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German Pages [120] Year 1985
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Andre Frossard
Wenn Steine reden Das Evangelium nach Ravenna
Herder Freiburg • Basel • Wien
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel „L'Evangile selon Ravenne" bei EDITIONS ROBERT LAFFONT / LE CENTURION, PARIS Übersetzung: ORTRUD CUHLMANN Der Autor dankt für ihre Unterstützung bei seiner Arbeit: Herrn Professor Karol Heitz, Universität Paris; Don Giovanni Montanari, einem hervorragenden Kenner der christlichen Symbolik; Frau Isabelle Frossard, „Inspecteur des Monuments Historiques"
Alle Rechte vorbehalten - Gedruckt in Frankreich © der Originalausgabe an Text und Bildern: Editions Robert Laffont, Paris 1984 © der deutschen Ausgabe: Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 1985 Satzherstellung: Freiburger Graphische Betriebe 1984 ISBN 3-451-20349-9
An Galla Pladdia Wir kommen zu dir, Christin längst vergangener Zeiten, nicht nur aus Liebe zur Kunst, sondern aus Sehnsucht nach einem Strahl jenes Lichts, das du in deinen Händen hieltest, nach jenem Frieden im Glauben, der dir im Tod zur Seite stand. Viel Zeit ist vergangen, Botin der Schönheit, doch glaub mir, es tragen noch Menschen die Wahrheit im Herzen, die du uns gelehrt hast.
Inhalt
Annäherung an Ravenna
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Ein Schauer aus Edelsteinen
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Galla Placidia - Der Glaube 33 S. Apollinare Nuovo - Evangelium des Glücks 42 S. Vitale - Höhepunkt der Messe
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S. Apollinare in Classe — Das Paradies Das Geheimnis von Ravenna
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Die wichtigsten Bauwerke in Ravenna
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n der Adria liegt eine flache, reizlose Stadt auf einer unsichtbaren La- Annäherun gune. Unter einer Dunstglocke aus Schwefeldioxyd schützt sie sich an Ravenna vor der Sonne. Diese Stadt hat es schwer, überhaupt bemerkt zu werden. Im Westen wird sie von einem Autobahnverbindungsstück eingeschnürt, im Osten von einer breiten Küstenstraße, die von Venedig kommt und sich durch trostlose Vorstädte bis zu der langen Pinienallee windet, die nach Rimini führt. Man kann durch diese Stadt sogar hindurchfahren, ohne sie wirklich zu sehen oder ohne etwas anderes wahrzunehmen als das für italienische Städte typische Inventar: einen Brocken römische Mauer, ein Fragment eines Palastes, nur bescheiden verzierte Kirchen, mit Wappen versehene Tore, die ohne ihre Mauern frei herumstehen, und zwei oder drei in Gedanken verlorene Campanile, die sich über kleine Wellen aus runden Ziegeln neigen. Das ist Ravenna, einst Hauptstadt des Römischen Reiches, Handelshafen, heute traurige Gestalt eines unter den Lichtern seiner Raffinerien still vor sich hin dösenden Verwaltungsbezirks - und wundervolles Zeugnis christlichen Geistes, seine erste Dokumentation von Rang. Unter einer harten, ärmlichen Schale aus Ziegelsteinen ist hier das Evangelium in seinem ursprünglichen Sinne lebendig: Es strahlt ein Licht aus, das ganz aus dem Innern kommt. Unter der rauhen roten Stadt ruht ein Schatz von Saphiren.
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n der Kuppel des Mausoleums der Galla Placidia funkeln in geometrischer Ordnung 900 goldene Sterne. Das Kreuz strahlt im Zentrum erst konzentrischer, dann sich kreuzender Kreise. Sein Licht reicht bis an die äußersten Enden der Welt, wo die Embleme der vier Evangelisten die weltweite Ausbreitung des Evangeliums symbolisieren. Die frühen Geschichtsschreiber neigen zu einer gewissen Strenge gegenüber der Kaiserin des Interims. Die Regierung der Galla Placidia ist für sie kein Vorbild kluger Geschäftsführung. Diese Meinung vertritt vor allem Cassiodor. Er hat Parallelen gesucht zwischen Galla Placidia und Amala-
suntha, der Königin der Ostgoten. Der Vergleich fiel zugunsten der letzteren aus, denn er war ihr ganz ergeben. Die Monumente, mit denen wir uns ja ausschließlich beschäftigen, sind natürlich auch weniger Verdacht erregend als die Dokumente, die der Geschichtsschreiber benutzte. Die Ausmaße des Mausoleums jedoch sind durchaus vernünftig, und auch die Tatsache der Einfachheit des Äußeren und des Reichtums im Innern, der Gott und nicht der Kaiserin zugedacht ist, läßt auf einen ausgeglichenen Charakter schließen, jenen Exzessen abgeneigt, die so oft die Regierungen jener Zeit unerträglich gemacht haben.
Die Kuppel im Mausoleum der Galla Placidia
Florenz ist die Stadt der Kunst, Venedig die des Traums, Rom die der Macht. Ravenna - das ist kristallklare Kontemplation unter Ziegelsteinen. Die Umgebung fesselt den Blick kaum. Ähnlich wie in Holland gehen Himmel und Erde in einer riesigen Gebärde ineinander über. Hier und da tauchen Pylonen auf, Stahlwalzen, ausgebrannte Orgelpfeifen und andere Wrackteile, wie man sie auf Industriegeländen findet. Das Meer ist weit weg. Der mächtige Po krallt sich weit draußen im Sand des Meeres fest und hat es auf diese Weise seit der Antike mehrere Kilometer zurücktreten lassen. Die restliche Landschaft bis hin zum wolkengrauen Apennin ist flach und still. Ihre Farben gleichen denen einer Palette, die jemand gerade frisch abgekratzt hat. Doch von Landschaft im eigentlichen Sinne kann nicht die Rede sein. Denn dieses Wort evoziert ja eine Fügung naturgegebener Reize, die der Zufall verführerisch angeordnet hat. Hier geht es vielmehr darum, sich in der Leere und Stille langsam auf ein inneres Gesammeltsein vorzubereiten. Der Hafen von Classe, den Kaiser Augustus bauen ließ, um seine Flotte im Osten zu schützen, ist verschwunden, nachdem Mensch und Meer ihn aufgegeben hatten. Der Hafen von Ravenna ist noch früher im Boden versunken. An den Kränen, den Resten von Schiffsausrüstungen, und anderen Gegenständen aus Eisen, die von weitem so aussehen, als seien sie auf den Feldern gewachsen wie Pflanzen, kann man ihn noch erkennen. Diese heitere, unauffällig fruchtbare Gegend scheint seltsam unbelebt unter einer Sonne, die sich übrigens hervorragend zur Dekoration eignet. Am Abend überzieht sie Häuser, Gemäuer und Tankstellen mit Blattgold, und die Pinien werden schwarz, bevor die untergehende Sonne hinter ihnen eine durchsichtige Leinwand in Amethyst- und Alabasterfarben ausbreitet. Als diese einzigartige Stadt entstand, existierte Venedig nur erst als Dunst über einer Herde dahintreibender Erdschollen hinter einem schmalen Küstenstreifen. Niemand hätte sich vorstellen können, daß dieser Dunst sich eines Tages zu Palästen verdichten könnte oder zu goldenen Kuppeln wie auf jenem Platz, der dem heiligen Markus geweiht ist.
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Es gibt kein Standesamt für die Städte der Erde. Ihre Anfänge sind deshalb oft so geheimnisumwittert, daß die einen eine Gestalt aus der Sage zu ihrem Vater machen wie bei Rom, die anderen eine himmlische Gestalt zu ihrer Mutter wie bei Athen, alles überirdische Erzeuger, die den Vorteil haben, die menschliche Abstammung der Städte zu adeln und die soziale Frage in einer göttlichen Ordnung aufzuheben. Ravenna scheint eine Ausnahme zu machen. Diese Stadt beruft sich auf keinen Halbgott oder Helden im Exil. Unbekannte haben sie gebaut. Einige Zeit hat sie Etrusker beherbergt, so eine Art Joker unter den Völkern, der von den Historikern immer dann hervorgezogen wird, wenn eine Karte in ihrem Spiel der Mutmaßungen fehlt. Vor den Etruskern bewohnten wahrscheinlich die Thessalier Ravenna. Sie waren sicher von der geschützten Lage der Stadt angezogen worden. Denn die ausgedehnten Sümpfe entlang der sichelförmigen Bucht und niedrige Dünen stellten sozusagen ein interessantes Angebot für die Schiffahrt dar. Das Römische Reich zerfiel sehr viel langsamer, als es uns die historische Rückwärtsperspektive glauben macht. Nachdem es Rom und Mailand den Fluten der Barbaren überlassen hatte, überlebte es sich noch einige Zeit, und zwar mit Hilfe jener Meereslunge, die Ravenna heißt. Um das Jahr 400 wurde Honorius Kaiser. Wie ein Korken schwamm er auf seinem flüssig gewordenen Reich. Er erhob Ravenna in den Rang einer Hauptstadt. Sonst vollbrachte er nichts Erwähnenswertes und verschwand an der Peripherie des Goldenen Zeitalters von Ravenna, das man besser Blaues Zeitalter nennen sollte, weil es den Himmel und seine Wunder geliebt hat. Nach Honorius tauchten zwei imponierende Persönlichkeiten auf, die ganz verschieden waren: seine Halbschwester Galla Placidia und der Gote Theoderich. Diese Galla Placidia, deren Leben extreme Höhen und Tiefen kannte, hatte nun das Pech, sozusagen als personifizierte Reparationsleistung Politik machen zu müssen. Mit anderen Reparationsleistungen wurde sie dem Westgoten Alarich ausgezahlt, der sich alle Zerstörungen, die er auf seinen Feldzügen hinterlassen hatte, vergüten ließ. Sie mußte Athault, den Schwager des Ala-
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rieh, heiraten und fühlte sich gut dabei. Er war schön, und da sie eine Prinzessin war, fand er sie auch schön. Trotz des zivilen und militärischen Ruins hatte Rom immer noch so viel Prestige, daß Athault seine Frau am Hochzeitstag einen Thron besteigen ließ, der höher war als seiner. Und dann ließ er zu ihren Füßen großzügig den Ertrag seiner jüngsten Raubzüge ausbreiten: 100 Schalen, mit Gold und Edelsteinen gefüllt. Die Goten liebten den Reichtum und verstanden es auch, ihn auszugeben. Diese Ehe war glücklich, aber kurz. Athault wurde in Spanien ermordet. Er war dorthin gegangen, um einen Übergriff der Vandalen zurückzuschlagen. Galla Placidia, deren geheiligte Füße sonst kaum den Boden berührt hatten, wurde unter die Gefangenen gesteckt und als Siegestrophäe von einem Lager ins andere geschleppt. Doch schon bald rächte sie sich. Der Mörder Athaults reagierte auf seine Weise. Zusammen mit 600000 Maß Weizen wurde sie ihrem Halbbruder Honorius zurückgezahlt, der ihr recht zweifelhafte Gefühle entgegenbrachte: auf der einen Seite eine verdächtige Anhänglichkeit, auf der anderen Wut und Feindseligkeit. Er überredete sie dazu, den Befehlshaber Constantius zu heiraten. Der sollte sie als Belohnung für ein paar siegreiche Schlachten bekommen. Placidia zögerte erst, gab dann aber nach, gewann das Herz ihres tapferen Feldherrn und erreichte es schließlich, ihn Schritt für Schritt zum Kaiser zu machen, natürlich nur zum Mitkaiser des Honorius. Zerschlagen von soviel Ehren, starb er. Placidia verließ Ravenna und zog mit ihrem Sohn Valentinian nach Konstantinopel. Nach einer kurzen Zeit im Exil erhielt sie die Nachricht vom Tod des Honorius. Sie schiffte sich sofort ein und hätte unterwegs fast Schiffbruch erlitten. Während des Unwetters legte sie das Gelübde ab, für den Evangelisten Johannes eine Kirche bauen zu lassen, wenn sie gerettet würde. Sie wurde gerettet und kam gesund in Ravenna an. Wie versprochen, ließ sie eine Kirche bauen, jene herrliche Kirche, die man gleich neben dem Bahnhof sehen kann. Eigentlich kann man sie nur erraten, weil sie so oft zerstört und wieder aufgebaut, abgetragen und wieder aufgestockt worden ist. Diese Aufbauarbeiten leisteten jedesmal jene unvergleichlich geschickten italienischen
