Das ägyptische Alte Reich: Diskussionen zur „Ereignisgeschichte“ der 3. bis 6. Dynastie 3447112034, 9783447112031

Die Geschichte des Alten Reiches wurde bislang ausschließlich im Rahmen allgemein gehaltener Überblickswerke zur ägyptis

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Table of Contents
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Vorwort
1 Einleitung
1.1 Anliegen und Aufbau der Arbeit
1.2 Forschungsstand
1.2.1 Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft
1.2.2 Ägyptologie und Historiographie
2 Was ist das Alte Reich?
2.1 Periodisierung von Geschichte
2.1.1 Konzepte der Periodisierung
2.1.2 Ist die Verwendung von Epochenbegriffen sinnvoll?
2.2 Die Gliederung der ägyptischen Geschichte…
2.2.1 … in pharaonischer Zeit
2.2.2 … in der Geschichtsschreibung der Antike
2.2.3 … in der Geschichtsschreibung der Neuzeit
2.2.4 Bemerkungen zum Begriff Dynastie
2.3 Die Eingrenzung des Alten Reiches
3 Quellenkritik
3.1 Der Umgang mit den Quellen
3.2 Annalen
3.2.1 Der Palermostein und die dazugehörigen Fragmente
3.2.2 Weitere Annalen
3.2.3 Der Turiner Königspapyrus
3.3 Andere Texte
3.3.1 Ächtungstexte
3.3.2 Administrative Dokumente
3.3.3 Autobiographien
3.3.4 Literatur
3.3.5 Pyramidentexte
3.4 Beamtentitel
3.5 Antike Autoren
3.6 Große Pyramide = Starker Staat? Möglichkeiten und Grenzen der Interpretation ägyptischer (Monumental-)Architektur
3.6.1 Königliche Grabanlagen
3.6.2 Privatgräber
3.7 Realität oder „Propaganda“? Flach- und Rundbild als historische Quelle
3.7.1 Felsinschriften und Felsbilder
3.7.2. Dekoration von königlichen Totenkultanlagen
3.7.3 Dekoration von Privatgräbern
3.7.4 Porträt
3.8 Steingefäße
3.9 Keramik
4 Die Abfolge der Könige
4.1 Die Könige der 3. Dynastie
4.2 Die Könige der 4. Dynastie
4.3 Die Könige der 5. Dynastie
4.4 Die Könige der 6. Dynastie
5 Der Beginn des Alten Reiches
6 Charakterisierung einzelner Könige und anderer Personen
6.1 Djoser
6.2 Imhotep
6.3 Cheops
7 Pyramidenbau
7.1 Die Wahl des Begräbnisplatzes 􀀐 ein Politikum?
7.2 Die kleinen Stufenpyramiden
8 „Außenpolitik“
8.1 Einleitung
8.2. Nubien
8.2.1 Die Situation in Nubien zu Beginn des Alten Reiches
8.2.2 Die Quellen und ihre Auswertung
8.3 Der südliche Sinai
8.3.1 Die Situation auf dem südlichen Sinai zu Beginn des Alten Reiches
8.3.2 Die Quellen und ihre Auswertung
8.4 Die Levante und der nördliche Sinai
8.4.1 Die Situation in der Levante und auf dem nördlichen Sinai zu Beginn des Alten Reiches
8.4.2 Die Quellen und ihre Auswertung
8.5 Die Ägäis
8.6 Die Westwüste
8.6.1 Die Situation in der Westwüste zu Beginn des Alten Reiches
8.6.2 Die Quellen und ihre Auswertung
8.7 Punt
8.7.1 Zur Lage von Punt
8.7.2 Die Quellen und ihre Auswertung
8.8 Sonstiges
9 Ende der 6. Dynastie = Untergang des Alten Reiches?
9.1 Das Ende des 3. Jahrtausends vor Christus: Ägypten im historischen Kontext
9.2 Untergang oder allmählicher Übergang?
9.3 Mögliche Ursachen für das Ende des Alten Reiches
9.3.1 Innere Ursachen
9.3.2 Klimaveränderung
9.3.3 Invasion von außen
Conclusio
Anhang
A.1 Schriftquellen
A.1.1 Annalenstein
A.1.2 Inschriften aus Ǧabal al-ʿAṣr
A.1.3 Inschriften aus Tūmās
A.1.4 Inschriften aus Ḫūr al-ʿĀqiba
A.2 Arabische Toponyme und Eigennamen
A.3 Epochengliederung im Vergleich
A.4 Absolute Chronologie im Vergleich
A.5 Zeittafel
Literaturverzeichnis
Indices
Antike Personen
Moderne Autoren
Ortsnamen
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Das ägyptische Alte Reich: Diskussionen zur „Ereignisgeschichte“ der 3. bis 6. Dynastie
 3447112034, 9783447112031

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© 2019, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 9783447112031 — ISBN E-Book: 9783447198578

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G ÖTT I N G E R O R I E NT F O R S C H U N G E N IV. REIHE ÄGYPTEN 66 Herausgegeben von Heike Behlmer und Camilla Di Biase-Dyson

2019

Harrassowitz Verlag · Wiesbaden

© 2019, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 9783447112031 — ISBN E-Book: 9783447198578

Vera Blumenthal

Das ägyptische Alte Reich Diskussionen zur „Ereignisgeschichte“ der 3. bis 6. Dynastie

2019

Harrassowitz Verlag · Wiesbaden

© 2019, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 9783447112031 — ISBN E-Book: 9783447198578

Zugl. Diss. Humboldt-Universität zu Berlin, Kultur-, Sozialund Bildungswissenschaftliche Fakultät.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the internet at http://dnb.dnb.de

Informationen zum Verlagsprogramm finden Sie unter http://www.harrassowitz-verlag.de © Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen jeder Art, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung in elektronische Systeme. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck und Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 0340-6342 ISBN 978-3-447-11203-1 ISBN 978-3-447-198578

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Für Jens, Caius und Livia

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So ist die Geschichte des Nillandes für uns nichts als ein großer Film. Prachtvolle Bilder mit schwachem und magerem Text. Friedell (1996: 89)

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Inhalt Abbildungsverzeichnis ......................................................................................... X,,I Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................ X,,I Vorwort ................................................................................................................ X9 1 Einleitung .......................................................................................................... 1.1 Anliegen und Aufbau der Arbeit ............................................................... 1.2 Forschungsstand ........................................................................................ 1.2.1 Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft ............................ 1.2.2 Ägyptologie und Historiographie ...........................................................

1 1 5 5 15

2 Was ist das Alte Reich? ..................................................................................... 2.1 Periodisierung von Geschichte .................................................................. 2.1.1 Konzepte der Periodisierung .................................................................. 2.1.2 Ist die Verwendung von Epochenbegriffen sinnvoll? ............................ 2.2 Die Gliederung der ägyptischen Geschichte… ......................................... 2.2.1 … in pharaonischer Zeit ......................................................................... 2.2.2 … in der Geschichtsschreibung der Antike............................................ 2.2.3 … in der Geschichtsschreibung der Neuzeit .......................................... 2.2.4 Bemerkungen zum Begriff Dynastie ...................................................... 2.3 Die Eingrenzung des Alten Reiches ..........................................................

25 25 25 26 28 28 29 30 36 37

3 Quellenkritik ...................................................................................................... 3.1 Der Umgang mit den Quellen ................................................................... 3.2 Annalen ..................................................................................................... 3.2.1 Der Palermostein und die dazugehörigen Fragmente............................. 3.2.2 Weitere Annalen .................................................................................... 3.2.3 Der Turiner Königspapyrus ................................................................... 3.3 Andere Texte............................................................................................. 3.3.1 Ächtungstexte ........................................................................................ 3.3.2 Administrative Dokumente .................................................................... 3.3.3 Autobiographien .................................................................................... 3.3.4 Literatur ................................................................................................. 3.3.5 Pyramidentexte ...................................................................................... 3.4 Beamtentitel .............................................................................................. 3.5 Antike Autoren ......................................................................................... 3.6 Große Pyramide = Starker Staat? Möglichkeiten und Grenzen der Interpretation ägyptischer (Monumental-)Architektur........................ 3.6.1 Königliche Grabanlagen ........................................................................ 3.6.2 Privatgräber ............................................................................................

41 41 44 44 46 47 48 48 49 49 51 53 55 56

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; 3.7 Realität oder „Propaganda“? Flach- und Rundbild als historische Quelle ................................................................................ 3.7.1 Felsinschriften und Felsbilder ................................................................ 3.7.2. Dekoration von königlichen Totenkultanlagen ..................................... 3.7.3 Dekoration von Privatgräbern ................................................................ 3.7.4 Porträt ..................................................................................................... 3.8 Steingefäße ................................................................................................ 3.9 Keramik .....................................................................................................

71 71 76 78 79 80 83

4 Die Abfolge der Könige ..................................................................................... 4.1 Die Könige der 3. Dynastie ....................................................................... 4.2 Die Könige der 4. Dynastie ....................................................................... 4.3 Die Könige der 5. Dynastie ....................................................................... 4.4 Die Könige der 6. Dynastie .......................................................................

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5 Der Beginn des Alten Reiches ...........................................................................

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6 Charakterisierung einzelner Könige und anderer Personen ............................... 97 6.1 Djoser ........................................................................................................ 97 6.2 Imhotep ..................................................................................................... 98 6.3 Cheops ....................................................................................................... 101 7 Pyramidenbau .................................................................................................... 105 7.1 Die Wahl des Begräbnisplatzes  ein Politikum? ..................................... 105 7.2 Die kleinen Stufenpyramiden .................................................................... 109 8 „Außenpolitik“ ................................................................................................... 8.1 Einleitung .................................................................................................. 8.2. Nubien ...................................................................................................... 8.2.1 Die Situation in Nubien zu Beginn des Alten Reiches ........................... 8.2.2 Die Quellen und ihre Auswertung .......................................................... 8.3 Der südliche Sinai ..................................................................................... 8.3.1 Die Situation auf dem südlichen Sinai zu Beginn des Alten Reiches..... 8.3.2 Die Quellen und ihre Auswertung .......................................................... 8.4 Die Levante und der nördliche Sinai ......................................................... 8.4.1 Die Situation in der Levante und auf dem nördlichen Sinai zu Beginn des Alten Reiches .................................................................. 8.4.2 Die Quellen und ihre Auswertung .......................................................... 8.5 Die Ägäis ................................................................................................... 8.6 Die Westwüste .......................................................................................... 8.6.1 Die Situation in der Westwüste zu Beginn des Alten Reiches ............... 8.6.2 Die Quellen und ihre Auswertung .......................................................... 8.7 Punt ........................................................................................................... 8.7.1 Zur Lage von Punt .................................................................................. 8.7.2 Die Quellen und ihre Auswertung .......................................................... 8.8 Sonstiges ...................................................................................................

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X, 9 Ende der 6. Dynastie = Untergang des Alten Reiches? ..................................... 9.1 Das Ende des 3. Jahrtausends vor Christus: Ägypten im historischen Kontext ............................................................................ 9.2 Untergang oder allmählicher Übergang? .................................................. 9.3 Mögliche Ursachen für das Ende des Alten Reiches ................................ 9.3.1 Innere Ursachen ..................................................................................... 9.3.2 Klimaveränderung .................................................................................. 9.3.3 Invasion von außen ................................................................................

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Conclusio .............................................................................................................. 189 Anhang ................................................................................................................. A.1 Schriftquellen ........................................................................................... A.1.1 Annalenstein ......................................................................................... A.1.2 Inschriften aus Ǧabal al-ʿAṣr ................................................................. A.1.3 Inschriften aus Tūmās ........................................................................... A.1.4 Inschriften aus Ḫūr al-ʿĀqiba ................................................................ A.2 Arabische Toponyme und Eigennamen ................................................... A.3 Epochengliederung im Vergleich ............................................................. A.4 Absolute Chronologie im Vergleich ........................................................ A.5 Zeittafel ....................................................................................................

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Literaturverzeichnis .............................................................................................. 221 Indices .................................................................................................................. Antike Personen .............................................................................................. Moderne Autoren ............................................................................................ Ortsnamen .......................................................................................................

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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19:

Palermostein recto VI.2 Palermostein recto VI.3 Kairofragment-4 recto M.1 Kairofragment-4 recto M.1, Abschrift Sethe Kairofragment-1 verso II.1 Kairofragment-1 verso II.1, Abschrift Sethe Palermostein verso IV.1, Abschrift Sethe Stele des Cheops aus Ǧabal al-ʿAṣr Stele des Djedefre aus Ǧabal al-ʿAṣr Stele des Niuserre aus Ǧabal al-ʿAṣr Stele des Djedkare aus Ǧabal al-ʿAṣr Inschrift Nr. 29 aus Tūmās, Umzeichnung Weigall Inschrift Nr. 20 aus Tūmās Inschrift Nr. 30 aus Tūmās, Umzeichnung Weigall Inschrift Nr. 27 aus aus Ḫūr al-ʿĀqiba, Teil 1 Inschrift Nr. 27 aus aus Ḫūr al-ʿĀqiba, Teil 2 Inschrift Nr. 27 aus aus Ḫūr al-ʿĀqiba, Umzeichnung López Inschrift Nr. 28 aus aus Ḫūr al-ʿĀqiba Inschrift Nr. 28 aus aus Ḫūr al-ʿĀqiba, Umzeichnung López

Abkürzungsverzeichnis CG = Catalogue général des antiquités égyptiennes du Musée du Caire, Kairo EBA = Early Bronze Age JE = Journal d’Entrée Urk. = Kurt Sethe. 1933. Urkunden des Alten Reiches, Leipzig. Wb. = Adolf Erman/Hermann Grapow (Hrsg.). 19261961. Wörterbuch der aegyptischen Sprache, Berlin

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Vorwort Die vorliegende Arbeit stellt die überarbeitete Fassung meiner Dissertation dar, die im Frühjahr 2017 von der Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin angenommen wurde. Es ist mir ein Bedürfnis, an dieser Stelle an meine verehrte Lehrerin Prof. Dr. Erika Endesfelder zu erinnern, die im Januar 2015 verstorben ist. Von ihr habe ich gelernt, pragmatisch zu denken und beim Umgang mit unserem Forschungsgegenstand verschiedene Perspektiven einzunehmen. Prof. Dr. Frank Kammerzell und Prof. Dr. Karl Jansen-Winkeln haben die Dissertation betreut und mich während des Entstehungsprozesses geduldig begleitet. Ich bedanke mich für alle konstrektiven Gespräche und fachlichen Hinweise, die mir geholfen haben, das umfangreiche Thema sinnvoll zu strukturieren. Ganz besonders danke ich Frank Kammerzell für die umfassende Hilfe bei der Übersetzung und Glossierung der im Anhang aufgeführten Inschriften. Für anregende Gespräche, wertvolle Hinweise, Unterstützung und Ermutigung jeder Art danke ich (in alphabetischer Reihenfolge) Sven Brummack, Klaus Finneiser, Manuela Gander, Dr. Jana Helmbold-Doyé, Janet Kempf, Robert Kuhn, Dr. Hans-Ulrich Onasch, Dr. Frauke Sonnabend, Prof. Dr. Holger Sonnabend, Guido Petras und ganz besonders Marc Loth. Dr. Nina Andrzejak-Nolten, Marc Loth, Hans-Peter Maier, und Detlev Nolten haben die mühevolle Arbeit des Korrekturlesens auf sich genommen. Ihnen gebührt mein herzlicher Dank. Den Herausgeberinnen Prof. Dr. Heike Behlmer und Prof. Dr. Camilla Di Biase-Dyson danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die vorliegende Reihe. Danke auch an den Harrassowitz-Verlag, insbesondere an Jens Fetkenheuer, der mir bei allen Fragen und Problemen hinsichtlich des Layouts hilfreich zur Seite stand. Die Abbildungen im Anhang sind freundlicherweise von Miriam Manske bearbeitet worden, auch bei ihr möchte ich mich bedanken. Meiner gesamten Familie bin ich dankbar für das über Jahre währende Interesse und den ermutigenden Zuspruch, mit denen sie meine Arbeit stets begleitet hat sowie für vielerlei tatkräftige Unterstützung bei der Betreuung meiner Kinder. Ohne diese Hilfe wäre mein Promotionsvorhaben kaum realisierbar gewesen. Mein innigster Dank gilt meinem Mann Jens Blumenthal, der mir nach Kräften den Rücken freigehalten hat und meinen Kindern Caius und Livia, die besonders in der Endphase auf einen guten Teil der ihnen zustehenden Zuwendung verzichten mussten und dafür so viel Geduld und Verständnis aufbrachten.

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1 Einleitung 1.1 Anliegen und Aufbau der Arbeit „Das Alte Reich: Diskussionen zur „Ereignisgeschichte“ der 3.6. Dynastie“ ist ein Titel, der auf den ersten Blick leichtes Erstaunen auslösen mag. Gibt es nicht bereits zahllose Darstellungen der Geschichte des Alten Reiches und ist die „Ereignisgeschichte“ oder „Politische Geschichte“ nicht spätestens seit dem cultural turn aus der Mode, um nicht zu sagen in Verruf gekommen? Die Begriffe Ereignisgeschichte und Politische Geschichte werden meist synonym verwendet. Sie beziehen sich auf jene historische Betrachtung, die den Staat und die politisch handelnden Personen in den Mittelpunkt stellt. Ereignisse, die politische Veränderungen auslösen, müssen selbst nicht notwendigerweise politischer Natur sein, man denke z. B. an Klimaereignisse wie Dürren oder Vulkanausbrüche. Unter einem Ereignis verstehen wir eine Abfolge von miteinander in Zusammenhang stehenden Vorkommnissen. Letztere werden durch Verben ausgedrückt, Ereignisse dagegen durch verschiedene Substantive (event-nouns) bezeichnet.1 So ist z. B. eine Expedition ein Ereignis, während der Satz „König X lässt Boote bauen“ lediglich eines der Vorkommnisse beschreibt, die zusammengenommen das Ereignis Expedition bilden. Seit der Herauslösung der Ägyptologie aus den allgemeinen Altertumswissenschaften sind zahlreiche Überblickswerke zur Geschichte des Alten Ägypten verfasst worden, in denen selbstverständlich auch das Alte Reich behandelt wird. Gleichzeitig gibt es eine Fülle von Untersuchungen, die sich mit speziellen, das Alte Reich betreffenden Themen oder Objektgattungen befassen. Dass es keine „Geschichte des Alten Reiches“ gibt, die anhand einer akribischen Analyse der wenigen uns zur Verfügung stehenden Quellen versucht herauszuarbeiten, inwieweit diese Geschichte überhaupt rekonstruiert werden kann, und nicht nur, wie die Überblickswerke, (vermeintliche) Ergebnisse präsentiert, liegt vermutlich daran, dass eine solche Arbeit nicht von einem Einzelnen geleistet werden könnte, viele Jahre in Anspruch nähme und die Zahl der handfesten Ergebnisse sich angesichts der dürren Quellenbasis letztlich stark in Grenzen halten dürfte. Dieser unzureichenden Quellenlage ist es wohl auch geschuldet, dass in den geschichtlichen Abhandlungen zum Alten Reich oft einfach alles aufgezählt wird, was uns bekannt ist, und die Seiten unter anderem mit umfangreichen Beschreibungen der Pyramidenkomplexe gefüllt werden.2 Oft ist zu beobachten, dass die wenigen vorhandenen Quellen zur Ereignisgeschichte willkürlich miteinander korreliert und unzulässige Kausalitäten hergestellt werden. Anhand der gängigen Sekundärliteratur kann z. B. von den Entwicklungen der 3. Dynastie folgender Eindruck entstehen:

1 Cf. Lemon (2001: 125126). 2 Siehe auch die Kritik von Jansen-Winkeln (2009: 156) und Kapitel 1.2.2.

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1 Einleitung

Mit dem Beginn der 3. Dynastie, so ist zu lesen, tritt Ägypten „mit einem Schlag in das Hochstadium seiner Entwicklung ein“3. In diesem „glorreichen Zeitabschnitt“ erfahren Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft in Unterägypten einen plötzlichen und erheblichen Aufschwung, während Oberägypten „in einer gewissen Bedeutungslosigkeit“ versinkt. 4 Gleichzeitig gelingt es den Königen, in einem allein auf ihre Person ausgerichteten Einheitsstaat absolute Macht zu erreichen.5 Dominiert wird diese Dynastie von der Person des Königs Djoser und seinem Architekten Imhotep, den Erfindern des monumentalen Steinbaus, welcher das hervorstechende Merkmal dieser Epoche bildet.6 Djoser nimmt verschiedene Veränderungen in der Verwaltung des Landes vor: Er verlegte den Königshof nach Memphis (wobei Uneinigkeit darüber herrscht, ob Memphis zur ständigen Hauptstadt wurde7 oder die Residenzen wechselten8). Die Einführung des Amtes des Wesirs, die Aufteilung des Landes in Gaue und die Differenzierung des Verwaltungsapparates sind auf den durch den Pyramidenbau gestiegenen administrativen Aufwand zurückzuführen.9 Teil der neuen Verwaltungsstruktur sind „Büros“, die sich „mit den neu entstandenen Fragen beschäftigten.“10 Durch Auflösung der Dörfer und Umsetzung der Bewohner endet jeder private Bodenbesitz,11 das Land wird „wirtschaftspolitisch strukturiert“ und das „Berufsbeamtentum“ aufgebaut,12 die Abgaben aus den Gauen werden in die Residenz geschickt und von dort wiederum über das ganze Land verteilt. 13 Die „stärker strukturierte Bürokratie“ ist jetzt erstmals offen für breitere Schichten der Gesellschaft, so dass die Geschichte Ägyptens nun „ebenso von Privatpersonen wie von ihren königlichen Herren“ gestaltet wird.14 König Huni lässt in Oberäygpten kleine Pyramiden als königliche Machtzeichen bauen. An den Standorten der ehemaligen „Königspfalzen“ errichtet, sollen sie die lokale Bevölkerung an ihre Pflicht erinnern, Steuern zu bezahlen. 15 Ferner werden zu Beginn der 3. Dynastie die Wege auf den Sinai gesichert und die dortigen Nomadenstämme besiegt, so dass die Ausbeutung der Kupfer- und Türkisminen beginnen konnte.16 Notwendig werden derartige Expeditionen durch den steigenden Bedarf an Luxusgütern, der wiederum Ausdruck der zunehmenden sozialen Differenzierung und der Herausbildung einer Elite ist.17 Das Gebiet zwischen dem Ersten und Zweiten Katarakt

3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

Vandersleyen (1975: 13). Beckerath (1997: 160); Verner (2001: 585); Schlögl (2003: 28), (2006: 79). Helck (1968: 38); Beckerath (1997: 160); Verner (2001: 586); T. Wilkinson (2010: 56). Otto (1953: 49); Hornung (1978: 14); Grimal (1988: 8182); Andreu (1997: 7); T. Wilkinson (2010: 55). Otto (1953: 49); Drioton (1969: 59); Beckerath (1971: 16). Hornung (1978: 15–16); Stadelmann (1996). Höveler-Müller (2005: 75); Schlögl (2006: 84); T. Wilkinson (2010: 55). Höveler-Müller (2005: 72). Helck (1968: 48). Gundlach (1998: 199). Schlögl (2003: 30). T. Wilkinson (2010: 55). Gundlach (1998: 110); Höveler-Müller (2005: 66); T. Wilkinson (2010: 56). Helck (1968: 47); Beckerath (1971: 16); Hornung (1978: 14); Málek (2000: 105). T. Wilkinson (1999: 113).

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1.1 Anliegen und Aufbau der Arbeit

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wird „sicher erneut“ von ägyptischen Expeditionen durchzogen.18 In den syrischen Raum hinein gibt es nicht nur Handelsbeziehungen, sondern es ist sogar ein künstlerischer und religiöse Einfluss der ägyptischen Kultur dort spürbar.19 Das Anliegen der Arbeit ist es zu überprüfen, auf welchen Belegen Aussagen zur Ereignisgeschichte des Alten Reiches wie die oben zitierten beruhen, diese Belege einer quellenkritischen Analyse zu unterziehen und die Schlussfolgerungen gegebenenfalls zu hinterfragen bzw. zu korrigieren. Der Historiker Otto Oexle konstatiert, dass historische Erkenntnis in erster Linie „nicht Gegenstandsabbildung, sondern die Konstituierung von Fragestellungen“ ist. 20 Auch in dieser Arbeit geht es vor allem darum aufzuzeigen, welche Probleme und Fragen sich bei der Auswertung der Quellen ergeben und vor dem Versuch der Rekonstruktion von Ereignissen oder gar der Benennung von Ursachen, berücksichtigt werden müssen. Es sollen auch Fragen aufgezeigt werden, die in keinem der gängigen Geschichtswerke gestellt werden, wie z. B. die nach der jeweiligen Situation in den Ländern, zu denen Ägypten Beziehungen unterhält. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die in der Ägyptologie selten gestellte Frage „Was wäre gewesen, wenn…?“, die lästig oder gar lässlich erscheinen mag und dennoch vom Historiker Hermann von der Dunk als „unerlässliche Bedingung, die jeder Beschreibung und Fragestellung zugrunde liegt“, bezeichnet wird. 21 Aufgrund der mangelhaften Quellenlage ist es nicht zu erwarten, dass wesentliche Erkenntnisse über die Ereignisgeschichte des Alten Reiches dazugewonnen werden. Stattdessen wird sich vielmehr zeigen, dass einige gängige Annahmen in ihrer bisherigen Form nicht haltbar sind oder zumindest ernsthaft angezweifelt werden müssen. Ausgangspunkt der Untersuchung sind die einschlägigen Überblickswerke zur Geschichte des Alten Ägypten sowie weitere Sekundärliteratur, die sich mit bestimmten Aspekten dieser Geschichte befasst. Auch die sogenannte populärwissenschaftliche Literatur wird dabei teilweise berücksichtigt. Zum einen finden immer wieder Aussagen daraus direkt oder indirekt Eingang in die Fachliteratur und zum anderen ist der überwiegende Teil der in den vergangenen 20 Jahren erschienenen Geschichtswerke diesem Bereich zuzuordnen, wenn wir als populärwissenschaftlich solche Literatur bezeichnen, die auf die akribische Angabe von Belegen und Wiedergabe von Diskussionen verzichtet (siehe dazu Kapitel 1.2.2). Die Arbeit erhebt ausdrücklich keine Anspruch darauf, alle Aspekte der politischen Geschichte des Alten Reiches abzuhandeln, so wird etwa der umfangreiche und schwierige Bereich der Verwaltung weitgehend ausgeklammert, um den Umfang der Arbeit im üblichen Rahmen zu halten. Der Einleitungsteil beinhaltet einen kurzen Überblick über die Entwicklung der allgemeinen abendländischen Historiographie und über die Theorien und Methoden der

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Hornung (1978: 14–15). Hornung (1978: 15). Oexle (2003: 19). Dunk (1988: 157).

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Geschichtswissenschaften. Im Anschluss daran wird erörtert, wie sich die Geschichtsschreibung zum Alten Ägypten von ihren Anfängen bis heute entwickelt hat und inwiefern die Entwicklung der allgemeinen Geschichtswissenschaften sich darin widerspiegelt bzw. deren Theorien und Methoden berücksichtigt werden. Hierbei wird auch begründet, weshalb eine Beschäftigung mit der Ereignisgeschichte des Alten Reiches trotz des cultural turn unbedingt notwendig ist. Der Epochenbegriff „Altes Reich“ ist nicht genau definiert und wird recht unterschiedlich gebraucht. Das zweite Kapitel setzt sich mit der Periodisierung von Geschichte auseinander und behandelt die Frage, ob Epochenbegriffe sinnvoll sind, auf welcher Grundlage diese beruhen, wie sie bisher verwendet wurden und welche Kriterien hier für die Eingrenzung des Alten Reiches angesetzt werden sollen. Im dritten Kapitel werden jene Quellen, die bislang für die Untersuchung der Geschichte des Alten Reiches herangezogen wurden, kritisch beleuchtet: Welche Aussagen über die Verlässlichkeit der einzelnen Quellenarten sind möglich? In welchem Verhältnis stehen Schriftquellen und archäologische Quellen zueinander und inwieweit lässt die materielle Kultur politische Entwicklungen erkennen? Wie gehen wir mit dem Mangel an Quellen, gerade für das Alte Reich, um? Die bei der Erörterung der Fragen gewonnenen Erkenntnisse sollen in den folgenden Kapiteln als Grundlage für die kritische Diskussion der bisherigen Thesen zur Geschichte des Alten Reiches dienen. Die Abfolge der Könige bildet das chronologische Gerüst, innerhalb dessen sich der Historiker für die Rekonstruktion der Ereignisgeschichte bewegt, und die Grundlage für altägyptische Jahresangaben bildet die Anzahl der Regierungsjahre des jeweiligen Königs. Um diese Daten zu lesen sowie Ereignisse einordnen und Entwicklungen sichtbar machen zu können, ist eine exakte Rekonstruktion der Königsfolge unabdingbar. Im vierten Kapitel wird der bisherige Forschungsstand zu diesem Thema mit seinen Problemen und Unsicherheiten beschrieben. Das fünfte Kapitel widmet sich der Frage, inwieweit die historische Zäsur zu Beginn des Alten Reiches, die rückblickend festgelegt wurde, auch in den zeitgenössischen Hinterlassenschaften sichtbar wird und worin diese eigentlich besteht. Eine Epoche wird stets von den Menschen geprägt, die in ihr leben, und manchmal sind es einzelne Personen, die in der Wahrnehmung der Nachfolgenden ihrer Zeit eine besondere Prägung verleihen. Das sechste Kapitel beschäftigt sich mit Djoser, Imhotep und Cheops, deren Namen in den Geschichtswerken überdurchschnittlich oft auftauchen, so dass der Eindruck entsteht, diese Menschen scheinen – im positiven oder negativen Sinn – herausragende Persönlichkeiten des Alten Reiches gewesen zu sein. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit dieser Eindruck anhand der überlieferten zeitgenössischen Quellen bestätigt werden kann. Die Pyramiden bilden die auffälligsten Hinterlassenschaften des Alten Reiches. Die Ereignisgeschichte betreffende Schlüsse, die bisher aus der Funktion oder Lage der Pyramiden gezogen wurden, sollen im siebenten Kapitel kritisch hinterfragt werden. Das achte Kapitel hat die Außenbeziehungen Ägyptens zum Thema: Wo sind Spuren altägyptischer Kultur außerhalb des Niltals sichtbar? Wo kam es zu Interaktionen mit der dortigen Bevölkerung und von welchem gegenseitigen Verhältnis waren diese Interaktionen geprägt? Die Ägypten umgebenden Länder werden dabei im Süden beginnend und gegen

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den Uhrzeigersinn fortschreitend einzeln abgehandelt. Im Vordergrund steht dabei stets die Frage, inwieweit die Beziehungen ins Ausland eine „Außenpolitik“ erkennen lassen. Was geschieht am Ende des Alten Reiches? Können wir einen Untergang feststellen oder vielleicht doch nur einen fließenden Übergang? Für die Entwicklung zur Ersten Zwischenzeit hin werden unterschiedliche Ursachen ausgemacht: eine „innere Krise“, massive Klimaveränderungen oder eine Invasion. Im neunten Kapitel werden die verschiedenen Thesen zum Ende des Alten Reiches einander gegenübergestellt und die von den Autoren angeführten Argumente kritisch hinterfragt. Die Situation in Ägypten soll hierbei auch in einen größeren historischen Kontext eingeordnet werden. Dabei ist zu erörtern, ob es Hinweise auf Zusammenhänge zwischen dem Ende der Alten Reiches und den Entwicklungen im vorderasiatischen Raum gibt. Weil sich die Verfasserin stets über inkonsequente und entstellende Schreibungen arabischer Ortsnamen geärgert hat, werden diese, um Nachvollziehbarkeit und korrekte Aussprache zu gewährleisten, hier gemäß den Transkriptionsrichtlinien der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft wiedergegeben. Eine Liste mit der jeweiligen Originalschreibung ist im Anhang zu finden.

1.2 Forschungsstand 1.2.1 Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft Die Auseinandersetzung mit Theorien und Methoden der Geschichtsschreibung wird in den Geschichtswissenschaften mittlerweile als unabdingbar betrachtet. Da der Ägyptologe sich traditionell eher als Philologe und/oder Archäologe betrachtet 22 denn als Historiker, fand eine Beschäftigung mit besagten Theorien und Methoden bisher kaum statt. Dies mag auch daran liegen, dass die Überblickswerke zur Geschichte des Alten Ägypten überwiegend dem populärwissenschaftlichen Bereich zuzuordnen sind und hier auf Methodendiskussionen ebenso verzichtet wird wie auf akribische Quellenangaben (siehe auch das folgende Kapitel). Eine detaillierte Wiedergabe der Geschichte der Historiographie und der komplexen Methodendiskussion des 20. und 21. Jahrhunderts ist nicht das Anliegen dieser Arbeit. Ebenso wenig soll eine bestimmte Theorie in dieser Arbeit „Prämisse der Deutung“23 werden, doch erscheint es mir sinnvoll, einige Inhalte, die auch für den Umgang der Ägyptologie mit der Historie relevant sind, im Folgenden kurz zu skizzieren. Die Ursprünge der Geschichtsschreibung der modernen westlichen Welt liegen in den Werken der Historiker der Klassischen Antike. Für die schriftliche Fixierung von Geschehenem gibt es deutlich ältere Beispiele,24 so dass die griechischen Historiker nicht den Beginn der Geschichtsschreibung an sich darstellen. Diese älteren Beispiele sind jedoch, wie sich im

22 Sichtbar wird dies auch daran, dass die ägyptologischen Seminare an den Universitäten meist den entsprechenden Fakultäten angegliedert sind. 23 Eggert (2006: 198). 24 Z. B. die altägyptischen Annalen (siehe Kapitel 3.2.) und die altorientalischen Königsinschriften.

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Folgenden zeigen wird, für die Entstehung der abendländischen Historiographie so gut wie nicht relevant. Einflüsse der Geschichtsschreibung fremder Kulturen lassen sich in der griechischen Historiographie kaum nachweisen: die wenigen orientalischen Elemente etwa sind nach der Analyse Arnaldo Momiglianos nicht mit direktem persischen Einfluss zu erklären, sondern eher „to be attributed to the common cultural background of the Persian Empire.“25 Griechische und jüdische Historiker wiederum haben sich der derzeitigen Beleglage nach erst ab dem 3. Jh. v. Chr. gegenseitig wahrgenommen.26 Eine von Herodot überlieferte Anekdote berichtet uns von einer frühen Begegnung Griechenlands mit der Geschichte Altägyptens: Hekataios von Milet soll während seines Aufenthaltes in Ägypten den dortigen Priestern stolz die sechzehn Generationen seiner Ahnen aufgezählt haben, deren erster ein Gott gewesen sein soll. Daraufhin sollen die Priester ihm – wie auch später dem Herodot – die Statuen ihrer priesterlichen Vorfahren im Tempel von Karnak gezeigt haben, die sich über 345 Generationen zurückverfolgen ließen, ohne dass ein Gott oder Heros am Beginn stand.27 Dem Griechen wird hier die erhebliche zeitliche Differenz bewusst, die zwischen den Ursprüngen ihrer eigenen griechischen und den Ursprüngen der altägyptischen Kultur liegt. Zum anderen zeigt ihm die Tatsache, dass der ägyptische Priester sich auf eine schriftlich fixierte Ahnenreihe berufen kann, die Unzuverlässigkeit der ausschließlich mündlichen Überlieferung auf, deren Anfänge sich im Bereich des Mythischen verlieren.28 Die Begegnung mit Ägypten hat hier also einen entscheidenden Denkanstoß für die Auseinandersetzung der Griechen mit der Vergangenheit bewirkt, nicht jedoch die Übernahme ägyptischer Vorbilder was die Art der Geschichtsschreibung betrifft. Mit Herodot und Thukydides begegnen uns erstmals Historiographen, die in ihren Werken deutlich als die recherchierende, auswählende und manchmal auch die Geschehnisse wertende Instanz in Erscheinung treten und sowohl über die Art der Geschichtsdarstellung, den Sinn der Geschichte sowie die Methoden der Rekonstruktion von Vergangenem reflektieren und eine erste Quellenkritik entwickeln.29 Herodot prägte den bis heute namengebenden Begriff ἱστορίη, Thukydides setzte sich in seinem methodologischen Abschnitt unter anderem mit der ἀρχαιολογία auseinander und erhob „die Suche nach der Wahrheit“ (ἡ ζήτησις τῆς ἀληθείας) zum Grundsatz der Geschichtsschreibung. 30 Aristoteles arbeitete in seinen Reflektionen über die Geschichtsschreibung wichtige Prinzipien heraus, die noch heute gültig sind.31 Carlo Ginzburg fasst diese folgendermaßen zusammen: a. „die menschliche Geschichte kann auf der Grundlage von Spuren, Indizien, sēmeia [σημεῖα] rekonstruiert werden; b. solche Rekonstruktionen implizieren stillschweigend eine Reihe von natürlichen und notwendigen Zusammenhängen (tekmēria) [τεκμήρια], die als sicher gelten können: Bis 25 Momigliano (1990: 9). 26 Ausführlich zur Frage nach Berührungspunkten bzw. gegenseitigen Beeinflussungen der persischen, griechischen und jüdischen Geschichtsschreibung siehe Momigliano (1990: 528). 27 Herodot II, 143. 28 Siehe dazu auch Momigliano (1955: 67) und (1990: 32). 29 Momigliano (1955: 2837 und 52); Alonso-Núñez (2000: 24); Meister (2013). 30 Alonso-Núñez (2000: 61–64); Ginzburg (2001: 56). Der Begriff ἀρχαιολογία wird erstmals von Platon verwendet (Hippias maior 285d), siehe dazu Momigliano (1955: 114). 31 Aristoteles, Rhetorik.

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zum Beweis des Gegenteils kann ein menschliches Wesen nicht zweihundert Jahre leben, es kann sich nicht gleichzeitig an zwei Orten befinden usw.; c. jenseits dieser natürlichen Zusammenhänge bewegen sich die Historiker im Bereich des Wahrscheinlichen (eikos) [εἰκός], manchmal des äußerst Wahrscheinlichen, nie jedoch im Bereich der Gewissheit – auch wenn sich in ihren Schriften die Unterscheidung zwischen ‚höchst wahrscheinlich‘ und ‚gewiss‘ aufzulösen scheint.“32 Im Gegensatz zu den Verfassern von Annalen und Königsinschriften älterer Kulturen beschäftigen sich die griechischen Historiographen erstmals nicht mehr ausschließlich mit räumlich und zeitlich begrenzten, den eigenen Kulturkreis betreffenden Geschehnissen, sondern erfinden die Universalgeschichte. 33 Die Geschichtsschreibung der klassischen Antike – hier sind die römischen Autoren ebenso gemeint wie ihre griechischen Vorbilder – ist die der Veränderungen: Kriege und politische Umwälzungen bilden die zentralen Themen.34 Thukydides begibt sich erstmals auf die Suche nach den Anlässen (αἰτία) und Ursachen (ἀληθεστάτη πρόφασις) für geschichtliche Abläufe: so macht er vor allem die Wirtschaft als Antriebsfaktor für politische Entwicklungen aus. 35 Ein Charakteristikum der griechischen Geschichtsschreibung ist die Vorstellung, dass sich Entwicklungen häufig monokausal erklären und Ereignisse zu einer linearen Reihe anordnen lassen. 36 Dieses Denkmuster spiegelt sich bis heute in der modernen Historiographie wider. Seit Thukydides ist die bewusste Auseinandersetzung mit den vorangehenden Historiographen üblich: Thukydides grenzt sich ausdrücklich von Herodot ab.37 Im weiteren Verlauf der klassischen Antike gibt es kaum einen griechischen oder römischen Geschichtsschreiber, der nicht über die Methoden des Thukydides reflektiert bzw. diesen nachahmt. Sein Erzählstil wird immer wieder gelobt, aus der römischen Kaiserzeit sind eine umfangreiche Thukydidesexegese und zahlreiche „wissenschaftliche“ Abhandlungen über ihn erhalten.38 Die intensive Beschäftigung mit den Historiographen der klassischen Antike, insbesondere mit Thukydides, setzt sich in der Renaissance fort und findet einen Höhepunkt im 19. Jahrhundert: fast alle großen deutschen Historiker verstehen sich als „Thukydideer“,39 Momigliano spricht gar von einem „nineteenth-century cult for Thukydides”.40 Leopold von Ranke (siehe unten) bezeichnet Herodot und Thukydides als die „beiden Begründer aller historischen Wissenschaft und Kunst“, 41 da sie für ihn mit der kritischen Herangehensweise (Thukydides) und universalhistorischen Konzeption

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Ginzburg (2001: 55). Momigliano (1984a: 22); Alonso-Núñez (2000: 21). Siehe dazu Momigliano (1991: 2836). Alonso-Núñez (2000: 2431; 64). Lloyd (1975: 150). Ein Beispiel dafür ist die von Thukydides herausgearbeitete Abfolge der Thalassokratien, die sich mit Minos beginnend bis zur attischen Seeherrschaft entwickeln. Siehe dazu AlonsoNúñez (2000: 2431). Alonso-Núñez (2000: 21); Meister (2013: 15). Ausführlich dazu Meister (2013: 1788). Meister (2013: 167189). Momigliano (1990: 50). Ranke (1881: 37).

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(Herodot) die fundamentalen Prinzipien der Geschichtsschreibung repräsentieren. 42 Wie fest die Geschichtsschreibung der modernen westlichen Welt in der klassischen Antike verwurzelt ist, zeigt sich unter anderem darin, dass Momigliano sich bis zu seinem Tod in den späten 1980er Jahren immer wieder damit auseinandersetzte, auf welche Weise die antiken Historiographen und Philosophen heute noch in der der zeitgenössischen Historiographie präsent sind bzw. dazu beitragen. Während des Mittelalters ist zunächst ein Bruch mit den Traditionen der klassischen Antike zu verzeichnen: an die Stelle historischer Abhandlungen treten Chroniken und Memoiren, deren Verfasser kein Interesse an den Ursachen für historische Entwicklungen oder einer Universalgeschichte zeigen und deren Schriften stark theologisch geprägt sind. 43 Die Historiker der Renaissance wiederum rezipieren bewusst die Autoren der klassische Antike, wobei sie sich damit auseinandersetzen, inwieweit heidnische Autoren ein Vorbild für die Geschichtsschreibung einer christlichen Ära sein können.44 Seit der Aufklärung emanzipiert sich die Geschichtsschreibung allmählich von der Theologie, behält aber ganz im Sinne der antiken Autoren eine stark rhetorisch und narrativ geprägte Komponente bei. Im 19. Jahrhundert findet eine historiographische Wende von der erzählenden Chronik zur quellenorientierten Darstellung statt, an deren Ende „die Historisierung des Denkens vom Menschen, die Verabsolutierung des historischen Wissens, die bis zum äußersten getriebene Verwissenschaftlichung der Historie“45 steht. Als Vater der das 19. Jahrhundert prägenden Historischen Schule46 gilt Leopold von Ranke.47 Die Geschichtsschreibung wird von ihm nicht mehr als Kunst, sondern als Wissenschaft begriffen, als ein Instrument der Erforschung der Vergangenheit aus der Perspektive der Gegenwart. Grundlage dafür ist nun eine systematische und kritische Begutachtung des Quellenmaterials. Rankes Verdienst für die Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung besteht nicht allein in seinen unter Anwendung der quellenkritischen Methode zustande gekommenen historischen Darstellungen, sondern vor allem auch in seinen theoretischen und methodologischen Einsichten.48 Das mittlerweile legendäre Zitat vom „Sagen, wie es eigentlich gewesen,“ 49 verdeutlicht Rankes Anspruch auf Objektivität, wobei er damit nicht allein ausdrücken möchte, dass der Historiker die Vergangenheit so wahrheitsgemäß wie möglich zu rekonstruieren hat, sondern vor allem, dass der Historiker kein Richter sein soll: seine

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Meister (2013: 178). Momigliano (1984a: 1420); Baberowski (2005: 31). Momigliano (1984a: 2024); Meister (2013: 105127). Muhlack (2003: 910); siehe auch Meister (2013: 169). Zum Begriff des Historismus siehe Fulda (1996: 267278). P. Burke (1988); Baberowski (2005: 6379). Weitere bedeutende Historiker dieser Schule sind Johann Gustav Droysen, Wilhelm von Humboldt, Heinrich Treitschke, Heinrich Sybel, Theodor Mommsen und Wilhelm Dilthey. 48 Siehe Lozek (1988). 49 Zitiert nach Oexle (2003: 8).

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Aufgabe ist nicht das Urteilen und Bewerten, sondern das Aufdecken objektiver Realitäten.50 Die maßgebende theoretische Begründung der Geschichtswissenschaft bringt Johann Gustav Droysen mit seiner Historik hervor. Er formuliert dort die Erkenntnis, dass die Quellen der Vergangenheit, nicht aber die Vergangenheit selbst der Forschungsgegenstand des Historikers sind, und empfiehlt, das Erkenntnismodell der Naturwissenschaften auch auf die Erkenntnis der Vergangenheit anzuwenden.51 Mit Wilhelm Dilthey ist schließlich sowohl die Trennung von Geistes- und Naturwissenschaften verbunden, als auch die Begründung der modernen Hermeneutik, die es ermöglicht, die Bedingungen aufzuklären, unter denen Verstehen geschieht bzw. die Bedingungen der Subjektivität ermittelt. 52 Die geistigen Grundlagen für die Entwicklung der historischen Methode hatte schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Philosoph Friedrich Hegel gelegt, von dem Ranke sich zwar bewusst abgrenzt, der aber dennoch als der als „Anfang einer reflektierten Geschichtsschreibung, die den Historiker in die Geschichte mit einschreibt“, zu betrachten ist. 53 Eine „Art Geburtshelfer der modernen Geschichtswissenschaft“54 ist außerdem, wie bereits weiter oben ausgeführt, die Geschichtsschreibung der klassischen Antike. Autoren wie Thukydides und Tacitus gelten Ranke und anderen als unübertrefflich und unbedingt nachahmenswert hinsichtlich der kunstvollen Darstellung von Geschichte, doch gehen die Historiker des 19. Jahrhunderts bei aller Bewunderung für ihre antiken Vorbilder deutlich über deren Ansatz hinaus, wie das folgende Zitat Rankes zeigt: „Niemand kann, wie berührt, die Prätension haben, ein größerer Geschichtsschreiber zu sein als Thucydides, hingegen habe ich selbst die Prätension, etwas anderes in der Geschichtsschreibung zu leisten, als die Alten; weil unsere Historie voller strömt, als die ihrige, weil wir andere Potenzen in die Historie hereinzuziehen suchen, mit einem Worte, weil wir die Geschichte zur Einheit zu fassen suchen.“ 55 Dem Anliegen des Thukydides entsprechen auch die beiden Ranke’schen Zitate vom „Primat der äußeren Politik“56 und dem „Sagen, wie es eigentlich gewesen“,57 die sicher von dort entlehnt sind.58 Wenn wir auch heute Rankes weltanschauliche Prämissen größtenteils nicht mehr teilen,59 so ist doch sein Werk auch für die moderne Geschichtswissenschaft immer noch

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Mommsen (1988: 8); Baberowski (2005: 6670). Baberowski (2005: 7173). Siehe auch Momigliano (1955: 249–269). Baberowski (2005: 101124). Siehe dort auch zur Hermeneutik Gadamers und Heideggers. Baberowski (2005: 62; siehe auch 3132). Meister (2013: 169). Zitiert nach Meister (2013: 168). Zitiert nach Mommsen (1988: 9). Zitiert nach Oexle (2003: 8). Fälschlicherweise wurde sogar angenommen, es handle sich um eine wörtliche Übersetzung Rankes der entsprechenden Aussage bei Thukydides. Dem ist nicht so; siehe dazu Meister (2013: 175176). 59 Z. B. die religiöse Weltsicht Rankes, die ihn dazu veranlasst, oft nicht nach der Ursache bestimmter Entwicklungen zu fragen, sondern diese als gottgewollt darzustellen. Siehe dazu Schleier (1988).

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relevant und die von ihm geforderte systematische Quellenkritik „zu einem festen Bestandteil des Methodenkanons der Geschichtswissenschaft geworden“. 60 Bei der Beschäftigung mit der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts müssen auch Karl Marx und Friedrich Engels genannt werden, die zwar keine Historiker sind, sich aber als Geschichtsphilosophen verstehen, „die das erkenntnistheoretische Modell Hegels vom Kopf auf die Füße stellen“ wollen und den historischen Materialismus begründen. 61 Dieser beeinflusst die Werke nachfolgender Historikergenerationen entweder dadurch, dass sich einzelne Historiker als Marxisten verstehen, andere sich hingegen bewusst vom Gedankengebäude des Marxismus distanzieren.62 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kommt zum einen Kritik auf am Fokus der Geschichtsschreibung auf die politische Geschichte – den inhaltlichen Kern der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts bilden vor allem die Handlungen und Entscheidungen der Herrschenden –, zum anderen mehren sich die Zweifel daran, dass es überhaupt möglich sei, anhand der uns zur Verfügung stehenden Zeugnisse die Vergangenheit „wie es eigentlich gewesen“ rekonstruieren zu können. Es ist der gelernte Jurist Max Weber, der über seine rechtshistorischen Arbeiten zur mittelalterlichen und antiken Geschichte mit den Geschichtswissenschaften in Berührung kommt und sich mit der Historischen Schule und ihren erkenntnistheoretischen Prämissen auseinandersetzt.63 Die Verstehenslehre der Historischen Schule kritisiert Weber scharf. Objektive Erkenntnis sei nicht möglich und im Gegensatz zu den Naturwissenschaften könnten die Geisteswissenschaften deshalb nicht auf allgemein gültige Modelle zurückgeführt werden und Ereignisse nicht aus Gesetzen hergeleitet werden. Stattdessen sieht Weber die Geschichtswissenschaft als „Wirklichkeitswissenschaft“, die sinnliche Erfahrungen ordnet und rationalisiert sowie individuelle Verhältnisse zwischen individuellen Ereignissen bestimmt. Wissenschaftliche Verallgemeinerungen leitet er nicht mehr von philosophischen Postulaten ab, sondern von empirischen Forschungsresultaten. 64 Als heuristisches Forschungsinstrument entwickelt Weber die idealtypische Methode: seine sogenannten Idealtypen stellen ein Begriffsinstrumentarium bereit, mit dem es möglich ist, „die Wechselbeziehung zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen in Geschichte und Gesellschaft“ zu erfassen. 65 Mit Weber und seinen theoretischen und methodologischen Abhandlungen verbinden wir heute die Entstehung einer „Historischen Kulturwissenschaft“.66 Aus ganz ähnlichen Zweifeln und Kritikpunkten an der üblichen historischen Methodik zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wie sie dem Werk Max Webers zugrunde liegen, entstand in Frankreich die Schule oder Bewegung der Annales.67 Wenn sich auch die Vertreter der Annales-Schule nicht in der Nachfolge Webers sehen (Fernand Braudel äußerte sogar, er sei 60 61 62 63 64 65 66 67

Mommsen (1988: 11). Baberowski (2005: 86). Siehe z. B. Küttler/Lozek (1986); P. Burke (2004); Baberowski (2005: 8098). Kocka (1986: 1314). Mommsen (1986); Rosse (1986); Baberowski (2005: 126139). Küttler/Lozek (1986: 175). Kocka (1986: 1314); Mommsen (1989); Oexle (1996: 14–40). Ausführlich zu der Annales-Bewegung P. Burke (2004), siehe auch Baberowski (2005: 140158).

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gegen Max Weber „allergisch“68), so haben doch beide Richtungen gemeinsam, dass ihre Vertreter die Geschichtswissenschaft als Sozialwissenschaft begreifen. Nachdem letztere von manchen Historikern zunächst erbittert bekämpft worden war, wird die Beziehung zwischen Geschichtsschreibung und Sozialwissenschaft im Laufe der Zeit immer enger, so dass die Geschichtsschreibung heute nach Meinung Ginzburgs als „eine Sozialwissenschaft sui generis“ aufgefasst werden kann.69 Die Anfänge der Annales-Schule sind eng verbunden mit den Namen Marc Bloch und Lucien Fèbvre, die beide stark von den Ideen des Soziologen Emile Durkheim beeinflusst sind. In Abgrenzung von der Schule des Historismus wird gefordert, dass Geschichte kein Ereignisbericht sein soll, der die Taten großer Männer beschreibt und nach den Ursachen für politische Entwicklungen sucht. An die Stelle der Erzählung soll die problemorientierte Analyse treten: Nicht die Taten großer Männer, sondern die Gesellschaft, aus der diese Männer stammen, soll beschrieben und in ihrer Entwicklung verstanden werden. Das menschliche Handeln bzw. der Mensch selbst rücken damit in den Mittelpunkt der Geschichtsschreibung. Diese ist für die Vertreter der Annales-Schule keine Wissenschaft von der Vergangenheit, sondern eine der Menschen in ihrer Zeit, die wiederum ihre Bedeutung erst in der Gegenwart erhält. Um das menschliche Handeln beschreiben zu können, reicht es nicht, die Zeugnisse der Vergangenheit mit der üblichen historischen Methodik untersuchen, vielmehr ist nun interdisziplinäres Arbeiten gefragt. Die Zusammenarbeit des Historikers mit anderen Disziplinen wie der Geographie, Soziologie, Psychologie, den Wirtschaftswissenschaften, der Linguistik, Ethnologie etc. ist eine zentrale Forderung der Annales-Schule. Um diese neue Art der Geschichtsschreibung populär zu machen, erscheint 1929 erstmals die für die ganze Bewegung namengebende Zeitschrift Annales. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ist die Strahlkraft der Annales über Frankreich hinaus nur gering: Peter Burke bezeichnet die Bewegung in dieser Phase als „eine kleine, radikale und subversive Gruppe, die einen Guerillakrieg gegen die traditionelle Geschichtsschreibung, gegen die politische Geschichte und die Ereignisgeschichte führte.“70 In der Zeit nach 1945 übernehmen, wie P. Burke es ausdrückt, die „Rebellen die Macht im Historikerestablishment“. Von Annales-Historikern geprägte Begriffe der structure, conjoncture und longue durée gehören von nun an zum gängigen Vokabular des Historikers. Die dominierende Persönlichkeit dieser zweiten Generation der Annales-Historiker ist Fernand Braudel, der mit seiner Dissertation La Méditerranée et le Monde méditerranéen à l'époque de Philippe II neue Maßstäbe setzt. Er unterscheidet hier erstmals die Ereignisgeschichte von der Geschichte der ökonomischen, sozialen und politischen Strukturen und diese wiederum von der Geschichte des Menschen in Beziehung zu seiner Umgebung.71 Dabei erkennt Braudel, dass die Geschichte der Strukturen sich im Rhythmus von Generationen oder Jahrhunderten bewegt und damit deutlich langsamer voranschreitet als

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P. Burke (2004: 66). Ginzburg (1983: 58–92). P. Burke (2004: 8). P. Burke (2004: 4450).

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die rasch verlaufende Ereignisgeschichte, während die unterste Ebene, die Beziehung des Menschen zu seiner jeweiligen Umgebung, nahezu unbeweglich erscheint. Die von ihm als oberflächlichste Art von Geschichte betrachtete politische Geschichte lehnte Braudel vehement ab. Kritiker wandten dagegen ein, dass ohne ein mindestens grobes Bild historischer Abläufe auch keine Strukturanalyse möglich ist, da sonst nicht die dafür notwendigen Fragen gestellt werden können.72 Neben der Beschäftigung mit der Strukturgeschichte, insbesondere der Mentalitätengeschichte, entwickelte die Annales-Schule der Nachkriegszeit die Methode der „seriellen Geschichte“, die Untersuchungen über lange Zeiträume ermöglicht. In den 1960er Jahren entstanden zudem im Gefolge von Braudels La Méditerranée eine Reihe von eindrucksvollen Regionalstudien, die stets nach structure und conjoncture gegliedert sind und mithilfe der historischen Demographie die Sozialgeschichte einer klar begrenzten Region untersuchen. Nach 1968, mit der dritten Generation von Annales-Historikern beginnt die Bewegung allmählich zu zersplittern. Während sich einige Vertreter von der sozioökonomischen Geschichte weg der soziokulturellen Geschichte zuwenden, kehren andere gar zur einstmals verfemten politischen Geschichte und historischen Erzählung zurück.73 Das 20. und 21. Jahrhundert sind insgesamt geprägt von heftigen Methodendiskussionen einerseits und andererseit einer Debatte darüber, ob die Geschichtswissenschaft überhaupt der Theorie bedürfe.74 Dazu kommt die Frage nach dem gesellschaftlichen Nutzen der Geschichtswissenschaft.75 Die verschiedenen Theorien und die Entwicklung der Methodendebatte sollen und können hier nicht im Einzelnen dargestellt werden. 76 Zu nennen wären die Postmoderne, zu deren geistigen Vätern Michel Foucault zählt, der Strukturalismus, der durch Ferdinand de Saussure, Claude Lévi-Strauss und Jacques Derrida vertreten wird, sowie der Konstruktivismus. Für die Ägyptologie bzw. die Geschichtsschreibung über das Alte Ägypten sind diese Theorien nur von untergeordneter Bedeutung: Meist von Philosophen, nicht von Historikern verfasst, setzen sie eine bereits bekannte Abfolge historischer Ereignisse voraus und beschäftigen sich ausschließlich damit, wie diese einzuordnen bzw. wiederzugeben sind. Die Rekonstruktion von Geschichte und die damit verbundenen Schwierigkeiten – und damit ist die Forschung zum Alten Reich noch vorrangig beschäftigt – spielen dabei keine Rolle.

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P. Burke (2004: 52). P. Burke (2004: 107111). Cf. Barberi (2000); Ginzbug (2001); Oexle (2003). Diese Frage wird heute in allgemeiner Übereinstimmung dahingehend beantwortet, dass die Historiker zwei Aufgaben haben: „Sie produzieren historische Tatsachen und sie haben für die Deutung, für den „Sinn“ dieser Tatsachen zu sorgen.“ Oexle (2003: 1). 76 Für eine knappe Darstellung der wichtigsten Theorien siehe Kolmer (2008). Ausführlich zur Methodendebatte Barberi (2000), auch Ginzbug (2001); Oexle (2003) und Baberowski (2005). Zur Methodendiskussion in der Archäologie und dem Verhältnis zwischen Archäologie und Historie siehe Eggert (2006) und Eggert/Veit (2013).

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1.2 Forschungsstand

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Einen prägenden und auch für die Ägyptologie höchst relevanten Einschnitt in der Geschichtsschreibung stellt der linguistic turn der 1970er Jahre dar. Der Historiker und Literaturwissenschaftler Hayden White kritisiert seit dieser Zeit den Fokus der Geschichtsschreibung auf Datensammlungen und vermeintliche Beweise und vertritt die Meinung, dass Geschichte sich nicht in Rohdaten manifestiere, sondern erst dadurch entstehe, dass diese mit rhetorischen Mitteln anschaulich erzählt würden. Deshalb unterschieden sich die Werke der Historiker nur unwesentlich von denen der Romanschreiber, denn auch Historiker müssten einen Plot entwickeln und rhetorische Mittel einsetzen. 77 Die Historiker der Annales-Schule hatten ihre Methode unter anderem aus der Annahme heraus entwickelt, dass die narrative Geschichtsschreibung der analytischen, wissenschaftlicheren Herangehensweise deutlich unterlegen sei. White dagegen hält die Narratio nicht für ein Problem, sondern für die Lösung des Problems „of how to translate knowing into telling, (…).“78 Erst durch das erzählerische Element würde die Struktur bzw. die Bedeutung von Ereignissen enthüllt, während eine bloße Aufzählung von Ereignissen zunächst ohne Bedeutung sei.79 Der Historiker müsse sich bewusst werden, dass Geschichte eben keine Rekonstruktion, sondern vielmehr eine Konstruktion sei.80 In der Folge des linguistic turn kommt es zu einer teilweise erbittert geführten und bis heute anhaltenden Diskussion darüber, ob die Geschichtsschreibung Wissenschaft oder Dichtkunst sei und wie viel Fiktion die Geschichte verträgt. Dabei stellen sich auch die Fragen, was Geschichte eigentlich ist81 und ob Geschichte überhaupt da ist und gleich einem Fundstück freigelegt werden kann oder ob sie nicht erst dadurch entsteht, dass der Historiker sie aufschreibt. Nach Ansicht der  von William Dray so bezeichneten – Fraktion der „anti-realists“82 ist allein die Botschaft der Narratio entscheidend. Es sei also unerheblich, ob etwas so wie beschrieben stattgefunden hat, entscheidend sei allein, dass es so gewesen sein könnte.83 Diese Herangehensweise erinnert teilweise stark an die der Geschichtsschreiber der klassischen Antike: schon Thukydides nutzte das Mittel der fiktiven Rede, die er einer historischen Person in den Mund legte, um politische Zusammenhänge und historische Entwicklungen zu verdeutlichen.84 Erstaunlicherweise scheint Thukydides jedoch von White und seinen Anhängern kaum rezipiert worden zu sein, 85 was vielleicht mit deren extremer Ablehnung der stark an der antiken Geschichtsschreibung orientierten Historischen Schule in

77 78 79 80 81 82 83 84 85

White (1973), (1987); Paul (2011). White (1987: 1). White (1987: 5). White (2013: 35). Zum Verständnis von Geschichte als Bedeutung, Ereignis und Zusammenhang sowie dem Unterschied zwischen Vorkommnis und Ereignis siehe V. Blumenthal (2019: 1012). Dray (2001: 158). Zu den „anti-realists“ gehören außer Hayden White nach Meinung Drays unter anderem auch die Historiker David Carr, Louis Mink und Peter Munz. Siehe dazu auch D. Carr (2001: 143) und Mink (2001: 213). Z. B. Thuk, 2, 3536. Cf. die Auflistung der Thukydides-Rezipienten der Neuzeit in Meister (2013), bei der White völlig fehlt.

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1 Einleitung

Zusammenhang steht.86 Dennoch bezeichnet White in einem Aufsatz Thukydides zusammen mit Theodor Mommsen, Leopold von Ranke und Jacob Burckhardt als „great historians“ und weist darauf hin, dass auch deren Werke literarische Elemente enthalten. Es käme nun darauf an, diesen literarischen Aspekt nicht mehr als Hilfsmittel, sondern als entscheidendes Werkzeug zu begreifen.87 Whites Ansatz hat nicht nur bei Dray88 scharfe Kritik hervorgerufen. Auch Ginzburg sieht weiterhin die „Suche nach der Wahrheit“ als „grundlegende Aufgabe des Historikers“ an89 und Peter Burke erhebt den Vorwurf an White und andere, das Realitätsprinzip zugunsten des Lustprinzips zu verlassen und „die Beständigkeit und Wirklichkeit der Vergangenheit zu leugnen, wie sie abgesehen von dem besteht, was die Historiker aus ihr zu machen entscheiden.“90 Georg Iggers hält den „extremen kognitiven Relativismus von White“ gar für „unbrauchbar“.91 Der Hauptvorwurf der Kritiker von Whites Herangehensweise besteht darin, dass die Quellen und deren Analyse gegenüber dem erzählerischen Element zu stark an Gewicht verlören, ja diesem sogar untergeordnet würden.92 Obwohl die Diskussion, ob die Geschichtsschreibung Dichtung oder Wahrheit, Kunst oder Wissenschaft sei, bis heute anhält, besteht ein Konsens darüber, dass die narrative Darstellung historischen Geschehens grundsätzlich notwendig ist, weil sich Geschichte nur auf diese Weise erschließt. Ereignisse sind nicht von Natur aus geordnet, sondern müssen erst narrativ verbunden werden: eine Chronik wird demzufolge zur Geschichte, indem man sie erzählt. Schon Reinhart Koselleck hatte sich in dieser Richtung geäußert: „Jedes historisch eruierte und dargebotene Ereignis lebt von der Fiktion des Faktischen, die Wirklichkeit selber ist vergangen. Damit wird ein geschichtliches Ereignis aber nicht beliebig oder willkürlich setzbar. Denn die Quellenkontrolle schließt aus, was nicht gesagt werden darf. Nicht aber schreibt sie vor, was gesagt werden kann.“93 Dass die Quellen und die durch gründliche Analyse daraus gewonnen Fakten die Grundlage der narrativen Geschichtsschreibung bilden müssen, steht heute außer Frage. 94 Die Kunst bestehe darin, so Richard Vann, „to create an aesthetically successful hybrid between fictional and factual elements.”95 Die fiktionalen Elemente werden als notwendig erachtet, da die treibende Kraft hinter den Ereignissen menschliche Protagonisten mit ihren jeweiligen Handlungen sind, die für den modernen Leser lebendig werden müssen. Hauptaufgabe des Historikers ist nicht die Aufzählung von Fakten und Ereignissen, sondern deren Interpretation. Im Unter-

86 87 88 89 90 91 92 93 94 95

Siehe Ankersmit (2013: 62). White (2001: 234). Dray (2001). Ginzburg (2001: 11; 57–59). In der gleichen Richtung äußert sich auch Momigliano (1984b: 49). Ausführlich zur Debatte zwischen White und Ginzburg/Momigliano siehe Barberi (2000). P. Burke (2000: 6162). Zitiert nach Baberowski (2005: 212). Ausführlich dazu Baberowski (2005: 212224). Koselleck (1979: 153). Siehe dazu auch Baberowski (2005: 213). Ankersmit (2001: 238); Gallie (2001: 49); Olafson (2001: 72); Roberts (2001: 133). Vann (2013: 195).

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schied zu den Historisten, deren Anliegen es war, Strukturen in der Geschichte zu entdecken und zu beschreiben, gehen die Narrativisten davon aus, dass die Strukturen dem Geschehensverlauf nicht immanent sind, sondern mit erzählerischen Mitteln auf das historische Geschehen projiziert werden müssen, um eine Interpretation zu ermöglichen. 96 Die politische Geschichte, die, wie oben gezeigt, lange Zeit als die „eigentliche“ Geschichte galt, wurde im 20. Jahrhundert immer unpopulärer. Maßgeblichen Einfluss darauf hatte sicher die vehemente Ablehnung der politischen Geschichte durch die ersten beiden Generationen der Annales-Schule. In Verruf geriet sie nicht zuletzt dadurch, dass sie lange Zeit der historischen Legitimation politischen Handelns diente. Dies ging so weit, dass sogar die gänzliche Abschaffung der politischen Geschichte zugunsten der allgemeinen Kulturgeschichte gefordert wurde.97 Populär wurde stattdessen die Beschäftigung mit einer Fülle von speziellen Aspekten der Geschichte.98 Bedingt durch den cultural turn rückte anstelle der vermeintlichen oder auch tatsächlichen Hochkultur die Volkskultur in den Fokus der Geschichts- und Kulturwissenschaft. 1.2.2 Ägyptologie und Historiographie Wie geht nun die Ägyptologie an das Thema Geschichtsschreibung heran? Inwieweit spiegeln sich bestimmte Tendenzen der allgemeinen Geschichtswissenschaften auch in den Werken zur Geschichte Altägyptens wider? Findet eine Reflektion über Methoden und Theorien statt? Insgesamt 50 Werke zur Geschichte Altägyptens aus der Zeit zwischen 1835 und 2016 wurden im Hinblick auf diese Fragen untersucht, 99 wobei jeweils nur die Einleitungen sowie die Abschnitte über das Alte Reich berücksichtigt wurden. Einbezogen wurden außerdem einzelne Aufsätze zum Thema sowie teilweise historische Überblickskapitel in Werken zu Spezialthemen. Es sei vorweggenommen, dass die Mehrzahl der Autoren von Geschichtswerken – ganz gleich ob die politische oder die Kulturgeschichte im Fokus der Arbeit steht – in keiner Weise zu erkennen gibt, dass die Methodendebatte der allgemeinen Geschichtsschreibung zur Kenntnis genommen und über die spezielle Problematik der Darstellung der ägyptischen Geschichte reflektiert wurde. 100 Die Fälle, in denen

96 Siehe dazu Ankersmit (2001: 237239); Roberts (2001: 130131); White (2001: 227). 97 Erdmann (1987: 291292). 98 Exemplarisch seien an dieser Stelle die Sozialgeschichte, Kulturgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Frauengeschichte und Mentalitätengeschichte genannt. 99 J. Wilkinson (1835); Bunsen (18451857); Lepsius (1849); Brunet de Presle (1850); Lepsius (1858); H. Brugsch (1859); Mariette (1864); Rougé (1866); H. Brugsch (187778); Wiedemann (1884); Meyer (1884); Erman (1885); Maspero (1886); É. Brugsch/Bouriant (1887); Petrie (1894); Maspero (1895); Budge (1902); Meyer (1910); Breasted (1910); Bissing (1913); Baikie (1929); Steindorff (1931); Junker (1933); Kees (1933); Vercoutter (1946); Scharff/Moortgat (1950); Wilson (1951); Awdijew (1953); Hayes (1953); Otto (1953); Wilson (1961); Pirenne (1961); Gardiner (1965); Helck (1968); Drioton (1969); Beckerath (1971); Hornung (1978); Trigger et al. (1983); Grimal (1988); Clayton (1994); Schneider (1996); Assmann (1996); Shaw (2000); Clauss (2001); Schlögl (2003); Höveler-Müller (2005); Schlögl (2006); Wilkinson (2010); Mieroop (2011); Agut/Moreno-García (2016). 100 Dies gilt für: J. Wilkinson (1835); Lepsius (1849); Brunet de Presle (1850); Lepsius (1858); H. Brugsch (1859); Mariette (1864); Rougé (1866); Maspero (1886); É. Brugsch/Bouriant (1887); Petrie

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die Autoren ihre Vorgehensweise auf irgendeine Art begründen oder sich in ihrer Herangehensweise deutlich von den Vorgängerwerken unterscheiden, sollen im Folgenden kurz referiert werden. Nachdem sich die Ägyptologie im 19. Jahrhundert als eigenständiges Fach aus den allgemeinen Altertumswissenschaften herausgelöst hatte, lag der Fokus der historischen Forschung zum Alten Ägypten bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein auf der Publikation von Denkmälern und Urkunden, der Rekonstruktion der Königsfolge sowie der Erstellung einer relativen und absoluten Chronologie. Mir ist keine Stelle bekannt, aus der hervorgeht, dass die Ägyptologen der ersten Generation ihre Zeitgenossen Ranke und Droysen oder andere Historiker wahrgenommen und sich mit deren Ansatz der Geschichtsschreibung auseinandergesetzt hätten. Ranke selbst dagegen greift für die Darstellung Ägyptens in seiner Weltgeschichte mehrfach auf Erkenntnisse der Ägyptologie zurück. 101 Obwohl, wie Ranke zugibt, die Kenntnis über die Geschichte Altägyptens zu diesem Zeitpunkt „nicht weit über Herodot hinausgekommen“ ist,102 ist sein Anliegen die Darstellung und Deutung dieser Geschichte, während bei den Ägyptologen die Rekonstruktion der Geschichte durch Sammeln und Auswerten der zur Verfügung stehenden Quellen im Vordergrund steht. Christian Bunsen – von Hause aus kein Ägyptologe, sondern vielmehr Theologe und Diplomat – versucht erstmals, die ägyptische Geschichte in einen größeren Kontext einzuordnen, indem er die von Richard Lepsius und anderen beschriebenen Denkmäler auswertet und auf deren Vorarbeiten zur Chronologie zurückgreift. Bunsen selbsterklärtes Ziel ist die Frage „von der Einheit des Menschengeschlechtes und seiner Uranfänge.“ 103 Offenbar hatte Bunsen sich zuvor u. a. mit Johann Winckelmann, Gottfried Herder und Immanuel Kant auseinandergesetzt und spricht sich für „die Anwendung der Grundsätze der kritischen Geschichtswissenschaft auf die philologischen Quellen der ägyptischen Chronologie“ aus.104 Wenn auch das selbstgesteckte Ziel Bunsens aufgrund der Mitte des 19. Jahrhunderts erst allzu spärlichen Erkenntnisse der Ägyptologie nicht erreicht wurde, halte ich es doch für bemerkenswert, dass Bunsen als einer der ersten, die überhaupt den Versuch wagen, über ägyptische Geschichte zu schreiben, bereits einen universalhistorischen Ansatz wählt und seinem Werk Reflektionen über Methode und Vorgehensweise voranstellt, während seine Zeitgenossen sich überhaupt nicht dazu äußern. Heinrich Brugsch z. B. entzieht sich dieser Aufgabe, indem er schlicht äußert er sei „weder durch Beruf noch durch Talent Geschichtsschreiber von Fach“ und habe sich deswegen „mit dem bescheidenen und untergeordneten Verdienste begnügen müssen, ein gewissenhafter Dolmetscher der Worte der Vorzeit zu sein (…).“105

101 102 103 104 105

(1894); Maspero (1895); Budge (1902); Breasted (1910); Bissing (1913); Baikie (1929); Steindorff (1931); Junker (1933); Kees (1933); Vercoutter (1946); Scharff/Moortgat (1950); Wilson (1951); Hayes (1953); Otto (1953); Wilson (1961); Gardiner (1965); Helck (1968); Drioton (1969); Beckerath (1971); Hornung (1978); Trigger et al. (1983); Grimal (1988); Clayton (1994); Shaw (2000); Clauss (2001); Schlögl (2003); Höveler-Müller (2005); Wilkinson (2010); Mieroop (2011). Ranke (1881). Ranke (1881: 8). Bunsen (1845a: VI). Bunsen (1845a: XVXVI). H. Brugsch (1877: ix).

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1884 erscheinen gleich zwei bedeutende Geschichtswerke, interessanterweise beide von Autoren, die nicht nur Ägyptologen, sondern auch Althistoriker waren: Alfred Wiedemann und Eduard Meyer. Wiedemann geht in seinem Vorwort zwar nicht auf die allgemeine Geschichtswissenschaft ein, stellt jedoch gewissenhaft das Anliegen seines Werkes vor und weist auf drei entscheidende Punkte hin: 1. Zur Überprüfbarkeit der Angaben sollen Quellen und die bisher erschienene Literatur akribisch angeführt werden. 2. Bei wichtigen Punkten soll das Für und Wider abweichender Ansichten erörtert werden. 3. Aufgrund des lückenhaften Materials kann die Darstellung der ägyptischen Geschichte keine wirkliche Geschichtserzählung sein, sondern muss noch eher einer tabellarischen Aufzählung gleichen.106 Derlei Hinweise scheinen zunächst selbstverständlich zu sein, ich erachte sie dennoch an dieser Stelle für betonenswert, da sämtliche von mir eingesehenen Geschichtswerke der vergangenen 20 Jahre diese Punkte nicht beachten. Teils stillschweigend, teils wird eigens darauf hingewiesen, dass man, „um den Lesefluss nicht zu stören“, auf Quellenangaben und die Widergabe von abweichenden Meinungen verzichte. Dafür wird durch narrative Verknüpfung einzelner Befunde ein Eindruck der Lückenlosigkeit erweckt. 107 Wiedemanns Ägyptische Geschichte gilt nach ihrem Erscheinen als vorbildliches Standardwerk. Noch William Matthew Flinders Petrie verweist in seiner als studentisches Handbuch gedachten und vorwiegend kulturgeschichtlich orientierten A history of Egypt für genauere Literaturangaben auf Wiedemann („… which is an index to the subject so invaluable that no one can do much without it.” 108) und sieht sein Werk lediglich als neuere Ergänzung zu Wiedemann und Eduard Meyers Abhandlung über Ägypten 109 Diese erscheint ebenfalls 1884 im Rahmen des achtbändigen Werkes Geschichte des Alterthums. Meyer sieht sich selbst in der Nachfolge der Historiker der klassischen Antike,110 setzt sich aber auch mit der Historiographie des 19. Jahrhunderts auseinander, u. a. mit Droysens Historik.111 Schon der Erstausgabe der Geschichte des Alterthums von 1884 stellt Meyer eine Einleitung voran, in der er mit großer Ausführlichkeit Aufgabe und Inhalt der Historiographie, die Rolle des Historikers und seines Zeitgeistes, die Periodisierung von Geschichte, den Umgang mit Quellen und die Schwierigkeiten, die sich bei der Schreibung der Geschichte alter Kulturen ergeben, thematisiert. Dies erscheint ihm so wichtig, dass er die besagte Einleitung zweimal komplett neu überarbeitet, stark erweitert und 1910 als eigenen Band herausbringt. 112 Trotzdem steht Meyer den zeitgenössischen Kulturtheoretikern kritisch gegenüber – insbesondere Max Weber, mit

106 Wiedemann (1884: VVII). 107 Siehe dazu Shaw (2000); Clauss (2001); Schlögl (2003); Höveler-Müller (2005); Schlögl (2006); Wilkinson (2010); Mieroop (2011); Agut/Moreno-García (2016). 108 Petrie (1894: vvi). 109 Petrie (1894: v). 110 Meyer (1884: 18); Momigliano (1984a: 29). 111 Meyer (1884: 18). 112 Meyer (1910b). Siehe insbesondere die Seiten 184252.

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dem er sich eine heftige Kontroverse liefert: Meyer begreift die Historiographie als Handwerk, das gut funktioniere und deshalb keines erkenntnistheoretischen und methodologischen Überbaus bedürfe, da dieser nichts Entscheidendes zur Aufzeigung und Lösung sachlicher Probleme beitrage.113 Es erscheint ein wenig paradox, dass Eduard Meyer unter Historikern anscheinend in erster Linie als derjenige gesehen wird, der, an der Tradition des Historismus festhaltend, Theorien und Methoden ablehnt,114 während sich doch andererseits bis heute (!) keiner der geschichtsschreibenden Ägyptologen auch nur annähernd so ausführlich mit den Hintergründen und Problemen der (ägyptologischen) Historiographie beschäftigt hat. Adolf Ermans Aegypten und aegyptisches Leben im Altertum erscheint erstmals 1885 und versteht sich als „eine wissenschaftliche Darstellung der ägyptischen Kulturgeschichte in lesbarer Form“, sowie „als Kommentar zu Lepsius‘ Denkmälern und den Londoner Select papyri“.115 Im Vorwort weist Erman darauf hin, dass John Gardner Wilkinsons Topography of Thebes von 1835 inhaltlich völlig veraltet sei und die übrige ägyptologische Literatur nichts enthalte, was seinem Anliegen dienlich sei. Dazu zählen für Erman offensichtlich auch die neu erschienenen Bände von Wiedemann und Meyer, die er mit keinem Wort erwähnt. Obwohl diese nicht kulturgeschichtlich ausgerichtet sind, verwundert die Aussage Ermans, weist er doch explizit darauf hin, wie wichtig für die Kulturgeschichte die „möglichst scharfe Sonderung der verschiedenen Epochen“116 sei. Georg Steindorff, der 1931 den Beitrag zur Geschichte Altägyptens in der Propyläen Weltgeschichte verfasst, unternimmt erstmals den Versuch, anstelle einer reinen Aufzählung der bekannten Denkmäler eine fortlaufende Geschichte zu schreiben. In der Einleitung dieses 13. Bandes der Propyläen Weltgeschichte ist eine ausführliche Abhandlung des Philosophen und Historikers Hans Freyer über geschichtsphilosophische und methodische Fragen sowie zur Geschichte der Historiographie zu finden. 117 Unklar bleibt, ob Steindorff dies überhaupt zur Kenntnis genommen hat und wenn ja, ob dies vor der Abfassung seines Beitrages geschah und inwieweit diese Fragen daraufhin in seine Arbeit eingeflossen sind. Die Autoren der beiden ersten in der Nachkriegszeit erschienenen Geschichtswerke setzen sich zwar nicht mit historischen Methoden auseinander, verspüren aber interessanterweise jeweils das Bedürfnis zu rechtfertigen, weshalb es trotz der desaströsen aktuellen Situation lohnenswert ist, sich mit dem Alten Ägypten zu beschäftigen und inwieweit die Geschichte Altägyptens auch für die Geschichte Europas relevant ist.118 John Wilson geht in den 1950er Jahren zum ersten Mal auf eine Art und Weise an die ägyptische Geschichte heran, die von manchen späteren Kollegen kopiert wird und auf eine gewisse Art bereits an den linguistic turn erinnert: Freimütig gibt Wilson zu, dass er kein Interesse daran habe, Fakten zu verifizieren, da die uns zur Verfügung stehenden Quellen

113 114 115 116 117 118

Meyer (1910a: 34). Schleier (1988: 115); Oexle (2003: 15–27). Erman (1885: VVII). Erman (1885: VI). Freyer (1931). Vercoutter (1946: 3); Scharff/Moortgat (1950: 3).

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ohnehin nicht unserem aus der klassischen Antike stammenden Geschichtsverständnis entsprächen. Also sei die ägyptische Geschichte letztlich ohnehin nur ein Konstrukt des modernen Historikers und mit diesem Bewusstsein könne man von vornherein subjektiv und spekulativ an die Sache herangehen. Wilsons Vorgehensweise besteht darin, bestimmte Daten als gegeben hinzunehmen und dann zu versuchen, „to seek the significance of such assumed truth.“119 Vor dem Hintergrund der Vorgängerwerke, die sich häufig damit begnügen, Denkmäler aufzuzählen und Textbeispiele zu liefern, ist es positiv zu bewerten, dass hier wieder Sinn und Bedeutung im Vordergrund stehen sollen. Das Arbeiten mit „assumed truth“ führt jedoch bis heute dazu, dass ebendiese sich mit der Zeit verselbständigen und als scheinbare und nicht weiter hinterfragte Fakten in den Geschichtswerken weiterleben. Nur wenig rezepiert wurde in der westlichen Welt die 1953 in Ostberlin auf Deutsch erschienene Geschichte des Orients des sowjetischen Wissenschaftlers Wsewolod Awdijew.120 Interssant ist, dass dieser sich im Gegensatz zu seinen westlichen Kollegen intensiv mit den Ansätzen Gaston Masperos und Eduard Meyers auseinandergesetzt hatte. Er lobt letzteren für seine quellenkritische Analyse, kritisiert aber, dass Meyer „als Vertreter der reaktionären Ideologie des imperialistischen Deutschlands“ die falsche Zyklentheorie verwende und damit die alte Sklavenhaltergesellschaft idealisiere. 121 Die ebenfalls sehr wenig rezipierte Histoire de la civilisation de l’Égypte ancienne verfasste 1961 der belgische Historiker und Mediävist Jacques Pirenne, der in engem Kontakt mit Lucien Fèbvre und der Annales-Schule stand. Pirennes Herangehensweise unterscheidet sich deutlich von der seiner Ägyptologen-Kollegen: zum einen betont er, dass es keinen Grund gäbe, nicht die gleichen historischen Methoden auf die Geschichte Altägyptens anzuwenden wie auf die Neue Geschichte, und dass es nicht nur die Aufgabe des Historikers sei, die unterschiedlichen Typen der Zivilisation zu zeigen, sondern vielmehr die Ursachen für die Abfolge verschiedener Staatsformen herauszufinden. 122 Pirenne behandelt vorwiegend das Alte Reich, beschreibt aber kurz die gesamtägyptische Geschichte, die er – die herkömmliche Epocheneinteilung ignorierend 123  in drei Zyklen einteilt, an deren Ende sich jeweils die Staatsgewalt, die zuvor unterschiedliche Formen in mehreren Phasen durchlaufen hatte, auflöst. Dem 1994 erstmals erschienen Lexikon der Pharaonen ist eine sehr ausführliche Einführung vorangestellt, in der nicht nur die Geschichte der Ägyptologie, sondern auch die bisherigen Versuche der Geschichtsschreibung des Alten Ägypten referiert werden. Ferner wird die Art der Quellen dargelegt und die Problematik der historischen Einschätzung der Bedeutsamkeit einzelner Könige erörtert.124 Damit ist diese Einführung mit Abstand die

119 Wilson (1951 14). 120 Dieser lässt sich keinem bestimmten Fach zuordnen, laut dem russischen Wikipedia-Eintrag studierte er Assyriologie, Semitistik, Indologie und Klassische Philologie. Für die Hilfe bei der Übersetzung aus dem Russischen danke ich Manuela Gander. 121 Awdijew (1953: 511). 122 Pirenne (1961: 1314). 123 Cf. dazu das folgende Kapitel. 124 Schneider (1996: 1255).

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umfangreichste seit der von Meyer 1910 und Thomas Schneider offensichtlich einer der wenigen Ägyptologen, die sich tatsächlich als Historiker verstehen (andere betonen gerne dezidiert, dass sie keine Historiker seien125). Keine Erwähnung findet jedoch die Methodendebatte der allgemeinen Geschichtswissenschaften. Auch bleibt das Lexikon ein reines Nachschlagewerk und eben kein Geschichtswerk im eigentlichen Sinn. Jan Assmann erwähnt im Vorwort zu seiner Sinngeschichte zwar immerhin Hegel und Burckhardt, geht jedoch nicht auf die Entwicklung der Geschichtswissenschaften im 20. Jahrhundert ein.126 In seiner Herangehensweise „wird das Verhältnis von Vordergrund und Hintergrund umgekehrt. Die ereignisgeschichtlichen Daten bilden den Hintergrund und werden auf das Gerüst des Wichtigsten reduziert.“127 Das heißt, die „Daten“ werden als bekannt vorausgesetzt und die Schwierigkeiten bei deren Gewinnung bzw. deren Unvollständigkeit nicht weiter thematisiert. Das jüngste, 2016 erschienene Werk zur ägyptischen Geschichte, L’Égypte des pharaons von Damien Agut/Juan Carlos Moreno-García, steht in der Tradition der AnnalesSchule und hebt sich damit deutlich von allen Vorgängerwerken ab. Ägypten wird hier nicht als isolierte Insel betrachtet, sondern in Anlehnung an Fernand Braudels La Méditerrannée als eine Oase, die eingebettet ist in ein Netz von Beziehungen und Wechselwirkungen mit den umgebenden Regionen. 128 Die Nähe zur Annales-Schule wird auch deutlich in dem Hinweis, man sei bestrebt, dem von Marc Bloch formulierten Axiom zu folgen, dass ein geschichtliches Phänomen sich nur innerhalb seines Momentums voll und ganz erfassen lasse.129 So versuchen die Autoren, in dem Bewusstsein, dass eine fortlaufende Ereignisgeschichte Altägyptens ohnehin nicht geschrieben werden kann, eine Folge von aussagekräftigen Momenten darzustellen. Obwohl der Anspruch formuliert wird, eine politische Geschichte schreiben zu wollen, liegt der Fokus ganz klar auf der Verwaltung und Wirtschaft. Die Behandlung der „Außenpolitik“ dagegen erschöpft sich in der Angabe, welche Waren aus welchen Regionen importiert werden. In den Geschichtswerken spiegeln sich die Tendenzen der allgemeinen Geschichtswissenschaften also nur vereinzelt und minimal wider und auch sonst fand eine ernsthafte Debatte über historische Methoden innerhalb der Ägyptologie lange nicht statt. So erschien zwar bereits in der 1960er Jahren ein Aufsatz Gun Björkmans mit dem vielversprechenden Titel Egyptology and Historical Method, doch scheint Björkman unter „historical method“ offensichtlich allein die quellenkritische Analyse der schriftlichen Hinterlassenschaften zu verstehen.130 Auch Donald Redford beschäftigt sich Ende der 1970er Jahre in seinem The historiography of Ancient Egypt betitelten Aufsatz ausschließlich mit spezifisch ägyptologischen Problemen der Historiographie, ohne auf Theorien oder Methoden der Geschichts125 126 127 128

Cf. u. a. H. Brugsch (1877: ix); Erman (1885: V); Gardiner (1965: XIXII). Assmann (1996: 9). Assmann (1996: 10). Agut/Moreno-García (2016: 914). Siehe dazu auch P. Burkes (2004: 54) Kommentar zum Begriff des „Erweiterten Mittelmeers“ und seiner Bedeutung im Denkansatz Braudels. 129 Agut/Moreno-García (2016: 9). „Jamais, en un mot, un phénomène historique ne s’explique pleinement en dehors de son moment.“ 130 Björkman (1964)

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wissenschaften einzugehen. Noch vor wenigen Jahren beklagte Manfred Eggert das völ131 lige Fehlen einer systematischen „Auseinandersetzung mit den Formen archäologischhistorischer Darstellung (…) in der deutschen Archäologie.“ 132 Immer wieder gibt es allgemeine Hinweise darauf, wie mit den Quellen umzugehen sei, doch wird auch gerne darauf verwiesen, dass der Spezialfall Ägypten eben nicht mit den allgemeinen Geschichtswissenschaften vergleichbar sei. Dies zeigen eindrücklich die beiden folgenden Beispiele: So geht offenbar Erik Hornung davon aus, alle Historiker seien Positivisten im Rankeʼschen Sinn133 – eine Position, die auch in den 1960er Jahren schon längst überholt war. Auf diese Weise begründet er die Ansicht der mangelnden Relevanz historischer Methoden für die Ägyptologie, da kein Dokument der altägyptischen Geschichte dem Ranke’schen Anspruch genügen könne. Rolf Gundlach referiert seinerseits kurz die Ansätze der Strukturgeschichte, um dann zu dem Schluss zu kommen, diese seien für die Ägyptologie deshalb nicht relevant, da insbesondere aufgrund der Andersartigkeit der Quellenlage die Mittlere und Neuere Geschichte nicht unmittelbar mit der Ägyptischen Geschichte vergleichbar sei.134 Erst in neuester Zeit beginnen Ägyptologen, sich vereinzelt mit Theorien und Methoden der Geschichts- und Kulturwissenschaften zu beschäftigen.135 Es kam gemutmaßt werden, dass diese Verspätung sowohl mit der stark philologischen Orientierung der Ägyptologie als auch mit der gefühlten splendid isolation zu tun hat, die die Ägyptologen nicht nur auf ihr Untersuchungsgebiet, sondern auch auf die Stellung ihres Fachs innerhalb der Altertumswissenschaften bezogen.136 Von zentraler Bedeutung für die Historiographie ist die Frage, was wir unter „Geschichte“ verstehen. Über diese komplexe Frage existiert eine Fülle von Abhandlungen, die teilweise zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Zusammenfassen lässt sich die communis opinio der Geschichtswissenschaften dahingehend, dass Geschichte für die meisten Historiker Bedeutung, Ereignis und Zusammenhang ist, wobei die schriftlichen und materiellen Hinterlassenschaften die Quellen dafür sind. In der Ägyptologie ist dieses Bewusstsein wenig vorhanden, stattdessen wird „Geschichte“ immer wieder gleichgesetzt mit

131 Redford (1979). 132 Eggert (2006: 202). 133 „Die typische Aufgabe des Historikers, so objektiv als möglich zu zeigen oder zu rekonstruieren, ‚wie es gewesen ist‘, (…)“. Hornung (1966: 9). 134 Gundlach (1982). 135 Siehe dazu Fitzenreiter (2009: 1–16) und Verbovsek et al. (2011). Auffallend ist, dass Historiker, die über Theorien und Methoden der Geschichtsschreibung diskutieren, sich meist deutlich einfacher und direkter ausdrücken als ihre Kollegen aus der Ägyptologie und Archäologie, bei denen man zuweilen den Eindruck hat, sie müssten den langjährigen Verzicht auf derartige Diskussionen nun mit besonders affektierter Ausdrucksweise wieder wettmachen. 136 Siehe dazu auch Eggert (2011) und Fitzenreiter (2011). Umgekehrt muss gesagt werden, dass auch die Vertreter der Geschichtswissenschaften sich bisher kaum mit der Ägyptologie auseinandersetzten. Die Kapitel zur ägyptischen Geschichte werden in Überblickswerken gerne Ägyptologen überlassen und sollte sich doch ein Historiker daran wagen, ist das Ergebnis mitunter verheerend – wie an zahlreichen Schulbüchern schmerzlich zu sehen ist. Siehe z. B. H. Ebeling/W. Birkenfeld. 2006. Die Reise in die Vergangenheit, Westermann Verlag, 5881.

