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German Pages [227] Year 1998
Das Neue Testament Deutsch Neues Göttinger Bibelwerk In Verbindung mit Horst R. Balz, Jürgen Becker, Peter Lampe, Friedrich Lang, Eduard Lohse, Ulrich Luz, Helmut Merkel, Karl-Wilhelm Niebuhr, Eckart Reinmuth, Jürgen Roloff, Wolfgang Schrage, Eduard Schweizer, August Strobel, Nikolaus Walter und Ulrich Wilckens herausgegeben von Peter Stuhlmacher und Hans Weder
Teilband 1
Das Evangelium nach Markus
18., durchgesehene Auflage (8. Auflage dieser Bearbeitung)
1998 Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Das Evangelium nach Markus Übersetzt und erklärt von Eduard Schweizer
1998 Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Die Deutsche Bibliothek - ClP-Einbeitsaufnahme Das Neue Testament deutsch: neues Göttinger Bibelwerk / in Verbindung mit Horst R. Balz ... hrsg. von Peter Stuhlmacher und Hans Weder. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht. Teilw. hrsg. von Gerhard Friedrich und Peter Stuhlmacher. Teilw. hrsg. von Paul Althaus und Johannes Behm Teilw. mit Nebent.: NTD. Testamentum novum Teilbd. 1. Schweizer, Eduard: Das Evangelium nach Markus. 18., durchges. Aufl., (8. dieser Bearb.). - 1998 Schweizer, Eduard: Das Evangelium nach Markus / übers, und erkl. von Eduard Schweizer. 18., durchges. Aufl., (8. Aufl. dieser Bearb.). Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1998 (Das Neue Testament deutsch; Teilbd. 1) ISBN 3-525-51379-8
© 1998, 1983 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen.
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DAS EVANGELIUM NACH MARKUS Eduard Schweizer
1. Einführung. Da die ersten drei Evangelien (zum Wort „Evangelium“ vgl. zu 1,1) in der Schilderung des Wirkens Jesu stark übereinstimmen, nennt man sie Synoptiker (d.h. „Zusammenschauende“ ). Die Übereinstimmung zeigt sich nicht nur im Wortlaut, der oft bis in kleinste Einzelheiten hinein gleich ist (vgl. z.B. Mt.3,7b-10 mit Lk.3,7b-9 oder Mk.8,34b-37 mit Mt. 16,24b-26 und Lk.9,23 b-25), sondern vor allem auch in der Reihenfolge, wobei freilich Mt. 5-11 ziemlich frei anordnet, während Lukas meist dem Markusaufbau folgt und nur von 9, 51-18,14 eine Menge Sondergut einfügt. Das läßt sich nur so erklären, daß die späteren Evangelisten die früheren Werke gekannt haben. Die wahrscheinlichste Lösung, die sich immerhin über ein Jahrhundert hindurch bewährt hat, ist die sog. Zweiquellentheorie: Markus ist das älteste Evangelium; die beiden andern haben es und außerdem noch die Redequelle (abgekürzt Q, vgl. Einführung zu Matthäus, 2), benützt (vgl. zu 4,26-29 Einl.). Daneben haben beide, ebenso wie Markus, vieles einzeln oder gemeinsam aus der mündlichen Tradition aufgenommen. Mindestens bei Lukas ist es wahrscheinlich, daß er daneben noch andere, schon schriftlich niedergelegte Überlieferung kannte. Ob Markus die Redequelle, die wohl älter ist als sein Evangelium, gekannt, einiges daraus aufgenommen, anderes (was Matthäus und Lukas später übernehmen) bewußt weggelassen hat, ist immer noch ungeklärt (vgl. zu 1,7.8; Einl. zu 6,7-13; 8,11-13).
2. Ist das älteste Evangelium eine treue Darstellung dessen, was sich abgespielt hat? Wir werden in Abschnitt 5 auf diese Frage zurückkommen und sehen, daß alles daran hängt, was man darunter versteht. Zunächst ist über die Forschung der letzten Jahrzehnte zu referieren. 1913 hat Albert Schweitzer in seiner „Geschichte der Leben Jesu Forschung“ (erste Auflage: „Von Rcimarus zu Wrede“ , 1906) festgestellt, daß man kein „Leben Jesu“ (im Sinne einer Biographie) mehr schreiben könne. Noch früher zeigte William Wredes Buch „Das Messiasgeheimnis in den Evangelien“ (1901, 2. Auflage auch 1913), daß der Aufbau des Markus ganz unwahrscheinlich ist und daß man alles für eine Biographie Wichtige erst aus der Phantasie ergänzen muß. Schon Markus will Jesus als den Gottessohn verkünden, nicht aber eine an der inneren und äußeren Entwicklung interessierte Lebensbeschreibung Jesu vorlegen. Diese Erkenntnis wurde gefestigt, als K.L.Schmidt 1919 den „Rahmen der Geschichte Jesu“ untersuchte, also die kleinen Verbindungsstücke, Einleitungen, Schlußwen-
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Einführung: 2. Historische Frage
dungen, gelegentlich auch kurze, summarische Zusammenfassungen der Tätigkeit Jesu, die die einzelnen Abschnitte „einrahmen“ und zusammenhalten. Dieser Rahmen erscheint weithin zufällig und viele dieser Angaben können historisch nicht richtig sein. So ist von 1,14 (oder mindestens 1,21) bis 1,34 am Beispiel eines Tages geschildert, was sich vermutlich an verschiedenen Tagen ereignet hat. Vor allem zeigt sich das bei Matthäus, der hier die ganze Bergpredigt einschiebt, so daß dieser eine Tag mindestens von 5,1 bis zu der aus Markus übernommenen Bemerkung vom Anbruch des Abends in 8,16 reicht. Dabei ist diese Zeitangabe bei Markus sinnvoll, weil der Tag als Sabbat geschildert war, man also die Kranken erst nach Sonnenuntergang bringen durfte, bei Matthäus nicht mehr. Noch schwieriger sind die zeitlichen Angaben Mk.4,35. Hier sitzt Jesus noch im Boot wie 4,2, obwohl er sich nach 4,10 vom Volk getrennt hat, um mit den Jüngern allein zu sein. Ferner ist es Abend, nach Markus also wohl der Abschluß des 4,1 beginnenden Tages. Von der darauf folgenden Nacht berichtet Markus aber nie. Er läßt Jesus direkt vom Boot aus zur Heilung des Geraseners schreiten, zurückfahren ans Westufer, die Frau heilen und die Tochter des Jairus erwecken, um „von dort aus“ nach Nazaret zu ziehen. Das zeigt, daß Markus an zeitlich präzisen Angaben uninteressiert ist. Ebenso steht es mit den geographischen Notizen, die teilweise kaum möglich sind (s. zu 5,1; 7,31; 10,1; 11,1). Oft sind auch die kurzen Zwischenbemerkungen zwischen den Abschnitten stereotyp. Sehr häufig findet sich das für Markus typische „und sogleich ...“ . Oft wird erklärt, Jesus sei „im Haus“ gewesen, ohne daß wir je erfahren, was für ein Haus das war. Damit soll nur dargestellt werden, daß Jesus mit seinen Jüngern allein war oder allein sein wollte (vgl. zu 2,1). In ähnlicher Weise zeigt der „Berg“ an, daß Jesus Gottes Nähe sucht oder in besonderer Weise in Gottes unmittelbarem Auftrag spricht. Vor allem ordnet Markus nach sachlichen, nicht biographischen Gesichtspunkten. So stellt er z.B. 2,1-3,6 lauter Streitgespräche zusammen. Der Evangelist ist also Sammler von Traditionen, die im großen und ganzen als Einzelgeschichten oder Einzelworte auf ihn gekommen sind, die er erst „rahmt“ und damit dem Ganzen einfügt. Man könnte ihn mit einem Kind vergleichen, das die vor ihm liegenden Glasperlen auf eine Schnur aufreiht. Was Markus uns sagen möchte, ist also weithin gerade in diesem „Rahmen“ und im Aufbau seines Evangeliums zu finden. Ein Beispiel mag das illustrieren. Nach Mk. 11,1-25 zog Jesus in Jerusalem ein und ging abends wieder nach Bethanien. Am andern Morgen verfluchte er den Feigenbaum, vertrieb dann die Händler aus dem Tempel und verließ die Stadt wieder. Am dritten Morgen entdeckten seine Jünger den verdorrten Feigenbaum. So wird die Tempelreinigung durch die Verfluchung des Feigenbaums, die für Markus das Jerusalem und seinem Tempel drohende Gericht symbolisiert, eingerahmt. Zugleich werden so die Worte von der Kraft des Gebets V. 22-25 mit dem für Markus wichtigen Wort vom „Haus des Gebetes für alle Völker“ (V. 17) eng verknüpft (vgl. zu 11,12-26). Matthäus hat Einzug und Tempelreinigung auf den ersten Tag konzentriert, wodurch dann Verfluchung und Verdorrung des Feigenbaums am zweiten Tag zusammenfielen, so daß der Ablauf der Ereignisse konzentrierter und das Wunder der Verfluchung noch augenscheinlicher wurde. Rein historisch gesehen (im modernen Sinn des Wortes) lassen sich die beiden Darstel© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Einführung: 3. Jesusworte
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lungen unmöglich harmonisieren. Jeder Evangelist aber verkündet mit seiner Anordnung etwas von dem, was an dem damals Geschehenen wichtig, wenn freilich auch nur dem Glaubenden erkennbar war. Noch interessanter ist das in der Einleitung zu 3,20-35 Ausgeführte (vgl. auch zu 15,25). Achtet man auf diese Tätigkeit des Markus in Verbindungsversen und Zwischenbemerkungen, in kurzen Summarien, aber auch in der Art, wie er seinen Stoff zusammenstellt, auswählt und aufbaut, dann tritt seine Theologie, das Anliegen seiner Verkündigung hervor. Einige typische, in solchen Versen häufig wiederkehrende Wörter (vgl. Einl. zu 1,1-8 und 1,21-28) kennzeichnen seine Botschaft, die wir im Rückblick am Ende des Kommentars zusammenzufassen versuchen. Methodisch wird diese Arbeit heute gewöhnlich „Redaktionsgeschichte“ genannt, weil sie die redaktionelle Tätigkeit des Evangelisten untersucht. 3. Älter als dieser relativ neue Zweig der Forschung ist die sogenannte „Traditionsgeschichte“ , d.h. die Untersuchung der Geschichte der einzelnen Abschnitte, bevor diese zu Markus kamen. Aber kann man darüber etwas wissen? Gewiß ist vieles unsicher und wird es immer bleiben. Immerhin kann man einige Beobachtungen machen. Schon vor Markus wurden Worte Jesu und Geschichten über ihn gesammelt und zusammengestellt, wie die Einleitungen zu 2, 13-17; 3,7- 12; 5,21-43; 9,41-50 zeigen. Es läßt sich noch erkennen, wie solche Sammlungen entstanden sind. Man wollte Worte Jesu über rechte Jüngerschaft einprägen, z.B. im Unterricht von Taufbewerbern; darum stellte man sie nach bestimmten Stichworten so zusammen, daß man sie gut im Gedächtnis behalten konnte (s. zu 9,41-50). Vor allem war die Passionsgeschichte schon relativ früh zusammenhängend erzählt worden (s. Exkurs vor 11,1). Sie hat man wahrscheinlich in der Karwoche, vielleicht auch (verkürzt?) bei jeder Herrenmahlfeier (vgl. l.Kor. 11,23 und zu Mk. 14, 22-25) rezitiert, später auch aufgeschrieben und vorgelesen. Die nFormgeschichte“ ' ist eine besondere Methode dieser Traditionsgeschichte, die versucht, der Geschichte der einzelnen Worte oder Erzählungen nachzugehen, bevor diese gesammelt wurden. Sie geht davon aus, daß ihre Form noch den sogenannten „Sitz im Leben“ erkennen läßt, d.h. die Situation, in der sie ausgestaltet und von der Gemeinde zu bestimmtem Zweck benutzt wurden. Am einfachsten ist dieser Prozeß dort zu verfolgen, wo die Gemeinde ein Wort Jesu nachträglich in eine bestimmte Situation hineingestellt hat, die ihrer eigenen Lage ähnlich war. Den Weheruf über Jerusalem setzt Lk. 13,34f. während der galiläischen Tätigkeit Jesu an im Anschluß an eine Ankündigung Jesu, daß er nach Jerusalem hinaufziehen werde, um dort vernichtet zu werden. Er betont also die Wichtigkeit des Leidens und Sterbens Jesu an diesem Ort. Mt.23,37-39 ordnet denselben Weheruf einer Rede gegen die Pharisäer zu. Damit bekommt er für die Gemeinde eine scharfe Spitze innerhalb ihrer eigenen Diskussionen mit pharisäischen Vertretern. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Gemeinde zu einem überlieferten Wort erst die Schilderung der Situation hinzufügt. So finden wir z.B. noch bei Ps.-Clem. (hom.8,7) das Jesuswort Lk.6,46 erweitert: „Zu einem, der ihn häufig Herr nannte, aber nichts von dem tat, was er ihn hieß, sprach unser Jesus: ,Was nennst du mich Herr, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Einführung: 3. Jesusworte
Herr, und tust nicht, was ich sage; das Sagen nämlich hilft einem nichts, sondern das Tun'.“ In solcher Weise sind Jesusworte durch einen Zusatz erklärt und durch eine Situationsangabe in ihrer Bedeutung schärfer herausgestellt worden. Der antike Erzähler kann ja nicht wie ein moderner Schriftsteller durch Anführungszeichen oder Anmerkungen seine Erklärung scharf vom Jesuswort selber scheiden, sondern fügt diese einfach zu. So sind auch schon vor Markus geschichtliche Angaben über die Umstände, in denen Jesus dieses oder jenes Wort gesagt habe, zugefügt worden, um den Sinn dieses Wortes für die Gemeinde hervorzuheben (vgl. die Einleitungen zu 2,13-17; 7,1-23; 9,33-37 usw.). Das Wort Jesu bleibt die eigentliche Pointe; nur um seinetwillen wird die Erzählung zugefügt. Dabei können Ereignisse gewählt werden, die sich sicher zu Jesu Zeiten so oder ähnlich abgespielt haben (s. zu 2, 13-17); es kann aber auch eine Situation oder Fragestellung, die sich erst in der Gemeinde herausgestellt hat, ins Leben Jesu zurückgetragen werden (s. zu 9,38-40). Ein interessantes Beispiel ist Mt. 12,11 = Lk. 14,5. Beidemal ist das Wort der Frage nach dem gesetzlichen Halten des Sabbats, die in der Gemeinde eine große Rolle spielte, dienstbar gemacht worden; aber die dazu erzählten Geschichten sind verschieden. Außerdem erzählt Mk.3,1-6 die gleiche Geschichte wie Matthäus, enthält aber ein anderes Wort Jesu als Antwort (V.4). Daß es Pharisäer gewesen sind, die Jesus bei dieser Heilung beobachteten, erfährt man dabei erst aus V.6, der von Markus stammt. Er hat damit die Abweisung der Gesetzlichkeit durch Jesus stärker in die Auseinandersetzung der Gemeinde speziell mit den Pharisäern hineingerückt. Naz.cv. 10 wird hinzugefügt, der Geheilte sei ein Maurer gewesen, der darauf angewiesen war, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, so daß die Notwendigkeit der Heilung und das Unrecht der pharisäischen Gesetzlichkeit noch schärfer heraustreten. Wo ist dieser „Sitz im Leben“ in der Gemeinde? Wichtig war ihr die Auseinandersetzung mit den Gegnern, besonders mit den Vertretern der jüdischen Gemeinde. Dafür sind oben Beispiele gegeben, und in Mk. 2,1-3,6 findet sich eine ganze Sammlung von Geschichten, die alle um ein Jesuswort kreisen, das zu den zwischen Judentum und Jesusgemeinde strittigen Fragen nach Sündenvergebung und Gesetzesgehorsam Weisung gibt (vgl. die Einleitung zu 2,13-17, ferner zu 11,27-33). Auch im Unterricht von Heiden sind Worte Jesu und Geschichten über ihn verwertet, zusammengestellt und neu geformt worden. So beschreibt etwa 9,36 f. die richtige Haltung dessen, der sich Jesus anschließen will, und in 9,37-50 sind Jesusworte, die das rechte Jüngerleben beschreiben, für den Unterricht zusammengestellt (s. die Einleitung dazu). Anderes ist für die Missions- oder Gemeir.depredigt wichtig geworden, etwa Worte, die dem Hörer 1 leii zusprechen, Drohworte, die ihn zur Umkehr rufen, Mahnworte, die das Leben der Gemeinde regeln, Weissagungen, die die Zukunft erhellen und die Hoffnung wecken, schließlich auch Worte, die Jesu Bedeutung für den Glauben beschreiben. Manche Jesusworte sprachen ohne weiteres in die späteren Probleme der Gemeinde hinein. Andere wurden erst durch ausdrücklichen Hinweis auf die neu auftretenden Fragen bezogen. Wieder andere sind neu gebildet worden (vgl. zu 4,10-12 und 13-20, auch zu 12,1-12). Naturgemäß waren die Gleichnisse besonders dazu geeignet, in neuen Situationen nach einer anderen Seite hin verstanden zu werden, sei es als Trost in © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Einführung: 4. Jesusgeschichten
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Anfechtung, sei es als Belehrung über Jesu Bedeutung, sei es als Wegweisung für das Leben der Gemeinde. Eine erste Stufe dieser notwendigen Neuformulierung war schon damit gegeben, daß Jesus und die ersten Jünger aramäisch sprachen, während ein Teil der jüdischen Gemeinde in Jerusalem (Apg.6,1), vor allem aber die meisten heidenchristlichen Gemeinden, griechisch redeten. Die Worte mußten also übersetzt und damit oft auch umgestaltet und in neue Sprach- und Denkformen geprägt werden (vgl. zu 4,10-12). Markus, der in der griechisch sprechenden Welt lebt, übernimmt seine Tradition schon in dieser Form. Weil Jesus für die Gemeinde nicht ein toter, sondern ein lebendiger Herr war, mußte sie seine Worte immer wieder in ihre Fragen hinein hören, also sie auch auf die sich ändernden Situationen beziehen und sie ihnen anpassen (vgl. zu 10,12, auch 11,26). Wenn nach20.Kor.3,17; Offb. 2,1 (parallel zu 2,7) im heiligen Geist der lebendige Christus spricht, dann ist das nicht nur erlaubt, sondern notwendig, soll Jesu Wort nicht zu einer zwar ehrfürchtig verehrten, aber doch veralteten, nicht mehr wirklich in die Zeit hinein redenden Antiquität werden. Es ist dann sogar unausweichlich, daß man im Hören auf dieses Wort und in der Verbundenheit mit dem lebendigen Christus in neue Lagen hinein auch neue Worte in seinem Namen auszusprechen wagt, wie es der Seher von Offb.2,Iff. tut, oder auch Matthäus, wenn er aus dem Bericht in der markinischen Abendmahlsschilderung „Sie tranken alle daraus“ (14,23) einen Befehl Jesu macht: „Trinket alle daraus!“ (26,27). Gewiß ist es ebenso notwendig, diese neuen Worte an den alten zu messen und sich von diesen zeigen zu lassen, wo man etwa irregehen wollte; doch hebt dies die Notwendigkeit dieses Wagnisses nicht auf. Gerade in der Neuformulicrung wird oft das alte Wort Jesu erst wirklich lebendig. 4. Ähnliches läßt sich von den Geschichten sagen. Schon beim Vergleich der Synoptiker untereinander erkennt man, daß diese in freierer Weise tradiert wurden als die Worte Jesu. So stimmt der Dialog Mt. 8,8-10, abgesehen von winzigen Änderungen, wörtlich mit Lk.7,6-9 überein, während die Geschichte selbst ziemlich verschieden erzählt wird. Im einen Fall ist es nämlich der Hauptmann, der mit Jesus redet, im andern sind es Freunde, während er selbst zu Hause bleibt. Auch erscheinen die grundsätzlichen Worte Jesu Mt. 8 , l l f . bei Lukas an einer ganz anderen Stelle (13,28f.). Wiederum ist es ausgeschlossen, beide Versionen zu harmonisieren. Auch die Geschichten sind weiter ausgestaltet worden. Mk. 14,47 berichtet, einer von den Dabeistehenden habe in Gcthsemane mit dem Schwert dem Knecht des Hohepriesters ein Ohr weggeschlagen. Mt. 26, 51 präzisiert, es sei ein Begleiter Jesu gewesen, und fügt einige grundsätzliche Worte Jesu zu. Lk. 22,50 erzählt, es sei das rechte Ohr gewesen. Joh.l8,10f. endlich weiß die Namen der Beteiligten, Petrus und Malchus, und schließt außerdem ein anderes Jesuswort an. Dieses Wachsen der Geschichten geht auch nach Abschluß unserer Evangelien weiter. So berichtet Eb.cv.4, bei der Taufe Jesu habe plötzlich ein großes Licht die Stätte erhellt; da sich der Täufer verwundert habe, sei Gottes Stimme noch einmal erschollen und habe © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Einführung: 4. Jesusgeschichten
sich an ihn gewendet, worauf er vor Jesus niedergefallen sei. Naz.ev.2 erzählt von einem vorangehenden Gespräch der Familie Jesu mit Jesus, der seine Sündlosigkeit betont und die Taufe daher für unnötig gehalten habe. Hb.ev.2 läßt auf Jesus „den ganzen Brunn des heiligen Geistes“ niedersteigen, der ihn seit langem erwartet und jetzt in ihm seine Ruhestätte gefunden hat. Justin weiß von einem Feuer, das aus dem Jordan aufgelodert sei (dial. 88, 3). Unzählige andere Beispiele zeigen, daß solches Weiterwachsen der Überlieferung (vgl. zu 3,1-6 Einl.; 5,25; 15,27-32) nur in seltenen Fällen auf neue, historisch zuverlässige Berichte zurückgeht. Hier hat die Formgeschichte geholfen, einiges zu klären. Im Juden- wie im Heidentum liefen Geschichten von wunderbaren Heilungen mit fixiertem Schema um (vgl. Exkurs zu 4,35-41). Wenn die Gemeinde die Heilungen Jesu, von denen zweifellos eine ganze Reihe geschehen sind, weiter und weiter erzählte, hielt sie sich unwillkürlich an solche Vorbilder. So sind denn die meisten Züge auch in den evangelischen Berichten zu finden. Manche sind vermutlich um des Schemas willen zugefügt oder ausgestaltet worden; auch neue Wunder wurden nach diesem Schema erzählt. Aber hier wird der Unterschied der evangelischen Berichte besonders gegenüber den heidnischen sichtbar. Von Manipulationen Jesu, von geheimnisvollen, zauberhaften Bewegungen oder wirkungskräftigen Zauberformeln ist höchstens in schwachen Ansätzen die Rede, und der Vorgang des Wunders selbst wird kaum je beschrieben. Umgekehrt ist oft das Gespräch Jesu mit dem Kranken vor oder nach seiner Heilung zentral, und häufig wird deutlich, daß nicht die Heilung das Entscheidende ist, sondern die Begegnung Jesu mit dem Kranken, die zum Glauben führt (s. zu 5,34). Durchwegs werden bei Markus die Motive der Erschwcrung des Wunders und des Glaubens verbunden. Bei den Naturwundern geht es um Jesu Macht über die Natur, aber wiederum handelt es sich nicht nur um Offenbarung einer noch größeren, göttlichen Kraft; wieder ist es die Glaubensfrage, die an die Zeugen des Wunders gestellt wird (vgl. den Exkurs zu 4,35-41, auch zu 5,43 und 6,5). Diese Geschichten sind nicht erzählt worden, weil es wichtig wäre zu wissen, daß in einem fernen Land vor soundso viel Jahren einmal wunderliche Dinge geschehen sind. Sie wollen den verkünden, der heute in gleicher Vollmacht begegnet und Glauben sucht, der rufen, zurechtbringen, in Gottes Gemeinschaft zurückholen will. Schon daß Geschichten berichtet werden, ist wesentlich; also nicht einfach Ideen, theologische Sätze, die das Denken ändern könnten, sondern ein Geschehen, das sich in Palästina zu einer ganz bestimmten Zeit abgespielt hat; freilich so, daß es heute noch gilt und Glauben schaffen will. Darum muß die Gemeinde so erzählen, daß dieser Anspruch deutlich vernehmbar wird. In der Passionsgeschichte wird ein Geschehen berichtet, das sehr irdisch, unansehnlich, armselig ist und an sich in keiner Weise etwas Mirakulöses, Auffallendes darstellt. Aber es wird so erzählt, daß dauernd alttestamentliche Sprache, vor allem aus den Psalmen des leidenden Gerechten, die Erzählung durchdringt (vgl. zu 15,23 f.), ja neue Einzelheiten hinzuwachsen läßt. Damit wird ausgedrückt, daß eben dieses an sich so armselige Geschehen doch „eschatologisches“ Geschehen ist, d.h. ein Geschehen, das das Alte Testament erfüllt und darum Gottes endgültiges, für alle Zeiten und alle Menschen gültiges Handeln ausmacht. Gerade weil diese © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Einführung: 5. Wahrheitsfrage
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alttestamentlichen Stellen auf der ältesten Stufe nicht zusammengesucht und ausdrücklich zitiert werden, zeigen sie, wie sich der Glaube des Erzählers ganz von selbst in der Sprache seiner Bibel ausdrückte. Denn erst so sagt der Erzähler das aus, was dort wirklich geschehen ist, selbst wo alttestamentliche Wendungen Einzelheiten beschreiben, die auf einem Tonfilm nicht zu sehen waren. 5. So stellt sich die Wahrheitsfrage anders als bei einem modernen Historiker. Freilich weiß auch er, daß es überhaupt keine rein objektive Darstellung von Geschichte gibt, weil jeder Erzähler die Ereignisse auswählt, die ihm wichtig erscheinen, während er andere der Vergessenheit anheimfallen Iäßt. Doch ist hier noch mehr zu sagen. Hätten wir einen Tonfilm von der Kreuzigung Jesu, so wüßten wir über hundert Einzelheiten besser Bescheid. Was sich wirklich ereignet hat, wüßten wir damit noch nicht. Das kann nur der Zeuge sagen, der in der Vollmacht des heiligen Geistes spricht. Es ist möglich, daß wir das Wort des Hauptmanns Mk. 15,39 auf diesem Tonfilm nicht hören könnten. Dennoch ist es wahrer als hundert Einzelheiten, weil es das sagt, was sich dort wirklich, an diesem historischen Tag, ereignet hat: „Wahrhaftig ist dieser Mensch Gottes Sohn gewesen.“ Allerdings geht es nicht nur um theologische Gedanken der Gemeinde oder des Evangelisten, sondern in der Tat um das, was sich in den paar Monaten oder Jahren zwischen der Taufe im Jordan und der Entdeckung des leeren Grabes zugetragen hat. Aber was dort wirklich geschehen ist, kann uns nicht anders als im Zeugnis des Glaubens gesagt werden. Alle, die hier berichten, sind keine modern geschulten Historiker, die genau unterscheiden zwischen berichteter Tatsache und interpretierendem Zeugnis. Sie können gar nicht anders als durch allerlei Umgestaltungen und Zufügungen - nicht etwas Neues, Anderes, sondern gerade das, was geschehen ist, - so berichten, daß der Hörer und Leser begreift, was sich dort ereignet hat: nämlich etwas, was noch heute für ihn gültig ist. Darum wird im Unterschied zu J.Schniewinds Kommentar, dessen Übersetzung ich oft folge und sie nur gelegentlich noch stärker dem Urtext angleiche, größeres Gewicht auf die Vorgeschichte des Textes gelegt. Gewiß ist das Entscheidende der von Markus dargebotene Text und seine Botschaft. Man wird darum immer wieder gern zu J.Schniewinds Auslegung greifen. Dennoch dürfen wir nicht darauf verzichten, auch die früheren Stufen der Botschaft vor Markus zu erhellen, obwohl dem immer eine gewisse Unsicherheit anhaftet. Es geht doch darum, nicht einfach das Bekenntnis eines andern Wort für Wort zu übernehmen, sondern dem lebendigen Christus zu begegnen und dann mit unseren eigenen Worten den neutestamentlichen Zeugen nachzusprechen, was sie uns vorsagen. Dazu hilft uns der Blick in das allmähliche Werden der Aussagen. Es mag uns nicht leichtfallen, diesem Ringen der Gemeinde zu folgen, die sich durch Jahrzehnte hindurch müht, das rechte Wort für das zu finden, was in Jesus für sie geschehen ist. Aber wenn wir nur mühelos fertige Resultate übernehmen und nachsprechen wollten, könnten wir unfähig werden, überhaupt richtig zu hören. Gerade die Vielfalt der Stimmen zwingt uns, in der Begegnung mit dem Wort des lebendigen Christus, das durch die vielen Worte hindurchdringt, selbst zu durchdenken und zu formulieren, was sich in Jesu Leben, Sterben und Auferstehen zugetragen hat. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Einführung: 6. Theologische Leistung
Wer so hört, der darf auch etwas von dem Wunder verspüren, daß sich trotz aller fragwürdiger und widersprüchlicher Stimmen das Christusereignis des Anfangs in dem Gewirr der Stimmen durchsetzte, so daß die Aussage zwar in verschiedenen Situationen differenziert wurde und auch werden mußte, im Entscheidenden aber einheitlich blieb. So lernen wir, daß das Wort nie in zeitloser Abstraktheit einzufangen ist, sondern immer nur in der jeweiligen Sprache des betreffenden Zeugen. Das führt dazu, aufmerksam und bescheiden auf die verschiedenen Zeugen zu hören und uns durch den vielfältigen Ton ihrer Stimmen nicht verwirren, sondern hellhörig machen zu lassen, um dann noch einmal das gleiche in unserer heutigen Sprache sagen und weiterverkünden zu können. Daß der ganze Prozeß dieser Verkündigung nur davon lebt, daß Jesus Christus selbst am Anfang steht mit seinem Wort und Wirken, seinem Sterben und Auferstehen, und daß er selbst in der ganzen Entfaltung der Botschaft weiterlebt, das hat gerade Markus betont. 6. Seine theologische Leistung ist gewaltig, hat er doch die Gattung des »Evangeliums“ geschaffen (s. Rückblick, Mk.). Das Wort heißt zu seiner Zeit noch „Freudenbotschaft“ (s. zu 1,1), und nichts anderes will er darbieten. So ist sein Buch einem Predigtband näher als einer Lebensbeschreibung. Aber er verkündet, indem er von Jesu Wirken und Sterben erzählt. Dafür gibt es eigentlich nur in den Geschichtsbüchern oder im Jonabuch des Alten Testaments Parallelen. Markus hat also verstanden, daß Gottes Wort an die Welt im Ganzen des Wirkens, Sterbens und Aufcrstchens Jesu geschah; weder in einzelnen Worten Jesu, so daß er bloß der Lehrer bliebe, dessen Weisheit man auch übernehmen könnte, ohne von ihm selbst zu wissen, noch in einzelnen Wundertaten, so daß man ihn als göttlichen Zauberer verehren könnte, noch in einem vorbildlichen Leiden, so daß er nur zur Nachahmung verlockte, noch in einer abstrakten Verkündigung göttlicher Gnade, die man auch von Jesus loslösen könnte. Darum hat Markus dieses Buch geschrieben, dem alle für eine Lebensbeschreibung wichtigen Züge, z.B. die ganze Kindheit Jesu (s. zu 1,9), mangeln. Nur was für die Verkündigung wesentlich ist und den Leser immer noch anredet, steht im großen und ganzen darin. Und doch ist es ein Geschichtsbuch, weil Markus weiß, daß eben dieses Wesentliche nirgends anders zu finden ist als in den Ereignissen dieser Jahre (vielleicht denkt Markus sogar an ein einziges Jahr), die er schildert (vgl. Rückblick). Wer Markus war, wissen wir nicht mehr. Daß der Verfasser so hieß, ist glaubwürdig. Zwar wurden die Überschriften der biblischen Bücher erst im 2. Jh. zugefügt; doch mußte man mindestens mündlich die Evangelien näher bezeichnen, sobald es mehr als eines gab. Vor allem hätte man später einen berühmteren Namen gewählt, wenn man nicht mehr gewußt hätte, wer der Verfasser war. Freilich ist Markus schwerlich mit dem Apg. 12,12.25; 13.5.13; Phlm.24; Kol.4,10; 2.Tim. 4,11 genannten identisch, schon weil er die Geographie Palästinas nicht zu kennen scheint (vgl. Abschnitt 2). Außerdem polemisiert er gegen jüdische Bräuche, die er zudem noch seinen heidenchristlichen Lesern erklärt (s. zu 7,1-23). Die einzige Nachricht über ihn findet sich bei Papias, einem kleinasiatischen Bischof um 130 (Euseb, Kirchengesch. III 39,15): „Markus, der der Dolmetscher © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Einführung: 7. Widmung /Literatur
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des Petrus war, schrieb alles, dessen er sich erinnerte, genau nieder, jedoch nicht in der Reihenfolge, was von Christus geredet oder getan worden war; denn er hatte den Herrn weder gehört, noch war er ihm nachgefolgt, vielmehr später, wie schon gesagt, dem Petrus, der je nach Bedarf seine Lehrreden gestaltete, aber nicht wie einer, der eine Zusammenstellung der Herrenworte bietet. Daher hat M a r k u s nicht gefehlt, indem er einiges so schrieb, wie er sich dessen erinnerte. Denn nur für eines trug er Sorge: nichts von dem, was er gehört, auszulassen oder dabei etwas zu verfälschen.“ Papias beruft sich auf einen „Ältesten“ , vielleicht den Presbyter Johannes (s. Einleitung zu 2 J o h . ) . Da er aber auch ganz Legendarisches aus gleicher Quelle referiert (s. zu 16,18), ist sein Zeugnis nicht allzu sicher. Weder die Vorstellung, daß Petrus durch einen Dolmetscher missioniert hätte, noch die Bezeichnung der Verkündigung des Petrus oder des Werks des M a r k u s als „Lehrreden“ oder „Erinnerungen“ (= „Memoiren“ ) scheinen zuzutreffen. Vor allem läßt sich bei M a r k u s eine besondere Petrustradition höchstens in Spuren (vgl. zu 1,29-31) erkennen. Daß eine lose Beziehung zu Petrus bestand, könnte die (kaum von Petrus geschriebene) Stelle l.Petr.5,13 bezeugen. Umgekehrt könnte dies die Quelle für die Information sein, die zu Papias gelangte. Daß Markus in Rom geschrieben habe, wird seit Clemens (bei Euseb VI 14,6) behauptet. Einige ans Lateinische anklingende Wendungen sind überall möglich, wo Römer hingekommen sind (vgl. noch zu 15,21). So können wir nur mit Sicherheit sagen, daß das Evangelium irgendwo im römischen Imperium für heidenchristliche Leser (vgl. 7,3f.) geschrieben wurde, vermutlich kurz vor 70 n.Chr. Anders als Lk. 2 1 , 2 0 ff. findet sich nämlich kein deutlicher Hinweis auf die Zerstörung Jerusalems; doch setzt 13,14-20 eine kriegsschwangere Zeit voraus. Daß nur Judäa genannt wird, könnte zeigen, daß der jüdisch-römische Krieg, der 66/67 zuerst in Galiläa ausbrach, noch nicht begonnen hat (doch vgl. zu 13,1-4, Einl.).
7. Wenn ich zum Schluß dieser Einleitung Karl Barth zum achtzigsten Geburtstag grüßen und ihm die folgende Auslegung widmen darf, dann tue ich es in der Dankbarkeit des Schülers, der bei ihm gelernt hat, auf die sich immer wieder durchsetzende Kraft des Wortes zu trauen, und mit dem Wunsche, daß er, der mit so viel Humor uns immer wieder zuhören und unsere Anliegen ernst nehmen konnte, darin auch etliches Erfreuliche finde, das aus seiner guten Saat aufgegangen ist. Daß daneben auch allerlei Unkraut mitwächst, ja, daß wir nicht einmal einfach feststellen können, was sich schließlich als Kraut, was als Unkraut erweisen wird, das werden wir nach Mt. 13,29 eben tragen müssen. Wissenschaftliche Kommentare: E› Klostermann, Das Markusevangelium (Handb. z. NT. Bd.3), V.Taylor, The Gospel according to St.Mark, 2 1966; W.Grundmann. Das Evangelium nach Markus (Theol. Handkommentar zum Neuen Testament, Bd. 2) 7 1977; F. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus (Krit.-exeg. Kommentar über das Neue Testament, Bd. 1/2), ergänzt von G. Saß, 17 1967; R. Pesch, Das Markusevangelium (HThK) I, 1976; II, 1977; J . Gnilka (EKK 1979). Allgemeinverständliche Auslegungen: J . Weiß, Das Markusevangelium, in: Die Schriften des Neuen Testaments, Bd. I, 3 1917; G. Dehn, Der Gottessohn (Die Urchristliche Botschaft, Bd. 2), 1953; J . Schniewind, Das Evangelium nach Markus (Das Neue Testament Deutsch, Bd. 1 = Vorgänger des vorliegenden 5 1971;
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Mk. 1, 1-8: Johannes der Täufer
Bandes), u 1977; J . Schmid, Das Evangelium nach Markus (Regensburger Neues Testament, Band 2), s 1963; D. E.Nineham, Saint Mark (The Pelican Gospel Commentaries)› 2 1969; R.Grob, Einführung in das Markus-Evangelium, 1965; E.Haenchen, Der Weg Jesu, 2 1968. A b h a n d l u n g e n : W.Marxsen, Der Evangelist Markus, 2 1959; E.Schweizer, Die theologische Leistung des Markus, Evang. Theologie 24 (1964), 337-355; J.Schreiber, Theologie des Vertrauens, 1967; M. Horstmann, Studien zur markinischen Christologie, 1969; S.Schulz, Die Stunde der Botschaft, 2 1970; K.Kertelge, Die Wunder Jesu im Mk.ev., 1970; Th.J.Weeden, Mark, 1971; H.W.Kuhn, Ältere Sammlungen im Mk.ev., 1971. Zur Passionsgeschichte: E.Lohse, Die Geschichte des Leidens und Sterbens Jesu Christi, 1964; W. Schenk, Der Passionsbericht nach Mk.,1974; L. Schenke, Der gekreuzigte Christus, 1974; R.Peseh, Die Überlieferung der Passion Jesu, in: Die Rückfrage nach Jesus, 1974; N.Perrin, Towards an Interpretation of the Gospel of Mark, in: Christology and a Modern Pilgrimage (ed. H. D. Betz, 1971); G. Theissen, Urchristliche Wundergeschichten, 1974; Μ. Sabbe (Hrsg.), L'evangile selon Marc, 1974; E. Schweizer, Towards a Christology of Mark? in: God's Christ and His People (Festschrift N. A. Dahl, 1977). Neuere Literatur bei E.Schweizer, Artikel „Jesus Christus“ , TRE XVI, 700-701. Apokryphen und Pseudepigraphen: E.K autzsch, Die Apokryphen und Pseudepigra phen des Alten Testaments, 2 Bände, 2 1921; P. Rießler. Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel, 1928; E. Hennecke - W.Schnecmelcher, Neutestamentliche Apokryphen, Bd. I M959; Bd.II M964. Texte aus Qumran: J.Maier, Die Texte vom Toten Meer, 2 Bde., 1960; E.Lohse, Die Texte aus Qumran. Hebräisch und Deutsch, 2 197l. Rabbinischc Texte: (H.L. Strack)-P.Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, Μ969. In der Einleitung behandelte Fragen: M.Dibelius, Die Formgeschichte des Evange liums, 4 1961; R.Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition, 6 1964; E.Lohse, Entstehung des Neuen Testamentes, 1972. Selbstverständlich sollte eine moderne, aber zuverlässige Übersetzung der Bibel, z.B. die Zürcher Bibel, benutzt werden. Große Hilfe bietet eine deutsche Synopse, in der die drei Evangelien nebeneinander abgedruckt sind (CH.Pcisker nach dem Text der Zürcher Bibel oder J.Schmid nach dem des Regcnsburger N.T.) Die Auslegungen bestehen meistens aus drei Teilen: Einleitung und Traditionsgeschichte, Einzelauslegung, theologische Aussage.
I. Der Anfang 1,1-13 Johannes der Täufer 1,1-8, vgl. Mt. 3,1-12; Lk. 3, 1-10 1 Anfang der Freudenbotschaft von Jesus Christus (dem Sohne Gottes), 2 wie geschrieben steht im Propheten Jesaja: „Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg bereiten soll. 3 Die Stimme eines Rufers in der W ü s t e : bereitet den Weg des Herrn, macht seine Pfade gerade.“ 4 Johannes der Täufer trat als Künder einer Bußtaufe zur Sündenvergebung in der Wüste auf. 4 Und es zog zu ihm hinaus das ganze judäische Land und alle Jerusalemer und ließen sich von ihm im Jordanfluß taufen, indem sie ihre Sünden bekannten. 6 Und Johannes w a r bekleidet mit einem Kamelhaarfell und einem ledernen Gürtel um seine Hüfte und aß Heuschrecken und wilden Honig. 7 Und er verkündete: „Es kommt der, der starker ist als ich, nach mir; mich zu bücken und ihm auch nur die Schuhriemen zu lösen, bin ich nicht würdig. 8 Ich taufe euch mit Wasser; er aber wird euch taufen mit heiligem Geiste.“ V . 2 : Mat. 3, l ; 2 . Mosc 2 3 . 2 0 . V . y . J v s . 4 0 . J .
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Evangelium
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Als Markus diesen Abschnitt schrieb, lag ihm schon viel Material vor: Der Satz aus Mal. 3,1 (Mk. 1,2) wird auch Mt. 11,10 (Q) auf den Täufer bezogen und wie hier durch die Wendung „vor dir her“ (= 2.Mose23,20) ergänzt. Die Gemeinde hat also dieses Wort schon vor Markus auf den Täufer bezogen. Jes.40,3 (Mk. 1,3) wird auch Joh.1,23 zitiert, und die jüdische Gruppe von Qumran hat ihren Zug ins Wüstenkloster damit begründet (1QS 8,14), darin also einen Hinweis auf die anbrechende Endzeit gesehen. Das erste Zitat wird fälschlich auf Jesaja zurückgeführt, vielleicht weil es in einer Sammlung von Bibelzitaten einmal hinter dem Jesajawort stand. Den Zunamen „Täufer“ finden wir ebenso bei Josephus (Altert. 18,116). Daß Johannes in der Wüste Buße predigte, ist auch Mt. 11,7; 3,8 (Q) überliefert, und daß er als wiedergekommener Elia (Mal. 3,23 = 4,5; Sir.48,10f.) angesehen wurde, bezeugen Lk. 1,17; Mk. 9,11-13. Die Schilderung seines Gürtels ist fast wörtlich der Eliageschichte 2.Kön. 1,8 LXX entnommen; das Haarfell weist nach Sach. 13,4 auf die Haartracht des Propheten. Endlich ist Mk. 1,8 auch Mt.3,11 (Q) mit leicht verändertem Wortlaut zu finden. Wie verwendet Markus dieses Material? Allem voran stellt er die beiden alttestamentlichen Worte, die dadurch, obwohl sie sich direkt nur auf 1,4-8 beziehen, eine Art Überschrift über das ganze Buch bilden und alles Folgende als Erfüllung des Weges Gottes mit Israel darstellen. Schon damit ist gesagt, daß hier Gott in einzigartiger Weise gehandelt hat. Aber auch im Folgenden stellt Markus das, was ihm am Herzen liegt, voran. Die traditionelle Schilderung des Täufers samt dem Inhalt seiner Predigt hingegen verschiebt er bis zu V.6-8. Man kann sogar sprachlich zeigen, daß das Anliegen des Markus in V.4f. sichtbar wird: das Wort „verkünden“ findet sich nur in Abschnitten, in denen er seinen Kommentar zu den überlieferten Geschichten gibt. Ähnliches gilt für das Wort „Buße“ und die Beschreibung des Erfolges Jesu mit den Ausdrücken „ganz“ , „alle“ . Wir werden also fragen, was er mit diesem Einsetzen der „Verkündigung“ und ihrem erstaunlichen Erfolg sagen will. Wie das erste Buch der Bibel und das Johannesevangelium beginnt auch Markus beim „Anfang“ . Gott ist nicht ewig gleichbleibende Idee. Gott handelt. Daher hat sein Handeln immer wieder einen bestimmten Anfang. Davon berichtet die „Freudenbotschaft“ . Evangelium. Das griechische Wort euangelion bezeichnet die „Freudenbotschaft“ , vor allem die von einem erfochtenen Sieg. Beim Kaiser, der wie ein Gott verehrt wird, spielen die „Freudenbotschaften“ von seiner Geburt, seiner Thronbesteigung usw. eine wichtige Rolle. Im Alten Testament fehlt ein entsprechender Begriff, obwohl das Tätigkeitswort betont erscheint (Jes.52,7; 61,1; auch 40,9; 41,27; Ps.40,10). In Q ist „Evangelium“ die prophetische Botschaft vom kommenden Reich, ebenso mit stark apokalyptischem Klang in Offb. 14,6. Paulus hat damit die christliche Verkündigung bezeichnet, und zwar das Ereignis des Predigens wie dessen Inhalt (in der Regel: Tod und Auferstehung Jesu), also das Wort, das durch die Welt läuft und dabei die Geschichte Jesu Christi so erzählt, daß es ihre Bedeutung für den Glauben offenbart. In ihm ruft Gott selbst die Welt zum Glauben an © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 1,1-8: Johannes der Täufer
Jesus Christus und zum Heil durch ihn. Als Bezeichnung eines Buches erscheint „Evangelium“ erst bei Justin. Der Titel „Sohn Gottes“ fehlt in einigen Handschriften, ist also wahrscheinlich erst beim Abschreiben zugefügt worden, jedoch in Übereinstimmung mit dem sonstigen Sprachgebrauch bei Markus (s. zu 15,39). Da Markus nie einen Satz mit „wie“ beginnt und da ein so eingeleitetes Zitat im ganzen Neuen Testament immer nach, nie vor dem Satz steht, den es begründet, übersetzt man besser wie oben, nicht etwa: „Wie geschrieben steht ..., so trat Johannes ... auf.“ Das heißt: nicht irgendeine Einzelheit, sondern der neue Einsatz Gottes als solcher ist Erfüllung des Alten Testaments. Damit ist alles Folgende schon in dieses Licht gerückt. Bevor Jesus auch nur erscheint, wird er schon verkündet als der, in dem sich Gottes Weg erfüllt. So kann nur der Glaubende reden, der schon um Ostern weiß. Denn daß in der Verkündigung der Freudenbotschaft Gott auf dem Plan ist, das kann nur als Zeugnis des Glaubens gehört und verstanden werden. 2 Seit Mal. 3,1 wird die Wiederkunft Elias (Mal.3,22) als Vorläufer Gottes (so noch Lk. 1,16f.!) kurz vor dem Ende erwartet. Ob er daneben schon als Vorläufer des Messias galt (Mk.9,11, vgl. zu 15,35), ist nicht so sicher. Das wird aber von 3 der Gemeinde unterstrichen, indem sie zufügt: „vor dir her“ , und in V.3 von „seinen“ Pfaden statt von denen „unseres Gottes“ (Jes.40,3; 1QS 8,14) spricht. Sic hat also Johannes ausdrücklich als Vorläufer in Gottes Geschichte eingeordnet (auch Joh. 1,6-8.19-23; Apg. 10,37; 13,25; vgl. 1,22). Aber schon Jesus selbst hat die Zeit seines Wirkens als Zeit der anbrechenden Königsherrschaft Gottes und damit als Überbietung und Erfüllung der Zeit des Johannes verstanden, wie der sicher echte Spruch Mt. 11,12 zeigt. Daher hat er auch, obwohl selbst von Johannes getauft, dessen Taufe und Fastenpraxis nicht mehr geübt (Mk.2,18). 4 Markus nimmt aus V.3 das Stichwort „in der Wüste“ , das in Jes.40,3 den Ort bezeichnete, wo der Weg des Herrn gebahnt werden sollte, auf und bezieht es auf den Ort, wo die Stimme des Rufers ertönt. Daß auch Elia in der Wüste weilte (l.Kön. 19,4ff.), spielt wahrscheinlich keine Rolle. Eher ist sie als der Ort wichtig, an dem Gott mit seinem Volk allein sein will (Hos. 2,14), vor allem aber als der Ort der Heilszeit nach dem Auszug aus Ägypten, der sich in der auch von Jes.40,3 erwarteten Endzeit wiederholen soll (vgl. 5.Mose l8,15-18 und Apg.3,22f.; 7,37). Daher haben auch allerlei Propheten in jenem Jahrhundert ihre Anhänger in die Wüste geführt. Wichtiger als das traditionelle Bild vom Wüstenprediger als dem neuen Elia und der Hinweis auf den kommenden Jesus ist Markus jedoch, daß die Verkündigung des Evangeliums eingesetzt hat und die Welt in ihren Bann schlägt. Damit bricht die Heilszeit Gottes an. Von der Verkündigung spricht schon V.3, und selbst die Taufe wird als Inhalt der Verkündigung eingeführt. „Verkünder“ sind nach Markus der Täufer (1,4.7), Jesus (l,14.38f.), die Zwölf (3,14; 6,12) und die Boten der Kirche (13, 10; 14,9). Dadurch ist die ganze Periode von Johannes an bis in die weltweite Kirche hinein als die eine Heilszeit gekennzeichnet (vgl. 1,21-28 Einl.). Dasselbe gilt von der Beschreibung dieser Verkündigung als „Freudenbotschaft“ (s. zu V. 1) und als Ruf zur „Buße“ (1,4; 1,15; 6,12). Hinter dem griechischen Wort für „Buße“ (wörtlich: Sinnesänderung, was aber schwerlich © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Μk. 1,1-8: Johannes der Täufer
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noch empfunden wird) steht das hebräische Wort „Umkehr“ . Dazu haben schon die Propheten gerufen. Nicht die Änderung der Eigenschaften oder Handlungen eines Menschen ist also betont, sondern die seiner Gesamtausrichtung, seiner Beziehung zu Gott. Selbstverständlich schließt dies alles innere und äußere Verhalten des Menschen ein; aber nur als Ausdruck solcher Neuausrichtung ist dieses wesentlich, nicht als davon trennbare Leistung. Einem Läufer, der in die falsche Richtung rennt, hilft alle zusätzliche Anstrengung nichts, solange ihn nicht jemand zur „Umkehr“ in die andere Richtung bringt. Nicht ganz klar ist, ob die Taufe oder die Umkehr „ Sündenvergebung“ bringt. Für das zweite sprechen alttestamentliche Stellen und die ausdrückliche Aussage 1QS3,4-12; 5,13f., daß es keine Sündenvergebung ohne Umkehr gebe, und daß die Taufe nur nachfolgendes Zeichen dafür sein könne. Im Alten Testament wie in Qumran steht aber dicht daneben auch die Erkenntnis, daß solche Umkehr nur vom Geiste Gottes geschenkt und vollbracht werden kann, der in der Endzeit als Reinigungswasser die Gemeinde von ihren Sünden befreien wird (Ez. 36,25-27; 1QS4,21; vgl. Sach. 31, 1). Auch sonst spricht das Alte Testament von Sündenvergebung (Jes. 33,24; 40,2 [neben 3!]; 53, 5f.; jer.31,34; Mi. 7,18). Paulus (ohne Kol., Eph., die vermutlich erst von einem Schüler geschrieben sind) braucht den Ausdruck nie, Johannes nur 20,23, wohl aber die dre; ersten Evangelien, die Apostelgeschichte und spätere Briefe. Lk. 1,77 zeigt, daß er wohl schon in Täuferkreisen aus dem Alten Testament aufgenommen worden ist. 5 Der Zug der Menschen in die Wüste und das Bekennen der Sünden scheint von Markus als Ausdruck der erfolgten Umkehr verstanden zu sein, der Gott mit der Taufe sein Gnadenzeichen schenkt. Daß alles in Bewegung gerät, ist Hinweis auf den Anbruch der Heilszcit, in der das Evangelium die ganze Welt erreicht (13, 10). 6 Erst jetzt wird die Schilderung des Täufers nach dem Bilde Elias nachgeholt. Offenbar ist das traditionell; jedenfalls weist Markus mit keinem Wort auf die Parallele mit Elia hin. Gewisse asketische Züge werden auch Lk. 1,15; 7,33 dem Täufer zugeschrieben. Doch fordert er weder den Auszug in die Wüste noch den Verzicht auf Wein und Kulturleben (vgl. 4.Mose 6,1 ff.; Jer.35,6ff.), und seine Speise entspricht einfach der der armen Nomaden. Er gehört also nicht zu jenen Eremiten, bei denen Joscphus 53-56 n.Chr. lebte, die alles von Menschen Geschaffene verachteten und auf Fleisch und Kleidung verzichteten (Leben 11). Noch radikaler wird sich Jesus von einer als Heilsweg verstandenen Askese trennen (2, 18-22). Markus interessiert nicht die Aufsehen erregende, etwas absonderliche Gestalt; ihn interessiert der Beginn der Verkündigung, die nichts weniger als die ganze Welt sucht. 7.8 Eben diese Verkündigung weist auf den „Stärkeren“ hin. Beide Verse sind Mt. 3,11 = Lk.3, 16 (Q) in einer anderen Form überliefert, die auch Joh. l,26f. anklingen mag. Das Nacheinander bei Markus stellt wahrscheinlich die ältere Form dar gegenüber Mt.3,11 = Lk.3,16, wo sie ineinander geschachtelt sind. Umgekehrt haben diese bei V. 8 die ursprüngliche Überlieferung bewahrt, wonach der Kommende „mit heiligem Geist und Feuer“ tauft. Die älteste Fassung des Täuferwortes verstand unter dem „Feuer“ sicher das Strafgericht (Mt.3,10.12). Man kann fragen, ob nicht ursprünglich nur dieses gemeint war, da das Wort für „Geist“ auch „Wind“ oder „Sturm“ heißt. Feuer und Wind (der für das Worfeln notwendig ist) © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 1,1-8: Johannes der Täufer
erscheinen auch in Mt.3,12 (vgl. Jes.29,6; 30,27f.; Ez. 1,4). Beide sind Ps. 11,6; 4.Esra 13, 10.27 verbunden; Rabbinen verknüpfen Mal. 3,19 und Jes.41,16 bei der Schilderung des Gerichtes. Dann hätte erst die christliche Gemeinde das Wort „heiliger“ zugesetzt. Andernfalls hätte Johannes an den Doppelauftrag des Richters gedacht, die einen mit heiligem Geist zu reinigen (s. zu V.4), die anderen mit Feuer zu vernichten. Joel 3,1-5; 1QS 4,13.21 steht beides nahe beieinander, wenn auch nicht direkt verknüpft. Hat der Täufer den Messias oder nur Gott selbst zum Gericht erwartet? V. 8 ließe sich auch im zweiten Sinne verstehen, und daß es Johannesjünger gab, die in ihm eine Art Messias sahen und keinen andern mehr erwarteten, läßt sich aus Lk. 1, 16f.; Apg. 19,2 f., aus der immer schärfer werdenden Polemik gegen eine solche Auffassung (z.B. Joh.l,19ff.) und aus späteren Nachrichten (Ps.-Clem.Rec. I 54.60; syr. Rec.54,8 auch Wiederkunft) erschließen. Andererseits ist die Erwartung eines Messias damals lebendig gewesen, und V.7 läßt sich kaum anders verstehen. Auch der Zweifel des Täufers Mt. 11,3 ist schwerlich erfunden worden. Doch war das Bild des kommenden Messias für Johannes das des Richters. Die christliche Gemeinde hingegen weiß um die Erfüllung des Täuferwortes. Sie hat den heiligen Geist als die große, alles Böse und Verkehrte richtende, Neues schaffende Gabe Jesu Christi erfahren. Ob Mt.3,11 an eine Feuertaufe wie Apg. 2,3 denkt, bleibt ganz unsicher; Lukas tut es kaum, da er Apg. 1,5; 11,16 das Täuferwort ohne Hinweis auf das Feuer (Lk.3,16) zitiert. So wird auch die christliche Gemeinde darin eher einen Hinweis auf das Gericht sehen. Johannes hat es in der Zukunft erwartet und daher eine Schar von Büßern aufgerufen, sich durch ihre Umkehr und die Bußtaufe „versiegeln“ zu lassen, um einst den Schrecken dieses Gerichtes zu entgehen. Sie aber weiß, daß Gottes Gericht über alle Sünde für die, die die Geisttaufe über sich ergehen lassen, schon erfolgt ist und dauernd weiter erfolgt. Woran Johannes mit seiner Taufe geschichtlich angeknüpft hat, ist unsicher. Gegenüber den auch in Qumran geübten Waschungen, bei denen man regelmäßig ein Tauchbad nahm, ist die Einmaligkeit der Taufe und die Beteiligung eines Täufers neu. Vor allem ruft Johannes alles Volk dazu, nicht nur eine erwählte Gruppe von Ordensmitgliedern, Es ist also abwegig, Johannes als früheres Mitglied der Qumrangruppe anzusehen. Denn diese hat sich durch ihre radikale Gesetzesbeobachtung vom Volk geschieden. Außerdem ist die Johannestaufe einmaliges Gottesgeschenk der letzten Stunde, nicht regelmäßig fortdauernde Kultübung. Ob sich damals schon Heiden, die zum Judentum übertraten, durch ein Tauchbad (einmalig) reinigten, so daß Johannes durch seine Praxis gewissermaßen ganz Israel für heidnisch-unrein erklärt hätte, ist sehr unsicher. Eher hat er Reinigungsriten, wie die von Qumran, die am jüngsten Tag auch in endgültiger Einmaligkeit erwartet wurden (1QS4,21), radikalisiert. Das Gerichtswort von der „Taufe“ mit „Feuer (und Sturm)“ , das den Kontrast zur Johannestaufe bildet, ist wohl seine Originalschöpfung, wobei er an Anschauungen vom Feuerstrom (in Persien) oder Feuersee (Offb. 19,20; 20,10. 14f.; 21,8) anknüpfen kann. Wenn dies zutrifft, dann tritt Anknüpfung und Neuformulierung der christlichen Gemeinde um so schärfer hervor. Sie bewahrt zwar die Erkenntnis, daß Johannes der „Anfang“ der neuen Zeit ist, daß mit ihm Elia wieder© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 1, 9-11: Die Taufe Jesu
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gekehrt, Umkehr und Sündenvergebung vor dem Ende Möglichkeit geworden sind. Aber eben, er ist „Anfang“ der neuen Zeit, nicht bloß flammendes Zeichen vor dem Ende. Die kommende Taufe ist ja nicht das alles verzehrende Feuer, sondern die Geisttaufe Jesu, die in der christlichen Gemeinde Wirklichkeit wurde und die Zeit der weltweiten „Verkündigung“ der „Umkehr“ und der „Freudenbotschaft“ begründet. Erst sie gibt dem Täufer und seiner Taufe ihren Sinn. Nicht die ethische Verkündigung (Mt.3,7-10; Lk.3,7-14) ist Markus und seiner Gemeinde wichtig, sondern die zwei Sätze V.7f. Das unterstreicht die Ausrichtung auf den Kommenden, stellt damit freilich auch die Frage, auf die das Folgende antworten muß: Worin gründet dieses unvergleichliche „Stärkersein“ Jesu? Die Taufe Jesu 1,9-11, vgl. Mt. 3,13-17; Lk.3,21f. 9 Und es geschah in jenen Tagen: es wurde von Johannes im Jordan getauft. stieg, sah er die Himmel sich spalten und steigend. 11 Und eine Stimme aus dem Sohn, an dir fand ich Wohlgefallen.“
kam Jesus von Nazaret in Galiläa und 10 Und sogleich, da er aus dem Wasser den Geist wie eine Taube auf ihn niederHimmel (sprach): „Du bist mein lieber
V. l 1 : P s . 2 . 7 ; J e s . 4 2 , 1 .
Die Taufe Jesu durch Johannes ist höchstwahrscheinlich historisch, da sie der Gemeinde schwere Mühe bereitet. Mt. 3,14f. (s. dort) erklärt ausdrücklich, warum sie nötig war. In Lk. 3, 21 f. erriete nach V.20 kein unbefangener Leser, daß es Johannes war, der Jesus getauft hat. Joh. 1,29-34 fehlt jede Angabe über eine Taufe Jesu. Markus berichtet unbefangen, aber, da ihm nur an V. 10 f. liegt, äußerst knapp darüber. Wie weit Einzelheiten historisch sind, fragt sich. Möglich ist, daß ein Erleben bei seiner Taufe Jesus bewogen hat, sich vom Täufer zu trennen und daß er dies seinen Jüngern erzählt hat. Viel liegt nicht daran; denn auch dann wüßten wir nur, daß Jesus wie viele echte und falsche Propheten vor ihm ein Berufungserlebnis gehabt hätte. Daß hier wirklich Gott selbst gesprochen hat, kann nur der Glaubende bekennen. Eben dies tut die Gemeinde, indem sie diese Geschichte erzählt, und alle Einzelheiten wollen nur dieses Bekenntnis aussprechen, ob sie nun nach einem Bericht Jesu oder etwa nach dem Vorbild des Alten Testaments als dessen Erfüllung geschildert sind. Für das letzte ließe sich z.B. hinweisen auf die Himmelsöffnung Jes.63,19; Ez. 1,1 und das Hcrabkommen des Geistes auf den Messias Jes. 11,2; vgl. aber auch Jes.63,14 LXX („und herab kam der Geist [oder: Wind] vom Herrn her“ ); 63,11 („der seinen heiligen Geist in sein [Moses als des Hirten der Schafe] Inneres legte“ ); Ez. 1,4 („ein Geist [oder: Wind] kam plötzlich von Norden“ ). Ferner ist daran zu denken, daß „Messias“ (hebräisch) oder „Christus“ (griechisch) auf deutsch „Gesalbter“ heißt und daß die Salbung schon 1. Sam. 10,1.6.10; Jes. 61,1 den Geist verleiht. Die Gruppe von Qumran hat neben dem königlichen auch einen priesterlichen Messias erwartet. Von ihm heißt es Test.Levi 18: „Die Himmel werden sich öffnen, und aus dem Tempel der Herrlichkeit wird über ihn Heiligkeit mit väterlicher Stimme kommen wie von Abraham zu Isaak, und die Herrlichkeit des Höchsten wird über ihn gesprochen werden, und der Geist des Verstandes und der Heiligung wird auf ihm ruhen“ (vgl. Jes. 11,2). Sollte die Urgemeinde analog © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk.1,9-11: Die Taufe Jesu
einer solchen Hoffnung in Jesus den Hohepriester der Endzeit gesehen haben? Sollte sie gar in ihm den sich opfernden Isaak gesehen haben, der in LXX als einziger „geliebter Sohn“ heißt (l.Mose22,2.12.16)? Aber Jesus wird im Neuen Testament erst sehr spät, im Hebräerbrief, Hohepriester genannt. Auch könnte Test. Levi 18 von einem Judenchristen stammen und also umgekehrt von Mk.1,9-11 beeinflußt sein (wie ja auch das Neue Testament weithin durch jüdische und griechische Anschauungen mitbeeinflußt wurde). So bleibt dies sehr unsicher. Am nächsten liegt das Vorbild des Gottesknechtes, der Jes.42,Iff. als solcher designiert, durch Gottes Geist zum Verkünder für die Völker und zum Begründer der Wahrheit auf Erden eingesetzt wird. Das könnte auch die Verbindung zur Passionsgeschichte erklären (vgl, Jes.53; Mk. 10,45 und zu 15,39). Freilich steht Jes.42,1 nicht „Sohn“ , sondern „Knecht“ , obwohl das Wort in der griechischen Übersetzung auch „Sohn“ heißen kann. Hat die griechisch redende Gemeinde dieses zweideutige Wort durch das eindeutige „Sohn“ (das Mk. 1,11 steht) ersetzt? Oder liegt schon eine aramäische, ebenfalls zweideutige Wiedergabe dahinter, die auch Mt. 12,18 nachwirkt, wo Jes. 42,1 in einer stark an die Taufe Jesu erinnernden Form zitiert ist? Oder hat dort erst Matthäus den Wortlaut an die Geschichte von Jesu Taufe angeglichen? Vermutlich ist der Gottesknecht von Jes.42 und 53 nur im allgemeinen Vorbild gewesen, wobei Jesus aber durch den Sohnestitel bewußt davon auch unterschieden wurde. Nun hat man im damaligen Judentum von „Deutevisionen“ erzählt, in denen Engel oder eine Gottesstimmc einem Patriarchen, z.B. Isaak vor der Opferung, den Sinn des Geschehens gedeutet und ihm damit Mut und Kraft gegeben haben. Es könnte sein, daß solche Erzählungen auf die Form der Geschichte von Jesu Taufe eingewirkt haben, so daß der Hinweis auf die Endzeit zuerst mehr am Rand als im Zentrum gestanden hätte. Dazu paßte, daß Markus das Ganze noch als Schauung Jesu erzählt; erst später berichtet Matthäus die Himmclsöffnung, Lukas auch das Herabkommen des Geistes als objektives Ereignis. Mt.3,17 verstärkt die Objektivität noch dadurch, daß die Himmelsstimme in dritter Person erklingt, und Lukas betont die leibliche Gestalt der Taube. Mag es sich um eine Taufe neben vielen anderen gehandelt haben, um ein inneres Erlebnis Jesu, das vielleicht psychologisch erklärt werden könnte, oder ein „objektives Wunder“ , die entscheidende Frage nach dem, was sich damals wirklich vollzogen hat, ist damit noch nicht einmal gestellt. Sic bekommen wir erst zu Gesicht, wenn wir erkennen, daß die Gemeinde, die Jesu Taufe schilderte, eine ganz bestimmte Antwort darauf gab. Die angeführten alttestamentlichen Stellen zeigen, daß Himmelsöffnung, Kommen des Geistes und Erschallen der Gottesstimme Zeichen der Endzeit sind. Selbst wenn es ursprünglich Deutevision gewesen wäre, in der Markus vorliegenden Form sagt die Gemeinde jedenfalls, daß Gott hier in endgültiger Weise gehandelt, Jesus in seiner für alle gültigen Bedeutung herausgehoben habe. Ps.2,7 ist das Wort Gottes an den seinen Thron besteigenden König, Jes.42, 1 das an den sein Amt antretenden Gottesknecht. So ist die Taufe Jesu als Einsetzung Jesu ins endzeitliche Amt des Gottessohnes verstanden worden (vgl. den Exkurs zu 15,39). Für Markus ist wahrscheinlich weder die stark apokalyptische Ausrichtung noch die Vorstellung von der Adoption des Königs zum Gottessohn zentral. Wie bei den zwei Zitaten in V.2f. aber machen Himmelsöffnung und Gottesstimme deutlich, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 1,9-11: Die Taufe Jesu
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in welcher „Dimension“ alles von Jesus Erzählte zu sehen ist: nämlich in der des endgültigen, für alle gültigen Handelns Gottes im „Sohn“ (vgl. zu V. 11 und 15,39). Was Jesus aus der Volksmenge heraushebt, ist nicht das, was ein Biograph 9 erzählen könnte: seine Familie, seine besondere Ausbildung, frühe Begabungen und Erfolge. Außer dem Namen - die Angabe der Herkunft spielt die Rolle unseres Familiennamens, wobei übrigens Nazaret so unbedeutend ist, daß es in keinen anderen Quellen vorkommt - wird nichts über ihn gesagt, weder über sein Alter noch sein Aussehen noch seinen Familienstand, was bei der damaligen Seltenheit eines erwachsenen Ledigen besonders auffällt. Was Jesus seine einzigartige Stellung gibt, ist nur Gottes Handeln an ihm. Denn 10 auch wenn Markus alles als Schauung Jesu erzählt, liegt ihm die moderne Fragestellung, ob dies nur ein seelisches Erleben gewesen sei, völlig fern. Wesentlich ist, daß Gott gesprochen hat. Also hat sich das Geschilderte „wirklich“ , d.h. nicht nur angeregt durch etwas, was schon im Inneren Jesu lag, abgespielt. Ob irgend jemand außer Jesus das gleiche gehört oder gesehen hat, ist unwichtig. Das Entscheidende ist, daß sich hier zwischen Vater und Sohn alles in einem letzten, von keinem Menschen durchschaubaren Geheimnis abspielt. Eben dies rückt Jesus von allen anderen ab und gibt ihm seine einzigartige Stellung. Die Himmelsöffnung bezeichnet Gottes entscheidendes Eingreifen: nach langer Zeit der Geistleere hebt Gott wieder - und jetzt endgültig - zu sprechen an. Die Zeit seines Schweigens ist zu Ende. Vorerst freilich ist es nur der Sohn, der das vernimmt. Was die Erscheinung als Taube unterstreichen soll, ist unsicher. Die Taube ist Opferticr und Seclenvogel, spielt in der Sintflutgeschichte eine Rolle und wird einmal von Rabbinen als Bild für das „Brüten“ des Geistes Gottes über dem Chaos (1.Mose 1,2) verwendet, wobei andere aber andere Vögel nennen. Im Judentum wird die Stimme Gottes im Tempel, einmal, freilich sehr viel später, auch die des Heiligen Geistes, mit dem Gurren der Taube verglichen. Daß die hebräischen Buchstaben des Wortes für die „Gegenwart Gottes“ auch heißen „Was wie eine Taube ist“ , ist wohl bloßer Zufall. Vielleicht ist einfach der nächstliegende (Mt. 10,16) Vogel als Bild gewählt. Das Ziel der ganzen Erzählung ist Gottes Stimme, die Jesus „Sohn“ nennt. 11 V.9f. ähnelt einer Prophetenberufung, besonders der des endzeitlichen Gottesknechtes (Jes.42,1). Darauf weist auch die Formulierung: „an dir fand ich Wohlgefallen“ , und mit dem Satz „Mein Sohn bist du“ , rief Gott jeweils den neugewählten König Israels in sein Amt (Ps.2,7). Man könnte also sagen: Gott adoptiert den Menschen Jesus und macht ihn zu seinem Sohn. Aber unsere moderne Frage, wer denn Jesus vor seiner Taufe oder gar vor seiner Geburt gewesen sei, ist noch gar nicht gestellt. Ein vom Alten Testament bestimmter Jude der Zeit Jesu könnte antworten, natürlich sei Jesus von Gott aus gesehen sein Sohn von Ewigkeit her, da ja bei Gott schon Wirklichkeit ist, was sich unter Menschen erst viel später vollzieht. Das änderte aber nichts daran, daß ihm nur der Beginn dieser Sohnschaft unter den Menschen, also der Zeitpunkt, an dem Jesus anfing, seine Sohnschaft auszuüben, wichtig ist. Was Jesus daher nach der Meinung dieser Geschichte unterscheidet von den anderen „Söhnen“ Gottes, den Königen Israels, ja allen Israeliten (vgl. Exkurs © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 1,12f.: Die Versuchung Jesu
zu 15,39), ist nicht die Ewigkeit seiner Sohnschaft. Die ließe sich auch bei anderen eventuell ähnlich aussagen. Es ist die Tatsache, daß sich nach der langen Zeit des verschlossenen Himmels dieser wieder öffnet, der Heilige Geist wieder wirkt, Gottes Stimme wieder erklingt, und daß sich in dem allem das im Alten Testament immer nur vorläufig, zeichenhaft Gemeinte endgültig erfüllt. Noch stärker gilt das für Markus (vgl. 1,1-3). Die Einzigartigkeit dieser Sohnschaft ist auch durch den Zusatz „geliebt“ , der in der LXX oft mit „einzig“ übersetzt wird, festgehalten. Die Versuchung Jesu 1,12 f., vgl. Mt. 4,1-11; Lk.4,1-13 12 Und sogleich treibt ihn der Geist in die Wüste hinaus. 13 Und er war in der Wüste vierzig Tage lang vom Satan versucht und war unter den Tieren, und die Engel dienten ihm zu. Die Geschichte ist in Q viel ausführlicher überliefert. Daß Markus diese Darstellung gekannt hatte, ist unwahrscheinlich, weil bei ihm Adam-, nicht Mose- und Israel-Motive (wie Mt. 4,1-11) anklingen. Bei ihm fehlt der Inhalt der Versuchung und das Fasten Jesu. Das Wort „dienen“ heißt besonders „aufwarten, mit Speise versehen“ und drückt eine länger andauernde Tätigkeit aus. Markus setzt also voraus, daß die Engel ihn während vierzig Tagen speisten. Wahrscheinlich hat die Gemeinde vor Markus ausführlicher erzählt (s. unten); er berichtet sehr verkürzt und ist nur noch am Sieg Jesu über den Teufel interessiert, der noch einmal zeigt, daß das, was sich im Leben Jesu abspielt, nicht bloß irdisch-menschliches Geschehen ist, sondern der Kampf Gottes selbst mit dem Satan. 12
Wie in alttestamentlichen Prophetengeschichtcn erscheint der Geist Gottes als überwältigende Macht, die den von ihm Befallenen anderswohin treibt (vgl. l.Kön.18,12; 2.Kön.2,16; Ez.3,12.14f.; 8,3; 11,24; Apg.8,39f.). Damit ist in enger Verbindung mit 1,11 gesagt, daß es Gott selbst ist, der Jesus in diesen Kampf schickt. Jesu Weg führt von Anfang an nicht in himmlischen Glanz, sondern in die Wüste, wo der Satan ist. 13 Nach Jes. 1 1,6 f. wird im Reich des Messias unter den wilden Tieren Friede herrschen. Den Gerechten von Ps. 91,11-13 bewahren Gottes Engel, und wilde Tiere können ihm nichts anhaben (ähnlich Hi. 5,22). Test. Naphthali8 verheißt den Gerechten: „Der Teufel wird von euch fliehen, und die wilden Tiere werden euch fürchten, und die Engel werden sich eurer annehmen.“ Da nach Moseapokalypse 11 und bSanh.59b (Billerbeck I 138) der Kampf der wilden Tiere mit dem Sündenfall anhob, während Adam vorher über sie Herr war und ihm sogar die Engel Fleisch brieten und Wein seihten, wird damit Jesus als der Gerechte der Endzeit geschildert, der wie Adam gleich nach seiner Beauftragung durch Gott in die Versuchung geführt wurde, sie aber, anders als Adam, bestand und damit das Paradies wiederherstellte. Das ist wahrscheinlicher, als daß die Tiere nur die Schrecken der Wüste darstellen sollen und daß erst 3,22-30 die Antwort auf diesen noch offen gelassenen Abschnitt geben. Wieweit Markus das noch weiß, ist schwer zu sagen. Ihm ist nur wichtig, daß in Jesus der vom Alten Testament Verheißene gekommen ist, der in der Wüste, wo nur Gott und die Engel Zeugen sind, den Kampf mit dem Satan besteht. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 1,14f.: Jesus verkündigt das Reich Gottes
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Hinter der Art, in der diese kleine Geschichte erzählt wird, steht also das Verkündigungsanliegen der Gemeinde und, etwas verändert, das des Markus. Deshalb ist nicht entscheidend, wieviel an Einzelheiten historisch ist und was sich etwa in Jesu Seele abgespielt hat. Entscheidend ist die Frage der Gemeinde und des Markus: Ist in Jesus wirklich der neue Adam gekommen, der den Sündenfall aufgehoben hat; der vom Alten Testament Verheißene, durch den Himmel und Erde wieder versöhnt sind? Kurz: Hat in Jesus wirklich Gott selbst gehandelt? Darauf kann nur der Glaube antworten, wie Markus und die Gemeinde vor ihm es zu tun versuchen, wenn sie verkünden: In Jesus hat sich der Himmel wieder geöffnet. In ihm hat Gott wieder eingegriffen. Seither ist der Geist Gottes wieder am Werk. Daher bricht der Kampf Satans und der Gottesfriede auf Erden an. Wer sich Jesus nähert, der nähert sich also dem offenen Himmel und der Wüste, wo der Auftrag des Geistes in Kampf und Versuchung führt, der begegnet dem Anlauf des Satans und dem Frieden Gottes mitten unter den wilden Tieren.
II. Jesu Vollmacht und die Blindheit der Pharisäer 1,14-3,6 A) Die Vollmacht über Dämonen und Krankheit 1,14-45 Jesus verkündigt das Reich Gottes 1,14f., vgl Mt. 4, 12-17; L k A J 4 { . 14 Nachdem Johannes ausgeliefert worden war, kam Jesus nach Galiläa und verkündigte die Freudenbotschaft Gottes: 15 Erfüllt ist die Zeit, und genaht ist das Reich Gottes. Kehret um und glaubet an die Freudenbotschaft. Markus faßt Jesu Verkündigung kurz zusammen. „Verkündigen“ und „Freudenbotschaft“ sind Lieblingsausdrücke des Markus (vgl. zu 1,1 u. 4). Mit V.15 ist Jesu Ruf richtig zusammengefaßt; formal zeigt sich am Ende die Sprache der Gemeinde, die Buße und Glauben gern zusammenstellt (Apg.5,31; 11,18; 20,21). Markus liegt daran, daß Jesus in der Verkündigung weiter durch die Welt zieht, daß sein Ruf also auch heute ergeht. So liegt hier so etwas wie eine Überschrift zum ganzen Evangelium vor (vgl. den Rückblick am Ende). Die Zeit des Wirkens Jesu wird deutlich von der des Johannes unterschieden 14 (anders Joh.3,24). Das Wort „ausliefern“ (ins Gefängnis oder den Tod) wird gern von Märtyrern, aber auch von Verbrechern gebraucht. Die Parallele zum Schicksal des Menschensohnes (9,31; 10,33; 14,21.41; vgl. 14,lOf. 18.42.44; 15,1.10.15) ist schon sichtbar. Alle biographischen Einzelheiten der Verhaftung sind unwesentlich - erst 6,17ff. erscheinen sie, um eine Lücke auszufüllen (s.d.) - , wesentlich ist nur das Weitergehen der Verkündigung. Jesus aber markiert nicht mehr nur den 15 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Das Reich Gottes
„Anfang der Freudenbotschaft“ (1,1), sondern die Erfüllung der aus aller andern Zeit herausgehobenen Heilszeit (das etwa bezeichnet das griechische Wort für „Zeit“ V. 15). Es gibt also verschiedene Zeitperioden, solche, in denen Gott Kommendes vorbereitet, und solche, in denen es sich erfüllt. Das Reich Gottes. Wenn Jesus dies als das Nahesein des Gottesreiches (wörtlich: der Königsherrschaft Gottes) ausruft, dann nimmt er einen vom Alten Testament geprägten Begriff auf. Dort bezeichnet er Gottes Herrschen in der Schöpfung (Ps. 103,19; 145,11 ff.), vor allem aber seine von niemandem mehr angefochtene Regentschaft in der Endzeit (Jes.52,7). Das Judentum der Zeit Jesu spricht von der Herrschaft Gottes, die man auf sich nimmt, wenn man sich gehorsam allen Geboten unterstellt, oder dann, freilich selten, von der zukünftigen Herrschaft Gottes nach Vernichtung aller Feinde und aller Leiden. Ihr Kommen hängt also entweder ganz an der Entscheidung des Menschen, oder sie kommt wie ein Naturereignis über uns. Im Neuen Testament ist das Reich Gottes zunächst zukünftige Größe (Mk.9,1.47; 14,25; Mt.13,41-43; 20,21; Lk.22,16.18; l.Kor.15,50 usw.), die von Gott her kommt (Mk.9,1; Mt. 6,10; Lk.17,20; 19,11), die der Mensch nur erwarten (Mk. 15,43), suchen (Mt.6,33), empfangen (Mk. 10,15; vgl. Lk. 12,32), ererben (l.Kor.6,9f.; Gal.5,21; Jak.2,5), in keiner Weise aber selbst schaffen kann. Jesu Sprachgebrauch unterscheidet sich jedoch von dem des Judentums seiner Zeit. Er spricht selten von Gott als König, nie vom Aufrichten seiner Herrschaft über Israel oder die Welt, dafür häufig vom Eingehen der Menschen in sie. Sie ist also eher so etwas wie ein Raum oder eine Machtsphäre, in die man eintreten kann, so daß man besser mit „Reich“ übersetzt (Mk.9,47; 10,15.23-25; Mt.5,20; 7,21; 18,3; 19,23). Vor allem verzichtet Jesus auf alles Ausmalen und Berechnen des Kommens des Gottesreiches, obwohl er konkret vom Essen und Trinken und zu Tische Liegen im Gottesreich reden kann (Mk. 14,25; Mt.8,11; Lk.22,30). Dafür redet er von seiner Nähe (Mk. 1,15; Mt. 10,7), ja von seinem Gekommensein (Mt. 12,28), seiner Gegenwart mitten unter den Hörern (Lk. 17,21). Schon gehen Menschen in es ein (s. oben), schon wird es bekämpft (Mt. 11,12); denn schon ist der Stärkere da (Lk. 11, 22), der mehr ist als Salomo und Jona, Tempel und Täufer (Mt. 12,41 f.6; 11,11), der sprechen kann „Ich aber sage euch“ (Mt.5,21ff.). Daher fahren schon die Dämonen aus (Mk.1,26; Lk. 11,20) und werden Menschen in die Nachfolge gerufen (Mk. l,16ff.). So gilt beides: Allerdings ist die Tischgemeinschaft mit Jesus in der Herrlichkeit, wo Tod und Schmerz aufgehoben, das Glauben in das Schauen übergegangen sein wird, zukünftig. Aber wer Jesus begegnet, kann nicht mehr bloß danach ausschauen, als ob das erst in zehn oder tausend Jahren käme. In Jesu Taten und Worten kommt das zukünftige Reich schon auf ihn zu. Jetzt entscheidet es sich, ob er einst im Reiche sein wird oder nicht. Darum geht er jetzt schon in das künftige Reich ein, und in der Tischgemeinschaft Jesu mir seinen Jüngern, im Mahl der Gemeinde, im Erfahren der Macht Jesu, im Bewegtwerden durch seine Worte wirkt seine Macht schon. So sind in Jesus Gegenwart und Zukunft zusammengebunden. Damit hängen die übrigen Unterschiede zur Schau des damaligen Judentums zusammen. Während dort das Gottesreich weit wichtiger war als der Messias, hängt hier alles an der Gemeinschaft mit Jesus. Während dort erwartet wurde, daß die © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 1,16-20: Der Ruf in die Nachfolge
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Welt entweder verklärt oder im Gerichtsfeuer vernichtet würde, stellt Jesu Wort seine Jünger mitten in die Welt und ihre Aufgaben hinein, obwohl es sie zugleich innerlich frei macht von ihr, so daß die Welt weder verdammt noch verherrlicht wird. Darum fehlt bei Jesus auch die Erwartung eines Triumphes Israels oder der Kirche und eine Verdammung aller übrigen. Wichtig für den Jünger Jesu ist einzig, was Gottes Gericht ihm zu sagen hat. Hängt also das Kommen des Reiches in keiner Weise am Tun des Menschen, so nimmt es ihn doch jetzt schon mit all seinem Tun und Denken in Beschlag. Die „Umkehr“ (s. zu 1,4) folgt aus dem Nahesein des Gottesreiches und der Erfüllung der Zeit. Diese Reihenfolge ist entscheidend. „Buße“ ist nichts anderes als die volle Zuwendung zur „Freudenbotschaft“ . Das entspricht dem Verhalten Jesu selbst, der in unbegreiflicher Gelassenheit alles von Gott erwartet, darum nicht zu einem Missionsfeldzug nach Jerusalem und in die Welt hinaus rüstet, sondern in dem unbedeutenden Galiläa bleibt. Zum „Glauben“ vgl. zu 5,34-36, zur Tatsache, daß Jesus sich nicht als Messias proklamiert, den Exkurs „Sohn Gottes“ bei 15,39. Der Ruf in die Nachfolge 1,16-20, vgl. Mt.4,18-22; Lk.5,1-11 16 Und als er dem galiläischen See entlang ging, sah er Simon und Andreas, den Bruder des Simon, das Netz im See auswerfen; sie waren nämlich Fischer. 17 Und Jesus sprach zu ihnen: „Kommt hinter mir her, und ich will machen, daß ihr Menschenfischer werdet.“ 18 Und sogleich verließen sie ihre Netze und folgten ihm nach. 19 Und da er ein wenig weitergegangen war, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und Johannes, seinen Bruder, auch sie im Schiff beim Ausbessern der Netze. 20 Und sogleich rief er sie, und sie verließen ihren Vater Zebedäus im Schiff mit den Tagelöhnern und gingen weg, ihm nach. Die Geschichte ist wahrscheinlich von Markus hier angefügt worden, um zu zeigen, was solche neue Zuwendung konkret bedeuten könnte. Alle Einzelheiten, Zeit, Ort, nähere Umstände sind weggelassen. Wie in einem Holzschnitt ist nur gezeigt, was wirklich entscheidend ist. Ob sich beides am gleichen Tag abgespielt hat, wie die Zusammenstellung den Eindruck macht, ist völlig nebensächlich gegenüber dem, was Markus damit erreicht (vgl. zu 6,7). Je weniger Einzelheiten erzählt werden, je stärker sich alles einer „idealen Szene“ annähert, desto leichter kann der Leser sich selbst in denen finden, von denen berichtet wird. Das Bildwort von den „Menschenfischern“ , für das Jer. 16,16 (vgl. Am.4,2; Hab. l,14f.; 1QH 3,26; 5,7f.) zu beachten ist, könnte ein paradoxes Jesuswort sein, das den sonst negativ verwendeten Ausdruck positiv verwertet; vielleicht sogar in dem Sinn, daß sie die Menschen dem Bösen „wegfischen“ sollen. Zu den historischen Fragen vgl. zu 6,7-13, zu den theologischen den Rückblick am Ende. Immer beginnt Nachfolge mit dem erwählenden Blick (1,16.19; 2,14; 10,21; 16.19 Lk. 19,5; vgl. l.Sam. 16,1; Esr.5,5; Sach. 12,4) und dem Ruf Jesu. In keiner Weise sind die Gerufenen vorbereitet; sie gehören nicht einmal zu den Hörern der Predigt Jesu (l,14f.). Jesus begegnet dem Menschen nicht in einer besonderen religiösen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 1,21-28: Der Erweis der Vollmacht Jesu
Sphäre, sondern dort, wo er wirklich lebt, mitten in seinem Alltag. Das Wurfnetz ist das Gerät der Ärmeren. Es ist rundherum mit Steinen beschwert und wird unten 17.20 zugezogen, um die Fische wie in einem Beutel einzuschließen. Jesu Ruf, vollmächtig wie das Schöpfungswort Gottes (Ps.33,9; Jes.55,10f.), schafft die Nachfolge, 18.20 und was immer aus den Gerufenen werden wird, wird Jesu Tat sein. Daher wird die Nachfolge selbstverständlich erzählt, ohne jeden Hinweis auf die Überlegungen, die die Fischer anstellen, oder die Schwierigkeiten, die sie überwinden mußten. So geschieht Gnade Gottes, ohne daß davon geredet wird. So ist Nachfolge weder selbständiger ethischer Entschluß noch denkerische Übernahme von Lehrsätzen und doch sehr konkretes neues Handeln und Denken, das aus dem Geschehen der 20 Gnade lebt. Höchstens kann man im Zerreißen der Familienbande und dem Verlassen eines gewissen Wohlstandes - Simon und Andreas haben weder Boot noch Knechte - eine leise Steigerung gegenüber V. 18 sehen. Dieses Verständnis der Nachfolge ist von Jesus geprägt worden. Er knüpft dabei an das vollmächtige Handeln des Propheten an (l.Kön. 19,19ff.), führt es aber weit radikaler fort.Griechen und spätere Rabbinen haben von der „Nachfolge Gottes“ gesprochen, damit aber ein ethisches Ihm-ahnlich-Werden oder das Befolgen seiner Gebote (2.Makk. 8,36; vgl. 5.Mose 13,5; Dan. 4,31 LXX) gemeint. Näher verwandt scheint die Nachfolge des Schülers gegenüber dem Rabbi zu sein. Der große Unterschied besteht aber darin, daß der Rabbi nicht seinen Schüler ruft, sondern von ihm aufgesucht wird (vgl. Mt.8,19ff.). Vor allem wäre dort ein Ruf, der deutlich macht, daß das Sein bei Jesus wichtiger ist als alle Gebote Gottes (Mk. 10,21 s. dort), unmöglich. Darum hat auch kein Jünger Jesu je wie ein Rabbinenjünger daran denken können, selber einmal ein, womöglich noch besserer, Meister, ein „Menschensohn“ zu werden (vgl. auch zu 5,19). Auch diskutiert Jesus nie mit seinen Jüngern, wie ein Rabbi das täte. So hat das Wort „nachfolgen“ in Jesu Mund einen Klang bekommen, den es sonst nur an den Stellen des Alten Testaments hat, die davon sprechen, daß man nur entweder dem Baal oder Jahwe nachfolgen kann (l.Kön. 18,21; vgl. Spr.7,22). Der Erweis der Vollmacht Jesu 1,21-28; vgl. Lk.4, 31-37 21 Und sie gehen nach Kapernaum hinein. Und sogleich am Sabbat lehrte er in der Synagoge. 22 Und sie erstaunten über seine Lehre; denn er lehrte sie als einer, der Vollmacht hat, und nicht wie die Schriftgelehrten. 23 Und sogleich war in ihrer Synagoge ein Mensch mit einem unreinen Geist. Und er schrie auf 24 und sagte: „Was haben wir mit dir zu tun, Jesus, Nazarener? Du bist gekommen, uns zu verderben. Ich kenne dich, wer du bist, der Heilige Gottes.“ 25 Und Jesus bedrohte ihn und sagte: „Verstumme und fahre aus von ihm.“ 26 Und der unreine Geist zerrte ihn hin und her und schrie mit lauter Stimme und fuhr von ihm aus. 27 Und es erschraken alle, so daß sie untereinander diskutierten und sagten: „Was ist das? Eine neue Lehre in Vollmacht; und den unreinen Geistern gebietet er, und sie gehorchen ihm.“ 28 Und das Gerücht von ihm ging sogleich aus und überall hin in den ganzen Umkreis von Galiläa. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Schriftgelehrte, Pharisäer, Sadduzaer, Älteste, Synedrium
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V.21 ist von den begleitenden Jüngern nichts gesagt; V. 16-20 sind am Sabbat, wo Fischen oder Netzflicken streng verboten ist, undenkbar. Markus hat also zwei ihm überlieferte Abschnitte durch V.21 f. aneinandergehängt, wobei ihm vielleicht Kapernaum (in V. 29-31?) und das Lehren in der Synagoge schon vorgegeben waren. Doch sind ihm zeitliche oder örtliche Zusammenhänge unwichtig, nicht aber die Bedeutung des Geschehenen für die Gemeinde. V. 23-26 berichten von einer Heilung durch Jesus, wie sie in der Gemeinde erzählt, in Predigten und Unterricht verwendet und vielleicht schon vor Markus schriftlich fixiert wurde. Was er damit sagen möchte, drückt er in V.22.27f. aus. Das Wunder ist das Vollmachtszeichen für Jesu Lehre. Während es vom Täufer, von Jesus, den Zwölfen und der Gemeinde heißt, sie hätten die „Umkehr“ und die „Freudenbotschaft“ „verkündet“ (vgl. zu 1,4), ist es bei Markus nur Jesus, der „lehrt“ (15mal, immer eine andauernde Tätigkeit bezeichnend, dazu 5mal „Lehre“ ; einzige Ausnahme 6,30, griechisch eine einmalige kurze Handlung ausdrückend). Darin ist er also aus der vor und nach ihm ergehenden allgemeinen Verkündigung herausgehoben. Schriftgelehrte, Pharisäer, Sadduzaer, Älteste, Synedrium Die Schriftgelehrten sind die berufsmäßigen Theologen und, da das Alte Testament das Gesamtleben regelt, Juristen. Die meisten, aber nicht alle, gehörten der religiösen Richtung der Pharisäer an, die das Halten der Gebote im Alltag für wichtiger ansahen als den Tempelkult. Ursprünglich eine Laienbewegung im Gegensatz zum Priestermonopol, wurde sie allmählich zur Gelehrtenzunft, weil die immer skrupulöser werdende Gesetzlichkeit immer genauere Kenntnisse des Gesetzes, also Schriftgelehrsamkeit, forderte. Die Ähnlichkeit mit der Entwicklung im Pfarrerstand nach der Reformation ist nicht zu verkennen. Die Sadduzaer sind die priesterliche Gruppe, d.h. die jüdische Aristokratie, die konservativ nur das „Gesetz“ , also die fünf Mosebücher anerkennen, daher die Lehre von der Auferstehung nicht als schriftgemäß ansehen (Apg.23,8; Josephus, Altert. 18,16; Krieg2,165). Das Synedrium ist die oberste Gerichtsbehörde in Jerusalem mit 71 Mitgliedern, den „Hohenpriestern“ (d.h. den für dieses Amt Wählbaren), den .Schriftgelehrten und den „Ältesten“ (den Laien). Die Synagoge ist der regelmäßige Versammlungsort der Gemeinde am Sabbat 21 zu Gebet, Lesung und Auslegung, an der sich jedermann beteiligen kann (s. zu Lk. 4,16ff.)· Jesus ist nicht revolutionär; er fügt sich in das normale religiöse Leben Israels. Das Erstaunen des Volkes ist das sichtbar werdende Zeichen für die Voll- 22 macht Jesu. Daß in Jesus Gott selbst begegnet, ist nur dem Glauben sichtbar. Darum steht der Glaubenssatz V.22b, bevor vom Inhalt etwas referiert wird. Matthäus hingegen begründet den gleichen Satz mit dem Inhalt der Lehre Jesu und verschiebt ihn daher bis ans Ende der Bergpredigt (Mt.7,28f.). Der Unterschied Jesu zu den Schriftgelehrten besteht darin, daß diese nur eine abgeleitete Vollmacht besitzen und beanspruchen, nämlich die, das Gesetz, das allein Vollmacht besitzt, richtig auszulegen. Sie besitzen den Geist gewissermaßen nur in der „Konserve“ , ohne ihn für ihre Auslegung zu benötigen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 1,29-31: Die Heilung im Hause Simons
Es handelt sich hier um Besessenheit. Nach 2. Kor. 12,7-9 kann zwar sogar der Satansengel dem Apostel zum Segen werden. Doch wird die Heilung Jesu als sein Kampf gegen den Feind geschildert (V. 25-26), was (trotz Lk. 4,35/39; 13,11 usw.) bei Krankheiten nicht der Fall ist, da sie nicht dämonisch bedingt sind. Kenntnis des Namens gibt Macht (vgl. das Märchen Rumpelstilzchen, aber auch Zauberpapyri). Hier handelt es sich jedoch nicht wie in jüdischen und heidnischen Geschichten darum, daß der Exorzist den Namen des helfenden Gottes oder den des Dämons kennt, sondern um Unterwerfung des Dämons unter den „Heiligen Gottes“ (sonst nur Joh.6,69). Im Alten Testament findet sich der Titel Ri. 13,7; 16,17 LXX (vgl. l.Kön. 17,18 mit der gleichen entrüsteten Frage wie am Anfang unseres Verses), wo andere Texte „Naziräer“ lesen. Der Gleichklang von Nazoräer (Mt. 2,23, bei Markus immer: Nazarener) und Naziräer könnte zur Auslegung des Namens „Nazarener (= Mann von Nazaret)“ als „Heiliger Gottes“ geführt haben. Oder es könnte umgekehrt Jesus zuerst als ein Naziräer wie Simson bezeichnet und dann erst der Anklang an Nazaret entdeckt worden sein. Jedenfalls zeigt sich darin ein sehr frühes Stadium, in dem Jesus als von Gottes Geist ergriffener Charismatiker gesehen wurde, in dem die Heilszeit des in Israel lebendigen Gottesgeistes wieder erstand. Daß der Besessene in der Mehrzahl redet, würde man heute als „Persönlichkeitsspaltung“ beschreiben. Die neutestamentliche Vorstellung von einer ganzen „Legion“ (5,9) von Geistern drückt das Ausgeliefertsein des Menschen an eine ihn überwältigende Not aus. Der Befehl zum Versrummen ist wie 4,39 Kampfruf Jesu. Markus freilich versteht ihn noch anders (s. zu V.34). Zweifellos sind solche Heilungen geschehen (Lk. 11,15.20) und lassen sich wohl auch psychologisch erklären. Nur ist damit noch nichts über das Geheimnis der Vollmacht Jesu gesagt. Das laute Geschrei des ausfahrenden Dämons demonstriert die Wucht des Kampfes und die Größe des Sieges, während der Schreck des Volkes zeigt, daß es etwas von der Gegenwart Gottes spürt. Diese zerstört falsche Ruhe und Sicherheit und führt ins heilsame Zweifeln und Fragen. Dabei erkennt die Menge mit Recht, daß nicht das Einzelwunder entscheidend ist, sondern die dadurch aufgezeigte Vollmacht Jesu, die in seiner Lehre alle erreichen will. Darum greift die Wirkung dieser Tat Jesu weit über Kapernaum hinaus. Nicht das unterscheidet Jesus also von andern, daß er etwas ganz anderes, sondern daß er in einer Vollmacht lehrt, die etwas geschehen läßt: Menschen werden in Bewegung gesetzt und Kranke werden geheilt. Kurz: in Jesu Lehre redet Gott wieder so mit den Menschen, daß von ihm Geschiedene wieder in die Gemeinschaft mit ihm zurückgeholt werden. Gnade geschieht. Markus benützt also eine Wundergeschichte (vgl. zu 4,35-41), um die „Dimension“ des Lehrens Jesu aufzuzeigen. In Jesu Wort bricht tatsächlich der Himmel ein und wird die Hölle vernichtet. Sein Wort ist Tat. Darum ist es Markus so wichtig, daß Jesus von überirdischen Mächten als der „Heilige Gottes“ proklamiert wird (s. zu V.34). Die Heilung im Hause Simons 1,29-31, vgl. Mt. 8,14-15; Lk.4,38-39 29 Und sogleich, da sie aus der Synagoge kamen, gingen sie in das Haus des Simon und des Andreas mit Jakobus und Johannes. 30 Die Schwiegermutter © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 1,32-39: Die Bedeutung der Vollmacht Jesu
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Simons aber lag mit Fieber darnieder, und sogleich sagen sie ihm von ihr. 31 Und er trat hinzu, faßte ihre Hand und richtete sie auf. Und das Fieber verließ sie, und sie diente ihnen. Merkwürdig ist die Wendung „mit Jakobus und Johannes“ ; vermutlich sollen 29 einfach alle in 1,16-20 Genannten angeführt werden. Die Geschichte schließt mit 31 dem (im Griechischen als andauernd beschriebenen) Dienen. Dies ist die spezifische Form der Nachfolge der Frau (15,41; Lk.8,3; Joh. 12,2; doch auch Mk.9, 35; 10,43-45 usw.). Jesus ist freier als die Rabbinen, die das Aufwarten von Frauen bei Tisch mißbilligten. Damit führt diese Geschichte weiter als die letzte. Das Entsetzen und Fragen findet sein Ziel nicht in einer noch richtigeren Bezeichnung Jesu, sondern in der Nachfolge des Dienens (s. zu 1,20.34; 8,34). Die Bedeutungder Vollmacht Jesu 1,32-39; vgl. Mt. 8,16-17; Lk.4,40-44 32 Als es aber Abend wurde, da die Sonne untergegangen war, brachten sie zu ihm alle Leidenden und Besessenen, 33 und die ganze Stadt war an der Tür versammelt. 34 Und er heilte viele an mancherlei Krankheiten Leidende, und viele Dämonen trieb er aus und ließ die Dämonen nicht reden, denn sie erkannten ihn. 35 Und frühmorgens, noch tief in der Nacht, stand er auf, ging hinaus und ging weg an eine einsame Stätte, und dort betete er. 36 Und es verfolgten ihn Simon und die mit ihm waren, 37 und fanden ihn und sagen zu ihm: „Alle suchen dich.“ 38 Und er sagt zu ihnen: „Laßt uns anderswohin in die benachbarten Orte gehen, damit ich auch dort verkündige; denn dazu bin ich ausgegangen.“ 39 Und er ging und verkündigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die Dämonen aus. V.32 ist nur sinnvoll, wenn der Sonnenuntergang das Sabbatende bezeichnet, so daß von da an das Tragen der Kranken wieder erlaubt ist. Für Markus gilt das nicht mehr, und wo er auf jüdische Bräuche hinweist, erklärt er sie seinen Lesern (7,3f.). Also werden etwa V.23-26. 29-32. 34a. 35-38 schon vor Markus zusammenhängend erzählt worden sein. Stilistisch sind sie von ihm gestaltet worden, so bei der doppelten Zeitangabe V.32, wo die erste typisch markinischen Stil zeigt, vielleicht in der Zufügung von „alle“ V.32, ziemlich sicher durch die Anfügung von V.33 und 39, da Markus immer wieder die allumfassende Wirkung Jesu unterstreicht, und den Hinweis auf die Verkündigung in V.38, vor allem aber durch seine neue Auslegung der Schweigegebote in V.34b (s. dort). Für Markus beginnt mit V.35 ein neuer Abschnitt; der Rückzug aus Kapernaum (wohin er 2,1 zurückkehrt) wird zum Aufbruch zur Verkündigung in ganz Galiläa. Markus betont, daß Jesus für alle Not da ist, seine Wirkung sich auf alle 32.33 erstreckt. Am wichtigsten ist ihm das „Messiasgeheimnis“ , d.h. das Verbot, 34 Jesu Würde und Vollmacht zu verkünden. In der alten Erzählung V. 23-26 sollte der Ruf „Verstumme!“ wie der andere „Fahre aus!“ einfach dem Tun des Dämons ein Ende bereiten. Nach Markus aber dürfen die Dämonen das, was sie allein schon wissen, nicht kundtun (3,11 f.), ebensowenig die Jünger (8,30; © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Messiasgeheimnis
9,9). Aber auch die Geheilten sollen das Wunder Jesu nicht weitersagen (1,44; 5,32; 7,36; 8,26?) Es soll also nicht bekannt werden, daß Jesus der Messias ist. Warum tut dann aber Jesus in aller Öffentlichkeit Wunder? Wie kann 5,43 bei den vielen Leuten, die nach 5,35-38 anwesend sind, befolgt werden? Wie ist 2,7-11 möglich, wenn Jesus geheimhalten will, daß er als Messias an Gottes Stelle handelt? Da es sich um eine Konstruktion des Markus handelt, haben wir um so genauer hinzuhören, was er damit sagen will. Jesus selbst spricht nie direkt, sondern nur im Gleichnis (oder in rätselhaften Ausdrücken wie „Menschensohn“ ) vom Geheimnis seines Wirkens (vgl. zu 4,1-9); auch kann eine gewisse Zurückgezogenheit bei Heilungen schon bei Jesus und im Bericht der Gemeinde vor Markus beobachtet werden (1,35-38; 7,33; 8,23). Vor allem behält auch im Judentum und im Neuen Testament außerhalb des Markus Gott und sein Handeln immer Geheimnischarakter. Die Leute von Qumran wie Paulus und seine Schüler wissen, daß Gottes Wirken nie völlig in Worte gefaßt, sondern nur als Wunder verstanden werden kann. Anders als im Judentum ist im Neuen Testament freilich dieses Geheimnis zu einem einzigen geworden: Jesus Christus selbst, genauer: sein Kreuz (l.Kor.2,6ff.) oder sein Zug durch die Welt in der Mission (Kol.l,26f.; 2,2f.; Eph.3,lff.; Röm. 16,25ff.; l.Tim.3,16; vgl. zu Mk.13,10). Markus scheidet einerseits nicht mehr wie die Tradition vor ihm scharf zwischen Draußenstehenden und Eingeweihten. Gerade die Jünger erweisen sich als blind (vgl. zu 4,13; 8,17-21). Das ist schwerlich Polemik gegen die von ihnen geleitete Gemeinde in Jerusalem; denn sie werden auch sehr positiv beschrieben (s. Exkurs Markusschluß zu 16,1-8). Sie teilen aber die Blindheit aller Welt (s. Rückblick). Andererseits betont Markus, daß die Schweigegebote immer wieder durchbrochen werden (1,45; 7,36; vgl. 5,20; 7,24), und berichtet selbst von erstaunlichen Wundern Jesu. Auch sind die Aussagen der Dämonen (3,11) oder des Petrus (8,29) durchaus richtig (14,61 f.) und von Gott bestätigt (9,7). Wunder und Bekenntnisse erweisen Jesus als Menschensohn, der auf Erden Vollmacht hat (2,10.28), zur Rechten Gottes auferstehen (8,31; 9,31; 14,62) und wiederkommen wird (13,26; 14,62). Beide würden aber mit Notwendigkeit mißverstanden ohne das Wissen um Jesu Weg ans Kreuz, der Nachfolge fordert und möglich macht (s. zu 8,34). So benützt Markus auch hier eine Wundergeschichte vom Verstummen und Ausfahren eines Dämons, sieht darin aber Tieferes: Jesus kämpft nicht nur gegen die Dämonen, die diesen Menschen plagen, sondern zugleich gegen die, die meinen, man müsse nur den rechten Titel wissen (s. zu 1,24), die rechte Anschauung von seiner Gottessohnschaft haben, um gerettet zu sein und sich um die Nachfolge drücken zu können. Sowenig die Einzelheiten historisch sind, sosehr hat Markus damit das Zentrum des Handelns und Verkündigens Jesu getroffen. 35
V.35-38 unterstreichen dies. Von Jesu einsamem Beten wird immer wieder berichtet. Es bewahrt seinen Dienstvor Überaktivität wie vor Trägheit. Zugleich 36.37 ist es Flucht vor einer begeisterten Anerkennung, die doch nicht Nachfolge sein 38 will. Zum ersten Mal zeigt sich das Nichtverstehen der Jünger. Jesu Sendung 39 aber, zu der er „ausgegangen“ ist, ist der Ruf an alles Volk - an ganz Galiläa, wie Markus betont - , für den seine Taten nur Zeichen sein können. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 1,40-45: Die Wirkung der Vollmacht Jesu trotz des Schweigegebots
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So berichtet der Abschnitt von wunderbar heilender Vollmacht, die aber Nachfolge fordert und zugleich schafft. Die Wirkung der Vollmacht Jesu trotz des Schweigegebots 1,40-45, vgl. Mt. 8,2-4; Lk.5,12-16 40 Und es kommt zu ihm ein Aussätziger, der ihn bittet, ihm zu Füßen fällt und sagt: „Wenn du willst, kannst du mich reinigen.“ 41 Und voller Zorn streckte er seine Hand aus, rührte ihn an und spricht zu ihm: „Ich will, sei rein!“ 42 und sogleich ging der Aussatz von ihm und er ward rein. 43 Und er fuhr ihn an und trieb ihn sogleich weg 44 und sagt zu ihm: „Sieh zu, sage niemandem etwas, sondern geh hin, zeige dich dem Priester und bring für deine Reinigung dar, was Mose angeordnet hat, ihnen zum Zeugnis.“ 45 Er aber ging hinaus und begann eifrig zu verkünden und das Wort auszubreiten, so daß er nicht mehr offenkundig in eine Stadt hineingehen konnte, sondern draußen blieb an einsamen Stätten. Und sie kamen zu ihm von überallher. V.44: 3.Mos. 13,49; vgl. 14,2-32.