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Maurer, die eine Kirche sozusagen im Eiltempo hochziehen. Das war auch nötig, denn der Boden Ravennas ist seit dem 5. Jahrhundert um mehr als l m gestiegen, wie man an einigen Säulenresten ablesen kann, deren Basis viel tiefer liegt als das heutige Straßenniveau. Diese Details über das Leben der Galla Placidia entnehme ich Gibbons „Geschichte des Verfalls und Untergangs des Römischen Reichs", wo diese Zeiten voller Wirren ebenso ausführlich wie dunkel beschrieben sind - Zeiten, in denen das Reich jedesmal einen Kaiser gewann, wenn es eine Provinz verlor. Diese Details sollen später auch dazu dienen, eine erstaunliche Tatsache zu erhellen: die unglaubliche Widerstandskraft des Christentums während all dieser Plagen, die es eigentlich hätten ersticken müssen. Um in aller Ruhe regieren zu können, hatte Galla Placidia, Kaiserin und Regentin für ihren Sohn, dafür gesorgt, daß dieser sehr lange Kind blieb. Und so herrschte sie 35 Jahre lang mit sanfter Gewalt, wie man an ihrem Bildnis auf den Münzen sehen kann. Auf der Vorderseite ist bemerkenswert das scharfe Profil mit dem durchdringenden, forschenden Blick; darüber ruht eine schwere, mit Perlen geschmückte Frisur. Die Modellierung ist messerscharf, wie um jedem deutlich zu sagen, daß ihrer Autorität nichts entgeht. Auf der Münzrückseite hält ein Engel unter dem Stern von Betlehem ein Kreuz mit Emblemen. Seine Knie sind leicht geknickt, so daß man den Eindruck hat, er wolle gleich davonfliegen. Von den vielen Bauten der römischen Prinzessin ist uns das herrliche, heitere christliche Mausoleum unversehrt erhalten, in dem sie allerdings selbst niemals ruhen sollte. Sie starb 450 in Rom. Nach ihrem Tod begannen von neuem die Stürme des Niedergangs. Aber hätte Placidia ihn aufhalten können? Der germanische Heerführer Odoaker suchte Ravenna heim. Sein Name ist verbunden mit schrecklichen Feuersbrünsten. Er war einer von denen, die nichts zurücklassen außer ihrem Namen. Von einem anderen Barbaren, dem Ostgoten Theoderich, wurde er aus der Stadt gejagt. Den stolzen Theoderich hatte man eiligst aus Konstantinopel geschickt, um Odoaker zu vertreiben. Theoderich wagte es nicht, sich selbst Kaiser zu nennen, deshalb war er dann der
erste, der den Titel eines Königs von Italien trug. Als Geisel ist dieser Gotenprinz in Konstantinopel aufgewachsen und war so sehr darauf bedacht, seine Herkunft geheimzuhalten, daß er, heißt es, sich geweigert hat, lesen und schreiben zu lernen - eine Vermutung, die sich auf die Tatsache stützen kann, daß er Staatsdokumente mit einer Schablone unterzeichnete, die in ein Goldtäfelchen geschnitten war. Niemand ist auf die Idee gekommen, daß auch ein Sekretär mit Vollmacht hätte unterzeichnen können. Man zog es vor, einen Ungebildeten auf dem Scherbenhaufen des Kaiserreichs sitzen zu sehen, der seine Gesetze diktierte, weil er unfähig war, sie selbst aufzuschreiben. Wie jeder Herrscher, der versucht hat, die Welt zu regieren, ließ sich Theoderich ein Grabmal bauen, das die Erinnerung an ihn bewahren und seinen Charakter zukünftigen Generationen verständlich machen sollte, so eine Art „letztes Vermächtnis". Dieses eigentlich zunächst abstoßende Grabmal - ein Haufen aufeinandergeschichteter Steinblöcke, die von Eisenhaken zusammengehalten werden - hat mich immer, ich weiß auch nicht, warum, an den Bahnhof von Mailand erinnert, dem nur der Rüssel fehlt, um einen guten Elefanten abzugeben. Das Grabmal hat zehn Ecken (vielleicht die Anzahl der Provinzen, die dem König unterstellt waren) und zwei Stockwerke, auf denen noch eine Art flacher Riesenhelm ruht. Dieser Helm besteht aus einem Monolithen, hat einen Durchmesser von l i m , wiegt 300 t und ist mit 12 rechtwinkligen Henkeln versehen, die vielleicht die abgebrochenen Zakken einer Krone darstellen sollen. Diese Steinhenkel haben wohl dazu gedient, den enormen Deckel zu heben oder wegzutragen. Im Innern empfangen einen Halbschatten und Leere, als ob das Licht der Adria zögerte, durch die Rundbögen zu dringen, die in ein ganz anderes Reich führen. Im oberen Stock steht ein Sarkophag, eine Art Wanne aus Porphyr, die leer ist. Der einzige Schmuck besteht aus einem Gemmenkreuz unter dem Helm. Ein Blitz hat die Mauer gespalten. Theoderich, der in seinem Mausoleum Schutz vor dem Gewitter gesucht hatte, wäre fast tödlich getroffen worden. Der Blitz soll in die Mauer und eben nicht in das Fenster
eingeschlagen haben, damit Theoderichs böse Absichten offenbar werden konnten, erzählt man sich. Ich glaube, daß die orthodoxen Christen diese Geschichte erfunden haben, um die letzten Arianer, die den Konzilen der Kirche noch Widerstand entgegensetzten, abzuschrecken. Das Grabmal, diese gebändigte steinerne Masse, liegt heute tiefer im Erdboden als früher und hat dadurch etwas von seiner majestätischen Größe, aber nichts von seiner seltsamen Schönheit verloren. Es bildet einen aufschlußreichen Kontrast zu der üppigen Kirche, die Theoderich Christus geweiht hat, seine Nachfolger aber dem heiligen Apollinaris. Diese Kirche ist ein Schmuckkästchen, das wir gleich öffnen werden. Es scheint, daß Theoderich, der zwar in Byzanz aufgewachsen ist, als Barbar sterben wollte. Die extreme Einfachheit seines Mausoleums spricht für die These von seinem Mißtrauen gegen jede Verweichlichung durch Kultur, die angeblich eine Gefahr für Vitalität und Charakter darstellt. Ich möchte nicht so weit gehen und behaupten, daß er als völliger Analphabet zwischen dem Evangelium und Ministern wie Boethius und Symmachus gelebt hat. Aber sein Grabmal zeigt, daß er tatsächlich versucht hat, sich bis zum Ende und trotz der Götzendienste, die er der weltlich-königlichen Ehre gewidmet hat, eine Tugend zu bewahren, die von den dekadenten Völkern vergessen worden war. Diese berauschten sich nämlich am Alkohol und am Gestank ihres eigenen Zerfalls. Wenn ich die letzte Ruhestätte dieses Königs betrachte, der sich selbst durch seine Siege nicht hatte besiegen lassen, kommt mir der Gedanke, daß die Tugend dieses Goten-
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hristus, sehr jung und bartlos, ist in einer Haltung wiedergegeben, die an Orpheus-Darstellungen der Antike erinnert. Die beiden Gruppen von jeweils drei Schafen rechts und links tragen mit dazu bei, daß die Komposition so ausgeglichen wirkt. Ein goldener Reifen umrahmt sie, ihre Achse ist das Kreuz. Die Sternenmotive darüber erinnern teils an das Kreuz, teils an das Monogramm Christi. Seit das Christentum anfing, seinen Glauben in Bildern auszudrücken, ist das
Thema des Guten Hirten („Ich bin der gute Hirt und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich", sagt das Evangelium) zum beliebtesten Gegenstand der Kunst geworden, vor allem in den ersten Jahrhunderten der Kirche. Denn sein Gehalt, die Moral des Friedens und der Liebe, stand im Kontrast zu den blutigen Wirren der Geschichte und zu der Maßlosigkeit der Mächtigen, einem Kontrast, der einen Künstler einfach inspirieren mußte.
Mausoleum der Galla Placidia: Der Gute Hirt (Folgende Seiten)
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königs nichts anderes war als intellektuelle Unverdorbenheit. Der Absolutismus allerdings gab ihr wenig Verwirklichungsmöglichkeiten. Der Ruhm Ravennas endete nicht mit Theoderich. Es gab noch zwei große „Mosaikfeuerwerke", die unter Justinian und Theodora gezündet wurden und die heute noch leuchten: S. Vitale und S. Apollinare in Classe. Ravenna erlag in dieser Zeit ganz der byzantinischen Verführung, der Glanz von Byzanz beherrschte von nun an die Stadt. Instrument dieser Macht war der berühmte Belisar, einer der wenigen Befehlshaber der Geschichte, die aufgrund ihrer Siege entlassen wurden. Diese Siege hatten ihn so beliebt gemacht, daß der Kaiser um seine Macht fürchtete. Die Legende stellt diesen Mann als Bettler dar, der mit dem Helm in der Hand durch die Straßen zieht: so arm hatte ihn die Undankbarkeit der Herrschenden gemacht, gegen die er sich nicht auf die übliche Art, nämlich durch persönliche Bereicherung an den Siegen, gewappnet hatte. Dieser nur auf dem Schlachtfeld glückreiche Soldat brachte Ravenna unter die Herrschaft Justinians. Die Stadt wurde wieder christlich-orthodox. Man entfernte die Arianer aus S. Apollinare Nuovo und baute jene zwei Kirchen, von denen ich sprach. S. Vitale, die großartigste, bezeugt in allen symbolischen, allegorischen und biblischen Darstellungen die Glaubensfundamente der Kirche: Offenbarung, Eucharistie und Trinität. Hätte es einen Bruch mit dem arianischen Irrglauben oder eine Art Versöhnung zwischen Ravenna
Mausoleum der Gctlla Placidia: Der heilige Laurentius
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ier sehen Sie den heiligen Laurentius mit seinem Rost, links unten sogar einige Feuerfunken. Wegen der Darstellung dieses Märtyrers über dem Grab, das vielleicht Galla Placidia enthalten hat, kam man auf die Idee, daß das Mausoleum ursprünglich zu einer Kirche gehörte, die Laurentius geweiht war. Der Stil dieser Szene ist außerordentlich lebendig. Der heilige Laurentius wurde im 3. Jahrhundert in Spanien geboren, war in Rom Diakon und wurde verbrannt. Er ist nicht nur wegen seines grausamen
Martyriums berühmt, sondern auch weil er an die Armen die Schätze der Kirche, die er zu hüten haue, verteilte. Diese Schätze schienen ihm bei den Armen sicherer aufgehoben als sonstwo. Er war zu seiner Zeit einer der am meisten verehrten Märtyrer und ist deshalb auch im Festzug der Heiligen in der Kirche S. Apollinare Nuovo dargestellt, wo er in seiner goldenen Tunika die Aufmerksamkeit der Gläubigen ganz besonders anzieht.