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1 Einleitung

einer Beschreibung der materiellen Kultur. 137 Als Aufgabe des Historikers wird in den Geschichtswissenschaften nicht die bloße „Nacherzählung toter Fakten und Geschehnisse“138 angesehen, sondern vielmehr die Interpretation der Vergangenheit. Dennoch ist diese Nacherzählung, d. h. die sprachliche Rekonstruktion der Vergangenheit unabdingbar bzw. der zwingend notwendige Schritt, der einer Analyse der Geschichte vorausgehen muss: „Weil der Historiker sich mit etwas befaßt, das es nicht mehr gibt, muß er sich durch Sprache sein Arbeitsfeld erst herstellen, um es zu erforschen.“139 Obwohl es immer wieder Werke gab, die sich verstärkt oder ausschließlich mit Kulturgeschichte befassten,140 wurde ab der Mitte des 20. Jahrhunderts die Forderung laut, sich von dem Verständnis der Geschichte als Ereignisgeschichte und Königsfolge zu lösen und die Kulturgeschichte stärker einzubeziehen141 – eine Entwicklung, die wohl im Zusammenhang mit dem damals aufkommenden cultural turn und der allgemeinen Abwendung von der politischen Geschichte zu sehen ist. Auch später noch wird beklagt, die Geschichtsschreibung sei zu einseitig auf „simple parroted event history“ fokussiert. 142 Dem ist zu entgegnen, dass auch die Untersuchung der Kulturgeschichte zunächst einen ereignisgeschichtlichen Kontext und nicht zuletzt einen soliden chronologischen Rahmen benötigt, damit Phänomene nicht willkürlich miteinander korreliert und daraus falsche Schlüsse gezogen werden. Nur wenn mindestens ein grobes Bild bestimmter historischer Situationen vorhanden ist, können auch die passenden Fragen gestellt werden. 143 Ferner ist es – obwohl dies in der modernen Geschichtsschreibung als altmodisch gilt – unumgänglich, bei der Beschäftigung mit der altägyptischen Ereignisgeschichte den Fokus in erster Linie auf die herrschende Klasse, insbesondere die Könige zu legen, da das Königtum das zentrale Element der ägyptischen Gesellschaft bildet.144 In der Gesamtschau auf die Literatur der letzten 150 Jahre entsteht der Eindruck, dass lediglich die Geschichtswerke des 19. und frühen 20. Jahrhunderts für ein Fachpublikum geschrieben wurden. Sie erörtern den Stand der Geschichtsschreibung und nehmen auch regelmäßig Bezug aufeinander. Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts erscheinen vorzugsweise Werke, die von ihren Autoren als Überblickswerke für Studenten ausgewiesen werden und sich durch Knappheit der Darstellung und Verzicht auf kontroverse Diskussionen auszeichnen.145 In den letzten zwanzig Jahren ist kein einziges Geschichtswerk erschienen, dass akribisch die Quellen angibt und sich gezielt auch den Problemen und Unklarheiten der 137 „In dem Moment, in dem wir den Befund als Ereignis erzählen, schreiben wir (archäologische) Geschichte.“ Fitzenreiter (2011: 264–265). Siehe auch Fitzenreiter (2009: 1–16). Dieser positivistische Umgang mit den Quellen seitens der Archäologie wird auch von Eggert (2006: 346) kritisiert. Zu diesem Thema und zur Unterscheidung zwischen Ereignis und Vorkommnis siehe auch V. Blumenthal (2019: 1012). 138 Cassirer (1990: 314), siehe dazu auch Baberowski (2005: 1130). 139 Dunk (1988: 136). 140 Erman (1885); Petrie (1894); Maspero (1895); Bissing (1913); Kees (1933); Friedell (1936). 141 Otto (1953: 5–6); Gundlach (1982: 46); Helck (1985: 1–5). 142 Redford (2003: 4). 143 Cf. G. Lauer (2011: 7578) zu den Problemen, die entstehen, wenn die Kulturwissenschaften historische Kontexte ignorieren. Siehe auch Dunk (1988). 144 S. Morenz (1971: 112); Baines (1995: 147). 145 Z. B. Gardiner (1965); Helck (1968); Beckerath (1971); Hornung (1978); Grimal (1988).

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1.2 Forschungsstand

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Forschung widmet und damit als Fachliteratur im strengen Sinne bezeichnet werden könn te. Sämtliche Autoren verweisen darauf, dass man den Leser nicht mit Diskussionen zueinzelnen Problemen oder Fußnoten „belasten“ wolle. 146 Wir haben also auf der einen Seite narrativ ausgerichtete vermeintliche Überblickswer ke, die auf einen wissenschaftlichen Diskurs und manchmal sogar die Angabe von Belegenvöllig verzichten. Andererseits neigen Untersuchungen zu speziellen Phänomenen der Ge schichte dazu, eine ungeheure Menge von Daten und Fakten zu sammeln, ohne daraushistorische Schlüsse zu ziehen. So scheint es, als sei die Erhebung von Daten manchmal kein historisches Hilfsmittel mehr, sondern ein Selbstzweck. Die Tendenz, dass beabsich tigte historische Darstellungen schnell zu einem reinen Katalogisieren von Objekten bzw.„einer Aufreihung königlicher Denkmäler in chronologischer Reihenfolge mit kurzen Kommentaren“ geraten, wurde zu Recht immer wieder kritisiert. 147 Momigliano bezeichnet das Sammeln all dessen, was mit einem bestimmten Gegenstand verknüpft ist, als „antiqua rische Tätigkeit“, die er deutlich von der Aufgabe eines Historikers abgrenzt.148 DieseTrennung scheint in der Ägyptologie vielfach nicht vollzogen zu werden. Offensichtlich wird überhaupt die Ereignisgeschichte als eine Abfolge von Daten (die häufig auch noch gleichgesetzt werden mit einzelnen Befunden, siehe oben) wahrgenommen:149 Auch in jüngerer Zeit erschienene Geschichtswerke zum Alten Ägypten zählen mitunter schlicht alles auf, was zum Alten Reich bekannt ist, ohne zu kommentieren, welche Relevanz der jeweils angeführte Befund für die Ereignisgeschichte oder auch die Kulturgeschichte hat. Überhaupt werden Kultur- und Ereignisgeschichte bunt vermischt, der Textverlauf orien tiert sich insgesamt an der Königsfolge, zwischendurch werden unvermittelt Anekdoten ausder Forschungsgeschichte oder kulturgeschichtliche Aspekte eingestreut. Die ausgiebige Beschreibung von Denkmälern wechselt sich mit kleinen Fragmenten von Ereignisge schichte ab.150 Ferner verwundert es, dass mitunter jegliche Analyse fehlt: So erwähnt zwarHermann Schlögl die Feldzüge Snofrus nach Nubien, indem er die Einträge auf dem Paler mostein paraphrasiert, geht aber mit keinem Wort auf die Situation in Nubien oder diemöglichen Ursachen und Auswirkungen dieser Feldzüge ein. 151 Zusammenfassend können für die Geschichtswerke der jüngeren Zeit vor allem folgen de Probleme bzw. Schwachstellen benannt werden: 152 1. Es fehlt an Reflektion darüber, was wir unter Geschichte verstehen. Stattdessen wird „Geschichte“ mit dem gleichgesetzt, was Hayden White als „Rohdaten“ bezeichnet.

146 Cf. als Extrembeispiel Warburton (2001: 3102): Vermeintliche „Ereignisse” werden hier unter Verzicht auf Fußnoten und Hinweise auf kontroverse Interpretationen als Narrativ zusammengefasst. Siehe auch T. Wilkinson (2010) und Mieroop (2011). 147 Redford (1979: 45); Bussmann (2010: 2). 148 Momigliano (1955: 113). 149 Beispielhaft kann hier u. a. Schneider (1996) angeführt werden, der sich zwar mehr als alle anderen Autoren mit der Arbeit des Historikers auseinandersetzt, um dann stichpunktartig eine Fülle von „Daten“ aneinanderzureihen. 150 Siehe als Beispiele für diese Vorgehensweise vor allem Höveler-Müller (2005) und Schlögl (2006). 151 Schlögl (2006: 87). 152 Ausführlicher dazu V. Blumenthal (2019).

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1 Einleitung

2. 3. 4. 5.

Die Relevanz von Befunden wird nicht hinterfragt. Ereignissen fehlt der Kontext. Befunde werden unzulässig korreliert. Ein zugrundegelegter Plot (bei narrativer Geschichtsdarstellung) beeinflusst die Auswertung der Quellen. 6. Moderne, auf altägyptische Verhältnisse angewandte Begriffe evozieren ein falsches Bild. Über den Stand der Geschichtsschreibung, insbesondere bezogen auf das Alte Reich, herrschen zur Zeit recht gegensätzliche Auffassungen: Der Vorstellung, wir hätten ein „klares Bild“ der Entwicklungen153 steht die Kritik gegenüber, dass zu vieles unbekannt ist, um das wenige Bezeugte als zusammenhängende Geschichte erzählen zu können. 154 Zu Recht wurde in jüngerer Zeit davor gewarnt, dass häufig wiedergegebene Meinungen als scheinbare Fakten einer obsolet gewordenen Ereignisgeschichte hingenommen und nur noch selten hinterfragt werden. 155

153 Bárta (2009: 52): „Zur Zeit haben wir ein klares Bild davon, wie sich das Alte Ägypten entwickelt und seine mannigfaltigen Ausprägungen (…) geformt hat.“ Siehe auch Schlögl (2006: 26). 154 Jansen-Winkeln (2009); ähnlich äußerte sich bereits Schulman (1979: 79). 155 Jansen-Winkeln (2009); Popko (2011).

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2 Was ist das Alte Reich? 2.1 Periodisierung von Geschichte 2.1.1 Konzepte der Periodisierung Die Gliederung der Geschichte ist offensichtlich ein altes menschliches Bedürfnis. Sie ist auch die Grundlage für jegliche Geschichtsschreibung, während ein bloßes Geschichtsbewusstsein ohne genauere zeitliche Einteilung auskommt. 1 Erste Ansätze der Periodisierung finden sich bereits im Altertum, wobei man sich zunächst mythologischer Ableitungen bediente. Weite Verbreitung fand der „Weltaltermythos“, der seinen Ursprung vermutlich im iranischen Raum hat und in seiner Abfolge von Zeitaltern den Niedergang der Menschheit darstellt: einem goldenen Zeitalter folgen in absteigender Reihenfolge solche, die durch weniger wertvolle Materialien charakterisiert werden. 2 Unter anderem wurde dieses Bild in der griechischen,3 jüdischen4 und römischen5 Tradition rezipiert. Die historische Zeit gliederte die Geschichtsschreibung des Altertums durch die Lehre von den vier Weltreichen (Assyrer, Perser, Griechen, Römer). 6 Dieses Konzept wurde von der christlichen Tradition fortgeführt und bildete bis zur Renaissance die Grundlage des europäischen Geschichtsverständnisses. 1685 formulierte der Humanist Christoph Cellarius die bis heute geläufige Einteilung der abendländischen Geschichte in Altertum, Mittelalter und Neuzeit. Sich bewusst über die christliche Tradition hinwegsetzend, sah Cellarius in seiner eigenen Gegenwart die Wiedergeburt (Renaissance) einer idealisierten antiken Kultur, so dass seiner Wahl des Begriffs Mittelalter eine eher abwertende Einschätzung dieser Epoche zugrunde lag. 7 Mit der Zeit bildeten sich innerhalb der historischen Forschung zahlreiche weitere Epochenbegriffe für die feinere Untergliederung der großen Zeitabschnitte heraus. Um die qualitativen

1 Siehe dazu Graus (1987a: 153) und Koselleck (2000: 290). 2 Gatz (1967: 14). Momigliano (1984a: 22) geht dagegen davon aus, dass die Idee der translatio imperii von den Griechen erfunden wurde. 3 Erstmals beschrieben bei Hesiod, Werke und Tage, 106–201. 4 Siehe Daniel 2. Der Prophet Daniel erkennt die Zeitalter in einem Traum des Nebukadnezar, dem ein Standbild mit einem Haupt aus Gold, einer Brust aus Silber, einem Bauch aus Kupfer, Beinen aus Eisen und Füßen aus Ton erschienen war. Nach Momigliano (1984a 2223) hat die jüdische Tradition dieses Element von den Griechen übernommen. 5 Ovid, Metamorphosen I, 89150; Vergil, Ekloge IV. 6 Die Lehre von den drei Reichen geht auf den Begründer des Achämenidenreiches Kyros II. zurück und wurde von griechischen und römischen Historiographen (u. a. Herodot I 95 und Plutarch, De Fortitudine 4, 317 F) übernommen und erweitert. Zusätzlich ließ Augustus im Jahr 17 v. Chr. ein saeculum Augustum beginnen, das als neues Saeculum des Friedens auf Münzen proklamiert und mit Saecularspielen gefeiert wurde. Siehe D. Kienast (1982: 9899). 7 Koselleck (2000: 291).

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2 Was ist das Alte Reich?

Unterschiede im Verlauf des Geschehens zum Ausdruck zu bringen, werden dabei gerne Begriffe verwendet, die nicht nur eine Zeitangabe sind, sondern auch etwas Charakteristisches zum Ausdruck bringen. 8 Einen Meilenstein der Periodisierung stellt das 1836 von Christian Thomsen aufgrund empirischer Beobachtung entwickelte Dreiperiodensystem zur Gliederung der Frühgeschichte Europas dar. Mit den Begriffen Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit etablierten sich wertfreie Epochenbezeichnungen.9 Erstmals stand damit der prähistorischen Forschung eine Datierungsmethode zur Verfügung, die unabhängig sowohl von Schriftzeugnissen als auch von absoluten Daten – in diesem Fall von den im 19. Jahrhundert zahlreichen divergierenden Meinungen über den Zeitpunkt der Entstehung der Welt – war.10 Alle verwendeten Epochenbegriffe haben gemeinsam, dass sie nicht dem Geschehensverlauf der Vergangenheit immanent sind, sondern als ein Hilfsmittel historischer Forschung rückblickend festgelegt wurden, indem das Geschehene gedeutet wurde. Die Kriterien für die Festlegung eines Epochenbegriffs können sehr unterschiedlich sein: zeitlich, räumlich, politisch oder kulturell. Dies führt naturgemäß zu Mehrdeutigkeiten, wie Momigliano am Beispiel des Begriffs „Hellenismus“ sehr anschaulich aufgezeigt hat.11 Wenn auch zur Definition des Beginns oder des Endes mancher Epochen konkrete Ereignisse herangezogen werden,12 so sind doch in der Realität die Übergänge zwischen den Epochen fließend und oft sehr lang. 2.1.2 Ist die Verwendung von Epochenbegriffen sinnvoll? Immer wieder gab und gibt es Kritik an der Verwendung von Epochenbegriffen: Die Zeitgenossen selbst hätten die Epochen in den seltensten Fällen erkannt, klar voneinander abgegrenzte Epochen existierten in der historischen Realität nicht, das Konzept sei zu eurozentrisch und zu stark vom Zeitgeist des jeweiligen Historikers geprägt, die Begriffe zu unscharf und/oder zu wertend, die meist anhand der politischen Geschichte festgesetzten Epochen stimmten häufig nicht mit den kulturellen Entwicklungen überein und es wird sogar postuliert, Geschichte verlaufe grundsätzlich kontinuierlich. 13 Auf die Kritik, die Zeitgenossen hätten die Epochen meist selbst nicht erkannt, entgegnet František Graus, dass eine Epoche sich nicht nur vom Vorhergehenden, sondern auch vom Zukünftigen abgrenzen müsse. Dies könne selbstredend nur der aus zeitlichem Abstand urteilende Historiker feststellen, während dieses Bewusstsein dem Zeitgenossen verwehrt bleiben müsse.14 Im Hinblick auf die im 19. und frühen 20. Jahrhundert festgelegte Epocheneinteilung der ägyptischen Geschichte (cf. Kapitel 2.2.3) wird der Vorwurf geäußert, diese sei von der 8 9 10 11 12

Cf. die Beiträge in Herzog/Koselleck (1987). Hansen (2001: 10–23). Cartier (2000: 22–29). Momigliano (1955: 249–250). Zum Beispiel der Tod Alexanders des Großen (323 v. Chr.) für den Beginn des Hellenismus oder die Absetzung des weströmischen Kaisers Romulus Augustulus (476 n. Chr.) für das Ende der Antike. 13 Siehe dazu Koselleck (1979: 146); Barner (1987); Koselleck (2000: 290–297); Schneider (2003: 241245), (2008: 186189). 14 Graus (1987b).

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2.1 Periodisierung von Geschichte

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Wahrnehmung der politischen Situation jener Zeit beeinflusst, die als von Brüchen geprägt empfunden wurde. Eigentlich sei aber die Kontinuität das vorherrschende Merkmal der Geschichte.15 Sicher ist unsere historische Wahrnehmung unausweichlich vom jeweiligen Zeitgeist geprägt; der objektiv urteilende Historiker ist eine Illusion. Die Betonung der Kontinuität der Geschichte, die Tendenz, Brüche oder Unterschiede überhaupt wegdiskutieren zu wollen (man denke z. B. an die Genderdebatte), scheint eine Erscheinung des aktuellen Zeitgeistes zu sein16 und ist nicht weniger subjektiv als vorhergehende Ansätze. Die Aufforderung „Studiere den Historiker, ehe du anfängst Fakten zu studieren!“ 17 gilt folglich für die zeitgenössischen Historiker ebenso wie für die früheren. Betrachtet man einen Epochenbegriff als das, was er sein sollte, nämlich ein Hilfsmittel der historischen Forschung, ist es weder relevant, ob eine Epoche von den Zeitgenossen erkannt wurde, noch ob die Eckdaten punktgenau fixiert werden können. Die Einteilung der Geschichte in Epochen erleichtert die Kommunikation über historische Themen ungemein und reduziert ganz erheblich die kognitive Anstrengung, die der denkende Mensch (sei es ein Historiker, sei es ein Laie) aufwenden muss, um sich einen Überblick über längere Zeiträume zu verschaffen. Man stelle sich vor, anstelle der beschreibenden und damit leicht zu merkenden Epochenbegriffe eine Fülle von absoluten Daten im Kopf behalten zu müssen! Abgesehen davon eignen sich Epochenbegriffe auch wunderbar für vage Datierungen von Zeiten und Kulturen, in denen die absolute Chronologie sehr unsicher oder kaum vorhanden ist.18 Diese Vorteile überwiegen meiner Meinung nach den Nachteil der Unschärfe der Begriffe, zu dem Momigliano einmal bemerkte: „In der Regel sollten terminologische Mehrdeutigkeiten einen Gelehrten niemals lange aufhalten. Wir wissen alle, welche Zeitvergeudung das Wort Renaissance verursacht hat.“19 Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an Ranke, der postulierte, jede Epoche sei „unmittelbar zu Gott“ und damit ausdrückte, dass jede Epoche auch für sich selbst interessant und wichtig sei, unabhängig von ihrer Verbindung zum dem folgenden Lauf der Geschichte, 20 und – wie man an dieser Stelle ergänzen könnte  unabhängig davon, wie sie vom modernen Historiker genannt wird. Die Verwendung von einmal etablierten Epochenbegriffen ist also sinnvoll, wenn man sich des Problems der Unschärfe bewusst ist und die Begriffe wertfrei verwendet, auch wenn ihnen – wie im Fall des „Mittelalters“ oder der „Zwischenzeiten“ der ägyptischen Geschichte – ursprünglich eine negative Konnotation anhaftete.21 Nicht sinnvoll ist es dagegen, mit dem Hinweis auf Unschärfen und vermeintliche oder tatsächliche negative Konnotationen die Terminologie ständig ändern bzw. die Eckdaten einer Epoche verschieben zu

15 16 17 18

Schneider (2008: 182184). Cf. Jansen-Winkeln (2010: 300301). E. Carr (1963: 23). Siehe auch P. Burke (2003: 15). Aus eben diesen Gründen finden sich Datierungen nach Epochen bevorzugt in Ausstellungskatalogen und auf Museumsbeschilderungen. 19 Momigliano (1955: 249). Siehe dazu auch Koselleck (2000: 291), der es ebenfalls als müßig betrachtet, über Epochenbegriffe zu streiten. 20 Gurjewitsch (1978: 7); siehe auch Berthold (1988: 87). 21 „Alle Namen sind gut, wenn man weiß, was mit ihnen gemeint ist.“ Friedell (1936: 87).

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2 Was ist das Alte Reich?

wollen.22 Statt ein Hilfsmittel zu sein, führen Epochenbegriffe, die ständig verändert werden, schnell zu Missverständnissen und erhöhtem Rechercheaufwand, da sich der Leser vor jeglicher Lektüre erst damit vertraut machen müsste, welchem System der Epochengliederung und welcher Terminologie der jeweilige Autor folgt.

2.2 Die Gliederung der ägyptischen Geschichte… 2.2.1 … in pharaonischer Zeit Die altägyptischen Quellen kennen zwar keine der modernen Geschichtsschreibung entsprechende Einteilung von Epochen, dennoch gibt es an verschiedenen Stellen Hinweise auf ein Bewusstsein für historische Umbrüche bzw. den Ansatz einer Gliederung der Geschichte durch die Ägypter selbst. Dies wird vor allem anhand folgender Befunde deutlich:23 1. Der pTurin 1874 (sogenannter Turiner Königspapyrus) enthält mehrere, teilweise durch ein rubrum hervorgehobene Einschnitte in Form von Überschriften und Summierungen.24 Aufgrund des fragmentarischen Erhaltungszustandes des Papyrus sind nur wenige davon eindeutig lesbar: Die Summierung in Kolumne I, 212425 fasst die mythische Herrschaft der Götter zusammen, Kolumne II, 89 die der Geister (Ax.w), Kolumne III, 2627 addiert die Regierungszeiten aller Könige zwischen Menes und Unas. Aus den erhaltenen Fragmenten von Kolumne IV, 1517 geht hervor, dass hier nochmals die Jahre der Könige ab Menes zusammengefasst werden. Die Summenangabe in Kolumne VI, 3 nennt alle Könige der Residenz JT-tA.wj. Auf Letztgenannte bezieht sich auch die einzige eindeutig lesbare Überschrift in Kolumne V, 19. Ferner ist in Kolumne III, 5 der Titel nzw vor dem Namen des Djoser durch ein rubrum markiert. Die Tatsache, dass der Verfasser des pTurin 1874 Gruppen von Königen unter Überschriften zusammenfasst bzw. deren Regierungsjahre zu einer Einheit addiert, spricht eindeutig dafür, dass auch die Ägypter selbst in ihrer Geschichte bestimmte Abschnitte erkannten. Die Überschrift in Kolumne V, 19 zeigt, dass unter anderem die Verlegung der Residenz als ein Einschnitt oder Neubeginn betrachtet wurde. 26 2. Als illegitim betrachtete Herrscher werden in den Königslisten von Abydos und Saqqāra ausgelassen. So fehlen in beiden Listen die Herrscher der manethonischen 9./10. sowie

22 Ähnlich äußert sich auch Schneider (2003: 245247). Den Vorschlag von L. Morenz (2010), die Erste Zwischenzeit als „Zeit der Regionen“ zu bezeichnen, möchte ich deshalb nicht aufgreifen. 23 Für weitere Texte und Denkmäler, aus denen das altägyptische Geschichtsbewusstsein deutlich wird, siehe Assmann (2005). 24 Siehe Gardiner (1959: Taf. IIV); Barta (1979); Beckerath (1997: 21); Ryholt (2004: 141142). 25 Nummerierung der Kolumnen hier nach der Edition von Gardiner (1959). Zur Neuplatzierung einiger Fragmente siehe Ryholt (2000: 87). Konkordanz der Nummerierungen von Gardiner und Ryholt siehe Ryholt (2004: 136, Tabelle 1). 26 Dies wird durch die manethonische Überlieferung bestätigt, die Überschriften geben hier den Namen der jeweiligen Residenz an (z. B. „Könige von Memphis“).

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2.2 Die Gliederung der ägyptischen Geschichte…

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die ersten vier Könige der 11. Dynastie. Die Saqqāra-Liste lässt auch die 8. Dynastie aus. 3. Im pWestcar wird der Beginn der 5. Dynastie angekündigt, wobei die neuen Könige explizit nicht in genealogischer Kontinuität zu denen der 4. Dynastie stehen sollen. Obwohl dies wahrscheinlich historisch nicht korrekt ist, 27 spiegelt sich hier wohl das spätere Empfinden einer historischen Zäsur wider. 28 4. Die sogenannten Reiche nehmen aufeinander Bezug, indem das Mittlere Reich bewusst an das Alte, das Neue Reich wiederum an das Mittlere anknüpft und die Spätzeit sich sogar auf alle drei vorhergehenden „Reiche“ zugleich bezieht. 29 5. Verschiedene Belege für die Datierung nach der Herrschaft eines Gottes können als Hinweise auf den Versuch, eine Ära zu begründen oder zu beschreiben, gedeutet werden.30 Das Gleiche gilt für die „Renaissance-Ära“, die im 19. Regierungsjahr Ramsesʼ XI. beginnt. Diese währte zwar nicht wesentlich länger als zehn Jahre, doch allein den Versuch, eine neue Zeitrechnung zu beginnen, hält Joachim Quack für bemerkenswert.31 Miroslav Bárta sieht außerdem einen „explicit break“ zwischen der 4. und 5. Dynastie in den Eintragungen des Palermosteins und begründet dies mit dem andersartigen Charakter der Eintragungen auf dem verso, die zu dieser Zeit begonnen haben müssen. 32 Meines Erachtens kann dieses Argument nicht überzeugen: Die erste erhaltene Eintragung zur 5. Dynastie stammt aus dem dritten Jahr des Userkaf (Kairofragment 1 v.II.1).33 Der Beginn der Dynastie, an dem sich die explizite Zäsur befinden müsste, ist nicht erhalten. Grundsätzlich zeigt der Annalenstein an keiner Stelle Einschnitte, wie wir sie im pTurin 1874 erkennen können. Dass sich die Eintragungen hinsichtlich ihres Inhalts und ihres Umfangs verändern, kann zwar als ein Zeichen für sich verändernde Maßstäbe bei der Gestaltung der Annalen oder sich verändernde Wertvorstellungen gedeutet werden, nicht aber als eine von den Ägyptern empfundene historische Zäsur. 2.2.2 … in der Geschichtsschreibung der Antike Während bei Herodot und anderen griechischen Autoren die Könige Ägyptens ohne weitere Einteilung abgehandelt werden, geht aus den Schriften der Manetho-Epitomatoren hervor, dass Manetho die ägyptische Geschichte in 30 bzw. 31 Dynastien einteilte.34 Es wird

27 Wie die genealogische Verbindung zwischen der 4. und 5. Dynastie einzuschätzen ist, hängt davon ab, welche verwandtschaftlichen Beziehungen für die Königin #n.t-kA.w=s I. – die teilweise mit der RwDDd.t aus dem pWestcar gleichsetzt wird – angenommen werden. Zu dieser Problematik siehe Altenmüller (1970); Seipel (1980: 186); Verner (1980). 28 Cf. Málek (1987: 16); Assmann (2005: 160161). 29 Assmann (1996a: 33–36), (2005: 127). 30 Quack (2002: 46–48). 31 Quack (2002: 49). 32 Bárta (2015a: 7). 33 Cf. T. Wilkinson (2000: 217). 34 Als 31. Dynastie wird von einigen Manetho-Epitomatoren die zweite Perserherrschaft bezeichnet. Ob diese Einteilung auf Manetho selbst zurückgeht (Verbrugghe/Wickersham (1996: 100) oder später von

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2 Was ist das Alte Reich?

angenommen, dass Manetho Königslisten vorgelegen haben, die der im pTurin 1874 überlieferten ähnlich gewesen sein müssen.35 Wie bereits oben ausgeführt, stehen einige der Summenangaben im pTurin 1874 an Stellen, die dem Ende einer Dynastie bei Manetho entsprechen.36 Dies veranlasst die Mehrheit der Ägyptologen zu der Feststellung, dass die Abschnitte im pTurin 1874 grundsätzlich mit der Dynastieneinteilung des Manetho korrespondieren.37 Eine Zusammenfassung von Dynastien zu größeren Einheiten gibt es bei Manetho nicht. Auftraggeber des Manetho waren die griechischstämmigen Ptolemäerkönige, die von der Intention geleitet wurden, sich im Sinne der Assmann’schen Formel „Herrschaft braucht Herkunft“38 als legitime Herrscher in der Tradition der Pharaonen präsentieren zu wollen.39 Aus griechischer Sicht spielt der dynastische Gedanke bei der legitimen Nachfolge eine entscheidende Rolle und in diesem Sinn verfasste vermutlich Manetho seine Geschichte. Vergleichbar ist dieser Auftrag der Ptolemäer, die eigene Herrschaft mit der vorangegangenen Historie zu verknüpfen, mit dem Vorgehen der Achämeniden, die zur Legitimation ihrer Herrschaft ebenfalls Dynastien erschufen. Damit setzten sie sich in Beziehung zu den Königen der Vorgängerreiche von Babylon, Assur, Urartu und Medien und ordneten deren Herrschaft der eigenen unter. 40 2.2.3 … in der Geschichtsschreibung der Neuzeit Außer den Dynastien unterscheidet die Ägyptologie gegenwärtig vier Hauptepochen der altägyptischen Geschichte: Das Alte Reich, das Mittlere Reich, das Neue Reich und die Spätzeit. Die dazwischen liegenden Perioden werden in der Regel als Erste, Zweite und Dritte Zwischenzeit bezeichnet, vom Alten Reich wird die Frühdynastische Zeit unterschieden, die auch als Archaische Zeit oder Thinitenzeit bezeichnet wird. Ein Blick auf die Tabelle 6 (siehe Anhang A.3) zeigt, dass diese Epocheneinteilung auch in jüngster Zeit keineswegs einheitlich festgelegt ist: Betrachtet man nur die Literatur des 21. Jahrhunderts, so stellt man fest, dass einzig das Neue Reich bei allen Autoren einheitlich mit der 18. Dynastie beginnt. Das Alte Reich beginnt teils mit der 3. Dynastie,41 teils mit der 4. Dynastie,42 die Erste Zwischenzeit mit der 8. Dynastie43 oder 9./10. Dynastie.44 Der Be-

der Epitome hinzugefügt wurde (Meyer (1925: 209); Gardiner (1965: 517), ist umstritten. 35 Ausführlich dazu Gundacker (2015). 36 Ein winziges Fragment einer Königsliste in Yale (pCtYBR 2885) enthält ebenfalls Reste einer Summierung, die – wenn die Ergänzungen korrekt sind – mit dem Ende der 26. Dynastie zusammenfällt. Siehe Quack (2002: 45). 37 Verbrugghe/Wickersham (1996: 98); Beckerath (1997: 21); Quack (2002: 44); Ryholt (2006: 31). Málek (1982: 105–106) hatte dagegen vermutet, dass Manetho die Listen auf seine eigene Art interpretierte und möglicherweise die Anfänge der Kolumnen seiner Vorlage jeweils als Beginn eines neuen Abschnitts deutete, revidierte diese Ansicht aber später zumindest teilweise. Cf. Málek (1997: 14). 38 Assmann (1992: 7071). Zur Bedeutung der Genealogie als Mittel der Selbsthistorisierung siehe auch Bickel/Münch (2014). 39 So auch Gundacker (2015: 8081). 40 Wiesehöfer (1999: 47). 41 Shaw (2000); Clauss (2001); Schlögl (2003), (2006); Mieroop (2011). 42 Höveler-Müller (2005); Hornung et al. (2006); T. Wilkinson (2010). 43 Schlögl (2003), (2006).

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2.2 Die Gliederung der ägyptischen Geschichte…

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ginn des Mittleren Reiches wird in der Regel mit der Wiedervereinigung beider Landesteile durch Mentuhotep II. in der zweiten Hälfte der 11. Dynastie gleichgesetzt,45 in einem Fall wird jedoch ab Beginn der 11. Dynastie gerechnet,46 in einem anderen erst ab Beginn der 12. Dynastie.47 Während die Zweite Zwischenzeit meist mit der 13. Dynastie beginnt, setzt Marc van de Mieroop sie mit der 14. Dynastie48 und Ian Shaw sogar erst mit der 15./16. Dynastie an.49 Während ein Konsens über den Beginn des Neuen Reiches mit der 18. Dynastie besteht, sind sein Ende und die darauffolgenden Epochen keineswegs einheitlich festgelegt: Allein die 18. Dynastie bildet bei Schlögl und Shaw das Neue Reich, danach folgt als eigenständige Epoche die Ramessidenzeit, die in einem Fall die 19.20. Dynastie,50, im anderen die 19.21. Dynastie umfasst.51 Bei Schlögl und Manfred Clauss beginnt nach dem Neuen Reich mit der 21. bzw. 22. direkt die Spätzeit, die bis zum Ende der 31. Dynastie andauert.52 Die übrigen Autoren setzen nach dem Neuen Reich noch eine Dritte Zwischenzeit ein, wobei die Spätzeit mal mit der 25. Dynastie,53 mal mit der 26. Dynastie beginnt.54 Toby Wilkinson wiederum lässt die Spätzeit ganz aus, bei ihm dauert die Dritte Zwischenzeit von der 21. bis zur 31. Dynastie.55 Clauss berücksichtigt generell keine Zwischenzeit, er unterscheidet ausschließlich die Frühzeit (1.2. Dynastie), das Alte Reich (3.erste Hälfte 11. Dynastie), das Mittlere Reich (zweite Hälfte 11.17. Dynastie), das Neue Reich (18.20. Dynastie) und die Spätzeit (21.31. Dynastie). Nicht nur in verschiedenen Werken desselben Autors wird die Epocheneinteilung unterschiedlich gehandhabt,56 manchmal finden sich auch innerhalb eines Buches erstaunliche Inkonsequenzen in Bezug auf die Verwendung der Begriffe. Nicht selten sind im chronologischen Überblick am Anfang oder Ende eines Werkes zur ägyptischen Geschichte die Epochen anders eingeteilt als im Fließtext.57 Häufig werden Epochenbegriffe verwendet, ohne anzugeben, welchen zeitlichen Umfang der betreffende Autor diesen zumisst, und es

44 Shaw (2000); Höveler-Müller (2005); Hornung et al. (2006); T. Wilkinson (2010); Mieroop (2011). 45 Shaw (2000); Clauss (2001); Höveler-Müller (2005); Schlögl (2006); T. Wilkinson (2010); Mieroop (2011). 46 Hornung et al. (2006). 47 Schlögl (2003). 48 Mieroop (2011). 49 Shaw (2000). 50 Shaw (2000). 51 Schlögl (2003), (2006). 52 Clauss (2001); Schlögl (2003), (2006). 53 Hornung et al. (2006); Mieroop (2011). 54 Shaw (2000). 55 T. Wilkinson (2010). 56 Cf. Schlögl (2003) und (2006). 57 Siehe dazu u. a. Wilson (1951) oder Scharff/Moortgat (1950), bei denen die Epochengrenzen im Textband anders festgelegt sind als im Tafelband. Mieroop (2011) setzt das Alte Reich von der 4. bis zur 6. Dynastie an, fasst aber im Textteil die 3. bis 5. Dynastie zu einer Einheit zusammen.

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gibt auch im 20. und 21. Jahrhundert Autoren, die auf eine Epocheneinteilung komplett verzichten.58 Während die Einteilung in Dynastien auf Manetho zurückgeht, war es die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, die erstmals versuchte, die ägyptische Geschichte in größere Epochen einzuteilen. Laut Renate Müller-Wollermann59 ist der früheste Beleg bei Johann Rühle von Lilienstern zu finden, 60 in dessen „Universalhistorischem Atlas“61 an einer Stelle die 1.–16. Dynastie als „Reich von Memphis“ bezeichnet werden. Tatsächlich referiert Rühle von Lilienstern in der fraglichen Textpassage lediglich die Ansichten John Jacksons.62 Dessen Versuch, die teils widersprüchlichen Angaben der ManethoEpitomatoren zu ordnen, kommentiert Rühle von Lilienstern mit den Worten: „… wobei nur zu bedauern ist, daß er fast überall den Knoten mit dem Schwerte löst.“ 63 Der Versuch einer Periodisierung ist meiner Meinung nach in dem einmaligen Zitat des Begriffs „Reich von Memphis“ nicht zu erkennen. Arnold Heeren unterscheidet wenige Jahre später vier Hauptepochen der ägyptischen Geschichte: „Die erste, von 20001800 v. Chr. ist die Zeit Abrahams, der Kolonisation des Niltals und Unterägyptens, die zweite, von 18001700 v. Chr. ist die Zeit der Hyksos und des Moses, die dritte, von 1700700 v. Chr. ist die Zeit des Sesostris und der Sesostridae, die den Höhepunkt der ägyptischen Geschichte bilden und den Niedergang einleiten. Die vierte Periode, von 700528 v. Chr. umfasst die Zeit von der Regierung Psammetichs bis zur persischen Eroberung“.64 Die bis heute geläufige Einteilung in drei Reiche stammt von Bunsen, der allerdings noch die 1.12. Dynastie zum Alten Reich, die 13.17. Dynastie zum Mittleren Reich und die 18.30. Dynastie zum Neuen Reich zusammenfasste. Diese Einteilung nimmt Bunsen nach eigenen Angaben bereits 1834 vor, veröffentlicht dies aber offenbar erst elf Jahre später in Ägyptens Stelle in der Weltgeschichte, Erstes Buch.65 Grundlage für die Einteilung ist die Tatsache, dass die Könige bis zur 12. Dynastie in der Karnakliste links vom Eingang erscheinen, die Hyksoskönige dagegen rechts. Im Fünften Buch, Fünfte Abteilung wird das Alte Reich nochmals in drei Zeiträume unterteilt: Gründung und Befestigung (1.– 4. Dynastie), Verfall des memphitischen Reiches (6.–11. Dynastie) und Wiederherstellung und Untergang des Reiches (12. Dynastie). Warum die 5. Dynastie aus dieser Einteilung herausfällt, ist unklar.66

58 Sethe (1905); Bissing (1913); Kees (1933); Pirenne (1961); Wilson (1961); Agut/Moreno-García (2016). 59 Müller-Wollermann (1986: 4). 60 Rühle von Lilienstern (1827: 123). 61 Nicht „Universalhistorischer Abriß“, wie fälschlicherweise bei Müller-Wollermann angegeben. 62 Jackson (1752). 63 Rühle von Lilienstern (1828: 123). 64 Heeren (1832: 118119, Anm. b). 65 Bunsen (1845a: XVII; 6970). 66 Bunsen (1857: 364371).

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2.2 Die Gliederung der ägyptischen Geschichte…

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Lepsius verzichtete in seiner Arbeit zur Chronologie noch gänzlich auf Epocheneinteilungen,67 übernahm aber in den „Denkmälern“ zumindest in den Titeln der Einzelbände teilweise den Ansatz und die Begriffe von Bunsen. Der Denkmäler des alten Reiches betitelte Band umfasst die 4.–13. Dynastie (Altes Reich bei Bunsen = 1.–12. Dynastie), in den Textbänden werden überhaupt keine Epochen unterschieden. 68 In die französischsprachige Ägyptologie hielten die Epochen Einzug, nachdem sich Wladimir Brunet de Presle kritisch mit bisherigen Versuchen einer Rekonstruktion der altägyptischen Chronologie auseinandergesetzt hatte und sich letztlich dafür aussprach, Bunsens Ansatz zu übernehmen.69 Dies mag für Lepsius den Ausschlag gegeben haben, auch in seinem Königsbuch die Begriffe Altes, Mittleres und Neues Reich zu verwenden,70 wobei diese Epocheneinteilungen hier immer noch sehr weit gefasst sind und sehr inkonsequent gehandhabt werden: Epocheneinteilungen finden sich nur im Tafelteil (auf den Quellentafeln der manethonischen Dynastien dauert das Alte Reich von der 1.–14. Dynastie, auf den hieroglyphischen Tafeln bis zur 16. Dynastie), im Textteil werden alle Dynastien fortlaufend abgehandelt. Eine Begründung für seine Einteilung gibt Lepsius nicht an. 71 Auguste Mariette verlegte in der Folgezeit den Beginn des Mittleren Reiches auf die 11. Dynastie,72 doch erst seit Meyer setzte sich dies auch in der deutschen Ägyptologie durch. Meyer unternahm eine weitere Feinjustierung der Epochengliederung: Die ersten beiden Dynastien wurden als eigenständige Epoche vom Alten Reich abgetrennt, das Neue Reich drastisch verkürzt auf die 18.20. Dynastie. Zwischen dem Alten und dem Mittleren Reich fügte Meyer eine von ihm so genannte Übergangsepoche ein, die Zeit zwischen dem Mittleren und dem Neuen Reich bezeichnet er als „Fremdherrschaft“. Die 21.31. Dynastie bleiben ohne eigene Epochenbezeichnung. 73

67 Lepsius (1849). 68 Lepsius (1849–1859). Dennoch wird Lepsius in der Regel fälschlicherweise als Erfinder der Epocheneinteilung in die drei Reiche und Zwischenzeiten angesehen, so zuletzt von Agut/Moreno-García (2016: 8). Eine von mir durchgeführte spontane und sicher nicht repräsentative Umfrage unter Ägyptologen ergab, dass die Mehrheit der befragten Kollegen ebenfalls Lepsius für den Urheber der Epocheneinteilung hielt. Offensichtlich haben wir es hier mit einem jener Fälle wissenschaftlicher Legendenbildung zu tun: Eine irgendwann geäußerte Meinung wird nicht mehr hinterfragt und so lange tradiert, bis sie sich verselbständigt und schließlich als Tatsache gilt. 69 Brunet de Presle (1850: 203). 70 Die in der Staatsbibliothek zu Berlin befindliche Ausgabe von Brunet de Presle (1850) stammt laut Eintrag im Buchdeckel aus dem Nachlass von Richard Lepsius. Dieser muss das Werk also zur Kenntnis genommen haben. Brunet de Presle wiederum (1850: xix) weist darauf hin, dass er Lepsius‘ Denkmäler noch nicht einsehen konnte, da diese erst später erschienen sind: „Dans la reconstruction des dynasties égyptiennes, M. Bunsen se réfère souvent à un ouvrage inédit de M. Lepsius, dont les planches, lithographiées avant le départ de ce savant pour l’Égypte, n’avaient été communiquées qu’à un petit nombre d’amis, et que nous n’avons eu à notre disposition que lorsqu’elles ont été mises dans le commerce.“ 71 Siehe Lepsius (1859). 72 Mariette (1864). 73 Meyer (1884), (1908), (1928), (1937). Maßgeblich für diese Einteilung waren für Meyer unter anderem die Summenangaben im pTurin 1874.

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2 Was ist das Alte Reich?

James Baikie verwendete 1929 für Meyers „Übergangsepoche“ vom Alten zum Mittleren Reich erstmals den Begriff „First Intermediate Dark Period“, der sich in der Folgezeit allgemein etablierte.74 Die Zeit nach dem Neuen Reich bezeichnet erstmals Steindorff 1931 als „Spätzeit“, ein Begriff der später von Jean Vercoutter aufgegriffen wird, der vor seine „Basse epoche“ noch ein Zeitalter der „Décadence“ einführt, das im deutschsprachigen Raum in der Folge auch als Dritte Zwischenzeit bezeichnet wird. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich diese Einteilung in der Ägyptologie weitgehend durchgesetzt, wenn auch die Grenzen der Epochen immer wieder leicht verschoben werden (siehe die Tabelle 6 im Anhang A.3) und manche Autoren die Zeit nach dem Neuen Reich nicht weiter unterteilen. Immer wieder gab und gibt es Kritik sowohl an der Dynastien- als auch an der Epocheneinteilung und die Forderung, sich davon zu lösen oder diese zu verändern. Auf Anregung von Ludwig Morenz wird das Alte Reich heute auch als „Pyramidenzeit“ und die Erste Zwischenzeit als „Zeit der Regionen“ bezeichnet. Beim Internationalen Ägyptologenkongress im Jahr 2000 in Kairo erklärte z. B. Donald Redford die Dynastieneinteilung des Manetho „cries out to be abandoned“, da sie als allzu starres Skelett den Historiker nur behindere. 75 Bárta schlägt neuerdings vor, das Alte Reich nicht mehr in Dynastien, sondern in Multiplier Effect Periods (MEP) einzuteilen, da diese die historischen und sozialen Entwicklungen besser widerspiegelten. 76 Er bezieht sich dabei auf das von Colin Renfrew zur Erklärung der Herausbildung früher Zivilisationen formulierte Konzept des multiplier effects. Dieses besagt, dass voneinander unabhängige Faktoren, die, für sich allein genommen, wenig Veränderung bewirken, sich in der Kombination verstärken und zu plötzlichen fundamentalen Änderungen führen können. Die ägyptische Geschichte sieht Bárta als ein Beispiel für ein punctuated equilibrium, in dem längere Zeiten der Stagnation immer wieder von kurzen Phasen größerer Veränderungen unterbrochen werden. 77 Beim Internationalen Ägyptologenkongress 2015 in Florenz äußerte er, die Multiplier Effect Periods seien „a more appropriate historical framework“ als die Dynastien und sollten letztere im Idealfall ersetzen. Bárta teilt das Alte Reich in folgende Multiplier Effect Periods ein:78 MEP 1: Djoser: 26 Jahre MEP 2: Snofru: 33 Jahre MEP 3: Schepseskaf: 4 Jahre und Userkaf: 6 Jahre MEP 4: Niuserre: 28 Jahre MEP 5: Djedkare: 43 Jahre Damien Agut/Juan Carlos Moreno-García verzichten in ihrem jüngst erschienen Werk zur ägyptischen Geschiche vollständig auf eine Epocheneinteilung und auch weitgehend auf die

74 75 76 77 78

Baikie (1929: 217). Redford (2003: 4). Bárta (2015). Renfrew (1972: 2744). Bárta (2015: 5).

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2.2 Die Gliederung der ägyptischen Geschichte…

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Dynastien (letztere werden der Vollständigkeit halber zumindest im Anhang genannt). Begründet wird dies damit, dass die ägyptische Geschichte stärker von Kontinuität als von Brüchen geprägt sei und die Periodisierung und Dynastieneinteilung die Geschichte allzu willkürlich zerschneide.79 Der Forderung Redfords, auf die Dynastien zu verzichten (siehe oben) hatte William Murnane entgegnet, das Konzept der Dynastieneinteilung sei immerhin „a genuine conceptual artifact from ancient Egypt itself“. Deshalb sollte es nicht einfach beiseite gelassen werden, auch wenn es stellenweise irreführend sei oder aus unserer modernen Sicht die historischen Entwicklungen nicht exakt widerspiegele. 80 Diese Argumentation geht meines Erachtens nicht weit genug: Der Historiker František Graus hält es für müßig, zeitgenössische „Beweise“ für unsere Epocheneinteilung zu suchen: „… wir können nichts anderes tun, als unser Koordinatensystem auf die Vergangenheit zu applizieren und versuchen, dadurch größere Zeiträume unter dem Begriff Epochen zusammenzufassen. Diese Versuche haben wir zu verantworten und mit unseren Wertungsmaßstäben zu begründen. Sie sind unsere Hilfskonstruktionen, das verwirrende Bild der Vergangenheit zu ordnen.“ 81 Dieser letzte Satz scheint mir von entscheidender Bedeutung zu sein und ein gewichtiges Argument für eine Gliederung der Geschichte zu liefern: Wie muss eine kontinuierliche Abhandlung von mehr als 3000 Jahren altägyptischer Geschichte auf jemanden wirken, der von diesem Thema noch überhaupt keine Ahnung hat? Ist derjenige in der Lage, diese Geschichte für sich im Kopf zu strukturieren, um sich darin zurechtzufinden? Ich möchte mit aller Vorsicht annehmen, dass dies für den Fachfremden äußerst schwierig wird und dem Ägyptologen nur deshalb möglich ist, weil er letztlich die herkömmliche Gliederung in Epochen und Dynastien im Hinterkopf hat – selbst wenn er sie ablehnt. Wie bereits begründet, ist die ständige Veränderung einmal etablierter Epochenbegriffe nicht sinnvoll. Bei dem Ansatz Bártas kommt hinzu, dass seine MEP jeweils nur auf die kurzen Zeiten angewendet werden können, in denen sich starke Veränderungen zeigen, während für die dazwischenliegenden Perioden eine Bezeichnung fehlt. Damit erfüllt das System nicht den Zweck eines historischen Hilfsmittels, etwa für Datierungsangaben (siehe Kapitel 2.1.2). Die Angabe „Mitte der 4. Dynastie“ erscheint mir deutlich eingängiger als die Angabe „zwischen MEP 2 und MEP 3“. Weitere problematische Punkte an diesem Konzept sind meines Erachtens, dass Veränderungen der materiellen Kultur und politische Veränderungen gleichgesetzt werden und die Quellen – wie diese Arbeit zeigen soll – zu dünn und zu ungleichmäßig verteilt sind, um daraus ein geschlossenes Bild der Geschichte des Alten Reiches rekonstruieren zu können. Sollten sich bestimmte Schlussfolgerungen Bártas nach der Auswertung neuer Funde als nicht korrekt erweisen, müsste das ganze System verändert werden. Die Dynastieneinteilung Manethos ist dagegen eine Fixpunkt, der auch bestehen bleibt, wenn sich unsere Kenntnisse über die historischen Abläufe verändern.82

79 80 81 82

Agut/Moreno-García (2016: 8). Murnane (2003: 17). Graus (1987b: 533). Dies hatte bereits Erman (1885: 63) erkannt und treffend formuliert: „Diesem Mangel einer genaueren

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2 Was ist das Alte Reich?

2.2.4 Bemerkungen zum Begriff Dynastie Die Einteilung der ägyptischen Geschichte in Dynastien geht auf Manetho zurück, dessen Werk, wie oben beschrieben, vermutlich zu einem guten Teil das Geschichtsverständnis der Ptolemäer zugrunde lag. Von Seiten der Ägyptologie wurde versucht, die Grundlagen der Dynastieneinteilung bereits im pTurin 1874 zu erkennen.83 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass bereits vor der Erschließung des pTurin 1874 die Abfolge der Könige anhand der Berichte der Manetho-Epitomatoren rekonstruiert wurde und deren Dynastieneinteilung die Grundlage für die Rekonstruktion des Papyrus bildete. Wie oben gezeigt wurde, kann lediglich die Summierung in Kolumne III, 2627 mit Sicherheit den Königen von Menes bis Unas und damit den manethonischen Dynastien 15 zugeordnet werden. Alle anderen Summierungen sind nicht eindeutig lesbar und ihre Zuordnung zu bestimmten Dynastien damit hypothetisch.84 Folglich ist es ein Zirkelschluss, den pTurin 1874 für die Verifizierung der Dynastieneinteilung heranziehen zu wollen. Meines Erachtens ist es von untergeordneter Bedeutung, inwieweit die Dynastien des Manetho den ägyptischen Quellen entsprechen. Wir können die ägyptische Geschichte ohnehin nicht aus Sicht eines Ägypters betrachten, sondern sehen sie zwangsläufig mit den Augen eines vom Geschichtsverständnis der klassischen Antike geprägten modernen Historikers. Die Dynastieneinteilung des Manetho bildet einen fixen chronologischen Rahmen, der sich auch durch neue Erkenntnisse bezüglich der historischen Entwicklung nicht verändern wird. In diesem Sinne ist es zweckmäßig, diese Einteilung als historisches Hilfsmittel zum Zweck einer effektiven wissenschaftlichen Kommunikation beizubehalten. Grenzen zwischen Dynastien sollten jedoch nicht zwangsläufig als Umbrüche in der Geschichte betrachtet werden.85 Einen bedeutenden Einschnitt, der auch von den Ägyptern selbst als solcher gesehen wurde, stellt die Wiedervereinigung beider Landesteile unter Mentuhotep II. dar. Damit liegt der Beginn des Mittleren Reiches, der mit diesem Ereignis verbunden wird, mitten in einer Dynastie bzw. einer einzelnen Herrschaft. Bei der Verwendung des Begriffs Dynastie im Zusammenhang mit dem Alten Ägypten sollte man sich darüber im Klaren sein, dass das griechische Wort δυναστεία schlicht „Macht, Herrschaft“ bedeutet. Die Gleichsetzung von Dynastie mit einer blutsverwandten Herrscherfamilie ist eine Tradition des christlichen Abendlandes. In den altorientalischen Kulturen ist das von jeher anders: so liegt z. B. der Dynastieneinteilung in den altbabylonischen Königslisten nicht das Prinzip der Blutsverwandtschaft zugrunde.86 Dennoch wird diese Definition zuweilen irrtümlich auch dem mit Ägypten verbundenem Begriff Dynastie

83 84 85 86

Chronologie gegenüber haben die Aegyptologen von einem ebenso einfachen als praktischen Hilfsmittel Gebrauch gemacht, um sich in der langen Reihe der Jahrhunderte ägyptischer Geschichte zurechtzufinden. Sie haben dieselbe nach Manethos Vorgang in Herrschergeschlechter – Dynastien – eingeteilt und diese numeriert. Zwar ist diese Einteilung wohl öfters eine historisch nicht ganz richtige, aber darauf kommt es ja in der Praxis nicht an und wir behalten daher die alten eingebürgerten Bezeichnungen für die verschiedenen Perioden der ägyptischen Geschichte bei.“ Otto (1966: 170); Málek (1982); Beckerath (1984), (1997: 21); Málek (1997); Ryholt (2004). Siehe Beckerath (1997: 21). Siehe dazu auch Málek (1982: 106); Málek (1997); Shaw (2000: 1–2). Siehe Beckerath (1984: 50).

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2.3 Die Eingrenzung des Alten Reiches

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zugrunde gelegt.87 Nur so ist es zu erklären, weshalb mancher Autor meint, krampfhafte Begründungen für dynastische Einschnitte suchen zu müssen, an denen doch offensichtlich eine genealogische Kontinuität nachweisbar ist. 88 Grundlage für die Dynastieneinteilung des Manetho scheint, seinen Überschriften nach zu urteilen, der Ort der jeweiligen Residenz gewesen zu sein. 89 Gerald Verbrugghe und John Wickersham weisen dennoch darauf hin, dass Manetho die Könige der 1. Dynastie explizit als Sohn ihres jeweiligen Vorgängers bezeichnet. Dies habe er getan, um von Anfang an zu klären, dass dem Begriff δυναστεία hier der Aspekt der Blutsverwandtschaft zugrunde liege.90 Das Argument lässt sich aber auch dahingehend umkehren, dass Manetho es offenbar für nötig hielt, das Vater-Sohn Verhältnis der Könige der 1. Dynastie besonders zu betonen, da dieses eben nicht aus dem Begriff δυναστεία abzuleiten ist. In der Überschrift zur 4. Dynastie weist Manetho explizit darauf hin, dass diese Herrscher aus einer anderen Familie stammen: „… δυναστεία Μεμφιτῶν συγγενείας ἑτέρας βασιλεῖς ..“ (bei Synkellos) bzw. „… ex alia regia familia …“ (in der armenischen Version des Eusebius). Auch hier scheint ihm eine Erklärung deshalb notwendig zu sein, weil der Begriff δυναστεία keine bestimmten Verwandtschaftsverhältnisse impliziert. Letztlich – darauf weisen auch Agut/Moreno-García hin – ist uns das System der Thronfolge im Alten Reich nach wie vor unbekannt.91

2.3 Die Eingrenzung des Alten Reiches Letztlich muss klar sein, dass „das Alte Reich“ an sich nicht existiert, sondern als Hilfsmittel der historischen Forschung auf einer rückblickend festgelegten Einteilung beruht. Warum eine solche Einteilung dennoch sinnvoll ist, wurde oben ausgeführt. Weder der Beginn noch das Ende des Alten Reiches sind in der ägyptologischen Literatur einheitlich festgelegt (siehe Tabelle 6 im Anhang A.3). Als Ende des Alten Reiches wird entweder die 6. oder die 8. Dynastie angesehen, der Beginn, den man meist mit dem Anfang der 3. Dynastie gleichsetzt, wird zuweilen auf die 4. Dynastie verschoben. Ärgerlicherweise verwenden viele Autoren gerne Begriffe wie „Ende des Alten Reiches“, ohne darauf hinzuweisen, wie dieses Alte Reich im speziellen Fall eingegrenzt wird. Für den Beginn des Alten Reiches mit der 3. Dynastie spricht unter anderem:

87 Unter anderen Wolf (1971: 39 und 50); Hornung (1978: 14); Grimal (1988: 95–96); Savage (2001: 101). 88 Zum Beispiel Stadelmann (1994: 328), der meint begründen zu müssen, weshalb nach König Unas sowohl im pTurin 1874 als auch bei Manetho ein neuer Abschnitt beginnen, oder Höveler-Müller (2005: 34), der ein „innovatives Element“ ausmacht, das den Beginn einer neuen Dynastie kennzeichne. 89 Siehe Kapitel 3.5. Dieses Prinzip wird auch durch die Angaben im pTurin 1874 Kolumne V, 19 und VI, 3 deutlich, in denen die Könige der Residenz JT-tA.wj zusammengefasst werden. 90 Verbrugghe/Wickersham (1996: 98). 91 Agut/Moreno-García (2016: 117).

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2 Was ist das Alte Reich?

1. Manetho bezeichnet die Herrscher der 3. Dynastie als „Memphiten“ (Μεμφιτῶν/Memphitarum) und grenzt sie dadurch von den „Thiniten“ (Θινιτῶν/Thinites) genannten Königen der 1. und 2. Dynastie ab.92 2. Das Auftreten steinerner Monumentalarchitektur bzw. Beginn des Pyramidenbaus markieren einen deutlich sichtbaren kulturellen Einschnitt. 93 3. Die Hervorhebung Djosers durch ein rubrum im pTurin 1874 deutet darauf hin, dass auch die Ägypter selbst an dieser Stelle eine historische Zäsur sahen. 94 Insbesondere in der englischsprachigen Ägyptologie wird seit den 1990er Jahren die 3. Dynastie der Frühzeit zugeordnet. Für den Beginn des Alten Reiches mit der 4. Dynastie spricht unter anderem:95 1. Die Formgebung der materiellen Kultur der 3. Dynastie orientiert sich noch stark an frühdynastischen Vorbildern, erst mit der 4. Dynastie treten neue Stilmerkmale auf. 2. Die Beamtentitel der 3. Dynastie weisen deutlich mehr Gemeinsamkeiten mit denen der 2. Dynastie als mit denen der 4. Dynastie auf. 3. Der Staat befindet sich, den Beamtentiteln nach zu urteilen, in der 3. Dynastie noch in der Gründungsphase und hat sich erst zu Beginn der 4. Dynastie voll entwickelt. Gegen die Argumentation T. Wilkinsons und anderer, die das Alte Reich erst mit der 4. Dynastie beginnen lassen, 96 möchte ich Folgendes einwenden: 1. Veränderungen in der Formgebung der materiellen Kultur gibt es regelmäßig, sie gehen nicht zwangsläufig mit politischen Veränderungen einher. Der Übergang vom Bau mit organischen Materialien zum Stein- oder Ziegelbau gilt dagegen allgemein als entscheidender Wendepunkt in der Entwicklung einer Kultur. 97 2. L. Morenz weist darauf hin, dass die Inschriften der 3. Dynastie schriftgeschichtlich den Inschriften der 4. Dynastie deutlich näher stehen als denen der vorhergehenden Epoche.98 3. Rückschlüsse auf die Funktionsweise einer Verwaltung oder gar die Entwicklung eines Staates aus Beamtentiteln zu ziehen, ist höchst problematisch, wie in Kapitel 3.4 gezeigt werden wird. Für das Ende des Alten Reiches nach der 6. Dynastie lassen sich folgende Kriterien anführen: 1. Die Angabe des Manetho, in der 7. Dynastie hätten 70 Könige 70 Tage lang regiert (Synkellos nach der Version des Africanus), deutet auf eine Zäsur nach der 6. Dynastie

92 93 94 95

Siehe Waddell (1940: 26–59). Assmann (1996a: 38; 6869). Málek (1982: 106) und Redford (1986a: 134). Siehe auch Kapitel 2.2.1. Ausführlich zu diesem Thema und mit Hinweisen auf weitere Literatur T. Wilkinson (1999: 61), (2010: 59). 96 Wilkinson (2014). 97 Cf. Bandmann (1951: 113 und 140141); Eggert (2006: 192). 98 L. Morenz (2011: 1920, Anm. 4).

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2.3 Die Eingrenzung des Alten Reiches

2. 3. 4. 5.

6.

39

hin. Assmann sieht in dem „Spiel mit der Zahl 7“ einen symbolischen Ausdruck für 99 „Zustand relativer Anarchie“, der den „Befund der Auflösung nach der einen 6. Dynastie“ widerspiegele.100 Die Saqqāra-Liste lässt die Könige der 8. Dynastie aus. Der direkte Handel mit der Levante bricht ab. Die Zeugnisse werden insgesamt schlagartig weniger. Quantität und Qualität der königlichen Denkmäler nehmen nach der 6. Dynastie deutlich ab, der Pyramidenbau wird – mit Ausnahme der kleinen Pyramiden des Ibi und des Merikare – eingestellt. Die Namen einiger Könige der 6. Dynastie haben sich in der volkstümlichen Überlieferung gehalten und Eingang in die Schriften der antiken Autoren gefunden, während die Könige der 8. Dynastie dem Vergessen anheimgefallen sind.

Andere Beobachtungen sprechen dafür, das Alte Reich erst mit der 8. Dynastie enden zu lassen: 1. Die Summenangaben in Kolumne IV, 1417 des pTurin 1874101 schließen die Könige nach Pepi II. mit ein. 2. Die Abydos-Liste nennt auch die Könige der 8. Dynastie. 3. Die Residenz wird erst nach der 8. Dynastie nach Herakleopolis verlegt. 4. Die Koptos-Dekrete102 belegen eine deutliche Aktivität der Verwaltung und damit ein handlungsfähiges Königtum. 5. Der archäologische Befund weist eine unverkennbare Kontinuität über die 6. Dynastie hinaus auf.103 Die Aufzählung zeigt, dass es weder zu Beginn noch am Ende des Alten Reiches eine klare historische Zäsur gibt, die als zweifelsfreie Epochengrenze zu präferieren wäre. Stattdessen lassen sich für manche Phänomene Entwicklungsphasen herausarbeiten, die eine Zäsur zur Mitte der 5. Dynastie erkennen lassen. Dies gilt zum Beispiel für die strukturgeschichtliche Betrachtung des Verhältnisses zwischen König und Provinztempeln, 104 das Exekutivsystem105 und den Gebrauch der Schrift.106 Letztlich sind, wie bereits ausgeführt, die Epochengrenzen fließend und man sollte die Frage nach dem Umfang des Alten Reiches

99 Waddell (1940: 5659). Die anderen Epitomatoren geben fünf Könige an, die 75 Jahre regiert hätten (Synkellos nach der Version des Eusebius und Armenische Version des Eusebius). 100 Assmann (1996a: 97). 101 Die sehr fragmentarisch erhaltene Kolumne IV enthält in den Zeilen 1415 vermutlich eine Summierung der Könige der manethonischen 6. bis 8. Dynstie. Oberhalb der Summenangabe sind die Namen einiger weniger Könige der 8. Dynastie zu lesen. In den Zeilen 1517 derselben Kolumne werden die Könige ab Menes summiert. Auch hier, so scheint es, wird die 8. Dynastie mit eingeschlossen. 102 Siehe Goedicke (1967: 87147); Strudwick (2005: 105115). 103 Ausführlich dazu Seidlmayer (1990). 104 Bussmann (2010: 460). 105 Bárta (2013a: 155). 106 Baines (2007: 109116).

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2 Was ist das Alte Reich?

nicht zu einem Dogma erheben. Wünschenswert ist lediglich die Festlegung einer einheitlichen Terminologie. Ich halte es deshalb für sinnvoll, das Alte Reich per definitionem mit der 3. Dynastie beginnen und mit der 6. Dynastie enden zu lassen. Was den Beginn der Epoche betrifft, erscheinen mir tatsächlich die Argumente für die 3. Dynastie, wie oben gezeigt, die stärkeren zu sein. Im Hinblick auf das Ende des Alten Reiches sind selbst die ägyptischen Annalen widersprüchlich und ich sehe gleichermaßen starke Kriterien für beide Varianten. Ausschlaggebend soll an dieser Stelle sein, dass im Bezug auf die Ereignisgeschichte der Niedergang des Königtums nach der 6. Dynastie, der sich in den Denkmälern und der antiken Überlieferung widerspiegelt, von größerer Relevanz erscheint als die Kontinuität der materiellen Kultur.

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3 Quellenkritik 3.1 Der Umgang mit den Quellen Eine Quelle sprudelt und bildet einen Fluss oder zumindest ein Rinnsal. Übertragen auf eine historische Quelle impliziert dies, dass jene einen „Informationsfluss“ hervorbringt. Die meisten historischen Quellen – und das gilt in besonderem Maße für die der frühen Kulturen – sind jedoch in der Realität nicht mehr als Indizien, weshalb schon in den 1950er Jahren vorgeschlagen wurde, eher das Wort „Spuren“ zu gebrauchen.1 Diese Quellen, Spuren oder Indizien bilden als Zeugnisse der Geschichte das „historische Rohmaterial“, anhand dessen der Historiker Erkenntnisse zu gewinnen versucht, sie sind nicht gleichzusetzen mit der Geschichte selbst.2 Die Quellenlage zur Ereignisgeschichte des Alten Reiches ist sehr dünn. Vercoutter äußerte einmal, die historische Situation der 4. Dynastie sei in etwa so, als ob das einzige Zeugnis der Regierungszeit Ludwigs XIV. das Schloss von Versailles wäre. 3 Dieser Mangel an Quellen muss bei der Auswertung der wenigen vorhandenen Spuren unbedingt berücksichtigt werden:4 1. Aus einem Mangel an Quellen darf nicht auf einen Mangel an Ereignissen geschlossen werden. 2. Die wenigen vorhandenen Spuren dürfen nicht willkürlich miteinander korreliert werden. 3. Bei der Auswertung der Quellen muss genau geprüft werden, ob die gezogenen Schlussfolgerungen die einzig möglichen sind, oder ob unter Berücksichtigung nicht-belegter Ereignisse auch andere Interpretationen möglich sind. Es gilt heute als Binsenweisheit, dass bei der Betrachtung der Quellen das Geschichtsbild der Ägypter zu berücksichtigen ist, dessen zentrale Elemente der König und seine kultischen Handlungen sind und das geprägt ist von der Vorstellung der Linearität und Beständigkeit. Veränderung und Wandel sind es jedoch, welche die Grundlagen der antiken und abendländischen Geschichtsschreibung bilden. 5 Einige Ägyptologen haben für sich in 1 2 3 4

Cf. Ginzburg (1983) und P. Burke (2003: 14). E. Carr (1963: 1112); Koselleck (1979: 204205). Cf. Kapitel 1.2.2, Anm. 137. Vercoutter (1946: 59). Ausführlich zu diesem Thema Jansen-Winkeln (2009). Auch Wildung (1977: 1) warnte davor, dass bei unzureichender Quellenlage auch in der Wissenschaft anstelle historischer Fakten allzu schnell Legenden gebildet werden. Beispiele dafür sind die historische kaum fassbare Gestalt des Imhotep (cf. Kapitel 6.2); die Annahme der Existenz von „Königspfalzen“ (cf. Kapitel 7.2); der ominöse König „Bicheris“ (cf. Kapitel 4.2); die Annahme einer Redistributionswirtschaft (cf. Kapitel 9.3.1) und die vermeintlichen diplomatischen Beziehungen nach Ebla (cf. Kapitel 8.4.2). 5 Siehe dazu Momigliano (1955: 4546); Hornung (1966); S. Morenz (1971: 112–113); Assmann (1996a:

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3 Quellenkritik

Anspruch genommen, diesen Hintergrund ausblenden und die Quellen dadurch objektiv betrachten zu können.6 Historiker haben jedoch längst erkannt, dass dies unmöglich ist; wichtig ist stattdessen, sich der eigenen Situationsgebundenheit bewusst zu sein. 7 Über die Relevanz von Schriftquellen auf der einen Seite und archäologischen Quellen auf der anderen Seite gibt es innerhalb der Ägyptologie sehr kontroverse Ansichten. Assmann konstatiert, die schriftliche Geschichte sei lückenhaft und tendenziös, die materielle Kultur dagegen „echt (primum gradum certitudinis)“, deshalb könne die erstere durch letztere korrigiert werden. 8 Redford hält dem entgegen, dass die schriftlichen Quellen immer noch die wichtigsten für die Rekonstruktion der Geschichte des pharaonischen Ägypten seien und stellt fest: „A text is worth a thousand pots.“ 9 Keine dieser Positionen ist in ihrer Reinform haltbar. Zum einen lassen sich Schriftquellen und archäologische Quellen („Bodenurkunden“) in Ägypten nicht so eindeutig trennen wie etwa in der Prähistorischen Archäologie. Aufgrund der engen Verbindung zwischen Schrift und Bild und der intentionellen Anbringung ist etwa die Reliefdekoration in Gräbern und Tempeln eher als Schriftquelle denn als Zeugnis der materiellen Kultur zu behandeln. In der Prähistorischen Archäologie ist man inzwischen der Meinung, dass auch „Bodenurkunden“ keine unverfälschten, objektiven Quellen darstellen, da auch sie verschiedenen Transformations- und Selektionsmechanismen ausgesetzt waren. Die Verwertbarkeit archäologischer Quellen für die Rekonstruktion der Geschichte wird ohne ergänzende schriftliche Überlieferung eher pessimistisch gesehen. 10 Welch falsches Bild der historischen Verhältnisse entstehen kann, wenn man alleine den archäologischen Befund betrachtet, hat Hans-Jürgen Eggers anschaulich anhand einer Bemerkung des Thukydides über die Hinterlassenschaften Athens und Spartas gezeigt: 11 „Würde Sparta von seinen Bewohnern verlassen und Tempel und Ruinen blieben erhalten, so könnten ihre Nachkommen nach so langer Zeit wahrscheinlich auch zweifeln, ob seine damalige Geltung der heutigen entspräche. Trotzdem nimmt dieser Staat zwei Fünftel des Peloponnes ein und behält seine führende Stellung nicht nur auf der Halbinsel, sondern auch unter vielen auswärtigen Bundesgenossen. Sparta ist nicht zusammenhängend gebaut, hat keine Tempel oder wertvollen Anlagen; es gleicht eher einem Dorf nach alter hellenischer Art, und deswegen entspricht sein Äußeres nicht seiner Macht. Dagegen würde man Athen für doppelt so wichtig halten, wie es in Wirklichkeit ist, vom Äußeren her betrachtet.“12 Materielle und schriftliche Überlieferung sowie Formwandel und Geschichte gelten denjenigen, die sich intensiv mit Methoden und Theorien der Archäologie und/oder Historiographie auseinandersetzen, jeweils als parallel verlaufende Entwicklungen, die nur wenige

6 7 8 9 10 11 12

15), (1999a); Hawary (2011); Schneider (2013). Siehe z. B. Zibelius-Chen (1988: XXI). E. Carr (1963: 23); P. Burke (2000: 10), (2003: 15). Assmann (1996a: 18). Redford (2003: 4). Eggers (1959: 255267); Eggert (2001: 100104); K. Hofmann (2013: 272). Eggers (1959: 255), siehe auch Eggert (2006: 219223). Thukydides I, 10; Übersetzung Feix (1959: 11).

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3.1 Der Umgang mit den Quellen

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Berührungspunkte aufweisen.13 Schon Braudel hatte gezeigt, dass sich die Zeit in unterschiedlichen Rhythmen bewegt und die Strukturgeschichte deutlich langsamer verläuft als die Ereignisgeschichte.14 Folglich darf aus einem Formwandel der materiellen Kultur nicht zwingend auf eine vorhergehende oder gar gleichzeitige ereignisgeschichtliche Veränderung geschlossen werden. In jüngerer Zeit plädierte erneut Stuart Smith dafür, in den materiellen Hinterlassenschaften die wahren und unvoreingenommenen Quellen für die Geschichte Ägyptens zu sehen und erörterte dies an mehreren Beispielen. 15 Unter anderem versucht Smith anhand nubischer Keramik auf der Insel Askūt das Einheiraten nubischer Frauen in ägyptische Kolonistenfamilien nachzuweisen. Die Ergebnisse von Smiths Untersuchungen, die auch methodisch nicht unbedenklich sind,16 betreffen jedoch allesamt die Sozial- oder Religionsgeschichte und haben für die Ereignisgeschichte keine direkte Relevanz. Aus der materiellen Kultur allein lassen sich also kaum Erkenntnisse über die politische Geschichte gewinnen,17 doch wie sieht es mit der Glaubwürdigkeit der Schriftquellen aus? Dass diese intentionell und tendenziös sind, wird kein Historiker bestreiten. Aber dürfen wir tatsächlich „keinem Text und keiner Abbildung“ glauben, wie Wolfgang Helck meinte, weil diese nicht „wirklich“ seien, sondern der Utopie der Maat entsprächen?18 Lutz Popko hat sich entschieden dagegen ausgesprochen, historiographische Texte und Bilder19 als fiktiv anzusehen. Er weist darauf hin, dass dem Konzept der Maat in Texten der 18. Dynastie die Lüge (grg, jwms) und die Prahlerei (aba) gegenübergestellt werden. Ein fiktiver Text wäre demnach zumindest im Neuen Reich nicht Maat-gemäß.20 Diese Erkenntnis bedingungslos auf das Alte Reich zu übertragen, wäre methodisch sicher bedenklich, doch ist sie meines Erachtens ein ausreichendes Indiz dafür, die historiographischen Texte des Alten Reiches nicht per se als fiktiv einzustufen und im jeweiligen Einzelfall nach Argumenten für einen gewissen Realitätsgehalt zu suchen. Bei der Auswertung der Schriftquellen ist auch immer zu bedenken, dass viele Texte keineswegs so eindeutig zu lesen sind, wie manche Übersetzungen dies suggerieren. So kann z. B. eine abweichende Lesung eines Eintrages auf dem Annalenstein mitunter einer ganzen These zur „Außenpolitik“ des Alten Reiches die Grundlage entziehen. 21

13 14 15 16 17 18 19

Siehe Bernbeck (1997: 236); Eggert (2006: 192), (2011: 3233). Siehe dazu auch Kapitel 1.2.1 und P. Burke (2004: 52). Smith (2010). Cf. dazu Raue (2013: 153). Siehe auch Baud (2002: 199). Helck (1985: 6). Der Begriff „Historiographie“ im Zusammenhang mit altägyptischen Texten ist nicht unumstritten. Redford (1986a: xvxvi) hatte unter Zugrundelegung einer an der Tradition der klassischen Antike orientierten Definition des Begriffs festgestellt, dass es im Alten Ägypten keine Historiographie gäbe. Schneider (2013: 26) plädiert dafür, den Begriff weiter zu fassen und so sind hier unter „historiographischen Texten und Bildern“ all jene zu verstehen, die für die Auswertung durch den Historiker in Frage kommen. 20 Popko (2006: 1144), (2014). 21 Cf. Gundlachs These zur Zwangsumsiedlung von Nubiern in Kapitel 8.2.2 und die Übersetzung des Annalensteins im Anhang A.1.1.

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3 Quellenkritik

Eine Übersetzung beinhaltet automatisch eine Interpretation des Textes und angesichts der wenigen Quellen können unterschiedliche Interpretationen eines einzigen Begriffs sehr schnell zu unterschiedlichen historischen Schlussfolgerungen führen. Ich denke hier z. B. xbA „hacken“, das im entsprechenden Kontext mit „zerhacken (oder veran das Verb wüsten) von Nubien“ übersetzt wird. Zunächst einmal ist „hacken“ eine zivile und friedliche Tätigkeit. Zugegebenermaßen wirkt der Begriff, wenn er im Zusammenhang mit Soldaten gebraucht wird, erst einmal kriegerisch, aber können wir wirklich sicher sein, dass hier Bezug auf eine gewaltsame Zerstörung genommen wird? Könnte mit „hacken“ von Nubien nicht auch gemeint sein, dass dort Land bearbeitet, also urbar gemacht wird? Ähnlich verwbA „öffnen“, das ebenfalls im Zusammenhang mit den hält es sich mit dem Verb Expeditionen nach Nubien verwendet wird und das entweder als gewaltsames Eindringen 22 oder weitgehend friedliches Erschließen verstanden werden kann. Eine linguistische Auseinandersetzung mit den entsprechenden mehrdeutigen Begriffen ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, die Problematik muss jedoch bei der Auswertung der Texte berücksichtigt werden und mag als Anregung für zukünftige Forschungen dienen.

3.2 Annalen 3.2.1 Der Palermostein und die dazugehörigen Fragmente Der nach seinem größten Fragment meist als Palermostein bezeichnete Annalenstein ist nur unvollständig erhalten, die Eintragungen enden unter Niuserre.23 Die Jahresfelder enthalten jeweils Angaben zu einem oder mehreren Vorkommnissen bzw. Tätigkeiten des Königs im entsprechenden Jahr; meist haben diese Vorkommnisse einen kultischen Hintergrund. Für die Ereignisgeschichte scheinen lediglich fünf Eintragungen (aus den Regierungszeiten des Snofru, Userkaf und Sahure) interessant zu sein (siehe Anhang A.1.1). Um diese Angaben als historische Quelle verwenden zu können, sind sie der üblichen Quellenkritik zu unterziehen: Wann, von wem und mit welcher Intention wurden die Aufzeichnungen angefertigt? Das „Wann?“ stellt das erste Problem dar: Die Datierungsansätze des Palermosteins variieren von der 4. Dynastie für das recto bzw. der 5. Dynastie für das verso bis in die Ptolemäerzeit!24 Stimmt die frühe Datierung, wäre der Palermostein für die Zeit des Alten

22 Zibelius-Chen (1988: 148). 23 Die beiden großen Fragmente werden nach ihrem derzeitigen Aufbewahrungsort als Palermostein (Archäologisches Museum Palermo) bzw. Kairofragment 1 (Ägyptisches Museum Kairo, JE 44859) bezeichnet. Hinzu kommen die kleineren Kairofragmente 25 (Ägyptisches Museum Kairo, JE 39735, 39734, 44860, 18220) und das Londonfragment (Petrie Museum, London, UC 15508). Die Kairofragmente 2 und 4 gehören eventuell zu einer zweiten Annalentafel. Zur Beschaffenheit des Steins, der Anordnung der Fragmente und ihren Publikationen bzw. Rekonstruktionsversuchen siehe Beckerath (1997: 1317) und T. Wilkinson (2000: 1781), hier findet sich ein ausführliches Verzeichnis der bisher erschienenen Literatur. 24 Ausführlich zu den Datierungsansätzen der verschiedenen Bearbeiter mit Verweis auf die entsprechende Literatur siehe T. Wilkinson (2000: 2324).

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3.2 Annalen

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Reiches25 eine Primärquelle; gehen wir von einer sehr späten Datierung aus, müssten wir ihn bereits als Geschichtsschreibung und damit als Sekundärquelle betrachten. 26 In der neueren Forschung zeichnet sich eine Tendenz zur Datierung des Steins in das Alte Reich ab und der Fund der Annalen von Saqqāra-Süd (siehe Kapitel 3.2.2) verleiht diesem Ansatz zusätzliches Gewicht. Dennoch ist die ungeklärte Datierungsfrage als einschränkender Faktor bezüglich der Verlässlichkeit der Angaben zu beachten. Der oder die Verfasser des Palermosteins – Patrick O’Mara möchte sechs verschiedene Handschriften erkennen27  sind uns selbstredend nicht bekannt, es ist jedoch anzunehmen, dass sie aus dem priesterlichen Milieu stammen. Die Intention für das Verfassen von Annalen besteht im Alten Ägypten generell darin, einen Rahmen für die Zeitmessung zu konstituieren und eine Kontinuität von frühesten Zeiten an darzustellen, wobei ein eponymes Datierungssystem verwendet wird.28 Die Angaben auf dem Annalenstein müssen also einen klaren Bezug zu realen Ereignissen haben; Jahre nach fiktiven Ereignissen zu benennen, macht keinen Sinn und die Eintragungen würden in ihrer Kürze nicht als „Erinnerungshilfen“ funktionieren.29 Die Angaben der Nilfluthöhen ab der 3. Dynastie scheinen auf echten Messungen zu beruhen,30 die kontinuierliche Abnahme der Niltfluthöhe zum Ende des Alten Reiches hin entspricht den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen auf diesem Gebiet.31 Meist wird angenommen, der Palermostein sei eine Art steinerne „Sicherheitskopie“ von auf Papyrus verfassten und in den Tempelarchiven aufbewahrten Annalen.32 Die Form des Steins und seine beidseitige Beschriftung sprechen dafür, dass dieser z. B. als Schranke zwischen zwei Säulen oder als Seitenwand eines kleinen Schreines gedient hat. Rainer Stadelmann möchte dem Stein deshalb eher eine kultische (und damit weniger realitätsbezogene) als eine archivarische Funktion zuschreiben.33 Beides schließt sich jedoch meiner Meinung nach nicht aus. Selbst wenn der Stein im Tempelkontext zu verorten ist, kann es sich dennoch um eine präzise Abschrift der „echten“ Annalen handeln. Ferner muss hierzu auch bemerkt werden, dass Stadelmann König Snofru gerne 48 Regierungsjahre zuschreiben möchte, die sich aber auch bei großzügigen Rekonstruktionsversuchen nicht auf dem Palermostein unterbringen lassen. Er möchte diesen deshalb gerne in eine Reihe mit den

25 Die Angaben zur 1. und 2. Dynastie sind wohl als nicht historisch anzusehen: Abgesehen von den seltsam anmutenden Königsnamen in Zeile 2 und 3 des Palermosteins konnte O’Mara (1996: 201203) darlegen, dass auch die entsprechenden Nilhöhenangaben verdächtige Cluster und Wiederholungen aufzeigen, die darauf hindeuten, dass die Angaben frei erfunden wurden. Ab der 3. Dynastie tauchen diese Muster nicht mehr auf, was für die Echtheit der Angaben spricht. 26 Cf. O’Mara (1996: 198). 27 O’Mara (1996: 207208). 28 Siehe dazu Assmann (1996a: 5254; 97); Popko (2014: 10). 29 Kammerzell (2009) kann bereits die Annalentäfelchen der vor- und frühdynastischen Zeit als solche „Erinnerungshilfen“ (graphic memory aids) identifizieren. Zur Rolle der Annalen als kodifizierte Erinnerungen siehe Assmann (1996a: 52); Baines (2008: 23; 35). 30 Siehe Anm. 25. 31 Burroughs (2001: 127); Seidlmayer (2001b); Burroughs (2005: 178224). 32 Siehe Beckerath (1997: 13). 33 Stadelmann (1987: 237238).

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3 Quellenkritik

nachgewiesenermaßen unvollständigen Königslisten in den Tempeln des Neuen Reiches stellen, um seine Argumentation nicht zu gefährden. Es spricht also einiges dafür, dass die Eintragungen auf dem Annalenstein ernst zu nehmen sind.34 Es ist jedoch klar, dass nur sehr wenige und ausschließlich positive Ereignisse notiert wurden. Nach welchen Kriterien wurden diese Ereignisse ausgewählt? Assmann weist darauf hin, dass wir unter einem Ereignis ein „Vorkommnis, das aus dem Rahmen fällt“, verstehen. Auf dem Palermostein werden aber „Ereignisse, die den Rahmen konstituieren“ verzeichnet.35 Im Hinblick auf das eponyme Datierungssystem wäre jedoch davon auszugehen, dass Ereignisse mit einem besonderen Seltenheitswert eingetragen werden, an die man sich gerade deshalb gut erinnern kann. Die Frage ist aus heutiger Sicht nicht zu beantworten, wichtig ist es aber, bei der Auswertung der Texte beides im Auge zu behalten: Der erwähnte Feldzug des Snofru könnte also stellvertretend für einen von vielen Feldzügen stehen, die in seiner Zeit durchgeführt werden, es könnte sich aber auch um ein singuläres Ereignis handeln, das gerade deswegen in den Annalen verzeichnet wurde. 3.2.2 Weitere Annalen Der als „Stein von Saqqāra-Süd“ bekannt gewordene Deckel des Sarkophages der Königin anx-n=s-Ppj36 enthält eine stark abgeriebene Annalen-Inschrift. Die Eintragungen, die mit der 6. Dynastie beginnen und damit den Palermostein fortsetzen, sind nur noch zu einem kleinen Teil lesbar. Aus den stark fragmentierten Satzfetzen, deren Lesung insgesamt sehr unsicher ist, lassen sich keine für die Ereignisgeschichte relevanten Aussagen gewinnen.37 Für die Historizität der Eintragungen gelten die gleichen Überlegungen wie für den Palermostein. In der Nähe der kleinen Stufenpyramide auf Elephantine wurden drei wohl an das Ende der 3. Dynastie zu datierende Vasen mit annalistischen Inschriften gefunden.38 Von diesen könnte die Inschrift auf der zweiten Vase von historischem Interesse sein: Einer Dienstanweisung werden eine Reihe von Ereignissen vorangestellt, die offenbar einen Jahresnamen darstellen: Erscheinen des Königs von Oberägypten, Erscheinen des Königs von Unterägypten, drittes Mal des Bekämpfens der Räuber, ˹Schädigung˺ der Großen des Hts-Stabes +fA.t=j-Nb.tj.39 Der Aussage „drittes Mal des Bekämpfens der Räuber“ ist damit ein hoher Realitätsbezug beizumessen, da fiktive Ereignisse, wie oben ausgeführt, als Eponyme nicht sinnvoll sind.

