 vollendete Sakuma-Damm ein massives Volumen von 1080000 m 3 hat und der Okutadami-Damm eine Zementmasse benötigte, mit der man die Autostraße von Tokyo bis ans Südende von Kyüshü hätte belegen können (Mainichi Daily News, 9. 6.1962). Diese Beispiele vermitteln nur repräsentativ eine Vorstellung von dem Zementbedarf für die insgesamt mehr als 800 seit 1950 errichteten Staudämme. Ähnlich hohe Anforderungen an die Zementindustrie stellten der Hausbau, die Herstellung von Umetate-chi und von Flughäfen, die Errichtung von öffentlichen Gebäuden und Industrieanlagen. j) In allen Landesteilen trifft man auf ideenreich konzipierte wasserwirtschaftliche Kulturarbeit. Hervorgehoben seien die Belieferung der westlichen Talseite des Kitakamigawa mit dem Wasser des auf östlicher Seite errichteten GandöDammes (Abb. 52); die Bewässerung der Nara-Ebene durch Wasser, das in einem Tunnel durch das Kongo-Gebirge vom Kinogawa zugeleitet und schließlich zum Yamatogawa abgegeben wird (Abb. 53). In gleicher Weise wurde die Wasserscheide des Sanuki-Gebirges (Bd. 1, S. 226) vom Yoshinogawa-Tal aus durchstochen, um dem Wassermangel abzuhelfen, an dem die Agrarwirtschaft der Kagawa-Ebene leidet. Die Feldbewässerung der Toyama-Ebene erhielt unter Nutzung der Stauseen eine völlige Neuordnung (Einzelheiten s. Kap. 7). k) Als neues industriegeographisches Element fügten sich nach dem Zweiten Weltkrieg die „industrial estates" bzw. die Industrie- und Gewerbeparks in die Stadtlandschaften ein. Man begegnet ihnen nicht nur in den neuen Satellitenstädten, sondern auch in Orten, die zur Herstellung gesunder Lebensbedingungen die Vielzahl von Mittel- und Kleinbetrieben aus dem Ortskern heraus an die Peripherie zu legen versuchen. Okaya am Suwa-See ist Beispiel hierfür. In diesem Zusammenhang sind auch die Bemühungen um die Standortverlagerungen von Industrien aus den Ballungsräumen Tokyo, Kinki und Chübu zu nennen, wie sie im sog. Tanaka-Modell 1972 empfohlen wurden. Bis Ende 1973 hatten sich gegen 30 Unternehmen zu Teil- oder auch Vollumzug bereit erklärt; nicht alle wurden als förderungswürdig angesehen, doch einige konnten als Pioniere vorangehen. So hat die Sharp Co, eine Firma für elektrische Geräte mit insgesamt mehr als 10000 Beschäftigten, Teile ihres Werkes von Ösaka nach Yaita (Tochigi) und Hachihonmatsu (Kamo-Gun, Hiroshima) verlegt. Andere Firmen, wie Hitachi, sind dem Appell zur Entflechtung gefolgt, oder sie haben, wie Denki Kagaku Kögyo und Fuji Denki Seizo ihre Werke außerhalb der Ballungszonen verstärkt. Im Vorgang der Verlagerung von Industriestandorten liegt das bedeutendste Potential der Bauindustrie für die nächste Zukunft. 1) Charakteristisch für alle Städte ist die seit 1950 verstärkt betriebene Errichtung von massiven Gebäuden verschiedenster Funktionen. Die Stadtverwal-
434
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische
Faktoren
tungen bezogen nach Möglichkeit Massivbauten. Schulen und Kindergärten wurden ausgebessert oder neu errichtet, zahlreiche Universitäten neu gegründet, Hospitäler erweitert. Für die von Agrargebieten in die Ballungszentren einströmenden Arbeitskräfte mußten Unterkünfte geschaffen werden. Handelshäuser und Hotels, wie Stifte hoch aus dem Häusermeer emporstechende Hochhäuser, wurden zu Wahrzeichen von Großstädten. Mit Genugtuung stellen Japaner hin und wieder fest, daß das Land über Gebäude verfüge, die zu den höchsten der Welt gehören. In Tokyo sind diese Betontürme besonders häufig; zu den höchsten gehören Kasumigaseki Bldg (147 m), das World Trade Center (152 m), das K D D oder Kokusai Denshin Denwa Center (165 m), das Keiö Plaza Hotel (170 m), das Yasuda Kaijö Kasai Bldg (200 m), das Shinjuku Sumitomo Bldg (200 m), das Shinjuku Mitsui Bldg (210 m). Das Bürohaus Sunshine 60 in Ikebukuro hat 240 m Höhe und 1 9 0 0 0 0 m 2 Stockwerkflächen. Am höchsten ist mit 333 m der Tokyo Tower, ein Sendeturm, der im Lande, wenn auch in kleinerer Form, viel Nachahmung gefunden hat. Jedes dieser hohen Gebäude erforderte die Verwertung Tausender von Tonnen an Stahl und Zement. Für das WTC (World Trade Center), dessen Fertigstellung bis 1970 mehr als 2 'A Jahre benötigte, wurden 1 5 0 0 0 t Stahl und 2 0 0 0 0 t Zement verwendet. Die genannten Hochhäuser sind im übrigen „erdbebensicher" (earthquake proof) errichtet, so weit man dies als solches bezeichnen kann (Bild). m) Im Kampf gegen die Kögai, insbesondere gegen den „Siedlungsabfall" (12, 333), sieht sich das Baugewerbe von sehr verschiedenen Funktionsbereichen
Bild 34
Die gigantischen Hochhäuser
von Shinjiku in Tokyo. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho,
1979
A. Die Bauindustrie
435
in Anspruch genommen. Am Beispiel von Tòkyo kann dies verdeutlicht werden. Obgleich der engere, aus 23 Ku bestehende Stadtbezirk nur 0 , 2 % des Staatsgebietes umfaßt, fallen in ihm 10 % des gesamtjapanischen Siedlungsmülls an. Setzt man für die Abfallmenge pro Person in Tòkyo den Index 100, dann wird dieser Wert nur von Kitakyüshü und Nagoya übertroffen; Fukuoka, Ósaka, Kyoto, erst recht aber Kòbe, Yokohama und Sapporo bleiben darunter. In den Jahren 1964—1973 stieg der jährlich gesammelte Siedlungsabfall in Tòkyo von 2,5 auf 4,6 Mio. t; von diesen Massen wurden 1964 rd. 1 6 % , 1973 mehr als 3 9 % in Verbrennungsöfen vernichtet, die übrigen Anteile deponiert, zum großen Teil vor der Küste versenkt, wo man im Bereich des Hafens von Tòkyo Material zur Aufschüttung der „Shin Yume no Shima" (Neue Traum-Insel) benötigte. Die Verbrennungsöfen, die zunächst selbst als ein Element der Umweltschädigung erschienen, wurden mit 100—250 m hohen Schornsteinen versehen, so daß sich z.B. der Schwefeldioxyd-Gehalt der Luft vom Schornstein in Setagaya aus in 6,5 km Entfernung bis auf 0,00022 ppm verflüchtigt (Mainichi Daily News, 2 6 . 9 . 1 9 7 3 ) . Darüber hinaus ging man 1974 dazu über, die Verbrennungsöfen unter die Erde zu versenken und nur noch den Schornstein darüber aufragen zu lassen. Die erste dieser Konstruktionen wurde in Suginami-Ku errichtet (13, 5). Der Entwurf zeigt einen Fußboden in 10 m Tiefe und eine Umpflanzung der Anlage mit Bäumen
B l u e p r i n « f o r t h e C o n s t r u c t i o n o f a n I n c i n e r a t i n g P l a n t In S u g i n a m i W a r d
ff C r o i i S e c t i o n o f t h e S u g i n a m i I n c i n e r a t i n g P l a n t ( c r o n s e c t i o n o f t h e a f o r e m e n t i o n e d b l u e p r i n t of S u g i n a m i I n c i n e r a t i n g P l a n t A a n d A1)
Abb. 34 Die Siedlungsabfall-Verbrennungsanlage Vol. 25, 1975
Suginami, Tòkyo. Aus: Tòkyo Municipal News,
436
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische Faktoren
(Abb. 34). Vom Gedanken der Recycling-Industrie angeregt, wurden bereits 9 solcher Verbrennungsöfen in den Dienst der Elektrizitätsgewinnung genommen. Der Brennofen ist zur Quelle thermischer Elektrizität geworden. Im Durchschnitt wurden Kapazitäten von 2 0 0 0 - 3 0 0 0 kW installiert; im Katsushika Brennofenwerk sind es 12000 kW. Wenn auch der größere Teil der erzeugten Energie am Ort für die Heizung der Brennöfen verwendet wird, bleiben doch Energiemengen übrig, die an die Tokyo Denryoku verkauft werden können — eine Einnahme aus den Siedlungsabfällen. Für die Aufschüttung von Meeresböden hat KUNITOSHI TEZUKA um 1 9 7 5 die Fertigung von „Tekkaseki" entwickelt, d.h. von gepreßten Feststoffen in Blockform von 1 cbm Größe und 3 0 0 - 3 5 0 kg Gewicht, die, mit einem Drahtnetz umspannt und mit Teer und Zement verkleidet, Bausteine für die Gewinnung von Umetate-chi darstellen. Die Blöcke haben die Dichte von Sandsteinen. n) Ein für Japan charakteristischer Zweig der Bauindustrie ist die Förderung von Kies aus den zur Zeit der Wasserklemmen fast trocken liegenden Flußbetten. Die Kiese werden z. T. auch in Feldfabriken, die man mitten im Flußbett errichtete, zu Platten und Blöcken verarbeitet (s. Bd. 1, S. 200, 314). Besonders häufig ist dies im Tallauf Saikawa-Shinanogawa, in Flußstrecken des unteren Öigawa, im Flußbett des Yoshinogawa und in all den Flußbetten, in denen Staudämme noch nicht errichtet wurden. III. Baufirmen und Bauherren Das Baugewerbe beschäftigt seit 1975 mehr als 4 Mio. Personen; es ist damit, sozial gesehen, der größte aller Industriezweige Japans; knapp 9 % aller Werktätigen sind im Baugewerbe beschäftigt. Dem Gewerbe gehören mehr als 200000 Firmen an; es sind größere und kleinere. Ein Spinnennetz von Zuliefer- und Kontraktfirmen, auf verschiedenen Ebenen von maßgeblichen Mittelsmännern gewoben, ist mitbestimmend bei der Vergabe von Arbeitsaufträgen. Die Arbeitskräfte sind nahezu gleichmäßig über das Land verteilt. Die Firmen haben in den zentralen Orten höherer Ordnung ihren Sitz, wo sie den Vorteil der Nähe von Auftraggebern nutzen. Von diesen Firmen haben etwa 20 besonderes Gewicht (s. Tab. 43). Eine der Großfirmen (Nr. 9) bestand schon in der Tokugawazeit. Die Stärken der Stammbelegschaften sagen nicht alles über die Leistungsfähigkeit der Firmen aus. Nach Übernahme eines Auftrags wird die Zahl der Beschäftigten aus der regional verfügbaren Arbeiterschaft ergänzt. Auf diese Weise verstärken die Baufirmen nicht nur die überregionale, sondern auch die regionale Mobilität der Bevölkerung. Die Frage, ob die Durchführung großer Bauprojekte die Bevölkerungszahl betroffener Orte auf die Dauer vermehrt oder sie nur vorübergehend anschwellen läßt, wurde im Zusammenhang mit dem Bau von Atomreaktoren an der Wakasa-Bucht und der Fukushima-Küste bereits eingehend erörtert. Dabei bieten die Verhältnisse in diesen beiden Fällen noch die günstigsten Voraussetzungen; denn die Energie-Bauwirtschaft betreibt im Gegensatz zum Straßen-, Eisenbahn-, Tunnel-, Brücken- und Landgewinnungsbau eine an sich schon regional gegliederte, den Elektrizitätsgesellschaften angepaßte Arbeitsteilung (Tab. 43, Nr. 4 - 8 ) und kann sich im wesentlichen auf ihre Arbeitskräfte im
A. Die Bauindustrie
Ail
regionalen Bereich beschränken. Der Entschluß, mit der Familie in die Nähe der Baustelle zu ziehen und später dort wohnen zu bleiben, ist in solchem Falle ein Vorgang innerhalb der Region und hat keinen Einfluß auf das Arbeitsverhältnis innerhalb der Firma. Insofern wirkt die Struktur der Energie-Bauwirtschaft bremsend auf eine überregionale Mobilität der Bevölkerung ein; sie darf als ein Faktor im Bemühen um die Dezentralisierung von Bevölkerung gelten. Tabelle 43. Bedeutende Firmen der Bauindustrie, ihre Standorte und Belegschaften (Zusammengestellt nach Japan. Co. Handbook 1980) Firma 1. Taisei Kensetsu (T. Corporation) 2.
Ôbayashi Gumi
3.
Kajima Kensetsu
4.
Kantô Denki Koji Co (K. Electric Construction Co) Tôkai Denki Koji Co (T. El. Construction Co)
5.
Standorte
Beschäftigte 1980
Bemerkungen
Tòkyo, Ösaka, Nagoya u. a. (Sapporo, Sendai, Fukuoka, Hiroshima, Kanazawa) Ósaka, (Sapporo, Sendai, Nagoya, Okayama, Hiroshima, Fukuoka) Tokyo, Yokohama, Nagoya, Ösaka, Sendai, Sapporo Tokyo, Chiba, Tochigi, Sapporo
12 200
Zugeordnet ist Taisai Road Construction Co
Shizuoka, Iida, Okazaki, Nagoya, Gifu, Tsu, Nagano Ósaka, Hiroshima, Nagoya
7 500
9 810 12 380 8 980
6.
Kinki Denki Koji Co (K. El. Construction Co)
7.
Chûgoku Denki Koji Co (Ch. El. Construction Co)
Hiroshima, Ösaka, Tokyo
7 120
8.
Kyûshû Denki Koji Co (K. El. Construction Co)
Fukuoka, Ösaka, Tokyo
7 620
9.
Shimizu Kensetsu (Sh. Construction Co)
Tòkyo, Nagoya, Ösaka
7 460
10.
Taihei Kôgyô Co
6 040
11.
Kumagai-Gumi
Tòkyo, Nagoya, Ösaka, Hirohata, Yahata (Kitakyüshü) Fukui, Tokyo
12.
Sekisui Prefab. Homes Co
Ösaka, Tokyo
6 800
13.
Hazama Gumi Co
5 700
14.
Fujita Kôgyô (F. Corporation) Okazaki Kôgyô Co
Tòkyo, Sendai, Nagoya, ösaka, Fukuoka Tòkyo, Ösaka, Nagoya
5 380
Kitakyüshü, Tòkyo
4 420
15.
7 500
7 500
Zugeordnet ist Öbayashi Doro Besonderes: Hochhäuser, Atomkraftwerke In enger Zusammenarbeit mit Tokyo Denryoku In enger Zusammenarbeit mit Chübu Denryoku In enger Zusammenarbeit mit Kansai Denryoku In enger Zusammenarbeit mit Chugoku Denryoku In enger Zusammenarbeit mit Kyüshü Denryoku Gegr. 1803; gehört zu den 5 großen Unternehmen Vertragsfirma der Nippon Steel Co Bauaufträge aufgrund von Landbereitstellung Gegr. als Vertragsfirma der Sekisui Kagaku Kögyö Besonders Dammbauten Landentwicklungsprojekte In enger Verbindung mit Nippon Steel Co
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische Faktoren
438 Firma
Standorte
16.
Toyo Kensetsu (T. Construction Co)
Ösaka, Tokyo, Sapporo, Sendai, Singapore, Manila
1 880
17.
Yokogawa Kyoryo Seisakusho (J. Bridge Works) Maeda Kensetsu Kógyò (M. Construction Co) Maeda Doro (Maeda Road Construction) Nishimatsu Kensetsu (Nishimatsu Construction Co) Sato Kógyò Co Tekken Construction Co
Tokyo, Chiba, Ösaka
1 050
Tokyo, Nagoya, Ösaka, Sapporo Tokyo, Nagoya, Ösaka, Hiroshima, Fukuoka, Sendai Tokyo, Hiratsuka, Yokohama, Nagoya, Ösaka, Takatsuki, Hongkong Toyama, Tokyo Tokyo, Sapporo, Sendai, Nagoya, Ösaka
4 500
18. 19. 20. 21. 22.
Beschäftigte 1980
1 270 4 130
4 400 2 300
Bemerkungen Meeresbodenarbeiten; 1,8 Mio. m 2 Umetatechi b. Naruo Führender Brückenbauer, s. auch Nr. 18,19 Großaufträge von öffentl. Hand In Verbindung mit Nr. 18 Reg.-Aufträge für Tunnel, Eisenbahn, Dämme Tunnel- u. Dammbau Eisenbahnaufträge, Prefab. Housing
Die amtliche Klassifikation unterscheidet drei Typen von Baufirmen (2): 1. Firmen für den Hochund Tiefbau insgesamt, einschließlich für Umbau, Reparatur, Abbruch, Gebäudeversetzung; 2. Landesentwicklungsfirmen einschließlich des Kanalbaus, von Küstenbauten und Einrichtungen für die Schifffahrt; 3. Firmen zur Installation von Maschinen und Fabrikanlagen.
Die Auftraggeber und damit die Investoren sind sowohl private Unternehmer als auch die Öffentliche Hand (Staat, Ken, Städte, Körperschaften öffentlichen Tabelle 44. Bau-Aufträge nach Funktionsbereichen und Wert (in Mio. Y) in den Jahren 1965—1975 (Jap. Stat. Yb. 1977)
A. Errichtung von Gebäuden Büro- und Geschäftshäuser Fabriken, Warenlager, Kraftwerke Wohnungen öffentl. Gebäude (Schulen, Hospitäler, Verwaltung) Anderes B. Arbeiten der Landeskultur (Civil Engineering Works) Staudämme, Stauseen Eisenbahnen Agrikultur arbeiten Wasserversorgung, -entsorgung Landentwicklung Häfen Straßen Flüsse, Küsten, Erosionsbekämpfung Anderes
1965
1970
1973
1975
280 623 132 746 93 001
709 952 555 465 350 000
1 231 737 718 378 768 577
1 017 277 479 398 633 205
174 198 82 715
297 921 264 207
457 020 441 280
610 935 414 709
251 (401)
51 110 20 58 35 38 168 24 104
53 189 30 145 223 126 237 32 269
120 348 36 327 393 207 394 53 478
120 425 36 408 338 297 385 56 491
135 285 83 600 847 683 129 133 (371)
121 568 214 330 787 012 578 383 348
900 539 896 226 758 900 809 937 694
207 693 173 206 668 535 959 616 056
Erhöhung 1965-1975 in %
146 914 997 136 925 711 907 732 899
262 261 581
B. Die
Zementindustrie
439
Rechts). Von den privaten Unternehmern sind die Produktionsfirmen von fast gleicher Bedeutung wie die Handels-, Verkehrs-, Bank- und Versicherungsfirmen. Einen Auftrieb erhielt die Bauwirtschaft durch die seit 1970 auch in Regierungskreisen immer stärker gewordene Einsicht, daß neben den anhaltenden Bemühungen um die Erhöhung des Bruttosozialprodukts der Sorge um das Wohl der Bevölkerung wachsendes Gewicht gegeben werden müsse, ganz besonders dem Wohnungs- und Städtebau mit all den anhängenden Fragen der Ver- und Entsorgung und der Schaffung einer Umwelt, in der sich der Mensch so weit wie möglich wohlfühlt. Aus Tab. 44 ist ersichtlich, daß die Aufwendungen für den Wohnungsbau, die Wasserversorgung und Kanalisation im Jahrzehnt 1965-1975 um mehr als 500% stiegen und daß ihre absoluten Werte sogar jene für Fabrikanlagen übertrafen. Ein hoher Anteil an den Bauleistungen entfiel auf die Verkehrseinrichtungen, während sich auf den Sektoren Fabrikanlagen, Büro- und Geschäftshäuser nach 1973 eine leicht abnehmende Tendenz geltend machte.
B. Die Zementindustrie Wie dargestellt, wurden Eisen und Zement zu den wesentlichen Elementen der breit entfalteten Bauindustrie, die sich seit 1960 im Gegensatz zu den Rückschlägen, mit denen sich die Kernindustrien auseinandersetzen mußten, einer beständig zunehmenden Entwicklung erfreute. Von der Eisen- und Stahlindustrie wurde im 1. Abschnitt dieses Kapitels bereits gesprochen. I. Die Rohstoffbedingungen für die Zementindustrie Die Zementerzeugung gehört zu den wenigen Industriezweigen Japans, die ihre Rohstoffe aus dem Lande selbst beziehen. Die hochwertigen Kalksteine der Chichibuformation (Karbon, Perm), aber auch die weniger ergiebigen Kalksteine jüngeren Alters (Trias, Jura, Tertiär) sind auf den vier Hauptinseln reichlich vorhanden. Unter den etwa 400 Kalksteinwerken gibt es drei, die jährlich mehr als 1 Mio. t und 60, die jährlich 1 0 0 0 0 0 - 1 Mio. t Gestein brechen (6). Die größten Lagerstätten befinden sich bei Tsukumi (Öita), Funao, Kawara, Tsunemi, Karita (Fukuoka), Tosa (Köchi), Isa-Akiyoshi (Yamaguchi), Taishü (Tsushima Inseln), Fujiwara (Mie), Shiroiwa (Aichi), Hikawa (Tökyö-to), Chichibu und Minowa (Saitama), Taiheida (Ibaraki), Kuzüu (Tochigi), Takine (Fukushima), Öfunato (Iwate), Tsuruga (Fukui), Öumi (Niigata), Garo (Hokkaidö, Oshima) und Higashi Shikagoe (Kamikawa). Über 65% der gesamten Kalksteingewinnung werden von den Zementfabriken verarbeitet (Tab. 45). Gips, vorwiegend tertiären Alters, kommt in weitaus genügenden Mengen mit mehr als 40% S0 3 -Gehalt vor (Konzentrate 1975: 187100 t); in noch reicherem Maße aber wird das mittelwertige Gestein mit einem mittleren S0 3 -Gehalt von 35 % verwendet. Die fünf bedeutendsten der 28 über das Land verteilten Gipswerke liegen bei Wanibuchi, Udo und Iwami (Shimane), Noto (Ishikawa) und Yonaihata sowie Wakamatsu (Fukushima). Ton und Kaolin sind in allen Landesteilen erreichbar, wenn auch in sehr unterschiedlicher Menge und Qualität.
440
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische Faktoren
II. Die Standortfrage Da bis in die Jahre des Zweiten Weltkriegs hinein für die Herstellung von Zement vorwiegend Kohle als Brennstoff benutzt wurde, befanden sich die Standorte der Fabriken grundsätzlich dort, wo Kalkstein- und Kohlevorkommen zusammenfallen. In Nord-Kyüshü und in der Provinz Yamaguchi, d.h. im Raum um die Straße von Shimonoseki, sind aus diesem Grunde besonders viele Zementfabriken entstanden. Sie sind hier gleichzeitig günstig für den Export nach Südost-Asien gelegen (Abb. 35).