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und der Orthodoxie gegeben, wären die stilistischen Brüche in der Mosaikkunst nicht so groß gewesen. Unter byzantinischem Einfluß nahm man nämlich die überlieferten Techniken der Antike wieder auf - und außerdem die ursprüngliche Naivität der Goten. So also verlief die Geschichte. In Ravenna blieb die Zeit eine Atempause lang stehen, um eine einzigartige Mischung aus römischer Strenge, byzantinischer Zartheit und gotischer Frische zu verwirklichen. Geschichte? Es gibt nicht nur eine Geschichte, sondern zwei: eine weltliche und eine göttliche. Die weltliche ist die der äußeren Ereignisse mit ihrem Getöse, „dem Lärm um nichts", wie Shakespeare sagt, den Schreien, Gewalttätigkeiten, Leiden, falschen Freuden, die seit dem Beginn der Menschheit gleichgeblieben sind. Die andere, die der Gnade, ereignet sich im Herzen und durchschreitet Stürme, wirre Dunkelheiten und Wolfsrudel unbeschadet wie Rotkäppchen. Diese Geschichte kann man in den meditativen Gebeten nachlesen, welche die strahlenden Mosaiken in den Kirchen von Ravenna darstellen. Es ist erstaunlich, ich sagte es schon, wie die christliche Gnade sich in aller Stille einen strahlenden Weg durch diese weltliche Geschichte gebahnt hat, die doch im Grunde nichts anderes ist als eine Anhäufung von Dunkelheiten. Wie hat sich diese Blüte entfalten können, ohne im Waffengetümmel ein Blatt zu verlieren, ohne von der schmutzigen Flut der Invasionen weggeschwemmt zu werden? Dieser Glaube, der eigentlich zum Sterben verurteilt war, lebt - und siegt ohne Waffen. Er hat seine Kräfte nicht erschöpft während jener Verfolgungen, die ihn vernichten sollten. Er mußte sich auch nicht lautstark durchsetzen; das Flüstern der Gebete hat die Gesetze des Schicksals aufgehoben, weil die antike Welt ihnen hilflos gegenüberstand. Dieser Glaube bestätigt konkret die Worte vom ewigen Leben. Er besitzt es tatsächlich, dieses ewige Leben, da er alles, was ihn zerstören will, aushält und übersteht- und zwar schon viele Jahrhunderte lang. Diese Unbesiegbarkeit des Christentums ist um so bemerkenswerter, wenn man bedenkt, daß in
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jener Zeit die Kirche selbst gespalten war, aufgedunsen von krebsartig wuchernden Irrlehren, von denen der Arianismus die gefährlichste war. Im darauffolgenden Jahrhundert hätte nämlich die Lehre des überheblichen Klerikers Arius aus Alexandria beinahe das Christentum in Ost und West erobert. Er beherrschte die Dialektik wie kein anderer. Und ohne den heroischen Widerstand einiger weniger Bischöfe, die gegen viele der Gegenparteien standen und verbannt, eingekerkert oder verjagt wurden, wäre es aus gewesen. Wie alle Irrlehren versuchte der Arianismus, die Mysterien des Christentums auf irgendwelche Tatsachen der äußeren Welt zurückzuführen. Der erste Schritt war das logische Zerpflücken der Trinität: Ein Gott in drei Personen ist nicht vorstellbar, also existiert er nicht. Es gibt deshalb nur eine göttliche Person im Himmel, den Vater, er teilt sich nicht mit, „ein ewiger Junggeselle", wie Chateaubriand sagt. Christus ist ein Lebewesen, gezeugt wie alle anderen auch, aber dennoch höher stehend als sie, denn er ist Gottes Sohn kraft Adoption. Gott hat ihn wegen seiner außergewöhnlichen Verdienste und vollkommenen Fähigkeiten an Sohnes Statt angenommen. Dieser Rationalismus zerstört die christliche Mystik und mit ihr die Kontemplation, die Freude und das spirituelle Leben, die mit der Kontemplation verbunden sind. Eine andere Irrlehre behauptete genau das Gegenteil: Der Gottessohn ist überhaupt kein Mensch, er ist es nur der äußeren Erscheinung nach. Diese theologische Verstümmelung führt zu demselben Resultat: Zerstörung der Wahrheit durch abstrakte Gedankenkonstruktionen. An diesem Punkt muß einmal die geniale Hartnäckigkeit der Kirche bewundert werden, die rechts und links die Logik der Irrlehren hinwegfegte, um die strahlende „Absurdität" des Dogmas zu retten, das in sich dunkle Mysterium, das doch alles erklärend erhellt: Jesus Christus, „wahrer Gott und wahrer Mensch", zwei unversöhnbare Wesen, die der Arianismus und sein Gegenteil nicht koexistieren lassen können - und die man, wenn man in Analogien denkt, doch überall wiederfindet, selbst im Menschen. Der Mensch ist offen gegenüber dem Unendlichen und gleichzeitig bestrebt, sich innerhalb von Grenzen zu festigen; er ist begabt für das Absolute und er-
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schöpft sich im Relativen; er reist durch die Zeit mit der Erinnerung an die Ewigkeit. Wenn wir schon nach dem Ebenbild Gottes geschaffen worden sind, was gibt es da Natürlicheres als diesen inneren Konflikt zwischen dem, was sich in uns widerspiegelt, und dem, was uns ausdrückt? Dieser Antagonismus zwischen orthodoxem Christentum und Arianismus hat in Ravenna Spuren hinterlassen. Er hat sich dort aber weniger brutal ausgewirkt als anderswo. Gerade weil es keine gültige Wahrheit gab, konnte dort die Schönheit die Gewalttätigkeiten einige Zeit in Schach halten.
Ein "T" T"enedig zeigt sich, Ravenna verbirgt sich. Venedig, die Göttin der Schauer aus \ / Liebe, schaut immer in den Spiegel. Sie fesselt, zieht an und verweiEdelsteinen V gert sich dann wieder mit einer unglaublichen Geschicklichkeit. Ihre Gondeln gleichen in die Länge gezogenen Zweiunddreißigstelnoten, die, nach Konzertschluß freigelassen, auf den Wassern tanzen. Betritt man einen Palast, so scheint er sich plötzlich zu verdunkeln. Die Paläste sehen traurig aus, vielleicht aus schlechtem Gewissen, das in ihren Mauern und dunklen Möbeln nistet. Zum Kanal hin, auf der Seite der Vorzimmer, haben sie eine Fassade aus Marmor, aber gleichzeitig scheinen sie in den weichen, perlmuttern schimmernden, zuckenden Algen zu treiben. Venedig ist dafür gemacht, Gesandtschaften aus dem Orient zu empfangen, seine verschlungenen Wasserstraßen und Brückenbögen sprechen die ausweichende Sprache der Diplomatie. Unter ihrer abbröckelnden Schminke ist sich diese Stadt immer noch sicher, die Schönste zu sein. Und das ist sie auch. Aber sie macht eben nur Eindruck und nimmt einen nicht auf. Ravenna ist wie die Braut im Hohenlied, ihre Schönheit ist ganz innerlich. Man kommt in diese Stadt durch fünf oder sechs antike Tore, die wie Triumphbögen dastehen, nachdem die Mauern abgetragen worden sind; sie
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geben eine Flucht verschiedener, ziemlich flacher Bauten frei, bei denen sich das Venezianische in das Barocke und das Moderne in das Vorchristliche fügt. Nur wenige Monumente fesseln durch eine besonders kühne Architektur. Das Diskrete ist die Regel, und selbst die Fanfaren der Barockbauten geben nur gedämpfte Töne von sich. Aber es sind alle Baustile vertreten, die es in den vergangenen Jahrhunderten gegeben hat, angefangen vom antiken Rom, dessen Bauwerke eigentlich nur noch aus vereinzelten Trümmern bestehen, die man erst ausgegraben und dann Archiven überlassen hat. Wie das Meer, so hat auch ein Zeitalter seine Perlen. Im Vergleich zu den meisten italienischen Städten ist die kleine antike Hauptstadt mit ihren 100000 Einwohnern erstaunlich ruhig. Die Ravennater haben die Eigenschaft, schnell zu gehen und in den Mauern zu verschwinden wie Eidechsen. Nur die disziplinierten Barbaren des Bildungstourismus bevölkern die Straßen. Das Herz der Stadt bildet die Piazza del Popolo mit ihrem schönen mittelalterlichen Rathaus, den beiden Säulen, auf denen Statuen stehen, knapp so hoch wie die steinernen Zinnenkränze, mit denen die Venezianer die Häuser an der Piazzetta geschmückt hatten. Sie stehen zwischen den vier oder fünf Sonnenschirmen, die wie Seerosen aus Blech aussehen und zu den Straßencafes gehören, in denen übrigens mehr geredet als konsumiert wird. An diesem Platz stehen außerdem ein Palast aus dem 16., eine Kirche aus dem 17. und, die Dächer überragend, ein Campanile aus dem 10. Jahrhundert. Nicht
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ie Anhänger des Arianismus glaubten nicht an die Göttlichkeit Christi. Er war Gottes Sohn nur durch Adoption. Aus diesem Grund ist wohl der Thron der Herrlichkeit, der ihm versprochen war, leer und steht auf dem Kopf, und zwar oberhalb seines Hauptes. Man wollte damit sagen, daß Christus zu Beginn seines Lebens sich seiner göttlichen Herkunft nicht bewußt war und erst im Laufe der Ereignisse dieses Bewußtsein erlangte. Die großen Gestalten um das Mittelrund sind Apostel und Märtyrer. Sie tragen ihre heiligen
Kronen und vermeiden sorgfältig, sie mit den bloßen Händen zu berühren. Christus ist eingerahmt von Johannes dem Täufer und einer Personifikation des Flusses Jordan, der ein Füllhorn auf seinem Kopf trägt. Bis zur Hüfte steht Christus im Fluß und empfängt das Taufwasser aus dem Schnabel einer Taube, die den Heiligen Geist verkörpert. Die realistische Darstellung des nackten Körpers ist bewußt hervorgehoben, um Christi Menschsein zu unterstreichen.
