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German Pages 504 Year 2007
Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Band 54
Das Europäische Privatrecht des 19. und 20. Jahrhunderts Studien zur Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung
Von
Filippo Ranieri
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
FILIPPO RANIERI
Das Europäische Privatrecht des 19. und 20. Jahrhunderts
Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Herausgegeben von Prof. Dr. Martin Schermaier, Bonn Prof. Dr. Reiner Schulze, Münster Prof. Dr. Elmar Wadle, Saarbrücken Prof. Dr. Reinhard Zimmermann, Hamburg
Band 54
Das Europäische Privatrecht des 19. und 20. Jahrhunderts Studien zur Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung
Von
Filippo Ranieri
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-3365 ISBN 978-3-428-12480-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Der Band versammelt eine Vielzahl von kleinen und größeren Beiträgen, die von mir während der vergangenen drei Jahrzehnte auf dem Gebiet der Geschichte und des Strukturvergleichs des kontinentaleuropäischen Privatrechts veröffentlicht wurden. Manche Arbeiten sind an entlegenen Stellen erschienen und für den Leser deshalb kaum erreichbar. Andere liegen zwar Jahrzehnte zurück, behalten jedoch in meinen Augen durchaus noch Interesse. Gerade deshalb schien es mir sinnvoll zu sein, die vorliegende Auswahl in geschlossener Form in diesem Sammelband erneut zu publizieren. Texte und Nachweise wurden grundsätzlich in der ursprünglichen Form belassen. Eine Auswahl unter mehreren, auch fremdsprachlichen Arbeiten war gelegentlich, nicht zuletzt wegen des Umfangs des Bandes, unvermeidlich. Bei jedem Beitrag wird jedoch in einer Anmerkung jeweils auf weitere, auch spätere Arbeiten von mir zum selben Thema verwiesen. Die Veröffentlichung eines solchen Sammelbandes bedeutet zugleich, in gewisser Weise auch Rechenschaft abzulegen. Bei der Auswahl der hier publizierten Beiträge habe ich deshalb vor allem darauf geachtet, dass dabei die wissenschaftliche und thematische Geschlossenheit des Bandes insgesamt deutlich wird. Allen Untersuchungen liegt meine Überzeugung zugrunde, dass das kontinentaleuropäische Privatrecht in seiner Geschichte und in seiner Gegenwart eine kulturelle Einheit darstellt, zu deren Erschließung und zu deren Verdeutlichung Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung heute besonders berufen sind. Nur auf diesem Weg wird nämlich das große gegenwärtige Projekt einer europäischen Privatrechtsangleichung kulturell und rechtspolitisch auf den Weg gebracht werden können. Gerade dieser Überzeugung und diesem Programm waren in den vergangenen Jahrzehnten alle diese Studien verpflichtet. Sie können zugleich exemplarisch verdeutlichen, worin der kulturelle Bildungsauftrag von Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung als juristische Grundlagenforschung bei dem heute durchaus gefährdeten wissenschaftlichen Charakter der Juristenausbildung liegen könnte. Bei der redaktionellen Vorbereitung des Bandes habe ich in vielfältiger Weise Dankesschulden angesammelt. Gedankt sei zunächst den Herausgebern und dem Verlag für die Aufnahme des Bandes in diese Reihe. Ein besonderer Dank gebührt hier vor allem meinem Saarbrücker Kollegen Elmar Wadle, der als Mitherausgeber dieser Reihe das Projekt von Anfang an mit Wohlwollen und tatkräftiger Unterstützung begleitet und ermöglicht hat. Die Niederschrift des Manuskripts und die redaktionelle Vereinheitlichung der vielen Beiträge verdanke ich der Mitwirkung meiner Lehrstuhlsekretärin Birgit Hornung und meh-
Vorwort
6
reren Generationen von studentischen Hilfskräften am Lehrstuhl, insbesondere Bernd Bertelmann, Philipp Hujo, Fabiana Omansen, Teodora Popova, Rena Tsiakiris und Lena Witzmann. Persönlich besonders dankbar bin ich schließlich meiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Miriam Denkinger, die in mühevoller Arbeit die redaktionelle Fertigstellung der Druckvorlage für den Verlag koordiniert und am Ende realisiert hat. Saarbrücken, November 2006
Filippo Ranieri
Inhaltsverzeichnis
1. Teil Die kontinentale Rechtskultur als gegenseitiger Rezeptions- und Befruchtungsprozess Rezeption und Assimilation ausländischer Rechtsprechung, dargestellt am Beispiel des europäischen Einflusses der französischen Judikatur im 19. Jahrhundert ......................................................................................................................... 21 Le traduzioni e le annotazioni di opere giuridiche straniere nel secolo XIX come mezzo di penetrazione e di influenza delle dottrine .............................................. 51 La scuola storica e la prassi giudiziale di diritto comune in Germania ed in Italia alla metà del secolo XIX ....................................................................................... 67 Die Lehre der abstrakten Übereignung in der deutschen Zivilrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts .............................................................................................. 77 Savignys Einfluss auf die zeitgenössische italienische Rechtswissenschaft ............... 99 Savigny e il dibattito italiano sulla codificazione nell’età del Risorgimento. Alcune prospettive di ricerca ................................................................................ 125 Französisches Recht und französische Rechtskultur in der deutschen Zivilrechtswissenschaft heute: Eine unwiderrufliche Entfremdung? ................... 135 Einige Bemerkungen zu den historischen Beziehungen zwischen deutscher Pandektistik und italienischer Zivilrechtswissenschaft: Die Lehre des Rechtsgeschäfts zwischen 19. und 20. Jahrhundert ....................... 151
Die Rechtsvergleichung und das deutsche Zivilrecht im 20. Jahrhundert: Eine wissenschaftshistorische Skizze ................................................................... 167 Romanistik und Rechtsgeschichte ............................................................................. 197
8
Inhaltsverzeichnis
L’influence du Code civil sur les codifications du 19e siècle: Essor et déclin d’un modèle européen .................................................................. 211
2. Teil Nationale Juristenausbildung und europäische Rechtskultur Der europäische Jurist. Rechtshistorisches Forschungsthema und rechtspolitische Aufgabe .................... 227 Nuovi studi sulla storia dell’insegnamento del diritto in Europa (XIX-XX sec.) ...... 239 Juristen für Europa: Wahre und falsche Probleme in der derzeitigen Reformdiskussion zur deutschen Juristenausbildung ........................................... 243 Juristenausbildung und Richterbild in der europäischen Tradition ............................ 279 Giuristi per l’Europa: come fare e come non fare una riforma degli studi di diritto in Italia ................................................................................................... 295 Juristische Rhetorik ................................................................................................... 313 Relationstechnik ........................................................................................................ 321
3. Teil Rechtsprechung und Zivilrecht in der europäischen Rechtsgeschichte Dolo petit qui contra pactum petat – Bona fides und stillschweigende Willenserklärung in der Judikatur des 19. Jahrhunderts ....................................... 331 Die publizierte europäische Rechtsprechung und ihre Quellen (1800-1945) – Inhalt und Ziele einer Dokumentation .................................................................. 359 Zur Geschichte des judiziellen Präzedenten in England und auf dem Kontinent (17.-19. Jh.) .......................................................................................... 377
Inhaltsverzeichnis
9
Styles judiciaires dans l’histoire européenne: Modèles divergents ou traditions communes? ...................................................... 381 Das Reichskammergericht und der gemeinrechtliche Ursprung der deutschen zivilrechtlichen Argumentationstechnik ............................................................... 397 Bonne foi et exercice du droit dans la tradition du Civil law .................................... 417 L’eccezione di dolo generale nella tradizione del diritto romano comune ................ 459 Kaufrechtliche Gewährleistung und Irrtumsproblematik: Kontinuität und Diskontinuität in der Judikatur des Reichsgerichts nach 1900 ... 477
Sachwortverzeichnis ................................................................................................ 497
Abkürzungsverzeichnis a. a. O.
am angegebenen Ort
ABGB
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch
Abt.
Abteilung
AcP
Archiv für die civilistische Praxis
AG
Amtsgericht
AGBG
Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftbedingungen
al.
alinéa, altri
ALR
Allgemeines Preußisches Landrecht
a. M.
am Main
Anm.
Anmerkung
AnwBl.
Anwaltsblatt
App.
(Corte d’) Appello, Cour d’appel
Art.
Artikel
art.
article, articolo
artt.
articles, articoli
ASD
Archivo di storia del diritto
Ass. Plén.
Assemblée plénière
Aufl.
Auflage
BayVwBl.
Bayerische Verwaltungsblätter
Bd.
Band
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BGE
Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
BGH
Bundesgerichtshof
12
Abkürzungsverzeichnis
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen
Bibl.
Bibliographie
BIDR
Bullettino dell’Istituto di Diritto Romano
Bull. civ.
Bullétin civil
ca.
circa
cand. jur.
candidatus juris
cap.
capitolo, capitulum
Cass.
(Cour de) Cassation, (Corte di) Cassazione
Cass. civ.
Cour de cassation, chambre civile
Cass. com.
Cour de cassation, chambre commerciale
Cass. crim.
Cour de cassation, chambre criminelle
Cass. req.
Cour de cassation, chambre des requêtes
c. d.
così detto
cfr.
confronta, confrontez
chap.
chapitre
CISG
Wiener UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11.4.1980
civ.
civile
CJFA
Centre juridique franco-allemand
Cod. civ.
Code civil, codice civile, código civil
col.
colonna
CRFPA
Centre régional des formations professionelles pour des avocats
D.
Digesta
d. Ä.
der Ältere
Dec.
Decembre
ders.
derselbe
dess.
desselben
d. h.
das heißt
dies.
dieselben
Dig. disc. priv. sez. Civ
Digesto delle Discipline Privatistiche, Sezione Civile, Torino (:UTET) 1987 ff.; Nachdruck 1994 ff.
Abkürzungsverzeichnis
13
dir. rom.
diritto romano
Disp.
Disputation, disputatio
Diss.
Dissertation, dissertatio
Dr.
Doktor
DRiZ
Deutsche Richterzeitung
DVwBl.
Deutsches Verwaltungsblatt
ebd.
ebenda
ed.
editore, editor
éd.
éditeur, édité
eds.
editores, editors
Enc. Dir.
Enciclopedia del Diritto
en part.
en particulier
es.
esempio
etc.
et cetera
EuGVÜ
Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 in der Fassung des 3. Beitrittsübereinkommens vom 26.5.1989
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
evtl.
eventuell
ex. doli. gen.
exceptio doli generalis
f.
folgende
fac. giur.
facoltà giuridica
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
ff.
fortfolgende
FH
Fachhochschule
Fn.
Fußnote
Foro it.
Il Foro italiano
Gaz. Pal.
Gazette du Palais
Gazz. Uff.
Gazzetta Ufficiale
Giur. It.
Giurisprudenza italiana
14
Abkürzungsverzeichnis
HRG
Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte
Hrsg.
Herausgeber
ibid.
ibidem
id.
identico
in part.
in particolare
insbes.
insbesondere
Inst.
Institutiones
IPRax
Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts
it.
italiano
ital.
italienisch
JA
Juristische Arbeitsblätter
Jahrb.
Jahrbuch
JBl.
Juristische Blätter, Wien
Jh.
Jahrhundert
jun.
junior
Jur. Class. Pér.
Juris classeur périodique
JW
Juristische Wochenschrift
JuS
Juristische Schulung
Jus. Riv.
Jus. Rivista di scienze giuridiche, Milano
JW
Juristische Wochenschrift
JZ
Juristenzeitung
Kap.
Kapitel
lib.
libre
liv.
livre
loc. cit.
loco citato
MDR
Monatsschrift für deutsches Recht
m. E.
meines Erachtens
Mem.
Memorie
Ms.
Manuskript, manuscritto
m. w. N.
mit weiteren Nachweisen
Abkürzungsverzeichnis
15
n.
numéro, numero
n. Chr.
nach Christus
NF
Neue Folge
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NJW-RR
Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport
NNBW
Nieuw Nederlands Burgerlijk Wetboek 1992
nouv.
nouveau, nouvel, nouvelle
noviss. dig. it.
novissimo digesto italiano
Nr.
Nummer
o. Ä.
oder Ähnliche(s)
OAG
Oberappellationsgericht
OLG
Oberlandesgericht
o. O.
ohne Ort
op. cit.
opera citata
op. loc. cit
opera loco citato
op. rec
opera recensita
OR
Schweizerisches Obligationenrecht
österr.
österreichisch
p.
pagina, page
part.
parte, partie
PECL
Principles of European Contract Law
p. ex.
par exemple
pp.
pagine, pages
Prof.
Professor
RA
Rechtsanwalt
RabelsZ
Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht
Rdn.
Randnummer
reb. cred.
rebus creditis
Rev. intern. de droit comparé
Revue internationale de droit comparé
16
Abkürzungsverzeichnis
Rev. trim. civ.
Revue trimestrielle de droit civil
RG
Reichsgericht
RGBl.
Reichsgesetzblatt
RGZ
Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
Riv.
Rivista
Riv. di dir. civ.
Rivista di diritto civile
Riv. di dir. comm.
Rivista di diritto commerciale e del diritto delle obbligazioni
Riv. di dir. privato
Rivista di diritto privato
Riv. di dir. proc.
Rivista di diritto processuale
Riv. it.
Rivista italiana
Riv. trim. di dir. proc. civ.
Rivista trimestrale di diritto e procedura civile
RKG
Reichskammergericht
RL
Richtlinie
ROHG
Reichsoberhandelsgericht
S.
Seite
s.
siehe, suivant
Sav. Z. Germ. Abt.
Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte/Germanistische Abteilung
Sav. Z. Rom. Abt.
Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte/Romanistische Abteilung
s. d.
sine data
SDHI
Studia et Documenta Historiae et Iuris
sec.
secolo
sect.
sectio
sez.
sezione
sez. civ.
sezione civile
sog.
so genannt
Sp.
Spalte
spéc.
spécial
sq.
sequentes
ss.
suivants, seguenti
Abkürzungsverzeichnis
17
Stud. Jur.
Studium Juris. Rivista per la formazione nelle professioni giuridiche
suppl.
supplemento
SZ
Entscheidungen des Österreichischen Obersten Gerichtshofes
tip.
Tipografía
tit.
titre, titulo, titolo
Th.
Theil
th.
thèse
traduz.
traduzione
TRG
Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis
Trib. Civ.
Tribunale Civile
trimestr.
trimestrielle, trimestrale
u. a.
und andere, unter anderem
Univ.
Universität, université, università
v.
von, vom, voir
vgl.
vergleiche
Vol.
Volume
ZEuP
Zeitschrift für europäisches Privatrecht
ZfRV
Zeitschrift für Rechtsvergleichung
ZGB
Zivilgesetzbuch
ZNR
Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte
z. T.
zum Teil
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
1. Teil Die kontinentale Rechtskultur als gegenseitiger Rezeptions- und Befruchtungsprozess
Rezeption und Assimilation ausländischer Rechtsprechung, dargestellt am Beispiel des europäischen Einflusses der französischen Judikatur im 19. Jahrhundert A. Einleitung I. Darf der Richter in unseren kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen bei der Auslegung und Lückenfüllung der privatrechtlichen Vorschriften seines nationalen Gesetzesrechts auf Argumente zurückgreifen, die einer ausländischen Rechtspraxis entnommen sind? Diese Frage ist der rechtsvergleichenden Forschung an sich nicht fremd1. In seiner Tübinger Antrittsvorlesung von 1949 hat Konrad Zweigert2 ebenso überzeugend wie wirkungsträchtig die Rechtsvergleichung als universale Interpretationsmethode proklamiert und begründet. Gerade in dieser Richtung wurde in den letzten Jahren untersucht, inwieweit rechtsvergleichende Argumente als Hilfsmittel der richterlichen Auslegung und Lückenfüllung im Bereich des autonom-internen Rechts bei der Judikatur des schweizerischen Bundesgerichts und des deutschen Bundesgerichtshofes vorkommen3. Die Ausbeute war recht bescheiden; dieses Ergebnis darf nicht überraschen. In der Tat scheint die Frage selbst, inwieweit die ausländische Rechtspraxis als Hilfsmittel bei der Anwendung und Fortbildung des eigenen nationalen Rechts herangezogen werden kann, der heutigen europäischen Zivilrechtswissenschaft weitgehend fremd. Als Erläuterung des heute herrschenden Standpunktes kann die lapidare Ablehnung, die Anfang dieses Jahrhunderts Adhémar Esmein der Rechtsvergleichung als Interpretationsmethode erteilt hat, heute noch gelten: „Le droit comparé fournit des ressources au législateur, des idées et des règles, qu’il adaptera aux besoins du pays et au génie national; il ne peut guère être utilisé par la jurisprudence ou par la doctrine qui s’attache à ___________
Erstmalig erschienen in: Ius Commune 6 (1977), S. 202-233. s. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, Bd. I, Grundlagen, Tübingen 1971, S. 18; Uyterhoeven, Richterliche Rechtsfindung und Rechtsvergleichung, Bern 1959, S. 58 ff.; David, Traité élémentaire de droit civil comparé, Paris 1950, S. 125 ff.; Schnitzer, Vergleichende Rechtslehre, Basel 1945, S. 43-44. 2 s. Zweigert, Rechtsvergleichung als universale Interpretationsmethode, in: RabelsZ 15 (1949/50), S. 5 ff. 3 s. Dölle, Der Beitrag der Rechtsvergleichung zum Deutschen Recht, in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben. Festschrift für den deutschen Juristentag, Karlsruhe 1960, S. 19-47, insbes. S. 37; Aubin, Die rechtsvergleichende Interpretation autonom-internen Rechts in der deutschen Rechtsprechung, in: RabelsZ 34 (1970), S. 458-459. 1
1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
22
celle-ci. Dans chaque pays la jurisprudence et même la doctrine sont dominées par la technique du droit national.“4 Hierin spiegelt sich eine am strengen Nationalgesetzpositivismus orientierte Vorstellung der richterlichen Tätigkeit wider. Dieser richterliche Nationalismus – um auf eine Formulierung von Lambert zurückzugreifen5 – ist in Wahrheit eine relativ junge Erscheinung des kontinentaleuropäischen Privatrechts. Die Ausführungen dieses Beitrags wollen dies erläutern. II. Ein kurzer historischer Rückblick auf die Interpretationslehre, die die europäische Wissenschaft des Römischen Gemeinen Rechts während des Ancien Régime entwickelt hatte, kann hier lehrreich sein. Es erscheint mir an dieser Stelle nicht geboten, im Einzelnen auf die damals herrschende Lehre einzugehen. Es ist bekannt, dass die damalige Rechtspraxis in ihrem kasuistischen Vorgehen bei der Auslegung und Fortbildung der vorhandenen Rechtsquellen mit großer Freiheit vorgegangen ist. Wenn ein casus legis nicht vorlag, scheute man sich nicht, auf die Schatzkammer von Argumenten zurückzugreifen, die aus einer ganzen Reihe von auctoritates hergeleitet wurden. Keine Rolle spielte dabei der Umstand, dass diese auctoritates auch aus anderen Ländern stammten. So wurde die lex loci vicini ebenso als ergänzende Quelle herangezogen6 wie die Spruchpraxis, die bei anderen europäischen Gerichtshöfen ergangen war. Besonders die übernationale Autorität von einigen europäischen Gerichtshöfen, wie etwa der Rota romana, der Rota Florentina, des Parlements von Paris, des Reichskammergerichts usw., ist bezeichnend für die Interkommunikabilität der damaligen europäischen Rechtswissenschaft. Die Entscheidungssammlungen bestimmter Gerichtshöfe wurden über die nationalen Grenzen hinaus in ganz Europa aufgelegt und als Autorität herangezogen; so war es selbstverständlich, dass französische Juristen sich auf die Spruchpraxis des piemontesischen Senats beriefen oder dass deutsche Gerichte sich auf die Autorität der portugiesischen Rechtsprechung stützten7. Die übereinstimmende interpretatio dieser „europäischen“ Gerichtshöfe wurde, wie Gino Gorla in seinen
___________ 4
So Esmein, La jurisprudence et la doctrine, in: Rev. trim. civ. 1 (1904), S. 17-18; ähnlich Deslandres, in: Bulletin de la Société de législation comparée 1900, S. 515. 5 So Lambert, Études de droit commun législatif ou de droit civil comparé. Première série, Paris 1903, S. 910. 6 Darüber s. Gorla, Il ricorso alla legge di un „luogo vicino“ nell’ambito del diritto comune europeo, in: Il Foro italiano 1973, parte V, Sp. 89-109. 7 s. z. B. Scholz, Literaturgeschichtliche und vergleichende Anmerkungen zur portugiesischen Rechtsprechung im Ancien Régime, Coimbra 1973 [Sonderdruck aus der Revista Portuguesa de História 14 (1974). Homenagem ao Prof. Paulo Merêa], S. 137159.
Rezeption und Assimilation ausländischer Rechtsprechung
23
Untersuchungen zuletzt gezeigt hat, als universalis opinio in der Rechtslehre des 17. und 18. Jahrhunderts als allgemein bindende Autorität angesehen8. Es waren die Gesetzgebungsreformen der Aufklärungszeit, die diesem System von übernationalen europäischen Autoritäten ein Ende setzten. Einige Stichworte mögen hier genügen: Einerseits beobachtet man eine weit verbreitete Reaktion gegen die damalige Interpretationstechnik, insbesondere gegen das Zurückgreifen auf die römisch-gemeinrechtliche communis opinio; Zitierungsverbote wurden erlassen, wie etwa in den piemontesischen Constitutiones, in der Pombalschen Gesetzgebung in Portugal oder in den Rechtsreformen von Tanucci in Neapel9. Zugleich wurde das Römische Gemeine Recht als Rechtsquelle überhaupt zurückgedrängt; nationale Gesetze und Kodifikationen sollten als einzige Rechtsquellen an seine Stelle treten und durch Auslegungsverbote gegen mögliche Modifikationen abgesichert werden. Am Ende dieser Entwicklung standen die großen nationalen Kodifikationen, die die Nationalisierung der Rechtsquellen endgültig besiegelten. III. Um das Ziel der folgenden Ausführungen vorwegzunehmen, möchte ich die These aufstellen, dass diese für das 19. Jahrhundert nunmehr charakteristische Nationalisierung der Rechtsquellen in Wirklichkeit die Richter in weiten ___________ 8 s. Gorla, I tribunali supremi degli Stati italiani, fra i secoli XVI e XIX, quali fattori della unificazione del diritto nello Stato e della sua uniformazione fra Stati (Disegno storico-comparativo), in: La formazione storica del diritto moderno in Europa. Atti del terzo Congresso internazionale della Società italiana di storia del diritto, Firenze 1977, Bd. I, S. 447 ff.; ders., I Grandi Tribunali italiani fra i secoli XVI e XIX: un capitolo incompiuto della storia politico-giuridica d’Italia, in: Quaderni del Foro italiano (Suppl. al Foro italiano) 1969, Sp. 629 ff.; ders., L’origine e l’autorità delle raccolte di giurisprudenza, in: Annuario di Diritto Comparato e di Studi Legislativi 1970, S. 4-23; ders., Civilian Judicial Decisions – An Historical Account of Italian Style, in: Tulane Law Review 1970, S. 740 ff. Wir verfügen nun allerdings über die grundlegende Darstellung von Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte I, München 1973; II, 2, München 1976, 4. Teil: Rechtsprechung mit den Länderbeiträgen von Mario Ascheri (Italien), Gerhard Walter (Frankreich), Johannes-Michael Scholz (Spanien, Portugal), Heinrich Gehrke (Deutsches Reich), Udo Wagner (Niederlande) und Klaus Luig (Schottland). Die Beiträge für Frankreich, die Niederlande und Deutschland stellen Auszüge aus folgenden, der juristischen Fakultät in Frankfurt am Main 1972 vorgelegten Dissertationen dar: Walter, Die französische Rechtsprechung des Ancien Régime und ihre Sammlungen (abgedruckt zum Teil in Ius Commune 5 (1975), S. 210 ff.); Wagner, Entstehung, Bedeutung und Publikationsformen der Rechtsprechung im Ancien Régime. Das Werk der belgischen und niederländischen Arretisten (16. bis 18. Jahrhundert); Gehrke, Die Rechtsprechung und Konsilienliteratur Deutschlands bis zum Ende des Alten Reichs; erschienen auch als: Die privatrechtliche Entscheidungsliteratur vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts (Ius Commune, Sonderheft 3), Frankfurt 1974. Zur historischen Bedeutung der Rechtsprechung s. Dawson, The Oracles of the Law, Ann Arbor 1968. 9 Darüber z. B. Gorla, Die Bedeutung der Präzedententscheidungen der Senate von Piemont und Savoyen im 18. Jahrhundert. Rechtsvergleichende Bemerkungen, in: Ius Privatum Gentium. Festschrift für Max Rheinstein, I, Tübingen 1969, S. 103-125.
24
1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
Teilen Europas nicht daran gehindert hat, sich über das nationale Recht hinaus an übernationalen Autoritäten zu orientieren. In einem charakteristischen Funktionswandel ist es allerdings nicht mehr die Wissenschaft des Römischen Gemeinen Rechts, sondern die anhand der napoleonischen Kodifikation sich entwickelnde französische Rechtspraxis, die als übernationale europäische Autorität hervortritt. Diese Entwicklung hat ihre Wurzel in der napoleonischen Zeit; wie bekannt, wurde der Code Napoléon teils unmittelbar, teils mittelbar in weiten Teilen Europas rezipiert; die französische Kodifikation bot somit der Rechtswissenschaft eine neue gemeinsame europäische Grundlage. Den damaligen Juristen war dies wohl bewusst, und die aufgrund des französischen Rechts sich entwickelnde Rechtspraxis entfaltete sich mehr und mehr zu einer gesamteuropäischen Rechtswissenschaft. „Womöglich“ – bemerkte z. B. 1807 der deutsche Jurist Johann Anton Seidensticker10 – „sind Maßregeln zur Unterhaltung einer Kommunikation zwischen dem deutschen und dem französischen Cassationshofe zu treffen, wenigstens durch öffentliche Bekanntmachung der hier und dort gesprochenen Urteile. Denn zur Erhaltung der Gleichförmigkeit wird es beitragen, wenn die Cassationshöfe ihre Jurisprudence gegenseitig zu benutzen, und für jenen Zweck der Gleichförmigkeit zu berücksichtigen imstande sind.“ Dies blieb keine reine Absichtserklärung; in diesen Jahren entwickelte sich unter der Federführung der französischen Cour de cassation eine wahre gesamteuropäische Rechtsprechung. Eine ganze Reihe von Zeitschriften und Sammlungen erschien in den verschiedenen Teilen des Reichs, um die Judikatur der Cour de cassation zu übersetzen und zu verbreiten; zugleich wurde die Rechtsprechung von französischen, italienischen, niederländischen und deutschen Appellationshöfen unterschiedslos abgedruckt; ich möchte hier etwa auf das Giornale di giurisprudenza universale von Giandomenico Romagnosi in Italien hinweisen11, auf die Zeitschrift von Johann Birnbaum12 in Deutschland oder auf die Jurisprudence de l’Empire von Laporte13 und auf die gleichartige Zeitschrift von Kemper in den Niederlanden14. ___________ 10 So Seidensticker, Einleitung in den Codex Napoleon handelnd von dessen Literatur-Geschichte-Plan und Methode, Verbindung mit der übrigen französischen Legislation, Quellen-Verhältnis zu den älteren Gesetzen und Rechten, zu den supplementarischen Dispositionen und zur Doktrin-Verbreitung, Tübingen 1808, S. 490, Rn. 3. 11 s. Romagnosi (Hrsg.), Giornale di giurisprudenza universale, Milano 1 (1811)-8 (1813). 12 s. Jurisprudence de la Cour impériale de Trèves et des tribunaux de son ressort, sur le nouveau droit et la nouvelle procédure, en matière civile et de commerce; par J. Birnbaum, conseiller en ladite Cour, Trèves 1 (1811)-4 (1814). 13 s. Delaporte (Hrsg.), Bulletin de la Jurisprudence de tout l’Empire ou récueil périodique des arrêts de la Cour de cassation et des autres Cours de l’Empire, sur les questions qui se sont présentées jusqu’à ce jour et qui se présenteront à l’avenir dans l’application des codes Napoléon, de commerce, de procédure civile, d’instruction criminelle, pénal et autres lois qui régissent les départements de la Hollande et du Nord de l’Allemagne, rédigé par Laporte, avocat français, Amsterdam, I-II, 1811-1812. Davon
Rezeption und Assimilation ausländischer Rechtsprechung
25
Nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Reichs im Jahre 1814 wurde der gesamteuropäischen Autorität der französischen Rechtspraxis die politische Grundlage entzogen; wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, wurde diese Entwicklung allerdings nicht unterbrochen, und die Judikatur der französischen Cour de Cassation schien während einiger Jahrzehnte für weite Teile Europas die Autorität zu übernehmen, die einst von einigen „europäischen“ Gerichtshöfen des Ancien Régime getragen worden war. Erst später, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, scheint die nationale Judikatur sich in einer Reihe von Ländern von dieser Autorität zu emanzipieren.
B. Die Quellen Der Einfluss der französischen Rechtsprechung auf die europäische Rechtspraxis des 19. Jahrhunderts spiegelt sich in einer umfangreichen Zahl von Werken wider, welche in den verschiedenen Ländern französische Judikatur übersetzen, veröffentlichen oder verarbeiten. Dies ist besonders in Italien der Fall; aber zahlreiche Werke dieser Art lassen sich auch in anderen europäischen Ländern nachweisen, so dass man hier von einer Art europäischer Literaturgattung in der Rechtsliteratur des 19. Jahrhunderts sprechen kann. Es erscheint mir zunächst sinnvoll, diese Quellen kurz zu beschreiben und einige typologische Gruppen herauszustellen. I. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts lässt sich in einigen Ländern eine direkte literarische Verbreitung zahlreicher französischer Rechtsprechungssammlungen beobachten. 1. Zunächst sind hier die zahlreichen Übersetzungen von französischen Collections de jurisprudence zu erwähnen. Bekanntlich stellt die übersetzte Rechtsliteratur in jenen Jahren eine charakteristische Literaturgattung dar15. Die über___________ gibt es auch eine niederländische Ausgabe, s. Bulletin van Regtsgeleerdheid, voor de hollandsche en duitsche departementen, of periodieke verzameling der vonnissen van het hof von cassatie en der andere geregthoven van het Keizerrijk door Laporte fransch advokaat […] (II.1812: Bulletin der Regtsgeleerdheid voor het geheele rijk, ingerigt voor de nieuwlings vereenigde en bijzonder voor de hollandsche departementen of periodieke verzameling der gewijsden van het hof van cassatie en der andere geregtshoven van het rijk, […] geredigeerd door Laporte, advokaat), Amsterdam, I-II, 1811-1812. 14 s. Kemper, Jaarboeken van het Fransche regt en de Fransche regtsgeleerdheid voor de Hollandsche Departementen, Amsterdam 1812-1813. 15 s. darüber Ranieri, Le traduzioni e le annotazioni di opere giuridiche straniere nel sec. XIX come mezzo di penetrazione e di influenza delle dottrine, in: La formazione storica del diritto moderno in Europa. Atti del III Congresso internazionale della Società italiana di storia del diritto, Firenze 1977, III, S. 1487-1504 [und auch in diesem Band S. 51].
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
setzten Werke sind so zahlreich, dass ich mich hier nur auf einige charakteristische Beispiele beschränken will. Einen wichtigen Platz nehmen insbesondere die Übersetzungen ins Italienische ein. In den ersten drei Jahrzehnten des Jahrhunderts wurden die drei wichtigsten französischen Rechtsprechungssammlungen – die „Jurisprudence du Code civil“16, die Sammlung von Sirey17 und das „Journal des audiences“ von Dalloz – ins Italienische übersetzt18. Die letztgenannte Übersetzung fand sogar 1824 die offizielle Unterstützung des Justizministeriums in Neapel19. Hauptsächlich aber – und dies bestätigt den praktischen Charakter dieser Übersetzungsliteratur – fanden die französischen Répertoires die größte Verbreitung, und dies nicht nur in Italien. So erfuhr das „Répertoire de jurisprudence“ von Merlin 1824 eine Übersetzung in Italien20 und 1814 eine
___________ 16 s. Giurisprudenza del codice civile ossia Collezione completa delle Decisioni proferite da tutte le corti di appello e da quella di Cassazione dopo la promulgazione del Codice […], Milano 1807-1814. 17 s. Giurisprudenza del Tribunale di Cassazione o Compendio di tutte le sentenze di Rigetto e di Cassazione sopra dei punti importanti del diritto e della procedura in materia civile; indicante i mezzi d’introduzione e la difesa della parti, le conclusioni dei commissari e la decisione del Tribunale, del C. Sirey, patrocinatore in Cassazione, Milano 1-20 (1806-1812). 18 Giornale delle udienze della Corte di cassazione e delle Corti reali; ovvero, Giurisprudenza generale di Francia in materia civile, commerciale, e criminale. Nuova collezione interamente rifusa per ordine alfabetico delle materie; aumentata di molte decisioni, e contenente la giurisprudenza dall’origine della Corte di cassazione a tutto l’anno 1824. Opera del signor Dalloz […] Versione italiana dell’avvocato Gennaro Paduano, accresciuta di note relative alla legislazione e alla giurisprudenza delle Due Sicilie […], Napoli 1826-33; s. ferner Giornale delle udienze della Corte di cassazione e delle Corti reali, ovvero, Giurisprudenza generale di Francia in materia civile, commerciale, criminale, ed amministrativa. Opera del signor Dalloz, e di altri giureconsulti francesi, nella quale la giurisprudenza è preceduta dalla storia della legislazione e dalla legislazione medesima, dall’esame della dottrina degli autori, e dalla discussione delle quistioni, più notabili non ancora risolute da’giudicati. Versione italiana dell’avvocato Gennaro Paduano corredata di note relative alla legislazione ed alla giurisprudenza delle Due Sicilie, pubblicata sotto gli auspici dell’eccellentissimo ministro di grazia e giustizia […], Napoli 1828-33. 19 Dazu s. Gorla, L’origine e l’autorità (Fn. 8), S. 14; Papillard, Désiré Dalloz, Paris 1964, S. 128. 20 s. Merlin, Repertorio Universale e Ragionato di Giurisprudenza e Quistioni di diritto. Versione italiana di una Società di Avvocati eseguita nello studio dell’Avvocato Filippo Carrillo […], Accresciuta di Annotazioni relative à cangiamenti apportati dalle Leggi Civili e Penali del Regno delle Due Sicilie, I-XXI, Napoli 1824, dann Borel, 1828; Dizionario Universale, ossia Repertorio ragionato di giurisprudenza e questioni di diritto. Di Merlin […], versione italiana di una società di avvocati sotto la direzione dello avvocato Filippo Carrello. Prima edizione veneta riscontrata ed arricchita di una giunta relativa ai mangiamenti apportati dalle leggi civili e penali attualmente in vigore presso tutti i Regni e Stati italiani, Venezia 1834-1844.
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Überarbeitung in Polen21. Ebenfalls in Italien erschienen Übersetzungen der Repertoires von Sebire-Carteret22, von Devilleneuve23, von Teilen des Repertoires von Dalloz. Die Abschnitte dieses Répertoires über das Konkursrecht erfuhren während fünfundzwanzig Jahren vier Übersetzungen und Überarbeitungen ins Italienische24. Ein Teil desselben Répertoires von Dalloz wurde 1850 auch ins Spanische übersetzt25. Große Beliebtheit fand auch das kleine Répertoire von Sirey: Von diesem Werk habe ich vier italienische Übersetzungen finden können26; eine Übersetzung ins Deutsche mit Überarbeitung wurde 1838 von Thilo in Baden veröffentlicht27. ___________ 21
s. O Przedawnieniu czyli Preskrypeyi wedlug praw Francwzkich z zastosowaniem prawa […] Pruskiego oraz praw Polskich i Litewskich, przez J. KamiĔskiego, w àomiy, 1814. 22 s. Biblioteca del diritto o Repertorio ragionato di legislazione e di giurisprudenza nelle materie civili, amministrative, criminali e commerciali, contenente per ordine alfabetico la spiegazione di tutti i termini del diritto e della pratica, […] pubblicato sotto la direzione dei Sigg. Sébire e Carteret e collaboratori vari. Prima versione italiana corredata di note tratte dai codici vigenti in Italia per cura del Dr. Adriano Rocca, Venezia 1847-1865. 23 s. Devilleneuve/Massé, Dizionario del contenzioso commerciale ossia riassunto di legislazione, di dottrina e di giurisprudenza in materia di commercio, seguito dal testo annotato del codice di commercio. Prima versione italiana, corredata del parallelo delle nostre leggi e regolamenti ed arricchita di annotazioni di P. Russo e F. Damora, Napoli 1857-1859. 24 s. Giurisprudenza dei Fallimenti, delle Bancherotte, e della Decozione, o collezione completa di decisioni emanate dalle Corti di Francia e dei Paesi Bassi sopra questa materia; preceduta dall’esposizione de’principii della legislazione e della dottrina degli autori che hanno trattato dell’istesso argomento, opera di Dalloz, prima traduzione italiana, Firenze 1833; s. ferner Repertorio legale di giurisprudenza relativo ai fallimenti, bancherotte e decozioni, o sia Indice ragionato all’opera del celebre Dalloz […], Bologna 1840. 25 s. Resumén historico y teorico de la ciencia económica, y de las opiniones y doctrinas de los principales economistas, por MM. Dalloz, redactores del Repertorio de legislación, de doctrina, y de jurisprudencia. Traducido del francés, Madrid 1850. 26 s. Repertorio delle teoriche della legislazione e giurisprudenza francese del sec. XIX in materia civile, criminale e d’amministrazione, compilato da G. B. Sirey. Unica versione italiana, Napoli 1830-1835; Codice civile annotato delle disposizioni legislative, e delle decisioni di giurisprudenza di Francia da G. B. Sirey, delle disposizioni legislative, e delle massime delle corti supreme delle due Sicilie da A. Lanzellotti, col confronto delle leggi romane di O. Taglioni, Napoli 1823; s. ferner: Codice di commercio annotato delle disposizioni legislative, e delle decisioni di giurisprudenza di Francia da Giovanni Battista Sirey, Napoli 1823; weitere Ausgaben Bologna 1833 (3. Aufl., ed. G. Francia); Firenze 1844 ([…] nuova compilazione per cura di un avvocato toscano). 27 s. Thilo, Das Französische Civilgesetzbuch und Handelsrecht, erläutert aus Urtheilen der französischen Gerichtshöfe, Gesetzen und anderen Quellen. Nach „Code civil (et de commerce) annotés des dispositions interprétatives, modificatives et applicatives, par J. B. Sirey et C. M. de Villeneuve” und bis auf die neueste Zeit fortgesetzt für das Großherzogtum Baden, mit steter Rücksicht auf Gesetze, Verordnungen und Entscheidungen der Gerichtshöfe dieses Landes, Karlsruhe 1838.
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2. Nicht überall sind so zahlreiche Übersetzungen von französischen Sammlungen wie in Italien erschienen. Sie erfuhren wohl auch in ihrer französischen Fassung eine sehr große Verbreitung. Bezeichnend ist die große Anzahl von Auflagen von französischen Rechtsprechungssammlungen in Belgien. Die Répertoires von Merlin, von Devilleneuve, von Dalloz, von Sirey wurden alle in Belgien, zum Teil ergänzt durch Nachweise belgischer Judikatur, neu aufgelegt28. Ebenso wurden in Belgien durch die großen verlegerischen Unternehmungen der „Jurisprudence du 19e siècle“ und des ersten und zweiten Teils der „Pasicrisie“ die Zeitschriften von Dalloz und Sirey mehrmals neu aufgelegt29. II. Französische Urteile wurden ferner regelmäßig übersetzt und in der jeweiligen nationalen Rechtsliteratur veröffentlicht. Diese Tendenz setzt verstärkt ab den dreißiger Jahren ein und löst allmählich die Tendenz, die französischen Rechtsprechungssammlungen einfach zu übersetzen, ab, so dass man hier von einer zweiten zeitlichen Phase der literarischen Verbreitung der französischen Judikatur sprechen kann. 1. Ein erster Weg bot sich etwa an bei der Neuauflage von Rechtsprechungsrepertorien aus dem Ancien Régime; so wurden in Italien die handelsrechtlichen Werke von Azuni und Baldasseroni mehrmals neu aufgelegt, jeweils ergänzt durch umfangreiche Abschnitte über die neuere französische Judikatur30. 2. Ebenso findet man eine große Anzahl von Zeitschriften und Sammlungen, die Übersetzungen von ausschließlich oder überwiegend französischer Judikatur zur Anwendung des Code civil veröffentlichen. In vielen europäischen Ländern sind derartige Sammlungen anzutreffen; so erscheint z. B. in Florenz in den dreißiger Jahren eine „Raccolta di decisioni di giurisprudenza commerciale delle primarie corti e tribunali di Francia31“; ebenso möchte ich für Italien auf die Sammlungen von Francia32, von Chiellini33 und auf die „Giurisprudenza ___________ 28 s. Dopp, La contrefaçon des livres français en Belgique, 1815-1852, (Université de Louvain, Recueil des travaux publiés par les membres des Conférences d’Histoire et de Philologie, 2e série, 26e fascicule), Louvain 1932, insbes. S. 41, S. 60, S. 154. 29 s. van Dievoet, Le droit civil en Belgique et en Hollande de 1800 à 1940. Les sources du droit, Bruxelles 1948, S. 90. 30 s. Dizionario universale ragionato della giurisprudenza mercantile del senatore D. A. Azuni; terza edizione nella quale é fusa la nuova Giurisprudenza dall’avvocato Giuliano Ricci, Livorno 1854; Dizionario ragionato di giurisprudenza marittima e di commercio del signore Ascanio Baldasseroni, antico avvocato e consultore della Camera di Commercio di Livorno, I-IV, Livorno 1811-1814. 31 s. Raccolta di decisioni di Giurisprudenza commerciale delle primarie Corti e Tribunali di Francia, I-V, Firenze 1832-1834. 32 s. Controversie dottrine e decisioni sopra vari articoli delle leggi civili, di civil procedura e di eccezione, seguite da brevi correlative riflessioni, secondo che sembra quelli potersi riformare, nel fine di cessare ogni disputa sulla loro intelligenza ed applicazione, del giudice Francia, I-II, Napoli 1837.
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del codice civile“ von Cristoforo Mantelli34 hinweisen. Gleichartige Sammlungen gaben in Belgien Pauwels35 und Arntz36 heraus; in Deutschland veröffentlichte Lauckhard die „Rechtsfälle mit Entscheidungen der französischen und belgischen Gerichtshöfe zur Erläuterung des französischen Zivilrechts mit Rücksicht auf das badische Landrecht“37; gleichfalls in Deutschland finden wir die Zeitschrift „Der Gerichtssaal. Revue der interessantesten Verhandlungen von den französischen Gerichtshöfen“, die in Stuttgart in den vierziger Jahren erschienen ist38; eine „Zeitschrift für französisches Zivilrecht“ wurde noch Ende des Jahrhunderts von Puchelt herausgegeben39. Ebenso erscheint 1834 in Barcelona eine „Colleccion de las causas mas célebres, los mejores modelos de alegatos, acusaciones fiscales, interrogatorios y defensas en lo civil y criminal del foro francés, inglés y español“. 3. Übersetzte französische Urteile wurden ferner häufig auch in Sammlungen nationaler Judikatur veröffentlicht; ich muss mich hier auf kursorische Hinweise beschränken; eine Durchsicht z. B. der italienischen Sammlungen etwa von Agresti40, Armellini41, Arrò42, Vaselli43, Tranquilli44 zeigt, wie diese Sammlungen zum Teil auf französischem Material aufbauen. ___________ 33 s. Giurisprudenza Bisantina ossia Collezione delle sentenze pronunciate in Constantinopoli sui punti più importanti di diritto civile, commerciale e di procedura dalle commissioni giudiziarie istituite dalle respettive legazioni delle potenze di Europa dall’ anno 1844, corredato di note ed osservazioni da Chiellini e Cambiaso legati italiani esercenti in detta Piazza con una appendice annua contenente la raccolta delle sentenze quivi proferite in prima istanza e decise in grado d’appello o revisione dai Tribunali di Pietroburgo, Atene, Senato di Genova, Corte d’Aix, Constantinopoli 1844-1846. 34 s. Mantelli, Giurisprudenza del codice civile e delle altre leggi dei regij Stati ossia Collezione metodica e progressiva delle decisioni e sentenze pronunciate dai Supremi Magistrati si dello Stato che Stranieri sui punti più importanti di Diritto Civile, Commerciale, di Procedura, Criminale, Amministrativo ecc. […] Alessandria 1839-1847; s. ferner Mantelli, Giurisprudenza del codice di commercio e delle altre leggi relative ossia collezione metodica e progressiva delle decisioni e sentenze pronunciate dai Supremi Magistrati e dai Tribunali di commercio si dello Stato che stranieri sui punti più importanti di diritto mercantile […], Alessandria 1844-1847. 35 s. Pauwels, Journal analytique de jurisprudence adoptée par les Cours de cassation et d’appel de France et des Pays-Bas, Bruxelles 1814(?)-1824. 36 s. Arntz, Journal du Palais. Recueil de la jurisprudence belge. Recueil des arrêts des Cours de Belgique, comprenant en outre toutes les décisions notables de la Cour d’appel de Cologne et de la Cour de Cassation de Berlin par […], Bruxelles 1837-1854. 37 Bd. I-X, Mannheim, 1834-1859; Bd. XI-XII, Karlsruhe 1863-1866. 38 Stuttgart 1841. 39 Mannheim, 1870-1905. Zu den rheinischen Nachahmungen französischer Rechtsliteratur s. zuletzt Schumacher, Das Rheinische Recht in der Gerichtspraxis des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Auslegung rezipierter Rechtsnormen, Stuttgart/Bruxelles 1969, S. 37-38. 40 s. Agresti, Decisioni delle gran Corti civili in materia di diritto, […], Napoli 18271840 (1. Aufl.), 1841-1848 (2. Aufl.). s. z. B. Bd. I, S. 121 und S. 240.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
III. Einen weiteren wichtigen Weg der Verbreitung fand die französische Judikatur in den jeweiligen nationalen Rechtszeitschriften. Die überwiegende Zahl der Zeitschriften in Italien und in den anderen romanischen Ländern veröffentlichte regelmäßig auch französische Rechtsprechung. Ich kann mich auch hier natürlich nur auf einige Beispiele beschränken; ich denke z. B. an das „Giornale del foro45“ in Italien, an das „Regtgeleerd Bijblad46“ in den Niederlanden, an die „Belgique judiciaire47“ oder die „Gazette des tribunaux48“ in Belgien, an die „Zusammenstellung der Entscheidungen der Kassationshöfe […]“, die Gredy 1862 in Mainz herausgab49, an die „Revista general de jurisprudencia50“ oder an den „Foro español51“ in Spanien oder an die rumäni___________ 41 s. Armellini, Dizionario di giurisprudenza per uso del Regno delle due Sicilie, IVII, Napoli 1822-1827. 42 s. Arrò, Giurisprudenza forense, ossia raccolta di decisioni e sentenze emanate dopo il ristabilimento dell’eccellentissimo Regio Senato di Piemonte, I-XI, Torino 18231827. 43 s. Vaselli, Manuale del giureconsulto […], Napoli 1835-1859. 44 s. Tranquilli, Dei privilegj ed ipoteche. Raccolta della legislazione e giurisprudenza ipotecaria francese e pontificia disposta in ordine cronologico […] per servir di proemio alle Decisioni della Sagra Rota Romana relative all’istesso soggetto emanate dall’anno 1815 con la loro continuazione, Roma 1827. 45 Roma, 1817-1874; s. hier z. B. die Jahrgänge (1846-47) und (1847-48). Diese Tendenz lässt sich auch bei allen damaligen italienischen Rechtszeitschriften feststellen; s. z. B. Gazzetta dei Tribunali, Genova, 1 (1848), S. 79 und S. 122; L’Irnerio. Giornale di legislazione e di giurisprudenza, Bologna, 1 (1855), S. 89; Eco dei Tribunali. Giornale di giurisprudenza civile, Milano, 1 (1851), S. 24 und S. 47; Gazzetta dei Tribunali, Giornale di legislazione e pratica giurisprudenza, […], Milano, 9 (1859), S. 262. 46 s. z. B. 4 (1854), S. 407; 5 (1855), S. 301-304. 47 s. La Belgique Judiciaire. Gazette des Tribunaux belges et étrangers. Publiée par une réunion de jurisconsultes avec la collaboration de magistrats et de professeurs. Sous la direction de MM. Lavallée, Arntz, A. Orts, Jules Bartels, 1 (1842), Préface: „[…] À la jurisprudence française et belge nous joindrons celle des cours de cassation de Berlin et de la Haye, des cours d’appel de Cologne et de Hollande; l’utilité de ces excursions à l’étranger n’est pas contestable; les anciens de la magistrature et du barreau savent encore avec quelle faveurs on citait sous l’empire les arrêts de la cour de Trèves, et la jurisprudence des provinces rhénanes, méconnue depuis 1815, sera certainement pour nos jurisconsultes un objet de méditations fructueuses.“ 48 s. die Bemerkungen von Ackersdyck, Rezension von: Gazette des Tribunaux, in: Bibliothèque du Jurisconsulte et du Publiciste, Liège, 1 (1826), S. 553 ff. 49 s. Gredy, Zusammenstellung der Entscheidungen der Kassationshöfe zu Berlin, Brüssel, Darmstadt, München mit Zweibrücken, Paris und des Oberhofgerichts zu Mannheim über die Civilrechtsfragen, welche nach den in den betreffenden Landen geltenden französischen Gesetzen entschieden werden, ausgezogen und geordnet nach der Reihenfolge der einzelnen Gesetzbücher und Gesetze, Mainz 1862. 50 s. Revista general de Legislacion y Jurisprudencia, publicada por una reunion de abogados del ilustre Colegio de esta Corte, Madrid, 1 (1859), S. 116, S. 125, S. 431. 51 s. z. B. die Abteilung „Tribunales Estranyeros“ 2 (1849), S. 45 ff.; 4 (1850), S. 271.
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sche „Gazeta tribunalelor“52. Im Laufe des Jahrhunderts lässt sich die Tendenz feststellen, nicht nur französische Urteile, sondern auch Judikatur aus anderen romanischen Ländern zu veröffentlichen, die zu den an den Code civil angelehnten neueren Gesetzbüchern ergangen war. So erschien während mehr als zwanzig Jahren die führende italienische Zeitschrift „Giurisprudenza italiana“ mit einer regelmäßigen „Sezione di giurisprudenza straniera“, in welcher französische, belgische und selbst niederländische Urteile veröffentlicht wurden53; eine derartige „Section de jurisprudence étrangère“ findet sich in jenen Jahren auch bei der französischen Sammlung von Sirey54, bei der belgischen „Pasicrisie55“ oder bei dem niederländischen „Weekblad van het regt56“. Zeitweilig entwickelte sich also ein gegenseitiger Kommunikationsprozess der Rechtsprechung in den romanischen Ländern. Im Laufe der letzten Jahrzehnte des Jahrhunderts nahm das Interesse für die französische und überhaupt für die ausländische Judikatur immer mehr ab; französische Urteile wurden immer seltener gedruckt. Es ist kein Zufall, dass Ende des Jahrhunderts die der ausländischen Rechtsprechung gewidmete Abteilung in allen vier oben genannten Zeitschriften fast gleichzeitig aufhörte. So viel über die literarischen Quellen, die uns den europäischen Einfluss der französischen Rechtsprechung bezeugen. Ich möchte mich nun der zentralen Frage dieses Beitrags zuwenden, wie nämlich die französische Judikatur bei den Gerichten einiger europäischer Länder als Autorität herangezogen wurde.
C. Die Heranziehung der französischen Judikatur als Autorität Die Frage, wie die Richter in vielen europäischen Ländern im Laufe des 19. Jahrhunderts auf die Autorität der französischen Judikatur zurückgegriffen haben, lässt sich nicht einheitlich beantworten. Eine Untersuchung der europäi___________ 52 1 (1860). Zur Veröffentlichung von französischer Judikatur s. Georgescu et Sachelarie, L’origine et l’autorité des recueils de jurisprudence dans l’ancien droit roumain, in: Institute de recherches juridiques de l’Académie des sciences sociales et politiques de la République socialiste de Roumanie. Etudes juridiques, Bucarest 1970, S. 169. 53 Zwischen den Jahren 1874-1880, als die Zeitschrift von Pacifici-Mazzoni herausgegeben wurde. Darüber, und insbesondere über die Rolle Pacifici-Mazzonis, s. Gorla, Lo stile delle sentenze. Ricerca storica comparativa, in: Il Foro italiano, Quaderni 1968, Sp. 391-392. 54 Zwischen den Jahren 1881-1913. Es ist interessant festzustellen, dass die Einführung dieser Abteilung zeitlich mit der Übernahme der Direktion durch Fuzier-Herman zusammenfällt. Eine Abteilung für die „jurisprudence étrangère“ veröffentlichte in den ersten Jahrgängen auch die Revue trimestrielle de droit civil. 55 Zwischen den Jahren 1893-1914. 56 Bis etwa zum Ende des 19. Jahrhunderts erschien eine Abteilung „Buitenlandsche Rechtszaken“.
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schen Judikatur unter diesem Gesichtspunkt hat zu berücksichtigen, welche gesetzlichen Normen der Richter jeweils anzuwenden hatte. Gerade dieses Kriterium erlaubt es, einige Autoritätsstufen herauszuarbeiten. I. Zunächst ist an die Situation zu denken, dass der Richter noch französisches Recht anzuwenden hatte; dies war z. B. der Fall, wenn zur französischen Zeit entstandene Rechtsverhältnisse zur Entscheidung standen. Ferner ist daran zu erinnern, dass der französische Code civil auch nach 1814 in einer Reihe von europäischen Territorien geltendes Recht blieb, so etwa in Belgien, in den Niederlanden bis 1838, in Rheinpreußen, in Rheinhessen, im Fürstentum Lucca bis 1865, in Ligurien bis 1837. In anderen Territorien waren wenigstens Teile der französischen Kodifikation als geltendes Recht erhalten geblieben, so beispielsweise das Hypothekenrecht oder Teile des Code de commerce im Großherzogtum Toskana, in Lombardei-Venetien, im Kirchenstaat. 1. In diesen Fällen lag es nahe, bei der Auslegung des anzuwendenden französischen Rechts die französische Judikatur als maßgebende Autorität heranzuziehen. In der Tat fehlte es nicht an Stimmen, die nach der politischen Trennung von 1815 der Rechtsprechung der ehemaligen Cour de cassation jeden Modellcharakter absprechen wollten; so führte 1815 z. B. der Staatsanwalt vor der Cour d’appel von Brüssel Folgendes aus57: „Cet arrêt, ne doit point l’emporter sur le vôtre par la seule force de l’autorité, puisque la cour qui l’a rendu n’est plus régulatrice pour nous, et que vos justiciables ne seront point dans le cas de recourir, pour une décision suprême, aux juges dont cet arrêt est émané“. Ebenso argumentierte eine Partei in einem Fall, der 1822 dem Rheinischen Appellationsgericht zur Entscheidung vorlag58: „Wenn in Frankreich über den Sinn des befragten Artikels gestritten wurde, wenn dort die Gerichtshöfe nach dem Geiste der Zeit, wo das Gesetz erlassen wurde, die Verfügung desselben so verstanden, […] so kann diese […] Auslegung uns nicht binden: Wir haben Frankreich den Rücken gekehrt; die Zeiten, wo wir uns nach seinen Auslegungen der Gesetze richteten, sind vorüber; wir müssen sie jetzt in dem Geiste der deutschen und preußischen Verfassung auslegen“. Der Rheinische Appellationsgerichtshof schloss sich trotz dieser Darlegungen der französischen Praxis an, wobei er lediglich bemerkte, die Richtigkeit dieser Auslegung werde durch den Gerichtsgebrauch bestätigt. Auch der höchste neapolitanische Gerichtshof sprach sich in jenen Jahren gegen die Tendenz, der französischen Praxis Modellcharakter zuzuerkennen, aus59. Man darf allerdings diese Stim___________ 57 s. App. Bruxelles, Urt. v. 6.10.1815, in: Pasicrisie 1 (1814-1815), S. 463-466, insbes. S. 465. Siehe ferner App. Bruxelles, Urt. v. 17.5.1815, in: Pasicrisie 1 (1814-1815), S. 380. 58 In: Archiv für das Zivil- und Kriminalrecht der Königl. Preuß. Rheinprovinzen, Bd. 5, I, S. 193-201. 59 s. Suprema Corte di Giustizia di Napoli, Urt. v. 20.8.1831, in: Giurisprudenza civile, Bd. III, S. 499-500.
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men nicht überbewerten: in Wirklichkeit griffen auch nach 1814 überall in Europa, wo das französische Recht in Geltung geblieben war, die Richter fast ausnahmslos auf die Autorität der Präjudizien der französischen Rechtsprechung zurück60; so konnte noch 1856 der neapolitanische Jurist Gennaro Rocco mit Bedauern feststellen: „quante volte un’opinione di scrittore della Francia non disaminata col lume di una scienza virile ed indipendente, ha fatto imprendere un litigio ingiusto […], quante volte questa stessa opinione ha fatto divergere la giudicatura dal giusto e dal retto61“. 2. Es ist nicht immer leicht, genau festzustellen, ob und inwieweit ein bestimmtes Gericht in seiner Spruchpraxis auf die Autorität der französischen Judikatur zurückgegriffen hat. Direkte Zitate aus der französischen Spruchpraxis in den Urteilen sind verhältnismäßig selten zu finden; dies kommt hauptsächlich nur bei den Gerichten vor, die, wie die Rota romana oder die Rota fiorentina, noch im 19. Jahrhundert ihre Urteile im alten Stil mit Anführung von gelehrten Autoritäten verfassten. Es gibt allerdings auch bei der Spruchpraxis anderer Gerichte eine Reihe von Anhaltspunkten dafür, dass man den Aussprüchen der französischen Gerichtshöfe eine erhebliche Autorität zuerkannte: Da viele Zeitschriften auch das Parteivorbringen manchmal ausführlich wiedergaben, ist leicht ersichtlich, wie häufig in Schriftsätzen auf französische Präjudizien Bezug genommen wurde; ferner kann aus der Tatsache, dass in Rechtsgutachten, welche die Parteien den Gerichten vorlegten, die französische Praxis eingehend berücksichtigt wurde, geschlossen werden, dass auch die Parteien, soweit sie Rechtsausführungen brachten, sich ständig auf die französische Rechtsprechung beriefen62. Hinzu kommt, dass die Herausgeber der Urteilssammlungen häufig selbst in Anmerkungen auf Entscheidungen französischer Gerichte, die mit dem veröffentlichten Urteil in Widerspruch standen oder ihm entsprachen, hingewiesen haben, und ein solcher Hinweis in den meisten Fällen den Hinweis auf eventuelle Zitate im Parteivorbringen erübrigt haben mag. Ich habe eine ganze Reihe von Rechtsprechungssammlungen aus der damaligen Zeit durchgesehen; aus der Fülle der Beispiele, die bezeugen, wie der französischen Spruchpraxis eine direkte Autorität zuerkannt wurde, kann ich hier nur einige exemplarische Fälle vortragen. So bekräftigte in einem Urteil von ___________ 60
Für einige Nachweise s. infra Fn. 63 ff. s. Rocco, Dei rapporti fra il principio di ragione ed il principio di autorità. Discorso di Gennaro Rocco, Procurator Regio presso il Tribunale civile di Napoli letto nella riapertura del Tribunale nel corrente anno e che porta per epigrafe: Dei Mali che arrecano alla giustizia il Magistrato che giudica sol per ragione, ed il Magistrato che giudica sol per autorità, in: Annali di diritto teorico-pratico. Opera periodica compilata da Luigi Captano 1 (1856), S. 289 ff., insbes. S. 304-305. 62 s. z. B. Amann, Rechtsfälle. Bearbeitet nach gemeinem und badischem Recht, Freiburg 1842; es handelt sich um die von ihm verfassten und herausgegebenen Gutachten. In der niederländischen Rechtspraxis s. Meijer, Consultatien, Amsterdam 1842. 61
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1867 das Darmstädter Kassationsgericht63 die von ihm vertretene Auslegung damit, dass „in diesem Sinne sich sämtliche Schriftsteller, welche bis heute die Materie mit Rücksicht auf den Code behandelten, und sämtliche Urteile des Kassationshofes zu Paris vom Jahre 1814 bis 1857 ohne Ausnahme ausgesprochen [haben] […]“; ähnlich bekräftigte das Rheinbayerische Appellationsgericht in Zweibrücken in einem Urteil von 182864 seine Auffassung mit der Bemerkung, „daß auch die Jurisprudenz der höheren Gerichtshöfe Frankreichs mit diesen Ansichten vollkommen übereinstimmt“; in einem Urteil von 1827 beendete dasselbe Gericht65 seine Ausführungen mit der Bemerkung: „[…] in Erwägung, daß die bisher entwickelte Ansicht auch in mehreren Entscheidungen der Gerichtshöfe Frankreichs, namentlich des Cassationshofes, angenommen wurde; daß zwar auch mehrere Urteile des Cassationshofes […] im entgegengesetzten Sinne entschieden haben; daß aber die letzteren Entscheidungen sich auf keine genügenden Gründe stützten […]“. Ähnliche Beispiele könnte man aus der Spruchpraxis der rheinpreußischen66 oder der badischen67 Gerichte anführen. Dasselbe Bild bietet auch die Judikatur der damaligen belgischen68 und niederländischen69 Gerichte. „Es ist natürlich“ – schrieb 1831 Johann Birnbaum – „daß das Ansehen des französischen Cassationshofes und seiner Entscheidungen auf gewisse Weise auch nach der Trennung Belgiens von Frankreich fortdauerte, in dem Maße, als das französische Recht selbst in Kraft blieb; so wie ja auch noch heutzutage in den amerikanischen Staaten die Entschei___________ 63 s. Kassationshof zu Darmstadt, Urt. v. 2.12.1867, in: Sammlung der Entscheidungen des großherzogl. hess. Kassationshofs in Civil- und Strafsachen vom Jahre 1852 an beginnend (1867), S. 150-157. 64 s. Appellationsgericht zu Zweibrücken, Urt. v. 4.8.1828, in: Annalen der Rechtspflege in Rheinbayern, oder Darstellung merkwürdiger Rechtsfälle und ihrer Entscheidungen durch die oberen Gerichtshöfe Rheinbayerns, […], herausgegeben von Ch. Hilgard, I, Zweibrücken 1830, S. 29-36. 65 s. Appellationsgericht zu Zweibrücken, Urt. v. 20.8.1827, in: Annalen […], I, Zweibrücken 1830, S. 93-99. 66 s. Landgericht Düsseldorf, Urt. v. 30.5.1826, in: Archiv für das Zivil- und Kriminalrecht der Königl. Preuß. Rheinprovinzen, Bd. 10, I, S. 139-141; die Urteilsgründe begnügen sich bei der Widerlegung der von dem Beklagten vorgetragenen Auffassung, ein Kind könne vor der Geburt nicht anerkannt werden, allein mit der Erwägung, „[…] daß es an und für sich sowohl nach dem Grundsatz: Nasciturus pro jam natus habetur, si de ejus commodo agitur, als nach der französischen Jurisprudenz feststeht, daß die Anerkennung eines natürlichen Kindes, falls sie nur freiwillig und in der gesetzlichen Form geschehe, auch vor dessen Geburt erfolgen kann: Sirey, Tome 12, partie I, S. 81“. 67 Darüber ausführlich Schumacher, Das Rheinische Recht (Fn. 39), S. 133-137. 68 s. z. B. van Biervliet, L’interpretation belge du code civil, in: Le livre du centenaire, Paris 1904, Bd. II, S. 639 ff., insbes. S. 664; van Dievoet, Le droit civil (Fn. 29), S. 303 und 316; zuletzt Herbots, Recht feit en cassatiemiddel, in: Tijdschrift voor Privaatrecht 8 (1971), insbes. S. 615-616. 69 s. van Dievoet, Le droit civil (Fn. 29), S. 104, S. 404-405; van Kuyk, Historische wetsuitlegging, in: TRG 1920-1921, S. 1 ff., insbes. S. 7-9, S. 27-28.
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dungen der zwölf Richter von England von großem Ansehen sind, da die Grundlage des Rechts das englische Common Law ist“70. Ein ähnliches Bild bietet auch die Judikatur der italienischen präunitarischen Staaten. „I detti articoli“ – führte z. B. 1832 der Supremo Consiglio di Giustizia von Modena71 aus – „hanno ricevuto nella Giurisprudenza Francese interpretazione conforme a quella adottata dal Supremo Consiglio”; „[…] l’ammissione della prova testimoniale” – bemerkte drei Jahre später das Handelsgericht zu Livorno72 – „era conforme all’autorità degli Scrittori i più reputati nella soggetta materia, ed alle Decisioni delle Corti estere e nazionali.” Unzählige gleichartige Stellungnahmen ließen sich aus der Spruchpraxis der piemontesischen Senate73, der Rota romana74, der Gerichte des Großherzogtums Toskana75 und von LombardeiVenetien anführen76. ___________ 70 So Birnbaum, in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes 3 (1831), S. 9. s. ferner Bibliothèque du Jurisconsulte et du Publiciste, par M. M. Ackersdyck, Birnbaum […], professeurs en droit aux Universités de Liège et de Louvain, Liège, 1 (1826), Avant-Propos, S. 7: „[…] La jurisprudence a aussi ses principes universels, les progrès qu’elle fait dans un État, ne doivent pas être perdus pour un autre.“ Aus der Judikatur s. z. B. App. Bruxelles, Urt. v. 17.5.1815, in: Pasicrisie 1 (1814-1815), S. 380. 71 s. Supremo Consiglio di Giustizia, Urt. v. 17.3.1832, in: Collezione delle massime di diritto […], Modena 1834 ff., Bd. V, Nr. 931, S. 28 ff., insbes. S. 31-32; s. ferner in einer ähnlichen Richtung Supremo Consiglio di Giustizia, Urt. v. 20.1.1835 (Almansi Eredità c. Toschi), in: Collezione delle massime, Bd. V, Nr. 1097, S. 287 ff., insbes. S. 291; Supremo Consiglio di giustizia, Urt. v. 29.4.1828, in: Collezione delle massime di diritto […], Bd. III, Nr. 624, S. 47-49, insbes. S. 49; Supremo Consiglio di giustizia, Urt. v. 29.11.1828, in: Collezione delle massime di diritto […], Bd. III, Nr. 672, S. 107 f., insbes. S. 109; Supremo Consiglio di Giustizia, Urt. v. 20.7.1830, in: Collezione delle massime […], Bd. IV, Nr. 838, S. 109 ff., insbes. S. 111. 72 So Magistrato commerciale di Livorno, Urt. v. 7.1.1835 (Gattai e Mantellini c. Selvaggi ed altri), in: Nervini, Giurisprudenza commerciale. Decisioni del magistrato civile e consolare di Livorno […] raccolte e pubblicate […], Livorno 1841-1842, Decisione Nr. 14, S. 76. 73 s. Senato di Piemonte, Urt. v. 6.12.1821, in: Arrò, Giurisprudenza forense (Fn. 42), Bd. VII, S. 27 ff. 74 s. Romana traditionis frumenti, Urt. v. 11.12.1826, in: Decisiones […] coram Isoard […], tomo II, dec. CCCIII, S. 329; Tudertina immissionis, Urt. v. 26.3.1826, in: Decisiones […] coram Isoard, tomo III, dec. CCCLV, S. 2-3; Romana Inscriptionis Hypothecariae, Urt. v. 16.12.1835, in: Tranquilli, Decisiones (Fn. 44), XI, S. 394 ff.; Maceratensis Hipothecae, super I. Dubio, Urt. v. 29.4.1836, in: Tranquilli, Decisiones, XI, S. 485 ff.; Forosemproniensis Litterarum Cambii, Urt. v. 5.7.1816, in: Decisiones Sacrae Romanae Rotae coram Odeschalchi, Romae 1826, dec. XXXII, S. 115 ff.; aus der übrigen Judikatur im Kirchenstaat s. z. B. Tribunale d’appello di Bologna, Urt. v. 25.11.1839, in: L’Irnerio. Giornale di legislazione e di giurisprudenza 1 (1855), S. 240. 75 s. Corte Regia, Urt. v. 23.4.1839, in: Annali di Giurisprudenza 1 (1839), II, Sp. 241 ff., insbes. Sp. 244; Corte Regia, Urt. v. 18.2.1839, in: Annali di Giurisprudenza 1 (1839), II, Sp. 80 ff., insbes. Sp. 82; Tribunale di Livorno, Urt. v. 25.6.1839, in: Annali di Giurisprudenza 1 (1839), II, S. 769 ff.; Magistrato commerciale di Livorno, Urt. v.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
Soweit die Beispiele; aus den mitgeteilten Beobachtungen lassen sich sicherlich keine statistisch gesicherten Schlüsse ziehen; unverkennbar ist allerdings die Tendenz der damaligen Spruchpraxis, bei der Anwendung des französischen Rechts den französischen Präjudizien Modellcharakter zuzuerkennen. 3. Welche Art von Autorität wurde der französischen Judikatur in diesen Fällen zuerkannt? Ich kann hier nur einige Ansätze zur Beantwortung dieser Frage bieten. Besonders gut lässt sich dieses Problem anhand der toskanischen Rechtsprechung untersuchen. Ich muss hier etwas weiter ausholen. Es ist bekannt77, dass sich während des Ancien Régime zum Teil der Grundsatz durchgesetzt hatte, dass drei oder vier kongruenten, auf dem gleichen Sachverhalt fußenden Urteilen eine Art bindende Autorität zuzuerkennen sei. Es handelt sich dabei um eine in der damaligen europäischen gemeinrechtlichen Lehre weit verbreitete Auffassung, so z. B. der piemontesische Jurist Tesauro: Entscheidet der Senat von Turin „in classibus congregatis“ (d. h. Plenarentscheidungen über umstrittene Rechtsfragen), dann kommt seinem Spruch Gesetzeskraft zu; sonst sei eine bereits in mehreren Urteilen gefestigte Judikatur „non pro lege, sed pro stylo“ zu halten. Ähnlich argumentierte – wie Johann Michael Scholz gezeigt hat – die damalige portugiesische Lehre78. Auch die Rota fiorentina – wie Ombrosi79 und De Comitibus80 uns bezeugen – stellte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts auf den ähnlichen Standpunkt, dass zwei kongruente Entscheidungen ausreichend seien, um eine für die Zukunft bindende „pratica del giudicare“ festzulegen. Auch nach 1814 ging die toskanische Rechtsprechung von derselben Auffassung aus; diese fand schließlich ihre gesetzliche ___________ 6.9.1836, in: Nervini, Giurisprudenza commerciale (Fn. 72), Decisione Nr. 69 (Fenzhi e C. c. Fernemberg ed al.), S. 408-411. 76 s. Tribunale di Ia Istanza di Verona, Urt. v. 7.7.1843, in: L’Eco dei Tribunali. Sezione seconda, Giornale di giurisprudenza civile 1 (1851), S. 52-53; Imperial Regio Tribunale mercantile, Urt. v. 15.4.1841, in: Giurisprudenza teorico-pratica 26 (1843), I, S. 1 ff., insbes. S. 21; Supremo Tribunale. Senato del Lombardo-Veneto, Urt. v. 12.9.1820, Ghiringelli c. Sopranzi, in: Giurisprudenza pratica secondo la legislazione austriaca 6 (1822), I, S. 270-271; Urt. v. 5.7.1821, Werder c. Zamara, in: Giurisprudenza pratica secondo la legislazione austriaca 7 (1824), I, S. 214; Urt. v. 21.9.1826, Porro c. Airoldi in: Giurisprudenza pratica secondo la legislazione austriaca 12 (1830), I, S. 215; Urt. v. 28.12.1840, Nicolai c. Doria, in: Giurisprudenza teorico-pratica 25 (1841), I, S. 65. 77 s. z. B. Ascheri, Rechtsprechungssammlungen. Italien, in: Coing (Hrsg.), Handbuch (Fn. 8), Bd. II, 2, S. 1120 ff. und dort weitere Nachweise. 78 s. Scholz, Literaturgeschichtliche und vergleichende Anmerkungen (Fn. 7), S. 137 ff., mit weiteren Nachweisen. 79 s. Thesaurus Ambrosi, Firenze 1779, Bd. VII, S. 431, und hier insbes. die Decisio der Rota florentina vom 15.12.1739, S. 437. 80 s. De Comitibus, Decisiones, Lucca/Firenze 1775, Bd. II, S. 441 ff., und hier insbes. die Decisio vom 20.12.1715, §§ 67-71, S. 99, und die Decisio vom 22.2.1717, §§ 12-16, S. 670-671.
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Anerkennung im Art. 500 des Motuproprio vom 9.11.1838, wo zur Motivation der Revisionsentscheidungen ausgeführt wird „[Nel caso di] mancanza assoluta di legge penale patria, e di ricorso alle disposizioni del gius commune, dovrá citarsi il disposto del gius commune, e motivarsi la sentenza referendo la pratica del giudicare81.“ Die Autorität der „pratica del giudicare“ wurde nach 1814 bei Anwendung des französischen Rechts auch auf die französischen Präzedententscheidungen ausgedehnt; der damalige Jurist Luigi Forti bemerkte zwar: „Si reputano del pari autorevoli le decisioni dei tribunali francesi, massime della Corte di Cassazione, per le questioni che devono da noi decidersi a norma dei Codici di Francia; nondimeno esse non legano la coscienza del giudice, che può formarsi un’opinione diversa82”. Eine Durchsicht der damaligen toskanischen Judikatur zeigt aber, dass in Wirklichkeit der gefestigten Rechtsprechung der Cour de cassation als „giurisprudenza interpretativa“ eine bindende Autorität zuerkannt wurde. „Un costante uniforme sistema di giudicare“ – führte z. B. 1839 in einem Urteil die Corte Regia aus83 – „ha stabilito e reso ormai inviolabile nella giurisprudenza il principio […]“. Ähnlich ließen sich zahlreiche weitere toskanische Entscheidungen anführen, wo als Motivation die französische „pratica del giudicare“ angegeben wurde84. Der Rückgriff bei der Anwendung des französischen Rechts auf die aus dem Ancien Régime überlieferte Interpretationslehre erlaubte somit, den Urteilen der Cour de cassation eine Autorität zu verleihen, welche sie nach dem im Art. 5 Code civil ausgesprochenen Verbot der arrêts de règlement selbst in Frankreich nicht hätten beanspruchen können. Außerhalb der toskanischen Judikatur habe ich diesen Standpunkt nicht so deutlich geäußert gefunden; eine Durchsicht der damaligen Rechtsprechung vermittelt allerdings den Eindruck, dass man auch anderswo bei der Anwendung des Code civil auf die französische Judikatur als auf eine fast authentische Auslegung des anzuwendenden französischen Rechts zurückgriff85. Ex___________ 81
s. Dichiarazioni e Istruzioni 9 novembre 1838 per la esecuzione del R. Motuproprio del Granduca di Toscana, 2 agosto 1838, Firenze 1838, cap. XI, „Dei pubblici giudizi davanti alla Corte Regia“, art. 500. 82 s. Forti, Libri due delle Istituzioni di diritto civile accomodate all’uso del foro, Firenze 1863, I, S. 583. 83 s. Corte Regia, Urt. v. 17.5.1839, in: Annali di Giurisprudenza 1 (1839), II, Sp. 285 ff., insbes. Sp. 295. 84 s. Corte Regia, Urt. v. 24.5.1852, in: Mantelli, Giurisprudenza sul codice di commercio (Fn. 34), 1 (1844), Sp. 83 ff., wo unter anderem Folgendes ausgeführt wird: „[…] tale essendo il voto concorde degli esteri e de’ nostri Tribunali […] considerando, che anche indipendentemente dall’autorità delle cose giudicate […]“. 85 Dies wird dadurch bestätigt, dass die Kassation eines Urteils „per violazione della giurisprudenza interpretativa“ mehrmals in der toskanischen Judikatur angenommen wurde; s. z. B. App. Firenze, Urt. v. 29.9.1864, in: Annali di giurisprudenza 1864, II, Sp. 1260 ff., kassiert durch Cassazione Firenze, Urt. v. 26.9.1865, in: Annali di Giurisprudenza 1865, I, Sp. 732 ff.; s. ferner Cassazione Firenze, Urt. v. 2.8.1866, in: Annali di Giurisprudenza 1866-1867, I, Sp. 32 ff.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
emplarisch sind in diesem Zusammenhang die Darlegungen einer Entscheidung der Rota romana im Jahre 1816; die Autorität einer zitierten französischen Präzedenzentscheidung wurde dort mit der Feststellung untermauert: „bella quidem exceptio est, perinde quasi uni interpretationi Authenticae, quae fit a Legislatore esset fides praebenda, interpretationem vero doctrinalem, quae a Jurisperitis, itemque usualem, quae a Judice fit, et praeterea ab iis Judicibus, qui prae caeteris legum spiritum ea tempestate callebant, impune aspernari, ac refutare liceret86“. Damit knüpften die Gerichte eindeutig an die aus dem Ancien Régime tradierte Interpretationslehre und gerade an ihr besonderes Autoritätsverständnis an. Ein Symptom dafür ist die Technik, wie man französische Präjudizien herangezogen hat. Bekanntlich war eine Präzedenzentscheidung nach der gemeinrechtlichen Lehre nur dann als bindende Autorität anzusehen, wenn sie „in terminis“ war, d. h. wenn sie auf dem gleichen Sachverhalt fußte. Es ist auffallend, wie auch in der Rechtsprechung nach 1814 die italienischen Gerichte sich darum bemühten zu prüfen, ob die herangezogenen Präzedenzentscheidungen aus der französischen Praxis denselben Sachverhalt zu entscheiden hatten. „Attesochè la Corte Reale di Parigi“ – führte z. B. 1834 das Handelsgericht zu Livorno aus87 – „colla decisione […] aveva risoluto in questo senso la questione identica […]“; ähnlich in einer Entscheidung der Rota romana88: „[…] in simillima facti specie pronunciarunt Gallica Tribunalia preasertim Parisiense Appellationum […]“; unzählige Beispiele für ähnliche Ausführungen ließen sich nicht nur der italienischen89, sondern z. B. auch der rheinpreußischen Judikatur ___________ 86 s. Romana uti praelato, Urt. v. 18.3.1816, in: Decisiones Sacrae Rotae Romanae coram Odeschalchi, Bd. I, Romae 1826, decisio IV, S. 15. Ähnliche Beispiele könnte man auch aus der Judikatur des Lombardo-Veneto nachweisen; s. z. B. die Entscheidung in Giurisprudenza pratica secondo la legislazione austriaca 12 (1830), I, S. 153, in einem Fall, wo noch das französische Recht anwendbar war. 87 s. Magistrato commerciale di Livorno, Urt. v. 5.9.1834 (Regini c. Ruth e Garland), in: Nervini, Giurisprudenza commerciale (Fn. 72), S. 30-31. Ähnliche Ausführungen in: Magistrato commerciale di Livorno, Urt. v. 16.7.1834 (Henning c. Ricevitori), in: Nervini, Giurisprudenza commerciale, S. 11; Magistrato commerciale di Livorno, Urt. v. 25.8.1835, in: Nervini, Giurisprudenza commerciale, S. 36; Magistrato commerciale di Livorno, Urt. v. 18.3.1836, in: Nervini, Giurisprudenza commerciale, S. 278-281. 88 s. Urbetana hipothecae, Urt. v. 15.3.1819, in: Tranquilli, Decisiones (Fn. 44), Bd. III, S. 227 ff., insbes. S. 232; s. ferner Romana uti praelato Urt. v. 18.3.1816, cit. (Fn. 86), wo z. B. bei der Heranziehung von französischen Präzedenzentscheidungen ausgeführt wird: „[…] res erat de controversia huic simillima […]“. 89 s. z. B. Imperial Regio Tribunale d’Appello generale, Urt. v. 1.8.1820, in: Giurisprudenza pratica secondo la legislazione austriaca 6 (1822), I, S. 205 ff., insbes. S. 227: „[…] siccome poi gli appellanti avevano proposto ad esempio una consimile causa […] decisa dal tribunal d’appello di Montpellier, […] così fece osservare quanto diverso fosse quel caso […]“. Exemplarisch sind in dieser Hinsicht, noch am Ende des Jahrhunderts, die Ausführungen von App. Venezia, Urt. v. 7.3.1899, in: Il Foro italiano 1899, I, Sp. 670.
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entnehmen. So heißt es z. B. in einem Urteil des Landgerichts Köln vom Jahre 183490, „die von dem Kläger angezogenen“ Urteile könnten „für unseren Fall nicht entscheiden“, da „das Sachverhältnis von dem hier vorliegenden verschieden war“, was dann in den Urteilsgründen näher ausgeführt wird. II. In einer anderen, nur zum Teil ähnlichen Situation befanden sich die Gerichte in den Ländern, wo nach 1815 neuere, an den Code civil angelehnte Gesetzbücher erlassen worden waren; ich denke hier etwa an die neapolitanischen Leggi civili von 1819, an den Codice civile parmense von 1820, an das niederländische Burgerlijk wetboek von 1838, an den Codice civile albertino von 1837 usw. Durch diese nationalen Kodifikationen war hier das französische Recht nur mittelbar rezipiert worden; trotzdem wurde auch in diesen Ländern der französischen Judikatur – als einer Art „Pertinenz“ der rezipierten Gesetzbücher – eine Modellfunktion zuerkannt. „Noi annunciamo con tanta maggior fiducia questa verità“ – argumentierte z. B. 1826 der Generalstaatsanwalt vor dem neapolitanischen Kassationsgericht91 – „in quantochè la nostra opinione è sostenuta dall’autorità della giurisprudenza di cassazione di Francia […]“; „La giurisprudenza francese“– führte einige Jahre später das Tribunale di prima istanza zu Parma aus92 – „è certa e costante su questo punto […] che se così si giudicava sotto il cessato codice, perchè lo stesso non dovrassi giudicare sotto il codice attuale? […]“ Soweit einige Zitate. Beliebig viele weitere Beispiele ließen sich auch aus der Spruchpraxis der damaligen piemontesischen und neapolitanischen Gerichte nennen93. Dasselbe gilt für die niederländische Judikatur; ich darf hier auf die Untersuchung von Van Dievoet verweisen94. ___________ 90
s. Landgericht Köln, Urt. v. 27.5.1834, in: Archiv für das Zivil- und Kriminalrecht der Königlich Preußischen Rheinprovinzen, Bd. 23, I, S. 108-109. 91 s. die Ausführungen des Generalstaatsanwaltes in Corte di Giustizia di Napoli, Urt. v. 14.12.1826, in: Giurisprudenza civile II, S. 553 ff., insbes. S. 555 ff. 92 s. Tribunale di prima istanza (Parma), Urt. v. 17.12.1832, abgedruckt in: Melegari, Decisioni […], 2. Aufl., 1853, Bd. IV, S. 333 ff.; s. ferner Melegari, Decisioni …, 2. Aufl., 1853, I, S. 218: „[…] mi limiterò solamente a riferire l’oracolo della Corte Suprema di Francia, la cui voce autorevole ammanserà anche i più accaniti protettori del sistema ipotecario […]“. 93 s. aus der Judikatur der damaligen italienischen präunitarischen Staaten, Trib. Signaturae Justitiae (Roma), Urt. v. 26.11.1840, Romana circumscriptionis et restitutionis in integrum, coram Grossi, in: Giornale del Foro 1841, I, S. 68 ff., insbes. S. 71; Tribunale commerciale di Bologna, Urt. v. 26.3.1844, in: Giornale forense ossia raccolta delle decisioni […], compilato da Gaetano Bruschi 1 (1847), S. 52; Tribunale commerciale di Bologna, Urt. v. 22.3.1855, in: L’Irnerio. Giornale di legislazione e di giurisprudenza 1 (1855), S. 253 ff.; Suprema Corte di Giustizia di Napoli, Urt. v. 8.8.1826, in: Giurisprudenza civile, II, S. 479-480; Cassazione Napoli, Urt. v. 4.12.1866, in: Annali della giurisprudenza italiana 1866-1867, I, S. 250-251; Cassazione Milano, Urt. v. 23.8.1860, in: Giurisprudenza italiana 1860, I, 1, Sp. 525 ff. So konnte Mittermaier (in: Revue étrangère et française de législation et d’economie politique 5 (1838), S. 885) anmerken: „[…] à défaut d’ouvrages nationaux, les légistes (italiens) ne sauraient mieux faire que de recourir à la jurisprudence de la France, qui est toujours en voie de progrès […]“.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
Auf welcher Legitimationsgrundlage beruhte in diesen Fällen die Autorität der französischen Spruchpraxis? Da in diesen Ländern die Vorschriften des Code civil an sich nicht unmittelbar galten, brauchte man nicht mehr der französischen Judikatur die Funktion einer authentischen Auslegung der geltenden Gesetzgebung zuzuerkennen. Ihr wurde vielmehr eine allgemeinere Autorität eingeräumt, die auf dem Bewusstsein beruhte, dass das französische Recht zum Teil die übernationale verbindende Funktion übernommen hatte, die einst das Römische Gemeine Recht für die europäische Rechtswissenschaft ausgeübt hatte. Die Spruchpraxis der Cour de cassation schien dabei die Autorität zu übernehmen, die während des Ancien Régime die Judikatur einiger „europäischer“ Gerichtshöfe in der Wissenschaft des Römischen Gemeinen Rechts ausgeübt hatte95. „Che bisogno c’era di premettere alle decisioni romane […] la giurisprudenza francese?“ – fragte im Vorwort seiner Entscheidungssammlung Vincenzo Tranquilli96 – „molto bisogno rispondo, […]. La giurisprudenza che ha interpretata la legislazione francese, può servire di norma all’interpretazione della legge romana nel modo stesso, con cui si fanno cuore e pregio i nostri Giureconsulti […] di allegare la giurisprudenza straniera colle decisioni Napolitanae, […] Lusitane, Catalane, Belgiche, ed altre moltissime […]“. In diesen Worten wird an die Interkommunikabilität der alten europäischen Rechtswissenschaft angeknüpft; an die Stelle der gemeinrechtlichen Autoritäten allerdings ist nun die neuere französische Rechtspraxis getreten. Diesen Wandel brachte am deutlichsten Cristoforo Mantelli im Vorwort zu seiner Sammlung ___________ Exemplarisch sind z. B. die Ausführungen von Magliano/Carrillo, Comentari sulla prima parte del Codice per lo Regno delle Due Sicilie, relativa alle leggi civili, Napoli 1819, Bd. I, S. 15: „[…] abbiam procurato di far cessare il bisogno de’ libri oltramontani, ritraendo da medesimi quanto potea trovarvisi di meglio, o per diritto stabilito con giudicati […]“, und von Torelli, Lezioni di diritto secondo l’ordine del codice per lo regno delle Due Sicilie, Napoli 1834, S. CLXIII: „[…] è util cosa il volgere […] lo sguardo alle raccolte degli arresti e delle decisioni delle corti di Francia per meglio entrare nello spirito della legge […]“. 94 s. van Dievoet, Le droit civil (Fn. 29), S. 404-405. Aus der Judikatur s. z. B. Arrondissement-Regtbank te Amsterdam, Urt. v. 12.5.1881, in: Nieuw Magazijn von handelsregt 1882, II, S. 13 ff., insbes. S. 18. Umfangreiche Nachweise bei van Kuyk Historisches wetsuitlegging (Fn. 69). 95 s. z. B. die Ausführungen der Rota Romana, Centumcellarum pecuniaria iure commerciali, coram Bonini, in: Giornale del Foro 1845, II, S. 65 ff., insbes. S. 70: „[…] qualunque però si fosse la natura di tale contratto, bastare che esso trasmetta il dominio della provvista, e, che lo trasmetta, oggi non essere più controverso: stato di giurisprudenza forense, che viene asserito dal sig. Nouguier scrittore recente in materia cambiaria, e che dice la dottrina favorevole al portatore in Francia oramai esser transatta, il commercio essere regolato dagli usi, e le leggi degli altri popoli: leggi che in tale materia si devono osservare anche da noi, attesa la reciprocità degli interessi che hanno mai sempre formato il legame della società […]“. 96 So Tranquilli, Dei privilegi (Fn. 44), aus dem Vorwort.
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von französischen Urteilen zum Ausdruck97: „Nè scema il valore di un giudicato“ – schrieb er – „[…] la circostanza di essere straniero […] Allorquando il diritto Romano formava la legge comune della maggior parte d’Europa, le decisioni dei Magistrati stranieri, se non sempre valevano di autorità, generalmente servivano di guida o schiarimento […] ciò che allora operavano i giudicati stranieri intorno a controversie di diritto comune, avviene di presente di quelli emanati sulle disposizioni di alcuni Codici, che può dirsi formare in ora la legge di molte parti d’Europa, e quelli in specie dei Magistrati Francesi fanno autorità nel foro.“ III. Eine derartige „europäische“ Autorität wurde der französischen Judikatur auch in Ländern zuerkannt, in denen die Gerichte noch das Römische Gemeine Recht und die alte Gesetzgebung aus dem Ancien Régime anzuwenden hatten. In diesen Fällen übernahm die französische Rechtspraxis die Funktion einer Art „subsidiärer Rechtsquelle“; dabei erfolgte ihr Einfluss statt als „Pertinenz“ zu den rezipierten Gesetzbüchern umgekehrt zum Teil als Wegbereiter einer Übernahme der französischen Lösungen in die jeweilige nationale Gesetzgebung. 1. Besonders deutlich zeigt sich ein solcher Einfluss der französischen Spruchpraxis in der portugiesischen Rechtsentwicklung während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts98. Die Entstehung des modernen portugiesischen Rechts ist bekanntlich das Ergebnis einer langsamen Entwicklung, die Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzte. Die Ordenações Filipinas bildeten zu der damaligen Zeit die wichtigste und ranghöchste Rechtsquelle. Diese Kompilation der alten portugiesischen Gesetzgebung war aber in Wirklichkeit veraltet, voll von Widersprüchen und Unklarheiten. Daraus ergab sich für die damalige portugiesische Rechtspraxis die Notwendigkeit, in großem Umfang auf die Wissen___________ 97
So Mantelli, Giurisprudenza del codice civile (Fn. 34), Bd. I, Piano e motivi dell’opera; s. ferner die Ausführungen in: Eco dei Tribunali. Sezione seconda. Giornale di giurisprudenza civile 1 (1851), Introduzione, S. 2: „[…] Niuno ignora l’importanza dello studio delle legislazioni comparate, e sarebbe commettere grave mancanza il non dare a questa scienza la sua giusta parte. Quindi il Giornale si occuperà della stessa tanto sotto il punto teorico che sotto quello pratico, riportando processi civili, agitati presso altre nazioni, quando la loro natura ed il modo, con cui vengono trattati, possano riversar luce, e produrre una qualche utilità nella nostra giurisprudenza. Fortunatamente la giurisprudenza non è più condannata a vivere isolata.“ 98 Dazu grundlegend s. Braga da Cruz, La formation du droit civil portugais moderne et le Code Napoléon, in: Bulletin des Études Portugaises. Nouvelle Série 30 (1969), S. 119-137, und in: Annales de la Faculté de Droit de Toulouse 11 (1963), S. 219-236; derselbe, O direito subsidiario na história do direito português, Coimbra 1975 (Sonderdruck aus der Revista Portuguesa de História Bd. XIV, Homenagem ao Prof. Paulo Merêa). s. ferner Barbosa de Magalhaes, Le code civil et son influence en Europe. Portugal, in: Association Henri Capitant pour la culture juridique française. Travaux de la semaine internationale de droit Paris 1950. L’influence du code civil dans le monde, Paris 1954, S. 632-663.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
schaft des Römischen Gemeinen Rechts zurückzugreifen, um die nationalen Rechtsquellen ergänzen zu können. Eine grundlegende Wende erfuhr dieses System durch das berühmte Lei da Boa Razão vom 18. August 176999. Einige Stichworte mögen hier genügen, um den Inhalt dieses für die Rechtsreformen der Aufklärung typischen Gesetzgebungswerks kurz zu skizzieren: Um die Rechtsunsicherheit, die mit der Heranziehung der gemeinrechtlichen Praxis verbunden war, zu beenden, wurde es grundsätzlich verboten, auf die Autoritäten der gemeinrechtlichen communis opinio doctorum zurückzugreifen; der Rückgriff auf das Römische Gemeine Recht als subsidiäre Rechtsquelle wurde erheblich eingeschränkt und nur für die römisch-rechtliche Regel erlaubt, die der naturrechtlichen Vernunft (boa razão) entsprachen; im Handels- und Seerecht wurde sogar statt auf das römische Recht als subsidiäre Rechtsquelle auf die Gesetze der zivilisierten Nationen als Ausdruck der naturrechtlichen recta ratio verwiesen. Durch eine Reform der Universitätsstatuten von Coimbra drei Jahre später fand diese Umwälzung der Rechtsquellenlehre ihren Niederschlag auch in dem Inhalt des juristischen Unterrichts. Die gesetzliche Verweisung auf die boa razão wurde zunächst im Geiste der naturrechtlichen Inspiration dieser Reform verstanden. Eine Durchsicht der portugiesischen Rechtsliteratur vom Ausgang des 18. Jahrhunderts, der Werke z. B. von Lobão, zeigt, wie durch den Rückgriff auf die boa razão als subsidiäre Rechtsquelle die Lehren des damaligen systematischen Vernunftrechts Eingang in die portugiesische Rechtspraxis fanden100. Einige Jahrzehnte später allerdings sah man die boa razão nicht mehr im Naturrecht, sondern in den Bestimmungen der modernen Kodifikationen, insbesondere der napoleonischen, konkretisiert. Eine Durchsicht der Werke von José Homem Correã Telles, Manuel de Almeida e Sousa und anderen Juristen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigt, wie die Reform von 1769 in einem wirkungsträchtigen Funktionswandel die gesetzliche Legitimationsgrundlage bot, um auf das französische Recht als subsidiäre Rechtsquelle zurückzugreifen101. „Nas materias ___________ 99 s. Carta de Lei para se julgar pela Ordenação do Reino, e Leis Patrias (18 de Agosto), genannt auch Lei da Boa Razão, abgedruckt in: Collecção das Leys, Decretos, e Alvarás, que comprehende o feliz reinado del rey fidelissimo D. Jozeo I. nosso senhor desde o anno de 1766 até o de 1772, Bd. III (Lisboa, na Officina de Miguel Rodrigues, 1770) (sic); abgedruckt auch bei: José Homem Corrêa Telles, Commentario critico à Lei da Boa Razão em data de 18 de agosto de 1769 por […], Lisboa 1824. 100 Dazu ausführlich Braga da Cruz, O direito subsidiário (Fn. 98), S. 302 ff. mit weiteren Nachweisen. 101 s. z. B. Pinto, Tratado regular e pratico de testamentos, e successões ou compendio methodico das principaes regras, e principios que se podem deduzir das leis testamentarias tanto patrias como subsidiarias, illustrados e aclarados com as competentes notas, Lisboa 1820, Advertencia sobre a 2a Edição, S. IX; Antonio Ribeiro de Liz Teixeira, Curso de direito civil portuguez ou commentario ás Instituiçoes do Sr. Paschoal José de Mello Freire sobre o mesmo direito, Parte primeira, Coimbra 1856, Vorwort, S. 28; Corrêa Telles, Digesto portuguez ou Tratado dos direitos e obrigações
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de puro direito civil“ – schrieb in seinem Diccionario José Ferreira Borges102 – „e em falta de lei patria expressa preferimos as determinações do Codigo civil de França, a mais sabia e precisa collecção de direito civil, […] que podia ser […] o Codigo geral das nações […] e nas discussões de jurisprudencia em geral tivemos o mais das vezes recurso ao Repertorio, e Collecção de questões de Merlin […]“. Es ließen sich hier beliebig viele Beispiele anführen, wie das französische Recht – vermittelt durch die Répertoires von Merlin, Sirey und Dalloz – in jenen Jahren eine immer breitere Aufnahme in die portugiesische Rechtspraxis fand103. So wurden alte Prinzipien des portugiesischen ius patrium, wie etwa der Satz „nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest“, in Anlehnung an das französische Recht endgültig verworfen104; umgekehrt wurden neue Regelungen, die der Code civil im Gegensatz zum Römischen Gemeinen Recht eingeführt hatte, wie etwa das Prinzip der Nichtigkeit eines Kaufvertrages über eine fremde Sache, einfach übernommen105. Im Einzelnen brauche ich ___________ civis, accomodato as leis e costumes da nação portugueza para servir de subsidio ao novo codigo civil, 2. Aufl, Coimbra 1840, I, Vorwort, S. 4-5; Borges, Instituições de direito cambial portuguez com referencias às Leis, Ordenaçoens, e Costumes das principaes praças da Europa acerca de Letras de cambio, Londres 1825, Vorwort, S. 2-3; derselbe, Jurisprudencia do contracto mercantil de Sociedade segundo a legislação, e arestos dos codigos e tribunaes das nações mais cultas da Europa, Londres 1830. Für weitere Nachweise s. zuletzt Braga da Cruz, O direito subsidiário (Fn. 98), S. 311. 102 So Borges, Diccionario Juridico-Commercial, Lisboa 1839, Prefacio, S. IV-V; ähnlich sind die Ausführungen von Coelho da Rocha, Instituições de direito civil portuguez, 2. Aufl., Coimbra 1867, Bd. I, S. VI-VII, die eine endgültige theoretische Begründung für die praktische Rezeption der französischen Rechtspraxis bieten. 103 Siehe, um nur ein Beispiel anzuführen, Carneiro, Direitos dos filhos illegitimos nas principaes nações da Europa e principalmente em Portugal […], Coimbra 1867, S. 137; über die Frage der „legitimatio per subsequens matrimonium” wird ausgeführt: „[…] Nem obsta o argumento que contra a nossa opinião se quizesse deduzir dos artt. 201 e 202 do cod. civ. franc.; porque, não somos obrigados neste caso a recorrer a elle, regulando esta materia por direito canonico; mas tambem o argumento seria pouco seguro, visto que a intelligencia d’aquelles artigos não está fixada nem pelos commentadores, nem pelas decisões dos tribunaes; e mesmo porque em França só se legitimam por subsequente matrimonio os filhos naturaes […]“. Aus der damaligen Judikatur, s. z. B. Relação do Porto, Urt. v. 13.11.1868, in: Revista de legislação e de jurisprudencia 1868, S. 505 ff.; Relação do Porto, v. 30.7.1851, Ia Tenção, abgedruckt in: Carneiro, Direitos dos filhos illegitimos, S. 83; die Entscheidung vom 15.7.1865, abgedruckt in: Jornal de Jurisprudencia 1 (1865), S. 441. 104 s. dazu z. B. Pinto, Tratado (Fn. 101), S. 92-93; Corrêa Telles, Digesto portuguez (Fn. 101), Bd. III, S. 248-249; Rocha, Instituições (Fn. 102), Bd. II, S. 546-548; Corrêa Telles, Commentario critico (Fn. 99), S. 38-39, sub § 9 des Gesetzes. 105 s. dazu Borges, Diccionario Juridico-commercial (Fn. 102), S. 111 sub „Compraventa“; über die gesamte Problematik s. zuletzt Cabral, Venda de coisa alheia, in: Boletim da Faculdade de direito da Universidade de Coimbra, Suplemento XII, Coimbra 1960, S. 1-173, insbes. S. 80-82. In ähnlicher Form wurde auch das Konsensualprinzip
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auf diesen Assimilationsprozess der französischen Rechtspraxis hier nicht einzugehen; Braga da Cruz hat diesen Rezeptionsvorgang unlängst in hervorragender Weise dargestellt106. Hier sei nur das Ergebnis dieser Entwicklung festgehalten: Als 1833 der Código commercial und 1867 der Código civil in Portugal erlassen wurden, brachten sie keine Rechtserneuerung, sondern kodifizierten nunmehr eine in der Praxis bereits stattgefundene Rezeption des französischen Rechts. Ein fast identischer Vorgang lässt sich auch in der rumänischen Rechtsentwicklung beobachten. Bekanntlich wurde 1817 in Rumänien der Code Callimaque erlassen, eine Gesetzeskompilation in Anlehnung an das österreichische ABGB107. Bei der Auslegung und Anwendung dieser Gesetzgebung war es allerdings nicht die österreichische, sondern die französische Rechtspraxis, welche die Modelle lieferte. So griff bereits Christian Flechtenmacher – wie Radulescu in seinen Archivuntersuchungen gezeigt hat108 – auf die Autorität der französischen Judikatur zurück109; in den darauf folgenden Jahren wurde dem französischen Recht, vermittelt durch die bekannten Répertoires, eine immer breitere Autorität eingeräumt, so dass, als 1867 ein Zivilgesetzbuch in Anlehnung an den Code civil erlassen wurde, der Boden für seine Aufnahme schon vorbereitet war110. ___________ bei der Eigentumsübertragung rezipiert; s. darüber Corrêa Telles, Digesto portuguez (Fn. 101), Bd. III, S. 63-64; Rocha, Instituições (Fn. 102), Bd. II, S. 324-326. 106 s. Braga da Cruz, La formation du droit civil portugais (Fn. 98), S. 131, allerdings ohne Quellennachweise. 107 s. dazu allgemein Zamfirescu, Les origines du droit privé roumain, Paris 1923; zuletzt s. Georgescu, Le droit romain de Justinien dans les principautés danubiennes au e XVIII siècle, III. Le rôle de l’Hexabible d’Harménopule, in: Studii clasice (Societatea de studii clasice din Republica socialista Romania) 13 (1971), S. 207 ff., insbes. S. 230, über die Tätigkeit von Flechtenmacher. 108 s. Radulescu, L’influence française sur le droit roumain jusqu’en 1864, in: Académie Roumaine. Bulletin de la Section Historique 27, Bucarest 1946, S. 18 ff. 109 s. dazu Georgescu/Sachelarie, Les contacts entre le droit moldave et le droit autrichien au debut du XIXe siècle, in: Lentze/Putzer (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 159-163, insbes. S. 161, Fn. 5; Georgescu, in: Revue roumaine de sciences sociales. Série de sciences juridiques 10 (1966), S. 303, Fn. 8. 110 s. dazu Dissescu, L’influence du Code civil français en Roumanie, in: Le Code civil. 1804-1904. Livre du Centenaire II, Paris 1904, S. 847 ff.; Radulescu, L’influence belge sur le droit roumain. Communication faite en séance publique de l’Académie roumaine le 13 février 1932, in: Journal des Tribunaux, n. 3289 du 15 mai 1932 ; Radulescu, Influenta italiana asupra dreptului român, in: Academia Romana. Memoriile Sectiunii Istorice. Serie III, tomo XXII, mem. 27 (Bucarest 1940); Veniamin, La méthode depuis le code civil de 1804 au point de vue de l’interprétation judiciaire. Roumanie, in: Association Henri Capitant pour la culture juridique française. Travaux de la semaine internationale de droit Paris 1950. L’influence du code civil dans le monde, Paris 1954, S. 476-499; Constantinescu, Le code civil français et son influence en Europe.
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2. Außerhalb Portugals und Rumäniens lässt sich eine derartig massierte Berücksichtigung der französischen Rechtspraxis als einer Art subsidiärer Rechtsquelle zur Ergänzung der alten nationalen Gesetzgebung nicht nachweisen. Allerdings sind zum Teil Ansätze zu einer vergleichbaren Tendenz auch in anderen Ländern nicht unbekannt. Dies gilt insbesondere für die Lösung bestimmter handelsrechtlicher Probleme, wo systematisch auf die Ergebnisse der französischen Spruchpraxis zurückgegriffen wurde, auch in Ländern, wo der Code de commerce nicht rezipiert worden war. Eine Durchsicht der deutschen handelsrechtlichen Literatur aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigt z. B., dass bestimmte Fragen bei der Fortbildung des Versicherungsrechts in den deutschen Staaten in der Zeit vor dem AHGB, wie etwa das Problem der Modalitäten der Prämienzahlung, fast ausschließlich anhand der Ergebnisse der französischen Judikatur behandelt wurden111. Noch im Jahre 1887 setzte sich ein Urteil des Reichsgerichts zu dieser Materie mit dem Standpunkt der französischen Rechtsprechung auseinander112. Ähnlich entwickelte der dänische Jurist Ørstedt in seinem „Handbog over den danske og norske Lovkyndighed“ weite Teile des dänischen Gesellschaftsrechts anhand von französischen Urteilen113. Nicht immer findet man Beispiele für eine derartig systematische Berücksichtigung der Spruchpraxis der französischen Gerichte. Ich habe allerdings bei der Durchsicht der damaligen Entscheidungssammlungen eine ganze Reihe von symptomatischen Fällen gefunden, in denen das Gericht oder die Parteien, obwohl das alte Recht noch galt, auf die Autorität der französischen Judikatur zurückgriffen. So argumentierte z. B. der Senat von Piemont in einem Urteil von 1824114: „[…] neppur si vuole tralasciar d’osservare, che la massima testè enunciata […] fu ed è ricevuta pur anche dalla giurisprudenza francese, ed in___________ Roumanie, in: Association Henri Capitant pour la culture juridique française. Travaux de la semaine internationale de droit, Paris 1950. L’influence du code civil dans le monde, Paris 1954, S. 664-688 , insbes. S. 680 ff. 111 s. z. B. Mals, Studien über Versicherungsrecht, insbesondere über Feuer- und Lebensversicherung, in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht 6 (1863), S. 361 ff.; Lewis, Lehrbuch des Versicherungsrechts, Stuttgart 1889, S. 186-187; Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, Berlin 1893 (Nachdruck Aalen 1970), S. 84 ff. Aus der damaligen Judikatur s. Oberappellationsgericht zu Nürnberg, Urt. v. 30.10.1867, in: Busch (Hrsg.), Archiv für Theorie und Praxis des allgemeinen deutschen Handelsrechts, Bd. 15, S. 149; Oberappellationsgericht zu Nürnberg, Urt. v. 4.2.1870, ebd., Bd. 24, S. 370 ff., insbes. S. 373. 112 s. Reichsgericht, Urt. v. 26.11.1887, in: RGZ 22, S. 51 ff., insbes. S. 55-56. 113 s. Ørstedt, Haandbog over den danske og norske Lovkyndighed, Kjsbenhavn 1822-1835, insbes. Band I, S. 466-468, wo eine theoretische Begründung geliefert wird über die Frage, ob zulässig sei, ausländisches Recht als Autorität heranzuziehen; Bd. VII, S. 672-674, wo französische Judikatur und Doktrin zum Gesellschaftsrecht herangezogen werden. 114 s. Senato del Piemonte, Urt. v. 1.6.1824, in: Arrò, Giurisprudenza forense (Fn. 42), Bd. VII, S. 265 ff., insbes. S. 298.
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violabilmente osservata […]“; hierzu ließen sich unzählige weitere Beispiele aus der damaligen italienischen Judikatur anführen115. Diese Tendenz wird dadurch bestätigt, dass manchmal Gerichte, die das Römische Gemeine Recht noch anzuwenden hatten, sich mit Präjudizien auseinander setzen mussten, die eine Partei aus der französischen Spruchpraxis als eine Art subsidiärer Rechtsquelle herangezogen hatte. So musste das römische Tribunale dell’Auditore di Camera 1846 eine Partei ausdrücklich belehren116: „[…] non essere di ostacolo le francesi decisioni allegate in contrario; giacchè i francesi hanno un articolo 1132 cod. civ. […] derogatorio delle antiche loro costumanze, le quali diceano in antico quello che dice il diritto romano.“ Ähnlich musste 1866 das Kassationsgericht zu Florenz in einem Fall, in dem noch das Römische Gemeine Recht anzuwenden war, daran erinnern: „Che non varrebbe il raffronto colla francese giurisprudenza, giacchè basata questa sul diverso principio stabilito col disposto dell’art. 1384 del codice napoleonico117 […]“.
D. Die Emanzipation der nationalen Judikatur Die französische Judikatur stellte also während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für weite Teile der kontinentaleuropäischen Rechtswissenschaft eine führende übernationale Autorität dar. Es drängt sich nun zum Schluss die Frage auf, wie die Spruchpraxis in den einzelnen Ländern sich von diesem Modell emanzipiert und zu einer nationalen Judikatur entwickelt hat. Ich muss mich auch hier auf einige Ansätze zur Beantwortung dieser Frage beschränken: I. Ein deutlicher Beweis für die zunehmende Emanzipation der nationalen Judikatur in den jeweiligen Ländern ist aus dem Umstand zu entnehmen, dass die damaligen Zeitschriften im Laufe des Jahrhunderts statt französischer Urteile in immer breiterem Umfang die eigene nationale Spruchpraxis veröffentlichten. Dies lässt sich besonders gut anhand der italienischen Rechtsprechungssammlungen zeigen. Ich habe bereits oben erwähnt, dass sie zunächst überwiegend auf französischem Material aufbauten. Seit den vierziger Jahren setzte allerdings die Tendenz ein, neben den französischen Urteilen eine immer größere Anzahl von Urteilen italienischer Gerichtshöfe abzudrucken. Eine ___________ 115 s. z. B. Supremo Consiglio di Giustizia di Modena, Urt. v. 13.5.1828, in: Collezione delle massime di diritto (Fn. 71), Bd. III, S. 51 ff., insbes. S. 53, wo ausgeführt wird: „[…] tale massima è accolta dai più dotti interpreti e commentatori e dai tribunali […], la medesima è sanzionata dalla Corte di Cassazione di Parigi […]“. 116 s. Congregazione civile dell’Auditore di Camera, Urt. v. 21.9.1846 (Fumaroli c. Biancani), in: Giornale del Foro (1846-1847), II, S. 17-22. 117 s. Cassazione Firenze, Urt. v. 21.5.1866, in: Annali della giurisprudenza italiana 1866-1867, I, S. 8.
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Durchsicht der damaligen Sammlungen – wie etwa der Giornale del Foro, die Gazzetta dei Giuristi, die Temi und viele andere – zeigt, dass man unterschiedslos Judikatur aus den verschiedenen italienischen Staaten abdruckte. Die Rezeption der französischen Gesetzgebung in fast ganz Italien bot die vordergründige Erklärung für dieses Interesse an der Judikatur aus den anderen italienischen Staaten; mitentscheidend war aber zugleich das wachsende Bewusstsein, dass eine gemeinsame nationale italienische Judikatur anzustreben sei118. Es ist in dieser Hinsicht bezeichnend, wie die Herausgeber der „Giurisprudenza degli stati sardi“ 1848 die neue Zeitschrift vorstellten119: „si odono citare innanzi i tribunali le decisioni di Francia, quasi che un popolo italiano dovesse essere ligio anche in questo a quella nazione oltremontana, e ciò segue perchè non si conoscono le decisioni nostre; ora è tempo di cancellare quest’onta […noi] crediamo di far opera nazionale nel mettere le basi di una giurisprudenza italiana […]“. Ähnlich schrieb ein Rezensent zu der Florentiner Zeitschrift „Temi“120: „Le but éminemment civilisateur de cette revue est de reconstituer dans […] la science du droit, cette unité italienne vainement rêvée jusqu’à ce jour au point de vue national.“ Die systematische Veröffentlichung von Judikatur aus anderen italienischen Staaten wurde in der Tat durch das Bestreben begleitet, aus einer „giurisprudenza italiana“ die Grundlage für ein italienisches ius patrium zu gewinnen. Eine wichtige Funktion erfüllten in diesem Rahmen bei einer Reihe von Zeitschriften Repertorien und regelmäßige Urteilsanmerkungen unter Einbeziehung der „giurisprudenza dei vari stati d’Italia“, so dass 1855 der Modeneser Anwalt Giuseppe Bosellini in der Kritischen Zeitschrift von Mittermaier mitteilen konnte: „die italiänischen Gerichte und Gelehrten [sammelten] durch Urtheile und Gutachten brauchbaren Stoff, aus welchem
___________ 118
Exemplarisch sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen im Vorwort der Entscheidungssammlung Cause italiane civili, criminali e commerciali dal 1800 fino ai giorni nostri avanti i primi Tribunali, Pistoia, 1 (1843): „[…] è divisamento nostro raccogliere le decisioni […] di tutti i primari tribunali d’Italia, sebbene governate le varie nazioni che abitano in questa penisola, da varii codici, poichè tutte le legislazioni, se si prescinda dall’espressione, e si eccettua la parte direttiva ed arbitraria, son tutte basate sugli stessi principi che emanano dalla natura.“. 119 1 (1848) aus dem Vorwort. 120 So Bonneville, Revue critique de législation et de jurisprudence 6 (1855), S. 467 ff., insbes. S. 468-469. s. ferner Estratto di decisioni dei tribunali italiani, in: La Temi. Giornale di legislazione e di giurisprudenza 1 (1848-1849), S. 181, wo ausgeführt wird: „[…] Le corrispondenze […] ci hanno condotti […] a poter pubblicare, come ci eravamo prefisso, un estratto delle Decisioni di quasi tutti i Tribunali superiori della nostra penisola. Così potranno i nostri Collaboratori, ed Associati, formare studi comparativi, e soccorrerci nello scopo cui fino dal principio mirammo, di ravvicinare e porre in armonia la giurisprudenza vigente nella patria comune, non tanto conforme, quanto lo esigerebbe il comodo e gli’interessi della Gente italiana.“
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einst ein wahrhaft nationales Gesetzbuch geschaffen werden kann121 […]“. Es war im Rahmen dieser Entwicklung natürlich, dass die Zeitschrift „Giurisprudenza degli stati sardi“ bereits 1859, noch vor der politischen Einheit Italiens, ihren Titel in „Giurisprudenza italiana“ änderte122. Ähnliche Tendenzen lassen sich auch in anderen europäischen Ländern beobachten. In einem symptomatischen zeitlichen Zusammenhang mit dem Inkrafttreten der jeweiligen nationalen Kodifikationen erscheinen in verschiedenen Ländern Entscheidungssammlungen, die zum ersten Mal regelmäßig die nationale Judikatur veröffentlichen. So erschienen z. B. 1839, ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Burgerlijk wetboek, in den Niederlanden das „Weekblad van het regt“ und die „Nederlandsche Regtspraak“; ein Jahr später kam in Belgien die „Pasicrisie“ heraus. Ebenso entstanden ein Jahr nach Inkrafttreten des portugiesischen Código civil von 1867 die beiden heute noch führenden juristischen Zeitschriften, die „Revista de Legislação et de jurisprudencia“ und „O Direito“. Zugleich wurde das Interesse an der Veröffentlichung französischer Judikatur immer geringer. „Die Anlehnung an das Ausland ist immer ein beklagenswerther Zustand“, stellte Ende des Jahrhunderts Puchelt im Vorwort zu der „Zeitschrift für französisches Civilrecht“ fest123. Es war kein Zufall, dass gerade in jenen Jahren in der Einleitung der „Pandectes belges“ Edmond Picard das Programm verkündete: „Lois, jurisprudence, doctrine, tout y est belge et rien que belge124.“ II. Weit komplizierter ist die gestellte Frage, wenn man sie unter einem anderen Gesichtspunkt auffasst, ob nämlich die Entwicklung einer nationalen Judikatur in den verschiedenen Ländern bei der Anwendung der aus Frankreich rezipierten Gesetzbücher zu unterschiedlichen Auslegungen geführt hat. In die___________ 121
s. Bosellini, Ueber die Entwicklung der Gesetzgebung und der Rechtswissenschaft in Italien, in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes 27 (1855), S. 113 ff., insbes. S. 147. Ähnlich die Ausführungen von Calgarini, Raccolta di giudicati. Loro importanza nella scienza del diritto. Metodo da tenersi nel Giornale L’Irnerio, in: L’Irnerio. Giornale di legislazione e di giurisprudenza 1 (1855), S. 29-32, insbes. S. 30-31: „[…] Perciò la Giurisprudenza in Italia non potrebbe avere la sua Pasicrisie come in Francia? Si obbjetterà che con tante legislazioni diverse si corre rischio di aggirarsi in un labirinto; ma se è vero che gli studi comparativi servono a perfezionare il diritto dei singoli stati, una Raccolta universale dei giudicati Italici non può non condurre mirabilmente a questo scopo.“ 122 s. Giuriati, Vorwort im Jahrgang 1864. Ähnlich sind die Ausführungen von Mancini, Vorwort im Jahrgang 1866-1867 der Annali della giurisprudenza italiana, S. XII, „[…] e tutto ciò, proponendo sempre a nostri studii un campo non municipale, come fecero nelle anteriori condizioni del paese altre raccolte e giornali, ma nazionale, ed ognora intenti alla difesa de’ grandi principii di giustizia e di libertà […]“. 123 So Puchelt, in: Zeitschrift für französisches Civilrecht 1896, Vorwort. 124 So Picard, Einleitung zu Les Pandectes belges. Répertoire général de législation, de doctrine et de jurisprudence belges, Bruxelles 1 (1878).
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sem Rahmen kann eine solche Frage natürlich nicht abschließend erörtert werden. Einige Ansätze mögen hier genügen. Unlängst hat Detlef Schumacher die Anwendung des rheinischen Rechts in der deutschen Gerichtspraxis im 19. Jahrhundert untersucht125. Er hat sich dabei auf die Analyse einiger typischer Problemkreise beschränkt, wie etwa der Frage, inwieweit natürliche Verbindlichkeiten rechtlich wirksam seien, oder der Frage, ob ein Anspruch auf Schadenersatz wegen Verführung mit Art. 340 Code civil vereinbar sei. Es scheint, dass die deutschen Gerichte während der ersten Hälfte des Jahrhunderts in diesen Fragen dem Standpunkt der französischen Rechtsprechung gefolgt sind; erst später, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, verließ die deutsche Spruchpraxis mehr und mehr die von der französischen Cour de cassation vertretenen Auffassungen. Dies scheint insbesondere bei der Judikatur des Zweiten Senats des Reichsgerichts der Fall gewesen zu sein. So folgte das Reichsgericht der französischen Cour de cassation bei vielen Rechtsfortbildungen nicht, so z. B. nicht bei der Heranziehung der Generalklausel von Art. 1182 Code civil im Wettbewerbsrecht. Schumacher führt die unterschiedliche Entwicklung auf die verschiedene Argumentationstechnik der französischen und der deutschen Gerichte zurück126; der französischen Technik, die mit begrifflichen Mitteln arbeitet, stünde die rheinische gegenüber, die sich eng an die gemeinrechtliche Auslegungsmethode anschließt. Kennzeichen der rheinischen Methode sei, dass sie nicht am Wortlaut der einzelnen Bestimmung des Code civil haftet, sondern jeden Artikel in einen größeren Zusammenhang zu stellen und von dorther zu verstehen versucht. Ich möchte hier keine Antwort auf eine solche Frage wagen. In jedem Falle handelt es sich um ein beachtenswertes Zeugnis der allmählichen Verselbständigung der nationalen Judikatur. Und dies gilt nicht nur für Deutschland. Es scheint mir in der Tat symptomatisch, dass sich ähnliche Tendenzen in jenen Jahren auch in anderen romanischen Ländern abzeichneten. So haben z. B. Meijers und van Dievoet127 die niederländische und die belgische Praxis unter diesem Gesichtspunkt untersucht und gezeigt, dass insbesondere in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auch dort die Gerichte in vielen Fällen der Auffassung der französischen Judikatur nicht mehr gefolgt sind. Es scheint mir kein Zufall zu sein, dass gerade in jenen Jahren die niederländische Rechtswissenschaft sich statt an französischen Modellen an neuen, insbesondere an der deutschen ___________ 125
Schumacher, Das Rheinische Recht (Fn. 39), S. 44 ff. s. Schumacher, Das Rheinische Recht (Fn. 39), S. 152 ff. 127 s. van Dievoet, Le droit civil (Fn. 29), S. 372-436; grundlegend darüber und mit umfangreichen Nachweisen Meijers, Uitlegging en toepassing in Nederland van aan den code civil ontleende wetsvoorschriften, in: Verzamelde privaatrechtelijke opstellen, Leiden 1954, I, S. 45-61. 126
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Pandektistik, orientiert128. Auch in Italien lässt sich Ende des Jahrhunderts eine ähnliche Entwicklung feststellen; nicht zufällig veröffentlicht gerade in jenen Jahren eine italienische Zeitschrift, das Archivio giuridico von Filippo Serafini, zum ersten Mal in Italien nicht französische, sondern deutsche Judikatur zum Römischen Gemeinen Recht129.
___________ 128
s. van Dievoet, Le droit civil (Fn. 29), S. 527. s. Serafini, Il diritto romano nella giurisprudenza, in: Archivio giuridico 34 (1885), S. 312 ff. „[…] Con questo fascicolo inauguriamo una rubrica, della quale non può agli studiosi sfuggire l’importanza […] Lo studio del diritto romano ha da mirare essenzialmente a dar base ad una seria scuola di diritto civile italiano. Non già, naturalmente, nel senso di restaurare il sistema positivo romano, ma per riannodare anzitutto il nostro diritto colle sue legittime tradizioni […]“. 129
Le traduzioni e le annotazioni di opere giuridiche straniere nel secolo XIX come mezzo di penetrazione e di influenza delle dottrine A. Introduzione. La traduzione come genere letterario 1. La traduzione ed annotazione di opere straniere si presenta nella letteratura giuridica del secolo scorso come un vero e proprio autonomo filone giuridico-letterario. Queste brevi note vogliono essere un primo contributo alla descrizione di questo tipo di letteratura giuridica, intesa in particolare come veicolo per la diffusione delle idee e delle dottrine. Al riguardo, mi pare opportuno procedere con un criterio comparatistico, quale ormai anche negli studi di storia del diritto si è imposto come strumento conoscitivo irrinunciabile. In effetti questa attività di traduzione si presenta con uno straordinario rigoglio in Italia. Uno sguardo ad altri paesi dell’Europa continentale mostra tuttavia come questo fenomeno sia ampiamente riscontrabile anche in altre letterature giuridiche. In queste note la letteratura giuridica italiana rimarrà in primo piano; si cercherà tuttavia di tener sempre presenti pure gli esempi rinvenibili in altri paesi. In tal maniera l’opera di traduzione si profilerà come un filone tipico della letteratura giuridica del secolo scorso, di cui si potranno delineare con maggior precisione i profili ed i caratteri comuni. 2. I processi di recezione giuridica sviluppatisi nel sec. XIX sono stati oggetto di un’ampia letteratura:1 basti pensare alle numerosissime indagini sulla diffusione ed influenza della scuola storica e della scuola pandettistica tedesca.2 Non mi pare tuttavia che il problema qui accennato sia stato oggetto di particolare attenzione. In specie, mi pare sia rimasto finora in ombra il parallelismo, che, nei tempi e nelle forme, caratterizza questa tipica produzione giuridicoletteraria in vari paesi europei. Quale ruolo abbiano svolto le traduzioni di opere giuridiche nella storia dei contatti e delle influenze reciproche tra i diritti dell’Europa continentale, è stato talvolta accennato nella letteratura. Così, per ___________ Zuerst erschienen in: La formazione storica del diritto moderno in Europa. Atti del III Congresso internazionale della Società italiana di storia del diritto, Firenze 25-29 aprile 1973, Firenze 1977, III, p. 1487-1504. 1 Per ampie indicazioni cfr. Zajtay, Zum Begriff der Gesamtrezeption fremder Rechte, in: AcP 1970, p. 251 ss. 2 Fondamentale Schwarz, Einflüsse deutscher Zivilistik im Auslande, in: Symbolae Friburgenses in honorem Ottonis Lenel, Leipzig 1931, pp. 425-482, con ampie indicazioni.
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esempio, è stato spesso oggetto di studio la diffusione dell’opera del Beccaria Dei delitti e delle pene attraverso innumerevoli traduzioni alla fine del XVIII sec.3 Analogamente, si è recentemente attirata l’attenzione su varie traduzioni di leggi straniere, come per es. il Project des Corporis juris Fridericiani, che comparvero nella seconda metà del sec. XVIII.4 Ad esse si potrebbero aggiungere, per esempio, le numerose traduzioni che ebbe la legislazione riformatrice di Pietro Leopoldo in Toscana, testimonianza dell’interesse ed attenzione, con cui essa venne seguita in tutta Europa.5 Le innumerevoli traduzioni giuridiche compiute nel sec. XIX hanno al contrario attirato finora meno l’attenzione degli studiosi. In realtà esse hanno, specie nel quadro della storia del diritto privato, un’importanza tutta particolare: a ragione in un recente piano per la pubblicazione di una introduzione bibliografica sulle fonti e la letteratura giuridica nell’Europa del sec. XIX, si è ritenuto opportuno darvi uno specifico rilievo.6 3. Mi pare opportuno chiarire subito i limiti e l’ambito dell’analisi che qui si vuol compiere. Oggetto di queste pagine non vuol essere una generale descrizione dell’ampio processo di diffusione che determinati diritti, quello francese per esempio, o quello emergente dalla letteratura pandettistica tedesca, ebbero nel sec. XIX; tale imponente sviluppo storico-giuridico non potrà in queste brevi note, che rimanere in secondo piano. Non si parlerà quindi né della diffu___________ 3 Per le traduzioni delle opere di Beccaria cfr. Braga da Cruz, O movimento abolizionista e a abolição da pena de morte em Portugal (Resenha histórica), Lisboa 1967, in particolare pp. 31-32. Per le traduzioni in Romania cfr. Georgescu, Recensione della traduzione in romeno di Beccaria, Dei delitti e delle pene, in: Revue roumaine de sciences sociales, série de sciences juridiques 10 (1966), pp. 301-307; Georgescu, Contributii la studiul luminismului in Ġara româneasca úi moldova. I. Locul gîndirii lui Beccaria in cultura juridica româneasca si in dezvoltarea dreptului penal, pina la miscarea revoluĠionara a lui Tudor Vladimirescu, in: Studii. Revista de istorie 20 (1967), pp. 947969, e poi: II. Locul gîndirii lui Beccaria in cultura juridica si in dezyoltarea dreptului penal de la 1821 pina la 1864, in: Studii. Revista de istorie 21 (1968), pp. 685-714. 4 Cfr. Mohnhaupt, Potestas legislatoria und Gesetzesbegriff in Ancien Régime, in: Ius Commune 4 (1972), pp. 188-239, in particolare p. 238. 5 Così la Riforma della legislazione criminale toscana del dì 30 novembre 1786 (Siena 1786), ebbe una traduzione in inglese: cfr. Howard (ed.), Edict of the Grand Duke of Toscany, for the reform of the criminal Law in his dominions, Warrington 1789; cfr. pure Crome, Die Staatsverwaltung von Toskana unter der Regierung Seiner Königlichen Majestät Leopold II. (Gesetze und Verordnungen [...] von den Jahren 1765-1791 nebst den Gesetzen und Verordnungen S.K.H. Ferdinand III. von 1791-1794) aus dem Italiänischen übersetzt und mit Anmerkungen begleitet von A. F. W. Crome, I-III, Leipzig 1795-1797 (posseduto dal British Museum 706.i.2.3.); Indication sommaire des règlements et loix de son Altesse [...] l’archiduc Léopold, Grand Duc de Toscane par ordre chronologique, depuis 1765 jusqu’à la fin de l’année 1778. Avec des notes, Bruxelles 1779 (posseduto tra l’altro dal British Museum 662-b-14). 6 Cfr. Wilhelm, Quellen und Literatur der europäischen Privatrechtsgeschichte im 19. Jahrhundert. Ein Arbeitsplan, in: Ius Commune 4 (1972), pp. 240-288, in particolare pp. 269-270, p. 274.
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sione e recezione legislativa dei codici e della legislazione francese,7 né della diffusione editoriale in tutta Europa delle opere giuridiche francesi.8 Analogamente rimarrà in secondo piano la diffusione del metodo e del bagaglio concettuale della scuola storica e pandettistica tedesca, così come non verrà considerato qui ex professo il problema della contemporanea diffusione nell’Europa continentale del metodo esegetico della scuola giuridica francese.9 Tutto questo complesso di problemi potrà essere preso in considerazione solo sotto lo specifico profilo del tema proposto: la traduzione e l’annotazione di opere giuridiche straniere nel sec. XIX, come strumento di diffusione delle nuove dottrine.
B. Le traduzioni giuridiche 1. La diffusione delle traduzioni di opere giuridiche si pone nel sec. XIX in una prospettiva di particolare interesse storico. Come è noto, uno dei caratteri tipici dell’unità del Ius commune europeo nell’epoca dell’Ancien Regime non fu solo l’unitarietà delle fonti e dei principi, ma pure l’intercomunicabilità della letteratura e della prassi giudiziaria. La giurisprudenza dei maggiori tribunali europei, per esempio, venne dovunque reciprocamente stampata, studiata e citata come autorità: le sentenze della Rota Romana ebbero un’importanza europea; le Decisiones del De Afflictis, furono studiate e citate con la medesima considerazione, non solo in Italia, ma pure in Olanda o in Spagna. Lo stesso va___________ 7 Sul punto cfr. in generale Mazeaud, Le code civil français et son influence en Europe, in: Association Henri Capitant pour la culture juridique française, Travaux de la semaine internationale de droit (Paris 1950). L’influence du code civil dans le monde, Paris 1954. 8 Per un esame della editoria e letteratura giuridica olandese cfr. Belle-Froid, De Code-vertalingen in den Franschen tijd, in: Verslagen en Mededeelingen van de Kon. Vlaamsche Academie voor Taal en Letterkunde, 1932, pp. 87-108; Bosch, Nederlandse vertalingen van franse wetten en werken van franse juristen in de jaren 1810-1813. Enkele inleidende aantekeningen, in: TRG 1957, pp. 345-384. Per la editoria e la letteratura giuridica belga cfr. Dopp, La contrefaçon des livres français en Belgique, 1715-1852, in: Université de Louvain, Recueil de travaux publiés par les membres des Conférences d’Histoire et de Philologie, 2e série, 26e fascicule, Louvain 1932, in particolare pp. 41, 60, 154; Van Dievoet, Le droit civil en Belgique et en Hollande de 1800 à 1940. Les sources du droit, Bruxelles 1948, in particolare p. 9 s.; Colin, La protection simultanée des œuvres littéraires en Belgique et en France sous l’empire de la loi du 25 janvier 1817, in: TRG 1963, pp. 601-606. Ampie indicazioni pure in Feenstra e Bosch, Livres anciens de Droit d’origine étrangère imprimés aux Pays-Bas. Essai de bibliographie [...], Amsterdam 1953, con un Supplément [...], Amsterdam 1962. Le indicazioni bibliografiche si baseranno in parte su tali opere. Per la letteratura giuridica italiana cfr. Rotondi, Letteratura civilistica francese ed italiana, in: Scritti giuridici, vol. III, Studi varii di diritto romano ed attuale, Milano 1922, pp. 498-539, in particolare p. 512 ss. 9 Per l’Italia cfr. Tarello, La scuola dell’esegesi in Italia, in: Scritti per il XL della morte di P. E. Bensa (Collana degli Annali della Facoltà di giurisprudenza dell’Università di Genova, 19), Milano 1969, pp. 241-276.
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le per le decisioni dei Parlamenti francesi, per le sentenze dei Senati piemontesi, per le opere dei pratici tedeschi.10 Tale unità culturale fu anche, in gran parte, una unità linguistica: la lingua latina fu, sia nell’insegnamento universitario, sia nella letteratura dei pratici, la lingua giuridica per eccellenza. La crisi degli ordinamenti giuridici e politici dell’Ancien Regime alla fine del sec. XVIII rappresentò, in sostanza, la definitiva fine dell’unità giuridica dell’Europa continentale. Nel sec. XIX appunto, con le codificazioni e la conseguente completa nazionalizzazione delle fonti del diritto, l’anteriore intercomunicabilità della scienza giuridica europea venne in via di principio a cessare. Anche sul piano linguistico l’unità scomparve. Fin dal sec. XVIII, la lenta individuazione dei singoli diritti nazionali fu accompagnata dal sempre più frequente uso della lingua nazionale, sia nell’insegnamento,11 che nella pratica del diritto. Recenti indagini sulla diffusione ed utilizzazione nel sec. XVII della letteratura giusnaturalistica, ed in particolare delle opere di Pufendorf, hanno corretto la tesi avanzata dallo Hazard di una generale sostituzione della lingua latina da parte di quella francese, ed hanno mostrato come anche nell’ambito giuridico le singole lingue nazionali vennero utilizzate in maniera sempre più esclusiva.12 Nel XIX sec. la letteratura giuridica è ormai quasi esclusivamente una letteratura scritta nelle singole lingue nazionali. Un sintomo singolare di ciò è la circostanza che ormai anche l’antica letteratura di diritto romano comune viene talvolta di nuovo pubblicata tradotta nelle singole lingue.13 ___________ 10
Da ultimo sull’argomento cfr. Holthöfer, Funktionsweisen gemeinrechtlicher Kommunikation. Methoden zu ihrer Ermittlung, in: Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Herausgegeben von Wilhelm, Frankfurt a. M. 1972, pp. 131-150. 11 Cfr. sul punto Coing, Die juristische Fakultät und ihr Lehrprogramm, in: Coing (ed.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, II, 1, München 1976. 12 Cfr. sul punto Othmer, Berlin und die Verbreitung des Naturrechts in Europa. Kultur- und sozialgeschichtliche Studien zu Jean Barbeyracs Pufendorf-Übersetzungen und eine Analyse seiner Leserschaft (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 30), Berlin 1970, in particolare pp. 97 ss. e 135 ss., e Luig, Zur Verbreitung des Naturrechts in Europa, in: TRG 1972, pp. 539-557, in particolare pp. 542-543. 13 Cfr., tra i tanti esempi, Vinnio, Delle questioni scelte di A.V. recate in ital. e commentate per Antonio Rocchetti Dottore in ambo le leggi, Ancona 1842; Vinnio, Commentario académico y forense á los cuatro libros de las Instituciones imperiales de Justiniano, anotado por J. G. Heineccio, y seguido de las cuestiones selectas del mismo autor. Traducción al castellano, adicionada con las variantes del Derecho español y las diferencias más notables del Derecho municipal da Cataluña, por don J. P. Y B., Barcelona 1846-1847. È singolare che per esempio Giusti, Allocuzione, in: Collini, Orazioni civili e criminali, I, Firenze 1824, p. vii ss., per spiegare il ripudio della antica letteratura forense, faccia tra l’altro riferimento alla sempre più scarsa conoscenza della lingua latina.
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2. È proprio attraverso la traduzione di opere giuridiche straniere, tuttavia, che venne in parte ricreata pure nel sec. XIX una relativa intercomunicabilità nella scienza giuridica europea. Fu appunto anche attraverso questa attività di traduzione, che venne facilitata la circolazione delle idee e la diffusione delle dottrine giuridiche. È lungi dalla possibilità di queste brevi osservazioni aspirare a completezza nella descrizione di questa ampia letteratura. Mi pare opportuno limitarmi a degli esempi significativi, mostrando le tendenze dominanti in questa attività di traduzione, sia per quanto concerne le opere tradotte, sia per quanto concerne l’influenza di tali traduzioni.
C. La diffusione di opere francesi e tedesche Nel complesso della letteratura giuridica tradotta, si possono individuare due generi di opere, numericamente senz’altro dominanti: le traduzioni di libri di diritto francesi e le traduzioni delle opere giuridiche tedesche legate alla scuola storica e pandettistica. Mi pare opportuno descrivere brevemente questi due gruppi. 1. La letteratura giuridica francese venne tradotta in tale abbondanza, che si può quasi affermare che nei libri di determinati autori rivisse, almeno in parte, l’autorità “europea” che era stata propria di certe opere di diritto romano comune. La diffusione di tali traduzioni inizia all’inizio del secolo in maniera subito imponente. In essa si riflette chiaramente il tentativo napoleonico di diffondere il nuovo diritto francese in tutta Europa. Così un consigliere di stato francese poteva, al momento della promulgazione del Codice Napoleone, proclamare: “C’est dans les mêmes vues de former un nouveau lien entre les peuples qu’il (le C.N.) est encore destiné à divers peuples d’Allemagne; et déjà, si l’on considère l’étendue des pays ou il est, ou il sera en vigueur, on peut le regarder comme le droit commun pour l’Europe”.14 Non è un caso, quindi, che le traduzioni più numerose appaiono appunto nei paesi sottoposti maggiormente all’influenza francese, quali l’Italia e l’Olanda o, in misura minore e più tardi, la Spagna. Quali libri furono tradotti? Un elenco in questa sede non è naturalmente possibile. Ma basta, a titolo di esempio, un esame della letteratura apparsa all’inizio del secolo per individuare alcune tendenze nella scelta delle opere. Un carattere dominante e comune di questa produzione libraria è che essa fu curata da pratici, e con scopi eminentemente pratici: permettere cioè l’ap___________ 14
Citazione dalla discussione in Consiglio di Stato sul Decreto 3 settembre 1807 per la nuova promulgazione del Code Napoléon (Bulletin des lois, n. 154 bis (1807)); la citazione si legge in Seidensticker, Einleitung in den Codex Napoleon, Tübingen 1808, p. 449, n. 3.
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plicazione della legislazione introdotta dal regime napoleonico o emanata in ogni caso sulla falsariga della nuova legislazione francese. Così compaiono numerose traduzioni dei lavori preparatori del Code civil15 e di varie opere pratiche sul nuovo processo civile, tra cui spicca in particolare il fortunato manuale del Pigeau.16 Analogamente, venne tradotta tutta una serie di Repertori e di Raccolte di giurisprudenza, come, per citare solo un esempio, il Répertoire del Merlin, che ebbe varie traduzioni, di cui una addirittura in Polonia.17 È significativo che negli stessi anni si diffonda, in vari paesi, tutta una serie di traduzioni del Traité di Pothier: così per esempio in Olanda, in Portogallo, in Italia, in Spagna; tale opera dell’antico diritto trovò appunto allora traduttori e diffusione, rappresentando, per dei giuristi cresciuti nel sistema del diritto romano comune, il più naturale mezzo d’approccio al nuovo diritto napoleonico.18 ___________ 15
Cfr. per es. Maleville, Analisi ragionata della discussione intorno al codice civile. Traduzione di G. Ricchi con annotazioni del traduttore, Milano 1805-1808; Motivi, rapporti e discussioni che si fecero al corpo legislativo francese per la formazione del codice Napoleone [...], Milano 1805-1807; Motivi, rapporti e discorsi per la discussione del Codice civile [...] Nuova traduzione italiana [...], Firenze 1806; in Spagna i lavori preparatori del Code civil uscirono più tardi sotto il titolo: Curso de Legislación formado de los mejores informes y discursos leidos y pronunciados al tiempo de discutirse el Código de Napoléon, Barcelona 1839-1842; per traduzioni in Germania cfr. Seidenstickers, Einleitung (n. 14), p. 58 ss., p. 2 ss. 16 Pigeau, La procedura civile dimostrata per principii e posta in pratica con degli esempi, Livorno 1809-1811; oppure dello stesso: Analisi del codice di procedura civile, per servire di guida alla pratica forense del Regno d’Italia, Milano 1806. La medesima opera ebbe traduzioni pure in Olanda: Manier van procederen of beginselen der burgerlijke regtspleging voor de regtbanken in het Fransche Keizerrijk; met de daartoe behoorende formulieren. Uit het Fransch vertaald, Haarlem 1811-12, oppure: Inleiding tot de burgerlijke regtspleging of praktizyns handboek [...] Gevolgd naar het Frans van M. Pigeau, en vermeerderd door P. J. B. C. Van Der Aa, Dordrecht 1812. 17 Tra gli innumerevoli esempi che qui si potrebbero riportare, sia qui citato solo il Répertoire del Merlin; cfr. Merlin, Repertorio Universale e Ragionato di Giurisprudenza e Quistioni di diritto. Versione italiana di [...] Filippo Carrillo [...] Accresciuta di Annotazioni relative à cangiamenti apportati dalle Leggi Civili e Penali del Regno delle Due Sicilie, Napoli 1824-1828. L’opera ebbe un’altra edizione: Dizionario Universale, ossia Repertorio ragionato di giurisprudenza e questioni di diritto, di Merlin […], Prima edizione veneta riscontrata ed arricchita di una giunta relativa ai cangiamenti apportati dalle leggi civili e penali attualmente in vigore presso tutti i Regni e Stati italiani, Venezia 1834-1844. Per l’edizione polacca cfr. Merlin, O Przedawnieniu czyli Preskrypcyi wedáug praw Francwzkich z zastosowaniem prawa … Pruskiego oraz praw Polskich i Litewskich prez J. KamieĔskiego, w Lomzy 1814 (si tratta di un estratto dell’opera con aggiunte; esiste nel British Museum sotto la segnatura 80, 94. a. a. 47). 18 Così in Olanda cfr. Pothier, Verhandeling van het Wissel-Recht; [...] naar het fransch door Mr. Johannes van der Linden, Leyden 1801. In Italia, per indicare due tra le prime traduzioni soltanto, cfr. Pothier, Trattato del possesso e trattato della prescrizione, Milano 1810; id., Trattato dei contratti di Beneficenza giusta le regole tanto del Foro della coscienza quanto del Foro esteriore […], Milano 1810. Analogamente in Spagna, tra le tante traduzioni, cfr. Pothier, Tratado de las obligaciones, traducido al español con notas de derecho patrio por una sociedad de amigos colaboradores, Barce-
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Tale carattere pratico rimarrà caratteristico di questa letteratura anche nei decenni seguenti. Senza elencare qui le numerosissime traduzioni di opere giuridiche francesi compiute in Italia specie nel Regno di Napoli e, più tardi, in Piemonte, basterà accennare alle innumerevoli traduzioni subite dai trattati di Toullier, Duranton, Troplong, Marcadé ecc.19 2. Un esame delle opere tedesche tradotte mostra subito che per la loro diffusione, al contrario di quelle francesi, condizionante fu non tanto l’ambiente dei giuristi pratici, quanto piuttosto l’ambiente universitario ed accademico. Ciò è storicamente ben comprensibile: dietro la diffusione della letteratura giuridica francese stava il Code civil e l’imponente recezione della legislazione di modello francese; la letteratura della scuola storica e pandettistica tedesca, come tipico Professoren-Recht, era predestinata invece ad imporsi in Europa nelle Università. È estremamente significativo a questo riguardo che, per esempio in Italia, nella prima metà del secolo le traduzioni dei principali manuali tedeschi di diritto romano trovarono inizialmente diffusione come libri di testo nelle Università. Vale la pena ascoltare quanto, nel 1856, Luigi Capuano, recensendo appunto una di tali opere (la traduzione del Sistema e storia interna del diritto romano privato del Burchardi), osservava:20 “La nuova direzione che presero gli studii giuridici del Diritto Romano [...], fecero sentire in tutta Europa il bisogno di novelle istituzioni, attesocché le antiche erano divenute insufficienti, non ostante i pregi di alcune di loro, come quella dell’Einnecio, e del Vultejo [...]. Se non che le prime istituzioni conformi ai nuovi bisogni si scrissero in Germania. Or sia per le poche relazioni che si avevano allora colla Germania; sia perché la maggior parte di quelle opere erano state scritte nell’idioma nazionale, ed esso era poco noto in Italia, sia per entrambe queste ragioni, noi ignorammo per lungo tempo i lavori della moderna scuola tedesca. Alla fine vedemmo dato cominciamento alle traduzioni le quali furono salutate ed accolte con molto favore. Le prime comparvero nell’Italia occidentale: L’Haimberger in Venezia, il Mackeldey in Firenze. Ma il più gran numero si è veduto qui in Napoli dove a poco intervallo si pubblicarono il Warnkoenig (per cura di ___________ lona 1840; per altre indicazioni cfr. Campos, Bibliografia española contemporanea, vol. II, n. 2261-2266. In Portogallo, malgrado non vigesse il Code civil, parti del Trattato delle obbligazioni vennero tradotte nel 1824 e pubblicate in appendice a Correia, Commentario critico à Lei da Boa Razão, Lisboa 1824, pp. 100-109; ciò è spiegabile tenendo presente che la legge del 18 agosto 1769 aveva dichiarato fonte sussidiaria anche il diritto delle altre nazioni civili. Cfr. Braga da Cruz, La formation du droit civil portugais moderne et le Code Napoléon, in: Bulletin des Etudes Portugaises, Nouvelle Série 30 (1969), pp. 119-137, in particolare p. 125 ss. 19 Cfr. le ampie indicazioni in Tarello, La scuola dell’esegesi (n. 9), passim. 20 Cfr. Annali di diritto teorico pratico, 2, Napoli 1856, pp. 414-416.
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P. A. Abatemarco); il Marezoll (per cura di G. Polignano); il Puchta (per cura di A. Turchiarulo); il Tibaut (per cura di G. Colucci)”. Parlando di Istituzioni, il nostro autore si riferisce specificamente a manuali per lo studio introduttivo del diritto romano. Ed in effetti le traduzioni dal tedesco di opere siffatte ebbero, come libri di testo universitari, un’ampia fortuna specie in Italia. In particolare siano qui citati, tra i tanti, il Lehrbuch des heutigen Römischen Rechts del Mackeldey,21 o il Reines Römisches Privatrecht dello Haimberger,22 i quali ebbero una straordinaria diffusione. Già verso la metà del secolo il libro del Mackeldey, per esempio, era il manuale di base per l’insegnamento alla Facoltà di giurisprudenza di Bologna.23 La stessa fortuna ebbero anche le traduzioni di varie introduzioni storico-filosofiche, quali quella dello Ahrens,24 del Falck25 o dell’ Hugo.26 ___________ 21
Singolare la fortuna del Lehrbuch der Institutionen des heutigen römischen Rechts del Mackeldey, 1. ed., 1814, tradotto fin dall’inizio del secolo. Cfr. Introduction à l’étude du droit Romain, traduite de l’allemand de F. Mackeldey par L. Etienne, Paris 1825; poi la stessa opera “révue, augmentée, précédée d’un précis encyclopédique” par L. A. Warnkönig, Mons 1826; dello stesso autore esiste ancora un Manuel de droit romain contenant la théorie des institutes, précedée d’une Introduction à l’étude du droit romain, Bruxelles 1837. Esistono anche numerose traduzioni in Spagna; cfr. Mackeldey, Introducción al estudio del Derecho romano [...] Traducido al frances de la sexta edición alemana por el señor Etienne, y ahora al español con algunas correcciones, y aumentado con un capítulo en que se manifesta el origen, progresos y influendo que ha tenido el Derecho romano en la jurisprudencia patria, por D. L. Collantes Bostamante, Zaragoza 1829; lo stesso, Elementos de Derecho romano que contienen la teoria de la Instituta [...], Madrid 1844-1845; la stessa opera fu tradotta di nuovo (Madrid 1847; Madrid 1876). La medesima opera ebbe una straordinaria fortuna pure in Italia; cfr. Mackeldey, Manuale di diritto romano contenente la teorica delle instituta cui precede una introduzione allo studio dello stesso diritto. Prima versione italiana corredata di annotazioni, del confronto e commento delle vigenti leggi del Regno [...] a cura di F. Petroni, Napoli 1844-1847; Mackeldey, Manuale di diritto romano contenente la teoria delle istitute preceduto dall’introduzione allo studio del diritto romano, Colle 1841. Per indicazioni su ulteriori traduzioni, tra cui una in lingua russa nel 1829-1830, cfr. la prefazione alla decima edizione tedesca del Lehrbuch des heutigen Römischen Rechts, 1833. 22 Haimberger, II diritto romano privato e puro, Venezia 1839; cfr. ancora id., Il diritto romano privato e puro, Bellinzona 1851; id., Il diritto romano privato e puro. Versione di C. Bosio. Accresciuto del confronto colle leggi del Regno delle due Sicilie, con note e spiegazioni, Napoli 1846; altra edizione, Torino 1857. 23 Cfr. Maccaferri, Varii metodi usati nell’insegnamento del diritto nell’Università di Bologna dai Glossatori fino ai giorni nostri, in: L’Irnerio. Giornale di legislazione e di giurisprudenza, Bologna 1855, p. 229 ss., in particolare sull’utilizzazione del Manuale del Mackeldey pp. 234-237; così pure alcune traduzioni del Handbuch dello Zachariae (cfr. n. 37), cfr. sul punto Landucci, Trattato (n. 38), Prefazione, pp. XLIV-XLV. 24 Cfr. Ahrens, Corso di diritto naturale o di filosofia del diritto secondo lo stato attuale di questa scienza in Germania. Preceduto da un’analisi critica sul sistema di diritto naturale di De Zeiller di G. Carcano, Milano 1851; id., Enciclopedia juridica ó exposicion organica de la Ciencia del Derecho y el Estado. Version directa del aleman, aumentada [...] por Francisco Giner, Gumersindo de Arzcárate y Augusto G. de Linares, Madrid 1878-1880.
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Il carattere accademico-universitario di tale attività di traduzione della letteratura romanistica tedesca è, almeno in Italia, un dato caratteristico costante: così, per esempio, i classici lavori romanistici e storici del Puchta e del Savigny vennero presentati inizialmente in traduzioni parziali, come articoli destinati a nobilitare le aspirazioni scientifiche delle prime riviste giuridiche allora nascenti.27 Analogamente, le prime traduzioni di una certa ampiezza dei lavori di Savigny furono in sostanza dei tentativi di riassunto e di adattamento di tali opere, per renderle accessibili e comprensibili al pubblico scientifico italiano.28 ___________ 25
Cfr. Falk, Introduzione allo studio della giurisprudenza o enciclopedia giuridica, tradotta per la prima volta in italiano per cura di Catucci e Pistolese, Napoli 1847; id. Prolegomenos del Derecho ó Enciclopedia juridica. Traducida al castellano y acomodada al estudio del Derecho en España, por Ruperto Navarro Zamorano y José Alvaro de Zafra, Madrid 1845; traduzione francese del Pellat, Paris 1841. 26 Cfr. inizialmente la traduzione francese Hugo, Histoire du droit romain, traduzione del Jourdan della settima edizione tedesca, Paris 1825; ad esse seguirono in Spagna Hugo, Historia del Derecho romano. Traducida del aleman, segun la setima edicion por Jourdan. Revisada por Poncelet. Traducida al castellano por Manuel Casado Tello, Madrid 1850; ed in Italia Hugo, Storia del diritto romano. Prima versione italiana di C. Arlia, Napoli 1856. 27 Così per es. Puchta, Come ed in che modo il dritto romano è divenuto dritto attuale della Germania (traduzione di de Conciliis dei §§ 1-8 della Introduzione alle lezioni sul diritto romano attuale), in: Annali di diritto teorico-pratico. Opera periodica compilata per cura di Capuano 2 (1856), p. 111 ss.; cfr. sul punto pure Gabba, Delle dottrine filosofico-giuridiche di G. F. Puchta, e della scuola storica in generale, in: Gazzetta dei Tribunali. Giornale di legislazione e pratica giurisprudenza e dei pubblici dibattimenti 9 (1859), p. 257 ss. Analogamente, della Storia del diritto romano nel Medioevo del Savigny uscirono inizialmente degli estratti, uno del Rossi in francese negli “Annali di legislazione e di giurisprudenza” (Firenze), l’altro del Capei in italiano nell’ “Antologia” di Firenze; cfr. sul punto Salvotti, Discorso di insediamento della camera degli avvocati in Trento, in: L’Eco dei Tribunali. Giornale di giurisprudenza civile, Sez. seconda 1 (1851), p. 77 ss., in particolare pp. 78-79. Su simile opera di traduzione cfr. Mittermaier, in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes 23 (1851), p. 298 ss., pp. 300-301, dove si osserva: “Unsere deutschen Leser werden jedoch mit Vergnügen bemerken, dass eben in neuester Zeit das Interesse der italiänischen Juristen an rechtswissenschaftlichen Arbeiten vermehrt ist, und insbesondere Uebersetzungen deutscher Werke oder Bearbeitungen derselben veranlasst hat”; cfr. pure Gabba, Rivista delle pubblicazioni estere di giurisprudenza e di scienza della legislazione. Prefazione, in: Gazzetta dei tribunali. Giornale di legislazione e pratica giurisprudenza e dei pubblici dibattimenti 9 (1859), p. 1 ss. Sul punto cfr. Brol, Antonio Salvotti promuove a Venezia la prima traduzione italiana del “Sistema di romano diritto attuale” del Savigny, Atti del I Convegno storico trentino, Rovereto 1955, pp. 5-62. 28 Per questo genere di letteratura cfr. Savigny, La vocazione del nostro secolo per la Legislazione e la Giurisprudenza. (Con) una introduzione generale e un discorso sugli scritti (del S.) e sulla scuola storica (Verona 1857); Viscardi, Violenza ed errore. Prima versione italiana tratta dal terzo volume dell’originale alemanno intitolato: Sistema del diritto romano di Savigny, Napoli 1843. Al riguardo cfr. Mittermaier, in: Kritische Zeitschrift 24 (1852), p. 463; Ragionamenti storici di diritto del Prof. Federico Carlo Sa-
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Non è qui possibile né necessario seguire il numero sempre crescente di traduzioni di opere romanistiche e pandettistiche tedesche nella seconda metà del secolo. Esse raggiunsero in Italia, come è noto, un numero imponente; ma i moventi ed i caratteri di tale attività di traduzione rimasero quelli iniziali; fu appunto attraverso i noti adattamenti e traduzioni delle opere di Savigny, Arndts, Glück, Ihering, Windscheid, Dernburg ecc., che furono gettate le basi della nuova scuola dei romanisti e civilisti italiani.29 Anche fuori d’Italia, l’opera di traduzione della letteratura romanistica tedesca è caratterizzata da analoghe tendenze: così in Francia,30 così particolarmen-
___________ vigny tradotti dall’originale tedesco e preceduti da un discorso da A. Turchiarulo, Napoli 1852, dove vengono tradotti alcuni articoli ed alcune recensioni (sul colonato romano, sul romano sistema delle imposte, sugli studi di diritto in Italia, ecc); Capei, Istoria del gius romano nel medio evo del signor de Savigny. Ridotta in compendio, Siena 1849, al riguardo cfr. Mittermaier, in: Kritische Zeitschrift 23 (1851), p. 482; Savigny, Trattato del possesso secondo i principi del diritto romano, tradotto ed annotato da R. Andreoli, Napoli/Salerno 1857. 29 Per ulteriori indicazioni bibliografiche si rinvia a Schwarz, Einflüsse deutscher Zivilistik (n. 2), in particolare pp. 450-451, con richiami sulla recezione della pandettistica in Italia e sulle traduzioni di opere giuridiche tedesche in italiano; cfr. pure Pacchioni, Deutsche und Italienische Romanisten im 19. Jahrhundert. Zwei Gastvorlesungen, gehalten am 16. und 17. Januar 1934 an der Universität Leipzig (Leipzig. Rechtswissenschaftliche Studien), Neudruck der Ausgabe 1935, Leipzig/Frankfurt a. M. 1970. Sulle traduzioni delle opere pandettistiche tedesche in Francia cfr. da ultimo con ampie indicazioni Neumayer, Deutsche und Französische Zivilrechtswissenschaft. Besinnliches zu einem Nachbarschafts- und Partnerschaftsverhältnis unter Verwandten, in: Ius Privatum Gentium. Festschrift für Max Rheinstein, I, Tübingen 1969, pp. 165-190, in particolare p. 172, n. 29. Sulla fortuna e le traduzioni delle opere di Ihering cfr. in particolare Wieacker/Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Phil-hist. Kl. 3, 75), Göttingen 1970 e qui l’appendice bibliografica a cura di Mario Losano; per le traduzioni in Spagna in particolare Gibert, Jhering en España, ivi, pp. 40-67 in particolare pp. 44-56. In particolare sulle traduzioni delle opere di Savigny, cfr. ampie indicazioni nello scritto anonimo Della vita scientifica e delle opere di Savigny e della importanza della scuola storica di diritto, pubblicato quale introduzione alla traduzione del Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Verona 1857, in particolare pp. 43 e 58; cfr. pure Tarello, La scuola dell’esegesi (n. 9), p. 271 e p. 265 in nota; Calasso, Savigny e l’Italia, in: ASD 8 (1964), pp. 1-8, in particolare p. 5; Brugi, Per la storia della giurisprudenza e delle Università italiane. Saggi, Torino 1915, pp. 19-20; del Giudice, Storia del diritto italiano, vol. II. Fonti: Legislazione e scienza giuridica dal secolo decimosesto ai giorni nostri, Milano 1923, p. 320-321; Patetta, Storia del diritto italiano. Introduzione (ed. Bulferetti), Torino s. d., ma 1947, pp. 138-139, p. 157, pp. 160-161 con ampie indicazioni bibliografiche; Caroni, Savignys „Beruf” und die heutige Krise der Kodifikation, in: TRG 1971, pp. 451-476, in particolare pp. 451-453. 30 Cfr. Neumayer, Deutsche und französische Zivilrechtswissenschaft (n. 29), pp. 170-171.
Le traduzioni e le annotazioni di opere giuridiche straniere
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te in Spagna, come hanno mostrato le recenti ed approfondite indagini del Gibert e del Gil Cremades.31
D. La tecnica della traduzione e la recezione del diritto straniero Ad una descrizione “esterna” di tale letteratura giuridica, mi pare opportuno far seguire ora una descrizione per così dire “interna” dell’attività di traduzione stessa. È solo da una precisa analisi del “come venne tradotto”, che si possono trarre conclusioni sulla funzione assunta da tale letteratura per la diffusione e la recezione di idee e dottrine giuridiche, o sulla trasformazione e modificazione che il significato di un’opera può aver subito attraverso la traduzione. Un solo esempio: basta confrontare il titolo originale dell’opera di Savigny System des heutigen Römischen Rechts32 colla traduzione in francese del Guenoux, Traité de droit romain,33 per rendersi conto dell’importanza di una analisi siffatta; “traité” non è “System”, e “droit romain” non è certo “das heutige römische Recht” nel senso savigniano del termine. Già ciò basterebbe forse a far sorgere il sospetto di una incosciente trasformazione dell’opera di Savigny da un lavoro di teoria generale del diritto civile in una semplice opera storica sul diritto romano.34 In questa sede mi pare opportuno concentrarmi sull’analisi delle traduzioni di un’opera soltanto ed anche così in via semplicemente esemplare, senza pretese di completezza. Un ottimo esempio è offerto dalle numerose traduzioni dell’Handbuch des französischen Civilrechts dello Zachariae, opera, la cui fortuna europea permise all’autore di osservare “dass, was insbesondere das Civilrecht betrifft, alle Europäische Völker [...] an einer und derselben grossen Aufgabe arbeiten und an dieser Aufgabe gemeinschaftlich arbeiten sollen”.35 1. È opportuno innanzitutto ricordare che lo Handbuch dello Zachariae, uscito in prima edizione nel 1808 ad Heidelberg – dove l’autore fu per decenni professore – era destinato inizialmente ai giuristi di quei territori tedeschi, in cui il Code civil era e rimase diritto vigente. L’opera dovette la sua fama alla sua geniale impostazione: a differenza dei contemporanei manuali sul codice ___________ 31 Cfr. Gibert, Jhering (n. 29), passim; Cremades, El reformismo español. Krausismo, escuela histórica, neotomismo, Barcelona 1969, in particolare p. 7 ss., p. 37 ss., pp. 123128. 32 Berlin 1840. 33 Paris 1855-1860. 34 Per questa ed analoghe osservazioni cfr. Turchiarulo, in: Ragionamenti storici (n. 28) […], Parte II, Applicazione delle precedenti idee alla storia del diritto. Giudizio sulla scuola storica tedesca; ben diverso il titolo della successiva traduzione italiana: Sistema del diritto romano attuale. Traduz. dall’originale di Scialoja, Torino 1886-98. 35 Prefazione alla terza ed. tedesca (Heidelberg 1827) in fine.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
francese, l’esposizione non seguì l’ordine del codice, ma la concezione sistematica della nascente scienza civilistica tedesca. Decisiva per la fortuna dell’opera e la sua diffusione al di fuori dei confini tedeschi fu la traduzione che dal 1839 cominciarono a pubblicare i professori francesi Aubry e Rau.36 Come venne compiuta tale traduzione? “La seule chose que nous ayons cru devoir religieusemente conserver, c’est le plan général du manuel”, scrissero gli autori – entrambi professori a Strasburgo – nella prefazione alla terza edizione. In effetti, fin dalla prima edizione, tale opera è testimonianza di come attraverso una traduzione si possa trasformare profondamente il lavoro originario. Nella prefazione alla quarta edizione della loro opera Aubry e Rau potevano scrivere: “Sans vouloir [...] méconnaitre ce que nous devons à Zachariae, sous le rapport du plan et de la méthode, il doit cependant nous être permis de revendiquer pour notre travail, le caractère d’une oeuvre personelle”. È un’opera nuova: non che manchino nel testo e nelle note tutte le osservazioni di qualche importanza per i francesi contenute nell’originale tedesco, ma le novità di contenuto aumentano in gran copia, la esclusione delle osservazioni relative al Baden è completa, l’aggiunta della giurisprudenza e le notizie relative alla letteratura francese sono estesissime. Nelle ultime edizioni il modo di vedere dei traduttori è ormai con frequenza sostituito a quello dello Zachariae e questo citato quasi in contrasto alla nuova opinione dell’opera, come una qualsiasi autorità scientifica. Non sopravvisse che il metodo ed il sistema dello Zachariae: non poca cosa, poiché la rielaborazione dello Aubry e del Rau valse ad offrire un’alternativa al modello stilistico della scuola dell’esegesi e ad indicare in Francia la possibilità di rielaborare normative nuove negli schemi della giurisprudenza sistematica. Questa funzione di mediazione metodologica assunta dalla traduzione dell’Aubry e del Rau si riflesse pure in Italia, dove l’opera francese venne a sua volta tradotta, rielaborata ed integrata secondo il diritto italiano vigente,37 per ___________ 36 Cfr. Aubry et Rau, Cours de droit civil français traduit de l’allemand de Zachariae... revu et augmenté, Strasbourg 1839-1843; ne esiste pure una edizione belga a Bruxelles 1850. Una seconda edizione uscì tra il 1848 ed il 1850; una terza tra il 1856 ed 1863; una quarta tra il 1869 ed il 1879 (dove venne aggiunto significativamente “[...] d’après la méthode de Zachariae”). Poco tempo innanzi, venne pubblicata a Bruxelles (1838 ss.) una versione del Beving, la quale sembra non fosse condotta mai a fine. Per le reazioni dei contemporanei cfr. Eschbach, Recensione del Cours [...], in: Revue de législation et de jurisprudence 9 (1838-1839), pp. 344-357; e 10 (1839), pp. 162-175; Chauffour, Recensione del Cours [...], ivi, 12 (1846), pp. 372-375. Cfr. pure Gaudamet, L’interprétation du code civil en France depuis 1804, Bâle/Paris 1935, pp. 53-54; Charmont et Chaussé, Les Interprètes du Code civil, in: Livre du Centenaire, Paris 1904, pp. 156-157. 37 L’Handbuch ebbe anche in Italia una straordinaria fortuna. Cfr. una versione italiana, fatta sulla traduzione del Beving: Manuale del diritto civile francese per C. S. Zachariae [...] accresciuto di note e della legislazione e giurisprudenza del Belgio da Giulio Beving. Prima traduzione italiana coll’applicazione al diritto civile delle Due Sicilie
Le traduzioni e le annotazioni di opere giuridiche straniere
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assurgere alla fine del secolo colla traduzione del Landucci38 alle dimensioni di un trattato di diritto civile italiano completamente autonomo ormai dall’originale. Accanto alla forma di traduzione e trasformazione quale quella compiuta da Aubry e Rau, altre alternative stilistiche sono pensabili. Una impostazione tutta opposta, nella traduzione proprio ancora del Manuale dello Zachariae, venne seguita dal Massé e dal Vergé.39 Da un canto, a differenza di Aubry e Rau, il testo originale venne rispettato in una traduzione oltremisura letterale. D’altro canto i nuovi autori, nello spirito della scuola esegetica, non esitarono a dissezionare il Manuale tedesco spostando i paragrafi dell’opera originale, in modo da riordinarla – per usare la loro parola – secondo il Codice Napoleonico. Tale trasformazione trovò il plauso di molti rappresentanti della scuola dell’esegesi,40 ed i traduttori furono convinti di aver rigorosamente rispettato il pensiero dello Zachariae.41 In realtà, al di là del rispetto letterale del testo, all’opera venne tolta l’impronta originaria, ne venne spezzato il filo conduttore e venne in-
___________ per cura [...] di Matteo de Augustinis, Napoli 1839; un’altra in Piemonte: Corso di diritto civile francese di C. S. Zachariae, professore nell’università di Eidelberga, prima traduzione italiana, eseguita sull’edizione francese di Strasburgo [...] colla concordanza degli articoli del Codice civile per gli Stati di S.M. il Re di Sardegna, Torino 18411849. Per ulteriori traduzioni cfr. Corso di diritto civile francese, tradotto [...] da Aubry e Rau, edizione napoletana per cura di C. Attanasio e B. del Core, Napoli 1846-1849; id., Corso [...] Tradotto, riveduto ed accresciuto [...] Versione di L. Lo Gatto, con Note, Napoli 1851; ancora: Corso di diritto civile francese [...] edizione italiana [...] col confronto della legislazione del Regno delle due Sicilie, Napoli 1852; un’altra in Sicilia: Corso di diritto civile [...] riprodotto ad uso delle Regie università di Sicilia [...] Seguito da tutte le leggi, decreti, rescritti e ministeriali pubblicate sino ad oggi, Palermo 18571959; cfr. ancora: Corso [...] Rifuso e completato [...] Versione e Note di C. Muzi, Napoli 1857; Corso [...] traduzione italiana di Fr. Fulvio col confronto degli articoli e con note, Napoli 1868. 38 Zachariae/Aubry/Rau/Landucci, Corso di diritto civile francese [...] Traduz. arricchita di nozioni storico-teoriche [...] e coordinata ad un Trattato di Diritto civile italiano da Lando Landucci, Torino 1900. Nella prefazione (pp. XL-LXX) viene esposta un’ampia descrizione della fortuna dell’opera dello Zachariae in Italia. Un’ulteriore traduzione italiana del rifacimento pandettistico del Crome venne pubblicata dal Barassi (Milano 1907-1909). Cfr. sul punto pure Tarello, La scuola dell’esegesi (n. 9), pp. 248249. 39 Le droit civil français par K. S. Zachariae, traduit de l’allemand sur la cinquième édition, annoté et rétabli suivant l’ordre du Code Napoléon, Paris 1854-1860. L’opera ebbe pure una traduzione italiana, cfr. Corso [...] traduzione italiana di V. de Matteis, arricchita, annotata e ridotta secondo l’ordine del Cod. Napoletano da G. Massé e G. Vergé, Napoli 1862. 40 Cfr. Pont, Recensione, in: Revue critique de législation et de jurisprudence 6 (1855), pp. 556-563; Nicias-Gaillard, Recensione, ivi, 10 (1857), pp. 277-288. 41 Cfr. Preface, p. XII.