Abb. 35
Die geographische Verteilung der Zementindustrie,
1980
B. Die
Zementindustrie
441
In den Nachkriegsjahren hat der Faktor des Bedarfs stärkeren Einfluß auf die Standortwahl erhalten. Die im Krieg zerstörten Großstädte des Kansai und Kantö, der anfangs empfindlich spürbare Mangel an Transportmitteln, die sich ergebende Möglichkeit, den Brennstoff Kohle durch Heizöl zu ersetzen und die zunehmende Rationalisierung des Herstellungsverfahrens überhaupt wirkten zusammen, um auch die von der Kohle ferner liegenden Kalksteinbrüche zu Standorten von Zementwerken werden zu lassen (7). Für diese marktorientierten Fabriken (Kamiiso, Muroran), deren nördlichste in Hokkaidö stehen, wurde die Frage des Kohletransportes in besonderem Maße zweitrangig, als 1956 die Kohlenpreise im Zusammenhang mit der Rationalisierung der Bergwerke herabgesetzt werden konnten. Die allgemeine Umstellung der Industrie vom Brennstoff Kohle auf Öl schaltete den Faktor Kohle bei der Standortbestimmung eines Zementwerkes völlig aus. Im übrigen gelang es, die Transportkosten für Zement durch Verwendung von Waggons für losen Zement (bulk-carriers) und durch den Einsatz einer Tankerflotte zu erniedrigen. Heute zählen die von der Kohle fern liegenden Zementwerke von Öfunato, Chichibu (1 Mio. t!), Saitama, Tochigi, Hamamatsu, Osaka, Ibuki, Tsuruga mit einer Jahresleistung von je über 400000 t zu den leistungsfähigsten des Landes. Geradezu von einer Zementindustrielandschaft kann im Falle von Chichibu gesprochen werden; sie ist als Binnenlandschaft ein Gegenstück zu Tsukumi. Die beiden großen Zementwerke von Chichibu sind das Wahrzeichen der (1975) 6000 Einwohner zählenden Stadt, und die Bevölkerung lebt zum weitaus größeren Teil von der Zementproduktion. Dieser Industriezweig hat den ursprünglichen Charakter des Ortes als eines Mittelpunktes von Seidenindustrie überdeckt. Überdeckt aber sind auch die Dächer der Häuser mit weißem Zementstaub. Noch weit eindrucksvoller ist Tsukumi. Hier hat das ans Meer stoßende kalksteinreiche Gebirge gerade so viel Platz gelassen, daß zu beiden Seiten eines Bergrückens je ein größeres Zementwerk errichtet und die dazugehörige Bevölkerung angesiedelt werden konnte. Kalksteinbruch-WerkbahnZementfabrik-Verladung auf Schiffe im werkeigenen Hafen: Von dieser Produktions- und Transportachse wird diese enge, von weißem Zementstaub beherrschte und von grauweiß qualmenden Schornsteinen gekennzeichnete Küstenlandschaft nicht nur äußerlich geprägt, sondern sie teilt sich auch dem sozialen Gefüge der Bevölkerung und dem täglichen Rhythmus des Lebens mit. Die insgesamt 65 Betriebe erzeugten 1975 mit 65,5 Mio. t (1973: 78,1 Mio. t) fast 1000% an Zementmengen mehr als vor dem Kriege; ein Ausdruck für den gewaltigen Bedarf im Vorgang der Infrastrukturverbesserungen in allen Zweigen der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens. Es ist verständlich, daß die vielfachen Anforderungen, vor die sich die auf landeseigener Rohstoffgrundlage arbeitende Zementindustrie gestellt sieht, immer wieder Anreiz zur Errichtung neuer Fabriken gab und noch geben wird. Die Konzentration der Erzeugung auf nur wenige Firmen, die sich wie Onoda und Nihon Cement als Pioniere in diesem Industriezweig hervortaten, ist zugunsten einer Vielheit von Unternehmern zurückgegangen. Von der Erzeugung insgesamt entfällt auf die Firmen Nihon Cement, Sumitomo und Onoda (14,2%, 12,9% und 12,8 %) weniger als die Hälfte. Einige Firmen betreiben die Zementgewinnung nur nebenbei in Ergänzung der kombinatartigen Erweiterung ihrer Produktionen, wie dies in der Übe Kösan, im Yawate-Werk der Nippon Steel, in der Töyö Soda von
442
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische Faktoren
Shinnanyö oder auch im Niihama-Werk der Sumitomo Kagaku Kogyö der Fall ist. Bei ihrer Verteilung über den Archipel können die Zementwerke nicht zu jener Industrie gerechnet werden, die den Industriegürtel besonders belasten. Ihre Belegschaften bestehen im allgemeinen aus nur 300—400 Personen. Nur im Gebiet der Suö-nada und Bungo Suidö drängen sie sich so dicht zusammen, daß nicht nur ihre Arbeiterschaft zu Buch schlägt, sondern daß den Menschen auch Luftverschmutzung sowie Staubniederschlag auf Häusern und Vegetation zugemutet wird. Es ist selbstverständlich, daß den Werken von den Umweltschutzbehörden entsprechende Auflagen gemacht werden mußten (s. Abschnitt Kögai in Bd. 3).
Tabelle 45. Standorte der Zementwerke und Zementfirmen Zementwerk Onoda Tahara Fujiwara (Mie) Atetsu (Okayama) Ofunato Yawata Tsukumi (Oita) Kamiiso Saitama Nishitama Ösaka Itozaki Möji Kawara Yatsushiro Saeki Tosa (Köchi) Hachinohe Yotsukura Tochigi Hamamatsu Nanao Kokura Tamura Ösaka Ibuki Köchi Yokohama Ichikawa Chichibu Übe Isa Kurosaki Higashitani Kanda Yokose Tokuyama
Lage u. Nr. auf Abb. 35* SW Ki Ki SW N SW SW N K K Ki SW SW SW SW SW SW N N K Ki H SW SW Ki Ki SW K K K SW SW SW SW SW SW SW
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
26 27 28
29
1980
Firma Onoda Cement (gegr. 1881) Onoda Cement (gegr. 1881) Onoda Cement (gegr. 1881) Onoda Cement (gegr. 1881) Onoda Cement (gegr. 1881) Onoda Cement (gegr. 1881) Onoda Cement (gegr. 1881) Nihon Cement (gegr. 1884) Nihon Cement (gegr. 1884) Nihon Cement (gegr. 1884) Nihon Cement (gegr. 1884) Nihon Cement (gegr. 1884) Nihon Cement (gegr. 1884) Nihon Cement (gegr. 1884) Nihon Cement (gegr. 1884) Nihon Cement (gegr. 1884) Nihon Cement (gegr. 1884) Sumitomo Cement (gegr. 1907) Sumitomo Cement (gegr. 1907) Sumitomo Cement (gegr. 1907) Sumitomo Cement (gegr. 1907) Sumitomo Cement (gegr. 1907) Sumitomo Cement (gegr. 1907) Sumitomo Cement (gegr. 1907) Ösaka Yögyo Cement (gegr. 1917/1926) Ösaka Yögyo Cement (gegr. 1917/1926) Ösaka Yögyo Cement (gegr. 1917/1926) Ösaka Yögyo Cement (gegr. 1917/1926) Ösaka Yögyo Cement (gegr. 1917/1926) Chichibu Cement (gegr. 1923) Übe Industries Übe Industries Mitsubishi Cement Mitsubishi Cement Mitsubishi Cement Mitsubishi Cement Tokuyama Soda
C. Die keramische
Industrie
Zementwerk
Tonda (Yamaguchi) Tagawa Tsuruga Hitachi Kawasaki Karita Muroran Hikone Yahata Kokura Ömi Omuta Iwate Taga
443
Lage u. Nr. auf Abb. 35* SW SW H K K SW N Ki SW SW H SW N N
30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43
Firma
Toyo Soda Aso Industry Tsuruga Cement Hitachi Cement Daiichi Cement Hokoku Cement Fuji Cement Nozawa Asbestos & Cement Yahata Iron & Steel Yahata Chemical Electro Chemical Industries Electro Chemical Industries Tohoku Development Toa Cement (gegr. 1960)
* SW = SW-Japan; Ki = Kinki, Nôbi-Ebene u. Tôkaidô; K = Kantô; H = Hokuriku; N = Nord-Japan.
C. Die keramische Industrie Die Herstellung von Steinzeug und Porzellan im Sinne einer gewerblichen Wirtschaft reicht bis ins 13. Jh. zurück. Die Porzellanerzeugung erfuhr ihre erste Blüte in der frühen Tokugawazeit. Ortsnamen wie Arita, Hirado, Imari, Kagoshima (Satsuma-Porzellan) und Kutani-Yamashiro wecken seither die Vorstellung von vorzüglichem Porzellan. Dem Charakter der traditionellen Hausindustrie entsprechend, die bis zur Entwicklung auch von Manufakturen kam, sind etwa 80 % aller Produktionsstätten Kleinbetriebe von weniger als 30 Arbeitskräften. Sie beschränken sich auf die Herstellung von Vasen, Schalen, Tafelgeschirr und Fantasiewaren. Die Fukagawa Seiji in Arita ist Beispiel hierfür. Ihre Produktionsstätten fügen sich unauffällig in das Stadtbild ein, aber sie sind von sozialgeographischer Wirkung: Arita ist eine vom Keramikgewerbe bestimmte Kleinstadt (15000 Einw.). In Seto und Yamashiro bilden die Produktionsstätten mit ihren Beschäftigten eigene Ortsteile. Die keramischen Großbetriebe haben sich zunehmend der Belieferung des modernen Haus- und Wohnungsbaus zugewendet, insbesondere der Fertigung von Dachziegeln, von hygienischen Gegenständen (Waschbecken, Toiletten), von Fliesen und Isolatoren. Das trifft auch für die noch Porzellan produzierende Firma Noritake zu (2300 Beschäftigte), ausschließlich aber für die Ina Seito (4 300 Beschäftigte), die auf dem Boden des seit der Heianzeit bekannten Keramikzentrums Tokoname ihr Hauptwerk errichtet hat; auch die Shinagawa Refractories ist hier zu nennen, die seit ihrer Gründung 1903 führend in der Erzeugung feuerfester Schamottensteine geblieben ist (3000 Beschäftigte). Diese Großbetriebe und ihre Filialen haben, der Gunst des Absatzmarktes entsprechend, in der Tökai-SanyödöRegion ihre Standorte gesucht. Da ihre Belegschaften bei 2000—4000 liegen, leisten sie einen bemerkenswerten Beitrag zur Verdichtung der Bevölkerung in dieser Region.
444
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische
Faktoren
Schrifttumverzeichnis für das 6. Kapitel, 6. Abschnitt 1. Fujikawa, Minoru: World's 6 th Longest Suspension Bridge. In: Construction Industry Japan. Ed. by the Mainichi Daily News, 1963. S. 38. 2. (The) Industrial Bank of Japan: The Construction Industry. In: Surv. JFI, Vol. 25, 1973, 1. S. 2 6 - 4 7 . 3. Japan Company Handbook. Hrsg. Toyo Keizai Shimposha, Tokyo 1977 u. 1980. 4. Japan Statistical Yearbook 1977 5. Japan Travel Bureau: Japan. The New Official Guide. Tokyo 1975. 6. Kaneko, Katsu: Geology and Mineral Resources of Japan. 2nd Edition. Geol. Survey of Japan, Kawasaki 1960. 7. Kikuchi, Ichiro: Cement Plant Location in Japan. In: GRJ, Vol. 34, 1961, 7. S. 3 6 1 - 3 7 4 . 8. Mainichi Daily News: Construction Boom in Cities. In: Industries of Japan. Tokyo 1962. S. 6 5 - 6 7 . 9. (The) Mainichi Daily News: Construction Industry, Japan. Tokyo 1963. 10. Mainichi Daily News: Narita Airport. Ausgabe vom 28.4.1975. 11. Schwind, Martin: Historisch-geographische Grundthesen für die stadtgeographische Forschung in Japan. In: Erdkunde, Bd. 32, 1978. S. 3 0 0 - 3 0 1 . 12. Schwind, Martin: Allgemeine Staatengeographie. Berlin 1972. 13. Tokyo Metropolitan Government (TMG): Problem of Contructing an Incinerating Plant in Suginami Ward Solved. In: Tokyo Municipal News, Vol. 25, 1975, 4. S. 1 - 5 .
7. Abschnitt Die Textilindustrie A. Die Verdrängung der Textilindustrie aus der zentralen Stellung im japanischen Wirtschaftsgeschehen I. Die Schwächung der Konkurrenzfähigkeit im Außen- und Binnenhandel Die aus der Tokugawazeit überkommene Rohseidenerzeugung gehörte zu Beginn der Meijizeit zu den Devisenbringern, die der Industrialisierung Japans erste Hilfe gaben. Darüber hinaus hatte die Seidenhaspelei den Vorteil, daß sie sich als Gewerbe über das ganze Land, so weit der Anbau von Maulbeersträuchern betrieben wurde, verbreiten konnte. Sehr bald trat der Seidenerzeugung die importierte Baumwollindustrie zur Seite. Vor dem Zweiten Weltkrieg war die Textilindustrie, verstärkt durch die Kunstfaserindustrie, der bedeutendste Zweig der gewerblichen Wirtschaft Japans. Wie empfindlich sich diese zentrale Stellung abschwächte, macht der mit „Survival of Textile Industry" überschriebene Leitartikel in der Mainichi Daily News vom 13.12.1976 deutlich. Es heißt darin: Japans Textilindustrie, einst das schlagende Herz der nationalen Wirtschaft, steht heute in ernsten Sorgen, und der Ruf Japans als Lancashire des Ostens ist vergangen. Es gibt viele Pläne zur Wiederbelebung der schrumpfenden Industrie, die vor dem Kriege 60% des japanischen Exportvolumens stellte und heute einen Anteil von nur noch 5 % hat. Aber alle Pläne reiben sich an den hohen Lohnsteigerungen, die der internationalen Wettbewerbsfähigkeit abträglich sind, und an der Konkurrenz einer inzwischen hochentwickelten, mit billigen Arbeitskräften versehenen sowie mit modernen Maschinen ausgestatteten Textilindustrie in Taiwan, Korea und Hongkong, der es gelang, in Japans Außen- und sogar Binnenmarkt einzudringen. Wie groß die Sorge ist, mag daraus erhellen, daß die Textil- und Be-
A. Textilindustrie im japanischen
Wirtschaftsgeschehen
445
kleidungsindustrie über 1,5 Mio. Arbeitsplätze verfügt und nach der Zahl ihrer Beschäftigten noch immer zu den fünf größten Erwerbszweigen des Landes zählt. Auch ist die Produktionsleistung der Textilindustrie noch so beachtlich, daß Japan unter den Textilindustrieländern der Welt nach den USA und der SU an dritter Stelle steht. Nur ist der Rückgang unverkennbar und das Sinken der angesteuerten Produktionsziele wurde nur dadurch verlangsamt, daß der Binnenmarkt seit 1938, als die Textilindustrie in ihrer höchsten Blüte stand, in den 40 Jahren bis 1978 eine Erweiterung durch den Zuwachs von 45 Mio. Menschen bzw. 65 % erfuhr (s. Tab. 6). Für die Harmonisierung der gestörten Relationen zwischen Produktion und Nachfrage stellte der „Textile Industry Council" 1976 unter dem Titel „How a New Textile Industry Should Be" die Ursachen der kritischen Lage und die Maßnahmen zusammen, die für ihre Bekämpfung erforderlich seien (5,46—48). Für den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit werden u. a. genannt: 1. Binnenmarktfaktoren a) Erhöhte Herstellungskosten infolge der steigenden Löhne, mitbedingt durch die angestrengte Lage auf dem Arbeitsmarkt; b) Erhöhung der Herstellungs- und Absatzkosten infolge der geringen Koordinierung der einzelnen Produktionszweige; c) Verharrung auf der Erzeugung von „piain, low quality products" trotz der erhöhten Anforderungen durch den Verbraucher insbesondere des Binnenmarktes; d) die zu Kosten schlagenden Umweltschutzauflagen und die immer schwieriger gewordene Industriewasserversorgung. 2. Außenmarktfaktoren e) Die durch relativ niedrigere Löhne bei gleichzeitig starkem Produktionsanstieg aufgrund moderner Fabrikausstattung verstärkte Wettbewerbsfähigkeit der Nachbarländer Korea, Taiwan und Hongkong; f) die hohe Selbstgenügsamkeit der genannten Nachbarländer auf dem Sektor der Textilwirtschaft; g) das Verharren der japanischen Unternehmer auf dem Export von großen Warenmengen für den allgemeinen Verbrauch trotz der inzwischen gesteigerten Diversifikationswünsche in den Entwicklungsländern.
Obgleich mit diesen Feststellungen vordergründig bedeutende betriebswirtschaftliche Fragen angesprochen werden, sind einige von ihnen auch von geographisch hoher Relevanz. Dasselbe gilt von den empfohlenen Gegenmaßnahmen, aus deren Fülle die folgenden ausgewählt seien: h) Einberufung einer vorläufigen Versammlung für die Beratung struktureller Reformen; Gewährung von finanziellen Hilfen für die Durchführung von Strukturreformen; i) Freiwilliger Abbau von Überkapazitäten; j) Förderung der Standardisierung von Rohmaterial und Endprodukten sowie Gewährleistung von Qualitätskontrollen; k) Förderung einer diversifizierten Bekleidungsindustrie; 1) Modernisierung der industriellen Ausstattung; m) Bevorzugung des Gesichtspunktes der Qualität gegenüber dem der Quantität; dies gilt für die Herstellung der Ware wie für die Suche nach Absatzgebieten; n) Schaffung neuer Industrieparks und Entwicklung neuer Industriezweige; o) Verhinderung jedes gegen die Ordnung verstoßenden Imports; dem Staat wird empfohlen, das bewährte Überwachungssystem durch Führung einer Statistik über die vertraglich vereinbarten Importe weiterzuführen und die Daten nützlich anzuwenden.
Aus den Feststellungen und Empfehlungen, wie sie in den Punkten a—o enthalten sind, ergibt sich eindeutig, daß die Textilindustrie in den siebziger Jahren
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6. Kapitel:
Die einzelnen
Industriezweige
als geographische
Faktoren
aus dem Gros der Industrien ausschied, die aus dem Wirtschaftsgefälle zum übrigen ostasiatischen Raum ihre besonderen Vorteile zu ziehen vermögen. Im industriellen Strukturbild des Inselreichs bedeutet dies, daß die Textilindustrie in den Schatten der Eisen-, Stahl- und Chemieindustrie rückte. Das gilt auch für ihre kulturlandschaftlichen Funktionen, obgleich festgehalten werden muß, daß sie gemeinsam mit den übrigen Industrien einen hohen Anteil an der monoregionalen Industrieverteilung hat, an der das Inselreich krankt. Allerdings bedarf dieser Anteil einer Analyse; denn nicht alle Zweige der Faser- und Gewebeproduktionen haben den Monoregionalismus gestärkt.
II. Die Veränderungen in der Firmenstruktur Schon nach der ersten Entwicklung von Kunstseidenerzeugung auf japanischem Boden im Jahre 1918 - sie erfolgte durch S. K I M U R A in Yonezawa (Teikoku Rayon Co) — begannen die großen Baumwollfirmen Konkurrenz zu befürchten. Sie entschlossen sich um 1930, Kunstseide und Zellwolle in ihre Produktionsprogramme aufzunehmen. Die Reyonherstellung „war gerade zwanzig, die Zellwollindustrie noch keine zehn Jahre alt, als ihr output 1938 bereits 541 Mio. lbs. oder 28% der gesamten Weltproduktion betrug: Damit war Japan zum größten Kunstfaserproduzenten der Welt geworden" (2, 286). Trotz der schweren Zerstörungen durch den Krieg (8) war es der japanischen Textilindustrie bis 1955 sogar gelungen, den führenden Platz in der Welt wieder einzunehmen. Im Firmenaufbau vollzog sich aber ein bemerkenswerter Wandel. Hatten vor dem Krieg die großen Baumwollfirmen die Zellwoll- und Reyonherstellung noch weitgehend in sich aufnehmen können, so begannen diese Neulinge nach 1945 gemeinsam mit der Chemischen Industrie eine eigene Chemiefaserindustrie auf Synthese-Basis aufzubauen. Nach fünfjährigen Entwicklungsversuchen waren 1950 die Faserarten Nylon, Vinylon und Polyvinylchlorid produktionsreif. Der Konkurrenzwert der neuen „man-made"-Faser und Faserstoffe ließ es den Firmen der Naturfaserindustrie geraten erscheinen, ihre Produktionsprogramme zu erweitern und die Erzeugung synthetischer Faserstoffe zu integrieren. Das führte zum Zusammenschluß von Firmen, die damit den Markt mit möglichst breitem Angebot bedienen konnten. Auf diese Weise sind viele der vor dem Kriege bekannten Namen von Weltfirmen unsichtbar geworden. Eine zusätzliche Belebung erfuhren die Zusammenschlüsse mit dem Einsetzen der Absatzschwierigkeiten auf dem ostasiatischen Markt und mit der Liberalisierung der Textilindustrie 1970, deren Wirkungen sich schon in den Jahren vorher sichtbar machten: 1966 vereinigten sich in vertikaler Integrierung die Töyö Spinning Co (Synthet. Faser) und die Kureha Spinning Co (Baumwollspinnerei und -weberei) zur „Töyöbo"; 1969 schlössen sich die Nippon Rayon Co und die Nichibo Co zur UNITIKA zusammen (3,11). Die Firmen, die ihre Produktion auf nur eine Faser und deren Verarbeitung beschränkten, sind immer weniger geworden; sie sind auch in der Zahl der Beschäftigten hinter den Firmen mit integrierten Produktionen zurückgeblieben (vgl. Tab. 46). Der Integrierungsvorgang hat zugleich die Organisation der Firmen gestrafft und zu einheitlicher Erneuerung der Ausstattung beigetragen. Einige der weniger rentablen Standorte wurden aufgegeben.
Tabelle 46. Führende Firmen der Textilindustrie und ihre Standorte (1980), zusammengestellt nach Japan Company-Handbook 1980 Firma (Gründungsjahr)
Produktionsrichtung
Zahl d. Beschäftigten (Abnahme gegen 1974 in %)
A. Seidenindustrie 1. Katakura Kögyö (1920)
Spinnerei
1 863 -42% 481 -73%
Tomioka, Ómiya, Kumagaya, Nirasaki, Fukushima Wakayama, Kumamoto, Goto, Tatebayashi, Fukushima, Higo
6 134 -30% 4 509 -21%
Hamamatsu, Shimada, Fujieda, Toyama u. a. Hikone, Ògaki, Tsu, Fujinomiya, Nakatsugawa (Saitama)
3 073 -57%
Kakogawa, Innami (HyógoKen), Nakayama (ChibaKen), Gifu, Ichinomiya Ògaki, Kusu, Tomari (MieKen), Sennan Ichinomiya (Aichi), Kónan, Inazawa, Fuso
2. Kobe Kiito (1924)
B. Baum Wollindustrie 3. Nisshin Spinning (1907) (N. Böseki) 4. Ömi Kenshi (1917)
C. Wollindustrie 5. Nippon Keori (1896) (Japan Wool Textile)
Rohseide
Spinnerei Spinnerei
Spinnerei, Weberei Uniformen
6. Töa Wool Spinning & Spinnerei 2 273 Weaving Co (1941) Teppiche -45% 7. Hayashi Böseki (1947) Kammgarn (1977): 3 720 (H. Spinning) D. Chemiefaser- und integrierte Natur- und Chemifaser-Industrie (*) 8. Toray Industries (1926) Synth. Fasern 13 665 -42% 9. Toyobo Co* (1914) Natur- u. Chemiefaser13 145 (Toyo Bóseki) Textilien -44% Woll- u. Polyesterfasern 10. UNITIKA* (1969) 6 547 (Fusion von Nichibo u. -60% Nippon Rayon) 11. Asahi Chemical Industry Integr. synthet. Faser13 466 (1931 A. Kasei Kógyò) produktion, größter Acryl- -26% Faser-Erzeuger 12. Kanebo (1944) Spinnerei für Natur- und 5 395 synthet. Fasern -73% 13. Teijin (1918) Größter Polyesterher7 247 steller, synthet. Fasern -39% 14. Kuraray Co (1926) Größter Vinylonher5 126 (ehem. Kurashiki Rayon) steller, Synthet. Fasern -54% 15. Kurabo Industries Naturfasern, Synthet. 5 732 (Kurashiki Bóseki, 1888) Fasern -27% 16. Gunze (gegr. 1896) Hersteller von 6 431 Textilwaren -11% 17. Fuji Bóseki (1896) Baumwoll- u. Synth. 4 300 (Fuji Spinning Co) Faserprodukte -42% E. Firmen spezieller Textilprodukte 18. Teikoku Sen-i (1950) Leinen u. Fasern aus 432 Gemisch von Flachs u. -63% Synth. Fasern 19. Nitto Seimo (1910) Fischnetze (nahezu 1 015 Monopol) -7% 20. Nitto Bóseki (1923) Glasfasern 5 777 -20%
Standorte
Nagoya, Seta, Yawatahama u. a. Nagoya, Inuyama, Iwakuni, Tsuruga u. a. Okazaki, Uji
Nobeoka, Mizushima, Moriyama, Fuji, Kawasaki Nagano, Matsusaka, Hikone Sumoto, Saidaiji, Toyama Matsuyama, Mihara, Tokuyama Kurashiki Okayama, Saijó, Maruoka Anjó, Kurashiki, Okayama, Tsu, Höjo, Hirakata Kyoto, Miyazu, Utsunomiya Öyama, Óita u. a.
Ògaki, Iwata, Kanuma Fukuyama, Takaoka Fukuyama, Itami, Köriyama, Wakayama, Suzuka, Shizuoka, Niigata, Fukushima, Chiba
448
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische
Faktoren
Im übrigen ist durch die Hinwendung vieler Naturfaserwerke wie auch vieler Chemiewerke zur Erzeugung synthetischer Faserstoffe eine scharfe Trennung zwischen Textil- und Chemie-Industrie nicht mehr möglich. Deshalb finden sich auch in Tab. 46 fast alle die integrierten Chemiefaserfirmen wieder, die schon in Tab. 41 genannt wurden.