Das Baptisterium der Arianer: Die Taufe Christi (Folgende Seiten)
weit davon führt eine im allgemeinen menschenleere Gasse zu einem Grabmal aus dem 18. Jahrhundert, in dem Dante jetzt in Frieden ruht, nachdem er seine literarischen Nachkommen für alle Zeiten sozusagen mundtot gemacht hat. Denn außergewöhnlich geniale Menschen lassen alles flach und fad erscheinen, was sie umgibt oder ihnen nachfolgt, genauso wie die Berge um das Matterhorn an Höhe zu verlieren scheinen. Dante hat in Ravenna im Exil gelebt. In Florenz war er wegen Betrugs oder Unterschlagung - so die offizielle Version -, in Wahrheit aber wegen einer politischen Affäre, in der er sein Unternehmen verloren hatte, verurteilt worden. Dante erinnert sich in seinen Gedichten gern an Ravenna, aber eigentlich nur um seinen Namen zu nennen, um von seinem Kiefernwald an der Küste zu sprechen und dem sanften Rauschen seiner Fächerkronen. Sein Grabmal von bescheidenen Ausmaßen ist bedeckt mit Bildmotiven aus der „Göttlichen Komödie", aus Hölle, Fegefeuer und Paradies. Die schwarze Tür wird von einem weitgespannten Halbbogen überstiegen, der den Giebel leicht berührt. Die Florentiner finden diese Huldigung dürftig. Sie würden ihren Großen lieber repatriieren und bemühen sich auch darum, indem sie z. B. ein Grabmonument versprechen, das seiner Unsterblichkeit angemessen ist. Als Antwort begnügen sich die Ravennater jedoch damit, pünktlich am Todestag des Verbannten die Glocken zu läuten. Zu Dante kommt man, wenn man einer Ziegelsteinmauer entlanggeht, die nur Härte und Ode erwarten läßt. Stößt man dann aber eine der beiden Türen auf, fällt man buchstäblich hinunter in einen wunderbaren Kreuzgang von makellosem Grundriß, dessen Bögen leise psalmodierend vor sich hin beten. Daneben liegt ein anderer, der genauso gut versteckt ist. Ganz Ravenna ist nach diesem Prinzip gebaut. Ravenna - das ist zunächst nur ein Schichtwerk aus Ziegelsteinen, die diskret, aber geschickt angeordnet sind. Der Ziegelstein von Ravenna ist allerdings nicht der langweilige Backstein, mit dem unser 19. Jahrhundert Fabriken und Betriebe baute. Er ist breit und flach, außerdem sieht man ihm noch an, daß er im Feuer gebrannt wurde. In der Länge fällt er unterschiedlich aus, was kunstvoll beim Schichten ausgenutzt wird. So bilden sich Rei-
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hen unterschiedlicher Rhythmen, die man wie ein stummes Gedicht mit langen und kurzen Silben lesen kann, eine Art Morsealphabet der Architektur. Der Ziegelstein wird auf eine dicke Mörtelschicht gelegt, die ihm Relief und einen eigenen Charakter gibt. Diesen individuellen Charakter verliert er, wenn er mehr gepreßt wird. Seine Farbe ist nie gleich, geht mal ins Gelbe, mal ins Rötliche und spielt mit dem Licht einer Sonate, die uns daran erinnert, daß das Wort „Ton" sowohl zur Musik als auch zur Malerei gehört. Mit diesem Ziegelstein ist so schwer zu modellieren wie mit einem Stück Glas. Der Maurer beherrscht die Kunst, den Ziegel sogar für runde Formen von großer Vollkommenheit zu verwenden: für eine Sonne über einem Portal, für Blendarkaden, deren vertikales Band erst nach und nach eingefügt wird und im Sockel des Gebäudes verschwindet wie die Strebebögen unserer gotischen Kirchen. Manchmal werden die Steine auch vertikal gesetzt, um einen Fries oder ein Gesims zu formen, meistens aber horizontal wie die Schnitte in einer Gravur. Unvorstellbare Variationen gibt es da von Zeile zu Zeile, darüber hinaus aber keine andere Verzierung als hie und da eine kleine weiße Säule, die wie die Knoten der Kordel einer Franziskanerkutte wirken. Im 5. und 6. Jahrhundert läuft alles nach folgendem Schema ab: das Äußere ist der Einfachheit des Evangeliums entsprechend kahl, es gibt keine Marmorverkleidung wie bei den der Welt sich öffnenden Bauten; das Innere ist ganz Seele, Gebet und Ekstase, die Mosaiken unter der Ziegelsteinhaut leuchten seit 1500 Jahren - Feuer christlicher Freude zwischen der Abenddämmerung des Kaiserreichs und der Nacht unzivilisierter Zeiten. Ein Mosaik ist ein Schauer aus Edelsteinen, die aus dem siebenten Himmel gefallen sind (aber es gibt Jahrhunderte, in denen es nicht regnet!). „Eine Malerei für die Ewigkeit", sagte Renoir und wußte nicht, daß er Ghirlandajo zitierte. Ein Mosaik ist praktisch unzerstörbar. Nur Naturkatastrophen oder menschliche Dummheit können es vernichten. Im letzten Krieg hat ein Bombenangriff die Kirche S. Giovanni Evangelista zerfetzt, im S.Jahrhundert ein Erdbeben die Apsis von S. Apollinare Nuovo zerstört. Die zerstörten Teile sind verloren. Eindringendes Wasser kann auch Schaden anrichten,
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doch dieser ist reparabel. In einer Werkstatt in Ravenna schaute ich zu, wie der Kopf eines Engels, Opfer einer großen Überschwemmung, restauriert wurde. Das Wasser haue ihn fast von der Mauer abgelöst. Der Kopf war riesig. Von nahem konnte man nur einen Haufen winziger Teilchen erkennen, aber keine Umrisse. Man mußte erst auf eine Leiter klettern: dann tauchte das Gesicht wie aus Meerestiefen wieder auf. Die Reparatur war schwierig. Der Künstler beklagte, zuwenig Himmel um den Kopf zu haben - aber das ist ja ein Zeichen unserer Zeit. Zusammen mit anderen Grundregeln der Mosaikkunst lernte ich: Man darf an einen Engel nicht zu nahe herankommen sonst sieht man ihn nicht. Ein Mosaik setzt sich aus unendlich vielen unregelmäßigen kleinen Würfeln oder Steinchen zusammen. Sie sind aus Marmor, Halbedelsteinen oder farbigem Glas. Die Glassteinchen sind mit Goldblättchen unterlegt oder mit Perlmuttsplittern bestreut. Die Technik erinnert an die Freskomalerei, und zwar insofern, als auch sie eine sehr rasche Ausführung erfordert. Auf eine Wand, die mit mehreren Lagen Zement oder Gips bedeckt ist, skizziert man eine Szene oder ein Motiv. Dann schabt man den Raum innerhalb der Umrisse aus und läßt den noch weichen Gips hineinlaufen. In den weichen Gips werden nun die Steinchen gesetzt - und zwar so, daß möglichst keine glatte Oberfläche entsteht, sondern im Gegenteil eine mit vielen Unebenheiten, an denen sich das Licht brechen kann. Dies bewirkt, daß das Mosaik, wenn man es von der Seite in schräg einfallendem Licht betrachtet, einem Splittregen gleicht oder, wie ich oben schon sagte, einem „Schauer aus dem siebenten Himmel". Der Maler eines Freskos - einer Technik, die heute übrigens viele Künstler zu schwierig finden - kann sein Werk nicht sofort sehen: es taucht erst nach und nach aus dem Putz auf. Und auch die Farben sind beim Auftauchen anders, als sie der Maler aufgetragen hat, so daß er, wenn er ärgerliche Brüche in der Farbgebung vermeiden will, in einem Minimum an Zeit ein Maximum an Fläche bedecken muß. Für den Mosaikkünstler besteht diese Gefahr nicht. Seine Farben ändern sich nicht, wenn der Gips trocknet. Wenn er es nicht schafft, die Vertiefung, die für die Komposition vorgesehen ist, in
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der gesetzten Frist zu füllen, kann er die dünne Gipsschicht wieder abtragen und mit der Arbeit später von neuem beginnen, ohne einen Nachteil für sein Werk befürchten zu müssen. Trotzdem muß er schnell arbeiten, denn er kann - im Gegensatz zum Freskomaler - nur geringfügige Korrekturen anbringen. Ein offizieller Text des Kaisers Diokletian über die Mosaikkunst gibt uns Aufschluß über die Verteilung der einzelnen Arbeitsgänge und ihre Vergütung. Der Schöpfer der Bildidee wurde tatsächlich am besten bezahlt. Er lieferte dem Wandmaler das, was die Tapisseriekünstler „carton" nennen. Der Wandmaler (sein Gehalt war nur halb so hoch) übertrug die Zeichnung auf die Wand, die wiederum von einem Spezialisten vorbereitet war. Dieser wurde nach demselben Tarif - oder einem etwas niedrigeren - bezahlt wie der Handwerker, der schließlich die Steinchen setzen mußte. Der letztere hatte sicher keine kreative Tätigkeit, aber in Ravenna zeigte er oft sehr viel Genialität in der Verwendung der vierzig Farben seiner Palette: Er nutzte dabei die Unregelmäßigkeit der Steinchen ebenso geschickt wie ihre verschiedenen Reflexionsmöglichkeiten. Kaiser haben immer denselben Fehler. Sie überschätzen die Idee und unterschätzen die Realität. Merkwürdig, daß die Mosaikkunst in dem Augenblick ihrem Ende entgegenging, als die Glasbläsermeister Venedigs jene scheinbare Erleichterung brachten, die in der schier endlosen Vielfalt ihrer Färbungen von Glas bestand. Die relativ einfachen Mittel aber machten gerade die Stärke des alten Mosaiks aus. Seine Gestalten traten buchstäblich aus der Wand heraus. Die Vielfalt der Nuancen ließ sie dann wieder zurücktreten oder verwandelte sie in flammende Schmetterlinge, die auf der Wand wie auf einem Blatt kleben.
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uf der linken Wand des Mittelschiffs sehen Sie den Festzug der heiligen Frauen. Ganz im Gegensatz zu einer anderen Meinung, die falsch ist, waren Männer und Frauen in der ersten Zeit des Christentums völlig gleichberechtigt. Die Frauen sind hier mit genausoviel Prunk, ja sogar mit mehr Aufwand als die Männer verherrlicht, die
auf der rechten Wandfläche dargestellt sind. Sie schwebe auf die Jungfrau Maria zu, die links vom Altar thront, und zwar genau an der Stelle, die dem Thron Christi auf der rechten Wand gegenüberliegt. Über ihrem Heiligenschein und den Palmen, die zwischen ihnen stehen, sind ihre Namen geschrieben.
S. Apollinare Nuovo: Der Festzug der heiligen Frauen (Folgende Seiten)
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Es gibt Kunstwerke, die in einem so hohen Maße vollkommen sind, daß nichts vorher und nachher an sie heranreicht. Der Parthenontempel in Athen gehört zu ihnen: Das Wunder seiner ungenau genauen Proportionen konnte durch nichts entstellt werden. Zu ihnen gehören auch die Glasfenster von Chartres: Sie verzaubern den Blick wie keine andere Glasmalerei vorher oder nachher. Und schließlich Ravenna! Dieses Paradies unbeschreiblicher Blaus und Grüns ist mit nichts zu vergleichen, vor allem nicht mit den byzantinischen Mosaiken, die aus einem ganz anderen Geist heraus entstanden sind. In jenen herrscht das Gold, wegen seiner Unveränderlichkeit Symbol des ewigen Lebens. Der Goldglanz schwächt jedoch die anderen Farben und verbirgt das Herz des Mysteriums wie die Ikonostase der orthodoxen Kirche oder der Tempelvorhang, ein leichtes Hindernis, aber doch nur für den Geweihten, den Priester, überschreitbar. Die byzantinische Ikone will die Sinne von der Erde lösen und dem Herzen ein sauberes Gebet entreißen, frei von menschlichem Schmutz. Die Zeichnung hat Windungen und Schlingen, also mehr labyrinthisch-ornamentale als organisch-menschliche Formen. Dies ist auch der Grund, weshalb die Ikone den Betrachter mehr abweist als anzieht. Zwar gehört die Ikone zur religiösen Kunst, denn sie vermittelt das Göttliche in Symbolen; in Andeutungen erfahren wir etwas über das Göttliche aber sie besitzt dieses Göttliche selbst nicht. Die würdige Ikone zittert nicht, macht aber leicht jene zittern, die sich ihr nähern. In einer so penetrant reichen Basilika kommt sich der Besucher vor wie eingesperrt in einen Goldkasten, in eine Art Sarg aus reinem Gold, in dem die sterblichen Überreste der Pharaonen beigesetzt wurden: er atmet schon die feinen Dämpfe der Einbalsamierung - dieses Gefühl hat er! Wahrlich ein köstlicher Ort. Ravenna, nicht weniger herrlich, stellt nun genau das Gegenteil dar. Seine Mosaiken öffnen sich dem Besucher, ziehen ihn auf immer frische Weiden und vereinigen ihn mit den Freunden Gottes und ihrem stillen Glück, das ohne Leid und Tränen ist. Aber wo befinden wir uns eigentlich, befreit von der Zeit und aufgenommen in ein seltsames Reich, wo der dreidimensionale Raum im Unendlichen aufgehoben ist?
Die Malerei hat unzählige Male das irdische Paradies dargestellt, Adam und Eva in jenem Garten, wo Gott „mit dem Abendwind kam", wie die Bibel sagt. Aber das ist nicht Ravenna. Nun gibt es auch viele, wirklich gute Darstellungen des himmlischen Paradieses. Die berühmte von Tintoretto allerdings läßt einen eher an eine Versammlung aufgeheiterter Parlamentarier denken als an leidenschaftliche Anbetung. In seinem „Begräbnis des Grafen von Orgaz" schlägt El Greco eine andere Interpretation vor: ein blutleeres Paradies, wie in einen Grabstein gehauen. Das ist natürlich immer noch nicht Ravenna, genausowenig wie jene Bilder des sogenannten „Goldenen Zeitalters" der Präraffaeliten mit ihren idealistischen Inszenierungen und in Melancholie versunkenen Gestalten. Ravenna ist etwas ganz anderes: eine Zukunftsvision, die Vision einer Welt, wie sie sein wird, nachdem Christus sie erlöst hat, eine versöhnte Welt, verwandelt durch das Licht - die Farbe der göttlichen Liebe. Wenn Sie Ihr ewiges Leben interessiert, gehen Sie nach Ravenna. Dort sehen Sie es auf den Wänden.