Auf Markus selbst dürften die Sätze über das Messiasgeheimnis und seine Durchbrechung zurückgehen, also V.44a.45 (s. zu 1,34), während vielleicht schon die alte Erzählung ein, bis zur Bestätigung durch den Priester befristetes Schweigegebot und eine nachher erfolgende Kundgabe des Wunders enthielt. Angereiht ist die Geschichte hier als eine letzte Steigerung. Der Aussatz schließt aus der Volksgemeinschaft, also aus Gottes Volk, aus. „Unrein, unrein“ muß der Kranke von weitem rufen, um jedermann fernzuhalten (3.Mose 13,45). Den Rabbinen gilt er als lebendig Toter und seine Heilung so schwer wie Totenerweckung. Hier durchbricht der Aussätzige die Distanz und traut Jesu Vollmacht alles zu. In dieser vollen Ausrichtung auf Jesus, in dem geschenkten und gewagten Trauen auf seine unbegrenzte Macht und im demütigen Wissen, daß alles an seinem Wollen hängt und nichts gefordert werden kann, stellt sich rechtes Glauben dar, obwohl noch längst keine klare Erkenntnis über Jesu eigentliches Wesen vorhanden ist. Jesu Zorn - das wird die alte Lesart sein gilt der Schrecklichkeit der Krankheitsnot (vgl. Joh. 11,33-38), die Gottes ursprünglichem Schöpferwillen ebenso widerspricht wie das Treiben der Dämonen l,24f. Nicht Jesu Erbarmen ist Grund seines Heilens, sondern der Kampfwille gegen alles Ungöttliche. Die Heilung vollzieht sich durch das herrenhafte „Ich will“ , doch ist auch die Berührung ausdrücklich genannt (anders als 2.Kön.5,10). Gottes Macht lebt, fast sakramental, in Jesu Leiblichkeit und will daher auch die Leiblichkeit des Menschen in Beschlag nehmen. Das „Anfahren“ (wörtlich „Schnauben“ ) Jesu gilt, ähnlich dem „Schnauben“ Jahwes im Alten Testament, der Blindheit der Menschen, die zwar den Wundertäter preist, aber nichts von seinem Kreuz wissen will (vgl. 3,5 und Mt. 9,30). Jesus hält sich an die Vorschrift von 3.Mose 14,1 ff.; er schiebt nicht revolutionär das Gottesgesetz beiseite (s. zu 1,21). Hat Markus deswegen diese Geschichte vor 2,1-3,6 gestellt? Vielleicht hat die Geschichte ursprünglich erzählt, daß der Geheilte gehorchte und so das © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk.2,1-12: Die Vollmacht der Sündenvergebung
45 Wunder offiziell bestätigt wurde, selbst der Priesterschaft „zum Zeugnis“ . Zum Schweigegebot und seiner Durchbrechung vgl. zu 1,34. Wieder läßt die Art der markinischen Erzählung die Frage scharf hervortreten. In fast befremdender Weise wird die Gegenwart der Macht Gottes in Jesus dargestellt: seine bloße Berührung heilt, und Gottes unvorstellbare Vollmacht läßt sich nicht verheimlichen. Zugleich wird deutlich, daß mit dem bloßen Wunderglauben noch nichts entschieden ist, solange man sich Jesu eigentliche Gabe, die alle althergebrachten Grenzen zwischen Rein und Unrein, Gottesvolk und Außenseitern durchbricht, nicht schenken läßt; daher der erschreckende Zorn Jesu und sein Schweigegebot. Die alte Kirche hat etwas von dieser Absicht des Markus gespürt, wenn sie nach einem Papyrus den Aussätzigen noch sagen läßt: „Herr Jesus, der du mit den Aussätzigen wanderst und in der Herberge issest...“
B) Die Vollmacht über Sünde und Gesetz 2,1-3,6 Die Vollmacht der Sündenvergebung 2,1-12, vgl. Mt. 9,1-8; Lk. 5,17-26 1 Und als er wieder nach Kapernaum hineinkam, einige Tage darauf, wurde bekannt, daß er im Hause sei. 2 Und es versammelten sich so viele, daß der Platz nicht mehr reichte, nicht einmal vor der Tür draußen. Und er sagte ihnen das Wort. 3 Und sie kommen und bringen einen Gelähmten zu ihm, getragen von vieren. 4 Und da sie ihn wegen der Volksmenge nicht zu ihm hinbringen konnten, deckten sie dort, wo er war, das Dach auf, gruben es durch und lassen die Bahre, auf der der Gelähmte lag, hinunter. 5 Und als Jesus ihren Glauben sah, sagt er zu dem Gelähmten: „Kind, vergeben sind deine Sünden.“ 6 Es saßen aber einige von den Schriftgelehrten dort und dachten in ihren Herzen: 7 „Was redet der so? Er lästert! Wer kann Sünden vergeben außer der eine Gott?›› 8 Und sogleich erkannte Jesus in seinem Geist, daß sie so bei sich denken, und spricht zu ihnen: „Warum denkt ihr das in euren Herzen? 9 Was ist leichter, dem Gelähmten zu sagen: ,Vergeben sind deine Sünden›, oder zu sagen: ,Steh auf, nimm deine Bahre und wandle›? 10 Damit ihr aber wißt, daß der Menschensohn Vollmacht hat, auf Erden Sünden zu vergeben‹ - spricht er zum Gelähmten: 11 „Ich sage dir: stehe auf, nimm deine Bahre und geh heim in dein Haus.“ 12 Und er stand auf und sogleich nahm er die Bahre und ging hinaus vor ihnen allen, so daß alle außer sich gerieten und Gott priesen und sagten: „So etwas haben wir noch nie gesehen.›› Nachdem 1,14-45 die Vollmachtstaten Jesu schilderte, folgt 2,1-3,6 eine Reihe von Streitgesprächen, die teilweise (2,1-12.15-28?) wohl schon vor Markus zusammengestellt waren (vgl. Einleitung 2.). Die Vorstellung vom Menschensohn, der Vollmacht auf Erden hat (2,10.28), geht nämlich kaum auf Markus zurück, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk.2,1-12: Die Vollmacht der Sündenvergebung
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der den Titel erst 8,31 einführt; er erscheint aber auch nicht in anderen Wundergeschichten und gehört schwerlich zum ältesten Bestand (s. zu 2,10.28). Vielleicht ist er, als diese Geschichten gesammelt wurden, am Anfang und Ende eingefügt worden. Am Ende von V. 10 zeigt sich ein Bruch; die Wendung aus V.5 wird wiederholt, um eine neue Anrede an den Gelähmten einzuführen. Wenn nach V. 12 „alle“ Gott priesen, wären die Schriftgelehrten von V.6 eingeschlossen, was dem sonstigen Bild (schon 2,16) völlig widerspricht. Außerdem ist hier nur auf die Heilung, nicht auf die Diskussion V.6-10 Bezug genommen. Wahrscheinlich sind ursprünglich nur V. 1-5.11 f. erzählt worden. Der Zuspruch der Sündenvergebung vor der Heilung regte dann die Gemeinde an, den Zwiespalt zwischen Jesus und den Schriftgelehrten in V.6-10 darzustellen und das Schwergewicht der Geschichte noch deutlicher zu machen: daß alle Heilungen Jesu Zeichen für eine tiefergreifende Vollmacht sind, für die Sündenvergebung, die die Menschen wieder in die Gemeinschaft mit Gott zurückführt. Das ist genau, was Jesus meinte. Für Markus selbst ist entscheidend, daß Jesu „Wort“ (s. zu V.2) unverstanden bleibt, ja daß darüber die Feindschaft aufbricht, die schließlich zum Kreuz führt (3 y 6). Eine genauere Zeitangabe fehlt. Auch das „Haus“ soll nur zeigen, daß Jesus sich zurückziehen will (vgl. 3,20, wo der Zulauf der Menge dadurch nur um so stärker hervortritt; 7,17,24; 9,28.33; 10,10), daß aber der überwältigende Eindruck, den er macht, dies verhindert. Der Satz vom „Sagen des Wortes“ kehrt 4,33; 8,32 mit typischen Unterschieden wieder. Hier bezeichnet Markus damit den Beginn eines theologisch wichtigen Abschnitts, der bis 3,6 reicht (s. unten). Das palästinische Haus besteht normalerweise aus einem einzigen Raum, über dem ein Dach aus Holzstangen, Zweiggeflecht und einer Lehmdecke, die jeden Herbst vor der Regenzeit ausgebessert werden muß, liegt. Oft führt eine Treppe außen hinauf. Ob ein Durchbrechen des Daches möglich ist, während das Haus von Leuten gestoßen voll ist, ist fraglich. Die Kühnheit und Beharrlichkeit, mit der die vier bis zu Jesus vordringen, nennt Markus Glauben. Sie ist wichtiger als eine schon fertige Erkenntnis über Jesu Person und Wesen. Dabei handelt es sich um den Glauben der Träger, nicht um Empfänglichkeit des Kranken für Suggestion oder seine innere Bereitschaft für Gott. Was sich jetzt ereignet, bleibt also ganz Gottes Tat. Jesu Antwort zeigt auf, wo die eigentliche Not steckt. Nicht daß dieser Kranke besonders sündig wäre. An ihm wird aber die allgemeine Gottgeschiedenheit des Menschen und die vom Alten Testament verkündete Verwurzelung allen Leides in der Trennung des Menschen von Gott augenfällig. Sie muß Jesus hier aufzeigen, damit die Zeugen der Heilung nicht nur beim Heilungswunder stehenbleiben. Jesu zweites Wort (V. 11) macht freilich deutlich, daß Vergebung nie etwas rein Innerliches bleibt, sondern auch die Leiblichkeit des Menschen wieder unter Gottes Herrschaft zurückholt. Die Schriftgelehrten (s. zu 1,22) sind völlig im Recht: nur Gott kann die Trennungsmauer, die die Menschen gegen ihn aufgerichtet haben, niederlegen. Nie hat das Judentum Sündenvergebung vom Messias erwartet. Jesus handelt, als stünde er an der Stelle Gottes. Daß es nämlich Gott ist, der durch ihn Sünden vergibt, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk.2,13-17: Das Mahl mit den Sündern
ist durch Jesu Formulierung, die wie üblich die Nennung des Gottesnamens aus Ehrfurcht vermeidet, ausgedrückt. So wird bewußtgemacht, was geschah, wenn Jesus mit Zöllnern zusammensaß und Dirnen den Weg zu Gott öffnete. Auch daß Jesus die Menschen durchschaut, so daß sie nichts vor ihm verbergen können, läßt etwas von der Gegenwart Gottes ahnen. Die Gegenfrage Jesu soll zum Nachdenken zwingen. Für Markus ist sicher die Sündenvergebung das Größere, „Schwerere“ . Die Gegner aber denken, es sei leicht, so etwas zu sagen ohne Beweis dafür, daß es wirklich geschieht. So leitet V. 10 wieder zur Geschichte zurück und stellt noch einmal die Vollmacht des Menschensohns (s. zu 8,31), die Erde wieder mit dem Himmel zu einen, als die Mitte alles Geschehens heraus. Als Demonstration dafür ist das Folgende zu verstehen. Heilungen sind auch schon geschehen. Das Volk aber versteht, daß es Zeuge für etwas war, was man „noch nie gesehen“ hatte. Eben das hat die Gemeinde verstanden, als sie V. 6-10 einfügte und damit erklärte, daß sie in Jesu Taten jene Gegenwart und Vollmacht Gottes erkannte, die sie von Sünde (2,1-17) und Gesetz (2,18-3,6) befreite. Damit ist der Sieg Jesu über Krankheit und Dämonen umfassend als Sieg über Sünde und Gesetz verstanden, wie das Paulus in seiner theologisch viel durchdachteren Sprache ebenso tut (l.Kor. 15,55f.; Gal.4,3.8-10; vgl. Kol.2,14f.). Das Mahl mit den Sündern 2,13-17; vgl. Mt. 9,9-13; Lk. 5,27-32 13 Und er ging wieder hinaus dem See entlang, und die ganze Menge kam zu ihm, und er lehrte sie. 14 Und im Vorübergehen sah er Levi, den Sohn des Alphäus, am Zoll sitzen und sagt zu ihm: „Folge mir nach!“ Und er stand auf und folgte ihm nach. 15 Und es geschieht, daß er in seinem Hause zu Tische liegt, und viele Zöllner und Sünder lagen mit Jesus und seinen Jüngern zu Tische. Es waren nämlich viele, und sie folgten ihm nach. 16 Und als die Schriftgelehrten von den Pharisäern sahen, daß er mit den Sündern und Zöllnern ißt, sagten sie zu seinen Jüngern: „Mit den Zöllnern und Sündern ißt er!“ 17 Und Jesus hörte das und sagt zu ihnen: „Die Gesunden haben den Arzt nicht nötig, sondern die Leidenden; ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.“
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V. 15-17 sind wahrscheinlich einmal ohne die Einleitung erzählt worden; denn von Levi ist nicht mehr die Rede, und ob es sich um Jesu oder Levis „Haus“ handelt, bleibt unklar. In der Tradition war es wohl Levis Haus; Markus denkt vielleicht an Jesus (ihm von Petrus zur Verfügung gestelltes, 1,29-31?) Haus. V. 13 ist in seiner Allgemeinheit wohl markinisch. Ihm ist Jesu „Lehren“ (s. zu 1,21-28) und die durch das Nachlaufen der „ganzen Menge“ beschriebene Wirkung (s. zu 1,5) wichtig; auch ist der Strand „dem See entlang“ die übliche Szene des Wirkens Jesu (vgl. 1,16). V. 14 erzählt in holzschnittartiger Knappheit, alles auf das Wesentliche reduzierend, und ist darin 1,16-20 (s. dort) sehr ähnlich. Vermutlich hat Markus (aufgrund mündlicher Tradition?) den Vers jenem Abschnitt nachgebildet; freilich erscheint kein Levi in der Liste der Zwölf (s. zu Mt. 9,9). Die in V. 15-17 aufgeworfene Frage nach der Gesetzesgerechtigkeit hat die Gemeinde noch lang beschäftigt. Ist Jesus nur für die nach dem Gesetz lebenden Juden © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk.2,13-17; Das Mahl mit den Sündern
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gekommen oder auch für die Heiden? Später stellte sich eine ähnliche Frage innerhalb der christlichen Gemeinde: Ist Jesus auch für die da, die nach der Taufe Sünde tun? V. 17 gebraucht ein Bild, das auch bei griechischen Wanderphilosophen beliebt war. So sagte einer von ihnen, als man ihm seinen Verkehr mit dem niedrigen Volk vorwarf: „Auch die Ärzte lehren gewöhnlich nicht bei den Gesunden, sondern dort, wo die Kranken sind.“ V. 17 dürfte also auch die griechich spre- 17 chende Gemeinde zurückgehen, die Jesu Wirken in ein bekanntes Bild zusammenfaßte und dies in der zweiten Vershälfte erklärte. Auffällig ist „Zöllner und Sünder“ , was zwar V. 16 b als Ausspruch der Schriftgelehrten paßt, die alle Zöllner als Sünder ansehen, aber nicht in V. 15.16a (vgl. Lk.5,29 neben 30). V.16b (und 17) dürfte also der Ursprung sein, aus dem die Szene V. 15.16a entstanden ist. Daß nicht Jesus, sondern die Jünger gefragt werden, weist schon auf die Zeit der Gemeinde, der ähnliche Vorwürfe begegnen. Die Antwort darauf kann freilich nur Jesus geben (V. 17). Die ungeschickte Einfügung des letzten Sätzleins von V. 15 ist 15 dadurch bedingt, daß das Stichwort „nachfolgen“ nochmals auftauchen sollte, um das Sein der Sünder bei Jesus mit dem Handeln Levis parallel zu setzen. Wenn Markus die Szene mit V. 15 einleitet, betont er, daß Jesu Ruf von Anfang an (1,16-20) die den Sünder von Gott trennenden Grenzen durchbricht. V. 15 wird dadurch für ihn zum Bild der Gemeinde in Jesu Nachfolge. Darum erscheint 2,14 erst hier und nicht nach 1,20. Wieder geht wie l,14ff. das öffentliche Lehren Jesu voraus. Wieder wird deutlich, daß Jesus im „Vorübergehen“ einen Menschen „sieht“ (und damit erwählt), der nicht zum Hörerkreis seiner Predigt gehört. Wieder schafft Jesu Vollmachtswort die wie selbstverständlich daraus folgende Nachfolge. Durch die starke Verkürzung wird der Text noch stärker als 1,16-20 zur reinen Christusverkündigung, die sich für die Psychologie des Nachfolgers überhaupt nicht interessiert. Vor allem ist das Geschehen der Gnade Gottes dadurch akzentuiert, daß der Gerufene außerhalb der Kirchenmauern lebt. Die Zöllner sind „Sünder“ , weil sie sich im Verkehr mit Heiden verunreinigen und den Ungläubigen, den Römern oder Herodianer, dienen. Der Zoll wurde auch dem meistbietenden „Oberzöllner“ (Lk. 19,2 und vgl. zu Lk. 3,13) verpachtet, so daß dieser seine Angestellten, die „Zöllner“ , fast zur Unehrlichkeit zwingen mußte. So wurden diese von Juden wie Heiden verachtet. In Jesu Ruf geschieht also Versöhnung, Heimholung in die Gemeinde Gottes. Daß dies grundsätzlich gilt, zeigt die angefügte Geschichte. Zu Tische „liegt“ man nur bei einem Festmahl. Versöhnung vollzieht sich also darin, daß es den Sündern bei Jesus und seinen Jüngern (also in der Kirche) außerordentlich wohl wird. Auch dies nennt Markus in dem nachhinkenden Sätzlein ein „Nachfolgen“ , wobei die griechische Form ein andauerndes Verhalten, in V. 14 ein einmaliges Handeln, die augenblickliche, sichtbare „Bekehrung“ charakterisiert. Markus zieht also die Grenze zwischen dem spektakulär Bekehrten und den langsam in die Gemeinschaft Jesu und seiner Jünger Hineinwachsenden nicht scharf. An der Tat Jesu bricht auch der Widerstand der Pharisäer (s. zu 1,22) auf, nicht an dogmatischen Formulierungen, über die sich noch diskutieren ließe. Das Bildwort in Jesu Antwort ist nicht mehr bloßer Vergleich. Im Zusammen© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 2,18-22: Die Freiheit von der religiösen Leistung
sein Jesu mit den Zöllnern vollzieht sich etwas wie eine Heilung eines Todkranken. Sosehr die „Toleranz“ betont ist - Jesus setzt sich über alle religiösen Trennrnauern hinweg, und die erzählende Gemeinde verzichtet auf eine Abgrenzung zwischen Bekehrten und Randsiedlern - , so unerhört ist doch Jesu Anspruch. Er ruft den Sünder. Wenn Lukas zufügt: „zur Buße“ , ist das nicht falsch, trifft aber auch das Zentrum nicht. Markus meint: zu Gott, zu dem in Jesus ihm begegnenden Gott. Daß es Gerechte gibt, wird nicht geleugnet. Aber gerade ihre Versuchung wird hier sichtbar: zu meinen, sie hätten Gott nicht Tag für Tag nötig. So kann es gerade ihnen geschehen, daß sie Gott nicht erkennen, wenn er wirklich kommt. Ihre Gefahr ist eine andere als die des „Sünders“ , kann sie aber genauso vom lebendigen Gott trennen wie diese. Gerade dadurch also, daß Markus, zum Teil schon der Gemeinde vor ihm folgend, die grundsätzliche Bedeutung des Handelns Jesu hervorgehoben hat, verkündet er, wer Jesus ist: der, durch dessen Handeln (nicht nur durch seine Worte) der Mensch in die Gemeinschaft mit Gott zurückgebracht wird. Die Freiheit von der religiösen Leistung 2,18-22, vgl. Mt. 9,14-17; Lk.S, 33-39 18 Und die Jünger des Johannes und die Pharisäer pflegten zu fasten. Und sie kommen und sagen zu ihm: „Weswegen fasten die Johannesjünger und die Pharisäerjünger, deine Jünger aber fasten nicht?“ 19 Und Jesus sprach zu ihnen: „Es können doch die Hochzeitsgäste nicht fasten, während der Bräutigam bei ihnen ist. Solange sie den Bräutigam bei sich haben, können sie nicht fasten. 20 Es werden aber Tage kommen, da der Bräutigam von ihnen weggerissen wird, und dann werden sie fasten, an jenem Tage. 21 Niemand näht einen Lappen von ungewalktem Stoff auf ein altes Kleid; sonst reißt der Flicken ab, der neue von dem alten, und es entsteht ein schlimmerer Riß. 22 Und niemand schüttet neuen Wein in alte Schläuche; sonst wird der Wein die Schläuche zerreißen und der Wein geht verloren und die Schläuche.“ Jesusworte dürften V. 19a, wohl auch 21 f. sein. Die Einleitung wird Gemeindebildung sein. Darum bildet das Nichtfasten der Jünger, nicht das Jesu selbst, das Problem. Darum treten die Gruppen auf, die die Gemeinde mit ihrer Fastenpraxis herausfordern, besonders die Täuferbewegung. Pharisäerjünger gibt es nicht, nur Anhänger dieser Richtung. Sie sind vermutlich bei der Einordnung dieses Abschnitts in die Streitgespräche mit Pharisäern und Schriftgelehrten zugefügt worden. So bleibt auch unklar, wer eigentlich fragt. Da die Fastenpraxis den Unterschied Jesu zur Täuferbewegung kennzeichnet, dürfte V.19a ursprünglich in diese Situation gehören. V.21f. sind vielleicht von Jesus aufgenommene Sprichwörter, vielleicht von ihm geformte Bilder. Sie sind kaum mit V.19 zusammen gesprochen worden, da die Fülle von Bildern die Pointe von V.19 eher abschwächt. Genaugenommen warnt mindestens V.21 eher vor dem Aufgeben des Alten. Thomasev. 47 spricht daher vom alten Flick auf neuem Kleid; doch ist dies Korrektur, da dort auch beim Wein neben unsere Fassung noch die umgekehrte © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk.2,18-22: Die Freiheit von der religiösen Leistung
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Formulierung trat. Sollten die Worte einmal im Sinne von Lk. 14,31 f.; Mk. 10,38 warnen? Eher wehrten sie von Anfang an jedem Kompromiß, der Neues und Altes, etwa die Freude über die Nähe Gottes und das Festhalten an der Gesetzlichkeit, verknüpfen will. So sind sie jedenfalls im jetzigen Zusammenhang zu verstehen. V.20 dürfte Mißverständnis der Gemeinde sein, die das Fasten nach Jesu Tod wieder teilweise einführte (Apg. 13, 2f.; 14,23; durch Abschreiber zugefügt: Mk.9,29; 1.Kor.7,5). Sie hat vielleicht auch V. 19b zugefügt, um Jesu Antwort auf die Zeit seines irdischen Lebens zu beschränken, wenn dieses, in einigen Handschriften wie bei Matthäus und Lukas fehlende Sätzlein nicht sogar erst nach Markus beigefügt wurde. Während bei Jesus das Bild vom Bräutigam noch echter Vergleich ist - wie man während der Hochzeitsfeier nicht fastet, so auch nicht in der Heilszeit -, setzt die Gemeinde schon direkt den „Bräutigam“ mit Jesus gleich. Als Jesuswort könnte man V.20 höchstens verstehen, wenn der Ausschluß vom Festmahl der Endzeit gemeint wäre. Aber wer sollte das verstehen, besonders da im Jüngsten Gericht nicht Jesus, sondern die Verurteilten weggerissen würden? Das merkwürdig nachhinkende „an jenem Tag“ propagiert wahrscheinlich sogar den Freitag als Fasttag wie Did. 8,1: „Eure Fasten seien nicht mit den Heuchlern, denn die fasten Montag und Donnerstag; ihr aber, fastet Mittwoch und Freitag!“ Die Frage ist typisch für den Menschen, der etwas auf dem Sondergebiet des 18 Religiösen leisten möchte. Fasten war nur am Versöhnungstag oder in besonderen Notzeiten gefordert; doch übernahmen gewisse Gruppen es freiwillig. Erstaunlich 19 ist die Begründung Jesu für das Verhalten seiner Jünger: die große Freude macht alles Rechnen mit religiösen Sondcrleistungen unmöglich. Verhüllt und doch für den aufmerksamen Hörer klar stellt das Bildwort die Frage, ob denn wirklich in Jesus die Freude so hereingebrochen ist, daß Gottes Schenken alles andere überwältigt. Das Bild ist prägnant, weil die Hochzeit in Palästina so wichtig genommen wird, daß selbst Rabbinen ihren biblischen Unterricht unterbrechen, um mitzujubeln. Von Jesu Jüngern ist also das Handeln aus der Freude über Gottes Schenken heraus erwartet. Es kann freilich das Verlassen aller andern Dinge einschließen (2,14), nicht aber religiöse Sonderleistungen, die den noch fernen Gott herbeizwingen wollen. Das wird noch verschärft dadurch, daß in der Gemeinde die Hochzeit als Bild für die Herrlichkeit der Endzeit dient, und daß sie im „Bräutigam“ eine allegorische Bezeichnung für Jesus sieht. Allerdings will schon das „solange“ V. 19b, besonders aber V.20 die Möglichkeit des Fastens 20 nach Jesu Tod wieder einfügen. Das verrät eine Auffassung, nach der Jesus zwischen Tod und Wiederkunft „weggenommen“ ist (vgl. 13,34). Tatsächlich spricht Markus nie von der Gegenwart Jesu nach Ostern, sondern nur von der des Geistes (13,11). Doch setzt er voraus, daß im „Namen“ Jesu weiterhin Liebestaten und Wunder geschehen (9,37-39; vgl. 11,23f.); ja, ohne die Voraussetzung, daß ähnliches noch immer geschieht, erzählte er weder Nachfolge- noch Wundergeschichten. Auch schrankt er V.21f. sicher nicht auf die Zeit des irdischen Jesus ein. In fortgeschrittenem Stadium zeigt das auch der unechte Schluß 16,9-20, wo der „in den Himmel © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 2, 23-28: Die Freiheit vom Gesetz
emporgehobene“ Jesus auch nur in seinem „Namen“ wirkt (vom Geist ist hier keine Rede), obwohl „vielerlei Zeichen“ , ja das „Mitwirken“ des „Herrn“ bei der Verkündigung durch diese Zeichen vorausgesetzt bleibt (vgl. zu 16,17-19). Doch soll der Unterschied nicht überbetont werden. Matthäus verstärkt noch die Aussagen von der Abwesenheit Jesu (10,17-22; 24,9-14; 24,37-25,13) und spricht doch gleichzeitig betont von seiner Gegenwart (18,20; 28,20). Auch Lukas sieht im irdischen Wirken Jesu eine schon auf die Herrlichkeit vorausweisende, herausgehobene Periode, die mit Jesu Tod zu Ende geht, und berichtet gleichzeitig von „in Jesu Namen“ geschehenden Wundern und von der Leitung der Gemeinde durch den Erhöhten (vgl. noch zu 16,17-20). — Markus selbst mag das Fasten als Erinnerung an Karfreitag verstanden haben, ohne es wieder als gesetzlich 21.22 geforderte Leistung zu interpretieren (dazu 1. Kor. 9,25-27). Das Doppelgleichnis am Schluß warnt vor Halbheit. Man kann das Neue nicht zur Reparatur des Alten verwenden oder es in alte Formen gießen. Was in Jesus geschehen ist, befreit von aller Flickarbeit. So wird Jesu Wirken noch einmal radikal als Befreiung von aller Werkerei verstanden. Das Kommen des Neuen — und erst dieses! - hat das Alte endgültig zum Alten gemacht. Die Freiheit vom Gesetz 2,23-28; vgl. Mt. 12,1-8; Lk.6,1-5 23 Und es geschah, daß er am Sabbat durch die Saaten wanderte, und seine Jünger begannen ihres Weges zu ziehen, indem sie die Ähren ausrauften. 24 Und die Pharisäer sagten zu ihm: „Sieh, was tun sie da am Sabbat Unerlaubtes!“ 25 Und er sagt zu ihnen: „Habt ihr nie gelesen, was David tat, als er Mangel litt und hungerte, er und seine Begleiter? 26 Er ging ins Haus Gottes zur Zeit Abiathars des Hohepriesters und aß die Schaubrote, die doch niemand essen darf außer den Priestern, und er gab sie auch denen, die mit ihm waren.“ 27 Und er sagte zu ihnen: „Der Sabbat ist um des Menschen willen geworden und nicht der Mensch um des Sabbats willen. 28 Also ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.“ V . 2 5 f . : 3. Mos. 24, 5ff.
Die Entstehung des Abschnitts ist schwer zu beurteilen. Sabbatkonflikte gehören ins Leben Jesu. Aber diese Geschichte sieht konstruiert aus. Woher kommen die Pharisäer, da man am Sabbat doch nur 800 Meter weit gehen darf? Sind es pharisäisch denkende Bauern? Warum werfen sie den Jüngern das Ausraufen der Ähren vor, nicht aber die schlimmere Übertretung, das Wandern? Außerdem fehlen alle konkreten Zeit- und Ortsangaben. Vermutlich ist ein Wort Jesu nachträglich in eine passende Situation hineingestellt worden, wobei die Pharisäer als die häufigsten Gesprächspartner Jesu auftauchen. Das Ährenraufen wäre dann gerügt, weil es besser zu V. 25f. paßt als das Wandern oder weil dieser Vorwurf eine besonders kleinliche Gesetzlichkeit offenbart. Freilich gehen auch V.25 f. kaum auf Jesus zurück. Mit Hinweisen auf Schriftstellen diskutieren die Pharisäer, während Jesus sonst anders argumentiert. Vor allem fehlt darin jeder Hinweis auf die durch Jesus neu gewordene Lage. So mag die Gemeinde diskutiert haben, wenn sie sich von den Gegnern auf ihre Gesprächsebene locken ließ. Bei V.27L, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 2, 23-28: Die Freiheit vom Gesetz
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die durch den neuen Ansatz als ursprünglich selbständig aufgewiesen werden, hat man vermutet, V.28 sei auf Grund eines Mißverständnisses von V.27 entstanden, da im Aramäischen „Menschensohn“ für „Mensch“ gesagt wird. Das ist sehr unwahrscheinlich. V.28 ist ein völlig anderes Wort, und in V.27 ist ja deutlich mit „Mensch“ , nicht mit „Menschensohn“ übersetzt worden. Vielleicht hat V.28, der dem Messiasgeheimnis des Markus ,(s. zu 1,34) widerspricht, einmal eine vormarkinische Sammlung abgeschlossen (vgl. zu 2,1-12 Einl.). V.27 dürfte mit seiner Radikalität Jesuswort sein. Es gibt zwar eine (spätere) rabbinische Parallele dazu (Billerbeck zu Mk.2,27); aber der Rabbi will damit gerade das Sabbatgebot einschärfen. Man kann also vier Stadien vermuten: 1. Das Wort V.27, das ausgesprochen (V.28) oder unausgesprochen in der durch Jesus gegebenen Situation begründet war; 2. V.25f. diente als Argument in der Diskussion zwischen Gemeinde und Judentum; es betont auch nur die Notsituation Davids, nicht die Sondersituation der Jünger des „Menschensohns“ ; 3. wurden V.25f. als Hinweis darauf verstanden und beides in die Situation von V.203f. hineingestellt; 4. wurde V.28 als Abschluß der ganzen Sammlung angehängt. Schließlich lassen Matthäus und Lukas V.27 weg, weil die besondere Vollmacht Jesu nicht wie in V. 28 erwähnt ist. Das griechische Wort für „ihres Weges gehen“ heißt auch „sich einen Weg bahnen“ ; aber das könnte man höchstens durch Niedertreten der Ähren tun, und dagegen wendet sich der Vorwurf ja nicht. Das Ausraufen der Ähren ist nach 5.Mose23,25 erlaubt. Doch rechneten damalige Pharisäer es zu den am Sabbat verbotenen Erntearbeiten. Die Begleiter Davids werden V.25 und 26 nachgetragen, weil nicht Jesu Haltung, sondern die der Gemeinde zur Debatte steht. „Zur Zeit Abiathars“ ist nach 1.Sam.21,2-7; 22,20ff. ein Gedächtnisfehler. Ein vollständiges Altes Testament war damals so teuer, daß ein Bischof im 2. Jahrhundert von Kleinasien bis Palästina reiste, bis er eines fand (Euseb.IV 26,14). Man konnte also nicht einfach nachschlagen. Das Argument ist ziemlich spitzfindig. Von Sabbatbruch ist nichts gesagt, nur daß in höchster Not das Gesetz durchbrochen werden darf, was auch die Pharisäer zugäben, und was weder für Jesu Jünger noch für die christliche Gemeinde zutrifft. Wahrscheinlich wollte die Gemeinde nur den Gegnern vorhalten, daß auch sie nicht konsequent seien. Erst im Zusammenhang mit V.27 wird das zum Beispiel dafür, daß schon im Alten Testament (5. Mose 5, 14f.!) das Gesetz dem Menschen nicht zur Last, sondern zur Hilfe gegeben war. Jesu Haltung ist aber radikaler: nicht nur in Ausnahmefällen, sondern grundsätzlich ist das Gesetz Geschenk an den Menschen, dem Treppengeländer vergleichbar, das niemandem verwehrt, ohne seine Hilfe hinaufzusteigen, den, der es nötig hat, aber davor bewahrt, über die Treppe hinauszustürzen. Die pharisäische Ehrfurcht vor Gottes Gesetz, die nicht mehr zu fragen wagt, warum oder wozu das Gebot erlassen ist, ist also gerade nicht gefordert. Das Kind darf den Vater fragen, warum und wozu er gebietet. Nach Jub.2,18ff. wurde der Sabbat zuerst im Himmel gehalten; dann schuf Gott Israel, um ihn in der Gemeinschaft mit ihm und seinen Engeln zu feiern. Freilich ist V.27 kein allgemein einsichtiger Satz; sonst würde die freie Gnade Gottes zur billigen Gnade. Das wird durch V.28 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk.3,1-6: Die Verstockung der Pharisäer
betont: nur wer sich durch die Vollmacht des Menschensohnes in die neue Beziehung mit Gott hineinrufen läßt, versteht V.27. Denn im Menschensohn ist der Wille Gottes zum Menschen, sein ganzes, volles Schenken Wirklichkeit geworden. Darum ist er so Herr über den Sabbat, daß er ihn wieder zur Hilfe schenkt, nicht als Last auflegt. Auffällig ist „also“ . Ist der Satz, der die Freiheit vom Sabbatgebot ja ers begründet, später, als V.27 schon selbstverständlich wurde (z.B. weil der Sonnta; gefeiert wurde: l.Kor. 16,2; Apg.20,7; Offb. 1,10?), nur noch als Folgerunj eines für alle Menschen einsichtigen Tatbestandes angesehen worden? Eher faß aber „also“ alles seit V. 1 Gesagte zusammen und zieht die Folgerung, daß sie darin der Menschensohn als Herr über alle auf Menschenleistung ausgerichtete! Regeln erwiesen hat. Die Verstockung der Pharisäer 3,1-6, vgl. Mt. 12,9-14; Lk. 6,6-11 1 Und wiederum kam er in eine Synagoge, und es war dort ein Mensch, der eine verdorrte Hand hatte. 2 Und sie belauerten ihn, ob er ihn am Sabbat heilen würde, damit sie ihn verklagen könnten. 3 Und er sagt zu dem Menschen, der die verdorrte Hand hatte: „Steh auf, tritt in die Mitte!“ 4 Und er sagt zu ihnen: „Darf man am Sabbat Gutes tun oder Böses, ein Leben retten oder toten?“ Sie aber schwiegen. 5 Und voller Zorn blickte er sie im Kreise herum an, schwer betrübt über die Verstockung ihres Herzens, und sagt zu dem Menschen: „Streck die Hand aus!“ Und er streckte sie aus, und die Hand wurde wieder hergestellt. 6 Und die Pharisäer gingen hinaus und berieten sich sogleich mit den Herodianern wider ihn, daß sie ihn vernichten wollten. Es fällt auf, daß die in V.2 nicht näher Bezeichneten in V.6 als Pharisäer erscheinen. Auch V.2 ist auffällig; sollten die Pharisäer Jesus die Heilung wirklich zugetraut haben? War ursprünglich einfach gesagt, das Volk habe aufgepaßt, „ob er ihn wohl heilen werde“ ? Jedenfalls ist V.6 von Markus eingefügt, um alle Konfliktgeschichten seit 2,1, bzw. den ersten Hauptteil seit 1,14 abzuschließen. Die Nennung von Herodianern (auch 12, 13; vgl. 8,15) mag auf Tradition zurückgehen, weil mit Herodes verbundene politische Gruppen zu Jesu Zeit aus politischen Gründen mit den Pharisäern kooperierten oder weil in den Jahren 41-44 Pharisäer stark mit Herodes Agrippa zusammenarbeiteten (vgl. noch Einführung 3., Ende des 1. Abschnitts). 1 Nähere Orts- und Zeitangaben fehlen wieder. Nur die Synagoge (s. zu 1,21), in 2 der die Menschen am Boden sitzen, ist genannt. Heilung wird als ärztliche Leistung gewertet, die am Sabbat nur bei Lebensgefahr erlaubt ist. In 1,23-31 kam kein Widerspruch; man sieht, wie Markus in II A (1,14-45) die Geschichten zusammenstellt, die Jesu Vollmacht und Wirkung auf alles Volk beschreiben, in 3.4 II Β (2,1-3,6) aber diejenigen, die den wachsenden Widerstand aufzeigen. Die Antwort Jesu erfolgt so radikal, daß wieder klar wird, wie die Frage nach dem Gesetz überhaupt auf dem Spiel steht. Es gibt nur das Entweder-Oder: das Gute nicht tun heißt: Böses tun; das Leben nicht heilen heißt: töten. Wo Gutes getan © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Jesu Stellung zur pharisäischen Sabbatheiligung
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werden sollte, gibt es keine neutrale Zone, in der man weder Gutes noch Böses tut, keine Ausflucht, kein Recht für eine Gesetzlichkeit, die vor lauter Korrektheit das Gute versäumt, also böse handelt. Entscheidend ist darum der Zorn Jesu über 5 die Verhärtung (so wörtlich) des Herzens, die Abgestumpftheit, die sich von der Not nicht mehr bewegen läßt und sich mit einer korrekten dogmatischen oder ethischen Theorie dagegen panzert. Die Gesetzlichkeit, mit der der Mensch sich salvieren will, macht blind für den lebendigen Gott, der immer wieder anders begegnet, als der Mensch es erwartet, der Gott in seine Theorie eingefangen zu haben meint. Verstanden haben die Gegner freilich eines: daß alles an Jesus 6 hängt und daß man nur zwischen ihm oder dem Gesetz wählen kann (vgl. zu 10,19). Damit ist im Markusevangelium ein entscheidender Punkt erreicht: die Vollmacht Gottes über Menschen (1,16-20), Krankheit und Dämonen (1,21-45), Sünde und Gesetz (2,1-3,5), die in Jesus Wirklichkeit geworden ist, enthüllt die totale Blindheit für Gottes Geschenk. Das Kreuz, an dem Jesu Dienst und das Heil der Welt sich vollenden wird, taucht am Horizont auf. Jesu Stellung zur pharisäischen Sabbatheiligung. Strenge Sabbatheiligung war zu Jesu Zeit Kennzeichen des pharisäisch gesinnten Teils Israels und keineswegs Heuchelei. Gewiß wurden Spitzfindigkeiten diskutiert wie die, ob man am Sabbat, wo Lastentragen verboten war, ein Taschentuch mit sich tragen dürfe oder es besser um den Arm binde, weil es so zu einem Stück der Kleidung würde. Aber selbst dies war nur Ausdruck für den Ernst, mit dem man radikal gehorsam zu sein versuchte. So ließen sich Isracliten am Sabbat wehrlos niedermetzeln, um nicht das Sabbatgebot zu übertreten und Gottes Ehre zu schmälern (l.Makk.2,36-38). Jesus durchbrach in Verkündigung und Verhalten die Sabbatgebote, nicht weil er meinte, man könnte Gott auch mit weniger Einsatz dienen, sondern umgekehrt: Gehorsam, der einfach dem Buchstaben des Gesetzes folgt, ist noch nicht voller Gehorsam. Denn einmal kann man ein Gesetz buchstäblich erfüllen ohne mit dem Herzen dabei zu sein, ja selbst so, daß das Herz das Gegenteil möchte und nur fragt, von wo an das Gesetz ihm dies erlaubt. So halten wir das Polizeigesetz. Wenn dieses Geschwindigkeiten über 80 Kilometer verbietet, möchten wir zwar schneller fahren, halten uns aber an das Gesetz, so jedoch, daß wir das Maximum unserer Freiheit herausholen, eben die 80 Kilometer. Jesus weiß, daß das Gebot „Du sollst nicht töten“ erst erfüllt ist, wenn unser Herz alles meidet, was in diese Richtung führt, selbst das bloße Zürnen (Mt.5,21 f.). Zum andern verrechnet gesetzlicher Gehorsam die eigene Leistung mit Gottes Gabe. Ähnlich halten wir das Polizeigesetz, weil wir mit der Buße rechnen. Gewiß sagt auch der ernsthafte Pharisäer, Gottes Gabe sei das erste, unser Gehorsam erst Antwort darauf und unendlich geringer als jene. Dennoch bleibt das Aufrechnen von Gottesleistung und Menschenleistung. Für Jesus aber ist erst ein Gehorsam, der alles Rechnen aufgegeben hat, echter Gehorsam (Mt. 20,1-16; vgl. zu Mk. 14,6f.). Er steigert also nicht etwa die Forderung Gottes noch einmal, sondern geht in schockierender Freiheit einen grundsätzlich anderen Weg. Der Mensch soll sich © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk.3,7-12: Jesu Wirken für alle Welt
ohne jedes Rechnen ganz von Gott beschenken lassen und sein Herz solcher Freude öffnen. So wird er aus der Freude heraus Gott dienen wie ein Kind, das nicht mehr nach Belohnung schielt oder die Rute fürchtet, sondern seinen Eltern zuliebe lebt. Gottes Gesetz wird dabei helfen, nicht wie ein Zaun, der einengt, wohl aber wie ein Wegweiser, der die Richtung weist. Den Sabbat für die Freude an Gott freizuhalten, kann freilich sehr viel mehr kosten als nur den Verzicht auf jegliche Arbeit. Sich Gottes freuen kann man auch nicht, solange man dem Bruder zürnt; es kann also weit mehr kosten, als nur dem Gebot zu genügen, ihn nicht gerade totzuschlagen. Gehorsam, der seine Leistung Gott in keiner Weise verrechnet, fordert eine Kraft der Liebe, die weit über das Halten eines Gesetzes hinausgeht. Dennoch bleibt er immer Gehorsam in Freiheit, an dem das Herz beteiligt ist. Dazu ruft Jesus mit seinem Wort und seinem Verhalten auf.
III. Jesu Wirken in Gleichnissen und Zeichen und die Blindheit der Welt 3,7-6,6a Jesu Wirken für alle Welt 5,7-12, vgl. Mt. 12,15-21; Lk. 6,17 A 9 7 Und Jesus zog sich mit seinen Jüngern an den See zurück, und eine große Menge von Galiläa folgte ihm nach, und von Judäa 8 und von Jerusalem und von Idumaa und jenseits des Jordans und der Gegend von Tyrus und Sidon, eine große Menge; da sie hörten, was er alles tat, kamen sie zu ihm. 9 Und er sagte seinen Jüngern, es sollte ein Boot für ihn bereitstehen wegen des Volkes, damit sie ihn nicht drängten. 10 Denn er heilte viele, so daß alle, die von Geißeln geplagt waren, sich auf ihn stürzten, um ihn anzurühren. 11 Und die unreinen Geister stürzten sich vor ihm nieder, wenn sie ihn erblickten, und schrien: „Du bist der Sohn Gottes.“ 12 Und er bedrohte sie heftig, daß sie ihn nicht offenbar machten. Den Übergang zwischen 2. und 3. Teil bildet (wie l,14f.) eine zusammenfassende Beschreibung des Wirkens Jesu, gefolgt von der Berufung der Zwölf (vgl. 1,16-20). Er endet mit der Verwerfung Jesu (6,1-6). Im wesentlichen finden wir also hier die gestaltende Hand des Markus, der dabei aber überliefertes Gut verwertet. Das zeigt sich V.9. Jesus kann ja nicht vom Schiff aus Dämonen austreiben. Die nächste Geschichte aber spielt schon auf dem Berg. Nun taucht das Schiff 4,1 und 36 wieder auf. Daß es nur zu 4,1 paßt, zeigt, daß eine Tradition vorliegt, die mindestens die Gleichnisrede vom Schiff aus (4,1-9) und das anschließende Zeichen der Sturmstillung (4,35-41, s. dazu) berichtet hat. Sind 3,7.9f. Tradition, so daß Markus das „auf ihn Stürzen“ (V. 10) durch das „Niederstürzen“ in V. 11, die „große Menge“ (V. 8) durch V.9 aufgenommen hätte? Dann wäre V. 10 ursprünglich vor dem Einsteigen ins Boot, das Lehren © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 3, 13-19: Die Berufung der Zwölf
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vom Boot aus (4,1 ff.) nachher erfolgt. Jedenfalls will Markus noch einmal das Messiasgeheimnis unterstreichen (3,11 f.), dann die Wahl der Zwölf, denen die Gleichnisse von Jesus gedeutet werden (3,13-19; vgl. 4,10), und die grundsätzliche Notwendigkeit des Redens in Gleichnissen (3,20-23) darstellen, so daß er das Motiv des Bootes wieder verläßt und erst 4,1 erneut aufnimmt. Gerade weil Markus so viele Ungeschicklichkeiten in Kauf nimmt, muß ihm ganz besonders an dem dazwischen eingeschobenen Abschnitt liegen. „Galiläa“ entspricht also wahrscheinlich der Tradition, während Markus selbst die „weltweite“ Wirkung Jesu unterstreicht. Alles sammelt sich um den Weltheiland am galiläischen See. Zugleich ist betont, daß er sich „zurückzieht“ , also keineswegs diesen Ansturm hervorrufen will. Die Gebiete entsprechen einigermaßen dem Aufriß des Markusevangeliums, nach dem Jesus in Galiläa (Kap. 1-6), Tyrus, Sidon und der Dekapolis (Kap. 7), schließlich jenseits des Jordans und in Jerusalem (Kap. 10ff.) wirkt. Auch die Bereitstellung des Bootes illustriert seine alles in Bewegung setzende Ausstrahlung. Dabei vermittelt wie 1,41 (s. zu 1,42) seine leibliche Nähe, ja die Berührung die Kraft Gottes. Daß die überirdischen Mächte Jesu wahres Wesen schon erkennen, zeigt, daß der „Himmel“ auf der Erde hereingebrochen ist. Dabei setzt Markus hier, wo er von sich aus formuliert, anders als 1,24 den klareren Titel „Sohn Gottes“ (s. zu 15,39). Ebenso deutlich macht er aber, daß die Zeit für dessen öffentliche Proklamation noch nicht gekommen ist (s. zu 1,34). So sagt der Text beides: daß in Jesus wirklich Gott selbst, alles wendend, begegnet, und daß eine bloße Übernahme der Lehre von Jesu Gottessohnschaft nichts hilft. Die Berufung der Zwölf 3,13-19, vgl. Mt. 10,2-4; Lk.6,12-16 13 Und er steigt auf den Berg und ruft zu sich, welche er selbst wollte, und sie gingen zu ihm hin. 14 Und er schuf Zwölf, daß sie mit ihm seien, und daß er sie aussende zu verkünden 15 und Vollmacht zur Dämonenaustreibung zu haben. 16 Und er schuf die Zwölf und legte dem Simon den Namen Petrus bei, 17 und Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und Johannes, den Bruder des Jakobus, und er legte ihnen den Namen Boanerges bei, das heißt Donnersöhne, 18 und Andreas und Fhilippus und Bartholomäus und Matthäus und Thomas und Jakobus, den Sohn des Alphäus, und Thaddäus und Simon, den Kananäer, 19 und Judas Ischariot, der ihn auslieferte. Die Liste der Zwölf ist Markus natürlich überliefert. Sie findet sich Mt. 10,2-4; Lk. 6,14-16; Apg.1,13 in verschiedener Reihenfolge; doch sind die Namen gleich bis auf Thaddäus, an dessen Stelle Lk.6,16; Apg.1,13 Judas, Sohn des Jakobus, steht. In manchen Handschriften heißt Thaddäus Mt. 10,3; Mk.3,18 Lebbäus. Zu Matthäus vgl. zu Mt.9,9. Joh.l,40ff. erscheint neben Andreas, Simon, Philippus auch Nathanael (auch 21,2), ferner Thomas 11,16; 14,5; 20,24ff.; 21,2, Judas Ischarioth 6,71; 12,4; 13,2.26, ein anderer Judas 14,22, während Johannes 21,2 mitgerechnet wird und wahrscheinlich mit dem Lieblingsjünger gleich© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 3,20-35: Die Verblendung der Menschen und Jesu Gleichnisrede
zusetzen ist. Eine ganz andere Jüngerliste findet sich Epist.ap.2, weitere Namen in jüdischen Quellen (Billerbeck I 37; 94f.; II 417f.). Zur historischen Frage vgl. Exkurs zu 6,7-13. Markus hat die Berufung der Zwölf (die jeder Evangelist an einer anderen Stelle einfügt) hier eingeordnet, um angesichts der Blindheit der Jesus zujubelnden, ihn bald auch verwerfenden Welt zu betonen, daß einzig Jesu souveräne Wahl und seine Bemühung um die Erwählten wenigstens einen Anfang von Verstehen schaffen kann (vgl. zu 3,7-12). 13 14
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Der „Berg“ wird nicht näher bezeichnet; er ist der Ort des Rückzugs, aber auch der Gottes-Offenbarung (vgl. 2.Mose 19,20; l.Kön.19,8; Mk.6,46; 9,2). Die herrscherliche Vollmacht Jesu ist durch die Zufügung von „er selbst“ wie den seltsamen Ausdruck „er schuf“ , der freilich auch l.Kön.12,31; 2.Chron.2,17 ähnlich gebraucht wird, betont. Es fällt auf, daß das eigentliche Ziel das Zusammensein mit Jesus ist. Dies umschreibt am deutlichsten, was Nachfolge bedeutet. Die Sendung hingegen wird, grammatikalisch ziemlich hart, an zweiter Stelle nachgetragen, was zur Folge hat, daß der Anfang von V. 14 in V. 16 wiederholt werden muß. Historisch zeigt die Wahl der Zwölf wahrscheinlich Jesu Willen, das neue Gottesvolk, das Israel der Endzeit herzustellen. Er ruft ganz Israel, nicht wie die Pharisäer oder die Qumranleute eine Sondergruppe. Wenn Markus die Sendung einfügt, unterstreicht er von seiner Zeit her, was Jesus mit der Wahl ausdrückte: das neue Israel ist nicht einfach in der Jüngerschar verwirklicht, als könnte man sich mit einer christlichen Gruppe begnügen. Nichts als Boten sind sie, die alle rufen. Die Vollmacht ihrer Predigt wird wie bei Jesus selbst (1,21 ff.) durch die Vollmacht über die Dämonen illustriert. Die Verleihung neuer Namen durch Jesus zeigt seine Souveränität, Neues zu schaffen. Petrus heißt „Fels“ , was nicht zu seinem Charakter paßt, sondern ihn als den bezeichnet, den Gott als ersten erwählt (s. zu Mt. 16,19; 1.Kor. 15,5), und auf dessen apostolische Verkündigung die Gemeinde gebaut ist. Der Name „Donnersöhne“ wird schon nicht mehr verstanden; auch er wird kaum auf ihren Charakter (Lk. 9,51 ff.; Mk.9,38f.; 10, 35 ff.) hinweisen, sondern auf ihre Verkündigung, die etwas vom Donner apokalyptischen Gotteszornes an sich getragen haben mag. „Kananäer“ wird bei Lukas richtig mit „Zelot“ , Eiferer, wiedergegeben. Selbst wenn es damals noch nicht Parteiname gewesen wäre, weist es auf einen der Revolutionäre hin, die Israel seine Freiheit von den Römern mit Waffengewalt erkämpfen wollten. So finden sich unter den Nachfolgern Jesu der Kämpfer gegen Rom und der Beamte der römischen oder der mit Rom verbündeten herodianischen Zollverwaltung (2,14; Mt. 9,9). „Ischariot“ heißt wohl „Mann von Karioth“ ; eventuell könnte es Verstümmelung des lateinischen „sicarius“ = Dolchmann, Zelot sein. Jesu Jüngerkreis ist also alles andere als eine „reine“ und in den entscheidenden Fragen übereinstimmende Gemeinde. Die Verblendung der Menschen und Jesu Gleichnisrede 3,20-35, vgl. Mt.12,22-32.46-50; Lk. 11, 14-23; 12,10; 8,19-21 20 Und er kommt ins Haus, und wieder kommt eine Menge zusammen, so daß sie nicht einmal ihr Brot essen konnten. 21 Und als die Seinen es hörten, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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brachen sie auf, sich seiner zu bemächtigen; denn sie sagten: „Er ist von Sinnen.“ 22 Und die Schriftgelehrten, die von Jerusalem heruntergekommen waren, sagten: „Er hat den Beelzebul“ , und: „durch den Obersten der Dämonen treibt er die Dämonen aus.“ 23 Und er rief sie zu sich und redete in Gleichnissen zu ihnen: „Wie kann der Satan den Satan austreiben? 24 Und wenn ein Reich in sich selbst gespalten ist, kann dieses Reich nicht bestehen. 25 Und wenn ein Haus in sich selbst gespalten ist, wird dieses Haus nicht bestehen können. 26 Und wenn der Satan sich gegen sich selbst erhebt und gespalten ist, kann er nicht bestehen, sondern hat ein Ende. 27 Aber niemand kann in das Haus des Starken eindringen und sein Zeug rauben, er hätte denn zuerst den Starken gebunden; dann mag er sein Haus ausrauben. 28 Amen, ich sage euch: Alles wird den Menschensöhnen vergeben werden, die Verfehlungen und Lästerungen, was sie auch lästern mögen; 29 wer aber gegen den heiligen Geist lästert, hat keine Vergebung in Ewigkeit, sondern ist ewiger Verfehlung schuldig“ ; 30 denn sie hatten gesagt: „Er hat einen unreinen Geist.“ 31 Und es kommen seine Mutter und seine Brüder, standen draußen und sandten zu ihm, ihn zu rufen. 32 Und eine Menge saß um ihn her, und sie sagen zu ihm: „Siehe deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern fragen draußen nach dir.“ 33 Und er antwortete ihnen und spricht: „Wer ist meine Mutter und meine Brüder?“ 34 Und er blickte umher auf die, die im Kreise um ihn herum saßen, und spricht: „Sieh da, meine Mutter und meine Brüder! 35 Wer immer den Willen Gottes tut, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter.“ Kaum irgendwo tritt die Komposition des Markus so stark hervor wie hier. Auf die Verblendung der Verwandten Jesu V.20f. antwortet der Hinweis auf die „Familie Gottes“ V.31-35, auf die Verblendung der Schriftgelehrten V.22 der Hinweis auf die unvergebbare Sünde V.28 f. (vgl. 30). Dazwischen, doppelt umrahmt, liegt Jesu erste Gleichnisrede (zur Technik der Verschachtelung vgl. Einl. zu 5,21-43). Daß Markus bewußt gestaltet, zeigt die einfachere Form der Erzählung Lk. 11, 14. 15. 17 (Q), die der Form des Streitgesprächs noch genau entspricht (s. zu Mt. 12,22-30 Einl.). Markus hat demnach den Anlaß (Lk. 11,14) weggelassen, damit der Vorwurf Mk.3,22 direkt neben den von V.21 trete. Außerdem hat er ihn (vgl. Lk. 11, 15) dem Satz der Verwandten parallel formuliert. Beide sagen, Jesus sei verrückt, die Verwandten etwas zurückhaltender, die, ebenfalls von Markus eingeführten, Jerusalemer Schriftgelehrten theologischer und bösartiger. Vor allem hat Markus V.23a in den alten Zusammenhang eingeschoben, wie das Fehlen bei Matthäus und Lukas, aber auch die nicht passende Einleitung im typischen Stil des Markus („er rief sie herbei“ , auch 7,14; 8,1.34; 10,42; 12,43) zeigt. Ihm liegt also daran, daß Jesus als Antwort auf die Verblendung der Menschen anfing, in Gleichnissen zu reden (die griechische Form drückt ein lange andauerndes Tun aus). Darauf haben wir also besonders zu achten (s. zu 4,33 f.)· V.28L besagen, daß was vor Ostern noch entschuldbar war, dies in der Zeit der machtvollen Bezeugung des Heiligen Geistes nicht mehr ist. Vielleicht ist die allgemeinere Form Mk.3,28 später entstanden, als man im Menschensohn den Erhöhten sah und darum die Lästerung gegen ihn nicht mehr entschuldigen wollte. Da der heilige Geist sonst in Jesusworten kaum eine Rolle spielt, dürfte das Wort erst in der Zeit nach Pfingsten entstanden sein. V.35 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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endlich schränkt eigentlich V.34 wieder ein, so daß Lukas (später auch Thomasev. 99, 2.Clem. 9,11) logischerweise den ersten Satz wegläßt, während Mt. 12,49; Eb.ev.5 ihn auf die Jünger einschränken. Der erste Satz mit seiner schockierenden Offenheit für alle könnte gut von Jesus stammen. Die Gemeinde hätte dann mit V. 35 die Notwendigkeit des Glaubensgehorsams unterstrichen. 20 Die unerhörte Wirkung Jesu (zum „Haus“ vgl. zu 2,1) bildet den Kontrast zur 21 Verblendung der Angehörigen (sprachlich nicht unmöglich: der Freunde) Jesu. Jesu Bruder Jakobus wird Gal.2,12f.; Apg.21,18-24, erst recht bei Hegesipp (Euseb II 23,5) als strenger Gesetzesfrommer geschildert, so daß man vermuten kann, daß Jesu Familie der pharisäischen Richtung angehörte oder nahestand. Natürlich bezieht sich „Er“ auf Jesus, nicht auf den Volkshaufen, wie Apologeten schon vorschlugen. Man kann Gottes Wirken auch damit erledigen, daß man alles 22 auf wohlbekannte seelische Erscheinungen zurückführt. Noch härter ist die Deutung der Autoritäten von Jerusalem, das den eigentlichen Sitz der Feindschaft gegen Jesus darstellt (8,31). Daß sie von so weither kommen, zeigt freilich auch die große Breite der Wirkung Jesu. „Baalzebul“ ist ursprünglich Name eines syrischen Gottes und heißt wahrscheinlich „Herr des Hauses (= des Tempels?)“ , vgl. Mt. 10,25. Das paßt zu V. 25.27 und könnte auf eine aramäische Grundlage dieser Worte hinweisen. Die Israeliten nannten ihn höhnend „Baalzebub“ = „Fliegengott“ (2.Kon. 1,2). Allmählich ist dann der heidnische Gottesname zur Bezeichnung des Teufels 23 geworden. Der Verblendung seiner Familie wie der Schriftgclehrten gegenüber beginnt Jesus seine Gleichnisrede. Es ist Markus wichtig, daß alles Reden Jesu Gleichnisrede ist (4, 11.34); darum ist bisher (außer 1, 14f.) noch nichts vom Inhalt der Verkündigung Jesu erwähnt worden. Das heißt: für Markus ist die Art dieser Verkündigung eher noch wichtiger als ihr Inhalt (vgl. zu 4,1—7). 24-26 Rein logisch überzeugt das Gleichnis nicht ganz. 2.Mose 7,11; 8,3 wie 2.Thess. 2,9; Offb. 13,13 setzen voraus, daß auch widergöttliche Mächte Wunder tun können. Immerhin würde hier der Satan gegen die ebenfalls von ihm ausgehenden 27 Dämonen kämpfen. So soll das Gleichnis ins Fragen führen, ob nicht in Jesus der „Stärkere“ (vgl.1,7) gekommen ist, von dem man offenbar geredet hat (Jes.49,24f.; vgl. Ps.Sal.5,3; Jes.53, 12 LXX), es ruft also zum Glauben auf. Lk. ll,19f. führt einen Schritt weiter, läßt aber die letzte Antwort offen; sie kann nur vom Leser selbst gegeben werden. Die Machttaten Jesu sollen also Mut machen, in der Gegenwart und unter der Verheißung des starken Gottes zu leben; denn im Wirken Jesu ist diese schon wirklich geworden und wird denen, die ihm folgen, zugesprochen. Versteht man so, dann sind Ausdeutungen von Einzelheiten - etwa, daß das Binden in l,12f. beschrieben sei, das Berauben in den Dämonenaustreibungen - wie in allen echten Jesusgleichnissen zu unterlassen. Eine andere, weiterentwickelte Form bietet Thomasev. 98: „Das Königreich des Vaters ist gleich einem Manne, der einen Starken töten will. Er zog sein Schwert in seinem Haus; er stieß es in die Wand, um zu sehen, ob seine Hand es vollführen werde; dann schlug er den Star28 ken“ (worauf Mk. 3,32-35 in verkürzter Form folgt). In V.28 muß zuerst die unglaubliche Weite der Gnade, die alles umfassen will, ernstgenommen werden. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Nichts ist ausgenommen. V. 29 ist nach V.30 gegen Menschen gerichtet, die durch Jesu geistesmächtige Wundertaten überzeugt sind, daß übernatürliche Mächte am Werk sind, die auch nicht zweifelnd offen lassen, welcher Art diese seien, sondern sie eindeutig als teuflisch erklären und sich damit vom Glauben dispensieren. Es sind also nicht Zweifler und Frager; die sind gesegnet (4,41) im Gegensatz zu denen, die allzu genau Bescheid wissen (vgl. zu 8,29). Die Gemeinde, die das Wort gebildet hat (s. oben), denkt an Menschen, deren Zweifel von der Kraft des Geistes Gottes überwunden sind, die nur noch durch Lästerung den Glauben an Gott in den Glauben an den Teufel umlügen können. So warnt unser Wort vor jener alleräußersten, kaum mehr vorstellbaren, dämonischen Möglichkeit des Menschen, Gott den Kampf anzusagen, nicht in Schwachheit und Zweifel, sondern als ein vom Heiligen Geist Überwundener, der genau weiß, wem er den Kampf ansagt. Menschen, die sich in ihrem Gewissen ängsten, sind sicher nicht jene stahlharten, Gottes Gnade nicht begthrenden, sich selbst an Gottes Stelle setzenden Antichristen, die dieses Wort trifft. Ebensowenig können wir von einem anderen sagen, er sei der damit Gemeinte, ohne uns selbst an Gottes Stelle zu setzen. Auch Jesus erklärt ja nicht, die Schriftgelehrten hätten diese Sünde begangen, sondern warnt sie auf Grund ihres Vorwurfes. Joseph erscheint nur in den Kindheitsgeschichten (außer als Vatername Jesu Lk.4,22; Joh. 1,45; 6,42); ist er früh gestorben? Hingegen sind auch 6,3 Brüder und Schwestern genannt (s. dort). Die Frage Jesu hat der alten Kirche schwere Mühe bereitet; aber gesagt ist ja nur (wie in 10,28-30), daß alle blutmäßige Zusammengehörigkeit nichts zu sagen hat gegenüber der Gemeinschaft mit Jesus, die durch das Sehen seiner Taten und das Hören seiner Worte entsteht. Vielleicht liegt Polemik gegen eine Art Kalifat dahinter; nach Hegesipp (Euseb III 32,6) haben nach dem Herrenbruder Jakobus noch andere Verwandte Jesu die Kirche geleitet. Wie in 2,15-17 wird auch hier einfach das Sein bei Jesus unter das Licht der Gnade gestellt. In ihm ist das Heil da. Selig, wer ihn sieht und hört (Mt. 13,16 f.; Lk. 10,23f.; ll,27f.). Der letzte Satz dämpft die unglaubliche Weite des vorangehenden Wortes. Er will Aufruf an die Leser sein, als die zu leben, die wieder in die Gegenwart Gottes hineingestellt worden sind. So „Bruder“ Jesu zu werden, ist größte Verheißung. Daß nur noch 14,36 von dem die Rede ist, was Gott „will“ , mag andeuten, wie sich Markus die Schar vorstellt, die sich Gottes Willen Öffnet.
Das Gleichnis vom geplagten Bauern 4,1-9, vgl. Mt. 13,1-9; Lk, 8,4-8 1 Und wiederum begann er, am Seeufer zu lehren, und eine sehr große Volksmenge sammelt sich um ihn, so daß er ins Schiff stieg und auf dem See draußen saß, und die ganze Volksmenge war am Seeufer auf dem Land. 2 Und er lehrte sie in Gleichnissen vieles, und sagte zu ihnen in seiner Lehre: 3 „Höret! Siehe, der Sämann ging aus zu säen. 4 Und es geschah, als er säte, da fiel das eine an den Weg, und die Vögel kamen und fraßen es. 5 Und anderes fiel auf das Felsige, wo es nicht viel Erde hatte und sogleich aufging, weil es keinen tiefen Wurzelgrund hatte; 6 und als die Sonne aufging, wurde es versengt, und weil es keine Wurzel hatte, verdorrte es. 7 Und anderes fiel in die Dornen, und die Dornen wuchsen und erstickten es, und es brachte keine Frucht. 8 Und anderes fiel in die gute Erde und brachte Frucht, die aufging und sich mehrte, und trug © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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dreißig- und sechzig- und hundertfach.“ 9 Und er sprach: „Wer Ohren hat zu hören, der höre.“ Die Gleichnisse. Ein Gleichnis zeigt an einem allen bekannten Vorgang, wie es sich mit einer nicht allgemein bekannten, damit vergleichbaren Sache verhält. Dabei gibt es einen einzigen Vergleichspunkt, dem alle Einzelheiten dienen. Das Schema lautet also: a (z.B. die Aussaat) verhält sich zu b (der Ernte) wie Α (Jesu jetzige Verkündigung) zu Β (dem einstigen Gottesreich). Eine Allegorie dagegen ist eine Erzählung, bei der jeder einzelne Zug ausgedeutet werden muß. Das Schema lautet: a (z.B. V. 15 der hartgetretene Weg) = Α (das harte Herz), b (die Vögel) = Β (der Satan), c (das Fressen) = C (das Zerstören der Wirkung des Wortes). Die Allegorie will bewußt verhüllen, so daß nur der Eingeweihte erkennt, was gemeint ist (z.B. in politisch schwierigen Zeiten; vgl. Offb. 17,5-13). Jesu Gleichnisse gehören zum ersten Typ; erst die Gemeinde hat darin Allegorien gesehen und sie entsprechend ausgedeutet. Nur hat sich gezeigt, daß diese Unterscheidung noch zu einfach war. Jesu Gleichnisse sind nicht nur pädagogische Hilfsmittel; sondern eher dem Ereignis der Liebe zu vergleichen, die ein Gedicht hervorbringt und die sich darin ausdrückt. So gibt es in ihnen vielfältige Beziehungen zwischen Bild und Sache, ohne daß man deswegen den einen Vergleichspunkt in einen Lehrsatz einfangen oder Einzelzüge ausdeuten dürfte. Anders als Rabbinen oder griechische Philosophen erzählt Jesus darum nur das Gleichnis, ohne zuerst einen Satz zu formulieren, den er dann bloß nachträglich noch illustrierte; denn vom Gottesreich kann man offenbar überhaupt nur im Gleichnis reden (vgl. zu 8,32). Direkte Rede ist jedermann verständlich. Wenn jemand mitteilt: „Abendessen um 7 Uhr“ , kann das sogar eine Maschine auffassen und übersetzen. Sobald einer aber, z.B. in der Liebessprache, Bilder benützt, muß eine gewisse Beziehung zwischen Hörer und Sprecher bestehen, soll es zum richtigen Verstehen kommen. So kann es zwischen Ehepaaren Bildworte geben, die niemand außer den beiden durch gemeinsames Erleben miteinander Verbundenen versteht. Bildsprache ist also nicht etwa unpräzis. Wenn einer von einer Frau erklärt, sie sei „eiskalt“ , ist das weit präziser, als wenn er bloß sagte, sie sei frigid oder kontaktarm, auch wenn die Nachprüfung mit dem Fieberthermometer den Satz als unrichtig hinstellen könnte. Bilder laden ein, sich bewegen und mitnehmen zu lassen, ähnlich wie es Jesu Ruf in die Nachfolge tut. Darum hat hier das Erzählen Platz, das die Bilder mit Inhalt ausfüllt. Bilder sind also keinesfalls unverbindlich, sondern weit verbindlicher als direkte Aussagen, die man rein intellektuell übernehmen könnte. So steckt hinter Jesu Gleichnisrede die Erkenntnis des Alten Testamentes, daß der Mensch am direkten Hören oder Sehen Gottes sterben müßte. Darum kann Gott und sein Reich nur in Gleichnissen dem begegnen, der sich von ihnen bewegen und mitnehmen Iäßt. Darum sprengt auch die Sache oft das Bild (vgl. das seltsame Tun des Herrn Mt.20,8-15, die übermäßige Freude Lk. 15.9.20-24). So ist hier der Mißerfolg V.4-7 auffallend ausführlich beschrieben, der nachherige Erfolg V. 8 übertrieben, wenn auch nicht gerade unmöglich. In der Beschreibung alltäglichen Geschehens macht Jesus damit auf das Wunder des Handelns Gottes aufmerksam. Jesus legt also im Gleichnis einen Weg zurück, auf dem er den Hörer mitnehmen will. Er © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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begibt sich zum Hörer hin und wird mit seinem Denken solidarisch, um ihn dann Schritt für Schritt mitzunehmen, bis Gottes Handeln an ihm lebendig wird und zum Geschenk der rechten Entscheidung führt. V. If. ist Einleitung des Markus, wobei freilich der Zug vom Sitzen im Boot zur Tradition gehören wird (s. z. 3,9 und 4,35-41). Als erstes Beispiel des vollmächtigen Lehrens Jesu führt er ein Gleichnis ein. V.3-9 dürfte das alte Gleichnis Jesu sein, das wir zunächst für sich selbst auszulegen haben (vgl. auch zu Lk.8,4). Markus schildert den Vorgang des Lehrens Jesu wieder so, daß der Leser verstehen soll, wie sich darin Gottes Macht erweist (s. zu 1,21-28). Dafür soll das Folgende nur ein Beispiel sein (V. 21 if. ist ja nach Markus bei anderer Gelegenheit gesprochen). Der Aufruf zum Hören (I.Mose 23,6. 13; 5, Mose6,4usf.) ist Weckruf zu einem beteiligten Hören, das eine Entscheidung einschließt. Die Wahl des Bildes ist nicht originell; seit Plato haben es viele verwendet. Originell ist aber die ausführliche Beschreibung des Mißerfolges. Zwar sät man in Palästina über den festgetretenen Pfad hinweg (Thomasev.9 und Justin [Dial. 125,1] schreiben genauer: „auf den Weg“ ) und in die Dornen, da nachher umgepflügt wird (Jub. 11,11). Daher erkennt man auch die nur mit einer dünnen Humusschicht bedeckten Stellen nicht. Dennoch erscheint die Schilderung des Mißgeschicks dieses Bauern sehr breit, verglichen mit dem kurzen Satz V. 8 a, der durch nichts andeutet, daß es sich dabei um eine größere Menge handelt als vorher. Die Frucht allerdings ist überreich (Thomasev.9 sogar: 60- und 120fach). Hier spielt die Deutung schon in das Bild hinein. Hundertfacher Ertrag ist sehr selten. Vor allem bezeichnen die griechischen Tätigkeitswörter ein andauerndes, sich wiederholendes Fruchtbringen. Der Schlußvcrs endlich ruft wie der Anfang zu beteiligtem Hören, unterstreicht aber mit dem Sätzlein „wer Ohren hat zu hören“ , daß es Geschenk ist, wenn es zu solch richtigem Hören kommt. Unsere Aufgabe ist es also, diesen Bericht von einem alltäglichen Vorgang so zu hören, daß wir das, was Jesus darin sieht, mit ihm sehen. Am einfachsten ist das beim Schluß: überaus herrlich ist die Ernte; Gott kommt zu seinem Ziel, und dieses Ziel, sein Reich, ist Segen und Fülle. So könnte auch der jüdische Apokalyptiker reden, der auf die herrliche Endzeit wartet, so auch der Pharisäer, der von Gottes Gericht ewigen Lohn erhofft. Aber so herrlich dieses Ziel geschildert ist, so betont wird die Mühsal des Säens und der sich dagegen erhebende Widerstand beschrieben. Auch der Apokalyptiker und der Pharisäer könnten vom Widerstand reden; aber jener würde die Vernichtung aller Feinde am Ende glühend erhoffen, dieser die Bewährung und endliche Belohnung des Frommen betonen. Hier ist weder von der Vernichtung der bösen Vögel und Dornen noch vom Kampf des Samens oder des Ackers gegen sie die Rede. Viel weniger pathetisch, viel natürlicher wird mit Vögeln und Dornen und Felsen gerechnet. Dann aber verhält es sich nach Jesus mit Gottes Handeln so, daß jetzt „ausgesät“ wird, und man versucht wäre, nur „Steine, Disteln und Felsen“ zu sehen, daß aber einst eben diese Aussaat zur herrlichen „Ernte“ wird. Seltsam ist Jesu Botschaft: So also ist Gottes Reich jetzt da, daß überall Widerstand dagegen aufbricht (s. zu Mt. 11,12!); wer aber Ohren hat zu hören, der kann Jesus so hören, daß er gerade in diesem Aufbrechen des Wider© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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stands schon Gott am Werk sieht. Er wird dann weder dem Kreuz Jesu noch seiner Auferstehung verständnislos gegenüberstehen. So ist nach Jesu Gleichnis offenbar der Weg, den Gott mit seinem Reiche geht. Das Wesen der Gleichnisrede 4,10-12, vgl. M t 13,10-15; Lk.8,9f. 10 Und als er sich zurückgezogen hatte, fragten ihn, die um ihn waren, mit den Zwölfen nach den Gleichnissen. 11 Und er sprach zu ihnen: „Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben; jenen draußen aber kommt alles in Gleichnissen zu, 12 damit sie ,sehend sehen und doch nicht wahrnehmen, und hörend hören und doch nicht verstehen; daß sie nicht umkehren› und ihnen vergeben werde.›› V.12:/Jes .6,9f.
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An diesen zwei Sätzen fällt allerlei auf. Der Zusammenhang von V. 1 zu V.35 (s. dort) wird gestört. Die „Zwölf›› werden merkwürdig nachgetragen. Es wird nach „den Gleichnissen“ gefragt, obwohl nur eines vorangeht. Das Allerselt11.12 samste ist die Aussage, daß die Gleichnisse als Rätselrede verstanden sind, die zur Verblendung führen soll. Nach 4,35 sitzt Jesus immer noch im Schiff, von dem aus er das Gleichnis erzählte. V. 10-12 und 13-19 sind also erst später zugefügt worden. Die merkwürdige Formulierung von V. 10 macht wahrscheinlich, daß zuerst nur die Deutung angeschlossen wurde, etwa in folgender Weise: „Und als er sich zurückgezogen hatte, fragten ihn, die um ihn waren, nach dem Gleichnis (V. 10), und er sagte zu ihnen (V. 13).“ Auf einer dritten Stufe wurden die Zwölf zugefügt und die Frage nach der Deutung dieses Gleichnisses zur grundsätzlichen Frage nach den Gleichnissen überhaupt umgestaltet, worauf dann V. 11 f. mit einem alttestamentlichen Zitat Antwort gaben. Daß schon die zweite Stufe nicht auf Jesus, sondern auf die Gemeinde zurückgeht, wird die Besprechung von V.13-19 zeigen. Ist aber die dritte Stufe dem Markus zuzuschreiben? Das Wort geht auf 11 die aramäisch sprechende Gemeinde zurück. Dort bedeutet das Wort für „Gleichnis“ dasselbe wie „Rätselrede“ (Ez.17,2; Hab.2,6; Ps.49,5; 78,2; Spr.1,6 usw.); nur so bildet es einen Gegensatz zur Offenbarung des Geheimnisses an die Jünger. „Die draußen“ werden in Palästina die Heiden oder die Ungläubigen genannt. Da es im Aramäischen kein Wort für „sein“ und kein Adverb gibt, muß man für 12 „alles ist ihnen rätselhaft“ sagen: „alles kommt ihnen in Rätselreden zu“ . Endlich stimmt V. 12 besser mit der aramäischen Wiedergabe von Jes.6,9f. überein als mit dem hebräischen oder griechischen Text. Apg.28,25 ff. (vgl. Joh. 12,40) zeigt, daß die gleiche Stelle auch sonst verwendet wurde, um den Unglauben Israels zu erklären. Die aramäische Form hat wahrscheinlich gelautet: „... den Ungläubigen aber ist alles rätselhaft, ihnen, die sehend sehen und doch nicht wahrnehmen, hörend hören und doch nicht verstehen, es sei denn (griechisch: daß nicht), sie kehrten um und es würde ihnen vergeben.“ Bei der Übersetzung ins Griechische ist das Wort sehr verschärft worden. Die Gemeinde wollte betonen, daß alle Erkenntnis reines Geschenk sei, Wunder Gottes. Denn die Gleichnisse Jesu rufen in der Tat nach Gottes Willen eine Scheidung hervor: den einen schenken sie letzte Einsicht in Gottes rätselvolle Geheimnisse, den andern verschließen sie sie. Der Begriff „Geheimnis“ , der bei jüdischen Apokalyptikern, in Qumran, bei Paulus © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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und seinen Schülern (s. Exkurs zu 1,32-39) eine große Rolle spielt, findet sich sonst nie bei Markus. Die an all diesen Stellen vorherrschende Vorstellung von einer kleinen Schar, der die Einsicht in Gottes Plan im Unterschied zur übrigen Welt geschenkt ist, ist typisch für die Gemeinde, die die Deutungen als den Schlüssel zum Geheimnis der Gleichnisse ansieht, nicht aber für Markus. Nach ihm wollen die Gleichnisse Jesu alles Volk erreichen. Das zeigt schon die Szene V. 1 f., die Markus entsprechend anderen Stellen (2,13; 6,34) ausgestaltet; das zeigt 3,23, wo alle herbeigerufen werden, und der Aufruf zum Hören 4,3 und 9; das zeigen vor allem die Verse 21-25 und 33 (s. dort). Wieso kann aber Markus das harte Wort V. 11 f. aufnehmen? Auch er weiß, daß das Hörenkönnen immer Geschenk ist (vgl. zu V. 9), daher die Sonderbemühungen Jesu um die Jünger (4,13.34). Aber erst Markus denkt das radikal zu Ende. 8,17f. wird von den Jüngern genau das gesagt, was 3,5 von den verstockten Pharisäern und hier von denen „draußen“ gesagt ist. Das aber erklärt Jesus schon 4,13b: auch die Jünger verstehen die Gleichnisse nicht; auch sie sind blind und taub für Gottes Geheimnis. Durch eine angehängte Deutung hört das Gleichnis nicht einfach auf, Geheimnis Gottes zu sein. Was sich 4,13-19 und 4,34 zwischen Jesus und den Jüngern abspielt, muß sich immer wieder neu abspielen und erst Jesu Wiederkunft wird das Geheimnis endgültig auflösen. Das heißt aber: alles stehen unter dem Gericht von V. 11 b.12, und allen Lesern ist das Wunder von V.11a verheißen. Die Jünger, die nach 8,17-21 Augen haben und doch nicht sehen, Ohren haben und doch nicht hören, die darum nicht umkehren können zur Vergebung und denen zu Ostern dann doch das Herz geöffnet werden wird, sind nur das Beispiel für alle, mit denen Jesus so im besonderen reden will. So wird bei Gott möglich, was bei den Menschen unmöglich ist (10,27). Mit seiner Liebesmühe um die Jünger vertritt also auch hier Jesus Gott selbst, der die Menschen sucht. Eben darum muß sein Gleichniswort zunächst für alle Rätsel bleiben, damit keiner sich seiner Erkenntnis rühme und alle nur aus dem Wunder der Gnade Gottes lebten (Jer.9,22; l.Kor. l,18f.31 usw.). Aber was gilt nun? Die Gemeinde hat über Jesu Reden in Gleichnissen nachgedacht; dabei sind ihr stufenweise neue Erkenntnisse geschenkt worden, die alle ein Stück der Wahrheit betonen. Wir werden am sorgsamsten auf Markus selbst hören; aber es kann einmal in einer bestimmten Lage eine der früheren Erkenntnisstufen wichtiger werden. Im Text zeigen sich vier Stufen: 1. Jesus spricht in Gleichnissen, weil man gar nicht anders von Gottes Handeln reden kann als in Bildern, die den Menschen einladen, sich bewegen zu lassen. 2. Die Gemeinde erkennt das und versucht, darauf zu antworten, indem sie sagt, was diese Bilder in ihrer Situation für sie bedeuten (s. zu 4,13-20). 3. Daß sie das tun darf und nicht zu denen „draußen“ gehört, für die diese Bilder nur Unsinn bleiben, erkennt sie als reines Geschenk. Das bekennt sie mit V. 11 f. 4. Markus versteht diesen Satz - und damit Jesu Absicht bei seinen Gleichnisreden - radikal: auch die Sonderbelehrung und Ausdeutung der Gleichnisse hilft den Jüngern noch nicht. Die Gleichnisse Jesu offenbaren die vollständige Blindheit der Menschen, auch der Jüngergemeinde. Wenn ihr trotzdem „das Geheimnis des Reiches Gottes“ verheißen ist, ist das ein noch weit größeres Wunder, als es V. 11 f. beschreiben © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk.4,13-20: Die Deutung auf die vier Arten des Ackerlandes
können. War dies schon in der überreichen Ernte V. 8 angedeutet, so wird doch erst 8,31 und 34 aussagen, wie es dazu kommen kann. Die Deutung auf die vier Arten des Ackerlandes 4, 13-20 vgl. Mt. 13, 18-23; Lk. 8,11-15 13 Und er sagt zu ihnen: „Ihr begreift dieses Gleichnis nicht; wie solltet ihr da alle Gleichnisse verstehen? 14 Der Sämann sät das Wort. 15 Dies aber sind die am Wege: wo das Wort gesät wird, und wenn sie es hören, kommt sogleich der Satan und nimmt das Wort weg, das in sie gesät ist. 16 Und in gleicher Weise sind dies die auf das Felsige Gesäten, die, wenn sie das Wort hören, es sogleich mit Freuden aufnehmen, 17 und keine Wurzel in sich haben, sondern Menschen des Augenblicks sind; dann, wenn Bedrängnis oder Verfolgung um des Wortes willen kommt, kommen sie sogleich zu Fall. 18 Und andere sind die in die Dornen Gesäten; dies sind die, die das Wort gehört haben, 19 und die Sorgen der Zeit und der Trug des Reichtums und die Begierden nach allem anderen dringen ein und ersticken das Wort, und es wird unfruchtbar. 20 Und jenes sind die auf das gute Land Gesäten, die das Wort hören und aufnehmen und Frucht bringen, dreißig-, sechzig- und hundertfach.›› Hier finden sich Wörter, die nur in den Gemeindebriefen, nicht aber in den ersten drei Evangelien vorkommen. Vom „Wort“ im absoluten Sinn spricht die Gemeinde (auch Markus, vgl. zu 2,2), nie aber Jesus. Außerdem ist schon die Existenz einer christlichen Gemeinde vorausgesetzt. An Parallelbeispielen läßt sich zeigen, wie die Gemeinde Aussagen Jesu über die einmalige Zeit seines Wirkens oder das kommende Gericht und Gottesreich umprägte in solche über das Verhalten der Gemeindeglieder. So reden die Gleichnisse 4,26-32 und Mt. 13,33 nur vom Gottesreich und überhaupt nicht vom Menschen, der es aufnimmt. Wo dieser in den übrigen Gleichnissen eine Rolle spielt, da doch immer nur mit seinem Ja oder Nein, das nicht psychologisch begründet und differenziert wird. Während also bei Jesus sein eigenes Wirken und das Kommen des Gottesreiches in der Mitte steht, tritt im Lauf der Überlieferung der fromme oder unfromme Mensch an diese Stelle. Auch in der Formulierung zeigt sich nachträgliche Anpassung. Nach V. 14 ist der Same das Wort, nach V. 16-20 der wankelmütige, unbeständige oder fruchtbringende Mensch; VAS beginnt ebenso, hält dann aber doch an der Gleichung Same = Wort fest. Eigentlich müßten die Menschen mit dem Acker verglichen werden, aber man kann nicht gut von einem falschen oder richtigen Verhalten des Bodens reden, sondern höchstens von seiner Beschaffenheit, die sich jedoch nicht ändern kann (vgl. 4.Esra 8,41 neben 9,31). Das Gleichnis V.3-9 wurde also nicht von vornherein auf die Deutung V. 14-20 hin erzählt. Der nachträglichen Auslegung fehlt zwar etwas von der Einmaligkeit und Kraft des ursprünglichen Jesusgleichnisses; andererseits zeigt sie aber, was die Gemeinde in ihrer Situation aus dem Worte Jesu für sich herausgehört hat. 13
Der erste Vers lenkt wieder zum Gleichnis V. 1-9 zurück. Die zweite Vershälfte weitet das freilich auch zur grundsätzlichen Frage nach den Gleichnissen überhaupt aus, aber in ganz anderer Weise als V. 10-12 (s. dort). Hier kommt zum Vorschein, was Markus am Herzen liegt und was er 8,17-21 deutlicher aussprechen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 4, 21-25: Wer Ohren hat zu hören, der höre
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wird: so radikal ist die Blindheit der Menschen, daß auch die Jünger davon nicht ausgenommen sind; so schwer hat es Gott, sich ihnen zu eröffnen, und so wunderhaft ist es, wenn es zum Glauben kommt. Die Deutung der Gemeinde beginnt damit, daß sie das, was damals geschah - die Verkündigung Jesu - , als immer noch gegenwärtig versteht. Denn „das Wort“ meint die Predigt, in der Jesu Botschaft heute begegnet. Aber auch der Widerstand dagegen ist nicht nur vergangene historische Tatsache, sondern lebt ähnlich in der eigenen Gemeinde. So erscheinen zuerst die, die das Wort gar nicht annehmen; dann solche, die in der Verfolgung, wie die Gemeinde sie schon erfahren hat, nicht bestehen; schließlich die, deren Glauben durch Nöte und Freuden des Alltags erstickt wird. Die Rede vom Fruchttragen ist schon so geläufig für einen immer neues Leben hervorrufenden, christlichen Gehorsam, daß sie gar nicht mehr übersetzt werden muß. „Wort“ ist im Neuen Testament immer etwas Lebendiges, das daher Leben wirkt, zu Glaube, Liebe, Hoffnung drängt und im ganzen Wandel der Gemeinde zu seiner „Reife“ , seiner „Frucht“ kommt. Dabei stehen die griechischen Tätigkeitswörter hier, umgekehrt als in V. 15-19, in einer Form, die das Aussäen als abgeschlossene, zu ihrem Ziel gekommene, das Hören hingegen als immer noch weiterdauernde Tätigkeit beschreibt. Freilich werden nur die Menschen von V. 15-19 konkret geschildert; wohl nicht nur, weil die Kapuzinerpredigt leichter ist als die positive Schilderung des Glaubens, sondern weil die Gemeinde vor allem an der Warnung vor dem Ausschlagen des Geschenkes Gottes interessiert ist. Manche wollen in dieser Deutung den Trost für die Gemeinde in der Situation der erfolglosen Mission finden. Denkbar wäre das für Markus; in der ihm überlieferten Deutung aber spricht dagegen, daß die letzte Gruppe gerade nicht besonders betont erscheint. Auch wenn die Deutung einen Tatbestand schildert, ist sie doch tatsächlich Aufruf zu rechtem Verhalten (s. oben). Wie steht es mit der Verbindlichkeit dieser Deutung? Gewiß ist die eigentliche Mitte des Gleichnisses Jesu nicht getroffen. Aber die Mahnung der Gemeinde ist genauso ernst zu nehmen wie etwa die des Paulus in seinen Briefen. Sie soll vor unverbindlicher Rückschau auf die Zeit Jesu bewahren. Sowenig wir also V. 13-20 ohne ihre Verwurzelung in der Heilsansage vom Kommen des Gottesreiches im Wirken Jesu V.3-9 lesen können, sowenig diese ohne die Warnung vor dem Widerstand, der je in der bestimmten Lage der Leser aufbricht und sie um das Geschenk der Botschaft Jesu betrügen könnte.
Wer Ohren hat zu hören, der höre 4, 21-25, vgl Lk. 8,16-18 21 Und er sagte zu ihnen: „Kommt etwa das Licht, um unter den Scheffel gestellt zu werden oder unter das Bett? Nicht vielmehr, um auf den Leuchter gestellt zu werden? 22 Denn nichts ist verborgen, außer damit es offenbar werden soll, und nichts ward geheim, als damit es ans Licht komme. 23 Wenn einer Ohren hat zu hören, der höre!“ 24 Und er sagte zu ihnen: „Sehet zu, was ihr hört! Mit welchem Maß ihr meßt, wird euch gemessen werden, und es wird euch noch hinzugefügt werden. 25 Denn wer hat, dem wird gegeben werden, und wer nicht hat, von dem wird auch, was er hat, weggenommen werden.“ © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 4,21-25: Wer Ohren hat zu hören, der höre
Alle vier Sprüche erscheinen auch verstreut in Q. Matthäus führt sie nur im Zusammenhang von Q an (5,15; 10,26; 7,2; 25,29), außer dem letzten, den er 13,12 wiederholt. Lukas bringt sie doppelt, 8,16-18 nach Markus, 11,33; 12,2; 6,38; 19,26 nach Q. Der Vergleich von V.24 mit Mt. 7,2 zeigt, wie der gleiche Spruch in verschiedene Zusammenhänge gestellt ganz verschiedene Bedeutung erhielt (s. zu V.24). Er ist ursprünglich vielleicht Hinweis auf Gottes Gericht gewesen; dasselbe könnte von V.22 gelten; doch beweist Lk.l2,2f., daß er schon vor Markus mit V.21 zusammengestellt war. V.21 ist wohl echtes Jesuswort und betont, daß er sich nicht verbergen und schonen kann, sondern seinen Auftrag erfüllen muß, wie das Licht, das dazu da ist, allen zu leuchten (Mt. 5,15). Dann ist auch V.22 etwa im Sinn des Gleichnisses vom Senfkorn zu verstehen. Damit tritt das Motiv des Verbergens, nicht des Auslöschens (s. zu V.21) ins Zentrum. V.25 könnte einmal ein resigniertes Sprichwort gewesen sein - der Reiche wird immer reicher, der arme Teufel geht zugrunde - , das von Jesus oder der Gemeinde in einem neuen Sinn aufgenommen worden wäre. Das alles bleibt unsicher. Wir haben daher zu fragen, was Markus sagen will. Möglicherweise sind V. 13a.14-32 schon vor ihm zusammengestellt worden, da die Einführung „Und er sagte (zu ihnen)“ sonst bei Markus nicht vorkommt. Jedenfalls sollen die Sätze im jetzigen Zusammenhang noch einmal den Sinn der Gleichnisse erläutern. Diese stellen die Bemühung Gottes um den Menschen dar, die zur Erleuchtung führen will, eben darum aber auch Menschen sucht, die sich engagieren lassen. Markus denkt also wohl an die Zeit der weltweiten Verkündigung des Evangeliums (vgl. zu V.32), nicht an die Zeit des Gottesreiches nach dem Jüngsten Tag. Formal sind zwei Gruppen mit einem kurzen Mittelstück dazwischen festzustellen. V.22 und 25, mit „denn“ eingeleitet, begründen V.21 und 24. Das Mittelstück V.23 und die Einleitung von V. 24 sind wohl von Markus eingefügt. 21
22
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Sollte Mt. 5,15 die ältere Form von V.21 sein, könnte man an das Gefäß denken, mit dem man das Licht bedeckt, um es zu löschen, da Rauchentwicklung in den fensterlosen Räumen Palästinas lästig ist. Dann sagt das Wort: man zündet kein Licht an, um es gleich wieder auszulöschen. Aber vielleicht ist doch die paradoxere Form des Markus die ältere: ein Licht stellt man doch nicht unter den Zuber oder - wie man ausmalend ergänzte - unter das Bett. Dabei ist die merkwürdige Formulierung vom „Kommen“ des Lichtes wohl schon beeinflußt von der Deutung auf das Kommen Jesu. Freilich ist für Markus im heutigen Zusammenhang das Wort nicht mehr ein Rückblick auf eine historisch zurückliegende Zeit, sondern eine Aussage über die Gleichnisreden Jesu. Wie die Begründung V.22 zeigt, versteht er das Bildwort als Verheißung: auch das noch nicht verstandene Gleichniswort will und wird sein Ziel erreichen und Gott offenbar machen. Durch den doppelten Aufruf zum Hören unterstreicht Markus nochmals, daß die Gleichnisse Jesu verstanden werden sollen - nichts wünscht Jesus sehnlicher —, daß dies aber Gottes Geschenk („wenn einer Ohren hat zu hören“ ) und das Wunder eines sich beschenken lassenden Menschen („der höre!“ ) voraussetzt. V.25 beschreibt das Hören und Verstehen der Gleichnisse als ein immer weitergehendes und immer reicher werdendes Geschenk, begründet also nur den Schluß von V.24: „und es © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 4,26-29: Das Gleichnis von der ohne Zutun des Bauern wachsenden Saat
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wird euch hinzugefügt werden“ . Dieser Schluß fehlt in der Parallele Mt.7,2 und dürfte seinen Platz ursprünglich einmal in einer Schilderung des Gerichts gehabt haben (Mt. 25,29). Markus drückt also damit sein Verständnis von V.24 aus. Zugleich zeigt er mit seiner Einleitung, wem dieses „Geben“ und „Hinzufügen“ Gottes gilt: dem, der darauf achtet, „was“ er hört: nämlich Gottes Wort im Gleichnis, das äußerlich nur von alltäglichen Dingen spricht. Ihm wird Gottes Gnade verheißen, die immer mehr Erkenntnis schenken wird. Das „Zumessen“ wird also dem zuteil, der im Gleichnis Jesu das Geheimnis des Gottesreiches „ermißt“ . So ist der ganze Abschnitt Verheißung: die Bilder, in denen Jesus von Gott spricht, werden nicht dunkel bleiben, sondern sich entfalten - und eben deswegen Appell an die Leser: laßt euch in die Erfüllung dieser Verheißung hineinnehmen. „Hören“ ist also Sichbeschenkenlassen, wie es dem Licht entspricht, das ohne unser Zutun strahlt. Wo Gott am Durchbruch ist, kann nichts verborgen bleiben. Fülle ruft neuer Fülle. Anders kann man Glauben nicht begründen als so, daß man aufruft, ihn zu erfahren und sich von geschenkter Fülle überwinden zu lassen. Davon spricht auch das folgende Gleichnis. Das Gleichnis von der ohne Zutun des Bauern wachsenden Saat 4,26-29 26 Und er sagte: „So ist das Reich Gottes, wie wenn ein Mensch den Samen aufs Land wirft 27 und schläft und wieder aufsteht, Nacht und Tag, und der Same sproßt und aufschießt, ohne daß er davon weiß. 28 Von selbst bringt das Land Frucht, erst den grünen Halm, dann die Ähre, dann der volle Weizen in der Ähre. 29 Wenn aber die Frucht es erlaubt, schickt er sogleich ,die Sichel hin; denn die Ernte ist da›.“ V.29:Joel 4,13
Dies ist das einzige Gleichnis bei Markus, das keine Parallelen in den andern Evangelien hat (doch vgl. zu Mt. 13,24-30). Vielleicht ist es weggelassen oder umgestaltet worden, weil es sich jeder moralischen Ausdeutung entzieht. Auch sonst sind nur 3,20f.; 7,31-37; 8,22-26; 9,49; 14,51 f. mehr oder weniger parallelenlos. Hinter der fast unmöglichen Formulierung steht das Wissen, daß das Gottesreich so völlig anders ist als alles, was der Mensch sonst kennt, daß man die Ähnlichkeit nur umschreiben kann: „So verhält es sich mit ihm, wie mit einem Menschen, wenn er ...“ In V.27 betont der Wechsel der griechischen Zeitform gegenüber V.26 noch die andauernde Inaktivität des Schlafens und Wachens nach der einen Handlung des Aussäens. Die Nacht steht voran, weil das passive Schlafen betont zuerst genannt ist, vielleicht auch, weil im Judentum der Tag abends beginnt. Im Text tritt das Tätigkeitswort erst beim Fruchtbringen des Landes in die direkte Aussageform, während das Tun des Menschen V.26 f. in der abhängigen Form des Nebensatzes ausgedrückt ist. Die letzte Aussage ist ein Zitat, das Joel 4,13 Gottes Jüngstes Gericht beschreibt. In dieser Schilderung eines allen bekannten Vorgangs fehlt auffälligerweise das Pflügen, Eggen, Roden des Menschen wie sein Kampf gegen Dürre und Unwetter, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 4, 30-32: Das Gleichnis vom Senfkorn, das zur großen Staude wird
während umgekehrt sein unbekümmertes Verhalten bis zur Ernte hin betont wird. Soll damit, wie Mt.6,25ff., zur Sorglosigkeit aufgerufen werden? Oder soll betont werden, daß uns Zeit gegeben ist, in der wir vom Glauben an Gottes Zukunft her ohne Hetze leben dürfen? Aber der letzte Satz weist auf die Vollendung des Reiches Gottes hin, für die die „Ernte“ ständiges Bild ist, und das „von selbst“ betont Gottes wunderbares Handeln. Doch unterstreichen V. 27f. das unbekümmerte Verhalten des Bauern. So richtet sich also die Schilderung des Kontrastes zwischen Saat und Ernte, Gegenwart und kommender Gotteszeit hier gegen ein Zweifeln und Sorgen, das, statt auf Gottes Vollendung zu warten, das Reich herbeizwingen oder bauen möchte, durch Revolution wie die Zeloten, durch genaue Berechnung und Vorbereitung wie die Apokalyptiker oder durch absoluten Gesetzesgehorsam wie die Pharisäer. So verkündet das Gleichnis die Sorglosigkeit der Kinder Gottes, die mit Jesus und um seinetwillen ohne geistliches Managertum und falschen Betrieb dem entgegenwarten, was Gott gewiß schaffen wird, und sich gerade so in all ihrem Fühlen, Denken, Tun und Reden beanspruchen lassen. Das Gleichnis vom Senfkorn, das zur großen Staude wird 4,30-32; vgl.Mt l3,31f.;Lk. l3,18f. 30 Und er sagte: „Wie wollen wir das Gottesreich vergleichen, oder in welchem Gleichnis darstellen? 31 Wie mit einem Senfkorn, das, wenn es aufs Land gesät wird, kleiner ist als alle Saatkörner auf Erden; 32 und wenn es gesät ist, geht es auf und wird größer als alle Kräuter und treibt große Zweige, ,so daß unter seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können›.“ V . M . Ez. 1 7 . 2 h 3 1 , 6 ; P s . 1 0 4 , 12.