34 Dagegen T. Wilkinson (1999: 62 und 2010: 6266): Seiner Meinung nach transportieren die Annalen ein Idealbild des Königtums und sind nicht als historische Aufzeichnungen anzusehen. 35 Assmann (1996a: 54). 36 Ägyptisches Museum Kairo, JE 65908. Die Königin ist auch bekannt als anx-n=s-Mrj-Ra, siehe Gourdon (2006). 37 Transkription und Übersetzung der lesbaren Textteile siehe Baud/Dobrev (1995), (1997). 38 Dreyer (1987). 39 Bierkrug aus Ton El.K 3266, Transkription und Übersetzung siehe Kahl et al. (1995: 170171).

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3.2 Annalen

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3.2.3 Der Turiner Königspapyrus Der Turiner Königspapyrus (pTurin 1874)40 enthält im Gegensatz zu den Annalensteinen lediglich wenige Textfragmente, die man als über eine bloße Aufzählung der Könige und ihrer Regierungsjahre hinausgehende historiographische Information einschätzen könnte. Überschriften und Summierungen, deren erstes Wort jeweils in roter Tinte wiedergegeben ist, geben Hinweise darauf, dass auch die Ägypter selbst ein Bewusstsein für bestimmte Epochen hatten (siehe Kapitel 2.2.1). In zwei Fällen sind die Residenz bzw. die Abstammung einer Gruppe von Königen angegeben. 41 Zu König Huni gibt es in Kolumne III, 8 die Anmerkung „Er [ist] der Erbauer von …“ (pA od sSm …), die jedoch in ihrem unvollständigen Zustand wenig aussagekräftig ist. Der Königstitel des Djoser ist durch ein rubrum hervorgehoben – was wohl dahingehend zu deuten ist, dass die Ägypter diesem König zur Entstehungszeit des Papyrus eine besonderer Bedeutung zugemessen haben. Abgesehen von den sehr spärlichen historiographischen Informationen liegt der Wert des pTurin 1874 darin, dass es sich bei den Primärquellen offenbar um auf Vollständigkeit bedachte Verwaltungsdokumente gehandelt haben muss und nicht um eine selektive Königsliste für kultische Zwecke wie die Saqqāra-, Abydos- und Karnak-Liste.42 Gleichzeitig schränken mehrere Faktoren den Wert des Papyrus als Quelle – insbesondere für das Alte Reich – ein: Die Abschrift datiert frühestens in die 19. Dynastie,43 ist also in einem großen zeitlichen Abstand zum Alten Reich entstanden. Offenbar handelt es sich um eine Kompilation aus mindestens fünf verschiedenen, bereits lückenhaften Primärquellen, die relativ schlampig angefertigt wurde.44 Die genaue Herkunft des Papyrus ist nicht bekannt, auch die Intention des Verfassers für die Zusammenstellung einer Königsliste auf der Rückseite einer offenbar nicht mehr benötigten Steuerliste kann momentan nicht überzeugend nachvollzogen werden. 45 Hinzu kommt der äußerst fragmentarische Erhaltungszustand des Dokuments und seine in Teilen immer noch unsichere Rekonstruktion. In erster Linie ist der Turiner Königspapyrus von Bedeutung für die Rekonstruktion der Abfolge der Könige des Alten Reiches; er enthält aber keine aussagekräftigen historiographischen Informationen.46

40 Museo Egizio Turin, Inv. Nr. 1874. Der Papyrus ist in ca. 300 Fragmente zerfallen, von denen nicht alle sicher platziert werden können. Für Details zum Papyrus, seiner Herkunft, dem Stand der Bearbeitung und älterer Literatur siehe Ryholt (2004). Ediert von Farina (1938) und Gardiner (1959). 41 Überschrift Kolumne V, 19: „[Könige der] Residenz JT-tA.wj“; Überschrift Kolumne VI, 4: „Könige [die waren] nach [dem Haus des] Königs [%Ht]p-jb-Ra“. Die Angaben beziehen sich offensichtlich auf die manethonische 12. und 13. Dynastie, sind also ohne Relevanz für das Alte Reich. Cf. Ryholt (2004: 139143). 42 Málek (1982: 93); Ryholt (2004: 138). 43 Auf dem recto befindet sich eine Steuerliste aus der Zeit Ramses‘ II. 44 Ryholt (2004: 147148). 45 Der Papyrus wurde vermutlich um 1820 von Bernardino Drovetti in Theben angekauft, möglicherweise stammt er aus einem Grab. Siehe dazu Ryholt (2004: 135136). 46 Die gegenteilige Ansicht vertritt Baud (2006: 144): Seiner Meinung nach ist der pTurin 1874 nur als historiographisches Dokument, nicht aber als chronologisches zu gebrauchen.

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3 Quellenkritik

3.3 Andere Texte 3.3.1 Ächtungstexte Als Ächtungstexte werden Formeln bezeichnet, die dazu dienen, im Rahmen eines Abwehrrituals negativen Einflüssen entgegenzuwirken. Bevorzugt werden diese auf Tonfigürchen angebracht, welche gefesselte Gefangene darstellen und namentlich als Totengeister oder Ausländer gekennzeichnet sind. Diese beiden Gruppen stellen damit die negativen Kräfte dar, gegen die sich der Ächtungszauber richtet.47 Die Ächtungstexte wurden verschiedentlich herangezogen, um das Verhältnis zwischen Ägyptern und Nubiern während des Alten Reiches zu beleuchten.48 Eine positive oder negative Auslegung des ägyptischnubischen Verhältnisses kann wiederum die Deutung anderer Quellen zu ägyptischen Aktivitäten in Nubien und damit der ägyptischen „Außenpolitik“ beeinflussen. So liest etwa Moreno-García aus den Ächtungstexten heraus, dass die Ägypter gegen Ende des Alten Reiches Nubien als Hauptbedrohung wahrnahmen, und nimmt dies als Prämisse für die Auswertung weiterer Quellen.49 Auf den Friedhöfen westlich und östlich der Cheops-Pyramide in al-Ǧīza wurden mehr als 400 mit Ächtungstexten beschriftete Tonfiguren gefunden, die in die 6. Dynastie datieren.50 Einige davon enthalten lange Listen nubischer Namen, die zuweilen mit jenen Titeln versehen sind, wie sie üblicherweise im Kontext nubischer Truppen in Ägypten vorkommen. Stephan Seidlmayer schlägt deshalb vor, dass die Mitgliederlisten der im Gebiet um Memphis stationierten Truppenkontingente die Quelle für die Namenslisten auf den Ächtungsfigürchen darstellen.51 Ist es nun legitim, aus der negativen Darstellung von Nubiern in den Ächtungstexten auf eine konkrete politische Bedrohung aus Nubien zu schließen? Einerseits könnte man argumentieren, dass die Nutzer der Ächtungstexte allesamt der oberen Beamtenschicht zuzuordnen sind, die über die politischen Verhältnisse in Ägypten und die Situation in den angrenzenden Ländern gut informiert waren. Gut möglich, dass sich das Wissen um eine nubische Bedrohung auch im privaten Bereich – und diesem sind die Ächtungstexte wohl zuzuordnen – niederschlägt. Andererseits wäre es auch möglich, aus der Nennung konkreter nubischer Namen zu schlußfolgern, dass eben nicht eine nubische Bedrohung allgemein, sondern ganz konkret der fremde nubische Nachbar gemeint ist, der anders aussieht, eine fremde Sprache spricht und sich vielleicht nicht im gewünschten Maß an ägyptischen Sitten und Gebräuchen orientiert. Nach dieser Lesart wären die Ächtungstexte eher der Spiegel eines gewissen „Alltagsrassismus“ als der politischen Situation in Nubien und damit keine geeignete Quelle, um politisch-historische Schlüsse daraus zu ziehen. Nehmen wir an, die Texte spiegelten tatsächlich eine gefühlte politische Bedrohung durch Nubien wieder, so sind sie dennoch kein Beweis dafür, dass diese gefühlte Bedro-

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Cf. Seidlmayer (2001a). Seidlmayer (2002: 9798); Näser (2013b: 136). Moreno García (2010: 10). Abu Bakr/Osing (1973); Osing (1976). Für eine Liste aller aus dem Alten Reich bekannten Ächtungstexte siehe Posener (1987: 26) und Wimmer (1993: 90). 51 Seidlmayer (2002: 96).

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hung während der 6. Dynastie zunimmt. Sie zeigen lediglich, dass es diese während der 6. Dynastie gab. Da es für die Zeit vorher keine entsprechenden Texte gibt, kann der Zustand des Sich-Bedroht-Fühlens auch schon sehr lange Zeit vorhanden gewesen sein. 3.3.2 Administrative Dokumente Zu den administrativen Dokumenten zählen die Abū Ṣīr-Papyri mit den Fragmenten aus dem Pyramidenkomplex des Neferirkare52 und des Neferefre,53 die Ǧabalain-Papyri,54 die kürzlich entdeckten Wādī al-Ǧarf-Papyri55 und die Tontafeln aus Balāṭ.56 Darunter befinden sich u. a. administrative Briefe, Logbücher von Arbeitsbrigaden, Aufzeichnungen über Lieferungen von Lebensmitteln und Stoffen sowie Personallisten. Ergänzt durch die Siegelabdrücke aus Balāṭ57 und Elephantine,58 lassen sich diesen Dokumenten Anhaltspunkte entnehmen für die Organisation von Arbeit im Bereich der Verwaltung und der königlichen Pyramidenkomplexe sowie für das wirtschaftliche Verhältnis von Einrichtungen des königlichen Totenkultes zu anderen Institutionen. 59 Sicher handelt es sich um Primärquellen, die nicht teleologisch sind. Die Tatsache, dass sich die Papyri aus Abū Ṣīr, Ǧabalain und dem Wādī al-Ǧarf sowohl inhaltlich als auch strukturell stark ähneln, kann als Indiz für eine strukturierte und einheitliche Verwaltung schon zu Beginn der 4. Dynastie gewertet werden.60 Dies wiederum deutet auf jene Standardisierung hin, die als Voraussetzung für die Entstehung von Eigenstaatlichkeit gilt.61 Für die Ereignisgeschichte sind diese Dokumente trotzdem wenig relevant, enthalten sie doch keine Hinweise auf Veränderungen oder bewusste politische Entscheidungen. 3.3.3 Autobiographien Einzelne Textabschnitte aus sogenannten Autobiographien 62 werden des öfteren herangezogen, um konkrete Ereignisse zu belegen oder historische Zusammenhänge herzustellen. Die jeweiligen Autoren verweisen dabei gerne darauf, dass es sich zwar um fiktive Texte

52 British Museum London, Ägyptisches Museum Kairo, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung Berlin. Posener-Kriéger/de Cenival (1968); Poséner-Kriéger (1976). 53 Ägyptisches Museum Kairo. Posener-Kriéger/Verner/Vymazalová (2006). 54 Insgesamt 11 Papyri + diverse Fragmente; Ägyptisches Museum Kairo JE 66844; Museo Egizio Turin Suppl. 17507/1-2-3-4-5. Posener-Kriéger (1975); Posener-Kriéger (2004). Trotz der Publikation Posener-Kriégers von 2004 hält sich teilweise aus mir unverständlichen Gründen das Gerücht, die Papyri seien bisher nicht übersetzt und könnten deshalb nicht zur Forschung für das Alte Reich verwendet werden. Cf. Mieroop (2011: 54) und Näser (2013b: 137). 55 Ca. 400 Fragmente, darunter ein Dutzend recht gut erhaltene Papyri; Museum Suez. Tallet (2014); Tallet/Marouard (2014). 56 Pantalacci (1998), (2002). 57 Pantalacci (1996), (2001). 58 Pätznick (2005). 59 Römer (2007: 75); Pantalacci (2010) 60 Cf. Tallet/Marouard (2014: 8). 61 Cf. Bussmann (2014: 79). 62 Zur Terminologie, die nicht einheitlich ist, siehe Gnirs (1996); Kloth (2002: 223227); Hafemann (2005).

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handle, im speziellen Fall aber der Inhalt doch ernst zu nehmen sei. 63 In ägyptologischen Untersuchungen zur Textgattung der Autobiographie werden die Begriffe Literarizität und Historizität jeweils beide auf den Untersuchungsgegenstand angewandt, ohne dass ihr Verhältnis genauer diskutiert wird. Die Textgattung bildet sich etwa Mitte der 4. Dynastie heraus. Von den 96 Textzeugen des Alten Reiches stammt die Mehrzahl aus der 6. Dynastie.64 Textträger ist ausschließlich das monumentale Privatgrab.65 Nicole Kloth unterscheidet zwei autobiographische „BasisTypen“: die Idealbiographie und die Ereignisbiographie. 66 In der Idealbiographie schildert der Grabinhaber sein Maat-gemäßes Leben auf Erden, wobei er sich standardisierter Formeln bedient. 67 Ziel der Idealbiographie ist, wie Assmann es ausdrückt, die Thematisierung des „Selbst im Sinne der Integration und nicht der Distinktion, der Norm-Konformität und nicht der persönlichen Auszeichnung, der Generalisierung und nicht der Individuation.“68 Im Gegensatz dazu stellt die Ereignisbiographie die einzigartigen Leistungen des Grabinhabers im Sinne des Königs heraus. Kloth fasst unter diesem Oberbegriff alle Texte zusammen, welche a. die Aufzählung von Ämtern, Ehrungen und Privilegien („Laufbahnbiographie“) b. königliche Gunstbeweise c. exzeptionelle und singuläre Ereignisse d. Auftragsdurchführungen (Expeditionen, Kriegszüge) zum Gegenstand haben.69 Beide Formen der Autobiographie weisen zweifellos einen hohen Grad an Literarizität auf.70 Inwieweit eignen sie sich dennoch als Quelle für die Ereignisgeschichte? Die stereotypen Phrasen der Idealbiographien zeigen deutlich, dass dort keine konkreten Handlungen, sondern allgemeine Ideale geschildert werden. Diese Texte sind demnach für die Religionsoder Mentalitätengeschichte von Bedeutung, helfen uns aber bei der Rekonstruktion der Ereignisgeschichte nicht weiter. Bestimmte Textpassagen aus den Ereignisbiographien – vor allem exzeptionelle und singuläre Ereignisse sowie Auftragsdurchführungen betreffend – scheinen dagegen für die Ereignisgeschichte höchst interessant zu sein. Was spricht dafür, dass es sich bei diesen Texten trotz ihrer außerordentlich literarischen Gestaltung nicht um Fiktion handelt? In ihren inhaltlichen Details unterscheiden sich die wenigen längeren Berichte sehr deutlich voneinander. Nichts deutet darauf hin, dass die Autoren auf eine stereotype Formelsammlung fiktiver Taten zurückgegriffen hätten. Meines Erachtens ist es auch

63 Z. B. Gardiner (1965: 105). 64 Cf. Kloth (2002: 221222). Zuweilen werden auch ältere Texte, allen voran die MTn-Inschrift, als Biographie bezeichnet, cf. Baud (2001). Zu den Ursrpüngen der autobiographischen Inschriften siehe Baud (2005). 65 Zur Rolle der Autobiographie innerhalb des monumentalen Diskurses siehe Assmann (1987). 66 Kloth (2002: 223229). Ibid. und bei Gnirs (1996) auch eine Darstellung der Problematik und Unschärfe der Begriffe, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll, da sie für die Frage nach der Historizität nicht relevant sind. 67 Zur Phraseologie siehe Edel (1944) und Kloth (2002). 68 Assmann (1987: 218). 69 Kloth (2002: 229; 239248). 70 Cf. Gnirs (1996: 192194).

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nur schwer vorstellbar, dass einige wenige Grabinhaber solch detailreiche Berichte, wie wir sie z. B. bei Wnj oder Ḥrw-xw=f vorfinden, frei erfunden haben sollen. Wäre dies Usus gewesen, dürfte man wohl erwarten, dass eine deutlich größere Anzahl der erhaltenen Gräber derartige Berichte enthält. Teil der Ereignisbiographie ist in einigen Fällen ein Königsbrief, dessen Phraseologie sich stets von der des ereignisbiographischen Teils unterscheidet. Dies erlaubt die Annahme, dass es sich nicht um fiktive, sondern reale, im Grab des Empfängers aufgezeichnete Briefe handelt, deren Inhalt folglich Bezug auf tatsächliche Ereignisse nimmt.71 Dass ein solch realer Brief in einen rein fiktiven Erzählkontext eingebettet wird, erscheint unwahrscheinlich. Ich möchte deshalb mit aller gebotenen Vorsicht davon ausgehen, dass inhaltlich singuläre Textpassagen der Ereignisbiographien auf reale historische Ereignisse zurückgeführt werden können.72 Das heißt allerdings nicht, dass wir es mit einer lückenlosen und objektiven Berichterstattung zu tun haben. Aus Historikersicht gehören die Autobiographien zur Gattung der „Ego-Dokumente“, die als selektiv und in ihrer Struktur hochgradig teleologisch einzuschätzen sind. Wie Assmann ausführt, geht es in den Autobiographien „immer um die »Monumentalisierung« des Selbst, d. h. um die Fixierung einer verewigungswürdigen, den Normen der Ewigkeit entsprechenden Identität und Lebensgeschichte. Diese Normen sind sehr rigide. Sie wirken als ein hochselektiver Aufzeichnungsrahmen, dem das meiste von dem zum Opfer fällt, was sich mit unserem Begriff von Individualität verbindet.“73 Dem Historiker muss bei der Auswertung der Texte deren Selektivität auf das Positive hin unbedingt bewusst sein. Misserfolge oder für die Monumentalisierung des Selbst nicht relevante Aspekte einer Unternehmung bleiben im Dunkeln und müssen dennoch als Teil des „Unbekannten in der Ägyptischen Geschichte“74 berücksichtigt werden. Ferner ist zu beachten, dass eine unbekannte Zahl weiterer Autobiographien der 6. Dynastie einfach nicht erhalten ist. Dazu kommt, dass es sicher auch vor der 6. Dynastie Aktivitäten wie etwa die des Wnj gegeben hat, Berichte darüber aber nicht dem decorum dieser Zeit entsprachen und deshalb nie verfasst wurden. 75 3.3.4 Literatur Unter Literatur sind an dieser Stelle jene Texte zu verstehen, die – wie Assmann es ausdrückt – „auf Papyrus in einer gepflegten Kursivschrift“ präsentiert und im Gegensatz zu den „Gebrauchstexten“ als „schöne Literatur“ bezeichnet werden.76 Während die Einbeziehung der Literaturwissenschaft in die historische Forschung im Bereich der neueren Ge-

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Siehe Eichler (1991). Davon geht auch Eyre (1994: 107) im Bezug auf die Ereignisbiographie des Wnj aus. Assmann (1987: 228229). Cf. Jansen-Winkeln (2009). So Schneider (2015: 437), für das Konzept des decorum siehe Baines (2007: 308309). Kaplony (1977); Assmann (1999b: 7); Burkard/Thissen (2003: 3132).

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schichte lange Zeit nicht selbstverständlich war,77 ist es für den Ägyptologen angesichts der Spärlichkeit der Quellen schon lange üblich, auch für die Rekonstruktion der Geschichte literarische Texte heranzuziehen. Nachdem Georges Posener erstmals dafür plädiert hatte, literarische Texte in einen historisch-politischen Kontext einzuordnen,78 setzte eine Tendenz ein, diese Texte unabhängig von ungelösten Datierungsproblemen und Fragen nach der Intention als direkte historische Quelle anzusehen. Diese Vorgehensweise ist zu Recht immer wieder kritisiert worden, wird aber dennoch bis in jüngste Zeit angewandt. 79 Insbesondere einige Werke der Auseinandersetzungsliteratur (vor allem die Mahnworte des Ipuwer, die Prophezeiungen des Neferti und die Lehre für Merikare) werden regelmäßig herangezogen, um die vermeintlich chaotischen Zustände nach dem Ende des Alten Reiches zu illustrieren oder archäologische Befunde so zu interpretieren, dass diese zu der in den Texten dargestellten Situation passen.80 In der Ägyptologie ist jene Literatur, die ein Bild des sozialen und politischen Chaos zeichnet, höchst umstritten. Teils wurden die Texte als Tatsachenbericht der gesellschaftlichen Zustände der Ersten Zwischenzeit verstanden, 81 teils hielt man sie für rein literarisch bzw. fiktional.82 Ein grundlegendes Problem liegt in der ungesicherten Datierung der Texte. Der unmittelbaren Verwendung der Texte als historische Quelle liegt die Annahme zugrunde, dass diese auch in der Ersten Zwischenzeit entstanden sein müssen. Merikare enthält eine Selbstdatierung in die 9./10. Dynastie,83 die Mahnworte und Neferti wurden anhand der im Text geschilderten Zustände in diese Zeit datiert.84 Nicht zuletzt aufgrund der fehlenden Übereinstimmung mit den nichtliterarischen Quellen der Ersten Zwischenzeit geht die Tendenz in der neueren Forschung eindeutig dahin, die Entstehung dieser Werke erst in der 12. Dynastie anzusetzen.85 Die Intention der Prophezeiungen des Neferti wird mittlerweile einheitlich in der Rechtfertigung der Thronansprüche für Amenemhet I. gesehen.86 Wenn auch anzunehmen ist, dass den Schilderungen ein historischer Kern innewohnt, sind diese doch vor dem Hintergrund der bewussten Absetzung von der Vergangenheit seitens der Könige des Mittleren Reiches zu betrachten, d. h. dass der Inhalt

77 Ginzburg (2001: 81). 78 Posener (1956). Cf. auch Eyre (1996) und Warburton (2009). 79 Zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema siehe Junge (1977); E. Blumenthal (1996) und vor allem Moers (2001: 3) mit weiteren Literaturhinweisen. 80 U. a. Mumford (2006); Bárta (2014). 81 Spiegel (1950) deutete die Mahnworte des Ipuwer als die Schilderung einer Revolution unter Führung des weisen und gerechten Ipuwer, die letztlich den Untergang des Alten Reiches herbeigeführt habe. Auch Posener (1956) und Barta (1975/1976) nahmen den Text wörtlich. 82 U. a. Junge (1977). 83 Cf. E. Blumenthal (1980: 41) und Franke (1993: 351). 84 Zu dem daraus resultierenden Zirkelschluss siehe Moers (2001: 3) und Burkard/Thissen (2003: 126127). 85 Zusammenfassung der Datierungsdiskussion und weitere Literaturhinweise siehe Burkard/Thissen (2003: 100101; 127131; 138). Siehe insbesondere auch Junge (1977); Quack (1992: 137), (1997: 353354); L. Morenz (1998: 111). 86 Burkard/Thissen (2003: 137141).

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mehr über die politischen Tendenzen der Entstehungszeit des Textes als über die historischen Ereignisse zur Zeit der Rahmenhandlung der Erzählungen aussagt. 87 Das Gleiche gilt für den Papyrus Westcar, dessen Entstehungszeit sogar mehrheitlich in der 17. Dynastie angesetzt wird.88 Der Text wird immer wieder für ein unmittelbares historisches Dokument in literarischem Gewand gehalten89 und meist reflexhaft als Quelle angeführt, wenn es entweder um den Beginn der 5. Dynastie90 oder aber um die negative Charakterisierung des Königs Cheops geht.91 Literaturwissenschaftliche Auswertungen des pWestcar kommen jedoch durchgängig zu dem Schluss, dass es sich um ein Literaturwerk handelt, aus dem keine historischen Erkenntnisse zu gewinnen sind.92 3.3.5 Pyramidentexte Die Pyramidentexte sind dezidiert religiöse Texte, aus denen sich – so die communis opinio – keine historischen Schlüsse ziehen lassen.93 Trotzdem werden die Sprüche 322 (Pyr. 518 ad)94 und 650 (Pyr. 18331837)95 regelmäßig als Quelle zu den Beziehungen Ägyptens zur Levante erwähnt. Gregory Mumford zieht beide Sprüche als textliche Belege für ägyptische Militärkampagnen im syrisch-palästinensischen Raum während der 5. und 6. Dynastie heran, wobei er sich wohl ausschließlich auf die Verwendung des Wortes „Festung“ in Verbindung mit „Asien“ bzw. „Libanon“ stützt.96 Dass es militärische Auseinandersetzungen im levantini 87 E. Blumenthal (1996: 133); Quack (1997: 353354); Assmann (1999b: 14). 88 Burkard/Thissen (2003: 177187). Jenni (1998) sieht pWestcar als eine politische Schrift der 12. Dynastie an. 89 Dazu mit zahlreichen Literaturbeispielen Hays (2002: 20). 90 U. a. Otto (1953: 7172); Helck (1968: 6162) Altenmüller (1970); Málek (1997: 16), (2000: 108); Kanawati (2003: 2). 91 U. a. Lloyd (1975: 108109); Trigger et al. (1983: 77). 92 S. Morenz (1971); Jenni (1998: 128); Burkard/Thissen (2003: 177187). 93 Aus diesem Grund sind die Pyramidentexte auch nicht von Roccati (1982) unter die historischen Texte des Alten Reiches aufgenommen worden. Siehe dazu auch Beckerath (1985: 442). 94 „Geöffnet ist der Himmel, geöffnet ist die Erde. Geöffnet sind die Thürflügel des sAt dem Horus, geöffnet sind die Thürflügel der SAb.t-Gebüsche dem Seth. Du sollst Dich umwenden für mich als dem, der in seiner Festung gebietet, ich bin vorbeigegangen an euch als Atum. Ich bin der $ajj-tA.w, der (als Gast?) wohnt inmitten des NgA-Gebirges (Libanon).“ Übersetzung Sethe (ohne Jahr, II. Band: 388). „The sky is opened, the earth is opened, the doors of %At(y) are opened for Horus, the lotus-doors are thrown open for Seth. Turn yourself about for me, O you who are in your fortress; I have passed by you as Atum, I am #ay-tAw who dwells in Lebanon.” Übersetzung Faulkner (1969: 102). 95 „[…] This King is Osiris, whom [Nut] bore, and [she has caused] him [to appear] as King of Upper and Lower Egypt in all his dignities […as(?)] Anubis Foremost of the Westerners, as Osiris the son of Geb […] the gods as anDty who presides over the eastern nomes. [He who begot] the land is the King, so that he might be at the head of the gods [who are in] the sky as Geb who presides over the Ennead. His mother the sky bears him alive every day like Rea, and he appears with him in the East, he goes to rest with him in the West, and his mother Nut is not free from him any day. His son provides this King with life, he makes him glad, he gives him pleasure, he sets Upper Egypt in order for him, he sets Lower Egypt in order for him, he hacks up the fortresses of Asia for him, he quells for him all the hostile plebs under his fingers.” Übersetzung Faulkner (1969: 268). 96 Mumford (2006: 57).

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schen Raum gegeben hat, ist auch anderweitig (spärlich) belegt (siehe Kapitel 8.4.2), die genannten Sprüche können meines Erachtens jedoch nicht einmal dazu dienen, die vorhandenen Belege zu bestätigen. Es ist davon auszugehen, dass die Entstehung der Pyramidentexte deutlich eher als deren Verschriftlichung anzusetzen ist, so dass sich dort mit Sicherheit auch mündlich überlieferte Erfahrungen aus wesentlich früheren Zeiten widerspiegeln.97 Die sehr allgemeinen Aussagen in den Sprüchen 322 und 650 mit realen Ereignissen zur Zeit der ersten Verschriftlichung der Texte zu korrelieren, erscheint mir nicht zulässig, selbst wenn wir annehmen, dass auch religiöse Texte, die wie die Pyramidentexte ausschließlich in der transzendenten Sphäre des Jenseitigen angesiedelt sind, indirekt Sachinformationen transportieren können. Den in Pyr 518 d genannten Gott #ay-tAw hielt Helck für einen genuin byblitischen und seine Erwähnung in den Pyramidentexten für ein Zeichen, „dass man in dieser Zeit die Gottheiten dieser Stadt bereits gut kannte und keine Hemmungen empfand, sie auch in einem königlichen Himmelsfahrtsspruch als Identifikation anzuführen, ….“ 98 Seitdem wird die Textstelle immer wieder als Indiz für die besonders engen Beziehungen zwischen Ägypten und Byblos genannt. Der Name #ay-tAw ist überhaupt nur zweimal belegt: im oben genannten Spruch der Pyramidentexte und auf einem steinernen Zylindersiegel aus Byblos,99 wobei die Bedeutung des Namens100 sowie Datierung, Produktionsort und Zweck des Siegels höchst umstritten sind.101 Helcks Argumentation weist folglich erhebliche Lücken auf und auch in diesem Fall ist festzuhalten, dass die Textstelle nicht als historische Quelle verwendet werden kann. Auf einen interessanten Aspekt der Pyramidentexte hat Erika Endesfelder hingewiesen: Das Jenseits präsentiert sich dort als „wohlorganisierter Beamtenstaat nach ägyptischem Muster“. Für die Legitimation des Königs scheinen ausschließlich die Zugehörigkeit zur göttlichen Familie und geistig-übersinnliche Fähigkeiten wichtig zu sein, nicht aber die Befähigung zu kriegerischen Aktivitäten. 102 Dieser Aspekt erscheint mir bemerkenswert für die Frage, welcher historische Gehalt den Darstellungen von kriegerischen Aktivitäten des Königs zuzuschreiben ist. Geht man davon aus, dass der Nachweis kriegerischer Fähigkeiten bei der Legitimation keine Rolle spielte, bestünde eigentlich keine Notwendigkeit, diesbezüglich eine künstliche Wahrheit zu kreieren und die Ansicht, dass den entsprechenden Darstellungen ein historischer Kern innewohnt, gewinnt an Gewicht.

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Burkard/Thissen (2003: 5253). Helck (1971: 23). Montet (1928: 42). Siehe dazu Stadelmann (1967: 89). Cf. Goedicke (1963), (1966); Helck (1971: 2223); Wright (1988: 151152). Endesfelder (1991: 54).

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3.4 Beamtentitel

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3.4 Beamtentitel Die zahlreichen Beamtentitel des Alten Reiches103 lassen unter anderem Rückschlüsse auf die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen der Königsfamilie und den hohen Beamten zu.104 Hieraus wiederum ließen sich möglicherweise Erkenntnisse über die Art der Machtausübung durch den König gewinnen. Problematisch dabei ist, dass unser Bild königlicher Verwandtschaftsbeziehungen anhand zufällig erhaltener Monumente gewonnen wurde, die mit einer hochgradig teleologischen Intention errichtet wurden. Dieses Bild muss, wie Gay Robins bemerkt, weder mit der politischen Realität noch mit der tatsächlichen Funktionsweise der Verwaltung übereinstimmen, die sicher deutlich komplexer war als ihre Reflektion in den Monumenten.105 Titel und Titelreihen werden regelmäßig herangezogen, um die Wirtschaft und Verwaltung Ägyptens zur Zeit des Alten Reiches zu untersuchen. 106 Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich durch die Betrachtung und den Vergleich von Titeln und Titelreihen über einen gewissen Zeitraum ganze Tätigkeitsbereiche erschließen lassen und das Auftauchen und Verschwinden von Titeln veränderte Strukturen anzeigt. 107 Die ausgesprochen positivistische Herangehensweise bei der Auswertung von Beamtentiteln ist wiederholt kritisiert worden, besonders ausführlich von Eva Martin-Pardey und Malte Römer.108 Martin-Pardey zufolge können Beamtentitel die „Existenz einer Verwaltung generell“ und „die Existenz einer waagrechten Gliederung der Verwaltung“ belegen. „Unterschiedliche Titel, bezogen auf dieselbe Institution, können eine Hierarchie belegen und bis zu einem gewissen Grade über- und nachgeordnete Instanzen erkennen lassen. Das gleichzeitige und mehrmalige Vorkommen eines Titels bei verschiedenen Personen belegt die Existenz des Prinzips der Kollegialität.“109 Nicht aus den Titeln oder prosopographischen Studien abgeleitet werden kann dagegen die eigentliche Funktionsweise der Verwaltung. Auch Umstrukturierungen innerhalb einer Verwaltung lassen sich durch die diachrone Betrachtung von Titulaturen kaum, bzw. nur bei sehr üppiger Beleglage nachweisen; tatsächliche Reformen und einfache soziale Statusveränderungen können nicht ohne weiteres unterschieden werden.110

103 104 105 106

107 108 109 110

Jones (2000). Baud (1999). Robins (2003: 55). Baer (1960); Helck (1975a); Partin-Pardey (1976); Kanawati (1977), (1980); Strudwick (1985); Andrássy (1991a); Martinet (2011); Papazian (2012); Moreno García (2013). In diesen Zusammenhang gehören auch das Expeditions- und Militärwesen. Cf. Eichler (1993); Vogel (2004); Moreno García (2010: 13). Cf. Franke (1984, insb. 105). Martin-Pardey (1989); Römer (2007). Martin-Pardey (1989: 533534). Martin-Pardey (1989: 534); Römer (2007: 9394). Ein jüngeres Beispiel für die berechtigte Kritik an derartigen Versuchen ist die Arbeit von Martinet (2011) über die Rolle des Gaufürsten im Alten Reich. Wohl nicht zu Unrecht bescheinigt Müller-Wollermann (2012: 336) diesem Werk „keinen Erkenntniszuwachs“.

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Es darf nicht vorausgesetzt werden, dass stets ein kausaler Zusammenhang zwischen einem Titel und einem bestimmten Aufgabenbereich besteht. Zu bedenken sind auch mögliche Sonderbeauftragungen einer einzelnen Person durch den König und biographische Zufälle, die bei der Entstehung von Titulaturen eine Rolle spielen können. 111 Ferner ist eine Unterscheidung zwischen Rang- und Amtstiteln nicht immer ohne weiteres möglich.112 Zu bedenken ist schließlich auch, dass es nicht für alle Titel eine eindeutige Lesung und Übersetzung gibt. Wörtliche Übersetzungen (z. B. smr wa.tj „Einziger Freund“) können ebenso missverständlich sein wie die Übersetzung mit einem europäischen Titel des Mittelalters oder der Neuzeit (z. B. Xrj-tp-nzw „Leibkammerherr“). Durch die spezielle Konnotation eines solchen Begriffs, die sich nicht unbedingt auf Altägypten übertragen lässt, steigt die Gefahr von Fehlinterpretationen, wenn von den Titeln auf den Aufgabenbereich bzw. die Struktur eines Amtes geschlossen wird.113

3.5 Antike Autoren Die Schriften der antiken Autoren wurden in einem sehr großen zeitlichen Abstand zum Alten Reich verfasst. Trotzdem sind sie für den Historiker interessant, stehen sie doch von der Intention her unserem modernen Verständnis von Geschichtsschreibung deutlich näher als die ägyptischen Quellen. Von den zahlreichen antiken Autoren, die Ägypten erwähnen, finden sich nur bei Herodot, Manetho und Diodorus Siculus dezidiert Informationen zum Alten Reich.114 Herodot von Halikarnassos (um 484–420 v. Chr.) verfasste seine Historien rund 2000 Jahre nach dem Alten Reich und ist allein deshalb aus der Sicht des Historikers nur mit Vorsicht als Quelle für diese Epoche anzusehen. Da trotzdem immer wieder auf Herodot – insbesondere auf seine negative Charakterisierung des Cheops – verwiesen wird, sollen seine Erzählungen hier etwas genauer betrachtet werden. Die Inhalte der Abschnitte, die sich dem Alten Reich zuordnen lassen, sind Herodot nach eigenen Angaben während seines Aufenthaltes in Ägypten von den einheimischen Priestern erzählt worden. 115 Sie seien im Folgenden zusammengefasst:116 II, 100

Der einzige weibliche König soll Nitokris gewesen sein, die nach der Ermordung

111 Cf. Martin-Pardey (1989: 533536); Baines (1997: 129); Quirke (2004: 3); Römer (2007: 73; 9394). 112 Cf. Franke (1984: 106107). Zur Diskussion, ob gegen Ende des Alten Reiches auch der Wesirstitel als Rangtitel vergeben wird, siehe Helck (1954: 116), (1975a: 127); Kanawati (1980); Strudwick (1985: 322); Martin-Pardey (1989: 546547); Kanawati (2003: 174). 113 Cf. Franke (1984: 108110); Martin-Pardey (1989: 535536); Quirke (2004: 34); Papazian (2013: 45); Espinel (2014). 114 Für eine vollständige Zusammenstellung aller Textfragmente, die auf Ägypten Bezug nehmen, siehe Jacoby (1958: 1277). 115 Die Tatsache, dass die Könige des Alten Reiches von Herodot chronologisch völlig falsch zwischen den Ramessiden und Scheschonq I. eingeordnet wurden, ist allgemein bekannt und braucht an dieser Stelle nicht weiter diskutiert zu werden. 116 Originaltext und vollständige Übersetzung siehe Feix (2000: 308–317).

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3.5 Antike Autoren

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ihres (nicht namentlich genannten) Brudergemahls durch die Ägypter auf den Thron gelangt sein soll. Nitokris rächt ihren Brudergemahl, indem sie die Mordverdächtigen und zahlreiche weitere Personen zu einem Festmahl in einen unterirdischen Raum einlädt und einen Fluss durch den Saal leitet. II, 124

Cheops stürzt das Land ins Unglück, indem er alle Tempel schließt, das Volk am Opfern hindert und zur Fronarbeit für seine Pyramide zwingt.

II, 125

Beschreibung des Baus einer Pyramide117

II, 126

Cheops zwingt aus Geldmangel seine Tochter zur Prostitution, diese lässt sich von allen Freiern einen Stein schenken und erbaut daraus die mittlere der drei Pyramiden.

II, 127

Chephren folgt seinem Bruder Cheops auf den Thron. Er verhält sich genauso unmoralisch wie sein Vorgänger, baut aber eine kleinere Pyramide mit einem Unterbau aus farbigem „äthiopischem Stein“.

II, 128

Cheops und Chephren regierten zusammen 106 Jahre, während dieser Zeit blieben alle Tempel geschlossen. „Die Ägypter wollen aus Haß die Namen dieser beiden Könige gar nicht nennen.“

II, 129

Mykerinos, Sohn des Cheops, wird als milder und gerechter König geschildert. In tiefer Trauer über den Tod seiner früh verstorbenen Tochter ließ Mykerinos für die Bestattung seines einzigen Kindes eine hölzerne Kuh anfertigen und vergolden.

II, 130

Diese Kuh soll zu Herodots Zeiten im Königspalast von Sais zu besichtigen gewesen sein, zusammen mit hölzernen Kolossalfiguren, die die Nebenfrauen des Mykerinos darstellen.

II, 131

Herodot berichtet von einer weiteren Geschichte, die er selbst für unglaubwürdig hält: Die Tochter des Mykerinos habe sich nach einer Vergewaltigung durch ihren Vater erhängt und sei daraufhin in besagter Kuh bestattet worden. Die Frauenbildnisse hätten keine Hände, weil die Mutter des Mädchens den Dienerinnen als Strafe die Hände abgeschnitten habe.

II, 132

Beschreibung der Kuh und der damit verbundenen Rituale.

II, 133

Das Orakel von Buto kündigt Mykerinos seinen Tod im siebten Jahr an. Dieser beschwert sich, dass seinem Vater und Onkel, die beide weniger fromm waren als er selbst, ein deutlich längeres Leben zuteil wurde. Das Orakel teilt mit, dies sei seine eigene Schuld, denn er habe nicht getan, was er sollte: Im Gegensatz zu seinen Vorgängern habe er nicht verstanden, dass es Ägypten 150 Jahre lang

117 Diese Beschreibung hat aufgrund der klaren Anachronismen (Erwähnung von Eisenwerkzeugen und Kränen) wenig historischen Wert, da Herodot offenbar griechische Bautechniken auf den Pyramidenbau überträgt. Cf. Lloyd (1993: 6871); Asheri/Lloyd/Corcella (2007: 333–334).

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3 Quellenkritik

schlecht gehen müsse. Mykerinos wendet den Schicksalsspruch ab, indem er durch das Anzünden zahlreicher Lampen die Nächte zu Tagen macht und so die ihm verbleibenden 6 Jahre verdoppelt. II, 134

Beschreibung der Pyramide des Mykerinos, die kleiner als die seines Vaters und bis zur halben Höhe mit „äthiopischem Stein“ verkleidet ist. Die Meinung einiger Griechen, die Pyramide sei von der Hetäre Rodophis erbaut worden, kann Herodot widerlegen.118

Es stellen sich nun zwei Fragen. Erstens: Ist der Inhalt dieser anekdotenhaften Erzählungen für die Rekonstruktion bzw. Bewertung der Ereignisgeschichte überhaupt relevant? Inhaltlich ist der Bericht des Herodot insofern relevant, als dass seine negative (Cheops, Chephren) bzw. positive (Mykerinos) Charakterisierung der Könige die Bewertung der zeitgenössischen Quellen durch ihre modernen Bearbeiter bis heute beeinflusst 119 (siehe Kapitel 6.3). Dies ist insofern nachvollziehbar, als dass ein egomanischer König dem politischen Geschehen seiner Zeit eine andere Prägung verleiht als ein altruistischer. Bevor die Geschehnisse in dieser Richtung gedeutet werden können, muss jedoch die entscheidende zweite Frage gestellt werden: Wie ist der Wahrheitsgehalt dieser Erzählungen einzuschätzen? Die seit den 1970er Jahren geäußerte These, Herodot sei selbst niemals in Ägypten gewesen und seine Berichte seien demzufolge reine Fiktion, 120 kann nicht mehr aufrechterhalten werden. Vielmehr zeigt sich heute anhand zahlreicher demotischer Papyri, dass volkstümliche ägyptische Literaturwerke der Spätzeit enge Parallelen zu einigen von Herodot widergegebenen Geschichten aufweisen, wodurch sich die Glaubwürdigkeit Herodots insgesamt erheblich erhöht.121 Zwar wurden bisher keine demotischen Parallelen für die das Alte Reich betreffenden Abschnitte gefunden, doch darf stark vermutet werden, dass es sich auch hierbei um Geschichten handelt, die zur Zeit Herodots in Ägypten kursierten. Herodot gibt also augenscheinlich das Bild wieder, das die Ägypter der Spätzeit von den Königen des Alten Reiches hatten, und dieses stellt sich recht negativ dar. 122 Eine genaue Analyse des Herodot-Textes zeigt jedoch, dass dieser viele typische Erzählmotive und märchenhafte Elemente enthält, die immer wieder in der volkstümlichen Literatur der verschiedensten Kulturen auftauchen. Dazu zählen u. a. das Motiv der Prostitution für einen bestimmten Zweck (II, 126), das Motiv des gerechten Richters (II, 129) und das Motiv der Todesprophezeiung (II, 133).123 Die Verwendung dieser Motive macht es eher unwahrscheinlich,

118 Die Hetäre Rodophis wird auch von Strabon (Geographie XVII. 1.33) und Plinius d. Ä. (Hist. Nat. XXXVI. XVII. 82) mit der dritten Pyramide von al-Ǧīza in Verbindung gebracht. Cf. Coche-Zivie (1972). 119 So z. B. in jüngster Zeit T. Wilkinson (2010: 7174) und Nuzzolo (2011: 212). 120 Fehling (1971). Siehe auch Oertel (1970) und für weitere Literatur zu dieser Diskussion Quack (2013: 81, Anm. 98). 121 Cf. Hoffmann/Quack (2007: 176); Quack (2013). 122 Die Argumentation einiger Bearbeiter, die negative Charakterisierung der Erbauer der großen Pyramiden entstamme einer fremden Tradition und sei auf Herodots griechische Herkunft zurückzuführen, ist damit nicht mehr haltbar. Cf. Posener (1956: 10, insbesondere Anm. 5). 123 Cf. Lloyd (1975: 94), (1993: 6286); Asheri/Lloyd/Corcella (2007: 329337).

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3.5 Antike Autoren

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dass sich hier eine kollektive Erinnerung über ca. 2000 Jahre gehalten hat, sondern deutet vielmehr darauf hin, dass sich Legenden mit der Zeit verselbständigt haben. Die Argumentation, dass die Dauer der überlieferten Erinnerung ein Zeichen für deren Richtigkeit sei, ist unzulässig.124 Deshalb können die Einschätzungen Herodots keinesfalls als Prämisse für die Deutung der zeitgenössischen Quellen verwendet werden. Manetho, dessen Wirken unter den Königen Ptolemaios I. Soter (306/4–282/2 v. Chr.) und Ptolemaios II. Philadelphos (282–246 v. Chr.) anzusetzen ist, schreibt aus einem noch größeren zeitlichen Abstand zum Alten Reich als Herodot. Gegenüber Letzterem hatte er jedoch den Vorteil, dass er allem Anschein nach auf eine oder mehrere Königslisten zurückgreifen konnte, die der uns im pTurin 1874 überlieferten ähnlich gewesen sein müssen.125 Das Werk des Manetho bzw. das, was uns davon in der Epitome überliefert ist,126 war vor allem eine wichtige Grundlage für die Rekonstruktion der Abfolge und der Regierungsdauer der Könige.127 Die dort vorgenommene Gliederung der ägyptischen Geschichte in Dynastien bildet auch heute noch das chronologische Grundgerüst (siehe Kapitel 2.2.2 und 2.2.4). Manethos Angabe einer raschen Abfolge von sehr vielen Königen in sehr kurzer Zeit während der 7. Dynastie spielt eine entscheidende Rolle bei der Bewertung des Endes des Alten Reiches und der politischen Situation in der Ersten Zwischenzeit (siehe Kapitel 2.3 und 9.3.1). Ferner sind für das Alte Reich folgende Informationen vorhanden: 1. Zusammen mit der Gesamtzahl der Könige und der Summe der Jahre wird für jede Dynastie der Regierungssitz angegeben. So werden die Könige der 1. und 2. Dynastie als „Thiniten“ (Θινιτῶν/Thinites), die der 3. und 4. Dynastie als „Memphiten“ (Μεμφιτῶν/Memphitarum), die der 5. Dynastie als „aus Elephantine“ (ἐξ Ἐλεφαντίνης/Elephantinorum) und die der 6., 7. und 8. Dynastie wiederum als „Memphiten“ bezeichnet.128 2. Zur Zeit des Necherophes/Necherochis, der als erster König der 3. Dynastie aufgeführt wird, sollen die Libyer von Ägypten abgefallen sein und bald darauf, erschreckt vom zur Unzeit zunehmenden Mond, wieder zum Gehorsam zurückgekehrt sein. 129 3. Unter Tosorthros, dem zweiten König der 3. Dynastie soll Imuthes gelebt haben, der wegen der Heilkunst von den Ägyptern Asklepios genannt wurde, der das Bauen mit behauenen Steinen erfunden hat und dem das Schreiben am Herzen lag. 130 4. Die Könige der 4. Dynastie sollen einer anderen Herrscherfamilie angehört haben.131

124 125 126 127 128 129 130 131

In dieser Richtung argumentiert u. a. T. Wilkinson (2010: 71). Cf. Verbrugghe/Wickersham (1996: 103–104). Zu den einzelnen Epitomatoren siehe Waddell (1940) und Verbrugghe/Wickersham (1996). Cf. u. a. Bunsen (1845a), (1845b); Lepsius (1849); Brunet de Presle (1850); Lepsius (1858); H. Brugsch (1859); Helck (1956); Gundacker (2015). Waddell (1940: 26–59). Die drei Epitomatoren stimmen hier nahezu überein; siehe Waddell (1940: 40–45). So die Version des Africanus. Eusebius (Synkellos und Armenische Version) schreibt dies dem König selbst zu, der hier Sesorthos/Sosorthus genannt wird. Siehe Waddell (1940: 40–45). Waddell (1940: 44–49).

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5. Von Suphis (bei Africanus der zweite, bei Eusebius der dritte König der 4. Dynastie) wird berichtet, dass er die große Pyramide erbauen ließ, die Götter geringschätzte und, dies bereuend, ein heiliges Buch verfasste, das die Ägypter in großen Ehren hielten. 132 6. Othoes, der erste König der 6. Dynastie soll von seinen Leibwächtern ermordet worden sein.133 7. Phiops, der vierte König der 6. Dynastie, soll mit sechs Jahren König geworden sein und bis zu seinem hundertsten Jahr regiert haben. 134 8. Am Ende der 6. Dynastie soll eine Königin Nitokris regiert haben, die als sehr schön beschrieben wird, mit heller Haut und roten Wangen. Sie sei tapferer gewesen als alle Männer ihrer Zeit und habe die dritte Pyramide erbaut. 135 Für den Umgang mit diesen Berichten gilt das Gleiche wie bei Herodot: Sie sind relevant, weil sie oftmals die Deutung zeitgenössischer Quellen beeinflusst haben oder auch ganz ohne zeitgenössische Belege Eingang in die Geschichtsschreibung gefunden haben (siehe Kapitel 6.2). Es gilt also, den Bericht des Manetho im Hinterkopf zu behalten und im Einzelfall zu überprüfen, ohne ihn als Prämisse für die Interpretation der zeitgenössischen Quellen heranzuziehen. Diodorus Siculus (1. Hälfte 1. Jh. v. Chr.) wird im Gegensatz zu Herodot und Manetho nur selten in der ägyptologischen Literatur zitiert. Ganz ähnlich wie Herodot berichtet er (Diodor I, 6364) von den Erbauern der drei großen Pyramiden, die hier Chemmis, Kephren und Mykerinos heißen. Die Pyramiden selbst werden ebenso beschrieben, wie die dafür notwendige Fronarbeit Erwähnung findet. Chemmis und Kephren werden negativ, Mykerinos positiv dargestellt, wobei auch hier einige der schon oben erwähnten Erzählmotive zu erkennen sind.136 Über Herodot und Manetho hinausgehende Informationen gibt es bei Diodor nicht.

3.6 Große Pyramide = Starker Staat? Möglichkeiten und Grenzen der Interpretation ägyptischer (Monumental-)Architektur 3.6.1 Königliche Grabanlagen In allgemeiner Ermangelung an historisch verwertbaren Quellen – insbesondere für die Zeit der 3. und 4. Dynastie – werden gerne Schlüsse aus Beschaffenheit und Lage der wohl auffälligsten Hinterlassenschaften des Alten Reiches gezogen: der Pyramiden. So werden die Pyramiden als Sinnbilder einer ganzen Epoche, steingewordene Symbole absoluter Macht und Verkörperung eines zentralistischen Staates auf dem Höhepunkt seiner politi132 Waddell (1940: 46–49). 133 So die Version des Africanus. Bei Eusebius ist Othoes/Othius der erste König der 5. Dynastie. Siehe Waddell (1940: 50–55). 134 So die Version des Africanus. Bei Eusebius ist Phiops der erste König der 5. Dynastie. Siehe Waddell (1940: 52–55). 135 Waddell (1940: 5557). 136 Siehe Wirth (1992: 9396). Cf. auch Krebsbach (2014: 99103), der keine negative Darstellung des Chemmis erkennen möchte.

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3.6 Große Pyramide = Starker Staat?

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schen und ökonomischen Blüte gedeutet. Hierfür finden sich in der Literatur der letzten hundert Jahre zahlreiche Beispiele:137 „… sehen wir Cheopsʼ überragende Gestalt aus der schattenhaften Schar der ältesten Pharaonen hervorleuchten, und nur sein ältestes Grabmal, … ist ein stummberedter Zeuge seiner Macht und Größe.“ 138 „… und noch heute künden die gewaltigen Grabdenkmäler ihrer Könige den Ruhm dieser glanzvollen Zeit.“139 „Sie [die Pyramiden] sind der machtvoll lapidare Ausdruck des ägyptischen Heldenzeitalters ….“140 „Ausdruck dieser Politik und zugleich der großen Stärke dieses zentralisierten und despotisch regierten Staates waren die von den Pharaonen der III. und IV. Dynastie gebauten Pyramiden.“141 „… but it is less interesting as a work of architecture than as a symbol of the enormous power centered in the kings of this time.” 142 „... der Staat …, als dessen monumentalen Ausdruck wir mit Recht die schon von der Antike als Weltwunder betrachteten Pyramiden von Gize ansehen.“ 143 „… Monumentalität, die wir ja nur als sichtbaren Ausdruck für ein ganzes Staatswesen verstehen dürfen ….“144 „Aus dem Leben des Erbauers ist, von dem steinernen Zeugnis seiner unumschränkten Macht abgesehen, wenig bekannt.“145 „Die Rolle des Königtums läßt sich geradezu an der Größe der Pyramiden ablesen.“146 „Nicht in Texten, sondern in einer Architektur mit ihrer an kristalliner Klarheit und Ausgewogenheit schlechthin unüberbietbaren Formensprache finden Herrschaftssystem und Weltbild des Alten Reiches ihren Ausdruck.“147

137 Meines Wissens hat allein Meyer (1884: 92) die Größe der Pyramidenanlagen nicht in seine Charakterisierung der 4. Dynastie im ereignisgeschichtlichen Teil seines Werkes mit einbezogen und in jüngster Zeit äußern sich erstmals Agut/Moreno-García (2016: 106110) dezidiert kritisch zu diesem Thema. 138 Breasted (1910: 86). 139 Steindorff (1931: 310). 140 Friedell (1936: 156). 141 Awdijew (1953: 154). 142 Hayes (1953: 62). 143 Otto (1953: 69). 144 Otto (1953: 70). 145 Gardiner (1965: 84). 146 Wolf (1971: 59). 147 Assmann (1990: 5354).

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„… and the country’s funerary monuments bear witness to one of the most highly centralized states ever known. Royal dominance became total ….”148 „Die Geschichte der Pyramidenform ist die Geschichte des Alten Reiches.“ 149 „… reveals an excessive hubris on part of Khufu … this design reveals a megalomaniacal mind ….”150 „The construction of the pyramids was merely the external expression of the consolidation of internal political affairs ….151 „The ideological reasons connected with the construction and symbolism of the pyramids were manifold, and in most cases obvious: the manifestation of power, status and supremacy over the territory and population, the connection with the sacred world and the unlimited authority of the rulers.” 152 „The 4th dynasty is the time of greatest concentration on the king and the capital, as is visible in the Dahshur and Giza pyramids.” 153 „Angesichts der Errichtung enorm großer Grabkomplexe darf diese Dynastie [die 4.] als eine Epoche unglaublicher Stärke und Individualität seitens der Könige betrachtet werden – vor allem im Vergleich mit der nachfolgenden 5. und 6. Dynastie.“154 „The Great Pyramid at Giza marks the zenith not just of ancient Egyptian kingship but of the universal tendency for absolute power to project itself in grandiose architecture. At its most stark, it represents the untrammeled exercise of political and economic control; ….”155 „The pyramids are an index of royal power and allow us to speculate on Egypt’s wealth, on the state’s structure and its governmental practices. They show how that power was surpreme and was put to use for the glorification of the king.” 156 Im Umkehrschluss wird gefolgert, die reduzierte Größe der Pyramiden ab der Mitte der 4. Dynastie sei Zeugnis von schwindender königlicher Macht und beginnender Dezentralisierung des Staatswesens.157 Inwieweit aber sind die Pyramiden überhaupt als historische Quelle (hinsichtlich der Ereignisgeschichte) zu verwerten? Ist es legitim, die Form und Größe der Pyramiden als

148 149 150 151 152 153 154 155 156 157

Baines (1995: 142). Assmann (1996a: 68). Goedicke (2000: 404). Verner (2001: 585). Bárta (2005b: 177). Baines (2007: 106). Bárta (2009: 44). T. Wilkinson (2010: 65). Mieroop (2011: 52). Breasted (1910: 88; 122); Wilson (1961: 364); Helck (1968: 5657); Hornung (1978: 2728); Málek (1986: 117); Verner (2001: 587588); Bárta (2009: 51).

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3.6 Große Pyramide = Starker Staat?

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Indikator für die Macht des Staates bzw. des jeweiligen Herrschers anzusehen? Sind Monumentalbauten per se ein Ausdruck für Macht? Die archäologische Bauforschung geht meist davon aus, dass den Bauwerken selbst eine Bedeutung immanent ist. So postuliert etwa Frank Müller-Römer, die Größe der Pyramiden allein sei „Träger einer Idee“ und die klaren geometrischen Konturen bildeten „Ordnung und Funktionieren des Staates“ ab.158 Monumentalarchitektur wird so pauschal als Darstellung von Macht interpretiert,159 wobei der Begriff „Macht“ im Sinne von Gewaltherrschaft gedeutet wird. Dass dies kein allgemeingültiger Lehrsatz sein kann, zeigen einige Gegenbeispiele: Ausgerechnet die Bauten der Tyrannen von Samos erweisen sich bei genauerer Betrachtung als Projekte, die nur mit einem großen Rückhalt in der Bevölkerung zu realisieren waren160 und auch die attalidischen Bauten von Pergamon sind ausdrücklich nicht als Inszenierung von Macht zu verstehen.161 Dazu kommt, dass der Begriff „Macht“ verschiedene Konnotationen aufweist. Bis zur Reformation ist er ein Synonym für „Herrschaft“, während er später auch mit „Gewalt“ bzw. „Gewaltherrschaft“ assoziiert wird. Die „Macht“, die durch Bauwerke inszeniert wird, kann, wie Adolf Hoffmann herausgearbeitet hat, sehr unterschiedlicher Natur sein: Während der Palast des Dareios in Persepolis die Allmacht des (Allein-)Herrschers und die Unterwerfung der Beherrschten inszeniert, wird in den perikleischen Bauten auf der Akropolis von Athen die maßgebende Stellung des attischen Staates und der Demokratie gerühmt. 162 Für die Deutung antiker Architektur schlägt Hoffmann drei Frage- und Bewertungskriterien vor, die im Folgenden auf die ägyptischen Pyramiden des Alten Reiches angewandt werden sollen:163 1. Mit welchem Ziel planen und bauen der Auftraggeber und ebenso der ausführende Architekt und welcher Mittel bedienen sie sich? Als Auftraggeber eines Pyramidenbaus können wir mit ziemlicher Sicherheit den jeweiligen König ansehen. Mit Architekt (für das Wort gibt es keinen altägyptischen Begriff) ist der verantwortliche Bauleiter gemeint, den wir dadurch identifizieren können, dass er in seiner Titelfolge die Handwerksbezeichnungen für die vier wichtigsten Materialgruppen vereint (siehe Kapitel 6.2).164 Für die Pyramiden des Alten Reiches sind uns davon nur zwei bekannt: Imhotep für die Djoser-Pyramide und Ḥm-Jwnw für die Cheops-Pyramide. Der Ablauf einer Bauplanung für einen Pyramidenkomplex entzieht sich weitgehend unserer Kenntnis. Vermutlich legte der Bauherr, d. h. der König, den konzeptionellen und formalen

158 Müller-Römer (2011: 15). 159 Hier darf der Verdacht geäußert werden, dass manchmal auch die vorgegebenen Tagungsthemen die Deutung in einer bestimmten Richtung beeinflussen. Siehe dazu die Beiträge in Schwandner/Rheidt (2004); Maran/Juwig/Schwengel/Thaler (2006); Wagener (2012). 160 H. Kienast (2004). 161 Klinkott (2004). 162 Hoffmann (2004). Die ägyptischen Pyramiden setzt Hoffmann in eine Reihe mit den Bauten von Athen und Rom, mit mittelalterlichen Domen und barocken Schlossanlagen, in denen „Macht“ im Sinne von Herrschaft betont wird. 163 Hoffmann (2004: 6). 164 Helck (1954: 91106); Schoske/Wildung (2012: 17).

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Rahmen des Baus fest – ähnlich wie dies im Mittelalter üblich war.165 Eine Schriftquelle aus späteren Zeiten berichtet jedoch auch, dass der König sich vor größeren Bauprojekten mit einem Kreis von Vertrauten zu beraten pflegte. 166 Daraus ergeben sich mehrere für uns unbekannte Faktoren: a. Welchen Einfluss hatte dieses Gremium bzw. der Bauleiter bei den entsprechenden Beratungen auf die Entscheidung des Königs? Es ist nicht auszuschließen, dass auch persönlicher Ehrgeiz und Experimentierfreudigkeit des Bauleiters Einfluss auf Gestalt und Maße des Bauwerks hatten. Die Aussage, die sakrale Architektur Ägyptens sei „vom Festhalten an einmal geprägten Grundformen geprägt“167, trifft für das Alte Reich nur bedingt zu. Vom plötzlichen Auftauchen der Bauform Pyramide zu Beginn der 3. Dynastie bis zum vorläufigen Ende des Pyramidenbaus Ende der 6. Dynastie wird der Pyramidenkomplex laufend modifiziert und weiterentwickelt. Wer ist für diese Veränderungen maßgeblich verantwortlich? Denkbar wäre, dass bewusste Rückgriffe auf ältere Formen eher auf den Wunsch des Bauherrn zurückzuführen sind, während bei Veränderungen auch die Ambition des Bauleiters eine Rolle gespielt haben könnte. b. Von der griechischen Antike bis zur Neuzeit finden sich zahlreiche Beispiele von erheblichen Rivalitäten nicht nur der Bauherren, sondern vor allem der Architekten untereinander, die nicht ohne Einfluss auf die Architekturgeschichte geblieben sind. 168 Zwar können solche Rivalitäten für das Alte Ägypten nicht belegt, aber auch nicht ausgeschlossen werden. c. Wenn die Deutung der Pyramidenkomplexe als monumentaler Ausdruck des Kultes für das Gottkönigtum richtig ist, wäre auch denkbar, dass Priester die Gestaltung mitbestimmt haben. Die Frage nach dem Ziel des Pyramidenbaus lässt sich nicht eindeutig beantworten, da die derzeitige Quellenlage nur hypothetische Erklärungen zu den Beweggründen für die Errichtung einer Pyramide und der Funktion der Pyramidenkomplexe des Alten Reiches gestattet.169 Die communis opinio der modernen Ägyptologie lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass das Ziel in der Sicherstellung der Kontinuität des Königtums durch die Unterstützung des physischen Lebens des Königs im Jenseits durch den Totenkult besteht, so dass der König weiterhin seine kultischen Herrscherpflichten zum Wohl des Landes ausüben kann.170 Mittelpunkt des Kultes sind dabei „nicht funeräre Themen, sondern große Feste und Riten, die die Sakralität des Königs zelebrieren, vor allem das Sedfest.“ 171 Demnach sind die Pyramiden in erster Linie sakrale Bauwerke und keine politischen, wenngleich Religion und Staat oder Politik im Alten Ägypten eng miteinander verknüpft sind. Doch auch eine mittelalterliche Kathedrale kann nicht einfach nach dem Motto „je größer 165 Cf. Bandmann (1951: 46) und Binding (2012). 166 Siehe die sogenannte Berliner Lederhandschrift (Ägyptisches Museum und Papyrussammlung Berlin P 3029) aus der 18. Dynastie, die die Abschrift eines Textes aus der Zeit Sesostris I. enthält. Cf. Erman (1923: 8082); Wildung (1984: 127129); Schoske/Wildung (2012: 15) 167 Schoske/Wildung (2012: 22). 168 Nerdinger (2012: 910). 169 Cf. Endesfelder (1991: 46). 170 Trigger et al.(1983: 71); Hawass (1995: 222); Stadelmann (1990: 272272). 171 Seidlmayer (1996b: 208).

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3.6 Große Pyramide = Starker Staat?

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die Kathedrale, desto absoluter die Macht“ gedeutet werden. 172 Unter diesem Gesichtspunkt sind die Pyramiden für die Betrachtung der politischen Geschichte kaum relevant. Darüber hinaus wird jedoch gemutmaßt, die Pyramiden sollten in ihrer Monumentalität die Bevölkerung geradezu einschüchtern und ständig an ihre untergeordnete Stellung erinnern. Dies sei auch an ihrem Standort zu erkennen, der hoch über dem Fruchtland liegen müsse, um weithin sichtbar zu sein.173 Wäre dies korrekt, so könnte man die Pyramiden in der Tat als königliches Machtsymbol und politisches Mittel betrachten. Gegen diese Sichtweise möchte ich Folgendes vorbringen: Was den Standort betrifft, ist die Annahme naheliegend, dass die Pyramiden vor allem aus praktischen Gründen nicht direkt im Niltal errichtet wurden: Erstens war ein ausreichend stabiler Untergrund für ein Bauwerk in der Größenordnung einer Pyramide nur auf dem Fels des Wüstenplateaus und nicht im Schwemmland des Niltals zu finden. Zweitens wäre es trotz der außerordentlichen Fruchtbarkeit des ägyptischen Bodens möglicherweise fatal gewesen, tausende Quadratmeter Ackerland für die Nekropolen zu opfern, zumal die Gräber damit ständig in Gefahr gewesen wären, überschwemmt zu werden. Über die Wahl des Begräbnisplatzes wird außerdem in Kapitel 7.1 zu sprechen sein. Über die Wirkung der Pyramiden auf die Ägypter ist in keiner zeitgenössischen Schriftquelle etwas vermerkt worden, überhaupt sind „die Pyramiden in altägyptischen Quellen so gut wie nichtexistent.“ 174 Mutmaßungen über das Empfinden der Ägypter beim Anblick der Pyramiden sind also rein spekulativ. Es ist wohl davon auszugehen, dass allen voran die drei großen Pyramiden von al-Ǧīza zu allen Zeiten auf den Menschen spektakulär und ehrfurchtgebietend wirkten. Doch können wir davon ausgehen, dass eine Mehrheit der Ägypter des Alten Reiches diese regelmäßig oder überhaupt jemals gesehen hat? Die Deutung der Pyramiden als „einschüchterndes Element“ verliert an Kraft, wenn man davon ausgeht, dass ein großer Teil der bäuerlichen Bevölkerung – insbesondere Oberägyptens – diese allenfalls vom Hörensagen kannte.

172 Untersuchungen zum Thema Architektur und Macht im Mittelalter befassen sich nicht ohne Grund fast ausschließlich mit Profanbauten. Cf. die Beiträge in Wagener (2012). 173 Müller-Römer (2011: 19). 174 Hornung (1982: 13).

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3 Quellenkritik

2. Welche Auswirkungen hat die Architektur auf den Benutzer und wie beeinflusst sie sein Handeln? Als der Benutzer der Pyramiden ist der verstorbene König anzusehen, auf dessen (diesseitiges) Handeln die Architektur zumindest nach der Fertigstellung keinen Einfluss mehr hatte. Nutznießer der Architektur ist das Volk der Ägypter, dessen Wohlergehen letztlich durch den Totenkult für den König gesichert werden soll. Die Pyramidenkomplexe schotten sich ausdrücklich von jeder Form von Öffentlichkeit ab. Einen direkten Kontakt zwischen der Architektur und dem ägyptischen Volk gab es – sieht man von den unmittelbar am Pyramidenkomplex Beschäftigten ab – nicht. 3. Welchen Standpunkt nimmt derjenige ein, der sich mit der jeweiligen historischen Architektur auseinandersetzt und sie beurteilt und bewertet? Der Ägyptologe oder Historiker, der sich mit den ägyptischen Pyramiden beschäftigt, ist immer ein Mensch des 20. bzw. 21. Jahrhunderts, der sich von seinem Zeitgeist nicht völlig freimachen kann und dessen Wahrnehmung entscheidend von der Architektur und den Vorstellungen seiner Zeit geprägt ist. Architektur als Ausdruck von Macht wurde hauptsächlich anhand der nationalsozialistischen Architektur untersucht, deren Wirkung auf ihre Zeitgenossen in zahlreichen Quellen deutlich wird und auch heute noch sehr präsent ist. Oft sind es also die Bauten der Nationalsozialisten und anderer totalitärer Regime des 20. Jahrhunderts, die unsere Wahrnehmung monumentaler Architektur beeinflussen. 175 Deutlich sichtbar wird dies daran, dass z. B. Assmann einen Text Albert Speers aus dem Jahr 1944 verwendet, um die Pyramiden zu charakterisieren und T. Wilkinson die CheopsPyramide mit dem Palast des Diktators Ceauşescu in Bukarest vergleicht. 176 Die Regierungsform der absoluten Monarchie ist im europäischen Denken schon lange negativ konnotiert, das Verständnis für Frömmigkeit und bedingungslosen Glauben kommt in immer stärkerem Maße abhanden. Eine Bewertung der Pyramidenbauten ohne Quellen zur Wahrnehmung durch die Zeitgenossen erweist sich damit als schwierig und sollte mit äußerster Vorsicht gehandhabt werden. Zu einem Teil beeinflusst sicher auch die heutige Gestalt der Pyramiden den modernen Betrachter. Interessanterweise beziehen sich die einschlägigen Interpretationen fast ausschließlich auf die vergleichsweise gut erhaltenen und durch ihre großformatigen Blöcke besonders monumental wirkenden Pyramiden von al-Ǧīza. Für die heute wenig ansehnlichen Pyramiden des Mittleren Reiches, die, als die Kalksteinverkleidung noch intakt war, ähnlich spektakulär gewirkt haben müssen wie die des Alten Reiches, wurden keine derartigen Schlüsse gezogen. Aussehen und Wirkung der Anlagen von Abū Ṣīr zu einer Zeit, als sowohl die Pyramidenkomplexe mit ihren riesigen Tempelanlagen als auch die Sonnenheiligtümer noch intakt waren, sind uns nicht bekannt und werden deshalb nicht berücksichtigt. Ohne diese Kenntnis kann aber auch kein „Niedergang“ gegenüber der 4. Dynastie postuliert werden.

175 Ganzert (2004: 325); Hoffmann (2004: 4). 176 Assmann (1988: 8788); T. Wilkinson (2010: 71).

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3.6 Große Pyramide = Starker Staat?

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Es fällt auf, dass bei der Einschätzung der Herrscher anhand ihrer Bauwerke häufig allein die Höhe der Pyramiden, nicht aber der Aufwand für die Bauten eines Königs insgesamt beachtet wird. So wird Snofru von Herodot deutlich freundlicher charakterisiert als sein Sohn Cheops, obwohl der Aufwand für die drei Pyramiden des ersteren dem für den Bau der Cheops-Pyramide vermutlich nicht wesentlich nachstand. In der 5. Dynastie sind die umfangreichen Tempelanlagen und der Bau der Sonnenheiligtümer als zusätzliche Aufgabe zu berücksichtigen. Inwieweit die Höhe einer Pyramide bzw. die Größe eines Bauwerkes für die Ägypter selbst von Bedeutung war, ist zweifelhaft. Baubeschreibungen und Inschriften des Neuen Reiches erwähnen kaum konkrete Maße, was dafür spricht, dass die absolute Größe nicht unbedingt eine Rolle spielte.177 Fraglich ist auch, ob den Ägyptern selbst die Größenunterschiede der Pyramiden bis zu einem gewissen Maß überhaupt aufgefallen sind.178 Es spricht also einiges dagegen, die Größe der Pyramiden direkt mit der politischen Macht des Staates in Verbindung zu bringen – man denke auch an die oben erwähnte Thukydides-Stelle (siehe Kapitel 1.2.1). Die vorschnelle Deutung von Architektur allein anhand der Bau- und Motivgestalt wird heute dahingehend kritisiert, dass Architektur eben nicht selbst-evident ist, sondern erst durch die Organisation und Kontextualisierung ihrer Wahrnehmung zum Bedeutungsträger wird. Eine genaue Kenntnis des gesellschaftlichen Rahmens ist folglich die Voraussetzung für die Interpretation von Architektur. Wahrnehmungs- und Deutungsmuster der Neuzeit dürfen dabei nicht unreflektiert auf andere Zeiten übertragen werden.179 Dort, wo Architektur als Ausdruck von Herrschaft identifiziert werden kann, ist diese mit konkreten Funktionen verbunden. Sie dient als Kulisse für öffentliche oder halböffentliche Rituale und befindet sich stets im Zentrum der Macht. 180 Die abgelegene Position der Pyramidenkomplexe und die Architektur, die in ihrer Enge und Privatheit (man denke an die engen, überdachten Aufwege) eindeutig nicht auf eine öffentliche Teilnahme ausgelegt ist,181 lassen eine Vergleichbarkeit nicht zu. Gordon Childe stellte bereits 1945 die These auf, dass monumentale Königsgräber typisch für Übergangszeiten sind, in denen sich ein Territorialstaat herausbildet. 182 Akzeptiert man diese These, können die Pyramiden der 4. Dynastie als Indiz dafür gelten, dass die Entwicklung zur Eigenstaatlichkeit und damit auch zu einer komplexen Verwaltung erst Ende der 4. Dynastie abgeschlossen war.183 Hinweise auf die Funktion der Verwaltung bzw. die Art und Weise, in der die Zentralgewalt ihre Herrschaft geltend machte, ergeben

177 Freundlicher Hinweis von Marc Loth. 178 Das gilt auch heute noch. In zahlreichen populärwissenschaftlichen Büchern ist als Cheopspyramide die des Chephren abgebildet, die dem Betrachter aufgrund ihres höher gelegenen Untergrundes als die Größere erscheint. 179 Bernbeck (1997: 181); Carqué (2006). 180 Beispielhaft nachgewiesen werden kann dies u. a. für die minoischen Paläste und die kaiserzeitliche Architektur von Rom. Cf. Panagiotopoulos (2006) und Hölscher (2006). 181 Mit Ritualen, die der Machtdarstellung dienen, werden dagegen die Prozessionsstraßen des thebanischen Raumes in Verbindung gebracht. Cf. F. Arnold (2004) und Kucharek (2006). 182 Childe (1945). 183 Cf. Bárta (2013a: 163); Bussmann (2014: 87).

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3 Quellenkritik

sich daraus jedoch nicht, so dass diese sehr allgemeine Aussage nur wenig zur Rekonstruktion der Ereignisgeschichte beitragen kann. 3.6.2 Privatgräber Mit Privatgräbern sind an dieser Stelle die monumentalen Elitegräber gemeint, deren Architektur zuweilen als Indikator für historische Veränderungen angesehen wird. Grundlage für die Erörterung der Frage nach der methodischen Legitimität dieses Vorgehens wäre eine Bestandsaufnahme des Vorhandenen, gefolgt von einer umfangreichen vergleichenden Untersuchung der Gräber im Hinblick auf die entsprechenden historischen Fragestellungen. Eine solche Untersuchung existiert bislang nicht und kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. Im Folgenden werden deshalb lediglich einige aus der Architektur von Privatgräbern abgeleitete historische Thesen referiert und kritische Beobachtungen dazu notiert. Die offensichtlich nach einem einheitlichen Plan errichtete Nekropole von al-Ǧīza mit ihren klaren Strukturen gilt als Abbild des zentralistischen und streng hierarchischen Staates der 4. Dynastie.184 Der schlichte Stil der Gräber sowie die Beschränkung von Grabstatuen und Reliefdekoration wird mit einem durch Cheops erlassenem „Bilderverbot“ bzw. einem Verbot privater Totenopfer erklärt. 185 Dies wäre – so es sich als korrekt erwiese – eine konkrete politische Handlung des Königs und damit für die Ereignisgeschichte relevant. Grundlage für die Annahme eines solchen Verbotes ist die Bemerkung Herodots, Cheops habe alle Tempel schließen lassen und das Opfern verboten.186 Zeitgenössische Belege für einen entsprechenden Erlass fehlen, auch gibt es keine vergleichbare Situation in der Geschichte des Alten Ägypten. Fakt ist jedoch, dass fast keine Denkmäler des Cheops aus den Tempeln des Landes bezeugt sind.187 Das Gleiche gilt allerdings auch für alle anderen Könige der 3. und 4. Dynastie, so dass diese fehlenden Belege nicht als Bestätigung der antiken Überlieferung gelten können. Lassen wir Herodot und die Schließung der Tempel beiseite und nehmen an, die spartanisch anmutende Ausstattung der Privatgräber von al-Ǧīza sei tatsächlich nicht anders als durch ein Verbot zu erklären. Sicherlich hatte der König die Macht, dies zu befehlen und konnte die Einhaltung des Verbots problemlos überwachen. Aber mit welchem Hintergrund sollte dies geschehen sein? Die Mehrzahl der Autoren spart die Frage nach dem Sinn eines solchen Verbots aus und sieht dies offensichtlich im Zusammenhang mit der Deutung

184 Junker (1928: 8); Scharff/Moortgat (1950: 66); Baines (1995: 142); Nuzzolo (2011: 213); Bárta (2015a: 6). 185 Shoukry (1951: 315); Helck (1968: 54); Beckerath (1971: 18); Lauer/Altenmüller (1975: 128); Helck (1986: 19–20); Baines (2007: 107108). 186 Herodot II, 124. Auch Manetho berichtet, Cheops habe die Götter missachtet. Cf. Kapitel 3.5. 187 Spuren von Aktivitäten des Cheops gibt es in Abydos und Hierakonpolis. Siehe Bussmann (2010: 467). Die Angabe Lloyds (1988: 62), es gäbe Belege für Tempel des Cheops in Dendera, Bubastis und Koptos, beruht offensichtlich auf einer Fehlinterpretation bzw. mangelndem Verständnis der entsprechenden Sekundärliteratur (vor allem Wildung (1969). Asheri et al. (2007) kommentieren die genannte Passage nicht.

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3.6 Große Pyramide = Starker Staat?

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seiner Pyramide als Monument absolutistischer Willkür (cf. Kapitel 3.6.1) und den entsprechenden Berichten bei den antiken Autoren als Auswuchs königlicher Allmachtsphantasien an. Helck nimmt an, Cheops habe „den Anspruch des Herrschers, auf alle Zeiten der alleinige Versorger der Leute seiner Zeit zu sein“, gewaltsam aufrecht erhalten wollen, da er in der „Befreiung einer gewissen Schicht der Bevölkerung von der ewigen Versorgung durch den Herrscher“ die Vermittelbarkeit der Anstrengungen für den Pyramidenbau und damit den Staat in Frage gestellt sah.188 Dieser Vorschlag scheint mir keine ausreichende Begründung für ein entsprechendes Handeln seitens des Königs zu sein. Dürfen wir wirklich davon ausgehen, dass die ägyptischen Könige ihre eigene Ideologie derart rational konstruierten und die Auswirkungen von Veränderungen (in diesem Fall die Versorgung der Beamten im Jenseits aus eigenen Mitteln) vorausschauend abschätzten, um gezielte Gegenmaßnahmen zu ergreifen? Wahrscheinlicher erscheint es mir, dass ideologische und religiöse Entwicklungen vor allem einer von multiplen Faktoren beeinflussten Eigendynamik unterliegen. Welche Akzeptanz der Pyramidenbau beim Volk hatte, entzieht sich unserer genauen Kenntnis. Auch können wir nicht exakt einschätzen, wie groß der Aufwandsunterschied für den Bau der großen Pyramiden von al-Ǧīza mit ihren verhältnismaßig bescheidenen Totentempeln im Vergleich zu den kleineren Pyramiden der 5. Dynastie mit ihren riesigen Totentempeln war, bzw. welcher Aufwand mitunter für die (nicht erhaltenen) Profanbauten wie den königlichen Palast getrieben wurde. 189 Fraglich ist auch, wie man sich die Aufhebung des Verbots vorstellen soll. Setzen sich einige selbstbewusste und renitent gewordene Beamte darüber hinweg und andere ziehen nach, so lange bis das Gesetz faktisch aufgehoben ist? Oder kommt einer der Nachfolger des Cheops zur „Einsicht“, dass den verdienten Beamten ein eigener Totenkult zusteht, und hebt das Verbot offiziell auf? Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich nicht nur die Privatgräber, sondern die Baukunst allgemein von der 3. zur 4. Dynastie stark verändert und die Königsgräber zwar größer, aber auch deutlich schlichter werden. 190 Der Vergleich zwischen dem streng strukturierten, einheitlichem Plan einer Nekropole und einem zentralisierten, hierarchisch geordnetem Staat erscheint auf den ersten Blick naheliegend. Möchte man daraus historische Schlussfolgerungen ziehen, stellen sich folgende Fragen: Gibt es noch andere Indizien, die auf einen ausgeprägten Zentralismus in der 4. Dynastie schließen lassen? Wenn die Nekropole von al-Ǧīza für einen zentralistischen Staat steht, müssen wir dann für die Zeiten, in denen Saqqāra als Residenznekropole fungierte, einen weniger geordneten und dezentraleren Staat annehmen? Vermutlich nicht. Gibt es in der frühen Geschichte überhaupt irgendeinen nicht zentral organisierten Flächenstaat? Aufgrund der eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten ist dies schwer vorstellbar. Wenn der ägyptische Staat also von Anfang an zentral organisiert war, kann er dann in der 4. Dynastie noch zentralistischer werden? Warum assoziieren wir eine durchgeplante Nekropole beinahe automatisch mit einer repressiv ordnenden Hand? Könnte man in den geordneten Gräbern auch ein Zeichen eines ausgeprägten Gemeinschaftsgefühls sehen? Wie bereits im vorherigen Kapitel erwähnt, wissen wir nicht, wie viele und welche 188 Helck (1986: 19–20). 189 Jansen-Winkeln (2009: 158). 190 Cf. Junker (1928) und Ricke (1944), (1950).

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3 Quellenkritik

Personen an der Planung einer Pyramidenanlage beteiligt waren. Könnte die strukturierte Anlage auch einfach auf einen besonders pedantischen Baumeister zurückgehen? Aus der Tatsache, dass die Beamtengräber der 5. Dynastie nicht länger rund um die Pyramide des jeweiligen Königs angelegt sind, leitet T. Wilkinson ab, dass sich der König in der 5. Dynastie absichtlich von seinen Untertanen distanziert habe.191 Aus den Inschriften dieser Zeit liest dagegen Hornung heraus, dass die Beamten ganz besonders ihr persönliches Verhältnis zum König betonen.192 Schlussfolgerungen allein aus der Lage von Gräbern zu ziehen, erscheint also problematisch, zumal wir weder für Königs- noch für Privatgräber eindeutig wissen, welche Überlegungen die Wahl des Begräbnisplatzes maßgeblich bestimmten. Bárta geht davon aus, dass sich soziale Entwicklungen unmittelbar in der Architektur und Dekoration von Gräbern widerspiegeln und schließt so aus dem Auftauchen neuer Grabtypen zur Zeit des Niuserre auf umfassende soziale und auch politische Veränderungen.193 Diese Deutung folgt der Sichtweise Assmanns, für den das monumentale Grab ein Medium des Monumentalen Diskurses darstellt, der wiederum das wichtigste Medium des kulturellen Gedächtnisses bildet.194 Akzeptiert man diese Sichtweise, so dürfte man annehmen, dass nicht nur religiöse und gesellschaftliche, sondern auch politische Entwicklungen oder Ereignisse als Teil des kulturellen Gedächtnisses die Gestaltung des Privatgrabes beeinflussten. Ist das Privatgrab also als ereignishistorische Quelle zu betrachten? Gräber werden bewusst gestaltet und aktiv zur Repräsentation und Identitätskonstruktion eingesetzt und deshalb in der Prähistorischen Archäologie auch als „Zerrspiegel“ bezeichnet. 195 Ereignisgeschichtliche Entwicklungen spiegeln sich also allenfalls indirekt und zeitverzögert wider. Es ist eher die langsam verlaufende Strukturgeschichte, die hier sichtbar wird. Möglicherweise lassen sich dennoch die Auswirkungen bestimmter historischer Entwicklungen in der Grabarchitektur erkennen. Aus der Wirkung allein auf die Ursache zu schließen – und nach dieser sucht die historische Forschung – ist in den seltensten Fällen möglich, da zum einen verschiedene Auslöser dieselbe Wirkung hervorrufen können und zum anderen historische Entwicklungen in der Regel nicht monokausal erklärt werden können. Die Prähistorische Archäologie analysiert deshalb heute Gräberfelder anhand sozialgeschichtlicher Kriterien und verzichtet praktisch völlig auf historische oder ethnische Schlussfolgerungen.196 In Ägypten kommt hinzu, dass in den meisten Fällen nur die „äußere Hülle“ des Grabes erhalten ist, nicht aber die eigentlichen Bestattungen. Rein hypothetisch wäre es z. B. möglich, dass die schlichten Gräber der 4. Dynastie von al-Ǧīza deutlich mehr und qualitativ hochwertigere Beigaben enthielten, während die architektonisch aufwändigeren Gräber der 5. Dynastie in Abū Ṣīr wesentlich bescheidener ausgestattet waren.

191 192 193 194

T. Wilkinson (2010: 79). Hornung (1978: 32). Bárta (2005a: 105–106), (2009: 47–49), (2015a: 8). „Im Medium des Monumentalen Diskurses eröffnet sich einer Elite von Einzelnen die Chance, sich in der Identität ihrer geschichtlichen Persönlichkeit in den „heiligen Raum der Dauer“ hineinzustellen.“ Assmann (1996a: 8186). 195 K. Hofmann (2013: 274). 196 Für eine ausführliche Diskussion zu diesem Thema danke ich dem Prähistoriker Sven Brummack.

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3.7 Realität oder „Propaganda“?

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Die Wirkung bestimmter historischer Entwicklungen ‒ von denen wir anhand anderer Quellen sichere Kenntnis haben – auf die materielle Kultur liesse sich also anhand der Architektur von Privatgräbern studieren. Die historischen Entwicklungen dagegen können ohne ergänzende Quellen nicht aus den Veränderungen der Grabarchitektur rekonstruiert werden.

3.7 Realität oder „Propaganda“? Flach- und Rundbild als historische Quelle 3.7.1 Felsinschriften und Felsbilder Das Bestreben, sich durch das Hinterlassen von Bildern und/oder Zeichen an einem fremden Ort zu verewigen, ist offensichtlich ein menschliches Bedürfnis, das an keine bestimmte Kultur oder Zeit gebunden ist. Dabei ist die Tendenz zu beobachten, dass sich dort, wo bereits Inschriften vorhanden sind, gerne weitere dazu gesellen. Zahlreiche solcher Felsinschriften sind Zeugnisse ägyptischer Aktivitäten außerhalb des Niltals. Meist als Expeditionsinschriften angesprochen,197 sind diese manchmal mit einem Felsbild illustriert bzw. bilden eine Art Beischrift zu einem Felsbild. Felsinschriften des Alten Reiches sind bekannt aus Nubien, den Wadis der Ostwüste, dem südlichen Sinai, den Steinbrüchen Mittel- und Oberägyptens und der Westwüste. 198 Sie werden regelmäßig als – oftmals einzige – Quelle für „außenpolitische“ Tätigkeiten zitiert. Doch welche Schlüsse lassen sich aus den Felsinschriften tatsächlich ziehen? Zunächst einmal belegen derartige Inschriften die temporäre Anwesenheit eines Schreibkundigen am jeweiligen Ort. Dieser könnte sowohl ein Ägypter, als auch ein ägyptisierter Nicht-Ägypter gewesen sein. Durch die Nennung von Eigennamen und Beamtentiteln lassen sich manchmal Verbindungen zu auch an anderer Stelle belegten Personen herstellen und Rückschlüsse auf die Organisation des Expeditionswesen ziehen. 199 In einigen Fällen geben inhaltsreichere Inschriften oder Bilder Hinweise auf den Zweck des Aufenthaltes am jeweiligen Ort, der zumeist in der Beschaffung von Rohstoffen besteht. Interessant im Hinblick auf eine „Außenpolitik“, die über das Betreiben friedlicher, auf Gegenseitigkeit beruhender Handelsbeziehungen hinausgeht, sind jene nur in sehr geringer Zahl vorhandenen Inschriften und Bilder, aus denen sich möglicherweise Rückschlüsse auf eine direkte Intervention der ägyptischen Zentralregierung im Ausland ziehen lassen. Dazu gehören die königlichen Inschriften des Alten Reiches auf und um Elephantine 200 sowie die Felsreliefs im Wādī al-Maġāra.201 Beide Gruppen sind sehr sorgfältig komponiert und offensichtlich von erfahrenen Künstlern ausgearbeitet worden (die Sinai-Bilder sogar im

197 E. Blumenthal (1977) fasst derartige Inschriften zur eigenständigen Textgattung „Expeditionsbericht“ zusammen. 198 Für einen detaillierten, wenn auch nicht mehr ganz aktuellen Katalog siehe Eichler (1993: 29126). Nicht enthalten sind dort die Graffiti der Westwüste, siehe dazu Kapitel 8.6.2. 199 Cf. Eichler (1993). 200 Seidlmayer (2005). 201 Gardiner et al. (1955: 5264, Nr. 117).