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emäß dem Wort Christi bei Johannes (12,24): „Wenn das WeizenGalla körn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber Placidia stirbt, bringt es viele Frucht" beginnen wir mit der Ernte des Lichts in Der Glaube einem Grab, dem Mausoleum der Galla Placidia. Man entdeckt es meist erst, wenn man endlich die Bögen und blaugrünen Farbströme der Kirche S. Vitale glücklich hinter sich gebracht hat. S. Vitale ist nämlich nach geradezu verwirrend komplizierten Plänen gebaut und außerdem zu einer Zeit, als noch mancher Gallier in Frankreich nur schwimmend seinen Wohnsitz im Sumpf erreichen konnte. Der Ziegelsteinbau des Mausoleums in typisch lateinischer Kreuzform steht am Rand eines großen Rasens, hat einen niedrigen, viereckigen Turm, Blendarkaden und liegt 1,5 m unter dem heutigen
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ollmare ovo: heiligen Könige
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ier stürzen sich die Heiligen Drei Könige, die den Zug der heiligen Frauen anführen, der Jungfrau Maria zu Füßen: Kaspar, Melchior und Balthasar tragen Gold, Weihrauch und Myrrhe. Diese Komposition ist restauriert worden, aber mit der größten Sorgfalt und ohne sie zu verändern, was im letzten Jahrhundert selten war. Die Könige werden von einem Stern mit acht Strahlen angezogen und von der Hand eines Engels geführt. Die Bewegung ihrer Beine verrät, wie eilig sie es haben, das göttliche Kind anzubeten.
Straßenniveau. In seiner Gedrungenheit gleicht es einem Vorstadtbahnhof mit zugemauerten Schaltern. Der Innenraum liegt im Halbdunkel, weil nur wenig Licht durch einige schmale Fenster mit honigfarbenen Alabasterscheiben bricht, und ist bis zur halben Höhe mit dem kostbaren gelben Marmor aus Siena verkleidet. Der übrige Raum schimmert in den Farben Blau, Grün und Gold mit gerade so viel Weiß, als nötig ist, um den Blick zu führen und die Bildlandschaft zu strukturieren. Mit diesem Weiß sind auch die Heiligen bekleidet. Weiß entsteht ja aus der Vereinigung aller Farben im Sonnenspektrum und symbolisiert deshalb nicht nur die Reinheit, worüber sich alle einig sind, sondern auch den Geist, weil er alle potentiell existierenden Bilder in seinem Licht vereinigt. Schon an der Tür umfängt den Besucher der süße Zauber von Ravenna: das Mosaik öffnet sich ihm, nimmt ihn auf- im Gegensatz zur Ikone, die er wie einen abweisenden Schild aus Gold erlebt. In den Mosaiken Ravennas übt das Göttliche eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf das in uns aus, was für die Gnade empfänglich ist. Der Tür gegenüber stehen unter einem muschelförmfgen Bogenfeld zwei Apostel. Zwischen ihnen plätschert ein Springbrunnen, von dessen Wasser zwei Tauben angezogen scheinen. In der darunterliegenden Lünette ist das Martyrium des heiligen Laurentius dargestellt. Deshalb neigen gewisse Historiker zu der Annahme, daß das Mausoleum zuerst eine Kapelle war, die zu einer großen Kirche gehörte, von der nichts mehr erhalten ist. Im Zentrum der Lünette züngeln Flammen aus einem Rost, sie scheinen von den Büchern der vier Evangelisten genährt zu werden, die in einem Schränkchen mit geöffneten Türen liegen. Dieses Detail erinnert an das Christuswort: „Ich bin gekommen, das Feuer auf die Erde zu bringen, und wünsche nichts anderes, als daß es brennt." Rechts im Bild der Heilige selbst, er trägt ein langes Kreuz auf den Schultern und hat ein Buch in der Hand. Die Stoffbahnen seines Mantels wehen in der glühenden Hitze auf eine fast schon barocke Art. Er eilt geradezu seinem Martyrium entgegen, eigenartigerweise allein, ohne von der sonst üblichen Wächtermeute oder von Scharfrichtern vorwärtsgestoßen zu werden. In Ravenna
wird nämlich nirgends das Böse oder der Schmerz dargestellt, auch nicht deren Vollstrecker. Das Böse und der Schmerz gehören der weltlichen Geschichte an - und die hat in Ravenna aufgehört zu existieren: Der Schmerz und das Böse haben sich aufgelöst, sind vom Guten aufgesogen worden oder ganz einfach aus dem Gedächtnis gefallen. In dieser Welt der Gnade und des Segens finden Sie keinen jener gehörnten Dämonen, Repräsentanten der Sünde und Versuchung, wie sie später in der mittelalterlichen Kunst geradezu wimmeln. Unter so vielen Bildern des Friedens gibt es nur wenige Quadratdezimeter, die eine Anspielung auf die „Bösewichte" des Evangeliums darstellen und die Hartnäckigkeit der Sünde symbolisieren. Und diese wenigen Quadratdezimeter strahlen in einem so schönen Blau, daß die Hoffnung auf Erleuchtung an keinem Punkt ausgeschlossen ist. Das Martyrium des heiligen Laurentius ist übrigens auch die einzige Szene, die an Gewalt erinnert. Und der wie in einen Käfig eingesperrte Flammenwirbel soll vielleicht nicht so sehr Strafe bedeuten als jene glühende Liebe, die den Heiligen selbst verzehrte, bevor er diesen Glaubensbeweis „usque ad mortem" erbracht hat, den das Martyrium darstellt. Zu Füßen des heiligen Laurentius steht ein eindrucksvoller Sarkophag mit hochgezogenen Ecken, in den man den Toten nicht legte, sondern setzte und der vielleicht auch einmal die sterblichen Überreste der Galla Placidia enthalten hat. Doch dies wird man leider niemals mehr mit Sicherheit feststellen können. Vor 500 Jahren haben nämlich neugierige Kinder durch eine Öffnung in der Wand Kerzen oder brennendes Papier in das Innere des Sar-
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er erste der 26 Heiligen und Märtyrer, die sich hier dem Herrscher Christus präsentieren, ist der heilige Martin. Im Unterschied zu den anderen, die alle in weißes Leinen gehüllt sind mit Ausnahme nur des heiligen Diakons Laurentius, dessen Tunika golden ist -, trägt er wie Christus einen roten Mantel, Symbol seiner besonderen Würde: er war nämlich der zweite Schutzhei-
lige der Kirche, und zwar zur Zeit des Erzbischofs Agnellus (557-570). Man kann in dieser Betonung des Mantels aber auch eine Anspielung auf die bekannte Geschichte mit dem geteilten Mantel sehen. Erst Mitte des 9. Jahrhunderts wurde die Königskirche dem heiligen Apollinaris geweiht. Für die Zeichen, die die Mäntel der Heiligen zieren, gibt es noch keine befriedigende Erklärung.
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S. Apollinare Nuovo: Der Festzug der Heiligen (Folgende Seiten)
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kophags geworfen und ihn so in Brand gesteckt. In diesem Feuer verbrannte alles zu Asche: der Leichnam, der Sitz und die Gegenstände. Diese posthume Verbrennung ausgerechnet unter dem Rost des heiligen Laurentius ist schon etwas Seltsames. In einem schönen heiteren Blau erstrahlt der übrige Raum - bis hinauf zu der kleinen, mit Sternen übersäten nächtlichen Himmelskuppel. Die 900 Goldsterne mit ihren acht Strahlen drehen sich in konzentrischen Kreisen um ein Kreuz. Vom siebten Kreis an sind sie jedoch leicht versetzt angeordnet, so daß sie sich nach einem anderen Gesetz bewegen: „Die Sterne der äußeren Kreise bilden nämlich Kurven, die sich überschneiden wie die Blätter einer Rose. Ich nehme an, daß Dante, ohne sich dessen vielleicht bewußt zu sein, hier auf die Idee seiner neun Engelchöre kam. Er sah in einer Vision, wie diese Engelchöre eine Schneerose im Paradies bilden: „a forma dunque di candida rosa". In den acht Strahlen dieser ins Unendliche gestreuten und unaufhörlich um das Kreuz pulsierenden Sterne kann man die griechischen Anfangsbuchstaben des Namens Jesus Christus erkennen - I X - , die beide vom Querbalken des Kreuzes geschnitten werden, dem patibulum, an das die Hände des Erlösers genagelt wurden. Es ist nun aber nicht unbedingt nötig, überall Symbole zu sehen, vielleicht genügt es, festzuhalten, daß dieses goldene Kreuz inmitten der rotierenden Sterne die Rolle eines Senders spiritueller Wellen spielt, die das ganze Bauwerk mit Frieden erfüllen, Rost und heiliger Laurentfus Inbegriffen. Aber so leicht entkommt man den Symbolen bei christlichen Bauten doch nicht. Da sehen Sie zum Beispiel zwischen Akanthusspiralen Hirsche, die sich einem kleinen Teich nähern: das ist die nach Gott dürstende Seele aus dem 42. Psalm. Ein Weinstock rankt sich um einen Bogen: da wiederum erkennen Sie den Satz aus dem Johannesevangelium: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben." Am Ausgang eines goldblauen Tunnels (des Langschiffes), der mit Blumen, Sternen und unwahrscheinlichen Schneekristallen überzogen ist, sehen Sie eine Allegorie des Guten Hirten: weiße Schafe, Grünzeug, blauer Himmel. Die Haltung des sehr jungen, sitzenden Christus
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erinnert an die eines Cellisten, der gerade den Bogen streicht, oder an die eines antiken Poeten, der sich auf der Lyra begleitet. Ganz selbstverständlich ergibt sich auch der Vergleich mit Orpheus. Und in der Tat entströmt der Musik dieser Komposition eine Zärtlichkeit, als ob sich alle Sehnsucht der ringsum zerrissenen Welt nach Harmonie und Versöhnung in diese Kirchen und Gräber zurückgezogen hätte. Ich muß an dieser Stelle noch auf zwei Dinge hinweisen. Da wäre einmal die Fähigkeit der Mosaikkünstler, nur mit Hilfe von Glassplittern und gewöhnlichen Kieselsteinchen erstaunliche Effekte hervorzubringen: lange, dichte Schafswolle, frisches Leinen, einen transparenten Himmel, eine warme, aber doch eben nicht weich wirkende Hirschhaut. Hier kommen dem Künstler zweifellos sein visuelles und, wenn es überhaupt existiert, auch sein taktiles Gedächtnis zu Hilfe; auf diese Weise gelingt es ihm, Effekte herauszustellen, die anders nur begrenzt zu realisieren gewesen wären. Es ist allerdings eine Kunst, diese Fähigkeiten richtig einzusetzen, und ich glaube, in dieser Kunst glich in Ravenna kein Mosaizist dem anderen. Der andere Hinweis bezieht sich auf die Anwendung der Perspektive. Es wird nämlich behauptet, die Mosaizisten seien darin völlig unerfahren gewesen. Um sich vom Gegenteil zu überzeugen, genügt jedoch ein Blick auf die ornamentalen Motive des Mausoleums der Galla Placidia. Seine sich windenden Bänder und Mäander täuschen Tiefe und Wölbungen vor. Die Meisterschaft in der Kunst der Perspektive ist also evident. Es gibt jedoch einen ganz einfachen praktischen Grund für die Tatsache, daß die Künstler von Ravenna die Perspektive vernachlässigt haben: sie arbeiteten in einer beachtlichen Höhe von vier bis fünf Metern. Wenn man in einer solchen Höhe perspektivisch gestaltet, kann von unten niemand mehr etwas erkennen. Es gibt auch noch eine spirituelle Überlegung dabei, wie Sie sehen werden. Auf jeden Fall dürfen Sie, wenn Sie dieses Mausoleum besichtigen, nie künstlerisches Versagen oder Unerfahrenheit in Betracht ziehen: Wir sind in einer anderen Welt, und diese Kunst stellt eine Hymne auf sie dar - sie ist die höchste Ausdrucksform des Geistes.