B. Die einzelnen Industriezweige I. Die Seidenindustrie Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts entwickelte sich eine Arbeitsteilung derart, daß die Seidenspinnerei von Großfirmen mit weithin über das Land verteilten Teilbetrieben besorgt wird, die Seidenweberei sich aber in Klein- und Mittelbetrieben vollzieht oder gar als Heimindustrie erhalten ist. Dabei geht das Seidengarn des Großunternehmers vornehmlich ins Ausland, und auch seine Webstoffe, soweit er sie gleichzeitig erzeugt, sind für den Export bestimmt. Die Webstoffe des Klein- und Heimbetriebes dienen dem heimischen Bedarf. Es fällt aber auf, daß sich ein Seidengarnbetrieb nach dem anderen auf die Herstellung von „manmade"-Fasern umstellte und daß selbst die größeren Firmen die Zahl ihrer Beschäftigten wesentlich senkten, ein Vorgang, der nach 1973 besonders deutlich wurde. Die in Tab. 46 genannten größten Firmen stießen seither bis zu 70% ihrer Beschäftigten ab. Die klassische Seidenweberei von Nishijin in Kyoto hat sich erhalten können, obgleich auch ihre Produktion zur Mitverwendung synthetischer Fäden griff. Immerhin entfallen auf Nishijin Öbi gegen 65% des Öbi-Marktes. Die 1975 erzeugten 7 Mio. t Öbi erzielten einen durchschnittlichen Preis von 200 DM (Mainichi Daily News, 15.12.1975). Im Kantö hat sich die Seidenerzeugung in Chichibu (9), auf der Japanmeerseite in Tökamachi (Echigo) erfolgreich erhalten können. II. Die B a u m Wollindustrie Sie ist eine der für Japan typischen, auf Import und Export angewiesenen Industrien. Da der landeseigene Baumwollanbau schon während der Meiji-Zeit aufgegeben wurde, unterlag die Standortwahl für die Fabriken demselben Drang zum Hafenplatz wie die der Schwerindustrie und Chemischen Industrie. Die TökaiSanyödö-Region ist auch von der Baumwollindustrie maßgeblich mitentwickelt worden, dies um so mehr, als sie in den urspünglich rein bäuerlichen Ebenen im Hinterland der Häfen die Massen der weiblichen Arbeitskräfte erfassen konnte, die geradezu auf Verdienstmöglichkeiten warteten. Im Zusammenhang von Hafengunst, Binnen- wie Außenmarkt und Arbeitskraftreserven konnte sich auch das für Japan charakteristische Miteinander von Großbetrieben, mittleren und kleinen Auftrags- und Zulieferbetrieben entwickeln, das förmlich einen Industrieschleier über jede der Ebenen legte. Drei Distrikte zeichnen sich ganz besonders durch die Häufigkeit von Baumwollwebereien aus: 1. Sennan, das ist der südliche Küstenbezirk von Ösaka-fu; 2. Chita, das Gebiet des Tokaidö zwischen Nagoya und Toyohashi; 3. Enshü, der Küstenstreifen am Tökaido zwischen Hamamatsu bis Shizuoka.
B. Die einzelnen
Industriezweige
449
In diesen drei Räumen befinden sich 50 % des Potentials der Baumwollweberei, in Tab. 46 ausgewiesen durch Standorte der Firmen 3, 4, 8, 12 und 15, ergänzt durch Standorte der Toyoda Böshoku (Kariya, Gifu), Kowa Böseki (Matsusaka, Könan), Daitö Böshoku (Suzuka) u.a. Da die Arbeitsvorgänge in der Textilindustrie leicht teilbar sind, konnten durch Errichtung von Zweigbetrieben auch die weiblichen Arbeitskräfte in Ura-Nippon beschäftigt werden. Neben den genannten Baumwolldistrikten bildeten sich ähnliche Verdichtungen in Hokuriku (Fukui, Kanazawa, Toyama) und in Sanin-dö aus (Izumo, Yonago, Tottori). Noch in den Jahren nach 1960 hat die Verwaltung von Ishikawa-Ken ausdrücklich Weberei in die Gemeinden der Noto-Halbinsel gezogen (1), um den bäuerlichen Haushalten eine Nebenverdienstmöglichkeit als Ersatz für die unrentabel gewordene Holzkohlengewinnung und für die aufgegebene Küstenfischerei anzubieten. Es handelt sich dabei um die Errichtung von Kleinbetrieben. Eine Vorstellung von der Betriebsstruktur der Textil-, insbesondere der Baumwollindustrie, die schon Betriebe von 20—50 Personen als erwähnenswert erscheinen läßt, gewinnt man durch einen Blick auf die Statistik. Im Jahre 1974 zählte man 111809 Textilbetriebe insgesamt; 86% beschäftigten weniger als 10 Personen. Sie sind Teil des landschaftlich kaum sichtbaren Industrieschleiers, der von den wenigen Zentren aus rundum ausgeworfen erscheint: 104000 Klein- und Kleinstbetriebe von weniger als 20 Arbeitskräften ergänzen die Arbeit von knapp 8 000 Betrieben von 20 und mehr Personen. Aus dieser Struktur wird die zentrale Stellung der in Tab. 46 genannten Firmen deutlich, die 4000—7000 Personen beschäftigen. An der Vielzahl der Kleinbetriebe haben die Naturfaser verarbeitenden Werke einen größeren Anteil als die Chemiefaser verarbeitenden. III. Die Wollindustrie Die Wollindustrie Japans entstand aus dem Bedürfnis, Kleidungsstücke in europäischer Art herzustellen. Von Haus aus war Wolle infolge des absoluten Fehlens der Schafhaltung nahezu unbekannt. Der Anlaß zum Bau der ersten Fabrik - Sie stand in Tokyo — war 1876 durch die Notwendigkeit gegeben, für die nach westlichem Muster aufgebaute Wehrmacht Uniformstoffe zu weben. Die Erfolge waren keineswegs ermutigend, da die technischen Kenntnisse noch zu gering und die ausländische Konkurrenz noch zu groß waren. Selbst die Impulse, die die Wollindustrie durch den Krieg mit China (1894) und mit Rußland (1904) erhielt, vermochten ihr keinen durchschlagenden Erfolg zu sichern. Zum eigentlichen Geburtsjahr der japanischen Wollindustrie wurde 1930, nachdem die übrige Textilindustrie, die chemische Industrie und eine Reihe von Nebenindustrien genügend Förderung erfahren hatten. Es war deshalb nahezu selbstverständlich, daß sich auch die Wollindustrie standortmäßig dort ansiedelte, wo man über Erfahrung auf technischem Gebiet verfügte und zugleich die importierte Wolle aus erster Hand bekam. Beides traf nur in der Tökai-Sanyödö-Region zu. Der Betriebsstruktur nach entwickelte sie sich wie alle anderen Industrien: Die wenigen großen und kapitalkräftigen Firmen sind umschwärmt von vielen kleinen und kleinsten Vertragsfirmen und Zulieferern. Die in Tab. 46 enthaltenen Firmen beschäftigen je 2000—3000 Personen; noch 1974 lagen die Zahlen der Beschäftigten bis zu 4 0 - 6 0 % höher. Dies ist nicht nur Folge der verstärkten Rationalisierung und des
450
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
als geographische
Faktoren
verbesserten Maschinenparks, sondern auch des Rückgangs von Produktion und Auslieferung (5). Die Zahl der Webstühle sank im Zeitraum 1971 — 1976 von 35900 auf 32100 ( - 1 0 , 6 % ) , die des erzeugten Tuchs von 532400 m 2 auf 364200 m 2 ( - 3 1 , 6 % ) . IV. D i e Reyon- und Zellwollindustrie Mit besonderer Aufmerksamkeit hatte man vor dem Kriege die Entwicklung der Kunstfaserindustrie verfolgt, weil man hoffte, die Handelsbilanz durch Senkung der Rohbaumwoll- und Wolleinfuhren in dem Maße entlasten zu können, in welchem die traditionellen Textilwaren von neuen Stoffen ersetzt werden konnten. Man hatte das rasche Emporwachsen der japanischen Kunstfaserindustrie als Wunder bezeichnet. Es lag darin, daß sich die großen Baumwollspinnereien dem Zellstoff und der Kunstseide zugewandt hatten und Kapital für den Bau und die Einrichtung von Fabriken freimachten (s. o.). Die Rohstoffgrundlagen besaß Japan vor allem in seinen Außengebieten, wie in den Wäldern Süd-Sachalins und Taiwans, die nach dem Kriege nicht mehr zur Verfügung standen. Die in Tab. 46 unter den Ziffern 9, 11 und 14 genannten Firmen aus der Vorkriegszeit sowie die 1950 neu gegründeten Mitsubishi Rayon Co und Toho Rayon Co mit ihren Standorten vornehmlich in Aichi und Gifu bilden den Kern dieses Industriezweiges. Da die Firmen ausnahmslos eine Integrierung mit anderen Zweigen der Textilindustrie anstrebten (s.Tab. 46, D), tritt die Reyon- und Zellwollerzeugung nur statistisch als eigener Industriezweig auf, und selbst hierbei wird z.T. von einer eigenen Behandlung abgesehen, wenn man die Kunstfaserindustrie unter der Kategorie von „manmade-fibre" zusammenfaßt. Tabelle 47. Produktion an Garn 1966-1978 Insgesamt 1 000 t 1966 1970 1972 1974 1976 1978
1 2 2 1 2 2
708 190 197 846 039 202
Naturfasergarne 1 000 t % 830 844 844 676 712 578
(nach 5)
1 000 t
48,6 38,5 38,4 36,6 34,9 26,3
392 398 323 238 230 214
Reyongarn % 22,9 18,2 14,7 12,9 11,3 9,7
Synthetische Fasergarne 1 000 t % 485 948 1 030 932 1 097 1 410
28,5 43,3 46,9 50,5 53,8 64,0
V. Die Industrie synthetischer Fasern Die Entwicklung der synthetischen Faserindustrie erfolgte während des Zweiten Weltkrieges auf der Basis der einheimischen Roh- und Hilfsstoffe Kalkstein, Kohle und Wasserkraft. Das Entwicklungsprogramm für vollsynthetische Faserstoffe, mit deren Produktion man allmählich den Import von Rohbaumwolle zu drosseln hoffte, sah für die Nachkriegsaufbaujahre 1952-1957 eine versechsfachte Erzeugung vor. Mit jährlich 90 Mio. lbs an Vinyl, Nylon und anderen synthetischen Faserstoffen hoffte man fast 5 Mio. Devisen einsparen zu können. Die Produktion von Naturfaserstoffen erhielt damit eine Konkurrenz, die aber glücklicherweise von den großen Firmen intern aufgefangen wurde. In Tab. 46 weisen dies die
A. Die Entwicklung
bis zum Zweiten
Weltkrieg
451
Nr. 8—17 aus. Im Verlauf der sechziger Jahre, ganz entschieden aber 1970, war die Produktion von Naturfasern von der Konkurrenz überrundet worden; seit 1974 entfallen auf die synthetischen Fasergarne mehr als 50% der gesamten Garnerzeugung (s.Tab.47). Es ist für die japanische Textilindustrie trotz der vielen erfolgreichen Versuche, ihre Standorte über das Land zu streuen, ebenso charakteristisch wie für Schwer- und Chemie-Industrie, daß nur jene Werke zu bedeutender Entwicklung kamen, die unmittelbar am Import-Exportgeschehen teilzunehmen vermögen, sei dies am Seeverkehr, am Binnen- oder Außenhandel. Den Vorteil solcher Lage haben die Textilwerke der Firmen 8—17 (Tab. 46) an folgenden Plätzen erfolgreich genutzt: Nobeoka, Öita, Tokuyama, Iwakuni, Mihara, Kurashiki-Mizushima, Matsuyama, Matsuzaka, Tsu, Nagoya, Kawasaki, und in Hokuriku Miyazu, Tsuruga und Toyama.
Schrifttumverzeichnis für das 6. Kapitel, 7. Abschnitt 1. Anno, T. u. Y. Okuyama, K. Kogo, S. Göda, H. Takeda: The Foundation and its Background of Weaving Industry in Oku-Noto, Ishikawa Pref., During the 1960's. In: GRJ, Vol. 45, 1972, 10. S. 6 7 9 - 7 0 2 . 2. Hax, Karl: Japan. Wirtschaftsmacht des Fernen Ostens. Köln 1961. 3. (The) Industrial Band of Japan: Textiles. Japanese Industries 1968. 4. (The) Industrial Bank of Japan: The Japanese Wool Industry. In: JFI, Vol. 4, 1952, 1. S. 1 - 7 . 5. (The) Industrial Bank of Japan: Textile Industry. In: JFI, 1977, Nr. 36. S. 1 7 - 4 8 . 6. Japan Company Handbook, Hrsg.: Toyo Keizai Shimposha (The Oriental Economist), Tokyo 1977 u. 1980. 7. (The) Kureha Textile Review, Vol. 2, Nr. 1 - 3 , 1952. 8. Schwind, Martin: Japan. Zusammenbruch und Wiederaufbau seiner Wirtschaft. Düsseldorf 1954. 9. Ueno, Kazuhiko: Structural Change of the Weaving Industry in Chichibu, Saitama Prefecture. In: GRJ, Vol. 46, 1973, 6. S. 3 9 7 - 4 0 7 . 10. Winkelmann, Hans-Ernst: Seide aus Japan. Deutsch-Japanisches Wirtschaftsbüro, Hamburg 1965.
8. Abschnitt Die Papierindustrie A. Die Entwicklung bis zum Zweiten Weltkrieg Die Erziehungsreform der Meiji-Zeit beseitigte das Analphabetentum und regte zu einem vielfältigen Veröffentlichungswesen an: Zeitungen, Schulbücher, Magazine und Zeitschriften, Bücher, (darunter viele Übersetzungen aus europäischen Sprachen) und Werbeschriften wurden dringend gefragt. Die traditionelle Erzeugung von „washi", dem handgeschöpften Papier, noch heute weit verbreitet, war diesem Ansturm nur in den ersten Jahren der Meiji-Zeit gewachsen; es mußte Papier importiert und schließlich auch im Lande selbst durch Einführung westlicher Produktionsverfahren gewonnen werden. Die erste Papierbrei- und Papierfabrik wurde von der Oji Paper Mfg Co. 1889 bei Shizuoka errichtet. Nachdem SüdSachalin durch den Vertrag von Portsmouth 1905 unter dem Namen Karafuto japanisch geworden war, verfügte man über so reiche Reserven an Tannen und Fichten, daß man an den Aufbau einer leistungsfähigen Zellstoff- und Papierindustrie gehen konnte. Im Jahre 1935 arbeiteten in Karafuto 9 Fabriken; sie
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische
452
Faktoren
haben entscheidend dazu beigetragen, daß Japan noch vor dem Zweiten Weltkrieg zu einem der bedeutendsten Zellstofferzeuger der Erde wurde (14,20). Mit Kriegsende gingen das Holzland und seine Fabriken an die Sowjetunion verloren. Bei gleichzeitiger Teilzerstörung von Werken auf den Hauptinseln konnten nur noch 16% der Vorkriegsproduktion an Papier geleistet werden. Nachdem die Produktionsbeschränkungen von der Besatzungsmacht aufgehoben worden waren, erholte sich die Papierindustrie sprungartig. Eine Reihe neuer Firmen, auch solcher, die nach der Zaibatsu-Entflechtung neu zu gründen waren (Tab. 48, Nr. 6, 7), entstanden um 1950 mit dem Erfolg, daß die Erzeugung schon 1955 die Schwelle von 1 Mio. t überschritt. Seit 1960 gehört Japan zu den größten Zellstoffund Papiererzeugern der Erde. Tabelle 48. Führende Pulp- und Papierfirmen und ihre Standorte (nach J. Company Handbook 1980) Name (Gründungsjahr)
1980
Beschäftigte
Standorte
1 Daishowa Seishi (1938) 2 Honshü Seishi (1949) 3 Jujö Seishi (1949)
4 336 4 468 5 683
4 Kanzaki Seishi (1948)
2 789
5 Mitsubishi Seishi (1898)
3 559
6 ö j i Seishi (1972, 1949)
6 405
7 Sanyö-Kokusaku Pulp (1946)
5 259
Fuji, Shiraoi, Yoshinaga, Suzukawa u. a. Fuji, Edogawa, Nakatsu, Kushiro, Iwabuchi u. a. Fushiki, Ösaka, Yatsushiro, Kushiro, Ishinomaki, Akita u. a. Kanzaki (Amagasaki), Anan (Tokushima), Tomioka Takasago, Tokyo, Nakagawa u. a. Shirakawa, Kitakami, Hachinohe Tomakomai, Ebetsu, Kasugai (Aichi), Nichinan, Yonago (nach 1977 Fusion mit Nippon Pulp) Iwakuni, Götsu (Shimane), Asahikawa Shimada, Yokoi Niigata, Nagaoka, Katsuta, Ichikawa Shimizu, Shingü, Mochimune Sendai, Nomachi Tokyo, Matsudo, Ösaka, Köchi
8 Tökai Pulp Kögyö (1907) 1 245 9 Hokuetsu Seishi (1907) 1 674 10 Tomoegawa Seishijo (1917) 1 948 11 Chüetsu Pulp Industry (1947) 1 294 12 Nippon Shigyo (1913) 1 195 Anm.: Die Nr. 1 - 8 gelten als die repräsentativen Firmen
B. Die Rohstoffgrundlage und die Fabrikstandorte I. Der Weg zur Importabhängigkeit 1. Die landeseigenen Grundlagen Die baumbestandene Fläche Japans wird für 1975 mit 24,5 Mio. t ha angegeben. Das sind 6 6 % des Landes 1 . Die japanischen Inseln sind Waldland (vgl. Bd. 1, S. 353 ff.), weshalb man erwarten sollte, für eine diversifizierte Papierindustrie sollten die heimischen Holzvorräte ausreichen. Wenn dieser Hinweis volle Berechtigung hätte, würde der Innovationseffekt, den der Holzreichtum Karafutos auslöste, sehr befremdend gewesen sein. In Wirklichkeit suchte die Papierindustrie nur nach Tannen- und Fichtenholz. Da SW-Japan von immergrünen Laubwäldern und die weitaus größten Teile Mittel-Japans von sommergrünen Laubwäldern bestanden sind, bieten sich nur die Gebirge von Töhoku und Hokkaidö als Nadel1 Waldoberfläche sind 69 %
453
B. Die Rohstoffgrundlage und die Fabrikstandorte
holzlieferanten an: Sie gehören zur subalpinen Nadelwald-Höhenstufe, die auf der Japanmeerseite Töhokus infolge der langdauernden Schneedecke nicht zur Entwicklung kommt und auf der pazifischen Seite die Höhen von 1200—1660 m einnimmt (s. Bd. 1, S. 380), während sie Hokkaidö ostwärts der KuromatsunaiFurche in Höhen von 6 0 0 - 1 2 0 0 m voll beherrscht. Gegenüber Karafuto, wo die Nadelwaldstufe bis zu den Küstenebenen herabsinkt, das Holz demnach unmittelbar hinter den Fabriken schlagbar war, mußte eine Holzindustrie in Hokkaidö bereits benachteiligt sein. Dennoch gab es schon Papierfabriken in Hokkaidö und vereinzelt auch im übrigen Japan; sie arbeiteten jedoch weniger rentabel. Nach dem Kriege rückte für die Papierindustrie Hokkaidö in die Stelle Karafutos ein. Für alle Waldgebiete der vier Hauptinseln gilt, daß sie infolge der steilen Kerbtalhänge schwer zugänglich sind (s. Abb. 110, Bd. 1) und daß deshalb viele Holzgebiete noch nicht inwertgesetzt werden konnten. Im übrigen fördert gerade der Holzeinschlag in diesen Gebieten ein nicht gewünschtes Maß an Bodenerosion, wodurch selbst in Regionen geringerer Höhen, wie in Chügoku, irreversibler Schaden verursacht werden kann (Bd. 1, S. 398). Schon in den fünfziger Jahren erfuhr die angespannte Rohstofflage eine bedeutende Erleichterung. Der technische Fortschritt erlaubte, auch Rotkiefer (Pinus densiflora) und Holz von Laubbäumen für die Herstellung von Papierzellstoff zu verwenden (3, 5). Das lenkte die Aufmerksamkeit auf das Chügoku-Gebirge, wo man mit intensiver Aufforstung begann. Tabelle 49. Herkunft des Pulp-Holzes nach Menge und Art, (in 1000 cbm u. %) Jahr Pulpwood Needle-Leaf Trees Domestic Foreign Broad-Leaf Trees Domestic Foreign Total Purchased Chips Needle-Leaf Trees Domestic Foreign Broad-Leaf Trees Domestic Foreign
1960
1974
1970
4,611 4,437 174 3,565 3,546 19
(41,1) (39,6) (1,5) (31,8) (31,6) (0,2) 8,176 (72,9) 2,083 (18,6) 2,083 (18,6)
2,552 (9,1) 2,404 (8,6) 148 (0,5) 4,574 (16,4) 4,163 (14,9) 411 (1,5) 7,126 (72,9)
Total Grand Total
3,039 (27,1) 11,216(100,0)
(32,3) (17,4) (14,9) (42,2) (40,2) (2,0) 20,814 (27,1) 27,940(100,0)
Import Ratio
1,,7
19, 0
956 956
1960-1975
(8,5) (8,5)
9,018 4,846 4,172 11,796 11,223 573
2,164 (6,1) 1,919 (5,4) 245 (0,7) 2,848 (8,0) 1,861 (5,2) 987 (2,8) 5,012 (14,1)
1975 Schätzung
1,640 1,580 60 1,630 1,100 530
(5,5) (5,3) (0,2) (5,4) (3,7) (1,8) 3,270 (10,9)
30,509 (85,9) 35,521(100,0)
(45,3) (17,4) (27,9) (43,8) (31,9) (11,9) 26,730 (89,1) 30,000(100,0)
39, 6
41, 8
14,409 5,511 8,898 16,100 12,178 3,922
Quelle: Pulp and Paper Statistical Report. Aus: JFI, 1976, Nr. 32. In Klammern die Prozentsätze innerhalb der Sachgruppen
(40,6) (15,5) (25,0) (45,3) (34,3) (11,0)
13,580 5,210 8,370 13,150 9,570 3,580
454
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische
Faktoren
2. Der Import an Holz und Pulp Die Produktiönssteigerung in den Fabriken erhöhte den Bedarf an Holz und Pulp derart, daß die landeseigene Erzeugung durch Importe ergänzt werden muß. Die Importabhängigkeit betrug 1969 bereits 16,4%; sie stieg bis 1975 auf 42% (s. Tab. 49). Herkunftsländer sind in erster Linie Kanada und die USA. Schon 1951 hatten sich japanische Unternehmer um die Möglichkeiten für den Import von Pulp und Holz in Form von Chips aus Alaska bemüht. Es kam zur Errichtung des ostwärts Sitka gelegenen Werks der Alaska Lumber & Pulp Co, das 1960 die
Abb. 36
Die Herkunft des Pulp-Holzes
nach Menge und Art, 1960-1975.
Nach JFI, 1976, Nr. 32
B. Die Rohstoffgrundlage
und die
Fabrikstandorte
455
Produktion aufnahm (4, 9). Für die Verschiffung des Materials bedient man sich seither spezieller Chip-Carrier, die für den Nordamerika-Verkehr schon 1970 zu einer Flotte von 25 Einheiten herangewachsen war. Auch mit Brasilien und den pazifischen Staaten wurden Lieferungsverträge geschlossen. Die Verhandlungen über die Holzlieferungen aus der Sowjetunion haben zu noch keinem endgültigen Ergebnis geführt. Da die heimische Produktion die Verwendung von Laubbaumhölzern ins Übergewicht gebracht hat, bevorzugt man für den Import zum Ausgleich Tannen- und Fichtenholz (Tab. 49). Die Erhöhung der Importabhängigkeit ist infolge der bereits überforderten heimischen Waldvorräte wahrscheinlich (Abb. 36).
Abb. 37 Die geographische Verteilung der Pulp- und Papierfabriken, Pulp and Paper Statistics 1979
1979. Nach: Japan Paper /Iis.,
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige
Bild 35 Die Papierfabrik Jöho, 1979
von Fuji-Yoshiwara
als geographische
an der Küste vor dem Fujisan. Aufn. d. Kokusai
Faktoren
Kyöiku
II. Die Standorte (Abb. 37) 1. Die räumlichen Industriekerne Mit der Nutzung von Koniferenholz der subalpinen Waldregion und von Rotkiefernholz und Laubbaumhölzern bis in Küstennähe hat sich das Standortangebot für die führenden Pulp- und Papierfabriken über den ganzen Archipel hinweg erweitert. Der Import von Pulp und Chips hat sich auf die Überlegungen für die Standortbestimmung neuer Fabriken nicht entscheidend, aber in einzelnen Fällen regulierend ausgewirkt. Insgesamt kann für den Sektor der Papiererzeugung von einer wirtschafts- und sozialgeographisch günstigen Streuung der Betriebe über das Land festgestellt werden. Als Regionen von stärkerem Fabrikbesatz dürfen angesprochen werden: 1. Hokaidö; 2. Ost-Töhoku; 3. Hokuriku; 4. Tökaidö; 5. Kansai und Chügoku; 6. Süd-Kyüshü; 7. Süd-Shikoku. In Tab. 48 sind für jede der Regionen repräsentative Fabriken enthalten, für Region 1: Tomakomai2, Ebetsu, Asahikawa, Kushiw, 2: Hachinohe, Kitakami, Shirakawa; 3. Niigata, Nagaoka, Fushiki (Takaoka); 4. Tokyo, Fuji, Shimizu, Shimada, Nakatsu, Kasugai; 5: Osaka, Amagasaki, Takasago, Iwakuni, Yonago, Götsu\ 6: Nichinan, Yatsushiro; 7: Anan, Köchi. Alle diese Standorte stellen aber nur die Kerne für ganze Schwärme von Mittel-, Klein- und Kleinstbetrieben dar. Erweitert man die Liste der 12 Großfirmen um die vier weiteren von mehr als 800 Beschäftigten, so rechnen sich 43000 in 2 U n t e r Nutzung der Hafengunst stehende Standorte sind kursiv gedruckt.