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erhabenen Relief). Ihre Anbringung scheint bewusst an prominenten Plätzen mit hervorragender Sichtbarkeit erfolgt zu sein und darf als in hohem Maße intentional betrachtet werden. Für die Inschriften von Elephantine konnte Seidlmayer herausarbeiten, dass diesen nicht in erster Linie das Bedürfnis nach dem Schaffen von Bildern für die Ewigkeit zugrunde lag,202 sondern ihr Anliegen in der öffentlichen Repräsentation bestand, so dass sie auch für den Analphabeten als kulturelle Botschaften dechiffrierbar waren. 203 Überträgt man diese Sichtweise auf die Felsreliefs im Wādī al-Maġāra, so ergibt sich, dass das dort wiederholt vorkommende Ikon Erschlagen der Feinde als kulturelle Botschaft auf den ersten Blick eine Drohung an potentielle Feinde beinhaltet. 204 Darf die Verwendung des Ikons an prominenter Stelle auf dem Sinai also als Indiz dafür gelten, dass die Ägypter in der lokalen Bevölkerung nicht nur Feinde im Allgemeinen sahen, sondern diese als reale Bedrohung wahrnahmen? Kann man sogar die Darstellungen als Hinweis auf die Anwesenheit ägyptischer Truppen auf dem Sinai und tatsächlich durchgeführte Kampfhandlungen sehen, wie dies verschiedene Autoren getan haben? 205 Darstellungen, die den siegreichen Herrscher zeigen, wie er seine Feinde unterwirft und mit Füßen tritt, ziehen sich als eine Art von „Triumphformel“ durch die gesamte Kunstgeschichte.206 Das in Ägypten seit prädynastischer Zeit belegte Ikon Erschlagen der Feinde gehört mit in diese Reihe.207 Nicht nur die Felsreliefs des Wādī al-Maġāra, sondern auch die Dekoration mehrerer Pyramidenkomplexe zeigen einen König des Alten Reiches im entsprechenden Gestus.208 Ein einzelnes Beispiel stammt aus der Westwüste: beim Fundplatz Chufu 01/1 westlich der Oase ad-Dāḫla wurde die Darstellung in roter Farbe auf einem zuvor sorgfältig geglätteten Felsen aufgebracht.209 In der Literatur wird die Funktion des Ikons gerne als „propagandistisch“ und/oder „magisch“ bezeichnet210 und dem Bereich der Königsideologie zugeordnet. 211 Der Begriff „propagandistisch“ ist zuletzt von Erhart Graefe kritisiert worden, 212 auch ich halte ihn für 202 Cf. Assmann (1983: 1132). 203 Seidlmayer (2005: 307). 204 Die Vorstellung, dass das Ikon Erschlagen der Feinde reale Feinde abschrecken soll, äußerten auch schon Zibelius-Chen (1988: 227) und Graefe (2004). 205 Giveon (1978b: 6768); Gundlach (1994: 69); Parcak (2004: 41); Mumford (2005: 2526), (2006: 55). 206 Gombrich (1984: 6970). 207 Erstmals dargestellt wird die Szene in einem Häuptlingsgrab von Hierakonpolis und erhält ihre kanonische Form auf der Narmer-Palette. Siehe dazu Assmann (1996a: 47); L. Morenz (2014a: 166174). 208 Für die einzelnen Belege und weiterführende Literatur siehe Hall (1986: 712); Stockfisch (2003: 204206); Tallet (2012 a). 209 Kuhlmann (2005: 285, Abb. 49). 210 U. a. Helck (1971: 14); Zibelius-Chen (1988: 227); Schoske (1994: 72); Mumford (2005: 25); Müller-Wollermann (2009: 4950). 211 Basierend auf wissenssoziologischen Erkenntnissen und den Thesen von Baines (2007) über die sozial konstituierende Funktion ägyptischer Bildwerke hat sich in jüngster Zeit Münch (2013) mit dem Erschlagen der Feinde auseinandergesetzt und plädiert dafür, dass es sich um ein Ikon handelt, das den idealen Zustand des Königs als eines Verwirklichers der Maat und damit eine gefühlt „richtige“ Wirklichkeit und keine Abbildung der „Realität“ darstellt. Cf. dazu Kapitel 3.1 mit den Bemerkungen Popkos zum Verhältnis zwischen Maat und Wirklichkeit. 212 Graefe (2004: 54).

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3.7 Realität oder „Propaganda“?

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nicht angemessen, setzt doch die Verbreitung von Propaganda einen breiten Rezipientenkreis voraus, der weder im einsamen Wādī al-Maġāra, noch in der Westwüste noch in der Düsternis eines königlichen Totentempels vorhanden war. Möchte man das Ikon Erschlagen der Feinde mit realen Kampfhandlungen und Bedrohungen assoziieren, so stellt sich die Frage, warum das Ikon gerade auf dem Sinai so präsent ist, während sich im nubischen Raum, für den ein ständiger Kontakt mit der lokalen Bevölkerung und wohl auch bewaffnete Konflikte anhand anderer Spuren wahrscheinlich erscheinen (siehe Kapitel 8.2.2), meines Wissens kein Beispiel findet, das eindeutig in das Alte Reich datiert werden kann.213 Auch würde man, liest man die Szenen auf dem Sinai als Metaphern bzw. verbildlichte Schreibungen für Kampfhandlungen, davon ausgehen müssen, dass diese auf dem Sinai vom König persönlich geleitet wurden, während diese Aufgabe in Nubien offensichtlich einem Beamten oblag, wie dies aus den Inschriften von Ḫūr al-ʿĀqiba (siehe unten) hervorgeht. Letztere nennen auch konkrete Fakten, während in den Sinai-Inschriften nur ganz allgemein vom „Erschlagen der MnT.w“ und „Unterwerfen der Fremdländer“ die Rede ist.214 Anhand einer eingehenden Analyse des Niuserre-Reliefs aus dem Wādī al-Maġāra215 zeigt L. Morenz beispielhaft auf, dass die Szene stark sakral aufgeladen ist. Er deutet deshalb die Felsbilder dort als den Versuch der Ägypter, den Sinai systematisch zu sakralisieren, indem sie „die kulturelle und militärische Dominanz des ägyptischen Königs in die Landschaft einschrieben“.216 Folgt man dieser Argumentation, so stellt sich wieder die Frage, weshalb die Ägypter es für notwendig hielten, den Sinai als Kulturraum zu „ägyptisieren“, Nubien aber nicht. Man könnte daraus ableiten, dass Nubien bereits als ägyptisiert galt bzw. von Ägypten kontrolliert wurde, während die Situation auf dem Sinai deutlich unsicherer war. Es wäre aber auch der Umkehrschluss möglich, dass die Ägypter eine reale Chance sahen, den Sinai zu ägyptisieren und damit zu kontrollieren, während ihnen bewusst war, dass dies in Nubien nicht möglich sein würde. Dieses Gedankenspiel soll zeigen, dass trotz verschiedener Deutungsversuche, die meist durchaus ihre Berechtigung

213 Mir sind überhaupt nur drei Felsbilder mit dem Ikon Erschlagen der Feinde aus Nubien bekannt. Es handelt sich jeweils um grob in den Fels eingeritzte Bilder ohne Beischriften, die bezüglich ihrer Qualität und ihres Anbringungsortes in keiner Weise mit den Reliefs des Wādī al-Maġāra zu vergleichen sind. Ein sehr kleinformatiges Bild befindet sich bei Tūmās (Leclant (1965: Taf. XXXV, Abb. 18), es ist nicht datierbar. Zwei weitere Felsbilder sind bei Khor Kilobersa/Khor ʿOshiya (Transliteration von López übernommen, die originale arabische Schreibung liegt mir nicht vor) zu finden. Die erste, etwa lebensgroße und vom üblichen Kanon deutlich abweichende Darstellung wird von López (1966: 17, Nr. 6; Taf. IV) in meroitische Zeit datiert. Das zweite Bild ist leicht überlebensgroß. Die Art der Darstellung erinnert nach Ansicht von López (1966: 18, Nr. 7; Taf. V) an das Alte Reich. Eine Datierung des Bildes in das Alte Reich erscheint jedoch wenig wahrscheinlich, da alle anderen Inschriften aus Khor Kilobersa/Khor ʿOshiya frühestens in das Mittlere Reich (eine einzige Inschrift), die Mehrzahl sogar in das Neue Reich und später datieren. 214 Gardiner et al. (1955: 52‒64). 215 Gardiner et al. (1952), (1955: 59, Nr .10; Taf. VI). 216 L. Morenz (2014b: 3942 u. 6667); zur bewussten Gestaltung eines Kulturraumes siehe L. Morenz (2014c).

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haben, unser Wissen über die Intention, die dem Ikon Erschlagen der Feinde zugrunde liegt, zu gering ist, um belastbare Schlüsse daraus ziehen zu können. Zu den „inhaltsreicheren“ Felsbildern und -inschriften im oben genannten Sinn gehört auch das Relief vom Ǧabal Šaiḫ Sulaimān217 Die Szene wird von sämtlichen Bearbeitern als der Sieg eines ägyptischen Königs über Angehörige der A-Gruppen-Kultur interpretiert.218 Doch was spricht dafür, diese Szene quasi als historische Primärquelle wörtlich zu lesen, während den Reliefs auf dem Sinai ein hoher Grad an Fiktionalität unterstellt wird? Offensichtlich haben wir es am Ǧabal Šaiḫ Sulaimān mit einer singulären Szene zu tun, die weniger durchkomponiert und geplant wirkt als die recht stereotypen FeinderschlagungsSzenen auf dem Sinai. Aber ist es deshalb auszuschließen, dass auch dieses Relief der „Ägyptisierung eines fremden Kulturraumes“219 diente und die Szene nur eine vage, nicht näher zu beschreibende Verbindung mit einem realen Ereignis hat? Claire Somaglino und Pierre Tallet sehen die Funktion des Felsbildes als die eines „marqueur territorial“.220 Wer entscheidet wann darüber, dass ein ebensolcher angebracht werden soll? Fiel der Entschluss spontan auf dem Rückweg nach siegreichem Kampf? War der König bei der Unternehmung dabei und konnte Entsprechendes in Auftrag geben oder lag es im Ermessen des Expeditionsleiters, solche Markierungen anbringen zu lassen? Wenn letzteres der Fall ist, haben wir es dann mit einem Statement des ägyptischen Staates oder mit dem Siegesbericht eines stolzen Beamten zu tun? Die Überlegung erscheint mir insofern relevant, als man einem staatlichen Auftraggeber eher die Absicht der „Ägyptisierung eines fremden Kulturraumes“ zuschreiben würde. Einem Expeditionsleiter hingegen, obgleich er sich sicher als ein Teil des Staatsapparates gesehen hat, würde man vielmehr unterstellen, vor allem seinen persönlichen Erfolg darzustellen zu wollen. In diesem Fall wäre sicher mit einer einseitig geschönten und übertriebenen „Berichterstattung“ zu rechnen, die aber dennoch näher an den tatsächlichen Ereignissen ist, als eine diffuse „Ägyptisierung“ dies wäre. An einem Felsen im Norden von Ḫūr al-ʿĀqiba hinterließen Expeditionsleiter des Alten Reiches insgesamt fünf Inschriften,221 von denen die beiden folgenden von besonderem Interesse sind: (Aus der) Hinteren Ostprovinz, der Königliche Vermögensbeauftragte ZAw-jb. Ergreifen von 17 000 Nubiern.222 (Aus der) Schakalsprovinz, der Königliche Vermögensbeauftragte #aj-bA.w-Bt. Seine Ankunft mit einer Armee von 20 000 und das Verwüsten von WAwA.t.223

217 Somaglino/Tallet (2014 und 2015). Der Block mit dem Relief befindet sich heute im Nationalmuseum von al-Ḫarṭūm. 218 Ausführlich dazu Somaglino/Tallet (2014), (2015), hier ist auch sämtliche ältere Literatur zum Thema verzeichnet. 219 Cf. L. Morenz (2014b). 220 Somaglino/Tallet (2014: 9). 221 López (1966: 2330). 222 Siehe Anhang A.1.4. 223 Siehe Anhang A.1.4.

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3.7 Realität oder „Propaganda“?

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Zunächst einmal darf angenommen werden, dass die Inschriften von den namentlich genannten Beamten bzw. in deren Auftrag auf dem Rückweg einer erfolgreichen Nubienexpedition angebracht wurden. Jedenfalls fällt mir kein vernünftiger Grund ein, weshalb man annehmen sollte, der Inhalt sei ohne Bezug zur Realität frei erfunden. Fraglich ist aber, inwieweit den angegebenen Zahlen zu trauen ist. 20 000 Mann würde der Stärke des Heeres entsprechen, das Ramses II. bei Qadesch befehligte – eine Zahl, die für das Alte Reich doch recht hoch erscheint.224 Nicht sicher zu klären ist die Feindatierung der Inschriften. Jesús López datiert alle fünf Inschriften aus Ḫūr al-ʿĀqiba, die dem Alten Reich zugeordnet werden können, in die 6. Dynastie, da sie inhaltlich gut in das vorherrschende Gesamtbild passen, dass die Ägypter sich im Laufe der 6. Dynastie in Nubien mit zunehmenden Schwierigkeiten aufgrund einer latenten Bedrohung durch die Träger der C-Gruppen-Kultur konfrontiert sahen. 225 Helck dagegen möchte die beiden genannten Inschriften in die 4. Dynastie datieren, indem er eine Verbindung zur entsprechenden Eintragung des Snofru auf dem Palermostein (siehe Anhang A.1.1) herstellt. 226 Grundlage für beide Datierungsansätze ist also die willkürliche Korrelation mit jeweils einem der wenigen anderen Ereignisse (wenn man diesen Begriff hier überhaupt verwenden darf), die aus dem langen Zeitraum des Alten Reiches bekannt sind. Diese Vorgehensweise ist äußerst kritisch zu hinterfragen, wenn man die hohe Dunkelziffer an nicht überlieferten Ereignissen bedenkt, mit denen die Inschriften in Verbindung stehen könnten. 227 Die damit bestehende Unsicherheit der Datierung schränkt den Wert der beiden Inschriften als historische Quelle erheblich ein. Wird der Name eines Königs genannt, stellt die Datierung einer Inschrift kein Problem dar, dennoch kann der historische Wert gering sein, wenn es an Inhalt fehlt. Die in den Steinbrüchen von Ǧabal al-ʿAṣr gefundenen Kartuschen (siehe Kapitel 8.2.2) ergeben nicht mehr als einen vagen Anhaltspunkt dafür, dass die Steinbrüche mindestens in der 4. und 5. Dynastie in Betrieb waren.228 Die kurzen Inschriften befinden sich auf geglätteten Felsblöcken, die zuweilen auch als Stelen bezeichnet werden. Die Anbringung scheint also sehr bewusst erfolgt zu sein, über ihre Intention kann aber nur spekuliert werden. Denkbar wäre, dass die „Stelen“ als Markierungspunkte für die Arbeitsmannschaften im weitläufigen Gelände von Ǧabal al-ʿAṣr dienten.229 Sicher ist es nicht erlaubt zu vermuten, die wenigen inschriftlich belegten Könige hätten besonders intensiv in den Steinbrüchen arbeiten lassen oder die nicht namentlich genannten Könige der 4. und 5. Dynastie hätten dort keine Arbeiten durchführen lassen. Auch für die persönliche Anwesenheit des Königs ist eine Kartusche allein kein Indiz.

224 López (1967: 62). 225 López (1966: 2930). Unterstützt sieht López diesen Datierungsansatz durch die Nennung des Gottes Bt und des Titels jrj-jxt-nzw. Dem folgen auch O’Connor (1986: 44) und Valbelle (1992: 360). 226 Helck (1974: 215217). Darüber hinaus argumentiert Helck, die Bezeichnung JAb.tj-pH.tj sei nach der 4. Dynastie nicht mehr belegt. 227 Cf. Kapitel 3.1 und Jansen-Winkeln (2009). 228 Dass die Steinbrüche schon viel eher als durch die früheste Kartusche belegt in Betrieb gewesen sein müssen, zeigen die zahlreichen Funde von Gegenständen aus den entsprechenden Gesteinen in sicher datierten Kontexten in Ägypten. 229 Aus einem Gespräch heraus geäußerte Idee von Hans-Ulrich Onasch.

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Einzig aus den insgesamt drei Inschriften, die Merenre I. südlich des ersten Katarakts, 230 in der Nähe von Philae231 und im Satet-Tempel von Elephantine232 hinterließ, geht explizit hervor, dass der König persönlich anwesend war (siehe dazu auch Kapitel 8.2.2). Die Nennung eines präzisen Datums kann hier als Hinweis darauf gelten, dass die Inschrift als historische Botschaft verstanden werden darf. Die anderen Kartuschen am gleichen Ort dürfen jedoch nicht automatisch als Beleg für die Anwesenheit des Königs gewertet werden. Den weitaus größten Teil aller Felsinschriften bilden jene, die Beamte „zur eigenen Ehre“ hinterließen233 und die nur aus dem Namen und eventuell den Titeln des Verfassers bestehen. Aus ihnen können keine Rückschlüsse auf den Grund der Anwesenheit des Beamten im entsprechenden Gebiet gezogen werden. Anhand der Quantität solcher Inschriften können aber eventuell vage Aussagen über die Frequenz getroffen werden, mit der ein Ort besucht wurde. Problematisch ist, dass diese Inschriften meist nicht präzise datiert werden können. 3.7.2. Dekoration von königlichen Totenkultanlagen Communis opinio der modernen Ägyptologie scheint es zu sein, dass Szenen und Texte in den königlichen Totenkultanlagen des Alten Reiches allein dem ideologisch-religiösen Bereich zuzuordnen sind und keinerlei Bezug auf konkrete historische Ereignisse nehmen.234 Bei genauerem Hinsehen muss man jedoch feststellen, dass beinahe ausschließlich solchen Szenen jeglicher Bezug zur Realität abgesprochen wird, die den König bei kriegerischen Handlungen zeigen – wie z. B. das Unterwerfen der Libyer im Totentempel des Sahure.235 Zeigen die Reliefs dagegen Expeditionen bzw. das „Holen“ bestimmter Luxusartikel aus dem Ausland, neigen die Bearbeiter dazu, die Darstellungen diskussionslos als Beleg für reale Ereignisse zu verwenden. Das gilt z. B. für die Erwähnung von antjwBäumen im Taltempel des Snofru,236 die Darstellungen einer Fahrt nach Punt im Aufweg des Sahure,237 die aus der Levante zurückkehrenden Schiffe im Totentempel des Sahure, 238 sowie das „Einfangen der Eidechsen“ und „Holen von Bäumen“ im Totentempel des

230 Urk. I, 110; Sayce (1893: 147). 231 Urk. I, 111; Petrie (1888: Taf. 13, Nr. 338). 232 Kaiser et al. (1976: 7890). Eine Unsicherheit besteht hier bei der Lesung des Datums. Kaiser et al. (1976: 79) lesen Tag 24. Dagegen Seidlmayer (2005: 290291, Anm. 11): „In meiner eigenen Beschäftigung mit der Inschrift bin ich zur Lesung des Datums als 25. (statt 24.) Tag gelangt.“ 233 E. Blumenthal (1977: 89). 234 Ausführlich zu diesem Thema und mit weiteren Literaturhinweisen Sowada (2009: 67). 235 U. a. Wilson (1956: 441); Helck (1968: 65); Schulman (1979: 97); Wildung (1983: 34); Málek (2000: 115); el-Awady (2009: 59‒60). Einzig Gundlach (1998: 251) sieht die im Totentempel des Sahure dargestellte Unterwerfung der Libyer als in den Bereich der „Dritten Wirklichkeit“ übersetztes historische Ereignis an. Zur entsprechenden Szene bei Sahure siehe Borchardt (1913: 1015; Taf. 1). 236 Edel (1996: 200203; Abb. 1). Siehe auch Kapitel 8.7.2. 237 El-Awady (2009: 82‒85). 238 Borchardt (1913: 2328; Taf. 914).

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Djedkare.239 Auch einige Reliefs vom Aufweg des Unas, darunter die der hungernden Beduinen, werden nur selten in ihrer Historizität angezweifelt.240 Abgesehen von der Vorstellung, dass Maat unabhängig von der Realität künstlich konstruiert wird, ist das Hauptargument gegen die Historizität der königlichen Reliefdarstellungen die Tatsache, dass die bei Sahure dargestellte Szene von der Unterwerfung der Libyer von Pepi II.241 und später sogar von Taharqa242 kopiert wurde, wobei selbst Details wie die Eigennamen der gefangenen Familie des libyschen Fürsten wiederholt werden. 243 Dürfen wir deshalb pauschal solchen Szenen jeglichen Wert als Quelle absprechen? Ob die Darstellung bei Sahure eine „historische“ ist oder eine „ideale“, die vielleicht selbst auf eine noch ältere Vorlage zurückgeht, ist momentan nicht zu klären, möglich wäre jedoch beides. Nehmen wir hypothetisch an, Sahure habe tatsächlich die Libyer unterworfen und den Fürsten samt seiner Frau #wj.t-jt=s und den beiden Söhnen WsA und Wnj gefangengenommen. Nehmen wir außerdem – gleichermaßen hypothetisch – an, Pepi II. habe mehr als 200 Jahre später ebenfalls die Libyer unterworfen. Wäre es nicht möglich, dass die Handwerker Pepis II. aus irgendeinem Grund auf die alte Vorlage zurückgegriffen haben, obwohl es sich um zwei unterschiedliche Ereignisse handelt? Beantworten lässt sich diese Frage selbstverständlich nicht, sie zeigt aber, dass die Tatsache, dass ein Relief kopiert wurde, nicht ausreicht, um seinen Inhalt von vornherein als fiktiv anzusehen. Ebensowenig erscheint es mir legitim, die dargestellten friedlichen Aktivitäten des Königs durchgängig für real zu halten. Die Autobiographien in Privatgräbern können in „Idealbiographien“ und „Ereignisbiographien“ unterschieden werden (siehe Kapitel 3.3.3). Dass auch die Szenen in den königlichen Gräbern „Idealtaten“ bzw. „programmatische Szenen“ einerseits und „Realtaten“ bzw. „narrative Szenen“ andererseits wiedergeben könnten, hat bereits Selim Hassan vorgeschlagen.244 Die berühmte Szene vom Aufweg des Unas, die abgemagerte, offensichtlich hungernde Beduinen zeigt, wurde lange Zeit für singulär und deshalb für ein Zeugnis einer sich zunehmend verschlechternden Versorgungslage gegen Ende des Alten Reiches gehalten. Inzwischen wurde beim Aufweg des Sahure in Abū Ṣīr ein Block gefunden, der eine ganz ähnliche Szene mit abgemagerten Beduinen zeigt.245 Damit stellen sich die gleichen Fragen wie in Bezug auf die oben besprochene „Libyer-Szene“ bei Sahure und das Motiv gerät in den Verdacht, eher in den Bereich der programmatischen Szenen zu gehören. Insgesamt ist allerdings die Reliefdekoration der königlichen Grabanlagen zu fragmentarisch erhalten246 um das Dekorationsprogramm im Detail untersuchen und solche Unterscheidungen sicher treffen zu können. Dagmar Stockfisch zieht eine Unterscheidung in „Realtaten“ und „Idealtaten“ deshalb nicht in Betracht, sondern geht davon aus, dass „die 239 240 241 242 243 244 245 246

Grimm (1985), (1988). Hassan (1955). Jéquier (1938: 1314; Taf. 811). Macadam (1955: 6465; Taf. 9 u. 49). Zum Motiv der libyschen Familie siehe Stockfisch (1996). Hassan (1955: 137). El-Awady (2009: 204) unterscheidet „narrative scenes“ und „program scenes“. El-Awady (2009: 202‒205). Schätzungsweise 1% des ursprünglichen Gesamtbestandes kann rekonstruiert werden. Siehe elAwady (2009: 50).

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‚persönliche Amtsgeschichteʼ eines Königs offensichtlich keine Rolle“ spielte. Inkonsequenterweise sieht sie dennoch die Libyer-Szene und die aus der Levante zurückkehrenden Schiffe im Totentempel des Sahure als Ausnahmen, d. h. als Darstellungen mit einem historischen Hintergrund an.247 Fazit ist, dass die Szenen weder pauschal als fiktiv noch pauschal als real gedeutet werden dürfen. Welchen Bildern aber so viel Historizität innewohnt, dass sie, wenn vielleicht auch nicht als eigenständige Quelle, so doch immerhin als Teil eines Indizienparadigmas gelten können, kann momentan nicht im Einzelnen geklärt werden. „Ereignisse“, deren einziger Beleg ein solches Relief darstellt, müssen als historisch zweifelhaft betrachtet werden. Eine andere Schlussfolgerung lassen die Darstellungen von Expeditionen ins Ausland jedoch zu – unabhängig davon, ob sie nun real oder ideal sind: die Tatsache, dass sie offensichtlich zu den königlichen Pflichten gehören, zeigt, dass derartige Unternehmungen eine politische Komponente haben und Expeditionen als außenpolitische Mittel betrachtet werden dürfen.

3.7.3 Dekoration von Privatgräbern Die Dekoration von Privatgräbern des Alten Reiches ist bisher vor allem unter kunst- und kulturhistorischen Aspekten untersucht worden, wobei die Ereignisgeschichte lediglich den Rahmen vorgab.248 Den Schwerpunkt der Dekoration bildet die Versorgung des Verstorbenen im Jenseits, ausgedrückt in den „Szenen des täglichen Lebens“. Diesen sind in der Regel keine ereignishistorischen Anhaltspunkte zu entnehmen. Eine Ausnahme bilden zwei Reliefs in den Gräbern des KA-m-Hz.t in Saqqāra und des Jntj in Dišāša, auf denen die Erstürmung einer levantinischen Festung zu sehen ist. Diese sollen in Kapitel 8.4.2 genauer besprochen werden. Bárta sieht das Auftauchen neuer ikonographischer Motive in der Dekoration von Privatgräbern zur Zeit des Niuserre als Indiz für Veränderungen allgemeiner Art an, die er jedoch nicht genauer beschreibt.249 Indizien dafür, dass diese Veränderungen die Folge bestimmter politischer Entwicklungen sein könnten, gibt es nicht. Die Ursache ist wohl eher im religiösen Bereich zu sehen, etwa im Zusammenhang mit dem aufkommenden Osiris-Kult während der 5. Dynastie. Darstellungen der Flora und Fauna Ägyptens in Privatgräbern können Anhaltspunkte für die Entwicklung des Klimas sein, von dem man annehmen möchte, dass es auch die politische Entwicklung beeinflussen kann (siehe Kapitel 9.3.2). Es ist zu beachten, dass sich wie auch immer geartete Veränderungen mehr oder weniger stark zeitverzögert auf die Dekoration von Privatgräbern auswirken können, ist doch die ägyptische materielle Kultur stark vom Festhalten an Althergebrachtem geprägt. 250 Auch in

247 248 249 250

Cf. Stockfisch (2003: insbesondere 396). Siehe auch Stockfisch (1999: 14). U. a. Harpur (1987); Altenmüller (2006); Brovarski (2006); Kanawati (2010). Bárta (2015a: 89). Dies wird z. B. anhand der Keramik deutlich, deren Formeninventar sich nach Einführung der Töpferscheibe in der 5. Dynastie zunächst nicht verändert. Erst 200 Jahre später, während der Ersten Zwischenzeit tauchen neue Gefäßformen auf, die dieser effizienteren Produktionsmethode gerecht werden. Siehe Seidlmayer (2000: 124).

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3.7 Realität oder „Propaganda“?

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der Grabdekoration ist mit bestimmten „Moden“ zu rechnen, die nicht unbedingt einen direkten Bezug zur Realität haben müssen. 3.7.4 Porträt Unter dem Begriff Porträt wird hier, dem kunsthistorischen Sprachgebrauch folgend, die Darstellung eines bestimmten Menschen im Flach- oder Rundbild verstanden.251 Die Frage ist, inwieweit Porträts des Alten Reiches per se als Quelle für die Ereignisgeschichte herangezogen werden können. Ginzburg hat gezeigt, dass auch Werke der bildenden Kunst als Teil eines Indizienparadigmas eine historische Quelle sein können.252 Deutlich wird dies z. B. an den Bildnissen römischer Herrscher, die ganz klar darauf angelegt sind, (politische) Botschaften zu transportieren.253 Hier wird dem Historiker das „Lesen“ der Bildnisse durch eine Fülle von Schriftquellen erleichtert, die uns ein – im Vergleich zu Ägypten – umfassendes Bild der politischen Situation liefern. Nun werden Bildnisse im Alten Ägypten nicht in der gleichen Form als Kommunikationsmittel eingesetzt wie im antiken Rom, dennoch reflektieren sie zuweilen das Zeitgeschehen, wie ein Beispiel aus der Spätzeit zeigt: Königliche Porträts der Kuschitenzeit kombinieren „the original type of Kushite physiognomy with the Egyptian taste for idealization.“254 Nehmen wir an, es gäbe nur diese Bildnisse und keine weiteren Quellen zur politischen Situation: die Schlussfolgerung, dass Kuschiten die Herrschaft über Ägypten übernommen haben, wäre nur eine mögliche Interpretation. Man könnte auch annehmen, dass es sich um ein verändertes Schönheitsideal handelt, und die Ursache dafür darin vermuten, dass sich in einer Zeit des kulturellen Niedergangs der Geschmack der ägyptischen Elite an einer ungleich mächtigeren und weiter entwickelten Kultur, nämlich der kuschitischen, orientiert. Aufgrund der schriftlichen Überlieferung wissen wir mit Sicherheit, dass dem nicht so war. Das Gedankenspiel zeigt aber, dass ein Stilwechsel in der Kunst zwar ein Indikator für eine gesellschaftliche und/oder politische Veränderung sein kann, es aber ohne ergänzende Quellen kaum möglich ist, Rückschlüsse auf Gestalt oder gar die Ursachen der Veränderung zu ziehen. Für das Alte Reich können wir zwar konstatieren, dass sich die Privatstatuen in der 5. Dynastie in ihrem Erscheinungsbild und ihrer Quantität signifikant veränderten.255 Welche Ursachen dafür verantwortlich waren und ob darunter auch solche politischer Natur zu finden sind, lässt sich allein anhand der Bildnisse nicht erschließen. Bei einer Untersuchung der Mykerinos-Triaden256 fand Florence Friedman jüngst heraus, dass sich in selbigen das wirtschaftliche System rund um die Hw.t genannten Wirtschaftseinheiten widerspiegelt. Dies aus den Statuen herauszulesen, war jedoch nur 251 Siehe Junker/Schubert (1997: 910). Auch in der Ägyptologie ist es üblich – wenn auch zuweilen umstritten –, derartige Bildnisse als Porträts anzusprechen, siehe u. a. Breasted (1910: 7779) und Assmann (1996b: 6166). 252 Ginzburg (1983: 757). 253 Exemplarisch herausgearbeitet anhand der Bildnisse aus augusteischer Zeit von Zanker (1987). 254 Myśliwiec (1988: 104). 255 Assmann (1983: 14), (1996b: 6566). 256 Ägyptisches Museum Kairo, JE 40678, JE 40679, JE 46499 und Museum of Fine Arts Boston 09.200, 11.3147, 12.1514.

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möglich, weil es zuvor bereits (auf Schriftquellen beruhende) Erkenntnisse über diese Hw.t gab. Letztlich werden aber keine neuen Erkenntnisse über dieses System hinzugewonnen, sondern das Ergebnis besteht lediglich darin, dass der Sinn der Triaden in der Reflexion der königlichen Versorgung besteht.257 Die Bildnisse werden also in die Geschichte eingeordnet, dienen aber nicht als Quelle für neue Erkenntnisse. Eine nicht zulässige Vorgehensweise ist die psychologisierende Interpretation der Physiognomie eines Porträtierten mit dem Ziel, daraus Rückschlüsse auf den Charakter der betreffenden Person zu ziehen, wie dies z. B. auf die Statue des Djoser aus seinem Serdab, die kleine Elfenbeinfigur des Cheops und die Statue des Ḥm-Jwnw angewandt wurde.258 Wenn auch die Meinungen auseinandergehen, in welchem Maße individuelle Züge des Dargestellten in ein ägyptisches Porträt des Alten Reiches eingeflossen sind,259 so herrscht doch Einigkeit darüber, dass dies nicht nach Modell gearbeitet wurde und auch nicht als mehr oder weniger realistisches Abbild, etwa im Sinne eines Renaissance-Porträts, aufgefasst werden darf.260 Verschiedentlich wurde gezeigt, dass die Sprache vor-neuzeitlicher Bildnisse uns nicht mehr unmittelbar zugänglich ist. Werkimmanente Interpretationen sind deshalb nicht zulässig, reflektieren diese doch ungewollt Vorstellungen, die durch das Christentum und die moderne Psychologie geprägt sind. 261

3.8 Steingefäße Außerhalb Ägyptens gefundene Steingefäße, die mit einer Kartusche versehen sind, werden auch in jüngerer Zeit immer noch gerne pauschal als „diplomatische Geschenke“ bezeichnet und als Beleg für „diplomatische Beziehungen“ zum jeweiligen Fundort gewertet. 262 Im Neuen Reich gehören Steingefäße tatsächlich zum Inventar diplomatischer Geschenke, wie den entsprechenden Listen in der ʿAmārna-Korrespondenz zu entnehmen ist. 263 Diese Deutung ohne genauere Betrachtung des Fundkontextes auf das Alte Reich zu übertragen, hatte Alan Schulman bereits Ende der 1970er Jahre scharf kritisiert und vor allzu schnellen Schlussfolgerungen gewarnt.264 Für den Vorderen Orient ist bekannt, dass seit dem EBA I265 Steingefäße als Prestigeobjekte geschätzt wurden. Sie sind in großer Zahl vor allem im funerären Kontext zu fin257 F. Friedman (2015). 258 Statue des Djoser im Ägyptischen Museum Kairo, JE 49158. Zur Deutung siehe Baud (2002: 74). Statuette des Cheops im Ägyptischen Museum Kairo, JE 36143. Zur Deutung siehe Saleh/Sourouzian (1986: Nr. 28) Statue des Ḥm-Jwnw im Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim, Inv. Nr. 1962. Zur Deutung siehe T. Wilkinson (2010: 66). 259 Siehe dazu Wilson (1956: 441); Junge (1983: 51); Assmann (1996b: 6166). 260 Das Gleiche gilt für sämtliche Herrscherbildnisse der Antike und des Mittelalters. Siehe Junker/Schubert (1997: 910). 261 Giuliani (1986: 51); Jaeggi (2008: 16). 262 Z. B. Málek (2000: 115); Höveler-Müller (2005: 129130); Moreno García (2010: 5). 263 Moran (1987: EA 14, EA 22, EA 25). 264 Schulman (1979: 90). 265 Entspricht etwa der Prädynastischen Zeit in Ägypten und der Ǧamdat-Naṣr-Zeit in Sumer, siehe die

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3.8 Steingefäße

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den, wobei sowohl im südlichen Mesopotamien als auch in der Ägäis ausländische Produktionen besonders begehrt gewesen zu sein scheinen.266 Die Verbreitung von Steingefäßen einer bestimmten Provenienz ist also zunächst einmal Indiz für wie auch immer geartete Kontakte bestimmter Kulturen untereinander. Mir sind insgesamt 70 in das Alte Reich zu datierende, mit einer Kartusche beschriftete Steingefäße aus Kontexten außerhalb Ägyptens bekannt. 47 davon stammen aus der Levante (Byblos und Ebla),267 23 aus Nubien (Kerma).268 Zunächst stellt sich die Frage, welche Bedeutung einem mit einer Kartusche versehenen Gefäß beizumessen ist. Dies hat Rachael Sparks versucht, anhand der Gefäße aus der Levante herauszuarbeiten: Betrachtet man genauer, in welchem Zusammenhang Kartuschen üblicherweise angebracht werden, so zeigt sich, dass eine Kartusche stets als offizielles Statement zu werten ist, dessen Zweck religiöser, verwaltungstechnischer oder propagandistischer Natur sein kann. Wir können also davon ausgehen, dass ein entsprechendes Steingefäß bewusst angefertigt und ursprünglich auch bewusst verteilt wurde. Es ist anzunehmen, dass eine Kartusche auch ohne Kenntnis der Hieroglyphenschrift im gesamten Vorderen Orient – und dies darf sicher auf Nubien gleichermaßen übertragen werden  „lesbar“ war in dem Sinne, dass es sich um etwas typisch Ägyptisches und um ein Objekt von herausragender Qualität handelt. 269 Ob die Kartusche sogar, wie Sparks meint, als „a kind of validation, proof that the object came direct from one ruler to another”,270 zu verstehen ist, so dass das Gefäß quasi als Symbol für die Beziehungen zu Ägypten im Palast des Empfängers ausgestellt wurde, möchte ich zumindest für das Alte Reich bezweifeln. Der Fundkontext der Stücke gibt dies jedenfalls nicht her. Bevor weitere Schlüsse gezogen werden, muss der Fundkontext eines jeden Objektes im Hinblick auf die Intention der Deponierung sehr genau betrachtet werden. Von Bedeutung ist auch die Frage, ob die Datierung der Kartusche mit der Datierung des Fundortes übereinstimmt. Ist es denkbar, dass Ägypter ein „veraltetes“ Gefäß mitbrachten oder ein ausländischer Bote in Ägypten mit einem solchen „beschenkt“ wurde? Naheliegender ist in solchen Fällen, dass das Objekt auf indirektem Weg an seinen Fundort gelangt ist, möglicherweise auch als Raub- oder Beutegut: Aus mehreren Fundkontexten und entsprechend beschrifteten Gefäßen im südlichen Mesopotamien geht hervor, dass Steingefäße im Vorderen Orient nicht nur gehandelt wurden, sondern auch ein beliebtes Beutegut waren.271

Zeittafel (Tabelle 8) im Anhang A.5. 266 Potts (1989); Sparks (2003: 44). 267 Siehe Sparks (2003: 5355), Katalog Nr. 147, dort Angaben zu Material, exaktem Fundort und Referenzliteratur. 268 Siehe Reisner (1923: 506510). 269 Sparks (2003: 4345). 270 Sparks (2003: 45). 271 Siehe Potts (1989: 142148).

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Diagramm 1: Ägyptische Steingefäße mit Königsnamen in außerägyptischen Fundkontexten

Ein Blick auf das Diagramm 1 zeigt einen deutlichen peak der Verteilung königlicher Steingefäße im Ausland unter Pepi I. Kann dies als Zeichen für eine „besonders aktive Außenpolitik“ dieses Königs gewertet werden? Der Schluss scheint naheliegend und ist doch zu hinterfragen, wenn man die vielen unbekannten Faktoren berücksichtigt. Zunächst einmal ist die Anzahl der überlieferten Gefäße zu gering für eine aussagekräftige Statistik. Ferne haben wir keinerlei Vorstellung davon, welcher vermutlich recht geringe Anteil aller Gefäße mit königlicher Titulatur, die Ägypten im Alten Reich verlassen haben, uns tatsächlich überliefert ist. Zufälle der Überlieferung können folglich das Bild ganz erheblich verfälschen. Auffällig ist dennoch, dass sowohl in Byblos als auch im weit entfernt liegenden Kerma Gefäße mit den Namen Pepis I. in vergleichsweise großer Anzahl vorhanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass aufgrund des fragmentarischen Zustandes vieler Inschriften Pepi I. und Pepi II. nicht immer eindeutig unterschieden werden können. Nehmen wir an, der Eindruck, der aus den zufällig überlieferten Stücken entsteht, sei korrekt und Pepi I. habe tatsächlich deutlich mehr Gefäße mit königlicher Titulatur ins Ausland verschicken lassen als alle anderen Pharaonen des Alten Reiches. Ist eine „aktive Außenpolitik“ durch das Versenden „diplomatischer Geschenke“ die einzig mögliche Erklärung für diesen Befund? Könnte es auch eine deutlich profanere Ursache geben, etwa dass Pepi I. (oder einer seiner hochrangigen Beamten) eine besondere Vorliebe für Steingefäße hatte und diese bevorzugt als Geschenke verschickte während andere Könige z. B. eher Gold lieferten, das natürlich irgendwann einer anderen Verwendung zugeführt wurde und heute archäologisch nicht mehr nachweisbar ist? War Pepi I. vielleicht einfach narzisstisch veranlagt und wollte gerne überall ein Markenzeichen hinterlassen? Selbstverständlich lassen sich solche Hypothesen nicht beweisen und sie erscheinen mir auch selbst nicht sehr wahrscheinlich, wenn

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3.9 Keramik

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auch nicht ausgeschlossen. Dennoch sollten wir uns bewusst sein, dass die Schlussfolgerung „viele Steingefäße mit königlicher Titulatur im außerägyptischen Kontext sind gleichbedeutend mit intensiven diplomatischen Beziehungen und außenpolitischem Ehrgeiz des jeweiligen Königs“ keinesfalls ein Axiom ist. Die Mehrzahl der im Ausland gefundenen ägyptischen Steingefäße des Alten Reiches ist undekoriert. Grundvoraussetzung für eine Auswertung derselben im Hinblick auf direkte Kontakte zwischen Ägypten und dem Fundland ist eine exakte stratigraphische Einordnung und Datierung des Fundes, die – wie sich zeigen wird – in vielen Fällen nicht gewährleistet ist. Ferner muss eine genaue Analyse vorhanden sein, ob es sich tatsächlich um ägyptische Gefäße oder lokale Imitationen handelt.272

3.9 Keramik Keramik kann grundsätzlich ein Indikator für Veränderungen sein. 273 Voraussetzung, um diese zu erkennen, ist eine umfassende Untersuchung und Typologisierung des keramischen Befundes, die für das Alte Reich bisher nicht vorliegen. Historische Schlüsse wurden aus der Keramik des Alten Reiches bisher nur wenige gezogen und sind auch mit äußerster Vorsicht zu betrachten: So weist nach Ansicht von Douglas Brewer der Fund von „large quantities of standardized pottery and other artifacts throughout the Nile Valley“ aus der Anfangszeit des Alten Reiches auf „a high degree of networking and a centralized authority” hin. 274 Abgesehen davon, dass diese Aussage mit keinerlei Belegen oder Verweisen auf zugrundeliegende Untersuchungen unterfüttert wird, wäre erst einmal zu diskutieren, inwieweit Zentralgewalt und standardisierte Keramik einander tatsächlich bedingen. Die Miniaturgefäße, die zu Beginn der 4. Dynastie plötzlich massenhaft auftauchen, sieht Bárta als eine Folge von sozialen Veränderungen dieser Zeit, nämlich der stark steigenden Zahl von Beamten in der Zentralverwaltung.275 Ob dies auch ein politisches Phänomen ist, geht jedoch aus dem Befund nicht hervor: Politische Veränderungen können sowohl der Auslöser für als auch die Folge von sozialen Veränderungen sein. Ursache und Wirkung können hier nicht unterschieden werden, ebensowenig wie die Art der möglichen politischen Veränderung genauer charakterisiert werden kann. Funde ägyptischer Keramik außerhalb des ägyptischen Kernlandes sowie Funde ausländischer Keramik innerhalb Ägyptens sind auf jeden Fall ein Beleg für Handelsbeziehungen, nicht aber zwangsläufig für die Anwesenheit von Ägyptern bzw. Ausländern am entsprechenden Ort.276 Dietrich Raue weist am Beispiel von Elephantine sehr zu Recht darauf hin,

272 So erwies sich z. B. von einer scheinbar großen Anzahl ägyptischer Steingefäße auf Kreta nur ein Bruchteil als vermutlich echt ägyptisch. Siehe Kapitel 8.5. 273 Exemplarisch gezeigt hat dies Anne Seiler (2005) anhand der Keramik der Zweiten Zwischenzeit. 274 Brewer (2012: 105). 275 Bárta (1995). 276 Raue (2013: 153).

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84

3 Quellenkritik

dass der Fund zahlreicher nubischer Kochtöpfe dort nicht nur mit einem hohen Anteil nubischer Bevölkerung erklärt werden kann, sondern ebenso gut damit, dass nubische Kochtöpfe entweder besser waren als ägyptische oder einfach „in Mode“ gewesen sind, ähnlich wie es in Deutschland heutzutage als modern gilt, einen Wok zum Kochen zu benutzen. Inwieweit die Keramik Teil einer Indizienkette für Handelsbeziehungen sein kann, hat Karin Sowada am Beispiel der Beziehungen Ägyptens zur Levante exemplarisch bezeigt. Untersuchungen in dieser Richtung sind jedoch momentan allein dadurch Grenzen gesetzt, dass die Importkeramik aus vielen Grabungen in Ägypten bislang nicht ausreichend bearbeitet ist, so dass echte Importwaren und lokale Imitationen levantinischer Gefäßformen nicht immer eindeutig unterschieden werden können.277 Nach der 4. Dynastie wurde levantinische Importkeramik auch in bescheideneren Bestattungen außerhalb der Residenznekropolen gefunden. Dies als Zeichen dafür zu werten, dass die Zentralregierung die Kontrolle über die importierten Handelsgüter verliert,278 erscheint mir vorschnell. Aus dem Befund ließe sich ebenso gut – und ebenso hypothetisch – ableiten, dass sich aufgrund der prosperierenden Wirtschaft immer breitere Schichten die Importwaren leisten konnten.

277 Wodzińska (2011: 15). 278 Marfoe (1987: 27); Sowada (2009: 90).

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4 Die Abfolge der Könige 4.1 Die Könige der 3. Dynastie Ein Überblick über die vorgeschlagene Abfolge der Könige der 3. Dynastie in den Geschichtswerken der vergangenen 50 Jahre ist der untenstehenden Tabelle 1 zu entnehmen. Die je nach Autor sehr unterschiedlichen Schreibungen der Königsnamen wurden hier zugunsten einer besseren Übersichtlichkeit bzw. Vergleichbarkeit vereinheitlicht. Es ist deutlich zu sehen, dass die Reihenfolge der Könige der 3. Dynastie lange Zeit unklar war und auch nach dem heutigen Stand nicht mit Sicherheit geklärt werden kann. Wie groß die Verwirrung ist, zeigt sich u. a. daran, dass Jürgen von Beckerath in drei Büchern jeweils drei verschiedene Königsfolgen vorschlägt.1 Zeitgenössisch einigermaßen gut belegt und damit gesichert sind lediglich Djoser, Sechemchet und Huni. Lange Zeit galt Nebka/Sanacht als erster König der 3. Dynastie, da der pTurin 1874 und die Abydos-Liste Nebka vor Djoser ansetzen. Die Gleichsetzung des Nebka mit dem zeitgenössisch belegten Sanacht war lange umstritten,2 aufgrund neuerer Funde scheint es jedoch gesichert, dass es sich bei Sanacht tatsächlich um den Horusnamen des Nebka handelt. 3 Inzwischen deutet die Mehrzahl der Belege darauf hin, dass Djoser als erster König der 3. Dynastie anzusetzen ist.4 Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass Sechemchet als unmittelbarer Nachfolger des Djoser anzusehen ist 5 und dass Huni der letzte König der 3. Dynastie war. Lediglich Beckerath und – diesem folgend – Thomas Schneider setzen weitere Könige nach Huni an.6 Der Name Qahedjet konnte jedoch inzwischen als Horusname des Huni identifiziert werden.7 Zwischen Djoser und Huni sind die zeitgenössisch nur sehr schwach belegten Könige Chaba8 und Nebka/Sanacht9 anzusetzen. Hudjefa, den nur Beckerath und Schneider aufführen, ist wohl nicht als ein Königsname anzusehen, sondern ebenso wie Hudjefa I. am Ende

1 2 3 4 5 6 7

Siehe dazu Beckerath (1971), (1984), (1997). Cf. Helck (1979b: 130); Swelim (1983); Helck (1987: 107–108). Siehe dazu Seidlmayer (2006: 120–121). Dreyer (1998); Baud (2002: 59–61); Seidlmayer (2006). Lediglich Grimal (1988) setzt Chaba zwischen Djoser und Sechemchet an. Beckerath (1984); Schneider (1996). Seidlmayer (2006: 121–122). Zu den verschiedenen Varianten des Namens Huni siehe auch Helck (1976). 8 Zwei Steingefäße mit dem Namen des Chaba, die im Unterbau bzw. in einem Schaft nördlich der Mastaba Z 500 von Zāwiyat al-ʿAryān gefunden wurden, sind Indizien dafür, dass dem Chaba die unvollendete Stufenpyramide von Zāwiyat al-ʿAryān (Lepsiusʼ Pyramide XIV) zuzuschreiben ist. Oberbau und Mauerwerk zeigen deutliche Parallelen zur Stufenpyramide des Sechemchet in Saqqāra, die als unmittelbare Vorgängerin anzusehen ist. Lehner (1996); Stadelmann (1997: 7577). 9 Überzeugend begründet wird die chronologische Einordnung des Nebka/Sanacht vor Huni von Seidlmayer (1996 b: 198199, insbesondere Anm. 14).

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4 Die Abfolge der Könige

der 2. Dynastie als ein Hinweis auf einen nicht mehr lesbaren Namen in einer älteren Königsliste.10 Tabelle 1: Abfolge der Könige der 3. Dynastie11 M 11 W 10 H 06 S 06 H 05 S 03 R 01 S 00 G 98 B 97 S 96 C 95 C 94 G 88 B 84 H 78 B 71 D 69 G 65

Nebka

Nebka

Djoser

Sechemchet

Chaba

Djoser

Sechemchet

Chaba

Sanacht

Huni

Djoser

Sechemchet

Chaba

Nebka

Huni

Djoser

Sechemchet

Chaba

Djoser

Sechemchet

Neferkara/ Chaba

Djoser

Sechemchet

Chaba

Sechemchet

Chaba

Neferkare

Huni

Sanacht?

Huni

Djoser

Nebka

Huni

Huni Nebka/ Sanacht

Huni Huni

Nebka

Djoser

Sechemchet

Chaba

Sanacht

Djoser

Sechemchet

Chaba

Nebka

Djoser

Sechemchet

Chaba

Mesochris

Huni

Nebka

Djoser

Sechemchet

Hudjefa II.

Mesochris

Huni

Sanacht/ Nebka?

Djoser

Sechemchet

Chaba

Huni

Sanacht

Djoser

Sechemchet

Chaba

Huni

Nebka

Djoser

Sechemchet

Neferkara

Huni

Nebka

Djoser

Sechemchet

Hudjefa II.

Nebka

Djoser

Sechemchet

Nebka

Djoser

Sechemchet

Chaba

Huni

Mesochris

Huni

Sanacht, Chaba, Qahedjet

Sanacht, Chaba, Qahedjet

Huni Chaba, Ahu

gibt Manetho, pTurin 1874 und zeitgenössische Belege an, legt sich nicht auf eine Folge fest gibt Manetho, pTurin 1874 und zeitgenössische Belege an, legt sich nicht auf eine Folge fest

10 Siehe dazu Helck (1956: 1415); Ryholt (2004: 148). 11 M 11=Mieroop (2011), W 10=T. Wilkinson (2010), H 06=Hornung/Krauss/Warburton (2006), S 06=Schlögl 2006, H 05=Höveler-Müller (2005), S 03=Schlögl (2003), R 01=Redford (2001), S 00=Shaw (2000), G 98=Gundlach (1998), B 97=Beckerath (1997), S 96=Schneider (1996), C 95=O’Connor/Silverman (1995), C 94=Clayton (1994), G 88=Grimal (1988), B 84=Beckerath (1984), H 78=Hornung (1978), B 71=Beckerath (1971), D 69=Drioton (1969), G 65=Gardiner (1965).

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4.2 Die Könige der 4. Dynastie

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4.2 Die Könige der 4. Dynastie Über die Abfolge der sowohl zeitgenössisch als auch in späteren Quellen gut belegten Könige Snofru, Cheops, Djedefre, Chephren, Mykerinos und Schepseskaf herrscht – wie in der Tabelle 2 zu sehen ist – allgemeine Einigkeit. Einige Autoren fügen zwischen Chephren und Mykerinos einen weiteren König ein, den Manetho unter dem Namen Bicheris als sechsten König der 4. Dynastie auflistet.12 Diesen Bicheris möchte Beckerath mit Bi-ka gleichsetzen, der seinen Angaben nach der älteste Sohn des Djedefre und vermutlich Besitzer der unvollendeten nördlichen Pyramide von Zāwiyat al-ʿAryān (Lepsiusʼ Pyramide XIII) ist, und verweist dabei auf Stadelmann, Helck und George Reisner.13 Eine Überprüfung der angegebenen Literaturbelege führt jedoch ins Leere: Stadelmann äußerst sich zur Datierung der besagten Pyramide nur vorsichtig, seiner Meinung nach überwiegen die Argumente für eine Einordnung in die 4. Dynastie, und sollte dies zutreffen, so sei vielleicht an Baka, den Sohn des Djedefre zu denken, der auf einer Statue aus Abū Rawāš belegt sei. Dabei verweist Stadelmann ebenfalls auf Helck und Reisner.14 Helcks Ausführungen betreffen jedoch den aus den Erzählungen des pWestcar bekannten Prinzen BA.w=f-Ra, der in einem Graffito im Wādī alḤammāmāt belegt ist und den er mit Bicheris gleichsetzen möchte. 15 Eine Gleichsetzung des Bicheris mit BA.w=f-Ra lehnt Beckerath ausdrücklich ab.16 Roman Gundacker vermutet, dass die bei Pseudo-Apollodoros/Pseudo-Eratosthenes belegte Namensvariante Βιϋρης auf eine Verwechslung bzw. Vermischung des BA.w=f-Ra mit dem König Baka zurückzuführen ist.17 Reisner schreibt zwar über die genealogische Einordnung des Djedefre, erwähnt jedoch mit keinem Wort einen Baka oder eine Statue aus Abū Rawāš, auf der Baka als Sohn des Djedefre genannt sein soll.18 Offensichtlich bezieht sich diese Angabe auf eine Statue im Louvre,19 deren als Schreiber dargestellter Inhaber die Inschrift als „ältesten Sohn des Königs von seinem Leib“ (zA nzw smsw n X.t=f) ausweist. Der Name des Prinzen lautet jedoch

%.t-kA.20

12 Die ersten fünf Könige erscheinen bei Manetho nicht in ihrer historischen Reihenfolge. Siehe dazu Beckerath (1997: 156157). 13 Beckerath (1997: 158158). Dieser Argumentation folgt Schneider (1996: 91), der die gleichen Belege angibt. 14 Stadelmann (1997: 77). 15 Helck (1968: 56). 16 Beckerath (1997: 159). 17 Gundacker (2015: 121). 18 Reisner (1942: 28). 19 Louvre Paris E 12629 und E 12631. 20 Siehe Chassinat (1901: 617618). Bei Maragioglio/Rinaldi (1966) sind keine Hinweise auf die Statue zu finden.

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4 Die Abfolge der Könige

Tabelle 1: Abfolge der Könige der 4. Dynastie21 M 11

Snofru

Cheops

Djedefre

Chephren

W 10

Snofru

Cheops

Djedefre

Chephren

Snofru

Cheops

Djedefre

Bicheris

Snofru

Cheops

Djedefre

Baka

Snofru

Cheops

Djedefre

Snofru

Cheops

Djedefre

Snofru

Cheops

Snofru

H 06 S 06 H 05 S 03 R 01 S 00 G 98 B 97 S 96 C 95 C 94 G 88 B 84 H 78 B 71 D 69 G 65

Mykerinos

Schepseskaf

Mykerinos

Schepseskaf

Chephren

Mykerinos

Schepseskaf

Chephren

Mykerinos

Schepseskaf

Mykerinos

Schepseskaf

Chephren

Mykerinos

Schepseskaf

Djedefre

Chephren

Mykerinos

Schepseskaf

Cheops

Djedefre

Chephren

Mykerinos

Schepseskaf

Snofru

Cheops

Djedefre

Chephren

Baka

Mykerinos

Schepseskaf

Snofru

Cheops

Djedefre

Chephren

Bicheris

Mykerinos

Schepseskaf

Thamphthis

Snofru

Cheops

Djedefre

Chephren

Bicheris

Schepseskaf

Schepseskaf

Thamphthis

Snofru

Cheops

Djedefre

Chephren

Mykerinos

Schepseskaf

Snofru

Cheops

Djedefre

Chephren

Chephren Baka

ephemeral unnamed king

Baka

Snofru

Cheops

Djedefre

Chephren

BA.w=fRa?

Snofru

Cheops

Djedefre

Chephren

Bicheris

Snofru

Cheops

Djedefre

Chephren

Snofru

Cheops

Djedefre

Chephren

Bicheris

Mykerinos

Schepseskaf

Mykerinos

Schepseskaf

Mykerinos

Schepseskaf

Mykerinos

Schepseskaf

Mykerinos

Schepseskaf

#n.t-kA.w=s

2 unbekannte Könige

Thamphthis

Thamphthis

gibt Manetho, pTurin 1874 und zeitgenössische Belege an, legt sich nicht auf eine Folge fest gibt Manetho, pTurin 1874 und zeitgenössische Belege an, legt sich nicht auf eine Folge fest

Bei der unvollendeten Pyramide von Zāwiyat al-ʿAryān wurden einige Steinbruchinschriften mit einem Königsnamen gefunden. Es handelt sich um einen „Herrn der beiden Länder Nebkare“ (nb tA.wj Nb-kA-Ra), dessen in Kartusche geschriebener nzw-bjt-Name auf -kA endet. Die Lesung des Zeichens vor dem -kA ist dabei ebenso unklar wie die zeitliche Einordnung der Pyramide, die von Aidan Dodson in die 3. Dynastie, von Stadelmann, Mark Lehner und anderen dagegen in die 4. Dynastie datiert wird.22 Sollte die Pyramide tatsäch-

21 M 11=Mieroop (2011), W 10=T. Wilkinson (2010), H 06=Hornung/Krauss/Warburton (2006), S 06=Schlögl 2006, H 05=Höveler-Müller (2005), S 03=Schlögl (2003), R 01=Redford (2001), S 00=Shaw (2000), G 98=Gundlach (1998), B 97=Beckerath (1997), S 96=Schneider (1996), C 95=O’Connor/Silverman (1995), C 94=Clayton (1994), G 88=Grimal (1988), B 84=Beckerath (1984), H 78=Hornung (1978), B 71=Beckerath (1971), D 69=Drioton (1969), G 65=Gardiner (1965). 22 Zu möglichen Lesungen des Königsnamens und den Argumenten für eine Datierung in die 3. Dynastie

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4.3 Die Könige der 5. Dynastie

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lich in die 3. Dynastie datieren, wäre eine Gleichsetzung des Inhabers mit Bicheris/Baka hinfällig.23 Selbst wenn es sich um ein Monument der 4. Dynastie handeln sollte, ist die Zuordnung zu einem bestimmten König aufgrund des unleserlichen Graffitos nicht zweifelsfrei möglich.24 Trotz allem geistert Bicheris/Baka als Sohn des Djedefre, Nachfolger des Chephren und Inhaber der unvollendeten Pyramide von Zāwiyat al-ʿAryān als vermeintliche Tatsache durch die weitere Literatur.25 Schlögl sieht in Baka als angeblich ältestem Sohn des Djedefre sogar dessen direkten Nachfolger – eine Annahme, die, wie oben gezeigt, jeglicher Grundlage entbehrt.26 Nach der Regierung des Schepseskaf fügt Beckerath (und jenem folgend Schneider) den bei Manetho genannten, aber zeitgenössisch nicht belegten Thamphthis ein. Michael Höveler-Müller hält Thamphthis für eine verderbte Schreibung des Namens der #n.tkA.w=s I., die zwei Jahre lang für ihren unmündigen Sohn Userkaf regiert habe.27

4.3 Die Könige der 5. Dynastie Die Könige der 5. Dynastie sind sowohl zeitgenössisch als auch in den Königslisten gut belegt, über ihre Anzahl und Reihenfolge herrscht weitgehende Einigkeit (siehe Tabelle 3). Lediglich Hornung lässt aus nicht genannten Gründen Schepseskare und Neferefre aus.28 Schlögl, Höveler-Müller und Hornung/Krauss/Warburton setzen  gleichermaßen aus nicht genannten Gründen – Neferefre vor Schepseskare an.29

23 24 25 26 27 28 29

siehe Dodson (1985). Der Datierung der Pyramide in die 3. Dynastie schließt sich Verner (2001: 586) an. Ohne auf diese Argumente einzugehen, sieht Lehner (1997: 139) eine Datierung in die 4. Dynastie als „zwingend“ an. Merkwürdigerweise verweist Schneider (1996: 91), der den Thesen Beckeraths folgt, zur Untermauerung derselben dennoch auf den Beitrag von Dodson (1985). So auch Dodson/Hilton (2004: 55). Siehe u. a. Grimal (1988: 94); Gundlach (1998: 174); Höveler-Müller (2005: 84, 87) und Müller-Römer (2011: 187188). Grimal, Gundlach und Müller-Römer geben überhaupt keine Belegstellen mehr an, Höveler-Müller verweist wie schon zuvor Schneider und Beckerath auf Stadelmann (1997: 77). Schlögl (2003: 34). Höveler-Müller (2005: 8889). Hornung (1978). Schlögl (2003); Höveler-Müller (2005); Hornung/Krauss/Warburton (2006).

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4 Die Abfolge der Könige

Tabelle 2: Abfolge der Könige der 5. Dynastie30 M 11 W 10 H 06 S 06 H 05 S 03 R 01 S 00 G 98 B 97 S 96 C 95 C 94 G 88 B 84 H 78 B 71 D 69 G 65

Userkaf

Sahure

Userkaf

Sahure

Userkaf

Sahure

Userkaf

Sahure

Userkaf

Sahure

Userkaf

Sahure

Userkaf

Sahure

Userkaf

Sahure

Userkaf

Sahure

Userkaf

Sahure

Userkaf

Sahure

Userkaf

Sahure

Userkaf

Sahure

Userkaf

Sahure

Userkaf

Sahure

Userkaf

Sahure

Userkaf

Sahure

Neferirkare Neferirkare Neferirkare Neferirkare Neferirkare Neferirkare Neferirkare Neferirkare Neferirkare Neferirkare Neferirkare Neferirkare Neferirkare Neferirkare Neferirkare Neferirkare Neferirkare

Schepseskare Schepseskare

Neferefre

Niuserre

Menkauhor

Isesi

Unas

Neferefre

Niuserre

Menkauhor

Isesi

Unas

Neferefre

Schepses-kare

Niuserre

Menkauhor

Isesi

Unas

Neferefre

Schepses-kare

Niuserre

Menkauhor

Isesi

Unas

Neferefre

Schepses-kare

Niuserre

Menkauhor

Isesi

Unas

Neferefre

Schepses-kare

Niuserre

Menkauhor

Isesi

Unas

Neferefre

Niuserre

Menkauhor

Isesi

Unas

Neferefre

Niuserre

Menkauhor

Isesi

Unas

Neferefre

Niuserre

Menkauhor

Isesi

Unas

Neferefre

Niuserre

Menkauhor

Isesi

Unas

Neferefre

Niuserre

Menkauhor

Isesi

Unas

Neferefre

Niuserre

Menkauhor

Isesi

Unas

Neferefre

Niuserre

Menkauhor

Isesi

Unas

Neferefre

Niuserre

Menkauhor

Isesi

Unas

Neferefre

Niuserre

Menkauhor

Isesi

Unas

Niuserre

Menkauhor

Isesi

Unas

Niuserre

Menkauhor

Isesi

Unas

Schepseskare Schepseskare Schepseskare Schepseskare Schepseskare Schepseskare Schepseskare Schepseskare Schepseskare

Schepseskare

Neferefre

gibt Manetho, pTurin 1874 und zeitgenössische Belege an, legt sich nicht auf eine Folge fest gibt Manetho, pTurin 1874 und zeitgenössische Belege an, legt sich nicht auf eine Folge fest

4.4 Die Könige der 6. Dynastie Die Könige Teti, Pepi I., Merenre I. und Pepi II. sind sowohl zeitgenössisch als auch in den Königslisten jeweils mit einer mehrjährigen Regierungszeit gut belegt. Über ihre Existenz und Abfolge herrscht in der Historiographie allgemeine Einigkeit (siehe Tabelle 4). Zwischen Teti und Pepi I. scheint für kurze Zeit ein König Userkare regiert zu haben, der in den

30 M 11=Mieroop (2011), W 10=T. Wilkinson (2010), H 06=Hornung/Krauss/Warburton (2006), S 06=Schlögl 2006, H 05=Höveler-Müller (2005), S 03=Schlögl (2003), R 01=Redford (2001), S 00=Shaw (2000), G 98=Gundlach (1998), B 97=Beckerath (1997), S 96=Schneider (1996), C 95=O’Connor/Silverman (1995), C 94=Clayton (1994), G 88=Grimal (1988), B 84=Beckerath (1984), H 78=Hornung (1978), B 71=Beckerath (1971), D 69=Drioton (1969), G 65=Gardiner (1965).

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4.4 Die Könige der 6. Dynastie

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Königslisten nur teilweise und zeitgenössisch nur schwach belegt ist. 31 Die Existenz dieses Königs wird kaum noch bestritten, lediglich Peter Clayton sowie David O’Connor/David Silverman lassen ihn aus. Die Hintergründe bzw. die genealogische Einordnung dieses Königs sind nach wie vor unklar: Man hielt ihn für einen Usurpator in Konkurrenz zu Pepi I.,32 brachte ihn mit dem bei Manetho überlieferten Mord an Teti in Verbindung33 oder hielt ihn für einen Interimskönig für den noch unmündigen Pepi I.34 Merenre II. steht mit einem Jahr Regierungszeit im pTurin 1874 und ist zeitgenössisch nur ein einziges Mal belegt.35 Clayton, O’Connor/Silverman, Gundlach, Schlögl und van de Mieroop lassen ihn ganz aus, T. Wilkinson rechnet Merenre II. (ebenso wie Nitokris) aus nicht nachvollziehbaren Gründen der 8. Dynastie zu. Der Tradition des Manetho folgend, setzen die meisten Autoren an das Ende der 6. Dynastie eine Königin Nitokris, von der es keine zeitgenössischen Belege gibt. 36 Diese Nitokris wurde in der Vergangenheit immer wieder mit dem Namen N.t-jor.t im pTurin 1874 und den Königen NTr-kA-Ra bzw. Mn-kA-Ra der Abydos-Liste identifiziert,37 so dass man den Bericht des Manetho als bestätigt ansah. Andere Autoren hielten Nitokris schlicht für einen Abschreibefehler in den Königslisten und strichen den Namen ganz aus der Liste der Könige der 6. Dynastie.38 In jüngster Zeit konnte Kim Ryholt durch eine Korrektur der Anordnung der Fragmente des pTurin 1874 nachweisen, dass es sich bei N.t-jor.t um einen männlichen König mit dem Horusnamen ZA-PtH handelt.39

31 Userkare ist namentlich auf dem Stein von Saqqāra-Süd und in der Abydos-Liste belegt. Im pTurin 1874 (Kolumne III, 2) ist ein König zwischen Teti und Pepi I. verzeichnet, dessen Name nicht erhalten ist. Für die zeitgenössischen Belege siehe Schneider (1996: 306). 32 Helck (1968, 7172); Drioton (1969: 67). 33 Kanawati (1984: 37). Dagegen Stadelmann (1994: 335). Höveler-Müller (2005: 115) sieht in Userkare den legitimen Thronfolger und meint, dass nicht Teti, sondern Userkare selbst ermordet wurde. Die Argumentation, dass Manetho auch das Attentat auf Amenemhet I. fälschlicherweise auf Amenemhet II. bezieht und eine ähnliche Verwechslung deshalb auch für Teti und Userkare anzunehmen ist, kann nicht überzeugen. 34 Grimal (1988: 102). 35 Siehe Goedicke (1967: 158162). Das Dekret kann jedoch nur indirekt über die Nennung bekannter Königinnennamen mit Merenre II. in Verbindung gebracht werden. 36 Nitokris wird auch von Herodot II, 100 erwähnt. Siehe Kapitel 3.5. 37 Siehe u. a. Coche-Zivie (1972). 38 Hornung (1978: 42) geht von einem Abschreibefehler aus, zählt Nitokris aber trotzdem unter den Königen der 6. Dynastie auf. Clayton, O’Connor/Silverman und Höveler-Müller streichen Nitokris ganz. Hornung/Krauss/Warburton lassen Nitokris in der Aufzählung der Könige am Ende des Buches aus, im Fließtext jedoch weist Baud (2006: 156) darauf hin, dass es sich um einen männlichen Herrscher handelt. 39 Ryholt (2000).

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4 Die Abfolge der Könige

Tabelle 3: Abfolge der Könige der 6. Dynastie40 M 11

Teti

Userkare

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

Nitokris

W 10

Teti

Userkare

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

(Merenre II.)

H 06

Teti

Userkare

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

Merenre II.

S 06

Teti

Userkare

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

Merenre II.

H 05

Teti

Userkare

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

Merenre II.

S 03

Teti

Userkare

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

Merenre II.

Nitokris

R 01

Teti

Userkare

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

Merenre II.

Nitokris41

S 00

Teti

Userkare

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

B 84

Teti

Userkare

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

G 98

Teti

Userkare

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

B 97

Teti

Userkare

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

Merenre II.

Nitokris

S 96

Teti

Userkare

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

Merenre II.

Nitokris

C 95

Teti

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

C 94

Teti

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

G 88

Teti

Userkare

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

Merenre II.

Nitokris

B 84

Teti

Userkare

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

Merenre II.

Nitokris

H 78

Teti

Userkare

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

Merenre II.

Nitokris

B 71

Teti

Userkare

Pepi I.

Merenre I.

Pepi II.

Merenre II.

Nitokris

D 69

gibt Manetho, pTurin 1874 und zeitgenössische Belege an, legt sich nicht auf eine Folge fest

G 65

gibt Manetho, pTurin 1874 und zeitgenössische Belege an, legt sich nicht auf eine Folge fest

(Nitokris)

Nitokris

Nitokris Merenre II.

Nitokris Nitokris

40 M 11=Mieroop (2011), W 10=T. Wilkinson (2010), H 06=Hornung/Krauss/Warburton (2006), S 06=Schlögl 2006, H 05=Höveler-Müller (2005), S 03=Schlögl (2003), R 01=Redford (2001), S 00=Shaw (2000), G 98=Gundlach (1998), B 97=Beckerath (1997), S 96=Schneider (1996), C 95=O’Connor/Silverman (1995), C 94=Clayton (1994), G 88=Grimal (1988), B 84=Beckerath (1984), H 78=Hornung (1978), B 71=Beckerath (1971), D 69=Drioton (1969), G 65=Gardiner (1965). 41 Redford (2001) rechnet auch den im pTurin 1874 nach Nitokris aufgeführten König Neferka(re) zur 6. Dynastie.

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5 Der Beginn des Alten Reiches Im Einleitungsteil wurde bereits ausgeführt, dass es zu Beginn des Alten Reiches keine eindeutig fassbare historische Zäsur gibt.1 Der Umfang dieser Periode wurde nicht von den Ägyptern selbst, sondern aus Historikersicht nachträglich festgelegt und fließende Übergänge stellen für historische Epochen die Regel dar. Dennoch wird nicht nur in den Überblickswerken zur Geschichte versucht, den Übergang von der 2. zur 3. Dynastie als einen Einschnitt mit fundamentalen Neuerungen darzustellen.2 Während diverse Untersuchungen zur Reichseinigungszeit vorhanden sind, ist der Beginn des Alten Reiches meines Wissens bisher nicht speziell behandelt worden – was wohl an der generell schwachen Beleglage für diese Zeit (die 1. Dynastie ist deutlich besser dokumentiert) und vielleicht auch daran liegt, dass die Forschungsschwerpunkte „Frühzeit“ und „Altes Reich“ säuberlich voneinander getrennt werden. Diese Lücke ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zu schließen, es sollen lediglich einige Aspekte kurz angesprochen und auf die damit verbundenen Unklarheiten hingewiesen werden. Häufig wird auf die besondere Bedeutung von Memphis zu Beginn des Alten Reiches hingewiesen: unter Djoser sei dieses „Hauptstadt“ geworden, indem Nekropole, Residenz und Verwaltung dorthin verlegt wurden.3 Diese These scheint in erster Linie darauf zu beruhen, dass Manetho die Könige der 3. Dynastie als „Memphiten“ bezeichnet und der Djoser-Komplex die Nekropole von Saqqāra in unserer modernen Wahrnehmung stark dominiert. Das Grabmal des Djoser ist jedoch keineswegs das erste Königsgrab in Memphis, schon die Könige der 2. Dynastie hatten ihre Grabstätten von Abydos nach Saqqāra verlegt.4 Als frühester inschriftlicher Beleg von Memphis (ägyptisch Jnb.w-HD) wird ein in die Zeit des Djoser datiertes Siegel aus der Mastaba K 1 in Bait Ḫallāf angegeben.5 Mittlerweile sind auch ältere Belege für Jnb.w-HD bekannt, u. a. auf einem Steingefäß der 1. Dynastie aus Ṭarḫān.6 Nach dem Bericht des Herodot baute Menes, der erste König Ägyptens, südlich von Memphis einen Damm und gründete auf dem dadurch trockengelegten Land die Stadt Memphis.7 Die Manetho-Epitomatoren berichten übereinstimmend, in der 1. Dynastie habe

1 Siehe Kapitel 2.3. 2 Ausgenommen davon sind jene Autoren, die das Alte Reich erst mit der 4. Dynastie beginnen lassen und selbstredend die Kontinuität von der 2. zur 3. Dynastie betonen. Cf. T. Wilkinson (2014). 3 Otto (1953: 52); Helck (1954: 132); Drioton (1969: 59); Beckerath (1971: 16); Hornung (1978: 15–16); Coche-Zivie (1982). 4 Stadelmann (1997: 31); Seidlmayer (1998: 122). 5 Garstang (1903: Taf. 9). Von Hannig (2003: 1547, Nr. 40870) als einziger Beleg des Alten Reiches überhaupt genannt, auch von Vogel (2004: 13), die aufgrund der Hieroglyphe Memphis unter den Festungen des Alten Reiches einordnet, als frühester Beleg angegeben. 6 Mündliche Mitteilung von Robert Kuhn. 7 Herodot II, 99.

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5 Der Beginn des Alten Reiches

Athotis, der Sohn des Menes, den königlichen Palast in Memphis erbaut. 8 Dennoch werden die Könige der 1. und 2. Dynastie als „Thiniten“, erst die der 3. Dynastie als „Memphiten“ bezeichnet (cf. Kapitel 3.5). Unabhängig von der Frage, ob „Menes“ mit einem der Könige der 0. oder 1. Dynastie identifiziert werden kann oder aber „a fictional beginning for the historical era“ ist,9 bestätigen die ausgedehnten Gräberfelder von Saqqāra, Abū Ṣīr, Abū Rawāš, Ṭura, Ṭarḫān und Ḥulwān, dass die Region um Memphis bereits zu Beginn der dynastischen Zeit ein bedeutendes Zentrum war. Es wird vermutet, dass sich dort ab der 1. Dynastie die „Hauptstadt“ befand.10 Die Stadt Memphis wird meist mit dem Ruinenfeld nahe dem modernen Dorf Mīt Rahīna gleichgesetzt; dort befinden sich die meisten Monumente aus pharaonischer Zeit. Die Grabungen der Egypt Exploration Society bei Mīt Rahīna haben jedoch bisher kein Material zutage befördert, das vor dem Mittleren Reich zu datieren ist. 11 Der Grund dafür könnte sein, dass die Reste der frühen Siedlung durch Erosion und Verschiebung des Flussbettes zerstört wurden.12 Möglicherweise befand sich das urbane Zentrum von Memphis im Alten Reich auch weiter im Norden, etwa östlich von Saqqāra-Nord oder Abū Ṣīr.13 Andere Überlegungen gehen dahin, dass Memphis im Alten Reich keine klar begrenzte Siedlung ist, sondern sich der Name auf eine „capital zone“ bezieht, welche die gesamte Region von Abū Rawāš bis Dahšūr mit den dort befindlichen Dörfern und Kleinstädten umfasst. 14 Es stellt sich die Frage, welche Merkmale die „Hauptstadt“ einer antiken Kultur kennzeichnen und ob auch eine weiter gefasste Region als solche bezeichnet werden kann. Ludwig Morenz/Robert Kuhn weisen darauf hin, dass „das Konzept einer ‚Hauptstadt‘“ schon während der 0. Dynastie entstanden sein könnte und sich diese entweder in der Nähe des Machtzentrums Abydos oder des religiösen Zentrums Hierakonpolis befunden haben dürfte.15 Was aber gehört zum „Konzept der Hauptstadt“? Das religiöse Zentrum des Landes? Der Palast des Herrschers? Der Sitz der Verwaltung? Die Nekropole der Elite? Oder müssen alle Kriterien erfüllt sein, um von einer Hauptstadt sprechen zu können? Die Fragen können momentan nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Eindeutig ist nur, dass sich die Nekropolen der Elite im Raum Memphis konzentrierten. Eine Verlegung der Residenz unter Djoser kann schon deshalb nicht schlüssig nachgewiesen werden, da wir nicht sicher wissen, wo sich diese vorher befand. Für den Beginn der dynastischen Zeit wird angenommen, dass der König mit seinem Gefolge turnusmäßig das gesamte Land bereiste und ihm zu diesem Zweck eine Reihe von temporären Palästen zur Verfügung standen.16 Stadelmann argumentiert, der König müsse stets in unmittelbarer Nähe seines

8 Waddell (1940: 2933). 9 Cf. Hornung (2006: 4), der die Versuche, Menes mit Narmer oder Aha zu identifizieren, für nicht überzeugend hält. 10 Endesfelder (1991: 23); Seidlmayer (1998: 121122); Köhler (2008: 381); Morenz/Kuhn (2011: 5). 11 Cf. Jeffreys (1998), (2012). 12 Giddy (1994); Jeffreys/Tavares (1994); Jeffreys (2000). 13 Málek (1997); Baines (2007: 111). 14 Love (2003); Bussmann (2015: 7). 15 Morenz/Kuhn (2011: 5). 16 Deutliche Indizien sprechen dafür, dass es sich bei einer Anlage der 1. Dynastie in Buto um einen solchen Palast handelt. Siehe Hartung et al. (2012: 98). T. Wilkinson (2010: 73) sieht auch die Könige

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Pyramidenkomplexes residiert haben, da es ihm von Memphis aus nicht möglich gewesen sei, die Bauarbeiten zu überwachen. Der königliche Palast sei also von jedem Herrscher in der Nähe seines Begräbnisplatzes errichtet worden und habe dann den Kern für die künftige Pyramidenstadt gebildet.17 Diese These hat in der Literatur wenig Widerhall gefunden. In den bisher archäologisch bezeugten Pyramidenstädten des Alten Reiches sind keinerlei Spuren einer königlichen Residenz oder kultischer Einrichtungen – mit Ausnahme der königlichen Totentempel – auszumachen.18 Es erscheint wenig wahrscheinlich, dass der König eine Notwendigkeit sah, die Bauarbeiten am Pyramidenkomplex permanent selbst zu kontrollieren – und das mitunter jahrzehntelang. Gehen wir davon aus, dass sich das Memphis des Alten Reiches nördlich von Saqqāra befand, so beträgt die Entfernung bis Abū Rawāš ca. 25 km, bis Dahšūr ca. 15 km (Luftlinie). Auch die am weitesten entfernten Ausläufer der Nekropole sollten damit von einer (hypothetischen) festen Residenz in der Siedlung Memphis für den König problemlos innerhalb maximal einer Tagesreise erreichbar gewesen sein.19 Diese Entfernung sollte kein Hindernis für eine gelegentliche Inspektionsreise des Königs zu seiner Pyramidenbaustelle dargestellt haben. Gehen wir von einer festen Residenz aus, so scheint mir die These von Memphis als einem „dynamic urban centre“ nicht einleuchtend, würde diese doch nahelegen, dass sich der Kern der Stadt ständig verschiebt.20 Gundlach argumentiert, der Amtssitz des Königs sowie die Zentralverwaltung müssten bleibende Einrichtungen gewesen sein, da der Staatsbetrieb bereits zu umfangreich gewesen sei.21 Tatsächlich entzieht sich aber der Umfang des „Staatsbetriebes“ unserer Kenntnis. Die Aussage, Djoser habe das Amt des Wesirs eingeführt, ist sicher nicht haltbar. 22 Zwar findet sich unter den Tintenaufschriften der Gefäße aus den Galerien der Djoser-Pyramide mehrfach der Wesir Mn-kA, doch scheint es den Ausgräbern wahrscheinlich, dass die Gefäße eher in die 2. Dynastie zu datieren sind.23 Eventuell kann sogar ein Siegelabdruck der späten 1. Dynastie als früheste Erwähnung dieses Amtes gelten. 24 Eine vollständige Titulatur des Wesirs ist dagegen erst unter Snofru belegt. 25 Eva-Maria Engel kommt in ihrer Untersuchung der Verwaltung dieser Zeit zu dem Fazit, dass jene nicht genauer beschrieben werden könne und lediglich davon auszugehen sei, dass zum Ende der 3. Dynastie die wichtigsten Zweige der Verwaltung des Alten Reiches existierten. 26

17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

der 4. Dynastie noch regelmäßig im Land umherziehen und führt als – wenig überzeugenden – Beleg dafür an, dass der Tragestuhl und die Möbel aus dem Grab des Königin Ḥtp-Hr=s (Ägyptisches Museum Kairo, JE 52 372, JE 53 261, 53 363, 57 711) besonders leicht konstruiert worden seien, damit sie sich für den ständigen Transport eigneten. Stadelmann (1981: 7677), (1996: 226), (1997: 215216). Von wechselnden Residenzen im Alten Reich geht auch Hornung (1978: 15–16) aus. Cf. Bussmann (2004), (2015: 6). Cf. die Überlegungen zur Reisegeschwindigkeiten im Alten Ägypten in Köpp-Junk (2015: 297300). Cf. Love (2003). Gundlach (1998: 230). Otto (1953: 52); Höveler-Müller (2005: 64); T. Wilkinson (2010: 55). Lacau/Lauer (1965: 13). Saqqāra Grab S 3504, siehe Helck (1987: 218). Bárta (2013a: 165166). Engel (2013).

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5 Der Beginn des Alten Reiches

Es sind also vor allem kulturhistorische Phänomene, die wir zu Beginn des Alten Reiches beschreiben können: 1. Beginn des monumentalen Steinbaus27 2. Der Gebrauch der Schrift nimmt in der 3. Dynastie deutlich zu und es beginnt eine neue Phase der Schriftentwicklung. Durch das Schreiben von Sätzen und fortlaufenden Texten dient die Schrift nicht mehr nur als Informations-, sondern auch als Kommunikationsmittel.28 Innerhalb der seit dem 4. Jahrtausend v. Chr. in Gang befindlichen Schriftentwicklung stellt diese Phase jedoch nur eine von mehreren Stufen dar und ist insofern keine Besonderheit.29 3. Ein deutlicher Gegensatz zwischen Residenz- und Provinzkultur bildet sich heraus. Die Denkmäler der Elite konzentrieren sich im memphitischen Raum, während die alten oberägyptischen Zentren auf provinzielles Niveau herabsinken. 30 Hierzu ist zu bemerken, dass diese Aussage auf dem sich automatisch einstellenden Eindruck zu beruhen scheint, der bei einem überblicksartigem Betrachten des Materials entsteht. Eine auf vergleichenden Zahlen beruhende konkrete Untersuchung dieses Themas ist mir nicht bekannt.

27 Zum Beginn des Steinbaus als kulturhistorischem Einschnitt cf. Kapitel 2.3. 28 Kahl (1994: 162) bezeichnet diese Stufe der Schriftentwicklung als „Phase II“, L. Morenz (2011: 22) als „Heliopolis-Revolution“. Siehe auch Baud (2002: 9495) und Baines (2007: 104109). 29 L. Morenz (2011: 22) bezeichnet die Entwicklung der Schrift in dieser Phase auch als „keineswegs abgeschlossen“, es habe sich aber um 2700 v. Chr. „der feste Kern ausgebildet“. 30 Vandersleyen (1975: 13); Seidlmayer (1996 a: 108); Beckerath (1997: 160); Verner (2001: 585); Baud (2002: 211212), Schlögl (2003: 28); Bárta (2015a: 56).

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6 Charakterisierung einzelner Könige und anderer Personen 6.1 Djoser Vielen Autoren zufolge dominierte König Djoser die 3. Dynastie so sehr, dass die anderen Könige „pale into insignificance by comparison“.1 Welche Belege gibt es tatsächlich für diese (vermeintlich) herausragende Stellung des Djoser? Als Argument wird angeführt, dass die Erinnerung an Djoser und Imhotep in der ägyptischen Tradition stets lebendig geblieben sei.2 In der Tat stammt das jüngste bekannte Dokument, das sich auf die Zeit des Djoser bezieht, aus dem 1. oder 2. Jh. n. Chr.3 Doch kann dies als Argument für eine herausragende Rolle Djosers auch während der 3. Dynastie gelten? Wenn man auch davon ausgehen kann, dass legendenhafte Überlieferungen mitunter einen wahren Kern enthalten, so dürfen doch allein aufgrund einer solchen Überlieferung keine historischen Schlüsse gezogen werden. Wie ist Djoser also zeitgenössisch belegt? Von allen Inschriften der 3. Dynastie stammt eine überwältigende Mehrheit (154 von 240 insgesamt) aus der Regierungszeit des Djoser, von diesen wiederum etwa die Hälfte (87 von 154) aus Saqqāra.4 Bei der Auswertung ist zu beachten, dass vermutlich die besonders intensive Ausgrabungstätigkeit in Saqqāra mit Schwerpunkt auf dem Pyramidenbezirk des Djoser dieses Verhältnis in unbekanntem Maß beeinflusst.5 Keine dieser Inschriften enthält einen unmittelbar historisch verwertbaren Inhalt.6 Lässt allein die Quantität der überlieferten Zeugnisse auf die Bedeutung eines Herrschers schließen? Soweit die Könige der 3. Dynastie in ihrer Abfolge und Regierungsdauer derzeit mit aller Vorsicht rekonstruiert werden können, scheint Djoser deutlich länger regiert zu haben als seine Nachfolger (siehe die Tabelle 7 im Anhang A.4). Insofern dürfen auch mehr überlieferte Zeugnisse erwartet werden. Der Eindruck von der herausragenden Rolle des Djoser wird in erster Linie hervorgerufen durch den Grabkomplex dieses Königs in Saqqāra, der für uns heute das sichtbarste Relikt dieser Epoche ist. Die Beschreibung der Pyramidenanlage füllt in den Geschichtsbüchern teilweise mehrere Seiten. Djoser darf für sich in Anspruch nehmen, dass unter seiner Regierungszeit der erste monumentale Steinbau Ägyptens entsteht; welche Rolle der König bei dessen Entwicklung spielte, ist für uns nicht zu erkennen.

1 T. Wilkinson (2010: 55). Ähnlich äußern sich u a. Otto (1953: 49); Hornung (1978: 14); Grimal (1988: 81–82); Andreu (1997: 7). 2 Grimal (1988: 8). 3 Es handelt sich um einen demotischen Papyrus in der Universität Kopenhagen, siehe Wildung (1969: 91–93). 4 Kahl (1995: 5). 5 Kahl (1995: 4). 6 Eine der wenigen längeren Inschriften auf einem Kalksteinblock aus Heliopolis (Kahl (1995: 116–117, Nr. Ne/He/4) ermöglicht zwar Rückschlüsse auf die theologische, nicht aber auf die politische Arbeit der Residenz. Siehe Bussmann (2010: 467).

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6 Charakterisierung einzelner Könige und anderer Personen

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Djoser der am längsten regierende König der 3. Dynastie war, dem auch die Ägypter selbst eine besondere Rolle zuschrieben (man denke an das rubrum im pTurin 1874), so dass sich sein Andenken sehr lange gehalten hat. Über die Person selbst ist nichts bekannt. Als einzige uns überlieferte „politische“ Handlung des Djoser könnte man die Tatsache anführen, dass dieser mindestens eine Expedition in die Kupfer- und Türkisabbaugebiete des Wādī al-Maġāra auf dem südlichen Sinai schickte (siehe Kapitel 8.3.2). Eine Besonderheit ist daraus nicht abzuleiten, derartige Expeditionen scheinen von der 1. bis zur 6. Dynastie immer wieder stattgefunden zu haben.

6.2 Imhotep Neben dem König Djoser wird stets Imhotep als für die 3. Dynastie prägende Persönlichkeit genannt. Die mythische Figur des vergöttlichten Imhotep ist bestens bekannt: anhand der zahlreichen posthumen Quellen ist deutlich zu erkennen, wie Imhotep mit Hilfe einer nachträglich konstruierten Genealogie zum Sohn des Ptah und schließlich in der Ptolemäerzeit selbst zum Gott wurde.7 Das Grab des Imhotep ist offenbar nie in Vergessenheit geraten und wurde mit der Zeit allgemein kultisch verehrt. 8 Diese legendenhafte Verklärung fand auch Eingang in den Bericht des Manetho, nach der Version des Africanus: Imhotep (Imuthes genannt) war demnach für seine Heilkunst berühmt, er hatte das Bauen mit behauenen Steinen erfunden und ihm lag die Schreibkunst am Herzen. 9 Die Herausstellung des Imhotep als die (nicht-königliche) Persönlichkeit der 3. Dynastie schlechthin beruht offensichtlich vor allem auf dieser späteren Überlieferung, d. h. Legenden werden teilweise als historische Tatsachen übernommen. Dietrich Wildung kritisiert dies scharf: „Die mehrtausendjährige Tradition über Imhotep und Amenhotep ist nur sehr bedingt dazu geeignet, deren zeitgeschichtliche Stellung zu rekonstruieren. Einmal zur Projektionsebene für Glaubensvorstellungen geworden, nehmen sie in den Katalog ihrer Funktionen Aspekte auf, die nicht in kausalem Zusammenhang mit ihrem irdischen Dasein stehen.“10 Die zeitgenössischen oder zumindest zeitnahen Quellen zu Imhotep sind mehr als spärlich: 1. Die Hauptquelle bildet eine Statuenbasis,11 die den Namen des Imhotep und folgende Titel enthält: xtm-bjt Xr.j-tp nzw HoA Hw.t-aA.t r-pa(.t) mA-wr mDH gnw.tj sowie zwei nur

7 Sethe (1902); Wildung (1977); Pinch (2002: 148149). 8 Es spricht einiges dafür, dass dieses bisher unentdeckte Grab in Saqqāra-Nord zu lokalisieren ist. Siehe dazu Wildung (1977: 1314; 298). 9 Waddell (1940: 40–45). Siehe auch Kapitel 3.5. 10 Wildung (1977: 1 u. 298). Wozu diese wissenschaftliche Legendenbildung im Extremfall führt, ist bei Hurry (1926: 4) zu erkennen, der nicht nur die Filiationsangaben wörtlich nimmt, sondern auch phantasievoll berichtet, Imhotep habe eine „liberale Erziehung“ genossen und sei zu einem „gebildeten und vielseitigen Mann“ herangewachsen. 11 Ägyptisches Museum Kairo, JE 49889. Ausführliche Beschreibung und weitere Literatur bei Gunn (1926) und Wildung (1977: 68).