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generata una grave confusione trasportando intieri paragrafi in punti svariati del codice non coordinati tra loro.42 2. Un’analisi della tecnica di traduzione non può limitarsi ad una descrizione esterna dell’opera tradotta. Come ed in che misura una dottrina giuridica venne diffusa, può stabilirsi solo attraverso una analisi precisa e minuziosa delle annotazioni aggiunte a commento dell’opera straniera tradotta, delle parti del testo originale tradotte oppure no. Anche a questo riguardo mi limiterò ad un solo esempio tratto sempre dal Manuale dello Zachariae. Come è noto il Codice Napoleonico conosce una disciplina molto sommaria delle nullità: in alcune norme si parla genericamente per una serie di atti di “nullité”, senza ulteriori distinzioni; questa ultima può rilevarsi solo facendo valere un’ “action en nullité”. A ciò gli interpreti aggiunsero il principio della tipicità legale delle ipotesi di “nullité”. Tale normativa ignorava così la distinzione tardo romanistica tra nullità ipso jure e nullità ope exceptionis e contro di essa aveva appunto scagliato i suoi strali lo stesso Savigny.43 Nel suo Manuale lo Zachariae, inconsapevolmente sulla traccia delle fonti romane, reintrodusse la distinzione tra le nullità “kraft Gesetzes (ipso jure, de droit, de plein droit), oder kraft einer richterlichen Entscheidung (ex sententia judicis)”.44 Ciò era in nuce la distinzione sistematica tra nullità “ipso jure” ed “ope actionis seu exceptionis”. In tal maniera questa venne ricuperata dagli interpreti tedeschi, specie nell’elaborazione più tarda, e venne sovrapposta al sistema codicistico, in parallelismo col sistema concettuale elaborato sul punto dalla pandettistica.45 Come reagirono i traduttori francesi, di fronte a tale impostazione dello Zachariae? Massé e Vergè, malgrado la pretesa fedeltà al codice, traducono fedelmente il passo, restringendo però le implicazioni della distinzione :46 “(nullités) légales et de plein droit, ipso jure, ou judiciaires, ex sententia judicis. Cette division ne doit cependant pas étre entendue comme emportant la nullité de certains actes juridiques sans qu’il soit besoin d’une décision du juge qui la prononce”. Nell’opera dell’Aubry e del Rau, al contrario, il passo dello Zachariae viene profondamente rimaneggiato, modificando la terminologia ed il criterio della ___________ 42 Cfr. Aubry e Rau, nella Prefazione alla terza ed. (1856), p. 10: “L’idée de démolir le droit civil français de Zachariae, pour le rétablir suivant l’ordre du Code Napoléon, s’est jamais présentée à notre pensée, et nous concevons difficilement qu’elle ait pu séduire des esprits droits et logiques”. 43 Cfr. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Heidelberg 1814 (Nachdruck Darmstadt 1959), p. 110. 44 Cfr. Handbuch, 5. ed., 1853, § 37, vol. I, p. 87. 45 Cfr. Zachariae/Crome, Handbuch des französischen Civilrechts, 8. ed., Freiburg 1894, § 126, vol. I, pp. 353-354. 46 Cfr. op. cit. (n. 39), p. 47.
Le traduzioni e le annotazioni di opere giuridiche straniere
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distinzione : “Ainsi, les nullités découlent du texte de la loi ou de son esprit; elles sont ou textuelles ou virtuelles [...] Les termes: nullité de droit ou de plein droit ne sont pas, dans le langage juridique français, synonymes des expressions: nullité qu’il n’est pas nécessaire de faire prononcer”.47 Apparentemente si tratta di un problema di traduzione: così per un recensente contemporaneo48 “cette réminiscence du droit romain était mal appliquée au droit français; les traducteurs ont corrigé l’erreur de l’original”. In realtà attraverso questa trasformazione i professori di Strasburgo gettarono le fondamenta della moderna teoria delle nullità in diritto francese.49 Ulteriori esempi non sono in questa sede possibili.50 Ricerche specifiche sul punto mancano. Qui non si può che concludere, che solo in base ad un’analisi siffatta di questa imponente letteratura si potrà avere un quadro preciso del ruolo e dell’influenza che le traduzioni di opere giuridiche svolsero sull’evoluzione del diritto privato nel sec. XIX.
___________ 47
Cfr. Cours, 1. ed., 1839, vol. I, p. 68 e p. 70. Cfr. Eschbach, Recensione (n. 36), 10 (1839), p. 169. 49 Cfr. Carbonnier, Droit civil, 6. ed., Paris 1969, vol. IV, p. 163. 50 Un’analoga trasformazione dell’opinione originale si può riscontrare in un esame comparativo delle formulazioni di Zachariae e di Aubry e Rau (Ie édition) riguardo l’actio de in rem verso realis; cf. sul punto Lang, Der allgemeine Bereicherungsanspruch im französischen Recht vor und nach dem Code civil, Dissertation, Frankfurt a. M. 1975, pp. 74-75. 48
La scuola storica e la prassi giudiziale di diritto comune in Germania ed in Italia alla metà del secolo XIX* A. Introduzione Oggetto dell’opera qui recensita è un’analisi dell’influenza che la scuola storica tedesca ha esercitato sulla prassi di diritto romano comune nei tribunali supremi tedeschi fino a dopo la metà del secolo scorso. La prassi giudiziale tedesca di diritto romano comune durante tale epoca, non è stata finora oggetto di studi specifici. L’indagine che qui si presenta – si tratta di una Dissertazione di Dottorato uscita dalla scuola dei Proff. Gmür e Kiefner di Münster – contribuisce quindi a colmare una lacuna nelle nostre tuttora limitate conoscenze sulla scienza giuridica del XIX secolo. Essa è insieme testimonianza dell’interesse sempre crescente, con cui la storiografia giuridica tedesca da vari anni si sta dedicando allo studio di quest’epoca. Così, per esempio, proprio nello stesso lasso di tempo, la stessa problematica è stata fatta oggetto di un’indagine da parte del Mohnhaupt1, che ha analizzato il ruolo svolto dallo studio della prassi giudiziale nell’opera del Savigny. Di tale ultima ricerca però lo Scheuermann non ha disgraziatamente potuto tener conto.
B. L’indagine dello Scheuermann Mi pare opportuno innanzitutto seguire lo Scheuermann nella sua indagine, dando conto brevemente dei problemi da lui toccati e delle conclusioni da lui raggiunte. L’indagine prende avvio e spunto dalla caratteristica contraddittorietà nell’atteggiamento della scuola storica tedesca nei confronti della prassi giudiziale: da un canto il diritto applicato nei tribunali fu teorizzato come Juristen___________ *
Zuerst erschienen als Rezension zu R. Scheuermann, Einflüsse der historischen Rechtsschule auf die oberstrichterliche gemeinrechtliche Zivilrechtspraxis bis zum Jahre 1861 (Münsterische Beiträge zu Rechts- und Staatswissenschaft, herausgegeben von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Heft 17), Berlin/New York 1972, S. 1-127, in: Studi senesi LXXXVI (III serie, XXIII) 1974, S. 317-325. 1 Cfr. Mohnhaupt, Richter und Rechtsprechung im Werk Savignys, in: Wilhelm (ed.), Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Frankfurt 1972, p. 243-264.
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Recht e fu elevato al rango di vera e propria fonte di diritto, d’altro canto, la prassi dei contemporanei tribunali tedeschi fu tenuta presente nelle opere degli autori della scuola storica in misura molto relativa, se non addirittura ignorata del tutto. Dipese ciò dalla circostanza che Savigny ed i suoi scolari giudicarono i tribunali tedeschi del tempo negativamente, come incapaci di recepire nella loro prassi le nuove dottrine ed i nuovi sviluppi dogmatici che provenivano dall’Università? Che atteggiamento assunsero in realtà i tribunali tedeschi nei confronti della scuola storica? L’autore osserva giustamente come non sia opportuno dar credito alle tesi variamente avanzate finora, le quali o accentuano polemicamente un preteso abisso di incomprensione apertosi appunto colla scuola storica tra teoria e pratica in Germania oppure al contrario esaltano l’influenza delle opere di Savigny, che avrebbero soggiogato la giurisprudenza dei tribunali tedeschi del tempo. Come giustamente l’autore osserva, o si tratta di osservazioni polemiche di contemporanei, o si tratta di giudizi incidentalmente avanzati nella letteratura, senza aver compiuto un’analisi specifica e precisa della prassi giudiziale. Questo è appunto il compito, che si propone invece lo Scheuermann. Quanto alla giurisprudenza da analizzare, l’autore delimita l’oggetto della sua ricerca alle sentenze dei Tribunali supremi tedeschi che riguardano il diritto romano comune in materia privatistica e che siano state pubblicate fino al 1861. (L’autore prende evidentemente come dies ad quem la data della morte di Savigny). Rimane quindi esclusa dall’esame tutta la giurisprudenza inedita e, limite dalle conseguenze più rilevanti, tutta la giurisprudenza sui codici territoriali tedeschi, primo fra tutti l’ALR prussiano. Anche per quanto riguarda gli autori, di cui vuol esaminare l’influenza nella prassi, lo Scheuermann delimita fin dall’inizio la sua analisi alle opere di Savigny e di qualche suo allievo di maggior rilievo, quale per es. Puchta.
C. Contenuto del lavoro L’indagine è divisa in due ampie parti; in entrambe l’autore procede secondo un identico criterio: in un primo momento egli esamina gli aspetti fondamentali delle dottrine della scuola storica; in un momento successivo egli controlla in che misura di tali dottrine si possa riscontrare una traccia nella contemporanea giurisprudenza di diritto romano comune. La prima parte2 è dedicata agli aspetti teorici della scuola storica, ed in particolare in essa viene esaminata la posizione metodologica sviluppata da Savigny e dai suoi allievi. Quest’ultima è ridotta dallo Scheuermann a due tesi fondamentali: da un canto il diritto deve essere studiato ed inteso storicamente; d’altro canto, per una effettiva comprensione dell’ordinamento vigente sono necessari uno studio ed una conoscenza ___________ 2
Cfr. Scheuermann, op. rec., p. 15-65.
La scuola storica e la prassi giudiziale di diritto comune
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precisa delle antiche fonti specie romanistiche. In questo quadro l’autore esamina approfonditamente la tendenza di Savigny e dei suoi contemporanei a dare uno sviluppo particolare allo studio dell’evoluzione storica degli istituti ed all’esegesi delle antiche fonti specie del Corpus Juris. Insieme ampio spazio è dato pure all’esame del problema del cosiddetto purismo romanistico della scuola storica, cioè della tendenza a rivalutare le antiche fonti romane ed ad espurgare dal sistema di diritto romano comune il bagaglio di soluzioni tralatizie ereditate dalla scuola dei pratici e dall’epoca dell’usus modernus. All’esame di ciascuna di queste tipiche posizioni della scuola storica, l’autore fa seguire un’approfondita analisi della giurisprudenza contemporanea per stabilire in che misura questa fu condizionata da tali atteggiamenti metodologici. L’analisi dello Scheuermann è estremamente accurata e le ampie indicazioni bibliografiche nelle note fanno testimonianza dell’imponente massa di materiale giurisprudenziale esaminato. Il risultato potrebbe apparire un poco deludente, poiché l’analisi compiuta, in effetti, non permette – come l’autore stesso confessa – di stabilire in maniera assoluta la misura dell’influenza del metodo di Savigny sui tribunali tedeschi del tempo. Le indicazioni raccolte sono tuttavia di estremo interesse: così è singolare, per esempio, che specie negli anni successivi al 1840 in alcune sentenze compaiano approfonditi esami dell’evoluzione storica delle norme romane da applicare; talvolta tale esame storico si rende necessario in conseguenza delle argomentazioni di una parte, che assume, per esempio, essere la norma abrogata per desuetudine, o non essere stata come tale compresa nella recezione del diritto romano-comune; altre volte, invece, si tratta di vere e proprie indagini storico-antiquarie, che mirano ad esempio, all’esegesi di un passo delle fonti romane, e che si inseriscono come una parentesi nell’ambito della motivazione di una sentenza. L’autore mette giustamente in luce come nelle decisioni dei tribunali tedeschi dell’epoca anteriore, osservazioni del genere fossero del tutto impensabili e come quindi tali sentenze testimonino indirettamente dell’apertura anche nel mondo dei pratici di fronte alle esigenze metodologiche e culturali provenienti dall’Università. Tale fenomeno non deve essere tuttavia sopravalutato: da un canto si tratta di alcune sentenze isolate, d’altro canto un esame concreto della giurisprudenza del tempo fa sorgere l’impressione – e l’autore stesso ne conviene – che i tribunali tedeschi non siano andati al di là di qualche omaggio verbale alle tesi metodologiche della scuola storica e che essi in realtà, abbiano invece applicato il diritto romano comune ricollegandosi in buona parte alla tradizione dell’usus modernus pandectarum. Alla realtà del diritto effettivamente applicato è dedicata appunto, la seconda ampia parte dell’indagine3. Qui l’influenza della scuola storica sulla contemporanea prassi dei tribunali, viene esaminata prendendo come pietra di paragone ___________ 3
Cfr. Scheuermann, op. rec., p. 75-110.
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alcuni specifici problemi. Anche a questo riguardo l’autore segue il medesimo criterio di lavoro già adottato precedentemente: in un primo tempo vengono esaminate le opinioni dei rappresentanti della scuola storica sulla questione; in un secondo momento viene addotta la giurisprudenza sul punto per stabilire in che misura l’atteggiamento del tribunali corrisponda o diverga da quello degli autori. L’autore sceglie come banco di prova della sua indagine alcune questioni, esemplari a suo avviso per lumeggiare l’influenza delle dottrine della scuola storica; influenza quest’ultima che può estrinsecarsi in varie forme: in nuovi sviluppi dogmatici, come ad esempio nella teoria del diritto consuetudinario del Puchta4 o nella costruzione della figura del negozio reale astratto, risalente come è noto al Savigny5; oppure nella rivalutazione di principi accolti nelle fonti romane classiche e nel contemporaneo rifiuto degli sviluppi e delle modificazioni introdotte dalla prassi dell’usus modernus, come per es. riguardo al problema dell’efficacia del contratto a favore di terzo6. Come l’autore stesso conviene, l’analisi della giurisprudenza sulle questioni scelte ad esempio non conduce ad un risultato univoco ed unitario. Una testimonianza di sicura influenza della dottrina sulla prassi è certamente riscontrabile nel problema del diritto consuetudinario, problema che ebbe nel sistema di diritto romano comune un’importanza centrale; l’analisi dell’autore al riguardo dimostra in maniera convincente che la tesi di Puchta, il quale fece perno sull’ “opinio necessitatis” per definire la consuetudine, venne accolta in maniera completa ed indiscussa nella giurisprudenza dei tribunali del tempo. Gli altri esempi addotti, testimoniano al contrario una più o meno marcata resistenza della prassi rispetto alle formulazioni teoriche della dottrina. Ciò è sicuramente riscontrabile in materia di contratto a favore di terzo; come è noto gli autori della scuola storica negarono l’efficacia di simili contratti; l’analisi dello Scheuermann mostra come in realtà tuttavia la prassi, ricollegandosi alle soluzioni dell’usus modernus, non seguì la dottrina nel suo purismo romanistico e nel diritto applicato riconobbe l’efficacia di negozi siffatti ponendo le basi della disciplina dettata al riguardo dai compilatori del BGB. Anche in materia di traditio la prassi si fece condizionare solo parzialmente dalla dottrina; al riguardo l’autore ha esaminato un ampio materiale giurisprudenziale; delle numerose sentenze analizzate solo tre in realtà possono essere indicate dall’autore come sicuramente ispirate dalla teoria dogmatica del negozio reale ed astratto. Forse anche per queste ultime potrebbero tuttavia avanzarsi dei dubbi, se esse, al di là dell’omaggio verbale alla nuova costruzione dottrinale, rappresentino effettivamente un cambiamento d’indirizzo nella prassi dei rispettivi tribunali; tali sentenze, infatti, riguardano tutte quante l’ipotesi di esercizio della condic___________ 4
Cfr. Scheuermann, op. rec., p. 75-96. Cfr. Scheuermann, op. rec., p. 97-103. 6 Cfr. Scheuermann, op. rec., p. 103-110. 5
La scuola storica e la prassi giudiziale di diritto comune
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tio indebiti essendo la consegna della cosa avvenuta in base ad un titolo nullo o putativo; il negare l’ammissibilità in questa ipotesi di una reivindicatio se è in armonia colla teoria savigniana del negozio astratto di consegna, non rappresenta tuttavia come tale nessuna rottura colla prassi anteriore: come è noto, e come lo Scheuermann stesso mette in luce7, i pratici dell’usus modernus, pur essendo legati ad una concezione causale della traditio, ammisero pur tuttavia quasi unanimemente il passaggio della proprietà anche nell’ipotesi di iusta causa nulla vel putativa. L’atteggiamento riservato della prassi nei confronti delle nuove elaborazioni teoriche della dottrina è confermato ad avviso dell’autore anche dalla circostanza che nella giurisprudenza dell’epoca non è individuabile un ricorso frequente, come nella dottrina contemporanea, ad argomenti sistematici e giuridico-concettuali. L’analisi del materiale giurisprudenziale offerta sul punto dallo Scheuermann è convincente; meno convincente forse l’ipotesi da lui avanzata che dietro certe formulazioni quali “natura del rapporto”, “natura del diritto” e simili, ricorrenti in non poche sentenze, si nasconda, in polemica proprio colle tendenze della dottrina dell’epoca, un ricorso all’argomento giusnaturalistico della “natura delle cose”. Ciò può forse essere esatto in alcuni casi, può essere un’ipotesi azzardata in altri. Come il Coing mette giustamente in luce, in alcune pagine disgraziatamente non tenute presenti dallo Scheuermann8, il ricorso all’argomento della “natura delle cose” pare essere utilizzato nella prassi dei tribunali tedeschi del XIX. secolo come un criterio di giustizia materiale; tale formulazione comparirebbe tuttavia non sempre nello stesso senso e con lo stesso significato. Al riguardo sarebbe necessario un controllo sistematico del linguaggio utilizzato nelle sentenze del tempo. Sulla base di alcuni esempi, anche significativi, mi pare azzardato fare delle generalizzazioni.
D. Valutazione critica dei risultati L’autore riassume il risultato dell’analisi compiuta, osservando come non si possa dare una risposta univoca al problema dell’influenza della scuola storica sulla prassi dei tribunali tedeschi dell’epoca; un esame delle fonti mostrerebbe un complesso di testimonianze contrastanti. In sintesi egli ritiene tuttavia di poter osservare che i tribunali tedeschi delle dottrine della scuola storica valutarono in sostanza gli aspetti pratici e che essi recepirono le nuove teorie professate ___________ 7
Cfr. Scheuermann, op. rec., p. 98. Cfr. Coing, Das Verhältnis der positiven Rechtswissenschaft zur Ethik im 19. Jahrhundert, in: Blühdorn/Ritter (ed.), Recht und Ethik. Zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrhundert, Frankfurt 1970, p. 21-22; l’autore avrebbe potuto tener presente pure Neusüss, Gesunde Vernunft und Natur der Sache. Studien zur juristischen Argumentation im 18. Jahrhundert. (Schriften zur Rechtsgeschichte 2), Berlin 1970. 8
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nelle Università nella misura in cui tali dottrine risposero alle esigenze della pratica del diritto9. Tale conclusione è convincente e conferma la tesi avanzata in particolare dal Wieacker10, che le dottrine ed il bagaglio concettuale elaborati dalla pandettistica s’imposero con tanta maggiore efficacia quanto maggiormente corrisposero alle esigenze del commercio giuridico contemporaneo11. Al di là di ciò non rimane da osservare che un’influenza genericamente culturale. L’autore si è preso cura di controllare in un amplissimo materiale giurisprudenziale tutte le citazioni di dottrina che rinviano ai principali autori del tempo. In realtà un controllo formale della frequenza delle citazioni delle opere di Savigny nelle sentenze dell’epoca, se non permette un giudizio complessivo sull’influenza delle sue dottrine sulla prassi, consente tuttavia di mettere in luce in che misura culturalmente l’ambiente dei magistrati del tempo fu condizionato dalle nuove idee provenienti dall’Università. Sullo stesso piano possono essere posti gli interessi storici di certi giudici rivelati dalle osservazioni storicogiuridiche contenute in alcune sentenze, sulle quali lo Scheuermann mette particolarmente l’accento. Non si tratta, a mio avviso, se non di una chiara testimonianza dell’influenza dell’insegnamento dei nuovi Maestri nelle Università: non è un caso che tale tendenza si presenti marcata negli anni successivi al 1840, quando appunto la prima generazione di giuristi che avevano studiato con Savigny entrarono nelle aule dei Tribunali. All’importanza dell’influenza dell’insegnamento giuridico universitario l’autore avrebbe potuto dedicare una maggiore attenzione. E’ appunto in questo quadro, per esempio, che diventa comprensibile la progressiva reciproca divisione in Germania tra l’ambiente universitario e quello dei giuristi pratici; l’autore ne pone gli inizi al principio del XIX secolo, e la riconduce principalmente12 alle tendenze sistematiche e teoriche dei giuristi giusnaturalisti del tempo; in realtà non meno decisiva per questa evoluzione fu, almeno in Prussia, la progressiva trasformazione degli studi di giurisprudenza: con l’introduzione del “Referendariato” la preparazio-
___________ 9
Cfr. Scheuermann, op. rec., p. 113. Cfr. in particolare Wieacker, Pandektenwissenschaft und Industrielle Revolution, in: Juristen-Jahrbuch 9 (1968-1969), p. 1-28, specificamente p. 13. 11 Naturalmente, dato il carattere puramente esemplare dell’analisi compiuta dallo Scheuermann, i suoi risultati non possono che essere provvisori. Come giustamente è stato messo in luce (cfr. Luig, Recensione del lavoro dello Scheuermann, in: Sav. Z. Rom. Abt. 90 (1973), p. 522-526, in particolare p. 525-526) per avere un quadro veramente preciso del comportamento della prassi tedesca di diritto romano comune nel sec. XIX, bisognerebbe procedere altrimenti ad una precisa e specifica analisi di diritto materiale, che abbracci tutto l’arco del diritto privato. Lo Scheuermann avrebbe potuto tuttavia sfruttare le numerose monografie di Dogmengeschichte che sono apparse negli ultimi anni. 12 Cfr. Scheuermann, op. rec., p. 7. 10
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ne dei giovani giuristi fu sottratta in parte alla Università e fu trasferita nell’Amministrazione e nei Tribunali sotto la regia dei giuristi pratici13. Due mi pare possono essere gli appunti, che crederei di muovere a questa indagine senza volerne tuttavia sminuire l’interesse ed i meriti. Da un punto di vista generale, mi pare che il criterio cronologico adottato per delimitare il materiale giurisprudenziale da esaminare non sia dei più felici14. Prendendo come dies ad quem il 1861, data della morte di Savigny, l’autore si rifugia in un criterio formalistico ed esclude dall’indagine tutta una serie di sentenze che integrerebbero ampiamente il quadro dell’analisi da lui compiuta. Così, per esempio, in materia di negozio astratto di consegna, egli avrebbe potuto citare una sentenza dell’Obergericht di Wolfenbüttel dell’anno 186615, in cui il Tribunale fa propria, riportandola testualmente, la definizione di iusta causa traditionis formulata dal Puchta. Qualche appunto mi pare possa essere mosso pure a quanto l’autore osserva riguardo al cosiddetto “purismo romanistico” della scuola storica ed ai suoi riflessi sulla prassi giudiziale. Colla scuola storica si assisterebbe ad un ritorno alle soluzioni delle fonti del diritto romano classico e ad un contemporaneo abbandono di numerose dottrine della tradizione dell’usus modernus; contemporaneamente si verificherebbe anche una certa “Nachromanisierung” della prassi giudiziale16. Mi pare che al riguardo si debba distinguere tra le indagini esegetiche che compaiono in certe sentenze e che sono, come abbiamo visto, testimonianza di nuovi interessi culturali, ed il problema se nel diritto applicato del tempo vi sia stato un ritorno al “puro diritto romano”. Ciò mi pare che vada senz’altro negato. Mi pare sia un equivoco parlare riguardo al “reines römisches Recht” della scuola storica di una progressiva “Nachrezeption” in Germania del diritto romano classico. In realtà gli autori del tempo ricorsero alle fonti del Corpus Juris con un’ampia libertà; lo Scheuermann stesso accenna17, ma a mio avviso non a sufficienza, come i civilisti tedeschi del tempo non fossero sempre pedissequamente fedeli alle fonti. In realtà Savigny ed i suoi scolari ricorsero ad un diritto romano filtrato attraverso le loro concezioni sistematiche ed il loro bagaglio concettuale. Un breve sguardo alla letteratura del tempo è sufficiente per convincersi di ciò. Così per esempio il Dernburg poteva osser___________ 13
Cfr. sul punto da ultimo Bake, Die Entstehung des dualistischen Systems der Juristenausbildung in Preussen, Dissertation, Kiel 1971. 14 Cfr. sul punto anche Otte, Recensione del lavoro dello Scheuermann, in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 2 (1973), p. 769-773, in particolare p. 770. 15 Cfr. Obergericht Wolfenbüttel, 27 febbraio/13 marzo 1866, in: Seuffert’s Archiv 22 (1869), n. 17, p. 30 ss. 16 Cfr. Scheuermann, op. rec., p. 33 ss. 17 Cfr. Scheuermann, op. rec., p. 40-43, p. 96.
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vare18 verso la metà del secolo in materia di negozio astratto e di una relativa antinomia nelle fonti – proprio uno dei problemi esemplarmente analizzati dallo Scheuermann: „Es kann nicht mehr unsere Tendenz sein, um jeden Preis einen noch so äußerlichen Vereinigungsversuch zu machen”, „seit wir uns […] mehr und mehr gewöhnen, unsere Rechtsquellen mit Freiheit zu behandeln, haben solche Versuche […] ihren Werth verloren”. Conseguentemente egli poteva far presente che il principio dell’autonomia del rapporto causale dall’atto di consegna „nirgends ausdrücklich im römischen Recht formuliert sei. Wir müssen ihn aber abstrahieren aus Untersätzen, aus Entscheidungen, die sich allein aus ihm herleiten lassen und auf ihn zurückführen”. La letteratura civilistica del tempo è piena di osservazioni analoghe. In realtà quindi il problema che si pone è in che misura questa rielaborazione sistematico-concettuale delle fonti romane trovò effettivo accoglimento nella prassi giudiziale dell’epoca.
E. La prassi di diritto comune in Italia A lettura conclusa, e nonostante gli appunti che talora si è creduto di dover fare, il giudizio da esprimere rimane sostanzialmente positivo. L’esposizione si presenta chiara e scorrevole, il linguaggio sciolto e moderno. L’informazione ordinata, precisa, estremamente accurata. Un’ottima indagine insomma, che si pone al livello della migliore tradizione dei lavori di dottorato presso le università tedesche, e che costituisce indubbiamente un arricchimento della letteratura storico-giuridica. La lettura dell’indagine dello Scheuermann è stimolante di tutta una serie di interessanti interrogativi, e ciò anche per il lettore italiano. Anche in Italia, come è noto, durante il secolo scorso trovò applicazione in alcuni Stati (in particolare nel Granducato di Toscana e nello Stato pontificio) il diritto romano comune. È suggestivo porsi la domanda in che misura l’applicazione del diritto romano comune nei tribunali toscani e pontifici fu influenzata dai nuovi metodi storici di studio del diritto romano, che, impostisi in Germania, trovarono in quei decenni anche in Italia divulgatori attenti. La giurisprudenza di tali tribunali in quest’epoca è ancora troppo poco studiata per poter avanzare una risposta sia pure provvisoria a tale quesito. È significativo tuttavia che la prassi di diritto romano comune della Rota toscana e della Rota romana venne in quegli anni giudicata positivamente anche da alcuni giuristi tedeschi dell’epoca. Così nel 1842 il Mittermaier19 poteva scrivere riguardo alle sentenze toscane „Die römischen Fragmente sind verständig angewendet, und ___________ 18
Cfr. Dernburg, Beitrag zur Lehre von der justa causa bei der Tradition, in: AcP 1857, p. 1-23, in particolare p. 2 in fine e p. 23. 19 Cfr. Mittermaier, Ueber die Fortschritte der juristischen Literatur und den Zustand des Rechtsstudiums in Italien, in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes 14 (1842), p. 136 ss., in particolare p. 574.
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da, wo sie die Richter anführen, enthalten die Entscheidungsgründe eine klare und richtige Prüfung des wahren Geistes jener Stellen”. Mi pare d’altronde degno di nota che la produzione giuridica della scuola storica e pandettistica tedesca non rimase ignota agli ambienti della Rota Romana. Significativo è per esempio il fatto che il “Giornale del Foro” dell’avvocato romano Bartolomeo Belli nelle sue rassegne bibliografiche pubblicasse regolarmente anche segnalazioni di opere tedesche, così per esempio del Muhlenbruch (1841, I, p. 51), del Sintenis (1845, I, p. 59), del Pfeiffer (1846-1847, I, p. 375) e di altri; così pure venne sempre pubblicato con grande considerazione il sommario dell’Archiv für die civilistische Praxis20. Anche ai giuristi pratici toscani non erano ignoti i metodi ed i risultati della scuola storica tedesca. Come testimoniano Savigny21 e Mittermaier22, il Prof. Conticini aveva addirittura studiato a lungo ad Heidelberg ed a Berlino quando era già avvocato. Anche i professori Capei e Bonaini dell’Università di Pisa erano legati a studiosi tedeschi e ne avevano tradotto pure delle opere23. In che maniera la prassi dei tribunali toscani e romani fu influenzata da questi scambi culturali non è possibile qui dire. Un esempio è forse riscontrabile in una tarda sentenza della Rota Romana in materia di usucapione delle servitù discontinue24, in cui abbandonando la tesi tradizionale risalente a Bartolo della necessità di un possesso immemorabile, venne accolta la tesi della sufficienza della prescrizione longi temporis; tale rovesciamento della giurisprudenza sarebbe ad avviso dello Schupfer25 da ricondurre alla “benefica influenza che la scuola storica ha pur esercitato a pro di una limitata trasformazione del diritto comune, avvenuta segnatamente nell’ultimo decennio di vita di quel sapiente tribunale […] tutto il contesto della decisione dimostra come la nuova convinzione dei magistrati non datasse da allora, ed anzi risalisse assai tempo addietro, frutto di studi più profondi e più scientifici”. Solo un’analisi casistica siffatta di questa giurisprudenza negli ultimi decenni potrebbe permettere di dare una risposta al quesito proposto. ___________ 20
Cfr. in particolare le osservazioni in „Giornale del Foro”, 1841, I, p. 223. Cfr. Savigny, Über den juristischen Unterricht in Italien, in: Vermischte Schriften, Berlin 1850, IV, p. 309. 22 Cfr. Mittermaier, in: Kritische Zeitschrift (Fn. 19) 24 (1852), p. 470. 23 Sulla diffusione e traduzione delle opere degli autori della scuola storica cfr. Ranieri, Le traduzioni e le annotazioni di opere giuridiche straniere nel secolo XIX come mezzo di penetrazione e di influenza delle dottrine, in: La formazione storica del diritto moderno in Europa. Atti del III Congresso internazionale della Società italiana di storia del diritto, Firenze 25-29 aprile, Firenze 1977, III, p. 1487-1504, [in diesem Band S. 51]. 24 Cfr. Rota Romana, 1.10.1865 “Centumcellarum transitus“ coram Cajani. 25 Cfr. Schupfer, Scienza e pazienza del domino nell’usucapione delle servitù secondo il diritto romano e comune, in: Foro italiano 1897, I, col. 322 ss.; cfr. sul punto anche Bigiavi, Appunti sul diritto giudiziario, in: Studi Urbinati 7 (1933), p. 89-116, in particolare p. 97 ss. 21
Die Lehre der abstrakten Übereignung in der deutschen Zivilrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts* A. Die Lehre vom titulus et modus und ihre Verdrängung 1. Die Lehre vom „abstrakten dinglichen Vertrag“ geht auf Savigny zurück und wird allgemein als eine seiner wichtigsten, folgenreichsten Schöpfungen angesehen. Bevor ich auf die damit verbundene methodische und dogmatische Problematik eingehe, erscheint es mir sinnvoll, in einer gedrängten Form die Entwicklung dieser Lehre kurz zu schildern1. a) Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Savigny das Institut der Tradition in der aus dem Usus modernus überlieferten Lehre vom modus et titulus adquirendi fand. Dort hatte die iusta causa traditionis der römischen Quellen ihre systematische Einordnung gefunden. Es erscheint mir an dieser Stelle nicht geboten, im Einzelnen auf die damals herrschende Lehre einzugehen. Hier sei nur auf die Ausführungen von Glück2 verwiesen, in denen er die damals herrschende Auffassung über die traditio zusammenfassend darstellt: Das Eigentum wird auf Grund eines Titels erworben, welcher „die rechtmäßige Ursache“ (iusta causa oder iustus titulus) ist. Normalerweise handelt es sich dabei um das Rechtsgeschäft, auf Grund dessen die Übereignung erfolgen soll. Außerdem ist die Übergabe der Sache erforderlich (modus adquirendi). Sie stellt lediglich ei___________ * Zuerst erschienen in: Coing/Wilhelm, Die rechtliche Verselbständigung der Austauschverhältnisse vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung und Doktrin (Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. II), Frankfurt a. M. 1977, S. 90-111. Siehe auch Ranieri, Brevi note sulla origine della nozione di negozio reale ed astratto, in: TRG 1970, S. 315-352. 1 Vollständige Literaturübersicht zu dieser Frage bei Ranieri, Brevi note sulla origine della nozione di negozio reale ed astratto, in: TRG 1970, S. 315-352, insbes. S. 316-317. Siehe ferner de los Mozos, La doctrina de F.C. von Savigny en torno a la transmisión del dominio, in: Revista general de legislación y jurisprudenica, Año CXVI, Segunda epoca tomo LV (1967), S. 72-141, insbes. S. 128-133; Meinig, Die Entwicklung der Lehre von der Handschenkung, Diss. jur., Frankfurt a. M. 1972, insbes. S. 128 ff.; Scheuermann, Einflüsse der historischen Rechtsschule auf die oberstrichterliche gemeinrechtliche Zivilrechtspraxis bis zum Jahre 1861 (Münsterische Beiträge, 3. Rechts- und Staatswissenschaft 17), Berlin 1972, insbes. S. 96 ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des Privatrechts I: Grundlagen, Tübingen 1971, insbes. S. 213 ff. 2 s. Glück, Ausführliche Erläuterungen der Pandekten nach Hellfeld, Erlangen 1807 (6. Buch, I. Titel, §§ 578-579), VIII, S. 89 ff.; s. weitere Literaturhinweise bei Ranieri, Brevi note (Fn. 1), S. 328.
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nen Naturalakt dar. Demgemäß kann die bloße Übergabe ohne gültiges Kausalgeschäft die Eigentumsübertragung nicht bewirken3. Dies im Prinzip. Freilich hinderte ein Dissens über eine konkrete causa (z. B. credendi und solvendi) den Eigentumsübergang nicht, wenn Einigkeit über das dauernde Behaltensollen des Empfängers bestand. So wurde etwa eine causa solvendi putativa allgemein als hinreichend angesehen4. b) Zu Beginn der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts aber machten sich in der Doktrin neue Tendenzen bemerkbar, welche über die überlieferte Lehre hinausführten. Nach den Forschungen Felgentraegers5 sind diese neuen Bestrebungen auf Savignys Einfluss zurückzuführen. Wie die Kollegnachschriften beweisen, hatte Savigny bereits in den Jahren 1815/16 die Titulus-Lehre für die Übereignung verworfen. Dabei entwickelte er den Gedanken, dass die Übergabe, die in Erfüllung eines Kaufvertrages oder eines anderen auf Eigentumswechsel gerichteten Vertrags erfolge, nicht bloß ein rein tatsächlicher Vollzugsakt sei, sondern einen dinglichen Vertrag enthalte. Die in den Quellen als iustae causae bezeichneten Rechtsgeschäfte dienten nur als Anhaltspunkte für die Erkenntnis des Übereignungswillens. Dies führte er später im System und im Obligationenrecht im Einzelnen aus. Die Lehre Savignys fand sehr früh Anhänger. Schon bevor System und Obligationenrecht erschienen waren, trugen Schüler, wie etwa Regenbrecht6 und Warnkönig7, seine Ansichten vor. Als in der Mitte des Jahrhunderts Savignys Lehre in seinen eigenen Werken veröffentlicht wurde, begann sie sich in der Doktrin langsam, aber unaufhaltsam durchzusetzen. c) Auf die methodischen und dogmatischen Hintergründe dieser theoretischen Konstruktion der Übereignung werde ich sogleich noch ausführlich zurückkommen. Hier ist nur darauf hinzuweisen, dass, von einzelnen Besonderheiten abgesehen, die damalige Doktrin weitgehend ein einheitliches Bild bietet: Die Tradition ist ein Vertrag, da – ich zitiere hier Savigny8 – „alle Merkmale des Vertragsbegriffs darin wahrgenommen werden: denn sie enthält von beiden Seiten die auf gegenwärtige Übertragung des Besitzes und des Eigenthums gerichtete Willenserklärung“; das obligatorische Verpflichtungsgeschäft wird auf die Rolle des Motivs für die Eigentumsübertragung beschränkt. Indem man ___________ 3
Glück, Ausführliche Erläuterungen (Fn. 2), S. 113. Nachweise bei Ranieri, Brevi note (Fn. 1), S. 326 ff. 5 s. Felgentraeger, Friedrich Carl v. Savignys Einfluss auf die Übereignungslehre (Abhandlungen der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig 3), Leipzig 1927, insbes. S. 26 ff. 6 Regenbrecht (Hrsg.), Commentatio ad L. XXXVI, D. de Acquirendo Rerum Dominio et L. XVIII D. de Reb. Cred., Berolini 1820. 7 Warnkönig, Bemerkungen über den Begriff der iusta causa bei der Tradition, in: AcP 1831, S. 111 ff. 8 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, III, Berlin 1840, S. 312. 4
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den Übereignungswillen als genügend bezeichnete, wurde die Gültigkeit der Übereignung von dem hier zugrunde liegenden obligatorischen Verpflichtungsgeschäft gelöst. Schon Savigny war zu dieser Schlussfolgerung gelangt. In Anlehnung an die römischen Quellen wies er allerdings nur auf den Fall des Irrtums hin. „Eine aus Irrtum entsprungene Tradition“, schrieb er in seinem Obligationenrecht, „ist vollgültig.“9 Bei den Nachfolgern Savignys wurde dieser Gedanke konsequent durchgeführt; so deduzierte z. B. Bähr10: „Die Tradition als Eigentumsübertragung bildet einen von ihrem juristischen Grunde völlig getrennten und in ihrer nächsten Wirkung unabhängigen Rechtsakt […] Causa heißt der juristische Grund einer Vermögensübertragung gerade und ausschließlich alsdann, wenn letztere – wie die Eigentumsübertragung durch Tradition – zu ihrem Grunde im Verhältnis der Trennung und Unabhängigkeit, man kann sagen als abstrakte Vermögenszuwendung dasteht.“ Trotz vereinzelter Widerstände rückte die deutsche Pandektistik von diesem Standpunkt nicht mehr ab. „Die Tradition ist ein Formal-, nicht ein Materialakt“, schrieb Windscheid11, „der Wille als solcher erzeugt rechtliche Wirkung, nicht der Wille in Verbindung mit seinem Bestimmungsgrund.“ d) Die Übereignungslehre Savignys blieb nicht auf die gemeinrechtliche Literatur beschränkt. Sowohl das ALR als auch das ABGB standen bei der Behandlung der Tradition fest auf dem Boden der Lehre von titulus et modus. Dies hinderte jedoch die pandektistisch geschulten Exegeten dieser Gesetzbücher nicht daran, die dogmatische Konstruktion des abstrakten dinglichen Vertrages zu übernehmen. In Österreich ist etwa auf Unger hinzuweisen12. Im preußischen Recht wurde die Lehre Savignys schon in den vierziger Jahren von Roloff13 übernommen. Eine Durchsicht der gängigen Literatur, wie etwa des Handbuchs von Förster14 oder der Schriften von Gruchot15, zeigt, dass sie auch ___________ 9
Savigny, System (Fn. 8), III, Beylage VIII, S. 354. Bähr, Die Anerkennung als Verpflichtungsgrund. Zivilistische Abhandlung, 1. Aufl., Kassel 1855 [3. Aufl., Leipzig 1894; Neudruck Aalen 1970], § 4, S. 10-11. 11 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Auflage bearbeitet von Theodor Kipp, Frankfurt a. M. 1906, I, § 172, S. 888, n. 16a. 12 s. Unger, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, 5. Aufl., Leipzig 1892, II, § 72, S. 9 ff. Zur Rezeption der Lehre der abstrakten Übereignung ins österreichische Recht s. Zweigert/Kötz, Einführung (Fn. 1), S. 217; Neuner, Abstrakte und kausale Übereignung beweglicher Sachen, in: Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozessrecht des In- und Auslandes 14 (1926), S. 9-59, insbes. S. 23. 13 s. Roloff, Über den Erwerb des Eigenthums durch Uebergabe (Tradition) nach dem allgemeinen Landrecht, in: Juristische Wochenschrift für die Preußischen Staaten 12 (1846), Sp. 377 ff., Sp. 394 ff., Sp. 410 ff. 14 s. Förster, Theorie und Praxis des heutigen gemeinen preußischen Privatrechts auf der Grundlage des gemeinen deutschen Rechts, 3. Aufl., Berlin 1873, III, § 178, S. 219220; I, § 150, S. 438. 10
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im preußischen Recht, trotz mancher Widerstände, die herrschende Lehre wurde. Sogar bei der Behandlung des französischen Rechts, welches bekanntlich auf dem Boden des Konsens- und nicht des Traditionsprinzips steht, wurde von den damaligen deutschen Autoren auf die Lehre der abstrakten Übereignung zurückgegriffen. Ich weise hier z. B. nur auf die Abhandlungen von Crome hin16. 2. Diese kursorische Einführung möchte ich durch einige Hinweise auf das Eindringen der Savigny’schen Lehre in die damalige deutsche Judikatur und Gesetzgebung abschließen. a) Im Jahre 1866 bemerkte Ziebarth17, die Lehre vom titulus et modus adquirendi sei in der Rechtsprechung noch immer nicht ganz verdrängt. Viel später, in einem Urteil des Reichsgerichts aus dem Jahre 189618, wurde allerdings beiläufig bemerkt, dass die Lehre Savignys in der gemeinrechtlichen Praxis „Anklang gefunden“ habe. Unlängst hat Scheuermann die damalige deutsche Judikatur, allerdings nur bis zum Jahre 1861, eingehend untersucht19. Die Ausbeute einer Auswertung der vielen einschlägigen Entscheidungen ist verhältnismäßig geringfügig; trotzdem lässt sie die Feststellung zu, dass sich die damaligen Gerichte immer mehr die Savigny’sche Konzeption zu eigen gemacht haben. Scheuermann weist mindestens drei Entscheidungen aus der Mitte des Jahrhunderts nach, die eindeutig in Anlehnung an die Konstruktion Savignys verfasst wurden. Man kann ferner auf eine Entscheidung des Obergerichts Wol___________ 15
s. Gruchot, Glossen zum Allgemeinen Land-Recht. ALR Th. I. Tit. 10. Von der mittelbaren Erwerbung des Eigenthums, in: Beiträge zur Erläuterung des Preußischen Rechts durch Theorie und Praxis 8 (1864), S. 402 ff., insbes. S. 432-434, S. 445-447. Siehe ferner Bornemann, Ueber die Wirkung der Tradition auf Grund anfechtbarer Verträge, in: Preußische Gerichtszeitung 1860, S. 23 ff.; Baron, Abhandlungen aus dem Preußischen Recht, Berlin 1860, Nr. 2. Der Titel bei dem Erwerb des Eigenthums durch Tradition, S. 48-114; Dernburg, Lehrbuch des Preußischen Privatrechts und der Privatrechtsnormen des Reichs, 5. Aufl., Halle a. S. 1894, I, § 238, S. 576-577. Zur Rezeption der Lehre der abstrakten Übereignung ins preußische Recht s. Brandt, Eigentumserwerb und Austauschgeschäft, Leipzig 1940, S. 72-74, S. 110-111. 16 s. Crome, Der Begriff der causa bei den Rechtsgeschäften und der Inhalt und das Anwendungsgebiet der Art. 1131 bis 1133 Code civil. Zugleich ein Beitrag zur Lehre vom dinglichen und abstrakten Vertrag, der Anerkennung und dem Modus (unter vergleichender Berücksichtigung der Bestimmungen des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich), in: Zeitschrift für das französische Zivilrecht 21 (1891), S. 304 ff., insbes. S. 314-354; anders noch Windscheid, Zur Lehre des Code Napoleon von der Ungültigkeit der Rechtsgeschäfte, Düsseldorf 1847, insbes. S. 302. 17 Ziebarth, Die Realexekution und die Obligation, mit besonderer Rücksicht auf die Miethe erörtert nach römischem und deutschem Recht im Vergleich mit dem preußischen Recht, Heidelberg 1866, S. 202. 18 s. RG, Urt. v. 26.2.1896, in: JW 1896, S. 211, Nr. 47. 19 s. Scheuermann, Einflüsse (Fn. 1), S. 100-103.
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fenbüttel aus dem Jahre 186620 hinweisen, wo die einschlägigen Lehren Puchtas wortmäßig übernommen wurden. Am Ende des Jahrhunderts schließlich ließ sich die reichsgerichtliche Judikatur zum größten Teil von dieser dogmatischen Konstruktion leiten. b) Auch die damaligen deutschen Kodifikationswerke bieten ein ähnliches Bild. Bis zur Mitte des Jahrhunderts blieb man fest auf dem Boden der überlieferten Lehre vom titulus et modus21. Ich verweise hier etwa auf die beiden hessischen Entwürfe der vierziger Jahre22 und auf den ersten sächsischen Entwurf aus dem Jahre 185223. Eine Durchsicht der einschlägigen Vorschriften lässt eine Anlehnung an die Formulierung der entsprechenden Vorschrift des ABGB klar erkennen24. Um die Mitte des Jahrhunderts kam es zum Durchbruch. Hier ___________ 20 s. Obergericht Wolfenbüttel, Urt. v. 27.2./13.3.1866, in: Seuffert’s Archiv 22 (1869), Nr. 17, S. 30 ff. 21 So lautet z. B. Art. 413 Civil-Gesetzbuch für die Stadt und Republik Bern. Zweyter Theil. Sachen-Recht. Erstes Hauptstück. Dingliche Rechte, mit Anmerkungen von S. L. Schell, Bern 1827: „Zu der Erwerbung des Eigenthums ist erforderlich: 1) ein Titel oder ein rechtlicher Erwerbungsgrund, und 2) eine Erwerbungsart, oder eine äußere Handlung, durch welche sich derjenige, der einen Teil hat, den Eigenthums-Gegenstand zueignet.“ 22 So Art. 53 Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Großherzogthum Hessen nebst Motiven. Zweite Abtheilung, Titel III. Von dem Eigenthume, Darmstadt 1845: „Das Eigenthum an Sachen wird erworben durch Uebertragung im Gefolge eines rechtmäßigen Erwerbtitels. Der Erwerbtitel kann in einem Vertrage, in einem Vermächtnisse oder in einem richterlichen Urtheile bestehen.“ Vgl. dazu den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Großherzogthum Hessen nebst Motiven. Zweite Abtheilung, Zweiter Theil: Motive, Darmstadt 1845, S. 102. In der gleichen Formulierung wurde die Vorschrift in Art. 54 Revidierter Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Großherzogthum Hessen, Zweite Abtheilung […], Darmstadt 1851, wiederholt. 23 Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen Nebst allgemeinen Motiven und Inhaltsverzeichnissen, Dresden 1852, erschienen aber 1853, § 338: „Zur Uebertragung des Eigenthums von dem bisherigen auf einen neuen Eigenthümer wird ein dazu geeigneter Titel und Uebergabe der Sache erfordert“, und § 339: „Der Titel liegt in einem Vertrage, in einer Verfügung auf den Todesfall oder in dem richterlichen Ausspruche, gewährt aber, außer den durch Gesetz bestimmten Fällen, an sich kein dingliches, sondern nur ein persönliches Recht.“ Vgl. dazu die Speciellen Motive zu dem Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen, Dresden 1852, erschienen aber 1853, §§ 338 und 339. 24 s. in diesem Sinne die Kritik an dem ersten sächsischen Entwurf von Unger, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen mit besonderer Rücksicht auf das österreichische allgemeine bürgerliche Gesetzbuch besprochen von […], Wien 1853, S. 185-189, und von Wächter, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Sachsen. Ein Beitrag zur Beurtheilung desselben, Leipzig 1853, S. 30. Zum ersten hessischen Entwurf s. Arndts, Des hessischen Entwurfs zweite Abtheilung, in: Gesammelte Civilistische Schriften, Stuttgart 1874, III, S. 349 ff. (erschienen 1846 unter dem Titel: Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Großherzogthum Hessen. Zweite Abtheilung […], Rezension in den Kritischen Jahrbüchern Bd. XI, S. 799-835), insbes. S. 373: „[…] warum heißt es in Artt 53, 54 ‚im Gefolge ei-
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
sei auf den bayerischen Entwurf aus dem Jahre 186425 und hauptsächlich auf den zweiten sächsischen Entwurf26 sowie das entsprechende Gesetzbuch27 hingewiesen. Dort wurden die einschlägigen Vorschriften über die Tradition eindeutig in Anlehnung an die Definition der damaligen Doktrin formuliert. Ferner wurde die Loslösung der Eigentumsübertragung aus dem Causa-Verhältnis ausdrücklich festgelegt. Eine Durchsicht der Motive28 zu dieser Regelung zeigt, dass sie sich völlig in Savignys Gedankengängen bewegen29. Damit war die ___________ nes rechtmäßigen Erwerbtitels?‘ Hat man doch längst bemerkt, dass es nicht ganz genau sei, eine iusta causa praecedens zu erfordern.“ 25 s. Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Fortsetzung, München 1864, Art. 93: „Die Uebertragung des Eigenthums einer beweglichen Sache wird dadurch bewirkt, dass der bisherige Eigentümer den Besitz derselben in der Absicht der Eigenthumsübertragung einem Anderen überlässt und dieser denselben in der Absicht des Eigenthumserwerbes annimmt“, und Art. 93: „Durch die Meinungsverschiedenheit des Gebers und Empfängers hinsichtlich des Grundes der Uebertragung oder durch die irrige Voraussetzung eines zur Eigenthumsübertragung verpflichtenden Rechtsgeschäfts wird der Eigenthumsübergang nicht gehindert.“ Siehe dazu die Motive zum Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Fortsetzung, München 1864, insbes. S. 43-44. 26 Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen nebst allgemeinen Motiven und Inhaltsverzeichnis, Dresden 1860, § 264: „Durch Uebergabe wird das Eigenthum einer beweglichen Sache erworben, wenn der Besitz derselben in der Absicht, Eigenthum zu übertragen, übergeben wird.“ Für den Fall einer causa nulla vgl. allerdings § 267: „Liegt ein nichtiges Rechtsgeschäft zugrunde, so bewirkt sie keinen Uebergang des Eigenthumes. Irrthum über die Art des Geschäftes hindert den Uebergang des Eigenthumes nicht, wenn Uebereinstimmung darüber vorhanden ist, dass Eigenthum übergehen soll.“ S. dazu die Kritik von Unger, Der revidierte Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Sachsen kritisch besprochen, Leipzig 1861, S. 108: „… Diese Bestimmung muß in einem Entwurf, welcher der neueren Zeit sein Entstehen verdankt, gerechtes Befremden erregen. Erkennt man doch h. z. t. ziemlich allgemein an, dass die Wirksamkeit der Tradition unabhängig ist von der Beschaffenheit der sie veranlassenden Causa, und dass hiernach Eigenthum übergeht, wenn nur der Wille des Tradenten und des Empfängers auf Eigenthumsübergang gerichtet ist, mag immerhin der Rechtsgrund der Tradition ein nicht gebilligter sein.“ 27 s. §§ 253 und 256 Sächsisches BGB in derselben Fassung des zweiten Entwurfs. Die von § 267 des zweiten Entwurfs vorgesehene Einschränkung des Abstraktionsprinzips fiel aus. 28 s. die Speciellen Motive und Publications-Verordnung zu dem Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen, in: Landtags-Akten vom Jahre 1860-1861. Erste Abtheilung Bd. III, Dresden 1861, zu den §§ 264-267; s. ferner Landtags-Acten vom Jahre 1860-1861. Beilagen zu den Protokollen der ersten Kammer, Dresden 1861, I, S. 571. Zur Entstehungsgeschichte dieser Vorschriften s. Brandt, Eigentumserwerb (Fn. 15), S. 110. 29 Aus der damaligen Literatur s. Siebenhaar; Lehrbuch des Sächsischen Privatrechts, Leipzig 1872, § 194, S. 319-320; Schmidt, Vorlesungen über das in dem Königreiche Sachsen geltende Privatrecht, nach dessen Tode herausgegeben, Leipzig 1869, I, § 56, S. 202; Grützmann, Lehrbuch des Königlich Sächsischen Privatrechts, I. Band: Allgemeine Lehren und Sachenrecht, Leipzig 1887, § 104, S. 363; Siebenhaar, Kommentar zu dem bürgerlichen Gesetzbuche für das Königreich Sachsen, Band I: Die
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Diskussion auf gesetzgeberischem Gebiet nunmehr abgeschlossen. Bei den Vorarbeiten zum BGB war das (abstrakte) Vertragsprinzip bei der Übereignung einer der Punkte, worüber seit dem Vorentwurf von Johow30 kaum noch diskutiert wurde. Die erste Kommission ließ sich hierüber auf keine weiteren Erörterungen ein31: kurz und unfreundlich wurden Meinungen abgetan, die das Wesen der Eigentumstradition als dinglichen Vertrag „verkennen oder verdunkeln“32. Ebenso wurde der „aus gewichtigem Grunde angenommene Grundsatz der Unabhängigkeit der Eigentumsübertragung von ihrem Rechtsgrunde“33 auch bei der zweiten Kommission kaum noch zur Diskussion gestellt.
B. Savignys Argumentation und ihre dogmatische Schöpfung Mit dieser Schilderung sind die Leitgedanken unserer Lehre und ihre Entwicklung umrissen. Nun möchte ich aber zunächst auf eine Frage eingehen, die zum Verständnis dieser dogmatischen Konstruktion von grundsätzlicher Bedeutung ist. Es wurde in der Vergangenheit häufig behauptet, Savigny sei durch ein Missverständnis der römischen Quellen zu seiner Schöpfung gelangt. Dies ist bei manchen Autoren fast ein locus communis geworden34. Ich glaube allerdings nicht, dass man damit einer Deutung der Lehre Savignys näher kommt. ___________ Publicationsverordnung, der allgemeine Theil und das Sachenrecht, bearbeitet von E. Siebenhaar und Georg Siegmann, Leipzig 1864, zu § 253. 30 Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs. Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich … Buch: Sachenrecht, nebst Begründung. Vorlage des Redaktors R. Johow, Berlin 1880-1882, § 132: „Das Eigenthum an einer beweglichen Sache wird im Falle der Uebertragung erworben durch die in dieser Absicht erfolgte Uebergabe der Sache von seiten des Eigenthümers an den Erwerber“, und § 133: „Der Uebergang des Eigenthums wird in den Fällen des § 132 nicht gehindert durch die Meinungsverschiedenheit der Betheiligten über den Grund der Uebertragung, auch nicht durch die irrige Voraussetzung eines zu der Uebertragung verpflichtenden Rechtsgeschäftes.“ Aus der Begründung vgl. insbesondere S. 635-639. 31 s. Protokolle der ersten Kommission (Entwurf I, Handschrift im Max-PlanckInstitut für europäische Rechtsgeschichte, unter Deutsch. 9 Bk 48), Sitzung vom 26.3.1884, Nr. 327, S. 3989-3992, insbes. S. 3992 zu § 232 des Vorentwurfs von Johow. 32 s. Mugdan, Gesamte Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich …, III. Band: Sachenrecht, Berlin 1899, S. 339; s. ferner S. 103 ff. Für eine allgemeine Darstellung s. Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des BGB (Münsterische Beiträge zur Rechts- und Staatswissenschaft 10), Berlin 1966, insbes. S. 100-103, S. 118-119, S. 144-145. 33 s. Mugdan, Gesamte Materialien (Fn. 32), III, S. 626; s. ferner Schubert, Die Entstehung (Fn. 32), S. 161; Brandt, Eigentumserwerb (Fn. 15), S. 116-119. 34 Nachweise bei Ranieri, Brevi note (Fn. 1), S. 318 n. 7.
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1. Es erscheint mir zunächst wichtig, in dieser Hinsicht die quellenmäßige Begründung, die Savigny und seine Schüler bei der Erörterung der Traditionslehre anführten, genau zu analysieren. Hier interessiert natürlich nicht, ob eine bestimmte Auslegung des Corpus iuris richtig ist oder nicht, sondern nur, in welcher Form man mit den Quellen argumentierte. a) Als erstes Beispiel bietet sich etwa die Frage der iusta causa traditionis an. Wie die Kollegnachschriften beweisen, wollte Savigny die überlieferte Auffassung widerlegen, die iusta causa sei das obligatorische Verhältnis, auf Grund dessen man die Übereignung der Sache verlangen könne. Bereits im Jahre 1815 war seine Lehre weitgehend entwickelt. Es war das Recht der Handschenkung, welches das ausschlaggebende Argument lieferte: „Wenn einer einem Bettler ein Stück Geld gibt, wo ist denn ersteres und zweites zu finden […] Es ist kein Vertrag, es ist nichts vorhergegangen.“35 Savignys Antwort darauf war äußerst einfach36: „Die Absicht des Gebers macht den Beschenkten zum Eigentümer, nichts anderes.“ „Man vergisst“, schrieb er im System37, „daß die nachfolgende Tradition auch ein Vertrag ist […] Die Verwechselung wird recht anschaulich durch die selteneren Fälle der Tradition ohne vorhergehende Obligation, wie beim Geschenk an einen Bettler, das einen wahren Vertrag enthält ohne alle Obligation, bloßes Geben und Nehmen in übereinstimmender Absicht.“ Savigny zweifelte nie, eine den Quellen ganz entsprechende Lehre entwickelt zu haben. „Unsere Theorie“, lehrte er bereits 181538, „ist […] ganz den Quellen gemäß.“ Ähnlich drückte sich Warnkönig aus: „Ich glaube nicht, dass die römischen Juristen in der iusta causa bei der Tradition notwendigerweise eine auf Eigentumsübertragung gerichtete Forderung […] verlangt haben.“39 Doch drücken sich nicht alle Quellenstellen so abstrakt aus, wie es die immer wieder angeführte Stelle der Institutionen tut: „Nihil tam conveniens est naturali aequitati, quam voluntatem domini volentis rem suam in alium transferre ratam haberi.“40 Ein Hindernis bietet z. B. eine berühmte Stelle des Paulus, wo von einer iusta causa praecedens die Rede ist41. Die Kollegnachschrif___________ 35
Savigny, Vorlesungen des Wintersemesters 1815/1816, bei Felgentraeger, Savignys Einfluss (Fn. 5), S. 33. 36 Savigny, Vorlesungen (Fn. 35), S. 34. 37 Savigny, System (Fn. 8), III, S. 313. 38 Savigny, Vorlesungen (Fn. 35), S. 34. 39 Warnkönig, Bemerkungen (Fn. 7), S. 114. Ähnlich Regenbrecht, Commentatio (Fn. 6), S. 40 „[…] exposita hac sententia, quam equidem solam cum iure Romano congruere arbitror […]“. 40 Inst. 2, 1. 40. 41 D. 41.1.31 „Numquam nuda traditio transfert dominium, sed ita, si venditio aut aliqua iusta causa praecesserit, propter quam traditio sequeretur.” Zu dieser Stelle vgl. Kaser in: BIDR 64 (1961), S. 63, 66-67 mit Literaturnachweisen.
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ten bezeugen, dass Savigny das praecesserit42 der Stelle doch nicht so folgsam wie die meisten seiner Zeit übernahm und wortgetreu zeitlich fasste: Die iusta causa traditionis sei vielmehr als Anhaltspunkt für die Erkenntnis des Übereignungswillens zu verstehen. „Nur an ein notwendiges obligatorisches Verhältnis [sei] nicht zu denken.“43 Kurz und unfreundlich lehnte er die gegenteilige Auffassung ab: „Dies ist streng nach den Worten des Paulus […] aber das ist falsch.“44 Über diese Exegese der Stelle ging man auch später nicht hinaus. So erklärte Warnkönig die Stelle des Paulus einfach für unrichtig, „da es gewiß ist, dass [sie] … dem ganzen römischen Recht geradezu widerspricht“45. Ebenso wiesen etwa Bähr und Windscheid auf die „Ungenauigkeit der Ausdrucksweise“ hin46. Auch bei der Erörterung der funktionalen Unabhängigkeit des Übereignungsvertrags von dem zugrunde liegenden obligatorischen Rechtsgeschäft wurden die Quellen in einer ähnlichen Weise gehandhabt. Hier bot es sich geradezu an, eine Stelle des Julian zu zitieren47, wo ein Eigentumsübergang angenommen wird, obwohl die Parteien zwar über den zu übereignenden Gegenstand, nicht aber hinsichtlich des Übereignungsgrundes einig sind. Die Quellen sind allerdings widersprüchlich; an einer Stelle des Ulpian48 wird in einem gleich gelagerten Fall ein Eigentumsübergang verneint. Bei Savigny wurde diese wohl berühmte Antinomie nur bei der Erörterung der Lehre der Schenkung erwähnt. Er verzichtete sichtlich auf eine dezidierte Ansicht: Die Stelle des Ulpian präjudiziere nicht die Frage, ob in diesem Fall Eigentum übergeht oder nicht. „Doch soll damit“, ergänzte er49, „der ganzen Untersuchung nicht vorgegriffen werden, die nur im Zusammenhang der ganzen Lehre von der Tradition befriedigend angestellt werden kann.“ Allerdings ging Savigny im Zusammen___________ 42 Neuerdings hat Miquel, Mechanische Fehler in der Überlieferung der Digesten, in: Sav. Z. Rom. Abt. 80 (1963), S. 233 ff., ausführlich die These aufgestellt, dass „praecesserit“ ein Transkriptionsfehler bei der handschriftlichen Überlieferung der Digesten sei, statt „precesserit“. 43 Savigny, Vorlesungen über Pandekten 1827, bei Felgentraeger, Savignys Einfluss (Fn. 5), S. 36. 44 Savigny, Vorlesungen des Wintersemesters 1815/1816, bei Felgentraeger, Savignys Einfluss (Fn. 5), S. 33. 45 Warnkönig, Bemerkungen (Fn. 7), S. 130; s. ferner Regenbrecht, Commentatio (Fn. 6), S. 40 „[…] ita secundum hoc Pauli fragmentum, si verbis insistimus, contractibus ius et traditione demum subsequente possessionem tantum adipisceremur. Cui tamen … omnis iuris romani ratio repugnat […]“ 46 Bähr, Die Anerkennung (Fn. 10), § 4, S. 10; Windscheid, Pandekten (Fn. 11), I, § 171, n. 5. 47 D. 41.1.36. 48 D. 12.1.18. 49 Savigny, System (Fn. 8), IV, S. 160.
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hang mit der Lehre der Tradition auf diese Schwierigkeit überhaupt nicht mehr ein50. Auch später setzte man sich über die Antinomie einfach hinweg. „Nur die Entscheidung Julians steht mit den allgemeinen Prinzipien im wahren Einklang“, führte Vangerow aus, „so dass wir zu derselben gelangen müssten, wenn gar keine besonderen gesetzlichen Bestimmungen darüber vorlägen.“51 Ulpian sei „so sehr mit der obligatorischen Seite beschäftigt gewesen“, lehrte Puchta52, „dass er die Eigentumsfrage ungenau behandelte“. Dernburg53 kehrte das Argument gerade um: Weil man eben Ulpian nicht zumuten dürfe, er habe den Fundamentalsatz der Traditionslehre ignoriert, so könne er gar nicht das gemeint haben, was seine Worte besagen. „Der Widerspruch lässt sich nicht lösen“, fasste Ende des Jahrhunderts Johow54 zusammen, „doch verdient die Ansicht Julians den Vorzug, weil sie die Rechtskonsequenz für sich hat.“ b) In der Tat spielte die Auseinandersetzung mit den Quellen bei der Erörterung der Lehre der abstrakten Übereignung nur eine beschränkte Rolle. „Es kann nicht mehr unsere Tendenz sein, um jeden Preis einen noch so äußerlichen Vereinigungsversuch zu machen“, führte gerade in diesem Zusammenhang Dernburg aus55, „… seit wir uns […] mehr und mehr gewöhnen, unsere Rechtsquellen mit Freiheit zu behandeln, haben solche Versuche [...] ihren Werth verloren.“ Konsequenterweise wies er darauf hin, dass der Grundsatz der Unabhängigkeit der Übereignung vom Causa-Verhältnis „nirgends aus___________ 50 s. Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen Römischen Rechts, Berlin 1853, II, S. 261-262, wo der Grundsatz, dass der error in causis den Eigentumsübergang nicht hindere, ohne jeglichen Quellenbeleg aufgestellt wird. 51 Vangerow, Lehrbuch der Pandekten, Marburg und Leipzig 1863-1896, I, § 311, n. 3; dazu s. Hofmann, Die Lehre vom Titulus und modus adquirendi und von der justa causa traditionis, Wien 1873, S. 91-96. 52 Puchta, Vorlesungen über das heutige römische Recht, herausgegeben von Rudorff, 4. Aufl., Leipzig 1854, Beylage XV, S. 491-492. 53 Dernburg, Beitrag zur Lehre von der justa causa bei der Tradition, in: AcP 1857, S. 1-12, insbes. S. 6. 54 s. Johow, Begründung (Fn. 30), S. 135 n. 2; s. ferner Brinz, Pandekten, 2. Aufl., Erlangen 1873, § 150, S. 587: „[…] der vorherrschenden Neigung von der causa zu abstrahieren, entsprechend folgen die Neueren Julian […]“; Windscheid, Pandekten (Fn. 11), I, § 172, n. 15: „[…] die Entscheidung aus dem Prinzipe führt zu dem im Texte aufgestellten Satze […]“; Dernburg, System des Römischen Rechts. Pandekten, 8. Aufl., Berlin 1911, § 175, S. 361, n. 5: „[…] die Ansicht des Julian verdient den Vorzug“; Bähr, Die Anerkennung (Fn. 10), § 4, S. 6, n. 2: „[…]freilich steht diese Stelle von Julian mit einem Ausspruche Ulpians in einem bisher noch ungelösten Widerspruche. Darüber aber, dass dem Princip nach nur der Ausspruch Julians als entscheidend betrachtet werden könne, ist man einig“. Es ist bezeichnend, dass D. 12.1.18 nie im Kolleg von Savigny behandelt gewesen zu sein scheint; vgl. Felgentraeger, Savignys Einfluss (Fn. 5), S. 32, n. 2. 55 Dernburg, Beitrag zur Lehre (Fn. 53), S. 23.
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drücklich im römischen Recht formuliert [sei]. Wir müssen ihn aber abstrahieren aus Untersätzen, aus Entscheidungen, die sich allein aus ihm herleiten lassen und auf ihn zurückführen.“56 Bereits bei Savigny und seinen Schülern trat die Heranziehung von Stellen des corpus iuris bei der Argumentationsfolge nicht in den Vordergrund: Der Grundsatz, dass ein error in causis den Eigentumsübergang nicht hindere, wurde im Obligationenrecht ohne jeglichen Quellenbeleg aufgestellt. Im System waren die Ausführungen dazu noch aufschlussreicher:57 „Dieser wichtige Satz soll nunmehr gegen jede Einwendung gesichert werden. Er folgt erstlich aus der Natur des freyen Willens selbst, dessen Daseyn und Wirkung von den wahren oder irrigen Beweggründen ganz unabhängig ist: und zwar sowohl nach der allgemeinen Betrachtung der Freyheit, als nach den Bestimmungen des römischen Rechts, wenngleich einige derselben das Gegentheil zu sagen scheinen …“ An zweiter Stelle folgten systematische Überlegungen: „Er ist ferner unzweifelhaft … die nothwendige Voraussetzung einiger der wichtigsten Institute des Römischen Rechts, die ohne ihn ganz unmöglich seyn würden …“ Dabei wies Savigny insbesondere auf die römische Lehre der Kondiktionen hin, „…denn diese wären völlig überflüssig, wenn nicht unser Satz als bekannte und unzweifelhafte Regel vorausgesetzt werden dürfte“. An letzter Stelle erst wurde nach den Quellen gefragt: „Endlich wird dieser Satz noch durch folgende einzelne Aussprüche des Römischen Rechts bestätigt …“ Auch bei der Erörterung der Frage der iusta causa traditionis lässt sich ein ähnliches logisches Vorgehen beobachten. Zuerst führte Savigny systematische Überlegungen an, wie etwa die allgemeine Definition des Vertrages und das Argument der Handschenkung; daraus folgte58, „dass die Tradition das Eigenthum überträgt durch den übereinstimmenden Willen beider handelnden Personen, ohne diesen Willen aber nicht“; hiernach erst wurde nach den Quellen gefragt, die sich den Ansprüchen aus dem System zu fügen hatten: „Wörtlich eben so wird die Sache ausgedrückt in einer Stelle des Gajus und in einer Stelle der Institutionen, die nur den Willen erfordern, und von einer justa causa daneben kein Wort sagen.“ Bei Warnkönig trat eine solche Argumentations___________ 56
Dernburg, Beitrag zur Lehre (Fn. 53), S. 2 am Ende. Savigny, System (Fn. 8), III, S. 356. 58 Savigny, Das Obligationsrecht (Fn. 50), II, S. 254 ff. Identisch die Argumentation bei Regenbrecht, Commentatio (Fn. 6), S. 29-31: „[…] facile intelligitur, in traditione maxime spectandum esse animum tradentis et accipientis, qui vel in negotio praecedente traditioni, cuis haec complementum vel solution est, cernitur; vel tantum in animi sentential accipientis et tradentis latet. Hac ratione convention, quae traditioni inest, efficit, ut modo possession modo dominium ad accipientem transferatur. Iam vero nulla rest, nisi quae alterius iam fuerit, in alterum transfertur, quocirca traditio successionem continent, quae fieri nequit, nisi si traditurus ius suum remittit, et accepturus id adprehendit […]“. 57
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weise noch deutlicher hervor59: „Wenn man […] bei Uebertragung von Rechten auf andere nach dem Grunde oder der Ursache fragt, welche den andern zum Herrn des vorher uns zustehenden Rechtes gemacht hat, wird jedermann, Jurist oder Nichtjurist, sagen müssen, dass es der Wille dessen sey, dem das Recht zustand […] Denn im Begriffe eines Rechts liegt die Nothwendigkeit der dem Berechtigten zustehenden freien Befugniß über dasselbe …“ Nach dieser grundsätzlichen Bemerkung erst wies er auf Quellenbelege hin. 2. Ich möchte mich nur auf diese Beispiele beschränken. Freilich darf man daraus keine allgemeinen Schlussfolgerungen über die Methode Savignys und der damaligen Juristen herleiten. Es entsteht jedoch der Eindruck, dass man mindestens bei der Erörterung unserer Lehre mit einem gewissen „Vorverständnis“ an die Quellen heranging, wobei das rein Römische in den Hintergrund gerückt wurde. Meiner Meinung nach wäre es hier nicht sinnvoll, einfach von einem Missverständnis Savignys und seiner Zeitgenossen zu sprechen. Gerade aus den Beispielen geht deutlich hervor, dass die Quellen bewusst nach Stellenwert und Leistung im System selektiert wurden60. Es erscheint eben vielmehr so, dass die neue Konstruktion der traditio aus dem systematischen und methodischen Standpunkt Savignys zu verstehen ist. a) Aus den oben zitierten Ausführungen Savignys geht durchaus hervor, welche Rolle systematische Überlegungen in der neuen dogmatischen Konstruktion spielen. Dies ist häufig hervorgehoben worden: Bereits Felgentraeger hat auf das deutliche Streben Savignys zur Konstruktion verwiesen, wobei „oft […] das Gefühl einer Konstruktion der Theorie […] ohne Heranziehung der Quellen nicht zu leugnen ist“61. Einige kursorische Hinweise werden deshalb genügen. Hier ist etwa auf die Problematik der Handschenkung zu verweisen, die ständig als Beispiel in der Argumentation auftritt. Ebenso ist die strenge Savigny’sche Trennung der Sachen- und Obligationenverhältnisse zu nennen: ___________ 59
Warnkönig, Bemerkungen (Fn. 7), S. 121. Zu der Frage, wie sich der Systematiker Savigny den römischen Quellen gegenüber verhält, s. die kursorischen Bemerkungen bei Wieacker, Pandektenwissenschaft und industrielle Revolution, in: Juristen Jahrbuch 9 (1968-1969), S. 1-28, insbes. S. 1215; Wieacker, Vom Römischen Recht. Zehn Versuche, 2. Aufl., Stuttgart 1961, S. 188189; Kunkel, Savignys Bedeutung für die deutsche Rechtswissenschaft und das deutsche Recht, in: JZ 1962, S. 457 ff., insbes. S. 462; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Auflage, Göttingen 1967, S. 397-398; Koschaker, Europa und das römische Recht, 4. Aufl., Berlin/München 1966, S. 281-282; Schwarz, Was bedeutet uns Savigny heute?, in: AcP 1962, S. 481 ff., insbes. S. 495; Stintzing-Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Abt. 3, II, München/Berlin 1910, [Nachdruck Aalen 1957], S. 195; Kiefner, Der Einfluss Kants auf die Theorie und Praxis des Zivilrechts im 19. Jahrhundert, in: Blühdorn/Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft. Zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1969, S. 3-25, insbes. S. 14; Scheuermann, Einflüsse (Fn. 1), S. 40-42. 61 s. Felgentraeger, Savignys Einfluss (Fn. 5), S. 39. 60
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Daraus leitet Savigny die Existenz eines „dinglichen Vertrages“ im Gegensatz zu dem obligatorischen ab. Durchaus typisch für Savignys methodisches Vorgehen ist ferner der Vergleich zwischen mancipatio und traditio, an dem er seinen Hörern die Erfordernisse der traditio abzuleiten pflegte. Schließlich und nicht zuletzt ist der Vorteil zu nennen, dass die ganze römische Kondiktionenlehre sich glatt und reibungslos in diese Konstruktion einfügen lässt. b) Auf einige dieser dogmatischen Implikationen der Savigny’schen Lehre werde ich sogleich ausführlich zurückkommen. Hier ist vielmehr zu zeigen, dass die neue Lehre über einzelne systematische Überlegungen hinaus unmittelbar aus der Savigny’schen formalen Rechtsauffassung zu verstehen ist. Darauf haben schon Wieacker62 und neuerdings Kiefner63 hingewiesen. Auch hier muss ich zum vollen Verständnis etwas weiter ausholen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Willenserklärung nach Auffassung Savignys das Mittel ist, wodurch eine Person Rechtsverhältnisse und mit ihnen subjektive Rechte schafft, jenes Mittel also, mit dem der individuelle Wille in seinem Herrschaftsgebiet regiert. Daraus bestimmt Savigny eben das Wesen des Rechtsverhältnisses als „ein Gebiet unabhängiger Herrschaft des individuellen Willens“64. Von daher ist der dingliche Vertrag zu verstehen: Die Loslösung des modus adquirendi vom titulus ist in der Savigny’schen Gedankenführung eine Folge der Herrschaft des Willens des Rechtssubjekts. Von daher ist auch die so genannte „Abstraktion“ der dinglichen Einigung zu sehen, wobei ich die Formulierung „Lösung von Zwecken“ oder Savignys „selbständiges Daseyn des Rechts“ diesem vorbelasteten Begriff vorziehen möchte. Man hat immer wieder versucht, die Savigny’sche Lehre auf angebliche rechtspolitische Überlegungen zurückzuführen: Danach sollte die Loslösung vom Causa-Verhältnis einen gewissen Verkehrsschutz erzielen; denn das ältere Gemeine Recht kannte grundsätzlich keinen Eigentumserwerb kraft guten Glaubens65. Dabei wird Savigny meines Erachtens völlig missverstanden. Es ist bezeichnend, dass Savigny selbst, wie die Kollegnachschriften beweisen, keineswegs mit solchen Interessen argumentiert hat. Seine Ausführungen sind vielmehr aus seiner formalen Rechtsauffassung zu verstehen. Die Rechtsverhältnisse sind ihrer juristischen Natur nach zweckfrei66: „Durch das Eigentum, wie durch die Obligationen […] werden uns die Mittel dargeboten zur Erreichung unsrer Zwecke, jedoch so, dass in der Wahl und Ausbildung der Zwecke, so wie in der Verwendung der ___________ 62
s. Wieacker, in: Sav. Z. Rom. Abt. 72 (1955), S. 29-31. s. Kiefner, Der Einfluß (Fn. 60), S. 20. 64 s. Savigny, System (Fn. 8), I, S. 334. 65 s. die Hinweise bei Ranieri, Brevi note (Fn. 1), S. 317, Fn. 5; s. ferner von Hippel, Lage und Entwicklungsmöglichkeiten heutiger Jurisprudenz, in: Ius privatum gentium. Festschrift für Max Rheinstein, Tübingen 1969, I, S. 15 ff., insbes. S. 51-52; zuletzt Zweigert/Kötz, Einführung (Fn. 1), S. 217. 66 Savigny, System (Fn. 8), II, S. 104. 63
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Mittel, unsre Freyheit unbedingt herrschen soll.“ Auch der Bestimmungsgrund des Willens ist „formal“: Der Wille des Rechtssubjekts ist „unmittelbar gerichtet auf die Entstehung […] des Rechtsverhältnisses, wenngleich diese [die Willenserklärung] vielleicht nur das Mittel für andere, auch nicht juristische Zwecke seyn mag“67. Ich habe bereits gezeigt, wie Savigny die Unbeachtlichkeit des error in causis bei der Übereignung begründet: Dies folgt „aus der Natur des freyen Willens selbst, dessen Daseyn und Wirkung von den wahren oder irrigen Beweggründen ganz unabhängig ist“68. Nach mehr als diesem Willen bei der Übereignung darf nicht gefragt werden; die von beiden Parteien verfolgten Zwecke sind juristisch irrelevant, die Motive gleichfalls: „Auf die umgebenden Umstände, Absichten, Zwecke“, so Savigny selbst69, kommt es nicht an; sie können nur als Indiz für das Vorhandensein des von ihnen in seiner Existenz unabhängigen Übertragung- und Erwerbswillens dienen. c) Bei einer derartigen formalen Rechtsauffassung blieben teleologische Überlegungen fern. In der Tat entsprach die neue Lehre allerdings – wie zuletzt Wieacker gezeigt hat – dem Interesse einer kapitalistischen Gesellschaft an der „Ablösung des Umsatzaktes von dem persönlichen Rechtsgrundverhältnis“70. Inwieweit Savigny sich der in seiner zweckfrei gedachten Konstruktion dennoch angelegten verkehrspolitischen Implikationen bewusst war, ist eine Frage für sich. Darauf einzugehen ist in diesem Rahmen nicht möglich. Erst später wurden derartige Implikationen bewusst zum Ausdruck gebracht. So heißt es etwa bei Dernburg71: „Auf diese Weise haben die Römer mit praktischem Takt und logischem Scharfsinn die Frage nach dem Eigentumsübergang, welcher für Dritte Wirkungen haben kann, streng gesondert von der Frage, ob derjenige, welchem ohne Rechtsgrund tradiert wurde, eine Vermögensbereicherung behalten kann.“ Ihering wies noch deutlicher auf den „Zweck dieser ganzen Manipulation“72 hin: Erleichterung des Beweises, Schutz jedes Dritterwerbers. Dies sei „vielleicht einer der glücklichsten Gedanken des römischen Rechts, jedenfalls einer der festen Anker für die Sicherheit des Eigentums“73. Es war allerdings der Wille der berechnenden Rechtsordnung und nicht mehr der Wille des einzelnen Rechtssubjekts, welcher dabei in den Vordergrund trat. ___________ 67
Savigny, System (Fn. 8), III, S. 5 ff. Savigny, System (Fn. 8), III, S. 356. 69 Savigny, Das Obligationenrecht (Fn. 50), II, S. 258. 70 Vgl. Wieacker, Pandektenwissenschaft (Fn. 60), S. 15-16. 71 Dernburg, Beitrag zur Lehre (Fn. 53), S. 2; s. ferner Dernburg, System des römischen Rechts (Fn. 54), § 175, S. 361, n. 5. 72 Ihering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Dritter teil. Erste Abtheilung, 4. Aufl., Leipzig 1888, S. 209. 73 Ihering, Geist (Fn. 72), S. 213. 68
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C. Abstrakter dinglicher Vertrag und Willensdogma Die Lehre der abstrakten Übereignung ist also aus dem Grundsatz zu verstehen, dass die Rechtsverhältnisse in erster Linie durch den freien Willen des Rechtssubjekts geschaffen und verändert werden. Dies ist aus dieser Schilderung deutlich hervorgegangen. Dieses Einwirken des Willensdogmas auf die Übereignungslehre brachte Folgen von besonderer dogmatischer Tragweite mit sich. Darauf möchte ich nun kurz eingehen. 1. Ich wende mich zunächst der so genannten „inneren Abstraktion“ der Übereignung zu. Damit wird – nach einer heute verbreiteten Terminologie – die Konstruktion der Übereignung als abgesondertes Rechtsgeschäft bezeichnet. Dogmatisch ist hier ein für die damaligen Juristen durchaus typisches Verfahren zu beobachten: Die natürliche Einheit des Willensmoments wurde zerlegt; der Übereignungswille wurde als selbständiger Vertrag abgesondert; das obligatorische Geschäft blieb auf das Motiv beschränkt. Aus der Fülle der damaligen Literatur sei etwa auf die Ausführungen von Karlowa74 verwiesen: „Die dingliche Einigung bildet mit der Kausalberedung keinen einheitlichen Willensakt. Er ist vielmehr ein gesonderter Willensakt, der mit der Tradition verbunden den Eigentumsübertragungsvertrag ausmacht.“ Diese Argumentationsweise lässt sich am besten am Fall des dissensus in causis zeigen: Hier ist keine obligatorische Verpflichtung zwischen den Parteien zustande gekommen. Hinsichtlich der Eigentumsübertragung jedoch, führte z. B. Dernburg aus75, „sind die Partheien, wenn auch von ganz verschiedenen Standpunkten aus, zu einer Willenseinigung gelangt; indem der eine schenken, der andere Geld leihen wollte, wollten sie beide einen Eigenthumsübergang“. Dieser Zerlegungsprozess des Willens ist in zweifacher Art beachtenswert: a) Zunächst ist dabei eine historische Entwicklung zu verzeichnen. Savigny ging einfach von der Vorstellung aus, der Besitzübertragungsakt sei vom gegenseitigen Übereignungswillen begleitet und die Isolierung der dinglichen Einigung von den übrigen kausalen Intentionen sei etwas Natürliches. Bei Puchta war die Betrachtungsweise bereits anders: Die dingliche Einigung besitze neben dem Grundgeschäft keine natürliche, selbständige Existenz; sie bilde vielmehr einen logischen Bestandteil desselben. So etwa76: „Das Rechtsgeschäft, welches die iusta causa enthält, hat für die Eigenthumsfrage nur durch diesen Inhalt eine Bedeutung. Sein übriger specifischer Inhalt verhält sich dazu nur als
___________ 74
Karlowa, Das Rechtsgeschäft und seine Wirkungen, Berlin 1877, S. 217. Dernburg, Beitrag zur Lehre (Fn. 53), S. 3-4. 76 Puchta, Vorlesungen (Fn. 52), § 148, S. 327. 75
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Motiv des Willens, der allein die iusta causa ist“; oder77: „… blos jener Wille ist für die Wirkung der Tradition das Wesentliche, nicht der übrige Inhalt des Rechtsgeschäfts“. Ebenso wies etwa Christiansen78 darauf hin, es sei dabei zwischen einer „natürlichen Betrachtungsweise“ und einer „juristischen Betrachtungsweise“ zu unterscheiden. Dadurch ließen sich die „beiden Bestandtheile des Willens immer trennen“79. Die Tendenz, die Absonderung des Übereignungswillens als rein logisch zu betrachten, kam bei späteren Autoren noch deutlicher zum Ausdruck. So wies etwa Hofmann80 hin auf „die analytische Arbeit, welche schon die Sprache […] und dann ihr folgend die Wissenschaft vollzogen hat […] Nicht die Erscheinungen des Lebens in ihrer Totalität, sondern einzelne Seiten derselben werden da in Gattungsbegriffe zusammengefasst.“ Bei der Übereignung sei es eben so, „dass ein Act, der dem Laien als ganz einfach erscheint, dem Blick des Juristen als Zusammenfassung mehrerer Acte erscheint“81. Bei Ihering trat diese begriffliche Zerlegung des Willens in vollendeter Form hervor. Im Zusammenhang mit der Übereignungslehre wies er auf „die analytische Vereinfachung“ des Tatbestandes hin: „Das Wesen dieser letzteren Operation besteht darin, dass von den zu irgend einem Verhältniß erforderlichen Momenten gewisse aus dem Thatbestand desselben ausgeschieden und in die Form besonderer, selbständig wirkender Begriffe und Rechtsmittel gebracht werden.“82 Dabei waren allerdings nicht mehr rein logische, sondern vielmehr teleologische Überlegungen entscheidend. „Die Eigenthumsübertragung“, so Ihering selbst83, „soll lediglich darnach beurteilt werden, ob ganz abgesehen von all dem andern, was die Parteien sonst noch wollten, eine Eigenthumsübertragung beabsichtigt war, mit anderen Worten, es soll lediglich der abstracte Eigenthumsübertragungswille ermittelt werden.“ b) Zum anderen blieb es nicht ohne Folgen, dass der reine Übereignungswille in einer derartigen Weise abgesondert wurde. Dies versperrte der Pandektistik die Möglichkeit, die so genannten Handgeschäfte in einer sinnvollen Weise dogmatisch einzuordnen. Problematisch wurde insbesondere ihre schuldvertragliche Seite: Die Erfassung eines selbständigen „dinglichen Ver___________ 77 Puchta, Pandekten. Neunte vermerkte Auflage durch A.F. Rudorff, Leipzig 1863, § 148, S. 225. 78 Christiansen, Zur Lehre von der naturalis obligatio und condictio indebiti. Eine civilistische Abhandlung, Kiel 1844, S. 62. 79 Renaud, Zur Lehre von der Rückforderung einer irrthümlich bezahlten Nichtschuld, nach römischen Rechte, mit Rücksicht auf die neueren Gesetzgebungen, in: AcP 1846, S. 147-181, insbes. S. 151. 80 Hofmann, Die Lehre (Fn. 51), S. 86. 81 Hofmann, Die Lehre (Fn. 51), S. 87. 82 Ihering, Geist (Fn. 72), III, S. 207. 83 Ihering, Geist (Fn. 72), III, S. 208.
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trages“ war eben nur denkbar, wenn die auf diese Weise ausgeschiedene Kausalabrede als besonderes Rechtsgeschäft verstanden werden konnte. Das Beispiel von der Handschenkung bietet sich hier geradezu an. Ihre systematische Einordnung hatte bereits den Vertretern des Usus modernus Schwierigkeiten bereitet; es war streitig, ob es sich um einen titulus oder um einen modus adquirendi handele oder um beide zugleich. Allerdings half man sich mit der Feststellung, wie etwa bei Glück und Hugo, dass „die Forderung auch durch eben die Handlung entstehen [könne], durch welche sie erfüllet [werde]“84. Erst Savigny85 warf „nicht wenigen neueren Schriftstellern“ vor, sie hätten das Vorkommen solcher Handgeschäfte übersehen. In der Tat wurde sein Hinweis auf das Handgeschenk als Widerlegung des Erfordernisses einer iusta causa praecedens in der gesamten Literatur des 19. Jahrhunderts immer wieder vorgebracht86. Allerdings bedeutete eine konsequente Durchführung der Lehre des dinglichen Vertrags eine inhaltliche Entleerung der Realschenkung. Savigny fasste sie als reines „Geben und Nehmen in übereinstimmender Absicht“ auf und stellte sie als typischen dinglichen Vertrag der traditio gleich87. Dabei war aber der Konsens über die Unentgeltlichkeit lediglich als nähere Charakterisierung eines bestimmten Geschäftes zu verstehen: Die Schenkung war kein Analogon des Kaufes mehr, sondern nur „ein allgemeiner Charakter“, so Savigny selbst88, „welchen die allerverschiedensten Rechtsgeschäfte annehmen können“. Aus diesem Dilemma ist die deutsche Dogmatik des 19. Jahrhunderts nicht herausgekommen. Am Ende des Jahrhunderts vertrat Windscheid, im Gegensatz zu Savigny und Puchta, wieder die früher vorherrschende Lehre, nach der das Verfügungsgeschäft und die Zweckvereinbarung über die Verfügung bei der Handschenkung eine Einheit bilden; allerdings musste er sich umgekehrt die Kritik gefallen lassen, es sei nicht abzusehen, wie die Lehre der abstrakten Übereignung sich damit vereinbaren ließe89.
___________ 84 s. Glück, Ausführliche Erläuterungen (Fn. 2), VIII, §§ 578-579, S. 91. Zur Lehre der Handschenkung in der Rechtsliteratur des ausgehenden Usus modernus s. allgemein Meining, Die Entwicklung (Fn. 1), S. 76-104. 85 Savigny, Das Obligationenrecht (Fn. 50), II, S. 256. 86 Nachweise bei Ranieri, Brevi note (Fn. 1), S. 339. 87 Savigny, System (Fn. 8), III, S. 313. 88 Savigny, System (Fn. 8), IV, S. 3. 89 s. Windscheid, Pandekten (Fn. 11), § 365; dazu Hölder, Pandekten, Allgemeine Lehren, Freiburg 1891, § 255, S. 281, n. 1: „… wie sich damit (Auffassung der Handschenkung) die von Windscheid anerkannte Möglichkeit der Eigentumsübertragung trotz Dissenses über den Bestimmungsgrund und der von diesem absehenden Forderungsbegründung vertragen soll, ist nicht abzusehen…“. Zu den Diskussionen in der pandektistischen Literatur s. Meining, Die Entwicklung (Fn. 1), S. 138-154; Jahr, Zur justa causa traditionis, in: Sav. Z. Rom. Abt. 80 (1963), S. 141 ff., insbes. S. 154-155.
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2. Ich komme nun zu der äußeren oder funktionalen Abstraktion der Übereignung. Normalerweise wird damit der Grundsatz bezeichnet, dass die Gültigkeit der dinglichen Einigung von der Zweckerreichung der Kausalabrede unabhängig ist. Auf diese konsequente Durchführung der Lehre des dinglichen Vertrages habe ich bereits oben kursorisch verwiesen. Hier möchte ich nur zeigen, dass auch dies aus der willenstheoretischen Grundlage der Savigny’schen Konstruktion zu verstehen ist. a) Savigny selbst behandelte diesen Grundsatz nur für den Fall des Irrtums. Er entwickelte allerdings dabei die dogmatische Grundlage, auf der seine Schüler diese Lehre im Allgemeinen durchführten. Die Gedankenführung Savignys war äußerst einfach: Der Irrtum über die causa traditionis ist ein Motivirrtum, und deshalb ist er unbeachtlich. Mit Savignys eigenen Worten90: „Der wichtigste und ausgedehnteste Fall einer denkbaren Einwirkung des Irrthums betrifft die Rechtsgeschäfte des täglichen Verkehrs, und namentlich die Verträge; sowohl die obligatorischen als die Tradition […] Hier aber hat in der Regel der Irrthum gar keine Einwirkung […] Der Kauf aus Irrthum also ist dennoch ein unanfechtbarer Kauf, eine aus Irrthum entsprungene Tradition ist vollgültig.“ „Es gibt jedoch“, führte Savigny weiter aus, „zwei wichtige Ausnahmen der eben dargestellten Regel: Fälle, in welchen ein Rechtsgeschäft bloß wegen eines irrigen Beweggrundes als ungültig durch besondere Klagen angefochten werden kann […] Der […] wichtigere […] Fall ist enthalten in den Condictionen. Auch bey diesen wird ein an sich gültiges Rechtsgeschäft vorausgesetzt, welches lediglich wegen des Irrthums durch eine besondere Klage wiederum entkräftet werden kann…“91 Dasselbe wurde nochmals im Obligationenrecht ausgeführt92: „Wenn das Eigenthum auf eine, an sich gültige Weise freiwillig übertragen wird […], der vorige Eigenthümer aber zu dieser Übertragung bestimmt wird durch mangelhafte Beweggründe, insbesondere durch Irrthum, so ist die Übertragung an sich gültig und wirksam, sie kann aber hinterher angefochten werden.“ Dabei wies Savigny insbesondere auf die condictio indebiti hin. b) Soweit Savigny. In der Tat war er hier nicht originell. Gewisse Vorbilder gab es seit der Glosse in den Lehren des Gemeinen Rechts über die condictio, speziell zur Frage der causa putativa et erronea. Diese war bei einer indebiti solutio schon immer im Allgemeinen als ausreichend für eine Eigentumsübertragung angesehen worden93. Savigny verallgemeinerte nur diese Lösung. Allerdings vollbrachte er dabei eine systematische Leistung von besonderer dogma___________ 90
Savigny, System (Fn. 8), III, S. 354. Savigny, System (Fn. 8), III, S. 358-360. 92 Savigny, Das Obligationenrecht (Fn. 50), II, S. 261. 93 Nachweise bei Ranieri, Brevi note (Fn. 1), S. 325-328. 91
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tischer Tragweite: Der error in causa bei der indebiti solutio wurde von ihm als Irrtum über die Beweggründe aufgefasst; dies bedeutete, die causa bei der condictio indebiti als Ausdruck des Willens des Rechtssubjekts zu verstehen. Hier wird die enge systematische Verflechtung mit der Lehre der Übereignung ersichtlich: Auch dort hatte Savigny die iusta causa als Erscheinungsform des animus tradendi aufgefasst. Dieser Systematisierung lag seine willenstheoretische Überzeugung zugrunde, dass, wenn eine Leistung auf dem Willen des Entreicherten beruhe, auch der Grund der Rückforderung wieder in jenem Willen gefunden werden muss. Der Begriff der causa, welcher im Gemeinen Recht sich mehrspurig entwickelt hatte – bei der traditio, bei der condictio indebiti und bei der Pacta-Lehre94 – konnte somit einheitlich aufgefasst werden und in einem widerspruchslosen System Einordnung finden. Warnkönig fasste dies so zusammen95: „Es verhält sich mit der iusta causa bei der Tradition übrigens wie bei Verträgen. Der Vertrag ist gültig, wenn auch die etwaigen Rechtsgründe, welche uns bestimmten, ihn abzuschließen, nicht existierten … Darauf beruht ja die condictio.“ Die hier angelegten systematischen Implikationen bestimmten in ihrer Tragweite die gesamte spätere Dogmatik des 19. Jahrhunderts. Einerseits glitt die causa im Obligationenrecht in Harmonisierung mit der causa bei der Tradition zum rein psychologischen Motiv ab, was bei späteren Autoren, wie etwa Bähr, noch deutlicher erkennbar wurde; zum anderen – worauf neuerdings Jahr hingewiesen hat96 – wurde die gesamte Causa-Problematik immer wieder von dem Causa-Begriff der Leistungskondiktion her gesehen. Deshalb vermochte die Pandektistik die Probleme z. B. der „Kausalität der Verpflichtungsgeschäfte“ nicht recht zu bewältigen. Causa der Verfügung gleich causa der Leistungskondiktion und diese möglichst gleich einer Verpflichtung zur Leistung: Dieses Denken bestimmt teilweise noch heute die moderne deutsche Zivilistik. c) Diese Zusammenhänge werden noch deutlicher, wenn man auf die gleichzeitige entgegen gesetzte Entwicklung der romanischen Rechte hinweist. Ich werde mich auf eine kursorische Schilderung beschränken. Zum vollen Verständnis muss ich hier jedoch etwas weiter ausholen. Die gemeinrechtliche Auffassung, die bei einer traditio solutionis causa auch eine causa erronea oder putativa als hinreichend ansah, wurde im französischen Ancien droit als communis opinio angesehen. Pothier z. B. führte aus97: „… observez qu’un titre, quoiqu’il ne soit que putatif, suffit pour que la tradition que je vous fais de ma ___________ 94 Statt aller Coing, in: Staudingers Kommentar zum BGB, 11. Aufl., Berlin 1957, Allgemeiner Teil, sub Einleitung über Rechtsgeschäfte, Rn. 57-57a, S. 518-520. 95 Warnkönig, Bemerkungen (Fn. 7), S. 130. 96 s. Jahr, Zur justa causa traditionis (Fn. 89), S. 145-146. 97 Pothier, Traité du domaine de propriété, in: Bugnet (éd.), Œuvres complètes, Paris 1821, n. 230.
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chose en conséquence de ce titre, que je me suis faussement persuadé exister, quoiqu’il n’existe pas, vous en transfère la propriété: j’ai seulement en ce cas, lorsque l’erreur aura été reconnue, une action personnelle contre vous, qu’on appelle condictio indebiti.“ Von demselben Standpunkt gingen auch die Redaktoren des Code civil aus. Art. 1830 lautet: „Si celui qui a reçu de bonne foi a vendu la chose, il ne doit restituer que le prix de la vente.“ Die Travaux préparatoires dazu beweisen, dass die Verfasser des Code an die Überlieferung des Ancien droit anknüpfen wollten98. Die ersten Exegeten des Code vertraten dieselbe Auffassung. Man interpretierte die Vorschriften über das payement de l’indu dahin, dass die action de répétition eine persönliche und nicht eine Eigentumsklage sei. Dabei war die Frage nur bei unbeweglichen Sachen von Bedeutung, da bei beweglichen sowieso der Satz „en fait de meubles la possession vaut titre“ galt. Es wurde also angenommen, dass im Falle einer solutio indebiti die tradierte unbewegliche Sache nicht durch eine revendication bei einem Dritten verfolgt werden konnte. So z. B. Toullier99: „La tradition volontaire qui lui en a été faite par le propriétaire lui-même ou par son ordre, lui en a transféré la propriété. C’est ce qui est évident et dont personne ne doute […] La volonté de celui qui a donné a pu être à la vérité eronnée; mais elle a réellement existé, et cela suffit à l’égard des tiers acquéreurs de bonne foi […] L’erreur de l’ancien propriétaire […] ne lui donne qu’une action personnelle, condictio, contre celui auquel il a remis la chose: cette action ne peut donc être intentée contre des tiers possesseurs de bonne foi, vers lesquels il n’a aucun principe d’action.“ Ähnlich drückten sich etwa Delvincourt100 und Duranton101 aus102. Erst um die Mitte des Jahrhunderts ___________ 98 s. de Grenille, Rapport au Tribunat, in: Locré, Législation XIII, S. 39, n. 7, und Tarrible, Discours au Corps législatif, in: Locré, Législation XIII, S. 55, n. 16. Es handelt sich dabei um eine gesamteuropäische Erscheinung; sowohl in Österreich bei den Diskussionen zur Vorbereitung des ABGB als auch in den Niederlanden in den Kodifikationsentwürfen aus den Jahren 1816, 1820, 1826 stellte man sich auf den Standpunkt, dass bei einer traditio solutionis causa eine causa nulla oder putativa den Eigentumsübergang nicht hindere. Vgl. Rappaport, Ueber die Bedeutung des Titels für die Gültigkeit der Eigentumsübergabe nach dem allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, in: Festschrift zur Jahrhundertfeier des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, Wien 1911, II, S. 399-430, insbes. S. 412-422, und zur niederländischen Rechtsentwicklung Meijers, Levering en titel, in: Verzamelde privaatrechtelijke opstellen II, Leiden 1955, S. 80-104. 99 Toullier, Le droit civil français suivant l’ordre du code, ouvrage dans lequel on a taché de réunir la théorie à la pratique, 5. Aufl., Bruxelles 1824, tome XI, n. 95, S. 74 ff. 100 Delvincourt, Cours de code civil, nouvelle édition, Bruxelles 1825, VIII, S. 488450 (sub Liv. IV art. 1380). 101 Duranton, Cours de droit civil suivant le code français, 4. Aufl., Bruxelles 1841, VII, n. 683, S. 496 ff. Auf denselben Standpunkt stellten sich auch die damaligen deutschen Exegeten des Code civil; so z. B. Zachariae, Handbuch des Französischen Civilrechts. Fünfte vermehrte Auflage herausgegeben von A. Anschütz, Heidelberg 1853, § 42, S. 570; Renaud, Zur Lehre von der Rückforderung (Fn. 79), S. 453.
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– bei Marcadé103 und Demolombe104 etwa – wurde dieser Standpunkt aufgegeben. Es war dies eine konsequente Durchführung des Konsensprinzips; Art. 1138 C. c. lautet bekanntlich: „L’obligation de livrer la chose est parfaite par le seul consentement des parties contractantes.“ Demgemäß ging man davon aus, dass die Übergabe der Sache als solche allein die Besitzübertragung bewirke und dass das Eigentum nur infolge eines gültigen Vertrages übergehe. Nach Art. 1108 C. c. aber ist ein Vertrag nur gültig, wenn eine „cause licite dans l’obligation“ vorliegt. Man wandte also auch auf den Fall der solutio die Causa-Lehre an und sagte, dass mangels cause der Empfänger kein Eigentum erwerbe. Heute stellt dies die herrschende Lehre in Frankreich105 und Italien106 dar, wo „l’action de répétition de l’indu“ nicht mehr der condictio, sondern der reivindicatio gleichgestellt wird107. d) Eben hier wird es anschaulich, wie unterschiedlich das naturrechtliche Erbe des Willensdogmas in der kontinentaleuropäischen Rechtswissenschaft sich ausgewirkt hat. In der deutschen Pandektistik wurden die Wirkungen der Herrschaft des Willens bei der traditio gesehen; demgemäß wurde diese als selbständiger juristischer Akt konstruiert. Zugleich bedeutete dies, die CausaProblematik vom Standpunkt des Rechtsgrundes der Leistung her zu sehen. In Frankreich lag das Willensdogma dem Konsensprinzip bei der Eigentumsübertragung zugrunde; die Folgen der Herrschaft des Willens wurden also beim ti___________ 102 Dieselbe Auffassung wurde auch in der damaligen niederländischen und österreichischen Literatur vertreten, s. Meijers, Levering en titel (Fn. 98), mit einer eingehenden Analyse der damaligen niederländischen Literatur; aus den ersten Kommentaren zum ABGB vgl. Nippel, Erläuterung des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches für die gesamten deutschen Länder der österreichischen Monarchie, Grätz 1836, VIII, sub § 1431 (S. 186-188). 103 Marcadé, Explication théorique et pratique du Code Napoléon, Paris 1859, art. 1378-1380, n. 3. 104 Demolombe, Traité des engagements qui se forment sans convention (Cours de code Napoléon, Bd. XXXI), Paris 1882, S. 340 ff. (n. 340 ff.); s. ferner Laurent, Principes de droit civil, Paris/Bruxelles 1876, XX, n. 378, S. 399 ff. 105 Statt aller s. de Bois-Juzan, De la cause en droit français (spécialement en droit civil). Vues d’ensemble sur ses origines et ses destinées; notions historiques et de droit comparé. Doctrine, jurisprudence, Bordeaux, S. 102-104; Capitant, De la cause des obligations (Contrats, Engagements unilatéraux, legs), 2. Aufl., Paris 1924, S. 95-96. 106 s. zuletzt Sacco, Causa e consegna nella conclusione del mutuo, del deposito e del comodato, in: Banca, borsa e titoli di credito 34 (1971), insbes. S. 529; Breccia, La ripetizione dell’indebito (Pubblicazioni della Facoltà di giurisprudenza dell’Università di Pisa 53), Milano 1974, insbes. S. 481-488 mit weiteren Literaturnachweisen. 107 Es ist symptomatisch, wie ungenau der Sprachgebrauch ist; so Aubry et Rau, Cours de droit civil français d’après la méthode de Zachariae, 4. Aufl., Paris 1871, § 442, note 37: „… l’action en répétition de l’indu peut … être dirigée contre le tiers acquéreur“; oder Planiol/Ripert, Traité pratique de droit civil français. Tome VII. Les obligations, par Esmein, Radouant et Gabolde, Paris 1954, n. 746, S. 34: „… il (le tiers acquéreur) a acquis le droit de propriété avec les vices qu’il avait chez son auteur…“.
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tulus gesehen. Der modus adquirendi verlor seine Identität, und die Gültigkeitsvoraussetzungen des titulus (also auch das Causa-Erfordernis) wurden auf die Übergabe der Sache ausgedehnt. Dadurch wurde die Problematik der causa bei der condictio indebiti unverständlich und zugleich der Begriff der causa vom Standpunkt des obligatorischen Vertrages her bestimmt108.
___________ 108 s. Westermann, Die causa im französischen und deutschen Zivilrecht (Neue Kölner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen 53), Berlin 1967, S. 10-20; insbes. S. 231 ff.
Savignys Einfluss auf die zeitgenössische italienische Rechtswissenschaft* A. Einführung. Savigny in Italien In seinen „Reisebildern“ erzählt uns Heinrich Heine1, wie er anlässlich seines Aufenthalts bei den Bagni von Lucca im Jahre 1828 einem ehrwürdigen Professor der damaligen juristischen Fakultät von Bologna vorgestellt wurde; enttäuscht musste Heine jedoch nach einem Gespräch feststellen, dass der italienische Professor kaum über die damalige deutsche Rechtswissenschaft informiert war; die Namen von Hugo und Thibaut hatte er noch gerade gehört. Und Savigny? „Savigny“ – berichtet Heine mit kaum unterdrückter Schadenfreude – „hielt der Professor für ein gelehrtes Frauenzimmer“2. Wir wissen nicht, wer der Gesprächspartner von Heine war. Mutmaßungen wären hier müßig3. Immerhin war der „Beruf“ seit mehr als fünfzehn Jahren erschienen, und seit der ersten Auflage des „Besitzes“ war bereits fast ein Menschenalter verflossen. Diese Anekdote wird in der Tat immer wieder als Beleg dafür angeführt, wie die Person und das Werk Savignys noch Anfang der dreißiger Jahre in Italien völlig unbekannt waren4. Will man jedoch über das Anekdotische hinausgehen und genau die Wege der Verbreitung und des Einflusses der Lehren von Savigny in Italien untersuchen, so stellt man erstaunt fest, dass diese Frage bisher kaum Beachtung gefunden5 hat6. „Chi prendesse a trattare questo tema ___________ *
Zuerst erschienen in: Ius Commune 8 (1979), S. 192-219. Zum Verhältnis Heines, der übrigens an der juristischen Fakultät Göttingen promoviert hatte, zur Rechtswissenschaft seiner Zeit vgl. Wohlhaupter, Dichterjuristen, II, Tübingen 1955, S. 440 ff. 2 Vgl. Heine, Reisebilder, in: Sämtliche Werke (Ausgabe vom Verlag Hoffmann und Campe), Bd. II, 1976, S. 76. 3 Nach Auffassung von Patetta, Storia del diritto italiano. Introduzione (Ed. ampliata a cura di L. Bulferetti), Torino 1947, S. 168-169, soll es sich um den toskanischen Juristen Francesco Forti (1806-1838) gehandelt haben; Forti ist jedoch nie Professor gewesen; auch aus zeitlichen Gründen scheint die Identifikation wohl unwahrscheinlich zu sein. 4 Die Episode wird z. B. von Brugi, Patetta und zuletzt von Caroni in: TRG 1971, S. 451, u. a. erwähnt. 5 Auf diese offene Frage macht zuletzt Mazzacane, Savigny e la storiografia giuridica tra storia e sistema. Con un’appendice di testi, Napoli 1974, S. 54 (erschienen auch in: Studi in onore di Salvatore Pugliatti, Milano 1976) aufmerksam. Ähnlich bereits Tarello, in: La scuola dell’esegesi in Italia, in: Scritti per il XL della morte di P.E. Bensa, Milano 1969, S. 271, n. 70; Caroni, in: TRG 1971, S. 451, n. 7. 1
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[…]“ – schrieb vor fast hundert Jahren der letzte und berühmteste Übersetzer von Savigny, Vittorio Scialoja – „farebbe cosa assai utile se studiasse l’accoglienza, che fu fatta in Italia ai principi della scuola storica e nei libri e nell’insegnamento“7. „Molti documenti per questo studio“ – bemerkt jedoch Scialoja8 – „mancheranno a coloro che non potranno più giovarsi delle testimonianze orali, […] poichè moltli dei seguaci della scuola storica in Italia operarano soltanto con l’insegnamento“. Eine Einschränkung und eine Präzisierung des Themas scheinen auch aus diesen Gründen geboten; primär soll hier der Einfluss des „Dogmatikers“ Savigny in Italien dargestellt werden, d. h. die Verbreitung und die relative Assimilation der Savigny’schen Lehrmeinungen in der italienischen Rechtswissenschaft seiner Zeit9. Insoweit versucht dieser kleine Beitrag, Wege, Bedingungen und wissenschaftlichen Ertrag dieser ersten „Frührezeption“ deutscher Rechtswissenschaft in Italien Mitte des vorigen Jahrhunderts nachzuzeichnen. Die Quellenlage ist nicht ganz hoffnungslos; zwei Wege bieten sich hier an, um dem Thema näher zu treten. Einmal ist die umfangreiche wissenschaftliche Korrespondenz zwischen Savigny und einigen italienischen Historikern und Juristen seiner Zeit uns weitgehend erhalten geblieben, wenn sie auch bis heute nur zum geringsten Teil ediert oder überhaupt gesichtet worden ist10; anhand dieses Materials scheint es mir möglich, ___________ 6 Für einige kursorische Hinweise über die Beziehungen Savignys und der deutschen historischen Schule zur zeitgenössischen italienischen Rechtswissenschaft vgl. Thieme, Die deutsche historische Rechtsschule Savignys und ihre ausländischen Jünger, Acta Facultatis Juridicae Universitatis Comenianae, Bratislava 1968, insbes. S. 264-265; Koschaker, Europa und das römische Recht, 4. Aufl., Berlin/München 1966, S. 276-277; vgl. Tarello: La scuola dell’esegesi (Fn. 5), S. 241-276, insbes. S. 271 und S. 265; Calasso, Savigny e l’Italia, in: ASD 8 (1964), S. 1-8, insbes. S. 5; Brugi, Per la storia della giurisprudenza e delle Università italiane, Torino Saggi 1915, S. 19-20; del Giudice, Storia del diritto italiano, vol. II. Fonti: Legislazione e scienza giuridica dal secolo decimosesto ai giorni nostri, Milano 1923, S. 320-321; Patetta (Fn. 3), S. 157, S. 160-151; Caroni, Savigny’s „Beruf” und die heutige Krise der Kodifikation, in: TRG 1971, S. 451-476, insbes. S. 451-453. Vgl. ferner Ungari, L’età del codice civile. Lotta per la codificazione e scuole di giurisprudenza nel Risorgimento, Napoli 1967, zur italienischen Rezeption Savignys insbes. S. 68-70, S. 73-74, S. 106 und 114. 7 So Scialoja, Prefazione generale del traduttore, in: Savigny, Sistema del diritto romano attuale. Traduzione dall’originale tedesco, Bd. I, Torino 1886, S. XLIII-XLIV. 8 So Scialoja, op. loc. cit. 9 Nicht beabsichtigt ist hier dagegen eine Analyse des Einflusses des historischantiquarischen Werkes von Savigny bei den Anfängen rechtshistorischer Studien in Italien; ebenfalls außerhalb unserer Darstellung soll das Echo bleiben, das der Savigny’sche „Beruf“ in der damaligen Kodifikationsdiskussion in Italien hatte. Hier sei etwa nur auf die ausführliche Erwiderung von Sclopis, Della vocazione del nostro secolo alla legislazione ed alla giurisprudenza, in: Della legislazione civile. Discorsi, Torino 1935, S. 150-200, hingewiesen. 10 Der Savigny’sche handschriftliche, wissenschaftliche Nachlass befindet sich zum größten Teil in einem Handschriftenbestand der UB-Marburg. Darin befinden sich u. a. einige tausend Briefe von in- und ausländischen Gelehrten, die in wissenschaftlichem Kontakt zu Savigny standen (vgl. UB-Marburg, Bestände Ms. 725 und Ms. 925). Für die
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die persönlichen Kontakte und die Wege der persönlichen Einführung von Savigny in Italien herauszustellen. Ferner erfuhren die Werke von Savigny bald zahlreiche Übersetzungen in die italienische Sprache; eine Analyse dieser literarischen Einführung durch die genannte Übersetzungsliteratur, eine typische Literaturgattung übrigens der italienischen Rechtsliteratur aus dem 19. Jahrhundert11, bietet insoweit einen weiteren Weg, um die italienische Rezeption des Werks von Savigny zu erhellen.
B. Italienische Korrespondenten und Übersetzer 1. Die persönlichen Kontakte Savignys mit italienischen Juristen reichen zu den frühen Anfängen seiner Lehrtätigkeit zurück. Bereits während der Landshuter Zeit zählte zu den eifrigsten seiner Zuhörer und Schüler Antonio Salvotti aus Trient, „ein junger Italiener“ – wie Bettina von Arnim in einem ihrer Briefe bemerkt12 – „den Savigny sehr auszeichnet“. Antonio Salvotti selbst verfolgte trotz seiner anfänglichen Neigungen keine Gelehrtenlaufbahn, sondern erreichte in der österreichischen Justizverwaltung in Norditalien, zuletzt als Präsident des Appellationsgerichts zu Trient und als kaiserlicher Hofrat, einen großen Einfluss; auch später blieb er allerdings mit seinem Lehrer bis zu den letzten Jahren hin in einer engen freundschaftlichen Beziehung verbunden13. Seinem ___________ Erlaubnis zur Benutzung dieser zum Teil noch nicht verzeichneten Bestände und für die freundliche Hilfsbereitschaft sei hier Herrn Dr. Bredehorn und Herrn Dr. Kadel von der UB-Marburg gedankt. Einige Briefe von Savigny an italienische Gelehrte sind bereits veröffentlicht worden. Vgl. Imbriani, Tre lettere di F. Carlo di Savigny. Relazione letta alla Regia Accademia di scienze giuridici nella prima metà del secolo XIX. Scritti e lettere raccolti ed illustrati da Fausto Nicolini, Napoli 1907, insbes. S. 423-444. 11 Darüber vgl. zuletzt Ranieri, Le traduzioni e le annotazioni di opere giuridiche straniere nel sec. XIX come mezzo di penetrazione e di influenza delle dottrine, in: La formazione storica del diritto moderno in Europa. Atti del III Congresso internazionale della Società italiana di storia del diritto, Firenze 25-29 aprile, Firenze 1977, III, p. 1487-1504 [und auch in diesem Band S. 51]. 12 So v. Arnim, Goethes Briefwechsel mit einem Kinde (Seinem Denkmal), 3. Auflage, herausgegeben von Grimm, Berlin 1881, Brief vom 21.10.1809 (S. 282-283); vgl. ferner Brief vom 20.5.1810 (S. 317-318). 13 Vgl. etwa UB-Marburg, Ms. 725, Nr. 1237-1241 mit zahlreichen Briefen von 1816 bis 1862, auch an Gouda von Savigny. Zu den Beziehungen von A. Salvotti zu Savigny vgl. bereits Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, III. Abt., 2. Halbband, München 1910, Text S. 227, Noten S. 105; sehr ausführlich Luzio, Il processo Pellico-Maroncelli secondo gli atti officiali segreti, Milano 1903, S. 248 ff. und Nicolini, Nicola Nicolini e gli studi giuridici, S. 89-90; zuletzt vgl. Brol, Antonio Salvotti promuove a Venezia la prima traduzione italiana del „Sistema del Diritto romano attuale“ del Savigny. Con lettere inedite di Antonio Salvotti a Paride Zaiotti junior, in: Istituto per la storia del Risorgimento italiano. Comitato trentino. Atti del I. Convegno Storico Trentino 1955, S. 5-61; zur Person von Antonio Salvotti (1789-1866) vgl. Brol, S. 1 ff.
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Wirken kommt eine große Bedeutung für die Verbreitung der Werke Savignys in Italien zu14. Aus der reichhaltigen und uns weitgehend erhalten gebliebenen Korrespondenz von Salvotti sowohl mit Savigny als auch mit vielen der damaligen italienischen Gelehrten15 kann man entnehmen, mit welchen unermüdlichen Bemühungen Salvotti dazu beigetragen hat, dass die Werke seines Lehrers in italienischer Übersetzung verlegt und verbreitet wurden. Die meisten der persönlichen Beziehungen von Savigny mit italienischen Juristen gehen jedoch auf die Zeit seiner beiden Reisen nach Italien in den Jahren 1825 und 1826 zurück. Obwohl diese Reisen primär nicht wissenschaftlichen Zwecken, sondern der Festigung seiner angegriffenen Gesundheit dienten, nutzte Savigny diesen langfristigen Italienaufenthalt, der ihn über Florenz und Rom nach Neapel führte, für die Anbindung einer Vielzahl von persönlichen Beziehungen mit damaligen italienischen Gelehrten. Zu erwähnen ist hier insbesondere der Florentiner Kreis um die Zeitschrift „L’Antologia“ von Viesseux, der im damaligen Italien Mittel- und Anziehungspunkt eines offenen und kosmopolitischen Kulturlebens darstellte16. Auch mit dem Kreis um Nicola Nicolini und die „Neovichianer“ in Neapel trat Savigny in einen herzlichen Kontakt ein17. Diese Beziehungen blieben auch nach der Rückkehr nach Deutschland bestehen, wie anhand der reichhaltigen, uns erhalten gebliebenen wissenschaftlichen Korrespondenz von Savigny im Einzelnen nachgewiesen werden kann. 2. In der Entwicklung der persönlichen Kontakte von Savigny mit der italienischen Gelehrtenwelt spiegeln sich das Fortschreiten und die Verschiebung der wissenschaftlichen Interessen von Savigny selbst. Bekanntlich trat er nach dem Erscheinen seiner frühen dogmatischen Schrift über das Recht des Besitzes während eines längeren Abschnitts seines wissenschaftlichen Lebens mit keinem weiteren dogmatischen Werk hervor. Diese lange, fast dreißig Jahre reichende Phase galt historisch-antiquarischen Studien; erst Mitte der dreißiger Jahre wandte sich Savigny mit der Ausarbeitung der ersten Bände des „Sys___________ 14 Die Auffassung von Thieme, Rechtsschule Savignys (Fn. 6), S. 264, wonach Salvotti „trotz einer zeitweiligen Tätigkeit in Oberitalien nicht zu denjenigen zu rechnen [sei], die dort für Savignys Lehren oder in ihrem Sinne gewirkt haben“, scheint insoweit revisionsbedürftig zu sein. 15 Vgl. im Einzelnen z. B. Brol, Antonio Salvotti (Fn. 13), S. 12-60, und die zahlreichen Hinweise bei Nicolini, Nicola Nicolini (Fn. 13). Für genaue Nachweise siehe infra Fn. 28 ff. 16 Vgl. darüber Prunas, L’Antologia di G.P. Viesseux. Storia di una rivista, Roma/Milano 1906; zu Savignys Besuch in Florenz vgl. insbes. cap. III, S. 163 ff. 17 Ausführlich darüber Ungari, L’età del codice civile (Fn. 6), cap. VIII, S. 100-117; zu Savignys Einfluss vgl. insbes. S. 106 und S. 114. Vgl. ferner Pessina, La scuola storica napoletana nella scienza del diritto, Napoli 1882. Zu Nicola Nicolini und seinen Beziehungen zu Savigny grundlegend Nicolini, Nicola Nicolini (Fn. 13), insbes. S. 8788; hier werden auch zahlreiche Briefe Savignys an Nicolini (von 1829 bis 1840) veröffentlicht.
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tems“, wie er selbst schreibt18, dem „Bedürfnis der lebendigen Gegenwart“, der Systematik und der dogmatischen Konstruktion wieder zu. In dieser ersten Phase galt in der Tat die Anknüpfung wissenschaftlicher Beziehungen in Italien primär den historisch-antiquarischen Interessen von Savigny selbst. Seine ersten Korrespondenten waren nicht Juristen, sondern vielmehr Philologen, Historiker, Archäologen, wie etwa der toskanische Archäologe Giuseppe Micali19, der Historiker Tonelli20 oder Pelazio Rossi21 aus Neapel; auch die Juristen wie Nicola Nicolini22 aus Neapel, Pietro Capei23 aus Florenz oder Federico Sclopis24 aus Turin, mit denen Savigny von Anfang an in einen regen brieflichen Kontakt trat, wurden gerade wegen ihrer historisch-philologischen Interessen angesprochen. Eine Durchsicht der erhalten gebliebenen Korrespondenz zeigt uns, dass diese wissenschaftlichen Kontakte fast ausschließlich den historischantiquarischen Untersuchungen Savignys dienten: so wurden ihm literarische Neuerscheinungen mitgeteilt25, alte Bücher besorgt26, neu entdeckte Inschriften oder Handschriften collagiert und ihm zur Verfügung gestellt27. Eine Untersuchung über die Entstehung der Savigny’schen „Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter“, die heute noch fehlt, wird unbedingt auch die Leistungen dieser vielen, häufig fast vergessenen italienischen Korrespondenten berücksichtigen müssen. Zu dieser Zeit wurde Savigny in Italien ebenfalls zunächst hauptsächlich als Autor historisch-antiquarischer Untersuchungen bekannt. Die Verbreitung der „Geschichte des Römischen Rechts“ ist in erster Linie den Bemühungen von Salvotti zu verdanken, der bereits Ende der zwan___________ 18
System, I, S. 186. Vgl. UB-Marburg, Ms. 725, Nr. 882. Zu Giuseppe Micali (1780-1844) und seinen Werken vgl. Nicolini, op. cit. (Fn. 13), S. 186. 20 Vgl. UB-Marburg, Ms. 725, Nr. 1337-1338 und Ms. 925 mit zahlreichen Briefen von 1831 bis 1839. 21 Vgl. UB-Marburg, Ms. 925 mit zahlreichen Briefen von 1827 bis 1839. 22 Darüber vgl. oben Fn. 17. 23 Vgl. UB-Marburg, Ms. 925 mit fast 40 Briefen von 1827 bis 1852. Über die Person und das Wirken Capeis vgl. im Einzelnen infra Fn. 49. 24 Vgl. Nicolini, op. cit. (Fn. 13), S. 426 ff., S. 429 ff. Federico Sclopis di Salerno (1798-1878) ist zweifellos eine der wichtigsten piemontesischen Persönlichkeiten während des 19. Jahrhunderts. Mitglied des Senats von Piemont und maßgebend beteiligt an den Kodifikationsarbeiten zwischen den Jahren 1831-1837, trat er durch eine umfangreiche wissenschaftliche und publizistische literarische Produktion hervor. Seine „Storia della antica legislazione del Piemonte“ (Torino 1833) war einer der ersten großen Beiträge am Anfang der Studien über die „storia del diritto italiano“. Vgl. im Einzelnen Erba, L’azione politica di Federico Sclopis dalla giovinezza alla codificazione albertina, Torino 1960, insbes. S. 47 ff. und S. 80-97. 25 Vgl. die Briefe Capeis an Savigny vom 7.8.1830, vom 8.1.1831, vom 10.3.1831, alle in UB-Marburg, Ms. 925. 26 So z. B. Capei an Savigny, Brief vom 16.3.1832, in UB-Marburg, Ms. 925. 27 Vgl. z. B. die Briefe Capeis an Savigny v. 25.5.1830 und v. 7.8.1830, ebd. 19
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ziger Jahre mehrmals die Initiative zu einer italienischen Übersetzung anregte und unterstützte; viele Übersetzungen wurden damals zwar in Angriff genommen, wie etwa von Rossi in Neapel28, Paride Zaiotti in Mailand29 und Leone Fortis in Venedig30, alle blieben jedoch in den Anfängen stecken und kamen nicht zur Veröffentlichung. Die „Geschichte“ fand in Italien zunächst durch Kompendien Verbreitung. Ebenfalls auf Anregung von Salvotti31 publizierte z. B. Capei zwischen den Jahren 1828 und 1832 in einigen Aufsätzen für die Zeitschrift „L’Antologia“32 eine sehr ausführliche Zusammenfassung der einzelnen Bände des Werkes, die einige Jahre später 1849 als übersetztes Kompendium des Gesamtwerkes noch einmal veröffentlicht wurde33. Eine ausführliche kritische Würdigung des Werkes wurde 1839 von Barsocchini in Lucca publiziert34. Vollständige italienische Übersetzungen erschienen einige Jahre später, zunächst in Florenz 1844-184535, jedoch auf der Basis der französischen Übersetzung von Guenoux, und eine zweite, weit bessere Originalübersetzung ___________ 28 Aus zwei Briefen von P. Rossi an Savigny (v. 1.2.1829 und v. 13.6.1828, in UBMarburg, Ms. 925) geht hervor, dass Rossi bereits mit der Übersetzung einiger Kapitel der „Geschichte des Römischen Rechts“ angefangen hatte, als A. Salvotti „mit fece partecipe della sua idea di intraprendere un’edizione italiana della dotta opera di Lei, e mi domandò se io non fossi fermo nello stesso impegno perchè allora se ne sarebbe astenuto“; Rossi gab aus diesem Grund seine Absicht auf. 29 Vgl. die Briefe Savignys an P. Zaiotti v. 15.5.1829 und v. 21.8.1832 (abgedruckt bei Nicolini, op. cit. [Fn. 13], S. 423-426) und die Briefe Zaiottis an Savigny in UBMarburg, Ms. 925 (von 1829 bis 1841). Siehe ferner den Brief v. Savigny an N. Nicolini v. 18.12.1829 (abgedruckt in Nicolini, op. cit. [Fn. 13], S. 87 ff., insbes. S. 89) und darüber Nicolini, op. cit. (Fn. 13), S. 90, n. 4. Vgl. ferner Luzio, Il processo PellicoMaroncelli (Fn. 13), S. 248 ff.; Brol, Antonio Salvotti (Fn. 13), S. 55 ff.; Patetta, Storia del diritto italiano (Fn. 3), S. 160. Siehe auch infra Fn. 80. 30 Vgl. Brol, Antonio Salvotti (Fn. 13), S. 12. 31 Vgl. Nicolini, op. cit. (Fn. 13), S. 89, n. 1. Bereits in seinem Brief v. 12.2.1827 (UB-Marburg, Ms. 925) schreibt Capei an Savigny: „adesso ho fra mano la Storia del diritto romano“ und teilt zugleich seine Absicht mit, einige „estratti“ in der Antologia zu veröffentlichen. Vgl. ferner die Briefe Capeis v. 18.2.1828 und v. 11.12.1828 (ebd.). 32 Antologia (Firenze) Nr. LXXXI (Iuglio 1828), S. 3-39; Nr. XCVII (gennaio 1829) S. 20-49; Nr. CI (maggio 1829), S. 25-62; Nr. XVI (ottobre 1829), S. 3-29; Nr. CXXXVI (aprile 1832), S. 143-172. Der letzte Beitrag blieb wegen des Verbots der Zeitschrift unvollendet (vgl. Brief Capeis an Savigny v. 10.3.1833, in UB-Marburg, Ms. 925). 33 Vgl. Istoria del gius romano nel Medio-evo del sig. F.C. Savigny ridotta in compendio, Siena 1849; vgl. darüber die Briefe Capeis an Savigny v. 2.4.1847 und v. 26.12.1849 (UB-Marburg, Ms. 925). Das Werk wurde sehr positiv von Mittermaier, in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes 23 (1851), S. 482, rezensiert. Darüber vgl. auch Brol, Antonio Salvotti (Fn. 13), S. 15. 34 Vgl. Barsocchini, Saggio di osservazioni (alla Storia del diritto romano di F.C. di Savigny), Atti della Regia Accademia lucchese di scienze, lettere ed arti, 10 (1840), S. 119-170. 35 Storia del diritto romano nel medioevo, I-III, Firenze 1844-1845. Zu den erheblichen Schwächen dieser Übersetzung vgl. Nicolini, op. cit. (Fn. 13), S. 90.
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von Bollati in Turin Ende der fünfziger Jahre36. Auch weitere historischphilologische Arbeiten von Savigny, wie beispielsweise die Aufsätze über die Lex Voconia und über die römische Steuerverfassung, fanden damals in Italien durch Übersetzungen Verbreitung37. Es wäre eine Untersuchung wert, der hier nicht nachgegangen werden kann, genau die Verbindungslinien aufzuspüren zwischen der Verbreitung dieser historischen Werke Savignys und den Anfängen der rechtshistorischen Studien in Italien, die bereits Mitte des Jahrhunderts zur Errichtung der ersten Lehrstühle für italienische Rechtsgeschichte führten38.
C. Die italienischen Schüler und ihr Einfluss 1. Savigny als Dogmatiker des Römischen Rechts wurde in Italien dagegen erst zu einem späteren Zeitpunkt bekannt; die literarische Verbreitung seiner juristischen Werke setzte in der Tat mit dem „Besitz“ erst Ende der dreißiger Jahre ein, und sogar noch später, wenn man die ersten Übersetzungen des „Systems“ berücksichtigt. Mit zwei Daten, 1828 und 1850, kann man diese italienische Rezeption der dogmatischen Lehren von Savigny zeitlich einordnen. Als Savigny 1828 seinen Reisebericht „Über den juristischen Unterricht in Italien“ ___________ 36
Storia del diritto romano nel Medio Evo di F. Carlo de Savigny. Prima versione dal tedesco dell’avvocato Emmanuele Bollati con note e giunte inedite, I-III, Torino 1854-1857 (Nachdruck Torino 1972). Aufschlussreich sind darüber die Briefe Bollatis an Savigny (UB-Marburg, Ms. 725, Nr. 133). Zu dieser Übersetzung vgl. ferner die Bemerkungen von Salvioni, La moneta bolognese e la traduzione italiana del Savigny, in: Atti e memorie della Regia deputazione di storia patria per le provincie di Romagna, 3. Serie, Bd. XII, Bologna 1895, S. 140-170, S. 471 ff. 37 So wurde die Arbeit „Ueber die Lex Voconia“ (Vermischte Schriften, I, S. 407446) bereits 1834 von Conticini in: Nuovo giornale dei letterati, vol. 29i (Pisa 1834), Nr. 77, S. 91-114, übersetzt. Der Aufsatz „Ueber die Römische Steuerverfassung“ (Vermischte Schriften, II, S. 67-148) wurde von di Vesme unter dem Titel „Delle imposizioni dirette sotto gli imperatori romani“ in der Zeitschrift Il Subalpino (Torino 1838) übersetzt. Vgl. ferner die Sammelbände von Turchiarulo, Ragionamenti storici di diritto del Prof. F.C. Savigny tradotti dall’originale tedesco e preceduti da un discorso, Napoli 1852 und von Tedeschi, Trattati quattro di giurisprudenza storica di F.C. di Savigny […] con Introduzione, Verona 1858. 38 So wurde z. B. ein Lehrstuhl für die „storia del diritto“ bereits 1846 an der Universität Turin eingeführt (vgl. Patetta, Storia del diritto italiano [Fn. 3], S. 174 ff.). Zwei Jahre später wurde eine ähnliche Reform auch für die Universität Pavia vorgeschlagen (vgl. Visconti, L’inizitiva dell’Istituto lombardo nel progetto di riforma degli studi nel 1848, in: Rendiconti dell’Istituto Lombardo di scienze e lettere, vol. LV (1922), S. 236 ff.). Über die Errichtung eines rechtshistorischen Lehrstuhls an der Universität Pisa anlässlich der damaligen Universitätsreform bereits 1840 vgl. Ungari, L’età del codice civile (Fn. 6), S. 70-71; vgl. ferner darüber Calasso, Savigny e l’Italia (Fn. 6), insbes. S. 6 ff. und infra Fn. 59.
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in der Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft veröffentlichte39, sprach er sich über die damalige italienische Rechtswissenschaft in einem fast durchweg negativen Urteil aus. Insbesondere schien ihm die Pflege der Studien im Römischen Recht in den italienischen Universitäten sehr mangelhaft zu sein; es fehlte, nach seinen eigenen Worten, „eine richtige Ansicht des Rechtsstudiums“40; selbst in der Toskana, wo das Römische Recht noch als Rechtsquelle unmittelbar galt, fand er eine Situation, „ungefähr so,“ – so Savigny selbst – „wie vor etwa dreißig Jahren auf unseren deutschen Universitäten die Pandekten gelesen zu werden pflegten“41. Was insbesondere seinen Anstoß erregte, war die Verbindung der Darstellung des Römischen Rechts mit den Abweichungen der geltenden Gesetzgebung und die damit verbundene fehlende Systematik in der Exposition der römischen Quellen42. „Die ganzen Pandekten“ – schreibt Savigny – „reduzieren sich nämlich auf einige dürftige Darstellungen willkürlich herausgehobener, nicht zusammenhängender Lehren“43. „Was fehlt“ – fährt er fort – „ist hauptsächlich die innere Rechtsgeschichte, die der Dogmatik und Exegese notwendig zur Grundlage dienen müsste, […] eine innere Verbindung zwischen Dogmatik und Exegese, die jetzt vereinzelt stehen, und sich gegenseitig nicht unterstützen“44. Zwanzig Jahre danach, als 1850 diese kleine Schrift noch einmal im vierten Band seiner „Vermischten Schriften“ nachgedruckt werden sollte, stellte Savigny jedoch in einer Vorbemerkung fest, „wäre dieser Aufsatz jetzt zu schreiben gewesen, so würde er in manchen Stücken weit erfreulichere Berichte zu geben gehabt haben“45. In der Tat erfuhr das juristisch-dogmatische Werk von Savigny während dieser zwanzig Jahre eine fruchtbare Verbreitung in Italien. Maßgebende Vermittler dieser Rezeption der Savigny’schen Methoden und Lehrmeinungen waren hauptsächlich einige jüngere toskanische Rechtsgelehrte, die zum Teil selbst persönlich in unmittelbarem wissenschaftlichen Kontakt zu Savigny standen. Noch Anfang der dreißiger Jahre war Savigny bei der älteren, noch weitgehend von der Aufklärung und der Naturrechtsschule geprägten italienischen Juristengeneration praktisch unbekannt: Romagnosi erwähnt ihn gerade noch einmal46; Forti lehnt ___________ 39
Vgl. Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 6 (1828), S. 201-228. Op. cit., S. 216. 41 Op. cit., S. 215. 42 Op. cit., S. 208; dabei dachte Savigny wohl an das Werk von Quartieri, Istituzioni di giurisprudenza romana e francese comparata, I-II, Pisa 1812; vgl. darüber Tarello, La scuola dell’esegesi (Fn. 5), S. 265. 43 Op. cit., S. 208. 44 Op. cit., S. 215. 45 Vermischte Schriften, Bd. IV, Berlin 1850, S. 309-342, insbes. S. 309. 46 Romagnosi (1761-1835) publizierte 1829 die Schrift Dello incivilimento italieno in relazione alla giurisprudenza, in deren Einleitung er ausdrücklich erklärt „di concordare“ mit Savigny „nei fatti“; siehe darüber Patetta, Storia del diritto italiano (Fn. 3), S. 163. 40
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lapidar ab, ohne Savigny selbst zu nennen, „di parlare di ciò che si possa o sperare o temere dall’amore, che prima o poi si anderà suscitando per la scuola storica di Germania“47. 2. Die harte Savigny’sche Kritik gegen die damalige italienische Rechtswissenschaft blieb allerdings auch in Italien, wo der Aufsatz zunächst in einer französischen Übersetzung bekannt wurde, nicht ganz ohne Echo. „Non le nasconderò“ – schrieb ihm 182948 Capei49, den Savigny bereits aus seinen italienischen Reisen kannte – „che alcuni de’nostri […] se ne sono stimati offes i“. „Le aggiungo“ – fuhr Capei jedoch fort – „che i bene affetti alla patria le vanno gratissimi di questa stangata […] che può destare una volta il buon giudizio“. In der Tat sind die ersten Ansätze zu einer Erneuerung des rechtswissenschaftlichen Studiums in der Toskana gerade in jenen Jahren zu verzeichnen. Die deutsche Universität und insbesondere die neuere deutsche historische Rechtswissenschaft boten das erstrebte Modell an. Dabei spielen zahlreiche persönliche Kontakte zu Savigny eine häufig entscheidende Rolle. Als Mitte der dreißiger Jahre eine Reform der juristischen Fakultäten in Angriff genommen wurde, sah sich die toskanische Regierung z. B. dazu veranlasst, durch die Vermittlung des berühmten Kriminalrechtlers Carmignani aus Pisa, eine gutachtliche Stellungnahme von Savigny selbst einzuholen50. Vergleichbar war die fast gleichzeitige Initiative, einen jüngeren Rechtsgelehrten aus Pisa, Pietro Conticini51, einige Jahre lang an deutschen Universitäten studieren zu lassen. Dieser konnte, bei Vermittlung von Capei52 und Carmignani53 und mit finanzieller Hil___________ 47
Vgl. Forti, Libri due delle Istituzioni di diritto civile accomodate all’uso del foro, I, Firenze 1840 (2. Aufl. Firenze 1863), S. 555. 48 Vgl. Brief Capeis an Savigny v. 30.5.1829 (UB-Marburg, Ms. 925); eine italienische Übersetzung des Savigny’schen Aufsatzes publizierte Turchiarulo erst 1852 in seinen Regionamenti storici (Fn. 37), S. 46 ff. 49 Pietro Capei (1796-1868), toskanischer Jurist, Historiker und Literat, war eine der bedeutsamsten Persönlichkeiten um den Kreis der Florentiner Zeitschrift „L’Antologia“ von P. Vieusseux. Seit 1833 Professor des römischen Rechts zunächst an der Universität Siena und später in Pisa, spielte er eine zentrale Rolle bei der Verbreitung der Lehren der deutschen historischen Rechtsschule in Italien. Zu ihm vgl. Capponi, Necrologia di Pietro Capei, in: Archivio storico italiano Ser. III, 8 (1868), S. 202-208; A.P., in: Enciclopedia Italiana, VIII, Roma 1930, S. 831-832; Treves, in: Dizionario Biografico Italiano, XIII, Roma 1975, S. 464-468 mit weiteren Hinweisen. 50 Vgl. Brief von Savigny an Carmignani v. 12.5.1838 (abgedruckt bei Nicolini, Nicola Nicolini [Fn. 13], S. 431-432). 51 Pietro Conticini (1805-1871); nach seinen Studien an der Universität Pisa und einem mehrjährigen Besuch der Universitäten Heidelberg und Berlin erhielt er 1839 den Lehrstuhl der Institutionen des Römischen Rechts in Siena und fünf Jahre danach denselben Lehrstuhl an der Fakultät zu Pisa. Vgl. zu seiner Person Nicolini, op. cit. (Fn. 13), S. 359 mit weiteren bibliographischen Nachweisen. 52 Vgl. Brief von Capei an Savigny v. 10.9.1835 (UB-Marburg, Ms. 925). 53 Vgl. die Briefe Savignys an Carmignani v. 31.12.1835 und v. 12.5.1838 (abgedruckt bei Nicolini, op. cit. [Fn. 13], S. 427-428 und S. 431-432).
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fe der großherzoglichen toskanischen Regierung, eine längere Studienreise nach Deutschland unternehmen, die ihn über Heidelberg nach Berlin führte; im Wintersemester 1835-1836 zählte er zu den Zuhörern der PandektenVorlesungen von Savigny54. Diese Studienreise ging wohl auf eine Anregung von Savigny selbst zurück, der sich mehrmals lobend über die Tüchtigkeit und die „gründlichen Studien“ dieses italienischen Schülers äußerte55. Eine Durchsicht der Korrespondenz zeigt in der Tat, dass Savigny solche Studienkontakte immer wieder unterstützt und ermutigt hat. Bezeichnend ist beispielsweise ein Brief Savignys an den piemontesischen Juristen und Historiker Federico Sclopis einige Jahre später. „Dans les précédents siècles“ – bemerkt Savigny56 – „des milliers d’étudiants de toute l’Europe passaient les Alpes pour faire leur droit en Italie. Que diriez-vous si dans nos temps les Italiens prenaient l’idée de nous rendre la visite? […] il suffirait“ – fährt Savigny fort – „qu’un très petit nombre de jeunes hommes exquis, destinés à remplir les chaires des universités, fussent encouragés et secourus par les gouvernements pour compléter leurs études pendant quelques années à l’étranger […] nouvelle espèce de missionaires internationaux“57. Darin erkennt man die Savigny’sche Überzeugung wieder, dass eine methodische Erneuerung der Rechtswissenschaft erst durch eine innere Reform von Lehrkörper und Rechtsunterricht an den Universitäten erreicht werden kann. In der Tat gelang es innerhalb weniger Jahre, eine beachtenswerte personelle Erneuerung an den beiden toskanischen JuristenFakultäten herbeizuführen: Bereits 1833 hatte Capei den Lehrstuhl der Institutionen in Siena erhalten58; an denselben Lehrstuhl wurde 1839 Conticini berufen, als Capei in Pisa einen anlässlich der Universitätsreform neu errichteten Lehrstuhl der Institutionen übernahm, „da insegnare“ – wie es im Reformprogramm heißt – „con metodo storico-filosofico-dommatico“59; ein Jahr später wurde an derselben Fakultät ein Lehrstuhl für Rechtsgeschichte errichtet, an welchen Bonaini, ebenfalls ein Anhänger der neuen historischen Schule, beru___________ 54 Vgl. die biographischen Hinweise bei Capei, Federico Carlo dei Savigny, in: Archivio storico italiano. Nuovo serie 16 (1862), insbes. S. 17-18. 55 So in: Vermischte Schriften, IV, Berlin 1850, S. 309. 56 Vgl. Brief Savignys an Sclopis v. 20.10.1851 (abgedruckt bei Nicolini, op. cit. [Fn. 13], S. 439-441, insbes. S. 440). 57 s. auch den Brief Savignys an Sclopis v. 19.12.1851 (abgedruckt bei Nicolini, op. cit. [Fn. 13], S. 441 ff.) und bereits den Brief Savignys an Carmignani v. 12.5.1838 (abgedruckt bei Nicolini, op. cit. [Fn. 13], S. 431-432). 58 Vgl. Treves, Pietro Capei, in: Dizionario Biografico Italiano (Fn. 49), insbes. S. 466; über diese personelle Erneuerung der juristischen Fakultäten zu Siena und zu Pisa vgl. auch del Giudice, Storia del diritto italiano (Fn. 6), S. 320-321; Ungari, L’età del codice civile (Fn. 6), S. 70-71. 59 Über die damalige Neuordnung der juristischen Fakultät zu Pisa und über die den einzelnen Lehrstühlen zugedachte Funktion vgl. die Einleitung zu den Annali delle Università toscane, Pisa, 1 (1846), S. VII-LIII, insbes. S. XXIV-XXVI.
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fen wurde60; auch Federico Del Rosso, seit 1825 Ordinarius für Pandekten an der Pisaner Fakultät, schloss sich bald dieser Gruppe von jüngeren Kollegen an61. Damit wurde die juristische Fakultät in Pisa, wie mit Recht Del Giudice zurückblickend bemerkt, „una delle prime propaggini in Italia della nuova scuola storica“62. Im Jahre 1850 konnte Savigny selbst lobend feststellen, wie „die Toskanische Regierung seit vielen Jahren eifrig und mit Erfolg bemüht gewesen [sei], die Universität zu verbessern, und besonders (welches stets die Hauptsache bleibt) gute Lehrer zu bilden und heran zu ziehen“63. Diese neue „toskanische Schule“ blieb weiterhin in einem engen wissenschaftlichen Kontakt mit Savigny verbunden: Conticini reiste z. B. mehrmals zu deutschen Universitäten und hatte Gelegenheit, auch später seinen Lehrer in Berlin zu besuchen64; Capei berichtete an Savigny in langen Briefen über seine Vorlesungen der Institutionen65 und fragte ihn gelegentlich nach seiner Auffassung zu einzelnen Rechtsfragen66; aus einem Brief geht sogar hervor, dass Savigny selbst Capei ausführliche Ratschläge zukommen ließ, wie Institutionen-Vorlesungen am zweckmäßigsten zu halten seien67; Capei wusste dankend zu berichten, dass die Vorlesungen, die er nach den „Istruzioni“ von Savigny erteilt hatte, „sono rimaste molto più accette alla gioventù68“. ___________ 60
Francesco Bonaini (1806-1874) war bereits seit 1827 Professor des kanonischen Rechts an der Universität Pisa; er trat durch zahlreiche antiquarische Studien hervor und leitete bis 1860 die toskanische Archivverwaltung; zu seiner Person vgl. Prunai, in: Dizionario Biografico Italiano, XI, Roma 1969, S. 513-516, insbes. S. 514. 61 Federico Del Rosso (1780-1859) war seit 1824 Professor der Institutionen und seit 1825 der Pandekten an der Universität Pisa; weder anlässlich der Reise von 1826 noch später scheint er unmittelbare Kontakte zu Savigny gehabt zu haben, der ihn in seinem Bericht „Ueber den juristischen Unterricht in Italien“ (Vermischte Schriften, IV, S. 319) kommentarlos erwähnt. Zu seiner Person vgl. Buonamici, Della vita e delle opere del Professore Federico Del Rosso. Discorso biografico. Pisa 1859, nachgedruckt als Federico Del Rosso, in: Annali delle Università toscane, Bd. XXIV, Pisa 1902. 62 So Del Giudice, Storia del diritto italiano (Fn. 6), S. 319; ferner Buonamici, Della scuola pisana del diritto romano o dei più chiari professori di diritto romano nell’Università di Pisa dalle sue origini all’anno 1870, in: Annali Università toscane 13 (1874), S. I-XXXII und Parte II, S. I-XIX; für ein Urteil über die damalige juristische Fakultät von Pisa vgl. auch den aufschlussreichen Brief Capeis an Savigny v. 10.9.1835 (UB-Marburg, Ms. 925). 63 So in: Vermischte Schriften, IV, Berlin, S. 309; vgl. auch Brief von Savigny an Carmignani v. 12.05.1838 (abgedruckt bei Brol, Antonio Salvotti [Fn. 13], S. 36). 64 Vgl. Brief von A. Salvotti an Zaiotti v. 20.10.1851 (abgedruckt bei Brol, Antonio Salvotti [Fn. 13], S. 36). 65 Vgl. die Briefe Capeis an Savigny v. 3.1.1834 und v. 2.5.1834 (UB-Marburg, Ms. 925). 66 Vgl. Brief Capeis an Savigny v. 28.5.1829 (UB-Marburg, Ms. 925). 67 Vgl. Brief Capeis an Savigny v. 2.9.1834 (UB-Marburg, Ms. 925). 68 Vgl. Brief Capeis an Savigny v. 10.9.1835 (UB-Marburg, Ms. 925); siehe auch den Brief Savignys an Carmignani v. 12.5.1838 (abgedruckt bei Nicolini, op. cit.
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3. Auch die Anfänge der literarischen Verbreitung der juristischen Schriften von Savigny in Italien sind in einem engen Zusammenhang mit der geschilderten Neuorientierung des Rechtsunterrichts in der Toskana zu sehen. Capei bedauert z. B. in einem seiner Briefe, dass die Studenten kaum auf brauchbare Literatur in italienischer Sprache zurückgreifen könnten69; besonders schmerzlich sei insbesondere das Fehlen eines geeigneten Lehrbuchs der Institutionen des Römischen Rechts. Als Studienbücher in den italienischen Universitäten lösten damals die ersten Übersetzungen der Institutionen-Lehrbücher von Mackeldey70 und Haimberger71 die aus dem 18. Jahrhundert stammenden und völlig veralteten Einleitungen von Vinnius und Heineccius ab72. Sie entsprachen jedoch kaum den methodischen Anforderungen der neuen Schule. Das Lehrbuch der Institutionen von Puchta erfuhr erst 1854 eine italienische Übersetzung73. ___________ [Fn. 13], S. 431-432), in welchem Savigny ausdrücklich darauf hinweist, dass Capei „a tâché de donner à ces cours la direction des nôtres d’après mes conseils“ (ebd., S. 432). 69 Vgl. Brief Capeis an Savigny v. 14.12.1834 (UB-Marburg, Ms. 925). 70 Für die Verbreitung z. B. des Lehrbuchs des heutigen Römischen Rechts von Mackeldey (1. Aufl. 1814), vgl. Mackeldey, Manuale di diritto romano contenente la teorica delle instituta cui precede una introduzione allo studio dello stesso diritto. Prima versione italiana corredata di annotazioni, del confronto e comento delle vigenti leggi del Regno […] a cura di F. Petroni, Napoli 1844-1847; Mackeldey, Manuale di diritto romano contente la teoria delle istitute preceduto dall’introduzione allo studio del diritto romano, Colle 1841. 71 Eine vergleichbar große Verbreitung erfuhr auch Haimbergers Reines Römisches Privatrecht (1. Aufl. 1829); vgl. z. B. Haimberger, Il diritto romano privato e puro, Venezia 1839; Il diritto romano privato e puro, Bellinzona 1851; Il diritto romano privato e puro. Versione di C. Bosio. Accresciuto del confronto colle leggi del Regno delle due Sicilie, con note e spiegazioni, Napoli 1846; weitere Auflage Torino 1857. Über die Heranziehung dieser Literatur im damaligen Universitätsunterricht, vgl. z. B. Maccaferri, Varii metodi usati nell’insegnamento del diritto nell’Università di Bologna dai Glossatori fino ai giorni nostri, in: L’Irnerio. Giornale di legislazione e di giurisprudenza, Bologna, 1 (1855), S. 229 ff., insbes. S. 234-237. 72 Bezeichnend sind z. B. die Bemerkungen von Luigi Capuano, in: Annali di diritto teorico-pratico. Neapel 2 (1856), S. 414-416: „La nuova direzione che presero gli studi giuridici del Diritto Romano […], fecero sentire in tutta Europa il bisogno di novelle istituzioni, attesocchè le antiche erano divenute insufficienti, non ostante i pregi di alcune di loro, come quella dell’Einnecio, e del Vultejo […] Se non che le prime istituzioni conformi ai nuovi bisogni si scrissero in Germania. Or sia per le poche relazioni che si avevano allora colla Germania; si perchè la maggior parte di quelle opere erano state scritte nell’idioma nazionale, ed esso era poco noto in Italia, sia per entrambe queste ragioni, noi ignorammo per lungo tempo i lavori della moderna scuola tedesca. Alla fine vedemmo dato cominciamento alle traduzioni le quali furono salutate ed accolte con molto favore.“ 73 Vgl. Puchta, Corso delle Istituzioni. Traduzione italiana di A. Turchiarulo, Napoli 1854. Über die spätere Verbreitung der Werke von Puchta sind auch zu berücksichtigen Puchta, Come ed in che modo il diritto romano è divenuto diritto attuale della Germania (traduzione di P. de Conciliis dei §§ 1-8 della Introduzione alle lezioni sul diritto romano attuale), in: Annali di diritto teorico-pratico. Opera periodica compilata per cura di L. Captano 2 (1856), S. 111 ff.; Gabba, Delle dottrine filosofico-giuridiche di G. F. Puch-
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In diese kulturelle Situation sind die Initiativen einzuordnen, die in jenen Jahren zu zahlreichen italienischen Übersetzungen der Werke von Savigny führten74. Neben den toskanischen Universitäten sind als weitere Zentren dieser literarischen Verbreitung insbesondere die Universität Padua75, wo der Einfluss von Salvotti besonders wirksam war und, etliche Jahre später allerdings, auch Neapel zu erwähnen. Bereits im Jahre 1832 hegte Capei die Absicht, die Savigny’sche Monographie zum Besitz zu übersetzen76. Eine vollständige italienische Übersetzung auf der Grundlage der sechsten deutschen Auflage wurde allerdings erst 1839 von Conticini publiziert77; dabei wurde er in vielfacher Weise von Salvotti unterstützt78; in Berlin konnte er ferner seine Arbeit von Savigny selbst überprüfen lassen79, der auch in den darauf folgenden Jahren, wie aus der Korrespondenz hervorgeht, stets mit kritischem und wachem Interesse die Übersetzungen seiner Schriften in Italien verfolgte80. Eine weitere Übertragung ins Italienische ___________ ta, e della scuola storica in generale, in: Gazzetta dei Tribunali. Giornale di legislazione e pratica giurisprudenza e dei pubblici dibattimenti 9 (1859), S. 257 ff. 74 Bezeichnend sind z. B. die Ausführungen Salvottis in seinem Brief an P. Zaiotti v. 22.6.1851 über die geplante Übersetzung des Savigny’schen Systems: „Se le mie idee saranno accolte, potremmo allora essere certi che gli studenti di diritto nelle nostra Università verrebbero tutti a provvedersi di un’opera che non ha pari“ (abgedruckt bei Brol, Antonio Salvotti [Fn. 13], S. 20). 75 Die Rolle der Universität Padua wird allerdings von Tarello, La scuola dell’esegesi (Fn. 5), S. 271, völlig überschätzt, wenn er, ohne die toskanischen Universitäten überhaupt zu erwähnen, behauptet „attorno all’Università di Padova si facevano i primi tentativi per diffondere in Italia il metodo e l’ideologia della Scuola storica“. 76 Vgl. Brief Capeis an Savigny v. 15.3.1832 (UB-Marburg, Ms. 925). 77 Vgl. Il diritto del possesso. Trattato civile del sig. dott. Cav. F.C. di Savigny, […] tradotto in italiano dall’avvocato Pietro Conticini, Firenze 1839. 78 Vgl. Luzio, Il processo Pellico-Maroncelli (Fn. 13), I, S. 249, n. 1. 79 So Conticini, in: Prefazione del traduttore, in: Il diritto del possesso, S. VII. 80 Exemplarisch dafür ist der Briefwechsel zwischen Savigny und Paride Zaiotti, wo Savigny freundlich auf die Fertigstellung der italienischen Übersetzung der „Geschichte des römischen Rechts“ drängt; vgl. die Briefe v. 21.8.1832 (abgedruckt bei Nicolini, Nicola Nicolini [Fn. 13], S. 424-425), v. 19.7.1838 und v. 14.12.1838 (abgedruckt ebd., S. 433-435). Ebenso bezeichnend ist die aus manchen Briefen ersichtliche Sorge Savignys, dass schlechte Übersetzungen aus wirtschaftlicher Spekulation herausgegeben würden, so dass „das Schlechte dem Besseren mercantilistisch hindernd in den Weg treten sollte“ (so in einem Brief Savignys an Zaiotti v. 16.6.1841, abgedruckt bei Nicolini, Nicola Nicolini [Fn. 13], S. 436). In der Tat wusste Savigny einmal die Übersetzungsabsichten eines Mailänder Verlegers zu verhindern (vgl. die Briefe Savignys an Zaiotti v. 16.6.1841 und 30.7.1851, abgedruckt bei Nicolini, op. cit. [Fn. 13], S. 435-438) und die Briefe Zaiottis an Savigny v. 20.7.1841 und 4.2.1842 (UB-Marburg, Ms. 925)]. Ebenso bestand Savigny bei seinen Korrespondenten auf einer wortgetreuen und vollständigen Übersetzung; „es würde mir ein wahrer und großer Dienst geschehen“ – schreibt er einmal – „wenn in der italienischen Uebersetzung kein Wort des Originals weggelassen würde“ (so Savigny an Zaiotti, Brief v. 30.7.1841, cit.; vgl. auch Conticini, Prefazione del traduttore [Fn. 79], S. VII). In der Tat überprüfte er manchmal Teile der Überset-
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des Besitzes wurde 1857 von Andreoli in Neapel veröffentlicht81. Mit dem Erscheinen des ersten Bandes fand das Savigny’sche „System“ auch in Italien sofort eine große Beachtung. Bereits 1840 meldete Capei die Absicht, eine Übersetzung der Einleitung, „con sue aggiunte“ – wie er an Savigny schrieb – in der neuen Zeitschrift der Universität Pisa, das Giornale toscano di scienza morali, zu veröffentlichen82. In derselben Zeitschrift publizierte Del Rosso ein Jahr später zwei ausführliche Rezensionen83. Auch in Lombardei-Venetien bemühte sich Salvotti um die Verbreitung des Werkes. Auf seine Anregung übersetzte Fortis 1840 die Einleitung und berichtete ausführlich darüber in einer Mitteilung an die venezianische Wissenschafts-Akademie84. Eine vollständige Übersetzung, die auf Initiative desselben Salvotti einige Jahre später von Paride Zaiotti unternommen wurde, kam nicht über den ersten Band hinaus85. Einzelne Kapitel des „Systems“ wurden allerdings in italienischer Übersetzung von Tedeschi86 und Bellavite87 in Padua und von Viscardi88 in Neapel als selbständige ___________ zungen, so bei Conticini (vgl. oben Fn. 79), bei Zaiotti (vgl. Brief Savignys an Zaiotti v. 19.7.1838, abgedruckt bei Nicolini, op. cit. [Fn. 13], S. 433) und noch zuletzt bei den ersten Versuchen der Übersetzung des Systems (vgl. Brief v. Salvotti an Zaiotti v. 20.10.1851, abgedruckt bei Brol, Antonio Salvotti [Fn. 13], S. 36). 81 Vgl. Savigny, Trattato del possesso secondo i principi del diritto romano, tradotto ed annotato da R. Andreoli, Napoli 1857; die Übersetzung basiert jedoch auf der schlechten französischen Übertragung von Beving, Traité de la possession d’après les principes du droit romain, Bruxelles 1840. 82 Vgl. Brief Capeis an Savigny v. 27.6.1840 (UB-Marburg, Ms. 925); daraus wurde jedoch offenbar nichts. 83 Vgl. del Rosso, Recensione del Sistema di diritto romano attuale di Savigny, in: Giornale toscano di scienze morali sociali storiche e filosofiche, pubblicato dai professori dell’Università di Pisa, 1 (1841), S. 119-126 und S. 1997 ff.; ders., Un primo passo verso la pace tra le scuole di diritto alemanne, ebd. 1 (1841), S. 127-134. 84 Vgl. Fortis, Sopra Federico Savigny e la sua opera intitolata: Sistema dell’odierno diritto romano, Rez. durch Carrer, Relazione degli studi nelle scienza morale […] durante gli anni 1838-1841, in: Relazioni Accademiche dell’Anno V, Venezia 1842, S. 37; darüber ausführlich vgl. Brol, Antonio Salvotti (Fn. 13), S. 12-13. 85 Vgl. Sistema del diritto romano attuale di F.C. di Savigny, prima traduzione italiana del dottore Paride Zaiotti (junior), coll’aggiunta di una biografia dell’autore e di una dissertazione dello stesso sullo stato odierno dello studio del diritto romano in Germania, I, Venezia 1856; darüber sehr ausführlich Brol, Antonio Salvotti (Fn. 13), passim. 86 Vgl. Tedeschi, op. cit. (Fn. 37), I, S. 59-80 (Einleitung zum System) und II, S. 93101 (System, VI, Beilage der exceptione rei judicatae, S. 501-513). 87 Bellavite, Savigny. Diritto internazionale privato. Succinta esposizione della dottrina di […] sul diritto internazionale privato, e sulla non retroattività della legge compreso nel vol. VIII ed ultimo dell’opera Il Sistema dell’odierno diritto romano, in: Giornale per le scienze politico-legali, I, Milano 1850, S. 706-726; II, Milano 1851, S. 1-35, S. 490-509, S. 664-679; es handelt sich dabei nur um eine ausführliche Zusammenfassung: I, S. 719: „è nostro unico intento esporre in compendio si ma fedelmente l’altrui dottrina“; ders., Non retroattività della legge. Dottrina di Savigny, dall’opera Il Sistema dell’odierno diritto romano, Vol. III, cap. II, ebd. III, Milano 1852, S. 115-130 (Es handelt sich um eine Wiedergabe der Ausführungen von Savigny, System, VI, §§ 296-299.
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Traktate herausgegeben. Vollständig wurde das gesamte Werk, jedoch auf der Grundlage der inzwischen erschienenen französischen Übersetzung von Guenoux, erst zwischen 1847 und 1855 in Neapel von Moschitti ins Italienische übertragen89. Die letzte und wohl auch die beste Übersetzung des „Systems“ gab noch Ende des Jahrhunderts der Romanist Vittorio Scialoja heraus90.
D. Die italienische Rezeption der Savigny’schen Lehren 1. Diese unmittelbare literarische Verbreitung der dogmatischen Werke von Savigny wurde zugleich durch eine zunehmende Rezeption seiner Lehren in der damaligen italienischen Rechtsliteratur begleitet. Damit gelangen wir zu der eingangs gestellten Frage nach dem Einfluss des dogmatischen Werkes Savignys auf die italienische Rechtswissenschaft seiner Zeit überhaupt. Es sei vorweg daran erinnert, dass die Stellung des Römischen Rechts in den italienischen Staaten des 19. Jahrhunderts eine ganz andere war als diejenige in Deutschland. Die Tradition des Römischen Gemeinen Rechts war in den meisten italienischen Territorien auch in der späteren Form einer subsidiären Geltung des „diritto comune“ seit Jahrzehnten zu Ende gegangen. Die Einführung des Code civil während der napoleonischen Zeit in die ganze Halbinsel stellte für die italienische Rechtsentwicklung einen Vorgang von entscheidender Bedeutung dar; auch nach der Restauration galten in den meisten italienischen Staaten Zivilgesetzbücher, die weitgehend dem Modell des französischen Code verpflichtet waren91. Die damalige italienische Rechtswissenschaft lehnte sich ebenfalls großenteils an französische Modelle an und in der ersten Hälfte des Jahrhunderts lässt sich eine massierte literarische Rezeption der Werke der da-
___________ Savigny wird selbst zwar nicht zitiert, jedoch zeigt ein Vergleich der Texte, dass Inhalt, Argumentationsfolge, Belege und Beispiele weitgehend dieselben sind). 88 Vgl. Savigny, Violenza ed errore. Prima versione italiana tratta dal terzo volume dell’originale alemanno intitolato Sistema del diritto romano odierno per cura di L. Viscardi, con annotazioni del traduttore, Napoli 1843. 89 Vgl. Il diritto romano di F.C. Savigny, prima versione italiana col confronto della legislazione delle Due Sicilie di Ciro Moschetti, I-III, Napoli 1847-1855; das Werk basiert jedoch auf der französischen Übersetzung von Guenoux (Paris 1840-1851; 2. Aufl., 1855-1859). 90 Vgl. Sistema del diritto romano attuale. Traduzione dall’originale tedesco di Vittorio Scialoja, I-VIII, Torino 1886-1896. Das Obligationenrecht wurde erst im 20. Jahrhundert von G. Pacchioni übersetzt (Torino 1912-1915). 91 Vgl. darüber Ranieri, Zivilkodifikation in Italien, in: Coing (ed.), Handbuch der Quellen und der Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, III, 1, Rechtsgeschichte, München 1980.
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maligen französischen Ecole de l’exégèse beobachten92. Wenn das Römische Recht gelehrt wurde, geschah dies meistens in einer exegetischen Gegenüberstellung der Stellen des Corpus Iuris zu den Bestimmungen der geltenden Zivilgesetzbücher. Die Tradition des „diritto comune“ blieb in Geltung als subsidiäre Rechtsquelle nur in den Territorien des Kirchenstaates und im Großherzogtum Toskana. Besonders in der Toskana, wo es nach der Restauration nicht zu einer umfassenden Privatrechtsgesetzgebung kam, behielt das Römische Recht als unmittelbare Rechtsquelle eine zentrale Bedeutung93. Insoweit wird es verständlich, dass die Lehren Savignys und der neuen deutschen historischen Rechtswissenschaft zunächst gerade in den toskanischen Universitäten Verbreitung fanden. Von toskanischen Juristen stammen auch die ersten juristischen Werke, in denen die Lehren Savignys übernommen und dargestellt wurden. Wenn man von der bereits erwähnten reichhaltigen Übersetzungsliteratur absieht, sind die literarischen Zeugnisse der Anfänge dieser „Frührezeption“ deutscher Rechtswissenschaft in Italien jedoch spärlich, da diese Juristen hauptsächlich durch ihren Universitätsunterricht wirkten. Die PandektenVorlesungen von Conticini wurden erst 1876 posthum und nur zum Teil herausgegeben94. Ein „Manuale di istituzioni storico-dogmatiche“ von Capei, das nach den Worten von Capei selbst, besonders dem Savigny’schen System verpflichtet gewesen sein soll95, blieb unveröffentlicht96. Den Verbleib des Manuskripts konnte ich bisher nicht ermitteln. Von demselben Capei stammt aus dem Jahre 1845 auch eine Abhandlung „Sul metodo di esporre il diritto romano nella scuola delle Institute e nella scuola delle Pandette“97. Im Jahre 1844 wurde in Pisa ein umfangreiches „Saggio di diritto privato romano attuale“ von Fe___________ 92 Darüber Tarello, La scuola dell’esegesi (Fn. 5), in: Scritti per il XL della morte di P.E. Bensa, Milano 1969, S. 241-276; Ranieri, Le traduzioni e le annotazioni di opere giuridiche straniere (Fn. 11), S. 1492-1494 [in diesem Band S. 51]. 93 Vgl. Ranieri, Zivilkodifikation in Italien (Fn. 91). 94 Vgl. Conticini, Lezione di Pandette raccolte ed ordinate da Filippo Serafini, I, Pisa 1876. 95 Über seine Absicht, ein Institutionenlehrbuch vorzubereiten, berichtet Capei an Savigny bereits in seinem Brief v. 27.6.1840 (UB-Marburg, Ms. 925). Im Jahre 1842 war ein Manuskript bereits fertig gestellt und in seinem Brief v. 25.3.1842 schrieb Capei an Savigny „da tutto [d. h. aus den Bänden des Systems] ho tratto utilità per quel Manuale di diritto romano che sto preparando“. Zu der Vorbereitung dieses Lehrbuchs vgl. auch die wohl skeptischen Bemerkungen von Forti, Libri due delle Istituzioni di diritto civile (Fn. 47), S. 555. 96 Vgl. A. P., in: Enciclopedia Italiana, sub Capei, Bd. VIII, Roma 1930, S. 832; das Manuskript trug den Titel „Istoria, antichità ed istituzioni del diritto romano“. 97 Pisa 1845. Vgl. auch Annali delle Università toscane, Pisa, 1 (1846), S. 1-21. In seinem Brief v. 7.3.1845 an Savigny bekennt Capei „questo discorso col quale avevo inaugurato quest’anno le mie prelazioni sulle pandette è a Lei specialmente dovuto“ (UB-Marburg, Ms. 925).
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derico Del Rosso und zwei seiner Schüler veröffentlicht98, aus welchem deutlich hervorgeht, dass die Verfasser bereits die ersten Bände des Savigny’schen „Systems“ kannten. Auf spätere Schriften, die auch außerhalb der Toskana erschienen sind, wie etwa von Turchiarulo und von De Crescenzio in Neapel, von Bellavite und von Tedeschi in Padua, sei hier nur hingewiesen99. 2. Die Frage, die sich hier nun aufdrängt, ist, inwieweit die literarische Kenntnis der Werke von Savigny und der damaligen deutschen Historischen Rechtsschule, die diese Autoren zweifellos besaßen, auch zu einer Erneuerung der rechtswissenschaftlichen Studien in Italien den Methoden und den Inhalten nach geführt haben. Das Bild, das sich aus dieser italienischen „Frührezeption“ der deutschen Rechtswissenschaft ergibt, ist recht widersprüchlich. In den Intentionen dieser Autoren, wie sie aus den Vorworten und aus der grundsätzlichen Einleitung hervortreten, ist zweifellos das Savigny’sche Gedankengut unverkennbar. „Nell’universo mondo giuridico era il bisogno“ – ___________ 98 Vgl. Del Rosso, Saggio di diritto privato romano attuale, preceduto da introduzioni di diritto naturale e seguito da note perpetue di gius romano (ed. Luigi Becagli e Germano Severini), I-VII, Pisa 1841-1845. 99 Ohne hier Vollständigkeit anzustreben, vgl. Turchiarulo, Discorso preliminare del traduttore, Parte I: Idee generali sul modo di considerare la storia. Parte II: Applicazione delle precedenti idee alla storia del diritto. Giudizio sulla scuola storica tedesca, in: Ragionamenti storici di diritto del Prof. F.C. Savigny, Napoli 1852; Tedeschi, Della vita scientifica e delle opere di Savigny e della importanza della scuola storica di diritto, Verona 1857; Salvotti, Discorso di insediamento della camera degli avvocati in Trento, in: L’Eco dei Tribunali, sezione seconda. Giornale di giurisprudenza civile 1 (1851), S. 77 ff., insbes. S. 78-79. Zu der damaligen Literatur vgl. Mittermaier, in: Kritische Zeitschrift (Fn. 33), S. 298 ff., S. 300-301: „Unsere deutschen Leser werden jedoch mit Vergnügen bemerken, dass eben in neuester Zeit das Interesse der italiänischen Juristen an rechtswissenschaftlichen Arbeiten vermehrt ist, und insbesondere Uebersetzungen deutscher Werke oder Bearbeitungen derselben veranlasst hat“; vgl. ferner Gabba, Rivista delle pubblicazioni estere di giurisprudenza e di scienza della legislazione. Prefazione, in: Gazzetta dei tribunali. Giornale di legislazione e pratica giurisprudenza e dei pubblici dibattimenti 9 (1859), S. 1 ff. Eine Übersicht über die damalige italienische romanistische Literatur wird geboten von Brugi, I Romanisti della scuola storica e la sociologia contemporanea, in: Il circolo giuridico. Rivista di legislazione e giurisprudenza (Palermo) 14 (1883), S. 151 ff.; vgl. mit weiteren Hinweisen Del Giudice, Storia del diritto italiano (Fn. 6), S. 321-324. Aus dieser früheren Romanisten-Generation seien hier wenigstens drei Namen genannt: Nicola De Crescenzio (1822-1895), Professor des römischen Rechts an der Universität Neapel, der in seinem „Sistema di diritto civile romano“ (2. Aufl., Napoli 1869) „volgarizza i migliori risultati della scienza tedesca“ (so Rocco, La scienza del diritto privato in Italia negli ultimi cinquant’anni, in: Rivista di dir. comm. 9 (1911), S. 289); Luigi Bellavite (1821-1885), Professor an der Universität Padua, seit 1855 für Römisches Recht und seit 1851 auch für Zivilrecht (zu seiner Person vgl. Rocco, La scienza, S. 292 und zuletzt Grossi, in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 5/6 (1976-1977), S. 325-327); Filippo Serafini (1831-1897), seit 1858 Professor des Römischen Rechts an der Universität Pavia, einer der Gründer der neueren italienischen Zivilrechtswissenschaft (vgl. Del Giudice, op. cit., S. 321-322).