C. Das traditionelle Gewerbe für handgeschöpftes
Papier
457
Großfirmen beschäftigte Personen auf: das aber sind nur 15 % aller in der Papierindustrie tätigen Menschen. Auf sie entfielen 1973 ebenso viele Anteile der Produktion insgesamt. Das bedeutet: Neben den wenigen Großfirmen - es sind insgesamt 62 Betriebe von 500 bis über 1000 Personen — bestehen 17000 Betriebe mit insgesamt 275000 Personen (9). 2. Die Standorte der Mittel-, Klein- und Kleinstbetriebe Wie an den Beispielen der Stahl-, Auto- und Elektronikindustrien dargelegt, ist für alle Produktionszweige Japans, so auch für die Papierindustrie, die Zusammenarbeit mit Verbindungsfirmen (Kanrengaisha) verschiedener Gradstufen bis hinab zum Familien- und Ein-Mann-„Betrieb" charakteristisch. Die Statistik (9) zählte für die „Pulp-, Papier- und Hilfsindustrien" im Jahre 1974 insgesamt 17284 „Betriebe". Davon bestanden nahezu 5 0 0 0 (27%) nur aus 1 - 3 Personen, rd. 7 0 0 0 (40%) aus 4 - 9 Personen. Rechnet man die Kleinbetriebe mit 1 0 - 1 9 Personen hinzu, dann entfallen auf diese landschaftlich kaum sichtbaren Arbeitsstätten mehr als 80 % aller Niederlassungen der Papierindustrie.
Um so deutlicher stellen sich die Groß- und Mittelbetriebe mit mehr als 300 Personen dar, die sich in den 7 Kernregionen der Papierindustrie zusammendrängen, wobei nur wenige inselartig abseits stehen, um den Holzreserven näher zu sein, wie dies für die Standorte Shingü und Nikkö zutrifft. Die Groß- und Mittelbetriebe sind umschwärmt von der Vielzahl der Zulieferbetriebe. Textil- und Papierindustrie leisten den bedeutendsten Beitrag für eine Industrialisierung der Außenflügel des Archipels; beide haben eine entscheidende Funktion als Arbeitgeber — auch in Teilzeitbeschäftigung — für bäuerliche Familienmitglieder. Von den mehr als 300000 in der Papierindustrie Beschäftigten sind 35 % in Betrieben von 1—29 Personen tätig, und viele von diesen gehören zur ländlichen Bevölkerung. Unter den kleineren Mittelbetrieben ist die Herstellung von Pulp häufig. Die Kapazitäten liegen im Durchschnitt bei täglich 200—400 t; als untere Rentabilitätsgrenze werden 100 t angesehen.
C. Das traditionelle Gewerbe für handgeschöpftes Papier Ein statistisch nicht gesondert ausgeworfener -Anteil der in der Papierindustrie Tätigen wird noch vom Gewerbe des washi, des handgeschöpften Papiers, eingenommen. Noch 1894 zählte man rd. 63000 Personen hierzu; im Dezember 1972 wurden 850 angegeben; die Zahl ist weiterhin gesunken. Dieser Rückgang hat die Funktion des washi nicht ernstlich gefährdet. Gegenüber dem maschinengefertigten Papier, dem hanshi, hat es Qualitäten, die der traditionspflegende Japaner nicht missen möchte. Man halte washi gegen das Licht und man wird empfinden, daß das Papier die Strahlen gleichmäßig auffängt und diffus verschwimmen läßt: Das ist das Geheimnis der Atmosphäre im japanischen Heim, daß das Sonnenlicht nicht hart auftrifft, sondern von den mit washi beklebten Schiebetürgittern aufgenommen und mit milder Leuchtkraft weitergegeben wird. Washi ist unentbehrlich für jedes Haus japanischen Stils, es ist unnachahmbar als Papier für Banknoten und Dokumente. Man verwendet es auch bei der Herstellung von Göhei, d.h. einem Shintö-Kultgegenstand, der aus einem Stab des Sakaki-Strauches
458
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische Faktoren
(Cleyera japonica) besteht, von dessen oberem Ende zickzackförmig eingeklemmte Papierstreifen abwärts gerichtet sind. Die Bäume und Sträucher in der Nähe des Schreins sind von Göhei oft dicht besetzt. Die Erzeugung handgeschöpften Papiers — je nach der Rindenfaser gibt es die drei Sorten Közo, Ganpi und Mitsumata — hat sich im wesentlichen noch in den wenig industrialisierten Außenflügeln des Archipels erhalten. Nahe A Y A B E gibt es in Kurotani noch mehrere Häuser der Washi-Produktion; sie bilden den Kern der Kurotani Handmade Paper Cooperative Union, Kyoto. Nicht fern davon begegnet man in Ötsu (Biwasee) Washifertigenden Haushalten, ebenso bei Gifu und in Yoshino (Kii). Die hauptberuflich in der Washi-Herstellung Beschäftigten wurden für Ogawa-machi und HigashiChichibu im Jahre 1976 mit 100 Personen angegeben (1). In Shikoku ist der Anbau von Papiermaulbeer noch am weitesten verbreitet (16); entsprechend sind die gewerblich bzw. nebengewerblich Washi erzeugenden Betriebe am häufigsten. Als Ursprungsort der wahrscheinlich aus China über Korea eingeführten Papierbereitung gilt der heute zu Öno in Echizen gehörende Stadtteil Goka, und Echizen Hösho wird als Papier von besonderer Güte bewertet. Vor der Südseite der Stadt Matsue hat sich das Dorf Yakumo einen guten Washi-Ruf bewahrt. Um der nachhaltigen Bedeutung der Washi-Erzeugung Ausdruck zu geben, veranstaltete die „Mainichi Shimbun" 1973 unter Mitwirkung eines Stabes von Experten die Herausgabe des fünfbändigen, mit 1000 Papiersorten im Original versehenen Prachtwerkes Tesuki- Washi Taikan (18).
Schrifttumverzeichnis für das 6. Kapitel, 8. Abschnitt 1. Adachi, B. C.: Papermakers of Saitama. In: The Mainichi Daily News, 30.11.1976. 2. (The) Industrial Bank of Japan: The Japanese Pulp Industry. In: JFI, Vol. 5, 1953, 5 - 6 . S. 1 0 - 1 5 . 3. (The) Industrial Bank of Japan: The Recent Trend of Japanese Pulp Industry. In: JFI, Vol. 8, 1956, 5. S. 1 - 5 . 4. (The) Industrial Bank of Japan: The Pulp and Paper Industry. In: JFI, Vol. 13, 1961, 3. S. 6 - 1 0 . 5. (The) Industrial Bank of Japan: The Pulp and Paper Industry. In: JFI, Vol. 23, 1971, 3. S. 7 - 2 6 . 6. (The) Industrial Bank of Japan: Global Supply and Demand Outlook for Pulpwood. In: JFI, 1975, Nr. 30. S. 1 - 4 3 . 7. (The) Industrial Bank of Japan: The Pulp and Paper Industry. In: JFI, 1976, Nr. 32. S. 1 - 2 9 . 8. Japan Company Handbook. Hrsg. von Toyo Keizai Shinposha, Tokyo 1977 u. 1980. 9. Japan Statistical Yearbook 1977. 10. (The) Meinichi Daily News: Berichte und Beiträge anläßlich der „United Nations Conference on Pulp and Paper Development held in Tokyo, 1960." Tokyo, 22. 10. 1960. 11. Narita, Kiyofusa: Japanese Paper-Making. Tokyo 1954. 12. Nomoto, Koshi: Pulp Wood Supply in Japan. In: GRJ, Vol. 33, 1960, 6. S. 300-311. 13. Schwind, Martin: Die Gestaltung Karafutos zum japanischen Raum. Ergänzungsheft Nr. 239 zu Petermanns Mitteilungen. Gotha 1942. Mit Atlas von 44 Tafeln. 14. Schwind, Martin: Die Landschaft Süd-Sachalins 1636—1945. In: Festschrift Erich Obst zum 65. Geburtstage. S. 1 6 - 3 7 . Remagen 1951. 15. Schwind, Martin: Japan. Zusammenbruch und Wiederaufbau seiner Wirtschaft. Düsseldorf 1954. 16. Soma, Masatane: Shifting Cultivation and Land Ownership in a Mountain Village, Ehime Prefecture. In: G.R.J., Vol. 29, 1956, 8. S. 457-469. 17. Takemi, Y.: Problem of Self-Supply of Pulp in Japan. In: The Geography, Vol. 1, 1938, 1. S. 6 3 - 6 2 (japan.). 18. Tesuki-Washi Taikan. A Collection of 1000 Real Papers in 5 Volumes, edited by The Mainichi Shimbun, Tokyo 1973. 19. Japan Paper Association: Pulps and Paper Statistics 1979. Tokyo 1979.
A. Die zwei Ebenen der
Nahrungsmittelindustrie
459
9. Abschnitt Die Nahrungs- und Genußmittelindustrie A. Die zwei Ebenen der Nahrungsmittelindustrie Die Nahrungs- und Genußmittelindustrie Japans ist eine Begleiterscheinung des seit der Landöffnung dem Land auferlegten Anpassungszwangs; sie ist mit der Entwicklung der industriegesellschaftlichen Strukturen und Lebensbedürfnisse gewachsen. Dabei ist kennzeichnend, daß die Ernährungsumstellung zunächst nur zögernd der Industrialisierung folgte; der Durchbruch zur Industriegesellschaft erfolgte nach der Kapitulation, insbesondere beim Wiederaufbau der Wirtschaft seit 1948—1950 und erfuhr seine stärksten Impulse im „Jimmu Boom". In den Meiji-Jahren fand man am ehesten an den von Europa und Amerika eingeführten Getränken Gefallen: Die Sapporo-Brauerei, 1949 nach vorübergehender Stillegung neu gegründet, entstand schon 1876 im Rahmen des von Amerikanern beeinflußten Aufbaus der Hauptstadt Hokkaidös. Die Kirin-Brauerei übernahm 1907 die Biergewinnung von der Spring Valley Brewery, mit der die Amerikaner das heute zum Volksgetränk gewordene Bier auf japanischem Boden herzustellen begonnen hatten. Die Whisky-Herstellung der Suntory, Ltd, geht bis zum Jahre 1899 zurück; 1913 wurde die Brennerei in Kyoto errichtet, 1973 wurde eine Brennerei in Hakushü (Yamanashi-Ken) mit 12 Destilliereinheiten in Betrieb genommen; sie gehört zu den leistungsfähigsten der Erde (8, 32). Bier und Whisky haben die Vorliebe für Sake weithin verdrängt. Im übrigen entwickelte sich die Nahrungsmittel-Industrie in gleichsam zwei Ebenen. Mit der bäuerlichen Kultur verhaftet blieben die Verarbeitungen der Grundnahrungsmittel Reis, Fisch und Meereslebewesen überhaupt: Die Mühlenindustrie, die verschiedenen Verwendungsformen der Meereslebewesen, die Teefermentierungsbetriebe, die Herstellung von Speiseölen und Shöyu sowie von Sake. Sie stellen gleichsam die untere Ebene der Nahrungsmittel-Industrie dar. Sie sind, herausgefordert von der wachsenden Bevölkerung, als Industrie in den ersten 50 Jahren nach der Landöffnung gegründet worden (vgl. Tab. 50, A a—c, Bh, G a—d, H 1). Über die Ebene dieses autochthonen Gewerbes legte sich, vor dem Zweiten Weltkrieg allmählich anlaufend (noch waren Milchprodukte nur vereinzelt auf dem Markt), nach dem Krieg von der Besatzungsmacht gefördert, die Nahrungsmittel-Industrie ausländischen Gepräges. Die mit dem „School Lunch Program" von den Amerikanern gewährte Ernährungshilfe, bestehend aus Weißbrot, Butter und Milch, stimulierte die Backwaren- und MolkereiprodukteIndustrien (Tab. 50, C u. D). Einen Innovationseffekt übten auch die von den Amerikanern bevorzugten „soft drinks" aus (Tab. 50, H, 3). Die vor dem Kriege vor allem qualitätsmäßig noch zurückgebliebenen Schokoladen- und Konfektartikel der in Tab. 50 genannten Firmen erfuhren eine Qualitätsverbesserung, die den heimischen Absatzmarkt derart sicherte, daß ausländische Konkurrenz fast ausgeschaltet wurde. Mit dem von der städtischen Bevölkerung zum Ausdruck gebrachten Verlangen nach einer breiteren Diversifizierung des Nahrungsmittelangebots und der von staatswegen geförderten Fleischviehhaltung wuchs eine leistungsfähige Fleischwaren-Industrie auf (Tab. 50, B). Letztlich wurde auch die Produktion von Instantwaren in Angriff genommen (Tab. 50,1), ein Warentyp, wie
460
6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische Faktoren
er den Japanern seit der Einführung des Tee aus China bekannt ist. Die schon 1908 gegründete Firma Ajinomoto hat seit 1955 unter Nutzung neuester Technologie auf diesem Gebiet Pionierarbeit geleistet (8, 27).
B. Betriebsgrößen, Produktionsrichtungen und Standorte Von den rd. 88 000 Betrieben der Nahrungsmittel-Industrie haben nach Angaben des Statistical Yearbook 1977, das sich auf die Betriebszählungen von 1973 stützt, 76% weniger als 10 Beschäftigte. Nur in den Textil- und Möbelbranchen liegt der Prozentsatz der Kleinstbetriebe höher (80%). Bei Hinzurechnung der Arbeitsstätten mit 1 0 - 1 9 Personen erhöht sich der Anteil der Kleinstbetriebe auf 89%. Diese Verhältnisse haben sich seit der Vorkriegszeit nicht grundsätzlich geändert. Dabei hat sogar die Zahl der Betriebe nur leichten Schwankungen unterlegen; sie hat sich seit 1952 um nur 0,5% erhöht.
Tabelle 50. Repräsentative Firmen der Nahrungs- und Genußmittelindustrie, (in Klammern Gründungsjahr) Name der Firma
Beschäftigte
1980
Standorte
A. Mühlen a) Nippon Seifun (1896)
1 470
b) Nisshin Seifun (1907)
2 900
c) Shöwa Sangyo (1936) B. Fleisch- und Fischwaren-Firmen a) Nippon Haigö Shiryö (1929) b) Ito Ham Eiyö Shökuhin (1948) c) Prima Meat Packers (1948) d) Nippon Meat Packers (1949) e) Hayashikane Sangyo (1941) f) Nippon Suisan (1943)
1 695
3 3 3 1 4
990 700 610 710 650 640
g) Taiyö Fishery (1943)
6 010
h) Nichiro Gyogyö (1914)
3 380
Yokohama, Tòkyo, Chiba, Takasaki, Óyama, Nagoya Tsurumi, Tatebayashi, Utsunomiya, Nagoya, Kòbe, Okayama, Fukuoka, Kagoshima Kóbe, Tsurumi, Kashima Yokohama, Chiba, Chita, Kóbe, Móji, Otaru Tòkyo, Toyohashi, Yokkaichi, Nishinomiya, Kòbe Tòkyo, Takaoka (Toyama), Akita, Kagoshima Ibaraki, Wakayama, Tokushima u. a. in Hyògo Shimonoseki, Osaka, Miyakonojò Hakodate, Onagawa, Tòkyo, Hachiòji, Shimizu, Anjó, Itami, Himeji, Tobata Nagasaki, Tòkyo, Osaka, Nagoya, Shimonoseki, Fukuoka, Sendai, Sapporo u. a. Hiroshima, Kóbe, Kurihama, Ishinomaki, Aomori
C. Backwarenfirmen a) Yamazaki Baking (1948) b) Dai-ichiya Baking (1947)
6 900 2 760
Matsudo, Musashino, Tòkyo, Yokohama Yokohama, Tòkyo, Takasaki, Utsunomiya, Kodaira, Òsaka
D. Milchproduktfirmen a) Snow Brand Milk Products (Yukijirushi Nyügyö, 1950) b) Meiji Nyügyö (1917)
9 910 5 900
Tokyo u. 75 Betriebe im ganzen Lande Tokyo, im Lande 28 Trinkmilch-, 16 Milchprodukt-Betriebe Tökyö, im Lande 12 Trinkmilch-, 15 Milchprodukt-Betriebe
c) Morinaga Nyügyö (1949)
4 750
B. Betriebsgrößen, Produktionsrichtungen Name der Firma E. Schokoladen- und Konfektfabriken a) Meiji Seika (1916) b) Morinaga & Co (1910)
und Standorte Beschäftigte 5 980 3 610
c) Nakamuraya (1923) 1 630 d) Fujiya Confectionary (1938) 4 320 F. Zuckerfabriken a) Nippon Beet Sugar Mfg Co (1919) 1 160 b) Dai-Nippon Sugar Mfg (1950) 340 c) Mitsui Sugar (1947) 660 G. Firmen für Speiseöl, Gewürze und Saucen a) Kikkoman Shöyu (1917) 3 940 b) Höhnen Oil Co (1922) 918 c) Nisshin Oil Mills (1907) 990 5 400 d) Ajinomota Co (1925) H. Getränke-Fabriken 1. Sake a) Toyo Jözö (1920) 1 724 b) Sanraku Ocean Co (1934) c) Takara Shuzö (1925)
1 252 1 575
2. Bier a) Kirin Brewery (1907) 7 864 b) Sapporo Breweries (1949) 4 021 c) Asahi Breweries (1949) 3 257 3. Alkoholfreie Getränke (Milch -> D) a) Calpis Food Industry (1948) 1 659 b) Chükyö, Coca-Cola Bottling (1961) 1 787 I. Instantwarenindustrie a) House Food Industrial (1947) 2 280 b) Ezaki Glico (1929) 1 668
461 Standorte
Kawasaki, Odawara, Gifu, Yodogawa Tsurumi, Amagasaki, Okazaki, Anjö, Mishima, Öyama Tòkyo, Kanagawa (Yokohama) Tsurumi, Hiratsuka, Hadano, Numazu Obihiro, Shibetsu, Bihoro Sakai, Möji Tokyo, Kawasaki, Okayama Nöda (Chiba), Nagareyama (Chiba), Takasago Shimizu, Kóbe Isogo (Yokohama), Kóbe Kawasaki, Yokohama, Yokkaichi, Saga Òhito-cho (Izu-hantò), Nagoya, Kyoto, Nishinomiya Yatsushiro, Kawasaki, Fujisawa, Iwata Fushimi, Kobe, Nagasaki, Shimabara, Kagoshima, Matsudo Yokohama, Sendai, Amagasaki, Hiroshima Sapporo, Sendai, Kawaguchi u. a. in Kita Kantö Tokyo, Nagoya, Suita Sagamihara, Okayama, Ösaka Nagoya, Tòkai Nara, Higashi-Ósaka, Fukuoka u. a. im Kantö Ösaka, Tsu
Veränderungen haben sich aber hinsichtlich der Beschäftigten im Nahrungsmittelgewerbe vollzogen: Es sind gegenüber 1952 rd. 100% mehr, bedingt durch den Arbeiter- und Angestelltenbedarf jener Firmen, die in Tab. 50 mit mehr als 1000 Beschäftigten repräsentativ ausgewiesen sind. Das trifft auch auf die MühlenIndustrie zu, von der man meinen könnte, sie müßte das bäuerlichste aller Gewerbe sein. Dagegen heißt es im Asahi Shimbun's „This is Japan" (1,142): „In Japan, rice is the basic staple food. It is distributed in the form of brown or unpolished rice. Threshing is done by the farmers themselves and to polish the rice only a simple milling machine is required. The retailer can easily do this. Thus, the food industry is excluded from any part in handlung the nation's staple food. There is no room for large milling industries." Die in Tab. 50 stellvertretend genannten Großmühlen verarbeiten Weizen und Gerste, die nur z.T. im Lande geerntet werden. Der Import dieser Getreidearten betrug 1975 rd. 7 Mio. t; dies bedeutete eine Importabhängigkeit von 90%. Auch die Herstellung von Miso aus Sojabohnen — die Miso-Suppe ist unentbehrlicher Bestandteil der Mahlzeiten - ist so einfach, daß sie in den Bauernhäusern geschieht. Anders verhält es sich mit dem Shoyu-Gewerbe; es ist aus den
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6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische
Faktoren
Bauernhäusern heraus in Fabriken gewandert, denen überdies die heimische Soyabohnenernte längst nicht mehr genügt. Die Shöyubereitung ist mit Hilfe westlicher Betriebsausstattung industrialisiert worden. Die Soyabohnen-Importabhängigkeit stieg 1975 auf 96%. Die großen Shöyuwerke sind hafenorientiert (Tab. 50,G). Die auf der Basis von Reis arbeitende Sakebrauerei zählt seit dem 8. Jh. zu den alten Gewerben und fand ihren Mittelpunkt in Kyoto (s. Abb. 10), wo sie spätestens seit der Muromachi-Periode (15. Jh.) in hoher Blüte stand und eine bedeutende wirtschaftliche Funktion ausübte. Auch sie hat durch den westlichen Industrialisierungseffekt zunächst einen starken Auftrieb erhalten. Bei weiterer Pflege der über das ganze Land verbreiteten Kleinbetriebe konnten sich Großfirmen kapitalistischen Typs entwickeln, allen voran die in Tab. 50 genannten Unternehmen, die gleichzeitig erkennen lassen, daß sich neben den Absatzmarktzentren des Kantö und Kansai auch die Brauereien in Süd-Kyüshü als entwicklungsfähig erwiesen. Seit den dreißiger Jahren ist Sake vom Bier immer deutlicher in der Beliebtheit verdrängt worden. Noch wird Sake bei feierlichen Anlässen bevorzugt; zum eigentlichen Volksgetränk ist das Bier geworden. Die Bierbrauerei ist aber nicht flächenhaft verbreitet. Das ist in dem Umstand begründet, daß sich ihrer nur sehr wenige Firmen annahmen, die ihre Brauereien nach westlichem Muster mechanisierten und rationalisierten, was Kleinbetrieben die Konkurrenzfähigkeit erschwerte. Tokyo, Yokohama und Sapporo waren die überregionalen Ausstrahlungszentren, von denen aus in den regionalen Zentren Filialen errichtet wurden (Tab. 50, H 2). Mit 8000 Beschäftigten hat sich auch die 1907 gegründete Kirin Brauerei eine führende Stellung bewahrt. Unter den Biererzeugern der Erde stand Japan 1974 mit 5% der Weltproduktion nach den USA (24%), der BR Deutschland (12%), dem United Kingdom und der SU an fünfter Stelle. Es ist gewiß eine gegenüber der Tradition als extreme Anomalie anzusehende Erscheinung, daß Japan auch zur Heimstatt der Whisky-Erzeugung wurde (s.o.). Die in Wirtschaftskreisen unverkennbare Vorliebe für Whisky kann als ein besonderes Symptom für das Bestreben nach Anpassung an westliche Lebensweise betrachtet werden. Noch umfassender als die Sakeproduktion hat die heimische Verwertung von Meereslebewesen gleichlaufend mit der Entwicklung der Industriegesellschaft Innovationseffekte erfahren. Vom Eigenbedarf an Fischkonserven für die Armee im Russisch-Japanischen Krieg schritt sie zur Erschließung eines Binnenmarktes, vergrößerte sie ihr Potential für den Export und erweiterte sich schließlich durch die Bewirtschaftung von Fabrikschiffen (Floating Cannaries) zu internationaler Dimension. Von den jährlichen Anlandungen insgesamt, die von 1960 bis 1975 von 5,8 Mio. t auf 10,6 Mio. t stiegen, muß der weitaus größere Teil, weil von der japanischen Bevölkerung in so großen Mengen nicht erforderlich, industriell für den Export verwertet werden. Mit der Erzeugung von 320000 t Konserven von Fisch und anderen Meerestieren steht Japan unter den Fischkonservenländern der Erde ranggleich neben den USA. Darüber hinaus werden Halbprodukte in Kühlschiffen zur Endverarbeitung nach den USA gebracht. Mehr als 50000 Kleinstund Kleinbetriebe dienen dem Fischtrocknen sowie der Herstellung von Fischmehl und Düngemitteln; etwa 450 sind Konservenfabriken, von denen sich, auf Königskrabben und Lachse spezialisiert, etwa 10% auf Hokkaido befinden (2,419). Kulturlandschaftlich ordnen sich diese Betriebe, ohne ökologische Störungseffekte
B. Betriebsgrößen,
Produktionsrichtungen
und Standorte
463
auszulösen, in das Wirtschaftsganze der größeren Fischereihäfen ein (vgl. Kap. 14). Zur Industrie- und Menschenballung in der Tökai-Sanyödö-Region tragen nur die wenigen Großfirmen bei. In Tab. 50 sind unter B, f—h drei solcher Firmen stellvertretend genannt. Eine Sonderstellung nimmt in der Nahrungsmittel-Industrie die Gewinnung von Salz und Zucker ein. Die Gewinnung von Kochsalz aus dem Meereswasser ist schon aus der Narazeit belegt. Da die Luftfeuchtigkeit gerade in den sonnigen Regionen Japans sehr hoch ist, beschränkte sich eine rentable Anlage von Salzgärten im wesentlichen auf den Bereich der Inlandsee, deren Küsten im Sommer wie im Winter vom Faktum der Regenschattenlage betroffen sind. SIEBOLD hat die Salzgewinnung ausführlich und anschaulich beschrieben (17,136ff). Wie im Text und an anderen Stellen hervorgehoben, sind die Wasserflächen der Setonaikai in jüngerer Zeit von ölteppichen leck gewordener Erdöltanker überzogen worden, so daß die Salzgewinnung Schaden erlitt. Zusätzlich wurden Salzfelder von den immer umfangreicher gewordenen Aufschüttungsflächen für die Industrie verdrängt. Mit diesen Schädigungen verminderte sich die Rentabilität der Salzfelder derart, daß der Staat die Salzgewinnung in der Setonaikai verbot. Heute ist Japan ohne Salzfelder. Für Speisesalz ist Japan fast zu 100% importabhängig. Die Zuckerproduktion und -raffination haben in Japan keine in die Zeit vor der Landöffnung fallende Geschichte. Erst durch den Anbau von Zuckerrohr in Taiwan hatte sich Japan zum Zuckerrohrland gemacht. Von hier aus wurde der Zuckerrohranbau auch nach Okinawa getragen. Die Rübenzuckergewinnung begann mit den Erschließungen von Hokkaidö und Karafuto nach der Jahrhundertwende. Da Taiwan nach dem Zweiten Weltkrieg an China zurückgegeben wurde und die Anbauflächen auf Okinawa zu gering sind, muß Rohrzucker seit 1945 in größeren Mengen eingeführt werden. Immerhin arbeiten in Hokkaidö drei größere Rübenzuckerfabriken (Tab. 50, F). Ihre Raffinerien stehen wie die für den aus Kuba, Australien, Taiwan und selbst aus Okinawa importierten Rohzucker an den Hafenplätzen der Tökai-Sanyödö-Region: In Tokyo, Kawasaki, Yokohama, Sakai, Kobe, Möji, Tobata haben sich außer den in Tab. 50 genannten Firmen auch die Taitö, Meiji Sugar Mfg und Toyö Sugar Refining niedergelassen. Damit liegen die Plätze der heimischen Rohstofferzeugung (Okinawa, Hokkaidö) und der importorientierten Industrie räumlich ebenso auseinander wie die heimischen Kohlenreviere und die Wärme-Elektrizitätswerke, wie die heimische Erdölförderung und die Verarbeitungsstätten importierten Rohöls. Das Herz der japanischen Zuckerproduktion schlägt weder in Okinawa noch in Hokkaidö, sondern mitten im Absatzmarkt und trägt das Seine dazu bei, die Disparitäten zwischen dem Industrieband und den Außenflügeln des Archipels zu verstärken. Mit großem Einfühlungsvermögen erkannten japanische Unternehmer die gewerblichen Flutrichtungen, die sich aus dem Verlangen nach einer Diversifizierung des Nahrungsmittelangebots westlichen Musters ergeben würden. Amerikanische Firmen waren schon bald bereit, sich mit finanzieller Hilfe und technischem Knowhow bei der Erweiterung oder bei Neugründung von Firmen zu beteiligen. Die Liberalisierungs-Probleme der Regierung verursachten geradezu eine amerikanische „Offensive" im Sektor der Nahrungsmittel-Industrie (13, 57). Über das autochthone Gewerbe legten sich allochthone, d.h. importierte Industrien, denen
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6. Kapitel: Die einzelnen Industriezweige als geographische Faktoren
man allerdings nachsagt, daß sie auch den japanischen Firmen Auftrieb gaben (13, 57). Neu an diesen Produktionszweigen war zusätzlich die Größenordnung ihrer Werke. Charakteristisch für diese Innovation sind folgende Produktionsrichtungen: Die großmaßstäbliche Erzeugung von Trinkmilch und Milchprodukten (einschließlich Käse, Tab. 50, D); die Herstellung von Fleischwaren (starke Beteiligung der amerikanischen „Meat Packers", Tab. 50, B); die Herstellung von „soft drinks" und Eiscreme (Tab. 50, H 3 u. D a); die Herstellung von Instantwaren (Tab. 50, I).