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6.2 Imhotep

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teilweise erhaltene Zeichen, die wohl als ergänzt werden können.12 Jean-Philippe Lauer übersetzt diese mit: „Le chancelier du roi de Basse-Egypte, le premier après le roi de Haute-Egypte, l’administrateur du grand Palais, noble héréditaire, le Grand-prêtre d’Heliopolis, Imhotep, charpentier-constructeur, sculpteur-graveur, fabricant de vases.“13 Wildung dagegen fasst den Text als einen Nominalsatz auf: „Der Siegelträger des Königs von Unterägypten, Xr.j-tp nzw, HoA Hw.t-aA.t, jrj-pa.t, mA-wr Imhotep, ist Vorsteher der Knochenschnitzer, der Arbeiter mit dem Spachtel und der Hersteller von Steingefäßen.“14 Obwohl Imhotep nicht explizit als Baumeister der Stufenpyramide bezeichnet wird, lässt sich dies indirekt dadurch erschließen, dass seine Titel ihm die Aufsicht über alle an einem großen Bauvorhaben beteiligten Handwerker gestatten. Auch die Tatsache, dass ein hoher Beamter auf einer königlichen Statue – die dazu an prominenter Stelle aufgestellt war15 – genannt wird, deutet darauf hin, dass Imhotep mehr gewesen ist als ein einfacher Baumeister. 2. Insgesamt sechs Steingefäße aus Abydos und Saqqāra sind aufgrund der dort genannten Titulatur dem Imhotep zuzuweisen; sein Name wird dabei nicht erwähnt. Vermutlich handelt es sich hierbei um Stiftungen des Imhotep für die Gräber des Djoser und Chasechemui.16 3. Eine Siegelabrollung auf einer Mörtelschicht in Kammer B des Souterrains der Stufenpyramide enthält (außer dem Königsnamen NTr.j-X.t) keinen Eigennamen, doch scheint für die angegebenen Titel xtm-bjt Xr.j-tp nzw und xtm-bjt mDH nxn niemand anderes als Imhotep in Frage zu kommen.17 Der Titel mDh nxn, meist als „Baumeister von Hierakonpolis“ übersetzt, ist möglicherweise eher zu verstehen als der eines leitenden Beamten derjenigen Institution, die für die Lagerung und Verteilung der aus Oberägypten kommenden Lebensmittel- und Materiallieferungen zuständig ist. 18 4. Ein heute nicht mehr zu erkennendes Graffito auf der Umfassungsmauer der Pyramide des Sechemchet konnte anhand der dem Hieroglyphischen noch sehr nahestehenden hieratischen Schriftzeichen in das Alte Reich datiert werden. Es enthielt mit Sicherheit den Namen Imhotep, wahrscheinlich auch den Titel xtm-bjt19 Aus diesen Belegen leitet Wildung mit aller Vorsicht die These ab, dass Imhotep unter sämtlichen Königen von Chasechemui bis Sechemchet tätig gewesen sein könnte: Mit Chasechemui verbinden ihn die Steingefäße; es ist nicht ausgeschlossen, dass Imhotep auch am Bau des Grabes des Chasechemui in Abydos und seines Tempels in Hierakonpolis

12 13 14 15 16 17 18 19

Cf. Wildung (1977: 7). J.-Ph. Lauer (1996: 497). Wildung (1977: 68). Die Statuenbasis wurde auf der Südseite der Eingangskolonnade des Djoser-Bezirkes in Saqqāra gefunden und war wohl dort ursprünglich in einem schmalen Raum aufgestellt. Siehe dazu Wildung (1977: 8). Wildung (1977: 910). Lauer (1933: 158160); Wildung (1977: 11); Pfirsch (1997: 352). Ausführlich dazu Pfirsch (1997). Wildung (1977: 12).

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100

6 Charakterisierung einzelner Könige und anderer Personen

beteiligt war. Eine direkte Verbindung zwischen Nebka und Imhotep gibt es nicht, doch der Palermostein erwähnt für die Regierungszeit des Nebka einen Bau aus Stein mit dem Namen mr.t nTr. Sollte die These stimmen, wäre anzunehmen, dass für dieses eponyme Bauwerk ein erfahrener Baumeister herangezogen worden ist. Auf die Beteiligung des Imhotep am Bau der Stufenpyramiden des Djoser und des Sechemchet deuten die oben genannte Statuenbasis aus dem Djoser-Bezirk und das Graffito vom Pyramidenbezirk des Sechemchet hin.20 Die historische Existenz des Imhotep scheint demnach durch insgesamt neun zeitgenössische Belege gesichert. Die für die 3. Dynastie singuläre Kombination von Titeln und die Erwähnung auf einer königlichen Statue legen – wie dies aufgrund der umfangreichen posthumen Überlieferung zu vermuten war – eine außergewöhnliche Stellung bzw. außergewöhnliche Leistungen des Imhotep zu Lebzeiten nahe. Vollbracht hat Imhotep seine Leistungen vermutlich im Umfeld des Bauhandwerkes, der Umfang seiner Leistungen kann nicht mehr rekonstruiert werden. Durch – wenn auch sehr wenige – Belege plausibel erscheint eine Beteiligung am Bau der Djoser-Pyramide. Das undeutliche Graffito bei Sechemchet kann allenfalls als Indiz, keinesfalls aber als Beleg dafür gelten, dass Imhotep auch am Bau dieser Pyramide beteiligt war. Die Verbindung von Imhotep mit Bauten des Chasechemui und Nebka ist rein hypothetisch. Den Hinweis des Manetho-Epitomators Africanus auf Imhoteps Affinität zur Schreibkunst versteht Jochem Kahl dahingehend, „dass Imhotep die Notwendigkeit einer Schriftreform zur Verbesserung der Verwaltungsorganisation erkannt hatte.“ 21 Diese Interpretation erscheint mir zu gewagt: Abgesehen davon, dass die Version des Africanus hier nicht mit den anderen Überlieferungen übereinstimmt, 22 wurde in Kapitel 3.5 begründet, weshalb die Berichte der antiken Autoren ohne entsprechende zeitgenössische Belege nicht als alleinige Quelle herangezogen werden dürfen. Die Struktur der Verwaltung der 3. Dynastie ist uns ebensowenig bekannt23 wie die genaue Rolle, die Imhotep innerhalb dieses Gefüges gespielt haben könnte. Zuweilen wird angenommen, dass Djoser und Imhotep in einer verwandtschaftlichen Beziehung zueinander standen. Miroslav Verner gibt an, Imhotep sei „probably Djoser’s son“ gewesen, bleibt aber den Beleg für diese Aussage schuldig. 24 Zu Spekulationen hat auch die Schreibung bjt sn.wj (oder snsn) hinter dem Horusnamen NTr.j-X.t auf der oben erwähnten Statuenbasis geführt. Stadelmann hatte dies als Apposition zum Horusnamen betrachtet und die Lesung „Zwillingsbruder des bjt“ vorgeschlagen, bezieht dies jedoch auf die Statue, die ein in einer nördlichen Nische aufgestelltes Gegenstück gehabt haben könnte.25 J.-Ph. Lauer dagegen bezieht die ganze Inschrift auf Imhotep und möchte

20 Wildung (1977: 1012). 21 Kahl (1994: 163). 22 Eusebius (Synkellos und Armenische Version) schreibt die entsprechenden Verdienste dem Sesorthos/Sosorthus genannten König zu. Siehe Waddell (1940: 40–45). 23 Cf. Engel (2013). 24 Verner (2001: 585). 25 Stadelmann (1997: 291, Anm. 127).

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6.3 Cheops

sn.wj bjt als Ausdruck dafür deuten, dass Imhotep vielleicht der Zwillingsbruder, zumindest aber ein Intimus oder „Alter Ego“ des Djoser war. 26 Bedenkt man, dass sich die höchsten Beamten des frühen Alten Reiches in der Regel aus dem unmittelbaren Umfeld der königlichen Familie rekrutierten, so scheint es sogar recht wahrscheinlich, dass auch Djoser und Imhotep miteinander verwandt waren. Um dieses Verhältnis genauer zu beschreiben, sind keine ausreichenden Quellen vorhanden.

6.3 Cheops Bis heute schwingt nicht nur in den allgemein gehaltenen Geschichtswerken oft latent oder auch ganz offensichtlich jene negative Charakterisierung des Cheops mit, die uns im pWestcar und den Werken der antiken Autoren gegenübertritt: „… King Khufu … who appears in ancient times to have acquired a reputation for both impiety and cruelty.” 27 „There is room for thinking that the very bad reputation attributed to Khufu in later historical records was not pure chance.“28 Für diese Einschätzung wird dann nach einer Bestätigung in den zeitgenössischen Hinterlassenschaften gesucht und – manchmal mit viel Phantasie – auch gefunden: Die Pyramide des Cheops sei Ausdruck für die Hybris und einen megalomanen Geist des Königs 29 und der Bau des Sphinx zeige, dass Cheops bestrebt war, sich selbst zum Sonnengott zu machen.30 Opulenz und Dekadenz am Hofe des Cheops werden nach Ansicht T. Wilkinsons in den Gräbern des Pr-nj-anx und der Königin Ḥtp-Hr=s deutlich: Aufgabe des Ersteren sei es gewesen, den König im Stil mittelalterlicher Hofnarren zu unterhalten, während letztere übermäßigem Luxus frönte, indem sie in einem vergoldeten Tragestuhl reiste. 31 Im Kapitel 3.5 wurde bereits dargelegt, dass der Bericht des Herodot viele typische Elemente volkstümlicher Erzählungen enthält, eines davon ist das Motiv des tyrannischen Herrschers. Alan Lloyd vermutet, dass Lautähnlichkeit des Namens #wfw, dessen spätere Aussprache Richtung „Schufu“ gegangen sein dürfte, mit negativ besetzten ägyptischen Wörtern dazu beigetragen haben könnte, dass Cheops in der ägyptischen volkstümlichen Literatur negativ charakterisiert wurde.32 In Verbindung mit der herausragenden Größe

26 27 28 29 30 31 32

J.-Ph. Lauer (1996: 496497). Trigger et al. (1983: 77). Nuzzolo (2011: 212). Goedicke (2000: 404). Stadelmann (2003); Nuzzolo (2011: 212). T. Wilkinson (2010: 73). Lloyd (1993: 63); Asheri et al. (2007: 329). Die Autoren geben als Beispiel für ein lautähnliches, negativ konnotiertes ägyptisches Wort „Sft, ‘sin’“ an, das im Wb. nicht verzeichnet ist. Möglicherweise ist Sf.wt „Schwellung“ (Wb. 4, 455.12) oder

Sf.tw „[Krankheitserscheinung im

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6 Charakterisierung einzelner Könige und anderer Personen

seiner Pyramide war Cheops damit prädestiniert, die Rolle des Tyrannen einzunehmen. Diesem stellt Herodot als Gegenpart den positiv charakterisierten Mykerinos gegenüber.33 Lloyd weist darauf hin, dass das negative Cheops-Bild des Herodot mit dem des pWestcar übereinstimmt, und sieht darin die Reflektion einer „hostile propaganda directed by the priests against a monarch who had expended so much on his own monument to the detriment of the temples.“34 Dieser Ansicht steht entgegen, dass Siegfried Morenz in einer quellenkritischen Analyse der negativen Charakterisierung des Cheops zeigt, wie dieses Bild überlieferungsgeschichtlich als Gegenstück zur positiven Charakterisierung des Snofru entstanden ist. Cheops und Snofru stehen sich demnach im pWestcar als Antagonistenpaar gegenüber wie Cheops und Mykerinos bei Herodot.35 Diese Entwicklung setzte offensichtlich erst nach dem Ende des Alten Reiches ein und ging nicht mit einer offiziellen damnatio memoriae einher: Mit Ausnahme der Karnak-Liste wird Cheops in allen Königslisten des Neuen Reiches erwähnt und sein Totenkult während der Saiten- und Perserzeit praktiziert.36 Eine negative Wahrnehmung des Cheops schon zu seinen Lebzeiten ist also aus den späteren Quellen nicht abzuleiten. Betrachten wir trotzdem noch einmal kurz die wenigen zeitgenössischen Hinterlassenschaften des Cheops im Hinblick darauf, ob diese Rückschlüsse auf das Wesen des Königs zulassen: 1. Die Pyramide des Cheops in al-Ǧīza ist die größte je in Ägypten gebaute. Wie in Kapitel 3.6.1 gezeigt wurde, können die Pyramiden nicht per se als Indikator für die Macht oder Bedeutung ihres Erbauers gelten. 2. Das einzig erhaltene Bildnis des Königs, die Elfenbeinstatuette im Ägyptischen Museum Kairo,37 zeigt keine ikonographischen Auffälligkeiten, die Cheops von seinen Vorgängern oder Nachfolgern unterscheiden. 3. Eine Art „Grabluxusverbot“, wie es für die Nekropole von al-Ǧīza angenommen wurde, kann nicht schlüssig belegt werden. (Cf. Kapitel 3.6.2) 4. Der Zwerg Pr-nj-anx war nach Ausweis der Inschrift auf seiner Grabstatue für die Unterhaltung des Königs zuständig.38 Dies scheint für das Alte Reich nichts Ungewöhnliches zu sein, denn der Autobiographie des Ḥrw-xw=f lässt sich entnehmen,39 dass es am Hof der Könige Djedkare und Pepi II. ebenfalls „Zwerge“ gab, deren Aufgabe die Unterhaltung des Königs war.

33 34 35 36 37 38 39

Bauch]“ (Wb. 4, 455.6) gemeint. Denkbar wäre auch eine Assoziation mit xww „böse Handlung, Sünde“ (Wb. 3, 247.78). Zur Rolle des Dualismus im Denken der Griechen, zu dem antithetische Paare gehören, siehe Lloyd (1975: 149150). Lloyd (1975: 108109). S. Morenz (1971). Ganz ähnlich hatte sich zuvor auch schon Posener (1956) geäußert. Wildung (1969: 152192); Lloyd (1993: 6263). JE 36143; cf. Saleh/Sourouzian (1986: Nr. 28). Grabstatue, gefunden in al-Ǧīza, Westfriedhof, heute Ägyptisches Museum Kairo, JE 98944. Siehe Hawass (1991). Transkription und Übersetzung der Inschrift sind dort vorhanden, jedoch keine Abbildung der Hieroglyphen. Grab Qubbat al-Hawā 34n., Urk. I, 120131; Edel (2008: 620636).

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6.3 Cheops

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5. Den vergoldeten Tragestuhl der Königin Ḥtp-Hr=s als Zeichen für „Dekadenz und Opulenz“ zu deuten (siehe oben), entbehrt jeder Grundlage, zeigen doch Darstellungen in Gräbern, dass dieser ein beliebtes Transportmittel nicht nur der Königsfamilie, sondern der Oberschicht überhaupt darstellte.40 6. Der Name des Cheops taucht in den Steinbrüchen von Ǧabal al-ʿAṣr in Nubien, im Minengebiet des Wādī al-Maġāra auf dem Sinai und am Fundplatz Chufu 01/1 westlich der Oase ad-Dāḫla auf (cf. Kapitel 8). Dies ist nicht ungewöhnlich, an den Plätzen sind jeweils auch andere Könige des Alten Reiches belegt. Weitere „politische“ Aktivitäten des Cheops sind uns nicht bekannt. Fazit: Aus den wenigen zeitgenössischen Hinterlassenschaften des Cheops sind keine Hinweise abzuleiten, dass sich das Verhalten des Cheops signifikant von dem der anderen Könige des Alten Reiches unterschieden hätte.

40 Siehe u. a. Duell (1938: Taf. 14).

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7 Pyramidenbau 7.1 Die Wahl des Begräbnisplatzes  ein Politikum? Die Pyramiden des Alten Reiches verteilen sich in der Region um Memphis auf dem Westufer des Nils von Maidūm im Süden bis Abū Rawāš im Norden. Die Wahl des Begräbnisplatzes wird zuweilen als Politikum angesehen. So wird postuliert, dass eine Verlegung der Nekropole mit einer indirekten Thronfolge und/oder dynastischen Streitigkeiten in Zusammenhang stehe.1 Ein neuer Begräbnisplatz, an dem noch keine Pyramide steht, wird als Statement für „a new ideological attitude“ 2 gedeutet. Die Nähe einer Pyramide zu einer älteren, nicht dem unmittelbaren Amtsvorgänger gehörigen, wird als bewusste Abkehr von der Politik des letzteren und Rückkehr zu nicht näher spezifizierten „früheren Werten“ verstanden.3 Am gleichen Platz befindliche oder auf einer gemeinsamen Achse liegende Pyramiden sollen auf gemeinsame Politik oder religiöse Vorstellungen hindeuten.4 Es stellt sich die Frage, inwieweit solche Schlussfolgerungen zulässig sind. Fast alle Autoren scheinen davon auszugehen, dass die Entscheidung über den Standort einer Pyramide allein vom König gefällt wurde. Wie bereits in Kapitel 3.6.1 angesprochen wurde, ist es jedoch nicht nur denkbar, sondern sogar recht wahrscheinlich, dass der König bei dieser Entscheidung von einem Gremium beraten wurde. Wir wissen also nicht, wie viele Personen mit welchen spezifischen Interessen an der Entscheidung beteiligt waren. Über die Kriterien für die Wahl eines Pyramidenstandortes gibt es keinerlei schriftliche Überlieferungen. Sämtliche von Historikern angeführten Gründe für die Wahl eines bestimmten Begräbnisplatzes sind also von vornherein völlig spekulativ.5 Ein Blick auf die Tabelle 5 lässt keinerlei Muster bei der Wahl des Begräbnisplatzes erkennen, allenfalls eine Vorliebe für den einen oder anderen Ort zu einer bestimmten Zeit. In sieben Fällen (unter Nicht-Berücksichtigung der uns unbekannten Pyramiden einiger nur kurz regierender oder ephemerer Könige) steht die Pyramide in der gleichen Nekropole wie die des Vorgängers, in dreizehn Fällen (unter Nicht-Berücksichtigung von Chaba und Bicheris) wandert die Pyramide in eine andere Nekropole nach Norden oder Süden. Das Verlegen des Begräbnisplatzes scheint also eher die Regel als die Ausnahme zu sein. Bemerkenswert erscheint mir die Tatsache, dass sämtliche Pyramiden an Plätzen stehen, die auch schon vor deren Erbauung als Nekropole genutzt worden waren. Es gibt also keinen Fall, in dem sich ein König – ähnlich wie später Echnaton in Achet-Aton – bewusst für

1 2 3 4 5

Kanawati (2003); Höveler-Müller (2005). Goedicke (2000: 407). Grimal (1988: 91); Goedicke (2000: 406); T. Wilkinson (2010: 78). Jeffreys (1998: 67); Kanawati (2003). Siehe dazu auch Seidlmayer (1998); Málek (2000: 99); Romer (2007: 303309); Jeffreys (2012: 228).

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7 Pyramidenbau

einen „jungfräulichen“ Platz entschieden hätte, um sich deutlich von der Vergangenheit zu distanzieren.6 Tabelle 5: Standorte der Grabanlagen der Könige des Alten Reiches Zeit 3. Dynastie

4. Dynastie

5. Dynastie

6. Dynastie

König Djoser Sechemchet Chaba? Snofru Snofru Snofru Cheops Djedefre Chephren Bicheris ? Mykerinos Schepseskaf Userkaf Sahure Neferikare Schepseskare Neferefre Niuserre Menkauhor Djedkare Unas Teti Userkare Pepi I. Merenre I. Pepi II. Merenre II.

Begräbnisplatz Saqqāra Saqqāra Zāwiyat al-cAryān? Maidūm Dahšūr Dahšūr-Nord al-Ǧīza Abū Rawāš al-Ǧīza Zāwiyat al-cAryān ? al-Ǧīza Saqqāra-Süd Saqqāra Abū Ṣīr Abū Ṣīr ? Abū Ṣīr Abū Ṣīr ? Saqqāra-Süd Saqqāra Saqqāra ? Saqqāra-Süd Saqqāra-Süd Saqqāra-Süd ?

verschiebt sich nach l bleibt n Norden ? n Norden n Norden n Norden n Norden n Norden p Süden p Süden ? n Norden p Süden n Norden n Norden l bleibt l bleibt l bleibt p Süden n Norden l bleibt p Süden l bleibt l bleibt

Wir bezeichnen die Standorte der memphitischen Nekropolen heute in der Regel mit dem Namen des in der Nähe befindlichen arabischen Dorfes und nehmen die Plätze nicht nur aufgrund ihrer geographischen Entfernung, sondern vor allem auch aufgrund ihrer indivi-

6 Die Aussage T. Wilkinsons (2010: 65), das von Cheops als Bauplatz gewählte al-Ǧīza Plateau sei „virgin ground“ gewesen, trifft nicht zu. Eine in den 1970er Jahren ausgegrabene Siedlung südlich des Mykerinos-Aufwegs hat offensichtlich seit Beginn der dynastischen Zeit bestanden, siehe Kromer (1978: 113), und auch einige Gräber können in die 3. Dynastie datiert werden, siehe Schott (1984: 1123).

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7.1 Die Wahl des Begräbnisplatzes ein Politikum?

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duellen Namen als unterschiedliche Ort wahr. Soweit mir bekannt ist, hatten in altägyptischer Zeit die Pyramiden jeweils einen Eigennamen, nicht aber die ganze Nekropole. Ich frage mich deshalb, ob wir überhaupt davon ausgehen können, dass die Ägypter die gleichen Unterschiede wahrnahmen wie wir heute, oder ob das Westufer des Nils im Umkreis der Residenz nicht als ein Ganzes angesehen wurde. Ein Indiz in dieser Richtung sind auch die Überlegungen, in der „Hauptstadt“ Memphis keine klar begrenzte Siedlung, sondern die gesamte Region von Abū Rawāš bis Dahšūr zu sehen.7 In diesem Zusammenhang ist auch bedenkenswert, dass keine der memphitischen Nekropolen während des Alten Reiches völlig aufgegeben wurde. In al-Ǧīza entstanden auch nach der 4. Dynastie weiterhin Privatgräber und die Pyramidenstadt war ebenfalls das ganze Alte Reich über in Betrieb. 8 Für die Wahl eines bestimmten Begräbnisplatzes werden praktische, persönlichpolitische oder religiös-politische Gründe angeführt. Dass praktische Gründe, wie ein ausreichend stabiler Untergrund, die Verfügbarkeit geeigneter Steinbrüche, kurze Transportwege oder Platzmangel in einer bestehenden Nekropole in die Platzwahl mit eingeflossen sind, scheint grundsätzlich nachvollziehbar.9 Dennoch ist der Ansicht Stadelmanns, dass die Standorte der Pyramiden des Alten Reiches einzig auf Grund praktischer Überlegungen gewählt wurden, zu widersprechen.10 Zum einen gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten darüber, welche Bauplätze „praktisch“ sind: Bárta hält den Standort al-Ǧīza für die großen Pyramiden der 4. Dynastie für alternativlos, weil nur dort ausreichend stabiler Felsgrund vorhanden sei, um das gewaltige Gewicht zu tragen.11 Hans Goedicke dagegen argumentiert, der Standort al-Ǧīza sei äußerst unpraktisch, weil alleine für das Erreichen des Felsplateaus eine riesige Rampe gebaut werden müsse. Demnach müssten in diesem Fall andere Gründe für die Platzwahl ausschlaggebend gewesen sein. 12 Zum anderen ist z. B. die Wahl von Abū Rawāš als Begräbnisort des Djedefre jedenfalls nicht damit zu erklären, dass in al-Ǧīza keine Steinbrüche oder kein Platz mehr vorhanden gewesen wären. Wo keine praktischen Erklärungen zu finden sind, blühen dann fragwürdige Spekulationen darüber, dass in der 4. Dynastie „eine Spaltung innerhalb der Familie deutlich wird, die zwar nirgends schriftlich erwähnt wurde, die jedoch aus der Lage der einzelnen Pyramidenanlagen vermutet werden kann.“13 Würde man diesen Ansatz, aus der Position der Pyramidenanlagen auf familiäre Zwistigkeiten bzw. indirekte Thronfolge zu schließen, konsequent für alle Pyramiden des Alten Reiches weiterverfolgen, käme man zu den erstaunlichsten genealogischen Ergebnissen. Manche Autoren wollen einen Zusammenhang zwischen dem Standort einer Pyramide und dem Verhältnis ihres Inhabers zum Kult des Re sehen. Naguib Kanawati und David Jeffreys weisen darauf hin, dass sämtliche Inhaber der Pyramiden südlich von Abū Ṣīr nicht

7 8 9 10 11 12 13

Love (2003); Bussmann (2015: 7). Cf. Kapitel 5. Hawass (1996: 64). Cf. Di. Arnold (1981: 17); Verner (1991: 63–64); Bárta (2005b: 177). Stadelmann (2000: 530531). Bárta (2005b: 183). Goedicke (2000: 403). Höveler-Müller (2005: 87). Ähnlich argumentiert auch T. Wilkinson (2010: 77).

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7 Pyramidenbau

das Element Re im Namen tragen und deuten dies als eine bewusste Abgrenzung vom Kult des Re und der Priesterschaft in Heliopolis.14 Dass Schepseskaf darüber hinaus eine Mastaba anstelle einer Pyramide baut, gilt gar als Zeichen einer religiösen Krise. 15 Mindestens für Userkaf funktioniert diese Argumentation nicht, zeigt dieser doch durch den Bau des ersten Sonnenheiligtums deutlich seine Affinität zum Sonnengott. Cheops baut ganz ohne Re im Namen nördlich von Abū Ṣīr, und sollte der Inhaber der nördlichen unvollendeten Pyramide von Zāwiyat al-ʿAryān tatsächlich Baka heißen und in der 4. Dynastie regiert haben, würde auch er nicht in dieses Schema passen, was darauf hindeutet, dass wir es eben nicht mit einem Schema, sondern einer reinen Koinzidenz zu tun haben. Für einige Pyramiden wird ein Bezug zu Heliopolis hergestellt: Abu Rawāš liegt direkt gegenüber von Heliopolis, eine imaginäre Verbindungslinie zwischen den Eckpunkten der Pyramiden von al-Ǧīza soll genau auf den Obelisken Sesostris I. in Heliopolis zeigen und die Verbindungslinie zwischen der Pyramide und dem Sonnenheiligtum des Userkaf ließe sich bis zur Spitze der Cheops-Pyramide verlängern, wodurch wiederum die Verbindung nach Heliopolis hergestellt sei.16 Keiner der Vertreter dieser Thesen äußert sich dazu, mit welchen Mitteln die Ägypter diese Achsen konstruiert haben sollen. John Romer kritisiert zu Recht, dass die vermeintlichen Verbindungslinien lediglich auf tendenziell ungenauen Karten eingezeichnet wurden und einer exakten Vermessung wohl nicht standhalten könnten: „Checked with modern surveying equipment on ground in Egypt, those inky lines drawn across a survey map, or for that matter a combination of astronomical charts and maps of the Giza plateau, hide such errors in them, such a score of yards and miles, that using similarly loose parameters, the Great Pyramid may equally well be aligned with the New York subway system and entire galaxies of stars.” 17 Genau das versuchte ein tschechisches Team zu überprüfen und stellte Folgendes fest:18 1. Die Südostecken der Cheops- und Chephren-Pyramide und die Spitze des Obelisken Sesostris I. in Heliopolis liegen auf einer Linie. Die Südostecke der MykerinosPyramide weicht jedoch um mehrere Meter von dieser Linie ab. 2. Die Nordwestecken der Pyramiden von Abū Ṣīr liegen auf einer Linie, die Richtung Heliopolis zeigt, den Obelisken aber um 200 m verfehlt. 3. Das Sonnenheiligtum des Niuserre in Abū Ġurāb liegt auf einer Verbindungslinie zwischen den Spitzen der Userkaf-Pyramide in Saqqāra und der Cheops-Pyramide in alǦīza. Das Sonnenheiligtum des Userkaf weicht um 70 m nach Osten ab.

14 Jeffreys (1998: 67); Kanawati (2003). 15 Málek (2000: 97). Verner/Brůna (2011: 291) sehen in der Mastaba des Schepseskaf wiederum einen Hinweis darauf, dass dieser sich nicht als legitimer König gefühlt habe. 16 Müller (1985: 24); Goedicke (1995); Jeffreys (1998); Goedicke (2000: 403406); Bárta (2005b); T. Wilkinson (2010: 74). 17 Romer (2007: 306) 18 Verner/Brůna (2011: 288291).

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7.2 Die kleinen Stufenpyramiden

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Dennoch sehen Miroslav Verner/Vladimír Brůna durch diese Messungen bestätigt, dass solche Verbindungslinien von den Ägyptern intendiert waren. Abweichungen werden mit antiken Messfehlern (die imaginäre Linie von Abū Ṣīr nach Heliopolis läuft durch den Zitadellenhügel von Kairo, es besteht also keine Sichtverbindung) oder der ungenauen Bestimmung der Pyramidenecken erklärt. 19 Die Frage, ob die These möglicherweise nicht stimmt und die messbaren Linien Koinzidenzen sind, stellt sich den Verfassern offenbar gar nicht. Meines Erachtens ist im Bezug auf diese Thesen auch Folgendes zu bedenken: 1. Es wäre zu überlegen, ob es beim Pyramidenbau nicht einfach aus konstruktionstechnischen Gründen sinnvoll gewesen sein könnte, Spitze oder Ecke eines bereits vorhandenen Baus anzupeilen. 2. Von den sechs anzunehmenden Sonnenheiligtümern der 5. Dynastie sind uns nur zwei bekannt. Eines davon liegt auf der imaginären Verbindungslinie zwischen Userkaf- und Cheops-Pyramide, das andere nicht. Möglicherweise weichen die vier uns unbekannten Sonnenheiligtümer auch alle von dieser Linie ab. 3. Für den Obelisken des Sesostris I. in Heliopolis kann kein Vorgängerbau nachgewiesen werden. Die These von Verbindungslinien setzt aber voraus, dass es einen solchen gab und dieser exakt an der gleichen Stelle stand wie sein Nachfolger. Wäre es nicht auch denkbar, dass Sesostris I. seinen Obelisken bewusst in die Achse gesetzt hat, die durch die Ecken der Pyramiden von al-Ǧīza vorgegeben war und nicht umgekehrt? 4. Die Annahme einer bewussten Verbindungslinie zwischen den Pyramiden von al-Ǧīza und dem Obelisken in Heliopolis setzt voraus, dass die drei al-Ǧīza Pyramiden Teil eines Gesamtkonzeptes waren, das bereits von Cheops so hätte geplant sein müssen. Dafür gibt es keinerlei Hinweise und dagegen spricht auch, dass Djedefre seine Pyramide nach Abū Rawāš verlegt. So müssen wir konstatieren, dass die Kriterien für die Wahl des Begräbnisplatzes für uns heute nicht nachvollziehbar sind und folglich aus dem Standort einer Pyramide auch keine historischen Schlüsse gezogen werden können.

7.2 Die kleinen Stufenpyramiden Überblickswerke zur ägyptischen Geschichte berichten regelmäßig davon, dass die von Huni erbauten sieben kleinen Stufenpyramiden Oberägyptens königliche Machtzeichen waren, die an den Standorten der ehemaligen „Königspfalzen“ errichtet wurden und dort die lokale Bevölkerung an ihre Pflicht erinnerten, Steuern zu bezahlen.20 Zur Gruppe der kleinen Pyramiden werden sieben bis zehn Bauwerke gezählt, die sich an folgenden Orten befinden:

19 Verner/Brůna (2011: 288289). 20 Gundlach (1998: 110); Höveler-Müller (2005: 66); T. Wilkinson (2010: 56). Auch Moreno García (2013: 92) hält die kleinen Pyramiden für Grenzmarkierungen und Denkmäler der königlichen Macht.

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7 Pyramidenbau

1. Elephantine 2. al-Kūla (bei Hierakonpolis) 3. Ombos (bei Naqāda), auch Ṭūḫ oder az-Zawāyada genannt 4. Zāwiyat al-Maitīn (gegenüber al-Minyā), auch Zāwiyat Sulṭān genannt 5. Saila (am Westrand von al-Fayyūm) 6. Naǧʿa al-Ġunaimiya (südlich von Idfū) 7. Sinki (südlich von Abydos)21 8. ad-Dair (bei Abū Rawāš) 9. Athribis 10. Abydos .

Günter Dreyer/Werner Kaiser und Andrzej Ćwiek zählen nur die steinernen Pyramiden Nr. 17 zur Gruppe der kleinen Stufenpyramiden, für Nabil Swelim und andere gehören auch das central massive von ad-Dair (Nr. 8), die Ziegelpyramide von Athribis (Nr. 9) und das Gebäude unter der Grabkapelle des Eje in Abydos (Nr. 10) dazu. Bárta fasst Nr. 18 zu einer Gruppe zusammen.22 Über den oder die Erbauer der kleinen Pyramiden und vor allem deren Zweck kann bisher nur spekuliert werden. Ein vor der Pyramide von Elephantine gefundener Granitblock, der wahrscheinlich einmal in selbige eingelassen war, trägt den Namen des Huni, was nahelegt, in diesem König auch den Erbauer der Pyramide zu sehen. 23 Unter Verweis auf Übereinstimmungen in Bauform, Bauausführung und Abmessungen erkennen Dreyer/Kaiser die Pyramiden von Elephantine, al-Kūla, Ombos, Zāwiyat al-Maitīn, Naǧʿa al-Ġunaimiya und Sinki als Bestandteile eines größeren, einheitlichen Bauprogramms, das aufgrund der Inschrift von Elephantine dem Huni zugeschrieben wird.24 Neuere Untersuchungen in Zāwiyat al-Maitīn ergaben, dass die heute erhaltene Struktur sich eher zu einer Mastaba denn zu einer Pyramide ergänzen lässt. Barry Kemp sieht darin jedoch keinen Widerspruch zur These von einem einheitlichen Bauprogramm, sondern nimmt an, dass die Ausführung des von der Zentralregierung angeordneten Bauprogramms lokalen Autoritäten unterlag und es dadurch zu architektonischen Unterschieden kam. 25 Die Pyramide von Saila ist deutlich größer als die bisher benannten und hebt sich auch durch ihre wesentlich dickeren Schalen von jenen ab. Als ihr Erbauer gilt Snofru, dessen Name sich auf einer auf der Ostseite der Pyramide gefundenen Stele befindet. 26 Bárta schreibt auch die anderen sechs kleinen Pyramiden sowie die Struktur von ad-Dair Snofru

21 Die arabische Schreibung dieses Namens ist mir nicht bekannt. Dreyer/Swelim (1982: 83) berichten, der Name sei ihnen von den Anwohnern für die Ruine genannt worden, ohne dass sie um dessen Bedeutung wussten. Das in der Nähe befindliche Dorf soll nach Auskunft von Dreyer/Swelim (1982: 83) den Namen Naga Ahmed Khalifa tragen. Auf google maps ist der Ort jedoch als Naǧʿa al-Ġunaimiya verzeichnet, das offensichtlich nicht identisch ist mit jenem Naǧʿa al-Ġunaimiya südlich von Idfū. 22 Dreyer/Kaiser (1980); Swelim (1983: 3639; 100); Dreyer (2007: 303); Bárta (2015a: 6). Für die Primärliteratur zu allen aufgeführten mutmaßlichen Pyramiden siehe Ćwiek (1998: 41). 23 Dreyer/Kaiser (1980: 55); Seidlmayer (1996b: 204205). 24 Dreyer/Kaiser (1980: 51; 55); Dreyer (2007: 303). 25 Kemp (2014/2015: 246). 26 Dreyer (2007: 303304); Swelim (2008: 650).

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7.2 Die kleinen Stufenpyramiden

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zu, ohne diese Annahme weiter zu begründen. 27 Es kann festgehalten werden, dass der Bau der kleinen Stufenpyramiden sich auf die Zeit der späten 3. und frühen 4. Dynastie beschränkt. Sämtliche kleine Stufenpyramiden sind Massivbauten, sie haben demnach nicht als Begräbnisstätte gedient. Wie in Kapitel 3.6.1 gezeigt wurde, können Bauwerke in Pyramidenform nicht per se als Zeichen der Macht gedeutet werden. In Analogie zu den großen Pyramiden geht man davon aus, dass es sich um Stätten des Königskultes handelt. Diese Annahme wird bestärkt durch die Funde von entsprechenden Kultplätzen in Naǧʿa alĠunaimiya und Saila.28 Allen Pyramiden ist gemeinsam, dass sie sich in der Nähe bedeutender Zentren der frühdynastischen Zeit befinden und an Stellen stehen, die den Platzwahlkriterien für Nekropolen entsprechen. Diese Beobachtung gibt Anlass zu der Vermutung, dass möglicherweise in jedem Gau eine solche Pyramide errichtet wurde, die Mehrzahl aber nicht erhalten ist.29 Die in diesem Zusammenhang von Dreyer/Kaiser geäußerte und deutlich als solche gekennzeichnete Hypothese, die kleinen Pyramiden könnten an der Stelle früherer königlicher Pfalzen errichtet worden sein, hat, wie bereits erwähnt, als vermeintliche Tatsache Eingang in diverse Überblickswerke zur ägyptischen Geschichte gefunden. Seidlmayer weist auf den interessanten Befund hin, dass ausgerechnet für Huni – in dem wir mit einer gewissen Berechtigung den Erbauer der Mehrzahl der kleinen Stufenpyramiden vermuten dürfen – kein Grabdenkmal in der Residenz belegt ist, obwohl angesichts von 24 Regierungsjahren (laut pTurin 1874) eine vollständige Pyramide zu erwarten wäre. Für einen direkten Zusammenhang dieser Beobachtung mit der Errichtung der kleinen Pyramiden gibt es jedoch keinerlei Hinweise. 30 Letztlich bewegen sich sämtliche Überlegungen im Bezug auf die Funktion der kleinen Pyramiden und den Grund für dieses im Alten Reich bisher einzigartige Vorgehen – nämlich kleine königliche Denkmäler im ganzen Land zu verteilen – im Bereich reiner Spekulation. In diesen Zusammenhang gehören die vielen wunderbar vagen Aussagen zum Sinn der kleinen Pyramiden wie z. B.: „… to concentrate the activity of people around the living king (thus stressing his exceptional position) and to serve as funerary chapels after his death.“ 31 „Es liegt daher nahe, anzunehmen, dass mit der Errichtung von kleinen Stufenpyramiden an wichtigen Orten, vielleicht sogar in jedem Gau, die Präsenz des Königs im ganzen Land deutlich gemacht werden sollte.“32 „… intention seems to have been to erect a visible marker of royal power in every province. (…) The monuments were not just symbols of the king’s authority throughout the country, they were also practical instruments of that authority ….“ 33

27 28 29 30 31 32

Bárta (2015a: 6). Siehe dazu Seidlmayer (1996b: 207209); Marouard/Papapzian (2012: 89). Dreyer/Kaiser (1980: 5657); Seidlmayer (1996b: 209210); Bárta (2005b: 181). Seidlmayer (1996b: 210211). Ćwiek (1998: 52). Dreyer (2007: 307).

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7 Pyramidenbau

„As such, the provincial pyramids may have constituted parts of an elaborate system of cultic domains, that represented essential components of the operating system of the local economy and national/royal economic organization.“34 „The construction of these monuments in that case may be essentially attached to the symbolic representation of the royal power, a deliberate political statement through which the king re-affirms the centralization on the Memphite region and his control of the whole country, using in the provinces a visible network of miniature step pyramids, strong symbols of the royal ideology since the reign of Djoser.“ 35 „… perhaps to confirm in local eyes the reality of royal power.“ 36 Luc Pfirsch schlägt einen nicht näher spezifizierten Zusammenhang mit der Institution des nxn vor.37 Ćwiek vermutet  ausgehend davon, es habe tatsächlich ein Bauprogramm gegeben, das vorsah, kleine Pyramiden in allen Gauen zu errichten – die „fehlenden“ Pyramiden seien nicht etwa zerstört oder nicht gefunden worden, sondern Snofru habe das noch unvollendete Bauprogramm aufgrund von Veränderungen in der politischen Situation eingestellt. Die Einstellung des Bauprogramms zugunsten von Snofrus Bautätigkeit im memphitischen Raum wäre demnach als Hinweis auf „increasing royal power and diminishing importance of provinces” zu sehen. 38

33 34 35 36 37 38

T. Wilkinson (2010: 71). Marouard/Papazian (2012: 4). Marouard/Papazian (2012: 4). Kemp (2014/2015: 246). Pfirsch (1997: 353). Ćwiek (1998: 52).

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8 „Außenpolitik“ 8.1 Einleitung In der ägyptologischen Literatur wird nicht selten jedes Zeugnis ägyptischer Kultur im Ausland als Beleg für eine aktive Außenpolitik gewertet, wobei die ausgesprochen positivistischen Interpretationsansätze mancher frühen Ausgräber teilweise bis heute unreflektiert übernommen werden.1 So ist für die Zeit des Alten Reiches z. B. die Rede von „energischer Außenpolitik“,2 einem „Expansionsdrang nach Nubien“,3 „künstlerischem und religiösem Ausstrahlen in den syrischen Raum“4 und gar einem „ideological and economic empire“,5 mit dem die Ägypter den südlichen Sinai dominiert haben sollen. Aus dem Fund einzelner, mit einem Königsnamen beschrifteter Steingfäße werden „diplomatische Kontakte“ rekonstruiert,6 anhand nicht vorhandener Zeugnisse schließt man auf „außenpolitisch ruhige Jahre“7 und gut belegte Jahre werden zu „Höhepunkten außenpolitischer Aktivität“ stilisiert.8 Als außenpolitische Mittel werden „Strafexpeditionen“ oder „Razzien“ genannt, mit denen man die Grenzen sicherte, aufmüpfige „halbnomadische“ Nachbarn zur Räson brachte und nebenbei gewinnbringende Beute machte.9 Der Begriff Halbnomaden wird dabei als vage Bezeichnung für Menschengruppen verwendet, deren Existenz durch ägyptische Schriftquellen belegt scheint, die aber archäologisch wenig bis gar nicht nachweisbar sind. Dies gilt u. a. für die Bevölkerung des Sinai zur Zeit des EBA III und die Bevölkerung Unternubiens während des Alten Reiches. (Siehe dazu auch Kapitel 8.2.2 und 8.3.2.) Im Namen einer vorgeblich besseren Lesbarkeit werden Quellenangaben oft auf ein Minimum reduziert oder gleich völlig weggelassen,10 so dass beim Leser der Eindruck entsteht, die Forschung sei in der Lage, ein wenn auch nicht vollständiges, so doch ziemlich umfassendes geschichtliches Bild der ägyptischen Außenbeziehungen wiederzugeben. Insbesondere die Beziehungen Ägyptens zu Vorderasien stellen sich in narrativ ausgerichteten Schriften und maximal positivistischer Auswertung des Befundes als scheinbar relativ geschlossenes Bild dar.11

1 Deutlich kritisiert wird die rein positivistische Auswertung der Belege von Jansen-Winkeln (2009) und Schneider (2015). 2 Grimal (1988: 99); Schlögl (2003: 36). 3 T. Wilkinson (1999: 177). 4 Hornung (1978: 15). 5 Parcak (2004: 4142); Sowada (2009: 7; 15). 6 Andrássy (1991b: 134135); Málek (2000: 115); Höveler-Müller (2005: 129130); Mumford (2006: 54); Sowada (2009: 243); Moreno García (2010: 5). 7 Schulman (1979: 97); Gundlach (1994: 70). 8 Gundlach (1998: 272). 9 Eyre (1994: 116); T. Wilkinson (1999: 160). 10 Cf. Warburton (2001); T. Wilkinson (2010). 11 Cf. Andrássy (1991b); Warburton (2001); Jirásková (2011).

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8 „Außenpolitik“

Unter dem Begriff Außenpolitik verstehen wir heute „die Institutionen, Vorgänge und Inhalte der politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse, die darauf gerichtet sind, die auswärtigen Beziehungen eines Staates zu anderen Staaten, Staatenverbindungen und inter- oder supranationalen Organisationen zu beeinflussen oder verbindlich zu regeln.“12 Die Übertragung eines modernen Begriffs auf eine alte Kultur ist einerseits problematisch, andererseits aber unumgänglich, da dem neuzeitlichen Historiker nichts anderes übrig bleibt, als seinen eigenen Horizont zum Vergleich zu nehmen bzw. seine eigene Sprache zu benutzen. Auch mit gewissen Unschärfen solcher Begriffe muss der Historiker leben. Es stellt sich jedoch die Frage, ob es angesichts der wenigen uns zur Verfügung stehenden Quellen möglich ist, die politische Dimension der ägyptischen Außenbeziehungen so weit zu erfassen, dass Aussagen über außenpolitische Ambitionen möglich sind. Eine gründliche Neuuntersuchung des Themas ist im Rahmen dieser Arbeit weder angedacht noch möglich. Im Folgenden soll exemplarisch beleuchtet werden, auf welch dürren und mitunter mehrdeutigen Belegen viele der ständig wiederholten Aussagen zur „Außenpolitik“ des Alten Reiches in Wirklichkeit beruhen. Zu hinterfragen ist dabei jeweils die politische Dimension einer ägyptischen Aktivität im Ausland (unter dem im Bezug auf Altägypten üblicherweise alle Gebiete angesprochen werden, die sich außerhalb des in Gauen organisierten ägyptischen Kernlandes befinden) und ob eine Interaktion mit der lokalen Bevölkerung erkennbar ist. Im Hintergrund steht dabei die Frage, ob Ursachen und Ziele der „Außenpolitik“ zu erkennen sind. War das Anliegen königlichen Engagements im Auslands allein die Kontrolle der Handelswege? War „Außenpolitik“ also reine „Wirtschaftspolitik“, wie das manchmal allgemein für die Bronzezeit angenommen wird? 13 Diese Fragen sollen den Rahmen für die Diskussion der bisher gezogenen Schlussfolgerungen bilden, sie werden jedoch nicht immer zufriedenstellend beantwortet werden können. Die Beschreibung von Handelsgütern und Handelsbeziehungen liegt dabei nicht im Fokus dieser Arbeit.14

8.2. Nubien 8.2.1 Die Situation in Nubien zu Beginn des Alten Reiches Als Nubien werden hier, dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend, das Niltal und die angrenzenden Wüstengebiete zwischen dem ersten Katarakt bei Aswān im Norden und alḪarṭūm im Süden angesprochen, wobei das Gebiet zwischen Aswān und al-ʿAmāra als Unternubien, das weiter südlich liegende als Obernubien bezeichnet wird. Bei der Auswertung der Spuren zu den Beziehungen zwischen Ägypten und Nubien während des Alten Reiches (im folgenden Kapitel) wird sich zeigen, dass die Interpretation des Befundes teilweise erheblich davon beeinflusst wird, wie man sich die Situation in Nubien und die Entwicklung der Beziehungen während der vor- und frühdynastischen Zeit vorstellt. Um diese Spuren auf ihre politische Dimension hin zu überprüfen, ist es also notwendig festzustellen, 12 Schmidt (2010: 6667). 13 Moreno García (2010: 57). 14 Siehe dazu ausführlich Zibelius-Chen (1988) für Nubien und Sowada (2009) für die Levante.

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8.2. Nubien

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wie die Ausgangssituation zu Beginn des Alten Reiches aussah bzw. ob diese überhaupt zweifelsfrei rekonstruiert werden kann. Während sich im 4. Jahrtausend v. Chr. in Ägypten die Naqāda-Kultur entwickelt und ausbreitet, wird Nubien von den Trägern der A-Gruppen-Kultur bewohnt.15 Mittlerweile geht man nicht mehr von einer in sich geschlossenen Kultur aus, sondern von mehreren AGruppen, von denen sich vor allem die unter- und die obernubischen deutlich unterscheiden.16 Schon während der Phase Naqāda II lässt sich in Obernubien die Prä-Kerma-Kultur nachweisen.17 Naqāda- und A-Gruppen-Kultur sind geographisch nicht exakt zu trennen; die Gegend um Assuan einschließlich der Wüstengebiete ist weiträumig als Übergangszone anzusehen.18 Die Ursprünge der A-Gruppen-Kultur liegen weiterhin im Dunkeln. Jane Roy, Maria Gatto und Moreno-García plädieren für gemeinsame Wurzeln der Naqāda- und AGruppen-Kultur und gehen davon aus, dass sich die ägyptische und die nubische Identität erst während der Reichseinigungszeit herausgebildet haben und die Unterschiede in der materiellen Kultur regional und nicht ethnisch bedingt sind. 19 David O’Connor und Henriette Hafsaas-Tsakos dagegen sind der Meinung, dass wir es mit zwei verschiedenen Ethnien ohne gemeinsame Sprache zu tun haben.20 Diese Unklarheit erschwert die Interpretation der Quellen erheblich, die – je nachdem ob man das eine oder das andere voraussetzt – in verschiedene Richtungen gedeutet werden können. Nicht eindeutig zu beantworten ist auch die Frage nach dem Grad der staatlichen Organisation der A-Gruppen-Kultur. Können wir von einem zentralisierten Gesellschaftsgebilde ausgehen, 21 das von den frühen ägyptischen Königen möglicherweise als Konkurrenz oder Bedrohung angesehen wurde? 22 Oder beruht diese Annahme lediglich auf einer Überinterpretation des Befundes von Qusṭūl? 23 Eine deutliche Mehrheit der Autoren zum Thema Nubien geht aufgrund fehlender archäologischer Befunde in Unternubien davon aus, dass die A-Gruppe durch militärischen Druck seitens des jungen ägyptischen Staates im Laufe der 1. Dynastie weitgehend verschwindet oder zumindest dezimiert und zu einer nomadisierenden Lebensweise an den Rändern der Wüste gezwungen wird. Dabei wird teilweise bis in jüngste Zeit angenommen, Unternubien sei bis zur Einwanderung der C-Gruppe gegen Ende des Alten Reiches24 nahezu unbesiedelt gewesen.25 Diese These wird mittlerweile stark in Frage gestellt, vor allem

15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

Grundlegend zur Klassifizierung der A-Gruppen-Kultur siehe Nordström (1972) und Gatto (2006a). Cf. Gatto/Tiraterra (1996). Bonnet (1990: 8, Abb.2), (1996a). Gatto (2009: 126127), (2014). Dies gilt auch für die dynastische Zeit, cf. Seidlmayer (1996a: 111). Gatto/Tiraterra (1996); Gatto (2006b); Moreno García (2010: 8); Roy (2011: 294297); Gatto (2014). O’Connor (1993: 10); Hafsaas-Tsakos (2015). Wenig (1996); Glück (2005: 150, Anm. 89); Gatto (2006a); Hafsaas-Tsakos (2009), (2015). Morkot (2001: 230231). Leclant (1996); Lange (2013: 75). Für den Befund von Qusṭūl siehe Emery (1938). Die Annahme, die Träger der C-Gruppen Kultur seien frühestens in der 4. und spätestens in der 6. Dynastie in Unternubien eingewandert, stützt sich auf die chronologischen Ansätze von Bietak (1968: 142; 165) und Gratien (1978: 307). Zu neueren Forschungen siehe das folgende Kapitel. 25 U. a. Nordström (1972: 18); Zibelius-Chen (1988: 4555; 146); Bonnet (1996a); Morkot (2000: 4445), (2001: 230231); Török (2009: 4855); Lange (2013: 86); Näser (2013a); O‘Connor (2014: 332).

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8 „Außenpolitik“

durch die als Dynastic A-Group angesprochene Keramik aus verschiedenen oberägyptischen Fundplätzen (allen voran Elephantine), die eine Kontinuität zwischen der AGruppen-Kultur und den „Nubiern“ des Alten Reiches aufzeigen. 26 Auch dieser Aspekt ist für die Bewertung der Quellen des Alten Reiches von Belang: Aktivitäten der Ägypter in Nubien kann eher ein politischer Hintergrund zugesprochen werden, wenn es zur Interaktion mit der Bevölkerung kommt. Dies wäre beim Vordringen in unbesiedeltes Gebiet nicht der Fall. T. Wilkinson und László Török sehen den Grund für das aggressive Vorgehen in Nubien im Rückzug der Ägypter aus Kanaan und dem Nordsinai im Verlauf der 1. Dynastie: Offensichtlich sei Nubien der attraktivere Markt für die Beschaffung der gewünschten Materialien gewesen.27 Hier eine Kausalität zu konstruieren, erscheint mir sehr gewagt oder vielmehr unzulässig, gibt es doch keinen einzigen Beleg, der beide Beobachtungen (von Befunden kann man hier gar nicht sprechen) zuverlässig miteinander verknüpft. Abgesehen von der Frage, ob sich die aus dem palästinensischen Raum importierten Güter ohne weiteres durch solche aus Nubien ersetzen lassen, zeigen neuere Untersuchungen, dass die ägyptischen Handelsbeziehungen nach Kanaan auch über das EBA II hinaus fortbestehen.28 Ferner stützt sich die Hypothese von einer militärisch basierten ägyptischen Dominanz in Nubien auf wenige Indizien. Das wichtigste Indiz ist ein Felsrelief vom Ǧabal Šaiḫ Sulaimān in der Nähe des zweiten Katarakts, das vermutlich in die Zeit des Djer datiert. 29 Die dargestellte Szene wird von den Bearbeitern wörtlich genommen und als historische Quelle interpretiert: Abgebildet sei der reale Sieg eines ägyptischen Königs über die Nubier. Als weitere Zeugnisse militärischer Kampagnen gegen Nubien zu Beginn der dynastischen Zeit werden jeweils zwei Annalentäfelchen des Aha und des Djet angesehen.30 Ob aus diesen Befunden eine militärische Dominanz Ägyptens abgeleitet werden kann, ist mehrfach angezweifelt worden. Eine Veränderung der klimatischen Bedingungen könnte ebenfalls der Auslöser für den Übergang der A-Gruppe zu einer nomadisierenden Lebensweise sein. Dies könnte könnte die Ursache dafür sein, dass die A-Gruppen-Kultur von jenem Zeitpunkt an archäologisch nur schwer zu fassen ist. 31 Eine solche Veränderung mit fortschreitendem Austrocknungsprozess und stetig sinkendem Grundwasserspiegel ist z. B. im Wādī Shaw dokumentiert worden. 32 Nicht völlig geklärt ist nach wie vor das Verhältnis zwischen der A- und der C-Gruppe. Einerseits gibt es die Annahme, die Träger der C-Gruppen Kultur seien aus der Westwüste

26 Siehe dazu Seidlmayer (1991); Gratien (1995); Raue (1999), (2014). Für eine umfassende Bewertung aller Spuren von Besiedlung in Unternubien während des Alten Reiches siehe Quintana (2015). 27 T. Wilkinson (1999: 160180); Török (2009: 51). 28 Miroschedji (2002: 4547); Sowada (2009: 54127). Siehe dazu auch Kapitel 8.4.1. 29 Der Block mit dem Relief befindet sich heute im Nationalmuseum von al-Ḫarṭūm. Für Abbildungen, Beschreibung und ausführliche Begründung der Datierung siehe Somaglino/Tallet (2014), (2015). 30 Siehe Somaglino/Tallet (2014: 2526). 31 Wenig (1996); Vogel (2004: 37); Anfinset (2010: 7778); Roy (2011: 300301). Ausführlich zu den verschiedenen Theorien über das (vermeintliche) Ende der A-Gruppe siehe Rampersad (1999: 263274). 32 Cf. Richter (2006).

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8.2. Nubien

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in das Niltal eingewandert und hätten sich dort mit überlebenden Restpopulationen der AGruppe vermischt, um ab der 4. Dynastie das unternubische Niltal zu besiedeln. 33 Schon in den 1990er Jahren wurde jedoch verschiedentlich geäußert, die C-Gruppe habe sich aus einer in der Region des zweiten Katarakts ansässigen Restpopulation der A-Gruppe entwickelt.34 Dazu passen die Ergebnisse anthropologischer Untersuchungen, die eine biologische Kontinuität zwischen den Trägern der A- und C-Gruppen-Kultur nahelegen.35 Festzuhalten ist, dass Obernubien seit Beginn des Alten Reiches auf jeden Fall besiedelt war und sich dort die Kerma-Kultur vom Prä-Kerma, das von kleinen Gemeinschaften und Häuptlingssitzen geprägt war, im Verlauf des Kerma Ancien zu einem zentral organisierten Königsreich hin entwickelt hat.36 Es scheint, als müsse auch von einer Besiedlung Unternubiens ausgegangen werden, die aber aufgrund der wenigen archäologischen Spuren bisher nicht genauer beschrieben werden kann. Unklar bleibt, ob wir von einer militärischen Unterwerfung Nubiens noch vor dem Alten Reich ausgehen können. Unklar ist auch der Grad der staatlichen Organisation der nubischen Kulturen während des Alten Reiches. Während O’Connor im Bericht des Ḥrw-xw=f37 Hinweise auf ein „complex chiefdom“ oder sogar einen nubischen Staat sieht, 38 ist Seidlmayer der Meinung, die nubischen Kulturen seien während des Alten Reiches lediglich „auf dem Niveau von Stämmen und Banden“ organisiert gewesen.39 Für den Historiker zu beachten bleibt auch, dass die „Gruppe der nubischen Völker in sich eine beträchtliche ethnische, ökologische, soziale und kulturelle Differenzierung aufwies.“40 Inwieweit die Ägypter diese Unterschiede wahrnahmen oder ob es – wie der ägyptische Sprachgebrauch nahezulegen scheint – für sie nur „den Nubier“ schlechthin gab, entzieht sich unserer Kenntnis. Aus ägyptischen Texten sind im Bezug auf Nubien mehrere Toponyme bekannt, die sich nicht immer genau lokalisieren lassen, jedoch zeigen, dass Nubien in verschiedene Fürstentümer/Gebiete/Bereiche unterteilt war. &A-stj entspricht Unternubien, das von den nHsj.w bewohnt wird und sich in die Länder WAwA.t (südlich des ersten Katarakts), JrT.t, %ATw (um Tumās?) und MDA (östlich des Nils)41 gliederte. Das mit JAm bezeichnete Gebiet

33 Bietak (1968: 142; 165) und Gratien (1978: 307) gehen von der 4. Dynastie als frühestmöglichem Datum für die Einwanderung aus. Glück (2005) plädiert für einen deutlich früheren Ansatz und erkennt Spuren der Proto-C-Gruppe bereits in den sogenannten Königsgräbern von Qusṭūl. 34 Bonnet (1990: 11); O’Connor (1993: 25). 35 Johnson/Lovell (1995); Prowse/Lovell (1995). 36 Bonnet (2013). Siehe die Zeittafel (Tabelle 8) im Anhang A.5. 37 Grab Qubbat al-Hawā 34n. Urk I, 120131; Edel (2008: 620636). 38 O’Connor (1993: 25; 36). 39 Seidlmayer (2002: 8990). 40 Seidlmayer (2002: 9192). Ebenda auch eine genauere Beschreibung der Lebensräume und -formen in Nubien aus ökologisch-ökonomischer Perspektive. 41 Die MDA-Nomaden sind seit dem Alten Reich schriftlich, seit dem ausgehenden Mittleren Reich auch archäologisch bezeugt und können mit der Pangrave-Kultur in Verbindung gebracht werden. Cf. O’Connor (1993: 42) und Seidlmayer (2002: 91).

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8 „Außenpolitik“

liegt weiter im Süden, wahrscheinlich in der Gegend von Dunqulā und Kerma,42 vielleicht sogar in der Region von al-Buṭāna.43 8.2.2 Die Quellen und ihre Auswertung Den ägyptischen Annalen sind mehrfach Hinweise auf Geschehnisse in Nubien bzw. ägyptisch-nubische Interaktionen zu entnehmen. Die annalistische Inschrift auf einer in Elephantine gefundenen Vase kann dahingehend gedeutet werden, dass es in der 3. Dynastie mindestens drei bewaffnete Auseinandersetzungen an der äyptischen Südgrenze gab und ein König dort höchstselbst erschienen ist.44 Folgt man der etwas abweichenden Übersetzung Peter Kaplonys, ergibt sich zusätzlich, dass in dieser Zeit Getreide aus Sais nach Elephantine geliefert wurde.45 Im Zusammenhang mit den Beziehungen nach Nubien während der 3. Dynastie wird immer wieder die nicht zeitgenössische Hungersnotstele als Beleg aufgeführt, für deren Historizität vor allem Kurt Sethe und Wildung argumentieren.46 Carsten Peust konnte in jüngerer Zeit überzeugend darlegen, dass die Hungersnotstele eindeutig das Bild der Ptolemäerzeit von der 3. Dynastie reflektiert und damit als historisches Dokument für das Alte Reich nicht zu gebrauchen ist. 47 In Ermangelung weiterer aussagekräftiger Schriftquellen aus der 3. Dynastie können die Beziehungen beider Länder zu dieser Zeit nicht näher beschrieben werden. 48 Der Palermostein nennt für das 13. oder 14. Jahr49 des Snofru: „Jahr (…), der Verwüstung von Nubien samt Aufbringens von 7000 Gefangenen und 200 000 Stück Vieh, (…).“ (siehe Anhang A.1.1). Wenn auch die Übersetzung von xbA mit „Verwüstung“ vielleicht überdenkenswert ist, scheint aufgrund der Angabe einer großen Zahl an Gefangenen und Beute naheliegend, dass es sich um einen Feldzug und nicht etwa um eine friedliche Handelsexpedition handelt.50 Über die historische Bedeutung dieses Feldzugs ist vielfältig spekuliert worden: Er sei im Zusammenhang mit dem Untergang der A-Gruppe zu sehen51  was nach dem heutigen Kenntnisstand ausgeschlossen werden kann – oder markiere den Beginn der ägyptischen Eroberungen in Nubien. 52 In allgemein gehaltenen Geschichtswerken ist meist vage von „wirtschaftspolitischen Zielen“ und „Sicherung der Handelswege“ die Rede,53 konkret wird auch die Sicherung des Handelsweges nach Punt genannt. 54 Diese

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Bonnet (1990: 11), (1996b: 89); Gratien (2013: 93). O’Connor (1986). Siehe Kapitel 3.2.2. Für Transkription und Übersetzung der Inschrift siehe Kahl et al. (1995: 170171). Kaplony (2002). Sethe (1901: 2526); Wildung (1969: 8591). Peust (2004). Cf. Baud (2002: 252). Cf. T. Wilkinson (2000: 141). Barta (1981) und Grundlach (1994: 71) gehen vom 14. Jahr aus. Vachala (1991a: 88) und (1991b: 94) hält die Zahlenangaben für „ganz sicher übertrieben“. Gundlach (1994: 7172) hält sie trotz der relativ großen Mengen für realistisch. Säve-Söderbergh (1941: 9). Schulman (1979: 89). Otto (1953: 60); Hornung (1978: 20); Málek (2000: 107); Höveler-Müller (2005: 72), Schlögl (2006: 87). Moreno García (2010: 11).

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8.2. Nubien

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Aussage ist auch deshalb rein spekulativ, weil eine Lokalisierung Punts an der afrikanischen Küste bis dato nicht als gesichert gelten kann. 55 Gundlach sieht den Eintrag im Zusammenhang mit dem folgenden Jahresfeld des Palermosteins, den er mit „Errichten von 35 Gütern und 122 Viehweiden“ übersetzt. 56 Er nimmt an, dass diese Neugründungen sich im Delta befanden und Teil eines politisch motivierten umfangreichen Siedlungsprogrammes waren, wobei der Bedarf an Arbeitskräften und Vieh für die neugegründeten Güter durch die planmäßige Zwangsumsiedlung von Fremdvölkern gedeckt wurde. Einziger Zweck des Feldzugs unter Snofru wäre demnach die Verschleppung von Menschen und das Erbeuten von Vieh gewesen.57 Nun gibt es für Gundlachs Thesen zwar Indizien, die Argumentation ist jedoch insgesamt recht lückenhaft und in entscheidenden Punkten anfechtbar: Schneider weist darauf hin, dass Gundlach beim Vergleich der ober- und unterägyptischen Güter des Snofru ein erheblicher Rechenfehler unterlaufen ist, nach dessen Korrektur der These ihre Ausgangsbasis entzogen wird. 58 T. Wilkinson hält es für möglich, dass der Eintrag auf dem Palermostein überhaupt kein reales Ereignis, sondern lediglich die rituelle Pflicht des Königs ausdrückt, die Feinde Ägyptens zu vernichten.59 Ich halte dies für sehr unwahrscheinlich; wie bereits in Kapitel 3.2.1 gezeigt, eignen sich fiktive Ereignisse nicht für ein eponymes Datierungssystem, wie es uns offensichtlich auf dem Annalenstein entgegentritt. Ein häufig zitiertes Zeugnis ägyptischer Aktivitäten in Nubien sind die Königsnamen in den Gneis-Steinbrüchen von Ǧabal al-ʿAṣr.60 Sie werden angeführt als Beleg dafür, dass sich Unternubien seit der 4. Dynastie unter ägyptischer Kontrolle befunden haben soll, wobei den genannten Königen ein „besonderes Interesse“ an diesem Gebiet zugeschrieben wird. 61 Was ist nun tatsächlich in Ǧabal al-ʿAṣr vorhanden? Über ein größeres Gebiet verteilt 62 wurden bis heute 624 kleine stone extraction sites, 41 größere Steinbrüche und 166 ancient infrastructure sites gefunden.63 Die einzigen Schriftzeugnisse stellen fünf Felsblöcke/Stelen dar, die Namen und in einigen Fällen Epitheta des Cheops, Djedefre, Sahure, Niuserre und Djedkare enthalten.64 Mit dem Namen des Cheops haben wir einen Hinweis auf Eröffnung

55 56 57 58 59 60

61 62 63 64

Zur Lage von Punt siehe Kapitel 8.7.1. Gundlach (1994: 72). Für den Originaltext und leicht abweichende Übersetzungen siehe Anhang A.1.1) Cf. Gundlach (1994); ähnlich äußert sich auch Helck (1974). Schneider (1998: 14); weitere Kritik an dieser These äußert Seidlmayer (2002: 98, Anm. 21). T. Wilkinson (2000: 142). In der Literatur wird der Ort oft unpräzise als „Steinbrüche von Tūškā“ oder irreführend als „Felsstelen bei Abū Simbil“ bezeichnet. Seit 1997 wird das Gebiet von einem britisch-norwegischen Team der Universität Liverpool untersucht und geographisch präziser als Ǧabal al-ʿAṣr angesprochen. Zu den dort anstehenden Gneis-Gesteinen, darunter der in der älteren Literatur als „Chephren-Diorit“ bekannte Anorthosit-Gneis, siehe Aston/Harrell/Shaw (2000: 3233). Cf. Säve-Söderbergh (1941: 9); Gardiner (1965: 106); Hornung (1978: 27); Schulman (1979: 82); Vachala (1991a: 89); Málek (2000: 107; 111); Schlögl (2003: 37; 39); Höveler-Müller (2005: 97). Die Größenangaben in der Literatur schwanken zwischen 12 km2 (Shaw et al. (2010: 295); 50 km2 (Storemyr et al. (2002: 25) und 120 km2 (Shaw/Bloxam (1999: 13)! Shaw et al. (2010: 295). Für Abbildungen und Transkription der Inschriften sowie Literaturverweise siehe Anhang A.1.2.

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8 „Außenpolitik“

der Steinbrüche spätestens in der 4. Dynastie, die häufige Verwendung von AnorthositGneis seit der prädynastischen Zeit indiziert jedoch eine deutlich frühere – wenn auch bisher vor Ort archäologisch nicht zu belegende – Nutzung der Steinbrüche.65 Das Vorhandensein diverser infrastruktureller Bauten (Siedlungen, Brunnen, Rampen, eine Straße nach Tūškā) deutet auf eine gewisse Regelmäßigkeit und Intensität der Arbeiten zumindest im Zentrum des Gebietes von Ǧabal al-ʿAṣr hin.66 Wenngleich die tatsächliche Frequenz der ägyptischen Aktivitäten nicht seriös geschätzt werden kann, so gewinnt doch durch die vage Angabe einer „gewissen Regelmäßigkeit“ die These von der ägyptischen Kontrolle über Unternubien zumindest etwas an Gewicht. Hinweise auf Interaktion mit der lokalen Bevölkerung gibt es bisher nicht. Nach der These von einer Besiedlungsleere Unternubiens während des Alten Reiches ist dies auch nicht zu erwarten. Geht man jedoch von einer kontinuierlichen, wenn auch dünnen Besiedlung Unternubiens aus (siehe vorheriges Kapitel), so ist zumindest mit einer nomadisierenden Bevölkerung zu rechnen, zumal die neueren Ausgrabungen nahelegen, dass rund um Ǧabal al-ʿAṣr von für menschliche Aktivitäten günstigen ökologischen Bedingungen ausgegangen werden kann: Die geringe Tiefe der Brunnen deutet auf einen hohen Grundwasserspiegel und eine savannenartige Landschaft hin.67 Für die Bewertung der politischen Dimension der ägyptischen Aktivitäten spielt die Frage nach der lokalen Bevölkerung eine entscheidende Rolle. Steinbrucharbeiten in nahezu unbesiedelten Gebieten wären nach der eingangs besprochenen Definition nicht als Außenpolitik anzusprechen. Von den zahlreichen Felsinschriften, die aus dem Niltal südlich von Elephantine/Aswān bis weit in den Sudan hinein bekannt sind, werden mehr als 80 in das Alte Reich datiert. 68 Die Mehrzahl der Inschriften enthält lediglich den Eigennamen einer Privatperson, manchmal auch deren Titel. Nur zwei Königsnamen sind – abgesehen von jenen fünf in Ǧabal al-ʿAṣr  belegt: einmal der des Cheops in Suhail und zweimal der des Pepi I. in Tumās.69 Bis auf wenige Ausnahmen werden sämtliche Inschriften von ihren Bearbeitern in die 6. Dynastie datiert. Die Frage nach der Datierung und Glaubwürdigkeit der Inschriften von Ḫūr al-ʿĀqiba ist bereits in Kapitel 3.7.1 besprochen worden. Es sei darauf hingewiesen, dass die frühe Datierung Helcks die These stützen würde, dass der Hauptzweck der Expeditionen nach Nubien in der Gewinnung von Arbeitskräften bestand. 70 Interessant ist auch, dass zum

65 66 67 68

Cf. Zibelius-Chen (1988: 52); Storemyr et al. (2002: 25); Shaw et al. (2010: 295). Ausführlich zu den infrastrukturellen Einrichtungen siehe Shaw et al. (2010). Shaw et al. (2010: 304305). Für den Katalog der bis 1993 bekannten Inschriften und weiterführende Literatur siehe Eichler (1993: 7117). Belegt sind Inschriften an den Orten Suhail, Mahatta, Kalābša, Qara*, Mariya*, Wādī al-ʿAlāqī, Wādī al-ʿArab, Abū Ḥanḍal, Tonqala*, Tūmās, Ḫūr al-ʿĀqiba, Tūškā West, Ǧabal al-ʿAṣr, Abū Simbil, Abd el-Qadir*, Abū Ṣīr, Dakke/Kulb*. Für die mit * gekennzeichneten Orte liegt die arabische Schreibung nicht vor. 69 Eichler (1993: Nr. 210; 255; 256). Die Angaben Weigalls (1907: 108109, Taf. LVIILVIII) und SäveSöderberghs (1941: 10), es seien in Tumās auch Kartuschen des Sahure, Djedkare und Teti vorhanden, lassen sich nicht verifizieren. 70 Cf. Vachala (1991a: 8889); Gundlach (1994: 9091)

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8.2. Nubien

121

Zeitpunkt der Anbringung der Inschriften die Expeditionen nicht – wie später üblich – von den Gaufürsten von Elephantine geleitet wurden.71 Die größte Zahl an Inschriften des Alten Reiches im nubischen Raum ist bei Tumās zu finden; diese werden von Eckhard Eichler ausnahmslos und gut begründet in die 6. Dynastie datiert.72 Für die Ereignisgeschichte von Belang bzw. etwas aussagekräftiger sind von den Inschriften bei Tumās lediglich die des #wns und die des Jjw-rsj=f. Beide berichten, sie seien geschickt worden, um Nubien zu „öffnen“.73 Brigitte Gratien schlägt vor, dass diese Inschriften von den Mitgliedern der Expeditionen zu den Steinbrüchen von Ǧabal al-ʿAṣr angebracht wurden,74 was zwar geographisch naheliegend ist, mir aber angesichts der Datierung zweifelhaft erscheint. Bisher gibt es in Ǧabal al-ʿAṣr keine Anhaltspunkte dafür, dass dort in der 6. Dynastie noch gearbeitet wurde (siehe oben). In zwei der Inschriften von Tumās gebrauchen die Verfasser das Wort wbA „öffnen“, das gerne im Sinn eines gewaltsamen Eindringens verstanden wird. 75 Zusammen mit den beiden Inschriften aus Ḫūr al-ʿĀqiba sind dies die einzigen Zeugnisse möglicher kriegerischer Aktivitäten seitens der Ägypter aus Nubien selbst – wobei auch hier wieder an das Problem der nicht eingehend untersuchten genauen Semantik und Verwendung von xbA „hacken“ gedacht werden muss. Die Mehrzahl der Inschriften sind lediglich Ausweis für (Handels-)Kontakte, wenngleich Carola Zibelius-Chen der Meinung ist, auch bei diesen hätten „Zwang und Druck eine erhebliche Rolle“ gespielt. 76 Die südlichsten Inschriften des Alten Reiches sind jene, die ein Schreiber und zwei Vorsteher der smntj.w in der Nähe der Dörfer Dakke bzw. Kulb im Südbereich des zweiten Katarakts hinterlassen haben. 77 Die Inschriften können aufgrund allgemeiner paläographischer Kriterien in das Alte Reich datiert werden, eine Feindatierung ist nicht möglich. Auch diese Inschriften möchte Gratien den Steinbruchexpeditionen zuschreiben, was bei einem Blick auf die Landkarte sehr fragwürdig erscheint, liegt Dakke/Kulb doch viel zu weit südlich, als dass die Expeditionen nach Ǧabal al-ʿAṣr es passiert haben sollten. Anhand der Autobiographien der Gaufürsten von Elephantine in den Felsgräbern von Qubbat al-Hawā lassen sich folgende Unternehmungen in Nubien nachvollziehen:

71 Cf. Zibelius-Chen (1991: 358361), dort auch zahlreiche weitere Inschriften als Beleg für diese These. 72 Eichler (1993: 104112; Nr. 227259). 73 Für Abbildungen, Transkription und Übersetzung der Inschriften sowie Literaturverweise siehe Anhang A.1.3. 74 Gratien (2013: 95). 75 Eichler (1993: 144145). Zur Konnotation von wbA siehe auch Zibelius-Chen (1988: 147) und Kapitel 3.1. 76 Zibelius-Chen (1988: 147). 77 Hintze/Reinecke (1989: 180, Nr. 597599; Taf. 258259) und Eichler (1993: 117; Nr. 278280) nennen das Dorf Dakke (nicht zu verwechseln mit ad-Dakka bei Kūbān, am Ausgang des Wādī al-ʿAlāqī), Leclant (1996: 74) und Gratien (2013: 95) das in unmittelbarer Nachbarschaft gelegene Dorf Kulb. Es handelt sich jeweils um den gleichen Fundplatz. Möglicherweise sind mit diesen Inschriften auch die „Inschriften der 6. Dynastie bei Tangur“ gemeint, die Wenig (1996: 374) erwähnt. Hintze/Reinecke (1989) verzeichnen keinerlei Inschriften aus Tangur, die in das Alte Reich datieren.

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8 „Außenpolitik“

Grab QH 25 / QH 26, späte 6. Dyn.78 Reise des Mxw (I.)

– Grund der Reise ist Handel/Eintreiben von Abgaben – stirbt in WAwA.t

1. Reise des %Abnj

– – – –

2. Reise des %Abnj

– wird vom König nach Nubien geschickt – stirbt in Elephantine, nachdem er zahlreiche Güter mitgebracht hat

soll seinen verstorbenen Vater Mxw (I.) heimholen bringt Tauschwaren mit, die die Nubier erbeten haben informiert den König schriftlich über sein Vorgehen findet den Leichnam des Vaters im Gebiet &mTr und transportiert ihn in dem mitgebrachten Sarg nach Hause – schickt Gesandte mit einigen Südprodukten voraus, um den König über den Erfolg des Unternehmens zu informieren

Grab QH 34n, Mitte 6. Dynastie79 1. Reise des Ḥrrw--xw=f

– wird zusammen mit seinem Vater von Merenre I. nach JAm geschickt, um den „Weg zu öffnen“ – bleibt sieben Monate, bringt Südprodukte mit

2. Reise des Ḥrrw--xw=f

– – – –

3. Reise des Ḥrrw--xw=f

– wird von Pepi II. zu Beginn seiner Regierung nach JAm geschickt – nimmt den „Oasenweg“ – zieht hinter dem Herrscher von JAm her, der Krieg gegen die Libyer führt und „stellt ihn zufrieden“ – sendet Boten mit entsprechendem Bericht zum König – trifft im Land, das zwischen JrT.t und %ATw liegt, den Herrscher über JrT.t, %ATw und WAwA.t, wird von einer Truppe aus JAm begleitet und bringt Südprodukte mit – der Herrscher von JrT.t, %ATw und WAwA.t ist von der Truppenstärke beeindruckt, gibt Ḥrw-xw=f Rinder, Kleinvieh und Geleitschutz – schickt einen Brief an Pepi II., in dem er ankündigt, u. a. einen „Tanzzwerg“ mitzubringen – erhält schriftliche Anweisung von Pepi II. in Bezug auf den „Tanzzwerg“

wird vom König alleine nach JAm geschickt reist auf dem „Elephantineweg“ und über JrT.t „öffnet“ die Wege nach JrT.t und %ATw bleibt acht Monate, bringt Südprodukte mit

78 Edel (2008: 5072). 79 Urk I, 120131; Edel (2008: 620636).

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8.2. Nubien

123

Grab QH 35, Mitte der Regierungszeit Pepis II.80 1. Reise des Ppj--nxt

– wird von Pepi II. ausgesandt, um WAwA.t und JrT.t zu zerstören – tötet viele Gegner, nimmt Gefangene

2. Reise des Ppj--nxt

– wird von Pepi II. ausgesandt, um die „Bergländer zur Ruhe zu bringen“ – bringt die Herrscher „in Frieden“ mit zur Residenz, außerdem Rinder und Ziegen und weitere Gefangene

Grab QH 35e, Ende der Regierungszeit Pepis II.81 Reise des %Abnj

– wird von Pepi II. nach WAwA.t geschickt, um Schiffe für den Transport zweier Obelisken zu bauen – zieht mit fünf Heerestrupps nach WAwA.t – wird zu seinem Schutz von nubischen Söldnern begleitet – baut erfolgreich die beiden Schiffe

Ferner berichtet Wnj in seinem Grab in Abydos, dass ihm die Herrscher von JrT.t, WAwA.t, JAm und MDA Holz für den Bau von Schiffen liefern. 82 Von Belang sind in diesem Zusammenhang auch drei Felsinschriften Merenres I. im Gebiet des ersten Katarakts: Eine Inschrift im Satet-Tempel von Elephantine, datiert auf den Tag 25 der Šmw-Zeit im 5. Regierungsjahr, berichtet davon, wie der König zu Besuch kommt, „um die Häuptlinge des Fremdlandes zu schlagen“. 83 Eine weitere Inschrift südlich des ersten Katarakts datiert drei Tage später (Tag 28 der Smw-Zeit im 5. Regierungsjahr) und vermerkt, wie der König bei seinem Besuch die Huldigungen der Fürsten von MDA, JrT.t und WAwA.t entgegennimmt.84 Eine weitere undatierte Inschrift Merenres I. bei Philae erwähnt ebenfalls den Besuch des Königs und die Huldigung durch die besagten Fürsten. 85 Als ein Indiz für die Historizität der Inschriften kann geltend gemacht werden, dass man – würden diese einen kultischen/rituellen Zweck erfüllen – bei den anderen Königen, deren Titulatur an verschiedenen Stellen im Felsen verewigt wurde, die gleichen oder zumindest ähnliche Aussagen erwarten dürfte. Aus diesen Schriftquellen wurde und wird häufig geschlossen, dass aufgrund der Schwächung des ägyptischen Königtums während der 6. Dynastie (cf. dazu Kapitel 9.3.1) die nubischen Kulturen erstarkten, so dass die Ägypter ihre Versorgung mit Rohstoffen und

80 Urk. I, 132135; Edel (2008: 682692). 81 Edel (2008: 806823). 82 Stele aus dem Grab des Wnj in Abydos, Ägyptisches Museum Kairo, CG 1435; Urk. I, 98, 7110; Osing (1977); Hofmann (2002); Richards (2002). 83 Kaiser et al. (1976: 7890). Eine Unsicherheit besteht hier bei der Lesung des Datums. Kaiser et al. (1976: 79) lesen Tag 24. Dagegen Seidlmayer (2005: 290291, Anm. 11): „In meiner eigenen Beschäftigung mit der Inschrift bin ich zur Lesung des Datums als 25. (statt 24.) Tag gelangt.“ 84 Urk. I, 110; Sayce (1893: 147). 85 Urk. I, 111; Petrie (1888: Taf. 13, Nr. 338).

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8 „Außenpolitik“

Produkten aus dem Süden nur mit Hilfe kriegerischer Maßnahmen aufrecht erhalten konnten, wobei ihnen die Kontrolle über Nubien immer mehr entglitt. 86 Das nun folgende Gedankenspiel soll zeigen, wie man bei maximalem Ausreizen des Interpretationsspielraumes in Verbindung mit narrativer Schreibweise und dem Zugrundelegen einer bestimmten Prämisse die Texte höchst unterschiedlich auswerten kann. Legen wir – hypothetisch – als Annahme zugrunde, die selbst allmählich in Auflösung befindliche ägyptische Zentralgewalt hätte seit dem Beginn der 6. Dynastie durch die erstarkende Kerma-Kultur zunehmend Probleme gehabt, ihre Macht über Nubien auszuüben, dann könnten wir Folgendes aus den bisher genannten Schriftquellen herauslesen: Nachdem die Ägypter seit Beginn der dynastischen Zeit Nubien systematisch unter ihre Kontrolle gebracht hatten und immer wieder (siehe den Feldzug des Snofru) militärisch unter Druck setzten, konnten sie die nubischen Herrscher dazu zwingen, Truppen und Rohstoffe wie Holz zum Bootsbau zur Verfügung zu stellen. Immer wieder sind Feldzüge nötig, denn nur unter militärischem Druck können die Nubier veranlasst werden, die gewünschten Produkte zu liefern. Nach einem solchen Feldzug zwingt Merenre I. die nubischen Herrscher, bei Elephantine zu erscheinen, sich ihm öffentlich zu unterwerfen und die ägyptische Vorherrschaft anzuerkennen. Im weiteren Verlauf der 6. Dynastie wird Mxw (I.) auf einem Beutezug nach Nubien von feindlich gesinnten Nubiern getötet und seine Karawane ausgeraubt. Der Leichnam des Mxw (I.) wird quasi als Geisel aufbewahrt, um den Sohn des Mxw (I.), %Abnj (aus Grab QH 25/26), damit zu erpressen. Ein Bote wird zu %Abnj geschickt, um die Forderungen zu überbringen. %Abnj geht auf die Bedingungen ein und kann nach Übergabe der eigens mitgebrachten Waren den Leichnam seines Vaters nach Hause holen. %Abnj leitet kurz vor seinem Tod noch eine zweite Expedition nach Nubien, bringt reichlich Beute mit und stirbt gleich nach seiner Rückkehr in Elephantine, möglicherweise an Verletzungen, die er sich bei Kampfhandlungen zugezogen hat. Unter Merenre I. wird Ḥrw-xw=f nach Nubien geschickt, um sich gewaltsamen Zugang nach JAm zu verschaffen. Dies gelingt ihm erst im Verlauf von sieben Monaten und er bringt reichlich Beute mit. Um auch JrT.t und %ATw zu unterwerfen, wird Ḥrw-xw=f ein zweites Mal nach Nubien geschickt. Er reist von Elephantine aus auf direktem Weg den Nil hinab und es kostet ihn acht Monate, bis er den widerspenstigen Bewohnern von JrT.t und %ATw die gewünschte Beute abgepresst hat. Zu Beginn der Regierung Pepis II. befindet sich der Herrscher von JAm im Krieg mit den Libyern (die seit Sahure ägyptische Vasallen sind). Außerdem haben JrT.t, %ATw und WAwA.t eine Koalition gegen Ägypten gebildet. All dies gefährdet die politischen und wirtschaftlichen Interessen der Ägypter und Ḥrw-xw=f wird zum dritten Mal nach Nubien geschickt, um wieder Ordnung herzustellen. Da die Situation so angespannt ist, kann Ḥrw-xw=f aus Sicherheitsgründen nicht den direkten Weg nehmen, sondern muss einen beschwerlichen Umweg durch die Westwüste machen. Er kann den auf dem Weg ins Libyerland befindlichen Herrscher von JAm einholen, besiegt ihn, macht reichlich Beute und zwangsrekrutiert einen Trupp von

86 Säve-Söderbergh (1941: 2830); Gratien (2013: 93); Näser (2013b: 136137).

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8.2. Nubien

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Soldaten aus JAm, der gemeinsam mit dem ägyptischen Heer weiterzieht. Offensichtlich ist die Situation so gefährlich, dass die Ägypter auf diese zusätzliche lokale Eskorte angewiesen sind. Der Herrscher von JrT.t, %ATw und WAwA.t ist von dem gewaltigen Heerestrupp so eingeschüchtert, dass er sofort kapituliert und seine Viehbestände und Truppen dem Ḥrw-xw=f zur Verfügung stellt. Den minderjährigen Pepi II. interessiert all das nicht, er freut sich ausschließlich auf den ihm angekündigten „Tanzzwerg“. Diese dekadente Einstellung ist ein deutliches Zeichen des beginnenden Untergangs des Alten Reiches. In der Mitte der Regierungszeit Pepis II. ist die Situation in Nubien dermaßen außer Kontrolle geraten, dass Ppj-nxt ausgesandt wird, um WAwA.t und JrT.t zu zerstören. Zahlreiche Nubier kommen bei diesem Feldzug ums Leben oder werden nach Ägypten verschleppt. Ppj-nxt wird einige Zeit später wieder ausgesandt, um die nach wie vor rebellierenden Nubier zu unterwerfen. Es gelingt ihm, die Herrscher gefangenzunehmen und sie mitsamt ihren Viehbeständen sowie weiteren Gefangenen nach Ägypten zu verschleppen. Damit befindet sich Nubien wieder unter ägyptischer Kontrolle, so dass Pepi II. gegen Ende seiner Regierungszeit getrost %Abnj (aus Grab QH 35e) nach WAwA.t schicken kann, um dort Schiffe für den Transport zweier Obelisken zu bauen. Um den Nubiern die ägyptische Überlegenheit zu demonstrieren, wird er von fünf Heerestrupps begleitet. Nehmen wir nun – ebenso hypothetisch – an, das Ziel der ägyptischen „Außenpolitik“ in Nubien sei der Aufbau eines möglichst weitreichenden Netzwerks zur Gewährleistung störungsfreier Handelsbeziehungen zu beiderseitigem Vorteil gewesen: Von der 4. bis zum Beginn der 6. Dynastie sind die Beziehungen nach Nubien grundsätzlich friedlich. Die Inschriften Merenres I. im Kataraktengebiet zeigen, dass Elephantine den Ägyptern als die Grenze ihres Landes galt und es keine Bestrebungen gab, diese weiter nach Süden zu verlegen. Die guten Beziehungen zu den nubischen Herrschern sind daran zu erkennen, dass diese ein Truppenkontingent für die Feldzüge des Wnj in Asien bereitstellen und bereitwillig Holz für den Bau von Booten liefern. Dass Handelsexpeditionen von bewaffneten Einheiten begleitet werden, ist grundsätzlich üblich, um sich gegen Räuber und Wegelagerer zu verteidigen. In der 6. Dynastie hat eine ägyptische Handelsexpedition in WAwA.t einen Unfall, bei dem ihr Leiter Mxw (I.) und vielleicht auch der größte Teil seiner Begleitung ums Leben kommen und die mitgebrachten Tauschwaren verloren geht. Ein Bote informiert den Sohn des Mxw (I.), %Abnj (aus Grab QH 25/26), über den Vorfall. Dieser reist nach WAwA.t, um den Körper seines Vaters heimzuholen und den Handel zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Zu diesem Zweck bringt er neue Tauschwaren mit; die diesbezüglichen Wünsche der Nubier hatte ihm der Bote übermittelt. Den Körper des Mxw (I.) kann %Abnj in einem eigens mitgebrachten Sarg nach Hause transportieren. Die Tatsache, dass die lokale Bevölkerung den Leichnam offenbar so lange aufbewahrte, zeigt, dass diese nach jahrelangen erfolgreichen Handelsbeziehungen mit der ägyptischen Kultur vertraut gewesen sein muss und ein Interesse daran hatte, diese Beziehungen fortzuführen. %Abnj übernimmt im

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8 „Außenpolitik“

Auftrag des Königs eine zweite Reise nach Nubien, bei der er zahlreiche Handelsgüter erwerben kann, bevor er kurz nach seiner Rückkehr in Elephantine eines friedlichen Todes stirbt. Unter Merenre I. wird Ḥrw-xw=f in das weit im Süden liegende JAm geschickt, um dort Handelsbeziehungen aufzubauen. Er verbringt sieben Monate damit, die entsprechenden Netzwerke zu knüpfen, und bringt schließlich zahlreiche Produkte mit. Aufgrund dieses Erfolges schickt der König Ḥrw-xw=f ein zweites Mal zu Handelszwecken nach JAm. Ḥrw-xw=f reist über Elephantine am Nil entlang südwärts, um auf dem Weg nach JAm auch Handelskontakte in JrT.t und %ATw zu knüpfen, was seine achtmonatige Reise außerordentlich erfolgreich hinsichtlich der mitgebrachten Waren macht. Pepi II. schickt zu Beginn seiner Regierung Ḥrwxw=f ein drittes Mal nach JAm, diesmal auf der bewährten und von Handelskarawanen gerne genutzten westlichen Wüstenroute, die über die Oase ad-Dāḫla führt. Einen militärischen Konflikt zwischen dem Herrscher von JAm und den Libyern kann Ḥrw-xw=f mit diplomatischen Mitteln erfolgreich schlichten, was er dem König sogleich über einen Boten mitteilen lässt. Eine Eskorte aus JAm begleitet Ḥrwxw=f, denn einem starken Herrscher ist es gelungen, die Länder JrT.t, %ATw und WAwA.t unter seine Kontrolle zu bringen, und man befürchtet Konflikte. Jener Herrscher ist jedoch von der Truppenstärke des Ḥrw-xw=f so beeindruckt, dass man sich friedlich einigt. Darüber hinaus erhalten die Ägypter Rinder, Kleinvieh und weiteren Geleitschutz. In der Mitte der Regierungszeit wird Ppj-nxt, von Pepi II. nach WAwA.t und JrT.t geschickt, um möglichst viele Sklaven mitzubringen. Als Rechtfertigung für diesen Beutezug wird später in den Inschriften eine Rebellion der entsprechenden Länder genannt. Eine zweite Reise führt Ppj-nxt in die geographisch nicht genau zu verortenden „Bergländer“, in denen Unruhe herrscht. Ppj-nxt kann die Situation klären, die Herrscher ergeben sich und begleiten Ppj-nxt zur Residenz, wo sie Tribut in Form von Rindern, Ziegen und Sklaven abliefern. Gegen Ende der Regierungszeit Pepis II. ist die Situation in Nubien so friedlich, dass dieser den %Abnj (aus QH 35e) nach WAwA.t schickt, wo fünf ägyptische Heerestrupps zum Bau von Schiffen für den Transport zweier Obelisken eingesetzt werden sollen. Die Aufgabe wird erfolgreich erledigt. Natürlich schiessen beide Darstellungen in ihrer Gesamtheit weit über das Ziel hinaus, viele Elemente daraus sind jedoch mehrfach in der ägyptologischen Literatur zu finden.87 Das Gedankenspiel zeigt, dass die uns zur Verfügung stehenden Texte keine solide historische Quelle sein können: Sie enthalten hauptsächlich mehrdeutige Anspielungen anstelle eindeutiger Fakten und sind sehr selektiv, so dass ihr Verständnis zu stark von der Interpretation sowohl des Gesagten als vor allem auch des Nichtgesagten durch den Leser bzw. Übersetzer abhängt. Aus den Texten ist weder ersichtlich, ob Handelsverbindungen auf Gegenseitigkeit oder der Anwendung von Zwang durch die Ägypter beruhten, noch, ob mili-

87 Cf. Säve-Söderbergh (1941: 2829); Schulman (1979: 101); Zibelius-Chen (1991: 354); Gundlach (1994: 104); Leclant (1996: 74); Seidlmayer (2002: 95); Seyfried (2005: 329); Näser (2013b: 136137); Gratien (2013: 93).