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er Mystiker, der eine Vision dieser sogenannten „anderen Welt" S. Apollinare I hatte, und zwar zu einer Zeit, in der man den Christen noch nicht Nuovo ausredete, auch daran zu glauben, erlebte diese als Licht und intenEvangelium des Glücks sive Fülle. Diese andere Welt ist raumfrei, weil die Gesetze des Raumes, nach denen wir unsere Welt dreidimensional definieren, außer Kraft gesetzt werden. Diese andere Welt ist geistig, jedoch nicht entkörpert oder abstrakt und schon gar nicht Produkt eines pathologisch funktionierenden Gehirns, wie häufig behauptet wird, vielmehr ist sie auf wunderbare Weise konkret. Es ist eine Welt ohne Leere, denn ihr Licht enthält in sich die Fülle aller potentiell möglichen Bilder, Farben und Gedanken. Sie ist äußerst real, absolute Realität. Selbst die intensivsten Erlebnisse unserer Welt geben nur eine leise Ahnung davon. Licht und intensive Fülle, diese beiden Charakteristika der anderen Welt, finden wir zum Teil in den Mosaiken Ravennas verwirklicht: Sie bedeuten die größtmögliche Annäherung an die andere Welt, welche die Kunst jemals hervorgebracht hat. In dieser Kunst vereinigen sich drei Lichtquellen: das Tageslicht, wenn es ihm gelingt, durch die mit Alabasterimitation beschmierten Fenster zu dringen, und das auf den Betrachter in einem Aufflammen oder einer Brechung zurückfällt; dann das Licht der Mosaiksteinchen, die ja selbst kleine Kondensatoren des Lichts darstellen; und schließlich das Licht des Geistes, das natürlich in jedem Kunstwerk aufleuchtet, aber hier einen ganz außergewöhnlichen Glanz entfacht, weil der Geist noch ganz durchdrungen ist von
5. Apollinare Nuovo: Ein Engel
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flach und glatt, sondern uneben und haben vorspringende Ecken, die das Licht festhalten und so das Funkeln und Glitzern des Mosaiks bewirken. Die Figur ist so angelegt, daß sie aus einer ziemlich großen Entfernung betrachtet werden muß. Denn von nahem sieht man nur ein Gewimmel kleinster Teilchen, die Gestalt selbst ist kaum erkennbar. (Laut Pascal darf der Betrachter eines Bildes weder zu nah noch zu weit entfernt stehen.)
s handelt sich um einen der vier Engel, die Christus zur Seite stehen. In seiner Linken hält er den farbigen langen Stab der Zeremonienmeister, die die Aufgabe haben, am Hof und in den Versammlungen für Ruhe zu sorgen. Der Mosaizist hat es hier geschafft, mit bemerkenswert sparsamen Mitteln seine Figur lebendig zu machen. Man sollte auch die gewollte Unregelmäßigkeit der farbigen Steinchen beachten. Sie sind nie
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Die Berufung des Petrus und Andreas Die Erweckung des Lazarus
Die Heilung des Gelähmten Die Scheidung der Schafe und Böcke
Die Hochzeit zu Kana Christus und die Samariterin
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jener ursprünglichen kindlichen Gesinnung, die unerläßlich ist für den, der ins Himmelreich kommen will, wie das Evangelium sagt. Ebenso finden wir im Mosaik auch jene Welt ohne Leere wieder; denn es gibt keine leeren Räume, höchstens winzige Risse, zwischen den Teilchen: Jedes einzelne Teilchen ist für den Zusammenhalt des Bildganzen absolut notwendig. Und das Gefühl, in eine durch und durch konkrete Welt einzutreten, wird erreicht durch den sparsamen Gebrauch der Perspektive, die nur hin und wieder in einem kleinen Schatten oder auf einer geometrischen Form angedeutet sind. Der Effekt der Perspektive besteht ja hauptsächlich darin, einen Raum vorzutäuschen, das heißt eine potentielle Leere. Das hat folgenden geistigen Nachteil: Die Perspektive macht den Menschen zum Zentrum der Komposition, die sich dann um ihn herum organisieren muß. Diese Subjektivität der perspektivischen Darstellung steht der überwältigenden Fülle der mystischen Vision diametral entgegen: Hier herrscht reine Objektivität, denn das Zentrum ist überall. Die große Dichte und Intensität des Mosaiks zeigt sich sogar noch in den kleinen Tieren, die von den Mosaikkünstlern auch einbezogen wurden, als sie auf ihren Bildern das ewige Leben versprachen, das sonst allein für die Menschen reserviert zu sein scheint. Schauen Sie sich die berühmte Ente von Ravenna an. Ihre Farben leuchten wie Smaragde und Lapislazuli. In ihrem Auge erkennen Sie noch einen Rest tierischen Mißtrauens, aber gleichzeitig schon einen Anfang von Ironie. In dieser Ironie ist die Ente schon außer Reichweite. Mit anderen gefiederten Artgenossen bewohnt dieser berühmte
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n der obersten Mosaikzone von S. Apollinare Nuovo sind auf der rechten und linken Seite des Mittelschiffs in zwei Reihen von Bildern, die jeweils durch ein dekoratives Motiv voneinander getrennt werden, Szenen aus dem Leben und der Passion Christi dargestellt. Dieser Teil der Kirche wurde unter Theoderich gebaut und geht also auf
die arianische Zeit zurück. In jeder dieser Szenen ist die Zahl der Personen wegen der kleinen Bildfläche begrenzt. Trotzdem beeindruckt jede dieser Szenen durch ihre außergewöhnliche Lebendigkeit und Frische. Christus ist jung, bartlos und größer als die anderen Personen, seine Hand segnet oder appelliert an die Menschen
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5. Apollinare Nuovo: Szenen am dem Evangelium
Vogel, vervielfältigt auf Postkarten und Gipsplatten, seit dem 5. Jahrhundert das Gewölbe des erzbischöflichen Palais und scheint dem Besucher sagen zu wollen: „Die breiten schwarzen Konturen drücken mich tief in den Grund und machen nur allzu deutlich, daß ich aus dem Dunkel der Nacht komme. Ich bereite mich jetzt darauf vor, in eine unzerstörbare Welt einzutreten. Aber wie Sie sehen, ist meine Zeit noch nicht erfüllt: Ein Fuß und auch die Hälfte des Schnabels sind noch schwarz; der Rest meiner Gestalt ist aber schon in ein geheimnisvolles Licht getaucht. Ich bin sicher nicht die Hauptperson in dieser farbenfrohen Geschichte, aber machen Sie nicht den Fehler, meine Bedeutung zu unterschätzen. Denn obwohl ich niemals die Ehre hatte, als Gleichnis für unseren Erlöser Jesus Christus zu dienen - er bevorzugte Schafe, Kamele, Esel und Vögel in seinen Parabeln -, so bin ich doch ein Zeuge wie die anderen auch. Ich bezeuge allein durch meine Anwesenheit auf diesen ehrwürdigen Wänden die Güte des Schöpfers aller Dinge. Indem der Meister mich zwischen Lilien und Lampions auf diesen feinen Goldsplitt setzte, hat er auch mich in die große Verwandlung einbezogen, damit die minderbemittelten Brüder unter euch, gleich den Huren und Zöllnern, auch ins Himmelreich kommen."
S. Apollinare Nuovo: Der Judaskuß
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on nahem sind diese beiden Gesichter nichts als eine Schaufel voll Grobsplitt. Ihre volle dramatische Ausdruckskraft entfalten sie erst in dem Maße, wie man sich von ihnen entfernt. Dann erst taucht eine Umrißzeichnung auf, die uns an Rouault denken läßt. Diese Darstellung ist ein Detail aus einer Bildfolge, die die Passion Christi erzählt, wo übrigens Judas zweimal auftritt: zuerst beim Gründonnerstagsmahl, dem Abendmahl (das den Umschlag unseres Buches ziert); dann im Olivenhain, wo er seinen Meister dem Hohen Rat ausliefert - Rat und gleichzeitig Gericht der Juden von Jerusalem —, und zwar für 30 Silberlinge (die berühmten 30 Heller, die seitdem zum Symbol für
Bestechlichkeit geworden sind). Nicht gezeigt ist die Szene, wo er vom Markt zurückkommt, um das Geld dem Hohen Rat zurückzuerstatten. Vorher ruft er noch aus: „Ich habe unschuldiges Blut verraten" - eine Äußerung, die uns, was die wahre Natur seiner Motive betrifft, ratlos läßt. Hatte er wirklich geglaubt, einen Schuldigen auszuliefern, und wessen sollte sich dieser schuldig gemacht haben? Diese Bilder sind arianischen Ursprungs. Trotzdem haben die Nachfolger der Goten, da sie in ihnen nichts Ketzerisches entdecken konnten, diese Bilder unversehrt gelassen, als Ravenna zum orthodoxen Christentum zurückgefunden hatte.
Dieses immer festliche Licht strahlt ganz besonders in S. Apollinare Nuovo, der einstigen Palastkirche Theoderichs und einzigen Kirche in Ravenna, deren Schönheiten man ohne künstliche Beleuchtung betrachten kann. Dieses natürliche Licht verdankt die Kirche den großen Rundbögen ihrer Fenster, die man glücklicherweise nicht gelb bemalt hat. Bevor die Mosaiken der Apsis durch ein Erdbeben zerstört wurden und danach verlorengingen, war S. Apollinare Nuovo reich mit Mosaiken dekoriert. Die jetzt noch erhaltenen bedecken ganz die beiden Wandflächen über den kostbaren Säulenreihen des Mittelschiffs. Sie sind in drei Zonen gegliedert: Die oberste unter der Decke stammt noch aus der arianischen Zeit des Theoderich; die Mosaiken der beiden anderen Zonen sind ausgewechselt, umgearbeitet oder entfernt worden, als die Katholiken zurückkehrten. In der ersten Zone bewegen sich auf beiden Wänden weiße Märtyrerprozessionen: links die Frauen, rechts die Männer. In der Zone darüber, zwischen den Rundbögen der Fenster, stehen hohe Prophetengestalten; sie gleichen Statuen, die man leicht perspektivisch auf ein Raseneck gestellt hat. In der dritten Zone, deren Proportionen ein wenig an das Gebälk einer Attika erinnern, wird in 26 Bildfeldern das Leben Christi erzählt: auf der Seite der Märtyrinnen die Wunder und Gleichnisse, auf der Seite der Märtyrer die Passion und Auferstehung. Diese Bildfelder sind durch ein sich wiederholendes dekoratives Motiv voneinander getrennt, eine Art Baldachin oder Tabernakel, auf dem zwei Tauben sitzen. Diese Gliederung der Wände ist rein zufällig, da die Mosaiken der verschiedenen Zonen ja aus verschiedenen Epochen stammen. Dieser Zufall hilft uns also nicht weiter, wenn wir ein bißchen besser verstehen wollen, warum die Kirche bis heute keine weiblichen Priester gehabt hat und wahrscheinlich auch nie haben wird. Alle Wunder im Evangelium geschehen auf eine zarte, sanfte, also mehr weibliche Art und nicht, wie manchmal im Alten Testament, auf eine gewalttätige. Dort waren die Wunder ja dazu da, die Schwäche eines Volkes zu kompensieren, das mit der Aufgabe belastet war, seinen Gott den anderen Völkern zu bringen. Die zarten Wunder stehen über dem Festzug der
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Frauen. Die Frauen sind also in die göttliche Liebe einbezogen. Sie geben Leben, nicht den Tod und haben im Leben Christi immer eine wohltuende und wohltätige Rolle gespielt. Treu waren sie, ohne zu verpflichten, und deshalb auch dazu auserwählt, die ersten Zeugen seiner Auferstehung zu sein. Mit seiner Verurteilung und Todesstrafe, die auf der gegenüberliegenden Wand über der Männerprozession dargestellt sind, hatten sie nichts zu tun. Dies alles würde für die Frau als Priesterin sprechen. Dagegen spricht allein die wesentlichste Aufgabe des Priesteramtes: die Verwaltung der Sakramente, besonders die Feier der Eucharistie. Die Messe, die an die Passion erinnern soll, enthält nämlich auch die Erinnerung an strömendes Blut („das für euch und für viele vergossen wurde"), was peinlich wirken könnte. Aus diesem Grunde darf die Messe nur von einem Mann gelesen werden. Nicht die Überlegenheit des Mannes soll dadurch betont werden, sondern die unterschiedliche Bestimmung der Geschlechter. Wenn man um jeden Preis will, daß Mann und Frau in allem austauschbar sind, beraubt man sie nämlich jenes Unterschiedes, der sie einander unentbehrlich macht. Die Serie dieser Bilder aus dem Evangelium, deren gedämpftes Gold, ohne zu blenden, die wunderbare Allgegenwärtigkeit des Ewigen in der Zeit manifestiert, beginnt mit dem ersten Wunder Christi bei der Hochzeit zu Kana, wo Jesus Wasser in Wein verwandelte. Geburt, Taufe und jene Ereignisse, die aus dem „Leben im Verborgenen" bekannt sind, werden nicht dargestellt. Leider haben die Kommentatoren seither aus diesem sanften Wunder bei der Hochzeit zu Kana ein Taufbild gemacht, was bedeutet: Wein wird in Wasser verwandelt. Ein früher Restaurator wollte nämlich der Dekoration, die seiner sorgfältigen Arbeit anvertraut war, eine persönliche Note geben und hat die Krüge in Körbe verwandelt - es sei denn, er hat Flaschenkörbe gemeint, deren Hälse man nicht sieht. In der übernächsten Szene, dem „Wunderbaren Fischfang" oder, wie andere sagen, der „Berufung des Petrus und Andreas", sieht man einen herrlichen Delphin, der mit seiner Genossin, der Ente, Karriere auf Postkarten gemacht hat. Er paßt sich ganz den Bewegungen der Wellen an, ist froh, unterhalb des Bootes des Pe-
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Das Abendmahl Jesus im Olivenhain
Der Judaskuß Christus vor dem Hohen Rat
Die Ankündigung der Verleugnung Petri Die Verleugnung Petri
Christus vor Pontius PilatHS Der Aufstieg zum Kalvarienberg
Die Aufersteht^ Das leere Grat Der ungläubig Thomas
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ie Passion Christi beginnt am Gründonnerstag mit dem Abendmahl. Der Kelch fehlt hier, und statt des Opferlamms gibt es zwei Fische und sieben Brote in Pyramidenform. Die Apostel lagern um einen Tisch, der auf römische Art gedeckt ist. Die einen schauen neugierig auf Jesus, die anderen auf Judas, der anscheinend über seinen baldigen Verrat bestürzt ist. Denn Christus hat gerade gesagt: „Einer von euch wird mich verraten." Der weißhaarige Petrus scheint zu fragen: „Bin ich es, Herr?" Diese Episode befindet sich ganz in der Nähe des Altars ebenso wie die Hoch-
zeit zu Kana auf der anderen Seite des Mittelschiffs. Die Bildtafeln ananischen Ursprungs weichen dem tragischen Gesichtspunkt des Ereignisses aus und lassen Christus unberührt auch inmitten der Prüfung. Sie legen den Akzent auf den Verrat des Judas und die Verleugnung Petri. Die Kreuzigung ist ebenso weggelassen wie die Geißelung und die Dornenkrönung. Dieser Teil der Ausstattung des Gebäudes wurde nach der Rückkehr Ravennas zum orthodoxen Christentum nicht überarbeitet.