Es war selbstverständlich, daß sich die Hauptwerke dieser Industrien inmitten der Industriegesellschaft in den Ballungsräumen an der pazifischen Küste niederließen.
Schrifttumverzeichnis für das 6. Kapitel, 9. Abschnitt 1. Asahi Shimbun: Food Industry. In: This is Japan, No. 3, 1956. S. 142 ff. 2. Bartz, Fritz: Die großen Fischereiräume der Welt, Bd. II. Wiesbaden 1965. 3. Daiwa Securities Co: Nagatanien Honpo Co, Ltd. In: The Daiwa Investment Monthly, Vol. 15, 1977, 1. S. 1 2 - 1 4 . 4. Fuji Bank: Industry Report Sugar. F. Bank Bulletin, Nr. 15, 1964. S. 2 5 9 - 2 6 7 . 5. (The) Industrial Bank of Japan: Revival of the Japanese Sugar Refining Industry. In: JFI, Vol. 5, 1953, 7 - 8 . S. 1 - 7 . 6. (The) Industrial Bank of Japan: The Japanese Foodstuff Industry. In: JFI, Vol. 20, 1968, 3. S. 1 - 1 3 . 7. Japan Company Handbook. Hrsg. von Toyo Keizai Shimposha, Tokyo 1977 u. 1980. 8. Japan's Food Industry. In: The Oriental Economist, Vol. 43, Nr. 781. Tokyo 1975. S. 2 6 - 3 3 . 9. Japan Statistical Yearbook 1977. 10. (The) Japan Times: The Canning Industry. In: Aquatic Industry Number, February 1935. S. 2—13. 11. Kamoda, Minoru: Recent Advance in Japanese Beat Sugar. In: Sugar y Azucar. New York 1965. 12. Kamoda, Minoru: Recent Advances in the Japanese Sugar Refining Industry. In: Sugar y Azucar, Sept. 1968. S. 3 5 - 3 9 . 13. Mainichi Daily News: Foodstuffs: Arrival of Foreign Brands. In: Industries of Japan, Vol. 15, 1972. S. 5 6 - 5 7 . 14. Murakami, Setsutaro: On the Development of the Seto Inland Sea Coastal Districts. In: A Joint Study on the Regional Development of the Seto Inland Sea Area, Ed. by Ehime Univ., Matsuyama 1972. S. 1 8 9 - 2 4 1 . 15. Ryükyü Statistical Yearbook 1966 u. 1968. 16. Schwind, Martin: Japan. Zusammenbruch und Wiederaufbau seiner Wirtschaft. Düsseldorf 1954. 17. Siebold, Ph. Fr. v.: Nippon, Archiv zur Beschreibung von Japan. Würzburg 1830. Neudruck der Zweiten Auflage von 1896: Biblio-Verlag, Osnabrück 1969. 18. Yamane, Takeo: Sugar Refining in Japan. In: Sugar y Azucar, Nr. 64, 1969. S. 46—48.
Teil III Die Rückwirkungen des Industrialisierungsvorgangs auf die geographischen Funktionen der nichtindustriellen Bereiche des primären Wirtschaftssektors
7. Kapitel Die Funktionen der heutigen Agrarwirtschaft
1. Abschnitt Die periphere Stellung der Landwirtschaft im Rahmen des Wirtschaftsgeschehens insgesamt A. Merkmale des Funktionsverlustes Die vom Staat gewollte und geförderte Industrialisierung in Antwort auf die Herausforderungen westlicher Welt hat die sekundären und tertiären Wirtschaftsbereiche zu hoher Blüte geführt, hat aber gleichlaufend im agrarischen Sektor so durchgreifende Veränderungen bewirkt, daß sich die Bauern mit ihren Dörfern vor das Existenzproblem gestellt sahen. Die Industriegesellschaft, deren Entwicklung vor 100 Jahren nur auf den Schultern der Bauern ansetzen konnte, stellt heute die Landwirtschaft in ihren Dienst. Der Zehnjahresplan 1972—1982 empfiehlt eine Reduzierung der Reis- und Hülsenfrüchte-Erzeugung, Stagnation im Anbau von Trockengetreide, starkes Anheben der Viehhaltung und damit Erweiterung des Futteranbaus und der Weideflächen. Dies bedeutet im einzelnen: a) Rückzug der Reisanbaufläche aus Gebieten, in denen die Reisernte aus klimatischen Gründen nicht garantiert ist (Subventionsgebiete in Nord- und Ost-Hokkaido). b) Prämienvergabe an Bauern, die ein Reisfeld anderer Nutzung zuführen, insbesondere bei Verwandlung von Reisfeldern der Industrieregion in Flächen für Marktfrüchte und in Viehweide. c) Schwerpunktbildung für den Reisanbau, um möglichst viele Flächen freizumachen für Marktfrüchte. Bevorzugung der Japanmeerseite für den Reisanbau. d) Subventionierung der Landwirtschaft, insbesondere zur Angleichung der Löhne an die der Industrie. Beibehaltung der Reisbewirtschaftung und Festsetzung der Reispreise durch den Staat. e) Im Zuge der Flächenbeschränkung für den Reisanbau Stillegung der Einpolderungsarbeiten, die zur Ausweitung der Nutzfläche im Angriff genommen wurden.
Zu den Merkmalen heutiger Landwirtschaft gehören weiterhin: f) Abzug der jungen Arbeitskräfte aus den bäuerlichen Gebieten in die Städte. g) Uberalterung der bäuerlichen Arbeitskräfte. h) Infolge des Arbeitskräftemangels Nichtbewirtschaftung von Parzellen (Entstehung von Sozialbrache) oder auch Teilbewirtschaftung in Form der Abkehr vom nimösaku, d. h. der Ausbringung einer zweiten Vollernte auf gleicher Parzelle. In den klimatisch bevorzugten Regionen liegen heute die Felder im Winter weithin ebenso brach wie in Töhoku und Hokkaidö. i) Aufnahme von Nebenbeschäftigung in außeragrarischen Bereichen, um das Einkommensdefizit auszugleichen, das der Bauer gegenüber den städtischen Arbeitnehmern hat. Die Nebenbeschäftigung ist derart üblich geworden, daß von den 4891360 bäuerlichen Haushalten im Jahre 1977 nur 13,3% als Full-time-Haushalte gezählt werden konnten: 4,2 Mio. wurden als bäuerliche Teilzeithaushalte geführt, von denen wiederum 3,3 Mio. Haushalte ihre Hauptbeschäftigung außerhalb des bäuerlichen Hofes suchten (s. Tab. 51). j) Von den Werktätigen insgesamt entfallen auf den landwirtschaftlichen Sektor nur noch 11 % (1977).
7. Kapitel: Funktionen der heutigen Agrarwirtschaft
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4 0 % ; H a u s h a l t e mit v o r w i e g e n d a g r a r i s c h e r B e s c h ä f t i g u n g (b) mehr als die v o r w i e g e n d n i c h t a g r a r i s c h e n (c) Formel: A b c
Hokkaido
T y p I I : A n t e i l der v o l l b ä u e r l i c h e n h a u s h a l t e ( a ) > 2 0 % ; A n t e i l der v o r w i e g e n d nicht - agrarischen Haushalte ( c ) > 5 0 % Formel: a b C T y p HI: A n t e i l der v o l l b ä u e r l i c h e n H a u s h a l t e ( a ) < 2 0 % ; A n t e i l der v o r w i e g e n d nicht - agrarischen Haushalte ( c ) > 5 0 % Formel: ( a ) b C T y p I S : A n t e i l der P a r t - t i m e H a u s h a l t e mit v o r w i e g e n d nicht - a g r a r i s c h e r B e s c h ä f t i g u n g (C) 6 5 - 9 0 % Formel: ( a ) ( b ) C
Töhoku
Honshu
0
1
i
200km
i
Nankaidö
128°
Abb. 39 Typisierung der Ken nach den (mopparagyd) und „Part-time"-Haushalten
Anteilen (kengyó)
von landwirtschaftlichen 1975
„Full-time"-Haushalten
476
7. Kapitel:
Funktionen
der heutigen
Agrarwirtschaft
73 % betont landwirtschaftlichen Betrieben kündigt sich die künftige Entwicklung noch sehr zurückhaltend mit 27 % an. Zwischen den Typen I und IV bewegen sich die Umgruppierungsvorgänge der Typen II und III. Typ II besagt, daß ein relativ starker Kern von vollbäuerlichen Haushalten bestehen blieb ( 2 0 - 3 0 % ) , daß aber auf die überwiegend nicht-bäuerlich gewordenen Betriebe schon über 50% entfallen. Typ III läßt die Auflösung des Agrarcharakters noch deutlicher erkennen: die vollbäuerlichen Betriebe sind auf 10% und weniger gefallen. Typ III steht dem Typ IV nahe, Typ II hat noch Ähnlichkeit mit Typ I. Regional gesehen, ergibt sich die in Abb. 39 enthaltene Struktur: Typ I herrscht in Hokkaidö vor, Typ IV in der Tökaido-Setonaikai-Region, wobei die Entwicklung sowohl in Chübu als auch in Chügoku über die Wasserscheiden ans Japanmeer übergriff. Typ II findet sich in den Bereichen des Nankaidö und stellt das südliche Gegenstück zu Hokkaidö dar. Das an das Kantö anschließende Töhoku ist schon sehr stark von der Industriegesellschaft ergriffen und gehört dem Typ III zu. Eine Anomalie inmitten der Strukturen weist Yamanashi-ken auf: Das stark auf Weinbau und Seidenraupenwirtschaft eingestellte Gebirgsbecken hat sich bäuerlich als konservativ erwiesen. Die Aussagen der Abb. 38 und 39 ergänzen einander. Aus Abb. 38 wird deutlich, wie intensiv die bäuerliche Bevölkerung der Tökaido-Setonaikai-Region bereits in die Industriegesellschaft eingeschmolzen wurde: Im Verhältnis zu den Werktätigen insgesamt nehmen die hier im Agrarsektor Beschäftigten nur noch weniger als ein Fünftel oder Zehntel ein. In Abb. 39 tritt hinzu, daß dieser relativ geringe Anteil zu mehr als 65 % in nicht-agrarischen Wirtschaftsbereichen seine Hauptbeschäftigung gefunden hat und die Erzeugung von Agrarproduktion als Nebenerwerb betrachtet. Bei Einsicht in diese Sachlage wundert man sich, daß zu den Zeiten des Reissteckens und der Reisernten so viele Menschen auf den Feldern sind, was weiten Teilen der Kulturlandschaft noch immer den traditionellen Anblick einer Reislandschaft verleiht. Freilich vollzieht sich das „Wunder" nur in der sommerlichen Vegetationsperiode; das Ausbringen einer zweiten Feldbestellung für Winter und Frühsommer unterbleibt weithin; und dann spricht in den klimatisch bevorzugten Regionen jedes winterlich brachliegende Feldstück von den Arbeitskräften, die den Hof verließen, um in der Stadt einer besser bezahlten Arbeit nachzugehen. III. Die A b w a n d e r u n g der ländlichen Bevölkerung in die Städte Unter der Schlagzeile „Whole Village Moving out" wurde von der Mainichi Daily News am 9. 10.1971 das Alarmzeichen für eine grundlegende Neuordnung der Agrarwirtschaft gegeben. Die Bewohner von Tochikubo, eines abseits liegenden Dorfes in Yamagata-ken, so hieß es, haben sich entschlossen, allesamt ihre Heimat zu verlassen. Als Motiv wurde Verzweiflung genannt: 38 Haushalte mit 183 Bewohnern gaben, nachdem die Jugend abgewandert war, ihren Kampf gegen die Uberbürdung mit Arbeit auf, den Kampf gegen den hohen Schneefall und die langanhaltende Schneedecke, gegen die Vereinsamung im Winter, wenn nicht einmal ein Arzt das Dorf erreicht: Seit 12 Jahren hatte es keine Hochzeit im Dorf gegeben, „as towns people hate to let their daughters wed with youths of the village
A. Die Entwicklung der Agrarbevölkerung
Bild 36
477
Verlassenes Dorf in Töhoku. Aufn. d. Kokusai Kyöiku Jöho, 1979
only to endure such hard life". Die Vorgänge um das Dorf Hikimi veranlaßten Y . K U N I M O T O ZU einem umfassenden Bericht über die Entleerung von Dörfern in Südwest-Japan (28): „In Chügoku bewirtschaften — mit Ausnahme der wohlhabenden Waldbesitzer - die meisten Bauern Kleinstbetriebe extremer Art. Während in Töhoku eine bäuerliche Familie im Durchschnitt über 1,1 ha Ackerfläche verfügt, sind es in Chügoku nur 0,8 ha. Vor einigen Jahren verloren die Bauern, die vom Reisfeldanbau allein nicht leben können, einen für sie wertvollen Nebenerwerb: Die Gewinnung von Holzkohle. Da nun von der Regierung sogar die Einschränkung der Reisanbauflächen empfohlen wurde, um die Überproduktion von Reis zu schwächen, fühlen sich die Bauern in ihrem Vertrauen auf ihre Existenzmöglichkeiten um so mehr verunsichert und sind so beunruhigt, daß der Gedanke der Flucht vom Land zur Stadt Auftrieb erhielt. In Töhoku überlassen die jüngeren Menschen die Bestellung der Reisfelder den alten Männern und Frauen und verbringen den größeren Teil des Jahres als ungelernte Arbeiter in den Städten; es sind die dekasegi2. Die Töhoku-Bauern vermögen sich nur schwerlich zu entschließen, ihr Land zu verkaufen. Im Gegensatz zu ihnen zeigen die im Bergland wohnenden Bauern Chügokus eine nicht gleich zähe Bindung an ihr Land. Dies mag darauf zurückzuführen sein, daß man in Chügoku von alters her stärkeren Kontakt mit der Stadt pflegte. In Töhoku begegnet man noch der traditionellen Dorfgesinnung; die Dorfgemeinschaft ist als solche für jeden spürbar. Im Gegensatz hierzu wirken die entleerten Dörfer von Chügoku öde und verlassen. Dies war der Eindruck, den der Verfasser bei mehrtägigem Aufenthalt in Hikimi erhielt und dabei die Weiler rundum besuchte. Hikimi ist verwaltungsmäßig eine machi, geographisch aber keine Kleinstadt, 2 wörtlich: die außerhalb der Heimat Arbeitenden.
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7. Kapitel: Funktionen der heutigen
Agrarwirtschaft
in diesem Falle eine administrative Zusammenfassung von Dorfsiedlungen und Weilern 3 . Mit nur 3 200 von ehemals 7 5 0 0 Einwohnern beruht Hikimis Ruf auf der zweifelhaften Auszeichnung, den prozentual größten Menschenverlust unter den machi Chügokus gehabt zu haben. Hikimi gehört zu den „unterbevölkerten Gebieten", denen die Regierung 1960 Finanzhilfe zusagte, wenn sie einen Menschenverlust von mehr als 10 % erleiden. Die Abwanderung war 1980 noch im Gange. In Hikimi kann man kaum jemanden treffen, der 1 5 - 3 0 Jahre als ist . . . Die meisten Einwohner sind von mittlerem Alter oder noch älter, und diese besorgen die Landwirtschaft . . . Es gibt keine höhere Schule, die von Hikimi aus durch tägliche Hin- und Rückfahrt besucht werden könnte . . ."
Dieser Bericht enthält vier wesentliche, für ganz Japan seit dem Jahre 1960 bis heute für den Agrarsektor bedeutsame Vorgänge: 1. Die Flucht von Arbeitskräften aus den Agrargebieten in der Sorge um ihre Existenz. 2. Die Flucht insbesondere von jungen Arbeitskräften infolge des Mangels an Chancengleichheit. 3. Die Abnahme der - wenn auch regional verschiedenen - Bindung an Dorf und Hof. , 4. Die Funktionsverödung von Dörfern infolge der administrativen Neuordnung der Jahre 1953—1955 und der Folgejahre. Der Exodus ländlicher Bevölkerung ist für Japan kein Vorgang von historischer Einmaligkeit. Schon in der frühen Meiji-Zeit, aber auch in späteren Jahren ging die Auswanderung von Agrarbevölkerung aus Mittel- und Nordost-Honshü jährlich in die Tausende. Für die Jahre 1892-1935 ergab sich für Hokkaidö bei 2670500 Einwanderern und 807 900 Rückwanderern ein Bevölkerungsgewinn von 1862 600 Personen. Bis 1915 kamen jeweils 50% der Einwanderer aus Agrargebieten; erst später sank dieser Anteil auf 30% und weniger ab (29). In etwa gleicher Zeit wurden Kleinbauern und Pächter Südwest-Japans von dem Begehren ergriffen, nach Hawaii, Kalifornien und Südamerika (Brasilien, Peru) auszuwandern (53). Besonders die Agrarbevölkerung der Kii-Halbinsel und des Sanyö-dö war davon betroffen. Um 1930 zählte man 778000 Auslandsjapaner; 20% davon betrieben Landwirtschaft (24,74). Für 1974 wird die im Ausland lebende japanische Bevölkerung mit 1,3 Mio. angegeben, von denen in Brasilien 49,5 %, in den USA 39,6 % lebten (49). Die Auswanderung der Meiji-, Taisho- und frühen Showa-Periode hatte ihre Ursache in der sozialen Notlage von Kleinbauern und Pächtern (s.u.) sowie von Fischern und Angehörigen verschiedenster Berufszweige. Ein von städtischer Kultur ausstrahlender Sog auf die ländlichen Gebiete spielte eine noch untergeordnete Rolle für das mobile Verhalten der Bevölkerung. Solchem Sog war Japan allerdings schon weit vorher unterlegen gewesen: In der Tokugawa-Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts sah sich das Bakufu genötigt, mit Hilfe des Hitogaeshi vom Jahre 1843 (Tempo 14) den Bauern zu befehlen, von den Städten in die ländlichen Bezirke zurückzukehren. Das Motiv für die Landflucht war dem heutigen sehr ähnlich gewesen; es war der Wunsch nach einer Angleichung an das städtische Lebensniveau. Das Verlassen des Dorfes ist heute durch zusätzliche Umstände motiviert. Voran steht der Verfall des Familienverbandes, insbesondere der Autori3 Es hatte 1955 noch 7 5 0 0 Einwohner, sank bis 1970 auf 3871 Einwohner; 1980 zählte man 2733. Für die 300 km 2 große Fläche ergab sich 1980 eine Bevölkerungsdichte von 9! Hikimi liegt in Mino-gun, Shimane-Ken.