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8.2. Nubien

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tärische Aktionen seitens der Ägypter ausschließlich der Sicherung der Handelswege dienten oder von einem Streben nach Expansion geprägt waren. Elephantine gilt seit jeher als Grenzstadt zwischen Ägypten und Nubien. Vom administrativen Standpunkt aus gesehen ist sie das sicherlich auch, denn das weiter südlich liegende Land gehört nicht mehr zu dem in Gauen organisierten ägyptischen Kernland. Kann Elephantine demnach auch als politische Grenze gelten? In diesen Zusammenhang gehört die vermutlich in der 1. Dynastie gegründete Festung von Elephantine, die kurz vor oder zu Beginn der 3. Dynastie wieder aufgegeben wurde. 88 Hatte die Festung ihre Funktion verloren, weil die nubischen Goldvorkommen erschöpft waren und deshalb keine Notwendigkeit mehr bestand, den Goldumschlagplatz Elephantine militärisch zu schützen? 89 War Unternubien nach den Feldzügen einiger frühdynastischer Könige (man denke an das Relief vom Ǧabal Šaiḫ Sulaimān, siehe das vorausgehende Kapitel) so weit unter ägyptischer Kontrolle bzw. die A-Gruppe „vernichtet“, so dass kein Schutz der Südgrenze mehr nötig war? Oder hatte sich in der Vorstellung der Ägypter die Grenze nach Süden verschoben und wurde jetzt in Buhen verteidigt (siehe unten)? Eine historische Deutung dieses zweifellos interessanten Befundes erscheint momentan in Ermangelung weiterer Puzzlesteine nicht möglich. Die Deutung von Elephantine als politischer Grenze während des Alten Reiches hängt vor allem davon ab, ob die Inschriften Merenres I. am ersten Katarakt und auf Elephantine tatsächlich als „Limes-Inschriften“ zu verstehen sind. 90 Gestützt wird die Vorstellung einer politischen Grenze bei Elephantine von einem Papyrusfragment aus Elephantine,91 aus dem hervorzugehen scheint, dass Nubier beim Passieren der ägyptischen Grenze nach Norden während der 6. Dynastie in Elephantine kontrolliert und registriert wurden.92 Vergleichbar scheint dieser Vorgang mit den Grenzkontrollen, die uns für das Mittlere Reich im Bereich des zweiten Katarakts bekannt sind.93 Neuere Forschungen zeigen deutlich, dass eine kulturelle Grenze weder bei Elephantine noch irgendwo anders exakt gezogen werden kann. Zum einen wird die strikte Systematisierung der Keramik in „A-Gruppe“, „nubisch“ und „ägyptisch“ zunehmend hinterfragt, zum anderen scheint nicht nur Elephantine während des Alten Reiches, sondern die gesamte Region um den ersten Katarakt stets einen gewissen Anteil „nubischer“ Bevölkerung gehabt zu haben, wobei nicht klar ist, ob hier wirklich zwei Ethnien unterschieden werden können.94 Indiz für ein mutmaßlich „enges Zusammenleben nubischer und ägyptischer

88 89 90 91

Ziermann (1993: 2734; 137). Hierin sieht Vogel (2004: 1617) die primäre Funktion der Festung. Säve-Söderbergh (1941: 11). Dagegen Zibelius-Chen (1991: 355). Ägyptisches Museum und Papyrussammlung Berlin, P 10523, Fragment Ba, vs. Kol. 23; Generalverwaltung (1911: Taf. VII); Lüddeckens (1994: 70, Nr. 96). Siehe auch Säve-Söderbergh (1941: 12); Meurer (1996: 100). 92 Cf. Säve-Söderbergh (1941: 12); Schneider (1998: 23). 93 Siehe Meurer (1996: 100). 94 Dieses komplexe Thema kann hier nicht in der gebotenen Ausführlichkeit behandelt werden. Für tiefergehende Informationen siehe Seidlmayer (1991: 346); Raue (2002: 2021), (2008); Näser (2013b: 141142); Raue (2013: 154), (2014).

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8 „Außenpolitik“

Gruppen in dieser Phase der ägyptischen Geschichte“ 95 ist auch ein 67 Jahre altes männliches Individuum mit negroiden Zügen aus der Sargkammer β im Grab des %Abnj (QH 25/26). 96 Bauten und Infrastruktur von Elephantine im Alten Reich sind uns heute nach umfangreichen Ausgrabungstätigkeiten recht gut bekannt. 97 Raue nimmt an, dass Elephantine im frühen Alten Reich in erster Linie eine Art Basis- bzw. Durchgangslager für Expeditionen in die Granitsteinbrüche von Assuan und nach Nubien war. Die eher geringe Einwohnerzahl konnte so temporär erheblich ansteigen, wenn die königlichen Bauprojekte gerade Granit benötigten oder eine Expeditionen sich auf den Weg nach Nubien machte oder Materialien als Nachschub für Außenposten wie Buhen weitergeleitet wurden. 98 Erstaunlicherweise ist unter den Amtssiegeln aus Elephantine die gesamte 4. Dynastie nicht belegt.99 Der Wandel Elephantines zum regionalen Zentrum, das es in der 6. Dynastie bildet, ist daran zu erkennen, dass die Stadt über ihre Umfassung hinauswächst, während innerhalb derselben ein ordentliches Straßennetz gebaut wird. Gleichzeitig entstehen in Qubbat al-Hawā am Westufer die ersten Felsgräber.100 Diese Entwicklung wird in der Regel dahingehend gedeutet, dass „zu dieser Zeit die Organisation des Geschehens der königlichen Autorität entglitt und auf die hohen Würdenträger überging.“101 Hier haben wir ein typisches Beispiel dafür, wie häufig wiederholte Aussagen als (vermeintliche) historische „Fakten“ zur Prämisse einer Deutung werden. Die These von einem erheblichen Machtzuwachs der Beamten, insbesondere in der Provinz, der ab der 5. Dynastie zu einer sukzessiven Schwächung des Königtums führt, ist verbunden mit der Vorstellung, dass das Alte Reich letztlich an einer „inneren Krise“ gescheitert sei. Wie in Kapitel 9.3.1 gezeigt werden wird, ist keines der Argumente, die zur Untermauerung dieser These aufgeführt werden, wirklich stichhaltig. Die Anlage einer Siedlung oder gar Festung in Buhen wird regelmäßig mit dem auf dem Palermostein erwähnten Nubien-Feldzug des Snofru in Verbindung gebracht und als Beleg dafür angeführt, dass sich Unternubien in der 4. Dynastie „fest unter ägyptischer Kontrolle befand“.102 Was wissen wir tatsächlich über die Anlage von Buhen? Die Analyse der Keramik und Siegelabdrücke zeigt, dass die ägyptische Siedlung Buhen zur Zeit des Chephren an einem Ort gegründet wurde, an dem sich bereits eine Vorgängersiedlung der A-Gruppen-Kultur befunden hatte. Die Tatsache, dass die klassische A-Gruppen Keramik sehr zahlreich, die späte A-Gruppe dagegen überhaupt nicht belegt ist, scheint zu zeigen, dass diese Vorgängersiedlung zur Zeit der Ankunft der Ägypter nicht mehr bewohnt war. 103

95 96 97 98 99 100 101 102

Seyfried (2005: 330). Seyfried (2005: 330). Für einen Überblick siehe Dreyer et al. (2002: 159182). Raue (2013: 152). Pätznick (2005: 6386). Raue (2013: 152). Gratien (2013: 96). Schulman (1979: 82); Zibelius-Chen (1988: 144145); Vachala (1991a: 89); Zibelius-Chen (1991: 357); Gratien (2013: 94). 103 OʼConnor (2014: 289317; 323327).

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8.2. Nubien

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Von einer gewaltsamen Eroberung des Platzes kann also keine Rede sein. Anhaltspunkte für ägyptische Aktivitäten vor Chephren gibt es nicht. Ältere Ansichten, die von einer Gründung Buhens schon in der 1. oder 2. Dynastie ausgegangen waren, haben damit keine Gültigkeit mehr.104 Bisher konnten keine Objekte aus Buhen später als Niuserre datiert werden, was eine Aufgabe der Siedlung während oder kurz nach der Regierungszeit des Niuserre nahelegt. Eine Unterbrechung der Besiedlung ist zwischen Chephren und Niuserre nicht auszumachen, die Bewohner scheinen jedoch nicht ihre ganzes Leben in Buhen verbracht zu haben, wie die fehlenden ägyptischen Gräber zeigen. Die Kernstadt hat einen eher industriellen Charakter, Funde von Schmelzöfen, Kupfererz und Schlacken zeigen, dass das Interesse an den Kupfervorkommen wohl der Hauptgrund für die ägyptischen Aktivitäten in Buhen war.105 Nach neueren Erkenntnissen gab es im Alten Reich weder in Buhen noch irgendwo anders in Nubien eine Festung. Die Umfassungsmauer von Buhen grenzt die Siedlung zwar vom Umland ab und erlaubt eine Zugangskontrolle, ist aber nicht dafür konstruiert, schweren militärischen Attacken standzuhalten. 106 Angesichts der ungeklärten Frage nach der Art der Besiedlung Unternubiens im Alten Reich stellt sich auch die Frage, von wem überhaupt militärische Angriffe zu erwarten gewesen wären. Im Bereich des dritten Katarakts in Obernubien hatte sich bis zum Ende des Kerma Ancien ein zentral organisiertes, geeintes Königreich mit der befestigten Hauptstadt Kerma herausgebildet.107 Möglicherweise  jedoch keineswegs sicher  ist hier das aus den ägyptischen Schriftquellen bekannte Land JAm zu lokalisieren.108 Zahlreiche Funde ägyptischer Objekte in Gräbern des Kerma Ancien und in den Fundamenten religiöser Bauten in Kerma sind Zeugnisse für den Kulturkontakt mit Ägypten während des Alten Reiches. 109 Von besonderer Bedeutung sind dabei einige Objekte mit ägyptischen Inschriften. Die hieroglyphische Inschrift auf einem Bronzespiegel aus Kerma Grab 77110 weist dessen Besitzerin als die hochrangige Dame %n.t-jt=s aus. Dominique Valbelle nimmt aufgrund paläographischer Kriterien an, dass es sich bei dem Spiegel um eine lokale Produktion handelt.111 Einschränkend muss dazu gesagt werden, dass eine Paläographie der Kerma-Hieroglyphen, die genaue Vergleiche ermöglichen würde, bisher nicht vorliegt. Im Bereich des Möglichen läge auch, dass es sich um ein von einem schlechten ägyptischen Schreiber verfasstes Importstück aus Ägypten handelt. Ferner könnte eine „lokale Produk-

104 105 106 107 108 109 110 111

Siehe Emery et al. (1979) und Zibelius-Chen (1988: 72). OʼConnor (2014: 330332). Vogel (2004: 35); OʼConnor (2014: 329). Dagegen Zibelius-Chen (1988). Bonnet (2013: 121123). Zur Stadtanlage von Kerma und den Befestigungen des Kerma Ancien siehe Bonnet (2014: insb. 215224). Bonnet (1990: 11), (1996b: 89); Gratien (2013: 93). Dagegen O’Connor (1986), der JAm in der Gegend von al-Buṭāna vermutet. Valbelle (1992: 360); Gratien (2013: 96). Bonnet (1984: 1415); Valbelle (1990: 97, Abb. 94), (1992: 360). Valbelle (1992: 360). Das Grab enthielt nach den Angaben Bonnets (1984: 1415) die Bestattungen eines 40- bis 50-jährigen Mannes und einer 20- bis 30-jährigen Frau.

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8 „Außenpolitik“

tion“ dahingehend zu verstehen sein, dass ein nicht-ägyptischer Handwerker eine Inschrift ohne Verständnis der Schrift kopiert hat. Die hieratischen Inschriften einer roh gearbeiteten schmalen Stele aus rotem Sandstein, deren Gestalt entfernt an einen Türpfosten erinnert, nennt einen Jj-mrj und einen Mrrj, die beide den Titel jm(.j) jr.ty tragen.112 Dieser Titel, der gewöhnlich mit „Kapitän“ übersetzt wird,113 ist geläufig bei Mitgliedern von Expeditionen im späten Alten Reich und der Ersten Zwischenzeit. In der ungewöhnlichen Form der Stele sieht Valbelle „un compromis entre une pratique largement répandue en Nubie et dans le désert oriental et une pratique égyptienne“, d. h. auch hier haben wir es ihrer Meinung nach mit einer lokalen Produktion zu tun114 und auch hier müssen die oben erwähnten Einschränkungen in Betracht gezogen werden. Die Funktion des Objektes kann aufgrund des nicht-zeitgenössischen Fundkontextes (im Fundament einer Kapelle des Kerma Moyen) momentan nicht erschlossen werden.115 Folgen wir den Annahmen Valbelles ohne Einschränkungen, so würde dies bedeuten, dass es gegen Ende des Alten Reiches Menschen in Kerma gab, die Ägyptisch schreiben konnten. Daraus könnte wiederum eine eine mehr als temporäre Anwesenheit von Ägyptern und möglicherweise auch Ägypterinnen (%n.t-jt=s könnte eine solche gewesen sein) in Kerma abgeleitet werden. Valbelle macht darauf aufmerksam, dass das Ägyptische in der Zweiten Zwischenzeit in Kerma so weit verbreitet war, dass es als Diplomatensprache zwischen Kerma und Awaris dienen konnte. Vor diesem Hintergrund erscheint es ihr naheliegend, dass die kulturellen Beziehungen zwischen Ägypten und Kerma deutlich weiter zurückreichen.116 Unerwähnt bleibt dabei, ob es für die Annahme, das Ägyptische sei „Diplomatensprache“ gewesen, außer der Kamose-Stele weitere Hinweise gibt. Sollte dies nicht der Fall sein, erscheint es fraglich, ob sich aus einem einzigen Fund eine solche Hypothese abgeleitet werden darf. Ferner wurde in Kerma eine große Anzahl fragmentarischer Steingefäße gefunden, die Reisner für echt ägyptisch hält und sie von der 6. Dynastie bis ins Neue Reich datiert.117 Jene 47 Fragmente, die eine Inschrift des Alten Reiches tragen, wurden vor allem im Bereich der westlichen Deffūfa (K I), aber auch der östlichen Deffūfa (K II) und des ägyptischen Friedhofes (K X) gefunden. 17 Gefäße werden Pepi I. zugeschrieben, eines Merenre I. und fünf Pepi II., wobei Reisner darauf hinweist, dass bei den Zuschreibungen an Pepi I. und Pepi II. Verwechslungen möglich sind. 118 Keines der Fragmente wurde in einem gesicherten zeitgenössischen Kontext gefunden, Schlussfolgerungen bezüglich der ursprünglichen Besitzer der Gefäße und der Intention ihrer Deponierung sind damit kaum möglich.

112 113 114 115

Bonnet (1988: 1012); Valbelle (1990: 9596; Abb. 93), (1992: 360361). Wb. 2, 72. Valbelle (1992: 361). Zum Fundkontext siehe Bonnet (1988: 1012). Für eine Abbildung des Objektes siehe Valbelle (1990: Abb. 93). 116 Valbelle (1992: 361). 117 Reisner (1923: 5657). 118 Reisner (1923: 506510).

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8.2. Nubien

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Verschiedene Quellen deuten darauf hin, dass auch in Ägypten selbst während des Alten Reiches Nubier lebten. Dies sind zum einen die bereits oben erwähnten Nubier, die einen gewissen Anteil an der Bevölkerung rund um den ersten Katarakt stellen. Claudia Näser verweist darauf, dass in verschiedenen Kontexten des Alten Reiches in Ägypten eine erstaunliche Menge nubischer Keramik gefunden wurde. 119 Dies kann jedoch nur als ein Indiz für die Anwesenheit von Nubiern gelten, der Gebrauch nubischer Keramik könnte auch auf andere Ursachen zurückzuführen sein. 120 Aus den Berichten des Wnj, Ḥrw-xw=f und Ppj-nxt geht hervor, dass Nubier aus verschiedenen Regionen des Landes als Soldaten im ägyptischen Heer dienten. Lanny Bell sieht in den nubischen Einheiten der ägyptischen Armee die Nachkommen jener Nubier, die erstmals als Kriegsgefangene unter Snofru nach Ägypten kamen und als jaA.w bezeichnet werden, worunter „ägyptisierte Nubier“ zu verstehen sind.121 Seidlmayer geht davon aus, dass diese nubischen Truppen im Residenzbereich stationiert gewesen sein müssen; bisher sind jedoch keine nubischen Ansiedlungen archäologisch zu identifizieren. 122 Hier stellt sich die Frage, inwieweit man überhaupt davon ausgehen darf, dass diese Nubier isoliert von den Ägyptern lebten und ihre materielle Kultur sich auch nach längerem Aufenthalt in Ägypten noch so sehr von der ägyptischen unterschied, dass sie für den Archäologen als solche erkennbar wäre. Liest man die Ächtungstexte – hypothetisch – als Zeugnis eines gewissen „Alltagsrassismus“ (cf. Kapitel 3.3.1), so wäre die Grundlage dafür eher ein enges Zusammenleben zwischen Ägyptern und Nubiern. In diese Richtung deutet auch das Dahšūr-Dekret Pepis I., eines der „Exemtionsdekrete“, das unter anderem die in der Nähe der Pyramidenstädte angesiedelten nubischen Söldner (nHsj.w Htp.w) davon ausschließt, Mitglieder der Pyramidenstädte zu werden.123 Seidlmayer sieht dies als Hinweis auf die Integrationswilligkeit der in Ägypten stationierten Nubier und den Versuch der Ägypter, eben jene Integration zu unterbinden.124 In den Gräbern der %SA.t-Htp und des Nzw-nfr vom Westfriedhof in al-Ǧīza sind jeweils Nubier als Dienstpersonal dargestellt.125 Beide Gräber datieren wahrscheinlich in die 4. Dynastie (Cheops/Chephren).126 Naheliegend erscheint es, in diesen Personen Nachkommen der laut Auskunft auf dem Palermostein unter Snofru nach Ägypten verbrachten gefangenen Nubier zu vermuten. Andererseits ist daran zu denken, dass es außer jenem Feldzug des Snofru keine weiteren überlieferten Quellen für Interaktionen zwischen Ägyptern und Nubiern in der frühen 4. Dynastie gibt. Ob beide Befunde wirklich korreliert werden dürfen, ist fraglich. Ebensogut könnte man annehmen, dass Nubier aus dem Raum um

119 120 121 122 123

Details siehe Näser (2013b: 137, insbesondere Anm. 14). Cf. Raue (2013: 153) und Kapitel 3.9. L. Bell (1976: 91). Seidlmayer (2002: 96). Ägyptisches Museum und Papyrussammlung Berlin, P 17 500; Urk. I, 209213; Goedicke (1967: 5577); Strudwick (2005: 103105). 124 Seidlmayer (2002: 97). 125 Junker (1934: 182, Abb. 28; 194); (1938: 166, Abb. 27; 170). 126 Datierung nach Seidlmayer (1997: 40). Junker datiert abweichend davon in die frühe ( %.t-kA) und spätere (Nzw-nfr) 5. Dynastie.

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den ersten Katarakt als Dienstboten an die Residenz gelangt sind. Überhaupt stellt sich die Frage, wer „die Nubier“ in Ägypten eigentlich sind? Wir stellen heute in Ober- und Unternubien unterschiedliche materielle Kulturen fest, aber handelt es sich auch um verschiedene Ethnien? Unterscheiden die Ägypter die Bewohner Ober- und Unternubiens? Aufgrund des Befundes rund um den ersten Katarakt können wir wohl davon ausgehen, dass die Ägypter stets Kontakt mit den Nachfahren der A-Gruppe hatten, wenngleich wir nicht sicher sagen können, ob diese in jenem Bereich wirklich als Fremde wahrgenommen wurden. Seit wann aber gibt es direkte Kontakte mit Obernubien? Ist Snofru bei seinem Feldzug so weit nach Süden gezogen oder sind es erst die Expeditionen der 6. Dynastie, die bis JAm ziehen? Näser sieht auch in den Ǧabalain-Papyri ein Indiz für die Anwesenheit von Nubiern in Ägypten schon in der 4. Dynastie: „However, the still unpublished Gebelein papyri provide hitherto unique evidence for a substantially earlier i. e. later Fourth Dynasty presence of Nubians in that area.”127 Entgegen den Angaben Näsers sind die Ǧabalain-Papyri sehr wohl seit vielen Jahren publiziert.128 Leider wird weder näher erläutert, worin sich diese „unique evidence“ manifestieren soll (z. B. nubisch klingende Namen in den Personallisten?), noch genaue Textstelle(n) angegeben, so dass diese Aussage nicht nachvollzogen werden kann. Nehmen wir an, es hätten seit der 4. Dynastie dauerhaft Nubier in Ägypten gelebt. Inwiefern hat sich diese Gruppe oder vielmehr inwiefern haben die einzelnen Individuen sich nach mehreren Generationen noch als Nubier gefühlt? Wenn die Hypothese richtig wäre, dass Ägypten Nubien seit Beginn des Alten Reiches militärisch dominierte, könnten sich „die Nubier“ generell als Ägypter gefühlt haben. Ein Beispiel aus der Geschichte Europas zeigt, dass ein kollektiver Identitätswechsel durchaus möglich ist: zwischen dem dritten und achten nachchristlichen Jahrhundert fand in der Bevölkerung Mitteleuropas ganz offensichtlich ein solcher Identitätswechsel statt. Man betrachtete sich fortan nicht mehr als Nachkommen der Römer, sondern sah sich in der Tradition jüdisch-christlicher Vorfahren aus dem Orient.129 Es ist also möglich, die Identität zu wechseln bzw. wie Hayden White es ausdrückt, die Vorfahren unabhängig von den biologischen Gegebenheiten frei zu wählen.130 Ob es unter den Nubiern (oder auch Asiaten) in Ägypten eine ähnliche Entwicklung gab, können wir in Ermangelung aussagekräftiger Quellen nicht feststellen. Die Möglichkeit, dass dem so sein könnte, sollte jedoch bei der Beschäftigung mit dem Thema mit in Betracht gezogen werden. Abschließend sei auf ein Relieffragment aus dem Totentempel des Djedkare hingewiesen, das Alfred Grimm als einen Beleg für das Holen von Gold aus Nubien verstehen möchte.131

127 128 129 130 131

Näser (2013b: 137). Posener-Kriéger (2004). Siehe dazu Kellner (2013: 160). White (2010: 132). Grimm (1985), (1988). Foto des Fragments: Grimm (1985: Taf. 1); Umzeichnung: Grimm (1988: Abb. 1).

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8.3 Der südliche Sinai

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Bei dem Fragment handelt es sich um einen Teil einer Liste, in der aus verschiedenen Fremdländern gebrachte Produkte aufgezählt werden. Die vierte Kolumne nennt Dam-Gold, das aus dem „Goldland“ (tA nbw) gebracht wurde, und darunter die drei Toponyme BAT, %nsh und ḤzT, aus deren Konstruktion für Grimm eindeutig hervorgeht, dass es sich um afrikanische Toponyme handelt. Demnach wäre das „Goldland“ im Nubien zu lokalisieren. Sollte die von Grimm vorgeschlagene Lesung korrekt sein, 132 wäre dies der bisher früheste Beleg für die Ausbeutung der nubischen Goldvorkommen durch die Ägypter. 133

8.3 Der südliche Sinai 8.3.1 Die Situation auf dem südlichen Sinai zu Beginn des Alten Reiches Der Zeit des Alten Reiches in Ägypten geht auf dem Sinai und in der Levante das EBA II voraus. Für diese Phase sind auf dem südlichen Sinai mehr als 50 Fundplätze (Siedlungen und Lagerplätze) belegt, die sich rund um die Oase Fairān, den Waṭiya-Pass und die Gegend um das Timna-Tal konzentrieren. Vom Chalkolithikum bis zum EBA II sind der Abbau und die Verarbeitung von Kupfererz rund um Timna 134 sowie der Abbau von Türkis in Sarābīṭ al-Ḫādim und im Wādī Ḥāsif durchgehend belegt. 135 Die ausnahmslos unbefestigten Siedlungsplätze des südlichen Sinai scheinen eine Art Satelliten der kanaanitischen 136 Stadtstaaten, insbesondere von ʿArāḍ gewesen zu sein: Die materielle Kultur auf dem Sinai weist jeweils deutliche Parallelen zu den kanaanitischen Kulturen des EBA II auf.137 Lokale sinainitische Kulturen konnten – mit Ausnahme der Timna-Kultur138 – bisher nicht identifiziert werden. Wenige Funde ägyptischer Keramik deuten auf sporadische Handelsbeziehungen mit dem vor- und frühdynastischen Ägypten hin.139 Ein Indiz für konkrete ägyptische Tätigkeiten könnte der Befund von Site 702B sein (siehe unten): Dort lässt sich mindestens für das Alte Reich die Verarbeitung von Kupfer nachweisen; Keramik und Flintabschläge deuten darauf hin, dass schon in vordynastischer Zeit Aktivitäten an diesem Platz stattfanden, wobei aus dem Bericht der Ausgräber nicht eindeutig hervorgeht, ob diese früheren Aktivitäten den Ägyptern zuzuschreiben sind. 140 Mit dem Beginn des

132 Davon abweichend übersetzt Redford (1986b: 137138) „… items of gold and electrum (from BAT [x], %nsh [x], ḤzT [x]”. Transliteration und eine Begründung der Übersetzung fehlen. Grimm (1988) weist diese Lesung mit überzeugenden Argumenten zurück. 133 Cf. Zibelius-Chen (1988: 7374), die in den Titelreihen einiger Beamter weitere Indizien für das ägyptische Interesse am nubischen Gold schon im Alten Reich ausmachen möchte. 134 Rothenberg (1970), (1979: 138151), (1987), (1993). 135 Beit-Arieh (1993a). 136 Kanaan bezeichnet den südlichen Teil der Levante (Israel und Jordanien), der sich kulturell abgrenzt vom nördlichen Gebiet (Syrien und Libanon) mit den Zentren Byblos/Ǧubail, Ugarit/Raʾs Šamra und Ebla/Tall Mardīḫ. 137 Beit-Arieh (1993b). 138 Rothenberg (1979: 149151). 139 Beit-Arieh (1993b); siehe auch Mumford/Parcak (2003: 89). Zu den einzelnen Fundplätzen mit ägyptischer Keramik und weiteren Literaturangaben siehe Mumford (2006: 53). 140 „At site 702B there were also clear signs of earlier activities, dated by pottery and flints to

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8 „Außenpolitik“

EBA III wird der archäologische Befund sehr spärlich, die Timna-Kultur und die kanaanitisch geprägten Siedlungen lassen sich nicht mehr nachweisen. Die lokale Bevölkerung – deren Dichte nicht abgeschätzt werden kann  scheint überwiegend nomadisch gelebt zu haben. 8.3.2 Die Quellen und ihre Auswertung Die auffälligsten ägyptischen Zeugnisse auf dem Sinai sind insgesamt 26 Felsinschriften und -bilder, die von Expeditionen des Alten Reiches in den Minengebieten des südlichen Sinai hinterlassen wurden. Namentlich genannt werden die Könige Djoser, Sechemchet, Sanacht, Snofru, Cheops, Sahure, Niuserre, Menkauhor, Djedkare, Pepi I. und Pepi II. Ein einzelnes Felsbild befindet sich im Wādī Ḫarīǧ, alle übrigen im Wādī al-Maġāra.141 Die in erhabenem Relief gearbeiteten Felsbilder zeigen fast immer den König im Gestus des Erschlagens der Feinde. Die Inschriften enthalten zunächst nur das Königsprotokoll, ab Menkauhor auch die Namen der beteiligten Beamten. 142 Wie in Kapitel 3.7.1 gezeigt wurde, kann das Ikon Erschlagen der Feinde nicht als Beleg für die Anwesenheit realer Feinde interpretiert wurden. Jegliche Überlegungen zur Intention, die hinter seiner Anbringung auf dem Sinai steht, sind spekulativ. Durch die genannten Felsinschriften- und bilder haben wir jedoch Kenntnis von mindestens elf Expeditionen auf den Sinai vom Anfang der 3. bis zum Ende der 6. Dynastie.143 Schätzungen, wie viele nicht inschriftlich belegte Expeditionen darüber hinaus stattgefunden haben, können mangels Indizien nicht gewagt werden. Aus den Inschriften geht hervor, dass der Abbau von Türkis das vorrangige Ziel der auf den Sinai entsandten Expeditionen war.144 Ob bereits im Alten Reich Kupfer abgebaut und verarbeitet wurde – für das Mittlere und das Neue Reich ist dies in Sarābīṭ al-Ḫādim eindeutig belegt145 –, wurde von Raphael Giveon angezweifelt,146 ist aber inzwischen, wie

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Predynastic times (5th millenium B. C.) Ores, slag and slagged soil samples have been studied. The latter samples are interpreted as fragmentary remains of shallow smelting furnaces. These are the first finds showing such early copper production in Sinai.“ el-Gayar/Rothenberg (1995: 147). Aus dem Text geht nicht eindeutig hervor, ob die Angabe „Predynastic times“ eine reine Zeitangabe ist oder sich darauf bezieht, dass dezidiert ägyptisches Material dort gefunden wurde. Im ersten Fall wäre auch denkbar, dass der Platz im EBA I oder II von der lokalen Bevölkerung zur Kupferverarbeitung genutzt wurde. Nach Valbelle/Bonnet (1996: 6) gibt es außerdem eine Inschrift des Snofru in Sarābīṭ al-Ḫādim, die das einzige Zeugnis des Alten Reiches dort darstellen soll. Die Inschrift wird weder genauer beschrieben noch gibt es einen Verweis auf irgendwelche Primärliteratur. Die zum Text gehörige Abbildung 5 zeigt ein Felsbild aus dem Wādī al-Maġāra. Laut Tallet (2012a) und L. Morenz (2014b) stammen die frühesten Funde in Sarābīṭ al-Ḫādim aus dem Mittleren Reich, wenn auch Tallet (2012a: 119) postuliert, es habe „zweifellos“ schon in früheren Epochen dort Tätigkeiten gegeben. Katalog der Inschriften siehe Gardiner et al. (1955: 5266); Eichler (1993: 2938); Tallet (2012a: 24 und 41, Abb. 26). Cf. auch Giveon (1974). Siehe Eichler (1993: 130). Ausführlich zur Bedeutung des Materials Türkis und zur Auswertung der entsprechenden Schriftquellen siehe L. Morenz (2014b: 3161). Für einen weiteren Interpretationsansatz einer Inschrift im Zusammenhang mit Türkis siehe Baines/Parkinson (1997). Valbelle/Bonnet (1996); L. Morenz (2014b). In einem seiner Briefe hatte bereits Lepsius auf die gewaltigen Schlackenhalden bei Sarābīṭ al-Ḫādim und die Bedeutung des Sinai als Kupferbe-

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8.3 Der südliche Sinai

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unten gezeigt, anhand zahlreicher Spuren zu belegen. Von 1967 bis 1972 untersuchte Beno Rothenberg gemeinsam mit einem Team des Bergbau-Museums Bochum die Kupferminen des südlichen Sinai. Eine Publikation der Ergebnisse war für 1988 angekündigt, ist aber offenbar nie erschienen, so dass hier nur auf den Vorbericht 147 eingegangen werden kann. Die Nummerierung der Fundplätze folgt der von Rothenberg.148 Im Wādī al-Aḥmar gibt es Reste eines Arbeiterlagers, das anhand der Keramik in das Alte Reich datiert werden kann; Kupfererz und -schlacke sowie Fragmente von Schmelztiegeln wurden dort gefunden.149 Weitere Spuren gibt es möglicherweise im Wādī Bāba150 und der Region von Biʾr Naṣb.151 Kupferschlacken und Fragmente von Schmelztiegeln in der Arbeitersiedlung des Alten Reiches im Wādī Ḫarīǧ zeigen, dass dort nicht nur Türkis, sondern auch Kupfer abgebaut und verarbeitet wurde.152 Eine vergleichbare Arbeitersiedlung ist auch im Wādī al-Maġāra vorhanden. Ob die Lage der beiden Siedlungen auf einem hohen Plateau aus verteidigungsstrategischen Gründen gewählt wurde, weil man Überfälle von Seiten der lokalen Bevölkerung fürchtete oder weil sie einfach besseren Schutz vor wilden Tieren bot, bleibt spekulativ. 153 Derzeit sind uns zwei am Roten Meer gelegene Häfen bekannt, die als Ausgangspunkt für die ägyptischen Expeditionen auf den Sinai in Frage kommen: Wādī al-Ǧarf und al-ʿAin asSuḫna. Mumford erwähnt außerdem „some Old Kingdom activity“ im Hafen von Marsā

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schaffungsgebiet hingewiesen, seine inschriftlichen Belege für Kupferabbau auf dem Sinai beruhten jedoch auf der irrtümlichen Übersetzung des Wortes mfkA.t mit „Kupfer“. Cf. Rothenberg (1987: 1). Giveon (1978a: 51) hatte vehement darauf hingewiesen, dass es keine Belege für Kupfergewinnung auf dem Sinai durch die Ägypter gäbe. Die fehlende Erwähnung von Hmtj Kupfer in den Felsinschriften erklärte Helck (1971: 15) im Analogieschluss zu den Inschriften des Wādī al-Hūdī damit, dass die „Sklavenarbeit“ Kupferabbau im Gegensatz zum prestigeträchtigen Holen von Türkis der Erwähnung in den königlichen Inschriften nicht wert gewesen sei. Seiner Meinung nach wurde das Kupfer von Gefangenen abgebaut, die permanent durch ägyptische Truppenkontingente bewacht wurden. Rothenberg (1987). Siehe dazu die Karte in Rothenberg (1987: 2). Site 702B, westlich von Biʾr Naṣb; el-Gayar/Rothenberg (1995: 147). Der von Rothenberg (1987: 4) untersuchte Platz Site 349 befindet sich an der Kreuzung des Wādī Ḫarīǧ mit dem Wādī Bāba. Die in unmittelbarer Nähe der Mine gefundenen Schlacken und Fragmente von Öfen zeigen, dass das Kupfer vor Ort verhüttet wurde. In der Schlacke wurden ägyptische Scherben gefunden. Rund um Site 350, ca. 5 km westlich des Tempels von Sarābīṭ al-Ḫādim, fand Rothenberg (1987: 45) zahlreiche Minen, die vom Chalkolithikum bis in nabatäische Zeit datieren. Intensive Tätigkeit der Ägypter im Mittleren und Neuen Reich an diesem Platz ist sowohl anhand von Felsbildern als auch anhand der Stratigraphie der Schlackenhalden zu belegen. Spuren des Alten Reiches sind in Biʾr Naṣb in Form von „some pottery“ zu finden, wobei sowohl der genaue Fundort als auch die Quantität der Keramik im Unklaren bleiben. Rothenberg möchte anhand dessen annehmen, dass die Minen auch während des Alten Reiches in Betrieb waren, und verweist darauf, dass künftige Grabungen dafür auch den stratigraphischen Beweis erbringen werden. Rothenberg (1979: 164). Rothenberg (1979: 161; 164), (1987); Chartier-Raymond (1988); Tallet (2012a: 25; 48).

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Ǧawāsīs und geht davon aus, dass dieser bereits im Alten Reich in Betrieb war.154 Hier sieht er den Ausgangspunkt für die in der Inschrift des Ppj-nxt erwähnte Fahrt nach Punt.155 Die Ausgräber von Marsā Ǧawāsīs berichten jedoch nur von vereinzelter Keramik, die wohl in die 6. Dynastie datiere, während die Hauptmasse der Keramik und alle anderen Funde von Marsā Ǧawāsīs aus dem Mittleren Reich stammen. 156 Auch Tallet geht davon aus, dass Marsā Ǧawāsīs erst ab dem Mittleren Reich als Hafen für die Seewege auf den Sinai und nach Punt fungierte.157 Die Anlage von Wādī al-Ǧarf wurde offensichtlich nur zu Beginn der 4. Dynatie (Snofru bis Cheops) genutzt 158 und war nicht nur Ausgangspunkt bzw. Umschlagplatz für die Expeditionen auf den Sinai, sondern auch für die Beschaffung von Steinen für den Bau der Cheops-Pyramide.159 Zu der Anlage gehören 30 in den Felsen gehauene Speichergalerien (3 m breit, 2,5 m hoch, im Durchschnitt 1520 m lang), ein rechteckiges Gebäude (30 x 60 m), dessen Funktion noch unklar ist, ein L-förmiger Pier (160 x 120 m) aus Kalkstein und diverse Töpferöfen. Gefunden wurden außerdem mindestens 120 steinerne Anker und mehrere hundert große runde Vorratsgefäße. 160 Die im Vergleich zu al-ʿAin as-Suḫna und Marsā Ǧawāsīs gewaltigen Dimensionen der Anlage lassen vermuten, dass diese außer den genannten noch andere Funktionen gehabt haben muss. Denkbar wäre, dass von Wādī al-Ǧarf aus die Punt-Expeditionen der frühen 4. Dynastie starteten.161 Es stellt sich die Frage, weshalb der Hafen am Ende der Regierung des Cheops aufgegeben wurde 162 und die Ägypter fortan die Anlage von al-ʿAin as-Suḫna – deren früheste Zeugnisse Siegelabdrücke mit dem Namen des Chephren sind 163  als logistische Ausgangsbasis für die Expeditionen auf den Sinai nutzten. Der Seeweg vom Wādī al-Ǧarf zur Ebene von al-Marḫa auf dem Sinai, die den Ausgangspunkt zu den Minengebieten des Wādī al-Maġāra und des Wādī Ḫariǧ bildet, beträgt nur etwa 50 km, während von al-ʿAin as-Suḫna etwa die dreifache Strecke zu bewältigen ist. Zugunsten von al-ʿAin as-Suḫna spricht jedoch, dass der beschwerliche Landweg dorthin von Memphis aus mit ca. 120 km erheblich kürzer ist als der zum Wādī al-Ǧarf mit ca. 250 km. Ob dies das ausschlaggebende Kriterium für die Verlegung des Hafens war, ist jedoch reine Spekulation. Die Dimensionen der Hafenanlage von al-ʿAin as-Suḫna sind deutlich kleiner als die im Wādī al-Ǧarf. Zehn in die Flanke des Berges gehauene Speichergalerien (2,5 m breit, 2 m 154 155 156 157 158 159

160 161 162 163

Mumford (2012a: 113) Siehe Urk. I, 132135; Edel (2008: 682692) und Mumford (2006: 57). Siehe Bard/Fattovich (2007: 101; 110; 241). Tallet (2015). Der terminus ante quem ergibt sich durch die finalen Blockierungssteine einiger Galerien, auf denen sich Dipinti mit dem Namen des Cheops befinden. Siehe Tallet/Marouard (2014: 57). Letzteres geht aus den im Wādī al-Ǧarf gefundenen Papyri hervor, die Listen der täglichen Lebensmittellieferungen für die Arbeitsmannschaft und das von den Ausgräbern „Journal de Mérer“ genannte Logbuch der Arbeitsmannschaft enthalten. Siehe Tallet (2014: 3849); Tallet/Marouard (2014: 4). Für Details, Bilder und Pläne siehe Tallet (2012b), (2014), (2015); Tallet/Marouard (2014). Tallet (2012b: 153); Tallet/Marouard (2014: 13). Tallet/Marouard (2014: 13) vermuten die Aufgabe des Hafens um das 27. Regierungsjahr des Cheops. Tallet (2012b: 56).

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hoch und 1520 m lang) enthielten Reste von Booten aus dem Mittleren Reich. Offenbar wurden die Boote zwischen den periodisch durchgeführten Expeditionen in Einzelteile zerlegt und in den Galerien aufbewahrt. Der Ausgräber geht davon aus, dass die gleiche Praxis auch im Alten Reich angewandt wurde. Die Funktion eines Gebäudes (14 x 16 m) im Sektor Kom 14 ist wohl im technisch-logistischen Bereich zu suchen, während eine längliche Grube dem Auseinandernehmen und Zusammensetzen der Boote gedient haben könnte.164 Eine intensive Nutzung des Hafens während des Alten Reiches ist durch reichlich Keramik und Siegelabdrücke (genannt werden Chephren, Niuserre, Djedkare und Unas) belegt. Mindestens fünf offizielle hieratische Inschriften am Eingang der Galerien datieren an das Ende des Alten Reiches und stellen eindeutig eine Verbindung zu den Expeditionen auf den Sinai her: Das Toponym #t.jw mfkA.t („Türkisterrasse“) bezeichnet die Minengebiete des Sinai, auch eine Liste der an einer Expedition teilnehmenden Beamten ist vorhanden.165 Konkret genannt wird eine Expedition unter der Leitung eines %d-Htp in der Regierungszeit des Djedkare.166 Dieser Befund korrespondiert mit einer Inschrift im Wādī al-Maġāra, die ebenfalls %d-Htp und Djedkare erwähnt.167 An einem über dem Gelände von al-ʿAin as-Suḫna steil aufragenden Felsen befinden sich ca. 50 weitere hieroglyphische, hieratische, griechische und koptische Felsinschriften, die frühestens in das Mittlere Reich datieren und meist mit Tätigkeiten auf dem Sinai in Verbindung gebracht werden können. 168 Hier stellt sich die Frage, warum die Expeditionen des Alten Reiches an dieser Stelle keine Inschriften hinterlassen haben, zeigen doch die Befunde im Wādī al-Maġāra und in Nubien, dass solch exponierte Stellen in der Regel gerne für Felsinschriften und -bilder genutzt wurden. In der Ebene von al-Marḫa auf dem Sinai befindet sich weniger als 200 m von der alten Küstenlinie entfernt eine Raʾs Budrān genannte und als Festung angesprochene Struktur des Alten Reiches.169 Es handelt sich um eine runde Struktur (44 m Durchmesser) mit 7 m dicken Mauern aus lokalem Kalkstein, die vermutlich teilweise mit einem Sonnensegel überdacht werden konnte. Innerhalb des Mauerrings lassen sich verschiedene Arbeitsbereiche unterscheiden; Funde von Kupfer und Türkis bestätigen die naheliegende Annahme, dass die Struktur von Expeditionen zu den Minengebieten des Sinai genutzt wurde. Die Anlage kann anhand von Keramikfunden in die 6. Dynastie datiert werden, nicht näher beschriebene „traces of an underlying Old Kingdom occupation layer“ könnten darauf hindeuten, dass der Platz auch vorher schon genutzt wurde. 170 Es scheint, als sei die Struktur in ihrer jetzigen Form weniger als ein Jahr genutzt worden, bevor nach längerer Pause gegen Ende der 6. Dynastie noch einmal eine ägyptische Expedition dorthin zurückkehrte.

164 165 166 167 168 169 170

Tallet (2012a: 193232), (2012b: 510). Tallet (2010); Abd el-Raziq et al. (2012); Tallet (2012b: 56), (2012c). Tallet (2012a: 226229, Doc. 250). Gardiner et al. (1952: Taf. IX), (1955: 65); Eichler (1993: 36, Nr. 19); Tallet (2012a: 29, Doc. 8). Tallet (2012b: 148149). Entspricht Site 345. Cf. Rothenberg (1970). Mumford (2012b: 20).

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Den Grund für die Aufgabe von Raʾs Budrān könnte man in der ungünstig gewählten Lage vermuten, die das Bauwerk allzu anfällig für im Roten Meer tobende heftige Stürme machte – ein ebensolcher Sturm zerstörte um 2200 v. Chr. den westlichen Teil der Anlage.171 Der Ausgräber deutet die Anlage von Raʾs Budrān als eine Festung, in der etwa 2550 Soldaten stationiert waren, deren Aufgabe es gewesen sei, die zurückgelassenen Schiffe zu bewachen und die Expeditionen zu den Minen zu eskortieren.172 Diese Interpretation des Befundes klingt schlüssig, erweist sich aber bei genauerem Hinsehen als auf tönernen Füßen stehend und kann keineswegs als gesichert betrachtet werden, wie die folgende Betrachtung der Quellen zeigen wird. Meines Wissens wurden in Raʾs Budrān keinerlei Waffen oder andere Hinweise auf die Stationierung einer Garnison gefunden. Dürfte man nicht erwarten, wenigstens einige Pfeilspitzen o. Ä. zu finden, wenn dort Kampfhandlungen stattgefunden haben? Die Schätzung der Besatzungsstärke der Festung beruht auf Vergleichen mit Anlagen der Ramessidenzeit, zu denen es entsprechende Schriftquellen gibt. Vergleiche über so weit entfernte Zeiten sind, zumindest wenn sie das einzige Argument darstellen, stets mit Vorsicht zu betrachten. Denkt man an die sehr kurze Betriebszeit der Festung, stellt sich auch die Frage, warum gerade in dieser Zeit ein solches Bauwerk erforderlich war, während es in den übrigen 500 Jahren des Alten Reiches ausreichte, eine Wache bei den Schiffen zu stationieren oder diese völlig unbewacht zurückzulassen. Selbstverständlich ist es auch möglich, dass weitere Anlagen ähnlich der von Raʾs Budrān existierten, die uns bisher nicht bekannt sind. Prämisse für die Interpretation der Anlage ist vor allem die Annahme, dass der Sinai von feindlich gesinnten Beduinen bewohnt war: „… inhabited by a small population of nomadic Bedouin tribes renowned for their hostility.”173 „ … a region reputedly inhabited by hostile Bedouins, …“174 Was aber ist überhaupt über die indigene Bevölkerung des Sinai, die gerne als „halbnomadisch” oder „Beduinen” bezeichnet wird, bekannt und woher rührt ihr Ruf, besonders feindselig zu sein? In den ägyptischen Texten wird das Gebiet allgemein als xAs.wt (Fremdländer, Wüsten), einmal auch als sTj.t (Asien) angesprochen, die Bewohner als Jwn.tjw oder MnT.w bezeichnet.175 Archäologisch ist das EBA III auf dem Sinai meines Wissens bisher nicht zu belegen176 und die Vorstellung von der „halbnomadischen Beduinenbevölkerung“ scheint vor allem auf dieser Abwesenheit von Belegen zu beruhen. Die Tatsache, dass die Be-

171 172 173 174 175 176

Mumford (2005), (2006), (2012a), (2012b). Mumford (2005: 2426), Mumford (2006: 4041; 59). Mumford (2005: 2425). Mumford (2006: 40). Für die entsprechenden Belege siehe Eichler (1993: 129). Cf. Rothenberg (1970) und Beit-Arieh (1993b). Die kanaanitisch geprägten Siedlungsplätze sowie die Timna-Kultur enden alle mit dem EBA II. Ägyptische Tätigkeiten in Timna sind erst wieder im Neuen Reich belegt.

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8.3 Der südliche Sinai

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wohner des Sinai in den ägyptischen Inschriften namentlich erwähnt werden, darf man wohl dahingehend deuten, dass es Kontakte zwischen den Ägyptern und der lokalen Bevölkerung gab; Form und Ausmaß der Begegnung entziehen sich jedoch unserer Kenntnis. Die Annahme, dass diese Beduinen den Ägyptern feindlich gesinnt waren, gründet sich vor allem auf den Felsbildern, die den König im Gestus des Erschlagens der Feinde zeigen.177 Wie in Kapitel 3.7.1 gezeigt wurde, kann das Ikon jedoch nicht per se als Beleg für Kampfhandlungen oder die Anwesenheit von Feinden gelten. Mumford sieht für die mutmaßliche Feindseligkeit der lokalen Bevölkerung folgende Gründe: „The implied hostility of the (EB IIIIV) Bedouins is not surprising. The direct, seasonal Old Kingdom exploitation of the turquoise and copper mining region would have removed or reduced a presumably profitable source of income from the Bedouin trade with, or possibly tariffs on Asiatic (?) caravans to EB III South Palestine and Egypt. Perhaps more significantly, the transitory summer influx of hundreds, sometimes thousands, of Egyptians into South Sinai would have strained local food and water resources in a marginal desert region.” 178 Diese Auslegung scheint mir aus mehreren Gründen recht angreifbar zu sein: Darf man wirklich annehmen, dass die Beduinen des EBA IIIIV zürnen, dass ihnen (nicht zu belegende) Karawanenzölle entgehen, die sie in zurückliegenden Jahrhunderten (nämlich dem EBA III) vielleicht eingenommen hatten? Zwischen dem EBA II und III ist ein deutlicher Bruch in der materiellen Kultur auf dem Sinai sichtbar. Wir wissen nicht einmal, ob es sich bei der Bevölkerung des EBA III überhaupt um die direkten Nachfolger der SinaiBewohner des EBA II handelt. Hätten diese Beduinen überhaupt die für den Kupferabbau notwendige Sachkenntnis gehabt, so dass sie den Ägyptern diese Einkommensquelle neiden könnten? Meines Wissens gibt es nirgendwo Hinweise auf nicht-ägyptische Bergbautätigkeiten auf dem Sinai während des EBA IIIIV. Nehmen wir hypothetisch an, die einheimische Bevölkerung hätte tatsächlich ein Interesse daran gehabt, die Minen selbst auszubeuten. Hätten die Ägypter überhaupt eine Chance gehabt, dies zu verhindern? Bei nur periodisch ausgesandten Expeditionen sicherlich nicht und Hinweise auf dauerhafte ägyptische Niederlassungen auf dem Sinai gibt es bisher nicht. Dass die Ägypter jährlich kamen, wie Mumford annimmt (siehe oben), ist auch nicht mehr als eine Hypothese, einigermaßen sicher belegen lassen sich jedenfalls nur elf Expeditionen in einem Zeitraum von ca. 500 Jahren! Zur Untermauerung seiner Thesen zieht Mumford ferner die autobiographische Inschrift des Wnj179 sowie Passagen aus den Pyramidentexten und Literaturwerke des Mittleren Reiches (Mahnworte des Ipuwer, Lehre für König Merikare, Prophezeiungen des Neferti)

177 So schon bei Gardiner et al. (1955: 2728), siehe u. a. Hornung (1978: 38); Giveon (1978b: 6768); Rothenberg (1979: 164); Gundlach (1994: 6770); Gundlach (1998: 274); Parcak (2004: 41); Höveler-Müller (2005: 97); Mumford (2005: 2526); Mumford (2006: 55). 178 Mumford (2006: 55). 179 Stele aus dem Grab des Wnj in Abydos, Ägyptisches Museum Kairo, CG 1435; Urk. I, 98, 7110, 2; Osing (1977); Hofmann (2002); Richards (2002).

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heran.180 Den Bericht des Wnj sieht er als Beleg für verstärkte kriegerische Auseinandersetzungen auf dem südwestlichen Sinai, indem er die von Wnj im Zusammenhang mit dem Feldzug gegen die „Sandbewohner“ und das Land „Antilopennase“ beschriebene Region dort lokalisiert.181 Tatsächlich aber ist die genaue Lage des Landes nach wie vor ungeklärt und wird tendenziell eher mit dem nördlichen Sinai oder Kanaan in Verbindung gebracht.182 Dass weder die Pyramidentexte noch die Werke der Auseinandersetzungsliteratur eine belastbare historische Quelle für die Verhältnisse am Ende des Alten Reiches und in der Ersten Zwischenzeit sind, ist bereits in Kapitel 3.3.4 und 3.3.5 begründet worden. Aus der Anwesenheit zahlreicher Beamter auf dem Sinai, die den Titel jaA.w tragen, der häufig als „Dolmetscher“ übersetzt wird, möchten Gregory Mumford/Sarah Parcak nicht nur auf ausgedehnte Interaktionen zwischen den Ägyptern und der lokalen Bevölkerung schließen,183 sondern auch darauf, dass ägyptische Vorarbeiter Gruppen von semitischen Arbeitern beaufsichtigt hätten.184 Letzterem liegt außerdem die Annahme Parcaks zugrunde, dass sich lokale Beduinenstämme bei Ankunft einer der ägyptischen Expeditionen (Parcak nimmt einen mindestens jährlichen Expeditionsturnus an; zu belegen sind aber nur elf Expeditionen für das gesamte Alte Reich!) temporär in der Nähe der Minen niedergelassen hätten, um dort mitzuarbeiten. Sie beruft sich dabei auf Untersuchungen Itzhaq Beit-Ariehs in Sarābīṭ al-Ḫādim. Ägyptische Tätigkeiten dort sind jedoch erst seit dem Mittleren Reich belegt und die Idee von der Zusammenarbeit lokaler Beduinen mit den Ägyptern wird von Beit-Arieh selbst ganz eindeutig als rein hypothetische Überlegung ausgewiesen.185 Doch zurück zu den jaA.w. Nehmen wir an, es sei tatsächlich so gewesen, dass ägyptische Vorarbeiter Gruppen von semitischen Arbeitern beaufsichtigen, dann ließe sich aus einer solchen Situation möglicherweise in erhöhtes Konfliktpotential ableiten. Besagte jaA.w begleiten jedoch auch andere Expeditionen, beispielsweise in die Ostwüste, und Eichler stellt die berechtigte Frage, was die Funktion einer großen Anzahl von Dolmetschern in diesen Wüstengebieten wäre. Seiner Meinung nach „stellen diese jaA.w (nubische) Hilfstruppen dar, die zum Expeditionspersonal gehörten und vermutlich sowohl Arbeiten in den Steinbrüchen, als auch paramilitärische Aufgaben wahrnahmen“. 186 Häufig treten in Expeditionsinschriften Titel auf, die mit mSa gebildet sind, was auf eine aktive Beteiligung des Militärs an den Expeditionen hindeutet.187 In welchem Ausmaß tatsächlich Kampfhandlungen stattfanden, lassen diese Titel allerdings nicht erkennen.

180 Mumford (2006: 5559). 181 Mumford (2006: 5556). Ähnlich äußert sich Parcak (2004: 54, Anm. 28). 182 Helck (1971: 1819); Piacentini (1990: 31, Anm. 40); Redford (1992: 55); Miroschedji (2002: 47); Sowada (2009: 1213). 183 Mumford/Parcak (2003: 87). 184 Parcak (2004: 5556). 185 Cf. Beit-Arieh (1985: 115). 186 Eichler (1993: 192). 187 Eichler (1993: 198234). Dort auch Erörterung der Frage, ob für das Alte Reich die Existenz eines stehenden Heeres angenommen werden darf.

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8.4 Die Levante und der nördliche Sinai

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Nach genauerer Betrachtung der Quellenlage scheint mir auch Parcaks These von einem „ideological and economic empire“,188 das die Ägypter im Alten Reich im südlichen Sinai errichtet haben sollen, zweifelhaft, gründet doch auch diese vor allem auf den weder archäologisch noch inschriftlich fassbaren „feindlichen Beduinen“ und deren angeblicher Niederwerfung durch die Pharaonen, die sich vor allem in den Felsbildern des Wādī alMaġāra ausdrücken soll.189

8.4 Die Levante und der nördliche Sinai 8.4.1 Die Situation in der Levante und auf dem nördlichen Sinai zu Beginn des Alten Reiches Seit dem Neolithikum lässt sich anhand von Muschelfunden ein Verbindungsnetz zwischen Ägypten und der Levante nachweisen,190 das sich vor allem in der prädynastischen Zeit, die in der Levante dem EBA I entspricht, stark intensivierte. Dies belegen zum einen die in den jeweiligen Gräbern oder Siedlungen gefundenen wechselseitigen Importwaren, 191 vor allem aber die ägyptische und ägyptisierende Keramik an mindestens 21 Fundplätzen des nördlichen Sinai und der Levante, die auf die permanente Anwesenheit von Ägyptern an diesen Orten hindeutet. In Einzelfällen beträgt der Anteil ägyptischer Keramik über 90 %, so dass Pierre de Miroschedji sogar von einer ägyptischen Kolonisation im südwestlichen Kanaan ausgeht.192 Bis zum Ende des EBA I erstreckte sich das von Ägyptern durchsetzte Gebiet an der Küste entlang bis zum Yarkon.193 Zu Beginn des EBA II scheint es – so die Interpretation de Miroschedjis – regelrechte Außenhandelsposten in Kanaan gegeben zu haben, in denen ägyptische Verwaltungsstrukturen zu erkennen sind.194 Im Verlauf der 1. Dynastie verschwinden die ägyptischen Niederlassungen auf dem Nordsinai und in Kanaan, gegen Ende des EBA II beginnt dort die Urbanisierung.195 Der Anteil an levantinischer Import-

188 Parcak (2004: 4142). Als Indiz für die Richtigkeit der These könnte gelten, wenn sich Tallets (2015: 64) Vermutung als richtig erwiese, dass es sich bei dem von Ppj-nxt erwähnten Ort im „Bergland der aAm.w-Asiaten“ um den Hafen von al-ʿAin as-Suḫna handelt. 189 Die Vorstellung eines ägyptischen Imperiums im südlichen Sinai hat auch Sowada (2009: 7; 15) von Parcak (2004) übernommen. 190 Die Basis dafür bilden Muschelfunde solcher Spezies, die nur im Mittelmeer oder im Roten Meer vorkommen. Andrássy (1991b: 104). 191 Miroschedji (2002: 4044). 192 Miroschedji (2002: 42). Für eine Liste und Beschreibung der entsprechenden Fundplätze und weiterführende Literatur siehe Braun (2003: 2333). Insgesamt sind bisher mehr als 30 permanente Siedlungsplätze und über 250 halbpermanente Lagerplätze (campsites) aus dem EBA I und EBA II bekannt. Cf. Oren (1993). 193 Cf. Miroschedji (2002: 45, Abb. 2.4). 194 Auf staatliche gelenkte Handelsbeziehungen deuten Funde wie die zahlreichen ägyptischen Siegelabdrücke von En Besor und mit einem eingeritzten Serech versehene Pithoi hin. Cf. Miroschedji (2002: 44). 195 Sichtbar wird diese u. a. in den ersten Befestigungsanlagen im kanaanitischen Raum (darunter Tall Yarmūṯ und Ai/at-Tall). Dazu und mit weiterführender Literatur siehe Miroschedji (2013: 761).

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keramik in den ägyptischen Gräbern geht zeitgleich stark zurück und gegen Ende des EBA II wird die kanaanitische Karawanenstadt ʿArāḍ aufgegeben.196 Einige Autoren gehen davon aus, dass es bereits in prädynastischer Zeit direkte Beziehungen nach Byblos gab. Eine neue Bewertung des Materials zeigt jedoch, dass erst ab der 4. Dynastie ein direkter Kontakt nach Byblos belegt werden kann (cf. das folgende Kapitel). 197 8.4.2 Die Quellen und ihre Auswertung Aus Ägypten selbst gibt es nur vereinzelte Quellen, die auf Kontakte mit der Levante schließen lass. Diese Kontakte können insofern als politisch bezeichnet werden, als sie im Auftrag der Zentralregierung zustande kamen. Der Palermostein (siehe Anhang A.1.1) verzeichnet für die Regierungszeit des Snofru folgende Ereignisse, die möglicherweise mit Beziehungen zur Levante in Zusammenhang gebracht werden können: Jahr 13:

– Bau eines 100 Ellen-Schiffes aus Zedernholz – Bau von 60 königlichen Booten – Bringen von 40 Schiffsladungen Tannenholz

Jahr 14:

– Bau eines 100-Ellen Schiffes aus Tannenholz – Bau von zwei 100-Ellen Schiffen aus Zedernholz

Tanne (aS) und Zeder (mrw) gehören zu den Koniferenarten, die im Libanon vorkommen, 198 die Eintragung könnte daher ein erster schriftlicher Beleg für direkte Kontakte nach Byblos sein. Die Erwähnung der Ereignisse auf dem Annalenstein deutet darauf hin, dass diese Aktivitäten vom Königshof ausgingen und ihnen eine besondere Bedeutung beigemessen wurde. Reliefs aus dem Totentempel des Sahure in Abū Ṣīr zeigen ausfahrende und zurückkehrende Schiffe. An Bord sind eine ägyptische Mannschaft und bei den zurückkehrenden Schiffen zusätzlich mitfahrende männliche und weibliche Personen mit asiatischem Äußeren, die mit hoch erhobenen Armen den König grüßen. Ferner sind Bären dargestellt, die von einer Expedition in die Levante mitgebracht wurden. 199 Die Szenen können als Beleg dafür gelten, dass Expeditionen in die Levante zu Beginn der 5. Dynastie üblich gewesen sein müssen. Ob es sich hier um die Darstellung eines realen Ereignisses oder ein ikonographisches Versatzstück handelt, das die idealen Taten des Königs wiedergibt, ist bisher nicht zu klären (siehe Kapitel 3.7.2). Angenommen, es handelte sich um ein reales Ereignis, so ist immer noch unklar, wer die ankommenden Asiaten eigentlich sind und zu welchem Zweck diese nach Ägypten gebracht werden.200

196 Amiran (1978); Miroschedji (2002: 4546). 197 Bereits Saghieh (1983: 104) stellte fest, dass die angeblichen prädynastischen Kontakte anhand des Materials aus Byblos nicht zu belegen sind. Zu den verschiedenen Meinungen und vor allem dürren Belegen, anhand derer die frühen Kontakte konstruiert werden, siehe Espinel (2002: 105, insbesondere Anm. 11). 198 Cf. Wb. 1, 228; Wb. 2, 108. 199 Borchardt (1913: 1617; 2528; Taf. 34; 913). 200 Einen guten Überblick über die höchst unterschiedlichen Interpretationen der Szene gibt Sowada (2009: 9). Römer (2007: 76) sieht die Szene als Beleg dafür, dass „Kriege nicht zuletzt mit der

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8.4 Die Levante und der nördliche Sinai

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Ein Fragment vom Aufweg des Unas in Saqqāra könnte die Belagerung einer asiatischen Stadt zeigen, die unvollständige Inschrift könnte als „Bekämpfen der SchasuBeduinen“ ergänzt werden. 201 Aufgrund des sehr fragmentarischen Zustandes und der ungeklärten Frage nach der Historizität derartiger Szenen kann die Darstellung allenfalls als ein Indiz gelten. Die Belagerung bzw. Erstürmung einer befestigten Stadt im levantinischen Raum zeigen auch zwei Reliefs in den Gräbern des KA-m-Hz.t in Saqqāra202 und des Jntj in Dišāša.203 Keines der Gräber kann fest datiert werden. Anhand stilistischer Kriterien und anderer Indizien werden beide Gräber von den Bearbeitern in die Zeit des Djedkare datiert, wobei die Datierung zumindest teilweise auf einem Zirkelschluss beruht: Als Kriterium für ihre Datierung des Jntj-Grabes führen Naguib Kanawati/Ann McFarlane unter anderem die sehr ähnliche Belagerungsszene bei KA-m-Hz.t und die stilistische Datierung dieses Grabes in die Zeit des Djedkare an.204 Die Datierung des KA-m-Hz-t-Grabes sieht McFarlane wiederum durch die Vergleichbarkeit mit der Belagerungsszene bei Jntj gestützt, der ebenfalls in die Zeit des Djedkare datiere.205 Gleichzeitig werden die dargestellten Szenen mit den Feldzügen des Wnj206 in Verbindung gebracht, was eine Datierung in die 6. Dynastie nahelegen würde.207 Die beiden Reliefs können im Moment nur als Indiz dafür gelten, dass irgendwann im Alten Reich mindestens eine befestigte Stadt in der nördlichen Levante oder Kanaan belagert wurde. Für eine konkrete historische Deutung sind zu viele Faktoren unbekannt oder unklar: 1. In keiner der beiden Szenen kann die belagerte Stadt identifiziert und geographisch verortet werden.208 2. Die Ähnlichkeit der Szenen könnte darauf hindeuten, dass zweimal das selbe Ereignis dargestellt ist und sowohl KA-m-Hz.t als auch Jntj an der Aktion beteiligt waren.209 Diese Hypothese hängt jedoch stark von der Datierung beider Gräber ab, die, wie oben gezeigt, nicht gesichert ist.

Absicht geführt wurden, sich an Nachbarn ohne den Umweg über Handel zu bereichern“. 201 Hassan (1938: Taf. 95), (1955: 139, Abb. 2); siehe auch Helck (1971: 17); Wright (1988: 155); Sowada (2009: 12). 202 Quibell/Hayter (1927: 1620; 25; Frontispiece); McFarlane (2003: 1549; Erstürmungsszene 3334; Taf. 48) 203 Petrie (1898: 48; Erstürmungsszene 56; Taf. 4); Kanawati/Mc Farlane (1993: 1538; Erstürmungsszene 2425; Taf. 2627). 204 Kanawati/McFarlane (1993: 1819). 205 McFarlane (2003: 21). 206 Siehe Stele aus dem Grab des Wnj in Abydos, Ägyptisches Museum Kairo, CG 1435; Urk. I, 98, 7110, 2; Osing (1977); Hofmann (2002); Richards (2002). 207 Jaroš-Deckert (1984: 44); Piacentini (1987: 1618), (1989: 76); Vachala (1991: 90). 208 In den äußerst fragmentarisch erhaltenen Inschriften aus dem Grab des Jntj ist der Name NdjA erhalten, der sich wahrscheinlich auf die belagerte Stadt bezieht, auch das Fragment ann… könnte der Anfang eines Ortsnamens sein. 209 So Kanawati/McFarlane (1993: 1819) und McFarlane (2003: 33). Ebenso sieht Andrássy (1991b: 131) keinen Grund, an der Historizität der Darstellungen zu zweifeln.

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3. Dass sich zwei so ähnliche Szenen in geographisch weit auseinanderliegenden Gräbern finden, könnte auch bedeuten, dass diese eben nicht miteinander in Verbindung gebracht werden dürfen, sondern viel eher auf eine bestimmte Vorlage zurückgehen. Wäre dies der Fall, müsste die Historizität stark in Frage gestellt werden. 210 4. Wenn die Datierung der Gräber in die Zeit des Djedkare korrekt ist und wir den neuesten 14C-Daten folgen, die das Ende des EBA III in Kanaan um 2500 v. Chr. ansetzen,211 dann hat es zur fraglichen Zeit überhaupt keine befestigten Städte in dieser Region mehr gegeben, die hätten erstürmt werden können. D. h. entweder wäre eine der beiden Datierungen falsch oder aber die Szene stellte kein zeitgenössisches Ereignis dar. Den Berichten der Beamten Wnj,212 Jnj,213 $nmw-Htp214 und Ppj-nxt,215 die alle im ereignisbiographischen Teil der Inschriften in den jeweiligen Gräbern zu finden sind, darf wohl ein relativ hohes Maß an Historizität zugesprochen werden. Die Belege verteilen sich über die gesamte Spanne der 6. Dynastie. Dies darf sicher nicht positivistisch so gedeutet werden, dass erst in der 6. Dynastie intensivere Kontakte in die Levante (wenn man das Wort intensiv bei der auf die Anzahl der Jahre hochgerechneten außerordentlich dünnen Beleglage überhaupt verwenden sollte) einsetzten, sondern ist wohl eher der Tatsache geschuldet, dass die Textgattung der Autobiographie in dieser Zeit einen Höhepunkt erlebt (siehe Kapitel 3.3.3). Der offenbar recht langlebige Wnj aus Abydos leitete in der ersten Hälfte der 6. Dynastie (Teti bis Merenre I.) nach eigenen Angaben erfolgreich fünf Feldzüge gegen rebellierende Asiaten, wobei sich das Heer zumindest teilweise aus nubischen Söldnern zusammensetzte. Das Zielgebiet der Feldzüge kann nicht mit Sicherheit lokalisiert werden, wird aber im südlichen Kanaan vermutet. 216 Aus dem Bericht geht hervor, dass es drei Festungen im Nordostdelta gegeben haben muss; diese können bisher nicht genau lokalisiert werden.217 Fraglich ist, ob den Zahlenangaben (zehntausende getötete Feinde) zu trauen ist. Ebenso stellt sich die Frage nach der genauen Semantik des Wortes bST, das mit „aufrührerisch sein, sich empören“ übersetzt wird. 218 Dies ist entscheidend für die Intention des Feldzuges: War es notwendig, eine reale Bedrohung abzuwehren, oder wer-

210 Helck (1971: 1920). 211 Höflmayer (2015). 212 Stele aus dem Grab des Wnj in Abydos, Ägyptisches Museum Kairo, CG 1435; Urk. I, 98, 7110, 2; Osing (1977); Hofmann (2002); Richards (2002). 213 Relieffragmente aus dem Grab des Jnj. Die Fragmente befinden sich teilweise in Privatsammlungen. Zu ihrer Auffindungsgeschichte und den derzeitigen Aufbewahrungsorten siehe Marcolin (2006) und (2010). Transkription und Übersetzung siehe Marcolin (2010: 5269). 214 Grab Qubbat al-Hawā 34e (Grab des #w(w)j). Edel (2008: 465478). 215 Grab Qubbat al-Hawā 35. Urk. I, 132135; Edel (2008: 682692). 216 Helck (1971: 1819); Piacentini (1990: 31, Anm. 40); Redford (1992: 55); Miroschedji (2002: 47); Sowada (2009: 1213). 217 Cf. Vogel (2004: 31). Zibelius (1978: 63) vermutet eine der Festungen in der Landenge von Suez, Gundlach (1994: 104) dagegen in den Minengebieten des westlichen Sinai. Letztere Ansicht wird von Mumford (2006) aufgegriffen, der annimmt, ebendiese Festung in Raʾs Budrān ausgegraben zu haben. 218 Wb. 1, 479.

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den grundsätzlich all jene als „aufrührerisch“ bezeichnet, die man zum Zweck des Beutemachens überfällt? Ebenfalls sehr langlebig scheint Jnj gewesen zu sein, der im Auftrag Pepis I. viermal in drei nicht näher zu identifizierende, aber wohl in der Levante befindliche Orte reiste und von dort unter anderem Silber mitbrachte. 219 Von Merenre I. nach Byblos entsandt, brachte er von dort Lapislazuli, Blei, Silber und Harz mit. Pepi II. schickte Jnj in den Libanon, von wo er Silber sowie asiatische Männer und Frauen mitbrachte. $nmw-Htp aus Elephantine, der wohl in der späten 6. Dynastie aktiv war, erwähnt eine Reise nach Byblos, wobei er weder den Zweck der Reise nennt, noch über besondere Vorkommnisse berichtet. Ppj-nxt aus Elephantine wurde – vermutlich gegen Mitte der Regierungszeit Pepis II. – ins „Bergland der aAm.w-Asiaten“ geschickt, um den Körper des Beamten an-anx.tj heimzuholen. Dieseran-anx.tj war zusammen mit einem kleinen Heerestrupp beim Bau von Byblos-Schiffen, die für eine Fahrt nach Punt bestimmt waren, getötet worden. Tallet geht davon aus, dass es sich bei dem erwähnten Ort um den Hafen von al-ʿAin as-Suḫna handelt.220 Wenn die Vermutung stimmt, würde das bedeuten, dass al-ʿAin as-Suḫna bereits als asiatisches Ausland angesehen wurde und die Ägypter dauerhaft einen Hafen auf fremdem Territorium betrieben haben. Diese Sichtweise würde wiederum die ansonsten zweifelhaft erscheinende Thesen im Bezug auf eine „Expansion“ oder ein „Imperium“ auf dem Sinai stützen. (Cf. Kapitel 8.3.2.) Die oben vorgestellten Quellen – insbesondere der Bericht des Wnj und die Szenen aus den Gräbern des KA-m-Hz.t und des Jntj  werden in der ägyptologischen Literatur je nach Bedarf auf unterschiedliche Orte bezogen, so dass der Eindruck entsteht, gegen Ende des Alten Reiches sei eine Vielzahl militärischer Aktionen seitens der Ägypter belegt. Lassen wir einmal alle Bedenken bezüglich der Historizität der einzelnen Quellengattungen beiseite und legen wir die Hinweise so positivistisch wie möglich aus, so lassen sich für das gesamte Alte Reich folgende Interaktionen mit der Levante postulieren, die einen militärischen Charakter gehabt haben könnten: 1. Die Verschleppung asiatischer Männer und Frauen unter Sahure. 2. Kämpfe mit den Schasu-Beduinen unter Unas. 3. Die Belagerung einer levantinischen Stadt unter Leitung des KA-m-Hz.t. 4. Die Belagerung einer levantinischen Stadt unter Leitung des Jntj. 5. Erster Feldzug des Wnj. 6. Zweiter Feldzug des Wnj. 7. Dritter Feldzug des Wnj. 8. Vierter Feldzug des Wnj.

219 Relieffragmente aus dem Grab des Jnj. Marcolin (2010). Genannt werden die Orte amAAw, #nt-S und Paws. Marcolin (2010: 5758) identifiziert den Ort amAAw mit Amurru. Dagegen Schneider (2015: 440443), der in amAAw eher Ṣumur in der Eleutheros-Ebene, evtl. zu identifizieren mit Tall Kazal, erkennen möchte. Die anderen Toponyme konnten bisher nicht näher spezifiziert werden. 220 Tallet (2015: 64).

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9. Fünfter Feldzug des Wnj. 10. Die Verschleppung asiatischer Männer und Frauen unter Leitung des Jnj. 11. Angriff auf einen ägyptischen Heerestrupp, der unter Leitung des an-anx.tj unterwegs war. 12. Kämpfe um den Körper des an-anx.tj unter Leitung des Ppj-nxt. Selbst bei dieser äußerst großzügigen Auslegung der Quellen hält sich die Anzahl uns bekannter militärischer Aktionen, auf die Gesamtheit des Alten Reiches bezogen, stark in Grenzen. Legt man die vorhandenen Spuren konservativ aus, indem man etwa annimmt, die Darstellungen in den königlichen Totentempeln seien nicht historisch und Ppj-nxt habe den Körper des an-anx.tj auch ohne bewaffnete Auseinandersetzung heimholen können, bleibt noch weniger übrig. Für imperialistische Tendenzen in Richtung der Levante, wie de Miroschedji sie gegen Ende des EBA III annehmen möchte,221 ist die vorhandene Beleglage meines Erachtens nicht ausreichend. Andererseits muss mit einer hohen Dunkelziffer an nicht überlieferten militärischen Aktivitäten gerechnet werden. Nehmen wir hypothetisch an, die Biographie des Wnj sei gewissermaßen prototypisch für die Beamten seiner Zeit, so müssten wir davon ausgehen, dass Feldzüge nach Asien ein regulärer Bestandteil der „Außenpolitik“ der 6. Dynastie waren und mit großer Frequenz durchgeführt wurden. Denkbar ist aber auch, dass uns durch den Zufall der Überlieferung in Wnj eine singuläre Gestalt mit einer völlig atypischen Lebensgeschichte gegenübertritt. Vermutlich ist dies nicht wahrscheinlich, aber eben auch nicht auszuschließen. Letztlich ist auch hier zu vieles unbekannt, um belastbare Schlüsse daraus zu ziehen. Als Indizien für die Anwesenheit von Asiaten in Ägypten oder gar deren Integration in die ägyptische Gesellschaft werden asiatisch klingende Namen in Privatgräbern angeführt. Der Inhaber eines Grabes in al-Ḥaraǧa trägt den Namen Jmabjm.222 Dabei könnte es sich um die phonetische Umschreibung eines asiatischen Eigennamens handeln. Doch während die Ausgräber Reginald Engelbach/Battiscombe Gunn das Grab in die 3.4. Dynastie datieren, geht Schneider aufgrund paläographische Kriterien von einer Datierung in die Erste Zwischenzeit aus.223 Ein gewisser Kbn(j) WnTt, dessen Name als „WnTt aus Byblos“ gelesen werden könnte,224 ist Inhaber einer Scheintür, die auf dem Westfriedhof von al-Ǧīza gefunden wurde.225 Mary Wright hält WnTt für „a Syro-Palestinian, who had achieved some sort of status in the royal Egyptian administration.“226 Da außer seinem Namen nichts weiter über die Person des WnTt bekannt ist, muss diese Aussage mit äußerster Vorsicht betrachtet werden. Folgen wir der Datierung von Schneider für das Grab des Jmabjm in die Erste Zwi221 Miroschedji (2002: 48). 222 Hieratische Aufschrift auf einem Sarg aus Grab 173, Friedhof C in al-Ḥaraǧa; siehe Engelbach/Gunn (1923: 8; 25; Taf. LXXIV Nr. 1). 223 Schneider (1998: 1617). 224 Fischer (1959: 164165); Helck (1971: 36); Schneider (1998: 21). 225 Leclant (1954: 73). Wright (1988: 147) datiert die Scheintür in die 4. Dynastie, Schneider (1998: 21) in die 5. Dynastie. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der Inhaber einer weiteren Scheintür vom gleichen Ort den Namen &pA(j) %nb („%nb aus (dem Land) &pA“) trägt, wobei die Region &pA bisher nicht lokalisiert werden kann. Siehe Leclant (1954: 72, insbesondere Anm. 4). 226 Wright (1988: 147).

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schenzeit, so wäre WnTt bisher der einzige Beleg für eine Privatperson, die möglicherweise einen asiatischen Hintergrund hatte. Zur Rekonstruktion der ägyptischen Beziehungen zur Levante kann dieses Beispiel meines Erachtens momentan wenig beitragen. Seit der 2. Dynastie soll – so eine häufig geäußerte und inzwischen bezweifelte These (siehe unten) – der Handel mit der Levante bevorzugt über Byblos und sein Hinterland abgewickelt worden sein, wobei die beschwerliche Karawanenroute über den Nordsinai und Kanaan zugunsten des bequemeren Seewegs nach Byblos komplett aufgegeben wurde. 227 Ägyptische Denkmäler aus Byblos werden als Beleg dafür gesehen, „wie stark die Verbindung gewesen sein muss“.228 Problematisch ist, dass die beiden Ausgräber Pierre Montet und Maurice Dunand in Byblos methodisch nicht exakt vorgingen und die Stratigraphie des Ortes erst nachträglich von Muntaha Saghieh herausgearbeitet wurde. 229 Die Zeit des Alten Reiches entspricht dabei den Phasen K III und K IV.230 Der größte Teil der Objekte aus dem Alten Reich wurde in Gründungsdeposits späterer Perioden in den verschiedenen Tempeln von Byblos gefunden und kann deshalb nur sehr eingeschränkt als Quelle für die ägyptisch-byblitischen Beziehungen ausgewertet werden.231 In Byblos wurden insgesamt 45 Steingefäße mit Namen von Königen des Alten Reiches gefunden, die sich, wie im Diagramm 2 dargestellt auf die einzelnen Könige verteilen. Die Gefäße bzw. deren Fragmente stammen von verschiedenen Fundorten innerhalb des ausgegrabenen Bezirks, die Mehrzahl jedoch aus dem Tempel der Baʿalat Gebal. Kaum ein Stück kann sicher stratifiziert werden.232 Bemerkenswert im Hinblick auf die ägyptischen Beziehungen nach Byblos ist, dass nach Pepi II. erst wieder Sesostris I. mit einem Steingefäß belegt ist. Die Gefäße mit den Kartuschen der Könige der 6. Dynastie könnten mit den oben erwähnten autobiographischen Inschriften der gleichen Epoche in Zusammenhang gebracht werden, aus denen hervorgeht, dass Fahrten nach Byblos in königlichem Auftrag stattfanden.233 In diesen Fällen könnten die Gefäße tatsächlich offizielle Geschenke sein, wobei unklar bliebe, wer der Empfänger war, da über die politische Organisation von Byblos in dieser Zeit nichts bekannt ist. Dieser unbekannte Empfänger hätte die Stücke dann als Votivgabe im Baʿalat-Tempel abgelegt. Sparks weist aber zurecht darauf hin, dass ebensogut ein nach Byblos reisender Ägypter Steingefäße als Votive in den Tempel gebracht haben könnte, womit sich die Deutung als „diplomatische Geschenke“ erübrigt hätte234

227 U. a. Marfoe (1987: 27); Wright (1988); Ben-Tor (1991); Ward (1991: 14); Warburton (2001: 1617); Parcak (2004: 51). 228 Helck (1971: 21). 229 Cf. Montet (1928); Dunand (19371973); Saghieh (1983). 230 Saghieh (1983: 105106). 231 Espinel (2002: 104); Sowada (2009: 139). 232 Chéhab (1969: 2); Saghieh (1983: 99). Siehe auch Sowada (2009: 139141). 233 An dieser Stelle sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass Nibbi (1985: 7278) den in den Texten erwähnten Ort kbn/kpny nicht mit Byblos/Ǧubail, sondern mit dem Dorf al-Ǧibālī im Ostdelta beim Buḥairat at-Timsāḥ identifiziert. 234 Sparks (2003: 48).

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Ä$X‰HQSROLWLN³

Diagramm 2: Ägyptische Steingefäße mit Königsnamen aus der Levante 13

14

Anzahl der Gefäße

12

10

10 8 5

6

5

5

4 2

Byblos Ebla

1

1

1

1

1

1

1

1

1

0

)UGLHXQG'\QDVWLHIHKOHQGLHHQWVSUHFKHQGHQ6FKULIWTXHOOHQDXVbJ\SWHQZDVZRKO YRU DOOHP GDPLW ]X WXQ KDW GDVV ± ZLH REHQ EHUHLWV HUZlKQW ± GLH7H[WJDWWXQJ GHU $XWR ELRJUDSKLHVLFKLQGLHVHU=HLWHUVWHQWZLFNHOW2EJOHLFKHVYHUORFNHQGLVWIUGLHVH*HIl‰H GHQ JOHLFKHQ =XVDPPHQKDQJ DQ]XQHKPHQ ZLH IU GLH VSlWHUHQ GK VLH DOV N|QLJOLFKH *HVFKHQNH ]X EHWUDFKWHQ N|QQHQ ZLU QLFKW ]XOHW]W DXIJUXQG GHV XQVWUDWLIL]LHUWHQ )XQG ]XVDPPHQKDQJV]XPLQGHVWQLFKWJDQ]DXVVFKOLH‰HQGDVVGLH6WFNHHUVWVSlWHUXQGVRPLW QDFKGHU'\QDVWLHQDFK%\EORVJHODQJWVLQG 'LH *|WWLQ %D‫ޏ‬DODW *HEDO ZLUG LQ VSlWHUHQ KLHURJO\SKLVFKHQ 7H[WHQ DOV Ä+HUULQ YRQ %\EORV³ EH]HLFKQHW XQG PLW GHU lJ\SWLVFKHQ +DWKRU JOHLFKJHVHW]W  2IIHQEDU KDQGHOW HV VLFK XP HLQH JHQXLQ E\EOLWLVFKH XQG QLFKW XP HLQH LQ %\EORV HLQJHIKUWH lJ\SWLVFKH *|WWLQ ,QVJHVDPW YLHU lJ\SWLVFKH 'HNRUDWLRQVHOHPHQWH DP 7HPSHO GHU %D‫ޏ‬DODW ZXUGHQ PLWXQWHU DOV =HLFKHQ GLUHNWHQ lJ\SWLVFKHQ (LQIOXVVHV DXI %\EORV JHZHUWHW HLQ )UDJPHQW HLQHV 8UlHQIULHVHV GDV Ä5HQDQ EDVUHOLHI³ GDV ÄUHOLHI GH OD PDLVRQHWWH³ XQG HLQ 6WHLQPLW+LHURJO\SKHQLQVFKULIW/HW]WOLFKNDQQMHGRFKNHLQHVGHV2EMHNWHVLFKHUGDWLHUW ZHUGHQ 'LH 'DWLHUXQJ LQ GDV $OWH 5HLFK KDEHQ LQ DOOHQ )lOOHQ 'XQDQG 0RQWHW XQG 6DJKLHK YRUJHQRPPHQ ZlKUHQG VSlWHUH %HDUEHLWHU GDV 0LWWOHUH 5HLFK RGHU QRFK VSlWHU DQVHW]HQ 6HOEVW QDFK HLQJHKHQGHU $QDO\VH GHU $UFKLWHNWXU GHV 7HPSHOV XQG GHU GRUW

      

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gefundenen mutmaßlichen Aegyptiaca kann Andrés Espinel letztlich nur feststellen: „the temple of Baʿalat Gebal must have played an important role in relations between Egypt and Byblos during the Old Kingdom, especially during the 6th Dynasty“, ohne diese Rolle oder die Art der Beziehungen genauer beschreiben zu können. 242 Fragmente einer Opferplatte aus Alabaster mit dem Namen des Nfr-sSm-Ra243 wurden von Wright dahingehend gedeutet, dass sie von einem hochrangigen Schreiber, der in Byblos stationiert war, um die ägyptischen Handelsbücher zu beaufsichtigen, im BaʿalatTempel deponiert wurde.244 Das Objekt wird „tentatively“ in die 3. oder 4. Dynastie datiert245 und würde damit zu den frühesten ägyptischen Objekten in Byblos überhaupt gehören, was die Annahme eines in Byblos stationierten Schreibers arg positivistisch erscheinen lässt. Um den kulturellen Einfluss Ägyptens auf Byblos zu belegen, ist auch ein steinernes Zylindersiegel aus Byblos mit der Inschrift „Des Baʿalat-ru-s-m Sohn, ʾb(i)-lú-l‚-m, Fremdlandherrscher (HoA-xAs.wt) von Byblos, geliebt von der Sonne der Fremdländer und #a-tAw, dem Leben gegeben werde ewiglich“246 herangezogen worden, das jedoch aus mehreren Gründen letztlich als Quelle nicht zu gebrauchen ist. Unklar ist, ob das Siegel in Ägypten oder Byblos produziert wurde und welchen Zweck es hatte. 247 Goedicke datiert das Stück in die Zeit des Unas,248 Helck aufgrund der Erwähnung des Gottes #a-tAw in den Pyramidentexten (siehe Kapitel 3.3.5) in die 6. Dynastie, andere Datierungsansätze reichen bis in die 12. und 13. Dynastie.249 Die „diplomatischen Beziehungen“ nach Ebla/Tall Mardīḫ ziehen sich wie ein roter Faden durch sämtliche Literatur, die sich mit den Außenbeziehungen des Alten Reiches beschäftigt. Als Beispiel sei hier eine Bemerkung Sowadas zitiert: „Like Byblos, a vessel bearing the name of Pepy I occurs at Ebla, which may point to a particularly active role of this king in the eastern Mediterranean. As with Byblos, a 4th Dynasty royal name, that of Khafre, is also attested, from which one could also draw the same conclusion.” 250 Anhand jeweils eines einzigen (!) Steingefäßes wird also auf eine „besonders aktive Rolle” zweier Könige geschlossen. Da andere Könige überhaupt nicht belegt sind, stellt in manchen Fällen natürlich ein einziger Beleg eine hundertprozentige Steigerung der

242 243 244 245 246 247 248 249 250

Sowada (2009: 138139). Espinel (2002: 119). Montet (1928: 8485); Chéhab (1969: 34). Wright (1988: 149). Saghieh (1983: 106). Montet (1928: 42); Übersetzung Helck (1971: 22). Wright (1988: 151152). Goedicke (1963), (1966). Helck (1971: 2223). Sowada (2009: 243). Ähnlich äußern sich Málek (2000: 115); Höveler-Müller (2005: 129130); Mumford (2006: 54); Moreno García (2010: 5).