Das Gleichnis ist in Q zusammen mit dem gleichgerichteten vom Sauerteig überliefert. Lukas bringt es in der Form von Q, während Matthäus beide Formen miteinander verbindet. Auffällig ist die Anspielung auf alttestamentliche Sätze in V.32b (s. unten). Sie ist typisch für die Gemeinde (vgl. Einführung, 4. Ende), ist aber auch für Jesus selbst möglich (vgl. V.29 und zu 1,16-20 Einl.). 30
Die Einführung entspricht semitischer Art; die Umständlichkeit betont, jedenfalls im Sinn des Markus, die Schwierigkeit, vom Gottesreich angemessen zu reden 31 (vgl. zu V.26). V.31 ist überladen und grammatisch schwierig (man müßte genau übersetzen: „das ein kleinerer als alle Samen ist“ ). In der Q-Form fehlt der Hinweis auf die Kleinheit des Senfkorns, weil diese in Palästina sprichwörtlich ist; er ist also wohl eingefügt worden, als man das Gleichnis außerhalb von Palästina erzählte. 32 Dasselbe gilt vom Hinweis auf die Größe der Senfstaude. Von einem Rabbi heißt es, er sei auf eine Senfstaude in seinem Garten gestiegen wie auf einen Feigenbaum. So kann Q einfach vom „Baum“ reden, der heranwuchs. Was das Gleichnis in seiner Urform bei Jesus bedeutet hat, ist nicht mehr sicher zu sagen. Daß in Q der Ton nicht auf „klein“ und „groß“ liegt, sondern auf „Wachsen“ und „zum Baum werden“ , entspricht dem Zug vom „Durchsäuertwerden“ des Teiges im ergänzenden Gleichnis (vgl. zu Mt. 13,31-33). Markus unterstreicht stärker den Kontrast; im unscheinbaren Anfang zeigt sich unter © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 4, 33 f.: Der Sinn der Gleichnisrede Jesu
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Armseligkeit verborgen doch schon die Endvollendung Gottes an. Haben V.3-9 gegenwärtigen Mißerfolg und endgültigen Gottessieg, V. 26-29 Unsichtbarkeit und Gottes offenbarendes Wunderhandeln aufgezeigt, so V. 30-32 die Kümmerlichkeit des Anfangs und die kontrastierende Größe des Endes. Markus dürfte damit noch näher bei Jesu Verkündigung geblieben sein. Natürlich weiß auch der palästinische Bauer etwas von Wachstum; aber da die naturwissenschaftliche Erklärung dieses Vorgangs fehlt, überwiegt das Staunen über die mächtige Pflanze in ihrem Gegensatz zum winzigen Samen. Die Gemeinde lebt aber nicht mehr mit Jesus in der Zeit der ersten Aussaat, sondern blickt schon darauf zurück. So tritt für sie die Zeit zwischen Saat und Ernte in den Vordergrund, d.h. das Motiv des Wachsens. Das hat, vermutlich schon vor Markus, zur Verbindung mit dem Gleichnis von der selbstwachsenden Saat geführt, in Q zu der mit dem vom Sauerteig und damit zur Betonung des Wachstums des Gottesreiches, das alles durchdringen will. Der letzte Schritt wird von Markus vollzogen. Konnte man das Schlußsätzlein als bloße Ausschmückung verstehen wie in Ps. 104,12 oder als Hinweis auf die endzeitliche Herrlichkeit Israels wie bei Ez. 17,23 (so wäre es auch bei Jesus denkbar), so versteht Markus es doch wahrscheinüch nach Dan.4,18 (auch Ez.31,6) schon als Hinweis auf die ihm so wichtige (s. zu 13,10) Eingliederung aller Völker in die Gemeinde Jesu (vgl. Jos.As. 15,7: die Heiden „nisten“ in der Gottesstadt). Auch wenn Markus darin wohl das Bild der noch nicht eingetretenen Gottesvollendung sah (vgl. 13,10), kommt er doch schon einer Deutung näher, die in der alle Völker einschließenden Kirche die letzte Erfüllung des Gleichnisses sah, damit dann freilich auch die große Hoffnung auf das erst kommende Reich in den Hintergrund treten ließ. Alle haben also je ihre Zeit von diesem Gleichnis her verstanden, ob der Ton auf der Armseligkeit des Anfangs und dem herrlichen Ende, auf der Zeit des Wartens und Hoffens oder auf den schon sichtbaren Zeichen der nahen Ernte lag, und haben so je ihre Zeit als die Zeit verstanden, die seit Jesu „Aussaat“ ganz im Lichte des kommenden Reiches steht. Der Sinn der Gleichnisrede ]esu 4, 33 f., vgl. Mt. 13, 34f. 33 Und in vielen solchen Gleichnissen sagte er ihnen das Wort, so wie sie es hören konnten. 34 Ohne Gleichnis aber sagte er ihnen nichts; (wenn sie) aber für sich allein (waren), legte er seinen Jüngern alles aus. Vermutlich hat die Markus vorliegende Sammlung mit einem Hinweis auf die Sonderbelehrung der Jünger (V.34b) geschlossen. Sie entspricht V . l l f . , V.33 eher der von V. 13 (s. dort). Die Wendung „er sagte ihnen das Wort“ ist markinisch (s. zu 8,32); V.33 und 34a passen völlig in seine Theologie und stammen wohl von ihm (s. zu V. 12): von Gott kann nur im Bild gesprochen werden. Die Jüngerbelehrung übernimmt er aus dem alten Schluß der Sammlung; nach seinem Verständnis zeigt sich darin, daß Jesus, um die Blindheit der Menschen zu durchbrechen, nicht nur sich ihrem Verständnis anpaßt, sondern darüber hinaus noch seinen Jüngern alles erklärt. Wieder ist die Tatsache der Gleichnisrede noch wichtiger als ihr Inhalt. In ihr 33 kommt „das Wort“ , das seit 1.Mosel die Zuwendung Gottes zu seiner Schöpfung © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 4, 35-41: Die Vollmacht Jesu über Wind und Wellen
beschreibt, den Menschen zu, und zwar so, „wie sie es hören können“ (vgl. Exkurs 34 zu 4,1-9). Der Schlußsatz will im Sinn des Markus das Gesagte noch steigern. Sind auch die Bilder die den Menschen angemessene Form der Rede vom Gottesreich, so braucht es doch Jesu Hilfe zum Verstehen. Nur im Zusammensein mit ihm lernt man die Sprache von Gott verstehen. 8,17-21 und 34 werden das nochmals steigern. Daher gibt Markus auch nicht einfach die Deutungen der Gleichnisse, außer in 4,13-20, wo diese schon in der Überlieferung angehängt war. Verstehen gibt es also nur im Zusammensein mit Jesus; und zwar nicht mit dem historisch rekonstruierbaren - dazu müßte nur das Privatgespräch mit den Jüngern, das die Deutung enthielte, berichtet werden - , sondern mit dem lebendigen, heute zur Gemeinde redenden, der allein „alles auflösen“ (= auslegen) kann. Die Vollmacht Jesu über Wind und Wellen 4,35-41, vgl. M t 8, 18.23-2 7; Lk. 8, 22-25 35 Und er sagte zu ihnen an jenem Tage, als es Abend geworden war: „Wir wollen ans andere Ufer fahren.“ 36 Und sie ließen das Volk gehen und nehmen ihn mit, wie er war in dem Boot, und andere Boote waren mit ihm. 37 Und ein starker Fallwind kommt auf, und die Wogen schlugen in das Boot, so daß das Boot schon voll Wasser lief. 38 Und er war im hintern Teil, auf einem Kissen schlafend. Und sie wecken ihn und sagen zu ihm: „Meister, kümmert es dich nicht, daß wir zugrunde gehen?“ 39 Und er wachte auf, bedrohte den Wind und sprach zum See: „Schweig, verstumme!“ Und der Wind legte sich, und es ward eine große Windstille. 40 Und er sprach zu ihnen: „Was seid ihr so kleinmütig? Wieso habt ihr keinen Glauben?“ 41 Und sie gerieten in große Furcht und sagten zueinander: „Wer ist denn dieser, daß Wind und See ihm gehorchen?“ Die Geschichte hat Markus schon vorgelegen. V.36 werden „andere Boote“ genannt, die auf einer früheren Stufe wohl eine Rolle gespielt haben - vielleicht weil ihre Insassen als Zeugen des Wunders dienten - , dies jetzt aber nicht mehr tun. Daß Jesus noch im Boot sitzend gedacht ist, setzt die Situation von 4,2 voraus. Wahrscheinlich ist die Geschichte also im Zusammenhang mit 3,7.9f.; 4,1.2a (s. dort) erzählt worden, bevor 4,10a eingefügt war. Daher übernimmt sie Markus an dieser Stelle. Wundergeschichten bis hin zu Totenerweckungen (2.Kön.4,35; 13,21; vgl. Exkurs nach 5,43) und plötzlichem Aufhören des Sturms, das die Zeugen in „große Furcht“ stürzt (Jonal, 15f.) werden schon von alttestamentlichen Propheten, jüdischen (Billerbeck 1 523 f., 560) und heidnischen (Plinius, h.n. VII 124; Philostrat, Apoll. IV 45; Apuleius, Florida 19; Lukian, Philos. 13; 26: Totenerweckung nach 20 Tagen mit Arztzeugnis!) Wundertätern erzählt. So hat sich ein bestimmtes Schema von Wundergeschichten gebildet. In einer Einleitung treten der Wundertäter, die Hilfsbedürftigen, die Gegner usw. auf; in der Exposition wird die lange Dauer oder Schwere der Krankheit, auch das Scheitern ärztlicher Hilfe geschildert; darauf folgt die Mitte mit dem Vollzug des Wunders, wobei manchmal © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Wundergeschichten
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die Schwierigkeit betont ist; der Schluß stellt den Erfolg fest, sichert ihn durch eine Demonstration, z.B. dadurch, daß der Geheilte sein Bett wegträgt, und erzählt vom Lobpreis des Wundertäters durch die Zuschauer. Gegenüber diesen Parallelen sind freilich Unterschiede festzustellen. Strafwunder fehlen bei Jesus; Epiphanien tauchen nur am Rande auf (am deutlichsten 6,48 f.) und gehen kaum auf hellenistische Vorbilder zurück, sondern auf die Erscheinungen des Auferstandenen, in denen sich die Erscheinungen Gottes im Alten Testament widerspiegeln. Die Wunderhandlung wird unauffällig erzählt, dafür in der Exposition das Motiv des Glaubens (nicht nur der Hoffnung, des Mutes oder einer gewissen Einfalt wie in antiken Wundergeschichten) betont, etwa so, daß die Schwierigkeit des Zugangs zu Jesus und ihre Überwindung geschildert wird (9,24!). Daß die traditionellen Schweigegebote zu Forderungen der Geheimhaltung umstilisiert werden (s. Exkurs zu 1,34) und eine Akklamation, die den Wundertäter z.B. als Gottessohn preist, durch einen Bericht über die Meinung der Leute ersetzt ist, hängt daran, daß ein Bekenntnis zu Jesus erst nach der Kreuzigung wirklich möglich ist; so ist 15,39 gewissermaßen Akklamation auch für alle Wundergeschichten. Daß Jesus Heilungen vollbrachte, ist nicht anzuzweifeln; der Eindruck von seiner Vollmacht klingt noch überall nach. Aber die Geschichten haben durch Jahrzehnte hindurch einen Entwicklungsprozeß durchlaufen und wir können ihr Anwachsen noch innerhalb der Evangelien und in der nachneutestamentlichen Literatur beobachten (Einführung, 4.). So verschwinden z.B. bei Johannes die Dämonen; dafür werden die Gegenspieler Jesu stark hervorgehoben. So waren Jesu Wunder zwar Hinweise auf das Geheimnis, das hinter seiner Vollmacht stand, aber schon damals angesichts der antiken Parallelen keine eigentlichen Beweise. Solche wären auch tödlich für den Glauben, weil sie ihn zur bloßen logischen Schlußfolgerung degradierten, genauso wie es tödlich wäre für echte Liebe, wenn der Ehemann sich Beweise für die Treue seiner Frau verschaffen wollte. Insofern ist die Lage heute von der der Zeitgenossen Jesu kaum verschieden (vgl. noch Rückblick, 1,14-8,26). Doch besteht ein doppelter Unterschied. Einmal können wir nicht mehr ohne weiteres mirakulöses und nichtmirakulöses Geschehen scheiden. Ein heutiger Naturwissenschaftler ist bereit, auch bisher unerklärliche Geschehnisse zu konstatieren, da sein Weltbild für Ereignisse offen ist, die zwar mit äußerst geringer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, grundsätzlich aber nicht unmöglich sind. Umgekehrt haben wir gelernt, daß ein Ereignis nicht durch seine Seltsamkeit zum Wunder wird, sondern erst dadurch, daß darin Gott zu uns spricht, wobei es an sich gleichgültig ist, ob dies in mirakulöser oder nichtmirakulöser Form geschieht. Strenggenommen gibt es also nur ein einziges Wunder: daß Gott spricht, und zwar als der Liebende, und uns mit seinem Wort erreicht. Dennoch ist nicht zu bestreiten, daß ein Geschehen, das mit äußerst geringer Möglichkeit zu erwarten war - etwa die Heilung eines Menschen, für den kaum noch Hoffnung bestand - , zwar keinen Beweis für Gottes Wirken darstellt, wohl aber die Frage nach ihm dringlicher stellt als ein anderes. Gott muß gelegentlich gewissermaßen mit dem Holzpfahl winken, damit wir aufmerken. Darum ist der zweite Unterschied wesentlich. Uns ist die Geschichte, wie schon den Lesern des Evangeliums, nur als Zeugnis eines glaubenden Menschen überliefert, d.h. so, daß der Erzähler zugleich mit seinem Erzählen für das einsteht, was nicht © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 4, 35-41: Die Vollmacht Jesu über Wind und Wellen
zu beweisen, nur zu bezeugen ist: daß nämlich in diesem Ereignis Gott Menschen ansprach und ihren Glauben suchte und dies auch heute noch tut. Vgl. ferner zu 5,43; 6,5; 8,11. 35 Die Abendstunde paßt zum Schlafen Jesu, nicht aber zu 5,1 ff. Der plötzlich ein37.38 setzende Fallwind ist auf dem See Genezaret gefürchtet. Die Beschreibung in V.38a kann auf Augenzeugen zurückgehen; doch wachsen oft auch solche Einzelheiten beim Erzählen hinzu (vgl. zu 3,1-6, Einl., Ende; 5,25). In der vorwurfsvollen Frage der Jünger liegt etwas von der Not des Beters, der an Gottes Schweigen verzweifelt. 39 Im „Bedrohen“ des Sees (griechisch: „des Meers“ , vgl. Ps. 106,9) und im Ruf Jesu liegt wie in 1,25 etwas von seiner herrenhaften Vollmacht. So ist die eintretende Stille Zeichen göttlichen Sieges über alle feindlichen Mächte. Im Alten Testament wird die Schöpfung als Kampf Gottes gegen das als Ungeheuer vorgestellte Meer beschrieben. Gottes Sieg besteht darin, daß er es für alle Zeiten in seine Grenzen zurückgezwungen hat (vgl. Ps.74,13f.; 89,10-14; 104,5-9; Hi.38,8-11; Jer.5,22; 31,35; Gebet Manasses = Ode 12 [LXX], 2f.). Der alttestamentliche Hintergrund wird auch sonst sichtbar: Sturm und Wasser bezeichnen die Anfechtungen des Glaubenden (Ps.69,2f. 15 f.; 18,16f.), in denen er allein auf Gott vertrauen kann (Jes.43,2; Ps.46,3f.; 6 5 , 8 ; bes. 107,23-32), wofür der ruhige Schlaf Zeichen ist 40 (Spr.3,24; Ps.4,9; 3,5; Hi. 11,18 f.; 3. Mose 26,6). Anders als in sämtlichen Parallelen gipfelt aber diese Erzählung in der Frage nach dem Glauben. Hier liegt die Absicht des Erzählers. Dabei steht Glaube im Gegensatz zum Kleinmut, ist also nicht einfach intellektuelle Zustimmung zu gewissen Sätzen, sondern umschließt das gesamte Leben. Glauben lebt, wo einer mit Gott und seiner Macht rechnet, und zwar so, daß er konkret erwartet, ihr immer wieder in Jesus zu begegnen (vgl. 2,5). 41 Von Furcht wird erst nach der Rettung ausdrücklich berichtet. Solche Furcht ist stärker als die vor dem Sturm. Sie ist nicht zu verwechseln mit Angst, sondern kann mit einem völligen Trauen auf Gottes Gnade zusammengehen (Ps.33,18). In ihr fürchtet der Mensch nur eines: sich nicht wirklich von dieser Gnade ergreifen zu lassen, ihr nicht richtig zu begegnen. Es ist Furcht vor der Gegenwart Gottes, genauer: vor dem Auf-uns-zu-Kommen Gottes, vor seinem Handeln nicht in einem theoretisch gedachten Raum, sondern dort, wo wir tatsächlich leben. Das Fragen der Jünger: „Wer ist der?“ ist daher die Frage des ganzen Abschnitts. Wichtig ist, was aus dem gewohnten Schema herausfällt: Jesus ruft nicht Gott an, sondern handelt selbst, als stünde er an der Stelle Gottes; so läuft auch alles auf die Glaubensfrage hinaus: „Wer ist dieser?“ Die Antwort ist nicht in einem Begriff oder Titel einzufangen (s. zu 8,29f.). Sie wird daher dem Leser nicht abgenommen. Jesus könnte auch ein Scharlatan (3,22) oder ein bloßer Prophet (8,28) sein. Aber nach Markus zeigt gerade das Fragen der Jünger, daß Gott bei ihnen am Werk ist, während allzu große Sicherheit verdächtig ist (6,3; 8,29-33). Glaube kann ja nur als Nachfolge vollzogen werden, also so, daß das Ja zum Handeln Jesu immer neu eingeübt wird. So entläßt der Evangelist den Leser mit der Frage, ob er bei Jesus Gottes Handeln so erwarte, daß Machtworte fallen und neue Schöpfung (s. zu V.39)wird. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk.5, 1-20: Die Vollmacht Jesu über die Dämonen
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Die Vollmacht Jesu über die Dämonen 5, 1-20 vgl Mt. 8,28-34; Lk. 8,26-39 1 Und sie kamen ans jenseitige Ufer des Sees, in das Land der Gerasener. 2 Und als er aus dem Boot stieg, lief ihm sogleich von den Gräbern her ein Mann mit einem unreinen Geist entgegen. 3 Der hauste in den Grabstätten, und selbst mit Fesseln hatte ihn noch nie jemand binden können; 4 denn oft war er an Händen und Füßen gefesselt worden und hatte die Handfesseln zerrissen und die Fußfesseln zerrieben, und niemand vermochte ihn zu bändigen. 5 Und allezeit, bei Tag und Nacht, war er in den Gräbern und auf den Bergen, schreiend und sich mit Steinen schlagend. 6 Und da er Jesus von weitem sah, lief er und fiel vor ihm nieder, 7 schrie mit lauter Stimme und sagte: „Was habe ich mit dir zu schaffen, Jesus, Sohn des höchsten Gottes? Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht!›› 8 Denn er hatte zu ihm gesagt: „Gehe aus, du unreiner Geist, aus dem Menschen!“ 9 Und er fragte ihn: „Was ist dein Name?“ Und er sagte zu ihm: „Legion ist mein Name, denn wir sind viele.“ 10 Und er bat ihn sehr, er möchte sie nicht außer Landes schicken. 11 Es war aber dort am Berghang eine große Schweineherde am Weiden. 12 Und sie baten ihn und sagten: „Schicke uns in die Schweine, daß wir in sie hineinfahren.“ 13 Und er erlaubte es ihnen. Und die unreinen Geister fuhren aus und fuhren in die Schweine, und die Herde stürmte den Abhang hinunter in den See, etwa zweitausend, und sie ertranken im See. 14 Und ihre Hirten flohen und meldeten es in der Stadt und auf den Gehöften; und sie kamen, um zu sehen, was da geschehen war. 15 Und sie kommen zu Jesus und erblicken den Dämonischen, wie er dasaß, bekleidet und vernünftig, den, der die Legion gehabt hatte, und sie gerieten in Furcht. 16 Und die, die es gesehen hatten, erzählten ihnen, wie es mit dem Dämonischen gegangen war, und von den Schweinen. 17 Und sie begannen ihn zu bitten, er möchte doch von ihrem Gebiete weggehen. 18 Und da er ins Boot stieg, bat ihn der, der dämonisch gewesen war, darum, daß er bei ihm sein dürfte. 19 Und er ließ ihn nicht, sondern sagt zu ihm: „Geh in dein Haus zu den Deinen und berichte ihnen, was Gott an dir getan, da er sich über dich erbarmt hat.“ 20 Und er ging weg und begann in der Dekapolis zu verkünden, was Jesus an ihm getan hatte, und alle erstaunten. Unwahrscheinlich bleibt die Vermutung, hinter dieser seltsamen Geschichte stecke das Märchenmotiv vom betrogenen Teufel, der mit seinem Prahlen seinen Namen verrät (V. 9), dann meint, die Schweineherde sei eine gute Aufenthaltsstätte für seine Geister, und schließlich mit ihnen ertrinkt. V.9 soll wohl bloß die Übermacht der Dämonen beschreiben, und V. 10-13 demonstrieren ihr Ausfahren wie in einer jüdischen Geschichte, wo der ausfahrende Dämon ein Wasserbecken umstößt. Daß in V.16 die Erwähnung der Schweine noch nachgetragen wird, läßt sogar eine alte Form vermuten, in der diese noch fehlten. Dafür spricht vieles. V.2 heißt es eigentlich: „er begegnet ihm“ , aber nach V.6 ist der Kranke noch „weit“ entfernt. V.8 setzt einen Befehl Jesu voraus, der gar nicht berichtet wurde und auch keinen unmittelbaren Erfolg hat, weil erst noch der ganze Dialog zwischen Jesus und dem Dämon eingeschoben wird. Am Anfang stand also wahrscheinlich eine einfachere Erzählung von einer Austreibung, die etwa das Kommen des Kranken (V. 1f.), die Abwehr des Dämons (V.7), Jesu Antwort (V.8 in der Form © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 5, 1-20: Die Vollmacht Jesu über die Dämonen
„und er sagte zu ihm: ...“ ), eine kurze Notiz über das Ausfahren des Dämons und das Zeugnis der Schweinehirten enthielt. Sie hätte dem entsprochen, was ähnliche Geschichten erzählen. Falls man nicht eine bei Origenes zu findende Lesart „Gergesener“ , die aber wahrscheinlich nur sein Vorschlag zur Lösung der Schwierigkeit ist, für ursprünglich hält, spielt die Geschichte ursprünglich auch gar nicht am Meer (s. zu V. 1). Weil es sich um eine Heilung im heidnischen Gebiet handelte, hat man später die Züge eingefügt, die die Macht der heidnischen Dämonen und Jesu Übermacht zeigen, etwa V.3-5 und 9-13, d.h. vor allem den Aufenthalt in den Gräbern, den Namen „Legion“ und damit den Übergang zur Mehrzahl „Dämonen“ , die Diskussion Jesu mit ihnen und die zweitausend ins Meer stürzenden Säue. Daß es den Dämonen im Heidenland wohl ist, sie es deswegen nicht verlassen wollen und die Sauherde als angenehmen Aufenthaltsort ansehen, liegt einem jüdischen Erzähler nahe, und klare geographische Vorstellungen hat er nicht mehr. Endlich sind V. 18-20 angeschlossen worden, die wahrscheinlich an die christliche Mission in der Dekapolis erinnern wollen. V. 18 a geht dabei auf den zurück, der die Geschichte mit 4,36(vgl. dazu und zu 3,7-12; 4,1-9) verbunden hat. Vielleicht ist im Abschlußvers die Hand des Markus noch zu erkennen, wie die Parallele zu 1,45 („er begann zu verkünden“ ) und der Wechsel von „Herr“ ( = Gott, V. 19) zu „Jesus“ vermuten läßt. Daß Jesu Macht trotz seiner Zurückhaltung sich nicht verheimlichen läßt (vgl. l,44f.), ist ihm jedenfalls wichtig. Nicht ausgeschlossen ist, daß Ps.67,7 LXX im Lauf des Erzählens eingewirkt hat: „Gott läßt Einsame im Hause wohnen, führt Gefesselte in Kraft heraus, ebenso die Rebellierenden, in den Gräbern Wohnenden.“ Da die Gemeinde ja keine andere Bibel hatte als das Alte Testament, hat sie gerne Jesu Wirken und Erleiden dort „nachgelesen“ . Vgl. auch Jes. 65,2.4. 1
2 3-5.6 7 8 9 13
15.12
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Gerasa ist gut 50km vom See entfernt; Matthäus hat daher in Gadara, das 10km vom Ufer wegliegt, geändert. Jedenfalls handelt es sich um das halbheidnische Gebiet der Dekapolis (= Zehnstädte), das unter unmittelbarer römischer Herrschaft steht. Die Hoffnungslosigkeit der Krankheit wird durch den Aufenthalt im Reiche des Todes, in den für den Juden unreinen Gräbern, durch das Leben „in einem unreinen Geist“ (so wörtlich), durch die Nutzlosigkeit aller Fesseln illustriert. Anbetung und Anruf erfolgen wie 1,24 (s. dort), nur daß wie 3,11 der Gottessohntitel (vielleicht von Markus an Stelle einer älteren Formulierung eingesetzt) erscheint. Der klare Befehl Jesu, der den Feind in seine Grenzen weist, wird nachgeholt. Für Markus ist die bloße Frage Jesu schon zwingend, so daß sich Jesu unwiderstehliche Hoheit darin ausdrückt. Dennoch bleibt wichtig, daß neben dem objektiven Machtwort Jesu auch die subjektive Befreiung des Kranken, demonstriert durch das Ausfahren der Geister in die Schweine, erzählt wird. Der Sturz ins Meer zeigt seine endgültige Trennung von der Vergangenheit (vgl. Mt. 12,43) und V. 15 seine soziale Wiedereingliederung. Die Pluralform in V. 12a (vgl. 10a) mag sogar andeuten, daß der Kranke sich nicht mehr mit den Dämonen identifiziert. Die Hirten und übrigen Anwohner sind nicht nur als Zeugen für das Wunder wichtig, sondern für Markus vor allem als Beispiele für das, was ein Wunder wirken kann. Sie anerkennen das Wunder, geraten sogar in Furcht (vgl. zu 4,41), Augen© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk.5,21-43: Die Vollmacht Jesu über Krankheit und Tod
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zeugenberichte fördern das noch; aber zum Verstehen des Glaubens führt das alles nicht. Im Gegenteil, die Leute tun alles, um nicht in ihrer Ruhe gestört zu werden. Nur einer hat wirklich verstanden. Einzig der Wunsch nach dem „bei ihm Sein“ (vgl. Mt. 8,19) ist die rechte Antwort auf das Geschehen. Jesu Antwort zeigt, wie wenig schematisch „Nachfolge“ zu verstehen ist. Der eine wird von Haus und Familie weggeholt (1,16-20), der andere wird gegen seinen Wunsch dorthin geschickt. Nachfolge ist also nicht eine Heilsmethode, mit der man sich seine Seligkeit sichern kann; es ist immer nur die Frage, wie die Freudenbotschaft am besten verkündet wird und zu andern weiterläuft. V.20 entspricht der Auffassung des Markus von der Durchbrechung des Messiasgeheimnisses (vgl. zu 1,34.45). Einmal läßt sich die Wirkung der Tat Jesu nicht auf eine Familie beschränken; dann aber verkündet der Geheilte, was Jesus an ihm tat. Der „Herr“ (V. 19) blieb also für ihn nicht eine allgemeine Idee und theoretische Wahrheit; er wurde Wirklichkeit. Und wo anders als in Jesus wäre das der Fall? Eine volkstümliche Erzählung, die die Macht des Widersachers und die Macht Gottes breit schildert, ist der Gemeinde wichtig geworden, weil in ihr die Anerkennung Jesu durch überirdische Mächte, Jesu klarer Austreibungsbefehl und seine Vollmacht bis ins Konkret-Leibliche hinein sichtbar werden. Für Markus selbst ist wohl die Gegenüberstellung von bloßer Furcht angesichts des Wunders und der rechten Antwort des Nachfolgers, der verstanden hat, daß Jesus sich seiner „erbarmt“ hat, das Wichtigste. So ruft die Geschichte nach Menschen, die bereit sind zu verkünden, „was Jesus an ihnen tat“ . Die Vollmacht Jesu über Krankheit und Tod 5,21 -43 vgl. Mt. 9, 18-26; Lk.8,40-56 21 Und da Jesus im Boot wieder ans andere Ufer hinübergefahren war, versammelte sich eine große Menge zu ihm. Und er war am Seeufer. 22 Und es kommt einer von den Synagogenvorstehern, mit Namen Jairus, und da er ihn sah, fällt er zu seinen Füßen nieder 23 und bittet ihn inständig und sagt: „Mein Töchterchen liegt in den letzten Zügen, komm, lege ihr die Hände auf, daß sie gesund werde und lebe!“ 24 Und er ging mit ihm weg, und eine große Menge folgte ihm nach und sie drängten ihn. 25 Und eine Frau, die zwölf Jahre lang blutflüssig war 26 und viel gelitten hatte von vielen Ärzten und ihr ganzes Vermögen ausgegeben hatte, ohne daß es besser, ja so, daß es eher schlechter wurde, 27 hatte von Jesus gehört, kam in der Volksmenge und berührte sein Kleid von hinten; 28 denn sie sagte: „Wenn ich auch nur seine Kleider anrühre, werde ich geheilt werden.“ 29 Und sogleich versiegte der Quell ihres Blutes, und sie fühlte es im Körper, daß sie von der Geißel geheilt war. 30 Und sogleich erkannte Jesus bei sich die Kraft, die von ihm ausgegangen war, wandte sich um in der Menge und sagte: „Wer hat meine Kleider berührt?“ 31 Und seine Jünger sagten zu ihm: „Du siehst doch die Volksmenge, die dich drängt, und sagst: Wer hat mich berührt?“ 32 Und er blickte um sich, die zu sehen, die das getan hatte. 33 Die Frau aber, voll Furcht und Zittern, weil sie wußte, was ihr widerfahren war, kam und fiel vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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34 Er aber sprach zu ihr: „Tochter, dein Glaube hat dir geholfen; gehe in Frieden und sei genesen von deiner Geißel!“ 35 Während er aber noch redete, kommen Leute vom Synagogenvorsteher und sagen: „Deine Tochter ist gestorben, was bemühst du noch den Meister?“ 36 Jesus aber fing das Wort auf, das da gesagt wurde, und sagt zum Synagogenvorsteher: „Fürchte dich nicht, glaube nur!›› 37 Und er ließ sich von niemandem begleiten außer von Petrus und Jakobus und Johannes, dem Bruder des Jakobus. 38 Und sie kommen in das Haus des Synagogenvorstehers, und er nimmt Lärm wahr und Weinende und laut Wehklagende, 39 tritt ein und sagt zu ihnen: „Was lärmt und weint ihr? Das Kind ist nicht gestorben, sondern schläft.›› Und sie verlachten ihn. 40 Er aber trieb alle hinaus, nimmt den Vater des Kindes und die Mutter und seine Begleiter und geht hinein, wo das Kind war. 41 Und er ergriff die Hand des Kindes und sagt zu ihr: „Talitha kum“ , das heißt übersetzt: „Mädchen, ich sage dir, stehe auf!“ 42 Und sogleich stand das Mädchen auf und ging umher; denn es war zwölfjährig. Und sie entsetzten sich sogleich in großem Entsetzen. 43 Und er schärfte ihnen ein, niemand sollte davon erfahren, und sagte, man solle ihr zu essen geben. War die Geschichte von der Erweckung schon in der Tradition mit der Rückfahrt vom Ostufer her (V.21) und damit mit dem ganzen Komplex 4,1-5,20 (vgl. zu 4,35-41) oder zunächst mit einer Sammlung von Wundergeschichten 4,35-5,20 (4- 6,34-51?) verknüpft? Oder hat sie Markus hier eingereiht, weil die Aussonderung der wenigen Vertrauten und das Unverständnis des Volkes darin anschaulich werden? Der Einschub der Erzählung von der blutflüssigen Frau (die in besserem Griechisch konzipiert zu sein scheint als das übrige) geht wahrscheinlich auf das Konto des Markus, da er es liebt, Zeitzwischenräumc durch solche Einschübe auszufüllen (vgl. 3,22-30; 6,14-29; 11,15-19; 14,1-11.53-72). Endlich wird seine Redaktion V.43 sichtbar, wo wieder das „Messiasgeheimnis“ (s. zu 1,34) auftaucht. 21 22
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Wo Jesus landet und wann die Nacht (4,35!) anzusetzen ist, ist Markus gleichgültig. Wichtig ist nur die übliche Szene - Jesus am Seeufer, vom Volk bedrängt - , die die von ihm ausgehende große Wirkung zeigt. Der Synagogenvorsteher ist der Gottesdienstleiter und genießt hohes Ansehen. Daneben gibt es einen dreiköpfigen Synagogenvorstand, dem er meistens auch angehört. Beide Titel werden Lk. 8,41.49 verwechselt und Apg. 13,15 spricht von mehreren Synagogenvorstehern an der gleichen Synagoge. Der Name Jairus, auf den durch die bei Markus nur hier vorkommende Wendung „mit Namen“ hingewiesen ist, heißt „er wird erleuchten“ oder „er wird erwecken“ . Er könnte auf einer Stufe, die noch hebräisch verstand, als Verheißung gedeutet (und eingefügt?) worden sein. Handauflegung bei Opfer, Strafvollzug, Segnung, Heilung, Aussendung, Ordination usw., ist eine geläufige Geste. Daß für Markus die leibliche Berührung wichtig ist, zeigt sich V. 30-34. In späteren Zeugnissen ist zu lesen, die Frau habe Berenike oder Veronika geheißen oder sie sei edessenische Prinzessin gewesen. So wächst die Überlieferung weiter ohne historischen Anhaltspunkt (vgl. zu 3,1-6). Ausdrücklich wird festgehalten, daß alle Menschenkunst am Ende war. Das gehört zum Schema einer Wundergeschichte (vgl. Exkurs zu 4,35-41), und hat zur Stellung des Christen gegenüber © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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dem Arzt nichts zu sagen. Die Heilung wird in schockierend körperhafter Weise beschrieben, und was wir als Aberglauben ansähen, wird von Jesus „Glaube“ genannt. Dabei liegt Markus nichts daran, Jesus als Übermenschen, der z.B. auch übernatürliches Wissen hätte, darzustellen, Jesus fragt immerhin. Wohl aber gibt es für Markus keine Gott zugehörige Innerlichkeit, die von einer ihm mehr oder weniger entzogenen Welt äußeren leiblichen Geschehens geschieden wäre. Daher gehören Wort und körperhafter Zugriff zusammen. Wenn Jesus heilt, geht die Kraft von ihm, nicht von der Seele des Kranken aus und wirkt nicht bloß auf Denken und Fühlen, sondern bis ins Leibliche hinein. Freilich ist damit noch nichts Wesentliches geschehen, solange es nicht zur personhaften Begegnung mit Jesus kommt, die nur durch das Wort, ja das Gespräch erfolgen kann. Dabei geht das Gemeinschaft suchende und stiftende „Sehen“ wiederum ganz von Jesus aus (vgl. zu 1,16). Sosehr die schon vollzogene, objektiv feststellbare Heilung seine Tat ist und bleibt, sowenig hat er damit schon den Menschen erreicht, den er sucht. Darum muß es jetzt zum Bekenntnis und zu jener Furcht (vgl. zu 4,41) kommen, die Ausdruck des Wissens um seine überwältigende Größe und die eigene Kleinheit ist. So kommt es zur endgültigen Antwort Jesu, die den Menschen in den Frieden hinein entläßt. Das entspricht der alttestamentlichen Wendung (Ri. 18,6; l.Sam. 1,17; 2.Sam.l5,9); aber das Wort „Friede“ bezeichnet ja Lk.7,50; 10,5f.; Joh. 14,27; 16,33; 20,19.21.26 nichts anderes als „Heil“ ; nicht den Seelenfrieden, sondern den objektiven Zustand eines Menschen, der, vielleicht mitten in Sturm und Kampf, mit Gott in Ordnung versetzt worden ist. Das Wort, das mit „helfen“ übersetzt ist, kann „heilen“ , „retten“ oder „seligmachen“ bedeuten, und der Titel „Heiland“ enthält den gleichen Wortstamm. Dabei gäbe es für Heilen (einer Krankheit) noch zwei andere Wörter, die nur dies bedeuten und die Markus auch 1,34; 3,2.10; 6,5.13 bzw. 5,29 verwendet. So sagt Jesu Antwort noch mehr. Zwar war schon das Vorgehen dieser Frau, „ein wenig List, ein wenig Demut, ein wenig Scheu vor der eigenen Unreinheit und in allem ein unbedingtes Zutrauen zu ihm“ (Lohmeyer), der Glaube, der ihr die Gesundheit brachte. Aber Glaube ist, wie 1,15; 4,40; 9,23f.; 11,22ff. mehr als Zutrauen zum Wundertäter, sosehr er damit beginnt. Eben darum muß ihr bewußt werden, daß Heilung in einem tieferen Sinn eingetreten ist. Die Frage nach dem Glauben wird aber auch dem Synagogenvorsteher gestellt. Menschliche Überlegung rät zum Abbruch des Experimentes. In diese Situation hinein fällt der Zuspruch „Fürchte dich nicht“ , der die Angst vor der anscheinend Hoffnung unmöglich machenden „Realität“ bannt, und damit der Anspruch „Glaube nur“ , der helfen will, das schon gezeigte Zutrauen nicht abbrechen zu lassen. So schenkt Jesu Wort, was es fordert. Das Wort, das mit „auffangen“ übersetzt ist, heißt „nebenbei hören“ oder „daran vorbeihören“ , so daß vielleicht gesagt sein soll, daß Jesus an dem zum Abbruch blasenden Bericht „vorbeihört“ , die Stimme des Versuchers nicht zur Kenntnis nimmt. Wieder beschreibt also Glaube nicht intellektuelle Zustimmung, sondern ein Rechnen mit Gott, das sein Handeln konkret in Jesus erwartet und sich darin auch angesichts der Realität des Todes nicht beirren läßt. Solches Glauben, nichts anderes, ist not. Daß nur wenige Vertraute mitgenommen werden, gehört vielleicht schon zur alten Geschichte, wird aber von Markus wahrscheinlich im Sinne seines „Messiasgeheim© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Toten auf erweckung
38 nisses“ (s. zu 1,34) verstanden. Die Trauerzeremonien entsprechen palästinensischem Brauch. „Auch der Ärmste in Israel stellt nicht weniger als zwei Flöten39 spieler und ein Klageweib“ (Billerbeck zu Mt. 9, 23; Josephus, Krieg 3, 437). Jesu Antwort leugnet einfach die Tatsache des Todes. Denn das „Schlafen››, im Alten und Neuen Testament auch vom Tode ausgesagt (freilich meist mit einem andern griechischen Wort), ist hier ausdrücklich Zeichen des Lebens. Jesus sieht also das Kind so, wie Gott es schon sieht. Die kommende Erweckung ist ihm so gewiß, daß sie jetzt schon wirklicher ist, als was Menschenaugen feststellen. Ganz ähnlich sieht ja Jesus auch das kommende Reich schon gegenwärtig. Aber natürlich hängt alles 40 an der noch ausstehenden „Validierung“ dieser Schau. Vorläufig erweckt sie nur das Gelächter der Menge, das sowenig wie die Beerdigungsfeierlichkeiten mit Gottes 41 Eingreifen rechnet. Fremdsprachige Formeln finden sich in manchen Wundergeschichten. Das Wort aus der aramäischen Überlieferung wurde wohl bewahrt, weil es einen Eindruck geheimnisvoller Macht vermittelte. Markus hat es wie 7,11; 15,22.34 vermutlich ohne Betonung übernommen. Wieder führt ein klarer Befehl 42 Jesu zur Erfüllung. Daß das Mädchen durch sein Umhergehen und Essen das Wunder beglaubigt und dies durch die Umstehenden anerkannt wird, gehört zum Stil. Daß aber Gott konkrete Wirklichkeit innerhalb des Lebensraumes dieser Menschen wurde, führt geradezu zum „Entsetzen“ ; so unheimlich ist Gottes Gegenwart, die das Gewohnte, in dem der Mensch sich mehr oder weniger hei43 misch fühlt, durchbricht. Doch wie in V. 32-34 führt solches Entsetzen allein noch nicht weiter, wenn es nicht zur wirklichen Begegnung mit Jesus kommt. Gerade weil ein Verschweigen hier sachlich unmöglich ist - die Trauerzeremonien waren ja schon im Gang -, wird deutlich, wie sehr dem Markus an diesem Satz liegt, der vor einem bloßen Staunen über das Wunder warnen will. So ist diese Doppelgeschichte auf die Erwartung ausgerichtet, daß beim Leser Glaube werde. Die krasse Schilderung des bis ins Leibliche reichenden Handelns Gottes will dazu helfen, die Leiblichkeit nicht aus dem Vertrauen auszuklammern. Zugleich wird aber eingeschärft, daß Glaube erst in der personhaften Begegnung mit Jesus, im „Gespräch“ mit ihm, zur Erfüllung kommt, und daß selbst das Erleben eines alle Verstehensmöglichkeiten sprengenden Wunders noch nichts hilft. Totenauferweckung ist auch nach Markus einmalige Ausnahme, die zwar Jesu Vollmacht zeigt, nicht aber das Todesproblem des Menschen lösen will. So hat Jesus den Tod nicht überwunden, daß er Verstorbene in besonders tragischen Fällen auf einige Jahre in ihre Familien zurückschickt. Das Verständnis dieserGeschichte hängt an der Erkenntnis, daß es zunächst durch alle möglichen Erfahrungen hindurch zum Glauben kommt, der von jenem Gemeinschaft suchenden und stiftenden „Sehen“ Jesu zum Gespräch mit ihm und zu seinem in den Frieden Gottes entlassenden Wort führt (V. 32-34). Nur wer dieses Ja Gottes zu ihm, die Gemeinschaft, in die Gott ihn hineingenommen hat, erfahren hat, weiß auch, daß das mit dem Sterben nicht abbrechen wird. Von da aus kann er Gott die Schöpfermacht der Auferwekkung von den Toten zutrauen, die in dieser Erzählung zeichenhaft sichtbar wird, und es lernen, mit Jesus die Realität Gottes ernster zu nehmen als die scheinbare © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Totenauferweckung
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Realität des Todes. Er wird dann am Sarg und auf dem Sterbebett das Leben glauben dürfen, das konkreter und realer ist als alles, was auf Erden Leben heißt. Freilich folgern Apg. 24,15 und 26,6-8 aus der pharisäischen und volkstümlichen Erwartung einer allgemeinen Totenauferstehung, daß auch die Erweckung Jesu nicht unglaublich sei, und Apg. 4,2 umgekehrt, diese sei ein beweisendes Beispiel für jene. Aber schon Mk. 12,27 (s. dort) zeigt, daß nur der Glaube an den heute wirkenden und Leben schenkenden, nicht vernichtenden Gott zur Gewißheit der Auferstehung führen kann. So argumentiert auch Paulus l.Kor. 15, 12ff. (s. dort), daß nur die Erfahrung des lebendigen Christus heute auch die Gewißheit einschließt, daß die, die ihm angehören, über den Tod hinaus nicht von ihm getrennt, „mit Jesus auferweckt“ werden (2. Kor. 4,14). Noch schärfer betont Joh. 11,24-27, daß ein allgemeines Für-wahr-halten der Auferstehung nichts hilft, solange der Glaube nicht erkennt, daß die Gewißheit der Auferstehung in Jesus liegt, der ihm jetzt begegnet, daß er also mit Marta nicht mehr nur „etwas“ glaubt, sondern Jesus mit „du“ anredet. Darum spricht Paulus nur von Auferweckung der Glaubenden (l.Kor. 15,21-23), trotz Röm.2, 3-11 nie von der zum Gericht; erst recht gilt dies für Joh. 11,24-27 (anders die Tradition in 5, 28f.; doch vgl. die eigentlich johanneische Aussage 5,25f.). Selbst Offb.20, 12f. verwendet für die Vorführung der Ungläubigen vor Gericht trotz 20,6 das Wort „Auferstehung“ nicht. Wer allgemein darüber nachdenkt, ob es Auferstehung „gibt“ oder nicht, muß ins Spekulieren geraten, das von der Zusage Gottes an den Glauben absieht, so daß eine bejahende wie eine verneinende Aussage das Zeugnis des Glaubens verfälschte. Für die junge Gemeinde war die Erfahrung von Ostern so überwältigend, daß „Auferstehung“ für lange Zeit nur das Heilsgcschehen beschrieb, das denen zuteil wird, die im Glauben mit Jesus und seiner Auferweckung zusammengeschlossen sind. Daß uns das Fürwahrhalten einer Totenauferweckung schwerer fallt als den Zeitgenossen des Markus (vgl. Exkurs zu 4,35-41), schärft den Blick für die Botschaft dieses Berichtes. Weil er für sie weniger Denkschwierigkeiten bot, konnte er von sich wegweisen: auf jenen Glauben hin, der Gott alles zutraut, auch den Sieg über den Tod. Das gilt schon für 1.Sam.2,1-10, und 1.Mos.5,24; 2.Kon.2,11 erzählen von solchem Sieg. In der babylonischen Verbannung wachst die Hoffnung auf Gottes zum Leben erweckende Macht (Ez.37); der zweite Jesaja kündet Gottes Herrschaft über eine neue Welt (z.B. 40,30f.; 43,14ff.; 48,6f.; 49,8ff.; 53,llff.; 54,10ff.). Ps.73,23-26; Hiobl9,25-27 und Jes.24-27 reden von dem, der stärker ist als der Tod. In der Verfolgungszeit des 2.Jahrh. v.Chr. häufen sich die Aussagen über Gottes Macht auch jenseits der Todesgrenze (2.Makk.7,1-23; 4.Makk. 13, 1-17; 17,12; 18,23 f. und besonders Dan. 12,1-3). In Weish.2-5 wird schon ein Glaube an den Gott sichtbar, der gerade den anscheinend von Gott Verlassenen erweckt, wie er dann im Neuen Testament durch die unerhörte Aussage über die Auferstehung des Gekreuzigten zur Erfüllung kommt. So ist er freilich in Uberbietung jüdischer und griechischer Vorstellungen erst nach Jesu Auferweckung möglich. Der heutige Mensch bleibt in seiner völlig anderen Situation leicht bei der Geschichte selbst stecken, ob er sie dann für wahr hält oder ablehnt. Damit verliert sie ihre „Zeichen“ -Sprache. Man muß etwa an Dürrenmatts „Meteor“ © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 6,1-6a: Die Verwerfung Jesu durch seine Mitbürger
sehen, wie die Wiederbelebung eines Leichnams und sein Zurückkehren in ein überhaupt nicht verändertes irdisches Leben das genaue Gegenteil von Auferstehung ist. Es wäre ja nicht Neuschöpfung Gottes zu einem Sein, das in einer völlig anderen, nicht vorstellbaren Weise Leben ist, weil es in der Gemeinschaft mit Gott gelebt wird. Freilich richtet Gott dafür Zeichen auf. Aber die Verschiebung der Glaubensfrage von der Sache selbst zum Zeichen wäre doch fatal. Wer vom modernen Menschen einfach das Fürwahrhalten dieser Geschichte fordert, der verdeckt ihm, daß das eigentliche Wunder gerade dieser Geschichte das Entstehen des Glaubens ist, der Gott auch den Sieg über den Tod zutraut, und verführt ihn, in der Auferstehung von den Toten nur so etwas wie eine Rückkehr ins irdische Leben unter verbesserten Umständen zu sehen. Ebenso unsinnig wäre der gegenteilige Satz, daß Gott unter keinen Umständen ein solches, alle Erfahrung durchbrechendes Wunder tun könnte, als wüßten wir so über Gott Bescheid, daß wir ihm vorschreiben könnten, was ihm möglich ist. So weist diese Geschichte energisch von sich selbst weg und fragt den Leser, ob er in seinem Sterben, wo vermutlich kein „Wunder“ zu erleben ist, Gott den Sieg auch über seinen Tod zutraut. Vgl. ferner zu 4,35-41; 16,1-6. Die Verwerfung Jesu durch seine Mitbürger 6, l-6a, vgl. Mt. 13,53-58; Lk.4,16-30 1 Und er ging von dort weg und kommt in seine Vaterstadt, und seine Jünger folgen ihm nach. 2 Und als es Sabbat geworden war, begann er in der Synagoge zu lehren. Und die vielen, die zuhörten, erstaunten und sagten: „Woher hat er das? Und was ist das für eine Weisheit, die diesem verliehen ist? Und solche Machttaten, die durch seine Hände geschehen? 3 Ist dieser nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und Bruder des Jakobus und Joses und Judas und Simon? Und sind nicht seine Schwestern hier bei uns?“ Und sie stießen sich an ihm. 4 Und Jesus sagte zu ihnen: „Nirgends ist ein Prophet verachtet außer in seiner Vaterstadt, bei seinen Verwandten und in seinem Hause.“ 5 Und er konnte dort keine einzige Machttat tun, außer daß er einige wenige Schwache durch Handauflegen heilte. 6 a Und er wunderte sich wegen ihres Unglaubens. Mit der Verwerfung Jesu läßt Markus seinen dritten Abschnitt schließen, wie er es 3,6 am Ende des zweiten tat. Nur sind es jetzt nicht mehr fernstehende Autoritäten, sondern die Mitbürger Jesu, die ihn ablehnen. Im Aufbau des Ganzen liegt das Gewicht also auf der Blindheit der Welt für Gottes Offenbarung. Auch Joh. 11, 45-50 folgt die Verwerfung Jesu auf eine Totenerweckung. Daß Jesus wunderbar vor einem Anschlag auf sein Leben gerettet worden wäre (Lk.4,16-30, programmatisch dem Wirken Jesu vorangestellt), weiß Markus noch nicht. V. 1 f. sind das Nachfolgen der Jünger, die nachher nicht mehr vorkommen, Jesu Lehren in der Synagoge, der Hinweis auf Jesu Machttaten, die die Nazarener ja gar nicht gesehen haben, und das Erstaunen der „vielen“ , das sich mit V.3 Ende und V.4 stößt, typisch markinisch, V.2 erinnert genau an 1,21.27a. Mit den Fragen wird auch hier der Leser auf Jesu Macht aufmerksam gemacht. Ferner korrigiert V.5b, eine allgemeine Zusammenfassung der Heiltätigkeit Jesu, V.5a. Daß Jesus „sich wunderte“ , ist nach V.4 nicht zu erwarten. Zur (mündlichen?) Tradition dürften also V.3.4 (bis „Vaterstadt“ , vgl. unten zu V.4) und 5a gehören. Markus hingegen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 6,1 -6 a: Die Verwerfung Jesu durch seine Mitbürger
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hat aus der Verkennung des Propheten die Verwerfung dessen gemacht, der mehr ist als ein Prophet. Darum betont er die staunenerregende Macht Jesu (V. If. 5b). Daß sie Unglauben hervorruft, ist verwunderlich (V. 6). Der Name Nazaret, 1,9 genannt, fehlt hier, weil für das Anliegen der Geschichte unwichtig. Das „Nachfolgen“ der Jünger läßt ihre Sonderstellung erkennen. „Er begann zu lehren“ ist typischer Ausdruck des Markus; er ist um so auffälliger, als V.2 Ende Machttaten voraussetzt. Für Markus aber fällt das entscheidende Ja oder Nein dem Lehren Jesu gegenüber, und zwar einfach der Tatsache gegenüber, daß darin Gott zum vollmächtigen Wort wird und den Menschen anspricht. Die sachgemäße Reaktion ist die Frage, und zwar - wiederum sachgemäß - die Frage nach ihm, Jesus, selbst. Aber sie wird nicht offen gehalten, sondern vorzeitig beantwortet, indem Jesus einfach in bekannte Kategorien eingegliedert wird. Von Jesu Beruf hören wir übrigens nur hier; Matthäus verschiebt die Angabe auf den Vater Jesu, Lukas läßt sie weg. Der Text könnte auch den mit Steinen arbeitenden „Bauhandwerker“ meinen. Justin berichtet, Jesus habe (Holz-)Pflüge und Joche hergestellt (Dial.88,8). Seltsam ist, daß nur die Mutter genannt wird (vgl. zu 3,32). Von Brüdern Jesu sprechen auch 3,31; Joh.2,12; 7,3.5.10; Apg. 1,14; 1.Kor.9,5; Gal. 1,19. Ein erweiterter Sprachgebrauch von „Bruder“ wie 1.Mose 13,8; 14, 14.16; 29,15 LXX ist nach griechischem Sprachgebrauch fast ausgeschlossen; vor allem hätten nicht Markus, Lukas, Paulus und Johannes unabhängig voneinander eine derart ausgefallene und mißverständliche Bezeichnung wählen können, wenn sie nur Vettern gemeint hätten. Außerdem sind hier und 3,23 Schwestern genannt. Von einer dauernden Jungfräulichkeit Marias weiß also das Neue Testament nichts. Das griechische Wort „skandalizcin“ , von dem unser Ausdruck „Skandal“ kommt, ist mit „sich stoßen“ oder „sich ärgern“ eigentlich zu schwach übersetzt; 4,17 ist es mit „zu Fall kommen“ wiedergegeben. V.4 ist auch auf einem Papyrus und Thomasev. 31 als Jesuswort überliefert: „Ein Prophet wird in seiner Vaterstadt nicht angenommen (Lk.4,24!), noch vollbringt ein Arzt Heilungen an denen, die ihn kennen.“ Sachliche Parallelen finden sich auch bei griechischen Schriftstellern. V.5a wird bei Matthäus gemildert, bei Lukas weggelassen; er widerspricht der späteren Anschauung von Jesu unbegrenzter Allmacht. Die alte Überlieferung aber weiß noch, daß echtes Wunder (vgl. zu 4,35-41) immer Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch stiftet, indem es Glauben sucht, Fragen weckt, Antworten schenkt, und daß Jesus keine bloßen Mirakel tat, bei denen es nicht zu solchem „Gespräch“ kommen konnte. Daß die Frage nach Glauben oder Unglauben der Angelpunkt ist, wird im Schlußsatz noch einmal ausdrücklich festgehalten. So wird im letzten Abschnitt des dritten Teiles das eigentliche Glaubenshindernis noch einmal sichtbar: Gottes „Unsichtbarkeit“ , d.h. seine Verborgenheit unter dem Alltäglichen. Gerade in dem hier Verworfenen bricht Gottes Macht ein. So zeigt sich schon die Blindheit der Welt, die Jesus ans Kreuz bringen wird. Seine Macht wäre ihr Heil; aber ihr Unglaube auch seine Ohnmacht. Die Alternative dazu ist das „Nachfolgen“ , das ja auch bei den Jüngern vorerst nur ein Offen© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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bleiben, Fragen (s. zu 4,41), ja Mißverstehen (s. zu 8,17-21) ist. Aber die Jünger vermeiden ein vorzeitiges, sich abschließendes Antworten, leben mit Jesus und lassen sich von ihm bewegen, oft ohne ihn zu verstehen. Sie haben gemerkt, daß die Antwort nicht so simpel ist, wie die ungläubigen Nazarener oder die „orthodoxen“ Dämonen (1,24; 3,11; 5,7) es meinen. Mit einer korrekten Feststellung „Er ist Marias Sohn“ oder selbst „Er ist Gottes Sohn“ ist sie noch nicht gegeben. So mag die Geschichte die Gemeinde auch über die Erfolglosigkeit ihrer Predigt getröstet haben.
IV. Jesu Wirken bis zu den Heiden und die Blindheit der Jünger 6,6b-8,21 Jesu Lehrtätigkeit 6,6b, vgl Mt. 9,35a 6b Und lehrend zog er umher in den Dörfern ringsum. Wie der Schlußabschnitt der Teile II-IV je von einer Verwerfung Jesu berichtet (3,1-6; 6,l-6a; 8,14-21), so entsprechen sich auch die Ubergangsabschnitte (1,14f.; 3,7-12; 6,6b) und die Anfänge (vgl. Einl. zu 6,7-13). Auch hier steht eine kurze, zusammenfassende redaktionelle Notiz über Jesu Wirken. Sie ist hier besonders knapp, weil sie im Grunde schon in V.5 eingesetzt hat. Wieder liegt das Gewicht nur auf dem „Lehren“ Jesu (s. zu 1,21), nicht auf seiner Heiltätigkeit, was für Markus typisch ist. Die Aussendung der Jünger 6,7-13, vgl. Mt.10,1-42; Lk.9,1-6; 10,1-16 7 Und er ruft die Zwölf zu sich und begann, sie auszusenden, je zwei und zwei, und gab ihnen Vollmacht über die unreinen Geister 8 und wies sie an, nichts auf den Weg mitzunehmen außer einem Stock, kein Brot, keinen Ranzen, kein Geld in den Gürtel, 9 nur Sandalen an den Füßen, „und zieht auch nicht zwei Kleider an“ . 10 Und er sagte ihnen: „Wo ihr in ein Haus einkehrt, da bleibt, bis ihr von dort weiterzieht. 11 Und wo ein Ort euch nicht aufnimmt und sie nicht auf euch hören, da zieht aus von dort und schüttelt den Staub unter euren Füßen ab, ihnen zum Zeugnis.“ 12 Und sie zogen aus und verkündeten, man solle umkehren, 13 und trieben viele Dämonen aus und salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie. Wie am Anfang von Teil II und III auf den kurzen Sammelbericht die Wahl der Jünger folgte, so hier ihre Aussendung (vgl. 1,16-20; 3,13-19). Der Zwölferkreis. Es wird bezweifelt, daß Jesus einen Zwölferkreis erwählt habe. 1.Kor. 15,5 sei von „zwölf“ die Rede, obwohl es nach Ausscheiden des Judas nur noch elf gewesen wären. Also handle es sich eher um zwölf Jünger, die © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Der Zwölferkreis
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durch die Erscheinung des Auferstandenen in der Urgemeinde besondere Bedeutung erlangt hätten. Richtig ist, daß die Zwölf meist in redaktionellen Sätzen vorkommen. Nur von Petrus und den Zebedaiden hören wir gelegentlich, die andern bleiben farblos. Das gilt aber genauso für die Zeit nach Ostern. Die Leitung der Urgemeinde durch die Zwölf (Apg.6,2) ist keineswegs gesichert, da wir nur von Petrus und Johannes Näheres hören, Gal. 2,9 eine Leitung durch Jakobus, Petrus und Johannes voraussetzt und die „Apostel“ von Gal. 1,19 eine größere Gruppe darstellen (s. unten). Auch fehlen fast alle Parallelen zu einem leitenden Zwölferkreis in jüdischen Gemeinschaften; es gibt nur zwei Belege für Caesarea; daß 1QS 8,1 f. gesamthaft 15, nicht 12 Vorsteher voraussetzt, zeigen neugefundene Texte. Der Ausdruck „die Zwölf“ in 1. Kor. 15,5 ist vermutlich einfach der feste Ausdruck für den engeren Jüngerkreis Jesu, ohne daß man im einzelnen nachzählt. Dazu kommt die stehende Wendung „Judas, einer der Zwölf“ (vgl. zu 14,10f.). Wäre der Zwölferkreis erst nach Ostern entstanden, ließe sich schwer vorstellen, daß der Verräter in die innerste Gruppe der Jünger eingefügt und dafür ein anderer Name gestrichen worden wäre. Sonst werden die Jünger im Lauf der Tradition immer mehr entschuldigt. Auch hat Paulus sich nie zu den Zwölfen gezählt (1. Kor. 15,5-8), was doch wohl mehr als nur eine zeitliche Differenz der Erscheinungen voraussetzt. Eine andere Frage ist aber, ob Jesus die Zwölf ausgesandt hat. Sie werden außerhalb der Lukasschriften nur Mk.6,30; Mt. 10,2; Offb.21,14 „Apostel“ (= „Gesandte, Missionare“ ) genannt. Johannes (13,16), Paulus (1. Kor. 15,7; Rom. 16,7; 2.Kor.8,23; Phil. 2,25) und selbst nachneutestamentliche Zeugen haben einen viel weiteren Apostelbegriff. Auch werden außer Petrus und vielleicht Johannes nur Männer außerhalb des Zwölferkreises namentlich als Missionare angeführt (l.Kor.9,5f.; Apg.8,4f.26.40; 15,39f.; vgl. l l , 1 9 f . ) . Nach Mt. 19,28 (vgl. Lk. 22,30) erblickt die Urgemeinde in den Zwölfen die kommenden Richter oder Regenten des vollendeten Israel. Vermutlich hat also Jesus die Zwölf als eine besondere innere Gruppe seiner Nachfolger berufen und darin schon den Hinweis auf die kommende Vollendung des Gottesvolkes gesehen. Gotteserscheinung und Sendung gehören schon beim alttestamentlichen Propheten zusammen; Jes. 61,1 ist damit die Evangeliumsverkündigung verbunden (vgl. noch Lk. 1,19). So ist zunächst jeder vom Auferstandenen ausgesandte Missionar „Apostel“ und erst der Anspruch des Paulus, in ausgezeichneter Weise „Apostel Jesu Christi“ zu sein, hat dazu geführt, die Zwölf mit ihm zusammen oder auch im Gegensatz zu jhm als die eigentlichen „Apostel“ zu bezeichnen. Ist dann Mk.6,7-13 bloß Rücktragung dieser späteren Sicht? V.8-10 gleichen einer Regel für Missionare, wie sie in der Gemeinde hätte aufgestellt werden können. Hatten die Zwölf zur Zeit Jesu denn mehr bei sich als das nach V.8f. Erlaubte? Und wenn so, wo sollten sie es eigentlich lassen? Dazu zeigen Einleitung und Schluß (V.7.12f.) typisch Stil und Vorstellungen des Markus, z.B. die Verkündigung der Umkehr (vgl. den späteren Titel „Apostel“ , V.30). Hingegen entspricht V. 11 nicht der Situation der Gemeinde, da der Satz nur einen einmaligen kurzen Bußruf voraussetzt, nach dessen Ablehnung das Gericht eintritt. Nun findet sich das Schema Aussendung - Regelung der Ausrüstung - Verhalten in Häusern und Ortschaften - Verbindung von Wundertaten und Predigt auch in Q, wie vor © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 6,7-13: Die Aussendung der Jünger
allem Lk. 10,3-11 zeigt (neben 9,1-6, das Mk. 6,6-13 entspricht). Stock und Sandalen sind selbstverständlich, wo es Schlangen und Wildtiere gibt; daß Mk.6,8f. sie ausdrücklich nennt, setzt schon eine Version voraus, die sie verbietet (Mt. 10,10 Q). Auch sonst hat Q altertümliche Züge bewahrt, so Lk. 10,4 das Verbot des Grüßens unterwegs (damit keine Zeit verlorengehe), 10,6 den Ausdruck „Sohn des Friedens“ und die Vorstellung vom Ruhen des Friedens auf dem Menschen bzw. vom Zurückkehren zu den Jüngern, 10,9.11 den Hinweis auf das Reich Gottes und 10,17 den Schluß, nach dem die Jünger ihre Macht über die Dämonen erst nachträglich entdecken. Auch Mk.6,8f. erscheinen in Q in einer Gestalt, die in die Situation Jesu paßt: „Erwerbet euch nicht ...“ (so die vermutlich älteste Form, Mt. 10,9.10a). Auch die eschatologische Spannung und der unerhörte Ernst Mk.6,11 (vgl. Lk. 10, 11) könnten auf Jesus selbst zurückgehen. Einzeln umlaufende Worte sind also wahrscheinlich von der Gemeinde, die Weisungen für ihre Missionare brauchte, zu einer Art Missionarsregel zusammengestellt und ergänzt worden. Falls V. 11 auf Jesus selbst zurückgeht, ist an eine Aussendung durch ihn zu denken. Sie ist nicht unwahrscheinlich, weil Jesus nie eine Sondergruppe bilden wollte, sondern die Zwölf als Zeichen seines Anspruchs auf Ganzisrael sah. 7
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Dienst für Jesus ist immer Dienst in der Gemeinde und kann nie ohne den andern getan werden. Dafür ist die Teamarbeit von mindestens je zweien ein Zeichen. Das wird auch der Praxis der Gemeinde entsprechen (1.Kor. 9,6; Apg.8,14; 15,36-39 usw., vgl. die paarweise Anordnung Mt. 10,2-4). Wieder ist die Vollmacht betont; Verkündigung ist nicht Theorieunterricht, sondern Zuspruch, in dem sich Gottesmacht ereignet und alle Gegenmacht angegriffen wird. Die Armut der Boten, die im Unterschied zu griechischen Wanderphilosophen ohne Proviant, Bettelsack, in den breiten Gürtel eingebundenes Geld und zusätzliche Schutzkleidung reisen, ist Zeichen für ein Leben wie die „Vögel“ und die „Lilien“ (Mt. 6, 25-34). Boten, die sich nach allen Seiten sichern wollen, die mehr auf ihre eigene (materielle oder geistige) Ausrüstung trauen als auf den entscheidenden Durchbruch von dem, den sie verkünden, sind unglaubhaft. Andererseits sollen sie ruhig brauchen, was sie nötig haben, und nicht schwärmerisch meinen, Askese sei als solche schon eine positive Leistung. Nicht vor dem Besitz, nur vor dem Mitschleppen des zweiten Kleides auf die Botenreise wird gewarnt, und gegen Wildtiere oder Schlangen sollen sie Stock und Sandalen gebrauchen (anders Mt. 10,10; Lk.9,3; 10,4). Auch sorgt in jeder jüdischen Stadt ein Fürsorger für Speise und Kleidung der Wanderer (Josephus, Krieg 2,125). Wie lange darf man Gastfreundschaft in Anspruch nehmen? Bis der Wirt den Gast schlägt (solange er nur seine Frau schlägt, ist es nicht so schlimm), bis man seine Sachen hinter ihm her wirft (Billerbeck zu Mt. 10,11) oder nur zwei Tage (Did. 1 l,4f.)? Hier wird gewarnt vor einem Wechsel in angenehmere Quartiere innerhalb des gleichen Ortes. V. 11 dagegen denkt an eine Verkündigung, die nur Ja oder Nein fordert und keinen Raum für längere seelsorgerliche Bemühung läßt, daher auch das Nein zur Botschaft nicht derart verharmlost, daß niemand mehr merken kann, was mit einer solchen Ablehnung geschieht. In jeder vollmächtigen Verkündigung vollzieht sich immer auch Gericht. Daher haben die Boten Jesu „eine Aufgabe, kein Ziel“ ; d.h. sie © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk.6,14-29: Das Schicksal des Täufers als Vorzeichen des Schicksals Jesu
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haben die Borschaft auszurufen und mit allem, auch mit der Art ihres Lebens, dafür einzustehen, müssen es aber Gott überlassen, was er daraus wirkt. Ein Jude schüttelt den Staub ab, wenn er aus heidnischem Gebiet ins heilige Land zurückkehrt und alles Unreine hinter sich lassen will. Diese Gebärde soll „Zeugnis“ sein für die Unbußfertigen, damit sie den Ernst ihres Tuns erkennen und vielleicht doch noch umkehren — oder gar gegen sie, nämlich im Jüngsten Gericht? Der Inhalt 12 des Rufs wird ähnlich wie l,4.14f. (s. dort) zusammengefaßt, zugleich aber auch 13 Heiltätigkeit erwähnt, ö l ist Heilmittel (Lk. 10,34), hier aber wohl äußeres Zeichen, das das Wort, mit dem die Heilung zugesprochen wird, unterstützt (Jak. 5,14). Die knappe Schilderung zeigt, wie wichtig die „Echtheit“ der Verkündigung ist. Alles, bis hin zur Armut und Anspruchslosigkeit des Boten und zum Mut, das Gericht über ein Nein sichtbar zu machen, muß mit dem Wort zusammenstimmen, das erklärt, daß Gott unendlich wichtiger ist als alles andere. Das Schicksal des Täufers als Vorzeichen des Schicksals Jesu 6,14-29; vgl ML 14,1-12; Lk. 9,7-9; 3,19-20 14 Und der König Herodes hörte es; denn sein Name war bekannt geworden, und sie sagten: „Johannes der Täufer ist von den Toten auferweckt worden und darum wirken die Kräfte in ihm.“ 15 Andere aber sagten: „Er ist Elia.“ Wieder andere sagten: „Ein Prophet wie einer von den Propheten.“ 16 Als aber Herodes es hörte, sagte er: „Den ich enthauptet habe, Johannes, der wurde auferweckt.“ 17 Er, Herodes, nämlich hatte geschickt und Johannes verhaften lassen und ihn gefesselt ins Gefängnis gelegt, wegen der Herodias, der Frau seines Bruders Philippus; er hatte sie nämlich geheiratet. 18 Denn Johannes hatte zu Herodes gesagt: „Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben.“ 19 Herodias aber trug es ihm nach und hätte ihn gern getötet, konnte es aber nicht; 20 denn Herodes fürchtete Johannes, da er wußte, daß er ein gerechter und heiliger Mann war, und schützte ihn; und wenn er ihn hörte, war er in Verlegenheit und hörte ihn doch gern. 21 Als aber ein gelegener Tag kam, da Herodes an seinem Geburtstag seinen Würdenträgern und Offizieren und den Vornehmsten Galiläas ein Essen gab 22 und die Tochter eben jener Herodias eintrat und tanzte, da gefiel sie dem Herodes und seinen Gästen. Der König aber sprach zu dem Mädchen: „Verlange von mir, was du nur willst, und ich will es dir geben.“ 23 Und er schwur ihr zu: „Was du nur verlangst, ich will es dir geben bis zur Hälfte meines Königreiches.“ 24 Und sie ging hinaus und sprach zu ihrer Mutter: „Was soll ich verlangen?“ Die aber sprach: „Das Haupt Johannes des Täufers.“ 25 Und sie ging sogleich hinein zum König, voll Eile, und verlangte: „Ich will, daß du mir sofort auf einer Schüssel das Haupt Johannes des Täufers gibst.“ 26 Und der König ward überaus betrübt, wollte sie aber wegen der Schwüre und der Tischgäste nicht abweisen. 27 Und sogleich sandte der König einen Henker aus und befahl, sein Haupt zu bringen. Und er ging weg und köpfte ihn im Gefängnis. 28 Und er brachte sein Haupt in einer Schüssel und gab es dem Mädchen, und das Mädchen gab es seiner Mutter. 29 Und als seine Jünger es hörten, kamen sie und holten seinen Leichnam und legten ihn in ein Grab. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 6,14-29: Das Schicksal des Täufers als Vorzeichen des Schicksals Jesu
Zwischen Aussendung und Rückkehr der Jünger liegt eine beträchtliche Zeit. Um den Zwischenraum zu füllen (vgl. zu 5,21-43), wählt Markus das Urteil des Herodes über Jesus (V. 16), das ihm wohl aus der Tradition zukommt. Er erweitert es durch V. 15, der ursprünglich wohl zu 8,27f. gehört, und leitet mit V. 14 ein. V. 16 erlaubt dann, den Bericht von der Hinrichtung des Täufers nachzuholen. Sie wird auch von Josephus berichtet, freilich in der östlich des Toten Meeres gelegenen Feste Machärus (Altert. 18,119). Die hier geschilderte Einladung (V.21 Ende) ist hingegen nur im herodianischen Palast in der galiläischen Hauptstadt Tiberias denkbar. Auch war nach Josephus Herodias zwar die ehemalige Frau eines Halbbruders des Herodes, der auch Herodes hieß, nicht aber des Philippus, den erst eine Tochter der Herodias heiratete. Schließlich ist ein öffentlicher Tanz einer Königstochter fast undenkbar. Die Geschichte ist in gepflegtem Griechisch geschrieben und bei Markus das einzige Beispiel für eine höchstens indirekt auf Jesus hinweisende Erzählung. Sie erinnert an das BuchEsther, vgl. 1,3 mit Mk.6,21; 5,3 mit Mk.6, 23; „König“ , für Herodes inkorrekt, steht dort 183mal, „hineingehen zum König“ (Mk.6,22.25) 1,19 und oft, „dem König gefallen“ (Mk.6,22) 2,9. Sie ist also wohl zuerst im Bereich des griechischen Judentums (in Galiläa?) erzählt worden und mehr an Herodes und seiner Tochter interessiert als an Johannes. Ursprünglich ist sie eher Weiterspinnung biblischer Berichte über heidnische Könige als biographisch, historisch oder gar evangelisch ausgerichtete Legende. Möglicherweise haben schon Johannesjünger (V.29), die ihren Meister im Licht des wiederkommenden Elia sahen (s. zu 1,6), sie aufgenommen, bevor sie Markus in einen neuen Zusammenhang stellte und damit dem Hinweis auf Jesu Schicksal dienstbar machte. 14
Herodes Antipas regierte von 4 v.Chr. bis 39 n.Chr. als „Vierfürst“ über Galiläa und Peräa (östlich des Jordans); das Volk mag ihn König genannt haben. 14.15 Erst V. 16 spricht von seiner Meinung, V. 14b. 15 allgemein von der der Leute. Markus interessiert also nicht das schlechte Gewissen des Herodes, sondern die Christusfrage. 8,28 wird damit vorbereitet. Eine Auferstehung des Johannes wird für möglich gehalten, ohne daß er deswegen schon als Messias verehrt würde. Dabei ist vorausgesetzt, daß Jesus erst nach dem Tod des Täufers zu wirken begann (s. zu 1,14) und seine Taufe durch Johannes unbekannt ist. Andere raten auf Elia, der also noch nicht mit Johannes identifiziert wird wie 9,13.(vgl. zu 1,1-8 Einl.). Vom kommenden Propheten spricht 5.Mose l8,15; vgl. l.Makk.4,46; 14,41; 16 Joh. 1,21. Herodes interpretiert im Sinne seines schlechten Gewissens, ob er nun gleich versteht wie V. 14 oder nur sagen will: Johannes ist nicht zu töten; sein Bußruf kommt einfach wieder durch einen andern; Markus wird es im ersten Sinn verstehen. Was an Jesus allgemein auffällt, sind seine Machttaten. Strittig ist nur die Deutung. Ist es ein psychologisch zu erklärendes Phänomen (3,21), böswillige Täuschung (3,22) oder darf man es mit bisher bekannten religiösen Erscheinungen erklären (6,14f.)? Nur daß hier Gott in einzigartiger Weise begegne, wird nicht erwogen. 17 Nach Lk.3,20 wurde Johannes schon vor der Taufe Jesu eingekerkert. Markus wies 1,14 darauf hin. Die Geschichte von seiner Verhaftung und Hinrichtung fügt © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk.6,30f.: Die Rückkehr der Jünger
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er nicht dort, sondern erst hier ein, weil er in diesem Teil die wachsende Blindheit der Welt gegen Gottes Offenbarung darstellen will. Herodias ist Enkelin des großen Herodes, also Nichte des Antipas, und darum nach 3.Mosel8,16; 20,21 (vgl. 5.Mose 25,5f.) nicht ehefähig. Außerdem hat Antipas seine Frau verstoßen und Herodias seinem Halbbruder Herodes abspenstig gemacht. Die unrichtige Angabe „Philippus“ wird Lk.3,19 später auch von Abschreibern Mt. 14,3 und hier weggelassen. Herodias gleicht Isebel (l.Kön. 19,2), Herodes dem Ahab (l.Kön.21,4ff.). Er handelt nicht in Verblendung, die Recht und Unrecht gar nicht mehr erkennt; er steht unter dem unheimlichen Druck der Konsequenzen aus einer ersten Fehlentscheidung. Die Lesart „er war in großer Verlegenheit“ , nämlich dem prophetischen Wort des Täufers gegenüber, ist nicht sicher; andere Texte lesen etwas wie „er tat es oft“ . So weit geht Herodias, daß sie selbst die Ehre ihrer Tochter hingibt, um ihr Ziel zu erreichen. Das Versprechen des Herodes ist nach Esth.5,3; 7,2 formuliert; dabei kann der kleine Fürst von Roms Gnaden keine Handbreit seines Gebiets verschenken. Durch das Gespräch mit der Mutter wird die Spannung erhöht. Die Hinrichtung wird ohne Märtyrerglanz erzählt; nicht die Vorbildlichkeit des Johannes ist das Thema, sondern der Widerstand der Welt gegen Gott. Wundersucht und Gesetzlichkeit, Ehebruch und schlechtes Gewissen, Ränkesucht und Schwäche widersetzen sich ihm. Die Präsentation des Hauptes ist bewußt grausig geschildert, und nur die Pietät der Jünger bringt einen kleinen Lichtschein am Ende.
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So dient hier ein nach alttestamentlichen Vorbildern ausgeschmückter Bericht vom Ende des Täufers dazu, Widerstand und Blindheit der Welt zu illustrieren, wobei Ohnmacht und Erfolglosigkeit des Gottespropheten und seiner paar Jünger nicht verheimlicht werden. Gerade so bereitet die Geschichte auf 8,31.34 vor. Die Rückkehr der Jünger 6,30 f., vgl, Lk.9, 10 a; 10,17-20 30 Und die Apostel versammelten sich bei Jesus und berichteten ihm alles, was sie getan und was sie gelehrt hatten. 31 Und er sagt zu ihnen: „Kommt her, ihr für euch allein, an einen einsamen Ort und ruht etwas aus.“ Denn es waren viele, die kamen und gingen, und sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen. Die redaktionelle Überleitung, deutlich im Stil des Markus, beweist, daß er nichts mehr über Erfolg oder Mißerfolg dieser Sendung weiß. Auch darüber, was Jesus in der Zwischenzeit getan hat, ist nichts gesagt. Wie 4,34; 9,2.28; 13,3, wo im Griechischen der gleiche Ausdruck steht, will Jesus mit den Jüngern allein sein. Damit ist betont, daß Gott alles tut, um die Menschen zu erreichen. Die alle Vorstellungen übersteigende Wirkung der in Jesu Taten sichtbaren Macht Gottes (V.31b) bildet den Übergang zur folgenden Geschichte, die den einsamen Ort wie die große Menge schon in der Tradition voraussetzt. Nur hier werden die Zwölf (6,7, s. dort) Apostel, „Ausgesandte“ genannt; es 30 ist noch Bezeichnung ihrer Tätigkeit, nicht fester Titel. Ihre Taten stehen voran, von ihren Lehren ist nur an zweiter Stelle und einzig hier die Rede (s. zu 1,23-26 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 6,32-44: Die Vollmacht Jesu, Fünftausend zu speisen
31 Einl.). Markus braucht eine Begründung für V.32b und spricht daher vom Ausruhen; wahrscheinlich ist die Einsamkeit und das Zur-Ruhe-Kommen von aller Betriebsamkeit gemeint, von dem 1,35 sprach. Der große Zudrang ist wie 3,20 geschildert. Die Vollmacht Jesu, Fünftausend zu speisen 6,32-44, vgl. Mt. 14,13-21; Lk.9,10-17 32 Und sie fuhren im Boot weg an einen einsamen Ort, für sich allein. 33 Und sie sahen sie wegfahren, und viele merkten es, und aus allen Städten liefen sie zu Fuß dorthin zusammen und kamen ihnen zuvor. 34 Und als er ausstieg, sah er eine große Menge, und das Erbarmen mit ihnen überkam ihn, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten hatten, und er begann, sie vieles zu lehren. 35 Und als es schon spät geworden war, kamen seine Jünger zu ihm und sagten: „Einsam ist die Gegend und die Stunde schon spät; 36 entlasse sie, daß sie in die umliegenden Gehöfte und Dörfer weggehen und sich zu essen kaufen.“ 37 Er aber antwortete und sprach zu ihnen: „Gebt ihr ihnen zu essen.“ Und sie sagen zu ihm: „Sollen wir weggehen und Brote für zweihundert Denare kaufen und ihnen zu essen geben?“ 38 Er aber sagt zu ihnen: „Wieviel Brote habt ihr? Geht hin, seht nach!“ Und da sie es erkundet hatten, sagen sie: „Fünf, und zwei Fische.“ 39 Und er gebot ihnen, daß sich alle lagern sollten, Tischgemeinschaft für Tischgemeinschaft, auf dem grünen Rasen. 40 Und sie lagerten sich, Gruppe für Gruppe, immer je hundert und je fünfzig. 41 Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische, schaute zum Himmel auf, sprach den Segen und brach die Brote und gab sie den Jüngern, daß sie es ihnen vorlegten, und die zwei Fische teilte er allen zu. 42 Und sie aßen alle und wurden satt. 43 Und sie hoben Brocken auf, zwölf Körbe voll, und auch von den Fischen. 44 Und es waren fünftausend Mann, die die Brote gegessen hatten. 8,1ff. wird eine ähnliche Geschichte erzählt; außerdem wird die Speisung der Fünftausend Joh.6 in einer von Markus wohl unabhängigen Form berichtet. Auch dort folgen sich Überfahrt ans Ostufer, Speisung der Fünftausend, Rückzug Jesu, Rückfahrt, Seewandel, Zeichenforderung (Mk.8,11-13, vgl. 6,53-56), Mißverständnis der Bildrede Jesu vom Brot (Mk.8,14-21, vgl. 6,52) und Petrusbekenntnis (Mk. 8,27-30). Ein gewisser Erzählungszusammenhang hat sich also schon vor Markus gebildet. Wahrscheinlich ist die gleiche Geschichte mit verschiedenen Einzelheiten weitererzählt worden, so daß die einen von vier-, die andern von fünftausend berichteten (s. zu 8,1-10). Markus sieht darin zwei verschiedene Ereignisse und füllt den Zwischenraum in Kap. 7 mit anderem Stoff. Er ordnet sie hier ein, weil sie vielleicht schon in der Tradition auf das Petrusbekenntnis hinführten und die Blindheit der Menschen für Gottes Botschaft, selbst angesichts der erstaunlichsten Wundertaten Jesu, augenfällig demonstrieren (6,52; 8,17-21). Als Kontrast dazu erscheint in Kap. 7 der Glaube der Heidin, der sich wiederum von der Blindheit eines gesetzlichen Judentums, ja selbst der Jünger (7, 18) abhebt. Den Ursprung der Geschichte wollte man in verschiedenen Ereignissen sehen: in einem messianischen Sakrament, durch das Jesus seine Anhänger für das kommende Reich geweiht hätte, so daß nur die Nachricht von der Sättigung unrichtig © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 6,32-44: Die Vollmacht Jesu, Fünftausend zu speisen
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wäre; in einer revolutionären Zusammenrottung in der Wüste, die Jesus zum politischen Führer wählen wollte, und der er sich entzog; in einem friedlichen Zusammensein, bei dem der Mangel an Nahrung durch Jesu Aufforderung zu teilen überwunden wurde. Doch ist der Charakter einer Wundergeschichte so eindeutig, daß sie zweifellos von Anfang an als solche erzählt wurde. Es gibt so viele Parallelen dazu (l. Kön.l7,8ff.; 2.Kön.4,1ff.42ff., im Juden- und Griechentum und in aller Welt), daß es sich um eine auf Jesus übertragene Wanderlegende handeln wird. Die entscheidende Frage ist aber, was denn bei Jesus so Eindrückliches geschah, daß eine solche auf ihn übertragen und dabei auch typisch neugestaltet wurde. Darauf ist bei der Auslegung zu achten. Sicher wurde die Geschichte im Lauf der Überlieferung als Hinweis auf das Abendmahl verstanden. Vielleicht hat V.41 (s. dort) ursprünglich nur gelautet: „Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische und teilte sie allen zu.“ Doch müßte, da V.41 weder mit 8,6 noch mit 14,22 genau übereinstimmt, die Angleichung an das Abendmahl schon vor Markus erfolgt sein; denn daß Markus umgekehrt die Fische zugefügt hätte, um einen früheren Bezug auf das Abendmahl zu verschleiern, ist sehr unwahrscheinlich (vgl. Joh.21,9; Lk.24,42). Markinische Ausgestaltung zeigt sich in V.32L, wo der Wunsch Jesu nach Alleinsein mit den Jüngern mit dem mächtigen Zulauf des Volkes kontrastiert, und in der Schlußwendung von V. 34. Nach Lk. 9,10 fand die Speisung in Bethsaida statt, das im Norden des Sees, östlich der Jordaneinmündung liegt. Nach Mk.6,45 (und 8,22!) liegt es aber auf dem jenseitigen Ufer, was vermutlich der Überlieferung entspricht. Wahrscheinlich denkt sich also Markus die Speisung irgendwo auf dem Westufer, so daß Jesus nur ein Stück weit dem Ufer entlang fährt und die Volksmenge ihn gut überholen kann. Joh.6,1.17 lokalisiert die Speisung auf dem Ostufer, denn die nachherige Seeüberquerung führt nach Kapernaum auf dem Westufer zurück. Jesu Erbarmen (sonst nur noch 9,22 in der Tradition) bezog sich, wie 8,2 zeigt, ursprünglich auf den leiblichen Hunger. Markus aber unterstreicht, daß es um etwas ganz anderes geht, nämlich um Jesu Lehre, in der sich Gott offenbart. Das ist es, was die Menschen brauchen. Das Bild von den Schafen findet sich 4.Mose27,17f. (wo LXX von „Jesus“ = Josua spricht); Ez.34,5; vgl. l.Kön.22,17; Sach.13,7. In anderem Sinn wird es Mt. 9,36 (auf die Verkündigung bezogen, dafür 14,14 weggelassen) und Mk. 14,27 verwendet. Die Aufforderung an die Jünger soll ihr Unverständnis sichtbar machen (vgl. 4.Mose 11,22). Wie Glaube nur im Vollzug wird, so manifestiert sich ihr Nichtverstehen in der konkreten Aufgabe. Ihre Gegenfrage soll nur die Unmöglichkeit des Vorschlags Jesu zeigen; so viel Geld besitzen sie bei weitem nicht. Die Brote sind tellergroße, daumendicke Kuchen aus Weizen oder der billigeren Gerste (Joh.6,9), die beim Essen gebrochen werden. Das Herrenwort beendet die Diskussion. Ob das „grüne Gras“ die Hoffnung der Apokalyptiker verrät, daß sich in der Endzeit die Wüste zum fruchtbaren Lande wandelt, bleibt fraglich; vielleicht erinnert aber die gruppenweise Lagerung an die Heeresordnung Israels in der Wüste. Die Austeilung ist wohl bewußt ans Herrenmahl angeglichen; darum wird die der Fische nur hinten angehängt. Der gewöhnliche jüdische Segen lautet: „Gepriesen seist du, Herr, unser Gott, König der Welt, der du Brot aus der © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 6, 45-52: Die Vollmacht Jesu im Seewandel
Erde wachsen lässest.“ Die Zeitform „er gab›› setzt voraus, daß Jesus den Jüngern immer wieder neues Brot reichte; daß sie es weitergeben, ist bei der großen Menge selbstverständlich und weist kaum auf den späteren Dienst von Diakonen beim Abendmahl hin oder gar symbolisch auf die Apostel, die das Evangelium allen 42.43 Völkern verkünden. Unterstrichen wird die Fülle der Gabe (vgl. auch 2.Kön.4,44); 44 der Eindruck steigert sich bis zu der erst ganz am Schluß genannten Zahl. Ob man „Mann“ nach Mt. 14,21 ohne Frauen und Kinder verstehen soll, ist nicht sicher. Der Ausdruck könnte abgeschliffen „Menschen“ bedeuten oder in Erinnerung an den Heerbann Israels gewählt sein. Sicher handelt es sich, auch schon in der Tradition, nicht um ein messianisches Festmahl. Es ist ein eher ärmliches Mahl ohne Wein, wie es dem Alltag entspricht (anders Mk.l4,22f.; lQSa.2,17-22; vgl. lQS6,4f.). Nirgends ist auf eine sakramentale Gabe oder neue Gemeinschaft mit Gott hingewiesen. Jesus ist der, der für die leiblichen Bedürfnisse des Volkes sorgt. Einige Einzelheiten könnten andeuten, daß die vor Markus liegende Tradition Jesus als den endzeitlichen Erlöser Israels schilderte, in dem die Heilszeit des Auszugs aus Ägypten ihre eschatologische Vollendung findet (vgl. Joh.6,31). Bleibt das unsicher, so ist er doch als der geschildert, der selbst Elisa übertifft und damit der Heilbringer der Endzeit ist. Vermutlich ist die Tradition auch für die Angleichung an die Abendmahlsliturgie verantwortlich. Später erscheinen Brot und Fisch öfters als Symbole des Abendmahls auf bildlichen Darstellungen. Markus kommt 6,52 und 8,19 auf diese Geschichte zurück und erblickt darin die unbegreifliche Blindheit der Jünger. Von da aus wird die redaktionelle Änderung in V.34 klar: Markus sieht im Wunder (s. zu 1,21-28) die Manifestation der Vollmacht Jesu, die in seinem Lehren die Menschen zu Gott zurückführen will. So ist das Brot, wohl auch das Abendmahlsbrot, Bild für die Gottesgabe der Offenbarung in Jesu Lehre. Wie in 4,35.41 ist es ein Schöpfungswunder, das den Glauben der Menschen sucht (4,40; vgl. 5,32-34 usw.). Anders als bisher aber wird darin auch das Unverständnis der Jünger sichtbar. So steigert sich die Darstellung der Blindheit der Welt und damit auch der Last und Not, die Gott auf sich nehmen muß, um sich dieser Welt zu offenbaren. Beides wird 8,27-33 seinen Höhepunkt erreichen. Das wird auch durch die Erzählungsform bestätigt, weil hier anders als bei sonstigen Wundergeschichten (und Joh.6,14f.) das Erstaunen der Menge und die Bestätigung des Wunders durch die Zuschauer fehlt. Die Geschichte will also von diesem einen Wunderzeichen (und dem Für-wahr-Halten oder Anzweifeln dieser Geschichte) wegweisen auf Gabe und Autorität Jesu überhaupt. Die Vollmacht Jesu im Seewandel 6,45-52, vgl Mt. 14,22-33 45 Und sogleich nötigte er seine Jünger, ins Boot zu steigen und ans jenseitige Ufer nach Bethsaida voranzufahren, während er selbst das Volk entließe. 46 Und nachdem er sie verabschiedet hatte, ging er weg auf einen Berg, um zu beten. 47 Und als es Abend geworden war, war das Boot mitten auf dem See, und er allein am Land. 48 Und da er sah, wie sie sich mit Rudern abquälten - denn der Wind stand ihnen entgegen -, kommt er um die vierte Nachtwache © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 6,45-52: Die Vollmacht Jesu im Seewandel
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zu ihnen, auf dem See wandelnd, und wollte an ihnen vorbeigehen. 49 Als sie ihn aber auf dem See wandeln sahen, meinten sie, es sei ein Gespenst und schrien auf; 50 denn alle sahen ihn und gerieten in Schrecken. Er aber redet sie sogleich an und sagt zu ihnen: „Seid getrost, ich bin es, fürchtet euch nicht.“ 51 Und er stieg zu ihnen ins Boot, und der Wind legte sich. Und sie gerieten ganz außer sich; 52 denn sie waren über den Broten nicht zum Verständnis gekommen, sondern ihr Herz war verstockt. Zur vormarkinischen Tradition vgl. Einleitung zu 6,32-44. Griechische Schriftsteller sagen von Übermenschen und Dämonen aus, sie könnten über das Meer wandeln. Hi. 9,8 (vgl. 38,16) wird das Gott zugeschrieben (ähnlich Sir.24,5f. der Weisheit). Man hat vermutet, unsere Geschichte habe ursprünglich die Erscheinung des Auferstandenen beschrieben (vgl. Joh.21, 1-14). Sicher mischen sich darin zwei verschiedene Motive. Daß Jesus am Boot vorbeigehen will, zeigt, daß er nicht zur Sturmstillung gekommen ist; sie wird denn auch nur nachträglich am Ende von V.51 angefügt. Auch Joh.6,18 (vgl. 6,22-24, wo nur die Überquerung des Sees durch Jesus bewiesen wird) mag von einer Erzählung wie 4,35-41 her eingedrungen sein. Das wird auch zu den Ergänzungen Mk.6,48a geführt haben. Die eigentliche Geschichte berichtet vom Zurückbleiben Jesu, von Jesu Vorbeiwandeln in der Nacht, vom Schrecken der Jünger, die nur ein Gespenst zu sehen meinen, von Jesu Eintritt ins Boot und seinem Zuspruch. Das könnte einmal eine Schilderung der Erscheinung des Auferstandenen gewesen sein; wahrscheinlicher ist, daß die Macht des Irdischen von Anfang an im Lichte der Ostererfahrungen dargestellt wurde (vgl. Exkurs zu 4,35-41). Was der Abschnitt für Markus bedeutet, wird V.52 sichtbar. Das Motiv der Blindheit der Jünger wie die Formulierung vom verstockten Herzen (vgl. 3,5 a; 8,17b) weist auf seine Redaktion. Die geographischen Vorstellungen sind verwirrt (vgl. zu V.32f.). Trotz der Zielangabe Bethsaida landen sie erst 8,22 dort; nach V.53 steigen sie südlich von Kapernaum aus. Warum sich Jesus von den Jüngern trennt, ist nicht deutlich; Markus begründet es wie 1,35 mit einsamem Gebet (anders Joh.6,15). Damit will er die Quelle der Vollmacht Jesu sichtbar machen. Daß die Jünger „mitten“ im See sind, soll ihre Einsamkeit und ihr Ausgeliefertsein an den Sturm darstellen. Daß sie vom Abend bis drei Uhr morgens nicht weiter kommen, während man sonst den See auch bei schlechten Verhältnissen in 6 bis 8 Stunden überquert, unterstreicht dies. Daß Jesus an ihnen vorbeigeht, wird von Markus wohl als Glaubensprüfung verstanden, in der sie denn auch gleich versagen. Man kann Jesus sehen und doch nicht sehen (4,12!), so daß es nur zu angstvollem Schreien kommt. Denn erst, wenn es zum Verstehen des Wortes, zur Gesprächsgemeinschaft mit Gott kommt, wird das Sehen des Mirakels zum Schauen des Wunders. Die Stillung des Sturms ist Bild für den Frieden, in den Jesus entläßt (5,34), wenn er in das Leben eines Menschen tritt. Das Außer-sich-Geraten über den Einbruch Gottes, der die gewohnten Maßstäbe zerbricht, ist das Zeichen dafür, wie wenig der Mensch konkret mit der Wirklichkeit Gottes rechnet (s. zu 4,41). Eben dies bezeichnet Markus als das verstockte Herz. Damit stellt er die Jünger neben die Pharisäer von 3,5! © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 6, 53-56: Das Rennen nach Wundern
So sucht auch diese Geschichte wieder Glauben; jetzt so, daß das Wunder der Erniedrigung Gottes angesichts der unfaßbaren Blindheit der Menschen ins Licht gerückt wird. Die Parallele zur Speisungsgeschichte ist daher am Schluß nochmals betont. Das Rennen nach Wundern 6,53-56, vgl. Mt. 14,34-36 53 Und als sie hinübergefahren waren ans Land, kamen sie nach Gennesaret und landeten. 54 Und da sie aus dem Boot stiegen, erkannten sie sie sogleich 55 und liefen in der ganzen Gegend umher und begannen, auf Tragbahren die Kranken umherzutragen dorthin, wo sie hörten, daß er sei. 56 Und wo immer er in die Dörfer oder Städte oder Gehöfte hineinging, legten sie die Kranken auf die freien Plätze und baten ihn, daß sie auch nur die Quaste seines Gewandes anrühren dürften, und alle, die ihn berührten, wurden geheilt. Der Abschnitt dürfte redaktionelle Arbeit des Markus sein (vgl. 1,32-34; 3,7-12; 6,33). Als Vorbild mögen Schilderungen gedient haben wie 2,3f. oder 5,28, wo die Parallelen Mt. 9, 20; Lk.8,44 von der „Quaste“ (s. zu Mt.23,5) sprechen. Vielleicht ersetzt er einen Abschnitt wie 8,11-14. Jedenfalls ist nicht das Heilen Jesu betont, obgleich selbst 3,10 und 5,28 (s. dort) noch übertroffen werden, sondern der Zulauf des Volkes, der die ungeheure Wirkung Jesu zeigt, aber auch die Blindheit derer, die nur das Mirakel suchen. Die Frage nach dem Gesetz 7,1-23, vgl. Mt. 15,1-20 1 Und es versammeln sich bei ihm die Pharisäer und einige von den Schriftgelehrten, die von Jerusalem kamen. 2 Und als sie einige von seinen Jüngern sahen, daß sie mit gemeinen, d.h. ungewaschenen, Händen Brot essen - 3 denn die Pharisäer und alle Juden essen nicht, ohne sich mit einer Handvoll Wasser die Hände gewaschen zu haben, indem sie an der Überlieferung der Alten festhalten, 4 und vom Markte kommend essen sie nicht, ohne sich abgespült zu haben, und noch viel anderes gibt es, das sie zu halten übernommen haben, Waschungen von Bechern und Krügen und Kupfergefäßen - 5 und die Pharisäer und Schriftgelehrten fragen ihn: „Weshalb wandeln deine Jünger nicht nach der Überlieferung der Alten, sondern essen mit gemeinen Händen das Brot?“ 6 Er aber sprach zu ihnen: „Trefflich hat Jesajas über euch Heuchler geweissagt, wie geschrieben steht: ,Dies Volk ehrt mich mit den Lippen, ihr Herz aber ist weit weg von mir; 7 vergebens verehren sie mich, da sie Menschengebote als Lehren vortragen 1 . 8 Ihr laßt Gottes Gebot fahren und haltet euch an die Überlieferung der Menschen.“ 9 Und er sagte zu ihnen: „Trefflich setzt ihr Gottes Gebot außer Kraft, um eure Überlieferung zu halten. 10 Denn Mose sprach: ,Ehre deinen Vater und deine Mutter' und: ,Wer Vater oder Mutter schmäht, soll des Todes sterben'. 11 Ihr aber sagt: Wenn ein Mensch zu Vater oder Mutter spricht: Korban, d.h. Opfergabe sei, was du von mir zugut hättest, 12 dann laßt ihr ihn nichts mehr tun für Vater oder Mutter, 13 indem ihr Gottes Wort durch eure Überlieferung, die ihr tradiert habt, ungültig macht; und viel solch ähnliche Dinge tut ihr.“ 14 Und indem er wiederum die Volksmenge herbeirief, sagte er zu ihnen: „Höret alle auf mich und versteht! © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 7,1-23: Die Frage nach dem Gesetz
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15 Nichts gibt es außerhalb des Menschen, das ihn gemein machen könnte, wenn es in ihn eingeht; sondern das, was aus dem Menschen herauskommt, das ist es, was den Menschen gemein macht.“ 17 Und als er von der Menge weg ins Haus hineingegangen war, fragten ihn seine Jünger nach dem Gleichnis. 18 Und er sagt zu ihnen: „Derart verständnislos seid auch ihr? Merkt ihr nicht, daß alles, was von außen in den Menschen hineinkommt, ihn nicht gemein machen kann, 19 weil es nicht in sein Herz eingeht, sondern in den Bauch und in den Abort hinausgehtf, der alle Speisen reinigt]?“ 20 Er sagte aber: „Was aus dem Menschen herauskommt, das macht den Menschen gemein; 21 denn von innen aus dem Herzen der Menschen heraus kommen die bösen Gedanken; Taten der Hurerei, des Diebstahls, des Mordes, 22 des Ehebruchs, der Habgier, der Bosheit, List, Ausschweifung, böses Auge, Lästerung, Überheblichkeit, Unvernunft, 23 all diese bösen Dinge kommen von innen heraus und machen den Menschen gemein.“ V.6 f.: Jes.29, 13. V. 10: 2.Mose 20, 12; 2 1 , 1 7 ; 5. Mose S, 16.
V.3f. unterbrechen den Satz V.2, der in V.5 weiterläuft. Sie sind ebenso antipharisäisch wie das Beispiel V.6-13. Der Jesajasatz V.6f. paßt nicht recht, da es sich ja nicht um „Lippenbekenntnisse“ handelt; doch soll einfach das Gesetz später hinzugekommenen Menschensatzungen (wie sie V.9-13 an einem möglichst extremen Fall, dessen Unsinnigkeit jedem einleuchtet, dargestellt sind) entgegengestellt werden (V. 8). Das steht allerdings nur im griechischen Text von Jes.29,13. So finden wir hier die Haltung eines liberalen (hellenistischen) Judentums, das zwar das Gesetz, nicht aber die ganze pharisäische, im Ausland weithin undurchführbare Praxis beibehalten will. Aus diesen Kreisen hat die Gemeinde wohl dieses Argument aufgenommen, vermutlich zu einer Zeit, wo die Grenze zwischen ihr und der jüdischen Gemeinde noch fließend war. Es ist auch sonst polemisch verwertet worden, z.B. auf einem Papyrus, wo Jesus es Menschen gegenüber braucht, die ihn „Meister“ nennen, ohne an ihn zu glauben, was übrigens einem „Lippenbekenntnis“ noch näher kommt als die Pharisäerfrage hier (vgl. noch Kol.2,22). Daß V.9-13 erst später angehängt wurden, zeigt sich daran, daß 1. von „eurer Überlieferung“ gesprochen wird (V. 9.13) statt von der „der Alten“ oder „der Menschen“ (V.5.8) und daß 2. „trefflich“ an V.6 anknüpft, aber nicht mehr ernst, sondern ironisch gemeint ist. Daß dahinter auch ein ernsthaftes Problem stecken kann - für die Pharisäer ging es ja nur darum, daß der Gehorsam gegen Gott noch wichtiger sein sollte als die Liebe selbst zu Vater und Mutter, was im Grundsatz Mt. 10,37; Lk. 14,26 entspricht -, ist nicht mehr gesehen. Jesus selbst hat allerdings nicht so gesprochen. Sein Kampf geht viel tiefer. 2,23ff.; 3,1ff.; erst recht Mt.5,21ff.; Lk. 18,9-14 richtet er sich nicht gegen seltsame Auswüchse, sondern gegen ein gesetzliches Verständnis der zentralen Gebote, ja gegen die Haltung der auf Ruhm vor Gott bedachten Gesetzlichkeit überhaupt. So sagt es V. 15, der auch zu Jesu Mahlzeiten mit den Zöllnern paßt. Freilich bezog sich Jesus nicht auf die erst später (Gal. 2,12!) auftauchende Speisenfrage (V. 19 Ende), sondern meinte den Satz viel allgemeiner. Die Gemeinde hat ihn dann durch V. lf.5 ins Leben Jesu eingeordnet und ihn zunächst durch die sehr rationalistische Erklärung V. 18 b. 19 ausgelegt, dann durch V. 20-23, wozu sie einen der geläufigen Lasterkataloge (s. zu © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
3.4 6-13
9-13
19 20-23
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Mk. 7,1-23: Die Frage nach dem Gesetz
V.21) verwendete. Für Markus selbst bildet, wie die sachlich und sprachlich deut17.18 lich markinischen Verse 17. 18a zeigen, das Unverständnis der Jünger die eigentliche Pointe. So mußte er damit und mit der Zurechtweisung Jesu die Auseinandersetzung schließen, konnte also das Beispiel V.9-13 nur vorne einschieben. Ihm ist also das Unsinnige jüdischer Gesetzlichkeit und deren jedem einleuchtende Überwindung durch Jesus wichtig. Das ist die Situation der nachpaulinischen Zeit. Den eigentlichen Kampf um die Problematik der Gesetzlichkeit mußte Jesus, nach Ostern dann vor allem Paulus in ganz anderer Weise durchfechten. Sie mußten die Frage ernst nehmen und die tiefste Wurzel der Gesetzlichkeit, nämlich das Bestehenwollen des Menschen vor Gott aufdecken (vgl. Exkurs zu 3,1-6). Diese Zeit ist vergangen und einer rationalistischeren Betrachtung gewichen. In der Gemeinde des Markus ist das Gesetz keine Versuchung mehr, sondern erscheint als überholte, der aufgeklärten Vernunft widersprechende Angelegenheit. Ähnlich begründet Jesus auch nach einem Papyrus die Nutzlosigkeit der Waschungen damit, daß Wasser, in dem sich Hunde und Schweine wälzen, doch nicht reinigen könne, und daß auch Dirnen sich wüschen und salbten, ohne innerlich rein zu sein. Dennoch geht es Markus nicht einfach um rationalistische Aufklärung. Denn alles dient ja nur dazu, die unbegreifliche Blindheit selbst der Jünger Jesu aufzudecken (V. 17.18a): So verstockt ist der Mensch gegenüber der Offenbarung Gottes, so schwer der Weg Jesu. Von da aus wird die Einordnung in den Gesamtaufbau des Evangeliums klar (vgl. Einleitung zu 6,32-44). Die geschilderte Gesetzlichkeit und vor allem die Blindheit der Jünger dient der sich steigernden Schilderung der Ablehnung Jesu durch die Welt, auf die 8,31 dann die Antwort geben wird. Zugleich ist sie der Gegensatz zu dem hier zum erstenmal aufleuchtenden Beispiel des Glaubens einer Heidin 7,24-30. 1
2.5
3
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5 6
Rabbinen üben eine gewisse Inspektion über Galiläa aus; aber Markus nennt Jerusalem nur als Zentrum des Widerstandes gegen Jesus (s. zu 3,22), während Galiläa die freiere kommende Gemeinde der Heiden abbildet (s. zu 15,40). Das Verhalten der Gemeinde, nicht Jesu selbst steht zur Diskussion. „Gemein›› bedeutet profan, nichtheilig, für Gott nicht geeignet. Diese Scheidung zwischen einer religiösen, göttlichen und einer alltäglichen, Gott nicht zugehörigen Sphäre des Lebens wird von Jesus grundsätzlich durchbrochen. Der im Griechischen stehende Ausdruck „mit einer Faust“ ist sinnlos; im Lateinischen bedeutet das fast gleich tönende Wort aber „mit einer Handvoll››. Das entspricht tatsächlich rabbinischem Brauch. Die „Überlieferung der Alten“ ist die jüdische Gebotsauslegung. Beim Kommen vom Markt ist die Gefahr der Unreinheit wegen der Berührung mit andern größer. Die „Waschungen›› sind mit dem gleichen Wort bezeichnet, das auch „Taufen“ heißt. Die Aufzählung zeigt den Spott des NichtJuden über solche sinnlosen Gebräuche. Die Frage von V.2 wird grundsätzlich ausgedehnt; es geht nicht nur um dieses eine Beispiel, sondern um die gesetzesfreie Haltung der Gemeinde Jesu überhaupt. Freilich wird die Frage entschärft, indem nicht das Gesetz, sondern seine Auslegung zur Diskussion gestellt wird. „Heuchelei“ wird schon Ps.Sal.4,6 von den Pharisäern ihren Gegnern vorgeworfen (vgl. Mt.6,2.5.16; 23,13-29 usw.). Der Vorwurf ist nicht persönlich-individuell, sondern grundsätzlich gemeint (vgl. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 7,1-23: Die Frage nach dem Gesetz
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zu Mt. 6,2). Gesetzlichkeit ist Schein-heiligkeit. Alle Frömmigkeit, die auf Meßbarkeit aus ist, ob das eigene Gewissen, die Menschen oder Gott das Forum bilden, bleibt auf das „Scheinen“ angelegt, weil nur äußerlich Sichtbares gemessen werden kann, nie das „Herz“ . Dennoch ist damit noch nicht das Letzte gesagt. Paulus stand, anders als Markus, in einem radikalen Gesetzesgehorsam und kann darum dessen Überwindung durch eine nicht mehr rechnende, jedoch nicht weniger fordernde Ethik tiefgründiger durchdenken (vgl. etwa Gal.5). Auch das folgende Zitat nimmt nur die einleuchtende prophetische Kritik an einer äußerlichen Frömmigkeit auf, ohne wie Paulus die Gefahr aufzuzeigen, daß sich der Mensch damit vor Gott behaupten möchte, statt arm zu werden vor ihm. V.8 wird V.9-13 illustriert. „Korban“ sprach man, wenn man einen Gegenstand Gott weihen, d.h. dem gewöhnlichen Gebrauch entziehen wollte, ohne ihn aber geradezu dem Tempelschatz abzuliefern. Es ist ein abschreckendes Beispiel, mit dem die Gesetzesfrage natürlich nicht erledigt ist, schon weil mindestens spätere jüdische Lehrer in diesem Fall durchaus auf Jesu Seite stehen. Wesentlich ist dabei aber die unbedingte Ausrichtung auf den Menschen, in der Jesu Haltung (3,4) noch nachwirkt. Mit einer häufigen redaktionellen Wendung leitet Markus wieder zu V. 15 zurück und unterstreicht damit dessen Bedeutung über die spezielle Polemik hinaus. Der Aufruf zum Hören betont wie 4,3.23 f. den Bildcharakter des Wortes, das man eben nur mit „hörenden Ohren“ verstehen kann. V. 15 findet sich, leicht vereinfacht, auch Thomasev. 14. Mit der Aussage, daß die „Dinge“ der Welt nie unrein sind, sondern erst durch das Herz des Menschen dazu werden, hat die Gemeinde Jesu den Glauben an das Gutsein der Schöpfung gegenüber einer Gottes Schöpfung verdächtigenden Askese festgehalten. In keiner Weise ist also behauptet, das Innere sei wertvoller als das Äußere; gerade das „Herz“ kann böse sein (V.21). In der Frage der Tischgemeinschaft zwischen Juden und Heiden haben diese Überlegungen eine große Rolle gespielt (Apg.10,14; 15,28f.; Gal.2,11-17; Röm. 14,14; Kol.2,20-22). Paulus ist daran klar geworden, daß der Verzicht falsch ist, wo der Mensch damit vor Gott, Menschen oder sich selbst etwas leisten will, und nur Segen bringt, wo er ihn im Dienst für andere auf sich nimmt. „Wenn einer Ohren hat zu hören, höre er!“ (V. 16) fehlt bei einigen alten Zeugen. Sollte Markus es doch geschrieben haben (wie 4,9 neben 4,3 vor der Jüngerbelehrung), dann im Sinn von V. 14b. Denn die Blindheit selbst der Jünger wird hier noch über 4,13 hinaus geschildert (zum „Haus“ vgl. zu 2,1). Auch die Gemeinde ist also nicht von der Welt geschiedene heilige Schar. Wenn sie verstehen darf, dann ist es reine Gnade, Gotteswunder. Seltsam ist der Schluß von V. 19; ist es eine ironische Bemerkung, daß schließlich im Abort alle Speisen gleich werden, oder eine Randglosse, die feststellte, daß Jesus alle Speisen für rein erklärte? Das zweite ist wahrscheinlich, weil es wörtlich heißt: „in den Abort, reinigend ...“ , nicht: „in den ... reinigenden Abort“ . Der Lasterkatalog entspricht ähnlichen Zusammenstellungen (vgl. z.B. Röm. 1,29-31; Gal.5, 19-21; Kol.3,5.8; l.Tim. 1,9-10; 2.Tim.3,2-5), die dem hellenistischen Judentum entstammen. Die Zusammenstellung von Unzuchtsünden, Habgier und Götzendienst („Lästerung“ , vielleicht auch das „böse Auge“ als magische Praxis, wenn es nicht nur Mißgunst und böswillige Verdächtigung meint) ist dabei traditionell. „Bosheit“ erscheint auch Röm. 1,29 neben „Habgier“ . Doch ist die Liste so erwei© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
7 8 11 9-13 12 14
15
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Mk. 7,24-30: Das erste Beispiel des Glaubens der Heiden
tert, daß zwischen Taten und Gedanken nicht mehr reinlich geschieden werden kann. Blickt man zurück, so fällt zuerst die ironische Polemik gegen unverständliche Gesetzespraktiken im Namen des gesunden Menschenverstandes auf. Das ist natürlich nicht falsch; aber die Verankerung im Evangelium, also in der Befreiung des Menschen von den „Werken“ , d.h. von allem, womit er sich selbst behaupten zu müssen meint, ist zwar durch die Neuorientierung von allem äußeren Tun weg auf das „Innere›› angedeutet, wird aber doch erst vom Gesamtwerk des Markus her sichtbar. Daß hier nicht wesentlich über die schon vom hellenistischen Judentum übernommene prophetische Kritik hinausgeführt wird, hängt damit zusammen, daß Markus vor allem an V. 18 a interessiert ist. Hier kommt er von einer ganz anderen Seite, nämlich von der Frage nach dem Verstehen Gottes, her zu dem paulinischen „allein aus Gnade“ . An der Blindheit der Jünger zeigt er auf, was Paulus an der Gesetzlichkeit des Menschen aufzeigt, daß dieser sich nämlich nicht selbst fahren lassen kann, um einmal Gott allein gelten zu lassen. Was Markus mit der Nachfolge schildert (s. zu 8,34f.), das meint Paulus mit der Freiheit des Glaubens, in der der Mensch, eben weil er sich nicht mehr selbst behaupten muß, fähig wird, aus der Gnade und damit von Herzen Gott zu leben. Das erste Beispiel des Glaubens der Heiden 7,24-30, vgl. Mt. 15,21-28 24 Von dort aber brach er auf und zog weg in das Gebiet von Tyrus und Sidon. Und er ging in ein Haus und wollte, daß niemand es erführe, und konnte doch nicht verborgen bleiben; 25 vielmehr hörte sogleich eine Frau von ihm, deren Töchterlein einen unreinen Geist hatte. Die kam und fiel zu seinen Füßen nieder. 26 Die Frau war aber eine Griechin, Syrophönizierin von Geburt. Und sie bat ihn, er möge den Dämon aus ihrer Tochter austreiben. 27 Und er sagte zu ihr: „Laßt zuerst die Kinder satt werden; denn es ist nicht recht, das Brot der Kinder zu nehmen und es den Hündchen vorzuwerfen.“ 28 Sie aber antwortete und sagt zu ihm: „Ja, Herr; auch die Hündchen unter dem Tisch essen von den Brocken der Kinder.“ 29 Und er sprach zu ihr: „Um dieses Wortes willen, gehe hin; ausgefahren ist der Dämon aus deiner Tochter.“ 30 Und sie ging weg in ihr Haus und fand das Kind auf dem Bette liegend und den Dämon ausgefahren. Zur Einordnung im Aufbau vgl. Einleitung zu 6,32-44, Im Zusammenhang hebt sich der Glaube der gesetzesfreien Heidin von der jüdischen Gesetzlichkeit ab, deren Verkehrtheit selbst die Jünger noch nicht einsehen. Abgesehen von Überleitung V.24 und leichter Änderung von V.27a (s. dort) ist der Abschnitt einheitlich und ganz auf das Wort V.27f. ausgerichtet. Man kann fragen, ob Jesus etwas wie Mt. 15,24 geäußert und damit die demütige Antwort einer Heidin hervorgerufen hat. Jedenfalls muß die Geschichte von Anfang an, ähnlich wie Mt. 8,5-13, die Frage der Stellung des Heiden zum Juden anvisiert haben. Wie dort ist es der Glaube des heidnischen Menschen, der den Zugang zu Jesus findet. Damit ist das getroffen, was schon bei Jesus, obwohl er das jüdische Land kaum verlassen hat, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 7,31-37: Das Wunder der Öffnung tauber Ohren
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nur ausnahmsweise mit Heiden zusammengetroffen ist und nie zur Heidenmission aufgerufen hat, die Grenzen Israels gesprengt hat. Wenn nicht mehr die Gesetzestreue entscheidet, sondern die Glaubenshaltung, dann ist das Evangelium für alle Völker offen. Markus hat in V.24a den Übergang ins heidnische Gebiet noch unterstrichen, ohne aber so etwas wie eine Heidenmission Jesu zu schildern; denn schon V.31 kehrt Jesus an den See Gennezaret, wenn auch vielleicht an das halbheidnische Ostufer, zurück. In den Gemeindediskussionen um die Heidenmission ist die Geschichte dieser Frau (neben dem Mann Mt. 8,5-13) wichtig geworden. Sidon fehlt bei einigen Zeugen, ist aber vielleicht wegen V.31 nachträglich gestrichen worden. Die Doppelangabe umfaßt ganz Phönizien. Das „Haus“ dient der Schilderung des großen Andrangs selbst im heidnischen Gebiet (vgl. zu 2,1). Wiederum ist damit die Wucht der Offenbarung Gottes dargestellt. Zum „unreinen Geist“ s. zu 1,23, Ausdrücklich wird die Bittstellerin als Nichtisraelitin gekennzeichnet. Sie erinnert an l.Kön. 17,9.17. Das abschwächende „zuerst“ (Mt. 15,26 fehlend) in Jesu Antwort könnte Zufügung des Markus sein, der schon um die spätere Heidenmission weiß. Ob er den Ausdruck „satt werden“ als Hinweis auf die Speisungsgeschichten eingeführt, also V.27a selbst gebildet hat, ist fraglicher. Daß Juden die Heiden „Hunde“ nennen, wirkt höchstens indirekt nach, da das Wort hier eher die weniger verachteten Haushunde bezeichnet und ein anderes Tier für das Bild kaum zur Verfügung stünde. Die Anrede „Herr“ (s. zu 11,3) steht bei Markus und Q (Mt. 8,2) nur je einmal, beidemale als heidnische Anrede. Der Jude sagt „Rabbi“ , der Heide „mari“ oder „marana“ (mein/unser Herr, vgl. zu 12,35-40, Ein!.). Auch Mt. 8,5-13 durchbricht eine Fernheilung Jesu auf Grund eines außergewöhnlichen Glaubens die Scheidung zwischen Israel und Heidentum. Weil der Ton nur darauf liegt, wird auch die Heilung weder demonstriert noch von einem Chor von Menschen gepriesen, wie das sonst zum Schema der Wundergeschichte gehört. Ohne daß das Wort vorkommt, zeigt doch diese Erzählung am Problem Juden/ Heiden, was Glaube ist. Sie schildert die Demut und Beharrlichkeit dieser Frau, die Gottes Gnädigsein in Jesus erwartet und nichts sehen will als die erhoffte Zusage. Damit ist festgehalten, daß das Evangelium keine Vorbedingungen fordert. Nicht die Gesetzeserfüllung (7,1-23) rettet, sondern das „Herz“ , das alles von Gott erwartet, und zwar in Jesus. Dabei ist aber nicht der Glaube das Heil, sondern nur die Zusage Jesu, die konkret die Not wendet, so daß der Glaube sich in der Erfahrung erfüllt. Wesentlich ist dem Abschnitt also, daß sich dies in Jesus ereignet, nicht die Frage, ob und wie sich Bitte und Heilung im irdischen Leben Jesu abgespielt haben. Das Wunder der Öffnung tauber Ohren 7,31-37, vgl. Mt. 15,29-31 31 Und er verließ wiederum das Gebiet von Tyrus und zog durch Sidon an den galiläischen See, mitten hindurch durch das Gebiet der Dekapoiis. 32 Und sie bringen ihm einen Taubstummen und bitten ihn, er möge ihm die Hand auflegen. 33 Und er nahm ihn von der Menge weg, für sich allein, legte seine Finger in seine Ohren, spie aus und rührte seine Zunge an, 34 schaute zum © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk.7,31-37: Das Wunder der Öffnung tauber Ohren
Himmel auf und seufzte und sagt zu ihm: „Ephphatha“ , das heißt: sei aufgetan! 35 Und aufgetan wurden seine Ohren, und sogleich wurde die Fessel seiner Zunge gelöst, und er redete richtig. 36 Und er schärfte ihnen ein, daß sie es niemandem sagten; je mehr er es ihnen aber einschärfte, desto mehr verkündeten sie es noch. 37 Und sie erstaunten aufs Äußerste und sagten: „Gut hat er alles gemacht, und die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden.›› 7,14 hat alle aufgerufen: „Höret und verstehet!“ Doch selbst die Jünger verstanden die grundsätzliche Überwindung des Gesetzes nicht; nur eine Heidin hat vorzeichenhaft schon etwas davon verwirklicht. An dieser Stelle fügt Markus die Heilung eines Taubstummen ein und läßt sie ausklingen in eine Erinnerung an Jes.35,5, das die Öffnung der Ohren der Tauben und der Augen der Blinden von der kommenden Heilszeit erwartet. Markus hat also durch die Einordnung einer überlieferten Wundergeschichte einen neuen Sinn gegeben. Auf ihn geht die merkwürdige Routenangabe V.31, die Einschärfung des Messiasgeheimnisses (s. zu 1,34) und seine Durchbrechung (s. zu 1,45) V.36 zurück, während V.37 vielleicht den ursprünglichen Abschluß der Geschichte (oder einer Reihe von Wundergeschichten) darstellt. 31
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Man muß sich die Unmöglichkeit des Reiseweges an einem Beispiel der eigenen Gegend klarmachen (z.B. von Darmstadt über Frankfurt nach Mannheim mitten durchs Neckartal [vgl. zu 5,1]). Wahrscheinlich soll das ganze Galiläa umgebende Ausland genannt werden, um die Offenheit der Botschaft für die Heidenwelt darzustellen. Daß Jesu Handeln im Geheimen geschieht, zeigt, daß Gott nicht wie ein Schausteller auftritt, sondern im Stillen handelt. Zu einem Taubstummen kann Jesus nur in Gesten reden; auch hier bleibt also der Anredecharakter seines Heilens gewahrt. Jesu Seufzen ist wohl wie 1,41 (s. dort) zu verstehen. Zum hebräischen (oder aramäischen) Ephphata s. zu 5,41. Daß die Fessel seiner Zunge „gelöst“ wird, zeigt vielleicht (wie das Aufseufzen V.34) noch eine ursprüngliche Vorstellung von dämonischem Zwang. Das Reden des Geheilten wird im Griechischen im Unterschied zu den einmaligen Handlungen vorher als ein weiterdauerndes geschildert. Das Schweigegebot (s. zu 1,34) ist auch hier praktisch undurchführbar und wird prompt durchbrochen. Markus deutet so an, daß zwar Gottes Offenbarung machtvoll durchbricht und sich nicht aufhalten läßt, daß aber mit der Sensation des Wunders und dem Staunen darüber noch nichts entschieden ist. Die Erinnerung an die Jesajastelle, aus der wahrscheinlich das ungewohnte Wort für „stumm“ in V.32 (nicht aber in V.37) stammt und die Weish.Sal. 10,21 symbolisch auf das Handeln der Weisheit bezogen wird, läßt ahnen, daß die Heilszeit anbricht. So ist die Erzählung vermutlich schon vor Markus verstanden worden. Für ihn aber erfüllt sich diese Heilszeit in der Offenbarung Gottes, wie sie in 8,31 „offen heraus“ (8,32) erfolgen wird. Noch einmal folgen sich Speisungswunder, Gegnerschaft der Pharisäer, Unverständnis der Jünger und Öffnung blinder Augen durch Jesus; dann wird sich Jesu Geheimnis enthüllen, und den Menschen werden durch Gottes Wunder Ohren, Mund und Augen geöffnet werden für den Gott, der sich im Leidensweg Jesu offenbaren wird. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 8,1-10: Die Vollmacht Jesu, Viertausend zu speisen
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Die Vollmacht Jesu, Viertausend zu speisen 8,1-10, vgl. Mt.15,32-39 1 In jenen Tagen, als wiederum eine große Menge da war und sie nichts zu essen hatten, rief er die Jünger herbei und sagt zu ihnen: 2 „Mich überkommt Erbarmen mit der Menge; denn sie harren jetzt schon drei Tage bei mir aus und haben nichts zu essen. 3 Und wenn ich sie hungrig nach Hause entlasse, werden sie unterwegs verschmachten, und einige von ihnen sind von weither.›› 4 Und seine Jünger antworteten ihm: „Woher könnte jemand diese mit Brot sättigen, hier in der Einöde?›› 5 Und er fragte sie: „Wieviel Brote habt ihr? Sie aber sprachen: „Sieben.›› 6 Und er weist die Menge an, sich auf dem Boden zu lagern, und er nahm die sieben Brote, sprach das Dankgebet, brach sie und gab sie seinen Jüngern, daß sie sie vorlegten, und sie legten sie der Menge vor. 7 Und sie hatten ein paar kleine Fische, und er sprach den Segen über sie und hieß sie, auch diese vorzulegen. 8 Und sie aßen und wurden satt, und hoben Überreste von Brocken auf, sieben Körbe. 9 Es waren aber etwa viertausend. Und er entließ sie, 10 und sogleich stieg er in das Boot mit seinen Jüngern und fuhr in die Gegend Dalmanutha. Zum Gesamtzusammenhang vgl. die Einleitung zu 6,32-44 und den Schluß der Auslegung zu 7,31-37. Die Geschichte ist ein Doppelbericht zu 6,32-44. Auch hier Erbarmen Jesu, Gespräch mit den Jüngern, ihre Verlegenheit, Frage Jesu nach der Zahl der Brote, Verteilung nach Segensspruch und Brotbrechen durch die Jünger, nachträglich angefügte Fische, Sattwerden, Sammeln der Brocken, Entlassung und Überfahrt. Die völlige Ahnungslosigkeit der Jünger V.4 ist nach 6,32-44 undenkbar. Aber erst Markus hat ja beide Varianten nebeneinandergestellt, und ihm liegt gerade an dieser Unmöglichkeit. Denn damit will er die absolute, unbegreifliche Blindheit des Menschen für Gottes Handeln darstellen. Wie üblich werden weder Ort noch Zeit näher angegeben. Markus will also 1 nicht betonen, daß diese Speisung im heidnischen, die andere im jüdischen Gebiet erfolgte. Die Wendung „von ferne“ in V.3 (vgl. Jos. 9,6; Jes.60,4; Apg.2,39; 3 Eph.2,11 ff.) enthält also kaum einen symbolischen Hinweis auf die Heidenchristen. Das Herbeirufen der Jünger ist mit einer bei Markus beliebten Wendung 1 berichtet, obwohl es hier nicht viel Sinn hat. Es ist ihm wichtig, weil ihre Verständnislosigkeit dargestellt werden soll. Daß Jesus selbst die Initiative ergreift, ist gegenüber 6,35 f. eher die spätere Form des Berichtes. Zum Erbarmen Jesu vgl. zu 6,34. 2 Der Eindruck der von Jesus ausgehenden Anziehungskraft wie die Dringlichkeit der Not wird durch die Notiz von den drei Tagen noch gesteigert. Die Uberle- 3 gungen Jesu, der doch schon weiß, was er tun wird, erscheinen künstlich, wenn man psychologisch-historisch fragt, sollen aber Ohnmacht und Hilflosigkeit des Menschen schildern. Daß die Menge sich in einer Einöde befindet, war bisher nicht 4 gesagt, wird aber vorausgesetzt (vgl. auch V.4). Seit 6,32 wird, wo die Jünger erscheinen, ihr Unverständnis geschildert. Die Frage Jesu entspricht wörtlich, die 5 Beschreibung von Austeilung, Sättigung und Sammlung der Brocken beinahe wört- 6.8 lieh dem Bericht 6,38-43. Die Wendung „sprach das Dankgebet, brach sie und ...“ steht wörtlich gleich in 1.Kor. 11,24. Hat die Gemeinde, die diese Erzählung überlieferte, diese Abendmahlsliturgie verwendet, diejenige, die 6,32-44 tradierte, eine © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 8,11-13: Die Forderung von Zeichen
etwas andere? Die Zahlen sind verändert, so daß die Vermehrung etwas geringer erscheint, die Hinweise auf das grüne Gras und die gruppenweise Ordnung fehlen, 7 und das Dankgebet statt des Segens (doch vgl. V.7) entspricht eher hellenistischem Brauch. Die Fische gehören offenkundig zum festen Bestandteil der Geschichte, werden aber nachgetragen, weil sie vorher die Parallele zum Abendmahl stören 8 würden. Für „Korb“ wird ein anderes Wort verwendet als 6,43; ob es einen kleineren bezeichnet, wie man meint, ist fraglich, da es auch Apg.9,25 gebraucht wird. 10 Wo Dalmanutha liegt, weiß man nicht. Vielleicht ist es Abschreibfehler für Magdala (vgl. Mt. 15,39). Ursprünglich hat die Geschichte die unbegrenzte Vollmacht Jesu gepriesen, wohl früh schon mit einem Hinweis auf das Abendmahl verbunden. Was Markus neben 6,32-44 theologisch damit sagen will, wird erst 8,17-21 deutlich. Die Forderung von Zeichen 8, 11-13, vgl. Mt. 16,1-4 (12,38f.; Lk. 11,29) 11 Und die Pharisäer zogen aus und begannen, mit ihm zu streiten, indem sie von ihm ein Zeichen vom Himmel forderten und ihn so versuchten. 12 Und er seufzte auf in seinem Geiste und sagt: „Was fordert dieses Geschlecht ein Zeichen? Amen, ich sage euch: Keinesfalls wird diesem Geschlecht ein Zeichen gegeben werden.“ 13 Und er ließ sie stehen, stieg wieder ein und fuhr weg ans andere Ufer. Der Abschnitt gehört schon in der Tradition zur Speisungsgeschichte (s. zu 6,32-44), paßt aber Markus gut, weil er noch einmal die Blindheit der Menschen illustriert. Den Kern bildet das Wort Jesu V. 12. Es ist auch in Q überliefert; Matthäus referiert es daher zweimal (12,39; 16,4). Lukas, bei dem sonst Mk.6, 45-8,27 völlig fehlt, hat 11,16 die Ausdrücke „versuchen“ und „Zeichen vom Himmel“ wie Mk.8,11, während das Jesuswort erst 11,29 in der Q-Version folgt. In ihr wird das Jonazeichen verheißen, was auch auf Mt. 16,4 abgefärbt hat. Die seltsame Markusformulierung (wörtlich: „Wenn diesem Geschlecht ein Zeichen gegeben werden wird!“ ) spricht vielleicht dafür, daß jenes der ursprüngliche Wortlaut ist. Dazu kommt, daß sonst von „diesem Geschlecht“ fast ausschließlich im Gegensatz zum „Menschensohn“ gesprochen wird, was Lk. l l , 2 9 f . par. Mt. 12, 39f. (s. dort) der Fall ist. So ist das Wort dem Markus wohl schon abgeschliffen und verkürzt zugekommen, als man den Hinweis auf Jona, wie auch der neue Deutungsversuch Mt. 12,40 bestätigt, nicht mehr verstand. Es ist schon vor ihm mit der Speisungsgeschichte verknüpft; denn Markus spricht sonst nicht von „Zeichen“ (nur noch 13,4.22), sondern von „Krafttaten“ , wohl aber Joh.6,30. 11
Woher die Pharisäer kommen, ist nicht gesagt. Anders als 10,2; 12,15, wo auch vom „Versuchen“ die Rede ist, handelt es sich hier nicht um eine Streitfrage, wie sie zwischen Gemeinde Jesu und Judentum diskutiert wurde. Die Zeichenforderung kann nur erfüllt oder abgelehnt werden. So geht es nicht um ein Einzelproblem, sondern um die grundsätzliche Frage, was Glaube sei. „Himmel“ könnte Umschreibung für Gott sein, meint aber eher ein Zeichen, das nicht jeder Wundertäter © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 8, 14-21: Die Blindheit der Jünger
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tun könnte, also ein kosmisches Wunder apokalyptischer Art. Solche Forderung ist „Versuchung“ . Zwar betont gerade Markus die Leiblichkeit des Wirkens Gottes; aber er weiß, daß alles falsch wird, sobald das Zeichen gefordert wird (s. den Exkurs zu 4,35-41). Jesu „Seufzen“ wird erwähnt wie 7,34 (s. zu 1,41). Die grie- 12 chische Formulierung der Ablehnung (s. oben) ist durch eine ausgefallene Wendung wie „möge ich verflucht sein“ zu erklären, kann aber auch als Frage verstanden werden: „Sollte etwa ...?“ Anscheinend ist Jesus der Ohnmächtige; tatsächlich 13 verläßt er sie, so daß sie zurückbleiben, der Gegenwart Gottes beraubt. Das ursprüngliche Jesuswort warnt davor, sich von vornherein ein Bild Gottes zurechtzulegen, an dem man dann sein Handeln mißt, um daraufhin an Hand dieser Maßstäbe, bevor man sich mit ihm einläßt, zu entscheiden, ob Gott wirkt oder nicht. Die Gemeinde, die dieses Wort mit der Speisungsgeschichte verbunden hat, hat unterscheiden wollen zwischen dem von Gott frei geschenkten Zeichen, das den Menschen ins Fragen ruft und seinen Glauben stärkt, und dem vom Menschen geforderten Zeichen, das Glauben zerstört. Markus unterstreicht durch die Einordnung in seinen Gesamtaufbau die Blindheit der Menschen, die Gottes Zeichen in Jesus nur mißverstehen, sich dadurch nicht zum Glauben rufen lassen wollen, sondern die Sekurität suchen. Demgegenüber deutet er vermutlich im Schlußsätzlein schon auf die Möglichkeit der Nachfolge hin: Glaube wird nur dort, wo man mit Jesus ins Schiff steigt und nicht am sicheren Ufer stehenbleibt. Die Blindheit der Jünger 8,14-21, vgl Mt. 16,5-12 14 Und sie hatten vergessen, Brote mitzunehmen, und hatten außer einem einzigen Brot nichts mit sich im Boot. 15 Und er schärfte ihnen ein: „Sehet zu, hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und dem Sauerteig des Herodes.“ 16 Und sie besprachen sich miteinander, daß sie keine Brote hätten. 17 Und er merkte es und sagt zu ihnen: „Was besprecht ihr euch, daß ihr keine Brote habt? Begreift ihr noch nicht und versteht ihr denn nicht? Verstockt habt ihr euer Herz. 18 Augen habend seht ihr nicht und Ohren habend hört ihr nicht. Und erinnert ihr euch denn nicht, 19 da ich die fünf Brote den Fünftausend brach? Wieviel Körbe voller Brocken habt ihr da aufgehoben?“ Sie sagen zu ihm; „Zwölf,“ - 20 „Als ich die sieben den Viertausend (brach), von wieviel Körben habt ihr da ein volles Maß von Brocken aufgehoben?“ Und sie sagen: „Sieben.“ 21 Und er sagte zu ihnen: „Versteht ihr immer noch nicht?“ V. 1 8 : / ‹ . 6, 9 f.; jer. 5 , 2 l ; E z . 1 2 , 2 .