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schreiben z. B. die Herausgeber des erwähnten „Saggio di diritto privato romano attuale“100 – „di risalire ai principi“; es gelte nunmehr, die Irrtümer aus dem 18. Jahrhundert abzulehnen, „quello spirito falso di cercare questa fiaccola […] nei domini di un fantastico gius publico universale“101. Die Rückkehr zu den Quellen des Römischen Rechts wird verkündet. „Studiare il passato“ – dies sei die neue wahre Aufgabe – „raccoglierne la sapienza, ricondurla alle sue ultime origini“102. „Sciaguratamente“ – fahren die Herausgeber des Saggio fort – „l’età novella ambiva a rigenerarsi staccandosi dal passato, […] anche allorquando si credè nella potenza della codificazione, e si tentò di imporre alla forza organica del diritto una legislazione che volevasi nuova […] i compilatori […] non poterono dimenticare la sapienza romana“103. Das neue Studium des Römischen Rechts bietet sich insoweit zugleich als Absage und als Alternative zu der Illusion einer Zivilrechtskodifikation an. „Ecco il vero codice, che potrebbe eliminare i dubbi e le pretensioni dei novelli codificatori“104. Das Savigny’sche „System“ wurde von Del Rosso ausdrücklich als „il miglior comento possibile di tutti i codici presenti e futuri“ gefeiert105; und als einige Jahre danach die toskanische Regierung sich zu der Vorbereitung eines Zivilgesetzbuchs entschloss, war es in der Tat Capei, der, in die Kodifikationskommission berufen, hier als Wortführer derjenigen auftrat, die die Notwendigkeit einer Zivilrechtskodifikation überhaupt in Frage stellten und schließlich das Unternehmen scheitern ließen106. Diese Ausführungen über die grundsätzliche Ab___________ 100
Vgl. Del Rosso, Saggio (Fn. 98), I, Prefazione degli editori, S. XXVII. So op. loc. cit. 102 So op. cit., S. XXIX. 103 So op. cit., S. XXVIII; es fehlte allerdings auch nicht an ausdrücklichen Gegnern der neuen historischen Schule; vgl. z. B. Carcano, Prelezione ad un corso di diritto romano, in: Giornale per le scienze politico-legali, II, Milano 1851, S. 793-819, S. 906959; III, Milano 1852, S. 997-1096; diese Arbeit ist ganz der naturrechtlichen Tradition verpflichtet; bezeichnend sind z. B. die häufigen Zitate von Zeiller, Romagnosi, Rosmini usw. Der Verfasser bemerkt ausdrücklich (II, S. 801), „noi ci dichiarimo pel metodo dell’osservazione interna e della dimostrazione, ripudiando l’opinione degli scrittori che vorrebbero porre quel criterio (del principio del diritto) nel consenso dell’umanità esplorato a mezzo della storia“. 104 So Prefazione, cit., S. XXIX. 105 So Del Rosso, in: Giornale toscano di scienze morali, Pisa, 1 (1841), insbes. S. 124; bezeichnend sind auch die Ausführungen Salvottis in seinem Brief v. 30.5.1851 an Zaiotti (abgedruckt bei Brol, Antonio Salvotti [Fn. 13], S. 16), „non abbiamo tanto mestieri di Codici, quanto di rianimare lo studio del diritto positivo, e quindi di formare un ceto di distinti e veri giurisperiti. L’opera che può sola ricreare la scienza legale anche in Italia, è il Sistema del diritto romano odierno del Savigny“. Es ist insoweit kein Zufall, dass der Savigny’sche „Beruf“ erst in jenen Jahren in Italien übersetzt wurde: in Napoli 1847 durch Lo Gatto und in Verona 1857 durch Giuseppe Tedeschi. 106 Über die Initiative und den Ausgang des im Jahre 1847 unternommenen Versuchs einer Zivilrechtskodifikation im Großherzogtum Toskana vgl. Ranieri, Zivilkodifikation in Italien (Fn. 91). 101
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lehnung einer Zivilrechtskodifikation, zu einer Zeit, als der Kodifikationsgedanke sich nunmehr in fast allen italienischen Staaten widerspruchslos durchgesetzt hatte, machen zugleich die ideologischen Hintergründe dieser Hinwendung zur historischen Rechtstradition sichtbar107. „Ecco un modo“ – schreiben unverhüllt die Herausgeber des Saggio di diritto privato romano attuale108 – „di far conoscere la dottrina della proprietà, che potrebbe guarire, a nostro credere, la mente ammalata di quella ciurma di disperati, nelle cui varie insegne sta scritto maledizione alle proprietà“. Was hier formuliert wird, ist in der Tat die historische Legitimität der bestehenden Rechts- und Sozialordnung. Die Ablehnung eines Zivilgesetzbuchs als Festsetzung neuen Rechts galt also zugleich als Absage an eine in Italien seit der napoleonischen Zeit immer lebendig gebliebene, demokratische, der Aufklärung verpflichtete Auffassung von Recht und Gesellschaft. Es ist insoweit kein Zufall, dass einige Jahre später Antonio Salvotti als Vertrauter des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein gerade dessen Universitätsreform ausdrücklich unterstützte109, als „das Naturrecht für die Revolution verantwortlich“ gemacht werden sollte und der juristische Unterricht sich „auf die traditionellen Werte, auf alles, was das restaurative System fördern konnte, darunter eben auch die Historische Schule“110, neu gründen musste. „Non trovo“ – schreibt bezeichnenderweise Salvotti im August 1852111 – „altro mezzo più atto a sviare gli ingegni da questa via perniciosa (nämlich einer demokratischen Revolution), che coll’allettarli a studi solidi e positivi. E di questi non fu mai si manifesto il bisogno che in oggi, in cui si crano e si migliorano i Codici. Il mio pensiero di veder tradotto il Savigny aveva anche questo scopo“112. ___________ 107 Zu den ideologischen und politischen Implikationen der Savigny’schen Rechtsauffassung vgl. die Bemerkungen Wilhelms, Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert, Frankfurt 1958, S. 36-44; zustimmend zuletzt Mazzacane zur italienischen Übersetzung, in: Quaderni fiorentini 3/4 (1974-1975), S. 753-762; Dilcher, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 61 (1975), insbes. S. 523. 108 So Del Rosso, Saggio (Fn. 98), I Prefazione degli editori, S. XXIX. 109 Vgl. Salvotti an Zaiotti, Brief v. 27.7.1851 (abgedruckt bei Brol, Antonio Salvotti [Fn. 13], S. 28-29), „l’opera del Savigny sarà la scintilla che versata sull’Italia non vi cadrà spenta. In Vienna poi tento di far penetrare nella convinzione del ministro le necessità di dare una più efficace direzione allo studio giuridico collo imporre lo studio del diritto romano, […] e chiamando taluno dei più illustri professori della Germania.“ 110 So Baltl, Österreichische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., Graz 1977, S. 265; vgl. ferner Lentze, Die Universitätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein, Wien 1962; Thienen-Adlerflycht, Graf Leo Thun im Vormärz. Grundlagen des böhmischen Konservatismus im Kaisertum Österreich, Graz/Wien/Köln 1967. 111 So Salvotti an Zaiotti, Brief v. 30.8.1852 (abgedruckt bei Brol, Antonio Salvotti [Fn. 13], S. 49-51, insbes. S. 50); vgl. auch die Briefe Salvottis v. 12.12.1853 (bei Brol, op. cit. [Fn. 13], S. 56) und v. 24.12.1853 (bei Brol, S. 60). 112 Einige biographische Daten ergänzen in bezeichnender Weise das oben skizzierte Bild. So traten bekanntlich Salvotti und Zaiotti senior in ihrer Gerichtstätigkeit als unerbittliche Gegner der liberaldemokratischen und nationalgesinnten Kräfte in Lombardo-
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
3. Fragt man nach dem tatsächlichen Ertrag dieser wissenschaftlichen Rezeption, so ist unbestreitbar, dass die italienischen Autoren die neueren deutschen quellen-exegetischen Studien durchaus gekannt haben. Man könnte beispielsweise eine ganze Reihe von Stellen des „Saggio“ von Del Rosso anführen, wo Savignys „Besitz“ oder „System“ zu Einzelfragen zutreffend herangezogen werden113. Die fernere Frage, die sich hier anschließen sollte, ob die neuen Interpretationen der Quellen auch in die praktische Anwendung des Römischen Rechts Eingang fanden, kann ich hier nur andeuten. Die praktische Literatur zum Römischen Recht aus dieser Zeit ist für Italien kaum untersucht worden; noch weniger bekannt ist die Rechtsprechung der toskanischen und römischen Gerichte aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Immerhin ist es bereits erwähnenswert, dass die römisch-rechtliche Judikatur dieser Gerichte selbst von damaligen deutschen Juristen durchweg positiv beurteilt wurde. Bereits 1842 konnte z. B. Mittermaier darauf hinweisen, wie lehrreich die Judikatur der Gerichte in der Toskana und im Kirchenstaat zu studieren sei und „die Art“ – so Mittermaier selbst – „wie römische Institute durch die Praxis der Gerichte Italiens fortgebildet wurden, kennen zu lernen“114. „Die römischen Fragmente“ – fährt Mittermaier fort – „sind verständig angewendet, und da, wo sie die Richter anführen, enthalten die Entscheidungsgründe eine klare und richtige Prüfung des wahren Geistes jener Stellen“115. Inwieweit die Lehrmeinungen von Savigny und seinen Schülern die zeitgenössische gemeinrechtliche Praxis in Italien beeinflusst haben, lässt sich allerdings schwer sagen. An konkreten Beispielen fehlt es in der Tat nicht. Anschaulich lässt sich dies etwa bei der Behandlung der Frage des Erwerbs einer Grunddienstbarkeit durch eine „praescriptio longi temporis“ darstellen. Die römischen Quellen darüber sind ___________ Venetien hervor (vgl. darüber sehr ausführlich Luzio, Il processo Pellico-Maroncelli (Fn. 13), S. 250; Patetta, Storia del diritto italiano (Fn. 3), S. 160, spricht von einem „fimgerato inquisitore austriaco“). Auch Sclopis galt seit 1848 als Wortführer der streng konservativen Mehrheit des piemontesischen Senats in Turin; es ist erwähnenswert, dass er 1851 in seinem Widerstandskampf gegen die geplante Säkularisierung des Eherechts und die Einführung der Zivilehe eine ausführliche briefliche Stellungnahme von Savigny persönlich einholte, um dieselbe in die Debatte einzuführen (vgl. die Briefe Savignys an Sclopis v. 19.12.1851 und v. 9.2.1852, abgedruckt bei Nicolini, op. cit. (Fn. 13), S. 441-444; darüber einige Hinweise bei Vitale, Il tentativo di introdurre il matrimonio civile in Piemonte 1850-1852, Torino 1951, S. 96; Erba, L’azione politica, S. 173). Selbst Pietro Capei reiht sich in diesen Kreis ein: bereits im Jahre 1848 deutlich gegen die revolutionären Unruhen, wandte er sich 1859-1860 gegen die Vereinigung mit Piemont; vgl. Treves, in: Dizionario Biografico Italiano (Fn. 49), insbes. S. 467. 113 Ohne hier Vollständigkeit anzustreben, vgl. z. B. Del Rosso, Saggio di diritto privato romano attuale (Fn. 98), S. 51, 52, 55, 73, 82, 83, 85, 91, 93, 94, 97 usw. 114 So Mittermaier, Ueber die Fortschritte der juristischen Literatur und den Zustand des Rechtsstudiums in Italien, in: Kritische Zeitschrift 14 (1842), S. 573-574, insbes. S. 574. 115 So Mittermaier (Fn. 114), S. 574; vgl. auch S. 575-576 und S. 168-196; vgl. ferner Mittermaier, in: Kritische Zeitschrift 24 (1852), S. 469.
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bekanntlich widersprüchlich. Im Usus modernus hatte sich eine gesicherte communis opinio, die auf Azo und Bartolus zurückging, dahingehend gebildet, dass für den Erwerb einer nicht ständig ausgeübten Grunddienstbarkeit (servitus discontinua) eine „longi temporis praescriptio“ nicht ausreiche, sondern eine „longissimi temporis praescriptio“, nach einigen Autoren sogar das „immemorabile“ erforderlich sei. Ferner wurde als weitere Voraussetzung verlangt, dass nicht nur die „quasi possessio“ – wie es in den Quellen heißt – „nec vim, nec clam, nec praecario“ ausgeübt werde, sondern dass auch eine „scientia et patientia“ des Grundstückseigentümers vorliege116. Eine Neuorientierung auf diesem Rechtsgebiet brachte die deutsche historische Schule. Es galt auch hier, das Recht von allen „Unbildungen“ – wie Savigny sie nennt117 – und Änderungen, die im Laufe der Jahrhunderte hinzugekommen waren, zu bereinigen. Das Erfordernis der „scientia et patientia“ wurde als nicht den justinianischen Quellen gemäß fallengelassen; ferner wurde für den Erwerb von Grunddienstbarkeiten aller Art nur die „praescriptio longi temporis“ von jeweils zehn oder 20 Jahren verlangt. Savigny fasst die neue Lehre so zusammen118: „Anstatt des positiven Rechtstitels, […] wird hier (d. h. beim Erwerb einer Servitut durch die longi temporis praescriptio) nur gleichsam ein negativer Titel gefordert; der Besitz soll weder mit Gewalt, noch heimlich, noch bittweise angefangen haben.“ „Mit Unrecht“ – bemerkt Savigny – „haben manche die scientia schlechthin zu einer Bedingung der Servitutenersitzung machen wollen […] Diese Ersitzung sollte gewiß bey allen Arten der Prädialservituten gelten“119. Diese neue Auslegung der Quellen ist auch den italienischen Autoren nicht unbekannt geblieben. In den Anmerkungen zum Saggio von Del Rosso werden bereits zu dieser Frage zustimmend die Auffassungen von Hasse und Savigny zitiert120, wenn auch noch einschränkend darauf hingewiesen wird, dass „nel foro non si ammetterebbe che l’immemorabile“121. Zehn Jahre später wird die neue Lehre in einer ausführlichen Abhandlung über die „usucapio“ und die „praesc-
___________ 116
Für eine vollständige Übersicht zu den gemeinrechtlichen Lehrmeinungen vgl. Schupfer, Scienza e pazienza del domino nell’usucapione delle servitù secondo il diritto romano e comune, in: Il Foro italiano 1897, I, S. 322 ff. 117 System, I, § 20, S. 92. 118 System, IV, § 197, S. 494. 119 Op. loc. cit.; vgl. auch S. 504-505, wo Savigny, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf System, I, § 20, die gemeinrechtliche communis opinio der „Anwendung der unvordenklichen Zeit auf die discontinuae servitutes“, für einen Fall hält, „worin selbst jene Gerichte, wenn sie sich von dem bisher gehegten theoretischen Irrthum überzeugen, denselben aufzugeben und den entgegen gesetzten Grundsatz für die Zukunft anzuwenden haben“. 120 Vgl. Saggio di diritto privato romano attuale, VI, Pisa 1844, S. 162-163. 121 So op. cit., S. 163.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
riptio longi temporis“ von Bellavite nunmehr ausnahmslos übernommen122. Mitte des Jahrhunderts finden wir Judikate, die belegen, dass sie auch in die Rechtsprechung der Gerichte Eingang gefunden hatte123. Eine solche Wendung der Judikatur wäre nach den Worten von Schüpfer auf die „benefica influenza“ zurückzuführen, „che la scuola storica ha pur esercitato a pro’ di una limitata trasformazione del diritto comune; […] tutto il contesto delle decisioni“ – fährt Schüpfer fort – „dimostra come la nuova convinzione dei magistrati non datasse da allora, ed anzi risalisse assai tempo addietro, frutto di studi più profondi e più scientifici“124. 4. Man sollte allerdings diese Behauptung nicht überbewerten. Wenn man nämlich über die grundsätzlichen Äußerungen hinaus auch die Sachdarstellungen dieser Autoren genau liest, gewinnt man häufig den Eindruck, dass sie die eigentliche schöpferische Novität des Savigny’schen „Systems“ nicht bewusst und konsequent mit vollzogen haben. Savigny wird zwar immer wieder als Autorität bei der Auslegung einzelner Stellen des Corpus Iuris herangezogen; nicht mit vollzogen wird allerdings die Savigny’sche, eigentümlich neue Konstruktion des Stoffes, die bewusste schöpferische Selektierung der Quellen nach Stellenwert und Leistung im System. Bereits die damaligen unzulänglichen Übersetzungen125 des Titels des „Systems des heutigen römischen Rechts“ sind symptomatisch für diese Missdeutung des Savigny’schen Werkes. „Diritto romano“ ist nicht das Savigny’sche „heutige römische Recht“126; statt einer allgemeinen Theorie des modernen Zivilrechts wurde bei Savigny zunächst nur eine Darstellung der historischen Quellen des Römischen Rechts gesucht. Die Kategorie eines „diritto civile comune moderno, ossia romano attuale“127 tauch___________ 122 Vgl. Bellavite, Dell’usucapio, del non usus, della praescriptio longi et longissimi temporis secondo il diritto romano e canonico, con qualche riguardo ai moderni codici, in: Giornale per le scienze politico-legali, III, Milano 1852, S. 402-426. 123 Vgl. Rota romana, Decisio v. 1.12.1865 Centumcellarum transitus, Coram Cajani; Rota romana, Decisio v. 10.6.1870 Romana transitus, Coram Sibilia. Noch im Sinne der alten Lehre vgl. dagegen Trib. Civ. Roma v. 13.3.1854, in: Giornale del Foro 1854, II, S. 211. 124 So Schupfer, Scienza e pazienza (Fn. 116), S. 323; vgl. ferner Bigiavi, Appunti sul diritto giudiziario, in: Studi Urbinati 7 (1933), insbes. S. 97 ff. Die Auffassung von Koschaker, Europa (Fn. 6), S. 277, „daß die Leistungen der historischen Schule als Professorenrecht die Praxis in Deutschland nur in geringem Umfange und erst recht nicht die des Auslandes beeindruckt haben“, scheint insoweit nicht ganz akzeptabel zu sein. 125 Über die sprachliche Unzulänglichkeit der ersten Übersetzungen des Systems vgl. Scialoja, Prefazione generale del traduttore (Fn. 7), S. VI-XVII, mit zahlreichen Belegen. 126 Auf diese missverständliche Übersetzung machte bereits Turchiarulo in Ragionamenti storici (Fn. 37) aufmerksam; vgl. auch Scialoja, S. VII. 127 So Serafini, Il telegrafo in relazione alla giurisprudenza civile e comerciale, Pavia 1862, S. 37; vgl. auch Gabba, in: Gazzetta dei Tribunali (Fn. 99), S. 1: „può con ragione parlarsi oggidî di un diritto privato generale delle nazioni incivilite, il quale consta di moltissimi istituti regolati dovunque dall’istesso punto di vista.“
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te in der italienischen Zivilistik erst in einer späteren Phase auf; Ende des Jahrhunderts konnte Scialoja in der Tat programmatisch verkünden „il libro del Savigny è essenzialmente un trattato di diritto civile, […] noi abbiamo i nostri codici di diritto privato, i quali pure contengono una gran parte di diritto privato romano; è quindi necessario anche per noi di esaminare quanta parte del diritto romano sia ancora, non formalmente, ma sostanzialmente, in vigore“128. In der ersten Phase dieser „Frührezeption“ deutscher Rechtswissenschaft in Italien wurde Savigny dagegen hauptsächlich als eine weitere gemeinrechtliche Autorität aus einem literarischen Traditionszusammenhang verstanden. Einige Beispiele können diesen literarischen Funktionswandel des Savigny’schen „Systems“ ausreichend belegen. Bezeichnend ist z. B. die Behandlung der Lehre der juristischen Personen129. Die Ausführungen Savignys darüber sind den Herausgebern des „Saggio di diritto privato romano attuale“ durchaus bekannt; eine juristische Person wird, Savigny folgend, definiert als „un soggetto di diritto sui beni creato artificilamente. L’espressione generale di persone giuridiche applicata a questi corpi, esprime come essi non esistono come persone che per un fine giuridico“130. Auch in den darauf folgenden Ausführungen wird das Savigny’sche System immer wieder als Beleg angeführt; es ist allerdings fraglich, ob die Autoren die eigentümliche Savigny’sche Lehre konsequent verstanden haben. Dies wird erst in den praktischen Schlussfolgerungen sichtbar: wenn Savigny tradierte Auffassungen des Gemeinen Rechts verlässt, da folgt ihm das Saggio nicht mehr: beispielhaft ist die Behandlung des Falles der „hereditas iacens“; Savigny verweigert ihr die Rechtsnatur einer juristischen Person; er lehnt die „gewöhnliche Lehre unserer Rechtslehrer“131 mit dem Argument ab, dass „wenn sie (nämlich die hereditas iacens) in einer Stelle mit Corporationen verglichen wird, so hat das bloß den Sinn, dass sowohl bey ihr, als bey jenen, eine Fiktion angewendet wird“132; diese Fiktion habe bei den Römern nur dazu gedient, gewisse Erwerbungen durch die zu der Erbschaft gehörenden Sklaven zu erleichtern; „es ist daher nicht zu rechtfertigen“ – folgert Savigny – „wenn jene Eigenthümlichkeit der ruhenden Erbschaft als Bestandtheil des heutigen Rechts dargestellt wird, indem dasselbe den Erwerb durch Sklaven überhaupt nicht kennt“133. Die Auffassung von Savigny wird von den Autoren des Saggio zwar ___________ 128
So Scialoja, S. XXX-XXXI. Zur Lehre Savignys vgl. zuletzt Flume, Savigny und die Lehre von der juristischen Person, in: Festschrift für Franz Wieacker zum 70. Geburtstag, Göttingen 1978, S. 340-360. 130 So Saggio di diritto privato romano attuale, V, Pisa 1844, S. 91; vgl. auch Bd. I, 2, Pisa 1844, S. 51 ff. 131 System, II, § 102, S. 363. 132 System, II, § 102, S. 372. 133 System, II, § 102, S. 373. 129
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
zitiert, sie halten jedoch an der tradierten Definition der „hereditas iacens“ als juristische Person fest134; die Savigny’sche Argumentation wird ohne nähere Begründung mit dem Satz abgetan, „esistono però a parere nostro molti altri bisogni e molti altri motivi che rendono nessessaria questa finta persona“135. Ebenfalls bezeichnend ist die Behandlung der Lehre vom Gewohnheitsrecht136. „Il diritto“ – wird von Del Rosso ausgeführt137 – „esiste nella coscienza del popolo“ […] daraus entwickele sich „quella forza organica che manifesta e fissa e perfeziona il diritto“. „La consuetudine“ – so Del Rosso weiter – „è in questo modo la manifestazione spontanea del diritto“ oder sogar dessen „manifestazione necessaria“138. Jedoch bei näherem Prüfen stellt man fest, dass diese Savigny’sche Definition nicht konsequent mitvollzogen wird; so wird z. B. nicht ausgeschlossen, dass die Regeln über den Tatsachenbeweis für die gerichtliche Feststellung eines Gewohnheitsrechts Anwendung finden können, was eine logische Folge hätte sein müssen139. Einige Seiten danach wird weiter ausgeführt, ohne sich offenbar über die innere Widersprüchlichkeit bewusst zu sein, dass „i principi del diritto della natura […] com servono nel supplire alle leggi civili, così sono strumento della loro interpretazione“140. Del Rosso und die italienische Literatur seiner Zeit sind in der Tat noch in überraschendem Maße der Naturrechtsschule verpflichtet141; so findet es Del Rosso z. B. durchaus angemessen, die Savigny’schen Ausführungen über die Geburt als alleinige Bedingung der natürlichen Rechtsfähigkeit142 mit dem Argument zu kritisieren, dass Savigny „tralasciò de esaminare la ricerca di faccia a’ principii della ragione: limitò“ – so Del Rosso wörtlich – „le sue deduzioni e le sue induzioni al disposto delle Leggi Romane“143. Auch die dogmatischen Schöpfungen von Savigny wurden weitgehend missverstanden. Anschaulich lässt sich dies z. B. bei der Behandlung der Lehre der „iusta causa traditionis“ darlegen144. Del Rosso scheint die Ausführungen von ___________ 134
Vgl. Saggio di diritto privato romano attuale, Bd. I, 2, Pisa 1844, S. 58-59; Bd. V, S. 99 ff. 135 So Saggio, V, S. 99. 136 Zuletzt über die Lehre vom Gewohnheitsrecht der Historischen Rechtsschule vgl. Scheuermann, Einflüsse der historischen Rechtsschule auf die oberstrichterliche gemeinrechtliche Zivilrechtspraxis bis zum Jahre 1861, Berlin/New York 1972, S. 74-85. 137 So Saggio, cit., Bd. I, 2, Pisa 1844, S. 17. 138 So op. cit., S. 18-19. 139 Bd. V, Pisa 1844, S. 51-52. 140 So op, cit., Bd. I, 2, S. 22. 141 Bezeichnend sind die zahlreichen Zitate aus der naturrechtlichen Literatur des 18. Jahrhunderts. 142 System, II, Beylage III, S. 385 ff. 143 So Saggio, Bd. V, Pisa 1844, S. 72. 144 Darüber zuletzt vgl. Ranieri, Die Lehre der abstrakten Übereignung in der deutschen Zivilrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, in: Wilhelm/Coing (Hrsg.), Wissen-
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Savigny darüber bereits zu kennen – „La causa della tradizione“ – führt er aus – „è nella traslazione della proprietà; […] è necessario che apparisca il motivo che induce il proprietario a trasferire il dominio. Questo motivo è la causa della tradizione“145. Savigny wird zwar ausdrücklich zitiert, seine eigentümlich schöpferische Konstruktion jedoch, dass die Übergabe, die in Erfüllung eines Kaufvertrages oder eines anderen auf Eigentumswechsel gerichteten Vertrages erfolge, nicht bloß ein rein tatsächlicher Vollzugsakt sei, sondern einen wahren „dinglichen“ Vertrag enthalte, bleibt ganz unerwähnt146. In der Tat war der Gedanke, die „iusta causa traditionis“ als Erscheinungsform des auf Eigentumsübertragung gerichteten Willens anzusehen, nicht eine originelle SavignyLeistung; gewisse Vorbilder gab es bereits bei Donellus147, der ebenfalls von Del Rosso ausdrücklich zitiert wird148. Savigny bietet insoweit dem toskanischen Juristen kein Modell dogmatischer Konstruktion mehr, sondern nur eine weitere Autorität aus einem Traditionszusammenhang. Auch die spätere italienische Literatur setzte übrigens diese missverständliche Heranziehung der Savigny’schen Auffassung zur „iusta causa traditionis“ fort, ohne ihren Zusammenhang mit der Lehre des dinglichen Vertrags zu erwähnen und zu verstehen149. Selbst der Savigny’sche Terminus „dinglicher Vertrag“ wird in den ersten Übersetzungen ebenfalls missverständlich mit „contratto reale“ übertragen, ohne genau zu erklären, was Savigny darunter versteht150. Erst Ende des Jahrhunderts bemerkt Scialoja in seiner Übersetzung ausdrücklich dazu, „la denominazione conratto reale può generare confusione […] i contratti reali, dei quali qui si parla“ – führt zutreffend Scialoja aus – „sono tali perchè direttamente si riferiscono a diritti reali che si costituiscono, trasmettono, modificano o ___________ schaft und Kodifikation des Privatrechts, Bd. II: Die rechtliche Verselbständigung der Austauschverhältnisse vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung und Doktrin, Frankfurt a. M. 1977, S. 90-111, und auch in diesem Band S. 77. 145 So Saggio, Bd. II, Pisa 1844, S. 72-73. 146 Vgl. Saggio, Bd. V, Pisa 1844, S. 132-133; Bd. VI, Pisa 1844, S. 82-85. 147 Vgl. darüber Felgentraeger, Friedrich Carl v. Savignys Einfluss auf die Übereignungslehre, Leipzig 1927, insbes. S. 38. 148 Vgl. Saggio, Bd. VI, S. 85. 149 Vgl. Serafini, Elementi di diritto romano, Pavia 1858, II, S. 171-172: „La justa causa traditionis altro non significa che l’intenzione delle parti di trasmettere e di acquistare la proprietà“; ders., Conciliazione della legge 36. Dig. de acquirendo rerum dominio (XLI, 1) colla legge 18. Dig. de rebus creditis (XII, 1), in: Archivio giuridico 1 (1868), S. 51-52; Doveri, Istituzioni di diritto romano, I, 2. Aufl., Firenze 1866, § 111, S. 513-515; Ronga, Elementi di diritto romano, I, Torino 1871, § 73, S. 239; D’Ondes Rao, Della tradizione per diritto romano, in: Il Circolo giuridico. Rivista di legislazione e di giurisprudenza 8 (1877), S. 294. 150 Vgl. Il diritto romano, prima versione italiana di C. Moschetti, I, Napoli 1847, S. 410; Violenza ed errore, prima versione italiana per cura di L. Viscardi (Fn. 88), S. 66-67.
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estinguono“151. Man erkennt hier die Genauigkeit einer neuen, pandektistisch geschulten Begriffssprache152; damit treten wir aber auch bereits in ein zweites Kapitel der Beziehungen zwischen deutscher und italienischer Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert ein.
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Sistema di diritto romano attuale, III, S. 410-411, Anmerkung. Zutreffend bemerkt Mazzacane, Savigny e la storiografia giuridica (Fn. 5), S. 43: „la traduzione italiana del Sistema, condotta da Vittorio Scialoja con cura e rigore […] [reflektiert] le suggestioni della lettura dogmatica e positivistica, di gran lunga prevalente tra gli interpreti tardo-ottocenteschi di Savigny“. 152
Savigny e il dibattito italiano sulla codificazione nell’età del Risorgimento. Alcune prospettive di ricerca A. Introduzione L’influenza e l’impatto del pensiero savigniano e delle teorie della scuola storica del diritto nel dibattito sulla codificazione negli stati italiani preunitari non sono stati fino ad oggi oggetto di una specifica riflessione storiografica. In letteratura pare prevalente la convinzione che di una influenza vera e propria in Italia della critica savigniana contro codici e codificazione non si possa parlare. Già più di trent’anni or sono uno dei più autorevoli esponenti tra gli storici del diritto italiano caratterizzava l’influenza della scuola storica del diritto nel mondo giuridico italiano “parziale e in complesso poco profonda”, sia “per la tenace resistenza delle idee derivanti dal razionalismo e dal giusnaturalismo francese” sia per il prevalere delle tendenze codicistiche in Italia, mentre “l’indirizzo del Savigny si identificava ormai con l’opposizione al diritto codificato”1. Ancora recentemente è stata dal Ghisalberti ribadita “la non eccessiva fortuna delle impostazioni del Savigny in Italia”2; le tesi del fondatore della scuola storica sarebbero state come tali comprensibili solo nel contesto di un’analisi della realtà tedesca del tempo, e non avrebbero quindi lasciato spazio per una recezione culturale in un ambiente giuridico, in cui le critiche contro l’ordinamento giuridico e amministrativo francese erano state ed erano assai meno accese. La preparazione del capitolo italiano per il volume dell’Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, pubblicato dal Max-Planck-Institut di Francoforte e dedicato alla legislazione negli stati europei del XIX secolo3, mi ha offerto l’occasione di rivisitare ___________ Zuerst erschienen in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 9 (1981), pp. 143-154. 1 Così Paradisi, Gli studi di storia del diritto italiano dal 1896 al 1946, in: Studi senesi 9 (1946-1947), ristampato da ultimo in: Apologia della storia giuridica, Bologna 1974, qui in particolare p. 105. 2 Così Ghisalberti, Unità nazionale e unificazione giuridica in Italia. La codificazione del diritto nel Risorgimento (Biblioteca Laterza di cultura moderna 827), Roma/Bari 1979, in particolare p. 202. 3 Cfr. Ranieri, Kodifikation und Gesetzgebung des allgemeinen Privatrechts. Italien, in: Coing (ed.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, III: Das 19. Jahrhundert (1815-1914), erster Teilband, München 1981, in particolare p. 177 ss.; in considerazione del carattere sommario di queste pagine, la relativa documentazione sarà limitata unicamente alle citazioni strettamente necessarie;
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in una sintesi complessiva le tappe della codificazione civilistica negli stati italiani preunitari e del dibattito che l’accompagnò. Dal lavoro di inventarizzazione delle fonti e di sintesi compiuto, mi pare siano emersi dei dati nuovi, che potrebbero forse permettere di inquadrare il problema della recezione nel dibattito italiano sul problema della codificazione civile delle idee del fondatore della scuola storica in una prospettiva almeno in parte diversa. In questa occasione mi permetterò di avanzare unicamente delle tesi, le quali debbono essere intese semplicemente come contributo alla discussione e come individuazione di alcune prospettive, nella cui direzione la ricerca andrebbe ulteriormente approfondita.
B. Le codificazioni e l’opinione pubblica Innanzitutto è da tenere presente che la partecipazione dell’opinione pubblica al dibattito sul problema della codificazione civile negli stati italiani preunitari fu relativamente modesta, in paragone ad altri paesi europei, come ad esempio i territori tedeschi. È sintomatico che la pubblicistica a stampa in materia si riduce nei primi due decenni dell’età della Restaurazione a pochi titoli isolati4, ai quali si aggiungono verso la metà degli anni trenta i “Discorsi sulla Codificazione civile” dello Sclopis5. Bisogna attendere in realtà la metà del secolo per incontrare una ricca ed agguerrita pubblicistica, nella quale il dibattito sull’opportunità e sulle modalità di una codificazione civile assunse talvolta toni di inusitata asprezza. Questo dato di fatto non deve sorprendere: gli stati italiani della restaurazione non conobbero – a differenza per esempio degli stati tedeschi – neppure forme embrionali di rappresentanza politico-parlamentare mentre la rappresentanza cetuale era tramontata in Italia fin dall’epoca dell’Assolutismo; la censura politica inoltre fu intesa in Italia di regola in maniera così rigorosa che l’informazione sui lavori di codificazione fu spesso solo frammentaria ed incompleta. I lavori codificatori in numerosi stati italiani durante i primi anni della Restaurazione si svolsero quindi di regola nel segreto delle cancellerie e dei ministeri, con un’esclusione quasi totale dell’opinione pubblica; le stesse controversie, spesso accanite, che caratterizzarono il lavoro delle commissioni codificatrici negli anni 1816-1820, non ebbero pressoché alcuna risonanza anche nell’ambiente giuridico. E verso la metà del secolo, in concomitanza col rinno___________ per un’ulteriore esaustiva informazione bibliografica sulla codificazione civile negli stati italiani preunitari si rinvia in generale al sopra citato contributo nell’Handbuch. 4 Cfr. Ranieri, Kodifikation und Gesetzgebung (n. 3), p. 209 s. 5 Cfr. Sclopis, Della legislazione civile. Discorsi. Seconda edizione, Torino 1835; su quest’opera cfr. Erba, L’azione politica di Federico Sclopis dalla giovinezza alla codificazione Albertina (1798-1837), Torino 1960, in particolare p. 79-104.
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vato orientamento politico della fine degli anni quaranta, che si delinea una nuova effettiva partecipazione della pubblicistica politica e giuridica alla preparazione dei codici civili6; non sorprende quindi che la pubblicistica dell’epoca in materia di codificazione civile abbia il suo centro nello Stato romano e più ancora nel Granducato di Toscana, nei due stati appunto, nei quali nel biennio 1847-1848 vennero intrapresi dei lavori preparatori per la pubblicazione di un codice civile7. Questa osservazione preliminare relativizza quindi in una certa misura la constatazione, comune in letteratura, di una recezione tarda e limitata delle tesi savigniane nel dibattito italiano sulla codificazione civile, il quale, in realtà per le ragioni sopramenzionate, nella modesta misura in cui ebbe luogo, si svolse appunto con alcuni decenni di ritardo rispetto alle controversie suscitate in Germania dal Beruf savigniano. Pur nei limiti sopra accennati, rimane tuttavia pacifico che la questione della codificazione civile costituì uno dei temi centrali del dibattito scientifico e politico che impegnò il mondo giuridico italiano nella prima metà del secolo scorso. Il contemporaneo dibattito europeo sulla codificazione civile non rimase ignoto ai giuristi italiani; già lo Ungari ha messo in luce con precisione questa recezione nella letteratura giuridica degli stati preunitari degli argomento e dei temi della contemporanea pubblicistica europea su codici e codificazione8; basti pensare alla fortuna che anche in Italia ebbero le opere del Bentham9. In questa prospettiva si inquadra pure la diffusione presso gli autori italiani delle idee del Beruf savigniano e della polemica della scuola storica del diritto contro la codificazione civile. Lo scritto di Savigny compare per la prima volta in lingua italiana nella traduzione pubblicata ___________ 6 L’aspirazione ad una diretta fattiva partecipazione dell’opinione pubblica alle discussioni sulla preparazione di un codice civile, trovò una delle sue prime formulazioni nello scritto di Giovannardi, Sulla compilazione di un codice, Bologna 1846; si tratta al riguardo di un luogo comune nella pubblicistica del tempo; cfr. ad esempio Panattoni, Fondamenti di una buona legislazione, in: La Temi 1 (1847-1848), in particolare p. 150154; Sabatini, Della necessità di una riforma generale della legislazione, ivi, p. 31-37. 7 Sul punto cfr. Ranieri, Kodifikation und Gesetzgebung (n. 3), p. 248, p. 285; una esemplare testimonianza del cambiamento della temperie politica nel biennio 1847-1848 ci è offerta dalla circostanza che uno scritto dal titolo “Osservazioni generali”, preparato da Carlo Armellini nel 1820 sul progetto di codice civile per gli stati romani allora elaborato dalla commissione presieduta dal Bartolucci, venne pubblicato solo nel 1847 nella rivista romana L’Astrea (n. 2 dell’8 gennaio 1847 e n. 5 del 15 gennaio 1847). Su questo episodio e sulla pubblicistica giuridica in tema di codificazioni apparsa nel biennio 1847-1848 nello stato pontificio, cfr. Castracane Mombelli, Le fonti archivistiche per la storia delle codificazioni pontificie (1816-1870), in: Società e Storia, n. 6 (1979), in particolare p. 858. 8 Cfr. Ungari, L’età del codice civile. Lotta per la codificazione e scuole di giurisprudenza nel Risorgimento, Napoli 1967. 9 Sulla fortuna italiana delle opere di Bentham manca ancora una trattazione specifica; cfr. in generale le osservazioni di Ungari, L’età del codice civile (n. 8), p. 30 ss.; i Papers on codification (London 1817) furono tradotti in italiano da Giuliani (Firenze 1841); una traduzione anteriore in lingua italiana di altri scritti in materia di legislazione era già apparsa nel 1818 a Napoli.
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nel 1847 a Napoli dal Lo Gatto; una seconda edizione, in realtà una peggior copia della prima, viene pubblicata dieci anni più tardi da Giuseppe Tedeschi a Verona10. Le tesi del Beruf erano in realtà già note in Italia fin dalla fine degli anni venti; a parte la funzione di tramite culturale svolta anche a questo riguardo da alcune riviste e pubblicazioni francesi, decisivi erano stati i rapporti sia personali che scientifici, allacciati dal Savigny con alcuni giuristi italiani, quali il Poerio, lo Sclopis, ed in particolare il circolo di giuristi toscani che faceva capo al Capei ed al Conticini11. Nel 1833 Federico Sclopis, uno dei padri della codificazione Albertina del 1837, aveva pubblicato sotto il titolo rivelatore “Della vocazione del nostro secolo alla legislazione ed alla giurisprudenza”12 una estesa confutazione dello scritto savigniano, tutta orientata nel senso di quel razionalismo e giusnaturalismo cristiano, che ispirerà anche più tardi il pensiero ed il programma legislativo del giurista e storico piemontese; all’idea savigniana dell’evoluzione insita strutturalmente nell’ordinamento giuridico viene opposta la natura stessa eterna ed immutabile dell’idea di giustizia, fondata nell’ordine divino; “una parte delle regole del gius civile” – scrive con argomentazione giusnaturalistica il nostro autore13 – “sono eterne, immutabili, come l’idea della giustizia”. “Il lasciare che la legge sia formata dall’uso”, – ribadisce lo Sclopis14 – “egli è lo stesso che porre l’opinione transitoria dell’uomo in vece del precetto costante della ragione”. Nello scritto dello Sclopis la polemica contro le tesi del fondatore della scuola storica, ispirata ad un tardo giusnaturalismo, serve di puntello a difesa dei piani di codificazione civile in Piemonte, culminati nel codice albertino del 1837; un decennio più tardi le tesi della scuola storica saranno invece chiamate a testimonio da quel nutrito ___________ 10 Cfr. Savigny, La vocazione del nostro secolo per la legislazione e la giurisprudenza. Con un’introduzione di Tedeschi, Della vita scientifica e delle opere di Savigny e della importanza della scuola storica del diritto, Verona 1857. La traduzione napoletana del 1847, Savigny, Della vocazione del nostro secolo per la legislazione e la giurisprudenza, fu pubblicata da Lo Gatto con la collaborazione di Janni. Inesatto al riguardo Ghisalberti, Unità nazionale e unificazione giuridica, cit., p. 219 che mettendo l’accento sulla tarda data della traduzione, indicativa della scarsa fortuna delle idee di Savigny in Italia, cita unicamente la traduzione del Tedeschi. Cfr. sul punto già Del Giudice, Storia del diritto italiano, II: Fonti: Legislazione e scienza giuridica dal secolo decimosesto ai giorni nostri, Milano 1923, p. 317 e Tarello, La scuola dell’esegesi in Italia, in: Scritti per il XL della morte di P.E. Bensa, Milano 1969, in particolare p. 271, n. 70. 11 Sulla fortuna di Savigny nel mondo giuridico italiano e sulla recezione del suo programma scientifico, cfr. Ranieri, Savignys Einfluss auf die zeitgenössische italienische Rechtswissenschaft, in: Ius Commune 8 (1979), S. 192-219, [in diesem Band S. 99]. 12 Cfr. Sclopis, Della vocazione del nostro secolo alla legislazione ed alla giurisprudenza (1833), pubblicato in: Della legislazione civile. Discorsi, Torino 1835, p. 150200; cfr. Erba, L’azione politica (n. 5), in particolare p. 79-80. 13 Così Sclopis, Della vocazione del nostro secolo (n. 12), p. 185; cfr. sul punto Ungari, L’età del codice civile (n. 8), p. 46-48; Erba, L’azione politica (n. 5), p. 104. 14 Così Sclopis, op. loc. cit.
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gruppo di giuristi, che in Toscana nel biennio 1847-1848 si oppose vittoriosamente ai piani di codificazione civile nel Granducato. In questa prospettiva mi pare possa divenire comprensibile la funzione che il ricorso alle dottrine savigniane svolse nel dibattito di allora. Costituirebbe in effetti un’ingannevole prospettiva storiografica ricomporre il confronto nella pubblicistica giuridica italiana del tempo colle tesi della scuola storica nel quadro di una dotta controversia; in realtà le codificazioni civilistiche del Risorgimento furono, come ha scritto lucidamente l’Ungari15, “il risultato di uno scontro di forze reali, la cui sostanziale durezza dileguò poi nella memoria”. Il centro di questa “lotta per la codificazione”, come l’Ungari ha qualificato questa controversia, che accompagna quasi filo conduttore il mondo giuridico italiano nella prima metà del secolo scorso, fu la questione del rapporto della propria legislazione con il modello sociale e politico del codice civile napoleonico, il quale aveva già avuto vigenza nella penisola per più di un decennio all’inizio del secolo. Si tratta di un conflitto che ritorna con regolarità durante la preparazione di tutti i codici preunitari16, così per esempio nelle commissioni parmensi degli anni 18161819, nella commissione napoletana del 1817-1818, in quella romana presieduta dal Bartolucci del 1818, in Piemonte nella Giunta superiore di legislazione del 1819-1820, così come nella commissione degli anni trenta. Il rifiuto della codificazione civile implica in questo dibattito di regola il rifiuto del modello politico e sociale del codice civile napoleonico. In questo quadro il ricorso all’autorità delle tesi savigniane assume una funzione ideologica ben precisa, nella misura in cui il rifiuto culturale di modelli legislativi stranieri in nome di una tradizione giuridica nazionale, viene più o meno consapevolmente strumentalizzato per opporsi a determinate riforme delle tradizionali strutture giuridiche della società italiana uscita dall’età della Restaurazione.
C. La strumentazione politica della scuola storica tedesca L’episodio toscano degli anni 1847-1848, quando l’ultimo serio tentativo di codificazione civile nel Granducato si scontrò e falli nel conflitto con un ambiente giuridico ancora profondamente legato alla tradizione giurisprudenziale del diritto romano comune mi pare offra una testimonianza esemplare di questa strumentalizzazione delle tesi della scuola storica del diritto. Nell’ambiente culturale toscano il programma scientifico savigniano aveva avuto fin dalla fine degli anni venti una notevole diffusione, anche grazie ad un gruppo di giuristi, che erano in contatto scientifico e personale con Savigny, basti pensare al già ___________ 15
Così Ungari, L’età del codice civile (n. 8), Introduzione, p. 5. Sui lavori per la preparazione di una codificazione civile nei vari stati italiani dell’epoca della Restaurazione rinvio in generale a Ranieri, Kodifikation und Gesetzgebung (n. 3), p. 233 ss. 16
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menzionato Conticini, professore di diritto romano nella facoltà senese, che aveva studiato a Berlino alcuni anni17. A ciò si aggiunge la circostanza che l’ininterrotta vigenza della tradizione di diritto romano comune nel territorio del Granducato, aveva senz’altro facilitato la relativa diffusione nel mondo giuridico toscano delle tesi della scuola storica tedesca. L’ambiente dei giuristi toscani era quindi da tempo profondamente scettico e critico nei confronti del programma di una moderna codificazione, tanto più quando quest’ultima dovesse seguire la falsariga del codice civile napoleonico. Così l’ideale scientifico del Savigny è sottinteso già nella prolusione pisana del Montanelli del 184118: più di una codificazione che rischia di immobilizzarlo, al progresso del diritto – scrive il nostro autore19 – giovano leggi ed istituzioni “che rappresentino le condizioni organiche del movimento comune”, ed un’evoluzione giurisprudenziale che rispecchi le necessità e gli sviluppi dell’epoca nuova; in questo quadro non vi è spazio per l’astratto piano di una codificazione civile, “quasi che una società” – scrive sempre il Montanelli20 – “allora solo conquisti il suo diritto, quando lo riconosce in un codice; quasi che la formazione del diritto non sia opera quotidiana e di popolo e di sapienti, in cui la parte meno attiva è forse quella che al legislatore appartiene”. Non sorprende quindi vedere alcuni anni più tardi proprio il professore pisano Pietro Capei, uno dei primi e dei più fedeli corrispondenti italiani di Savigny21, farsi portavoce nella commissione presieduta da Niccolò Nervini, che nel 1847 aveva da preparare un progetto di codice civile per il Granducato22, dei dubbi e delle riserve del mondo giuridico toscano di fronte al programma di una codificazione. Un esame anche sommario della letteratura giuridica toscana dell’epoca conferma del resto come le tesi della scuola storica offrirono gli argomenti privilegiati per combattere il programma codificatorio. ___________ 17 Sulla figura del Conticini cfr. Ranieri, Savignys Einfluss (n. 11), p. 201-203; [in diesem Band S. 107-110]; da ultimo Maffei, Lettere di Savigny a Capei e Conticini, in: Sav. Z. Rom. Abt. 1980, con un’ampia introduzione ed un accuratissima documentazione bibliografica. 18 Cfr. Montanelli, Prolusione alle lezioni di diritto patrio (Pisa, 4 gennaio 1841), stampata in: Giornale toscano di scienze morali sociali storiche e filosofiche, pubblicato dai professori dell’Università di Pisa, 1 (1841), p. 43-60; sulla figura del Montanelli e la sua opera cfr. da ultimo Ungari, L’età del codice civile (n. 8), p. 75-88. 19 Cfr. Montanelli, Prolusione (n. 18), p. 58. 20 Cfr. Montanelli, Prolusione (n. 18), p. 46. Su questo aspetto del pensiero del Montanelli cfr. Ungari, L’età del codice civile (n. 8), cit., p. 76-77. 21 Sulla figura e l’opera di Pietro Capei (1796-1868) cfr. da ultimo Ranieri, Savignys Einfluss (n. 11), p. 200-201 [in diesem Band S. 107 f.]. 22 Sui piani di codificazione civile nel Granducato di Toscana nel biennio 1847-1848 e sul fallimento dei lavori intrapresi dalla commissione presieduta dal presidente della Corte Regia Niccolò Nervini, cfr. Ranieri, Kodifikation und Gesetzgebung (n. 3), p. 285 ss. e qui ulteriori indicazioni sulle fonti e la letteratura.
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Così un autorevole avvocato toscano sostiene per esempio la tesi, che una “compilazione razionale e veramente utile di un codice civile si riduce a passar in rassegna la parte mutabile del diritto”, poiché, “la parte immutabile del diritto” – cioè, come lo stesso autore poco dopo spiega, i principi generali del diritto privato – “[…] si immedesima e si risolve nel linguaggio della scienza”23. Appunto da un simile atteggiamento discende la proposta fatta da altri, che i lavori di codificazione si limitino unicamente alla riforma parziale della disciplina legislativa di singole materie, lasciando inalterata la posizione del diritto romano comune, quale generale fonte sussidiaria del diritto24. Esemplare è a questo proposito la posizione assunta da Federico Del Rosso, collega del Capei nella facoltà giuridica pisana25. “Sciaguratamente” si legge nella prefazione del suo “Saggio di diritto privato romano attuale”, un’opera in cui la vicinanza alle idee savigniane è sottintesa già nel titolo rivelatore26 – “l’età novella ambiva a rigenerarsi staccandosi dal passato, […] anche allorquando si credè nella potenza della codificazione, e si tentò di imporre alla forza organica del diritto una legislazione che volevasi nuova […] i compilatori […] non poterono dimenticare la sapienza romana”27. Uno studio rinnovato del diritto romano si offre quindi contemporaneamente come rifiuto e come alternativa di fronte all’illusione di una codificazione civile. “Ecco il vero codice”, scrive sempre il Del Rosso riferendosi all’“heutiges römisches Recht” del Savigny – “che potrebbe eliminare i dubbi e le pretensioni dei novelli codificatori”28. Il “System” savigniano era stato del resto salutato dal medesimo autore esplicitamente come “il miglior commento possibile di tutti i codici presenti e futuri”29. Il nostro autore ___________ 23 Cfr. Bandi, Codificazione, in: La Temi. Giornale di legislazione e giurisprudenza 1 (1847-1848), in particolare p. 221-224. 24 Esemplare al riguardo la formulazione dell’art. 12 del progetto di codificazione civile pubblicato dal Sabatini, Sopra la riforma della legislazione civile in Toscana, in: La Temi, cit., in particolare p. 325; cfr. inoltre Bosellini, Lettera sulla codificazione specialmente in Italia, e sul codice civile già progettato in Toscana, in: La Temi, cit., 4 (1853), in particolare p. 396. 25 Sulla figura del Del Rosso (1780-1859) e la sua opera romanistica cfr. Ranieri, Savignys Einfluss (n. 11), cit., p. 203 [in diesem Band, S. 109], e da ultimo Grossi, Tradizioni e modelli nella sistemazione post-unitaria della proprietà, in: Quaderni fiorentini 5/6 (1976-1977), in particolare p. 215. 26 Cfr. Del Rosso, Saggio di diritto privato romano attuale, preceduto da introduzioni di diritto naturale e seguito da note perpetue di gius romano (ed. Becagli e Severini), IVII, Pisa 1841-1845. 27 Così op. cit., Prefazione, p. XXVIII. 28 Così op. cit., Prefazione, p. XXIX. 29 Così Del Rosso, in: Giornale toscano di scienze morali, cit., Pisa 1 (1841), in particolare p. 124. Testimonianza esemplare di questo atteggiamento è quanto scrive un altro giurista italiano legato a Savigny, il giudice trentino Antonio Salvotti, tristemente famoso tra l’altro per il suo rigore nella persecuzione delle nuove idee nazionali e liberali; nella sua lettera del 30 maggio 1851 a Paride Zajotti jun. (edita in Brol, Antonio Salvotti promuove a Venezia la prima traduzione italiana del “Sistema […]” del Savigny. Con
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non ci lascia in dubbio, sul sottinteso significato politico e sociale di questo rifiuto del programma di codificazione civile, quando ormai le tendenze codicistiche si erano imposte in pressoché tutti gli stati della penisola: “Ecco un modo” – scrive in maniera rivelatrice l’autore del Saggio di diritto privato romano attuale30 – “di far conoscere la dottrina della proprietà, che potrebbe guarire, a nostro credere, la mente ammalata di quella ciurma di disperati nelle cui varie insegne sta scritto maledizione alle proprietà.” Ciò che viene articolato, è in realtà la legittimazione, in nome della tradizione storica del, vigente ordine giuridico e sociale. Il rifiuto del programma codificatorio risponde in una tale prospettiva non solo ad una scelta culturale ma pure ad una precisa scelta politica; combattendo il programma di una codificazione civile, si rifiuta insieme l’idea del codice come strumento di riforma dei vigenti istituti di diritto materiale nello spirito della nuova società liberale e borghese. “Suggerirà alcuno di adottar codici stranieri?” – domanda polemicamente in uno scritto di quegli anni Lodovico Bosellini31; la risposta è categorica: “Dio ce ne guardi! … Una legislazione per essere buona” – scrive il medesimo autore riecheggiando temi della scuola storica del diritto – “dev’essere l’espressione degli usi legittimi e delle abitudini di una nazione; […] abbiasi un codice, ma proprio e nazionale”. L’autore toscano si richiama con ciò alla codificazione napoleonica; il rifiuto di quest’ultima come modello sottintende in realtà la difesa del vigente ordine giuridico e sociale, incompatibile ormai col modello di società implicito nel codice civile napoleonico che si presenta in quest’epoca quasi quale nuova costituzione materiale della nuova società liberale e borghese. “Era d’uopo a Napoleone” – osserva con parole rivelatrici il medesimo autore in critica al Code civil – “impedire la conservazione delle famiglie, sperperarle, dividerle, appoggiarsi alla donna”32; il contenuto ideologico sottinteso al richiamo alla tradizione romanistica nazionale, si rivela qui molto concretamente come difesa del principio agnatizio caratteristico del diritto ereditario toscano e rifiuto quindi dell’ispirazione egalitaria delle norme di diritto successorio del codice civile napoleonico. ___________ lettere inedite […], in: Istituto per la storia del Risorgimento italiano. Comitato trentino. Atti del I Convegno Storico Trentino, 1955, p. 5 ss.) osserva in particolare (p. 16): “non abbiamo tanto mestieri di Codici, quanto di rianimare lo studio del diritto positivo, e quindi di formare un ceto di distinti e veri giurisperiti. L’opera che può sola ricreare la scienza legale anche in Italia, è il Sistema del diritto romano odierno del Savigny”. Cfr. sul punto Ranieri, Savignys Einfluss (n. 11), p. 212 [in diesem Band, S. 118]. 30 Così Saggio, I, Prefazione degli editori, p. XXIX. 31 Così Bosellini, Del gius commune e dei codici, in relazione alle nazionalità, in: La Temi. Giornale di legislazione e di giurisprudenza 1 (1847-1848), p. 128 ss., in particolare § 31, p. 144. 32 Cfr. Bosellini, Dei nuovi codici modellati sul francese, in: La Temi. Giornale di legislazione e di giurisprudenza 4 (1853), p. 329 ss., in particolare p. 331.
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D. Prospettive di ricerca Costituirebbe senz’altro una prospettiva storica unilaterale ricondurre la recezione nel dibattito italiano della metà del secolo su codificazione e codici dei temi e degli argomenti emergenti dal programma scientifico savigniano, unicamente ad una ispirazione politico-sociale retriva. Queste mie osservazioni mi pare abbiano tuttavia messo in luce, come non di rado il richiamo all’autorità delle tesi della scuola storica del diritto fu strumentalizzato dai critici italiani del sistema codicistico in funzione di una difesa dell’allora vigente ordine giuridico e sociale33. In un’indagine – del resto ancora da scrivere – sulla fortuna di Savigny in Italia, si profila quindi come essenziale il quesito, sulla funzione politica ed ideologica che fu implicita nella recezione italiana dei temi e dei motivi della scuola storica tedesca. Del resto il “quietismo” politico e sociale implicito nel programma scientifico savigniano non rimase affatto nascosto anche ai contemporanei critici italiani delle tesi della scuola storica. “La scuola storica” – scrive acutamente verso la metà del secolo un giurista toscano34 – “fa poco caso delle cagioni che hanno operato gravi mutamenti sociali, di cui i codici non sono che il risultato, […] Savigny nella sua critica si scorda sempre dell’elemento politico, e pone solo mente al letterario”. Alcuni anni più tardi le vecchia pregiudiziale dell’ambiente giuridico toscano sulla opportunità di una codificazione civile riecheggerà ancora nel primo Parlamento nazionale, e sarà proprio uno dei padri del codice civile del 1865, Pasquale Stanislao Mancini, che decisamente metterà in guardia “dai pericolosi insegnamenti e consigli d’inerzia della scuola storica alemanna”35.
___________ 33 Sul „quietismo“ politico e sociale implicitamente sotteso al programma scientifico di Savigny, fondamentali sono ancora le osservazioni di Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert, Frankfurt 1958, p. 36-44; da ultimi in questo senso Mazzacane, recensione della traduzione italiana, in: Quaderni fiorentini 3/4 (19741975), p. 753-762; Dilcher, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 61 (1975), in particolare p. 523. 34 Così Bensa, Codificazione nazionale, in: La Temi. Giornale di legislazione e di giurisprudenza 2 (1849), p. 334 ss. 35 Così Mancini, Dei progressi del diritto nella società, nella legislazione e nella scienza durante l’ultimo secolo in rapporto coi principi e con gli ordini liberi, Torino 1859, p. 48; cfr. sul punto D’Amelio, Pasquale Stanislao Mancini e l’unificazione legislativa nel 1860-61, in: ASD 5-6 (1961-1962), in particolare p. 161 e da ultimo Ghisalberti, Unità nazionale ed unificazione giuridica, cit., p. 219.
Französisches Recht und französische Rechtskultur in der deutschen Zivilrechtswissenschaft heute: Eine unwiderrufliche Entfremdung? A. Einführung Die Beziehungen und die Verzahnungen zwischen deutschem und französischem Privatrecht stellen eine zentrale wissenschaftliche Frage und eine rechtspolitische Herausforderung für die Vereinheitlichung und Ausgestaltung eines europäischen Privatrechts dar. Einer der Väter der modernen Rechtsvergleichung, Edouard Lambert, erkannte bereits Anfang unseres Jahrhunderts, dass die europäische Rechtsvereinheitlichung eine Angelegenheit „d’un groupe limité d’Etats qui serait le groupe Germano-Latin“ sei; er sah also frühzeitig, dass die Entwicklung eines Gesamteuropäischen Zivilrechts im Kern nichts anderes ist als ein Problem der Angleichung des deutschen und des französischen Privatrechts1. In einer ähnlichen Richtung ist auch die Begriffsbildung von René David zu sehen, der in seiner Einführung in die Rechtsvergleichung von einer „Famille des droits romano-germaniques“ spricht2. Der Vergleich und die Angleichung zwischen deutschem und französischem Privatrecht lassen sich allerdings nicht auf eine Gegenüberstellung von materiellrechtlichen Lösungen, Gesetzesbestimmungen und Gerichtsentscheidungen reduzieren. Tiefer liegende Unterschiede und Gegensätze sind nämlich vor allem in den unterschiedlichen rechtswissenschaftlichen Traditionen beider Länder zu beobachten. Unterschiedliche wissenschaftliche Modelle, eine augenfällige Verschiedenheit im Rechtsstil und in der juristischen Argumentationstechnik, haben in den letzten zwei Jahrhunderten die beiden Privatrechtsordnungen eher entfremdet als angenähert. Aus der Sicht eines Zivilrechtlers, der in beiden Traditionen groß ___________
Zuerst erschienen in: Heyen/Beaud (Hrsg.), Eine deutsch-französische Rechtswissenschaft? Kritische Bilanz und Perspektiven eines kulturellen Dialogs, Baden-Baden 1999, S. 183-196. Siehe auch Ranieri, Le droit civil français et la culture juridique française dans la doctrine allemande d’aujourd’hui: Un éloignement définitif?, in: Droits. Revue française de théorie juridique 32 (2000), S. 157-169. 1 Vgl. die Ausführungen von Demogue, Les notions fondamentales de droit privé, Paris 1911, S. 275. 2 Vgl. David, Les grands systèmes de droit contemporaines, 3e éd., Paris 1969, insbes. S. 39 ff., zum deutschen Recht S. 122-123; siehe auch ders., Le rôle des juristes dans l’élaboration du droit selon la conception traditionelle du système de droit romanogermanique, in: Vom Deutschen zum Europäischen Recht. Festschrift für H. Dölle, Bd. I, Tübingen 1963, S. 359 ff.
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geworden ist, ist insoweit die Beantwortung der Frage, welche sich unser Sammelband gestellt hat, nicht leicht. Bereits im Jahre 1969 konnte Karl Neumayer auch für die Privatrechtswissenschaft Trennungen zwischen Deutschland und Frankreich ausmachen, welche „bis auf unsere Tage die französische und die deutsche Kulturwelt voneinander schieden“3. Vielleicht war es bereits damals übertrieben, wenn Neumayer festzustellen glaubte, „daß auf beiden Seiten eine Abneigung gegen die Kulturordnung des Nachbarlandes aufgekommen ist“4. Unbestritten kann man allerdings zwischen deutschem und französischem Zivilrecht – wie Neumayer schreibt – eine „länger währende Periode der Beziehungsarmut“ feststellen5. „Es ist zu beklagen“ – resümiert er bei einer Würdigung des damaligen Schrifttums – „daß in der Einzelausführung Trennendes oft vorangeschoben, die Unterschiede den Gemeinsamkeiten vorangestellt wurden, so daß hüben wie drüben der Eindruck entstehen mußte, es bestünden weiterhin unüberbrückbare Gegensätze“6. Kürzlich widmete die Association Henri Capitant eine ihrer letzten Tagungen gerade der Problematik der „circulation du modèle juridique français“7. Es ist bezeichnend, dass der Referent für Deutschland bei dieser Tagung, Hans-Jürgen Sonnenberger, einer der besten, wenn nicht der beste deutsche Kenner des französischen Zivilrechts heute, als Einleitung zu seinen Ausführungen feststellen musste, dass mit dem Wiederbeginn nach dem Zweiten Weltkrieg der deutsche Gesetzgeber und die deutsche Gerichtspraxis „se sont tournés avec une grande intensité vers le droit étranger, mais l’influence du droit français en tant que telle n’a pas été particulièrement importante“8. Die französische zivilrechtliche Literatur findet in der Tat bis heute im deutschen Schrifttum kaum Interesse und Berücksichtigung. Ein kleiner empirischer Befund mag dies verdeutlichen: eine Durchsicht der letzten fünfzehn Jahrgänge des Archivs für die Civilistische Praxis, der führenden Zeitschrift für die deutsche Zivilrechtswissenschaft, hat gezeigt, dass praktisch kaum Hinweise auf französische Werke oder Gerichtsentscheidungen in den Anmerkungen auszumachen sind. Die Gründe liegen nicht so sehr in den materiellrechtlichen Inhalten oder in etwaigen Sprachhindernissen, als vielmehr in tief verwurzelten Unterschieden in den rechtswissenschaftlichen, stilistischen und argumentativen Traditionen beider Rechtskulturen. „Le droit français“, ___________ 3 So Neumayer, Deutsche und französische Zivilrechtswissenschaft. Besinnliches zu einem Nachbarschafts- und Partnerschaftsverhältnis unter Verwandten, in: Ius privatum gentium. Festschrift für M. Rheinstein, Bd. I, Tübingen 1969, S. 165 ff., insbes. S. 166. 4 Ebd., S. 166. 5 Ebd., S. 182. 6 Ebd., S. 182. 7 La circulation du modèle juridique français (Journées franco-italiennes), T. XLIV (1993), Paris 1994 (Travaux de l’Association Henri Capitant des amis de la culture juridique française). 8 Sonnenberger, Allemagne, in: La circulation du modèle juridique français, S. 317 ff., insbes. S. 320.
Französisches Recht und französische Rechtskultur
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schrieb kürzlich Michel Fromont, „a une démarche qui est plus empirique, moins abstraite, que le droit allemand“9: Der Rechts- und Wissenschaftsstil beider privatrechtlicher Traditionen sei nämlich ganz verschieden; die Gründe seien in der gegenseitigen unterschiedlichen Rechtsgeschichte beider Rechtssysteme zu suchen. Der Code civil von 1804 fußt auf einer Darstellung und Fixierung der Gerichtspraxis des Ancien droit; das deutsche BGB von 1900 ist demgegenüber Produkt der universitären rechtswissenschaftlichen Lehren der deutschen Pandektistik im 19. Jahrhundert. Damit ist die Zielsetzung dieses Beitrags präziser umschrieben: Welche unterschiedlichen historischen Einordnungen und Zusammenhänge haben die rechtswissenschaftliche Kommunikation zwischen den Zivilrechtlern beider Länder in den letzten zwei Jahrhunderten tief greifend beeinflusst und behindert? Ist eine solche Entwicklung unwiderruflich?
B. Das französische Recht in der deutschen Zivilrechtsliteratur Ein mögliches Missverständnis sei zunächst ausgeräumt. Es wäre eine voreilige Verkürzung anzunehmen, dass Deutschland heute keine Werke zum französischen Zivilrecht kennt. Selbstverständlich ist das Gegenteil der Fall. Es ist zwar nicht Anliegen dieses Beitrags, eine lückenlose bibliographische Dokumentation hierzu zu liefern. Einige Hinweise aus den Veröffentlichungen der letzten Jahre seien hier jedoch gestattet. An erster Stelle ist zunächst das monumentale Werk von Murad Ferid und Hans Jürgen Sonnenberger zum französischen Zivilrecht zu nennen. Diese systematisch angelegte Gesamtdarstellung des französischen Privatrechts in deutscher Sprache ist erstmalig aus der Feder von Murad Ferid im Jahre 1971 erschienen10. Das Werk, das in den vergangenen Jahren eine neue, vollständige Überarbeitung in einer zweiten Auflage aus der Hand von Hans Jürgen Sonnenberger erfahren hat, stellt eine ausführliche und lückenlose Darstellung des französischen Privatrechts in deutscher Sprache dar. Hier wird das gesamte deutschsprachige Schrifttum zum französischen Privatrecht nachgewiesen11. Darauf für einen lückenlosen Nachweis von bibliographischen Titeln verweisend, sei hier ferner erwähnt, dass neben diesem ___________ 9 Fromont, La protection juridictionelle des libertés garanties par la constitution française, in: Recht und Gesetz im deutsch-französischen Dialog, Köln/Berlin/München 1997, S. 65 ff., insbes. S. 76. 10 Vgl. dazu die Rezension von Batiffol, in: Revue critique de droit international privé 1972, S. 193: „il constitue un genre nouveau dans l’étude comparative des systèmes“. 11 Ferid/Sonnenberger, Allgemeine Lehren des französischen Zivilrechts, Bd. I, Teil 1, Einführung und Allgemeiner Teil des Zivilrechts, 2. Aufl., Heidelberg 1994; dies., Bd. II, Recht der einzelnen Schuldverhältnisse. Sachenrecht, 2. Aufl., Heidelberg 1986; dies., Bd. III, Familienrecht. Erbrecht, 2. Aufl., Heidelberg 1987; dies., Bd. IV, Teil 1, Ergänzungen, 2. Aufl., Heidelberg 1993.
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Werk einige knappe und dennoch relativ gute und informative Einführungen in das französische Recht in deutscher Sprache existieren. Hier seien die dritte Auflage der Einführung von Hübner/Constantinesco12 sowie eine andere aus der Feder des bereits genannten Sonnenberger13 zitiert. Zahlreiche Dissertationen und monographische Darstellungen sind zu einzelnen Aspekten des französischen Privatrechts erschienen. Um sich auf die Titel der letzten Jahre zu beschränken, sei etwa auf die Beiträge von Florian Endrös14 und Wolfgang Wenner15 zum Kaufrecht verwiesen; des weiteren sei hier die Dissertation von Maximilian Bissinger16 zum französischen Kündigungsschutz zitiert. Die Existenz dieser Literatur reicht jedoch nicht aus, um von einer effektiven und wirksamen Präsenz des französischen privatrechtlichen Schrifttums in der deutschen Rechtswissenschaft zu sprechen. Im weit überwiegenden Teil der Monographien zum deutschen Zivilrecht aus den letzten Jahrzehnten findet man kaum Zitate und Verweise auf französische Werke oder auf französische Judikatur. Das Bild verändert sich naturgemäß, wenn man insbesondere auf die Werke achtet, welche auf rechtsvergleichender Basis geschrieben wurden. Viele, zum Teil hervorragende zivilrechtliche Dissertationen haben sich in den letzten Jahren mit deutsch-französischen Themen befasst17. Es braucht auch nicht daran erinnert zu werden, dass die monumentalen rechtsvergleichenden Darstellungen von Hein Kötz und Christian von Bar zum europäischen Vertrags- und Deliktsrecht auch dem französischen Recht einen breiten Raum einräumen18. Das seit einigen Jahrzehnten zu beobachtende Vordringen der rechtsvergleichenden Methode im deutschen zivilrechtlichen Schrifttum hat das Interesse für die französische privatrechtliche Literatur jedoch nicht wesentlich gesteigert. Es gibt selbstverständlich Ausnahmen. Manche wichtigen zivilrechtlichen Untersuchungen, die das gegenwärtige französische Privatrecht umfassend einbeziehen, wie etwa die grundlegende neuere Monographie von Astrid
___________ 12
Hübner/Constantinesco, Einführung in das französische Recht, 3. Aufl., 1994. Sonnenberger/Schweinberger, Einführung in das französische Recht, 2. Aufl., 1986; vgl. auch Sonnenberger, Französisches Handels- und Wirtschaftsrecht, Heidelberg 1991. 14 Endrös, Kaufen und Verkaufen in Frankreich, Münster 1996. 15 Wenner/Schoedel, Kaufvertragsrecht in Frankreich, in: Graf von Westphalen (Hrsg.), Handbuch des Kaufvertragsrechts in den EG-Staaten einschließlich Österreich, Schweiz und UN-Kaufrecht, Köln 1992, insbes. S. 417-479. 16 Bissinger, Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Frankreich, Münster 1996. 17 Siehe etwa die Freiburger Dissertation von Hinrichs, Die Berücksichtigung des Mitverschuldens bei der Haftung für Personenschäden im französischen und deutschen Recht, Baden-Baden 1991, (Arbeiten zur Rechtsvergleichung, Bd. 151). 18 Vgl. Kötz, Europäisches Vertragsrecht, Bd. I, Tübingen 1996; von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. I, München 1996. 13
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Stadler zum Abstraktionsprinzip19, verändern nicht das hier skizzierte Gesamtbild. Die französische Privatrechtswissenschaft teilt dieses Schicksal übrigens mit der Rechtsliteratur aus anderen kontinentaleuropäischen, vor allem romanischen Ländern: Das angloamerikanische Recht hat sie in den letzten Jahrzehnten aus den Interessen der deutschsprachigen Rechtsvergleichung weitgehend verdrängt20.
C. Die unterschiedlichen Argumentationskulturen Warum wird die französische privatrechtliche Literatur heute im deutschen zivilistischen Schrifttum so wenig herangezogen und zitiert? Die Suche nach den Gründen führt uns zu der Aufdeckung von historischen Kontinuitäten und z. T. Diskontinuitäten in den wissenschaftlichen Beziehungen zwischen der deutschen und der französischen Rechtskultur auf dem Gebiet des Zivilrechts. Erst die Geschichte bietet uns den Weg zur Erklärung der heutigen wissenschaftlichen Entfremdung. Man datiert gelegentlich den Bruch in der wissenschaftlichen Kommunikation zwischen französischen und deutschen Privatrechtlern auf das Inkrafttreten des BGB im Jahre 1900. So schreibt Hans Jürgen Sonnenberger im Jahre 1994 anlässlich der bereits zitierten Tagung der „Association Henri Capitant“21: „Toute cette évolution a connu une fin abrupte avec l’introduction du BGB. Elle a mis fin non seulement à la doctrine consacrée au Code civil mais aussi à celles portant sur les autres droits particuliers.“ „De nos jours et depuis 1900“ – schreibt er fort – „la doctrine allemande s’est concentrée dans son ensemble à la mise en pratique du BGB“22. Die neue Kodifikation sei jedoch nicht der ausschließliche Grund für die Entfremdung. „L’entrée en vigeur du nouveau Code civil allemand“ – glaubt Sonnenberger beobachten zu können, „n’a pas nécessairement représenté la fin de l’intérêt porté par la doctrine (allemande) au droit français. Lors de la contribution allemande au Livre du Centenaire du Code civil le voeu a été fait que l’expérience de la jurisprudence et de la doctrine françaises influencent l’interprétation du nouveau droit allemand et inversement que le BGB influence le déve___________ 19
Vgl. Stadler, Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion. Eine rechtsvergleichende Studie zur abstrakten und kausalen Gestaltung rechtsgeschäftlicher Zuwendungen (Ius Privatum 13), Tübingen 1996, insbes. S. 28-35, S. 353-361. 20 Hierzu und zur Orientierung der deutschen Privatrechtsvergleichung vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Ranieri, Cenni sull’esperienza della civilistica tedesca di questo secolo, in: L’apporto della comparazione alla scienza giuridica (Studi di diritto comparato, Bd. 20), Milano 1980, S. 33 ff., insbes. S. 53-56. 21 Sonnenberger, Allemagne, in: La circulation du modèle juridique français (Fn. 8), insbes. S. 341. 22 Ebd., S. 342.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
loppement et les réformes du Code civil“23. Die Entfremdung sei, so Sonnenberger weiter, vor allem Konsequenz der politischen Geschichte gewesen. „L’histoire a pris une autre direction“, schreibt er fort, „non en raison des conditions scientifiques mais en raison des conditions politiques: après la Première Guerre mondiale les contacts entre juristes français et juristes allemands ont été pauvres“24. Einschlägige Literatur und Publikationen seien in jenen Jahrzehnten, wenn man vom Erscheinen einer deutschen Übersetzung des französischen Code civil im Jahre 1932 absieht, kaum publiziert worden. Erst mit der Veröffentlichung der monumentalen Darstellung zum französischen Zivilrecht von Murad Ferid im Jahre 1971 habe ein neues Kapitel des Gesprächs zwischen deutschen und französischen Privatrechtswissenschaftlern begonnen. Die Reduzierung des Problems auf eine spiegelbildliche Abbildung der politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich scheint mir allerdings irreführend. Die deutsche Zivilrechtswissenschaft hatte sich nämlich bereits längst vor 1900 vom französischen Recht entfernt. Es ist erhellend, was bei derselben Tagung der Association Capitant der italienische Zivilist und Rechtsvergleicher Rodolfo Sacco auch bemerkt: „Le vrai rival du modèle français en Europe n’est ni un code ni un législateur. L’Allemagne du XIXe siècle n’est pas soumise à un seul législateur. L’unité du droit n’existe que dans le domaine de la science. Cette science considère comme sa tâche primordiale que d’élaborer des concepts rigoureux“25. Das zentrale Problem sei, so Sacco, das Eindringen eines neuen abstrakten und begrifflichen Argumentationsstils in die kontinentaleuropäische Privatrechtskultur. „Cette méthode (méthode conceptuelle, ou dogmatique, ou systématique)“ – so Sacco weiter – „fascine les esprits en Allemagne, et en dehors de l’Allemagne. Vers la moitié du XIXe siècle elle conquiert l’Autriche ... elle conquiert également l’Italie et de l’Italie se rediffuse en Espagne. Là où la méthode dogmatique arrive, l’influence de la doctrine française s’estompe. Les catégories juridiques, le système, la logique du juriste se renouvellent“26. Damit sind wir in der Tat mit dem wahren historischen Hintergrund unseres Problems konfrontiert. Die Entwicklung einer abstrakten, dogmatischen Privatrechtswissenschaft durch die Romanisten in den deutschen Universitäten des 19. Jahrhunderts hatte einen wissenschaftlichen Stil und eine Argumentationskultur sich entfalten lassen, welche in krassem Gegensatz zu der bisherigen Handhabung des Römischen Gemeinen Rechts stand. Die Entfremdung zwischen Deutschland und Frankreich auf dem Gebiet des Privatrechts beginnt also nicht so sehr mit der napoleonischen Kodifikation ___________ 23
Vgl. Sonnenberger, ebd., S. 342. Sonnenberger, ebd., S. 342. 25 Vgl. Sacco, Rapport de synthèse, in: La circulation (Fn. 7), insbes. S. 11. 26 So Sacco, ebd., S. 11; ähnlich die Feststellung von Witz, Rapport introductif, in: La circulation (Fn. 7), insbes. S. 305: „L’influence du modèle français diminue inexorablement au fil des décennies dans la plupart des pays concernés“. 24
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als vielmehr mit der Wiederentdeckung des römischen Privatrechts als Quelle für eine allgemeine Privatrechtstheorie durch die deutsche historische Rechtsschule und die Pandektisten in den deutschen Universitäten in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Die scharfe Ablehnung, welche Friedrich Carl von Savigny in seiner berühmten Kodifikationsschrift im Jahre 1814 gegen die französische Privatrechtswissenschaft jener Zeit formulierte, ist repräsentativ für den damaligen Bruch zwischen den beiden Rechtskulturen. Der bekannte deutsche Zivilist Gustav Boehmer hat das richtig gesehen. Anlässlich der „Semaine internationale du droit“ in Paris im Jahre 1950 schreibt er nämlich: „Die wesentliche Kritik Savignys richtete sich nicht so sehr gegen die politische Mentalität (des Code civil) als gegen die rechtstechnischen Unvollkommenheiten, Lücken, Widersprüche und wissenschaftlichen Mängel des Gesetzeswerkes, die er an einer Reihe von Beispielen mit lehrhafter Überheblichkeit des durchgebildeten Romanisten darlegte“27. Besonders aufschlussreich ist hier in der Tat die ausführliche Kritik, welche Savigny der Nichtigkeitsregelung im Code civil widmet28. Zeitgleich mit der Savigny’schen Kritik gegen den Code civil sind auch die Anfänge einer wissenschaftlichen Behandlung des französischen Zivilrechts durch die damaligen deutschen Autoren, welche ein neues Paradigma in der kontinentalen Rechtskultur begründen sollte. Bekanntlich blieben nach der Restauration der französische Code civil sowie das französische Handels- und Prozessrecht in weiten Teilen Westdeutschlands in Geltung; man spricht in diesem Zusammenhang von der Weitergeltung des Rheinischen Rechts. Dieses blieb bekanntlich bis zum BGB in Kraft29. Bereits im Jahr 1808 publizierte der Heidelberger Professor Karl Salomo Zachariae ein „Handbuch des französischen Civilrechts“. Den großen Erfolg verdankte das Werk in Deutschland gerade seinem systematischen Aufbau, losgelöst von der Legalordnung des Code. Das Werk von Zachariae, durchdrungen von der systematischen Konstruktion der damaligen deutschen romanistischen Wissenschaft, war die maßgebende Geburtsstunde einer deutschen wissenschaftlichen Literatur zum französischen Zivilrecht. Zeitgleich also mit den am Gesetzestext orientierten ersten exegetischen Kommentaren der zeitgenössischen französischen ___________ 27 So Boehmer, Der Einfluß des Code civil auf die Rechtsentwicklung in Deutschland, in: AcP 1951, S. 289 ff., insbes. S. 304. 28 Hierzu im Einzelnen vgl. Ranieri, Le traduzioni e le annotazioni di opere giuridiche straniere nel sec. XIX come mezzo di penetrazione e di influenza delle dottrine, in: La formazione storica del diritto moderno in Europa. Atti del III Congresso internazionale della Società italiana di storia del diritto, Firenze 25-29 aprile, Firenze 1977, III, S. 1487-1504 (insbes. S. 1502-1503) [in diesem Band S. 51 (S. 64 f.)] m. w. N. 29 Vgl. hierzu zuletzt mit breiten Literaturhinweisen Gross, Der Code civil in Baden. Eine deutsch-französische Rechtsbegegnung und ihr Erbe, 1993 (Schriftenreihe der deutsch-französischen Juristenvereinigung, Bd. 3); hier umfassende Hinweise auf die neueren rechtshistorischen Forschungen von Fehrenbach, Schubert und Dölemeyer.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
„Ecole de l’exégèse“30, erscheint in Deutschland ein Werk, welches sich in Systematik und Argumentationsweise als deutliche rechtswissenschaftliche Alternative präsentiert. In den Jahrzehnten danach wurde das französische Recht im juristischen Schrifttum der damaligen Rheinprovinzen nach den Methoden der deutschen Pandektenwissenschaft fortentwickelt und der materiellrechtliche Stoff des Code mit deren Ideen- und Methodenwelt erfüllt. Diese Literatur blieb übrigens in Frankreich nicht ohne Beachtung. Hier sei nur daran erinnert, dass die ersten Anfänge einer systematischen Behandlung des französischen Zivilrechts in der französischen Rechtsliteratur auf den „Cours de droit civil français traduit de l’allemand de H.C.S. Zachariae, revu et augmenté“ durch die Straßburger Professoren Aubry und Rau zurückgehen, dessen erste Auflage zwischen den Jahren 1839 und 1846 erschien31. Das französische Zivilrecht erfährt also im deutschen Schrifttum im 19. Jahrhundert eine vollständige wissenschaftliche Aufbereitung nach den Methoden der damaligen Pandektistik. Entscheidend war hier vor allem die systematische Durchdringung des materiellen Rechtsstoffes und dessen Einordnung in eine logisch stringente Begrifflichkeit. Anstelle der beschreibenden und umgangssprachlichen Begriffsbildung der damaligen französischen Rechtsliteratur, welche sich darin in Kontinuität zu der Tradition des gemeinrechtlichen Ancien droit befand32, tritt nunmehr die abstrakte Begrifflichkeit der damaligen Pandektistik in den Vordergrund. Man denke hier etwa an die berühmte Monographie von Bernhard Windscheid zur Nichtigkeit im französischen Zivilrecht33. Diese pandektistische Aufbereitung des Code civil in der damaligen deutschen Rechtsliteratur ist bereits umfassend von Karl Neumayer untersucht ___________ 30 Zuletzt zur französischen Privatrechtswissenschaft im 19. Jahrhundert Gläser, Lehre und Rechtsprechung im französischen Zivilrecht des 19. Jh. (Ius Commune 81), Frankfurt a. M. 1996; Bürge, Das französische Privatrecht im 19. Jh. zwischen Tradition und Pandektenwissenschaft (Ius Commune 52), Frankfurt a. M. 1991; Halperin, Histoire du droit privé français depuis 1804, Paris 1996, insbes. S. 56 ff. 31 Dazu Ranieri, Le traduzione (Fn. 28), insbes. S. 1499-1501 [in diesem Band S. 61 ff.] m. w. N. Vgl. auch Lasserre-Kiesow, Plaidoyer pour une meilleure connaissance du droit civil allemand, in: Eine deutsch-französische Rechtswissenschaft?, Baden-Baden 1999, S. 163 ff. 32 Zu den historischen Hintergründen der unterschiedlichen Argumentationsstile und Rechtssprachen im französischen und deutschen Zivilrecht siehe Monateri, La sineddoche. Formule e regole nel diritto delle obbligazioni e dei contratti (Studi di diritto comparato, Bd. 26), Milano 1984, insbes. S. 375-433; ders., Règles et techniques de la définition dans le droit des obligations et des contrats en France et en Allemagne: la synecdoque, in: Revue internationale de droit comparé 1984, S. 7-57. 33 Vgl. Windscheid, Zur Lehre des Code Napoléon von der Ungültigkeit der Rechtsgeschäfte, Düsseldorf 1847, S. 302. Zur Geschichte des Werkes dogmenhistorisch und rechtsvergleichend vgl. zuletzt Negri, Il ricupero dell’atto nullo mediante esecuzione. Il sistema francese e il sistema italiano, Napoli 1981, insbes. S. 126 ff.
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und dargestellt worden34. Ein ähnliches romanistisches Verständnis fand auch in der judiziellen Handhabung des Code in der damaligen rheinischen Gerichtspraxis Widerhall. Eine ausführliche Untersuchung wurde auch hier bereits vorgelegt35. Die Krönung dieser begriffsdogmatischen Tradition in der Behandlung des französischen Zivilrechts in Deutschland findet sich in der letzten Auflage des Handbuchs von Zachariae, welche Ende des Jahrhunderts von Carl Crome besorgt wurde36. Diese wissenschaftliche Durchdringung des französischen Rechts im Sinne und mit der Methode der damaligen deutschen Pandektenlehre ist zugleich Abschluss und Höhepunkt der Beschäftigung der deutschen Zivilrechtler mit dem französischen Recht. „Wir haben den rohen Diamanten genommen und ihn dann geschliffen“, schreibt rückblickend im Jahre 1909 Carl Crome in der Rheinischen Zeitschrift37. Die wahrhaft europäische Bedeutung dieser dogmatischen Literatur zum französischen Zivilrecht in deutscher Sprache wird deutlich, wenn man in Erinnerung ruft, dass diese Werke damals sämtlich eine italienische Übersetzung erfuhren und damit zu Instrumenten der Verbreitung der pandektistischen Lehren in der italienischen Privatrechtswissenschaft wurden38. Die Rechtsliteratur zum rheinischen Recht bildete neben den übrigen partikularen Rechten die Grundlage bei der Vorbereitung des BGB. Sie wurde jedoch in Frankreich weitgehend ignoriert. „Es ist zu bedauern“ – schreibt Neumayer – „daß in der gleichen Zeit die späten deutschen Schriften zum französischen Recht nicht immer jene Aufmerksamkeit in Frankreich fanden wie zuvor ___________ 34
Vgl. Neumayer, Die wissenschaftliche Behandlung des kodifizierten Rechtsstoffes im Großherzogtum Baden und auf dem linken Rheinufer bis zum Beginn der Vorarbeiten zum BGB (1874), in: Coing/Wilhelm, Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. I, Frankfurt a. M. 1974, S. 197 ff. 35 Vgl. hierzu Schumacher, Das rheinische Recht in der Gerichtspraxis des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Auslegung rezipierter Rechtsnormen (Schriftenreihe des Instituts für Europäisches Recht, Bd. 9), Stuttgart/Brüssel 1969; vgl. auch Ranieri, Rezeption und Assimilation ausländischer Rechtsprechung, dargestellt am Beispiel des europäischen Einflusses der französischen Judikatur im 19. Jh., in: Ius Commune 6 (1977), S. 202-233 (insbes. S. 214 ff), [in diesem Band S. 21 (S. 32)]. 36 Vgl. Crome, Allgemeiner Teil der modernen französischen Privatrechtswissenschaft, Mannheim 1892; sowie ders., Grundlehren des französischen Obligationenrechts, Mannheim 1894; sowie ders., Handbuch des französischen Zivilrechts, begründet von Zachariae von Lingenthal, 8. Aufl., Mannheim 1894. 37 Vgl. Crome, Intensive und extensive Bedeutung des französischen Privatrechts, in: Rheinische Zeitschrift 1909, S. 6. 38 Vgl. hier etwa die Übersetzungen der genannten Werke durch Ascoli und Cammeo (Milano 1906 und 1908); das Handbuch wurde von Barassi ins Italienische übersetzt (Milano 1907-1909). Zu den italienischen Ausgaben, welche mit Hinweisen auf das damalige italienische Recht ergänzt wurden, vgl. insbes. meine Ausführungen in: Ranieri, Le traduzioni (Fn. 28), insbes. S. 1501 [in diesem Band S. 63] mit umfassenden bibliographischen Nachweisen.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
das Hauptwerk Zachariaes“39. Die einzige, z. T. isolierte Ausnahme stellte damals das Wirken von Raymond Saleilles dar, der das BGB und die darunter liegende rechtswissenschaftliche Literatur in Frankreich insbesondere durch sein Buch „Etudes sur la théorie générale des obligations d’après le premier projet du Code civil pour l’Empire allemand“ bekannt machte40. Durch das Werk von Saleilles werden erstmals in der französischen Literatur die Lehren von der Willenserklärung, vom einseitigen Rechtsgeschäft, vom dinglichen Vertrag, von der juristischen Person als realer Verbandspersönlichkeit bekannt gemacht. Der Beitrag von Saleilles zu den deutsch-französischen Beziehungen auf rechtswissenschaftlichem Gebiet wurde in dem im Jahre 1914 erschienenen Sammelband „L’oeuvre juridique de Raymond Saleilles“ in Frankreich gewürdigt. Eine literarische Begleitung des Werkes von Saleilles in der damaligen deutschen Rechtsliteratur findet man bezeichnenderweise nicht. Mit der Außerkraftsetzung des rheinischen Rechts im Jahre 1900 verabschiedete man sich also in der deutschen Zivilistik endgültig vom französischen Recht41. Erst 70 Jahre nach Inkrafttreten der deutschen Kodifikation erscheint die Darstellung von Murad Ferid, welche an eine Tradition wieder anknüpft, welche von Zachariae 150 Jahre zuvor eröffnet worden war. Der Aufbau der Darstellung von Murad Ferid ist bereits in der ersten Auflage von 1971 programmatisch: Sie ist weitgehend nach der Systematik des BGB aufgebaut. Die allgemeinen Lehren des französischen Zivilrechts werden hier wiederum bezeichnenderweise in einem „Allgemeinen Teil“ vorgestellt. Deutlicher kann die unterschiedliche Arbeitsweise des deutschen und des französischen Zivilisten nicht sichtbar werden. „Es soll“ – so Murad Ferid – „dem deutschen Juristen [...] auch gezeigt werden, wo er die Dinge im französischen Rechtssystem zu suchen hat, die er an der ihm vertrauten Stelle des deutschen Systems zu finden gewohnt ist“42. „La démarche consistante a régrouper une serie des notions et d’institutions de droit civil français dans une partie générale absente du Code civil“, schreibt ein französischer Rezensent der zweiten Auflage – „mérite d’être approuvée. Cette méthode facilite notablement les recherches du juriste allemand imprégné du ___________ 39
So Neumayer, Deutsche und französische Zivilrechtswissenschaft (Fn. 3), S. 174. 3. Aufl., Paris 1925. 41 Keine Ausnahme stellt die Monographie von Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, Marburg 1934, dar: hier wird auf die französische Theorie des „abus des droits“ zurückgegriffen, allerdings in völliger Verkennung deren tatsächlicher Anwendung in der französischen Rechtspraxis, um die Judikatur des Reichsgerichts zu § 242 BGB zu rechtfertigen; siehe hierzu die Kritik von de Boor, Methodisches zur Dogmatik und Rechtsvergleichung, in: AcP 1935, S. 262 ff. Zum Thema vgl. Ranieri, Cenni sull’esperienza (Fn. 20), S. 54; zuletzt Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre. Ergebnis nationalsozialistischen Rechtsdenkens? (Berliner Juristische Universitätsschriften, Bd. 1), Berlin 1995, insbes. S. 328 ff. 42 So Ferid, Das französische Zivilrecht, Bd. I, 1. Aufl., Frankfurt a. M./Berlin 1971, Vorwort, S. 4. 40
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plan du BGB qui, comme on le sait, gouverne toute la ‚systématique‘ du droit civil allemand“43.
D. Der gegensätzliche Stil der Zivilurteile Aus den bisherigen Ausführungen ist deutlich geworden, dass die fehlende Kommunikation zwischen französischer und deutscher Privatrechtswissenschaft aus wissenschaftshistorischen Gründen erklärbar ist. Argumentationsstil und wissenschaftliche Rechtskultur sind in beiden Ländern tief greifend verschieden. Ein Beispiel soll diese Entfernung verdeutlichen. Sie wird etwa bei einem Vergleich des richterlichen Argumentationsstils besonders klar. Auffallend gegensätzliche Strukturunterschiede zeigen beide Rechtstraditionen nämlich auch hinsichtlich des stilistischen Aufbaus einer Gerichtsentscheidung. Gerade im Zusammenhang mit der Technik der Formulierung eines Gerichtsurteils spricht man in der Rechtsvergleichung gelegentlich vom nationalen „Rechtsstil“: Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen sind dem Thema gewidmet worden44. Ich werde mich hier nur auf die Zivilurteile beschränken: Diesbezüglich sind die Unterschiede zwischen deutscher und französischer Judikatur am augenfälligsten45. Ich brauche hier den äußeren Aufbau eines deutschen zivilrechtlichen Urteils nicht in Erinnerung zu rufen. Typisch sind hier vor allem die rigorose Trennung zwischen Tatbestand und Urteilsmotivation, die traditionelle Unterscheidung des unstreitigen Sachverhalts vom streitigen sowie die formal in Kausalsätzen, im sog. „Urteilsstil“, formulierte Urteilsbegründung. Erwähnt sei übrigens, dass der typische äußere Stil eines deutschen zivilrechtlichen Urteils, welcher an sich nicht stringent von prozessrechtlichen Vorschriften vorgeschrieben wird, seine Grundlage primär in einer alten historischen Tradition findet. Bereits zur Zeit des Römischen Gemeinen Rechts und des deutschen Usus modernus im 17. Jahrhundert gab es Anleitungen zu den Regeln, die man bei der Anfertigung einer Aktenrelation oder zur Formulierung eines Votums zu beachten habe. Solche Regeln, welche bis auf die Ausbildungspraxis noch zur Zeit des Reichskammergerichts zurückgehen und in ___________ 43 So Witz, in: Revue critique de droit international privé 85 (1996), S. 578, insbes. S. 579. Ähnlich Fromont, La protection (Fn. 9), insbes. S. 77: „du fait de l’existence d’une partie générale dans le Code Civil allemand, les Allemands sont toujours habitués à combiner plusieurs dispositions entre elles, c’est beaucoup moins les cas du juriste français. Le juriste français a toujours tendences à appliquer les dispositions applicables en peu isolément“. 44 Vgl. dazu mit weiteren Hinweisen Ranieri, Styles judiciaire dans l’histoire européenne: Modèles divergents ou traditions communes?, in: Le juge et le jugement dans les Traditions juridiques européennes. Études d’histoire comparée (Droit Société vol. 17), Paris 1996, S. 181-195, und auch in diesem Band, S. 381. 45 Zum Thema vgl. Ranieri, ebd.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
die preußischen Ausbildungsordnungen des 18. und des 19. Jahrhunderts Eingang fanden, leben heute noch in der sog. Klausur- und Relationstechnik und in der Referendarausbildung fort, übrigens ohne dass sich Referendare und Ausbilder darüber bewusst sind46. Typisch für ein deutsches Zivilurteil ist vor allem der wissenschaftliche Charakter seiner ausführlichen Begründung: Wissenschaftliche Zitate in einer deutschen Urteilsbegründung sind keinesfalls verpönt; vielmehr setzt sich eine Entscheidung einer höheren Gerichtsinstanz üblicherweise umfassend nicht nur mit der bisherigen Judikatur, sondern auch mit den wissenschaftlichen Stellungnahmen im Schrifttum auseinander. Manche Urteile des deutschen Bundesgerichtshofs oder gar des Bundesverfassungsgerichts erinnern uns unweigerlich an eine wissenschaftliche Abhandlung. Dies wird gelegentlich heftig kritisiert47. Man vergisst dabei, dass dies der deutschen Justiztradition entspricht. In der Tat beteiligen sich die deutschen Gerichte durch solche Urteilsbegründungen auch an der rechtswissenschaftlichen Diskussion. Es ist also kein Zufall, dass zahlreiche Richter in Deutschland als Autoren von wissenschaftlichen Werken und Kommentaren und als Hochschullehrer tätig sind. Ein französisches Zivilurteil stellt gerade das Gegenteil dazu dar. Bekanntlich wird eine Entscheidung der französischen Cour de cassation heute noch mit der Technik des sog. „jugement à phrase unique“ redigiert: Ein Urteil besteht demgemäß nur aus einem Satz, welcher mit dem Subjekt „La Cour“ beginnt und durch das Verb „casse“ bzw. „rejette“ abgeschlossen wird; durch eingeschobene Relativsätze, welche durch die Formulierung „attendu que“ beginnen, werden die wesentlichen Elemente aus der Prozessgeschichte sowie aus den Kassationsmitteln der Parteien mitgeteilt, soweit der Kassationshof dies im Hinblick auf die im Zentrum der Entscheidung stehende Rechtsvorschrift und Rechtsauslegung für mitteilungsbedürftig hält. In seinem Umfang überschreitet ein Zivilurteil der Cour de cassation selten eine gedruckte Seite. Ein solcher Begründungsstil ist außerordentlich formalistisch und entspricht in der Tat einer legalistischen Rechtsgesinnung, welche nicht zufällig unmittelbar an die Tradition des Tribunal de cassation Ende des 18. Jahrhunderts anknüpft und ___________ 46 Vgl. hier meine Ausführungen in: Ranieri, Das Reichskammergericht und der gemeinrechtliche Ursprung der deutschen zivilrechtlichen Argumentationstechnik, in: ZEuP 1997, S. 718-734 [und auch in diesem Band, S. 397]. 47 Siehe zuletzt Heitmann, Plädoyer für ein Auslaufmodell, in: NJW 1997, S. 18261827; Balzer, Schlanke Entscheidungen im Zivilprozeß, in: NJW 1995, S. 2448 ff.; vgl. insbes. S. 2455: „deutsche Juristen [...] werden kaum jemals das Vergnügen empfinden dürfen, das der französische Jurist der Lektüre von Urteilen der Cour de Cassation abgewinnen kann, Urteilen, die von Souveränität, Prägnanz und cartesianischer Klarheit geprägt sind“. Französische Autoren kritisieren allerdings gerade die sibyllinische Kürze der „arrêts“ des französischen Kassationshofes: vgl. zuletzt Witz, Libres propos d’un universitaire français à l’étranger, in: Rev. trim. civ. 91 (1992), S. 737 ff.
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auf die französische Kodifikation Anfang des 19. Jahrhunderts zurückgeht48. Trotz gelegentlich heftiger Kritik im französischen Schrifttum hat der französische Kassationshof bis heute diese seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts existierende Technik in der Redaktion seiner Urteile nicht aufgegeben. Solche Urteile stellen nur die Mitteilung einer Rechtsentscheidung dar. Die Begründung wird häufig nur durch einen Hinweis auf die herangezogenen gesetzlichen Vorschriften angedeutet und ist in der Sache selbst nur für die Prozessbeteiligten und die sonstigen professionellen Kenner der Rechtsprechung des Gerichts erkenn- und nachvollziehbar. In der lakonischen Kürze von manchmal nur wenigen Druckzeilen spielt jedes benutzte oder eben nicht benutzte Wort eine entscheidende Rolle. Die Kunst der Auslegung der sibyllinischen „arrêts“ der Cour de cassation ist seit jeher ein wesentliches Element der professionellen französischen Rechtskultur49. Es ist insoweit nicht zufällig, dass gerade die französische Rechtsliteratur seit dem 19. Jahrhundert die besondere Literaturgattung der sog. „note“ kennt, der Urteilsanmerkung nämlich, in welcher die Hintergründe der juristischen Begründung eines Urteils und dessen Einordnung in die bisherige Rechtsprechung offen gelegt und erläutert werden. Die „note“ erfüllt im französischen Rechtssystem funktional dieselbe Aufgabe wie die wissenschaftlichen Ausführungen in den deutschen Urteilen. Der Kenner des französischen Rechts weiß, dass ohne Urteilsanmerkungen und ohne den Rückgriff auf die Kommentierung und Systematisierung in der wissenschaftlichen Literatur die französische Rechtsprechung nicht verstanden und nicht beherrscht werden kann. Eine solche Stiltradition prägt unweigerlich auch die Juristenausbildung: Seit Generationen werden die französischen Rechtsstudenten an die Beherrschung einer solchen judiziellen Tradition herangeführt. Bezeichnenderweise ist die wichtigste schriftliche Arbeit in einer französischen Rechtsfakultät die Ausarbeitung eines „commentaire d’arrêt“. „Cette pratique“, schrieb kürzlich Fromont50, „conduit à empêcher les juges français de se lancer dans des discussions abstraites, théoriques ou doctrinales. De ce fait, le dialogue entre juristes français et allemands est toujours difficile“. Es ist in der Tat nicht zufällig und besonders lehrreich, dass selbst im 19. Jahrhundert in denjenigen deutschen Territorien, in welchen das französische Zivil- und Prozessrecht weiter galt, die deutschen Gerichte den französischen Begründungs- und Urteilsstil nicht übernahmen. Die deutsche Judikatur zum damaligen sog. Rheinischen Recht zeigt einen Begründungs- und Argumentationsstil, der völlig anders aussieht als die zeitgenössische Rechtsprechung der französischen Cour de cassation. Eine neuere rechtshistorische Untersuchung hat zudem deutlich gemacht, dass selbst bei der Handhabung des im Rheinland weiter gelten___________ 48
Dazu Ranieri, ebd. s. etwa Voulet, L’interprétation des arrêts de la Cour de Cassation, in: Semaine Juridique 1970, Doctrine, n. 2305. 50 Vgl. Fromont, La protection (Fn. 9), insbes. S. 76-77. 49
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den französischen Kassationssystems das Modell der französischen Cour de cassation in der Rechtspraxis in den damaligen deutschen Territorien tief greifende Veränderungen erfuhr51. Die französische Cour de cassation zitiert grundsätzlich nie, weder die eigene Judikatur noch gar das wissenschaftliche Schrifttum. Die Kenntnis der eigenen Präzedenten und der gelegentlichen literarischen Kritik wird zwar vorausgesetzt, aber nicht mitgeteilt; deren Durchdringung bleibt der professionellen Kompetenz und der Erfahrung von Anwälten und Professoren vorbehalten. Die französische „doctrine“ begleitet also die Rechtsprechung und sieht heute ihre primäre Aufgabe vor allem in der Systematisierung und Rationalisierung ihrer Ergebnisse, in einer der Judikatur dienenden Funktion also, die die Ferne zur selbstbewussten Haltung des deutschen rechtswissenschaftlichen Schrifttums heute noch deutlich offenbart. Im heutigen französischen Zivilrecht spielt die Kodifikation von 1804 insoweit eine andere Rolle als das BGB für die deutsche Zivilistik. Die historische Ferne mancher Texte des napoleonischen Code civil haben diese in der zivilrechtlichen Argumentationstechnik der heutigen französischen Juristen in Elemente einer eher historisch symbolischen Begründung verwandelt: Das heutige französische Zivilrecht, betrachtet man insbesondere das „droit appliqué“, ist nämlich nunmehr weitgehend zu einem „Case law“ geworden.
E. Die Voraussetzungen für eine kulturelle Wiederannäherung Ist ein gemeinsamer Diskurs zwischen deutschen und französischen Zivilisten heute noch möglich? Die bisherigen Ausführungen und Befunde stellen nicht nur einen Grund für Skepsis dar, sondern sie sind zugleich eine wissenschaftliche und rechtspolitische Herausforderung. Man glaubt gelegentlich, dass man eine fremde Rechtsordnung kennt oder besser kennen lernen wird, wenn man die fragliche sprachliche Verständigung verbessert; manche Rechtspraktiker erwarten in der Tat, dass eine bessere Kenntnis der normativen Unterschiede zwischen zwei Rechts- und Justizsystemen, notfalls mittels Übersetzungen, ausreichen kann, um sich in einer fremden Rechts- und Justizordnung bewegen zu können. Das gilt häufig gerade für die Rechtsbeziehungen zwischen Deutschland und Frankreich. Missverständlich ist hier vor allem der Glaube, dass sich ein Rechts- und Justizsystem, und das gilt insbesondere für ___________ 51 Montazel, Entre fait et droit: histoire d’un pouvoir judiciaire. Les techniques de la cassation civile en France et en Allemagne au XIXème siècle, Frankfurt a. M. 1998, insbes. S. 114 ff.; vgl. insbes. S. 119: „aussi instruits qu’ils soient du droit et de la jurisprudence français, les juges allemands ne peuvent faire abstraction du mode de pensée propre à leurs pays et qui a fait partie de leur formation“.
Französisches Recht und französische Rechtskultur
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das Privatrecht, auf seine normativen Grundlagen reduzieren lässt. Die Unterschiede unserer europäischen Rechts- und Justizsysteme liegen allerdings nur z. T. in ihren unterschiedlichen gesetzlichen Grundlagen; gerade diese Unterschiede nehmen zudem aufgrund der europäischen Gesetzgebung allmählich eher ab. Zahlreiche gemeinschaftsrechtliche Richtlinien zum Verbraucherschutz – man denke etwa an die Richtlinien zu den missbräuchlichen Vertragsklauseln oder zum Verbraucherkredit – sind in den letzten Jahren sowohl in das deutsche als auch in das französische Privatrecht rezipiert worden. Gerade der Einfluss der frühzeitigen französischen Verbraucherschutzgesetzgebung als rechtspolitisches Modell auf europäischer Ebene hat diesem Sektor des französischen Privatrechts zu einem mittelbaren Einfluss in Deutschland verholfen52. Das zentrale Problem liegt in der Tat allerdings jenseits der verschiedenen normativen und gesetzlichen Regelungen: die tiefer greifenden Gegensätze betreffen vielmehr die jeweiligen justizprofessionellen Traditionen, die Denkund Argumentationsweise, das unterschiedliche nationale Selbstverständnis und die Einordnung der Rechtspraktiker in den jeweiligen Rechts- und Justizsystemen. Die Rechtsvergleichung spricht in diesem Zusammenhang vom „Rechtsstil“. Gerade ein Vergleich zwischen der französischen und der deutschen Privatrechtskultur und dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum hat diesen unseren Befund bestätigt. Die europäische rechtspolitische Aufgabe einer wissenschaftlichen Reflexion zu diesen Themen liegt vor allem darin, dass die Rechtswissenschaftler und Rechtspraktiker über ihr nationales Selbstverständnis hinaus auch über die Unterschiede, die gegensätzlichen Entwicklungen, die funktionalen Ähnlichkeiten und historischen Zusammenhänge in den europäischen Rechtsordnungen aufgeklärt werden müssen. Darin wird die eigentliche Funktion von Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung als spezifische juristische Grundlagenforschung sichtbar. Diese will und kann keine unmittelbaren Handlungsanweisungen geben; sie kann jedoch die rechtspolitischen Handlungsspielräume aufzeigen, Argumente für eine rationale Diskussion liefern und zugleich die Relativität nationaler Rechtstraditionen verdeutlichen. Dadurch wird auch verständlich, welchen Zweck eine „wissenschaftlich“ gehaltene juristische Ausbildung erfüllen soll. Die europäische Verständigung und die juristische Zusammenarbeit in Europa machen es zunehmend notwendig, dass diese Selbsterkenntnis noch mehr in eine wissenschaftliche Ausbildung auch der künftigen Juristen Eingang findet. Ein gemeinsames Studium sowohl des deutschen als auch des französischen Zivilrechts sowohl in einer deutschen als auch in einer französischen Rechtsfakultät stellt den wesentlichen, unverzichtbaren Weg einer wissenschaftlichen und rechtspraktischen Verständigung dar. Seit Jahrzehnten studieren deutsche und französische Studenten an der Saarbrücker Rechtsfakultät ___________ 52
Vgl. hierzu den Beitrag von Luzeaux, a. a. O., S. 170.
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gemeinsam. Neben deutschen unterrichten hier auch französische Professoren im Rahmen einer zugleich deutschen und französischen Rechtsfakultät53. Saarbrücker Absolventen zeigen dadurch, dass man als Jurist in zwei Rechtsordnungen wachsen und agieren kann. Darin liegt eine der primären Aufgaben einer universitären wissenschaftlichen Juristenausbildung im europäischen Raum.
___________ 53 Vgl. Autexier, Doppelstudium der deutschen und französischen Rechtswissenschaften, in: Informationen für die Beratungs- und Vermittlungsdienste der Bundesanstalt für Arbeit, Nr. 24/94, S. 2175; ders./ELSA-Saarbrücken e.V./CJFA (Hrsg.), Recht und Gesetz im deutsch-französischen Dialog. Symposium anläßlich des 40-jährigen Jubiläums des Centre Juridique franco-allemand, Annales Universitatis Saraviensis, Bd. 130 (1997); ders. im Internet: http://www.jura.uni-sb.de/CJFA; zuletzt Eymery, Jurastudium à la française: Studium des französischen Rechts am Centre Juridique francoallemand der Universität des Saarlandes, in: ZEuP 3 (1998), S. 790.
Einige Bemerkungen zu den historischen Beziehungen zwischen deutscher Pandektistik und italienischer Zivilrechtswissenschaft: Die Lehre des Rechtsgeschäfts zwischen 19. und 20. Jahrhundert Eine monographische und übergreifende Darstellung der Beziehungen zwischen italienischer und deutscher Zivilrechtswissenschaft in den letzten 100 Jahren fehlt noch. Es handelt sich dabei um ein grundlegendes Kapitel der Geschichte des italienischen Privatrechts, das seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine zunehmende Verdrängung des Einflusses des französischen Rechts zugunsten der deutschen Rechtsdogmatik erlebt hat.1 Seit wenigstens zwei Jahr___________ Zuerst erschienen in: Le rôle de la volonté dans les actes juridiques. Etudes à la mémoire du Prof. Alfred Rieg, Bruxelles 2000, S. 703-720. Siehe auch Ranieri, Alle origini del diritto civile europeo. Alcune osservazioni sulle relazioni storiche tra pandettistica tedesca e civilistica italiana: la dottrina del negozio giuridico tra il XIX e il XX secolo, in: Europa e diritto privato, Milano 2000, S. 805-831. 1 Die Literatur zur Geschichte der italienischen Privatrechtswissenschaft der letzten zwei Jahrhunderte und zum Einfluss der französischen und deutschen Modelle ist beträchtlich; hier eine erste chronologische Bibliographie: Notice sur l’enseignement du Droit dans les Universités d’Italie, in: Birnbaum/Warnkönig (Hrsg.), Bibliothèque du Jurisconsulte et du Publiciste, Liège I (1826), S. 371-379; von Savigny, Ueber den juristischen Unterricht in Italien, in: Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 6 (1828), S. 201-228 und in: Vermischte Schriften IV, Berlin 1850, S. 309-342; Mittermaier, Die neuesten rechtswissenschaftlichen Leistungen der italienischen Schriftsteller, in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes 28 (1856), S. 153 ff.; Rocco, La scienza del diritto privato in Italia negli ultimi cinquant’anni, in: Riv. di dir. comm. 1911, und in: Studi di diritto commerciale ed altri scritti giuridici, vol. I, Rom 1933, S. 3 ff.; Rotondi, Letteratura civilistica francese ed italiana, in: Scritti giuridici, vol. III, Studi varii di diritto romano ed attuale, Milano 1922, S. 498-539; Schwarz, Einflüsse deutscher Zivilistik im Auslande, in: Symbolae Friburgenses in honorem O. Lenel, Leipzig 1931, S. 425-482, insbes. zur Rezeption der Pandektistik in Italien, S. 450-451; Pacchioni, Deutsche und Italienische Romanisten im 19. Jahrhundert. Zwei Gastvorlesungen, Leipzig 1935 (Neudruck Frankfurt a. M. 1970); Asquini, Il diritto commerciale italiano nel secolo decorso (1839-1939), in: Riv. di dir. comm. 1939, I, S. 447 ff.; Ferrara (sen.), Un secolo di vita del diritto civile (18391939), in: Scritti giuridici, vol. III, Milano 1954, S. 273 ff.; Rotondi, Die italienische Rechtswissenschaft der letzten hundert Jahre, in: RabelsZ 1966, S. 104 ff.; Tarello, La scuola dell’ „esegesi“ e la sua diffusione in Italia, in: Scritti per il XL della morte di P.E. Bensa (Collana degli annali della fac. giur. Genova 19), Milano 1969; Irti, Sull’opera di Francesco Filomusi Guelfi, in: Diritto e Giurisprudenza, 1969, S. 10 ff.; De Cupis, Il diritto civile nella sua fase attuale, in: Riv. di dir. comm. 1970, S. 421 ff.; Wieacker, Dalla storia del diritto alla teoria dell’interpretazione (Il pensiero filosofico-giuridico di E. Betti), in: Riv. di dir. civ. 1970, I, S. 300 ff.; Irti, Francesco Filomusi Guelfi e la crisi della scuola esegetica in Italia, in: Riv. di dir. civ. 1971, I, S. 379 ff.; Crifó, Appunti sull’insegnamento maceratese di Emilio Betti, in: Annali facoltà di giurisprudenza Ma-
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___________ cerata, vol. XXX; Irti, Problemi di metodo nel pensiero di Francesco Ferrara, in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 1 (1972), S. 229 ff.; Rotondi, Cento anni di scienza del diritto in Italia, in: Studi in onore di Carlo Emilio Ferri, Milano 1972, S. 449-516; Irti, Criteri per una storia delle metodologie nel diritto privato italiano, in: Jus. Rivista di scienze giuridiche 21 (1974), S. 335 ff.; Sesta, Profili di giuristi italiani contemporanei: Antonio Cicu ed il diritto di famiglia, in: Materiali per una storia della cultura giuridica 6 (1976), S. 417-499; Tarello, Quattro buoni giuristi per una cattiva azione, in: Studi in onore di Riccardo Orestano und in: Materiali per una storia della cultura giuridica 7 (1977), S. 147 ff.; Guastini, Due studi sulla dottrina della interpretazione nei giuristi italiani del primo novecento, ebd., S. 115-143; Orlano, F. Casentini. Un contributo alla storia del „socialismo giuridico“, ebd., S. 37-64; Ranieri, Le traduzioni e le annotazioni di opere giuridiche straniere nel sec. XIX come mezzo di penetrazione e di influenza delle dottrine, in: La formazione storica del diritto moderno in Europa. Atti del III Congresso internazionale della Società italiana di storia del diritto, Firenze 25-29 aprile, Firenze 1977, III, p. 1487-1504 [in diesem Band S. 51]; Sesta, Il diritto di famiglia tra le due guerre e la dottrina di Antonio Cicu, als Einleitung zu Cicu, Il diritto di famiglia. Teoria generale (Nachdruck in der Reihe Momenti del pensiero giuridico moderno. Testi scelti a cura di P. Rescigno 2), Bologna 1978; Emilio Betti e la scienza giuridica del novecento, in: Quaderni fiorentini 7 (1978); Carnacini, Il centenario della nascita di Francesco Carnelutti, in: Riv. trim. di dir. proc. civ. 1979, Heft 4; Ranieri, Savignys Einfluss auf die zeitgenössische italienische Rechtswissenschaft, in: Ius Comune 8 (1979), S. 192-219 [in diesem Band S. 99]; Vidari, Cultura giuridica, in: Torino città viva. Da capitale a metropoli. 1880-1980, Torino (Centro Studi Piemontesi) 1980, S. 839-855; Cinquanta anni di esperienza giuridica in Italia (Atti del Convegno Messina-Taormina 3/8.11.1981), Milano 1982 (Pubblicazioni dell’Istituto di scienze giuridiche della Università di Messina 129); Brauneder, Von der moralischen Person des ABGB zur juristischen Person der Privatrechtswissenschaft, in: Quaderni fiorentini 11/12 (1982-1983), S. 265 ff. – zur italienischen Zivilrechtswissenschaft über das ABGB vgl. S. 264 und insbes. ausführlich S. 272 ff. und S. 304-308; Grossi, Stile fiorentino. Gli studi giuridici nella Firenze italiana (1859-1950) (Collana: Per la storia del pensiero giuridico moderno 23), Milano 1986; Libonati/Farenga/Morera/Brancadoro, La Rivista di diritto commerciale (1903-1922), in: Quaderni fiorentini 16 (1987), S. 343 ff.; Proto Pisani, Materiali per uno studio dei contributi processualcivilistici della „Rivista di diritto commerciale“ (1903-1923), ebd., S. 375 ff.; Denti/Taruffo, La rivista di diritto processuale civile, ebd., S. 631 ff., insbes. S. 655-656 zur Rezeption der pandektistischen Literatur; Veneziani, La „Rivista di diritto commerciale“ e la dottrina giuslavorista delle origini, ebd., S. 441 ff.; Furgiuele, La „Rivista di diritto civile“ dal 1909 al 1931, ebd., S. 519 ff.; Santarelli, „Un illustre (e appartato) foglio giuridico“. La Rivista di diritto privato (1931-1944), ebd., S. 665 ff.; Napoli, La cultura giuridica europea in Italia. Repertorio delle opere tradotte nel secolo XIX. Tendenze e centri della attività scientifica, I-III, Napoli 1987; Grossi, La scienza del diritto privato. Una rivistaprogetto nella Firenze di fine secolo. 1893-1896, Milano 1988; Mazzacane, La „razionalità logico-metodologica“ della pandettistica, in: Nuovi moti per la formazione del diritto, Padova 1988, insbes. S. 283-297; Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft und Staatslehre im Spiegel der italienischen Rechtskultur während der zweiten Hälfte des 19. Jh. (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 1), Berlin 1990 und hier die Beiträge von Beneduce, „Germanisme. La terrible accusation“. Fremde Lehrsysteme und Argumentationsweisen in der italienischen Privatrechtswissenschaft während der zweiten Hälfte des 19. Jh., S. 100 ff. und Mazzacane, Die Rechtskultur in Deutschland und Italien nach der nationalen Einigung, S. 55; Beneduce, La volontà civilistica. Giuristi e scienze sociali in Italia tra 1800 e 1900, Napoli 1990; Grossi, Interpretazione ed esegesi. Anno 1890: Polacco versus Simoncelli, in: Riv. di dir. civ. 1989, I,
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zehnten ist diese kulturelle Orientierung der italienischen Zivilrechtswissenschaft nunmehr weitgehend zu Ende. Das angloamerikanische Modell scheint heute das Interesse der italienischen Juristen zunehmend zu monopolisieren. Es bietet sich deshalb an, aus der Perspektive einer historisch orientierten Rechtsvergleichung über die Gründe, die Modalitäten und die Folgen dieses nunmehr abgeschlossenen Kapitels einer europäischen Rechtsrezeption nachzudenken. Die Schilderung der kulturhistorischen Bedingungen, unter denen die Rechtskategorien etwa von „Rechtsgeschäft“, „Willenserklärung“, „Vollmacht“ aus der Dogmatik der deutschen Pandektistik Ende des 19. Jahrhunderts Eingang in die italienische Rechtsliteratur fanden, wird uns Gelegenheit bieten, über Kontinuitäten und Ambivalenzen nachzudenken, welche die Beziehungen der italienischen Juristen zur deutschen Zivilrechtswissenschaft bis heute charakterisieren.
A. Italiens Zivilrecht unter deutschem und französischem Einfluss Bis Mitte des 19. Jahrhunderts, zur Zeit der italienischen präunitarischen Staaten, bleibt die italienische Rechtskultur fast ausschließlich am Modell des französischen Rechts, insbesondere der Napoleonischen Kodifikationen, orientiert. Mit Ausnahme von Lombardei-Venetien, wo seit 1814 das österreichische ABGB in Kraft war, galt der französische Code civil unmittelbar oder mittelbar fast auf der ganzen italienischen Halbinsel. Die französischen Gesetzbücher waren bekanntlich in der napoleonischen Zeit in Italien eingeführt worden. Sie waren zwar nach der Restauration fast in allen präunitarischen Staaten wieder außer Kraft gesetzt worden; in den darauf folgenden Jahrzehnten führten die italienischen Territorien jedoch Gesetzbücher, vor allem Zivil- und Handelsrechtskodifikationen, ein, welche weitestgehend dem französischen Modell des Code civil und dem des Code de commerce entsprachen und zum Teil nur eine ___________ S. 197 ff. und in: Studi in memoria di G. Tarello, Milano 1990, I, S. 283-319; Guarneri, L’interlocutore del giurista nell’esperienza italiana degli ultimi due secoli, in: Il Quadrimestre. Riv. di dir. privato 1990, S. 473-497; Trocker, L’influenza della scienza giuridica tedesca sugli studi dei processualisti italiani, in: Studi senesi 1990, S. 474 f.; Cianferrotti, L’Università di Siena e la „vertenza Scialoja“. Concettualismo giuridico, giurisprudenza pratica e insegnamento del diritto in Italia alla fine dell’Ottocento, in: Studi in memoria di G. Cassandro, 1991, I, S. 212 ff.; Bognetti, La cultura giuridica e le facoltà di giurisprudenza nel secolo ventesimo. Abbozzo di una storia, Milano 1991; Mazzacane/Schulze, Die deutsche und die italienische Rechtskultur im „Zeitalter der Vergleichung“ (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 15), Berlin 1995; Furgiuele, Ipotesi e frammenti tra teoria e storia del diritto civile dell’Italia repubblicana, in: Quaderni fiorentini 26 (1996); Cazzetta, Civilistica e „assolutismo giuridico“ nell’Italia post-unitaria: gli anni dell’esegesi (1865-1881), in: De la ilustración al liberalismo. Symposium en honor al profesor P. Grossi, Madrid 1995, S. 397 ff.; Cappellini, Der Wille zur Wahrheit. Qualche ipotesi preliminare su „storia della verità“ e origini dell’ermeneutica giuridica liberal-borghese, ebd., S. 67 ff.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
wörtliche Übersetzung darstellten. Selbst in den zwei Territorien, in denen noch das ältere Römische Gemeine Recht galt, nämlich im Großherzogtum Toskana und im Kirchenstaat, behielt das französische Recht in einer Reihe von privatrechtlichen Sondergesetzen beträchtlichen Einfluss2. Die Rolle des französischen Code civil als Modell für die italienischen Zivilrechtskodifikationen erklärt zugleich die Ausstrahlungskraft der französischen Rechtsliteratur in jenen Jahrzehnten. Nahezu alle wichtigen Werke der französischen Kommentatoren der Zeit, zum Teil sogar die großen Repertorien und Rechtsprechungssammlungen, erfuhren seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts Übersetzungen ins Italienische3. Gesetzeskommentare, Rechtsliteratur und Gerichtspraxis nahmen deshalb in den einzelnen präunitarischen Staaten durchgehend und unmittelbar Bezug auf das damalige französische Recht4. Zum Zeitpunkt der politischen Einigung, Mitte des Jahrhunderts, welche bezeichnenderweise unter französischem Einfluss stattfand, kann man deshalb bei einer realistischen Betrachtung durchaus von einer „mittelbaren“ Geltung des französischen Rechts, insbesondere des französischen Privatrechts, auf der italienischen Halbinsel sprechen. Gerade in jenen Jahren können wir aber auch die ersten Anzeichen für eine tief greifende Neuorientierung der italienischen Rechtskultur beobachten, welche das damalige deutsche Schrifttum zum Römischen Recht zu entdecken beginnt. Die formelle Weitergeltung des Römischen Gemeinen Rechts, vor allem im Großherzogtum Toskana und im Kirchenstaat, sowie die damalige europäische Ausstrahlung der deutschen Universitäten5 scheinen am Anfang dieser Entwicklung gestanden zu haben. Andernorts habe ich Gelegenheit gehabt, die Anfänge von solchen ersten wissenschaftlichen Kontakten zwischen deutschen ___________ 2
Allgemein zu diesem Kapitel der italienischen Rechtsgeschichte siehe Ranieri, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. III: Das 19. Jahrhundert, München 1982, Teil 1, S. 177-396; Teil 2, S. 2331-2401. 3 Im einzelnen dazu Ranieri, Le traduzioni (Fn. 1); Napoli, La cultura (Fn. 1) mit einer umfassenden Bibliografie. 4 Dazu Ranieri, Rezeption und Assimilation ausländischer Rechtsprechung dargestellt am Beispiel des europäischen Einflusses der französischen Judikatur im 19. Jh., in: Ius Commune 6 (1977), S. 202-233 [in diesem Band S. 21]. 5 Zu diesem wichtigen kultursoziologischen Hintergrund siehe Moretti, Università tedesche ed università italiane, in: Società e Storia 43 (1989), S. 196-202; Schiera, Il laboratorio borghese. Scienza e politica nella Germania dell’Ottocento (Annali dell’Istituto storico italo-germanico 5), Bologna 1987; allgemein Bourdieu, Les conditions sociales de la circulation internationale des idées, in: Romanische Zeitschrift für Literaturgeschichte, Heidelberg 14 (1990), Heft 1/2; Weiß, Das deutsche Modell. Zu Grundlagen und Grenzen der Bezugnahme auf die deutsche Wissenschaft in Italien in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, in: Mazzacane/Schulze, Die deutsche und die italienische Rechtskultur (Fn. 1), S. 71-137.
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und italienischen Romanisten nachzuzeichnen6. Es waren bezeichnenderweise toskanische Professoren des Römischen Rechts, die ersten italienischen Juristen, die bereits Ende der 40er Jahre in brieflichem und wissenschaftlichem Kontakt zu dem damals berühmtesten deutschen Rechtsgelehrten standen, Friedrich Carl v. Savigny, Professor des Römischen Rechts in Berlin. Hier seien etwa die Namen von Pietro Capei, Federico Del Rosso und vor allem von Pietro Conticini genannt – alle damals Professoren an den toskanischen Universitäten von Pisa und Siena. Conticini hatte in den 30er Jahren selbst die Universitäten Heidelberg und Berlin besucht und als Student im Wintersemester 1835/36 Savigny in Berlin gehört. Er trat auch als einer der ersten Übersetzer der Savigny’schen Werke in Italien hervor. Aus der Mitte des Jahrhunderts stammen nämlich auch die ersten italienischen Übersetzungen von damaligen deutschen romanistischen Werken. Der „Besitz“ von Savigny wird von Conticini selbst auf der Grundlage der sechsten deutschen Auflage im Jahre 1839 ins Italienische übersetzt. Eine erste vollständige Übersetzung des „Systems des heutigen Römischen Rechts“ erscheint durch Moschitti 1847 in Neapel. In denselben Jahren besorgt Turchiarulo eine italienische Ausgabe der „Institutionen“ von Puchta. Damit beginnt in der Tat ein neues Kapitel der italienischen Rechtsliteratur: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erscheinen in italienischer Sprache die meisten der damaligen wichtigsten deutschen Lehrbücher zum Pandektenrecht7. Es sind vor allem junge italienische Romanisten, welche zum Teil, wie etwa Filippo Serafini, an deutschen Universitäten studiert und promoviert hatten, die solche Arbeiten besorgen. Dieser übersetzt z. B. die Pandekten von Arndts; die Pandekten von Dernburg werden von Cicala ins Italienische übertragen; im Jahre 1886 besorgt Vittorio Scialoja eine neue italienische Übersetzung des Savigny’schen „Systems“; das Handbuch des französischen Zivilrechts von Zachariae und Crome wird von Ludovico Barassi in Italien importiert. Einen Höhepunkt und in gewisser Weise den Abschluss dieser italienischen pandektistischen Übersetzungsliteratur stellt die monumentale Übersetzung ins Italienische des Lehrbuchs der Pandekten von Bernhard Windscheid Ende des Jahrhunderts dar. Die zwei Herausgeber, die italienischen Romanisten Carlo Fadda und Paolo Emilio Bensa versehen das Werk mit umfangreichen Anmerkungen und Kommentaren. Mit diesen „note“ erlangt die italienische Übersetzung auch in der deutschen Rechtsliteratur Beachtung und wird gar in der letzten, neunten Auflage des Lehrbuchs durch Theodor Kipp mitberücksichtigt: Die italienische Romanistik ist tatsächlich Ende des 19. Jahrhunderts nunmehr weitgehend in die deutsche Pandektistik integriert8. ___________ 6
Vgl. Ranieri, Savignys Einfluss (Fn. 1), mit weiteren Nachweisen. Hierzu mit umfassenden Nachweisen Ranieri, Le traduzioni (Fn. 1) und ders., Savignys Einfluss (Fn. 1). 8 Vgl. etwa die Rezensionen von Windscheid, in: Kritische Vierteljahresschrift 10 (1868), S. 607 ff.; ebd. 12 (1870), S. 152 ff. und S. 476 ff. 7
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
Auf der italienischen Halbinsel galt jedoch nicht wie in den meisten der damaligen deutschen Territorien das Römische Gemeine Recht als subsidiäre Rechtsquelle. Nur im Großherzogtum Toskana und zum Teil im Kirchenstaat waren die Quellen des älteren „ius commune“ wenigstens formell in Geltung geblieben. Der neue italienische Staat setzte 1865 eine neue Zivilrechtskodifikation in Kraft. Diese war weitgehend dem Modell des piemontesischen „codice albertino“ von 1837 nachgebildet und insoweit weitestgehend dem französischen Code civil verpflichtet. Gesetzeskommentare und Gerichtspraxis waren deshalb auch in den Jahrzehnten nach der staatlichen Einheit ausnahmslos am französischen Recht orientiert. Damit wird das zentrale Problem für die damalige italienische Rechtswissenschaft sichtbar: Wie sollte die Heranziehung der Lehren der damaligen deutschen Pandektisten gerechtfertigt werden, wenn sie keine unmittelbaren Anhaltspunkte in den Vorschriften des damaligen Zivilgesetzbuchs hatten? Nicht nur manche Rechtsinstitute des französischen Rechts hatten die Lösungen in den römischen Quellen verlassen, sondern vor allem die Sprache, die Systematik und die Begrifflichkeit der deutschen Pandektistik stellten einen regelrechten Fremdkörper im Verhältnis zur Sprache, Lösungen und Rechtskategorien aus den geltenden Gesetzesartikeln dar. Die Analyse der argumentativen Rechtfertigungsstrategien, wodurch diese junge Generation italienischer Universitätsprofessoren eine solche Aporie zu bewältigen suchte, stellt ein beachtenswertes und wichtiges Kapitel in der Geschichte der Rezeption ausländischer Rechtsmodelle in Europa dar.
B. Die italienische Rezeption der deutschen Pandektistik Die erste Generation von italienischen Romanisten, die zunächst Kontakt zur Literatur der deutschen historischen Rechtsschule hatte, kam, wie bereits erwähnt, aus Territorien, in denen – wie etwa im Großherzogtum Toskana – die gemeinrechtliche Praxis noch fortlebte. Das rechtswissenschaftliche Schrifttum und die Judikatur der „Rote“ knüpften hier noch Mitte des Jahrhunderts an die ältere italienische gemeinrechtliche Praxis des 17. und 18. Jahrhunderts an. Eine nähere Analyse der damaligen toskanischen Rechtsliteratur offenbart in der Tat auch die Ambivalenz dieser ersten Begegnung mit der deutschen Pandektistik. Savigny und seine Zeitgenossen wurden zunächst offenbar nur als eine weitere gemeinrechtliche Autorität aus einem literarischen Traditionszusammenhang verstanden und herangezogen. Man erkannte wohl nicht sofort, welchen Traditionsbruch die deutsche historische Rechtsschule darstellte. Manche Lehren von Savigny – etwa zur „iusta causa traditionis“ oder zur Rechtsnatur der juristischen Person – wurden wohl zitiert und herangezogen; man gewinnt jedoch gelegentlich den Eindruck, dass man dies zunächst nur im Zusammenhang mit der älteren gemeinrechtlichen Tradition sah und deshalb zunächst nicht den revolutionierenden Charakter der Savigny’schen Begriffsbildung er-
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kannte9. Dies gilt vor allem für die Lehren aus dem Allgemeinen Teil, zur Theorie der Willenserklärung etwa und des Rechtsgeschäfts. Eine Durchsicht und eine Analyse der ersten zeitgenössischen italienischen Übersetzung bestätigen diesen Eindruck. Insbesondere gilt dies bei manchen Missverständnissen und Fehlern in der Übersetzung der neuen juristischen Begrifflichkeit. Wenn man nämlich über die grundsätzlichen Äußerungen hinaus auch die Sachdarstellungen dieser Autoren genau liest, gewinnt man häufig den Eindruck, dass sie die eigentliche schöpferische Novität des Savigny’schen „Systems“ nicht bewusst und konsequent mitvollzogen haben. Nicht mitvollzogen wird zunächst insbesondere die Savigny’sche eigentümliche neue Konstruktion des Stoffes, die bewusste schöpferische Selektierung der Quellen nach Stellenwert und Leistung im System. Bereits die damaligen unzulänglichen Übersetzungen10 des Titels des „Systems des heutigen römischen Rechts“ sind symptomatisch für diese Missdeutung des Savigny’schen Werkes. „Diritto romano“ ist nicht das Savigny’sche „heutige römische Recht“; statt einer allgemeinen Theorie des modernen Zivilrechts wurde bei Savigny zunächst nur eine Darstellung der historischen Quellen des römischen Rechts gesucht. Auch die dogmatischen Schöpfungen von Savigny wurden weitgehend missverstanden. Anschaulich lässt sich dies z. B. bei der Behandlung der Lehre der „iusta causa traditionis“ darlegen11. Del Rosso scheint die Ausführungen von Savigny bereits zu kennen – „La causa della tradizione“ – führt er aus – „è nella traslazione della proprietà; ... è necessario che apparisca il motivo che induce il proprietario a trasferire il dominio. Questo motivo è la causa della tradizione“12. Savigny wird zwar ausdrücklich zitiert, seine eigentümlich schöpferische Konstruktion jedoch, dass die Übergabe, die in Erfüllung eines Kaufvertrages oder eines anderen auf Eigentumswechsel gerichteten Vertrages erfolge, nicht bloß ein rein tatsächlicher Vollzugsakt sei, sondern einen wahren „dinglichen“ Vertrag enthalte, bleibt ganz unerwähnt13. In der Tat war der Gedanke, die „iusta causa traditionis“ als Erscheinungsform des auf Eigentumsübertragung gerichteten Willens anzuse___________ 9 Einzelne Nachweise bei Ranieri, Savignys Einfluss (Fn. 1), insbes. S. 214 ff. [in diesem Band S. 119 ff.]. 10 Über die sprachliche Unzulänglichkeit der ersten Übersetzungen des Systems, vgl. Scialoja, Prefazione generale del traduttore (Fn. 17), S. VI-XVII, mit zahlreichen Belegen. Im Einzelnen zu dieser Problematik Ranieri, Savignys Einfluss (Fn. 1), insbes. S. 217 ff. [in diesem Band S. 122]. 11 Darüber zuletzt Ranieri, Die Lehre der abstrakten Übereignung in der deutschen Zivilrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, in: Wilhelm/Coing (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts, Bd. II: Die rechtliche Verselbständigung der Austauschverhältnisse vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung und Doktrin, Frankfurt a. M. 1977, S. 90-111 [in diesem Band S. 77]. 12 So Del Rosso, Saggio di diritto romano privato attuale, II, Pisa 1844, S. 72-73. 13 Vgl. Del Rosso, Saggio (Fn. 12), Bd. V, Pisa 1844, S. 132-133; Bd. VI, Pisa 1844, S. 82-85.
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hen, nicht eine originelle Savigny-Leistung; gewisse Vorbilder gab es bereits bei Donellus14, der ebenfalls von Del Rosso ausdrücklich zitiert wird15. Savigny bietet insoweit dem toskanischen Juristen kein Modell dogmatischer Konstruktion mehr, sondern nur eine weitere Autorität aus einem Traditionszusammenhang. Auch die spätere italienische Literatur setzte übrigens diese missverständliche Heranziehung der Savigny’schen Auffassung zur „iusta causa traditionis“ fort, ohne ihren Zusammenhang zur Lehre des dinglichen Vertrags zu erwähnen und zu verstehen16. Erst Ende des Jahrhunderts bemerkt Vittorio Scialoja in seiner Übersetzung ausdrücklich dazu, „la denominazione contratto reale può generare confusione [...] i contratti reali, dei quali qui si parla“– führt Scialoja zutreffend aus – „sono tali perchè direttamente si riferiscono a diritti reali che si costituiscono, trasmettono, modificano o estinguono“17. Man erkennt hier die Genauigkeit einer neuen pandektistisch geschulten Begriffssprache, welche der damaligen zeitgenössischen deutschen Literatur ebenbürtig ist. Damit schlagen wir aber auch bereits ein zweites Kapitel der Beziehungen zwischen deutscher und italienischer Zivilrechtswissenschaft im 19. Jahrhundert auf. Erst nach einigen Jahrzehnten beginnen die italienischen Juristen – zumal nunmehr auch die Zivilisten sich für die neue Studienrichtung zu interessieren beginnen – , sich mit der Antinomie zwischen der geltenden italienischen Zivilrechtskodifikation französischer Prägung und den Lehren und der Rechtssprache der als Modell herangezogenen deutschen Pandektenwissenschaft zu beschäftigen. In einer ersten Phase hatten die italienischen Juristen im Werk von Savigny zunächst nur eine weitere Darstellung der historischen Quellen des Römischen Rechts gesucht; nunmehr wird darin auch eine allgemeine Theorie des modernen Zivilrechts gesehen und verstanden. „Può con ragione parlarsi oggidì“, schreibt etwa Carlo Filippo Gabba 1859, „di un diritto privato generale delle nazioni incivilite, il quale consta di moltissimi istituti regolati dovunque dall’istesso punto di vista“18. Die Kategorie eines „diritto civile comune mo___________ 14 Siehe darüber Felgentraeger, Friedrich Carl v. Savignys Einfluss auf die Übereignungslehre, Leipzig 1927, insbes. S. 38. 15 Vgl. Del Rosso, Saggio (Fn. 12), Bd. VI, S. 85. 16 Vgl. Serafini, Elementi di diritto romano, Pavia 1858, II, S. 171-172: „La justa causa traditionis altro non significa che l’intenzione delle parti di trasmettere e di acquistare la proprietà“; ders., Conciliazione della legge 36. Dig. de acquirendo rerum dominio (XLI, 1) colla legge 18. Dig. de rebus creditis (XII, 1), in: Archivio giuridico 1 (1868), S. 51-52; Doveri, Istituzioni di diritto romano, I, 2. ed., Firenze 1866, § 111, S. 513-515; Ronga, Elementi di diritto romano, I, Torino 1871, § 73, S. 239; D’Ondes Rao, Della tradizione per diritto romano, in: Il Circolo giuridico. Rivista di legislazione e di giurisprudenza 8 (1877), S. 294. 17 Sistema di diritto romano attuale, Torino 1896, III, S. 410-411, Anmerkung. 18 So Gabba, in: Gazzetta dei Tribunali, Milano 9 (1859), S. 1.
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derno, o sia romano attuale“ taucht in der italienischen Zivilistik erst einige Jahre später auf. Ende des Jahrhunderts konnte Vittorio Scialoja in der Tat im Vorwort zu der erneuten Übersetzung des Savigny’schen „Systems“ programmatisch verkünden: „il libro del Savigny è essenzialmente un trattato di diritto civile, [...] noi abbiamo i nostri codici di diritto privato, i quali pure contengono una gran parte di diritto privato romano; è quindi necessario anche per noi di esaminare quanta parte del diritto romano sia ancora, non formalmente, ma sostanzialmente, in vigore.“19 Eine ganze Generation junger Zivilisten beginnt in den italienischen Universitäten Ende des Jahrhunderts, sich umfassend mit den neuen deutschen Lehren des Allgemeinen Teils des Zivilrechts zu befassen. Die Rezeption und Vereinnahmung der damaligen deutschen Begriffsjurisprudenz ist vollständig: die Rechtskategorien, die Rechtsinstitute, die Problembeschreibungen werden konsequent aus den pandektistischen Lehrbüchern entwickelt. Auch in der Rechtssprache entfernen sich die neuen italienischen Werke von der Gesetzessprache des geltenden „codice civile“, welcher noch weitgehend vom französischen Recht geprägt war. Neue Wortschöpfungen tauchen deshalb nunmehr in der italienischen Rechtssprache auf: „negozio giuridico“ als Übersetzung von „Rechtsgeschäft“, „atto giuridico“ statt „Rechtsakt“, „dichiarazione di volontà“ als „Willenserklärung“, „procura“ als Übersetzung von „Vollmacht“ usw. Die damalige pandektistische Begriffsbildung führt zu einer weitgehenden Erneuerung der technischen Sprache der italienischen Zivilisten. Die Widersprüche zum geltenden Recht werden dabei unübersehbar. Dieser Konflikt wird zunehmend mit einer wissenschaftlichen Ablehnung des nationalen Gesetzbuchs bewältigt; dem nationalen Gesetzgeber wird wissenschaftliche und rechtstechnische Rückständigkeit und Fehlerhaftigkeit vorgeworfen. Bezeichnend ist etwa, wie Giuseppe Messina im Jahre 1899 bei der Behandlung des Instituts des einseitigen Schuldversprechens dieses Problem sieht: „non resta“ – schreibt er – „che lamentare ancora una volta siccome per seguire le orme delle leggi francesi i legislatori nostri abbiano spezzata la patria tradizione dell’istituto“20. Die Rechtfertigung für eine solche Vorgehensweise wird in der Überzeugung gefunden, dass sich die nationale italienische Rechtstradition im Römischen Recht und nicht in den napoleonischen Gesetzbüchern befindet. Die neue pandektistische Begriffsbildung wird also als vorpositive rechtswissenschaftliche Voraussetzung angesehen. Das nationale geltende Recht wird darunter subsumiert und daran gemessen. Bezeichnend sind die Ausführungen des bereits zitierten Messina: „il silenzio della legge“ – schreibt er fort – „non basta ad escludere l’efficacia di una forma di obbligazione, ove questa non risulti in antinomia coi principi generali desunti dal diritto positivo. Occorre perciò prima di affermare o negare la validità del nostro negozio secondo la legis___________ 19 20
So Scialoja, Prefazione generale del traduttore (Fn. 17), S. XXX-XXXI. So Messina, La promessa di ricompensa al pubblico, Girgenti 1899, S. 59.
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lazione italiana studiarlo nel suo obbietto e nei suoi limiti determinandone gli elementi essenziali e connaturali, i principi che ne informano il contenuto, la posizione che assume nel sistema del diritto privato“21.
C. Die Lehre des Rechtsgeschäfts und der Vollmacht Eine zentrale Stellung in dieser neuen juristischen Begriffsbildung nimmt die Rechtsgeschäftslehre ein. Die pandektistischen Kategorien von Rechtsakt, Rechtsgeschäft, Willenserklärung usw. werden im damaligen italienischen Schrifttum umfassend erörtert. So schreibt Ludovico Barassi im Jahre 1898 in diesem Zusammenhang: „la teoria del negozio giuridico, che è oramai divenuta il caposaldo, il punto di partenza di qualunque trattazione di indole dogmatica nel campo del diritto civile, ha arrecato un notevolissimo contributo alla parte del diritto che concerne i vizi degli atti giuridici. Anzi, stiamo per dire che un’esposizione possibilmente completa e guidata da scopi scientifici delle nullità ha per presupposto indispensabile la nozione di dichiarazione di volontà, quale Savigny ha rilevato per primo nel suo classico Systema del diritto romano“22. Manche anderen Autoren bemerken deutlicher den Abstand der pandektistischen Begrifflichkeit zu den nationalen gesetzlichen Vorschriften. „il concetto di negozio giuridico“, schreibt Anfang unseres Jahrhunderts Nicola Coviello, „non si incontra nelle nostre leggi, ed è sconosciuto interamente nella pratica: nelle leggi si parla di contratti, di testamenti [...] Sola la dottrina tedesca tenendo conto dei caratteri comuni che presentano vari fatti giuridici volontari, ha elaborato questo concetto per studiare così quali siano le regole comuni a tali fatti e costituirne la teoria generale. Però è da confessare, che, nonostande i molti studi, il concetto di negozio giuridico è assai controverso [...] anche per determinare la sua comprensione“23. Exemplarisch für den Widerspruch zwischen geltendem Recht und der neuen pandektistischen Lehre eines Allgemeinen Teils des Zivilrechts ist insbesondere das Problem der Stellvertretung. Weder das ältere Gemeine Recht, noch der französische Code civil und so auch das italienische Zivilgesetzbuch von 1865, kannten eine autonome Behandlung des Rechts der gewillkürten Stellvertretung. Die Vertretung war in der älteren gemeinrechtlichen Perspektive nur eine mögliche Rechtsfolge mancher Verträge, etwa des Auftrags. Erst ___________ 21
So Messina, ebd., S. 14. So Barassi, Teoria della ratifica del contratto annullabile, Milano 1898, Introduzione. 23 So Coviello, Manuale di diritto civile italiano. Parte generale. Terza ed. riveduta da L. Coviello, Milano 1924, S. 317. Aus der damaligen italienischen Literatur siehe etwa Scialoja, Negozi giuridici. Lezioni, Roma 1907; Giovene, Dell’efficacia del negozio giuridico rispetto ai terzi, Napoli 1911. 22
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die deutsche Pandektistik mit der Lehre von Paul Laband entwickelte Mitte des 19. Jahrhunderts die Rechtskategorie einer autonomen Vertretungsbefugnis, die so genannte Vollmacht24. Diese ist nach der neuen Lehre völlig autonom und getrennt von der internen Rechtsbeziehung anzusehen, welche das Geschäft zwischen Vertreter und Vertretenem im Innenverhältnis regelt. Seit dem Aufsatz von Laband in der „Zeitschrift für Handelsrecht“ von 1866 galt es in der Pandektistik als unumstritten, dass es eine autonome Rechtsstellung der Vollmacht und der Vertretungsbefugnis im Rahmen der Rechtsgeschäftslehre gibt. Wie haben die damaligen italienischen Autoren diese Rechtskategorie rezipiert? Im Jahre 1900 erscheint in Deutschland die heute noch klassische Monographie von Johann Hupka, „Die Vollmacht“. Zehn Jahre später publiziert in Italien Angelo Nattini eine ausführliche Monographie zum Thema „La dottrina generale della procura. La rappresentanza“. Der Verfasser beschäftigt sich bezeichnenderweise gleich am Anfang mit dem Problem der „giustificazione logica dell’indagine diretta a porre in chiaro la natura autonoma, persè stante della procura“. „Ciò che maggiormente ostacolò“, schreibt er, „il riconoscimento della autonomia, dell’individualità della procura, fu la pertinace confusione tra rappresentanza e mandato“25. Er zitiert bezeichnenderweise die alte französische und italienische Rechtsliteratur mit dem abwertenden Kommentar: „quante inesattezze in poche parole [...] la dottrina non brilla del resto per aver analizzato sottilmente la diversità dei concetti di procura e di mandato, al che contribuì potentemente il Cod. Napoleone“26. Die wissenschaftliche Alternative liege für den Verfasser in der neuen Begriffsbildung. „La scienza giuridica tedesca in quel gran processo di revisione che operò nel secolo scorso, anatomizzando i rapporti che ci interessano pervenne ad individualizzare i concetti di rappresentanza e di mandato, ed il Cod. civ. dell’Impero rendeva ragione alle esigenze dottrinali consacrando paragrafi distinti e alla rappresentanza in genere e alla procura ed al mandato“27. Nach einer ausführlichen Vorstellung der pandektistischen Lehren zum Thema von Laband bis Hupka schließt Nattini die Erörterung mit der Bemerkung: „Giunti a questo punto e ritenute inconsistenti le critiche mosse al concetto del carattere autonomo della procura, passiamo ad esaminare se esso possa sostenersi di fronte al Codice civile italiano“28. Die neue deutsche Lehre findet so auch auf diesem Gebiet dadurch Eingang in das italienische Zivilrecht. Einige Jahre später bemerkt Coviello in seinem klassischen Lehrbuch, man solle nicht „confondere l’atto di conferimento del potere ___________ 24 Dazu grundlegend Müller-Freienfels, Die Abstraktion der Vollmachtserteilung im 19. Jahrhundert, in: Coing/Wilhelm, Wissenschaft und Kodifikation (Fn. 11), S. 144 ff. 25 So Nattini, La dottrina generale della procura. La rappresentanza, Milano 1910, S. 8-9. 26 So Nattini, ebd. 27 So Nattini, ebd. 28 So Nattini, ebd., S. 22.
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di rappresentanza col rapporto giuridico che ne costituisce il lato interiore“29. Das Gesetz sei wissenschaftlich ungenau. „Se le regole proprie al conferimento di tale potere si trovano nella legge poste a proposito del mandato, e se la dottrina comune considera il mandato e il conferimento della rappresentanza come equivalenti, ciò si spiega solo perchè il mandato è il negozio giuridico che più ordinariamente contiene quel conferimento; ma non è già che sia il solo...“30. Durch dieses Beispiel wird zugleich die Funktion der damaligen Rezeption der deutschen Literatur in Italien verständlich: Die Begriffswelt der Pandektistik, gerechtfertigt durch einen legitimatorischen Rückgriff auf die vermeintliche nationale Tradition des Römischen Rechts, bietet nämlich den italienischen Professoren einen theoretischen Rahmen für eine allgemeine Rechtslehre des Privatrechts, die es ermöglicht, sich von den gesetzlichen Lösungen der geltenden Kodifikation zu emanzipieren und so einen Weg zur Modernisierung des nationalen Privatrechts zu eröffnen. Die europäische Ausstrahlung der gemeinrechtlichen Literatur der deutschen Pandektistik im 19. Jahrhundert dürfte darin ihre wesentliche Grundlage haben31. Damit zusammenhängend wird auch die gleichzeitige Verdrängung des Einflusses der französischen Zivilrechtswissenschaft nicht nur in Italien, sondern in der Mehrzahl der damaligen europäischen Länder verständlich. Vor einigen Jahren widmete die „Association Henri Capitant“ eine ihrer letzten Tagungen gerade der Problematik der „circulation du modèle juridique français“32. Es ist erhellend, was bei dieser Tagung der italienische Zivilist und Rechtsvergleicher Rodolfo Sacco in seinem zusammenfassenden Abschlussbericht bemerkte: „Le vrai rival du modèle français en Europe n’est ni un code ni un législateur. L’Allemagne du XIXe siècle n’est pas soumise à un seul législateur. L’unité du droit n’existe que dans le domaine de la science. Cette science considère comme sa tâche primordiale que d’élaborer des concepts rigoureux“33. Das zentrale Problem sei, so Sacco, das Eindringen eines neuen abstrakten und begrifflichen Argumentationsstils in die kontinentaleuropäische Privatrechtskultur. „Cette méthode“ (méthode conceptuelle, ou ___________ 29
Coviello, Manuale (Fn. 23), S. 400 ff. Coviello, ebd., S. 402. 31 Dazu Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. II: 19. Jahrhundert, München 1989, insbes. S. 55-56; Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid. Erkundungen auf den Feldern der so genannten Begriffsjurisprudenz (Ius Commune 38), Frankfurt a. M. 1989, insbes. S. 185; zuletzt Ranieri, Französisches Recht und französische Rechtskultur in der deutschen Zivilrechtswissenschaft heute: Eine unwiderrufliche Entfremdung?, in: Heyen/Beaud (Hrsg.), Eine deutsch-französische Rechtswissenschaft? Kritische Bilanz und Perspektiven eines kulturellen Dialogs, Baden-Baden 1999, S. 183-196 [in diesem Band S. 135]. 32 La circulation du modèle juridique français (Journées franco-italiennes), t. XLIV (1993), Paris 1994 (Travaux de l’Association Henri Capitant des amis de la culture juridique française). 33 Vgl. Sacco, Rapport de synthèse, in: La circulation (Fn. 32), insbes. S. 11. 30
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dogmatique, ou systématique)“ – so Sacco weiter – „fascine les esprits en Allemagne, et en dehors de l’Allemagne. Vers la moitié du XIXe siècle elle conquiert l’Autriche ... elle conquiert également l’Italie et de l’Italie se rediffuse en Espagne. Lá où la méthode dogmatique arrive, l’influence de la doctrine française s’estompe. Les catégories juridiques, le système, la logique du juriste se renouvellent“34. Damit sind wir in der Tat mit dem wahren historischen Hintergrund unseres Problems konfrontiert. Die Entwicklung einer abstrakten, dogmatischen Privatrechtswissenschaft durch die Romanisten in den deutschen Universitäten des 19. Jahrhunderts hatte einen wissenschaftlichen Stil und eine Argumentationskultur sich entfalten lassen, welche in krassem Gegensatz zu der bisherigen Handhabung des Römischen Gemeinen Rechts stand. Der Siegeszug der deutschen Pandektistik auch in Italien und über Italien hinaus auf der iberischen Halbinsel35 findet darin seinen wesentlichen Grund.
D. Die italienische Begriffsjurisprudenz Damit wird aber zugleich die Ambivalenz sichtbar, welche der damaligen Rezeption der deutschen Rechtsliteratur im italienischen Schrifttum innewohnt. Bei näherem Hinsehen kann man in der Tat feststellen, dass die damalige italienische Zivilistik nicht so sehr das deutsche Recht, als vielmehr die begriffliche Methode der deutschen Pandektistik, vor allem der deutschen romanistischen Literatur aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, rezipiert hat. Überspitzt könnte man sogar behaupten, dass die so genannte Begriffsjurisprudenz ihre wahre Verwirklichung gerade in dieser ausländischen Rezeption erfahren hat. Aus den damaligen deutschen Pandekten-Lehrbüchern wurde von den italienischen Autoren vor allem nicht die gemeinrechtliche Praxis rezipiert, später nicht die Erörterung der Rechtsprechung des Reichsgerichts sowie in gewisser Weise auch nicht die wissenschaftliche Kommentierung der neuen Kodifikation. Der chronologische Abstand zum rezipierten Modell ist hier bedenkenswert: Als die junge italienische Zivilistik sich mit den Problemen des Rechtsgeschäfts, der Willenserklärung, der Vollmacht und anderen Themen des Allge___________ 34 So Sacco, ebd., S. 11; ähnlich die Feststellung von Witz, Rapport introductif, in: La circulation (Fn. 32), insbes. S. 305: „L’influence du modèle français diminue inexorablement au fil des décennies dans la plupart des pays concernés“. 35 Aus der Rezeption der deutschen Pandektistik auf der iberischen Halbinsel – häufig über die italienische Literatur – siehe etwa Sancho Seral, Tradución del aleman y notas de J. Hupka, La representación voluntaria en los negocios juridicos (Biblioteca de la Revista de derecho privado, vol. XIII), Madrid 1930, insbes. S. 35-36 zum Verhältnis zum spanischen Recht. Zu der portugiesischen Rechtsliteratur siehe Mota Pinto, Declaração tacita e comportamento concludente, Coimbra 1995, insbes. S. 10-14 mit umfassenden Nachweisen; allgemein zuletzt Jayme, G. Moreira (1861-1922) und die deutsche Pandektistik, in: Jayme/Mansel (Hrsg.), Auf dem Wege zu einem gemeineuropäischen Privatrecht. 100 Jahre BGB und die lusophonen Länder, Baden-Baden 1997, S. 63 ff.
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meinen Teils des Zivilrechts befasste und die Werke der deutschen Pandektistik und der Väter des BGB verwertete, hatte in Deutschland bereits eine neue methodologische Epoche begonnen. Nach Inkrafttreten des BGB begann in der deutschen Rechtsliteratur eine zunächst fast exegetische Beschäftigung mit dem neuen Gesetzbuch und zugleich auch eine Kritik an der begrifflichen Haltung der früheren Pandektistik. Die Schriften der Vertreter der freien Rechtsschule und die ersten Ansätze der Interessenjurisprudenz bieten ein beredtes Zeugnis für diese neue und folgenreiche methodologische Orientierung der deutschen Zivilrechtswissenschaft. Es ist bezeichnend, dass damals nichts davon in Italien zur Kenntnis genommen wurde36. Eine Durchsicht der zeitgenössischen Werke dieser neuen jungen Generation von italienischen Professoren zeigt, dass vor allem die Lehrbücher der Pandektisten und die zivilistische Literatur aus der vorkodifikatorischen Zeit aus Deutschland herangezogen werden. Es ist bezeichnend, dass die Werke nach 1900, etwa die berühmte Monographie von Staub über „Die positive Vertragsverletzung“ oder diejenige von Riezler zum „Venire contra factum proprium“, kaum erwähnt werden. Dasselbe gilt für die Rechtsprechung des Reichsgerichts. Diese Tendenz einer selektiven Rezeption des deutschen zivilistischen Schrifttums ist charakteristisch auch für die italienische Literatur der darauf folgenden Jahrzehnte. Die deutschen Autoren der 20er und 30er Jahre, insbesondere die damaligen Vertreter der Interessenjurisprudenz wie Martin Wolf, Philip Heck oder Rudolf Müller-Erzbach, bleiben in den zeitgenössischen italienischen Werken unerwähnt. Dasselbe gilt für die Gerichtspraxis, ein Phänomen übrigens, das bezeichnenderweise bis in die Gegenwart andauert. Gerade diese Beobachtung bestätigt die Vermutung, dass Gegenstand der beschriebenen literarischen und wissenschaftlichen Rezeption nicht so sehr das geltende deutsche Recht gewesen war als vielmehr die begriffliche Methode der deutschen Romanisten des 19. Jahrhunderts. In diesen Jahren der – wie ein italienischer Autor sie genannt hat – „neopandettisti“ beginnt zugleich eine wissenschaftliche und rechtskulturelle Entwicklung, die für das italienische Zivilrecht der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts besonders charakteristisch bleiben wird. Der Abstand zwischen der universitären Rechtsliteratur einerseits und dem Schrifttum aus der Praxis zum geltenden Recht andererseits führt zunehmend zu einer Verselbständigung dieser universitären begrifflichen Methodentradition und zu einer zunehmenden Kluft zwischen Uni___________ 36
Es ist ebenfalls bezeichnend, dass die italienischen Zivilisten dies bis heute noch nicht bemerkt haben; siehe die reichhaltige italienische Literatur zur Jahrhundertfeier des BGB: Masi, Il mondo giuridico italiano e la promulgazione del BGB, in: Riv. di dir. comm. 1996, I, S. 1063 ff.; Mantello, „Il più perfetto codice civile moderno“. A proposito di BGB, diritto romano e questione sociale in Italia, ebd. 1996, I, S. 1091 ff. sowie in: Studia e Documenta historiae et juris 62 (1996), S. 401-409; Cian, Il BGB e la civilistica italiana. Attualità e ragioni di un confronto, in: Riv. di dir. civ. 1996, I, S. 683 ff.; Gabrielli, Riflessi del diritto delle obbligazioni tedesco sul diritto italiano, in: Europa e diritto privato, Milano 1998, S. 811 ff.
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versität und Gerichtspraxis. Bezeichnend ist die Kritik eines älteren Juristen wie Pacifici Mazzoni, welcher in einer rückblickenden Betrachtung der letzten Jahrzehnte im Jahre 1929 kritisch feststellt, dass die Rechtsprechung in den neueren Werken nicht mehr zitiert wird: „Lo studio dei tedeschi“, schreibt er, „è di erudizione [...] ed è fatto a scopo di cultura scientifica, [...] lo studio dei francesi esegesi del diritto [...] quale fu costituito dal legislatore e si viene man mano svolgendo a scopo di applicazione nella pratica della vita“37. Die italienischen Werke der 20er und 40er Jahre nehmen in der Tat weitestgehend Abstand von der Gerichtspraxis und vom damaligen geltenden Recht. Im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses und des Bemühens dieser Autoren, etwa Betti, Allara, Grassetti u. a., steht damals die begriffliche Konstruktion der Rechtsinstitute, hier insbesondere der Lehre des „negozio giuridico“. Auch der Kontakt zur Begrifflichkeit der deutschen Pandektistik des 19. Jahrhunderts ist inzwischen verloren gegangen38. Rückblickend hat Rodolfo Sacco zu Recht hier eine neopandektistische und neosystematische italienische Schule gesehen, welche nur die Methode aus der deutschen Tradition der „Begriffsjurisprudenz“ weiterverfolgte, allerdings mit neuen begrifflichen und sprachlichen Rechtskonstrukten39. Die Abstraktion und die rein theoretische Ausrichtung dieser Werke musste unweigerlich zu einer völligen Entfremdung zwischen der damaligen universitären Rechtskultur und der Gerichtspraxis führen. Es handelt sich hier um eine Entwicklung, welche das italienische Privatrecht bis in die 50er und Anfang der 60er Jahre begleitet hat. Es ist bezeichnend, dass die Gerichtspraxis von dieser wissenschaftlichen Richtung kaum beeinflusst wurde. Selbst nach mehr als fünf Jahrzehnten der Beschäftigung mit der Theorie des Rechtsgeschäfts und mit den deutschen Lehren des Allgemeinen Teils des Zivilrechts entschied sich der italienische Gesetzgeber 1942 gegen die Einführung eines Allgemeinen Teils im neuen und heute noch geltenden italienischen Zivilgesetzbuch. Allgemeine Vorschriften zur Rechtsgeschäftslehre wurden bewusst nicht vorgesehen.40 Die Sprache der neuen Kodifikation und die sys___________ 37
So Pacifici Mazzoni, Introduzione alle Istituzioni di diritto civile italiano, 5. ed., Torino 1929, insbes. S. XXIII. Zu solchen Kritikern vgl. Furgiuele, La „Rivista di diritto civile“ (Fn. 1), insbes. S. 538-540. 38 Siehe hierzu die zutreffende Analyse von Guarneri, L’interlocutore del giurista (Fn. 1), S. 473-497. 39 Vgl. Sacco, Modèles français et modèles allemands dans le droit civil italien, in: Rev. intern. de droit comparé 1976, S. 225 ff., insbes. S. 231-232; ders., Introduzione al diritto comparato, 3. ed., Torino 1989, insbes. S. 274-275. 40 Siehe stattdessen im Schrifttum als letzte Epigonen der alten dogmatischen Lehrtradition Cariota Ferrara, Il negozio giuridico nel diritto privato italiano, Napoli 1961; Santoro-Passarelli, Dottrine generali del diritto civile, Napoli (1. Aufl. 1944, 8. Aufl. 1964), insbes. cap. IV, § 2 „il negozio giuridico“ (hier weitere zeitgenössische Literatur); kritisch hierzu die neuere italienische Zivilistik: statt aller Trimarchi, Istituzioni di diritto privato, 1. Aufl., Milano 1973, S. 145-146; umfassend hierzu zuletzt Castronovo,
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tematische Anlage derselben zeigen jedoch, dass das neue Gesetzbuch auch wesentliche Elemente aus dem BGB übernommen hat41. Um nur auf das bereits erwähnte Beispiel zurückzugreifen, regelt die neue italienische Kodifikation das Recht der Stellvertretung als ein autonomes Rechtsinstitut und enthält ausdrückliche Vorschriften über die „procura“ als Erteilung der Vertretungsmacht (artt. 1387-1400 cod. civ.).
E. Ausblick Diese pandektistische und begriffsjuristische Epoche der italienischen Zivilrechtswissenschaft gehört heute der Vergangenheit an. Bereits in den 60er Jahren, vor allem durch Gino Gorla, und spätestens seit den 70er Jahren wird im italienischen Schrifttum sichtbar, dass sich eine neue Generation von Universitätslehrern von der bisherigen theoretischen und abstrakten Orientierung verabschiedet hat. Das zunehmende Interesse für die Rechtsprechung, für die ideologischen und politischen Hintergründe der zivilrechtlichen Regelungen, für die ausländischen Rechtsordnungen, und hier insbesondere für das angloamerikanische Recht, sind eindeutige Indizien für diese neue methodologische Ausrichtung des italienischen Privatrechts. Heute ist die deutsche Pandektistik in Italien weitgehend vergessen. Die italienischen Juristen haben längst ihren Respekt vor dem französischen und dem deutschen Modell abgelegt. Europäische und nicht zuletzt auch angloamerikanische Einflüsse stehen nunmehr im Vordergrund. Die historische Erinnerung an diese inzwischen auch in Italien in Vergessenheit geratene Epoche einer „italienischen Pandektistik“ kann jedoch noch helfen, manche Einsichten zum heutigen italienischen Recht zu vermitteln und einen Aspekt gemeinsamer europäischer Privatrechtskultur lebendig zu halten.
___________ Legittimazione, discorso giuridico, diritto privato, in: Jus. Riv. di scienze giuridiche 1985, S. 430-468, insbes. S. 443-445 mit weiteren Nachweisen. 41 Allgemein hierzu Gambaro/Sacco, Sistemi giuridici comparati, Torino 1996, insbes. S. 379-382.
Die Rechtsvergleichung und das deutsche Zivilrecht im 20. Jahrhundert: Eine wissenschaftshistorische Skizze* A. Die Fragestellung Das Schrifttum zur Rechtsvergleichung – insbesondere auf dem Gebiet des Privatrechts – ist heute unübersehbar. Nicht nur in Deutschland, sondern europa- und weltweit sind in den letzten Jahrzehnten unzählige Beiträge der Frage gewidmet worden, welche Funktion und Aufgabenstellung der Rechtsvergleichung als rechtswissenschaftlicher Teildisziplin zukommen soll1. Ebenso umstritten und zahlreich sind die Ansichten zur rechtsvergleichenden Methode in der Jurisprudenz und in der rechtswissenschaftlichen Forschung. Eine moderne, monographische Gesamtbehandlung des Themas, insbes. unter disziplinhistorischen und modernen methodologischen Gesichtspunkten, fehlt allerdings
___________ * Zuerst erschienen in: Kaelble/Schriewer (Hrsg.), Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M./New York 2002, S. 179-208; auch in: Ebel u. a. (Hrsg.), Ins Wasser geworfen und Ozeane durchquert. Festschrift für Knut Wolfgang Nörr, Köln/Wien 2003, S. 776-803. Siehe auch Ranieri, Cenni sull’esperienza della civilistica tedesca di questo secolo, in: Cappelletti (Hrsg.), L’apporto della comparazione alla scienza giuridica. Studi di diritto comparato, [Atti del Quinto Colloquio della Associazione Italiana di diritto comparato (27.5.1979)], Milano 1980, S. 39-62; sowie Ranieri, Doctrine et jurisprudence étrangères dans le développement du droit civil allemand au 20ième siècle, in: European Review of Private Law 2006, S. 685-703. 1 Der internationale Diskussionsstand kann im Rahmen dieses Beitrages noch nicht ansatzweise wiedergegeben werden. Es seien hier etwa aus der neuesten, auch nicht deutschsprachigen Literatur genannt: Kokkini-Iatridu, Some methodological aspects of comparative law. The third part of a (pre-)paradigm, in: Netherlands International Law Review 33 (1986), S. 143-194; Sacco, Introduzione al diritto comparato, 3. ed., Torino 1989; französisch: La comparaison juridique au service de la connaissance du droit, Paris 1991; deutsch: Einführung in die Rechtsvergleichung, Baden-Baden 1998; Sacco, Che cos’è il diritto comparato? Conversazioni, Milano 1992; Gordley, Comparative Legal Research: Its Function in the Development of Harmonized Law, in: American Journal of Comparative Law 43 (1995), S. 555 ff.; van Laer, Het nut van comparatieve begrippen. Een studie omtremt de toepassing van begrippen in de rechtsvergelijking, Maastricht 1997; Samuel, Comparative Law and Jurisprudence, in: International and Comparative Law Quarterly 47 (1998), S. 817-836; die Beiträge von Mattei, Reimann und Gordley in Heft 4 von Bd. 46 (1998) des American Journal of Comparative Law zum Thema: New Directions in Comparative Law; Pintens, Inleiding tot de rechtsvergelijking, Leuven 1998; Legrand, Le droit comparé, Paris 1999.