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„Aktivitäten“ dar. Im Quartiere Amministrativo des Palazzo Reale G von Ebla wurden Fragmente von ca. 20 Steingefäßen aus Kalzit-Alabaster und Anorthosit-Gneis gefunden, darunter eine Lampe mit dem Namen des Chephren und der Deckel eines Parfumgefäßes mit der Kartusche Pepis I. 251 Der Palazzo Reale G datiert in das EBA IV  Sargon von Akkad, der wahrscheinlich für die Zerstörung des Palastes um 2300 v. Chr. verantwortlich ist, war ein Zeitgenosse Pepis I.252 Die Datierung des Gefäßes mit dem Namen Pepis I. kongruiert also mit der des Fundkontextes, während zwischen Chephren und der Fundschicht ein zeitlicher Abstand von ca. 200 Jahren liegt. Durch diese Differenz ist zumindest für die Lampe mit dem Namen des Chephren eine Interpretation als „diplomatisches Geschenk“ von vornherein äußerst ungewiss. Gabriella Scandone Matthiae schlägt vor, die Lampe mit dem Namen des Chephren sei wegen „sa beauté, de son exotisme et, probablement, de la célebrité du pharaon au nom duquel elle était incisée“ so lange aufbewahrt worden.253 Es erscheint mir zweifelhaft, ob man überhaupt davon ausgehen kann, dass Chephren „berühmt“ war. Ebenso fraglich ist es, ob der Ruhm eines einzelnen Pharaos in dieser Zeit bis nach Nordsyrien gedrungen sein sollte, wo selbst in Byblos die Könige der 4. Dynastie nur sehr schwach belegt sind (siehe oben Diagramm 2). Dass es Verbindung zwischen Ägypten und Ebla während des Alten Reiches gab, wird aufgrund der Tatsache vermutet, dass Ebla wahrscheinlich ein Knotenpunkt des Lapislazuli-Handels mit Afghanistan war und dass die Hauptexportgüter Textilien und Holz die gleichen waren wie diejenigen, welche die Ägypter aus Byblos bezogen.254 Auf Grundlage dieser Vermutungen möchten die Ausgräber gerne annehmen, dass ägyptische Boten die Gefäße als diplomatische Geschenke direkt nach Ebla gebracht haben. 255 Aus den Texten der umfangreichen Palastarchive von Ebla lassen sich die politischen und vor allem ökonomischen Beziehungen Eblas mit seinen Nachbarstaaten gut rekonstruieren. Die intensivsten Beziehungen scheint Ebla mit seinen östlichen Nachbarn gehabt zu

251 Matthiae (1995: 90); Scandone Matthiae (1995a: 234235); Scandone Matthiae (2003: 487488); Matthiae (2013: 16; 4950). Die Gefäße wurden im Zerstörungshorizont (Phase Mardikh IIB1) des inneren Hofes gefunden. Für eine Auflistung der undekorierten Gefäße siehe Sowada (2009: 141144). Sowada (2009: 145) geht von einer Gesamtzahl von mindestens 57 Gefäßen aus, wobei nicht klar ist, worauf diese Annahme beruht. Nach Angaben des Ausgräbers Matthiae (2012: 50) lassen sich aus den Fragmenten nur ca. 20 Gefäße rekonstruieren. 252 Matthiae (2013: 59). Das Gefäß mit dem Namen Pepis I. stellt den ältesten Synchronismus dar, der Ägypten, Syrien und Mesopotamien verbindet. 253 Scandone Matthiae (2003: 488). 254 Im Palazzo Reale G wurden 42 kg Lapislazuli gefunden, allerdings gibt es in den Archiven keine Dokumente, die den Handel mit Lapislazuli betreffen. Der Export von Textilien dagegen ist schriftlich dokumentiert. Siehe Scandone Matthiae (1995a: 234235); Matthiae (2008: 111123), (2010: 126). 255 Scandone Matthiae (2003: 490491); Matthiae (2008: 95). Es sei darauf hingewiesen, dass sich Scandone Matthiae in ihren anderen Publikationen zu diesem Thema wesentlich vorsichtiger äußert und zu bedenken gibt, dass die Gefäße gleichfalls auf indirektem Weg nach Ebla gelangt sein könnten.

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haben. Verschiedentlich ist der Versuch unternommen worden, in diesen Texten Hin256 Ägypten zu finden. weise auf Eine Liste sumerischer Wörter aus der Biblioteca L. 2769 in Ebla endet mit dem Toponym DUki DUki.257 Giovanni Pettinato hatte angemerkt, dass aufgrund der Wortwiederholung möglicherweise an eine Assoziation mit einem geographisch oder politisch dual gestalteten Land wie Ägypten zu denken sei.258 Sowada greift dies auf und sieht darin einen willkommenen Beleg für direkte Beziehungen zwischen Ägypten und Ebla. 259 Alfonso Archi weist jedoch darauf hin, dass Pettinato selbst wenig später mit Sicherheit DU-luki mit Byblos gleichsetzt und seinen vorsichtigen Vorschlag in Bezug auf Ägypten nie mehr wiederholt.260 Alessandro Roccati möchte annehmen, dass es sich bei dem in den eblaitischen Texten erwähnten Königreich Dugurasu um Ägypten handelt.261 Zu dieser Annahme gelangt er nicht nur dadurch, dass die Texte Lapislazuli und Silber als nach Dugurasu zu liefernde sowie Gold und Leinenstoffe als ebendort hergestellte Produkte nennen. In erster Linie leitet Roccati Dugurasu vom ägyptischen R-HAt ab, jenem Ort, der in der Autobiographie des Jnj262 als Ausgangspunkt für dessen Reise in den Libanon genannt wird. Schneider sieht hierbei erhebliche phonologische Schwierigkeiten und schlägt stattdessen vor, Dugurasu mit Kerma zu identifizieren.263 Auch Archi lehnt die phonetische Gleichsetzung von Dugurasu und R-HAt kategorisch ab und kommt nach genauer Untersuchung der Kontexte der einzelnen Erwähnungen von Dugurasu zu dem Schluss, dass dieses mit Tukriš identisch sein muss. Jener aus assyrischen und babylonischen Texten bekannte Ort befindet sich im Iran, nördlich des antiken Elam. Es muss also festgestellt werden, dass nach dem bisherigen Stand der Forschung keiner der im umfangreichen Palastarchiv von Ebla erwähnten Orte überzeugend mit Ägypten gleichgesetzt werden kann und umgekehrt Ebla auch in keiner einzigen ägyptischen Schriftquelle Erwähnung findet. Die Existenz direkter Beziehungen zwischen Ägypten und Ebla erscheint mir deshalb nach der derzeitigen Beleglage unwahrscheinlich.

256 Das Archiv des Palazzo Reale G umfasst 1721 Tontafeln und 4713 größere Fragmente aus den Regierungszeiten des Igrish-Khalam, Irkab-Damu und Ishʾar-Damu (letzterer ein Zeitgenosse Pepis I.). Zum Archiv allgemein siehe Archi (1995), zu den Beziehungen mit den Nachbarstaaten siehe Biga (1995); Fronzaroli (2003); Matthiae (2008: 95139). 257 Pettinato (1981: 135143, Text Nr. 44). 258 „La ripetizione potrebbe autorizzarci a pensare ad un paese dall doppia configurazione o geografica o politica e mi chiedo se sotto DUki DUki non si possa nascondere il nome dell’egitto che altrimenti sembra completamente assente nella documentazione epigrafica di Ebla …“. Pettinato (1981: 142143). 259 Sowada (2009: 223). Die Angabe der Belegstelle ist bei Sowada nicht korrekt (Pettinato (1991: 128). Siehe stattdessen Pettinato (1981: 142143). 260 Archi (2016). Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass Archi auch mit der Gleichsetzung von DU-luki und Byblos nicht einverstanden ist und stattdessen dafür argumentiert, dass dieser Ort in der Samsat-Ebene zu lokalisieren ist. 261 Roccati (2015). 262 Relieffragmente aus dem Grab des Jnj. Marcolin (2010). 263 Schneider (2015: 444447).

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8 „Außenpolitik“

Zwei fragmentarische, unbeschriftete Gefäße aus Anorthosit-Gneis wurden in Tall Āfis, nördlich von Ebla gefunden. Dass die Gefäße direkt aus Ägypten dorthin gekommen sind, ist angesichts des Befundes von Ebla kaum denkbar. Eine interessante – wenn auch hypothetische – Möglichkeit wäre, dass diese von aus Ebla geflüchteten Personen nach Tall Āfis gebracht wurden.264 Zu den ägyptischen Außenbeziehungen können diese Funde momentan nichts beitragen. Das Gleiche gilt für die oft erwähnte ägytische Kupferaxt, die an der Mündung des Nahr Ibrahīm im Libanon gefunden wurde: Sie datiert vermutlich in die 4. oder 5. Dynastie und enthält den eingeritzten Namen einer königlichen Holzfälltertruppe. 265 Eine kleine Zahl von Fragmenten ägyptischer Steingefäße des Alten Reiches wurde in Ugarit/Raʾs Šamra gefunden, allerdings in einem spätbronzezeitlichen Kontext, so dass nicht klar ist, wann und auf welchem Weg diese Gefäße dorthin gelangt sind. Da Ugarit in den administrativen Texten von Ebla erwähnt wird, wurde vorgeschlagen, dass die in Ebla gefundenen ägyptischen Steingefäße über Ugarit gehandelt wurden. Mangels weiterer Funde bleibt dieser Vorschlag nicht mehr als eine Hypothese.266 Die bereits oben erwähnte These, dass die beschwerliche Landroute über den Nordsinai und Kanaan zugunsten des bequemeren Seewegs nach Byblos komplett aufgegeben wurde,267 wird inzwischen bezweifelt. Wie die Untersuchung der wechselseitigen Importwaren deutlich zeigt, bestanden auch nach dem EBA II Kontakte zwischen Ägypten und den prosperierenden kanaanitischen Stadtstaaten.268 Einschränkend muss bemerkt werden, dass meines Wissens keines der in Kanaan gefundenen ägyptischen Objekte exakt datiert werden kann, häufig ist überhaupt nur „Altes Reich“ als Datierung angegeben. Es ist also fraglich, ob wirklich bis zum Ende des Alten Reiches direkte Handelskontakte angenommen werden können. Inzwischen sind ca. 50 befestigte Städte des EBA III in Kanaan bekannt,269 was zunächst nahelegt, dass die aus den ägyptischen Quellen hervorgehenden Militärkampagnen (siehe oben) nicht als „Razzien gegen Beduinen“, sondern als ernsthafte militärische Unternehmungen zu verstehen sind. Kontakt von ägyptischer Seite gab es auf jeden Fall zu den befestigten Städten Tall Yarmūṯ,270 Ai/at-Tall271 und Bāb aḏ-Ḏrāʿ.272 Die Intention der ägyptischen Militärkampagnen in der Levante ist uns nicht bekannt und es gibt auch keine Indizien, dass eine der Unternehmungen direkt mit den oben erwähnten Orten in Zusammenhang gebracht werden könnte. Ebensowenig wissen wir, gegen wen sich die Befestigungsanlagen der kanaanitischen Städte in erster Linie richteten. Zu denken ist an

264 Scandone Matthiae (1995b: 257258). Die Fragmente stammen aus den Schichten 17a und 17a1. Die darunterliegende Schicht datiert unmittelbar nach der Zerstörung von Ebla. 265 Cf. Wright (1988: 146); Sowada (2009: 128; Taf. 17). 266 Caubet (1991: 207208; 240; Taf. 13b). Siehe auch Sowada (2009: 141; 223). 267 U. a. Marfoe (1987: 27); Wright (1988); Ben-Tor (1991); Ward (1991: 14); Warburton (2001: 1617); Parcak (2004: 51). 268 Ausführlich dazu mit einem nach Fundorten sortierten Katalog der verschiedenen Objekte siehe Sowada (2009: 54127). Cf. auch Miroschedji (2002: 4547). 269 Für einen Überblick dazu siehe Miroschedji (2014: 309, Abb. 22.1; 314315). 270 Miroschedji (2002: 47); Miroschedji (2013). Für die ägyptischen Importe siehe Sowada (2009: 104110). 271 Callaway (1972), (1980). Für die ägyptischen Importe siehe Sowada (2009: 111119). 272 Rast/Schaub (2003). Für die ägyptischen Importe siehe Sowada (2009: 94100).

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8.4 Die Levante und der nördliche Sinai

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rivalisierende Nachbarstädte ebenso wie an mögliche Invasoren von außen. Eindeutig nachweisbar ist, dass die meisten der befestigten Städte Kanaans Ende des EBA III zerstört oder verlassen werden. Wenn auch die Ursachen – die sicher vielfältig sind  für diesen stratigraphischen Bruch273 nach wie vor nicht genau benannt werden können, so dürfen wir doch für die zweite Hälfte des EBA III von eher unsicheren politischen Verhältnissen ausgehen.274 Das Problem der absoluten Chronologie und der unsicheren Synchronismen zwischen Ägypten und der Levante (siehe Anhang A.5) erlaubt es momentan nicht, eindeutige Zusammenhänge zwischen den aus den ägyptischen Quellen zu vermutenden Militäraktionen und der Entwicklung in der Levante herzustellen. Nach der herkömmlichen Chronologie wird das Ende des EBA III etwa mit dem Ende der 6. Dynastie in Ägypten synchronisiert.275 Nach den neuesten 14C-Daten ist das Ende des EBA III in Kanaan jedoch bereits um 2500 v. Chr. anzusetzen,276 was nach den neueren 14C-Daten aus Ägypten etwa der Regierungszeit des Sahure entspricht.277 In diesem Fall wäre schon zur Zeit des KA-m-Hzt und des Jntj (wenn denn die Datierung in die Zeit des Djedkare stimmt) nicht mehr mit befestigten Städten in Kanaan zu rechnen und die Darstellungen von der Erstürmung einer befestigten Stadt müssten als anachronistisches Versatzstück ohne Bezug zu einem realen Ereignis betrachtet werden. Die Gegner des Wnj wären dann in den Pastoralnomaden des EBA IV zu sehen. Für Sowada ist der Fund verschiedener ägyptischer Architekturelemente in Byblos, Tall Yarmūṯ und Ai/at-Tall ein Hinweis auf „direct Egyptian influence“. 278 Bei genauerem Hinsehen erweisen sich jedoch die angeblichen ägyptischen Architekturelemente als außerordentlich fragwürdig. Die in Byblos gefundenen Stücke haben tatsächlich deutlich ägyptischen Charakter, jedoch lässt sich keines davon sicher in das Alte Reich datieren (siehe oben). In Tall Yarmūṯ soll der Gebrauch der ägyptischen Elle nachgewiesen worden sein,279 tatsächlich ist jedoch nur der Nachweis erbracht, dass – für den kanaanitischen Raum in dieser Zeit einmalig – eine einheitliche Maßeinheit von ca. 0,52 m verwendet wurde, was in etwa der ägyptischen Königselle entspricht. Diese Einheit kann ebenso gut auf ein natürliches Maß zurückgehen. Die Idee, dass diese von der ägyptischen Königselle inspiriert war,

273 Das auf den stratigraphischen Bruch folgende EBA IV wird auch als Intermediate Bronze Age oder „Dark Age“ bezeichnet und bildet den Übergang zum Middle Bronze Age. 274 Cf. Prag (2014: 388389; 396398). 275 Siehe Mumford (2014). 276 Höflmayer (2015). 277 Bronk Ramsey et al. (2010); Dee (2013). Legt man ältere chronologische Ansätze zugrunde, wäre das Ende des EBA III eher mit dem Ende (cf. Shaw (2001) oder sogar dem Beginn (cf. Hornung et al. (2006) der 4. Dynastie gleichzusetzen. (cf. die Zeittafel (Tabelle 8) im Anhang A.5). 278 Sowada (2009: 244). Es sei hinzugefügt, dass die Autorin diese Aussage einige Seiten später dahingehend abschwächt, dass aus einem kulturellen Einfluss nicht automatisch auf politische Dominanz geschlossen werden dürfe. 279 Sowada (2009: 110).

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8 „Außenpolitik“

hält der Ausgräber für rein spekulativ. 280 Im Bezug auf einige Konstruktionselemente des Tempels von Ai/at-Tall bemerkte der Ausgräber Joseph Callaway, diese seien „understood best, if attributed to Egyptian craftsmen.“281 Dies im Zusammenhang mit dem Fund von Importwaren in Ai/at-Tall sah Callaway als Hinweis, dass „Egypt did control Ai in some kind of political or economic relationship, or both.“282 Schon Amihai Mazar hatte diese Überlegungen als „vague and unconvincing“ bezeichnet, darauf weist auch Sowada selbst hin, bezieht aber trotzdem die vermeintlichen ägyptischen Architekturelemente in ihre Gesamtbetrachtung mit ein.283 Vage Hinweise auf ägyptisch inspirierte Architektur gibt es auch für Taanach/Tiʿinik und Beth Yerah/Ḫirbat al-Karak.284 Um Schlüsse hinsichtlich einer kulturellen Beeinflussung (die keineswegs automatisch mit einem politischen Einfluss einhergehen muss!) zu ziehen, wäre zunächst eine sorgfältige vergleichende Untersuchung der bronzezeitlichen Architekturen Ägyptens und der Levante notwendig. Das vereinzelte Auftauchen eines ägyptischen Elementes – nehmen wir z. B. rein hypothetisch an, in Tall Yarmūṯ wurde tatsächlich die ägyptische Königselle verwendet – könnte auch ganz einfach mit einem ägyptischen Baumeister erklärt werden, der sich, aus welchen Gründen auch immer, in der Levante angesiedelt hat.

8.5 Die Ägäis Ab dem EBA I scheint sich der Handel im östlichen Mittelmeeraum durch Fortschritte im Bootsbau, insbesondere durch die Einführung des Segelschiffs, erheblich intensiviert zu haben.285 Schon lange hat sich herausgestellt, dass die wenigen Funde, aus denen zuweilen eine Verbindung zwischen Ägypten und dem nördlichen Teil der Ägäis während der frühen Bronzezeit abgeleitet wurde, allesamt von äußerst zweifelhafter Provenienz und damit als historische Quelle nicht zu gebrauchen sind.286 Ernstzunehmende Indizien gibt es aus dieser Zeit ausschließlich für Verbindungen nach Kreta.287 Das Alte Reich entspricht in etwa der jüngeren Vorpalastzeit auf Kreta  von Interesse sind also Funde, die den Epochen Frühminoisch II AB zugeordnet werden können. Bei diesen Indizien handelt es sich ausnahmslos um (unbeschriftete) ägyptische Steingefäße, die meist nur vage datiert und nur selten exakt stratifiziert werden können. 288 Den-

280 281 282 283 284 285 286 287

Miroschedji (1993: 835836); Miroschedji (2001: 471475). Callaway (1972: 247248). Callaway (1978: 47). Mazar (1990: 149, Anm. 56); Sowada (2009: 118). Sowada (2009: 119; 122). Bevan (2003: 58). Siehe auch Marcus (2002). Siehe dazu Helck (1979a: 1517); Schulman (1979: 8790); Sowada (2009: 146147). Schriftliche Erwähnungen Kretas und anderer Orte der Ägäis finden sich in Ägypten erst im Neuen Reich, siehe dazu Helck (1979a: 2637). Die Gleichsetzung der in Texten des Alten Reiches erwähnten HA.w nb.wt mit den „Hellenen“ oder „Bewohnern der Inseln der Ägäis“ hat bereits Vercoutter (1954: 3747) zurückgewiesen. 288 Cf. Lambrou-Phillipson (1990: 150).

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8.5 Die Ägäis

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noch wurden diese Steingefäße jahrelang als Beleg für direkte Verbindungen zwischen Ägypten und Kreta seit frühester Zeit herangezogen. Arthur Evans war aufgrund einer scheinbar recht großen Anzahl ägyptischer Steingefäße in Knossos, die er mehrheitlich in die prädynastische Zeit datierte, von engen Beziehungen Kretas nach Nordafrika bereits im Neolithikum ausgegangen und hatte sogar einen erheblichen Einfluss der ägyptischen Kultur auf die Entwicklung der minoischen Plastik und Glyptik postuliert.289 Aufgrund erheblicher methodischer Mängel – so hatte Evans z. B. wahllos Vergleichsstücke aus vor- und frühdynastischer Zeit, dem Alten Reich und der Ersten Zwischenzeit zum Vergleich mit minoischen Siegeln der Epoche Frühminoisch III herangezogen – gelten diese Ansicht und damit in Verbindung stehende Theorien heute als widerlegt.290 Reisner stellte fest, dass insgesamt nur ca. elf der scheinbar so zahlreichen Steingefäße als aus Ägypten stammend anzusehen sind, während es sich bei den übrigen offenbar um lokale Imitationen ägyptischer Gefäße handelt. Ferner wies Reisner darauf hin, dass die einzelnen Gefäßtypen in Ägypten stets über einen längeren Zeitraum belegt sind und eine Datierung anhand der Form deshalb immer nur eine bestimmte Zeitspanne angeben könne. Seiner Meinung nach konnten die Gefäße, bei denen es sich fast immer um Behälter für Duftöl oder Ähnliches handelt, frühestens in der 3. Dynastie und ausschließlich als Geschenke des Königs, nicht als Handelsware nach Kreta gelangt sein. 291 Helck folgt der Reisner’schen Datierung der Steingefäße aus Knossos in die 3. Dynastie und sieht die Zugehörigkeit zur neolithischen Schicht als gesichert an. Im Gegensatz zu Reisner sieht er die Gefäße als Belege für die Ausfuhr von kosmetischem Öl aus Ägypten nach Kreta seit der 3. Dynastie an.292 In seinem Standardwerk zu den minoischen Steingefäßen identifizierte Peter Warren mehr als 30 ägyptische Exemplare, die er allein anhand der Gefäßformen von der prädynastischen Zeit bis ins Alte Reich datierte. Er postulierte, dass diese etwa zu ihrer Entstehungszeit nach Kreta gelangt und damit als Zeugnisse für Verbindungen zwischen Ägypten und Kreta in der frühen Bronzezeit anzusehen seien.293 Diese Schlussfolgerung haben Vercoutter und William Ward scharf zurückgewiesen, wurde doch keines der Gefäße in einem stratigraphisch exakt datierbaren Kontext gefunden. Ähnliche Gefäße wie auf Kreta wurden dagegen in Mykenē, Asinē und Tall al-ʿAmārna in Schichten des 15. Jahrhunderts v. Chr. gefunden, was die Datierung höchst zweifelhaft macht. 294 Letztlich stellte Sowada fest, dass nur ein einziges ägyptisches Steingefäß auf Kreta sicher einem Frühminoisch II-Kontext zugeordnet werden kann. Es handelt sich um ein Obsidianfragment, das in einem häuslichen Kontext an der Royal Road in Knossos gefunden wurde. Nach Meinung Sowadas ist das Gefäß wahrscheinlich auf indirektem Weg

289 290 291 292 293 294

Evans (1921: 6570; 8093), (1928: 2259). Ebenso Schachermeyer (1967: 21). Cf. Ward (1971: 8492); Helck (1979a: 1920). Reisner (1931). Helck (1979a: 1315). Warren (1969: 106112). Vercoutter (1956: 407408); Ward (1963: 28).

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8 „Außenpolitik“

über Zypern oder die Levanteküste nach Kreta gelangt. 295 Andrew Bevan dagegen bezweifelt, dass das Objekt eindeutig als ägyptisch identifiziert werden kann. 296 Als Indiz für direkte Beziehungen zwischen Ägypten und Kreta ab ca. 2200 v. Chr. hatte Vercoutter die Erwähnung von Öl aus Kreta in den Klagen des Ipuwer, die Ähnlichkeit zwischen den Spätminoisch IIIII-Siegeln auf Kreta und den Knopfsiegeln der Ersten Zwischenzeit in Ägypten sowie die Imitationen ägyptischer Steingefäße aus Mochlos angeführt. Ihr Fund auf Kreta könne nur durch direkten und zeitgenössischen ägyptischen Einfluss erklärt werden. 297 Sowada weist diese Argumentation überzeugend zurück: In den Texten des Alten Reiches – und dazu zählen die Klagen des Ipuwer nicht – wird Kreta nicht ein Mal erwähnt, zudem kann kein einziges ägyptisches Steingefäß sicher einer Fundschicht der Epoche Frühminoisch II oder III zugeordnet werden.298 Indizien gibt es also lediglich für einen geringfügigen Warenaustausch, der auf indirekten Wegen stattfand, direkte Beziehungen zwischen Ägypten und Kreta zur Zeit des Alten Reiches können aus den uns derzeit bekannten Befunden nicht abgeleitet werden.

8.6 Die Westwüste 8.6.1 Die Situation in der Westwüste zu Beginn des Alten Reiches Zahlreiche Felsbilder und -inschriften sowie die Funde ägyptischer Keramik in der Westwüste sind Zeugnis davon, dass Ägypter sich seit prädynastischer Zeit dort bewegten und es zu Interaktionen mit den lokalen Kulturen kam. 299 Über Letzere ist nur relativ wenig bekannt, gibt es doch so gut wie keine archäologischen Belege saharanischer Kulturen aus der Zeit nach 5000 v. Chr.300 Eine Ausnahme bilden die Clayton-Ringe, ein Keramiktyp, der in seiner Funktion und Herkunft nach wie vor nicht geklärt ist. Die weiträumige Verteilung der Clayton-Ringe auch in entfernten Regionen der Westwüste zeigt, dass diese Gebiete regelmäßig von Menschen durchzogen oder sogar bewohnt wurden. 301 Im Gebiet der Oase ad-Dāḫla ist von ca. 3000 v. Chr. bis zum Ende der 6. Dynastie die indigene Šaiḫ MuftāḥKultur belegt.302 Von ägyptischer Seite gibt es Indizien für bewaffnete Auseinandersetzungen mit „Libyern“ schon während der prädynastischen Zeit: In den Feinderschlagungsszenen prädynastischer Prunkpaletten zeigen die zu erschlagenden Feinde die gleichen ikonographischen Merkmale, wie sie später für Libyer üblich sind. Die Libyer-Palette vom Ende der

295 Sowada (2009: 149, Nr. [189]; 224; 243). 296 Bevan (2003: 58). 297 Vercoutter (1956: 407408). Die Steingefäße aus Mochlos sollen dem unter Pepi II. hergestellten Typ entsprechen. Cf. Evans (1921: 9193, Abb. 6061). 298 Sowada (2009: 224225). Zur Imitation ägyptischer Steingefäße auf Kreta siehe auch Bevan (2003). 299 Darnell (2007: 3234). 300 Riemer (2004: 985). 301 Kröpelin/Kuper (2006/2007: 220). Zur Verteilung der Clayton-Ringe siehe Riemer/Kuper (2000); Riemer (2004). 302 McDonald (1999); Kaper/Willems (2002: 80).

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8.6 Die Westwüste

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prädynastischen Zeit nennt konkret den Begriff §Hnw „Libyen“ unter der Abbildung von Beutegut.303 8.6.2 Die Quellen und ihre Auswertung Aus Ägypten selbst sind nur wenige schriftliche und bildliche Spuren vorhanden, die auf Kontakte zu den Bewohnern der Westwüste hindeuten. Der Annalenstein bezeichnet ein nicht näher einzugrenzendes Jahr, das vermutlich der Regierungszeit des Snofru zuzuordnen ist als: „Jahr (…), des Einbringens von 1100 Gefangenen und 13 100 Stück Kleinvieh aus dem Libyerland, (…)“. (Siehe Anhang A.1.1) Ein Relief in der Südwestecke des Säulenhofes des Totentempels des Sahure in Abu Ṣīr zeigte ursprünglich (erhalten sind von diesem Teil des Bildes nur wenige Fragmente) den König im Gestus des Erschlagens der Feinde und vor ihm knieend einen Fürsten der Libyer. Rechts davon sind gefangene Männer, Frauen und Kinder dreier libyscher Gebiete zu sehen. In den vier Registern darunter wird die Beute gezeigt, bestehend aus 123 440 (+x) Rindern, 223 400 Eseln, 232 413 Ziegen und 243 688 Schafen. Im unteren Teil des Bildes sind mit libyscher Tracht und angewinkelt erhobenem rechten Arm die Frau des libyschen Fürsten, #wj.t-jt=s, sowie seine beiden Söhne WsA und Wnj dargestellt.304 Relieffragmente aus dem Totentempel Pepis II. in Saqqāra erlauben es, für die Ostwand der Eingangshalle eine Szene zu rekonstruieren, die zumindest in Teilen mit der bei Sahure identisch zu sein scheint. Besonders auffällig ist dabei, dass die Eigennamen der gefangenen Familie des libyschen Fürsten wiederholt werden. 305 Was den Palermostein betrifft, so wurde gezeigt, dass die Eintragungen mit aller Vorsicht als durchaus historisch betrachtet werden dürfen (siehe Kapitel 3.2.1). Inwieweit den Zahlenangaben zu trauen ist, bleibt unklar. Bei den Reliefs des Sahure und Pepis II. lässt sich die Frage nach der Historizität nur schwer beantworten (siehe Kapitel 3.7.2). Ginge man – rein hypothetisch – davon aus, die Szene sei zumindest bei Sahure, wo sie unserer bisherigen Kenntnis nach zum ersten Mal auftaucht, historisch, bliebe immer noch die Frage, ob hier die gewaltsame Unterwerfung eines Volkes durch den ägyptischen König dargestellt ist, oder ob sich die libyschen Stämme freiwillig unter den Schutz des ägyptischen Königs begaben.306 Offensichtlich handelt es sich um Darstellungen jener §Hnw-Libyer, von denen auch der Palermostein berichtet. Diese werden im Alten Reich mit der gleichen Haar- und Hautfarbe wie die Ägypter dargestellt. Ihr Verbreitungsgebiet ist im nördlichen Teil der libyschen Wüste zu vermuten, kann jedoch nicht exakt eingegrenzt werden. Ethnisch von ihnen zu unterscheiden sind die §mHw-Libyer, die mit rötlichen Haaren und heller Hautfarbe dargestellt werden. Ihr Verbreitungsgebiet muss weiter südlich, in westlicher Nachbarschaft zu Nubien lokalisiert werden. 307

303 304 305 306

T. Wilkinson (1999: 162). Borchardt (1913: 1015; Taf. 1). Jéquier (1938: 1314; Taf. 811). Für letzteres plädiert Fecht (1956). Dieser Lesart schließen sich Gundlach (1994: 9596) und Schneider (1998: 1819) an. 307 Osing (1980: 1016); Stockfisch (2003: 222223). Borchardt (1913: 12) lokalisiert genau umgekehrt

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8 „Außenpolitik“

Von den §mHw-Libyern berichtet Ḥrw-xw=f in seiner autobiographischen Inschrift: 308 Nachdem der Herrscher von JAm einen Kriegszug gegen jene Libyer gestartet hatte, zog Ḥrw-xw=f diesem vom thinitischen Gau aus auf dem „Oasenweg“309 hinterher. Die Aussage des Ḥrw-xw=f „Ich stellte ihn (= den Herrscher von JAm) zufrieden, so dass er alle Götter für den König pries“ deutet Gundlach dahingehend, dass Ḥrw-xw=f den Herrscher von JAm zum Abbruch des Feldzuges bewegte, und sieht dies als Bestätigung dafür, dass die Libyer in einem Vasallenverhältnis zu den Ägyptern standen. 310 Ob der Text für diese Interpretation ausreicht, erscheint mir zweifelhaft, gibt es doch für die Zeit des Alten Reiches keinerlei gesicherte materielle Hinterlassenschaftn der §mHw- oder §Hnw-Libyer, so dass die inschriftlichen und bildlichen Quellen nicht durch archäologische Befunde ergänzt oder gar bestätigt werden könnten. Die intensivsten Beziehungen zwischen dem Niltal und der Westwüste sind in der Oase adDāḫla zu beobachten. Die indigene Šaiḫ Muftāḥ-Kultur ist dort von der Prädynastischen Zeit bis ans Ende der 6. Dynastie zu belegen. Die Träger dieser Kultur scheinen Pastoralnomaden gewesen zu sein und lose Handelskontakte in das Niltal gehabt zu haben, wie u. a. der Befund von al-Ḫarāfīš (Site 02/5) auf dem Hochplateau nördlich von ad-Dāḫla zeigt.311 Für eine etwa hundert Jahre andauernde ständige Präsenz der Ägypter in ad-Dāḫla gibt es solide Belege. Vermutlich gegen Ende der 5. Dynastie wird die Siedlung Balāṭ/ʿAin Aṣīl gegründet, die in mehreren Bauphasen vergrößert und befestigt wird. Der wohl am Anfang der 6. Dynastie errichtete Gouverneurspalast wird, ebenso wie Teile der Nordstadt, frühestens gegen Ende der Regierungszeit Pepis II., wahrscheinlich aber erst in der 8. Dynastie durch Brandstiftung zerstört. 312 Architektur und Ausstattung der dazugehörigen Nekropole Qilāʿ aḍ-Ḍabba, die anhand des epigraphischen Materials zwischen Pepi I. und Pepi II. datiert werden kann, zeigen einen deutlich memphitischen Einfluss: Viele der gefundenen Objekte sind offensichtlich Importwaren, die in den Werkstätten der Residenz hergestellt wurden.313 Die Autorität der ägyptischen Gouverneure, die über fünf Generationen in ʿAin Aṣīl residierten, erstreckte sich weit über die Oase hinaus in die umliegende Wüste. Trotz der engen Verbindung mit der Zentralregierung geht aus den verfügbaren Quellen nicht hervor, dass ad-Dāḫla als eine Provinz des Niltals anzusehen wäre. 314 Das Dakhleh Oasis Project konnte bisher mindestens 51 Fundplätze mit Material des Alten Reiches in der Oase lokalisieren.315 Darunter befindet sich die anhand der Keramik in die 5. bis 6. Dynastie zu datierende Siedlung ʿAin al-Ǧazzārīn, deren massive Befesti-

die §Hnw im Süden und die §mHw im Norden. Grab Qubbat al-Hawā 34n. Urk I, 120131; Edel (2008: 620636). Vermutlich über ad-Dāḫla und al-Ḫārǧa, cf. Kröpelin/Kuper (2006/2007: 219). Gundlach (1994: 104). Riemer et al. (2008). Zu den Bauphasen siehe Soukiassian et al. (1990: 348; 355358) und Kaper/Willems (2002: 7980). Zur jüngsten Datierung des Zerstörungshorizontes in die 8. Dynastie siehe Förster (2015: 476). 313 Valloggia (1994: 361370). 314 Pantalacci (1997: 354); Soukiassian (1997: 17). 315 Mills (1999), (2002: 7477).

308 309 310 311 312

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8.6 Die Westwüste

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gungsmauern darauf hindeuten, dass die Verwaltung in ʿAin Aṣīl an Planung und Platzierung der Siedlung beteiligt war.316 Auf mehreren Hügeln, die sich an den Zugangspunkten zur Oase befinden, waren offensichtlich ägyptische Soldaten als Ausguckposten stationiert, die Felszeichnungen und Zählkerben hinterließen. Diese Soldaten scheinen von der Zentralregierung in Memphis ausgeschickt worden zu sein, handelt es sich bei der gefunden Keramik doch um solche aus Nilton, während die Ware aus ʿAin Aṣīl aus lokalem Material besteht. Wen genau die Besatzung der Hügel beobachtete – denkbar sind mögliche Eindringlinge ebenso wie Karawanen, die die Oase betreten oder verlassen –, ist unklar. Das Material auf den Hügeln kann nur vage datiert werden, könnte aber zum Teil vor der frühesten bisher bekannten Besiedlungsphase von ʿAin Aṣīl anzusetzen sein.317 Ägyptische Siedler und die Träger der Šaiḫ Muftāḥ-Kultur existierten offenbar zeitgleich nebeneinander. Über eine Interaktion zwischen beiden Gruppen ist wenig bekannt. 318 Hinweise darauf, dass die Ankunft der Ägypter zu Konflikten geführt hätte, gibt es bisher nicht.319 In der 6. Dynastie bestand offensichtlich die Notwendigkeit, die ägyptischen Siedlungen ʿAin Aṣīl und ʿAin al-Ǧazzārīn durch Befestigungsanlagen zu schützen. Unklar bleibt, von wem sich die Ägypter hier in ihrer Sicherheit bedroht sahen. 320 Als Grund für die ägyptische Präsenz in ad-Dāḫla wird meist die wichtige Position der Oase als Knotenpunkt verschiedener Wüstenrouten gesehen.321 In der Tat ist für das Alte Reich ein weitreichendes Netz von Verkehrswegen bekannt: Bei einem Survey zwischen dem Nil und der Oase al-Ḫārǧa konnten zahlreiche Rastplätze des Alten Reiches lokalisiert werden. Der in späterer Zeit stark frequentierte Darb aṭ-Ṭawīl (von Asyūṭ bis Balāṭ) wurde bereits im Alten Reich genutzt, nicht zu belegen ist dagegen die pharaonische Nutzung des Darb al-Arbaʿīn (von Asyūṭ bis in das südliche Dār Fūr). 322 Der Abū Ballāṣ-Weg, der von ʿAin Aṣīl über al-Ǧilf al-Kabīr bis in die Gegend des Ǧabal ʿUwaināt führte, ist mit seinem logistisch enorm aufwendigen System von Wegmarken und Versorgungsdepots nach neueren Forschungen erst zwischen der 8. und frühen 9./10. Dynastie angelegt worden323 und

316 Mills (2002: 76). 317 Kaper/Willems (2002: 8990). 318 Die Beziehung zwischen ʿAin Aṣīl und der am nördlichen Rand der Siedlung ansässigen Šaiḫ Muftāḥ-Gruppe wird seit 2013 vom Institut Français d’Archéologie Orientale untersucht. 319 Mills (2002: 74). 320 Die Vermutung Vogels (2010: 7), der Reichtum der Stadt ʿAin Aṣīl sei für „marodierende Gruppen aus der libyschen Wüste“ interessant gewesen, erscheint mir in diesem Zusammenhang allzu vage. 321 Pantalacci (1997: 354); Riemer et al. (2005: 292). 322 Darnell (2007: 3435); Förster (2015: 327). 323 Dies legen sowohl 14C-Daten als auch die Keramik der Lagerplätze nahe, die typologisch in die première phase post-incendie von ʿAin Aṣīl einzuordnen ist. Cf. Soukiassian/Wuttmann/Pantalacci (2002: 522523) und Förster (2015: 463). Damit kann auch eine ca. 30 km südlich von ad-Dāḫla auf der Abū Ballāṣ Route befindliche Felsinschrift (Fundplatz 95/5) nicht als Zeugnis für den Kontakt zwischen Ägyptern und Bewohnern der Westwüste dienen: Der m-rʾ pr Mrj berichtet hier, er sei auf dem Weg, um die Oasenbewohner zu treffen. Anhand paläographischer Kriterien hielt Burkard (1997: 153) eine Datierung in die 6. Dynastie zumindest für möglich. Angesichts der generell späteren Datierung des Abū Ballāṣ-

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8 „Außenpolitik“

damit per se für das Alte Reich nicht relevant. Es handelt sich offensichtlich um einen reinen Durchgangsweg, nichts deutet auf ein ökonomisches oder strategisches Interesse der Ägypter an den durchquerten Wüstenregionen hin. Im Gegensatz zu den Expeditionen nach Nubien hinterließen jene, die den Abū-Ballāṣ-Weg nutzten, keine Felsinschriften.324 Nach einer These Frank Försters könnte der Abū Ballāṣ-Weg als alternative Route nach JAm angelegt worden sein, nachdem die südlich von al-Ḫarǧā liegenden Wasserstellen von unternubischen Stämmen kontrolliert wurden.325 Sollte die These richtig sein – was sich aber derzeit nicht nachweisen lässt –, wäre die Anlage des Abū-Ballāṣ-Weges ein Indiz dafür, dass der Bericht des Ḥrw-xw=f eher im Sinne von zunehmenden Schwierigkeiten der Ägypter bei der Nutzung der Handelswege durch Unternubien zu lesen wäre. Momentan wäre eine solche Argumentation noch ein Zirkelschluss, da gerade diese Auslegung der Autobiographie des Ḥrw-xw=f die Prämisse für Försters These bildete.326 Felsinschriften beim Fundplatz Chufu 01/1 („Wasserberg des Djedefre“) westlich der Oase ad-Dāḫla zeigen, dass dort Expeditionen zum Holen von „mfA.t-Pulver“ lagerten.327 Ein sorgfältig angebrachtes Graffito, das einen namentlich nicht näher bezeichneten König im Gestus des Erschlagens der Feinde zeigt, ist ein Indiz für den offiziellen Charakter der Unternehmungen.328 Durch die inschriftlichen Erwähnungen der Könige Cheops und Djedefre können derartige Expeditionen bisher ausschließlich für die 4. Dynastie belegt werden. Untersuchungen des ACACIA-Teams der Universität Köln haben gezeigt, dass die Gegend während der 4. Dynastie durch gelegentliche heftige Regenfälle in einen zeitweiligen ökologischen Gunstraum verwandelt wurde, in dem mindestens Grasbewuchs anzunehmen ist.329 Ob die klimatischen Bedingungen oder der nur temporär aufgetretene Bedarf an „mfA.t“ der Grund dafür sind, dass die Gegend lediglich für sehr kurze Zeit von ägyptischen Expeditionen angesteuert wurde, ist ebenso ungeklärt wie die Frage, worum es sich bei dem Rohstoff „mfA.t“ überhaupt handelt. Gemutmaßt wird, dass „mfA.t“ ein mineralisches Farbpigment330 oder aber eine seltene pflanzliche Substanz sein könnte.331

8.7 Punt 8.7.1 Zur Lage von Punt Das Land Punt ist uns ausschließlich aus altägyptischen Schriftquellen bekannt, die in ihren Angaben zur geographischen Lage nicht nur vage, sondern teilweise auch sehr wider-

324 325 326 327 328 329 330 331

Weges und einer Neulesung und Übersetzung der Inschrift durch Förster (2015: 269276) scheint jedoch eine Datierung in die 12. Dynastie unumgänglich. Förster (2015: 335338). Förster (2015: 479487) Förster (2015: 479). Kuhlmann (2005: 245251). Kuhlmann (2005: 285, Abb. 49). Siehe auch Kapitel 3.7.1. Siehe Kuhlmann (2005). Kuhlmann (2005: 164). Kuper (2014/2015: 285).

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8.7 Punt

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sprüchlich sind. Die umfangreiche Diskussion zur Lokalisierung von Punt kann an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden.332 Als communis opinio in der Ägyptologie gilt, dass sich Punt entweder am Roten Meer im Bereich des südöstlichen Sudans und/oder nörd lichen Eritreas oder aber im südlichen Teil der arabischen Halbinsel befindet. Endgültigentschieden werden kann die Frage bisher nicht. 8.7.2 Die Quellen und ihre Auswertung Für direkte Beziehungen Ägyptens nach Punt gibt es nur wenige Belege: 1. Der Text auf einem Relieffragment aus dem Taltempel der Knickpyramide des Snforu in Dahšur erwähnt „frische antjw-Bäume“.333 Dies wird von Elmar Edel und Espinel als indirektes Zeugnis dafür gewertet, dass unter Snofru eine Expedition nach Punt ausge schickt wurde, die antjw-Bäume mitbrachte.334 Mit Blick auf die ungeklärte Historizitätder Reliefs in königlichen Totentempeln muss diese Aussage revidiert werden. Das Re lief zeigt lediglich, dass es spätestens seit dem Beginn der 4. Dynastie direkte Handelsbeziehungen nach Punt gab. Ob Snofru selbst eine Expedition ausgeschickt hat, könnenwir nicht sicher belegen, könnte doch die Darstellung auch eine obligatorische im Sinne einer „königlichen Idealbiographie“ sein. (cf. Kapitel 3.7.2). 2. Ein Eintrag auf dem Palermostein erwähnt Produkte, die aus Punt mitgebracht wurden. und ist damit Indiz für eine Fahrt nach Punt im letzten Regierungsjahr des Sahure (siehe Anhang A.1.1).335 Ernsthafte Gründe, die Historizität dieses Eintrags zu bezweifeln, gibt es meines Erachtens nicht. 3. Relieffragmente vom Aufweg des Sahure in Abū Ṣīr zeigen die Ankunft einer Expedi tion aus Punt, den König, wie er die Ankunft von antjw feiert und die Belohnung derExpeditionsmitglieder.336 Der zuvor genannte Eintrag auf dem Annalenstein scheint die Historizität der Szenen zu bestätigen. Es ist jedoch völlig unklar, ob die beiden korre liert werden dürfen. Es wäre durchaus denkbar, dass der Eintrag auf dem Annalensteinauf ein reales Ereignis zurückgeht, während es sich bei der Darstellung in der Toten kultanlage um eine ideale und damit fiktive Szene handelt. 4. Eine Fahrt nach Punt zur Zeit des Djedkare wird in der Autobiographie des Ḥrw-xw=f erwähnt.337 Der Expeditionsleiter Wr-DD-bAw soll dabei einen „Zwerg“ mitgebracht haben. 5. Aus der Autobiographie des $nmw-Htp338 geht hervor, dass dieser zusammen mit *Tj und #wj im Auftrag Pepis II. nach Punt reiste.

332 333 334 335 336 337

Siehe dazu mit weiterführender Literatur Kitchen (1993); Meeks (2003); Espinel (2011: 59117). Edel (1996: 200203; Abb. 1); Espinel (2011: 182). So die Interpretation von Edel (1996: 206) und Espinel (2011: 182). Espinel (2011: 187, Abb. 2.17). El-Awady (2009: 155186; Taf. 57). Grab Qubbat al-Hawā 34 n. Urk I, 120131; Edel (2008: 620636). Speziell zur Fahrt nach Punt siehe auch Espinel (2011:189190). 338 Grab Qubbat al-Hawā 34e (Grab des #w(w)j). Edel (2008: 465478).

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8 „Außenpolitik“

6. Eine weitere Fahrt nach Punt scheint unter Pepi II. geplant gewesen zu sein; Ppj-nxt berichtet in seiner Autobiographie,339 dass ein gewisser an-anx.tj beauftragt war, „ein Byblosschiff für Punt zusammenzubinden“. 340 Ob es letztlich zur Durchführung der Expedition kam, geht aus der Inschrift nicht hervor. Wenn wir mit aller Vorsicht davon ausgehen, dass den Berichten im ereignisbiographischen Teil der Autobiographien reale Ereignisse zugrunde liegen (siehe Kapitel 3.3.3), haben wir relativ sichere Anhaltspunkte für ingesamt drei Fahrten nach Punt davon jeweils eine unter den Königen Sahure, Djedkare und Pepi II. Ferner werden auf diversen Denkmälern des Alten Reiches aus Punt stammende kostbare Substanzen erwähnt, insbesondere antjw, das üblicherweise mit „Myrrhe“ übersetzt wird.341 Aus den Textbelegen wird die Kostbarkeit und Besonderheit der Punt-Produkte deutlich; dennoch hat es den Anschein, als hätten diese Produkte standardmäßig zur Verfügung gestanden, wenn auch vermutlich nur in kleiner Menge. 342 Die wenigen direkten Belege für Expeditionen nach Punt sind also sicher nicht repräsentativ. Häufigere Fahrten dürfen vermutet werden, über die tatsächliche Frequenz ist jedoch keine zuverlässige Aussage möglich. Ausgangspunkt für die Fahrten nach Punt war für die frühe 4. Dynastie vermutlich der Hafen von Wādī al-Ǧarf,343 seit Chephren jener von al-ʿAin as-Suḫna.344

8.8 Sonstiges Auf dem Annalenstein wird für das Jahr nach der ersten Zählung des Userkaf vermerkt, dass 70 ausländische Gefangene (?) für den Pyramidenkomplex des Userkaf gebracht wurden. (siehe Anhang A.1.1). Abgesehen von der unsicheren Lesung, für die mehrere Varianten angeboten werden,345 kann diese Notiz nicht mit einem konkreten Ereignis verknüpft werden. Der genaue Zweck des Einsatzes der Gefangenen ist ebenso unklar wie das Herkunftsland. Nicht zu entscheiden ist auch, ob es sich um einen besonderen Vorgang handelt, der aufgrund seiner Singularität auf dem Annalenstein verzeichnet wurde, oder ob wir aus der Eintragung folgern dürfen, dass der Einsatz ausländischer Gefangener grundsätzlich üblich war.

339 Grab Qubbat al-Hawā 35. Urk. I, 132135; Edel (2008: 682692). 340 Der Ort, an dem dies stattfindet, wird nicht namentlich erwähnt. Nach Tallet (2015: 64) muss es sich um den Hafen von al-ʿAin as-Suḫna handeln. Mumford (2006: 57) schlägt Marsā Ǧawāsīs vor. Dies scheint mir unwahrscheinlich, kann doch der Betrieb des Hafens erst ab dem Mittleren Reich sicher belegt werden. Cf. Bard/Fattovich (2007). 341 Ein kritischer Kommentar zu dieser Übersetzung ist bei Edel (1996: 202) zu finden. 342 Ausführlich zu Produkten aus Punt mit den jeweiligen Belegen siehe Espinel (2011: 182200). 343 Tallet (2014: 153); Tallet/Marouard (2014: 13). 344 Tallet (2015: 5455). 345 Cf. T. Wilkinson (2000: 218); Strudwick (2005: 69).

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9 Ende der 6. Dynastie = Untergang des Alten Reiches? 9.1 Das Ende des 3. Jahrtausends vor Christus: Ägypten im historischen Kontext Während des 3. Jahrtausends v. Chr. waren Nordeuropa, der Mittelmeerraum und Mesopotamien geprägt von großen Kulturräumen, die aufgrund außergewöhnlich weitreichender Kommunikations- und Tauschnetzwerke bestimmte gemeinsame Güter, Technologien und Symbolwerte teilten. In all diesen Kulturräumen sind gegen Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. erhebliche Veränderungen festzustellen: Im nördlichen Mesopotamien zerfällt das Akkadische Reich, in der Levante geht das Ende des EBA III mit dem Ende der großen urbanen Zentren einher. Das folgende EBA IV, als Übergangsphase zum Middle Bronze Age auch Intermediate Bronze Age genannt, ist durch agro-pastorale Gesellschaften geprägt. In Mittel- und Westeuropa enden diverse spätneolithische/kupferzeitliche Kulturen, während gleichzeitig außergewöhnliche frühbronzezeitliche Gesellschaften wie die Aunjetitzer Kultur und die El-Argar-Kultur entstehen. Aus bisher nicht geklärten Gründen zerfallen in dieser Umbruchphase die oben erwähnten überregionalen Netzwerke, so dass sich um 2000 v. Chr. das Bild zahlreicher, stark voneinander abgegrenzter Kulturen abzeichnet.1 Eine Synchronisation der Ereignisse in der Levante mit der – keineswegs gesicherten – Chronologie des ägyptischen Alten Reiches ist nicht unproblematisch (siehe die Tabellen 7 und 8 im Anhang A.4 und A.5). Nach neueren 14C-Daten verschwinden die urbanen Zentren der mittleren und südlichen Levante, die das Ende des EBA III markieren, bereits um 2500 v. Chr., also etwa zu Beginn der 5. Dynastie in Ägypten.2 Das Ende des Akkadischen Reiches kann nach den Radiokarbondaten aus Tall Lailān auf die Zeit zwischen 2233 und 2196 v. Chr. (68 % Wahrscheinlichkeit) eingegrenzt werden (entspricht der Phase Lailān IIc).3 Dies entspricht nach der auf Radiocarbondaten basierenden ägyptischen Chronologie dem Ende der 6. Dynastie, das hier mit dem Ende des Alten Reiches gleichgesetzt wird.4 Es erscheint mir beachtenswert, dass die Entwicklung in Ägypten damit offenbar einem „weltgeschichtlichen Trend“ folgt und kein isoliertes Ereignis darstellt. Bei der Suche nach den Ursachen für das Ende des Alten Reiches sollte deshalb auch der größere historische Kontext im Auge behalten werden. Dass Geschichte nicht linear verläuft, kann als ein allgemein anerkannter Grundsatz betrachtet werden. Welche Mechanismen dagegen historischen Wandel hervorrufen und welche Bedeutung einzelne Faktoren und Wechselwirkungen für diesen Wandel haben, ist

1 Cf. die Beiträge in Meller et al. (2015). 2 Höflmayer (2015). 3 Höflmayer (2015). Bárta (2015b: 183184) dagegen setzt den Beginn des EBA IV in der Levante um 2350 v. Chr. an und synchronisiert ihn mit der Regierung des Djedkare in Ägypten. 4 Siehe Bronk Ramsey et al. (2010); Weiss et al. (2012); Dee (2013); Sharon (2014).

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9 Ende der 6. Dynastie = Untergang des Alten Reiches?

ungewiss. Verschiedene Erklärungsmodelle gibt es auch für die Art des Ablaufs von historischem Wandel. Dieser kann begriffen werden als: – kontinuierlicher Prozess der Anpassung an bestimmte Umweltbedingungen; die Antriebskräfte für den Wandel wären hier interne Faktoren5 – „Revolution“ als positives Verständnis einer nicht-linearen Entwicklung6 – „Zusammenbruch“ als negatives Verständnis einer nicht-linearen Entwicklung7 – „Ereignis“ als Endpunkt bestimmter natürlicher oder sozialer Beziehungen 8 Wie sich im Folgenden zeigen wird, beeinflussen diese Modelle auch die historische Bewertung des Endes des Alten Reiches in Ägypten bis heute.

9.2 Untergang oder allmählicher Übergang? In Kapitel 2.3 wurde ausgeführt, warum es sinnvoll ist, die – nachträglich aus Historikersicht festgelegte – Epoche des Alten Reiches mit der 6. Dynastie enden zu lassen. Über das Ende des Alten Reiches und sein Verhältnis zur Ersten Zwischenzeit gibt es neben den obligatorischen Einlassungen in den Überblickswerken zur ägyptischen Geschichte eine Fülle von Aufsätzen, in denen mitunter recht gegensätzliche Meinungen vertreten werden. Um es vorweg zu nehmen: auch hier wird es keine Beantwortung der offenen Fragen oder Verifizierung einer bestimmten Theorie geben, dazu reicht die Quellenlage nicht aus. Dennoch lohnt es sich, gewissermaßen aus der Vogelperspektive auf die bereits vorhandenen Thesen zu blicken und das Für und Wider zu erörtern. Dass das Alte Reich und die Erste Zwischenzeit als zwei geschichtliche Epochen zu unterscheiden sind, gilt als unbestritten. Grundsätzlich muss der Beginn einer neuen Epoche aber nicht den „Untergang“ der vorherigen bedingen. So gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob das Alte Reich abrupt „zusammenbricht“ und von einem „dunklen Zeitalter“ abgelöst wird, wie etwa auf die Mykenische Zeit in Griechenland die auch als „dark age“ bezeichnete Geometrische Zeit folgt, oder ob sich kulturelle und politische Verhältnisse allmählich zu etwas Neuem wandeln, wie das z. B. für den Übergang vom Hochzum Spätmittelalter angenommen wird. Der 1929 von Baikie für Meyers „Uebergangsepoche“ eingeführte Begriff „The First Intermediate Dark Period“ impliziert bereits, dass es sich bei der denkmälerarmen Zeit zwischen dem Alten und dem Mittleren Reich um eine Epoche des „Verfalls“ handelt.9

5 Dies entspricht der Sichtweise der New Archaeology oder Prozessualen Archäologie. Cf. Bernbeck (1997: 3548). 6 Dieses Konzept geht vor allem auf Karl Marx, Friedrich Engels und Gordon Childe zurück. Cf. Risch et al. (2015: 1112). 7 Cf. Risch et al. (2015: 12). 8 Cf. Risch et al. (2015: 1214). Ein Beispiel für ein solches Ereignis wäre das vor allem von H. Weiss postulierte „4.2 ka BP event“, das seiner Meinung nach einen globalen Klimasturz darstellt. Siehe dazu auch Kapitel 9.3.2. 9 Baikie (1929). Meyer (1884: 37) setzte seine „Uebergangsepoche“ von der 6. bis zur 10. Dynastie an, während des Alte Reich bei ihm nur die 4. und 5. Dynastie umfasste.

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9.2 Untergang oder allmählicher Übergang?

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Ausgehend von den vermeintlich zeitgenössischen Beschreibungen der Verhältnisse in der Auseinandersetzungsliteratur wurde die Erste Zwischenzeit in der nachfolgenden ägyptologischen Literatur als eine Zeit der politischen Anarchie bis hin zur sozialen Revolution, der katastrophalen wirtschaftlichen Lage und des kulturellen Niedergangs charakterisiert. 10 Solche Schilderungen inklusive dramatischer Kapitelüberschriften finden sich bis in jüngste Zeit in einigen allgemein gehaltenen Werken zur ägyptischen Geschichte, wenn auch die Auseinandersetzungsliteratur – die, wie in Kapitel 3.3.4 gezeigt, keine direkte historische Quelle sein kann – in diesem Zusammenhang meist nicht mehr erwähnt wird.11 Differenzierte Betrachtungen der wenigen uns zur Verfügung stehenden Quellen der Zeit nach der 6. Dynastie zeigen jedoch, dass die Vorstellung von Anarchie und Hungersnöten nicht aufrecht zu erhalten ist.12 Da für das Ende des Alten Reiches wie so oft allenfalls indirekte Quellen und vereinzelte Spuren vorhanden sind, kann man zu sehr unterschiedlichen historischen Bewertungen kommen, je nachdem welche Spuren man schwerpunktmäßig betrachtet (oder ignoriert) und mit welcher Prämisse man sie interpretiert. Dies wird besonders bei einer Gegenüberstellung der Ansätze von Karl Jansen-Winkeln13 und Juan Carlos Moreno-García14 deutlich. Während Ersterer die Indizien für eine deutliche politische Zäsur zwischen dem Alten Reich und der Ersten Zwischenzeit herausstellt, versucht Moreno-García das Bild eines gleitenden Übergangs von einer Epoche zur anderen zu zeichnen, in der lediglich andere kulturelle Werte die vorherigen ersetzten. Einige der verwendeten Argumente sollen im Folgenden exemplarisch verglichen werden: Jansen-Winkeln (2010)

Moreno-García (2015)

Zäsuren nach der 6. bzw. 8. Dynastie bei Manetho und im pTurin 1874, Auslassung der Könige zwischen 6./8. und 12. Dynastie in der Saqqāra- und Abydos-Liste – sieht klares Zeichen dafür, dass auch aus Sicht der Ägypter selbst ein Abschnitt der Geschichte endet

– ignoriert diese Quelle

10 U. a. Vercoutter (1946: 6163); Scharff/Moortgat (1950: 61); Spiegel (1950); Wilson (1951: 104124), das Kapitel über die Erste Zwischenzeit trägt den programmatischen Titel „The first illness“; Hayes (1953: 135148); Otto (1953: 93111); Helck (1968: 7879); Gardiner (1965: 118121); Drioton (1969: 90101); Beckerath (1971: 21); Wolf (1971: 6769); Hornung (1978: 3941); Grimal (1988: 182186). 11 Schlögl (2003: 4345) Kapitelüberschrift: „Der Zusammenbruch des Staates: Sturz aus der Geborgenheit“; Höveler-Müller (2005: 129130); T. Wilkinson (2010: 103123), Kapitelüberschrift: „Civil War: Après moi le déluge“. 12 Exemplarisch dazu Seidlmayer (1990) und Moeller (2005). 13 Jansen-Winkeln (2010). 14 Moreno García (2015).

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9 Ende der 6. Dynastie = Untergang des Alten Reiches?

Die Rolle des Königtums – weist darauf hin, dass es spätestens nach der 8. Dynastie keine Königsgräber (mit Ausnahme der Pyramide des Merikare), Totentempel und Residenzfriedhöfe mehr gibt

– betont, dass der Totenkult für einige Könige des Alten Reiches (Sahure, Teti und Pepi I.) nachweislich bis ins Mittlere Reich fortgesetzt wird, was auf Kontinuität hindeutet

– keine Dekrete oder Datierungen mit Königsnamen mehr vorhanden

– immer noch „high quality monuments” in Saqqāra und Abū Ṣīr errichtet

– das memphitische Königtum verliert nach der 6. Dynastie sehr schnell an Bedeutung und erlischt nach der 8. Dynastie

– „some letters from Elephantine“ belegen, dass die dortigen Beamten immer noch der Jurisdiktion des Königs unterstehen

Verwandtschaftsverhältnis der Königshäuser von Memphis, Herakleopolis und Theben und Wahl der Residenz – fehlende genealogische Kontinuität zwischen den Dynastien in Verbindung mit der Verlegung der Residenz an zuvor unbedeutende Orte sind Indiz für einen politischen Bruch

– Kontinuität ist dadurch gegeben, dass das Königtum nicht per se verschwindet, sondern einfach ein Königshaus vom anderen abgelöst wird – Erstarken von Theben ist eine logische Konsequenz, befindet sich die Stadt doch am Ausgangspunkt für die Wege in die westliche Wüste

Nicht mehr die Gaue, sondern bestimmte städtische Zentren sind für die Einteilung des Landes von Bedeutung – ist ein Zeichen von Diskontinuität

– ist ein Zeichen für neue soziale Werte – diese zeigen sich auch in Bezeichnungen in privaten funerären Inschriften wie „one beloved by all his city“15

Unterschiede zwischen Ober- und Unterägypten – erhebliche Fundlücke in Unterägypten, vor allem in Bezug auf Denkmäler der Elite

– betont den wirtschaftlichen Aufschwung Oberägyptens, sichtbar durch: – Vergrößerung der Flächen der Städte

15 Keine Belege oder Hieroglyphen oder Transliteration angegeben.

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9.2 Untergang oder allmählicher Übergang?

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– in Oberägypten dagegen sind zahlreiche Elitegräber vorhanden

– qualitätvolle dekorierte Gräber der Oberschicht

– die materielle Kultur Oberägyptens verändert sich gegenüber der unterägyptischen in fast allen Bereichen

– unterwarteten Wohlstand, der sich auch in den Gräbern zeigt, deren Inhaber nicht der Elite angehören – „innovative features“ in Provinzgräbern, auch in Unterägypten

Anwesenheit von Asiaten in Unterägypten – die Lehre für Merikare erwähnt explizit asiatische Feinde, die in das Delta eingedrungen waren und eine Gefahr für das ägyptische Königtum bildeten

– Fokus der Betrachtung liegt auf den materiellen Hinterlassenschaften von Ausländern in Ägypten – ab 2200 v. Chr. florieren besonders weitreichende Handelsnetzwerke

– dies könnte ein Indiz für die These sein, dass eine Invasion von außen zum Untergang des Alten Reiches führte (siehe dazu Kapitel 9.3.3) Wie aus dieser stichpunktartigen Zusammenfassung deutlich wird, existieren zwei sehr unterschiedliche Sichtweisen auf die Geschichte: Die eine betrachtet die Ereignisgeschichte, die andere die Kulturgeschichte. Grundsätzlich haben die ereignishistorische und kulturhistorische Sichtweise beide ihre Berechtigung, im vorliegenden Fall scheint jedoch eine Orientierung am Ansatz Jansen-Winkelns geboten zu sein: Zum einen liegt der Fokus der Arbeit auf der Ereignisgeschichte, so dass sich die Einnahme dieses Blickwinkels quasi von selbst ergibt. Zum anderen offenbart die Argumentation Moreno-Garcías bei genauerem Hinsehen einige Schwächen und methodische Unstimmigkeiten: 1. Die Nachvollziehbarkeit der Quellen ist nicht gewährleistet: Während Jansen-Winkeln sehr akribisch die Primärliteratur zu den von ihm genannten Quellen angibt, verzichtet Moreno-García mitunter auf jegliche Hinweise. 2. Zeitangaben wie „Ende des Alten Reiches“ sind unpräzise, da nicht klar ist, ob sie sich auf die 6. oder 8. Dynastie beziehen. Einige Quellen können zeitlich überhaupt nicht eingeordnet werden, wie die oben genannten „Briefe aus Elephantine“, zu denen weder die Primärpublikation noch irgendwelche Hinweise angegeben sind. 3. Als Beispiel für „innovative features” in Provinzgräbern verweist Moreno-García auf „original funerary formulae“, wie sie in Kūm al-Ḥiṣn und Mendes belegt seien. Dies scheint auf den ersten Blick der Einschätzung Jansen-Winkelns von einer Fundlücke im Bereich der Elitegräber in Unterägypten zu widersprechen. Die Mastaba des #sw in Kūm al-Ḥiṣn datiert jedoch ins Mittlere Reich und ist damit als Quelle für den Über-

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4.

5.

6.

7. 8.

9 Ende der 6. Dynastie = Untergang des Alten Reiches?

gang vom Alten Reich zur Ersten Zwischenzeit nicht zu gebrauchen. 16 Das Grab des JmA-Ppj in Mendes kann überhaupt nicht sicher datiert werden, die Ansätze reichen von der 6. Dynastie bis ins Mittlere Reich.17 Als Beleg für die Einbindung von Asiaten in den Tauschhandel zwischen Unter- und Mittelägypten sowie Unterägypten und der Levante nennt Moreno-García „some kind of Asiatic settlement“ in der Nähe von Tall aḍ-Ḍabʿa, das in das späte 3. Jahrtausend v. Chr., wenn nicht eher datiere und wahrscheinlich eine „community of traders, sailors, warriors and interpreters“ gewesen sei. Bei genauerem Blick auf die angegebene Referenzliteratur18 zeigt sich, dass der Befund diese Interpretation nicht zulässt: Bei der erwähnten Siedlung handelt es sich um Tall Ibrāhīm ʿAwaḍ, fünf Meilen nördlich von Tall aḍ-Ḍabʿa. Der dort ausgegrabene Tempel, für den verschiedene Bauphasen von vordynastischer Zeit bis ins späte Alte Reich ausgemacht werden können, entspricht in seiner Anlage einem vorderasiatischen Tempeltyp. Ähnlichkeit besteht insbesondere mit dem Tempel von Tall Yarmūṯ in Kanaan. Die materielle Kultur von Tall Ibrāhīm ʿAwaḍ ist jedoch rein ägyptisch, so dass Manfred Bietak zu dem Schluss kommt, die Bewohner seien bereits im Alten Reich lange Zeit akkulturiert gewesen.19 Ungenauigkeiten offenbaren sich auch rund um die These von einem weitreichenden Handelsnetzwerk, in das vor allem mobile Bevölkerungsgruppen eingebunden gewesen sein sollen: Die präsentierte Grafik verdeutlicht zwar den Warenfluss, aber es fehlt an Details und vor allem an genauen Datierungen, meist werden weder relative noch absolute Daten angegeben. Als ein Indiz für dieses Netzwerk nennt Moreno-García den Hafen von Marsā Ǧawāsīs, dessen Betrieb jedoch erst ab dem Mittleren Reich nachgewiesen werden kann. 20 Die Vorstellung von der Einbindung Ägyptens in ein internationales Austauschnetzwerk steht im Widerspruch zu den Befunden im Mittelmeerraum, die für diesen Zeitraum den Zusammenbruch des frühbronzezeitlichen Anatolian Trade Network nahelegen.21

9.3 Mögliche Ursachen für das Ende des Alten Reiches 9.3.1 Innere Ursachen Eine weit verbreitete Vorstellung ist, dass es keine äußeren Faktoren waren, die das Ende des Alten Reiches herbeiführten, sondern die Ursachen für den Untergang in seiner eigenen Geschichte zu finden, also systemimmanent sind. Insbesondere Assmann und Bárta begriffen in der Tradition der Prozessualen Archäologie mit ihrem evolutionsbezogenen Geschichtsverständnis den Zerfall des Alten Reiches als den Endpunkt einer linearen Entwick-

16 17 18 19 20 21

Siehe Silverman (1988), der auch von Moreno García (2015: 84) als Referenz angegeben wird. Silverman (1996: 137141). Bietak (2010). Bietak (2010: 143144). Siehe auch Eigner (2000), (2003). Zu Marsā Ǧawāsīs siehe Bard/Fattovich (2007); Tallet (2015). Cf. die Beiträge in Meller et al. (2015).

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9.3 Mögliche Ursachen für das Ende des Alten Reiches

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lung, die mit der Entstehung des ägyptischen Staates begann und quasi unausweichlich auf dessen Ende hinführen musste: „Das Besondere und Spannende dieser Prozesse ist nun, daß an ihrem Ende nicht der reife, ausgebildete Staat steht, sondern eine Art Chaos. Dieses Chaos, darüber ist man sich heute einig, entsteht nicht durch äußere Einwirkungen wie Eroberung, Unterwanderung oder Klimaveränderungen, Naturkatastrophen usw., sondern durch innere Entwicklungen, als das logische und endogene Ergebnis derselben Prozesse, die den Staat hervorgebracht haben und schließlich ins Chaos laufen. Die Krise muß in den verschiedenen Prozessen, die das Alte Reich in seiner evolutiven Dynamik kennzeichnen, angelegt gewesen sein. Dieser Punkt scheint mir von entscheidender Bedeutung. Die Krise, bzw. der Untergang oder Zusammenbruch des Alten Reiches liegt in der Logik seiner Entwicklung.“22 „Man könnte es auch so formulieren, daß sich die maßgebenden Faktoren, die am Anfang der 4. Dynastie als durchaus positiv und pro-staatsbildend angesehen werden können, am Ende des Alten Reiches als eindeutig kontraproduktiv erwiesen. Ihre positive Stimulation hat sich mit der Zeit in eine negative umgewandelt und diese hat den Untergang des Alten Reiches mit sich gebracht.“23 „It is interesting to observe, that the factors that formed the backbone of ancient Egyptian kingship and state – namely, the growth of an elite class of administrators, penetration of the state administration by non-royal officials, centralization of the country and the management of resources – turned into „crisis factors“ that worked together to precipitate the decline of the Old Kingdom during the 6th dynasty.“24 „The causes for the Old Kingdom’s crisis and the eventual demise of its political and economic structure may be found at its very beginning. The available evidence shows that most of the late Old Kingdom critical factors were deeply rooted in the rise of the Third and the early Fourth dynasties around 2500 BC. “25 Im Folgenden soll erörtert werden, welche Phänomene in der einschlägigen Literatur als Ursachen für den Niedergang des Staates ausgemacht wurden, anhand welcher Indizien diese abgeleitet werden und ob die Schlussfolgerungen legitim bzw. die einzig möglichen sind. Ergänzend sei hinzugefügt, dass neuerdings auch angenommen wird, eine Klimaveränderung sei der direkte Auslöser für die „innere Krise“ gewesen. An den aufgeführten Thesen und Argumenten ändert sich dadurch nichts: Vielmehr wird zuweilen vom gleichen Autor die Entwicklung zum Untergang des Altens Reiches hin im Abstand weniger Jahre in genau derselben Weise beschrieben, zunächst ohne und später mit Berücksichtigung einer Klimaveränderung.26

22 23 24 25 26

Assmann (1996a: 63). Bárta (2009: 53). Bárta (2013a: 175). Bárta (2014: 18). Cf. Bárta (2009), (2015), (2015b).

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These 1: Ein erheblicher Machtzuwachs der Beamten, insbesondere in der Provinz, führt ab der 5. Dynastie zur Schwächung des Königtums. Argument 1: Die höchsten Staatsämter werden auch an Personen nicht-königlicher Herkunft vergeben, nachdem sie zuvor ausschließlich Mitgliedern der Königsfamilie vorbehalten waren.27 Sieht man in diesem Tatbestand ein Indiz für eine Schwächung des Königtums, so setzt dies voraus, dass die Vergabe von Ämtern innerhalb der Königsfamilie allein dem Machterhalt diente28 und eine Öffnung der hohen Ämter für Beamte nicht-königlicher Abstammung von selbigen aufgrund des Wunsches nach mehr Partizipation erzwungen wurde. Dies wäre in der Tat gleichbedeutend mit einem Verlust an Macht für das Königshaus. Doch diese Schlussfolgerung ist nicht zwingend. Zum einen sind, wie in Kapitel 3.4 gezeigt, die Möglichkeiten begrenzt, anhand von Beamtentiteln Verwandtschaftsverhältnisse und die Funktion der Verwaltung zu rekonstruieren. Es ist außerdem fraglich, ob sich homines novi immer eindeutig identifizieren lassen. Zum anderen könnte auch ein schlichter Personalmangel der Grund dafür gewesen sein, den Personenkreis, aus dem die höchsten Beamten rekrutiert wurden, zu erweitern.29 Die starke Konzentration von Macht auf einige Wenige hat nicht nur Vorteile. Das Einbeziehen einflussreicher nicht-königlicher Familien könnte folglich auch als Maßnahme zum Ausbau der Macht verstanden werden, 30 wenn wir davon ausgehen, dass es um die Macht des Staates und nicht der Person des Königs geht. 31 T. Wilkinson weiß die Öffnung der höchsten Ämter für breitere Kreise auch positiv zu deuten: „It allowed the king and his family to rise above the nitty-gritty of government. Just as important, by removing political power from the hands of (often quarrelsome) princes, Userkaf no doubt hoped to avoid the internal wranglings that so often threatened the stability of the monarchy.” 32 Wo und in welcher Form uns die zänkische Natur der Prinzen überliefert ist, verschweigt der Autor.33 Argument 2: Nepotismus: Ämter werden zunehmend innerhalb einer Familie vererbt. 34

27 Helck (1968: 6364); Beckerath (1971: 19); Kanawati (1977); Helck (1986: 1823); Butzer (1997: 261); Málek (2000: 110); Bárta (2009: 48), (2013a: 165). 28 Davon geht u. a. T. Wilkinson (2010: 66) aus. 29 Cf. Jansen-Winkeln (2009: 158). 30 Ähnlich äußern sich auch Agut/Moreno-García (2016: 119). 31 Das Spiel mit modernen Begriffen wie „Staat“ ist naturgemäß problematisch, da sich diese nur bedingt auf die altägyptischen Verhältnisse übertragen lassen. Siehe dazu die berechtigte Kritik von Römer (2011). Zugegebenermaßen könnte diese Argumentation auch in der Richtung weitergesponnen werden, dass in einem absolutistischen Staat (und als solcher wird das Ägypten der 4. Dynastie regelmäßig bezeichnet) eben König und Staat gleichbedeutend sind, woraus sich im Bezug auf die oben genannte These doch wieder eher ein Verlust als ein Gewinn von Macht ergäbe. 32 T. Wilkinson (2010: 79). 33 Es drängt sich der Verdacht auf, dass diese Sicht der Dinge möglicherweise durch einen Analogieschluss zu den Gepflogenheiten des britischen Königshauses zustande kam.

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Dass dieses Argument in neuerer Zeit wieder herangezogen wird, ist erstaunlich, hatten doch schon Helck und Müller-Wollermann darauf hingewiesen, dass die Vererbung öffentlicher Ämter im Alten Reich nirgendwo schlüssig belegt werden kann. 35 Die Argumentation Bártas, dass sich der Nepotismus in der Ausstattung der Privatgräber der 6. Dynastie in Abū Ṣīr-Süd widerspiegele, ist nicht überzeugend, da der Nepotismus nicht das Ergebnis, sondern die (hypothetische) Prämisse der Auswertung der Grabbeigaben darstellt. 36 Grundsätzlich kann ein gewisses Maß an Nepotismus sowie Korruption und die Neigung zur Bildung von Netzwerken (oder negativ ausgedrückt: Seilschaften) als Grundbestandteil der menschlichen Gesellschaft angesehen werden; Beispiele aus der gesamten historischen Zeit sind dafür zahlreiche vorhanden. 37 Sicher sind diese Phänomene auch für das Alte Ägypten anzunehmen,38 doch ist ein Maß an Vetternwirtschaft, das die Funktion der Verwaltung (die immer noch nicht genauer beschrieben werden kann) oder die Stellung des Königs ernsthaft hätte beeinträchtigen können, nicht ersichtlich. Argument 3: Seit Djedkare werden regelmäßig „Reformen“ durchgeführt, deren Zweck es ist, die Macht der Beamten einzudämmen.39 Insbesondere die Einführung des Amtes „Vorsteher von Oberägypten“ (m-rʾ Šmaw) wird als Maßnahme der Zentralgewalt gesehen, die Provinzen stärker zu kontrollieren. Daraus wird im Umkehrschluss abgeleitet, dass zuvor „zentrifugale Kräfte“ am Werk gewesen sein müssten, die die Provinzen zunehmend der Kontrolle der Zentralregierung entzogen. Dieser Ansicht hatte bereits Martin-Pardey widersprochen.40 Erstaunlich scheint bei dieser Argumentation zudem die Tatsache, dass Reformen, die doch eigentlich positiv konnotiert sind und als Zeichen des Fortschritts gelten, 41 hier als Rückschritt bzw. Weg in den Untergang gedeutet werden. Sieht man sich außerdem die Liste der sogenannten Reformen genauer an, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass teilweise jegliche Veränderungen oder simple Befunde zu einer Reform erklärt werden. So sind z. B. in Bártas Zusammenfassung der von Kanawati herausgearbeiteten Reformen folgende Aussagen zu finden:42 „Erstmals wurden Beamte in der Provinz bestattet.“

34 Dykmans (1937: 201202); Stock (1949: 4); Otto (1953: 812); Hornung (1978: 28); Gomaà (1980: 2); Kanawati (2003: 153); Mieroop (2011: 80); Bárta (2013a: 168169), (2014: 21), (2015b: 184). 35 Helck (1975b); Müller-Wollermann (1986: 62). 36 Bárta (2012: 42). 37 Siehe Karsten/Thiessen (2006). 38 Darunter fällt natürlich auch die Vergabe von Ämtern innerhalb der königlichen Familie, siehe oben. 39 Hornung (1978: 31); Kanawati (1980); Schlögl (2005: 39); Höveler-Müller (2005: 108); Bárta (2009: 50), (2013a: 171173), (2015b: 184186). 40 Martin-Pardey (1976: 153154). 41 Reform = planmäßige Neuordnung, Umgestaltung, Verbesserung des Bestehenden (ohne Bruch mit den wesentlichen geistigen und kulturellen Grundlagen) (Quelle: www.duden.de). 42 Bárta (2009: 50), Zusammenfassung basierend auf Kanawati (1980).

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„Beginn der Bestattung hoher Beamter auf Elephantine an der südlichen Grenze von Oberägypten.“ „Wahrscheinlich aus politischen Gründen (zur Wiedergewinnung der Kontrolle über Oberägypten) heiratete König Pepi I. zwei Töchter des abydenischen Beamten Chui und seiner Frau Nebet.“ „In diese Zeit datieren viele Bestattungen von Fürsten aus ganz Oberägypten, die die steigende politische Bedeutung einzelner Gaue belegen.“ (Dies wird als einzige (!) „Reform“ des Merenre I. aufgeführt.) „In Theben und Meir ließ Pepi II. zentrale Kornspeicher errichten, möglicherweise auch einen dritten in Abydos.“ Doch auch wirkliche administrative Neuerungen müssen nicht zwangsläufig von einer bestimmten Intention geleitete und vom König angeordnete „Reformen“ darstellen. Auch eine gewisse Eigendynamik in der Entwicklung der Verwaltung sollte in Betracht gezogen werden. Insgesamt ist über deren Funktionsweise zu wenig bekannt, als dass solche Prozesse sauber herausgearbeitet werden könnten. Argument 4: Der König engagiert sich verstärkt in der Provinz, die Privatgräber in der Provinz nehmen an Größe und Ausstattung zu, die in der Residenz ab.43 Auch hier wird wieder die Wirkung als „Beweis“ für eine konstruierte Ursache angesehen: „The policies of the kings regarding the remote yet economically important nomes provide evidence for the generally accepted assumption that the power and authority of the central government were gradually being eroded.“44 Das wachsende königliche Engagement in der Provinz wird deutlich durch eine Serie von Inschriften und die Aktivitäten des Königs in den Provinztempeln. 45 Dies kann als Versuch der Zentralregierung gedeutet werden, ihrer schwindenden Macht entgegenzuwirken. Allerdings ist es unklar, wieviel Macht die Zentralregierung vorher in den abgelegenen Teilen des Landes tatsächlich ausübte. Nach Ansicht Moreno-Garcías muss das alte Bild von der übermächtigen Zentralgewalt nach neuen Untersuchungen dahingehend korrigiert werden, dass die Residenz relativ wenig Einfluss auf die lokalen Angelegenheiten und die soziale Organisation der Provinzen hatte.46 Dem entspricht auch die Einschätzung der starken kulturellen Unterschiede zwischen Residenz und Provinz von Barry Kemp und Richard Bussmann, die in der Aussage gipfelt, Ägypten sei während des Alten Reiches „a country of two cultures“ gewesen.47 Eine auch kulturelle Angleichung beider Teile (durch „Transfer

43 Wilson (1961: 385); Gardiner (1965: 98); Clayton (1994: 67); Bárta (2009: 4849); Mieroop (2011: 80); Müller-Wollermann (2014: 4); Bárta (2015b: 186). 44 Bárta (2015b: 186). 45 Seidlmayer (1996a: 126), (2005: 292); Bussmann (2010: 509510). 46 Moreno García (2013: 2). 47 Kemp (2006: 113; 135); Bussmann (2014: 80).

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von kulturellem Wissen“48) kann durchaus auch eine Stärkung des Staates bedeuten und das königliche Engagement ein Zeichen der stärkeren politischen Durchdringung der Provinz sein.49 Die Aussage, dass die Privatgräber in den Provinzen ab der 5. Dynastie an Größe und Ausstattung zunehmen, ist sicher richtig, sind doch für die 4. Dynastie so gut wie keine bedeutenden Provinzgräber belegt.50 Dennoch ist die Aussage an sich zu vage, um daraus auf eine Schwäche des Königtums zu schließen: Genaue vergleichende Zahlen gibt es meines Wissens bisher nicht. Nötig wäre auch eine eingehende Analyse, in welchem Verhältnis die in der Provinz bestattete Elite zur Zentralregierung steht. Letztlich passt der Befund auch zu der oben angeführten Aussage, dass sich die Provinz- und Residenzkultur zunehmend angleichen, und dieser Prozess muss nicht zwangsläufig nachteilig für das Königtum verlaufen. Argument 5: Die Könige müssen sich der Loyalität der Beamten durch politisch motivierte Eheschließungen versichern.51 Hier wird in erster Linie auf die „politische Heirat“ Pepis I. mit zwei Frauen aus Abydos verwiesen. Doch welche Schlüsse lassen die dürren Quellen tatsächlich zu? In der Inschrift auf dem Pfeiler des Wesirs +aw werden dessen Schwestern, die beide den Namen anx-n=sMrj-Ra (an anderer Stelle auch anx-n=s-Ppj) tragen, jeweils als Königsgemahlin Pepis I. bezeichnet.52 Es wird angenommen, dass Pepi I. die beiden Frauen53  ob gleichzeitig oder nacheinander, ist unklar  als Folge der im Bericht des Wnj erwähnten Verschwörung der Königin geheiratet hat.54 Ausgehend von der Annahme, der Vater der beiden Frauen, #wj, sei Gaufürst von Abydos gewesen, wird unterstellt, der König sei auf dessen Unterstützung angewiesen gewesen und die Familie des #wj habe damit starken Einfluss auf die Staatsgeschäfte nehmen können. Der Bruder der Königinnen, +aw, habe den Wesirtitel nur durch diese familiären Beziehungen erhalten.

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Bussmann (2010: 474) Siehe auch Jansen-Winkeln (2010: 284). Baines (2007: 107). Stock (1949: 23); Hayes (1953: 131); Otto (1953: 81); Helck (1968: 72); Drioton (1969: 69); Beckerath (1971: 20); Hornung (1978: 37); Gomaà (1980: 2); Kanawati (1980: 3133); Seipel (1980: 268); Grimal (1988: 105); Verner (2001: 590); Bárta (2005a: 107), (2009: 50), (2014: 21), (2015: 184); Papazian (2015: 409410). 52 Pfeiler des Wesirs +aw aus seinem Grab in Abydos, Ägyptisches Museum Kairo, CG 1431. Urk. I, 117, 13118, 1; Goedicke (1955: 180). Zu den beiden Namensvarianten, ihrer Interpretation und den Belegstellen siehe Gourdon (2006). 53 Goedicke (1955) war zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei den beiden anx-n=s.-Mrj-Ra um ein und dieselbe Person handelt. Aus der Inschrift auf einem später im Totentempel der anx-n=s.-Mrj-Ra II. in Saqqāra gefundenen Kalksteinblock geht jedoch eindeutig hervor, dass wir es mit zwei Königinnen gleichen Namens zu tun haben. Ferner lässt sie den Schluss zu, dass anx-n=s-Mrj-Ra I. die Mutter von Merenre I. war und ihre Schwester anx-n=s.-Mrj-Ra II. nach dem Tod Pepis I. ihren Neffen/Stiefsohn Merenre I. heiratete, der damit als der Vater Pepis II. anzusehen ist. Siehe Labrousse (2000). 54 Siehe Kanawati (2003: 169182).