A. Die Entwicklung der
Agrarbevölkerung
479
tätsverlust des Familienoberhauptes. Hinzu kommt die Auflösung dessen, was man die Solidarität in der heimatlichen Gesinnung nennen könnte. Schließlich hat aber in ganz positivem Sinne die Mechanisierung der Feld- und Hofarbeit in vielen Betrieben Arbeitskräfte freigesetzt. Die Abwanderung der läiidlichen Bevölkerung nach den Städten wurde etwa seit 1960 immer bedeutender. In den Jahren nach dem Zusammenbruch war sie zunächst eine Ausgleichsbewegung gewesen; es kamen Menschen zurück, die während der Kriegsjahre aus den verschiedensten Gründen Unterschlupf abseits der Metropolen gesucht hatten. Diese Bewegung glitt über in wirkliche Landflucht. Von 1955 bis 1970 sind netto insgesamt 10 Mio. Menschen in die Städte gewandert. Von 1955 bis 1960 waren es 1,9 Mio. (5,3% der Landbevölkerung), 1960-1965 mehr als 4,3 Mio. (12,6% der Landbevölkerung) und 1965-1970 unter Beibehaltung des Prozentsatzes 3,8 Mio. In 15 Jahren schrumpfte die Zahl der ländlichen Bevölkerung um 27,7%. Nicht alle Regionen sind von diesem Exodus gleich stark ergriffen. Die Außenflügel des Inselreichs, d.h. Hokkaidö und SW-Japan, haben allein im Jahrfünft 1965-1970 mehr als 15% der Landbevölkerung an die Städte abgegeben. In ähnlicher Weise wurden die Ken rund um die Metropolen Tokyo und Osaka betroffen. Für alle Präfekturen gilt, daß die abwandernden Menschen zwei verschiedenen Zielen zustrebten: Die weniger auffällige Bewegung vollzog sich nach der KenHauptstadt oder nach anderen zentralen Orten des eigenen oder benachbarten Ken; die über das ganze Inselreich greifende und weit problematischere Bewegung richtete sich auf die nationalen Metropolen im Kantö, Chükyö und Kansai: TokyoYokohama, Nagoya und Ösaka-Köbe wurden zu Kernen von Aufnahmeräumen. Von der intrapräfekturellen Mobilität wurden 1965-1970 rd. 4 Mio. Menschen Tabelle 54. Verlust an landwirtschaftlichen betriebe (full-time-households) Provinzen
Haushalten insgesamt und Abnahme der landwirtsch. Voll1960—1975, in %. Dargestellt an 15 repräsentativen
Verlust in %
Vollbetriebe insgesamt 1960 1975
Verlust in %
Jahr
Landw . Haushalte insgesamt 1975 1960
Hokkaidö Aomori Iwate Akita Chiba Tokyo Kanagawa Aichi Mie ösaka Shimane Hiroshima Fukuoka Kagoshima Köchi
233 121 129 120 181 51 73 201 134 84 103 179 165 274 85
42,5 9,6 5,7 5,0 19,4 40,0 30,0 21,7 19,4 33,7 23,2 22,9 16,2 28,9 31,4
117 46 38 41 82 13 20 53 35 18 22 48 49 129 23
51,2 74,4 71,0 87,0 70,2 75,6 68,8 68,4 81,9 79,1 71,8 70,7 65,4 62,5 48,1
Ken, Do, Fu, To
634 593 126 731 899 741 873 450 669 649 295 450 872 282 397
134 109 121 114 146 31 51 157 108 56 79 138 138 195 58
263 872 760 610 552 019 661 713 513 119 275 409 992 084 608
785 826 358 821 274 286 733 033 982 746 459 079 309 857 852
51 11 11 5 24 3 6 16 6 3 6 14 17 48 12
491 997 121 461 558 243 478 780 527 918 326 091 047 640 384
480
7. Kapitel: Funktionen der heutigen
Agrarwirtschaft
erfaßt, von der überregionalen Wanderungsbewegung 8,5 Mio. In diesen Zahlen sind Ein- und Auswanderer aller drei Wirtschaftssektoren enthalten; auf den Agrarsektor entfiel nur ein Teil davon, aber er war 1970 wie auch in den vorangegangenen Jahren bedeutend genug, um die Bevölkerungsstrukturen im allgemeinen und die Struktur der Agrargesellschaft im besonderen in Richtung auf eine absolute Industrie- und Leistungsgesellschaft zu verändern. Die Landflucht innerhalb der Präfekturen wird mit den Diagrammkarten deutlich gemacht, die das Statistische Amt des Ministerpräsidenten jeder KenStatistik des Jahres 1970 beigab. Die Karte der Provinz Ehime kennzeichnet 38 Orte mit leeren Quadraten; diese bedeuten, daß die betroffenen Gemeinden in 5 Jahren bis zu 44% ihrer Einwohner verloren; dagegen stehen nur 5 Gemeinden, die mehr als 5 % gewannen, darunter die Ken-Hauptstadt Matsuyama mit 11%. Für Fukui-Ken ist das Bild noch negativer: 28 Gemeinden verloren 0 , 1 - 5 7 % ihrer Einwohner, nur 4 Gemeinden erfuhren ein Wachstum von 2—5%, darunter die Ken-Hauptstadt. Die Diagrammkarte für Hokkaidö (Abb. 40) verdeutlicht zugleich eindrucksvoll den regionalen Charakter dieses Vorgangs, der bis 1980, wenn auch abgeschwächt,
Abb. 40 Bevölkerungsverlust 1965-1970
und -gewinn in den Gemeinden
von Hokkaidö
während der Jahre
A. Die Entwicklung der
Agrarbevölkerung
481
anhielt und damit das Problem profilierte. Die Diagrammkarte hat grundsätzlich volle Gültigkeit über 1975 hinaus, da eine Wende im Sinne von Rückkehr von bäuerlicher Bevölkerung aufs Land nicht eintrat. Im Jahrzehnt 1965—1975 haben von den insgesamt 213 Gemeinden (32 shi, 155 chö, 26 mura) 181 Verluste hinnehmen müssen, die in vielen Fällen mehr als ein Drittel oder mehr als die Hälfte ihrer Bewohner ausmachten. Ganz eindeutig zog dabei der Raum SapporoTomakomai die Menschen an sich, sofern sie nicht Ziele auf Honshü (Kantö, Kansai) anstrebten. Besonders verhängnisvoll wirkte sich dieser Vorgang in der Subregion Ost-Hokkaidö aus, in dem Japan über die umfangreichste Siedlungsland-Reserve verfügt. Die klimatischen Verhältnisse sind freilich für Japaner alles andere als anlockend (s. Bd. 1, S. 288—89). Deshalb durfte es als ein großer Erfolg verbucht werden, daß man die Reisanbaugrenze bis in diese Subregion vorzuschieben und die großen Wälder des Konzen-Plateaus in weidewirtschaftlich nutzbare Flächen zu verwandeln vermocht hatte (Abb. 45). Gerade aus diesen Ländereien erfolgte ein Exodus, der zwar zu wesentlichen Teilen von den wenigen städtischen Zentren aufgefangen werden konnte, aber auch West-Hokkaidö und selbst Honshü zum Ziele hatte. Der Bevölkerungsverlust läßt sich beispielhaft an den Orten Akan (Kushiro-shicho), Rikubetsu (Tokachi-shichö) und Shirataki (Abashiri-shichö) belegen; die Zunahmen erfolgten insbesondere in den Städten Kushiro, Obihiro und Kitami. Akan verlor 1965—1975 insgesamt 57% seiner Einwohner; es schrumpfte von 19474 auf 8303 Personen zusammen. Rikubetsu ging um 32 % zurück und zählte nur noch 5474 Einwohner. Shirataki verkleinerte sich von 4108 auf 2362, verlor also 42% seiner Bewohner. Die Zunahmen der Städte betrugen unter Einschluß der natürlichen Bevölkerungsbewegung 18,8% für Kushiro, 21 % für Obihiro und 22,3 % für Kitami. Mit städtischem Wachstum allein ist aber der agrarischen Erschließungsarbeit wenig gedient. Der außerstädtische Bereich Ost-Hokkaidos, der 9 % des Reichsgebiets darstellt, ist mit einer Bevölkerungsdichte von 19 Menschen je km 2 an die Seite eines extremen Entwicklungslandes gestellt: das gleicht einem Notruf an die japanische Agrar- und Siedlungspolitik. Für die überregionalen Wanderungsbewegungen haben die industriellen Ballungsgebiete schon seit den fünfziger Jahren zentrale Bedeutung gehabt. Der Raum Tokyo-Yokohama hat 10 Jahre konstant etwa 30% der Wanderer aufgenommen, der Raum Ösaka-Kobe rd. 20% (Tab. 55). Das waren im Jahre des Wanderungsgipfels (1962) für Tokyo-Yokohama 147660, für Ösaka-Köbe 88320 Tabelle 55. Zielräume der Abwanderer aus Agrargebieten in den Jahren 1958—1968. Quelle: Report on Investigation of Change in Agricultural Employment, 1969 Jahr
1958 1960 1962 1964 1966 1968
Zahl d. Abwanderer in 1 000
nach großen Städten in %
TokyoYokohama in %
Ôsaka-Kôbe in %
nach anderen Plätzen in %
370 407 460 415 384 338
55,9 64,4 65,7 68,4 68,1 69,5
(28,3) (30,0) (32,1) (30,1) (30,3) (31,9)
(17,2) (19,9) (19,2) (19,3) (19,6) (18,3)
44,1 35,6 34,3 31,6 31,9 30,5
482
7. Kapitel:
Funktionen
der heutigen
Agrarwirtschaft
Menschen. Noch 1968 hatten mehr als 100000 Menschen das örtliche Ziel TokyoYokohama. Von den männlichen Zuwanderern wurde die Suche nach Arbeit im industriellen Sektor bevorzugt, von den weiblichen war der Dienstleistungssektor stärker gefragt. Die zuwandernden „Dekasegi" stellten Tokyo allein für die Unterbringung vor kaum lösbare Aufgaben. Die Entstehung von Barackenvierteln und Slums war unvermeidbar.
IV. D e r A u f b a u der Agrarbevölkerung nach Alter und Geschlecht Die Landflucht hat einschneidende Veränderungen im Altersaufbau der ländlichen Bevölkerung bewirkt. Das macht sich besonders deutlich in der Schwächung des Anteils der arbeitstüchtigen jüngeren Arbeitskräfte und damit in einer Verlagerung der Hauptarbeit auf ältere Gruppen. Im Reichsdurchschnitt entfallen auf die 20—29jährigen beider Geschlechter 23,6% der über 15 und mehr Jahre alten Bevölkerung (Labour Force), wovon die männlichen Personen 11,7%, die weiblichen 11,9% stellen, sich also ziemlich die Waage halten. Demgegenüber stehen die völlig verschobenen Strukturen in ländlichen Gebieten. Seit 1968 sind im Mittel 55 % aller landwirtschaftlichen Arbeitskräfte Frauen, nur 45 % Männer; die Arbeit lastet im wesentlichen auf den Altersgruppen zwischen 35 und 50 Jahren bei starker Mithilfe der noch älteren Familienmitglieder. Es gibt Dörfer, in denen die alten Menschen von 60 und mehr Jahren einen größeren Anteil an der Arbeit haben als die 15-29jährigen. Daß in solchen Fällen die Arbeitsintensität und Arbeitsdauer oft geringer als erforderlich sind, ist selbstverständlich. Die Arbeitskraftfrage wird eindrucksvoll dadurch beleuchtet, daß von den 23,2 Mio. bäuerlicher Bevölkerung des Jahres 1975 nur 6,1 Mio. bzw. 26% offiziell in bäuerlicher Arbeit standen (Tab. 53); die übrigen 74% suchten ihre Beschäftigung in den nicht-agrarischen Bereichen. In ländlichen Gemeinden von Shimane-Ken ist der Anteil der 20—29jährigen (Gruppe A) an den Werktätigen insgesamt auf 1 0 - 1 9 % gefallen, während die 40-49jährigen (B) 2 0 - 2 2 % einnehmen. Besonders extrem erscheinen die Veränderungen, wenn man die Anteile der Geschlechter gegenüberstellt, da in vielen Fällen die weiblichen Arbeitskräfte (w) in städtischen Dienstleistungsbereichen leicht Aufnahme fanden. In Matsue sind von den 21,7% der Gruppe A nur 10,1 % männlich (Am), aber 11,6% weiblich (Aw). Während die Gruppe A in Köbe 24%, in Tokyo (Ku-Gebiet) 29,8% und in Sapporo 30,3 % der Werktätigen auf sich vereinigt, sank in den ländlichen Gemeinden dieser Anteil von 20 bis auf 10% (Tab. 56). In den meisten Fällen ist der Anteil der Gruppe B (40-49jährige) größer als der von Gruppe A. In Muraoka (Hyögo-Ken) entfallen auf die Gruppe B 20,5%, auf A nur 10,9%, die sich wiederum aufteilen in 5% Am und 5,9% Aw. Der auf die weiblichen Arbeitskräfte ausgeübte Sog ist im Kantö besonders stark. In Ueno-mura des Gumma-Ken verblieben für Gruppe A 12% der Werktätigen, davon 6,2% für Am, 5,8% für Aw. Auch die ländlichen Gemeinden Hokkaidös zeigen, daß die Altersgruppe A (20-29jährige) so stark von der Landflucht betroffen wurde, daß die Gruppe B
A. Die Entwicklung der Agrarbevölkerung
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B. Die soziale Lage der bäuerlichen
Bevölkerung
491
Industriegürtel und zugleich von Großstädten fernste Teil der Hauptinsel Honshü. Die Industrialisierungswellen liefen hier später als in den übrigen Landesteilen auf und erfuhren schon im östlichen und nördlichen Kantö dank der hier gepflegten agrarischen Produktionsrichtungen eine Abschwächung. Die großen Ebenen von Echigo und Etchü (Toyama) entbehren eines Großhafens mit wirksamem Fernverkehr und sind durch so hohe Gebirge von der pazifischen Seite getrennt, daß sich entlang der Japanmeer-Küste der agrarische Charakter der Region neben den Vorgängen der Industrialisierung noch relativ gut behaupten konnte. Ein stärkerer Einbruch in den agrarischen Wirtschaftssektor gelang der Industrie* und Leistungsgesellschaft in den zum Typ 2 gehörenden Provinzen. Wesentliche Ursache hierfür ist die Nähe der industriellen und kommerziellen Kerngebiete. Muster für solche Einflußnahme sind die Provinzen Mie und Shiga (s. o.). 5. In den Strukturtypen 3 und 4 sind alle jene Ken zusammengefaßt, deren Betriebsgrößenstruktur wesentlich von den Klein- und Kleinstbetrieben bestimmt wird. In ihnen ist sogar die Gruppe der Betriebe von weniger als 0,5 ha um Mehrfaches größer als die Gruppe von 0,5—0,7 ha. Im Kern handelt es sich um die Tökaidö-Setonaikai-Region, in der solche Entwicklung schon in der Tokugawazeit vorbereitet wurde. Die günstigen ökologischen Bedingungen dieser Region gewährten auch auf kleiner Wirtschaftsfläche eine ausreichende Existenzgrundlage, insbesondere wenn die mithelfenden Familienmitglieder eine zweite Feldbestellung für den Winter möglich machten. Die große Anzahl kleiner Betriebe erbte sich fort. Es traten neue Kleinstbetriebe hinzu, andere verschwanden völlig. Ursache hierfür war der Bodenbedarf der sich ausweitenden Städte, Industrie- und Verkehrsanlagen. In den Ken des Typs 4 schrumpften die Betriebsgrößenklassen von 1—2 ha auf 9 % in Tökyö-to, 4 % in Ösaka-fu und 7,8% in Nara zusammen, und die Betriebe von mehr als 2 ha sind so selten, daß sie in Ösaka nur 0,2%, in Nara 0,3 % der Gesamtzahl ausmachen (s. Tab. 59). Demgegenüber steigen die zahlenmäßigen Anteile der Betriebe von weniger als 0,7 ha bis auf 86 %. Typ 3 zeigt die Entwicklung zu diesen Extremwerten im Übergang. Entsprechend kennzeichnet er räumlich die Ken, die dem industriellen Kernraum anliegen. 6. Ein Sondertyp ist Hokkaidö. Die Agrarwirtschaft der Nordinsel stellt in mancherlei Hinsicht das herausfordernde Gegenüber zur traditionsbeladenen Agrarwirtschaft der sog. Stamminseln dar. Die erst während der Meijizeit in Angriff genommene planmäßige Erschließungsarbeit berücksichtigte bei der Zuteilung von Wirtschaftsflächen die von den Einwandernden als ungewohnt empfundenen ungünstigen ökologischen Bedingungen. Der ausnahmslos in den Bereich von D-Klimaten fallende Siedlungsraum (vgl. Bd. 1, S. 287—292) verlangte nach Wirtschaftsflächen von mindestens 3 ha. Zweidrittel aller Betriebe verfügen heute über 3 - 7 , 5 ha und mehr. Wenn sich auch auf Hokkaidö Klein- und Kleinstbetriebe herausentwickelten, so sind diese weit problematischer als entsprechende Betriebe auf den Stamminseln. Es sind immerhin fast 20%, die im Zusammenhang mit der Industrialisierung und Verstädterung zum sozialen Problem wurden. Regional gesehen, finden sie sich vorwiegend in der verstädterten Region Mittel-Hokkaidos.
7. Kapitel: Funktionen
492
der heutigen
Agrarwirtschaft
II. Fragen des Lebensstandards 1. Das
Einkommen
Die Kernfrage, wie das Einkommen der Bauern der Einkommensentwicklung in den übrigen Wirtschaftszweigen anzugleichen sei, wurde von der Landreform der Nachkriegsjahre (s.o.) nicht gestellt, geschweige denn gelöst. Die Versuche, das monatliche Bareinkommen mit jenem der städtischen Gehalts- und Lohnempfänger zu vergleichen und dabei festzustellen, daß sich die Einkommen im Laufe der Jahre angeglichen hätten, übersehen die Mühe, die viele Bauern auf sich nehmen müssen, um diese Einkommensgrenze mit Hilfe verschiedenster Nebenbeschäftigungen zu erreichen (69). Die Nebenbeschäftigungen beeinträchtigen im übrigen den Lebensstandard, verkürzen die Zeit für Ruhe und Erholung (leisure time), ziehen die Aufmerksamkeit von der Hauptbeschäftigung ab und versetzen den Betroffenen in seelischen Zwiespalt, der Unruhe erzeugt. Die Tatsache ist nicht wegwischbar, daß der landwirtschaftliche Hauptberuf die finanzielle Sicherheit für die Deckung der Lebenskosten nicht gewährt und deshalb zu Nebenerwerb nötigt. Dabei liegen die Verhältnisse regional sehr verschieden; sie richten sich nach der Ertragshöhe je ha, nach dem Arbeitskräftepotential des Hofes, dem in den meisten Fällen die jungen Leute fehlen, und schließlich nach der Nähe des Absatzmarktes. Sogenannte „Große Haushalte" werden nicht nach der Wirtschaftsfläche, sondern nach den Einkünften ermittelt. Es sind jene Haushalte, die von ihrer Wirtschaftsfläche leben können, und das hieß 1965 über ein BruttoEinkommen von 1 Mio. Yen verfügen. Zu dieser Gruppe gehörten 1965 nur 2% aller Haushalte, was bedeutete, daß schon damals auch die als vollbäuerlich gezählten Betriebe in ihrer Mehrzahl von den Verlockungen des außerbäuerlichen Nebenerwerbs ergriffen waren. Das ist bis heute so geblieben. Inzwischen hat das für einen großen Haushalt erforderliche Brutto-Einkommen einen weit höheren Betrag erreicht. Die mittleren Einnahmen einer 4-köpfigen Familie, die 1,5 Arbeitskräfte stellt, werden im Statistical Yearbook 1977 für das Jahr 1975 mit monatlich 236000 Yen oder jährlich fast 3 Mio. Yen angegeben; für die Betriebsausgaben eines gesunden landwirtschaftlichen Betriebs müßte diese Summe, sollte ein mit städtischen Verhältnissen vergleichbarer Lebensstandard erstrebt werden, bedeutend erhöht werden. Solcher Bruttoeinnahme erfreuen sich nur einzelne landwirtschaftliche Haushalte; die große Masse bleibt auf ihrer Einnahmenseite unter dem Reichsdurchschnitt. In einer Fallstudie hat T. A K A H A N E die Nebenbeschäftigung der Agrarbevölkerung des zwischen Süd- und Zentralalpen eingeklemmten Ina-Beckens untersucht (1). In diesem Becken hat sich, den bäuerlichen Bedarf an Nebenerwerb nutzend, eine arbeitsintensive elektronische Industrie niedergelassen. Sie hat ein hierarchisches System von Arbeitsstätten in der Stufenfolge von Hauptwerken, Zweigwerken, Subkontrakt-Firmen (shita-uke-gaisha) und Heimarbeiterinnen aufgebaut. Insgesamt wurden 1970 in dieser Firma rd. 3000 ländliche Arbeitskräfte beschäftigt. Zweidrittel davon waren Frauen, wobei bemerkenswert ist, daß die älteren Jahrgänge der weiblichen Arbeitskräfte vorwiegend Heimarbeiterinnen waren. Die am reinsten bäuerlich gebliebenen Haushalte findet man in Ost-Hokkaidö, in den Ebenen von Töhoku und Hokuriku sowie im äußeren Halbkreis des
B. Die soziale Lage der bäuerlichen
Bevölkerung
493
östlichen Kanto. Es muß übrigens gesagt werden, daß aus vollbäuerlichen Betrieben auch Jugendliche aus Lust am Abenteuer Nebenerwerb in Großstädten suchen und das Heer der Dekasegi verstärken, die sich aus akuter wirtschaftlicher Verklemmung auf Wanderung begeben. Die Mainichi Daily News schrieb (13.2. 1975): „Im Winter kommen Bauern aus Töhoku als verheiratete Junggesellen nach Tokyo und anderen städtischen Gebieten, um einen job zur Ergänzung ihres mageren landwirtschaftlichen Einkommens zu suchen. Man nennt sie dekasegi, von denen heute in der Zeit der Rezession mancher vergebens nach einem job suchen wird." Von diesen Dekasegi sind die Tanshin Funin zu unterscheiden, die sehr zahlreich geworden sind. Es handelt sich um Firmenangestellte, die auf Außenposten Pionierarbeit zu leisten haben, ohne Frau und Kinder mitnehmen zu können; sie stehen mit agrarwirtschaftlichen Problemen in keinerlei Verbindung. 2. Die Technisierung der Betriebe Die Entwicklung landwirtschaftlicher Maschinen, die auch auf kleinen Reisparzellen benutzbar sind, kam rechtzeitig, um die Arbeitsleistung der jungen Arbeitskräfte einigermaßen auszugleichen, die nach den Industriezentren abwanderten. Noch in den Jahren der Landreform (bis 1950) besaßen nur 10% aller Betriebe eine Maschine mit Elektromotor, 5% der Haushalte eine Maschine mit Verbrennungsmotor. Die Prozentsätze hoben sich 1960 auf 20% bzw. 28% und im Jahre 1970 verfügten 3 Mio. Haushalte (60%) über 3,4 Mio. Kultivatoren und Traktoren mit Elektro-Antrieb. Diese Zunahme näherte sich 1976 mit 3,9 Mio. der 4 Millionen-Schwelle und hat damit den ersten Sättigungsgrad erreicht. Regional gesehen, sind nur wenige Ken in dieser Entwicklung zurückgeblieben. Während dieser Maschinenbestand in den Kanto-Provinzen und in Hokkaido im Durchschnitt mit der Zahl der Haushalte übereinstimmt, steht er in den übrigen Reichsteilen im Verhältnis zur Zahl der Haushalte noch bei 7 0 - 8 0 % . Überall sagen die Maschinenbestände aber aus, daß auch viele Kleinbetriebe über einen Kultivator oder Traktor verfügen bzw. in kooperativer Nutzung haben. Einen weit geringeren Sättigungsgrad hat die Verwendung moderner Reispflanzmaschinen erfahren. Allerdings sind diese Maschinen erst seit 1970 stärker in den Handel gekommen. In noch vielen Landschaften Japans setzt man die Reispflanzen noch in traditioneller Handarbeit. Immerhin waren 1976 schon 1,3 Mio. Reispflanzmaschinen in Verwendung. In den Provinzen Miyagi, Tochigi, Toyama und Fukuoka, d.h. in Gebieten, die sich durch einen hohen Anteil von Betrieben bis zu 2 ha Wirtschaftsfläche auszeichnen, verfügen bereits mehr als 30% aller Haushalte über diese Maschinen. Auf 10 ha Reisanbaufläche entfallen in Tottori, Yamaguchi, Ehime und Fukuoka 5—6 Reispflanzmaschinen, ein Zeichen auch dafür, daß man hier vom genossenschaftlichen Zusammenschluß viel Gebrauch gemacht hat. Okinawa hat an diesen Entwicklungen bislang geringen Anteil genommen und erscheint noch als Entwicklungsland. Der Bestand an landwirtschaftlichen Maschinen insgesamt ist seit 1931, als man erst 148000 zählte, über 3,34 Mio. 1965 und 5,67 Mio. 1970 auf 12,76Mio. im Jahre 1976 angewachsen. Die Kultivatoren und Traktoren nehmen davon ein Drittel ein; die verbleibenden Drittel entfallen auf alle Arten von Maschinen, wie sie international üblich sind, auf Combiner, Binder, Beregnungsanlagen, Elektro-
494
7. Kapitel: Funktionen der heutigen
Agrarwirtschaft
stäuber, Dreschmaschinen, Reispflanz- und Reistrocknungsmaschinen, die für das heutige Japan kennzeichnend sind. Der Bauer hat durch die Belieferung mit Maschinen erstmals aus der Industrie unmittelbaren Nutzen gezogen, er hat sie aber gleichzeitig, wie schon in der Meiji-Zeit, beachtlich gefördert; denn ohne den großen Binnenmarkt für landwirtschaftliche Geräte wäre sie weniger leistungsfähig gewesen. 3. Rentabilitätsförderung der Betriebe durch übergeordnete Stellen Eine wechselseitige Begünstigung von Industrie und Landwirtschaft vollzog sich auch auf dem Sektor der Bodenpflege, insbesondere der Verwendung von Düngemitteln. Ogura (42, 369) berechnet für die Ausgaben an Düngemitteln 3 0 % der Betriebskosten. Die hohen Ernteerträge der letzten 20 Jahre haben ihre Ursache nicht nur in einer ortsgerechten Be- und Entwässerung sowie in der vielerorts geübten Verwendung des motorisierten Tiefpflugs, sondern ganz wesentlich in der ausgewogenen Bodenpflege durch Beigabe chemischer Düngemittel. Die Düngemittelfabriken haben die Agrarzentren als Standorte bevorzugt gewählt. Eine umsichtige Düngung war und ist um so erforderlicher, als die Böden in der Tokugawa-Zeit so starke Degradierung erfahren hatten, daß sich diese noch bis in die Vorkriegszeit geltend machte und während der Kriegsjahre wieder verschlimmert worden war. Mit Gras und Laub, mit organischen Stoffen also, die sich im warmfeuchten Mittel- und Südjapan rasch zersetzen, und mit Fäkalien hatte man jahrhundertelang und noch bis in die Vorkriegszeit hinein gedüngt, wobei erst seit 1930 auch Sojabohnenkuchen, Fischmehl und Ammoniumsulfat in steigenden Mengen zugesetzt wurden. Die Verwendung chemischer Düngemittel ist schließlich zur Selbstverständlichkeit geworden, was nicht ausschließt, daß Fäkaliendüngung in Gebirgslandschaften und auf gewässerlosen Inseln noch lange Brauch war. Selbst auf dem küstennahen Hatsushima vor Atami konnte vom Verf. 1971 festgestellt werden, daß Fäkaliendüngung noch üblich ist. Im Jahre 1947 ging man im Rahmen der Landreform an eine systematische Bodenaufnahme zur Ermittlung der Bodenqualitäten (42). Dabei erkannte man die Verschiedenheiten der ökologischen Bedingungen (vgl. Bd. 1, S. 340—347). Reisfelder auf vulkanischen Ascheböden — sie umfaßten 1965 rd. 64000 ha — sind arm an Phosphor; in Tohoku sind sie zusätzlich auch kalt. Es müssen für solche Böden fünf- bis zehnmal mehr phosphorhaltige Düngemittel verwendet werden als anderswo. Reisfelder in anmoorigen Gebieten enthalten zu viele organische Stoffe; außer an Stickstoff sind sie zu arm auch an anderen Nährstoffen. Entwässerung ist erforderlich, die der Bauer nicht allein vornehmen kann. Uber das ganze Land sind Felder von zu geringer Drainage verteilt. Die Polderländereien bedürfen laufender Behandlung zur Verhinderung von Versalzung. Sandige Feldlagen bedürfen eines Zusatzes von lehmigen Böden. Die Mechanisierung der Betriebe wie die Bodenpflege geschieht unter intensiver Beratung. Diese Maßnahmen haben zwar zu höheren Investitionskosten geführt, ermöglichen aber auch eine Erhöhung der Einnahmen infolge wachsender Hektar-Erträge. Mißt man den Lebensstandard nach dem Besitz von Einrichtungsgegenständen, dann gibt es nur noch in wenigen Fällen einen Unterschied zwischen den Beschäftigten in der Agrarwirtschaft und im industriell-kommerziellen Bereich. Aber
B. Die soziale Lage der bäuerlichen
Bevölkerung
495
der Lebensstandard bestimmt sich nicht nur aus déni bloßen Besitz materieller Kulturgüter. Vom Mangel der Bauern an Ruhezeit und seelischer Entspannung wurde bereits gesprochen. Hinzugefügt werden muß der Mangel an Bildungsmöglichkeiten für die heranwachsende Jugend. Die Analyse von Hikimi machte deutlich, daß den Kindern die Chance für Gymnasialbildüng in vielen Fällen kaum gegeben ist. Etwa 75 % der Mura und Machi Hokkaidôs liegen zur Stadt (shi) mit höherer Schule in Eisenbahn- oder auch Luftlinienentfernung von 40 und mehr Kilometern. Noch schwierigere Situationen ergeben sich für Kindergärten, Erwachsenenbildung, Stätten der musischen Bildung. Im TV liegt hier der konzentrierte und zugleich fragwürdige Ersatz.