Der Abschnitt ist stark von Markus bearbeitet. In V. 14 übernimmt er wohl die Situationsangabe aus der Tradition, weil ja das eine Brot für das Mißverständnis in V. 16 nicht nötig wäre. Auch V. 15 enthält ein schon überliefertes Wort. Es erscheint Lk. 12,1 in anderem Zusammenhang und ist als Anlaß für das Mißverständnis V. 16 denkbar ungünstig gewählt. Das zeigt, wie wichtig Markus dieses, psychologisch unerklärliche, Mißverständnis der Jünger ist. Klammert man V. 15 einmal aus, schließt V. 16 an V. 14 an und läßt eine Geschichte erkennen, in der sich die Jünger wegen des Brotmangels sorgten und von Jesus wegen ihres Kleinglaubens © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 8, 14-21: Die Blindheit der Jünger
zurechtgewiesen wurden: „Was besprecht ihr euch, daß ihr kein Brot habt? Erinnert ihr euch denn nicht ...?“ Durch den Einschub der Warnung Jesu (V. 15), die V. 16 erst als Mißverständnis erscheinen läßt, und des harten UrteilsV. 17b.18 hat also Markus das Unverständnis der Jünger hervorgehoben. Die Verdoppelung des Hinweises auf das Speisungswunder, die ja erst im markinischen Aufbau möglich ist (s. zu 8,1-10), verstärkt das noch. Daß Jesus fast die gleichen Ausdrücke in der gleichen Verteilung verwendet, in der sie in den beiden Erzählungen auftauchen, z.B. auch die zwei verschiedenen Wörter für „Korb“ , zeigt, daß erst Markus, der beide Speisungsgeschichten vor sich hat, diese Jesusworte im einzelnen geformt hat. Gerade dieser redaktionelle Charakter zeigt die Wichtigkeit dieses Abschnitts für Markus. Er charakterisiert noch einmal den ganzen Abschnitt IV: Wie die Abschnitte II (3,1-6) und III (6,l-6a) mit der Verstockung der Pharisäer und der Mitbürger Jesu schlossen, so dieser mit der der Jünger selbst. Damit ist der Punkt erreicht, wo nur noch das durch 8,22-26 zeichenhaft angezeigte Wunder der Selbstenthüllung Jesu 8,27-32 blinde Augen öffnen kann. 15
„Sauerteig“ bezeichnet bei den Rabbinen etwas Böses, besonders den bösen Trieb der Sünde (vgl. 3.Mose2,11; l.Kor.5,7f.). Vielleicht ist aber auch an seinen ansteckenden, weiterwirkenden Charakter gedacht (vgl. Mt. 13,33; Gal.5,9; l.Kor.5,6). Das Mißverständnis ist grotesk, eben damit auch eindrücklich. Das 16 griechische Wörtlein für „daß“ heißt auch „weil“ . Vielleicht hat sich der einfache Sinn „Sie sorgten sich, daß (oder: weil) sie keine Brote hatten“ durch den Einschub von V, 15 dahin geändert, daß man jetzt verstehen soll: „(Das sagt er), weil sie keine Brote hatten“ , oder wie andere Handschriften lesen: „(Das sagt er), weil wir 17.21 keine Brote haben.“ Die Pointe liegt jetzt im Vorwurf Jesu. Schon nach der ersten Speisung war 6,52 (s. dort) von den Jüngern gesagt, was 3,5 von den Pharisäern 18-20 galt. Hier wird zugefügt, was 4,12 von denen „draußen“ ausgesagt war, die verloren sind. Dabei hat Gott alles getan, was er tun konnte, selbst Tausende gespeist und sich um die Jünger bemüht, die unverständig, blind und taub bleiben. So tief steckt also der Mensch in seiner eigenen Welt und ihren Sorgen, daß er die Bildsprache Gottes immer noch wörtlich auffaßt und sich von ihr nicht ins Glauben hineinlocken läßt, das sich auf den einläßt, den der Mensch nie in seine Worte und Begriffe einfangen, sondern nur erfahren (V. 19f.) kann (s. Exkurs zu 4,1-9). Gerade der Glaube weiß also, daß er immerwieder dort steht, wo die „draußen“ stehen. Einzig das immer wieder geschehende Wunder Gottes trennt ihn vom Unglauben, nie seine eigene Qualität. Das führt zur Solidarität der Gemeinde mit der „Welt“ . So schließt die Geschichte mit der Frage, die zugleich die Frage an den Leser bleibt. Hat die kleine Erzählung ursprünglich nur den Kleinglauben getadelt und mit dem Hinweis auf Jesu Wunder zu überwinden versucht, so hat Markus sie zu einer Darstellung der totalen Blindheit und Taubheit des Menschen gegenüber der Bildsprache Gottes umgestaltet, um damit auf das Glauben schenkende Wunder Gottes hinzuweisen, das im folgenden Abschnitt abgebildet wird, bevor Jesus 8,31 seinen Weg ans Kreuz und 8,34 die neue Möglichkeit der Nachfolge eröffnet. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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V. Jesu Offenbarung in unverschlüsselter Rede und die Nachfolge der Jünger 8,22-10,52 Das Wunder der Öffnung blinder Augen 8, 22-26 22 Und sie kommen nach Bethsaida. Und sie bringen ihm einen Blinden und bitten ihn, er möge ihn anrühren. 23 Und er nahm die Hand des Blinden, führte ihn aus dem Dorf heraus und spie aus in seine Augen, legte ihm die Hände auf und fragte ihn: „Siehst du etwas?“ 24 Und er schaute auf und sagte: „Ich sehe die Menschen; denn ich sehe etwas wie Bäume umherwandern.“ 25 Dann legte er wiederum die Hände auf seine Augen, und er blickte scharf hin und wurde wiederhergestellt und sah alles ganz deutlich. 26 Und er schickte ihn in sein Haus und sagte: „Sprich zu niemandem im Dorf davon!“ Eine kleine Wundergeschichte, bei der Markus wohl nur das erste und das letzte Sätzlein zugefügt hat. Die entscheidende Umgestaltung hat er durch die Einordnung als Übergang zu 8,27ff. durchgeführt (s. zu 6,32-44 und 8,14-21). Der Wortlaut stimmt in V.22-24a weithin mit dem von 7,32-34a überein; auch sachlich entsprechen sich Beiseitenehmen, umständliche Gesten, Ausspucken und Berühren der kranken Glieder, Schweigegebot. Ob Markus hier oder dort stilistisch angeglichen oder ob sich, was wahrscheinlicher ist, die Angleichunng im Lauf der Überlieferung herausgebildet hat, oder ob gar ursprünglich nur eine Geschichte erzählt wurde, die dann in zwei sehr verschiedenen Formen weiterwuchs, läßt sich nicht mehr sagen. Bethsaida (vgl. 6,45) ist eine Stadt (Lk.9,10), was zu V.23.26 nicht paßt. Ver- 22 mutlich kannte die Geschichte gar keine Ortsangabe; Markus beginnt jedoch alle Abschnitte in Teil V mit einer solchen (vgl. Rückblick, Aufbau). Von einem Blinden ist zum erstenmal die Rede. Ungewohnt ist die stufenweise Heilung. Sicher ist nicht 23-25 gemeint, daß sie sich entsprechend dem jeweils erreichten Glaubensstand vollzieht. Wahrscheinlich will die volkstümliche Erzählung einfach die Schwierigkeit der Heilung und die Größe des Wunders schildern. Für Markus mag dies zum Bild für das Wachsen des Glaubens werden. Im letzten Vers wird wahrscheinlich von 26 Markus noch einmal das Messiasgeheimnis (s. zu 1,34) eingeschärft, falls er wie oben übersetzt geschrieben hat. Gute Handschriften lesen: „Gehe nicht ins Dorf hinein!“ Vermutlich hat aber der Gebrauch eines ungewohnten Wortes für „im“ , das gewöhnlich „in das“ bedeutet, die Korrektur verursacht. Dann wäre noch einmal vor der Überschätzung des Wunders als solchem gewarnt. Es fällt auf, daß nur die Tatsache der Heilung und des dadurch geschenkten Sehens geschildert wird, nicht die Reaktion des Geheilten oder anderer. Für Markus bildet sie gerade deswegen einen deutlichen letzten Hinweis auf das Wunder Gottes, das allein - in scharfem Gegensatz zu V. 18, der von den Möglichkeiten des Men© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 8,27-33: Das Mißverständnis des Petrus
schen spricht - Blinden die Augen öffnen kann. Darum stellt er den Abschnitt direkt vor das Gespräch in Cäsarea Philippi, in dem Jesus sein Geheimnis „offen heraus“ enthüllen wird. Das Mißverständnis des Petrus, die Lehre Jesu vom Leiden des Menschensohnes und das Unverständnis der Jünger 8,2 7-33, vgl Mt. 16,13-23; Lk. 9,18-22 27 Und Jesus und seine Jünger zogen aus in die Dörfer von Cäsarea Philippi; und auf dem Weg fragte er seine Jünger und sagte zu ihnen: „Wer sagen die Leute, daß ich sei?“ 28 Sie aber sprachen zu ihm: „Johannes der Täufer, andere: Elia, wieder andere: einer von den Propheten.“ 29 Und er fragte sie: „Ihr aber, wer sagt ihr, daß ich sei?“ Da antwortete Petrus und sagt zu ihm: „Du bist der Messias.“ 30 Und er bedrohte sie, daß sie niemandem von ihm sagten, 31 und begann sie zu lehren: „Der Menschensohn muß viel leiden und verworfen werden von den Ältesten, Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.“ 32 Und frei heraus sagte er das Wort. Petrus aber nahm ihn zur Seite und begann ihn zu bedrohen. 33 Er aber wandte sich um und sah seine Jünger und bedrohte Petrus und sagt: „Weiche zurück, von mir weg, du Satan; denn du sinnst nicht die Gedanken Gottes, sondern die der Menschen.“ Strenggenommen müßte man zwischen V.32a und 32 b abgrenzen (s. Rückblick, Aufbau); doch läßt sich V.27-32a im Sinne des Markus nicht verstehen ohne V. 32b. 33. Daher behandeln wir sie zusammen mit V.27ff. V.30 erinnert an das „Messiasgeheimnis“ (s. zu 1,34) und dürfte von Markus stammen; für ihn ist der Christustitel zwar richtig (vgl. schon 1,1), aber ohne V. 31.34 nur mißzuverstehen. Auch V.31 ist mit typisch markinischen Ausdrücken eingeleitet, weil der Evangelist hier, wie er durch den Anfang von V.32 nochmals unterstreicht (s. dort), den eigentlichen Inhalt des „Lehrens“ Jesu (s. zu 1,23-26, Einl.) sieht. Die Fragen Jesu V.27.29 sind vielleicht, jedoch schon vor Markus, in Anlehnung an christlichen Katechismusunterricht umgestaltet worden. Sollte V.33 ursprünglich Antwort auf V.29 sein, weil der Messiastitel die Erwartung eines nationalen Königs einschloß? Doch, abgesehen davon, daß das letzte unsicher ist, wer hätte das nach Ostern, wo der Christustitel überall selbstverständlich war,weiterüberliefert? V.33 muß also von Anfang an als Antwort auf V.32b gegolten haben. Dann ist aber damit zu rechnen, daß ein historischer Vorgang dahintersteht; denn trotz Spannungen zwischen Petrus und Paulus (Gal. 2, 11 ff.), Jakobus (Gal.2,9 vor Petrus genannt, vgl. Apg.21,18) oder dem „Lieblingsjünger“ (Joh.21,20ff.) zeigt sich nirgends in der Gemeinde des 1.Jahrhunderts ein Kampf gegen Petrus; V.33 kann also nicht erst dort entstanden sein, sondern muß Jesuswort sein. Was war aber der Anlaß für V.32b? Der Text nennt die Leidensankündigung. Sie ist freilich so in Jesu Mund nicht vorstellbar. Die völlige Ratlosigkeit der Jünger am Karfreitag und ihr hartnäckiges Zweifeln selbst gegenüber den Erscheinungen des Auferstandenen wären sonst unbegreiflich. Aber V.31 ist sicher nicht einheitlich. „Leiden“ müßte im jetzigen Zusammenhang auf die Mißhandlungen Jesu bezogen werden, konnte dann aber nicht vor der Verwerfung durch die Behörden angeführt sein. Nun wird in © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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allen drei Leidensankündigungen vom „Menschensohn“ gesagt, er werde „getötet werden und nach drei Tagen auferstehen“ . Beides ist sonst bei Markus nie so formuliert (9,9f. erinnert nur an 8,31), muß also schon vormarkinisch sein. Markus selbst interpretiert das 8,31 als göttliches „Muß“ , 9,31; 10,33; 14,21.24 als „Auslieferung“ (durch Gott). Aber auch die vormarkinische Formel ist nicht das älteste Stadium. „Leiden“ ist geläufiger jüdischer Ausdruck, der auch das Sterben einschließt (vgl. Lk.22,15; Apg.1,3; Hebr. 13,12; l.Petr.4,1 usw.), „leiden und verworfen werden“ offenbar eine alte Formel (Lk. 17,25; Mk.9,12), die auf Jesus zurückgehen könnte. Dann hätte Markus sie durch das schon traditionelle Wort vom Sterben des Menschensohnes und seinem Auferstehen nach drei Tagen ergänzt und damit auch die zweite und dritte Ankündigung gestaltet. Jesus hätte in diesem Fall sein Geschick ähnlich dem der Propheten erwartet (vgl. zu Mt. 23,37; Lk. 13, 33); der Ausdruck „Menschensohn“ könnte aus der vormarkinischen Formel oder gar von Jesus selbst stammen. Das ist freilich außerordentlich umstritten. „Menschensohn“ , hebräisch oder aramäisch einfach den einzelnen Menschen bezeichnend (z.B. Ps.8,5), erscheint erst in den Evangelien als Titel mit Artikel {„der Sohn des Menschen“ ), und zwar a) in der Schilderung des zum Gericht Wiederkommenden, b) des leidenden, c) des irdischen Jesus sonst. Eine Ausnahme bildet höchstens das Buch der Bilderreden (äth.Hen. 37-71), in dem der Menschensohn (mit Artikel) als schon im Himmel thronend, einst als Richter amtend beschrieben wird; doch ist dies eine äthiopische Übersetzung einer griechischen Übersetzung eines semitischen Originals, von der wir nicht wissen, wann sie geschrieben wurde - in Qumran fanden sich nämlich Fragmente aller andern Kapitel der Henochbücher, aber keines aus den Bilderreden. Aber auch als Bild findet sich „Menschensohn“ nur Dan. 7,13 für das nach langem Leiden endlich gerechtfertigte und zu Gott erhöhte Israel, das im Gegensatz zu den die Weltreiche darstellenden Tieren als ein „Mensch“ abgebildet wird. 4,Esral3, 3ff., frühestens Ende des 1.Jh. n.Chr. geschrieben, dient er wieder als Bild für einen in der Endzeit aus dem Meer auftauchenden und seine Feinde vernichtenden Retter. Zur Erklärung des Sprachgebrauchs der Evangelien bestehen drei Möglichkeiten: 1. Der Titel könnte erst von der Gemeinde eingeführt worden sein, die den Anbruch des Reiches Gottes mit der Wiederkunft Jesu in nächster Nähe erwartet: erst allmählich hätte sie dann auch den irdischen Jesus so genannt. Dagegen spricht, daß „Menschensohn“ außer Apg.7,56, wo vielleicht sogar einmal „Gottessohn“ zu lesen war, nur in Jesusworten zu finden ist (Offb. 1,13 ist alttestamentliches Bildwort ohne Artikel). Umgekehrt erscheint „Gottesknecht“ nur in Aussagen der Gemeinde über Jesus, „Christus“ über 500mal so, aber praktisch nie in Jesusworten. Man müßte das so erklären, daß Propheten (analog Offb. 2,1 vgl. 1,13-16) in der frühen Gemeinde im Namen Jesu vom Kommen des „Menschensohns“ zum Gericht, Prediger und Lehrer hingegen von „Christus“ oder dem „Gottesknecht“ eher in der dritten Person geredet hätten. 2. Wenn man von Mk.8,38; Lk. 12,8f. ausgeht, kann man mit anderen der Meinung sein, Jesus habe gar nicht sich selbst, sondern einen andern als den bald erscheinenden Menschensohn erwartet. Das scheint sehr unwahrscheinlich. Sätze wie Mt.5,21ff.; 11,11; Lk.11,20; 17,20f. deuten nicht © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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darauf hin, daß Jesus sich bloß als Boten eines noch größeren „Menschensohnes“ gefühlt hat. Sein Ruf in die Nachfolge und die Tatsache, daß er nie wie ein Prophet seine Worte einleitet: „So spricht der Herr“ , zeigen das Gegenteil. Vor allem paßt eine solche Erwartung nicht zu Jesu Sicht der schon in die Gegenwart hereinbrechenden Zukunft. Außerdem hatte dann Ostern die Jünger doch dazu geführt, erst recht auf jenen anderen zu warten, nachdem Gott seinen Boten bestätigt hatte (wie z.B. den Täufer nach der Meinung der Leute, Mk.6,14), nicht aber diesen mit jenem gleichzusetzen. Vor allem ist unglaublich, daß Jesus, der alles apokalyptische Ausmalen meidet, einen noch gar nicht verwendeten Titel neu kreiert hätte, um das Kommen einer himmlischen Gestalt anzuzeigen. 3. Andere schlagen darum vor, den Titel aus der schriftgelehrten Arbeit der Gemeinde zu erklären. Dan. 7,13 hätte eine Art Bildsprache geliefert, die verschieden verwertet worden wäre. Ähnlich äth. Hen. 70f. hätte die Gemeinde sie zuerst apologetisch zur Erklärung der Passion Jesu für die nachfolgende Erhöhung verwendet und mit Ps. 110 verbunden (Mk. 14, 62a), später in Verbindung mit Sach. 12,10 (s. zu Mt. 24,30) auch für die Wiederkunft. Aber warum erscheint dann „Menschensohn“ nur in Jesusworten? 4.Nehmen wir daher an, der Gebrauch des Titels gehe auf Jesus selbst zurück, dann ist denkbar, daß Jesus sich selbst damit als den zum Gericht Wiederkommenden bezeichnet hätte. Dagegen spricht allerlei, was schon gesagt wurde. Dazu kommt die Schwierigkeit, daß Jesus, wenn er selbst von seiner Wiederkunft gesprochen hätte, zugleich hätte sagen müssen, daß er vorher sterben und auferstehen werde. Das findet sich aber nicht mit den Wiederkunftsaussagen verknüpft, sondern immer davon getrennt. 5. Der Prophet Ezechiel wird etwa 87mal als „Menschensohn“ angeredet. Als solcher muß er, vom Geiste Gottes erfüllt (2,Iff.; 3,24f.; 11, 4f.), Wächter Israels sein (3,17; 33,7), sich Gottes Wort einverleiben und es dem Volk ausrichten (2,3ff.), nicht nur Israels Sünde schauen (8,5ff.), sondern mitten unter denen wohnen, die Augen haben zu sehen und doch nicht sehen, Ohren zu hören und doch nicht hören (12, 2f.), die über ihn reden, ihm nachlaufen und doch seinen Worten nicht gehorchen (33,30ff.), weil sie meinen, das Gericht sei noch fern (12,27). Darum wird seine Verkündigung zu Rätselspruch und Gleichnisrede (17,2; vgl. 21,5). So muß er das Unheil verkünden (6, 1ff.), den Sündern das Urteil sprechen (20,3f.; 22,2; 23,36) und sie geradezu töten (11,4-13; 21,19ff.). Er muß selbst Entbehrung und Leiden auf sich nehmen zum Wahrzeichen für Israels Not (4,9ff.; 5, 1ff.; 12,6.11.17ff.; 24,16ff.27). Aber er darf auch den kommenden guten Hirten (34,23ff.), die endzeitliche Reinigung durch den Geist (36,17ff.), die „Totenauferstehung“ (37, 1ff. bei Ezechiel Bild, später aber wörtlich verstanden) und die künftige Herrlichkeit (40,4; 43,7.10; 47,6) ankünden, ja Auferstehung und Weltgericht in Bewegung setzen (37,9f., vgl. 15ff.; 39,17ff.). Jesus könnte, von solchen Stellen, an denen freilich nur die Anrede, nie der Titel „Menschensohn“ steht, mitbeeinflußt, das Bild aus Dan. 7,13 aufgenommen und gleichzeitig völlig neugeprägt haben, indem er zum ersten Mal von „dem“ Menschensohn sprach. Gerade weil dies noch kein geprägter Titel war, hätte er damit die Frage nach seinem Wirken und Schicksal gestellt, ohne sie mit einer bloß zu akzeptierenden dogmatischen Formel zu beantworten. Dann wären gerade die Worte vom irdischen Menschensohn die ursprünglichsten. Tatsächlich tritt die Wendung vom © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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„Ausgeliefert werden“ des „Menschensohns“ häufig auf, und die für Jesu Bußpredigt typische Rede von „diesem Geschlecht“ ist oft mit „Menschensohn“ verbunden. Damit hätte sich bei Jesus die Erwartung des Schicksals des leidenden Gerechten verbunden. Das ist fast selbstverständlich. Denn daß der Weg dessen, der Gott gehorsam ist, in Leiden und Tod hineinführt, ist seit Jes.53 Erwartung des Israeliten. Auch die Hoffnung auf Erhöhung zu Gott (Jes.52,13.15; 53,12) und die Rolle im letzten Gericht war durchaus natürlich (Jub.4,23; 10,17; syr.Bar. 13,3; vor allem Weish. Sal.2,10-20; 4,7.10.16; 5,1-5, wo Jesu Weg bis in Einzelheiten vorgezeichnet ist). Eine sichere Entscheidung ist zur Zeit unmöglich. Sollte die letztgenannte Möglichkeit richtig sein, dann hat Jesus seinen Weg so verstanden, daß er endgültig die Leiden Israels, seiner Propheten und Gerechten vollenden sollte. War mit dem Weg des leidenden Gerechten auch seine dereinstige Rolle im Gericht gegeben, so hat Jesus sich nicht nur als einen von vielen verstanden (wie in Weish. Sal. 5,1-5), sondern als den Zeugen, der in Einzigartigkeit im letzten Gericht für oder wider die, die seinen Ruf aufgenommen oder abgelehnt haben, eintreten und damit das Gericht entscheiden wird: Mk. 8,38 (s. dort). Nach Ostern ist dann Jesus mehr und mehr an die Stelle des Richters selbst gerückt (vgl. Röm. 2,3-11; 14,10 mit 2.Kor.5,10; auch 1.Kor.4,4 und 5), so daß man statt vom Kommen des Reiches Gottes (Mk.9, 1; Lk.22,18), bzw. Gottes zum Gericht (wie im Alten Testament) vom Kommen des Menschensohns sprach. Vielleicht ist diese Vorstellung sogar von jüdisch-apokalyptischen Gruppen übernommen und auf den jüdischen Messias übertragen worden (äth. Hen.46,l ff.; 48, 2ff.; 62,2ff.; 69,27ff.; 4.Esral3,3ff.), wie ja auch umgekehrt Christen jüdische Ausdrücke und Vorstellungen für ihre Aussagen verwendeten. Sachlich hat die Gemeinde damit nichts anderes gesagt als Jesus; denn auch nach seinem Wort entschied das Zeugnis des Menschensohns tatsächlich über den Ausgang des Gerichts. Ja, der Satz, daß das Verhalten der Menschen zu seiner Verkündigung und seinen Taten jetzt über das Gottesreich entscheide, daß sich also Ja oder Nein, Glaube oder Ablehnung nicht mehr hinausschieben lasse, ist zentral für Jesus. In diesem Sinn wird nach V.38 ihr gegenwärtiges Handeln im letzten Gericht präsent sein. So wird in der Tat der richtende Gott am letzten Tag kein anderer sein als der Menschensohn, der jetzt schon vor ihnen steht. Einzigartig ist, daß Jesus sich weder den Propheten noch den Gerechten noch den Lehrern des Alten Testamentes gleichsetzt, sondern seinen Weg als einen grundsätzlich von allen anderen abgehobenen sieht; denn auch mit Gestalten wie Apg.4,36f. läßt er sich nicht vergleichen, schon weil die Römer sonst sehr viel rascher eingegriffen hätten und ein Prozeß gar nicht mehr notwendig gewesen wäre. „Menschensohn“ ist also Niedrigkeits- und Hoheitstitel zugleich. Wie bei Ezechiel, nur in endzeitlicher Erfüllung, ist damit der Dienst des Leidens beschrieben, der aber vollmächtig im Auftrag Gottes geleistet wird und an dem sich daher einst Heil und Unheil scheiden werden. Und wie beim leidenden Gerechten, nur wiederum in endzeitlicher Erfüllung, ist es gerade der von den Menschen verworfene Niedrige, der einst als zu Gott Erhöhter im Gericht denen entgegentreten wird, die ihn aufgsnommen oder abgelehnt haben. Es ist also ernsthaft damit zu rechnen, daß Mk.8, 27-33 ein Ereignis im Leben Jesu im wesentlichen richtig erzählt. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Die Ortsangabe fehlt bei Lukas (der alles von Mk.6,45-8,27a ausläßt), so daß die Szene bei ihm in Bethsaida spielt (Lk.9,10.18). Sie ist unerwartet; es ist keine der bekannten Stätten, aber auch nicht eine allgemeine Gebietsangabe. Doch paßt sie gut; denn nach rabbinischen Angaben liegt hier die Grenze zwischen heiligem Land und Heidenland. Hier muß also entschieden werden, ob Jesus Israel aufgeben oder gerade umgekehrt den gefährlichen Weg nach Jerusalem antreten soll. Vermutlich gehört der Ortsname zur Tradition; es läßt sich kaum ein Motiv entdecken, das ihre Einfügung erklären könnte. Zu V.28 vgl. 6,15. Die „Menschen“ legen Jesus die höchsten Würdenamen zu; höher geht es kaum mehr. Und doch genügt das nicht. Mit „ihr aber“ scheidet Jesus seine Jünger von den „Menschen“ (s. zu V.33) und verwandelt so eine unverbindliche Erörterung in ein Gespräch, in dem sie für das einstehen müssen, was sie sagen. Echtes Bekenntnis erfolgt also so, daß der Mensch gefragt ist und das auszusagen versucht, wovon er lebt, und zwar in gewagter, neuer, nicht in überlegener, in aller Ruhe erarbeiteter Form. Nach Thomasev. 13 hätte Petrus Jesus einen „gerechten Engel“ , Matthäus ihn „Philosophen“ genannt. Hier verwendet Petrus den vom Alten Testament her geheiligten Namen des „Gesalbten“ (= hebräisch Messias, griechisch Christus). Ihn haben auch die Qumranleute erwartet, freilich nach Sach.4,14 in doppelter Gestalt als einen Priester und einen König. Der Titel drückt zwar aus, daß Jesus der seit Jahrhunderten Erwartete ist; aber Jesu Weg ist derart neu und ungewohnt, daß die alte Sprache dafür nicht mehr ausreicht. So prägt Jesus selbst ein Wort: „Menschensohn“ (s. oben und zu V.38). So aber vollzieht sich Gottes Offenbarung, daß der unterliegt, von dem doch alle sagen, er sei der Prophet, der kommende Elia, der Messias. Das wird von der Gemeinde dadurch unterstrichen, daß die Urheber der Verurteilung noch zugefügt werden (vgl. Exkurs zu 1,21-28). Die Verwerfung des Menschensohns wird also nicht zufällige Entgleisung sein, sondern bewußtes, abgewogenes Nein zu ihm. So radikal ist die Ablehnung Gottes durch die Welt, daß sie ausgerechnet durch die ordentliche kirchliche Behörde ausgesprochen wird. Eine „Erklärung“ dieses Leidens wird nicht gegeben (s. zu 10,45); aber Gottes Heiligkeit steht so im Gegensatz zum Handeln der Welt, daß Jesu Leiden unausweichlich wird. Da der Messias (= Christus)-Titel in der Gemeinde heimisch ist, kann Markus Jesu Antwort, die in V.31 eine andere Bezeichnung einführt, nur im Sinne seiner Theorie vom „Messiasgeheimnis“ (s. zu 1,34) erklären (V.30; das Wort, das V.30. 32.33 wie 1,25; 3,12; 4,39; 9,25; 10,13.48 mit „bedrohen“ übersetzt ist, kann auch „anfahren, schelten“ heißen). Jesus hat während seines ganzen Wirkens den Titel „Christus“ gemieden. Nach Ostern schloß das Bekenntnis „Jesus Christus“ aber ein, daß ein Gekreuzigter dieser Messias sei, so daß der Gedanke an einen erfolgreichen nationalen König ausgeschlossen war. Auch dürfte Markus mit seiner Theorie des Messiasgeheimnisses genau das getroffen haben, was Jesus daran hinderte, den Titel zu gebrauchen: sobald man einfach eine traditionelle Aussage übernimmt und Jesus damit etikettiert, kann man ihm nicht mehr unvoreingenommen begegnen. Wenn einer weiß, daß sein Gesprächspartner Pfarrer ist, hindert ihn oft ein falsches Bild vom Pfarrer daran, offen auf den andern zu hören. Umgekehrt kann einer, der vom andern ohne zu wissen, wer er ist, beeindruckt ist, hinterher © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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erklären: „Das ist wahrhaftig ein Pfarrer!“ Dann hat der Titel aber einen völlig neuen Klang bekommen. Darum muß nach Markus erst geschehen, was V.31 ansagt, bevor der, der dem Gekreuzigten und Auferstandenen begegnet ist, als Zeuge versuchen kann, dies in seiner Sprache, der Sprache der Gemeinde, weiterzugeben. Die Wichtigkeit dieses Geschehens unterstreicht Markus, indem er V.31 ausdrücklich als „Lehre“ Jesu bezeichnet (s. zu 1,21 f.), vor allem aber durch die Bemerkung, Jesus habe „das Wort offen heraus gesagt“ . Eine ähnliche Formulierung setzte 2,2 den Anfang der Auseinandersetzung über das Gesetz und markierte 4,33 den Abschluß der Gleichnisreden. War dort aber gesagt, daß Jesus nur im Bilde von Gott reden konnte, weil alle andere Rede dem Menschen unverstehbar wäre, so ist jetzt die Auflösung aller Bildsprache mit der unverhüllten, unverschlüsselten Rede von Gott angezeigt. Wie aber lautet die direkte Rede von Gott? „Der Menschensohn muß viel leiden und verworfen werden.“ Gott ist also darin Gott, daß er das kann, was der Mensch nicht kann: sich verwerfen lassen, niedrig und gering sein - ohne dadurch in Minderwertigkeitsgefühle getrieben zu werden, die beweisen, daß er von ganzer Seele anders, eben groß sein möchte. Wer das Leiden des Menschensohns versteht, hat Gott verstanden. Dort, gerade nicht im himmlischen Glanz, sieht er Gott ins Herz. Nach 4,35 zog Jesus seine Jünger vom Volk zurück und ging mit ihnen in den Sturm, so daß die Frage aufstieg: „Wer ist der, ...?“ (4,41). Jetzt hat Jesus, in der Abgeschiedenheit von allem Volk, die Jünger gefragt: „Wer bin ich?“ , und die Antwort des Petrus hat trotz ihrer Orthodoxie gezeigt, daß er noch nicht weiter ist als die Dämonen, die schon 3,11 und 5,7 die Antwort noch viel besser gaben, daß also die Jünger (V.33a schließt sie alle mit Petrus zusammen, vgl. zu 14,37) mit allen zusammen zur Welt der „Menschen“ , nicht zur Welt „Gottes“ gehören. Das unterscheidet Markus von den Leuten in Qumran oder anderen apokalyptischen Gruppen, die sich selbst als die Ausnahme, die wenigen aus der Welt Erwählten ansahen. Für Markus wird die Kluft zwischen Gott und Menschen nur dadurch überbrückt, daß V.31 geschieht und der verworfene und getötete Menschensohn in der Kraft der Auferstehung Menschen in seine Nachfolge hineinholt und ihnen das Herz für Gottes Weg zu ihnen öffnet. Darum ergeht die Einladung V.34ff. denn auch an alle, nicht nur an die Zwölf. So ist das Zentrum des Evangeliums für Markus hier zwar völlig anders formuliert, sachlich aber sehr nahe bei dem, was Paulus l.Kor. 1,18-2,9 schreibt. Nachfolge Jesu 8,34-9,1, vgl. Mt. 16,24-28; Lk. 9,23-27 34 Und er rief das Volk mitsamt seinen Jüngern zu sich und sprach zu ihnen: „Will jemand hinter mir hergehen, so verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach. 35 Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinet- und des Evangeliums willen, wird es retten. 36 Denn was hilft es einem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und sein Leben einzubüßen? 37 Denn was könnte ein Mensch geben als Entgelt für sein Leben? 38 Denn wer immer sich mein und meiner Worte schämt in diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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auch der Menschensohn schämen, wenn er kommt in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.›› 1 Und er sagte zu ihnen: „Wahrlich, ich sage euch, es sind einige unter den hier Stehenden, die den Tod nicht schmecken werden, bis sie das Reich Gottes in Macht kommen sehen.›› Der Abschnitt vereinigt fünf Jesusworte. Diese Anordnung ist wohl erst im Laufe 34.35 der Zeit entstanden. Die ersten zwei Worte stehen auch Mt. 10,38f. in etwas veränderter Form, bei Lukas 14,27 und 17,33, das erste an beiden Stellen und Thomasev. 55 mit dem Wort vom Hassen (oder weniger-Lieben) von Vater und Mutter 38 verknüpft. Das vierte Wort (V.38) findet sich bei Matthäus 10,33 (s. dort) und 31.34 Lk. 12,9. Die Verbindung der Leidensankündigung (V.31) mit den Aufrufen zur Nachfolge (V.34) und zur Rettung des wahren Lebens (V.35) muß aber schon vor Markus bestanden haben, denn sie erscheint auch Joh. 12,24-26, obwohl die einzelnen Aussprüche dort eine ganz andere Form angenommen haben. Der Zusam34 menhang könnte auf Jesus selbst zurückgehen. Die Einleitung von V.34 ist freilich typisch markinisch. Doch hat Markus auch 3,23 eine ähnliche Formel in einen vorliegenden Zusammenhang eingeschoben. Die ursprüngliche Form von V.34 ist nicht mehr sicher herzustellen. Das Nebeneinander von „hinter mir hergehen“ und „nachfolgen“ ist in Jesu Muttersprache unmöglich. Darin hat Mt. 10,38 wohl die alte Form besser bewahrt. Sprach Jesus nur vom „sich selbst Verleugnen“ , so daß die Gemeinde dies nach Jesu Tod mit dem Bild vom Kreuz illustriert hätte? Aber Kreuzigung war weit verbreitet, und das Bild des Veruteilten, der sein Kreuz aufnimmt und den Weg zur Hinrichtung antritt, ist so prägnant, daß es auf Jesus zurückgehen kann. Doch bleibt das zweifelhaft, besonders da man vor Jesu Kreuzigung normalerweise an einen Verbrecher denken mußte; jüdische Parallelen gibt es jedenfalls zur Zeit Jesu nicht. 35 Das nächste Wort ist in vier Formen überliefert: a) Mk.8,35, b)Mt,10,39, c) Lk. 17,33, d) Joh. 12,25. a) dürfte die älteste sein; freilich ist der Zusatz „und des Evangeliums“ sicher markinisch; er will - richtig - festhalten, daß das Wort auch nach Jesu Tod gilt. Wahrscheinlich wurde auch „um meinetwillen“ erst im Lauf der Tradition als Erklärung zugefügt; es fehlt in c) und d). Jesus hätte „um des Gottesreiches willen“ (Lk. 18,29; vgl. zu Mk. 10,29) gesagt; doch war ein solcher Zusatz für die Jünger, die schon mit Jesus unterwegs waren, gar nicht notwendig. V.36 ist vielleicht einmal ein Sprichwort gewesen, das besagte, daß aller Reichtum nichts nützt, wenn der Tod kommt. Schwieriger ist V.38. Das Schlußsätzlein fehlt in den Parallelen Mt. 10,33; Lk.12,9. Nie sonst stehen „Menschensohn“ und „Sohn Gottes“ (bzw. Gott als „Vater“ ) im gleichen Zusammenhang nebeneinander, wohl aber „Menschensohn“ und „Engel“ (s. zu 13,32). Dagegen findet sich die Dreiheit Vater, Sohn und heilige Engel (noch deutlicher Lk.9,26) auch 1.Tim.5,21; vgl. l.Thess.3,13; Offb. l,4f. (die sieben „Geister“ stehen 4,5 vor Gottes Thron wie die „Engel“ 8,2, obwohl sie für den Verfasser den heiligen Geist darstellen). Sie ist offenbar typisch für eine apokalyptisch ausgerichtete Gemeinde. V.38 Ende ist also Erläuterung der Gemeinde und Lk. 12,8f. wohl die älteste Form des Wortes. Die merkwürdige Unterscheidung von „ich“ und „Menschensohn“ wird auf Jesus zurückgehen, da die Gleichsetzung für die Gemeinde selbstverständlich war (vgl. Exkurs Menschensohn 2. und 5.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Markus unterstreicht, daß das Folgende allen gilt, nicht nur einer Sondergruppe. 34 V.33 hat ja eben gezeigt, wie wenig sich Jüngerschar und Welt trennen lassen. Zugleich zeigt er, wie wichtig Markus diese Sätze sind, in denen erst das rechte Verständnis von V.31 erreicht wird. Vom Tragen des Kreuzes spricht erst Lk. 14,27; das alte Bild beschreibt den, der sein Leben abgeschrieben hat und sehr konkret ins Sterben hineingeht. Aber auch Selbstverleugnung ist nichts anderes. „Verleugnen“ bedeutet Mk. 14,71 f.: „Ich kenne den Menschen nicht“ , bezeichnet also eine Freiheit von sich selbst und allen Sicherungen, ob sie irdischer Besitz oder Anspruch auf himmlischen Lohn heißen, in der man sein eigenes Ich nicht mehr kennen will; eine Freiheit, die nur dem möglich ist, der sich ganz Gott überläßt. Paulus nennt es Kreuzigung des Fleisches im Leben des Geistes (Gal.5,24f.), Johannes das Geborenwerden von oben, nicht aus dem Fleisch (3,5f.). Etwas davon geschah, als die Jünger Boot, Familie und Zolltisch verließen und sich die Einladung zu einem Leben hinter Jesus her schenken ließen. Nur in solcher Haltung kann man also das unverhüllte Reden von Gott (V.31 f.) verstehen. Nach V.35 zeigt sich 35 in der Nachfolge Jesu eine Umkehrung der Werte: sich selbst behaupten führt zum Verlust, sich selbst aufgeben zum Gewinn des „Lebens“ . Das griechische Wort psyche bedeutet wie der entsprechende semitische Ausdruck sowohl „Seele“ als auch „Leben“ . Man kann also „natürliches“ und „religiöses“ Leben nicht so einfach trennen. Das wirkliche Leben, auch das irdisch-natürliche, findet man erst im Sich-verschenken. Gerade wer es krampfhaft für sich festhalten will, geht an den Möglichkeiten echten, beglückenden Lebens vorbei. Leben, wie es der Schöpfer gemeint hat, ist nur in der Hingabe zu finden. Nur so ist es gelöstes, befreites, offenes Leben, in das Gott und der Nächste eindringen können. Solches Leben wird mit dem Tode nicht abbrechen, weil es schon Gott gehört und weil er durch alles Sterben hindurch dazu stehen wird (vgl. Exkurs zu 5,21-43). Das hat schon V.31 Ende gezeigt. Daß man mit einer asketischen Leistung etwas Höheres, ein ewiges Leben eintauschen sollte, wie es jüdische und griechische Parallelen sagen, ist nicht gemeint. Damit hielte der Mensch immer noch sich selbst und seine künftige Größe fest. Gemeint ist ein Leben der Nachfolge, das nur möglich ist hinter dem her, der selber sein Leben für alle verschenkt hat; also ein Leben, in dem Jesus so Zentrum geworden ist, daß alles Niedrig- und Hochsein (Phil.4,12) den Menschen nicht mehr bestimmt, weil er, ausgerichtet auf Gottes Namen, Gottes Reich, Gottes Wille, von sich selbst frei geworden ist. Im jetzigen Zusammenhang unterstreicht V.36: 36 wer darauf aus ist, sich selbst durchzusetzen, kann vielleicht die Welt gewinnen, wird jedoch sich selbst verlieren und an der Möglichkeit eines wahrhaft erfüllten Lebens vorbeigehen. Nichts aber kann diesen Verlust wieder gutmachen. Daß Jesus 37.38 nicht einen andern als Menschensohn erwartete, dazu vgl. Exkurs Menschensohn zu 8,27-33,2.). Das Nebeneinander von „ich“ und „Menschensohn“ in V.38 betont, daß die Entscheidung der Hörer dem vor ihnen stehenden, irdischen Menschen Jesus gegenüber schon das letzte Gericht entscheidet, von dem Jesus in zurückhaltender, seine Funktion objektiv darstellender Terminologie spricht. So geht auch Paulus 2.Kor. 12,2 unvermittelt in dritte Person über und spricht von „einem Menschen“ (aramäisch hieße das „Menschensohn“ ), wo er auf göttlich geheimnisvolle Erfahrung zu sprechen kommt, oder benützt die objektive Sprache © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 8,34-9,1: Nachfolge Jesu
alttestamentlicher Zitate, um Gottes Zorngericht am Jüngsten Tag auszusagen (Röm. 2,6; 11,8-10 usw.). Der „Menschensohn“ wird eindrücklich von „diesem Geschlecht“ , von der Gott nicht mehr dienenden Menschheit abgehoben (vgl. zu 1 8,27-33, Einl). Mit der markinischen Formel „und er sprach zu ihnen“ wird ein Wort von der Nähe des kommenden Gottesreiches angefügt. Der Zusammenhang ist kaum ursprünglich, weil hier von Kommen des Gottesreiches in Macht, nicht von dem des Menschensohnes die Rede ist; doch denkt Markus natürlich an das 8,38 geschilderte Gericht. Da „den Tod schmecken“ häufiger Ausdruck für „sterben“ ist, läßt sich das Wort nicht anders deuten als so, daß das Kommen des Weltendes noch zu Lebzeiten einiger Zeitgenossen Jesu erwartet wird. Man rechnet also mit einer, freilich kurzen, Zeitspanne zwischen Jesu Tod und dem Ende. Ob es so auf Jesus zurückgeht, ist doch fraglich, da er ausdrücklich alles Berechnen ablehnt (Lk. 17,20f.; vgl. Mk. 13,32). Es kann in der Gemeinde entstanden sein, die die wachsende Ungeduld mit dem Hinweis auf die Nähe des Zeitpunkts überwinden wollte. Das bereitet Schwierigkeiten, weil es sich nicht so erfüllt hat. Wer aber wirklich mit Gottes endgültigem Kommen rechnet, kann es nicht in weite Ferne hinausschieben, als gälte es doch noch nicht so ernst. Darum haben schon die Propheten den Tag Gottes in nächster Nähe im unmittelbaren Zusammenhang mit zeitgenössischen Ereignissen gesehen, so wie wir von einem Aussichtspunkt aus die verschiedenen Bergketten, zwischen denen kilometerweite Entfernungen liegen, übereinander sehen, als türmten sich die einen direkt auf den anderen auf. Jesus selbst redet nicht in der Form von 9,1, sondern so, daß er erklärt, das künftige Geschehen entscheide sich jetzt, wo Jesu Wort den Menschen trifft (8,38). Das Anliegen von 9,1 ist das gleiche: der Mensch soll sich über die bedrängende Nähe Gottes nicht täuschen. Nur ist die damals zeitgemäße Form heute nicht wiederholbar. Ein Rückblick auf 8,27-9,1 zeigt, daß Jesus gegen die Erwartung des Petrus das Leiden des Menschensohns stellte und allem Ausweichen davor mit letzter Strenge wehrte. Nur der versteht Jesus, der sich von ihm in die Nachfolge rufen läßt und dort lernt, sein eigentliches Leben gerade im Sich-verschenken zu finden. Solches Ja zu Jesus wird im künftigen Gericht gegenwärtig werden, wenn Gott über alles irdische Sterben hinweg sein Verheißungswort durchhalten und erst recht das wahre Leben dessen sein wird, der es hinter Jesus her hingegeben hat. Die Gemeinde hat da und dort verdeutlicht, auch die von Jesus verkündigte, den Menschen bedrängende Nähe des auf ihn zukommenden Gottes im Bild des sehr bald kommenden Menschensohns dargestellt (V.38c); sie hat wohl auch deutlicher gemacht, daß nur auf Grund des Kreuzestodes Jesu ein Mensch „das Kreuz aufnehmen“ und in die Nachfolge treten kann. Markus endlich hat die unvergleichliche Wichtigkeit dieser Worte in der Mitte seines Buches dadurch unterstrichen, daß er sie als „offene Lehre“ Jesu in Ablösung aller bisherigen Bildsprache bezeichnet und ihre Gültigkeit für alle Welt betont. Damit sagt er, daß nur im Leiden des Menschensohns und im Aufsichnehmen der Nachfolge durch den Menschen die Erfüllung aller Erwartungen, auch der im Christustitel eingeschlossenen (8,27-29), liege. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 9,2-8: Gottes Antwort auf die offene Rede vom Leiden des Menschensohnes
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Gottes Antwort auf die offene Rede vom Leiden des Menschensohnes 9,2-8; vg M t . l 7,1-8;B;Lk.9, 28-36 2 Und nach sechs Tagen nimmt Jesus Petrus und Jakobus und Johannes mit sich und führt sie auf einen hohen Berg, sie für sich allein. 3 Und er ward vor ihnen verwandelt, und seine Kleider wurden glänzend, sehr weiß, wie sie kein Walker auf Erden so weiß machen kann. 4 Und Elia erschien ihnen mit Mose, und sie unterhielten sich mit Jesus. 5 Und Petrus antwortete und sagt zu Jesus: „Rabbi, es ist gut, daß wir hier sind, und wir wollen drei Hütten machen, dir eine und Mose eine und Elia eine.“ 6 Er wußte nämlich nicht, was er antwortete; denn sie waren in große Furcht geraten. 7 Und es kam eine Wolke, die sie überschattete, und eine Stimme kam aus der Wolke: „Dieser ist mein geliebter Sohn, höret auf ihn!“ 8 Und plötzlich, da sie um sich blickten, sahen sie niemanden mehr als nur Jesus allein mit ihnen. V. 7: Ps. 2, 7; Jes. 4 2 , 1 ; 5. Mose 18, 1S.
Hinter dieser Erzählung könnte eine Erscheinung des Auferstandenen stehen (z.B. die vor Petrus, l.Kor, 15,5). 2.Petr. 1,16-18 spricht noch von „Ehre und Herrlichkeit“ , die Jesus empfangen habe, und der „hohe (2.Petr. 1,18: heilige) Berg“ findet sich auch Mt.28,16. Die sechs Tage (V.2) könnten sich einmal auf den Tod Jesu oder eine Ersterscheinung bezogen haben. Daß freilich Markus selbst eine Ostergeschichte hierher versetzt hätte, ist schon wegen 8,31 Ende unglaubhaft. Allerdings berichtet keine Ostergeschichte von einer Gottesstimme, himmlischen Begleitern und sichtbarer Herrlichkeit Jesu. Umgekehrt fehlt hier ein Jesuswort, wie es sich in allen Osterberichten findet, und jeglicher Hinweis auf Tod und Auferweckung. Außerdem wissen wir von keiner Erscheinung Jesu vor drei Jüngern. Ein historisches Erlebnis der Jüngerschar am Laubhüttenfest, wo man zur Erinnerung an die Zeit des Wüstenzuges Hütten baute, ist auch nicht recht glaubhaft. Eher schilderte die Geschichte im Anschluß an V. 1 in apokalyptischen Farben eine „Thronbesteigung“ Jesu mit Verleihung göttlichen Lebens, Vorstellung vor den Himmlischen und Übergabe der endgültigen Königsherrschaft (V.3.4.7), also so etwas wie ein Vorzeichen seiner Auferstehung als Antritt der endgültigen himmlischen Herrschaft. Einzelheiten der Schilderung sind mit jüdischen Visionen von der Endzeit verwandt. Wie immer der Ursprung der Geschichte sein mag, jedenfalls verwendet Markus sie, um die entscheidende Wichtigkeit des „Hörens“ auf Jesus (V.7) zu unterstreichen. Mit V.6 stellt er außerdem die Torheit aller Wundersucht, die schon von der Gegenwart kommender Herrlichkeit träumt, dem für ihn allein zentralen Lehren Jesu (8,31-9,1) entgegen. Denn daß hier ursprünglich gegen Kult an den Stätten der Erscheinungen des Auferstandenen polemisiert wurde, bleibt doch unwahrscheinlich. Die Formulierung (Elia) „mit“ (Mose) ist auch typisch für ihn (4,10; 8,34); nur ist damit nicht entschieden, ob man einmal nur von Elia, nur von Mose oder immer schon von beiden zusammen erzählte (s. zu V.4). In V.9-13 folgen Worte über Elia; da dieser dort aber Vorläufer Jesu ist, hat kaum erst Markus Elia in V.4f. eingeführt. Eher wurden schon vor MarkusV. 11-13 wegen des Stichwortes (vgl. zu 9,41-50, Einl.) „Elia“ mit unserer Erzählung zusammen überliefert und Markus hat wegen 5.Mose l8,15 Mose zugefügt. Vielleicht muß man mit neueren Arbeiten nicht nur V.6, sondern auch V.5 und 7b (wie 9f.) © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk.9,2-8: Gottes Antwort auf die offene Rede vom Leiden des Menschensohnes
als redaktionell ansehen, so daß „Höret auf ihn!“ von Anfang an als Mahnung an die Leser formuliert war. 2
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Zeitangaben finden sich sonst nur in der Passionsgeschichte. Spielte die Parallele zu 2.Mose24,16 eine Rolle? Hat Markus eine alte Angabe beibehalten, weil sie die Verklärung mit dem Vorangehenden verknüpfte? Zum Berg vgl. 2.Mose24,15, wo Mose und Josua (in der griechischen Bibel = „Jesus››!) zur Gottesoffenbarung auf den Berg steigen. Petrus, Jakobus, Johannes werden auch 5,37; 14,33 (vgl. 13,3), also immer, wenn es sich um letzte Geheimnisse handelt, ausgewählt. Die Verwandlung Jesu erinnert an 2. Mose 34,29ff. (was z.B. in der für das Volk erzählten biblischen Geschichte von Pseudo-Philo 11,15-12,1 sehr nah mit dem 24,15 f. Erzählten zusammensteht). „Glänzend›› ist auch der Engel auf dem „sehr hohen Berg“ in Ez.40,2f.(LXX). Freilich wird nichts vom Strahlen des Gesichtes Jesu berichtet. Die Verwandlung der Gerechten zu unirdischem Glanz und leuchtender Schönheit hat das Judentum für die Endzeit erwartet (syr.Bar.51,3 ff.; vgl. Mk. 12,25; l.Kor. 15, 51f.). Paulus sieht schon das jetzige Leben des Glaubenden in solchem Licht (Röm. 12,2; 2.Kor.3,18; doch Phil. 3,21). Weiß ist die Farbe der Engel (Mk.16,5; vgl. den Menschensohn Offb. 1,13ff., wo Dan. 7,9.13 anklingen). Vom Anziehen neuer oder weißer Kleider als Bild für das Auferstehungsleben sprechen auch äth.Hen.62,15f; slav.Hen.22,8; Offb.3,4; 7,9; vgl. 4,4; l.Kor. 15, 43.49.51-53. Was also für den Jüngsten Tag erhofft wird, vollzieht sich hier schon mit Jesus. Endzeitliche Herrlichkeit bricht über ihm an. Daß Elia kurz vor Anbruch der Endzeit erscheine, erwartete man seit Mal. 4,5 (3,23). Gelegentlich hat man auch an Henoch gedacht, weil diese beiden die einzigen waren, die nach dem Alten Testament ohne Tod zu Gott entrückt worden waren (vgl. 4.Esr. 6,26). Aus 5.Mose 34,6 scheinen gewisse jüdische Gruppen auch eine Entrückung Moses gefolgert zu haben; jedenfalls wehrt sich Josephus gegen solche Spekulationen (Altert. 4,326). Anders als in Offb. 11,3 ff., wo die beiden endzeitlichen Propheten, deutlich als Elia und Mose gezeichnet, gleichwertig nebeneinanderstehen, herrscht hier noch die alte Sicht von Elia als der entscheidenden endzeitlichen Gestalt (vgl. 9,11-13). Wegen der genannten Verwandtschaft zwischen Mose und Jesus aber erscheint jener als Elias Begleiter und wird V.5 sogar vorangestellt. Markus betont den Irrtum des Petrus, die endzeitliche Ruhe sei schon angebrochen, wo Gott und seine himmlische Welt schon auf dieser Erde „zelten“ (Offb. 21,3; vgl. Joh.1,14, im Griechischen überall der gleiche Wortstamm). Die Wolke spielt beim Erscheinen Gottes (z.B. 2.Mose 16,10; 24,18; 40,35; Ez.1,4) oder bei der Entrückung (äth.Hen. 14,8; Apg.1,9; l.Thess.4,17; Offb. 11,12) eine Rolle. Auch Jesu endzeitliche Erscheinung wird von der Gemeinde auf einer Wolke erwartet (Lk.21,27; vgl. Mk. 13,26; 14,62; Offb. 1,7). Die Gottesstimme entspricht 1,11, außer der für Markus wesentlichen Umformulierung von der zweiten zur dritten Person: Was dort nur zwischen Vater und Sohn verhandelt wurde, wird jetzt den drei Vertrauten offenbart. Dazu kommt die Zufügung „Höret auf ihn!“ , die Jesus als Erfüller des Dienstes des Mose (5.Mosel8,15) darstellt und auf Jesu Lehre in V.31 zu beziehen ist. Für Markus wird damit zugleich die Gemeinde von aller Schwärmerei, die das Ende schon sehen möchte, zum Hören zurückgerufen, also zum Wort, zum Evange© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 9,9-13: Das Gespräch vom kommenden Elia und dem leidenden Menschensohn
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Hum. Darum wird auch das Ende der Erscheinung so abrupt erzählt: nichts ist der 8 Gemeinde gegeben außer Jesus; alle Visionen, die auf anbrechende Endzeit hinweisen könnten, wollen nur andeuten, in welcher Dimension das zu sehen ist, was sich mit Jesus in seiner Passion (V. 12) abspielen wird. Darum braucht auch die Rückverwandlung gar nicht erzählt zu werden. So hat die Geschichte zwei im Judentum lebendige Erwartungen miteinander verbunden: das Kommen des endzeitlichen Propheten wie Mose und die Erscheinung Elias beim Anbruch der Endzeit. Für jeden Juden hat sie also ausgesagt, daß mit Jesus die Erfüllung der Geschichte Israels und aller Hoffnungen auf die herrliche Endzeit schon im Anbruch stehen. Markus hat den Abschnitt direkt hinter 8,27-9,1 gestellt, kaum als vorläufige Erfüllung von 9,1, wohl aber als Hinweis auf 8,31 als die Mitte seines Evangeliums. Der offenen Rede Jesu, die alle Bildsprache ablöst (8,32), entspricht die offene Rede Gottes selbst (9,7; vgl. 3,11 f.). Zum ersten Male wird das bisher nur den Dämonen bekannte Geheimnis Jesu drei Erwählten offenbart. Zugleich werden sie aber von aller Schwärmerei, die die herrliche Endzeit schon auf Erden sieht, weg auf das Wort vom leidenden Menschensohn gewiesen (8,31; 9,12). Das Unverständnis selbst der Jünger wird wie 8,32b auch 9,5 f. von Markus unterstrichen: nicht die himmlische Schau, nur die Botschaft ist das Bleibende; jene kann diese nur in ihrer Wichtigkeit unterstreichen. Das Gespräch vom kommenden Elia und dem leidenden Menschensohn 9, 9-13, vgl. Mt. 17,9-13 9 Und als sie vom Berg hinabstiegen, gebot er ihnen, keinem zu erzählen, was sie gesehen hatten, ehe nicht der Menschensohn von den Toten auferstanden wäre. 10 Und sie hielten das Wort fest und diskutierten miteinander, was denn das Auferstehen von den Toten sei. 11 Und sie befragten ihn: „Die Schriftgelehrten sagen doch, daß Elia zuerst kommen müsse.“ 12 Er aber sprach zu ihnen: „Elia kommt zuerst und stellt alles wieder her. Und wie ist vom Menschensohn geschrieben? Daß er vieles leide und verworfen werde. 13 Aber ich sage euch: Elia ist auch gekommen, und sie haben ihm angetan, was sie wollten, wie von ihm geschrieben ist.›› Der Zusammenhang ist unklar. Die Verbindung von V.9f. zu 11-13, wo ja nicht von der Auferstehung die Rede ist, ist ganz lose. Sollten V. 11-13 einmal direkt mit V. 1 verbunden gewesen sein, bevor Markus die Erzählung V.2-8 einschob und dann mit V. 9f., die auf alle Fälle auf ihn zurückgehen, wieder zu V. 11-13 zurücklenkte? Oder waren V. 11-13 schon vor ihm angeschlossen (vgl. zu 9,2-8, Einl.)? V. 11-13 könnte man als Einheit verstehen, wenn Jesus selbst mit dem wiederkehrenden Elia identifiziert wäre:die Erwartung (V. 11) ist freilich richtig (V. 12a), sie geht in Jesu Wirken in Erfüllung; doch ist vom Menschensohn das Leiden angesagt (V. 12b); eben darin ist er Elia gleich, von dessen Verfolgung das Alte Testament schreibt (V. 13). Ursprünglich ist Elia ja Vorläufer des zum Gericht kommenden Gottes, nicht des Messias (s. zu l,7f.). Für die Beziehung von V. 13 auf den alttestamentlichen Elia könnte die Vergangenheitsform neben der Gegenwartsform in V. 12 a sprechen. Vielleicht war früher noch unmißverständlicher formuliert: © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk.9,14-29: Die Heilung des epileptischen Knaben und seines kleingläubigen Vaters
„Damals, als Elia gekommen war, ...“ An eine andere Schriftstelle als 1.Kon. 19, 2.10 ist auch kaum zu denken. Sicher hat es aber Mt. 17,13 anders verstanden und die dort gemachte Gleichsetzung von wiederkommendem Elia und Täufer ist schon vor Markus vollzogen worden (s. zu 1,6). So steht diese Gleichsetzung eher von Anfang an hinter dem Text. Dabei treten aber zwei Aussagen nebeneinander: a) Elia ist wirklich gekommen, nämlich im Täufer; b) das Schicksal des Täufers, das l.Kön. 19,2.10 endzeitlich erfüllt hat, ist wegweisend für das des Menschensohns. So hat es Markus verstanden, ob in Korrektur einer älteren Auffassung oder entsprechend dem ursprünglichen Sinn. Beide Motive gehen durcheinander, so daß der Zusammenhang unlogisch wird. 9
Die Situation des Abstiegs vom Berg endzeitlicher Herrlichkeit in die Tiefe menschlicher Unsicherheit und Not ist auf einem Gemälde Raffaels im Vatikan eindrücklich dargestellt. Wieder betont Markus das Messiasgeheimnis (s. zu 1,34): eine Verkündigung der Herrlichkeit Jesu wird erst in der nachösterlichen Gemeinde (die auch vom Kreuzestod weiß!) möglich sein (vgl. zu 8,30). Nur hier ist auf die kommende Auferstehung ohne Nennung von Leiden und Tod (doch V. 12!) hingewiesen, wohl weil sie (und nicht die Kreuzigung) den Beginn der Verkündigung der Jünger brachte. Die Formulierung erinnert an 8,31. Aller himmlische Glanz Jesu, in Wundern und visionären Erlebnissen, kann demnach nur Zeichen für Jesu Kreuz als Mitte der nach Ostern einsetzenden öffentlichen Verkündigung sein. Die 10 Frage, was Auferstehung sei, ist für einen Juden unmöglich; es ist markinische Dar11 Stellung der totalen Blindheit der Jünger für Gottes Offenbarung. Der Satz vom wiederkommenden Elia ist der Gemeinde vielleicht wichtig gewesen, weil Juden 12.13 ihn gegen die christliche Naherwartung des Endes verwendeten. Für Markus ist aber das Schicksal Elias als Vorbild für das Leiden des Menschensohns wichtiger als die bloße Tatsache seines Gekommenseins (im Täufer). So beschreiben diese Sätze, was immer ihr ursprünglicher Sinn gewesen sein mag, für Markus wieder die Bewegung von einer Herrlichkeitstheologie zur Kreuzestheologie hin; ohne sie könnte man den Bericht von der Verklärung nur mißverstehen. Die Siegesaussagen von 9,1 und 9,2-8 sind also durch 8,31 und 9,12 eingeklammert und gedeutet. Dabei wird das Leiden nicht erklärt (und damit gemildert), sondern nur parallel dem Schicksal des Täufers-Elia als von Gott auferlegtes, notwendiges verkündet.
Die Heilung des epileptischen Knaben und seines kleingläubigen Vaters 9,14-29, vgl Mt, 17,14-21; Lk. 9,3 7-43 a 14 Und als sie zu den Jüngern kamen, sahen sie eine große Menge um sie herum und Schriftgelehrte, die mit ihnen diskutierten. 15 Und sogleich, als die ganze Menge ihn sah, erschraken sie, liefen herzu und grüßten ihn. 16 Und er fragte sie: „Was diskutiert ihr mit ihnen?“ 17 Und es antwortete ihm einer aus der Menge: „Meister, ich habe meinen Sohn zu dir gebracht, der einen sprachlosen Geist hat; 18 und wo immer er ihn packt, da zerrt er ihn und schäumt und knirscht mit den Zähnen und wird starr. Und ich habe deinen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 9,14-29: Die Heilung des epileptischen Knaben und seines kleingläubigen Vaters
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Jüngern gesagt, sie möchten ihn austreiben, und sie konnten es nicht.“ 19 Er aber antwortete ihnen und sagt: „Du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn zu mir!“ 20 Und sie brachten ihn zu ihm. Und als der Geist ihn sah, krampfte er ihn sogleich zusammen, und er fiel zu Boden und wälzte sich schäumend. 21 Und er fragte seinen Vater: „Wie lange ist es, daß ihm das widerfahren ist?“ Der aber sprach: „Von Kind auf, 22 und oft hat er ihn auch ins Feuer und ins Wasser gestürzt, um ihn umzubringen. Aber wenn du irgend kannst, hilf uns und erbarme dich über uns!“ 23 Jesus aber sprach zu ihm: „Wenn du kannst - alles ist möglich dem, der glaubt!“ 24 Sogleich schrie der Vater des Kindes auf und sagte: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben.“ 25 Als aber Jesus sah, daß die Menge zusammenläuft, bedrohte er den unreinen Geist und sagte zu ihm: „Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre aus ihm und fahre nicht mehr in ihn hinein.›› 26 Und er schrie, krampfte ihn heftig zusammen und fuhr aus. Und er ward wie tot, so daß die meisten sagten: „Er ist gestorben.“ 27 Jesus aber ergriff seine Hand und richtete ihn auf, und er stand auf. 28 Und als er ins Haus hineingegangen war, fragten ihn seine Jünger, (als sie) für sich allein (waren): „Warum haben wir ihn nicht auszutreiben vermocht?›› 29 Und er sprach zu ihnen: „Diese Art fährt durch nichts als durch Gebet aus.“ Hat Markus diese Geschichte in zwei Formen gekannt? V. 14-19 und 27-29 ist sie so erzählt, daß das Interesse ganz an den Jüngern und ihrem Unverständnis, in V. 20-27 so, daß es am Vater hängt. Auch die Krankheit ist doppelt beschrieben in V. 18 und 21 f. Das Volk ist nach V. 14 und 17 schon da, nach V.25 strömt es erst herbei. Zwar gehört es zum Stil, daß vor der Heilung Schwierigkeiten auftauchen; aber das wäre schon in beiden Einzelgeschichten der Fall. Markus hat also vielleicht zwei Versionen zusammengearbeitet, weil er beide brauchen konnte, um deutlich zu machen, was Glaube in der Nachfolge Jesu ist. Daher ordnet er die Geschichte auch hier, nicht unter den Wundertaten Jesu, ein. Daher fehlt das „Messiasgeheimnis“ (s. zu 1,34), d.h. die Proklamation Jesu durch den Dämon oder den Geheilten und Jesu Schweigegebot. Genaugenommen müßte es heißen „zu den übrigen neun Jüngern“ ; die Geschichte sprach wohl schon von „den Jüngern“ , bevor sie Markus hier einfügte. Das staunende Erschrecken des Volkes zeigt wie 1,27, daß Jesus mit ganz anderer Vollmacht als die Schriftgelehrten (1,22) kommt, und daß diese von ihm ausgeht, bevor er nur spricht oder handelt. Das Folgende hat mit einer Diskussion zwischen Schriftgelehrten und Jesusjüngern nichts zu tun; aber gerade weil die Einleitung V. 14-16 nicht recht paßt, wird ihr Zweck deutlich: sie soll die Geschichte ins Allgemeingültige heben, zeigen, daß es hier um eine grundsätzliche Frage geht, und den Blick auf die Jüngerschar lenken, also auf die Gemeinde, die wegen ihres Glaubens in der Auseinandersetzung mit ihren Gegnern steht. Ihre Not ist, im Unterschied zu ihrem Meister, ihre Vollmachtslosigkeit, die in ihrem Unglauben begründet ist. Jüngerschar und Schriftgelehrte sind also nicht so einfach zu scheiden, wenn man auf das sieht, was sie besitzen; sie unterscheiden sich nur danach, wo sie ihre Hilfe suchen. Jesu Wort (vgl. Jer.5,23; 1.Kön.19,14; 4.Mose 14,27; 5.Mose32,5.20) zeigt, daß er nicht zu diesem „ungläubigen Geschlecht“ gehört, sondern ihm grundsätzlich gegenübersteht und auf Gottes Seite an der Not ihres Unglaubens leidet, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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ja, daß hier der eigentliche Kern seines Leidens liegt. Man kann den Text nicht lesen, ohne sich diesem Anspruch zu stellen. Er ist die Pointe dieses einleitenden Ab20 Schnitts. Die Vollmacht Jesu ist (wie in V. 15) nicht so dargestellt, daß man erst auf Grund der Worte oder Taten Jesu nachträglich darauf schließen kann; sondern so, daß sie sich aufdrängt, sobald er uns begegnet. So wittert sie der Geist, bevor Jesus ihn anspricht; die Folge ist sein Widerstand und seine Kampfansage. So kann die Gegenwart Gottes Sturm und Not bedeuten, bevor etwas Positives geschieht. Die 21 Hartnäckigkeit der Krankheit wird eindringlicher geschildert; wie in V. 18 erschei22 nen Merkmale der Epilepsie. Die Formulierung „wenn du irgend kannst“ ist bewußt auf Jesu Antwort hin geprägt; sie beschreibt den Halbglauben des Vaters 23 ausgezeichnet. Jesu Antwort bezöge sich genaugenommen auf seinen eigenen Glauben; aber die ganze Geschichte will die Not menschlichen Un- und Halbglau24 bens darstellen (V. 19.22.24) und Hilfe dafür anbieten (V.23.28f.). Das Aufschreien des Vaters zeigt seine Not. Aus ihr heraus wird die Antwort geboren, die vielleicht die großartigste zu dieser Frage ist. Wer zu sagen wagt „ich glaube“ , der muß im gleichen Atemzug sagen, daß er das nur kann, weil er darauf traut, daß Gott ihm immer neu zum Glauben verhilft, daß also gar nicht „ich“ , sondern Gott letztlich Subjekt solchen Glaubens sein kann. Einzig im Wissen um den eigenen Unglauben kann man das Gottesgeschenk des Glaubens froh und getrost bekennen; denn nur wenn er auf Gottes Tat ruht, ist er gewiß. So ist Glauben jenes unbedingte Offensein auf Gottes Tun hin, jenes stete Warten, das im Blick auf sich selbst immer nur das Nichtglauben feststellen könnte, im Blick auf Gott aber sehr fröhlich und gewiß erkennt, daß er dieses Nichtglauben immer wieder heilt. Wie 2,5 ist auch hier nicht vom Glauben des Kranken die Rede, sondern von dem eines andern; an Sugge25 stionsheilung denken die Erzähler selbstverständlich nicht. Die Heilung des Knaben wird wie 1,25 (vgl. 4,39) als „Bedrohen“ , d.h. als Kampf mit dem Feind beschrieben, wobei Jesus seine Autorität mit stark betontem „ich“ unterstreicht. Die 26.27 Schwierigkeit der Heilung zeigt die Größe der Tat Jesu. Die Formulierung ist genau die von Ostern: „er erweckte ihn, und er erstand“ . Werden schon im Alten Testament Krankheit und Heilung als Tod und Auferweckung empfunden (z.B. Ps. 30,4), so wird auch hier Jesu Vollmachtstat transparent. Es handelt sich um die Gesundung eines Kranken; aber hinter ihr erblickt der Leser schon den, der einst die Toten 28 auferwecken wird. Typisch für Markus ist die Aussonderung der Jünger von der Menge „für sich allein“ und die Belehrung im „Haus“ (vgl. zu 6,30f., Einl., und 2, 1), die die Bedeutung der Geschichte für die Gemeinde festhält. Die Jünger haben also die Geschichte mißverstanden, wenn sie nach einer besonderen Methode 29 suchen. Der Aufruf Jesu zum Gebet betont, daß alle Macht bei Gott liegt, nicht in der Seele des gläubigen Menschen, daß es also Offensein für Gottes Tat braucht, nicht eigene menschliche Leistung. Daß gerade dieses Einfachste und eigentlich Selbstverständliche das Größte ist, weil es ganz von sich weg auf Gott hin schaut, das haben schon die Abschreiber nicht mehr verstanden, die noch zufügten „und durch Fasten“ . So will Markus mit dieser Geschichte und seiner Deutung in V.28f, zum Teil auch in V. 14f., verkünden, daß es die seit 8,34 geforderte Nachfolge nicht aus © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 9,30-32: Die zweite Lehre Jesu vom Leiden des Menschensohnes
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eigener frommer Kraft, sondern einzig aus Gottes Tat gibt, daß daher gerade der Mensch gerufen ist, der um seinen Unglauben weiß und völlig auf Gott angewiesen bleibt, also beten gelernt hat. So steht diese Erzählung am rechten Platz zwischen der ersten und der zweiten Ankündigung des Leidens des Menschensohnes. Sie ist mit 10,46-52 zusammen die einzige Wundergeschichte nach 8,26; beide sind im Sinn des Markus Demonstration der Nachfolge, nicht Wundergeschichten. Die zweite Lehre Jesu vom Leiden des Menschensohnes 9, 30-32, vgl Mt 17, 22f.; Lk.9,43b-45 30Und von dort brachen sie auf und wanderten durch Galiläa, und er wollte nicht, daß es jemand erführe. 31 Denn er lehrte seine Jünger und sagte zu ihnen: „Der Menschensohn wird ausgeliefert in der Menschen Hände, und sie werden ihn töten, und wenn er getötet ist, wird er nach drei Tagen auferstehen.“ 32 Sie aber verstanden das Wort nicht und fürchteten sich, ihn zu fragen. Das Wortspiel „Der Menschensohn wird in der Menschen Hände übergeben werden“ unterstreicht das Geheimnis, daß der, der Mensch unter Menschen ist, ihnen doch gegenübersteht und von ihnen verworfen werden wird. „Ausgeliefert werden“ deutet an, daß Gott selber in diesem Geschehen handelt, sagt es aber nicht ausdrücklich, so daß die Beziehung auf das Tun der Menschen, etwa des Verräters, nicht ganz ausgeschlossen bleibt. Das Ineinander von Menschentat und Gotteswillen ist nicht aufgelöst. So lädt der Satz zum Glauben ein, ohne doch eine Formel zu sein, die man bloß übernehmen könnte. Der Hinweis auf Tod und Auferstehung ist nachträgliche Verdeutlichung (vgl. Lk.9,44!). Markus hat dies durch seine redaktionelle Umrahmung hervorgehoben. Zunächst wird das Messiasgeheimnis (s. zu 1,34), d.h. die Unfähigkeit des Menschen, Jesus zu verstehen, betont. Ja, der Rückzug Jesu von der Öffentlichkeit wird sogar durch seine Leidensansage begründet („denn“ ). Er will also keinen Publikumserfolg. Mit dieser „Lehre“ unterscheidet sich Jesus von aller „Verkündigung“ vor und nach ihm (s. zu 1,23-26, Einl.); sie ist die eigentliche Offenbarung Gottes. Aber sie ist es so sehr, daß sie den Menschen, selbst den erwählten Jüngern, denen Jesu Lehre zuteil wird, fremd bleibt. Gotteswelt und Menschenwelt bleiben geschieden wie 8,33. Wenn Glaube werden soll, dann nur als absolutes, unbegreifliches Wunder Gottes (vgl. zu 15,39). Das Unverständnis der Jünger und die Nachfolge Jesu 9,33-3 7, vgl. Mt.18,U5; Lk.9,46-48 33 Und sie kamen nach Kapernaum. Und als er im Hause war, fragte er sie: „Was bespracht ihr unterwegs?“ 34 Sie aber schwiegen; denn sie hatten miteinander unterwegs besprochen, wer der Größte sei. 35 Und er setzte sich und rief die Zwölf und sagt zu ihnen: „Wenn einer der erste sein will, soll er der letzte von allen und aller Diener sein.“ 36 Und er nahm ein Kind, stellte es in ihre Mitte, schloß es in seine Arme und sprach zu ihnen: 37 „Wer immer eins von solchen Kindern aufnimmt um meines Namens willen, der nimmt mich auf; und wer immer mich aufnimmt, der nimmt nicht mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.“ © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 9,33-37: Das Unverständnis der Jünger und die Nachfolge Jesu
Wie 8,33 ff. folgt auf die Leidensansage das Unverständnis der Jünger und Jesu Aufruf zur Nachfolge (vgl. das Stichwort V.38). Die Anordnung geht also auf Markus zurück (vgl. auch zu 10,32-34), ebenso die Szene im „Haus“ (s. zu 2,1), das Jesus und Jünger zusammenschließt und von der übrigen Menge scheidet, und die Charakterisierung der Jünger, die ihre Blindheit gegenüber Jesu Weg unterstreicht. Offenbar war V.35 einmal ohne die Szene V.33f. überliefert; das „Rufen“ der Zwölf ist mit einem ganz anderen Wort beschrieben, als Markus es sonst (s. zu 3,20-35, Einl.) braucht, gehört also zum Spruch, wäre aber nach V.33 f. unnötig. Jesus antwortet also mit einem Wort an die Zwölf, das ohne nähere Angabe der Situation in der Gemeinde wiederholt wurde. Es existiert in vier oder fünf Formen: a)Mk.9,35; b)Mk.l0,43f. = Mt.20,26f.; c) Lk.22,26 und Mt. 23,11; d) Lk. 9,48 c. Die älteste Form ist wohl b) mit dem typisch jüdischen Doppelsatz. Das Stichwort „Knecht“ oder „Diener“ findet sich in allen Formen: „der erste“ ist wohl älter als „der Größere“ (in c), was gerade hier näher läge, also eher spätere Anpassung ist. V.37a könnte schon vormarkinisch zum Stichwort „groß(/klein)w angefügt gewesen sein (vgl. zu 9,41-50). V.37b erscheint bei Matthäus an anderer Stelle (10,40) in ähnlicher Form. Dieser fügt in unserem Zusammenhang dafür zwei andere Sprüche ein (18, 3f.), die ähnlich Mk. 10,15 und Lk. 14,11; 18,14 auftauchen. Es ist also deutlich, daß die Evangelisten überlieferte, vielleicht von Anfang an in verschiedenen Formen wiedergegebene Einzelworte Jesu dort einfügen, wo sie es für passend halten (vgl. zu 10,35-45). Der ganze Abschnitt ist also von Markus zusammengestellt, der wohl auch die Szene V.36 gestaltet. 33 Wie 8,1 (s. dort) und 27 ergreift Jesus mit seiner Frage die Initiative. Das Ver34 halten der Jünger beschreibt wie 8,32 den Jesu Willen zum Leiden entgegengesetzten Willen der Menschen. In seiner Sehnsucht nach dem Großsein, die sich z.B. in seinen Minderwertigkeitsgefühlen ausdrückt, zeigt sich sein Geschiedensein von 35 Gott, der in Jesus die Niedrigkeit bejaht. Gewiß gibt es keine Ordnung ohne Oben und Unten, und man kann verstehen, daß die Frage nach der Einstufung vor Gott im Judentum die wichtigste wurde. Auch nach Jesu Wort gibt es das; nur ist es der Letzte, der Diener aller, der vor Gott Erster ist; also gerade der, der darauf verzichtet, obenaus zu schwingen und sich vor Gott oder Welt durchzusetzen. Damit sind wir in nächster Nähe dessen, was Paulus Phil. 3,7-9 und 1. Kor. 1,18-31. 36.37 schreibt. Der Satz von der Aufnahme des Kindes, illustriert durch eine entsprechende Handlung Jesu, besagt freilich etwas anderes. Für Markus besteht ein Zusammenhang insofern, als sich Jesus hier mit den Kleinen, den Ohnmächtigen identifiziert (vgl. Mt.25,31ff.); darum gehört V.37b für ihn unbedingt mit dazu (obwohl schon Mt. 18,5 das nicht mehr gesehen hat; s. dort). Dann ist also das Kind Bild für den hilfsbedürftigen Jünger (vgl. V.41). Er soll diesen Stand nicht scheuen. Als einer, der V.31 gehört hat, ist er in die Nachfolge gerufen, in der er „Letzter“ werden und so Jesus, ja, Gott der Welt bezeugen kann. Vielleicht ist der Gedanke eingeschlossen, daß wer selber klein sein kann, nicht mehr „in den Himmel hinaufsteigen“ (Röm. 10,6), alle nur möglichen religiösen Anstrengungen auf sich nehmen muß, um Gott zu finden, sondern dort sein darf und soll, wo der Tag mit seinen Aufgaben ihn eben fordert, z.B. beim Waisenkind, das auf seine praktische Hilfe angewiesen ist. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 9,38-40: Die Frage, wer nachfolgt und wer nicht
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So schärft Markus ein, daß alle Sonderbelehrung Jesu die Gottesoffenbarung dem Menschen nicht zueignen kann, wenn er nicht bereit ist, in die Nachfolge zu treten und dort „Letzter“ und „Diener“ zu werden. Dafür freilich sind die Menschen, selbst die von Gott erwählten, mit ihrem Groß-sein-Wollen blind und bleiben auf Gottes Wundertat angewiesen, die allein solche Nachfolge schenken kann (vgl. zu 16,7). Die Frage, wer nachfolgt und wer nicht 9,38-40, vgl. Lk. 9,49-50 38 Da sprach zu ihm Johannes: „Meister, wir sahen einen, der in deinem Namen Dämonen austreibt, der uns nicht nachfolgt, und wir wollten es ihm verwehren, weil er uns nicht nachfolgte.“ 39 Jesus aber sprach: „Verwehrt es ihm nicht; denn es ist niemand, der eine Machttat auf meinen Namen hin tun und bald von mir übelreden wird; 40 denn wer nicht gegen uns ist, ist für uns.“ Der kleine Abschnitt ist wohl von Markus aus der Tradition aufgenommen (vgl. zu 9,41-50); Johannes spielt sonst keine Sonderrolle. Da im Neuen Testament nie von einem anderen „Nachfolgen“ als dem gegenüber Jesus die Rede ist, ist die zweimalige Formulierung „uns“ auffällig. Vor allem ist das Verhalten der Jünger zur Zeit Jesu unmöglich. Abgesehen davon, daß sie kaum je eine selbständige ohne Jesus handelnde Gruppe gewesen sind, können sie sich doch nicht darüber wundern, daß einer „ihnen“ nicht nachfolgt. Jesus hat ja nie alle aufgefordert, sich dem Zwölferkreis anzuschließen (vgl. 5,19). Das alles weist in die Zeit der Gemeinde, als dieses Problem brennend wurde (Exkurs zu Mt. 7,13-23,2.), nicht in die Jesu. Dann fragte man: „Wie hätte Jesus selbst entschieden?“ , und ein christlicher Prophet mag im Namen des erhöhten Jesus (vgl. Offb.2,1) die Antwort V.40 gegeben haben, die dann durch V.39 erläutert wurde, was ein Papyrus schließlich noch mit der Hoffnung auf künftigen Anschluß (an die Gemeinde) begründete. „Im Namen ...“ ist keine griechische Formel, findet sich aber im griechischen 38 Alten Testament und Mk. 16,17; Lk. 10,17; Apg.3,6; 4,7.10; Jak.5,14 für „unter Anrufung des Namens ...“ . Johannes verkörpert die natürliche Haltung des Menschen, der auf Gewinnung von Mitgliedern und Stärkung seiner kirchlichen Gruppe bedacht ist, daher für Randsiedler, die nicht beitreten wollen, nicht allzuviel übrig hat. Daß die Gemeinde nie ängstlich ihr äußeres Wachstum im Auge haben, son- 39 dem weitherzig für den Außenseiter offen sein soll, entspricht Jesu Haltung (vgl. zu Mt. 12,30). Freilich zeigt die Formulierung „nicht ... bald“ , daß das Problem damit noch nicht gelöst ist; gelegentlich könnte dieser Fall eben doch auftreten. Paulus erklärt 1.Kor. 12,1-3, es gebe auch im Heidentum allerlei erstaunliche Phänomene und „Gottes“ erlebnisse (V.2), der Geistbesitz zeige sich aber darin, daß einer Jesus Herr sein lasse (V.3) und darum für den Dienst an den andern offen werde (V.7). So werden Vollmachtstaten des Geistes ernst genommen, können aber für sich allein noch nicht Kriterium dafür sein, ob ein Mensch damit Jesus verkündigt oder ihm entgegen wirkt. Der Schlußsatz sagt, daß ein Mensch, solange 40 er sich nicht ausdrücklich von Jesus scheidet („Verflucht sei Jesus“ 1.Kor. 12,3!), zur Gemeinde Jesu gehört. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 9,41-50: Jüngersprüche
So versteht Markus wohl die Verse im Anschluß an V. 33-37 als Warnung vo einer Überheblichkeit der Gemeinde (vgl. Apg. 19,15 ff.) und zugleich als Präzi sierung des Aufrufs zur Nachfolge dahin, daß es nicht auf die äußere Zugehörigkei zur Gemeinde, sondern auf ein Leben in der Vollmacht des Geistes ankomme. Jüngersprüche 9,41-50, vgl Mt. 18,6-9 41 Denn wer immer euch mit einem Becher Wasser tränkt in dem Namen, daß ihr Christus gehört, wahrlich ich sage euch, daß er seines Lohnes nicht verlustig gehen wird. 42 Und wer immer einen dieser Kleinen, die glauben, zu Fall bringt, für den wäre es besser, wenn ihm ein Eselsmühlstein um seinen Hals gehängt und er ins Meer geworfen würde. 43 Und wenn dich deine Hand zu Fall bringt, so hau sie ab. Es ist besser für dich, als Krüppel ins Leben einzugehen, als beide Hände zu haben und in die Hölle wegzugehen, ins unauslöschliche Feuer. 45 Und wenn dein Fuß dich zu Fall bringt, so hau ihn ab. Es ist besser für dich, lahm ins Leben einzugehen, als beide Füße zu haben und in die Hölle geworfen zu werden. 47 Und wenn dein Auge dich zu Fall bringt, so reiße es aus. Es ist besser für dich, einäugig in das Reich Gottes einzugehen, als, beide Augen habend, in die Hölle geworfen zu werden, 48 wo ,ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlöscht'. 49 Denn jeder wird mit Feuer gesalzen werden. 50 Das Salz ist gut; wenn aber das Salz salzlos wird, womit wollt ihr es würzen? Habt Salz in euch und haltet Frieden untereinander.“ V.48:/‹. 66,24.
V. 37-50 bilden eine, vielleicht für Unterrichtszwecke benützte vormarkinische Sammlung, in der immer im ersten Vers jeder Einheit das gleiche Stichwort auftaucht wie am Schluß der vorangehenden, falls V.41 ursprünglich wie die Version Mt. 10,42 ebenfalls von „einem dieser Kleinen“ sprach: „im Namen“ V.37/38 und V.39/41, „einer dieser Kleinen“ V.41/42, „zu Fall bringen“ V.42/43, „Feuer“ V. 48/49, „Salz“ V.49/50. Solche Stichworte dienten einfach als Gedächtnisstütze für die, die die Sprüche auswendig lernten, wie z.B. die Anfangswörter der Liedstrophen von „Befiehl du deine Wege ...“ den Spruch ergeben, der als Gedächtnisstütze für die Reihenfolge dient. Ursprünglich schloß wohl V.37 direkt an V.41 an, wie das Zusammenstehen beider Sprüche inMt. 10,40.42 vermuten läßt; dann hätte Markus V. 38-40 wegen des Stichworts „in deinem Namen“ eingeschoben und in V.41 die Wendung „einen dieser Kleinen“ durch „euch“ ersetzt, weil das Wort sich jetzt direkt auf die angesprochenen Jünger bezieht. Die Wendung „Christus gehören“ ist erst in der Gemeinde denkbar (vgl. zu 8,30). In manchen Handschriften findet sich V.48 auch nach V.43 und 45; das zeigt, wie solche Spruchsammlungen weiterwuchsen (vgl. auch zu Mt.5,29f.). 41
Der erste Spruch empfahl wohl ursprünglich christliche Missionare der Gastfreundschaft. Für Markus besagt er neben V.40 wohl, daß selbst ein so geringer Dienst nicht vergessen werden und sein Täter nicht zu den V. 42-48 Bedrohten gehören soll. Vom „Lohn“ wird auch sonst unbefangen gesprochen; aber in seltsamer Weise: vgl. zu Mt. 20,15. So wird auch hier wegen eines einzigen Bechers Wasser Lohn verheißen, aber 1.Kor. 13,3 dem, der alles, sogar sein Leben hingibt, der Lohn unter Umständen abgesprochen. Lohn ist also immer nur in der Freund© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 9,41-50: Jüngersprüche
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lichkeit Gottes begründet, die unser Tun so ernst nimmt, daß sie die kleinste, ihm erwiesene Tat nicht vergißt. Wer aber Anspruch auf Lohn erheben wollte, zeigte ja damit, daß er es nicht für Gott, sondern für sich selbst getan hat. Die „Kleinen“ 42 sind die Jünger Jesu, die „geistlich Armen“ (Mt.5,3, s. dort). Hier ist der unverständlich gewordene Ausdruck erläutert durch „die glauben“ (vgl. zu Mt. 18,6). Lk. 17, lf. (vgl. Mt. 18,7) ist der Spruch ausführlicher erhalten; dort ist an endzeitliche Verführer gedacht, die die „Kleinen“ , die wehrlosen Jünger, noch zu Fall bringen wollen, bevor die endgültige Erlösung kommt. Aber auch in der Markusform sind die Jünger in ihrer Anfechtung besonders unter Gottes Fürsorge gestellt. Die Unbedeutenden, Uninteressanten, Zurückgestoßenen, an den Wänden Herumklebenden, Seltsamen und Langweiligen werden der Gemeinde besonders ans Herz gelegt. Man wird auch an die denken, die nicht allem folgen können, was die Theologie erkennt; freilich nicht an jene „Kleinen“ , die sich als die allein Gläubigen ansehen und alle übrigen tyrannisieren. Der „Eselsmühlstein“ ist ein fast glockenförmiger Steinmantel, der über einem konusförmigen Steinkern bei großen Mühlen von einem Esel gedreht wird und oben ein Einschüttloch für das Korn besitzt. Das Bild ist grotesk und dadurch eindrücklich, besonders da Ertränktwerden für den Juden eine der verabscheuungswürdigsten Todesarten ist. Die folgenden Verse 43-47 sprechen eine ebenso erschreckende Warnung aus, aber nicht im Blick auf die Verführung anderer, sondern auf die Haltung gegen sich selbst. Natürlich hat das nichts zu tun mit Selbstverstümmelung, wie sie damals in manchen Religionen geübt wurde. Das Abhauen der Glieder ist ja nicht Selbstzweck und dient auch nicht der Vervollkommnung des Geistes auf Kosten des Leibes. Es ist radikaler Ausdruck dafür, daß Gehorsam gegen Gott unter allen Umständen wichtiger ist selbst als die eigenen Körperglieder (die also als das höchste Gut des Menschen, nicht als etwas Verachtenswürdiges, gelten). Damit ist nicht einfach zu wörtlicher Befolgung dieser Sätze aufgerufen (vgl. auch zu Mt. 19, 11 f.). Vor allem geht es nicht um verdienstliche Selbstverstümmelung, sondern darum, sich von allem zu befreien, was die Gemeinschaft mit Gott hindern will. Das wird in jedem Einzelfall etwas anderes sein. Die Vorstellung, daß ein einzelnes Glied Sünde verübt, entspricht jüdischem Denken (vgl. etwa Spr.6,17f.; 23,33; 27,20). Das mit „Hölle“ übersetzte Wort „geenna“ ist ursprünglich Name eines Tals südlich von Jerusalem (Jos. 15,8; 18, 16), in dem Götzenopfer dargebracht und das daher von den Propheten mit Gottes Gericht bedroht wurde (Jer.7,32; 19,6). Es wurde daher zum Ort des letzten Gerichts und schließlich der Qual der Verurteilten. Die schwerste Warnung ist 48 nur noch im alttestamentlichen Zitat ausgesagt. Wer daraus schlösse, er müsse an ewige Höllenqualen glauben, hätte nicht recht verstanden. Dagegen ließe sich auf Röm.11,32 oder l.Tim.2,4 weisen. So ist der dogmatische Satz, daß einige in der Hölle büßen werden, ebenso unmöglich wie der gegenteilige, daß alle selig sein werden. Beide nehmen vorweg, was nur Gott zusteht. Kann man jenen Satz nur je in der eigenen Versuchung als äußerste Warnung Gottes hören, so diesen nur je in der eigenen Anfechtung als letzte Verheißung Gottes. Sobald man sie ummodelt zu dogmatischen Sätzen, ist es nicht mehr demütiges Hören, in dem sich einer zum Glauben rufen läßt, sondern ein Verfügenwollen über die Zukunft, das Gott die Hände bindet und ihm sein zukünftiges Handeln nicht mehr freiläßt. V.49 49 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 10,1-12: Von der Nachfolge in der Ehe
ist in den Handschriften verschieden überliefert. Am ehesten ist er so zu verstehen, daß Gottes Feuer (die Not der Verfolgung oder der Endzeit oder der heilige Geist?) wie Salz (mit dem man Fleisch einpökelt) vor der Fäulnis bewahrt. Noch schwerer 50 ist V.50 zu deuten. Klar ist, daß Salz etwas Gutes ist, aber seine Schärfe behalten muß. „Habt Salz“ ist wohl ursprünglicher als Mt.5,13 (s. dort): „ihr seid das Salz“ . Ist damit an die Bereitschaft zum Opfer gedacht, weil Salz beim Opfer verwendet wird? Oder ist die Botschaft der Jünger als Salz vorgestellt? Oder gesunder Menschenverstand (Kol.4,6), Liebestätigkeit (Billerbeck I 236), Weisheit in der Endzeit, die Tischgemeinschaft, die im Orient durch das Salz symbolisiert wird, oder einfach ein Friedenssymbol? Am nächsten liegt das Verständnis: Habt den Geist des sich opfernden Leidens, des Widerstandes gegen die Welt, aber Frieden untereinander. Markus hat an die zweite Leidensansage einen Abschnitt angefügt, der das Unverständnis der Jünger kraß aufzeigt. Während Jesus bewußt ins Leiden geht, streiten die Jünger ums Großsein. Dem gegenüber läßt er noch einmal den Aufruf zur Nachfolge in einer Sammlung von Sprüchen lautwerden, die alle um den Begriff der „Kleinen“ gruppiert sind, zur Aufnahme des schutzlosen Kindes, Toleranz gegen Außenseiter und Stillung der einfachsten Lebensbedürfnisse aufrufen und vor Verführung und Selbsttäuschung warnen. Die letzten zwei Verse fordern vielleicht auch die Bereitschaft zum Opfer, ähnlich wie 8,34ff. nach der ersten Leidensankündigung. Wie dort, so gilt auch hier: nur hinter Jesus her kann der Jünger diesen Weg gehen; nur befreit durch ihn ist solche Nachfolge möglich, und nur in solcher Nachfolge wird sein Weg wirklich verstanden. Von der Nachfolge in der Ehe 10,1-12, vgl Mt. 19,1-9 1 Und er brach auf von dort und kommt in das Gebiet Judäas und ins Ostjordanland, und wieder strömen Scharen zu ihm, und, wie er gewohnt war, lehrte er sie wieder. 2 Und Pharisäer kamen hinzu und fragten ihn, ob es einem Manne erlaubt sei, die Frau zu entlassen, indem sie ihn damit versuchen wollten. 3 Er aber antwortete und sprach zu ihnen: „Was hat euch Mose geboten?“ 4 Sie aber sprachen: „Mose hat erlaubt, ,einen Scheidebrief zu schreiben und zu entlassen'.“ 5 Jesus aber sprach zu ihnen: „Wider eure Herzenshärtigkeit hat er euch dieses Gebot niedergeschrieben. 6 Von Anfang der Schöpfung an aber ,hat er sie als Mann und Frau erschaffen; 7 deswegen wird ein Mensch seinen Vater und die Mutter verlassen, 8 und beide werden zu einem Fleische werden'. So sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. 9 Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“ 10 Und im Haus fragten ihn seine Jünger wiederum darüber. 11 Und er sagt zu ihnen: „Wer immer seine Frau entläßt und eine andere heiratet, der bricht an ihr die Ehe. 12 Und wenn sie ihren Mann entläßt und einen andern heiratet, bricht sie die Ehe.“ V.4f.: S. Mose 24,1; V. 6f.: 1. Mose 1,27; V. 7 f.: 1. Mose 2,24.
Auch das hellenistische Judentum betonte, daß alle Einzelgesetze erst aufgrund der Verstockung Israels gegen die zehn Gebote erlassen worden seien (vgl. auch zu Mt. 19,8). Doch setzt l.Kor.7,lOf. ein Jesuswort voraus, das etwa Mk. 10,5-9 entsprochen haben mag. Das wurde zunächst durch V.2-4, die die Situation der © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 10,1-12: Von der Nachfolge in der Ehe
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Auseinandersetzung der Gemeinde mit dem Judentum widerspiegeln, „gerahmt“ , dann durch die praktische Anwendung V. 11 f. ergänzt. V. 12 ist erst unter hellenistischem Eherecht denkbar (vgl. zu V. 11). Auch V. 11 schwächt V.9 ab; nach jüdischem Eherecht, wie es Mt. 5, 32 noch vorliegt (s. dort), tritt Ehebruch erst bei der Wiederheirat der Frau ein. Markinisch sind V. 1 (vgl. 7,24), der einen Neuansatz markiert, und 10 (s. zu 2,1). Vielleicht hat der Abschnitt schon vor Markus zu einer katechismusartigen Sammlung gehört, die etwa V. 2-12. 13-16. 17-25 umfaßte und nach dem Schema der Haustafeln (s. zu Kol. 3,18-4,1) das Verhalten gegenüber Ehepartner, Kinder und Besitz beschrieb, oder V.2-12.17-25.35-45, wo sich immer Frage in einer konkreten Situation, Antwort Jesu und nachträgliche Anwendung auf die Gemeindepraxis folgen. Zur Beurteilung der Ehescheidung und zur Vor- und Nachgeschichte des Jesuswortes vgl. zu Mt. 5,32 und 19,1-9. Auf die Leidensankündigung folgt der Zug nach Süden, dem Ort des Leidens. 1 Markus hat entweder falsche Vorstellungen von der Geographie — normalerweise zöge Jesus umgekehrt durchs Ostjordanland nach Judäa - , oder er nimmt an, daß Jesus ein erstes Mal in Judäa weilte, wovon freilich nichts erzählt wird (vgl. aber zu 10,46-52), und später wieder dorthin zurückkehrte, oder dann ist ihm „Judäa“ zuerst in die Feder geflossen, weil er mit dieser Notiz eine theologische Aussage machen will: Jesus wandert bewußt dem Leiden entgegen. Der Zulauf, den Markus oft betont, und die Offenbarungstätigkeit im „Lehren“ (vgl. zu 1,22) Jesu heben hervor, wie nötig die Menschen Gottes Offenbarung hätten und sie doch nicht verstehen. Die Pharisäerfrage wird von vornherein als Scheinfrage entlarvt. Kein Phari- 2 säer hätte so radikal gefragt; denn die jüdische Scheidepraxis war nach 5.Mose24, 1-4 (das ursprünglich die Frau schützen und ihr eine gewisse Freiheit garantieren sollte) geregelt. Umstritten war nur, was als Scheidungsgrund galt, angebranntes Essen oder größere Schönheit einer andern oder erst Ehebruch der Frau (s. zu Mt. 5, 32). Je nachdem war Vielweiberei in gestaffelter Form möglich oder nicht. Da die entlassene Frau trotz ihrem Scheidebrief eigentlich noch dem ersten Manne angehörte, hielten strenge Ausleger fest, es sei „Unzucht ..., zwei Frauen zu nehmen zu ihren Lebzeiten“ , und „die Grundlage der Schöpfung“ sei: „Als einen Mann und eine Frau hat er sie erschaffen“ , wie ja auch immer je zwei in die Arche eingezogen seien (Dam.4,20ff.). Auch die christliche Gemeinde hat wohl diese Praxis durchgeführt. Im folgenden ist auffällig, wie Jesus zweimal auf das „Gebot“ , die 2-5 Gegner zweimal auf die „Erlaubnis“ hinweisen. D.h.: Jesus fragt nach Gottes Willen, die andern nach dem, was ihnen zukommt. Fragt man aber, wie man innerhalb des Erlaubten möglichst viel für sich herausschlagen könne, ist die Ehe schon zerstört, bevor sie eingegangen wird. V.5 wird meist als Zugeständnis angesehen; 5 aber dann würde der Aufbau sinnlos: Jesu Gegenfrage V.3 ruft dem gegen Jesus sprechenden Satz V.4, so daß er nur das biblische Zitat kritisieren kann, was die Gegner ja wünschen. Dann wäre in der Tat die matthäische Ordnung logischer. Nun heißt es aber nicht „wegen eurer Herzenshärtigkeit“ , sondern „zu eurer ...“ (= auf sie hinzielend) oder „gegen eure ...“ Dann ist V.5 nicht resigniertes Zugeständnis, sondern Gericht wider sie, Zeugnis für ihre Verstockung, dauernde Anklage. Demgegenüber hält Jesus mit der Schrift fest, daß es nie anders war (so 6 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 10,1-12: Von der Nachfolge in der Ehe
die etwas verkürzende Formulierung „von Anfang ... an“ ), als daß eine Frau für einen Mann geschaffen war. Die Zweigeschlechtlichkeit ist also Gottes Setzung, weder ein hohes Ideal noch etwas zugunsten rein platonischer Liebe zu Überwindendes, sondern natürliche Gegebenheit, ohne verklärenden Glanz und ohne Verachtung dankbar hinzunehmen. „Deswegen ...“ , das l.Mose2,24 auf die Erschaffung der Frau aus der Rippe Adams zurückweist, ist jetzt auf das V.6 Gesagte bezogen. Die Loslösung vom Elternhaus, damals noch weit realistischer, weil der Mensch Bindung und Schutz der eigenen Sippe verließ, ist bis heute Vorbedingung rechter Ehe. Das Einswerden der Geschlechter („beide“ steht erst in der die Einehe voraussetzenden LXX) ist biblisch als Gottes Wille, nicht etwa als Folge der Sünde gesehen. Die Schöpfungstatsache, daß Gott zwei Geschlechter geschaffen hat, begründet schon die Ehe in ihrer bloßen Natürlichkeit. Die Sonderbelehrung im „Haus (vgl. zu 2,1) ist typisches Anhängsel des Markus. An sich ist alles gesagt, aber der Mensch kann ja Gottes Offenbarung nicht verstehen. So muß das einzelne noch ethisch entfaltet werden. Dabei versteht Markus wohl so, daß bei Wiederverheiratung die Schuld noch größer wird als schon bei Scheidung. Der erste Satz steht gegen die jüdische Regelung: „Einem Mann zwar ist es erlaubt bei uns, das zu tun; einer Frau aber, auch wenn sie geschieden ist, nicht, von sich aus ohne Einwilligung des früheren Mannes wieder verheiratet zu werden“ (Josephus, Altert. 15, 259). Der zweite Satz ist nur möglich, wo die Frau scheiden und von sich aus heiraten kann. Das erste Wort mußte also auf die neuen Verhältnisse hin umgeformt werden, um lebendig zu bleiben und die Menschen seiner Zeit anzureden. Dabei ist beides wichtig: daß es in die jeweilige Zeit hineinredet und verstanden werden kann, und daß es sachlich nichts anderes aussagt als das alte Wort. Eph.5,23 ff. begründet die Einehe in Gottes Liebe, die in Christus Gestalt angenommen hat. Sie ist der Grund, auf dem die Ehe lebt. Das ist hier noch nicht gesagt, aber der Sache nach angelegt, weil Jesu Antwort das Schöpfungshandeln Gottes als liebende Zuwendung zum Menschen verstehen läßt. Äußerlich scheint Jesu Stellung der strengeren Richtung im Judentum zu entsprechen; aber die Hartnäckigkeit, mit der Jesus die Frage nach dem Erlaubten zur Frage nach dem von Gott Gewollten umbiegt, zeigt eine grundsätzliche Überwindung der Gesetzlichkeit (s. Exkurs zu 3,1-6). Jesus lädt ein, vom Geschenk des Schöpfers zu leben. Das erstreckt sich nicht nur auf die Meidung des Verbotenen, sondern gerade auf den Bereich des „Erlaubten››. In solcher von Jesus geschenkten Freiheit von allen nur-gesetzlichen Erwägungen ist also das Ziel der Schöpfung erreicht. Damit ist nicht nur gesagt, daß Jesus als Lehrer wiederholt, was schon immer gegolten hat. Nicht umsonst verlegt Markus fast alle Jüngerbelehrungen in den Abschnitt, der seit 8,31 als Leidensnachfolge zu verstehen ist. Erst im Geschick des leidenden Menschensohns wird sichtbar, daß das Licht der Gnade und des Schenkens Gottes allerdings von Anfang an auf der Schöpfung ruht, daß sie also die erste Bewegung Gottes auf den Menschen zu ist, die im Kommen des Menschensohns ihre letzte Erfüllung findet, ja, erst von daher überhaupt verstanden werden kann. Mit einer gesetzlichen Regelung, die die Scheidung verbietet, ist also nichts geholfen, aber noch weniger mit einer Freigabe, in der der Mensch sich um die Anerkennung seiner © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 10, 13-16: Nachfolge Jesu in der Kindlichkeit des Glaubens
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Schuld drücken könnte. Scheidung kann Zeichen der Buße sein, in der zwei Menschen zu ihrer Schuld stehen, daß es ihnen nicht gelungen ist, nach Gottes Willen aus seinem Geschenk heraus zu leben, und kann darum freimachen zu neuer Barmherzigkeit Gottes. Umgekehrt kann ein äußeres Weiterführen einer zerbrochenen Ehe solche Schulderkenntnis gerade verwischen. Aber das sind äußerste Möglichkeiten, die nur am Ende eines langen Weges stehen, auf dem ein Mensch immer wieder den Zugang zum andern gesucht hat und schließlich gerade um des andern oder um der Kinder willen zu seiner Schuld stehen und auch die äußere Konsequenz ziehen muß. Trauung Geschiedener dürfte also weder gesetzlich verboten noch wahllos durchgeführt werden, ohne daß etwas von dem eben Gesagten dabei sichtbar würde. Denn Jesu Satz steht eindeutig da, und es gibt Zeiten in der Ehe, in denen er in dieser Eindeutigkeit größte Hilfe ist. Nachfolge ]e$u in der Kindlichkeit des Glaubens 10,13-16, vgl. Mt.19,13-15; Lk.18,15-17 13 Und sie brachten ihm Kinder, daß er sie anrühre; die Jünger aber bedrohten sie. 14 Da es aber Jesus sah, wurde er unwillig und sprach zu ihnen: „Lasset die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes. 15 Wahrlich, ich sage euch: Wer immer Gottes Reich nicht aufnimmt wie ein Kind, wird nicht in es eingehen.“ 16 Und er schloß sie in seine Arme und segnete sie, indem er die Hände auf sie legte. V. 15 scheint als Einzelwort weitergegeben worden zu sein; denn Matthäus führt es an anderer Stelle ein (18,3, s. dort, EinL), und Joh. 3,5 (in johanneischen Stil übersetzt auch 3,3) geht wahrscheinlich auf dieses Wort zurück. Für Markus ist es vermutlich eigentliches Zentrum, um das herum sich alles andere als Veranschaulichung gruppiert. Es illustriert, was Nachfolge Jesu bedeutet. Es dürfte sich um ein Jesuswort handeln; für ihn ist die Spannung zwischen künftigem und schon gegenwärtigem Gottesreich charakteristisch (vgl. unten); außerdem spielt das Kind, soweit wir sehen, nirgends in der Gemeinde eine besondere Rolle. Wer die Kinder bringt, ist nicht gesagt; so wenig interessieren historische Einzel- 13 heiten. Das griechische Wort bezeichnet Joh. 16,21 ein Neugeborenes, Mk.5,39-42 ein Zwölfjähriges; Thomasev.22 denkt an Säuglinge. Die Jünger sind um die Reinheit des Glaubens besorgt (zum Wort „bedrohen“ vgl. zu 8,30); ist das nicht magisches Denken, als ob bloße Berührung ohne Glauben göttliche Wunderkräfte vermitteln könnte? Dennoch ergrimmt Jesus über sie, wie er über Krankheit und 14 Unglauben ergrimmte (1,41.43; 3,5). Seine Antwort verteidigt zwar nicht die Erwachsenen, die die Kinder bringen, wohl aber die untätigen Kinder. Von ihrer Unschuld oder Reinheit ist keine Rede, erst recht ist das „Kind“ nicht ein Symbol für den Asketen (Thomasev.22); nur das ist klar, daß sie gar nichts tun und sich auch nicht gegen die übereifrigen Jünger wehren können. Aber gerade als die, die nichts vorzuweisen haben, keine Leistungen aufrechnen können, sind sie gesegnet. Ja, Jesus weitet die Verheißung auf alle aus und spricht in einer Autorität, wie sie 15 nur Gott beanspruchen kann, das Gottesreich denen zu, deren Glaube wie die leere © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 10,17-31: Nachfolge Jesu in der Freiheit vom Besitz
Bettlerhand ist, weil sich keine eigenen Leistungen oder Gottesvorstellungen zwischen sie und Gott eindrängen (vgl. zu Mt. 11,25; 21,16). Daher ist auch nur vom „Empfangen“ des Gottesreiches und dem „Eingehen“ in es die Rede (vgl. Exkurs zu 1,15). So kann nur der sprechen, der weiß, daß in ihm das künftige Reich schon über den Menschen kommt, so daß kindlichem Glauben gegeben ist, was sich einst sichtbar erfüllen wird. Wie 2,14 übt Jesus aus, was einzig Gott zusteht: er spricht die Gemeinschaft mit Gott, ja das künftige Gottesreich dem zu, der nichts 16 vorzuweisen hat, und die äußere Handlung unterstreicht nur, wie real Jesus solchen Zuspruch meint. Der Abschnitt spricht nicht von Kindertaufe, sagt aber, daß Gottes Reich ohne Vorbedingung und Verdienst, ja ohne verdienstliches Verlangen von seifen des Menschen zugesprochen wird. Wo die Kindertaufe das auszudrücken vermag, ist sie ein gutes Zeichen für diese Wahrheit. Grundsätzlich ist also die Kindertaufe als Zeichen des allem menschlichen Tun zuvorkommenden Gnadenzuspruchs Gottes den neutestamentlichen Aussagen angemessen. Nach Apg. 16,31-33 (vgl. auch 1. Kor. 1,16) wurden auch „Häuser“ mit allen Dienstboten mitgetauft; ob Kinder dabei gewesen sind oder nicht, hat es sich jedenfalls nicht um lauter Menschen gehandelt› die wie der Kerkermeister aus Überzeugung ihren Glauben bekannten (beachte die Einzahl „glaube“ , die zur Rettung des ganzen Hauses führt). Die Frage ist aber, ob sie bei der heutigen, wahllosen Durchführung nicht zum Zeichen dafür wird, daß die Kirche darin etwas so Harmloses und Ungefährliches sieht, daß sie sie auch in ihrem Segen nicht mehr ernst nimmt. Verliert dann die Taufe, die auch - obgleich nicht primär oder gar ausschließlich - ein Bekenntnis anderen gegenüber ist, nicht diesen Bekenntnischaraktcr? Nachfolge Jesu in der Freiheit vom Besitz 10,17-31, vgl Mt. 19,16-30; Lk. 18,18-30 17 Und als er hinausging auf den Weg, lief einer herzu, fiel vor ihm auf die Knie und fragte ihn: „Guter Meister, was soll ich tun, daß ich das ewige Leben ererbe?“ 18 Jesus aber sprach zu ihm; „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als der Eine Gott. 19 Du kennst die Gebote: ,Du sollst nicht töten, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsches Zeugnis reden, du sollst nichts vorenthalten, ehre deinen Vater und Mutter›.“ 20 Er aber sprach zu ihm: „Meister, das alles habe ich gehalten von meiner Jugend an.“ 21 Jesus aber blickte ihn an, bekam ihn lieb und sprach zu ihm: „Eins fehlt dir, gehe hin, verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach.“ 22 Er aber wurde betrübt über das Wort und ging voll Trauer weg; denn er hatte viele Güter. 23 Und Jesus blickte um sich und sagt zu seinen Jüngern: „Wie schwer werden die Begüterten in das Gottesreich eingehen!“ 24 Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Jesus aber antwortete wiederum und sagt zu ihnen: „Kinder, wie schwer ist es, in Gottes Reich einzugehen! 25 Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr hindurchgehe, als daß ein Reicher in das Gottesreich eingehe.“ 26 Sie aber entsetzten sich überaus und sagten zu einander: „Und wer © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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kann dann gerettet werden?“ 27 Jesus schaute sie an und sagt: „Bei den Menschen ist es unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alles ist möglich bei Gott.“ 28 Da begann Petrus zu ihm zu sagen: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt.“ 29 Jesus sprach: „Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker verlassen hat um meinet- und des Evangeliums willen, 30 der nicht hundertfach empfange, jetzt in dieser Zeit Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker mitten unter Verfolgungen, und in der künftigen Welt ewiges Leben. 31 Viele erste aber werden letzte sein und die letzten erste.›› V. 19: 2. Mose 20, 12-16; 5. Mose 5, 16-20.