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Für diese Annahmen gibt es keinerlei gesicherte Grundlagen. Die Bezeichnung des #wj als Gaufürst ist rein hypothetisch, trägt dieser auf den beiden ihn namentlich erwähnenden Denkmälern doch lediglich Rangtitel, die keinerlei Aussagen über seine Ämter erlauben.55 Ebenso gut könnte #wj nach einem Vorschlag Martin-Pardeys Vorsteher von Oberägypten gewesen sein: Dieser hatte seinen Verwaltungssitz im 8. oberägyptischen Gau, aus dem #wj stammt. Damit wäre er ein Vertreter der Zentralregierung gewesen und Pepi I. hätte eben nicht in ein Provinzgeschlecht eingeheiratet. 56 Kanawati weist außerdem darauf hin, dass Abydos erst nach der Heirat zu einem wichtigen Zentrum wurde, was der Annahme entgegensteht, der König sei auf das Wohlwollen der dortigen Elite unmittelbar angewiesen gewesen.57 Auch gibt es keinerlei Anzeichen dafür, in der Beförderung des +aw zum Wesir einen Fall von Nepotismus zu sehen. Hratch Papazian stellt aufgrund des häufigen Vorkommens der Namen #wj, Jdj, ŠmAj und Nb.t in der späten 6. und vor allem der 8. Dynastie die These auf, aus der Familie des #wj sei so etwas wie eine eigene provinzielle Dynastie hervorgegangen. 58 Selbst wenn die These stimmt – eine familiäre Zusammengehörigkeit der jeweiligen Namensträger kann nicht eindeutig nachgewiesen werden und es ist auch von zufälligen homonymen Eigennamen auszugehen –, deutet dies lediglich darauf hin, dass die Familie des #wj nach der Heirat der beiden anx-n=s-Mrj-Ra mit Pepi I. an Einfluss gewann. Nicht belegt ist damit, dass #wj bereits vorher so mächtig gewesen wäre, dass der König sich seiner Unterstützung versichern musste. Möglicherweise könnte Pepi I. bei der Wahl seiner Bräute auch von völlig unpolitischen Motiven geleitet worden sein: Vielleicht waren die Mädchen einfach besonders attraktiv und haben damit die Aufmerksamkeit des Königs erregt. Dies ist natürlich nicht zu beweisen, aber eben auch nicht auszuschließen und wäre eine durchaus nachvollziehbare und in der Weltgeschichte keineswegs einmalige Handlung. Politische Eheschließungen funktionieren auch in die andere Richtung: Bárta postuliert, seit Niuserre hätten Könige ihre Töchter gezielt mit Beamten verheiratet, um sich deren Loyalität zu sichern.59 Tatsächlich bezeugen die Inschriften in den Gräbern einiger Wesire, dass diese mit einer Königstochter verheiratet waren, darunter PtH-Spss, Mrr.w-kA, KA-gm-nj und Nfr-sSm-PtH.60 Eine detaillierte Untersuchung, wie viele Königstöchter wo mit welchen Beamten verheiratet sind – die eine Grundvoraussetzung wäre, um Schlüsse hinsichtlich einer möglichen politischen Motivation dieser Heiraten ziehen zu können – liegt bisher nicht vor. Es stellt sich außerdem die Frage, an wen der König seine Töchter sonst hätte verheiraten sollen, wenn nicht an die höchsten Beamten? Und wenn dies ein Novum der 5. Dynastie wäre, wen haben die Königstöchter vorher geheiratet? Ferner gibt es Indizien 55 Siehe dazu auch Martin-Pardey (1976: 143146). Erwähnt wird #wj auf seiner Grabstele (CG 1578) und auf einem Pfeiler seines Sohnes +aw (Ägyptisches Museum Kairo, CG 1431; Urk. I 119, 2). Auf einer weiteren Stele (CG 1578) wird auch die Frau des #wj, Nb.t, erwähnt, die den ungewöhnlichen Titel eines weiblichen Wesirs trägt. Siehe dazu Fischer (1976: 7475). 56 Martin-Pardey (1976: 144145). Ähnlich Assmann (1996a: 66), siehe auch Eyre (1994: 118). 57 Kanawati (2003: 173174). 58 Papazian (2015: 409410). 59 Bárta (2005a: 107), (2013a: 170), (2015b: 184). 60 Cf. Bárta (2005a: 107); Lloyd et al. (2008: 2).

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dafür, dass die Bezeichnung als Tochter des Königs möglicherweise auch als Ehrentitel vergeben werden konnte: die Gemahlinnen des Mrr.w-kA und Nfr-sSm-PtH nennen sich beide „älteste Tochter des Königs“ (zA.t nzw n.t X.t=f smsw.t) Teti.61 Argument 6: Immer kleinere Grabbauten sind Ausweis der Schwäche des Königtums.62 Weshalb die Größe der Pyramiden oder anderer Architektur kein Indikator für die Stärke oder Schwäche des Königtums sein kann, wurde bereits in Kapitel 3.6.1 ausführlich dargelegt. Auch Veränderungen in der Bautechnik wie die immer kleiner werdenden Steine für die Pyramidenkerne wurden als Zeichen der Verringerung der Qualität angesehen. Diese Schlussfolgerung ist nicht zwingend, der Umstand könnte ebenso gut als Fortschritt hinsichtlich einer möglichst ökonomischen Bauweise gedeutet werden. 63 Argument 7: In den Privatgräbern zeigen sich zunehmendes Selbstbewusstsein und Unabhängigkeitsstreben der Beamten.64 Die Problematik der Auswertung von Privatgräbern als Quelle für die Ereignisgeschichte wurde bereits in Kapitel 3.6.2 und 3.7.3 ausführlich besprochen. Eine Bemerkung sei an dieser Stelle noch hinzugefügt: Das Selbstbewusstsein der Beamten soll sich unter anderem in der allmählichen Übernahme von ursprünglich dem König vorbehaltenen Elementen der Architektur oder Dekoration des Grabes zeigen. Diesen Vorgang mit dem Untergang des Alten Reiches in Zusammenhang zu bringen, halte ich für fragwürdig. Durch die gesamte ägyptische Geschichte hindurch ist zu beobachten, dass bestimmte Standesmerkmale der höchsten Eliten Stück für Stück von weniger ranghohen Personen übernommen und königliche Privilegien „privatisiert“ werden, ohne dass deshalb ein Reich untergeht. These 2: Das „System“ wird von diversen inneren „Krisen“ (Identitätskrise, Legitimitätskrise, Partizipationskrise, Penetrationskrise und Distributionskrise) heimgesucht.65 Basierend auf den Krisentheorien der modernen Soziologie und Politologie hatte MüllerWollermann in den 1980er Jahren die Quellen zur Geschichte des Alten Reiches auf diese Krisenfaktoren hin untersucht und war dabei zu dem Schluss gekommen, dass eine „Penetrationskrise“ vermutlich das Hauptproblem war, während das Material für die übrigen „Krisen“ nur wenige bis keine Anhaltspunkte hergibt.66 Römer konnte überzeugend zeigen, dass die Anwendung von Krisentheorien auf die Verhältnisse im Alten Ägypten zu keinem Ergebnis führen kann, bzw. methodisch fragwürdig ist: Erstens geht die Systemtheorie von modernen Vorstellungen von Staat und Ökonomie aus, die nicht einfach auf das Alte Ägyp-

61 62 63 64

Lloyd et al. (2008: 2). Breasted (1910: 122); Hayes (1953: 131); Wilson (1961: 364); Bárta (2009: 51). Cf. Trigger et al. (1983: 8789); Loth (2007: 219220). Hayes (1953: 131); Clayton (1994: 67); Bárta (2005: 117119), (2009: 4849); Mieroop (2011: 8081); Bárta (2015b: 185). 65 Bárta (2009: 52), (2013a: 174175), (2014: 26). 66 Müller-Wollermann (1986). Für eine Zusammenfassung der Vorgehensweise und Ergebnisse MüllerWollermanns siehe Jansen-Winkeln (2010: 280281).

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ten übertragen werden können. Zweitens kann eine Theorie nur auf Systeme angewandt werden, deren Funktionsweise bekannt ist, und das ist in Bezug auf die Verwaltung und Wirtschaft des Alten Reiches nicht der Fall.67 Neben der speziellen Kritik an der Anwendung von Systemtheorien auf altägyptische Verhältnisse entlarvt Römer die Systemtheorie auch ganz allgemein als „tautologisch und inhaltsleer“.68 Ergänzend kann an dieser Stelle hinzugefügt werden, dass auch eine Untersuchung der mit dem König verbundenen Phraseologie und Terminologie keine Hinweise auf eine Rangminderung und/oder einen Machtverlust desselben im Verlaufe des Alten Reiches ergab.69 These 3: Die zunehmende Schwächung der Wirtschaft des Landes führt zu einer sozio-ökonomischen Krise Argument 1: Der Pyramidenbau, insbesondere der Riesenpyramiden der 4. Dynastie, schwächt die Wirtschaftskraft nachhaltig.70 Müller-Wollermann hatte bereits erkannt, dass es keine Anhaltspunkte für einen Kausalzusammenhang zwischen umfangreicher königlicher Bautätigkeit und wirtschaftlichem Niedergang des Staates gibt: Folgt man der oben genannten Argumentation, so hätte sich das Alte Reich nach Cheops in einer schweren Wirtschaftskrise befinden müssen, während unter Pepi II. (lange Regierungsdauer, kleine Pyramide), der „Staatshaushalt“ deutlich geringeren Belastungen ausgesetzt gewesen wäre. 71 Auch die immer geringere Größe der Pyramiden kann nicht einfach als Ausdruck reduzierter ökonomischer Ressourcen gedeutet werden. Jansen-Winkeln weist darauf hin, dass der König stattdessen den Schwerpunkt auf seine diesseitige Repräsentation gelegt und die Ressourcen z. B. für den Bau von Palästen eingesetzt haben könnte.72 Argument 2: Die Versorgung des Landes wird während des Alten Reiches von Subsistenz auf Dependenz umgestellt, die Provinzen werden vom zentralen Versorgunssystem abhängig, dessen Zusammenbruch zu Versorgungskrisen und Hungersnöten führt.73 Römer weist dies entschieden zurück: „Die Vorstellung, das gesamte Produkt des Landes wäre in einen riesigen Speicher transportiert worden, um dann von dort alles wieder in die Landschaft hinauszu-

67 Römer (2011). Cf. auch Römer (2007). Beispiele für die fragwürdige Anwendung moderner soziologischer Theorien auf die Geschichte des Altertums finden sich auch anderer Stelle: So komponiert etwa Warburton (2001) aus den wenigen Indizien zu den Beziehungen zwischen Ägypten und der Levante während der Bronzezeit ein Narrativ, um dann auf diese vermeintliche Historie wirtschaftswissenschaftliche Theorien anzuwenden. 68 Römer (2011: 97, Anm. 58). 69 Windus-Staginsky (2006: 249). 70 Hayes (1953: 131); Wilson (1961: 387); Hornung (1978: 2728); Butzer (1997: 260); Bárta (2009: 4445). 71 Müller-Wollermann (1986: 100). 72 Jansen-Winkeln (2009: 158). 73 Assmann (1996a: 62).

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schicken, ist nur eine Folge der mittlerweile in allen Köpfen ohne jede Beweislast präsenten Redistributionstheorie.“74 Nimmt man stattdessen an, dass die ägyptische Wirtschaft in erster Linie auf „selbstgenügsamer Hauswirtschaft“ beruht,75 wird dem Argument jegliche Basis entzogen. Die Vorstellung von Versorgungskrisen und Hungersnöten während der Ersten Zwischenzeit entstammte in erster Linie der Auseinandersetzungsliteratur76 und schien ihre Bestätigung in den autobiographischen Inschriften der Gräber der Ersten Zwischenzeit zu finden, in denen der Grabherr betont, den Hungrigen mit Nahrung versorgt zu haben. 77 Eine Untersuchung dieser Inschriften ergab zum einen, dass diesen keine Hinweise auf eine weitreichende, lebensbedrohliche Hungersnot zu entnehmen sind, sondern lediglich auf kurzzeitige Nahrungsmittelknappheiten, wie sie in allen stark agrarisch geprägten Gesellschaften vorkommen. Zum anderen konnte gezeigt werden, dass es sich bei dem Motiv vom Landesherren, der seine Untertanen mit Nahrungsmitteln versorgt, um einen ideologischen topos handelt, der in den Bereich der Idealbiographie gehört. 78 Gegen die These von wiederholten Ernteausfällen und Hungersnöten spricht auch die Tatsache, dass Zahl, Größe und Ausstattung der Gräber in den Provinznekropolen der Ersten Zwischenzeit einen weit verbreiteten allgemeinen Wohlstand widerzuspiegeln scheinen. 79 Argument 3: Steuerbefreiungen und allzu großzügige Zuwendungen an die Beamten in Form von Land und Anteilen an den Opfergaben für den königlichen Totenkult mindern die Einnahmen der Zentralregierung.80 Römer nimmt an, dass die ägyptische Ökonomie auf „lokalen Hauswirtschaften“ beruht, die „vor allem kurzlebige Konsumgüter für die jeweils nahebei Lebenden herstellt“; eine zentrale Leitung ist dafür keine Notwendigkeit.81 Bezüglich der „Steuerbefreiungen“ für Tempel82 wurde bereits mehrfach angemerkt, dass man wohl kaum annehmen könne, der König habe sich durch eigene Verordnungen seines Einkommens beraubt. 83 Darüber hinaus stellte Leslie Warden jüngst fest, dass Steuerbefreiungen schon deshalb keine große Rolle gespielt haben können, weil es überhaupt keine regelmäßige Besteuerung gab:

74 Römer (2011: 101). 75 Siehe Römer (2007), (2009). 76 Cf. Vandier (1936). Zur Auseinandersetzungsliteratur als Quelle für die Erste Zwischenzeit siehe Kapitel 3.3.4. 77 Für eine Liste der entsprechenden Belege siehe Moreno García (1997: 8892). 78 Moreno García (1997: 587); Moeller (2005: 165166). 79 Seidlmayer (1990: 440441); Butzer (1997: 261); Seidlmayer (2000: 121122); Moreno García (2015: 83). 80 Hayes (1953: 131); Wilson (1962: 387); Beckerath (1971: 20); Clayton (1994: 67); Helck (1994: 12); Gundlach (1998: 280281); Málek (2000: 105); Höveler-Müller (2005: 99); Schlögl (2005: 39); Bárta (2009: 47; 52); Mieroop (2011: 86); Bárta (2014: 26), (2015: 184). 81 Römer (2011: 8485). Siehe auch Römer (2009). 82 Dokumentiert in den „Exemtionsdekreten“, siehe Goedicke (1967). 83 Müller-Wollermann (1986: 104); Jansen-Winkeln (2010: 285); Römer (2011: 85).

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„(…) nowhere, however, does the state appear to rely on taxation as a regular or dominant mechanism for centralized wealth production. Instead, taxation appears to have been more an exceptional action instead of a regular, standard activity applied to the whole country.“84 Argument 4: Der Fernhandel mit der Levante bricht ab. Daraus generierte „Überschüsse“ und „lukrative Profite“ fallen weg.85 Hier wird wieder das Bild einer modernen (kapitalistischen) Ökonomie zugrunde gelegt, die ohne ausreichenden Profit nicht funktioniert. Tatsächlich wissen wir nur, dass ein Teil des Handels mit der Levante auf offizieller Ebene, d. h. im Auftrag der Zentralregierung abgewickelt wurde (siehe Kapitel 8.3.2). Über die Modalitäten ist im Einzelnen nichts bekannt; es ist jedenfalls nicht davon auszugehen, dass die Einnahmen des Königs zu einem wesentlichen Teil vom Außenhandel abhängig waren. Auch das Fehlen der entsprechenden Importgüter kann nicht als Argument angeführt werden, waren doch „die importierten Waren hauptsächlich Luxusgüter, deren Ausbleiben das ökonomische System des Alten Reiches nicht erschüttert hätten.“86 Der nicht-staatliche, indirekte Außenhandel läuft auch nach dem Alten Reich weiter.87 Argument 5: Extreme Wetterphänomene, verursacht durch plötzliche Klimaschwankungen, lassen die Produktivität der Wirtschaft sinken.88 In Kapitel 9.3.2 wird gezeigt werden, dass sich eine abrupte Klimaveränderung mit katastrophalen Auswirkungen nicht nachweisen lässt. These 4: Machtkämpfe innerhalb der Dynastie schwächen das Königshaus Vor allem jene, die keine hinreichenden Belege für ernsthafte administrative und/oder ökonomische Schwierigkeiten erkennen können, verweisen darauf, dass nicht näher zu definierende „dynastische Schwierigkeiten“, „Thronwirren“ und „Machtkämpfe“ ein wesentlicher Faktor für das Ende des Alten Reiches gewesen seien. 89 Nicht ohne Einfluss auf diese Vorstellung ist die spätere Überlieferung, nach der Teti und Merenre II. einem Mord zum Opfer gefallen und der letzte Herrscher der 6. Dynastie – Nitokris – eine Frau gewesen sein soll.90 Dies erweckt den Anschein, als sei Nitokris nach dem Aussterben der männlichen Linie sozusagen eine Notlösung gewesen und die „Zerrüttung des Landes“ nach ihrem Tod so etwas wie eine logische Folge nach der Regierung einer Frau.91 Inzwischen scheint es

84 85 86 87 88 89

Warden (2015: 470490). Wilson (1961: 387); Butzer (1997: 260). Müller-Wollermann (1986: 105). Moreno García (2015). Sowada (2013: 74). Martin-Pardey (1976: 203); Kanawati (1977: 77); Müller-Wollermann (1986: 121122); Málek (2000: 116); Moreno García (2015: 79). 90 Überliefert bei Manetho und Herodot. Siehe Kapitel 3.5 und 4.4 91 In diese Richtung äußert sich Bunsen (1845b: 240241).

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wahrscheinlich, dass Nitokris mit einem männlichen Herrscher, der den Horusnamen ZAPtH trägt, zu identifizieren ist.92 Was den Mord an Teti betrifft, so gibt es zwar keinen direkten Beleg, aber eine Reihe zeitgenössischer Indizien, die darauf hindeuten, dass die manethonische Überlieferung zumindest einen wahren Kern enthält.93 Ein Hinweis auf Querelen innerhalb des Königshauses ist auch die Aussage in der Autobiographie des Wnj, er habe einen Prozess gegen die Königsgemahlin Pepis I. geleitet.94 Für die 7. Dynastie nennt Manetho 70 Könige, die 70 Tage regiert hätten (Synkellos nach der Version des Africanus) bzw. 5 Könige, die 75 Tage regiert hätten (Synkellos nach der Version des Eusebius und Armenische Version des Eusebius). 95 Aufgrund dieser unglaubwürdig erscheinenden Angaben hatte Meyer die 7. Dynastie als nicht existent gestrichen,96 was sich in der ägyptologischen Geschichtsschreibung allgemein durchgesetzt hat. Neuerdings schlägt Papazian vor, dass es sich bei der manethonischen 7. Dynastie um die zahlreichen, um den Thron konkurrierenden Nachfahren Pepi II. handeln könnte: Pepi II. heiratete mindestens acht Frauen und aufgrund seiner langen Regierungszeit ist von einer entsprechend großen Zahl an Nachkommen auszugehen, von denen Pep II. nicht wenige überlebt haben dürfte. 97 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass im pTurin 1874 bei der Summierung der 6. Dynastie (Kolumne IV, 1415) und der 1.6. Dynastie (Kolumne IV, 1617) einige Jahre als wsf bezeichnet werden. Redford hatte im Gegensatz zur Ansicht, dass damit eine Lücke in der Vorlage bezeichnet werde, 98 folgende Deutung vorgeschlagen: „In all probability the term read wsf is to be construed as a technical expression for ‚suppressed‘ or ‚(intentionally) omitted‘, and inspite of some scholars’ rejection of the idea, may even have denoted to contemporaries a ‚kingless‘ (literally ‚vacant, unoccupied‘) period.”99 Es erscheint verlockend, möglicherweise einen Zusammenhang zwischen Papazians These und Redfords Deutung dieser Eintragung im pTurin 1874 zu vermuten. Ob es einen solchen tatsächlich gibt, vermag ich momentan nicht zu beurteilen. Auch ohne Berücksichtigung der oben genannten Indizien scheint mir die Annahme plausibel, dass es immer wieder zu Machtkämpfen innerhalb der Königsfamilie oder zwischen konkurrierenden Familien kam. Es kann wohl als ein Grundsatz des Konzeptes der Herrschaft, insbesondere der Alleinherrschaft angesehen werden, dass diese immer wieder in Frage gestellt und herausgefordert wird. Auch ist anzunehmen, dass die Herrschenden nicht nur von hehren politischen oder religiösen Motiven, sondern minunter auch von niederen menschlichen Trieben wie Machtbesessenheit, Habgier und Eifersucht geleitet werden. Auch für das ägyptische Alte Reich darf also von Querelen innerhalb der herrschenden

92 Ryholt (2000); siehe auch Kapitel 4.4. 93 Kanawati (2003). 94 Stele aus dem Grab des Wnj in Abydos, Ägyptisches Museum Kairo, CG 1435; Urk. I, 98, 7110, 2; Osing (1977); Hofmann (2002); Richards (2002). 95 Waddell (1940: 5659). 96 Meyer (1884). 97 Papazian (2015). 98 Helck (1956: 14). 99 Redford (1986a: 15).

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Schicht ausgegangen werden, die vermutlich zahlreicher waren, als die spärlichen Spuren dies vermuten lassen. Die Frage ist jedoch, ob derartige Streitigkeiten zum Zusammenbruch der politischen Ordnung und im konkreten Fall zum Untergang des Alten Reiches hätten führen können. Nehmen wir an, die Kinder und Kindeskinder Pepis II. hätten sich tatsächlich nicht über die Thronfolge einig werden können. Sicher wäre in einem solchen Fall nicht anzunehmen, dass der Thron jahrelang vakant und das Land ohne Führung geblieben wäre. Denkbar wäre zum einen, dass sich relativ schnell ein Anwärter durchgesetzt hätte – durch geschicktes Taktieren oder aber durch gewaltsame Eliminierung der Konkurrenten. In diesem Fall wäre nicht zu erwarten, dass diese Vorgänge auf irgendeine Weise überliefert worden sind. Hätte sich kein Thronaspirant zeitnah nach dem Tod Pepis II. durchsetzen können, wäre davon auszugehen, dass die Konkurrenten und ihre Unterstützer sich längere Zeit bürgerkriegsartig auseinandergesetzt hätten, und auch mit der Inthronisierung von Gegenkönigen wäre zu rechnen. Derartige Zustände meinte man zuweilen aus der Auseinandersetzungsliteratur herauszulesen. Ein solches Szenario ist jedoch nicht vorstellbar, wenn man die Einschränkungen, mit denen diese Literaturwerke als historische Quelle berücksichtigt werden dürfen, ebenso akzeptiert wie die Indizien dafür, dass die Verwaltung weiterhin funktioniert und auch kein ökonomischer Niedergang zu verzeichnen ist (einen solchen hätten bürgerkriegsähnliche Zustände mit Sicherheit nach sich gezogen). Machtkämpfe und Thronstreitigkeiten kann es also durchaus gegeben haben, diese sind jedoch nicht als entscheidender Faktor für den Untergang des Alten Reiches zu betrachten. 9.3.2 Klimaveränderung Anfang der 1970er Jahre äußerte Barbara Bell erstmals die These, die Ursache für das Ende des Alten Reiches sei eine ökonomische Krisenlage, ausgelöst durch eine Verschlechterung der klimatischen Verhältnisse, die zu einem erheblichen Rückgang der Nilfluthöhen führten.100 Als Quellen für die schlechte Versorgungslage im Land zog B. Bell die autobiographischen Inschriften der Gaufürstengräber der Ersten Zwischenzeit sowie die Auseinandersetzungsliteratur heran, hinsichtlich der klimatischen Veränderungen bezog sie sich auf die Untersuchung Karl Butzers. Dieser hatte einen Wandel der Flora und Fauna in Ägypten während des Alten Reiches festgestellt und aus diesem auf einen schrittweisen Rückgang der Niederschläge und der Nilfluthöhen geschlossen, 101 verwies jedoch selbst auf die fragwürdige Historizität dieser anhand archäologischer Indizien und altägyptischer Schriftquellen gewonnenen Erkenntnisse.102 Zu Recht wurde die These vom Zusammenhang zwischen der Entwicklung zu einem zunehmend ariden Klima und dem Ende des Alten Reiches aufgrund der fragwürdigen Quellen mehrfach scharf kritisiert. 103 Dennoch ist die „Klimathese“ seit einigen Jahren wieder in Mode gekommen. Ausschlaggebend dafür war das anhand der Befunde von Tall Lailān in Syrien von Harvey Weiss postulierte globale 4.2 ka BP event (siehe unten) und es darf vermutet werden, dass auch die omnipräsente Diskussion um den derzeitigen Klimawandel das Denken in dieser

100 101 102 103

B. Bell (1971). Butzer (1959). Butzer (1959: 110111), (1976: 28). Müller-Wollermann (1986: 107108); Seidlmayer (1990: 440); Moeller (2005).

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Richtung beeinflusst hat. Teils wird angenommen, der aus „inneren Ursachen“ heraus ent standene Zerfall des Staates sei durch eine Klimaveränderung und daraus resultierendeWetterextreme zusätzlich beschleunigt worden.104 Zunehmend aber wird die Meinung vertreten, ein plötzlicher Klimaumschwung sei die direkte Ursache für eine sozio-ökonomische Krise und damit für den Untergang des Alten Reiches. 105 Elisa Priglinger postuliert, das zunehmend trockener werdende Klima habe zu einer „ideologischen Krise“ geführt, die wiederum soziale Veränderungen und damit letztlich den Untergang des Alten Reiches verursacht habe.106 Unabhängig von der noch zu klärenden Frage, ob sich eine massive Klimaveränderung überhaupt nachweisen lässt, ist es meiner Meinung nach nicht notwendig, diese Idee weiter zu erörtern; hatte doch schon Müller-Wollermann herausgearbeitet, dass eine derartige Krise nicht feststellbar ist und Römer darüber hinaus scharfsinnig gezeigt, dass die aus der modernen Soziologie stammende Krisentheorie keine Grundlage für die Beschreibung oder gar das Verständnis historischer Vorgänge im Alten Ägypten sein kann.107 In diesem Zusammenhang wird regelmäßig darauf hingewiesen, dass schließlich auch in den umliegenden Regionen eine abrupte Klimaveränderung nachweisbar sei. Bevor darüber zu sprechen sein wird, auf welchen Grundlagen die Vorstellung eines 4.2 ka BP event beruht und welche Kritik es daran gibt, soll zunächst betrachtet werden, welche Anzeichen für Klimaveränderungen dem archäologischen und epigraphischen Befund in Ägypten selbst zu entnehmen sind. Der Palermostein verzeichnet während des gesamten Alten Reiches einen Rückgang der Fluthöhen. Zwar können die altägyptischen Nilstandsangaben nicht präzise mit modernen Maßen wiedergegeben werden, doch scheint der archäologische Befund den Palermostein zu bestätigen: Bauten der 6. Dynastie im Bereich zwischen dem östlichen und westlichen Teil der Insel von Elephantine etwa sind ein Ausweis dafür, dass die Fluthöhe in dieser Zeit sehr gering gewesen sein muss.108 Seit der Regierung des Niuserre zeigen die Reliefs in Privatgräbern zunehmend Jagdszenen in einer savannenartigen Landschaft. Die schon von Butzer geäußerte These, dass sich darin eine Veränderung der Flora und Fauna und ein zunehmend arider werdendes Klima abzeichnet, wird neuerdings wieder aufgegriffen. 109 Diverse ägyptische Fundplätze, die in die späte 6. Dynastie oder später datieren, weisen Spuren auf, die Rückschlüsse auf extreme Wetterphänomene zu dieser Zeit zulassen. Auf dem südlichen Sinai scheint die Struktur von Raʾs Budrān nach ihrer Aufgabe am Ende der 6. Dynastie dreimal von einer Flutwelle überrollt worden zu sein, die jedes Mal eine Kruste

104 105 106 107 108 109

Bárta (2009: 44); Sowada (2013). Mieroop (2011: 86; 96); Brewer (2012: 133); Welc/Marks (2013); Bárta (2015b). Priglinger (2015). Cf. Müller-Wollermann (1986) und Römer (2011). Seidlmayer (2001b: 8192); Collins (2002: 16); Moeller (2005: 154). Butzer (1959); Welc/Marks (2013: 7); Bárta (2015b: 179181).

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aus feinem harten Sand und Salz hinterließ. Als Ursache für eine solche Flutwelle wären seismische Aktivitäten denkbar, die sich allerdings nicht nachweisen lassen. 110 An verschiedenen Stellen des Deltas, des Fayyūm sowie in ʿAin Aṣīl sollen nach Angaben von Douglas Brewer Schlamm- und Sandablagerungen eine extreme Trockenheit nach 2200 v. Chr. nachweisen. Mangels Verweisen auf die Primärpublikationen der entsprechenden Untersuchungen sind diese Aussagen jedoch nicht überprüfbar. 111 Geoarchäologische und paläoklimatische Untersuchungen im Rahmen einer polnischägyptischen Grabungskampagne im Gebiet westlich des Djoser-Komplexes in Saqqāra kommen zu folgendem Ergebnis: „The presented compilation of geological and geoarchaeological investigations proved that climate change in Egypt in the 3 rd millennium BC has been expressed not only by aridification and low floods of the Nile but also by heavy rainfall periods. All these reasons resulted presumably in the rapid collapse of the Old Kingdom at about 42004100 cal BP.“112 Ablagerungen in einer untersuchten Sedimentschicht, die dem Alten Reich zugeordnet wird, deuten darauf hin, dass in dieser Zeit Sturzfluten häufig vorkamen. 113 Zeugnis davon sind Schäden von schnell abfließendem Wasser, wie sie an zahlreichen Gräbern festzustellen sind, und laminierte Ablagerungen von Schlamm in Gräbern.114 Vergleichbare Spuren am Grab des Jnw-Mnw nahe der Teti-Pyramide115 sowie in Saqqāra-Süd und al-Ǧīza116 scheinen zu bestätigen, dass es im 3. Jahrtausend v. Chr. eine relativ feuchte Phase mit heftigen Regenfällen gegeben haben muss, die recht plötzlich von einer trockenen, sehr windigen Phase (sichtbar an äolischen Sandablagerungen) abgelöst wurde. 117 Was jedoch die Frage betrifft, inwieweit diese Klimaschwankungen zum Untergang des Alten Reiches beigetragen haben, werden bei genauerem Hinsehen einige Ungereimtheiten und Mängel in der Argumentation deutlich: 1. Fabian Welc/Leszek Marks geben sämtliche Daten in cal BP an, was beim Leser den Eindruck erweckt, hier lägen hochauflösende Radiocarbondaten zugrunde. Tatsächlich wurde aber nur die Asche einer einzigen der untersuchten Schichten einer 14C-Analyse unterzogen und auf 48204670 cal BP (45,8 % Wahrscheinlichkeit) datiert. Die Datierung der übrigen Schichten erfolgte anhand der darin enthaltenen Keramikscherben. 118 Auch die Gesamtdatierung des untersuchten Teils der Nekropole auf 42004100 cal BP119 scheint allein darauf zu beruhen, dass eines der Gräber anhand der Keramik

110 111 112 113 114 115 116 117 118 119

Mumford (2006: 3031). Brewer (2012: 139140). Welc/Marks (2013: 8). Welc/Marks (2013: 56). Welc/Marks (2013: 7); Sowada (2013). Sowada (2013). Weitere Literaturangaben siehe Welc/Marks (2013: 8). Sowada (2013: 74); Welc/Marks (2013: 6). Welc/Marks (2013: 4). Welc/Marks (2013: 3).

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und epigraphischer Kriterien in die Zeit Pepis I. datiert werden kann.120 Wie es aussieht, haben die Autoren die „ägyptologischen“ relativen Datierungen einfach in absolute umgewandelt (ohne anzugeben, welcher absolut-chronologische Ansatz dem zugrunde liegt) und dann, weil die Publikation in einer naturwissenschaftlichen Zeitschrift erfolgte, in (scheinbare) 14C cal BP-Daten „übersetzt“. Im Text finden sich weitere Hinweise darauf, dass die Datierung sehr unsicher ist und vor allem die Länge der von heftigen Regenfällen geprägten Phase nicht seriös geschätzt werden kann. 121 Diese Unsicherheiten schränken meines Erachtens die Validität der These erheblich ein. Sollte die Phase heftiger Regenfälle tatsächlich nur wenige Jahre gedauert haben, scheint es unwahrscheinlich, dass ein ganzer Staat an den Auswirkungen zugrunde gegangen sein soll. Von jahrzehntelangen Wetterkapriolen könnte man dagegen eher annehmen, dass diese die landwirtschaftliche Produktivität ernsthaft beeinträchtigt hätten. Sollte der vorgeschlagene Datierungsansatz beispielsweise hundert Jahre zu hoch sein (die absoluten Daten für die Könige des Alten Reiches sind keineswegs sicher, siehe Tabelle 7 im Anhang A.4) und die feuchte Phase in die Erste Zwischenzeit datieren, könnte Sie ebenfalls nicht mehr für den Untergang des Alten Reiches verantwortlich gemacht werden. Die Autoren setzen voraus, dass es um 2200 v. Chr. in Ägypten eine sozio-ökonomische Krise gab und machen sich auf die Suche nach deren Ursache. 122 Eine solche Krise ist, wie oben gezeigt, jedoch nicht mehr als eine Hypothese. Ablagerungen, wie sie durch Sturzfluten entstehen, wurden auch in einer der 3. Dynastie zugeordneten Sedimentschicht gefunden – hier führten heftige Regenfälle offenbar zu keinem Untergang.123 Wiederholte heftige Sturzfluten müssten auch Spuren an den Monumenten hinterlassen haben, die vor die 6. Dynastie datieren. Die Autoren machen dazu keine Angaben. Die Klimaveränderungen werden grundsätzlich mit negativen Attributen belegt, gleich ob das Klima feuchter oder trockener wird, es handelt sich um eine „Verschlechterung“ der Bedingungen. Es fehlen jedoch Modellvorstellungen davon, auf welche Weise sich diese Veränderungen langfristig negativ auf die Landwirtschaft ausgewirkt haben könn-

120 Myśliwiec et al. (2004: 246250). Dies ist die einzige von Welc/Marks angegebene Referenz: Es handelt sich dabei um die Publikation des Grabes des Mrj=f-nb=f. Auf ähnlich fragwürdige Weise kommt die Datierung der Schlammablagerungen im Grab des JnwMnw zustande. Aufgrund epigraphischer und stilistischer Kriterien datiert Kanawati (2006: 1617) das Grab in die frühe Regierungszeit Pepis I. In der Tatsache, dass der Grabschacht beim Eindringen des Schlamms offen stand, erkennt Sowada (2013: 73) ein Indiz für eine Datierung in das 23. Jh. v. Chr., denn: „an open shaft and continued robbing is consistent with a breakdown of wider official control of the cemetery, the result of a more chaotic political situation in Egypt at the very end of the Old Kingdom”. 121 „A lack of high resolution dating control makes estimation of the length of the recorded wet episodes impossible. Taking into account thickness and structure of the deluvial series, it seems reasonable that surface flows were considerably more frequent and lasted longer at the end than at the beginning of the Old Kingdom. (…) Thickness of slope deposits suggests that this wet period could be from several to a dozen years long.” Welc/Marks (2013: 67). 122 Welc/Marks (2013: 1). 123 Welc/Marks (2013: 6).

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ten. Dass sowohl extreme Dürre als auch extreme Regenfälle zu Ernteausfällen führen können, ist unzweifelhaft. Für das Ende des Alten Reiches stehen keine direkten Hinweise auf solche Ernteausfälle zur Verfügung. 6. Bárta diagnostiziert in Abū Ṣīr „a major climate decline“ der „at least a century before the actual demise of the Old Kingdom around 2200 BC“ beginnt.124 Mit dem allmählichen Niedergang ist hier ein zunehmend trockenes Klima gemeint, sichtbar an der Austrocknung des Abū Ṣīr-Sees und dem Fund von aride Lebensräume bevorzugenden Käferarten in einigen Gräbern.125 Erklärungen, wie beide Befunde – zunehmende Trockenheit einerseits und häufiger Starkregen andererseits – miteinander in Einklang zu bringen sind, fehlen bisher. 7. Als weitere Indizien für „much wetter seasons“ in Ägypten um 2200 v. Chr. führen Welc/Marks die Nutzung des Abū Ballāṣ-Weges, die Existenz von „Außenposten“ westlich der Oase ad-Dāḫla und das Vorhandensein von Brunnen bei den Steinbrüchen von Ǧabal al-ʿAṣr in Nubien an.126 Diese Beispiele sind von sehr zweifelhafter Aussagekraft. Der Abū Ballāṣ-Weg wurde nach neueren Forschungen frühestens in der 8., möglicherweise auch erst in der 9./10. Dynastie aus bisher unbekannten Beweggründen angelegt. Das aufwändige System von Wasserdepots deutet gerade nicht auf feuchtere Verhältnisse bzw. einen savannenartigen Charakter der Landschaft hin. 127 Die Untersuchungsergebnisse hinsichtlich eines etwas feuchteren Klimas westlich der Oase adDāḫla beziehen sich auf die Zeit der 4. Dynastie, sind also hier nicht relevant. Ferner sind dort mitnichten „Außenposten“ nachgewiesen, Felsinschriften deuten lediglich auf zwei Expeditionen währen der 4. Dynastie hin (siehe auch Kapitel 8.6.2.).128 Das Gleiche gilt für Ǧabal al-ʿAṣr: ein eher savannenartiger Charakter der Landschaft und ein relativ hoher Grundwasserspiegel werden für die 4. Dynastie angenommen, die letzten ägyptischen Tätigkeiten dort sind unter Djedkare nachgewiesen. 129 Folglich kann der Befund nicht auf die Verhältnisse am Ende des Alten Reiches übertragen werden. Welche Hinweise gibt es nun auf größere globale Klimaveränderungen im 3. Jahrtausend v. Chr., mit denen die Entwicklungen in Ägypten möglicherweise korreliert werden können? Die These, dass es um 2200 v. Chr. zu einem abrupten Klimasturz globalen Ausmaßes kam (4.2 ka BP event), wird vor allem von Harvey Weiss vertreten. Der archäologische Befund im syrischen Tall Lailān deutet darauf hin, dass es im nördlichen Mesopotamien zu dieser Zeit130 ein extremes Dürreereignis gab, aufgrund dessen nicht nur Tall Lailān von seinen Einwohnern fluchtartig verlassen wurde, sondern – wie ein groß angelegter Survey in der al-Ḫābūr-Ebene zeigte – auch alle anderen Siedlungen in dieser Gegend aufgegeben oder stark verkleinert wurden. Schätzungen zufolge sollen sich ca. 30 000 Menschen auf

124 125 126 127 128 129 130

Bárta (2013b: 78). Bárta (2013b), (2015: 182183). Welc/Marks (2013: 8). Förster (2015). Siehe auch Kapitel 8.6.2. Kuhlmann (2005). Shaw et al. (2010: 304305). Siehe auch Kapitel 8.2.2. Zu den 14C-Daten aus Tall Lailān siehe Weiss et al. (2012).

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der Flucht befunden haben, die sich teils in der südlichen Levante niederließen, teils zum Pastoralnomadentum übergingen, um bei den wiedereinsetzenden Regenfällen am Ende der etwa 300-jährigen Klima-Anomalie zu ihren alten Siedlungsplätzen zurückzukehren. Diesen Befund korreliert Weiss mit weltweit entnommenen Proxydaten und schließt daraus auf ein „abrupt climate change event“ globalen Ausmaßes, vergleichbar mit dem 8.2 ka BP event,131 das nachweislich erhebliche kulturelle Veränderungen (darunter die Besiedlung des Niltals) nach sich zog.132 Gegen diese These in ihrer Absolutheit gibt es sowohl archäologische als auch naturwissenschaftliche Einwände. Aktuelle Ausgrabungen an der Küste des Libanon etwa ergeben im Gegensatz zum Befund in der südlichen Levante keine gesicherten Hinweise auf einen Bruch in der materiellen Kultur und Siedlungskontinuität um 2200 v. Chr., obwohl doch gerade diese Region vom angenommenen Flüchtlingsstrom aus dem nördlichen Mesopotamien betroffen sein müsste. 133 Aus naturwissenschaftlicher Sicht lassen die vorhandenen Proxydaten keineswegs solche eindeutigen Schlüsse zu, wie von Weiss postuliert. Nach Angaben der jeweiligen Experten sind paläoklimatische Daten meist schwierig zu deuten, weil sich in ihnen kaum jemals einzelne meteorologische Parameter messen lassen. Die absoluten Datierungen können eine Unsicherheit von bis zu ±400 Jahren aufweisen, weshalb sich eher langfristige Trends und weniger einmalige Ereignisse herauslesen lassen.134 Gegen die Annahme eines plötzlichen globalen Klimasturzes spricht auch, dass für die Zeit um 2200 v. Chr. keine größeren Vulkanausbrüche oder Phasen schwacher Sonneneinstrahlung bekannt sind, die ein globales event verursacht haben könnten.135 Rückschlüsse auf die klimatische Entwicklung des 3. Jahrtausends v. Chr. in Nordostafrika sind anhand der Untersuchung von Sedimenten aus der Sahara und dem Roten Meer möglich: Das Austrocknen der Paläoseen in West-Nubien bis 2200 v. Chr. deutet auf ein kontinuierlich trockener werdendes Klima hin. In den Sedimenten des Lake Yoa (Tschad) sind keine Auffälligkeiten um 2200 v. Chr. festzustellen – während das 8,2 ka BP event dort deutlich sichtbar ist.136 Die Daten aus dem Roten Meer sind widersprüchlich: Während die Sedimente des Shaban-Tiefs im nördlichen Roten Meer auf ein ausgeprägtes Dürreereignis um 2200 v. Chr. hindeuten, zeigen die Paläodaten aus dem Golf von al-ʿAqaba zwar trockenere Intervalle um diese Zeit, jedoch kein herausragendes Ereignis oder eine Anomalie.137 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die zur Verfügung

131 Im deutschsprachigen Raum auch als Misox-Schwankung bezeichnet. Belegt ist dieses globale Ereignis u. a. in den grönländischen Eisbohrkernen. Cf. Burroughs (2005: 178); Weninger et al. (2014). 132 Weiss et al. (1993); Weiss (2014), (2015); A. Burke (2017: 2122). 133 Genz (2015). 134 Burroughs (2001: 153); Arz/Kaiser/Fleitmann (2015). 135 Auf diese Ursachen sind etwa die „kleinen Eiszeiten“ zurückzuführen. Eine Anomalie des pazifischen El-Niño-Systems von ca. 22002000 v. Chr. kann nicht zwingend mit einer Dürreperiode im Nahen Osten in Zusammenhang gebracht werden. Cf. Arz/Kaiser/Fleitmann (2015) und Sirocko (2015). 136 Stefan Kröpelin, Climate change in northeastern Africa during the middle Holocene, Vortrag beim 7. Mitteldeutschen Archäologentag vom 23.26.10.2016 in Halle (Saale). 137 Arz/Kaiser/Fleitmann (2015).

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stehenden Proxydaten für Ägypten eher eine längerfristige Klimaveränderung als ein abruptes Klimaereignis belegen. 9.3.3 Invasion von außen Die Autoren der klassischen Antike berichten von zahlreichen zeitgenössischen Wanderungsbewegungen, so dass Migration sowohl in der Historie als auch in Archäologie seit jeher als naheliegendes Erklärungsmodell zur Deutung regionaler Fremdformen herangezogen wurde. Die auf einem evolutionsbezogenen Geschichtsverständnis beruhende New Archaeology/Prozessuale Archäologie lehnte dieses Modell strikt ab, so dass Thesen von Migration oder Invasion in den 1960er Jahren vorübergehend in Verruf gerieten. 138 Zwar hatte dieser Trend seinen Schwerpunkt in der angloamerikanischen Prähistorischen Archäologie, doch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass etwas davon auch auf die Ägyptologie abfärbte, wie sich im Folgenden zeigen wird. 139 Die These einer asiatischen Invasion in das Nildelta im Zusammenhang mit dem Ende des Alten Reiches formulierte bereits Eduard Meyer.140 Dem folgte Petrie, der die geometrischen Motive auf den während der 6. Dynastie in Ägypten auftauchenden Knopfsiegeln von asiatischen Formen ableitete und darin einen archäologischen Beleg für die These sah.141 Alan Gardiner erkannte in den Mahnworten des Ipuwer einen textlichen Beleg für eine asiatische Invasion.142 An dieser Stelle sei bereits darauf hingewiesen, dass beide Belege sich inzwischen als falsch herausgestellt haben: die Knopfsiegel scheinen rein ägyptischen Ursprungs zu sein143 und die Mahnworte können, wie in Kapitel 3.3.4 ausgeführt, nicht länger als zeitgenössische Beschreibung der Zustände während der Ersten Zwischenzeit angesehen werden. Unabhängig davon wurde ein Zusammenhang zwischen einem gewaltsamen Eindringen von Asiaten und dem Ende des Alten Reiches in der Folgezeit „entweder ganz abgelehnt oder allenfalls als sekundäre Folgeerscheinung innerer Schwäche gesehen, daß etwa in Grenznähe lebende Beduinen aufgrund der Instabilität der inneren Verhältnisse in Ägypten eindringen konnten.“144 Vor einigen Jahren hat Jansen-Winkeln die These von einer asiatischen Invasion als Hauptfaktor für den Untergang des Alten Reiches wieder aufgegriffen. 145 Dabei vermag er überzeugend zu begründen, weshalb sich ein solches Ereignis nicht zwingend direkt in den uns zur Verfügung stehenden spärlichen Quellen wiederspiegeln muss. Als Hauptindizien für die These einer Invasion in das Delta macht Jansen-Winkeln Folgendes aus:

138 Burmeister (2013: 230233). 139 Siehe dazu auch Jansen-Winkeln (2010: 300301), der zahlreiche Beispiele dafür anführt, wie Invasionen oder Migrationen „heute gerne geleugnet, kleingeredet oder schlicht ignoriert“ werden. 140 „Ja, wir können mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass fremde, syrische Stämme Aegypten angriffen und vielleicht eine Zeit lang das Land oder einen Theil desselben beherrschten.“ Meyer (1884: 105). 141 Petrie (1894: 117118), (1939: 121128). Siehe dazu auch Frankfort (1926) und Stock (1949: 21). 142 Gardiner (1909: 1718). 143 Wiese (1996: 37). 144 Jansen-Winkeln (2010: 275, insb. Anm 9 und 10). 145 Jansen-Winkeln (2010).

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9.3 Mögliche Ursachen für das Ende des Alten Reiches

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1. die zahlreichen (und ausführlich begründeten) Unzulänglichkeiten der Belege für die Behauptung einer „inneren Krise“; 2. den geschichtlichen Bruch, der eher auf ein plötzliches Ereignis als auf eine allmähliche Entwicklung hindeutet; 3. die Beleglücke an Denkmälern der Elite in Unterägypten während der Ersten Zwischenzeit; 4. die Verlegung der Residenz nach Süden; 5. die Schilderung von Kämpfen gegen Asiaten in Unterägypten in der Lehre für Merikare. Jansen-Winkeln konnte damit eindeutig zeigen, dass eine Invasion zwar hypothetisch bleiben muss, aber durchaus im Bereich des Möglichen liegt und als denkbarer Faktor für das Ende des Alten Reiches berücksichtigt werden sollte. Dies ist erstaunlicherweise bisher kaum der Fall, in den einschlägigen Aufsätzen zum Thema wird die Möglichkeit einer Invasion meist komplett ignoriert und der Aufsatz Jansen-Winkelns nicht einmal in der Bibliographie erwähnt.146 Wie bereits in Teil Kapitel 9.1 erwähnt, ist die zweite Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr. auch im vorderasiatischen Raum eine unruhige Zeit. Die teils befestigten urbanen Zentren der südlichen Levante verschwinden mit dem Ende des EBA III (von Felix Höflmayer mit dem Beginn der ägyptischen 5. Dynastie synchronisiert), die Kultur des folgenden EBA IV ist vom Pastoralnomadentum geprägt. In Bezug auf die Ursachen für den „Untergang“ dieser urbanen Zentren lassen sich in der wissenschaftlichen Diskussion ähnliche Trends ausmachen, die auch in der Ägyptologie hinsichtlich des Untergangs des Alten Reiches zu beobachten sind. Kathleen Kenyon und andere hatten in den 1960er Jahren die „Amorite Hypothesis“ aufgestellt, die davon ausgeht, dass die Städte der südlichen Levante von eindringenden, kriegerischen amurritischen Nomaden gewaltsam erobert wurden. 147 Diese Theorie ist in der Folgezeit stark kritisiert worden, da die archäologischen Belege für militärische Aktivitäten weitgehend fehlen, und es wurden Zweifel daran laut, ob es so etwas wie eine amurritische Ethnizität tatsächlich gibt. 148 Inzwischen geht die Mehrheitsmeinung dahin, dass es „innere Ursachen“ in Kombination mit klimatischen Einflüssen waren, die das Ende des EBA III herbeiführten: „…collapse was systemic, rather than violent. The fortified centres simply failed.“149 „Once popular, the hypothesis of a massive Amorite invasion has long been discarded for lack of archaeological testimonies. Other hypotheses have been put forward which invoke climatic, social, and political crisis, each on solid ground. A

146 Cf. Bárta (2014), (2015a), (2015b); Moreno García (2015); Priglinger (2015). Kurze Erwähnung findet der Ansatz bei Müller-Wollermann (2014: 1) und Höflmayer (2015: 122). 147 Kenyon (1966). Die Autorin geht übrigens auch davon aus, dass in der Ersten Zwischenzeit asiatische Pastoralnomaden in das Nildelta eindrangen. Siehe Kenyon (1966: 8). 148 Cf. Kamp/Yoffee (1980). 149 Greenberg (2014: 274).

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9 Ende der 6. Dynastie = Untergang des Alten Reiches?

combination of these factors is most probable, triggering a domino effect all over the southern Levant. The collapse of Early Bronze civilization appears as a large-scale systemic phenomenon.“150 Selbst der Zerstörungshorizont von Byblos, der vermutlich kurz nach dem Ende der 6. Dynastie zu datieren ist,151 wird eher auf eine „Krise“ als auf eine gewaltsame Eroberung zurückgeführt: „The end of EB III at Byblos is marked by a major destruction layer. Dunand (1952) and many scholars following him have attributed this destruction to the invading Amorites. However in recent years this theory has gone out of favour: it should be noted that similar destruction layers marking the end of EB III are not yet attested at other sites in Lebanon. Clearly a major crisis of urban settlements can be noted in many parts of the Levant and even beyond around that time, but this is more likely due to a combination of various factors involving climatic changes and their consequences, such as increased competition for diminishing resources.“ 152 Nicht wegzudiskutieren ist jedoch die gewaltsame Einahme und Zerstörung Eblas durch Sargon von Akkad, die auch schriftlich belegt ist.153 Wenn auch die Amurriter nicht mehr für das Ende des EBA III in der südlichen Levante verantwortlich gemacht werden können, so liegen doch Schriftquellen vo – unter anderem aus dem Archiv von Ebla –, aus denen hervorgeht, dass gegen Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. eine immer größere Zahl amurritischer Pastoralnomaden von der syrischen Wüstensteppe aus in Babylonien eindrang, so dass sich ein König der 3. Dynastie von Ur schließlich gezwungen sah, einen Verteidigungswall zu errichten. 154 Ein Zusammenhang besteht hier möglicherweise mit dem Dürreereignis im nördlichen Mesopotamien,155 das eine größere Wanderungsbewegung ausgelöst haben könnte. Zwar ist Weissʼ Klimathese in ihrer Absolutheit wohl nicht aufrechtzuerhalten (cf. das vorherige Kapitel), für eine starke Veränderung im Siedlungsbild gibt es jedoch eindeutige Indizien. Die These einer asiatischen Invasion in Ägypten würde in diesen Kontext passen, wenn man sich vorstellt, dass der Druck dieser Wanderungsbewegung sich bis in den nördlichen Sinai ausgewirkt haben könnte. Die Bewohner des nördlichen Sinai zur Zeit des EBA IV wollte schon Eliezer Oren mit jenen Asiaten identifizieren, die in den ägyptischen Texten erwähnt werden.156

150 Miroschedji (2014: 322). 151 Die Tempel und andere bedeutende Bauwerke wurden allem Anschein nach am Ende der Phase Byblos K IV zerstört. Diese wird von Saghieh (1983: 131) anhand der ägyptischen Steingefäße (siehe Kapitel 8.4.2, Diagramm 2) mit der ägyptischen 5. und 6. Dynastie synchronisiert. 152 Genz (2014: 304). 153 Matthiae (2013: 16). 154 Streck (2000: 3134). 155 A. Burke (2017). 156 Oren (1993: 1388).

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Conclusio Es konnte gezeigt werden, dass die Beschreibung der Ereignisgeschichte des Alten Reiches bisher auf einer fast ausschließlich positivistischen Auswertung der wenigen vorhandenen Quellen beruht. Argumentationen bauen dabei gerne darauf auf, dass etwas „zweifellos“ so oder so gewesen sei, als ob es sich dabei um ein Axiom handelt. Bevorzugt wird die narrative Darstellung der Geschichte, so dass sich für eine quellenarme Zeit wie das Alte Reich besonders stark das bemerkbar macht, was Historiker wie Carlo Ginzburg und andere an dieser Herangehensweise kritisiert haben: der Historiker wird zum Poet und die kritische Auseinandersetzung mit den Quellen rückt bei der Konzentration auf eine möglichst anschauliche und lückenlose Darstellung aus dem Fokus. Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Arten der Quellen ergab, dass der Quellengruppe der Annalen eine relativ hohe Glaubwürdigkeit bescheinigt werden kann. Es sind jedoch nur wenige ereignishistorisch relevante Geschehnisse vermerkt und diese können kaum mit anderen Belegen verknüpft werden. Die meisten der diskutierten Textgattungen haben für die Ereignisgeschichte allenfalls Indiziencharakter. Lediglich die Texte aus den ereignisbiographischen Abschnitten der Autobiographien sind mitunter recht aussagekräftig und es darf vermutet werden, dass ihnen ein relativ hohes Maß an Historizität innewohnt. Einschränkend ist zu beachten, dass ihr Verständnis sehr stark von der Interpretation sowohl des Gesagten als vor allem auch des Nichtgesagten durch den Übersetzer abhängt. Die historische Deutung ändert sich in manchen Fällen, wenn einem Begriff eine bestimmte Konnotation unterstellt wird. Unter wbA, xbA und bST wären grundlegende anderem für die Begriffe semantische Untersuchungen nötig, um zu einem besseren Textverständnis zu gelangen. Es ist zu berücksichtigen, dass sich die Gattung der Autobiographie erst ab Mitte der 4. Dynastie herausbildet. Der gesamte Beginn des Alten Reiches ist also von vornherein nicht bezeugt und auch für die Blütezeit der Gattung in der 6. Dynastie muss mit einer hohen Anzahl nicht überlieferter Gräber gerechnet werden. Es konnte gezeigt werden, dass weder Form noch Größe der Monumentalarchitektur des Alten Reiches per se Rückschlüsse auf die Ereignisgeschichte oder die politischen Verhältnisse zur Zeit ihrer Erbauung zulassen. Felsinschriften können in einigen wenigen Fällen als Quelle für staatlich gelenkte Aktivitäten der Ägypter im Ausland herangezogen werde. Intention und Umstände ihrer Anbringung sind jedoch meist nicht klar, wodurch die Zuverlässigkeit als Quelle eingeschränkt wird. Die Reliefdekoration in königlichen und privaten Grabanlagen enthält Szenen, die ereignishistorisch von Interesse sind. Als alleinige Quelle sind solche Darstellungen nur unter starken Vorbehalten verwendbar, da sich für das Bildprogramm, im Gegensatz zu den Au-

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Conclusio

tobiographien, ein „Idealteil“ und ein „Ereignisteil“ bisher nicht eindeutig voneinander trennen lassen. Steingefäße, vor allem die mit einer Kartusche beschrifteten, stellen eine wichtige Objektgruppe für die Untersuchung der Beziehungen Ägyptens ins Ausland dar. Diplomatische Beziehungen können aus dem Fund einzelner Gefäße nicht automatisch abgeleitet werden. Vielmehr sind der Fundkontext der Gefäße und mögliche Herkunftswege genau zu hinterfragen. Die Keramik des Alten Reiches ist bisher nicht grundlegend untersucht worden und deshalb eher als ein Indiz für bestimmte Entwicklungen denn als historische Quelle zu betrachten. Der Beginn des Alten Reiches lässt sich aus ereignishistorischer Sicht nicht beschreiben. Die oft postulierte Verlegung der Residenz oder „Hauptstadt“ nach Memphis kann aufgrund vieler ungeklärter Fragen nicht belegt werden. Wir wissen nicht, ob der König überhaupt eine feste Residenz hatte. Es ist unklar, ob es im Alten Reich eine fest umrissene Siedlung Memphis gab, und wenn ja, wo genau diese geographisch zu verorten wäre. Außerdem wurde bisher nicht geklärt, inwieweit das Konzept einer Hauptstadt, die nicht mit der Residenz identisch ist, für diese frühe Zeit vorausgesetzt werden kann und was genau man sich darunter vorstellen darf. Von den als herausragenden Persönlichkeiten des Alten Reiches beschriebenene Königen Djoser und Cheops gibt es nur extrem wenige zeitgenössische Belege. Nichts deutet darauf hin, dass diese sich in ihrer Persönlichkeit und der Ausführung des Königsamtes signifikant von den anderen Herrschern des Alten Reiches unterschieden hätten. Ihre Bekanntheit beruht alleine auf der legendenhaften späteren Überlieferung sowie unserer modernen Wahrnehmung ihrer optisch dominierenden Pyramidenanlagen. Die historische Existenz des in der späteren Überlieferung mythisch überhöhten Imhotep kann anhand einiger weniger zeitgenössischer Quellen bestätigt werden. Aus diesen lässt sich herauslesen, dass Imhotep wohl tatsächlich als Baumeister tätig war. Sämtliche Aussagen zu seinen verwandtschaftlichen Verhältnissen und seinem Einfluss auf das politische Geschehen bewegen sich im Bereich reiner Spekulation. Keine der Mutmaßungen über die Kriterien für die Wahl des Begräbnisplatzes der jeweiligen Könige kann glaubhaft mit Belegen abgesichert werden. Folglich können aus dem Standort oder dem Standortwechsel einer Pyramide keine historischen Schlüsse gezogen werden. Auch die kleinen Pyramiden können nichts zur Ereignisgeschichte beitragen. Was die Beziehungen nach Nubien angeht, so können wir aus den Quellen ableiten, dass die Ägypter in der 4. und 5. Dynastie in Unternubien offenbar relativ ungestört im Gebiet von Ǧabal al-cAṣr Stein abbauten und bei Buhen Kupfer gewannen und verarbeiteten. Ob und wie dabei mit der lokalen Bevölkerung  die bisher archäologisch nicht fassbar ist  interagiert wurde, entzieht sich unserer Kenntnis. In der 6. Dynastie reisten ägyptische Expeditionen bis nach Obernubien und es gab direkten Kontakt nach Kerma. Für die vorhergehende Zeit sind solche Reisen zu vermuten, aber nicht zu belegen. Felsinschriften und

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Conclusio

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Autobiographien enthalten eindeutige Hinweise darauf, dass Expeditionen nach Nubien auch mit militärischen Aktivitäten einhergingen. Die Einschätzung der ägyptischen „Außenpolitik“ in Nubien wird unter anderem durch folgende Unklarheiten erschwert: Die Felsinschriften lassen nach wie vor Fragen offen: Sie befinden sich alle in Unternubien und sollen mehrheitlich in die 6. Dynastie datieren. Die anderen Quellen dieser Zeit belegen ägyptische Tätgkeiten in Obernubien. Warum befinden sich dort keine Felsinschriften? Wurden sie noch nicht entdeckt? Oder müssen wir die Datierung in Frage stellen und davon ausgehen, dass deutlich mehr Inschriften aus der 4. und 5. Dynastie stammen? Wie sind die Inschriften des Merenre I. auf und um Elephantine zu verstehen? Bis zur 6. Dynastie gibt es nur sehr wenige Belege, die auf Interaktionen mit Nubiern südlich des ersten Katarakts schließen lassen. Das Relief vom Ǧabal Šaiḫ Sulaimān, den Feldzug des Snofru, die Inschriften von Ḫūr al-ʿĀqiba und die militärischen Aktivitäten der Gaufürsten von Elephantine als Zeugnisse einer linearen Entwicklung, nämlich der militärischen Dominanz Ägyptens über Nubien zu sehen, scheint aufgrund der großen Beleglücken nicht legitim. Die überlieferten Spuren könnten auch zu mehreren, parallel verlaufenden Ereignissträngen gehören. Letztlich können wir also nur einzelne Ereignisse bzw. Aktivitäten in Nubien zu einer bestimmten Zeit benennen. Ob eine Sicherung der Handelswege oder das Streben nach Expansion das Ziel militärischen Eingreifens in Nubien war, kann nicht geklärt werden. Für den südlichen Sinai können wir feststellen, dass die Ägypter mit unbekannter Frequenz Expeditionen zur Ausbeutung der Türkis- und Kupferminen entsandt haben, wobei uns einige zur Infrastruktur dieser Expeditionen gehörende Anlagen bekannt sind. Die Expeditionen waren staatlich organisiert, dürfen also dem Bereich der Politik zugeordnet werden. Die Tatsache, dass die Bewohner des Sinai in den ägyptischen Inschriften namentlich erwähnt werden, darf man wohl dahingehend deuten, dass es Kontakte zwischen den Ägyptern und der lokalen Bevölkerung gab – auch wenn letztere bisher archäologisch nicht erfasst werden können. Form und Ausmaß der Begegnung entziehen sich unserer Kenntnis. Indizien deuten darauf hin, dass die Ägypter im Sinai durchaus Konfliktpotential sahen. Inwieweit es tatsächlich zu bewaffneten Konflikten bzw. einer erzwungenen ägyptischen Dominanz über den südlichen Sinai gekommen ist, lässt sich anhand der heutigen Quellenlage nicht sagen. Mit der Levante scheint es während des gesamten Alten Reiches regelmäßige Handelsbeziehungen gegeben zu haben, von denen mindestens die Fahrten nach Byblos staatlicher Kontrolle unterstanden. Die Vermutung, dass die in Byblos gefundenen Steingefäße Geschenke des jeweiligen ägyptischen Königs waren, ist legitim, aber nicht zwingend. Das Verhältnis zwischen den ägyptischen Königen und den Herrschern von Byblos kann derzeit nicht genauer beschrieben werden. Eine dauerhafte Anwesenheit von Ägyptern in Byblos oder ein direkter kultureller Einfluss kann anhand der meist in unsicheren Kontexten gefundenen Aegyptiaca in Byblos nicht belegt werden. Für direkte oder gar staatlich gelenkte Kontakte nach Ebla gibt es keine ausreichenden Indizien. Handelsbeziehungen gab es zweifellos mit den kanaanitischen Stadtstaaten, diese können jedoch in vielen Fällen auch indirekt gewesen sein. Eine aktive Rolle der ägyptischen Könige bei diesen Beziehungen ist anhand des archäologischen Befundes in den jeweiligen . Orte nicht erkennbar. Ägyptische Schriftquellen lassen jedoch für die 5. und 6 Dynastie auf

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Conclusio

ein militärisches Engagement in dieser Gegend schließen. Die Intention ist unklar: Die Feldzüge könnten entweder dem Beutemachen oder der Abwehr einer realen Gefahr gedient haben. Ein Zusammenhang zwischen den ägyptischen Feldzügen und der vermutlich unruhigen Situation in Kanaan am Ende des EBA III oder einer größeren Wanderungsbewegung aus Nordsyrien zum Ende des EBA IV kann aufgrund der ungesicherten Synchronisierung zwischen der ägyptischen und levantinischen Chronologie derzeit nicht hergestellt werden. Auch ist unklar, ob die Häufung der Quellen zu militärischen Aktivitäten in Asien zum Ende des Alten Reiches hin tatsächlich auf eine unruhige Zeit hindeutet. Sie könnte auch der Tatsache geschuldet sein, dass militärische Geplänkel, die vielleicht seit Beginn des Alten Reiches regelmäßig stattfanden, vor der 6. Dynastie nicht in den Elitegräbern vermerkt wurden. Es bleibt festzuhalten, dass der Austausch von Waren mit der Levante bis zu einem gewissen Maß beschrieben werden kann, nicht aber die politischen Beziehungen. Direkte Beziehungen Ägypten nach Kreta können für das Alte Reich nicht nachgewiesen werden. Schrift- und Bildquellen liefern Indizien für Interaktionen der Ägypter mit den „Libyern“ der Westwüste. Diese Indizien sind jedoch zu wenige und ihr Kontext mit zu vielen Zweifeln behaftet, um das Verhältnis der Ägypter mit den archäologisch nicht fassbaren Libyern beschreiben zu können. Unzweifelhaft ist die Präsenz der Ägypter in der Oase ad-Dāḫla und es scheint deutlich, dass dort irgendetwas oder irgendwer kontrolliert werden sollte. Ob dies potentielle Eindringlinge oder Handelskarawanen waren, d. h. ob das ägyptische Engagement in ad-Dāḫla in erster Linie von sicherheitspolitischen oder ökonomischen Interessen geleitet war, kann bisher nicht festgestellt werden. Es ist nicht bekannt, inwieweit die einheimische Bevölkerung, d. h. die Träger der Šaiḫ Muftāḥ-Kultur, als Ausländer wahrgenommen wurden und in welcher Form die Ägypter mit diesen interagierten. Die politische Dimension der Beziehungen nach Punt scheint alleine darin zu bestehen, dass die Zentralregierung die Expeditionen anordnete und für die entsprechende Logistik und Infrastruktur sorgte. Über die Interaktion der Ägypter mit der lokalen Bevölkerung sind keine Aussagen möglich. Bewohner von Punt werden in den ägyptischen Quellen nicht erwähnt und die Tatsache, dass Punt nach wie vor nicht genau lokalisierbar ist, lässt auch keine Erforschung der dortigen Gegebenheiten zu. Eine wirkliche „Außenpolitik“ der Könige des Alten Reiches ist für uns nicht fassbar. Setzt man die wenigen von der Zentralregierung ausgehenden Aktivitäten im Ausland, für die wir einigermaßen verlässliche Indizien haben, in Relation zur Gesamtzahl der Jahre des Alten Reiches, dann wird deutlich, wie fragmentarisch unsere Kenntnisse sind. Wie zu erwarten war, zeigen die Quellen, dass die Beziehungen ins Ausland von ökonomischen Interessen geprägt waren. Ein Expansionsstreben der Ägypter in eines oder mehrere der umgebenden Länder kann derzeit nicht nachgewiesen werden, ist aber auch nicht völlig auszuschließen. Nach dem Ende der 6. Dynastie ist aus Historikersicht ein Bruch erkennbar, der jedoch nicht mit einem totalen Zusammenbruch der politischen und sozialen Ordnung und apokalyptischen Zuständen einhergeht. Wodurch dieser Bruch verursacht wurde, ist unklar. Es

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Conclusio

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konnte gezeigt werden, dass keines der Argumente für eine bereits in der 5. Dynastie oder früher beginnende „innere Krise“ wirklich stichhaltig ist. Eine anhand von Indizien postulierte Verschlechterung des Klimas zum Ende des Alten Reiches hin kann anhand der neuesten paläoklimatischen Daten nicht bestätigt werden. Eine ausländische Invasion in das Nildelta ist derzeit nicht nachweisbar. Die auf Indizien beruhenden Argumente, die für diese These angeführt werden, lassen sich aber auch nicht falsifizieren. Bei der Auswertung neuer Funde sollte diese Option deshalb unbedingt berücksichtigt werden. Letztlich müssen wir feststellen, dass die Beleglücken zu groß sind, um die Ereignisgeschichte des Alten Reiches zufriedenstellend rekonstruieren zu können. Die Geschichte des Alten Reiches entsprechend der seit dem linguistic turn geltenden Standards, d. h. als story auf der Basis von sorgsam ausgewerteten Belegen zu schreiben, ist aufgrund der erheblichen Quellenlücken nicht möglich bzw. führt dazu, dass ein falsches Bild scheinbarer Vollständigkeit entsteht und zu wenige Fakten mit zu vielen hypothetischen Annahmen angereichert werden. Müssen wir also Abstand davon nehmen, überhaupt eine Geschichte des Alten Reiches zu schreiben zu wollen? Dies ist sicher keine Option, denn ohne eine Kenntnis der Ereignisgeschichte, wie lückenhaft sie auch sein mag, ohne chronologischen Rahmen, ohne ein Bewusstsein, zu welcher Zeit welche Interaktionen mit anderen Völkern stattfanden, ist auch kein Verständnis der Kulturgeschichte möglich. Was die Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaften betrifft, haben nur auf den ersten Blick Gundlach und andere recht, die feststellten, dass diese für die Ägyptologie nicht relevant seien. In der Tat sind die Ausgangslagen von Mittelalter- und Neuzeitgeschichte und selbst Alter Geschichte völlig unterschiedlich im Vergleich zu der Lage, die sich demjenigen bietet, der eine Geschichte des ägyptischen Alten Reiches verfassen möchte. Die Theoretiker unter den Historikern beschäftigen sich fast ausschließlich mit den Problemen der Sichtweise auf die Geschichte, den Möglichkeiten der Interpretation oder der Art und Weise geschichtlicher Darstellung. Dass genügend historische Fakten und zumindest die grobe Abfolge bestimmter Ereignisse bekannt ist, wird dabei vorausgesetzt. Solche historischen Fakten, die unzweifelhaft und objektiv feststehen (z. B. Gründung des Deutschen Reiches 1871), kann der Historiker interpretieren und ihnen eine Bedeutung zuweisen.1 Für Altägypten sind wird überhaupt noch nicht so weit: Feststehende Fakten gibt es kaum und die Abfolge der Erignisse kann bisher nicht einmal annähernd rekonstruiert werden. Trotzdem können wir die Methoden und Theorien nicht einfach als irrelevant beiseite lassen, denn letztlich haben wir den Anspruch, die Geschichte Ägyptens schreiben zu wollen, und dieser Anspruch unterscheitet sich zunächst einmal nicht von dem desjenigen, der eine Geschichte des Zweiten Weltkriegs verfassen möchte. Oder besser gesagt, das Endprodukt würde sich hinsichtlich seiner Gestaltungsweise im Idealfall nicht unterscheiden. Dieser Idealfall muss jedoch eine Utopie bleiben, eben weil die Quellenlage so unterschiedlich ist. Was also kann und sollte der geschichtsschreibende Ägyptologe tun? Er muss in sein Endprodukt, das sich in seinen Grundsätzen eng an den Maßgaben der allgemeinen Geschichtswissenschaften orientieren sollte, bestimmte Elemente einfügen, mit 1 Siehe dazu Doran (2013: 10).

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Conclusio

denen er der spezifischen Quellenlagen und den damit verbundenen Interpretationsschwierigkeiten, Mehrdeutigkeiten und Beleglücken gerecht wird. Wie schreibt man aber eine „unvollständige“ Geschichte? Vielleicht sollten wir eher versuchen, unseren Arbeitsprozess narrativ und anschaulich darzustellen. Das hieße weniger eine „Geschichte des Alten Reiches“, sondern eher eine „Geschichte der Beschäftigung mit ebendieser Geschichte“ zu schreiben. Mit Hilfe rhetorischer Mittel sollte es dem HistorikerÄgyptologen möglich sein, die Beleglage, Vorgehensweise, Schwierigkeiten der Interpretation und kontroverse Diskussionen anschaulich und nachvollziehbar dazustellen. Dabei müssen hypothetische nicht-überlieferte Ereignisse und die daraus resultierenden variablen Interpretationsmöglichkeiten der vorhandenen Quellen unbedingt berücksichtigt werden. Die in der Einleitung bereits erwähnte Frage „Was wäre gewesen wenn, …“ sollte in künftigen Geschichtswerken eine entscheidende Rolle spielen. Wünschenswert sind auch akribische Quellenangaben und der Mut zur Aussage „Wir wissen es (noch) nicht!“, besonders an solchen Stellen, wo (Neu-) Funde nicht sicher in eine Indizienkette eingefügt werden können.

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Anhang A.1 Schriftquellen A.1.1 Annalenstein Snofru, ?. Zählung (=Jahr 13 ?), Palermostein r. VI.21

Abb 1: Palermostein recto VI.2 Quelle: Schäfer (1902: Taf. 1)

rnp(:t)- Sd(:t)-(m-)dSr_ Jahr:F nehmen:INF-aus-Röte sjs:y4 dp(:t)-nzw3 (n.t-) 60 Boot:F-König von-F

(m-) mr(w) dwA:w-tA:(wj) (nj-) Sn:t-2 mH(-w)1 […] in- Zedernholz Preis-Land:DU von 100:F Elle-PL NUM mD:sjs(-t)_2 mspr(:t)1 16-F Spant:PL.F

Jahr der Ausführung(?)2 [eines(?)] Schiffs des Typs „Preis-der-Beiden-Länder“ von 100 Ellen aus Zedernholz sowie von sechzig Königsbooten mit sechzehn Spanten, 1 Archäologisches Museum Palermo. Für weitere Übersetzungen siehe T. Wilkinson (2000: 141); Strudwick (2005: 66). 2 Man könnte erwägen, ob Sdj-m-dSr ganz wörtlich ‘aus dem Roten nehmen’ bedeutet und ‘das Rote’ sich auf die Farbe der ersten Umrisslinien bezieht, also metaphorisch für ‘Vorzeichnung, Skizze, Planung’ steht. Freundlicher Hinweis von Frank Kammerzell

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Anhang

xbA verwüsten:INF

tA-NHs(:w) Land-Nubier:PL

der Verwüstung von Nubien

jn-t holen-INF

sfx:XA3 (m-) sor(:w)2:anx1 7 000 in- Gefangener(:PL)

Hfn:(wj)2 (m-) mnmn(:t)1 200 000 in- Vieh-F

samt Aufbringens von 7 000 Gefangenen und 200 000 Stück Vieh,

odbauen:INF-

jnb(:w) Festung

(m-) Šmaw (in-) Oberägypten

&A:mHw Unterägypten

Hw:wt-2 %nfrw1 Anwesen:PL.F- Snofru

des Bauens von „Anwesen des Snofru“ in Ober- und Unterägypten.

jn-t holen-INF

Hm:yw-2 dp(:wt)1 mH 40- Boot:PL.F füllen:STAT.3P

(m-) mit-

aS Tannenholz

Herbeibringen von 40 Schiffen beladen mit Tannenholz.

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A.1 Schriftquellen

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Snofru, 7. Mal der Zählung (= Jahr 14 ?), Palermostein r. VI.3 3

Abb 2: Palermostein recto VI.3 Quelle: Schäfer (1902: Taf. 1)

rnp(:t)- jr-t Jahr:F- machen-INF

mabA:dj(:w)-2 zA(:w)- z(j)-t1 Sn:t: Dw:t: sn:tj-3 Szp(:wt)-1 kA(-w)2 35- Schutz:PL- Schaf-F 122- empfangen:NMLZ:PL.F- Stier-PL

Jahr des Einrichtens von 35 Schafspferchen und 122 Stiergattern,

Sd(:t)-(m-)dSr_ (m-) aS dwA:w-tA:(wj) (nj-) Sn:t-2 mH(-w)1 wa(:w) ein nehmen:INF-aus-Röte in- Tannenholz Preis-Land:DU von 100:F Elle-PL der Ausführung(?)4 eines Schiffs des Typs „Preis-der-Beiden-Länder“ von 100 Ellen aus Tannenholz

3 Archäologisches Museum Palermo. Für weitere Übersetzungen siehe T. Wilkinson (2000: 143); Strudwick (2005: 66). 4 Man könnte erwägen, ob Sdj-m-dSr ganz wörtlich ‘aus dem Roten nehmen’ bedeutet und ‘das Rote’ sich auf die Farbe der ersten Umrisslinien bezieht, also metaphorisch für ‘Vorzeichnung, Skizze, Planung’ steht. Freundlicher Hinweis von Frank Kammerzell

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Anhang

(dp:tj m-) mr(w) Schiff-F.DU in- Zedernholz

(nj-) Sn:t-2 mH(-w)1 sn:tj von- 100:F Elle-PL zwei:F.DU

sowie von zwei Schiffen von 100 Ellen aus Zedernholz,

zp Mal

sfx(-nw) sieben-ORD

(nj-) von-

Tnw:t Zählung:F

siebtes Mal des Zensus. Snofru?, ? Zählung (=Jahr ?), Kairofragment-4 r. M.15

Abb 3: Kairofragment-4 recto M.1 Quelle: Gauthier (1915: Taf. XXXI)

5 Museum Kairo, JE 44860. Die Einordnung des Fragments ist nicht gesichert, Indizien sprechen dafür, dass das mittlere Register Snofru zuzuordnen ist. Cf. Krauss (1996: 45). Für weitere Übersetzungen siehe T. Wilkinson (2000: 235); Strudwick (2005: 67).

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199

A.1 Schriftquellen

Abb 4: Kairofragment-4 recto M.1, Abschrift Sethe Quelle: Urk. I, 237, 912

rnp(:t)Jahr:F-

xa-t-2 nzw1 erscheinen-INF- König

_zp Mal

fd(-nw) vier-ORD

(nj-) von-

pHrrlaufen:INF-

Ḥp Apis

Jahr der Inthronisation des Königs, des vierten Mals des Auslaufs des Apisstiers,

ms(-t) gebären:INF

(m-) in-

nbw Gold

twt-3 Ḥrw1 Nb-mAa:t2 nDr-4 nTr(-w) Statue- Horus Herr-Ordnung:F ergreifen:NPA- Gott-PL

der Fabrikation aus Gold einer Statue “Horus Herr-der-Ordnung, der die Götter ergreift”,

jn(-t) mholen:INF in-

tA§Hnw xA-Sn(:t)-2 sor(:w):anx1 Dba:xmt:XA(:w):Sn(:t)2 (m-) aw:t1 Land- Libyer 1 100 Gefangener:PL 13 100 Kleinvieh:F

des Einbringens von 1 100 Gefangenen und 13 100 Stück Kleinvieh aus dem Libyerland,

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200

Anhang

jw-t zurückkehren-INF

xbA zerhacken:ANT.PASS

JtA JtA

[/////// [– – –

der Heimkehr, nachdem die Festung JtA geschleift worden war, [– – – Userkaf, Jahr nach der 1. Zählung (= Jahr 3), Kairofragment-1 v. II.16

Abb 5: Kairofragment-1 verso II.1 Quelle: Gauthier (1915: Taf. XXVII)

Abb 6: Kairofragment-1 verso II.1, Abschrift Sethe Quelle: Urk. I, 240, 35

rnp(:t)-

jn:w

jn-n=sn

n

6 Museum Kairo JE 44859. Für weitere Übersetzungen siehe T. Wilkinson (2000: 217); Strudwick (2005: 69).

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A.1 Schriftquellen

Jahr:F-

Lieferung:PL

bringen:NMLZ-ANT-3PL

201

für

Jahr der Lieferungen, die sie gebracht haben für

mr-4 wab-2 s:wt-3 Wsr-kA=f-1 Pyramide- Userkaf- rein- Stätte:PL.F

sfx:yw-2 xAs:t(:jw)1 70 Ausland:F:ADJZ:PL

die Pyramide „Rein sind die Stätten des Userkaf”: 70 Ausländer.7 Sahure, Jahr nach der 7. Zählung (=Jahr 13 ?), Palermostein v. IV.1 8

Abb 7: Palermostein verso IV.1, Abschrift Sethe Quelle: Urk. I, 246, 35

7 Üblicherweise als „Ausländerinnen“ übersetzt. Das scheint sich jedoch auf xAs:t zu beziehen, der von Sethe als sitzende Frau wiedergegebene Klassifikator könnte jedoch auch ein langhaariger Ausländer sein. 8 Archäologisches Museum Palermo. Für weitere Übersetzungen siehe T. Wilkinson (2000: 168); Strudwick (2005: 72). Dieser Teil des Palermosteins ist stark abgerieben, so dass auf der Abbildung des Originals fast nichts zu erkennen ist. Grundlage für die Übersetzung ist deshalb die Abschrift von Sethe.

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202

Anhang

rnp(:t)- jn:t mJahr:F- holen:INF in-

xtjw- mfkA:t Terrasse- Türkis:F

[///////] [– – –]

sjs:xA(:w)2 (m-) nwz(:w) Hmt1 6 000 in- Barren- Kupfer

Jahr des Importierens von der Türkisterrasse: [– – –], 6 000 Barren Kupfer,

jn:t mholen:INF in-

Pwnt Punt

xmn:Dba(:w)2 (m-) ds(:w) antjw1 sjs:xA(:w)2 (m-) pAD(:w)- Dam1 80 000 in- Krüge- Myrrhe 6 000 in- Klumpen- Elektron

des Importierens aus Punt von 80 000 Krügen Myrrhe und 6 000 Klümpchen Elektron,

jn:t holen:INF

min-

Pwnt Punt

xA(:wj): sn(:wj): psD(:t):Sn(:wt)2 (m-) wAD-Szmt1 2 900 in- Zapfen- Malachit

des Importierens aus Punt von 2 900 Aggregaten Malachit,

Dba(:wj): xmt: xA(:w): mD(:wj)2 (m-) pAD(:w)- nwd1 23 020 in- Klumpen- Salbe 23 020 Klumpen Salbe.

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A.1 Schriftquellen

203

A.1.2 Inschriften aus Ǧabal al-ʿAṣr Stele des Cheops9

Abb 8: Stele des Cheops aus Ǧabal al-ʿAṣr Quelle: Engelbach (1938: 371; Taf. LV, 1)

rnp:(wt)- anx Jahr:PL.F- Leben

rnp:(wt)- Dd Jahr:PL.F- Dauer

HAm.t2- #wfw1 Ausbeute:F- Cheops

Jahres des Lebens und Jahre der Beständigkeit sind um (das Bergwerk) „Ausbeute des Cheops“.

9 Stele im Ägyptischen Museum Kairo, JE 68 752; Engelbach (1938: 371; Taf. LV, 1; LVI, 12); Rowe (1938: 393395); Eichler (1993: Nr. 269; S. 115+126).

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204

Anhang

Stele des Djedefre10

Abb 9: Stele des Djedefre aus Ǧabal al-ʿAṣr Quelle: Engelbach (1933: Taf. II, 1)

+d=f-Ra Djedefre Stele des Sahure11

anx Dd Leben Dauer

%AHw-Raw Sd HAmj.t Sahure ergreifen:PTCP Ausbeute:F

Es lebe und dauere (das Bergwerk) „Sahure hat die Ausbeute übernommen”.

10 Stele im Ägyptischen Museum Kairo, JE 59 481; Engelbach (1933: 66; 70; Taf. II, 1); Eichler (1993: Nr. 267; S. 114). 11 Stele im Ägyptischen Museum Kairo JE 68 753; Engelbach (1938: 371; Taf. LV, 2; LVI,2). Eine Abbildung in guter Qualität ist nicht vorhanden. Die Oberfläche der Stele ist stark abgerieben, die Inschrift nur leicht eingeritzt. Eindeutig zu erkennen ist lediglich die Kartusche. Die Lesung der übrigen Zeichen, die als sehr unsicher betrachtet werden muss, folgt dem Vorschlag von Rowe (1938: 395396). Für eine leicht abweichende Lesung siehe Eichler (1993: Nr. 270; S. 115+126).

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A.1 Schriftquellen

zp Mal

tpj eins-ORD

(nj-) von-

HAb-[s]d Sed-Fest

Erstes Mal des Sed-Festes. Stele des Niuserre12

Abb 10: Stele des Niuserre aus Ǧabal al-ʿAṣr Quelle: Shaw/Bloxam (1999: Taf. 2)

Ḥr Horus

s.t-2 jb-1 tA:(wj) Herz- Sitz:F- Land:DU

Nj-wsr-Raw Niuserre

Horus Sitz-des-Herzens-der-Beiden-Länder Niuserre.

12 Shaw/Bloxam (1999: 1617, Taf. 2).

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205

206

Anhang

Stele des Djedkare13

Abb 11: Stele des Djedkare aus Ǧabal al-ʿAṣr Quelle: Engelbach (1933: Taf. II, 2)

+d-kA-Ra Djedkare

nTr Gott

nfr gut

Djedkare, der gute Gott.

13 Stele im Ägyptischen Museum Kairo, JE 59 494; Engelbach (1933: 67; 70; Taf. II, 2); Eichler (1993: Nr. 268; S. 114).

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207

A.1 Schriftquellen

A.1.3 Inschriften aus Tūmās Inschrift Weigall Nr. 2914

Abb 12: Inschrift Nr. 29 aus Tūmās, Abschrift Weigall Quelle: Weigall (1907: Taf. LVIII, Nr. 29)

hAb schicken:INF

rzu-

wbA öffnen:INF

JrT:t JrT:t

Expedition, um JrT.t zu öffnen

n für

nzw:bjt König-von-OÄ-und-UÄ

Nfr-zA-Ḥr Nfr-zA-Ḥr

anx leben:RES.3SM

(n-) D:t (für-) Unendlichkeit:F

für den König von Ober- und Unterägypten Nfr-zA-Ḥr, der bis in die Unendlichkeit am Leben bleiben möge.

sHD-2 (nj-) xnt:w-S3 (n:w-) pr:aA1 Untervorsteher (von-) vorn:ADJZ.PL-Revier (von:PL-) Palast Der Untervorsteher der Landbearbeiter des Palastes

14 Weigall (1907: Taf. LVI, 1; Taf. LVIII, Nr. 29); Urk. I, 208, 1516; Eichler (1993: Nr. 256; S. 111+125). Eine Abbildung des Originals in ausreichend guter Qualität ist nicht vorhanden.

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208

Anhang

m-rʼ Vorsteher

(nj-) (von-)

(j)aA:w Fremdsprachiger:PL

#wns #wns

und Vorsteher der Fremdsprachigen #wns. Inschrift Weigall Nr. 3015

Abb 13: Inschrift Nr. 20 aus Tūmās Quelle: Weigall (1907: Taf. LVIII, Nr. 30)

15 Weigall (1907: Taf. LVI, 3; Taf. LVIII, Nr. 30); Urk. I, 209, 12; Eichler (1993: Nr. 257, S. 111+125).

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A.1 Schriftquellen

Abb 14: Inschrift Nr. 30 aus Tūmās, Abschrift Weigall Quelle: Weigall (1907: Taf. LVI, 3)

hAb schicken:INF

rzu-

wbA öffnen:INF

xAs:(wt) Fremdland:PL.F

rsj(-t) südlich-PL.F

Expedition, um die südlichen Fremdländer zu öffnen

n- Ḥr für- Horus

mry lieben:PTCP.PASS

(nj-) (von-)

tA:wj Land:DU

für Horus, der von den beiden Ländern geliebt wird,

Nfr-zA-Ḥr Nfr-zA-Ḥr

anx (n-) leben:RES.3M (für-)

D:t Unendlichkeit:F

Nfr-zA-Ḥr, der bis in die Unendlichkeit am Leben bleiben möge.

sHD-2 (n) xnt:w- S3 (n:w-) pr:aA1 Untervorsteher (von-) vorn:ADJZ.PL- Revier (von:PL-) Palast Der Untervorsteher der Landbearbeiter des Palastes

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209

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Anhang

m-rʼ nund Vorsteher (von-)

? (j)aA(:w) j-w Hna-f Fremdsprachiger:PL kommen-PTCP:PL mit-3SM

und Vorsteher der Fremdsprachigen sowie diejenigen, die mit ihm hergekommen sind. A.1.4 Inschriften aus Ḫūr al-ʿĀqiba Inschrift Nr. 2716

Abb 15: Inschrift Nr. 27 aus aus Ḫūr al-ʿĀqiba, Teil 1 Quelle: López (1966: Taf. XVI)

Abb 16: Inschrift Nr. 27 aus aus Ḫūr al-ʿĀqiba, Teil 2 Quelle: López (1966: Taf. XVI)

16 López (1966: 2528, Nr. 27; Taf. XVI); Eichler (1993: Nr. 261; S. 113+125).

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A.1 Schriftquellen

Abb 17: Inschrift Nr. 27 aus aus Ḫūr al-ʿĀqiba, Abschrift López Quelle: López (1966: 25)

Jnpwt Schakalgau

(j)r(:j)-(j)x(:t)-2 nzw1 zu:ADJZ-Besitz:F- König

#aj2:bA:w3:Bt1 PROP

(Aus der) Schakalsprovinz, der Königliche Vermögensbeauftragte #aj-bA.w-Bt.

jw:t-f Hnakommen:INF-3SG.M mit-

mSa Armee

(n:w-) Dba:(wj) (von:PL-) 20 000

Seine Ankunft mit einer Armee von 20 000

xbA verwüsten:INF

WAwA:t TOPON:F

und das Verwüsten von WAwA.t.

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211

212

Anhang

Inschrift Nr. 2817

Abb 18: Inschrift Nr. 28 aus aus Ḫūr al-ʿĀqiba Quelle: López (1966: Taf. XVII, 1)

Abb 19: Inschrift Nr. 28 aus aus Ḫūr al-ʿĀqiba, Abschrift López Quelle: López (1966: 28)

JAbtj Ostgau

pHwj Hinterer

(j)r(:j)-(j)x(:t)-2 nzw1 zu:ADJZ-Besitz:F- König

ZAw- jb PROP

(Aus der) Hinteren Ostprovinz, der Königliche Vermögensbeauftragte ZAw-jb.

nDr:t packen:INF

? NHs(:w) Nubier:PL

Dba: sfx: xA:(w) 17 000

Ergreifen von 17 000 Nubiern. 17 López (1966: 2829, Nr. 28; Taf. XVII, 1); Eichler (1993: Nr. 260; 112+125).

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7DOO