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noch2. Die unzähligen Stimmen und Standpunkte, die die heutige Diskussion – nicht nur in Deutschland – charakterisieren und das Bild z. T. eher verdunkeln als verdeutlichen, machen eine Gesamtsynthese im Rahmen dieses Beitrages deshalb kaum möglich3. Die Frage der Aufgabenstellung und der Methode der Rechtsvergleichung ist zudem von Rechtsmaterie zu Rechtsmaterie unterschiedlich zu sehen. Vor allem die Frage etwa, inwieweit die Rechtsvergleichung heute eine Bereicherung und eine Ergänzung der innerjuristischen Argumentation darstellt, ist für das Strafrecht völlig anders zu beantworten als beispielsweise für das Privatrecht. Wegen des Gesetzesvorbehalts im modernen Verfassungs- und Verwaltungsstaat spielen der schöpferische und rechtsfortbildende Aspekt der dogmatischen Argumentation des Juristen im öffentlichen Recht eine weit geringere Rolle als im Privatrecht. Die rechtsfortbildende Funktion eines dogmatischen oder etwa rechtsvergleichenden Arguments nimmt heute also in der Jurisprudenz von Fach zu Fach und von Rechtsmaterie zu Rechtsmaterie eine ganz unterschiedliche Stellung ein. Beschränken sich rechtsvergleichende Überlegungen im Bereich der Strafrechtswissenschaft im Wesentlichen auf rechtspolitische, rechtskriminologische oder rechtssoziologische Gesichtspunkte, die normativ kaum in der konkreten dogmatischen Rechtsfindung bei der innerjuristischen Argumentation des Strafrechtlers einfließen, so nehmen umgekehrt rechtsvergleichende Hinweise und Überlegungen heute häufig eine entscheidende Rolle in der zivilistischen dogmatischen Argumentation ein4. Hinzu kommt die ganz unterschiedliche Art und Funktion von juristischen Argumenten und Begründungen bei der Rechtsfindung in den ___________ 2
Nicht überzeugend, geradezu verwirrend bleibt der Versuch von Großfeld, Kernfragen der Rechtsvergleichung, Tübingen 1996. Siehe hierzu die zum Teil sehr kritischen Stellungnahmen von Kiesow, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2.12.1996 und Legrand, in: RabelsZ 62 (1998), S. 314-324. 3 Es ist inzwischen deutlich geworden, dass eine Diskussion zur Aufgabe und Methode des Rechtsvergleichs eine rechtstheoretische Festlegung voraussetzt. So ist zutreffend beobachtet worden, dass „beim Rechtsvergleich es wichtig [ist], Distanz zu den Wertungen der einzelnen Rechtsordnungen zu gewinnen, aber trotzdem die Selbstbejahung des Rechts mitzuvollziehen, also zum Beispiel nicht zu bezweifeln, daß Recht durchgesetzt, ein Gesetz fallweise konkretisiert werden muß, und daß es gute und weniger gute Gründe für bestimmte Textauslegungen gibt“; man spricht dabei von einer „Tendenz zur Abstraktion einer Rechtstheorie aus Bemühungen um einen Vergleich verschiedener Rechtsordnungen oder Rechtsordnungsfamilien“. So Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1993, S. 13. 4 Das Thema scheint bisher kaum zu interessieren. Siehe jedoch die zutreffende Beobachtung von Michaels, Im Westen nichts Neues? 100 Jahre Pariser Kongress für Rechtsvergleichung. Gedanken anlässlich einer Jubiläumskonferenz in New Orleans, in: RabelsZ 66 (2002), S. 97 ff., insbes. S. 111: „Noch immer scheint sich die Rechtsvergleichung ganz überwiegend mit Fragen des klassischen Privatrechts zu befassen. […] Es wäre vielleicht lohnend, darüber nachzudenken, […] ob sich vielleicht das Instrumentarium der klassischen Rechtsvergleichung für andere Rechtsgebiete weniger eignet und welche anderen Instrumente das leisten könnten.“
Die Rechtsvergleichung und das deutsche Zivilrecht
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einzelnen europäischen Rechtssystemen. Die Stellung des Anwalts, des Richters und des Hochschullehrers ist nämlich völlig anders zu betrachten und zu bewerten, wenn man den Abstand zwischen den Rechtsordnungen des angloamerikanischen Bereichs mit den Rechtssystemen der kontinentaleuropäischen Rechtsfamilien vergleicht. Selbst bei den europäischen kodifizierten Rechtsordnungen sind beträchtliche Unterschiede in Stellung und Selbstverständnis von Rechtsprofessoren und Rechtspraktikern in den jeweiligen Ländern festzustellen5. Die folgenden Überlegungen müssen sich deshalb wesentlichen Beschränkungen unterordnen. Aufgrund seiner professionellen Kompetenz wird der Verfasser sich im Kern auf das Zivilrecht beschränken. Zweckmäßig erscheint es zudem, sich hier im Wesentlichen auf die Entwicklung und die Stellung der Rechtsvergleichung im deutschen Zivilrecht zu konzentrieren6. Der folgende Beitrag will sich deshalb primär als eine wissenschaftshistorische Skizze verstehen. Herausgearbeitet werden sollen insbesondere die theoretischmethodologischen Spannungen, die die rechtsvergleichende Methode und die rechtsvergleichenden Interessen in der deutschen Privatrechtswissenschaft des verflossenen Jahrhunderts ausgelöst haben. Es geht hier also insbesondere um das dialektische Verhältnis zwischen einer neuerdings vertretenen Sicht der Privatrechtsvergleichung als „historisch vergleichende Rechtswissenschaft“ und einer heute ebenfalls noch vertretenen, rein dogmatisch rückgebundenen „Rechtsvergleichung“. Nach einer kurzen historischen Schilderung der Anfänge der rechtsvergleichenden Forschung in Deutschland soll vor allem herausgearbeitet werden, welche Problembereiche und Rechtsfiguren das deutsche Zivilrecht aus der rechtsvergleichenden Perspektive gewonnen hat und inwieweit die rechtsvergleichende Methode heute zu einer inneren Veränderung und Bereicherung bei der innerjuristischen Argumentationsmethode und bei dem Argumentationshaushalt des Zivilrechtlers geführt hat.
B. Die Privatrechtsvergleichung in Deutschland Bevor wir uns mit der Frage befassen, in welcher Weise und in welchem Umfang die rechtsvergleichende Methode die deutsche Zivilrechtswissenschaft im ausgehenden Jahrhundert befruchtet hat, scheint es zunächst sinnvoll zu ___________ 5 Allgemein hierzu siehe Ranieri, Juristenausbildung und Richterbild in der europäischen Union, erschienen in: DRiZ 76 (1998), S. 285-294 [in diesem Band S. 279] mit weiteren Nachweisen. 6 Zuletzt zu diesem Thema siehe Martinek, Wissenschaftsgeschichte der Rechtsvergleichung und des internationalen Privatrechts in der Bundesrepublik Deutschland, in: Simon (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der Bonner Republik. Studien zur Wissenschaftsgeschichte der Jurisprudenz, Frankfurt 1994, S. 529-619. Auf diesen Beitrag sei wegen der reichhaltigen bibliographischen Hinweise zum deutschsprachigen rechtsvergleichenden Schrifttum der letzten drei Jahrzehnte vorweg verwiesen.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
sein, in einer kurzen Skizze die Entwicklung der Privatrechtsvergleichung in Deutschland zu schildern7. Es ist bekannt, dass die Rechtsvergleichung als juristische Arbeitsmethode ihre frühesten Wurzeln in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat. Die Wahrnehmung einer fremden Rechtsordnung als spezifisch „ausländisch“ wurde für den kontinentalen Juristen erst möglich, nachdem die neuen Kodifikationen und der neue Gesetzgebungsstaat zu einer Positivierung und Nationalisierung der Rechtsquellen geführt hatten. Dadurch kam es in den meisten europäischen Staaten zu einem endgültigen Verlust der gemeinsamen kontinentaleuropäischen Tradition der Wissenschaft und der Praxis des Römischen Gemeinen Rechts8. Versuche, die Anfänge der Rechtsvergleichung bereits in der Literatur und in den Diskussionen des 18. und des frühen 19. Jahrhunderts zu verorten, laufen Gefahr, eher das Bestreben darzustellen, eine historische Legitimation für die heutige rechtsvergleichende Forschung unbedingt in einer älteren literarischen Tradition finden zu wollen9. Die ersten ___________ 7 Das Schrifttum hierzu ist unübersehbar. Hier sei etwa erwähnt Dölle, Der Beitrag der Rechtsvergleichung zum deutschen Recht, in: Hundert Jahre deutschen Rechtslebens. Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1860-1960, Bd. 2, Karlsruhe 1960, S. 19 ff., nachgedruckt mit einigen Ergänzungen auch in: Rotondi, Inchieste di diritto comparato, Bd. 2: Buts et méthodes du droit comparé, Padua/New York 1973, S. 123 ff.; Coing, Rechtsvergleichung und Rechtsanschauung, ebd., S. 79 ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des Privatrechts, 3. Aufl., Tübingen 1996, S. 47-61 mit weiteren umfassenden bibliographischen Hinweisen; Constantinesco, Rechtsvergleichung, Bd. 1, Köln/Berlin 1971, zur Geschichte S. 90-196; Ranieri, Cenni sull’esperienza della civilistica tedesca di questo secolo, in: L’apporto della comparazione alla scienza giuridica, Milano 1980, S. 33-56; Wadle, Einhundert Jahre Rechtsvergleichende Gesellschaften in Deutschland, BadenBaden 1994; zuletzt Kötz, Comparative Law in Germany today, in: Revue internationale de droit comparé 1999, S. 753 ff.; Junker, Rechtsvergleichung als Grundlagenfach, in: JZ 1994, S. 921 ff.; Michaels, Im Westen nichts Neues? (Fn. 4), S. 97-115. 8 Zutreffend bezeichnet Martinek, Wissenschaftsgeschichte (Fn. 6), S. 536, die Rechtsvergleichung als „eine Reaktion auf diese Rechtskulturzersplitterung in Europa“. 9 Es ist m. E. missverständlich, wenn gelegentlich behauptet wird, dass die Rechtsvergleichung als eine typische und charakteristische wissenschaftliche Fragestellung des 19. Jahrhunderts anzusehen sei. Darin liegt ein zentrales Missverständnis: Von einer Rechtsvergleichung im heutigen Sinne kann im 18. und auch Anfang des 19. Jahrhunderts noch nicht gesprochen werden. Sie setzt nämlich das Bewusstsein einer nationalen, autonomen Rechtswissenschaft voraus, was für das 18. Jahrhundert auf keinen Fall und selbst nach den Kodifikationen des 19. Jahrhunderts erst in Ansätzen beobachtet werden kann. Siehe in dem oben kritisierten Sinne Mohnhaupt, Historische Vergleichung im Bereich von Staat und Recht vom späten 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Beobachtungen zur deutschen Bezugnahme auf Italien, in: Mazzacane/Schulze (Hrsg.), Die deutsche und italienische Rechtskultur im „Zeitalter der Vergleichung“, (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 15), Berlin 1995, insbes. S. 31 ff.; ders., Die Differentienliteratur als Ausdruck eines methodischen Prinzips früher Rechtsvergleichung, in: Durand/Mayali (Hrsg.), Excerptiones iuris: Studies in Honor of André Gouron, The Robbins Collection, Berkeley 2000, S. 439-458. Vieles, was hier unter „Vergleichung“ beschrieben wird, gehört eigentlich noch in die Tradition der Aufklärung. Die Vergleichung wird hier als Erkenntnisziel ei-
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Anfänge des Interesses für das ausländische Privatrecht10 finden auch im Deutschland jener Jahrzehnte erst vor dem geschilderten Hintergrund statt. Zu erwähnen sind hier zunächst vor allem die verlegerischen und wissenschaftlichen Initiativen des deutschen Prozessrechtlers Carl Josef Anton Mittermaier. Dieser, Professor an der Heidelberger Universität, war eine kosmopolitische und polyglotte Persönlichkeit und stand mit zeitgenössischen Juristen aus ganz Europa in persönlichem und brieflichem Kontakt11. Zusammen mit Carl Salomo Zachariae, ebenfalls Professor in Heidelberg, verdanken wir ihm die Gründung und Herausgabe der ersten wissenschaftlichen Zeitschrift, die spezifisch dem ausländischen Recht gewidmet war: die „Kritische Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft des Auslandes“, deren erstes Heft im Jahre 1829 in Heidelberg erscheint12. In dieser ersten Phase kann allerdings von Rechtsvergleichung im heutigen Sinne noch nicht gesprochen werden. In der Tat geht in Deutschland das Interesse für die übrigen europäischen Rechtsordnungen bis Ende des 19. Jahrhunderts nicht über die spezifische Ebene einer „législation comparée“ hinaus13. Dies gilt etwa auch für Frankreich: die zitierte französische Bezeichnung verdeutlicht am präzisesten Ziel und Inhalt solcher ___________ ner polygraphisch und enzyklopädisch ausgerichteten Kultur angesehen. Die Abhängigkeit von der Tradition der Aufklärung noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bleibt deshalb unübersehbar: Man denke nur an die wertende „Rechtsvergleichung“ von Amari (S. 27-29). Dasselbe gilt für eine große Zahl der Nachweise, die Mohnhaupt („Historische Vergleichung“, S. 31 ff.) zusammengetragen hat. Vieles von dem, was hier als Beitrag einer rechtsvergleichenden Rechtswissenschaft ausgewiesen wird, etwa das Werk von Azzuni zum Handelsrecht, gehört eher in die Tradition der europäischen lex mercatoria des 18. Jahrhunderts. 10 Zu den Anfängen von rechtsvergleichenden Interessen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts siehe neuerdings Stolleis, Nationalität und Internationalität. Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht des 19. Jahrhunderts (Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse. Akademie der Wissenschaften Mainz), Stuttgart 1998. 11 Siehe dazu Dölemeyer, Wissenschaftliche Kommunikation im 19. Jahrhundert: Carl Josef Anton Mittermaiers juristisch-politische Korrespondenz, in: Ius Commune 24 (1997), S. 285 ff. Aus dem Projekt siehe neuerdings: Jelowik (Hrsg.), Briefwechsel Karl Josef Anton Mittermaier Hermann Fitting, Frankfurt a. M. 2000; Hahn (Hrsg.), Briefwechsel ... Rudolf von Gneist, Frankfurt a. M. 2000. 12 Siehe Zweigert/Kötz, Einführung (Fn. 7), S. 53-54; zuletzt v. Hippel, Register über die Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung. Ergänzungsband, (Goldbach 1998); vgl. hierzu mit weiteren Hinweisen meine Rezension in: Sav. Z. Germ. Abt. 117 (2000), S. 830-832. 13 Zutreffend in diesem Sinne Motte, Die kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes und die französische Rechtswissenschaft ihrer Zeit, in: Schulze (Hrsg.), Rheinisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 24), Berlin 1998, S. 111-214, insbes. S. 165 und 174: Der rechtsvergleichende Ansatz sei ständig beschworen worden, aber zumeist handele es sich um eine Auflistung ausländischer Gesetzgebung ohne wirklichen Vergleich und ohne kritische Analyse. Zur Fortsetzung dieser Tradition der Société de Legislation Comparée siehe Michaels, Im Westen nichts Neues? (Fn. 4), insbes. S. 98-101 m. w. N.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
Studien. Die „Rechtsvergleichung“ beschränkt sich also in diesen Jahrzehnten im Wesentlichen auf die Information und Übersetzung hinsichtlich der ausländischen Gesetzgebung sowie auf die Veröffentlichung und auf den Vergleich der geltenden Gesetzgebung in den einzelnen europäischen Ländern14. Die vergleichenden Interessen der damaligen Juristengeneration charakterisieren sich also primär durch ihre spezifische Nähe zu den damaligen rechtspolitischen Diskussionen und Reformplänen. Darin spiegelt sich übrigens die zentrale Bedeutung wider, die das Modell der Kodifikation des Privatrechts und insbesondere der Einzelgesetzgebung als privilegierte Instrumente zur Rechtssetzung im Deutschland der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einnahm15. Ende des Jahrhunderts gesellen sich zu diesen rechtspolitischen Interessen auch neue ethnologische und soziologische Fragestellungen. Es ist die Zeit der Kolonialpolitik des damaligen Deutschen Kaiserreichs, die den Hintergrund für diese neuen rechtssoziologischen Interessen einer „vergleichenden ethnologischen Rechtswissenschaft“ darstellt16. Hier seien nur die Namen von Josef Partsch17, Josef Köhler und Albert Hermann Post genannt18. Für die Reflexionsebene der professionellen Juristen blieb damals die Entdeckung einer vergleichenden Rechtsethnologie allerdings weitestgehend folgenlos. Dies gilt übrigens bis heute19. Ein ganz neuer Abschnitt in der Geschichte der Privatrechtsvergleichung, wo zum ersten Mal das ausländische Recht in seiner vollständigen und vielfältigen Komplexität wahrgenommen wird – also auch unter Einschluss des rechtswissenschaftlichen Schrifttums und der Gerichtspraxis – beginnt für die deutschen Juristen im Wesentlichen nach dem Ersten Weltkrieg20. Der unmittelbare Hintergrund für dieses neuerliche Interesse an den ausländischen Privatrechten findet sich in der Regelung von Art. X des Versailler Friedensvertrages ___________ 14 Bildhaft spricht Martinek, Wissenschaftsgeschichte (Fn. 6), S. 549, hierfür von einem „textexegetischen Komparatismus“; Zweigert/Kötz, Einführung (Fn. 7), S. 50, von einer „legislativen Rechtsvergleichung“. 15 Allgemein hierzu Dölemeyer, Deutschland, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren Europäischen Rechtsgeschichte, Bd. III, 1, Das 19. Jahrhundert, München 1982, S. 1403-1625. 16 Zweigert/Kötz, Einführung (Fn. 7), S. 56. 17 Dazu vgl. Meyer-Pritzl, Der Rechtshistoriker und Pionier der modernen Rechtsvergleichung Josef Partsch (1882-1925), in: ZEuP 1999, S. 47-74. 18 Siehe zuletzt hierzu Grossfeld und Theusinger, Josef Kohler. Brückenbauer zwischen Jurisprudenz und Rechtsethnologie, in: RabelsZ 64 (2000), S. 696-714. Zum Werk des bremischen Richters Albert Hermann Post (1839-1895) siehe Kiesow, Das Naturgesetz des Rechts, Frankfurt a. M. 1997. Post übernahm Darwins Evolutionstheorie und forderte eine umfassend angelegte Rechtsvergleichung, die alle Völker der Erde, auch die „Naturvölker“, einschließen müsse. 19 Vgl. Constantinesco, Rechtsvergleichung, Bd. I (Fn. 7), S. 154-157; Zimmermann, In der Schule von Ludwig Mitteis (Fn. 21), S. 32. 20 Dazu Zweigert/Kötz, Einführung (Fn. 7), S. 58-59.
Die Rechtsvergleichung und das deutsche Zivilrecht
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von 1919. Dieser sah nämlich die Errichtung und die Tätigkeit von internationalen Schiedsgerichten vor, die für die Vermögensstreitigkeiten aus der Vorkriegszeit zwischen deutschen Parteien und Angehörigen der Siegermächte zuständig sein sollten. Die Existenz und die Tätigkeit der genannten Schiedsgerichte rissen abrupt die deutschen Anwälte und Rechtsprofessoren aus ihrem seltsamen „Eingesponnensein“ heraus, wie einige Jahre später rückblickend Ernst Rabel zutreffend feststellen konnte21. Zunächst ging die deutsche Anwaltschaft nämlich – mit einer guten Dosis Naivität übrigens – davon aus, dass die genannten Normen des Versailler Vertrages mit den begrifflichen und methodologischen Kriterien ausgelegt und gehandhabt werden könnten, die für das deutsche Zivil- und Prozessrecht der Vorkriegszeit typisch waren. Man merkte jedoch rasch, dass eine solche Sicht des Problems ganz irreführend war: „Der Vertrag war in fremden Sprachen formuliert, die deutsche Übersetzung hatte keine normative Kraft, Gesetzgebungsmethode und Begriffsapparat, Interpretationshintergrund und Rechtsstil, ...“ – schreibt der bereits zitierte Rabel22 – „waren den Ordnungen und Rechtsanschauungen der Siegermächte, namentlich dem englischen und französischen Recht, entlehnt.“23 Eine angemessene Verteidigung der eigenen Vermögensinteressen machte es deshalb dringend erforderlich, sich umfassend und systematisch mit den Gesetzbüchern, mit dem Schrifttum und vor allem mit der Gerichtspraxis der übrigen europäischen Privatrechtsordnungen auseinanderzusetzen. Der Anfang der modernen Privatrechtsvergleichung hat deshalb in Deutschland zunächst einen „forensischen“ Charakter24. Es ist erwähnenswert, dass Rabel selbst Mitglied des deutsch-italienischen Schiedsgerichts war, das damals aufgrund der genannten Bestimmung des Versailler Vertrages gebildet wurde. Es ist bezeich___________ 21 So Rabel, Aufgabe und Notwendigkeit der Rechtsvergleichung, 1924, nachgedruckt in: Rabel, Gesammelte Aufsätze, hrsg. von Hans G. Leser, Bd. 3, Tübingen 1967, S. 1 ff., insbes. S. 17. Zur zentralen Stellung von Ernst Rabel in der Geschichte der Rechtsvergleichung siehe zuletzt Zimmermann, In der Schule von Ludwig Mitteis. Ernst Rabels rechtshistorische Ursprünge, in: RabelsZ 65 (2001), S. 1-38, insbes. S. 23 ff. 22 Vgl. das Zitat in: Dölle, Der Beitrag (Fn. 7), S. 20, mit einer umfassenden Bibliographie zum juristischen Schrifttum, das im damaligen Deutschland zur Anwendung des Art. X des Versailler Vertrages erschien. 23 Als ein „Paradoxon“ wird der Umstand angesehen, dass die beiden Weltkriege dem grenzüberschreitenden rechtswissenschaftlichen Denken in Deutschland besondere Impulse verliehen haben sollten, von Drobnig/Dopffel, Die Nutzung der Rechtsvergleichung durch den deutschen Gesetzgeber, in: RabelsZ 46 (1982), S. 253 ff., insbes. S. 257; skeptisch hinsichtlich der ersten Jahre nach 1945 Martinek, Wissenschaftsgeschichte (Fn. 6), S. 531-532. 24 So Dölle, Der Beitrag (Fn. 7), S. 20; vgl. ebenfalls in diesem Sinne Rabel, Rechtsvergleichung vor den Gemischten Schiedsgerichtshöfen, 1923, nachgedruckt in: Gesammelte Aufsätze, Bd. 2, Tübingen 1965, S. 50 ff. Zu diesen Anfängen und zur Rolle von Ernst Rabel und Josef Partsch dabei siehe Zimmermann, In der Schule von Ludwig Mitteis (Fn. 21), insbes. S. 20; Meyer-Pritzl, Der Rechtshistoriker und Pionier (Fn. 17), insbes. S. 59 ff.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
nend für diese ersten Anfänge von modernen rechtsvergleichenden Studien auf dem Gebiet des Privatrechts, dass die ersten Forschungsinstitute, die mit der Aufgabe errichtet wurden, das ausländische Privatrecht in Deutschland zu dokumentieren, damals zum größten Teil von den Handelskammern und von der deutschen Industrie finanziert wurden, von Institutionen also, die unmittelbar daran interessiert waren, die deutschen Handelsinteressen im Ausland zu schützen. Neben diesem zeitgeschichtlichen Umstand gehörten zu den Anfängen der Privatrechtsvergleichung in Deutschland auch der akademische Einfluss und das wissenschaftspolitische Wirken von Ernst Rabel25. Bereits im Jahre 1916 gelang Rabel – einem der bedeutendsten Romanisten und Zivilisten des verflossenen Jahrhunderts – die Gründung des ersten deutschen Universitätsinstituts für Rechtsvergleichung an der Universität München. Zehn Jahre später, im Jahre 1926, gründet die damalige Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin – ebenfalls auf Empfehlung und unter der Leitung Rabels – das „Institut für ausländisches und internationales Privatrecht“, das heutige Hamburger MaxPlanck-Institut26. Es ist auch in diesen Jahren, dass die „Rheinische Zeitschrift“, eine juristische Zeitschrift, die ursprünglich bis 1900 der Anwendung des französischen Rechts in den deutschen Rheinprovinzen gewidmet war, sich endgültig als Veröffentlichungsorgan für die damaligen ersten rechtsvergleichenden Studien etablierte. In ihr kann man die Vorläuferin der „Rabels Zeitschrift“, des heute führenden deutschen Publikationsorgans auf dem Gebiet der Rechtsvergleichung und des Internationalen Privatrechts, sehen27. Seitdem hat die Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des Privatrechts in Deutschland einen langen und erfolgreichen Weg zurückgelegt. Heute hat sie in den deutschen Universitäten eine wichtige Stellung sowohl im Rahmen der Juristenausbildung als auch in der institutionellen Form von Instituten und Forschungseinrichtungen. Die Mehrzahl der deutschen Rechtsfakultäten hat ein Institut für Rechtsvergleichung. Die bibliothekarischen Sammlungen zum ausländischen Recht, vor allem zu den Quellen und der Literatur der wichtigsten europäischen Rechtsordnungen, sind z. T. beachtlich. Im Rahmen der außeruniversitären ___________ 25
Zum Leben und Werk Ernst Rabels (1874-1955) siehe statt aller Kegel, Ernst Rabel. Werk und Person, in: RabelsZ 54 (1990), S. 1-23; Martinek, Wissenschaftsgeschichte (Fn. 6), S. 538 m. w. N. 26 Vgl. Rabel, Die Fachgebiete des Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, 1937, nachgedruckt in: Gesammelte Aufsätze, Bd. 3, Tübingen 1967, S. 180 ff. Zum Institut siehe Martinek, Wissenschaftsgeschichte (Fn. 6), S. 533. 27 Im zwanzigsten Nachkriegsband der Zeitschrift im Jahre 1955 gedachten die Herausgeber dem „Gelehrte(n), der in Deutschland das Bedürfnis nach einer systematischen Rechtsvergleichung aufgewiesen, ihre Pflege dogmatisch und rechtspolitisch begründet und sie organisatorisch fundiert hat“; so Dölle in: RabelsZ 20 (1955), S. 361 ff., insbes. S. 361.
Die Rechtsvergleichung und das deutsche Zivilrecht
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Forschung kommen die fünf wichtigen Institute der Max-Planck-Gesellschaft, die der rechtsvergleichenden Forschung und Dokumentation zu einzelnen Rechtsgebieten gewidmet sind, hinzu. Neben dem bereits erwähnten Hamburger Max-Planck-Institut für internationales und ausländisches Privatrecht seien das Freiburger Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, das Heidelberger Institut für ausländisches und internationales Öffentliches Recht und Völkerrecht, das Münchener Institut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht sowie das Frankfurter Max-PlanckInstitut für Europäische Rechtsgeschichte genannt28. Die Bibliotheken und die Sammlungen zum ausländischen Recht, die in solchen Forschungsinstitutionen zur Verfügung gestellt werden, gehören zu den bedeutendsten der Welt. Auch die wissenschaftliche Produktion in deutscher Sprache auf dem Gebiet der Rechtsvergleichung hat seit diesen ersten Anfängen einen beeindruckenden Umfang gewonnen. Man kann fast behaupten, dass eine rechtsvergleichende Dissertation heute in Deutschland fast ein Muss geworden ist für denjenigen jungen Juristen, der in einer großen internationalen Anwaltskanzlei tätig sein will. Bereits im Jahre 1930, als Erich Hans Kaden die erste große internationale Bibliographie auf dem Gebiet der Privatrechtsvergleichung publizierte, gehörte ein wesentlicher Anteil der dort nachgewiesenen 4000 Titel zur deutschsprachigen Literatur29. Seitdem hat das deutsche rechtsvergleichende Schrifttum einen beeindruckenden Umfang gewonnen. Ich verweise hier nur auf die in regelmäßigen Abständen erscheinenden bibliographischen Dokumentationen des Hamburger Max-Planck-Instituts.30
C. Rechtsvergleichung und zivilrechtliches Methodenverständnis Warum hatten die Forschungen auf dem Gebiet der Privatrechtsvergleichung am Ende der 20er Jahre des verflossenen Jahrhunderts einen so beeindruckenden Erfolg in Deutschland? Die Gelegenheit, oder besser: die Notwendigkeit, sich systematisch mit dem ausländischen Recht beschäftigen zu müssen, mit der die deutschen Rechtspraktiker damals infolge des bereits erwähnten Art. X des Versailler Friedensvertrags konfrontiert wurden, stellt in der Tat nur den ___________ 28
Siehe Martinek, Wissenschaftsgeschichte (Fn. 6), S. 545. Vgl. Kaden, Bibliographie der rechtsvergleichenden Literatur des Zivil- und Handelsrechts in Zentral- und Westeuropa und in den Vereinigten Staaten von Amerika 1870-1928, Berlin 1930, [Nachdruck Glashütten 1972]. 30 Vgl. etwa die „Aufsatzdokumentation zur Privatrechtsvergleichung, Privatrechtsvereinheitlichung sowie zum internationalen und ausländischen Privatrecht. Eine Bibliographie der Jahre 1968-1972“, Tübingen 1975; zu erwähnen wäre hier zuletzt die Dokumentation von v. Bar, Ausländisches Privat- und Privatverfahrensrecht in deutscher Sprache: systematische Nachweise aus Schrifttum, Rechtsprechung und Gutachten, 1980-1992, Köln 1993. 29
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
zufälligen Anlass für das Erblühen der Privatrechtsvergleichung als Forschungsdisziplin dar. Dieser äußere Anlass verdeckt in einer gewissen Weise die weit tiefer liegenden Gründe, warum sich die Rechtsvergleichung in jenen Jahren als akademische Forschungsdisziplin im Rahmen der universitären Rechtswissenschaft in Deutschland etablierte. Diese lagen vielmehr in der methodologischen Situation, in der sich die deutsche Zivilrechtswissenschaft in jenen Jahren befand. Dies leitet uns dazu, über die damaligen gegenseitigen Beziehungen zwischen Methodenwandel des deutschen Zivilrechts31 in jenen Jahrzehnten und dessen Einfluss auf den Beginn einer zivilrechtlichen Rechtsvergleichung zu reflektieren. Es sei hier in Erinnerung gerufen, dass sich die deutschen Privatrechtler in den letzten 100 Jahren an ganz unterschiedlichen methodologischen Modellen nacheinander orientiert haben. Eine Periodisierung der herrschenden Methodenrichtungen im deutschen Zivilrecht des 20. Jahrhunderts sieht in einer ersten, älteren Phase, die noch wesentlich von der gemeinrechtlichen Wissenschaft des 19. Jahrhunderts beeinflusst wurde, das Vorherrschen einer dogmatisch-konstruktiven und begriffsdefinitorischen Methode. Der argumentative Rückgriff auf die römischen Rechtsquellen, noch typisch für die gemeinrechtliche Rechtswissenschaft Mitte des 19. Jahrhunderts, wird Ende des 19. Jahrhunderts und unmittelbar nach Inkrafttreten des BGB verdrängt von einer begrifflichen dogmatischen Argumentationsweise. Man spricht in diesem Zusammenhang von der sog. „Begriffsjurisprudenz“. Diese Vorliebe für konstruktive dogmatische Problem- und Argumentationsmuster, noch sichtbar in manchen wissenschaftlichen Beiträgen unmittelbar nach Inkrafttreten des BGB, war allerdings bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – etwa von Rudolf von Ihering – heftig kritisiert worden. Auf Ihering geht in der Tat auch die „Entdeckung“ und juristische Fruchtbarmachung der „Interessen“, die einer Rechtsnorm, insbesondere einer Privatrechtsnorm, zugrunde liegen, als Argumentationsmodell zurück. Die Einsicht, dass eine gesetzliche Norm bestimmte Wertungen des Gesetzgebers über die tangierten gegensätzlichen Interessen konkretisiert, überzeugt Anfang unseres Jahrhunderts zunehmend die deutschen Zivilisten. Es ist der Beginn der damals bereits so bezeichneten „Interessenjurisprudenz“, deren bekannteste Vertreter etwa Philipp Heck, Hans Stoll und Hans Müller-Herzbach werden sollten. Dieser Methodenwandel hat Wissenschaft und Praxis des deutschen Zivilrechts in den darauf folgenden Jahrzehnten tief geprägt. Das wissenschaftliche Schrifttum und die deutsche Judikatur sind davon auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch tief beeinflusst worden. Heute kann man den endgültigen Niedergang von ___________ 31
Unverzichtbar heute noch zur Geschichte des deutschen Zivilrechts in unserem Jahrhundert Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., Göttingen 1957, S. 514-625. Siehe zuletzt die Beiträge in: Rückert (Hrsg.), Fälle und Fallen in der neueren Methodik des Zivilrechts seit Savigny, Baden-Baden 1997.
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dogmatisch-konstruktiven Fragestellungen im Argumentationshaushalt der deutschen Zivilrechtler konstatieren. Welche Rolle und welche Wirkung hat nun die Entdeckung der Rechtsvergleichung als juristisches Forschungs- und Lehrgebiet in der soeben kurz skizzierten historischen Entwicklung der Methode der Zivilrechtswissenschaft in Deutschland gespielt? Zwei denkbare Antworten bieten sich hier an. Die wachsende Anzahl von Untersuchungen auf dem Gebiet der Privatrechtsvergleichung, haben – wenigstens z. T. – diese methodologische Erneuerung der Privatrechtswissenschaft zweifellos beeinflusst, gerade wenn man bedenkt, welchen Glaubwürdigkeitsverlust die rein dogmatisch-begriffliche Argumentationsweise in der deutschen privatrechtlichen Literatur nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend erfahren hatte. Man kann allerdings diese Deutungshypothese möglicherweise auch umkehren: Ist nicht vielleicht gerade die zunehmend neue Orientierung der deutschen Zivilrechtswissenschaft seit den 20er Jahren des Jahrhunderts Grund und Voraussetzung für die wachsende Öffnung und das wachsende Interesse bei den deutschen Zivilrechtslehrern für Fragen und Themen der Rechtsvergleichung gewesen? Vor mehr als vier Jahrzehnten, anlässlich des Todes von Ernst Rabel, machte Ernst v. Caemmerer darauf aufmerksam, dass auch das deutsche Zivilrecht des 20. Jahrhunderts einer eigenen historischen Erforschung bedarf. „Wenn mit Recht“ – schrieb er32 – „gefolgert worden ist, dass wir die unmittelbaren geschichtlichen Grundlagen unseres BGB im 18. und im 19. Jahrhundert wieder ins Bewusstsein zurückholen müssen, so ist das zu ergänzen: Wir müssen auch die nunmehr 55-jährige Praxis des BGB als Geschichte sehen.“ In der Tat sind die beiden hier formulierten Deutungshypothesen unter einem zeithistorischen Gesichtspunkt mehr als plausibel. Es ist unbestreitbar, dass die Privatrechtsvergleichung als Forschungsmethode und Forschungsgegenstand zwei wesentlichen Erwartungen der deutschen Zivilrechtswissenschaft Anfang unseres verflossenen Jahrhunderts entgegenkam: Es ging hier zum einen um das Bedürfnis nach Wiedergewinnung des Bewusstseins, dass der wissenschaftlichen Arbeit des Zivilisten auch ein übernationaler, universeller Charakter innewohnt. Eine solche internationale, grundsätzliche Orientierung war der damaligen deutschen Zivilistik verloren gegangen, vor allem nachdem sich auch im Deutschen Reich eine Privatrechtskodifikation mit dem BGB von 1900 rechtspolitisch endgültig durchgesetzt hatte. Zum anderen wuchs bei den deutschen Zivilrechtlern seit Anfang des Jahrhunderts ein zunehmendes Unverständnis für die formalistische, begrifflich-dogmatische Argumentationsweise, die typisch für die sog. „Begriffsjuris___________ 32 So v. Caemmerer, Das deutsche Schuldrecht und die Rechtsvergleichung. Zum Tode von Ernst Rabel, in: NJW 1956, S. 569-571, und in: Gesammelte Schriften, Bd. 1, Tübingen 1968, S. 3-10, insbes. S. 4-5.
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prudenz“ der vorkodifikatorischen Spätpandektistik gewesen war. Es ist die Zeit der Anfänge der bereits erwähnten sog. „Interessenjurisprudenz“: Die jüngere Generation der damaligen Zivilrechtslehrer verliert zunehmend das Interesse an den Problemen der rein begrifflich-dogmatischen Einordnung von Rechtsregeln und Rechtsfiguren; im Vordergrund stehen häufig nunmehr die Wahrnehmung und Systematisierung der der einzelnen Rechtsnorm zugrunde liegenden spezifischen Interessenkonflikte. Diese beiden Erwartungen der damaligen Privatrechtskultur im Deutschen Reich sind typischerweise miteinander verbunden. Sie begleiten zugleich sowohl die jüngere Geschichte der deutschen Zivilrechtswissenschaft als auch Geburt und Entwicklung der Privatrechtsvergleichung in Deutschland. Das Problem des Verlustes einer universalistischen Perspektive bei der wissenschaftlichen Behandlung des Privatrechts entsteht für die deutschen Juristen endgültig erst am Ende des 19. Jahrhunderts. In fast allen übrigen kontinentaleuropäischen Staaten hatten die Nationalisierung der Privatrechtsquellen und das Ende der Verbindung mit der Tradition des Römischen Gemeinen Rechts bereits am Ende des 18., spätestens am Anfang des 19. Jahrhunderts, stattgefunden. In den meisten deutschen Territorien mit Ausnahmen derjenigen größeren Staaten, wo eine Privatrechtskodifikation galt33, blieb dagegen das Römische Gemeine Recht wenigstens als sekundäre Rechtsquelle bis zu der Kodifikation des deutschen BGB im Jahre 1900 in Geltung. Das Fehlen einer einheitlichen gemeinsamen Privatrechtskodifikation ließ deshalb die Wissenschaft des deutschen Zivilrechts in diesem Jahrhundert frei von einer formalen Bindung an eine staatliche Gesetzgebung. Die Vereinheitlichung des Privatrechts verlief also im Deutschland des 19. Jahrhunderts anders als im übrigen Europa. Sie war primär ein Werk der universitären Rechtswissenschaft. Die „Pandektisten“, wie die universitären Vertreter des Römischen Rechts und des Zivilrechts damals genannt wurden, entwickelten dabei eine allgemeine Lehre des Privatrechts bei einem nur formalen Rückgriff auf die Quellen des Römischen Rechts. Eine solche allgemeine Lehre des „heutigen Römischen Rechts“ – wie Friedrich Carl von Savigny dies nannte – als allgemeine Lehre des Zivilrechts verkörperte also noch die Idee eines nichtstaatlichen Privatrechts, unabhängig in seiner universellen Geltung vom rechtspolitischen Willen eines staatlichen Gesetzgebers. In diesem Rahmen bleibt verständlich, wie etwa die deutsche Historische Rechtsschule trotz ihrer Volksgeistlehre weitestgehend rechtsvergleichende Themen und Argumente ignorierte. Es galt hier gerade das Gegenteil: Es ist in der Tat zutreffend bemerkt worden, dass die Vertreter der deutschen Historischen Rechtsschule eine frühzeitige Entwicklung von rechtsver___________ 33 Eine vollständige und dokumentierte Darstellung zu den Kodifikationen des Privatrechts in den deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts wird im Beitrag „Deutschland“ von Barbara Dölemeyer (Zit. Fn. 15) geboten.
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gleichenden Studien in Deutschland eher behindert haben34. Das Haupt der Schule, der bereits genannte Friedrich Carl von Savigny, zitiert zwar gelegentlich in seinem berühmten „System des heutigen Römischen Rechts“ manche Normen aus der französischen, österreichischen oder preußischen Privatrechtskodifikation. Es wäre jedoch ein Missverständnis, dadurch in Savigny einen Vorläufer der Privatrechtsvergleichung in Deutschland zu sehen. Wie bereits bemerkt, bewältigen die deutsche Historische Rechtsschule und später die deutsche Pandektistik das Problem der Universalität einer Zivilrechtswissenschaft durch den Aufbau einer allgemeinen Privatrechtstheorie. Dieser lagen im Wesentlichen die Axiome der Kant’schen Ethik und der Begriffsapparat aus der Tradition des rationalen Naturrechts zugrunde. Man spricht zwar hier von einer „historischen Methode“, die Hinweise auf die Quellen der römischen Digesten spielen jedoch eine rein untergeordnete, nur legitimatorische Rolle. Im Vordergrund des Savigny’schen „Systems“, ebenso wie bei den späteren klassischen Werken der deutschen Pandektistik, steht das Bemühen um systematische Geschlossenheit und dogmatisch-begriffliche Konsistenz. Die Fragmente aus den römischen Quellen werden hier bewusst nach Stellenwert und Leistung im System selektiert. In dieser begrifflich-dogmatischen Arbeitsmethode der damaligen deutschen Rechtsprofessoren lag übrigens auch der tiefere Grund für die wissenschaftliche Ausstrahlung der deutschen Pandektistik in ganz Kontinentaleuropa. Die „Vergleichung“ mit einem ausländischen kodifizierten Recht hatte also in einem solchen methodischen Rahmen keine Existenzberechtigung. Die ersten Zivilrechtskodifikationen in den damaligen deutschen Territorialstaaten und schließlich die Inkraftsetzung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs im Jahre 1900 bedeuteten deshalb für die damalige deutsche Zivilrechtswissenschaft eine wesentliche, neue, fast revolutionäre Weichenstellung: Die Arbeit des Privatrechtlers hatte nicht mehr den für die Wissenschaft des Römischen Gemeinen Rechts typischen Universalanspruch. Die berühmte illusionslose Feststellung von Julius Hermann von Kirchmann: „Drei berichtigende Worte des Gesetzgebers, und ganze Bibliotheken werden zu Makulatur“35, beschreibt in exemplarischer Weise die Wahrnehmung dieses Verlustes bei den Privatrechtlern jener Zeit. ___________ 34 Vgl. hierzu Kaden, Stichwort: Rechtsvergleichung, in: Schlegelberger (Hrsg.), Rechtsvergleichendes Handwörterbuch, Bd. VI, Berlin 1938, insbes. S. 24-26; ebenso in diesem Sinne Zweigert/Kötz, Einführung (Fn. 7), S. 49: „eigentümlich hemmende Wirkung“; einschränkend jedoch neuerdings Zimmermann, In der Schule von Ludwig Mitteis (Fn. 21), S. 31. 35 Vgl. v. Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848, hrsg. von G. Neesse, Stuttgart 1938, [Nachdruck Darmstadt 1973]. Siehe dazu auch die italienische Ausgabe (Mailand 1964) mit einer lesenswerten Einleitung von Giacomo Perticone (S. V-XXVII). Zur italienischen Rezeption des Werkes siehe Leoni, Il valore della giurisprudenza e il pensiero di H. J. v. Kirchmann, in: Rivista internazionale di filosofia del diritto 1940.
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Die beschriebene wissenschaftliche Unzufriedenheit reichte übrigens bereits Jahrzehnte zurück. Eine harte Kritik gegen eine bestimmte Form des „juristischen Nationalismus“ war bereits im Jahr 1810 von Anselm von Feuerbach formuliert worden. Dieser warf dem „teutschen Rechtsgelehrten“ vor, dass seit jeher „nur das Einheimische oder Einheimisch gewordene“ Gegenstand gewesen sei, „worauf sich all sein gelehrtes Forschen“ beziehe36. Derselbe Feuerbach verwarf allerdings in den darauf folgenden Jahren ausdrücklich das Modell einer „Universaljurisprudenz“37. Er hat in der Tat praktisch keinerlei Schriften mit einem eindeutigen rechtsvergleichenden Inhalt hinterlassen. Seine Kritik gegen die national ausgerichtete Rechtskultur seiner Zeit bereitet allerdings in einer gewissen Weise die fast prophetischen Äußerungen vor, die Rudolf v. Ihering ein halbes Jahrhundert später formulierte. „Die formelle Einheit der Wissenschaft“ – schreibt Ihering im ersten Band seines „Geistes des Römischen Rechts38“ – „wie sie einst durch die Gemeinsamkeit eines und desselben Gesetzbuches für den größten Theil Europas gegeben war, jenes Zusammenarbeiten der Jurisprudenz der verschiedensten Länder an demselben Stoff und derselben Aufgabe ist mit der formellen Gemeinschaft des Rechts für immer dahin; die Wissenschaft ist zur Landesjurisprudenz degradiert, die wissenschaftlichen Gränzen fallen in der Jurisprudenz mit den politischen zusammen. [...] Aber es hängt nur von ihr selbst ab, den Charakter der Universalität, den sie so lange besaß, in einer andern Form als vergleichende Jurisprudenz sich für alle Folgezeit zu sichern“. Das von Ihering vorgeschlagene Arbeitsprogramm fand allerdings erst Jahrzehnte später seine volle Verwirklichung. Ende des 19. Jahrhunderts ließ der damals herrschende juristische Positivismus keinen Raum, um die vergleichende Erforschung von ausländischen Rechtsnormen wissenschaftlich zu legitimieren. „Die Anlehnung an das Ausland ist immer ein beklagenswerther Zustand“ – schreibt exemplarisch Ende des Jahrhun___________ 36
Vgl. v. Feuerbach, Blick auf die teutsche Rechtswissenschaft, in: Kleine Schriften vermischten Inhalts 1833, S. 152 und S. 162; vgl. ebenso ders., Idee und Nothwendigkeit einer Universaljurisprudenz, 1810, nachgedruckt in: Feuerbach (Hrsg.), Biographischer Nachlaß, 2. Aufl., Bd. 2, Leipzig 1853, [Nachdruck Aalen 1973], S. 378 ff. Dazu ausführlich Mohnhaupt, Universalgeschichte, Universaljurisprudenz und rechtsvergleichende Methode im Werk P.J.A. Feuerbachs, in: Mohnhaupt (Hrsg.), Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten (1988-1990), Frankfurt a. M. 1991, S. 97 ff. 37 Vgl. dazu Zweigert/Kötz, Einführung (Fn. 7), S. 51. 38 Vgl v. Ihering, Geist des Römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, 1. Teil, hier zitiert in der 7./8. Aufl. (1924), insbes. S. 14-15. Zur Bedeutung von Rudolf von Ihering bei der Entwicklung der Privatrechtsvergleichung siehe Zweigert, Iherings Bedeutung für die Entwicklung der rechtsvergleichenden Methode, in: Iherings Erbe. Göttinger Symposium zur 150-jährigen Wiederkehr des Geburtstags von R. von Ihering, Göttingen 1970, S. 240 ff.; als breitere englische Fassung ders., Ihering’s influence on the development of comparative legal methods, in: American Journal of Comparative Law 19 (1971), S. 215 ff. Siehe auch Martinek, Wissenschaftsgeschichte (Fn. 6), S. 534; Zweigert/Kötz, Einführung (Fn. 7), S. 46.
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derts Ernst Sigismund Puchelt in seinem Vorwort zum ersten Band der „Zeitschrift für französisches Civilrecht“39. Nach Inkrafttreten des BGB sind die wissenschaftlichen Interessen der damaligen deutschen Zivilrechtslehrer zunächst an einer positivistischen Neuvermessung der Kodifikation orientiert. Diese wird in die begrifflich-dogmatischen Kategorien eingeordnet, welche die damalige Juristengeneration aus der historischen Tradition der vorkodifikatorischen Pandektistik geerbt hatte. Hier sei etwa auf das Kommentarwerk zum BGB von Gottlieb Planck als Beispiel hingewiesen. Verständlicherweise bleibt in einem solchen Rahmen kein Interesse für rechtsvergleichende Fragestellungen übrig. Es ist exemplarisch, wie Ernst Rudolf Bierling 1894 in seiner „Juristischen Prinzipienlehre“ ausdrücklich feststellt, dass aus der Rechtsvergleichung „für die juristische Prinzipienlehre […] wenig oder gar kein Nutzen“ zu erwarten sei40. Die Erneuerung in der wissenschaftlichen Orientierung der deutschen Zivilrechtswissenschaft jener Jahrzehnte hängt damals mit der Entdeckung des „Interesses“ als neuem Element im privatrechtlichen Argumentationshaushalt zusammen41. Dies geht – wie bereits erwähnt – auf das Werk von Rudolf v. Ihering zurück42. Mit der damals sog. soziologischen Jurisprudenz beginnt eine Auflehnung gegen den begrifflichen Formalismus der pandektistischen Rechtsliteratur. Die Folgen einer solchen Neuorientierung sind noch in der heutigen deutschen Zivilrechtswissenschaft erkennbar. Der deutsche Zivilrechtler orientiert sich heute nicht mehr ausschließlich und primär an den gesetzlichen normativen Vorgaben des positiven Rechts und an den rechtsdogmatischen Kategorien, die im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 eine gesetzliche Verankerung erfahren haben. Die damals geborene sog. „Interessenjurisprudenz“ privilegiert stattdessen auch eine spezifische Analyse der einer Rechtsnorm zugrunde liegenden Interessenkonflikte43. Die gelegentlich zu beobachtende Heranziehung von soziologischen Argumentationsgesichtspunkten auch in der privatrechtlichen Rechtsfindung erfährt durch die Rechtsvergleichung eine wesentli___________ 39
So Puchelt, in: Zeitschrift für französisches Civilrecht 1 (1869), Vorwort. So Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Freiburg/Leipzig 1894, [Nachdruck Aalen 1961], Bd. I, insbes. S. 34. 41 Dazu Luhmann, Interesse und Interessenjurisprudenz im Spannungsfeld von Gesetzgebung und Rechtsprechung, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 12 (1990), S. 1-13. 42 Siehe dazu Fikentscher/Himmelmann, Rudolf von Iherings Einfluß auf Dogmatik und Methode des Privatrechts, in: Luf/Ogris (Hrsg.), Der Kampf ums Recht. Forschungsband aus Anlaß des 100. Todestages von Rudolf von Ihering, Berlin 1995, S. 95 ff.; Gromitsaris, Theorie der Rechtsnormen bei Rudolf von Ihering. Eine Untersuchung der Grundlagen des deutschen Rechtsrealismus (Schriften zur Rechtstheorie 132), Berlin 1989. 43 Dazu Kallfass, Die Tübinger Schule der Interessenjurisprudenz. Darstellung und Würdigung (Juristische Abhandlungen 12), Frankfurt a. M. 1972. 40
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
che Hilfestellung. Es ist deshalb keinesfalls zufällig, dass damals auch ein neuartiges Interesse für das englische „Common Law“ und für die aus dem angloamerikanischen Bereich bekannte Technik der kasuistischen und fallbezogenen Analyse von Gerichtsentscheidungen und Rechtsproblemen zu beobachten ist. In jenen Jahrzehnten haben die deutschen Zivilrechtler – gerade durch die Begegnung mit dem Common Law – Gelegenheit, neue Probleme und neue Argumentationsgesichtspunkte kennen zu lernen. Für diese ungewohnte methodologische Richtung sind die Bemerkungen exemplarisch, mit denen Erwin Riezler im Jahre 1912 im Vorwort zu seiner Leipziger Habilitationsschrift „Venire contra factum proprium“ seine Untersuchung präsentiert und rechtfertigt. „Diese Studien“ – schreibt Riezler44 – „wollen den Rechtsgedanken, dem sie gewidmet sind, zunächst im römischen Recht und in der romanistischen Literatur verfolgen. Sie wollen sodann die lebendige Kraft, die er im englischen Recht entfaltet, verständlich machen [...] Diese Arbeit will endlich die Brauchbarkeit der in ihr behandelten Rechtsidee für unser heutiges deutsches Recht erweisen.“ Rückblickend konnte deshalb vor einigen Jahren zutreffend daran erinnert werden, dass „spätestens seit dem Ende des 1. Weltkriegs sich die Rechtsvergleichung vor allem als eine die Rechtsordnungen der Welt übergreifende systematische, historische und soziologische Rechtskulturwissenschaft“ angesehen hat45. Selbst die „völkische Rechtswissenschaft“ des Nationalsozialismus konnte Ende der dreißiger Jahre das Werk und den wissenschaftlichen Einfluss von Ernst Rabel nicht restlos unterdrücken46. Eine ganze Reihe von Monographien aus der Hand jener neuen Generation von jungen Zivilisten bestätigt in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts diese neue Richtung der deutschen Privatrechtswissenschaft. Man denke hier etwa an die Untersuchung „Die Haftung des Verkäufers wegen Mangels im Recht“ des bereits genannten Ernst Rabel im Jahre 1902. Rabel führt hier ein neues Paradigma ein. Er fasst das Problem sowohl rechtsgeschichtlich wie rechtsvergleichend an, weist die Missverständnisse der historischen Gesetzgeber nach und zeichnet zugleich die Konturen von Problemlösungen, die in der historischen Kontinuität zur gemeinrechtlichen Tradition und im funktionalen Vergleich mit anderen Rechtsordnungen ihre Sachgerechtigkeit finden. „Durch die rechtsvergleichende Betrachtung“ – ist in einer Würdigung seines Werkes geschrieben ___________ 44 Vgl. Riezler, Venire contra factum proprium. Studien im römischen, englischen und deutschen Civilrecht, Leipzig 1912, Vorwort, S. III. 45 So Martinek, Wissenschaftsgeschichte (Fn. 6), S. 535. 46 Ernst Rabel musste allerdings nach 1933 seine Stellung als Direktor des Kaiser Wilhelm-Instituts aufgeben. Nach Erscheinen des ersten Bandes des „Rechts des Warenkaufs“ (1936) musste er darauf verzichten, den zweiten Teil folgen zu lassen, als er genötigt wurde, seine Arbeitsstätte aufzugeben und Deutschland zu verlassen. Der zweite Band konnte erst 1958 erscheinen, drei Jahre nach seinem Tod. Ernst Rabel, der in den USA mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, bekleidete auch nach dem Krieg keine Professur mehr in Deutschland.
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worden47 – konnte „der Zusammenhang gemeinsamer Rechtskultur bewahrt und, wo er durch die Sonderschicksale der Kodifikationen verloren gegangen war, wiederhergestellt werden“. Die heutige Vereinheitlichung des internationalen Kaufrechts hat sich in Bahnen bewegt, die Rabel damals vorzeichnete. Zwei weitere Werke seien hier noch genannt. Neben der bereits zitierten Habilitationsschrift von Erwin Riezler aus dem Jahre 1912 sei hier noch die Monographie von Wolfgang Siebert „Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung“ aus dem Jahre 1934 genannt48. Hier sind nur drei der damals bekanntesten rechtsvergleichenden Monographien zitiert worden. Die Geburtsstunde der Interessenjurisprudenz – verbunden mit den neuen rechtsvergleichenden Forschungsinteressen – eröffnet also in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts die Möglichkeit, eine neue universelle Argumentationsebene in der zivilistischen Arbeit zu etablieren. Die Geburtsstunde der rechtsvergleichenden Forschung auf dem Gebiet des Privatrechts ist deshalb in der deutschen Rechtsliteratur eng mit den ersten methodologischen Anfängen der Interessenjurisprudenz verbunden. In diesem Zusammenhang ist gerade die nicht nur chronologische, sondern auch methodologische Parallele zwischen den zwei richtungweisenden Methodenschriften jener Jahre mehr als beachtenswert: gemeint sind hier von Ernst Rabel „Aufgabe und Notwendigkeit der Rechtsvergleichung“, (1924)49 und von Philipp Heck „Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz“ (1932)50.
___________ 47
So v. Caemmerer, Das deutsche Schuldrecht (Fn. 32), S. 5. Zum Werk siehe auch Zimmermann, In der Schule von Ludwig Mitteis (Fn. 21), S. 26 m. w. N. 48 Zu der Monographie von Wolfgang Siebert und zur Theorie der Verwirkung (Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, Marburg 1934) vgl. Ranieri, Rinuncia tacita e Verwirkung. Tutela dell’affidamento e decadenza dal diritto, Padova 1971; ders., Bonne foi et exercice du droit dans la tradition du Civil Law, in: Revue internationale de droit comparé 1998, S. 1055-1092, insbes. S. 1067, sowie in: Würtenberger u. a. (Hrsg.), Wahrnehmungs- und Betätigungsformen des Vertrauens im deutschfranzösischen Vergleich, Berlin 2002, S. 81-114 [in diesem Band S. 417]. 49 Nachgedruckt in: Leser (Hrsg.), Gesammelte Aufsätze, Bd. 3, Tübingen 1967, S. 1 ff. 50 (Tübingen 1932). Nachgedruckt in: Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung, in: Dubischar (Hrsg.), Studien und Texte zur Theorie und Methodologie des Rechts, Bad Homburg/Berlin/Zürich 1968, S. 142-205. Hierzu siehe zuletzt Oldag, Methode und Zivilrecht bei Philipp Heck (1858-1943), in: Rückert (Hrsg.), Fälle und Fallen (Fn. 31), S. 73 ff.; Wolff, Philipp Heck als Zivilrechtsdogmatiker. Studien zur dogmatischen Umsetzung seiner Methodenlehre (Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung Bd. 80), Ebelsbach 1996.
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D. Neue Entwicklungen im deutschen Zivilrecht Auf diese Weise werden wir zu einem weiteren zeithistorischen Gesichtspunkt geführt, worunter das Thema dieses Beitrags analysiert werden kann. Es geht um die Frage, zu welchen neuen materiellrechtlichen und dogmatischen Ergebnissen die Heranziehung von rechtsvergleichenden Forschungsthemen in der zivilrechtlichen Rechtsfindung jener Jahrzehnte geführt hat. Die Frage lautet also, welchen materiellrechtlichen Beitrag die Heranziehung der Privatrechtsvergleichung bei der Auslegung und Fortbildung dieses oder jenes Rechtsinstituts geleistet hat. Allgemeiner formuliert fragt es sich, in welchem Umfang die deutsche Zivilrechtsliteratur in jenem Jahrhundert rechtsvergleichende Befunde und Ergebnisse im Rahmen ihres Argumentationshaushalts verwendet und akzeptiert hat. Naturgemäß stellt sich dieses Problem vor allem erst nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1900 und der damit verbundenen völligen Nationalisierung der Privatrechtsquellen in Deutschland51. Bereits damals begegnen wir Stimmen, die rechtsvergleichende Argumente, also Argumente, die aus der Betrachtung ausländischer Privatrechtsordnungen gewonnen werden, als willkommene und nützliche Elemente des privatrechtlichen Argumentationshaushalts betrachten. Ernst Zitelmann spricht etwa schon im Jahre 1888 von der Rechtsvergleichung als von einem Instrument zur Mehrung „unseres Vorrats an Lösungen“52. Ähnlich grundsätzlichen Äußerungen begegnet man auch in der privatrechtlichen Literatur der darauf folgenden Jahrzehnte53. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hat Konrad ___________ 51 Hierzu gehören also nicht die Anwendung des französischen Rechts in den Rheinprovinzen zwischen 1814 und 1900 und die damit verbundene Berücksichtigung der französischen Rechtsliteratur und Rechtsprechung. Siehe dazu zuletzt die umfassende Untersuchung von Schumacher, Das rheinische Recht in der Gerichtspraxis des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Auslegung rezipierter Rechtsnormen, Stuttgart/Brüssel 1969, Rezeption und Assimilation ausländischer Rechtsprechung dargestellt am Beispiel des europäischen Einflusses der französischen Judikatur im 19. Jahrhundert, in: Ius Commune 6 (1977), S. 202-233 [in diesem Band S. 21]. Diese Entwicklung gehört eher zur Rezeption von ausländischer Gesetzgebung und Rechtsliteratur, was uns im Rahmen dieses Beitrags nicht interessiert. Hierhin gehört übrigens auch nicht die Berücksichtigung ausländischer Literatur und Rechtsprechung durch den Bundesgerichtshof bei Auslegung und Anwendung eines internationalen Übereinkommens; im Einzelnen dazu Basedow, Depositivierungstendenzen in der Rechtsprechung zum Internationalen Einheitsrecht, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, München 2000, S. 777 ff., insbes. S. 789-790. 52 Vgl. das Zitat in Rabel, Aufgabe und Notwendigkeit (Fn. 21), S. 8. Siehe dazu Zitelmann, Die Möglichkeiten eines Weltrechts, in: Allgemeine österreichische GerichtsZeitung 39 (1888), S. 193 ff., insbes. S. 201 ff.; Klein, Die Möglichkeit eines Weltprivatrechts, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, München 1913, S. 1 ff. 53 Dies gilt übrigens nicht nur für die deutsche, sondern auch für die damalige französische Literatur. Siehe etwa zu den zeitgenössischen Stimmen von Raymond Saleilles und Eduard Lambert zuletzt Jamin, Le vieux rêve de Saleilles et Lambert revisité. A
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Zweigert in einem berühmten Beitrag die Privatrechtsvergleichung „als universale Interpretationsmethode“ gefeiert. Dadurch sah Zweigert die Privatrechtsvergleichung als argumentativen Weg, um die Lücken des nationalen Privatrechts zu füllen54. Eine ähnlich ausgerichtete universalistische Sicht der Rechtsvergleichung als Interpretationsinstrument und Fortbildungsmethode des nationalen Privatrechts ist Mitte der 50er Jahre von Joseph Esser vorgeschlagen worden. In seiner damaligen, epochemachenden Monographie „Grundsatz und Norm“ schlägt er nämlich vor, die „allgemeinen Rechtsprinzipien“ als allgemeines Entscheidungskriterium im Rahmen einer rechtsvergleichenden Rechtsfindung anzusehen und einzusetzen55. In diesen Rahmen gehört ebenfalls die universalistische Lehre, die im Zusammenhang mit dem Problem der Qualifikation im internationalen Privatrecht von Ernst Rabel entwickelt wurde“56. Wie wirkt sich die Heranziehung der Rechtsvergleichung allerdings praktisch in der spezifischen privatrechtlichen Rechtsfindung aus? Ein Blick auf die deutsche privatrechtliche Rechtsliteratur der letzten Jahrzehnte zeigt, wie die Kenntnis des ausländischen Privatrechts häufig gerade die Gelegenheit bot, eine ganze Reihe neuer Rechtsfiguren und Rechtsprobleme in das deutsche Privatrecht einzuführen. Ich beschränke mich hier nur auf einige wenige, eher kursorische und exemplarische Beispiele: Man denke etwa an die bereits zitierte Monographie von Erwin Riezler zum Grundsatz des Verbots eines „venire contra factum proprium“57. Sie stützt sich im Wesentlichen auf die Rezeption der „estoppel-Lehre“, einer Rechtsfigur des englischen Common Law. Aufgrund dieses neuen Rechtsgedankens wird eine ganze Reihe von Normen und Rechtsfiguren des deutschen BGB systematisch neu eingeordnet und interpre___________ propos du centenaire du Congrès international de droit comparé de Paris, in: Revue internationale de droit comparé 52 (2000), S. 734-751. 54 Vgl. Zweigert, Rechtsvergleichung als universale Interpretationsmethode, in: RabelsZ 15 (1949-1950), S. 5 ff.; vgl. auch ders., Zur Methode der Rechtsvergleichung, in: Studium generale 12 (1960), S. 193 ff. Zuletzt Berger, Auf dem Weg zu einem europäischen Gemeinrecht der Methode, in: ZEuP 2001, S. 4 ff., insbes. S. 8 ff.: „die Rechtsvergleichung als eigenständige Interpretationsmethode“. 55 Vgl. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts. Rechtsvergleichende Beiträge zur Rechtsquellen- und Interpretationslehre, 4. unveränderte Aufl., Tübingen 1990 (1. Aufl. 1956), S. 346 ff. Siehe dazu Schäfer, Methode und Zivilrecht bei Josef Esser (geb. 1910), in: Rückert (Hrsg.), Fälle und Fallen (Fn. 31), S. 203 ff. Zu Person und Werk von Josef Esser siehe zuletzt Köndgen, Josef Esser. Methodologie zwischen Theorie und Praxis, in: JZ 2001, S. 807-813. Zur Rolle von „Grundsatz und Norm“ für die Entwicklung der „funktionale[n] Rechtsvergleichung“ ebd., S. 808-809. Esser war bezeichnenderweise Schüler des bereits genannten Erwin Riezler. 56 Vgl. Rabel, Das Problem der Qualifikation, in: RabelsZ 5 (1931), S. 241 ff.; vgl. auch ders., The Conflict of Laws, Bd. 1, 2. Aufl., Ann Arbor 1958, insbes. S. 103 ff.; siehe dazu Esser, Grundsatz und Norm, S. 337 ff. 57 Vgl. oben (Fn. 44).
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tiert. Eine Rezeption der französischen Theorie des „abus de droit“, entwickelt vor allem durch die Judikatur des französischen Cour de cassation, liefert zwei Jahrzehnte später die wesentliche Grundlage für die Untersuchung von Wolfgang Siebert, „Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung“ (1934). Das ausländische Rechtsmodell bietet hier die Möglichkeit, systematisch und unabhängig vom Legalsystem des BGB die neuere Judikatur des Reichsgerichts auf der Grundlage der §§ 242 und 826 BGB systematisch neu einzuordnen. Das deutsche BGB kennt – anders etwa als das schweizerische ZGB von 1911 – ein allgemeines Verbot des Rechtsmissbrauchs auf der Grundlage einer gesetzlichen Norm nicht. Die rechtsvergleichende Analyse bietet Siebert hier deshalb eine Einordnungsmöglichkeit der damaligen richterlichen Rechtsfortbildung des Reichsgerichts58. Ein weiteres Beispiel für diese Verwendung der Rechtsvergleichung zur Einordnung judikativer Entwicklungen im deutschen Recht wird ferner etwa von der Theorie des Treuhandgeschäfts geboten. Hier wurde z. T. das angloamerikanische Institut des „trust“ rezipiert. Ich verweise beispielsweise auf die Monographien von Oskar Fischbach, „Treuhänder und Treuhandgeschäfte“ (1912) und des bereits genannten Siebert, „Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis“ (1933) und zuletzt von Helmut Coing59. Ein weiteres Beispiel wird kurz vor dem Zweiten Weltkrieg von der Entwicklung der Lehre des sog. „faktischen Gesellschaftsverhältnisses“ geboten. Diese wurde bekanntlich auf der Grundlage der Beispiele der „de facto corporation“ aus dem amerikanischen Recht und vor allem der „société de fait“ des französischen Rechts herausgearbeitet60. Diese Theorie hat nicht nur eine heute unstreitige Grundlage für das Problem der Liquidation von Kapitalgesellschaften, die nicht rechtmäßig gebildet worden sind, geliefert, sondern darüber hinaus hat sie ermöglicht, die traditionelle Lehre des Rechtsgeschäfts zu überbrücken, und insoweit eine Diskussion über die juristische Verbindlichkeit einer ganzen Reihe von sozialtypischen Verhaltensweisen eröffnet, die heute noch nicht abgeschlossen ist61. Zu erwähnen wäre ferner noch die Herausarbeitung der Theorie des sog. „Rechtswidrigkeitszusammenhangs“ im Rahmen der Lehre der unerlaubten Handlungen. Diese wurde von Ernst Rabel und Ernst von Caemmerer ___________ 58 Zu diesen Entwicklungen der deutschen Rechtsprechung vgl. einen allgemeinen Überblick bei Ranieri, Norma scritta e prassi giudiziale nell’evoluzione della dottrina tedesca del ‚Rechtsmißbrauch’, in: Riv. trim. di dir. proc. civ. 1972, S. 1216-1237. Vgl. darüber hinaus Ranieri, Bonne foi, S. 1082 [in diesem Band S. 441]. 59 Coing, Die Treuhand kraft privaten Rechtsgeschäfts, München 1973. 60 Vgl. Siebert, Die faktische Gesellschaft, in: Festschrift für Wilhelm Hedemann, Tübingen 1938, S. 267 ff. 61 Vgl. hier etwa die Diskussion über den sog. „faktischen Vertrag“. Hierzu Haupt, Über faktische Vertragsverhältnisse, in: Festschrift für H. Siber, Leipzig 1941, Bd. 2, S. 5 ff.; Dölle, Außergesetzliche Schuldpflichten, in: Zeitschrift für Staatswissenschaft 1943, S. 67 ff.; Nikisch, Über ‚faktische Vertragsverhältnisse’, in: Festschrift für Hans Dölle, Bd. 1, Tübingen 1963, S. 79 ff.
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auf der Grundlage des angloamerikanischen Rechts entwickelt. Sie diente im Wesentlichen dazu, eine allzu strenge Anwendung der alten sog. „Adäquanzlehre“ bei den Problemen der juristischen Kausalität zu vermeiden62. Als letztes Beispiel sei hier schließlich die Diskussion genannt, die in der deutschen Zivilrechtsliteratur der 60er und 70er Jahre über die Problematik der zivilrechtlichen Haftung des Produzenten für fehlerhafte Produkte und für die damit verbundenen Schäden des Letztabnehmers geführt wurde. Diese Diskussion ist inzwischen nach den grundlegenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs Ende der 60er Jahre und vor allem nach der Einführung der Produkthaftungsrichtlinien der EU von 1985 in das deutsche Recht im Jahre 1989 durch das Produkthaftungsgesetz abgeschlossen worden. Die Entdeckung des Problems der Produzentenhaftung und die Diskussionen hierüber wurden damals vor allem durch die rechtsvergleichende Analyse und Wertung der entsprechenden Judikatur im angloamerikanischen Bereich in Gang gesetzt63. In den oben geschilderten Beispielen führte die Kenntnis des ausländischen Privatrechts die deutschen Zivilisten dazu, neue Probleme und neue Interessenkonflikte zu entdecken. Problembereiche, die zwar in der Gerichtspraxis existierten, aber bis dahin noch nicht Gegenstand einer bewussten rechtswissenschaftlichen Reflexion und systematischen Einordnung gewesen waren, wurden dadurch offen gelegt. Die Kenntnis des ausländischen Zivilrechts und die rechtsvergleichende Forschung führten also dazu, dass neue Rechtsmodelle und neue Rechtsinstitute in das deutsche Privatrecht in den vergangenen Jahrzehnten rezipiert wurden. Ein anderes Problem ist es allerdings, ob die Kenntnis des ausländischen Privatrechts und eine rechtsvergleichende Methode auch dazu geführt haben, der Privatrechtsvergleichung eine autonome heuristische Funktion in der praktischen innerjuristischen Argumentation bei der Anwendung der Vorschriften des deutschen BGB zuzuerkennen. Es geht hier also um die Frage, ob die wissenschaftliche Heranziehung rechtsvergleichender Methoden inzwischen als Weg der Lückenfüllung und der Fortbildung des einheimischen deutschen positiven Zivilrechts akzeptiert wurde und wird. Die Grundthese von Konrad Zweigert zur Funktion der Rechtsvergleichung „als universale Interpretationsmethode“ wollte gerade dies. Zieht man das Schrifttum und die Praxis in der deutschen Judikatur des verflossenen Jahrhunderts heute insgesamt in Be___________ 62
Vgl. für die ersten Anfänge dieser Theorie und die hier zugrunde liegenden rechtsvergleichenden Grundlagen Rabel, Das Recht des Warenkaufs, Bd. 1, Tübingen/Berlin 1936, S. 495 ff. Zu den weiteren Entwicklungen vgl. v. Caemmerer, Das Problem des Kausalzusammenhangs im Privatrecht, Tübingen 1956; Stoll, Kausalzusammenhang und Normzweck im Deliktsrecht, Karlsruhe 1968. 63 Vgl. hier vor allem Diederichsen, Die Haftung des Warenherstellers, München/Berlin 1967; Lorenz, Einige rechtsvergleichende Bemerkungen zum gegenwärtigen Stand der Produkthaftungspflicht im deutschen Recht, in: RabelsZ 34 (1970), S. 14 ff. Die entsprechende neuere Entwicklung im heutigen deutschen Zivilrecht interessiert uns in diesem Zusammenhang nicht mehr.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
tracht, so muss man jedoch zum Ergebnis gelangen, dass in Deutschland der Privatrechtsvergleichung nie eine derartige praktische heuristische Funktion bei der Rechtsfindung zuerkannt wurde. Hans Dölle64 und später Bernhard Aubin65 haben wichtige und lehrreiche Untersuchungen gerade diesem Thema gewidmet, inwieweit nämlich rechtsvergleichende Argumente in der Rechtsprechung des deutschen Reichsgerichts und des deutschen Bundesgerichtshofs je Verwendung gefunden haben. Der dabei erzielte Befund steht allerdings in keinem Verhältnis zu der herangezogenen Judikatur und Dokumentation. Im Regelfall bleiben die von beiden Autoren angeführten Beispiele wenig ergiebig für unsere Fragestellung. Sie betreffen insgesamt eher Fallkonstellationen, in denen die deutsche und die ausländische Gesetzgebung identisch oder weitestgehend ähnlich waren. Man sollte sich etwa nicht wundern, wenn z. B. das Reichsgericht für die Interpretation der Paragraphen des BGB zum eigenhändigen Testament (§ 2247 BGB), die bekanntlich aus dem französischen Code civil rezipiert wurden, in einer Anfangsphase auf die entsprechende französische Doktrin und Judikatur zurückgegriffen hat. Ähnlich ist die Situation in denjenigen Fällen, in denen das Reichsgericht bei der Anwendung des damaligen deutschen GmbHGesetzes, das gesetzgebungstechnisch auch im damaligen Österreich rezipiert wurde, gelegentlich auf die österreichische Doktrin und Judikatur hinweist66. Interessanter ist in diesem Zusammenhang eher die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinsichtlich der schadensrechtlichen Ansprüche als Folge der Verletzung der Ehre und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Bereits in der berühmten Entscheidung zum „Herrenreiter-Fall“ hat ___________ 64
Vgl. Dölle, Der Beitrag (Fn. 7), insbes. S. 151-157. Vgl. Aubin, Die rechtsvergleichende Konkretisierung von Kontrollmaßstäben des Verfassungsrechts und des Kollisionsrechts in der deutschen Rechtsprechung, in: Deutsche Landesreferate zum 7. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Uppsala 1966, Tübingen 1967, S. 99 ff.; ders., Die rechtsvergleichende Interpretation autonominternen Rechts in der deutschen Rechtsprechung, in: RabelsZ 34 (1970), S. 458 ff. Die Untersuchung von Uyterhoeven, Richterliche Rechtsfindung und Rechtsvergleichung, Bern 1959, betrifft weitestgehend die Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts. Zuletzt zu dieser Problematik allgemein Berger, Auf dem Weg zu einem europäischen Gemeinrecht (Fn. 54), S. 4 ff., insbes. S. 17 ff. mit zahlreichen Nachweisen; Kramer, Konvergenz und Internationalisierung der juristischen Methode, in: Meier-Schatz (Hrsg.), Die Zukunft des Rechts (Beiheft der Zeitschrift für Schweizerisches Recht, Bd. 28), 1999, S. 71 ff., mit umfassenden rechtsvergleichenden Nachweisen; Somma, L’uso giurisprudenziale della comparazione nel diritto interno e comunitario, Milano 2001. Bezüglich der Judikatur des EuGH vgl. zuletzt de Wilmars, Le droit comparé dans la jurisprudence de la Cour de Justice des Communautés européennes, in: Journal des Tribunaux (Bruxelles), du 19 janvier 1991, S. 37-40; Everling, Rechtsvereinheitlichung durch Rechtsprechung. Anmerkungen aus der Sicht eines ehemaligen europäischen Richters, in: ZEuP 1997, S. 796 ff., insbes. S. 802. 66 Vgl. zu dieser Thematik Dölle, Der Beitrag (Fn. 7), S. 154; Aubin, Die rechtsvergleichende Interpretation, S. 463 mit weiteren Hinweisen auf die einschlägige Rechtsprechung des Reichsgerichts. 65
Die Rechtsvergleichung und das deutsche Zivilrecht
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bekanntlich die höchste deutsche Revisionsinstanz in Zivilsachen – eigentlich „contra legem“ (§ 253 BGB) – einen Anspruch auf Schadenersatz auch bezüglich des Nichtvermögensschadens infolge einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gesehen67. Wesentlicher argumentativer Weg dieser richterlichen Rechtsfortbildung war damals im Kern die Berufung auf die Grundrechte der Art. 1 und 2 des deutschen Grundgesetzes. Ein rechtsvergleichender Hinweis auf vergleichbare Lösungen in anderen europäischen Privatrechten fehlte hier noch vollständig. Einige Jahre später jedoch greift der Bundesgerichtshof in dem berühmten „Ginsengwurzel-Fall“68, um die hier angeleitete Rechtsprechung auf die sog. „schweren Fälle“ einzuschränken, in seiner Urteilsbegründung auch auf Art. 49 des schweizerischen Obligationenrechts zurück69. Der Bundesgerichtshof hat damals ferner in einer weiteren Entscheidung zum Verhältnis zwischen der Vertragsnichtigkeit wegen Missachtung der notariellen Beurkundungspflicht (§ 311b und § 125 BGB) und dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) in einem „obiter dictum“ auch eine Entscheidung des schweizerischen Bundesgerichts zum selben Thema zitiert70. Diese wenigen Beispiele sollten allerdings nicht überbewertet werden. Das rechtsvergleichende Argument stellt in diesen wenigen Fällen nur eine „Unterstützung und Bekräftigung einer bereits gefundenen Lösung“ dar, so dass in diesen Entscheidungen eher von einer „kumulative[n] oder komplementäre[n] Verwendung“ der Rechtsvergleichung als Entscheidungshilfe gesprochen werden sollte71. Man könnte in diesem Zusammenhang auch von einer Funktion ___________ 67
Vgl. die berühmte Entscheidung in: BGHZ 26, S. 349 ff. Vgl. die Entscheidung in: BGHZ 35, S. 369 ff. 69 Der Bundesgerichtshof begründet den Hinweis auf Art. 49 OR damit, dass dieser „dem Rechtsschutz der Persönlichkeit größere Aufmerksamkeit gewidmet hat als das Bürgerliche Gesetzbuch“. Auch in dem darauf folgenden Urteil vom 5.6.1963, im sog. „Fernsehansagerin-Fall“, veröffentlicht in: BGHZ 39, S. 124, bemerkt das Gericht ausdrücklich, um die neuere Judikatur zu verteidigen, dass „auch in fast allen Rechtsordnungen, in denen [...] dem Personenwert des Einzelnen eine zentrale Bedeutung im Rechtssystem zukommt, der immaterielle Schadenersatz als die der Persönlichkeitsverletzung adäquate privatrechtliche Sanktion anerkannt wird“ (vgl. BGHZ 39, insbes. S. 132). Zu dieser Thematik allgemein Aubin, Die rechtsvergleichende Interpretation, S. 466-467. 70 Zur Problematik des Verhältnisses zwischen Formnichtigkeit und dem Grundsatz von Treu und Glauben siehe etwa Reinicke, Rechtsfolgen formwidrig abgeschlossener Verträge, Berlin/Zürich 1969, und für weitere aktuelle Hinweise Ranieri, Bonne foi, S. 1068 und 1074 [in diesem Band S. 426, S. 432 f.]. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes liest man in: Versicherungsrecht 1959, S. 145 ff., insbes. S. 147. Der Hinweis auf die schweizerische Judikatur wird von Reinicke, Rechtsfolgen, S. 68, ausdrücklich begrüßt. Die schweizerische Entscheidung ist in BGE Bd. 72, II, S. 39, insbes. S. 43 abgedruckt. Zum Thema siehe auch Dölle, Der Beitrag (Fn. 7), S. 156. 71 So Aubin, Die rechtsvergleichende Interpretation, S. 477; ähnlich die Stellungnahme von Uyterhoeven, Richterliche Rechtsfindung, S. 59. 68
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
der Rechtsvergleichung „als Kontrollinstanz“ sprechen72. Im Falle von Rechtslücken im gesetzlichen normativen Werk des BGB liefert die Rechtsvergleichung also keine Lösungen mit einer eigenen autonomen normativen Wirkung, die unmittelbar im internen nationalen deutschen Privatrecht anerkannt sind. In diesem Punkt sind die deutschen Zivilrechtler und die deutschen Zivilgerichte einer Meinung. Der großartige wissenschaftliche Entwurf, den Konrad Zweigert 1949 vorgelegt hat, ist deshalb bis heute nur eine Utopie geblieben. Selbst Joseph Esser kritisiert den Hinweis des Bundesgerichtshofs auf Art. 49 OR in der bereits erwähnten Entscheidung und merkt hierzu ausdrücklich an: „Hier dürfte die unverhüllte Rezeption ausländischen Rechts die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsschöpfung überschreiten“73. Überblickt man die deutsche zivilrechtliche Judikatur dieses Jahrhunderts, so kann man also festhalten, dass entscheidungserhebliche rechtsvergleichende Argumente von deutschen Gerichten praktisch nie herangezogen worden sind, umgekehrt: Eine solche Argumentationsweise wurde gelegentlich ausdrücklich verworfen. So lehnte bereits im Jahre 1909 das deutsche Reichsgericht einen Hinweis auf Art. 1382 des französischen Code civil und auf die hierzu ergangene französische Judikatur mit dem Argument ab, dies sei „für die nach deutschem Recht zu treffende Entscheidung nicht von Erheblichkeit“. Der Kläger wollte hier dadurch eine Schadenersatzklage wegen Ehebruchs begründen74. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg lehnte der Bundesgerichtshof zur selben Problematik den Hinweis auf Art. 151 des schweizerischen Zivilgesetzbuch ab mit der apodiktischen Bemerkung: „Eine derartige Bestimmung kennt das deutsche Recht nicht.75“ Auch die jüngere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs berücksichtigt – etwa zur Haftung des Produktherstellers – ausländische und rechtsvergleichende Argumente überhaupt nicht76.
___________ 72
So Dölle, Der Beitrag (Fn. 7), S. 157. So Esser, Schuldrecht, Bd. 2, 3. Aufl., Karlsruhe 1969, § 113, S. 463. 74 Vgl. Reichsgericht, Urteil vom 26.10.1909, in: RGZ 72, S. 128 ff.; das Zitat liest man auf S. 132. 75 Vgl. BGH, Urteil vom 8.1.1958, in: BGHZ 26, S. 217 ff.; das Zitat liest man auf S. 223. Kritisch hierzu Boehmer, in: Familienrechtszeitschrift 1957, S. 196 ff., der die Rechtsprechung kritisiert und den Vorschlag unterbreitet, hier einen ähnlichen Gesichtspunkt heranzuziehen wie bei Art. 151 des schweizerischen ZGB (S. 198). 76 Siehe etwa die grundlegende Entscheidung des BGH, Urteil vom 26.11.1968, in: BGHZ 51, S. 91 ff. (sog. „Hühnerpest-Fall“). Kritisch bemerkt Lorenz, Einige rechtsvergleichende Bemerkungen, S. 19, hierzu, dass der Bundesgerichtshof „rechtsvergleichende Überlegungen, an denen es in diesem Lande gewiß nicht gefehlt hat, dabei nicht berücksichtigt hat“. Ähnlich die Kritik von Aubin, Die rechtsvergleichende Interpretation, S. 478. 73
Die Rechtsvergleichung und das deutsche Zivilrecht
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E. Rechtsvergleichung und deutsches Zivilrecht heute Die rechtsvergleichende Methode bietet also dem deutschen Zivilrechtler bis heute im Wesentlichen nur ein Instrument zur Kontrolle und zur Absicherung seiner innerjuristischen Rechtsfindung. Damit werden wir zu einer letzten Fragestellung geführt: Zu welchen methodologischen Ergebnissen hat die Rechtsvergleichung die deutsche Zivilrechtswissenschaft geführt? Mit anderen Worten, welche neuen Argumentationsmuster und rechtstheoretischen Einsichten hat die Privatrechtsvergleichung den deutschen Zivilisten erschlossen und vermittelt? Eine Antwort auf diese Frage kann hier nur skizziert werden. Eine Reflexion hierüber verdeutlicht zunächst die Funktion als juristische Grundlagenforschung, welche die Rechtsvergleichung in den letzten Jahrzehnten zunehmend übernommen hat. Sie hat für den inländischen deutschen Juristen ein aufgeklärtes transpositives Verständnis für die eigene Privatrechtsordnung gefördert und zugleich die Selbstreferentialität der dogmatischen Rechtsstrukturen des deutschen Zivilrechts offenbart77. Zugleich hat sie den Argumentationshaushalt des deutschen Zivilrechtlers wesentlich bereichert78. Die Einbettung des deutschen Zivilrechts in die kontinentaleuropäische Tradition ist dabei spätestens seit den 80er Jahren allgemein bewusst geworden. So forderte gerade vor 20 Jahren Hein Kötz die „Herausarbeitung eines Bestandes allgemeiner Grundsätze des Schuldrechts“79, also die Entwicklung der Grundlagen eines gemeineuropäischen Zivilrechts. Zwei Jahrzehnte später werden die ersten Etappen dieser wissenschaftlichen Rückgewinnung einer gesamteuropäischen Privatrechtskultur bereits sichtbar80. Die Rechtsvergleichung hat dabei auch eine historische Perspektive erschlossen: „Sie kann als vergleichende europäische Privatrechtsgeschichte die Veränderbarkeit und die Funktion von dogmatischen Konstruktionen transparent machen und damit die dienende Funktion der Dogmatik selbst verdeutlichen“81. Rechtsvergleichung und ___________ 77
Vgl. Kötz, Rechtsvergleichung und Rechtsdogmatik, in: RabelsZ 54 (1990), S. 203 ff.; ders., Was erwartet die Rechtsvergleichung von der Rechtsgeschichte?, in: JZ 1992, S. 20-22; ders., Alte und neue Aufgaben der Rechtsvergleichung, ebd. 2002, S. 257-264; Großfeld, Vom Beitrag der Rechtsvergleichung zum deutschen Recht, in: AcP 1984, S. 292 ff.; Martinek, Wissenschaftsgeschichte (Fn. 6), S. 547. 78 Siehe Zweigert, Zur Methode (Fn. 54), S. 193 ff.; Martinek, Wissenschaftsgeschichte (Fn. 6), S. 548. 79 So Kötz, Gemeineuropäisches Zivilrecht, in: Festschrift für K. Zweigert, Tübingen 1981, S. 481 ff., insbes. S. 483. 80 Statt aller siehe Zimmermann, The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition, Cape Town 1990; Kötz/Flessner, Europäisches Vertragsrecht, I, Tübingen 1996; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, München 1996; II, München 1999; Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 2. Aufl., Wien 2003. 81 So Ranieri, Eine Dogmengeschichte des europäischen Zivilrechts? Einige Thesen zum Beitrag der Rechtsgeschichte zu einer europäischen Zivilrechtswissenschaft, in: Schulze (Hrsg.), Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte. Ergebnisse und Per-
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
Rechtsgeschichte im europäischen Kontext übernehmen also eine wesentliche rechtstheoretische Aufgabe: die deutschen Juristen – jenseits der Illusionen des Rechtspositivismus – zum Verhältnis zwischen Norm und Rechtsanwendung aufzuklären82. Man kann in der Tat beobachten, dass die monographischen Untersuchungen, die vorhin beispielhaft angeführt wurden, in denen die Privatrechtsvergleichung das deutsche Zivilrecht um neue Probleme und Modelle angereichert hat, fast ausschließlich Bereiche betreffen, in denen die „Rechtsfortbildung“ wesentlich von der Rechtsprechung übernommen wurde. Ich verweise hier etwa auf die Lehre der „Verwirkung“ oder des „faktischen Vertragsverhältnisses“, um nur zwei Beispiele zu nennen. Das ist m. E. kein Zufall. In der Tat haben die Privatrechtsvergleichung und insbesondere die Begegnung mit der Rechtsprechung des Common Law und der französischen Judikatur den deutschen Zivilisten Mitte des Jahrhunderts „die Augen geöffnet“ über die tatsächliche Funktion der eigenen einheimischen Rechtsprechung bei der Fortbildung des deutschen Zivilrechts. Es ist hier sinnvoll, kurz daran zu erinnern, dass in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die deutschen Gerichte die Normen des BGB mit einer ambivalenten Methodologie angewandt haben. Die deutsche Rechtsprechung hat einerseits zunächst die Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1900 relativ wortgetreu und exegetisch herangezogen. Das Reichsgericht hat aber zugleich bereits vor dem Ersten Weltkrieg immer wieder auf die im Gesetzbuch verankerten Generalklauseln und auf die allgemeinen Rechtsgedanken der „Sittenwidrigkeit“ und von „Treu und Glauben“ (§§ 826 und 242 BGB) zurückgegriffen. Der Rückgriff auf diese „Blankettnormen“ er___________ spektiven der Forschung, Berlin 1991, S. 89 ff., insbes. S. 102. Siehe statt aller Zimmermann, Savignys Vermächtnis. Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung und die Begründung einer Europäischen Rechtswissenschaft (Tübinger Universitätsreden. N.F. 23), Tübingen 1998; ders., In der Schule von Ludwig Mitteis, insbes. S. 36-38; ders., Europa und das römische Recht, in: AcP 2002, S. 243 ff. Siehe ferner die wegweisenden Bemerkungen von Coing, Die Bedeutung der europäischen Rechtsgeschichte für die Rechtsvergleichung, in: RabelsZ 1968, S. 1 ff., und zuletzt Picker, Rechtsdogmatik und Rechtsgeschichte, in: AcP 2001, S. 763 ff., insbes. S. 849-857. 82 Das „methodische Grundprinzip der gesamten Rechtsvergleichung … [ist] das der Funktionalität“: so Zweigert/Kötz, Einführung (Fn. 7), S. 31-33; Zimmermann, In der Schule von Ludwig Mitteis (Fn. 21), S. 35-36. Einschränkend allerdings zum Nutzen einer funktionellen Betrachtung Kötz, Abschied von der Rechtskreislehre?, in: ZEuP 1998, S. 493 ff., insbes. S. 504 ff. Entschieden kritisch die Rezension zur 2. Auflage der „Einführung“ von Hill, Comparative Law, Law Reform and Legal Theory, in: Oxford Journal of Legal Studies 9 (1989), S. 101-115; zuletzt Giaro, Comparemus! Romanistica come fattore di unificazione dei diritti europei, in: Rivista critica di diritto privato 2001, und Somma, Comparing legal cultures. Tutela privatistica dei deboli e industrializzazione dal liberalismo al liberismo, in: Rechtshistorisches Journal 20 (2001), S. 70 ff., insbes. S. 71-74: “il funzionalismo si esprime in ricerche nell’ambito di sistemi politici omogenei, che tacitano i conflitti per il progresso e lo sviluppo del sistema stesso”.
Die Rechtsvergleichung und das deutsche Zivilrecht
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möglichte es deshalb immer wieder, Rechtsfiguren und Rechtsfolgen zu entwickeln, die z. T. im Gegensatz zu den gesetzlich fixierten Rechtsinstituten standen. Von zentraler Bedeutung ist hier insbesondere die ständige Heranziehung des Grundsatzes von Treu und Glauben von § 242 BGB83. Die Erfahrung einer schöpferischen rechtsfortbildenden Funktion der Judikatur, die die deutschen Zivilrechtler durch die Begegnung vor allem mit den Rechtsordnungen des Common Law machten, wirkte sich deshalb im Einzelfall auch auf die entsprechende Einschätzung der rechtsfortbildenden Funktion der eigenen Rechtsprechung aus. Die rechtsvergleichende Analyse führte also in nicht unbeträchtlichem Maße auch dazu, dass die deutsche Zivilrechtswissenschaft ihre dogmatischen und begriffskonstruktivistischen Interessen heute weitestgehend abgelegt hat. An deren Stelle sind nunmehr vor allem eine Interessenanalyse und eine bewusste Berücksichtigung des Richterrechts getreten. Dies wird bestätigt gerade auch bei der heute zu beobachtenden zunehmenden Verfeinerung der rechtsvergleichenden Fragestellungen in der deutschen zivilrechtlichen Literatur. Der Blick auf das ausländische Recht war zunächst in der Tat weitestgehend auf die normativen gesetzlichen Regelungen gerichtet. So etwa verfährt noch Erwin Riezler in seinem erwähnten Werk bei der Analyse des Verbotes des „venire contra factum proprium“. Er beschränkt sich hier weitestgehend auf eine exegetische Durchsicht der neuen Bestimmungen des BGB. Die damalige Rechtsprechung des Reichsgerichts wird kaum erwähnt. Diese Art von Rechtsvergleichung birgt nicht unwesentliche Gefahren. Nicht zufällig lassen sich dadurch gelegentlich die Funktion und die Tragweite ausländischer Rechtsvorschriften und Rechtsfiguren missverstehen84. „Rechtsvergleichende Betrachtungen haben zur Lösung dogmatischer Fragen [...] nur geringen Erkenntniswert, das gilt ganz besonders für eine begrifflich konstruktive Betrachtungsweise“, wurde noch vor einigen Jahrzehnten zutreffend beobachtet85. Bereits Ernst Rabel hatte in seinen methodischen Stellungnahmen immer wieder warnend darauf hingewiesen, dass eine rechtsvergleichende Arbeitsperspektive die Totalität des „droit appliqué“ erfassen muss. Heute betrachtet die deutsche Zivilistik in ihrer rechtsvergleichenden Arbeitsweise vor allem die Funktion von Rechtsnormen und von Rechtslösungen. Nach der grundlegenden ___________ 83 Vgl. in diesem Zusammenhang die zutreffende Analyse von David, Les grands systèmes de droit contemporains, 3. Aufl., Paris 1969, S. 122-123. Vgl. übrigens auch die Hinweise bei Ranieri, Bonne foi, S. 1071 f. [in diesem Band S. 429]. 84 Vgl. hier z. B. zur Untersuchung von Wolfgang Siebert zur Lehre der Verwirkung die kritischen Bemerkungen von de Boor, Methodisches zu Dogmatik und Rechtsvergleichung, in: AcP 1935, S. 262 ff. 85 So Fabrizius, Die mangelhafte Lieferung beim Kauf beweglicher Sachen, in: JZ 1967, S. 464 ff., insbes. S. 468. Hier eine Kritik gegen Graue, Die mangelfreie Lieferung beim Kauf beweglicher Sachen, Heidelberg 1964. Siehe hierzu kritisch auch Ranieri, Un libro tedesco sulla compravendita, in: Riv. trim. di dir. proc. civ. 1968, insbes. S. 1079.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
Monographie von Joseph Esser, „Grundsatz und Norm“86, spricht man in diesem Zusammenhang von einer „funktionalen Rechtsvergleichung“. „Nicht das“ – stellt Esser fest87 – „ist der Weg der Rechtsvergleichung: isolierte Züge des einen Systems in einem anderen wieder aufzufinden, um sie dann mehr oder weniger schief aus diesem letzteren als eine ähnliche Lösung zu begreifen; auch das nicht: aus den mehreren positiven Systemen ein leeres Gebäude doktrinärer Prinzipien zu rekonstruieren [...]; sondern das: in gleichen Ordnungsaufgaben unter vergleichbaren gesellschaftlichen Zuständen die Gemeinsamkeit von Lösungen zu entdecken, die je von ihrer Entstehungsgeschichte her in ihrer Systembedingtheit dem gleichen Ordnungsziel dienen.“88 Im Zentrum der rechtsvergleichenden Forschung steht heute also die Betrachtung der tatsächlichen Tragweite von judikativen Lösungen89. Jenseits von begriffsdogmatischen und gesetzlichen Definitionen, führt die rechtsvergleichende Methode den deutschen Zivilrechtslehrer heute zur Analyse der tatsächlichen Interessenkonflikte, wie sie den gerichtlichen Entscheidungen zugrunde liegen. „Man muss vor allem“ – schreibt Müller-Freienfels 1957 – „die Probleme aus der verabsolutierenden Herrschaft einzelner Rechtsbegriffe lösen und von typischen Fallgruppen aus Bewertungsmaßstäbe entwickeln.90“ Die deutsche Zivilrechtswis___________ 86
Vgl. Esser, Grundsatz und Norm, S. 346 ff. So Esser, Grundsatz und Norm, S. 349-350. Bereits Salomon, Grundlegung zur Rechtsphilosophie, 2. Aufl., Berlin 1925, hatte bemerkt: „Rechtsvergleichung ist Vergleichung von Lösungen eines einheitlichen Problems [...] Ihnen kommt heuristischer Wert vor allem zu, [...] weil sie allererst ermöglichen das Problem selbst ins Auge zu fassen“. Dazu Kramer, Topik und Rechtsvergleichung, in: RabelsZ 33 (1969), S. 1-15, insbes. S. 3 ff.; Martinek, Wissenschaftsgeschichte (Fn. 6), S. 549. 88 Exemplarisch hierfür nennt Esser die berühmte Untersuchung von Rabel, The Statute of Fraud and Comparative Legal History, in: Law Quarterly Review 63 (1947), S. 174 ff.; nachgedruckt in: Gesammelte Aufsätze, Bd. 3, Tübingen 1967, S. 261 ff. Dazu Zimmermann, In der Schule von Ludwig Mitteis (Fn. 21), S. 34 m. w. N. 89 Zutreffend bemerkt Köndgen, Josef Esser, S. 810, deshalb: „Gravitationspunkt dieser [methodologischen] Fixpunkte ist nicht die ‚Methode des Juristen’, sondern ‚das Verhältnis des Richters zum Gesetz’“. Siehe ferner S. 812: „Als der Rechtsvergleichung geöffneter Theoretiker hat Esser nicht nur frühzeitig jener Konvergenz der Methoden den Weg gewiesen, die Voraussetzung einer gelebten … Rechtsharmonisierung im zusammenwachsenden Europa ist. In der Kategorie des Richterrechts hat er auch den schroffen Gegensatz von angelsächsischem Präjudizienrecht und normgesteuertem kontinentalem Recht relativiert.“ 90 So Müller-Freienfels, in: AcP 1957, S. 253. Ähnlich Esser, Aufbauverzahnung des Richterrechts zu § 242 BGB im Spiegel der Kommentierung, in: AcP 1962, S. 270 ff., insbes. S. 275-278.; ders., Möglichkeiten und Grenzen des dogmatischen Denkens im modernen Zivilrecht, in: AcP 1972, S. 97 ff. Zur funktionalen Rechtsvergleichung und zu den diesbezüglichen Diskussionen in der deutschen Zivilrechtswissenschaft siehe etwa Sandrock, Über Sinn und Methode zivilistischer Rechtsvergleichung, Frankfurt/Berlin 1966, insbes. S. 60 ff.; Rothoeff, System der Irrtumslehre als Methodenfrage der Rechtsvergleichung, Tübingen 1967, S. 1-27; v. Hulsen, Sinn und Methode der Rechtsvergleichung, in: JZ 1967, S. 629 ff.; Neumayer, Fremdes Recht aus Büchern, fremde Rechtswirklichkeit und die funktionelle Dimension in den Methoden der 87
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senschaft der letzten Jahrzehnte sieht also ihre spezifische Aufgabe zunehmend in der Analyse und Systematisierung der eigenen Judikatur. Ein Jahrhundert nach der Zivilrechtskodifikation des BGB hat das deutsche Zivilrecht – jenseits der rechtspolitischen Entscheidungen des Gesetzgebers von 1900 – bei einer realistischen Betrachtung die Nähe zu einem System von „case law“ erreicht. Bezeichnenderweise konnte kürzlich – anlässlich des Festvortrags zum 50-jährigen Bestehen des Bundesgerichtshofes – deshalb die Feststellung getroffen werden: „Dass unsere Rechtskultur in den letzten Jahrzehnten allmählich immer stärkere Ähnlichkeiten mit einem Präjudizienrecht entwickelt hat, ist kaum zu leugnen.“91 Man hat dies eine „Annäherung an ein ‚case law‘ nach angloamerikanischem Vorbild“92 genannt. Es bleibt hier allerdings hinzuzufügen, dass eine solche strukturelle Veränderung des deutschen Privatrechtssystems ohne den wesentlichen Einfluss der Rechtsvergleichung als Forschungsgegenstand und zivilistische Arbeitsmethode nicht denkbar gewesen wäre.
___________ Rechtsvergleichung, in: RabelsZ 34 (1970), S. 411 ff. Exemplarische Beispiele bieten hierfür etwa Zweigert, Du sérieux de la promesse. Remarques de droit comparé sur la distinction des actes qui obligent de ceux qui n’obligent pas, in: Rev. intern. de droit comparé 1964, S. 3 ff.; Lorenz, Entgeltliche und unentgeltliche Geschäfte. Eine vergleichende Betrachtung des deutschen und des anglo-amerikanischen Rechts, in: Ius privatum Gentium. Festschrift für M. Rheinstein, Bd. II, S. 547 ff., Tübingen 1969. 91 So Heldrich, 50 Jahre Rechtsprechung des BGH. Auf dem Weg zu einem Präjudizienrecht?, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 33 (2000), S. 497 ff., insbes. S. 500. 92 So Heldrich, a. a. O., S. 499. Siehe auch Martinek, Wissenschaftsgeschichte (Fn. 6), S. 561: „Die deutsche Rechtskultur hat sich unter dem Einfluss der angloamerikanischen in den Jahrzehnten nach dem Krieg auch stark gewandelt. Daran hat die Rechtsvergleichung ihren Anteil.“
Romanistik und Rechtsgeschichte A. Das ältere Gemeine Recht und die humanistische Entdeckung der Geschichtlichkeit der römischen Rechtsquellen Das ältere Römische Gemeine Recht, das Rechtswissenschaft und Rechtspraxis in Kontinentaleuropa vom 11. bis – wenigstens prinzipiell – zum 18. Jahrhundert geprägt hat, hatte von den römischen Rechtsquellen ein statisches und unhistorisches Verständnis. Diese wurden nicht nur in den mittelalterlichen Rechtsschulen, sondern in einer gewissen Weise bis in die letzte Phase der gemeinrechtlichen Wissenschaft als geltendes Recht angesehen. Ein historischer Zugang zu den Texten des Corpus Iuris hat sich in der kontinentalen Rechtskultur nur langsam, erst in Ansätzen seit dem 16. Jahrhundert, entwickelt und durchgesetzt. Die Eigentümlichkeit im Umgang mit den römischen Rechtsquellen seitens der ersten Rechtslehrer in Bologna und der späteren Vertreter der Schule der Glossatoren liegt gerade darin, dass man in den Digesten und im Codex das Recht schlechterdings sah. Die mittelalterlichen Juristen haben also in der Justinianischen Kompilation eine unmittelbare gegenwärtige Autorität gesehen, genauso wie übrigens das Mittelalter die Kaiserwürde unmittelbar an die römische Vergangenheit anknüpfte. Deshalb wurde auch die Widerspruchsfreiheit der Justinianischen Rechtsquellen als selbstverständlich vorausgesetzt. Die Textstellen der Digesten und des Codex wurden also aus sich heraus verstanden und mit den Kulturtechniken der Zeit, vor allem also der Grammatik und der Logik und Rhetorik, erschlossen, erklärt und im Unterricht dargestellt. Die interpretatorischen Bemühungen der Glossatoren und in einer gewissen Fortsetzung dazu der Kommentatoren lagen also primär in der textuellen Beherrschung der einzelnen Quellenfragmente. Das gewaltige Werk der mittelalterlichen Kommentierung, welches sich vornehmlich in den Glossenapparaten und in den dazugehörigen Allegationen niederschlug und seine Krönung in der „Glossa accursiana“ fand, überzog den Text der römischen Quellen mit einem völlig ahistorischen1, in sich jedoch geschlossenen Verständnis, das die praktische Anwendung der einzelnen Quellenfragmente in der gutachtlichen Praxis der „Consilia“ ermöglichte. Die Behandlung einzelner Sachprobleme und ___________ Zuerst erschienen unter dem Stichwort „Romanistik“ in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 15/2, Stuttgart/Weimar 2000, Sp. 953-964. 1 Vgl. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte (Handbuch der Altertumswissenschaft, Abt. 10, Teil 3, Band 1), München, S. 37 f.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
Streitfragen gerade bei bestimmten Stellen des Corpus Iuris, typisch für die gemeinrechtliche Wissenschaft und Praxis bis zu ihrem Ende, ist in diesem Rahmen entstanden. Dabei wurden Quellenstellen miteinander in Verbindung gebracht und zur Erläuterung herangezogen, welche im Werk der römischen Juristen und selbst noch bei der Justinianischen Kompilation beziehungslos nebeneinander gestanden hatten. Bereits in dieser Epoche entstand eine Tradition von Problemerörterungen, „die auf das römische Recht projiziert wurden, jedoch historisch damit oft wenig zu tun hatten“2. Diese Technik der Behandlung von Rechtsproblemen durch das argumentative unhistorische Heranziehen einzelner Fragmente der römischen Quellen findet in den darauf folgenden Jahrhunderten ihren Niederschlag in den großen Kommentarwerken von Bartolus de Saxoferrato (1313-1357) und von dessen Schüler Baldus de Ubaldis (ca. 1320/27-1400) sowie in der in jenen Jahrzehnten beginnenden gutachtlichen Praxis der „Consilia“ der so genannten Schule der Kommentatoren3. Seit Anfang des 16. Jahrhunderts beginnt der Umgang mit den römischen Rechtstexten sich allerdings langsam zu verändern. Zum einen gehören in diesen Zusammenhang die ersten systematischen Bemühungen, etwa eines Hugo Donellus (1527-1591), die Quellenüberlieferung aus ihrer Legalordnung aufzulösen und in einen neuen Systemzusammenhang zu bringen. Diese systematischen Bemühungen, welche ihre Fortsetzung in den Lehren des deutschen Usus modernus pandectarum und des Naturrechts bis zum Ende der gemeinrechtlichen Zeit haben werden, bleiben jedoch weiterhin von einem statischen, unhistorischen Verständnis des Corpus Iuris als geltendem Recht beherrscht4. Das 16. Jahrhundert allerdings kennt unter dem Einfluss zunächst des italienischen und später des französischen Humanismus auch die ersten Versuche, die Textstellen des Corpus Iuris aus ihrem mittelalterlichen scholastischen Korsett herauszulösen und einer historisch bewussten quellenanalytischen Betrachtung zu unterziehen5. Der italienische Jurist Andreas Alciatus (1492-1550) beginnt erstmals mit der Erschließung der darin enthaltenen griechischen Texte. Die späteren Vertreter des juristischen Humanismus eröffnen somit den Weg, den Text der Digesten mit historischer Differenziertheit zu lesen und sich anzueignen. Hier sei etwa der französische Jurist Jacques Cujacius (1522-1590) genannt, der als erster den „scheinbar monolithischen Block des überlieferten römischen Rechts aufzusprengen“ beginnt6. Damit sind wir am Vorabend einer wissenschaftlichen Geschichte des Römischen Rechts angelangt. ___________ 2
Bürge, Römisches Privatrecht. Rechtsdenken und gesellschaftliche Verankerung. Eine Einführung, Darmstadt 1999, S. 204-214, insbes. S. 206. 3 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, Göttingen 1996, S. 80-96. 4 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (Fn. 3), S. 167 f. 5 Vgl. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte (Fn. 1), S. 39 f. 6 Bürge, Römisches Privatrecht (Fn. 2), S. 208.
Romanistik und Rechtsgeschichte
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Inwieweit die philologischen und historischen Bemühungen der Vertreter des juristischen Humanismus Einfluss auf die damalige Rechtspraxis hatten, ist bis heute umstritten und nicht restlos geklärt. Sie bedeuten allerdings den Beginn einer Entdeckung der Geschichtlichkeit der römischen Rechtsquellen und damit des rechtshistorischen Umgangs mit dem Römischen Recht. In diesem Zusammenhang ist der bedeutendste Philologe dieser jüngeren Juristengeneration zu nennen, Gregor Haloander (1500-1531), welcher die erste humanistische, wenn auch nicht streng kritische Ausgabe der Digesten auf der Grundlage der Florentiner Handschrift vorlegte. Dazu gehört ebenfalls die Herausgabe des Corpus Iuris durch Dionysus Gothofredus d. Ä. (1549-1622) sowie die ersten kritischen Konjekturen zu den Justinianischen Interpolationen, „dessen Vermutungen noch die moderne Kritik Recht gibt“7. Es handelt sich hier um eine Tradition, welche in den philologischen Bemühungen der so genannten niederländischen „eleganten Jurisprudenz“ des 17. und 18. Jahrhunderts ihre Fortsetzung fand8.
B. Die Romanistik als Rechtsdogmatik Die deutsche Historische Rechtsschule bedeutet Anfang des 19. Jahrhunderts eine radikale Erneuerung im Umgang mit den Quellen des älteren Römischen Gemeinen Rechts, indem sie diesen auf ihre Weise als „historische Methode“ begriff. Die Vertreter der Historischen Rechtsschule zielten allerdings auf eine neue Rechtsdogmatik, nicht auf eine Geschichtsforschung um ihrer selbst willen. Damit bleibt der Beitrag dieser Generation von Romanisten für das historische Verständnis der römischen Rechtsquellen ambivalent9. Das Ringen um eine neue, um die Person und ihre Willensautonomie zentrierte allgemeine Rechtstheorie stellte nämlich ein Hindernis für einen historisierenden Umgang mit den Fragmenten des Corpus Iuris dar10. Im „System des heutigen Römischen Rechts“ (vol. I-VIII, Berlin 1840-1849) von Friedrich Carl von Savigny (1779-1861)11 sowie in den Lehren der deutschen Pandektistik haben die Hinweise auf die Stellen der Digesten eine rein untergeordnete, nur legitimatorische Funktion. Im Vordergrund steht das Bemühen um systematische Geschlossenheit und dogmatisch-begriffliche Konsistenz. Die Frag___________ 7
Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (Fn. 3), S. 167. Vgl. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte (Fn. 1), S. 41-42. 9 Vgl. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte (Fn. 1), S. 42-43. 10 Vgl. Zimmermann, Heutiges Recht, Römisches Recht und heutiges Römisches Recht. Die Geschichte einer Emanzipation durch „Auseinanderdenken“, in: Zimmermann/Knütel/Meincke (Hrsg.), Recht und Privatrechtsdogmatik, Heidelberg 2000, S. 139, insbes. S. 9-11. 11 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (Fn. 3), S. 396-398. 8
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
mente aus den römischen Quellen werden hier bewusst nach Stellenwert und Leistung im System selektiert. Die Polyvalenz der „geschichtlichen Rechtswissenschaft“ von Friedrich Carl von Savigny wird aber zugleich deutlich, wenn man neben das „System“ seine „Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter“ stellt (Bd. I-VII1, Heidelberg 1815-31; 1834-512; Neudruck Darmstadt 1956): die erste, heute noch z. T. unübertroffene Darstellung der westeuropäischen Wirkungsgeschichte des Römischen Rechts bis zu der Zeit der Glossatoren12. Mit der deutschen Historischen Rechtsschule beginnt zugleich aber auch ein Entdeckungszeitalter für die Geschichte des Römischen Rechts. Hier ist etwa die „Römische Geschichte“ (I, Berlin 1811; II, Berlin 1812; III, Berlin 1832) von Barthold Georg Niebuhr13 (1776-1831) zu nennen, welche mit ihrer philologischen Quellenkritik einen neuen Standard setzte. Die Entdeckung der Veroneser Palimpsestenhandschrift (um 600 n. Chr.) mit den Institutionen des Gaius durch denselben Niebuhr (1816) eröffnete erstmalig einen sicheren Einblick in eine römische Juristenschrift aus der klassischen Zeit14. Damit begann eine Revolution bei der historischen Erschließung und dem Verständnis der Digesten. Dazu gehört ferner die wenig später (1820) formulierte Theorie von Friedrich Bluhme (1797-1874) über die „Massen“ der justinianischen Kompilation der Digesten. Dasselbe gilt für die Entdeckung vorjustinianischer Juristenfragmente in der vatikanischen Bibliothek durch Angelo Mai (1821). Zu diesem historischen und philologischen Ertrag der deutschen Historischen Rechtsschule gehört auch die bis heute gültige kritische Ausgabe der Digesten, welche von Theodor Mommsen (1817-1903) initiiert und organisiert wurde. Dazu gesellt sich schließlich die Rekonstruktion der in den Digesten exzerpierten juristischen Werke aus der klassischen und postklassischen Zeit in der „Palingenesia iuris civilis“ (I-II, Leipzig 1889; Nachdruck Graz 1960) von Otto Lenel (1849-1935).
C. Die Historisierung der Romanistik Das deutsche BGB von 1900, welches die wesentlichen Ergebnisse und Lehren der Pandektistik für das deutsche Zivilrecht kodifizierte, bedeutete zugleich die Beendigung der letzten Phase der gemeinrechtlichen Tradition in Europa und leitete zugleich den Beginn eines neuen historischen und philologi___________ 12
Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (Fn. 3), S. 387-390. Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (Fn. 3), S. 416 f.; ders., Römische Rechtsgeschichte, S. 43. 14 Vgl. Vano, „Il nostro autentico Gaio“. Strategie della scuola storica alle origini della romanistica moderna, 2000. 13
Romanistik und Rechtsgeschichte
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schen Zugangs zu der römischen Rechtsüberlieferung ein. Die Emanzipation der damaligen deutschen Romanistik von den dogmatischen und konstruktiven Ansätzen bei der praktischen Anwendung des Gemeinen Rechts führte in jenen Jahren zu ihrer zunehmenden, am Ende totalen Eröffnung für die Erwartungen und die Anforderungen der klassischen Philologie und der antiken Geschichte. Es wurde dabei an die editorischen Leistungen der deutschen Historischen Rechtsschule angeknüpft und eine weitgehende Historisierung der Romanistik eingeleitet15. Eine Entwicklung, welche auch die damaligen italienischen Romanisten, etwa Contardo Ferrini (1859-1902), Silvio Perozzi (1857-1931), Pietro Bonfante (1864-1932) wesentlich beeinflusste und für Selbstverständnis und Ausrichtung des Faches bis heute maßgebend bleiben sollte. Bereits in die 80er Jahre des 19. Jahrhunderts fallen die ersten grundlegenden philologischen Leistungen, welche die Romanistik zur eigentlichen historischen Wissenschaft gemacht haben und zum Ausgang neuer Methoden und Forschungsbereiche werden sollten16. Hier seien genannt „Das Edictum perpetuum“ (1. Aufl., Leipzig 1884; 3. Aufl., Leipzig 1927) von Otto Lenel, ferner das grundlegende Werk von Otto Gradenwitz (1860-1935) „Interpolationen in den Digesten“ (Leipzig 1887) sowie „Reichsrecht und Volksrecht in den östlichen Provinzen des Römischen Weltreichs“ (Leipzig 1891) von Ludwig Mitteis (1859-1921), der als Begründer der modernen Erforschung der nichtrömischen antiken Rechtsgeschichte gelten kann17. Das Ergebnis dieses philologischen und rein historischen Umgangs mit den römischen Rechtsquellen bedeutete zugleich die Ausweitung der bisherigen Forschungsgebiete der Romanistik in zwei Richtungen: Zum einen führt die von der klassischen Philologie übernommene, im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr verfeinerte Editionstechnik zu einer historischen philologischen Kritik der Justinianischen Kompilation. Es ist die Geburtsstunde der so genannten Interpolationsforschung, welche wenigstens drei Generationen von Romanisten beeinflusste und beherrschte und in einer Textstufenforschung zur Freilegung von immer neuen Tiefenschichten in der Textüberlieferung der Digesten führen sollte. Zum anderen gehören hierhin die systematische Herausgabe und Auswertung einer unermeßlichen Masse an Papyrifunden (Josef Partsch, 1882-1925), welche die Archäologie des Nahen Ostens zugänglich gemacht hatte. Durch diese Entdeckungen und philologischen Leistungen ist die Romanistik als Rechtsgeschichte der römischen Rechtsquellen in der Forschung seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein Teil der Altertumswissenschaft ___________ 15
Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (Fn. 3), S. 420. Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (Fn. 3), S. 420 f.; Zimmermann, Heutiges Recht (Fn. 10), S. 17-26. 17 Vgl. Zimmermann, In der Schule von Ludwig Mitteis. Ernst Rabels rechtshistorische Ursprünge, in: RabelsZ 2001, S. 1-38, insbes. S. 5-31 mit umfassenden Nachweisen. 16
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
und der klassischen Philologie geworden18: Emil Seckel (1864-1925), Leopold Wenger (1874-1953), Fritz Schulz (1879-1957), Ernst Levy (1881-1968). Diese Standortveränderung der Disziplin erfasste damals nicht nur die deutschsprachige Romanistik, sondern auch die italienische19: etwa Salvatore Riccobono (1864-1958), Pietro De Francisci (1883-1971), Emilio Albertario (18861948), Vincenzo Arangio Ruiz (1881-1964). Die sog. „Interpolationsforschung“ und der damit verbundene Versuch der Reinigung der Digesten von den justinianischen Überarbeitungen und Veränderungen beherrschte in ganz Europa die romanistischen Studien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und als „Forschungsmode“ ist sie endgültig erst in den 1970er Jahren aufgegeben worden. Im Rückblick bleibt dabei festzuhalten20, dass der Ertrag dieser Studien nicht überbewertet werden sollte: Neben einigen wichtigen philologischen Ergebnissen war ein Großteil der damaligen Diskussionen und Auseinandersetzungen einseitig und offenbar durch Verwendung von rein syntaktischen und wortkritischen Kriterien methodisch nicht ganz abgesichert. Die damaligen Versuche der Einebnung und Bereinigung der Brüche und Widersprüche in der justinianischen Textüberlieferung führten zugleich zu fragwürdigen Kategoriebildungen sowohl bei der Rekonstruktion einzelner Rechtsinstitute als auch bei der Periodisierung, wie etwa die heute inzwischen z. T. aufgegebene Einteilung der Digestenfragmente in „klassische“ und „postklassische“ Texte. An die Stelle dieser Bemühungen um die Freilegung vermeintlich unterschiedlicher Textstufen in der justinianischen Textüberlieferung sind in der Nachkriegszeit zunehmend Fragestellungen und Methoden aus der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Antike21 getreten (Antonio De Martino) sowie eine Wiederbelebung systematischer und dogmatischer Interessen (Max Kaser (1906-1997); Giovanni Pugliese (1914-1995)). Hinzu kommt eine zunehmende Hinwendung zu Studien über die Persönlichkeit und das Werk einzelner römischer Juristen, etwa die grundlegende Untersuchung von Wolfgang Kunkel (1902-1981), „Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen“ (1952; 2. Auflage 1967). Seit den letzten Jahrzehnten zeigt sich eine wachsende Verlagerung der Forschungsthemen auf die Zeit der vorjustinianischen und nachjustinianischen Gesetzgebung sowie auf die Quellenüberlieferung des oströmischen Rechts von Byzanz (Dieter Simon). Der Niedergang der allgemeinen humanistischen ___________ 18
Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (Fn. 3), S. 420 f. Vgl. Talamanca, Un secolo di „Bullettino“, in: BIDR 30 (1991), S. 9-147; Zimmermann, Savignys Vermächtnis. Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung und die Begründung einer europäischen Rechtswissenschaft, in: Norm und Tradition, S. 281-320, insbes. S. 290-310; auch in: Tübinger Universitätsreden. NF, Bd. 23/1998. 20 Vgl. Kaser, Ein Jahrhundert Interpolationenforschung an den römischen Rechtsquellen, Wien 1979; auch in: ders., Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode, Wien 1986, S. 112-154; Bürge, Römisches Privatrecht (Fn. 2), S. 212 f.; Wieacker, Römische Rechtsgeschichte (Fn. 1), S. 154-182. 21 Vgl. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte (Fn. 1), S. 55-58. 19
Romanistik und Rechtsgeschichte
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Bildung erklärt das vermehrte Aufkommen von modernen Übersetzungen der Digesten (spanisch, englisch, niederländisch) in den letzten Jahrzehnten. Neuerdings werden die Institutionen und die Digesten in einem großen kollektiven Unternehmen ins Deutsche übersetzt22 (Okko Behrends, Rolf Knütel, Berthold Kupisch, Hans Hermann Seiler; bisher Bd. I-III, 1990-1999). Die für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts typische, fast ausschließlich philologische und historische Selbstdefinition der Romanistik und das Verbleiben vieler ihrer Vertreter als Hochschullehrer in den juristischen Fakultäten hat zu einer Aporie im wissenschaftlichen Selbstverständnis des Faches und zu Auseinandersetzungen um dasselbe geführt.
D. Heutiger Forschungs- und Lehrbetrieb Stellung und Aufgabe der Romanistik und der Rechtsgeschichte im gegenwärtigen universitären Forschungs- und Lehrbetrieb stehen heute im Vordergrund des Interesses, aber auch der Auseinandersetzungen vieler Vertreter des Faches. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurde von etlichen deutschen Romanisten (Erich Genzmer (1893-1970), Paul Koschaker (18791951), Ernst Rabel (1874-1955), Helmut Coing (1913-2000), neuerdings Reinhard Zimmermann) die übernationale und im Wesentlichen einheitliche Tradition des europäischen Ius Commune eindringlich in Erinnerung gerufen23, nämlich als Voraussetzung einer künftigen europäischen Zivilrechtswissenschaft. Gegen eine solche vermeintlich rechtspolitische Inanspruchnahme der europäischen Geschichte des Römischen Gemeinen Rechts melden neuerdings andere Fachvertreter (etwa Dieter Nörr, Dieter Simon, Mario Bretone24) erhebliche Bedenken an. Rechtshistorische Erkenntnisse seien historische und nicht normative Aussagen. Ihnen könne deshalb keine Funktion in der Arbeit des Juristen am geltenden Recht zukommen. Die Romanistik sei unwiderruflich eine rein historische Wissenschaft geworden. Die gemeinrechtliche Tradition vor dem Kodifikationsalter sei deshalb kritisch in einer den historischen Abstand wahrenden sozial- und kulturhistorischen Perspektive zu hinterfragen. Eine intensivere Erforschung des wirklich praktizierten Rechts in spezifischen geographischen Landschaften würde das Bild eines angeblich einheitlichen europäischen Ius Commune möglicherweise erheblich verändern (Pio Caroni). ___________ 22 Vgl. Behrends, La nuova traduzione tedesca dei „Digesta“ e la critica interpolazionistica, in: Index 25 (1997), S. 13 ff.; Knütel, Tradurre il „Corpus iuris“. I problemi della traduzione giuridica, in: Index 25 (1997), S. 1 ff. 23 Vgl. Koschaker, Europa und das Römische Recht, 1948; 3. Auflage, München 1966; Zimmermann, Savignys Vermächtnis (Fn. 19); ders., Heutiges Recht (Fn. 10). 24 Vgl. Bretone, La storia del diritto romano e la romanistica come storia, in: Index 23 (1995), S. 347 ff.; ders., La „coscienza ironica“ della romanistica, in: Norm und Tradition, S. 35-55; auch in: Labeo 43 (1997), S. 187-201.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
Für eine Einordnung der Romanistik als historische Wissenschaft im Rahmen der Geschichte der Antike und der klassischen Philologie ist etwa kürzlich ganz entschieden Mario Bretone eingetreten. Für ihn ist das Studium des Römischen Rechts „una disciplina storico-antichistica“ („eine historisch-antiquarische Disziplin“)25. Die Wiederbelebungsversuche der gemeinrechtlichen und pandektistischen Lehrtradition haben mit dem Römischen Recht, historisch verstanden, nichts zu tun: „Il fine che il neopandettismo persegue non è, se si guarda bene, la comprensione storica, ma la custodia o la ripresa di una tradizione, il riconoscimento della sua continuità millenaria, reale o fittizia che sia. Quel che conta è il ‚nucleo dogmatico-scolastico‘ della romanistica“ („Zweck der Neopandektistik ist, bei näherem Hinsehen, nicht das historische Verständnis, sondern die Aufbewahrung oder Wiederaufnahme einer Tradition, um die Bestätigung deren tausendjähriger Kontinuität es geht, unabhängig davon, ob es sich hierbei um Realität oder Fiktion handelt. Entscheidend ist also der ‚dogmatische, lehrmäßige Kern‘ der Romanistik.“)26. Ganz kritisch, geradezu polemisch, hat neuerdings auch Regina Ogorek27 Stellung zu den Versuchen genommen, an die gemeinrechtliche Tradition des europäischen Ius Commune anzuknüpfen, um eine künftige moderne europäische Zivilrechtswissenschaft zu entwickeln: Solche Anknüpfungspunkte seien völlig unhistorisch. Das Römische Recht sei kein autonomes und kohärentes System ableitbarer Regeln, welche die Jahrhunderte überlebt hätten; der Prozess der Historisierung der Rechtsgeschichte und der Romanistik könne deshalb ohne wesentliche Verluste im wissenschaftlichen Standard nicht mehr rückgängig gemacht werden. Im deutlichen Gegensatz zu den bisher zitierten Standpunkten stehen diejenigen Romanisten, welche der Überzeugung sind, dass für die gegenwärtigen Probleme des Zivilrechts und der Rechtsvergleichung eine Rückbesinnung auf die gemeinsame europäische Tradition des Ius Commune von zentraler Bedeutung ist. An erster Stelle ist hier Reinhard Zimmermann zu nennen28. Ausgehend von den programmatischen Schriften von Friedrich Carl von Savigny skizziert er das Programm einer erneuerten „Historischen Rechtsschule“. Ihr obliege die Aufgabe einer Europäisierung der Zivilrechtswissenschaft. Nur durch die historische Rückbesinnung auf die gemeinsame europäische Tradition des Römischen Gemeinen Rechts sei ein angemessenes Verständnis für das geltende Recht erreichbar. Das Studium des Römischen Gemeinen Rechts führe damit im Rahmen einer europäischen Perspektive nahtlos in die Rechtsvergleichung29. ___________ 25 Vgl. Caroni/Dilcher (Hrsg.), Norm und Tradition. Welche Geschichtlichkeit für die Rechtsgeschichte?, Köln/Weimar/Wien 1998, S. 48. 26 Caroni/Dilcher, Norm und Tradition (Fn. 25), S. 49. 27 Vgl. Caroni/Dilcher, Norm und Tradition (Fn. 25), S. 183-191. 28 Vgl. Caroni/Dilcher, Norm und Tradition (Fn. 25), S. 281-321. 29 Vgl. Zimmermann, In der Schule von Ludwig Mitteis (Fn. 17), S. 36-38.
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Eine Stellungnahme zur gegenwärtigen Polemik in der heutigen Romanistik fällt schwer. Man gewinnt gelegentlich den Eindruck, dass manche Beiträge in einer vielleicht übersteigerten Polemik aneinander vorbeireden. Es scheint, dass eine differenziertere Sicht der aufgeworfenen Fragen die Fronten bereinigen und manche Vorwürfe eher klären würde. Das Verhältnis zwischen Romanistik und geltendem Recht im Rechtsunterricht und im Forschungsbetrieb lässt sich nicht allgemein und abstrakt erörtern, ohne auch die national verschiedenen, jeweils historisch bedingten Voraussetzungen in Hochschulunterricht und Hochschulwissenschaft zu berücksichtigen. Die historisch gewachsene Verbindung zwischen Unterricht im geltenden Recht und in den rechtshistorischen Fächern, typisch für die deutsche Universität seit dem 19. Jahrhundert, sowie – allerdings weniger – für die österreichischen und schweizerischen Rechtsfakultäten, hat das Problem für die deutschen Rechtshistoriker besonders verschärft. Es ist kein Zufall, daß ein Großteil der Diskussion gerade zu der vermeintlich „applikativen“ Funktion der Rechtsgeschichte für die heutige Rechtsdogmatik vor allem eine deutschsprachige Diskussion war und bis heute geblieben ist. In der italienischen Universität, aber nicht nur hier, sondern in nahezu sämtlichen romanischen Ländern, ist eine Verbindung zwischen rechtshistorischen Fächern und Fächern des geltenden Rechts nahezu unbekannt, war vielleicht nur bei einigen italienischen Romanisten in den 1920er oder 1930er Jahren noch z. T. vorhanden (Vittorio Scialoja (1856-1933), Emilio Betti (1890-1968)). Dies prägt den heutigen Stand der Diskussion bei den italienischen Rechtshistorikern und bedingt zudem wesentliche Konsequenzen für die Realität des rechtshistorischen und romanistischen Unterrichts- und Forschungsbetriebs in Italien. Die Historisierung der italienischen Rechtsgeschichte und vor allem der italienischen Romanistik ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass eine realistische Durchsicht von Themen in Unterricht und Forschung gelegentlich den Eindruck erweckt, dass die italienischen Rechtshistoriker und Romanisten inzwischen, wenigstens ideell, von den juristischen Fakultäten in die historischen umgesiedelt sind. Ähnlich ist die Situation an den spanischen Universitäten. In Frankreich ist der Unterricht im Römischen Recht in den juristischen Fakultäten heute praktisch verschwunden. Eine solche uneingeschränkte Orientierung und Einordnung der Rechtsgeschichte, insbesondere der Romanistik, in die allgemeine Geschichte30 ist zwar aus der Perspektive der Forschung legitim, bleibt aber fraglich, solange Rechtshistoriker Unterricht in einer juristischen Fakultät anbieten wollen. Ohne Studenten und Kollegen Funktion und Bedeutung von rechtshistorischer Reflexion für das Rechtssystem angemessen zu verdeutlichen und glaubhaft zu machen, ist die weitere Existenz eines rechtshistorischen Unterrichts im Rahmen der modernen Juristenausbildung mehr als fraglich. Eine noch weitere Technokratisierung der Juristenausbildung, ein ver___________ 30
Vgl. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte (Fn. 1), S. 53-58.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
hängnisvoller Verlust an historischer Reflexionsbereitschaft bei dem juristischen Nachwuchs und nicht zuletzt die endgültige Verlagerung der rechtshistorischen Disziplinen in die Philosophischen Fakultäten wären die Folge. Eine Folge übrigens, die manche radikalen Befürworter der Historisierung der Romanistik ausdrücklich erwarten und wünschen. Auch die Formulierung des Problems als Frage des Verhältnisses zwischen Romanistik und moderner Rechtsdogmatik bzw. als Frage der „applikativen“ oder historisierenden, „kontemplativen“ Funktion der Rechtsgeschichte (Franz Wieacker (1909-1994)) trägt wahrscheinlich in dieser Allgemeinheit nicht zu einer angemessenen Differenzierung bei. Zu diskutieren wäre, ob es sinnvoll ist, ohne Differenzierungen von einem Einheitsproblem „Privatrecht“ zu sprechen. Das Problem des Verhältnisses zwischen Romanistik, Rechtsgeschichte und heutiger Zivilrechtsdogmatik stellt sich nämlich je nach Rechtsgebiet und Thema unter völlig verschiedenen Voraussetzungen. Die Frage reduziert sich letztlich auf bestimmte klassische Gebiete des Zivilrechts, hier insbesondere auf das Schuldrecht und auf das allgemeine Vertragsrecht. Wenn die Frage so präzisiert wird, lässt sich allerdings nicht leugnen, dass die kontinentale Privatrechtskultur der Systeme von „Civil Law“ noch in einem durch die römischen Rechtstexte geprägten historischen Gesamtzusammenhang gesehen und verstanden werden kann und muss. Die naturrechtlichen Kodifikationen des Zivilrechts am Ende des 18. Jahrhunderts brechen zwar mit der gemeinrechtlichen Rechtsquellenlehre ab, sie bedeuten jedoch nicht zugleich eine radikale Veränderung in der kontinentalen Rechts- und Argumentationskultur. Es sei hier daran erinnert, dass die gemeinsame europäische Geschichte des kontinentalen Ius Commune primär nicht in der Anwendung identischer römischer Rechtsregeln bestand; d. h., das europäische Ius Commune stellte keine uniforme Rechtspraxis dar, sondern bestand vor allem in einer gemeinsamen wissenschaftlichen, besonders universitären Tradition. Die Einmaligkeit der europäischen gemeinrechtlichen Tradition lag gerade darin, dass es der universitäre wissenschaftliche Zugang zu den römischen Rechtstexten war, der einen Traditions- und Diskussionszusammenhang schuf, worauf sich die lokale Vielfalt von Rechtspraxis und Rechtsprofession entwickeln und stützen konnte31. Missverständlich ist bei manchen heutigen Romanisten32 , aber nicht zuletzt auch bei vielen Kritikern derselben33, die Vorstellung, dass die wissenschaftliche Wiederanknüpfung an die historische kontinentale Tradition des Römischen Gemeinen Rechts in der Ermittlung und dem Aufspüren identischer oder ähnlicher Lösungen ___________ 31 Vgl. Ranieri, Der europäische Jurist, in: Ius Commune 17 (1990), S. 9-25 [und auch in diesem Band S. 227]. 32 So beispielsweise Knütel, Tradurre il „Corpus iuris“ (Fn. 22), S. 1 ff. 33 Etwa Caroni, Der Schiffbruch der Geschichtlichkeit: Anmerkungen zum NeoPandektismus, in: ZNR 14 (1994), S. 85 ff.
Romanistik und Rechtsgeschichte
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oder Rechtsfiguren bestehen soll. Im Vordergrund stehen hier vielmehr die Denkweise, die unbewussten Argumentationsstrukturen, welche den kontinentalen Juristen auszeichnen und charakterisieren. Solche Denkstrukturen wurden häufig unbewusst über Unterricht und Praxis vermittelt34 und dauern bis heute über Generationen hinweg als wesentliches Charaktermerkmal der kontinentalen Zivilrechtsordnungen fort. Insoweit ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik wahrscheinlich umzuformulieren. Es handelt sich hier also letztendlich um eine Frage der Rechtsquellenlehre, inwieweit nämlich im heutigen kontinentalen Recht, unter den Bedingungen des modernen Verfassungsund Justizstaates, dem Juristen, vor allem dem Zivilisten, noch eine schöpferische Wertungs- und Entwicklungsaufgabe bei der Rechtsfindung zukommt. Dies ist sicher für manche klassischen Gebiete des Zivilrechts, insbesondere des Vertrags- und Schuldrechts, heute noch der Fall. Die historischen Kodifikationen stellen hier keinesfalls einen endgültigen Bruch in der kontinentalen Rechtskultur dar. Eine realistische Betrachtung etwa der Rolle der Rechtsprechung bei der Fortbildung und Entwicklung des französischen Zivilrechts des 19. und 20. Jahrhunderts würde geradezu das Gegenteil belegen. Die gesetzlichen Normen mancher historisch gewordenen Gesetzbücher stellen heute ein juristisches Argument besonderer Dignität dar, aber auch nicht mehr. Insoweit wird zu Recht darauf verwiesen35, dass eine historische Besinnung auf die europäische gemeinsame gemeinrechtliche Tradition, welche – hier sei es nochmals nachdrücklich betont – vor allem eine wissenschaftliche und universitäre war, einen Weg eröffnen kann, die Verständigung zwischen den kontinentalen Juristen zu erleichtern. Selbstverständlich ist es zugleich vollkommen legitim, das Rechtsleben der Antike, des Mittelalters und der europäischen Neuzeit auch als Thema für die Sozial- und Kulturgeschichte zu sehen und zu erforschen. Entscheidend ist hier nämlich immer wieder das jeweilige Erkenntnisinteresse des Forschers und des Lehrers. Aus der Sicht des Zivilisten und des Rechtsvergleichers bleibt es demnach allerdings genauso legitim, ein juristisches und zugleich historisches und rechtstheoretisches Erkenntnisinteresse zu verfolgen und daran zu erinnern, wie gegenwärtig, wenn auch häufig unbewusst, längst verschüttet geglaubte gemeinrechtliche Denkstrukturen und Denkformen im Denken des kontinentalen Juristen heute noch sind36. Es geht nicht, wie manche Autoren polemisch glauben lassen wollen37, um eine histori___________ 34 Ranieri, Das Reichskammergericht und der gemeinrechtliche Ursprung der deutschen zivilrechtlichen Argumentationstechnik, in: ZEuP 1997, S. 718-734 [in diesem Band S. 397]. 35 Ranieri, Der europäische Jurist (Fn. 31). 36 Vgl. Ranieri (Fn. 34). 37 Vgl. Caroni, Der Schiffbruch der Geschichtlichkeit (Fn. 33), S. 85 ff.; Caroni/Dilcher, Norm und Tradition (Fn. 25), S. 183-191.
1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
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sche Aktualisierung der römischen Rechtsquellen, der Lehren der Pandektistik oder gar des Usus modernus. Historische Studien zu juristischen Methoden, Arbeitsweise und Rechtsdenken des kontinentalen Juristen38, auch und vor allem unter Einbeziehung der Tradition des Römischen Gemeinen Rechts jenseits der Kodifikationsgrenze, würden uns den Weg zum besseren Verständnis des Civil Law eröffnen und zugleich zeigen, wie Rechtsgeschichte auch heute moderne Juristen ansprechen und die Einsicht in die Funktion historischer Erkenntnisse für das Verständnis des heutigen Zivilrechts vermitteln kann.
E. Bibliographie Arangio Ruiz, Gli studi di storia del diritto romano, in: Cinquant’anni di vita intellettuale italiana 1896-1946, 2. Aufl., Napoli 1967, S. 373 ff. Behrends, Das Werk Otto Lenels und die Kontinuität der romanistischen Fragestellungen. Zugleich ein Beitrag zur grundsätzlichen Überwindung der interpolationistischen Methode, in: Index 19 (1991), S. 169 ff. – Die Grundbegriffe der Romanistik. Zugleich eine Warnung vor dem „l’art pour l’art“, ebd. 24 (1996), S. 1 ff. – La nuova traduzione tedesca dei „Digesta“ e la critica interpolazionistica, ebd. 25 (1997), S. 13 ff. Bretone, La storia del diritto romano e la romanistica come storia, in: Index 23 (1995), S. 347 ff. – La „coscienza ironica“ della romanistica, in: Norm und Tradition, S. 35-55; auch in: Labeo 43 (1997), S. 187-201. Breunung, Romanistik in der Weimarer Republik. Das „Selbstbild“ einer Disziplin, in: Sav. Z. Rom. Abt. 116 (1999), S. 279-312. Bürge, Römisches Privatrecht. Rechtsdenken und gesellschaftliche Verankerung. Eine Einführung, Darmstadt 1999, S. 204-214. Caroni, Der Schiffbruch der Geschichtlichkeit: Anmerkungen zum Neo-Pandektismus, in: ZNR 14 (1994), S. 85 ff. – La romanistica svizzera ottocentesca fra „irregolarità“ e conferme, in: Index 23 (1995), S. 83 ff. Caroni/Dilcher (Hrsg.), Norm und Tradition. Welche Geschichtlichkeit für die Rechtsgeschichte?, Köln/Weimar/Wien 1998.
___________ 38
Vgl. Ranieri (Fn. 34).
Romanistik und Rechtsgeschichte
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Fernandez-Barreiro, Los estudios de derecho romano en Francia despues del codigo de Napoleon, Madrid 1970. Giaro, L’art de comparer les cas, in: SDHI 60 (1994), S. 507 ff. – Geltung und Fortgeltung des römischen Juristenrechts, in: Sav. Z. Rom. Abt. 111 (1994), S. 66 ff. – Zivilistik als Geschichte und Theorie, in: Rechtshistorisches Journal 14 (1995), S. 345 ff. – Römisches Recht, Romanistik und Rechtsraum Europa, in: Ius Commune 22 (1995), S. 1 ff. – Über methodologische Werkmittel der Romanistik, in: Sav. Z. Rom. Abt., 115 (1998), S. 180 ff. – Dogmatische Wahrheit und Zeitlosigkeit in der römischen Jurisprudenz, in: Bullettino, Terza Serie 29, S. 1 ff. Grosso, Premesse generali al corso di diritto romano, Torino 1960, S. 1-61. – Sguardo retrospettivo all’opera di Emilio Albertario, in: Scritti in onore di Antonio Giuffrè, Milano 1967, S. 567 ff. Höbenreich, A propos „Antike Rechtsgeschichte“: Einige Bemerkungen zur Polemik zwischen Ludwig Mitteis und Leopold Wenger, in: Sav. Z. Rom. Abt. 109 (1992), S. 547 ff. Kaser, Zur Methodik der römischen Rechtsquellenforschung, Wien 1972. – Ein Jahrhundert Interpolationenforschung an den römischen Rechtsquellen, Wien 1979; auch in: ders., Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode, Wien 1986, S. 112-154. Knütel, Tradurre il „Corpus iuris“. I problemi della traduzione giuridica, in: Index 25 (1997), S. 1 ff. Köbler, Zur Geschichte der römischen Rechtsgeschichte, in: Geschichtliche Rechtswissenschaft. Freundesgabe für A. Söllner, Gießen/Brühl 1990, S. 207 ff. Koschaker, Europa und das Römische Recht, 1948; 3. Auflage, München 1966. Orestano, Diritto romano tradizione romanistica e studio storico del diritto, in: Rivista italiana per le scienze giuridiche 1950, S. 162 ff. Ranieri, Der europäische Jurist. Rechtshistorisches Forschungsthema und rechtspolitische Aufgabe, in: Ius Commune 17 (1990), S. 1-25. – Das Reichskammergericht und der gemeinrechtliche Ursprung der deutschen zivilrechtlichen Argumentationstechnik, in: ZEuP 1997, S. 718-734. Simon, Ernst Levy (1881-1968), in: Diestelkamp/Stolleis (Hrsg.), Juristen an der Universität Frankfurt a. M., Baden-Baden 1989, S. 94 ff.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
– Die deutsche Wissenschaft vom römischen Recht nach 1933, in: Stolleis/Simon (Hrsg.), Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus, Tübingen 1989, S. 161 ff. Talamanca, La romanistica italiana fra Otto e Novecento, in: Index 23 (1995), S. 159 ff. – Un secolo di „Bullettino“, in: BIDR 30 (1991), S. 9-147. Vano, „Il nostro autentico Gaio“. Strategie della scuola storica alle origini della romanistica moderna, 2000. Wieacker, Textkritik und Sachforschung, in: Sav. Z. Rom. Abt. 91 (1974), S. 1-40. – Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Auflage, Göttingen 1996, S. 161-169, S. 416430. – Römische Rechtsgeschichte (Handbuch der Altertumswissenschaft, Abt. 10, Teil 3, Band 1), München, S. 3-182, insbes. S. 36-59 (grundlegend, mit umfassender Bibliographie). Zimmermann, Savignys Vermächtnis. Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung und die Begründung einer europäischen Rechtswissenschaft, in: Norm und Tradition, S. 281320; auch in: Tübinger Universitätsreden. NF, Bd. 23/1998. – Heutiges Recht, Römisches Recht und heutiges Römisches Recht. Die Geschichte einer Emanzipation durch „Auseinanderdenken“, in: Zimmermann/Knütel/Meincke (Hrsg.), Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, Heidelberg 2000, S. 1-39. – „In der Schule von Ludwig Mitteis“. Ernst Rabels rechtshistorische Ursprünge, in: RabelsZ 2001, S. 1-38 (insbes. S. 5-31 mit umfassenden Nachweisen). Zwalve, Teaching Roman Law in the Netherlands, in: ZEuP 1997, S. 393-404.
L’influence du Code civil sur les codifications du 19e siècle: Essor et déclin d’un modèle européen Avant-propos: Le Bicentenaire du Code civil, occasion de réflexion pour un comparatiste et historien du droit Le 11 mars 2004, l’élite politique et juridique française s’est retrouvée assise sur les bancs de la Sorbonne. Etaient invités à cette cérémonie tous les Présidents de Cours européennes ainsi qu’un grand nombre d’universitaires étrangers. La France célébrait le Bicentenaire de son Code civil. Ce rassemblement de prestigieux juristes visait à rappeler que le Code civil français a eu au début du 19e siècle un rayonnement européen unique. Bonaparte lors de son exil à Sainte Hélène se serait demandé: « Pourquoi mon Code Napoléon n’eût-il pas servi de base à un Code européen ? »1. Il s’agissait ici en définitive d’une remarque prophétique. On peut en effet constater que directement ou indirectement les parties essentielles du Code civil napoléonien, c’est-à-dire les articles sur le contrat et les obligations contenus dans le Livre III ont constitué au début du 19e siècle les bases d’un droit commun européen. Deux siècles plus tard, la situation est toute autre: le rayonnement du Code napoléonien et du droit civil français ont fortement diminué. En effet, à l’occasion d’une journée d’étude organisée il y a quelques années par l’Association Henri Capitant sur le thème de la « Circulation du modèle juridique français », un collègue français a dû se résigner à constater que « l’influence du modèle français diminue inexorablement au fil des décennies dans la plupart des pays concernés »2. Ce diagnostic a aussi été établi par Denis Tallon qui écrivit ainsi que « le Code civil français a eu un rayonnement extraordinaire. Il a inspiré tous les Codes qui ont été rédigés au 19e siècle, jusqu’à la publication du BGB. Depuis lors, le déclin est progressif et, quoiqu’en pensent certains, il est devenu alarmant. Il ne faut pas se laisser aveugler par les illusions d’une grandeur passée: le Code ne sert plus de ___________
Zuerst erschienen in: Witz (éd.), Saarbrücker Studien zum Internationalen Recht, Baden-Baden 2005, S. 55-69. Siehe auch: Ranieri, 200 Jahre Code civil. Die Rolle des französischen Rechts in der Geschichte des europäischen Zivilrechts oder zum Aufstieg und Niedergang eines europäischen Kodifikationsmodells, in: Schmoeckel/Schubert (Hrsg.), 200 Jahre Code civil. Die napoleonische Kodifikation in Deutschland und Europa (Rechtsgeschichtliche Schriften), Köln/Wien 2006, S. 85-125. 1 V. Las Cases, Mémorial de Ste Hélène, Paris 1823, III, p. 298; IV, p. 152 et p. 297. 2 V. Witz, Rapport introductif, La circulation du modèle juridique français (Journées franco-italiennes), Paris 1994, spéc. p. 305.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
modèle. […] Il faut bien constater que notre Code civil a fait son temps. Il faut avoir le courage de le reconnaître »3. Le droit civil français se trouve aujourd’hui isolé sur le Continent européen tant du point de vue de ses sources que de sa méthode. Il n’aurait pas, selon de nombreux collègues français, réussi à monter dans le train de l’européanisation du droit civil. Il est alors légitime de se demander quelles sont les raisons profondes de ce déclin. Depuis quelques années, on observe en Europe une discussion sur une harmonisation du droit des contrats et des obligations. La Commission Lando a ainsi, depuis maintenant près de 20 ans de travail, publié il y a quelques années une proposition de « Principes du droit européen des contrats ». Une étude historique de l’essor puis du déclin de l’ancien modèle européen de codification que fut le Code civil de 1804 devrait nous permettre de déterminer les enseignements qu’il faut aujourd’hui en tirer, notamment dans une perspective actuelle d’harmonisation européenne du droit des contrats.
A. Le Code civil et le droit en vigueur dans les Etats européens après 1814 La Restauration de 1814 n’a pas eu pour conséquence la disparition générale du droit existant jusque là. Louis XVIII lui-même a accepté, dans la Charte de 1814, le maintien de Codes napoléoniens après un toilettage superficiel. La soumission des pays italiens après la Restauration au Code civil français est l’illustration parfaite de cette implantation du droit français comme nouveau modèle juridique. En effet, jusqu’au milieu du 19e siècle, c'est-à-dire avant l’unification des divers Etats italiens, le système juridique italien était presque exclusivement calqué sur le modèle français. La seule exception concernait le Lombardo-Veneto où depuis 1814 régnait le Code civil autrichien, l’ABGB. L’influence du modèle français sur les territoires italiens préunifiés n’a pas seulement concerné le droit civil. Le Code de commerce français a aussi servi de modèle aux Codes de commerce dans les Etats italiens. L’influence française a été d’une telle importance que le plan adopté par les Codes civils dans les Etats italiens avant l’unité n’est en définitive qu’une traduction des titres du Code français. Il suffit ici de se référer par exemple au Leggi civili du Royaume de Sicile de 1819 ou au Codice civile Albertino du Royaume de Sardaigne de 1837. Même dans les territoires où l’ancien droit commun continuait à s’appliquer, le droit français a rencontré un accueil favorable, notamment dans le domaine du droit des hypothèques. Le rôle du Code civil français comme modèle de la codification du droit civil italien permet ainsi de se rendre compte du pouvoir de rayonnement de la doctrine française durant ces décennies. Les ___________ 3 V. Tallon, L’avenir du Code en présence des projets d’unification européenne du droit civil, dans: Le Code civil. Un passé, un présent, un avenir, Université PanthéonAssas, Paris 2004, spéc. p. 1001-1002.
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Cours, les commentateurs des nouveaux Codes, mais aussi les praticiens du droit se sont tous appuyés avant la création d’un Etat italien unitaire sur le droit français de cette époque. Mais l’exemple italien n’est pas le seul de cette période. Il est en effet possible d’observer des échos du Code napoléonien tant en Belgique qu’au Luxembourg. Après la Révolution de 1830, le Code français a continué à s’appliquer sur le territoire belge. Les Pays-Bas introduisirent pour leur part en 1838 le Burgerliijk Wetboek. Ce dernier reprend la présentation formelle du Code. Outre le plan, il en a aussi repris le contenu, notamment en ce qui concerne le droit des contrats et des obligations. Le Code civil français a aussi été appliqué après 1814 sur le territoire ouest-allemand de la Rhénanie, étant alors à l’origine d’un véritable « Rheinisches Recht »4. A l’identique, la codification du droit civil dans les cantons ouest de la Suisse a été influencée par le Code français. Même en Pologne, malgré les troubles causés par la Restauration et plus tard par la Révolution de 1848, le droit français a continué à s’appliquer. Le Livre III du Code civil relatif au droit des contrats et à la responsabilité délictuelle s’est appliqué dans le Grand Duché de Varsovie même à l’époque de l’occupation russe dans une version traduite en polonais jusqu'à la proclamation de la République en 1919. Ce n’est qu’avec l’introduction du Code polonais des obligations en 1933 que la présence du droit civil français a cessé sur le territoire polonais. Mais l’influence du droit civil français à cette époque n’a pas été seulement le fait du Code civil, elle a aussi été le fruit de la jurisprudence et de la doctrine française.
B. L’autorité de la Cour de cassation en dehors de la France L’influence de la jurisprudence et de la doctrine française dans la première moitié du siècle, sur laquelle malheureusement il y a très peu d’études, est d’une importance beaucoup plus grande que celle reconnue au Code civil luimême. Il est pour cette raison fondamental de rappeler ici que le Code civil français, mais surtout sa mise en œuvre par la Cour de cassation durant les premières décennies du 19e siècle, ont servi de base à un développement commun en Europe du droit appliqué5. ___________ 4
V. sur l’histoire du Code civil en Allemagne enfin Gross, 200 Jahre Code civil. Ein deutscher Dreiklang, dans: Festschrift für Kurt Bartenbach, Köln/Berlin/München 2005, p. 19. 5 Sur la réception et l’assimilation d’une jurisprudence étrangère reprenant en particulier l’influence européenne des décisions françaises, v. Ranieri, Rezeption und Assimilation ausländischer Rechtssprechung, dargestellt am Beispiel des europäischen Ein-
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Le repli caractéristique du 19e siècle des sources de droit vers le droit national n’a pas pour autant fait disparaître la possibilité pour les juges en Europe d’orienter leurs décisions en direction d’autorités supranationales. La pratique du droit français a alors supplanté l’importance qui était jusque là accordée au droit romain commun, prenant alors la place d’une autorité supranationale européenne. Cette évolution trouve ses racines dans l’époque napoléonienne. La codification française a ainsi offert à cette époque aux praticiens du droit une nouvelle base pour l’émergence d’un droit européen commun. Cette potentialité du droit français a été ressentie par les juristes du début du 19e siècle. Ainsi, Johann Anton Seidensticker peut écrire en 1807: « womöglich sind Maßregeln zur Unterhaltung einer Kommunikation zwischen dem deutschen und dem französischen Cassationshofe zu treffen, wenigstens durch öffentliche Bekanntmachung der hier und dort gesprochenen Urteile. Denn zur Erhaltung der Gleichförmigkeit wird es beitragen, wenn die Cassationshöfe ihre Jurisprudence gegenseitig zu benutzen und für jenen Zweck der Gleichförmigkeit zu berücksichtigen imstande sind »6. Cette observation n’est pas demeurée une simple déclaration d’intention. Il est possible de constater que s’est développée à cette époque et sous l’influence de la Cour de cassation une véritable jurisprudence européenne commune. De très nombreuses revues et collections sont apparues dans les différents pays afin de traduire et propager les décisions de la Cour de cassation parisienne. En parallèle, les décisions des Cours d’appel françaises, italiennes, néerlandaises et allemandes ont été publiées. Il suffit pour s’en rendre compte de se référer au Giornale di giurisprudenza universale italien de Giandomenico Romagnosi, à la Revue fondée par Johann Birnbaum en Allemagne, à la Jurisprudence de l’Empire de Laporte ou au Journal de Kemper publié aux Pays-Bas. Il est cependant vrai que la rupture de 1814 a remis en cause les fondements politiques de l’autorité du droit français. Pour autant, son influence n’a pas cessé. Les solutions rendues par la Cour de cassation ont continué à exercer encore pendant quelques dizaines d’années leur autorité. Ce n’est que plus tard, lors de la seconde moitié du 19e siècle, que les Cours de quelques Etats ont commencé à s’émanciper et à prendre du recul par rapport à cette autorité. L’influence de la jurisprudence française sur le développement du droit appliqué en Europe se reflète dans les premières décennies du siècle dans un grand nombre de recueils et de commentaires français qui ont été traduits, publiés et utilisés dans plusieurs pays, en dehors de la France. Cela a été notam___________ flusses der französischen Judikatur im 19. Jahrhundert, publié dans: Ius Commune 6 (1977), p. 202-233 [dans ce livre p. 21]. 6 V. Seidensticker, Einleitung in den Codex Napoleon handelnd von dessen LiteraturGeschichte-Plan und Methode, Verbindung mit der übrigen französischen Legislation, Quellen-Verhältnis zu den älteren Gesetzen und Rechten, zu den supplementarischen Dispositionen und zur Doktrin-Verbreitung, Tübingen 1808, p. 490, n. 3.
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ment le cas en Italie, mais pas uniquement. Il est par conséquent même possible de parler d’une espèce de doctrine juridique européenne dans la première moitié du 19e siècle. Il n’est pas possible ici de répondre de manière unitaire à la question de savoir de quelle manière et de quelle méthode les juges des pays européens ont reconnu à la jurisprudence française durant le 19e siècle une véritable autorité. Une telle recherche imposerait de différencier entre les règles juridiques que le juge avait à appliquer. Il y a avant tout le cas que le juge devait appliquer le droit français. Ainsi, Johann Birnbaum écrit en 1831: « Es ist natürlich, dass das Ansehen des französischen Cassationshofes und seiner Entscheidungen auf gewisse Weise auch nach der Trennung Belgiens von Frankreich fortdauerte, in dem Maße, als das französische Recht selbst in Kraft blieb; so wie ja auch noch heutzutage in den amerikanischen Staaten die Entscheidungen der zwölf Richter von England von großem Ansehen sind, da die Grundlage des Rechts das englische Common Law ist »7. Un tel constat peut être mené à propos des Cours italiennes avant l’unification du pays. Le Supremo Consiglio di Giustizia de Modène a ainsi pu faire, en 1832, la déclaration suivante: « I detti articoli hanno ricevuto nella Giurisprudenza Francese interpretazione conforme a quella adottata dal Supremo Consiglio »8. Trois ans plus tard, le Tribunal de commerce de Livorno fait une remarque semblable: « era conforme all’autorità degli Scrittori i più reputati nella soggetta materia, ed alle Decisioni delle Corti estere e nazionali. ». De telles prises de position se retrouvent parmi les décisions du Sénat piémontais, de la Rota Romana, des Tribunaux du Grand Duché de Toscana et du Lombardo-Veneto. Il faut ici souligner que les juristes italiens du début du 19e siècle avaient encore en mémoire la théorie du droit commun développée par leurs prédécesseurs, celle des « duo conformes sententiae ». Dans les pays italiens où l’ancien ius commune continuait à s’appliquer, l’autorité ancienne du précédent judiciaire, de la « pratica del giudicare », est passée après 1814 d’une application du droit commun à celle de la jurisprudence française. Des illustrations de ce changement de cadre peuvent être trouvées parmi les décisions des juridictions piémontaises et toscanes de l’époque. Le même constat pourrait être effectué à propos des PaysBas9. Il convient désormais de se demander sur quel fondement s’appuie ici l’autorité des décisions françaises. Comme dans ces pays, les dispositions du Code civil ne s’appliquaient pas directement; le recours à la jurisprudence fran___________ 7
V. Birnbaum, dans: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes 3 (1831), p. 9. V. aussi la Bibliothèque du Jurisconsulte et du Publiciste, par Ackersdyck/Birnbaum, Professeurs en droit aux Universités de Liège et de Louvain, Liège, 1 (1826), Avant-propos, p. 7: « … La jurisprudence a aussi ses principes universels, les progrès qu’elle fait dans un État ne doivent pas être perdus pour un autre ». 8 V. le Supremo Consiglio di Giustizia, arrêt du 17.3.1832, dans: Collezione delle massime di diritto …, Modena 1834 ff., Vol. V, n. 931, p. 28 et s., spéc. p. 31et s. 9 V. sur ce point l’étude menée par Van Dievoet, Le droit civil en Belgique et en Hollande de 1800 à 1940. Les sources du droit, Bruxelles 1948, spéc. p. 404 et s.
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çaise pouvait offrir une interprétation originaire de la législation en vigueur. C’est de cette manière qu’a été reconnue aux arrêts de la Cour de cassation française une autorité générale. De la sorte, le droit français a acquis pour partie une fonction de référence supranationale qui jusque là avait été exercée par le droit romain commun. Il semblerait donc que les décisions de la Cour de cassation aient repris l’ancienne autorité des Grandi Tribunali du 17e siècle. Ainsi, le praticien romain Vincenzo Tranquilli se demande, en 1827, lors de son avant-propos à un recueil de décisions « Che bisogno c’era di premettere alle decisioni romane … la giurisprudenza francese? molto bisogno rispondo, … la giurisprudenza che ha interpretata la legislazione francese, può servire di norma all’interpretazione della legge romana nel modo stesso, con cui si fanno cuore e pregio i nostri Giureconsulti … di allegare la giurisprudenza straniera colle decisioni Napolitane, … Lusitane, Catalane, Belgiche, ed altre moltissime … »10. Le droit appliqué français est donc venu remplacer l’autorité de l’ancien droit romain de l’époque passée. Cette évolution a été mise en lumière par exemple par Cristoforo Mantelli en 1839 lors de sa préface à un recueil de décisions françaises et piémontaises: « Nè scema il valore di un giudicato … la circostanza di essere straniero … Allorquando il diritto Romano formava la legge comune della maggior parte d’Europa, le decisioni dei Magistrati stranieri, se non sempre valevano di autorità, generalmente servivano di guida o schiarimento … ciò che allora operavano i giudicati stranieri intorno a controversie di diritto comune, avviene di presente di quelli emanati sulle disposizioni di alcuni Codici, che può dirsi formare in ora la legge di molte parti d’Europa, e quelli in specie dei Magistrati Francesi fanno autorità nel foro »11. Une telle autorité européenne des décisions françaises a encore été reconnue dans certains pays qui continuaient à appliquer le droit commun romain et les anciennes dispositions de l’Ancien Régime. Le droit français s’est alors appliqué dans ces pays comme une source de droit subsidiaire. L’influence du droit français intervient ici indirectement non plus par le prisme de l’interprétation des dispositions législatives, mais comme source d’inspiration pour les législateurs nationaux. Une telle influence des arrêts français s’est clairement retrouvée lors de l’évolution du droit portugais durant la première moitié du 19e siècle avant la codification de 1867 et aussi en Roumanie avant le Code civil de 1864. La fin du 19e siècle marque le début du déclin du Code civil français comme modèle en Europe. Il devient maintenant nécessaire de rechercher les raisons de cette perte d’intérêt.
___________ 10 V. la Préface de Tranquilli, Dei privilegi e delle ipoteche. Raccolta della legislazione e giurisprudenza paucese e pontificia, vol. I, Roma 1827. 11 V. Mantelli, Giurisprudenza del Codice civile …, spéc. vol. I, Alessandria 18391847, Piano e motivi dell’opera.
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C. Le déclin du Code civil français en Europe du 19e siècle Deux raisons ont mené le Code civil français à son isolement actuel sur le Continent européen. Avant de retracer les étapes de l’isolation croissante du droit français dans les codifications du 20e siècle (III), il conviendra en premier lieu de mettre en avant le changement structurel du droit civil français luimême (I), puis de mettre en lumière la concurrence du nouveau modèle de la science juridique allemande (II).
I. Le changement structurel du droit civil français
Les lacunes originaires dans le texte du Code civil sont apparues au fur et à mesure. En France même, et cela dès la fin du 19e siècle, on observe une législation spéciale croissante, qui visait à compléter ou à modifier les dispositions du Code civil, ainsi en droit de la famille ou en droit des successions. Cette évolution a continué jusqu'à aujourd’hui, de telle sorte qu’en droit civil français coexistent actuellement, à côté du Code civil, une pléthore de lois spéciales. Les dispositions fondamentales du Premier et du Second Livre du Code napoléonien ont ainsi été aujourd’hui en grande partie remplacées. Mais une telle évolution n’est pas inconnue aussi à l’étranger. Il suffit pour cela de se rappeler la discussion qui a eu lieu durant les dernières années du 19e siècle au sein de nombreux pays quant à l’utilité et à la possibilité d’une réforme des vieux textes datant du 19e siècle. Une telle discussion a aussi eu lieu par exemple en Belgique où le Code civil napoléonien était resté inchangé depuis 1804. Le juriste belge François Laurent écrit dans sa présentation de l’« Avant-projet de révision du Code civil » en 1882: « Il arrive donc un moment où les codes doivent être révisés, mais on doit le faire dans la limite de la nécessité. La jurisprudence est comme la pierre de touche de ces changements. Quand elle est en conflit avec la loi, c’est un signe certain que la loi n’est pas en harmonie avec l’état social. La jurisprudence signale encore les lacunes qui se trouvent dans la législation »12. La rédaction originaire du Code napoléonien s’est donc caractérisée par ses nombreuses lacunes. L’élégance linguistique de formules célèbres n’a pas pu masquer le déficit du texte original. Ainsi, après les premières décennies du 19e siècle, la jurisprudence est venue compléter et corriger de manière significative les dispositions du Code. Il suffit pour cela de se souvenir de deux lois des 30 juillet 1828 et 1er janvier 1837 qui avaient résolu le problème du référé législatif et introduit l’autorité de la chose jugée aux décisions de la Cour de cassation. Sous le contrôle de la Cour de cassation, les juges français avaient commencé à rendre des solutions de détail lorsque le problème soulevé ___________ 12 V. Laurent, Avant-projet de Révision du Code civil, Tome I, Art. 1-27, Bruxelles 1882, spéc. p. IV.
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n’était pas réglé par le Code napoléonien ou qu’il était abordé dans une règle trop générale. Jean-Etienne Portalis avait prévu ce problème de manière prophétique dans son « Discours préliminaire » en relevant qu’« il faut donc laisser alors au juge la faculté de suppléer à la loi par les lumières naturelles de la droiture et du bon sens »13. De très nombreux articles du Code devenus aujourd’hui célèbres ont constitué à cette époque le point de départ d’évolutions prétoriennes. Il s’agit par exemple du cas de responsabilité délictuelle prévue par l’article 1382. Des dispositions, qui à l’origine avaient à peine une signification spécifique dans le contexte du texte napoléonien, ont été à partir du milieu du 19e siècle à l’origine du développement par la Cour de cassation d’un véritable droit prétorien. De nouvelles institutions ont à cette époque trouvé leur fondement. Par exemple, l’article 1121 relatif à la stipulation pour autrui a été le point de départ de la théorie du contrat au bénéfice d’un tiers, dont le contrat d’assurance sur la vie est un exemple. Il s’agit ici d’une évolution initiée par la jurisprudence. Il en est de même pour l’article 1384 du Code civil. A la fin du 19e siècle, et à la différence de ce qui, à cette époque, a pu se passer dans la jurisprudence belge ou rhénane, la Cour de cassation française s’est appuyée sur le premier alinéa de cette norme pour créer un véritable système de responsabilité pour risque. Ainsi cette seule norme a servi de fondement à une grande partie du droit français de la responsabilité pour risque. Elle a été par exemple pendant longtemps – jusqu’en 1985 – le seul fondement pour régler les accidents de la circulation. La clarté et la concision de la formulation du texte napoléonien classiquement saluées ont constitué à la fois la force et la faiblesse du Code. En effet, une difficulté surgit lorsque la transposition de ce droit est effectuée dans un système étranger. Comment se référer à un Code dont le sens a évolué de manière parallèle sous l’impulsion d’un autre pouvoir, le pouvoir judiciaire ? Il a été vu que les arrêts de la Cour de cassation ont été dans un très grand nombre de pays européens suivis et publiés. A partir de la moitié du 19e siècle, une telle réception de la jurisprudence française est devenue de plus en plus difficile. Or, c’est à cette époque justement que le droit français a adopté la forme d’un régime prétorien. L’apparition dans la doctrine française de la « note d’arrêt » à cette époque est un indice important de ce changement de structure. Cette évolution est terminée à la fin du siècle. Philippe Rémy a pu écrire à ce sujet que « le positivisme jurisprudentiel a succédé au positivisme légaliste ». C’est à cette même époque qu’ont été rédigées notamment les œuvres de François Gény, Raymond Saleilles, Marcel Planiol. Adhémar Esmein a ainsi appelé en 1902, lors de l’introduction de la nouvelle Revue trimestrielle de droit civil les professeurs de droit à développer « un système harmonique de la jurispru___________ 13 V. le Discours préliminaire sur le projet de Code civil, dans: Portalis, Ecrits et Discours juridiques et politiques, Paris 1988, p. 23.
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dence »14. Cette évolution a perduré jusqu’à nos jours. Les observateurs étrangers ne doivent pas se tromper quant à la valeur et au domaine des articles devenus célèbres à travers l’histoire contenus au Troisième Livre du Code napoléonien. Aujourd’hui, le droit civil français est devenu un véritable droit prétorien. La plupart des dispositions du droit des contrats et des obligations ne peuvent se comprendre que par référence à la jurisprudence. L’examen réaliste du droit civil français le fait apparaître aujourd’hui comme un pur système de « case law » au sein des systèmes juridiques continentaux.