Stecken hinter V. 24b.25 (mit „ Mensch“ statt „Reicher“ ) und 27, vielleicht mit 29-31 schon verbunden, Jesusworte, hinter V. 17-21 a (bis „lieb“ ) eine 12,28-34 verwandte Geschichte, so daß beides erst nachträglich durch V.21b-23 verbunden, auf das Problem des Reichtums bezogen und zugleich Nachfolgeforderungen wie Mt. 8,19-22 angeglichen wurde? Doch V. 21b.22 gehörten eher von Anfang an zur Geschichte V. 17-22. V.23 führt hingegen mit einer bei Markus beliebten Wendung vom Einzelfall zur allgemeinen Belehrung (vgl. 3,5.34, ähnlich 5,32). Auch das Entsetzen der Jünger V.24a entspricht 1,27 und 10,32, vor allem sachlich der Tendenz des Markus, das Nichtverstehen der Jünger zu betonen. Im Jesuswort V.29 dürfte „um des Reiches Gottes willen“ (Lk. 18,29) die alte Formulierung sein (s. zu 8,35). Markus hat den Satz mit V.28 angeschlossen. „Einer“ läßt bewußt offen, wer es war; jeder Leser kann sich mit ihm identifi- 17 zieren. Der Kniefall ist mehr, als was man einem Rabbi gegenüber tut (vgl. 1,40; 5,22). Seit Jahrhunderten ist „Was muß ich tun, um einzutreten und am Leben teilzuhaben?“ in Israel die Frage des Tempelbesuchers, und der Priester weist wie Jesus auf die Gottesgebote hin (Ps.15; 24,3-6). Auch Rabbischüler fragen ähnlich. Nur ist es hier ein einzelner, der mehr leisten will, als „man“ zu tun pflegt. Vom „Ererben“ des von Gott Verheißenen hat man in Israel immer gesprochen, weil man wußte, daß es allein von Gottes gnädiger Zusage abhing und sowenig vom eigenen Verdienst wie eben beim Erben. Erst im Lauf der Geschichte, als die Einheit Israels, gerade auch im Religiösen, zerbrach, tauchte die Frage auf: „Aber wer gehört zu dem Israel, dem Gottes Verheißung gilt?“ Darum fragt auch hier der einzelne. So ernsthaft muß allerdings gefragt werden, wo man sich mit Jesus ins Gespräch einläßt. Es geht nicht nur um ein harmonisches, glückliches, es geht um „ewiges Leben“ , um das endgültige Bestehen vor Gott, auch jenseits der Todesgrenze. Das gibt dem Gespräch seine Tiefe. Die Anrede „Guter Meister“ ist jüdisch 18 und griechisch ungewohnt. Bei der Antwort Jesu liegt also der Ton darauf, daß nicht irgendein Kompliment, sondern gerade diese Bezeichnung abgelehnt wird. Wollte Jesus damit nur sagen, es gehe nicht auf diesem Boden, wo man sich gegenseitig Komplimente mache; es gehe um den Einen, um Gott selbst? Daran ist etwas Richtiges; denn auch hier handelt er an der Stelle Gottes selbst; in seinem Ruf zur Nachfolge kommt tatsächlich das ewige Leben, Gott selbst zu diesem Menschen, und in seinem Ja oder Nein zu Jesus sagt er Ja oder Nein zu Gott (s. zu 8,38). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Gerade darum weist Jesus immer von sich weg auf den „einzig Guten“ , wie Philo (mut. nom. 7) Gott nennt; auf den, vor dem selbst die Engel nicht rein sind (Hi. 4, 18; 15,15; 25, 3f.). Wie hat aber die Gemeinde, für die Jesu Sündlosigkeit wichtig ist (Joh. 8,46; 2.Kor.5,21; Hebr. 7,26; 1 .Petr. 2,22), diese Anweisung Jesu verstanden? Auch für sie schließt dies noch nicht jenes griechische Denken ein, nach dem Jesus seiner Substanz, seinem stets gleichbleibenden Wesen nach göttlich wäre. Seine Sündlosigkeit ist nicht eine ewig gleiche Eigenschaft, sondern geschieht mitten unter Versuchung (Hebr.4,15). Darin ist Jesus den „Sündern“ gleich. Darum kann man auch sein Gut-sein nicht ein für allemal feststellen. Was bedeutet es schließlich für die heutige Gemeinde, die von „Gott Vater“ und „Gott Sohn“ redet? Sie versucht, damit das Geheimnis zu beschreiben, daß ihr im Sohn wirklich Gott begegnet. Das ist der Fall, gerade weil der Sohn nichts für sich selbst sein, sondern mit jeder Äußerung seines Lebens von sich weg auf den Größeren hinweist (was freilich die klassische Trinitätslehre zu wenig betont). So darf die Dreieinigkeitslehre nicht einfach als Definition Gottes verstanden werden, sondern eher als Bericht von einem Geschehen: daß nämlich Gott in seinem Sohn (vgl. zu 14,36; 15,39) der Welt begegnen will, und das von allem Anfang an (Joh. 1, 19 1-3). Überraschend weist Jesus, anders als die Rabbinen (Billerbeck I 901 f.), den Frager, der etwas Besonderes leisten will, nur auf die Gebote hin, ohne sie auszulegen, und zwar auf die praktischen, die aus der zweiten Hälfte der zehn Gebote sorglos und in zufälliger Reihenfolge aus dem Gedächtnis zitiert werden. Schon das zeigt das Fehlen aller gesetzlichen Pedanterie. Damit steht Jesus nahe bei Mi.6,8, bei hellenistischen Juden und Samaritanern. Er weist also den, der an die Spitzenleistungen eines besonderen Heiligen denkt, schlicht in die Gemeinde, zu all denen, die Gott gehorsam zu sein versuchen. Dort ist das „Leben“ zu finden. Die 20 Versicherung, alle Gebote gehalten zu haben, ist nicht Hochmut; Jesus gewinnt ihn ja lieb. Es gibt Gehorsam, Leben mit Gott Tag um Tag, und das ist eine gute Sache. 21 Ähnlich wie 1,16.19 (s. dort); 2,14 sucht Jesus mit seinem Blick den Mann; darüber hinaus wird Jesu Liebe betont. Das eine, was fehlt, ist die Nachfolge Jesu. Auch diese ist aber nicht gesetzlich zu leisten; denn Jesus hat längst nicht alle aufgefordert, ihm nachzufolgen, d.h. mit ihm zu wandern (5,19). Markus freilich faßt Nachfolge umfassender als Stand des Jüngers, ohne den es kein rechtes Verständnis Jesu geben kann. Er versteht also allgemeingültig, was Jesus hier in einem Einzelfall dem vor ihm Stehenden sagt: das Halten aller Gebote muß sich jetzt gerade, Jesus gegenüber, darin bewähren, daß er sich von ihm rufen läßt. Das ist nicht eine noch größere Leistung, die verlangt wird, es ist die Einladung, die Forderung der Stunde nicht zu überhören. Darin soll er den Gehorsam gegen Gott bewähren, daß er erkennt, wie dieser in Jesus auf ihn zukommt. Das Aufgeben des Besitzes ist nicht Vorbedingung für die Nachfolge, sondern wie 1,18.20; 2,14 Folge, d.h. die konkrete Art, in der sich diese vollzieht. Daher gibt es keine für alle gültigen gesetzlichen Vorschriften. Einmal ist es Fischerboot oder Zolltisch, ein andermal die Eltern, dann wieder (Joh. 1,35-37.46) ein anderer Prophet oder ein religiöses Vorurteil, was verlassen werden muß, weil sonst die Nähe zu Jesus unmöglich würde. So geht es im Ruf zur Nachfolge immer um das Ganze, um eine Erwählung, die schenkt, indem sie fordert, um die Frage, ob sich der Mensch das künftige Leben © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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schon hier in einer Ganzheit, die alles in sich schließt, schenken lassen will. Dabei wird freilich das Versagen des Menschen angesichts des Angebotes Gottes sichtbar, obwohl ihm dieses ja schenken möchte, worauf er aus ist. Die Traurigkeit des Davongehenden zeigt keinerlei Rebellion wider Jesus, sondern ein Getroffensein, das noch nicht dazu durchbrechen kann, sich beschenken zu lassen. Die Geschichte ist offenbar öfters erzählt worden; wir finden sie auch Naz.ev. 16; dort sind es zwei Reiche, von denen sich einer bedenklich am Kopf kratzt, und Jesus bestreitet ihm das Recht, zu sagen, er habe Gesetz und Propheten erfüllt, solange er nicht zur Aufgabe des Besitzes bereit ist. Das zeigt, wie solche Geschichten weitergewachsen sind. Markus betont, daß das Folgende allen Jüngern gelte, daß Jesus also auch das Verständnis des Lesers suche. Das Entsetzen der Jünger zeigt den Schreck des Menschen, der ernsthaft Gott gegenübergestellt wird. Wo immer Gott Wirklichkeit wird, ist sein Größersein so radikal, daß es den Menschen in Schrecken versetzt. Die Reaktion der Jünger ist also der von V.22 ähnlich. Jesu Anrede „Kinder“ (sonst nur bei Johannes) zeigt seine Fürsorglichkeit für die Angefochtenen und Erschrockenen. Aber zunächst zeigt seine Antwort, daß die Schwierigkeit nicht an einer besonders radikalen Einzelforderung hängt, auch nicht an einer außergewöhnlichen Gebundenheit an den Reichtum, sondern daran, daß Gott dem Menschen nicht so wirklich wird, daß alles Kleine davor klein wird. Das Bild vom Kamel ist grotesk und eben darum so eindrücklich (vgl. zu Mt. 5,13). Spätere Rabbinen bezeugen eine sprichwörtliche Redensart vom Elefanten, der durch ein Nadelöhr geht. Das Bild darf also keinesfalls abgeschwächt werden, indem man durch Änderung eines Buchstabens im Griechischen aus dem Kamel ein Schiffstau macht oder auf einen Kommentar aus dem 9.Jh. n.Chr. (!) hereinfällt, der behauptet, ein kleines Stadttor Jerusalems habe Nadelöhr geheißen, woran sich freilich bis heute erbauliche Gedanken vom demütigen Sichbücken (zu dem das gute Kamel gezwungen war, wenn das große Stadttor schon geschlossen war) anschließen lassen. Die Jünger verstehen richtig. Am Sonderfall dieses Reichen wird sichtbar, was überhaupt gilt. Und doch verstehen sie noch nicht recht. Noch immer bleiben sie beim Menschen stehen, auch wenn sie jetzt eine richtige Lehre vom Menschen haben, statt vom Menschen weg auf Gottes große Tat zu schauen. Darum sucht sie Jesus noch einmal mit seinem Blick. Das steigert die Bedeutung des anschließenden Satzes. In alttestamentlicher Weise (Sach.8,6 LXX; l.Mosel8,14; Hi. 10, 13 LXX; 42,2) weist Jesus auf das Wunder der Gottesgnade. Mit dem Zuspruch dieses Satzes ereignet sich das Heil, werden die Hörer von Gott in Beschlag genommen, erwählt. Wie in 1,16-20; 2,14 ist das Geschehen der Nachfolge ganz Gottes Tat, Gnadengeschenk. Gehorsam kann man sich nur schenken lassen und ihn wider alle Faulheit und Feigheit immer wieder als Gottesgeschenk festhalten. Petrus setzt das „Verlassen“ vor das „Nachfolgen“ , obwohl es richtig gesehen erst seine Folge ist. 1.Kor. 9,5 zeigt, daß er später seine Frau auf seine Missionsreisen mitnahm; fehlt die Frau darum in der Liste V.29? Die Verheißung ist merkwürdig. Sie gilt dem irdischen Leben (vgl. zu 8,35), ist also Einladung, das Geschenk des Lebens schon hier im Sichverschenken zu finden. Nachfolge Jesu führt nicht in Armseligkeit, sondern in die Fülle, in die Verwirklichung des Lebens. Wo immer © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 10,32-34: Die dritte Lehre Jesu vom Leiden des Menschensohnes
echte, frohe, aus dem Gottesgeschenk lebende Hingabe ist, die auch den Verzicht gelernt hat, da erfüllt sich diese Zusage. Konkret ist an die Gemeinschaft zu denken, die der Jünger in der Gemeinde finden wird. Und doch ist realistisch und illusionslos festgehalten, daß das „mitten unter Verfolgungen“ geschieht. Diese Erfüllung ist also nüchtern unterschieden von der vollen Erfüllung „in der künftigen Welt“ . Dort erst wird es Leben ohne Anfechtung sein. Nachfolge ist also nicht bloß Vertröstung auf ein Jenseits, und doch immer Hinweis und Zeichen auf eine noch 31 weit reichere, volle Erfüllung ohne Anfechtung. Mit dem letzten Spruch unterstreicht Markus die Seltsamkeit dieses Gesetzes Gottes. Markus preist also nicht einfach die Armut. Die Pointe liegt ja in V. 25-27, und dort ist nichts anderes gesagt als in Röm.3,23f. Daß alle Sünder sind, ist freilich nicht einfach moralisch zu verstehen. V.20 bleibt bestehen, und auch V. 19 ist richtig. Nur: sobald dem Menschen das wahre Leben konkret geschenkt werden soll, zeigt sich, daß keiner es wirklich begehrt, es ereigne sich denn das Wunder von V.27. Das läßt sich niemals umdrehen, so daß der Mensch zuerst die Sonderleistung, den großen Verzicht vollbringen müßte, damit ihm Gott groß werde. Die Erfahrung zeigt, daß Verdrängtes oft beherrschender wird als nicht Verdrängtes. Erst wo Gott groß geworden, also das Wunder von V.27 geschehen ist, wird das andere klein, was freilich nicht heißt, daß man nicht, wo das einmal begonnen hat, das auch unter Schwierigkeiten einüben müßte. Aber grundsätzlich gilt der Wundercharakter der geschenkten Nachfolge. Keine Anstrengung, Hingabe oder Askese, kann sie verwirklichen, einzig Gottes Geschenk. Darum spielt dieser Abschnitt im Aufbau des Markusevangeliums seine wichtige Rolle. Darum müssen jetzt auch V. 32-34 folgen. Die dritte Lehre Jesu vom Leiden des Menschensohnes 10,32-34, vgl. Mt. 20,17-19; Lk, 18,31-34 32 Sie waren aber auf dem Wege und zogen hinauf nach Jerusalem, und Jesus ging ihnen voran, und sie erstaunten, die ihm nachfolgten aber fürchteten sich. Und er nahm abermals die Zwölf zu sich und begann ihnen zu sagen, was ihm widerfahren werde: 33 „Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und der Menschensohn wird den Hohepriestern und Schriftgelehrten ausgeliefert werden, und sie werden ihn zum Tode verurteilen und ihn den Heiden ausliefern, 34 und sie werden ihn verspotten und ihn anspeien und ihn geißeln und töten, und nach drei Tagen wird er auferstehen.“ Diesen letzten Abschnitt vor dem Einsetzen der Passion gestaltet Markus besonders stark. Mit „auf dem Wege“ beginnt und schließt (V.52) er; es ist der Weg zum Ort des Leidens. Hier wie dort erscheint das Stichwort „nachfolgen“ . So dürfte auch das „Vorangehen“ Jesu, das in 14,28 = 16,7 seine Fortsetzung findet, für Markus bedeutungsvoll sein. Die Leidensansage ist ausführlicher als bisher und gleicht einer kurzen Zusammenfassung der Passionsgeschichte, wie sie vielleicht in Liturgie oder Katechismus gebraucht wurden. Das ist sicher erst nach Ostern erfolgt. Der Zug von der „Auslieferung›› an die „Heiden“ und die starke Hervor© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 10,35-45: Das Unverständnis der Jünger und die Nachfolge Jesu
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hebung ihres Tuns weist vielleicht in eine judenchristliche Gemeinde. Die Einleitung mit dem Hinweis auf das „Hinaufgehen“ und dem Anschluß an den redaktionellen V.32 dürfte von Markus stammen. Jesus wird in seiner Sonderstellung als der bewußt ins Leiden Voranschreitende 32 beschrieben. Merkwürdig ist die Unterscheidung derer, die „nachfolgten“ , von den andern. Es können kaum andere gemeint sein als die, die 10,28 sagten: „Wir sind dir nachgefolgt.“ Dann bezieht sich das „Erstaunen“ auf die ungenannten „sie“ , die alle mitgehen, das „Sichfürchten“ auf die Jünger im engeren Sinn. Beide Gruppen ahnen etwas von der Bedeutung dieses Weges; bei den Jüngern verdichtet sich dies nach dem von Jesus schon Gesagten zur Furcht. Beide Reaktionen zeigen, wie stark dieser Gang für Markus den Charakter göttlichen Offenbarungshandelns hat. Im Passionsgang Jesu wird die Unfaßbarkeit göttlichen Handelns noch erschreckender deutlich als 1,27. So nimmt auch Jesu Wort das „Hinaufgehen“ von V.32 auf 33 und unterstreicht es in seiner Bedeutung. Von Geißelung und Bespucktwerden 34 spricht auch Jes.50,6 (vgl. zu 14,65). „Kreuzigen“ (statt „Töten“ ) schreibt erst Mt. 20,19; gehört das schon einer späteren (durch Paulus geprägten?) Stufe des Bekenntnisses an (vgl. Mk. 16,6; Apg.2,36; 4,10)? Markus hebt vorblickend die Wichtigkeit dieses Geschehens hervor, ohne das man nichts von Jesus verstanden hätte. Daher folgt noch einmal die Schilderung der Blindheit der Jünger (V.35-41), der Aufruf zur Nachfolge (V. 42-45) und der Hinweis auf das Gotteswunder, ohne das es Nachfolge nicht gibt (V.46-52). Das Unverständnis der Jünger und die Nachfolge Jesu 10,35-4S3 vgl. Mt. 20,20-28; Lk.22,24-27 35 Und Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, kommen zu ihm und sagen zu ihm: „Meister, wir wollen, daß du uns tust, was wir nur von dir erbitten.“ 36 Er aber sprach zu ihnen: „Was wollt ihr denn, daß ich euch tue?“ 31 Sie aber sprachen zu ihm: „Gib uns, daß wir einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit sitzen.“ 38 Jesus aber sprach zu ihnen: „Ihr wißt nicht, was ihr bittet; könnt ihr den Becher trinken, den ich trinke, oder mit der Taufe, mit der ich getauft werde, getauft werden?“ 39 Sie aber sprachen zu ihm: „Wir können es.“ Jesus aber sprach zu ihnen: „Den Becher, den ich trinke, werdet ihr trinken, und mit der Taufe, mit der ich getauft werde, werdet ihr getauft werden; 40 aber das Sitzen zu meiner Rechten oder Linken zu geben, ist nicht meine Sache, sondern welchen es bereitet ist (dort zu sitzen, wird es zukommen).“ 41 Und als die Zehn das höiien, begannen sie unwillig zu werden über Jakobus und Johannes. 42 Und Jesus rief sie herbei und sagt zu ihnen: „Ihr wißt, daß die, die als Herrscher der Völker gelten, Herrenrechte gegen sie üben, und daß ihre Großen Gewalt gegen sie üben. 43 So aber ist es nicht unter euch. Sondern wer immer unter euch groß werden möchte, der soll euer Diener sein, 44 und wer immer der Erste unter euch sein möchte, der soll aller Sklave sein. 45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und sein Leben als Lösegeld für viele gebe.“ © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 10,35-45: Das Unverständnis der Jünger und die Nachfolge Jesu
Die Anordnung geht auf Markus zurück; wie 8, 32ff.; 9,33ff. folgen Mißverständnis der Jünger und Aufruf zur Nachfolge auf die Leidensankündigung. Das Wort vom Trinken des Kelchs findet sich auch Joh. 18,11 (vgl. Mk. 14,36), das von der Taufe Lk. 12,50. Soviel wir wissen, haben die Zebedaiden keinen gemeinsamen Märtyrertod erlitten (Apg. 12,2 = 44 n.Chr.; Gal.2,9 - nach 1,18; 2,1 = 14 [+ 3?] Jahre nach der Berufung des Paulus - muß später sein, zur Zeit von Apg. 15,1ff.). Gerade darum wird es sich um ein Jesuswort handeln; die Gemeinde hätte kaum so formuliert. Denn daß nur gemeint wäre, die Zebedaiden würden einst Taufe und Herrenmahl erleben, ist durch die Formulierung („könnt ihr ...“ ?) fast ausgeschlossen. Dazu kommt, daß sich V.38f. eigentlich mit V.40 stoßen; sind V.40 oder umgekehrt V.38b.39 später zugewachsen? An der Schilderung der beiden Jünger nahm schon Matthäus Anstoß und ließ ihre Mutter das sagen, vergaß freilich, 20,22 und 24 zu korrigieren. Lukas ließ die Geschichte überhaupt weg. Sollten V. 37.40 Spannungen zwischen den Zebedaiden und anderen (Mt. 16, 18; Joh.21,20-22) in der Leitung der Urgemeinde widerspiegeln? V.41 ist Übergangsbildung des Markus, wie schon die Wendung „er rief sie herbei“ (vgl. zu 3,20-35, Einl.) zeigt, mit der er die Worte V. 42-45 anfügt. Sie passen nicht recht, da sie vom Großsein in der Gemeinde, nicht in der Herrlichkeit reden. Lk. 22,24-27 stehen sie in der Abendmahlsschilderung, freilich ohne die Lösegeldvorstellung Mk. 10,45, die also wie der bei Lukas fehlende Titel „Menschensohn“ erläuternder Zusatz der Gemeinde sein wird. Obwohl keine wörtlichen Anklänge festzustellen sind, steht vermutlich Jes.53 im Hintergrund. Es ist relativ spät in größerer Breite in der Gemeindetheologie entdeckt worden. Ein eigentliches, auf Jesu Leiden bezogenes Zitat daraus findet sich erst Apg. 8,32f. (und noch stärker das Nacheinander von Erniedrigung und Erhöhung betonend als den Sühnecharakter des Leidens Jesu; vgl. ferner l.Petr.2,21 ff., wo es als Vorbild verstanden ist). Der Titel „Gottesknecht“ findet sich nur Mt. 12,18 (Zitat, auf Jesu Heilungen bezogen!); Apg.3,13.26 (mit Anklängen an Jes.53); 4,27.30 (in Parallele zum Gottesknecht David V.25, nicht zu Jes.53). Eine Röm.4,25 zitierte Formel zeigt, daß Jes.53 zwar früh auf Jesu Leiden bezogen, aber noch nicht theologisch entfaltet worden ist. AU das spricht dafür, daß V.45 nicht auf Jesus zurückgeht und daß vielleicht erst die griechisch sprechende judenchristliche Gemeinde diese Beziehung zum Alten Testament entdeckt hat. Auch Lk.22,27 begründet das Verhalten der Jünger im Dienste Jesu. Das Wort vom „Dienen“ (im Griechischen vor allem das Zudienen bei Tisch bezeichnend) und „Diener“ sitzt so fest (V.43; 9,35; Mt. 23,11), daß diese Sätze mindestens im griechischen Sprachgebiet wohl immer mit dem (letzten?) Mahl Jesu verbunden waren. 37
Der Wunsch der Zebedaiden zeigt, wie unbegreiflich, allem menschlichen Denken entgegen Gottes Weg verläuft. Die „Herrlichkeit“ Jesu ist die von Mt.25,31, vgl. 38 Mk.8,38. Das Bild vom Leidenskelch ist alttestamentlich: Jes.51,17.22; Klgl.4,21; Ps.74,9; Mart.Jes.5,13: „Mir allein hat Gott den Becher (des Martyriums) gemischt.“ Umstritten ist das Wort von der Taufe, Von „Bluttaufe“ spricht man erst im 2.Jh. (Tertullian, Bapt. 16). Das Wort „taufen“ bedeutet griechisch „ertränken“ , im Passiv „untergehen“ . Nach Ps.42,8; 69, 2f.; Jes.43,2 wird der Beter von Was© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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sern überflutet und fühlt sich auf dem Grunde des Meeres; aber die LXX benützt andere Wörter dafür. Nur einmal heißt es: „Die Ungerechtigkeit tauft (= überflutet) mich“ (Jes.21,4). Jüdische Apokalyptiker haben am Weltende das Sterben und die „Wiedergeburt“ von allem erwartet. Dieses Wort, zu unterscheiden von dem sonst im Neuen Testament verwendeten „neugeboren werden“ , findet sich nur Tit. 3,5 als Bezeichnung der Taufe, Mt. 19,28 dagegen deutlich apokalyptisch. Bei Paulus beschreibt die Formel „mit Christus sein“ das Leben im Gottesreich(l.Thess. 4,14.17; 5,10; 2.Kor.4,14; 13,4; Phil. 1,23), zugleich aber das, was dem Menschen in der Taufe gegeben wird (Röm. 6,3-8). Da auch die Johannestaufe deutlich apokalyptische Züge besitzt, ist vielleicht schon vor Jesus die Taufe als Vorwegnahme endzeitlicher Not, eventuell gar als „Wiedergeburt“ verstanden worden. Dann könnte Jesus eine entsprechende alttestamentliche Wendung gebraucht haben. Ja, es ließe sich an eine „Generaltaufe“ denken, in der Jesus gewissermaßen in seinem eigenen Schicksal die endzeitliche Not übernimmt und so die „Wiedergeburt“ der Welt vollzieht (vgl. V.45). Ob sich solche Gedanken, von Anfang an oder im Lauf der Tradition, mit dem Bild verbanden, oder ob es rein alttestamentlicher Vergleich ist, läßt sich aber nicht mehr ausmachen. Daß dieses Leiden für alle geschehe, ist hier nicht gesagt (anders V.45), sondern nur, daß die beiden Jünger daran teilbekommen werden. „Becher“ und „Taufe“ erinnerten die Gemeinde aber an Abendmahl und Taufritus, und zwar daran, daß sie darin mithineingenommen sei in das Schicksal Jesu (Röm. 6,3-8). Spätere Gnostiker verbinden darum dieses Wort auch mit dem Abendmahlssatz von Joh.6, 53 f. (Hippolyt V.8,11). Solche Gedanken haben wohl die Anfügung von V.42-45 an dieser Stelle erleichtert. Schon im Alten Testament bekommt der Israelii am Lande, das seine Väter ererbt haben, und an den Verheißungen Gottes teil; in Beschneidung und Bundesmahl wird er in sie „eingegliedert“ , was einschließt, daß sein Weg dem der Väter ähnlich verläuft. Die „Eingliederung“ in das Schicksal Jesu, die an seinem Segen teilgibt und unter seinen Herrschaftsanspruch stellt, ist also das erste; daß sich dies in der Regel in einer Ähnlichkeit des Weges mit dem Jesu darstellt, das zweite (vgl. 2.Kor.4,7-15; 5,18-6,10). Darum spricht V.38 in der Gegenwarts-, V.39 in der Zukunftsform; der Weg Jesu jetzt und der sich in Zukunft daran anschließende Weg des Jüngers liegen auf zwei verschiedenen Ebenen; alles Nach-folgen ist grundsätzlich ein Teilbekommen an seinem, immer schon voran-gegangenen Weg (vgl. zu 1,16-20 Schluß). Der „Weg“ von V.32a. 52 b, also der Weg Jesu ans Kreuz, umschließt alles Erleben der Gemeinde. Da solches Eingefügtsein in Jesu Weg Wirklichkeit ist, wird es sich auch in vielen Ähnlichkeiten mit Jesu Weg manifestieren. Die Schlußbemerkung von V.40 ist grammatisch hart, wohl weil man aus Scheu die Nennung des Gottesnamens vermeiden wollte. Daß Jesus völlig offen läßt, wem es (von Gott) bereitet ist, macht es unmöglich, mit der Nachfolge Jesu einen Anspruch auf besondere Belohnung zu verbinden. Sachlich wird jeder Verdienstcharakter des Leidens abgewehrt, so wenig Gott es je vergessen wird (9,41). Im anschließenden Gespräch mit allen Jüngern wird die ethische (V.42-44) und dogmatische (V.45) Bedeutung der grundsätzlichen Vorordnung des Weges Jesu nochmals entfaltet. Daher betont Markus das „Herbeirufen“ (vgl. zu 3,20-35EinL). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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43 Gegenüber 9,35 (s. dort) ist die Regel stark erweitert; vielleicht ist der Gegensatz zur weltlichen Ordnung erst geformt worden, als es schon eine Gemeindeordnung gab. Jedenfalls ist eingeschlossen, daß sich diese nicht einfach an politische Ordnungen anlehnen kann, so daß die Synode zum Parlament, geistliche Entscheidungen zu demokratischen Abstimmungen auf Grund von Parteiparolen oder 45 Erlassen einer Kirchenleitung werden. Die Wendung „für viele“ ist jüdisch und bedeutet „zugunsten (nicht: anstelle) aller“ ; denn „viele“ beschreibt die große Menge im Unterschied vom einzelnen, ohne zu betonen (freilich auch ohne auszuschließen), daß es auch solche gebe, die nicht eingeschlossen sind. Die Sicht des Todes Jesu als „Lösegeld“ (nur hier im NT) oder Sühne findet sich bei Markus nur noch 14,24 (s. dort). Daß alles unschuldige Leiden für eigene Sünden wie für die anderer erlitten wird, ist im griechisch sprechenden Judentum verbreitet, wahrscheinlich gerade deswegen nicht allzu häufig auf Jesu Leiden bezogen worden. Seine Besonderheit als „endzeitliches“ Leiden, als Ende des Weges Israels und Anbruch einer neuen Zeit ließ sich damit gerade nicht aussagen. Daß, mindestens seit Apg. 11,20 und Paulus, die Gemeinde die Wendung im Anschluß an Jesu Verhalten (2,27f.; 3,4; 7,29; Mt.8,10-12 usw.) nicht mehr auf Israeliten beschränkte, ist freilich neu gegenüber jüdischen Vorbildern. Auch in unserem Zusammenhang ist V.45 nicht einfach dogmatisch richtige Deutung des Weges Jesu, sondern Begründung der vorangehenden Sätze (vgl. zu V.39). Wohl wird Jesu Leiden gedeutet, aber nicht so, daß dies rein gedanklich zur Kenntnis genommen oder gepredigt werden könnte, sondern so, daß es nur im Vollzug eines Jüngerlebens, in der Nachfolge von V.42-44 geglaubt werden kann. So leitet es auch zu V.52 (s. dort) über. 43 Darum beginnt V.43: „So aber ist es nicht unter euch.“ Das Nichtexistieren einer Rangordnung im Sinn von V.42 innerhalb der Gemeinde ist die durch nichts aufzuhebende Frucht der Passion Jesu. Das kann durch alle Fehler der Kirche nicht aufgehoben werden. Die Nachfolge als Gotteswunder 10, 46-52, vgl. M L 20, 29-34; Lk. 18,35-43 46 Und sie kommen nach Jericho. Und als er aus Jericho ging, er und seine Jünger und eine große Menge, saß der Sohn des Timäus, Bartimäus, ein blinder Bettler, am Wege. 47 Und als er hörte, daß es Jesus von Nazaret sei, begann er zu schreien und zu rufen: „Sohn Davids, Jesus, erbarm dich über mich!“ 48 Und viele bedrohten ihn, er solle stillschweigen. Er aber schrie noch viel mehr: „Sohn Davids, erbarm dich über mich!“ 49 Und Jesus blieb stehen und sprach: „Ruft ihn!“ Und sie rufen den Blinden und sagen zu ihm: „Sei getrost, steh auf, er ruft dich.“ 50 Der aber warf sein Kleid ab, sprang auf und kam zu Jesus. 51 Und Jesus antwortete ihm und sprach: .„Was willst du, daß ich dir tue?“ Der Blinde aber sprach zu ihm: „Meister, daß ich wieder sehe.“ 52 Und Jesus sprach zu ihm: „Gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen.“ Und sogleich sah er wieder, und er folgte ihm nach auf dem Wege. Die Geschichte ist von Markus hierher- und mit den letzten Worten als Bild für die Nachfolge dargestellt worden. Sie unterstreicht die Wichtigkeit der jetzt folgenden Passionsgeschichte wie 8,22-26 die der ersten offenen „Lehre“ Jesu vom © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Leiden des Menschensohns (8,27-32). Dazu gehört auch die nachhinkende Ergänzung „und seine Jünger und eine große Menge“ (V.46), womit Markus wiederum auf die Nachfolge hinweist. Daß es in Jericho geschah, ist wohl von Anfang an mitüberliefert worden; „aus Jericho“ ginge dann auf die Tradition, „nach Jericho“ auf Markus zurück. Es wäre also möglich, daß die Vorstellung eines Zugs Jesu von Galiläa durch das Ostjordanland über Jericho nach Jerusalem nur auf Grund der theologisch bedingten Anordnung dieser Erzählung durch Markus (und einer späten handschriftlichen Korrektur in 10,1: „nach Judäa durch das Ostjordanland“ ) entstand. 1,44; Lk. 17,14; (amtierende Priester gibt es nur in Jerusalem); Joh.2,23; 5,1; 7,10; 10,40; 11,54 könnten dafür sprechen, daß Jesus mehr als einmal in Jerusalem oder seiner Umgebung war; doch bleibt das ganz unsicher. „Sohn“ heißt aramäisch „Bar“ , so daß beide Namensangaben dasselbe bedeuten. Bei der Übernahme aus aramäischer Tradition ist wohl die Übersetzung noch danebengestellt worden. „Davidssohn“ findet sich bei Markus nur hier (s. zu 12,37). Die Notiz von der Bedrohung durch die Menge läßt die Beharrlichkeit des Glaubens des Blinden und den Willen Jesu, sich dem Hilflosen und Benachteiligten zuzuwenden, hervortreten. Dies ist der Sinn seines Weges nach Jerusalem, und nur Menschen, wie sie der Blinde darstellt, wird das Wunder der Erleuchtung zuteil. Wie die Zuwendung Jesu zum Blinden, so ist dessen Aufbruch zu Jesus ausdrücklieh geschildert; beides zeigt, wie man die Passionsgeschichte richtig versteht. Der Vorgang der Heilung wird bewußtgemacht. Die Anrede „Meister“ ist voller und vielleicht ehrfürchtiger als sonst (rabbuni statt rabbi). In der Bitte wie in der Schilderung der Heilung wird das gleiche Wort verwendet, das Jes.42,18 in der Verheißung an die Blinden steht. Jesu Antwort betont noch einmal, daß es in dieser Geschichte in der Tat um die Darstellung rechten Glaubens geht (vgl. zu 5,34). Dabei heißt das mit „helfen“ übersetzte Wort auch „retten“ (wie 5,34). Direkt vor der Passionserzählung demonstriert Markus also seinen Lesern nochmals, was Glaube und Nachfolge Jesu ist. Es folgen sich: beharrliches Bitten, Anrufen durch allen Widerstand hindurch,Getrostwerden, Aufbrechen Jesus entgegen, sich von ihm fragen Lassen, sich die Augen öffnen Lassen und ihm Nachfolgen auf dem Wege. Nur wo dem Menschen so durch Gottes Wundertat die Augen aufgetan werden, daß er-sehen kann, was in Jesus geschieht, und ihm „auf dem Wege nachfolgen“ kann, versteht er das, wovon jetzt nur noch zu berichten ist, den Weg des Menschensohnes ins Leiden.
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VI. Leiden und Auferstehen des Menschensohnes 11,1-16,8 Die Passionsgeschichte ist besonders umstritten. Lag eine, schon auf die Jerusalemer Gemeinde zurückgehende Quelle vor, die neben dem gesamten geschichtlichen Material von 11,1-16,8 auch etwa 8,27-33; 9,2-13.30-35; 10,1a. 32-34. 46-52 oder, wie andere vorschlagen, nur die Ereignisse von Gethsemane bis zur Grablegung enthielt? Lagen zwei Quellen vor, eine stark apokalyptisch ausgerichtet, von einer Huldigung in Bethanien (!) bis zum Bekenntnis unter dem Kreuz (11,8-15, 39) reichend, und eine in der Gegenwartsform erzählende vom Einzug in Jerusalem bis zum Gang ans Grab das Vorherwissen Jesu und das Versagen der Jünger betonend? Oder war Markus der erste Schöpfer der Passionsgeschichte, dem nur einzelne Erzählungen zur Verfügung standen? Abgesehen davon, daß die Kreuzigung Jesu als solche zur ältesten Schicht gehören muß, besteht nirgends Übereinstimmung. Nun besitzt die Leidensgeschichte gegenüber dem Bisherigen zweifellos einen eigenen Charakter (vgl. Einführung 2.-4.). Abschnitte wie das Angebot des Judas, Jesus zu verraten, die Bezeichnung des Verräters beim Mahl, Gethsemane, die Verhaftung oder die Gerichtsverhandlungen können gar nicht für sich allein überliefert worden sein. Die Passionsgeschichte muß also von Anfang an in einem gewissen Zusammenhang erzählt worden sein. Sicher sind auch nach Markus noch neue Abschnitte eingefügt worden (Mt.27,3-10.62-66; Lk. 23, 6-16.27-31); auch vor ihm kann neue Tradition zugewachsen sein (z.B. 12,13-40; 13; event. 14,3-9. 12-17.22-25 usf.). Anders als im übrigen Evangelium erscheinen auch die wichtigsten Abschnitte bei Johannes in der gleichen Reihenfolge; daß Tempelreinigung und Vollmachtsfrage schon Joh.2, 11-22 stehen, hat wohl theologische Gründe. Vielleicht hat Lukas noch eine weitere Quelle gekannt, die in ähnlicher Folge erzählte (vgl. zu Lk. 22,47-71; Exkurs zu Lk. 23,13-25). Auffällig sind die Zeitangaben, die ab 11,11, ganz deutlich ab 14,1 erscheinen, vorher aber fehlen (außer 9,2; s. dort u. Einl. dazu). Orts- und Personennamen sind häufiger, finden sich aber auch sonst (6,45.53; 7.24.31; 8,10.22 und 2,14; 5,22). Die Hohenpriester spielen nur hier und in den Hinweisen auf die Passion (8,31; 10,33) eine Rolle. Vor allem wird von 11,1-11 an, gehäuft freilich erst in Kap. 15, so erzählt, daß der Einfluß alttestamentlicher Stellen deutlich spürbar ist, ohne daß doch ausdrücklich darauf hingewiesen würde. Da all diese Eigenheiten erst bei 11,1 einsetzen, spricht vieles dafür, daß für 11,1-16,8 mit einer zugrunde liegenden Tradition eigenen Charakters zu rechnen ist. Wie ist diese zu denken? Wenn wir eine Geschichte von unserem Vater erzählen, wissen die nächsten Angehörigen genau, weitere Freunde einigermaßen, ein dabeisitzender Fremder gar nicht, in welchem Zusammenhang dies in seinem Leben stand. Mehr als das Unerläßliche an Situationsangaben werden wir trotzdem nicht geben („Als Vater noch in Z. wohnte, etwa 30jährig war ...“ oder ähnlich). So hat die Gemeinde immer die Hauptdaten gekannt, auch wenn eine Einzelgeschichte berichtet wurde. Die Abfolge von Tod, Begräbnis, Auferstehung, Erscheinung steht © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Die Passionsgeschichte
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schon 1. Kor. 15,3-5 fest; da Paulus einige Jahre nach Jesu Tod in Jerusalem war, also der Sache nach schon dann. Nach 1.Kor. 11,23-26 setzt die Abendmahlsliturgie darüber hinaus Kenntnis gewisser Einzelheiten voraus („in der Nacht ...“ ). Wurde also von Einzug, Tempelreinigung, Vollmachtsfrage gesprochen, wußte die Gemeinde, wohin das führte; ja, diese Begebenheiten bekamen ihren Sinn überhaupt erst von Kreuz und Auferstehung her. Dennoch mußte nicht jedesmal alles erzählt werden, und Fremde mögen auch einmal nur die Einzelgeschichte gehört haben. Nun zeigt sich aber 11,11 f. 19 f.27; 14,1.(12.) 17 so etwas wie ein Wochenschema für die letzten Tage Jesu. Das beweist noch nicht eine schriftliche Quelle; wohl aber, daß über 1.Kor. 15,3-5 hinaus die Hauptereignisse der Passion bekannt und in den Verlauf einer Woche eingeordnet waren; denn auf Markus kann das kaum zurückgehen, weil sich bei ihm nichts Vergleichbares findet. Mindestens muß also eine schon stark fixierte mündliche oder schriftliche Tradition mit fester Reihenfolge, genauen Zeitangaben und einer stark vom Alten Testament her geprägten Sicht vorgelegen haben. Wie ist es dazu gekommen? Einzelabschnitte haben sicher bestimmten Zwecken gedient, auch wenn sie Kenntnis der ganzen Passion voraussetzten. So ist 14,22-25 wohl in der Mahlliturgie verwendet, die Gethsemaneszene im Blick auf ihre Bedeutung für die Gemeinde erbaulich ausgestaltet, die Verleugnung des Petrus paränetisch ausgerichtet worden. Später sind apologetische Interessen wichtig geworden (Mt. 27,62-66; aber schon direkte Schriftverweise wie Mk. 15,24). Aber wie kam es zu einem eigentlichen zeitlichen und theologischen Schema? Kultische Passionsandachten mit festen Gebetsstunden oder gar ein Lektionar für die Osterwoche bleiben doch sehr unsicher. Ein erster Ansatz zeigt sich hingegen in Kurzzusammenfassungen, die Jesu Geschick für die Gemeinde deuten (1.Kor. 15,3-5). Dann lernte man, Jesu Tod im Licht der Psalmen vom leidenden Gerechten zu sehen und entdeckte von da aus auch andere Schriftbezüge zu Begebenheiten seiner letzten Tage. Vielleicht gehörte eine gewisse zusammenhängende Schilderung mit dieser Ausrichtung in den Katechumenenunterricht oder in die Verkündigung der Osterwoche. Möglich ist, daß die Datierung auf eine Verteilung des Stoffs auf tägliche Zusammenkünfte während dieser Zeit zurückginge; doch wissen wir darüber schlechterdings nichts. Ob es vor Markus mehr gab als dieses Zeitschema, eine durch häufige Wiederholung schon ziemlich fixierte mündliche Darstellung mit stereotypen alttestamentlichen Anklängen, zum Teil schon wörtlich festgelegt wie 14,22-25, wissen wir nicht; doch muß das am Einzelabschnitt untersucht werden (vgl. zu 14,17-21, Einl.). Die entscheidende Tat des Markus ist die Verlängerung der Passionsgeschichte nach rückwärts bis zu 8,31, ja 3,6 und 1,14a hin. Tatsächlich gestaltet sie ja sein ganzes Evangelium, wie das Schema der dreimaligen Verwerfung Jesu und der dreimaligen Leidensansage (s. Rückblick) zeigt. Die Definition des Markusevangeliums als einer „Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung“ genügt zwar nicht - man müßte auch vom „Buch der geheimen Epiphanien“ und dem Ringen Jesu um die Offenbarung Gottes an die Menschen reden - , zeigt aber etwas für Markus entscheidend Wichtiges. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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A) Die letzten Tage in Jerusalem 11,1-13,37 Der Einzug in den Tempel 11,1-11, vgl. Mt. 21,1-11; Lk.19,29-38.45 1 Und als sie in die Nähe von Jerusalem kommen, nach Bethphage und Bethanien am ölberg, sendet er zwei seiner Jünger 2 und sagt zu ihnen: „Geht in das Dorf, das vor euch liegt, und sogleich, wenn ihr dort hineinkommt, werdet ihr ein Füllen angebunden finden, auf dem noch nie irgendein Mensch gesessen hat; das bindet los und bringt es her. 3 Und wenn jemand zu euch spricht: ,Was macht ihr da?', so sprecht: ,Der Herr bedarf seiner, und er schickt es gleich wieder her'.“ 4 Und sie gingen weg und fanden ein Füllen angebunden am Tor, außen auf der Straßenseite, und sie binden es los. 5 Und einige von denen, die dort standen, sagten zu ihnen: „Was macht ihr, daß ihr das Füllen losbindet?“ 6 Sie aber sprachen zu ihnen, wie Jesus gesprochen hatte, und sie ließen sie gewähren. 7 Und sie bringen das Füllen zu Jesus und legen ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf. 8 Und viele breiteten ihre Kleider auf den Weg, andere aber grüne Büschel, die sie auf den Feldern abgeschnitten hatten. 9 Und die Vorausziehenden und die Nachfolgenden schrien: „Hosanna, gesegnet, der da kommt im Namen des Herrn; 10 gesegnet das kommende Königreich unseres Vaters David; Hosanna in der Höhe!“ 11 Und er ging nach Jerusalem hinein in den Tempel, und da er sich alles angesehen hatte, ging er, da es schon spät an der Zeit war, hinaus nach Bethanien mit den Zwölfen. V . 9 : P s . 1 1 8 , 25f.
Die Geschichte ist sehr merkwürdig. Die Vorbereitung des Einzugs und die große Begeisterung enden in nichts. Jubelrufe erschallen, aber nur außerhalb der Stadt; ein messianisches Bekenntnis fehlt, weder wird Sach.9,9 zitiert noch deutlich darauf angespielt, obwohl der griechische Ausdruck für „junges Füllen“ dort auch „frisches, neues Füllen“ heißt und so wohl schon vor Markus zu V.2 b geführt hat. Schließlich endet alles ohne Resultat damit, daß Jesus sich wie ein Tourist den Tempel anschaut und sich daraufhin zurückzieht. V.8 setzt eher voraus, daß Jesus zu Fuß geht. Sind eine Ovation in Bethanien und ein Ritt nach Jerusalem erst nachträglich verknüpft worden (vgl. auch Joh. 12,1.12)? Der Jubel in Bethanien könnte die Behörden auf Jesus aufmerksam gemacht haben, während bei einem messianischen Einzug in Jerusalem die Römer sicher sofort eingegriffen hätten. Der Ritt auf einem Esel ist an sich unauffällig; von -inem Rabbi wird das gleiche völlig unbetont erzählt (Billerbeck II 415). Vielleicht hat aber die Gemeinde nachträglich darin einen Hinweis auf Sach.9,9 gesehen und das durch V. lb-6 unterstrichen. Vielleicht hat sogar Jesus bewußt im Gegensatz zu messianischen Hoffnungen auf den Friedenskönig von Sach.9,9 hinweisen wollen, ohne aber verstanden zu werden. Jedenfalls hat er in keiner Weise eine aufbrechende Begeisterung des Volkes für seine Zwecke benutzt. Wenn die Geschichte erst nachträglich aus Sach.9,9 herausgesponnen wäre, wäre der Bezug darauf deutlicher. Da David im Judentum nie „unser Vater“ heißt, stammt V. 10 wohl aus der Gemeinde, für die David als „Vater“ Jesu (Lk. 1,32) auch ihr „Vater“ war. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Bethphage liegt näher bei Jerusalem als das ca. 3 km entfernte Bethanien. Zog 1 Jesus über Bethphage dorthin und erst am folgenden Tag (oder noch später) nach Jerusalem? Jedenfalls kennt Markus die Örtlichkeiten nicht mehr. Nach Sach. 14,4 erwartete man die Enderscheinung Gottes, nach Josephus (Altert. 20, 169) den Messias am Ölberg (vgl. noch Ez. 11,23; 2. Sam. 15,32). In Palästina ist ein Esels- 2 füllen das übliche, obwohl das Wort im Griechischen sonst ohne Zusatz ein Pferdefüllen meint. Abgesehen davon, daß Jesus sonst nie reitend dargestellt wird, streicht der Zug, daß das Füllen noch nie zum Reiten benutzt worden war, seine Bedeutung heraus (vgl. Sach. 9,9). Noch stärker tut das Jesu Anweisung V.3. Nie 3 sonst heißt Jesus bei Markus „der Herr“ (vgl. nur 12,36f. und die Anrede 7,28). Vielleicht war einmal gemeint: „unser Meister“ ; zur Zeit des Markus aber kann man darin nur noch die Aussage sehen, daß Jesus absolut und über alle „der Herr“ ist. Später entdeckte man in l.Mose49,11, daß das Füllen an einen Weinstock 4 angebunden war (Justin, ap.32,6; Clemens, paid. I 5,15); so führten alttestamentliche Stellen zu neuen Einzelheiten der Geschichte Jesu. Die genaue Erfüllung des 7 von Jesus Vorausgesehenen unterstreicht die Bedeutung seines Reitens: Gott selbst fügt alles und bewegt die Menschen nach seinem Willen. Das Ausbreiten der Kleider 8 (2.Kön.9, 13; Act.Pil. 1,3) ist ungewohnte Huldigungsart, erst recht, da Jesus ja reitet und der Weg lang ist. Die „Büschel“ können kaum Palmzweige meinen (trotz Joh. 12,13), da Palmen bei Jerusalem selten sind. Sie könnten auf einen Einzug im Herbst hinweisen, weil sie beim Laubhüttenfest üblich waren, ebenso wie das Hallel 9 (V. 9). Jesus reitet mitten in der Menge, von der einige voran-, andere hinterhergehen. „Hosanna“ , wörtlich „hilf doch!“ , ist jedem Israeliten aus dem Ende des sogenannten Hallel (Ps.118,25) bekannt. Es umfaßt Ps. 113-118 und wurde bei allen Wallfahrtsfesten nach dem Morgengebet gelesen. Zur Zeit Jesu hat „Hosanna“ wahrscheinlich stark endzeitlichen Klang als Ruf nach der endgültigen Hilfe Gottes. Doch ist es bei Markus kaum mehr als ein Huldigungsruf (V. 10b, vgl. 10 Ps. 148,1; Did. 10.6: „Hosanna dem Gott Davids“ ). Oder soll man hier verstehen: „vom Himmel her“ ? Der erste Heilruf (Ps. 118, 25f.) könnte jedem Pilger gelten, der zweite zeigt aber die Erwartung des verheißenen Messiasreiches (vgl. zu 10,48). Vielleicht steht er im Gegensatz zum Ruf des Bartimäus, der verstanden hat, daß der „Sohn Davids“ mit seinem Reich schon da ist. Vom Eingreifen der jüdischen 11 oder römischen Behörde wird nichts berichtet, und die Notiz wirkt wie eine belanglose Ortsangabe, wie sie bei Markus gelegentlich am Ende eines Abschnitts zu finden ist. Erst V. 15-19 werden zeigen, daß das Ziel kein zufälliges war. So schildert Markus am Anfang der Passion Jesus als den Herrn, dem alles zu Gebote steht, auch der Esel eines unbekannten Bauern. Darin sieht das Volk schon recht; ja, ohne daß man diese Dimension erkennt, kann man ja die Tiefe seines Leidens gar nicht erfassen; und doch hat das Volk nicht verstanden, was hier vor sich geht. Das wird die Fortsetzung zeigen. Das Ende des Tempels Israels und der Aufbruch Gottes zu den Heiden 11,12-26, vgl. Mt.21,12-22; Lk.19,45-48 12 Und am andern Morgen, als sie von Bethanien aufbrachen, hungerte ihn. 13 Und als er von weitem einen Feigenbaum mit Blättern sah, ging er hin, ob © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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er etwas an ihm fände. Und als er hinging, fand er nichts an ihm außer Blättern. Es war nämlich nicht die Zeit der Feigen. 14 Da antwortete er und sprach zu ihm: „Nie mehr in Ewigkeit soll jemand von dir Frucht essen.“ Und seine Jünger hörten es. 15 Und sie kommen nach Jerusalem. Und als er in den Tempel hineingegangen war, begann er, die Verkäufer und Käufer im Tempel hinauszutreiben und warf die Tische der Wechsler und die Sitze der Taubenverkäufer um 16 und ließ nicht zu, daß jemand ein Gerät durch den Tempel trage. 17 Und er lehrte und sagte zu ihnen: „Steht nicht geschrieben: ,Mein Haus soll ein Haus des Gebetes genannt werden für alle Völker'? Ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht!“ 18 Und die Hohenpriester und Schriftgelehrten hörten es und suchten, wie sie ihn vernichten könnten; denn sie fürchteten ihn, weil alles Volk über seine Lehre erstaunte. 19 Und wenn es spät wurde, gingen sie jeweils hinaus aus der Stadt. 20 Und als sie früh vorbeikamen, sahen sie den Feigenbaum von den Wurzeln an verdorrt. 21 Und Petrus erinnerte sich und sagt zu ihm: „Meister, siehe, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist verdorrt.“ 22 Und Jesus antwortete und sagt zu ihnen: „Habt Gottesglauben! 23 Wahrlich, ich sage euch, wer immer zu diesem Berge spräche: ,Hebe dich und wirf dich ins Meer›, und nicht zweifelte in seinem Herzen, sondern glaubte, daß, was er rede, geschehe, dem wird es werden. 24 Deswegen sage ich euch: ,AUes, was ihr betet und erbittet, glaubt, daß ihr es empfangen habt, und es wird euch werden. 25 Und wenn immer ihr betend steht, vergebt, wenn ihr irgend etwas wider jemanden habt, damit auch euer Vater im Himmel euch eure Fehltritte vergebe. 26 (Wenn ihr aber nicht vergebt, wird auch euer Vater in den Himmeln eure Fehltritte nicht vergeben.)'“ V.\7; Jes.56,7; Jer.7,ll.
V. 12-14 finden in 20f. ihren Abschluß. Da Markus gerne so komponiert (vgl. zu 5,21-43), hat er wohl absichtlich die Tempelreinigung mit der Geschichte von der Verfluchung des Feigenbaumes umrahmt. Sonderbar ist, daß Jesus Feigen sucht, obwohl es doch nicht Zeit dazu ist, und dann den Baum verflucht, weil er keine findet. Es ist auch das einzige Wunder Jesu in Jerusalem und das einzige Fluchwunder überhaupt. Steckt dahinter ein apokalyptisches Wort, das den Einbruch des Gottesreiches erwartete, bevor man noch Feigen ernten könnte? Doch hätte sich das innert einiger Monate als falsch erwiesen. Eher war die Verfluchung, ob historisch oder nicht, von Anfang an wie die symbolischen Zeichenhandlungen der Propheten als Geste gegen das keine Frucht bringende Israel bzw. seine Schriftgelehrten oder Priester verstanden (vgl. Jer.8,13!; JoeI l,7; auch Ez. 17,24; Mi.7,1; Hos.9.10.16f.). Dann könnte die Geschichte aus einem Worte Jesu, ähnlich Lk. 13, 6-9, entstanden und erzählt worden sein, um den Ernst seiner Drohung zu unterstreichen. Verstanden ist die Geschichte also erst, wenn wir fragen, was Markus uns damit über Jesus sagen will. Hinter der Erzählung von der Tempelreinigung muß hingegen eine Tat Jesu stehen. Freilich ist undenkbar, daß Jesus den riesigen Tempelplatz hätte räumen können, ohne daß die jüdische Tempelpolizei oder das in der Nähe stationierte römische Militär eingegriffen hätte. Wir hören einmal von einem einzigen Händler, der 3000 Schafe auf dem Tempelhügel zum Verkauf anbot (Billerbeck 1852). Auf der einen Seite hat also die Überlieferung einen Vorgang, der zeichenhaft auf einen Winkel des Platzes beschränkt war, so berichtet, daß der Eindruck von © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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etwas viel Größerem entsteht. Auf der andern Seite ist in der Zeit, in der die Gemeinde Jesu noch innerhalb des Judentums lebte, das Ereignis verharmlost worden, als ob es Jesus nur um eine Reform des Tempelbetriebs gegangen wäre (vgl. auch zu V.16). Dabei ist wohl das Drohwort Mk. 14,58 (s. dort), von Jesus vermutlich durch einen symbolischen Akt der Austreibung einiger Wechsler und Händler unterstrichen, hier weggelassen und als bloße Anschwärzung dargestellt worden. Nicht ausgeschlossen ist, daß bei der weiteren Ausgestaltung Sach. 14,21b (vgl. 4a) von Einfluß war. Das alttestamentliche Wort V. 17 deutete wohl schon vor Markus den Eingriff Jesu. Markus aber hat es mit dem Hinweis auf die „Lehre“ Jesu umrahmt, weil es für ihn das Wichtigste ist, um das sich alles andere gruppiert. Vielleicht bezieht er das „mein“ sogar auf Jesus (statt auf Gott). Die Zeit der Tempelreinigung wird verschieden überliefert. Nach Mt. 21,12 erfolgt sie als Höhepunkt des Einzugs gleich nach dem Einzug und vor der Verfluchung des Feigenbaums; nach Joh.2,13ff. am Anfang der Wirksamkeit Jesu, so daß sie ihn von Anbeginn an vom offiziellen Judentum scheidet. Die Datierung der Synoptiker wird richtig sein, schon weil 11,28 eine Äußerung der Vollmacht Jesu voraussetzt. V. 22-25 finden sich in den andern Evangelien auch an anderer Stelle als Einzelworte zum Thema des Gebets, die bald da, bald dort aufgenommen werden. Da sie die Verfluchung des Feigenbaumes als Beispiel für die Macht des Gebets darstellen, während diese für Markus (wie wohl für die ersten Erzähler) göttliches Gerichtszeichen ist, hat vermutlich schon die Gemeinde vor Markus diese Worte hier angefügt. Der Fluch Jesu ist also von den ersten Erzählern, von der Gemeinde und von Markus je wieder anders gedeutet worden, wie ja alle lebendige Verkündigung versucht, das zu sehen, was für die jeweilige Situation zu sehen nottut. Daß Jesus „hungerte“ , ist wohl später zugefügte Erklärung; die Enttäuschung eines Hungrigen genügt nicht für einen Fluch von dieser Wucht, der nur als Gerichtszeichen wider Israel verständlich ist. Die „Blätter“ werden erwähnt, um das Wunder des Verdorrens anschaulich zu machen. Die Zwischenbemerkung, daß es nicht Zeit für Feigen war, ist wahrscheinlich erst eingefügt worden, als man die Geschichte in die Tage vor dem Passa einordnete. Sie läßt ja Jesu Handeln unsinnig erscheinen. Man hat deswegen schon Jesu Einzug auf den Herbst angesetzt, so daß er ein halbes Jahr in Jerusalem geweilt hätte. Aber eine zunächst einzeln ohne Zusammenhang mit der Passionsgeschichte tradierte Erzählung genügt nicht für so weitgehende Folgerungen; doch ist aus anderen Gründen vielleicht auf einen etwas längeren Jerusalemer Aufenthalt zu schließen (s. zu 11,8); auch 14,49 setzt wohl mehr als fünf Tage voraus. Der Sinn des Fluches wird erst im folgenden klar. Unmittelbar daran anschließend wird nämlich das Gericht Jesu über den Tempel berichtet. Nach Markus trifft der Fluch also jenes Israel, das seinen Tempel nicht Jesus und damit allen Völkern öffnet. Die Wechsler und Verkäufer saßen im Vorhof der Heiden, der nicht heilig, freilich auch nicht ganz weltlich war - man sollte ihn nicht als Wegabkürzung benützen - und etwa dem Vorplatz einer Wallfahrtskirche glich. Da man Opfertiere kaufen und Geld für die Tempelsteuer in althebräische oder tyrische Währung eintauschen mußte, war der Handel notwendig. Nach Markus handelt es sich bei Jesu Zeichen nicht um eine Reform - damit hat er Jesu © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 11,12-26: Das Ende des Tempels Israels und der Aufbruch Gottes zu den Heiden
Handeln sicher richtig verstanden - , sondern um ein Zeichen, das das Verschwinden des alten Tempels (und den Bau eines ganz anderen Tempels) schon anzeigen soll. Dies wurde seit Ez.40-48; äth.Hen.90,28-30 erwartet, die endzeitliche Wallfahrt aller Heiden nach Jerusalem seit Jes.2,2-4; 60 (vgl. Ps.Sal. 17,30f. und zu Mk. 13,27). V. 16 bleibt zweideutig. War ursprünglich gemeint, Jesus habe gegen das Umhertragen von Kuligeräten protestiert, was zum Gerichtston von V. 15 paßte? Wurde das später als bloße Reform gedeutet (s. oben), die die Verbannung weltlicher Gegenstände aus dem Tempel (Josephus, Ap.2,106; Billerbeck z.St.) schützen sollte? Mit dem Bericht vom „Lehren“ Jesu (vgl. zu 1,21-28) unterstreicht Markus die Bedeutung des Gesagten; die griechische Zeitform drückt nämlich ein wiederholtes Tun aus. War zunächst von Jesu Lehre in Gleichnissen die Rede, dann von seinem unverhüllten Lehren des Passionsweges, so kommt jetzt ein Neues hinzu: „allen Völkern (oder: Heiden)“ . Markus versteht demnach die Tempelreinigung als grundsätzliche Aufhebung einer rein-innerjüdischen Institution. Als Stätte des „Gebets“ soll sie auf jene Haltung hinweisen, in der der Mensch nichts zu leisten und Gott anzubieten hat, die also auch den Heiden offensteht. Damit ist alle Gesetzlichkeit überwunden, wie es schon 2,23-3,6 programmatisch zeigten. Die Reaktion der Behörden, fast gleich wie in 3,6 beschrieben, betont denn auch die Wichtigkeit des Gesagten. Ein drittes Mal markiert Markus dies, indem er auf das Staunen des Volkes über die „Lehre“ Jesu hinweist. Die vom Gesetz verliehene Abgeschlossenheit Israels ist aufgehoben; Gott wird, durch Israel, dem Gebet der Völker zugänglich. Das steht am Anfang des Leidensweges Jesu, den selbst die Jünger noch nicht begreifen und den ein Heide zuerst verstehen wird (15,39). Sachlich steht Markus damit nahe bei Paulus, bei dem das Kreuz Jesu Ende des Gesetzes ist und Beginn eines Lebens aus der Gnade, das allen Völkern angeboten wird. Daß Jesus „aus der Stadt“ weicht, symbolisiert die Scheidung. Erst recht geschieht das durch das Eintreffen des Fluches Jesu, was durch Petrus ausdrücklich festgestellt wird. Markus versteht es als Gerichtszeichen Gottes, das jenem Sicheinschließen im Tempel sein Ende setzt. Wenn Jesus nicht dem Petrus, sondern „ihnen“ antwortet, will Markus damit die Allgemeingültigkeit des Folgenden ausdrücken. Die älteste Form von V.23 könnte Lk. 17,6 vorliegen. „Entwurzelung“ eines Berges war nämlich sprichwörtlich für die Kraft rabbinischer Argumentation (Billerbeck I 759), während das ungewohnte Bild von der Entwurzelung eines Maulbeerfeigenbaums, dessen besonders starke Wurzeln bekannt waren (ebd. II 234), höchstens in einem späteren Gebetswunder eines Rabbis um 90 n.Chr. an einem Johannisbrotbaum eine Analogie findet. Das ungewohnte Bild (Jesu?) wurde dann durch die übliche Formel ersetzt (Mt. 17,20, wo der Hinweis auf das Meer fehlt; vgl. dort), und schließlich schwand auch der Vergleich mit dem Senfkorn. Gerade das war aber das Neue, daß solche Verheißung einem Glauben zugesprochen wird, der klein wie ein Senfkorn ist. Nicht die Größe oder Qualität des Glaubens oder der theologischen Einsicht entscheidet also nach Jesu Wort, das von allem meßbaren Mehr oder Weniger zurückführt zur schlichten Tatsache des Glaubens. Ihm ist alles verheißen, gerade weil er nichts von sich selbst, aber alles von Gott erwartet. Dann ist freilich eingeschlossen, daß er immer so betet, daß nicht sein, sondern Gottes Wille geschieht. In der Markusform wird „Glaube“ als „nicht zweifeln“ , d.h. als © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 11,27-33: Die Frage nach der Vollmacht Jesu
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„nicht zwie-fältig, sondern ein-fältig sein“ beschrieben (s. zu Mt. 14,31).. Doch liegt dafür das Mißverständnis näher, es gehe um eine Sonderleistung des Menschen, weil die Verheißung an den winzigen Senfkornglauben weggelassen ist. Der Satz ist an ganz verschiedenen Stellen eingeordnet worden. Mt. 17,20 folgt er der Heilung des Epileptischen, bei der die Jünger versagt haben; Lk. 17,6 wird er durch eine Bitte der Jünger um Glauben eingeleitet; die Gemeinde vor Markus hat ihn mit dem Fluch über den Feigenbaum verbunden. Für Markus bildet dieser den Rahmen um die Tempelreinigung, so daß V. 23-25 eher die Aussage vom „Haus des Gebets“ illustrieren. Damit rückt er in größere Nähe zu l.Kor. 13,2, wo der als Liebe lebende Glaube einer mirakulösen Glaubensleistung entgegengesetzt ist. Die Fortsetzung in V. 27-33 wird zeigen, daß selbst Jesu Vollmacht nicht ausweisbar ist und daß man sich den Weg zu ihm verbaut, wenn man nach ihren Beweisen fragt. Die Formulierung „empfangen habt“ zeigt, daß an einen Glauben gedacht 24 ist, der weiß, daß Gott schon schenkt, bevor der Mensch auch nur darum bittet (s. zu Mt. 6,8). Die Regel vom Verzeihen ist zum Thema „Beten“ zugefügt (vgl. zu 25 Mt. 6,14; 5,23 f.) und besagt, daß das rechte Verhältnis zu Gott immer das zum Mitmenschen einschließt. In V.26, der nur in einigen Handschriften überliefert ist, 26 haben Abschreiber Mt.6,15 zugefügt, aber zugleich an Mk. 11,25 angeglichen. Das zeigt, wie lange noch solche Worte, auch wenn sie inhaltlich richtig überliefert wurden, doch ihre Form änderten, wenn sie in einen neuen Zusammenhang gestellt wurden. Der Fluch über den Feigenbaum, ursprünglich prophetisches Zeichen für Gottes Gericht über Israel (vgl. Lk. 13,6-9), wurde in der heidenchristlichen Gemeinde, als dies nicht mehr aktuell war, zur Demonstration der Macht des Gebetes und zog daher die V. 22-24 an. Markus endlich hat ihn als Rahmen für die Tempelreinigung verwendet und damit die große Wende von dem nur Israel offenen Tempel zur Gebetsstätte aller Völker unterstrichen. Hier liegt für ihn der Sinn der Passion Jesu überhaupt. Die Frage nach der Vollmacht Jesu 11,27-33, vgl. Mt. 21,23-27; Lk. 20,1-8 27 Und sie kommen wieder nach Jerusalem. Und als er im Tempel umhergeht, kommen zu ihm die Hohenpriester und die Schriftgelehrten und die Ältesten 28 und sagen zu ihm:. „In welcher Vollmacht tust du dies? Oder wer hat dir diese Vollmacht gegeben, daß du dies tust?“ 29 Jesus aber sprach zu ihnen: „Ich will euch ein Einziges fragen, und ihr sollt mir antworten; so will ich euch sagen, in welcher Vollmacht ich dies tue. 30 Die Taufe des Johannes, war sie vom Himmel oder von Menschen? Antwortet mir.“ 31 Und sie überlegten bei sich und sagten: „Sagen wir ,vom Himmel', so wird er sagen: ,Warum habt ihr ihm denn nicht geglaubt?' 32 aber sagen wir ,νοn Menschen'“ - da fürchteten sie das Volk; denn alle hielten Johannes wirklich für einen Propheten. 33 Und sie antworteten Jesus und sagen: „Wir wissen es nicht.“ Und Jesus sagt zu ihnen: „So sage auch ich euch nicht, in welcher Vollmacht ich dies tue.“ Damit beginnt eine letzte Auseinandersetzung, ähnlich den Streitgesprächen zu Beginn der Wirksamkeit Jesu (2,1-3,6). Sie geht in der heutigen Form wohl weithin © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 12,1-12: Das Gleichnis von der Passion Jesu
auf die Diskussion der Gemeinde mit dem Judentum zurück. Die V.27 genannten Führer hätten, selbst wenn sie wie V.31f. überlegt hätten, kaum zugegeben, daß sie es nicht wüßten. Wohl aber hat die Gemeinde im Sinn von V.30 auf die von allen mehr oder weniger anerkannte Johannestaufe hingewiesen. Daß sich Jesus auch in Jerusalem mit den jüdischen Führern auseinandersetzte, ist damit nicht bestritten. Der Hinweis auf „dies“ in V.28 zeigt, daß die Frage ursprünglich wahrscheinlich direkt an V. 15-17 anschloß (vgl. auch Joh.2,18); bei der jetzigen Ansetzung auf einen späteren Tag bleibt unklar, wieso trotz V. 15 offenbar der Tempelbetrieb friedlich weitergeht. Das bestätigt nochmals, daß erst Markus die Geschichte vom Fluch über den Feigenbaum als Rahmen um den Bericht von der Tempelreinigung legte, so daß jetzt mit V.27 wieder zur Situation im Tempel zurückgelenkt werden muß. Markus selbst wird „dies“ auf die gesamte Tätigkeit Jesu (vgl. 1,22. 27!) bezogen haben. Der Aufbau ist für seine Verkündigung aufschlußreich: In der Tempelreinigung vollzieht sich, nur zeichenhaft sichtbar, Jesu Wirken als Gericht über den Tempel. An seine Stelle tritt das „Haus des Gebets für alle Völker“ , an die Stelle des verdorrten Feigenbaums die Macht Gottes, die sich dem Glauben und dem Gebet schenkt, aber nicht von dem erfahren wird, der von außen, unbeteiligt, nach ihrem Beweis fragt. 12,1-12 wird abschließend zeigen, daß die, die dieses Gericht Gottes nicht erkennen, das Gericht über Jesus und damit über sich selbst vollziehen. 12,12 wiederholt denn auch weithin, was schon 11,18 sagte, und verklammert so diese Abschnitte. 27.28 30 29.30 31 32
33
Wieder treten alle drei Gruppen des Synedriums (vgl. Exkurs zu 1,21-28) auf, wieder steht die Vollmacht Jesu, die schon 1,27 (s. dort) im Zentrum stand, zur Diskussion. „Vom Himmel“ ist Umschreibung, die der Scheu des Juden, Gottes Namen zu nennen, entspricht. Die Frage nach der Johannestaufe zeigt, daß es Situationen gibt, in denen man sich nicht um das Ja oder Nein drücken und das Problem noch in mehr oder weniger unbeteiligter Diskussion erörtern kann. Darum fordert Jesus zweimal die Antwort, im Griechischen so, daß eine einzige, klare Antwort erwartet wird. Logisch wäre eigentlich „So wird er sagen: also auch meine Vollmacht“ ; aber der Vorwurf des Unglaubens betont die Pointe im Sinne des Erzählers besser. Mit ihrer Unentschiedenheit offenbaren sie tatsächlich ihren Unglauben. Dabei ginge es gerade darum, daß sie sich jenes Glauben schenken ließen, das nicht mehr nach Beweisen fragt. Ist es auch kaum zutreffende Beschreibung der Gedanken der Gegner Jesu, so trifft es doch in der Sache genau das, worum sich das Gespräch dreht. Da ihnen das Nein zu Gottes Tat unmöglich ist - areligiös wollen sie ja nicht sein - bleibt es beim Nichtwissen, bei der Haltung der Menschen, die alles offen lassen wollen, denen sich darum auch Gott nicht schenken kann, selbst wenn er, in Jesus, ihnen direkt gegenübertritt. Das Gleichnis von der Passion Jesu 12,1-12, vgl. Mt.21,33-46; Lk.20,9-19 1 Und er begann, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: „Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und vergab ihn an Pächter und zog außer Landes. 2 Und er sandte zu den Pächtern, als es Zeit war, einen Knecht, um von den Pächtern seinen Teil © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 12,1-12: Das Gleichnis von der Passion Jesu
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an den Früchten des Weinbergs zu empfangen. 3 Und sie packten ihn, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen davon. 4 Und wieder sandte er zu ihnen einen andern Knecht, und diesem schlugen sie den Kopf wund und beschimpften ihn. 5 Und er sandte einen andern, und diesen töteten sie. Und noch viele andere, die einen schlugen, die anderen töteten sie. 6 Noch einen hatte er, seinen geliebten Sohn. Den sandte er als letzten zu ihnen und sagte: ,Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.' 7 Jene Pächter aber sprachen zueinander: ,Dies ist der Erbe; kommt, wir wollen ihn töten, und unser wird das Erbe sein!› 8 Und sie packten ihn, töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg. 9 Was wird der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Pächter umbringen und den Weinberg anderen geben. 10 Habt ihr nicht auch diese Schrift gelesen: ,Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden; 11 vom Herrn ist dies geschehen, und wunderbar ist es in unseren Augen'?“ 12 Und sie suchten, ihn festzunehmen und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, daß er das Gleichnis auf sie gemünzt hatte. Und sie ließen ihn stehen und gingen davon. V . 1 . Jes.5 ,1 f . ; V . 1 0 . : P s . l l 8 , 22f.
Die kurze Einleitung V. 1 a und der Schluß V. 12 entsprechen stilistisch und inhaltlich dem Evangelisten. Das Zitat V. l0f. paßt nicht zur Pointe von V.9, da die Verwerfung des Steins nur ein Nebenbezug, die Einreihung als Eckstein das Entscheidende ist. Da diese und andere, Christus als Stein bezeichnende Stellen in der Gemeinde oft zitiert und in verschiedener Weise kombiniert wurden (Apg.4,11; Röm.9,33; l.Petr.2,6-8; vgl. Eph.2,20; Barn.6,2-4; Justin, dial.36,1), ist darin das Zeugnis der Gemeinde zu sehen, die das Osterereignis im Wort des Alten Testaments angezeigt fand. Das Gleichnis selbst könnte auf Jesus zurückgehen. Zwischen reichen Grundbesitzern im Ausland und armen Pächtern gab es Konflikte, besonders bei neuangelegten Weinbergen, die 4-5 Jahre lang kaum Frucht tragen. Die Sendung des Sohnes ist denkbar, da er allein Rechtsvollmacht hat. Selbst die Hoffnung auf das Erbe ist nicht unsinnig; man konnte herrenloses Land „ersitzen“ . Die revolutionäre Stimmung in Palästina könnte also schon bei Jesus den Hintergrund bilden. V.5, der keine Semitismen enthält, und der Zusatz „geliebter (Sohn)“ müßten freilich sekundär sein, während die alttestamentlichen Anklänge an Jes.5, lf. (V. 1) und 1.Mose37,20 (V.7) bei Jesus möglich, die Angleichungen an die LXX dann auf die Übersetzer zurückzuführen wären. Thomasev. 65 kennt eine Form, in der zwei Knechte geschlagen und der Sohn getötet wurde, die schließt: „Wer Ohren hat, der höre!“ Das könnte anstelle von V.9 gestanden haben. Aber anders als in den übrigen Gleichnissen (s. Exkurs zu 4,1-9) spricht Jesus hier direkt von sich selbst, ja von seiner Ermordung, die Gottes Gericht über seine Gegner bringen wird. Man muß also eine Person des Gleichnisses direkt auf ihn, das ganze auf ein bestimmtes Jesusereignis deuten, was die Ausdeutung anderer Züge mindestens nahelegt. Das spricht für Entstehung in der Gemeinde, die auf Jesu Tod zurückblickt, was natürlich schon in Palästina möglich war, wohin das Bildmaterial weist. Mit der grundsätzlichen Feststellung, daß Jesus wieder „in Gleichnissen“ (ob- 1 wohl nur eines folgt) redet (vgl. zu 3,23), unterstreicht Markus die Bedeutung des © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 12,1-12: Das Gleichnis von der Passion lesu
Folgenden. Freilich schließt keine Sonderbelehrung der Jünger an - sie ist schon 12 8,31 erfolgt - und anders als bisher verstehen die Führer Israels, was Jesus sagen will (V. 12). Allerdings ist es ein Verstehen zum Gericht, nicht zum Heil. Das zeigt noch einmal, daß das Gleichnis für Markus nicht pädagogische Hilfe zur Veranschaulichung des sonst schwer Begreifbaren ist, sondern die Art, in der von Gott geredet werden kann, weil der Inhalt nur von dem verstanden wird, der sich selbst in das Ja oder Nein zu dem Gesagten hineinziehen läßt, die also nur Glauben oder 1 Unglauben zur Folge haben kann. Der Weinberg wird genau nach Jes.5,lf. beschrieben. Der „Turm“ ist das Wirtschaftsgebäude, das während der Ernte bewohnt wird und oben einen Ausguck hat. Doch steht nicht wie dort das Verhalten des Weinbergs (= Israel), sondern das der Pächter im Zentrum. Der Besitzer ist als 2 Ausländer vorgestellt. Daß der Pachtzins in einem Teil des Ertrags besteht, ist übliche Regelung. Das Verhalten der Pächter wäre als revolutionäre Auflehnung zu 5 verstehen; doch deutet V.5 so, daß gerade das Nichterklärliche, alles denkbare Maß Überschreitende betont werden soll: das Bild wird durch die gemeinte Sache, die Verfolgung der Propheten und die Tötung Jesu, bestimmt. Das läßt die Pointe 6 scharf hervorstechen: so unbegreiflich handelt Israel. Aber noch weit unbegreif7 licher ist das Tun des Herrn, also Gottes Gnadenhandeln. Noch einmal zeigt sich, wie unlogisch die Überlegung der Pächter ist; der Besitzer lebt ja noch! Auch das 8 soll nur ihre unvorstellbare Ruchlosigkeit beschreiben, ebenso das Hinauswerfen 9 des Leichnams, das kaum nach Hebr. 13,12 auszudeuten ist. Die „andern“ , denen der Weinberg übergeben wird, sind die Heiden. Daher hat Markus das Gleichnis unmittelbar an 11,15-17 (und die schon in der Tradition damit zusammenhängende Vollmachtsfrage 11,27-33) angeschlossen (vgl. Einleitung zu 11,27-33). Der Gang des Evangeliums von Israel zu den Völkern ist also mit dem Nein Israels zu Jesus begründet. So beschreibt das Gleichnis die Geschichte Gottes, seinen Weg über Israel in die Völkerwelt hinaus. Ähnlich sprechen M t . 8 , l l f.; 12,41 f.; 23,29ff.37 vom Unglauben Israels, wobei aber nie auf die Kreuzigung Jesu hingewiesen wird (vgl. Apg.3,13ff.; 7,51 ff.; 13,27f.). Dort ist es Anrede an Israel: es soll zur Buße, nicht etwa die Heidenchristenheit zur Überheblichkeit gerufen werden. Markus 12 löst das Problem so, daß er betont, wie das jüdische Volk im Gegensatz zu seinen Führern Jesus zugetan ist (V. 12), vor allem aber am Beispiel der Jünger Jesu zeigt, wie alle im Unglauben stehen und davon bedroht sind (vgl. z.B. zu 8,14-21). Einer heidenchristlichen Gemeinde (also der überwiegenden Mehrzahl heutiger Gemeinden) müßte gesagt werden, daß ihre Überheblichkeit über Israel noch katastrophalere Folgen hätte (Röm. 11,17-24; vgl. Mt., Rückblick 2). So endet das Gleichnis mit der unüberhörbaren Warnung: Gott ist nicht an Israel (oder an eine ungehor10.11 sam gewordene christliche Kirche) gefesselt. Daran hat die Gemeinde die alttestamentlichen Verse angeschlossen, die triumphierend den Ostersieg über die Wider12 sacher bezeugen. Der Schluß ist wieder typisch für Markus. Er scheidet zwischen den Lehrern Israels, die Jesus töten wollen, und dem Volk, das ihn bewundert, ohne freilich das Geheimnis seines Leidens zu verstehen. Dann folgt dem Angriff Jesu auf das falsch verstandene Privileg Israels gegenüber den Heiden der Entschluß, Jesus zu töten, wie 11,18 und schon 3,6 (vgl. dort). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 12,13-17: Die Frage der Pharisäer
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Das Gleichnis für sich allein erklärt Jesu Passion, parallel dem Schicksal der Propheten (vgl. zu Mt.23,37), mit dem Unglauben Israels, ist also Bußruf. Mit V. l0f. hat die Gemeinde ihre Überzeugung vom Ostersieg Gottes über die Ablehnung der Menschen als eigentliche Pointe angefügt. Markus schließlich unterstreicht durch seine Redaktion am Anfang und Ende, daß Jesu Botschaft nur von dem verstanden werden kann, der sich davon ergreifen läßt. Ob dies ein Nein oder ein Ja zu Jesus bedeutet, hängt nach Markus vor allem daran, ob der Mensch meint, ein Vorrecht auf Gott zu besitzen und ihn für sich beanspruchen zu können, oder ob er wie die Heiden Gottes Gnade mit leeren Händen begegnet (vgl. zu 7,24-30). Die Frage der Pharisäer 12,13-17, vgl. Mt.22,15-22; Lk.20,20-26 13 Und sie senden einige von den Pharisäern und den Herodianern, um ihn durch ein Wort zu fangen. 14 Und sie kommen und sagen zu ihm: „Meister, wir wissen, daß du wahrhaftig bist und auf niemanden Rücksicht nimmst; denn du schaust nicht auf das Ansehen bei Menschen, sondern lehrst in Wahrheit den Weg Gottes. Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu geben oder nicht? Sollen wir sie geben oder nicht geben?“ 15 Er aber wußte um ihre Heuchelei und sprach zu ihnen: „Was versucht ihr mich? Bringt mir einen Denar, daß ich ihn sehe.“ 16 Sie aber brachten ihn. Und er sagt zu ihnen: „Wessen ist dies Bild und die Aufschrift?“ Sie sprachen zu ihm: „Des Kaisers.›› 17 Jesus aber sprach zu ihnen: „Was des Kaisers ist, das gebt dem Kaiser zurück, und was Gottes ist, Gott.“ Und sie wunderten sich sehr über ihn. Die Angaben über Situation und Gesprächspartner sind farblos. So handelt es sich mindestens bei dieser Einkleidung, zum Teil auch beim Inhalt, wahrscheinlich um den Niederschlag der Diskussionen jüdischer Gruppen mit der Gemeinde, die versuchte, bei allen an sie herantretenden Problemen zu fragen: Wie hätte Jesus darauf geantwortet? Das schließt nicht aus, daß einzelne Worte auf Jesus zurückgehen. So mag er V. 17a gegen Hoffnungen auf ein irdisches „Gottesreich“ nationalpolitischen Charakters gesprochen haben. Dann wäre eine als Einzelwort überlieferte Antwort Jesu parallel dem folgenden Abschnitt als Diskussion mit den Pharisäern eingekleidet worden. Vermutlich ist schon vor Markus eine Gruppe solcher Streitgespräche zusammengestellt worden, und er hat sie hier eingeordnet, um die wachsende Feindschaft gegen Jesus zu veranschaulichen. Auch 3,6 waren Anhänger des Herodes (s. zu 3,1-6) mit den Pharisäern zusam- 13 men genannt. Das Gespräch soll von vornherein als ein unechtes charakterisiert werden; die Diskussion wird dazu mißbraucht, über den andern Meister zu werden. So werden auch die Komplimente zur Herausforderung, die Jesus zu Fall bringen 14 soll. Dabei wird er als „Lehrer“ (= „Meister“ ) angesehen, der „den Weg Gottes“ , also die Ethik, „lehrt“ . Das Gespräch dreht sich um die römische Kopfsteuer, die 6 n.Chr. eingeführt und von den Nationalisten (vgl. zu 3,18) verweigert wurde. Die Frage ist „Heuchelei“ , weil sie nur „versuchen“ (vgl. 8,11; 10,2) will, also 15 gar nicht Frage, sondern Falle ist. Denn Jesus muß sich entweder die Römer oder die Hauptmasse des Volkes zu Feinden machen. 12,28-34 (vgl. auch 10,17-22) zeigen, daß Markus nicht einfach in Schwarzweißmalerei so tun will, als gäbe © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 12.18-27: Die Frage der Sadduzäer
es außerhalb der Schar der Nachfolger Jesu nur Heuchler. Er warnt aber vor einem Diskutieren, das gar nicht lernen will, sondern sich von vornherein Jesus ver16 schlossen hat. Die Inschrift eines damaligen Denars lautete: „Tiberius, Kaiser, des göttlichen Augustus (= ,Erhabener') Sohn (in Syrien: ,des erhabenen Gottes Sohn'), 17 Oberpriester.“ Jesu Antwort rekurriert auf den Grundsatz, daß fremdes Eigentum zurückzugeben ist, ohne daß man fragt, ob es rechtmäßig erworben ist. Damit hat sich die junge Christenheit mit Jesus zusammen abgegrenzt gegen eine Apokalyptik, in der die Welt als unwesentlich verschwindet, wie gegen einen Zelotismus, in dem sie als dem Bösen verfallen bekämpft wird (vgl. auch Röm. 13,1-7; l.Tim.2,2; Tit.3,1; l.Petr.2,13f.; anders Offb. 13). Entscheidend sind die letzten paar Worte. Damit wird eine Antwort, die man „handhaben“ , eine Regel, die man einfach auf jeden auftretenden Fall anwenden könnte, um gleich zu wissen, wie man handeln muß, grundsätzlich verweigert. Denn Gott gehört ja alles, ihm gehört der Frager selbst. Vielleicht ist sogar daran gedacht, daß er selbst Gottes Bild (1.Mose 1,26) ist wie der Denar das des Kaisers. So wird gerade nicht zwischen einem staatlichen Bezirk, in dem der Kaiser, und einem religiösen Bezirk, in dem Gott regiert, abgegrenzt. Der erste Satz ist völlig vom zweiten beherrscht. Denn wer bestimmt, was wirklich dem Kaiser gehört und wo die Loyalität ihre Grenze findet? Doch nur Gott selbst. Also muß man, auch mit Jesu Antwort, in den je neu auftauchenden Problemen immer wieder von neuem nach Gottes Willen fragen, so daß weder der pharisäische Friedensschluß mit den Römern noch die zelotische Auflehnung gegen sie, weder der Staatskonservatismus noch die Revolution endgültig gerechtfertigt bleibt. So nimmt Jesus dem Menschen die Antwort nicht ab, sondern stellt ihn vor Gott, vor dem allein er im konkreten Fall sein Ja oder sein Nein finden und verantworten muß. Wegweisungen wie Röm. 13,1-7 sind wohl möglich und notwendig; sie können aber nur in verantwortlicher Entscheidung übernommen und angewendet werden. Die Frage der Sadduzäer 12,18-27, vgl Mt.22,23-33; Lk.20,27-40 18 Und es kommen Sadduzäer zu ihm, die sagen, es gebe keine Auferstehung, und sie befragten ihn und sagten: 19 „Meister, Mose hat uns geschrieben: ,Wenn jemandes Bruder stirbt und eine Frau zurückläßt ,und kein Kind hinterläßt, soll sein Bruder die Frau nehmen und seinem Bruder Nachkommen erwecken›. 20 Es waren sieben Brüder, und der erste nahm eine Frau und, da er starb, hinterließ er keine Nachkommen, 21 und der zweite nahm sie und starb, ohne Nachkommen zu hinterlassen, und der dritte ebenso, 22 und alle sieben hinterließen keine Nachkommen. Zuletzt nach allen starb auch die Frau. 23 In der Auferstehung, wenn sie auferstehen, wem von ihnen wird die Frau gehören? Denn alle sieben haben sie zur Frau gehabt.“ 24 Jesus sprach zu ihnen: „Irrt ihr nicht deswegen, weil ihr weder die Schriften noch die Macht Gottes kennt? 25 Denn wenn sie von den Toten auferstehen, heiraten sie nicht noch werden sie geheiratet, sondern sie sind wie Engel im Himmel. 26 Von den Toten aber, daß sie auferweckt werden, habt ihr nicht im Buch Moses an der Stelle vom Dornbusch gelesen, wie Gott zu ihm sprach: ,Ich bin der Gott Abrahams © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 12,18-27: Die Frage der Sadduzäer
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und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs›? 27 Er ist nicht der Gott der Toten, sondern der Lebendigen. Gar sehr irret ihr.“ V. 19:5.Mose 25,5 f.; V.26: 2 Mose3,2.6.
Hier sind zwei verschiedene Probleme angepackt und beantwortet: die pharisäische Frage, wie die Auferstehung zu denken sei (V.25), und die sadduzäische, ob es überhaupt eine Auferstehung gebe (V.26f.). Gegen beide Fronten mußte die junge Christenheit ihren Glauben verteidigen, sowohl gegen die dogmatische Sicherheit, die über Gottes Geheimnisse verfügen zu können meint, als auch gegen eine Skepsis, die nicht mehr mit der Macht Gottes, Neues zu schaffen, rechnen wollte. Fragen, wie sie V. 19-23 bieten, sind von den Pharisäern tatsächlich diskutiert und dahin beantwortet worden, daß die Frau dann eben dem ersten Mann angehören werde. Aber auch die Antwort von V. 25 entspricht jüdischen Anschauungen apokalyptischer Kreise (s. zu V.25). So etwa ist zwischen pharisäisch und apokalyptisch gesinnten Juden diskutiert worden;die Gemeinde hat das übernommen, weil sie sich eindeutig auf die Seite der letzteren stellte. V.26 f. dürfte ein für sich überliefertes Argument gegen den Zweifel an der Auferstehung sein. Diskussionen, in denen Schriftstelle gegen Schriftstelle gesetzt wurde, sind innerjüdisch wie auch zwischen jüdischen und christlichen Lehrern geübt worden (vgl. auch zu 2,23-28 und 10,1-12). Ähnliche Schriftstellen, wenn auch nicht die hier genannte, erscheinen in rabbinischen Diskussionen (Billerbeck zu Mt.22,32); der Verweis darauf wie vor allem die zentrale Formulierung V. 27 könnten auf Jesus zurückgehen. Abgesehen von ganz späten Stellen (Ps.73,24?; Hi.19,25?; Jes.26,19; Dan. 12,18 1-3) spricht das Alte Testament nicht von einer Existenz nach dem Tod, die den Namen „Leben“ verdient (vgl. besonders Ps.88,6; 115,17; Jes.38,18). Religionsgeschichtlich steht es mit seinem Glauben, der auf jenseitige Belohnung verzichtet, fast einzigartig da. Dennoch ist die spätere Entwicklung schon in den vielfachen Erfahrungen Gottes, der sich stärker erweist als alles andere, angelegt. Solange man sich buchstäblich auf die Schrift bezieht und die wenigen Stellen, die noch nicht allgemein als zur Bibel gehörig galten, beiseite läßt, haben die Sadduzäer (s. Exkurs zu 1,21-28) mit ihrem Zweifel recht. Aber die Kraft des alttestamentlichen Glaubens liegt gerade darin, daß er, obwohl er keine schon selbstverständlich akzeptierte Erwartung eines ewigen Lebens kennt, so unbedingt festhält, daß Gottes Treue zum Menschen nicht abbricht, mag kommen, was will. Dafür war die Auferstehung Jesu Bestätigung und zugleich Neuprägung. Die sogenannte Leviratsehe (5.Mose25,5ff.) dient der Erhaltung der männlichen 19-23 Nachkommenschaft. Daß Sadduzäer dies als Argument gegen die Auferstehung verwendet hätten, ist schwer denkbar angesichts der oben genannten pharisäischen Lösung. Tatsächlich klärt auch die erste Antwort nicht das von den Sadduzäern in 25 Frage gestellte Daß, sondern das die Pharisäer beschäftigende Wie der Auferstehung (V.23a!). Die Lösung entspricht dem, was viele jüdische Zeitgenossen auch gesagt hätten, daß nämlich Engel weder essen noch trinken (Tob. 12,19) noch Frauen besitzen (äth.Hen.15,7), und daß die Toten nach der Auferstehung zu Engeln werden (äth.Hen.51,4; vgl. 104,4; syr.Bar.51,9f.). Tiefer greift der einleitende Satz: 24 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 12,28-34: Die echte Frage des Schriftgelehrten
die „Macht Gottes“ besteht darin, Neues, für menschliches Denken Unvorstellbares zu schaffen. Hier wird Gottes Gottsein ernstgenommen; darin ist er Gott, daß er von menschlichem Denken nicht einfach umfangen und eingekapselt werden kann. So ist beides festgehalten: es werden klare Aussagen über ein Leben jenseits der Auferstehung gemacht, es wird nicht einfach geschwiegen, und doch wird so geredet, daß das Geheimnis, das menschliche Kategorien sprengt, gewahrt wird. Wie im vorhergehenden Abschnitt wird also dem Glauben klare Auskunft gewährt, mit der er doch nie - gewissermaßen abgesehen davon, daß er Glaube ist - spekulieren und alle möglicher! theoretischen Probleme lösen kann. Damit ist der pharisäischen Fragestellung die Antwort nach dem Wie der Auferstehung gegeben. Völlig anders 26 erfolgt die zweite Antwort. Da wird die sadduzäische Frage nach dem Daß der Auferstehung als neues Problem aufgenommen. Der Übergang zeigt sich auch an dem grammatisch ungeschickten Satzanfang. Die Form der Entgegnung ist von der in V.24f. verschieden: hier wird Schrift gegen Schrift gestellt, und zwar nur von Sadduzäern anerkannte Stellen. Der Pharisäer Gamaliel hat gegen sadduzäische Zweifel an der Auferstehung noch überzeugender mit 5 . M o s e l l , 9 operiert: da Gott versprochen habe, das Land Kanaan Abraham, Isaak und Jakob zu geben, was doch erst Jahrhunderte nach ihrem Tod geschehen sei, müsse er sie zum Leben erweckt haben. Doch bezeugt V.26, gerade weil er nicht nur dem Buchstaben nach 27 gehört werden kann, den einzig wirklich entscheidenden Satz eher noch klarer: wo Gott eines Menschen Gott wird, sich ihm also zusagt, da kann das von niemandem und nichts aufgehoben werden außer von Gott selbst, also auch nicht vom Tod. Denn die Aussage, daß Gott sich einem toten Menschen zuspricht, ohne daß dieser dadurch zum Leben erweckt wird, ist unsinnig. Gott ist in der Tat nie der Toten, immer der Lebendigen oder der zum Leben Erweckrwerdenden Gott. Der letzte Grund der Auferstehungsgewißheit ist also das Wissen um Gottes Zusage an den Menschen, die durch keinen Tod aufgehoben werden kann, so gewiß Gott größer ist als der Tod (vgl. Röm.4,5.17.24f. und Exkurs zu Mk.5, 21-43). Darum schließt Jesu Entgegnung, wie sie begonnen hat, mit dem Hinweis darauf, daß die Frager grundsätzlich falsch liegen. Er weist also nicht auf ein für wahr zu haltendes Wunder, das dann wiederum das andere Wunder der allgemeinen Auferstehung garantierte; er weist auf Gottes Macht, die unsere Denkgrenzen überschreitet, und auf Gottes Zusage heute, die alles Vorstellen übertrifft, daher auch stärker sein wird als der Tod. Er erwartet also vom Menschen, daß er sich von sich und seinen Möglichkeiten weg ganz auf Gott wirft und ihm zutraut, daß er Neues, alle Vorstellungen Übersteigendes schaffen wird. Wo Gott dem Menschen in dieser Weise groß wird, da ist ihm von seinem „Irrtum“ geholfen. Die echte Frage des Schriftgelehrten 12,28-34, vgl. Mt.22,34-40; Lk.10,25-28 28 Und es trat einer von den Schriftgelehrten herzu, der gehört hatte, wie sie miteinander diskutierten, und erkannte, daß er ihnen gut geantwortet hatte, und fragte ihn: „Was für ein Gebot ist das erste von allem?“ 29 Jesus antwortete: „Das erste ist: ,Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist ein einziger Herr, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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30 und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und aus deiner ganzen Seele und aus deinem ganzen Denken und aus deiner ganzen Kraft: 31 Das zweite ist dies: ,Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.' Ein anderes Gebot, größer als diese, gibt es nicht.“ 32 Und es sprach zu ihm der Schriftgelehrte: „Gut, Meister, nach der Wahrheit hast du gesprochen, ,Er ist der Einzige, und kein anderer ist außer ihm', 33 und ,ihn lieben aus ganzem Herzen und aus ganzem Verstand und aus ganzer Kraft' und ,den Nächsten lieben wie sich selbst' ist weit mehr als alle ,Brandopfer und Schlachtopfer'. “ 34 Und Jesus sah ihn, daß er verständig geantwortet hatte, und sprach zu ihm: „Du bist nicht fern vom Reiche Gottes.“ Und niemand mehr wagte, ihn weiter zu befragen. V.29f.: S.Mose 6,4f.;V.31: 3.Mose 19,18; V.34: l.Sam. 15,22.
Die Einleitung V.28a ist überladen; wahrscheinlich hat Markus oder schon die Gemeinde vor ihm den Abschnitt durch einige Zwischenbemerkungen mit dem Vorangehenden verbunden. Lukas ordnet das Gespräch an anderer Stelle (10,25-28) ein. Hingegen widerspricht V.34 der sonstigen Ansicht des Markus von den Schriftgelehrten (2,6f.; 3,22; 7,Iff.; 12,38ff. usw.). Auch spricht die Einzigartigkeit von V.34 zusammen mit der Seltenheit der Parallelen zu V.28-31 und den nicht der LXX entsprechenden Zitaten eher für einen Bericht von einem Vorfall im Leben Jesu. V.30 lautet nicht genau wie der täglich vom Juden wiederholte Text (5.Mose 6,5), geht also mindestens in der jetzigen griechischen Form auf eine Gemeinde zurück, die dieses Bekenntnis nicht mehr spricht. Auch Rabbinen unterscheiden leichte und schwere Gebote und fragen nach dem 28 alle anderen aufwiegenden Gebot (Billerbeck zu Mt. 22,36 2.); doch Markus versteht es nicht mehr so („allem“ , nicht „allen“ !). Jeden Tag morgens und abends 29.30 spricht der männliche, erwachsene Israelit 5.Mose6,4-9; 11,13-21; 4.Mose 15, 37-41 als sein Bekenntnis; die ersten Sätze daraus zitiert Jesus, also nichts anderes, als was Israel schon längst weiß. Aber das alte Gebot bekommt seinen neuen Sinn durch die Parallelisierung mit dem „zweiten“ . Wie ist dies zu verstehen? Mt.22,39 31 bezeichnet es ausdrücklich als gleichwertig, Lk. 10,27 schließt beide ohne Absatz aneinander und schon die Schlußbemerkung bei Markus (V.31b) zeigt in dieselbe Richtung. Das erste Gebot kann man also nicht anders halten als so, daß man zugleich im zweiten lebt. Die Charakterisierung als „zweites“ bei Markus will aber das richtige Gefalle andeuten. Wird auch nur im Üben der Nächstenliebe die Gottesliebe konkret und erfahrbar, so hängt doch alles an der Erkenntnis, daß jene nur 29.30 von dieser her möglich wird. Aber was heißt Gottesliebe? Markus setzt, anders als Matthäus und Lukas, jedoch gleich wie das jüdische Bekenntnis, mit der Aussage vom Einssein Gottes ein, bevor er zum Aufruf, Gott zu lieben, übergeht. Darin prägt sich die Erkenntnis von l.Joh.4,10; Röm.5,5-8 aus: daß Gott selbst und seine erwählende, rettende Liebe die Quelle jenes Stromes ist, der als Liebe des Menschen zu Gott und zum Mitmenschen weiterfließt. Die Zufügung des zweiten 31 Gebotes ist nicht einfach neu, freilich auch nicht gebräuchlich. Rabbi Akiba, der 135 n.Chr. den Märtyrertod mit dem Beginn des jüdischen Bekenntnisses auf den Lippen stirbt, stellt fest: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst..., das ist ein großer allgemeiner Grundsatz im Gesetz“ (Billerbeck I 357); doch ist dies noch nicht mit © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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dem ersten Gebot verbunden. Hingegen nennt Philo die „zwei Giundlehren“ : „in bezug auf Gott die der Gottesverehrung und Frömmigkeit, in bezug auf Menschen die der Menschenliebe und Gerechtigkeit“ (Einzelges. II 63). Er hat also den Begriff „Nächster“ auf alle Menschen angewendet, während er im Alten Testament den jüdischen Volksgenossen, später auch den ansässigen Fremden bezeichnet. Wieweit er im palästinensischen Judentum schon allgemein verstanden wurde, ist schwer festzustellen (vgl. Lk. 10,29ff. und zu Mt.5,43). Beide Gebote werden in Test.Iss. 5,2; 7,6 (vgl. Dan5,3; Seb.5,lf.; Benj.3,3), wo man freilich nicht weiß, wieweit christliche Einschübe oder Einflüsse gehen, nebeneinandergestellt. Entscheidender als die Frage, ob Jesus das so gesagt hat oder nicht, ist daher, daß diese Antwort durch das ganze Verhalten Jesu einen Ernst und eine Kraft bekommt, wie es weder bei Philo noch in den Patriarchentestamenten geschehen ist. Wie das Alte Testament und die jüdischen Zeitgenossen versteht auch Jesus das Lieben als ein Wollen und denkt an all die kleinen, alltäglichen Dinge, in denen sich dieses ausdrückt. Aber sein Handeln, das die Zöllner in die Gemeinschaft mit Gott rief, die Gesetzlichen, die vor lauter Beobachtung aller möglichen Einzelgebote Gottes Willen aus den Augen verloren, ausschloß und darum mit Jesu Hinrichtung am Kreuz endete, gibt diesen Sätzen ihre alle Gesetzlichkeit aus den Angeln hebende Kraft. Erst so wird die Erkenntnis von Röm. 13,8-10 möglich. Wo das Doppelgebot so radikal verstanden wird, daß es wie in Jesu Leben und Sterben alle andern Gebote umgreift und einschließt, da kann das Gesetz dem Menschen nicht mehr zum Instrument werden, mit dem er sich vor Gott sichern und ihm gegenüber einen Anspruch erheben will; wer je mit seinem Lieben am Ende wäre, der stünde ja nicht mehr in der Liebe. Das führt jedoch nicht in die Verzweiflung des nie sein Ziel Erreichenden, sondern in die Getrostheit dessen, der sich von Gott geliebt weiß und davon lebt, 32 daß diese Liebe weiter und weiter strömt. Die Zustimmung des Schriftgelehrten ist 33 einzigartig in den Evangelien. Die Wiederholung des von Jesus Gesagten in anderer, interpretierender Form ist typisch für Schriftgelehrsamkeit. Der Zusatz, dies sei „weit mehr“ als „alle“ Opfer, zeigt das rechte Verständnis: es geht nicht nur darum, daß das Doppelgebot seinen Platz neben anderen Geboten einnimmt, wenn auch höher oben; es geht darum, daß alle Gebote erst von ihm her ihren Sinn bekommen. Freilich denkt der Schriftgelehrte wie 1.Sam. 15,22; Hos.6,6; Jes. 1,11; Spr.21,3 (vgl. Billerbeck I 500) zunächst an Abwertung der Kultforderungen; damit wäre die pharisäische Ethik, für die der Kult auch nebensächlich wurde, noch nicht überwunden. Tatsächlich stellt aber auch seine Formulierung die nicht mehr quantitativ zu messende Liebe von ganzem Herzen gegen eine Gesetzlichkeit, die noch 34 feststellen kann, wie viele Gebote der Mensch erfüllt oder verletzt. Auch Jesu Antwort ist ohne Parallele; sie ist Einladung zum letzten Schritt, der vom „nicht fern“ ins „Gottesreich“ hinein führt. Hier liegt das wirklich Neue der Geschichte. Das Gottesreich ist also eine Größe, die, obwohl sie erst in der Zukunft einbrechen wird, doch schon so da ist, daß man ihr nahe sein, ja in sie eingehen kann (vgl. Exkurs zu 1,15). In Jesus, in seinem Verhalten und seinem Wort, ist das Gottesreich an die Menschen herangetreten, und er, Jesus, weiß und bestimmt, wer ihm nahe ist. Und dies ist nach Markus ausgerechnet in Jerusalem gesagt, wo er in wenigen Tagen hingerichtet werden wird. Daß „niemand mehr wagte, ihn weiter zu befragen“ , ist © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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wie 1,22 zu verstehen. Die Nähe des Gottesreiches, die alles bloße Diskutieren verunmöglicht, weil sich Heil und Gericht im Zusammensein mit Jesus vollziehen, erweist ihre Wirkungskraft. Damit schließt Markus die Streitgespräche ab. Die entscheidende Frage Jesu 12, 35-40, vgl Mt. 22,41-46; 23,1-36; Lk.20,41-47 35 Und Jesus hob an und sagte, während er im Tempel lehrte: „Wie sagen die Schriftgelehrten, daß der Messias Sohn Davids sei? 36 Er selbst, David, sprach im Heiligen Geist: ,Es sprach der Herr zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde unter deine Füße lege.› 37 Er selbst, David, nennt ihn Herr; inwiefern ist er denn sein Sohn?“ und die große Menge hörte ihn gern. 38 Und er sagte in seiner Lehre: „Hütet euch vor den Schriftgelehrten, die wünschen, in langen Gewändern einherzugehen, und Begrüßungen auf den Straßen 39 und die ersten Sitze in den Synagogen und Ehrenplätze bei den Gastmählern; 40 die die Häuser der Witwen verzehren und zum Schein lange Gebete halten, diese werden ein um so schwereres Gericht empfangen. V. 3 6 : Ps. 1 1 0 , 1 .
Der Hinweis auf den Tempel V.35, an sich unnötig, da Jesus seit 11,27 dort weilt, auf Jesu „Lehre“ (V.35.38) und die Haltung des Volkes, die sich deutlich von der der Führer unterscheidet, zeigt, daß für Markus hier eine wichtige Zäsur vorliegt. Es ist der Abschluß der öffentlichen Wirksamkeit Jesu; schon 12,43 f., erst recht 13, Iff. und die Abschiedsreden 14,3-9.17-25 finden im engen Jüngerkreis statt. Das Zitat V.36 kann kaum im hebräischen Text entdeckt worden sein, wo a donai („mein Herr“ ) Ps. 110,5 und oft Bezeichnung für Gott ist; wohl aber in aramäischer Wiedergabe (mar mare mari), für die es freilich keine Belege gibt, oder im Griechischen. Schon die aramäisch sprechende Gemeinde hat, vor allem beim Abendmahl, zur Einschärfung des Gottesrechtes (s. zu Mt. 5,19, Einl.) nach Jesus gerufen: maranatha („unser Herr, k o m m ! ) , wie l.Kor. 16,22; Did. 10,6 (vgl. Offb. 22,20) beweisen. Das könnte auf die Anrede des irdischen Jesus (s. zu 7,28) zurückgehen. Jedenfalls ist es ins Griechische übernommen worden, wo gerade beim Abendmahl „Herr›› in ganz ungewöhnlichen Wortverbindungen auftaucht (l.Kor. 10,21; 11,23.26.27.29). Auch daß besonders.der Irdische und Wiederkommende so genannt wird, paßt dazu, während beides den griechischen Kulten, die ihre Götter so anriefen, fremd ist. Ob Jesus selbst solche Schriftbeweise führte, bleibt fraglich, obwohl das Offenlassen einer Frage, die keine fertige dogmatische Antwort findet, zu ihm paßt. Wahrscheinlicher hat die aramäisch oder griechisch sprechende Gemeinde (s. zu V.36) das Zitat in der Auseinandersetzung mit Gegnern verwendet, die ihr Verletzung des Glaubens an den einen Gott vorwarfen. In Qumran und im altjüdischen Schrifttum wird der Psalm trotz der Hoffnung auf den Davididen nie messianisch gedeutet. Die Annahme, daß solche Auslegungen verschwanden, weil sie den Christen halfen, ist mindestens für Qumran unmöglich. Das Wort V.38b.39 findet sich Lk. 11,43 als Warnung an die Pharisäer, also direkt an die Gewarnten gerichtet: „Wehe euch ..., daß ihr ...“ So ist es sinnvoller und wohl ursprünglicher. Markus aber geht es nicht mehr um die Einzelmahnung Jesu an eine Sondergruppe, sondern um die Entscheidung der Gemeinde, die sich endgültig zwar nicht vom © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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jüdischen Volk, wohl aber von dessen Führern trennen muß. V.40 ist grammatisch schwerfällig angeschlossen (wörtlich: „Hütet euch vor den Schriftgelehrten, den ... wünschenden; die die Häuser ... essenden, diese werden ... empfangen.“ ) Wahrscheinlich ist V.40 als Einzelwort umgelaufen, dann richtig im Wer-Fall formuliert, und erst nachträglich, wegen der Stichwortverbindung zu V.42, an V.38f. angeschlossen worden. Sein Charakter ist anders als der der Verse 38f. Markus hat also zwei geläufige Weherufe mit kleinen Änderungen („hütet euch vor“ wie 8,15; sonst nie im Neuen Testament) aufgenommen, um die entscheidende Trennung vom Schriftgelehrtentum ans Ende der Öffentlichen Wirksamkeit Jesu zu setzen. 35
Die Streitgespräche sind mit V.34b abgeschlossen; noch einmal hebt jetzt Jesus seine Offenbarungsrede an. Noch einmal ist Jesus Lehrer, der der Welt Gott offenbart, bevor er den Weg zum Sterben geht. Der Todesbeschluß von 11,18 und die erregte Szene 11,27-12,12 sind nicht vergessen, bleiben aber im Hintergrund. Die Frage Jesu scheint Davidssohnschaft des Messias abzulehnen. Vielleicht war das ursprünglich tatsächlich der Fall. Daß Jesus nicht Davidide war, findet sich freilich im christlichen Schrifttum erst Barn.l2,10f. und dort aus antijüdischer Haltung heraus. Mindestens Markus kann das also nicht mehr so verstehen (vgl. 10,46). Die in den Augen der Römer nur national-revolutionär zu verstehende Davidssohnschaft des Messias war auch für die junge Christenheit eine Belastung. Vermutlich 37 hat also Jesu Familie ihren Stammbaum auf David zurückgeführt. Dann wird man in V.37 nicht „wieso“ übersetzen, was möglich wäre, sondern „inwiefern, in 36 welcher Weise“ . Die Einleitung des Zitats findet sich im Neuen Testament nur noch Hebr.3,7; 10,15 (vgl. 9,8; Apg. 1,16; 4,25; 28,25) ähnlich. Sie entspricht aber der rabbinischen Formel. Daß damit nicht notwendig der Geist nur auf die Schrift, also auf „Konserven“ , eingeschränkt wird, beweist allerdings HQPs a 27,2 ff. Hier soll damit die Bedeutung des Zitates unterstrichen werden. „Mein Herr“ ist der König; er kann im Alten Testament den sonst Gott zustehenden Würdenamen bekommen, weil er „auf dem Thron der Königsherrschaft Jahwes über Israel“ sitzt (l.Chr.28,5; vgl. 29,23; 2.Chr.9,8). Ps. 110 hat im Neuen Testament eine wichtige Rolle gespielt. Häufig wird vom Sitzen des Erhöhten zur Rechten Gottes, Apg. 2, 34f.; 1. Kor. 15,25 und Hebr. 1,13 auch von der Unterwerfung der Feinde mit den Worten dieses Psalmes gesprochen. V.4, der von der Priesterwürde Melchisedeks spricht, ist nur Hebr.5,6 (vgl. 7,21), die interessanteste Aussage von der vor der Schöpfung erfolgten (?) Zeugung durch Gott (V.3, nur in LXX) ist nirgends im Neuen Testament aufgenommen, vielleicht weil der Psalm auf der Stufe der aramäisch redenden Gemeinde ausgelegt wurde. Die Erfüllung des Psalms sieht das Neue Testament also durchwegs im Ostersieg, und das Sitzen Jesu zur Rechten Gottes beschreibt seine Stellung in der Zeit zwischen Erhöhung und Wiederkunft 37 („bis ich ...“ , vgl. 1.Kor. 15,25-28). „Sohn“ und „Herr“ stehen also in einer gewissen Spannung. Das entspricht aber genau pharisäischer Argumentation; zwei sich anscheinend widersprechende Schriftstellen beziehen sich auf zwei verschiedene Situationen, hier also auf irdisches Leben und Erhöhung. Die Davidssohnschaft des Messias steht seit 2.Sam.7,12ff. fest (Ps.89, 4f. 20-28.50; Ps.Sal. 17,4.21-46; © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 12,35-40: Die entscheidende Frage Jesu
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4Qflorl,10ff.). Die Verkündigung Jesu als Sohn Davids besagt also, daß diese Verheißungen erfüllt seien. Daß damit die Grenze zwischen Schriftgelehrtentum und Gemeinde Jesu erreicht ist, hat Markus gespürt und dies unterstrichen durch die Notiz von der Zustimmung 38 der Volksmenge und die sich anschließende grundsätzliche Lehre Jesu, die nach Markus die endgültige Scheidung proklamiert. An sich besagen das die angeführten Sätze freilich nicht. V.40 ist ähnlich, in noch sarkastischerer Form, auch im Juden- 40 tum zu finden; er greift nur besonders krasse Ausnahmefälle an. V.38f. sind zwar 38.39 zentraler, und Mt. 23,8-11 hat die grundsätzliche Neuordnung in der Gemeinde Jesu, wo keiner über dem andern steht, dagegen gestellt (s. dort). Hier wird also nicht ein von allen verabscheuter Ausnahmefall beschrieben, sondern eine, offenbar allgemein übliche, Sitte, die mit der Hochschätzung frommer Leistungen eng zusammenhängt. Dennoch reichen auch diese Verse nicht in jene Tiefe, die Jesu Gleichnis Lk. 18,10-14 erreicht; dort wird gerade der konsequent gehorsame, vollkommene Pharisäer (wie es Paulus nach Phil. 3,6 war) angegriffen, nicht der inkonsequente, der nicht tut, was er selber lehrt. Röm.l,3f. wird von Paulus ein Gemeindebekenntnis zitiert, das Jesu Davidssohnschaft ausdrücklich festhält. Es erklärt aber, daß damit nur das Vordergründige, innerhalb menschlicher Kategorien Feststellbare ausgesagt sei. Das Wesentliche sei erst mit Ostern geschehen, als Jesus in die Funktion des Gottessohnes, also des königlichen Herrschers an Gottes Stelle, eingesetzt worden sei. Gegenüber der jüdischen Erwartung ist also betont, daß die Verheißungen vom kommenden Davididen und seiner ewigen Herrschaft in der Tat erfüllt seien, daß es sich aber nicht mehr um irdisch-politische Regentschaft, sondern um himmlische und daher ewige Herrschaft Gottes handle, in die Jesus an Ostern eingesetzt worden sei. Ein solches Verständnis war im Judentum dadurch vorbereitet, daß die erwartete Herrschaft des Davididen zwar irdisch-national vorgestellt war, aber immer stärker wunderbare, göttliche Züge annahm (Ps.Sal.17). Rom.l,3f. vertritt also so etwas wie eine Zweistufenchristologie. Schon als Irdischer ist Jesus der designierte König; seit Ostern regiert er als solcher. Daß aber ein bloß zeitliches Nacheinander nicht genügte, hat schon Paulus empfunden, wenn er den Würdetitel „Gottessohn“ (vgl. zu 15,39) in Rom. 1,3 vor das Zitat setzte und damit aussagte, daß Christus schon von jeher Gottessohn ist, ja daß er seine Gottessohnschaft gerade in der Niedrigkeit seines irdischen Lebens und Sterbens erwies (Gal.4,4f., vgl. 3,13). So erkennt die Gemeinde Schritt um Schritt das Geheimnis Jesu. Wieder ist nicht entscheidend, wo und wann dies oder jenes ausgesprochen wurde; wohl aber, ob das Gesagte die Wirklichkeit Jesu angemessen beschreibt. In diesem Sinne ist schon Mk. 12,36f. das Entscheidende gesehen; ihre letzte Schärfe und Kraft hat die Formulierung aber bei Paulus erreicht, wo beides festgehalten wird: daß Gott von Ewigkeit her und in Ewigkeit hin im „Sohn“ Gott für uns ist und doch innerhalb der Geschichte dieses sein für-uns-Sein im Menschen Jesus lebt (vgl. zu 10,18), © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 12,41-44: Die Hingabe der Witwe
Die Hingabe der Witwe 12,41-44 41 Und er setzte sich gegenüber dem Opferstock und sah zu, wie die Menge Kupfergeld in den Opferstock wirft. Und viele Reiche warfen viel ein. 42 Und es kam eine arme Witwe und warf zwei Lepta, das ist ein Kodrant, ein. 43 Und er rief seine Jünger herbei und sprach zu ihnen: „Wahrlich, ich sage euch: diese arme Witwe hat mehr als alle eingeworfen, die in den Opferstock einwarfen. 44 Denn alle haben von ihrem Überfluß eingeworfen; diese aber warf aus ihrer Not heraus alles, was sie hatte, ein, ihren ganzen Lebensunterhalt.“ Die Geschichte war wohl schon vor Markus hier angefügt (s. zu 12,35-40); sie erlaubt ihm, mit einer für seinen Stil charakteristischen redaktionellen Wendung V.43a vom öffentlichen Wirken Jesu zum Kreis der Jüngerschar überzugehen und zugleich den Unterschied zwischen Volk und Führern (s. zu 12,37b) zu betonen. Es gibt indische, griechische und jüdische Parallelen; z.B. soll einem Priester, der eine Witwe zurückgewiesen hatte, als sie ihm eine Handvoll Mehl als Gabe bringen wollte, Gott im Traum gesagt haben: „Verachte sie nicht; es ist, als hätte sie sich selbst aufgeopfert“ (Billerbeck z.St., d.). Tatsächlich ist die Geschichte in der Form eines bloßen Berichtes oder einer Weisung Gottes verständlicher; denn Jesus kann ja weder sehen, was die einzelnen einlegen, noch wissen, daß dies der ganze Besitz der Witwe war. Es ist also ein häufiges Motiv in die Form eines Gesprächs Jesu mit den Jüngern gekleidet oder eine Beispielerzählung Jesu zur eigentlichen Geschichte ausgestaltet worden. 41 Der „Opferstock“ ist wohl einer der dreizehn trompetenförmigen Behälter, die 42 im Tempelhof aufgestellt waren. Der Wert der Gabe, auch nach römischer Währung berechnet, entspricht kaum zwei Pfennigen. Daß zwei Lepta geopfert werden, ist wichtig, weil die Witwe noch hatte teilen und das eine für sich behalten können. 43 Mit V.43a macht Markus deutlich, daß die Gemeinde angesprochen werden soll. 44 Das nachhinkende „ihren ganzen Lebensunterhalt“ betont nochmals die Größe des Opfers. So preist die kleine Geschichte jene stille, selbstverständliche und ganze Hingabe, die von ihrer Tat keine Geschichte macht, in der der Mensch aber sehr praktisch sich selbst und alle seine Sicherungen fahrenläßt und sich ganz Gottes Barmherzigkeit ausliefert. Sie bildet einen guten Schluß für Jesu öffentliche Tätigkeit. Die Rede von der Parusie des Menschensohnes 13,1-27, vgl. Mt.24,1-31; Lk.21,5-28 1 Und wie er aus dem Tempel geht, sagt einer seiner Jünger zu ihm: „Meister, sieh, was für Steine und was für Bauten!“ 2 Und Jesus sprach zu ihm: „Siehst du diese gewaltigen Bauten? Es wird kein Stein auf dem andern gelassen werden, der nicht abgebrochen werde.“ 3 Und da er auf dem Ölberg saß, dem Tempel gegenüber, fragten ihn, für sich allein, Petrus und Jakobus und Johannes und Andreas: 4 „Sage uns, wann wird dies sein? Und was ist das Zeichen, wann sich dies alles vollenden wird?“ 5 Jesus aber begann, ihnen zu sagen: „Sehet zu, daß euch niemand verführe. 6 Viele werden kommen in meinem Namen und sagen: © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 13,1-27: Die Parusie des Menschensohnes (Analyse)
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,Ich bin es', und sie werden viele verführen. 7 Wenn ihr aber von Kriegen und Kriegsgerüchten hört, erschrecket nicht. ,Es muß geschehen', aber es ist noch nicht das Ende. 8 Denn es wird sich erheben Volk wider Volk und Königreich wider Königreich; es werden Erdbeben sein da und dort, es werden Hungersnöte sein; das ist der Anfang der Wehen. 9 Ihr selbst aber sehet zu. Man wird euch den jüdischen Gerichten ausliefern, und in den Synagogen werdet ihr geschlagen werden und vor Statthalter und Könige werdet ihr gestellt werden um meinetwillen, ihnen zum Zeugnis. 10 Und allen Völkern muß das Evangelium zuerst verkündet werden. 11 Und wenn sie euch hinführen und ausliefern, so sorget nicht voraus, was ihr reden sollt; sondern was euch in jener Stunde gegeben wird, das redet. Denn nicht ihr seid es, die reden, sondern der Heilige Geist. 12 Und ausliefern wird ein Bruder den andern zum Tod, und ein Vater sein Kind, und Kinder werden sich erheben gegen ihre Eltern und sie zu Tode bringen. 13 Und ihr werdet gehaßt sein von allen um meines Namens willen. Wer aber ausharrt bis zum Ende, der wird gerettet werden. 14 Wenn ihr aber den ,wüsten Greuel', einen, der steht, wo er nicht darf, seht - wer es liest, der begreife! - , dann sollen die, die in Judäa sind, in die Berge fliehen; 15 wer auf dem Dach ist, soll nicht hinabsteigen und nicht hineingehen, um etwas aus seinem Hause zu holen; 16 und der auf dem Felde wende sich nicht nach rückwärts, sein Kleid zu holen. 17 Wehe aber den Schwangeren und Stillenden in jenen Tagen! 18 Betet aber, daß es nicht im Winter geschehe; 19 denn jene Tage werden sein ,eine Drangsal, wie sie so nicht gewesen ist von Anfang der Schöpfung', die Gott schuf, bis jetzt und auch nicht mehr sein wird. 20 Und wenn der Herr die Tage nicht verkürzt hätte, würde kein Fleisch gerettet. Aber wegen der Erwählten, die er erwählt hat, hat er die Tage verkürzt. 21 Und wenn dann jemand zu euch spricht: ,Siehe, hier ist der Christus, siehe dort', so glaubet nicht. 22 Es werden aber Falschmessiasse und ,Falschpropheten' auftreten und ›werden Zeichen und Wunder tun', um, wenn möglich, die Erwählten zu verführen. 23 Ihr aber, sehet euch vor, ich habe euch alles zuvor gesagt. 24 Aber in jenen Tagen, nach jener Drangsal, ,wird die Sonne sich verfinstern, und der Mond wird seinen Schein nicht mehr geben, 25 und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Gewalten im Himmel› werden erschüttert werden. 26 Und dann werden sie sehen ,den Menschensohn in den Wolken kommend' mit großer Gewalt und Herrlichkeit. 27 Und dann wird er die Engel aussenden und seine Erwählten ,sammeln aus den vier Winden, vom Rand der Erde bis zum Rand des Himmels'.“ V.7: Dan.2,28; V.8: Jes.19,2; 2.Chr.lS,6; V. 12: Mi.7,6; V. 14: Dan.9,27; 11,31; 12,11; V.19: Dan.12,1; V.22: S.Mose 13, 1ff.; V.24f.: Jes. 13,10; 34,4; V.26: Dan. 7,13; V.27: Sach.2,6;5.Mose30,4.