III. Ië, Dôzokudan und die Dorfgemeinschaft im Rahmen der administrativen Neugliederung 1. Das Ië-System Es sind nicht die einzelnen Bauern, es sind Familien, die den Hof bewirtschaften und als Familien die Dorfgemeinschaft bilden. Das Denken im Geschlechterverband ist ein Erbe aus frühgeschichtlicher Zeit (vgl. Kap. 1); unter konfuzianischem Einfluß wurde es in der Feudalzeit geradezu systematisiert (vgl. Kap. 3). Es wirkt noch heute im Sinne einer Bezugsbasis fort, an der sich die Stärke der Progressivität messen läßt. Das gilt für Japan allgemein, im besonderen aber für die Agrargesellschaft. Grundsätzlich gehört jede Einzelperson zu einem „Haus", jap. ie. Neue Familien stellen Zweigfamilien oder bunke eines ie dar, von denen aus das ie, aus dem sie hervorgingen, als honke oder Stammfamilie betrachtet wird. Der familienrechtliche Wohnsitz, das honseki, spielt zwar nicht mehr im öffentlichen Recht, aber im Bereich menschlicher Bindung noch heute eine bedeutende Rolle. Es liegt nur zehn Jahre zurück, daß es TADASHI FUKUTAKE für erforderlich hielt, die Öffentlichkeit auch außerhalb Japans auf das unterschwellige Nachwirken der Familientraditionen in aller Ausführlichkeit aufmerksam zu machen (13). Die nachstehenden Darlegungen folgen seinem Buch aus der Überzeugung, daß ohne einen Einblick in den Vorstellungsbereich des Ië die sozialen Vorgänge und Spannungen unverstanden bleiben, die sich im Exodus der ländlichen Bevölkerung und in der milderen Form der Dekasegi oder auch im industriegesellschaftlichen Tanshin Funin äußern. Zum „Haus" (ie) gehören die Stammfamilie, die Zweigfamilien, der Familienbesitz, die Grabstätten der Ahnen, das Acker- und Waldland, das Vieh und die Gerätschaften — und in dieser Gesamtheit nimmt das „Haus" seine soziale Stellung in der Dorfgesellschaft ein. Persönliche Wünsche und Vorhaben der Mitglieder des Hauses ordnen sich den Interessen des Hauses ein. Das Ansehen des Hauses gilt es zu bewahren und zu erhöhen. Das „Haus" ist das Bleibende; die Wahrer des Hauses wechseln durch Generationsfolge. Das „Haus" ist die Objektivation des Aufstiegs oder Niedergangs eines Geschlechtes in der Bewegung der Zeiten. Aus diesem Gedanken wird die hohe Stellung des verantwortlichen Hausherrn verständlich. Er wacht über den Familienbesitz; ihm obliegt die Verehrung der Ahnen; er gibt den Segen zur beruflichen Tätigkeit der Mitglieder des Hauses. Das Familienoberhaupt war deshalb noch in den Jahren vor dem Einbruch
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7. Kapitel:
Funktionen
der heutigen
Agrarwirtschaft
der technischen Welt auch für die Enkel eine größere Autorität als die Eltern des Kindes. Das „Haus" ist charakterisiert durch das Verhältnis von Herr und Gefolgschaft. Es galt das Erstgeburtsrecht (Primogenitur), wie es im Zivilgesetz der Tokugawa-Zeit für die Samuraifamilie sanktioniert worden war. Demgemäß war auch die Heirat weniger ein Angelegenheit der betroffenen Partner als eine Frage der Übereinkunft zwischen zwei Häusern; die Braut war vor allem eine junge Frau und Arbeitskraft des Hauses, deren bedeutendste Funktion in der Erhaltung des Fortbestandes der Familie gesehen wurde. Das bis zum Zweiten Weltkrieg geltende Bürgerliche Gesetzbuch von 1 8 9 6 - 1 8 9 8 sah vor, daß Männer bis zum 30. und Frauen bis zum 25. Lebensjahr für die Eheschließung die Einwilligung der Eltern beizubringen hatten (13,44). Zum Verständnis der Landflucht muß noch ein Wort zum Verhältnis der Kinder innerhalb der Familie gesagt werden, soweit dies noch bis 1945 zutraf. Die autoritäre Stellung des Hausherrn färbte naturgemäß auf den ältesten Sohn ab, der einst das Erbe anzutreten hatte. Der Bedeutungswert der Geschwister findet in der volkstümlichen Redensart Ausdruck, daß eine Familie drei Kinder haben sollte: „Eines zum Verkaufen, eines zur Erbfolge und eines in Reserve." Im Idealfall war das Erstgeborene ein Mädchen; sie war das Kind zum Verkaufen, d.h. zur Weggabe für die Heirat. Dann kam der Sohn als Erbe, und dann, da man nie sicher sein durfte, ob der Erbe nicht zu Schaden kam, der zweite Sohn. Die zweiten und dritten Söhne, soweit sie nicht auf dem Hof genügend Arbeit fanden, bildeten seit der Meiji-Zeit die Reserve für die Entwicklung der Industrie, wobei man auf kleineren Höfen erwartete, daß der in Industrie oder Handel Beschäftigte dem Hof einen Teil seines Lohnes abgab: Eine stille Verpflichtung, die auch den heutigen Dekasegi und endgültig in städtischer Tätigkeit befindlichen jungen Menschen auferlegt ist. Die Töchter waren für die Erhaltung des Ie-Fortbestandes ohne Bedeutung. Tochter zu sein war im Grunde ein trauriges Los. Nur weil zu erwarten war, daß unter den Kindern auch ein Mädchen sei, hoffte man, daß dies zuerst geboren wurde: denn die Tochter war die am schnellsten entwickelte Hilfe im Haushalt und die beste Unterstützung bei der Betreuung nachfolgender Brüder. Nach Erledigung dieser Funktion kostete sie nur noch Geld; denn für ihre Verheiratung mußte die Mitgift gespart werden, und aus dieser Sicht hieß es, drei Töchter vermögen den Wohlstand des „Hauses" zu ruinieren. War die Lebensqualität einer Tochter schon durch ihre geringe Bewertung gegenüber den Söhnen herabgesetzt, so mußte ihr Leben zur seelischen Folter werden, sobald sie heiratete und damit in eine andere Familie eintrat, in ein anderes ie. Von Anbeginn hatte sie sich nicht nur ihrem Mann, sondern auch dem Hausherrn und ganz besonders der Schwiegermutter unterzuordnen. Wenn sie die Wünsche der Schwiegermutter nicht voll erfüllte und nicht rücksichtsvoll genug gegenüber den Schwägerinnen war, konnte sie sich als eingeheiratete Frau kaum behaupten. Erst wenn sie ihre Probezeit voll bestanden hatte, wurde sie ins Familienregister eingetragen, und dies geschah vor allem nicht, so lange sie noch kein Kind geboren hatte. „Eltern kann man nicht abschaffen, die Frau aber kann man wechseln", so hieß eine Redensart, und eine andere: „Brüder und Schwestern gehören zusammen wie Hände und Füße, die Frau aber ist wie ein Kimono: Beide kann man ablegen und wechseln".
Mußte die Gesetzgebung der Industriegesellschaft, wie sie unter amerikanischem Einfluß nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde, für die Frau nicht eine große Befreiung sein? Der Sog, der von den Industriestädten auf die Landbevölkerung ausgeübt wurde, mußte die Frauen nicht nur aus materiellen, sondern besonders aus ethischen Gründen erfassen. Mit dieser Deutung ist zugleich gesagt, daß die Mobilität der Agrarbevölkerung nicht nur aus der Sicht engster Gegenwart verständlich wird, sondern auf dem Hintergrund von Traditionen ihren tieferen Sinn erhält. Denn selbstverständlich lösten sich die traditionellen Bindungen nach dem Inkraftsetzen der neuen Verfassung am 3.Mai 1947 nicht schlagartig. Im Artikel 24 dieser Verfassung wurde das /¿'-System ausdrücklich verworfen. Söhne und Töchter wurden zu gleichen Teilen erbberechtigt. Was aber im übrigen atmosphärisch als konfuzianisches Ge-
B. Die soziale Lage der bäuerlichen
Bevölkerung
497
dankengut seit Jahrhunderten das Zusammenleben in der Familie bestimmt hatte, war nicht durch Gesetz wegzublasen. Deshalb ist das /¿'-System immer noch von unterschwelliger Wirklichkeit. FUKUTAKE verwies 1969 noch auf das Befragungsergebnis, das 1960 veröffentlicht wurde und hier verkürzt in Tab. 60 wiedergegeben wird. Die Übersicht offenbart, wie langsam sich das Umdenken vollzieht und wie wesentliche Bestandteile des /¿'-Systems auch heute noch wach sein mögen. Tabelle 60. Meinungsumfrage über das le-System, 1960. In % der (Aus: Tadashi Fukutake, Lit. Nr. 13)
Antworten
Antworten
in befragten Dörfern
in befragten Städten
das alte das neue beide haben etwas für sich ohne Entscheidung
42,6 27,4 6,7 23,3
16,0 51,4 24,4 8,2
ja, besser nein hängt von den Umständen ab ohne Entscheidung
72,3 17,5 8,5 1,8
18,7 58,8 20,8 1,7
Frage 1 Halten Sie das alte oder das neue Zivilgesetz für das bessere? Frage 2 Halten Sie es für besser, wenn der älteste Sohn nach seiner Hochzeit mit seiner Frau im Elternhaus lebt oder nicht?
2. Die Dözokudan
(Verwandtschaftsgruppen)
Offizielle Abwertung in noch stärkerem Maße als das le erfuhren die Dözokudan, die aus den Verzweigungen von Stammfamilien sich zusammensetzenden Verwandtschaftsgruppen. Regional sind die Bezeichnungen für derartige Gruppenbildung verschieden. Dözokudan ist der am häufigsten verwendete Begriff (13, 61—77). Abzweigungen von der Stammfamilie und damit Neugründungen von le konnten erfolgen, wenn der Stammhof dies erlaubte, insbesondere wenn die Erweiterung der landwirtschaftlichen Nutzfläche durch das Angebot von Polderoder Rodungsland die Neugründung eines le auf diesem Neuland empfehlenswert erscheinen ließ. In einer typischen Dözokudan stellt die ursprüngliche Stammfamilie das Dach für alle Zweigfamilien dar, was in der gemeinsamen Verehrung des Familien-/Cawi seinen höchsten Ausdruck fand. Um das Dözokudan-Oberhaupt versammelt sich die Großfamilie zum Neujahrstag und zum Bon-Matsuri, dem Totenfest in der Mittsommerzeit zwischen dem 13. und 16. Juli. In Dörfern, deren Bevölkerungskern von einer starken Dözokudan gebildet wird, ordnen sich schwächere Familienkreise bei solchen Gelegenheiten sogar in diese ein. In reiner Ausprägung gibt es die Dözokudan nur noch vereinzelt, aber im Prinzip ist das Denken in Richtung darauf lebendig. Von Bedeutung ist aber das weitherzig verstandene Oyabun-kobun-Verhältms geblieben: Es ist der Beziehung Eltern-Kind nachgebildet und läßt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Die. Grundform liegt im Verwandtschaftsverhältnis Stamm-Zweigfamilie (honkebunke); sie wird heute überdeckt durch wirtschaftliche Abhängigkeitsbeziehungen. Die Kobunseite
498
7. Kapitel:
Funktionen
der heutigen
Agrarwirtschaft
tritt aus Dank für Hilfeleistungen bei der Oyabunseite in Dienst (Hilfe im Haus und auf dem Felde). Die Landreform hat die Dözokudan zum Erliegen gebracht. An ihre Stelle sind die Zusammenschlüsse in Genossenschaften für die verschiedensten betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten getreten. Das Prinzip der Gleichheit unter den Partnern hat patriarchalische Bestrebungen ausgeschaltet. Das Dözokudan-Denken schwingt aber noch mit, wo das Ie-System unterschwellig erhalten blieb. 3. Die Dorfgemeinschaft Noch in der Tokugawa-Zeit war das Dorf eine in sich geschlossene geographische, gesellschaftliche und administrative Einheit. Es unterstand der Aufsicht eines Daikan oder Magistrats, den der Daimyö an verschiedenen Plätzen seines Lehnsgebiets eingesetzt hatte (42). In diese gewachsene Gegebenheit griff die MeijiRegierung verändernd ein. Die 1871 — 1885 durchgeführte administrative Neugliederung legte die 30000 ländlichen Siedlungen in 11000 zusammen, und die späteren Neuordnungen ließen die Zahl der administrativen Dörfer auf 10743 (1920), 8289 (1950), 1031 (1960) und schließlich 616 im Jahre 1980 schrumpfen, während die Zahl der Kleinstädte (machi), großen Städte (shi) und Großstädte (shi über 100000 Einw.) durch administrative Maßnahmen auf 1993, 454 und 193 stieg. Hyögo-Ken, der Fläche nach eine der großen Provinzen, hat seit 1970 administrativ kein einziges „Dorf". Das gilt auch für Kagawa-Ken. Schon seit der Meiji-Zeit spricht man von den „natürlichen" Dörfern, die landschaftlich als Siedlungseinheiten erscheinen, im Gegensatz zu den administrativen Dörfern. Der topographischen Lage nach kann man Flachlanddörfer, Bergfußdörfer und Gebirgsdörfer unterscheiden; in ihrer Häufigkeit stehen sie im Verhältnis 50: 30: 20. Die Verwaltung hat selbst diesen grundlegenden, die Wirtschafts- und Verkehrsstruktur mitbestimmenden Lagemerkmalen keine entscheidende Bedeutung zugemessen. Immerhin befinden sich im Gebirge noch am ehesten Dörfer alten Typs. Die „natürlichen" Dörfer konnten selbstverständlich nur ihre administrative Eigenständigkeit verlieren. Gesellschaftlich und großenteils auch wirtschaftlich bestehen sie als Ortsteile oder buraku fä oder f f fort. F u k u t a k e verwendet für sie den Ausdruck „hamlet", um die Andersartigkeit dieser Ortsteile gegenüber dem Mura oder Village deutlich zu machen (13, 83); im Deutschen könnte man von Altdörfern, auch von Weilern sprechen, wenn die Zahl der Haushalte sehr gering ist. Diese Buraku spielen noch heute bei der Beurteilung der ländlichen Bevölkerungsstruktur eine Rolle: Denn gerade die Abgabe dörflicher Funktionen an die administrative Zentrale hat jene Funktionsentleerung heraufbeschworen, die Unzufriedenheit und Abwanderung in die Stadt erzeugte. Im Jahre 1960 lag die durchschnittliche Größe der Buraku bei 64 Haushalten; davon waren 39 bäuerlich. Als „groß" gilt ein Buraku, wenn es über mehr als 64 Haushalte verfügt. Beim Buraku sind folgende Merkmale eines Dorfes verblieben (13, 89ff): 1. Es fällt die Entscheidung über die Fragen der Feldbewässerung 2. Es verfügt über Gemeindeland 3. Es verfügt über eine eigene nöji-jikkö-kumiai, d.h. eine Vereinigung für praktische Landwirtschaft
B. Die soziale Lage der bäuerlichen
Bevölkerung
499
4. Es unterhält ein Gemeindehaus bzw. Köminkan 5. Es hat eigene Schreine (jinja) und Tempel (ötera). Für die Feldbewässerung trägt die Buraku-Gesellschaft die Hauptverantwortung. Sie beschließt bzw. erhält die Zusammenarbeit mit Nachbardörfern. Im Durchschnitt beschränken sich 20% der Bewässerungsanlagen auf das BurakuGebiet, 40 % gehören zum erweiterten, auf Nachbargebiete übergreifenden Bewässerungssystem, 30% hängen an ferner liegenden Verwaltungseinheiten und ein Rest entfällt auf Einrichtungen einzelner Haushalte. Das Gemeindeland ging den meisten Buraku verloren. Einschneidend war das Gesetz der Meiji-Zeit, das Wälder dem Staat zuwies. Von großer Aktivität sind die Vereinigungen für praktische Landwirtschaft. Sie betreiben in genossenschaftlichen Zusammenschlüssen die Schädlingsbekämpfung, die Anschaffung und Benutzung landwirtschaftlicher Maschinen, die Unterhaltung von Werkstätten und gegebenenfalls auch die Instandhaltung von Seidenraupenbrutstätten. Mehr als 50 % aller Buraku erbauten ein eigenes Gemeindehaus, dem in vielen Fällen ein Kindergarten angeschlossen ist. Von großer Wirkung im Sinne der Pflege traditioneller Dorfgesinnung sind noch heute die Shintö-Schreine und die buddhistischen Tempel. Die Schreine sind Eigentum des Buraku; in ihnen wird die auf lange Vergangenheit zurückgehende Dorfschutzgottheit (ujigami) verehrt. Am Beispiel des als Buraku in die Marktgemeinde Mikata-chö aufgegangenen Mukasa (Fukui-Ken) hat JOSEF KREINER die gemeinschaftsbildende Kraft der Kultorganisationen auf Dorfebene untersucht (27). Traditionell stellt der shintöistische Dorfschrein (miya) den Mittelpunkt des Dorflebens dar. „Das Dorf als Kultgemeinde des Schreines wird ujiko genannt. Ursprünglich ist ujiko nur die Gemeinschaft der von einer Gottheit Beschützten und wird erst im Laufe der Neuzeit eingeschränkt auf die im Dorf Geborenen bzw. vollberechtigt dort Aufgenommenen." Eine etwas andere Stellung nimmt der Buddhismus in der Dorfgemeinschaft ein. Er wurde ursprünglich vom Tennö-Hof und vom Adel getragen, und erst seit der Kamakura-Zeit haben seine Sekten auch im breiten Volk um Mitglieder (danka) geworben, wobei die Gehöfte eines Dorfes zu verschiedenen Sekten und damit zu verschiedenen Kultgemeinden gehören konnten, die auch über den Ort hinweggriffen. Die Mitglieder sind mit ihrer Sektenzugehörigkeit in ein vertikal geordnetes System von Haupt- und Zweigtempeln (honzan und matsuji) eingegliedert. Schließlich besteht innerhalb des Buraku noch ein dritter Typ von Kultgemeinden: Es sind die Wallfahrts- und Kultgruppen, „die auf freiwilliger Basis und der persönlichen Überzeugung des einzelnen beruhen" (27, 86). Sie stellen Gemeinschaften dar, die sich über Regionen oder auch ganz Japan erstrecken und regelmäßige Wallfahrten zu bekannten Kultstätten unternehmen. In Mukasa gibt es zwei solcher Vereine, den Ise-kö und Atago-kö 5 . „Beide umfassen heute fast alle Dorfbewohner und besitzen 1,6 ar (Atago) bzw. 3 ar (Ise) an heiligen Feldern, deren Ertrag zur Veranstaltung der jährlich von einem andern Mitgliedshaushalt betreuten Kultversammlung und der Wallfahrt von je vier Mitgliedern zu den betreffenden Heiligtümern in Kyöto und Ise verwendet wird. Von dort werden Amulette mitgebracht und an alle Mitglieder verteilt" (27, 86—87).
Insgesamt ist es ein vielgliedriges Geflecht von Beziehungen, die den Einzelnen schon während der Jugendjahre in die Buraku-Gemeinschaft einbinden und ihm Funktionen und menschlichen Wert zulegen. 5 Atago, eine shintöistische Gottheit, die vor Feuer schützt, wird an vielen Plätzen Japans verehrt. Die bedeutendsten und von vielen Pilgern besuchten Schreine stehen auf dem Atagoyama (924 m, 8 km NW von Kyöto).
500
7. Kapitel: Funktionen der heutigen Agrarwirtschaft
Nachklänge des Ie- und Dözokudan-Systems, Gemeinschaften der Feldbewässerung und Feldbearbeitung, die Vereinigung für praktische Landwirtschaft, der Unterhalt des Gemeindehauses, die Zugehörigkeit zu Shintö-Schreinen, buddhistischen Tempeln und zu Wallfahrtsvereinen, und weiterhin, worauf insbesondere R. K. BEARDSLEY hinweist (3, Kap. 10), auch die Mitgliedschaft in der Feuerwehr (Shöbödan) oder im Frauenverein (Fujinkai) und mit 15 Jahren im Jugendverein (Seinendan): Wenn auch die Anzahl der Personen in jeder Form des gemeinsamen Wirkens wechselt, immer sind es nur andere Gruppierungen ein und derselben Buraku-Gemeinschaft, und so baut sich in jedem dieser Menschen eine Erlebniswelt auf, die in ihm zwar eigene Schwerpunkte setzt, ihn insgesamt aber zu einem vielfach verankerten Glied des Buraku macht.