II. La concurrence du nouveau modèle de la science juridique allemande
Un comparatiste italien, Rodolfo Sacco, a pu remarquer, à l’occasion d’une Journée de l’Association Henri Capitant il y a quelques années, que: « Le vrai rival du modèle français en Europe n’est ni un code ni un législateur. L’Allemagne du 19e siècle n’est pas soumise à un seul législateur. L’unité du droit n’existe que dans le domaine de la science. Cette science considère comme sa tâche primordiale que d’élaborer des concepts rigoureux »15. Selon Sacco, le problème central aurait été la pénétration au sein de la culture juridique privée du continent européen d’un nouvel style d’argumentation abstrait et conceptuel. Cet auteur précise ainsi que « cette méthode (méthode conceptuelle, ou dogmatique, ou systématique) fascine les esprits en Allemagne, et en dehors de l’Allemagne. Vers la moitié du 19e siècle elle conquiert l’Autriche […] elle conquiert également l’Italie et de l’Italie se rediffuse en Espagne. Là où la méthode dogmatique arrive, l’influence de la doctrine française s’estompe. Les catégories juridiques, le système, la logique du juriste se renouvellent »16. Ce constat nous mène alors à comprendre véritablement le contexte historique de notre problème. Le développement d’une science juridique abstraite et dogmatique par les Romanistes des Universités allemandes du 19e siècle a fait naître un style scientifique et une culture d’argumentation juridique en totale contradiction avec ceux employés par les civilistes français. Le fossé entre la France et l’Allemagne, et surtout entre les professeurs de droit allemands et leurs collègues étrangers qui, à propos du droit privé, se réfèrent encore au modèle du droit français, n’a pas commencé à se creuser lors de la codification ___________ 14
Rémy, Le processus de « dé-codification », dans le Code civil français dans le droit européen. Colloque sur la codification, Genève/Neuchâtel, 26-28.2.2004 (v. Neumann, Le Code Civil français dans le droit européen, dans: ZEuP 2004, p. 1081 et s., spéc. p. 1083). 15 V. Sacco, Rapport de synthèse, dans: La circulation du modèle juridique français (Journées franco-italiennes), Paris 1994, spéc. p. 11. 16 Loc. cit.; similaires, les observations de Witz, Rapport introductif (n. 2), spéc. p. 305: « L’influence du modèle français diminue inexorablement au fil des décennies dans la plupart des pays concernés ».
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napoléonienne, mais a débuté lors de la redécouverte dans les Universités allemandes du droit romain comme source d’une théorie générale du droit privé. A l’origine de ce divorce nous découvrons alors l’école historique allemande et les pandectistes des Universités allemandes des premières décennies du 19e siècle. La récusation formulée par Friedrich Carl von Savigny dans son célèbre pamphlet sur la codification en 1814 contre la méthode des privatistes français est représentative de la rupture qui s’est à cette époque opérée entre les deux cultures. Gustav Boehmer, célèbre professeur de droit civil allemand, avait exactement perçu cette évolution. Il écrivit ainsi lors de la « semaine internationale du droit » à Paris en 1950 que « Die wesentliche Kritik Savignys richtete sich nicht so sehr gegen die politische Mentalität [des Code civil] als gegen die rechtstechnischen Unvollkommenheiten, Lücken, Widersprüche und wissenschaftlichen Mängel des Gesetzeswerkes, die er an einer Reihe von Beispielen mit lehrhafter Überheblichkeit des durchgebildeten Romanisten darlegt »17. L’influence de la nouvelle méthode des juristes allemands va conquérir aussi les pays qui dans la première moitié du siècle avaient été régis par la culture française. L’Italie offre ici aussi le meilleur exemple. Les ouvrages de droit italien à la fin du 19e siècle se sont éloignés du style fortement inspiré par le droit français qui prévalait dans le Codice civile de 1865. La langue même des juristes italiens a changé. De nouvelles expressions ont ainsi vu le jour: « negozio giuridico » comme traduction de « Rechtsgeschäft », « atto giuridico » à la place de « Rechtsakt », « dichiarazione di volontà » pour l’expression de « Willenserklärung » et enfin « procura » comme traduction de « Vollmacht ». Les concepts utilisés par les pandectistes allemands ont conduit à une actualisation de la terminologie juridique des civilistes italiens. Les contradictions avec le droit applicable du Code de 1865 calqué sur le droit français sont alors devenues innombrables. Ce conflit a été résolu par un refus scientifique du Code national imprégné de droit français. Les universitaires italiens à la fin du 19e siècle ont ainsi reproché au législateur ses défauts et retards du point de vue de la technique juridique. L’approche effectuée par Giuseppe Messina en 1889 de la notion de promesse unilatérale est sur ce point symptomatique. Il écrivit ainsi que « non resta che lamentare ancora una volta siccome per seguire le orme delle leggi francesi i legislatori nostri abbiano spezzata la patria tradizione dell’istituto »18. La justification pour une telle avancée a été puisée dans la conviction que les sources de la tradition juridique italienne ne se trouvaient pas dans les codes napoléoniens mais dans le droit romain. Le droit national en vigueur fut alors interprété et adapté à la lumière des théories des romanistes allemands de l’époque. Ce recul de l’influence du droit civil français n’est pas ___________ 17 V. Boehmer, Der Einfluss des Code civil auf die Rechtsentwicklung in Deutschland, dans: AcP 1951, p. 289 et s., spéc. p. 304. 18 V. Messina, La promessa di ricompensa al pubblico, Girgenti 1899, p. 59.
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seulement intervenu en Italie. On peut l’observer dans un grand nombre d’autres pays européens. C’est ainsi que la doctrine allemande pandectiste est apparue en Suisse, en Espagne, au Portugal, et plus tard aux Pays-Bas.
III. La croissante isolation du droit civil français dans les codifications européennes du 20e siècle
Le droit allemand en vient alors à être le modèle des universitaires européens dans la première moitié du 20e siècle. Il n’est pas étonnant de ce fait que les nouvelles codifications civiles de l’époque, par exemple le Code suisse des obligations de 1912, la loi polonaise sur les obligations de 1933, le nouveau Code civil italien de 1942, le Code civil grec de 1941/1946 ont oublié en grande partie le modèle du droit français et se sont assez orientés vers le BGB allemand de 1900. Cette évolution a continué après la Seconde guerre mondiale lorsqu’un long travail de codification a été entamé aux Pays-Bas, qui a abouti en 1992 à l’édiction du NNBW à la place de l’ancien Burgerlijke wetboek de 1838. Le Troisième livre de la partie générale relative aux droits patrimoniaux est le reflet de la partie générale du BGB allemand. Les dispositions relatives au droit des obligations et du contrat contenues au Sixième livre ont été influencées par de nouveaux modèles. Il est ainsi possible d’y retrouver l’empreinte de solutions issues du Common Law et de la Convention de Vienne sur la vente internationale de marchandises. Deux décennies précédentes, le Portugal avait lui aussi réformé son vieux Code de 1861. Le nouveau Código civil portugais de 1966, reprenait le plan et le contenu du BGB. En l’espace d’un demi-siècle, la famille juridique des droits romanistes a pour partie disparu en Europe. Les anciens codes du 19e siècle, qui s’étaient appuyés sur le modèle du Code napoléonien, ont été remplacés par ces textes qui répondent à la tradition du droit allemand et du Code suisse des obligations. Le rayonnement du Code civil français et du droit civil français semble s’être éteint. Les propositions présentées par la Commission Lando dans ses « Principes du droit européen du contrat » il y a quelques années, ne font que très peu mention au modèle issu du 19e siècle. Les solutions classiques et typiques du Code civil français sont complètement étrangères aux Principes. Il n’est par exemple pas surprenant que la Commission se soit décidée à ne pas reprendre le concept juridique de « cause » du contrat.
IV. Conclusion
Quelles leçons sont à tirer de l’histoire de la codification napoléonienne dans une perspective de codification européenne du droit des contrats? L’observation comparative et historique de l’essor puis du déclin du Code napoléonien comme modèle de la codification en Europe peut nous conduire en
222
1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
conclusion à réfléchir quant aux conditions préalables d’une harmonisation européenne du droit des contrats et des obligations. Certains parlent déjà de Code européen des contrats. Je pense ici aux nombreuses initiatives prises par le Parlement de Strasbourg, ainsi qu’au plan d’action présenté par la Commission de Bruxelles établissant un véritable cadre européen du droit des contrats. De nombreuses réactions et propositions existent déjà. Les « Principles » de la Commission Lando ont déjà été abordés. Giuseppe Gandolfi est à l’origine d’un avant-projet de Code européen des contrats19. Le groupe de travail de Christian von Bar devrait très prochainement présenter un avant-projet de Code civil européen. Les réactions à ces diverses initiatives n’ont pas été toujours bienveillantes en France. Dès le début, des voix se sont élevées à la Sorbonne contre de telles propositions. Une grande partie de mes collègues français ne semble en aucun cas prêt à sacrifier sur l’autel européen la tradition du Code napoléonien. Seul un éminent comparatiste britannique, Basil Markesinis, s’est interrogé de la manière suivante: « Peut-être est-ce parce qu’[on] a choisi […] d’ignorer les leçons que nous a laissée ... la codification napoléonienne: la nécessité d’associer au débat différents centres d’intérêts, de prendre en compte les sensibilités locales, d’utiliser réellement et intelligemment les meilleurs talents de son époque, d’évaluer précisément les obstacles techniques importants (tel l’absence d’uniformité linguistique) et enfin – et surtout – d’agir au moment opportun »20. Que peut donc nous enseigner en réalité l’histoire de l’essor puis du déclin du Code civil napoléonien dans le cadre du débat européen actuel? Il serait naïf d’attendre d’un historien du droit des conseils et des instructions des problèmes de politique législative actuelle. L’histoire du droit ne peut tout au plus apporter que des éclaircissements, qu’à aider à faire disparaître toute discussion irrationnelle, qu’à désigner les marges de manœuvres, et attirer l’attention sur toute demande de politique législative qui conduirait à des attentes irréalistes. C’est ce qui peut être attendu de la recherche scientifique en matière de droit. Il est donc possible de tirer les conclusions suivantes des remarques et observations effectuées jusqu’à présent. Le Code civil napoléonien pouvait, au début du 19e siècle, s’imposer dans d’autres parties du Continent européen comme modèle juridique, car à cette époque les conditions juridiques et culturelles nécessaires à sa prise en compte directe ou indirecte en tant que Code existaient. Au début de ce siècle, un consensus évident existait parmi les praticiens du droit de nombreux pays du continent quant à la supériorité de la technique juridique et de la politique législative du Code, en particulier à propos du droit des biens et des contrats. C’est la raison pour laquelle son in___________ 19
Gandolfi, Code européen des contrats: avant-projet, Milan 2003. V. Markesinis, « Deux cents ans dans la vie d’un code célèbre. Réflexions historiques et comparatives à propos des projets européens », texte de la conférence donnée le 12 février 2004 dans la Grand’chambre de la Cour de cassation, dans: Rev. trim. civ. 2004, n. 1, p. 45 et s., spéc. p. 55. 20
L’influence du Code civil
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fluence a perduré même après la Restauration. La lutte qui a vu le jour en Rhénanie pour le maintien du Code civil a aussi eu lieu à Gênes ou à Naples. L’essor du Code napoléonien comme modèle pour un droit des biens et des contrats européen a été possible car il correspondait à la formation culturelle du monde des praticiens de l’époque. A ce propos, Jean-Louis Halpérin a fort justement rappelé que « [la] principale originalité [du Code] c’est en fait l’absence d’originalité »21. Nombreux furent donc ceux qui au début du 19e siècle virent dans le Code napoléonien les définitions, les constructions et les solutions juridiques qui existaient jusque là dans la pratique. Cette coïncidence de nouveaux textes avec le monde des praticiens explique l’influence du Code et le triomphe de la jurisprudence française à cette époque sur tout le continent européen. Le déclin du droit français en Europe a exactement commencé lorsque cette conformité à la formation culturelle des praticiens a été rompue. Une nouvelle génération de juristes est apparue dans de nombreux pays au milieu du 19e siècle, issus d’une formation universitaire nouvelle et diverse. Le rayonnement de la méthode enseignée par les professeurs allemands de droit romain a offert à cette période un modèle culturel alternatif qui, dans certains pays comme l’Italie ou l’Espagne a pu conduire à des désaffections grandissantes entre les Universités et les professionnels du droit. Le droit français lui même a pris à cette époque, par suite du rôle croissant de jurisprudence des arrêts de la Cour de cassation, des caractéristiques difficilement transmissibles à l’étranger. Philippe Rémy, lors d’un colloque à Genève a récemment rappelé que le droit français se transforme à cette époque en « un système mixte de droit codifié et de case law », la jurisprudence de la Cour de cassation étant alors « capable de détruire le système du code [mais] congénitalement incapable d’en construire un »22. Les propositions actuelles d’harmonisation du droit européen des contrats ont clairement trouvé leur source dans le monde universitaire, surtout allemands et néerlandais, loin des considérations pratiques. Ni les avocats, ni les juges n’ont été appelés à prendre part à ces groupes de travail. L’unité de culture juridique européenne est, deux siècles après la codification napoléonienne encore plus réduite qu’à cette époque. Les différences ne concernent pas le seul cadre juridique. Elles sont encore plus marquées dans les manières de penser, dans les méthodes de raisonnement et dans la tradition de la formation juridique. Aujourd’hui, contrairement au début du 19e siècle, les méthodes de pensée, de travail et d’argumentation de nos juristes sont dans chaque pays européen très différentes. Une codification européenne, à la différence du Code civil d’autrefois, serait confrontée directement à de tels problèmes. Le comparatiste britannique déjà cité a aussi remarqué que « même lorsque deux auteurs ___________ 21 22
V. Halpérin, L’impossible Code civil, Paris 1992, p. 276. V. note 14.
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1. Teil: Die kontinentale Rechtskultur
venus de systèmes juridiques différents utilisent des termes identiques pour commenter un même document (par exemple le projet Lando), leurs réflexions, leurs modes de raisonnement, leurs approches peuvent varier considérablement »23. Il poursuit en précisant que « ces divergences nous obligent également à prendre conscience qu’il n’existe pas une façon unique d’appréhender un problème ». Une codification européenne du droit des contrats qui souhaiterait prendre le rôle du Code napoléonien au 19e siècle, ne pourrait être possible et avoir du succès que si la pratique judiciaire et la formation universitaire des juristes prenaient part à un tel projet.
___________ 23
V. Markesinis, « Deux cents ans dans la vie d’un code célèbre. Réflexions historiques et comparatives à propos des projets européens », op. cit., p. 58; v. aussi Ranieri, Europäisches Obligationenrecht. Ein Handbuch mit Texten und Materialien, 2e éd., Köln/Wien 2003, p. 2 s.
2. Teil Nationale Juristenausbildung und europäische Rechtskultur
Der europäische Jurist. Rechtshistorisches Forschungsthema und rechtspolitische Aufgabe A. Einführung 1. Der „europäische Jurist“, der über die europäischen Binnengrenzen tätige Rechtspraktiker, scheint in letzter Zeit der heimliche Gast zahlreicher rechtsund standespolitischer Diskussionen unter deutschen Juristen geworden zu sein. Das Zusammenwachsen der Märkte in Europa auch im Hinblick auf das politische Ziel von 1992, neuere Entscheidungen des EuGH zu den Niederlassungsrechten von Anwälten innerhalb der Gemeinschaft, haben tradierte und liebgewordene Berufs- und Standesbilder offenbar ins Wanken gebracht. Unsicherheit war allerdings nie eine gute rechtspolitische Ratgeberin. Die derzeitigen Diskussionen über die juristischen Professionen in einem künftig enger gewordenen europäischen Raum scheinen in der Tat eher zwischen übertriebenen Zukunftseuphorien und maßlosen Berufsängsten zu verlaufen. Liest man die Zeitungen, so begegnet man etwa dem gespenstischen Bild „eines Italieners, der, der deutschen Sprache nicht mächtig, Deutsche bei den Problemen ihres Alltags berät und vor Gericht vertritt – mit verheerenden Ergebnissen, versteht sich“; oder die beruhigenden Worte eines Politikers, der in derselben Zeitung in einer Leserzuschrift den deutschen Rechtssuchenden versichert, es sei „ausgeschlossen, dass ein zuwandernder ausländischer Rechtsanwalt nach den Regeln seines Heimatrechts den Beruf in Deutschland ausüben wird“. Man mag sich fragen, ob ein Rechtshistoriker ein berufener Diskussionspartner zu einem solchen Thema sein kann. Ich glaube, ja. Ich werde demnach versuchen, einige Überlegungen und einige Thesen zu der hier angedeuteten Problematik aus der Sicht einer europäisch ausgerichteten Rechtsgeschichte zu skizzieren. Aufgrund der persönlichen Erfahrung des Vortragenden und zugleich des Beobachters wird hier vor allem die Perspektive der kontinentaleuropäischen Zivilrechtssysteme in den Vordergrund gestellt. ___________ Festvortrag anlässlich der 25-jährigen Gründungsfeier des Frankfurter Max-PlanckInstituts für Europäische Rechtsgeschichte; der Beitrag erschien zuerst in: Ius Commune 17 (1990), S. 9-25; die dort im Anhang publizierte Bibliographie ist aus Platzgründen ausgelassen worden. Siehe zu diesem Thema auch Ranieri, Eine Dogmengeschichte des europäischen Zivilrechts? Einige Thesen zum Beitrag der Rechtsgeschichte zu einer europäischen Zivilrechtswissenschaft, in: Schulze (Hrsg.), Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte. Arbeitsansätze und Forschungsperspektiven, Berlin 1991, S. 89102.
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2. Teil: Nationale Juristenausbildung
2. Eine Frage sei am Anfang formuliert: Reicht es wirklich, die normativen Voraussetzungen zu verändern, um eine Integration der juristischen Professionen im europäischen Raum zu erreichen? Verfolgt man die derzeitige rechtspolitische Diskussion zu unserem Thema, so entsteht manchmal der Eindruck, dass die freie Niederlassung von Anwälten in der Gemeinschaft nur ein juristisches Problem sei, dass die Abschaffung von formalen Zugangsschranken den „europäischen Juristen“ gleich schaffen werde. Die Reflexion über die historischen Dimensionen dieses Themas versteht sich als ein Versuch rationaler Kontrolle eines rechtspolitischen Diskurses. Unter welchen Voraussetzungen, mit welchen Grenzen ist ein europäisches Zusammenwachsen der juristischen Professionen denkbar und mit welchen Aporien muss dieser Prozess rechnen? Europäische Rechtsgeschichte versteht sich in diesem Kontext zum einen als eine Vergewisserung über eine heute verschüttete gemeinsame juristische Tradition, zum anderen auch als eine historische Aufklärung, welche auf die Fragen der Zukunft gerichtet ist, als ein analytisches Instrument also, um über die evolutionären Entwicklungsmöglichkeiten unserer Rechtssysteme nachzudenken.
B. Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung als Grundlagenfächer 1. Die Auseinandersetzung mit den anfangs aufgeworfenen Fragen konfrontiert uns zugleich mit einem bedeutsamen Kapitel der Disziplingeschichte von Rechtshistorie und Rechtsvergleichung. Es ist zu Recht gesagt worden, dass Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung Schwesterdisziplinen sind. In der Tat fand die rechtsvergleichende Orientierung der Rechtswissenschaft in Deutschland ihre ersten methodischen und inhaltlichen Grundlagen gerade in der rechtshistorischen Forschung. Es scheint mir daher nötig zu sein, hier kurz in Erinnerung zu rufen, in welchen wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhang die Herausarbeitung und die Bestimmung der „europäischen Rechtsgeschichte“ als autonomes „field of studies“ und daher, letztlich, selbst die Gründung dieses Max-Planck-Instituts vor 25 Jahren, sich einordnen. Wir begegnen dabei dem Werk von zwei Gelehrten, die in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts eine historisch ausgerichtete Rechtsvergleichung als juristische Grundlagenforschung begründet haben. Ich nenne hier die Namen Erich Genzmer und Ernst Rabel. Beide waren – wie Sie wissen – führende Romanisten. Mit dem Namen Ernst Rabel ist die Grundlegung der zivilistischen Rechtsvergleichung verbunden. Ich erwähne hier nur seine klassisch gewordenen Untersuchungen zur „Haftung des Verkäufers“ (1902) und zum „Statute of Fraud“ (1947); sie fassen das Problem sowohl rechtsgeschichtlich wie rechtsvergleichend an, weisen die Missverständnisse der historischen Gesetzgeber nach und zeichnen zugleich die Konturen von Problemlösungen, welche in der historischen Kontinuität zur gemeinrechtlichen Tradition und im funktionalen Vergleich mit anderen Rechtsordnungen ihre
Der europäische Jurist
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Sachgerechtigkeit finden. „Durch die rechtsvergleichende Betrachtung“ – ist in einer Würdigung seines Werkes geschrieben worden – konnte „der Zusammenhang gemeinsamer Rechtskultur bewahrt und, wo er durch die Sonderschicksale der Kodifikationen verloren gegangen war, wiederhergestellt werden“. Die heutige Vereinheitlichung des internationalen Kaufrechts hat sich in Bahnen bewegt, die Rabel damals vorzeichnete. Mit dem Namen Erich Genzmer ist die Einsicht verbunden, dass die Herausarbeitung der historischen Grundlagen unserer kontinentalen Rechtssysteme nur in einer vergleichendeuropäischen Perspektive geschehen kann. Ich erwähne hier nur seine Forschungen zur mittelalterlichen Rechtswissenschaft, die nach dem Krieg in dem europäisch angelegten Forschungsprojekt „Ius Romanum Medii Aevi“ ihren Abschluss fanden. Die Rezeption des Römischen Rechts wurde von ihm – in deutlicher Abkehr von der national gesinnten Deutung einiger deutscher Germanisten jener Jahre – als ein Kapitel nicht der deutschen, sondern der europäischen Rechtsgeschichte aufgefasst. Die Rekonstruktion des europäischen Charakters der Wissenschaft des „ius commune“, auf der Grundlage des juristischen Unterrichts in der mittelalterlichen und spätmittelalterlichen Universität, geht auf seine Studien zurück. Wenn heute in der Systematik der Privatrechtsvergleichung als selbstverständlich von einer „famille des droits romanogermaniques“ in der kontinental-europäischen Tradition des Civil Law gesprochen wird, bewegt man sich in Bahnen, die Genzmer damals vorzeichnete. Als dieses Max-Planck-Institut gegründet wurde, stand es in der hier kurz geschilderten wissenschaftlichen Tradition. 2. Fragt man nun nach dem wesentlichen Kern einer solchen Sicht einer gemeinsamen europäischen Rechtsgeschichte, so kann man, wenn ich recht sehe, die Einsicht festhalten, dass die historischen gemeinsamen Grundlagen des „ius commune“ primär nicht in der Anwendung identischer Rechtsregeln, mit anderen Worten nicht in einer uniformen Rechtspraxis und in identischen professionellen Formen, sondern vielmehr in einer gemeinsamen wissenschaftlichen, vor allem universitären Tradition lagen. Die Einmaligkeit des europäischen „Gemeinen Rechts“ lag gerade darin, dass es der universitäre wissenschaftliche Zugang zum Recht war, der einen Traditionszusammenhang schuf, worauf die lokale Vielfalt von Rechtspraxis und Rechtsprofession sich entwickeln und stützen konnte. Ich brauche hier nur an den Stellenwert zu erinnern, welchen die Studien zu den gelehrten Juristen als dynamischer Entwicklungsfaktor bei der Rezeption des Römischen Rechts oder die Studien zur Geschichte der europäischen Universitäten und des juristischen Unterrichts in den Forschungen von Erich Genzmer und Helmut Coing einnehmen. Als dieses Max-PlanckInstitut seine Tätigkeit aufnahm, sah man in der rechtshistorischen Erforschung dieser gemeinrechtlichen Tradition eine europäische Chance. Die Probleme einer europäischen Rechtsangleichung haben sich seitdem selbstverständlich geändert, dennoch scheint mir, dass die Grundeinsicht, dass die kontinentalen Rechtssysteme in ihrem heutigen Stande nur aus der Kenntnis ihrer Geschichte begriffen und reformiert werden können, an Aktualität nichts verloren hat.
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2. Teil: Nationale Juristenausbildung
Selbst die andere zentrale Frage der heutigen europäischen Privatrechtsangleichung, diejenige des Verhältnisses zwischen kontinentalem und englischem Recht – welche in diesem Rahmen ausgespart werden soll –, ist nur aus der Geschichte der Beziehungen zwischen den Traditionen von Civil und Common Law begreifbar. Damit kommen wir auf die anfangs gestellten Fragen zurück. Welche Gesichtspunkte lassen sich aus der Einsicht ableiten, dass die europäischen Rechtssysteme nur aus ihrer Geschichte heraus begreifbar sind, welche Perspektive aus dem historischen Befund, dass die europäische Rechtseinheit vergangener Jahrhunderte gerade in der Verbindung gemeinsamer wissenschaftlicher Tradition mit lokaler Vielfalt in Rechtspraxis und Rechtsprofessionen bestand? Ich werde dies an den Themen der richterlichen Praxis und der juristischen Ausbildung deutlich zu machen versuchen. Das wird uns zugleich mit einigen zentralen Forschungsfragen dieses Instituts konfrontieren.
C. Gibt es eine „europäische“ Rechtskultur? 1. Vor einigen Jahren wurde in der rechtspolitischen Debatte zum Problem der europäischen Rechtsangleichung von einigen Juristen die Hypothese eines „espace judiciaire européen“ aufgeworfen und zur Diskussion gestellt, die Idee also, dass die Annäherung zwischen unseren europäischen Rechtssystemen am besten den Instanzen von Justiz und Praxis überlassen werden sollte. Die Debatte, die daraus folgte, blieb im Endergebnis relativ folgenlos. Sie bietet uns jedoch Gelegenheit, ins Gedächtnis zu rufen, dass das europäische „ius commune“ vergangener Jahrhunderte im Wesentlichen „Juristenrecht“ war und seine Konkretisierung in der Realität von Justiz und Kautelarjurisprudenz fand. Man denke nur an die herausragende Bedeutung, die für das Rechtsleben jener Zeit der Judikatur der großen territorialen Gerichtshöfe, etwa des Parlement de Paris, der italienischen Rote oder des deutschen Reichskammergerichts zukam. Ein italienischer Rechtshistoriker hat daher zutreffend das damalige „diritto comune“ als „diritto giurisprudenziale“ bezeichnet. Ich glaube, man sollte hier auch in Erinnerung rufen, dass es gerade die Forschungen in diesem Institut waren, die bei der Vorbereitung des Coing’schen „Handbuch[s] der Quellen und der Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte“ den bis dahin unbekannten, oder genauer gesagt vergessenen, Reichtum der Entscheidungs- und Consiliensammlungen aus der gemeinrechtlichen Literatur offenbarten. Dieses wissenschaftliche Unternehmen des Instituts regte damals auch im Ausland zu zahlreichen ähnlich angelegten Untersuchungen an; ich erwähne hier beispielsweise die Arbeiten von John Dawson oder von Gino Gorla. Sie haben uns in der Tat ein Bild der judiziellen Ausrichtung des Römischen Gemeinen Rechts vermittelt, das wesentlich den historischen Gegensatz zwischen den Traditionen von Civil und Common Law relativiert. Dass solche Studien heute angegangen werden, ist nicht zufällig: Die Neubewertung in der rechts-
Der europäische Jurist
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historischen und in der rechtsvergleichenden Forschung der kontinentaleuropäischen Justiztradition fällt bezeichnenderweise mit der Entdeckung der Bedeutung des Richterrechts in der Rechtstheorie der letzten Jahrzehnte zusammen. In den letzten Jahren hat dieses Institut den Schwerpunkt seiner Forschungsbemühungen gerade auf den Problembereich der judiziellen und nichtjudiziellen Durchsetzung von Normen gelegt. 2. Einen „espace judiciaire européen“ hat es also auf dem europäischen Kontinent des 16. bis 18. Jahrhunderts in der Tat gegeben. Dies bedeutet natürlich nicht, dass in ganz Europa eine uniforme Judikatur und Rechtspraxis existiert haben. Der „droit appliqué“ jener Zeit zeichnete sich vielmehr gerade durch eine Vielzahl von Fragen aus, die in der Praxis streitig waren; die nationalen und territorialen Gerichtshöfe blieben von einer solchen Grundtendenz der gemeinrechtlichen Tradition nicht ausgenommen; seit den Anfängen ihrer Tätigkeit entwickelten sie zu einzelnen Rechtsproblemen eine eigene „consuetudo iudicandi“; zugleich aber – und dies ist entscheidend für das Rechtsverständnis der Zeit – betrachteten sie sich einem gesamteuropäischen Argumentationszusammenhang zugehörig. So war es selbstverständlich, die Entscheidungspraxis von Gerichtshöfen anderer Territorien und Länder kennen zu lernen und als Autorität heranzuziehen. Um ein bezeichnendes Beispiel hier anzubieten: Wir sehen etwa, aus erhalten gebliebenen Protokollnotizen, wie Mitte des 16. Jahrhunderts ein Assessor am Reichskammergericht, Viglius von Aytta, bei einer streitigen Frage zum Verfahren seinen Kollegen Präzedenten aus der Praxis des Parlaments von Bordeaux unterbreitet. Eine solche Haltung kennen wir heute nur noch aus der Welt des Common Law. Der italienische Rechtshistoriker und Rechtsvergleicher Gino Gorla hat dies prägnant zusammengefasst, als er schrieb: „nei secoli XVI-XVIII i nostri tribunali supremi furono i fattori dell’unificazione del diritto nello Stato e della sua uniformizzazione fra Stati o, in sostanza e tout court, i principali fattori del diritto“. Diese „consuetudo iudicandi totius orbi“ – wie die Juristen des Gemeinen Rechts sie nannten – zerfällt Ende des 18. Jahrhunderts mit der Einführung der Kodifikationen und mit der damit verbundenen Nationalisierung der Rechtsquellen. Es ist allerdings fraglich, ob der Grund für den Zerfall allein in den neuen Gesetzbüchern und in der Umstellung der nationalen Judikatur auf das neue Recht zu suchen ist. Forschungen hierüber liegen nur in Ansätzen vor. Es ist aber in der Tat bezeichnend, dass selbst bei Geltung desselben Gesetzbuches keinesfalls immer die nationalen Judikaturen übereinstimmten. Ein klassisches Beispiel bietet die deutsche Praxis zum Code civil in den Rheinprovinzen, die während des 19. Jahrhunderts – und zwar von Anfang an – eigene, von der Judikatur der französischen Cour de cassation verschiedene, Wege ging. Es sei hier beispielsweise an die Judikatur des Reichsgerichts zu Art. 1382 Code civil erinnert, welche die französischen Lösungen zum Thema des abus des droits, zum Nichtvermögensschaden, zum deliktischen Schutz von Forderungsrechten nicht kannte. Selbst in den romanischen Ländern, bei gleichzeitiger Geltung
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2. Teil: Nationale Juristenausbildung
des Code civil oder einer mit diesem praktisch identischen Kodifikation, gingen die nationalen Judikaturen nicht selten eigene Wege; man denke hier nur an die unterschiedliche Anwendung von Art. 1384 Code civil in der französischen und in der belgischen Rechtsprechung, welche ablehnte, daraus eine Generalklausel für eine Gefährdungshaftung abzuleiten. Bis zur Einführung einer einzigen Corte di cassazione in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts erfuhr das italienische Zivilgesetzbuch von 1865 durch die fünf verschiedenen, den präunitarischen Gerichtshöfen nachfolgenden Kassationshöfe nicht selten eine unterschiedliche Anwendung. Zur Rechtsangleichung reichen offenbar Gesetze allein nicht aus. Der hier kurz skizzierte Befund beschäftigt die Rechtsvergleichung bis heute. Man denke nur an die zum Teil recht unterschiedliche deutsche und französische Judikatur zum Genfer Wechselrecht oder an die derzeitigen Diskussionen zur Gefahr einer möglichen difformen Auslegung der Normen des Wiener Kaufrechts durch die einzelnen nationalen Judikaturen. Wie erklären sich solche überraschenden unterschiedlichen Anwendungen von identischen gesetzlichen Normen? Wir kommen damit zum zweiten Thema und zugleich zu einer tiefer liegenden Problemschicht der anfangs aufgeworfenen Fragen.
D. Justizstile und Rechtskultur 1. Identität und Unterschiede in den gesetzlichen Normen und in den judiziellen Lösungen stellen in der Tat nur einen Teilaspekt des Problems einer europäischen Rechtsangleichung dar. Weit wichtiger scheinen die unterschiedlichen Stil- und Auslegungstraditionen in den einzelnen kontinentaleuropäischen Rechtssystemen zu sein. Wenn ein Jurist aus einem unserer europäischen Länder mit dem Recht und mit den Rechtspraktikern einer anderen kontinentaleuropäischen Rechtsordnung in Kontakt tritt, wird er, bei einer entsprechenden Reflexionsbereitschaft, mit einer eigenartigen Erfahrung konfrontiert. Er stellt fest, dass der Abstand zwischen seinem und dem anderen Rechtssystem nicht allein durch die Verschiedenheit der gesetzlichen Normen und auch nicht allein durch die Unterschiedlichkeit der einzelnen Lösungen zu einer konkreten Frage bestimmt wird. Etwas anderes kommt hinzu, worüber der Jurist – aus seiner nationalen Perspektive – normalerweise nicht gewöhnt ist nachzudenken. Als fremder Beobachter kann er es dagegen leichter erfassen: Es fällt ihm nämlich die unterschiedliche Art auf, wie die Juristen in seinem und in dem fremden Land praktisch arbeiten. Es geht hier also nicht um die Anwendung irgendwelcher Rechtsregeln und auch nicht um das in Wissenschaft und Judikatur verwendete Definitionsinstrumentarium, sondern um die Art, wie überhaupt der Jurist seine Arbeit praktisch gestaltet, um die „forma mentis“ also, mit welcher er seine
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Aufgabe auffasst und erledigt. Um unser Problem noch näher zu konkretisieren: Es geht hier um die Attitüde, wie ein Jurist an einem konkreten Fall arbeitet, einschließlich der Sachverhaltsrekonstruktion und der Erörterung der rechtlichen und tatsächlichen Aspekte, die er zu einer Lösung führen soll. 2. Das Zeitalter des Gemeinen Rechts kannte, trotz nationaler und lokaler Stilbräuche – die Juristen der Zeit sprachen dabei vom „stilus curiae“–, eine weitgehend einheitliche juristische Arbeitstechnik. Sie basierte im Wesentlichen auf einer gemeinsamen Ausbildungstradition, die auf den Rechtsunterricht in den italienischen und französischen Universitäten des Spätmittelalters zurückging. Die Verselbständigung der jeweiligen Stiltraditionen, welche vor allem an den nationalen Gerichtshöfen ihren Ursprung gefunden hatten, beginnt bezeichnenderweise gerade mit dem Zerfall des genannten gemeinsamen Ausbildungsmodells. Ich denke etwa an die Einführung der Nationalsprachen im Rechtsunterricht und an dessen zunehmende Ausrichtung auf das nationale „ius patrium“, die bereits im 17. und vor allem im 18. Jahrhundert in allen europäischen Ländern zu beobachten sind. Es ist kein Zufall, dass zu dieser Zeit die übernationale Zusammensetzung der Studentenschaft in allen europäischen Rechtsfakultäten langsam zurückgeht. Ich brauche hier nur auf die Studien, welche Helmut Coing der Geschichte des Rechtsunterrichts in dem von ihm herausgegebenen Handbuch gewidmet hat, hinzuweisen. Der Bruch der Einheit des europäischen Privatrechts Ende des 18. Jahrhunderts liegt nicht nur bei der Nationalisierung der Rechtsquellen durch die damals eingeführten Kodifikationen, sondern im Wesentlichen, vielleicht vor allem, darin, dass mit den Kodifikationen auch die Juristenausbildung voll nationalisiert wurde. Man denke an die Reform des Rechtsunterrichts, die in Frankreich und in Österreich zugleich mit der Einführung der Gesetzbücher eingeleitet wurde. Dort, wo, wie in Preußen und in den übrigen deutschen Territorien, der Rechtsunterricht trotz Kodifikation nicht auf das neue Recht umgestellt wurde, behielt die Juristenausbildung eine wesentliche vereinheitlichende Funktion. Das deutsche Professorenrecht im 19. Jahrhundert war nicht nur Grundlage der deutschen Kodifikation von 1900, sondern auch Voraussetzung der professionellen Einheit, welche unter deutschen Juristen während des ganzen Jahrhunderts bestand. Es ist bezeichnend, dass, als Christopher Langdell Mitte des 19. Jahrhunderts eine überstaatliche amerikanische Juristenausbildung in Harvard schuf, gerade die damaligen deutschen Rechtsfakultäten als Modell fungierten. 3. Zweihundert Jahre nach den ersten großen Kodifikationen sind die historisch gewachsenen Unterschiede bei den juristischen Ausbildungs- und Arbeitsstilen in den einzelnen kontinentalen Ländern beträchtlich geworden. Ich werde zunächst versuchen, anhand einiger weniger Beobachtungen Beispiele der Verschiedenheit solcher Arbeitsstile kurz zu beschreiben. In diesem Rahmen kann ich über eine knappe Skizze natürlich nicht hinausgehen. Wie erwirbt ein deutscher Jurist seinen Arbeitsstil? Ein deutscher Jurastudent lernt bekanntlich bereits in den ersten Semestern seines Universitätsbe-
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suchs, wie er seine Rechtskenntnisse am konkreten Fall umsetzen soll. Das Erlernen jener spezifischen Fertigkeit, die schriftliche Bearbeitung eines praktischen Rechtsfalls anzugehen, nimmt eine zentrale Stellung in seiner Ausbildung ein. Während seines Studiums lernt er also nicht nur materiellrechtliche Inhalte, sondern vor allem auch eine spezifische Arbeitstechnik kennen. Ich sage nichts Neues, wenn ich daran erinnere, dass, bei einer realistischen Betrachtung der Ausbildung eines deutschen Rechtsstudenten, die Einübung einer solchen Arbeitsweise eine ebenso wichtige Rolle spielt wie das Erlernen des positiven Rechtsstoffes. Eine derartige Arbeitsdisziplin begleitet schließlich den deutschen Juristen das ganze Leben lang. Die Ausbildung des Rechtsreferendars nach der Universität besteht im Wesentlichen wiederum darin, Arbeitsregeln zu vermitteln, wie die schriftliche Ausarbeitung von Urteilen und Gutachten anzufertigen ist. Arbeiten die Juristen in den anderen kontinentaleuropäischen Ländern in ähnlicher Weise? Betrachtet man z. B. die Praktiker in den romanischen Ländern, so stellt man fest, dass sie eine der deutschen sog. „Klausur- und Relationstechnik“ vergleichbare Ausbildungsform aus ihren Universitätskollegs überhaupt nicht kennen. Während der vier, fünf Jahre des Rechtsunterrichts an der Universität begegnet der junge französische, italienische oder spanische Jurist – ich muss hier notwendigerweise etwas skizzenhaft vereinfachen – einer fast ausschließlich theoretischen Ausbildung. Auch die Reformen in den letzten Jahren haben in der tatsächlichen Ausgestaltung des Rechtsunterrichts, vor allem in Italien und Spanien, im Kern wenig ändern können. Im Zentrum der universitären Juristenausbildung steht demgemäß die mündliche Vorlesung. Die materiellrechtlichen Inhalte werden im Wesentlichen in ihren dogmatischsystematischen Zusammenhängen vorgetragen. Es ist z. B. hierfür bezeichnend, dass sich der Stoff einer Zivilrechtsvorlesung normalerweise nicht nach den jeweiligen materiellrechtlichen Ansprüchen gliedert – wie das etwa üblicherweise in Deutschland infolge der beschriebenen pädagogischen Tradition der Fall ist –, sondern in einem systematisch angelegten Gesamtüberblick über die Rechtsmaterie angeboten wird. Demgemäß fehlt meistens im Lehrangebot eine Umsetzung der Rechtskenntnisse in eine konkretere Kasuistik. Man hat zutreffend diesen Unterschied als einen Gegensatz zwischen Prozessrechtsdenken und rechtssatzbezogenem Denken bezeichnet. Vor allem findet man im Curriculum der Juristenausbildung in diesen Ländern gerade nicht die Vermittlung jener spezifischen Fertigkeit, wie man mit dem Stoff eines realen Falles umzugehen hat und wie man hier die Erörterung der tatsächlichen und der rechtlichen Fragen zu einem geordneten Lösungsvorschlag führen soll. Ich habe bei dieser kurzen Schilderung natürlich bewusst etwas vereinfacht. Worauf es mir ankam, war vor allem, den Gegensatz zu dem oben beschriebenen deutschen Modell herauszustellen. Ich brauche nicht anzufügen, dass vergleichbare Beobachtungen auch in anderen romanischen Ländern zu machen wären. Wo lernt dann aber der italienische oder der spanische Jurist, seine
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Rechtskenntnisse in die Praxis umzusetzen? In der Tat erfährt er dies nicht an der Universität, sondern später, während der Anfänge seines praktischen juristischen Berufs. Eine solche Vermittlung verläuft im Wesentlichen informell, vor allem durch den Umgang und die professionelle Sozialisation mit den älteren Kollegen. Eine nicht unbedeutsame Rolle scheinen ferner – vor allem in Italien – private oder halbprivate Rechtsschulen zu spielen, welche die Kandidaten der verschiedenen professionellen Aufnahmeprüfungen, trotz des beträchtlichen finanziellen Aufwandes, offenbar massenhaft besuchen. Es handelt sich dabei um ein für den ausländischen Beobachter unsichtbares Subsystem, über welches es sich in der Tat lohnen würde, rechtssoziologische Untersuchungen anzustellen. Verglichen mit dem soeben skizzierten deutschen Modell eines juristischen Arbeitsstils, sind wir hier also mit einer ganz anderen professionellen Realität konfrontiert. Es überrascht daher nicht, dass auch in der äußerlichen schriftlichen Form die Arbeit eines Praktikers hier anders aussieht als in Deutschland. Ich beschreibe als Beispiel ein italienisches Gerichtsurteil. Es strukturiert sich folgendermaßen: Zunächst wird die Prozessgeschichte – zum Teil in umständlicher Form, mit Wiedergabe der Parteienschriften – dargestellt; die Begründung der Entscheidung wird in einem doktrinalen Erörterungsstil unter Bezugnahme auf die Argumente der Parteien formuliert; der Tenor der Entscheidung folgt erst am Ende der Ausführungen; tatsächliche Daten und Rechtsmeinungen werden dabei vermengt, wobei die Begründung nicht die Redundanz zahlreicher „obiter dicta“ scheut. Äußerlich handelt es sich also um eine sehr ausführlich und diskursiv gehaltene Erörterung der anfallenden Rechts- und Sachproblematik. Ein deutscher Jurist würde hier eher von einem Gutachten sprechen. Nahezu alle Regeln, die der junge deutsche Richter für die Anfertigung eines Urteils lernen muss, sind hier in das Gegenteil verkehrt. Eine pädagogische Anleitungstradition oder eine Anleitungsliteratur gibt es übrigens nicht. Es ist aber auffallend, dass die italienischen Richter fast ausnahmslos ihre Urteile auf eben eine solche Art, wie geschildert, absetzen; diese wird also bei der Ausbildung der jüngeren italienischen Justizauditoren sozusagen „mündlich“ tradiert. 4. Wie kann man die beschriebenen Beobachtungen deuten? Was kann die historische Reflexion zum Verständnis und zur Analyse dieses Befundes beitragen? Ich habe hier bewusst zwei nahezu gegensätzliche Modelle vorgestellt. Die Geschichte kann hier Zusammenhänge deutlich machen, die in einer tiefer liegenden Tradition unserer europäischen Rechtskultur liegen und welche heute im allgemeinen Bewusstsein verschüttet sind. Die Studien zu den gemeinrechtlichen Entscheidungssammlungen, wofür gerade die Arbeiten in diesem Institut am Coing’schen „Handbuch“ die erste Anregung boten, haben nämlich gezeigt, dass die beschriebenen Stilunterschiede eine lange, über das Kodifikationszeitalter zurückreichende Geschichte haben. Die deutsche Relationstechnik z. B. greift weit zurück, bis zu den Anfängen der ersten großen deutschen Gerichtsinstanz, des Reichskammergerichts.
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2. Teil: Nationale Juristenausbildung
Bereits im 16. Jahrhundert wurden für die Aktenrelationen bei der Speyerer Appellationsinstanz strenge Aufbauregeln entwickelt. Das Ausbildungsziel stand hier offenbar im Vordergrund. Zeugnisse einer solchen literarischpädagogischen Tradition lassen sich schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ausmachen. Betrachtet man nun den vorgeschlagenen Aufbau einer Aktenrelation aus dieser Zeit – deren Regeln übrigens in die Preußische Allgemeine Gerichtsordnung von 1781 Eingang fanden –, so erkennt man hier wesentliche Regeln wieder, welche heute noch den deutschen Rechtsstudenten und Rechtsreferendaren vermittelt werden. Denkt man dagegen an die oben beschriebene Struktur eines italienischen Zivilurteils, so sieht man umgekehrt, dass die Arbeitsweise des italienischen Richters, unreflektiert, heute noch in der alten rhetorischen Tradition der „decisiones“ der italienischen gemeinrechtlichen Gerichtshöfe, vor allem der römischen „Rota“, steht. Daraus folgt der beschriebene umständliche Begründungsstil, charakterisiert durch das Eingehen auf die Argumentation der Parteien (das „nec obstat…“ der früheren Rote). Es ist bezeichnend, dass die italienischen Gerichte selbst während der napoleonischen Zeit keineswegs den bekannten knappen französischen Urteilsstil übernahmen. Gegen diese „rotale“ Tradition waren übrigens auch die wiederholten Verbote des italienischen Gesetzgebers völlig wirkungslos.
E. Ein Forschungsprogramm Fassen wir nun die Fäden der bisherigen Beobachtungen zusammen. Jenseits der Oberfläche des kodifizierten Rechts weisen also unsere kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen auch tiefer liegende Abstände auf. Es hat sich gezeigt, dass sich diejenigen Regeln, welche die Arbeit des Rechtspraktikers prägen, keineswegs allein aus dem materiellen Recht ergeben, sondern aus einer weit früheren, heute weitgehend verschütteten historischen Tradition stammen. Bedeutung und Funktion dieses Bestandteils des Rechtssystems sind dem nationalen Juristen normalerweise wenig bewusst. Überhaupt scheint es in jedem Land schwierig zu sein, die Juristen von der Überzeugung zu trennen, dass der eigene nationale Rechtsstil der einzig vernünftige und optimale sei. So sind z. B. die Eigenarten des deutschen Entscheidungsstils keineswegs selbstverständlich: Es wurde einmal behauptet, dass die praktische Ausbildung in der sog. Relationstechnik „jeden Schweizer Juristen in ein von Bewunderung und Grauen gemischtes Staunen“ versetze. Die historische Reflexion hat deutlich gemacht, dass derartige praktische Arbeitsregeln, welche Ausbildung, Arbeitsstil und Denken des Rechtspraktikers charakteristisch prägen, offenbar nicht ohne weiteres „reformierbar“ sind. Sie sind wahrscheinlich ebenso wenig in andere Rechtssysteme übertragbar. Vielmehr gehören sie zu einem historisch gewachsenen professionellen „Habitus“. Es ist zudem fraglich, ob die Durchsetzung eines einheitlichen Modells juristischer Professionalität überhaupt wünschenswert wäre. Die rechtshistorischen Daten bezeugen,
Der europäische Jurist
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dass die Eigenart unserer kontinentaleuropäischen Rechtskultur gerade in diesem Nebeneinander von übernationalen wissenschaftlichen Modellen und solchen kontextspezifischen Besonderheiten des jeweiligen juristischen professionellen Milieus liegt. Eine Einebnung derartiger Differenzen wäre eher ein kultureller Verlust. Selbst in der Erfahrung der USA hat die übergreifende Juristenausbildung der Law Schools keinesfalls gewisse Aspekte der „local legal culture“ – wie die amerikanischen Juristen sie nennen – eingeebnet. Bezeichnenderweise bemerkte ein amerikanischer Anwalt kürzlich, dass, wenn man aus New York komme, man in Memphis den Eindruck habe, Gerichtsverhandlungen fänden in einer Fremdsprache statt. Ohne einen einheimischen anwaltlichen Dolmetscher vor Ort sei man verloren. Es geht also hier nicht darum, Vorund Nachteile der streng auf Effizienz angelegten Erörterungstechnik des deutschen Richters im Vergleich mit der relativ freien Argumentation des Praktikers in den romanischen Ländern abzuwägen. Es scheint mir vielmehr notwendig zu sein, sich solcher historischen Bedingungen und Formen dieser unterschiedlichen Professionalisierungstraditionen bewusst zu werden. Eben hier könnte die Aufgabe einer europäisch orientierten rechtshistorischen Problemanalyse unseres Themas liegen. Wird es nun einen „europäischen Juristen“ geben? Kann es einen solchen geben? Anders formuliert, werden die Rechtspraktiker aus solch verschiedenen Ausbildungs- und Stiltraditionen sich verstehen können? Die juristische Zusammenarbeit bei den heutigen europäischen Institutionen zeigt in der Tat, dass Verständigungsprobleme nicht unbekannt sind. Alle ehrgeizigen Pläne der Vergangenheit für eine gesetzgeberische Rechtsvereinheitlichung oder Rechtsangleichung auf europäischer Ebene haben vielleicht gerade die hier skizzierte Problematik unterschätzt; wahrscheinlich liegt genau darin der Grund ihrer relativen Unergiebigkeit. Der Rechtshistoriker kann auf solche Fragen keine fertigen Antworten anbieten. Er kann jedoch die Rahmenbedingungen, die Möglichkeiten und die strukturellen Grenzen aufzeigen, in deren Rahmen eine solche Veränderung der juristischen Professionen in Europa sich vollziehen könnte. Es scheint immer wieder vergessen zu werden, dass Normen auch in unseren kontinentaleuropäischen Rechtssystemen durch Juristen mit jeweils sehr unterschiedlichen, in der Geschichte tief verwurzelten, professionellen Haltungen in die Praxis umgesetzt werden. Mit gesetzgeberischem Aktivismus und mit übertriebenem Optimismus ist dabei nicht geholfen. Erforderlich scheint vielmehr eine systematische Analyse der heutigen Unterschiede und Gemeinsamkeiten in juristischer Ausbildung und Profession, auch in ihren historischen Dimensionen, zu sein. Breite Forschungen hierüber fehlen heute noch weitgehend. Die Wissenschaft ist hier berufen: „Europäische Rechtsgeschichte“ definiert sich damit als juristische Grundlagenforschung, als geistige Rückeroberung eines Traditionszusammenhangs, in welchen sich unsere Rechtskulturen einordnen. Die Herausarbeitung von inzwischen verschütteten Kontinuitäten und Diskontinuitäten in den einzelnen nationalen Ausbildungstraditionen wird die unverzichtbare Voraussetzung für die Entwicklung von Ausbildungsmodel-
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len für einen „europäischen Juristen“ sein. Die historische Offenlegung derartiger tiefer liegender, häufig unreflektierter nationaler Traditionen – und daher auch die Reflexion über den historisch gewachsenen Abstand zwischen unseren kontinentalen Rechtsordnungen – scheint gerade eine der wichtigsten Bedingungen zu sein, um eine neue professionelle Nähe zwischen unseren Rechtspraktikern zu stiften.
Nuovi studi sulla storia dell’insegnamento del diritto in Europa (XIX-XX sec.)* La nazionalizzazione delle fonti giuridiche legata alla introduzione dei codici nell’Europa continentale non poteva rimanere senza conseguenze anche riguardo ai contenuti ed ai metodi di insegnamento del diritto. In particolare scompare agli inizi del secolo scorso quel fattore di unità della cultura giuridica europea, che era stato costituito fino a quest’epoca dalle università, in cui – come ben noto – l’insegnamento del diritto era stato concepito, al di là dei confini nazionali, sostanzialmente in una tradizione unitaria, sia per quanto concerne la lingua ed i testi utilizzati, sia per quanto concerne la provenienza dei docenti e degli studenti. Il tema della formazione giuridica universitaria ed extrauniversitaria del giurista continentale, in particolare in quest’epoca successiva alle prime grandi codificazioni non è stato ancora oggetto di un’indagine storico comparativa ampia ed esaustiva. E per questa ragione che pare opportuno segnalare qui quattro pubblicazioni, che pur scritte, in parte, guardando ai problemi attuali della formazione del giurista e dell’insegnamento del diritto, offrono anche per lo storico del diritto occasione di interessante lettura ed informazione. Nel caso della monografia di L. Mallmann, si tratta, anzi, di uno studio specificatamente storico-giuridico, una dissertazione di dottorato presso l’università di Colonia, dedicata alla introduzione nei territori renani, allora facenti parte della Francia rivoluzionaria e poi napoleonica, della nuova organizzazione delle facoltà di diritto. In realtà, pur trattandosi di territori di lingua tedesca, con una propria tradizione giuridica ed universitaria, si tratta di un vicenda che va ben al di là della storia giuridica regionale, poichè in Renania venne allora introdotta la nuova organizzazione francese degli studi di diritto, quale fu ricostruita dopo la tempesta rivoluzionaria, che aveva spazzato via le antiche Facultés de droit. Anche la monografia di J. Gatti-Montain, pur essendo scritta dal punto di vista del critico osservatore della situazione attuale dell’insegnamento del diritto in Fran___________ * Ursprünglich erschienen als Rezension zu Mallmann, Französische Juristenausbildung im Rheinland 1794-1814. Die Rechtsschule von Koblenz (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln. Bd. 5), Köln/Wien 1987; Gatti-Montain, Le système d’enseignement du droit en France (Collection Critique du droit), Lyon 1987; Ferreiro/Miquel/Mir/Salvador (Hrsg.), La enseñanza del derecho en España. (Colleción Ciencias Juridicas), Madrid 1987; Grant/Jagtenberg/Nijkerk (Hrsg.), Legal Education: 2000, Avebury 1988, in: Ius Commune 16 (1989), S. 381-384.
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cia, contiene, specie nella prima parte, un’ampia e ben documentata analisi storica della organizzazione e dei contenuti dell’insegnamento giuridico in Francia dall’epoca napoleonica ad oggi. Anche il terzo volume qui segnalato, una raccolta collettiva di numerosi contributi sul tema dell’insegnamento del diritto pubblicata da un gruppo di professori dell’Università di Barcellona, trova la sua origine non da un interesse storico, ma piuttosto dall’ampio dibattito, che attualmente si sta svolgendo in Spagna sul problema della riforma dell’insegnamento nelle facoltà di diritto; pur tuttavia anche qui numerosi contributi, specie quelli comparatistici, dedicati alle formazione del giurista in diversi paesi europei, contengono tutta una serie di dati e di informazioni interessanti anche dal punto di vista storico e comparatistico. Il quarto volume qui presentato, costituisce la pubblicazione degli atti di un incontro di studio organizzato all’università di Glasgow nell’agosto del 1985; qui pure l’interesse che sta alla base dei contributi è orientato ai problemi attuali dell’insegnamento del diritto; la valutazione dell’esperienza giuridica anglo americana in rapporto all’esperienza continentale offre tuttavia degli spunti di riflessione per il giurista aperto alla dimensione storica della sua disciplina. Non è evidentemente possibile nel quadro di una recensione esporre nei particolari i dati che emergono dai quattro volumi qui presentati. Tra i punti di vista che una lettura di scorcio offre ad un giurista interessato alla storia ed alla comparazione, mi pare che il problema del metodo dell’insegnamento del diritto – anche oggi così diverso pur nei vari sistemi giuridici dell’Europa continentale – offra la miete più ricca. L’analisi storica mette in luce, che anche dopo le grandi codificazioni, riguardo ai metodi di insegnamento evidenti legami colla tradizione giuridicopedagogica anteriore permangono operanti. L’oralità dell’insegnamento, sia per quanto concerne la lezione, sia per quanto concerne gli esami, rimane in particolare un elemento caratteristico della formazione del giovane giurista continentale. Al posto dei frammenti del “Corpus juris” sono ora gli articoli dei nuovi codici, che stanno al centro della lezione cattedratica. Le facoltà di diritto francesi create nel quadro della riforma napoleonica del 1806 sono esemplari per questa tecnica di insegnamento: al centro di quest’ultimo sta la lezione orale, cattedratica, in cui le norme dei nuovi codici vengono presentate e commentate nel loro contenuto. L’orientamento esegetico della letteratura giuridica francese nella prima metà del secolo XIX, trova una delle sue basi primarie proprio nella sopradescritta tradizione universitaria. Quest’ultima, fondamentalmente invariata in Francia, al di là di varie riforme della facoltà di giurisprudenza, per lo meno fino agli inizi di questo secolo, costituì in effetti un modello di notevolissima importanza specie per tutti quei paesi, per esempio l’Italia, in cui i legami col diritto e la cultura giuridica francese furono particolarmente vivi. Accanto alla sopradescritta, un’altra e diversa tradizione pedagogica ha acquistato in questo secolo un peso crescente nell’ambito del diritto continentale.
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Si tratta del tipo di formazione giuridica sviluppatosi nelle università tedesche del secolo scorso, in cui, accanto alla lezione orale, due altre forme di insegnamento tendono ad assumere un ruolo anche più rilevante: il seminario, in cui lo studente è guidato a lavorare autonomamente e scientificamente su singoli problemi ed a confrontarsi criticamente con opinioni diverse, e le esercitazioni scritte, in cui lo studente apprende a risolvere in maniera logica ed ordinata casi giuridici pratici, riconducendo le regole e le definizioni teoriche alla casistica giurisprudenziale. Questa forma di insegnamento nelle facoltà giuridiche tedesche del secolo XIX risale ad una tradizione anche più antica: basti pensare ai corsi di “praktische Jurisprudenz”, alle disputazioni scritte, alle esercitazioni a redigere relazioni da fascicoli processuali, tenute di regola alle università di Halle e di Göttingen già nel secolo XVIII. Si tratta di una tradizione che continua fino ai giorni nostri, influenzata in parte dall’esistenza del Referendariato e dei ripetitori privati: specie nello studio del diritto privato le esercitazioni scritte costituiscono un aspetto dell’insegnamento almeno tanto importante quanto la lezione. E degno di nota che studi recenti hanno messo in luce come le riforme pedagogiche (il cd. “case method”) introdotte da Langdell ad Harvard verso la metà del secolo scorso, che caratterizzano ancora oggi il tipo di insegnamento giuridico offerto nelle Law Schools americane, furono largamente influenzate dal modello delle contemporanee facoltà giuridiche tedesche. Delle esercitazioni pratiche in diritto civile si occuparono ad esempio, anche con la preparazione di materiali a stampa, giuristi del rango di Puchta, Ihering, Zitelmann. Anche oggi si incontrano al riguardo i nomi più rinomati della civilistica tedesca contemporanea. In una tradizione ininterrotta, quindi, anche per lo studente tedesco attuale la frequenza dei corsi pratici di esercitazione, in cui ci si prepara allo svolgimento delle prove scritte di esame, ha un’importanza largamente superiore alle lezioni. Questo stile pedagogico non è rimasto senza influenza sul contenuto e lo stile delle stesse lezioni: i problemi costruttivi e dogmatici di un tempo hanno dovuto lasciare sempre più spazio all’analisi della casistica giurisprudenziale. A ciò si aggiunge la circostanza che questa tradizione si è concretizzata pure in una vastissima letteratura di libri di casi, in cui, accanto agli esempi giurisprudenziali si formulano regole e consigli sulla redazione di pareri pratici, regole queste ultime (la cd. “Relationstechnik”) che accompagneranno il giovane giurista tedesco fino alla fase del Referendariato. La conoscenza di questa letteratura pedagogico-pratica – quasi sconosciuta all’estero – è di fondamentale importanza per rendersi conto effettivamente dei lineamenti reali dell’odierno diritto applicato nella Repubblica Federale Tedesca. Anche negli altri paesi di lingua tedesca – Svizzera, Austria – il modello sopradescritto ha svolto, specie negli ultimi decenni, un’influenza rilevantissima. Nei paesi latini il modello di insegnamento giuridico ereditato dalla tradizione dell’università napoleonica ha resistito a lungo. Ancora nel 1922 le facoltà giuridiche francesi si ribellarono alla proposta di introdurre esami pratici scritti. Ancora oggi in Italia, in Spagna, per esempio, lo studente di diritto non viene di
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regola obbligato a provare le sue conoscenze in un esame pratico scritto. I tentativi alla fine del secolo scorso, da parte di Gianturco e di altri, di introdurre anche nelle facoltà giuridiche italiane lo stile di insegnamento prevalente nelle università tedesche dell’epoca, in particolare di spostare il gravicentro dell’insegnamento giuridico sulla preparazione e discussione di esercitazioni pratiche scritte, non ebbero seguito degno di nota. È negli ultimi decenni che si possono constatare nei paesi latini novità rilevanti. La recente riforma francese degli studi di giurisprudenza prevede, per esempio, un peso rilevantissimo nell’attività didattica ai cd. “travaux dirigés”; per le materie di diritto positivo gli esami sono di regola scritti. Anche in Italia si può constatare lo spazio crescente, che negli ultimi anni anche nell’attività didattica viene offerto alla casistica giurisprudenziale; modello pare sia qui, tuttavia, non tanto la tradizione tedesca, quanto il Case-Book anglo-americano. Malgrado le trasformazioni sopraccennate, le differenze strutturali nello stile e nella tecnica dell’insegnamento giuridico rimangono nei sistemi dell’Europa continentale notevoli. Anzi, si può senz’altro individuare qui uno dei fattori di differenza più vistosi tra i vari sistemi di diritto codificato. Si può presupporre che sarà proprio a questo livello, che i progetti di integrazione giuridica europea incontreranno le difficoltà d’implementazione più rilevanti.
Juristen für Europa: Wahre und falsche Probleme in der derzeitigen Reformdiskussion zur deutschen Juristenausbildung Die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Rechtsabsolventen im europäischen Vergleich wird in der derzeitigen Reformdiskussion zur Juristenausbildung immer wieder thematisiert und angezweifelt. Im Rahmen eines europäischen Vergleichs verdeutlicht der Beitrag die historischen Zusammenhänge, die Unterschiede und die funktionalen Äquivalenzen bei der Juristenausbildung und bei den Regelungen des Zugangs zu den Rechtsprofessionen in Kontinentaleuropa heute. Dabei werden insbesondere die Unterschiede und die Gleichartigkeiten in Unterrichtsmethoden und Prüfungsformen analysiert. Der historische und funktionale Vergleich bestätigt manche Themen und Vorschläge der derzeitigen Reformdiskussion, relativiert und widerlegt allerdings zugleich viele andere.
A. Einführung I. Das Problem der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Rechtsabsolventen
Die Reform der deutschen Juristenausbildung ist unverhofft erneut auf die Tagesordnung gekommen. Seit der Ankündigung der Justizministerkonferenz im Mai vergangenen Jahres1 ist die alte Diskussion innerhalb und außerhalb der Fachkreise erneut mit Heftigkeit ausgebrochen. Das „Elend“ eines Studiums ist ___________
Der Beitrag ist ursprünglich in der JZ 1997, S. 801-813 erschienen. Er wurde auch aufgenommen in: Strempel (Hrsg.), Juristenausbildung zwischen Internationalität und Individualität, Baden-Baden 1998, S. 801-813. Siehe hierzu auch Ranieri, Voce: Educazione giuridica, in: Dig. disc. priv. sez. civ., V, Torino 1990, und zuletzt: Ranieri, Juristen für Europa. Voraussetzungen und Hindernisse für ein „europäisches” juristisches Ausbildungsmodell (Münsteraner Studien zur Rechtsvergleichung/Muenster Studies in Comparative Law), Münster 2006. 1 Vgl. Stellungnahme der Justizministerkonferenz in Wiesbaden vom 6.6.1996 (FAZ v. 7.6.1996, Nr. 130, S. 2) und als Einstimmung hierzu Heitmann, Auch die Justiz muß rechnen, in: FAZ v. 4.6.1996, Nr. 128, S. 10. In Fortsetzung dazu der Vorstoß des baden-württembergischen Justizministers (Stuttgarter Zeitung v. 31.7.1996, S. 5: „Juristen sollen noch schneller studieren“) und der deutschen Anwaltschaft (Die deutsche Anwaltschaft will eine eigene Ausbildung für ihren Nachwuchs, in: FAZ v. 21.12.1996); siehe auch Goerdeler, Vom Referendar zum öffentlich-rechtlichen Azubi. Länder suchen neues Ausbildungsmodell für Juristen nach dem ersten Staatsexamen, in: Frankfurter Rundschau v. 30.1.1997.
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bereits beschworen worden2, das sich wie kürzlich an höchster Stelle plakativ behauptet wurde –, „auf dem Weg ins Abseits“3 befinden soll. Neben fachwissenschaftlichen Qualitätsüberlegungen spielen auch hochschulpolitische Momente, standespolitische Rücksichtnahmen und Sorgen, nicht zuletzt auch fiskalische Gesichtspunkte, hier eine Rolle. Die Flut der schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen von mehr oder minder berufenen Diskussionsteilnehmern ist inzwischen bereits unübersehbar geworden. Ein Argument scheint an Beliebtheit und an Häufigkeit andere Streitpunkte in den Schatten zu stellen: Es geht darum, dass die derzeitige deutsche Juristenausbildung dem europäischen und internationalen Vergleich nicht standhalten würde und dass darunter die Konkurrenzfähigkeit deutscher Rechtsabsolventen leide4. Die Kritikpunkte und ihre jeweilige Gewichtung sind in der Diskussion je nach Standpunkt und Interessenlage der Beteiligten verständlicherweise unterschiedlich verteilt und gewichtet5. Einige zusammenfassende Stichworte mögen hier als Einführung genügen. Die derzeitige Ausbildung sei allzu lang, die deutschen Rechtsabsolventen würden in einem Alter in die Praxis entlassen, das erheblich höher liege als beim juristischen Nachwuchs in den europäischen Nachbarländern; die Ausbildung selbst sei ineffizient und mit allzu hohen Durchfallquoten verbunden; die Prüfungsanforderungen in den Staatsexamina, vor allem im ersten Staatsexamen, seien unrealistisch und zu hoch; das System selbst des derzeitigen ersten ___________ 2
So Großfeld, in: JZ 1986, S. 357. So Böckenförde, Juristenausbildung – auf dem Weg ins Abseits?, in: JZ 1997, S. 317-326; vgl. auch ders., Weniger büffeln, mehr begreifen. Wie die Juristenausbildung zu ändern wäre, in: FAZ v. 29.10.1996, Nr. 252, S. 12. Lesenswert allerdings auch die Erwiderungen in zahlreichen Leserzuschriften: Bröcker, in: FAZ v. 8.11.1996, S. 11; Foerste, in: FAZ v. 12.11.1996, S. 10; Schöbel, in: FAZ v. 13.11.1996, S. 12. 4 Statt aller siehe die Behauptung von Hoffmann-Riem/Willand, Forum: Neue Perspektiven der Juristenausbildung. Die Einheitsausbildung als Fixpunkt?, in: JuS 1997, S. 208 ff., insbes. S. 212: „Weitere Standortnachteile für deutsche Juristen im geöffneten Binnenmarkt ergeben sich daraus, daß die Ausbildungssysteme in anderen EGStaaten meist eine frühzeitige, berufsfeldbezogene Spezialisierung ermöglichen.“ 5 Die Flut der Stellungnahmen ist inzwischen beängstigend. Mit einer Auswahl vgl. Behrens, Brauchen wir eine neue Juristenausbildung?, in: ZRP 1997, S. 92 ff.; Schöbel, Stand der Diskussion um eine Reform der Juristenausbildung, in: JA 1997, S. 169 ff.; Zawar, Forum: Gedanken zum Praxisbezug in der juristischen Ausbildung, in: JuS 1994, S. 545 ff.; Haverkate, Forum: Anwaltsorientierte Juristenausbildung, in: JuS 1996, S. 478 ff.; Krimphove, Der „Diplomwirtschaftsjurist (FH)“ oder die Reform der Juristenausbildung von unten?, in: ZRP 1996, S. 248 ff.; Hesse, Juristenausbildungsreform und kein Ende, in: ZRP 1995, S. 401 ff.; Bilda, Reformüberlegungen zum Einheitsjuristen, in: DRiZ 1996, S. 430 ff. Ende Oktober 1997 wandte sich eine Gruppe namhafter Juristen aus Wissenschaft, Rechtsprechung, Rechtspraxis und Verwaltung mit einem Thesenpapier „Initiative für eine Reform des juristischen Studiums“ an die Öffentlichkeit: vgl. FAZ v. 24.10.1997, Nr. 247, S. 12 und NJW 1997, S. 2935; kritisch hierzu Simitis/Stolleis, Erneuerung, aber welche? Zur Reform der Juristenausbildung. Eine Antwort, in: FAZ v. 14.11.1997, Nr. 265, S. 44; Ebel, Juristen, die keine Bilanzen lesen können, Leserzuschrift, in: FAZ v. 31.10.1997, Nr. 253, S. 10. 3
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juristischen Staatsexamens sei bei den heutigen Anforderungen an einen Juristen und an die heutigen professionellen Erwartungen – vor allem seitens der Anwaltschaft – dysfunktional und unzureichend. Die Vorschläge, die hier gemacht werden, sind recht unterschiedlich und zum Teil gegensätzlich: Manche würden das Staatsexamen selbst allein durch Universitätsprüfungen ersetzen; das Staatsexamen und die damit verbundene Qualifikation des „Einheitsjuristen“ täusche nur eine universelle, in Wirklichkeit nicht vorhandene juristische Qualifikation vor und sei zudem in seiner Justizorientierung nur noch Zeugnis einer historisch überholten, autoritären Vorstellung des Juristen als „Staatsjuristen“6. Die Mehrheit der Diskussionsteilnehmer scheint allerdings bisher noch an dem Modell des Staatsexamens festhalten zu wollen, möchte jedoch das darauf folgende Referendariat differenzieren7; häufig wird ferner vorgeschlagen, universitäre Leistungskontrollen und Zwischenprüfungen einzuführen und deren Ergebnisse der Note im Staatsexamen anzurechnen. Auch hier wird regelmäßig auf die Ausbildungs- und Prüfungsformen im europäischen Ausland verwiesen. Die deutsche Anwaltschaft schlägt neuerdings vor, das Jurastudium mit einer Universitätsabschlussprüfung zu beenden. Die Ausbildung und berufliche Eignungsprüfung für die künftigen Anwälte sollten dann der Anwaltschaft selbst und sog. Anwaltsakademien überlassen werden8. Auch hier beruft man sich auf das gewichtige Argument des europäischen Vergleichs.
___________ 6
Repräsentativ hierfür Martinek, Der Eurojurist zwischen Anspruch und Wirklichkeit – ein Pamphlet in fünf Bildern, Festvortrag zum Fachbereichstag des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin am 19.1.1997, in: Dekan Prof. Dr. Klaus Adomeit für den Fachbereich Rechtswissenschaft (Hrsg.), Fachbereichstag WS 1996/97, 1997, S. 5-18; Kötz, „Deregulierte“ juristische Prüfungen könnten helfen, in: FAZ v. 22.6.1993, Nr. 141, S. 11; ders., Zehn Thesen zum Elend der deutschen Juristenausbildung, in: ZEuP 1996, S. 565-569, auch in: Süddeutsche Zeitung v. 27./28.7.1996, S. 39; vgl. auch Kühling, Neue Wege in der Juristenausbildung, in: Adlerstein (Hrsg.), Recht schafft Gemeinschaft. Rechtspolitischer Kongreß v. 18.-20. April 1997 in Mainz, 1997, S. 127-130; Böckenförde, Juristenausbildung (Fn. 3), S. 325; so bereits übrigens Koch, Die Juristenausbildung braucht neue Wege, in: ZRP 1989, S. 281 ff., insbes. S. 283; Steiger, ebd., S. 283 ff., insbes. S. 286. 7 Vgl. Palm, Gedanken zum Einheitsjuristen, in: JZ 1990, S. 609 ff. mit umfassenden bibliographischen Nachweisen. 8 So die Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins v. 15.5.1996. Vgl. neuerdings Stobbe, Zwölf Thesen der Anwaltschaft zur Reform der Juristenausbildung, in: NJW 1997, S. 1284 ff.; ders., Der Einheitsjurist. Leitbild oder Trugbild der Juristenausbildung?, in: DRiZ 1996, S. 439 ff.; ders., in: Welt am Sonntag v. 4.5.1997, Nr. 18, S. 13. Zu den Plänen von Anwaltsakademien vgl. etwa Handelsblatt v. 22.1.1997, Nr. 15: Länder wollen bei den Referendaren sparen; Thieme, Die freie Wahl der Ausbildungsstätte in der Rechtsanwaltsausbildung, in: ZRP 1997, S. 239 ff.; Redeker, Juristenausbildung: Neue Reformversuche?, in: NJW 1997, S. 1051-1052.
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2. Teil: Nationale Juristenausbildung II. Funktion eines europäischen Vergleichs
Was leistet eigentlich ein europäischer Vergleich bezüglich der Themen und Argumente der bisherigen Diskussion? Eine umfassende vergleichende Untersuchung der Juristenausbildung und der Zugänge zu den juristischen Professionen in den europäischen Ländern fehlt bis heute. Selbstverständlich gibt es unzählige Einzeluntersuchungen zu Teilaspekten der Geschichte und den derzeitigen Regelungen sowohl des Universitätsunterrichts als auch der jeweiligen Berufszugänge. Was aber vor allem fehlt, ist eine vergleichende Analyse auch der tatsächlichen organisatorischen und sozialen Erscheinungsform der Juristenausbildung und der Organisation der Zugänge zu den juristischen Fachberufen9. Die Rechtsvergleichung und die Rechtsgeschichte haben uns längst gelehrt, dass ein Vergleich, beschränkt auf die Berücksichtigung der normativen gesetzlichen Regelungen und institutionellen Selbstbeschreibungen, unzulänglich ist und nur zu optischen Selbsttäuschungen führen kann. Ein Vergleich ___________ 9
Siehe dazu Kunst, Opmerkingen over het juridisch onderwijs tussen de tweede en de twintigste eeuw. Rede (Utrecht, 13.10.1969), Zwolle 1969; Coing, Die juristische Fakultät und ihr Lehrprogramm, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und der Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, I, München 1973, S. 39-128; II, 1, München 1977, S. 3-102 (grundlegend in historischer Sicht); Cappelletti, L’educazione del giurista e la riforma dell’Università, Milano 1974; Giuliani/Picardi, L’educazione giuridica, I. Modelli di Università e progetti di riforma, Perugia 1975; II. Profili storici dell’educazione giuridica, Perugia 1979 (mit zahlreichen rechtshistorischen und rechtsvergleichenden Beiträgen); Grant/Jagtenberg/Nijkerck (eds.), Legal education two thousand, Aldershot 1988; zuletzt lesenswert Lonbay, Differences in the Legal Education in the Member States of the European Community, in: de Witte/Forder (eds.), The Common law of Europe and the future of legal education, Deventer 1992, S. 75 ff.; de Groot, European education in the 21st century, ebd., S. 7-29. Aus deutscher Sicht sind die Ausführungen von Kübler/Hassemer u. a., Welche Maßnahmen empfehlen sich auch im Hinblick auf den Wettbewerb zwischen Juristen aus den EG-Staaten zur Verkürzung und Straffung der Juristenausbildung?, in: Verhandlungen des 58. Deutschen Juristentages, München 1990, vol. 1 E, S. 13, S. 38-58, zu nennen; dieses Gutachten wird seitdem immer wieder als Beleg für die vermeintliche Unterlegenheit der deutschen Juristenausbildung im europäischen Vergleich herangezogen; auch hier kann jedoch von einer umfassenden vergleichenden Untersuchung nicht die Rede sein; vgl. ferner Schöbel, Blick über den Zaun. Aspekte der Juristenausbildung europäischer Nachbarstaaten, in: BayVwBl 1991, S. 328-331; Staats, Die Juristenausbildung in den Mitgliedsstaaten der EG, in: DRiZ 1990, S. 193-195 (beide Beiträge stützen sich auf teilweise unveröffentlichte Untersuchungen und Zusammenstellungen des Bundesministers der Justiz). Vor allem zur Anwaltsausbildung haben wir heute breit fundierte historische und vergleichende Untersuchungen: vgl. Halpérin (Hrsg.), Avocats et notaires en Europe. Les professions judiciaires et juridiques dans l’histoire contemporaine (Droit et société 19), Paris 1996; Siegrist, Advokat, Bürger und Staat. Sozialgeschichte der Rechtsanwälte in Deutschland, Italien und der Schweiz (18.-20. Jh.), I-II, Frankfurt a. M. 1996; Mazzacane/Vano (ed.), Università e professioni giuridiche in Europa nell’età liberale, Napoli 1994. Für eine vergleichende Darstellung der Richterausbildung in Europa vgl. Picardi/Giuliani, L’ordinamento giudiziario, Rimini 1984-85, insbes. Bd. II-III.
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muss die historischen Zusammenhänge sowie die tatsächliche soziale Funktion von gesetzlichen und institutionellen Regelungen mit einbeziehen. Es ist übrigens bezeichnend für die Bürokratie der Brüsseler Kommission, dass – soweit ich sehe – eine derartig umfassende und wahrhaftig vergleichende Untersuchung der verschiedenen juristischen Ausbildungs- und Prüfungsmodelle in den einzelnen Mitgliedsländern der EU bis heute auch nicht durch die Kommission durchgeführt wurde. Die bisherigen europäischen Strategien basieren auf einer formalen Gleichsetzung und gegenseitigen Anerkennung der jeweiligen gesetzlichen und institutionellen Regelungen. Rechtspolitisch war vielleicht dieser der einzige gangbare Weg. Wissenschaftlich und selbst rechtspolitisch bleibt dies jedoch recht unbefriedigend. Nur wenn der Vergleich die historischen Hintergründe einer gesetzlichen Regelung und die funktionalen Zusammenhänge ihrer praktischen tatsächlichen Anwendung mit einbezieht, kann er einen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn darstellen und rationale Argumente für die rechtspolitische Diskussion liefern. Darin liegt übrigens im Kern die wissenschaftliche Aufgabenstellung der Rechtsvergleichung als juristische Grundlagenforschung. Diesen Weg wollen wir nun gehen. Die Sicht eines Privatrechtlers wird naturgemäß, nicht zuletzt aufgrund der wissenschaftlichen Interessen und der privaten Kompetenz des Verfassers, im Vordergrund stehen.
III. Der historische Hintergrund
Einige Stichworte seien hier zunächst zu den beiden historischen Modellen in der europäischen Geschichte der Juristenausbildung in Erinnerung gerufen. Zentral ist hier vor allem der historische Gegensatz des kontinentalen gemeinrechtlichen Ausbildungsmodells zu der englischen Rechtstradition. Der kontinentale Jurist bildet sich seit den ersten Anfängen einer Rechtsgelehrsamkeit in der Schule von Bologna an der Universität. Das Ius commune, das in den kontinentaleuropäischen Universitäten seit dem 11. Jahrhundert bis zum Ende des Ancien Régime die Unterrichtsgrundlage bildet, stellt zugleich den wesentlichen Rahmen dar für die damalige übernationale Ausrichtung des Rechtsunterrichts, typisch für Kontinentaleuropa seit dem Mittelalter bis in die Neuzeit. Einheitlich waren allerdings nicht die materiell anwendbaren Rechtsregeln, sondern die Begrifflichkeit, die Denkweise und die Prinzipien, welche, aus den römischen Quellen abgeleitet, die Grundlage der Juristenausbildung darstellten.10 Das zersplitterte lokale Recht der Gewohnheiten und Statuten war zwar die primäre Rechtsquelle, wurde jedoch nicht unterrichtet. Die romanistische Ausbildung bildete also für die kontinentalen Juristen jener Zeit primär die Ba___________ 10 Zusammenfassend zum Thema siehe Ranieri, Der europäische Jurist. Rechtshistorisches Forschungsthema und rechtspolitische Aufgabe, erschienen in: Ius Commune 17 (1990), S. 9-25, insbes. S. 11-13 [in diesem Band S. 227 (S. 229 ff.)].
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sis eines gemeinsamen wissenschaftlichen Argumentationshaushalts. Die Universität ist im Gegensatz dazu in der Ausbildung des jungen englischen Juristen derselben Epoche vollständig abwesend. Der junge Rechtspraktikant erwirbt seine Sozialisation und seine Ausbildung wie der Lehrling eines Handwerks innerhalb der Inns of Court in London; der englische Jurist jener Jahrhunderte ist also eher das Produkt der Sozialisation innerhalb der eigenen Zunft. Der Gegensatz zum kontinentalen universitären Juristen in Prägung und Selbstverständnis kann nicht grundsätzlicher sein. Diese zwei Ausbildungsmodelle, deren Entwicklungsstränge hier nur kurz skizziert werden konnten, zeigen seit Ende des 18. Jahrhunderts Veränderungstendenzen in die gegensätzliche Richtung: Wir beobachten einerseits die langsame Verlagerung der Ausbildung des jungen englischen Juristen in die Universitäten; zugleich können wir feststellen, dass die Einführung in die Berufspraxis eine allmählich wachsende Bedeutung auch bei der Ausbildung des jungen kontinentalen Rechtsabsolventen erhält. Es ist Bestätigung und zugleich Indiz für diese strukturelle Veränderung, dass sowohl an der Universität Oxford als auch in Cambridge Ende des 18. Jahrhunderts Lehrstühle für das englische Recht errichtet werden11. Weitere Reformen werden aufgrund des Untersuchungsberichts des „Selected Committee on Legal Education“ im Jahre 1846 durchgesetzt12. In der Tat bieten erst seit Ende des 19. Jahrhunderts die englischen Universitäten mit Regelmäßigkeit ein vollständiges Programm an juristischen Vorlesungen an. Erst in den letzten Jahrzehnten, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, ist der Besuch einer universitären juristischen Ausbildung in England eine regelmäßige, wenn auch nicht unbedingt erforderliche Voraussetzung, um sich als junger Absolvent an den Eignungsprüfungen für die Zulassung zur Anwaltschaft beteiligen zu dür___________ 11 Siehe mit weiteren Nachweisen Hanbury, The Vinerian Chair and Legal Education, Oxford 1958; Lawson, The Oxford Law School 1850-1965, Oxford 1968. 12 Dazu aus zeitgenössischer deutscher Sicht Mittermaier, Die englischen Anstalten zur Ausbildung der Rechtsgelehrten. Mittheilungen aus dem neuesten Berichte Report from the select commitee on legal education together with the minutes of evidence (London 1846), in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes 20 (1848), S. 130 ff. Für einen historischen Überblick vgl. neuerdings Abel Smith/Stevens, Lawyers and the Courts. A Sociological Study of the English Legal System 1750-1965, 2. Aufl., London 1967. Zur derzeitigen Regelung zusammenfassend Blake, Becoming a barrister. Routes into the profession. The Ivenhoe Career Guide to the legal Profession 1996, London 1996; lesenswert auch Lawton, Legal Education and the Needs of the Legal Profession, Law Teacher 163 (1980), S. 14 ff., der aus der Sicht eines Richters! die allzu praktisch-empirische Ausrichtung der englischen Juristenausbildung bemängelt. Zu den kontinentalen Einflüssen zuletzt Stein, Legal Theory and the Reform of Legal Education in mid-nineteenth century England, in: L’Educazione giuridica (Fn. 9), 1979, II, S. 185-206; Campbell, German influences in English legal Education and jurisprudence in the 19th century, in: University West Australia Annual Law Review 4 (1959), S. 360 ff.; Graziadei, Changing Images of the Law in XIXth century English Legal Thought, in: Reimann (Hrsg.), The Reception of Continental Ideas in the Common Law World 1820-1920, Berlin 1993, S. 115 ff.
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fen. In Kontinentaleuropa kann man in derselben Epoche eine gegenläufige Entwicklung beobachten: Der Besuch einer Universität am Ende des Ancien Régime stellt nicht mehr eine an sich allein ausreichende Bedingung dar, um Zugang zu einer juristischen Profession zu erlangen. Das ständische Selbstverständnis, typisch für die Juristen in der vormodernen europäischen Gesellschaft der Neuzeit, weicht nunmehr einer zunehmenden Professionalisierung13. Dies gilt zunächst vor allem für den Zugang zur Richterschaft oder für die Aufnahme in die damals sich herausbildende staatliche Verwaltung. Die Entwicklung im Alten Reich ist hierfür exemplarisch. Das Reichskammergericht kannte bereits die sog. Proberelationen14. Prüfungen solcher Art sind im 18. Jahrhundert in den meisten deutschen Territorien üblich. Vorbild für diese „duale“ Form der Juristenausbildung ist das Modell des preußischen Referendariats15: Die Universitäten und die Vertreter der universitären Wissenschaft sind hier nunmehr von der Kontrolle der juristischen Berufseignung vollständig ausgeschlossen. Gerade der hier skizzierte historische Hintergrund eröffnet uns einen Weg, um Zusammenhänge und Gegensätze in der heutigen kontinentalen Ausbildungstradition begreifen zu können.
B. Juristenausbildung und Rechtsprofessionen in Kontinentaleuropa heute I. Universitäre und nichtuniversitäre Juristenausbildung und Zugang zu den juristischen Professionen
Die Juristenausbildung in den kontinentalen Ländern bleibt bis heute weitgehend von der oben kurz skizzierten historischen Entwicklung geprägt. In nahezu allen Ländern ist das Universitätsstudium eine zwar notwendige, aber nicht ausreichende Bedingung für den Zugang zu den juristischen Professio___________ 13
Hierüber darf ich auf meine Ausführungen verweisen in: Ranieri, Vom Stand zum Beruf. Die Professionalisierung des Juristenstandes als Forschungsaufgabe der europäischen Rechtsgeschichte der Neuzeit, in: Ius Commune 13 (1985), S. 83-105; ders., From Status to Profession: The Professionalisation of Lawyers as a Research Field in Modern European legal History, in: The Journal of legal History 1989, S. 180-190. 14 Hierzu Smend, Das Reichskammergericht, Weimar 1911, S. 304. Allgemein zur Einführung von ähnlichen Eignungsprüfungen in den deutschen Territorien vgl. Bake, Die Entstehung des dualistischen Systems der Juristenausbildung in Preußen, Kiel 1971, insbes. S. 6-13. 15 Zur historischen Entwicklung vgl. mit weiteren Nachweisen Dilcher, Die preußischen Juristen und die Staatsprüfungen. Zur Entwicklung der juristischen Professionalisierung im 18. Jahrhundert, in: Festschrift für Hans Thieme zu seinem 80. Geburtstag, Sigmaringen 1986, S. 295-305; zuletzt Ebert, Die Normierung der juristischen Staatsexamina und des juristischen Vorbereitungsdienstes in Preußen (1849-1939) (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 9), Berlin 1995 (dazu vgl. Ormond, in: ZNR 1997, S. 311-314; Pauly, in: Sav. Z. Germ. Abt. 1997, S. 611612).
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nen. Nur in Spanien – bis zu einer angekündigten, bis heute allerdings wegen der Standeswiderstände noch nicht verwirklichten Reform – ist es für den jungen Rechtslizentiaten noch möglich, sich unmittelbar nach dem Universitätsbesuch als Anwalt niederzulassen. In dieser Hinsicht ist Spanien also das letzte Land, wo dieses Moment der vormodernen europäischen Gesellschaft der Neuzeit fortlebt16. Auch die Niederlande kennen bis heute nur eine universitäre Doktoralprüfung17. Allerdings bleiben die Unterschiede zwischen den jeweiligen kontinentalen Ländern im Einzelnen mehr als beträchtlich. Das deutsche Modell, das ohne wesentliche Strukturunterschiede seit dem 19. Jahrhundert bis heute im Kern unverändert besteht, hat praktisch die Universität aus der Juristenausbildung weitgehend verdrängt. Entscheidend ist hier nicht nur das Fehlen eines Universitätsabschlussexamens seit der preußischen Zeit wenn man von den akademischen Graduierungen absieht , sondern vor allem, dass bis heute Prüfungen und sonstige Leistungen während der Universitätskarriere keine Berücksichtigung bei der Bewertung des ersten Staatsexamens finden. Die fehlende Bedeutung einer universitären Abschlussprüfung entfremdete, wie wir sehen werden, die deutschen Rechtsfakultäten bereits im 19. Jahrhundert von der Realität der Juristenausbildung. Dieses System hat sich in Deutschland außerhalb Preußens nur sukzessiv durchgesetzt; in Sachsen etwa wurde eine juristische Staatsprüfung für die Universitätsabsolventen erst im Jahre 1861 eingeführt. Spätestens mit den Reichsjustizgesetzen von 1878 galt das preußische System des Staatsexamens und des Referendariats in nahezu allen deutschen Territorien. Die Einheitlichkeit und die Staatsorientierung sind die zwei wesentlichen Merkmale dieses Systems: Sämtliche Juristen haben sich ungeachtet der unterschiedlichen Berufsausgänge den Staatsprüfungen zu unterziehen, und die praktische Ausbildung findet im rechtlichen und organisatorischen Rahmen der staatlichen Justizverwaltung statt. ___________ 16 Zur Juristenausbildung in Spanien und zur dortigen Reformdebatte in den letzten Jahren siehe Ferreiro/Miguel/Mir/Coderch (ed.), La enseñanza del derecho en España, Madrid 1987 (mit umfassender Bibliographie); vgl. hier insbes. S. 19-206; S. 219-259 mit einer breiten vergleichenden Analyse der europäischen Ausbildungssysteme; siehe ferner Coderch, La reforma de las enseñanzas de derecho en España, in: La Ley. Revista juridica española de doctrina y jurisprudencia 1988, S. 1-4; De Buján, La reforma de los estudios de derecho. El nuevo plan de estudios. Su valoración y análisis histórico y comparado, Madrid 1992. 17 Die niederländische Juristenausbildung kennt keine Referendarzeit; nach der Doktoralprüfung ist man voll ausgebildeter Jurist. Für den Anwaltsberuf ist jedoch eine dreijährige Praxis unter Beaufsichtigung eines älteren Anwalts erforderlich, allerdings ohne Abschlussprüfung. Für die Justiz ist dagegen eine zusätzliche Probezeit für 6 Jahre als Justizreferendar vorgesehen; auch hier sind für die Aufnahme die Ergebnisse der Universitätsprüfung maßgebend. Dazu de Groot, Legal education and the legal profession, in: Chorus u. a. (ed.), Introduction to Dutch Law for Foreign Lawyers, 2. Aufl., Deventer 1993, S. 27 ff.; ders., Die juristische Ausbildung in den Niederlanden, in: JuS 1976, S. 763.
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Das deutsche System ist einmalig in Europa; allerdings kennt auch Österreich eine – jedoch erheblich kürzere – praktische Ausbildungsphase unter staatlicher Aufsicht18 nach der Universitätsprüfung und Schweden ebenfalls eine zweite, staatlich organisierte Praktikantenzeit19, welche bereits zur Zeit ihrer Einführung weitestgehend nach dem preußischen Referendariatsmodell gestaltet wurde. Das preußische Qualifikationsmodell des Staatsexamens und dessen Ansiedlung bei der Justizverwaltung ist für die Funktionsstellung und Selbstdefinition der deutschen Rechtsfakultäten in Bezug auf die Juristenausbildung auch nicht folgenlos geblieben20. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts wird sichtbar, dass das Lehrangebot der Fakultäten keinesfalls mit den Inhalten der Referendariatsprüfung korreliert. Daraus ergibt sich als bemerkenswerte Folge, dass die Rechtskandidaten ihre Examensvorbereitung schon damals, ebenso wie heute, im Wesentlichen außerhalb der Universität bei privaten Rechtsschulen, den sog. Repetitorien, erhielten. „Kein Lehrplan erwähnte sie“ – ist kürzlich zutreffend in einer Geschichte der Anwaltschaft geschrieben worden – „jedermann wusste aber von dieser privatwirtschaftlichen Bildungseinrichtung“21. Dieses Problem war bereits im 19. Jahrhundert den zeitgenössischen Juristen mehr als bewusst und erweckte übrigens bei den damaligen ausländischen Besuchern deutscher Rechtsfakultäten beträchtliches Staunen22. Hier könnte man etwa die Auseinandersetzungen in Erinnerung rufen zwischen der juristischen Fakultät in Berlin zur Zeit von Friedrich Carl von Savigny und dem preußischen Justizministerium, das sich damals gerade darüber beschwerte, dass das ___________ 18
Erste Erwähnung in der „provisorischen Advokaten-Ordnung“ v. 16.8.1849, in: Österreichisches RGBl 1849, Nr. 364. Zur heutigen Regelung und Praxis vgl. Köhl, Die Gerichtspraxis. Eine seit hundert Jahren bewährte Einrichtung zur Juristenausbildung in Österreich, in: Kriminalsoziologische Bibliographie 1987, Heft 54, S. 37 ff.; Jesionek, Zur Ausbildung des österreichischen Richters, in: Festschrift für Wassermann, Darmstadt 1985, S. 581 ff. Zuletzt vgl. Mayr, in: Jura 1989, S. 108 ff.; Schiller, in: Österreichische Richterzeitung 1995, S. 156 ff.; siehe auch Tomandl, Überlegungen zur Reform des juristischen Studiums, in: Österreichische JZ 1992, S. 465 ff. Zur Juristenausbildung in Österreich vgl. allgemein Brunner, Die juristischen Studienvorschriften in Österreich von 1848 bis heute, in: Festschrift für Klecatsky zum 60. Geburtstag, Wien 1980, S. 85 ff.; Sprung/Mayr, Die juristischen Berufsprüfungen und ihr Verhältnis zueinander, in: Österreichische JZ 1983, S. 29 ff. 19 Hierzu vgl. Detta är tingsrätten, Domstolsverket, insbes. S. 2 ff. Allgemein Modéer, Skånska advokater. Från prokuratorer till samfundsadvokater, Lund 1992. 20 Zur Reformdiskussion im 19. Jahrhundert siehe etwa Goldschmidt, Rechtsstudium und Prüfungsordnung. Ein Beitrag zur Preußischen und Deutschen Rechtsgeschichte, Stuttgart 1887; vgl. auch Michaelis, Die heutige Juristenausbildung und ihr Verhältnis zur Rechtswirklichkeit, in: JuS 1991, S. 798-805 mit ausführlichen historischen Nachweisen. 21 So Siegrist, Advokat (Fn. 9), Vol. II, S. 668. 22 Einzelheiten bei Ahcin, Zur Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen von 1863/65, Frankfurt a. M. 1996, S. 314 ff., insbes. S. 317, Fn. 300 mit Nachweisen.
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ALR, immerhin das damalige geltende preußische Recht, kaum in den Vorlesungen angeboten wurde23. In der Tat hat beispielsweise Savigny das ALR außerordentlich selten gelesen24. Das System des Staatsexamens führte übrigens umgekehrt auch zu einem besonderen Selbstverständnis der Fakultäten. Als im Jahre 1865 in Dresden das damalige Sächsische Zivilgesetzbuch in Kraft gesetzt wurde, versuchte beispielsweise der damalige sächsische Justizminister vergebens, von der juristischen Fakultät Leipzig eine Umstellung des Studienplanes auf die neue Gesetzgebung zu erreichen. Interessant ist die Begründung, mit welcher der damalige Dekan, Carl Georg von Wächter, einer der berühmtesten Pandektisten seiner Zeit, diese Ablehnung rechtfertigte: Die juristische Fakultät Leipzig sei vor allem eine „deutsche Rechtsfakultät“. Ihre Aufgabe liege darin, „das Recht als Wissenschaft überhaupt zu entwickeln und zum Begreifen zu bringen, und, was das positive Recht betrifft, das in Deutschland überhaupt zur Geltung gekommene positive Recht und seine Grundlagen zu lehren“25. Es ist bezeichnend, dass das Justizministerium sich nicht durchsetzen konnte und eine Umstellung des Unterrichts zum neuen Gesetzbuch nicht zustande kam. Ähnliche Diskussionen fanden auch nach Inkrafttreten des BGB statt. Das Phänomen der privaten Rechtsrepetitorien, im europäischen Ausland übrigens kaum bekannt, offenbart ein wesentliches Strukturelement der derzeitigen deutschen Juristenausbildung, dessen Berücksichtigung unverzichtbar ist, will man die Dimensionen des deutschen Rechtssystems tatsächlich erfassen. Wie nachhaltig sich das preußische Juristenausbildungsmodell in Deutschland durchgesetzt hat, wird sichtbar, wenn man bedenkt, dass die Mehrzahl der Rechtsfakultäten und Hochschullehrer heute das System des Staatsexamens voll verinnerlicht hat und die Existenz der privaten Repetitorien als selbstverständlich hinnimmt26, 27. ___________ 23
Hierzu ausführlich Bake, Die Entstehung (Fn. 14), S. 120-132. Vgl. neuerdings Savigny, Landrechtsvorlesung 1824. Drei Nachschriften, herausgegeben von Wollschläger u. a., I, Frankfurt a. M. 1994, insbes. Einleitung, S. XXXI ff.; ferner Bake, Die Entstehung (Fn. 14), S. 112 ff. 25 Vgl. Ahcin, Zur Entstehung (Fn. 22), insbes. S. 314 ff. und den Text der Stellungnahme, S. 338-347, insbes. S. 339 mit dem Zitat. 26 Das Reformschrifttum zur deutschen Juristenausbildung ist unübersehbar. Hier seien nur in einer historischen Auswahl genannt: Die Ausbildung der deutschen Juristen. Darstellung, Kritik und Reform (Veröffentlichungen des Arbeitskreises für Fragen der Juristenausbildung n. 2), Tübingen 1960; Köbler, Zur Geschichte der juristischen Ausbildung in Deutschland, in: JZ 1971, S. 768 ff.; Kübler, Juristenausbildung im Zielkonflikt, Konstanz 1971; Seiter/Stürner, Zum Stand der Diskussion um die Reform der Juristenausbildung, in: JuS 1982, S. 310 ff.; Großfeld, Das Elend des Jurastudiums, in: JZ 1986, S. 357-360; Neumann, Studienbegleitende Leistungskontrollen in der Juristenausbildung, in: DVwBl 1987, S. 339-346; Bund, The Study of Law and the First National Law Examination in the Federal Republic of Germany, in: Legal education two thousand (Fn. 9), S. 163-181; Großfeld, Rechtsausbildung und Rechtskontrolle, in: NJW 1989, S. 875-880. 24
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Ich habe bereits erwähnt, dass das deutsche System eines einheitlichen Staatsexamens als Abschluss des Universitätsstudiums in Europa einmalig ist. Es wäre jedoch eine naive Verkürzung anzunehmen, dass ähnliche Strukturverschiebungen zwischen universitärer und nichtuniversitärer Juristenausbildung in den übrigen kontinentalen Ländern in den vergangenen zwei Jahrhunderten überhaupt nicht stattgefunden hätten. Das Gegenteil ist der Fall: In nahezu allen kontinentalen Ländern hat heute der junge Jurist nach dem Universitätsbesuch noch als Praktikant eine mehrjährige, langwierige und intensive Beschäftigung mit der Berufspraxis zu absolvieren; Organisation und Beaufsichtigung dieser praktischen Ausbildungsphase obliegen auch hier nicht den Universitäten, sondern der staatlichen Justizverwaltung und häufig im Gegensatz zu Deutschland, wo die Anwaltschaft traditionell bei den staatlichen Justizprüfungsämtern wenig beteiligt wurde28 und noch wird auch den Rechtsanwaltskammern. Heute wird diese praktische Ausbildung überall kontrolliert und gesteuert durch die Abhaltung von Eignungsprüfungen, die fast ausschließlich von Mitgliedern der Gerichte und der Anwaltschaft abgenommen werden. Die Universitäten und die Vertreter der universitären Wissenschaft sind meistens vollständig ausgeschlossen von einer solchen Kontrolle der juristischen Berufseignung. In Italien etwa sind die Professoren, die an solchen Prüfungen teilnehmen, selbst Mitglieder der Anwaltschaft und nur in dieser Eigenschaft Prüfer. In den Diskussionen über eine Reform der deutschen Juristenausbildung, die in Deutschland zur Zeit geführt werden, wird gelegentlich behauptet, dass die übrigen kontinentalen Länder ein Staatsexamen für Juristen nicht kennen. Richtig ist hier nur die Beobachtung, dass in keinem europäischen Land die universitäre Juristenausbildung ohne eine universitäre Prüfung abgeschlossen wird. Ein realistischer Vergleich zeigt allerdings zugleich, dass das deutsche Staatsexamen funktional Entsprechungen in nahezu sämtlichen kontinentalen Ländern findet, häufig in der Form von unter staatlicher Aufsicht durchgeführten Eignungsprüfungen für den Zugang zu einer bestimmten juristischen Profession. Eine solche Eignungsprüfung kann auf verschiedene Weise innerhalb der Ausbildungskarriere platziert werden: Sie kann etwa am Anfang liegen, als Eingangsprüfung für einen bestimmten professionellen Vorbereitungs___________ 27 Für statistische Daten zum Repetitorien-Besuch vgl. neuerdings Hermann/Stroezel/Tag, Die Juristenausbildung an der Universität Heidelberg. Ergebnisse einer Befragung von Examenskandidaten/innen, in: JuS 1997, S. 476 ff., insbes. S. 477; Streng, Determinanten und Indikatoren von Examenserfolg und Studiendauer im Jurastudium, in: Hermann/Tag (Hrsg.), Deutscher Hochschulverband. Die universitäre Juristenausbildung. Empirische und theoretische Analysen zur Studiendauer und Studienleistung, Bonn 1996, S. 32 ff., insbes. S. 38-40; Hommerich, Die Dauer der Juristenausbildung, ebd., S. 56 ff., insbes. S. 60; Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.), Das Studium der Rechtswissenschaft. Eine Fachmonographie aus studentischer Sicht, Bonn 1996, insbes. S. 34-36. Zur gesamten Problematik der privaten Repetitorien vgl. zuletzt die Stellungnahmen in Stud. Jur. 11 (1997), S. 6-20. 28 Historische Einzelheiten bei Siegrist, Advokat (Fn. 9), Vol. II, S. 668-669.
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dienst, so etwa bei den Zugangsprüfungen in Frankreich zur Ecole Nationale de la Magistrature oder den vergleichbaren Concorsi in Italien, um als uditore giudiziario zur Richterausbildung zugelassen zu werden; eine Eignungsprüfung kann auch am Ende einer praktischen Ausbildungsphase vorgesehen werden, etwa beim Anwaltsexamen in Italien, aufgrund dessen die Berechtigung erworben wird, sich als Anwaltsanwärter niederzulassen. Ein Strukturunterschied zum deutschen System lässt sich allerdings überall in doppelter Hinsicht festhalten: Zunächst sind diese Eignungsprüfungen, die sich in der Sache selbst, in der Organisation, häufig auch in der Zusammensetzung des Prüfungspersonals und vor allem in den gestellten Anforderungen kaum von den deutschen Staatsexamina unterscheiden29, den Universitätsabschlussprüfungen zeitlich und organisatorisch nachgeschaltet. Zum zweiten fehlt es an der Einheitlichkeit der praktischen Ausbildungsphase und der damit verbundenen Prüfung. Im Gegensatz zum deutschen Assessorexamen sind in allen kontinentalen Ländern die genannten Eignungsprüfungen je nach Berufsweg etwa Aufnahme in die Justiz, in die Verwaltung, in die Anwaltschaft, in das Notariat unterschiedlich strukturiert, sowohl was das Prüfungspersonal, als auch vor allem was Prüfungsinhalte und Anforderungen angeht. Ein realistischer Vergleich der kontinentalen Ausbildungssysteme mit dem deutschen System des Referendariats macht also deutlich, dass auch in den übrigen Ländern die universitäre Juristenausbildung heute zwar eine notwendige, aber auf keinen Fall eine ausreichende Bedingung für den Zugang zu einer klassischen juristischen Profession geblieben ist. Die Ausschaltung der juristischen Fakultäten von der Steuerung des Zugangs zu den juristischen Fachprofessionen ist hier sogar deutlicher als in Deutschland selbst. Ich denke etwa an die personelle Zusammensetzung der Prüfungskommissionen bei solchen Examina, wo Hochschullehrer noch seltener als im deutschen Staatsexamen vertreten sind; in Italien etwa sind Universitätsprofessoren bei den Anwalts- und Richterprüfungen, die unter der organisatorischen Aufsicht der Appellationsgerichte und des Justizministeriums in Rom stattfinden, selten beteiligt und dann auch nur, wenn sie – wie bereits erwähnt – selbst zur Anwaltschaft gehören. Bemerkenswert ist ferner auch der Umstand, dass es in den romanischen Ländern zu diesem beschriebenen Modell von Eignungsprüfungen erst in einer relativ jüngeren Zeit gekommen ist. Im Gegensatz zum preußischen System des Referendariats kannten die meisten romanischen Länder in der Tat im 19. Jahrhundert diese Form der Professionalisierung der Juristen, vor allem für die Anwaltschaft, nicht. Selbst für die Zulassung zur ___________ 29 Für Beispiele von Klausuren aus italienischen Anwalts- und Richterexamina siehe etwa Di Blasi, Ipotesi di temi per gli esami di Uditore giudiziario e procuratore legale, Milano 1980; andere Beispiele in: Il Corriere giuridico, Milano 1992, Heft 7, S. 822 ff.; Pisa, Pareri motivati di diritto penale, Padova 1997; Bessone, Casi e questioni di diritto privato per la pratica forense, Milano 1995; Locatelli, La pratica forense, Padova 1996; Dogliotti, L’esame di uditore giudiziario, Milano 1997 und zuletzt in: Stud. Jur. 10 (1997), S. 1035-1062. Die Klausuren sind siebenstündig.
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Justiz waren in Frankreich oder in Italien im 19. Jahrhundert keine mit den heutigen vergleichbaren Prüfungen vorgesehen. Bis ins letzte Jahrhundert hinein reichte in Frankreich für die Aufnahme in das Barreau schon eine mehrmonatige „stage“. Die Anwaltskammern in den italienischen präunitarischen Staaten prüften zwar die Aufnahmekandidaten, aber solche Prüfungen „behielten stärker“ ist geschrieben worden „eher den Charakter eines Aufnahmerituals“30. Das System, wonach das Universitätsstudium allein ausreicht für den Zugang in die praktische Rechtsprofession, ist allerdings ein Modell, das heute offenkundig der Vergangenheit angehört. Ein historischer Vergleich der Gesetzgebungsgeschichte in den romanischen Ländern zeigt uns, dass im Laufe des letzten Jahrhunderts die Gesetzgeber für die Aufnahme in die Anwaltschaft oder in die Justiz immer präzisere und höhere Prüfungsanforderungen vorgesehen haben. So wurden beispielsweise staatliche Eignungsprüfungen für die Zulassung als Anwaltsanwärter in Italien erstmals 1926 eingeführt; die Anforderungen an solche Prüfungen wurden in den darauf folgenden Jahrzehnten immer wieder, zuletzt bei der Novellierung der Anwaltsgesetzgebung 1988, verschärft31. Am Appellationsgericht Mailand liegen die Durchfallquoten heute zwischen 80 und 90 %32. Die „concorsi“ für die Aufnahme in die Justiz und vor allem diejenigen für die Aufnahme in das Notariat gelten als unüberwindbar. Ähnliche Verläufe der Berufsgesetzgebung sind auch in anderen romanischen Ländern zu beobachten. So kennt Frankreich erst seit 1941 den Certificat d’Aptitude à la Profession d’Avocat (CAPA). Für die Aufnahme in die dafür vorgesehenen Vorbereitungskurse ist seit 1980 eine Eignungsprüfung vorgese___________ 30 So Siegrist, Advokat (Fn. 9), Vol. I, S. 276; vgl. hier S. 270 ff., eine umfassende Beschreibung der italienischen Anwaltschaft in den italienischen präunitarischen Staaten des 19. Jahrhunderts; zum Rechtsunterricht in Italien im 19. Jahrhundert zuletzt Mazzacane, Pratica e insegnamento: l’istruzione giuridica a Napoli nel primo Ottocento, in: Mazzacane/Vano (ed.), Università e professioni (Fn. 9), S. 77-113; dort weitere Beiträge. 31 Zur Vorgeschichte der italienischen Anwaltsgesetzgebung Siegrist, Advokat (Fn. 9), Vol. II, S. 731 ff.; Halpérin, Avocats et notaires (Fn. 9), S. 166-172. Heute vgl. Gesetz v. 27.6.1988, n. 242, in: Gazz. Uff. v. 1.7.1988 n. 153 und zuletzt Gesetz v. 24.2.1997 n. 27, in: Gazz. Uff. v. 27.2.1997 n. 48 (dazu Faschiani, Entwicklung des Anwaltsberufs in Italien und internationale Anwaltstätigkeit in Europa, in: IPRax 1998, S. 51; Dangel, Neues italienisches Anwaltsrecht, in: Jahrbuch für italienisches Recht 10 (1997), S. 159 ff.; Danovi, La professione d’avvocato. Testi legislativi, Milano 1997. Kritisch zu den allzu schwierigen Prüfungsklausuren Pisani Massamormile, La legge professionale forense e l’esigenza di formazione dell’avvocato, in: Giur. It. 1990, IV, S. 1 ff., insbes. S. 11: „pareri scritti, che sono compiti professionali specifici, generalmente affidati al giurista maturo, non al giovane“. 32 Für eine umfassende Übersicht vgl. zuletzt Grillo/Guarneri/Onofri, L’esame di procuratore legale, Milano 1994, hier insbes. S. 258 ff. für die gesetzlichen Regelungen, S. 274 ff. für eine Zusammenstellung von Prüfungsklausuren und S. 287-288 zu den Prüfungsstatistiken. Zu den Durchfallquoten vgl. auch Halpérin, Avocats et notaires (Fn. 9), S. 171, sowie Carpi, Le scuole forensi, in: Riv. trim. di dir. proc. civ. 1992, S. 1244. Siehe auch oben Fn. 29.
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hen, deren Rigorosität als zunehmend selektiv beschrieben wird33. Als noch schwieriger gelten die Aufnahmeprüfungen an der Ecole Nationale de la Magistrature in Bordeaux34. Die Effizienz der beschriebenen Systeme einer praktischen juristischen Vorbereitungszeit mit Eignungs- und Zugangsprüfung nach dem Universitätsexamen variiert verständlicherweise von Land zu Land. Eine staatliche Besoldung der Rechtspraktikanten wie für das deutsche Referendariat existiert in keinem europäischen Land in vergleichbarer Form. In den meisten kontinentalen Ländern, vor allem in den romanischen, ist diese praktische Ausbildungsphase der privaten und so auch der finanziellen Initiative der Betroffenen überlassen. Dies gilt vor allem für die Anwaltsausbildung. In Spanien scheint es sogar üblich zu sein, dass der frische Universitätsabsolvent, der sich eigentlich gleich als Anwalt niederlassen könnte, selbst ein Honorar zahlt, um in besonders gut eingeführten Kanzleien in die Praxis begleitet zu werden35. Die Diskussionen, die in manchen romanischen Ländern zur Anwaltsausbildung geführt werden, erwecken übrigens auch den Eindruck, dass die beschriebenen Eignungsprüfungen nicht immer frei von berufsständischen Interessen bleiben. In der Tat sind die, vielleicht sogar übertriebenen, rechtsstaatlichen Garantien, welche das deutsche juristische Staatsexamen auszeichnen, in ähnlicher Form in den romanischen Ländern keinesfalls selbstverständlich. Für deren Bestehen sind die Universitätsabschlüsse übrigens offenkundig längst nicht ausreichend. Der deutsche Leser wird mit Vergnügen vernehmen, dass in Mailand zum Beispiel ehemalige Richter private und kostspielige Vorbereitungsschulen unterhalten, deren Besuch für die Prüfungskandidaten offenbar als unverzichtbar angesehen wird, und deren Angebot ohne dass dies den Beteiligten im geringsten be___________ 33
Zuletzt zum Thema vgl. Halpérin, Avocats et notaires (Fn. 9), S. 172-190; Guinchard/Raynaud, La formation des avocats après la fusion des professions juridiques et judiciaires en France, in: Gaz. Pal. 1996, Doctrine, S. 8 ff.; Barthelemy, La formation des avocats, in: Gaz. Pal. 1992, Chronique, S. 862 ff.; Charrier, L’avenir de la formation des avocats: Ecole nationale du barreau ou simple ‘délocalisation’?, ebd. 1993, Chronique, S. 944 ff. Für die Prüfungsanforderungen siehe Guinchard, Collection Préparation au CRFPA. Comment devenir avocat. Les examens d’accès à la profession, 2. Aufl., Paris 1995; Guinchard/Harichaux, Collection Préparation au CRFPA. L’épreuve écrite juridique. Sujets donnés à l’institut d’études judiciaires de Paris II, Session 1993, Paris 1995. 34 Zuletzt hierzu Potocki, La formation des magistrats (plaidoyer pour une ouverture), Mélanges P. Bellet, Paris 1991, S. 459 ff.; Rozes, Un profil nouveau pour les juges, in: Nouveaux juges, nouveaux pouvoirs? Mélanges en l’honneur de R. Perrot, Paris 1996, S. 435 ff. Aus italienischer Sicht Mestitz, Selezione e formazione dei magistrati e degli avvocati in Francia, Padova 1990. Hinsichtlich der Anforderungen siehe Deloriol, Gabin u. a. (Hrsg.), ENM, Méthodologie du jugement civil, Bordeaux 1991 (unveröffentlicht). 35 Zu den Missbräuchen und zu den bis heute noch nicht verwirklichten Reformprojekten siehe Rojas/Sanguesa, La carrera de derecho. Estudios y salidas profesionales, Barcelona 1991, insbes. S. 61.
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wusst ist sich kaum von den deutschen Repetitorien unterscheidet36. Der Vergleich macht deutlich, dass die kontinentalen Ausbildungsmodelle sich bei realistischer Betrachtung funktional viel näher stehen, als mancher deutsche Rechts- und Hochschulpolitiker heute glauben mag. Es ist insoweit nicht überraschend, dass in Spanien und in Italien ausgerechnet das deutsche Referendariat, das in Deutschland zur Zeit heftig kritisiert wird, gerade als Vorbild für geplante Reformen angesehen wird37. Erwähnenswert ist in der Tat, dass die postuniversitäre praktische Juristenausbildung in Italien vor einigen Monaten grundlegend reformiert wurde: „Scuole forensi“ sollen demnach an den Universitäten eingerichtet werden; die Zulassung hier soll für die Universitätsabsolventen nur über Eignungsprüfungen möglich sein. Künftig wird ein zweijähriger Besuch von solchen Rechtsschulen nach der Universität unverzichtbare Voraussetzung sein für die Zulassung etwa zur Eignungsprüfung für die Richterausbildung oder für das Anwaltsexamen38.
II. Unterrichtsmethoden und Prüfungsformen in der Ausbildung des kontinentalen Juristen
In der Methode des Rechtsunterrichts war in den kontinentalen Rechtsfakultäten der gemeinrechtlichen Zeit seit den ersten Anfängen in Bologna im 11. und 12. Jahrhundert die mündliche „lectura“ pädagogisches Modell und Vorbild: Der Dozent diktierte den Text eines Fragments des Corpus Iuris, den so genannten casus legis, und die dazu überlieferte Kommentierung; die Aufgabe des jungen Lernenden bestand im Wesentlichen darin, die Texte der römischen Quellen zusammen mit den in den Kommentierungen formulierten Rechtsre-
___________ 36
Hier sei etwa die Schule von Prof. Vincenzo Mariconda, Società Iuxta in Mailand, oder ebenfalls in Mailand die ISPEC genannt. Istituto postuniversitario di Milano. Es sei übrigens erwähnt, dass auch in Spanien für die Richterprüfung eine private Unterrichtsvorbereitung von wenigstens zwei Jahren als unumgänglich angesehen wird: vgl. Butragueño, Las mejores salidas de la carrera de derecho, 2. Aufl., Madrid 1993, S. 7982. 37 Siehe zum Beispiel für Italien: Preparazione professionale degli avvocati e dei magistrati. Discussione su una ipotesi di riforma, a cura di Di Federico, Padova 1988; lesenswert die vergleichende Darstellung von Pederzoli, Selezione e formazione delle professioni legali in Germania, Milano 1992; zuletzt Padoa-Schioppa, Una scuola superiore per le professioni legali?, in: Stud. Jur. 9 (1996), S. 1217 ff.; ebd. (S. 260 ff. und S. 1219 ff.) der Beitrag von Zagrebelsky. 38 Siehe Gesetz Nr. 127 von 1997, Art. 17 und das Dekret vom 5.8.1997; zugelassen werden sollen demnach nur 15-20 % der Universitätsabsolventen. Zur Reform PadoaSchioppa, Scuola forense: cadono gli steccati fra le toghe, in: Il Sole 24 Ore, v. 26.8.1997, n. 232, S. 21; ders., Verso l’istituzione delle scuole forensi, Stud. Jur. 10 (1997), S. 1007-1009.
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2. Teil: Nationale Juristenausbildung
geln und Rechtsprinzipien mitzuschreiben und auswendig zu lernen39. Die Schriften aus dem 16. oder 17. Jahrhundert mit Ratschlägen zum Studium betonen einstimmig die zentrale Bedeutung des Memorierens von Rechtsdefinitionen und Rechtsregeln40. „Repetitio mater studiorum“ hieß damals die pädagogische Hauptregel; „memoriae mandare textus notabiliores“ lautet bezeichnenderweise der Ratschlag, welchen der spanische Kanonist Juan Alfonso de Benavente in einer Schrift den damaligen Studenten gibt41. Eine heute für uns kaum vorstellbare Beherrschung des Textes der römischen Rechtsquellen steht also im Zentrum dieser pädagogischen Unterweisungstradition. Auch die Disputationen, welche insbesondere an den deutschen und holländischen Rechtsfakultäten aus der Zeit des Usus modernus üblich waren und welche traditionell vor der Drucklegung erst mündlich abgehalten wurden, boten den Kandidaten vor allem Gelegenheit zu zeigen, wie sicher sie Texte, Regeln, Definitionen, Prinzipien und sonstige Themen aus dem unübersehbaren Argumentationshaushalt der damaligen gemeinrechtlichen Literatur zu beherrschen wussten. Diese pädagogische Unterrichtstradition blieb typisch und im Kern unverändert für alle kontinentalen Rechtsfakultäten bis in das 18. Jahrhundert hinein. Die englischen Rechtshistoriker, die die Arbeit und den Unterricht an den Inns of Court der damaligen Zeit untersucht haben, haben übrigens gezeigt, dass auch dort das Memorieren im Zentrum der Ausbildung stand: Unterrichtsmaterial war dort das Fallmaterial der privaten Reports, deren allmähliche Entstehung im 16. Jahrhundert nicht zuletzt gerade auf diese pädagogische Ausbildungsfunktion zurückgeht42. Die Nationalisierung der Rechtsquellen, welche am Ende des 18. Jahrhunderts in Kontinentaleuropa mit den neuen Kodifikationen eingeleitet wurde und die die gemeinrechtliche Wissenschaft abschloss, stellt ___________ 39 Allgemein hierzu Weimar, Die legistische Literatur und die Methode des Rechtsunterrichts der Glossatorenzeit, in: Ius Commune 2 (1969), S. 43-83; zuletzt Morrissey, The Art of Teaching and learning law: A late Medieval Tract, in: History of Universities 8 (1989), Oxford 1989, S. 27-74 mit einer kritischen Edition eines Traktats von Franciscus Zabarella (1360-1417) und einer umfassenden Bibliographie. 40 Vgl. die Hinweise bei Kunst, Opmerkingen (Fn. 9), insbes. S. 21 ff.; Pelarson, Les letrados. Juristes castillans sous Philippe III. Recherches sur leur place dans la société, la culture et l’état, Poitiers 1980, S. 46-57. Aus den zeitgenössischen Schriften vgl. Jacobus de Canis, De modo jure studendi, 1476; Baptista de Caccialupi, Modus studendi in utroque iure, 1468; Fichtner, De methodo docendi discendique iura. Programma, Altdorf 1703. Vgl. zuletzt Ahsmann, Teaching the ius hodiernum: legal education of advocates in the Northern Netherlands (1575-1800), in: TRG 1997, S. 423 ff. 41 So de Benavente, Ars et doctrina studendi et docendi. Edicion critica y estudio por Rodriguez, Salamanca 1972 (Bibl. Salmanticensis II. Textus 1), insbes. S. 68 ff. „de memoria“, hier S. 89. Aus der Einleitung insbes. S. 15. 42 Vgl. Prest, The Inns of Court 1590-1640, London 1972, insbes. S. 115-173; Baker, The legal Profession and the common law, London 1986, insbes. S. 1-97; Brand, Courtroom and Schoolroom, the Education of lawyers in England prior to 1400, Historical Research 60 (1987), S. 147-165; Baker, Einleitung zu: Readings and Moots in the Inns of Court, II. Moots, in: Selden Society, 1990, S. 105 mit umfassender Bibliographie.
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auch für Methode und Form der Unterweisung von Rechtsstudenten und Absolventen eine wesentliche Zäsur dar. In den meisten kontinentalen Ländern, vor allem in Frankreich und in Österreich, wird nunmehr der Rechtsunterricht um die neuen Gesetzbücher zentriert und organisiert. Nicht nur die Inhalte, sondern auch und vor allem die Sprache und die Methode des Rechtsunterrichts beginnen sich damit national auszudifferenzieren. Es ist gerade diese Ausdifferenzierung, die zugleich die Auflösung der europäischen Einheit der gemeinrechtlichen Wissenschaft einleitet.
1. Die Tradition des Rechtsunterrichts an den napoleonischen Facultés de Droit Mit der Wiedereinführung des Rechtsunterrichts nach der Revolutionszeit und mit der Gründung der ersten französischen Rechtsfakultäten zur Zeit von Napoleon beginnt nicht nur für Frankreich, sondern für einen großen Teil Kontinentaleuropas ein neues Kapitel in der Geschichte der Juristenausbildung. Die französischen Fakultäten stellten nämlich in den folgenden Jahrzehnten ein Vorbild für den Rechtsunterricht dar, das nachhaltig das Rechtsstudium in allen romanischen Ländern prägte, sowohl was die Inhalte als auch vor allem was Unterrichts- und Prüfungsmethode angeht. Die Unterweisung an den französischen Rechtsfakultäten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts43 offenbart bezeichnende Kontinuitäten zum Unterrichtsstil aus der gemeinrechtlichen Zeit. Der mündliche Vortrag des Dozenten, begleitet häufig durch ein Diktat, steht im Zentrum des Rechtsunterrichts. An die Stelle der römischen Quellen sind allerdings nunmehr die Artikel der neuen Gesetzgebung getreten, die Gegenstand des mündlichen Vortrags und der am Textwortlaut orientierten Erläuterungen sind. Die exegetische Ausrichtung der französischen Rechtsliteratur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts findet eine ihrer wesentlichen historischen Erklärungen gerade in der hier beschriebenen Unterrichtstradition44. Die Münd___________ 43
Siehe hierzu mit weiteren Nachweisen Glasson, Le centenaire des écoles de droit, Revue internationale de l’enseignement 1905, S. 212 ff.; Hayen, La renaissance des études juridiques en France sous le Consulat, Nouvelle revue historique de droit français et étranger 1905, S. 94 ff.; Hupfer, Historisches Beispiel einer Universitätsreform. Die französische Reform nach der Revolution: Das Studium der nationalen Kodifikation, in: JZ 1979, S. 221 ff.; Mallmann, Französische Juristenausbildung im Rheinland 17941814. Die Rechtsschule von Koblenz, Köln/Wien 1987, insbes. S. 27-33, S. 47-65. 44 Zur französischen Ecole de l’Exégèse vgl. mit weiteren umfassenden Nachweisen Neumayer, Die wissenschaftliche Behandlung des kodifizierten französischen Zivilrechts bis zur dritten Republik, in: Coing/Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jh., I, Frankfurt a. M. 1974, S. 173 ff.; zuletzt Gläser, Lehre und Rechtsprechung im französischen Zivilrecht des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1996, S. 15-119 mit umfassenden bibliographischen Nachweisen. Zur Methode des Rechtsunterrichts im Einzelnen lesenswert von den Zeitgenossen Warnkönig, in: Kriti-
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lichkeit beherrscht in dieser Tradition nicht nur den Unterricht, sondern vor allem auch das Prüfungswesen: Von den Studenten wurde im Wesentlichen die mnemonische Beherrschung des Gesetzestextes des Code verlangt. Die von der französischen exegetischen Schule geprägte Unterrichtsmethode wirkte zusammen mit der Ausstrahlungskraft des französischen Rechts und der französischen Rechtsliteratur in einem großen Teil von Süd- und Westeuropa bis ins 20. Jahrhundert hinein. Selbstverständlich sieht fast zweihundert Jahre nach den Cours von Toullier und Duranton der Rechtsunterricht in Frankreich oder Italien heute anders aus. Meine skizzenhafte Analyse will und kann hier nur die auffallendsten Strukturmerkmale herausstellen. In der Tat erinnern uns manche Erscheinungsformen des Rechtsunterrichts in den romanischen Ländern – ich denke etwa an meine eigenen studentischen Erinnerungen – bis heute an diesen historischen Hintergrund: etwa die beherrschende Stellung der Mündlichkeit im Unterricht und vor allem im Prüfungswesen; der abstrakte, mehr oder minder theoretische Charakter der Unterweisung in dem Rechtsstoff; der repetitive Charakter der Prüfungsanforderungen in den Universitätsexamina. Dies gilt insbesondere für Spanien und Italien, wo das alte französische Unterrichtsmodell heute noch eher fortlebt als in Frankreich selbst. Damit wird auch die Funktion verständlich, welche die bereits oben erwähnten privaten Vorbereitungsschulen für die Kandidaten der italienischen „concorsi“ erfüllen: Die Anforderungen der professionellen Aufnahmeprüfungen, die meistens in der Anfertigung eines Rechtsgutachtens oder eines sonstigen schriftlichen Rechtsaktes bestehen, stellen die Bewerber, die solche Aufgaben in der Universität nie erlebt haben, vor unüberwindliche Schwierigkeiten, wofür eine spezifische, häufig mehrjährige Vorbereitung – bezeichnenderweise selbst nach Ansicht der Prüfer45 – als unerlässlich angesehen wird. Die beschriebene Veränderung des Rechtsunterrichts Anfang des 19. Jahrhunderts ist allerdings keinesfalls nur für Frankreich typisch. Mit der Einführung des ABGB kann man auch in Österreich eine ähnliche Umstellung der universitären Lehrveranstaltungen beobachten. Bis zu den grundlegenden Reformen nach der Revolution von 1848 kennen
___________ sche Zeitschrift für Rechtswissenschaft 9 (1837), S. 325-334, S. 326; vgl. ferner GattiMontain, Le système d’enseignement (Fn. 61), S. 61-75; Bürge, Les codes passeron, la raison des peuples restera ..., in: Sav. Z. Rom. Abt. 108 (1985), S. 144 ff., insbes. S. 356 ff.; ders., Das französische Privatrecht im 19. Jahrhundert. Zwischen Tradition und Pandektenwissenschaft, Liberalismus und Etatismus, Frankfurt a. M. 1991, S. 496520; Gläser, Lehre und Rechtsprechung, S. 50-51; Remy, Le rôle de l’exégèse dans l’enseignement du droit au XIXè siècle, in: Erauw/Bouckaert (Hrsg.), Liber memorialis François Laurent. 1810-1887, Bruxelles 1989, S. 423-436. 45 Vgl. Lipari, Relazione del Presidente della commissione esaminatrice del concorso per Uditore giudiziario 1986 und Ayello, Relazione del Presidente della commissione di Esami di procuratore legale presso la corte di Appello di Roma 1986, in: Il Foro italiano 1986, V, S. 104-124, insbes. S. 110.
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die österreichischen Territorien ebenso wie Frankreich eine exegetische Rechtsliteratur und einen exegetisch ausgerichteten Rechtsunterricht46.
2. Die deutsche gemeinrechtliche Tradition der „praktischen Jurisprudenz“ Neben dem oben beschriebenen begegnen wir in Kontinentaleuropa einem weiteren pädagogischen Modell der Rechtsunterweisung. Es handelt sich um eine Unterrichtsform, welche die deutschen Universitäten bereits im 18. und 19. Jahrhundert kannten und welche heute den Rechtsunterricht in Deutschland und zum Teil auch in anderen deutschsprachigen Ländern weitgehend beeinflusst. Neben der mündlichen Vorlesung, die damals theoretisch abstrakt und nach zahlreichen biographischen Erinnerungen von Zeitgenossen häufig recht langweilig ausfiel47, kommen hier zwei weitere Unterrichtsformen hinzu: die Anfertigung von schriftlichen Rechtsgutachten sowie die Vorbereitung von schriftlichen Stellungnahmen zu umstrittenen rechtswissenschaftlichen Fragen und Fällen. Diese Form der Unterweisung, die in den deutschen Fakultäten des 19. Jahrhunderts neben den theoretischen Pandektenvorlesungen eher im Hintergrund blieb, existierte bereits im 18. Jahrhundert: Wir begegnen Fallübungen, Disputationen und Relatorien bereits im Lehrangebot der damaligen deutschen Rechtsfakultäten. In Form von Übungen und Klausurenkursen beherrschen sie heute noch den Rechtsunterricht und nehmen in der Ausbildungsrealität ein größeres Gewicht als die traditionelle mündliche Vorlesung ein. Die Schriftlichkeit und damit die Beherrschung der Technik zur Anfertigung von schriftlichen Gutachten steht hier im Vordergrund, und dies macht verständlich, dass gerade darin auch die beherrschende Form der Prüfungen in den oben erwähnten Staatsexamina und Referendarprüfungen liegt. Es handelt sich um einen Aspekt dessen, was in einer besonders erhellenden Untersuchung vor einigen Jahren als Tradition der „praktischen Jurisprudenz“ bezeichnet wurde48. Andernorts habe ich gezeigt, dass diese Ausbildungstradition, in welcher der Schwerpunkt bei der Vermittlung von argumentativen Kunstregeln in der Anfertigung von Rechtsgutachten und Relationen liegt, auf eine alte, bis in die Zeit des Reichskammergerichts zurückreichende Ausbildungspraxis zurück___________ 46 Vgl. Ebert, Die Grazer Juristenfakultät im Vormärz. Rechtswissenschaft und Rechtslehre an der Grazer Hochschule zwischen 1810 und 1848, Graz 1969; Lentze, Die Universitätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein, Wien 1962; ders., Die Eingliederung der österreichischen Zivilrechtswissenschaft in die deutsche Pandektenwissenschaft, in: Csizmadia (ed.), Die Entwicklung des Zivilrechts in Mitteleuropa (1848-1944), Budapest 1979, S. 59-70. 47 Einzelheiten bei Siegrist, Advokat (Fn. 9), Vol. II, S. 558 ff. 48 Siehe dazu grundlegend Schröder, Wissenschaftstheorie und Lehre der „praktischen Jurisprudenz“ auf deutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1979, insbes. S. 213 ff.
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geht49. Ohne dass dies heute den Studenten und Referendaren bewusst ist, leben die Kunstregeln, welche die Praktiker am Reichskammergericht seit dem 16. Jahrhundert bei der Anfertigung eines Rechtsgutachtens oder einer Aktenrelation befolgten, bis heute in den Anleitungsbüchern zur sog. Klausur- und Relationstechnik fort. Diese praktische Seite der gemeinrechtlichen Tradition, im 19. Jahrhundert wohl auch durch das Referendariat bedingt, lebt übrigens zum Teil bis heute auch in der Unterrichtsform mancher privater Repetitoren fort. Es ist hier erwähnenswert, dass namhafte Vertreter der deutschen Pandektistik und der deutschen Zivilistik sowohl im 19. wie auch im 20. Jahrhundert in dieser Form des praktischen Rechtsunterrichts durchaus engagiert waren: So wurden Sammlungen von praktischen Rechtsfällen immerhin von Gelehrten des Ranges von Puchta, Ihering50 oder Stölzel publiziert51; die Einführung von regelmäßigen Übungen im Bürgerlichen Recht in einer Form, welche im Kern bis heute fortbesteht, geht auf Zitelmann zurück und wurde damals übrigens mit Bewunderung aus dem Ausland beobachtet52. Diese praktisch ausgerichtete Unterrichtsform hat vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg das Lehrangebot an deutschen Fakultäten nachhaltig beeinflusst. So konnte bereits vor 30 Jahren etwa bei den damaligen Reformdiskussionen rückblickend festgestellt werden: „An die Stelle der dogmatischen Entfaltung und systematischen Einordnung der Norm ist immer mehr die Sachverhaltsanalyse getreten, die vom Examen ___________ 49 Vgl. hierzu Ranieri, Stilus Curiae. Zum historischen Hintergrund der Relationstechnik, Rechtshistorisches Journal 4 (1985), S. 75-88; zuletzt siehe Ranieri, Entscheidungsfindung und Technik der Urteilsredaktion in der Tradition des deutschen Usus Modernus: das Beispiel der Aktenrelationen am Reichskammergericht, in: Wijffels/Ibbetson (ed.), Case Law in the Making: The Techniques and Methods of Judicial Records and Legal Reports, Berlin, Bd. I, 1997, S. 277-297; ders., Aktenrelationen am Reichskammergericht (16.-17. Jahrhundert). Quellen, ebd., Bd. II, 1997, S. 319-335. 50 Vgl. etwa Sturm, Rudolf von Ihering. Scienza ed insegnamento del diritto romano, Studi Senesi 1971, S. 23 ff. 51 Vgl. für bibliographische Nachweise zu dieser Ausbildungsliteratur Ranieri, Das Reichskammergericht und der gemeinrechtliche Ursprung der deutschen zivilrechtlichen Argumentationstechnik, in: ZEuP 1997, S. 718-734, insbes. Fn. 42 [in diesem Band S. 397-415 (S. 411, Fn. 42)]. 52 Siehe etwa Goldschmidt, Rechtsstudium (Fn. 20), insbes. S. 36 ff.; Blondel, De l’enseignement du droit dans les universités allemandes, in: Revue internationale de l’enseignement 1885, vol. IX, S. 432-451, S. 521-544; vol. X, S. 39-56, S. 89-105; Rouast, La méthode allemande des exercises pratiques dans l’enseignement du droit, ebd. 1909, S. 37-45; Zitelmann, Die Neugestaltung des Rechtsstudiums, Berlin/Leipzig 1921, it.: L’educazione del giurista (traduzione di Chironi), in: Riv. di dir. civ. 1921, S. 289-324; Betti, Metodica e didattica del diritto secondo E. Zitelmann, in: Rivista italiana di filosofia del diritto 1925, S. 75-85; Weyrauch, The Art of Drafting Judgements: A Modified German Case-Method, in: Journal of Legal Education 9 (1957), S. 311-331; Treggiari, Der Einfluß des deutschen Unterrichtsmodells auf die italienische Rechtskultur: Die Fallrechtsmethode, in: Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft und Staatslehre im Spiegel der italienischen Rechtskultur während der zweiten Hälfte des 19. Jh., Berlin 1990, S. 131.
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her inzwischen auch das Studium dominiert“53. Damit verbunden ist eine inzwischen unüberschaubare Flut von pädagogischer Anleitungsliteratur, welche zwar im europäischen Ausland weitgehend unbekannt ist, aber dennoch unverzichtbar bleibt für eine realistische Beschreibung des heutigen deutschen Rechtssystems. Die Ausrichtung der Rechtsausbildung auf die fallbezogene Gutachtentechnik, vor allem die damit verbundenen gelegentlichen Übertreibungen, wird heute in Deutschland zunehmend kritisch bewertet. Den Kritikern ist hier uneingeschränkt zuzugeben, dass diese Fallbezogenheit des Rechtsunterrichts in der Massenpädagogik der letzten 25 Jahre häufig zu einer geistlosen, mechanisch wiederholten Arbeitstechnik degradiert ist. Eine nicht geringe Verantwortung dafür trägt auch die kommerzielle Trivialisierung durch die privaten Repetitoren in den letzten Jahrzehnten54; darin liegt übrigens eigentlich das wahre „Elend des Jurastudiums“55, das neuerdings immer wieder beschworen wird. Eine wissenschaftlich präzise, auch historisch durchgeführte Inhaltsanalyse des Angebots der Repetitorien – welche heute noch aussteht56 – würde allerdings den deutlichen pädagogischen Qualitätsabfall im Vergleich zu der oben erwähnten alten Tradition offenbaren. Diese historischen Zusammenhänge und Hintergründe scheinen übrigens weder den Befürwortern noch den Kritikern dieser Unterrichtsform präsent zu sein. Die Fallbezogenheit des heutigen deutschen Rechtsunterrichts findet zudem zunehmend Beachtung und Nachahmung im europäischen Ausland.
___________ 53
So Kübler, Juristenausbildung im Zielkonflikt, Konstanz 1971, S. 10; ähnlich Bund, The study of law (Fn. 26), insbes. S. 164 ff. Aus französischer Sicht Padis, Us et coutumes du barreau allemand. La formation professionelle du Rechtsanwalt, in: Gaz. Pal. 90 (1970) Doctrine, S. 167-170, insbes. S. 169; Witz, Droit privé allemand. Les actes juridiques, I, Paris 1992, insbes. S. 479-489 und S. 553-561. Für vergleichende Hinweise Ranieri, Das Reichskammergericht und der gemeinrechtliche Ursprung der deutschen zivilrechtlichen Argumentationstechnik, insbes. Fn. 50. 54 Vgl. hierzu die peinliche Selbstdarstellung mancher Repetitorien zuletzt in Stud. Jur 11 (1997), Heft 1, insbes. S. 11, 17 und vor allem S. 20 mit Rechtsanwalt KarlEdmund Hemmer und seiner sog. „Hemmer-Methode“; zu dieser vgl. nur Hemmer/Wüst/Gold, Bereicherungsrecht, Nov. 1993, insbes. S. 31, Rn. 141: „HemmerMethode: Als Fallbearbeiter einer bereicherungsrechtlichen Klausur sollten Sie diesen Meinungsstreit zum ‚Punktesammeln‘ aufwerfen, das Problemfeld knapp skizzieren und sich dann konservativ für die h. M. entscheiden. Zeigen Sie, daß Sie bereicherungsrechtliches Problembewußtsein haben. Führen Sie aber nur eine Scheindiskussion.“ Ein Kommentar hierzu erübrigt sich. 55 So der gleichnamige Titel von Großfeld, in: JZ 1986, S. 357. 56 Siehe hierzu die bibliographischen Nachweise bei Ranieri, Das Reichskammergericht (Fn. 51), insbes. dort die Fn. 49. Zuletzt zum Thema Martin, Juristische Repetitorien und staatliches Ausbildungsmonopol in der Bundesrepublik (Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht 16), Berlin 1993.
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3. Transformation und Annäherung der historischen Unterrichtsmodelle Auch hinsichtlich der Unterrichts- und Prüfungsformen lässt sich in der Tat in Kontinentaleuropa, vor allem seit den letzten Jahrzehnten, eine allmähliche Annäherung der beschriebenen Unterrichts- und Ausbildungstraditionen beobachten. In den romanischen Ländern waren die aus den napoleonischen Universitäten des 19. Jahrhunderts geerbten Unterrichtsgewohnheiten langlebig. Noch im Jahre 1922 lehnten die französischen Rechtsfakultäten kategorisch den Vorschlag ab, schriftliche Prüfungen mit praktischen Aufgaben einzuführen. Im Jahre 1938 sah die italienische Universitätsgesetzgebung noch vor, dass der Kandidat einer universitären Rechtsprüfung einen Anspruch habe, mündlich geprüft zu werden. Und in der Tat kennen bis heute die italienischen oder die spanischen Rechtsfakultäten kaum schriftliche Universitätsprüfungen; in diesen werden zudem nie praktisch-konkrete und fallbezogene Aufgaben gestellt. Welche Konsequenz dies für die Vorbereitung der nach der Universität stattfindenden Eignungsprüfungen hat, habe ich bereits oben beschrieben. An dieser Stelle wäre auch zu erwähnen, dass gerade dieses Problem der allzu abstrakten Form von Unterricht und Prüfung an den Rechtsfakultäten in Italien seit mehr als 100 Jahren heftig diskutiert wird57. Noch Ende des 19. Jahrhunderts versuchte einer der damals führenden Juristen, Emanuele Gianturco, Ordinarius für Zivilrecht in Neapel und später italienischer Justizminister, in das Curriculum der damaligen Fakultäten schriftliche Übungen und Exerzitationskurse einzuführen. Gianturco dachte mit seinen Vorschlägen an die Veranstaltungen von Rudolf von Ihering, mit dem er übrigens befreundet war. Es ist bezeichnend, dass solche Vorschläge von der überwiegenden Anzahl der italienischen Professoren kategorisch abgelehnt wurden58. Auch in den darauf folgenden Jahren bis nach dem Zweiten Weltkrieg konnten sich ähnliche Reformbemü___________ 57 Zur heutigen Reformdebatte in Italien siehe etwa Padoa-Schioppa, La facoltà di giurisprudenza: problemi e proposte, in: Il Foro italiano 1985, IV, S. 325 ff.; Facoltà di giurisprudenza. Proposta di riforma della tabella didattica, ebd. 1986, V, S. 245 ff. und S. 345-352 mit Beiträgen von Bretone, Tarello, Sacco, Gaja, Pera, Proto Pisani; Casavola, Linee di un modello di riforma della facoltà di giurisprudenza, in: Riv. di dir. civ. 1987, II, S. 613 ff.; Oppo, La riforma della facoltà di giurisprudenza, ebd. 1987, I, S. 147 ff. mit Anm. von Trabucchi. Für einen Gesamtüberblick siehe zuletzt: L’insegnamento del diritto oggi, a cura di Rebuffa e Visintini, Milano 1997, und aus deutscher Sicht Felsner, in: JuS 1994, S. 1084-1087. 58 Dazu Treggiari, Gianturco, l’educazione di un giurista. Aspetti dell’insegnamento del diritto in Italia tra Otto e Novecento, in: Riv. trim. di dir. proc. civ. 1987, S. 12351276; ders., Scienza ed insegnamento del diritto tra due secoli: l’opera e la fortuna di Emanuele Gianturco, in: Mazzacane (ed.), L’esperienza giuridica di Emanuele Gianturco, Napoli 1987, S. 45 ff., insbes. S. 92 ff., S. 106-136; ders., Itinerari della casistica. La Crestomazia di Emanuele Gianturco fra modelli illustri e nuove istanze, Lettura a: Gianturco, Crestomazia di casi giuridici in uso accademico, 1884, Nachdruck Bologna 1989, V-XLVI.
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hungen kaum durchsetzen59. In den letzten Jahrzehnten haben wir allerdings erhebliche Veränderungen in den romanischen Ländern zu beobachten. Vor allem in Frankreich haben sich die äußeren Erscheinungsformen von Unterricht und Prüfung an den juristischen Fakultäten erheblich gewandelt60. Bereits Mitte der 50er Jahre wurden regelmäßig sog. „travaux dirigés“ eingeführt61. Spätestens seit den 70er Jahren kann man den Eindruck gewinnen, dass die „travaux dirigés“ und die damit verbundenen schriftlichen Aufgabenstellungen, etwa der „Cas pratique“ und der „Commentaire d’arrêt“, eine zunehmend zentrale Stellung im französischen Rechtsunterricht und Prüfungswesen einnehmen62. Auch in Italien ist festzustellen, dass die universitäre Didaktik einen deutlich zuneh___________ 59 Die Debatten in Italien zu einer praktisch ausgerichteten Reform der Juristenausbildung reichen mehr als ein Jahrhundert zurück; vgl. in einer historischen Auswahl Cogliolo, Per un corso di scuola pratica civile (1894), in: Scritti vari di diritto privato, II, S. 38-39; Ascarelli, Per una riforma della facoltà di giurisprudenza, in: Il Foro italiano 1956, IV, S. 56-61; Candian, Scuola universitaria di giurisprudenza, Temi 1956, S. 187188; Cassese u.a., Sul riordinamento degli studi della facoltà di giurisprudenza, in: Il Foro italiano 1965, V, S. 22-29; Pedrazzi, I problemi dell’insegnamento giuridico alla luce di un recente convegno tedesco, in: Ius 1956, S. 575-580; Cappelletti, Studio del diritto e tirocinio professionale in Italia e in Germania. La crisi delle professioni giudiziarie in Italia. Problemi e rimedi, Milano 1957; Orestano, Sulla didattica giuridica in Italia tra il XIX ed il XX secolo, in: L’educazione giuridica (Fn. 9), I, Perugia 1975, S. 140 ff.; Fazzalari, L’educazione giuridica in Italia, ebd., S. 418 ff. 60 Zu den Veränderungen in der pädagogischen Tradition der französischen Rechtsfakultäten vgl. Mazeaud, Méthodes génerales de travail, Paris 1977, insbes. S.100 ff. (bereits Anfang der 40er Jahre wurden „conférences facultatives“ eingeführt: vgl. Marchal, Une nouvelle méthode de travail à l’Université, 1943); vgl. ferner Serverin, De la jurisprudence en droit privé. Theorie d’une pratique, Lyon 1985, S. 162 ff., insbes. S. 173 ff. mit bibliographischen Nachweisen; Gatti-Montain, Le système d’enseignement (Fn. 60), S. 145 ff., insbes. S. 169. 61 Zur französischen Juristenausbildung und zu den damaligen Reformen vgl. Aubin, Der juristische Hochschulunterricht in Frankreich und seine Reform, Tübingen 1958; Bigiavi, La riforma degli studi giuridici in Francia, in: Riv. di dir. civ. 1956, I, S. 130131; Sonnenberger, Die französische Juristenausbildung, in: JuS 1987, S. 10-14; GattiMontain, Le système d’enseignement du droit en France (Collection Critique du droit), Lyon 1987 (mit einer umfassenden Bibliographie). Zuletzt aus deutscher Sicht König, Die Juristenausbildung in Frankreich, in: Brauchen wir eine neue Juristenausbildung? (Symposium am 7./9.12.1990 in Triberg), Stuttgart 1991, S. 65 ff.; Witz, Il modello francese, in: L’insegnamento del diritto oggi (Fn. 57), insbes. S. 83-87; Weber, in: Jura 1993, S. 467 ff. 62 Dies kann man auch aus der Zahl von Ausbildungslehrbüchern erkennen, die zunehmend auf dem französischen Markt erscheinen; siehe etwa Mazeaud, Nouveau Guide des exercises pratiques pour la licence en droit, I. Méthodes générales de travail, Paris 1977; II-IV. Exercises pratiques, Paris 1977-1981; Rubellin-Devichi, Travaux dirigés. Droit civil, Lyon 1979; Mendegris, Méthodes du droit. Le commentaire d’arrêt en droit privé, 2. Aufl., Paris 1983; Gridel, Méthodes du droit. La dissertation et le cas pratique en droit privé. Méthode et exemples, Paris 1985, insbes. S. 91-136; Antonmatei/Raynard, Travaux dirigés de droit des obligations. Etudes de cas, dissertations, commentaires d’arrêts, Paris 1997; Goubeaux/Bihr, Les épreuves écrites de droit civil, Paris 1990.
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menden Raum der Lektüre und Besprechung von Gerichtsentscheidungen einräumt: Noch zu meiner Studentenzeit gab es in den italienischen Lehrbüchern kaum Rechtsprechungshinweise; heute, 30 Jahre später, ist der Markt geradezu von Entscheidungssammlungen für Studenten überflutet63. Die amerikanischen Case Books scheinen hier das maßgebende Vorbild geliefert zu haben. Nicht zu übersehen ist jedoch auch der Einfluss der deutschen Ausbildungsliteratur. So ist bezeichnend, dass seit zwei Jahren ein italienischer Verlag eine Ausbildungszeitschrift herausgibt, welche in Anlage und Inhalt erheblich an die deutsche „Juristische Schulung“ erinnert und bereits in der JuS als italienische Schwesterzeitschrift gefeiert wurde64. Das Hauptgewicht liegt hier in Entscheidungsrezensionen und vor allem in der Besprechung von gutachtlichen Übungsaufgaben, die in den oben beschriebenen Eignungs- und Aufnahmeprüfungen nach der Universität gestellt wurden. Es handelt sich zwar noch um Einzelerscheinungen; diese Publikationen machen jedoch deutlich, dass der italienische Rechtsunterricht sich langsam im Sinne einer praktischen Ausrichtung verändert. Diese Beobachtung gilt für alle kontinentalen Rechtssysteme. Vor allem in den österreichischen Rechtsfakultäten und den deutschsprachigen Fakultäten in der Schweiz ist nicht zuletzt wegen des personellen und literarischen Einflusses aus Deutschland die praktische, fallorientierte Gestaltung von Unterricht und Prüfung deutlich im Vormarsch65. Aber auch aus den Nieder___________ 63
Ausführliche bibliographische Nachweise bei Treggiari, Scienza ed insegnamento (Fn. 57), insbes. Fn. 213. Aus den letzten Jahren vgl. etwa Galgano, 100 Esercizi di diritto privato, 2. Aufl., Padova 1994; Bessone, Casi e questioni di diritto privato, 2. Aufl., Milano 1995; I-XIV, 7. Aufl., 1995-1998; Denozza/Toffoletto, Come affrontare e superare l’esame di diritto commerciale, Milano 1995; Corso/Mazzamuto, L’esame di diritto amministrativo, II. La giustizia amministrativa, Milano 1996. Eine ähnliche Entwicklung ist in Spanien zu beobachten; vgl. z. B. Bercovitz (ed.), Casos prácticos de derecho civil, Madrid 1997; Vicente Diaz, Casos prácticos de derecho civil, I-II, Madrid 1996. 64 Vgl. Cian/Orlando/Zaccaria (ed.), Studium Juris. Rivista per la formazione nelle professioni giuridiche, Padova seit 1995. Hierzu Kindler, Eine JuS in Italien, in: JuS 1996, S. 759-760: „... neu und geradezu sensationell für den italienischen Ausbildungsbetrieb ist, daß dabei in der Regel ein wirklichkeitsnaher Beispielfall gelöst wird. Ein didaktischer Ansatz, den bislang nur wenige und deswegen gefürchtete! italienische Hochschullehrer praktizierten.“ Die italienische Juristenausbildung steht in der Tat aus deutscher Perspektive (vgl. etwa Hartl, Das Jurastudium in Italien, in: JuS 1987, S. 669-670; Felsner, in: JuS 1994, S. 1084 ff.) in dem Ruf, eher praxisfern und allzu theoretisch betrieben zu werden. Für eine Bestätigung aus italienischer Sicht vgl. Padoa-Schioppa, Per una riforma degli studi universitari di giurisprudenza in Italia, in: Il Foro italiano 1991, V, S. 518 ff., insbes. S. 519-520; ders., Il modello dell’insegnamento del diritto in Italia, in: Il Foro italiano 1995, V, S. 413 ff., insbes. Rn. 4: „E invece ancora troppo carente l’educazione alle tecniche de ragionamento giuridico e cioè l’attività di insegnamento volta ad addestrare il futuro giurista alla corretta soluzione dei casi concreti.“ 65 Vgl. etwa für die Schweiz Oftinger, Vom Handwerkszeug des Juristen und von seiner Schriftstellerei mit einem Anhang über die Anfertigung von Hausarbeiten und Klausuren, 7. Aufl. von Forstmoser u. a., Zürich 1986; Bücher/Wiegand, Übungen im
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landen wird vom Niedergang des traditionellen buchorientierten Rechtsunterrichts und von einem Reformprojekt in Maastricht, wo seit 1982 das gesamte Lehrangebot praxisbezogen ist und problem- und fallorientiert dargeboten wird, berichtet66. Ausbildungszeitschriften wie in Deutschland erscheinen seit einigen Jahren in allen drei genannten Ländern67. Will man die bisherigen Beobachtungen zusammenfassen, so kann man also vorläufig festhalten, dass auch auf dem Gebiet von Unterrichtsformen und Prüfungsanforderungen die kontinentalen Systeme in den letzten Jahrzehnten sich erheblich angenähert haben, und zwar im Sinne einer zunehmend praxisbezogenen Problem- und Fallorientierung.
III. Internationalisierung der Anwaltsprofession und Juristenausbildung
Die beschriebene, zunehmend praktische Orientierung des Rechtsunterrichts im kontinentalen Bereich hat uns zugleich deutlich gemacht, dass auch auf dem Gebiet der Nachwuchsausbildung Civil law und Common law in den letzten Jahrzehnten sich erheblich näher gekommen sind. Ein weiterer Entwicklungsfaktor kommt hier hinzu: Die Annäherung von kontinentaler und englischer Rechtstradition sowie auch innerhalb der kontinentalen Rechtssysteme im Bereich der Ausbildung hat in den letzten Jahrzehnten in der Europäischen Gemeinschaft eine zusätzliche zukunftsträchtige Basis erhalten. Die Öffnung und die Deregulierung des Marktes der juristischen Beratungsleistungen im Rahmen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit für Rechtsanwälte innerhalb des gemeinsamen europäischen Marktes haben seit Mitte der 80er Jahre das Bild der Anwaltsprofession in ganz Europa tief greifend zu verändern begonnen. Die gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen dieser Entwicklung sowie die hierüber ergangene Judikatur des Europäischen Gerichtshofes müssen hier
___________ Obligationenrecht. Fallsammlung mit Lösungsvorschlägen, Zürich 1985. Siehe in Österreich Kerschner/Bydlinski, Fälle und Lösungen zum bürgerlichen Recht für Fortgeschrittene, 2. Aufl., Wien 1992; Schäffer, Fälle und Lösungen zum Verfassungsrecht, 2. Aufl., Wien 1992; Harrer/Honsell/Mader, Prüfungsfälle zum bürgerlichen Recht, Wien 1991; Kerschner, Wissenschaftliche Arbeitstechnik und -methodik für Juristen, 2. Aufl., Wien 1989. 66 Hierzu Huffmann, in: Legal Education two thousand (Fn. 9), insbes. S. 75 ff.; Wolterbeek-Matlung, ebd., S. 131 ff. 67 Vgl. etwa für die Schweiz das Periodicum „Recht. Zeitschrift für juristische Ausbildung und Praxis“ (Bern), das seit mehr als einem Jahrzehnt erscheint; für die Niederlande sei auf „Ars Aequi. Juridisch studentenblad“ hingewiesen, das ebenfalls seit mehreren Jahrzehnten erscheint; aus Österreich sei „Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung. JAP“ (Wien seit 1990/91), genannt. Auch Frankreich kennt inzwischen eine Ausbildungszeitschrift: „Diplôme. La revue des Etudiants qui font du Droit“ (Paris).
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nicht dargestellt werden68. Wichtiger ist der Hinweis, dass die Öffnung der nationalen Märkte für anwaltliche Beratungsleistungen nicht ohne Folgen für das Studierverhalten und für die Ausbildungsstrukturen des juristischen Nachwuchses in den einzelnen europäischen Ländern geblieben ist. Verglichen mit der Zeit meiner studentischen Erinnerungen, als man nur die Straßburger „Faculté Internationale de droit comparé“ kannte, ist das heutige europäische Angebot an Austausch- und Magisterstudiengängen für ausländische Studenten und Rechtsabsolventen explosionsartig gewachsen. Wir haben neuerdings in einigen Fällen regelrecht integrierte juristische Studiengänge unter Mitwirkung von Rechtsfakultäten aus verschiedenen europäischen Ländern69. Die Anerkennung und praktische Verwendungsfähigkeit von solchen neuen Universitätsdiplomen ist in den einzelnen europäischen Ländern allerdings zur Zeit noch recht unterschiedlich. Auch hier zeigt sich der beschriebene Gegensatz zwischen dem deutschen System des Staatsexamens und denjenigen Systemen, die Universitätsprüfungen sowie eine universitäre Abschlussprüfung kennen: Auch die im Rahmen der beschriebenen integrierten Studiengänge erworbenen Diplome bleiben – ebenso wie die übrigen Leistungen während des Studiums – für das Bestehen und für die Note des deutschen Staatsexamens bis heute leider belanglos; in den Ländern, die eine juristische Universitätsabschlussprüfung kennen, werden die im Ausland erbrachten Studienleistungen dagegen zunehmend anerkannt und angerechnet70. ___________ 68 Die oben beschriebene Entwicklung wurde durch das Europäische Gemeinschaftsrecht eingeleitet und begleitet, seit der Dienstleistungsrichtlinie des Jahres 1977 bis zur Hochschuldiplom-Anerkennungsrichtlinie von 1988. Nach der Umsetzung in der BRD kann jeder, der die Voraussetzungen der Zulassung zur Anwaltschaft in einem Mitgliedsstaat der EU vorzeigen kann, nach Ableistung einer Eignungsprüfung die Anwaltschaftszulassung in Deutschland beantragen. Die BRAK-Mitteilungen 1/95 vermelden, dass von 1991 bis 1994 in Stuttgart, Berlin, München und Düsseldorf insgesamt 40 Prüfungen stattgefunden haben; immerhin bestanden 32 Kandidaten (und vier deutsche Bewerber mit ausländischen Rechtsdiplomen); zuletzt hierzu Lechner, in: JZ 1997, S. 834-835. Eine Niederlassungsrichtlinie soll die Entwicklung rechtlich abschließen (zum Stand siehe EuZW 17/1996, S. 516; der Richtlinienvorschlag ist inzwischen verabschiedet worden, FAZ v. 23.5.1997, Nr. 117, S. 18). (Für einige wenige Daten vgl. Rabe, in: NJW 1995, S. 1443; Heinen, in: JA 1993, S. 185 ff.; zusammenfassend Merle, Freizügigkeit für Rechtsanwälte in der Europäischen Union, Frankfurt a. M./Berlin/Bern 1995; Henssler, Der europäische Rechtsanwalt. Möglichkeiten der Niederlassung als integrierter Rechtsanwalt in Europa, in: AnwBl 1996, S. 353-365). 69 So z. B. in Saarbrücken mit französischen und englischen Rechtsfakultäten zugleich. Für eine Übersicht vgl. Fromholzer, Juristisches Magisterstudium in Deutschland, in: ZEuP 1994, S. 175-180; vgl. auch Blaschczok, Juristisches Studienangebot für Ausländer in Passau und für Passauer Studenten im Ausland, in: JZ 1986, S. 126-129. 70 Zu diesem entscheidenden Wettbewerbsnachteil deutscher Rechtsfakultäten ausführlich und zutreffend Flessner, Deutsche Juristenausbildung. Die kleine Reform und die europäische Perspektive, in: JZ 1996, S. 689 ff., insbes. S. 691-693. Irreführend jedoch der Hinweis von Böckenförde, Juristenausbildung (Fn. 3), der meint, dass ein deutscher Rechtsabsolvent mit einem universitären juristischen Abschluss aus dem europäi-
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Diese integrierten Studiengänge konfrontieren uns wie auch der immer häufiger werdende Besuch von amerikanischen Law Schools durch europäische Rechtsabsolventen mit einer neuen Form der Internationalisierung der Juristenausbildung, welche in der europäischen Rechtsgeschichte keine Präzedenten findet. Das Zeitalter der gemeinrechtlichen Universitäten kannte, wie wir gesehen haben, ebenfalls eine übernationale Juristenausbildung: Der einheitsstiftende Faktor war hier aber die Gemeinsamkeit der Rechtssprache, die gemeinsame Denk- und Argumentationsweise, die auf dem Studium der römischen Quellen fußte und dadurch einen gesamteuropäischen rechtswissenschaftlichen Diskussionszusammenhang stiftete. Die heutige Internationalisierung findet dagegen ihre primäre Grundlage in der Öffnung der Märkte von juristischen Dienstleistungen; für bestimmte Spezialbereiche werden diese heute europaweit und zum Teil sogar über Europa hinaus angeboten. Die Eigenheiten der nationalen Juristenausbildung, die historisch gewachsenen Ausbildungstraditionen und die damit verbundene unterschiedliche Denk- und Argumentationsweise, welche auch im kontinentalen Bereich immer wieder beobachtet werden können71, bleiben von einer solchen europäischen Öffnung der Anwaltsprofession zunächst unberührt. Eine schwierige Frage zeichnet sich hier ab: Werden die beschriebenen integrativen Austauschstudiengänge, das immer häufigere Auftreten von ausländischen Hochschullehrern, die inzwischen eingeführten Eignungsprüfungen für niederlassungswillige Anwälte aus dem europäischen Ausland sowie die Präsenz und das Auftreten von ausländischen Anwälten vor Gericht die inzwischen im kontinentalen Raum historisch gewachsenen, zweifellos vorhandenen nationalen Eigenheiten in Ausbildung und Profession beeinflussen72? Sind von solchen Studiengängen Veränderungen in ___________ schen Ausland die Eignungsprüfung für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gem. Gesetz v. 6.7.1990 (BGBl. 1990, I, 1349, zur Umsetzung der RL des Rates v. 21.12.1988) ablegen dürfte: ihm würde die ausländische Anwaltszulassung fehlen, wofür ein Universitätsexamen keinesfalls ausreichend ist; vgl. dazu die Erwiderung von Schöbel und das Schlusswort von Böckenförde, in: JZ 1997, S. 504. 71 Dazu zusammenfassend mit weiteren Nachweisen zu diesem Thema Ranieri, Styles judiciaires dans l’histoire européenne: modèles divergents ou traditions communes?, in: Jacob (éd.), Le juge et le jugement dans les Traditions juridiques européennes. Études d’histoire comparée (Droit Société vol. 17), Paris 1996, S. 181-195, [in diesem Band S. 381]. Lesenswert auch Weir, Die Sprachen des europäischen Rechts. Eine skeptische Betrachtung, in: ZEuP 1995, S. 368-374. 72 Dazu grundlegend Coing, Europäisierung der Rechtswissenschaft, in: NJW 1990, S. 937 ff.; vgl. ferner Jahr, Europäisierung der Fakultät. Die Vision: Europäisierung der Rechtswissenschaft, in: Herberger u. a. (Hrsg.), Entwicklungslinien in Recht und Wirtschaft, II, Stuttgart 1997, S. 11 ff.; Ress, Die Anforderungen an die Rechtswissenschaft in Deutschland im Zuge der europäischen Einigung, in: Commentationes Scientiarum Socialium. The Finnish Society of Sciences and Letters 49 (1995), S. 80-94; Flessner, Deutsche Juristenausbildung (Fn. 69), S. 689 ff., insbes. unter III, S. 690-691. Skeptisch Friedman/Teubner, Legal Education and Legal Integration: European Hopes and
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der Erscheinungsform und in den Methoden der nationalen Juristenausbildung zu erwarten? Eingehende wissenschaftliche Untersuchungen hierüber liegen bis heute nicht vor73. Eine Prognose darf allerdings bereits jetzt formuliert werden: Sicherlich werden in näherer Zukunft neue Formen von Unterricht und Prüfung zu entwickeln sein, welche zugleich für Rechtsabsolventen unterschiedlicher nationaler Provenienz geeignet sind. Gewichtige Indizien sprechen dafür, dass die kasuistische, fallbezogene Methode, die typisch ist für den Rechtsunterricht an den amerikanischen Law Schools74, hier als Vorbild dienen könnte und wahrscheinlich dienen wird. Die zur Zeit zu beobachtende Verbreitung der in Amerika entstandenen Literaturform des Case Books auch in Kontinentaleuropa75 liefert hierfür die ersten Anzeichen. Die gemeinrechtliche Idee ___________ American Experience, in: Cappelletti/Seccombe/Weiler, Integration through Law, Methods Tools and Institutions, vol. I, S. 3, Berlin/New York 1986, S. 345-380. 73 Wesentlich ist, dass Denkweise, Denkstrukturen und Ausbildungstraditionen in den einzelnen europäischen Rechtsordnungen historisch verschieden geprägt sind. Dieses zentrale Problem einer europäischen Rechtsintegration wird zunehmend in der rechtswissenschaftlichen Forschung erkannt (vgl. etwa Ranieri, Der europäische Jurist, (Fn. 10), insbes. S. 20-22 [in diesem Band S. 236 ff.]; zuletzt Rittner, Das Gemeinschaftsprivatrecht und die europäische Integration, in: JZ 1995, S. 849 ff., insbes. S. 854: „Nicht nur die Gesetzestexte und die Lehren sowie Methoden der Wissenschaft unterscheiden sich erheblich voneinander; auch die Richter verstehen ihre Aufgabe, den nationalen Traditionen folgend, von Land zu Land in durchaus verschiedener Weise [...] Seit Jahrhunderten haben sich die Rechtsausbildung, die Gewohnheiten der Rechtspraxis, die Positionierung der dritten Gewalt u. a. m. auseinander entwickelt“). 74 Siehe etwa aus europäischer Sicht grundlegend Redlich, The Common Law and the Case Method in American University Law Schools, Bulletin of the Carnegie Foundation Nr. 8, New York 1914; vgl. ferner Schindler, Die Methode des Rechtsunterrichts in den Vereinigten Staaten von Amerika (Die case method), Zürich 1924; Kronstein, Reflections on the Case-Method in Teaching Civil Law, in: Journal of Legal Education 3 (1950), S. 265-272; Gorla, Le scuole di diritto negli Stati Uniti di America, in: Riv. di dir. comm. 1950, I, S. 320 ff.; Mancini, Lo studio del diritto nelle università americane, Bologna 1952, S. 262 ff.; Giuliani, Sistematica e case method come metodi di istruzione giuridica, in: Ius 1957, S. 319 ff.; Bernini, Equity, case books e metodo casistico nelle scuole americane di diritto, in: Riv. trim. di dir. proc. civ. 1959, S. 1533 ff.; Jescheck, Bedingungen und Methoden des Rechtsunterrichts in den Vereinigten Staaten von Amerika, Karlsruhe 1970; De Nova, Appunti sul metodo casistico nell’insegnamento del diritto privato, in: Riv. trim. di dir. proc. civ. 1978, S. 374-385; ders., I libri di casi, in: Riv. di dir. civ. 1980, II, S. 105 ff.; Yomha, La técnica del ‚comentario de fallo‘ en la educación legal, in: La Ley. Revista juridica argentina 1985, S. 511-517; Martinek, Der Rechtskulturschock. Anpassungsschwierigkeiten deutscher Studenten in amerikanischen Law Schools, in: JuS 1984, S. 92 ff.; Mason, in: Legal Education two thousand (Fn. 9), S. 81 ff.; Klein/Russell, Fallmethode oder systematische Stoffpräsentation? Zu den Lehrmethoden an amerikanischen und deutschen Rechtsfakultäten, in: JuS 1993, S. 272 ff. 75 Konzepte in dieser Hinsicht existieren bereits; vgl. etwa Schwenzer/Müller-Chen, Rechtsvergleichung. Fälle und Materialien, Tübingen 1996; vgl. auch van Gerven, Casebooks for the common law of Europe. Presentation of the project, European Review of Private Law 4 (1996), S. 67-70. Grundlegend hierzu Coing, Europäisches Privatrecht. Bd. I, Älteres Gemeines Recht, München 1985; Bd. II, 19. Jahrhundert, Mün-
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eines übernationalen wissenschaftlichen Rechtsunterrichts, orientiert an zentralen wissenschaftlichen Problemen und Inhalten und nicht an örtlichen Einzelheiten, welche schließlich Mitte des 19. Jahrhunderts der Entstehung der ersten amerikanischen Law Schools in Harvard Pate stand76, würde dann aus Amerika nach Europa zurückkommen.
C. Der Erkenntnisgewinn eines historischen und funktionalen Vergleichs Welche Lehren können wir aus den bisherigen historischen und vergleichenden Beobachtungen ziehen? Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung können und sollen nicht unmittelbare Handlungsanweisungen an Rechtspolitik und Rechtsanwendung geben. Ihr Erkenntnisrahmen verdeutlicht jedoch die Spielräume, welche Rechtspolitik und Rechtsanwendung zur Verfügung stehen, und liefert zugleich die Argumente, mit denen eine rechtspolitische Debatte rational geführt werden kann. Manche Themen und Vorschläge der heutigen Reformdiskussionen scheinen in der Tat nach dem bisherigen europäischen Rundblick bestätigt, manche allerdings auch relativiert oder gar widerlegt worden zu sein. Einige Stichworte seien hier zusammenfassend aufgelistet. Der immer wieder zu hörende Hinweis auf das hohe Alter der deutschen Assessoren im Vergleich zu den Absolventen mancher Nachbarländer stellt sich bei einem realistischen Vergleich – mit Ausnahme vielleicht von England – als ___________ chen 1989; Zimmermann, The Law of Obligations. Roman Foundations of the civilian tradition, Cape Town 1990; als Lehrbücher vgl. auch Kötz/Flessner, Europäisches Vertragsrecht, Bd. I, Tübingen 1996; v. Bar, Europäisches Deliktsrecht, Bd. I, Tübingen 1996. Die hier beschriebene Notwendigkeit einer präliminaren Vermittlung von solchem Grundlagenwissen wird übrigens neuerdings zunehmend erkannt (vgl. Ost und van Hoecke, Pour une formation juridique européenne, in: Journal des Tribunaux 1990, S. 105106; dies., Naar een Europese rechtsopleiding, in: Rechtskundig Weekblad 1989-90, S. 1001-1002; dies., Für eine europäische Juristenausbildung, in: JZ 1990, S. 911-912; Willoweit/Großfeld, Juristen für Europa, in: JZ 1990, S. 605 ff., insbes. S. 606-607. 76 Grundlegend Langdell, A Selection of Cases on the Law of Contracts, Boston 1870; hierzu Eliot, Langdell and the Law School, in: Harvard Law Review 33 (191920), S. 33 ff.; Patterson, The Case Method in American Legal Education: Its Origin and Objectives, in: Journal of Legal Education 4 (1951), S. 1 ff.; Rheinstein, The case method of legal education: the first one-hundred years, in: L’educazione giuridica (Fn. 9), I, S. 15-32; Merrymann, Legal education in civil law and common law university: a comparison and objectives and methods, ebd., S. 168-196; Stevens, Law School. Legal Education in America from the 1850’ to the 1980’, Chapel Hill 1983; Clark, Tracing the Roots of American Legal Education. A Nineteenth-Century German Connection, in: RabelsZ 51 (1987), S. 313-333; Hoeflich, The Americanization of British legal Education in the Nineteenth Century, in: The Journal of legal History 8 (1987), S. 244-259; Gamble, Law teaching: lecture and case book, in: Legal Education two thousand (Fn. 9), S. 155-161; zuletzt grundlegend Reimann, Historische Schule und common law. Die deutsche Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts im amerikanischen Rechtsdenken, Berlin 1993, S. 35 ff., insbes. S. 142 ff.