S. Apollinare Nuovo: Die Passion Christi
trus schwimmen zu können und dem Netz entgangen zu sein: denn von allen Tieren in Ravenna, die ja, frei von Angst, am allgemeinen Jubel teilnehmen, haben die Fische als einzige das Pech, als Mahlzeiten auftreten zu müssen. Das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner ist mit einer ihm angemessenen genialen Ironie behandelt. Vor dem Eingang eines kleinen Säulentempels, der mit einem in der Mitte geknoteten Vorhang versehen ist - eine Möglichkeit, das Gebäude zu schließen und gleichzeitig zu lüften, wie es zu jener Zeit üblich war -, bedankt sich ein junger schöner Pharisäer beim Herrn für seine Hilfe. Er macht auf jeden Fall einen besseren Eindruck als der erbärmliche Zöllner, den widrige Lebensumstände in die Knie gezwungen haben. Der Pharisäer trägt ein weißes Untergewand, darüber ein goldenes Überkleid, er zeigt sich von vorn, und seine selbstgerechte Tugend hat ihn wohl zu jener priesterlichen Geste der Anbetung oder Unschuld, die über die Sünde gesiegt hat, inspiriert: in Schulterhöhe hält er uns seine geöffneten Hände entgegen. Der Zöllner dagegen wagt es nicht, uns anzuschauen, dreht ein Viertel seiner Gestalt zur Seite, ist sich ganz seiner Nichtigkeit bewußt und krümmt sich in Unterwürfigkeit. Seine Haare sind weiß, damit man begreift, daß er trotz seines Alters nur wenige Verdienste vorzuweisen hat. Er ist ein Sünder wie jene Alten in der Episode mit der Ehebrecherin, die als erste ihren Stein fallen lassen und von der Bildfläche verschwinden. Dieses Gleichnis, dessen Gehalt unerschöpflich ist, wird in unseren Tagen eigenartig verdreht. Man kann fast sagen, daß eine Vertauschung der Personen stattfindet: Der Zöllner, stark geworden im politischen Kampf des Volkes, strengt sich an, die Stimme des Pharisäers zu gewinnen, und begegnet ihm deshalb mit Zuvorkommenheit; von oben schaut er auf den Pharisäer herab, der mit seinen veralteten Praktiken auf dem Abstellgleis steht und es kaum wagt, sich zu zeigen. Das Bild, auf dem Christus die Schafe von den Böcken scheidet, stellt das Jüngste Gericht dar und markiert, so sieht es jedenfalls der Wissenschaftler Professor Karel Heitz, den Beginn des Mittelalters. Die Schafe werden einem roten Engel, Repräsentant des Lebens, die Böcke einem blauen Engel,
Repräsentant der Nacht, übergeben. Dies ist eine der wenigen Anspielungen auf das Böse in Ravenna, vielleicht sogar die einzige, ausgenommen die geheimen Machenschaften des Judas, die auf der Wand gegenüber erscheinen. Auf all diesen Bildern ist Christus in Purpur gehüllt, sehr jung, bartlos und in der Haltung des Segnenden. Auf der anderen Seite des Mittelschiffs, über dem Festzug der Märtyrer, wird die Passion erzählt - übrigens mit typischen Hervorhebungen und Auslassungen. Hervorgehoben wird die Rolle des Judas, der dreimal auftritt, ausgelassen werden die grausamen Strafen: Geißelung, Dornenkrönung, Kreuzigung. Christus, diesmal mit Bart, dem Zeichen der Reife, aber auch des Alterns, ist deutlich größer als die anderen Personen, er geht durch die große Prüfung, ohne daß dadurch auch nur eine Falte seines Mantels in Unordnung gerät. Man muß sich wirklich fragen, ob der Arianismus - der Bauherr dieses Teils der Kirche, wie Sie sich sicher erinnern - uns eigentlich das Leben Jesu oder nicht vielmehr eine christianisierte Variante des Herkules-Mythos erzählt: die Taten des Helden auf der einen Seite der Kirche, seine Vergöttlichung auf der anderen. Der Bericht über die Passion beginnt mit dem Abendmahl. Es ist ganz anders als das Meisterwerk von Leonardo da Vinci, auf das wir fixiert sind. Sein Christus sitzt wie ein Präsident in der Mitte eines langen rechteckigen Tisches zwischen den Aposteln, die den verschiedensten Gefühlen ausgeliefert sind, wie die Protokolle unserer Versammlungen das nennen. In Ravenna dagegen ist ein halbkreisförmiger Tisch auf römische Art gedeckt; er wird von einem ringförmigen Wulst oder einem Kissenpolster eingefaßt, auf das die Gäste, seitlich gelagert, ihren Ellenbogen zu stützen pflegten. Christus nimmt den Ehrenplatz ein, den ersten zu unserer Linken. Er hat eine Hand erhoben; sie segnet oder will Aufmerksamkeit erregen. Seine Augen scheinen in die kommenden Ereignisse versunken. Die Apostel sind in Fächerform angeordnet oder wie ein Kartenspiel. Vier von ihnen schauen Christus mit vor Erstaunen weit aufgerissenen Augen an, denn er hat gerade gesagt: „Einer von euch wird mich verraten." Die anderen richten den Blick entsetzt auf Judas, der am anderen Tischende lagert. Sein Profil ist scharf, so
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der Kommende, der andere. Die kontemplative Kunst ist deshalb ganz objektiv, aber auch ganz selten. Wenn Sie auf einem Bahnsteig stehen und auf einen geliebten Menschen warten, haben Sie den Eindruck, als ob der Bahnsteig, die Schienen und die Oberleitungen vor Ihnen davonlaufen, um sich schließlich in einem nicht vorstellbaren Punkt am Horizont zu vereinigen. Logisch gesehen, ist es jedoch unmöglich, daß dort jemals jemand aussteigen wird. Ins Unermeßliche verlängert so der Effekt der Perspektive die Zeit, die sich mit Dauer regelrecht auflädt. Die Zeiger der Bahnhofsuhr springen von einer Minute zur anderen, das Warten jedoch ist endlos. Aber wenn das Unwahrscheinliche doch noch geschieht, wenn ein Zug aus dem Nichtvorstellbaren auftaucht, auf dem Bahnsteig hält und Sie den geliebten Menschen endlich entdecken, dessen Anwesenheit Sie jetzt wie ein "Wunder erleben trotz der Logik, die ihn hergebracht hat - dann verschwindet alles außer dem geliebten Menschen. Er besetzt mit seinem Wesen den ganzen Raum, die Zeit bleibt stehen, Sie erleben einen Augenblick der Ewigkeit. Hier berühren wir das tiefste Geheimnis der Kontemplation: Sie ist keine intellektuelle Tätigkeit, nicht Resultat einer metaphysischen Spekulation oder einer spirituellen Technik, die zufällig besser funktioniert als eine andere, auch nicht ein Zustand der Verzückung in der Intuition oder eine selig machende Gedankenverbindung. Was die Kontemplation hervorgerufen hat, ist einzig und allein das, was Sie auf dem Bahnsteig so lange verzweifelt hat warten lassen: die Liebe. Die Kontemplation ist das Produkt der Liebe.
S. Vitale: Moses auf dem Berg Sinai
~\ K oses wird das Gesetz empfangen. Er ist beJLVJLreit, es in seine Hand zu nehmen, die er mit einem Faltenwurf seiner Tunika als Zeichen der Achtung vor Gott verhüllt. Das Gesetz wird ihm in einer Rolle überreicht. Er dreht den Kopf zur Seite aus Furcht, von der göttlichen Vision wie von einem Blitz erschlagen zu werden. „Nun redete Gott alle diese Worte: ,Ich bin Jahwe, dein Gott, der
dich aus dem Ägypterlande, dem Sklavenhause, herausgeführt hat. Du sollst keine anderen Götter haben als mich.'" Dies ist das erste der Zehn Geböte, die er auf dem Berg Sinai empfangen hat, „während das Volk den Donner und die Blitze, den Posaunenschall hörte und den rauchenden Berg sah" (Exodus 20).