Das Kapitel gliedert sich auf den ersten Blick in Einleitung (V.If. und 3f.), Mahnungen (V.5f.), Vorzeichen (V.7-13), Ereignisse in Judäa (V. 14-20), Mahnungen (V.21-23), Parusie des Menschensohns (V.24-27), Schlußgleichnisse (V.28-37). Das griechische Wort „parusia“ heißt „Gegenwart, Gegenwärtigwerden, Kommen“ , bezeichnet also nicht die „Wiederkunft“ , sondern einfach die Erscheinung Jesu (s. Exkurs zu Mt. 25,31-46). Mit V. 1.2 a leitet Markus zum neuen Thema der 1-4 Eschatologie, der Lehre vom Ende über. Diese hat ihren traditionellen Platz am Schluß (Mt. 25 und je am Ende der fünf Redekomplexe; Joh. 14-17; Hebr.6,lf.; wahrscheinlich auch in Q). Sie schließt hier Jesu Wirksamkeit vor Beginn seiner Passion ab. Eine Abschiedsrede vor dem Tod findet sich bei griechischen und © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 13,1-27: Die Parusie des Menschensohnes (Analyse)
(seit 5. Mose29f.) jüdischen Männern. Man hat, freilich ohne jeden Anhalt in den Handschriften, vermutet, Kap. 13 habe einmal den Schluß des Evangeliums gebildet; aber Hinweise auf seine Wichtigkeit finden sich höchstens 8,34-9,1, während seit 8,31, ja seit 3,6 alles auf die Passionsgeschichte zielt. Jesu Ansage der Tempelzerstörung ist hier völlig eindeutig und zwar nicht wie bei Propheten als Drohwort an ein unbußfertiges Volk, sondern als Mitteilung an die Jünger formuliert. Sicher ist das Rätselwort 14,58 (s. dort) die ältere Form, aus der die direkte Voraussage hier entstanden ist. Wahrscheinlich wollte Markus also die Tempelzerstörung durch V.3 in irgendeiner Weise mit der folgenden Rede in Zusammenhang bringen. Läßt dies auf Abfassung nach 70 schließen? Doch ist dies die einzige Stelle, die darauf anspielt (s. Einführung, 6. Ende). Markus könnte auch 14,58 in den Kriegswirren vor 70, wo man außerhalb Palästinas den Sieg Roms erwartete, auf eine kommende Tempelzerstörung hin ausgelegt haben. Vom Tempelbrand (s. zu V.2) ist jedenfalls nichts gesagt (vgl. ferner zu V. 14-19). Falls V.4b als Frage der Vier schon traditionell wäre, da Markus sonst nur drei nennt (5,37; 9,2; 14,33) und Andreas wie in der Liste 3,18 von Petrus getrennt ist, hätte der Evangelist „dies alles“ , nämlich die Endereignisse, mit „diesem“ , nämlich der Tempelzerstöning, kombiniert. 14-20 Aus der eigentlichen Rede sticht der Abschnitt über die Ereignisse in Judäa heraus. Anders als in 8.9f.24-27 sind hier Bewohner eines geographisch begrenzten Kriegsgebietes, Judäas (vgl. Dan. 1,6; 2,25), zur Flucht ins Bergland und aufs freie Feld aufgerufen. Alles ist durch Dan.11,31; 12,1 bestimmt. Hier liegt die Weissagung eines jüdischen oder christlichen Propheten vor, vermutlich aus der Zeit um 40 n.Chr., wo der Kaiser sein Standbild im Tempel aufstellen wollte, was für die Juden schrecklichste Gotteslästerung war (s. zu V. 14) und an die Makkabäerzeit erinnerte, wo Ähnliches geschah (Dan.ll,31ff.). Darum wird der Leser aufgefordert zu begreifen, daß diese Schriftstelle sich jetzt erfüllt (V. 14b). Das bedeutet, wenn es sich wenigstens nicht um eine Randbemerkung eines Lesers handelt, die erst durch Abschreiber in den Text kam, daß die alte Prophezeihung mitsamt dieser Bemerkung schon fest (schriftlich?) überliefert war. Auf Markus kann sie nicht zurückgehen, da sich anno 70 nichts Vergleichbares abgespielt hat und der „wüste Greuel“ doch nicht den römischen Feldherrn bezeichnen kann. Die Weissagung wurde also wahrscheinlich in den Wirren kurz vor 70 neu aktuell, als man fürchtete, daß, was anno 40 im letzten Moment noch verhindert wurde, jetzt kommen werde. Auch der Ruf zur Flucht mit der Aufforderung zum Beten (V. 18), vor allem aber die Erwartung einer unvergleichlichen, apokalyptischen Notzeit (V. 19) zeigen, daß der Krieg noch nicht zu Ende ist. Das gilt sogar für Markus, der doch mindestens V. 19 noch nicht als gegenwärtig ansehen kann. 7-13.24-27 Die eigentliche Schilderung der Endereignisse findet sich in V.7-13.24-27. Sie ist V. 7.9-11.13 durch Mahnungen in zweiter Person unterbrochen. V. 12 muß einmal an V.8 angeschlossen und von der Kriegssituation geredet haben; beide Aussagen sind Offb.Esr.3,12-14 (in einem wahrscheinlich christlichen Einschub), aber auch schon Jes.19,2; Ez.38,19-21 eng verbunden. In V.7 gehörten wohl das apokalyptische „es muß geschehen“ (Dan.2,28; Offb.1,1; 4 , 1 ; 22,6) und die Erwähnung von Kriegen schon zu dieser Schilderung, ebenso V. 13 b, der ursprünglich vom Weltende sprach. V.24b.25 wiederholen Jes. 13,10; 34,4, und zwar weit © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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genauer als in jüdischen Endzeitschilderungen. Erst V.26f. nimmt die verbreitete, wohl von Anfang an auf Dan. 7,13 gegründete christliche Hoffnung auf das Kommen des Menschensohns auf (vgl. Exkurs zu 8,27-33 [5.]). V.26 kann erst in LXX gefunden worden sein, da der Urtext Zerstreuung in alle vier Winde weissagt. Die nach LXX zitierten Verse 24-27 stammen also sicher nicht von Jesus, der auch nie sonst bloß alttestamentliche Sätze aneinanderreiht, sondern aus der Schriftlektüre der Gemeinde. Jes. 13,2-10; 4.Esr.5,4f. verknüpfen den Krieg, Am.8,8f. (vgl. Joel2,10; Himmelf.M.10,4f.; äth.Hen. 102,2) das Erdbeben mit dem Verblassen von Sonne und Mond. Nach 4.Esr. 13,30-32 leiten Kriege die Erscheinung des Gottessohnes (ursprünglich: -knechtes) ein. Schon im Alten Testament ist der Krieg häufig als Schwert, Hunger und Pest (in allen möglichen Reihenfolgen: Jer.14,12; 21,7; 38,2; Ez.5,12; vgl. 14,21; l.Kön.8,37) geschildert, was Lk.21,11 (parallel zu Mk. 13,8) entspricht; daß bei Markus die Pest fehlt, kann zufällig sein, weil „Hunger“ und „Pest“ im Griechischen fast gleich lauten; so ist „Pest“ z.B. auch Jer.38,2 bei der Übersetzung ins Griechische ausgefallen. Eine Zeit des Aufruhrs, in der selbst Familienmitglieder widereinander kämpfen, wird allgemein vor dem Ende erwartet: Jes.3,5; Jer.9,4; Ez.38,21; Mi.7,6 (schon Mt. 10,34-36 auf das Schicksal der Gemeinde bezogen); äth.Hen.99,5; 100,1 f.; Jub.23,16.19; 4.Esr. 6,24; syr.Bar. 70,3.6 (vgl. Billerbeck IV 982); das führt zu V.12. So findet die Gemeinde bei sorgfältigem Lesen ihrer Bibel sieben Vorzeichen des kommenden Endes: Krieg (V.7 und internationale Ausweitung, V.8a?), Erdbeben (V.8b), Hunger (V.8c), Pest (Lk.21,11), gegenseitiger Aufruhr, bzw. Glaubensverfolgung (V.12), und Verblassen von Sonne und Mond samt dem Jes.34,4 geweissagten Fallen der Sterne (V.24f.). Diese Reihe entspricht weithin der in Offb.6. Die Unterschiede bestehen in Folgendem: Das Erdbeben wird mit den kosmischen Zeichen, also dem Erdbeben der himmlischen Kräfte, zusammengeschlossen, wodurch das „siebte Siegel“ noch frei bleibt, weil es in Offb.8,lf. eine neue Siebenerreihe aus sich entlassen muß. Abgesehen davon ist sogar die Reihenfolge dieselbe. Der erste Reiter ist freilich nicht sicher zu deuten; der vierte heißt „Tod“ mit Hades, Schwert, Hunger, Tod, Bestien im Gefolge, doch wird das Wort „Tod“ öfters für die „Pest“ verwendet. So hat sich aus der Lektüre der Propheten allmählich ein mehr oder weniger festes Schema der Endereignisse gebildet. Das ungefähr wird Markus vorgelegen haben. Sein eigenes Verständnis wird V.9-11.13 sichtbar. V.9.11 finden sich ähnlich Lk. 12, l l f . ( Q ) . Beide enthalten das Stichwort „ausliefern“ , das schon in V. 12 stand. Sie sind also als Deutung (eventuell schon vor Markus) vorangestellt worden, um V.12 neu auf die Verfolgungssituation der Gemeinde zu beziehen. Damit bekommt auch das „Ende“ in V. 13 den Sinn von (Märtyrer-)Tod. Markus schiebt noch V. 10 dazwischen, den er am Schluß von V.9 einleitet (zu „um meinetwillen“ vgl. Einl. zu 8,35). Er mag dabei eine schon gängige Redeweise aufnehmen; doch scheint ihm der Satz sehr wichtig zu sein; wohl auch, weil er die Endereignisse noch etwas hinausschiebt, obwohl er V. 10 vielleicht als im wesentlichen erfüllt ansieht. Vor allem gibt er dem Leiden in der Verfolgung den Sinn des Zeugnisses für das Evangelium. Schließlich leitet Markus alles durch V.5f. ein und stellt es damit in die Zeit der 5 f. 21-23 Gemeinde. Ganz ähnlich steht es mit V. 21-23. Während Falschpropheten oft © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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bezeugt sind (Mt. 7,15; 2.Petr.2,1; l.Joh.4,1; Offb. 16,13), ist nur hiervon Falschmessiassen die Rede. An sich kann man nicht „im Namen Jesu“ kommen und zugleich sagen „Ich bin es“ ; aber auch Offb. 19,20; 20,10; l j o h . 2 , 1 8 finden wir einen oder mehrere Antimessiasse neben der wohl älteren Erwartung von Falschpropheten. Das setzt eine hochgespannte Parusieerwartung voraus. Dabei wird also sogar mit Gestalten gerechnet, die sich selbst als Messias ausgeben wie die Apg.5,36f. Genannten oder der 8,9f. erwähnte Simon, der sich in Samarien als „Vater“ , bei den Juden als „Sohn“ , bei den Heiden als „Geist“ proklamiert haben (Iren.haer. I 23,1) und als Gott angebetet worden sein soll (Justin, Αρ. Ι 26,1-3). Warum wiederholt Markus aber die Warnung in V. 21-23? Offenkundig weil er das Ende selbst (V. 24-27) von den K riegsereignissen in Judäa (V. 13-20), die sich zu seiner Zeit abspielen, trennen will. Die Wiederkunft Christi ist zwar nahe, aber nicht unmittelbar bevorstehend. Das Treiben der Verführer erscheint gegenüber V.5i. noch gesteigert. Falschmessiasse wie die geschilderten werden von den Christen mit dem wiederkommenden Christus identifiziert. Markus erwartet also, daß die Schwärmerei noch gefährlicher werden wird. Der Übergang vom christlichen Enthusiasmus zur Gnosis zeigt sich schon. Die Schilderung der Endereignisse in Mk. 13 ist also im wesentlichen aus der Bibellektüre der Gemeinde entstanden und allmählich weitergewachsen, z.B. durch eine Weissagung eines Propheten von 40 n.Chr. erweitert worden. Sie ist aber begründet in Jesusworten über das Ende des alten und den Bau des neuen „Tempels“ und in seiner ganzen Haltung gegenüber der Welt, die er durchaus bejahte, aber doch gegenüber Gott und seinem Reich als etwas nur Vorletztes ansah. Markus selbst hat das Ganze in die Gegenwart und die Lage seiner Gemeinde hineingestellt (V.5f. 9-13. 21-23). Er hat damit eine apokalyptische Naherwartung abgebogen („Noch ist nicht das Ende!“ V.7) und zur Wachsamkeit in der Zwischenzeit aufgerufen. Die gleiche Haltung zeigt sich in V.33-37 (s. dort). Diese Zukunftsschau ist auf Jesus zurückgeführt worden. Es war der Gemeinde selbstverständlich, daß ihr der erhöhte Jesus solche Einsicht in das Alte Testament schenkte und dieses für sie zum Sprechen brachte. Vor allem konnte man gar nicht anders angemessen von Jesus reden als so, daß man auch sein Herrsein über die Zukunft bis hin zur Endvollendung mitbedachte. Im Unterschied zum erhöhten „Herrn“ der paulinischen Gemeinden spielt Jesus freilich hier in der Zeit zwischen Ostern und Wiederkunft nur eine Rolle im Rückblick auf sein Wirken, das „im Namen Jesu“ weiterläuft, und im Vorblick auf sein Kommen (s. zu 16,19). 1 Daß Jesus „aus dem Tempel hinausgeht“ , mag für Markus die definitive Tren2 nung abbilden. Zerstörung des Tempels ist auch von Propheten (Mi. 3,12; Jer.7,14; 26,6) und von jüdischen Sehern vor und nach Jesus (äth.Hen.90,28; Billerbeck I 1045; Josephus, Krieg 6,300ff.), erwartet worden Sicher ist diese Weissagung nicht erst nach dem Ereignis gebildet oder abgeändert worden, denn 70 n.Chr. wurde der Tempel verbrannt, nicht oder höchstens nachträglich noch abgerissen. Wesentlich ist dabei nicht, wie genau das Zukünftige vorausgesagt wurde, sondern das, was die einleitende Frage V. 1 b unterstreicht: daß alle falsche Sicherheit des Menschen, der auf seine großartigen - hier sogar noch frommen — Leistungen baut, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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vom Evangelium angegriffen wird. Der ölberg, der, höher als der Tempelberg, 3 ihm gegenüber steht, ist die richtige Szene für die folgende Offenbarungsrede (vgl. Sach. 14,4). Gefragt ist nach dem „Sichvollenden“ von „dem allem“ , also nach dem 4 Ende der Welt, das oft als „Vollendung“ bezeichnet wird, genauer nach dem „Vorzeichen“ (die Einzahl steht im Gegensatz zu einer an der Reihenfolge verschiedener Zeichen interessierten Neugier!), also nach dem, was den Frager jetzt schon als Hinweis auf das noch Ausstehende angeht. Der Neueinsatz zeigt, daß etwas Wichtigeres anhebt, als was V.2 gesagt war. 5 Das erste aber ist nicht die Antwort auf die Frage V.4, die V.32 geradezu als unangemessen abgewiesen wird, sondern die Warnung vor einer gegenwärtigen oder unmittelbar bevorstehenden Gefahr, die die Leser selbst, nicht erst künftige Generationen bedroht. Es traten also Männer auf, die sich selbst als Christus aus- 6 gaben (s. Einl. zu 5 f.). Verstand Markus die Wendung „in meinem Namen“ im Sinn von: „mit Berufung auf mich und meine Worte“ ? Das zeigt, daß es in der jungen Christenheit eine außerordentlich enthusiastische Zeit gegeben hat (2.Thess. 2,1-12!). Daß „viele“ solcher Gestalten auftauchen sollen, ist wohl zur Zeit des Markus noch nicht erfüllt, weist also darauf hin, daß dieser das Ende noch nicht in allzu großer Nähe erwartet. Nach dem Parallelvers Lk.21,8 sind es geradezu die Feinde Christi, die die Nähe des Endes behaupten. Die Kriegszeit vor dem Ende 7 steht unter dem göttlichen „Muß“ . Die Kriegsnot wird damit nicht erklärt, wohl aber aus dem Glauben heraus Gottes Regentschaft unterstellt. Klar wird sie vom Weltende geschieden, wohl entgegen einer in der Urchristenheit drohenden Stimmung, die Kriegswirren der Sechzigerjahre schon als unmittelbare Vorzeichen des anbrechenden Weltendes zu verstehen, vielleicht auch entgegen nationaljüdischen Hoffnungen. Das „denn“ begründet das letzte Sätzlein von V.7; dann ist die Aus- 8 weitung auf weltweite kriegerische Auseinandersetzungen als neues Stadium von dem eines lokal begrenzten Krieges unterschieden. Aber auch sie ist nicht das Ende, erst Anfang der Wehen. Das Wort ist vom Bild der endzeitlichen Neugeburt her schon zum Fachausdruck jüdischer Apokalyptik geworden. Im Sinne des Markus wird nicht mehr gesagt, als daß Zeiten der Not auf das kommende Leben hinweisen, wobei aber nicht abgelesen werden kann, ob hinter den „Wehen“ Ruhepausen warten oder ob es sich um die allerletzten, die Geburt unmittelbar einleitenden Wehen handelt. Wenn Paulus im Leiden aller Kreatur schon die Schritte des kommenden Gottes hört (Rom. 8,18-25), dann ist noch unmißverständlicher gesagt, daß alles Leiden erst von der Zukunft Gottes her seinen Sinn bekommt und daß dies immer Glaubensaussage bleibt, daß also der Mensch nie Gott in seine Gewalt bekommt, so daß er alles erklären und z.B. einen „Fahrplan“ der Endereignisse aufstellen könnte. Mit dem für Markus typischen Ausdruck „Sehet euch vor“ (ohne folgenden 9 Nebensatz) wird auf die Bedeutung des Gesagten für die Leserschaft hin- und ein bloß neugieriges Lesen abgewiesen. Die erste Hälfte setzt noch jüdische Gerichtsbarkeit und Synagogenzucht voraus. Erst die zweite Hälfte paßt an die neuen Verhältnisse an. Die Formel „ihnen zum Zeugnis“ bezeichnet ursprünglich das die andern belastende, vor Gericht abgelegte „Zeugnis“ . Neben V. 10 und 11 wird 10.11 Markus aber an das zum Glauben aufrufende „Martyrium“ (so heißt das griechische © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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11 Wort für „Zeugnis“ ) denken. V. 11 sagt dann, daß dabei nicht die Bravourleistung des leidenden Märtyrers, der schwach und voller Angst sein kann, wichtig ist, sondern der Zeugnischarakter seines Verhaltens. Der Jünger darf völlig von sich, seinen Fähigkeiten oder Schwachheiten absehen und ganz den Bruder Verfolger sehen, dem 10 er Christus lebendig machen darf. Für Markus ist die weltweite Verkündigung von zentraler Wichtigkeit (vgl. zu 4,32; 11,17; 15,39); sie muß daher hier, wo vom Zeugnis die Rede ist, eingeschoben werden, schon um das Mißverständnis zu verunmöglichen, das Zeugnis sei nur gerade vor (jüdischen) Gerichten notwendig. In nachpaulinischen Sätzen stehen ebenfalls die Stichworte „Evangelium“ , „verkünden“ (oder „Verkündigung“ ) und „Völker“ (Rom. 16,26; Kol. 1,27) bzw. „ganze Schöpfung“ (Kol. 1,23) zusammen. Schon Paulus zeigt Rö+m. 1,5.8-17; 11,11 ff.; 15,16.19, wie wichtig ihm der Zug des Evangeliums in die Völkerwelt hinaus ist und wie er darin alttestamentliche Verheißungen (Ps.98,2f. in Rom. 1,16; Jes.66,20 in Röm. 15,16) erfüllt sieht. Auch Eph.3,2-9 unterstreicht die Wichtigkeit der Völkermission, und l.Tim.3,16 erscheint sie sogar in einem kurzen Bekenntnishymnus als zentrale Glaubensaussage. Hier wird der Durchbruch der Verkündigung durch die Grenzen Israels in die Völkerwelt hinaus zum eigentlichen Heilsereignis, und der Siegeszug Christi durch die Völkerwelt tritt in Parallele zu seinem Siegeszug durch die himmlischen Regionen bei seiner Erhöhung an Ostern. Diese Erkenntnis steht in einer gewissen Spannung zu dem judenchristlichen Schema von den Endereignissen, das Markus vorliegt und das noch gar nicht mit der Völkermission rechnet. Das das Ende noch hinausschiebende „zuerst“ bezieht sich zwar strenggenommen auf die Verfolgungsleiden (auch in den Synagogen), ist aber von Markus wohl grundsätzlich verstanden: vor dem Eintreten der eigentlichen 11 Endereignisse. In der Verheißung von V. 11 steht das alttestamentliche Verständnis des Geistes noch im Mittelpunkt: daß er nämlich nur besonderen Menschen, z.B. den Märtyrern, in besonderen Notzeiten, etwa den Gerichtsverhandlungen, für besonders wunderhafte Äußerungen geschenkt werde (vgl. zu 1,12). Schon die Apostelgeschichte, vor allem aber Paulus betonen, daß er allen Gemeindegliedern gegeben ist und auch die nicht wunderhaft erscheinenden Lebensäußerungen des Glaubenden begründet (1.Kor. 12,1-3; vgl. unter den Geistesgaben Hilfeleistungen, Leitung, Freigebigkeit, Barmherzigkeit V.28 und Rom. 12,8). Die Änderung in Lk.21,15 (vgl. aber Lk. 12,12), die den erhöhten Jesus an die Stelle des Geistes setzt, wird auf Lukas zurückgehen, der gern beide gleichsetzt; sie zeigt, wie stark das Bewußtsein in der Gemeinde war, daß im Geist kein anderer als Christus selbst 12 zu ihr sprach (s. Einführung 3, Ende). Wo der Konflikt gegenüber der Familie auftritt, wird das Bekenntnis besonders schwer. Daß auch diese das Ja zu Christus 13 nicht hindern darf, ist hier wie 10,29 gesagt. Das wird im folgenden Vers aus der Erfahrung der Gemeinde heraus geschildert; „alle“ sind jetzt nicht mehr die Völker (Mt. 24,9 hat korrigiert), von denen das apokalyptische Schema redete (z.B. V.8), sondern die Familienangehörigen und Mitbürger der Verfolgten. Eine ursprünglich die ganze Welt betreffende und daher leicht unverbindlich werdende Darstellung ist zur direkten Anrede umgestaltet, die in die Gegenwartsnöte der Gemeinde hineinleuchtet. Wie Offb.2,10 (anders aber 4.Esr.6,25) ist an das Lebensende des Bekenners gedacht. So läuft der ganze Abschnitt über die Vorzeichen des Endes in © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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diese Mahnung aus, die die Gegenwart des Lesers betrifft. Die Geschichte wird also nicht abgewertet zu einer bloßen Anhäufung absonderlicher Vorzeichen; sie erhält im Gegenteil ihre Wichtigkeit und Verbindlichkeit jetzt schon vom kommenden Ende her. Mit V. 14 setzt etwas Besonderes ein (s. oben). Noch ist nicht vom Ende die Rede, 14 wie man nach V. 13 hätte erwarten können, sondern von anderen vorzeichenhaften Ereignissen. „Der wüste Greuel“ bezeichnet in Dan. 9,27 den heidnischen Altar, der damals auf den Brandopferaltar des Tempels gesetzt wurde. Mk. 13,14 aber ist an eine Person gedacht. „Greuel“ ist nämlich im Griechischen sächlichen, „der steht“ männlichen Geschlechts; der Satz ist so seltsam wie im Deutschen „das Scheusal, der ... steht“ . Der Seher erwartet also ein Sakrileg, wie es Caligula mit der geforderten Aufstellung seiner Statue im Tempel geplant hatte. Schwerlich denkt er an das Auftreten des Antichrists im Tempel (2.Thess.2,3f.). Die Andeutung „wo er nicht stehen darf“ wird sich auf den Tempel beziehen, da der ganze Abschnitt judäische Verhältnisse voraussetzt. V. 18 zeigt, daß die Weissagung formuliert war, bevor die erwartete Drangsal eintraf. Die Flucht ins Bergland ist nur bei streng begrenzter Kriegsnot, wie sie am Anfang der Makkabäerkämpfe im 2.Jh. v.Chr. eintrat (l.Makk.2,28; Josephus, Krieg 1,36), sinnvoll. Für Markus ist die Stelle vielleicht wichtig, weil sie gerade zeigt, daß die Wirren der Sechzigerjahre in Judaa noch nicht das Ende, sondern nur „Vorzeichen“ sind. Man hat vermutet, Markus rufe hier die christliche Gemeinde auf, Jerusalem zu verlassen, um nach Galiläa zu ziehen und dort die unmittelbar bevorstehende Parusie des Menschensohns zu erleben (vgl. zu 16,1-8). Das ist sehr unwahrscheinlich. Soviel wir wissen, ist der Auszug der Gemeinde ins Ostjordanland, nicht nach Galiläa erfolgt. Das wäre auch schwer vorstellbar, da der römisch-jüdische Krieg gerade in Galiläa begann; aber von einem Aufbruch nach Galiläa ist überhaupt nicht die Rede, sondern von einer noch in unsicherer Zukunft (V. 18) liegenden Notsituation, die zu panikartiger Flucht in die Berge und aufs freie Feld hinaus nötigt. Dazu zeigen die schlechten geographischen Kenntnisse Palästinas, daß Markus kaum in dessen Nähe lebt, also auch nicht nur an der Jerusalemer Gemeinde und ihrem Auszug interessiert sein kann. Vor allem spricht der ganze Aufbau des Evangeliums dagegen, daß dieses als Flugschrift in den allerletzten Tagen vor dem Weltende konzipiert wurde und zum richtigen Verhalten in letzter Stunde aufrufen wollte. Das „Dach“ kann man natür- 15 lieh nicht verlassen, ohne hinunterzusteigen; gemeint ist offenbar, man sollte dies nur über die Außentreppe tun, ohne ins Haus hineinzugehen. Die umständliche For- 16 mulierung „wende sich nicht nach rückwärts“ ist vielleicht in Erinnerung an I.Mose 19,26 formuliert und wäre dann Zeichen für die hinter diesem Kapitel liegende Bibelkenntnis. Daß nicht die Schändung des Tempels, sondern die bittere Not der 17 Schwächsten, der Mütter, im Mittelpunkt steht, ist kaum ohne den Einfluß Jesu geschehen. Der „Winter“ ist wohl weniger wegen der dann angeschwollenen Flüsse 18 als wegen des Mangels an Nahrungsmitteln auf den Feldern besonders gefährlich für die Flucht. Solche, lokal doch sehr begrenzte, Not wird hier, anders als in der 19 weltweiten Schau von V. 8.10.24-27, als die entscheidende, keine Parallelen aufweisende endzeitliche Drangsal angesehen, wobei der Schluß von V. 19 strenggenommen noch einen weiteren Verlauf der Zeit vor dem Ende voraussetzt. „Kein 20 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Fleisch“ ist Übersetzungsgriechisch; im Alten Testament bezeichnet „Fleisch“ einfach die Menschheit in ihrer Gebrechlichkeit und Endlichkeit. Von der Verkürzung der Tage (vgl. syr.Bar.20, lf.; 83,1; Barn.4,3) kann gesprochen werden, weil die jüdischen Apokalyptiker einen festen, genau bestimmten Zeitplan Gottes voraussetzen. Was ist hier geschehen? In einer bestimmten Notsituation Judäas, die weltgeschichtlich betrachtet eine Winkelaffäre darstellte, ähnlich der Unterdrückung der Revolte eines arabischen Scheichs, ist ein Prophet aufgestanden und hat diese Not im Sinne der Apokalyptik als Gottes Kommen verstanden. Markus nimmt diese Prophezeihung ohne konkrete Hinweise auf ein zeitgeschichtliches Ereignis auf; im Zusammenhang ist dabei an ein noch ausstehendes Geschehen gedacht. Damit wird betont, daß Gott auch hinter notvollen Erfahrungen voller apokalyptischen Grauens steht als der Gott, der auf sein Ziel hinführt. So wird die Schilderung zum Aufruf zum Glauben an ihn und seine Zukunft, allem gegenteiligen Anschein zuwider. Eben das geschieht in den folgenden Versen ausdrücklich. Wieder mündet also die Beschreibung der Endzeit in die Anrede an die in der Gegenwart lebende Gemeinde. Ein ähnlicher Satz steht Lk. 17,23 in anderem Zusammenhang. Zu den Falschmessiassen (griechisch = „Falschchristussen“ ) vgl. Einl. zu V.5f.21-23. Schon nach 5.Mose 13,2-4 sind Wunder nicht einfach Gottesbeweise. Wie in V.5 wird eingeschärft, sich gut „vorzusehen“ . Markus warnt in der Autorität Jesu selbst mit Recht vor einem enthusiastischen Christusglauben (vgl. l.Joh.4,2f.), der nicht mehr eindeutig an den leidenden Menschensohn gebunden bliebe (vgl. 13,9 mit 14,53-15,15; 13,22f. mit 14,33-46.50.66-72; 13,26 mit 14,62; auch 13,32f. mit 14,35.37 und 13,35 mit 14,17.43.72; 15,1). Nicht umsonst hat er in 8,31 die erste unverschlüsselte Offenbarung Gottes gesehen. Die Ubergangswendung „in jenen Tagen“ bezieht sich strenggenommen auf die Zeit von V. 17, ist aber eine für Markus typische Formel (außer Lk.9,36 und der bewußten Korrektur Lk.5,35 nur an von Markus abhängigen Stellen), die auch 1,9 und 8,1 einfach zwei verschiedene Abschnitte verknüpft, ohne auf Gleichzeitigkeit Wert zu legen. So wird denn auch zugefügt, daß es (in einer nicht genauer zu bestimmenden Frist) „nach jener Drangsal“ geschehen werde. Was sich dann ereignet, betrifft den ganzen Kosmos. In irgendein Verhältnis zum „wüsten Greuel“ , der offenbar immer noch „steht, wo er nicht darf“ , wird das hier Berichtete nicht gesetzt. Es findet einfach später als die Ereignisse in Judäa statt. Der ganze Zusammenbruch des Kosmos ist nicht als solcher wichtig; er bildet nur den Rahmen für das allein Entscheidende, das Kommen des Menschensohns, das mit den Farben von Dan. 7,13 geschildert wird (vgl. den Exkurs zu 8,27-33). Von der Sammlung Israels aus allen Völkern, die für die Endzeit erwartet wird, sprechen schon 5.Mose 30,4f.; Jes.60,4ff. (vgl. zu 11,15). Das Neue Testament hat das aufgenommen und die Erfüllung teils in der künftigen Heimholung in das Gottesreich (Mk. 13,27; Did. 9,4), teils in der durch die Mission zur Einheit der Gemeinde Christi gebrachten Völkerwelt (Joh. 11,52; Röm. 15,16) gesehen. Die Beschreibung ihrer Ausdehnung „vom Rand der Erde bis zum Rand des Himmels“ ist eine etwas unlogische Vermischung der beiden Bilder „von einem Rand des Himmels bis zum andern“ (5.Mose 30,4 LXX!, wo vom Sammeln der versprengten Israeliten die Rede ist) und „von © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 13,1-27: Die Parusie des Menschensohnes (Ausblick)
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einem Rande der Erde bis zum andern“ (5.Mose l3,8). Die Sammlung ist auf die Erwählten beschränkt; es fehlt also die Erwartung einer allgemeinen Totenauferstehung und des Gerichtes über Gute und Böse (vgl. Exkurs zu 5,21-43), damit auch die des endzeitlichen Schreckens, der über alle Erdbewohner kommt (vgl. Mt.24,30; Offb.6,15-17, wo er bildhaft dargestellt ist), schließlich die des Antichrists (vgl. aber zu V. 14.22). Anders als in jüdischen Apokalypsen fehlt auch die Schilderung der Bestrafung oder Vernichtung der Feinde (anders 2.Thess. 1,6-10; besonders kraß Himmelf. M. 10,10, wo die Erlösten vom Himmel her dem Strafgericht über die Feinde zuschauen dürfen). Das Gewicht liegt auf der Erfüllung der fast wörtlich zitierten alttestamentlichen Hoffnungen und damit auf der endgültigen Gemeinschaft der von Gott Erwählten mit ihrem Herrn (vgl. l.Thess.4,17). Die Frage nach der bleibenden Bedeutung der Aussagen angesichts der wechselnden Interessen, die im Lauf der Tradition eingewirkt haben, mußte schon nach jedem Einzelabschnitt gestellt werden. Im Rückblick auf die ganze Rede sind die typischen Unterschiede zu allerlei zeitgenössischen Apokalypsen festzuhalten. a) Mk. 13 gibt dem Leser nicht eine Art Reiseprogramm für die Endereignisse, an Hand dessen er genau feststellen könnte, auf welcher Station er sich befindet. Weder wird vergangene Geschichte fiktiv unter der Form der Weissagung wiederholt (indem der Verfasser unter dem Decknamen eines berühmten Mannes der Vorzeit schreibt), noch werden zeitgenössische oder bald erwartete historische Ereignisse so geschildert, daß sie zu solcher Standortbestimmung geeignet wären, obwohl V. 14-20 ursprünglich wohl so gemeint waren. Außerdem sind die Zeitangaben meist nur sehr allgemeine redaktionelle Verknüpfungen verschiedener Traditionsstücke. So ist zunächst einfach die alttestamentliche Sicht bewahrt, daß auch hinter Krieg, Hunger und Pest Gott steht, der durch alles Leiden hindurch seine Schar an sein gutes Ziel führt, b) Dieses Ziel ist nicht die Vernichtung der Feinde oder ihre Verdammung zu ewiger Strafe, sondern Macht und Herrlichkeit des Menschensohns, die das Heimkommen der Verstreuten in die endgültige Gemeinschaft mit ihrem Gott einschließt. So geht es letztlich um die Erfüllung der Bitte: „Dein Name werde geheiligt, Dein Reich komme, Dein Wille geschehe“ , die dann auch das „Erlöse uns ...“ in sich schließt, c) Vor allem wird immer wieder der Bericht über kommende Ereignisse durchbrochen durch direkte Aufrufe an die Gemeinde, die ihre Gegenwart betreffen. Auch darin stimmt Mk. 13 mit den alttestamentlichen Propheten überein, die vom Kommenden reden, um die Umkehr Israels jetzt, in der Gegenwart des Propheten, dringlich zu machen. Sosehr wir die allmähliche Entstehung von Einzelheiten erklären können, sowenig diese also als Darstellung eines genau zu beschreibenden Ablaufs endgeschichtlicher Ereignisse verbindlich sein können, so zentral und wichtig sind die entscheidenden Aussagen dieses Kapitels: a) Alles Leid der Gegenwart steht unter Gott; es ist Teil einer Geschichte, über die Gott Herr ist, und die er ihrem Ziel zuführen wird. So kennzeichnen gespannte Erwartung und frohe Hoffnung die Stellung der Gemeinde zur Geschichte mit all ihrem Leid, b) Dieses Ziel ist Macht und Herrlichkeit Gottes und das Heimkehren der Erwählten in die volle Gemeinschaft mit ihm. Beides ist damit ausgesagt: daß es im Letzten nur um Gott, um seinen Sieg und seine Ehre geht, und daß Gott, wenn © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 13,28-37: Gleichnisse vom rechten Warten
er uns in diesem Sieg begegnen wird, das Gesicht des Menschensohns tragen wird. Er wird also gerade dann, wenn er alles in allem sein und nichts mehr ihm entgegenstehen wird, nicht ein abstrakter Gott „an und für sich“ sein, sondern der sich uns zuwendende, wie er sich im Menschensohn Jesus von Nazaret offenbart hat. c) Gerade so werden die Ereignisse der Gegenwart nicht nebensächlich, sondern zu Vorzeichen auf jenes abschließende Kommen Gottes hin. Sie prägen die Gegenwart als die Welt und Zeit, in der die Gemeinde sich bewähren soll. Das geschieht, wenn sie von dem lebt, was ihr im Menschensohn gegeben ist, und dabei jetzt schon immer neu Gottes Macht und Herrlichkeit erfahren darf. Wo heute so geglaubt wird, da wird alles, vom „kleinen“ Erleben des Flüchtlings, der nicht mehr Zeit hat, seinen Mantel in der Stube mitzunehmen (V. 16), bis zum „großen“ der Weltmission (V. 10), in das Licht des kommenden Gottes gestellt und erhält von dorther seinen Sinn und seine Zielrichtung. Gleichnisse vom rechten Warten 13,28-37, vgl. Mt.24,32-36; Lk.21,29-33 28 „Vom Feigenbaum aber lernet das Gleichnis: Wenn sein Zweig schon saftig wird und die Blätter hervorsprossen, so erkennt ihr, daß der Sommer nahe ist. 29 So auch ihr, wenn ihr dies geschehen seht, erkennet, daß es nahe vor den Türen ist. 30 Wahrlich, ich sage euch, dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht. 31 Der Himmel und die Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. 32 Von jenem Tag aber oder der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, nur der Vater. 33 Sehet zu, bleibet wach; denn ihr wißt nicht, wann die Zeit ist. 34 Wie ein Mensch, der verreiste und sein Haus verließ und seinen Knechten die Vollmacht gab, jedem seine Arbeit, und dem Türhüter gebot er zu wachen. 35 Wachet also; denn ihr wißt nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob spät abends oder zur Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder früh morgens; 36 daß er nicht plötzlich komme und euch schlafend finde. 37 Was ich aber euch sage, sage ich allen: wachet!“ Der letzte Abschnitt der Rede besteht aus Einzelstücken. V.28f. ist ein Gleichnis, das ähnlich wie Lk. 12,54-56 zum aufmerksamen Beachten der Zeichen des Kommenden mahnt; es kann wie jenes auf Jesus zurückgehen, hat er doch öfters den gleichen Gedanken in zwei Bildern ausgedrückt. „Dies“ (V.29) kann nicht V.24-27 meinen und bedeutet auch nicht dasselbe wie „dies alles“ (V.30). Hat es sich einmal auf etwas anderes bezogen, z.B. auf das Wirken Jesu? Oder ist es doch nachlässig formulierte Anwendung des Markus, der damit auf V.5-23 zurückweist? Auch die Herkunft von V.30 bleibt unsicher. Wenn er nicht von Markus stammt, wogegen das, im Griechischen bis auf die Form des Verbs feste, Schema (s. zu Mt. 5,18, Einl.) spricht, muß er mit einer Aussage über Endereignisse („dies alles“ ) zusammen gestanden haben, wie sie V.24-27 vorliegt. 9,1 neben 8,38 zeigt eine ähnliche Verbindung. V.28f. könnten aufgrund des Stichworts „dies geschehen“ vor V.30 eingefügt worden sein. Auch V.31 ist an das Stichwort „vergehen“ angeschlossen; es ist die christliche Variante eines jüdischen Satzes, der von der Dauer des Gesetzes bis zum Weltende sprach (Lk. 16,17; vgl. zu Mt.5,18, Einl.). Wahrscheinlich besagte es einmal im Gegensatz zu einer solchen Behauptung und zu© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 13,28-37: Gleichnisse vom rechten Warten
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gleich sie überbietend, daß Jesu Worte im Gericht der einzige Maßstab sein werden (vgl. 8,38). Ebenso schwer zu beurteilen ist V.32. Auch hier liegt ein Einzelspruch vor, schon weil in Kap. 13 sonst nirgends vom „Vater›› und „Sohn“ die Rede ist, aber auch, weil er mit V.29f. in Spannung steht. Das Wort könnte ein Jesuswort sein. „Der Sohn“ deutet zwar eine Sonderstellung im Vergleich mit anderen Menschen an, weist aber auch von ihm weg auf den (noch über ihm stehenden) „Vater“ . Die Begrenzung des Wissens Jesu hat der Gemeinde später große Verlegenheit bereitet. Da Jesus aber sonst nie von sich als „dem Sohn“ spricht (s. zu 15,39), wird das Wort aus der Zeit stammen, da die Gemeinde schon ungeduldig auf das Kommen des letzten Tages wartete, während andere noch genaue Zeitangaben machten (2.Thess.2,2; vgl. Lk.21,8). Nicht unmöglich ist, daß Markus selbst den Hinweis auf den Sohn zufügte, um zu unterstreichen, daß Kap. 13 keine Auskunft über das Datum der Wiederkunft gebe und man nur wissen solle, daß sie nahe sei. Im letzten Gleichnis sind zwei verschiedene Bilder miteinander vermengt. V.35 denkt nur an 35 ein Heimkommen des Herrn während der Nacht. Das ist bei einer Auslandsreise in den damaligen Verhältnissen fast undenkbar, wohl aber ganz natürlich bei einem Gastmahl. In dieser Situation hat auch der „Türhüter“ , der in V.34 merkwürdig hinterher angehängt wird, seinen Platz. Er durchwacht die Nacht und öffnet dem heimkommenden Herrn. So ist denn auch das Gleichnis Lk. 12,36 überliefert. Die Pointe ist das Wachen, das jederzeit bereit sein muß, dem heimkehrenden Herrn zu öffnen. Matthäus hat in den parallelen Versen ein zweites Bild, das vom nächtlichen Dieb (das l.Thess.5,2 das plötzliche Kommen des Gerichts-„Tages“ abbildet, aber auch schon Lk. 12,39 auf das Kommen des Menschensohns gedeutet ist) eingeschoben, um dieses gespannte Aufpassen während der Nachtwache zu illustrieren. In Mk. 13,34 hingegen ist ein Bild damit verbunden, das, wie Mt.25,14f.; Lk. 19, 12 f. beweist, ursprünglich in einen anderen Zusammenhang gehört: nämlich in den von einem ins Ausland reisenden „Menschen“ , der seinen Knechten für die Zwischenzeit (die viel länger dauert als bei dem zu einem Fest gehenden „Herrn“ ) Aufträge gibt. Hier ist der springende Punkt, wie Mt. 25,19-30; Lk. 19,15-26 zeigen, die Treue, mit der die Knechte die Aufträge ihres Meisters während der langen Periode seiner Abwesenheit ausführen. Als das bloße Bild vom plötzlichen Kommen des Herrn in der Nacht nicht mehr genügte, weil man nicht Jahre und Jahrzehnte lang nur auf den einen apokalyptischen Moment des Erscheinens des Menschensohns warten kann, mußte dieses zweite Bild stärker in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Vermutlich hat Markus aufgrund dieser schon geläufigen Bilder relativ frei formuliert und damit die Antwort auf die Frage nach dem „Wann“ (V.4) gegeben. Zweimal hält er fest: „ihr wißt nicht, wann ...“ (33.35). Schon die Wiederholung des Rufs „sehet zu!“ (V.5.9.23; vgl. 4,24), der in V.33 den Übergang zum Folgenden schafft, an dem ihm also besonders liegen muß, zeigt, daß die zeitliche Nähe nicht sein Hauptanliegen ist. Die ganze Schilderung der Ereignisse, wie sie in V. 1-27 vorliegt, läuft also 28 auf die Mahnung an die Gemeinde hinaus. Einzig in dieser Form des Aufrufs zum Bereitsein wird auf die Frage nach dem Wann von V.4 geantwortet. Die Verse sind freilich ungeschickt piaziert, denn „dies“ kann sich ja nur auf das beziehen, 29 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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was vor dem Ende geschieht, also nicht auf V.27. In dem Parallelwort Lk. 12,54-56 ist Jesus selbst mit seiner ganzen Wirksamkeit das „Zeichen“ , das die Menschen aufmerken lassen müßte. Das ist Mk. 13, wo alle möglichen Ereignisse zwischen Jesu Tod und dem Ende aufgezählt werden, nicht mehr klar. Markus läßt wohl gerne offen, was gemeint ist, weil seit Jesus alles Geschehen grundsätzlich Vorzeichencharakter bekommen hat, auf das Kommen des Menschensohns hindeutet und von dorther seinen Sinn erhält. Am deutlichsten wird das bei der Ausdeutung von 13,12 durch die Verse 9-13. Seit Gott sich in Jesus der Welt zugewandt hat, sieht die Gemeinde ihn im Gang der Weltgeschichte auf sein Ziel zuschreiten, freilich nicht so, daß sie diese erklären und verstehen könnte, wohl aber so, daß sie immer wieder Zeichen erblickt, da und dort einen Zusammenhang erkennen darf, worin die verheißene Zukunft schon aufleuchtet. Insofern ist kein grundlegender Unterschied zwischen Lk. 12,54-56, wo das Wirken des irdischen Jesus, und Mk. 13, wo das durch Jesus sichtbar gewordene Wirken Gottes durch die Geschichte hindurch als das zu beachtende „Zeichen“ verstanden ist. Die „Nähe“ des Sommers ist in Palästina, wo er nach einer Regenperiode sehr rasch hereinbricht, noch eindrücklicher als bei uns. Was oder wer „nahe vor den Türen“ steht, ist nicht gesagt; im 30 Zusammenhang muß es die Parusie Jesu sein. Sie muß auch in „dies alles“ mitgemeint sein. Der Gebrauch des Wortes „Geschlecht“ in Lk. 16,8 zeigt zwar, daß es auch die ganze Menschheit, nicht nur eine Generation bezeichnen kann (vgl. auch zu 8,38). Verstände man es hier aber so, wäre der Satz eine Banalität; daß die Menschheit noch vor dem Weltende aussterben könnte, hat damals niemand gedacht. „Dies alles“ wird also geschehen, bevor die zur Zeit Jesu lebende Generation ganz ausgestorben ist (vgl. zu 9,1). Auch hier soll damit dem Leser eingeschärft werden, daß der Menschensohn ihm begegnen will und daß er sich nicht damit vertrösten kann, daß es noch lange gehen werde und erst künftige Generationen sich 31 auf diese Begegnung rüsten müßten. „Meine Worte“ ist nicht Formulierung des Markus; er würde etwa von „meiner Lehre“ sprechen (vgl. zu 1,22). Er bezieht den ihm überlieferten Ausspruch gewiß nicht ausschließlich auf Kap. 13, sondern auf das, was er sonst Jesu „Lehre“ nennt, nämlich die in ihm erfolgte Offenbarung Gottes, die vor allem auch das Leiden des Menschensohns einschließt. Sie ist das, was im Wechsel der sich jagenden Endereignisse Bestand hat, der feste Boden, auf dem die Gemeinde leben und allen noch kommenden Schrecken getrost entgegen32 gehen darf. Die Bereitschaft zu hören darf aber nicht zu einem Bescheidwissen über Gottes Pläne führen, wie es in apokalyptischen Berechnungen angestrebt wird. Damit würde sich der Mensch ja Gottes bemächtigen und könnte dann erst recht wieder die Begegnung mit ihm hinausschieben bis zu jenem errechneten Zeitpunkt. Nach V.32 versteht man Jesus nur als „Sohn“ richtig. Auffällig ist die Zusammenstellung Jesu mit den Engeln; das ist sonst immer in eschatologischen Aussagen vom Menschensohn der Fall (Mk.8,38; 13,27; Mt.25,31; Lk.12,8; vgl. Joh. 1,51 und Einl. zu 8,38). Wenn hier vom „Sohn“ statt vom „Menschensohn“ die Rede ist, dann offenbar, um seine Unterordnung unter Gott statt seine Hoheit und Würde zu betonen; während „Sohn Gottes“ (s. zu 15,39) im Gegensatz zu „Sohn eines menschlichen Vaters“ Hoheitsaussage ist, läßt der absolut gebrauchte Ausdruck „der Sohn“ an den Gegensatz „der Vater“ denken, beschreibt also eine, relativ © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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zum Vater, untergeordnete Stellung. So warnt auch 1.Kor. 15,28 im Zusammenhang eschatologischer Aussagen mit dem gleichen Ausdruck vor dem Mißverständnis, in Christus so etwas wie einen zweiten Gott zu sehen. Das mußte festgehalten werden gegen eine allzu starke Betonung der Erhöhung Jesu zum Gottessohn, der im Himmel regiert (Rom. 1,4), ist er doch gerade der, in dem der eine Gott sich der Welt zuwendet. Dieser Vorbehalt wird auch hier gemacht. So ist Jesus der, der in einzigartiger Weise auf der Seite der „Engel“ steht und doch von ihnen unterschieden, und der, der immer von sich weg auf Gott hinweist und ihn gegenwärtig werden läßt. Das Anliegen des Markus wird in V.33 besonders deutlich. Die nicht berechenbare und gerade darum den Menschen jederzeit direkt angehende „Zeit“ ruft zum „Wachsein“ auf, zu jener Haltung, in der der Mensch stets dem kommenden Herrn verantwortlich gegenübersteht und sich durch nichts von der steten Bereitschaft für ihn abhalten läßt. So wird die kommende „Zeit“ zu der die Gegenwart völlig bestimmenden, ihr ihre Spannung, ihre Hoffnung, ihr Ziel und damit ihren Sinn gebenden. Das wird betont mit dem Bild von den Aufträgen, die für die vor dem Kommen des Herrn liegende Zeit gegeben sind, während das Bild vom Wachen und der Hinweis auf die ungewisse Stunde seines Kommens dieser Verantwortlichkeit ihre Dringlichkeit gibt: kein Augenblick ist nebensächlich, weil jeder der des endgültigen Kommens des Herrn sein kann; darum ist es unmöglich für die Gemeinde, die Zeit zu verschlafen, als ob sie unerfüllte, nicht schon vom künftigen Kommen des Herrn erfüllte Zeit wäre, bei der es nicht darauf ankäme, wie sie genutzt wird. Wenn Markus in seiner Schlußbemerkung nochmals betont, daß dies, im Unterschied zu den eigentlich apokalyptischen Aussagen, nicht nur den vier Vertrauten (V.3), sondern „allen“ gelte, dann zeigt er noch einmal, daß hier, bei der Mahnung, sein eigentliches Interesse liegt. Die Periode bis zur Parusie ist also nicht nur ein Provisorium, sondern Zeit des verantwortlichen Handelns angesichts des kommenden Herrn. Die Treue darin ist so das eigentliche und rechte „Wachen“ . Das erklärt auch die Aufnahme der Rede an dieser Stelle, die freilich schon durch die Tradition gegeben war (s. Einleitung zu 13,1-4). Schwerlich darf man Parusierede und Passionsgeschichte geradezu als Doppelgipfel des Evangeliums sehen. An der einzigen Stelle, an der vorher auf die Parusie verwiesen ist (8,38-9,1), dient sie dazu, die Dringlichkeit des Rufes in die Nachfolge auf dem Kreuzesweg einzuschärfen. So steht auch Kap. 13 am Abschluß der Wirksamkeit Jesu vor seinem Leidensweg. Gewiß zeigt 14,62, daß Auferstehung (= Erhöhung) und Parusie Gottes Ja zum Wege Jesu beweisen (vgl. den Exkurs zu 16,1-8); aber gerade dies läßt die zentrale Bedeutung dieses Weges zum Kreuz hervortreten. Er prägt das ganze Leben der Gemeinde in der Jetztzeit, das mitten unter Verfolgung und Anfechtung doch in der Getrostheit als Zeugnis gelebt wird, das die ganze Welt ergreifen möchte. Ihm gibt das Wissen um das Kommen des Herrn seine Verbindlichkeit, vor allem auch sein helles Leuchten.
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Mk. 14,1 f.: Der Todesanschlag
Β) Die Tage des Leidens Jesu und seiner Auferweckung 14,1-16,8 Der Todesanschlag 14,1 f., vgl. Mt. 26,1 -S; Lk. 22,1 -2 1 Es war aber das Passa und die ungesäuerten Brote nach zwei Tagen, und es suchten die Hohenpriester und Schriftgelehrten, wie sie ihn mit List greifen und töten könnten. 2 Denn sie sagten: „Nicht am Fest, damit kein Aufruhr des Volks entsteht!“ 1
Die Datierung hat kaum von Anfang an zum Passionsbericht gehört, ist aber vormarkinisch. Bei Johannes sind Todesanschlag und Salbung vor dem Einzug Jesu angesetzt. Das Passa beginnt mit dem Sonnenuntergang (vgl. zu 14,12-16) vor der ersten Vollmondnacht nach der Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche, am 15.Nisan jüdischer Rechnung. Die „ungesäuerten Brote“ , die jüdischen „Mazzot“ , umfassen die mit dem Passa beginnende Woche bis zum 21. Die Zusammenstellung „Passa und Mazzotwoche“ ist üblich, obwohl jenes eigentlich in dieser eingeschlossen ist. Die Datierung zeigt, daß Schritt um Schritt von Gott vorgeordnet ist und nach seinem Plan abläuft: zwei Tage bis zum Passa, dessen Nacht und Tag in je dreimal drei Stunden eingeteilt werden, dann wiederum zwei Tage bis zur Auferstehung. Überlegt wird (nach 3,6; 11,18) nur noch das Wie der Vernichtung, wobei die Pläne schon in Einzelheiten gereift sind. Wieder zeigt sich die Differenzierung zwischen dem Volk und seinen Führern (vgl. zu 12,12), die Markus wichtig ist. 2 Vielleicht darf man übersetzen: „nicht in der Festversammlung“ ; eher aber will Markus sagen, daß gerade das, was die Menschen verhindern wollen, von Gott her geschehen muß: genau „am Fest“ wird er (jedenfalls nach Markus, vgl. zu 14,12-16) hingerichtet. Die Salbung zum Tode 14,3-9, vgl. Mt.26,6-13; Lk.7,36-50 3 Und als er in Bethanien war, im Hause Simons des Aussätzigen, als er zu Tische lag, kam eine Frau mit einer Alabasterbüchse von echtem, kostbarem Nardenöl. Sie zerbrach die Alabasterbüchse und goß es über sein Haupt. 4 Einige aber wurden unwillig untereinander: „Wozu geschah diese Verschwendung des Salböls? 5 Denn dies Salböl hätte für mehr als dreihundert Denare verkauft und den Armen gegeben werden können!“ Und sie fuhren sie an. 6 Jesus aber sprach: „Laßt sie! Was macht ihr ihr Schwierigkeiten? Eine gute Tat hat sie an mir getan. 7 Denn allezeit habt ihr Arme bei euch, und, wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen wohltun; mich aber habt ihr nicht allezeit. 8 Was sie vermochte, hat sie getan; sie hat meinen Leib im voraus zum Begräbnis gesalbt. 9 Wahrlich aber, ich sage euch, wo immer das Evangelium verkündet wird in der ganzen Welt, da wird auch von dem geredet werden, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis.“ Lk.7,36-50 berichtet diese Geschichte in ganz anderer Form. Auch dort weilt Jesus bei einem „Simon“ , freilich einem Pharisäer. Johannes kannte wohl eine Zwischenform; 12,3b stimmt, zum Teil wörtlich, mit Lk.7,38b überein; sonst folgt er der markinischen Form. Das Abtrocknen der von Tränen überschwemmten © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 14,3-9: Die Salbung zum Tode
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Füße Jesu mit den Haaren der Frau ist bei Lukas logisch, nicht aber das der gesalbten Füße bei Johannes. Es ist nur als ungenaue Erinnerung an Lk.7,38 zu verstehen. Die markinische Fassung dürfte älter sein. Vermutlich hat man in der Gemeinde als Beispiel für das Gleichnis Lk. 7,40-43 die Geschichte von der Salbung verwendet oder diese mit einem andern Vorfall gleichgesetzt, wo eine Dirne (zu der übrigens das Salböl gut paßte) Jesu Füße mit Tränen netzte und dann mit ihren Haaren trocknete. Die Lokalisierung in Bethanien (auch Joh. 12,1) und im Haus des Simon (auch Lk.7,40) gehörten schon in der Tradition dazu. Denn daß Simon ein, wohl von Jesus geheilter, Aussätziger war, spielt in der Geschichte keine Rolle; die Bemerkung stammt also aus einer Zeit, in der man ihn oder seine Geschichte noch kannte. Andererseits ist die harte Konstruktion in V.3a („als er ..., als er ...“ ) Zeichen dafür, daß die älteste Überlieferung wohl erst mit dem zweiten „als er ...“ einsetzte, während die nähere Ortsangabe erst später noch (von Markus aus mündlicher Tradition, oder weil das „Haus Simons“ im zweiten „als“ -Satz stand?) angefügt wurde. Sicher ist im Lauf der Tradition einiges zugewachsen. In der ältesten Schicht, die sehr wohl dem entsprechen kann, was sich im Leben Jesu abgespielt hat, ist vermutlich V.7a.c die Pointe gewesen: Jesu Zeit ist herausgehobene Zeit, die Zeit des „Bräutigams“ (2,19), in der die religiösen Pflichten des Fastens (2,19) und Almosengebens (14,5; vgl. Tob. 12,8: „Gebet, Fasten, Almosen, Gerechtigkeit“ , und zu Mt. 6,1-8) nicht mehr die allerwichtigste Stelle einnehmen können; denn Jesus gegenüber gibt es ein Handeln, das die Maßstäbe des gewöhnlichen Alltags überschreitet. Freilich muß dann das Mißverständnis, als ob Liebestätigkeit überflüssig wäre, abgewehrt werden,was durch Einfügung von V.7b erfolgt. Auch sonst sind Worte Jesu, die den besonderen Charakter, die Einmaligkeit seiner Zeit betonten, nachträglich umgeformt worden, weil für die Gemeinde die ethischen Fragen wichtiger wurden (vgl. zu 4,13-20). In V.8a scheint eine neue Ausdeutung der Tat der Frau im Sinne von 12,44b zu liegen: sie hat alles weggeschenkt, was sie hatte. Die Ortsangabe „Bethanien“ zeigt, daß die Erzählung schon vor Markus wohl im Zusammenhang der Passionsgeschichte stand. Sie könnte also einschließlich V.8b zu einer Passionsquelle gehört haben. Wahrscheinlicher wurde sie aber einzeln mündlich weitergegeben und V. 8 b wuchs erst auf zweiter oder dritter Stufe zu. Jedenfalls setzt er voraus, daß die Auferstehung die Totensalbung verunmöglichte (16,1-8). Das Besondere des Handelns dieser Frau wurde nicht mehr nur darin gesehen, daß sie Jesus wichtiger nahm als finanzielle oder sogar karitative Überlegungen, sondern darin, daß die Salbung zum prophetischen Hinweis auf Jesu Passion wurde. Was implizit in V.7 lag, wurde ausdrücklich formuliert. Endlich hat wohl Markus mit V.9 unterstrichen, daß der Kern der Evangeliumsverkündigung im Hinweis auf die Passion liegt, wie er im Handeln dieser Frau (nach V.8) schon vorweggenommen ist. Der Satz ist auffällig, weil der Name der Frau in der Geschichte nicht genannt wird, obwohl gesagt wird, daß alle kommenden Generationen sie „zu ihrem Gedenken“ erzählen würden. Erst Joh. 12,3 benennt die Frau, und im 4. Jh. setzt Ephraem sie mit Maria Magdalena (Mk. 15,40 usw.) und mit der Sünderin von Lk.7,37 gleich. Daraus ist das Bild von der büßenden Maria Magdalena, die zur ersten Zeugin der Auferstehung wurde, entstanden. Der Satz V.9 ist also erst zugefügt worden, als schon die Weltmission selbstver© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 14,10f.: Der Verrat des Judas
ständlich wurde (Apg.8,1; ll,19f.) und man den Namen der Frau nicht mehr wußte. Ein besonderes Interesse daran ist bei Markus selbst denkbar, für den das Leiden Jesu so zentral geworden ist. Die Geschichte unterbricht den Zusammenhang von 14,1 f. zu 14,10f.; sie ist wohl wegen V.8 und der Lokalisierung in Bethanien an den Anfang der Passionsgeschichte gestellt worden, von Markus zwischen Todesanschlag und Verrat (vgl. zu 5,21-43), von Johannes vor den Einzug in Jerusalem. Markus gewinnt damit eine eindrückliche Kontrastwirkung zwischen dem Anschlag der Behörden und der im tiefsten Sinn verstehenden Liebe der Frau aus dem Volk. Zugleich macht der Schlußvers (V.9) darauf aufmerksam, wie wichtig die Einsicht in die zentrale Bedeutung des Leidens Jesu ist. 3 4 5 6
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Bethanien ist nach 11,1.11 f. Nachtquartier Jesu. Die Tat ist schon darum für damalige Verhältnisse ungewöhnlich, weil eine Frau in Männergesellschaft eindringt und Jesus nicht vor, sondern während dem Mahl plötzlich salbt. Wer die unwillige Frage stellt, ist bei Markus offengelassen. Es wird Mt.26,8; Joh. 12,4; vgl. Lk.7,39 in sehr verschiedener, aber zunehmend genauerer Weise festgelegt. 300 Denare sind etwa der Jahresverdienst eines Tagelöhners. Daß die V.4 Genannten zu rechnen anfangen, ist begreiflich und normalerweise durchaus richtig; auch ihr Grimm ist verständlich. Und doch ist er, ähnlich wie in 10,13, falsch. Gerade wo die vernünftigen, nüchternen Überlegungen auf der Seite der Zürnenden zu finden sind, tritt ihr Nichtverstehen angesichts der einzigartigen, alle Regeln sprengenden Gegenwart Jesu doppelt hervor. Jesus sieht die „gute Tat“ . Zwar wird noch einmal in Erinnerung an 5.Mose l 5 , l l festgestellt, daß normalerweise die Einwände am Platz wären; durch Jesus aber ist die Ausnahmesituation geschaffen, in der jene richtigen Sätze doch falsch sind. Dabei ist hier nicht sein Verkünden oder Wirken der Grund, sondern einfach seine Gegenwart mit dem schon darüber stehenden Schatten des Todes. Mit V.8a wird etwas anderes, nämlich die Größe des Opfers betont, in 8 b die Salbung als prophetische Zeichenhandlung verstanden: sie bereitet Jesus auf seinen Leidensweg vor. Die normale Salbung des Leichnams wird wegen der Auferweckung nicht mehr stattfinden (16,1). Für Markus ist diese Frau die erste, die die in V.8 angedeutete Wichtigkeit der Passion Jesu erkannt hat. Hier ist der „Glaube ans Evangelium›› (1,15) in einzigartiger Weise erfüllt. So steht sie bei Markus am Anfang der Passion und unterstreicht mit ihrer Handlung, daß der Weg Jesu in den Tod und die Auferstehung die entscheidende Mitte der Botschaft ist. Der Verrat des Judas 14,10f., vgl Mt.26,14-16; Lk.22,3-6 10 Und Judas Ischarioth, der eine der Zwölf, ging hin zu den Hohepriestern, um ihn an sie auszuliefern. 11 Als sie das aber hörten, freuten sie sich und versprachen, ihm Geld zu geben. Und er suchte, wie er ihn bei guter Gelegenheit ausliefern könnte. Die kurze Notiz stand ursprünglich vermutlich mit V. 1 f. zusammen in einem alten Passionsbericht (vgl. zu V.3-9). Daß Judas „einer von den Zwölf“ (hier sogar © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 14,12-16: Die Zurüstung des letzten Mahls
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„der eine ...“ ) ist, sitzt in der Tradition fest (14,10.20.43; Joh.6,71; vgl. zu 6,7-13). Historisch gesehen ist nicht mehr recht durchsichtig, was Judas verraten hat. Joh. 18,2 nennt den Ort, an dem Jesus sich nachts aufhielt; aber entweder geschah das regelmäßig, dann wäre es auch ohne Judas in Erfahrung zu bringen gewesen, oder es war einmalig, dann hätte er es kaum im voraus gewußt. An eine Untergrundbewegung Jesu gegen die Römer mit sorgfältig gewählten Verstecken zu denken, ist phantastisch. Oder hat Judas verraten, daß Jesus sich für den Messias hielt? Aber die Feindschaft gegen ihn bestand offenbar schon lange aufgrund seiner Stellung zu Gesetz und Tempel (3,6; 11,18; 14,58), und da Judas nicht als Zeuge im Prozeß auftrat (14,61 f.), ist auch dies schwer vorstellbar. Möglich ist, daß Judas zum Zelotismus neigte (vgl. zu 3,18 f.) und, enttäuscht von Jesu Inaktivität, mit Freunden unter den Gegnern Jesu Kontakt aufnahm, um Jesus endlich zum Handeln zu zwingen und so den Stein ins Rollen zu bringen. Vielleicht gab er während oder nach dem letzten Mahl jemandem einen Wink, daß Jesus erst bei Dunkelheit heimgehen werde. Doch bleibt all das reine Vermutung. Der Text unterstreicht die Schwere des Schicksals Jesu, der hier gerade von dem 10 verraten wird, um den er sich besonders bemüht hat und der besonders viel hätte erkennen sollen (vgl. zu 4,34; 8,26). Seine Tat wird durchwegs „Ausliefern“ genannt, wovon auch 9,31; 10,33; 14,41; Lk.9,44; 18,32 usw. ohne Hinweis auf Judas sprechen. Damit ist schon das Ineinander von menschlicher Tat und göttlicher Bestimmung angedeutet, vollzieht doch Judas nur jene Auslieferung des Menschensohnes an die Menschen, die 9,31 voraussagt und von der es schon in 8,31 hieß, daß sie geschehen „müsse“ . Ein wildes Pferd kann von einem Reiter gemeistert werden. Damit ist seine Wildheit nicht aus der Welt geschafft und nicht „entschuldigt“ . Dennoch dient es gerade damit dem Reiter. So wird deutlich, daß man die Schuld des Judas nicht einfach nach moralischen Maßstäben messen darf. Erst recht ist das im folgenden Vers der Fall; denn nach Markus wird der Lohn erst 11 nachträglich in Aussicht gestellt; erst Mt. 26,15 läßt die Geldgier des Judas zum Motiv des Verrats werden (vgl. Joh. 12,6), legt übrigens auch den Betrag, den er in Sach.ll,12f. (Mt.27,9) gefunden hat, fest. Markus hingegen läßt offen, ob das Motiv nicht idealistischer Nationalismus war und keineswegs abgrundtiefe moralische Verkommenheit. Das zeigt beispielhaft, wiewenig rein-moralische Maßstäbe ausreichen, die Schuld vor Gott auszumessen, wenn Menschen an Jesus vorbei ihren eigenen Weg gehen wollen oder müssen. Die Zurüstungdes letzten Mahls 14,12-16, vgl. Mt.26,17-19; Lk.22,7-13 12 Und am ersten Tag der ungesäuerten Brote, da man das Passalamm schlachtete, sagen seine Jünger zu ihm: „Wo willst du, daß wir hingehen und vorbereiten, daß du das Passalamm issest?w 13 Und er sendet zwei seiner Jünger und sagt zu ihnen: „Geht in die Stadt, und es wird euch ein Mensch begegnen, der einen Wasserkrug trägt; folget ihm, 14 und wo er eintritt, da sprecht zum Hausherrn: Der Meister sagt: ,Wo ist meine Unterkunft, wo ich das Passalamm mit meinen Jüngern essen kann?' 15 Und er wird euch ein großes Obergemach © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 14,12-16: Die Zurüstung des letzten Mahls
zeigen, mit Teppichen ausgelegt, bereit; und dort bereitet es uns.“ 16 Und die Jünger gingen weg und kamen in die Stadt und fanden es, wie er es ihnen gesagt hatte, und bereiteten das Passa. Der Abschnitt hebt sich vom Zusammenhang ab. Viermal ist von den „Jüngern“ die Rede (in der Passionsgeschichte sonst nur 14,32), während diese in V. 17 wie in V. 10.20.43 „die Zwölf“ heißen. Jesus schickt zwei Jünger voraus, während V. 17 erklärt, er sei „mit den Zwölfen“ gekommen. Die Datierung „am ersten Tag der ungesäuerten Brote“ (vgl. zu 14,1) ist für den Griechen und Römer, für den der Tag am Morgen beginnt, richtig, nicht aber für den Juden, der seinen Tag mit Sonnenuntergang anfangen läßt, so daß er sagen müßte „am Tag vor den ungesäuerten Broten“ ; da sich die falsche Zählung aber gelegentlich im Judentum findet, könnte es auch Ungenauigkeit sein. Ganze Satzteile in V. 13 a und 16 (vgl. auch V.14) sind wörtlich gleich wie in 11,1 f.4.6 (vgl. auch V.3). Die ganze Episode fehlt bei Johannes. Sie ist vermutlich nach dem Muster von 11,Iff. als Einleitung zu V. 17ff. oder einer anderen Mahlschilderung gebildet worden. Bei Markus ist nur hier das letzte Mahl als Passamahl bezeichnet (sonst noch Lk.22,15), so daß Jesus am Passafest, am 15.Nisan, gestorben wäre. Das könnte sehr wohl auf die Gemeinde zurückgehen, die das Abendmahl als Ersatz des Passamahles verstand. Denn ebenso eindeutig ist Jesus nach Joh. 18,28; 19,14 am 14.Nisan zu der Zeit, da die Passalämmer erst geschlachtet wurden, gestorben. Das könnte freilich auch darauf beruhen, daß Johannes Jesus als das Passalamm ansieht (Joh. 1,29.36; 19,36; vgl. l.Kor.5,7). Sicher ist, daß Jesus am Freitag starb (vgl. zu 15,42); da wir aber das Jahr nicht kennen, wissen wir auch nicht, ob der Freitag Passa- oder Vortag war. Für den 15.Nisan spricht außer Lk.22,15 auch das Singen des Hymnus (14,26; doch vgl. dort), das beim Passa üblich war. Vielleicht gilt das auch für die freilich 1.Kor. 11,23 nur angedeutete, Joh. 13,30 symbolisch ausgewertete späte Stunde des Mahls; doch ist diese wie die Verwendung von Wein und das Liegen zu Tisch auch beim Freundesmahl, das etwas vom Alltag abgehoben werden soll, möglich. Zum Passa paßt, daß das Mahl in Jerusalem stattfindet, was allerdings bei Markus nur 14,12-16 gesagt, aber auch Joh. 18,1 vorausgesetzt ist. Das gleiche gilt für das nachherige Weilen am Ölberg, der noch zum erweiterten Stadtbezirk gehört; doch war dies nach Joh. 18,2; Lk.21,37; 22,39 nichts Außergewöhnliches. Für den 14.Nisan spricht, daß weder in Mk. 14, 17-21 noch in 22-25 ein Hinweis auf das Passa auftaucht, daß abgesehen von Lk.22,15 in keinem Abendmahlsbericht der Mittelpunkt des Passa, das Lamm erscheint, daß die Deuteworte weder in der Form an die beim Passa üblichen angeglichen sind noch an derselben Stelle im Verlauf des Mahles erscheinen, daß, anders als beim Passa, keine Frauen dabei sind und der Bechersegen von Jesus, nicht von einem aus der Tischrunde gesprochen wird. Auch ist die Einberufung des Gerichtes und die Hinrichtung Jesu am Passafest zwar nicht unmöglich, aber doch schwer denkbar. Kleinigkeiten wie die, daß Simon vom Felde kommt (15,21) und daß Waffen getragen werden (14,47; Lk.22,38), sprechen gegen einen Festtag. Endlich wäre in der Gemeinde jährliche Feier des Herrenmahls zu erwarten statt tägliche oder wöchentliche, wenn das erste ein Passamahl gewesen wäre. So ist die johanneische Datierung etwas wahrscheinlicher. Auch nach einer © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Das Passa
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(späten) jüdischen Tradition ist Jesus bereits am Rüsttag des Passa gehängt worden (Billerbeck I 1023 [b]). Freilich stand das letzte Mahl auch am Vorabend schon im Lichte von Passa, wie ein Mahl am Vorabend von Weihnachten bei uns im Lichte der Weihnacht stünde. Das Passa. Zum Passamahl wird ein einjähriges, fehlerloses Schaf- oder Ziegenlamm am Nachmittag im Tempel geschlachtet. Die Mahlgenossenschaft, die innerhalb des Stadtbezirks von Jerusalem zusammenkommen muß, umfaßt in der Regel mindestens zehn Menschen, da nicht mehr als ein Lamm für jede Gruppe bereitet werden darf, aber auch nichts übrigbleiben soll. Mit dem Essen darf erst nach Sonnenuntergang begonnen werden. Mit einem Lobspruch wird der erste Becher gemischt. Als Vortisch werden Grünkräuter und Salate, oft mit Fruchtmus zusammen, gereicht und ungesäuertes Brot. Beim zweiten Becher werden die Unterschiede dieses Mahles von gewöhnlichen Mahlzeiten erklärt, vielleicht in der später bezeugten Form: „Siehe, das ist das elende Brot (vgl. 5.Mose 16,3), das unsere Väter gegessen haben, die aus Ägypten auszogen.“ Jedenfalls „ist der Mensch in jeder Generation verpflichtet, sich selbst so anzusehen, wie wenn er aus Ägypten ausgezogen wäre“ . Dann wird das Hallel, d.h. Ps. 113-118 angefangen und durch ein Dankgebet unterbrochen. Die Mahlzeit beginnt mit dem Brotbrechen, bei dem der Hausvater den Lobspruch spricht, dann das Brot bricht und jedem ein Stück gibt. An sie schließt sich der dritte Becher mit dem Tisch-Dankgebet an, der „Becher des Segens“ (1.Kor. 10,16), dem ein vierter mit dem Schluß des Hallel folgt. Aber auch bei einem gewöhnlichen Freundesmahl wurde eine Vorkost gereicht, bei der über dem ersten Becher noch jeder für sich den Lobspruch spricht. Dann folgt das eigentliche Essen, zu dem man im Unterschied von gewöhnlichen Mahlzeiten zu Tische lag und Wein genoß. Es begann genau wie das Passamahl mit Weinbecher und Brotbrechen. Nach dem Mahl werden die Brocken gesammelt, das Tisch-Dankgebet gesprochen und der „Becher des Segens“ getrunken. In beiden Fällen entspricht also das Brotwort des Herrenmahls dem Lobspruch beim Brotbrechen - das Deutewort des Passa hat nicht hier, sondern vor dem Essen seinen Platz! -, das Kelchwort dem über dem „Becher des Segens“ am Ende der Mahlzeit (l.Kor. 11,25; Lk.22,20). Sie treten also an die Stelle des Tischgebetes vor und nach dem Essen. So ist vom Gang des Herrenmahls her keine sichere Entscheidung zwischen Passamahl und Freundesmahl am Vorabend zu treffen. Wie eindeutig Jesus die Mitte der Jüngerschar ist, wird an der Formulierung der Frage mit „du“ , nicht mit „wir“ , deutlich. Die wunderbare Voraussicht Jesu wird ähnlich wie in ll,2f. beschrieben. Ein Wasserträger ist freilich eine alltägliche Erscheinung, auch wenn ein Gefäß vielleicht etwas seltener ist als der übliche Lederschlauch; aber das Wunder liegt in der genauen Voraussage des Folgenden. „Der Meister“ könnte bedeuten: unser Meister. Dann wäre es die übliche Bitte des Pilgers um Überlassung eines Raumes, der am Passaabend, wenn immer möglich, entsprochen wird. Aber die Formulierung des Spruches Jesu zeigt, daß mehr gemeint ist. Er ist „der Meister“ , der über alle Menschen verfügt. Der Titel findet sich bei Markus außer in der Anrede nur 5,35, paßt aber zur Bezeichnung „Jünger“ , die für diesen Abschnitt charakteristisch ist. Da ein oft saalartiges Obergemach vor© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 14,17-21: Die Bezeichnung des Verräters beim Mahl
handen ist, erst noch mit Teppichen und Sitzpolstern versehen, muß es sich um ein 16 vornehmeres Haus handeln. Kurz wird noch berichtet, daß sich alles erfüllte, wie Jesus es voraussah. So dient der Abschnitt zwei Zwecken: er soll das Abendmahl an die Stelle des jüdischen Passa rücken und zugleich unterstreichen, wie das, was an diesem Tage geschah, nicht als Katastrophe über Jesus kam, sondern von ihm vorausgesehen und bewußt erlitten wurde. Die Bezeichnung des Verräters beim Mahl 14,17-21, vgl. Mt.26,20-25; Lk.22,14(21-23) 17 Und als es Abend geworden war, kommt er mit den Zwölfen. 18 Und als sie zu Tische lagen und aßen, sprach Jesus: „Wahrlich, ich sage euch, einer von euch wird mich ausliefern, ,der mit mir ißt.'“ 19 Sie begannen sich zu betrüben und zu ihm zu sagen, einer nach dem andern: „Doch nicht ich?“ 20 Er aber sprach zu ihnen: „Einer von den Zwölfen, der mit mir in die Schüssel eintaucht. 21 Denn der Menschensohn geht dahin, wie über ihn geschrieben steht; wehe aber jenem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird. Es wäre für ihn gut, wenn jener Mensch nie geboren worden wäre.“ V. 18: P s . 4 1 , 1 0 .
Annahme einer schriftlichen Vorlage wird hier am wahrscheinlichsten. Hätte V. 17 nicht in fester Form vorgelegen, hätte Markus formuliert „mit den übrigen“ oder ähnlich. Schwerlich hätte er auch die Wendung „und als sie aßen“ wörtlich gleich in V. 18 und 22 verwendet, besonders weil das Brotbrechen in V.22 ja den Beginn des Essens markiert (vgl. noch zu V.20). Auch die Zeitangabe und der alttestamentliche Hintergrund sprechen für den Passionsbericht (s. Exkurs vor 11,1). V. 18 erinnert nämlich an Ps.41,10 („Der von meinem Brote aß, hebt wider mich die Ferse hoch“ — Joh. 13,18). Ein wörtlicher Anklang findet sich kaum; doch ist die Wendung schon sprichwörtlich geworden (1 QH 5,23f.: „Alle, die mein Brot aßen, kehrten mir den Rücken ..., redeten falsch wider mich“ ). Die ganze Szene könnte also nur bildliche Darstellung dieses Satzes sein. Doch erfolgt auch nach Johannes und Lk. 22,21, wo vielleicht Sondertradition vorliegt, die Bezeichnung des Verräters beim letzten Mahl, so daß man damit rechnen kann, daß dies dem historischen Verlauf entspricht. Das Wissen Jesu, seine Bereitschaft, sich Gottes Willen zu beugen (V.21a), vor allem das psychologisch unbegreifliche, für die markinische Charakterisierung aber typische Verhalten der Jünger (V. 19b, vgl. 29!) hingegen dienen der Verkündigung und sind theologische, nicht eigentlich historische Sätze. Am sichersten scheint also 14,1f.l0 f. 17-21 auf eine schriftliche Quelle hinzuweisen. Natürlich muß diese auch Verhaftung (spät nachts; wohl auch Verleugnung beim Hahnschrei), Prozeß und Kreuzigung enthalten und wahrscheinlich im Ostergeschehen ihr Ziel gehabt haben (vgl. zu den betreffenden Abschnitten). Abschnitte wie 14,22-25 standen, wohl erst mündlich tradiert, schon wörtlich fest und wurden (von Markus?) eingegliedert. Andere wie 11,1-11.15-19.27-33; 14,3-9.12-16 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Die Einsetzungsworte zum Herrenmahl
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konnten nur im Blick auf die der Gemeinde bekannte Passion Jesu erzählt werden; ob und wieweit sie schon vor Markus in die schriftliche Darstellung inkorporiert waren, ist schwer zu entscheiden. Die Zeitangabe kann den Spätnachmittag wie den eigentlichen Abend bezeichnen. Vorausgesetzt ist trotz V. 22, daß das Essen schon begonnen hat; in diesem Abschnitt spielt also das Brotbrechen am Anfang mit dem dazu gesprochenen Wort Jesu keine Rolle, das Interesse liegt nur an der Entlarvung des Judas. Die Verwendung des Wortes „ausliefern“ ohne nähere Angaben ist auffällig (s. zu V. 10f.). Daß alle Jünger so fragen (vgl. auch zu 14,31), ist kaum nur als Mahnung an den Leser zu verstehen, auch sich selbst so zu fragen (vgl. Hebr.6,6), sondern soll wohl, wie oft bei Markus, betonen, daß auch die Jünger bis zuletzt unverständig bleiben (vgl. zu 8,17-21). „Einer von den Zwölfen“ ist im Munde Jesu unmöglich; er müßte wie in V. 18 „einer von euch“ sagen; das zeigt, wie fest die Formel schon ist (vgl. zu V. 10). Beim „Eintauchen“ braucht man nicht an das Eintauchen der Bitterkräuter beim Passa zu denken; man kann es wie Joh. 13,26 von irgendwelchem Griff nach dem Essen oder Eintauchen in eine Sauce verstehen. Es soll nur die enge Gemeinschaft zeigen, in der der Verräter mit Jesus steht. „Dahingehen“ ist kein üblicher Ausdruck für „sterben“ ; so ist wohl an das Gehen des Jesus von Gott aufgetragenen Weges zu denken. Daß das Leiden des „Menschensohns“ in der Schrift bezeugt ist, hat schon 9,12 erklärt, wie auch die Verbindung von „Menschensohn“ und „ausgeliefert werden“ häufig vorkommt (s. zu 9,31). So unterstreicht das Wort noch einmal, daß alles nach Gottes Willen geschehen wird, daß aber dadurch die Schuld dessen, der Jesus „ausliefert“ , nicht aufgehoben ist (vgl. zu V. 10f.). Die Verheißungen des letzten Mahles 14,22-25, vgl. Mt.26,26-29; Lk.22,15-20; 1.Kor.ll t 23-2S 22 Und als sie aßen, nahm er Brot, sprach den Segen, brach es und gab es ihnen und sprach: „Nehmet, dies ist mein Leib.“ 23 Und er nahm einen Becher, sprach das Dankgebet und gab ihn ihnen, und sie tranken alle daraus. 24 Und er sprach zu ihnen: „Dies ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. 25 Wahrlich, ich sage euch: ich werde nicht mehr vom Gewächs des Weinstocks trinken bis zu jenem Tage, da ich es neu trinke im Reiche Gottes.“ V.24: 2.Mose 24,8; Jer. 31, 31 ff.; Sach.9,ll.
Die Einsetzungsworte zum Herrenmahl. Die Wiederholung der Angabe „als sie aßen ...“ (vgl. V. 18) zeigt, daß V.22-25 einmal ohne Zusammenhang mit V. 17-21 überliefert waren. Da das Brotbrechen den Anfang der Mahlzeit darstellt, ist V. 18 auch sachlich unmöglich, außer man dächte an einen Vortisch. Der knappe Stil, der in fast feierlichem Ton nur die liturgisch wichtigen Handlungen und Worte aneinanderreiht, zeigt, daß dieser Abschnitt wahrscheinlich immer wieder bei der Feier des Herrenmahls rezitiert worden ist. Abgesehen von der kurzen Notiz, daß alle tranken, wird nur von Jesu Handeln gesprochen. 1.Kor. 11,23-25 zeigt denn auch, daß Paulus von Anfang an seine Gemeinde eine ähnlich knappe Zusammen© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Die Einsetzungsworte zum Herrenmahl
fassung des letzten Mahls Jesu gelehrt hat. Die Verse sind also für sich tradiert worden und können älter oder jünger sein als die Verse 17-21. 1.Kor. 11,23-25 liegt eine andere Form des Berichtes vom letzten Mahl vor. Mt. 26,26-29 folgt mit wenigen Änderungen dem Markusbericht, Lk.22,19f. ist eine Mischung der paulinischen und markinischen Form, wie V.20 besonders kraß sichtbar wird (wörtlich: „... in meinem Blute, das für euch vergossene“ ), während Lk.22,15-18.27-30 noch eine dritte Überlieferung darstellen, die sachlich eine Parallele zu Mk. 14,25 bietet. Vergleicht man die paulinische mit der markinischen Darstellung, so hat diese zwar einige semitische Wendungen bewahrt, vor allem die Formel „für viele“ (vgl. zu 10,45), ist aber im ganzen wahrscheinlich die jüngere Form. Die bei Paulus bezeugte Formel hat den alten Satz bewahrt, daß Jesus den Becher erst „nach dem Mahle“ nahm (vgl. Exkurs zu V. 12-16). Hier lauten die beiden durch die ganze Mahlzeit voneinander getrennten Worte: „Dies ist mein Leib für euch — Dieser Becher ist der neue Bund in meinem Blute.“ Es ist leichter vorstellbar, daß nicht parallel formulierte Worte allmählich, nachdem im Laufe der Entwicklung die Mahlzeit vorweggenommen wurde und so beide dicht hintereinanderrückten, einander angeglichen wurden als umgekehrt. Vielleicht weist das Nebeneinander von V. 17-21 und 22 darauf hin, daß in der markinischen Gemeinde zuerst ein ganzes Mahl gehalten, dann erst Brot und Wein genossen wurden. Wenn beide Worte von Anfang an parallel gelautet hätten wie bei Markus, müßte es außerdem „Fleisch“ und „Blut“ heißen; denn „Leib“ steht kaum je als Paarbegriff neben „Blut“ . In der paulinischen Form, wo der „Bund“ dem Begriff „Leib“ entspricht, stört das nicht. Endlich ist Bluttrinken für den Juden ein solcher Greuel, daß die Markusform ohne Zusatz, der die Notwendigkeit solch horrenden Tuns darlegte, in jüdischer Umgebung undenkbar ist (vgl. l.Mose9,4; 3.Mose 17,10ff.), außer man verstünde es von Anfang an als bloßes Gleichnis. Die Paulusform enthält diesen Gedanken nicht. Ist also die Paulusvariante wahrscheinlich die ältere, ist doch auch sie nicht völlig unverändert überliefert. „Mein Leib für euch“ (ohne Tätigkeitswort) kann nämlich aramäisch kaum gesagt werden; „für euch“ ist vermutlich von dem bei Markus bezeugten Becherwort her eingedrungen, als man schon griechisch sprach, wie umgekehrt der Zusatz „des Bundes“ dort von der bei Paulus tradierten Formulierung her. Auch der bei Markus fehlende (doppelte) Wiederholungsbefehl bei Paulus dürfte spätere Zufügung sein, die ausdrücklich die Herrenmahlfeier gebietet. So ist die älteste noch erreichbare Gestalt stark vom Gedanken des neuen Bundesschlusses zwischen Gott und seinem Volk geprägt; vgl. 2.Mose24,8-10, wo „das Blut des Bundes“ mit dem Essen und Trinken im Angesichte Gottes und in endzeitlicher Herrlichkeit verbunden ist. Der (neue) Bund spielt in der Gruppe von Qumran, die ein tägliches Gemeinschaftsmahl mit Segnung von Brot und Wein kennt (1QS 6,2-5; lQSa 2,17-22; vgl. Jos.As. 15,5; 16; 19,5), eine große Rolle. Enthält Lk.22,15-18.27-30 einen dritten, vor der Einfügung der Einsetzungsworte aus der paulinischen und markinischen Tradition einmal in sich abgeschlossenen Bericht vom letzten Mahl? Dort wären, ähnlich wie in Joh. 13 und 14-16, Hinweis auf Jesu Dienen und Ausblick auf die kommende Herrlichkeit ohne besondere Einsetzung verbunden gewesen. Erwartungen eines endzeitlichen Mahles in Herrlichkeit finden sich schon Jes.25,6; 65,13; äth.Hen.62,14; syr.Bar.29,8; Billerbeck © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 14,22-25: Die Verheißungen des letzten Mahles
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IV, 1154-1156. Gegen die Vermutung, daß sich darin der älteste Bericht findet, spricht, daß hier das Mahl deutlich als Essen des Passalammes dargestellt wird (vgl. Einleitung zu V. 12-16) und daß die sprachliche Form eher auf eine griechisch sprechende Gemeinde weist. Vielleicht geht diese Sondertradition auf eine (hellenistisch-)judenchristliche Passafeier zurück. Für die gegenüber Paulus und Lukassonderbericht spätere Form bei Markus ist das jüdische Opfermahl, das den Teilnehmern den Anteil am Segen des Opfers schenkt, wohl Vorbild (vgl. l.Kor. 10, 16-18). Blickt man auf die verschiedenen Berichte vom letzten Mahl Jesu zurück, so sind es drei Momente, die, in verschiedener Betonung, überall vorkommen: 1. Das Mahl blickt auf die kommende Vollendung des Reiches Gottes, in der das endzeitliche Mahl als Ausdruck voller Gemeinschaft zwischen Gott und Menschen erwartet wird. Dies ist Lk.22,15-18.27-30 am stärksten betont, findet sich aber auch Mk. 14,25 und, als Erinnerung an diesen Zug, l.Kor. 11,26 Ende. Auch l.Kor. 16,22f. zeigt vermutlich, daß der eschatologische Ruf „Herr, komme!“ wie Did. 10,6 zur Abendmahlsliturgie gehörte (vgl. zu 7,28). 2. Das Mahl blickt auf die gegenwärtige Bundesgenossenschaft Gottes mit seinem Volk. Diese ist l.Kor. 11, 23-25 zentral, drückt sich aber auch in der Tischgemeinschaft Lk.22,15 (V.29 heißt es sogar genau „als Bundesgabe vermachen“ ) und Mk. 14,22f. (mit dem Hinweis auf den „Bund“ in V.24) aus. 3. Das Mahl blickt bei jeder erneuten Feier zurück auf Jesu ein für allemal erfolgtes Sterben, das die Wurzel dieser Gemeinschaft ist. Das wird Mk. 14,24 am stärksten unterstrichen, ist aber auch in Lk.22,27b (gesprochen in der Nacht vor der Kreuzigung!) und l.Kor. 11,23b enthalten und wird wiederum durch den Zusatz „für euch“ in l.Kor. 11,24 ausdrücklich bestätigt. Ein Israelit, der Hilfe erfahren hat, feierte mit andern zusammen ein Dankopfermahl, an dem er sich der durchstandenen Not durch Erzählung erinnerte und Gott für sein Eingreifen pries (vgl. Ps.22,2-22/23-32, s. zu 15,24). In diesem Mahl wird der Gerettete wieder eingegliedert in die Gemeinde und der Friede zwischen Gott und Menschen hergestellt. Es läge also nahe, daß die Jünger nach Ostern die am letzten Abend noch besonders hervorgehobene Mahlgemeinschaft mit Jesus als solches Dankopfermahl fortsetzten, wobei das Brot an das dargebrachte „Opfer“ (jetzt Jesu Tod) erinnerte und der Kelch als „Becher der Heilstaten Gottes“ (Ps. 116, 13.17) verstanden wurde. Das ist denkbar, wenn Jesus schon durch seine Worte auf eine besondere Bedeutung von Brot und Kelch hingewiesen hatte; ohne dies läge eine Gleichsetzung von Brot ( = Tod Jesu) und „Dawkopfer“ freilich nicht nahe. Die Handlung Jesu entspricht dem normalen Beginn des Mahles (vgl. 6,41; 8,6 22 und Einleitung zu 14,12-16). Es ist der Ritus, der die Versammelten zur Tischgemeinschaft zusammenschließt. Beim jüdischen Freundesmahl wird deutlich geschieden zwischen den Vorspeisen, wo jeder seinen Lobspruch einzeln sagt, auch noch neue Gäste dazustoßen können, und dem eigentlichen Mahl, bei dem erst die Tischgemeinschaft durch den für alle gesprochenen Dank beim Brotbrechen begründet wird. Das aramäische Wort im ersten Satz ist wohl „gupha = Leib“ gewesen (vgl. oben). Es bedeutet „Leib, Selbst, Ich“ (vgl. Joh.6, 32.35.48.51a), umfaßt also die ganze Person Jesu. Überhaupt beschreiben Worte wie „Fleisch“ oder „Leib“ © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 14,22-25: Die Verheißungen des letzten Mahles
im Hebräischen oder Aramäischen immer den ganzen Menschen, freilich von einem besonderen Gesichtspunkt her betrachtet. Dann ist das gebrochene und allen ausgeteilte Brot als Zeichen und Pfand für die Gegenwart Jesu selbst, seines „Ich“ oder seiner „Person“ verstanden. Das ist auch bei Markus noch der Fall; nur bezeichnet „Leib›› in der strengen Parallele zu „Blut“ jetzt Jesus als den, der mit Leib und Blut 23 für alle in den Tod gegeben wird. Auch beim Becher entspricht die Handlung Jesu dem normalen Schluß der Mahlzeit. Die Notiz, daß „alle daraus tranken“ , richtet sich vielleicht gegen solche, die aus asketischen oder Spar-Tendenzen den Wein weglassen wollten; es gibt Berichte über solche Feiern. Nicht ganz nebensächlich ist, daß die Jünger vor dem Spruch Jesu trinken, also kein Gedanke daran vorliegt, daß das Wort Jesu den Wein substanzhaft, materiell verändert. Wohl gibt es ihm seinen besonderen Charakter, aber durch seine Verheißung; etwa so, wie Aufdruck und Unterschrift der Bank einer Banknote oder Obligation ihren Wert geben, weil sie für den Wert dieses, in seiner Substanz nicht veränderten, Papiers gutstehen. Diese Zusage, mit der Jesus für das dem Menschen im Herrenmahl Zugesprochene 24 einsteht, kann darum genausogut nach wie vor dem Trinken erfolgen. Klar unterstreicht das zweite Wort den Hingabegedanken. War auch das beim Bundesschluß vergossene Blut ursprünglich nur Ausdruck einer letzten Treueverpflichtung - etwa im Sinn: „So wie diesem Tiere möge es mir ergehen, wenn ich die Bundesverpflichtung breche!“ (vgl. l.Mose l5,10; l.Sam.11,7) - , so ist doch bei Markus damit ausgesagt, daß der Bund Gottes mit seiner Gemeinde nur auf der Grundlage des für sie erlittenen Todes Jesu besteht (vgl. zu 10,45). Aber natürlich hat die Tatsache, daß Jesus wenige Stunden nach diesem Mahl am Kreuze starb, von Anfang an über dem Mahl und den dazu gesprochenen Worten gestanden. So wird die Tischgemeinde im Herrenmahl in jenes Geschehen hineingenommen, in dem deutlich wird, daß Gott zum Weg Jesu in die Niedrigkeit steht und gerade darin zu finden ist. Damit ist sie in die neue Gottesgemeinschaft und unter die neue Herrschaft Christi gestellt. Lukas dürfte also sachlich damit rechthaben, daß er die Regel von Mk. 10, 25 42-45 direkt mit dem letzten Mahl verknüpft. Herrenmahl wäre aber nicht Herrenmahl ohne den Ausblick auf die Vollendung. Die Gegenwart der Tischgemeinschaft ist Gegenwart der Zukunft. Schon das jetzige Zusammensein untereinander ist nur darum wirkliche Gemeinschaft, weil es Zusammensein mit dem gegenwärtigen Christus ist. So ist es nicht denkbar ohne seine Vollendung, in der sich erst das Sein „mit Christus“ wirklich erfüllt (vgl. l.Thess.4,17 und öfters). Von daher rührt der Freudencharakter des Herrenmahles (Apg.2,46). Die Gefahr bestand in den ersten Gemeinden eher in überbordender Freude als in ängstlicher Feierlichkeit (vgl. auch 1.Kor. 11,23 ff.). Solche Freude ist nur möglich, wo die Gewißheit lebt, daß, was sich zeichenhaft und unter Anfechtung schon vollzieht, im kommenden Gottesreich vollendet werden wird. In solchem Ausblick feiert die Gemeinde das Mahl als ihr schon von Gott geschenkte, auf die Zukunft hin weit offene Tischgemeinschaft. Der Hinweis darauf, daß Jesus (schon jetzt oder nach diesem Mahl?) vor der Vollendung nicht mehr trinken werde, unterstreicht wie die Formel vom vergossenen Blut auch im Sinne des Markus noch einmal die große Bedeutung des Leidens Jesu. Die in der Reformationszeit umkämpfte Frage nach der Bedeutung des „ist“ ist © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 14,26-31: Die Blindheit der Jünger und die Verheißung Jesu
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deswegen nicht sachgemäß, weil Jesus und die früheste Gemeinde gar nicht unseren Begriff von einer „Substanz“ besaßen. Sie fragten danach, welche Funktion, welchen Dienst ein Ding ausübe. Im Aramäischen muß der Satz sogar ohne „ist“ formuliert gewesen sein: „Dies - mein Leib“ . Die schon für den Griechen, für unser Denken infolge der Entwicklung der Naturwissenschaft erst recht naheliegende Frage, was ein Ding sei, woraus es bestehe, lag noch fern. So ist mit dem Satz gesagt, daß Jesus selbst handelnd gegenwärtig werde, der Gemeinde begegne, wo sie Brot und Kelch genießt (vgl. zu V. 23). Die Blindheit der Jünger und die Verheißung Jesu 14,26-31, vgl Mt.26,30-35; Lk.22,39 (31-34) 26 Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus zum Olberg. 27 Und Jesus sagt zu ihnen: „Alle werdet ihr zu Fall kommen; denn es steht geschrieben: ,Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe werden sich zerstreuen.' 28 Aber nach meiner Auferweckung will ich euch voran nach Galiläa gehen.›› 29 Petrus aber sprach zu ihm: „Wenn auch alle zu Fall kommen werden, ich doch nicht!›› 30 Und Jesus sagt zu ihm: „Wahrlich, ich sage dir: eben du wirst heute, in dieser Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, mich dreimal verleugnen.“ 31 Er aber versicherte über die Maßen: „Wenn ich mit dir sterben müßte, werde ich dich nimmermehr verleugnen.“ Ebenso redeten auch alle. V.27: Sach. 13.7.
V.28 könnte als Hinweis auf 16,8 markinischer Zusatz sein. Da aber „vorangehen“ Ausdruck der Hirtensprache ist, Sach. 13,7 (V.27 zitiert) von einer Heilsaussage (13,9) gefolgt ist und die Ansage des Jüngerversagens schwerlich ohne Verheißung (vgl. Lk.22,32) stand, gehörte 14,28 vielleicht schon zur Markus vorliegenden Passionsgeschichte, wogegen höchstens das direkte Zitat spricht, oder war mindestens mündlich mit V.27 zusammen tradiert. Auch neben Joh. 16,32, wo Sach. 13,7 ebenfalls nachwirkt, steht die Verheißung 16,33, und Joh. 13,36 weist auf die spätere Nachfolge des Petrus hin. Diese Parallelen zeigen, daß Jesu Weg wohl schon vor Markus als der des leidenden, von allen verlassenen, aber von Gott zum Sieg geführten Gerechten geschildert wurde (vgl. 15,20-26, Zusammenfassung). Da Lukas die Jüngerflucht gestrichen hat, fehlt bei ihm ein V.27 und 31 entsprechender Satz; auch V.28 ist für ihn unmöglich; da Jesus nach ihm nicht in Galiläa, sondern in Jerusalem erscheint (gegen Mk. 16,7; Mt. 28,16). Beides gilt auch für Johannes, obwohl die Voraussage der Zerstreuung der Jünger in ihre Heimat (16,32) noch Kenntnis der Flucht nach Galiläa (und Ostererscheinung dort) verrät. Sie dürfte historische Tatsache sein. Der Lobgesang war am Ende des Passamahls und wohl auch beim Herrenmahl 26 üblich (vgl. 1.Kor. 14,26; Kol.3,16; Eph.5,19); die Bemerkung könnte also auch davon herrühren, daß der Erzähler sich das letzte Mahl Jesu nach dem Bild der Herrenmahlfeier in seiner Gemeinde vorstellt. Zum Ölberg vgl. 13,3. Mit der Voraussage Jesu und dem Hinweis auf die Schrift entschärft die Gemeinde das 27 Ärgernis der Jüngerflucht. Damit wird nicht ihre Schuld gemildert; im Gegenteil, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Markus liegt daran, das Leiden Jesu dadurch hervorzuheben, daß die Blindheit selbst der Zwölf immer wieder den fundamentalen Abgrund zwischen Gott und Mensch aufreißt. Wohl aber wird sichtbar, wie sehr Jesus auch über diesem Versagen als der Herr steht. Noch stärker weist V.28 in dieselbe Richtung. Jesus stellt seine Verheißung über allen Zusammenbruch der Menschen: die Nachfolge wird mit dem Versagen der Jünger und mit dem Tod Jesu, an dem auch sie ihr Teil Schuld tragen, nicht etwa abbrechen, sondern erst wahrhaft beginnen. Das alttestamentliche Bild zeigt neben dem geschlagenen Hirten nur die zerstreute Herde. Jesus aber verheißt die neue Sammlung der Herde aus der Zerstreuung in die Nachfolge. Und erst sie wird wahrhafte Einheit in wahrhafter Nachfolge ermöglichen. So führt nach ihm der Weg durch den Zusammenbruch der Jünger und das Leiden des „Hirten“ hindurch zur Auferstehung und zur Gemeinde Jesu. „Euch voran“ kann im örtlichen Sinn aufgefaßt werden: als Anführer an der Spitze eines Zuges ziehen (so 10,32), oder zeitlich: dorthin gehen, bevor die andern nachkommen (so 6,45). Für Markus gilt sicher das zweite (vgl. zu 16,7 und die Ausführungen zum „Markusschluß“ dort). Die Formulierung „heute, in dieser Nacht“ ist jüdisch gedacht, weil der Tag mit Sonnenuntergang einsetzt. Die Ansage der Verleugnung ist nicht ganz leicht mit der Flucht in V.27 zu verbinden, obwohl Markus das durch V.29 tut. Historisch wird sich die Sache so abgespielt haben, daß die Jünger Jerusalem erst verließen und nach Hause flüchteten, als das Schicksal Jesu besiegelt war. Markus will mit dem Verbindungsvers die Blindheit des Petrus noch stärker hervortreten lassen. Gerade der, der sich sicher fühlt, wird am tiefsten fallen (vgl. Lk. 10,15; 14,11; 18,14; Jak.4,10; l.Petr.5,6). Wie sehr gerade diese Episode Eindruck gemacht hat, zeigt sich an der dreifach variierten Überlieferung (Mk., Lk., Joh.). Auffällig ist das zweimalige Krähen des Hahns (nur bei Markus); vielleicht soll der erste Schrei zur Warnung dienen. Selbst letzter Einsatz, ehrliche und echte Bereitschaft zum Martyrium helfen nicht; der Mensch täuscht sich im Positiven wie im Negativen immer wieder, solange er noch außerhalb der Notsituation bloß sich selbst und die Stärke seines Glaubens betrachtet. Was ihn rettet, ist einzig die Verheißung Jesu (V.28); sie kann sich auch völlig unerwartet in ihrer Kraft erweisen (vgl. Joh. 13,36 Ende; 21,18f.). Gerade wo alle versagen, auch der ihm am nächsten Stehende, erweist sich Jesus als größer als alles Versagen. Hat Markus schon 8,31.34ff.; 9,31.35ff.; 10,33f.39.52 die Zusammengehörigkeit von Leiden Jesu und Nachfolge des Jüngers unterstrichen, so zeigt er in 14, 22-31, daß diese einzig als Gnadengeschenk auf Grund des Vorangehens Jesu möglich wird. Jesu Alleinsein im Leidenskampf 14,32-42, vgl Mt. 26,36-46; Lk.22,40-46 32 Und sie kommen zu einer Stätte, deren Namen Gethsemane war, und er sagt zu seinen Jüngern: „Setzt euch hier nieder, bis ich gebetet habe.“ 33 Und er nimmt Petrus und Jakobus und Johannes mit sich und geriet in Entsetzen und Angst. 34 Und er sagt zu ihnen: „Tiefbetrübt ist meine Seele bis zum Tod; bleibt hier und wachet.“ 35 Und er ging ein wenig weiter, fiel auf die Erde nieder und betete, daß, wenn es möglich ist, die Stunde an ihm vorüberginge, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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36 und sagte: „Abba, Vater, alles ist dir möglich, laß diesen Becher an mir vorübergehen. Aber nicht was ich will, sondern was du willst.“ 37 Und er kommt und findet sie schlafend und sagt zu Petrus: „Simon, schläfst du? Vermochtest du nicht, eine Stunde zu wachen? 38 Wachet und betet, daß ihr nicht in Versuchung kommt; der Geist ist willig, das Fleisch aber schwach.“ 39 Und wieder ging er weg und betete mit den gleichen Worten. 40 Und wieder kam er und fand sie schlafend; denn ihre Augen waren schwer und sie wußten nicht, was sie ihm antworten sollten. 41 Und er kommt zum dritten Mal und sagt zu ihnen: „Da schlaft ihr nun so fort und ruht euch aus! Genug! Die Stunde ist gekommen: siehe, der Menschensohn wird in die Hände der Sünder ausgeliefert. 42 Steht auf, laßt uns gehen; siehe, der mich ausliefert, ist nahe herbeigekommen.“ V . 3 4 : Ps. 42, 6 . 1 2 ; 43,5 Jona 4 , 9 .