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nicht ganz überzeugend heraus. Irreführend wäre hier ein Altersvergleich mit den ausländischen Universitätsabsolventen. Vergleicht man dagegen die Kandidaten der deutschen Staatsexamina mit denjenigen der beschriebenen Eignungs- und Zulassungsprüfungen, die in den romanischen Ländern die Funktion einer Staatsprüfung erfüllen, und zählt man die nach der Universität dort offenbar überall erforderliche zusätzliche Vorbereitungszeit dazu, dann liegen kaum wesentliche Altersunterschiede vor. Ein wirklicher Kenner der Anwaltschaft in Europa – Peter Schlosser – hat kürzlich übrigens gerade darauf aufmerksam gemacht. Eine juristische Berufsbefähigung ist in den modernen, äußerst ausdifferenzierten und verfeinerten Rechtssystemen offenbar auch nicht schneller zu erlangen77. Ist das Modell des deutschen Staatsexamens ein Relikt eines vergangenen autoritären Staatsverständnisses? Auch hier ist die gelegentlich zu hörende Schwarz-Weiß-Malerei78 fehl am Platze: Die starre Einheitlichkeit des preußischen Modells des sog. „Volljuristen“ scheint in der Tat bei einem internationalen Vergleich den heutigen ausdifferenzierten Anforderungen an die juristischen Fachqualifikationen nicht immer zu entsprechen79 und ___________ 77
Vgl. Schlosser, Interview in Süddeutsche Zeitung v. 31.5./1.6.1997, Nr. 122, S. 37: „In England und Frankreich hat man außer der Universitätsabschlußprüfung eine Eingangsprüfung zur Anwaltschaft eingeführt. Aber das bedeutet einen großen Zeitverlust, etwa ein Jahr.“ Zutreffend insoweit die Bemerkung von Schöbel, in: BayVwBl 1991, insbes. S. 329, die Berufsanfänger in anderen EG-Staaten „werden in der Diskussion jünger gemacht“; ein seriöser Vergleich würde offenbaren, dass die deutsche Juristenausbildung im Ergebnis erheblich kürzer ist als die vieler anderer europäischer Staaten. 78 Dazu gehört die reißerische Erörterung des Themas in den Medien; vgl. etwa Klingst, Assessor Allwissend. Diplom statt Staatsexamen. Vorschläge zur Ausbildungsreform, in: Die Zeit v. 20.6.1997, Nr. 26, S. 29. Dazu gehört aber auch die reißerische Beschreibung der Ausbildung im Ausland: vgl. etwa Hattenhauer, in: ZRP 1997, S. 235: „Immerhin darf daran erinnert werden, wie zerfasert sich heute das Recht in England darbietet [...] man kann auch daran erinnern, daß in Frankreich die Spezialisierung bereits bei Studienbeginn erfolgt und sich der junge Student schon dann für ein bestimmtes Rechtsgebiet entscheiden muß.“ 79 Nicht erörtert werden kann hier die Frage, ob das System des deutschen Staatsexamens nicht einen funktionalen Ausgleich zu der Länderzuständigkeit im Justiz- und Hochschulbereich darstellt; auch in dieser Hinsicht ist ein Vergleich mit den übrigen europäischen Nachbarländern nicht ohne weiteres möglich. Darauf hat neuerlich Hattenhauer, Einheit des Juristenstandes und Einheit der Rechtsordnung, in: ZRP 1997, S. 234 ff., aufmerksam gemacht: die Durchsetzung des preußischen Systems der einheitlichen Staatsprüfung habe die Einheitlichkeit des Juristenstandes in Deutschland durch dessen einheitliche Ausbildung und Methode gesichert. Die protektionistischen Kämpfe der Anwaltschaft in den deutschen Territorien im 19. Jahrhundert – mit ähnlichen Argumenten übrigens wie heute gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsrechte innerhalb der EU – sollten zu denken geben. Selbst nach den Reichsjustizgesetzen von 1878 verweigerte etwa das bayerische OLG Bamberg noch im Jahre 1888 einem Anwalt aus Ulm die Zulassung mit dem Argument, er habe keine Ausbildung in den bayerischen Partikularrechten! (vgl. hierzu Siegrist, Advokat (Fn. 9), S. 666 ff., insbes. S. 667). Noch nach 1900 gab es Probleme für die Absolventen des preußischen Assessorexamens in Bayern (Siegrist, a. a. O., S. 668).
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in ihrem Anspruch auch unrealistisch zu sein. Das differenzierte System von spezifischen Eingangs- und Fachprüfungen, das nahezu alle kontinentalen Länder kennen, offenbart eine weit höhere professionelle Flexibilität. Der staatliche und nicht berufsständische Charakter des deutschen Examens scheint allerdings auch im europäischen Vergleich keinesfalls ein Nachteil zu sein. Die Entfremdungen und Gegensätze der juristischen Fachprofessionen sind in den romanischen Ländern ungleich stärker als in Deutschland als natürliche Konsequenz der Abschottung der juristischen Berufe zueinander. Der Einfluss der Anwaltschaft auf die professionellen Berufseingangsprüfungen in Italien und in Frankreich und die damit verbundenen unvermeidlichen berufsständischen Einflussnahmen80 machen zudem die sozialen und rechtsstaatlichen Kosten deutlich, die man hinnehmen müsste, würde man der Einführung von Anwaltsprüfungen zustimmen, wie es heute seitens der deutschen Anwaltschaft erneut gefordert wird. Das Interesse der Anwaltschaft, den Zustrom zu ihrem Berufsstand zu bremsen, ist allzu deutlich. Wenn ein Anwaltsanwärter darauf angewiesen ist, einen Ausbildungsvertrag mit einer Anwaltskanzlei vorzuweisen – wie es etwa heute in Italien oder in England der Fall ist –, ist zugleich vielen subjektiven, sozialen, ökonomischen und sonstigen Präferenzen und Einflussnahmen Tür und Tor geöffnet. Dem gilt es einen Riegel vorzuschieben: die Anwaltschaft darf nicht allein den Kräften des Marktes überlassen werden81. ___________ 80 Lesenswert etwa Donella, Un esame da bocciare, in: La previdenza forense, Milano 1990, S. 10-13, insbes. S. 10: „nonostante le recenti modifiche i risultati dell’esame di procuratore rivelano sconcertanti diversità nelle varie sedi“; aus den damit verbundenen verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten exemplarisch Tribunale amministrativo Lombardia, Urt. v. 9.4.1987, ebd., S. 25 ff. mit Anm. Villata. Solche Bedenken treffen in gewisser Weise auch auf rein universitätsbezogene Prüfungen zu. Zutreffend daher Flessner, Deutsche Juristenausbildung (Fn. 69), insbes. S. 693, mit dem Hinweis, dass die staatliche Prüfung und die Justizprüfungsämter als Schutz vor den „bekannten universitätsimmanenten Versuchen zur Nachlässigkeit, Bequemlichkeit und Gefälligkeit, [...] vor übergroßer Subjektivität der Lehrenden“ fungieren (für Beispiele Quambusch, in: JA 1994, S. 519 ff.). In diesem Sinne bereits Martinek, Keine Angst vor Europa! Plädoyer für eine Ausbildungsreform mit Augenmaß, in: JZ 1990, S. 796 ff., insbes. unter IV 2, S. 803: „Unser Staatsexamen verhindert den (in romanischen Ländern gelegentlich anzutreffenden) „imperialen Professor“, der seine Spezialgebiete lehrt und „abprüft“.“ 81 Zutreffend deshalb die bissigen Bemerkungen einer jungen Rechtsanwältin kürzlich in einer Leserzuschrift in der FAZ v. 30.5.1997, Nr. 122, S. 5: „Rechtsanwälte unter sich […] die ganze Diskussion um eine Reform der Juristenausbildung seitens der Anwaltschaft wirkt fadenscheinig. Wohl verbirgt sich dahinter der Wunsch, den Zugang zur Rechtsanwaltschaft überhaupt zu erschweren, wenn nicht sogar zu verhindern, um sich weitere Konkurrenz vom Hals zu halten.“ Vgl. auch Schlosser, a. a. O. (Fn. 76), „Die Anwaltschaft versucht schon seit Jahren, den enormen Zustrom zu ihrem Berufsstand zu bremsen [...]. In ein Anwaltsreferendariat wird nur aufgenommen, wer einen festen Vertrag mit einer Anwaltskanzlei vorweisen kann. Das ist natürlich eine einschneidende Regelung, weil vielen subjektiven Präferenzen Tür und Tor geöffnet ist.“ Ähnlich Flotho, Abschied vom Einheitsjuristen?, in: Festschrift für H. Heinrichs, Mün-
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Ein anderes Thema betrifft die Effizienz des Rechtsstudiums selbst. Die Dysfunktionalität zwischen universitärem Ausbildungsangebot und fachjuristischen beruflichen Anforderungen scheint nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Kontinentaleuropa ein Problem zu sein. Die Existenz von staatlichen, gelegentlich auch privaten Ausbildungsangeboten für eine erfolgreiche, häufig langjährige Vorbereitung der zahlreichen concours, concorsi, oposiciones und vergleichbaren professionellen Eignungsprüfungen in den romanischen Ländern spricht hier allerdings keinesfalls für eine Unterlegenheit der deutschen Fakultäten, deren beste Absolventen immerhin in aller Regel nach etwa vier, fünf Jahren das erste juristische Staatsexamen ohne Repetitorenhilfe meistens glänzend bestehen. Nachdenklich macht jedoch im Vergleich der Umstand, dass das deutsche Ausbildungsmodell im Gegensatz zu sämtlichen Rechtsfakultäten in Europa keine universitäre Prüfungs- und Leistungskontrolle kennt. Deren Bestehen müsste sich übrigens für die Kandidaten des ersten Staatsexamens durch ein Anrechnungssystem auch tatsächlich lohnen. Ein solcher Verzicht, den die deutschen Rechtsfakultäten inzwischen offenbar weitgehend verinnerlicht haben, bedeutet zugleich auch den Verzicht, Einfluss auf die wissenschaftliche Prägung und Orientierung des Studiums der überwiegenden Mehrheit der Studierenden zu nehmen. Die deutschen Fakultäten nehmen damit nicht die Chance wahr, ihre wissenschaftlichen Qualitätsanforderungen und profile in den Vordergrund zu rücken, um deutlich zu machen, dass Universitätslehre und -studium um die wissenschaftlichen Grundlagen und nicht um das sich tagtäglich verändernde Spezialwissen zentriert werden müssen82. Dass universitäre Prüfungen auch eine steuernde und kontrollierende Funktion des Studierverhaltens, vor allem bei einem Massenbetrieb wie heute, haben, zeigt deutlich das erfolgreiche und effiziente französische Modell der „travaux dirigés“83. Die völlige Freiheit des deutschen Studenten ist heute offenbar nur ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert, das häufig zu einem ineffizienten Studienverhalten verführt und insoweit baldmöglichst aufgegeben werden sollte84. Die vergleichende Analyse macht aber zugleich deutlich, dass das Mo___________ chen 1998, S. 223 ff., insbes. S. 225-226. Hierzu bereits mit zutreffenden Warnungen Martinek, Keine Angst vor Europa (Fn. 80), S. 804. 82 Darin liegt der Kern der Forderung von Kötz, Zehn Thesen (Fn. 6), S. 568, These 8. 83 Zur Selektionswirkung der travaux dirigés (bis zu 60 % in den ersten zwei Studienjahren) vgl. Gatti-Montain, Le système d’enseignement (Fn. 60), S. 264 ff. (allerdings kritisch). Ein solcher Selektionsmechanismus im Grundstudium ist das notwendige Korrelat des Massenbetriebs in den heutigen europäischen Universitäten, die, anders als die anglo-amerikanischen, keine Aufnahmeprüfungen kennen. 84 In diesem Sinne übereinstimmend Böckenförde, Juristenausbildung (Fn. 3), S. 325: „Die Studenten müssen von Anfang an streng gefordert, zu eigener Mitarbeit unerbittlich angehalten und am Ende des Semesters oder Studienjahres geprüft werden“; so auch Kötz, Die Flüchtigkeit des eingebleuten Wissens. Zehn Thesen zum Elend der Ju-
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dell der Universitätsprüfungen in manchen romanischen Ländern kein Vorbild sein kann und sein sollte. Ich denke hier etwa an das Fehlen der Schriftlichkeit bei den Prüfungsanforderungen, an den Charakter einer repetitiven Kontrolle von nur abstraktem Buchwissen und auf die damit verbundene fehlende Fallbezogenheit der gestellten Aufgaben. Ich denke vor allem an die Konsequenz, dass bei häufigen Prüfungen die inneren systematischen und dogmatischen Zusammenhänge mancher Rechtsgebiete nicht mehr angemessen gelehrt und geprüft werden können85. Das deutsche Ausbildungsmodell ist hier weit überlegen. Manche sehen dies kritischer: Die Anforderungen der schriftlichen Klausuren seien in Deutschland einfach zu hoch86; gerade darin läge – meinen manche – das „Elend der Juristenausbildung“87; es gäbe auch andere Formen der Kontrolle von Rechtskenntnissen. Das Lehrbuch von Medicus wurde kürzlich in einer Art Nachruf als „das wohl eindrucksvollste Werk gegenwärtiger Ausbildungskultur [...] auf einen imponierenden Höhepunkt, wie ihn nur die strenge Schulung am Römischen Recht und an der Pandektistik ermöglicht“ gefeiert, mit dem Hinweis allerdings, dass es sich um ein Werk handeln dürfte, „das
___________ ristenausbildung, in: Süddeutsche Zeitung v. 27./28.7.1996, S. 39, These 8. So übrigens bereits u. a. Steiger, Deutsche Juristenausbildung und das Jahr 1992, in: ZRP 1989, S. 283, insbes. S. 286; Martinek, Keine Angst vor Europa (Fn. 80), unter IV 3, S. 803804, der für eine curriculare Strukturierung mit Lernerfolgskontrollen und Abschlusstests plädiert, allerdings nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung des Staatsexamens. 85 Lesenswert hierzu für Italien Calamandrei, Troppi avvocati!, Firenze 1921, S. 123, der schreibt, dass die Studenten „das Recht und die Pflicht haben, das Geprüfte auf der Stelle zu vergessen, um an die anderen Examen zu denken“; diese Prüfungen seien (S. 122) eine „papageienhafte Wiederholung“ des in der Vorlesung Gesagten bzw. dessen, was in den angegebenen Texten getreulich wieder und wieder gelesen wurde, wie Cappelletti, L’educazione del giurista e la riforma dell’Università, Milano 1974, S. 94, hinzufügt. So auch Hartl, in: JuS 1987, S. 670. Zutreffend die Hinweise von Schöbel in: BayVBl 1996, insbes. S. 258-259. 86 So Böckenförde, Juristenausbildung (Fn. 3), S. 318-318, der die Dominanz der Klausuren abgeschafft wissen will (S. 325). Ebenso Hoffmann-Riem/Willand, Neue Perspektiven (Fn. 4), S. 210: „Verengung auf die Falltechnik, die von der Berufsrealität der großen Mehrheit der Juristen weit entfernt ist.“ Es braucht hier nicht erwidert zu werden, dass auch die kautelarpraktische Arbeit eines Anwalts evidenterweise die objektive Begutachtung der Rechtslage voraussetzt: hierzu die lesenswerten Bemerkungen von Knemeyer, Die zivilrechtliche Anwaltsklausur. Erfahrungen mit einem in NRW neuen Klausurtyp und Ratschläge für die Bearbeitung aus der Sicht eines Prüfers, in: JA 1996, S. 685 ff. 87 So Großfeld, Das Elend des Jurastudiums, in: JZ 1986, S. 357 ff., insbes. S. 359; ders., Examensvorbereitung und Jurisprudenz, in: JZ 1992, S. 22 ff., insbes. S. 23-26, wo allerdings bezeichnenderweise zugleich die pädagogischen Leistungen des Unterrichts des privaten Repetitors Atzler gepriesen werden. Man vgl. zum Thema auch die zutreffende Erwiderung von Herzberg, Das Elend des Referendarexamens?, in: JuS 1988, S. 239 ff.
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stellvertretend für viele andere Lehrbücher Höhepunkt und Ende einer Ausbildungskultur markiert“88. Gerade aus historischer und vergleichender Sicht möchte ich dem entschieden widersprechen: Das Modell der deutschen Klausur bleibt, wenn man von manchen singulären Auswüchsen und kommerziellen Trivialisierungen absieht, als pädagogisches Instrument und als Prüfungsanforderung vorbildhaft und europaweit überlegen. Und so wird es übrigens auch im europäischen Ausland gesehen und bewundert89. Die pädagogische Disziplinierung der juristischen Argumentation durch die Fallbezogenheit der gutachtlichen Denkweise stellt in ihrer logischen Stringenz und Effizienz, in ihrem Zwang zu einer rechtlichen Sachqualifikation und somit zu einer stringenten Subsumtion einen zentralen Kern der kontinentalen Rechtskultur dar. Das in der gemeinrechtlichen Tradition verwurzelte Rechtsdenken in Anspruchs- und Einwendungsnormen hält in der Ausbildung die Prozessbezogenheit der Normanwendung bewusst und schult das juristische Denken zu einer zielgerichteten und strengen Arbeitsdisziplin90. Gerade darin lag übrigens die wesentliche Grundlage für die europäische Ausstrahlungskraft des Römischen Rechts und der deutschen Pandektistik. Die unbestrittenen Schwierigkeitsanforderungen spiegeln nur die wachsenden Ausdifferenzierungen und Verästelungen heutiger Rechtsdogmatik und Rechtsfortbildung wider. Es wäre leichtfertig und rechtspolitisch unverantwortlich, würde man – wie manche universitären und nichtuniversitären Stimmen heute fordern – dieses Erbstück aus der gemeinrechtlichen Ausbildungstradition gedankenlos preisgeben. Eine letzte Feststellung bleibt zu treffen: Ein unmittelbarer, direkter Einfluss der Rechtsfakultäten bei der Steuerung des Zugangs zu den juristischen Fachberufen ist offenbar heute nirgendwo in Europa festzustellen; in Deutschland ___________ 88 So Stürner, Der hundertste Geburtstag des BGB – nationale Kodifikation im Greisenalter?, in: JZ 1996, S. 741 ff., insbes. S. 752. 89 Die Öffnung und die gegenseitige Durchdringung des kontinentaleuropäischen Zivilrechts in Wissenschaft, Ausbildung und Praxis steht dieser Ausbildungstradition keinesfalls im Wege. Zweifelhaft scheint mir deshalb die kürzlich formulierte Prognose (so Stürner, a. a. O.), dass gerade wegen der heute notwendig gewordenen europäischen Öffnung der Juristenausbildung diese Ausbildungskultur in der Zukunft nicht durchzuhalten sein werde. Lesenswert hierzu die Bemerkungen von Flessner, Deutsche Juristenausbildung. Die kleine Reform und die europäische Perspektive, in: JZ 1996, S. 689 ff., insbes. S. 690. 90 Dazu grundlegend Medicus, Anspruch und Einrede als Rückgrat einer zivilistischen Lehrmethode, in: AcP 1974, S. 313 ff.; vgl. auch seine Auseinandersetzung mit den Kritikern der fallbezogenen Ausbildungstradition im Vorwort zur 17. Auflage seines Bürgerlichen Rechts, Köln u. a. 1996, insbes. V-VI. Zum Thema vgl. auch Schapp, Das Zivilrecht als Anspruchssystem, in: JuS 1992, S. 537 ff.; das Studienbuch dess., Grundlagen des bürgerlichen Rechts, München 1991; sowie ders., Das subjektive Recht im Prozeß der Rechtsgewinnung, Berlin 1977. Zuletzt meine Ausführungen in: ZEuP 1997, S. 718 ff., insbes. unter III, Fn. 41 ff.
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seit dem 19. Jahrhundert mit dem preußischen Referendariatssystem, in den romanischen Ländern spätestens seit Mitte unseres Jahrhunderts. Das englische System hat eine solche Funktion des universitären Rechtsunterrichts nie gekannt. Dagegen zu steuern scheint eine offenkundige Illusion zu sein; es würde zugleich Funktion und Selbstverständnis der juristischen Fakultäten tief greifend verändern, wollte man sie in Berufsschulen verwandeln, gerade in die Anwaltsakademien, die manchen Hochschulpolitikern heute vorschweben91. Die Geschichte der gemeinrechtlichen Juristenausbildung und die heutige Erfahrung der amerikanischen Law Schools haben uns gezeigt, dass darin auch nicht die primäre Aufgabe einer universitären Rechtsunterweisung liegt, welche sich als rechtswissenschaftliche Lehre und Forschung verstehen und definieren will.
___________ 91 Dazu gehören übrigens auch die Vorschläge, die Juristenausbildung in die Fachhochschulen zu verlegen: so der Vorstoß der bildungspolitischen Sprecherin der FDPBundestagsfraktion Funke-Schmitt-Rinke bereits in der FAZ v. 9.5.1993, Nr. 18, S. 2 (hierüber vgl. Krimphove, Der Diplomwirtschaftsjurist (FH) (Fn. 5); Quambusch, Wirtschaftsjuristen von Fachhochschulen? in: JA 1994, S. 433-436, S. 519-524, mit einer vernichtenden Analyse zum Thema „Leistungsminderung durch Hochschulprüfungen“; eine Bestätigung des pseudowissenschaftlichen Anspruchs solcher Initiativen liefert die Themenwahl der ersten Absolventen (dazu FAZ v. 5.7.1997, Nr. 153, S. 43: etwa an der FH Mainz eine Diplomarbeit „Diskussion des britischen Rechts zwischen Tradition und Europäischer Union“ (!)). Hierzu gehört ebenfalls der Vorschlag, einen Universitätsstudiengang „Diplomrechtswissenschaftler/in“ als weitere Möglichkeit einzuführen. So ausführlich Hoffmann-Riem/Willand, in: JuS 1997, S. 497 ff., insbes. S. 498-501. Die Prüfung sollte eine rein universitäre Prüfung sein. „Die Diplomausbildung“ so wörtlich a. a. O., S. 498 – „kann den Ballast der durch zum Teil überholte und erstarrte Denk- und Prüfungsgewohnheiten gekennzeichneten Staatsprüfung abwerfen. Die Prüfungsinhalte können von den Prüfenden in Kooperation mit den Studierenden bestimmt werden“ (!). Die Seriosität des Vorschlags wird deutlich beim Hinweis (a. a. O., S. 500): „auch die Berufschancen im europäischen Binnenmarkt dürften positiv einzuschätzen sein: Der Diplomstudiengang lehnt sich [...] an gleichfalls mit frühzeitiger Spezialisierung und Praxisintegration verbundene Ausbildungskonzepte für juristische Berufe in anderen Mitgliedsstaaten an, so daß Startvorteile gegenüber den Staatsexamensjuristen bestehen können.“ Die hier vorgelegte rechtsvergleichende Bestandsaufnahme verdeutlicht, wie unrealistisch solche Pläne sind. Ihr unausgesprochener Grund dürfte hochschulpolitisch sein: die fiskalischen und berufspolitischen Schwierigkeiten des Referendariats sollen bewältigt werden, ohne das tabuisierte Thema von Hochschuleingangsprüfungen angehen zu müssen. Die Unternehmen scheinen zudem solche Absolventen nicht zu wollen: empirische Belege bei Lullies/Schüller/Zigriadis, Zum Bedarf der Wirtschaft an Absolventen eines Diplomstudiengangs Rechtswissenschaft mit wirtschaftswissenschaftlicher Ausrichtung (Bayerisches Staatsinstitut für Hochschulforschung 46), München 1996, insbes. S. 31-34.
Juristenausbildung und Richterbild in der europäischen Tradition* A. Einführung und Problembeschreibung 1. Europa verändert auch die Welt der Justiz. Einige einführende Hinweise mögen zu einer kurzen Problembeschreibung genügen. Seit wenigstens zwei Jahrzehnten zeichnet sich eine neue und ungewohnte Herausforderung für die Justizsysteme unserer europäischen Rechtsordnungen ab. Diese Herausforderung ist heute höchst aktuell; sie betrifft die allmähliche Heranbildung eines europäischen Rechtsraums, der sich als Justizraum definieren soll und neuerdings auch so definiert wird. Bereits vor 20 Jahren sprach man anlässlich der Verabschiedung des Brüsseler Übereinkommens über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen (EuGVÜ) von einem „Espace juridique européen“. Damals wurden die ersten Konturen einer gegenseitigen Verflechtung der europäischen Justizsysteme sichtbar, die heute über die üblichen internationalen Dimensionen juristischer Zusammenarbeit deutlich hinausgehen. Einige Stichworte zur Beschreibung dieses allmählich wachsenden „europäischen Justizsystems“ reichen hier aus: Seit mehr als 40 Jahren ist den nationalen Justizsystemen in den einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union die gemeinsame Aufgabe der Wahrung und des Vollzugs des europäischen Gemeinschaftsrechts erwachsen; gerade die Anwendung durch die nationalen Gerichte hat dem primären Gemeinschaftsrecht erst die Möglichkeit seiner endgültigen Durchsetzung eröffnet. Zugleich wirken die nationalen Gerichte bei der einheitlichen Auslegung und Anwendung der wachsenden normativen Bestände des europäischen sekundären Rechts mit. Dies gilt insbesondere ___________ * Zuerst erschienen in: Deutsche Richterzeitung 1998, S. 285-294. Für umfassende bibliographische Hinweise sei auch auf folgende Arbeiten hingewiesen: Ranieri (Hrsg.), Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa (1800-1945), I-II, Frankfurt a. M. 1992; ders., Styles judiciaires dans l’histoire européenne: modèles divergents ou traditions communes?, in: Jacob (Hrsg.), Le juge et le jugement dans les Traditions juridiques européennes. Études d’histoire comparée (Droit Société vol. 17), Paris 1996, S. 181-195 [in diesem Band S. 381]; ders., Das Reichskammergericht und der gemeinrechtliche Ursprung der deutschen zivilrechtlichen Argumentationstechnik, in: ZEuP 1997, S. 718-734 [in diesem Band S. 397]; ders., La formation et la méthode de travail du juge dans l’Europe d’aujourd’hui et leur répercussion sur son indépendance, in: Le droit social – Le droit comparé. Études dédiées à la mémoire de Pierre Ortscheidt. Collections de l’Université Robert Schuman. Annales de la Faculté de droit de Strasbourg, Nouvelle série, N°6, 2003, S. 281-298.
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für die nationalen Rechtsvorschriften, welche die gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien umsetzen. Darüber hinaus hat sich der Europäische Gerichtshof in Luxemburg mit seiner multinationalen Richterbesetzung und einer wachsenden Judikatur seit Jahrzehnten als zentrale Instanz für die Rechtsintegration der Europäischen Union erwiesen und etabliert. 2. Ein überraschender Befund gesellt sich jedoch zu dieser Situationsbeschreibung: Die Rechts- und vor allem die Justizsysteme der einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union blieben bis heute für eine große Mehrheit der Rechtspraktiker noch weitgehend unbekannt. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, gilt dies für einen deutschen Richter genauso wie etwa für seinen französischen, italienischen oder spanischen Kollegen. Es ist hier angebracht, gleich ein weit verbreitetes Missverständnis auszuräumen: Man glaubt gelegentlich, dass man eine fremde Rechtsordnung kennt oder besser kennen lernen wird, wenn man die fragliche sprachliche Verständigung verbessert; manche Rechtspraktiker erwarten in der Tat, dass eine bessere Kenntnis der normativen Unterschiede zwischen zwei Rechts- und Justizsystemen, notfalls mittels Übersetzungen, ausreichen kann, um sich in einer fremden Rechtsund Justizordnung bewegen zu können. Missverständlich ist hier vor allem der Glaube, dass sich ein Rechts- und Justizsystem auf seine normativen Grundlagen reduzieren lässt. Die Unterschiede unserer europäischen Rechts- und Justizsysteme liegen allerdings nur zum Teil in ihren unterschiedlichen gesetzlichen Grundlagen; gerade diese Unterschiede nehmen zudem aufgrund der europäischen Gesetzgebung allmählich eher ab. Das zentrale Problem liegt in der Tat jenseits der verschiedenen normativen und organisatorischen Strukturen: Die tiefer greifenden Gegensätze betreffen vielmehr die jeweiligen justizprofessionellen Traditionen, die Denk- und Argumentationsweise, das unterschiedliche nationale Selbstverständnis und die Selbsteinordnung der Rechtspraktiker in den jeweiligen Rechts- und Justizsystemen. Die Rechtsvergleichung spricht in diesem Zusammenhang von „Rechtsstil“. Solche tiefer liegenden Unterschiede werden deutlicher, wenn man die verschiedenen Ausbildungs- und Rekrutierungsmodelle in den jeweiligen nationalen Justizsystemen näher analysiert. Genauso aufschlussreich sind hierfür die gelegentlich gravierenden Gegensätze in den unterschiedlichen Urteils- und Argumentationsstilen, die man in den jeweiligen nationalen Judikaturen beobachten kann. Kenntnis und vor allem Verständnis hierfür sind selten. Exemplarisch für das beschriebene Informationsdefizit ist etwa die manchmal in Deutschland zu beobachtende Verständnislosigkeit und Kritik – nicht nur seitens der Medien, sondern auch mancher professioneller Juristen – für den knappen und zurückhaltenden Begründungsstil des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg. Manche Kritiker des EuGH, die diesem gelegentlich eine unzureichende und unklare Begründung seiner Urteile vorwerfen, scheinen sich offenbar kaum vorstellen zu können, dass eine begründete Gerichtsentscheidung anders aussehen könnte als die langen, wissenschaftlichen Ausführungen etwa des deutschen Bundesgerichtshofs oder des deutschen Bundesverfassungsgerichts.
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3. Meine Ausführungen hier wollen gerade an dieser Problembeschreibung ansetzen: Es gilt, die angedeuteten strukturellen Unterschiede in den jeweiligen Justizsystemen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft kurz zu skizzieren und vor allem deren historische Hintergründe zu beleuchten. Die tiefer liegenden Aspekte bei der Verschiedenheit und bei den Gegensätzen unserer Rechts- und Justizordnungen haben nämlich vor allem in deren jeweiliger Geschichte ihre wesentliche Erklärung. Nur die Rechtsgeschichte und die Rechtsvergleichung eröffnen uns hier deshalb einen Weg zum gegenseitigen Verständnis. Damit wird zugleich die Funktion von Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung als juristische Grundlagendisziplinen deutlich. In unserem heutigen Rahmen werde ich mich auf eine strukturelle Skizze beschränken müssen, die sich nur auf die größeren Länder konzentrieren wird. Meine Forschungsinteressen und meine professionelle Kompetenz als Privatrechtler erklären zudem meinen privilegierten Blick auf die Ziviljustiz. Auf drei Problembereiche möchte ich Ihre Aufmerksamkeit richten: zum einen auf das Verhältnis zwischen Juristenausbildung und Bürokratisierung der Justiz in den einzelnen europäischen Rechtssystemen; zum zweiten auf die unterschiedlichen europäischen Ausbildungs- und Rekrutierungsmodelle und ihr Verhältnis zur universitären Juristenausbildung, insbesondere auf die unterschiedliche Rolle des juristischen Universitätsunterrichts für die Wahrung der Einheit der Rechtsprofessionen im jeweiligen Rechtssystem; zuletzt auf den Einfluss der Juristenausbildung auf die zum Teil auffallend unterschiedlichen richterlichen Urteils- und Argumentationsstile in der Rechtsprechung der einzelnen europäischen Länder.
B. Juristenausbildung und Bürokratisierung der Justiz 1. Die kontinentalen Rechtsordnungen kennen spätestens seit dem 18. Jahrhundert ein bürokratisches Modell für die Ausbildung und Rekrutierung des Justizpersonals. Mit dem Entstehen des modernen Verwaltungsstaates Ende des 18. Jahrhunderts wird auch die Justizausbildung vornehmlich Staatsausbildung; in dieser Perspektive definiert sich der Richter als Staatsbeamter. Man kann die historische Herausformung dieses staatlichen bürokratischen Rekrutierungsmodells für das Justizpersonal in Preußen bereits auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts datieren. Die damalige Einrichtung des preußischen Referendariats und der damit verbundenen Staatsexamina dienten zum einen als Kontrolle der Qualität der professionellen Ausbildung und zum anderen als Instrument für die Rekrutierung des Justizpersonals. Seitdem wurde der Besuch einer Rechtsfakultät zwar vorausgesetzt, war jedoch für eine zunehmende Anzahl von juristischen Berufen nicht mehr ausreichend. Darin wird die damalige Professionalisierung der Rechtsberufe deutlich, in Ablösung des ständischen Selbstverständnisses der Juristen im vormodernen Europa. Es ist nötig, in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass bereits im 18. Jahr-
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hundert nicht nur in Preußen, sondern auch in den meisten übrigen deutschen Territorien die Aufnahme in den Justizdienst das Bestehen von Staatsprüfungen voraussetzte. Das Reichskammergericht kannte übrigens bereits seit dem 16. Jahrhundert Proberelationen für die präsentierten Kandidaten für das Amt des Assessorats. Die staatlichen Justizverwaltungen übernahmen diese Art von Prüfung. Die von den Justizkandidaten anzufertigenden „Proberelationen“ dienten im 18. Jahrhundert gerade dazu, die jeweilige juristische und professionelle Kompetenz auf die Probe zu stellen. Das Referendariat diente zudem dazu, das junge Personal in die bürokratischen Strukturen einzuordnen und zu disziplinieren. Das preußische Referendariatsmodell und die Einrichtung des Staatsexamens als juristischer berufsqualifizierender Abschluss hat sich in Deutschland spätestens seit den Justizreformgesetzen von 1878 in sämtlichen Territorien des damaligen Reichs durchgesetzt und prägt heute noch das deutsche Justiz- und Rechtssystem. Nicht in seiner Ausgestaltung, aber in seiner Funktion steht das deutsche Staatsexamen in Europa keinesfalls allein. Zum bürokratischen Ausbildungs- und Rekrutierungsmodell gehört etwa auch das französische System der „Concours“, der Eignungsprüfungen nämlich, die zentral ausgerichtet und auf nationaler Basis durchgeführt werden, und die als Eingangshürde für die Aufnahme der jungen Rechtsabsolventen in die Justizausbildung dienen. Die Einrichtung der „Concours“ geht auf die napoleonische Zeit zurück und hat seitdem das französische Justiz- und Verwaltungssystem dauerhaft geprägt. Heute findet diese Eignungsprüfung für junge Rechtsabsolventen jährlich auf nationaler Ebene statt und dient als Eingangsvoraussetzung für die Ausbildung in der „Ecole nationale de la Magistrature“ in Bordeaux. Funktional erfüllt insoweit der „Concours“ einen ähnlichen Zweck wie das erste deutsche Staatsexamen als Selektions- und Eingangsinstrument in die Ausbildungsphase des Referendariats. Auch die Anforderungen entsprechen in etwa, bei realistischem Vergleich, denjenigen des deutschen ersten Staatsexamens. Das französische System der „Concours“ hat die romanischen Länder dauerhaft beeinflusst: Auch in Italien und in Spanien finden wir etwa „Concorsi“ und „Opposiciones“, die ebenfalls nach dem Universitätsbesuch als Eingangsvoraussetzung für die Ausbildung der jungen Rechtsabsolventen als Justizreferendare – etwa der italienischen „uditori giudiziari“ – in den jeweiligen Justizsystemen dienen. Das Vorbild der französischen Ecole nationale de la Magistrature in Bordeaux hat ebenfalls Nachahmung auch in anderen Ländern gefunden: so etwa in Spanien und vor einiger Zeit auch in Italien, wo eine nationale Richterschule eingerichtet wurde. Konstitutiv und typisch für das hier beschriebene bürokratische Ausbildungs- und Rekrutierungsmodell des Justizpersonals ist ferner ein funktionierendes Beurteilungssystem, das die Karriere und Beförderung des einzelnen Richters innerhalb des Systems gewährleistet und kontrolliert. Auf das deutsche Beurteilungssystem brauche ich hier nicht einzugehen. Erwähnenswert ist, dass sich in dieser Hinsicht in einigen romanischen Ländern, ich denke hier vor allem an Italien und Spanien und, in gewisser Weise, auch an Frankreich, eine
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vollkommen autonome Selbstverwaltung der Richterschaft entwickelt hat. Sie findet etwa in Italien ihren Ausdruck in der Tätigkeit des „Consiglio nazionale della Magistratura“, der als Vorbild für eine ähnliche Institution vor einigen Jahren in Spanien gedient hat. Eine vollkommen autonome Personalselbstverwaltung der Justiz in den romanischen Ländern macht allerdings zudem die Gefahr deutlich, welche insbesondere in der parteipolitischen Fraktionenbildung der Richterschaft liegt: Vor allem Italien und Spanien bieten hierfür gelegentlich ein abschreckendes Beispiel. Trotz mancher nationaler Unterschiede kann das kontinentaleuropäische bürokratische Justizmodell durch einige gemeinsame, prägende Merkmale charakterisiert werden. Dazu gehört zweifellos auch die große Zahl von Richtern; diese Zahl macht es zugleich notwendig, eine Karriere innerhalb des Justizsystems im Sinne einer bürokratischen Laufbahn vorzusehen und impliziert zudem die Notwendigkeit, die Mitglieder der Richterschaft bereits in den jungen Anfängerjahren auszusuchen, auszubilden und aufzunehmen; Aufnahmekriterien können hier deshalb nur Ausbildungserfolg und nachgewiesenes Wissen sein. 2. In totalem, geradezu vollständigem Gegensatz zum beschriebenen bürokratischen Justizmodell charakterisiert sich die englische Justiz: Gerade an der personellen Struktur des englischen Gerichtssystems werden die tief greifenden, historisch verwurzelten Unterschiede zwischen kontinentalem Recht und englischem Common Law sichtbar. Die englische Justiz kennt eine sehr geringe Anzahl von Richtern, überraschend wenig vor allem, wenn man das englische System mit der Überfüllung an Personal in den kontinentalen Justizorganisationen vergleicht. Die geringe Zahl der englischen Richter findet eine ihrer wesentlichen Erklärungen darin, dass in England Justizaufgaben vor allem auf lokaler Ebene außerhalb der eigentlichen Gerichtsbarkeit verlagert wurden: Eine große Anzahl von Streitigkeiten und Verwaltungsaufgaben, die auf dem Kontinent noch unter richterlicher Hoheit abgewickelt werden, finden im englischen System ihre Erledigung außerhalb der Gerichte. Typisch für das englische Rechtsmodell ist aber vor allem das Fehlen einer Justizkarriere als bürokratische Karriere. Die englische Richterschaft stammt bekanntlich aus der Anwaltschaft. Sie stellt eigentlich eine elitäre Auslese aus der Anwaltsprofession dar; die Aufnahme in die Justiz findet durch ein informelles, aber umso effizienteres und qualitätsbewusstes Kooptationssystem der professionellen Gemeinschaft der Barristers statt. Die Kontrolle durch politische Instanzen fehlt weitgehend. Es ist in der Tat für einen englischen Juristen schlechterdings unvorstellbar, dass jemand durch eine Eignungsprüfung Richter am „Court of Appeal“ oder am „House of Lords“ werden kann. Die tagtägliche Beurteilung durch die Profession, durch die Anwaltskollegen nämlich, mit denen man ständig am Gericht plädiert oder denen man immer wieder in den „Inns of Courts“ begegnet, stellt seit Jahrhunderten das Bewährungs- und Auslesemodell dar, aufgrund dessen das englische Rechtssystem bis heute seine Richterschaft rekrutiert. Erst in reiferen Jahren, also frühestens nach einer 10- bis 15-jährigen professionellen Anwaltserfahrung, findet hier üblicherweise eine Berufung in
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das Richteramt statt. Darin liegt auch der wesentliche Grund, warum der englische Richter traditionell als Einzelrichter agiert und urteilt; das Problem der Einbindung und der Einführung des jungen Richters in die Justizarbeit kennt das englische Rechtssystem von vornherein nicht. Das englische Rechtssystem kennt deshalb an sich auch keine Justizkarriere im kontinentalen Sinne: Die Kooptation geschieht hier aus der juristischen Profession heraus und ist zugleich ein Bestandteil derselben. Nicht Spezialisten, sondern erfahrene und allseits anerkannte Kollegen werden in die Richterschaft berufen. Wie ein hoher englischer Richter kürzlich auf einer Tagung in Deutschland bemerkte, ist in der englischen Justiz und in ihrem Selbstverständnis nicht das „Wissen“, sondern die „Experience“ entscheidend. Das englische Justizmodell, gewachsen über Jahrhunderte und trotz zahlreicher gesetzlicher Organisationsreformen im Kern bis heute unnachahmlich, erinnert eher an die ständischen Organisationsformen von Justiz und Rechtsprofession, welche für die vormoderne Gesellschaft in der europäischen Geschichte der Neuzeit typisch waren. Eine historische Entsprechung findet sich auf dem Kontinent vielleicht in den Hohen Gerichtshöfen, etwa den französischen Parlamenten, dem deutschen Reichskammergericht oder den italienischen Rote, welche zur Zeit des Römischen Gemeinen Rechts die Justizsysteme der kontinentalen Länder prägten. Gerade die hier beschriebenen strukturellen Unterschiede im Justizsystem machen die historischen Abstände deutlich, welche das englische Rechtssystem heute noch von den kontinentalen Rechtsordnungen trennen.
C. Justizrekrutierung und die universitäre Juristenausbildung Ein anderes Problem ist, welche Rolle die juristische Universitätsausbildung für die Rekrutierung des Justizsystems in den jeweiligen europäischen Rechtsordnungen spielt und ob und inwieweit eine Universitätsausbildung die Einheit der Rechtsprofessionen gewährleistet. Auch diesbezüglich kennen die europäischen Rechtssysteme beträchtliche Unterschiede und gegensätzliche Entwicklungen. 1. Das englische Recht und die englische Anwaltschaft waren traditionell und sind heute noch tendenziell universitätsfern. Das historische Common Law kannte bekanntlich keinen Universitätsunterricht: Vorlesungen zum englischen Recht wurden erstmalig in Oxford von Blackstone Mitte des 18. Jahrhunderts angeboten. Für die Aufnahme in die Ausbildung in den Inns of Courts war bis Mitte des 19. Jahrhunderts die Absolvierung eines Universitätsstudiums überhaupt nicht erforderlich. Seit den im Jahre 1846 eingeleiteten Reformen verlangte man von den jungen Absolventen zwar den Besuch der Universität, aber keinesfalls ein juristisches Studium: Es ist exemplarisch, dass Lord Denning – einer der bekanntesten englischen Richter aus der Nachkriegszeit – seinerzeit an der Universität nicht etwa Jura, sondern Mathematik studiert hatte. Die Situation hat sich zwar nach dem Zweiten Weltkrieg insoweit verändert, dass nor-
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malerweise die Absolventen der Aufnahmeprüfung bei der Anwaltschaft ein Jurastudium vorweisen; dies ist jedoch bis heute formell nicht unbedingt erforderlich. Die Universität als Stätte rechtswissenschaftlicher Forschung und Lehre spielt in England also keine zentrale Rolle zur Gewährleistung der Einheit der juristischen Profession. Die englische Rechtskultur ist bis heute im Kern universitätsfern geblieben, und die Einheit der Rechtsberufe findet im englischen Rechtssystem ihre wesentliche Grundlage in der Anwaltschaft, vor allem im informellen Kooptationsverfahren der Richterschaft aus den Reihen der Barristers. 2. Das deutsche Modell ist auch in dieser Hinsicht vom englischen Recht weit entfernt. Die Einheit der juristischen Professionen findet in Deutschland ihre Grundlagen in zwei wesentlichen Elementen. Zum einen gilt dies für die Staatsprüfungen, welche als gemeinsame Voraussetzung für den Zugang zu den verschiedenen juristischen Berufen angesehen werden. Dieses System geht – wie bereits erwähnt – auf eine inzwischen fast zweihundertjährige historische Tradition zurück und gewinnt seine Funktion nicht zuletzt – wie kürzlich Hans Hattenauer in Erinnerung gerufen hat – aus der föderalen Struktur des deutschen Staatswesens, welche für die deutsche Rechts- und Justizgeschichte ein konstitutives Moment darstellt. Deutschland ist in seiner Geschichte nie – wie etwa Frankreich oder England – ein zentralistischer Jurisdiktionsstaat gewesen: Gerade die Einführung des preußischen Referendariats und des Systems der Staatsexamina in das gesamte Deutsche Reich Ende des 19. Jahrhunderts stellte einen funktionalen Ausgleich für die damalige dezentrale Struktur von Justiz und Anwaltschaft dar. Es sei daran erinnert, dass gerade die einheitliche Regelung des Staatsexamens die Freizügigkeit der Anwälte im Deutschen Reich gegen die damaligen protektionistischen Kämpfe der lokalen Anwaltschaften durchzusetzen half. Als weiteres zentrales Moment der Einheit der juristischen Profession gilt in der deutschen Rechtstradition zum anderen die wissenschaftliche Universitätsausbildung der Juristen. Erinnern wir uns: Bereits die juristischen Fakultäten im 19. Jahrhundert führten, trotz fehlender nationaler Privatrechtskodifikation, durch die Ausrichtung des Rechtsunterrichts auf die damaligen allgemeinen Lehren des Pandektenrechts eine faktische, kulturelle Rechtseinheit in Deutschland herbei. Die Vereinheitlichung des Privatrechts in den deutschen Territorien war bereits im Kern zu Beginn der Kodifikationsarbeiten zum BGB weitgehend vorbereitet; sie war primär nicht Leistung des Gesetzgebers oder eines Obersten Gerichtshofs, sondern vor allem Ergebnis des Rechtsunterrichts und der Universitätslehre. Diese besondere Stellung der universitären Rechtswissenschaft im Rechtssystem haben die deutschen Rechtsfakultäten, trotz mancher tief greifender Veränderungen, bis heute im Wesentlichen beibehalten. Die Verbindungen der deutschen Richter zu den Universitäten finden eine augenfällige Bestätigung etwa in dem Umstand, dass Rechtsprofessoren gelegentlich auch als Richter im Nebenamt tätig sind. Darin liegt übrigens eine historische Kontinuität zu einer alten Tradition, welche bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts wirkte und die deutschen Rechtsfakultä-
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ten an der Justizverwaltung durch das Verfahren der Aktenversendung mitbeteiligte. Ein weiteres typisches Element dieser Verzahnung zwischen Hochschulunterricht und Justiz ist der Umstand, bezeichnend für das deutsche Rechtssystem überhaupt, dass Richter häufig als Honorarprofessoren oder als Mitautoren von wissenschaftlichen Werken und Kommentaren tätig sind. 3. Die romanischen Rechtssysteme, damit denke ich nicht nur an das französische Recht, sondern auch an diejenigen Rechtsordnungen – etwa die italienische oder die spanische –, welche sich historisch unter dem Einfluss der französischen Gesetzgebung und Rechtspraxis entwickelt haben, kennen eine Einheit der Rechtsprofessionen im beschriebenen Sinne nicht. Selbstverständlich ist das Universitätsstudium auch hier Voraussetzung für eine juristische Berufstätigkeit; sie ist, genauso wie in Deutschland, allerdings überhaupt hierfür nicht ausreichend; erforderlich ist vielmehr, dass nach dem Universitätsstudium – im Gegensatz zu Deutschland mit eigenen Diplomen abgeschlossen – Eignungsprüfungen und besondere Ausbildungsgänge besucht und bestanden werden; diese sind für die einzelnen professionellen Berufssparten verschieden. So ist sowohl in Frankreich als auch in Italien oder in Spanien eine besondere Aufnahmeprüfung erforderlich, um in die Richterausbildung aufgenommen zu werden. Am Ende derselben haben die jungen Absolventen eine weitere, allerdings meistens nicht schwierige, Qualifikationsprüfung für die endgültige Aufnahme in die Justizlaufbahn zu bestehen. Wie ich bereits erwähnt habe, findet in Frankreich eine solche Ausbildung zentral in einer Ecole nationale statt, für deren Besuch ein Concours erforderlich ist. Es ist hier übrigens erwähnenswert, dass weder in Frankreich noch in den anderen romanischen Ländern das Universitätsstudium als solches allein für das Bestehen einer solchen Aufnahmeprüfung ausreicht; es wird vielmehr als selbstverständlich angesehen, dass eine besondere, wenigstens ein Jahr währende, Vorbereitung für eine solche Prüfung nach dem Universitätsstudium vorgeschaltet werden muss. In Frankreich bieten die Universitäten selbst eine solche Vorbereitung, in Italien fungierten hierfür bis heute private Rechtsschulen. Die juristischen Professionen in den romanischen Ländern kennen seit dem 19. Jahrhundert also verschiedene und völlig getrennte Zugangsbedingungen, die von unterschiedlicher Schwierigkeit, Anforderung und Struktur charakterisiert werden. Die Universitätsabsolventen müssen sich frühzeitig für einzelne Karriere- und Eignungsprüfungen entscheiden. Charakteristisch für solche Systeme ist vor allem der Umstand, dass tendenziell ein Übergang zwischen den verschiedenen Professionen an sich nicht vorgesehen ist. Die Entscheidung etwa des jungen italienischen Universitätsabsolventen für die Aufnahmeprüfung in der Richterausbildung stellt insoweit auch eine endgültige Berufsentscheidung dar. Ein solches System, charakterisiert durch eine frühzeitige Spezialisierung und eine frühzeitige berufliche Festlegung, kennt deshalb eine Einheit der Rechtsprofession, wie diese im englischen oder im deutschen Recht üblich ist, nicht. Konfrontationen und Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen juristischen Berufsgruppen sind bezeichnenderweise in den romanischen Ländern weitaus häufiger und selbst-
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verständlicher als in Deutschland; das gilt etwa auch für die Ferne und Entfremdung zwischen Richterschaft und Anwaltschaft z. B. in Italien oder in Spanien. Es ist in diesem Zusammenhang überaus erwähnenswert, dass gerade dies vom italienischen Gesetzgeber etwa als ein Defizit angesehen wird. Vergangenes Jahr wurden in Italien höhere juristische postuniversitäre Schulen errichtet, welche die Rechtsabsolventen nach der Universität – allerdings vorbehaltlich einer Eingangsprüfung – aufnehmen und auf die Berufsprüfungen vorbereiten sollen; es ist ausdrücklich vorgesehen, dass sie, wenigstens zeitweise, sowohl von den Kandidaten für die Richterprüfung als auch von den Kandidaten der Anwaltsprüfung gemeinsam besucht werden sollen. Die Idee einer juristisch professionellen einheitlichen Rechtsausbildung, welche in Deutschland zurzeit heftig kritisiert wird, wird offenbar in anderen Ländern als Ideal und Vorbild angesehen. Dies sollte die Kritiker des heutigen Ausbildungssystems in Deutschland wenigstens zum Nachdenken anregen. 4. Diese kursorischen Hinweise haben bereits deutlich machen können, dass die Stellung der Justiz im Gesamtzusammenhang der verschiedenen Rechtsprofessionen in unseren europäischen Ländern keinesfalls identisch ist. Exemplarisch für diese strukturellen Unterschiede ist etwa ein Ländervergleich hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit Richter am Hochschulunterricht beteiligt werden oder in welchem Umfang Hochschullehrer in die Justiz Aufnahme finden können. Dies ist für Deutschland zweifellos typisch, aber auf keinen Fall beispielsweise für Frankreich: Ich kenne kaum Beispiele einer Mitwirkung von Berufsrichtern an französischen Rechtsfakultäten; bezeichnenderweise ist es auch weitgehend unbekannt, dass französische Hochschullehrer an Gerichtshöfe berufen und tätig werden. Auch eine juristische wissenschaftliche Veröffentlichungspraxis durch Richter ist in Frankreich weit weniger verbreitet als in Deutschland. Ähnliches gilt zweifellos auch für England, obwohl in den letzten Jahren gelegentlich hohe Richter durch wissenschaftliche Publikationen in Erscheinung getreten sind; es ist allerdings bezeichnend, dass eine solche schriftstellerische juristische Tätigkeit von Richtern von den Mitgliedern englischer Rechtsfakultäten eher kritisch angesehen und gelegentlich gar heftig kritisiert wird. Auch die italienischen Universitäten kennen üblicherweise eine Lehrtätigkeit von Berufsrichtern genauso wenig wie die Berufung von Hochschullehrern an Gerichte. Bezeichnenderweise wird die Einheit der Rechtsprofession in Italien eher durch die Anwaltschaft gewährleistet: Nahezu sämtliche italienischen Hochschullehrer – wenigstens in den Fächern des positiven Rechts – sind gleichzeitig als Anwälte zugelassen; das Ansehen eines Mitglieds einer italienischen Rechtsfakultät hängt meistens nicht zuletzt wesentlich auch von seiner Stellung in der Anwaltschaft ab. Bei den postuniversitären Berufsprüfungen sind italienische Professoren insoweit beteiligt, als sie als Anwälte zugelassen sind. Die Stellung der Rechtshonoratioren – um ein berühmtes Wort von Max Rheinstein hier in Erinnerung zu rufen – in den einzelnen europäischen Rechtsordnungen ist also recht unterschiedlich. Dasselbe gilt für das Verhältnis der juristischen Professionen zueinander. Diese Befunde bestätigen
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unsere Vermutung, dass ein Vergleich der einzelnen europäischen Justizsysteme sich nicht auf deren normative Grundlagen beschränken kann, sondern auch deren soziale und strukturelle Realitäten mit einbeziehen muss.
D. Juristenausbildung und richterlicher Urteils- und Argumentationsstil 1. Auffallend ähnliche Strukturunterschiede zeigen die einzelnen europäischen nationalen Rechtstraditionen auch hinsichtlich des stilistischen Aufbaus einer Gerichtsentscheidung. Gerade im Zusammenhang mit der Technik der Formulierung eines Gerichtsurteils spricht man in der Rechtsvergleichung gelegentlich von nationalem „Rechtsstil“: Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen sind dem Thema gewidmet worden. Ich werde mich hier nur auf die Zivilurteile beschränken: Diesbezüglich sind die Unterschiede bei den nationalen Traditionen am augenfälligsten. Ich brauche hier den äußeren Aufbau eines deutschen zivilrechtlichen Urteils nicht in Erinnerung zu rufen. Typisch sind vor allem die rigorose Trennung zwischen Tatbestand und Urteilsmotivation, die traditionelle Unterscheidung des unstreitigen Sachverhalts vom streitigen sowie die formal in Kausalsätzen, im sog. „Urteilsstil“, formulierte Urteilsbegründung. Erwähnt sei übrigens, dass der typische äußere Stil eines deutschen zivilrechtlichen Urteils, welcher an sich nicht stringent von prozessrechtlichen Vorschriften vorgeschrieben wird, seine Grundlage primär in einer alten historischen Tradition findet. Bereits zur Zeit des Römischen Gemeinen Rechts und des deutschen Usus modernus im 17. Jahrhundert gab es Anleitungen zu den Regeln etwa, die man bei der Anfertigung einer Aktenrelation oder zur Formulierung eines Votums zu beachten habe. Solche Regeln, welche bis auf die Ausbildungspraxis noch auf die Zeit des Reichskammergerichts zurückgehen und in die preußischen Ausbildungsordnungen Eingang fanden, leben heute noch fort in der sog. Klausur- und Relationstechnik und in der Referendarausbildung, ohne dass sich Referendare und Ausbilder darüber bewusst sind. Typisch für ein deutsches Zivilurteil ist vor allem der wissenschaftliche Charakter seiner ausführlichen Begründung: Wissenschaftliche Zitate in einer deutschen Urteilsbegründung sind keinesfalls verpönt; vielmehr setzt sich eine Entscheidung einer höheren Gerichtsinstanz üblicherweise umfassend nicht nur mit der bisherigen Judikatur, sondern auch mit den wissenschaftlichen Stellungnahmen im Schrifttum auseinander. Manche Urteile des Bundesgerichtshofes oder gar des Bundesverfassungsgerichts erinnern uns unweigerlich an eine wissenschaftliche Abhandlung. Dies wird gelegentlich heftig kritisiert. Man vergisst dabei, dass dies der deutschen Justiztradition entspricht. In der Tat beteiligen sich die deutschen Gerichte durch solche Urteilsbegründungen auch an der rechtswissenschaftlichen Diskussion. Es ist also kein Zufall, dass zahlreiche Richter in Deutschland als Autoren von wissenschaftlichen Werken und Kommentaren und als Hochschullehrer tätig sind.
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Ein französisches Zivilurteil stellt gerade das Gegenteil dazu dar. Bekanntlich wird eine Entscheidung der französischen Cour de cassation heute noch mit der Technik des sog. „Jugement à phrase unique“ redigiert: Ein Urteil besteht demgemäß nur aus einem Satz, welcher mit dem Subjekt „La Cour“ beginnt und durch das Verb „casse“ bzw. „rejette“ abgeschlossen wird; durch eingeschobene Relativsätze, welche durch die Formulierung „attendu que“ beginnen, werden die wesentlichen Elemente aus der Prozessgeschichte sowie aus den Kassationsmitteln der Parteien mitgeteilt, soweit der Kassationshof dies für mitteilungsbedürftig hält im Hinblick auf die im Zentrum der Entscheidung stehende Rechtsvorschrift und Rechtsauslegung. In seinem Umfang überschreitet ein Zivilurteil der Cour de cassation selten eine gedruckte Seite. Ein solcher Begründungsstil ist außerordentlich formalistisch und entspricht in der Tat einer legalistischen Rechtsgesinnung, welche nicht zufällig unmittelbar an die Tradition des Tribunal de cassation Ende des 18. Jahrhunderts anknüpft und auf die französische Kodifikation Anfang des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Trotz gelegentlich heftiger Kritik hat der französische Kassationshof bis heute diese seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts existierende Technik in der Redaktion seiner Urteile nicht aufgegeben. Solche Urteile stellen nur die Mitteilung einer Rechtsentscheidung dar. Die Begründung wird häufig nur durch einen Hinweis auf die herangezogenen gesetzlichen Vorschriften angedeutet und ist in der Sache selbst nur für die Prozessbeteiligten und die sonstigen professionellen Kenner der Rechtsprechung des Gerichts erkennbar und nachvollziehbar. In der lakonischen Kürze von manchmal nur wenigen Druckzeilen spielt jedes benutzte oder eben nicht benutzte Wort eine entscheidende Rolle. Die Kunst der Auslegung der sybillinischen „arrêts“ der Cour de cassation ist seit jeher ein wesentliches Element der professionellen französischen Rechtskultur. Es ist insoweit nicht zufällig, dass gerade die französische Rechtsliteratur seit dem 19. Jahrhundert die besondere Literaturgattung der sog. „note“ kennt, der Urteilsanmerkung nämlich, in welcher die Hintergründe der juristischen Begründung eines Urteils und dessen Einordnung in die bisherige Rechtsprechung offen gelegt und erläutert werden. Die „note“ erfüllt im französischen Rechtssystem funktional dieselbe Aufgabe wie die wissenschaftlichen Ausführungen in den deutschen Urteilen. Der Kenner des französischen Rechts weiß, dass ohne Urteilsanmerkungen und ohne den Rückgriff auf die Kommentierung und Systematisierung in der wissenschaftlichen Literatur die französische Rechtsprechung nicht verstanden und nicht beherrscht werden kann. Die französische Cour de cassation zitiert grundsätzlich nie, weder die eigene Judikatur noch gar das wissenschaftliche Schrifttum; die Kenntnis der eigenen Präzedenten und der gelegentlichen literarischen Kritik wird zwar vorausgesetzt, aber nicht mitgeteilt; deren Durchdringung bleibt der professionellen Kompetenz und Erfahrung von Anwälten und Professoren vorbehalten. Die französische „doctrine“ begleitet also die Rechtsprechung und sieht heute ihre primäre Aufgabe vor allem in der Systematisierung und Rationalisierung ihrer Ergebnisse, in einer der Judikatur dienenden Funkti-
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on also, die die Ferne zur selbstbewussten Haltung des deutschen rechtswissenschaftlichen Schrifttums deutlich offenbart. Der französische Urteilsstil hat sich in den übrigen romanischen Ländern keinesfalls als Vorbild durchgesetzt. Zivilurteile von italienischen oder spanischen Gerichten sehen bereits äußerlich in ihrem Aufbau und ihrer Struktur vollkommen anders aus als eine französische Entscheidung. Einige Hinweise mögen dies kurz verdeutlichen: Der italienische Kassationshof etwa stellt immer eine ausführliche Prozessgeschichte an den Anfang seiner Urteile; darin wird in chronologischer Reihenfolge das Verfahren von Anbeginn an dargelegt und zugleich die Behauptungen und Rechtsansichten der Parteien wiedergegeben. Die darauf folgende, getrennte Urteilsmotivation wird streng nach dem jeweiligen Kassationsmittel der Parteien gegliedert; der Tenor selbst der Entscheidung wird erst am Ende des Urteils mitgeteilt. Einem ähnlichen Aufbau folgt das spanische Tribunal Supremo. Der italienische Kassationshof zitiert ausführlich die eigene Rechtsprechung, aber nie das Schrifttum. Typisch für die italienische Form der Urteilsredaktion ist vor allem ihre Ausführlichkeit und Länge, welche bei den Entscheidungen des italienischen Kassationsgerichts üblicherweise diejenige etwa der Urteile des Bundesgerichtshofs noch erheblich überschreitet. Der italienische Urteilsstil gilt für den ausländischen Beobachter gelegentlich als formalistisch und umständlich. Die italienischen Gerichte gehen insbesondere auf jede von den Parteien geäußerte Rechtsansicht ein. Dies impliziert nicht selten umständliche obiter dicta; die diesbezüglichen, seit dem 19. Jahrhundert formulierten Verbote durch den italienischen Gesetzgeber haben den italienischen Urteilsstil nicht verändern können. Auch hier bestätigt sich, wie unüberwindlich manche historischen Zusammenhänge noch sind: Der diskursive, umständliche Urteilsstil italienischer Gerichte entspricht nämlich der Tradition der italienischen Rote, der alten Gerichtshöfe also, welche im Kirchenstaat oder im Großherzogtum Toskana bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts noch das Römische Gemeine Recht anwandten. Diese alte argumentative Stiltradition, vor allem das Eingehen auf die Rechtsauffassungen der Parteien – das „nec obstat“ der alten rotalen Entscheidungen –, hat sich in der italienischen Praxis bis heute erhalten. Einen diskursiven Begründungsstil kennt übrigens auch der englische Richter. Eine englische Gerichtsentscheidung ist zwar mit einem kontinentalen Urteil nicht ohne weiteres vergleichbar: Der Fall wird hier durch eine Protokollierung der Prozessgeschichte sowie vor allem der mündlichen Verhandlung vor Gericht dokumentiert; die Stellungnahme des einzelnen Richters, die „opinion“, wird traditionell im persönlichen, diskursiven Stil formuliert. In seiner „opinion“ scheut der englische Richter einen wissenschaftlichen Stil, selbst wenn er gelegentlich auch Professoren oder sonstiges Schrifttum als „autority“ in seinen Überlegungen mitteilt. Typisch ist hier vor allem der persönlich gehaltene Stil, in welchem die „opinion“ mitgeteilt wird, weit entfernt von der formelhaften, zum Teil bürokratischen Begründung kontinentaler Gerichtsentscheidungen, wo nicht die Persönlichkeit des einzelnen Richters hervortritt, sondern die anonyme Autorität einer Institution.
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2. Wie werden diese stilistisch so verschiedenen Gewohnheiten bei der Urteilsredaktion in den jeweiligen Justizsystemen vermittelt und tradiert? Die Unterschiede sind auch hier erhellend. Die Tradition der englischen Gerichtsentscheidung wird nicht durch Ausbildung vermittelt: Die informelle Prägung des persönlichen Stils des einzelnen Richters und seine professionelle Erfahrung und Autorität sind hier maßgebend und stehen im Vordergrund. Gegensätzlich dazu ist die ausbildungspädagogische Tradition, die wir in einigen kontinentalen Justizsystemen finden: Ein wesentlicher Teil der Juristenausbildung an der Universität und vor allem während des Referendariats dient in Deutschland gerade dazu, die Formulierungstechnik eines Gutachtens sowie die Technik in der Anfertigung einer Aktenrelation und eines Zivilurteils zu vermitteln. Es handelt sich dabei um eine streng formalisierte pädagogische Tradition, welche nicht zuletzt das Prüfungswesen maßgebend beeinflusst und eine umfangreiche Ausbildungsliteratur hervorgebracht hat. Das Werk von Sattelmacher etwa, das die Referendarausbildung seit fast einem Jahrhundert beeinflusst und noch vor wenigen Jahren neu aufgelegt wurde, kennt unmittelbare und mittelbare Vorbilder, die bis in das 17. und 18. Jahrhundert zurückreichen. Eine ähnlich formalisierte Vermittlungstradition für die jungen Rechtsabsolventen kennt auch das französische Justizsystem. Hier sei etwa das berühmte Werk des französischen Kassationsrichters Pierre Mimin genannt, auf dessen Grundlage Generationen von französischen Richtern in der Beherrschung des knappen französischen Urteilsstils ausgebildet wurden. Andere romanische Länder kennen merkwürdigerweise eine ähnliche Ausbildungstradition nicht. Die Vermittlung des professionellen Handwerks in der Technik der Urteilsformulierung geschieht seit Generationen in Italien und in Spanien informell, vor allem durch das Beispiel und durch die Korrektur und Disziplinierung des jungen Rechtsabsolventen seitens der älteren Kollegen, die gemeinsam in einem Kollegialgericht mitwirken. Das italienische, aber auch das spanische Justizsystem kannte bis vor kurzem keine bürokratische Formalisierung in der Ausbildung der jungen Richteranwärter. Es ist hier jedoch erwähnenswert, dass neuerdings Reformbedarf gerade darin gesehen wird. Vor einigen Jahren wurden in Italien juristische „Scuole Professionali“ errichtet, welche – wie bereits erwähnt – nach Abschluss der Universitätsausbildung auf die Richter- und Anwaltsprüfungen vorbereiten sollen. Vorbild war hier die französische „Ecole Nationale de la Magistrature“; es ist bezeichnend, dass der italienische Gesetzgeber gerade eine spezifische, pädagogisch formalisierte Einweisung in die „tecnica giudiziaria“ für erforderlich hält. Eine ähnliche Reform scheint auch in Spanien bevorzustehen.
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E. Schlussfolgerungen der historischen und vergleichenden Analyse Wir können nunmehr am Ende unserer historischen und vergleichenden Ausführungen einige Schlussfolgerungen ziehen. Ich werde mich hier auf drei Punkte konzentrieren. 1. Die Justizsysteme in den einzelnen europäischen Ländern, vor allem die Ziviljustiz und die Judikatur der Zivilgerichte, zeigen bei einer näheren Betrachtung tief greifende, historisch tief verwurzelte Unterschiede. Diese werden nicht nur in der Ausbildung und Rekrutierung des Justizpersonals sichtbar, sondern vor allem im unterschiedlichen Selbstverständnis der Rolle des Richters im Rechtssystem. Die Verbindungen und die Verzahnung der Justiz mit den übrigen juristischen Berufen sind ebenfalls von Rechtssystem zu Rechtssystem verschieden. Augenfällig unterschiedlich sind die jeweiligen nationalen Traditionen auch in der richterlichen Argumentation, in der Begründungstechnik und in der äußeren Präsentation von Gerichtsentscheidungen. 2. Es ist eine irrige, naive Vorstellung, welche wohl die Rolle von Gesetzgeber und von gesetzlichen Reformen überschätzt, zu glauben, dass diese Unterschiede sich durch bürokratische Reformen leicht verändern bzw. einebnen lassen. Sie sind tief in den jeweiligen nationalen Rechts- und Sozialgeschichten verwurzelt, selbst dann, wenn diese historischen Zusammenhänge nicht mehr bewusst sind und in der kollektiven Erinnerung verschüttet erscheinen. Reformen und Diskussionen zeigen, dass sich die nationalen Justizsysteme der Europäischen Union in den letzten Jahrzehnten in dieser Hinsicht zwar angenähert haben; der Weg zu einer Angleichung ist jedoch noch weit. Die europäischen Rechtssprachen bleiben – wie ein englischer Jurist kürzlich schrieb – noch recht verschieden. Der Europäische Gerichtshof bietet sich allerdings in der Tat als Modell einer sich neu herausbildenden „europäischen“ Justiztradition an. Der Stil seiner Entscheidungen und der Charakter seiner Begründungstechnik entspricht jedoch erkennbar nicht der deutschen Justiztradition: Seit den ersten Anfängen in den 60er Jahren wurde der Europäische Gerichtshof vor allem durch das Vorbild des französischen Conseil d’Etat geprägt; der formalistische und legalistische Stil seiner Begründungen wird erst in diesem historischen Zusammenhang verständlich. Eine Kritik hieran müsste die völlig unterschiedliche Justiztradition, die hier zugrunde liegt, mit bedenken. 3. Die europäische rechtspolitische Aufgabe einer wissenschaftlichen Reflexion zu diesen Themen liegt vor allem darin, dass die Rechtspraktiker über ihr nationales Selbstverständnis hinaus auch über die Unterschiede, die gegensätzlichen Entwicklungen, die funktionalen Ähnlichkeiten und die historischen Zusammenhänge in Europa aufgeklärt werden müssen. Darin wird die eigentliche Funktion von Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung als spezifische juristische Grundlagenforschung sichtbar. Diese will und kann keine unmittelbaren Handlungsanweisungen geben; sie kann jedoch die rechtspolitischen Handlungsspielräume aufzeigen, Argumente für eine rationale Diskussion liefern
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und zugleich die Relativität nationaler Rechtstraditionen verdeutlichen. Dadurch wird auch verständlich, welchen Zweck eine „wissenschaftlich“ gehaltene juristische Ausbildung erfüllen soll. Die europäische Verständigung und die juristische Zusammenarbeit in Europa machen es zunehmend notwendig, dass diese Selbsterkenntnis noch mehr in eine wissenschaftliche Ausbildung auch der künftigen Richter Eingang findet. Darin liegt eine der primären Aufgaben einer universitären wissenschaftlichen Rechts- und Justizausbildung.
Giuristi per l’Europa: come fare e come non fare una riforma degli studi di diritto in Italia A. Introduzione. I problemi attuali Un avvio alla presente riflessione può essere offerto da una osservazione che non proviene da ambienti accademici, ma da chi, nelle strutture universitarie, vede il mondo dal basso. In una lettera indirizzata ad un quotidiano italiano (il Corriere della sera del 16 marzo 1998), una studentessa della provincia di Treviso scrive quanto segue: “prima di laurearmi in Giurisprudenza ho conseguito a Parigi un diploma in diritto francese”; “questa esperienza” – scrive la nostra studentessa – “mi ha permesso di capire come l’Università italiana sia assolutamente anacronistica ed inadeguata”. I problemi sono noti, sicché non mette conto scendere nei particolari. E’ sufficiente richiamare qui i tre elementi essenziali della riforma avviata in Italia nel 1994. In primo luogo, dopo cinquant’anni il legislatore italiano ha modificato le tabelle didattiche per gli studi di giurisprudenza che risalivano al 1938, con l’introduzione di un quadro legislativo nuovo. In secondo luogo, nell’ambito della riforma, accanto alla laurea, sono stati previsti anche diplomi di studi giuridici, rispettivamente per le figure professionali di operatore giuridico dell’impresa, del lavoro o giudiziario: diplomi da conseguire dopo un corso di studi triennale nell’ambito delle stesse facoltà di giurisprudenza. In terzo luogo, e si tratta del dato più importante, la legge Bassanini ha preannunciato una rivoluzione del sistema italiano relativo all’accesso alle professioni legali con la previsione di scuole giuridicoprofessionali. L’ammissione a queste ultime, affidata ad esami di ingresso per titoli e per prove scritte, dovrebbe costituire la condizione preliminare per partecipare ai concorsi necessari per accedere alle professioni giudiziarie: si pensi al concorso per accedere alla magistratura o a quello per diventare direttamente avvocato, posto che la figura del semplice procuratore non esiste più. Dove risiedono le ragioni profonde di queste riforme? La prima fonte essenziale del cambiamento discende dalle modifiche significative intervenute nel mondo universitario europeo. Mi riferisco a quel fenomeno tipico del mondo universitario continentale che ha visto negli ultimi tre decenni una crescita ___________ Zuerst erschienen in: Quaderni di diritto privato europeo a cura di Jannarelli/Piepoli/Scannicchio, Bari 1998, Nr. 2, S. 97-124. Die dort im Anhang publizierte Bibliographie ist aus Platzgründen ausgelassen worden.
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esponenziale, o meglio un’esplosione, degli “effettivi universitari”, sia di professori sia di studenti. La dimensione numerica nella crescita dei laureati ha paralizzato la preparazione professionale non soltanto per i giuristi ma anche per altre professioni. Non si tratta di un fenomeno solo italiano. Ad esempio, in Germania vi sono già 125.000 avvocati sicché è difficile prevedere cosa faranno in futuro gli attuali 130.0000 studenti in giurisprudenza: nella sola Amburgo ci sono più giuristi che in tutta l’Inghilterra. Quanto all’Italia, la situazione non è certo diversa da quella tedesca. Nella professione forense operano attualmente circa 138.000 avvocati, ossia in numero maggiore rispetto alla stessa Germania; quanto, poi, al numero degli studenti in giurisprudenza, senza qui voler fare valutazioni statistiche, si può dire che circa 150.000 studenti sono attualmente iscritti e studiano nelle diverse facoltà giuridiche italiane. Come è agevole dedurre dalla lettura di questi dati, si è in presenza non solo di un problema universitario ma anche di un problema economico e sociale, cosí come, al tempo stesso, di una seria ipoteca sulla futura strutturazione del sistema di governo della giustizia e della professione forense. La seconda ragione del mutamento risiede nella trasformazione che sta subendo la professione forense stessa – ed a cui, peraltro, non si sottrae più neanche la magistratura – in connessione con la “europeizzazione” del mondo giuridico e, più in generale, della transnazionalizzazione delle professioni. Infatti, tanto per le prestazioni giuridiche giudiziali, quanto per quelle stragiudiziali, gli operatori giuridici che conoscono il diritto internazionale e comunitario partecipano a pieno titolo ad un mercato professionale che non è più ormai solo quello nazionale e municipale. D’altra parte, accanto a questa cosiddetta apertura europea della professione forense si aggiunge anche una vera e propria globalizzazione della medesima professione in connessione con lo sviluppo dei traffici internazionali e la mondializzazione dell’economia. Ebbene, questi due fenomeni hanno innescato un processo rivoluzionario, una vera e propria trasformazione radicale della professione forense. Indubbiamente, le differenze tra i sistemi giudiziari dei singoli paesi è in parte destinata pur sempre a restare. Ad esempio, nel caso di un incidente stradale accaduto a Bari o a Saarbrücken si continuerà a far ricorso a professionisti locali. Viceversa, per le questioni di diritto societario, di investimenti internazionali, di vendite internazionali, ovvero anche di contratti nazionali di particolare rilievo, le Law firms negli Stati Uniti sono giá oggi in grado di mettere a disposizione esperti e specialisti talvolta più competenti e preparati degli stessi professionisti locali. La storia europea ha già conosciuto un’epoca di cultura giuridica transnazionale: la scienza e la prassi del diritto romano comune almeno fino al XVIII secolo. Il quadro del diritto europeo è oggi tuttavia radicalmente cambiato: è la stessa comunanza giuridica, scientifica, dottrinale ed anche giurisprudenziale tipica del diritto romano-comune che attualmente in Europa non esiste. Invero, nel quadro dianzi richiamato, la formazione di una esperienza giuridica europea si realizza – fino ad oggi almeno – piuttosto sul piano del mercato, ossia discende dalla competizione che interviene tra le diverse soluzioni tecnico-
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giuridiche dei problemi attuali e, al tempo stesso, tra gli operatori giuridici che di queste si fanno paladini ed interpreti attraverso le loro prestazione professionali, sempre più sradicate dal sistema giuridico nazionale in cui esse normalmente sono destinate a collocarsi. In altre parole, la concorrenza tra i professionisti inevitabilmente porta con sé una concorrenza tra i diversi modelli giuridici nazionali nel loro complesso, per quanto concerne cioè, la qualità della legislazione, della giurisprudenza e delle relative infrastrutture giuridiche nazionali, la qualità degli avvocati, dei giuristi in generale e, dunque, – in ultima analisi – una concorrenza circa la stessa qualità dei diversi modelli nazionali predisposti per la formazione del personale giuridico professionale. L’infrastruttura giuridica nazionale costituisce uno dei fattori essenziali nel commercio e nella concorrenza europea ed internazionale, sicché appare più che evidente che la qualità della legislazione nonché della stessa prassi giudiziaria è fortemente condizionata dalla diversità dei modelli nazionali di formazione del giurista. In realtà, la verifica empirica del rilievo fondamentale che assume la formazione del giurista nei diversi ordinamenti e sistemi giuridici europei appartiene all’esperienza di vita di chi qui scrive, che dopo aver studiato in Italia, fu studente per vari anni in Germania ed in Francia e, decenni più tardi, ha insegnato ed insegna in questi ed altri paesi europei. Proprio l’esperienza per esempio di docente presso l’università di Strasburgo offre ogni anno l’occasione, in sede di esami, di fare un confronto, sia pure empirico, tra studenti laureati e diplomati in diversi sistemi universitari, europei e non europei. In particolare, emergono qui con assoluta chiarezza differenti maniere di pensare, di lavorare, a loro volta condizionate dalle tradizioni culturali, accademiche e professionali dei diversi sistemi giuridici europei; le differenze tra questi studenti riflettono pure la presenza in Europa di diversi modelli di didattica giuridica. Il fatto nuovo è che oggi questi modelli per via dell’apertura dei mercati anche nel settore delle professioni legali sono entrati in competizione tra loro. E’ evidente, dunque, che la questione di fondo su cui interrogarsi riguarda appunto l’atteggiamento che tanto il legislatore nazionale quanto il sistema universitario italiano dovranno adottare di fronte alla concorrenza tra i diversi modelli di formazione del giurista apertasi in questa fase della storia giuridica europea. Per affrontare il tema, la presente riflessione si articolerà su tre punti. Il primo, sarà dedicato all’analisi, per molti versi necessariamente sommaria, dei modelli che sono in concorrenza, e toccherà quindi: a) la forma organizzativa esteriore della formazione del giurista nei sistemi continentali, ad esclusione, dunque, del mondo anglosassone, decisamente estraneo al nostro; b) le differenze in ordine alle diverse tradizioni didattiche nell’insegnamento giuridico universitario; c) le forme di esame e di controllo per l’ammissione all’attività giuridico-professionale. Dopo questa presentazione si cercherà di verificare in un secondo punto in che misura i progetti di riforme al riguardo in Italia corrispondono o non corrispondono ai modelli in altri paesi europei. Su questa base, infine, si cercherà di formulare in un terzo punto finale – nella prospettiva di un
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osservatore indipendente ed imparziale – alcune proposte, che senza voler essere eretiche e provocatorie temo tuttavia, saranno per molti impopolari e scomode.
B. I modelli organizzativi in Europa Nella descrizione dei sistemi europei attualmente in concorrenza in ordine alla formazione del giurista è bene ribadire in via preliminare che il modello anglosassone è decisamente lontano dal nostro. A dispetto di certi colleghi, orientati unilateralmente verso il sistema giuridico nordamericano, non deve dimenticarsi che il mondo americano ci offre un modello giuridico e sociale profondamente estraneo alla società ed alla storia europea. Lo stesso mondo giuridico inglese è un modello professionale lontano dalla cultura giuridicouniversitaria dell’Europa continentale sia nella sua storia che nell’epoca attuale. In Inghilterra vi sono ancora oggi avvocati che non hanno mai messo piede nell’Università. Lord Denning che è stato giudice fino agli anni ‘80 studiò all’ università matematica, e non diritto. A voler dunque concentrarsi sulla sola esperienza continentale, si incontrano qui due modelli di formazione del giurista: quello francese-napoleonico e quello tedesco legato come si vedrà, alla tradizione del diritto romano-comune. Il modello francese-napoleonico può essere così chiamato in quanto ha trovato la sua origine storica nella rinascita delle facoltà di diritto in Francia dopo la rivoluzione francese. Si tratta di un modello che si è imposto nella sostanza in tutti gli ordinamenti latini, vale a dire negli Stati italiani preunitari, nel Regno di Italia del 1865, in Spagna, in Portogallo, in Belgio ed anche, in parte, in Olanda, ossia in tutti gli ordinamenti legati alla tradizione giuridica francese sia per quanto concerne la recezione dei codici sia per quanto concerne la recezione della letteratura giuridica e della stessa pratica professionale e giudiziaria francese. In questo modello, l’università è una condizione necessaria per entrare nel mondo della professione giuridica, ma non è ormai più una condizione sufficiente. Originariamente si poteva diventare avvocati in Francia ed in Italia avendo seguito i soli studi giuridico-universitari. Una volta conseguito il diploma universitario si aveva praticamente accesso al foro. In Francia quest’ultimo sistema ha funzionato fondamentalmente fino al 1941, quando venne introdotto per la prima volta il CAPA (Certificat d’Aptitude à la Profession d’Avocat). In Italia fino al 1926 – data di introduzione dei primi esami professionali – si poteva diventare procuratore legale senza dover superare altri esami una volta conseguita la laurea in giurisprudenza. Tale sistema – premoderno nella sua liberalità – non esiste più oggi in Europa a parte la Spagna dove, teoricamente, il licenziato in diritto avrebbe la possibilità – più teorica che pratica però – di entrare nella professione forense.
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Il sistema franco-italiano oggi è profondamente cambiato perché, ai fini dell’accesso alle professioni giuridiche, accanto all’università vi sono i cosidetti esami e concorsi professionali. L’esame di concorso italiano per l’accesso alla magistratura non è nient’altro che la recezione del modello francese del c. d. “Concour”. Questo sistema nasce in epoca napoleonica, e risiede essenzialmente in un concorso organizzato a livello nazionale, centralizzato per il reclutamento del personale dell’amministrazione pubblica. Di origine francese è anche il modello sino ad oggi applicato in Italia per il reclutamento del personale universitario sulla base di un concorso nazionale. Il modello ora illustrato si è professionalizzato e trasformato nei passati decenni in maniera incisiva: sotto questo profilo la recente riforma italiana si colloca quindi nell’ambito di un processo che ha preso il via da tempo. E’ bene ricordare che già nel 1926, con grande scandalo e proteste degli interessati, furono introdotti in Italia gli esami per l’ammissione alla professione di procuratore legale; è da questa data che è cominciata la discussione culminata nella recente riforma italiana destinata a provocare una trasformazione radicale nell’accesso alle professioni forensi. A ben vedere, riforme simili erano già intervenute in Francia da vari decenni. Per accedere alla magistratura è indispensabile qui superare il concorso di ammissione alla “Ecole Nationale de la Magistrature” a Bordeaux. Questa è una scuola professionale sul modello delle “Grandes Ecoles” previste per la formazione del personale dell’amministrazione dello Stato. Quanto, poi, all’avvocatura, da vari anni sono previsti degli esami di ammissione alle scuole giuridicoprofessionali tenute dagli ordini forensi presso ogni corte di appello. Seguire queste scuole è necessario al fine di conseguire il “Certificat d’aptitude à la profession d’avocat” (CAPA). In altri termini, il legislatore italiano attuale sostanzialmente si muove, con il solito ritardo di decenni, ancora nel solco della tradizione giuridica francese, per realizzare riforme che altrove sono già intervenute da anni. L’elemento caratteristico del modello descritto è che si è qui in presenza di una distinzione radicale fra i diplomi universitari (che non servono direttamente per la professione), ed i criteri d’ammissione nelle professioni legali. I corsi universitari sono solo teoricamente sufficienti a preparare i concorsi. Il legislatore italiano ha vissuto per decenni con questa finzione, che con i piani di riforma attuali appare ormai abbandonata. Questa realtà era in Francia già istituzionalizzata da tempo: per preparare il concorso alla Scuola Nazionale della Magistratura a Bordeaux sono necessari uno o due anni di preparazione dopo il diploma universitario della “maîtrise”. In Italia non vi erano in passato queste forme istituzionali di preparazione. Esistevano soltanto scuole private a pagamento. La riforma attuale non ha quindi nient’altro che recepito il modello francese, realizzando finalmente una istituzionalizzazione della preparazione giuridica per i concorsi professionali. Accanto a questo modello francese-napoleonico troviamo in Europa il modello tedesco di origine prussiana. Tale modello non è presente solo in Germania. Esso esiste in un certo senso anche in Svezia ed, in misura limitata, pure in Austria. Questo modello è strutturato in maniera completamente diversa da
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quelli finora descritti. L’istruzione giuridico-universitaria è anche qui condizione necessaria, ma non sufficiente per essere ammessi ad una attivitá giudiziaria o forense. Lo studio all’università è quindi per i futuri giuristi necessario. Vi sono qui naturalmente degli esami intermedi, ma non esiste un esame finale a livello universitario, come esiste per es. in Francia o in Italia. All’università esiste solo la possibilità di diventare dottore, e di conseguire successivamente l’abilitazione alla docenza. Per quanto concerne l’ammissione al mondo giuridico-professionale (avvocati, giudici, notai), è necessario superare esami di Stato. Nel modello tedesco è previsto un primo Esame di Stato a conclusione degli studi universitari; a questo segue, poi – dopo un periodo di pratica nel quadro del Refendariato – un secondo Esame di Stato finalizzato ad entrare nel mondo professionale. La caratteristica dell’Esame di Stato tedesco è che con esso si controlla in primo luogo la competenza giuridico professionale del candidato. La commissione di esame è organizzata nell’ambito dell’amministrazione giudiziaria e quindi non ha niente a che fare con l’università. Le università sono partecipi, ma solo mediatamente, di questo meccanismo di accesso alle professioni poiché numerosi professori, come per esempio l’autore di questo scritto, sono membri di tali commissioni. L’università partecipa quindi solo indirettamente a questa forma di controllo professionale. Dopo aver superato un primo esame, si accede al c. d. Referendariato, che è una forma di pratica professionale nell’ambito dell’amministrazione pubblica, del sistema giudiziario e della professione forense in cui questi giovani vengono per un certo periodo inseriti, in una veste simile a quella di uditori, o di assistenti. I Referendari tedeschi vengono pagati, sono funzionari pubblici per il periodo della loro formazione ed, alla fine di questa pratica, sono ammessi a sostenere un secondo Esame di Stato. Questo permette la definitiva qualificazione, ossia l’acquisizione della piena idoneità professionale, ed il diritto, per esempio, di essere iscritti nell’albo degli avvocati. A questo secondo Esame di Stato normalmente non partecipa nessun professore universitario: i componenti delle commissioni sono normalmente giudici, avvocati e funzionari amministrativi. Gli Esami di Stato – sia il primo che il secondo – consistono in esami scritti a orientamento pratico; l’esame orale esiste, ma interviene semplicemente nella fase finale. La parte essenziale è costituita da sette, otto, nove – secondo i Länder – pareri giuridici – le c. d. “Klausuren” – da redigere in un esame scritto. Il sistema sopra descritto del Referendariato tedesco è come tale praticamente unico in Europa; momenti funzionalmente analoghi si ritrovano tuttavia anche in altri paesi non solo di lingua tedesca; per esempio l’Ecole de la Magistrature per la formazione dei magistrati in Francia, o gli esami di ammissione alle professioni legali, a cui, in quasi tutti i paesi europei, si è ammessi solo dopo un relativamente lungo periodo di tirocinio in uno studio legale. La differenza essenziale col sistema tedesco risiede nella mancanza di un Esame di Stato unico, che abiliti a tutte le professioni legali; al suo posto il candidato trova un sistema differenziato di esami e concorsi, alcuni prima di una fase di tirocinio, altri a conclusione di quest’ultima, a seconda dell’attività legale prescelta. La funzionalità di un simi-
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le sistema di formazione postuniversitaria del giurista varia da paese a paese. In Italia, ed in altri paesi latini, le manchevolezze del sistema descritto risiedono in particolare nella mancanza – almeno fino ad oggi – di un’organizzazione adeguata al tirocinio preparatorio, spesso abbandonato all’iniziativa dei singoli candidati. Il sistema tedesco è entrato oggi in crisi per due ragioni: la prima legata alla crescita esponenziale del numero di studenti coinvolti, la seconda legata ai contenuti dell’insegnamento. In origine, il sistema era certamente un modello elitario: esso funzionava con un numero di studenti limitato. Posto che oggi abbiamo migliaia di studenti interessati a sostenere il primo Esame di Stato e premesso che il 70 % dei candidati riesce a superarlo, il numero di coloro che accedono al Referendariato è enorme: di qui spese crescenti per l’erario, con costi organizzativi immensi: attualmente un miliardo di marchi all’anno. D’altro canto, il reclutamento giudiziario concerne forse l’1-2 % degli ammessi al Referendariato; il resto entra nell’avvocatura. Le camere dell’ordine e l’associazione degli avvocati tedeschi si ribellano negli ultimi anni in maniera crescente contro questa esplosione degli effettivi del foro. In definitiva, questo sistema non appare oggi più funzionale e finanziabile. In secondo luogo, in vista dell’obiettivo fondamentale costituito dalla partecipazione vittoriosa all’esame di Stato, cambia pure l’atteggiamento formativo adottato dagli studenti. Questi sono indotti, infatti, a non frequentare i corsi dell’università: quest’ultima è ormai solo un’università di fatto in quanto non ha un effettivo controllo sullo studio degli studenti candidati all’Esame di Stato. Questi ultimi preferiscono, in effetti, frequentare scuole private che preparano all’esame e che, come è avvenuto in Italia per la preparazione ai concorsi per uditori o per notai, assicurano una preparazione adeguata allo scopo. Nel processo che conduce all’accesso alle professioni, il sistema tedesco presenta quindi inconvenienti opposti a quelli che caratterizzano il sistema italiano. In quest’ultimo, infatti – come vedremo – proprio per via del primato tradizionalmente assegnato alla formazione universitaria, il primato del momento intellettualistico del pensiero e della cultura giuridica va nell’insegnamento tutto a discapito della formazione strettamente professionale. Al contrario, nel sistema tedesco si è in presenza di una professionalizzazione totale. Per la grande massa degli studenti e dei candidati all’Esame di Stato, non certo per minoranze elitarie, la cultura giuridica, la filosofia del diritto, la storia del diritto, le conoscenze di diritto internazionale sono completamente degradate. Lo studio si è ridotto alla meccanica preparazione di questi esami – in sostanza all’apprendimento della tecnica di redazione di un parere scritto; si è venuta a consolidare quindi una professionalizzazione esasperata. Attualmente in Germania è in atto un acceso dibattito alla luce delle disfunzioni che il sistema ha evidenziato nel mutare dei tempi. Sia qui rinviato ad un recente articolo da me pubblicato sul tema nella “Juristenzeitung” del 1997.
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C. I modelli didattici in Europa Il secondo elemento da analizzare nei modelli di formazione del giurista oggi in concorrenza riguarda la tecnica didattico-pedagogica nella formazione degli studenti: in altri termini, la tradizione didattica nella formazione del giurista. Anche a questo riguardo vi sono in Europa continentale differenze essenziali: un tema invero di notevole interesse, sul quale tuttavia si è finora poco riflettuto, anche da parte dei comparatisti. Le differenze all’interno dell’esperienza continentale sono molteplici. Qui non entrano in campo le differenze normative derivanti dal fatto che nei vari paesi vi sono codici diversi; qui rilevano piuttosto le differenze di tradizioni storiche, di tecnica argomentativa, di scelte culturali. Si tratta di differenze radicate nella formazione sia universitaria sia postuniversitaria. La forma della didattica universitaria è decisiva per quello che può identificarsi con la formazione mentale dei giudici e dei giuristi pratici in genere; infatti, l’impostazione originaria ricevuta è destinata a condizionare tutta l’esperienza professionale. Al riguardo, alcuni comparatisti italiani parlano di „formanti“, di „crittotipi“ etc. In termini più semplici, in realtà, è la stessa tecnica del pensare, del ragionare, del decidere ad essere diversa: il giudice francese lavora e motiva le sue decisioni in maniera diversa dal giudice tedesco e lo stesso si può dire per gli avvocati; anche l’operatore giuridico italiano ha le sue peculiari caratteristiche di “stile”, mentale e professionale. Soltanto la conoscenza interna, intima per così dire, di un sistema giuridico straniero permette di rendersi conto di queste differenze strutturali tra sistema e sistema e della loro funzione all’interno di un dato sistema giuridico. Invero, non è assolutamente sufficiente fare qualche viaggio e leggere qualche libro giuridico straniero in originale o tradotto – se non si è studiato e vissuto il sistema dall’interno. Se non si è vissuti in un sistema giuridico come studente, come giudice, avvocato o professore, non è possibile rendersi conto di queste intime caratteristiche. Questo capita raramente. E’ un caso di fortuna o sfortuna – a seconda dei punti di vista – nella mia biografia personale, che avendo io studiato ed insegnato diritto in diversi sistemi giuridici europei posso parlare di una formazione giuridica, non nazionale, ma effettivamente europea. Anche in ordine allo studio dei giuristi si fronteggiano in Europa due modelli didattici: ancora una volta il modello francese-napoleonico ed il modello tedesco, erede in ultima analisi del diritto romano comune. Alcune indicazioni storiche sono qui opportune. Il modello didattico delle Facoltà di diritto continentali fu, sin dagli inizi bolognesi nei secoli XI e XII, basato sulla “lectura” orale: il docente detta il testo di un frammento del Corpus Iuris ed il commento su quest’ultimo; l’impegno del discente risiede fondamentalmente nell’apprendere mnemonicamente le fonti romane e le regole emergenti dai commentari. Gli autori della tradizione dello “jus comune” caratterizzano unanimamente il momento mnemonico come la regola centrale nelle indicazioni pedagogiche per lo studente di diritto. Il dominio del testo delle fonti romane sta quindi al centro di questa tradizione d’insegnamento. Anche la “disputatio”
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universitaria, molto frequente specie nelle facoltà giuridiche tedesche ed olandesi dell’epoca dell’ “usus modernus pandectarum”, fu intesa essenzialmente come prova del dominio mnemonico da parte del candidato del complesso di testi e di regole dello “jus commune” concernenti una data questione controversa. La tradizione didattica sopra descritta caratterizza le facoltà giuridiche dell’Europa continentale fino al tramonto dell’Ancien Régime. La nazionalizzazione delle fonti giuridiche legata alla introduzione dei codici nell’Europa continentale non poteva rimanere senza conseguenze anche riguardo ai contenuti ed ai metodi di insegnamento del diritto. In particolare scompare agli inizi del secolo scorso quel fattore di unità della cultura giuridica europea, che era stato costituito fino a quest’epoca dalle università, in cui l’insegnamento del diritto era stato concepito, al di là dei confini nazionali, sostanzialmente in una tradizione unitaria. Riguardo ai metodi di insegnamento, tuttavia, legami colla tradizione anteriore permangono. L’oralità dell’insegnamento, sia per quanto concerne la lezione, sia per quanto concerne gli esami, rimane in particolare un elemento caratteristico della formazione del giovane giurista continentale, in particolare nelle facoltà di diritto francesi. Al posto dei frammenti del “Corpus juris” sono ora gli articoli dei nuovi codici, che stanno al centro della lezione cattedratica. E’ qui che risiedono le origini di quello che io ho prima qualificato il “modello francese-napoleonico”. Le facoltà di diritto francesi create nel quadro della riforma napoleonica del 1806 sono esemplari per questa tecnica di insegnamento: al centro di quest’ultimo sta la lezione orale, cattedratica, in cui le norme dei nuovi codici vengono presentate e commentate nel loro contenuto. L’orientamento esegetico della letteratura giuridica francese nella prima metà del secolo XIX, trova una delle sue basi primarie proprio nella sopra descritta tradizione universitaria. Quest’ultima, fondamentalmente invariata in Francia, al di là delle varie riforme delle facoltà di giurisprudenza, per lo meno fino alla metà di questo secolo, costituì in effetti un modello europeo di notevolissima importanza specie per tutti quei paesi, tra i quali l’Italia, in cui i legami col diritto e la cultura giuridica francese furono particolarmente vivi. Accanto alla sopradescritta, un’altra e diversa tradizione didattica ha acquistato in questo secolo un peso crescente nell’ambito del diritto continentale. Si tratta del tipo di formazione giuridica sviluppatosi nelle università tedesche del secolo scorso, in cui, accanto alla lezione orale, due altre forme di insegnamento tendono ad assumere un ruolo anche più rilevante: il seminario, in cui lo studente è guidato a lavorare autonomamente e scientificamente su singoli problemi ed a confrontarsi criticamente con opinioni diverse, e le esercitazioni scritte, in cui lo studente apprende a risolvere in maniera logica ed ordinata casi giuridici pratici, riconducendo le regole e le definizioni astratte e teoriche alla casistica giurisprudenziale. Questa forma di insegnamento nelle facoltà giuridiche tedesche del secolo XIX risale ad una tradizione anche più antica: basti pensare ai corsi di “praktische Jurisprudenz”, alle disputazioni scritte, alle
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esercitazioni volte a redigere relazioni e pareri su fascicoli processuali, tenute alle università di Halle e di Göttingen già nel secolo XVIII. Si tratta di una tradizione che continua fino ai giorni nostri, influenzata in parte dall’esistenza del Refendariato e dei ripetitori privati: le esercitazioni scritte costituiscono oggi un momento essenziale dell’insegnamento universitario e postuniversitario in Germania, almeno tanto importante quanto la lezione orale. E’ degno di nota che studi recenti hanno messo in luce come le riforme pedagogiche (il c. d. “case method”) introdotte da Langdell ad Harvard verso la metà del secolo scorso e che caratterizzano ancora oggi il tipo di insegnamento giuridico offerto nelle Law Schools americane, furono largamente influenzate dal modello delle contemporanee facoltà giuridiche tedesche. Delle esercitazioni pratiche in diritto civile si occuparono ad esempio, anche con la preparazione di materiali a stampa, giuristi del rango di Puchta, Ihering, Zitelmann. Anche oggi si incontrano al riguardo i nomi più rinomati della civilistica tedesca contemporanea. In una tradizione ininterrotta, quindi, anche per lo studente tedesco attuale la frequenza dei corsi pratici di esercitazione, in cui ci si prepara allo svolgimento delle prove scritte di esame, ha un’importanza largamente superiore alle lezioni. Questo stile didattico non è rimasto senza influenza sul contenuto e lo stile delle stesse lezioni: i problemi costruttivi e dogmatici di un tempo hanno dovuto lasciare sempre più spazio all’analisi della casistica giurisprudenziale. A ciò si aggiunge la circostanza che questa tradizione si è concretizzata pure in una vastissima letteratura di libri di casi, in cui, accanto agli esempi giurisprudenziali si formulano regole e consigli sulla redazione di pareri pratico-giuridici, regole queste ultime (la c. d. “Klausur- und Relationstechnik”) che accompagneranno il giovane giurista tedesco fino alla fase del Refendariato. La conoscenza di questa letteratura pedagogico-pratica – quasi sconosciuta all’estero – è di fondamentale importanza per rendersi conto effettivamente dei lineamenti reali dell’odierno diritto applicato nella Repubblica Federale Tedesca. Anche negli altri paesi di lingua tedesca – Svizzera ed Austria – il modello sopradescritto ha assunto, specie negli ultimi decenni, un’influenza rilevantissima. Nei paesi latini il modello di insegnamento giuridico ereditato dalla tradizione dell’università napoleonica ha resistito a lungo. Ancora nel 1922 le facoltà giuridiche francesi si ribellarono alla proposta di introdurre esami pratici scritti. Ancora oggi in Italia, in Spagna, per es., lo studente di diritto non viene di regola obbligato a provare le sue conoscenze in un esame pratico scritto. I tentativi alla fine del secolo scorso, da parte di Emanuele Gianturco e di altri, di introdurre anche nelle facoltà giuridiche italiane lo stile di insegnamento prevalente nelle università tedesche dell’epoca, in particolare di spostare il gravicentro dell’insegnamento giuridico sulla preparazione e discussione di esercitazioni pratiche scritte, non ebbero seguito degno di nota. E’ negli ultimi decenni che si possono constatare nei paesi latini novità rilevanti. La recente riforma francese degli studi di giurisprudenza del 1978 prevede, per esempio, un peso rilevantissimo nell’attività didattica ai cosiddetti “travaux dirigés”; per le materie di diritto positivo gli esami sono di regola scritti.
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L’aspetto essenziale della didattica giuridica tedesca è costituito, e lo sarà anche in futuro, dalle esercitazioni scritte; d’altro canto, le prove scritte per i candidati negli Esami di Stato sono oltremodo difficili perché la verifica ha per oggetto casi professionali, su cui lo studente è chiamato a redigere un parere scritto e tali casi, in verità, si presentano spesso decisamente ardui in quanto molteplici problemi di diritto materiale e processuale vi risultano tra loro intrecciati. Al di fuori della Germania, questa tradizione pratica dell’insegnamento del diritto ha ricevuto una certa recezione condizionata dalla lingua e dalla circolazione accademica dei professori tedeschi. Non è un caso, dunque, che si sia diffusa negli ultimi decenni in Austria ed in Svizzera. In Italia questo modello didattico non è mai stato recepito; anzi, a ben vedere, la singolarità dell’angolazione con cui il diritto tedesco viene visto dall’Italia meriterebbe una autonoma riflessione. Infatti, i professori italiani, tanto nel passato quanto – in parte, almeno – ancora oggi tendono spesso a recepire un solo aspetto del mondo giuridico tedesco: in particolare, si privilegia quasi sempre la dogmatica e si trascura del tutto la giurisprudenza. Non si ignora soltanto il materiale giurisprudenziale, ma anche e soprattutto la tradizione didattica propria dell’Università. Ad esempio, si pensi al fallito tentativo di recezione del libro di casi di Jehring da parte di Emanuele Gianturco, grande giurista, grande civilista e grande avvocato. Alla fine del secolo scorso egli tentò – come accennato – di introdurre in Italia esercitazioni scritte di diritto civile paragonabili ai corsi di Ihering e di Puchta. Ebbene questo esperimento di fatto fallì e non ebbe prosecutori. Vi è stata, per il vero, una certa tradizione pratica nella tradizione universitaria italiana fino alla prima guerra mondiale, legata non per caso alla tradizione anteriore del diritto romano comune; la scuola giuridica napoletana ebbe, per es., una sua tradizione tutta particolare: Nicola e Leonardo Coviello imponevano agli studenti esercitazioni scritte esattamente come i colleghi tedeschi. Ma, al di là di queste poche isolate eccezioni – si pensi ancora per es. ad Andrioli o Rotondi – la nuova scuola sistematica e neopandettistica nell’Italia degli anni ‘20 e ‘30 ha per così dire rifiutato sempre in maniera radicale le forme di orientamento pratico nell’insegnamento del diritto. Anzi ha guardato con un certo disprezzo, almeno nel passato, a questo indirizzo didattico. Fino a 30 anni fa almeno, nelle Università italiane si studiavano libri sul negozio giuridico di centinaia di pagine, senza che vi fosse citata una sola sentenza nelle note e senza che lo studente apprendesse cosa fosse una sentenza o una massima della Corte di Cassazione. Certamente oggi l’atteggiamento didattico è in parte notevolmente cambiato, ma, in linea generale, l’insegnamento nelle Università italiane segue ancora tradizionalmente l’antico modello francese, orale ed astratto. Non ci si deve far ingannare da certe apparenze: i libri di “casi” che oggi riempiono le librerie non hanno niente a che fare con il modello didattico, di cui qui si parla; si tratta piuttosto della recezione, più o meno felice, del “Case Book” nord-americano. Infatti viene qui del tutto trascurata proprio l’illustrazione delle tecniche necessarie per redigere e strutturare una sentenza, un parere legale. La recente apparizione sul mercato librario di “Studium Iuris”
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rappresenta perciò per la tradizione didattica italiana una vera rivoluzione culturale, pure se anche qui manca talvolta ancora l’approfondimento didattico della tecnica di redazione di un parere giuridico. Il modello tedesco si è diffuso in parte, senza che i francesi lo confessino, anche nella stessa Francia. Invero, a seguito della riforma del 1978, nel sistema d’oltralpe sono stati introdotti elementi didattici che si ispirano di fatto al modello tedesco. Ad esempio, per il diritto civile, commerciale, o amministrativo accanto alle lezioni tradizionali vi sono ormai esercitazioni scritte obbligatorie, con esami, in cui gli studenti sono costretti a fare lavori scritti, un commento a sentenze, per esempio, un parere su un caso concreto, tenendo presente lo stato della dottrina e della giurisprudenza.
D. Le riforme in Italia alla luce dei modelli europei Su queste premesse relative ai modelli presenti nell’Europa continentale si possono esaminare ora le riforme avviate in Italia e verificare in che misura il legislatore italiano sia stato consapevole dei modelli di formazione del giurista in concorrenza oggi e, dunque, li abbia tenuti presenti. Sulla riforma avviata nel 1997 e sulle proposte di riforma ancora in itinere possono avanzarsi, in effetti, alcune osservazioni critiche. Il legislatore italiano non sembra innanzitutto aver avuto una chiara intenzione di prendere in esame i modelli stranieri. Nell’assenza di un quadro informativo circa le ragioni “occulte” di queste riforme e delle motivazioni addotte da tutti i soggetti coinvolti nel moto riformatore, da semplice osservatore esterno, devo constatare che il legislatore italiano non ha di fatto manifestato alcun interesse alla soluzione dei problemi dianzi analizzati negli altri paesi europei. In primo luogo, la stessa composizione della Commissione Ministeriale, in cui sono presenti in soprannumero storici e filosofi del diritto, è già fonte di sorpresa e perplessità. È legittimo, infatti, il sospetto che più che alla soluzione del problema relativo al rapporto tra insegnamento universitario e formazione professionale, alcuni membri abbiano curato in primo luogo gli interessi di alcune discipline. Non è invero la prima volta che si può fare una constatazione del genere: già riguardo alle proposte di una precedente Commissione Ministeriale il compianto Giovanni Tarello poteva nel 1986 testualmente constatare: “Risalta la faziosa volontà della Commissione di moltiplicare le discipline di carattere storico”. Nel piano di riforma del 1994, per i cosiddetti diplomi professionali per il giurista d’impresa e per il giurista del lavoro, è previsto, in effetti, ancora come obbligatorio lo studio della storia del diritto italiano: ebbene non può certo dirsi invero che tale studio sia necessario per formare professionalmente un cancelliere ovvero un giurista dei sindacati. Probabilmente, un membro autorevole della citata Commissione si è preoccupato – come nel passato – più della propria disciplina accademica che dell’orientamento professionale degli studi di giurisprudenza. Tutto ciò, è bene dirlo con schiettezza, non
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qualifica la riforma. Ciò che in particolare mi pare deficitario nelle proposte di riforma finora formulate è una loro preparazione e riflessione veramente europea. Un serio riferimento anche comparatistico ai modelli didattici ed organizzativi di altri paesi europei non è nei piani finora pubblicati ancora visibile. Su questo tema non esiste in Italia alcuna ricerca empirica seria. È un dato significativo che anche i comparatisti italiani hanno finora totalmente ignorato questa problematica. In ogni caso, quanto al contenuto dei piani di riforma, va innanzitutto rimarcato che se da un lato essi risultano orientatati verso il modello oggi operante in Francia, dall’altro è oltremodo singolare che – secondo i dati finora noti – l’orientamento professionale dei giovani debba intervenire dopo lo studio universitario, con la perdita quindi di due anni oltre la laurea. A ben vedere, sembra che il legislatore italiano intenda rinunziare ad una riforma sostanziale degli studi di diritto nell’ambito stesso delle Facoltà (le quali verrebbero quindi in un certo senso abbandonate al loro destino), per puntare tutte le energie dei piani di riforma sulle Scuole giuridico-professionali previste dopo la conclusione degli studi universitari. Notizie più recenti paiono segnalare che il legislatore voglia riflettere su una maggiore integrazione di queste future Scuole nelle Facoltà. In ogni caso il saldarsi di queste due tendenze nella riforma equivarrebbe a lasciare irrisolti, anzi a rinunciare del tutto ad affrontare i due problemi essenziali relativi allo studio del diritto nell’ambito universitario italiano. Il primo problema che ipoteca gli studi giuridici nelle Università italiane è costituito dall’assoluto deficit di orientamento pratico nell’insegnamento. Senza scendere in dettagli, può dirsi che l’insegnamento universitario del diritto in Italia – in particolare in paragone con altri paesi europei – è tuttora in larga parte un insegnamento troppo astratto, orientato nella sostanza all’acquisizione di nozioni in cui viene privilegiato il momento mnemonico e una rappresentazione astratta dei contenuti normativi. È un fenomeno questo dalle radici storiche antiche: l’amore per la costruzione dogmatica e la preferenza tuttora marcata ed esagerata per i cosiddetti problemi costruttivi sono forse una conseguenza lontana e tuttora presente della recezione, peraltro del tutto unilaterale, della scuola pandettistica tedesca. In Italia manca a mio avviso nella didattica universitaria – malgrado eccezioni rimarchevoli – una cultura della ricostruzione del precedente giurisprudenziale come esiste per esempio in Francia. Tutto sommato, il modello didattico e scientifico di Gino Gorla è rimasto fino ad oggi nella sostanza isolato. Non è un caso che in Italia fino ad oggi sono i giudici che desiderano diventare professori e non il contrario. In definitiva, lo studente italiano è lasciato praticamente solo, proprio in quella prima fase di formazione universitaria, in cui dovrebbe apprendere la tecnica di trasformazione delle nozioni normative astratte apprese, nella realtà di fattispecie concrete. L’apprendimento della tecnica di redazione di pareri e commenti giuridici è qui essenziale. Ebbene, questo aspetto della didattica universitaria è assolutamente decisivo in vista della formazione professionale del giurista. Non solo nelle facoltà tedesche ma
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anche in quelle svizzere o francesi la formazione passa attraverso esercitazioni giuridiche scritte. L’educazione al lavoro giuridico per iscritto, alla redazione di pareri e decisioni su fattispecie concrete sono qui decisive. Lo studente italiano non scrive di diritto, gli esami non sono scritti. Sotto questo profilo, il modello italiano è completamente diverso sia da quello francese sia da quello tedesco. Come non esiste un medico senza paziente, così non vi è un giurista senza il confronto quotidiano con il caso concreto, a cui si deve dare risposte che siano efficienti, razionali e relativamente rapide, tenendo conto della situazione di fatto e dei suoi possibili sviluppi futuri. A questo riguardo, la Commissione Ministeriale ed anche il legislatore italiano non mi sembrano essersi posti finora all’altezza dei tempi. Un membro della Commissione – uno storico del diritto – in un saggio pubblicato sul Foro italiano del 1995, ha lodato la riforma avviata sostenendo che in essa si è raggiunto, cito testualmente, “un equilibrio felice tra le materie di diritto positivo e quelle di carattere culturalle”. Quanto, poi, alla formazione in ordine alle tecniche del ragionamento giuridico lo stesso autore ha aggiunto – e si tratta di un particolare importante ai fini del nostro discorso – che l’apprendimento di queste ben può essere curato solo nell’ambito dell’insegnamento giuridico di secondo livello, vale a dire nelle Scuole professionali introdotte dalla già citata legge Bassanini. Questa conclusione non mi convince per nulla. La verità è che il legislatore italiano ha rinunziato del tutto ad un orientamento pratico professionale degli studi universitari in giurisprudenza e di questo vi sono altri e numerosi indizi. Ad esempio, sulla scorta di una bozza procuratami da alcuni colleghi, si ricava che in ordine agli esami di ammissione a queste Scuole professionali, la valutazione dei candidati avverrà in centesimi, di cui 20 riservati al voto di laurea e gli altri 80 riservati alla soluzione di un test fondato su domande a risposta plurima, secondo il modello del “multiple choice” nordamericano. Ebbene, molto brutalmente, questo sistema ricorda gli esami per la patente di guida non gli esami nelle facoltà di diritto degli altri paesi europei, io penso qui alle “Übungen” tedesche o ai “travaux dirigés” francesi. Più in particolare, si ha qui il riconoscimento ufficiale del sistema mnemonico e nozionistico di apprendimento adottato nelle Università: apprendimento mnemonico di nozioni più o meno astratte che lo studente deve ingurgitare, studiando a memoria un libro o parte di esso. Un sistema didattico siffatto potrebbe essere eventualmente utilizzato nelle fasi preliminari di ingresso nelle Università, ma non è pensabile che un esame scritto per un giurista maturo si possa ridurre ad un test fondato su domande a risposte multiple. Si è costretti a ricordarsi delle parole feroci con cui Pietro Calamandrei nel lontano 1921 descriveva gli studi di diritto nell’Italia dell’epoca, in cui gli studenti avrebbero avuto „il diritto e l’obbligo” di dimenticare con l’esame subito quanto appreso, per potersi preparare all’esame successivo. In conclusione, nel puntare esclusivamente sulle scuole professionali post laurea, il legislatore italiano ha rinunziato praticamente ad una riforma degli
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studi giuridici nelle Università: si è in presenza dunque di una dichiarazione di fallimento, di bancarotta dell’insegnamento universitario tradizionale. D’altro canto, – e qui risiede il secondo essenziale deficit attuale – la riforma non affronta in alcun modo il problema della frammentazione del sapere giuridico attualmente conseguenza del numero eccessivo di esami annuali. La frequenza eccessiva di esami tra materie obbligatorie o complementari – aggravata dal carattere orale e dalla possibilità illimitata di ripetizione – provoca nella didattica delle facoltà di diritto italiane la frammentazione, la polverizzazione del sapere giuridico. Il problema, in altri termini, è di ordine strutturale: come tale non ha niente che fare con la qualità degli studenti o dei docenti. Una riforma radicale della formazione giuridico universitaria dovrebbe puntare innanzitutto sull’unitarietà dell’ordinamento giuridico e quindi della preparazione professionale. Ciò significa che, pur in presenza di corsi differenziati di diritto privato, diritto civile, diritto commerciale etc., sarebbe indispensabile, dopo i corsi, sostenere pochi esami complessivi, in cui si avrebbe a controllare la conoscenza della materia privatistica ad es. nel suo complesso. In altre parole, non ha senso frammentare gli esami perché si frammentano le conoscenze dei discenti. Ne discende, di conseguenza, che bisognerebbe non solo limitare il numero degli esami ma anche concentrarsi all’essenziale. Nella Commissione Federale istituita in Germania una delle proposte in discussione mira ad abolire per es. il diritto delle successioni tra le materie obbligatorie nel primo Esame di Stato. A mio avviso ciò è perfettamente legittimo: il diritto ereditario non ha più oggi il significato che aveva decenni or sono, il contenzioso giurisprudenziale è limitato; anche nelle Facultés de Droit francesi esso non è più obbligatorio. Nell’area civilistica, l’essenziale si riduce al diritto delle obbligazioni, dei contratti speciali piú importanti, ai diritti reali, alle garanzie immobiliari e mobiliari, al diritto internazionale privato, al diritto delle società, al diritto del lavoro. Nell’ambito degli insegnamenti bisognerebbe dunque procedere a tagli anche radicali. Ad esempio, si pensi al diritto ecclesiastico, al diritto canonico, ad alcune materie romanistiche e storiche, al diritto internazionale pubblico, alle scienze delle finanze: si tratta di discipline importanti, ma non si può dire certo che esse debbano stare al centro della formazione universitaria, almeno di quella propedeutica. In questa prospettiva, una considerazione a parte meritano i corsi culturali, storici e filosofici. In primo luogo è qui necessario sgombrare il campo da un equivoco circa l’irrilevanza degli studi storico giuridici, di diritto romano o di filosofia del diritto nella formazione del giurista. Alcuni colleghi, soprattutto in Germania, al fine di salvare tali insegnamenti nell’ambito della professionalizzazione degli studi di diritto quali si svolgono nelle Università tedesche, cercano di sostenere che il diritto romano o la storia del diritto avrebbero una utilità pratica per cui bisognerebbe limitarsi a presentare nei corsi solo quei settori della tradizione storica – si pensi ad es. al diritto romano – nella misura in cui essi costituiscano elementi del diritto vigente. In realtà, questa impostazione si fonda su un malinteso, posto che il diritto vigente non ha niente più a che fare
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con la tradizione romanistica. Il vero problema è che occorre nelle materie storico-giuridiche e romanistiche un orientamento metodologico nuovo. In altre parole, è necessario che tanto lo storico del diritto, quanto il romanista ed il filosofo del diritto, lavorino ed operino come giuristi in una Facoltà di diritto e non come storici o filosofi in una Facoltà di lettere: il ritorno ad un “juristisches Erkenntnisinteresse” in queste discipline è la premessa necessaria per far capire a studenti e colleghi che la riflessione storica e filosofica è essenziale nel lavoro e nella formazione culturale del giurista. Nelle facoltà di diritto in Italia ciò spesso manca: una generazione di storici del diritto e di romanisti ha traslocato negli ultimi decenni idealmente queste discipline nelle facoltà di lettere, snaturando così il senso dell’insegnamento storico del diritto nelle facoltà di giurisprudenza. Anche sotto questo profilo, la riforma avviata non contribuisce ad una revisione del ruolo e della funzione degli insegnamenti culturali nella formazione del giurista. Nell’avviarmi alle conclusioni di questa analisi si può, in definitiva, dire che le modalità di svolgimento degli esami universitari costituiranno la chiave portante di qualsiasi futura riforma. Modifiche al riguardo sono indilazionabili. Si tratterebbe al riguardo di una riforma rivoluzionaria, per di più senza costi. Essa imporrebbe una modifica essenziale nella quantità e nella qualità nell’impegno didattico del personale docente. Almeno nella fase iniziale, come avviene in Francia e nel mondo anglosassone, i corsi universitari richiedono un controllo serio circa l’impegno dei discenti, magari anche attraverso il ricorso al tipo tradizionale di esami, ma con seri limiti alla possibilità, in caso di insuccesso, di reiterarne nel tempo i tentativi di superamento. In realtà, per quanto impopolare possa apparire questa proposta, dopo uno o due anni di studio, bisognerebbe introdurre esami complessivi per le materie istituzionali. Gli esami dovrebbero essere di regola sempre scritti, con l’obbligo di esercitazioni scritte, finalizzate all’apprendimento delle tecniche necessarie per la redazione di sentenze e pareri: tecniche che debbono essere anche oggetto di insegnamento e di esame. L’ultima proposta che qui suggerisco, e che certamente susciterà molte proteste, riguarda l’abolizione della tesi di laurea. A dispetto della difesa che ne viene di regola fatta va detto che, come tale, la tesi di laurea come modello didattico è fallita. Essa costituisce un ricordo storico di un preteso carattere scientifico degli studi universitari che oggi non costituisce null’altro che un’illusione. Non vale qui invocare le ipotesi eccezionali. Di regola la tesi consiste oggi in una compilazione più o meno senza valore. La tesi di laurea nelle Facoltà di giurisprudenza, a ben vedere, si potrebbe sostituire con un esame scritto a contenuto pratico del tipo degli esami per i concorsi professionali attuali. Indubbiamente, il complesso delle misure qui suggerite implica e determina una limitazione radicale degli effettivi studenteschi. Questo mutamento di rotta, inoltre, sarebbe facilitato ove si facesse chiarezza sul carattere dei titoli rilasciati dall’Università: il previsto diploma deve avere una valenza squisitamente
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professionale. La formazione culturale può intervenire solo in una fase successiva degli studi. Che senso ha studiare i grandi sistemi o il diritto romano comune se non si conosce neppure il codice civile italiano? In definitiva, le proposte qui formulate mirano a fronteggiare l’inevitabile concorrenza tra i modelli di formazione giuridico-professionale in Europa alla quale l’Italia non può sottrarsi. È tempo di scelte non più rinviabili, è tempo di scelte lungimiranti.
Juristische Rhetorik Dialektik und Rhetorik sind dem Begriff und der Sache nach Erscheinungsformen des kulturellen und politischen Diskurses des griechisch-römischen Altertums. Sie sind insoweit in das damalige System höherer Bildung, in die politische und gerichtliche Praxis wie auch in den antiken literarischen Betrieb eingebettet. Dies gilt auch für das Rechtssystem. Das griechische und auch das römische Recht wurden wesentlich von der zeitgenössischen Rhetorik beeinflusst1. Eine spätere „Renaissance“ der Dialektik und der Rhetorik, die den Zugang zur spätantiken Überlieferung wie auch zu deren praktischer Heranziehung voraussetzt, setzte in der Zeitspanne von etwa 800 bis 1200 n. Chr. ein. Der Rückgriff auf Dialektik und Rhetorik im Rahmen des klassischen Schulkanons der „artes liberales“ entfaltet im Hochmittelalter große Breitenwirkung und vielfältige praktische Konsequenzen. Das gilt für die Briefkultur, für die Dichtungstheorie und für die übrigen Kulturerscheinungen. Rhetorik und Dialektik geraten zugleich auch in Konkurrenz zu anderen Konzepten der Wissensorganisation. Dies gilt etwa für die karolingische Epoche sowie auch im späteren 9. Jahrhundert. So diente die als „Logik“ verstandene Dialektik dazu, Aussagen von autoritativen Texten, etwa der Bibel oder von Aristoteles, mit rein begrifflichen Schlussfolgerungen in Einklang zu bringen. Schon bei den ersten Rezeptionserscheinungen begegnet man glossierenden Erläuterungen in Manuskripten zu den von Boëtius ins Lateinische übersetzten Kategorien und Hermeneutika des Aristoteles, die gerade das Interesse und das Verständnis der damaligen Benutzer erkennen lassen. Die Streitschriftenliteratur aus dem Investiturstreit zeigt eine ausgiebige Verwendung dialektischer oder rhetorischer Grundbegriffe. Von dieser Entwicklung wird auch die Wiederentdeckung und universitäre Heranziehung der römischen Quellen maßgebend beeinflusst. Die Schule der Glossatoren begegnet dem Text der Digesten mit dem Instrumentarium aus der Grammatik, Dialektik und Rhetorik der Spätantike2. Die neuere ___________
Dieser Beitrag ist entnommen aus: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 15/2, Stuttgart/Weimar 2002, Sp. 807-811. 1 Vgl. Wesel, Rhetorische Statuslehre und Gesetzesauslegung der römischen Juristen, Köln (u. a.) 1967. 2 Vgl. Chevrier, Sur l’art de l’argumentation chez quelques romanistes médiévaux au XIIème et au XIIIème siècle, in: Archives de philosophie du droit 11 (1966), S. 115148; Giuliani, La controversia. Contributo alla logica giuridica, 1966, S. 37-83; Otte, Dialektik und Jurisprudenz. Untersuchungen zur Methode der Glossatoren, Frankfurt a. M. 1971.
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Forschung zu der mittelalterlichen Legistik und insbesondere zu den Glossenapparaten der präaccursianischen Kommentierungen der Digesten zeigen den zentralen Nutzen, den die frühen Glossatoren bei der Durchdringung der Stellen aus den römischen Rechtsquellen aus dieser dialektischen Schulung zogen3. Die Literaturgattungen der „distinctiones“ und „questiones disputatae“ stellen ein zentrales Zeugnis für die Fortwirkung der spätantiken dialektischen und rhetorischen Kultur im Argumentationshaushalt der mittelalterlichen und spätmittelalterlichen Juristen dar. Auch die rhetorische Mnemotechnik, wie sie aus dem Kulturgut der Spätantike tradiert wurde, spielt in der universitären Didaktik der damaligen Jurisprudenz im 12. Jahrhundert eine zentrale Rolle. Rechtsunterricht wurde damals auch als Weg des künstlich geschulten Gedächtnisses verstanden. Von daher war bei der damaligen Kommentierung der römischen Quellen die Benutzung von „loci“ und „imagines“ typisch. Die Ansprüche, die in den römischen Rechtsquellen dargestellt wurden, wurden in der frühscholastischen Didaktik als „arbora actionum“ präsentiert: ein rhetorisch bewährtes Instrument einer nach mnemotechnischen Kriterien effektiven Stofforganisation4. Dasselbe gilt für die zentrale Funktion der „distinctiones“ als Denkform und als Mittel der juristischen Didaktik („qui bene distinguit, bene docet“). Daraus erklärt sich auch die zentrale Bedeutung der „distinctiones“ als juristische Literaturgattung. Die Argumentation mit autoritativen Argumenten bei den damaligen Legisten begünstigte diese rhetorische Arbeitstechnik. Der konstitutive Einfluss der rhetorischen und dialektischen antiken Tradition in der mittelalterlichen Jurisprudenz setzt sich in der gemeinrechtlichen Wissenschaft des 15. und 16. Jahrhunderts fort. Ähnlichkeits- und topische Argumente charakterisieren die Argumentationsweise der damaligen Rechtspraktiker5. Dasselbe gilt für die Technik des Rückgriffs auf die Stellen der römischen Quellen und des Aufbaus eines Rechtsgutachtens (Relationstechnik). Im 16. und 17. Jahrhundert kennen die gemeinrechtlichen Juristen bei der argumentativen Heranziehung der römischen Quellen den Ähnlichkeitsschluss. Dieser wird noch der Topik und der Interpretationslehre im Sinne einer „extensi___________ 3 Vgl. Bellomo, Factum proponitur certum, sed dubium est de iure, in: Bellomo (Hrsg.), Die Kunst der Disputation (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien, 38), 1997, S. 1 ff.; Giuliani, L’„ordo iudicarius“ medievale tra retorica e logica, S. 133 ff.; Kriechbaum, Zur juristischen Interpretationslehre im Mittelalter, in: ders. (Hrsg.), Festschrift für Sten Gagnér, Ebelsbach 1996, S. 73 ff.; Otte, Logische Einteilungstechniken bei den Glossatoren des römischen Rechts, in: Fried (Hrsg.), Dialektik im früheren und hohen Mittelalter. Rezeption, Überlieferung und gesellschaftliche Wirkung antiker Gelehrsamkeit vornehmlich im 9. und 12. Jahrhundert (Schriften des Historischen Kollegs 27), 1997, S. 157-169, insbes. S. 163 ff. 4 Siehe Errera, Arbor actionum. Genere letterario e forma di classificazione delle azioni nella dottrina dei glossatori, in: Archivio per la storia del diritto medioevale e moderno I, 1995, S. 16-20, 26 ff. 5 Vgl. Coing, Europäisches Privatrecht, Band I, München 1982, S. 19-22, S. 70-72.
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ven Auslegung“ als Ausgleich der Widersprüche der Stellen der Digesten zugeordnet6. Erst die Aufklärung als Gegnerin jegliches „argumentum ab autoritate“ lässt Dialektik und Rhetorik in Verruf geraten. Im 18. Jahrhundert verschwindet die Topik aus der rechtswissenschaftlichen Methodenlehre. Der Ähnlichkeitsschluss bleibt, zusammen mit dem „argumentum e contrario“, wird aber nunmehr als „Rechtsanalogie“ angesehen7. Die analogische Interpretation einer Rechtsnorm wird als eine Gesetzesinterpretation, die Antinomien auflöst, als eine Rechtsfindung aus dem Zusammenhang von Rechtsnormen, ohne damit jedoch schon die Vorstellung eines einheitlichen Rechtssystems zugrunde zu legen8, angesehen. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts lösen die führenden Juristen wie Friedrich Carl von Savigny die alte gemeinrechtliche Verbindung von ausdehnender Interpretation und Analogie auf. Die Gesetzesinterpretation wird historisiert als Ermittlung der wirklichen historischen Absicht des Textautors und Gesetzgebers. Die Rechtsanalogie ist nunmehr eine rein logische Ergänzung des Rechts aus dem Rechtssystem geworden9. Für topische, rhetorische und dialektische Momente in der juristischen Argumentation gibt es keinen Platz mehr. Es ist bezeichnend, dass zu gleicher Zeit auch die Gerichtsrhetorik und die Kunst des Gerichtsplädoyers in den Hintergrund treten. Die Einführung der formalen Mündlichkeit des Zivilprozesses bedeutet zugleich dessen Technisierung. Anders als heute noch im US-amerikanischen Recht, sind in der heutigen modernen Rechtsprechung die demokratischen, also rhetorischen, Elemente so gut wie ausgestorben. Das Prinzip der Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Hauptverhandlung im Zivilprozess war allerdings zugleich gerade eine liberale Forderung des 19. Jahrhunderts, ebenso wie der – nicht erfüllte – Wunsch nach Geschworenengerichten. Für diese ambivalente Entwicklung ist es bezeichnend, dass im deutschen Zivilprozess einerseits die Vorträge der Parteien eigentlich in freier Rede zu halten wären, zugleich aber andererseits eine Bezugnahme auf Schriftstücke zulässig ist, soweit keine der Parteien widerspricht und das Gericht sie für angemessen hält. Die Vorlesung von Schriftstücken findet nur insoweit statt, als es auf ihren wörtlichen Inhalt ankommt. Die Bedeutung der Rhetorik im juristischen Argumentationshaushalt ist allerdings bis heute nicht obsolet. Gerade die moderne Rechtstheorie hat vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg die rhetorischen Momente in der juristischen Argumentation des kontinentalen europäischen Juristen wiederentdeckt. Hier ___________ 6
Vgl. Schroeder, Zur Analogie in der juristischen Methodenlehre der frühen Neuzeit, in: Sav. Z. Germ. Abt. 114 (1997), S. 3-12; ders., Recht als Wissenschaft. Geschichte der juristischen Methode vom Humanismus bis zur historischen Schule, München 2001, S. 23-45. 7 Vgl. Schroeder, Zur Analogie (Fn. 6), S. 12 ff.; ders., Recht als Wissenschaft (Fn. 6), S. 119 ff. 8 Vgl. Schroeder, Zur Analogie (Fn. 6), S. 28-34. 9 Ebd., S. 34 ff.
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ist auf die „nouvelle rhétorique“ von Chaim Perelman10, auf die Untersuchungen des deutschen Rechtsphilosophen Theodor Viehweg (dessen Schrift „Topik und Jurisprudenz“11 aus dem Jahre 1953 Ausgangspunkt dieser Richtung der juristischen Methodenlehre war) und auf die umfassenden historischen Arbeiten des italienischen Rechtsphilosophen Alessandro Giuliani12 hinzuweisen. Moderne rechtstheoretische Untersuchungen haben deutlich gemacht, wie heute noch die juristische Rhetorik – als Kunst, das Einverständnis anderer zu gewinnen – weiter wirkt; sie lehre die besonderen Mittel, mit deren Hilfe der Jurist in der fachlichen Auseinandersetzung das kollegiale Einverständnis sucht; sie stelle zugleich die vertrauten juristischen Methoden ins richtige, nämlich praktische Licht. Allerdings bekennen sich nur wenige Rechtsphilosophen und -theoretiker heute explizit zur „Rhetorik“ als Verfahrensweise für Jurisprudenz und Rechtspraxis. Man spricht eher von juristischer „Argumentation“13. Der offene Rekurs auf den Fundus der klassischen Rhetorik scheint als „unwissenschaftlich“ verpönt zu sein. Neben dogmatisch-begrifflichen Argumenten spielen jedenfalls auch topische und rhetorische Kunstgriffe heute noch in der Argumentation des kontinentalen und des anglo-amerikanischen Juristen eine nicht unbeträchtliche Rolle. Unter „Topik“ in der juristischen Argumentation versteht man heute „die Lehre von der Kunst des Auffindens und Verwertens von Gesichtspunkten und Argumenten bei der Behandlung nicht streng deduktiv zu lösender Probleme“14 (Karl Engisch).
Bibliographie Alexy, Theorie der juristischen Argumentation. Die Theorie des rationalen Diskurses als Theorie der juristischen Begründung, Frankfurt a. M. 1978, 3. Aufl. 1996.
___________ 10 Siehe Giuliani, Nouvelle rhétorique et logique du language normatif, in: Logique et analyse 13 (1970), S. 65-90; Perelman/Olbrechts Tyteca, La nouvelle rhétorique. Traité de l’argumentation, Bruxelles 1958, 2. Aufl. 1970; Schmetz, L’argumentation selon Perelman. Pour une raison au coeur de la rhétorique, Namur 2000; Vannier, Argumentation et droit. Une introduction à la nouvelle rhétorique de Perelman, Paris 2001. 11 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, München 1953, 5. Aufl. 1974; siehe auch Otte, Zwanzig Jahre Topikdiskussion: Ertrag und Aufgaben, in: Rechtstheorie I (1970), S. 183 ff. 12 Vgl. Giuliani, wie Fn. 10; ders., Le rôle du „fait“ dans la controverse (à propos du binôme „rhétorique – procédure judiciaire“), in: Archives de philosophie du droit 1995, S. 229-237; ders., L’„ordo iudicarius“ medievale tra retorica e logica, in: Bellomo (Hrsg.), Die Kunst der Disputation (Fn. 3), S. 133 ff. 13 Gast, Juristische Rhetorik. Auslegung, Begründung, Subsumtion, 3. Aufl., Heidelberg 1997; Pawlowski, Einführung in die juristische Methodenlehre, 2. Aufl., Heidelberg 2000, S. 70-73. 14 Engisch, Einführung in das juristische Denken, Stuttgart 1956, S. 246, Anm. 263.
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Ballweg/Seibert (Hrsg.), Rhetorische Rechtstheorie. Theodor Viehweg zum 75. Geburtstag, Freiburg/München 1982 (mit zahlreichen wichtigen Beiträgen zur Topikdiskussion). Bellomo, Factum proponitur certum, sed dubium est de iure, in: Bellomo (Hrsg.), Die Kunst der Disputation (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien, 38), München 1997, S. 1 ff. Bokeloh, Der Beitrag der Topik zur Rechtsgewinnung, Diss., Göttingen 1972. Chevrier, Sur l’art de l’argumentation chez quelques romanistes médiévaux au XIIème et au XIIIème siècle, in: Archives de philosophie de droit 11 (1966), S. 115-148. Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 2. Auflage, Berlin (u. a.) 1969, S. 300-302. – Europäisches Privatrecht, Bd. 1, München 1982, S. 19-22, S. 70-72. Engisch, Einführung in das juristische Denken, Stuttgart (u. a.) 1956. Errera, Arbor actionum. Genere letterario e forma di classificazione delle azioni nella dottrina dei glossatori, in: Archivio per la storia del diritto medioevale e moderno I, 1995, S. 16-20, 26 ff. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung. Rationalitätsgarantien der richterlichen Entscheidungspraxis (Studien und Texte zur Theorie und Methodologie des Rechts 7), Frankfurt a. M. 1970, S. 151-159. Frosini, Topica e teoria generale del diritto, in: Rivista internazionale di filosofia del diritto 1971, Heft 1. Gast, Juristische Rhetorik. Auslegung, Begründung, Subsumtion, 3. Auflage, Heidelberg 1997. – Einführung, in: Sonderheft „Juristische Rhetorik“, in: Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch, Bd. 15, Tübingen 1996. Giuliani, L’elemento giuridico nella logica medievale, in: Jus. Rivista di scienze giuridiche 15 (1964), S. 1-28. – La controversia. Contributo alla logica giuridica, 1966, S. 37-83. – Nouvelle rhétorique et logique du language normatif, in: Logique et analyse 13 (1970), S. 65-90. – Le rôle du „fait“ dans la controverse (à propos du binôme „rhétorique - procédure judiciaire“), in: Archives de philosophie du droit 1995, S. 229-237. – L’„ordo iudiciarius“ medievale tra retorica e logica, in: Bellomo (Hrsg.), Die Kunst der Disputation (siehe oben), S. 133 ff. Handwörterbuch der Rhetorik, Stichwort: Rhetorische Rechtstheorie und Stichwort: Juristische Rhetorik. Herberger, Dogmatik. Zur Geschichte von Begriff und Methode in Medizin und Jurisprudenz, in: Ius Commune 12 (1981), S. 178-181.
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Horn, Zur Bedeutung der Topiklehre Theodor Viehwegs für eine einheitliche Theorie des juristischen Denkens, in: NJW 1967, S. 607 ff. Kriechbaum, Zur juristischen Interpretationslehre im Mittelalter, in: Kriechbaum (Hrsg.), Festschrift für Sten Gagnér, Ebelsbach a. M. 1996, S. 73 ff. Lang, Rhetorische Einflüsse auf die Behandlung des Prozesses in der Kanonistik des 12. Jahrhunderts, in: Festschrift für E. Eichmann, Paderborn 1940, S. 78 ff. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, 3. Auflage, Stuttgart 1990. Mittenzwei, Teleologisches Rechtsverständnis. Wissenschaftstheoretische und geistesgeschichtliche Grundlagen einer zweckorientierten Rechtswissenschaft (Schriften zur Rechtstheorie 130), Berlin 1988, S. 70 ff., S. 333 ff. Monateri, La sineddoche. Formule e regole nel diritto delle obbligazioni e dei contratti, 1984. Otte, Zwanzig Jahre Topikdiskussion: Ertrag und Aufgaben, in: Rechtstheorie I (1970), S. 183 ff. – Dialektik und Jurisprudenz. Untersuchungen zur Methode der Glossatoren, Frankfurt a. M. 1971. – Logische Einteilungstechniken bei den Glossatoren des römischen Rechts, in: Fried (Hrsg.), Dialektik und Rhetorik im früheren und hohen Mittelalter. Rezeption, Überlieferung und gesellschaftliche Wirkung antiker Gelehrsamkeit vornehmlich im 9. und 12. Jahrhundert (Schriften des Historischen Kollegs 27), 1997, S. 157-169, insbes. S. 163 ff. Pawlowski, Einführung in die juristische Methodenlehre, 3. Auflage, Heidelberg 2000, S. 70-73. Perelman/Olbrechts Tyteca, La nouvelle rhétorique. Traité de l’argumentation, 1958, 2. Auflage, Bruxelles 1970. Pöggeler, Dialektik und Topik, in: Hermeneutik und Dialektik. Festschrift H.-G. Gadamer, Bd. 2, Tübingen 1970, S. 273 ff. Schmetz, L’argumentation selon Perelman. Pour une raison au coeur de la rhétorique, Namur 2000. Schroeder, Wissenschaftstheorie und Lehre der „praktischen Jurisprudenz“ auf deutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1979, S. 61 ff., S. 69. – Die privatrechtliche Methodenlehre des Usus modernus, in: Simon (Hrsg.), Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages, Frankfurt a. M. 1987, S. 254-278. – Zur Analogie in der juristischen Methodenlehre der frühen Neuzeit, in: Sav. Z. Germ. Abt. 114 (1997), S. 1 ff.
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– Rhetorik und juristische Hermeneutik in der frühen Neuzeit, Festschrift Peter Landau, Paderborn/München/Wien (u. a.) 2000. – Recht als Wissenschaft, Geschichte der juristischen Methode vom Humanismus bis zur historischen Schule, München 2001, S. 23-45, S. 119-129, S. 209-210. Ueding (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Tübingen 1992, Artikel: Rhetorische Rechtstheorie. Vannier, Argumentation et droit. Une introduction à la Nouvelle rhétorique de Perelman, Paris 2001. Viehweg, Topik und Jurisprudenz, München 1953, 5. Auflage München 1974; italienisch 1962 (beachtenswert zur italienischen Auflage die Einführung von Crifó, VIIXXIV). Wesel, Rhetorische Statuslehre und Gesetzesauslegung der römischen Juristen, Köln (u. a.) 1967. Wieacker, Zur Topikdiskussion in der zeitgenössischen deutschen Rechtswissenschaft, in: von Caemmerer u. a. (Hrsg.), Xenion. Festschrift P.J. Zepos, Athen/Freiburg/Köln 1973, Bd. 1, S. 390-415.
Relationstechnik A. Definition Der Begriff Relationstechnik bezeichnet die Regeln zum Aufbau und Inhalt einer juristischen Aktenrelation und kann als methodisches bzw. systematisches Hilfsmittel zur Vorbereitung einer kollegialgerichtlichen Entscheidung angesehen werden. Als schriftliche Darstellung betrifft sie die Aufbereitung der Sach- und Rechtslage eines Gerichtsfalles, d. h. die Schilderung des Sachverhaltes (Sachbericht), die rechtliche Würdigung desselben (Gutachten) sowie den Entscheidungsvorschlag (Votum). Diese Arbeitstechnik ist besonders in der deutschen Gerichts- und Ausbildungstradition präsent. Sie geht bis zur Vermittlung einer Reihe von sprachlichen und syntaktischen Regeln zur Gestaltung der schriftlichen Formulierung der Überlegungen, die zur geordneten juristischen Erörterung eines Falles angestellt werden und die zu einem Lösungsvorschlag führen sollen.
B. Historische Entwicklung I. Rhetorischer und geistesgeschichtlicher Hintergrund
Die Relationstechnik findet ihre historischen Anfänge im Aufkommen eines schriftlichen Prozessverfahrens in Kontinentaleuropa seit dem Mittelalter. Besonders ausgeprägt ist ihre Entwicklung in der Praxis des deutschen Reichskammergerichts (RKG) seit dem 16. Jahrhundert1. Die Schriftlichkeit und der mittelbare Charakter des Verfahrens im römischen gemeinen Prozess sowie die kollegiale Struktur des RKG prägen Technik und Stil der Aktenrelation in wesentlicher Weise. Im Zentrum der richterlichen Aufgabe eines Assessors am RKG steht das Verfassen einer Relation aus einer Prozessakte. Die einzelnen Produkte der Prozessparteien werden vom Kanzleipersonal in Speyer überhaupt erst zu einem Prozessdossier zusammengestellt, wenn der Rechtsstreit als ___________
Zuerst erschienen als Stichwort in: Ueding (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Band VII, Tübingen 2005, S. 1157-1161. 1 Vgl. Ranieri, Das Reichskammergericht und der gemeinrechtliche Ursprung der deutschen zivilrechtlichen Argumentationstechnik, in: ZEuP 1997, S. 718-734 [in diesem Band S. 397].
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entscheidungsreif für eine Relation vor dem Kollegium ansteht. Die Notwendigkeit nämlich, das Kollegialgericht über einen Prozess zu informieren, macht es erforderlich, dass ein Assessor als Relator ein Referat, eine sog. relatio, zum Inhalt der schriftlichen Prozessakte anfertigt und den Kollegen vorträgt. Die Kammergerichtsordnungen von 1500 und 1555 erwähnen bereits die Aktenrelation. Im jüngsten Reichsabschied von 1654 stößt man in den §§ 143-150 auf umfangreiche Bestimmungen, die allerdings nur den äußerlichen Verlauf der Relation betreffen. Die materielle Ausgestaltung bei der Anfertigung bleibt den Regeln aus Praxis und Tradition überlassen. Bereits im 16. Jahrhundert werden hierfür strenge Aufbauregeln entwickelt. Ein derartiger Regelkomplex steht wohl im Zusammenhang mit der methodischen Tradition der Konsiliatoren des mos italicus und mit der gemeinrechtlichen Lehrtradition jener Zeit. Das Ausbildungsziel steht hier eindeutig im Vordergrund. Eine ähnliche Ausbildungsfunktion erfüllen offenbar auch die zahlreichen gedruckten Sammlungen von Aktenrelationen: Sie dienen wohl als Vorbild, und in der Tat gehen auch die damaligen Anleitungsschriften zur Anfertigung einer Aktenrelation meistens auf diese Sammlungen zurück. Die didaktische Funktion von solchen Sammlungen wird besonders deutlich, wenn man ferner beachtet, dass hier gelegentlich auch sog. „Proberelationen“ abgedruckt werden: Es handelt sich dabei um Aktenrelationen, die Kandidaten für das Amt des Assessorats am RKG, die eine Praesentation erhielten, als Nachweis ihrer Befähigung für die richterliche Tätigkeit anzufertigen und abzuhalten haben. Solche Proberelationen finden sich seit 1570; hierfür werden meistens echte kammergerichtliche Prozessakten zugrunde gelegt. Zeugnisse einer solchen literarisch-didaktischen Tradition lassen sich bereits in der deutschen prozessrechtlichen Literatur der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nachweisen. Später wird die Anzahl dieser Anleitungsschriften unübersehbar. Berger2 erwähnt in seiner Dissertation dazu mehr als 20 solcher Werke aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Die beschriebene Technik der Relation und des Votums am RKG ist in der damaligen europäischen gemeinrechtlichen Praxis keinesfalls überall selbstverständlich. Die französischen Parlamente kennen allerdings seit dem 16. und 17. Jahrhundert vergleichbare Arbeitsregeln und eine ähnliche Anleitungsliteratur.3 Ein Vergleich mit den zeitgenössischen deutschen Anleitungsschriften offenbart, dass im Kern die dort vermittelten Aufbauregeln weitgehend identisch mit denjenigen der deutschen gemeinrechtlichen Tradition sind. Ihr gegenüber steht jedoch die Praxis an der römischen oder an den anderen italienischen Rote. Die Arbeitsweise des Kollegialgerichts ist hier völlig anders struk___________ 2
Siehe Berger, Die Entwicklung der zivilrechtlichen Relationen und ihrer denktechnisch-methodischen Argumentationsformen, Dissertation, Frankfurt a. M. 1975. 3 Vgl. Pigeau, Procédure civile du châtelet de Paris, I, Paris 1787, part. II, S. 335336; dazu Ranieri, Das Reichskammergericht (Fn. 1), S.728 m. w. N. [in diesem Band S. 408].
Relationstechnik
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turiert. Ein Mitglied (ponens) wird mit einem Prozess betraut und zerlegt den strittigen Vorgang im Einvernehmen mit den Parteien in einzelne Streitpunkte. Noch nicht im Einzelnen untersucht ist der Zusammenhang zwischen einer solchen Praxis und dem späteren römischen Zivilprozess, in dem die Übung herrscht, den Streitgegenstand in particulae zu zerlegen (Zerlegung der narratio in capitula).4 Die einzelnen Fragen werden dann als dubia vom Richter (dem ponens) vor dem Kollegium zur Abstimmung gestellt. Jeder Richter äußert dabei seine Meinung. Die Summe der dubia und der Rechtsmeinungen stellt dann der ponens in einer sog. decisio zusammen. Diese enthält keineswegs die Entscheidungsgründe, sondern ist eine auf die Parteien gerichtete declaratio und nimmt Bezug gerade auf deren Argumente (dubia).5 Dieser umständliche Begründungsstil lebt zum Teil bis heute in der Rechtsprechung mancher romanischen Länder fort. Man denke etwa an die umständliche Begründungsweise des italienischen Kassationshofes, insbesondere ihr Eingehen auf all die von den Parteien vorgetragenen Rechtsmeinungen mit den damit verbundenen häufigen obiter dicta. Eine ähnliche Struktur der Urteilsbegründung, die sich nicht nach dem Ergebnis, sondern nach den Argumenten der Parteien richtet, findet sich übrigens auch heute noch in Spanien und Portugal.
II. Theorie und Praxis der Aktenrelation
Die Anleitungen zur Anfertigung einer Aktenrelation und eines Votums entsprechen im 16. und 17. Jahrhundert weitgehend einer einheitlichen Struktur: Im Wesentlichen werden darin strenge Regeln zum logischen und syntaktischen Aufbau und zur Formulierung eines Votums vermittelt. Insbesondere im 16. Jahrhundert variiert die Zahl und die Untergliederung der vorgeschlagenen Aufbaustationen von Anleitung zu Anleitung. Die Praxis des RKG bleibt in Deutschland dabei jedoch ausnahmslos als Vorbild maßgebend. Meist enthält die Relation folgende Bestandteile: 1. Species facti Hierunter werden die Umstände verstanden, die der prozessualen Auseinandersetzung zugrunde liegen. Zu diesem Aufbaupunkt gehört die Erörterung der Zuständigkeit des Gerichts, der Legitimation von Parteien und Prokuratoren sowie der Frage, ob die Ladungen ordnungsgemäß erfolgten.6 ___________ 4 Siehe dazu Simon, Untersuchungen zum justinianischen Zivilprozess, München 1969, S. 20 ff. 5 Vgl. Ranieri, Das Reichskammergericht (Fn. 1), S. 729, Fn. 39 m. w. N. [in diesem Band S. 409 (Fn. 39)]. 6 Vgl. Besold, De iudiciario processu et modo referendi seu votandi Dissertatio, 1632, S. 2-3; Rosencorb, Syntagma observationum practicarum recentiorum in supremis
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2. Historia processus Hierunter wird meistens die kurze Aufzählung der verschiedenen Verfahrensstationen in den vorangegangen Instanzen sowie in kammergerichtlichen Appellationsverfahren verstanden (Prozessgerichte). 3. Extractus actorum Gemeint ist hier die Wiedergabe der Parteienschriften. Diese erfolgt meistens in größter Ausführlichkeit und zum Teil im Original mit der Wiedergabe des Libells des Klägers, der Klageschrift mit dem Klageantrag sowie anschließend des Libells des Beklagten mit dessen Gegenantrag. Dem folgen die Beweismittel. Sind Dokumente vorhanden, so müssen diese im Original angefügt werden; dasselbe gilt für die rotula testium. 4. Votum Gemeint ist hier das rechtliche Gutachten zu den von den Parteien aufgeworfenen Rechtsfragen. Auch hier folgt der Aufbau juristischer Erörterungen strengen Regeln. a) Substantia actionis Hier zeigt sich deutlich die aktionenrechtliche Denkweise der Juristen aus der gemeinrechtlichen Zeit: Gefragt wird bezeichnenderweise zunächst nicht nach der auf den Fall anwendbaren Rechtsnorm, sondern nach der Klagegrundlage, die das Begehren des Klägers stützen kann (quae sit actio).7 Diese Lehrund Ausbildungsschriften sind also umso wertvoller, weil sie die tieferen Strukturen der Denk- und Argumentationsweise der damaligen gemeinrechtlichen Rechtspraktiker offenbaren. Dieses aktionenrechtliche Denken zwingt zu einer rechtlichen Sachqualifikation und so zu einer stringenten Subsumtion. Es charakterisiert die Denkweise des kontinentaleuropäischen Juristen bis heute. b) An probata Hier soll insbesondere geprüft werden, ob die vom Kläger vorgebrachten Tatsachen bewiesen sind und damit das Vorbringen des Klägers begründet ist.8 c) An elisa Ist das Vorbringen des Klägers bewiesen, muss auf die Verteidigungsargumente des Beklagten und dessen Beweise eingegangen werden. Insbesondere ist hier zu prüfen, ob trotz geglückten Beweises seitens des Klägers Einreden ___________ Germaniae tribunalibus, 1605, S. 3; für Beispiele vgl. Ranieri, Aktenrelationen am Reichskammergericht (16-17. Jh.), Quellen in: Wijffels, Case Law in the Making, Bd. 2, Berlin 1997, S. 319-355. 7 Vgl. Rosencorb, Syntagma (Fn. 6), S. 3. 8 Ebd. S. 4.
Relationstechnik
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vom Beklagten geltend gemacht werden, die das Vorbringen des Klägers erledigen. d) Urteilsvorschlag Die Relation und das Votum sollen mit einem Vorschlag des Referenten zur Entscheidung abgeschlossen werden. Hierhin gehört deshalb der Tenor des vorgeschlagenen Urteils mit allen Formalien, jedoch, wie damals üblich, ohne Begründung. Die hier kurz geschilderte stilistische und didaktische Tradition bleibt in Deutschland bis ins 19. Jahrhundert ganz lebendig.9 Wegweisend, vor allem für die Justizausbildung, ist die halbamtliche Relationsanleitung des preußischen Appellationsgerichts in Naumburg im Jahre 1852. Seit den Reichsjustizgesetzen 1877 ist die Aktenrelation für die Richter der Kollegialgerichte formell zwar nicht mehr obligatorisch, faktisch bleibt sie jedoch, vor allem als Proberelation für die praktische Juristenausbildung, zwingend in Übung. Auf den wesentlichen Grundlagen des Naumburger Modells beruht auch das von H. Daubenspeck 1884 begonnene und von P. Sattelmacher, später von U. Sirp, fortgeführte Anleitungsbuch „Bericht, Gutachten und Urteil“ (1884), das 1989 in seiner 31. Auflage erschienen ist. Bei näherer Betrachtung erkennt man in dieser Anleitung zur Relationstechnik, die die Denkweise vieler Generationen von deutschen Juristen dieses Jahrhunderts prägt, trotz der historisch gewachsenen Veränderungen noch die Grundregel der kammergerichtlichen Aktenrelationen des 16. und 17. Jahrhunderts wieder.
III. Wirkungen und rezeptionsgeschichtliche Aspekte
Die Aktenrelationen am RKG und die ihnen zugrunde liegende spezifische Relationstechnik zeigen sich in ihrer vollen historischen Bedeutung, wenn man bedenkt, dass sie bis in die jüngste Geschichte der deutschen Juristenausbildung hineinwirken. Betrachtet man nämlich den oben skizzierten Aufbau einer kammergerichtlichen Aktenrelation, so erkennt man hier wesentliche Regeln wieder, die heute noch dem jungen deutschen Rechtsstudenten und Rechtsreferendar vermittelt werden. Während seines Studiums lernt er nicht nur materiellrechtliche Inhalte, sondern vor allem auch eine spezifische Arbeitstechnik kennen. Die deutschen Juristen sprechen hier bekanntlich von der sog. „Klausurtechnik“ oder später im Referendariat von der sog. „Relationstechnik“. Bei einer realistischen Betrachtung der Ausbildung eines deutschen Rechtsstudenten spielt die Einübung einer solchen Arbeitsweise eine ebenso wichtige Rolle wie ___________ 9 Nachweise bei Ranieri, Das Reichskammergericht (Fn. 1), S. 727 [in diesem Band S. 407].
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das Erlernen des positiven Rechtsstoffes. Im Zentrum der pädagogischen Bemühungen steht hier seit jeher die Vermittlung der Technik des argumentativen Aufbaus eines Gutachtens nach den in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen: Genau wie der gemeinrechtliche Jurist sein Votum nach der Frage quae sit actio? aufbauen lernt, so lernt der deutsche Rechtsstudent heute noch, dass ein zivilrechtliches Gutachten nach den in Frage kommenden Anspruchsgrundlagen aufgebaut werden soll. Relations- und Gutachtentechnik finden seit dem 19. Jahrhundert immer mehr außerhalb der Universität Platz im Rahmen der Rechtsausbildung bei den Examensvorbereitungskursen der privaten Repetitoren und im Rahmen des Referendariats.10 Diese didaktische Tradition, die einer solchen Denk- und Argumentationsweise zugrunde liegt und die übrigens in anderen kontinentaleuropäischen Ländern weitgehend unbekannt ist, macht deutlich, wie gegenwärtig, wenn auch unbewusst, längst verschüttet geglaubte gemeinrechtliche Denkstrukturen und Denkformen noch sind.
C. Bibliographie Quellen Bocer, Disputationum de universo quo utimur iure methodo eleganti conscriptarum pars 1, 3. ed., Straßburg 1634. Classis VI, Disputatio III, S. 249 ff. mit dem Titel „Modus Referendi“. Cramer, Quaenam relationi in supremis Imperii Tribunalibus praemittenda sint, in: ders., Observationes juris […] Theil I, 1758, Nr. 317, S. 710. Hartling, Dissertatio de arte referendi, 1733. Homburg, De modo (artis) referendi, 1710. Knorren, Anleitung zu Referirung der Acten, 1755. Lauremberg, Dissertatio de actorum lectione et relatione, nec non sententiarium ex illis conceptione, 1667. Leonhard, Anleitung für die juristischen Übungs- und Examensarbeiten, Berlin 1908. Pütter, Über die beste Art aus Acten zu referiren, 1797. Stölzel, Schulung für die civilistische Praxis, 1894. Tractatus methodicus processi Camerae Imperialis, in: Symphorema Consultationibus, Bd. 1, 1601, S. 70-72: „methodus referendi causas in iudicio“.
___________ 10
Ebd. S. 731-733 m. w. N. [in diesem Band S. 411-414].
Relationstechnik
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v. Berg, Einige Worte zur Ankündigung eines über die gerichtliche und außergerichtliche Privatrechts-Praxis sich erstreckende Uebungscollegii für den jungen Juristen, 1825.
Literatur Hartwieg, Die Kunst des Sachvortrags im Zivilprozess. Eine rechtsvergleichende Studie zur Arbeitsweise des englischen Pleadings-Systems, Heidelberg 1988, insbes. S. 126 ff. und S. 231 ff. Hulle/Sellert, „Relation“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, IV, Berlin 1987. Ranieri, Stylus Curiae. Zum historischen Hintergrund der Relationstechnik, in: Rechtshistorisches Journal 1985, S. 75-88. – Entscheidungsfindung und Technik der Urteilsrelation in der Tradition des deutschen Usus modernus: Das Beispiel der Aktenrelationen am Reichskammergericht, in: Wijffels (Hrsg.), Case Law in the Making. Bd. 1, Berlin 1997, S. 277-297. Schapp, Methodenlehre des Zivilrechts, Tübingen 1998 (zur Lehre des Anspruchs). Schönert u. a. (Hrsg.), Erzählte Kriminalität, Tübingen 1991.
3. Teil Rechtsprechung und Zivilrecht in der europäischen Rechtsgeschichte
Dolo petit qui contra pactum petat – Bona fides und stillschweigende Willenserklärung in der Judikatur des 19. Jahrhunderts Die moderne privatrechtsgeschichtliche Forschung hat sich bis heute wenig mit der Bedeutung der exceptio doli in der Praxis des Gemeinen Privatrechts befasst. Die folgenden Ausführungen sollen einen ersten Beitrag dazu leisten. Dabei sollen die Wege geschildert werden, auf denen die europäische Gerichtspraxis des 19. Jahrhunderts zu dem Institut kam, das die deutschen Juristen heute Verwirkung nennen. Welch differenziertes Bild eine genauere Untersuchung der europäischen Rechtsprechung bietet und wie weit diese Frage einiger Überlegungen wert ist, soll anhand von zwei Urteilen aus der deutschen und französischen Judikatur des 19. Jahrhunderts dargelegt werden.
A. Eine deutsche und französische Gerichtsentscheidung 1. Im Jahre 1874 hatte das Preußische Obertribunal folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Eine Klausel in einem Mietvertrag machte die Abänderung des Vertrages von dem schriftlich gegebenen Einverständnis des Vermieters abhängig. Nach einer anderen Klausel konnte das Mietverhältnis fristlos gekündigt werden, wenn der Mieter die Miete nicht pünktlich bezahlte. Mündlich dagegen hatte der Vermieter nach dem Abschluss des Vertrages dem Mieter zugesichert, dass es nicht auf die strenge Einhaltung der Zahlungsfrist ankomme. Im Falle einer Verspätung von vier, fünf Tagen würde er die Klausel nicht geltend machen. Im Verlauf des Mietverhältnisses hatte der Mieter mehrfach die Miete nicht pünktlich bezahlt und der Vermieter sich nicht auf die Klausel berufen. Trotz des abgegebenen Versprechens und der bisherigen Duldung nahm der Vermieter jedoch eine Verspätung von ein paar Tagen als Vorwand, um die Klausel geltend zu machen, und kündigte dem Mieter fristlos. Das Preußische ___________ Zuerst erschienen in: Ius Commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte, Vol. 4 (1972), S. 158-187. Siehe hierzu ferner Ranieri, Norma scritta e prassi giudiziale nell’evoluzione della dottrina tedesca del Rechtsmissbrauch, in: Riv. trim. di dir. proc. civ. 1972, S. 1216-1237; auch in: Rotondi (Hrsg.), L’abuso del diritto (Inchieste di diritto comparato VII), Padova 1979, S. 361384; ders., Verwirkung et renonciation tacite. Quelques remarques de droit comparé, in: Mélanges en l’honneur de Daniel Bastian, Vol. I, Paris 1974, S. 427-452.
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3. Teil: Rechtsprechung und Zivilrecht
Obertribunal1 wies die Klage des Vermieters ab. Das Gericht ging davon aus, dass das nur mündlich abgegebene Versprechen des Vermieters wegen der Schriftformklausel unwirksam sei; es räumte dem Mieter aber die Möglichkeit ein, der Kündigungsklage mit einer exceptio doli entgegenzutreten. 2. Es ist bemerkenswert, wie ein ähnlicher Fall in der damaligen französischen Rechtsprechung gelöst wurde. Die Heranziehung eines Urteils unter vielen anderen zeigt, wie die französische Praxis über andere Lösungswege zu demselben Ergebnis kam. Fünfzehn Jahre früher hatte die Cour de cassation über folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Wie im deutschen Fall machte eine Klausel in einem Mietvertrag das Recht zur Untervermietung von dem schriftlich gegebenen Einverständnis des Vermieters abhängig; nach einer anderen Klausel konnte das Mietverhältnis im Falle der Nichteinhaltung dieser Bestimmung fristlos gekündigt werden. Der Mieter hatte untervermietet, ohne die Zustimmung des Vermieters einzuholen. Dieser hatte keinen Widerspruch erhoben. Erst nach mehreren Monaten hatte er die Verletzung des Vertrages durch den Mieter beanstandet und fristlos gekündigt. Die Cour de cassation2 wies die Klage ab, weil der Vermieter mit seiner langen Duldung der Untervermietung stillschweigend darauf verzichtet hatte, das Kündigungsrecht geltend zu machen. 3. Ein Vergleich der beiden Urteile zeigt, wie die deutsche und die französische Judikatur, um dasselbe billige Ergebnis zu erreichen, nämlich die Geltendmachung der Auflösungs- oder Kündigungsklausel abzuweisen, sich zweier verschiedener Lösungswege bedient haben: in der deutschen Entscheidung greift man zu der exceptio doli, in der französischen dagegen beruft man sich auf eine stillschweigend erfolgte Abänderung der Vertragsbestimmungen. Es ist eine reizvolle Aufgabe, genauer, und zwar rechtsgeschichtlich und rechtsvergleichend, zu beleuchten, wie die deutschen und die französischen Gerichte zu diesen verschiedenen Begründungen gekommen sind. Zugleich kann eine solche Untersuchung Ausgangspunkt für Überlegungen werden, inwieweit die bona fides der römischen Juristen in der Praxis des europäischen kontinentalen Rechts heute noch wirksam ist.
___________ 1
Vgl. Preußisches Obertribunal, Urt. v. 28.9.1874, in: Entscheidungen des Königlichen Obertribunals, Bd. 73 (1875), S. 57. Über diese und andere gleichartige Entscheidungen wird bei Rehbein, Die Entscheidungen des vormaligen Preußischen Obertribunals auf dem Gebiete des Civilrechts, Berlin 1884, Bd. I, S. 254 ff., berichtet. 2 Vgl. Cass. civ., Urt. v. 28.6.1859, in: Sirey 1860, 1, S. 447.