Das Wissen um das Geborgensein in dieser Gemeinschaft ist es, das bei aller Überlegung mitentscheidet, wenn der vorwiegend in der Industrie tätige Bauer seinen Kleinstbetrieb nicht aufgibt, selbst wenn er zur Quälstelle geworden ist. Es schleppen sich in der Statistik landwirtschaftliche Haushalte fort, die de facto solche Bezeichnung nicht mehr verdienen. Was freilich die besondere Atmosphäre des Buraku zur Auflösung bringt, ist nicht nur der Einfluß der Industrialisierung des Landes an sich, sondern sind auch die mittelbar mit den Bedürfnissen der Industriegesellschaft notwendig gewordenen Verwaltungsmaßnahmen. Die Degradierung so vieler Buraku zum Ortsteil eines Großdorfs (mura) oder gar einer Marktstadt (machi) wird von vielen Bauern als Nachteil empfunden; denn sie nötigt, in Verbände einzutreten, deren Mitglieder man nicht kennt, mit Verwaltungspersonen zu verhandeln, mit denen es keinen persönlichen Kontakt gibt, mit Menschen Beziehungen zu suchen, zu denen kein Arbeitszusammenhang besteht. Dem unpersönlich wirkenden Verwaltungsapparat außerhalb des Buraku wird atmosphärisch leicht unterstellt, nur der verlängerte Arm von Präfektur und Regierung zu sein, die gegebenenfalls durch Planungsmaßnahmen die wenigen dem Buraku verbliebenen Funktionen noch gefährden könnten. 4. Die Burakumin Aus der Wortsilbe „min", die soviel wie „Leute, Volk" bedeutet, könnte entnommen werden, daß mit den Burakumin die Leute aus den zu Ortsteilen gewordenen Altdörfern, den Buraku, gemeint sind. Unter Burakumin faßt man aber seit 1869 alle jene Minoritäten zusammen, denen vor der Meiji-Gesetzgebung die vollen bürgerlichen Rechte vorenthalten worden waren. Es rechnen hierzu Minoritäten der verschiedensten Herkunft, auch die Ainu, die in Japan naturalisierten Koreaner, besonders aber die bereits in Kap. 2 und 3 angesprochenen Eta, deren soziale Stellung jener der Schwarzen in den USA. ähnelt: Nach der Verfassung sind sie Bürger wie alle anderen, in praxi müssen sie Diskriminierungen hinnehmen. Nach einer vom Justizministerium bekanntgegebenen Zählung wurden allein im Jahre 1 9 7 2 mehr als 3 6 0 0 Rechtsverletzungen gegenüber den Burakumin behandelt; die Mehrzahl betraf Eta. Die Burakumin stellten 1974 (Mainichi Daily News, 8 . 1 . 1 9 7 5 ) etwa 4 % der japanischen Bevölkerung dar. Das sind rd. 3 Mio. Menschen. Eine ähnliche Zahl verwendet HIROSHI WAGATSUMA 1976 in seiner eingehenden Darstellung der politischen Seite der Burakuminfrage ( 6 4 ) . YAMAOKA hat die „Social Outcasts' Villages" in der Provinz Köchi unter sozialgeographischem Gesichtspunkt untersucht. In Köchi-Ken zählte man 1952 rd. 5 2 0 0 0 Personen von £ta-Herkunft; das waren 6 % der Bevölkerung. Diese
A. Regionale
Verteilung der bewirtschafteten
Nutzfläche
501
Menschen waren zunächst grundsätzlich ohne Landbesitz, bauten vor allem Süßkartoffeln auf den Küstenhängen an, gelangten zu quasi-ständigen Wirtschaftsflächen und wurden bei der Landreform von 1946-1948 z.T. sogar Landbesitzer. In der Hauptsache gehen sie aber dem Fischfang nach, wozu ihnen die relativ wenig besiedelte, aber fischreiche Küste im Raum von Murotosaki (s. Abb. 31 in Bd. 1) Möglichkeiten anbot. Fischereiwirtschaftlichen Organisationen gehörten sie nicht an, obgleich sie vielfach als Taucher verwendet wurden. Ein Durchbruch durch die soziale Barriere erfolgte im Zusammenhang mit der Errichtung einer neuen Fischereibasis an der Ostküste von Muroto. Dem Unternehmer fehlte es an Arbeitskräften; er entschied sich schließlich zur Einstellung von Burakumin. Man sollte meinen, daß dieses Beispiel Nachahmung finden würde. Die nach Arbeitskräften suchenden Bauernhäuser sollten durch junge Burakumin, die zu Tausenden zählen, jene Arbeitsplätze wenigstens zum Teil wieder besetzen können, die durch die Landflucht von Söhnen und Töchtern verlassen wurden.
3. Abschnitt Die landwirtschaftliche Nutzfläche A. Größe und regionale Verteilung der potentiellen und bewirtschafteten Nutzfläche I. Der Anteil der landwirtschaftlichen Nutzfläche am Staatsgebiet Die in Tab. 57 ausgewiesene Nutzfläche für das Jahr 1975 stellt das derzeitige Potential dar; sie umfaßte 5572000 ha. Das sind 15% des Staatsgebiets. Bewirtschaftet waren im gleichen Jahr nur 4782518 ha oder 12,8% der Staatsfläche; d.h. 14% des Potentials blieben der Statistik nach ungenutzt. Auffallend ist in diesen Abgaben, daß alles Grünland, das unter dem Titel Grasund temporäres Weideland geführt wird, in der Summe des bewirtschafteten Nutzlandes nicht enthalten ist, noch auffallender aber, daß dieses seit 1955 von 766140 ha auf 110802 ha im Jahre 1975, d.h. in 20 Jahren um 85% geschrumpft sein soll; als ob sich die Viehwirtschaft der Weide kaum noch bediente. Der Verf. hat sich noch 1979 auf Fahrten durch Iwate und Ost-Hokkaidö von der viehwirtschaftlichen Nutzung ausgesprochener Wiesenflächen überzeugen können. Die Handhabung der Statistik, das Grünland als agrarwirtschaftlich nicht vollwertig anzusehen, führt alten Brauch fort, wonach nur das Ackerland, geteilt in suiden (Naßfelder) und hatake (Trockenfelder), als im engeren Sinne landwirtschaftlich angesehen wurde. Nur unter diesem Vorbehalt können demnach die Statistiken gelesen und ausgewertet werden. Uber die Wiesen- und Weideflächen wird im Abschnitt über die Viehwirtschaft gesondert gesprochen werden. Im übrigen weicht T. O G U R A in seinem großartigen Rückblick auf hundertjährige landwirtschaftliche Statistik (42) vom offiziellen Statistical Yearbook (7) ab: er gibt z.B. für das Jahr 1960 insgesamt 6,37Mio.ha Agrarland an führt dabei 401154ha Wiesen und Weiden, zusätzlich 231818 ha als beweidetes Waldland auf.
502
7. Kapitel: Funktionen der heutigen Agrarwirtschaft
Legt man die Angaben des Japan Statistical Yearbook zugrunde (7), dann wurden seit 1960 unter dem Titel „Total cultivated land" Werte veröffentlicht, die von 6,07 Mio. ha auf 5,57 Mio. ha (1975) sanken, auf das Staatsgebiet bezogen von 16,3% auf 15% abfielen. A n diesem Nutzflächenpotential hatten die drei Großregionen Nordost-Japan (Hokkaidö, Töhoku), Mittel-Japan (Chübu) und Südwest-Japan (Kansai, Chügoku, Shikoku, Kyüshü, Okinawa) gleichbleibend einen Anteil im Verhältnis 4 0 : 3 0 : 3 0 ; das entspricht etwa dem Verhältnis, in dem die Gebietsflächen dieser drei Großregionen zueinander stehen, nämlich 39:28:33. Aus der prozentualen Verteilung der im Jahre 1975 wirklich genutzten Fläche (s.o.) ergeben sich die Verhältnisse 37:33:30. In diesen Verhältniswerten drückt sich die starke Stellung der Agrarwirtschaft Mittel-Japans den anderen Landesteilen gegenüber aus.
I I . Nutzflächenverlust und N u t z f l ä c h e n g e w i n n : B o d e n b i l a n z Die Schrumpfung des landwirtschaftlich nutzbaren Flächenpotentials von jährlich rd. 40000 ha im Zeitraum von 1965-1974 (s. Tab. 61), ein Vorgang, der sich grundsätzlich über 1975 hinaus fortsetzte, ist klarer Ausdruck für die in ländliche Bezirke vordringende Industrie und Verstädterung. Nur weil parallel zu diesem Vorgang die Zahl der landwirtschaftlichen Haushalte abnahm, ergab die Berechnung der potentiell mittleren Wirtschaftsfläche die Größe von 1 ha je Haushalt, einen statistischen Wert, der seit der Jahrhundertwende jede Veränderung verdeckt (Tab. 57), aber die Wirklichkeit zu keiner anderen Zeit so dicht verschleierte wie heute. Industrialisierung und Verstädterung nahmen allein in 10 Jahren 15% der für 1965 ausgewiesenen Landnutzungsfläche in Anspruch, und nur die A n strengungen insbesondere durch Kaitaku einen gewissen Ausgleich zu schaffen, haben die quantitative Seite des Bodenverlustes auf die Hälfte herabsetzen können; qualitativ ist der Verlust größer, da die verlorenen Wirtschaftsflächen im Umland der Großstädte zum größeren Teil traditionell gepflegte Böden waren. Bemerkenswert an der Bodenbilanzstatistik sind die großen Flächen, die der Forstwirtschaft überlassen wurden, und unklar bleibt, was unter dem „übrigen" Verlust zu verstehen ist. Vielleicht liegt in diesen Werten die Umwandlung von Ackerflächen in Wiesen und Weiden für die Vieh Wirtschaft verborgen. Eines besonderen Wortes bedürfen die Verluste durch Naturkatastrophen. Betroffen sind von diesen vor allem die Regionen, die in den Taifunbahnen liegen (Bd. 1, A b b . 67). Die Wirbelstürme verursachen nicht nur Gebäudeschäden, sondern führen infolge der von ihnen ausgeschiedenen Niederschläge auch zu Uberschwemmungen großen Ausmaßes. Dasselbe gilt von den zyklonalen Starkregen. In Bd. 1 (S. 323—325) wurden die vom Ise-wan-Taifun 1959 verursachten Schäden beschrieben, worunter auch 194000 ha verwüstetes Ackerland genannt werden. Diese Nutzflächen sind fast restlos wieder instandgesetzt worden, stellen also keinen Dauerverlust dar. Vorgänge dieser A r t treten in Tab. 61b unter der Rubrik 2 als Verlust auf, in Tab. 61a unter der Rubrik 4 als Gewinn, sobald der Schaden behoben wurde. Dauerverluste durch Starkregen ereignen sich hingegen durch Auslösung heftiger Bodenerosion, wovon das südliche Kyüshü stark betroffen ist.
A. Regionale Verteilung der bewirtschafteten Nutzfläche
Tabelle 61. Bodenbilanz
503
1965- 1974
a) Gewinn an landwirtschaftlicher Nutzfläche in ha Jahr
1 Insgesamt
2 Kaikon (Kaitaku)
1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974
33 42 50 54 53 49 56 41 51 35
30 38 45 47 47 43 52 37 47 34
1965- 1974
600 400 600 500 100 900 200 900 700 700
469 600*
4 Erneuerung alter Felder
3 Kantaku u. Umetate
700 500 300 400 200 800 500 900 200 000
1 2 1 2 3 2
817 290 050 680 800 590 470 782 643 510
2 040 2 600 3 290 5 400 3 070 2 480 1 220 3 210 3 890 1 140
16 632
424 450
28 340
b) Verlust an landwirtschaftlicher Nutzfläche in ha Jahr
1 Insgesamt
1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974
70 49 85 80 94 103 112 99 88 110
100 600 800 100 400 000 500 400 200 500
19651974
893 600*
2 Naturkatastrophen
3 Industrie
4 Straßen, Eisenbahn
5 Wohnung
6 Landw. u. Forst wege
1 110 3 230 2 670 5 640 3 450 2 020 1450 8 830 1 160 1 890
5 3 5 5 8 9 9 8 8 8
3 3 4 3 4 4 5 5 6 4
22 18 24 23 29 37 35 33 33 28
2 1 2 1 1 2 3 3 3 3
31 450
780 970 070 970 070 670 180 180 560 290
72 740
200 740 410 540 390 420 540 740 190 710
45 880
200 800 900 600 400 900 500 500 900 900
288 600
100 790 290 790 860 220 240 800 840 510
26 440
7 Zur Aufforstung 35 18 46 39 15 15 24 19 15 12
700 100 400 600 800 800 900 100 400 300
243 100
8 Übriges
— -
•
-
31 31 32 20 19 50
400 000 600 300 100 900
185 300
* Die Differenz zur Quersumme ergibt sich aus den Aufrundungen zu vollen Zehnern und Hundertern
Bodenbilanz für die 10 Jahre
1965-1974:
Verlust an landwirtschaftlicher Nutzfläche Gewinn an landwirtschaftlicher Nutzfläche
893 600 ha 469 600 ha
Verbleibender Verlust Im Mittel pro Jahr
424 000 ha 42 400 ha
504
7. Kapitel: Funktionen
der heutigen
Agrarwirtschaft
III. Der regionale Wandel von Gunst und Ungunst der ökologischen Bedingungen für die Landwirtschaft und seine Rückwirkung auf die Flächennutzungsrate Der Bauplan des Archipels, aber auch Klima, Wetterablauf, Wasserabfluß, Vegetation und Böden stimmen in ihrem Zusammenklang mit der oben skizzierten großregionalen Gliederung überein. Nordjapan ist nach Klima und Wetterablauf beherrscht vom gemäßigten Klima winterkalten Typs; Südwestjapan gehört in ganzer Breite dem warmgemäßigten Regenklima an, das auf den Ryükyü-Inseln schon tropische Züge erhält. Im Raum Mitteljapans etwa zwischen den Linien Sakata-Sendai und Tsuruga-Toyohashi begegnen sich Norden und Südwesten derart, daß an den Küsten Bänder warmgemäßigten Klimas entlangziehen, sich landein aber mit steigender Höhe winterkalt gemäßigtes Klima darüberlegt (vgl. Klimaregionen, Bd. 1, S. 284—305). Zuckerrohr auf Okinawa und Kartoffelanbau in Hokkaidö bezeichnen die große Spannweite der landwirtschaftlichen Nutzung des Landes. In SW-Japan ist, sofern genügend Wasser zur Verfügung steht, zweimal im Jahr eine volle Ernte (nimösaku) möglich, wenn auch heute aus Mangel an Arbeitskräften nur noch vereinzelt in Brauch. Gleichzeitig ist SW-Japan die Region jener subtropischen Kulturpflanzen, die man mit Japan in besondere Verbindung bringt: Tee, Orangen (vor allem Mandarinen), Maulbeerstrauch und Tabak. In Ura-Nippon erreichen die Orangen ihr nördlichstes Vorkommen schon bei Tsuruga; an der „Fensterseite" gedeihen sie noch über Tokyo hinaus bis in die Breiten, wo sich vor der Küste der kalte Oyashio mit dem warmen Kuroshio zusammenschließt. An der Orangengrenze findet im allgemeinen auch die Region ihr Ende, in der auf dem Reisfeld eine zweite Ernte als Winterfrucht ausgebracht werden könnte. Mitteljapan ist demnach Übergangraum, in dem südliche Akkorde ausklingen und nördliche schon ansetzen. Die Linie Sakata-Sendai bedeutet das endgültige Kentern: Tee, Tabak, Maulbeerstrauch und Süßkartoffel fallen nacheinander aus. Große Teile der Nutzfläche Japans liegen in der winterkalten Region; selbst die in Nordost-Japan wärmeren Gebiete der „Rückseite" sind, weil sie ihre Hauptniederschläge im Winter erhalten, benachteiligt. Der Mangel an Kulturland, das Zuviel an Wasser bei Taifunregen, die Verkürzung der Wachstumsperiode durch lang anhaltenden, z.T. schneereichen Winter (Akita: Januar — 1,6°C, Februar — 1,2°C): Das alles sind Faktoren, die einer erfolgreichen Landwirtschaft entgegenstehen und die agrarische Landesentwicklung erschweren. In noch höherem Maße trifft dies auf das von D-Klimaten beherrschte Hokkaidö zu. Aber Japan erfreut sich auch natürlicher Vorteile. Agrargeographisch liegen sie darin, daß im winterkalten Nord- und Nordost-Japan die mittleren Sommertemperaturen 20 °C erreichen und überschreiten und selbst dem westlichen wie mittleren Hokkaidö einen Sommer schenken, der wärmer als in Mainz oder Paris sein kann (Bd. 1, S. 253). D A I G O gibt für diese Region eine Vegetationszeit bis zu 170 Tagen an (9), im Mittel eine Dauer vom 20. April bis 30. September. Die Temperaturunterschiede zwischen Süd- und Nordjapan verlieren im Sommer wesentlich an Bedeutung. Die mittleren Maitemperaturen liegen in Sapporo bei 10,8°C und steigen bis zu einem Augustmittel von 21,7°C (Mainz Juli 19,2°C,
A. Regionale Verteilung der bewirtschafteten
Nutzfläche
505
Paris 18,6°C); in Tsu and der Ise-wan werden entsprechend 17,2 °C und 26,6 °C gemessen. Frostfreie Tage gibt es in West-Hokkaido 140—180. Die relativ lange und zugleich warme Vegetationsperiode macht es möglich, den für die Lebensgewohnheiten der Japaner auch heute noch unentbehrlich erscheinenden Reis in einer auf Resistenz und frühe Reifung gezüchteten Sorte selbst im nördlichen und östlichen Hokkaidö anzubauen (s. Abb. 45). Unter klimatischer Gunst stehen vor allem anderen die Landschaften des Tökaidö und Südwest-Japans bis nach Okinawa. Hier erlauben die Wintertemperaturen nicht nur eine zweite Feldbestellung, sondern auch eine volle zweite Ernte, sofern genügend Wasser und — dies muß heute gesagt sein — genügend Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Das wetterbegünstigte üppige Wachstum ist es auch, das den Bauern Südwest-Japans schon auf kleinerer Nutzfläche Existenzmöglichkeit bietet, wobei es Brauch ist, für den häuslichen Bedarf Tee, Citrusfrüchte oder auch Pfirsiche, Wein oder eine Kastanie in der Nähe des Hauses zu haben. Auf den Ryükyü-Inseln treten zu diesen Sonderkulturen vor allem noch Zucker, Ananas und Bananen hinzu. Insgesamt vollzieht sich ein süd-nördlicher und z.T. auch west-östlicher Wandel in der Artenfülle von Anbaufrüchten, der die agrargeographische Dreigliederung des Inselreichs auch im Erscheinungsbild sehr deutlich macht. Mehrere Früchte gedeihen im Etagenanbau auf ein und derselben Parzelle, andere wieder sind in Fruchtfolgen einbezogen. Aus dieser vertikalen Ausweitung der Nutzflächen ergeben sich für die Statistik Differenzen zwischen Erntefläche und Nutzfläche. Die Erntefläche kann bei zweifacher Vollernte das doppelte der Nutzfläche ausmachen. Das Verhältnis zwischen beiden Flächen wird durch die Nutzungsrate der Nutzfläche ausgedrückt. Potentiell gesehen, kann sie in SW-Japan höher sein als in den nördlichen Landesteilen. Die mehr als einmalige Nutzungsmöglichkeit eines Feldstückes gab nach dem Zweiten Weltkrieg den Impuls für die Verbesserung der Feldbewässerung insbesondere während des regenarmen Winters entlang der pazifischen Seite von Honshü. Viele der Staudämme wurden auch aus diesem Grunde als Mehrzweckdämme gebaut, darunter der Sakuma-Damm. Die Nutzungsrate, die im Reichsdurchschnitt im Jahre 1965 bei 124 lag, brachte in ihrer regionalen Verschiedenheit die Abnahme der ökologischen Vorteile vom SW nach NO am deutlichsten zum Ausdruck. Sie erreichte im SW eine Höhe von 153%, d.h. im Durchschnitt wurde jede Parzelle jährlich mehr als anderthalbmal voll genutzt. Im Inlandseegebiet (Okayama-Ken) betrug die Rate 133%, im Kinki 124, Tohoku 112% und in Hokkaido 101%. Es war 1965 gerade noch möglich, die von der Natur angebotene Gunst in solch klarem regionalen Wandel, genutzt vom bewirtschaftenden Menschen, noch beobachten zu können. Der dynamisch vorangetriebene Vorgang der Industrialisierung hat dieses Strukturbild der Nutzungsintensität völlig verwischt. Es erwies sich sehr bald als erforderlich, bei Bestimmung der Nutzungsrate die Naßfelder und Trockenfelder getrennt zu behandeln, da andernfalls der Durchschnittswert die Wirklichkeit allzustark verfälschte. Es ergab sich schon 1970, daß die mittlere Nutzungsrate auf 109 abgesunken, aber für die Naßreisfelder bereits unter die volle Nutzung abgefallen war. Mit einer Rate von 98,5% stand sie der Rate für Trockenfelder von 124% weit nach. Der Obst- und Gemüseanbau auf Trockenfeldern hatte 1970 im Umkreis der Metropolen des Kantö, Chükyö und Kinki Höchstnutzungsraten von 140-160% erreicht. Schon drei Jahre später galt für den gesamten Archipel eine
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7. Kapitel:
Funktionen
der heutigen
Agrarwirtschaft
Nutzungsrate insgesamt von 100,3%, wobei für Naßfelder nur noch 92,3%, für Trockenfelder 111,3% errechnet wurden. Diese Werte, die sich auch weiterhin hielten, spiegeln den Arbeitskräftemangel auf den Bauernhöfen wider. Aus Abb. 42 lassen sich die Problemlagen der Landwirtschaft in ihrer regionalen Verschiedenheit erkennen: 1. Die mittlere Flächennutzungsrate, die 1955 den hohen Wert von 159% erreicht hatte, schrumpfte rasch bis auf 116% im Jahre 1969 (2,9% jährlicher Verlust in 15 Jahren) und sank 1969-1970 steil auf 108,9% ab. Der Vergleich der Kärtchen 1 und 2 macht die Dynamik des Schrumpfungsvorgangs deutlich, der im übrigen mit dem Anschwellen der Landflucht trotz zeitlich leichter Verschiebung parallel lief. Der Vorgang hält noch an. Der Mittelwert von 100,3% im Jahre 1973 war für den größeren Teil des Landes bei weniger als 100% angelangt, d.h. in ganzen Regionen lagen Flächen brach. Von einem auf ökologischen Bedingungen beruhenden Wandel von S nach N konnte hinsichtlich der Nutzungsrate keine Rede mehr sein. Nur zwei Subregionen erfreuten sich 1973 noch intensiver Landnutzung: Im Kanto lag die Nutzungsrate noch bei 105%, in Shikoku-Kyüshü bei 112%. Die Kartenbilder lassen aber erkennen, daß der Angriff auch auf diese beiden Bastionen schon im vollen Gange war. 2. Die Kärtchen 3 und 4 in Abb. 42 antworten auf die Frage, welche der beiden Landnutzungsarten vom Mangel an Arbeitskräften besonders betroffen ist, der Reisanbau auf Naßfeldern oder der Anbau mannigfacher Feldfrüchte auf Trockenfeldern. Der Vergleich läßt keinen Zweifel: Die Bearbeitung der Reisfelder hat am stärksten unter dem Arbeitskraftmangel gelitten. Die Hinwendung zu Trockenfeldkulturen, aus denen sich infolge erhöhter Nachfrage durch die Industriegesellschaft auch höherer Gewinn erzielen läßt, ist in fast allen Teilen des Archipels unverkennbar. Das gilt ganz besonders für Bezirke, die den Märkten des Kantö und Chükyö nahe liegen, aber auch für marktferne Gebiete, die sich aufgrund ihrer klimatischen Gunst auf transportierbare Feldfrüchte umzustellen vermochten. So sind Shikoku und Kyüshü zu Produzenten für die Märkte der Setonaikai, Hokuriku und Echigo zu Lieferanten des Kanto und Tökaidö geworden. 3. Die getrennt für Reis- und Trockenfeldbau gegebenen Nutzungskarten zeigen beide eine noch nicht stabilisierte Struktur. Beide Nutzungsraten unterliegen einer weiteren Schwächung, die sich schon dadurch anmeldete, daß einige Provinzen hinsichtlich ihrer Nutzungsraten auf der Kippe zur nächst tieferen Gruppe stehen. Das gilt für den Reisanbau insbesondere von jenen Provinzen, deren Rate unter die Schwelle von 100% abzusinken droht, wie dies für Tochigi, Osaka, Fukuoka und Öita der Fall ist; noch bedrohlicher ist die Lage für jene Provinzen, deren Nutzungsrate unter 90% sinken kann, wie in Miyagi, Ibaraki, Kyoto, Hyögo, Okayama. Denkt man sich die Karte 42,3 in diesem Sinne verändert, dann wirkt sie regional bereinigt: Ganz Honshü erscheint dann, abgesehen von kleinen Flächen im nördlichen Kantö, als eine Region, die ihre Reisfelder nicht mehr hundertprozentig zu nutzen vermag. Eine zweifache Bestellung von Reisfeldern im Sinne des früheren Nimösaku ist hier zur Seltenheit geworden. Der Verf. fand auf seiner Reise 1979, die ihn von Okinawa bis Ost-Hokkaido führte, Nimosaku-Felder noch fleckenweise in Shikoku und Kyüshü. In allen anderen Landesteilen waren solche Felder Ausnahmen. Wie steil die absinkende Entwicklung vor sich ging, läßt sich an Abb. 43 erläutern. Sie kennzeichnet die potentielle
A. Regionale
Verteilung der bewirtschafteten
507
Nutzfläche
N u t z u n g s r a t e der Nutzflächen, Hokkaido]
kenweise 1970 N u t z u n g in
Hokkaido)
v. H .
; " . '. ! 9 0 - 99,9
IU1110-125
Honshü
(Töhoku
(Töhoku
Honshu
fankaidò
Nankaidó
Kyüshü N u t z u n g s r a t e der Nutzflächen kenweise 1973
N u t z u n g s r a t e der Reisfelder, kenweise 1973 N u t z u n g in I
1
Rikscha Ringen Die 12 Zeichen des Tierkreises: 1. Ne Ratte 2. Ushi Stier
630
Anhang
3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. Kagura Kaido Kaisha Kaitaku Kakemono Kami Kami-ari-zuki Kangai Kankei-gaisha Kankö Kanna-zuki Kannon Kanren-gaisha Kantaku Katsuogi Kawa, gawa Kikuno-mon Kimigayo Kita Ko Ködo seichö Köen Kögai Kogaisha Kökanbungo(ko) Kokutai Koto Ku Kuchö Kura Kuruma
Tora Usagi Tatsu Mi (Hebi) Uma Hitsuji Saru Tori Inu Inoshishi
Tiger Hase Drache Schlange Pferd Widder Affe Hahn Hund Eber
Religiöser Tanz (Shinto) Große Straße Industrie- oder Handelsgesellschaft Urbarmachung von Wald- und Ödland, Landerschließung, Binnenkolonisation Rollbild in der —