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•~:r~~^."''und von dessen Ursprung man nicht allzuviel weiß, selbst wenn man diesen Rausch künstlich erzeugt. Es gibt auch sehr viele Künstler auf der Erde - und doch ist der Maler von Lascaux niemals übertroffen worden. Die Sensibilität seiner Wahrnehmung, die Sicherheit, mit der er Formen aus der Natur mit einem unfehlbaren schwarzen Strich festhielt, lassen unsere Vorurteile gegenüber dem sogenannten Höhlenmenschen zu nichts zerrinnen. Und was schließlich die Kunst betrifft, so erreichte sie in Griechenland eine solche Vollkommenheit, daß es ein Pleonasmus wäre, von „griechischer Kunst" zu sprechen. Künstler, Kunst, Inspirationen, das alles finden Sie auch in Ravenna aber Sie finden eben noch ein bißchen mehr: etwas Geheimnisvolles, das den Geist nicht mehr losläßt und ihn unmerklich zu der Entdeckung führt, daß er eine Seele hat. Das Geheimnisvolle ist die spezifisch christliche Vision einer Welt, in der Christus das Zentrum ist; eine mystische Vision, die sich vom Kreuz Christi aus entfaltet. An dieses Kreuz ist Christus nicht mehr angenagelt, denn die Zeit ist schon erfüllt. Wir leben in der Ära des Auferstandenen, an jener Stelle des Credo, wo der Christ singt: „Und seines Reiches wird kein Ende sein." Dieses Kreuz strahlt Licht und Leben in die ganze Welt und verleiht allem, was ist und von nun an ohne Ende sein wird, einen so hohen Grad an Realität und Intensität, daß es allem, was in Zeit und Raum existiert, unendlich überlegen ist. Das Kreuz von Ravenna ist ein Zeichen und ein Dokument. Es bedeutet Heil und Rettung für alle - ausgenommen die drei Bösewichte, über die ich vor unserem Besuch in S. Apollinare Nuovo sprach. Dieses Kreuz strahlt im Zentrum jeder theologischen Aussage, die die sakralen Bauten in Ravenna ja darstellen. Im Sternenhimmel des Mausoleums der Galla Placidia erscheint es als Ursprungskonstellation, nach der sich alle anderen Konstellationen ausrichten, und als goldener Schlußstein, der das Gewölbe dem Himmel öffnet. Im Chor von S. Apollinare in Classe triumphiert ein überdimensional
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großes Kreuz, ohne zu beherrschen; es ist reiner Ausdruck der unendlich gebenden Liebe und gleichzeitig Ausdruck unserer ewigen Sehnsucht nach dieser Liebe. Zwar ist in S. Vitale, dem Höhepunkt der Mosaikmesse, das Kreuz durch das Lamm ersetzt, Sie erkennen es jedoch wieder in der Anordnung der Engel, in der Geometrie der vier Himmelsrichtungen. Wenn Sie in S. Apollinare Nuovo das Kreuz vermissen, dann liegt das zweifellos an der Tatsache, daß es verlorengegangen ist, als die Apsis, deren Dekoration wir ja nicht kennen, zerstört wurde. Aber wie hätte es hier fehlen können, wenn es überall sonst in Ravenna da ist? Und obwohl es nicht mehr da ist, erhellt es ja auch noch S. Apollinare Nuovo wie das Licht eines längst erloschenen Sterns, das uns ja auch erst lange Zeit nach dessen Erlöschen erreicht. Das Geheimnis Ravennas und seiner Schönheit kann die Zeit eines Tages unserem Blick entreißen, nicht jedoch dem Herzen jener, die es gesehen haben. Das Geheimnis ist die Darstellung einer endlich versöhnten Welt, die innige Vereinigung von Himmel und Erde. Leiden, Angst und Sünde sind aufgehoben in der unauflösbaren Ehe von Opfer und Freude. Himmel und Erde verschmelzen ineinander. Die Erde wird vom Himmel buchstäblich geschluckt und strahlt in unzerstörbarem Glück. Und der Himmel ruht in der Erde wie in einer Wiege. Beide kann man nicht voneinander trennen, denn beide sind Licht, und zwar durch den spezifischen Effekt des Mosaiks: eine buchstäblich unklare Verschmelzung von Glauben und Hoffnung in der Sonne der göttlichen Liebe. Keine andere künstlerische Technik ist geeigneter, diese göttliche Liebe wiederzugeben, als das Mosaik: es dauert und funkelt, strömt Energie aus farbigen Steinchen, die sich zu Gestalten und Mäanderfriesen fügen. Und nach Ravenna? -Ja, nach Ravenna, diesem einzigartigen Bilderbuch in der Geschichte der Menschheit, wird sich unmerklich die gigantische Katastrophe der späteren Jahrhunderte vollziehen: Himmel und Erde werden geschieden und getrennte Existenzen leben. Der Himmel selbst wird nach und nach unerreichbar werden, und die Erde wird sich verdunkeln. Der
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Mensch wird nur noch tastend vorankommen, dabei wird er mehr oder weniger genau die Prinzipien der Moral befolgen. Doch die sind im Grunde nichts anderes als Instrumente eines geistigen Blindflugs. Die Erde wird ein Ort des Exils sein, des Durchgangs, der Prüfung und der Bitterkeit oder, ini besten Fall, ein Ort der Sühne. Das Kreuz wird den hingerichteten Christus in der Agonie tragen und an jeder Wegbiegung als Warnung stehen, um die Menschen zur Reue anzutreiben. Der Mensch wird deshalb seine Hoffnung auf das setzen, was er „Jenseits" nennen wird, eine unbestimmte und unzuverlässige Örtlichkeit, die niemals das „mitten unter euch" von Ravenna und seinem Evangelium des Lichts bedeuten kann. Den letzten Versuch, diesen entflohenen Himmel wieder zu gewinnen, wird dann die Gotik darstellen, ihre Spitzbögen, ihre Pfeiler und die ehrgeizigen Lösungen ihrer durchbrochenen Turmhelme. Diese werden jedoch nur ab und zu einen Fetzen des zerrissenen Paradieses erwischen können. Der Christ aber, der in Ravenna war und das Licht dieser erlösten Welt zu ertragen vermochte, wird den Ursprung, auch den Ursprung der künstlerischen Kreativität, dieser Einheit von Wahrheit, Schönheit und Güte erkannt haben: Es ist die Liebe. Und er wird wissen: Um die Welt zu überzeugen, sie dem Dunkel zu entreißen, in das sie schon so tief verstrickt ist, muß er anfangen oder wieder anfangen, sie zu lieben. Die Gestalten auf den Mosaiken Ravennas zeigen uns, wie wir diese Liebe lernen können: Sie schauen in allem Christus, den Einen, den Anbetungswürdigen, den wir nicht mehr sehen. Auch wenn sie auf uns schauen, die Betrachter, scheinen sie Christus zu sehen - in jedem von uns.
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Die wichtigsten Bauwerke in Ravenna
Die Piazza del Popolo'
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ie Piazza del Popolo im Zentrum Ravennas ist ein großzügiger rechteckiger Raum. Monumente aus verschiedenen Epochen säumen diesen Platz. Die bemerkenswertesten sind das Rathaus aus dem 17. Jahrhundert und der kleine venezianische Palast aus dem 15. Jahrhundert. Zwei Säulen mit den Statuen des heiligen Apollinaris und des heiligen Vitalis, der hier anstelle eines Markus-Löwen steht, erinnern an die venezianische Oberherrschaft im 15. Jahrhundert.
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as Baptisterium der Orthodoxen, nach dem Bischof Neon, der es erbauen ließ, auch Neonbaptisterium genannt, ist das älteste Zeugnis des frühchristlichen Ravenna. Es ist typisch für die ravennatische Bauweise der schmucklosen Ziegelsteinschichtung und wurde mit Sicherheit Ende des 4. Jahrhunderts begonnen. Die „lombardischen Blendarkaden", so wird man sie später nennen, tauchen hier auf; sie reichen von der Bedachung bis etwa zur halben Höhe des Gebäudes. Das ursprüngliche Bodenniveau liegt 3 m tiefer. Wie alle Baptisterien ist auch dieses achteckig: Die Zahl 8 ist Symbol für die Taufe, die Zahl 7 Symbol für die Vollendung. Der Innenraum hat eine verschwenderische Mosaikdekoration, die stark restauriert wurde.
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Das
Neonbaptisterium
Galla Placidia
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as Mausoleum der Galla Placidia, Mutter des Kaisers Valentinian III., wurde gegen Ende der ersten Hälfte des S.Jahrhunderts gebaut. Das Bodenniveau hat sich auch hier verändert, so daß die Blendarkaden 1,50 m an Höhe verloren haben. Es ist ein sehr nüchterner vorromanischer Bau mit einer kreuzförmigen Vierung und einem massigen Turm, der die Kuppel birgt. Der Innenraum ist wegen der Alabasterfenster nur schwach beleuchtet.
Er enthält drei leere Sarkophage: derjenige, der dem Eingang gegenübersteht, war wahrscheinlich für Galla Placidia gedacht, die jedoch in Rom starb. Zwischen der Wand des Sarkophags und der Wand der Kirche ist eine Art Lücke, durch die man ins Innere des Sarkophags schauen kann. Neugierige Kinder haben da im 17. Jahrhundert brennende Kerzen hineingeworfen und auf diese Weise das Innere des Sarkophags in Brand gesteckt.
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ieses bedeutende, zehneckige Mausoleum ließ Theoderich um 520 errichten. Da er es nicht wagte, sich Kaiser zu nennen, trug er den Titel eines Königs von Italien. Das Mausoleum besteht aus riesigen istrischen Steinblöcken, die ohne Mörtel nur durch Eisenhaken gehalten werden. Ein massiger Helm, ein Monolith von mehreren hundert Tonnen, bedeckt es. Der Helm ist, so scheint es, mit rechteckigen Henkeln auf dem Gebäude befestigt. Man denkt auch an eine Vorrichtung zum Ziehen, doch dienten die Henkel wohl eher dazu, den Monolithen auf eine schiefe Bahn zu heben. Der Innenraum ist leer - bis auf einen beschädigten Sarkophag aus Porphyr.
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ie Kirche S. Apollinare Nuovo war ursprünglich dem Erlöser Christus geweiht. Rechts der hohe, durchbrochene Campanile aus dem 9. oder 10. Jahrhundert. Der einfachen Ziegelsteinfassade ist eine Säulenhalle aus Marmor vorgebaut. Ihre Rundbögen wurden im 16. Jahrhundert ausgebessert. S. Apollinare Nuovo selbst wurde Anfang des 6. Jahrhunderts in der Nähe des Palastes Theoderichs erbaut. Man feierte in dieser Kirche die Riten des arianischen Kultes.
S. Apollinare Nuovo
Grabmal des Theoderich
S. Vitale Das Äußere und das Innere
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ie Königskirche S. Vitale wurde Anfang des 6. Jahrhunderts kurz nach dem Tod des Theoderich von Bischof Ecclesius erbaut, und zwar zur Erinnerung an einen römischen Soldaten, der den Märtyrertod erleiden mußte, weil er einem Christen auf dem Weg zur Hinrichtung Mut zugesprochen hatte. Der Stil dieser Kirche ist ein Gemisch aus römisch-ravennatischen und byzantinischen Elementen. Aus diesem Grund ist ihre Architektur so kompliziert und unvergleichlich erfindungsreich. Die Kirche ist wie die anderen Monumente dieser Zeit aus Ziegelsteinen errichtet und hat eine oktogonale Grundrißform,
so daß das Äußere stark rhythmisch bewegt wirkt. Im Innern leuchtet das sogenannte Presbyterium in Mosaiken von unvergleichlicher Schönheit. Man kann auf unserer Abbildung sehr gut die durchbrochenen Kapitelle erkennen und die großen Marmorplatten, die man in verschieden große Teile zerschnitten hat, um die Zeichnung der Adern für abwechslungsreichere Strukturen einzusetzen. Diese Marmorstrukturen machen den Eindruck, als würden sie von dem samtig-sanften Licht der alabasterfarbenen Fensterscheiben zart gestreichelt. Man staunt auch über den herrlichen Schwung der halbkreisförmigen Kuppel.
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S. Apollinare in Classe
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inst Kirche des Militärhafens des Kaisers Augustus, dessen Statue Sie links im Bild sehen, erhebt sich die Basilika S. Apollinare m Classe heute über einem abgeschiedenen Gelände, das mehrere Kilometer vom Meer entfernt ist. Sie ist einfach und gleichzeitig feierlich-festlich. Der friedliche, strahlend weite Innenraum überwältigt durch seine wunderbaren Maße, die Eleganz der zwei Säulenreihen aus griechischem Marmor mit querlaufenden Adern, durch die herrlichen, lichtüberströmten Mosaiken und die polygonale Apsis. Rechts das Grab Dantes, der in der Nacht vom 13. zum 14. September 1321 gestorben ist, ein Datum, das seit Jahrhunderten zu Ehren des Autors der „Göttlichen Komödie" feierlich begangen wird. Denn er vollendete hier, im Exil, in dieser Stadt, sein Meisterwerk. Der Stil des Grabes ist ein schlichter Klassizismus. Die Spitze der Kuppel ziert der Pinienzapfen der Toten.
Das Innere der Basilika
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Das Grab Dantes
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Herkunft der Abbildungen Agip / Robert Cohen: S. 115. Fiorepress, Turin: S. 7. Erich Lessing: S. 44 rechts unten, 47, 50 (die drei Dokumente rechts und das Dokument unten links), 51 (unten links und die beiden Dokumente rechts). Angelo Longo Editore: S. 86, 92/93, 113. Scala: Schutzumschlag, S. 8, 25, 34/35, 44 (fünf Dokumente), 50 (oben links und Mitte), 51 (oben links), 58, 61, 68/69, 72, 76/77, 79, 81, 89, 96/97, 99, 102/103, 108. Leonhard von Matt: S. 16/17, 19, 24, 30/31, 38/39, 43, 54, 57, 62, 65, 82, 85, 105, 109,110, 111,112,114.