Dolo petit qui contra pactum petat
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B. Die ex. pacti und die ex. doli im europäischen Gemeinen Recht 1. Um die dogmengeschichtlichen Zusammenhänge der hier aufgeworfenen Problematik zu schildern, ist es notwendig, kurz auf die römischen Quellen zurückzugreifen. Im Römischen Recht setzte sich nur allmählich der Grundsatz durch, dass der formlos erklärte und auf die Abänderung oder Aufhebung gerichtete Wille den Schuldvertrag ipso iure abzuändern oder aufzuheben vermag. Es wird allgemein angenommen, dass im justinianischen Römischen Recht die Erscheinung des Erlassgeschäfts an das so genannte pactum de non petendo anknüpft. In klassischer Zeit befreit der formlose Erlass durch pactum de non petendo nur ope exceptionis: der Schuldner erhält eine exceptio pacti, später wahlweise mit der exceptio doli, und kann damit der Geltendmachung des Anspruchs seitens des Klägers entgegentreten3. In die bonae fidei iudicia brauchte die exceptio pacti allerdings nicht eingeschaltet zu werden. Außerdem wurde bei den Konsensualkontrakten schon in klassischer Zeit anerkannt, dass nicht nur die einzelne Forderung (obligatio), sondern (solange noch nichts geleistet war) das ganze Verhältnis durch eine formlose Abrede aufgehoben werden konnte. Im justinianischen Recht war das ius honorarium eine rein historische Erscheinung geworden. Die Kompilatoren haben dennoch den Begriff des pactum de non petendo bewahrt. Die Unterscheidung der Fälle, in denen das pactum ohne weiteres schuldaufhebend wirkte oder nur die exceptio begründete, wurde allerdings praktisch bedeutungslos, seitdem auch die exceptio nur eine vom Schuldner geltend zu machende und zu beweisende Unwirksamkeit bezeichnete. Es ist darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass sich zu dieser Zeit der Grundsatz „dolo facit, quicumque id, quod quaqua exceptione elidi potest petit“ (D. 44.4.2.5) völlig durchgesetzt hatte, wobei alle exceptiones der klassischen Jurisprudenz auf die exceptio doli zurückgeführt wurden4. Damit stellte das justinianische Recht die exceptio pacti der exceptio doli gleich und gewährte allgemein die exceptio doli auch dann, wenn an sich auch eine exceptio pacti möglich gewesen wäre5. Obwohl die ___________ 3 Statt aller Kaser, Das römische Privatrecht, I, 2. Aufl., München 1971, S. 642 ff. Zuletzt Knütel, Contrarius consensus. Studien zur Vertragsaufhebung im römischen Recht, Köln/Graz 1968, S. 63 ff. 4 Vgl. dazu Kaser, a. a. O., II, München 1959, S. 202; Burdese, Exceptio doli (diritto romano), in: Noviss. dig. it., Bd. VI, Torino 1960, S. 1072; Palermo, Studi sull’exceptio nel diritto classico, Milano 1956, S. 131 ff.; Collinet, La nature des actions, des interdits et des exceptions dans l’œuvre de Justinien, Paris 1947, S. 504 ff.; Riccobono, Dal diritto romano classico al diritto moderno, in: Annali Palermo 1917, S. 591 ff. 5 Die Problematik der exceptio pacti und die Frage ihrer Beziehungen zur exceptio doli gehören zu den strittigsten Themen der romanistischen Forschung. Vgl. in der älteren Literatur Huschke, Kleine kritische Versuche über Pandektenstellen und Pandektenmaterien, in: Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1846, S. 137-207; Krüger, Beiträge zur Lehre von der exceptio doli. I. Das Verhältnis der exceptio doli
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3. Teil: Rechtsprechung und Zivilrecht
Rechtsfigur der exceptio pacti seu doli in justinianischer Zeit ihren eigentlichen prozessrechtlichen Grund verloren hatte, blieb sie dennoch als eine typische Denkform der römischen Quellen bestehen, die sich durch die jahrhundertelange Entwicklung des europäischen Gemeinen Rechts erhalten hat. 2. Der Rechtsgedanke der exceptio pacti seu doli, wie sie in den justinianischen Quellen geformt worden war, wurde in das europäische ius commune übernommen und damit ein fester Bestandteil von Praxis und Lehre6. ___________ (generalis) zur exceptio rei venditae et traditae und zur exceptio pacti, Halle 1892, S. 169 ff.; Wendt, Die exceptio doli generalis im heutigen Recht oder Treu und Glauben im Recht der Schuldverhältnisse, in: AcP 1906, S. 264 ff.; Pernice, Labeo, 2. Aufl., Halle 1895, II, Teil 1, S. 231 ff. Nach dem heutigen Stand der Untersuchungen wird allgemein anerkannt, dass der Grundsatz von D. 44.4.2.5 „Et generaliter sciendum est ex omnibus in factum exceptionibus doli oriri exceptionem, quia dolo facit, quicumque id, quod quaqua exceptione elidi potest, petit“ justinianischer Herkunft ist. Die Klassiker haben sehr genau zwischen exceptio pacti und exceptio doli unterschieden. Mit anderen Worten, der Gedanke ist den Klassikern immer fremd gewesen, dass die Geltendmachung eines Anspruchs trotz eines entgegenstehenden pactum als solches schon einen dolum darstelle. Das pactum als solches fand seinen spezifischen Schutz in der exceptio pacti, auf die man zurückgreifen konnte ohne Rücksicht darauf, ob die Geltendmachung der actio eine besondere Verletzung der bona fides darstellte. Nur ausnahmsweise wurde eine exceptio doli in den Fällen gewährt, in denen es sich um die Anwendung des pactum über seinen Wortlaut hinaus handelte. Damit bot die exceptio doli den Ausweg, einer formalistischen Auslegung des pactum und letzten Endes dem widersprüchlichen Verhalten des Klägers entgegenzutreten und durch die bona fides der wirklichen voluntas zur Wirksamkeit zu verhelfen. Erst später wurde dieser formalistische Standpunkt überholt, indem man den allgemeinen Grundsatz aufstellte, „dolo enim facere eum, qui contra pactum petat, negari non potest“ (D. 44.4.2.4). Das Verhältnis von Regel und Ausnahme wurde damit gegenüber früher umgekehrt. Während man nach dem klassischen Recht, wenn ein pactum nicht vorhanden war, nur ausnahmsweise auf die Verteidigungsmöglichkeiten einer exceptio doli zurückgreifen konnte, wurden im justinianischen Recht exceptio doli und exceptio pacti gleichgestellt und allgemein die exceptio doli auch dann gewährt, wenn als solche auch eine exceptio pacti möglich gewesen wäre. Vgl. dazu Grosso, Efficacia dei patti nei bonae fidei judicia. Patti e contratti, in: Memorie Istituto giuridico dell’Università di Torino, II, Bd. III, Torino 1928, S. 34 ff.; ders., L’efficacia dei patti nei bonae fidei judicia, in: Studi urbinati 1927/1928, S. 71 ff.; Koschaker, Bedingte Novation und Pactum im römischen Recht, in: Festschrift Hanausek, Graz 1925, S. 150 ff.; Scherillo, Di alcune formule bizantine in tema di exceptio pacti e di exceptio doli, in: Rendiconti Istituto lombardo, 2 a, Bd. 61 (1928), S. 516-533; neuerdings Knütel, Die Inhärenz der exceptio pacti in bonae fidei iudicium, in: Sav. Z. Rom. Abt. 84 (1967), S. 133 ff.; Brutti, in: Studi senesi 80 (1968), S. 306 ff. 6 Weitere dogmengeschichtliche Hinweise bei Ourliac/de Malafosse, Droit romain et Ancien droit, Bd. II, Les Obligations, Paris 1957, S. 198 ff.; Gallo, Sulla asserita sopravvivenza del pactum de non petendo nel diritto civile italiano, in: Il Foro italiano 1960, IV, Sp. 129 ff., insbesondere Sp. 134 ff.; in der älteren Literatur vgl. Altmann, Der Erlaßvertrag, Bd. I, Leipzig 1891, insbes. S. 88 ff.; Fadda/Bensa, Note sulle Pandette di Windscheid, Bd. IV, Torino 1925, S. 396 ff. Um Missverständnisse zu vermeiden, ist vorweg zu bemerken, dass die Wendung exceptio pacti seu doli aus der gemeinrechtli-
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Dem Gemeinen Recht waren jedoch ihre ursprünglichen prozessualen Voraussetzungen fremd; demzufolge wurde die Tendenz immer mehr bemerkbar, den pacta eine uneingeschränkte ipso iure Wirksamkeit einzuräumen. Es sei hier auf die Anerkennung, die der Grundsatz der Klagbarkeit der nuda pacta erfuhr, hingewiesen7. Auch für die pacta liberatoria setzte sich allmählich die Meinung durch, dass sie ipso iure rechtswirksam seien. Es handelt sich hier um eine Entwicklung, deren Wurzeln schon in den justinianischen Quellen zu finden sind. Dort wird die Unterscheidung der Fälle, in denen das pactum de non petendo ipso iure schuldaufhebend wirkt oder nur eine exceptio doli begründet, mit einer recht großen Ungenauigkeit getroffen. Während die Klagbarkeit der nuda pacta sehr bald Anerkennung fand, setzte sich demgegenüber der Grundsatz der Wirksamkeit ipso iure der pacta liberatoria nur langsam und mit unterschiedlichem Erfolg durch. Was die Aufhebung oder Abänderung eines Schuldverhältnisses anbelangt, so blieb der Gedanke der exceptio pacti seu doli in dem älteren Usus modernus unbestritten. Bei Maranta z. B. lesen wir8: „... quoties quis est tutus aliqua exceptione, ut pacti de non petendo, vel alia aequitate, et tamen adversarius sciens dictam exceptionem, seu aequitatem illi competere, contra eum agit in iudicio, et deducit ius suum, oritur exceptio doli [...] quia petendo quod poterat tolli exceptione, videtur in dolo versatus ...“. Genauso lässt sich dieser Standpunkt auch bei allen anderen Autoren dieser Zeit verfolgen. Es sei hier nur auf das Standardwerk von Zanger9 hingewiesen: ,,... Nudo enim consensu haec obligatio dissolvi nequit, cum nihil tam naturale sit, quàm unumquodque eo quo colligatum est modo, dissolvi, [...] Debitor ergo efficaciter obligatus, pacto, jure civili, non liberatur, sed jure praetorio seu honorario per exceptionem pacti seu doli mali ...“ und „... Doli mali exceptio ideo in proposito locum habet, quia petit dolo, quicumque id quod exceptione elidi potest, petit, et dolo facere eum, qui contra pactum petit, negari non potest ...“ 3. Im späteren Gemeinen Recht zeigt sich zwischen dem französischen Ancien droit und dem deutschen Usus modernus eine beachtenswerte, unterschiedliche Tendenz. In Frankreich wurde sehr rasch auch den pacta liberatoria eine Wirksamkeit ipso iure zuerkannt. ___________ chen Praxis stammt. Eine exceptio pacti seu doli hat es in den römischen Quellen als solche nie gegeben. Auch bei Justinian sind beide Einreden (pacti und doli), die im Edikt an verschiedener Stelle standen, nicht zu einer solchen Einheit verschmolzen worden. 7 Dazu zuletzt mit umfangreichen Literaturhinweisen Bärmann, Pacta sunt servanda. Considérations sur 1’histoire du contrat consensuel, in: Rev. intern. de droit comparé 1961, S. 18 ff. 8 Aurea praxis, additionibus clarissimi Petri Follerii innumeris locis locupletata et adaucta, [Auflage Coloniae Agrippinae 1580], pars IV, Additio, Nr. 21. 9 Tractatus de exceptionibus, [Aufl. Francofurti ad Moenum 1588], cap. 13, Nr. 2 ff.; vgl. ferner Bargalius, Tractatus de dolo, [Hanoviae 1604], S. 484 und S. 762.
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3. Teil: Rechtsprechung und Zivilrecht
In dem Ancien droit spielt die Rechtsfigur der exceptio pacti seu doli, abgesehen von den Abhandlungen, die ihr, von einem allerdings rein historischen und antiquarischen Standpunkt, Cujaz10 und Donellus11 gewidmet hatten, schon im 17. Jahrhundert keine Rolle mehr. Sie wird zwar noch von De Ferrière12 erwähnt: „... si celuy qui apres avoir stipulé cent, convient avec son debiteur de n’en faire jamais aucune poursuite: il est certain que si nonobstant ce pacte ne laisse pas d’intenter action pour le payement de cette dette, il agit par dol & injustement, toutefois sa demande est fondee sur l’autorité du Droit, car telle convention n’est pas capable de détruire l’obligation qui dêcend de la stipulation, & partant manet actio de iure, mais parceque l’équité naturelle ne souffre pas que nous poursuivions quelque chose au prejudice de nostre convention, le Préteur a introduit cette exception par laquelle le deffendeur détruit entierement la force de telle action, en disant dolo malo facit quod ...“. Obwohl De Ferrière noch weiter bemerkt, „... ce que nous avons dit sur ce titre est observé en France ...“, scheint es, dass diese Rechtsfigur im 17. Jahrhundert in Frankreich in Wahrheit völlig bedeutungslos war. Wenn man von den Werken historischantiquarischen Charakters absieht13, wird sie kaum noch erwähnt. Auch die Praxis scheint, soweit mir ersichtlich ist, auf diese typisch römische Denkform verzichtet zu haben14. Das kommt allerdings nicht von ungefähr. In Frankreich, in den pays de droit écrit, war das Römische Recht mehr eine ratio scripta als ___________ 10 Cuiacius, Recitationes solemnes in libros Codicis, [Aufl. Francofurti ad Moenum 1597], in Tit. Cod. De exceptionibus et praescriptionibus, ad. lex. III, S. 912. 11 Donelli, Opera omnia commentariorum de jure civili, cum notis Hilligeri, [Aufl. Florentiae 1844], Lib. XXII, cap. VI, N. 2°ff. (Bd. 5, Sp. 1509 ff.). 12 De Ferrière, La jurisprudence du digeste, conférée avec les ordonnances royales, les coutumes de France et les décisions des cours souveraines, [Aufl. Paris 1677], Bd. II, zu D. 44.4., S. 533. 13 Statt aller Fabrius, In Institutiones Commentarii, (Lyon 1557) [Nachdruck Frankfurt 1969], zu Inst. Lib. IV, tit. de exceptionibus, S. 174 ff.; für die spätere Literatur sei nur auf Domat, Leges civiles juxta naturalem earum ordinem, [Aufl. Venetiis 1785], zu D. 44.4., und Pothier, Pandectae justinianae in novum ordinem digestae, [Aufl. Lugduni Bat. 1782], zu D. 44.4., verwiesen. Allerdings sind aufschlussreiche Hinweise über die damalige Praxis nicht selten auch historischen-antiquarischen Werken zu entnehmen. Vgl. z. B. Thévenot-Dessaules, Dictionnaire du Digeste, ou substance des Pandectes justiniennes, [Aufl. Paris 1808 revu par Lesparat et Dussans], wo zu „Pacte“ (Bd. II, S. 83) ausdrücklich bemerkt wird „chez nous, la bonne foi et 1’équité suffisent pour rendre valables et obligatoires toutes sortes d’engagements ou de conventions ..., de quelque maniere qu’ils soient formés“. 14 Vgl. dazu Carré de Malberg, Histoire de l’exception en droit romain et dans 1’ancienne procédure française, Paris 1887, S. 301 ff. Es sei hier darauf hingewiesen, dass in der Praxis des Ancien droit, die „équité“ ganz andere und neuere Erscheinungsformen fand: dazu Perrau, Technique de la jurisprudence en droit privé, Paris 1923, Bd. I, S. 2-3; Dawson, The equitable remedies of the French Chancery before 1789, in: Festschrift für Ernst Rabel, Tübingen 1954, 1, S. 99 ff.; Boyer, La notion d’équité et son rôle dans la jurisprudence des Parlements, in: Melanges Maury, Paris 1960, 1, S. 257 ff.; zuletzt Dawson, The oracles of the Law, Ann Arbor 1968, S. 288.
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ein unmittelbar geltendes Recht15. Damit blieb eine strenge Bindung an die Gedanken der römischen Quellen aus. Übrigens ist auch daran zu erinnern, dass in dem französischen Ancien droit sich sehr bald der Satz durchgesetzt hatte, dass alle Verträge bonae fidei geworden seien. Schon im 16. Jahrhundert galt als herrschende Meinung, was bei D’Etienne Pasquier16 zu lesen ist: „De dire dont soit prouenue ceste distinction, non omnium quae majoribus tradita sunt, ratio reddi potest [...] C’est pourquoi les docteurs qui ont escript sur cela, ont estimé qu’entre nous autres chrestiens, tous contracts deuoyent estre estimés de bonne foy“. Der römische prozessrechtliche Standpunkt war nunmehr den französischen Juristen fremd geworden. Wenn man bedenkt, dass schon nach den römischen Quellen in den bonae fidei iudicia die exceptio pacti seu doli nicht eingeschaltet zu werden brauchte und dass ein Schuldverhältnis nur durch eine formlose Abrede teils oder ganz ipso iure aufgehoben werden konn___________ 15
Dazu zuletzt Piano Mortari, Diritto romano e diritto nazionale in Francia nel secolo XVI, Milano 1962; Guizzi, Il diritto comune in Francia nel secolo XVII. I giuristi alla ricerca di un sistema unitario, in: TRG 1969, S. 1-46 mit weiteren umfangreichen Literaturhinweisen. Es sei übrigens daran erinnert, dass die heutige Rezeptionsforschung dazu gelangt ist, auch für den deutschen Usus modernus die formelle Autorität des Corpus iuris von seiner tatsächlichen Geltung zu unterscheiden. Statt aller Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., Göttingen 1967, S. 134 ff. 16 D’Etienne Pasquier, L’interprétation des Institutes de Justinian avec la conférence de chasque paragraphe aux ordonnances royales, arrestz de Parlement et coustumes générales de la France, éd. par Giraud, Paris 1847, S. 763-764. Es handelt sich um ein locus communis in der Praxis des Ancien droit. Dazu mit umfangreichen Quellenhinweisen Hoetink, De Beperkende werking van de goede trouw bij overeenkomsten, in: TRG 1928, S. 417-438. Noch im 18. Jahrhundert wird dieser Grundsatz betont: vgl. Serres, Les institutions du droit français, [Aufl. Paris 1778], Liv IV, tit. 6, § 28: „Nous n’avons pas recu en France cette différence qui est faite ici des actions de bonne foi et de celles qui sont de droit étroit, parce que la bonne foi doit regner par-tout; c’est pourquoi les Juges, et principalement ceux des Cours souveraines, suivent toujours dans le Jugement des affaires ce qui leur paroit le plus équitable ...“; Domat, Lois civiles dans leur ordre naturel, [Aufl. La Haye 1703], Lib. I, sect. III, n. 12; Thevenot-Dessaules, Dictionnaire, Bd. 1, zu Contrats de bonne foi, S. 121. Dieselbe Entwicklung tritt auch in dem holländischen Usus modernus hervor. Vgl. Groenewegen, Tractatus de legibus abrogatis et inusitatis in Hollandia vicinisque regionibus, [Aufl. Lugd. Bat. 1649], zu Inst. 4.6.28: „... harum actionum differentiae hodie minus conspicuae, addo ex parte obsoletae sunt [...] ut omnes vi et effectu videantur esse bonae fidei“; vgl. ferner Vinnius, Iustiniani Institutionum, sive elementorum libri quattruor notis perpetuis multoquam huiusque, diligentius illustrati, [2. Aufl., Amsterdam 1652], der zu Inst. 4.6.28, § 2 bemerkt: „apud nos tota haec iudiciorum distinctio generali desuetudine pene deleta est et genera actionum sic confusa, ut omnes vi et effectu nunc videantur esse bonae fidei“. Es sei hier darauf hingewiesen, dass diese rasche Entwicklung dem deutschen Usus modernus fremd blieb, vgl. Hoetink, a. a. O., S. 430. Über die Unterscheidung zwischen bonae fidei und stricti iuris Verträge vgl. z. B. Lauterbach, Collegium theoretico-practicum Pandectarum, [6. Aufl., Tubingae 1684], zu D. 44.7 Nr. 71. Noch im 19. Jahrhundert fragte Wächter, Erörterungen aus dem römischen deutschen und württembergischen Privatrechte, Stuttgart 1845, Bd. II, S. 112 ff., sich nach der Existenzberechtigung von Verträgen stricti iuris.
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3. Teil: Rechtsprechung und Zivilrecht
te, versteht es sich von selbst, dass diese Entwicklung auch dazu beitragen konnte, die Rechtsfigur der exceptio pacti seu doli für die französische Praxis entbehrlich werden zu lassen17. In der Vertragslehre des Naturrechts fand diese Entwicklung ihre endgültige systematische Einordnung. Nach den Vorstellungen des Naturrechts war jede Person im Bereich ihrer eigenen Rechte souverän, so dass niemand rechtlich gebunden werden konnte, es sei denn, kraft eines eigenen freien Willensaktes. Entsprechend diesem Prinzip wurde gelehrt, dass eine Abänderung oder Aufhebung eines Schuldverhältnisses nur durch einen Vertrag möglich sei. Somit konnte Pothier schreiben18: „Selon les principes du droit romain [...] la simple convention, par laquelle le créancier était convenu avec le débiteur de le tenir quitte, n’éteignait pas de plein droit ces obligations; mais elle donnait seulement au debiteur une exception ou fin de non-recevoir contre l’action du créancier qui aurait demandé le paiement de la dette, contre la foi de la convention. Cette distinction et ses subtilités ne sont pas reçues dans notre droit français: […] toutes les dettes quelles qu’elles soient, et de quelque façon qu’elles aient contractées, s’éteignent de plein droit par la simple convention de remise entre le créancier et le débiteur ...“. 4. Im deutschen Usus modernus kann man eine ähnliche Entwicklung feststellen, die also eine gesamteuropäische Erscheinung darstellt. Nicht nur die Klagbarkeit der nuda pacta, sondern auch ihre Wirksamkeit ipso iure als pacta liberatoria setzte sich völlig durch. Auch bei den deutschen Autoren ist die naturrechtliche Vorstellung zu bemerken, dass der freie Wille des Rechtsinhabers der einzige maßgebende Faktor für die Entstehung, die Abänderung oder die Aufhebung eines Rechtsverhältnisses sei. Daher konnte Thomasius19 feststel___________ 17
Es sei hier gleich darauf hingewiesen, dass auch die exceptio doli specialis in dem Ancien droit keine Anwendung fand. Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung bestimmt worden war, konnte die Erklärung mit einer lettre de rescission anfechten. Vgl. Pothier, Œuvres, [Aufl. Paris 1848], Traité des obligations, Bd. I, n. 28 ff.; dazu vgl. Zani, L’evoluzione storica dogmatica dell’odierno sistema dei vizi del volere e delle relative azioni di annullamento, in: Riv. it. scienze giuridiche 1926, S. 385 ff.; Tison, Le principe de l’autonomie de la volonté dans l’ancien droit français, Paris 1931, S. 53 ff. 18 Pothier, Traité des obligations, Bd. I, cap. III, § 1, n. 607. 19 Vgl. Notae ad Institutiones Justinianeas, varias juris romani antiquitates in primis usum eius hodiernum in foris Germaniae ostendentes, in usum auditorii thomasiani, [Aufl. Halae Magdeb. 1712], zu Inst. IV, tit. 13 de exceptionibus, S. 272. Die Bemerkung, die Thomasius als Begründung anführt, ist beachtenswert: „… moribus autem Germaniae et illa subtilitas cessat.“ Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Ablehnung der „subtilitas iuris romani“ ein im vom Naturrecht beherrschten späteren Usus modernus locus communis darstellt. Es handelt sich hier um eine gesamteuropäische Erscheinung. Auch Pothier z. B. bemerkt über die exceptio pacti seu doli (Traité des obligations, I, n. 3) „les principes du droit romain sur les différentes espèces de pactes, et sur la distinction des contrats et des simples pactes, n’étant pas fondés sur le droit naturel, et étant très éloignés de sa simplicité, ne sont pas admis dans notre droit“; an einer anderen Stelle (a. a. O., I, n. 607) betont er wieder “ces subtilités (d. h. die exceptio pacti seu do-
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len: „…quod hodie nulla sit differentia amplius inter modos tollendi obligationem ipso iure et ope exceptionis. Pactum de non petendo […] jure ___________ li) ne sont pas reçus dans notre droit français.“ (Vgl. ferner die ähnlichen Bemerkungen über die exceptio pacti seu doli in seinem Traité du quasi contrat negotiorum gestorum, n. 189). Genauso lässt sich diese Haltung für den ganzen Usus modernus beweisen. Schon bei den Humanisten bemerkt Franciscus Hotomannus, Antitribonianus sive dissertatio de studio legum, [1. Aufl. 1567], hier in: Variorium opuscula ad cultiorem jurisprudentiam adsequendam pertinentia, [Aufl. Pisis 1771], Cap. XI, am Ende, S. 193194: „… quid […] juvare poterant subtilitates istae actionum, directarum, utilium, in factum et praescriptis verbis?...“. Für den späteren Usus modernus sei hier nur auf zwei Beispiele verwiesen, Valletta, Juris romani institutiones, [Aufl. Napoli 1782], zu Inst. 4.4.28 („hinc judex non subtilis, summique juris cancellis inclusus [...] moderata interpretatione potest aliquid aequitati dare et a stricto jure discedere“); Glück, Ausführliche Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld, [Aufl. Erlangen 1796], Bd. IV, S. 455 („... nach der Subtilität des römischen Civilrechts hörte zwar auch bey den Formularcontracten die Verbindlichkeit nach verflossener Zeit nicht auf, allein schon der Prätor gab dem Schuldner, wenn er nach Ablauf der bestimmten Zeit noch belangt wurde, die exceptionem doli oder pacti conventi“). Es ist bemerkenswert, dass dieser locus communis sich noch in der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts verfolgen lässt. Toullier, Le droit civil français suivant l’ordre du code, 5. Aufl., Bruxelles 1824, Bd. III, § 89, S. 57, bemerkt z. B.: „... Cette raison subtile était imaginée pour procurer au défendeur l’exception de dolo, sans laquelle il n’eût pas repoussé la demande mais dans notre jurisprudence, toutes les actions sont de bonne foi, et nous n’avons pas besoin de cette subtilité“. Ähnlich noch Demolombe, Cours de Code Napoléon, Bd. XXXI, Traité des engagements qui se forment sans convention, Paris 1882, S. 75. Was damit im 17. und 18. Jahrhundert im Einzelnen gemeint war, ist freilich schwer zu sagen, weil hier noch Spezialuntersuchungen fehlen. Soweit ersichtlich, ist der Ausdruck „subtilitas iuris romani“ häufig in Verbindung mit seinem Gegenteil zu verstehen: die „équité naturelle“. Dadurch hatten die französischen Parlamente „le droit de ne pas tenir compte des textes romains quand ils énoncent des théories trop subtiles ou imposent un formalisme exagéré“ (so Boyer, La nation d’équité (Fn. 14), S. 258 mit weiteren Hinweisen). So bemerkt De Ferrière, La jurisprudence du digeste, a. a. O., Bd. II, zu D. 44.4., S. 533, über die exceptio doli seu pacti: „... parceque 1’équité naturelle ne souffre pas que nous poursuivions quelque chose au préjudice de nostre convention, le Préteur a introduit cette exception...“. Noch aufschlussreicher, was bei Pothier zu lesen ist (Traité du quasi contrat negotiarum gestorum, n. 189): „ ... quoique la subtilité du droit ne vous donne pas contre moi 1’action contraria negotiorum gestorum, parce que vous n’avez pas eu 1’intention de faire mon affaire... néanmoins 1’équité, qui doit 1’emporter sur la subtilité du droit vous donne une action contre moi ...“. Es scheint so, dass häufig „das Recht ohne Rücksicht auf formale – insbesondere prozessuale – Sonderregeln angewendet werden soll, die sich aus dem historisch gewordenen Zustand des Römischen Rechts ergaben“. (So Coing, Das Verhältnis der positiven Rechtswissenschaft zur Ethik im 19. Jahrhundert, in: Recht und Ethik. Zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrhundert, herausgegeben von Blühdorn und Ritter, Frankfurt 1970, S. 21.) Mit anderen Worten, mit der „subtilitas iuris romani“ wird die nunmehr fremdgewordene prozessrechtliche Denkform bei den römischen Quellen, und nicht zuletzt gerade die Rechtsfigur der exceptio doli, abgelehnt. Stattdessen gewinnt der materiellrechtliche Gesichtspunkt immer mehr an Bedeutung, und immer mehr wird dem Willen der Vertragsparteien zu einer Wirksamkeit ipso iure verholfen. Eine Bemerkung bei Thévenot-Dessaules, Dictionnaire du Digeste ... , [neue Aufl., Paris 1808], Bd. II zu „Subtilité du droit“, S. 364, ist dazu aufschlussreich: „...la subtilité du droit doit céder à la volonté, et à l’équité“.
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romano non tollebat obligationem ipso iure, quia non producebant actionem. Moribus autem Germaniae et illa subtilitas cessat …“. Derselbe Standpunkt lässt sich auch bei den anderen maßgebenden Autoren des deutschen Usus modernus feststellen. Es sei hier nur auf Lauterbach20 verwiesen. ,,... De iure communi, effectus omnium pactorum, sine differentia, est efficax et legitima obligatio [...] quod tamen accipiendum de pactis obligatoriis [...] liberatoriorum enim effectus est obligationis dissolutio ...“. Allerdings zeigt der deutsche Usus modernus im Vergleich mit der französischen Tradition des Ancien droit ein differenziertes Bild. In Deutschland waren der Corpus iuris und die damit verbundene Kasuistik und Rechtsregeln geltendes Recht geblieben. Die Rechtsfigur der exceptio doli hatte sich daher in dem deutschen Usus modernus erhalten. Natürlich hatte man da, wo die römischen Quellen selbst auf eine exceptio pacti seu doli zurückgriffen, diese anzuwenden. Damit blieb die exceptio doli, obwohl sie in der Praxis, soweit mir ersichtlich ist, eine verhältnismäßig geringe Rolle gespielt zu haben scheint, dennoch aus Tradition als geläufige Denkform erhalten21. Die Literatur des deutschen Usus modernus bietet daher eine beachtenswerte Zweispurigkeit: einerseits war nunmehr eine formlose, auf die Abänderung oder Aufhebung eines Schuldverhältnisses gerichtete Abrede ipso iure wirksam, andererseits blieb aber die Rechtsfigur der exceptio pacti seu doli als Denkform, sogar vielleicht als reine Sprachform, erhalten22. ___________ 20 Lauterbach, Collegium Pandectarum (Fn. 16), Bd. 1, zu D. 14 de pactis; vgl. ferner Stryk, Usus modernus pandectarum, [7. Aufl., Halae Magdeb. 1746], zu D. 2.14., S. 1 ff.; Glück, Ausführliche Erläuterung der Pandecten ..., Bd. IV, [Aufl. Erlangen 1796], S. 311-312. 21 In allen Lehrbüchern des deutschen Usus modernus fand die Lehre der exceptio doli eine ausführliche Behandlung. Es sei hier nur auf Heineccius, Elementa iuris civilis secundum ordinem Pandectarum, [5. Aufl., Francofurti 1747], § 374 ff.; Hellfeld, Iurisprudentia forensis secundum pandectarum ordinem in usum auditorii proposita, [Aufl. Jenae 1787], § 1895, S. 744 ff., verwiesen. Insbesondere wurde die Anwendung der exceptio doli in subsidium der exceptio pacti behandelt. Vgl. Schilter, Praxis iuris romani in foro germanico, [4. Aufl., Francofurti ad Moenum 1733], Bd. 1, Exercitatio VIII De pactis, § 25: „...Ut enim verissimum, pactum invalidum non parere exceptionem pacti, ita nec doli, sed cum pactum ex duorum consensu factove constet, animadvertendum est, alterius horum factum ac voluntatem aliquem effectum producere, videlicet ut ne quis contra factum proprium in fraudem alterius venire possit. Igitur non ex pacto, quod non est, sed ex facto, quod est, exceptio doli oritur ...“; § 27: „…Atque hanc ipsam seu doli seu in factum exceptionem iure hodierno Germanorum pari modo obtinere, eo minus dubii nobis esse debet, quo propensius illud in remedia fidei servandae gratia inventa novimus. Haec de pactis liberatoriis“. 22 Obwohl die Wirksamkeit ipso iure der pacta nunmehr anerkannt war, blieben die römischen Denkformen erhalten. So bemerkt z. B. Schilter, a. a. O., § 27: „... Ita enim sit per isthanc iuris Germanici regulam, vt hactenus par ratio sit actionis et exceptionis in factum, et liberatorii ac obligatorii pacti. Vtrobique enim promissor contra fidem datam et factum proprium venit, licet consensus expressus alterius, cui obligationem quaeri intenditur, ab initio deficiat ...“. Selbst ein Vertreter des Naturrechts wie Pufendorf, De jure naturae et gentium, [Aufl. von Mascovius, Frankfurt/Leipzig 1759], [Neudruck
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C. Gemeinrechtliche bona fides und Willensdogma 1. Im vom Willensdogma getragenen naturrechtlichen Privatrechtssystem hatte auch die Frage der Abänderung oder Aufhebung einer Vertragsbestimmung ihre endgültige systematische Einordnung gefunden. Dieses System, das das Privatrechtsdenken des 19. Jahrhunderts beherrschte, geht von dem Gedanken aus, dass die Rechtsverhältnisse in erster Linie durch Handlungen der Subjekte geschaffen und verändert werden23. Daraus ergibt sich, dass Rechtsänderungen dadurch zustande kommen können, dass entweder zwei Rechtssubjekte einen Vertrag schließen oder aber dass der eine Güter des anderen verletzt und sich dadurch schadensersatzpflichtig macht. Umgekehrt heißt es aber auch, dass, ebenso wie ein Rechtsverhältnis durch eine Willenseinigung zustande kommt, es genauso nur durch eine andere Willenseinigung geändert oder aufgehoben werden kann. 2. Diese systematische Grundlage war den römischen Quellen ganz fremd. Für korrigierende material-ethische Erwägungen gibt es in einem solchen System eigentlich keinen Raum mehr24: allerdings treten immer wieder im Rahmen der Sachverhalte, die das Privatrecht zu beurteilen hat, Fälle auf, in denen Rechtswirkungen aus Gründen der Gerechtigkeit oder der Zweckmäßigkeit notwendig werden und die weder auf einen Vertrag noch auf eine unerlaubte Handlung zurückzuführen sind. Bei der Entwicklung des römischen Vertragsrechtes stellte die ethische Vorstellung der bona fides einen Faktor von außer-
___________ Frankfurt 1967], Lib. V, cap. 10, § 6, bemerkt: ,,... Pacta et intervallo adiecta quibuscunque contractibus, si sint negativa, et obligationi aliquid detrahentia, adeoque in favorem debitoris sive rei cedant, caeteris paribus sunt valida, reoque ad exceptionem prosunt. Sic post mutuum reipsa contractum ex intervallo conveniri potest inter creditorem et debitorem de differenda solutione, de mutando loco solutionis, de natura pecuniae, de remittendis usuris ...“. Manchmal bleibt die römische exceptio pacti nur als eine sprachliche Erinnerung. So spricht Glück, Ausführliche Erläuterung der Pandecten ..., Bd. IV, S. 96, zu D. 2.14.2, von einer „Einrede des Vertrages“. Ähnlich räumt Oberappellationsgericht Kiel, Urt. v. 17.4.1852, in: Seuffert’s Archiv 10 (1856), Nr. 145, S. 191 noch im 19. Jahrhundert dem Beklagten eine „Replik der Genehmigung“ ein. 23 Dazu grundlegend Wieacker, Privatrechtsgeschichte (Fn. 15), S. 294 ff.; Coing, Bemerkungen zum überkommenen Zivilrechtssystem, in: Vom deutschen zum europäischen Recht. Festschrift für Hans Dölle, Tübingen 1963, Bd. I, S. 25 ff.; ders., Das Verhältnis der positiven Rechtswissenschaft zur Ethik im 19. Jahrhundert ..., S. 17 ff.; vgl. ferner Ourliac/de Malafosse, Droit romain (Fn. 6), S. 97 ff.; Arnaud, Les origines doctrinales du code civil français, Paris 1969, S. 197 ff.; Carbonnier, Théorie des obligations, Paris 1963, S. 80 ff. In der älteren Literatur vgl. Boistel, Le Code civil et la philosophie du droit, in: Le Code civil 1804-1904. Livre du centenaire, Paris 1904, 1, S. 47 ff., insbes. S. 58 ff.; Tison, Le principe de l’autonomie de la volonté dans 1’ancien droit français, Paris 1931, insbes. S. 43 ff. 24 Vgl. Coing, Das Verhältnis (Fn. 19), S. 18 ff.
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ordentlicher Bedeutung dar25. Oben ist darauf hingewiesen worden, wie gerade die exceptio pacti seu doli bei der Abwicklung eines Schuldverhältnisses den Ausweg bot, um einer formalistischen Auslegung des pactum und letzten Endes dem widersprüchlichen Verhalten des Gegners entgegenzutreten. In die naturrechtliche Privatrechtsvorstellung, die die Rechtstheorie des 19. Jahrhunderts beherrscht, sind solche Erscheinungen nicht einzuordnen. Insbesondere ist die römische bona fides als schöpferisches und ethisches Element bei der Abwicklung der Rechtsverhältnisse nicht einzuordnen. Es kommt nicht von ungefähr, dass die aus der Aufklärung stammenden Kodifikationen weder die exceptio doli generalis noch eine entsprechende Generalklausel kannten26. Als moralischer Grundwert des Privatrechts erscheint vielmehr die Freiheit des Einzelnen. Die privatautonome Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch freie Willensakte entspricht der sittlichen Entfaltung der Einzelpersönlichkeit und ___________ 25
Statt aller Kunkel, Fides als schöpferisches Element im römischen Schuldrecht, in: Festschrift für Koschaker, Weimar 1939, II, S. 1-15. 26 In den aus der Aufklärung stammenden Kodifikationen wird der Grundsatz von Treu und Glauben nicht erwähnt. § 250, I, 5 ALR lautet: „In der Regel müssen die Verträge nach ihrem ganzen Inhalte erfüllt werden.“ Ähnlich lautet § 902 ABGB: „Verträge müssen zu der Zeit, an dem Orte und auf die Art vollzogen werden, wie es die Parteien verabredet haben“. Beachtenswert ist, was dazu Zeiller, Das natürliche Privatrecht, Wien 1808, S. 117, S. 150, bemerkt: „... hauptsächlich [...] denkt man sich unter der Billigkeit bey Entscheidungen über Vertragsrechte die Verwilligung solcher Ausnahmen von dem strengen Inhalte des Vertrages. [...] Daß er [der Richter] aber eigenmächtig die Billigkeit an die Stelle des Rechtes setzen soll, ist eine widerrechtliche Forderung, wodurch alle Sicherheit der Verträge [...] zerstöret werden würde.“ Wie Schuster, Theoretisch-praktischer Kommentar über das ABGB für die gesamten deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie, Prag 1818, S. 158, besonders bemerkt, hatte der österreichische Gesetzgeber „nicht, gleich dem römischen Rechte, den Richter auf die natürliche Billigkeit, sondern auf das Naturrecht angewiesen“. Auch in dem französischen Ancien droit wurde die bonne foi nur als Grundsatz der Einhaltung des Parteienwillens verstanden. Gui du Rousseaud de la Combe, Recueil de jurisprudence civile du pays de droit écrit et coutumier par ordre alphabétique , [5. Aufl., Paris 1766], bemerkt (zu „bonne foi“, S. 58) „... bonae fidei nihil magis congruit, quam praestari id, quod inter contrahentes actum est“. Art. 1134, 3 Code civil, bestimmt: „[les conventions]... doivent être executées de bonne foi“. Allerdings wurde diese Vorschrift auch als Wiederholung des Satzes „les conventions légalement formées tiennent lieu de loi à ceux qui les ont faites“ (Art. 1134, 1) verstanden. Dazu statt aller Demolombe, Cours de Code Napoléon, Bd. 24, Traité des contrats ou des obligations conventionelles en général, I, 3. Aufl., Paris 1882, S. 376: „... c’est toujours le devoir du juge [...] d’interpréter la convention et d’en ordonner l’exécution, conformement à l’intention des parties“. Die Ansicht von Beck, Zu den Grundprinzipien der bona fides im römischen Vertragsrecht, in: Aequitas und bona fides. Festgabe für Simonius, Basel 1955, S. 26, und zuletzt von Corradini, Il criterio della buona fede e la scienza del diritto privato, Milano 1970, S. 27-30, dass Art. 1134, 3 Code civil bei der Überlieferung der exceptio doli anknüpft, scheint mir bedenklich. Das Ancien droit kannte die exceptio doli generalis nicht. In den romanischen Rechtsordnungen ist dieser Zustand festgehalten worden. Heute noch ist die bona fides von Theorie und Praxis nicht zu einem allgemeinen und beherrschenden Prinzip entwickelt worden.
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findet damit in sich selbst ihre ethische Rechtfertigung. Mit anderen Worten: Nur was durch freie Willensakte bestimmt wird, entspricht den Erfordernissen der Gerechtigkeit. Wenn man umgekehrt anerkennt, dass es auch andere – insbesondere ethische – Elemente gibt, welche die Rechtsverhältnisse gestalten können, werden diese Elemente im Einzelnen nicht genauer analysiert. Vielmehr ist man bemüht, alle damit verbundenen privatrechtlichen Wirkungen auf freie menschliche Handlungen zurückzuführen. In solchen Fällen sind daher Lehre und Gerichte immer bestrebt, entweder einen stillschweigenden Vertrag oder eine widerrechtliche Rechtsverletzung zu entdecken27. 3. In diesem Zusammenhang kommt der Rechtsfigur der stillschweigenden Willenserklärung eine besondere Bedeutung zu. Kehren wir zu der am Anfang geschilderten französischen Entscheidung zurück. In der damaligen französischen Rechtsprechung sind unzählige, nahezu gleichartige Urteile zu finden. Der typische Sachverhalt, mit dem sich diese Judikatur befasst, lässt sich in wenigen Worten umreißen. In einem Dauerschuldvertrag versucht der Gläubiger, sich durch Einfügung einer Kündigungs- oder Auflösungsklausel eine möglichst große Gewähr für die Einhaltung einer Vertragsbestimmung zu verschaffen. Gleichwohl macht der Rechtsinhaber die Verletzung der Vertragsbestimmung und die damit verbundene Kündigungsklausel erst geltend, nachdem er selbst durch positives Verhalten, Andeutungen, mündliche Erklärungen sogar, das Vertrauen des anderen erweckt und verstärkt hat, dass er die Einhaltung der Vertragsbestimmung nicht verlangen und sich nicht auf die Klausel berufen werde. In der Regel macht eine Schriftformklausel die Abänderung des Vertrages von dem schriftlich gegebenen Einverständnis der Parteien abhängig, so dass grundsätzlich den oben geschilderten Umständen keine rechtliche Relevanz beizumessen wäre. Normalerweise weisen jedoch die französischen Gerichte die Berufung auf die Kündigungs- oder Auflösungsklausel als unbegründet zurück28. Aufschlussreich ist ein Urteil der französischen Cour de ___________ 27 Dazu Coing, Das Verhältnis (Fn. 19), S. 18; in der älteren Literatur vgl. Hippel, Zur Gesetzmässigkeit juristischer Systembildung, Berlin 1930, S. 22; Dölle, Außergesetzliche Schuldpflichten, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 103 (1943), S. 75; Supervielle, in: Rev. int. de droit comparé 1952, S. 571; Ourliac/de Malafosse, a. a. O., S. 98. 28 Vgl. in der damaligen französischen Rechtsprechung im Falle einer Verwirkungsklausel bei einem Versicherungsvertrag Cass. civ., Urt. v. 3.5.1852 und Cass. civ., Urt. v. 15.6.1852, in: Sirey 1852, 1, S. 560; App. Bordeaux, Urt. v. 25.3.1852, in: Dalloz per. 1853, 2, S. 212; App. Rouen, Urt. v. 16.3.1853, ebd.; App. Orleans, Urt. v. 23.3.1861, in: Dalloz 1861, 2, S. 78; App. Paris, Urt. v. 12.5.1862 und Cass. civ., Urt. v. 10.6.1863, in: Dalloz 1863, 1, S. 407; App. Paris, Urt. v. 18.6.1868, in: Dalloz 1868, 2, S. 184; Cass. civ., Urt. v. 31.1.1872, in: Dalloz 1873, 1, S. 86; Cass. civ., Urt. v. 30.8.1880, in: Dalloz 1880, 1, S. 464. Im Falle einer Auflösungsklausel eines Mietvertrages beachtenswert Cass. req., Urt. v. 19.6.1839, in: Sirey 1839, 1, S. 432; Cass. civ., Urt. v. 28.6.1859, in: Sirey 1860, 1, S. 447; App. Colmar, Urt. v. 12.4.1864, in: Sirey 1864, 2,
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cassation von 189129. In einem Versicherungsvertrag war die Bestimmung enthalten, dass die Versicherungsprämien eine Bringschuld seien und der Verzug des Versicherten mit der Bezahlung den Versicherungsvertrag außer Wirksamkeit setze. Dennoch hatte die Gesellschaft regelmäßig mehrere Jahre lang ihren Agenten zu den Versicherten geschickt, auch nachdem die Zahlungsfristen schon abgelaufen waren, um die verfallene Prämie abzuholen. Als sich einmal der Agent nicht gemeldet hatte, bezahlte der Versicherte die Prämie nicht und geriet in Verzug. Die Berufung auf die Kündigungsklausel wurde von der Cour de cassation abgewiesen, die in dem mehrjährigen Verhalten der Versicherungsgesellschaft ihre stillschweigende Zustimmung zu einer Abänderung des Vertrages und ihren Verzicht auf die Kündigungsklausel erblickte. In der Entscheidung wird unter anderem bemerkt: „La prime stipulée portable, dans une police d’assurance contre l’incendie peut être rendue quérable par une convention tacite, qui a pour effet de rendre inapplicable la déchéance de plein droit stipulée pour le cas de non-payement de la prime (c. c. 1134). La convention tacite peut résulter de ce que la Comp. a pris l’habitude de faire réclamer les primes par ses agents au domicile des assures postérieurement aux échéances.“ Die Annahme eines stillschweigenden Verzichts stellt offensichtlich eine Fiktion dar. Die Entscheidung hätte sich sonst auch schwer mit den Grundsätzen vereinbaren lassen, die das europäische Privatrechtsdenken des 19. Jahrhunderts beherrschten. Entsprechend solcher Grundsätze wurde gelehrt, dass der Inhaber eines subjektiven Rechts dieses innerhalb der Verjährungsfrist zu jedem Zeitpunkt ausüben könne, den er für günstig oder angemessen halte. Die damaligen Juristen schenkten deshalb dem Umstand keine Beachtung, dass auch das Vertrauen eines anderen schutzwürdig ist, der sich aufgrund des Verhaltens des Rechtsinhabers darauf verlassen hatte, dieser werde von seinem Recht keinen Gebrauch machen oder eine Verletzung dulden. In einem System, das vom Willensdogma beherrscht ist, ist das Verhalten einer Person nur insoweit von rechtlicher Bedeutung, als es Ausdruck ihres rechtsgeschäftlichen Willens ist. Bei einer Durchsicht der damaligen, nicht nur französischen Literatur fällt auf, mit welchem Nachdruck hervorgehoben wird, dass ein Verzicht durch konkludentes Handeln nur dann anzunehmen sei, wenn völlige Gewissheit über das tatsächliche Vorhandensein eines Willens zur Aufgabe dieses Rechts bestehe; ein Gedanke, der sich auch darin zeigt, dass ein stillschweigender Verzicht niemals vermutet werden dürfe30. Allerdings setzt sich die ___________ S. 285; Cass. req., Urt. v. 23.5.1870, in: Sirey 1870, 1, S. 283; App. Chambéry, Urt. v. 1.6.1887, in: Dalloz 1888, 2, S. 38. 29 Vgl. Cass. civ., Urt. v. 4.11.1891, in: Sirey 1891, 1, S. 532. 30 Dazu bietet einen historischen Überblick Sacco, voce: „Affidamento“, in: Enciclopedia del Diritto, Bd. I, Milano 1958, S. 661 ff. Der Satz, dass ein stillschweigender Verzicht nur aus einem Verhalten hergeleitet werden kann, das den Willen, das Recht aufzugeben, unzweideutig zum Ausdruck bringt, stellt in dem europäischen Zivilrecht des 19. Jahrhunderts einen locus communis dar. Im französischen Recht, vgl. Merlin,
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Praxis über solche Grundsätze nicht selten hinweg. Eine stillschweigend erfolgte Abänderung der Vertragsbestimmung und der manchmal damit verbundene stillschweigende Verzicht auf die Schriftform bieten häufig den Ausweg, einem widersprüchlichen Verhalten des Rechtsinhabers entgegenzutreten. Bei der Prüfung, ob das Verhalten des Rechtsinhabers mit dem Willen, das Recht zu bewahren, vereinbar sei, werden nicht so sehr die Absicht des Inhabers als vielmehr die Erfordernisse des Vertrauensschutzes im Hinblick auf Treu und Glauben herangezogen. Man liest diese Auffassung mehr zwischen den Zeilen, aber es handelt sich um nichts anderes als den Versuch, die bona fides zur Geltung zu bringen. Manchmal wird diese ratio decidendi ausdrücklich in der Entscheidungsbegründung erwähnt. Es ist aufschlussreich, was z. B. in einem Urteil31 als obiter dictum bemerkt wird: „... une telle convention ne saurait être prise dans un sens absolu, comme laissant à la compagnie la faculté de déroger à la convention dans son intérêt [...] et comme lui donnant en même temps le droit de décliner les conséquences de la dérogation [...] elle (la convention) pourrait ainsi donner lieu à des surprises contraires à cette bonne foi dont les Parties ont fait la condition même de leurs conventions...“. 4. Die oben geschilderte Praxis stellt im 19. Jahrhundert eine gesamteuropäische Erscheinung dar. Genauso wie in der französischen sind auch in der bel___________ Répertoire universel et raisonné de jurisprudence, 5. Aufl., Paris 1828, Bd. 14, zu „Renonciation“, § 3, S. 568 „... pour que le faits emportent renonciation, il faut qu’il en résulte une volonté manifeste de renoncer, c’est à dire que ces faits soient directement et à tous égards, contraires au droit dont il s’agit“. Vgl. ferner Troplong, Le droit civil expliqué suivant 1’ordre des articles du Code. De la prescription I, Paris 1835, S. 60 ff. Im österreichischen Recht vgl. Winiwarter, Das österreichische bürgerliche Recht systematisch dargestellt und erläutert, 2. Aufl., Wien 1844, Bd. 4, zu § 863 ABGB, S. 9 ff.; in der deutschen Literatur vgl. Holzschuher, Theorie und Kasuistik des gemeinen Civilrechts. Ein Handbuch für Praktiker, 3. Aufl. herausgegeben von Kuntze, Leipzig 1863, Bd. I, S. 140; in der deutschen Rechtsprechung beachtenswert in diesem Zusammenhang Oberappellationsgericht Strelitz, Urt. v. 11.5.1861, in: Buchka/Budde (Hrsg.), Entscheidungen des Großherzoglich Mecklenburgischen Oberappellationsgerichts 4 (1862), S. 192, insbes. S. 195. Vgl. ferner Oberappellationsgericht Lübeck, Urt. v. 20.5.1857, in: Seuffert’s Archiv 14 (1861), S. 371; OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.1886, ebd. 44 (1889), S. 398; Oberappellationsgericht Lübeck 1833 (Rösing c. Lautensack und Jahncke), in: Thöl, Ausgewählte Entscheidungsgründe des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands, Göttingen 1857, S. 39: „die Regel, daß Verzichte nicht vermuthet werden, und daß es innerhalb der Verjährungszeit jedem freisteht, wie lange er mit der Anstellung seiner Klage warten will ...“. Vgl. mit weiteren Hinweisen Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Aufl., Frankfurt 1906, Bd. I, S. 318, 338; Walsmann, Der Verzicht. Allgemeine Grundlagen einer Verzichtslehre und Verzicht im Privatrecht, Leipzig 1912, S. 202. 31 App. Paris, Urt. v. 18.6.1868, in: Dalloz 1868, 2, S. 184. Es ist beachtenswert, dass Laurent, Principes de droit civil, Tome 16, Bruxelles/Paris 1875 diese Judikatur mit Hinweis auf Art. 1134, 3 Code civil erklärt. Ähnlich Perreau, Technique de la jurisprudence en droit privé, Paris 1923, Bd. II, S. 35 ff.
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gischen32, italienischen33, spanischen34, holländischen35 und österreichischen36 Judikatur Urteile zu finden, in denen eine fingierte stillschweigende Willenserklärung den Ausweg bietet, um eine von der bona fides geforderte Lösung zu begründen. Dasselbe gilt auch für die deutsche Praxis, worauf ich bald zurückkommen werde. Damit werden wir mit einer beachtenswerten historischen Entwicklung konfrontiert. Wie oben dargelegt wurde, ist für material-ethische Erwägungen in einem vom Willensdogma getragenen System kein Raum mehr. In der Regel ist man bemüht, alle Rechtswirkungen auf freie menschliche Handlungen zurückzuführen. Oben ist darauf hingewiesen worden, wie gerade in dem späteren Usus modernus die Rechtsfigur der exceptio pacti seu doli keine systematische Einordnung mehr fand und stattdessen dem Willen der Parteien zu einer Wirksamkeit ipso iure verholfen wurde. Dadurch aber, dass der Grundsatz der bona fides unter das Willensmoment subsumiert wurde, fand gleichzeitig eine umgekehrte Entwicklung statt: durch die Fiktion einer stillschweigenden Willenserklärung treten wieder die Lösungen hervor, welche in den römischen Quellen durch den Grundsatz der bona fides und durch die kasuistische Anwendung der exceptio pacti seu doli ihre Rechtfertigung fanden37. ___________ 32 Vgl. Tribunal civil Huy, Urt. v. 27.1.1881, in: Pasicrisie 1881, III, 153; Tribunal civil de Liège, Urt. v. 3.11.1906, ebd. 1907, III, 70; Tribunal civil de Bruxelles, Urt. v. 17.3.1914, ebd. 1914, III, 180. Vgl. ferner Fn. 54. 33 Vgl. Supremo consiglio di giustizia di Modena, Urt. v. 16.8.1788, in: Collezione delle massime di diritto stabilite dal supremo consiglio di giustizia di Modena, Bd. VI, Modena 1836, S. 245; vgl. ferner Cassazione Napoli, Urt. v. 15.5.1897, in: Giurisprudenza italiana 1897, I, 1, Sp. 1063 ff.; Cassazione Milano, Urt. v. 21.6.1865, ebd. 1865, 1, Sp. 426-427. 34 Vgl. José Puig Brutau, zu „Actos proprios“, in: Nueva Enciclopedia Juridica II, Barcelona 1950, S. 348 ff., der über die spanische Judikatur bemerkt ,,... no se trata, propiamente, de una renuncia tácita, aunque nuestra jurisprudencia en ocasiones involucra ambos conceptos (sentencias del Tribunal Supremo 3.7.1876; 1.3.1904; usw)“. 35 Vgl. Nijmwegen, Urt. v. 20.6.1843, in: Nederlandsche Pasicrisie, zu „Huur en Verhuur“ Nr. 270, wo ein stillschweigender Verzicht auf eine Auflösungsklausel fingiert wird. 36 Vgl. Österreichischer Oberster Gerichtshof, Urt. v. 25.6.1857, in: Peitler, Sammlung von Entscheidungen zum ABGB ... vom Jahre 1813 bis Ende 1859, 2. Aufl., Wien 1860, Nr. 648, S. 562; OLG Brünn, Urt. v. 23.8.1853, ebd. Nr. 650, die ebenfalls auf die Fiktion eines stillschweigenden Verzichts zurückgreifen, um die Geltendmachung einer Vertragsklausel als unbegründet abzuweisen. Vgl. ferner Fn. 47. 37 Schon bei den Kompilatoren wurde häufig auf ein pactum tacitum zurückgegriffen, insbesondere in den Fällen, in denen nach klassischem Recht eine exceptio doli gewährt worden war. Dazu statt aller Koschaker, Bedingte Novation (Fn. 5), insbes. S. 151 ff.; Steinwenter, Zur Lehre vom Gewohnheitsrechte, Studi Bonfante, Mailand 1930, II, insbesondere S. 425, Anm. 20, mit umfangreichen Hinweisen. Diese Tendenz geht deutlich im aus dem Naturrecht beeinflussten späteren Usus modernus hervor. Vgl. Dadino Alteserra, De fictionibus iuris tractatus quinque, [Aufl. Parisiis 1659], insbes. Tract. III, cap. 9, S. 120; Pothier, Pandectae (Fn. 13), der zu D. 44.4.4., § 12 (wo eine
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D. Die ex. doli generalis im deutschen Recht des 19. Jh. 1. Auch in Deutschland stellte der naturrechtliche Grundsatz, dass der freie Wille der Rechtsinhaber die eigentlich bewegende Kraft in der Gestaltung und in der Abwicklung der Rechtsverhältnisse sei, einen der tragenden Gedanken des Privatrechtsdenkens im 19. Jahrhundert dar38. Allerdings zeigt die damalige deutsche Praxis im Vergleich mit der übrigen kontinentaleuropäischen Privatrechtswissenschaft ein differenziertes Bild. In Deutschland hatte die Rechtsfigur der exceptio doli generalis mit dem gesamten Römischen Recht Geltung behalten. Bei einer formalen Rechtsauffassung, welche auch das Privatrechtsdenken der deutschen Pandektistik beherrschte, blieb allerdings der Zugang zu einer material-ethischen Bewertung rechtlicher Vorgänge, wie sie etwa die römische Vorstellung der bona fides bot, in großem Umfang versperrt. Soweit mir ersichtlich ist, hat diese Rechtsfigur im 19. Jahrhundert in der deutschen Privatrechtswissenschaft eine verhältnismäßig geringe Rolle gespielt39. Jedoch ___________ exceptio doli gewährt wird) bemerkt: „... consentiendo enim ut fundus venderetur, videtur tacite pactus ne usumfructum peteret“. Vgl. ferner Wachtl, Dissertatio teorica-pratica de exceptionibus, [Aufl. Viennae 1729], cap. III, S. 83: „... exceptio haec (doli) non solum ex pacto expresso, sed etiam ex pacto tacito nascitur, cum eadam videatur, quoad exceptionem producendam, pacti taciti, quae pacti expressi vis ac potestas“. Über die Wechselbeziehungen zwischen der Fiktion einer stillschweigenden Willenserklärung und der bona fides, vgl. Meijers/Goede, trouw en stilzwijgende wilsverklaring, in: Verzamelde privaatrechtelijke opstellen, Bd. III, Leiden 1955, S. 277 ff., insbes. S. 287; Perreau, Technique de la jurisprudence, Bd. II, S. 35 ff.; van Leeuwen, Normas morales y reglas de interpretación en el derecho de contratos, in: Revista del Istituto de derecho comparado, Barcelona 1954, Heft 2, S. 123 ff. Schon Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, Berlin 1893 (Neudruck Aalen 1970), insbes. S. 288 ff., hatte darauf aufmerksam gemacht, wie die stillschweigende Willenserklärung eine Fiktion darstellen kann, um den Grundsatz der bona fides zur Geltung zu bringen. 38 Vgl. Sintenis, Das practische gemeine Civilrecht, Bd. II, Das Obligationenrecht, Leipzig 1847, S. 107, S. 475; Brinz, Lehrbuch der Pandekten, 2. Aufl., Erlangen 1873, Bd. 1, § 111, S. 381: „... heute wäre diese Praxis der blos exceptionelle Aufhebung selbst dann antiquirt, wenn wir den Gegensatz des ipso iure teneri und ope exceptionis non teneri noch hätten; denn ein bloßes pactum genügt heute auch zur Neubegründung von Ansprüchen; allein überdies ist heute, wer überhaupt befreit ist, schlechthin befreit“. Vgl. ferner Wendt, Lehrbuch der Pandekten, Jena 1888, § 96, S. 260; Eisele, Die materielle Grundlage der Exceptio, Berlin 1871, S. 129. 39 Hänel, Ueber das Wesen und den heutigen Gebrauch der Actio und exceptio doli, in: AcP 1829, S. 408 ff., insbes. S. 423 über die exceptio pacti seu doli; Heimbach, zu: Exceptio doli, in: Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten, redigiert von J. Weiske, Bd. 3, Leipzig 1841, S. 709 ff.; Albrecht, Die Exceptionen des gemeinen teutschen Civilprozesses geschichtlich entwickelt, München 1835, S. 179 ff., die einschränkend die exceptio doli nur in der aus den römischen Quellen entstandenen Kasuistik gewähren. Im späteren Gemeinen Recht, von geringfügigen Unterschieden der Ansichten einzelner Autoren abgesehen, herrscht grundsätzlich die Tendenz vor, die exceptio doli generalis völlig abzulehnen. Statt aller Römer, Die exceptio doli, insbesondere im Wechselrecht, in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht 1875, S. 54 ff.; Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts (Fn. 30), § 47 mit weiteren Hinweisen. Da-
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stellte die exceptio doli und die damit verbundene Kasuistik, insbesondere durch die Überlieferung des deutschen Usus modernus (wie oben geschildert worden ist), eine geläufige Denkform der Praxis dar. Natürlich hatten die deutschen Gerichte da, wo die römischen Quellen selbst auf die ethische Wertvorstellung der bona fides zurückgriffen, die Folgerungen anzuwenden, die in der Kasuistik des Römischen Rechts daraus gezogen worden waren40. Dies geht nicht nur aus der historisch argumentierenden Pandektistik, sondern auch aus den Werken der pandektistisch geschulten Exegeten des preußischen ALR deutlich hervor41. 2. Kehren wir zu der am Anfang geschilderten deutschen Entscheidung zurück. Ich habe verschiedene Entscheidungssammlungen durchgesehen, die im 19. Jahrhundert in Deutschland publiziert worden sind, insbesondere die Bände von Seuffert’s Archiv und die Sammlungen der Entscheidungen des Preußischen Obertribunals sowie einige regionale Entscheidungssammlungen. Die Ausbeute aus einer Auswertung auch der vielen einschlägigen Entscheidungen ist verhältnismäßig geringfügig. Sie ermöglicht trotzdem einen aufschlussreichen Überblick darüber, wie die damalige Praxis auf ethische Wertvorstellungen – wie etwa die bona fides – bei der Abwicklung eines Schuldverhältnisses Bezug nahm. Auch in der deutschen Judikatur dieser Zeit sind viele Entscheidungen zu finden, die sich mit der oben geschilderten Kasuistik befassen. Normalerweise handelt es sich hier ebenfalls um Fälle, in denen sich der Kläger auf ___________ gegen Regelsberger, Pandekten, Leipzig 1893, S. 686. Dazu zuletzt Coing, Das Verhältnis (Fn.19), S. 27. 40 Dies ist insbesondere bei praxisbezogenen Pandektenlehrbüchern wie etwa Sintenis, a. a. O., feststellbar. Vgl. ferner Kind, Observationes forenses, [2. Aufl., Lipsiae 1807], Bd. 4, cap. 59, S. 294; Appellationsgericht von Schwaben und Neuburg, Urt. v. 16.10.1847, in: Arends, Sammlung interessanter Erkenntnisse aus dem gemeinen und bayer’schen Civil-Rechte und Prozesse 2 (1848), S. 328 ff., insbes. S. 339 ff.; Oberappellationsgericht, Urt. v. 18.8.1848, ebd. 2 (1848), S. 348 ff.; Zum Sande, Ueber die Wirksamkeit eines nach Eintritt der Verjährungseinrede abgeschlossenen pactum de non petendo, in: Neues Magazin für hannoversches Recht, Bd. 9, Hannover 1869, S. 153 ff., insbes. S. 157. 41 Das aus der Aufklärung stammende ALR kannte die exceptio doli oder eine entsprechende Generalklausel nicht. Jedoch wurde die exceptio doli von den pandektistisch geschulten Exegeten des ALR manchmal herangezogen. Vgl. Eccius, Preußisches Privatrecht, 6. Aufl., Berlin 1892, Bd. I, § 31; Förster, Theorie und Praxis des heutigen gemeinen preußischen Privatrechts, 3. Aufl., Berlin 1873, Bd. 1, S. 160 und 584-585; Rehbein-Reincke, Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten, 5. Aufl., Berlin 1894, Bd. I, S. 216; Fischer, Lehrbuch des preußischen Privatrechts, Berlin/Leipzig 1887, S. 43; vgl. ferner RG, Urt. v. 20.5.1898, in: JW 1898, S. 425. Über die pandektistische Auslegung des ALR vgl. Thieme, Die preußische Kodifikation, in: Sav. Z. Germ. Abt. 57 (1937), S. 355 ff. insbes. S. 409-411; Koschaker, Europa und das römische Recht, 4. Aufl., München 1963, S. 264. Es ist bemerkenswert, dass die deutsche Judikatur auch in den Fällen, in denen französisches Recht anzuwenden war, auf eine exceptio doli zurückgriff. Vgl. Kretschmar, Das Rheinische Civilrecht in seiner heutigen Geltung, 4. Aufl., Düsseldorf 1896, zu Art. 1134, S. 211. Vgl. ferner Fn. 52.
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eine Auflösungs- oder Kündigungsklausel wegen einer Vertragsverletzung der anderen Partei beruft, nachdem er zu erkennen gegeben hatte, dass er die Klausel nicht geltend machen werde. In solchen Fällen neigte die deutsche Praxis des 19. Jahrhunderts ebenfalls dazu, die Geltendmachung der Kündigungs- oder Auflösungsklausel abzuweisen. Allerdings bietet die deutsche Judikatur hierüber ein differenziertes Bild. In einigen Fällen berufen sich auch die deutschen Gerichte auf eine stillschweigend erfolgte Abänderung des Vertrages, um die Klage als unbegründet abzuweisen42. In anderen Urteilen dagegen ging man davon aus, dass eine Abänderung der Vertragsbestimmungen nicht vorliege, aber dennoch dem Beklagten die Verteidigungsmöglichkeit einer exceptio doli zuerkannt werden solle43. Neben der am Anfang geschilderten Entscheidung ist ein anderes Urteil des Preußischen Obertribunals erwähnenswert44. Nach einer Klausel eines Mietvertrages konnte das Mietverhältnis fristlos gekündigt werden, wenn der Mieter Fremde in der Wohnung aufnahm. Allerdings hatte der Vermieter die Auflösungsklausel geltend gemacht, nachdem er durch sein Verhalten und sogar durch mündliche Erklärungen zu erkennen gegeben hatte, dass er nicht an der Einhaltung des Verbots interessiert war. Die Begründung, mit der die Geltendmachung der Auflösungsklausel als unbegründet abgewiesen wurde, ist beachtenswert: „... Zur Annahme eines dolosen Verhaltens des Klägers genügt es vielmehr, wenn er [...] nicht nur das gestattete Halten von Schläfern gekannt und keinen Widerspruch dagegen erhoben, sondern auch selbst dem Miether erklärt hat: ,er könne soviel Schläfer halten, als er wolle.‘ Denn alsdann hat Verklagter durch das Halten der Schläfer dem Miethsvertrage nicht, wie derselbe voraussetzt, ohne den Willen des Klägers entgegengehandelt; es geschah vielmehr mit seinem Wissen und Willen. [...] so tritt Kläger mit dem, was es selbst geduldet und gewollt hat, und auf Grund dessen der Verklagte gehandelt hat, in Widerspruch, und in der Geltendmachung eines solchen Widerspruchs liegt das dolose Verhalten des Klägers.“ In diesem Falle machte eine Schriftformklausel die Abänderung des Vertrages von dem schriftlich gegebenen Einverständnis des Vermieters abhängig. ___________ 42 Preußisches Obertribunal, Urt. v. 9.6.1848, in: Neuman (Hrsg.), Erkenntnisse des Königlichen Obertribunals, Bd. I, Berlin 1869, S. 527; Preußisches Obertribunal, Urt. v. 12.6.1854, in: Entscheidungen des Königlichen Obertribunals Bd. 28 (1854), S. 102; Preußisches Obertribunal, Urt. v. 16.5.1856, ebd. Bd. 32 (1856), S. 365. 43 Preußisches Obertribunal, Urt. v. 15.1.1866, in: Striethorst (Hrsg.), Archiv für Rechtsfälle 61 (1867), S. 325; Preußisches Obertribunal, Urt. v. 27.6.1876, ebd. 99 (1879), S. 46; vgl. ferner Preußisches Obertribunal, Urt. v. 3.3.1861, in: Entscheidungen des Königlichen Obertribunals 45 (1861), S. 47, wo es sich um die dolose Geltendmachung eines Vorkaufsrechts handelt. 44 Vgl. Preußisches Obertribunal, Urt. v. 27.6.1876, a. a. O.
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Darüber hinaus ging die communis opinio45 im Gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts dahin, dass bei Schriftform mündliche Nebenabreden unwirksam bleiben müssten, da die Form notwendig auf den gesamten Inhalt des Vertrages bezogen werden müsse und danach nichts gültig verabredet werden könne, als was mit in die Schriftform aufgenommen sei. Ähnlich lautete § 127, ALR I 5. Nun hätte diese Auffassung dazu führen müssen, auch für nachträgliche Nebenabreden die Wiederholung der Form zu fordern. Allerdings setzte sich die deutsche Judikatur über einen solchen Grundsatz nicht selten hinweg. In dem oben erwähnten Urteil bot die exceptio doli den Ausweg, dem widersprüchlichen Verhalten des Klägers entgegenzutreten: „Die schriftliche Form der Erlaubniß zu dem Halten von Schläfern könnte nur in Betracht kommen, wenn der Verklagte ein Recht in Anspruch nähme, auch für die Zukunft Schläfer zu halten. Hier aber, wo es sich um die Folge eines in der Vergangenheit liegenden Verhaltens des Verklagten handelt, kommt es auf jene Form nicht an, vielmehr enthält es ebenfalls ein doloses Verfahren, wenn Kläger die Bedeutung und Wirkung der von ihm gekannten, geduldeten und selbst gewollten Vergangenheit unter der gedachten schriftlichen Form beseitigen will.“ Nicht immer aber wurde die exceptio doli herangezogen46. In anderen, nahezu gleichartigen Fällen greifen die Entscheidungen, um die Klage als unbegründet abzuweisen, auf eine stillschweigend erfolgte Aufhebung der Vertragsbestimmung zurück47. Natürlich stellt der stillschweigende Verzicht häufig ___________ 45
Vgl. Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, 2. Aufl., Berlin 1885, Bd. III, § 173, S. 132; Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts (Fn. 30), Bd. II, § 312; Thöl, Das Handelsrecht, 6. Aufl., Leipzig 1879, Bd. I, § 244, S. 765. Aus Formgründen wurde eine nachträgliche mündliche Nebenabrede als unwirksam angesehen, z. B. in Preußisches Obertribunal, Urt. v. 29.4.1853, in: Entscheidungen des Königlichen Obertribunals 2 (1853), S. 388. 46 Eine exceptio doli wird in Oberappellationsgericht Kiel, Urt. v. 5.6.1855, in: Seuffert’s Archiv 11 (1857), Nr. 33, S. 43 gewährt. 47 Über eine einschränkende Auslegung von § 127, I 5 ALR berichten Eccius, a. a. O., Bd. I, S. 469; Koch, Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten, 4. Aufl., Berlin 1862, I, 1, S. 244. Ähnlich lautete § 887 ABGB (alte Fassung): „Wenn über einen Vertrag eine Urkunde errichtet worden ist: so ist auf vorgeschützte mündliche Verabredungen, welche zugleich geschehen seyn sollen, aber mit der Urkunde nicht übereinstimmen, oder neue Zusätze enthalten, kein Bedacht zu nehmen“. Allerdings setzte die österreichische Praxis sich über solche Vorschriften häufig hinweg. Es ist beachtenswert, dass die Judikatur in vielen Fällen davon ausging, dass die Parteien auf diese Regelung stillschweigend verzichtet hatten. Damit wurden mündliche, gleichzeitig oder nach dem Vertragsabschluss getroffene Nebenabreden als wirksam behandelt. Vgl. Österreichischer Oberster Gerichtshof, Urt. v. 15.4.1875, in: Glaser/Unger (Hrsg.), Sammlung von civilrechtlichen Entscheidungen des K. K. Obersten Gerichtshofes 13 (1881), Nr. 5691, S. 132; Oberster Gerichtshof, Urt. v. 10.3.1870, ebd. 8 (1879), Nr. 3748, S. 101; Oberster Gerichtshof, Urt. v. 11.11.1885, ebd. 23 (1888), Nr. 10786, S. 573. Auch diese Judikatur stellt offensichtlich einen Versuch dar, die bona fides zur Geltung zu bringen. Vgl. Krasnopolski, Österreichisches Obligationenrecht, bearbeitet von Kafka, Leipzig/Wien 1910, S. 86.
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eine Fiktion dar, wobei in Wahrheit auf den Grundsatz der bona fides Bezug genommen wird. 3. Damit bietet die deutsche Praxis des 19. Jahrhunderts eine beachtenswerte Zweispurigkeit. Bei einer Durchsicht der Judikatur fällt auf, wie die Gesichtspunkte einer stillschweigenden Willenserklärung und der exceptio doli häufig gleichzeitig herangezogen werden. So konnten z. B. nach der damaligen Praxis seit langer Zeit verfallene Forderungen nicht nachgefordert werden, wenn es Sache des Gläubigers gewesen war, sie zu fordern, und er dies aus Rücksicht auf den Schuldner unterlassen hatte. In diesen Fällen wird in der Judikatur von einem stillschweigenden Schulderlass gesprochen. Zugleich aber werden Digestenstellen herangezogen, die eine exceptio doli gewähren48. Diese Zweispurigkeit der Judikatur lässt sich in vielen anderen Urteilen verfolgen. In einigen Entscheidungen ging man davon aus, dass, wenn der Gläubiger einige Zeit lang geringere Zinsen angenommen hatte, als ihm zukamen, der Anspruch auf den höheren Zinsfuß als erloschen anzusehen war49. Ebenso wurde entschieden, dass, wenn der Gläubiger die Leistung von dem in Verzug geratenen Schuldner angenommen hatte, die aus dem Verzug entstandenen Ansprüche als erloschen anzusehen waren. Damit wurde die Berufung auf eine Auflösungsklausel oder die Geltendmachung einer Vertragsstrafe als unbegründet abgewiesen. Eine Durchsicht dieser Urteile zeigt, wie die beiden Argumente eines stillschweigenden Verzichts und einer exceptio pacti seu doli sich normalerweise tref___________ 48 Vgl. Oberappellationsgericht Rostock, Urt. v. 7.3.1864 in: Seuffert’s Archiv 18 (1865), Nr. 123, S. 196 ff., wo ein stillschweigender Verzicht angenommen wird. Zugleich wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Klägerin „durch ihr fortwährendes Schweigen ihren Ehemann (Schuldner) getäuscht und zu größeren Verwendungen veranlaßt hat“. In einem ähnlichen Fall lehnt OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.1886, in: Seuffert’s Archiv 44 (1889), Nr. 247, S. 398, dagegen, vom Willensdogma befangen, einen stillschweigenden Verzicht ab. 49 Vgl. Oberappellationsgericht Dresden, Urt. v. 18.2.1850, in: Seuffert’s Archiv 6 (1853), Nr. 164, S. 218, wo eine exceptio pacti seu doli gewährt wird. Vgl. ferner Sintenis, a. a. O., Bd. II, § 87, S. 98, der von einem stillschweigenden Verzicht spricht und zugleich D. 22.1.13 pr. heranzieht, wo eine exceptio doli gewährt wird. Auch Glück, Ausführliche Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld, Ein Kommentar, Bd. 21, Erlangen 1820, S. 70, bemerkt darüber: ,,… es liegt hier ein stillschweigender Vertrag zu Grunde, welcher dem Schuldner die exceptio doli giebt“; Kritz, Sammlung von Rechtsfälle und Entscheidungen derselben, Leipzig 1839, S. 304: ,,... allemal, wo […] dem Schuldner Gestundung ist gegeben worden, dies entweder mittelst besonderer Uebereinkunft oder mittelst einer, die Absicht Gestundung zu geben unzweideutig darlegenden Handlung, und für eine solche gilt die Annahme auf einen gewissen Zeitraum im Voraus berechneter Zinsen: da findet allemal exceptio doli statt“. So auch die Praxis des deutschen Usus modernus: vgl. Wernher, Selectae observationes forenses, [Auflage Ienae 1738], tomus II, Observatio CCCXCI, S. 66; Kind, Quaestiones forenses observationibus ac passim decisionibus elect. sax. supremi provocationum Tribunalis collustratae, [1. Aufl., Lipsiae 1792], Bd. I, cap. 85, S. 325; Kind, a. a. O., [2. Aufl., Lipsiae 1807], Bd. 4, cap. 60, S. 270; Malblanc, Principia iuris romani secundum ordinem Digestorum, [Aufl. Tubingae 1801], § 263, Bd. I, S. 385.
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fen50. Darüber hinaus ist eine reichhaltige Judikatur im Versicherungsrecht bemerkenswert. Sie betrifft dieselbe Kasuistik, deren Problematik bereits oben anhand verschiedener französischer Entscheidungen erwähnt worden ist: Eine Versicherungsgesellschaft macht eine mit einer Policebestimmung verbundene Unwirksamkeits- oder Verwirkungsklausel geltend, nachdem sie durch ihr eigenes Verhalten den Versicherungsnehmer veranlasst hatte, diese Policebestimmung nicht einzuhalten. Die deutschen Gerichte, ähnlich wie die damalige französische Rechtsprechung, weisen die Berufung auf die Klausel als unbegründet zurück. Die Urteile berufen sich auf eine stillschweigend erfolgte Auf-
___________ 50 Im Falle einer Vertragsstrafe vgl. Obergericht Wolfenbüttel, Urt. v. 5.1.1863, in: Seuffert’s Archiv 16 (1863), Nr. 206, S. 344; Oberappellationsgericht Dresden, Urt. v. 24.4.1865, ebd. 19 (1866), Nr. 137, S. 227; vgl. ferner Sintenis, a. a. O. Bd. II, § 88, S. 121; Wolff, Die Lehre von der Moral, Göttingen 1841, S. 220. Im Falle der Geltendmachung einer Auflösungsklausel, vgl. Oberappellationsgericht Kiel, Urt. v. 17.4.1852, in: Seuffert’s Archiv 10 (1856), Nr. 145, S. 191; Kassationshof Wolfenbüttel, Urt. v. 20.12.1859, ebd. 14 (1861), Nr. 126, S. 201, wo bemerkt wird: „... die beiden Vorentscheidungen [...] befinden sich auch in Übereinstimmung mit den gemeinrechtlichen Grundsätzen über stillschweigenden Consens und über die als notwendigstes Element des Handelsverkehrs zu betrachtende bona fides“; Obergericht Wolfenbüttel, Urt. v. 17.12.1872, ebd. 28 (1873), Nr. 122, S. 198, wo ein stillschweigender Verzicht angenommen wird und gleichzeitig bemerkt wird ,,… wonach es dolos erscheint, auf Geltendmachung des Kündigungsrechts zu beharren.“; Obertribunal Berlin, Urt. v. 23.11.1874, ebd. 31 (1876), Nr. 34, S. 40; OLG Frankfurt, Urt. v. 5.10.1889, ebd. 46 (1891), Nr. 121, S. 198; Oberster Gerichtshof für Bayern, Urt. v. 14.4.1874, in: Sammlung von Entscheidungen des obersten Gerichtshofes für Bayern 4 (1875), S. 512. Vgl. ferner Handelsgericht Hamburg, Urt. v. 22.5.1844, in: Sammlung der Erkenntnisse und Entscheidungsgründe des Ober-Appellationsgerichts zu Lübeck in hamburgischen Rechtssachen, Bd. 1, Nr. 82, S. 833 ff., wo eine stillschweigende Willenserklärung angenommen wird, „da es nicht mit der in kaufmännischen Verhältnissen erforderlichen bona fides im Einklange ist ...“; Oberappellationsgericht Lübeck, Urt. v. 9.12.1844, ebd. Bd. 1, Nr. 38, S. 361 ff.; Oberappellationsgericht von Schwaben, Urt. v. 5.5.1849, in: Arends, Sammlung ... 3 (1851), S. 296-299; Oberappellationsgericht Dresden, Urt. v. 22.6.1847, in: Seuffert’s Archiv 4 (1851), Nr. 45, S. 88 ff.; Oberappellationsgericht Jena, Urt. v. 10.1.1860, ebd. 15 (1862), Nr. 219, S. 376 ff.; Oberhofgericht Mannheim, Urt. v. 6.11.1866, ebd. 23 (1870), Nr. 23, S. 39 ff.; Oberappellationsgericht Lübeck, Urt. v. 19.3.1867, in: Kierulff (Hrsg.), Sammlung der Entscheidungen des OberAppellationsgerichtes der freien Hansestädte zu Lübeck 3 (1869), S. 211 ff., wo ausgeführt wird (S. 234) „... auch die replica doli ist unbegründet, [...] ein Verzicht des Senats auf sein Recht ist in diesem Geschehenlassen nicht zu finden“; Handelsappellationsgericht Nürnberg, Urt. v. 19.6.1868, in: Seuffert’s Archiv 22 (1869), Nr. 294, S. 455-457; Reichsoberhandelsgericht, Urt. v. 19.11.1870, ebd. 25 (1872), Nr. 156, S. 226 ff.; RG, Urt. v. 4.3.1880, ebd. 36 (1881), Nr. 189, S. 280 ff. Vgl. auch Leonhard, in: Iherings Jahrbücher Bd. 17 (1879), S. 195: „…wenn er daher der stillschweigenden Abrede zuwider dieses Recht vor dem Eintritt der Bedingung durch Vindikation zu zerstören trachtet, so muß gegen ihn eine exceptio doli Platz greifen“. Vgl. ferner Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung (Fn. 37), S. 82 ff.
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hebung der Vertragsbestimmung. Gleichzeitig aber wird eine exceptio doli häufig dem Versicherungsnehmer eingeräumt51. Eine ähnliche Tendenz kommt auch in der damaligen Rechtsprechung der Rheinprovinzen vor. Es ist bekannt, dass die Gerichte der Rheinprovinzen französisches Recht anzuwenden hatten und normalerweise auch französische Judikatur herangezogen haben52. Es ist beachtenswert, dass auch die rheinische Judikatur in solchen Fällen auf eine exceptio doli zurückgriff53. Dies zeigt, dass das Zurückgreifen auf die exceptio doli ein geläufiges Denkschema der deutschen Praxis darstellte54. ___________ 51 Vgl. Oberappellationsgericht Nürnberg, Urt. v. 30.10.1867, in: Busch (Hrsg.), Archiv für Theorie und Praxis des allgemeinen deutschen Handelsrechts 15 (1869), S. 149, wo ein stillschweigender Verzicht angenommen wird und zugleich bemerkt wird, dass: „... der Beklagte auch die Replik dolosen Verfahrens mit Grund entgegengehalten werden kann“; Oberappellationsgericht Nürnberg, Urt. v. 4.2.1870, ebd. 24 (1872), S. 373; Reichsoberhandelsgericht, Urt. v. 25.11.1871, in: Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichtes 4 (1875), S. 63; dagegen RG, Urt. v. 26.11.1887, in: RGZ 22, S. 51. In der Literatur vgl. hierzu Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung (Fn. 37), S. 84 ff.; Mals, Studien über Versicherungsrecht insbesondere über Feuer- und Lebensversicherung, in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht 6 (1863), S. 376 ff.; Lewis, Lehrbuch des Versicherungsrechts, Stuttgart 1889, S. 186-187. 52 Zuletzt Schumacher, Das Rheinische Recht in der Gerichtspraxis des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Auslegung rezipierter Rechtsnormen, Stuttgart/Brüssel 1969. 53 Vgl. hierzu im Versicherungsrecht Rheinisches Appellationsgericht, Urt. v. 31.7.1869, in: Archiv für das Civil- und Kriminal-Recht der Königl. Preuß. Rheinprovinzen 64 (1872), 1, S. 41; Rheinisches Appellationsgericht, Urt. v. 15.6.1870, ebd., 1, S. 44; RG, Urt. v. 8.7.1881, ebd. 72 (1882), 4, S. 41; RG, Urt. v. 9.5.1882, in: Zeitschrift für französisches Civilrecht 14 (1883), S. 599; RG, Urt. v. 22.1.1892, in: RGZ 28, S. 389, die alle auf eine replicatio doli zurückgreifen. 54 Es sei z. B. auf zwei Urteile verwiesen: Es hatten Verhandlungen stattgefunden, um einen Rechtsstreit beizulegen. Nachdem die Verhandlungen abgebrochen worden waren, machte eine Partei die inzwischen eingetretene „peremption d’instance“ geltend. Das Rheinische Appellationsgericht, Urt. v. 4.8.1823, in: Archiv für das Civil- und Kriminal Recht der Königl. Preuß. Rhein-Provinzen 5 (1824), 1, S. 260 ff. räumte dem Beklagten eine exceptio doli ein. In einem ähnlichen Fall erblickte App. Bruxelles, Urt. v. 13.1.1814, in: Pasicrisie 1814-1815, S. 12 ff. eine stillschweigende Vereinbarung, die „peremption d’instance“ nicht geltend zu machen. Vgl. jedoch für die wahren Motive Pigeau, Commentaire sur la procedure civile, Paris 1827, 1, S. 471: ,,... il n’est pas juste que celle-ci (die Beklagte) soit victime de sa bonne foi et des vues qu’elle a eues pour la pacification, en ne poursuivant pas“. Vgl. ferner für eine gleichartige Entscheidung, Rota romana, Urt. v. 16.12.1840 (De Angelis c. Boccabianca), in: Giornale del Foro 1 (1840), S. 44; Cassazione Milano, Urt. v. 27.5.1863, in: Giurisprudenza italiana 1863, I, Sp. 490 ff.; Cassazione Napoli, Urt. v. 5.5.1879, ebd. 1879, I, 1, Sp. 1001 ff.; App. Catania, Urt. v. 16.4.1880, ebd. 1880, I, 2, Sp. 556 ff.; Cassazione Roma, Urt. v. 24.4.1903, ebd. 1903, I, 1, Sp. 500 ff. Einen Überblick bietet meine Sospensione convenzionale della prescrizione, ed exceptio pacti sive doli, in: Riv. di dir. civ. 1971, II, S. 11 ff.
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E. Rechtsvergleichender Ausblick Die oben versuchte Schilderung der Entwicklungstendenzen der französischen und deutschen Judikatur im 19. Jahrhundert führt zu einigen rechtsvergleichenden Bemerkungen. 1. In der Gerichtspraxis beider Länder ist eine seit Ende der Neuzeit im Wesentlichen gemeineuropäische Privatrechtsentwicklung zu verzeichnen: Der Wille des Rechtssubjekts erscheint als die eigentlich bewegende Kraft beim Zustandekommen und bei der Abwicklung von Rechtsverhältnissen. Damit werden alle Rechtswirkungen auf freie menschliche Handlungen zurückgeführt. Material-ethische Wertvorstellungen, wie etwa die römische bona fides, treten zurück. Zugleich aber bietet die Fiktion einer stillschweigenden Willenserklärung häufig den Ausweg an, um die Lösungen durchzusetzen, die in der Kasuistik der römischen Quellen durch eine exceptio pacti seu doli zur Anwendung kamen. Damit stellt eine fingierte stillschweigende Willenserklärung häufig ein Legitimationsschema dar, um bei der Abwicklung eines Schuldverhältnisses den Grundsatz der bona fides zur Geltung zu bringen. Diese Entwicklung tritt im kontinentalen europäischen Privatrecht in unterschiedlichem Umfang hervor. In Frankreich und im romanischen Rechtskreis überhaupt ist dies eine allgemeine Erscheinungsform der Judikatur. Damit liegt eine historische Kontinuität zu der Überlieferung des Ancien droit vor, das die Rechtsfigur der exceptio doli nicht kannte. Demgegenüber zeigt die Praxis der deutschen Gerichte eine Zweispurigkeit. Neben der Fiktion einer stillschweigenden Willenserklärung blieb die Rechtsfigur der exceptio doli und die material-ethische Wertvorstellung der bona fides bei der Abwicklung eines Rechtsverhältnisses erhalten55. Es hat dies seine Ursache nicht zuletzt in der über den Usus modernus hinauswirkenden Überlieferung der römischen Denkformen, ___________ 55
Es sei darauf hingewiesen, dass die Heranziehung einer exceptio doli der Feststellung einer stillschweigenden Abänderung der Vertragsbestimmungen rechtstechnisch nicht gleichzustellen ist. Im Falle einer Vertragsabänderung wäre der Vertragsklausel endgültig und nicht nur im konkreten Fall jede Wirksamkeit entzogen. Darüber hinaus setzt eine exceptio doli eine von Amts wegen zu prüfende Rechtsfrage voraus. Demgegenüber ist die Feststellung eines stillschweigenden Verzichts an sich eine der Prüfung des Kassationshofes entzogene Tatfrage. Inwieweit dieser technische Unterschied in der deutschen Praxis des 19. Jahrhunderts eine Rolle gespielt hat, lässt sich an Hand der insbesondere in der ersten Hälfte des Jahrhunderts nicht vollständig veröffentlichten Entscheidungsgründe nicht feststellen. Andererseits fehlen uns bisher genauere Untersuchungen über den Urteilsstil der älteren deutschen Judikatur. Soweit mir ersichtlich ist, spielt dieser Unterschied außer einem obiter dictum beim Preußischen Obertribunal, Urt. v. 27.6.1876, keine praktische Rolle. Übrigens sind die Grenzen zwischen Tat und Rechtsfrage in der Praxis recht schwankend. Nach der Rechtsprechung der Cour de cassation ist es eine dem juge de fond überlassene Tatfrage, ob ein stillschweigender Verzicht vorliegt. Allerdings zeigt die Praxis, dass die Cour de cassation durch die Prüfung der Beweisführung eine Kontrolle darüber ausübt.
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was aus der historisch argumentierenden deutschen Zivilistik des 19. Jahrhunderts deutlich hervorgeht56. Damit hat die Praxis der deutschen Gerichte im Bereich der Abwicklung eines Schuldrechtsverhältnisses der konsensualistischen Durchdringung mehr widerstanden als die übrige kontinentaleuropäische Judikatur. Diese unterschiedliche Entwicklung tritt noch in der heutigen kontinentaleuropäischen Judikatur hervor. 2. Mit der Einführung des BGB und dem Eintritt in das neue Jahrhundert begann die deutsche Rechtsprechung in immer stärkerem Umfang, auf den Gedanken von Treu und Glauben einerseits (§ 242 BGB) und auf den Rechtsbehelf der exceptio doli, insbesondere bei der Abwicklung eines Schuldverhältnisses, andererseits zurückzugreifen57. Heute stellt diese Entwicklung eine der wichtigsten Erscheinungsformen der Praxis der deutschen Gerichte dar. Es sei hier nur auf die beiden richterlichen Rechtsinstitute der Verwirkung und des Verbots eines venire contra factum proprium hingewiesen, die durch eine sehr umfangreiche Judikatur entstanden sind. Nach der h. M.58 tritt eine Verwirkung ein oder liegt ein venire contra factum proprium vor, wenn der Rechtsinhaber von seinem Recht keinen Gebrauch macht und so bei dem anderen Teil das schutzwürdige Vertrauen hervorruft, er wolle das Recht auch in Zukunft nicht mehr ausüben. Ferner muss die Gesamtwürdigung des Falles ergeben, dass die Ausübung des fraglichen Rechtes nunmehr mit dem Grundsatz von Treu und Glauben in Widerspruch stehen würde. Diese Voraussetzungen sind vor allem dann erfüllt, wenn der Rechtsinhaber selbst durch Erklärungen oder positives Verhalten das Vertrauen des anderen verstärkt hat.
___________ 56
Es ist bemerkenswert, dass Entscheidungen, in denen auf die exceptio pacti seu doli zurückgegriffen wird, schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der deutschen Praxis vorkommen. Vgl. etwa Rheinisches Appellationsgericht, Urt. v. 4.8.1823 (Fn. 54). Damit knüpft die Praxis der deutschen Gerichte im 19. Jahrhundert, soweit mir ersichtlich ist, unmittelbar an die Überlieferung des Usus modernus an, was nicht zuletzt auf die Tradition der juristischen Ausbildung zurückzuführen wäre. 57 Zugleich wurde die Kontinuität mit der älteren Praxis des 19. Jahrhunderts aufbewahrt. Vgl. RG, Urt. v. 1.2.1895, in: Seuffert’s Archiv 50 (1895), S. 263 ff.; OLG Hamburg, Urt. v. 20.4.1901 und RG, Urt. v. 30.10.1901, ebd. 57 (1902), S. 53 ff.; RG, Urt. v. 15.11.1907, ebd. 63 (1908), Nr. 196, S. 349; Amtsgericht Leipzig, Urt. v. 12.12.1907 (zit. bei Reichel, AcP 104 (1909), S. 46), die alle eine exceptio doli gegen die Geltendmachung einer Kündigungsklausel gewähren. In der damaligen Literatur vgl. dazu Wendt, Die exceptio doli generalis im heutigen Recht, in: AcP 100 (1906), insbesondere S. 259 ff.; Schneider, Treu und Glauben im Rechte der Schuldverhältnisse des bürgerlichen Gesetzbuches, München 1902, S. 175 ff.; Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, 3. Aufl., Jena 1911, S. 160 ff; Endemann, Einführung in das Studium des bürgerlichen Gesetzbuches, 5. Aufl., Berlin 1902, § 100, II. 58 Statt aller vgl. Soergel/Knopp, BGB, 10. Aufl., 1967, § 242, Anm. 281 ff. Weitere rechtsvergleichende Hinweise bei meiner Rinuncia tacita e Verwirkung. Tutela dell’affidamento e decadenza da un diritto, Padova 1971.
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3. Teil: Rechtsprechung und Zivilrecht
Die deutsche Rechtslehre weist inzwischen die Ansicht zurück, der Ausschluss beruhe auf einem Verzicht, einer Duldung oder einer sonstigen rechtsgeschäftlichen Handlung des Rechtsinhabers. Der Grundsatz von Treu und Glauben selbst solle hier die Ausübung des Rechtes begrenzen. Allerdings hat die oben geschilderte Zweispurigkeit sich in der Praxis der deutschen Gerichte erhalten. Die deutsche Judikatur ist ziemlich großzügig, wenn es darum geht, die Verwirkung oder das venire contra factum proprium von einem stillschweigenden Verzicht abzugrenzen. Häufig werden die Begriffe Verwirkung und Verzicht selbst in der neueren Rechtsprechung und Lehre nebeneinander gebraucht. So gesellen sich nicht selten zu der Berufung auf den Rechtsmissbrauch Gedankengänge, die mehr dazu passen würden, den Ausschluss aus einem Verzicht oder einer Duldung des Rechtsinhabers zu begründen. Man spricht offen von einem Verzichtswillen; so bemerkt man, dass der Rechtsinhaber über seinen Anspruch genau unterrichtet war; und endlich führt man ausdrücklich an, das fragliche Recht sei verzichtbar59. 3. In den romanischen Rechtsordnungen dagegen ist eine solche Rechtsentwicklung dem Anschein nach unbekannt. Der Grundsatz von Treu und Glauben ist von Theorie und Praxis nicht zu einem allgemeinen und beherrschenden Prinzip entwickelt worden. Das Ancien droit kannte die exceptio doli generalis nicht. In den romanischen Rechtsordnungen ist dieser Zustand festgehalten worden. Jedoch bietet die Fiktion einer stillschweigenden Willenserklärung noch heute häufig den Ausweg, um den Grundsatz der bona fides zur Geltung zu bringen. Sowohl die italienischen als auch die französischen Urteile halten daran fest, dass der Verzicht auf ein Recht eine Willenserklärung sein müsse. Sie wenden aber die Rechtsfigur des stillschweigenden Verzichts auf Fälle an, in denen es zumindest zweifelhaft erscheint, ob tatsächlich ein Verzichtswille vorgelegen hat. Beachtenswert ist, wie die am Anfang geschilderte Problematik heute gelöst wird. Nach der italienischen und französischen Rechtsprechung ___________ 59 Hier nur einige Zitate aus der neueren Rechtsprechung: LG Frankfurt am Main, Urt. v. 2.6.1959, in: MDR 1959, S. 845: trotz der grundsätzlichen Erklärung, ein Verzichtswille sei nicht erforderlich, legt das Gericht Wert auf die Feststellung, der Kläger habe genaue Kenntnis von seinem Recht gehabt. Dies hat nur Sinn unter dem Gesichtspunkt eines stillschweigenden Verzichts. In OLG München, Urt. v. 8.6.1955, in: Betriebsberater 1955, S. 916, wird betont: ,,... so hat der Käufer [...] den Anspruch auf Wandlung verwirkt; denn durch den weiteren Gebrauch bringt er zum Ausdruck, dass er die gekaufte Sache gleichwohl behalten will.“ Auch Siebert (in: JW 1934, S. 98) stellt fest, dass ,,... Verzicht und Verwirkung bei aller dogmatischen Verschiedenheit praktisch immerhin ziemlich nahe einander liegen“. Bemerkenswert auch Boehmer, Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, Tübingen 1952, Bd. II, 2, S. 117, der die Verwirkung als Anwendungsfall des Rechtsmissbrauchs definiert, zugleich aber ausführt: ,,... das Schweigen des Berechtigten (muss) dem anderen Teil als der Ausdruck des Willens erscheinen können, auf die Geltendmachung des Rechts zu verzichten, gleichgültig, ob in concreto ein solcher Wille [...] vorliegt.“ Vgl. ferner Merz, Berner Kommentar zum schweizerischen Zivilrecht, Bern 1962, Bd. I, zu Art. 2, Nr. 512, 529.
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verliert ein Vermieter das Recht, von einer im Vertrag enthaltenen Auflösungsklausel Gebrauch zu machen, wenn er durch sein Verhalten zu erkennen gibt, dass er den Vertrag fortsetzen will, z. B., wenn ein Mieter mehrfach die Miete nicht pünktlich bezahlt, der Vermieter sich aber nicht auf die Auflösungsklausel beruft. Die Lehre spricht in diesen Fällen von einem Verzicht auf die sich aus dem Verzug ergebenden Rechte, der, getreu den überkommenen voluntaristischen Prinzipien, nicht ohne eine – wenn auch stillschweigende – Willenserklärung des Gläubigers denkbar sei60. In Wirklichkeit liegen der Rechtsprechung keine voluntaristischen Gedankengänge zugrunde. So wird in einigen Entscheidungen ausgeführt, dass die Nachsicht bei wiederholt unpünktlicher oder sonst unkorrekter Zahlung zwar nicht die Auflösungsklausel abändere, wohl aber das Verschulden des Schuldners an der Verzögerung beseitige. Dies führt praktisch zur Unwirksamkeit der Auflösungsklausel im konkreten Fall61. ___________ 60 Vgl. hierzu Barbero, Sistema del diritto privato italiano, 6. Aufl., Torino 1965, Bd. II, S. 88-89; ähnlich Messineo, Manuale di diritto civile e commerciale, 9. Aufl., Milano 1959, Bd. III, S. 449; De Ruggiero/Maroi, Istituzioni di diritto civile, a cura di Maiorca, 9. Aufl., Milano/Messina 1961, Bd. II, S. 102; Mosco, La risoluzione del contratto per inadempimento, Napoli 1950, S. 216 ff. Auch die französische Lehre hält an dem Willensdogma fest, vgl. Aubry-Rau, Cours de droit civil français d’après la methode de Zachariae, Bd. IV, par Bartin, 6. Aufl., Paris 1952, S. 144. 61 Vgl. App. Bari, Urt. v. 5.7.1955, in: Repertorio Giustizia Civile 1956, voce Locazione, Nr. 451; App. Lecce, Urt. v. 12.1.1957, in: Repertorio Giustizia Civile 1957, voce Locazione, Nr. 389; Cassazione, Urt. v. 28.3.1957, Nr. 1083, in: Repertorio Foro italiano 1957, voce Locazione, Nr. 118; App. Napoli, Urt. v. 17.3.1961, in: Diritto e giurisprudenza 1961, S. 299; Cassazione, Urt. v. 9.6.1962, Nr. 1428, in: Mass. Giust. Civ. 1962, S. 708; Cassazione, Urt. v. 7.6.1966, Nr. 1498, in: Mass. Giust. Civ. 1966, S. 858. Entscheidungen, die nicht Mietverträge betreffen, sind z. B. Cassazione, Urt. v. 23.10.1968, Nr. 3418, in: Giur. it. 1969, 1, 1, Sp. 684; Cassazione, Urt. v. 13.2.1968, Nr. 486, in: Giur. it. 1969, 1, 1, Sp. 752. Bemerkenswert ist, wie in diesem Urteil die Unwirksamkeit der Auflösungsklausel begründet wurde: „i creditori per lunghi anni mai richiamarono i debitori ad un più regolare computo della rate ... e si dichiararono sempre soddisfatti di ogni loro pretesa, ingenerando nei debitori lo convinzione regionevole di avere esattamente eseguito i computi relativi all’adeguamento del canone vitalizio... “. Vgl. ferner Miccio, La locazione, in: Giurisprudenza sistematica civile e commerciale diretta da Bigiavi, Torino 1967, S. 105. In der französischen Rechtsprechung vgl. Cass. civ. sect. soc., Urt. v. 26.12.1946, in: Revue du loyers 1947, S. 119; Cass. civ. sect. soc., Urt. v. 18.10.1961, in: Semaine juridique 1961, II, Nr. 12, 373; vgl. ferner App. Paris, Urt. v. 30.12.1930, in: Dalloz hebd. 1931, S. 123; Cass. req., Urt. v. 11.12.1933, in: Gaz. Pal. 1934, 1, S. 241; App. Nancy, Urt. v. 14.10.1911, in: Sirey 1913, 2, S. 179; App. Paris, Urt. v. 23.1.1912, in: Sirey 1913, 2, S. 54. In solchen Fällen wird betont, der Mieter habe seinen Verzichtswillen unzweideutig geäußert, vgl. Guillouard, Traité du louage, 2. Aufl., Paris 1892, Bd. I, Nr. 331; Aubry-Rau, a. a. O., Bd. V, par Esmein, Paris 1952, S. 255; Planiol-Ripert, Traité pratique de droit civil français, Bd. X, Contrats civils par Hamel, Givord et Tunc, Paris 1956, S. 771. Vgl. jedoch für die wahren Motive App. Paris, Urt. v. 30.12.1930, in: Dalloz hebd. 1931, S. 123: die Vermieter ,,... en exerçant dans de telles conditions préjudiciables pour leur co-contractant, un droit inscrit dans leur contrat, l’ont détourné du but dans lequel il avait été institué; ils ont faussé 1’esprit de la convention et ainsi commis un abus auquel le juge ne saurait reconnaître à
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3. Teil: Rechtsprechung und Zivilrecht
Genauer gesagt: Der Gläubiger, der fortlaufend unpünktliche Zahlungen duldet, wird von der Geltendmachung der Auflösungsklausel ausgeschlossen. Seine stillschweigende Duldung wird als Verzicht ausgelegt. Dabei ist aber nicht der Verzichtswille des Gläubigers entscheidend, sondern das Vertrauen des Schuldners, das auf der Untätigkeit des Gläubigers beruht. In diesen Fällen wenden die deutschen Gerichte die Formeln des venire contra factum proprium und der Verwirkung an. Die Parallelität springt ins Auge62. Die Ähnlichkeit zeigt sich noch in einem weiteren Punkt. Sowohl nach der deutschen als auch nach der italienischen und französischen Rechtsprechung lebt die Auflösungsklausel wieder auf, sobald der Gläubiger den Schuldner an die pünktliche Erfüllung seiner Zahlungspflicht erinnert und so die Vertrauenslage beseitigt63.
___________ leur profit aucun effet utile.“ Ähnlich die belgische Rechtsprechung De Page, Traité élémentaire de droit civil belge, 2. Aufl., Bruxelles 1948, S. 738. 62 Vgl. RG, Urt. v. 17.9.1929, in: JW 1932, S. 1041; BGH, Urt. v. 24.2.1959, in: NJW 1959, S. 766. Ferner vgl. Soergel/Knopp, BGB, 10. Aufl., 1967, § 242, Anm. 236. 63 Aus der deutschen Rechtsprechung vgl. RG, Urt. v. 17.9.1929; aus der italienischen Rechtsprechung vgl. Cassazione, Urt. v. 28.3.1957, Nr. 1083.
Die publizierte europäische Rechtsprechung und ihre Quellen (1800-1945) – Inhalt und Ziele einer Dokumentation A. Aufgabenstellung des Projekts Zahlreiche rechtsvergleichende und modernrechtliche Hilfsmittel zum systematischen Nachweis der Sammlungen und sonstigen Publikationsorgane der heutigen europäischen Judikatur existieren bereits. Für die Anfänge unseres Jahrhunderts und vor allem für die Jahrzehnte davor gibt es eine derartige Dokumentation jedoch noch nicht. Insbesondere für die Jahre bis etwa 1850 sind die publizierten Entscheidungssammlungen noch weitgehend unerschlossen und unerforscht. Unsere Kenntnisse hierüber bieten einen noch weit unvollständigeren Einblick in den Reichtum der vorhandenen Quellen als etwa die Studien, die in den vergangenen Jahrzehnten zur kontinentaleuropäischen Rechtsprechung des 16.-18. Jahrhunderts veröffentlicht wurden. Für die gedruckte Literatur von Entscheidungssammlungen aus dem Zeitalter des europäischen Ancien Régime kann man nämlich inzwischen auf die im zweiten Band des Coing’schen „Handbuchs der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte“ publizierten Beiträge zurückgreifen. Für diese Zeit bieten sie bereits eine auf großen Strecken vollständige Dokumentation. Im Rahmen des Institutsprojekts „Normdurchsetzung“ entstand daher der Plan, eine erste systematische und vollständige bibliographische Erschließung dieses gedruckten Quellenmaterials – und zwar möglichst für sämtliche europäischen Länder – zu realisieren. Dies schien der erste unerlässliche Schritt zu sein, um die europäische Rechtsprechung der letzten zweihundert Jahre für die rechtshistorische Forschung zugänglich machen zu können. Geplant wurde daher zunächst die Veröffentlichung eines bibliographischen Repertoriums der Werke, in welchen in den einzelnen europäischen Ländern seit Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg Gerichtsentscheidungen publiziert wurden. Eine solche Dokumentation wird hiermit vorgelegt. In Anbetracht der oben beschriebenen Forschungssituation steht der Dokumentationscharakter dieses Werkes im Vordergrund. Der Nachweis der Quellen und Literatur stellt demzufolge die primäre Aufgabe dar, welche die Autoren sich hier vorgenommen haben. Man hat daher bewusst vermieden, in den ___________ Erstmalig erschienen als Einführung zu: Ranieri (Hrsg.), Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa, Frankfurt a. M., I, 1992, S. XXXV-LXXI.
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3. Teil: Rechtsprechung und Zivilrecht
einzelnen Länderbeiträgen die zusammengestellte Dokumentation auf die schlichte Übernahme der nicht immer zuverlässigen Daten zeitgenössischer Bibliographien zu begründen und zu reduzieren. Vollständige und umfangreiche Quellen- und Literaturnachweise schienen vor allem dort notwendig zu sein, wo das Werk im Vergleich zur bisherigen Forschung Neues bietet. Das gilt besonders, wie bereits erwähnt, für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Für dessen zweite Hälfte – wie auch für das 20. Jahrhundert – existieren bereits, wenigstens für einige Länder, nationale Dokumentationen, so dass hier zum Teil mit Verweisen gearbeitet werden konnte. Dennoch bleibt die bibliographische Erschließungssituation der älteren juristischen Literatur, vor allem derjenigen aus dem 19. Jahrhundert, in den einzelnen europäischen Ländern erheblich uneinheitlich. Neben vorzüglichen bibliographischen Hilfsmitteln für manche Länder – man denke hier etwa nur an die gedruckten Kataloge der französischen Bibliothèque Nationale oder an das Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums – hat derjenige, der sich in anderen Ländern diesem Quellenmaterial nähern will, praktisch kaum bibliographische Instrumente zur Verfügung. Dasselbe beobachtet man auch hinsichtlich der bibliothekarischen Erschließungsbedingungen. Dies gilt insbesondere für einige südund osteuropäische Länder, wo die Autoren mit beträchtlichen Schwierigkeiten konfrontiert wurden. Manche Sammlungen waren hier, obwohl bibliographisch eindeutig nachgewiesen, nur mit einem außergewöhnlich großen Aufwand ermittelbar, da sie nur in entlegenen und kaum modern erschlossenen Bibliotheken vorhanden sind. Unterschiede in der Ausführlichkeit und im Umfang der einzelnen Beiträge finden darin die erste wesentliche Erklärung. Vollständig Erforschtes konnte daher in der Regel resümiert werden. Die wichtigsten bibliographischen Daten wurden allerdings immer selbst nachgewiesen. Was die eigentlichen Rechtsprechungssammlungen betrifft, so wurde im Rahmen des Möglichen Vollständigkeit angestrebt. Hinsichtlich der Zeitschriften und sonstigen Werke, in welchen „auch“ Entscheidungen publiziert werden, konnte man sich dagegen z. T. auf eine Auswahl beschränken. Vergleichbare ältere Dokumentationswerke bieten überwiegend eine auf das Privatrecht zugeschnittene Information an. Es ist nicht zu bestreiten, dass sie damit eine gewisse „Privatrechtslastigkeit“ bei der Beschreibung mancher Rechtsentwicklungen im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert eher begünstigt haben. In inhaltlicher Hinsicht will das vorliegende Werk daher eine Privilegierung des Privatrechts vermeiden. Für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts spielt dieses Problem allerdings noch keine gravierende Rolle. In nahezu allen europäischen Ländern wird die damalige Judikatur nämlich in allgemeinen Sammlungen und Periodika veröffentlicht. Meistens betrifft das publizierte Material zwar privatrechtliche Themen, es werden jedoch bereits in diesen Jahrzehnten Urteile in strafrechtlichen und gelegentlich in öffentlichrechtlichen Materien bekannt gemacht. Man denke hier etwa an die französischen Rechtsperiodika jener Jahre, in welchen auch die Rechtsprechung des Conseil d’Etat oder Entscheidungen der Cour de cassation zu steuerrechtlichen Fragen gele-
Die publizierte europäische Rechtsprechung
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gentlich Berücksichtigung fanden. Ab Mitte des Jahrhunderts nimmt die Publikation von Urteilen in öffentlichrechtlichen Materien unverkennbar zu. Diese hängt zum Teil mit den Anfängen einer Verwaltungsgerichtsbarkeit – zumindest in manchen Ländern1 – zusammen; zugleich indiziert sie aber auch – und dies betrifft nahezu alle europäischen Länder – die zunehmende und sich beschleunigende Ausdifferenzierung spezialisierter Rechtsgebiete. Eine solche Spezialisierung ist seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts sowohl bei den Reformen der Lehrpläne an den juristischen Fakultäten als auch in der juristischen Literatur unübersehbar. Betroffen war dadurch auch die Auswahl der in den damaligen Periodika zur Publikation ausgesuchten Gerichtsurteile. Ebenso wie im Rahmen von Wissenschaft und von Juristenausbildung wurden daher die neuen Rechtsgebiete zu dieser Zeit auch Gegenstand neuer Sammlungen und Zeitschriften. Dies lässt sich beobachten sowohl bei Spezialmaterien innerhalb des Privatrechts, etwa für das Handels-, See- und Versicherungsrecht, als auch vor allem bei der nunmehr systematischen Veröffentlichung von strafrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Judikatur2. Eine vergleichende Durchsicht der Länderbeiträge unter diesem Gesichtspunkt zeigt, dass darin eine weitgehend einheitliche Tendenz in der europäischen Rechtsliteratur seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu erblicken ist, wenngleich eine solche Spezialisierung in den einzelnen Ländern mit zeitlichen Verschiebungen stattfindet. Die damalige Verbreitung und Spezialisierung bei der Veröffentlichung von Rechtsprechung spiegelt sich daher naturgemäß auch in der vorliegenden Dokumentation von Entscheidungssammlungen wider. Notwendig war hier insbesondere, auch das gedruckte Entscheidungsmaterial aus den neuen strafrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Rechtsgebieten systematisch zu berücksichtigen und zu dokumentieren.
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Zu den Anfängen einer verwaltungsgerichtlichen Judikatur und zu ihrer Berücksichtigung in Wissenschaft und Unterricht s. etwa für Frankreich Bürge, Das französische Privatrecht im 19. Jahrhundert. Zwischen Tradition und Pandektenwissenschaft, Liberalismus und Etatismus, Frankfurt a. M. 1991, S. 502-506 (insbes. Fn. 25) und S. 513. 2 Ein gutes Beispiel hierfür bieten etwa die Sammlungen der preußischen Rechtsprechung; zu den einzelnen Rechtsgebieten und zu deren chronologischem Aufkommen s. unten [Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa], S. 185-192.
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3. Teil: Rechtsprechung und Zivilrecht
B. Das Repertorium I. Gliederung und Bearbeiter
Bezüglich der geographischen Gliederung des Werkes ergaben sich die zu behandelnden Länder aus der historisch-politischen Karte Europas, etwa vom Wiener Kongress bis zum Zweiten Weltkrieg3. Für einige kleinere Staaten wurde von vornherein nur eine summarisch angelegte bibliographische Dokumentation angestrebt. Bei den Ländern ohne politische Einheit bzw. mit föderaler Struktur (Deutschland und Italien im vergangenen Jahrhundert, oder die schweizerische Eidgenossenschaft etwa) wurde die Dokumentationsarbeit so angelegt, dass die einzelnen Territorien grundsätzlich nur in der Gliederung der bibliographischen Nachweisteile hervortreten4. Es ist verständlich, dass solche Beiträge wegen des Reichtums und der Ausdifferenzierung der Quellen – man denke nur an die Buntscheckigkeit der deutschen politischen Karte im 19. Jahrhundert – einen breiteren Umfang beanspruchen als andere Länderberichte. Für das vorliegende, im Rahmen des Projekts entstandene, zweibändige Werk, dessen einzelne Beiträge von Institutsangehörigen, aber auch von zahlreichen auswärtigen Spezialisten stammen5, ist es gelungen, zu nahezu allen europäischen Ländern einen Länderbericht zu realisieren. Es schien dabei sinnvoll zu sein, sich nicht auf die westeuropäischen kontinentalen Rechtssysteme zu beschränken, sondern auch die skandinavischen6 und die osteuropäischen zu berücksichtigen. Auch England ist dabei mit einem Beitrag bedacht worden, so dass die Dokumentation sowohl die Welt des Civil Law als auch diejenige des Common Law umspannt. Dies schien deshalb notwendig zu sein, da dadurch die Dokumentation auch Material zu einer Neubewertung der gemeinsamen
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Eine solche zeitliche Abgrenzung wurde in den einzelnen Länderbeiträgen den jeweiligen nationalhistorischen Gegebenheiten angepasst. 4 s. etwa für die Schweiz unten [Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa] S. 872-896. 5 Bei der Quellendokumentation für die Länderberichte Frankreich, Belgien und Niederlande konnte auf Vorarbeiten des Herausgebers zurückgegriffen werden. Bei den Länderberichten Österreich und Schweiz stellte Mohnhaupt bibliographische Hinweise zur Verfügung. 6 Wegen der historischen und rechtlichen Gemeinsamkeiten bei den skandinavischen Ländern schien es sinnvoll zu sein, diese in einem übergreifenden Beitrag zu behandeln. Auch hier wird dann im Einzelnen zwischen gesamtskandinavischen und einzelstaatlichen Entscheidungssammlungen differenziert; s. etwa für Gesamtskandinavien unten [Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa] S. 659-663 und S. 671-674.
Die publizierte europäische Rechtsprechung
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Strukturen in den Traditionen des kontinentalen und des englischen Rechts bereitstellen kann7. In zahlreichen Redaktionsbesprechungen, an welchen fast alle beteiligten Autoren teilnahmen, wurde bewusst angestrebt, die einzelnen bibliographischen Länderbeiträge in der Struktur und der Gliederung möglichst nach einheitlichen Gesichtspunkten anzulegen. Die verbleibenden Unterschiede bei Vertiefungen und Schwerpunkten spiegeln naturgemäß die unterschiedlichen Interessen der Verfasser. ___________ 7
Die Berücksichtigung der englischen Reports hat mehrere Rechtfertigungen. Es sei hier zunächst nur daran erinnert, dass englische und kontinentale Juristen spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durchaus vielfältige Kontakte unterhielten. Zu den rechtspolitischen Interessen, die dabei eine beträchtliche Rolle spielten, s. Nörr, The European Side of the English Law: A Few Comments from a Continental Historian, in: Coing/Nörr, Englische und Kontinentale Rechtsgeschichte: Ein Forschungsprojekt, Berlin 1985, S. 15 ff., insbes. S. 25-30. Vor allem bedürfen die tradierten Ansichten zu Freiheit und Bindung der richterlichen Rechtsbildung im englischen und im kontinentalen Rechtssystem noch der Kontrolle von genaueren Studien zu den zeitgenössischen Quellen. Allgemein dazu Gorla/Moccia, A „Revisiting“ of the comparisation between Continental Law, in: The Journal of Legal History (1981), S. 143-156. Die herrschende rechtshistorische Sicht, welche vor allem in England in den letzten zweihundert Jahren geprägt wurde, hat die materiellrechtlichen Unterschiede zwischen beiden Traditionen besonders betont. Zugleich blieben dabei jedoch auch die gemeinsamen, noch auf Mittelalter und Spätmittelalter zurückgehenden philosophischen und logischen Grundlagen des Rechtsdenkens in England und auf dem Kontinent verschüttet. Die zeitgenössischen Ansichten aus dem letzten Jahrhundert zur Rolle von Richter und Rechtsprechung würden hier interessantes Reflexionsmaterial bieten. Es ist bekannt, wie sich mit den Kodifikationen die Vorstellung auf dem Kontinent durchsetzte, dass sich die Rechtsanwendung in einer logisch deduktiven Ableitung aus abstrakten, gesetzlichen Normen realisiert. Eng damit verbunden war die – wenigstens prinzipielle – Ablehnung der Freiheit des Richters in der Rechtsfindung; man braucht hier nur an die bekannten, einschlägigen Normen im französischen Code civil oder im preußischen ALR zu erinnern. Ähnlich verläuft bezeichnenderweise die Wandlung der Auffassungen im englischen Common Law des 19. Jahrhunderts. Man denke an die rationalistische Kritik von Bentham gegen die traditionelle Sicht der autoritativen Bindewirkung der Precedents und gegen die Vorstellung des Common Law als „accumulated wisdom of the ages“, welche noch von Blackstone verteidigt worden war. Auf Bentham, der nicht nur vergebens die Kodifikationsidee in England verteidigt hatte, sondern der offenbar maßgebend auch die Justizreformgesetze aus den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts beeinflusste, geht die neue, formale Auffassung der Bindung an die Precedents zurück, welche heute noch das englische Recht charakterisiert. Die Rechtsregel, welche in einer früheren Entscheidung Anwendung fand, bindet für Bentham „not to their wisdom, but to their authority“. Der „rule of the stare decisis“ – die sich in England bekanntlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts endgültig durchsetzte – liegt nicht nur eine formale Auffassung der Bindewirkung von Präjudizien als Rechtsquellen zugrunde, sondern auch ein neues, rationalistisches Modell von abstrakter Regelbildung. Darin liegt eine Entsprechung zu den rechtspositivistischen Lehren, die sich in jenen Jahrzehnten auch auf dem Kontinent durchsetzten. Lesenswert dazu Evans, Change in the Doctrine of Precedent during the Nineteenth Century, in: Goldstein (Hrsg.), Precedent in Law, Oxford 1987, S. 35 ff., insbes. S. 64 ff.
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3. Teil: Rechtsprechung und Zivilrecht
Jeder Länderbericht besteht, außer einer kurzen, vorangestellten Einleitung, aus einer bibliographischen Dokumentation. Diese gliedert sich jeweils nach übergreifenden Kriterien und enthält – wie bereits erwähnt – nicht nur die im 19. Jahrhundert noch überwiegend privatrechtlichen Entscheidungssammlungen, sondern auch die spätestens seit den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts in nahezu allen europäischen Ländern entstandenen Publikationen der straf- und verwaltungsgerichtlichen Judikatur. Bei der Ermittlung der einzelnen Sammlungen haben die Autoren sich im Rahmen des Möglichen bemüht, die Werke direkt einzusehen. Dies hat es ermöglicht, die einzelnen bibliographischen Nachweise durch zum Teil umfangreiche Kommentierungen zu ergänzen. Diese, ebenfalls nach einer weitgehend einheitlichen Struktur angelegt, geben ausführlich Auskunft über die jeweils darin publizierte Rechtsprechung und über Art und Umfang der Wiedergabe der Entscheidungen. Die einheitliche Struktur soll der Übersichtlichkeit und der besseren Benutzbarkeit des Gesamtwerkes dienen. Es scheint daher sinnvoll zu sein, einige genauere und detaillierte Hinweise zur Vorgehensweise bei der Materialsammlung und zur Strukturierung der Dokumentation mitzuteilen.
II. Struktur und Anlage der einzelnen Länderbeiträge
Jedem Länderbericht wird zunächst eine knapp gehaltene Einleitung vorangestellt. Sie soll in erster Linie dem besseren Verständnis der darauf folgenden Dokumentation dienen. Es wurde von vornherein darauf verzichtet, in diesem Rahmen auch eine umfassende Darstellung der Gerichtsverfassung und des Prozessrechts der jeweiligen Territorien anzubieten. Dies hätte den Rahmen des Projekts gesprengt. Hierfür hätte nämlich kaum auf vorhandene zuverlässige Darstellungen zurückgegriffen werden können, sondern es wären zum Teil spezifische Untersuchungen erforderlich geworden. Angaben zur Gerichtsverfassung und zum Prozessrecht wurden daher in der Regel nur auf die allernotwendigsten Hinweise zu den Gerichtsinstanzen beschränkt, deren Judikatur hier dokumentiert wird. Die Einleitungen dienen vornehmlich einer kurzen Charakterisierung der Struktur und der Zwecke der nachgewiesenen Rechtsprechungssammlungen. Die Vielfalt des publizierten Materials ist in der Tat außerordentlich. Man denke z. B. an den „offiziellen“ oder „privaten“ Charakter solcher Sammlungen. Bei den „amtlich“ publizierten Sammlungen schien vor allem wichtig zu sein, den Benutzer immer darüber zu informieren, von welchen Gerichten darin im Einzelnen die Judikatur berücksichtigt wurde; meistens handelt es sich dabei um Obergerichte; auch Untergerichte kennen jedoch gelegentlich eine wenigstens halbamtliche Publikation ihrer Entscheidungen. Bei den Sammlungen, deren Publikation auf private Initiative zurückgeht, stellt sich etwa die Frage, ob das Werk die Judikatur eines einzigen Territori-
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ums oder mehrerer Territorien eines Landes betrifft. Man denke hier z. B. an die Sammlungen von Seuffert für Deutschland8 oder an diejenige von Mantelli für Italien9. Der territorial übergreifende Charakter mancher Sammlungen jener Zeit schien deswegen wichtig herausgestellt zu werden, da solche privaten Rechtsprechungspublikationen in den Augen der Herausgeber und der damaligen Benutzer die Funktion erfüllten, die nationale Rechtspraxis trotz territorialer Rechtszersplitterung insgesamt zu dokumentieren. Eine solche Form von privat veranstalteter Rechtsprechungspublikation ordnete sich daher in die damaligen Bestrebungen einer nationalen Rechtsvereinheitlichung und Rechtskodifikation ein. Sie war häufig in den Augen der Herausgeber gerade ein Instrument dazu10. Darin wird zugleich der übernationale, europäische Charakter der Rechtswissenschaft noch Mitte des vergangenen Jahrhunderts deutlich. So gibt es in jener Zeit sogar auch Sammlungen (vor allem für das Handelsrecht), die gesamteuropäisch angelegt wurden und regelmäßig ausländische Rechtsprechung publizierten11. Bei der jeweiligen bibliographischen Dokumentation schien ferner erforderlich zu sein, immer klarzustellen, inwieweit es sich bei den nachgewiesenen Titeln um selbständige Werke, um Zeitschriften, um Urteilssammlungen innerhalb eines juristischen Werkes oder um einzelne Urteile handelt. Die Autoren haben sich hier – wenigstens in Ansätzen – vorgenommen, die Entwicklung einer Quellentypologie anzustreben, welche auch als Kriterium zu einer Gliederung der Nachweise dienen kann. Festzuhalten bleibt – wie bereits betont –, dass hinsichtlich der Anlage der einzelnen Beiträge der dokumentarische Informationscharakter der Quellennachweise im Vordergrund steht. Etwaige Textbeiträge, als Kommentierung sowohl einzelner Abschnitte der jeweiligen Dokumentation als auch einzelner Sammlungen, behalten daher immer den Charakter von knapp gehaltenen Einleitungen, die als Einführung und Erläuterung zu den Auswahl- und Wiedergabekriterien gedacht sind. Demgemäß wurde der bibliographische Dokumentationsteil der jeweiligen Länderbeiträge ebenfalls nach einheitlichen Gesichtspunkten strukturiert. Bei den Redaktionsbesprechungen wurde folgendes Gliederungsschema festgelegt: – Land – eventuell Einzelterritorium innerhalb eines Landes (zunächst die Titel, das Territorium insgesamt betreffend, dann diejenigen zu den Einzelmaterien12) ___________ 8
s. unten [Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa] S. 103-104. s. unten [Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa] S. 503-504. 10 s. z. B. zur italienischen Rechtsvereinheitlichung unten [Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa] S. 504-505 und S. 517. 11 Dazu s. Ranieri, Rezeption und Assimilation ausländischer Rechtsprechung dargestellt am Beispiel des europäischen Einflusses der französischen Judikatur im 19. Jahrhundert, in: Ius Commune 6 (1977), S. 202-233 [in diesem Band S. 21 ff.]. 9
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– offizieller oder privater Charakter der Sammlung (zunächst die Titel für die Obergerichte, dann diejenigen für die Untergerichte) – Chronologie. Die Zahl der ermittelten Titel schwankt naturgemäß von Land zu Land und von Epoche zu Epoche beträchtlich. Differenzierungen fanden deshalb nur dann und insoweit Berücksichtigung, wenn dies der Übersichtlichkeit der bibliographischen Dokumentation dienlich schien. Das nachgewiesene bibliographische Material wurde im Einzelnen mit einer begleitenden und erläuternden Kommentierung zu den einzelnen Titeln versehen. Die Autoren haben sich bemüht, zu dem ermittelten Werk möglichst einen beschreibenden Kommentar hinzuzufügen. Diese kommentierenden Bemerkungen werden in der Regel in kurzen Stichworten formuliert. Längere Ausführungen schienen nur dort angebracht zu sein, wo es sich um historisch äußerst bedeutsame Sammlungen handelt: Man denke hier etwa an die berühmten französischen Recueils von Dalloz oder von Sirey, die das französische Rechtsleben seit fast zweihundert Jahren prägen13. Bei den redaktionellen Besprechungen wurden demnach die Kriterien einer derartigen Kommentierung einzeln besonders geklärt. Folgende Reihenfolge wird bei den erläuternden Hinweisen in der Regel eingehalten: a) Bibliographische Angaben, Angaben zu zusätzlichen oder späteren Herausgebern, notfalls Angaben zum amtlichen Charakter der Sammlung b) Angaben, von welchen Gerichten die publizierten Entscheidungen stammen c) Angaben zum Berichtszeitraum des veröffentlichten Entscheidungsmaterials, falls nicht identisch mit dem Erscheinungszeitraum d) Aufbau der Sammlung, z. B. chronologisch, alphabetisch o. Ä. e) Inhalt, Materie des publizierten Rechtsprechungsmaterials f) Form und Stil bei der Wiedergabe der veröffentlichten Gerichtsurteile (z. B. vollständig, auszugsweise, ohne Tatbestand, in originaler Fassung, in einer vom Herausgeber redigierten Fassung, Wiedergabe der „plaidoires“ der
___________ 12
Falls die Bibliographie nach Materien untergliedert wurde, geschah dies nach dem überwiegenden Inhalt der jeweiligen Sammlung. Gerade in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts findet man meistens nur allgemeine Sammlungen und Rechtsperiodika; die vorgenommenen Differenzierungen innerhalb der Titel – etwa nach dem zivilrechtlichen und nach dem handelsrechtlichen Inhalt – bieten daher nur eine erste Charakterisierung des Werkes. 13 s. unten [Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa] S. 416 ff. und S. 418 ff.
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Parteien und des Ministère Public, Anfügung eines Kommentars, einer „note“ etc.) g) Standortnachweise, evtl. Signaturen, sonstige bibliographische Hinweise, notfalls der Hinweis, dass nicht in die Sammlung eingesehen werden konnte. Auf derartige Anmerkungen konnte in der Regel nicht verzichtet werden, wenn man bedenkt, dass die gedruckte juristische Literatur aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in zahlreichen europäischen Ländern (z. B. in Spanien, in Portugal, sowie in vielen italienischen Territorien) außerordentlich schwer zugänglich ist.
C. Urteilsstil und Publikationstechnik Eine umfassende Auswertung und Analyse des gesammelten Materials würde den Rahmen dieser Einleitung sprengen. Sie lag auch außerhalb der primären Zielsetzung bei der Herstellung der vorliegenden bibliographischen Dokumentation. Die vergleichbare Anlage der Beiträge ermöglicht jedoch bereits wertvolle Einblicke in strukturelle Unterschiede und Identitäten sowohl bei der sprachlichen Formulierung als auch bei der Veröffentlichung von Gerichtsurteilen in den einzelnen europäischen Ländern. Einige zusammenfassende Beobachtungen seien deshalb hier erlaubt. Sie verstehen sich primär nur als erste Hinweise, zu welchen Themenbereichen neue Studien durch das vorliegende Repertorium angeregt werden können. Nicht nur zwischen England und dem Kontinent, sondern auch in den einzelnen kontinentaleuropäischen Rechts- und Justizsystemen sind schon im vergangenen Jahrhundert in der Tat beträchtliche Unterschiede in der Art und Weise zu beobachten, in welcher der Richter seine Entscheidung logisch, syntaktisch und auch sprachlich aufbaut und formuliert. Solche Unterschiede bestehen bis heute fort und haben sich eher gefestigt. Gillis Wetter, Gino Gorla und Hein Kötz haben bereits in klassisch gewordenen Untersuchungen die stilprägenden Eigenheiten der Urteile verschiedener Berufungsinstanzen – vor allem in der Ziviljustiz – beschrieben14. Einige solcher Merkmale seien hier in ___________ 14 s. Gillis Wetter, The styles of appellate judicial opinions. A case study in comparative law, Leiden 1960. Siehe auch Schmidt, The ratio decidendi. A comparative study of a french, a german and an American Supreme Court decision, Göteborg/Uppsala 1965; Gorla, Lo stile delle sentenze. Ricerca storico-comparativa, in: Il Foro italiano 1967, Quaderni, S. 313 ff.; ders., Lo stile delle sentenze. Testi commentati, in: Il Foro italiano 1968, Quaderni, S. 365 ff.; Goutal, Characteristics of judicial style in France, Britain and the USA, in: American Journal of Comparative Law 24 (1976), S. 43 ff.; Lawson, Comparative judicial style, ebd. 25 (1977), S. 365 ff.; Kötz, Über den Stil höchstrichterlicher Entscheidungen, in: RabelsZ 37 (1973), S. 245-265; italienisch in: Rivista di diritto civile 24 (1978), I, S. 772 ff., mit Anmerkungen von Nannini.
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Erinnerung gerufen: die Länge einer Entscheidung; die Zitate von Präjudizien und wissenschaftlichen Autoren; das Vorkommen von obiter dicta; das Eingehen oder Nicht-Eingehen auf die Rechtsmeinung der Parteien und der Vorinstanz. Drei kontinentaleuropäische Stilmodelle kann man dabei – vor allem bei der Ziviljustiz15 – typologisch differenzieren: das französische, das italienische und das deutsche. Zunächst sei das traditionelle französische Stilmodell – wenigstens bis zu den neuesten Reformen – kurz beschrieben16. Rein äußerlich besteht eine französische Gerichtsentscheidung aus einem einzigen Satz. Bei der Cour de cassation lautet sie: „la cour … casse“. Die gesamte Urteilsbegründung wird zwischen Subjekt und Prädikat dieses Entscheidungssatzes vermittels einer Reihe von Nebensätzen („attendu … que“) eingeschoben. Man spricht von einem „jugement à phrase unique“. Der Tatbestand reduziert sich dabei auf einige minimale Hinweise. Bis zur Prozessrechtsreform von 1958 kannte das französische Urteil eigentlich keinen Tatbestand. Als Bestandteil des Urteils wurden vielmehr die sog. „Qualités“ angesehen. Diese, redigiert von den Anwälten erst nach Verkündung der Entscheidung, enthielten Angaben zu den Prozessparteien und zur Prozessgeschichte einschließlich der Parteianträge. Ein solches System, die Abfassung des Tatbestandes den Parteien anzuvertrauen, knüpfte an die Tradition des Ancien droit an und fand übrigens, zusammen mit dem französischen Prozessrecht, Verbreitung in nicht wenigen europäischen Ländern. Die Einhaltung dieser richterlichen Stilart wird in Frankreich bis heute übrigens garantiert durch die Existenz einer strengen rechtspädagogischen Tradition bei der Richterausbildung17. Eine solche stilistische Eigenart geht historisch auf die Anfänge der Motivationspflicht (1790) zurück18. Die Struktur der damaligen motivierten Urteile entspricht den Vorstellungen des Gesetzgebers der Revolutionsjahre, wonach der Richter immer und ausschließlich die gesetzlichen Texte in seiner Begründung anführen musste. Die Knappheit dieses Urteilsstils blieb auch nach Abschaffung des réferé législatif (Art. 4 Code civil) maßgebend19. Es fehlt hier vor allem eine Urteilsbegründung als Erklärung. Al___________ 15
Zum Redaktionsstil von straf- und verwaltungsrechtlichen Urteilen, vor allem in vergleichender Hinsicht, fehlen Untersuchungen völlig. Dies hängt wesentlich mit der bisherigen privatrechtlichen Ausrichtung von rechtsvergleichenden Studien zusammen. 16 s. die Beschreibung von Dawson, The Oracles of the Law, Ann Arbor 1968, S. 406-411; Tunc, Synthèse, in: Revue internationale de droit comparé 1978, S. 72 ff. 17 s. Mimin, Le style des jugements. Vocabulaire. Construction. Dialetique. Formes juridiques, 4e éd., Paris 1970. Dazu s. Ranieri, Stilus Curiae. Zum historischen Hintergrund der Relationstechnik, in: Rechtshistorisches Journal 4 (1985), S. 75 ff., insbes. S. 79. 18 Darüber zusammenfassend Sauvel, Histoire du jugement motivé, in: Revue de droit public 1955, S. 5 ff., insbes. S. 45 ff. 19 s. Sauvel, Histoire (Fn. 18), S. 45; Ranieri, Stilus Curiae (Fn. 17), S. 85; siehe ferner die historische Analyse bei Dawson, The Oracles (Fn. 16), S. 380-381. Anders die
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lerdings werden die Entscheidungen in den französischen Rechtsperiodika bereits in den ersten Jahren mit umfänglichen Kommentaren und Anmerkungen publiziert. Bereits Mitte des vergangenen Jahrhunderts stellt die sog. „note“ eine wichtige Erscheinungsform der französischen Rechtsliteratur dar20. Bemerkenswert ist hier vor allem, wer Verfasser einer solchen Anmerkung sein kann: So findet man dabei Richter oder, häufiger, Anwälte. Dadurch kann das professionelle Wissen der am konkreten Prozessfall beteiligten Juristen nicht selten in die redaktionelle Arbeit bei der Urteilspublikation einfließen. Dazu gehört ferner, dass gelegentlich auch die Stellungnahme des Generalstaatsanwalts beim Kassationsverfahren mitabgedruckt wird. Eine solche Übung, welche bereits auf die ersten Jahrgänge der französischen Recueils zurückgeht und welche die französische Rechtsliteratur heute noch charakterisiert21, stellt insoweit einen funktionalen Ausgleich für das Fehlen einer diskursiven Begründung in den französischen Urteilen dar. Wenigstens zum Teil hat die beschriebene Stiltradition Eingang auch in andere Justizsysteme gefunden. In denjenigen Rechtsordnungen nämlich, in welchen das französische Recht eine maßgebliche Modellfunktion ausübte – etwa in Belgien, in einigen italienischen präunitarischen Staaten, sowie, bis Ende des 19. Jahrhunderts, in den französischsprachigen schweizerischen Kantonen und in den Niederlanden – übernahmen die Gerichte, wenigstens äußerlich, ebenfalls eine solche Technik der Urteilsredaktion. Dennoch scheint, dass auch während des vergangenen Jahrhunderts eine solche Kürze nur bei den französischen Zivilgerichten mit der beschriebenen Rigorosität eingehalten wurde; erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass selbst der französische Conseil d’Etat seit seinen Anfängen für seine Entscheidungen eine solche Redaktionstechnik nicht übernahm, so dass die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung in Frankreich bis heute in einem eher diskursiven Erörterungsstil formuliert wird. Italienische Urteile stellen gerade das Gegenteil des beschriebenen Redaktionsstils dar. Sie strukturieren sich bis heute folgendermaßen: Prozessgeschichte, zum Teil mit Wiedergabe der Parteienschriften; Begründung in einem sehr ausführlichen und doktrinalen Erörterungsstil unter Bezugnahme aller Argumente der Parteien; Tenor am Ende; Vermengung von tatsächlichen Daten und Rechtsmeinungen; häufiges Vorkommen von „obiter dicta“. Maßgebend war ___________ historische Erklärung von Gorla, Sulla via dei motivi delle sentenze: lacune e trappole, in: Studi in onore di S. Satta, Milano 1981, und in: Gorla, Diritto comparato e diritto comune europeo, Milano 1981, S. 716 ff., insbes. S. 729 n. 15. 20 s. hierzu infra [Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa] S. 411. 21 Exemplarisch etwa die redaktionelle Aufbereitung von Cass. civ. Ass. plén., Urteil vom 29.3.1991, conclusion Dontenwille und note Ghestin, in: Jur. Class. Pér. 1991, II, 21673.
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auch hier die historische Tradition: In den italienischen Staaten des vergangenen Jahrhunderts wurde die Motivationspflicht22 in einem System eingeführt, in dem noch die gemeinrechtliche Übung herrschte, dass sich die Judikatur an der „iuris interpretatio“ beteilige. Die Begründung in den italienischen Urteilen entspricht daher im Kern noch der rotalen „decisio“ des 17. und des 18. Jahrhunderts. Daraus folgt ein umständlicher Motivationsstil, charakterisiert durch das Eingehen auf die Argumentation der Parteien (das „nec obstat …“ der früheren Rote)23. Es ist bezeichnend, dass die italienischen Gerichte selbst während der napoleonischen Herrschaft keineswegs den knappen Stil des französischen Kassationshofes übernahmen. Gegen diese Tradition waren die wiederholten Verbote des Gesetzgebers bis heute völlig wirkungslos24. Eine ähnliche Struktur der Urteilsbegründung, die sich nicht nach dem Ergebnis, sondern nach den Argumenten der Parteien richtet, finden wir übrigens auch in Spanien und Portugal25. Zuletzt sei das deutsche Urteilsmodell erwähnt. Als wesentliche Merkmale gelten hier die rigorose Trennung zwischen tatsächlichen Angaben und Rechtsausführungen sowie die strengen, einheitlichen Aufbauregeln. Die beschriebene Stiltradition spiegelt sich, wie in Frankreich, in einer umfangreichen Ausbildungsliteratur wider. Diese findet ihre Anfänge bereits in den vergangenen Jahrhunderten und hat ihre historische Grundlage in den Inhalten und in der Ausgestaltung der preußischen Referendarausbildung. Die in der deutschen Rechtspädagogik bis heute fest eingebürgerte Unterscheidung zwischen Gutachten- und Urteilsstil fand dort bereits Anfang des 19. Jahrhunderts ihre erste verbindliche Festlegung26. Die übrigen deutschsprachigen Rechtssysteme kennen übrigens eine solche Tradition nicht, wenngleich gewisse Einflüsse – wenigstens äußerlich – zu verzeichnen sind. ___________ 22 s. hierüber Taruffo, L’obbligo di motivazione della sentenza civile tra diritto comune e illuminismo, in: Rivista di diritto processuale 1974, S. 279 ff.; Gorla, Sulla via (Fn. 19), in: Gorla, Diritto comparato (Fn. 19), insbes. S. 750. 23 s. Gorla, Civilian Judicial Decision. An Historical Account of Italian Style, in: Tulane Law Review 44 (1970), S. 740-749. 24 s. Art. 265 des Regolamento generale giudiziario von 1865: „Nella compilazione dei motivi delle sentenze […] si enunciano gli articoli di legge, sui quali la sentenza è fondata […] senza estendersi a confutare tutti gli argomenti addotti in contrario dai patrocinatori delle parti …”; s. ähnlich Art. 118 der Disposizioni di attuazione del codice di procedura civile von 1951. Darüber Gorla, Lo stile (Fn. 14), S. 327-329, der bemerkt: „i modelli di sentenza non si dettano con norme legislative, ma si formano mediante l’educazione (universitaria e postuniversitaria), mediante il tirocinio nella bottega dell’artigiano (il giudice anziano)…“; ders., La motivation des jugements, in: Diritto comparato e diritto comune europeo, S. 359 ff., insbes. S. 388. 25 Im einzelnen s. Ranieri, El estilo judicial español y su influencia en la Europa del Antiquo Régimen, in: Actos del Seminario Internacional „España y Europa: un pasado juridico comun“, Murcia 1986, S. 101 ff., insbes. S. 117-118. 26 Für weitere Einzelheiten s. Ranieri, Stilus Curiae (Fn. 17), S. 85-86.
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Neben den unterschiedlichen Formen bei der äußerlichen redaktionellen Ausgestaltung des Urteils scheint ferner der Umstand bemerkenswert zu sein, dass in der kontinentalen Rechtstradition die publizierte Rechtsprechung offenbar keinesfalls immer ohne weiteres mit den ursprünglich ergangenen Gerichtsentscheidungen gleichgesetzt werden kann. Eine selektierende, kommentierende und zum Teil regelrecht transformierende Leistung durch Herausgeber und Redaktoren von Sammlungen und Zeitschriften kommt hinzu. Ein erster Eingriff erfolgt zunächst durch das Aussuchen und die Auswahl des zu publizierenden Entscheidungsmaterials. Publiziert wurde in der Regel offenbar nur ein Bruchteil der ergangenen Gerichtsurteile. Dies gilt selbst bei den höchsten Gerichtsinstanzen. Bei manchen europäischen obersten Gerichtshöfen – etwa dem deutschen Reichsgericht oder dem österreichischen Obersten Gerichtshof – existierten nach einer Übung, die bis heute beachtet wird, halbamtliche Sammlungen, in welchen eine solche Auswahl von den Richtern selbst getroffen wurde. Hierüber, insbesondere zu den Kriterien, zu den Beteiligten sowie zu den Folgen einer solchen privaten oder halbamtlichen Selektionsleistung, fehlen fast vollständig spezielle Untersuchungen. Solche Studien wären zunächst auf einzelne Gerichte und einzelne Sammlungen zu konzentrieren27. Das ausgesuchte Entscheidungsmaterial wird zudem von Herausgebern und Redaktoren für die Veröffentlichung vorbereitet. Gerade das vorliegende Repertorium macht bei der systematischen Beschreibung und Kommentierung der ermittelten Titel deutlich, wie vielfältig eine solche redaktionelle Aufbereitung der zu publizierenden Urteile sein kann. Die Variationsbreite geht von der Teilveröffentlichung der Entscheidung, z. B. nur mancher Ausführungen aus den Motiven, bis zur redaktionellen Verkürzung oder Neuformulierung des Urteils selbst oder einiger seiner Teile. Vor zwei Jahrzehnten hat Gino Gorla erste Untersuchungen zur französischen und zur italienischen Publikationspraxis im 19. Jahrhundert vorgelegt. Vergleichbare Studien – etwa zu den deutschsprachigen oder zu den spanischen Rechtsprechungssammlungen – fehlen noch völlig28. Auf der Grundlage der hier zusammengestellten Dokumentationen werden solche Untersuchungen nunmehr möglich. Aus der unüberschaubaren Variationsbreite seien hier die zwei entgegengesetzten Modelle kurz umschrieben, welche man typologisch – wenigstens für die Ziviljustiz29 – differenzieren kann. ___________ 27 Für Deutschland wird ein Repertorium des archivalisch überlieferten Entscheidungsmaterials aus den letzten hundertfünfzig Jahren im Rahmen des Institutsprojekts von Barbara Dölemeyer organisiert und vorbereitet. 28 Eine Beschreibung und eine Würdigung der vorhandenen Studien zur Veröffentlichungspraxis von Rechtsprechung sind hier im Einzelnen nicht möglich. 29 Inwieweit bei verwaltungsrechtlichen Sammlungen abweichende Publikationskriterien zu beobachten sind, lässt sich beim derzeitigen Stand der Studien nicht feststellen.
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Die Publikation des Urteils kann zum einen in einer umfassenden Darstellung der jeweiligen Prozessgeschichte und der verschiedenen Rechtsauffassungen zu einer bestimmten Streitfrage eingebettet werden. Exemplarisch hierfür ist etwa die bereits erwähnte typische Veröffentlichungstechnik bei den französischen Recueils, in welchen die apodiktisch formulierten Urteile der Cour de cassation eine informative und kommentierende Ergänzung dadurch erfahren, dass weiteres Prozessmaterial – etwa aus den Parteienschriften – mitpubliziert wird30. Mit einer solchen Publikationstechnik stehen die französischen Recueils in historischer Kontinuität zu bestimmten Sammlungen des 17. und des 18. Jahrhunderts. Es ist bezeichnend, dass eine derartige Struktur gerade auch bei den Entscheidungssammlungen zu beobachten ist, welche in manchen italienischen Territorien – etwa in Piemont oder in der Toskana31 – in den letzten Jahrzehnten der gemeinrechtlichen Tradition publiziert wurden. Eine solche Veröffentlichungstechnik kommt übrigens den klassischen englischen „Reports“ am nächsten32. Der beschriebenen völlig entgegengesetzt ist diejenige Veröffentlichungsart, bei welcher die Urteile nicht im Original, sondern nur in der Form von stichwortartigen Zusammenfassungen und von Leitsätzen bekannt gemacht werden. Diese können von den privaten Zeitschriftenredaktionen oder von den Gerichten selbst formuliert worden sein. Meistens wird das so aufbereitete Entscheidungsmaterial in alphabetisch nach Stichworten geordneten Repertorien publiziert. Die Vielfalt von solchen Repertorien ist derart, dass eine tiefer gehende Typologisierung hier nicht möglich ist. Dies betrifft sowohl den privaten oder amtlichen Ursprung der publizierten Leitsätze als auch deren äußere Form; man denke hier etwa an die klassischen französischen Répertoires33 einerseits, die bereits im 19. Jahrhundert auf große Verlagsunternehmen zurückgehen, und auf die amtliche Tätigkeit des Evidenzbüros beim österreichischen Obersten Gerichtshof34 und des Ufficio del Massimario beim italienischen Kassationsgericht andererseits35. Beim deutschen Reichsgericht wurden die Leitsätze in der amtlich veröffentlichten Fassung der Entscheidung nur in Frageform gefasst; Leitsätze in Form von Aussagesätzen wurden jedoch in die zum internen Gebrauch bestimmten „Präjudizienbücher“ aufgenommen36. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch zu erwähnen, dass die Publikation von Rechtspre___________ 30
s. unten [Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa] S. 411. s. unten [Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa] S. 502, S. 514. 32 s. unten [Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa] S. 335 ff. 33 s. unten [Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa] S. 457 ff. 34 s. unten [Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa] S. 725. 35 s. unten [Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa] S. 494. 36 s. hierüber Heusinger, Rechtsfindung und Rechtsfortbildung im Spiegel richterlicher Erfahrung, Köln 1975, insbes. S. 183 ff.; Kirchner, Stufen der Öffentlichkeit richterlicher Erkenntnisse, 1984, insbes. S. 552 ff. 31
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chung in Leitsatzform in derartigen Repertorien in bestimmten Ländern – vor allem in Italien und in Spanien – überhaupt den Hauptweg bei der Veröffentlichung von Judikatur37 darstellt. Die präzise Kenntnis einer solchen Publikationspraxis, in welcher die gerichtliche Aussage nicht mehr unmittelbar zur Kenntnis genommen wird, sondern erst nach einer Transformation in eine rechtssatzmäßige Form, ist unverzichtbar, um solche Rechts- und Justizsysteme verstehen und durchdringen zu können38.
D. Veröffentlichungspraxis und Entwicklung von Richterrecht Es wird aus den vorhergehenden Beobachtungen deutlich, dass Umfang, Bildung und Wirkung von Richterrecht39 in der kontinentalen Rechtstradition der letzten zweihundert Jahre wesentlich von solchen unterschiedlichen Formen bei der Formulierung und bei der Veröffentlichung von Urteilen bestimmt und geprägt wurden. Der Zusammenhang zwischen der Ausgestaltung von Veröffentlichung von Judikatur und der den Präjudizien jeweils zuerkannten Autorität und Bindewirkung ist für das kontinentale Recht – im Gegensatz etwa zum englischen Recht – nie systematisch untersucht worden. Die hier vorgelegte Beschreibung der ermittelbaren gedruckten Rechtsprechungsquellen bietet eine erste Voraussetzung dafür. Es zeichnet sich ab, dass das Bild des europäischen kontinentalen Rechts der letzten zwei Jahrhunderte auch in dieser Hinsicht erheblich differenzierter gesehen werden muss als gemeinhin angenommen. Wenigstens in bestimmten Sektoren der kontinentalen Rechtstradition haben die Juristen des 19. Jahrhunderts den Gerichtsgebrauch offenbar noch als Rechtsquelle angesehen. Das ältere Gemeinrecht kannte bekanntlich eine Präzedentwirkung der consuetudo iudicandi. In den ersten Kodifikationsentwürfen der italienischen Einzelstaaten, in welchen das römische Gemeinrecht noch galt, wurde eine solche Auffassung z. B. festgehalten40. Weitere Beispiele lie___________ 37 Man denke hier etwa an die italienischen „massimari“ (s. unten [Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa] S. 493 und S. 534-535) oder an das Repertorium der spanischen Rechtsprechung von Pantoja (s. unten [Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa] S. 919). 38 Exemplarisch hierzu die Rechtsprechungsanalyse von Monateri, Cumulo di responsabilità contrattuale e extracontrattuale, Padova 1989, S. 162-164. 39 Zur Präjudizienwirkung s. zuletzt die Problemübersicht bei Drosdeck, Die herrschende Meinung. Autorität als Rechtsquelle, Berlin 1989, insbes. S. 92-94. 40 Um ein Beispiel zu nennen, seien hier etwa die Entwürfe für eine Zivilrechtskodifikation genannt, welche in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im römischen Kirchenstaat angefertigt wurden. So lautet Art. 5 des Entwurfes von 1818: „Nel silenzio della legge, o nell’ambiguità delle parole, il Giudice prenderà norma per determinare il suo giudizio: … 2. dalla costante consuetudine di giudicare“; ähnlich lautet Art. 13 im
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3. Teil: Rechtsprechung und Zivilrecht
ßen sich hier anführen; sie zeigen, dass in vielen europäischen Territorien diese ältere Tradition des ius commune am längsten trotz des Kodifikationszeitalters fortgewirkt hat. Spezielle Studien hierüber, insbesondere hinsichtlich der dazugehörigen Gerichtspraxis, fehlen freilich noch. Eine solche Auffassung muss jedenfalls im Zusammenhang mit bestimmten Formen der Publikation von Rechtsprechung gesehen werden. Es ist bedenkenswert, dass die Rechtspraktiker jener Zeit immer betonen, dass nur die tragenden Rechtsgründe, die rationes decidendi, den usus fori bilden41. Dies setzt eine ausführliche, Sachverhalt und Prozessgeschichte einbeziehende Form der Veröffentlichung von Präjudizien voraus. Nicht zufälligerweise kommen solche gemeinrechtlichen Rechtsprechungssammlungen, wie bereits oben erwähnt, den klassischen englischen Reports am nächsten. Die gemeinrechtliche Lehre des usus fori wurde bekanntlich im Laufe des 19. Jahrhunderts konsequent verworfen. So verschwindet sie in der deutschen pandektistischen Literatur bereits in der ersten Hälfte des Jahrhunderts42. Thibaut verteidigt sie noch. In der Gewohnheitsrechtslehre von Puchta hat sie keinen Platz mehr. Dies gilt auch für die italienischen gemeinrechtlichen Territorien, etwa in der Toskana und im Kirchenstaat. Die Wirkung der neuen Auffassung lässt sich am besten an den Veränderungen messen, welche die alte Lehre der Bindung an die consuetudo iudicandi gerade hier erfährt. Die Rechtsregeln aus dem usus fori wurden nämlich nunmehr als formal bindende Normen verstanden, welche dem Richter keine argumentative Freiheit ließen. Es ist bezeichnend, dass sich in den genannten Ländern bei der Einführung des französischen Kassationssystems Mitte des 19. Jahrhunderts die Auffassung durchsetzte, dass die Verletzung des usus fori als ein Grund für einen Kassationsrekurs anzusehen sei. Hier sei etwa auf die Judikatur der toskanischen Gerichte ___________ Entwurf vom Jahre 1846: „Nel silenzio o nella oscurità della legge, il Giudice per determinare il suo giudizio prenderà norma: …2. dalla costante interpretazione seguita in precedenza“. s. die Edition der Entwürfe bei Mombelli-Castracane, La codificazione civile nello stato pontificio, Napoli 1987-1988, Bd. I, S. 14 und Bd. II, S. 4. 41 s. hierüber Gorla, Lo stile (Fn. 14), Testi, insbes. S. 387. Zwei Zitate aus den vielen möglichen seien nur angeführt; so schreibt etwa Bertolotti, Istituzioni del diritto civile universale, Torino 1827, I, S. XX: „la forza delle cose giudicate mai non si estende fuori delle parti, salvo che identico ne sia il fatto e ripetute le circostanze essenziali, che lo accompagnarono“; ähnlich bemerkt Pfeiffer, Practische Ausführungen aus allen Theilen der Rechtswissenschaft. Mit Erkenntnissen des Oberappellationsgerichts zu Kassel, Hannover 1825, Vorwort, S. VI-VII, dass „… nicht Alles, was in den theoretischen Ausführungen vorkommt, dem Oberappellationsgerichte zum unmittelbaren Entscheidungsgründe gedient hat; … die Mittheilung der Relationen … [haben] … zu dem Mißbrauche Veranlassung gegeben rationes decidendi oder wohl auch dubitandi […] als Präjudizien zu citiren“. 42 Zuletzt hierüber grundlegend Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat. Zur Justiztheorie im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1986, insbes. S. 178 ff.
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bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts hingewiesen43. Auch die spanische Rechtslehre und Rechtspraxis scheinen dieselbe Auffassung vertreten zu haben. Gerade auf diese Lehre geht übrigens die gesetzliche Anerkennung der bindenden Wirkung der sog. „doctrina legal“ des Tribunal Supremo in den spanischen Prozessrechtskodifikationen Mitte des 19. Jahrhunderts zurück44. Es wäre zu erwägen, ob eine solche Auffassung auch nicht mit der damals beginnenden Tendenz einherging, den Gehalt von publizierten Entscheidungen nur in Form von zusammenfassenden normativen Aussagesätzen zur Kenntnis zu nehmen. Eine historische Analyse der Rechtsquellenlehre in den kontinentalen Rechtssystemen der letzten zweihundert Jahre, vor allem in Verbindung mit einer realistischen Rekonstruktion der Arbeitsweise des Rechtspraktikers, wird sich auf jeden Fall mit Funktion und Folgen der zahlreichen Repertorien, Massimari und vergleichbaren Verzeichnisse, welche die kontinentale Rechtsprechung dokumentieren, konfrontieren müssen45.
___________ 43 s. z. B. Cassazione toscana, Urteil vom 5.4.1839, in: Annali 1839, I, col. 21-23 und die gesetzliche Regelung der Istruzioni vom 9.11.1838 zur Einführung des Kassationsverfahrens in der Toskana, cap. XI, Art. 500, Nr. 5 „… motivarsi la sentenza referendo la pratica del giudicare“. 44 s. unten [Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa] S. 913-914 mit weiteren Nachweisen. 45 Sehr lesenswert in diesem Zusammenhang Monateri, L’occhio del comparatista sul ruolo del precedente giudiziario in Italia, in: Contratto e impresa, 1988, S. 192-203.
Zur Geschichte des judiziellen Präzedenten in England und auf dem Kontinent (17.-19. Jh.) Die Präzedentfunktion der Rechtsprechung aus den höheren Gerichtsinstanzen in den Rechtssystemen des Common Law stellt das Thema des hier zu besprechenden Sammelbandes dar. Obwohl hierüber bereits ein geradezu unüberschaubares Schrifttum existiert (vgl. die reichhaltige und kaum zu überbietende Selected Bibliography, die diesen Band, S. 249-274, abschließt), bietet die vorliegende Publikation eine durchaus lesenswerte Bereicherung. Nach einer zusammenfassenden Einleitung aus der Feder des Herausgebers, Laurence Goldstein, in welcher die Aufgabenstellung des ganzen Unternehmens kurz skizziert wird, folgen acht Beiträge von Autoren aus den verschiedenen Ländern der Common Law-Tradition, also keinesfalls nur aus England und aus den USA. Darin werden Funktion, Geschichte und Grenzen der bindenden Wirkung der judiziellen Präzedentien bei dem Legal reasoning der Common Lawyers unter rechtshistorischen, rechts- und argumentationstheoretischen sowie rechtsphilosophischen und rechtspraktischen Gesichtspunkten erörtert. Diese Beiträge seien hier genannt: Peter Wesley-Smith, Theories of Adjudication and the Status of Stare Decisis (S. 73 ff.); Theodore M. Benditt, The Rule of Precedent (S. 89 ff.); Anthony Blackshield, ‚Practical Reason‘ and ‚Conventional Wisdom‘: The House of Lords and Precedent (S. 107 ff.); Neil MacCormick, Why Cases Have Rationes and What These Are (S. 155 ff.); Michael S. Moore, Precedent, Induction, and Ethical Generalization (S. 183 ff.); Richard Bronaugh, Persuasive Precedent (S. 217 ff.). Auch in rechtshistorischer Hinsicht bietet der Sammelband Lesenswertes. Hier seien vor allem die beiden Beiträge von Gerald J. Postema „Some Roots of our Notion of Precedent“ (S. 9-34) und von Jim Evans „Change in the Doctrine of Precedent during the Nineteenth century“ (S. 35-71) genannt: Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie umfassend und reichlich informativ einen vorzüglichen Überblick über die historische Herausbildung der Regel der bindenden Wirkung von Präjudizien seit dem Common Law im 16. und 17. Jahrhundert bis zum starren Prinzip der „Stare decisis rule“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts skizzieren. Dieses Kapitel aus der Geschichte des Common Law erweckt beim kontinentalen Rechtshistoriker anregende Reflexionen ___________ Zuerst erschienen als Rezension von: Precedent in Law. Ed. by Laurence Goldstein, Oxford 1987, in: Ius Commune 18 (1991), S. 463-465.
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zur europäischen Rechtsgeschichte der letzten Jahrhunderte. Es ist in der Tat überraschend, welche Parallelen sich beobachten lassen zwischen den gemeinrechtlichen Lehren zur Autorität des „usus fori“ und der „consuetudo iudicandi“ und den Äußerungen im zeitgenössischen Common Law zur Autorität der „precedents“. So ist bezeichnend, dass Anfang des 17. Jahrhunderts die Präjudizien für Coke nur ein „proof what the law is“ sind. Für das damalige Common Law war völlig unbestritten, dass frühere Entscheidungen, die „precedents“, als bindend anzusehen seien, nicht weil es so entschieden worden war, sondern weil es sich um richtige Entscheidungen handelte. Die Unterscheidung zwischen „rationes decidendi“ und den „gratis“ oder „obiter dicta“ – welche in jenen Jahrzehnten präzise Konturen annimmt –, diente ebenfalls als ein Kriterium, um eine Rechtsregel durch das Argument „a similibus“ zu ermitteln. Eine frühere Entscheidung ist also nur ein Argument. „Argumentum ab auctoritate“ – schreibt an anderer Stelle Coke – „est fortissimum in lege“. Noch Mitte des 18. Jahrhunderts betont Lord Mansfield, dass die „rules“ weder abstrakte noch absolute Rechtsprinzipien sind. „Precedents“ – führt er aus – „… may serve to fix principles; […] but precedent […] is not law itself“. In einer solchen Technik der Rechtsfindung wirkte die Überzeugung nach, dass die Rechtsregel ihre Autorität aus ihrer Natur als induktiv und argumentativ gewonnener Erfahrungssatz ableitet. Es ist erwähnenswert, dass wir einer solchen Vorstellung, dass der Jurist aus der früheren Entscheidungskasuistik überzeugende Argumente für die Bildung weiterer Rechtsregeln gewinnen kann, keinesfalls nur in der damaligen englischen Rechtswelt begegnen, sondern auch in der kontinentalen gemeinrechtlichen Praxis des 16. bis 18. Jahrhunderts. Es handelt sich also dabei um eine gesamteuropäische Erscheinung, die den Traditionen von Civil Law und Common Law in jenen Jahrhunderten gemeinsam ist. Diese überraschenden Verbindungslinien zwischen den damaligen Traditionen von Civil Law und Common Law lassen sich weiter präzisieren. So betonen in diesen Jahrhunderten auch die Praktiker auf dem Kontinent umgekehrt die Notwendigkeit, bei der argumentativen Heranziehung früherer Entscheidungen zwischen „rationes decidendi“ und „obiter dicta“ zu unterscheiden. Die Regelbildung auf der Grundlage von Präjudizien findet auch bei den kontinentalen Gerichtshöfen darin eine wesentliche Grundlage. Hier seien nur zwei Beispiele zitiert. So schreibt etwa der Reichskammergerichtsassessor Kaspar Klock Ende des 16. Jahrhunderts: „… valde periculosum esse, praejudicia in iudicando absque inspectione actorum sequi. Levis enim circumstantia vel defectus iuris aut facti iudicem ad ita pronunciandum movere potuit ...“. Ähnlich warnt fast hundert Jahre später der italienische Rotarichter Gianbattista de Luca: „… sopratutto (si deve) ben riflettere al caso ed alle circostanze, delle quali essi [nämlich die Rechtsgelehrten und die Entscheidungen] parlano, ed in che principalmente consista il punto, sopra il quale sia nata […] la decisione […] e non già a quel che incidentalmente per ornamento della scrittura […] si deduca“. Gleichlautende Stimmen ließen sich bis aus den letzten Jahrzehnten der gemeinrechtlichen Praxis zitieren. Zu Recht ist von Rechtsvergleichern und von Rechtshis-
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torikern wie John Dawson oder Gino Gorla betont worden, dass das Römische Gemeine Recht des 16. bis 18. Jahrhunderts vor allem als „diritto giurisprudenziale“, als Recht von Praktikern, anzusehen ist. Ein wesentliches Merkmal eines solchen Rechtssystems lag gerade darin – um ein Wort von Peter Stein zu zitieren –, dass es an einer endgültigen Formulierung von Rechtsnormen fehlte. Die Rechtsregel wurde als argumentativ gewonnener Erfahrungssatz angesehen, keinesfalls als abstraktes, unveränderbares Prinzip. Die argumentative Struktur des damaligen Rechtsdenkens, in welchem die Konkretisierung von Normen vornehmlich kasuistisch, mit Hilfe von Fällen erfolgte, macht die Nähe deutlich, die damals zwischen Civil und Common Law herrschte. Die herrschende rechtshistorische Sicht, vor allem in England, die insbesondere in den letzten zweihundert Jahren geprägt wurde und welche in der Tat auch in beiden hier besprochenen Beiträgen gelegentlich durchblickt, hat die materiellrechtlichen Unterschiede zwischen beiden Traditionen besonders betont. Die gemeinsamen, noch auf Mittelalter und Spätmittelalter zurückgehenden philosophischen und logischen Grundlagen des Rechtsdenkens in England und auf dem Kontinent blieben dabei verschüttet. Der Rationalismus der Aufklärung bedeutete für die beschriebene Form des Rechtsdenkens in beiden Rechtskulturen, sowohl des Civil Law als auch des Common Law, das Ende. Es ist bekannt, wie sich mit den Kodifikationen die Vorstellung auf dem Kontinent durchsetzte, dass die Rechtsanwendung in einer logisch deduktiven Ableitung aus abstrakten Regeln, aus gesetzlichen Normen sich realisiert. Eng damit verbunden war die totale Ablehnung der Freiheit des Richters in der Rechtsfindung. Man braucht hier nur an die bekannten einschlägigen Normen im französischen Code civil oder im preußischen ALR zu erinnern. Ähnlich verläuft die Wandlung der Auffassungen im englischen Common Law des 19. Jahrhunderts. Man denke an die rationalistische Kritik von Bentham gegen die traditionelle Sicht der autoritativen Bindung der „precedents“ und gegen die Vorstellung des Common Law als „the accumulated wisdom of the ages“, welche noch von Blackstone verteidigt worden war. Hierauf geht vor allem der Beitrag von Evans ein. Auf Bentham, der nicht nur vergebens die Kodifikationsidee in England verteidigt hat, sondern der offenbar maßgebend auch die Justizreformgesetze aus den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts beeinflusste, geht die neue, formale Auffassung der Bindung an die „precedents“ zurück, welche heute noch das englische Recht charakterisiert. Die Rechtsregel, die in einer früheren Entscheidung Anwendung fand, bindet für Bentham „not to their wisdom, but to their authority“. Der Rule „of the stare decisis“ – die sich in England bekanntlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts endgültig durchsetzte – liegt nicht nur eine formale Auffassung der Bindewirkung von Präjudizien als Rechtsquellen zugrunde, sondern auch ein neues, rationalistisches Modell von abstrakter Regelbildung. Darin liegt eine Entsprechung zu den rechtspositivistischen Lehren, die sich in jenen Jahrzehnten auch auf dem Kontinent durchsetzten.
Styles judiciaires dans l’histoire européenne: Modèles divergents ou traditions communes? A. Introduction On a l’habitude de dire que le droit s’incarne dans le procès. Le style du jugement est ainsi le reflet de la culture juridique dont il émane. On peut donc généraliser en disant que la structure d’un système juridique s’articule non seulement autour du droit en vigueur, mais aussi autour du caractère de sa pensée juridique, de la transmission du droit et du processus judiciaire permettant d’aboutir au jugement et à sa motivation. Les auteurs du ius commune européen avaient qualifié cela de stilus curiae. En matière de droit comparé, Konrad Zweigert utilise le terme de style juridique1. La signification et le fonctionnement de cette partie du système juridique échappent souvent aux juristes nationaux. Il n’est donc pas étonnant d’entendre parler ces derniers temps de « choc culturel » à propos des difficultés d’adaptation des étudiants allemands dans les universités de droit américaines2. Quel que soit le pays, il paraît d’ailleurs difficile d’empêcher les juristes de penser que leur style juridique est le meilleur qui soit. Par exemple, en Allemagne on a l’habitude de qualifier les jugements français d’apodictiques et d’incompréhensibles3; deux juges de la Cour de cassation française ont, quant à eux, dénoncé ___________ Der Beitrag ist zuerst erschienen in: Jacob (éd.), Le juge et le jugement dans les Traditions juridiques européennes. Etudes d’histoire comparée (Droit Société vol. 17), Paris 1996, S. 181-195. Siehe auch Ranieri, Juristische Arbeitsstile im historischen Vergleich: beschleunigende Faktoren oder Hindernisse einer europäischen Rechtseinheit?, in: European Private Law: Problems and Prospects (Atti Convegno internazionale di Studio, Università di Macerata, 8-9 giugno 1989), Milano 1993, S. 59-68; ders., Stilus Curiae. Zum historischen Hintergrund der Relationstechnik, in: Rechtshistorisches Journal 4 (1985), S. 75-88; ders., El estilo judicial español y su influencia en la Europa del Antiguo Régimen, in: Actos del Seminario internacional „España y Europa: un pasado juridico comun“ (Universidad de Murcia, 26.-28.3.1985), Murcia 1986, S. 101-118. 1 La citation est de Hattenhauer, Die Kritik des Zivilurteils. Eine Anleitung für Studenten, Frankfurt/Berlin 1970, p. 13. Sur le style juridique cfr. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, Grundlagen, Tübingen 1971, p. 67 s.: « Der Stil der Rechtskreise ». 2 Cfr. Martinek, Der Rechtskulturschock. Anpassungsschwierigkeiten deutscher Studenten in amerikanischen Law Schools, dans: JuS 1984, p. 92 s., en particulier p. 101. 3 Cfr. Fischer, Nochmals: Schadensersatzansprüche der Geliebten in Frankreich, dans: NJW 1970, p. 2148-2149, en réponse à Seibert, ibid., p. 985; cfr. Seibert, Die Pariser Cour de Cassation und ihr Urteilsstil, dans: NJW 1972, p. 1081-1983.
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l’allure de certaines décisions étrangères confuses, mal structurées, étrangères à l’esprit cartésien4. Les avantages du style judiciaire allemand ne sont pas plus évidents pour des juristes étrangers. Ainsi a-t-on pu lire en Suisse, par exemple, que la formation pratique à ce que l’on appelle la technique de rédaction du rapport judiciaire (Relationstechnik) provoquait chez tout juriste suisse un étonnement entre admiration et épouvante5.
B. La rédaction du jugement en matière civile en Allemagne Considérons les différences de style, en Allemagne, entre un jugement civil (Urteil) et un avis (Gutachten), différence fondamentale essentielle à la compréhension de la pédagogie du droit allemand. Dans tous les premiers cours d’introduction au droit pour les étudiants, on insiste sur cette différence de style. Sans entrer dans les détails, rappelons toutefois brièvement quelques points: s’agissant d’un avis, on doit toujours partir de l’interrogation pour aboutir à la réponse. En revanche dans un jugement, il convient de partir du résultat, préalablement exposé, la motivation ne faisant que s’y rattacher. C’est sur ce principe que s’est constitué un faisceau de règles stylistiques, régissant à la fois la construction du texte et l’utilisation de certaines constructions syntaxiques et sémantiques, et qui a donné naissance à de nombreux ouvrages pédagogiques6. Un jugement ne doit donc pas être rédigé de manière dialectique, comme peut l’être un avis. Il y a vingt ans, Grunsky7 avait osé mettre cela en cause, déclenchant ainsi une vive polémique8. Depuis, il n’y a plus eu de véritable remise en cause de ces règles. Il s’agit davantage aujourd’hui, du moins pour les ___________ 4
Touffait-Mallet, La mort des attendus?, dans: Dalloz 1968, chr. XXI, p. 123 s., en particulier p. 127. Cfr. aussi Constant, Propos sur la motivation des jugements et arrêts en matière répressive, dans: Journal des Tribunaux 85 (1970), p. 663 s. 5 Gmür, Das Schweizerische ZGB verglichen mit dem Deutschen BGB, Berne 1965, p. 184 (p. 185). 6 Cfr. ici l’ensemble des ouvrages de formation des juristes, tel que SattelmacherSirp, Bericht. Gutachten. Urteil. Anleitung für den Vorbereitungsdienst der Referendare, 31e éd., Munich 1989; Schneider, Zivilistische Einführung in die juristische Praxis. Eine Schulung für den Referendardienst, 1969; Derg/Zimmermann, Gutachten und Urteil. Eine Anleitung für die zivilrechtlichen Ausbildungs- und Prüfungsarbeiten mit Beispielen, Stuttgart 1994. 7 Grunsky, Wert und Unwert der Relationstechnik, dans: JuS 1972, p. 29 s., p. 137 s., p. 524 s. 8 Cfr. par ex. Steines, Wert und Unwert der Relationstechnik, dans: JuS 1972, p. 520 s.; Bero, ibid., p. 523 s.; Schneider, Relationstechnik, dans: JuS 1973, p. 100; Müller, Wert und Unwert der Relationstechnik, dans: JuS 1974, p. 313; Schmidt, dans: JuS 1974, p. 441.