Merkwürdig ist schon der doppelte Anfang mit der Auswahl der drei Vertrauten, die dann auch zurückgelassen und zum Gebet Jesu nicht mitgenommen werden (V.32 Ende, V.34 Ende). Lukas weiß nichts davon. V.36 wiederholt das V.35 in indirekter Rede berichtete Gebet nochmals in direkter Rede, wobei erst noch zu fragen ist, wer den Inhalt des Gebets denn erfahren konnte, da die Jünger ja nicht dabei sind und außerdem schlafen. Jesus kehrt dreimal zurück, obwohl er nur zweimal weggeht. Vor allem ist nie gesagt, ob er eigentlich zu den Dreien oder zu den Neunen kommt; V.43-50 ist vorausgesetzt, daß beide Gruppen wieder beieinander sind. V.39f. ist eine sehr allgemein gehaltene Wiederholung des ersterzählten Vorgangs, wobei aber das Wort an die Jünger fehlt, d.h. erst bei der dritten Rückkehr berichtet wird. Ließe man die kurze Wendung „und er kommt zum dritten Mal“ weg, dann würde der Bericht viel logischer, und die zweite Episode wäre eine volle Parallele zur ersten. Ist aus dem zweimaligen Beten ein dreimaliges geworden, weil dies üblich ist (2.Kor. 12,8; Dan.6,11.14; griechische außerbiblische Beispiele)? Weist der zweifache Anfang, die doppelte Zusammenfassung des ersten Gebetes V.35 f. und die bloße Wiederholung des ersten Gebetsganges durch den zweiten auf zwei Berichte (V. 32.36-38 und 33-35. 40f. ohne 41 a), die ineinander verarbeitet worden sind? Lukas kennt nur einen Gebetsgang Jesu, der V. 32.36-38 entspricht und den Spruch vom Menschensohn noch nicht enthält. Leichter zu denken ist aber, daß ein kürzerer Bericht allmählich aufgefüllt worden ist. Der Gebetskampf Jesu in Gethsemane könnte als Vorbild für die Gemeinde konzipiert sein, ist aber vermutlich historisch. Er ist auch Joh. 12,27 (vgl. 18,11b); Hebr.4, 15; 5,7f. vorausgesetzt und paßt weder zum Bild des Gottesknechts noch erst recht zu dem des herrlichen Wundertäters und göttlichen Herrn. Sicher ist aber der Bericht gewachsen. Allein umlaufende, für die Gemeinde wichtige Worte werden eingefügt, so V.41b, der 9,31a sehr ähnlich ist, nur daß der etwas rätselhafte Ausdruck „Menschen“ durch „Sünder“ näher ausgelegt wird, wohl auch V.38b, der Polyk.Ph.7,2 isoliert zitiert wird. Die Mahnung an die Gemeinde wird in V.38a im Anklang an die Unservaterbitte (so Polyk.Ph.7,2) betont. Alttestamentliche Sätze werden aufgenommen (V.34), wodurch an die Stelle einer indirekten Zusammenfassung (wie V.35) der genaue Wortlaut des Gebets Jesu tritt. So stehen im heutigen Bericht das theologisch gewichtige „Kommen“ der Stunde und das banal zu verstehende © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Abba
„Herankommen“ des Judas, das theologisch gewichtige „Ausgeliefertwerden“ an die Sünder und das banal zu verstehende „Ausliefern“ an die jüdischen Behörden hart nebeneinander. Auch das Alleinsein Jesu könnte parallel zu Stellen wie l.Mose 22,5; 2.Mose 24,14 noch besonders betont worden sein. Vielleicht sind die drei Vertrauten (V.33), die Lukas nicht kennt, nachträglich eingefügt worden (parallel 9,2, wo auch steht: „nimmt mit sich“ ), weil manche die Geschichte so erzählten. Oder hat erst Markus das Versagen auch der Nächststehenden (vgl. zu 13,3) betont? Die Formulierung in V. 37a.40a erinnert an 13,36. 32 „Gethsemane“ heißt „Ölkelter“ ; der Name gehört der Tradition an, besonders 33 da V.26 von Markus schon eine Ortsangabe gemacht wurde. Völlig anders als in jüdischen oder christlichen Martyriumsschilderungen und in den Leidensankündigungen (vgl. einzig Lk. 12,50) wird die Angst und das Entsetzen Jesu geschildert. Hier ist wirklich gelitten worden, und man läse alles falsch, wenn man sich Jesus nach dem Bild eines Stoikers als den über alle menschliche Not Erhabenen, davon letztlich nicht Berührten vorstellte. Dieses Bild wäre imponierender als das biblische; nur wäre Jesus dann einer der wenigen Spitzenmenschen oder gar ein Übermensch und gerade nicht der, der dem in der tiefsten Not steckenden Menschen zum Bruder würde (vgl. Ign., Eph.7,2; Pol.3,2: an sich ist Jesus leidenslos, wird aber um unseretwillen leidend). Im Alten und Neuen Testament wird auffällig viel geklagt; hier halten Menschen ihr Herz auch dem Leid offen und wollen es nicht gegen die Not absichern und panzern. Diese biblische Haltung ruht im Tiefsten darin, daß Gott selbst zu diesem Weg ins Leiden hinein und nicht ums Leiden herum, also zum wirklichen, auch inneren Durchleiden der Not in Gethsemane ja 34 gesagt hat. „Bis zum Tod“ (Jona4,9) bedeutet: „so, daß ich lieber schon tot wäre.“ Der Aufruf zum „Wachen“ ist schon als Gegensatz zu dem nachher erzählten Schlafen der Jünger gewählt; ein rechter Sinn ergibt sich hier, wo sich Jesus von den Jüngern trennt, nur, wenn man schon den übertragenen Sinn einer betenden Bereitschaft für Gottes Handeln bzw. einer Abwehrbereitschaft gegen das Kommen des Versuchers voraussetzt. Diesen hat es aber erst in der christlichen Gemeinde 35 bekommen (und zwar zuerst im Sinn von 13,34-37). Die „Stunde“ ist die von Gott bestimmte. Das Wort hat seinen besonderen Klang in der Apokalyptik erhalten, wo es die Stunde der Endvollendung, also des Jüngsten Tages, bezeichnet (Dan. 11, 40.45 LXX). So soll auch hier gesagt werden, daß mitten in der Geschichte drin jene Stunde schlägt, die alle Geschichte sprengt. Mitten in der Angst liegt die Überwindung der Angst darin, daß Jesus um das Kommende weiß und es als von Gott 36 gesetzten Auftrag versteht, so daß höchstens Gott selbst es von ihm nehmen könnte. Die Gebetsanrede „Abba“ ist einzigartig. Sie dürfte auf Jesu Gebetssprache zurückgehen, die von der Gemeinde übernommen und in seinem Namen weiterhin geübt worden ist (Röm.8,15; Gal.4,6); kein Jude vor oder nach Jesus hat, soviel wir wissen, je mit dieser Form des Vaternamens Gott angerufen. Aber auch das gewöhnliche Wort für „Vater“ ist, auf Gott angewendet, im Alten Testament relativ selten, als Gebetsanrede nie zu finden, wohl wegen der Mythen der Nachbarvölker, nach denen die Welt oder die Menschheit von Gott gezeugt worden ist. Erst im © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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nachbiblischen Judentum wird Gott als Vater des einzelnen angesehen. Im palästinischen Judentum findet sich die Anrede „mein Vater“ oder „Vater“ nie; erst in zwei Liturgiegebeten wird Gott anfangs des 2.Jh. n.Chr. als „unser Vater, unser König“ angerufen; selbst im Diasporajudentum ist der Ruf zum „Vater“ ungewöhnlich (Sir.23,1). Auch außerhalb der Anrede bleibt die Bezeichnung „Vater“ für Gott selten. Das gilt ebenso für die frühe christliche Gemeinde. Bei Markus, in Q und im Sondergut des Lukas wird Gott selten „Vater“ genannt; erst bei Matthäus (ca. 37mal) und Johannes (ca. lOOmal) geschieht das häufig. Dazu kommt eine andere Beobachtung. Im Munde Jesu erscheint zwar die Formulierung „euer Vater“ und „mein Vater“ ; nie aber faßt Jesus sich selbst mit den Jüngern zusammen in der Formulierung „unser Vater“ ; denn auch Mt.6,9 heißt Jesus nur seine Jünger so beten; außerdem fehlt in der älteren Form Lk. 11,2 „unser“ . Das weist darauf hin, daß Jesus sich in einer Sonderstellung zu „seinem Vater“ wußte, in der er sich von allen übrigen Menschen unterscheidet, für die Gott erst durch ihn zu „eurem Vater“ wird (Joh.20,17). „Ich“ und „Du“ , Sohn und Vater sind einander entgegengestellt, werden aber im Vollzug des Gehorsams geeint. Ihre Einheit darf man sich also nicht einfach als naturhafte, physische vorstellen. Die biologisch bedingte Einheit im menschlichen Vater-Sohn-Verhältnis ist selbstverständlich, man kann sie nicht aus der Welt schaffen. Die Einheit zwischen Gott und Jesus entsteht im Anruf „Abba“ , im gelebten Gehorsam und in erfahrener Hilfe; sie ist immer neu vollzogene, im Bestehen der Versuchung wieder erworbene Einheit der Liebe (vgl. Exkurs zu 15,39). Der „Becher“ ist der von Gott gereichte Leidenskelch (s. zu 10,38). Die Härte 36 des Leidens wird dadurch betont, daß nichts von einer göttlichen Antwort auf Jesu Gebet gesagt wird (anders Lk. 22,43 f. in manchen Handschriften, vgl. Joh.12, 27 ff.). Simon ist Vertreter der ganzen Jüngergruppe, vielleicht wegen V. 29. 31 37 besonders hervorgehoben; öfter führt ein Evangelist etwas auf Petrus allein zurück, was der andere allen Jüngern zuschreibt (s. zu Mt. 15,15 a; vgl. Mk. 13,3 neben Mt.24, 3; ferner Mt. 18,21 neben Lk.17,4 und Lk.l2,41f. neben Mt.24,45). Seit 3,16 heißt er Petrus; betont die Anrede „Simon“ sein Versagen? Nochmals wird 38 zum „Wachen“ aufgerufen, diesmal mit besonderer Begründung; die Wiederholung verstärkt die Mahnung an den Leser. Auffallend ist der Gegensatz zwischen „Geist“ und „Fleisch“ . Zwar kennt ihn das Judentum seit Jes.31,3; aber nie ist das dort ein Gegensatz innerhalb des Menschen. „Geist“ bezeichnet dabei immer Gott und seine Welt, „Fleisch“ den Menschen samt seinen seelischen oder geistigen Möglichkeiten und seine Welt. So ist Gott selbst, sein Wort, seine Gnade, seine Erwählung der häufigste Gegensatz zu „Fleisch“ (Jes.40,6-8 usw.). Der Grieche hingegen scheidet, wo er vom platonischen Denken herkommt, zwischen der vom Himmel stammenden und dorthin zurückkehrenden „Seele“ und dem irdischen, die Seele gefangennehmenden „Leib“ , braucht aber dafür nie die Bezeichnungen „Geist“ und „Fleisch“ . Jüdisches und griechisches Denken haben sich also bis zu einem gewissen Grad verbunden. Nun geht die Ausdrucksweise auf den hebräischen Text von Ps.51,14 zurück, wo vom „willigen Geist“ gesprochen ist, den Gott dem Menschen schenken soll, und der nichts anderes ist als Gottes eigener „heiliger Geist“ © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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(Ps.51,13). Daß Gottes Geist dauernd in dem damit beschenkten Frommen (und nicht etwa nur in einem Propheten oder König) wohne, ist freilich innerhalb des Alten Testaments einzigartig, sofern mit „Geist“ nicht nur die Lebenskraft gemeint ist. So ist Mk. 14,38 ein Beispiel dafür, wie es im Judentum zur Zeit Jesu möglich war, das, was das Alte Testament sonst nur für die Endzeit erwartete, als gegenwärtig anzusehen. Der „Geist“ ist noch klar und streng als Gottes Geist angesehen, aber doch so, daß Gott ihn dem Menschen ganz und für alle Zeit geschenkt hat, so daß man in gewissem Sinn auch von „seinem“ , des Menschen Geist sprechen kann. Freilich ist er Leihgabe, die noch Gott gehört und in deren Wirken Gott selbst Subjekt bleibt. Menschlicher Schwachheit tritt also nicht menschliche Geisteskraft entgegen, sondern Gottes, dem Menschen immer neu verliehene Macht (vgl. 1QH9, 16; lQS3,25-4,4). Durch die Wiederholung des Gebetsgangs tritt die Not des Leidens Jesu noch intensiver hervor, ebenso die Einsamkeit des Menschensohns, der in seinem Gebetsringen von lauter schlafenden, ihn nicht begreifenden Menschen umgeben ist. Die Übersetzung in V.41a ist unsicher. Das erste Sätzlein könnte als Frage aufgefaßt werden: „Schlaft ihr weiter und ruht euch aus?“ Am unsichersten aber ist das nächste Wort; die Wiedergabe mit „genug!“ ist eher ein Raten. Eigentlich heißt es: „es hält ab (von dem, was jetzt zu tun not ist?)“ oder „es ist (noch) weit entfernt? (nein, gekommen ist die Stunde ... usw.)“ oder „er (Judas) bekommt (mich nun)“ oder mit etwas anderer Lesart „es hat ein Ende (mit dem Schlafen oder mit mir?)“ . Wichtiger ist, daß die „Stunde“ auf V.35 zurückweist. Sie wird also nicht an Jesus vorübergehen. In dieser zeitlichen „Stunde“ (V.37) vollzieht sich die „Stunde“ Gottes (schon V.35 ähnlich), im „Ausliefern“ an die Behörden das von Gott beschlossene „Ausliefern“ . Die Tat des Judas ist also hintergründig weit mehr als der Abfall oder der gutgemeinte Irrtum eines enttäuschten Anhängers: in ihr wird der, der nicht „Sünder“ ist, an die „Sünder“ ausgeliefert (vgl. noch zu 9,31). V.41b.42 betonen, wie das Johannes durchwegs tut (vgl. Joh. 12,28), in einer gewissen Spannung zu V.34f. die Souveränität Jesu, freilich als eine durch Anfechtung hindurch errungene. Um so stärker wirkt die Bereitschaft Jesu, diesen Weg bewußt und willentlich im Gehorsam zu gehen. So wird in diesem Abschnitt noch einmal die Wirklichkeit, die „Menschlichkeit“ des Leidens Jesu unterstrichen und gerade darin Gottes Handeln sichtbar. Daß Jesus zu solchem Weg vorbehaltlos ja sagen kann, also das zu tun vermag, was der Mensch nie vermag, darin erweist sich seine Gottheit. Für Markus ist damit noch einmal im anschaulichen Bild zusammengefaßt, was er durch sein ganzes Werk hindurch zu betonen sich mühte: Jesus als der leidende Menschensohn, völlig abgehoben von den Menschen, die schlafen und ihn nicht verstehen können und eben damit den tiefsten Grund dieses Leidens darstellen. So verwirklicht Jesus das Sein Gottes für die Menschen und bei den Menschen radikal. Die Gefangennahme Jesu 14,43-52, vgl. Mt.26,47-56; Lk.22,47-53 43 Und sogleich, während er noch redet, kommt Judas, einer von den Zwölfen, herbei, und mit ihm eine Schar mit Schwertern und mit Knütteln von den Hohenpriestern und Schriftgelehrten und Ältesten her. 44 Aber der ihn aus© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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lieferte, hatte ihnen ein Kennzeichen gegeben und gesagt: „Wen ich küsse, der ist es; ergreift ihn und führt ihn sicher ab.“ 45 Und wie er kam, trat er sogleich an ihn heran und sagt: „Meister“ , und küßte ihn. 46 Sie aber legten Hand an ihn und bemächtigten sich seiner. 47 Einer aber von denen, die dabeistanden, zog das Schwert, schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm das Ohr ab. 48 Und Jesus hob an und sprach zu ihnen: „Wie gegen einen Räuber seid ihr ausgezogen mit Schwertern und Knütteln, um mich gefangen zu nehmen. 49 Täglich war ich bei euch im Tempel und lehrte, und ihr habt euch meiner nicht bemächtigt; aber - damit die Schriften erfüllt werden!“ 50 Und alle verließen ihn und flohen. 51 Und ein Jüngling war ihm mit nachgefolgt, bekleidet mit einem Linnengewand auf dem nackten Leib, und sie bemächtigten sich seiner. 52 Er aber ließ das Linnengewand fahren und floh nackt. Die Redewendung „und sogleich“ ist bei Markus sehr beliebt, ebenso die griechische Konstruktion des Nebensatzes „während er noch redet“ . Erst Markus scheint also die Verbindung zum Vorangehenden so formuliert zu haben, was freilich nicht ausschloß, daß schon in der Tradition eine (weit kürzere) Erwähnung von Gethsemane vorlag. Einzelbeobachtungen verstärken den Eindruck eines Markus schon vorliegenden Berichtes: Judas wird nochmals wie V. 10 (18.20) als „einer der Zwölf“ eingeführt, was freilich ebenso Zeichen der Quelle wie markinische Betonung des Ungeheuerlichen der Judastat sein kann. Das Wort für „kommt“ fehlt sonst bei Markus, das für „Schar“ bezeichnet immer die Volksmenge, nur hier eine Polizei-„Truppe“ . Mit V.46 scheint auch alles abgeschlossen zu sein. Der Schwerthieb in V.47 ist merkwürdig; sind noch andere außer den Jüngern bei Jesus? Warum reagieren weder die Häscher noch Jesus darauf? V.48 nimmt V.43, V.49 12,35 (vgl. 12,12) wieder auf. V.50 scheint wegen der Erfüllung von V.27 direkt neben 49b gesetzt, während man die Flucht eher schon nach V.46 oder 47 erwartete. Vermutlich hat Markus einen alten Bericht V.43-46, der ganz auf die Häscher konzentriert war, durch V.47-52 ergänzt, wobei die Episoden vom Schwertstreich und nackten Jüngling wohl schon mündlich tradiert waren. V. 51f. ist merkwürdig fragmentarisch, in der Wortwahl auch mit 16,1-8 verwandt. Man hat angenommen, der Jüngling sei Markus selbst gewesen, und hat ihn mit dem Apg. 12,12.25; 15, 37.39 Genannten identifiziert, so daß er auch bei den Versammlungen der Urgemeinde in Jerusalem, vielleicht gar im Obergemach seines Elternhauses (Mk. 14, 15!) dabeigewesen wäre; doch vgl. dazu Einleitung 6. Aber unser Abschnitt ist sicher kein Augenzeugenbericht. So dürfte hier eine alte Notiz bewahrt worden sein von einem jungen Mann, der, ohne zum Kreis der Zwölf zu gehören, die Verhaftung Jesu miterlebte und sich später der Gemeinde anschloß; denn aus Am. 2,16 ist die Episode gewiß nicht herausgesponnen und eine bloße Symbolgestalt für den mit Christus sterbenden und auferstehenden (16,5) Glaubenden (vgl. Rom. 6, 4-8; 2.Tim.2,11) ist er auch nicht. Zu den historischen Fragen vgl. den Exkurs bei 14,53-72. Durch die enge Verknüpfung mit V.41f. unterstreicht Markus, daß sich Gottes 43 Handeln vollzieht und daß Jesus in bewußtem Gehorsam in dieses Geschehen hineingeht. Der Hinweis auf die Zugehörigkeit des Judas zu den Zwölfen betont die Schwere des Schicksals Jesu: selbst die Allernächsten haben ihn nicht verstanden. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 14,43-52: Die Gefangennahme Jesu
Die Verhaftung ist auch nicht nur die Affekthandlung eines Außenseiters; es sind die offiziellen jüdischen Behörden, die handeln; der gewichtige Dreiklang findet 44 sich auch 8,31; 11,27; 14,53; 15,1 (s. Exkurs zu 1,21-28). Das Zeichen des Judaskusses ist seltsam. Jesus hat öffentlich im Tempelhof gelehrt; sollte ihn wirklich niemand kennen, den man hätte mitschicken können? Außerdem hätte ein versteckter Fingerzeig genügt, und eine Verheimlichung der Absicht der Schar oder der Mitwirkung des Judas wäre ja sinnlos. Offenbar soll ähnlich wie auf einem Gemälde nur die innere Haltung des Judas in einer schaubaren Aktion dargestellt 45 werden. Er ist als der gezeichnet, der in Jesu allernächster Nähe lebt und es nicht wagt, seine Zweifel an oder seinen Gegensatz zu Jesu Weg auszusprechen, sondern ihn ohne Gespräch, ja ohne Zeichen der aufgehobenen Gemeinschaft „den Sündern ausliefert“ (V.41). Das Wort „küssen“ ist im Griechischen gegenüber dem in V.44 46 verwendeten noch gesteigert und suggeriert das Bild enger Umarmung. Die Verhaftung selbst wird im Gegensatz dazu sehr nüchtern und knapp berichtet, zunächst 47 ohne daß von Gegenwehr oder auch nur Widerrede gesprochen wird. Das ändert sich auch kaum durch die nachträgliche Erwähnung des Schwerthiebes; denn dieser ist mit seiner lächerlichen Unwirksamkeit eher ein Zeichen der Wehrlosigkeit Jesu. Wahrscheinlich ist dieser Zwischenfall historisch; jedenfalls wird er ohne theologische Abzweckung berichtet. Die Ausdrucksweise scheint auf einen weiteren Kreis von zufälligen Zuschauern hinzuweisen, von denen sich einer für Jesus wehren will. Mehr als einen ungeschickten, mit ihm sympathisierenden Zuschauer findet 48 Jesus nicht. Das Wort „Räuber“ ist ziemlich häufig; eine Anspielung darauf, daß die Römer ihn als Aufrührer den „Räubern“ von 15,27 gleichstellen, ist schwer49 lich darin zu finden. Statt „täglich“ ließe sich vielleicht „tagsüber“ übersetzen; doch ändert sich damit sachlich kaum etwas. Der Vorwurf Jesu ist kaum so geäußert worden; denn sinnvoll wäre er nur den Auftraggebern gegenüber, nicht den Polizisten und Soldaten, die nicht darüber zu entscheiden haben, wann und wie sie eingesetzt werden. So soll wohl nur noch einmal der Kontrast herausgehoben werden: seit 8,31 ist Jesus bereit, den Weg ins Leiden zu gehen, 14,41 f. hat er diese Bereitschaft eben noch ausdrücklich ausgesprochen; wie lächerlich sieht daher die seit 14,1 betriebene Heimlichkeit mit all den Sicherungsmaßnahmen einer nächtlichen Verhaftung unter starker Bewaffnung aus! Ob dieses Wort im tiefsten Sinn wahr ist, d.h. zur Botschaft des Evangeliums wird, hängt nicht daran, ob Jesus es so und zu dieser Zeit gesagt hat, wohl aber daran, ob es beschreibt, was damals wirklich geschah: daß nämlich alle menschlichen Maßnahmen lächerlich waren, weil sich in der Tiefe etwas ganz anderes abspielte, die Auslieferung des Menschensohns nach Gottes Heilswissen. Dabei wird wie z.B. 14,21 und l.Kor. 15,3f. nur ganz allgemein auf die Schrift verwiesen. Es genügt also das Bekenntnis, daß hier Gottes seit jeher festliegender Wille geschieht, ohne daß apologetisch versucht wird, durch Anführung von frappanten Stellen zu überzeugen. Darum fehlt auch jeder Vorwurf an Judas, ja sogar an die Häscher, denen nur die Art ihres Vorgehens, nicht dieses selbst vorgeworfen wird. Wesentlich ist, daß mitten durch menschliche Schuld hindurch der von Gott gewollte Weg gegangen wird, der das Heil der Welt 50 bedeutet. Ohne jede Entschuldigung wird die Flucht der Jünger berichtet. Die Ein51.52 samkeit des Menschensohns ist total. Auch die kleine Episode mit dem Jüngling © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 14,53-72: Das Bekenntnis Jesu und die Verleugnung des Petrus
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verstärkt nur die Atmosphäre des „Rette sich, wer kann“ , von der sich die Stille und Nüchternheit, mit der Jesus ruhig seinen Weg geht, deutlich abhebt. Der ganze Bericht ist knapp und schlicht ohne erbauliche Ausschmückungen erzählt. Er will zeigen, wie einsam, von Gegnern wie sympathisierenden Zuschauern wie Jüngern abgehoben, Jesus seinen ihm verordneten Weg geht. In seiner Passion ist der „Menschensohn“ in der Tat von all den „Menschen“ , denen er „ausgeliefert ist“ (9,31), geschieden. Das Bekenntnis Jesu und die Verleugnung des Petrus 14,53-72, vgl Mt. 26, 57-75; Lk. 22, 54-71 53 Und sie führten Jesus zum Hohenpriester ab, und es versammeln sich alle Hohenpriester und Ältesten und Schriftgelehrten, 54 Und Petrus folgte ihm von weitem bis hinein in den Hof des Hohenpriesters, und er saß bei den Dienern und wärmte sich am Feuer. 55 Die Hohenpriester aber und das ganze Gericht suchten ein Zeugnis gegen Jesus, um ihn zu Tode zu bringen, und fanden keins. 56 Denn es brachten viele falsches Zeugnis gegen ihn vor, und die Zeugnisse waren nicht gleich. 57 Und einige standen auf und brachten falsches Zeugnis gegen ihn vor und sagten: 58 „Wir haben gehört, wie er sagte: ,Ich werde diesen Tempel, der mit Händen gemacht ist, abbrechen und in drei Tagen einen andern bauen, der nicht mit Händen gemacht ist›.“ 59 Aber auch so war ihr Zeugnis nicht gleich. 60 Und der Hohepriester stand auf, in die Mitte, und fragte Jesus und sagte: „Antwortest du gar nichts? Was zeugen diese gegen dich?“ 61 Er aber schwieg und antwortete gar nichts. Abermals fragte ihn der Hohepriester und sagt zu ihm: „Bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten?“ 62 Jesus aber sprach: „Ich bin es, und ihr werdet sehen ,den Menschensohn sitzend zur Rechten der Macht und kommend mit den Wolken des Himmels'.“ 63 Der Hohepriester aber zerriß seine Gewänder und sagt: „Was bedürfen wir noch der Zeugen? 64 Ihr habt die Lästerung gehört! Was dünkt euch?“ Sie alle aber verurteilten ihn, er sei des Todes schuldig. 65 Und einige begannen, ihn anzuspeien und sein Gesicht zu verhüllen und ihn mit Fäusten zu schlagen und zu ihm zu sagen: „Weissage“ , und die Diener bedachten ihn mit Schlägen. 66 Und da Petrus drunten im Hofe war, kommt eine von den Mägden des Hohenpriesters 67 und sah Petrus sich wärmen, schaute ihn an und sagt zu ihm: „Auch du warst bei dem Nazarener, bei Jesus!“ 68 Er aber leugnete und sagte: „Weder weiß ich noch verstehe ich, was du sagt.“ Und er ging hinaus in die Vorhalle. 69 Und die Magd sah ihn und fing wieder an, zu den Umstehenden zu sagen: „Dieser gehört zu ihnen.“ 70 Er aber leugnete wiederum. Und nach kurzem sagten die Umstehenden wiederum zu Petrus: „Wahrhaftig, du gehörst zu ihnen; denn du bist ja ein Galiläer.“ 71 Er aber begann, sich zu verfluchen und zu schwören: „Ich kenne diesen Menschen nicht, von dem ihr da redet.“ 72 Und sogleich krähte der Hahn zum zweitenmal. Und Petrus erinnerte sich des Wortes, wie Jesus zu ihm gesprochen hatte: „Bevor der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen“ , und er begann zu weinen. V. 62. Dan. 7,13; Ps. 1 1 0 , 1 .
Die Verleugnung des Petrus ist auch Joh. 18,13-27 mit Jesu Verhör verknüpft, 53f.55 obwohl beides ziemlich anders erzählt wird. Das ist besonders auffällig, weil Jesus © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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nach 18,24 zu Kaiaphas überführt wird, 18,25 aber einfach V. 18b aufnimmt, wonach Petrus im Hof des Hannas am Feuer steht. Die Verklammerung sitzt also fest in der Tradition. Da diese Episode die Verhaftung Jesu, die Flucht der Jünger, die Überführung zum Hohenpriester unddie Gegenwart von Knechten voraussetzt, ist sie schwerlich je ohne den Rahmen der Passionsgeschichte erzählt worden (vgl. Einl. zu 14,26-31). Eine andere Frage ist aber, ob diese Episode von Anfang an mit dem in V. 55-65 beschriebenen Verhör verbunden war oder nur mit einer kurzen Notiz von der Vorführung vor dem Hohenpriester (V.53a), vielleicht einmal mit einer Einzelbefragung durch ihn, während die Synedriumsversammlung erst nachher erwähnt wurde (vgl. 15,1). So scheint es Joh. 18,13-27 vorauszusetzen, wo Jesus erst nachträglich zum eigentlichen Hohenpriester abgeführt wird (ähnlich Lk.22, 57.63-71; vgl. unten den Abschnitt „Durchführung des Prozesses“ ). Dann wäre die eigentliche Verschachtelung, die für Markus typisch ist (Einleitung zu 5,21-43), vielleicht doch sein Werk; jedenfalls weist die Dreiheit der Behördenmitglieder in V.53b auf seine Hand (s. zu V.43). Immerhin wäre die Geschichte schon vor ihm zwischen kurzer Befragung durch den Hohenpriester und Synedriumsprozeß angesetzt gewesen. Historisch dürfte sie im wesentlichen den Tatsachen entsprechen. Alle konkreten Angaben sind weder für die Erfüllung der Ansage Jesu (14,27.30) notwendig noch theologisch gewichtig. Außerdem müßte sie schon zu Lebzeiten des Petrus erfunden worden sein, was schwer denkbar ist. Tendenzen, die Petrus geradezu schlecht machen, sind nirgends nachweisbar. Einzelheiten sind natürlich zugewachsen. In V.54 könnte das „von ferne“ aus Ps.38,12 („meine Nächsten 72 stellten sich von ferne hin“ ) anklingen (vgl. Mk. 15,40). Der dramatische Schluß mit dem Krähen des Hahns kann als effektvolle Klimax entstanden sein; Hühnerhaltung war in Jerusalem verboten, doch wurde das nicht streng beachtet (Billerbeck zu Mt. 26,34). „Zum zweiten Mal“ (V.72) ist auffällig, da ein erstes Krähen nicht (oder nur von einigen Handschriften) erwähnt wird. Es stammt aus 14,30, wo das Nebeneinander von „zweimal“ und „dreimal“ rhetorisch wirksam ist, und 55-65 will die wörtliche Erfüllung beschreiben. Aber auch das Verhör selbst ist nicht ein57-59 heitlich. V.57b.59 wiederholen faktisch nur V.56. Damit hat vermutlich Markus das Tempelwort V.58 eingefügt und es gleich als Verleumdung bezeichnet. Es stammt als isoliertes Wort aus der Tradition (s. unten). Freilich ist der Gegensatz „mit Händen/nicht mit Händen gemacht“ typisch für hellenistisches Denken, wo ein rein geistiger, innerlicher Gottesdienst dem äußerlichen Kult entgegengesetzt wird (vgl. Apg.7,48; 17,24; 2.Kor.5,l; Eph.2,11; Hebr.9,11.24). Er fehlt auch 15,29 und Mt. 26,61, ist also spätere Erläuterung. Wahrscheinlich ist die Form eines prophetischen Rätselwortes älter als die bloße Ankündigung der Tempelzerstörung an die Jünger (13,2), die kein Drohwort ist. Da „drei Tage“ gerade in prophetischer Rede einfach eine kurze Zeit umschreiben (Hos. 6,2) und für die Erwartung eines Tempelneubaus Parallelen existieren (s. unten), dürfte ein (Jesus-?)Wort wie 15,29 am Anfang der Entwicklung stehen. Im übrigen ist die Schilderung des 60-65 Verhörs (V. 55 f. 60-65) stark von den Psalmen des leidenden Gerechten geprägt, was für die zugrundeliegende Quelle (s. Exkurs vor 11,1) typisch ist. Jesus schweigt (Ps.38,14-16; 39,9f.), wird angefeindet (Ps.37,32; 54,5 u. oft) von Falschzeugen (Ps.27,12; 35,11) und zum Tode verurteilt (Weish.2,18-20). Ohne V.57-59 läuft © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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der Prozeß weithin dem 15,2-5 Erzählten parallel; auch vor Pilatus wird Jesus zweimal, freilich in sachlich umgekehrter Reihenfolge, befragt, nämlich nach seiner Königs-(oder Messias-)würde und nach seinem Schweigen; in beiden Fällen führt das zum Todesurteil. Es wird dort zu fragen sein, welcher Bericht der ältere ist. Schwer zu erhellen ist die Traditionsgeschichte von V.62. Erhöhung und Parusie 62 erscheinen sonst kaum zusammen; auch ist auffallend, daß man Jesus „sitzend“ und „kommend“ sehen soll. Klar ist, daß Ps. 110,1 (dazu vgl. zu Mk. 12,35-40, Einl.) und Dan. 7,13 (dazu Exkurs zu 8,31, Anfang und unter 3) verknüpft sind, die zweite Stelle in einer etwas anderen Form als in Mk. 13,26. Vermutlich hat also die Gemeinde, die die Geschichte Jesu in zunehmendem Maß in ihrer Bibel wiederentdeckte, die beiden Sätze zusammengestellt (vgl. zu 15,22-24, Einl.). Dieser Prozeß läßt sich noch einigermaßen verfolgen. Die Kreuzigung Jesu wurde zunächst im Lichte von Sach. 12,10 verstanden (Joh. 19,37; vgl. Mt. 24,30), dann auch mit Jesu Wiederkunft und Dan.7,13 verknüpft (Offb. 1,7). Aus Sach. 12,10 stammt wahrscheinlich die Einleitung in Mk. 14,62 (wie in Mk. 13,26; Mt.24,30): „ihr werdet sehen ...“ . Das Sehen des geöffneten Himmels und des Menschensohns stehen Joh. 1,51 und Apg.7,55f., wo der „zur Rechten Gottes“ (Ps. 110,1; hier freilich sitzend, nicht stehend) Erhöhte gemeint ist, zusammen. Vielleicht ist Dan. 7, 13, das ja vom Kommen des Menschensohns zum, nicht vom Gottesthron redet, zuerst auf die Erhöhung Jesu bezogen worden (vgl. Billerbeck I 957: Kommen zum Gottesthron, vielleicht auch mit Ps.110,1 verknüpft). Jedenfalls ist aber Mk. 14,62 schon Produkt einer längeren Beschäftigung mit der Bibel. „Anspeien“ und „Schla- 65 gen“ könnten aus Jes.50,6 stammen; dort sind sie mit der Geißelung des Gottesknechtes verknüpft. Sind diese Züge zuerst in die Szene vor Pilatus und von dorther ins Verhör durch den Hohenpriester übernommen worden? Joh. 19,3 (vor Pilatus) braucht das gleiche griechische Wort für „Schläge“ wie Jes.50,6 und Mk. 14,65, freilich nicht Mk. 15,19. Lk.22,63 formuliert allgemeiner und die Kurzzusammenfassung Mk. 10,34 weist auf Spott, Bespeiung und Geißelung durch die „Heiden“ hin. Die historischen Fragen des Prozesses Jesu sind sehr verwickelt, heftig umstritten und schwer zu lösen. Zur Frage der Datierung vgl. zu Mk. 14,12-16. Schon wer den Befehl zur Verhaftung Jesu gab, ist nicht klar. Die militärischen Bezeichnungen in Joh. 18,3.12 sind sonst fast ausschließlich in der römischen Truppe verwendet, also schwerlich in abgeschliffener Bedeutung auf jüdische Tempelpolizei zu beziehen. Da Johannes, wie das Neue Testament überhaupt, sich bemüht, die Mitwirkung der Römer möglichst zurücktreten zu lassen, könnte diese historisch sein (vgl. noch zu V.48). Auch ist schwer vorstellbar, daß ein Todesurteil durch den römischen Prokurator in solcher Schnelligkeit zu erreichen gewesen wäre, wenn nicht schon eine gewisse Verständigung zwischen den beiden Parteien vorangegangen wäre. Pilatus, der 26-36 n.Chr. in Caesarea am Meer residierte, öfters aber nach Jerusalem kam und dort im Herodespalast im Westen der Stadt wohnte, ist nicht ein Mann gewesen, der jüdischem Druck so leicht nachgegeben hätte. Nach Philo war er „hart und in seinem Eigenwillen nicht zu besänftigen“ (... Gaius 301). Zweifellos ist Jesus von den Römern hingerichtet worden; Kreuzigung ist nicht von © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Juden angewendet worden. Andererseits ist an der jüdischen Beteiligung nicht zu zweifeln. Nach allen Berichten ist Jesus zuerst von den jüdischen Behörden in Gewahrsam genommen und wohl auch verhört worden. Beim Prozess spielt der Priesteradel die entscheidende Rolle, also die (zur Zeit des Evangelisten bedeutungslosen) Sadduzäer. Das gilt ebenso für die Tempelreinigung Jesu und die ursprünglich darauf zielende Vollmachtsfrage (11,15-33). Das ist wichtig, weil Jesu Wort gegen den Tempel (13,2; 15,29; vgl. Joh. 2,14-19) im Prozess entscheidend ist (14,58). Die sonst ständig erwähnten und später wichtigen Pharisäer werden nach Jesu Weggang aus dem Tempel nie mehr genannt (außer Mt. 27,62). Diese Tradition scheint historisch zu sein. Sicher wollte Jesus keine revolutionär-messianische Bewegung entfachen. 14,47f. greift eher ein Zuschauer zum Schwert als ein Jünger; Lk.22,35f. ist Vorblick auf die Verfolgungszeit in der Missionsperiode der Gemeinde, ebenso Lk. 12,49, wie V. 50-53 zeigen. Gerade in der Abwehr revolutionärer Neuordnung und im Aufruf zur Umkehr trifft sich Jesus mit den Pharisäern. In Galiläa, das nichtrömisches Gebiet ist, wo daher Hinrichtung durch Herodes möglich wäre (6,27), bleibt Jesus relativ unangefochten, wirkt also weniger revolutionär als der Täufer. Auch haben die Römer, die gegen Gestalten wie die von Apg. 5,36f. rasch und vor allem ohne Prozeß handelten, bei Jesus erst nach einer förmlichen Gerichtsverhandlung eingegriffen (vgl. Exkurs Menschensohn am Ende, zu 8,27-33). Gerade für die Sadduzäer ist neben dem Tempel das Gesetz, das religiöses und politisches Leben regelt und für dessen Einhaltung sie verantwortlich sind, das Entscheidende, während die Pharisäer Jesus als Weisheitslehrer und Schriftgelehrten noch eher hätten anerkennen können. Die Auslieferung eines gegen den Tempel auftretenden Propheten durch die jüdische Behörde an die Römer ist auch Josephus, Krieg 6, 300 ff. überliefert; freilich haben diese ihn dann, da er im Verhör beharrlich schwieg, schließlich nach scharfer Geißelung als Verrückten freigelassen. Daß jüdische Behörden beteiligt waren, zeigt, abgesehen von den vielen Notizen der Evangelien über Widerstand gegen Jesus und der zu 14,12-16 (Einl.) genannten jüdischen Quelle, auch die Verfolgung seiner Anhänger nach Jesu Tod (Gal.1,23; innerhalb von ca. 3 Jahren nach der Kreuzigung). Juden und Heiden, kirchliche und weltliche Behörden haben zusammengewirkt und es ist auch rein historisch ausgeschlossen, die Schuld nur der einen Seite zuzuschieben. Für den, der die Botschaft des Markus hören will, gibt es sowieso nur eine Antwort, die von Hebr.6,6. Wer um seine eigene Lässigkeit im Gehorsam, um sein eigenes Versagen in der Liebe, um seine eigene Herzensträgheit in den Forderungen des Alltags weiß, kann die Verantwortung für diesen Tod nicht auf andere abschieben. Auch bei der Durchführung des Prozesses erheben sich Fragen. Nach 15,1 wird das Gericht am Morgen einberufen, als hätte noch keine Nachtsitzung stattgefunden. Spätere pharisäische Prozeßbestimmungen fordern, daß ein Todesurteil erst am zweiten Tag und nicht nachts gefällt werden darf. Da der Tag am Abend beginnt und das Urteil schon nachts erfolgte, kann das eine zweite Sitzung auch nicht erklären. Vermutlich war dieses Recht auch gar nicht in Geltung, sondern ein sadduzäisches, das, wie freilich nur vermutet werden kann, Übereinstimmung der Zeugenaussagen (V.56.59), Zerreißen der Kleider (V.63) und Betäubungstrank (15,23) forderte. Das wäre nach Markus eingehalten worden; hingegen wäre danach ein © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Prozeß am Passatag (s. zu 14,12-16, Einl.) kaum möglich und eine zweite Sitzung nicht gefordert gewesen. Vielleicht meint aber Mk. 15,1 doch nur den Abschluß der nächtlichen Sitzung (s. dort). Da aber Einberufung des ganzen Synedriums in der Nacht recht unwahrscheinlich ist, läßt sich vermuten, daß nachts nur eine (kurze?) Befragung des Angeklagten durch den Hohenpriester oder seinen noch mächtigeren Schwiegervater (Joh. 18,13) stattfand und erst am Morgen ein Synedriumsbeschluß. So erzählen es Lukas und vermutlich auch Johannes, ohne daß wir freilich wissen, ob ihnen Sonderüberlieferung vorlag. Obwohl Lukas sonst gern jüdische Schuld hervorhebt (s. zu Mk. 15,16-20, Einl.), referiert er kein eigentliches Todesurteil. Auch das ist historisch wahrscheinlich, daß nur Auslieferung an die Römer (vielleicht aufgrund vorheriger Verständigung) beschlossen wurde. Jedenfalls fehlt der Name des Hohenpriesters bei Markus ganz, ist Lk.3,2; Apg.4,6 (5,17?) falsch und nur Mt.26,3.57 korrekt wiedergegeben, während Joh. 18,13.24 (vgl. 22!) beide Namen nennt. Pilatus hingegen ist allen Schichten der Tradition bekannt; er scheint also nicht nur mit der Vollstreckung, sondern auch mit der Verurteilung stärker verbunden als der Hohepriester. Hätten die Juden damals das Recht zur Hinrichtung gehabt, wäre die Initiative der Römer klar; denn jene hätten Jesus gesteinigt. Joh. 18,31b ist aber auch nach anderen Quellen richtig, so daß für die jüdische Behörde kein anderer Weg als der über den römischen Prokurator offenstand. Apg.7,57f. ist kein Gegenbeispiel, weil es sich dort um tumultuöse Lynchjustiz handelte. Einzelheiten sind schwer zu beurteilen. Direkte Auskunft über den Prozeß von einem Ohrenzeugen ist nicht unmöglich (Mk. 15,43), bleibt aber doch sehr fraglich. Der Textbefund läßt daran zweifeln. Das Tempelwort Jesu (V.58) hat der Gemeinde 58 schwere Verlegenheit bereitet. Markus löst diese so, daß er es als Falschzeugnis bezeichnet. Nach Mt. 26,60 f. hätte Jesus nur gesagt, daß er das könne, nicht daß er es tue. Lukas läßt das Wort überhaupt weg, kennt aber Apg.6,13 f. im Prozeß gegen Stephanus einen ähnlichen Vorwurf. Joh. 2,19 allegorisiert die Weissagung und läßt sie in Tod und Auferstehung Jesu erfüllt sein. Die vielfachen Bemühungen, das Wort zu entschärfen, weisen darauf hin, daß es in der Tradition sehr fest saß und schwer abgeleugnet werden konnte. Gekannt hat die Gemeinde es aber wahrscheinlich als isoliertes Jesus- oder Prophetenwort. Sie wußte vielleicht noch, daß es für die Anklage Jesu eine Rolle gespielt hat; da Tempelreinigung und Vollmachtsfrage vermutlich den Konflikt ausgelöst haben, ist das historisch auch wahrscheinlich. Nichtübereinstimmen der Zeugen ist fraglicher; das wäre doch vorher besser abgesprochen worden. Andere Einzelzüge stammen aus der Schrift (s. oben). Die Frage des Hohenpriesters ist unmöglich, da „Gottessohn“ kein jüdischer Messiastitel (trotz 4Qflorl,7ff., s. Exkurs zu 15,39) und der Messiasanspruch noch keine Gotteslästerung war. Barkochba hat Israel als „Messias“ in die Katastrophe von 135 n.Chr. geführt und ist von Rabbi Akiba öffentlich so bezeichnet worden; beide blieben hochgeachtet. Wohl aber ist den Römern gegenüber diese Anklage erhoben worden, um ihnen die Gefährlichkeit Jesu zu suggerieren. Darauf weist schon die Kreuzinschrift hin. Die Erinnerung daran wird zur christlichen Formulierung der Frage in V.61 geführt haben. 61 Historisch gesehen hat also wahrscheinlich das Tempelwort den eigentlichen 58 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Stachel gebildet; für den Hohenpriester und die Sadduzäer lag hier das Zentrum; für die Pharisäer war damit wenigstens ein Punkt innerhalb des Gesetzes berührt, in dem Jesus sündigte. Für die Ohren des römischen Prokurators mußte Jesus als Messias denunziert werden. So bleibt nur eine nächtliche Befragung durch den Hohenpriester, vielleicht auch Verspottung durch seine Knechte, und kurze Synedriumsberatung am Morgen wahrscheinlich. 53 Die drei Gruppen stellen für Markus die eigentlichen Gegner Jesu dar (vgl. zu 54 8,31; 14,43). An V.54 könnte V.66 direkt anschließen. Durch die Verschachtelung beider Erzählungen und die äußere Parallelität zwischen Jesus und Petrus hebt Markus jedoch den fundamentalen Unterschied zwischen ihnen um so kräftiger hervor. Jesus und Petrus gehen äußerlich getrennt, aber in gleicher Situation der Stunde der Versuchung und der geforderten Bewährung entgegen. Freilich droht 55 Jesus das Todesurteil (seit 3,6!), Petrus höchstens unbestimmte Gefahr. Das Verhör Jesu läßt Markus mit einer sehr an 3,6; 11,18; 12,12; 14,1 erinnernden Bemerkung beginnen: das Ergebnis des Prozesses steht mehr oder weniger von Anfang 56 an fest. Der formal peinlich innegehaltene Grundsatz, daß mindestens zwei Zeugen übereinstimmend aussagen müssen, wirkt wie Ironie, um so mehr, als offenbar falsche Zeugen in ungewohnter Fülle bereitstehen, den juristischen Erfordernissen zu genügen und den schon festgelegten Ausgang herbeizuführen. Markus will damit die Schwere der Schuld menschlichen Handelns und die Größe des Leidens Jesu, der Gottes Weg für eben diese Menschen geht, hervortreten lassen. In dem 58 verheißenen neuen Tempel sah die Gemeinde gewiß sich selbst, da sie häufig als Bau (Mt. 16,18) und Tempel (1 .Kor. 3,17; 2.Kor. 6,16; Eph.2,22; vielleicht Offb. 3, 12) bezeichnet wird. So hat es wohl auch Markus verstanden. Da schon äth.Hen. 90,29-36 (vgl. Jub. l,17.27f.) die Erwartung der Zerstörung des alten und den Neubau eines himmlischen Tempels (anders Offb. 21,22) erwartet (vgl. Tempelneubau durch den Messias: Billerbeck I 482, 1005), könnte der Satz, falls er auf Jesus selbst zurückgeht, einmal an das Gottesreich oder, da Jesus immer wieder die entscheidende Bedeutung des Angebotes und der Forderung Gottes jetzt und hier betont (vgl. zu 8,38 usw.), an ein neues, von Gott zum Gehorsam gerufenes Israel in seiner Nachfolge gedacht haben. Ähnlich wie die vielen Worte zum Gesetz (2,1 - 3,6; 7) kämpft also auch das Tempelwort - im Sinne des Markus, wenn nicht Jesu - gegen alle satte Sicherheit, die meint, der Besitz des Tempels und die korrekte Durchführung des Kultes garantiere das Heil. Heil ist nur von der Neuordnung Gottes her, die den Gehorsam der Nachfolge einschließt, als Gnadengeschenk zu erwarten. Das Wort entspricht so dem Handeln Jesu in 11,15-19 und der markinischen Deutung, die darin schon die für die Völkerwelt geöffnete Tür sieht. Auch für dieses Wort ist typisch, daß Jesus solche satte und sichere Tempelreligion aufhebt, ohne zu leugnen, daß der Tempel Gottes gute Gabe war und daher auch als geistlicher Tempel weiterleben muß mitsamt dem darin zu übenden „Kult“ (Röm. 12,1 f.). Ähnliches gilt ja für die Worte Jesu zum Gesetz. Thomasev.71 hat das nicht mehr verstanden und fährt daher fort: „... und niemand wird es wieder 60.61 aufbauen.“ Das Schweigen Jesu, durch die Frage des Hohepriesters als besonders unbegreiflich hervorgehoben, ist eindrückliches Zeichen für das, was sich in der © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Passion Jesu vollzieht: Der Mensch muß recht behalten und sich verteidigen, kann es daher auch nicht verstehen, wenn einer anders handelt; der Menschensohn, der im Auftrag Gottes seinen Weg geht, kann schweigen. Der Mensch muß äußerlich oder innerlich gegen alles Leiden und Sterben protestieren, selbst wo er es als unumgänglich akzeptiert; der Menschensohn geht protestlos in die Niedrigkeit seines Leidens und Sterbens. Etwas davon vollzieht sich im Schweigen Jesu, das das Todesurteil über ihn besiegelt (vgl. Jes.53,7). Die erneute Frage des Hohenpriesters nach Jesu Gottessohnschaft ist für Markus vor allem als Frage an die seinen Bericht lesende Gemeinde wichtig. Danach ist sie gefragt; denn dazu bekennt sie sich, auch unter Verfolgung. Modern gefragt: Genügt es, sich allgemein zu Gott zu bekennen, ohne klar zu sagen, wen man eigentlich damit meint, oder kann man Gott nur bekennen, wenn man ihm in Jesus begegnet ist, wenn er also in den Zusagen und Forderungen Jesu sehr bestimmte, nicht mehr bloß nebelhafte Gesichtszüge bekommt? Darauf antwortet Markus mit der ganzen Gemeindetradition im zweiten Sinne. Anders als Matthäus berichtet Markus von einem eindeutigen Ja Jesu auf diese Frage. Freilich so, daß dieses erst hier auf dem Tiefpunkt der Ohnmacht und des Mißerfolges Jesu ausgesprochen werden kann. Matthäus ist zurückhaltender in der Formulierung wegen eines möglichen Mißverständnisses des Messiastitels (vgl. zu 8,29f.). Beide interpretieren dies durch den Hinweis auf die Herrenstellung Jesu und seine künftige Parusie. Das Bekenntnis zur Gottessohnschaft Jesu schließt also für die Gemeinde vor allem ein, daß sie Jesus als „Herrn“ anerkennt. Ob dies in erster Linie den Herrn bedeutet, dem sie Gehorsam schuldet und von dem sie Leitung und Hilfe erwartet, oder den Herrn der Welt, dem alle irdischen und himmlischen Mächte Untertan sind, ist in der Gemeinde unterschiedlich beantwortet worden. Das schließt auch ein, daß sie auf jene Erfüllung wartet, in der diese Herrenstellung sichtbar werden wird, so daß aller Anfechtung ein Ende bereitet und Gottes Reich alles umfassend aufgerichtet sein wird. Das Zerreißen der Kleider ist Ausdruck des Entsetzens (2.Kön. 18,37; 19,1) und ist vielleicht schon rechtlich geordnet (vgl. oben, Exkurs). Da Gotteslästerung nur beim Aussprechen des hochheiligen Namens vorliegt, ist das Todesurteil auf diese Äußerung Jesu hin juristisch kaum zu halten. Um so stärker tritt das theologische Anliegen hervor: nicht mitgerissen von augenblicklicher Leidenschaft, sondern in geordnetem Prozeßverfahren wird das Nein der Welt zu Gottes Weg in Jesus ausgesprochen. Das wird noch krasser beleuchtet durch die Notiz vom Spott und den Quälereien, die ausgerechnet diese selben Gerichtspersonen, nun offensichtlich gegen alle Prozeßregeln, Jesus zufügen. Die bisher mehr oder weniger gewahrte korrekte Form ist jetzt eindeutig durchbrochen und der menschliche Triumph, als der das Nein zu Gottes Weg, der anscheinende Sieg über ihn hier erscheint, Iäßt allen Leidenschaften freie Bahn.
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Während Jesus sich so in der Versuchung bewährt und sein Bekenntnis ein- 66 deutig und unmißverständlich schweigend und redend durchgehalten hat, steht Petrus immer noch im Hof unten. Die Anklage der Magd spricht vom „Nazarener“ 67 und fügt den Namen erst hinterher noch an. Das scheint auf eine Redeweise zurückzugehen, die Jesus und auch seine Jünger (Apg.24,5) einfach als „Nazarener“ oder „Nazoräer“ bezeichnete (vgl. zu 1,24). Die Versuchung tritt an Petrus also in ganz unbetonter Weise, völlig nebenbei, heran. Es ist keine eigentliche Bekennt© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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nissituation. Nach seinem Glauben ist er gar nicht gefragt; nur nach der rein äußerlichen Tatsache, ob er der sei, den die Magd in der Gesellschaft Jesu gesehen zu haben meint. Auch wird keine öffentliche Verantwortung von ihm gefordert; es fragt nur eine Magd, die vermutlich keine Ahnung hat, worum es sich bei dem „Nazarener“ eigentlich handelt, so daß weder ein Ja noch ein Nein irgend etwas über Glaubensfragen aussagt. Petrus nähme also mit einem Ja höchstens ein Risiko auf sich, ohne doch Glaubenszeugnis abzulegen. Seine vielen Worte, die einer auch bei Rabbinen zu findenden Beteuerungsformel entsprechen, verdecken seine Verlegenheit. Auch sein Entweichen in die dunklere Torhalle ist halber Rückzug. Da es aber dieselbe Magd ist, die ein zweites und drittes Mal auf ihrer Äußerung insistiert, kann Petrus nicht mehr anders als sein Nein auch vor weiteren Zeugen und mit noch stärkeren Formulierungen bekräftigen, besonders da wahrscheinlich sein galiläischer Dialekt für ihn gefährlich wird; ein Punkt, der wiederum nichts mit einem religiösen Bekenntnis zu tun hat. Mit dem Schlußvers unterstreicht Markus, daß die von Jesus angesagte Verleugnung (14,30) eben hier geschehen ist. Bekenntnissituation ist immer dort, wo dieses gefordert wird, d.h. wo ein Mensch, und wäre es ein einziger in der Stellung einer Magd, mit oder ohne religiöses Interesse dem Jünger Jesu so begegnet, daß dessen Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zum „Nazarener“ sichtbar werden muß. Wo Gott so das Zeugnis vom Jünger erwartet, da ist seine Verweigerung Schuld, über die Petrus nur bitter weinen kann und sich damit freilich als Jünger Jesu erweist, im Gegensatz zu jenem Büßertrotz, der alles selbst wiedergutmachen will (Mt.27,3-5). Was Markus im ganzen Aufbau seines Buches sagen will, wird hier besonders klar. Jesus ist die Präsenz Gottes unter den Menschen; in ihm will Gott sich den Menschen Öffnen. Aber diese verschließen sich wider ihn. Selbst der Jesus zunächst stehende Jünger, dem es an Einsatzfreudigkeit und Todesbereitschaft nicht fehlt (14,31), versagt. So stehen sich Treue des Menschensohns und Untreue der Menschen als scharfer Kontrast gegenüber. Daran wird sichtbar, wie schwer es die Menschen Gott machen, sich ihnen zu offenbaren, und der Schluß des Abschnitts zeigt, daß es Begegnungen mit Gott nur gibt, wo der Mensch sich nicht in der frohgemuten Selbstsicherheit von 14,29 unangefochten wähnt, sondern sich unter das Gericht Gottes gestellt weiß. Die Auslieferung an Pilatus 15,1, vgl. Mt. 27,1-2; Lk.23,1 1 Und sogleich in der Frühe hielten die Hohenpriester mit den Ältesten und Schriftgelehrten und das ganze Gericht eine Beratung ab, ließen Jesus fesseln, und führten ihn ab und lieferten ihn Pilatus aus. Zur historischen Frage vgl. zu 14,53-72. Gute, alte Handschriften lesen „faßten“ oder „fertigten einen Beschluß aus“ , was dem redaktionellen Vers 3,6 parallel liefe, so daß man annehmen könnte, Markus denke an eine noch fortdauernde, nicht an eine neue Sitzung. Er hätte dann mit der beliebten Wendung „und sogleich›› den durch die Petrusverleugnung unterbrochenen Faden wieder aufgenommen. Die Zufügung „und das ganze Gericht“ schießt über, da dieses ja eben aus den © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 15,2-15: Die Verurteilung des Königs der Juden
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genannten drei Gruppen besteht (vgl. 14,53.55); mit solcher Fülle von Bezeichnungen soll der offizielle Charakter der Verurteilung betont werden: nicht einige zufällig in eine den Irrtum begünstigende Situation geratene Menschen geben Jesus — nicht im Augenblick aufwallender Leidenschaft, sondern in wohlüberlegter Entscheidung - dem Kreuzestode preis. Etwas vom paulinischen Satz, daß vor dem Evangelium alle ohne Ausnahme als Sünder herausgestellt werden (Röm. 3,24), wird sichtbar. Pilatus ist schon so bekannt, daß gar nicht mehr gesagt werden muß, daß er der römische Prokurator ist. Die Verurteilung des Königs der Juden 15,2-15, vgl. Mt.27,11-26; Lk.23,2-5.17-25 2 Und es fragte ihn Pilatus: „Bist du der König der Juden?“ Er aber antwortete ihm und sagt: „Du sagst es.“ 3 Und es beschuldigten ihn die Hohenpriester hart. 4 Pilatus aber fragte ihn wiederum: „Antwortest du gar nichts? Sieh, wie vieler Dinge sie dich beschuldigen!“ 5 Jesus aber antwortete gar nichts mehr, so daß Pilatus sich verwunderte. 6 Auf das Fest hin aber pflegte er ihnen einen Gefangenen loszugeben, den sie sich ausbaten. 7 Es war da aber einer mit Namen Barrabas, gefesselt mit anderen Aufrührern, die beim Aufruhr einen Mord begangen hatten. 8 Und das Volk zog hinauf und begann zu bitten, so wie er ihnen zu tun pflegte. 9 Pilatus aber antwortete ihnen und sprach: „Wollt ihr, daß ich euch den König der Juden losgebe?“ 10 Er begriff nämlich, daß die Hohenpriester ihn aus Neid ausgeliefert hatten. 11 Die Hohenpriester aber wiegelten das Volk auf, daß er ihnen lieber den Barrabas losgeben sollte. 12 Pilatus aber antwortete wiederum und sagte zu ihnen: „Was soll ich also mit dem tun, den ihr den König der Juden nennt?“ 13 Sie aber schrien wiederum: „Kreuzige ihn!“ 14 Pilatus aber sagte zu ihnen: „Was hat er denn Böses getan?“ Sie aber schrien noch viel mehr: „Kreuzige ihn!“ 15 Pilatus aber wollte der Menge Genüge tun und gab ihnen den Barrabas frei und lieferte Jesus nach der Geißelung zur Kreuzigung aus. Zu den historischen Fragen vgl. zu 14,53-72. Das ganze Verhör ist stilisiert erzählt, so daß weggelassen bleibt, was nur geschichtlich, nicht aber für die Verkündigung interessant ist: der Ort des Verhörs (vermutlich der Herodespalast, vgl. V. 16 und zu Mt.27,19), der Inhalt der Anklage (den V.2 schon voraussetzt), der Aufruhr (der nach V.7 stattgefunden haben muß). V.2 wäre erst nach V.5 zu erwarten; vielleicht hat man zuerst nur von Jesu Schweigen erzählt und später aufgrund der überlieferten Kreuzesinschrift die für die Gemeinde wichtige Frage V.2 zugefügt, und zwar am Anfang, um gleich den entscheidenden Anspruch, um den sich alles dreht, klarzustellen. Auch die Barabbasszene setzt schon den Königstitel voraus (V.9). Außerdem wird in V.8.10f. erst nachgeholt, was eigentlich vor V. 2 stehen müßte, daß das Volk, von den Hohenpriestern geführt, bei der Verhandlung anwesend ist und daß die jüdische Behörde unter Anklageerhebung Jesus an Pilatus ausgeliefert hat. Die Barabbasepisode ist also wohl erst allmählich zugewachsen. Die zu 14,60-65 beobachtete Parallelität der beiden Prozeßberichte, in 14,60f./15,2-5 bis in den Wortlaut hinein, zeigt, daß sich beide Perikopen beeinflußt haben. Gewöhnlich hält man 15,2-5 für die ältere Darstellung. Wenn © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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aber Jesu beharrliches Schweigen aus den Schilderungen des leidenden Gerechten stammt, muß 14,56.60 sein Ursprung sein (s. oben zu 14,60-65) und auf 15,3-5 abgefärbt haben. Möglich ist, daß die Frage nach Jesu Königtum, gerade weil sie unlogisch am Anfang steht, zuerst zugewachsen ist und dann die für die Christen noch klarere Frage in 14,61 nach sich gezogen hat. Auch die Verspottungsszene hat in 15,16-20 den natürlicheren Platz als in 14,65, wo man eigentlich an die Ratsherren denken müßte. Vermutlich sind also die Berichte in der mündlichen Weitergabe so gewachsen, daß sie einander beeinflußt haben (vgl. auch Einleitung zu 15,16-20; Lk.23,9.11), ohne daß man eindeutig den ganzen einen oder anderen für primär ansehen kann. So hat bei Markus (s. Exkurs zu 14,22-25) die Form des ersten Einsetzungswortes zum Abendmahl die parallele Formulierung im zweiten hervorgerufen („Dies ist mein Leib/... mein Blut“ ); umgekehrt hat die zuerst beim zweiten Wort stehende Wendung „für viele“ bei Paulus zur Ergänzung des ersten geführt („für euch“ ). Historisch gesehen steht die Verhandlung vor Pilatus und die Verurteilung durch ihn fest, wahrscheinlich auch Jesu Schweigen, die Verspottung und die Auslieferung durch die jüdische Behörde. Die Sitte, jedes Jahr einen Gefangenen freizugeben, bestand schwerlich. Weder in römischen noch in jüdischen Quellen ist auch nur ein Hinweis darauf zu finden. Lukas berichtet nichts davon, obwohl er die Entscheidung des Volkes für Barabbas kennt. Das Angebot einer Freilassung V.9, bevor ein Urteil gefällt, ja die Frage nach seiner Schuld (V. 14) gestellt ist, schlägt römischer Gerichtspraxis ins Gesicht. Möglich ist ein Einzelfall von Begnadigung, der als Gegensatz zur Verurteilung Jesu erzählt wurde und diese noch schwerer erscheinen, bald auch den Gedanken an einen stellvertretenden Charakter des Leidens Jesu aufklingen läßt: der Mörder wird frei, der Gottessohn trägt die Strafe. Schon Mt. 27,17.21 (s. dort) verstärkt die Möglichkeit eines solchen Verständnisses, weil Pilatus danach selbst die Initiative ergreift und nur noch die Wahl zwischen diesen beiden freistellt. Daß die Gestalt des Barabbas nicht einfach erfunden worden ist, wird durch die Beobachtung gestützt, daß er nicht als „der Mörder Barabbas“ eingeführt wird, sondern bei Markus noch offen bleibt, in welchem Verhältnis er zu jenen Aufrührern gestanden hat. Offenbar fand damals irgendein kleinerer Aufruhr gegen Rom statt, ohne daß nüchterne historische Betrachtung ihn ohne jeden Quellennachweis mit der durch Jesus entfachten Bewegung verbinden sollte. 2
Die Frage des Pilatus (s. Exkurs zu 14,53-72, Anfang) lautet in allen Evangelien wörtlich gleich und entspricht der Kreuzesinschrift (s. zu 15,26). Es ist römischgriechische Formulierung für das, was der Hohepriester 14,61 in jüdischer Version gefragt hat. Für den römischen Prokurator bedeutet dies politischen Aufruhr. Denn einen jüdischen König gab es nicht mehr, nur noch „Vierfürsten“ , die als römische Vasallen über das zerrissene Land regierten (s. zu 6,14). Natürlich konnte Pilatus nicht so fragen, sondern im besten Fall: „Hast du behauptet, König der Juden zu sein?“ oder ähnlich; er kann ja nicht anerkennen, daß es einen solchen gibt. Die Antwort Jesu ist merkwürdig. Ein eindeutiges Ja soll offenbar umgangen werden, weil der Titel im nationalistischen Sinn mißverstanden werden kann. Während nämlich „Israel“ das jüdische Volk als das von Gott erwählte bezeichnet, das nicht © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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immer mit der Gesamtheit aller rassisch oder politisch dazu Gehörenden identisch ist, ist „die Juden“ einfach Bezeichnung der Nationalität. Da Jesus aber für den Glaubenden tatsächlich „König Israels“ (15,32; Joh. 1,50; 12,13) ist, soll ein bestimmtes Recht dieses Titels auch nicht einfach geleugnet werden. Pilatus müßte durch Befragung der Zeugen und des Angeklagten Reden und Taten Jesu examinieren. Davon ist nichts überliefert, obwohl römische Gerichtsverhandlungen öffentlich sind. Für die Gemeinde waren solche Einzelheiten nicht wert, aufbewahrt zu werden; nur das Schweigen Jesu, das einzigartig ist (vgl. 13,11; Apg.7, 1ff.; 22, 1ff.; 23,Iff.; 2.Tim.4,16f.; Phil.l,12f.), ist ihr eindrücklich geblieben, weil sich darin der Wille Jesu zum Leiden ausprägte. Es hat die Gemeinde wohl an Jes.53,7 erinnert. So ergänzt sich beides, das ausgesprochene Ja zur Frage nach der Messiaswürde 14,62 (15,2) und das schweigende und leidende Ja zu dem darin eingeschlossenen Auftrag Gottes 14,60f.; 15,3-5. Der zur Wahl Stehende wird stets als „der Barabbas“ ( = Sohn das Abbas), als der bekannte, vom Volk Freierbetene, für den Jesus sterben muß, eingeführt. Die Frage des Pilatus setzt voraus, daß das Volk bei seiner Bitte noch keinen Namen genannt hat. Wieder ist nicht zu sagen, ob geschichtlich wahrscheinlich ist, daß das Volk, ohne einen bestimmten Mann im Sinn zu haben, zu Pilatus hinaufpilgert und allgemein um irgendeine Amnestie bittet. Wieder soll die Formulierung der Pilatusfrage nur die Schwere der zu treffenden Wahl hervorheben; der Leser ist gefragt, ob er mit dem Text in Jesus wirklich „den König der Juden“ verworfen sieht. V. 10 ist tatsächlich Erklärung der Unschuld Jesu und besagt, daß auch Pilatus davon überzeugt war. Vom „Neid“ ist bei Markus sonst nicht die Rede (doch vgl. Joh. 12,19). Es wird sich um eine erklärende Zwischenbemerkung des Evangelisten handeln, der damit wie überall (vgl. 11,8.18; 12,12.37; 14,1 f. 11 usw.) Volk und Behörde auseinanderhält und nur dieser die eigentliche Schuld zuschiebt, obwohl das Volk durch sie (V. 11) aufgewiegelt wird (V. 13 f.). Dabei stehen im Griechischen „die Hohenpriester“ als die letzten zwei Worte des Satzes stoßend neben dem Anfang von V. 11. Durch die Härte der Konstruktion wird der Leser auf ihre Verantwortung aufmerksam gemacht. Auch die weitere Frage des Pilatus ist merkwürdig; er könnte den Angeklagten ja freisprechen. Außerdem hat der Vertreter der Besatzungsmacht sicher nicht das unterworfene Volk zu fragen, was er zu tun habe. Wieder soll die Unentschiedenheit des Richters und die entschlossene Übernahme der Verantwortung durch das ganze Volk dargestellt werden, vielleicht auch die Ironie, daß gerade die, die Jesus als ihren König bezeichnen, ihn zum Tode bringen. „Wiederum“ in V. 13 ist auffällig (ebenso Joh. 18,40), da vorher weder vom Schreien des Volkes noch von der Forderung der Kreuzigung die Rede war, Jesus auch noch nicht verurteilt ist. Vermutlich will es die hartnäckig wiederholte Verwerfung Jesu ausdrücken, wobei selbst die Form der Bestrafung ausdrücklich vom ganzen Volk gewünscht wird. Die die Unschuld Jesu nochmals feststellende erneute Frage des Pilatus zeigt heimlieh schon seinen Entschluß nachzugeben. Während der Gefangene in seinem Schweigen der wahrhaft Freie ist, wird Pilatus als der völlig Unfreie charakterisiert. Das Nebeneinander des amnestierten Barabbas und des zur Hinrichtung abgeführten Jesus suggeriert den Gedanken an stellvertretendes Leiden, ohne ihn dogmatisch auszusprechen. Erstaunlich ist die Kürze, mit der die Geißelung erwähnt wird © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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(wörtlich: „und er übergab Jesus, [ihn] gegeißelt habend, daß er gekreuzigt würde“ ). Bei Verurteilten, die nicht römische Bürger waren (Apg.22,25), wurde eine Lederpeitsche mit eingeflochtenen Metallstücken verwendet. Der Bericht vermeidet also bewußt jedes Ausmalen der scheußlichen Prozedur, das Mitleid oder Haß erwecken könnte. Beides wäre der Größe dessen, was sich hier abspielt, nicht angemessen. Beides würde diese Passion neben Tausende von anderen Hinrichtungen stellen, die oft noch grausamer verliefen. Auch hier wird auf möglichst umfassende und genaue historische Schilderung absichtlich verzichtet. Das konsequente Schweigen Jesu, das vorsichtig-gerechte und doch wirkungslose und unüberzeugende Lavieren des Pilatus, das zielbewußte Agieren des jüdischen Priesteradels und das Geschrei der fanatisierten Menge sind Stilmittel, die nicht einfach Protokoll der damaligen Vorgänge sein, sondern das, was sich darin wirklich abgespielt hat, in jener Tiefe, um die erst der Glaube weiß, darstellen wollen. Tatsächlich ist der ganze Abschnitt nur am wehrlosen Schweigen Jesu gegenüber allen Fragen des Verhörrichters, allen schlauen Anschuldigungen kirchenpolitischer Führer und allem Geschrei des Pöbels interessiert. Er verkündet damit das bewußte und gewollte Leiden Jesu. Die Frage, die er dem Leser stellt, ist also nicht die, ob er die Wiedergabe der Tatsachen für historisch korrekt hält; das ist sie, mindestens in Einzelheiten, kaum. Die Frage ist die, die Markus und die Gemeinde schon vor ihm als Verkünder des Evangeliums stellen: Steht es mit dem Menschen so wie mit den Jüngern, die fliehen, mit Petrus, der verleugnet, oder gar mit den Jerusalemern, die lieber irgendeinen obskuren armen Sünder, von dem man nicht weiß, ob er Sympathie verdient oder nicht, losbitten, als daß sie zum Wege Gottes Ja sagten, auf dem göttliche Verheißung und Forderung sie so träfe, daß sie ihrer Selbstsicherheit beraubt würden? Und steht es dann mit Jesus tatsächlich so, daß in ihm der „Sohn des Hochgelobten“ , der von Gott gesandte „König der Juden“ in den Tod geht, damit dieser Mensch frei werde? Die Verspottung des Königs der Juden 15,16-20a, vgl. Mt. 27,27-31 a 16 Die Soldaten aber führten ihn in das Innere des Palastes - das ist das Pratorium - und rufen die ganze Kohorte zusammen. 17 Und sie ziehen ihm einen Purpur an und setzen ihm eine Dornenkrone, die sie geflochten hatten, auf 18 und begannen, ihm zu huldigen: „Heil dir, König der Juden!“ 19 Und sie schlugen ihm das Haupt mit einem Rohr und spien ihn an, beugten die Knie und warfen sich vor ihm nieder. 20 Und als sie ihn verspottet hatten, zogen sie ihm den Purpur aus und zogen ihm seine eigenen Kleider an. Man könnte von V. 15 zu V.20b hinüberlesen. Außerdem fehlt die Episode bei Lukas, so daß bei ihm der Eindruck entsteht, die Juden hätten Jesus gekreuzigt (erst 23,36 kommen römische Soldaten hinzu). Ferner kennt Joh. 19,16 den direkten Übergang vom Todesurteil des Pilatus zur Kreuzigung (durch römische Soldaten, wie V.23 deutlich sagt). Joh. 19,2f. berichtet aber sehr ähnlich von dieser Verspottung Jesu, und zwar auch direkt an die Geißelung anschließend, nur daß diese bei ihm schon etwas früher angesetzt ist. Das Fehlen bei Lukas ist wahrschein© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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lieh auf seine Tendenz zurückzuführen, möglichst wenig Negatives von den Römern zu berichten, um so mehr, als er von einer ähnlichen Verspottung Jesu vor Herodes erzählt, wo er auch das Motiv des Schweigens Jesu einführt (23,9.11). Das zeigt, wie leicht solche Motive von einer Episode zur andern wandern. Auch die kurze Passionszusammenfassung Mk. 10.33 f. führt die Verspottung an. Da der Platz zwischen V. 16 und 20 b der einzig mögliche ist, in V. 16 auch nähere Angaben stehen, die Lokalkenntnis voraussetzen, wird der Abschnitt früh oder von Anfang an mit dem Verhör vor Pilatus zusammengestanden haben. Nun gibt es interessante Parallelen. Als König Agrippa nach Ägypten kam, verhöhnte ihn der Pöbel, indem sie einen Idioten Karabas ergriffen, ihn mit „Diadem“ , „Königsmantel›› und „Szepter“ ausstaffierten, ihm huldigten und ihn als „Mare“ (d.h. „Herr“ , vgl. Einleitung zu 12,35-40) anriefen (Philo, Flacc. 36-39) wie die Urgemeinde Jesus. Eine solche Verspottung anläßlich antisemitischer Ausschreitungen gegen den von Rom anerkannten „König der Juden“ mag daran erinnern, wie nahe beides sachlich beieinanderliegt und wie jämmerlich die Rolle ist, die der der Verachtung und Erniedrigung preisgegebene Jesus hier, jener arme Idiot dort, der den leider ungreifbaren König repräsentieren muß, spielt. Um 100 n.Chr. berichtet Dion (IV 66f.) von den Persern, daß sie beim Sakenfest einen zum Tode Verurteilten auf den Königsthron setzen, wo er für kurze Zeit eine Art Spottregiment ausüben darf. Ähnliche Bräuche werden von den Römern berichtet. Auch die Verspottung und Mißhandlung vor der Enthauptung des Kaisers Vitellius ist zu vergleichen. Das zeigt, wie nahe eine solche Behandlung lag, und spricht eher für als gegen Historizität dieser Episode. Das Motiv vom Anspeien und Schlagen, das den Zusammenhang von Huldigung (V. 18) und Kniefall (V. 19 Ende) unterbricht, könnte nachträglich vom Alten Testament her eingedrungen sein (vgl. zu 14,65, Einl.); dann wäre die spöttische Königshuldigung ursprünglich noch einheitlicher, d.h. reiner Spott, nicht Mißhandlung. Das V. 16 verwendete griechische Wort kann „Palast“ (vgl. zu 14,43-52) oder Innen-„Hof“ bedeuten; die Erklärung spricht für das erste. Purpurgewand (hier vermutlich ein roter Soldatenmantel) und Goldkrone sind Würdezeichen des Königs. Sie bilden so etwas wie einen Orden für besondere Verdienste. So wurden sie z.B. dem Makkabäer Jonathan als dem „Freunde des Königs“ für besondere Tapferkeit verliehen (l.Makk. 10,20). Der Titel „König der Juden“ sitzt auch hier fest in der Überlieferung (vgl. zu V.26). Der Heilruf entspricht dem römisch üblichen „Ave Caesar“ . In Pt.ev.6-9 erinnern das Sitzen Jesu auf dem Richterstuhl und der Zuruf „Richte gerecht, ο König Israels“ an den Weltenrichter und der Hohn der ihn Geißelnden („Mit solcher Ehre wollen wir den Gottessohn verehren“ ) steigert den krassen Gegensatz zwischen dem Unglauben der Menschen und dem sich hier in Wahrheit abspielenden Handeln Gottes. Der Kniefall ist orientalische Sitte für tiefste Huldigung. Im Zusammenhang des Markus wird das unbewußte Zeugnis für Jesu Königtum durch die Pilatusfrage V.2 und den Hinweis auf die Kreuzesinschrift V.26 betont. Johannes unterstreicht den Gedanken mit dem „Ecce homo“ („Siehe, der Mensch!“ ) © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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des Pilatus (vgl. auch 19,19-22), und das Petrusevangelium spinnt das theologisch auf den Weltenrichter hin aus. Daneben dringt das Motiv von der Erniedrigung (Jes.50,6, auch Jesu Wort 10,34) ein. So wird die ganze Episode immer bewußter zum verborgenen Hinweis auf die Königswürde Jesu und die heimliche Erfüllung des Planes Gottes, die mitten unter der äußeren Erniedrigung, die das Gegenteil zu beweisen scheint, vor sich geht. Die Kreuzigung Jesu 15t20b-26, vgl. Mt.27,31 b-37; Lk.23,26.33-35a.38 Und sie führen ihn hinaus, um ihn zu kreuzigen. 21 Und sie nötigen einen, der vorübergeht, Simon von Kyrene, der vom Felde kommt, den Vater des Alexander und Rufus, daß er sein Kreuz aufnehme. 22 Und sie bringen ihn zur Stätte Golgatha, was übersetzt heißt „Schädelstätte“ . 23 Und sie reichten ihm Wein mit Myrrhe; er aber nahm ihn nicht. 24 Und sie kreuzigen ihn und , verteilen seine Kleider, indem sie darüber losen', was jeder bekommen sollte. 25 Es war aber die dritte Stunde, und sie kreuzigten ihn. 26 Und es war die Inschrift seiner Schuld angeschrieben: „der König der Juden.“ V.24: Ps. 22,19.
Der Abschnitt enthält einen sehr einfachen, offenbar sehr alten Kreuzigungsbericht, dessen Tätigkeitswörter V.20b-24a in der Gegenwart stehen und mit bloßem „und“ verbunden sind. Nur V.23 steht in Vergangenheitsform, ist aber sachlich unverdächtig (s. unten). Daß in V.24b eine alttestamentliche Wendung steht und V.25 nachhinkt, muß nicht unbedingt gegen Ursprünglichkeit sprechen. Das „und“ in V.25 wird man im Sinne von „als“ verstehen dürfen. Es liegt also kein zweiter Bericht von der Kreuzigung vor, sondern nur starke Betonung des (vormarkinischen, s. Exkurs vor 11,1) Stundenschemas (vgl. V.33f.). V.26 kann von Anfang an zum Bericht gehört haben. 21 Die Notiz über Simon von Kyrene (in Nordafrika) ist überliefert, weil man die beiden Söhne noch kannte; sonst wären ihre Namen sicher nicht erwähnt. Wahrscheinlich haben sie sich der Gemeinde angeschlossen; ist Rufus in Röm. 16,13 vielleicht Simons Sohn? Eine theologische Abzweckung wird nicht sichtbar; z.B. ist Jesu Schwäche oder sein Zusammenbrechen unter den Qualen nicht geschildert. Später verschwinden die Einzelheiten, die nur interessieren, solange man den Betreffenden noch kennt, zuerst die Namen der Söhne (Mt.27,32; Lk.23,26), dann auch das Kommen vom Feld (Mt.27,32). Zugleich werden die Ausdrücke so gewählt, daß der Leser die tiefere Bedeutung verstehen kann: Markus formuliert wie 8,34, obwohl das Verbum in dieser Zeitform eigentlich „aufnehmen“ , nicht „tragen“ bedeutet. Lukas, der wirklich „tragen“ sagt, fügt dafür zu: „hinter Jesus her“ , um an Lk.9,23; 14,27 zu erinnern. Eine überlieferte historische Einzelheit beginnt also in der Gemeinde zu „reden“ und wird für die Hörer zum Bild der Nachfolge, zu der sie eingeladen sind. Die nächste Entwicklungsstufe zeigt sich bei Johannes, wo die Geschichte ausgelassen ist; wohl weil menschliche Schwäche hier vor der Verkündigung des Sieges in der Passion Jesu verschwindet. Endlich folgerte der Gnostiker Basilides (Iren.haer. I 24,4), da nach Johannes Jesus, nach den Synoptikern aber Simon das Kreuz trage, habe der Gottessohn seine Gestalt mit Simon © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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gewechselt, so daß dieser statt ihm gekreuzigt wurde, ohne daß seine Feinde das merkten. Von Anfang an ist der Name Golgatha, im griechischen Sprachraum mit Über- 22.23 Setzung (Lk.23,33; Joh. 19,17), überliefert. Der Betäubungstrank entspricht jüdischer Sitte, die damit Spr.31,6 folgt. Schon Mt. 27,34 (s. dort) ersetzt die Myrrhe, ein als Weihrauch verwendetes, wohlriechendes Harz, durch Galle, und zwar nach Ps.69,22. Die Gemeinde hat im Laufe der Zeit immer weitere Stellen entdeckt, in deren Licht sie Jesu Passion verstand, ist doch das Alte Testament die einzige Schrift, in der sie Jesu Geschichte „nachlesen“ kann. Die Kleiderverteilung 24 ist in Ps.22,19 beschrieben. Dieser Psalm spielt eine große Rolle in der Passionsgeschichte (s. V.29.34 und zu 14,22-25, Einl. am Ende); er muß schon von der aramäisch sprechenden Gemeinde aufgenommen worden sein, sonst wäre der nur im griechischen Text stehende Satz „sie durchbohrten meine Hände und Füße“ (Ps.22,17 LXX) verwendet worden. Wie Ps.69,22 ist die Verteilung alttestamentlichem Stil entsprechend in zwei parallelen Aussagen beschrieben. Wie Mt. 27,34 dort aus dem Doppelausdruck zwei verschiedene Inhalte der Jesus dargereichten Becher herausgelesen hat, so bezieht Joh. 19, 23f. hier das „Verlosen“ auf den ungenähten Rock, das „Verteilen“ auf die übrigen Kleider. Da sich der Brauch der Kleiderverteilung bei römischen Hinrichtungen nicht nachweisen läßt, obwohl er gut vorstellbar ist, könnte die Gemeinde diesen Zug erst in ihrer Bibel gefunden haben; denn Ps.22 spielte in ihrem gottesdienstlichen Leben eine ähnliche Rolle wie die Leidensgeschichte der Evangelien bei uns (vgl. zu V.29.34; Mt.27,43; ferner Joh. 19,28). Angabe der Schuld des Verbrechers auf einer Tafel ist üblich. 26 Als Hohn auf jüdische Hoffnungen ist auch die Formulierung durchaus möglich. Daß Jesus so rasch und allgemein nach seinem Tod als Messias (= Christus) bezeichnet wurde, mag damit zusammenhängen, daß er als solcher hingerichtet wurde und daß die Inschrift am Kreuz das auch verkündete. Die Verurteilten müssen das Querholz selbst zur Hinrichtstätte tragen. Daß ein 20.21 anderer das für den wahrscheinlich durch die Geißelung bis zum Zusammenbruch Ermatteten tun mußte, wird für die Gemeinde zum Bild einer Nachfolge nach Jesu Wort (8,34). Für das Verständnis der Nachfolge in der Gemeinde ist das nicht nebensächlich. Auch hier (vgl. zu 1,18.20) liegt nämlich keine Verherrlichung des Entschlusses des Nachfolgers vor; er wird ja von anderen dazu gezwungen. Auch hier spielt sich die Nachfolge sehr konkret hinter Jesus her ab, nicht in einem inneren Erlebnis oder einem Denkvorgang. Diese realistische Seite ihres Nachfolgeverständnisses hat die Gemeinde dazu bewogen, das Wort nur für das Gehen mit dem irdischen Jesus zu verwenden (ausgenommen Offb. 14,4), obwohl Geschichten und Worte von der Nachfolge nur überliefert werden, damit auch die nach Ostern lebende Gemeinde in die Nachfolge Jesu trete. „Vom Feld“ weist darauf hin, daß es nicht Passatag ist (vgl. zu 14,12-16); doch ließe sich auch verstehen, daß er „von einem Hof“ her kommt, nicht aus der Stadt. Der Ort, wo 335 die Grabeskirche 22 vollendet wurde, kann ungefähr das alte Golgatha sein, da er damals noch außerhalb der Stadtmauer lag. Die Legende, daß Adams Schädel auf Golgatha beigesetzt sei, ist wohl erst später entstanden (vgl. die Parallelen zwischen Adam und Christus © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 15,27-32: Die Verspottung des Gekreuzigten
Röm.5,12ff.; l.Kor.l5,21f.45ff.); vielleicht hat der Ort seinen Namen von der 23 einer Schädeldecke ähnlichen Erhebung her bekommen. Die Ablehnung des Betäu24 bungstrunkes zeigt, daß Jesus bewußt leiden will. Das Kreuz ragt nur wenig über Manneshöhe hinaus. Der Tod tritt durch Erschöpfung des blutig Geschlagenen und nackt den Insekten Ausgesetzten ein, oft erst am zweiten Tage. Der Verurteilte wird festgebunden oder angenagelt (dies Lk.24,39a?; Joh.20,25 vorausgesetzt; Näheres zu Mt.27,35). All das wird nicht geschildert. Schlichter kann nicht mehr erzählt werden; einzig die Gegenwartsform hebt vielleicht den entscheidenden Akt aus dem Übrigen heraus. Wieder bewahrheitet sich das zu V. 15 b Gesagte: das eigentliche Leiden sind nicht die gar nicht geschilderten Schmerzen, sondern die Verwerfung Jesu, die sich seit 3,6 in allen möglichen Varianten bis zu der Tatsache hin, daß seit 14,72 keiner von den Jüngern mehr sichtbar wird, in zunehmendem Maße abzeichnet. Die Verteilung der Kleider wird als Erfüllung alttestamentiicher 25 Aussagen beschrieben, ohne daß das ausdrücklich bemerkt wird. Die Angabe der Stunde (9 Uhr morgens), die mit Joh. 19,14 (Verurteilung um 12 Uhr mittags) unmöglich zu vereinen ist, will aussagen, daß Stunde um Stunde genau nach Gottes Willen abläuft (vgl. V.33f.); er ist der Herr über diesen Tag und jede seiner Stunden. Ähnlich will die johanneische Angabe verkünden, daß Jesus zur Stunde stirbt, da die Passalämmer getötet werden. Wer beide Zeitangaben unbedingt miteinander ausgleichen will, bringt sich selbst um ein demütiges Hören auf das, was Markus 26 wie Johannes uns an Entscheidendem sagen wollen, daß sich nämlich in Jesu Tod Gottes alttestamentliche Verheißungen erfüllen. Die Inschrift am Kreuz wirkt neben diesem ernüchternden Bericht eines grausamen, aber relativ häufigen Vorgangs wie Hohn und soll das auch nach dem Willen der verurteilenden staatlichen Instanz. Der Leser aber weiß, daß damit die tiefste Wahrheit über das, was sich hier vollzieht, ausgesagt ist. Auffallend ist die erstaunlich nüchterne, knappe Schilderung, die auf jede Sentimentalität, auf Weckung von Mitleid oder Haß verzichtet und auch historische Einzelheiten wie die Namen der Söhne Simons überliefert. Früh schon ist Jesu bewußtes Leidenwolien erkannt und betont worden. In mehreren Stufen drückt sich dann die Einsicht der Gemeinde aus, daß im Leiden Jesu die alles zusammenfassende Erfüllung des Weges aller leidenden Gerechten in Israel (vgl. zu 8,27-33) geschehen ist, daß Gott also seinen Weg mit Israel darin zum Ziele führt. Daher ist Jesu Passion im Licht der Psalmen (22; 69 usw.) gesehen worden, während die noch nähere Parallele in Weish.Sal.2 erst Mt. 27,43 einzuwirken scheint. Im Stundenschema prägt sich die Überzeugung aus, daß nicht Zufall und menschlicher Eingriff entscheiden, sondern Gottes Wille, und die Inschrift, deren Bedeutung bei Johannes besonders gesteigert wird, verkündet, was sich in Wahrheit vollzieht: Gottes Sieg in der Niedrigkeit einer Hinrichtung. Die Verspottung des Gekreuzigten 15, 27-32, vgl. Mt.27,38-44 27 Und mit ihm kreuzigen sie zwei Räuber, einen zu seiner Rechten und einen zur Linken. 29 Und die Vorübergehenden lästerten ihn, ,ihre Köpfe schüttelnd' und sagten: „He du, der du den Tempel abbrichst und in drei Tagen baust, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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30 rette dich selbst und steige herab vom Kreuz!“ 31 Ebenso spotteten auch die Hohenpriester miteinander samt den Schriftgelehrten und sagten: „Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten; 32 der Messias, der König Israels steige jetzt herab vom Kreuz, daß wir es sehen und glauben!“ Und die, die mit ihm gekreuzigt waren, schmähten ihn. V.29: Ps. 22,8; Ktgl. 2, 15.
Daß Jesus zwischen zwei Verbrechern gekreuzigt wurde, wird zum ältesten Bericht gehören; die Tatsache ist auch sicher historisch. Sie stört die Gemeinde eher. Ein theologisches Interesse daran wird nicht sichtbar; erst späte Abschreiber haben als V.28 die Bemerkung eingefügt, daß sich darin Jes.53,12 erfüllt habe („zu den Gottlosen wurde er gezählt“ ). Bei Lukas dienen die beiden Räuber dazu, die seelsorgerliche Zuneigung Jesu zu den Elenden und den Unterschied zwischen menschlicher Annahme und Ablehnung der göttlichen Liebe darzustellen. Noch vorbildlicher ist die Strafpredigt, die der fromme, seine Schuld bekennende Räuber nach Pt.ev. 13 an die Soldaten hält. Bei Johannes wird an den beiden Verbrechern geradezu die Einzigartigkeit Jesu illustriert (19,31-37). In zunehmendem Maß wird also die hier noch vorliegende Gleichstellung Jesu mit den Verbrechern aufgehoben und seine Sonderstellung betont. Die Notiz hinkt etwas hinten nach, was Joh. 19,18 korrigiert wird; vielleicht hat man zuerst nur vom Spott der Vorübergehenden (V.29a) und dem Schmähen der Mitgekreuzigten (V.32) erzählt, was dann erst allmählich in Worte gefaßt wurde. V. 29 b.30 und 31.32 a enthalten nämlich zwei Verspottungen, die fast gleichlautend vom „sich selbst Retten“ und „Heruntersteigen vom Kreuz“ reden; nur wird in der ersten auf 14,58, in der zweiten auf 14,61 (oder nur 15,26?) zurückverwiesen. Sind dies zwei Varianten, von denen V.31f. die spätere wäre, als man das Tempelwort nicht mehr verstand und die Christuswürde als den wichtigeren Standpunkt ansah? Die Einführung der Hohenpriester und Schriftgelehrten anstelle anonymer Leute ist auch sonst zu beobachten (Mk.3,22 neben Lk. 11,15; Mk.8,11 neben Lk. 11,16; Mk.3,6 neben 3,1-5) und könnte auf Markus zurückgehen, der annehmen muß, daß die zweite Variante von anderen ausgesprochen worden sei als die erste. Wieder läßt sich die Prägung durch Psalmen beobachten, die für den frühen Passionsbericht typisch ist. Vom „Schütteln des Kopfes“ erzählt Ps.22,8 (vgl. zu V.24, Einl.), freilich auch Klgl.2,15, wo noch die „Vorübergehenden“ erwähnt werden. Im gleichen Vers Ps.22,8 steht, daß alle, die ihn „betrachteten, die Nase rümpften“ , was Lk. 23,35 wörtlich nach LXX wiederholt, und daß sie „ihre Lippen verzogen“ (hebräischer Text) oder „mit den Lippen murmelten“ (griechischer Text), was beides bei Justin (Dial. 101,3; Αρ. Ι 38,6) aufgenommen wird (vgl. l.Clem.16,16). Ps.22,7 wird dies als „Spott der Menschen und Verachtung des Volkes“ bezeichnet; sollte dieser Doppelausdruck zur doppelten Verspottung geführt haben? Sicher ist, daß Ps.22,9 in Mt. 27,43 (s. dort) aufgenommen wurde; ob er schon auf die Formulierung „rette dich selbst“ eingewirkt hat, ist fraglicher. Was ergibt sich daraus? Daß Jesus, dessen Erwartungen so kläglich zusammengebrochen zu sein schienen, verhöhnt worden ist, ist fast selbstverständlich. Vermutlich wurde dies zunächst nur knapp berichtet, etwa in der Form von V.29 Anfang, der der markinischen Tendenz widerspricht, die Behörden zu belasten und das Volk zu entschuldigen, dann in alttestamentlichen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Redewendungen wiederholt und schließlich in bestimmte Worte gekleidet, wobei auf das Tempelwort Jesu zurückverwiesen wurde. V. 31.32 a wäre dann eine andere Variante, die Markus danebengesetzt hätte, so daß jetzt V.27 und der dazu gehörige Schluß V.32b ziemlich weit auseinandergerissen sind. 27 29 30 31 32
Vielleicht sind die „Räuber“ zwei von den V.7 genannten Revolutionären; aber Näheres wird nicht gesagt, weil alles auf Jesu Passion ausgerichtet ist und daher außer seinem Tod zwischen Verbrechern nichts wichtig ist. „Lästern“ ist ein sehr starkes Wort und setzt voraus, daß in Jesus Gott selbst „gelästert“ wird. Die Spötter tun also gerade, was nach 14,64 der Grund für das Todesurteil über Jesus war. Zum Tempelwort vgl. zu 14,58. Die Voraussetzung des Spottes ist, daß die Rettung des eigenen Lebens höchstes Ziel sei, daß es also, wo das nicht geschieht, nur an der Macht und Möglichkeit dazu fehlen könne. Daß die Rechnung bei Gott anders verläuft, ist schon 8,35 von Jesus gesagt worden. Erst nachträglich werden Hohepriester und Schriftgelehrte als Hauptspötter eingeführt. „König Israels“ ist in ihrem Munde richtig; sie meinen die religiöse Würde, nicht eine nationalistische Führerstellung. Am krassesten kommt das Mißverständnis in der Forderung, sie seine Macht sehen zu lassen, damit sie daraufhin glauben könnten, zum Vorschein. Gerade dies müßte alles Glauben unmöglich machen (s. Exkurs zu 4,35-41). Das Herabsteigen wäre zwar ein erstaunliches Mirakel, wiese aber Jesus nicht als „Messias und König Israels“ , sondern höchstens als Übermenschen aus. Gott unterscheidet sich gerade darin vom Menschen und Übermenschen, daß er sich nicht durchsetzen, nicht rechtbehalten, nicht die Gegner zerschmettern muß (vgl. Rückblick, 1,14-8,26). Das wird noch verstärkt durch die Bemerkung, nach der auch die Mitgekreuzigten Jesus schmähen, die vom Schicksal gefügte Gemeinschaft mit ihm aufkünden und die Einsamkeit seines Leidens total werden lassen. Nicht einmal zu den Genossen seines Elends gehört er. Wenn wir in das langsame Entstehen eines solchen Abschnittes noch einigermaßen hineinschauen, dann bedeutet das, daß verschiedene Zeugen auftreten, die alle auf das gleiche eine Geschehen hinzeigen. Was die Gemeinde zuerst bewegt hat, ist die Verlassenheit Jesu, die die eigentliche Tiefe seines Leidens ausmacht. Darin liegt die erstaunliche Andersartigkeit des Weges Gottes gegenüber allem, was Menschen als ihr Ziel ansehen oder sich als Gottes Weg vorstellen. Das wird immer deutlicher hervorgehoben, je mehr die Gemeinde das Vorbild der Passion in den Psalmen vom leidenden Gerechten entdeckt und mit deren Aufnahme auch ausdrücklich aussagt, daß sich hier Gottes Heilswille erfülle, bis schließlich gerade die Gestalten der beiden Verbrecher dazu dienen, die Andersartigkeit Jesu zu unterstreichen. Der Tod Jesu als die Offenbarung Gottes 15,33-39, vgl Mt.27,45-54; Lk.23,44-47 33 Und als die sechste Stunde anbrach, brach eine Finsternis an über das ganze Land bis zur neunten Stunde. 34 Und in der neunten Stunde rief Jesus mit lauter Stimme: „Eloi, Eloi, lama sabachthani?“ , was übersetzt heißt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ 35 Und als einige von den Dabei© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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stehenden das hörten, sagten sie: „Siehe, er ruft den Elia!“ 36 Einer aber lief, füllte einen Schwamm mit Essig, steckte ihn auf ein Rohr und tränkte ihn mit den Worten: „Laßt, wir wollen sehen, ob Elia kommt, um ihn herabzunehmen.“ 37 Jesus aber tat einen lauten Schrei und verschied. 38 Und der Vorhang des Tempels zerriß in zwei Stücke, von oben bis unten. 39 Als aber der Centurio, der ihm gegenüber dabeistand, sah, daß er so verschied, sprach er: „Wahrhaftig, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen.“ V.34: Ps.22,2;V.36: Ps.69,22.
Die Mitte des Berichtes ist der Satz vom Tode Jesu mit lautem Schrei, der schon bei Markus so formuliert ist, daß die Vorstellung vom „Aufgeben des Geistes“ (Mt.27,50; Lk.23,46; Joh. 19,30 mit je verschiedenem griechischem Verbum) naheliegt. Nun wird in V.34 ein weiterer, mit den Worten von Ps.22,2 wiedergegebener Schrei Jesu angeführt. Die Vermutung liegt nahe, daß die Gemeinde den unartikulierten Schrei Jesu in ihrer alttestamentlichen Passionsdarstellung (vgl. zu V. 22-24; Einl.) wiederfand und ihm so Worte verlieh. In einem jüdischen Traktat wird berichtet, Esther sei erhört worden, als sie in ihrer Not gerufen habe: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ ; darum bete man am ersten und zweiten Fastentag „Mein Gott“ , am dritten den ganzen Satz (Midr.Ps.22, §6, vgl. 16 u. Billerbeck II 577). Die Formulierung ist aramäisch denkbar, doch ist das Mißverständnis von V.35 schwer vorstellbar. Wer aramäisch versteht, kann den Psalmvers kaum so grob mißverstehen; wer das nicht tut, kann keinen Hilferuf an Elia heraushören. Wahrscheinlich hat also erst die griechisch redende Gemeinde den Schrei V.34a übersetzt (34b) und V.36 als törichtes Mißverständnis und Verspottung dargestellt. Die Tränkung mit „Essig“ könnte aus Ps. 69,22 erschlossen sein (vgl. zu V.23, Einl. und Mt.27,34); doch bezeichnet das Wort auch den billigen, sauren Wein; ein mitleidiger Soldat könnte dem Gemarterten einen Liebesdienst getan haben, der dann später umgedeutet wurde. Schließlich ist Jesu Tod von zwei apokalyptischen Zeichen umrahmt, die beide bei Johannes fehlen. Von Sonnenfinsternis spricht Am. 8,9, wo erst noch in V. 10 von der „Trauer um den einzigen Sohn“ die Rede ist: „An jenem Tage lasse ich die Sonne am Mittag untergehen und sende Finsternis auf die Erde am hellen Tage“ (Am. 8,9). Auch beim Tode Caesars und anderen großen Ereignissen wird gleiches berichtet; doch zeigt sich in diesem, historisch zur Zeit des Ostervollmondes unmöglichen Zug wieder die alte Passionserzählung, die alles im Licht des Alten Testamentes schaut, obwohl hier nicht die Psalmen, sondern eine prophetisch-apokalyptische Stelle angeführt wird. Das Zeichen des zerrissenen Tempelvorhangs wird auf die Gemeinde zurückgehen, die in Jesu Tod das Ende alles Tempelkultes gesehen hat. Es ist also eine theologische, nicht eine historische Aussage. Daß sie durch den beim Triumphzug in Rom im Jahr 70 mitgeführten Tempelvorhang angeregt wurde, ist schon aus Zeitgründen fast unmöglich; denn vermutlich war sie Markus schon vorgegeben, sonst hätte er den Zusammenhang von V.39 mit V.37 (vor der Einfügung von V.35 f. auch mit V.34?) kaum unterbrochen. Die beiden Zeichen gehören also schwerlich zur gleichen (apokalyptischen) Schicht; das erste fügt sich der Tendenz ein, in Jesu Passion Erfüllung des Alten Testamentes zu sehen; das zweite setzt kultische Abgrenzung vom Tempel voraus. Bei V.39 könnte es sich um eine marki© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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nische Zufügung handeln, da für ihn das Bekenntnis zum Gottessohn zentral ist; freilich wird der Hauptmann nicht ausdrücklich als Heide charakterisiert, doch ist das wohl selbstverständlich. 33
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Die Arnos 8,9 angesagte Finsternis zeigt, in welche Weiten dieses Sterben hineingreift: nicht nur die Erde, der ganze Kosmos wird davon berührt. Es vollzieht sich also etwas von dem, was nach 13,24 den Jüngsten Tag begleitet. Damit ist aber der Tod Jesu schon ins Licht dieses Geschehens gerückt: selbst die kommende Weltkatastrophe wird nicht dem wilden Zufall oder der Wahnsinnstat eines Menschen überlassen bleiben, sondern unter dem Kreuz Christi stehen, d.h. unter dem Willen des Gottes, der durch alles Gericht hindurch sein gnädiges Ja zur Welt gesagt hat. Bleibt man bei der Frage stehen, ob eine solche Finsternis möglich war (etwa infolge eines Sandsturmes) oder nicht, verfehlt man die Aussage des Textes und damit das eigentliche Hören auf ihn. Ähnlich ist das Stundenschema (vgl. zu V.25) zu verstehen. Zum dritten Mal ist die Periode von drei Stunden abgelaufen; damit ist die Stunde der Erfüllung da. Im Rufe Jesu ist in außerordentlicher Prägnanz zusammengefaßt, daß er in radikalster Einsamkeit des Leidens, die als Verlassensein nicht nur von Menschen, sondern von Gott durchlebt werden muß, doch zugleich Gott wider alle Erfahrung, die ihn als Abwesenden, den Beter im Stich Lassenden erfährt, noch immer als „meinen“ Gott reklamiert und nicht losläßt. Weil sie das sagen wollte, hat die Gemeinde den unartikulierten Schrei (V.37) als Psalmgebet beschrieben. In diesem Ruf ist Gottes Wirklichkeit festgehalten für alle Zeiten, auch für die, in denen weder Erfahrung noch Denken ihn umgreifen können. Die Frage des Textes ist nicht die, ob Jesus dieses Wort oder vielleicht die bei Lukas oder die bei Johannes überlieferten oder alle oder keins davon sprach; es ist die Frage, ob Jesus das erste Gebot so durchgehalten hat, daß Gott gerade dort, wo Denken und Erleben nur äußerste Verlassenheit sahen, Wirklichkeit wurde, und ob das für den Leser notwendig wird. Die Schilderung eines Mißverständnisses ist nur möglich, wenn Elia in jener Zeit (im hellenistischen Judentum?) schon als himmlischer Nothelfer galt. Da er nach 2.Kön.2,11 entrückt wurde, weilt er auch nach jüdischen Legenden, die freilich erst später belegt sind, unter den Seligen und erscheint den Frommen in besonderer Not zur Hilfe. Auch der Soldat (?, so Lk. 23,36) will zuerst sehen und dann eventuell glauben wie die Hohenpriester V.32 und schon die Feinde des leidenden Gerechten Weish.Sal.2,18. So ist die Tränkung mit Essig doch wohl schon bei Markus (sicher Lk. 23,36) als Hohn verstanden (vgl. zu V.23). Der Tod Jesu selbst ist in erschütternder Schlichtheit beschrieben, frei von aller Beschönigung, von jedem Hinweis auf unerschütterliche innere Ruhe, erst recht von allen imponierenden Gesten oder Worten, wie man sie sonst in jüdischen und christlichen Märtyrerberichten findet. Mehr als der knappe Bericht über das Ereignis selbst ist nicht notwendig. Durch alles bisher von Jesus Berichtete bekommt es seine Größe. Auffällig ist der laute Schrei, da ein Gekreuzigter ja an Erschöpfung stirbt. Es ist vermutet worden, dies sei Zutat einer apokalyptisch denkenden Gemeinde, die sich Jesus mit dem Siegesschrei des Uberwinders sterbend vorstellte. Aber trotz einiger Parallelen (äth.Hen.62,2; 4.Esr. 13,4.10 die die Sünder oder die1 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Gottessohn
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Feinde tötende Gerichtsstimme; äth.Hen.71,11 die Stimme des Gotteslobes des Erhöhten; 4.Esr. 10, 26 f. der Entsetzensschrei Zions, vor dem die Erde bebt, und des Sehers selbst) bliebe das doch ohne weiteren Zusatz, der sonst überall zu finden ist, völlig unverständlich, und im Neuen Testament, wo in der Offenbarung lautes Geschrei ziemlich häufig vorkommt, sind einzig die Schreie der besiegten Dämonen (Mk. 1,26; 5,7; Apg.8,7) unartikuliert oder ohne erklärenden Zusatz beschrieben. Man könnte sich also höchstens denken, daß die Gemeinde von diesen Parallelen und vor allem von V.33 und 38 her einen ihr schon überlieferten, wahrscheinlich historischen Todesschrei Jesu nachträglich so interpretiert hat. Doch scheint bis zu Markus hin nur die Tiefe des Leidens damit betont zu sein. Zeichen, die die künftige Zerstörung des Tempels angezeigt haben sollen (Auf- 38 springen der Tore, Beben und Lärm), werden auch in jüdischen Quellen berichtet (Billerbeck 1 1045f.); doch ist Mk. 15,38 nicht nur Ansage künftiger Ereignisse, sondern Darstellung eines im Tode Jesu schon vollzogenen Endes, also nach 11,17; 13,2; 15,29f. Hinweis auf das im Tode Jesu liegende Ende des Tempelkults, vielleicht sogar genauer: der Aussperrung der Nichtpriester, vor allem der NichtJuden, von dem Orte der Gegenwart Gottes (vgl. Eph.2,13f.). Die Hohenpriester sind ja auch eben noch als eigentliche Gegner Jesu angetreten (V.31). Eb.ev.6 überliefert ein (in seiner negativen Formulierung sicher nicht echtes) Wort Jesu: „Ich bin gekommen, die Opfer zu zerstören.“ Die Vorgänge beim Tod Jesu werden im Lauf der Tradition immer mirakulöser (vgl. schon Mt.27,51-53!). Nach Naz.ev.21 zerbarst die riesige Oberschwelle des Tempels; auch sollen Tausende von Juden sich damals bekehrt haben. Nach Pt.ev. 15-27 wurde es so finster, daß viele meinten, es sei schon Nacht, und zu Bette gingen; als man den toten Jesus auf die Erde legte, erbebte diese gewaltig; dadurch und durch die wieder erschienene Sonne wurde das ganze Volk so erschreckt, daß alle ihr Unrecht einsahen und über das kommende Ende Jerusalems klagten. Markus hingegen stellt neben dieses Zeichen des Endes 39 alles jüdischen Tempeldienstes bewußt den Heiden, der als erster wirklich versteht, was hier geschehen ist. An sich läßt sich ebensogut übersetzen „ein Gottessohn“ wie „der Gottessohn“ , und wenn Markus sehr stark hätte betonen wollen, daß der einzige Gottessohn, neben dem es keinen andern gibt, gemeint sei, hätte er es griechisch anders formulieren können (was freilich bei der hier vorliegenden Wortstellung nicht üblich zu sein scheint). Zweifellos aber ist z.B. Mt. 14,33; 27,40.43; Lk. 1,35; Joh. 10,36, wo dieselbe griechische Konstruktion vorliegt, „der“ , nicht „ein Gottessohn“ gemeint. Markus sieht also in diesem Ausspruch sicher nicht nur die Ahnung eines Heiden von irgend etwas Göttlichem, sondern ein vollgültiges Bekenntnis. Zur Gewißheit wird dies, wenn man erkennt, wie das Bekenntnis zu Jesus als dem Sohne Gottes den ganzen Aufbau des Evangeliums prägt. Gottessohn. Seit 2. Sam.7,12-16, auch zur Zeit Jesu (4Qflor l,7ff; vgl. zu Mt. 1,18), wartet Israel auf jenen Nachkommen Davids, der als „Sohn“ Gottes die davidische Herrschaft über Israel für immer festigen wird. Was sich schon beim Christustitel gezeigt hat (vgl. zu 8,29), gilt auch hier: Jesus hat Gott in einzigartiger Weise als seinen Vater angerufen (vgl. Exkurs zu 14,36), aber kaum je selbst den Titel „Sohn Gottes“ auf sich angewendet (vgl. zu 13,32). Bloße Übernahme eines schon bekann© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Gottessohn
ten Titels hätte ja eine offene Begegnung mit dem, was sich in einzigartiger, durch keine Etikette zu beschreibender Weise in Jesus ereignete, verhindert. Die Aufnahme des Titels durch die Gemeinde geht denn auch tastend vor sich und erweist gerade dadurch die Echtheit des Bekenntnisses; hier versuchen durch Gott überwundene Menschen das, was ihnen an Erkenntnis geschenkt wurde, in die Formen menschlicher Sprache zu bringen, indem sie immer wieder abgrenzen gegen Mißverständnisse, die in den verwendeten Sprachformen lauern. Röm. 1,3f. wird von Paulus ein Glaubensbekenntnis zitiert, nach dem Jesus an Ostern zum „Sohn Gottes“ eingesetzt wurde (s. zu 12,37). Ebenso bezieht Apg. 13,33 das „Heute“ von Ps.2,7, an dem Gottes Sohn „gezeugt wird“ , auf den Ostertag. Diese heutiger Christologie widersprechende Aussage entspricht dem Denken von Ps.2,7, nach dem der König Israels am Tage seiner Thronbesteigung als Sohn Gottes eingesetzt, „gezeugt“ wird. „Sohn“ ist also im alttestamentlichen Denken noch völlig Funktionsaussage und beschreibt die Regentschaft dessen, der an Gottes Stelle über sein Volk regiert. Der durch das Alte Testament geschulte Mensch zur Zeit Jesu fragt nicht sosehr nach dem Wesen als nach dem Handeln, dem Wirken einer Person oder einer Sache. Ob einer „an und für sich“ Gottessohn ist, interessiert ihn nicht; ja, er könnte diese Fragestellung kaum verstehen. Ihm ist allein wichtig, ob ihm jemand in seinem Handeln begegnet als der, der seinen Gehorsam fordert, seine Herrschaft über ihn ausübt, ihn beschützt und führt. In diesem Sinne hat die Gemeinde bekannt, daß sie seit Ostern die Herrschaft Jesu, also seine Gottessohnschaft, über sich erlebt hat, und hat diese aller Welt verkündet. War aber der an Ostern Auferweckte derselbe, der als Jesus von Nazaret auf Erden weilte, mußte man den Beginn seiner Herrschaft als des Repräsentanten Gottes doch eigentlich schon in seiner Taufe sehen (vgl. zu 1,9-11). Auch wo die Menschen dies noch nicht erkannten, ist ihnen doch schon im irdischen Jesus Gottes Sohn als der begegnet, der ihren Gehorsam suchte und ihnen Gottes endzeitliches Reich zusprach. Sobald die Gemeinde aber einsah, daß es sich dabei nicht um ein zufälliges menschliches Ereignis neben tausend anderen handelte, sondern um Gottes alles erfüllende Begegnung mit der Welt, mußte sie sagen, daß dieses Amt des Sohnes schon mit seiner Geburt (Lk. 1,32.35) begann. Genau genommen mußte man sogar noch mehrsagen. Gottes Wille, im Sohn der Welt zu begegnen, war doch nicht ein plötzlich gefaßter Entschluß. Gott bleibt sich jedenfalls darin gleich, daß er von Ewigkeit her nur als Liebe, als „Für-sein“ Gott ist. Diese Bewegung der Liebe, ohne die Gott nicht Gott wäre, hat die Gemeinde damit stammelnd zu beschreiben versucht, daß sie sagte, daß der Vater schon von Ewigkeit her den Sohn liebt und durch ihn dann auch die Welt (vgl. Joh. 1,1-5; 3,16; 15,9; 17,5; Gal.4,4f. usw.). Dazu wurden geläufige zeitgenössische Vorstellungen verwendet, etwa die von der Geburt großer Männer des Hellenismus ohne Zutun eines menschlichen Vaters (vgl. Exkurs zu Mt. 1,18.23) oder von der Sendung des Logos als des Boten oder Kindes der Götter, bzw. des Wortes als des Sohnes und der Weisheit als der Tochter Gottes im hellenistischen Judentum, wo auch alttestamentliche Geschichten von der wunderbaren Geburt der Erzväter und der Sendung von Engeln damit verbunden wurden. Wieder sind nicht die Vorstellungsformen wichtig, in denen sich der Glaube ausdrückt, wohl aber die damit gemeinte Sache: daß in Jesus Christus Gott selbst der Welt begegnet, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 15,33-39: Der Tod Jesu als die Offenbarung Gottes
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daß dies nicht ein zufälliges Ereignis, sondern Ausdruck jenes ewigen Willens Gottes zur Welt ist, der erst Gott zu Gott macht, und daß dies nicht erst nach Ostern, sondern schon im irdischen Jesus von Nazaret geschieht. Die entscheidende Frage des Markus ist aber: in welcher Weise geschieht das? Die Versuchung lag nahe, Gottes Offenbarung in allerlei Wundern Jesu zu sehen (vgl. Rückblick, 2. Antwort). Damit wäre Jesus neben allerlei Wundertäter gerückt, und seine Gottessohnschaft hätte sich auf Hilfeleistungen in Notfällen beschränkt. Dies zeigt, wie wenig mit dem Für-wahr-Halten eines noch so hohen Titels erreicht ist, zeigt die Weisheit des Verzichtes Jesu auf alle schon geprägten und mit allerlei Vorstellungen gefüllten Titel, bei denen der Mensch schon ein fertiges Bild mitbringt, bevor er dem lebendigen und dann doch immer wieder anderen Jesus Christus begegnet. Solchen Tendenzen entgegen konzipiert Markus sein Evangelium. Man hat vermutet, er wolle wie beim altägyptischen Thronzeremoniell die Adoption als Sohn Gottes (1,11), die Präsentation vor dem Hof (9,7) und die eigentliche Thronbesteigung (14,61 f.; 15,39) darstellen, so daß Jesus erst mit der Kreuzigung zum Sohn Gottes im tiefsten Sinne würde. Die Form eines solchen Zeremoniells war ihm aber kaum bekannt. Auch daß Jesus nicht von Anfang an Gottessohn im Vollsinn ist, ist nirgends angedeutet. Richtig ist nur, daß für Markus die Passion die entscheidende Offenbarung der Gottessohnschaft Jesu ausmacht. Allerdings ist Jesus Gottes Sohn (vielleicht schon 1,1); aber das beruht auf dem Auftrag Gottes, der ihn auf einen ganz bestimmten Weg stellt (1,9-11). Darum ist Glaube, der Jesus einfach aufgrund seiner Wunder Göttlichkeit zuschreibt, Dämonenglaube (3,11; 5,7) und soll daher auf keinen Fall weiterverkündet werden. Erst nachdem das Mißverständnis des Petrus zurechtgerückt, die bisher durch Parabelrede noch verhüllte Offenbarung Gottes in der Ankündigung des Leidens des Menschensohns erfolgt und einzig dem Nachfolger auf dem Kreuzesweg die Möglichkeit echten Glaubens verheißen ist, enthüllt Gott selbst den drei Vertrauten die Gottessohnschaft Jesu, wobei er sie nicht auf seine Wunder, sondern auf seine Worte verweist (9,7). Erst als sein Leiden einsetzt, bekennt Jesus selbst sich, wenn auch in merkwürdig zurückhaltender Weise, zu dem vom Hohenpriester (nicht von ihm selbst) verwendeten Titel, und nicht bevor Jesus mit lautem Schrei verschieden ist, kann der erste Mensch von sich aus glaubend bekennen: „Wahrhaftig, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen.“ Daß es ein Heide ist, zeigt zugleich, wie dieser Tod die Tür in die Völkerwelt hinaus geöffnet hat. Um einen kurzen Bericht vom Tode Jesu mit lautem Schrei, wahrscheinlich auch vom Spott der Leute und dem Mitleid eines einzelnen, der Jesus mit billigem Wein die Qualen erleichtern wollte, scharen sich immer mehr Sätze, in denen die Gemeinde auszusagen versuchte, was hier wirklich geschah. Gerade in den zentralen Abschnitten begegnen wir also, wie zu erwarten ist, einer Menge von Zeugen, die nicht einfach historische Einzelheiten referieren wollen, wie es ein unbeteiligter Augenzeuge z.B. bei einem Verkehrsunfall vor Gericht tut. Was sich in jenen Stunden wirklich abgespielt hat, kann nur der sagen, der selbst so beteiligt ist, daß er es zugleich deutet. Ob dann freilich der recht hat, der es als das Sterben eines irregeleiteten Schwärmers versteht, der vergeblich nach einer Rettung durch Elia © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 15,40f.: Die Frauen in der Nachfolge Jesu
schreit, oder der, der in ihm das Sterben des Gottessohnes sieht, kann nur der Glaube beantworten. Markus verhehlt uns die erste Deutung nicht, obwohl er klar bezeugt, daß er die zweite für richtig erkannt hat. Anders kann also von diesem Ereignis gar nicht erzählt werden als so, daß mit der Ausdeutung historischer Ereignisse oder sogar mit dem Zufügen neuer Züge auszusagen versucht wird, was Gott getan hat. So malt etwa ein Künstler einen Heiligenschein (der im Leben des Betreffenden natürlich nie sichtbar war), um auszusagen, wer der Gemalte wirklich war, oder er stellt Jesus mitten in eine moderne Umwelt, um auszusagen, daß er heute noch lebendig ist. In diesem Sinne erzählen die ersten Christen z.B. von Finsternis und zerrissenem Tempelvorhang, um die einzigartige Bedeutung Jesu zu bezeugen. Die Frauen in der Nachfolge Jesu 15,40f.,vgl. Mt.27,55f.; Lk.23,49 40 Es waren aber auch Frauen da, die von ferne zuschauten, unter ihnen auch Maria von Magdala und Maria, des kleinen Jakobus und des Joses Mutter, und Salome, 41 die, als er in Galiläa war, ihm nachgefolgt waren und ihm gedient hatten, und viele andere, die mit ihm nach Jerusalem hinaufgezogen waren. 40
Die Namen der Frauen sind in 15,40.47; 16,1 verschieden angeführt. Der Genitiv „des Joses“ in V.47 kann eigentlich nur den Vater, event, den Gatten bezeichnen. Gleiches gilt für 16,1. Daran scheitert wohl doch die Erklärung, daß 15,40 vier Frauen genannt seien, von denen 15,47 die erste und dritte, 16,1 die erste, zweite und vierte nenne. Eher hat ein Späterer die beiden unterschiedlichen Traditionen in 15,47 und 16,1 durch die Angabe lösen wollen, die zweite Maria sei Mutter des Jakobus und Joses gewesen, da sie ja nicht beider Tochter sein kann. Zugleich hätte er diesen Jakobus von dem weit bekannteren Bruder Jesu und dem Zebedaiden unterscheiden wollen, da er offenbar noch einen Jakobus mit dem Zunamen „der Kleine“ kannte. Seltsamerweise erscheinen Jakobus und Joses (und Judas!) 6,3 auch als Brüder Jesu; aber an die Mutter Jesu kann 15,40 ja nicht denken; sie wäre als Jesu Mutter eingeführt worden. Nun ist gewiß die Bestattung Jesu nie ohne einen Ausblick auf Ostern berichtet worden und die Entdeckung des offenen Grabes nicht ohne die Voraussetzung, daß die Frauen die Bestattung sahen, also das Grab kannten. Aber das erste konnte man erzählen, um die Wirklichkeit des Todes Jesu zu unterstreichen (1.Kor. 15,4a) oder als Einleitung zu Erscheinungsgeschichten, das zweite mit einer Kurzeinleitung „Die Frauen, die gesehen hatten, wie er ohne Salbung in ein Grab gelegt wurde, ...“ . So haben sich vermutlich, ohne daß wir freilich sicher sein können, die verschiedenen Namen fixiert und haben zum späteren Ausgleichsversuch 15,40 geführt. Die Frauen werden als Galiläerinnen bezeichnet. Das wird dem geschichtlichen Tatbestand entsprechen. Es zeigt, daß die durch Jesus entfachte Bewegung während seinem Leben im wesentlichen auf Galiläa beschränkt war, aber auch, daß die Jünger schon vor dem Tode Jesu geflohen waren, wahrscheinlich in ihre Heimat zurück. Die Einsamkeit des Sterbens Jesu dürfte also auch historisch gesehen richtig geschildert sein; selbst die Frauen können als seine 41 Anhängerinnen nur von ferne zuschauen. Nachfolge von Frauen wird nur hier (und Lk.8,lff.) erwähnt (vgl. aber das „Dienen“ 1,31), zugleich mit der Tatsache, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 15,42-47: Die Bestattung Jesu
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daß sie offenbar den Kopf weniger verloren haben als die Jünger. Das ist angesichts der niedrigen Rolle, die der Frau im Judentum und in der Antike überhaupt zugewiesen ist, bemerkenswert. Wahrscheinlich will Markus, für den die Betonung des „Nachfolgens“ und „Hinaufziehens nach Jerusalem“ (vgl. 10,32!) typisch ist, mit V.41 schon 16,Iff. vorbereiten. Es sind wiederum Nachfolger Jesu, denen zuerst die Wahrheit der Auferweckung Jesu enthüllt werden wird: daß nämlich für den Nachfolger der Tod Jesu kein Ende, sondern wahrer Anfang neuen Lebens ist. Die Bestattung Jesu 15,42-47, vgl. Mt.27,57-61; Lk.23,50-S6 42 Und da es schon Abend geworden war, da es Rüsttag, d.h. der Tag vor dem Sabbat war, 43 kam Joseph von Arimathäa, ein vornehmer Ratsherr, der selbst auch auf das Gottesreich wartete, wagte es, trat bei Pilatus ein und bat um den Leib Jesu. 44 Pilatus aber wunderte sich, ob er schon gestorben sei, und rief den Centurio herbei und fragte ihn, ob er schon lange gestorben sei. 45 Und als er es von dem Centurio erfahren hatte, schenkte er Joseph den Leichnam. 46 Und er kaufte Leinwand, nahm ihn herab, wickelte ihn in die Leinwand und setzte ihn bei in einem Grab, das aus dem Felsen herausgehauen war, und wälzte einen Stein vor die Tür des Grabes. 47 Aber Maria von Magdala und Maria des Joses schauten zu, wo er beigesetzt war. Wäre diese Geschichte von Anfang an mit der nächsten zusammen erzählt oder nur gebildet worden, um zu erklären, wieso die Frauen das Grab kannten, klappte der Anschluß besser; nach Angabe der Namen in 15,47 könnte 16,1 fortfahren „Und nach Sabbatschluß kauften sie ...“ . Dasselbe gälte, wenn 16,1-8 nachträglich als Fortsetzung von 15,42-47 gebildet worden wäre. Vermutlich sind also beide Abschnitte relativ selbständig tradiert worden (s. zu V.40f.). Freilich gibt es starke sprachliche Ähnlichkeiten; doch beschränken sie sich, abgesehen von den kaum zu vermeidenden Wörtern „kaufen“ und „Grab“ auf das Verschließen und Öffnen des Grabes. Ist 15,46b vielleicht erst bei der Zusammenstellung mit 16,3b.4 gebildet worden oder umgekehrt 16,3f. sekundär zugewachsen (s. d.)? Die gewiß historische Tatsache, daß keiner von den Jüngern, sondern nur ein Sympathisierender aus einem weiteren Umkreis für die Bestattung sorgt, erweckt auch Vertrauen für die offenbar schon früh fest mit der Geschichte verbundene Nennung von Frauen. Eine besondere theologische Absicht läßt sich nirgends erkennen, im Gegenteil widerspricht diese Schilderung Jes.53,9. Joh. 19,38-42 überliefert die Grablegung Jesu im wesentlichen gleich. Erst hier erfährt man, daß Jesus an einem Freitag starb (auch Joh. 19,42), der 42 nach dem Einschub 14,12-16 (s. dort) zugleich Passatag war (entgegen Joh. 18,28), was freilich Einkauf der Leinwand wohl verhindert hätte. Der Wochentag ist also richtig überliefert, auch weil dies die rasche und provisorische Bestattung Jesu erklärt. Wenn Joseph noch vor Sabbatbeginn den Gang zu Pilatus samt den dort nötigen Rückfragen, Einkauf und Bestattung durchführen konnte, muß Jesus ziemlich früh am Nachmittag gestorben sein (Mk. 15,25.33f., anders Joh. 19,14). Ein „Ratsherr“ kann Mitglied des Hohenrats (so Lk.23,51) oder einer lokalen 43 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 16,1-8: Der Sieg Gottes
Gerichtsbehörde sein. Die Beschreibung läßt auf einen Juden schließen, der zu einer stark auf die Erwartung des kommenden Gottesreiches ausgerichteten Gruppe gehörte und mit Jesus sympathisierte, ohne sich ihm geradezu anzuschließen (anders Mt.27,57). Wahrscheinlich sind solche Gruppen noch bis 70 n.Chr. mit der jungen Christengemeinde in engem Kontakt geblieben, ohne aus dem jüdischen Gemeindeverband auszuscheiden. Auch das wird historisch sein. Den Jüngern Jesu ist ein Strich durch ihre Dogmatik gezogen worden. Das warf sie so aus dem Gleis, daß sie nur noch fliehen konnten. So ist es ein „Randsiedler“ , der das tut, was im Augenblick zu tun notwendig ist; vielleicht gerade, weil er sich noch kein allzu genaues und dogmatisch festgelegtes Bild von Jesus gemacht hat und darum offener blieb für das, was Gott im Augenblick von ihm erwartete. Nach Apg. 13,28f. haben die „Bewohner Jerusalems“ Jesus bestattet. Daß Joseph es „wagte“ , zu Pilatus zu gehen, läßt nicht gerade darauf schließen, daß dieser so Jesus-freundlich war, wie es 15,2ff. zu sein schien. Nach römischer Sitte wird nämlich der Leichnam sowieso Freunden oder Verwandten überlassen, während nach jüdischer Sitte ein Hingerichteter kein Recht auf ein Privatgrab hat. Der Tod muß offiziell festgestellt werden, damit nicht ein Verurteilter noch halblebend von Freunden gerettet werden kann. Vielleicht wird dies aber auch (von Markus?) erzählt, um allen Gerüchten über einen bloßen Scheintod vorzubeugen (vgl. 1.Kor. 15,4a). Das Wort Leichnam wird Mt.27,59 (Lk.23,52f.); Joh. 19,38.40 durch das fast gleichlautende für „Leib“ ersetzt, vermutlich weil der Gemeinde im Herrenmahl der für sie hingegebene, seine Lebendigkeit stets neu erweisende „Leib“ des Herrn gereicht wird und nicht ein Leichnam. Friedhöfe kannte man nicht; man bestattete auf eigenem Boden oder außerhalb der Wohnstätten. Der Rollstein wird zum Schutz gegen Tiere vorgeschoben; eventuell sollen auch Grabräuber abgehalten werden, doch kann in der Regel ein Einzelner den Stein wegrollen. Daß Bestattung vor Sonnenuntergang gerade auch bei Gekreuzigten für die Juden wichtig war, bezeugt Josephus (Krieg 4,317). Wiederum erscheinen nur Frauen als Zeugen; gerade die, die bei Juden und Griechen eine eher verachtete Stellung einnehmen, halten besser durch als die Jünger. Die neue Stellung der Frau in der Gemeinde Jesu zeichnet sich darin ab. Der Sieg Gottes 16,1-8, vgl. Mt.28,1-10; Lk.24,1-11 1 Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria von Magdala und Maria des Jakobus und Salome wohlriechende Salben, daß sie kämen und ihn salbten. 2 Und sehr früh am ersten Tag der Woche kommen sie ans Grab, als die Sonne aufging. 3 Und sie sprachen untereinander: „Wer wird uns den Stein von der Tür des Grabes wegwälzen?“ 4 Und als sie aufblicken, schauen sie, daß der Stein weggewälzt ist; er war nämlich sehr groß. 5 Und sie gingen ins Grab hinein und sahen einen Jüngling zur Rechten sitzen, bekleidet mit einem weißen Gewand, und sie entsetzten sich sehr, 6 Er aber sagt zu ihnen: „Entsetzt euch nicht; Jesus sucht ihr, den Nazarener, den Gekreuzigten; er wurde auferweckt, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn beigesetzt haben. 7 Aber gehet hin, sagt seinen Jüngern und Petrus: ,Er geht euch voran nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er zu euch sprach.4 8 Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grabe; denn Zittern und Entsetzen hatte sie erfaßt. Und niemandem sagten sie irgend etwas; sie fürchteten sich nämlich. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Die Osterberichte
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Zu den Namen vgl. zu 15,40f. Da der Sabbat mit Sonnenuntergang endet, kann man Einkauf abends annehmen (nach Lk.23,56 schon am Freitag); Einkauf vor Sonnenaufgang, wie Markus vermuten läßt, ist schwer vorstellbar. Vorausgesetzt ist provisorische Bestattung ohne Salbung (s. zu 14,8; anders Joh. 19,39f). Grabbesuch in den ersten drei Tagen ist üblich (Joh. 11,31-39; Billerbeck II 545), jedoch Salbung nach anderthalb Tagen nicht leicht denkbar. Die jüdische Salbung der Knochen ist etwas anderes. Aber einmal ist es in Jerusalem im Frühjahr nicht übermäßig heiß und dann fragt sich, ob sich der Ersterzähler die klimatischen Verhältnisse überhaupt vorstellen konnte. Merkwürdig ist, daß die Frauen sich erst unterwegs überlegen, wer den Stein wegrollen könnte; aber die Geschichte will damit wie mit dem nachhinkenden Hinweis auf seine Größe nur das Wunder hervorheben, ohne an psychologische Wahrscheinlichkeit zu denken. Das Engelwort mit den nachgestellten Titeln und dem für Markus ganz untypischen Hinweis auf den „Gekreuzigten“ ist wohl schon durch eine entsprechende Bekenntnisformel der Gemeinde geprägt (vgl. z.B. Apg.4,10). V.7 nimmt 14,28 auf, nur daß „vorangehen“ jetzt in der Gegenwartsform steht. Das Merkwürdigste ist der Abbruch in V.8 (vgl. zu 9-20 und den Exkurs „Markusschluß“ ). V.7 könnte auch erst vom Redaktor eingefügt worden sein; die besondere Nennung des Petrus kann sich auf seine Verleugnung oder auf die Tatsache der Ersterscheinung vor Petrus (1.Kor. 15, 5) beziehen. Die Differenz in den Frauennamen spricht eher dafür, daß die Geschichte zuerst relativ selbständig, aber natürlich im Kontext der der Gemeinde bekannten Passion Jesu erzählt wurde; denn sie setzt die Kenntnis der Kreuzigung am Freitag, der Bestattung ohne Salbung und der Anwesenheit der Frauen voraus. Die Osterberichte sind schwer zu entwirren. Der früheste (1.Kor. 15,3-8) ist ca. 55 n.Chr. niedergeschrieben, aber als wörtliches Zitat aus der Überlieferung der Gemeinde (Jerusalem? Antiochia?) und von Paulus, der seit 5-6 Jahren nach Jesu Tod eine Reihe der Zeugen persönlich kennengelernt und lange mit Jerusalemern zusammengearbeitet hat. Von den dort angeführten Erscheinungen Jesu vor Petrus und den Zwölfen, vor mehr als fünfhundert Brüdern, „von denen die meisten noch leben“ , vor Jakobus und allen Aposteln, die also einen von den Zwölf unterschiedenen (größeren?) Kreis darstellen, schließlich vor Paulus selbst ist nur noch die zweite in den Evangelien erzählt. Die kurze Erwähnung einer Petruserscheinung Lk.24,34 zeigt, daß Lukas (aus einer Formel?) noch die Tatsache, aber keine Einzelheiten mehr kennt. Nach Lk. 24,36-49 und einem völlig anderen Bericht Joh. 20,19-23 erschien der Auferstandene am Ostersonntag in Jerusalem, nach Mt. 28,16-20 in Galiläa. Wollte man dieses Ereignis nach denen in Jerusalem, die von Matthäus aber mit keinem Wort angedeutet werden, einordnen, wären doch, nach Lk. 24,36-49 und Joh. 20,24-29, die Zweifel einiger Jünger unmöglich und der Zug nach Galiläa klarer Ungehorsam gegen den Befehl des Auferstandenen (Lk. 24,49) gewesen. Von einer galiläischen Erscheinung, die ursprünglich als erste geschildert war, aber sich völlig anders abspielt als die von Mt. 28,16-20, weiß das Nachtragskapitel Joh. 21 und Pt.ev.60. Die verschiedenen Berichte sind, wenn man nach dem historischen Ablauf fragt, nicht mehr zu vereinen. Historisch am zuverlässigsten ist 1.Kor. 15,5-8. Über Ort und Art der Erscheinungen ist daraus © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Der Markusschluß
aber nichts zu entnehmen, abgesehen davon, daß Paulus sein eigenes Erlebnis in eine Reihe mit den übrigen stellt, also wohl an Erscheinungen des himmlischen Herrn, nicht eines auf Erden Wandelnden, denkt. Freilich scheidet er sie scharf von bloßen Visionen (vgl. Gal.l,15f.; l.Kor.9,1 mit 2.Kor.ll, 16-18; 12,1-lla). Nun setzt Mt. 28,18 (s. dazu, Einl.) ebenfalls schon die Erhöhung Jesu zum himmlischen Herrn „zur Rechten Gottes“ voraus. Ferner ist die Erscheinung wie bei Paulus (Gal. 1,15f.), anders als bei Lukas und Johannes nicht als Beglaubigung der Auferstehung, sondern als Sendung zur Verkündigung verstanden (s. zu V. 15). Galiläa ist auch Mk. 16,7 vorausgesetzt. Der Markusschluß kann verschieden erklärt werden. Ganz unwahrscheinlich ist, daß V.7 ein echtes, unerfülltes Jesuswort enthält, das erwartete, daß er als Auferstandener an der Spitze der Jüngerschar nach Galiläa ziehen werde (vgl. zu 14,28). Solche apokalyptischen Einzelvorstellungen finden wir bei Jesus nirgends, und jedenfalls hat Markus das Wort nicht so verstanden, weil nach ihm Jesus schon unterwegs zum Ort der Begegnung ist (Gegenwartsform!). Die Vermutung, Markus erwarte in nächster Zeit den Jüngsten Tag mit der Erscheinung des Menschensohns in Galiläa und breche mit V.8 ab, weil nur noch die Erfüllung von V.7 ausstehe, hat keine tragfähige Grundlage (vgl. zu 13,14). Gewiß kann das Erleben der Parusie mit „sehen“ bezeichnet werden (Mk. 13,26; l.Joh.3,2; Offb. 1,7; 22,4), aber auch die Begegnung mit dem Auferstandenen (l.Kor.9,1; Joh.20,18; die häufige Wendung „erschien dem ...“ heißt genau „wurde gesehen von ...“ ). Mk. 14,62 schließt Sehen des Erhöhten und einst Kommenden im gleichen Wort zusammen. Da die Parusie noch relativ fern ist - sonst würde nicht ein ganzes Evangelium geschrieben -, die Auferstehung aber 8,31; 9,9.31; 10,34 angesagt und soeben (16,6) verkündet wurde, muß man doch V.7 darauf beziehen. Die Auskunft, die Parusie Jesu werde sich in der Heidenmission in Galiläa vollziehen, stimmt jedenfalls für Markus (13,10.24-27!) nicht mehr. Auch die gesonderte Nennung des Petrus weist darauf hin, daß die Geschichte seiner Verleugnung und Reue noch nicht zu Ende erzählt und noch eine Begegnung des auferstandenen Jesus mit ihm (l.Kor. 15,5; Lk.24,34; Joh.21,15-19) zu erwarten ist. Eher wäre denkbar, daß Markus mit V.7 auf die Erscheinungen des Auferstandenen nur gerade hinweisen will, weil er keinerlei Einzelheiten mehr kennt und sich darum mit der Botschaft von V.6 und ihrem ausdrücklichen Hinweis auf das leere Grab begnügen muß. Nur erklärt das in keiner Weise das Schweigen der Frauen und den abrupten Schluß. Auch daß die Auferstehung, um die die Gemeinde weiß, ein solches Mysterium sei, daß es ähnlich dem Messiasgeheimnis nur gerade als solches angedeutet werden kann, ist angesichts der klaren Ansagen nicht wahrscheinlich. Erst recht unmöglich ist die Hypothese, hier werde geradezu gegen den Auferstehungsglauben der durch die Jünger repräsentierten Jerusalemer Gemeinde gekämpft. Zwar ist der Auferstandene für Markus nicht im gleichen Sinn gegenwärtig wie der Irdische und Wiederkommende (s. zu 2,20). Zwar sind die Jünger als unverständig geschildert; aber einmal gilt das nicht durchwegs (3,14f.; 6,7-13.30.41; 8,6; 10,28-30), dann sind sie ja Galiläer und schließlich müßte von ihrem Unglauben, nicht vom Schweigen der Frauen erzählt werden, wenn in ihnen die Jerusalemer Gemeinde © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Entdeckung des leeren Grabes
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getroffen werden sollte. Angesichts von 1.Kor. 15,5-8 (vgl. 11!) und der Tatsache, daß Paulus nur eine Urgemeinde kennt (Gal. l,17f.; 2,1), die er schon vor seiner Berufung, als er sie noch verfolgte, als einheitliche sah (Gal. l,22f.), ist fast undenkbar, daß es Gruppen gab, die nichts von Auferstehungserscheinungen wußten. Dann muß sich aber 16,7 darauf beziehen. Man kann also nur annehmen, daß der Schluß des Evangeliums verloren ist, ist es doch auch schwer vorstellbar, daß ein Buch mit dem in V.8 Gesagten, ja mit dem Wörtlein „nämlich“ geschlossen hätte. Darin sind vermutlich Erscheinungen in Galiläa, vielleicht eine Ersterscheinung vor Petrus und eine weitere vor den Zwölfen (l.Kor. 15,5), erzählt worden. Nicht ausgeschlossen ist, daß in Mt.28,9f. (s. dort, Einl.) 16 ff. noch etwas von dem sichtbar wird, was er in Markus gelesen hat. Die Schilderung einer rein-himmlischen Erscheinung könnte Anstoß erregt haben und bewußt weggelassen worden sein. Das könnte auch erklären, warum die l.Kor. 15,5-8 aufgezählten Erscheinungen in der Tradition der Evangelien verschwunden sind. Doch bleibt das unbeweisbare Vermutung, und da es für auf Papyrusblätter wie in Rollenform geschriebene Werke Belege gibt, daß der Buchschluß relativ leicht verlorengehen konnte, ist eher an zufälligen Verlust zu denken. Es gibt sogar eine späte Handschrift, die zufällig gerade bei 16,8 abbricht, obwohl sie sicher mehr enthalten hat. Markus denkt sich die Jünger in Jerusalem (V.7); historisch gesehen ist die Erinnerung an 14,28 wahrscheinlich der Versuch, die gesondert umlaufenden Traditionen vom leeren Grab und von den Erscheinungen in Galiläa zu verknüpfen und zugleich die Flucht der Jünger nach Galiläa nachträglich zu entschuldigen, d.h. auf einen Befehl Jesu zurückzuführen (vgl. unten). Daß die Jünger nach Hause flohen, ist wahrscheinlich, weil sie bei Jesu Kreuzigung und Grablegung nicht, am offenen Grab erst in späten Traditionen auftauchen und weil Lukas auch sonst eine theologische Vorliebe für Jerusalem zeigt. Außerdem müssen sie früher oder später in Galiläa gewesen sein, weil sie nachher dauernd mit ihren Familien, die sie vorher nicht begleitet haben, in Jerusalem wohnen. Was sich bei der Entdeckung des leeren Grabes abgespielt hat, ist wiederum schwer feststellbar. Die Berichte differieren stark. Der Auftrag des Engels ist Lk. 24, 6-8 bewußt umgeändert, wie der ganz anders gewendete und merkwürdig anmutende Hinweis auf Galiläa noch beweist; Joh.20,17 erscheint ein nochmals anderer Auftrag. Mt.28,1 scheint Besuch am Samstag nach· Sonnenuntergang anzunehmen, der wie Joh.20,1 durch bloße Pietät ohne Absicht einer Salbung und eines Eindringens ins Grab begründet ist, was einige Schwierigkeiten löst. So fehlt auch die Überlegung wegen des Steins bei allen andern; dafür schildert Mt.28,2f. das Niederfahren des Engels (s. dort). Nach Mt.28,2-5 belehrt der Engel die Frauen vor dem Grabe, so daß sie nach V.8 auch „weg-“ , nicht wie Mk. 16,8 „hinausgehen“ ; nach Lk.24,4 sind es zwei Engel im Grabe. Auch der Wortlaut der Verkündung der Auf erweckung ist verschieden. Endlich ist die Weitergäbe des Auftrags an die Jünger nach Mt. 28,8 beabsichtigt, nach Lk.24,9 durchgeführt. Ist von den Erscheinungen in l.Kor. 15,5-8 in den Evangelien nur die, auch sehr verschieden berichtete, vor den Zwölfen übriggeblieben, so fehlt umgekehrt die von allen vier Evangelisten erzählte Entdeckung des leeren Grabes außerhalb der Evangelien. Beide Über© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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lieferungen sind also getrennt voneinander weitergegeben worden. Der jüdische Erzähler der Erscheinungen Jesu setzt natürlich voraus, daß das Grab leer war; aber es wird nicht auf Zeugen dafür hingewiesen. Könnte diese Geschichte als eine Art von Beweis entstanden sein, als die Vorstellungen von der Auferstehung schon „massiver“ waren? Aber das wären sie trotz der Vielfalt der Anschauungen weit eher im Judentum als im Hellenismus; für den Juden ist ein zum Himmel Gefahrener natürlich nicht mehr im Grab (vgl. Apg.2,29-31). „Frauengeschwätz“ , über das noch Celsus (Origenes, Gg. Cels.2,55) spottet, ist aber im Judentum, wo die Frau kein Zeugenrecht hat, auf alle Fälle kein Beweis. Daß die Berichte vom leeren Grab und die von den Erscheinungen erst sekundär miteinander verknüpft wurden, ist klar, wenn jenes in Jerusalem entdeckt wurde, diese in Galiläa stattfanden. Auf der ersten Stufe fehlt auch die Weitergabe der Entdeckung an die Jünger und eine Prüfung durch sie. Daß Mk. 16,8 nur erklären wolle, wieso man so lange nichts vom leeren Grab gewußt habe, ist zu modern gedacht. Was Markus mit V. 8 theologisch sagen wollte, ist nachher zu bedenken. Ist die Erzählung historisch glaubwürdig? Sicher ist sie in allen vier Evangelien legendarisch ausgestaltet worden. Aber auffällig ist, wie wenig Zeugen genannt werden. Die Urform scheint eine einzige Frau gekannt zu haben, Maria von Magdala, die nach Joh.20,1 (vgl. Mk. 16,9) allein ans Grab ging. Sie ist auch die einzige, die in den Namenlisten Mk. 15,40 (s. dort).47; 16,1 und nochmals anders Mt. 28,1; Lk.24,10 übereinstimmend genannt wird. Die Nachprüfung durch die Jünger wächst Joh.20, 2-10 erst später zu; denn nach 20,11 steht Maria immer noch allein am Grab (vgl. noch Lk. 24,24). Von einer Erscheinung Jesu vor den Frauen berichtet (entgegen Lk. 24,23 f.) erst Matthäus. Das spricht für glaubwürdige Tradition; denn ein nachträglich entstandener „Beweis“ für die Auferstehung wäre von Anfang an an möglichst vielen und zuverlässigen Zeugen interessiert; wo gibt es eine Wundergeschichte im Neuen Testament ohne einen Chor von Zeugen und möglichst noch eine Demonstration des Wunders? Historisch denkbar, wenn auch unwahrscheinlich, wäre höchstens die oben erwähnte Vermutung, daß - noch ohne SteinWunder (V.3f.) und Demonstration des leeren Grabs (V.6 Ende) - einmal alles Gewicht auf dem Oster-kerygma im Munde des Engels und dem Hinweis auf kommende Erscheinungen gelegen hätte (V.6 f.). Auch dann müßte aber wohl die Tatsache der Frauen am offenen Grab schon bekannt gewesen sein; sonst hätte man den Engel seine Botschaft an die Jünger ausrichten lassen. Auch wäre das Schweigen der Frauen damit noch nicht erklärt. So bleibt immer noch am wahrscheinlichsten, daß Maria Magdalena das leere Grab tatsächlich entdeckt hat. Jesu Grab scheint ja nach 15,42-47 (mit dem unverdächtigen Namen des Joseph von Arimathäa) bekannt gewesen und sein Leersein nie angefochten worden zu sein; seit Mt. 28,13 ist diese Tatsache jedenfalls auch in jüdischer Polemik immer anders erklärt worden, und Auferstehungspredigt in Jerusalem ist schwer denkbar, wenn man auf das Grab hätte hinweisen können (Apg.2,29-32). Vielleicht läßt sich sogar die Datierung der Auferstehung auf den „dritten Tag“ (l.Kor. 15,4 und oft) damit erklären; denn Galiläa hätten die Jünger schwerlich schon am Sonntag erreicht, so daß die Erscheinungen wohl später erfolgten. Mit einem Beweis der Auferstehung hat das freilich nichts zu tun. Abgesehen von der schon Mt. 27,64 erwogenen Möglichkeit könnte © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 16,1-8: Der Sieg Gottes
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der provisorisch bestattete Leichnam Jesu in ein anderes Grab verlegt worden oder könnte Maria an ein falsches Grab gegangen sein. Vor allem hängt die Sache der Auferstehung nicht am leeren Grab (wie auch 1.Kor. 15,3-8 zeigt). Paulus spricht von einem völlig anderen „geistlichen Leib“ (1.Kor. 15,44), also von einer für uns nicht mehr vorstellbaren Gestalt des Auferstehungslebens. Dabei liegt ihm allerdings daran, daß der Mensch auch nach der Auferstehung nicht ein unbestimmtes, mit Gott und All verschmolzenes Fluidum, sondern der bestimmte Er ist, den Gott schon in seine Gemeinschaft hineingenommen hat, bevor er starb. Auch für Paulus aber ist diese Kontinuität nur im Wunder Gottes begründet, der den Verstorbenen durch seine Schöpfertat wieder ruft und dadurch neu schafft. Ob daher der alte Leib (bei den früher Verstorbenen) im Grab vermodert oder (bei den zur Zeit der Parusie noch Lebenden) von Gottes neuer Schöpfertat „verschlungen“ wird (2.Kor. 5,4), spielt für ihn keine große Rolle (l.Thess.4,13-18). Daß die Entdeckung des leeren Grabes Jesu (außer vielleicht nach Joh.20,8) keinen Glauben schuf, zeigt, daß die Gewißheit der Auferstehung Jesu erst darauf ruht, daß er als Lebendiger dem Menschen begegnet. Für den, dem dies widerfahren ist, ist die Tatsache des leeren Grabes allerdings ein Zeichen für die Einzigartigkeit des hier Geschehenen, für die Tat Gottes, die derjenigen gleicht, die zum erstenmal aus toter Materie jenes Geheimnisvolle werden ließ, das wir „Leben“ nennen und nicht erklären können. Wieder sind nur die Frauen da, um den jetzt geforderten Liebesdienst zu tun (vgl. zu 15,47). Auch sie üben freilich nur eine Pietätspflicht und erwarten in keiner Weise die Tat Gottes, die sich schon vollzogen hat. Die unkorrekte griechische Formulierung (wörtlich: „am einen - statt: ersten - Tag der Woche“ ) geht auf das Hebräische zurück, wo man so sagen muß, könnte aber auch aus LXX übernommen sein. Auch Joh.20,1; l.Kor. 16,2; Apg.20,7 (anders nur [Mk.] 16,9!) formulieren so, was vielleicht auf Tradition schließen läßt. Die Frage der Frauen soll die Menschen charakterisieren, für die der große Stein immer noch und endgültig das Grab verschließt. Gottes schon geschehene Wundertat wirkt daneben um so gewaltiger. Daher wird auch hinterher, wie es bei volkstümlichem Erzählen leicht geschieht, noch einmal die Größe des Steins erwähnt. Erst eine lateinische Übersetzung hat eine Beschreibung der Auferstehung Jesu selbst hier eingeschoben. Für das Neue Testament bleibt entscheidend, daß das Geheimnis der Tat Gottes eben nicht beschrieben und von niemandem geschaut werden kann. Nicht das Wunder der Auferstehung, nicht die unbegreifliche Entdeckung des leeren Grabes schafft Glauben, sondern die Begegnung des Lebendigen mit seinen Jüngern. Sie ist der bleibende Grund des Glaubens an Gottes Wundertat, und nur wem sich der Auferstandene selbst lebendig erwiesen hat, kann den Bericht vom leeren Grab verstehen. So wird denn auch vorläufig nicht die Tat Gottes selbst, sondern nur ein noch nicht deutbares Ergebnis sichtbar. Der Engel wird sehr zurückhaltend als „Jüngling“ beschrieben, ähnlich auch 2.Makk.3,26.33 (vgl. Josephus, Altert. 5, 277: „eine Erscheinung Gottes, einem schönen und großen Jünglinge ähnlich“ ). Höchstens das weiße Gewand weist zeichenhaft auf Gottes Welt hin. In so außerordentlich scheuer Weise berichtet ein Mensch vom Wunder, wenn ihm Gott, der ihm darin begegnet, wichtiger ist als die mehr oder weniger mirakulöse Form, wenn© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 16,1-8: Der Sieg Gottes
gleich diese gelegentlich als Zeichen notwendig ist, um ihn aufmerken zu lassen. So wird auch hier eigentlich nur im Entsetzen der Frauen (vgl. auch V.8!) sichtbar, daß nicht irgendein Jüngling (s. zu 14,43-52, Einl. am Ende), sondern Gottes Bote 6 auf dem Platze ist. Fast überall, wo in der Bibel der lebendige Gott dem Menschen begegnet, muß sein erstes Wort diesem das Entsetzen wegnehmen; denn nur mit Entsetzen kann der Mensch angesichts der alles überwältigenden Größe Gottes sich selbst sehen. Die Formulierung „Ihr sucht ...“ ist auffällig; das pietätvolle, aber angesichts der Tat Gottes sinnlose Tun des Menschen soll herausgestellt werden. Ein Hinweis darauf, daß sie erst das Grab suchen und irgendein Jüngling ihnen die Auferstehungskunde mitteilt, ist dies nicht. Mit der Aussage „er wurde erweckt“ wird Gottes Tun in den Mittelpunkt gestellt. Daß er eingriff in die Geschichte, wo menschlich gesehen alles zu Ende war, ist das Wunder, von dem der Engel kündet. Darin ist an Jesus schon geschehen, was sonst erst in ferner Zukunft erhofft wurde. „Er ist nicht hier›› soll schon als originelle, aber sachlich sehr neutestamentliche 7 Grabschrift gewählt worden sein. Was das Geschehene bedeutet, wird erst die Begegnung mit dem Auferstandenen in Galiläa zeigen. Mit der besonderen Nennung des Petrus wird wahrscheinlich auf seine Verleugnung zurückgewiesen. Noch einmal werden die, die bei der Verhaftung Jesu flohen, und der, der ihn verleugnete, von Jesus gerufen (vgl. zu 14,28). Noch einmal geht er ihnen voran (vgl. 10,32) und heißt sie, ihm nachzufolgen. Noch einmal geschieht darin Gnade und werden sie ihn, der sie nicht verlassen hat, als sie ihn verließen, wieder sehen, und damit end8 gültig in seinen Dienst genommen werden. Die Reaktion des Menschen ist, wie es durch das ganze Evangelium hindurch sichtbar wurde, völlige Blindheit. Nichts von Freude, nur Furcht wird sichtbar. Neben Gottes unerhörte Tat tritt auf der Seite des Menschen, auch des pietätvollen, Jesus liebenden, einen gewissen Mut zeigenden Menschen, nur vollkommenes Unverständnis. Noch einmal muß der Auferstandene selbst die Augen der Blinden öffnen (vgl. 8,22-26 vor 8,27-31). Von diesem Wunder, das erst das Wunder des Ostermorgens zum Reden bringt, hat der verlorene Schluß des Markusevangeliums erzählt. Das Erstaunlichste in diesem Abschnitt ist V.8. Markus ist so weit davon entfernt, die Tatsache des leeren Grabes als Beweis für die Auferstehung auszuwerten, daß er nicht nur die Worte des Engels anführt, die erst deuten, was vor sich gegangen ist, sondern darüber hinaus betont, daß selbst sie nur Furcht und Schrecken, aber keinen Glauben und kein Verstehen schaffen. Nun ist freilich in der gesamten Tradition auch der Berichte von den Erscheinungen Jesu vor den Jüngern spürbar, daß sich die Wirklichkeit der Auferstehung Jesu gegen sehr kritische und ein solches Geschehen in keiner Weise erwartende Menschen durchsetzen mußte. Markus geht aber noch darüber hinaus, indem er überhaupt nicht vom Werden eines Glaubens berichtet. So steht aller Verständnislosigkeit der Menschen allein die Verheißung Jesu entgegen, selbst voranzuziehen und selbst zu bewirken, wozu Menschenherzen unfähig sind, trotz allem Versagen die Jünger noch einmal in die Nachfolge zu rufen und ihnen so zu begegnen, daß sie ihn sehen werden. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 16,9-20: Die erste Ergänzung des Fehlenden
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Die erste Ergänzung des Fehlenden 16,9-20 9 Nachdem er aber auferstanden war früh am ersten Tage der Woche, erschien er zuerst der Maria von Magdala, von der er sieben Dämonen ausgetrieben hatte. 10 Sie ging hin und verkündete es denen, die mit ihm gewesen waren, die klagten und weinten. 11 Und sie, als sie hörten, daß er lebe und von ihr geschaut worden sei, glaubten nicht› 12 Danach aber offenbarte er sich zweien von ihnen unterwegs in veränderter Gestalt, als sie aufs Land gingen. 13 Und sie gingen und verkündeten es den übrigen; aber auch denen glaubten sie es nicht. 14 Später offenbarte er sich den Elfen selbst, als sie bei Tische lagen, und schalt ihren Unglauben und ihre Herzenshärtigkeit, daß sie denen nicht geglaubt hatten, die ihn als Auferweckten geschaut hatten. 15 Und er sprach zu ihnen: „Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium der ganzen Schöpfung. 16 Wer glaubt und getauft wird, wird gerettet werden; wer aber nicht glaubt, wird verurteilt werden. 17 Den Glaubenden aber werden diese Wunderzeichen folgen: in meinem Namen werden sie Dämonen austreiben, mit neuen Zungen reden, 18 Schlangen aufheben, und wenn sie etwas Todbringendes trinken, wird es ihnen nicht schaden, Kranken werden sie die Hände auflegen, und wie werden genesen.“ 19 Nachdem nun der Herr mit ihnen geredet hatte, ,wurde er emporgehoben in den Himmel' und ,setzte sich zur Rechten Gottes›. 20 Sie aber zogen aus und predigten überall, und der Herr wirkte mit ihnen und befestigte das Wort durch die mitfolgenden Zeichen. V. 19: 2.Kon. 2,11; 1.Makk.2,58; Ps.110,1.
Der Abschnitt fehlt in den ältesten Handschriften; einige Kirchenväter kennen ihn, andere bezeugen sein Fehlen. Die Sprache, vor allem die Bezeichnung Jesu als „der Herr“ , ist nicht markinisch (vgl. zu 11,3); das bei Markus überaus häufige, die Erzählung weiterführende „und“ (besonders am Anfang eines Abschnitts) fehlt fast, ebenso die sehr beliebten Wendungen „sogleich“ , „wiederum“ u.a.m. Umgekehrt steht das dreimal verwendete Wort für „gehen“ (V. 10.12.15) nie bei Markus. Der ganze Wortschatz (ausg. „Todbringendes“ V. 18) findet sich auch in der LXX. Einzigartig ist ferner die Tagesangabe V.9 (s. zu V.2); „er lebt“ als Hinweis auf die Auferstehung steht außer 2.Kor. 13,4 ers.t bei Lukas; die drei Verben für „erscheinen“ tauchen sonst erst im 2.Jh. n.Chr. auf und das für „emporgehoben“ wird erst spät auf Jesus angewendet. Sachlich sind überall Erzählungen von Lukas, wohl auch Matthäus und Johannes vorausgesetzt (s. unten). Außerdem paßt V.9 nicht zu V. 1-8; Maria von Magdala war V. 1 ja schon mit andern zusammen genannt („früh am ersten Tag“ , V.2), mindestens hätte die nähere Bezeichnung (V.9 Ende) dann dorthin gehört; auch wird V.9 kein Subjekt eingeführt, nach V. 5-7 müßte man eigentlich an den Engel denken. Das zeigt, daß der Abschnitt nicht einfach als spätere Fortsetzung des jäh abbrechenden Markusevangeliums komponiert ist. Ist es eine, vielleicht für Unterrichtszwecke geschaffene, Zusammenfassung der Osterberichte? Nach sehr unsicherer Tradition soll sie auf den Presbyter Aristion (um 100 n.Chr.) zurückgehen. Mindestens die lukanischen Schriften hat der Verfasser wohl gekannt, vermutlich auch die übrigen Evangelien, obgleich er sie mit viel eigener Tradition vermischt. Aber durchs ganze 2. Jh. hindurch wurden selbst Herrenworte noch sehr frei weitergegeben und umgestaltet, auch wo die Evangelien sicher bekannt waren. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Mk. 16,9-20: Die erste Ergänzung des Fehlenden
9-20
Zweimal folgen sich Offenbarung, Verkündigung, Unglaube (V. 9-11.12f.), dann geschieht die entscheidende Offenbarung an die Elf mit dem Auftrag zur Verkündigung und der doppelten Möglichkeit von Glaube oder Unglaube (V. 14-16) samt der Verheißung der Zeichen (V. 17f.), schließlich Himmelfahrt, universale Verkündigung und Erweis durch Wunderzeichen. Der ganze Abschnitt ist also stark auf die Verkündigung und den dadurch zu erweckenden Glauben hin ausgerichtet. 9.10 Von einer Erscheinung vor Maria Magdalena weiß nur Joh.20,11-18, wo auch der Bericht an die Jünger erwähnt ist. Die Austreibung der sieben Dämonen stammt aus Lk.8,2. Das „Klagen und Trauern“ (ähnlich von Maria Joh. 20,11.15) wird sonst erst in apokryphen Zeugnissen von den Jüngern ausgesagt. Neu ist die Betonung ihres Unglaubens. Beides ist also dem Verfasser wichtig: daß die Botschaft von V. 7 nicht genügt, wenn es nicht zur Begegnung mit dem Auferstandenen kommt, und daß dieser sich gegen den Widerstand des Menschen durchsetzen muß (dazu vgl. Mt.28,17; Lk.24,25.37.41; Joh.20,24-29; Ign.Sm.3,2; Ep.ap.10; Justinus, 12.13 res. [MPG 6, 1571 ff.] 9). Nach V.12 ist dabei an einen größeren Kreis von Jüngern gedacht. Das Folgende ist ein Resume der Emmausgeschichte (Lk.24, 13-35). Die „andere“ oder „veränderte“ Gestalt ist kaum auf die von Maria gesehene oder auf das frühere Aussehen des Irdischen (Lk.24,16) zu beziehen, sondern bezeichnet eher die völlig neue, „himmlische“ Gestalt bei der eigentlichen Offenbarung (syr. Bar.49,2-51,1). Wieder ist der hartnäckige Unglaube der Jünger, der Lk.24,34 widerspricht, betont. Gerade daß der Erzähler diesen Widerspruch 14 in Kauf nimmt, zeigt, wie wichtig ihm dieser Punkt ist. Bei der Erscheinung vor den Jüngern selbst sind nur die Elf vorausgesetzt; so hat man wohl auch Lk.24,36-43 verstanden. Erscheinung beim Mahl ist auch dort und Apg. (1,4); 10,41 (vgl. Hb.ev.7; Ign.Sm.3,3) erwähnt. Noch einmal wird der Unglaube, ja die Verstockung der Jünger unterstrichen. Was Markus immer wieder, besonders 8,17-21, einschärfen wollte, hat dieser Erzähler verstanden: daß es Zeugenschaft, Verkündigung, Gnade und Heil gibt, ist Gottes Tat gegen alles Widerstreben des Menschen. Das war freilich für einen der Abschreiber zuviel; er fügte daher ein: „Und sie entschuldigten sich und sagten zu Christus: ,Dieser Äon der Gesetzlosigkeit und des Unglaubens ist unter dem Satan, der es nicht zuläßt, daß die wahre Kraft Gottes (?) von den unreinen Geistern (?) ergriffen wird; deswegen offenbare jetzt schon deine Gerechtigkeit.1 Und Christus erwiderte ihnen: ,Erfüllt ist die Grenze der Jahre der Macht des Satans; aber andere Schrecken nahen, auch für die, für die ich, da sie sündigten, dem Tode ausgeliefert wurde, damit sie zur Wahrheit umkehrten und nicht mehr sündigten, damit sie die geistliche und unvergängliche Herrlichkeit der Gerechtigkeit im Himmel erben1.“ Dieser sehr spät zugewachsene Zusatz zeigt, wie stark das Problem der Sünde nach der Auferstehung Jesu die Gemeinde umtrieb: wie verhält sich der Ostersieg Gottes zur künftigen vollen Offenbarung der „Herrlichkeit“ und „Gerechtigkeit“ ? Mit der Antwort, die Macht des Satans sei zwar gebrochen, aber „andere“ Schrecken kämen, ist freilich die im Ansatz richtige Antwort von V. 11-14 eher verdunkelt, daß nämlich der Grund der Paradoxie in der Wirklichkeit des Unglaubens liegt. Als Glaubender lebt der Mensch schon im Lichte des Ostersieges Gottes, als stets vom Unglauben Angefochtener aber zugleich „in diesem Äon“ ; erst die Vollendung bei der Parusie läßt ihn vom Glaubenden © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Mk. 16,9-20: Die erste Ergänzung des Fehlenden
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zum Schauenden werden, der ohne Anfechtung in der vollen Gemeinschaft des Kindes Gottes mit dem Vater lebt (l.Joh.3,2!). Beim Verfasser von V.9-20 schließt sofort der Missionsbefehl an. So hat es auch 15 Markus verstanden: Überwindung des Unglaubens und der Anfechtung, kurz das Ereignis der Gnade Gottes erfolgt so, daß der Mensch in Dienst genommen und damit eben ins Glauben hineingestellt wird. Der Satz ist verwandt mit Mt. 28,16-20, aber eine andere Variante, in der das Hauptgewicht auf der Universalität der Völkermission liegt. Mk. 13,10 spricht wie Mt. 28,19 von „allen Völkern“ , Mk. 14,9; 16,15a und Röm. 1,8 von „der ganzen Welt“ . Noch umfassender formulieren Mk. 16,15 b und Kol.1,23: „der ganzen Schöpfung“ . Damit kommt eine Theologie zum Zuge, in der Christus als Herr der ganzen Schöpfung, schon vor seiner Geburt und erst re ht aufgrund seiner Auferstehung, gepriesen wird; nicht nur die Menschen, die ganze Natur steht unter seiner Herrschaft. Aber auch wo man noch nicht so weit geht, wirkt schon eine bestimmte Denkform nach, in der weniger der Gekreuzigte (wie bei Paulus l.Kor.2,7f.) als die Völkermission Mittelpunkt geworden ist (s. Rückblick, 1. Abschnitt); doch taucht Mk. 16,15 weder der sonst typische Begriff des „Geheimnisses“ (s. zu 4,12) noch die Vorstellung vom Siegeszug des Erhöhten durch die Himmel (l.Tim.3,16; s. zu Mk. 13,10) auf. Insofern steht der Satz Mt. 28,19 noch näher. Theologisch wichtig ist, daß das Ende des Unglaubens nicht einfach mit dem Auferstehungswunder gegeben ist, sondern erst in dem geschenkten Gehorsam des Zeugen liegt, in dem der Auferstandene sich „der ganzen Schöpfung“ als der Lebendige erweist (s. Exkurs Osterberichte bei 16,1-8). Wie 16 Mt. 28,16-20 wird auf die Taufe verwiesen; aber noch klarer als dort ist sie als Ausdruck des Glaubens verstanden und in der negativen Formulierung ist nur der Unglaube, nicht aber das Fehlen der Taufe genannt. Die griechische Form bezeichnet beidemal den Punkt, an dem ein Mensch grundsätzlich zum Glauben gekommen ist, bzw. sich für den Unglauben entschieden hat. Ein ganz ähnlicher Satz steht Ker. Pt. 4 (bzw. VII): „... daß, die hören und glauben, gerettet werden, die nicht glauben, ... nicht sagen können ,wir haben nicht gehört'“ . Dennoch ist hier das stärkste Fragezeichen zu setzen. Zwar wird nach Mt. 11,20-24 den Städten, die Jesu Taten sahen und doch nicht Buße taten, das Gericht angedroht; ein solcher Bußruf wird aber in gefährlicher Weise verkürzt, wenn er nicht mehr zum Sehen der Taten Gottes und zur Umkehr rufen will, sondern nur noch apodiktisch den „Unglauben“ verdammt. Auch wenn dies mehr meint als ein bloßes nicht-für-wahr-Halten, liegt dieses Verständnis des Unglaubens doch von V. 14 her nahe. Dazu kommt, daß die Hoffnung auf Gottes große Zukunft nur in diesem Hinweis auf kommende Rettung oder Verdammung ausgedrückt wird. Daß in Jesu großen Taten schon etwas von Gottes endgültigem Heil eingebrochen ist und daß Jesus selbst einst die Erfüllung sein wird, ist kaum mehr zu spüren. Das Wissen um Gottes endzeitliches Kommen in Jesus hat sich auf die Anschauung vom Jüngsten Gericht reduziert. Die Aufzäh- 17.18 lung der Zeichen, die allen (!) Glaubenden verheißen sind, verrät eine Gemeinde, in der noch immer Wunder geschehen und wichtig sind. Der Ausdruck „Zeichen“ ist bei Markus eher negativ verwertet; der Unglaube fordert sie; positiv spricht Johannes davon. Alle genannten Arten erscheinen auch Apg.2,lff.; 3,1ff.; 9,32ff.; 14,8ff.; 16,16ff.; 19,13ff.; 28,3ff., ausgenommen der unschädliche Gifttrank, von © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Die zweite Ergänzung des Fehlenden
dem aber Papias um 130-140 n.Chr. berichtet wie auch von Totenerweckungen durch die Töchter des Philippus (Euseb, Kirchengesch.III 39,9). Auch Spätere kennen das Motiv (Hennecke II S. 137f.). Heilung von Schlangenbiß ist bei Billerbeck IV 459; Kindheitsgeschichte des Thomas 16; Act. Joh. 73-83; Act. Thom.33 bezeugt. Daß nur Zungenrede (unverständliche Glossolalie? Reden in fremden Sprachen? am ehesten Reden in himmlischen Engelsprachen), nicht Prophetie genannt ist (vgl. 1.Kor. 14,4f.), beweist, wie wichtig das Mirakulöse geworden ist. Daß solche Gemeinden noch durch Jahrhunderte hindurch lebten, dazu vgl. Exkurs 19 zu Mt.7,13-23(7). Wie nach Lk.24,51 fährt Jesus am Ostersonntag gleich nach seinem Gespräch mit den Jüngern zum Himmel, was in alttestamentlichen Wendungen aus der Geschichte Elias (2.Kön.2,11, genauer l.Makk.2,58) und dem häufig zitierten Ps. 110 beschrieben wird. Nur Lukas (doch vgl. Joh. 20,17) unterscheidet deutlich zwischen Auferstehung und Himmelfahrt (s. Exkurs Osterberichte zu 16,1-8 und zu Mt.28,18, Einl.). Neu ist, daß geradezu erzählt wird, wie Jesus „sich zur Rechten Gottes setzte“ (anders noch Apg.2,34). Auch hier sind also Erhöhung, als Beginn der Regentschaft Christi verstanden, und Parusie nicht verbunden. Zunächst wurde wohl die Auferstehung als Beginn der Endereignisse, also der Parusie verstanden; dann einerseits als Hinweis auf die kommende Parusie, wobei in der Zwischenzeit der „Name“ Jesu Wunder wirkte (s. zu 2,20), andererseits als Beginn der Gegenwart des Erhöhten bei seiner Gemeinde. Auf der ersten Linie war die Wiederholung der Wunder Jesu, besonders der Dämonenaustreibungen wichtig, auf der zweiten die Wunder eines neuen himmlischen Lebens wie das Zungenreden, die die direkte Gegenwart des Erhöhten bekundeten und die Hoffnung auf eine Parusie nebensächlich werden ließen. Das läßt begreifen, daß, besonders bei Gnostikern, immer weniger an die Wunder des Irdischen erinnert oder solche neu erfunden werden, während neue Apostelwunder weithin produziert werden. Mk. 16,17-20 sind beide Tendenzen schon verschmolzen. Galiläische 20 Erscheinungen (Mt. 28,16) haben darin keinen Platz. Den eigentlichen Schluß des Evangeliums bildet die Missionstätigkeit der Jünger. Was Lukas mit seiner Apostelgeschichte tat, ist also hier im Ansatz sichtbar. Geprägt ist der Bericht von einem immer noch lebendigen Enthusiasmus, der in Wundererfahrungen das stetige Wirken des Erhöhten verspürt und wahrscheinlich ohne jede Ämterhierarchie alle Glaubenden auf gleicher Stufe sieht. Er läßt uns also in eine Entwicklung der Gemeinde hineinschauen, in der Wunder und charismatische Begabungen hochgeschätzt wurden. Das eigentliche Ziel der Auferstehung Jesu liegt in der Verkündigung des Evangeliums in der ganzen Welt. Und zwar erfolgt diese durch die vom Auferstandenen wieder in Dienst genommenen Jünger, deren Unglauben nur er selbst überwinden kann. In ihr erweist sich Kraft, Herrschaft und Sieg des Auferstandenen. Die zweite Ergänzung des Fehlenden Alles aber, was ihnen aufgetragen war, verkündeten sie in Kürze denen, die mit Petrus waren. Danach aber entsandte auch Jesus selbst durch sie vom Osten her und bis zum Westen die heilige und unvergängliche Verkündigung der ewigen Rettung. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Rückblick (Vorgeschichte)
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Auch in diesem zweiten, sehr kurzen Schluß wird, in einer dem Markus völlig fremden Sprache, die Ausführung des Engelsbefehls und vor allem die Einsetzung der weltweiten Verkündigung berichtet. In ihr hat die hier redende Gemeinde offensichtlich die eigentliche Erfüllung von Ostern gesehen. Petrus ist als Führer der Jüngerschar besonders hervorgehoben (vgl. 16,7). Ausdrücke wie „unvergänglich“ und „ewig“ weisen auf hellenistisches Denken. Was aber oben zur zentralen Stellung der Verkündigung gesagt ist, gilt auch für diesen Schluß.
Die theologische Leistung des Markus (Rückblick) Als Markus sein Evangelium schrieb, hatte die Botschaft von Jesus Christus schon die meisten Länder rings um das Mittelmeer herum erreicht. Vorangetrieben in erster Linie durch Paulus, aber auch durch unzählige Unbekannte, durch die z.B. die wichtige Gemeinde in Rom gegründet wurde, war ihr Zug durch die Welt nicht mehr aufzuhalten. So wurde, wie die wohl von Paulusschülern stammenden Stellen Kol. 1,23.26f.; Eph.3,1-9, der Hymnus in l.Tim.3,16 und der später am Ende des Römerbriefs zugefügte Lobpreis zeigen, der Siegeszug des Erhöhten durch die Völkerwelt als die eigentliche Offenbarung des seit Ewigkeit verborgenen Geheimnisses Gottes verstanden (s. zu 4,12; 16,15). Aber die Frage, was Leben und Sterben Jesu zu bedeuten hatten, war noch keineswegs geklärt. Drei Antworten zeichneten sich besonders ab. Judenchristliche Gemeinden waren (1) primär an Jesu Worten interessiert, die ihnen neben ethischer Weisung vor allem Auskünfte apokalyptischer Art über die zu erwartende Endzeit mit der Parusie des Menschensohns zum Gericht gaben (so die Redequelle, vgl. Einführung 1.). Aber genügte es, nur auf den kommenden Menschensohn und sein Gericht zu warten? War Jesus nur in seiner ethischen Unterweisung gegenwärtig? War seine Rolle vor der Parusie die eines Weisheitslehrers? Dann wäre aber nicht er selbst, sondern letztlich nur seine Lehre wesentlich. Schon Q ging deutlich darüber hinaus, weil darin ausdrücklich auf den irdischen Jesus zurückgeblickt und er mit dem Menschensohn identifiziert wurde. Vielleicht wurde auch gegen aktuelle nationalistischrevolutionäre Strömungen Stellung genommen (vgl. Einführung zu Mt., 2., und Einl. zu Mt.4,1-11). Aber auch damit war die Frage, was Jesus für die Zeit bis zur Parusie bedeutete, noch nicht erledigt. Erstaunliche Wunder wurden schon von den „Gottesmännern“ des Alten Testa- (2) ments erzählt (vgl. Exkurs zu 4,35-41); zur Zeit Jesu gab es jüdische Dämonenaustreiber (s. zu Mt. 12,27). Wundertäter zogen durch Syrien, aber auch Kleinasien und Griechenland und begeisterten die Menge teils durch Tricks, teils durch echte, aufgrund ihrer Persönlichkeit und ihres Rufes vollbrachte Heilungen. Da weiterhin auch iii der Gemeinde Heilungen „im Namen Jesu“ erfolgten, rückte Jesus in die Nähe Salomos, in dessen Namen Dämonen ausgetrieben wurden, und solcher Wundertäter. In stärker hellenistischer Umgebung vermischte sich das mit der Vorstellung eines direkt oder durch seinen Geist vom Himmel her wirkenden Herrn (s. zu © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Rückblick (Vorgeschichte)
16,17-19). Die hinter dem Markus- und dem Joharmesevangelium liegende Tradition scheint noch zu verraten, daß dies in manchen Gruppen zum Zentrum der Botschaft wurde. Jesu Tod war dann freilich nur als tragisches, durch die Torheit der Menschen verursachtes Ende zu verstehen. (3) In den von Paulus abhängigen Gemeinden bildeten Kreuz und Auferstehung Jesu die Mitte des Bekenntnisses (1.Kor. 15,3-5, schon vorpaulinisch). Die Wichtigkeit des irdischen, am Kreuz hingerichteten Jesus stand damit für Paulus eindeutig fest, war er doch eben wegen dieses schimpflichen Kreuzestodes zum Verfolger der Gemeinde geworden. Aber gerade weil ihm das Ärgernis dieser Hinrichtung derart zentral war (1.Kor. 1,23; 2,2), waren die Einzelheiten des Wirkens Jesu, wie sie später in den Evangelien gesammelt wurden, weniger wichtig, und mit der Zeit konnte bei denen, die nicht den Weg des Paulus gegangen waren, selbst das Kreuz Jesu zum bloßen Symbol für Gottes Heilstat absinken. Palästina war weit weg und nur ein unbekannter Winkel an den Grenzen des römischen Reiches mit seltsamen Menschen und Bräuchen. Die enthusiastische Frömmigkeit der Korinther war gewiß auch durch den Enthusiasmus der ersten Christen und ihrer Propheten beeinflußt, aber ganz anders begründet. Die Wunder des irdischen Jesus spielen keine Rolle mehr und verschwinden immer mehr aus der Tradition, vor allem in der Gnosis. Der kommende Menschensohn wird verdrängt durch den schon gegenwärtigen, himmlischen Herrn, der im Geist das neue Leben (der Endzeit) spendet. Dann kann keine Sünde mehr den durch das Sakrament schon verliehenen göttlichen, ewiglebenden Kern des Menschen berühren. Die Geistesgaben, Zungenrede und Wundertaten, bezeugen dieses göttlich-neue Leben. In der Folgezeit scheint die Auferstehung immer stärker als Erhöhung zum Weltenherrn, dem jetzt schon alle Mächte und Gewalten unterworfen sind, verstanden worden zu sein. Alles war schon vollendet, die ganze Welt mitsamt der Natur geheimnisvoll von seiner alles durchdringenden Herrlichkeit verwandelt und die Gemeinde nur durch ihre Erkenntnis dieser schon vollzogenen Erlösung von den Geschöpfen und Dingen geschieden, die das noch nicht wußten. Hatte schon Paulus die Ewigkeit des Gottessohnes und sein Weilen bei Gott vor der Menschwerdung gelehrt, so bedeutete Jesu Leben jetzt nur noch den Einbruch himmlischen Lebens und himmlischer Kraft auf Erden. Jesus von Nazaret war hinter dem himmlischen Christus verschwunden, und schließlich war nicht mehr einzusehen, warum man nicht auch den Namen irgendeines griechischen oder römischen Gottes oder Gottessohnes als Symbol für den Einbruch göttlicher Gnade, die göttliche Weltherrschaft und die Einheit des Göttlichen mit dem innersten Kern des erweckten Menschen wählen konnte. Das ist die Konsequenz, die die Gnosis im 2.Jh. n.Chr. tatsächlich zog. Zur Zeit des Markus hatte Paulus wahrscheinlich schon den Märtyrertod erlitten, und seine Schüler riefen die Gemeinde zurück zu seiner Verkündigung des Gekreuzigten, der der Gerechtigkeit Gottes und damit der Freiheit von Gesetz und Sünde zum Durchbruch verholfen, damit aber auch den Menschen auf den Weg des Glaubensgehorsams stellt. Sie betonten jetzt die Aufgabe der weltweiten Verkündigung, in der der Erhöhte nicht als geheimnisvolle übernatürliche Kraft, sondern als Meister der für ihn zeugenden, auf den Straßen des römischen Reichs dahinziehenden und oft genug in den Gefängnissen liegenden Jünger die Welt durchdringen wollte. Aber genügte dafür der Bezug auf © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Rückblick (theologische Leistung des Markus)
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Kreuz und Auferstehung? Je weiter man sich geschichtlich davon entfernte, desto größer wurde die Gefahr, sein Kreuz nur als Chiffre für die Gnade Gottes und den Durchbruch durch die Gesetzlichkeit zur Freiheit der Rechtfertigung und des daraus fließenden Gehorsams, seine Auferstehung nur als Chiffre des von Gort verheißenen ewigen Lebens aufzufassen. Seine unverwechselbare Gestalt bekam doch der Ausgang seines Lebens erst von seinem ganzen Wirken her. Darum mußte das erste Evangelium geschrieben werden. Daß Markus dies tat und damit eine ganz neue literarische Gattung schuf, war Mk. eine theologische Leistung ersten Ranges. Es gab Sammlungen von Worten hellenistischer Wanderphilosophen oder jüdischer Rabbinen, durchsetzt mit einigen biographischen Angaben oder Anekdoten. Etwas Ähnliches war mit der Redequelle auch für die Jesusworte schon geschaffen worden. Bei Markus aber ist es umgekehrt: nur gelegentlich wird die für ihn im Mittelpunkt stehende Geschichte Jesu durch, oft diese Geschichte deutende, Worte unterbrochen. Es gab vielleicht auch schon hellenistische Sammlungen von Wundergeschichten, und eine ähnliche Sammlung von Jesusgeschichten hat wohl schon vor Markus existiert (Einführung, 3. Anfang). Aber gerade sie hat Markus Schwierigkeiten bereitet; denn die Breite, mit der er die Leidensgeschichte erzählt, und die Art, in der er sein Material von Anfang an mit Hinweisen darauf durchsetzt, zeigt, daß er etwas anderes als eine Zusammenstellung stupender Ereignisse im Sinn hatte. Zwar bleibt ihm wichtig, daß Gottes Herrlichkeit auch in Jesu Wundertaten durchbricht; aber er hat auch die Kritik Jesu an der Zeichenforderung gehört. Erst der Nachfolger auf dem Kreuzesweg Jesu wird auch etwas von der Wunderkraft Gottes erkennen, die er aber nie fordern, sondern nur sich schenken lassen darf. Neben Sammlungen von Worten und Wundertaten Jesu gab es auch Hymnen und Bekenntnisse, die die entscheidenden Daten des Wirkens Jesu zusammenstellten. Aber außer dem meist, freilich nicht immer genannten Tod, gelegentlich auch der Geburt, ganz selten vielleicht noch der Taufe Jesu wurden nur Ereignisse außerhalb seines Lebens, der Abstieg vom Himmel, die Erhöhung zu Gott und ähnliches genannt, und eine Entfaltung all dieser Ereignisse über die bloße Erwähnung der Tatsache hinaus war dabei sinnlos. Markus erkannte, was im Ansatz schon in diesen Hymnen und Bekenntnissen lag. Einerseits mußte gesagt werden, daß im Wirken Jesu (aber einschließlich seinem Tod) wirklich Gott dem Menschen begegnete, andererseits aber auch, daß diese Gegenwart Gottes nie direkt abzulesen war, z.B. von außerordentlichen Wundertaten. Weil eine Konzentration auf den kommenden Menschensohn, eine einseitige Betonung der Wunder oder eine Theologie, die den himmlischen Herrn allein ins Zentrum rückte, drohten, das schmachvolle Ende Jesu in Vergessenheit geraten zu lassen, schuf er die neue Gattung „Evangelium“ , für die es nur im Alten Testament und vielleicht in der vormarkinischen Passionsdarstellung Ansätze gab (vgl. Einführung, 6.). Das wird im Aufbau des Buches sichtbar:
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Rückblick (Aufbau des Evangeliums)
I 1,1-13 Der Anfang: erfüllte Heilszeit (1-8) und Prolog im Himmel (9-13) II 1,14-3,6 Jesu Vollmacht und die Blindheit der Pharisäer a 1,14 f. Obergangsabschnitt: Summarium b 1,16-20 Berufung der Tüneer A 1,21-45 Vollmacht über Dämonen und Krankheit Β 2,1-3,5 Vollmacht über Sünde und Gesetz c 3,6 Verwerfung Jesu durch die Pharisäer III 3,7-6,6 a Jesu Wirken in Gleichnissen und Zeichen und die Blindheit der Welt a 3,7-12 Übergangsabschnitt: Summarium b 3,13-19 Wahl der zwölf Jünger A 3,20-4,34 Jesu Gleichnisrede Β 4,35-5,43 Jesu Wundertaten c 6,1-6 a Verwerfung Jesu durch seine Mitbürger IV 6,6b-8,21 Jesu Wirken bis zu den Heiden und die Blindheit der Jünger a 6,6 b Übergangsabschnitt: Summarium b 6,7-13 Aussendung der Jünger A 6,14-31 Tod des Johannes, Rückkehr der Jünger Β 6,32-56 und 8,1-13 Jesu Wundervollmacht und Zeichenfordenng der Menschen C 7 Verheißung für Heiden c 8,14-21 Verwerfung Jesu durch die Jünger V 8,22-10,52 Jesu Offenbarung in unverschlüsselter Rede und die Nachfolge der Jünger a 8,22-26 Ubergangsabschnitt: Öffnung blinder Augen - Bethsaida b 8,27-32a Das Leiden des Menschensohns - Caesarea Philippi c 8,32b-9,1 Mißverständnis der Jünger und Ruf in die Nachfolge A 9,2-8 Verklärung - der hohe Berg Β 9,9-13 Elia und der leidende Menschensohn C 9,14-29 Die Glaubensfrage b 9,30-32 Das Leiden des Menschensohns - Galiläa (Kapernawn) c 9,33-50 Mißverständnis der Jünger und Ruf in die Nachfolge A 10,1-12 Ehe - Judäa und Ostjordanland Β 10,13-16 K inder C 10,17-31 Reichtum b 10,32-34 Das Leiden des Menschensohns — Weg nach Jerusalem c 10,35-45 Mißverständnis der Jünger und Ruf in die Nachfolge 10,46-52 Übergangsabschnitt: Öffnung blinder Augen und Nachfolge-/enc/;o VI 11,1-16,8 Leiden und Auferstehen des Menschensohns 11,1-13,37 Öffentliche Auseinandersetzung und Jüngerbelehrung über das Ende - Jerusalem 14,1-16,8 Leiden Jesu und Auferweckung © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Rückblick (Aufbau des Evangeliums)
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In der Einleitung (1,1-13) beschreibt Markus die Dimension, in der alles Folgende zu verstehen ist, und zwar „horizontal“ als endzeitliche Erfüllung alttestamentlicher Weissagungen wie „vertikal“ als Einbruch der himmlischen Welt Gottes auf Erden. In drei Gängen, die immer mit einer zusammenfassenden Schilderung der Tätigkeit Jesu und der Berufung oder Aussendung der Jünger beginnen und mit der Verwerfung Jesu enden (1,14-3,6; 3,7-6,6a; 6,6b-8,22) schildert der Evangelist einerseits Gottes Offenbarung 1. in den Vollmachtstaten und Streitgesprächen Jesu, 2. in den Gleichnisreden und den schon in der Tradition damit verbundenen Wundern, 3. in seinem Kampf gegen die Gesetzlichkeit, seiner Zuwendung zu den Heiden und den wunderbaren Speisungen, andererseits die Blindheit 1. der Pharisäer, 2. des Volkes bis hin zu den engsten Mitbürgern Jesu und 3. schließlich der Jünger selbst. So beginnt alles mit dem Vollmachtsruf Jesu, der Menschen in seine Nachfolge stellt, und dem Kampf gegen ein falsches Verständnis der Wundertaten im Sinne der Verehrung eines Wundermenschen. Daher werden die Dämonen und die Geheilten zum Schweigen verpflichtet; daher spricht Jesus in Gleichnissen; daher wird von Jesu Lehre und der daran anschließenden Verstockung der Menschen bis in den Jüngerkreis hinein berichtet. Die Geschichte von der Heilung des Blinden, durch eine Ortsangabe eingeführt wie jeder der anschließenden Abschnitte und Unterabschnitte bis zu 10,46 (und 11,1), leitet zum Folgenden über: am historischen Jesus ist für den Menschen nicht direkt ablesbar, was geschieht; nur das Wunder des lebendigen Gottes kann blinde Augen dafür öffnen. So ist die Mitte des Evangeliums durch die Episode von Caesarea Philippi charakterisiert (8,27-9,1). Petrus freilich ist mit seinem Christusbekenntnis noch nicht einmal so weit wie die Dämonen, die Jesus schon längst weit korrekter als Gottessohn bezeichnet haben; Jesus aber spricht zum erstenmal offen heraus ohne Parabel, nämlich vom Leiden des Menschensohns und seiner Auferweckung. Im Leibe des Gekreuzigten muß das Wort also Fleisch werden, sonst erreicht es die Herzen der Menschen nicht. Aber der unendliche Unterschied zwischen Gott und Mensch wird damit erst recht offenbar: gerade dies wird von den Jüngern überhaupt nicht verstanden, so daß Jesus, über den engeren Jüngerkreis hinaus, alle zur Nachfolge auf seinem Kreuzesweg aufrufen muß, wo man erst versteht, was Gott tut. So steht die Nachfolge, die den Anfang der Geschichte Jesu prägte, wiederum am Beginn des Weges Jesu von Caesarea Philippi nach Jerusalem. Von ihr handelt der nächste große Abschnitt (8,27-10,52), in dem das Wort „nachfolgen“ auch nur noch im prägnanten Sinn gebraucht ist. Dreimal folgt auf die Ansage vom Leiden des Menschensohns das Mißverständnis der Jünger und der Ruf Jesu in die Nachfolge, und wieder steht am Ende das Wunder, in dem Gott selbst blinde Augen öffnet, so daß ein Mensch „ihm nachfolgte auf dem Wege“ , von dem schon 10,32 sagte, daß er nach Jerusalem führe. Mit 11,1 beginnen die Jerusalemer Tage, in denen sich das Leiden des Menschensohns vollendet. Zeigen die Streitgespräche die wachsende Ablehnung Jesu, unterstreicht die Parusierede den Ernst der Nachfolge in der Zwischenzeit, so sind von Markus besonders die Stellen herausgehoben, in denen der Ausbruch des Evangeliums aus jüdischer Gesetzlichkeit und Kultfrömmigkeit und der Durchbruch zu den Heiden sichtbar wird ( l l , 1 7 f . ; 12,9; 13,10; 14,9; 15,38f.). Das Leiden Jesu selbst wird in großer Nüchternheit beschrieben, wobei das Versagen der Menschen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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1,14-8.26
8,27-10,52
11,1-16,8
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Rückblick
wiederum bis in den engsten Jüngerkreis hinein besonders betont wird. Nicht mehr der historische Jesus, erst der auferstandene, von dem der Engel kündet, daß er nicht mehr bei den Toten weile, wird durch sein Vorangehen nach Galiläa und die Aufforderung, ihm nachzufolgen, die Jünger zum wirklichen Sehen und damit zur Heidenmission, von der schon 13,10 sprach, in Galiläa führen. So gibt Markus Bericht von der unerhörten und unbegreiflichen fleischgewordenen Liebe Gottes, die in Jesus durch alle Widerstände hindurch den Menschen sucht und findet. Weil alle direkte Offenbarung nur zu einem Mirakelglauben führen könnte, wie ihn auch die Dämonen haben, muß Gott den Weg in die Verborgenheit, ja in Schmach und Niedrigkeit und schließlich in den Tod gehen, wie er in erschütternder Nüchternheit im Rufe Jesu „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ und in dem Satz vom Verscheiden Jesu mit lautem Schrei sichtbar wird. Glaube kann es nur als Nachfolge geben. Daß dieses Wunder aber wirklich geschehen, daß Gottes Offenbarung ihr Ziel erreichen wird, dafür sind ein halbgläubiger Randsiedler, der Jesus bestattet, ein Heide, der als Offizier seine Hände wahrhaftig nicht immer rein behalten kann und sogar zu Exekutionen Unschuldiger abgeordnet wird, ein paar Frauen, die bloß erschrecken und selbst dem Wort eines Engels nicht vertrauen, das Zeichen. Sie, aber erst recht die Jünger, denen Jesus nach ihrem noch viel tiefergreifenden Versagen dennoch nach Galiläa vorangeht, weisen auf das Wunder der kommenden Gemeinde hin, die der Auferstandene selbst ins Leben rufen und in die Welt hinausschicken wird.
Für die 18. (8.) Auflage habe ich keine neuere neueren Kommentaren und auf jeder guten Computer abgerufen werden kann. Hingegen len auf S. 24 oben und S. 178 oben meine Sicht
Literatur angeführt, da diese in allen Bibliothek nachgeschlagen, auch im habe ich an zwei mir wichtigen Stelpräzisiert.
Zürich, Advent 1997 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
Eduard Schweizer
Namen- und Sachweiser Bearbeitet von Gotthold Holzhey Da die im Bibeltext enthaltenen Namen und Begriffe in den zahlreich vorhandenen biblischen Nachschlagewerken, Konkordanzen u.a. aufgesucht werden können, sind in diesem Namen- und Sachweiser nur solche Stichworte aufgenommen, zu denen in der Texterklärung besondere Ausführungen vorliegen. Die Zahlen beziehen sich demnach auf die Erklärungen zu den betreffenden Textabschnitten. Um Wiederholungen zu vermeiden und doch die in vielerlei inneren Beziehungen zueinander stehenden Begriffe möglichst vollständig darzubieten, sind entsprechende Hinweise gegeben, wobei der vorwärts oder rückwärts gerichtete Pfeil {-› ‹-) stets auf das Stichwort verweist, unter dem zu suchen ist. Die bei einzelnen Erklärungsabschnitten hinzugefügten besonderen „Ausführungen“ [Exkurse] sind mit dem Buchstaben Α gekennzeichnet. A Abendmahl[sworte] (Herrenmahl) Einl. zu 6,32-44; 6,41.44; 8,6 ff. 10; 10,39; Einl. zu 11,1-16,8; Einl. zu 14,12-16; Einl. zu 14,12-16 A; 14,16; Einl. zu 14,22-25 A; 14,22.23 ff. 25.26 Apostelamt [Missionar] Einl zu 6,7-13 A; 6,30 Auferstehung, Auferweckung der Toten 4, 35-41A; 5,39.43; 5,43 A; 9,9.26.27; Einl, zu 12,18-27; 12,18.27; Einl. zu 16, 1-8 A 3; 16,6 Jesu (-› Osterberichte) Einf. Nr. 6; 8, 33; 9,3.31; 12,18; 14,1.8f.28; Einl. zu 16,1-8 A2; 16,4.15; Rückblick Auferstehungserscheinungen Einl. zu 6,4552; Einl. zu 9,2-8; Einl. zu 16,1-8 A 1. 2 u. 3; 16,4.7.8.9.14 Β Bekenntnis zu Gott u. Christus 5,33; 8,29; Einl. zu 13,1-27 [5-13.24-27]; 13,12; Einl, zu 14,1-16,8; 14,60.61 (2.St.); 14, 72 (2.St.); 15,39; Rückblick Jesu Einl. zu 14,53-72 des Petrus Einl. zu 6,32-44 Blindheit [Verblendung, Verstockung] (gegen Gott u. Jesus) 1,43; Einl. zu 3,1-6; 3,5.6; Einl. zu 3,13-19; Einl. zu 3,20-35; 3,21; 4,12.13; Einl. zu 6,l-6a; 6,17.29; Einl. zu 6,32-44; 6,44.52; Einl. zu 6, 53-56; Einl. zu 7,31-37; Einl. zu 8,1-10;
Einl. zu 8,11-13; 8,13; Einl. zu 8,14-21; 10,49.50; 16,8; Rückblick Brot 6,38.41.44; 8,7 ungesäuertes 14,1 Brotbrechen Jesu Einl. zu 14,12-16 A; 14, 18; Einl. zu 14,22-25 Bund neuer Einl. zu 14,22-25 A; 14,24 Buße, Bußruf [Umkehr] 1,4.5.7.8; Einl. zu l,14f.; 1,15 A; 2,17; Einl. zu 6,7-13 A; 13,27 Israels 12,9.12 Johannes des Täufers Einl. zu 1,1-8; 1, 4 ; 6,16 C Christus Einl. zu 9,41
D Dämonen, Dämonenaustreibungen 1,24. 26; 1,34 A; 2,12; 3,24-26; Einl. zu 5,120; 5,10; Rückblick David, Davidssohn 10,47; 11,10; 12,35.37 Dienen, Dienst (für Jesus) 1,31; 6,7; Einl. zu 9,33-37; 9,35; Einl. zu 10,35-45; 16, 15.20 Ε Ehe, Ehebruch, Ehescheidung 8,2.5 f. 9; Einl. zu 10,1-12; 10,2.8 f. 11.12 Elia[serwartung] Einl. zu 1,1-8; 1,2.4.6.7. 8.15; 9,4.8; Einl. zu 9,9-13; 9,11 ff. Enderwartung, Endgericht (-› Gericht, -›
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Namen- und Sachweiser
Wiederkunft Jesu) Einl. zu 1,9-11; 1,15 A; 2,19.20; 9,1.4.8; 10,38; Einl. zu 13, 1-27 [1-4.5-13.24-27]; 13,4.8.13.14.20. 27; Einl. zu 13,28-37; 13,28.29.31.37; 14,35; Rückblick Engel Einl. zu 1,12f.; 1,13; 12,25; Einl. zu 16,1-8A3; 16,5 Erhöhung Jesu 12,36; 13,10.32; 14,62 (1. St.); Einl. zu 16,1-8 A l ; Rückblick Erwählung 10,21; 13,27 Evangelium [Freudenbotschaft] Einf.Nr. 6; 1,1 A; 1,4.7.8; Einl. zu l,14f.; 1,15A; 5,19; 8,35; 9,8; Rückblick weltweite Verkündigung des (-› Markusevangelium) 1,1 A; 1,4; Einl. zu 1, 14f.; Einl. zu 1,21-28; Einl. zu 4,21-25; Einl. zu 7,24-30; 7,31; 11,17; 12,9; Einl. zu 13,1-27 [5-13.24-27]; 13,10.37; 16, 19.20.21; Rückblick F Fasten Einl. zu 2,18-22; 2,18.20 Fluch gegen Israel ll,14f.21.23.26 Flucht 13,14 ff. der Jimger Jesu Μ 14,50; 15,40; Einl. zu 15,42-47; Einl. zu 16,1-8A2; 16,7 Freude 2,19.21.22; 3,6A Friede 5,34 (2. St.) Furcht, Entsetzen 4,41; 5,33; 16,6.8 G Gebet 9,29; Einl. zu 11,12-26; ll,17f.23. 25; Einl. zu 11,27-33; Einl. zu 14,32-42 Jesu 1,35; 6,46; Einl. zu 14,32-42 Gebot[e] 12,28 ff. Gottes halten 10,19.21 Geheimnisse] Gottes (-› Offenbarung, -› Reich Gottes, -› Vollmacht Jesu) 1,34 A; 4,12 Gehorsam 3,6 A gegen Gott u. Jesus Christus Einl. zu 7, 1-23; 9,43-47; 10,19.20.21.27; 13,12; 14,58 (2. St.) Jesu 14,42.43 Geist [Geistbesitz] (-› Taufe) 1,7.8; 9,39; 14,38 Gottes 1,12; 14,38 heiliger 1,7.8.11; Einl. zu 3,20-35; 12, 36; 13,11; 14,38 Lästerung gegen den -‹Gemeinde Einl. zu 4,13-20; 4,20; 7,17.18 Jesu — ( Gottesvolk) 4,32; 9,39f.; 14,28; Rückblick
Gemeinschaft mit Gott u. Jesus 1,15 A; 3, 14; 5,30.43; 9,43-47; 10,15.40; 13,27; Einl. zu 14,22-25 A; 14,24.25 Gerechte, Gerechtigkeit 2,17 des Gesetzes Einl. zu 2,13-17 Gericht (-› Enderwartung) Einl. zu 6,7-13 A; 6,11 Gottes 1,7.8; 1,15A; Einl. zu 8,33-37 A; 8,38; 9,1; Einl. zu 9,9-13; 9,43-47; Einl. zu 11,27-33 jüngstes Einl. zu 8,33-37A; 8,38; 14,35; 15,33; Einl. zu 16,1-8A2 gegen Israel Einl. zu 11,12-26; 11,12.26 über den Tempel -‹Geschlecht dieses Einl. zu 8,11-13; 8,38; 9, 19; 13,30 Gesetz [Gesetzlichkeit] 2,26; 3,3.4.5; Einl. zu 7,1-23; 7,6.23; Einl. zu 7,24-30; 12, 18 Ende des 11,18 Erfüllung des 7,30 Freiheit vom 2,28 Gerechtigkeit des ‹Gottes 2,27; Einl. zu 7,1-23 Stellung Jesu zum 2,12.26.27; 3,6 A; Einl zu 7,1-23; 14,65 (l.St.); 14,58 (l.St.) Übertretung des 2,26 Glaube[nsfrage] Einf. Nr. 4. 5; 1,13; Einl zu 1,14 f.; 1,15 A; 1,22.40; 2,5; 3,27; 4, 13.24.29.39; 5,34 (1. u. 2.St.); 5,36.43; 5,43 A; 6,5 f. 37.49.52; 7,23; Einl. zu 7,24-30; 7,30; 8,11.13.18-20.23-25; Einl. zu 9,14-29; 9,16.24.32.48; 10,13.15.52; 11,23 f.; Einl. zu 11,27-33; 11,32; 12,24. 27; 13,20; 14,9; 15,34; 16,1-8A2; 16,4. 8.14.15.16; Rückblick an Jesus Christus 1,1 A; 4,40f.; 12,18; 15,39 A Wunder und‹Gleichnis[se], Gleichnisrede Einl. zu 3,7-12; Einl. zu 3,20-35; Einl. zu 4,1-9A; 4, 10 ff.; Einl. zu 12,1-12 Allegorie und Einl. zu 4,1-9 A Jesu 3,23; Einl. zu 4,1-9 A; Einl. zu 4,13-20; 12,1; Einl. zu 13,28-37 Jesu, Deutung der 4,10ff.; Einl. zu 4, 13-20; 4,13; Einl zu 4,21-25; 4,32; Einl. zu 4,33 f. Gnade 1,18.20; Einl. zu 1,21-28; 3,34; 7, 30 Gottes 2,14; 3,28; 4,12.24.41; 7,23; 10, 16.27
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Namen- und Sachweiser Gottesherrschaft (Gottes Reich) -› Reich Gottes Gottesknecht Einl. zu 1,9-11; Einl. zu 8, 33-37 A; Einl. zu 10,35-45; 14,65 (l.St.) Gotteslästerung -› Lästerung Gottessohn[schaft] 1,10.11; 8,38; 15,39 A Jesu Einf. Nr. 2, 5; 1,1 A; Einl. zu 1, 9-11; 1,11; 1,34A; 3,11; 5,7; 6,6; Einl zu 12,1-12; 12,37; Einl. zu 13,28-37; 13,32; 14,60.61 (1. u. 2.St.); 14,62 (2.St.) ; Einl. zu 15,2-15; 15,15.18; 15, 39 A ; Rückblick Gottesvolk neues 3,14; 14,58 (2. St.)
Η Handeln Gottes [in Jesus Chr.] (^Offen barung) 1,1; l , l A ; E i n l . z u 1.9-11; 1,10; Einl. zu l,12f.; Einl. zu 1,21-28; 1,45; 2,5.6.7.20; Einl. zu 4,1-9 A; 4,9; 5,20; Einl. zu 6,30f.; 8,13; 9,48; 10,12.37.52; 14,21.43.49; 15,18.20.25.26 (2.St.); 15, 32.33: 15,39A; Rückblick Heiden 4,11; 11,17; 12,9 Evangelium zu den (-› Evangelium) Rückblick Stellung Jesu zu den Einl. zu 7,24-30; 15,39; 15,39 A Juden und ‹Heidenmission (-›-Weltmission, - V ö l k e r mission) Einl. zu 5,1-20; Einl. zu 7,2430: 7.27 Heil [Heilszeit] (Gottes) 1,4.5.15; Einl. zu 2,18-22; 2,20; 5,34 (2.St.); 10,27 in Jesus Christus 1,1 A; 3,34; 14,58 (2. St.) Heilen, Heilungen Einl. zu 4,35-41 A; Einl. zu 5,1-20; 5,34 (2. St.) Jesu Einf. Nr. 4; Einl. zu 1,21-28; 1,25; 1,34 A; 1,41; Einl. zu 2,1-12; 2,5.12; 5, 30; Einl. zu 6,53-56; Einl. zu 7,31-37; 8,22.26; Rückblick Herodes Antipas [Herodianer] Einl. zu 3, 1-6; Einl. zu 6,14-29; 6,14; 12,13 Herr Jesus (Herrschaft Jesu) 9,39; 11,3; Einl. zu 12,35-40; 12,36; 14,24.62 (2. St.); Rückblick Herrenmahl -› Abendmahl Heuchelei 7,6; 12,15 Hohepriester, Priester: Gegner Jesu 8,31; Einl. zu 15,2-15; 15,11 Hoher Rat -›Synedrium Hölle 9,43-47.48 Hören 4,3.9.12.20.23 ff.; 9,6.7 Sehen und 4,12
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I Israel (-› Juden) 10,17 Fluch gegen ‹Gericht über ‹ Stellung zu Jesus 12,5 Sammlung aus allen Völkern 13,27 Unglaube 4,12; 12,9.12 J Johannes der Täufer (-›-Taufe) Einl. zu 1,1-8; 1,3.4.6 Hinrichtung des Einl. zu 6,14-29; 6,27 Jesus und 1,7.8; Einl. zu 1,9-11; 1,14; Einl. zu 6,14-29; 6,16.29 Verkündigung des (-›-Buße) Einl. zu 1, 1-8; 1,14 Wiederkunft des Einl.zu9,9-13; 9,12.13 Johannesjünger (Täuferbewegung) 1,7.8; Einl. zu 2,18-22; Einl. zu 6,14-29 Judas Ischariot, Verräter Jesu 3,19; Einl. zu 14,10f.; 14,10.11; Einl. zu 14,17-21; 14,18.20.42; Einl. zu 14,43-52; 14,43 Judentum] (-›-Israel) Einl. zu 7,1-23 Gemeinde Jesu und Einl. zu 11,27-33 Heiden und Einl. zu 2,13-17; Einl. zu 6,32-44; Einl. zu 7,24-30; 7,15-27.29.30; 12,9.12 (2. St.) Jünger [Jüngertum] 9,36.37 Jesu 1,20; Einl. zu 3,13-19; 3,18 f.; 6,2. 6; Einl. zu 8,33-37 A; 8,34; 9,42; 10,21. 26.30.32; 14,12.14; Einl. zu 14,17-21; Rückblick BlindheitNichtverstehenstehen , Kleinglaube} der 1,34 A; 1,36.37; 6,44; Einl. zu 6,4552; Einl. zu 7,1-23; 7,17.18.23; Einl. zu 8,14-21; 8,18-20; 9,10; Einl. zu 9,33-37; 9,48; Einl. zu 10,17-31; 10,32; 12,9; 14, 19; Einl. zu 14,26-31, 14,27.29.31; 15, 15.24 (2.St.); 16,7.11.13.14; Rückblick Sendung (Missionstätigkeit) der 3,14; Einl. zu 6,7-13 A; 6,9; 16,20; Rückblick „Zwölf“ Einl. zu 3,7-12; Einl. zu 3,1319; Einl. zu 6,7-13 A; 6,30; Einl. zu 14, 12-16 des Johannes (des T.) -› Johannesjünger der Pharisäer Einl. zu 2,18-22
Κ Kaiser -›-Staat Kindertaufe -› Taufe König[tum] Jesu 15,2.9.13.15; Einl. zu 15, 16-20 a: 15.17.20.32; 16,20
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Namen- und Sachweiser
Kreuz[igung] Jesu (^-Tod Jesu) 1,34 A; 8,34; 9,9; 10,39; 14,53.54 (l.St.) A; 14, 62 (l.St.); 15,1; Einl. zu 15,20b-26; 15, 24 (2. St.); Einl. zu 15,27-32; Rückblick tragen 8,34; 9,1; Einl. zu 15,20 b-26 L Lästerung gegen Gott und Jesus Einl. zu 3, 20-35; 3,29; 14,64; 15,29 Leben 8,35; 16,1-8 A3 ewiges 10,17; 18,21.30.31 Lehre, Lehren Jesu (-› Worte Jesu) Einl. zu 1,21-28; Einl. zu 2,13-17; 2,13; Einl. zu 4,1-9; 4,1; 6,2,6b.34.44; Einl. zu 8, 27-33; 8,32; 9,1.31 (2.St.); 10,1; Einl. zu 11,12-26; ll,17f. ; 12,14.35; Rückblick Leiden [Martyrium] 13,8.27; 14,31 Jesu (-›Passion) Einf. Nr. 6; Einl. zu 8,33-37 A; 8,31; 9,1.19.48; 10,1.12; Einl. zu 10,32-34; 10,32; Einl. zu 10,35-45; 10,39.40.45; 11,11; 12,12 (2.St.); 13,31; Einl zu 14,3-9; 14,25.28.31.33.39.42.49. 56.60.61 (2.St.); Einl. zu 15,20b-26; 15, 26 (2.St.); 15,32.37; Rückblick Ankündigung der Einl. zu 8,27-33; 9,31 (1. u. 2. St.) des Menschensohnes Einl. zu 9,9-13; 9,12.13; 13,37; 14,21 Leistung (und Lohngedanke) 2,18.19; 3,6 A; 9,41 Liebe zu Gott u. dem Nächsten 12,28 ff.; 12,31 (2. St.); 12,33 Μ Maria Magdalena Einl. zu 14,3-9; Einl. zu 16,1-8A3; 16,9 Menschensohn Einl. zu 2,23-28; Einl. zu 8, 11-13; Einl. zu 8,27-33; Einl. zu 8,27-33 A; 8,31.38; 9,1; Einl. zu 9,9-13; 9,12. 13; Einl. zu 10,35-45; Einl. zu 13,1-27 [5-13.24-27]; 13,14.26.27; 14,62 (l.St.) Jesus Einl. zu 2,1-12; Einl. zu 3,20-35; 13,27; 14,21.42.51.52; 14,60.61 (2. St.) Leiden des ‹als Weltrichter 1,7.8; Einl. zu 8,33-37 A; 15,18.20 Messias [Christus, Gesalbter] Einl. zu 1,911; Einl. zu 8,27-33 A; 8,29.30 Jesus 1,34A; 14,60.61 (l.St.); 15,3-5. 26.32 Messiaserwartung 1,7.8.12; Einl. zu 8,2733; Einl. zu 8,27-33 A; Einl. zu 9,9-13;
10,47; Einl. zu 11,1-11; 11,1.10; 12,35. 37 Messiasgeheimnis (Jesu) 1,34 A; Einl. zu 1, 40-45; Einl. zu 3,7-12; 5,20; Einl. zu 5, 21-43; Einl. zu 7,31-37; 8,23-25; Einl. zu 8,27-33; 8,30; 9,9; Einl. zu 9,14-29; 9,30 Mission, Missionsbefehl (-›· Jünger Jesu, - › Völkermission) Einl. zu 6,7-13 A; 6,9; 16,15
Ν Nachfolge 1,18.20; 2,17; 6,6; 9,36.37; 13, 37; 14,58 (2. St.) Jesu 1,15 A; Einl. zu 1,16-20; 1,16.19. 31; 1,34A; Einl. zu 2,13-17; 2,14.15; 3,14.23; 4,41; 5,19f.; 6,1; Einl. zu 8, 33-37A; 8,33.34.35; 9,1; Einl. zu 9,1429; 9,29; Einl. zu 9,33-37; Einl. zu 9,3840; 9,48; Einl. zu 10,13-16; 10,18.21.27. 30.31; Einl. zu 10,32-34; 10,39.40.45; Einl. zu 10,46-52; 10,52; 14,31.53.54 (l.St.); Einl. zu 15,20b-26; 15,20.21; 16,7.8; Rückblick Nächstenliebe - Liebe
Ο Offenbarung Gottes (-› Handeln Gottes) 3, 13; 4,12; Einl. zu 6,l-6a; 6,17.34.44; Einl. zu 7,1-23; 7,24.36; 8,31; 9,10.31 (2. St.); 9,36.37; 10,1.18; 13,23; 14,49; 16,14 in Jesus Christus 1,22; 3,12; 9,8; 10,32; 12,35; 13,31; 14,72 (2.St.); 15,39A; Rückblick Osterberichte, Ostergeschichte (-^Auferstehung) Einl. zu 9,2-8; Einl. zu 16,1-8 A l ; 16,9.14 Ρ Passa, Passamahl 14,1; Einl. zu 14,12-16; Einl. zu 14,12-16A; 14,26 Passalamm: Jesus Einl. zu 14,12-16; Einl. zu 14,22-25 Passion[sgeschichte] Jesu (-› Leiden Jesu) Einf. Nr. 3.4; 10,33; Einl. zu 11,1-16,8; 11,11.17f.; Einl. zu 12,1-12; Einl. zu 14, 3-9; Einl. zu 14,26-31; 14,51.52; 14,60. 61 (2.St.); 15,39A; Rückblick Paulus, Apostel (Verhältnis zum Markusevangelium) 1,1 A; 2,12; Einl. zu 6,7-13 A; Einl. zu 7,1-23; 7,6.15.23; 9,3.35.
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Namen- und Sachweiser 39; 10,3438; 11,18; 12,18.27.37; 13,8. 10; Einl. zu 14,22-25 A; Einl. zu 16,1-8 A 1.2 u. 3; Rückblick Petrus Einf. Nr. 6; 3,16; Einl. zu 6,7-13 A; Einl. zu 8,27-33; 14,37; Einl. zu 15, 2-15; Einl. zu 16,1-8A2; 16,7.21; Rückblick Verleugnung Jesu durch Einl. zu 14,2631; 14,29; Einl. zu 14,53-72; 14,53.54 ;i. u. 2.St.); 14,66-72 (1. u. 2.St.) Pharisäer 1,21-28 A; Einl. zu 2,13-17; Einl. zu 2,23-28; 2,27; Einl. zu 3,1-6; 3,6A; Einl zu 7,1-23; 8,11; 10,2; 12,13; Einl. zu 12,18-27; Einl. zu 12,35-40 Jünger der ‹-
zu 12,13-27; Einl. zu 12,18-27; Einl. zu 12,28-34 Sünde[r] Einl. zu 2,13-17; 2,14.15.17.20 Jesu Sieg über die 2,12 Sündenvergebung 1,4.7.8; Einl. zu 2,1-12; 2,5.6.7.9.12.15.17.20 Sündlosigkeit Jesu 10,18 Synedrium Hoher Rat 1,21-28 A; 8,31; 15,1 Τ
Taufe 1,7.8; 10,16.38.39; 16,16 mit dem heiligen Geist 1,7.8 und Geistempfang Einl. zu 1,9-11 Glaube und 10,16 Jesu durch Johannes 1,13; Einl. zu 1,911 R des Johannes (‹-) 1,4.5.7.8; 10,38; Einl. zu 11,27-33; 11,30 Reich Gottes [Gottesherrschaft, Gottesreich von K indern 10.16 u.a.] 1,15A; Einl. zu 4,1-9A; 4,9; Einl. zu 4,13-20; 4,12.24.26.30.32; Einl. zu Täuferbewegung -›· Johannesjünger 8,33-37 A; Einl. zu 10,13-16; 10,15; 12, Tempel, alter u. neuer: 11,15; 14,58 (2. St.); 15,38 34; 14,58 (2.St.); 14,62 (2.St.) Gericht über den 11,15.21; Einl. zu 11, Kommen in u. mit Jesus Christus 1,15 A ; 27-33; 15,38 4,32; 10,15.16; 13,27; Einl. zu 14,22-25 Reinigung durch Jesus Einl. zu 11,12A 26; 11,26; Einl. zu 11,27-33 Nähe. Vollendung des 1,15 A; 4,29.32; für alle Völker offen 11,26; Einl. zu 11, 9,1; 10,45; 12,34 27-33 Reichtum [Besitz] 8,36; 10,21.24 Vorhang im Einl. zu 15,33-39 Worte Jesu gegen den 14,58 (1. u. 2.St.); S 14,65 (l.St.); 15,29-32 Zerstörung des Einl. zu 13,1-27 [1-4] Sabbat, Sabbatgebote, Sabbatheiligung Teufel -›- Satan Einl. zu 2,23-28; Einl. zu 3,1-6; 3,6A Tischgemeinschaft beim Mahl Einl. zu 14, Stellung Jesu zum 2,28; 3,6A 22-25 A; 14,22-24f. Sadduzäer 1,21-28 A; Einl. zu 12,18-27; zwischen Juden M. Heiden 7,15 12,18 Satan [Teufel] 1,13; 3,22.24-26; Einl. zu Tod 2,20; 5,2; 9,26.27; 12,27 Jesu (-› Kreuzigung) Einf. Nr. 6; 2,20; 5,1-20 8,33; 9,31; 10,45; Einl. zu 14,3-9; 14,7. Sieg Jesu über den Einl. zu 1,12 f.; 1,13 24; 14,53.54 (l.St.) A; 14,60.61 (2.St.); Schöpfung Gottes 4,33.39; 7,15; 10,12 Einl. zu 15,33-39; 15,37.44f.; Rückblick Schriftgelehrte 1,21-28 A; 2,6.7; 8,31; Einl. Datum des Einl. zu 14,12-16; 15,42 zu 12,35-40; 12,38 Sieg Jesu (Gottes) über den 5,43; 5,43 Jesus und die Einl. zu 2,1-12; Einl. zu A; 12,27 2.13-17: Einl. zu 3.20-35 Totenerweckungen -›· Auferstehung Schweigegebot Jesu 1,34 A; Einl. zu 1,4045: 1.45: 7.36 U Schweigen Jesu 15,3-5; Einl. zu 15,16-20a. Umkehr -› Buße 20 a Sohn Gottes -› Gottessohnschaft Unglaube [Kleinglaube] 3,29; 4,11; 8,18Staat [Obrigkeit, Kaiser] 12,17 20; 9,18 f. 23.24; 11,32; 15,18.20; 16, Stellung Jesu zum 12,17 15.16 Streitgespräche (Jesu) Einl. zu 2,1-12; Einl. Israels ‹zu 2,18-22; 8,11; Einl. zu 10,1-12; Einl. der Jünger Jesu ‹ © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513040 — ISBN E-Book: 9783647513041
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Namen- und Sachweiser
V Vater Gott 13,32 und Sohn (Jesus) (-› Gottessohnschaft) 10,18; 13,32; 14,36A; 15,39A Verfolgungen (der Gemeinde) 10,30; 13,37 Verkündigung (Jesu) -›-Evangelium Versuchung 8,11; 10,18 Jesu Einl. zu 1,12 f. Verwandte (Familie) Jesu Einl. zu 3,20-35; 3,33; 6,3 Verwerfung Jesu Einl. zu 6,1-6a; 8,31.33; 9,31; 15,13.15.24 (2.St.); Rückblick Völkermission [Weltmission] (-› Heidenmission) 13,10.27; Einl zu 14,3-9; 16,15 Vollmacht Jesu Einl. zu 1,21-28; 1,22.25. 27.29; 1,34A; 1,40.41; Einl. zu 2,1-12; 2,14; 3,2.14; Einl. zu 4,35-41 A; Einl. zu 5,1-20; 5,13.20; 6,7.11.44; Einl. zu 6,4552; 6,46; 8,10; 9,15.20; Einl. zu 11,1226; 11,23; Einl. zu 11,27-33
W Wachen, Wachsein Einl. zu 13,28-37; 13, 33.35.37; 14,34.38 Weltgericht, Weltrichter -›-Gericht, -^Menschensohn, -›Wiederkunft Jesu Weltmission -›Völkermission Wiederkunft Jesu (-›-Enderwartung) Einl. zu 8,33-37 A; 12,36; Einl. zu 13,1-27 [1-4]; 13,29.37; 14,62 (l.St.)i 15,18.20; Einl. zu 16,1-8A2 Wille Gottes tun 3,35; 4,12; 10,2-5.12; 14,21.49
Wirken, Wirksamkeit Gottes -› Hand-ln Gottes, -›-Offenbarung Gottes Jesu Einl. zu 6,30 f.; Einl. zu 8,11-13 weltweites (-›-Evangelium) Einl. zu 1, 32-39; 1,32-33; 3,7.8 Wort[e] Einl. zu 4,13-20; 4,14ff.; 9,6.7 Gottes 4,24.33 Jesu (-› Lehre Jesu) Einf. Nr. 3; 2,2; 33; 5,30; 13,31; Rückblick Wunder [Jesu] Einf. Nr. 4; 1,34 A; 25; Einl. zu 4,35-41 A; 4,41; Einl. zu 5,1-10. 14f.26.43; 5,43 A; 6,5.6; Einl. zu 6,J244; 6,44; Einl. zu 8,1-10; 8,10.18-10; Einl. zu 8,22-26; Rückblick Glaube und Einl. zu 4,35-41 A; 7,36 Gottes 8,26 Naturwissenschaft und Einl. zu 4,35-11 A
Ζ Zeichen Einl. zu 11,12-26; 11,26; Einl. :u 11,27-33; Einl. zu 13,28-37; 13,29 der Endzeit -›- Enderwartung Jesu 11,15 Zeichenforderung 8,11 Zeit, Erfüllung der 1,15 1,15 A Zelot[en] 3,18.19; 12,14.17 Zeugen, falsche 14,58 (l.St.)i 14,56 Zöllner 2,14.15 Jesus und die 2,17 Sünde und Einl. zu 2,13-17 Zwölf, die - › Jünger Jesu
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Inhalt Einführung
1
I. Der Anfang 1,1-13
10
IL Jesu Vollmacht und die Blindheit der Pharisäer 1,14-3,6
19
III. Jesu Wirken in Gleichnissen und Zeichen und die Blindheit der Welt 3,7-6,6 a
38
IV. Jesu Wirken bis zu den Heiden und die Blindheit der Jünger 6,6b-8,21
66
V. Jesu Offenbarung in unverschlüsselter Rede und die Nachfolge der Jünger 8,22-10,52
87
VI. Leiden und Auferstehen des Menschensohnes 11-16,8 Die theologische Leistung des Markus (Rückblick)
122 213
Sachweiser
217
Verzeichnis der Ausführungen 1,1
Evangelium
11
1,15
Das Reich Gottes
20
1,21-28
Schriftgelehrte, Pharisäer, Sadduzäer, Älteste, Synedrium
.
23
1,34
Messiasgeheimnis
3,1-6
Jesu Stellung zur pharisäischen Sabbatheiligung
25
4,1-9
Die Gleichnisse
44
4,35-41
Wundergeschichten
54
5,43
Totenauferweckung
62
6, 7-13
Der Zwölferkreis
66
8,27-33
Der Menschensohn
89
. . . .
37
11, 1-16,8
Die Passionsgeschichte
122
14,12-16
Das Passa
161
14,22-25
Die Einsetzungsworte zum Herrenmahl
163
14,36
Abba
170
14,53-72
Die historischen Fragen des Prozesses Jesu
177
15,39
Gottessohn
195
16,1-8
Die Osterberichte
201
16,1-8
Der Markusschluß
202
16, 1-8
Die Entdeckung des leeren Grabes
203
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Verzeichnis der Abkürzungen Abkürzungen und Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften im Gesamtwerk Mk. Mt. Lk.
Joh. Apg. Röm.
l.Kor. Eph. l.Thess. 2.Kor. Phil. 2.“Thess. Gal. Kol. Phlm. Q— Redcnquellc des Mt.- und
l.Tim. Hebr. 2.Tim. Jak. Tit. l.Pctr. Lk.evangeliums
2.Pctr. l.Joh. 2.Joh.
3.Joh. Jud. Offb.
Jüdisches Schrifttum 2./1. Jh. v. Chr. aeth.Hcn. = äthiopischer Henoch Ps.Sal. = Psalmen Salomos (LXX, (Entstehungszeit je nach Teil verschieden) pharisäisch) Dam. = Damaskusschrift {Qumran) IQ, 4Q usw. = Schriften aus Qumran (vgl. S. 10) Jub. = Jubiläen (jüd.-priesterl·, Sir. = Jesus Sirach (LXX) 2.Jh. v.Chr.?) Test.XII = Testamente der 12 Patriarchen LXX = Septuaginta (griech, Überset(Dan, usw.) zungdesAT) Tob. = Tobith (LXX) Mart.Jes. = Martyrium Jesajas Weish. = Weisheit Salomos (LXX) 1.2.Makk. = 1.2.Makkabäer(LXX) Jüdisches Schrifttum 172. Jh. n. Chr. und spater Apk.Mos. 4-Esr. Himmelf.M. Jos.As. Josephus Offb.Esr.
= = = = =
Moseapokalypse 4.Esra(Ende 1. Jh.) Ascensio Mosis (I. Jh.n.Chr.) Joseph und Aseneth Jud. Altertümer, Jud. Krieg, Gegen Apion (Ende 1. Jh., Rom) = Esraapokaiypse (2.Jh.?Rom?, christl. überarbeitet)
Philo Ps.-Philo slav.Hen syr.Bar.
= viele Schriften (bis 50 n.Chr., Alexandrien) = Pseudo-Philo, antiquitates (von Qumran beeinflußr?) = slavischer Henoch = syrische Baruchapokalypse (Ende I.Jh.)
Christliches Schrifttum l./2.Jh. n. Chr. und später Act. Pü. Act. Joh., Thom. Barn. Clem.Paid. I.CIem. 2.Gem.
= Pilatusakten (4./5. Jh.?) = Johannes-, Thomasakren (3. Jh..Syrien?) = Barnabasbrief = Clemens, Pädagog (ca. 200) = 1 .Clemensbrief (ca. 96, Rom) = 2.Clemensbrief (Predigt, Mitte 2. Jh.) Did. = Didache (Kirchenordnung, Ende 1. Jh., Syrien?) Eb.ev = Ebionitenevangelium (1. Hälfte 2. Jh., Ostjordanland?) Ep.ap. = Brief der zwölf Apostel (antignostisch, l.Hä!fte2. Jh.?) Euseb = Euseb, Kirchengeschichte (um 300) Hb.ev. = Hebräerevangelium (Judenehr., I.Hälfte2.Jh.) Hermas = -Hirt des Hermas (Offenbarung, Mitte 2. Jh., Rom) Hippolyt = Hippolyt, Refutatio(um 200) Ign. Eph., Pol., = Ignatius, Brief an Epheser, Sm. Polykarp, Smyrnäer
Iren.haer. Justin Justinus, res. Ker.Pt. 3Kor. Naz.ev. Orig.c.Cels. Polyk.Ph. Ps.Clem. Pt.cv. Thomasev.
= Irenäus, Gegen die Häresien (Streitschrift, Ende 2. Jh.) = Justin, Apologie, Dialog Pseudo-J., Auferstehung (beide Mitte 2. Jh.) = Kerygma des Petrus (1. Hälfte 2. Jh.) = 3.Korintherbnef (Teil der Paulusakten, gegen 200n.Chr., Kleinasien?) — Nazaräerevangelium (judenehr., 1. Hälfte 2. Jh.) = Ongenes, Gegen Celsus (3. Jh.) = Polykarp, Philipperbrief (Mitte 2. Jh.) = Pseudoklementinen (Homilien, Recognitionen; um 200, Syrien) = Petrusevangelium(Mute2.Jh.?) = Thomasevangelium (Mitte 2. Jh., Syrien)
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