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auteurs réformateurs tels que Hartwieg, Hesse, Schmidt, Wassermann, d’adapter ces règles à la simplification du procès civil9. Mon but n’est pas de porter un jugement sur ces canons stylistiques. Je crois cependant que l’absence de discussion sur ce thème tient surtout à ce qu’aucune analyse historique ou fonctionnelle n’a été menée à ce jour dans une perspective comparatiste. La justification historique d’une telle tradition stylistique dans le système judiciaire allemand est insuffisante. Ainsi Grunsky parlet-il à ce sujet d’un rejeton très résistant de la jurisprudence des concepts10; Rasehorn renvoie, quant à lui, au premier volume de Sattelmacher (1884)11; tandis que Kiefner parle ici d’une véritable erreur de jugement historique et croit trouver déjà chez Kant, dans un traité sur la méthode du juge en matière civile, un extrait de la technique allemande du rapport12. Dans une thèse de Francfort, Berger a tenté de retracer l’histoire de cette technique. Il en conclut que le procédé d’élaboration du rapport, tel qu’il est pratiqué encore aujourd’hui, remonte aux années 1850. Il serait donc impossible d’établir un lien historique avec le droit judiciaire issu du ZPO (ordonnance de procédure civile) de 1877, auquel font pourtant référence la plupart des introductions13. Voici les différentes réponses apportées à ce jour à notre question de départ. Nous nous sommes jusqu’ici cantonnés à l’expérience des juristes allemands sans nous demander s’il existait des règles de style comparables dans d’autres systèmes juridiques européens et si de tels styles de décision pouvaient être restitués dans un processus d’évolution historique. Cette question n’est pas novatrice en soi. En réalité, on a souvent opposé les particularités stylistiques des jugements des pays de Common Law à celles des jugements d’Europe continentale. Plutôt que d’aborder d’emblée la tradition historique spécifique de la Common Law, il paraît ici plus judicieux de traiter en priorité la tradition stylistique d’Europe continentale.
___________ 9 Schmidt, Wandlungen im Zivilprozeß und Relationstechnik, Recht und Politik 16 (1980), p. 106-113; Wassermann, Glanz und Elend der Verhandlungsmaxime, Recht und Politik 16 (1980), p. 98 s., en particulier p. 104; Hartwieg-Hesser, Die Entscheidung im Zivilprozeß, Frankfurt 1981, en particulier p. 6-22. 10 Grunsky, op. cit. (note 8), p. 30. 11 Cité d’après Hartwieg-Hesser, Die Entscheidung (note 9), p. 17. 12 D’après Hartwieg-Hesser, loc. cit. 13 Cfr. Berger, Die Entwicklung der zivilrechtlichen Relationen und ihrer denktechnisch-methodischen Argumentationsformen, Diss., Frankfurt 1975, en particulier p. 146 s.
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C. La comparaison avec d’autres modèles européens Tournons-nous à présent vers le droit comparé. On retrouve dans chacun des systèmes juridiques et judiciaires d’Europe continentale des différences notables dans l’art et la façon dont le juge en matière civile manie logique, syntaxe et langage pour élaborer et formuler ses décisions. Dans une étude devenue aujourd’hui un classique, Gillis Wetter a décrit les particularités stylistiques qui caractérisent les jugements des diverses instances d’appel14. Rappelons ici certaines de ces caractéristiques: la longueur du jugement, la référence à la jurisprudence et à la doctrine; la présence d’obiter dicta; la prise en considération ou non des arguments des parties ou de l’instance ayant déjà jugé l’affaire. On peut ajouter que ces styles sont en général ancrés dans une tradition et donc très contraignants. Nous nous concentrerons ici sur trois modèles de styles judiciaires en Europe continentale: le modèle français, italien et allemand. Débutons par l’exemple du modèle français traditionnel d’avant les réformes15. A première vue, un jugement français se résume à une seule phrase. S’agissant de la Cour de cassation on dira la cour ... casse. Les motifs de la décision sont insérés entre le sujet et le prédicat de cette phrase, à travers une série de subordonnées (« attendu... que »). On parle de jugement à phrase unique. L’énoncé des faits se limite à quelques indications succintes. Jusqu’à la réforme de 1958 le jugement français ne comprenait aucun élément de fait. Ce que l’on nomme les qualités était bien plus considéré comme partie intégrante de la décision. Celles-ci, rédigées par les avocats après le rendu de la décision, comprenaient des indications sur les parties au procès et sur l’histoire du procès, ainsi que les prétentions des parties. Un tel système, qui confiait aux parties la rédaction de l’énoncé des faits était lié à la tradition de l’ancien droit. Il s’étendit, parallèlement au droit procédural français, à un grand nombre de ___________ 14
Cfr. Gillis Wetter, The styles of appellate judicial opinions. A case study in comparative law, Leiden 1960. Voir aussi Schmidt, The ratio decidendi. A Comparative Study of a French, a German and an American Supreme Court Decision, Göteborg/Uppsala 1965; Gorla, Lo stile delle sentenze. Ricerca storico-comparativa, dans: Il Foro italiano 1967, Quaderni, col. 313 s.; du même, Lo stile delle sentenze. Testi commentati, dans: Il Foro italiano 1968, Quaderni, col. 365 s.; Goutal, Characteristics of Judicial style in France, Britain and the USA, dans: American journal of Comparative Law 24 (1976), p. 43 s.; Lawson, Comparative judicial style, ibid. 25 (1977), p. 365 s.; Kötz, Über den Stil höchstrichterlicher Entscheidungen, (Konstanzer Universitätsreden 62), Konstanz 1973, et dans: RabelsZ 1973, p. 245-263; en italien dans: Riv. di dir. civ. 24 (1978), I, p. 772 s., commentaire de Nannini; enfin cfr. Lashöfer, Zum Stilwandel in zivilrechtlichen Entscheidungen. Über stilistische Veränderungen in englischen, französischen und deutschen zivilrechtlichen Urteilen, Münster 1992. 15 Cfr. la description faite par Dawson, The oracles of the Law, Ann Arbor 1968, p. 406-411; Tunc, Synthèse, dans: Rev. intern. de droit comparé 1978, p. 72. Pour les dernières réformes cfr. note 37 s.
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pays européens. Il faut dire que la nécessité d’un énoncé des faits n’a pas non plus fait débat en Allemagne avant l’ordonnance de procédure civile (ZPO) de 1877. Otto Bähr (juge à la cour d’appel de Cassel) était par exemple favorable à un tel système d’inspiration française. La conservation de ce style et de cette tradition judiciaire – du moins jusqu’à la réforme de 1977 sur laquelle je reviendrai ultérieurement – s’explique par l’existence d’une tradition très stricte d’enseignement du droit qui sera pratiquement canonisée par les ouvrages, aujourd’hui très célèbres, de Mimin et de Leboulanger16. A cela s’ajoute le contrôle scrupuleux de bureaux du ministère qui, par voie d’arrêté, règlent en détail jusqu’au vocabulaire à employer dans les jugements17. Un jugement italien a une toute autre apparence. Il est structuré de la manière suivante18: motivation rédigée dans un style discursif et doctrinal très détaillé, reprenant les arguments des parties; dispositif en fin de décision; mélange du fait et du droit; présence d’obiter dicta. Il n’existe pas ici d’ouvrages pédagogiques à l’intention des professionnels. Le style se transmet pour ainsi dire oralement aux jeunes magistrats. Quant à l’exemple des décisions allemandes, bornons-nous à rappeler ses principales caractéristiques: différenciation rigoureuse entre le fait et le droit; différence de style très affirmée entre l’avis et le jugement; règles précises et cohérentes de construction de texte; particularités syntaxiques marquées; existence d’ouvrages d’initiation; enfin, tradition de formation des juristes à ces canons. Ces différences entre les pays ne doivent cependant pas nous tromper. Avançons l’idée selon laquelle nous serions en présence d’un seul et même phénomène historique et fonctionnel. Notre analyse s’attachera à démontrer tout d’abord qu’une comparaison historique permet de faire ressortir les liens génétiques et structurels qui unissent ces styles de jugements européens en apparence si différents; ensuite que ces différences ne sont apparues qu’au XIXe siècle dans les systèmes juridiques et judiciaires continentaux.
___________ 16
Mimin, Le style des jugements. Vocabulaire. Construction. Dialectique. Formes juridiques, 4e éd., Paris 1970; Leboulanger, La pratique des jugements et arrêts, Paris 1965. 17 Cfr. documentation à ce sujet dans Mendegris, Méthodes du droit. Le commentaire d’arrêts en droit privé, 2e éd., Paris 1983, p. 6 s., avec reproduction (pp. 14-15) de la circulaire du Premier Président de la Cour de cassation du 10.6.1921 et de la circulaire du 15.9.1977. 18 Cfr. Gorla, Civilian Judicial Décision. An historical account of Italian style, dans: Tulane Law Review 44 (1970), p. 740-749.
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D. La dimension historique du problème Quels modèles l’histoire européenne du droit connaît-elle? La différenciation entre une décision et sa motivation n’est pas caractéristique uniquement de la tradition de Common Law – comme l’ont prétendu quelquefois certains comparatistes – mais se retrouve également dans la pratique judiciaire d’Europe continentale. Notre étude portera sur deux principaux modèles historiques. La procédure devant la Rota romaine correspond au modèle le plus ancien19. Au sein d’un tribunal collégial, un juge (ponens) est chargé de la conduite d’un procès. Le litige est analysé point par point par le juge en accord avec les parties. Le collège procède ensuite à un vote sur chaque point litigieux ou dubia présenté par le juge (ponens). Chaque juge émet un avis. Le ponens rassemble dans ce que l’on appelle decisio, la somme des dubia et des avis: la decisio ne comprend pas les motifs de la décision mais constitue plutôt une declaratio adressée aux parties et se réfère précisément à leurs arguments (dubia). Selon les termes des auteurs de l’époque, une decisio est alors définie comme une compilatio consiliorum dominorum auditorum, ce qui n’est pas sans rappeler la consignation par écrit (report) des opinions des juges de Common Law. La décision ou sententia ne comprend pas les motifs et sera par la suite rédigée par le greffe. Le deuxième modèle est issu des tribunaux supérieurs notamment français mais aussi de l’ancien empire d’Allemagne. La forme écrite de la procédure et la collégialité des tribunaux ont influencé la technique et le style des décisions. La rédaction d’un rapport (Relatio) à partir du dossier constitue la principale tâche du juge. Le besoin pour le tribunal collégial d’être informé du procès, a révélé l’utilité d’un juge agissant comme rapporteur (Relator), rédigeant un compte rendu, appelé relatio, à partir des pièces du dossier et le présentant à ses collègues. Dès le XVIe siècle, des règles très strictes de construction furent élaborées20. Un tel ensemble de règles certainement liées à la tradition méthodique
___________ 19 Récapitulatif Berger, op. cit. (note 13), p. 23 s.; enfin Ranieri, dans: Ius Commune 24 (1995), p. 399-403; dans les ouvrages de l’époque, voir de Emerix, Tractatus seu notitia S. Rotae Romanae, 1676, éd. Lefebvre, Tournai 1958, p. 73-100; de Luca, Della relazione delle Curia romana forense, dans: Il Dottor volgare, éd. Firenze 1843, chap. XXIX, p. 565. Il n’y a pas encore eu de recherche portant précisément sur le lien existant entre une telle pratique et le procès civil à la fin de l’époque romaine où il était d’usage d’analyser en « particula » l’objet du litige; on parle alors de « Zerlegung der narratio in capitula ». (Sur ce problème voir Simon, Untersuchungen zum justinianischen Zivilprozeß, München 1969, p. 20 s.). 20 Cfr. le manuel du juriste espagnol Matienzo, Dialogus relatotis et advocati pintani senatus, Valladolid 1558 et 1604; édité également en Allemagne, Frankfurt 1618, 1623.
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des juristes savants du mos italiens21, ne tarda pas à être remplacé par des ouvrages de procédure et de pratique de l’époque, la formation des jeunes praticiens étant l’objectif prioritaire. On trouve des traces de cette littérature pédagogique dans les ouvrages juridiques allemands dès le XVIe siècle22. Berger cite plus de vingt ouvrages de ce type datant du XVIIe et XVIIIe siècle dans son inventaire des sources quelque peu incomplet23. Des règles strictes de logique et de syntaxe dans la construction et la formulation de tel rapport de procès ce sont ainsi transmises. La construction ainsi suggérée (dont les règles seront d’ailleurs reprises dans l’ordonnance générale prussienne sur les institutions judiciaires de 1781) se retrouve dans certaines règles toujours enseignées de nos jours aux jeunes juristes allemands. Un compte rendu de procès à la Chambre impériale de Spire se structurait au XVIIe siècle à peu près de la sorte: – Species facti; – Historia processus; – Extractus actorum (Reproduction des écritures des parties); – Votum (substantia actionis (quae sit actio), an probata, an elisa); – Projet d’arrêt. La pratique du Parlement de Paris connaissait également depuis les XVIe et XVIIe siècles des règles de travail semblables et des ouvrages d’initiation similaires. Dans la première édition de la procédure civile de Pigeau (1787), plusieurs chapitres détaillés sont consacrés aux règles à observer dans la construction et la formulation d’un rapport devant être établi à chaque procédure écrite24. Comparées aux ouvrages d’initiation allemands de l’époque, on s’aper___________ 21
Voir le commentaire au Codex, tit. de relationibus (C.7.61); cfr. Durante, Spéculum iuris, tit. de relationibus. 22 Cfr. le Tractacus methodicus processi Camerae Imperialis, in Symphorema Consultationibus, I, Frankfurt 1601, p. 70-72, « modus referendi causas in iudicio »; plus tard cfr. Bocer, Disputationum de universo quo utimur iure methodo eleganti conscriptarum, 3e éd., Argentorati 1634, Classis VI. Disp. III, p. 349 s., « modus referendi »; Rosencorb, Syntagma observationum practicarum recentiorum in supremis Germaniae tribunalibus, Frankfurt 1646, chap. II, p. 2-4, « methodus referendi, seu vota concipiendi »; Besold, De iudiciario processu et modo referendi seu votandi, Tübingen 1632 et Nürnberg 1641. Comme exemple d’un rapport du Reichskammergericht (juridiction supérieure de l’Empire) au début du 16e, cfr. Sprenger-Wijffels, De actio quanti minoris in de praktijk van het Rijskamergerecht, ca. 1535, dans: Lambrecht (éd.), Handelingen van het tiende belgisch-nederlands rechthistorisch colloquium, Bruxelles 1990, p. 129-159. 23 Berger, Die Entwicklung (note 13), p. 156-162. 24 Cfr. La procédure civile du Châtelet de Paris et de toutes les juridictions ordinaires du Royaume démontrée par principes et mise en action par les formules, I, Paris 1787,
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çoit au fond que les règles de construction étaient très similaires. Le rapport d’un juge du Parlement français devait suivre à peu près cette construction: – fait (en ordre chronologique), qui correspond au species facti; – extrait de la procédure, qui correspond à l’historia processus; – extrait des moyens qui rassemblent les prétentions des parties et notamment les moyens invoqués; – Votum. Ceci démontre clairement que le juge dans l’Europe continentale des XVIeXVIIIe siècles était habitué à conduire et à juger le procès selon des règles techniques très strictes. La technique de rédaction très élaborée d’un Votum – une sorte d’avis – dans lequel les divers points de droit et de fait sont discutés selon un ordre rationnel pour aboutir à la décision, est au centre de ces règles. Il est important de constater que ces formes contraignantes étaient communes à la tradition européenne du ius commune. Or on semble aujourd’hui avoir quasiment oublié cette communauté de tradition.
E. Rédaction du jugement et obligation de motiver Cette tradition commune à l’Europe continentale connaît cependant une nipture au XIXe siècle avec l’apparition de l’obligation de motiver. Que devient alors ce que l’on avait appelé le Relatio/Votum/Rapport? Dans les trois principaux pays issus de la tradition d’Europe continentale précédemment cités, on voit apparaître trois évolutions différentes. En France, l’obligation de motiver (1790) fut introduite parallèlement au principe d’interdiction d’interprétation du droit par le juge25. Le législateur de la Révolution était encore empreint d’un rationalisme hostile à la iuris interpretatio des juristes savants. Ainsi, selon ce modèle jusnaturaliste de législation, toute question de droit conduisait automatiquement à un référé législatif. La structure des anciens arrêts du Tribunal et de la Cour de cassation motivés correspond à ce modèle26. L’exposition sommaire de points de fait et de droit (qui ___________ II, part. II, p. 335-336; Jousse, Traité de l’administration de la justice, II, Paris 1771, part. III, pp. 60-67. 25 Récapitulatif sur ce sujet: Sauvel, Histoire du jugement motivé, dans: Revue de droit public 1955, p. 5 s. et p. 45. 26 Cfr. Sauvel, op. cit., p. 45; voir plus loin l’analyse historique de Dawson, Vie Oracles (note 16), p. 380-381. Autrement, l’explication historique de Gorla, Sulla via dei motivi délie sentenze: lacune e trappole, dans: Studi in onore di S. Satta, Milano 1981, et dans: Gorla, Diritto comparato e diritto comune europeo, Milano 1981, p. 716 s., surtout p. 729 n. 15; enfin cfr. Halperin, Le Tribunal de Cassation sous la révolution française, Thèse de droit, Paris II 1985, p. 414-420; Le Tribunal de Cassation et la naissance
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correspondent aux « qualités » dans la pratique de l’Ancien Régime) est suivie de l’allégation du texte de loi ou de la maxime de jurisprudence. La concision de ce style de décision demeura caractéristique même après la disparition du référé législatif (art. 4 Code civil). Ce qui fait défaut ici avant tout c’est une motivation de la décision comme commentaire explicatif. Le Code de procédure civile de 1806 ne prévoyait du reste plus la préparation traditionnelle d’un rapport de dossier avant la décision. Les débats oraux le rendaient vraisemblablement inutile27. En réalité, la pratique judiciaire a tout de même maintenu la présentation du dossier et le votum. On trouve même de tels rapports dans les plus anciennes archives des arrêts de la Cour de cassation28. Aujourd’hui encore la rédaction d’un rapport ou d’une note joue un rôle très important dans la préparation d’une décision de la Cour de cassation. Un juge français en a d’ailleurs parlé récemment en montrant que l’élaboration du rapport reflète les anciennes règles traditionnelles de construction29. En réalité, le rapport, ainsi que la note, ne restent pas toujours secrets. Dans les collections d’arrêts français, les décisions sont publiées accompagnées des observations qui correspondent souvent précisément à la note du juge rapporteur: Une telle pratique, remontant aux premières années de publication des recueils français, comme le Dalloz ou le Sirey, compense ainsi de manière fonctionnelle l’absence de motivation discursive dans les jugements français. Dans les États italiens du XIXe siècle en revanche, l’obligation de motiver était introduite dans un système où il était d’usage que les juges participent à la iuris interpretatio. Le decisio de la tradition rotale faisait donc office de motivation. Cela donne un style de motivation très élaboré, compliqué, reprenant les arguments invoqués par les parties (le nec obstat des anciennes Rotae). Il est significatif que les juges italiens n’aient jamais adopté le style concis français et ce même pendant la période napoléonienne. Face à cette tradition, les interdictions réitérées du législateur italien restaient toujours sans effet30. On re___________ de la jurisprudence moderne, dans: Badinter (éd.), Une autre justice, Paris 1989, p. 225241. 27 Cfr. Merlin, dans: Répertoire universel et rationné de jurisprudence..., 5e éd., Paris 1828, T. XIV, p. 891 sub « Rapport de procès ». 28 Cfr. les indications dans Gorla, Sulla via (note 26), p. 729 n. 15; Halperin, Le Tribunal de Cassation (note 26), p. 414-415. 29 Cfr. Frank, L’élaboration des décisions de la Cour de cassation ou la partie immergée de l’iceberg, dans: Dalloz-Sirey 1983, chronique, p. 119-122. 30 Cfr. Art. 265 du Regolamento generale giudiziario de 1865: « Nella compilazione dei motivi delle sentenze... si enunciano gli articoli di legge, sui quali si è fondala... senza estendersi a confutare tutti gli addotti in contrario dai patrocinatori delli parti... »; voir Art. 118 de Disposizioni di attuazione del codice di procedura civile de 1941. Làdessus Gorla, Lo stile (note 14), p. 327-329, il remarque: « i modelli di sentenza non si dettano con norme législative, ma si formano mediante l’educazione (universitaria e postuniversitaria), mediante il tirocinio nella bottega dell’artigiano (il giudice anziano)... »;
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3. Teil: Rechtsprechung und Zivilrecht
trouve, en Espagne et au Portugal la même construction élaborée des motivations d’un jugement, axée non point sur le résultat mais sur les moyens invoqués par les parties. Dans la pratique judiciaire allemande, notamment en Prusse, l’introduction de l’obligation de motiver n’a paradoxalement pas permis au Votum de jouer le rôle de motivation. Il semblerait pourtant q’une telle tendance soit apparue au cours des premières décennies du XIXe siècle. C’est ce dont témoignent les nombreux arrêtés des ministères de la justice des États allemands de l’époque. Ainsi, par exemple, en 1818 les rapporteurs furent rappelés à l’ordre pour avoir publié des communications ou des avis à la place des motifs31. Le dualisme qui marquait le système prussien de formation des jeunes juristes semble avoir été ici déterminant. L’introduction du « referendariat » avait conduit dès le XVIIIe siècle à une réglementation très pointue du style judiciaire32. Ceci explique que les règles traditionnelles régissant les rapports et les votes aient été reprises dans les dispositions de l’ordonnance générale prussienne sur les institutions judiciaires et dans les arrêtés ministériels. La commission pour les examens au ministère de la Justice (Immediat-Justiz-Examinationskommission) publia entre 1833 et 1836 des instructions concernant la rédaction des avis et des jugements33, qui ont sensiblement marqué la formation du juge allemand jusqu’à nos jours. ___________ du même, La motivation des jugements, dans: Diritto comparato (note 27), p. 359 et p. 388. 31 Cfr. Instruktion an die Appellations- und Untergerichte über die zweckmäßigste Fassung der den Erkenntnissen beizufügenden Entscheidungsgründe, de Bavière, du 5.5.1813, reproduite dans Werner, dans: BayVwBl 69, p. 307. Cfr. aussi Brinkmann, Über die richterlichen Urteilsgründe, Kiel 1826, et sa critique « jener furchtbaren Fakultätsperiode, der hinter seiner ‚obwohl‘ das ganze Heer der Zweifelsgründe aufstellte »; du même, Pfeiffer, Practische Ausführungen aus allen Teilen der Rechtswissenschaft. Mit Erkenntnissen des Oberappellationsgerichts zu Kassel, Hannover 1825, préface, p. VI-VII, remarque que « ... nicht alles, was in den theoretischen Ausführungen vorkommt, dem Oberappellationsgerichte zum mittelbaren Entscheidungsgrunde gedient hat, [...] die Mitteilung der Relationen ... (habe) ... zu dem Mißbrauche Veranlassung gegeben, einzelne rationes decidendi oder auch wohl dubitandi [...] als Präjudizien zu citiren ». 32 Cfr. Bleek, Von der Kameralausbildung zum Juristenprivileg, Berlin 1972; Bake, Die Entstehung des dualistischen Systems der Juristenausbildung in Preußen, Diss. jur., Kiel 1971, p. 13 s. et plus particulièrement p. 135. 33 Cfr. Immediat-Justiz-Examinations-Kommission: Über die bei den CivilRelationen für die dritte juristische Prüfung häufig wahrgenommenen Mängel, dans: Kamptz, Jahrbücher für die Preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung 47 (1836), p. 451-491; Bake (note 32), p. 121 s., qui ne cite qu’une instruction plus tardive de la Haute Cour d’Appel de Naumburg, Über die Anfertigung der Referate, Vota und Erkenntnisse, dans: Justiz-Ministerialblatt für die Preußische Gesetzgebung und Rechtspflege 15 (1853), p. 72 s.
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F. La dimension du problème en droit comparé Nous pouvons dès à présent tirer quelques conclusions à partir des faits historiques présentés. Les critiques parfois véhémentes qui se sont élevées en Allemagne contre la technique du rapport (Relationstechnik), de même que ses défenseurs, ne semblent pas avoir abordé le problème de fond. On a pu voir que les règles qui régissent la pratique des juges allemands, ne sont nullement issues des contraintes imposées par le Code de procédure civile, comme l’affirment la plupart des ouvrages d’initiation, mais plutôt d’une tradition historique bien plus ancienne, aujourd’hui largement oubliée. On a également pu se rendre compte que de telles règles pratiques de travail, qui transparaissent dans la formation, la façon de travailler et la pensée des praticiens du droit allemand, semblaient difficilement réformables. Or, le droit comparé nous a pourtant appris que si le juge des autres systèmes juridiques ne connaît peutêtre pas la technique allemande du rapport, il utilise d’autres règles de travail qui conditionnent elles aussi sa formation et son style. Ces diverses formes, issues d’un même héritage historique, remplissent une fonction identique: elles servent de guide au juriste dans son travail quotidien et permettent un contrôle rationnel de celui-ci. Une question reste encore en suspens: les styles judiciaires quoique non réformables subissent cependant des changements dans l’histoire; est-il possible aujourd’hui d’entrevoir leurs perspectives d’évolution en Europe continentale? Pour ma part j’affirmerais que les différences stylistiques observées en Europe continentale iront en s’amenuisant. En France le style apodictique du « jugement à phrase unique » est controversé depuis au moins une génération. En 1958 déjà, lors de la réforme du Code de procédure civile, on avait supprimé les qualités (les déclarations des parties sur les faits). Depuis la réforme, le jugement français doit contenir un énoncé des faits rédigé par le juge lui-même. Dix ans plus tard, Tunc suggéra de s’affranchir enfin du style traditionnel de rédaction des arrêts. Ce n’est pas un hasard d’ailleurs si sa proposition s’inspirait des modèles de décisions étrangères34. Ceci déclencha une vague d’indignation dans les rangs de la magistrature française35. Pourtant depuis 1977 le ministère de la Justice et l’Ecole Nationale de la Magistrature poussent dans le sens d’un renouvellement de la ___________ 34 Cfr. Touffait/Maller, La mort des attendus? (note 4), p. 123 s.; Touffait/Tunc, Pour une motivation plus explicite des décisions de justice notamment de celles de la Cour de cassation, dans: Rev. trim. civ. 73 (1974), p. 487. Enfin cfr. Witz, Libres propos d’un universitaire français à l’étranger, dans: Rev. trim. civ. 91 (1992). 35 Cfr. Mimin, Le style (note 16), p. 185; Breton, L’arrêt de la Cour de cassation, Annales univ. Toulouse 1975, p. 7, et dans: Il Foro italiano 5, col. 41, avec une note de Gorla. Une synthèse des débats par Tunc, Synthèse (note 15), p. 6.
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structure et du processus d’élaboration des décisions36. Les faits devront désormais être présentés sous une forme discursive. En premier lieu viennent les faits (ce qui revient aux faits établis dans les décisions allemandes), suivis des moyens des parties, qui reproduisent les écritures du demandeur et du défendeur et enfin la motivation, qui doit tenir en une phrase introduite par attendu que... Aujourd’hui, à l’exception de la Cour de cassation et de quelques Cours d’appel, ce style de décision semble avoir été adopté par un grand nombre de tribunaux civils en France. En Allemagne, les règles stylistiques traditionnelles ont aussi été controversées. Que l’on se souvienne seulement que les défenseurs des règles traditionnelles eux-mêmes s’interrogeaient quant à savoir si dans un État moderne le style du jugement ne devrait pas chaque jour renoncer un peu plus à l’apodictique jugement souverain37. A l’inverse en Italie on critique de plus en plus la longueur des jugements et leur absence de rigueur stylistique. C’est ainsi, par exemple, qu’il a été sérieusement proposé d’établir des règles contraignantes de « tecnica giudiziaria », notamment pour aller à l’encontre d’une forme de motivation qui est axée sur la réponse apportée à chacun des arguments développés par les parties38. Il est symptomatique de voir le plus éminent spécialiste de la tradition jurisprudentielle italienne – Gino Gorla – préconiser, au début des années 70, un « Sattelmacher italien »39, alors que cet ouvrage incarnant la tradition stylistique allemande, était vivement contesté en Allemagne à la même époque. Il est parfois possible en droit comparé de se livrer à ce que l’on pourrait qualifier d’observation expérimentale. Une telle étude de l’évolution des styles judiciaires fut rendue possible lors de la création de la Cour de Justice des Communautés Européennes, dans laquelle cohabitent des juges de formation et de culture différentes. Le style des décisions de la CJCE atteste des nouvelles tendances avancées ci-dessus40. Un rapide examen des décisions publiées par la cour siégeant à Luxembourg permet de constater la prépondérance du style français dans les premières années. Par la suite la CJCE a développé son propre style, laissant plus de place à une discussion détaillée des faits tout en conservant un style rigoureux. On y a vu l’influence de la jurisprudence allemande. Il ne semble pas exagéré de penser, que le style des décisions de la CJCE pourrait ___________ 36
Schroeder, Le nouveau style judiciaire, Paris 1978, en particulier p. 1, p. 34 s. Cfr. Hattenhauer, op. cit. (note 1), p. 133-134. 38 Cfr. Gorla, Lo stile (note 14), col. 348; Boselli, Lo stile della curia, dans: Studi parmensi 1981, II, p. 31; Carusi/Protetti/Vacca, Atti giudiziari legali e notarili. Le tecniche unitarie per la redazione degli atti nella pratica della vita giuridica, Milano 1982. 39 Gorla, Lo stile (note 14), col. 349. 40 Là-dessus Gorla, col. 344-347; Trabucchi, dans: Riv. di dir. civ. 1978, I, pp. 796797. Cfr. également l’indication de Schroeder, Le nouveau style (note 36), p. 53. 37
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aussi avoir une influence sur les modèles nationaux. Il est intéressant de rappeler que les auteurs Français de la réforme de 1977 se sont inspirés aussi des décisions de la Cour de Luxembourg.
G. La publication des jugements en matière civile et ses effets Au-delà des différences extérieures dans la forme des décisions en matière civile, sur lesquelles il existe un grand nombre d’études en histoire du droit et en droit comparé, il paraît en revanche beaucoup plus difficile, dans la tradition juridique continentale, d’expliquer le décalage ostensible qui existe entre la jurisprudence publiée et le texte des décisions rendues à l’origine. On voit apparaître dans les différents recueils et journaux, un travail de sélection, de commentaire et parfois même de transformation des matériaux originaires opéré par certains rédacteurs et éditeurs41. C’est dans le choix effectué parmi l’ensemble des décisions rendues par la justice que commence leur intervention. Selon toute vraisemblance, seule une infime partie des décisions effectivement rendues a en général été publiée dès le XIXe siècle. Un tel décalage entre la jurisprudence publiée et la justice effectivement rendue reste encore vrai aujourd’hui dans l’ensemble, même s’il existe des différences d’un pays à un autre. Il existait déjà au siècle dernier, auprès de certains tribunaux supérieurs (comme la Cour de révision de l’Empire allemand ou encore le Tribunal suprême autrichien) des collections officieuses qui, sur ce point, continuent d’exister. Dans ces collections ce sont les juges eux-mêmes qui sélectionnent les arrêts à publier. L’avocat remplit la même fonction mais sous une forme différente, lorsqu’il est éditeur de périodiques ou de recueils de jurisprudence. On pense ici en particulier à des recueils comme Dalloz (Paris) ou Giurisprudenza italiana (Turin) dirigés de génération en génération par des cabinets d’avocats très en vue et donc très influents. On peut regretter qu’il n’existe aucune étude, notamment biographique, concernant ce sujet en particulier sur ceux qui pratiquaient en privé un tel choix préalable et sur les critères et les conséquences d’un tel choix. Une recherche de ce genre devrait se concentrer d’abord sur quelques cours et recueils en particulier. Selon toute vraisemblance, on constaterait le rôle considérable joué par certains avocats et certains juges – en Europe généralement et pas seulement en Angleterre – dans le développement de la pratique judiciaire. Les décisions ainsi choisies étaient rédigées par les éditeurs et les rédacteurs dans leurs recueils ou journaux, en vue de leur prochaine publication. Un rapide survol des recueils du XIXe et du XXe siècles réserve à l’observateur de très grandes surprises. Ce ___________ 41 A ce propos cfr. en particulier Ranieri (éd.), Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa (1800-1945), I, Frankfurt 1992.
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qui étonne ce n’est pas tant l’énorme matériel ainsi mis à jour, que la très grande diversité des formes sous lesquelles les décisions ainsi sélectionnées et rédigées viennent à être publiées. Parfois, certaines décisions ne sont pas publiées intégralement, ce qui est – au contraire – la règle en France: seuls quelques extraits des motifs sont imprimés, parfois même ils peuvent être racourcis, voire reformulés en tout ou partie. Gino Gorla s’est livré, il y a déjà vingt ans, aux premières études comparatives sur la pratique de la publication des arrêts en France et en Italie au XIXe siècle. De telles études n’existent pas pour les collections jurisprudentielles allemandes ou espagnoles, par exemple. Malgré la multiplicité des techniques de publication, nous nous sommes limités ici à deux brefs exemples, autour desquels on peut pour l’instant établir une typologie sommaire des systèmes judiciaires civils en Europe continentale. La publication d’une décision peut premièrement consister dans l’insertion de l’arrêt dans l’histoire du procès où sont résumés les points litigieux et les diverses questions de droit soulevées. Les recueils français – Dalloz et Sirey – et leur technique de publication très avancée dès les premières décennies du XIXe siècle, illustrent parfaitement cette première technique de publication. Des commentaires et des informations complémentaires tirées du dossier, telles que les écritures des parties, accompagnent la publication des arrêts apodictiques de la Cour de cassation. La technique de ces recueils permet d’inscrire les collections et recueils français dans la continuité des ouvrages du XVIIe et XVIIIe siècles. Il est tout à fait significatif de retrouver la même structure dans l’édition des décisions rendues dans certains territoires italiens de la première moitié du XIXe siècle, tels que le Piémont ou la Toscane, au cours des dernières décennies de l’époque de la tradition du ius commune. Les traditionnels reports anglais font également partie de cette technique de publication. Quant à la deuxième forme de publication, elle ne reproduit pas le texte original de la décision mais seulement un résumé, sous forme d’une ou plusieurs règles abstraites faisant référence à des principes de droit (massima, Leitsatz). Ces résumés peuvent provenir soit de la rédaction de revues privées soit des tribunaux eux-mêmes, de façon officielle ou officieuse. Ils seront en grande partie édités dans des répertoires selon un classement alphabétique des mots-clés. Les formes prises par ces publications en Europe continentale sont tellement variées qu’il nous faut ici renoncer à entrer dans une description et une typologie plus détaillées. Cela vaut aussi bien pour l’origine, privée ou officielle, des résumés que pour leur forme extérieure. On pense ici bien évidemment aux fameux répertoires français dirigés dès le XIXe siècle par de grosses maisons d’édition comme Dalloz et Sirey, mais aussi aux fonctions officielles remplies par l’Evidenzbüro auprès du Tribunal supérieur autrichien, ou de l’Ufficio del Massimario auprès de la Cour de Cassation italienne. S’agissant du Tribunal de l’Empire allemand (Reichsgericht) les résumés n’apparaissaient que sous forme de questions dans les publications officielles tandis qu’ils étaient rédigés sous une forme différente, affirmative et plus détaillée dans les répertoires de juris-
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prudence, destinés à l’usage interne42. Il est important de remarquer que dans tous les cas, la voie la plus répandue de publication de la jurisprudence civile des cours supérieures de certains pays européens se faisait – et continue de se faire – sous forme de publication des résumés et des principes, comme en témoigne les répertoires espagnols ou italiens par exemple. Il est indispensable de bien connaître ces pratiques de publications, qui empêchent d’accéder directement au texte de la décision dans ses détails si l’on veut véritablement comprendre en profondeur ces systèmes juridiques et judiciaires. La technique de publication constatée en Italie et en Espagne indique cependant un changement profond. Les juristes de ces pays ont un autre accès à la jurisprudence qu’en France ou qu’en Allemagne. La décision n’étant publiée qu’après avoir été rédigée et résumée en une proposition normative abstraite, il n’y a plus de lien entre les faits et les motifs, le dispositif étant devenu une norme juridique abstraite. Il serait très intéressant de rechercher en quoi la formation des juristes a pu influer sur ces pratiques de publication des décisions, véritable entreprise de transformation de la jurisprudence civile, et ce que les juristes en espéraient. L’analyse historique de la théorie des sources du droit, dans les systèmes juridiques d’Europe continentale au cours des deux derniers siècles, doit s’intéresser aussi à la fonction remplie par ces nombreux répertoires, Massimari et autres inventaires de VIII.
Conclusion L’évolution de la jurisprudence des cours ainsi que la rédaction et la publication des arrêts, sont intimement liées dans leur fonction et leur histoire, en Europe, non seulement en Angleterre mais aussi dans les pays européens de tradition plus récente. Il n’est pas nécessaire d’insister ici sur le fait que l’apparition d’une documentation écrite relative à l’activité judiciaire fut sans doute l’un des événements les plus marquants de l’histoire de la Common Law anglaise, surtout si l’on considère la spécificité de sa tradition judiciaire. Une partie importante de la littérature anglo-américaine en histoire du droit s’est intéressée aux reports, depuis leur apparition au XVIe siècle jusqu’aux grandes réformes du XIXe siècle. On s’est en revanche assez peu intéressé à l’impact qu’a pu avoir la technique de publication et la forme de la rédaction du texte de la décision sur le système de la Civil Law. Ceci est particulièrement vrai en ce qui concerne l’évolution du droit privé en Europe continentale au cours des deux derniers siècles. Sur ce point précis, les historiens du droit comme les comparatistes ont encore beaucoup de pain sur la planche. Nous espérons avoir réussi à convaincre qu’il s’agit d’une question essentielle. Sans cela, on ne peut ___________ 42 Schubert/Glöckner (éd.), Nachschlagewerk des Reichsgerichts Bürgerliches Gesetzbuch, t. I, §§ 1-133, Goldbach 1994; t. II, §§ 158-240, Goldbach 1994.
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saisir la structure du droit appliqué par les praticiens aux XIXe et XVIIIe siècles. Cela nous invite à nuancer, bien plus que nous ne le faisons couramment, notre vision traditionnelle du droit codifié dans l’Europe occidentale.
Das Reichskammergericht und der gemeinrechtliche Ursprung der deutschen zivilrechtlichen Argumentationstechnik Die Frage, welche Bedeutung Geschichte bei der Bewertung der Rechtsprechung eines Gerichtshofes haben sollte, kann in doppelter Hinsicht angegangen werden. Gewöhnlich bietet es sich an, die Judikatur eines Gerichts in den historischen Zusammenhängen ihrer materiellrechtlichen Ergebnisse zu analysieren. Hier soll allerdings ein ganz anderer Weg eingeschlagen werden. Gezeigt werden soll insbesondere, dass ein Gerichtshof auch durch seine Methode, Arbeitsund Argumentationsweise eine historisch bedeutsame Vereinheitlichungsleistung vollbringen kann. Dies ist der Fall für das Reichskammergericht und seinen Einfluss auf Ausbildung und Justizpraxis in der gemeinrechtlichen Tradition in Deutschland und in der darauf folgenden deutschen Zivilrechtspraxis. Die folgenden Ausführungen werden dies verdeutlichen. In einem ersten Abschnitt wird zunächst die besondere Praxis der Aktenrelationen am Reichskammergericht vorgestellt (A.). In einem darauf folgenden Abschnitt sollen dann die besonderen Regeln analysiert werden, nach welchen solche kammergerichtlichen Relationen und Voten angefertigt wurden (B.). In einem letzten Abschnitt wird anschließend zu zeigen sein, wie diese spezifische richterliche Arbeitsmethode heute noch die deutsche Justizausbildung und -praxis prägt, und wie das Reichskammergericht insoweit am Anfang einer methodischen Tradition steht, welche bis in die heutige Zeit der deutschen Juristen- und Justizausbildung reicht (C.).
A. Die Aktenrelation am Reichskammergericht Die gemeinrechtlichen Wurzeln der historischen Tradition einer „praktischen Rechtswissenschaft“ sind in Deutschland untrennbar verbunden mit der Rechtsprechung und mit der Rechtsliteratur aus der Praxis des Reichskammergerichts. Die höchste Gerichtsinstanz im Alten Reich – seit Anfang des 16. Jahrhunderts in Speyer und im 18. Jahrhundert bis Ende des Reiches in Wetzlar ___________ Erstmalig erschienen in: ZEuP 1997, S. 718-734. Siehe auch Ranieri, Entscheidungsfindung und Technik der Urteilsredaktion in der Tradition des deutschen Usus Modernus: das Beispiel der Aktenrelationen am Reichskammergericht, in: Wijffels (Hrsg.), Case Law in the Making: The Techniques and Methods of Judicial Records and Law Reports, Bd. I, Berlin 1997, S. 277-297.
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angesiedelt1 – hat mit ihrer Praxis nicht nur das materielle Recht und das Prozessrecht in den damaligen deutschen Territorien beeinflusst, sondern zugleich die Ausgestaltung der Juristenausbildung wesentlich geprägt. Die kammergerichtlichen Aktenrelationen und Voten – die in diesen drei Jahrhunderten in großem Umfang publiziert wurden2 – stellen nämlich eine bedeutsame historische Quelle auch in methodischer Hinsicht dar. Es geht dabei um die sukzessive historische Entwicklung einer spezifischen richterlichen Arbeits- und Argumentationstechnik in der deutschen Rechtskultur, insbesondere um die Ausformung einer besonderen Arbeitsmethode bei der Erörterung der anfallenden Rechts- und Sachfragen. Die Schriftlichkeit und der mittelbare Charakter des Verfahrens im Römischen Gemeinen Prozess, sowie die kollegiale Struktur der Speyerer Gerichtsinstanz, haben hier Technik und Stil der Entscheidungsfindung mitgeprägt. Im Zentrum der richterlichen Aufgabe eines Assessors am Reichskammergericht stand das Verfassen einer Relation aus einer Prozessakte. Die einzelnen Produkte der Prozessparteien wurden vom Kanzleipersonal in Speyer überhaupt erst zu einem Prozessdossier zusammengestellt, wenn der Rechtsstreit als entscheidungsreif für eine Relation vor dem Kollegium anstand3. Die Notwendigkeit nämlich, das Kollegialgericht über einen Prozess zu informieren, machte es erforderlich, dass ein Assessor als Relator ein Referat, eine sogenannte „relatio“, zum Inhalt der schriftlichen Prozessakte anfertigte und den Kollegen vortrug. Bereits in der Kammergerichtsordnung von 1500 heißt es, „[…] daß in allen Sachen die Besichtigung der Acten und Gerichtshandlungen, so zu Schöpfung der Urtheile nothdürftig sind, allezeit zum wenigstens zwey Assessoren oder Urtheiler […] befohlen werden, also daß jeder der zwey diesselben Acten, ___________ 1 Zum Reichskammergericht siehe neuerdings mit einem zusammenfassenden Überblick zum Literaturstand Diestelkamp, Das Reichskammergericht. Eine Einführung in seine Geschichte, in: Diestelkamp (Hrsg.), Rechtsfälle aus dem Alten Reich. Denkwürdige Prozesse vor dem Reichskammergericht, München 1995, S. 11 ff.; für eine umfassende Analyse des Literaturstandes siehe ferner Ranieri, Recht und Gesellschaft im Zeitalter der Rezeption. Eine rechts- und sozialgeschichtliche Analyse der Tätigkeit des Reichskammergerichts im 16. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 17, I-II), Köln/Wien 1985, I, Einführung. 2 Zu den gedruckten Sammlungen aus der Rechtsprechung des Reichskammergerichts, insbesondere zu den gedruckten Aktenrelationen und Voten, siehe zuletzt Gehrke, Die Rechtsprechungs- und Konsilienliteratur Deutschlands bis zum Ende des Alten Reichs, Frankfurt a. M. 1972; ders., Die privatrechtliche Entscheidungsliteratur Deutschlands, Frankfurt a. M. 1974; ders., Deutsches Reich, Rechtsprechungssammlungen, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Rechtsgeschichte, Bd. II, 2, München 1976, S. 1343 ff., insbes. S. 1362 ff. zu den Quellen. 3 Zum sog. „Kompilieren“ der Akten in der Praxis der Speyerer Kanzlei vgl. Berger, Die Entwicklung der zivilrechtlichen Relationen und ihrer denktechnisch-methodischen Argumentationsformen, Frankfurt a. M. 1975, insbes. S. 90, Anm. 1 m. w. N.
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einer nach dem andern lesen, nothdürftig besichtigen, ermessen, und allsdann die Relation davon thun solle […]“4. In der Kammergerichtsordnung von 1555 hieß es noch bestimmter, „[…] der Cammerrichter solle die Acten […] jederzeit zwey Assessoren zu referiren geben“ und ferner, dass „die Relation durch sie sämtlich geschehen [solle], und von den Beysitzern keiner, sonderlich deren, die erst neu ankommen, oder des Referirens sonst nicht gar geübt, alleine ohne einen Correferenten zugelassen werden“5. In den ersten Ordnungen des Reichskammergerichts, selbst in der sonst ausführlichen Kammergerichtsordnung von 1555, finden sich sonst keine methodischen Regelungen über die Anfertigung von Aktenrelationen. Erst im Jüngsten Reichsabschied von 1654 stößt man in den §§ 143-150 auf umfangreichere Bestimmungen, die sich auf die am Reichskammergericht gehaltenen Relationen beziehen6. Auch diese Vorschriften betreffen jedoch den äußerlichen Verlauf der Relation; die materielle Ausgestaltung bei der Anfertigung von Relation und Votum bleibt den Regeln aus Praxis und Tradition überlassen. Von einer älteren Dissertation von Berger abgesehen, steht die historische und methodische Analyse dieser „Relationstechnik“ noch aus7. Bereits im 16. Jahrhundert wurden für eine solche Technik der Anfertigung einer Aktenrelation strenge Aufbauregeln entwickelt. Ein derartiger Regelkomplex stand wohl im Zusammenhang mit der methodischen Tradition der Consi___________ 4 Vgl. Kammergerichtsordnung von 1500 Tit. 18 (wiederholt in der Kammergerichtsordnung von 1555, Theil I, Tit. 13, § 9); dazu Berger, Die Entwicklung (Fn. 3), S. 22, Anm. 1. 5 Vgl. Kammergerichtsordnung von 1555, Theil I, Tit. 10, § 4; hierzu Berger, Die Entwicklung (Fn. 3), S. 22. 6 Abgedruckt bei Berger, Die Entwicklung (Fn. 3), Anlage I, S. 154-155. 7 Vgl. Berger, Die Entwicklung (Fn. 3), S. 17-58 zur Speyerer Zeit des Reichskammergerichts; siehe ferner Gehrke, Die privatrechtliche Entscheidungsliteratur (Fn. 2), S. 78 ff.; Schröder, Wissenschaftstheorie und Lehre der „praktischen Jurisprudenz“ auf deutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1979, S. 60-64; Hulle/Sellert, „Relation“, in: HRG, IV, 28. Lieferung, Berlin 1987, insbes. S. 862 mit einer ausführlichen Bibliographie; Schild, Relationen und Referierkunst. Zur Juristenausbildung und zum Strafverfahren um 1790, in: Schönert u.a. (Hrsg.), Erzählte Kriminalität, Tübingen 1991, S. 159-176; ebd.: Meyer-Krentler, Geschichtserzählungen. Zur Poetik des Sachverhalts im juristischen Schrifttum des 18. Jahrhunderts; Hoffmann, Vom Ereignis zum Fall. Sprachliche Muster zur Darstellung und Überprüfung von Sachverhalten vor Gericht, S. 87-113; Rückert, Zur Rolle der Fallgeschichte in Juristenausbildung und juristischer Praxis zwischen 1790 und 1880, S. 285-311. Für historische und vergleichende Hinweise hierüber siehe Ranieri, Stilus Curiae. Zum historischen Hintergrund der Relationstechnik, in: Rechtshistorisches Journal 4 (1985), S. 75-88 umfassend und m. w. N.; ders., El estilo judicial español y su influencia en la Europa del antiguo régimen, in: Perez Martin (Hrsg.), España y Europa. Un pasado jurídico común, Murcia 1986, S. 101-118; zuletzt ders., Styles judiciaires dans l’histoire européenne: modèles divergents ou traditions communes?, in: Jacob (éd.), Le juge et le jugement dans les Traditions juridiques européennes. Études d’histoire comparée (Droit Société vol. 17), Paris 1996, S. 181-195 [in diesem Band S. 381].
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liatoren des mos italicus und mit der gemeinrechtlichen Lehrtradition jener Zeit. Dieser fand bald seinen Niederschlag in den prozessualen und praktischen Werken der Literatur der Rezeptionszeit, die zahlreiche Anleitungsschriften zur Anfertigung einer Aktenrelation kennt. Das Ausbildungsziel stand hier eindeutig im Vordergrund. Eine ähnliche Ausbildungsfunktion erfüllten offenbar auch die zahlreichen gedruckten Sammlungen von solchen Abhandlungen: Die Aktenrelationen der Assessoren am Reichskammergericht dienten hier wohl als Vorbild, und in der Tat gehen auch die praktischen Anleitungsschriften meistens auf diese Sammlungen zurück. Gerade darin wird eine der wesentlichen Funktionen verständlich, welche solche Werke in der Perspektive der Zeitgenossen erfüllten: Sie lieferten nämlich Modelle und Beispiele für die Ausbildung in einer solchen Arbeitstechnik. Die pädagogische Funktion solcher Sammlungen wird besonders deutlich, wenn man ferner beachtet, dass gelegentlich auch sog. „Proberelationen“ in diesen Sammlungen abgedruckt wurden: Es handelt sich dabei um Aktenrelationen, welche Kandidaten für das Amt des Assessorats am Reichskammergericht, die eine „Praesentation“ erhalten hatten, als Nachweis ihrer Befähigung für die richterliche Tätigkeit anzufertigen und abzuhalten hatten. Solche Proberelationen finden sich seit 1570; hierfür wurden meistens echte kammergerichtliche Prozessakten zugrundegelegt8. Zeugnisse einer solchen literarisch-pädagogischen Tradition lassen sich bereits in der deutschen prozessrechtlichen Literatur der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nachweisen. Später wird die Anzahl dieser Anleitungsschriften unübersehbar. Berger erwähnt in seiner – übrigens keineswegs vollständigen – Bibliographie dazu mehr als zwanzig solcher Werke aus dem 17. und 18. Jahrhundert9. Eines der verbreitetsten Werke dieser Art ist eine Lehrschrift aus dem Ende des 16. Jahrhunderts: Das Syntagma observationum practicarum in supremis Germaniae Tribunalibus von Hermann Esaia Rosacorb. Man findet dort Anleitungshinweise zur Anfertigung einer Aktenrelation, wie man sie in einem beliebigen Lehr- und Anleitungsbuch über die prozessuale Praxis des Reichs-
___________ 8 Hierzu vgl. Smend, Das Reichskammergericht, Weimar 1911, S. 304. Allgemein zu der Einführung von „Proberelationen“ bei der zunehmenden Professionalisierung des Justizpersonals in den deutschen Territorien vgl. Bake, Die Entstehung des dualistischen Systems der Juristenausbildung in Preußen, Kiel 1971, S. 6-13, zu der preußischen Justizreform. 9 Vgl. etwa die Angaben unten Fn. 10; vgl. ferner Cramer, Quaenam relationi in supremis Imperii Tribunalibus praemittenda sint, in: Cramer, Observationes juris […] Theil I, Ulm 1758, Nr. 317, S. 710; Hartling, Dissertatio de arte referendi, Heidelberg 1733; Homburg, De modo (artis) referendi, Helmstedt 1710; Knorren, Anleitung zu Referirung der Acten, Halle 1755; Lauremberg, Dissertatio de actorum lectione et relatione, nec non sententiarum ex illis conceptione, Rostock 1667.
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kammergerichts Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts lesen konnte10; der Verfasser, den wir nur unter einem Pseudonym kennen, war vermutlich ein Prokurator oder Notar am Speyerer Reichskammergericht11. Um einen ersten Eindruck von Stil und Anlage solcher kammergerichtlichen Aktenrelationen zu gewinnen, ist es übrigens keinesfalls notwendig, die sperrigen und schwer lesbaren Folianten des 17. Jahrhunderts in die Hand zu nehmen: Es liegen bereits, wenngleich verstreut, zahlreiche rechtshistorische Untersuchungen vor, wo solche Aktenrelationen, zum Teil im vollen Umfang, publiziert worden sind. Andernorts hat auch der Verfasser dieser Zeilen zwei originale kammergerichtliche Relationen ediert12: Die erste stammt aus der ___________ 10 Vgl. Rosencorb (Rosacorb), Syntagma observationum practicarum recentiorum in supremis Germaniae tribunalibus, Mühlhausen 1605; Frankfurt a. M. 1646, cap. II, S. 24 „methodus referendi, seu vota concipiendi“. Siehe ferner den Tractatus methodicus processi Camerae Imperialis, in: Symphorema Consultationibus, I, Frankfurt a. M. 1601, S. 70-72: „methodus referendi causas in iudicio“; aus späterer Zeit vgl. Bocer, Disputationum de universo quo utimur iure methodo eleganti conscriptarum, 3. Aufl., Argentorati 1634, Classis VI, Disputatio III, S. 349 ff. mit dem Titel „modus referendi“; Besold, De iudiciario processu et modo referendi seu votandi Dissertatio, Tübingen 1632 und Nürnberg 1641. 11 Zu Person und Werk vgl. Gehrke, Die privatrechtliche Entscheidungsliteratur (Fn. 2), S. 180 m. w. N. 12 Siehe Ranieri, Aktenrelationen am Reichskammergericht (16.-17. Jh.). Quellen, als Anlage in Bd. II zu Ranieri, Entscheidungsfindung und Technik der Urteilsredaktion in der Tradition des deutschen Usus modernus: das Beispiel der Aktenrelationen am Reichskammergericht, in: Wijffels/Ibbetson (Hrsg.), Case Law in the Making: The Techniques and Methods of Judicial Records and legal Reports (Comparative Studies in Continental and Anglo-American Legal History), Berlin 1997. Unsere Ausführungen hier stützen sich auf diese Untersuchung und auf die dort zugänglich gemachten Materialien. Hier sei insbesondere auf Dokument II hingewiesen, wo eine Aktenrelation und ein Votum aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts publiziert werden. Sie wurden übernommen aus der gedruckten Sammlung des Assessors am Reichskammergericht Johann Meichsner. Vgl. Meichsner, Decisionum diversarum causarum in Camera Imperiali decisarum, adjuntis votis et relationibus, […], 1. Aufl., Frankfurt a. M. 1603-1606; benutzte Auflage: Frankfurt a. M. (Nicolaus Thessmer) 1688, Tomus I, S. 54-60 (zum Werk und dessen Verfasser vgl. Gehrke, Die privatrechtliche Entscheidungsliteratur (Fn. 2), S. 148-149): Decisio IX. – cum relatione in causa Wilhelm Kettenheimer Appellant, Contra Joachim Nebelin Appellaten. Zu den materiellrechtlichen Problemen, welche in dieser Aktenrelation erörtert werden, und zu der Entscheidung des Reichskammergerichts hierüber vgl. ferner Ranieri, Diritto comune e diritto locale nei primi decenni della giurisprudenza del Reichskammergericht. Alcune prospettive di ricerca, in: Diritto comune e diritti locali nella storia dell’Europa. Atti del convegno di Varenna, Milano 1980, S. 71 ff., insbes. S. 80, wo versucht wird, die Aktenrelation mit der dazugehörigen archivalischen Prozessakte zu verknüpfen. Siehe ferner Dokument III, wo eine kleine Aktenrelation in deutscher Sprache von Johann Otto Tabor aus dessen Tätigkeit am Straßburger Hofgericht wiedergegeben wird. Vgl. Tabor, Relationes Argentoratenses, in supremo reipublicae illustrissimae dicasterio […], lectae, approbatae, atque decisionibus gravissimis corroboratae, bono studiosorum publico collectae. Ed. N. Thilen […], Frankfurt a. M. 1675 (zum Werk und dessen Verfasser vgl. Gehrke, Die privatrechtliche
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Sammlung des Assessors Johann Meichsner und wohl auch aus dessen Feder13; sie betrifft eine kammergerichtliche Appellation in einem Erbrechtsprozess aus Vorpommern aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die auch hinsichtlich der aufgeworfenen Rechtsfragen rechtshistorisch beachtenswert ist14. Die zweite, in deutscher Sprache verfasst, ist aus der Sammlung von Johann Otto Tabor übernommen; sie wurde wohl von diesem persönlich als Mitglied des höchsten Straßburger Gerichtshofes Mitte des 17. Jahrhunderts angefertigt und vorgetragen15; sie bietet übrigens zugleich ein gutes Beispiel dafür, wie die kammergerichtliche Praxis der Aktenrelation auch in die übrigen zeitgenössischen Gerichtshöfe im Alten Reich Eingang fand16. Etliche Aktenrelationen aus der gemeinrechtlichen Zeit sind übrigens in weiteren modernen rechtshistorischen Beiträgen heute zugänglich17.
B. Aufbauregeln einer gemeinrechtlichen Aktenrelation Die Anleitungen zur Anfertigung einer Aktenrelation und eines Votums entsprechen im 16. und 17. Jahrhundert weitgehend einer einheitlichen Struktur: ___________ Entscheidungsliteratur (Fn. 2), S. 150): Relatio LXXXIII. De Exceptione Compensationis illiquidae. In Sachen Hans Jacob B. Appellanten, Contra Jacobe A. Appellatin. 13 Zu Person und Werk vgl. Gehrke, Die privatrechtliche Entscheidungsliteratur (Fn. 2), S. 148-149. 14 Im Einzelnen hierüber siehe Ranieri, Aktenrelationen (Fn. 12), S. 71 ff., insbes. S. 80. 15 Zu Person und Werk vgl. Gehrke, Die privatrechtliche Entscheidungsliteratur (Fn. 2), S. 150. 16 Zur Übernahme des „modus spirensis“ bei den bayerischen Hofräten, vgl. Heydenreuter, Der landesherrliche Hofrat unter Herzog und Kurfürst Maximilian I. von Bayern (1598-1651), München 1981, S. 104-106. 17 Beispielsweise sei hier auch auf folgende edierte kammergerichtliche Relationen hingewiesen: Eine Aktenrelation des Assessors Viglius van Aytta aus dem Jahre 1535 wird ediert und analysiert von Sprenger/ Wijffels, De actio quanti minoris in de praktijk van het Rijkskamergerecht ca. 1535 uit de aantekeningen van Viglius van Aytta, in: Lopend rechtshistorisch onderzoek. Handelingen van het tiende belgisch-nederlands rechtshistorisch colloquium uitgegeven door D. Lambrecht (Iuris scripta historica III), Brüssel 1990, S. 129-159, für die Edition S. 136-159. Dazu vgl. auch Wijffels, Le juge et le jugement dans la tradition du jus commune européen, in: Jacob (Hrsg.), Le juge et le jugement dans les traditions juridiques européennes. Études d’histoire comparée, Paris 1996, S. 167-179, insbes. S. 170-172. Eine Aktenrelation aus dem 18. Jahrhundert als Proberelation des auch als Dichter bekannten Ernst Theodor Amadeus Hoffmann ist vollständig abgedruckt in: JuS 1975, S. 270-272, als „Ernst Theodor Amadeus Hoffmanns Relation zum Wechselrecht. Eine Originalrelation aus dem 18. Jahrhundert“. Ferner seien hier erwähnt die Quellentexte, die als Materialien bei Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte (seit 1650), Bd. 3, Opladen 1989, S. 50 ff., publiziert werden, insbes. auf S. 55-56, den Auszug aus einer Einleitung zur Relationsmethode (vgl. Pütter, Über die beste Art aus Acten zu referiren, Göttingen 1797, S. 54-57).
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Im Wesentlichen wurden darin strenge Regeln zum logischen und syntaktischen Aufbau und zur Formulierung eines solchen Votums vermittelt. Eine kammergerichtliche Aktenrelation strukturierte sich in jener Zeit etwa folgendermaßen18. Vorsorglich sei hier übrigens darauf hingewiesen, dass, insbesondere im 16. Jahrhundert, die Zahl und die Untergliederung der vorgeschlagenen Aufbaustationen von Anleitung zu Anleitung durchaus variieren können. Die Praxis des Reichskammergerichts blieb dabei jedoch ausnahmslos als Vorbild maßgebend. „Nulla est utilior et commodior referendi, sive vota concipiendi, methodus“, schreibt z. B. Ende des 16. Jahrhunderts Ermann Esaia Rosacorb, „quam ea, qua Camerae Imperialis Assessores utuntur“19.
I. species facti
Hierunter wurden die Umstände verstanden, welche der prozessualen Auseinandersetzung zugrundelagen. „Inprimis ordo naturae postulat“, schreibt z. B. in seiner Anleitung Besold20, „ut casus seu facti species, die Herkommenheit deß Hauptstreits nostris dicta, in primo limine relationis, quantum fieri potest breviter ac plenarie narretur, […]“. Ähnlich verfährt in seinem Aufbau und seinen Ratschlägen der genannte Rosacorb21: „Primo autem“, schreibt er, „ex actis universis diligentissime perlectis, species facti, sive praesentis et oblatae controversiae hypothesis est concipienda, in quo totius relationis sive responsi fundamentum consistit, […]. Consistit autem hoc artificium in recensendis iis circumstantiis, quae in iure effectum aliquem habere possunt, ut iis ius vel mutetur, vel distinguatur.“ Anschließend folgte eine Prüfung der formellen Verfahrensvoraussetzungen: „Cognita facti species“, schreibt der bereits zitierte Autor22, „proxima et secunda inspectio est, num processus iudiciarius rite sit oservatus, […]“. Zu diesem Aufbaupunkt gehörte die Erörterung der Zuständigkeit des Gerichts, der Legitimation von Parteien und Prokuratoren sowie der Ordnungsmäßigkeit der Ladungen23. ___________ 18
Siehe hierüber Berger, Die Entwicklung (Fn. 3), S. 39 ff.; Ranieri, Stilus Curiae (Fn. 7), S. 82. 19 So Rosacorb, Syntagma (Fn. 10), S. 3. 20 So Besold, De iudiciario processu (Fn. 10), S. 2; ähnlich Rosacorb, Syntagma (Fn. 10), S. 3. 21 So Rosacorb, Syntagma (Fn. 10), S. 3. 22 So Besold, De iudiciario processu (Fn. 10), S. 2-3. 23 Ebenso Rosacorb, Syntagma (Fn. 10), S. 3: „Deinde inquirendum, an aliqua sit nullitas in processu, et utrum aliquid ex solennibus substantialibus ordinis iudiciarii sit praetermissum, vel minus rite, legitimeve peractum, sive haec in prima instantia, sive appellationis iudicio contigerint. Quod, ut commodius intelligatur, summatim personae iudicantium, litigantium, aliorumque in iudicio adminiculantium, actus item iudiciales omnes (quantum causae ratio postulat) perpendendi erunt, […].“
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3. Teil: Rechtsprechung und Zivilrecht II. historia processus
Hierunter wurde meistens die kurze Aufzählung der verschiedenen Verfahrensstationen in den vorangegangenen Instanzen sowie im kammergerichtlichen Appellationsverfahren verstanden.
III. extractus actorum
Gemeint war hier die Wiedergabe der Parteienschriften. Diese erfolgte meistens in größter Ausführlichkeit und zum Teil im Original mit der Wiedergabe des Libells des Klägers, der Klageschrift mit dem Klageantrag, sowie anschließend des Libells des Beklagten mit dessen Gegenantrag. Dem folgten die Beweismittel. Waren Dokumente vorhanden, so mussten diese im Original angefügt werden; dasselbe galt für die rotula testium24.
IV. votum
Gemeint war hier das rechtliche Gutachten zu den von den Parteien aufgeworfenen Rechtsfragen. Auch hier folgte der Aufbau der juristischen Erörterungen strengen Regeln.
1. substantia actionis, quae sit actio Hier zeigt sich deutlich die aktionenrechtliche Denkweise der Juristen aus der gemeinrechtlichen Zeit. „Necesse est“, heißt es in der Anleitung von Rosacorb25, „ut genus actionis inquiras, et actis diligenter perscrutatis, quae sit causa controversa, quaeve positae actionis causa. Sed et ut in inquirenda cuiuslibet actionis causa, distinctione aliqua iuvetur, observandum est, quod omnis actio instituatur, vel rei vindicandae causa, aut acquirendae vel retinendae, vel recuperandae possessionis causa, aut ut praestetur nobis id, de quo cum quopiam contraximus vere vel quasi, aut ut redimatur et emendetur damnum, vi, dolo, sive culpa alterius nobis datum. […] Neque vero cogitandum, quod ex una aliqua facti species, unica tantum nascatur actio; nam saepe plures actione ex eodem facto competunt“. Die prozessrechtlichen Strukturen, welche – aus ih___________ 24
Ein beachtenswertes Beispiel für die Umständlichkeit einer solchen Wiedergabe des Akteninhalts bietet die bereits zitierte Relation von Meichsner, Decisionum (Fn. 12): Im wörtlichen Original werden hier sämtliche in der Vorinstanz und im kammergerichtlichen Verfahren protokollierten Zeugenaussagen wiedergegeben. 25 So Rosacorb, Syntagma (Fn. 10), S. 3.
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rem historischen Kontext zwar herausgerissen – in Begrifflichkeit und Kategoriebildung jedoch die justinianischen Rechtsquellen noch weiterhin charakterisieren, prägen hier eindeutig die Denkweise der gemeinrechtlichen Juristen: Gefragt wird bezeichnenderweise zunächst nicht nach der auf den Fall anwendbaren Rechtsnorm, sondern nach der Klagegrundlage, welche das Begehren des Klägers stützen kann26. Die hier analysierten Lehr- und Ausbildungsschriften sind für uns also umso wertvoller, weil sie uns die tieferen Strukturen der Denk- und Argumentationsweise der damaligen gemeinrechtlichen Rechtspraktiker offenbaren. Dieses aktionenrechtliche Denken zwang zu einer rechtlichen Sachqualifikation und so zu einer stringenten Subsumtion. Es ist hierfür bezeichnend, was zwei Generationen später der Hallenser Professor Justus Hennig Böhmer in seiner „Introductio in Ius Digestorum“ gerade zu dieser Arbeitsweise des Juristen schreibt: „In eo tamen videtur meo iudicio haec via commodior, quod meliori ordine et connexione omnia ita proponantur, vel iuxta seriem requisitorum omnia uno intuitu haberi possint. Et haec methodus non tantum scholae, sed etiam triturae fori satis conveniens est, quandoquidem non rectius advocati iura partium tueri posse videntur, quam si requisita intentatae actionis omnia cum casu proposito congruere ostenderint.“27
___________ 26
Vgl. hierzu Sprenger/Wijffels, De actio (Fn. 17), S. 134, wo die Disziplinierung der juristischen Argumentation herausgestellt wird, die durch die Berücksichtigung der in Frage kommenden actiones erreicht wird. Zu dieser typischen Argumentationsweise der gemeinrechtlichen Juristen mit der Prüfung der Frage „quae sit actio“, welche zu einer rechtlichen Sachqualifikation und so zu einer stringenten Subsumtion zwang, vgl. allgemein Wijffels, Qui millies allegatur. Les allégations du droit savant dans les dossiers du Grand Conseil de Malines, Amsterdam 1985, I, S. 318-321 und S. 440. 27 So Böhmer, Introductio in Ius Digestorum sensum pariter ac usum singularum materiarum succincte exhibens, Halle 1704, praefatio, S. 8-9; vgl. auch z. B. ebd., S. 189 ff., die Darstellung der Voraussetzungen des Herausgabeanspruchs der rei vindicatio. Ich danke für diesen Hinweis in der Diskussion meines damaligen Referates Klaus Luig. Eine ähnlich streng subsumierende Denkweise ist übrigens bereits in der Anleitung von Rosacorb (s. Fn. 10) erkennbar: „Proinde cum occurrit factum, ex quo agi possit, primo iuxta distinctionem causarum, ex quibus agere possumus, bene perpendendum est, quomodo possit ex ea agi. Deinde si plures ex eodem facto competant actiones, utram experiri magis tutum videatur et placeat. Porro ubi constituimus, quam actionem alicui intendere velimus, considerandum est, ex qua causa, vel acquirendi iuris modo, ea potissimum nobis debeatur. Quarto etiam, an ea habeantur omnia, aut praestiterimus, quae in quoquo modo acquirendarum rerum, et in contractibus ad producendas obligationes, requiruntur. Nam qui illis requisitis destituitur, is facile ab agendo depellitur, tanquam is, qui non satis sufficientem et idoneam, legitimamque agendi sive petendi causam habebat.“ Es ist hier erwähnenswert, dass diese gemeinrechtliche Subsumtionstechnik, wonach die Definition in so viele Einzelsätze aufgelöst wird, wie sie Begriffsmerkmale hat, noch bei den naturrechtlichen Abhandlungen von Christian Wolf herangezogen wird. Hierüber ausführlich Schröder, Wissenschaftstheorie und Lehre der „praktischen Jurisprudenz“ auf deutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1979, S. 171 ff.
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2. an probata Hier sollte insbesondere geprüft werden, ob die vom Kläger vorgebrachten Tatsachen bewiesen waren und damit das Vorbringen des Klägers begründet war. „Inventa actione, eiusque causis“, schreibt in seiner Anleitung Rosacorb28, „diligenter est inquirendum, an ea sufficienter ab actore, […] probata sit nec ne. Nam si probata non est […] reus absolvendus“. Hatte der Kläger sein Vorbringen zur Begründung der Klage nicht bewiesen, so war die Klage ohne weitere Erörterung der Rechtsprobleme des vorliegenden Falles abzuweisen. Ein deutliches Beispiel hierfür finden wir in der bereits erwähnten Straßburger Aktenrelation von Johann Otto Tabor29; hier hatte der Beklagte in der ersten Instanz gegen eine unstreitige Forderung die Aufrechnung (exceptio compensationis) erklärt, konnte jedoch seine Gegenforderung nicht beweisen und war unterlegen; als Appellationskläger in der zweiten Instanz behauptete er wieder die Existenz seiner Gegenforderung, ohne aber weitere Beweismittel vorzulegen. Die Relation schlägt vor, die Berufung zu verwerfen, weil der Beklagte und Appellationskläger sein Vorbringen nicht beweisen könne. Auf weitere rechtliche Überlegungen geht der Referent dabei nicht mehr ein30.
3. an elisa War das Vorbringen des Klägers bewiesen, musste auf die Verteidigungsargumente des Beklagten und dessen Beweise eingegangen werden. Insbesondere war hier zu prüfen, ob trotz geglückten Beweises seitens des Klägers Einreden vom Beklagten geltend gemacht worden waren, welche das Vorbringen des Klägers erledigten. „Si actio probata est ab actore“, schreibt der bereits zitierte Rosacorb31, „oportet inquirere omnes exceptiones rei et diligenter perpendere, an eae sint relevantes, ad hoc, ut etiam non obstante probatione actoris, nihilominus absolvi reus“.
4. Urteilsvorschlag Die Relation und das Votum sollen mit einem Vorschlag des Referenten zur Entscheidung abgeschlossen werden. Hierhin gehört deshalb der Tenor des vorgeschlagenen Urteils mit allen Formalien, jedoch, wie damals üblich, ohne Begründung. „Postremo his omnibus ita observatis“, schreibt der bereits mehr___________ 28
So Rosacorb, Syntagma (Fn. 10), S. 4. Der Text der Relation ist abgedruckt in Ranieri, Aktenrelationen (Fn. 12). 30 Vgl. Ranieri, Aktenrelationen (Fn. 12). 31 So Rosacorb, Syntagma (Fn. 10), S. 4. 29
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mals zitierte Rosacorb, „exacte ponderabis, quid in oblata facti specie, ex iure decidendum, quomodoque sententia concipienda erit, cuiusvis tamen alterius sententia meliori, semper salva et integra relicta“32.
C. Aktenrelation und deutsche Juristenausbildung Die Aktenrelationen am Reichskammergericht und die ihnen zugrundeliegende spezifische richterliche Arbeitsmethode erlangen ihre volle historische Bedeutung, wenn man bedenkt, dass sie bis in die jüngste Geschichte der deutschen Juristenausbildung hineinwirken. Betrachtet man nämlich den oben skizzierten Aufbau einer kammergerichtlichen Aktenrelation – deren Regeln übrigens in die Preußische Allgemeine Gerichtsordnung von 1781 Eingang fanden –, so erkennt man hier wesentliche Regeln wieder, die heute noch dem jungen deutschen Rechtsstudent und Rechtsreferendar vermittelt werden33. Im Rahmen dieses Beitrags können nur einige wenige Hinweise hierüber gegeben werden. Wenigstens dies sei hier in Erinnerung gerufen: Die Geschichte des deutschen Zivilprozessrechts im 19. Jahrhundert wird bekanntlich durch die progressive Verabschiedung der Regeln des mittelbaren, schriftlichen Verfahrens des Römischen Gemeinen Prozesses geprägt. Unter dem Einfluss des französischen Code de procédure civile traten die Mündlichkeit und die freie Beweiswürdigung in den Vordergrund34. Die Aktenrelation blieb jedoch insbesondere in der preußischen Justizpraxis erhalten. Sie wurde den neuen Prozessgrundsätzen angepasst. Wegweisend, vor allem für die Juristenausbildung, war die halbamtliche Relationsanleitung des Appellationsgerichts in Naumburg im Jahre 185235. Seit den Reichsjustizgesetzen 1877 war die Aktenrelation für die Rich___________ 32
So Rosacorb, Syntagma (Fn. 10), S. 4. Dazu ausführlich Bake, Die Entstehung (Fn. 8), S. 13 ff., insbes. zu § 2 des preußischen Prüfungsreglements von 1755, wo von „Relationes […], insonderheit aus solchen (Akten), welche schwere und verwirrte Materien enthalten, verfertigen lassen“ die Rede ist. Im Jahre 1836 erschien auf Anweisung des Justizministers ein Bericht der ImmediatJustiz-Examinationskommission (abgedruckt in v. Kamptz, Jahrbücher für die preußische Gesetzgebung 47 (1836), S. 451 ff.) mit einer ausführlichen Einleitung zur Anfertigung von Aktenrelationen und Voten. Hierzu Bake, Die Entstehung (Fn. 8), S. 135; Berger, Die Entwicklung (Fn. 3), S. 121 ff. m. w. N.; Ranieri, Stilus Curiae (Fn. 7), S. 85-86. 34 Dazu zuletzt vgl. Drosdeck, Die Ablösung der gemeinrechtlichen Beweisdoktrin im 19. Jahrhundert am Beispiel des Königreichs Hannover, in: Gouron u. a. (Hrsg.), Subjektivierung des justiziellen Beweisverfahrens. Beiträge zum Zeugenbeweis in Europa und den USA (18.-20. Jahrhundert), Frankfurt a. M. 1994, S. 113-143, insbes. S. 120 ff. 35 Dazu Berger, Die Entwicklung (Fn. 3), S. 146-150. Die Anleitung ist abgedruckt in: Justiz-Ministerial-Blatt für die Preußische Gesetzgebung und Rechtspflege 15 (1853), S. 72 ff. 33
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ter der Kollegialgerichte formell zwar nicht mehr obligatorisch. Faktisch blieb sie jedoch, vor allem als Proberelation für die praktische Juristenausbildung, zwingend in Übung. Auf den wesentlichen Grundlagen des Naumburger Modells beruht auch das von H. Daubenspeck (1884) begonnene und von P. Sattelmacher, später von Sirp, fortgeführte Anleitungsbuch „Bericht, Gutachten und Urteil“, das immerhin vor einigen Jahren in seiner 31. Auflage erschienen ist36. Bei näherer Betrachtung erkennt man in dieser Anleitung zur sog. „Relationstechnik“, welche die Denkweise vieler Generationen von deutschen Juristen dieses Jahrhunderts geprägt hat37, trotz der historisch gewachsenen Veränderungen noch die Grundregeln der kammergerichtlichen Aktenrelationen des 16. und 17. Jahrhunderts wieder. Die engen historischen Zusammenhänge zwischen der gemeinrechtlichen Tradition des deutschen Usus modernus und der noch heute gültigen Arbeitsund Denkweise der Rechts- und Justizpraktiker in Deutschland wird um so deutlicher, wenn man bedenkt, dass es bei den damaligen kontinentaleuropäischen Juristen auch andere, historisch genauso tief zurückliegende und ebenso hartnäckige Arbeits- und Denkstile gab. Die beschriebene Technik der Relation und des Votums am Reichskammergericht war in der damaligen europäischen gemeinrechtlichen Praxis keinesfalls überall selbstverständlich38. Ihr gegenüber ___________ 36
Vgl. die 31. Aufl., München 1989. Zu diesem Werk vgl. Berger, Die Entwicklung (Fn. 3), S. 149-150. Zu der „Relationstechnik“ in der heutigen deutschen Juristen- und Justizausbildung, insbes. zu der immer wieder hiergegen formulierten Kritik, vgl. ferner die Hinweise bei Ranieri, Stilus Curiae (Fn. 7), S. 76-77 m. w. N.; aus soziologischer Sicht Schütte, Die Einübung des juristischen Denkens. Juristenausbildung als Sozialisationsprozeß, Frankfurt a. M. 1982, S. 47 ff.; Scholz, L’obstacle épistémologique premier de l’historien du droit, in: Grossi (Hrsg.), Storia sociale e dimensione giuridica. Strumenti d’indagine e ipotesi di lavoro, Milano 1986, S. 275 ff., insbes. S. 287 ff.; neuerdings grundlegend zum Thema Hartwig, Die Kunst des Sachvortrags im Zivilprozeß. Eine rechtsvergleichende Studie zur Arbeitsweise des englischen Pleading-Systems, Heidelberg 1988, insbes. S. 21, S. 126 ff. und S. 231 ff. (siehe hierzu die wertvollen Hinweise von Kegel, in: RabelsZ 54 (1990), S. 192-195). 37 Dazu aus rechtssoziologischer und rechtshistorischer Sicht Drosdeck, Konstitution des Rechtsfalles. Entwicklungstendenzen der Justizsoziologie, in: Scholz (Hrsg.), El tercer poder, Frankfurt a. M. 1992, S. 137-160, insbes. S. 158-159: „[…] Eine Hilfestellung bei der Verwertung von Sachverhaltsschilderungen für die dogmatische Konstruktion erfahren die Richter durch justizintern tradierte Arbeitstechniken, die nach den Erfahrungen der Pilotstudie eine weit größere Rolle spielen, als dies bislang in der rechtssoziologischen Literatur vermutet wurde.“ 38 Auch die Praxis der französischen Parlamente kennt allerdings seit dem 16.17. Jahrhundert solche Arbeitsregeln und eine ähnliche Anleitungsliteratur. Noch die erste Auflage der klassisch gewordenen Darstellung der Procédure civile du châtelet de Paris et de toutes les jurisdictions ordinaires du Royaume, I, Paris 1787, part. II, S. 335336, von Pigeau widmet mehrere ausführliche Kapitel den zu beobachtenden Regeln zum Aufbau und Formulieren eines „Rapports“, der beim schriftlichen Verfahren immer anzufertigen war. Ein Vergleich mit der zeitgenössischen deutschen Anleitungsliteratur offenbart, dass im Kern die vermittelten Aufbauregeln weitgehend identisch mit denje-
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stand die Tradition der Praxis an der römischen oder an den anderen italienischen Rote. Die Arbeitsweise des Kollegiatsgerichts war hier völlig anders strukturiert. Bei einer Rota wurde ein Mitglied (ponens) mit einem Prozess betraut. Der strittige Vorgang wurde von ihm im Einvernehmen mit den Parteien in einzelne Streitpunkte zerlegt. Die einzelnen Fragen wurden dann als dubia vom Richter (dem ponens) vor dem Kollegium zur Abstimmung gestellt. Jeder Richter äußerte dabei seine Meinung. Die Summe der dubia und der Rechtsmeinungen wurde dann vom ponens zusammengestellt in einer sog. Decisio; diese enthielt keineswegs die Entscheidungsgründe, sondern war eine auf die Parteien gerichtete „declaratio“ und nahm Bezug gerade auf deren Argumente (dubia). Mit den Worten der damaligen Autoren: Eine decisio war also als eine „compilatio consiliorum dominorum auditorum“ definiert, wobei sich der Vergleich mit dem schriftlichen Report der opinions der Richter des Common law aufdrängt. Die Entscheidung selbst, die sententia, blieb ohne Gründe und wurde danach von der Kanzlei ausgefertigt39. Es ist mehr als beachtenswert, dass diese „rotale“ Tradition, wohl unbewusst, aber dennoch um so origineller, in der italienischen, und anscheinend auch in der spanischen und portugiesischen Justizpraxis fortlebt. In den italienischen Staaten wurde der Begründungszwang Anfang des 19. Jahrhunderts in einem System eingeführt, in dem es Tradition war, dass sich die Judikatur an der iuris interpretatio beteiligte. Die decisio der ___________ nigen der deutschen gemeinrechtlichen Tradition waren. Siehe auch Jousse, Traité de l’administration de la justice, II, Paris 1771, Partie III, S. 60-67. Dazu Ranieri, Stilus Curiae (Fn. 7), S. 82-83. 39 Aus der zeitgenössischen Literatur siehe de M. Emerix, Tractatus seu notitia S. Rotae Romanae (1676), éd. Lefebvre, Tournai 1958, S. 73-100; de Luca, Della relazione della Curia romana forense, in: Il Dottor volgare, Firenze 1843, cap. XXIX, S. 565 ff. Noch nicht im Einzelnen untersucht ist der Zusammenhang zwischen einer solchen Praxis und dem spätrömischen Zivilprozess, in welchem die Übung herrschte, den Streitgegenstand in „particula“ zu zerlegen; man spricht diesbezüglich von einer „Zerlegung der narratio in capitula“. (Zum Problem vgl. Simon, Untersuchungen zum justinianischen Zivilprozeß, München 1969, S. 20 ff.). Grundlegend neuerdings zur italienischen Praxis Gorla, Procedimento individuale. Voto dei singoli giudici e collegialità „rotale“: la prassi della Rota di Macerata nel quadro di altre rote o simili tribunali fra i secoli XVI e XVIII, in: Sbriccoli/ Bettoni (Hrsg.), Grandi Tribunali e rote nell’Italia di antico regime, Milano 1993, S. 5-78 sowie Serangeli, Diritto romano e Rota provinciae Marchiae, 2. Aufl., Torino 1995. Beide Beiträge sind der Arbeitsmethode des Richters im italienischen Gemeinen Recht gewidmet. Das Buch von Serangeli ist zudem außerordentlich materialreich, weil der Verfasser als Anlage (vgl. cap. 3) lange und ausführliche Auszüge aus Archivalien editiert, aus welchen die Begutachtung sowie die Beratung einzelner Prozesse bei diesem Gerichtshof im Einzelnen rekonstruierbar werden (Serangeli, S. 102 ff.). Der Persönlichkeit und den Rechtsansichten des einzelnen Richters als Ponens kam dabei offenbar eine herausragende Rolle zu (Serangeli, S. 33 ff., S. 104 ff.). Es scheint sogar, dass die Rote die Möglichkeit einer „dissenting opinion“ kannten, einer abweichenden Meinung also, welche formalisiert als „voto di scissura“ zu den Akten genommen wurde (vgl. hierzu Gorla, S. 52-67). Die Nähe einer solchen Form der Urteilsbildung zu der damaligen Tradition des englischen Common law ist übrigens überaus frappierend.
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rotalen Tradition übernahm insoweit die Funktion der Urteilsbegründung. Daraus folgte ein umständlicher Begründungsstil, charakterisiert durch das Eingehen auf die Argumentation der Parteien (das „nec obstat […]“ der früheren Rote). Es ist bezeichnend, dass die italienischen Gerichte selbst während der napoleonischen Zeit keineswegs den knappen französischen Stil übernahmen. Gegen diese Tradition waren die wiederholten Verbote des Gesetzgebers völlig wirkungslos. Dies gilt bis heute, wenn man die umständliche Begründungsweise des italienischen Kassationsgerichts bedenkt, insbesondere ihr Eingehen auf die von den Parteien vorgetragenen Rechtsmeinungen mit den damit verbundenen häufigen obiter dicta40. Eine ähnliche Struktur der Urteilsbegründung, die sich nicht nach dem Ergebnis, sondern nach den Argumenten der Parteien richtet, finden wir übrigens auch heute noch in Spanien und Portugal. Ohne dass dies den heutigen deutschen Juristen immer bewusst wird, lebt die gegenwärtige Juristenausbildung in Deutschland also noch heute, vielfach wohl unreflektiert, in der Fortsetzung der gemeinrechtlichen Denk und Ausbildungstradition41. Die Einleitung zur Lösung und gutachtlichen Behandlung konkreter Rechtsfälle hat immer42, bis heute, eine zentrale Rolle an deutschen ___________ 40 Vgl. dazu Art. 265 des Regolamento generale giudiziario von 1865: „Nella compilazione dei motivi delle sentenze […] si enunciano gli articoli di legge, sui quali la sentenza si è fondata […] senza estendersi a confutare tutti gli argomenti addotti in contrario dai patrocinatori delle parti […]“; ähnlich Art. 118 der Disposizioni di attuazione del codice di procedura civile von 1941. Darüber Gorla, Lo stile delle sentenze. Ricerca storico-comparativa, in: Il Foro italiano 1967. Quaderni, Sp. 313 ff. insbes. Sp. 327-329, der bemerkt: „i modelli di sentenza non si dettano con norme legislative, ma si formano mediante l’educazione (universitaria e postuniversitaria), mediante il tirocinio nella bottega dell’artigiano (il giudice anziano) […]“; ders., La motivation des jugements, in: Diritto comparato e diritto comune europeo, Milano 1981, S. 359 ff., insbes. S. 388. 41 Die gemeinrechtliche Rechtswissenschaft hat immer die praktische Ausrichtung ihrer Aufgabe bei der eigenen Selbstbeschreibung betont. Schröder, Wissenschaftstheorie (Fn. 7), S. 11 ff., hat deutlich gezeigt, wie sich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in der deutschen Rechtswissenschaft der Übergang „zu einer von den römischen Quellen unabhängigen ‚praktischen‘ Jurisprudenz-Definition“ anbahnt. So ist etwa für Struve die Jurisprudentia „die praktische Fertigkeit, das Recht auf bürgerliche Handlungen passend anzuwenden“ (dazu und zu zahlreichen ähnlichen Definitionen vgl. Schröder, Wissenschaftstheorie (Fn. 7), S. 12-13). 42 Beteiligt waren dabei auch berühmte Juristen: siehe etwa Sturm, Rudolf v. Jhering: scienza ed insegnamento del diritto romano, Studi senesi, Siena 1971, S. 23 ff.; Stölzel, Schulung für die civilistische Praxis, Berlin 1894; Leonhard, Anleitung für die juristischen Übungs- und Examensarbeiten, Berlin 1908; Zitelmann, Rechtsfälle für bürgerl.rechtliche Übungen, Leipzig 1917. Siehe ferner aus der älteren praktischen Ausbildungsliteratur z. B. v. Berg, Einige Worte zur Ankündigung eines über die gerichtliche und außergerichtliche Privatrechts-Praxis sich erstreckenden Uebungscollegii für den jungen Juristen, Rostock 1825; aus dem 20. Jahrhundert Dickel, Rechtsfälle. Zum Gebrauche bei juristischen Übungen, 3. Aufl., Berlin 1913; Weinmann, Gutachten und Urteilsentwurf. Eine Anleitung für Examen und Praxis, 6. Aufl., Berlin 1930; Neye, Bürgerliches Recht in logischer Anwendung (Klausurenlehre), Berlin 1949; Atzler, Wie bereite ich mich richtig auf die Referendarprüfung vor? Materiellrechtliche Grundfälle
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Rechtsfakultäten gespielt43. Ein deutscher Jurastudent lernt bereits in den ersten Semestern seines Universitätsbesuchs, wie er seine Rechtskenntnisse am konkreten Fall umsetzen soll. Das Erlernen jener spezifischen Fertigkeit, die schriftliche Bearbeitung eines praktischen Rechtsfalles anzugehen, nimmt eine zentrale Stellung in seiner Ausbildung ein. Während seines Studiums lernt er also nicht nur materiellrechtliche Inhalte, sondern vor allem auch eine spezifische Arbeitstechnik kennen. Die deutschen Juristen sprechen hier bekanntlich von der sog. „Klausurtechnik“. Im Zentrum derselben steht die Anfertigung eines Rechtsgutachtens, wie also der vielfältige Stoff eines verwickelten Falles in einer geordneten und effizienten Erörterung strukturiert werden soll; dies geht bis zur Vermittlung einer Reihe von sprachlichen Regeln zur Gestaltung der schriftlichen Formulierung der Überlegungen, die dabei angestellt werden, und die zu einem Lösungsvorschlag führen sollen44. Bei einer realistischen Betrachtung der Ausbildung eines deutschen Rechtsstudenten spielt die Einübung einer solchen Arbeitsweise eine ebenso wichtige Rolle wie das Erlernen des positiven Rechtsstoffes45. Im Zentrum der pädagogischen Bemühungen steht hier seit jeher die Vermittlung der Technik des argumentativen Aufbaus eines Gutachtens nach den in Betracht kommenden „Anspruchsgrundlagen“: Genau wie der gemeinrechtliche Jurist sein Votum nach der Frage „quae sit actio“ aufbauen
___________ (1. Aufl., o. O. 1924, bis 30. Aufl., o. O. 1968). Zu diesem für die Tradition der privaten Repetitoren typischen Werk vgl. Palandt, in: MDR 1949, S. 253, „bewährtes System der praktischen Rechtswissenschaft“; Becker, in: MDR 1951, S. 190; zuletzt Kegel, in: RabelsZ 54 (1990), S. 192; Großfeld, in: JZ 1992, S. 23. 43 Siehe für das 19. Jahrhundert Schröder, Wissenschaftstheorie (Fn. 27), S. 198-211 und S. 262; weitere bibliographische Hinweise zu diesem Aspekt der deutschen Juristenausbildung bei Ranieri, Educazione giuridica, in: Digesto, 4. Aufl., VII, Torino 1991. Zuletzt zum Thema Michaelis, Die heutige Juristenausbildung und ihr Verhältnis zur Rechtswirklichkeit, in: JuS 1991, S. 798 ff., insbes. S. 805; Bund, The study of law and the First National Law Examination in the Federal Republic of Germany, in: Grant u.a. (Hrsg.), Legal Education two thousand, Aldershot 1988, S. 163-181, insbes. S. 164-167. 44 Vgl. etwa v. Lübtow, Richtlinien für die Anfertigung von Übungs- und Prüfungsarbeiten im Bürgerlichen Recht sowie drei Lösungen praktischer Fälle, 2. Aufl., Berlin 1986; Puhle, Dreizehn Schritte zur Klausur. Ein Programm für Referendare zur Bearbeitung von zivilrechtlichen Klausuren und Alltagsakten, in: JuS 1987, S. 41 ff.; rechtsvergleichend: Klein/Weaver, Fallmethode oder systematische Stoffpräsentation? Zu den Lehrmethoden an amerikanischen Hochschulen und deutschen Rechtsfakultäten, in: JuS 1993, S. 272 ff. 45 Siehe etwa Forster, Frage der Klausurtechnik, in: JuS 1992, S. 234 ff., insbes. S. 235: „[…] Wer die Klausurtechnik beherrscht, kann im Regelfall auch juristisch denken, […]. Klausurtechnik und juristisches Denken gehören zusammen“; S. 238: „[…] Wer das gutachtliche Denken nicht gelernt hat, kann kein guter Jurist werden.“; ähnlich Balzer, in: NJW 1995, S. 2448 ff., insbes. S. 2453-2454; Wolf, Bemerkungen zum Gutachtenstil, in: JuS 1996, S. 30 ff., insbes. S. 30: „das ist aber keine ‚Stilfrage’, sondern ein methodisches Erfordernis.“
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lernte46, so lernt der deutsche Rechtsstudent heute noch, dass ein zivilrechtliches Gutachten nach den in Frage kommenden Ansprüchen aufgebaut werden soll. Diese historischen Zusammenhänge scheinen heute in Deutschland nicht mehr bewusst zu sein. Es ist bezeichnend, dass gerade die historische Dimension dieser Ausbildungstradition von deren Kritikern weitgehend ignoriert wird47. Die hier aufgezeigten historischen Zusammenhänge und Bedingungen verdeutlichen zugleich, warum solche Traditionen der juristischen Profession nicht ohne weiteres „reformierbar“ sind. Auch die Kritiker selbst sind historisch einzuordnen: Jan Schröder hat bereits gezeigt48, dass, wenngleich die Praxisbezogenheit der Rechtslehre in Deutschland immer – auch von Seiten der Universitätsjuristen – als notwendig angesehen wurde, so doch Anfang des 19. Jahrhunderts mit Historischer Schule und Pandektistik eine Entwicklung einsetzte, wonach immer zweifelhafter wurde, ob auch die unmittelbare Anleitung zur Praxis als eigentliche Aufgabe einer als „wissenschaftlich“ definierten universitären Rechtslehre gehört. Relations- und Gutachtentechnik fanden seither immer mehr außerhalb der Universität Platz im Rahmen der Rechtsausbildung bei den Examensvorbereitungskursen der privaten Repetitoren49 und im Rahmen des Referendariats. ___________ 46 Das für das Römische Gemeine Recht typische „aktionenrechtliche“ Denken ist bekanntlich erst in der deutschen Pandektenliteratur des 19. Jahrhunderts abgelöst worden; vgl. grundlegend dazu Windscheid, Die Actio des römischen Zivilrechts vom Standpunkt des heutigen Rechts, Düsseldorf 1856; der Sache nach beseitigt auch die Windscheidsche Theorie die actio allerdings nicht; so zutreffend Georgiades, Die Anspruchskonkurrenz im Zivilrecht und Zivilprozeßrecht, München 1968, S. 32 ff. m. w. N. 47 Besonders kritisch zu dieser Ausbildungspraxis Großfeld, Das Elend des Jurastudiums, in: JZ 1986, S. 357-360, insbes. S. 359; ders., Rechtsausbildung und Rechtskontrolle, in: NJW 1989, S. 875-880; ders., Examensvorbereitung und Jurisprudenz, in: JZ 1992, S. 22 ff., insbes. S. 23-26, wo allerdings bezeichnenderweise zugleich die pädagogischen Leistungen des Unterrichts des privaten Repetitors Atzler gepriesen werden. Kritisch auch, unter einem anderen Gesichtspunkt jedoch, Geck, Musterlösung oder Muster ohne Wert? Zur Problematik von Übungsfällen als Studienhilfe, in: Festschrift für Seidl-Hohenveldern, Köln u. a. 1988, S. 121 ff. Undifferenziert und diffus neuerdings die kritischen Ausführungen von Hesse, in: JZ 1996, S. 449 ff., insbes. S. 454455, wo kritisch die „Disziplinierung im Rahmen der Darstellung“ angeprangert wird und wo stattdessen für eine „Rematerialisierung des Rechts“ und für eine richterliche Argumentation „vom Leben her“ plädiert wird. 48 Vgl. Schröder, Wissenschaftstheorie (Fn. 27), S. 145 ff. 49 Bezeichnenderweise liegen bis heute kaum Untersuchungen zur Funktion und wissenschaftshistorischen Bedeutung der privaten Repetitoren für die deutsche Rechtsentwicklung der letzten zwei Jahrhunderte vor. Vgl. neuerdings Martin, Juristische Repetitorien und staatliches Ausbildungsmonopol in der Bundesrepublik Deutschland (Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht, Bd. 16), Berlin 1991, der sich jedoch weitgehend nur mit den rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen befasst; für historische Hinweise vgl. S. 126 ff.; auch die weitere existierende Literatur hierüber befasst sich vornehmlich mit der institutionellen Entwicklung dieser Form von privater Rechtsausbildung. Siehe z. B. Schwarzt, Ein Berliner Repetitor in der Weimarer Repu-
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Die pädagogische Tradition, die einer solchen Denk- und Argumentationsweise zugrunde liegt und welche übrigens in anderen kontinentaleuropäischen Ländern weitgehend unbekannt ist50, offenbart die überraschende Fortwirkung ___________ blik. Requiem auf einen geliebten Lehrer, 68. Deutscher Anwaltstag, Berlin 1995, S. 50 ff.; Jahn, „Intensiv, hart, erfolgreich“. Vom Nutzen und Nachteil des Repetitors für die Rechtswissenschaft, in: Kritische Justiz 1995, S. 391 ff.; Lueg, Die Entstehung und Entwicklung des juristischen Privatunterrichts in den Repetitorien. Ein Beitrag zur Diskussion über die Reform der Juristenausbildung (Europäische Hochschulschriften, Rechtswissenschaft, Bd. 1530), Frankfurt a. M. u. a. 1994, insbes. S. 12-53; vgl. hier insbes. S. 76-78, wo im Einzelnen nachgewiesen wird, dass die schwunghafte Entwicklung des Repetitorwesens in der Zeit der Weimarer Republik mit den Studienreformen von 1923 und 1931 zusammenhängt, die Klausurarbeiten in das Zentrum von Studium und Prüfung stellten. Zuletzt zum Thema vgl. die weitgehend positive Bewertung in Westermann, Josef Alpmann zum 75. Geburtstag, in: JA 1996, S. 523 ff. 50 So konnte z. B. geschrieben werden, dass die praktische Ausbildung in der sog. Relationstechnik „jeden Schweizer Juristen in ein von Bewunderung und Grauen gemischtes Staunen“ versetzt; so Gmür, Das Schweizerische ZGB verglichen mit dem Deutschen BGB, Bern 1965, S. 184 ff., insbes. S. 185. Vgl. auch Hyland, A She’ur (1990) 11 Cardozo Law Review, S. 1585, insbes. S. 1598 ff., wo die Werke von Medicus und Diederichsen zur Examensvorbereitung als stilprägend für das deutsche Rechtssystem charakterisiert wurden. Die stringenten Aufbauregeln eines Rechtsgutachtens nach Anspruchsgrundlagen sind z. B. in der französischen Rechtskultur und in derjenigen der übrigen romanischen Länder völlig unbekannt; wertvolle vergleichende Hinweise hierzu bei Witz, Droit privé allemand. I. Actes juridiques, droits subjectifs, Paris 1992, S. 479 ff.; hier, S. 553-561, die französische Übersetzung eines „cas pratique allemand“. Zu den Gründen dieser Entwicklungsunterschiede in der kontinentalen Privatrechtstradition liegen bis heute kaum Forschungen vor. Zu den Ursprüngen der italienischen Justizpraxis vgl. Fn. 39-40. Einige vergleichende Hinweise bei Goldschmidt, Rechtsstudium und Prüfungsordnung. Ein Beitrag zur Preußischen und Deutschen Rechtsgeschichte, Stuttgart 1897, insbes. S. 36 ff., S. 140 ff. Die deutsche Tradition der Erziehung zu einer disziplinierten Gutachtenpraxis ist in den romanischen Ländern nicht ganz unbekannt geblieben. Von zentraler Bedeutung sind in dieser Hinsicht die Schriften von Motulsky, insbes. Principes d’une réalisation méthodique du droit privé, Thèse, Paris 1948 (vgl. Ecrits, I-III, Paris 1973-1978), insbes. S. 80 ff., S. 136 ff.; ders., Le „manque de base legale“ pierre de touche de la technique juridique, in: Juris Classeurs Periodiques 1949, S. 1, S. 775 ff. (Ecrits, vol. I, Paris, 1973, S. 31-37). Vgl. ferner die Bewunderung von Blondel und Rouast (zitiert bei Ranieri, Educazione giuridica (Fn. 43)); ähnlich Betti, Metodica e didattica del diritto secondo E. Zitelmann, in: Rivista internazionale di filosofia del diritto 1925, S. 75-85. Die Versuche der Einführung derselben in Italien durch E. Gianturco Ende des 19. Jahrhunderts fanden jedoch bezeichnenderweise keinen Erfolg (Hinweise dazu bei Ranieri, Educazione giuridica (Fn. 43); ferner Treggiari, Gianturco l’educazione di un giurista. Aspetti dell’inseguamento del diritto in Italia Tra Otto- e Novecento, in: Riv. trim. di dir. proc. civ. 1987, S. 1235-1276). Die italienische Juristenausbildung stand demnach – aus deutscher Perspektive – in dem Ruf, eher praxisfern und allzu theoretisch betrieben zu werden (vgl. etwa Felsner, in: JuS 1994, S. 1084 ff.). Auch in dieser Hinsicht sind neuere Entwicklungen umso beachtenswerter: vgl. Kindler, Eine JuS in Italien, in: JuS 1996, S. 759-760: „[…] neu und geradezu sensationell für den italienischen Ausbildungsbetrieb ist, daß dabei in der Regel ein wirklichkeitsnaher Beispielsfall gelöst wird. Ein didaktischer Ansatz, den bislang nur wenige – und deswegen gefürchtete! – italienische Hochschullehrer praktizierten.“
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der gemeinrechtlichen Wissenschaft in Deutschland bis heute51. Diese Denkweise prägt noch das BGB. Deshalb konnte kürzlich – hundert Jahre nach seiner Verabschiedung – zutreffend festgestellt werden52, dass die gemeinrechtliche Denkweise aus Anspruchsnormen, Einwendungsnormen und Repliknormen die systematische Grundlegung des BGB und das Systemdenken in der deutschen juristischen Ausbildung noch heute wesentlich prägen. Es ist zwar richtig, wenn dabei kritisch beobachtet wurde, dass „der Konstruktivismus der Falllösungstechnik [sich] vielfach verselbständigt und oft weit vom lebendigen prozessualen Ursprung entfernt“ hat53. Dies ist allerdings eher eine Folge der heutigen Massenausbildung. Wichtig ist vielmehr, dass diese Ausbildungstradition bewusst bleibt und nicht gedankenlos preisgegeben wird. Die Öffnung und die gegenseitige Durchdringung des kontinentaleuropäischen Zivilrechts in Wissenschaft, Ausbildung und Praxis steht ihr keinesfalls im Wege. Zweifelhaft scheint mir deshalb die zugleich formulierte Prognose54, dass gerade wegen der heute notwendig gewordenen europäischen Öffnung der Juristenausbildung diese Ausbildungskultur in der Zukunft nicht durchzuhalten sein werde55. Das in der gemeinrechtlichen Tradition verwurzelte Rechtsdenken in Anspruchs- und Einwendungsnormen hält in der Ausbildung die Prozessbezogenheit der Normanwendung bewusst und schult das juristische Denken zu einer zielgerichteten und strengen Arbeitsdisziplin. Gerade darin lag übrigens der ___________ 51
Es ist bezeichnend, dass dieser historische Zusammenhang auch von den Befürwortern dieser Form der Juristenschulung weitgehend ignoriert wird; siehe etwa Medicus, Anspruch und Einrede als Rückgrat einer zivilistischen Lehrmethode, in: AcP 1974, S. 313-331, mit nur einem Hinweis auf das Römische Recht, S. 314; ders., Allgemeiner Teil des BGB, 2. Aufl., Heidelberg 1985, Rdn. 77-78, S. 35-36. Vgl. auch seine Auseinandersetzung mit den Kritikern der fallbezogenen Ausbildungstradition (Fn. 47) im Vorwort zur 17. Aufl. seines Bürgerlichen Rechts, Köln u. a. 1996, insbes. S. V-VI. Hinweise auf das Römische Recht, nicht jedoch auf die uns und unserem Rechtsdenken viel näher liegende gemeinrechtliche Praxis enthält auch Schapp, Das Zivilrecht als Anspruchssystem, in: JuS 1992, S. 537-542; ohne historische Hinweise auch Bruns, Die Anspruchskonkurrenz im Zivilrecht. Eine Krebswucherung unserer Zivilistik?, in: JuS 1971, S. 221 ff. 52 So Stürner, Der hundertste Geburtstag des BGB – nationale Kodifikation im Greisenalter?, in: JZ 1996, S. 741 ff., insbes. S. 752. 53 So Stürner, Der hundertste Geburtstag (Fn. 52). 54 So Stürner, Der hundertste Geburtstag (Fn. 52): „das wohl eindrucksvollste Werk gegenwärtiger Ausbildungskultur ist das Bürgerliche Recht von Medicus mit seiner nach Anspruchsgrundlagen geordneten Darstellung des BGB. Es bringt das Systemdenken im bürgerlichen Recht einerseits auf einen imponierenden Höhepunkt, wie ihn nur die strenge Schulung am Römischen Recht und an der Pandektistik ermöglicht, […] allerdings dürfte es sich um ein Werk handeln, das stellvertretend für viele andere Lehrbücher Höhepunkt und Ende einer Ausbildungskultur markiert.“ 55 So Stürner, Der hundertste Geburtstag (Fn. 52). Lesenswert Flessner, Deutsche Juristenausbildung. Die kleine Reform und die europäische Perspektive, in: JZ 1996, S. 689 ff., insbes. S. 690.
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wesentliche Kern für die europäische Ausstrahlungskraft des Römischen Rechts und der Pandektistik. Dieser historische Exkurs hat uns mit einer späten, langfristigen Wirkung der richterlichen Tradition des Reichskammergerichts konfrontiert. Die Frage hat bis heute die rechtshistorische Forschung kaum interessiert56. Ihre Vertiefung würde der heutigen deutschen Juristengeneration deutlich machen, wie gegenwärtig, wenn auch unbewusst, längst verschüttet geglaubte gemeinrechtliche Denkstrukturen und Denkformen noch sind. Gerade solche historischen Studien zu juristischen Methoden, Arbeitsweise und Rechtsdenken des kontinentalen Juristen würden uns den Weg zum besseren Verständnis des Civil Law eröffnen und zugleich übrigens zeigen, wie Rechtsgeschichte auch heute moderne Juristen ansprechen und die Einsicht in die Funktion historischer Erkenntnisse für das heutige Zivilrecht vermitteln kann57.
___________ 56
Gerade diesem Befund waren meine Ausführungen in Ranieri, Stilus Curiae (Fn. 7), S. 86 ff., gewidmet. Vgl. auch Ranieri, Juristische Arbeitsstile in historischem Vergleich: beschleunigende Faktoren oder Hindernisse einer europäischen Rechtseinheit?, in: Moccia (Hrsg.), Il diritto privato europeo. Problemi e prospettive, Milano 1993, S. 59-68. Meine damalige Untersuchung hat offenbar bei Rechtshistorikern kaum Beachtung gefunden. Es ist bedauerlich, dass solche Fragen die rechtshistorische Forschung nicht interessieren. Dies scheint mir wohl für den heutigen Zustand der rechtshistorischen Studien in Deutschland bezeichnend zu sein. 57 Siehe in diesem Sinne Kötz, Was erwartet die Rechtsvergleichung von der Rechtsgeschichte?, in: JZ 1992, S. 20 ff., insbes. S. 22.
Bonne foi et exercice du droit dans la tradition du Civil law A. Introduction Afin d’introduire le lecteur à cette recherche, nous évoquerons tout d’abord la figure juridique de l’exception de dol, en particulier ses origines dans la tradition historique du droit romain et du droit romain commun. Il est connu qu’en droit romain, l’exception générale de dol ne se réfère pas à un véritable dol qui serait déjà commis par le défendeur (ex. doli praeteriti) au moment de la naissance de l’acte juridique sur lequel l’action en justice s’appuie. Au contraire, il s’agit là d’un dol improprement dit, qui ne peut être imputé à son auteur que s’il intente une action en justice en vue d’obtenir une condamnation de la partie adverse. Bien que cette procédure soit tout à fait conforme au droit strict, le juge tient compte du fait qu’elle aboutirait toutefois à des injustices, en raison des divers rapports et relations de confiance entre les parties. Pour éviter de telles injustices, on admettra alors l’exception de dol (ex. doli praesenti). Dans la doctrine du Civil law actuel, la question a souvent été soulevée de savoir si cette figure juridique existe encore dans le droit moderne codifié. En effet, un regard porté au droit allemand au-delà de la codification de 1900 révèle une continuité exacte et une interdépendance entre les cas d’application originaires de l’exception de dol dans la jurisprudence allemande du droit romain commun et les orientations juridiques allemandes actuelles au sujet de l’abus de droit et du principe général de bonne foi (§ 242 BGB). Le modèle proposé par la jurisprudence allemande a été adopté par la pratique judiciaire de quelques systèmes juridiques européens. Il semble par contre que les juges français et italiens – mis à part quelques exceptions récentes – ___________ Dieser Beitrag erschien zuerst in: Rev. intern. de droit comparé 1998, S. 1055-1092 und in: Würtenberger u. a. (Hrsg.), Wahrnehmungs- und Betätigungsformen des Vertrauens im deutsch-französischen Vergleich (Studien des Frankreich-Zentrums der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Bd. 10), Berlin 2002, S. 81-114. Siehe hierzu ferner Ranieri, Exceptio temporis e replicatio doli nel diritto dell’Europa continentale, in: Riv. di dir. civ. 1971, I, p. 253-330; Ranieri, Voce: Eccezione di dolo generale, in: Digesto delle discipline privatistiche. Sez. civ., V, Torino 1990; ders., Le principe de l’interdiction de se contredire au détriment d’autrui ou du « venire contra factum proprium » dans les droits allemand et suisse et sa diffusion en Europe, in: Béhar-Touchais (éd.), L’interdiction de se contredire au détriment d’autrui (Collection: Etudes juridiques, vol. 12), Paris 2001, p. 25-36.
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aient des réticences à recourir explicitement à ce remède. On pourrait penser qu’il s’agit là seulement d’un détail sans importance. Néanmoins de telles divergences témoignent d’un problème beaucoup plus vaste. Au travers d’une analyse historique et comparative nous allons en effet démontrer que non seulement en France mais également dans les autres systèmes juridiques latins le principe de la bonne foi1 n’a jamais acquis d’un point de vue formel une portée normative autonome. Dans ces systèmes juridiques le juge refusera donc de recourir au principe de la bonne foi afin de corriger les résultats peu équitables obtenus lors de l’application d’une disposition légale ou d’une clause contractuelle. Ce principe ne pourra donc pas servir aux juges d’instrument formel d’adaptation constant du jus strictum codifié aux exigences de la justice matérielle. Le rejet de la portée normative du principe de la bonne foi dans ces sys___________ 1 La littérature de droit comparé en matière de bonne foi contractuelle est innombrable. Voir en ordre chronologique Bürgi, Ursprung und Bedeutung der Begriffe « Treu und Glauben » und « Billigkeit » im schweizerischen Zivilrecht, Bern 1939, en part. p. 108 s.; Natoli, Note préliminari ad una teoria dell’abuso del diritto nell’ordinamento giuridico italiano, dans: Riv. trim. di dir. proc. civ. 1958, p. 18 s.; Trabucchi, Il nuovo diritto onorario, dans: Riv. di dir. civ. 1959, I, p. 495 s.; di Majo Giaquinto, L’esecuzione del contratto, Milano 1967, p. 365 s.; Breccia, Diligenza e buona fede nell’attuazione del rapporto obbligatorio, Milano 1968, p. 125 s.; Ranieri, Norma scritta e prassi giudiziale nell’evoluzione della dottrina tedesca del Rechtsmißbrauch, dans: Rotondi, Inchieste di diritto comparato, vol. VII, Padova 1979, p. 363-384; Zeller, Treu und Glauben und Rechtsmißbrauchverbot, Zürich 1981; Bianca, La nozione di buona fede quale regola di comportamento contrattuale, dans: Riv. di dir. civ. 1983, I, p. 205 s.; Menezes Cordeiro, Da boa fé no direito civil, I-II, Coimbra 1984; 2e éd. Coimbra 1997; Kegel, Verwirkung, Vertrag und Vertrauen, dans: Festschrift für Pleyer, Köln u. a. 1986, p. 515 s.; Girsberger, Verjährung und Verwirkung im internationalen Obligationenrecht, Zürich 1989; Coing, Europäisches Privatrecht, I. Älteres Gemeines Recht, München 1985; II. 19. Jahrhundert, München 1989; Il principio di buona fede (Collana Quaderni Scuola Superiore Studi universitari e di perfezionamento in scienze giuridiche, 3) (Giornate di studio, Pisa, 14.6.1985), Milano 1987, ici en part. la contribution de Rescigno, Notazioni generali sul principio di buona fede, p. 31-42; Nanni, La buona fede contrattuale (I grandi orientamenti della giurisprudenza civile e commerciale 4), Padova 1988, en part. chap. VI; Ranieri, Eccezione di dolo generale, dans: Digesto delle discipline privatistiche, sez. civ., VII, Torino 1991, p. 311-331 (avec des renvois à de nombreuses autres études de l’auteur); Storme, De invloed van de goede trouw op de kontraktuele schuldvorderingen, Brüssel 1990, n. 115 s.; La bonne foi. Travaux de L’Association H. Capitant, t. XLIII (1992), Paris 1994; Wacke, La « exceptio doli » en el derecho romano clásico y la « Verwirkung » en el derecho alemàn modern, dans: Derecho romano de obligaciones. Homenaje J.L. Murga Gener, Madrid 1994, p. 977 s.; Mader, Rechtsmißbrauch und unzulässige Rechtsausübung, Wien 1994; Broggini, L’abus de droit et le principe de la bonne foi. Aspects historiques et comparatifs, dans: Abus de droit et bonne foi, Fribourg 1994, p. 3 s., en part. p. 11-12; Cimino, La clausola generale di buona fede nell’esperienza francese, dans: Riv. dir. comm. 1995, I, p. 785 s.; Schlechtriem, Good Faith in German Law and International Uniform Law (Blue Book of the Centre for Comparative and Foreign Law Studies in Rome), Roma 1996; Menezes Cordeiro, La bonne foi à la fin du vingtième siècle, dans: Revue de Droit. Université de Sherbrooke, vol. 26 n. 2, 1996, p. 225-245; Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 2e éd., Wien 2003, chap. 15.
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tèmes juridiques doit être perçu comme la conséquence directe de l’inspiration de droit naturel du Code Napoléon. Il en est de même pour la tradition de l’ABGB autrichien. En conséquence, dans les systèmes juridiques latins – et notamment en France – la figure juridique de « l’exceptio doli generalis » du droit commun semble avoir disparu du vocabulaire utilisé dans le droit appliqué. Une analyse comparative de la casuistique jurisprudentielle démontrera par contre que les solutions équitables obtenues par les juges allemands en appliquant les principes de l’exception de dol et de l’abus de droit, ne sont qu’en apparence inconnues dans les ordres juridiques latins. L’ancienne fonction corrective et équitable de l’exception de dol en droit romain commun a en fait survécu en tant que ratio decidendi implicite. C’est ce qui ressort de l’analyse de la pratique jurisprudentielle que nous avons réalisée dans plusieurs études dans les années passées, dont les résultats seront présentés ici. Il sera ainsi démontré comment, en utilisant d’autres techniques argumentaires, les interprètes latins se sont forgé des instruments appropriés, aptes à paralyser l’exercice d’un droit de façon déloyale et en mépris de la confiance apportée par l’autre partie.
B. L’exceptio doli generalis du droit romain jusqu’au droit commun. Le terme exceptio « doli generalis seu praesentis » fait référence à une figure juridique émergeant de la procédure dans la tradition de droit romain. Dans le procès formulaire on « l’accordait chaque fois que l’exercice d’un droit par son titulaire apparaissait évidemment contraire à l’équité compte tenu des différents accords et relations entre les parties. »2 C’est ainsi que l’on admettait l’exception par exemple à l’encontre de celui qui faisait valoir une créance malgré la présence d’un pacte informel de non petendo ou à l’encontre de celui qui revendiquait une chose antérieurement vendue sans avoir respecté la forme prescrite par le jus civile. Dans sa signification originaire, cette institution juridique est par conséquence strictement liée « à la structure non seulement processuelle mais également constitutionnelle de l’ordre juridique romain, donc au dualisme – aujourd’hui en première ligne dépassé – entre le jus civile et le jus honorarium ».3 Avec l’insertion dans la formule de l’exceptio doli, « si in ea re nihil dolo malo Auli Agerii factum sit neque fiat » on peut démontrer la fonction créatrice qui incombait au juge. Lors du procès il pouvait alors concrétiser les principes de la bona fides et de l’aequitas afin de corriger les résultats obtenus par l’application formelle des règles du jus civile. Sans entrer ___________ 2
Cfr. Arangio Ruiz, Istituzioni di diritto romano, 14e éd., Napoli 1978, p. 104. Cfr. Pellizzi, sous Exceptio doli (diritto civile), dans: Noviss. dig. it., III, Torino 1960, p. 1075. 3
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dans les détails du procès formulaire classique il sera seulement rappelé, qu’en principe, c’était au défendeur de soulever expressément l’exceptio doli pendant le procès et que dans le cadre du jus honorarium elle était concrétisée par une série d’exceptions typiques comme par exemple l’exceptio pacti ou l’exceptio rei venditae et traditae. Cela n’était par contre pas le cas pour les bonae fidei iudicia, auxquelles l’exception était considérée étant naturellement inhérente4. Par conséquent, en matière de contrats consensuels, il n’était pas nécessaire que l’exceptio pacti ou l’exceptio doli soient soulevées expressément. Au fur et à mesure que le procès formulaire classique disparaissait, le caractère de duplicité du droit romain entre le jus civile et le jus honorarium s’estompait. L’exception se réduit alors à un instrument de défense en procédure mis à la disposition du défendeur. On finit par oublier l’antithèse typique du droit classique entre les solutions substantielles et les solutions basées sur la procédure. Ce qui subsiste du droit prétorien, c’est le vocabulaire dans lequel les solutions substantielles continuent à être présentes comme solutions « ope exceptionis ». C’est dans le cadre de la codification de Justinien que s’impose définitivement le principe général « dolo facit, quicumque id, quod quaqua exceptione elidi potest petit » (D. 44.4.2.5). Toutes les exceptions de l’époque classique étaient alors ramenées à l’exceptio doli. Sa qualification de « generalis » remonte en fait à l’époque justinienne5. La situation décrite influence également l’histoire de notre institution durant la deuxième grande époque où les sources romaines étaient en vigueur. La figure de l’ex. doli finit par faire partie, comme les nombreuses formules cristallisées dans les textes du Corpus juris, de l’équipement conceptuel et du langage technique des juristes en droit commun. En réalité, vu l’attitude anti-historique avec ___________ 4
Cfr. Arangio Ruiz, Istituzioni (n. 2), p. 299. Au sujet des développements à l’époque justinienne voir, Dolo petit qui contra pactum petat. Bona fides und stillschweigende Willenserklärung in der Judikatur des 19. Jahrhunderts, dans: Ius Commune 4 (1972), p. 158-187, en part. p. 160 s. avec de nombreux renvois [dans ce livre p. 331 (p. 333)]. Sur l’exceptio doli dans le droit romain classique cfr. Burdese, sous Exceptio doli (dir. rom.), dans: Noviss. dig. it., VI, Torino 1960, p. 1072 s.; Luzzatto, sous Dolo (dir. rom.), dans: Enc. dir., XIII, Milano 1964, p. 715; Kaser, Das römische Privatrecht, I. Abschnitt, 2e éd., München 1971, p. 642 s.; II. Abschnitt, München 1959, p. 202 s.; Liebs, Römisches Recht, 2e éd., Göttingen 1982, p. 224-258; de la littérature plus antique voir Milone, La exceptio doli (generalis), Napoli 1882, en part. p. 151 s.; Costa, L’exceptio doli, Bologna 1897, en part. p. 146 s.; Palermo, Studi sull’exceptio nel diritto classico, Milano 1956, p. 131 s.; Collinet, La nature des actions, des interdits et des exceptions dans l’œuvre de Justinien, Paris 1947, p. 504 s.; Riccobono, Dal diritto romano classico al diritto moderno, Annali, Palermo 1917, p. 591 s.; Beck, Zu den Grundprinzipien der bona fides im römischen Vertragsrecht, dans: Aequitas und bona fides. Festgabe für Simonius, Basel 1955, p. 9 s., p. 24; dernièrement Senn, sous Buona fede nel diritto romano, dans: Digesto delle discipline privatistiche, sez. civ., II, Torino 1988, p. 129-133; Menezes Cordeiro, Da boa fé (n. 1), vol. I, p. 71-106; Zimmermann, The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition, Cape Town 1990, p. 662-670. 5
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laquelle les interprètes juridiques du moyen âge abordaient les textes du Corpus juris, il allait de soi que la signification purement historique des solutions ope exceptionis prévues dans les sources romaines6, devait leur demeurer incompréhensible. L’exceptio doli generalis restait donc en vigueur dans la tradition doctrinale et juridique du droit romain commun en tant que moyen de défense mis à la disposition du défendeur. Elle lui permettait de se protéger contre l’exercice dolosif d’un droit, allant à l’encontre de la bonne foi. Il mérite d’être mentionné que ce moyen a non seulement trouvé application dans la pratique du droit romain commun dans les hypothèses prévues par la casuistique du Corpus juris (p. ex. sous forme de l’ex. rei vendite et traditae, de l’ex. pacti, de l’ex. retentionis etc.), mais également dans des cas nouveaux (p. ex. en matière de reconnaissance de dette, d’obligation d’effet). Ceci est en particulier valable pour la tradition allemande de l’usus modernus pandectarum et pour la pratique judiciaire au XIXe siècle du droit romain commun en Allemagne7.
C. Le silence des codifications du XVIIIe siècle sur l’ex. doli gen. Déjà avant que les premières codifications voient le jour, la tradition européenne du droit romain commun en matière ne fut pas homogène. Dans l’usus modernus pandectarum allemand on continuait à faire, en parfaite harmonie avec les sources romaines, la distinction entre les contrats bonae fidei et les contrats stricti juris, notion à laquelle était rattachée la figure juridique de l’ex.
___________ 6
Sur l’utilisation de l’ex. doli gen. chez les juristes du moyenage cfr. Ranieri, Alienatio convalescit. Contributo alla storia ed alla dottrina della convalida nel diritto dell’Europa continentale, Milano 1974, p. 11-17 (aussi dans: Studi Senesi 86 (1974), p. 70-153, ici p. 81 s.). 7 Les passages dans la littérature du droit romain commun qui traitent notre sujet sont innombrables; pour n’en donner ici qu’un seul exemple voir Gothofredus, Dissertatio de exceptionibus, Argentorati 1603, 11 n. 63 avec la définition formulée sur les traces des sources romaines (D. 44.4.2.5) « doli exceptionem proposuit praetor, ne cui dolus suus per occasionem juris civilis prodesset contra aequitatem naturalem; doli exceptio generalis est competens si qui petit id quod qualibet exceptione elidi potest: sic debitor creditoris sui creditori solvens, adversus creditorem doli mali exceptione munitus est ». Au sujet de l’utilisation de la figure dans la littérature du droit romain comun cfr. Ranieri, Dolo petit (n. 5), p. 162-168 [dans ce livre p. 334-p. 340] avec d’amples citations des sources; en particulier au sujet de la pratique de l’usus modernus pandectarum en Allemagne, voir ici, p. 168, n. 20-22. Voir aussi Broggini, L’abus de droit (n. 1), en part. p. 11-12; Menezes Cordeiro, Da boa fé (n. 1), I, p. 314 s.; Zimmermann, The Law of Obligations (n. 5), p. 668. Sur le caractère créateur de la pratique du droit commun ici nous ne rapellerons que le recours à l’ex. doli pour donner signification au manque de cause d’une obligation; cfr. l’ample recherche historique de Spada, Cautio quae indiscrete loquitur. Lineamenti funzionali e strutturali della promessa di pagamento, dans: Riv. di dir. civ. 1978, I, p. 673-757.
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doli gen. Cela reste valable jusqu’à la période de l’école des pandectes8. Par contre, dans l’Ancien droit français, la situation se présentait de façon bien différente. Déjà aux XVIe et XVIIe siècles s’impose en France la maxime que tous les contrats soient conclus de bonne foi9. La bonne foi était, pour ainsi dire, reçue à l’intérieur de l’ordre juridique. En conséquence logique de cette évolution, l’ex. doli gen. devenait incompréhensible aux yeux des juristes de l’Ancien droit. Cela s’explique par le fait qu’elle se présentait, du moins formellement dans les textes des sources romaines, en tant que remède processuel qui maintenait actuelle dans le droit commun l’idée de la réalisation de l’aequitas à l’extérieur du jus strictum10. C’est dans ce contexte que l’idée de la fonction et de la nécessité de l’ex. doli a été perdue dans l’Ancien droit français. De nombreuses solutions équitables que la pratique romaine justifiait par l’application d’une ex. doli gen. avaient d’ailleurs déjà été codifiées en France par la législation royale du XVIe et XVIIe siècle. Le fait que les sources romaines furent reçues dans l’Ancien droit français qu’en tant que ratio scripta apparaît donc fondamental: en particulier, la casuistique des sources et leur vocabulaire furent perçues comme de seules « subtilitates ». L’ « aktionsrechtliches Denken » du droit romain, duquel la figure de l’exceptio doli constituait une expression typique, disparaît du langage de l’Ancien droit des XVIIe et XVIIIe siècles, au cours desquels on observe, à la différence de l’usus modernus allemand, le passage à une reconstruction substantielle des règles romaines.11 Dans ce cadre s’insèrent l’expérience de la ___________ 8 Cfr. Hoetink, De beperkende werking van de goede trouw bij overeenkomsten, in Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis (1928), p. 417-438, et notamment p. 430; Ranieri, Dolo petit, (n. 5), p. 165 n. 16 [dans ce livre p. 337 (n. 16)] avec amples références. 9 Cfr. Hoetink, De beperkende werking, (n. 8), p. 417 s.; voir seulement, avec d’amples références à la littérature de l’Ancien droit Ranieri, Dolo petit, (n. 5), p. 164165 [dans ce livre p. 336 ss.]; enfin Massetto, sous Buona fede nel diritto medievale e moderno, dans Digesto delle discipline privatistiche, sez. civ., II, Torino 1988, p. 147151. 10 Cfr. Esser, Wandlungen von Billigkeit und Billigkeitsrechtsprechung im modernen Privatrecht, dans: Summum jus summa iniuria, Tübingen 1963, p. 22 s., en particulier p. 28 s.; De Los Mozos, El tratamiento de la equidad en los diversos sistemas juridicos. La equidad en el derecho civil español, dans: Relazioni spagnole all’ VIII Congresso internazionale di diritto comparato, Pescara 1970, p. 26 extrait. Cfr. uniquement les observations brillantes de Pugliatti, sous Eccezione (teoria generale), dans: Enc. dir., XIV, Milano 1965, en particulier p. 170-171: « ... le eccezioni ex fide bona, dunque, hanno la loro fonte, almeno mediata, nello stesso ordinamento giuridico, che ha recepito il principio di buona fede ». Déjà dans le droit romain, l’ex. doli fut considéré comme étant naturellement inhérente à les bonae fidei judicia. 11 Cf. Ranieri, Dolo petit (n. 5), p. 166-167, n. 9 [dans ce livre p. 338 s.]; Ranieri, dans: TRG 1972, p. 322, n. 5. V. aussi Beguet, Étude critique de la notion de fin de non recevoir en droit privé, Rev. trim. civ. 1947, p. 133 et s., en particulier p. 136-139. Notons que se point de vue peut encore être retrouvé dans les commentaires du Code civil datant du XIX siècle: cf. Toullier, Le droit civil français suivant l’ordre du Code, 5e éd.,
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codification et l’influence qu’exerce l’école du droit naturel. La philosophie des Lumières, avec sa dévaluation du juge et l’exaltation de la certitude du droit, réalisée dans l’idéal d’un code écrit qu’elle préconisait, rejette les instruments de l’équité présents dans la pratique jurisprudentielle du droit romain commun. Ensemble avec de nombreuses autres maximes équitables traditionnelles de l’époque (comme p. ex. la règle « contra non valentem agere non currit praescriptio »), la figure de l’ex. doli gen. et de la bona fides ont également disparu avec la rédaction des premières codifications modernes12. Le fait que, ni dans l’Allgemeines Landrecht prussien (ALR) de 1794, ni dans l’Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch autrichien (ABGB), dans sa version originale de 1811, la bonne foi contractuelle est mentionnée en témoigne de manière exemplaire. La critique extrêmement radicale de Zeiller et de ses contemporains, formulée à l’encontre de l’« équité des juges romains », mérite d’être mentionnée en guise d’exemple à cet égard13. Il n’est donc guère surprenant dans ce contexte qu’au XIXe siècle, les commentateurs de l’ABGB ignoraient complètement l’institution de l’ex. doli gen. Comme nous le verrons, elle n’a fait son entrée dans la doctrine et la jurisprudence autrichienne que
___________ Bruxelles 1824, III, § 89, p. 57: « …cette raison subtile était imaginée pour procurer au défendeur l’exception de dolo, sans laquelle il n’eut pas repoussée la demande; mais, dans notre jurisprudence, toutes les actions sont de bonne foi, et nous n’avons pas besoin de cette subtilité »; dans ce sens aussi Demolombe, Cours de Code Napoleon, XXXI, Traité des engagements qui se forment sans convention, 3e éd., Paris 1882, p. 75. 12 Corradini, Il criterio della buona fede e la scienza del diritto privato, Milano 1970, soutient (p. 12 s., p. 27), que bonne foi et équité ont été d’une énorme importance pour la pensée des juristes de l’école du droit naturel. A mon opinion il s’agit là d’une évaluation inacceptable, qui ne reflète pas ou déforme la pensée juridique de l’époque. La bonne foi en tant que « loi naturelle » diffère nettement de la bona fides de sources romaines, et il ne faut pas se laisser induire en erreur par ces quelques affirmations de principe, souvent formulées par les auteurs du XVIIIe siècle. La pensée jusnaturaliste rejette en réalité avec véhémence l’idée qu’il puisse exister, au-delà du Code, un système normatif alternatif (bonne foi, équité) auquel le juge pourra recourir pour corriger les effets inéquitables des dispositions légales ou contractuelles. Cfr. à ce sujet mon compte-rendu très critique dans: TRG 1972, p. 318-326, notamment p. 323, et Dolo petit (n. 5), p. 170 n. 26 au sujet de la bona fides dans les codifications prussiennes et autrichiennes. Le problème ne semble pas avoir été saisi par Massetto, sous Buona fede (n. 9), p. 151 s. 13 Cfr. Zeiller, Kommentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, Wien/Triest 1811, I, p. 72; Zeiller, Das natürliche Privatrecht, Wien 1808, § 117, p. 150. Comme Schuster observe dans: Theoretisch-praktischer Kommentar über das ABGB für die gesamten deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie, Prag 1818, p. 158, le législateur autrichien n’a « ... gleich dem römischen Rechte, den Richter auf die natürliche Billigkeit, sondern auf das Naturrecht angewiesen »; voir en effet le renvoi contenu dans le § 7 ABGB.
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dans ces dernières décennies, sur les traces du modèle proposé par la jurisprudence allemande14. Même la conception de la bonne foi contractuelle subit une transformation profonde sous l’influence du volontarisme de l’école jusnaturaliste. Dans la conception systématique du droit privé qui fut celle de l’époque du droit naturel, tous les rapports juridiques tournent autour de la volonté d’un sujet: actes juridiques ou délits15. Dans une telle vision volontariste, il n’y avait pas de place pour d’autres facteurs dynamiques du droit, comme précisément la règle romaine de la bonne foi. Cette même bona fides issue de la tradition du droit commun finira par contre au fur et à mesure à être comprise dans l’élément de volonté en tant que fondement de l’équation volontariste « ce qui est voulu est juste et équitable; ce qui est juste et équitable ne peut qu’être voulu ». Il n’est donc pas étonnant que l’art. 1134 al. 3 du Cod. civ., qui dispose que les conventions doivent être exécutées de bonne foi, ait été interprété par les premiers commentateurs dans le sens que le contrat doit être exécuté selon la volonté des parties (cf. aussi art. 1134 al. 1 Cod. civ.). De même, on considérait la règle de l’interprétation selon la bonne foi, codifiée dans l’art. 1135 Cod. civ., comme étant prévue en tant que règle d’interprétation de la volonté précise des parties16. En réalité, l’absorption de la bonne foi dans l’élément de la volonté contractuelle a donc transformé dans le droit appliqué français du XIXe siècle la règle de la bonne foi en une norme d’interprétation et d’exécution de la volonté. Si ___________ 14 Le § 914 ABGB ne dispose dans sa version originale (1811) uniquement que « ... ein zweifelhafter Vertrag so erklärt werden [soll], daß es keinen Widerspruch enthalte und von Wirkung sei »; au sujet de sa nouvelle formulation datant de 1916 cfr. infra. Le droit autrichien du XIXe siècle ne connaît pas du tout la figure de l’ex. doli: Coing, Form und Billigkeit im modernen Privatrecht, dans: Deutscher Notartag, München 1965, p. 42; cfr. Unger, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, 5e éd., Leipzig 1892, II, § 125, p. 509, n. 37, qui nie la recevabilité de l’institution malgré sa réception massive de la littérature allemande de l’époque; en ce sens voir aussi Krainz, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, 2e éd. par Pfaff, Wien 1894, § 157, p. 405-406. Au sujet des développements dans le droit autrichien de notre siècle, cfr. infra. 15 Cfr. Coing, Bemerkungen zum überkommenen Zivilrechtssystem, dans: Vom deutschen zum europäischen Recht. Festschrift für H. Dölle, Tübingen 1963, I, p. 25; Coing, Das Verhältnis der positiven Rechtswissenschaft zur Ethik im 19. Jahrhundert, dans: Recht und Ethik. Zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrhundert, Frankfurt 1970, p. 11 s. 16 Cfr. Toullier, Le droit civil (n. 11), n. 338 « ... on ne doit pas violer les conventions en cherchant une équité purement imaginaire ... quand elles [les conventions] sont claires, il ne faut pas en éluder la lettre, sous prétexte d’en revenir à l’équité et à la bonne foi »; Demolombre, Cours (n. 11), vol. XXIV. Traité des contrats ou des obligations conventionelles en général, I. partie, p. 376, observe au sujet du contenu de l’art. 1134 al. 3 Cod. civ. que « ... c’est toujours le devoir du juge ... d’interpréter la convention et d’en ordonner l’exécution conformément à l’intention des parties ».
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l’on considère qu’une norme codifiée existe uniquement dans la réalité de son interprétation jurisprudentielle et qu’elle n’est complétée que par le droit appliqué, on comprend pourquoi la bonne foi selon l’art. 1134 al. 3 Cod. civ. et les normes correspondantes dans les autres codifications de modèle français (par ex. art. 1374 al. 3 Burgerlijk wetboek hollandais de 1838; art. 1124 cod. civ. it. de 1865; art. 1258 du Código civil espagnol de 1889; art. 1375 cod. civ. it. de 1942) n’est en réalité pas la bona fides du droit romain commun17. L’orientation des premiers interprètes du Code civil vers les règles du droit naturel a apporté une influence décisive à l’histoire de notre sujet dans tous les droits européens qui se sont développés suivant le modèle législatif, doctrinal et jurisprudentiel français. Ceci dit, il ne peut donc plus surprendre que l’idée d’une portée autonome de la bonne foi en tant que point de référence alternatif auquel le juge puisse recourir pour corriger les effets non équitables d’une disposition légale ou contractuelle n’ait jamais eu de succès dans les systèmes latins18, du ___________ 17
Il s’agit donc d’un rapprochement erroné de l’art. 1134 al. 3 Cod. civ. à la figure de l’ex. doli gen., ainsi éffectué par Beck, Zu den Grundprinzipien (n. 5), en particulier. p. 26, qui examine l’art. 1134 al. 3 sans tenir compte du contexte historique de son origine dans l’Ancien droit. Certains auteurs italiens demandent, étonnés, pourquoi le principe de bonne foi n’a pas connu dans la pratique française le même développement que dans la pratique allemande (voir par ex. Corradini, Il criterio (n. 12), p. 54 s.; Rodota, Le fonti di integrazione del contratto, Milano 1969, p. 120-121; Cimino, La clausola generale (n. 1), qui se trompe sur les origines historiques des art. 1134 und 1135 Cod. civ. A la place de cette approche abstraite, il me paraît plutôt nécessaire d’examiner de près sous quelle forme la réalisation des principes de la bonne foi et de l’équité reste opérante – au-delà des diverses techniques d’interprétation – dans le droit appliqué français en tant que limite à l’exercice du droit. 18 En dépit de quelques tentatives isolées, entreprises sous l’influence de la doctrine allemande (cfr. Vouin, La bonne foi, notion et rôle actuels en droit privé français, Thèse, Bordeaux 1939, p. 141-143; Markovitch, La théorie de l’abus des droits en droit comparé, Thèse, Lyon 1936, p. 201), l’idée d’utiliser le principe de la bonne foi selon l’art. 1134 al. 3 Cod. civ. en tant que clause générale pour l’ensemble du droit privé fut toujours et encore aujourd’hui sans succès; cfr. exemplairement Planiol-Ripert, Traité pratique de droit civil francais, 2e éd., VI. Obligations, éd. par Esmein, Paris 1952, p. 809; voir aussi Rieg, dans: Juris Classeur Civil 1965, fasc. artt. 1134-1135 Cod. civ., et en particulier: Le principe de l’exécution de bonne foi des conventions, 18; Carbonnier, Droit civil. IV Les obligations, 20e éd., Paris 1996, p. 213; voir enfin Benabent, Rapport français, dans: La bonne foi (n. 1), p. 291 s.; Tallon, Le concept de bonne foi en droit français du contrat (Centro di studi e ricerche di diritto comparato e straniero n. 15), Roma 1994; Desgorges, La bonne foi dans le droit des contrats: rôle actuel et perspectives, Thèse (dactyl.), Paris II 1992. Du point de vue des comparatistes allemands voir les exposés détaillés chez Ferid, Das französische Zivilrecht, Frankfurt 1971, I, § 2B, 3, (notamment sous l’ex. di dol. gen., § 2B, 29-30) et Schmidt, dans: Staudingers Kommentar zum BGB, 13e éd., Berlin 1995, sous § 242 BGB, n. 104 et n. 106-108; enfin Sonnenberger, Treu und Glauben – ein supranationaler Grundsatz? Deutsch-französische Schwierigkeiten der Annäherung, dans: Festschrift für W. Odersky, Berlin/New York 1996, p. 703 s. On retrouve une situation comparable en droit espagnol: cfr. De Los Mozos, El principio de la buena fe. Sus aplicaciones prácticas en el derecho civil español, Barcelona 1965, p. 49, p. 126-129.
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moins dans le droit appliqué – malgré le modèle offert par le droit allemand. On comprend ainsi dans cette perspective historique comment la notion de l’exception de dol ait pu totalement disparaître du vocabulaire des professeurs et des juges français.
D. Le problème dans le droit allemand En continuation avec la tradition antérieure de l’usus modernus pandectarum, la figure de l’exception de dol générale subsiste en fait dans la doctrine juridique et dans la pratique judiciaire de l’Allemagne du XIXe siècle. En vérité, les professeurs de l’école des pandectes n’appréciaient pas beaucoup cette institution, conformément à l’orientation positiviste et formaliste de la science juridique de l’époque. Dans la première moitié du siècle, l’opinion prépondérante dans la littérature influencée par le pandectisme ne voulait l’admettre que dans les hypothèses spécifiques émergeantes de la casuistique des textes du Corpus juris19. Dans la deuxième moitié du siècle, une grande majorité des auteurs nie l’existence de l’institution dans le droit romain actuel20 – notamment sous l’influence de l’abandon définitif par les professeurs de l’époque de la catégorie de l’exceptio, qu’ils substituent à une reconstruction en droit matériel des solutions ope exceptionis données dans les sources romaines21. Malgré ces tendances, il y a pourtant des auteurs22 – comme Regelsberger – qui conçoivent
___________ 19
Cfr. Hänel, Über das Wesen und den heutigen Gebrauch der Actio und exceptio doli, dans: AcP 1829, p. 408 s.; Heimbach, sous Exceptio doli, dans: Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten, rédigé par Weiske, III, Leipzig 1841, p. 709 s.; Albrecht, Die Exceptionen des gemeinen teutschen Civilprozesses geschichtlich entwickelt, München 1835, p. 179 s.; cfr. Ranieri, Dolo petit (n. 5), p. 176 [dans ce livre p. 347 s.]. 20 Cfr. p. ex. Römer, Die exceptio doli, insbesondere im Wechselrecht, dans: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht 1875, p. 54 s.; Brinz, Lehrbuch der Pandekten, e 2 éd., Erlangen 1873, I, § 111, p. 381. 21 Pour un aperçu du débat porté par les professeurs pandectistes sur les notions de la exceptio et de la Einrede, voir Colesanti, sous Eccezione (diritto processuale civile) dans: Enc. dir., XIV, Milano 1965, p. 172 ss., notamment p. 174 s.; Ranieri, Alienatio convalescit (n. 6), p. 47-50 avec des références ultérieures. 22 Cfr. Regelsberger, Pandekten, Leipzig 1893, p. 686; une conception comparable est soutenue par Hartmann, Bechmann, Ihering; voir par ex. Dernburg, Pandekten, I, 7e éd. par Biermann, Berlin 1902, § 138, n. 4, p. 322: « die Klage bildet ein Unrecht ». Cfr. les analyses précises chez Behrends, Geschichte Politik und Jurisprudenz in F.C. v. Savignys System des heutigen römischen Rechts, dans: Römisches Recht in der europäischen Tradition, Göttingen 1985, p. 257 s., notamment p. 293 s., où il écrit: « ... insoweit ist das ganze savignysche Vermögensrecht der ex. doli unterordnet, ... Savigny schöpft hier aus dem römischen Recht, aus dem Dualismus zwischen formaler Zuständigkeit und materialer Gerechtigkeit ».
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l’exceptio doli comme une figure juridique toujours opérante. Même Windscheid n’adopte pas une attitude complètement opposée à ce sujet23. La pratique judiciaire en Allemagne au XIXe siècle n’a jamais été l’objet d’études spécifiques24. Quelques recherches portant sur des aspects particuliers de notre sujet ont pourtant révélé que, malgré les réserves de la doctrine, les juges allemands de l’époque ont eu recours de manière systématique à la figure de l’exceptio doli dans l’application du droit commun25. Cela non seulement dans des cas pour lesquels les sources romaines ont prévu une solution ope exceptionis – p. ex. sous la forme d’une ex. pacti ou d’une ex. rei venditae et traditae ou d’une ex. retentionis et autres cas semblables – mais encore dans des hypothèses nouvelles que la casuistique du Corpus juris ne prévoyait pas expressément26. À quel degré les solutions ope exceptionis étaient enracinées chez les praticiens se montre exemplairement confirmé à travers la circonstance que même dans l’application du Code civil, les tribunaux allemands de l’époque ont eu recours à la figure de l’ex. doli27. Il semble que l’on puisse inclure dans cette observation aussi l’attitude des interprètes de l’ALR prussien, influencés par les catégories des pandectes28. Et tout ceci malgré le fait que cette figure juridique était en réalité étrangère à ces codes imprégnés par le ___________ 23 Cfr. Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9e éd., Frankfurt 1906, § 47, 179 n. 7: « ... in der Praxis ist die ex. doli häufig nichts als der Ausdruck für die Geltendmachung des Prinzips der bona fides von Seiten des Beklagten, was dem römischen Grundsatz der exceptio ganz entspricht »; à propos de l’attitude de Windscheid envers ce sujet cfr. les analyses détaillées de Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid. Erkundungen auf den Feldern der sogenannten Begriffsjurisprudenz, Frankfurt a. M. 1989, p. 72 s., p. 196. 24 Cfr. Ranieri (sous la direction de), Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa (1800-1945), I-II, Frankfurt a. M. 1992, et ici Mohnhaupt, Deutschland, vol. I, p. 95 s. 25 Pour une analyse détaillée de la jurisprudence cfr. Ranieri, Dolo petit (n. 5), p. 177-181 [dans ce livre p. 348-350]; Ranieri, Alienatio convalescit (n. 6), p. 39-43; Ranieri, Exceptio temporis e replicatio doli nel diritto dell’Europa continentale, dans: Riv. di dir. civ. 1971, I, p. 253-330, p. 256; Falk, Ein Gelehrter (n. 23), p. 72; voir également Näf-Hofmann, Zur objektiven Ausweitung der actio de dolo im römischen und gemeinen Recht (Diss. Bern), Winterthur 1962, p. 55 s., p. 69 s.; Beck, Zu den Grundprinzipien (n. 5), p. 26-27. Si Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, Tübingen 1933, p. 4, constate de manière polémique que l’ex. doli apparaît en 1886 pour la première fois dans la jurisprudence du Reichsgericht, il se méprend sur la pratique judiciaire antérieure. 26 Cfr. les exemples donnés par Ranieri, Alienatio convalescit (n. 6), p. 42-43; voir aussi Menezes Cordeiro, Da boa fé (n. 1), I, p. 314 s.; Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre (n. 35), p. 78-83. 27 Cfr. Ranieri, Dolo petit (n. 5), p. 182 n. 52a [dans ce livre p. 353 (n. 54)]; ainsi n’en parle pas, sinon au sens négatif, Crome, Allgemeiner Theil der modernen französischen Privatrechtswissenschaft, Mannheim 1892 (p. 398–399 de la traduction italienne). 28 Cfr. Ranieri, Alienatio convalescit (n. 6), p. 44, n. 90.
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droit naturel, comme nous avons déjà eu occasion de le constater29. Il n’est donc pas surprenant qu’au-delà de la rupture que représente la codification de 1900, la figure de l’ex. doli soit restée présente aussi bien dans la jurisprudence que dans la doctrine contemporaine allemandes. L’institution est décrite pratiquement dans tous les premiers commentaires du BGB. En 1906, Wendt consacrait d’amples études à la question de son importance dans le droit du nouveau code30. Six années plus tard, Riezler la classe parmi la règle du « Verbot des venire contra factum proprium », en la rapprochant des §§ 242, 157 BGB31. Dans la deuxième et en particulier dans la troisième décennie suivant l’entrée en vigueur du BGB, l’on observe une application croissante dans la jurisprudence allemande de l’idée selon laquelle l’exercice du droit fait d’une manière malicieuse et contrairement à la confiance provoquée dans l’autre partie, peut être empêché par un recours à la figure de l’exceptio ou de la replicatio doli. Dans ce contexte, l’exemple type est le développement de l’institution jurisprudentielle de la Verwirkung, selon laquelle celui qui retarde l’exercice d’un droit et suscite ainsi la confiance de l’autre partie dans le fait qu’il n’en fera plus usage, doit considérer son droit comme étant perdu, même si les délais de prescription ne sont pas encore expirés. Cette déchéance prétorienne a d’abord été justifiée de diverses manières par les tribunaux allemands, soit en ayant recours à l’interdiction de nuire à autrui d’une manière contraire aux bonnes moeurs (§ 826 BGB32), soit en reliant la déchéance au § 242 BGB33. ___________ 29
Cfr. n. 12-13. Cfr. Wendt, Die exceptio doli generalis im heutigen Recht oder Treu und Glauben im Recht der Schuldverhältnisse, dans: AcP 1906, en particulier p. 259 s.; voir aussi Schneider, Treu und Glauben im Rechte der Schuldverhältnisse des bürgerlichen Gesetzbuches, München 1902, p. 175 s.; Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, 3e éd., Jena 1911, p. 160 s.; Gadow, Die Einrede der Arglist, dans: Jherings Jahrbücher 1934, p. 193 s. 31 Cfr. Riezler, Venire contra factum proprium. Studien im römischen, englischen und deutschen Civilrecht, Leipzig 1912; Riezler attache ce principe dans cette monographie à la figure juridique de l’Estoppel du Common Law et à la bona fides du droit commun (Riezler, p. 44; voir à ce sujet Liebs, dans: JZ 1981, p. 161); sur l’importance de l’œuvre pour l’histoire de notre problème cfr. Dette, Venire contra factum proprium nulli conceditur (Schriften zur Rechtstheorie 115), Berlin 1985, et Wieling, dans: AcP 1987, p. 95-102. Très simples les observations de Nanni, L’uso giurisprudenziale dell’exceptio doli generalis, dans: Contratto e Impresa 1986, p. 197-226, p. 200 n. 8, selon lequel c’était Wendt, Die exceptio doli (n. 30), qui a encadrée l’institution dans la bonne foi. 32 Cfr. p. ex. Reichsgericht, arrêt de 29.2.1916, dans: RGZ 88, p. 143 (commenté par Ranieri, Rinuncia tacita e Verwirkung. Tutela dell’affidamento e decadenza da un diritto, Padova 1971, p. 15); Reichsgericht, arrêt de 27.1.1925, dans: RGZ 110, p. 133 (Ranieri, op. cit., p. 17); Reichsgericht, arrêt de 19.6.1925, dans: RGZ 111, p. 192 (Ranieri, op. cit., p. 18). 30
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Finalement, dans une classification définitive et encore aujourd’hui quasiment indiscutée, l’idée de l’exception ou de la déchéance est définitivement abandonnée – dans les argumentations jurisprudentielles ainsi que dans la monographie de Siebert de 193434 – pour rapprocher ces solutions du principe de l’abus de droit (unzulässige Rechtsausübung) qui est de son côté déduit d’une interprétation très large du § 242 BGB35. La doctrine de la Verwirkung constitue sans doute l’un des développements jurisprudentiels les plus importants que les juges allemands ont effectués dans l’interprétation du § 242 BGB, comme norme générale pour tout le droit privé. En effet, admettre qu’un créancier puisse être exclu de l’exercice de son propre droit de créance pour des raisons d’équité, avant l’expiration des délais légaux de prescription, signifie lui opposer en réalité une prescription de fait. Cette doctrine ne constitue pas un fait isolé mais, au contraire, un aspect d’un droit jurisprudentiel allant beaucoup plus loin. L’on pensera – question de rappeler les développements les plus connus – à ses applications d’abord à la figure de l’exceptio doli, puis ensuite au principe de l’abus de droit et au cas de nullité d’un contrat pour manque de forme « ad substantiam », où l’on arrive, sanctionnant le comportement fautif de celui qui veut faire valoir cette nullité, à la
___________ 33 Cfr. les exemples données par Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre (n. 35), p. 111 s. et p. 125-144 et par Ranieri, Rinuncia (n. 32), p. 21 n. 11. 34 Cfr. Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, Marburg 1934; à propos de cette monographie, de ses prédecesseurs et de sa réception dans la doctrine allemande contemporaine cfr. Ranieri, Rinuncia tacita (n. 32), p. 27 et surtout Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre (n. 35), p. 183 s., p. 318 s. 35 Au sujet de la doctrine de la Verwirkung, je me permets de renvoyer à ma propre recherche, dans: Ranieri, Rinuncia tacita (n. 32), p. 14-41, comportant des renvois en grand nombre et très détaillés à l’impressionnante littérature et jurisprudence allemande en la matière; cfr. aussi Ranieri, Verwirkung et renonciation tacite. Quelques remarques de droit comparé, dans: Mélanges en l’honneur de Daniel Bastian, vol. I, Paris 1974, p. 427-452. Dans la littérature récente voir Bommel, Die Entstehung der Verwirkungslehre in der Krise des Positivismus (Rechtshistorische Reihe 101), Frankfurt a. M. 1992; Stauder, Die Verwirkung zivilrechtlicher Rechtspositionen. Die Linie der Rechtsprechung bei der Anwendung des Verwirkungstatbestandes (Diss. jur.), Mainz 1994, Frankfurt a. M./Berlin 1995; Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre. Ergebnis nationalsozialistischen Rechtsdenkens? (Berliner juristische Universitätsschriften 1), Berlin 1995. En tant qu’exemples pour la jurisprudence récente voir BGH, arrêt de 7.7.1965, dans: JZ 1965, p. 682 (commenté par Ranieri, Rinuncia [n. 32], p. 39); BGH, arrêt de 29.2.1984, dans: JZ 1984, p. 585; BGH, arrêt de 6.12.1988, dans: NJWRR 1989, p. 818; AG Frankfurt a. M., arrêt de 23.5.1996, dans: NJW-RR 1996, p. 1267. Pour la casuistique jurisprudentielle voir les différents commentaires du BGB sous § 242, et en particulier la contribution de Weber dans la 11e éd. du Staudingers Kommentar zum BGB, Berlin 1961, sous § 242 (tenir compte du fait que l’édition suivante, la 12e de ce commentaire par Schmidt – actuellement la 13e éd. – a renoncé à la plus ancienne documentation).
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forclusion de l’action en nullité36. Il faut aussi rappeler à cette occasion une autre jurisprudence, dont l’apparence parallèle quoique opposée est symptomatique. Suivant celle-ci, commet un abus celui qui se prévaut d’une prescription intervenue entre-temps, après avoir provoqué par son propre comportement la conviction de la contrepartie qu’il n’allait pas s’en prévaloir et l’incitant ainsi à laisser expirer le délai sans entreprendre un acte qui pourrait l’interrompre formellement37. Plus généralement, il s’est imposé dans la jurisprudence allemande la règle selon laquelle le fait de faire valoir une position juridique formelle d’une manière contraire aux relations et aux liaisons de confiance créées dans les rapports réciproques constitue un « venire contra factum proprium » et donc – selon la définition allemande du mot – un abus de droit. Ce n’est pas par hasard que les orientations équitables, développées par les tribunaux allemands sous l’égide du principe de l’abus de droit, ont connu notamment dans la matière susdite un développement particulier. Un nombre impressionnant d’arrêts en témoigne. Les normes concernant la prescription, les termes de forclusion ou la forme des contrats constituent des cas exemplaires pour la permanence d’un jus strictum rigoureux dans le cadre du droit codifié. Les juges allemands ont corrigé ce jus strictum codifié. Cette orientation jurisprudentielle ne s’est pas im-
___________ 36 Voir p. ex. Coing, Form und Billigkeit im modernen Privatrecht (n. 14); Boehmer, Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, II, 2e partie, Tübingen 1952, p. 95 s.; Gernhuber, Formnichtigkeit und Treu und Glauben, dans: Festschrift für SchmidtRimpler, Karlsruhe 1957, p. 152 s.; Reinicke, Rechtsfolgen formwidrig abgeschlossener Verträge, Berlin/Zürich 1969, p. 69 s.; Böhm, Das Abgehen von rechtsgeschäftlichen Formgeboten, dans: AcP 1979, p. 448 s.; pour la jurisprudence à ce sujet, consulter les passages correspondants dans les différents commentaires du BGB sous § 242, et notamment Weber, (n. 35), qui offre une documentation presque complète de la jurisprudence allemande de ce siècle à ce sujet. Il faut rappeler à cet endroit qu’après la très libre application par le Reichsgericht, le Bundesgerichtshof est revenu ces dernières années à des conceptions beaucoup plus strictes, n’acceptant l’exception de l’abus de droit que dans des cas exceptionnels; cfr. p. ex. BGH, arrêt de 22.6.1973, dans: NJW 1973, p. 1455; pour une analyse approfondie de la jurisprudence récente cfr. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, München 1971, p. 274 s. 37 Voir p. ex. Reichsgericht, arrêt de 22.9.1924, dans: Juristische Wochenschrift 1924, p. 196 avec une note de v. Tuhr. Cfr. les amples annotations chez Boehmer, Grundlagen (n. 36), p. 118; pour le développement de cette tendance de la jurisprudence allemande voir l’analyse détaillée dans: Ranieri, Sospensione convenzionale della prescrizione ed exceptio pacti sive doli, dans: Riv. di dir. civ. 1971, II, p. 11-29 (en part. p. 16-21); Ranieri, Exceptio temporis (n. 25), p. 256-287; cfr. également Weber, (n. 35); le plus récemment Hübner, Allgemeiner Teil des BGB, 2e éd., Berlin 1996, § 53 Rdn. 1391, p. 574; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 7e éd., Heidelberg 1997, n. 124-125, p. 55; dans la jurisprudence cfr. par exemple BGH, arrêt de 20.1.1976, dans: NJW 1976, p. 2344-2345; BGH, arrêt de 10.5.1984, dans: NJW 1985, p. 2411; BGH, arrêt de 6.12.1990, dans: NJW 1991, p. 974.
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posée tout de suite, mais a évolué en passant par plusieurs étapes38. Dans un premier temps, les tribunaux allemands cherchaient – comme nous avons déjà vu – à reconduire la déchéance du droit formel à la base textuelle du § 826 BGB, qui dispose que celui qui cause un dommage à autrui d’une manière dolosive et contraire aux bonnes moeurs est obligé de le réparer. Puis, à partir de la fin des années vingt, une préférence s’est successivement développée pour le recours au principe général de bonne foi, auquel on attribuait une portée normative autonome et que les juges allemands voyaient législativement reconnu dans le § 242 BGB. De telle manière, le principe de bonne foi est devenu aujourd’hui un remède pour assurer la légitimation formelle de toute une série de solutions équitables. Et il est en même temps un repère formel, qui permet au juge allemand d’agir en tant que législateur, en lui offrant la possibilité de créer des normes là où il en manque ou de modifier des effets considérés comme étant inéquitables de dispositions légales ou contractuelles. Il faut rappeler ici que dans l’intention des pères du BGB la disposition du § 826 BGB était en effet la codification de la figure de l’actio doli et de l’exceptio doli de la tradition du droit commun39. Et, en réalité, un regard porté aux applications initiales les plus importantes de la norme dans les cas susmentionnés montre comment, ici aussi, les cours germaniques ont le plus souvent suivi la pratique antérieure dans une continuité historique exemplaire. Les applications de l’ex. doli gen. de la pratique de droit commun réapparaissent en particulier dans l’interdiction de causer un dommage à autrui d’une façon contraire aux bonnes moeurs et dans l’obligation de restituer le dommage en forme spécifique (§ 249 BGB), à travers une ample casuistique jurisprudentielle40. En raison de la résistance importante apportée par la doctrine dominante de l’époque41, ce n’est que beaucoup plus tard que l’opinion considérant ces solutions comme étant le résultat de l’application du principe de la bonne foi du § 242 BGB a pu s’imposer. Il faut aussi préciser que, dans l’intention de ___________ 38 Schmidt présente une reconstruction complète des différentes étapes dans la jurisprudence du Reichsgericht, dans la 13e éd. de Staudingers Kommentar (n. 35), sous § 242, n. 64 s. 39 Cfr. les observations précises de Kipp dans: Windscheid, Lehrbuch der Pandekten, e 9 éd., I, Frankfurt 1906, § 40, p. 214-216. 40 Pour des exemples de la pratique judiciaire avant 1900, consulter Ranieri, Exceptio temporis (n. 25), p. 256; Ranieri, Dolo petit (n. 5), p. 184, n. 55 [dans ce livre p. 355 (n. 57)]; sur cette continuité voir les observations de Lange, BGB. Allgemeiner Teil, 12e éd., München 1969, p. 100. 41 Cfr. les renvois dans Ranieri, Exceptio temporis (n. 25), p. 259 et dans Ranieri, Rinuncia (n. 32), p. 63; seront rappelés ici du moins Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, Tübingen 1933; Boehmer, Grundlagen (n. 36); Flume et d’autres. Dans une position aujourd’hui totalement minoritaire se trouve Wolf, Allgemeiner Teil des BGB, 2e éd., Köln/Berlin 1976, p. 89, qui rejette p. ex. l’institution de la Verwirkung, parce que celle-ci s’oppose à la discipline légale de la prescription.
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ses auteurs, le § 242 BGB ne se distinguait pas essentiellement de l’art. 1134 al. 3 Cod. civ. Cela ressort clairement des travaux préparatoires et des interprétations datant des premières années. Même une lecture textuelle de la norme justifie cette constatation. En effet, si l’on analyse la jurisprudence du Reichsgericht dans les premières décennies du siècle, on peut constater que les recours initiaux au § 242 BGB comme fondement pour une exception ou une réplique de dol n’ont été formulés que dans les hypothèses où il s’agissait en réalité de l’exercice de droits potestatifs ou de délais prévus dans les clauses du contrat42. L’idée d’empêcher l’exercice d’un droit en ayant recours à une déchéance prétorienne sur la base du § 242 BGB était dans ces hypothèses relativement facile à concilier avec l’idée d’une interprétation du contrat selon la bonne foi. Ce n’est que vers la fin des années vingt et particulièrement dans les années trente que le Reichsgericht a commencé à considérer le § 242 BGB comme un principe général, représentant aussi une limite pour l’application des normes légales43. Les solutions décrites ci-dessus en matière de prescription et de nullité pour vice de forme remontent en effet à cette période44, et c’est au même moment que l’on commence aussi à justifier ces solutions équitables en ayant recours à la théorie du principe de l’abus de droit. Si l’on évalue d’une façon réaliste le droit allemand appliqué actuel, on s’aperçoit que les juges allemands ne sont en réalité jusqu’à nos jours pas allés au delà de la casuistique développée dans ces années-là45. On peut observer que ___________ 42 Cfr. p. ex. l’arrêt déja cité: Reichsgericht, arrêt de 29.2.1916, dans: RGZ 88, p. 143; en matiére de prescription voir les renvois dans Ranieri, Exceptio temporis (n. 25), p. 256-257. Sur l’interprétation initiale du § 242 BGB cfr. Rückert, Autonomie des Rechts in rechtshistorischer Perspektive (Juristische Studiengesellschaft Hannover. Heft 19), Hannover 1988, en part. p. 44-49, p. 49 s., en part. n. 159; voir en dernier lieu l’analyse splendide de l’histoire de la norme par Schmidt, (n. 35), en part. n. 49 s. 43 Il s’agit donc d’un malentendu, quand certains observateurs italiens du droit allemand parlent des mérites du Code de 1900 d’avoir prévu la « clause générale » du § 242 BGB. En réalité, c’étaient les interprètes, notamment le Reichsgericht, qui ont transformé la norme en question dans un instrument servant à la légitimation formelle de solutions prétoriennes qui contredisent les normes codifiées. La jurisprudence allemande trouve une analyse nettement meilleure chez les observateurs italiens de l’époque, cfr. Torrente, In tema di exceptio doli generalis, dans: Giurisprudenza comparata di diritto civile 1940, p. 265, en commentaire de l’arrêt du Reichsgericht du 12.11.1936; Ascarelli, Certezza ed equità nella giurisprudenza germanica, dans: Annuario di diritto comparato e di studi legislativi 1930, III, p. 571 s. 44 Voir p. ex. au sujet de la prescription Reichsgericht, arrêt de 27.10.1934, dans: RGZ 145, p. 239, en part. p. 244-245 (sur ceci Ranieri, Exceptio temporis (n. 25), p. 286); en matière de nullité pour vice de forme (§ 125 BGB), cfr. Reichsgericht, arrêt de 12.9.1935, dans: Juristische Wochenschrift 1936, p. 97 et la note de Lohr, Ueber die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben bei Formmangeln, dans: Giurisprudenza comparata di diritto civile, III, Roma 1939, p. 215 s. 45 Cfr. Schmidt, (n. 35).
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la jurisprudence allemande, en continuité avec la jurisprudence antérieure, n’a depuis ni créé de nouveaux cas de déchéance de l’exercice d’un droit ni élargi leur champ d’application. Elle a plutôt consolidé la casuistique jurisprudentielle déjà présente – particulièrement sur la base de la systématisation proposée par Franz Wieacker46. Naît alors la théorie d’une série de cas modèles typiques (Fallgruppen), représentant une véritable propre masse de normes « praeter legem ». C’est en s’appuyant sur ces cas modèles stéréotypés – dont on ne peut que mentionner ici les plus connus et les plus importants47 – que l’on classe et que l’on décrit dans les commentaires actuels sous le § 242 BGB la casuistique jurisprudentielle imposante qui s’est formée dans la matière. Si l’on regarde de près les solutions réellement adoptées par l’application de ces formules judiciaires dans le droit allemand appliqué aujourd’hui, on réalise leur portée modificatrice importante en ce qui concerne les règles de droit codifiées dans les paragraphes du BGB. Après avoir reconnu la nature des normes substantielles pour les règles éthiques (§ 826 BGB en premier lieu, § 242 BGB en second lieu), le juge allemand peut interpréter les solutions formelles des normes codifiées comme des indices des principes moraux attachés. On s’aperçoit cependant de la dissolution ainsi produite des structures caractéristiques pour les codifications modernes. Et en réalité, les tribunaux allemands, pour ne mentionner ici que les exemples déjà donnés, ont révolutionné la discipline légale de la nullité pour vice de forme (§§ 125 et 313 BGB) au travers du principe de l’abus de droit. Ils sont allés jusqu’à ne plus appliquer les délais légaux de la prescription extinctive en créant au travers de l’institution prétorienne de la Verwirkung un complexe d’hypothèses « praeter legem » de perte de droits qu’on peut considérer comme un troisième genus à côté des institutions légales de la prescription et de la déchéance. On a relativisé la discipline prévue par le BGB concernant la suspension et l’interruption de la prescription extinctive (§§ 202 s. et 208 s. BGB). De même, on a pratiquement privé d’application le § 225 BGB, qui sanctionne de nullité les modifications conventionnelles des délais de prescription légaux, en substituant au système ___________ 46 Cfr. Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB (Recht und Staat 193/194), Tübingen 1956, reproduit dans: Kleine juristische Schriften, Göttingen 1988, p. 43-76; sur la signification de cette monographie pour la systématique de la jurisprudence allemande voir Schmidt, (n. 35), 12e éd., § 242, Rdn. 127 s. très critique. 47 La casuistique des tribunaux allemands sur ce sujet est impressionnante, et l’on ne peut renvoyer ici qu’aux nombreux commentaires à propos de § 242 BGB. Pour une dernière application importante, voir un cas de forclusion du droit de contester une décisions sociétaire: BGH, arrêt de 22.5.1989, dans: Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht 1989, p. 980 (en modifiant OLG Hamm, arrêt de 20.6.1988, dans: Wertpapier-Mitteilungen 1988, p. 1164). Qu’il soit mentionné ici qu’une solution comparable avait déjà été proposée dans la doctrine italienne: cfr. Portale, Impugnative di bilancio ed exceptio doli, dans: Giurisprudenza commerciale 1982, I, p. 416 s., (p. 407-425), qui s’appuie sur une analyse détaillée et précise (p. 416) d’une décision autrichienne identique du Oberster Gerichtshof, arrêt de 26.10.1955, dans: JBl. 1956, p. 72 s.
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légal, inspiré par l’idéal de la certitude au sujet de l’expiration des délais, un système prétorien souple inspiré principalement par la protection des expectatives et de la confiance apportées par l’autre partie. Tandis que les solutions judiciaires décrites ci-dessus constituent une donnée acquise du droit allemand contemporain, il est tout de même bien de signaler que son encadrement dans la formule traditionnelle de l’abus de droit est à nouveau l’objet de discussions doctrinales aujourd’hui. Dans la plus récente doctrine allemande, des doutes ont été exprimés quant à l’opportunité du recours à la formule traditionnelle de la violation du principe de bonne foi dans les cas en question. On lui reproche en fait d’être trop général, pas assez concret et donc incapable d’offrir plus qu’un fondement purement formel. Ce qui est ainsi particulièrement mis en question, c’est que l’on puisse déduire de la règle de la bonne foi des solutions matériellement concrètes. Au lieu de se limiter à justifier seulement formellement ce droit jurisprudentiel par une référence au § 242 BGB, certains auteurs mettent l’accent sur la nécessité d’encadrer les résultats obtenus par le droit appliqué dans une analyse précise des intérêts qui sont en conflit. La dernière édition du commentaire classique du BGB, le Staudinger48, est une démonstration exemplaire de cette nouvelle tendance. Les solutions décrites ci-dessus en matière de déchéance du droit de faire valoir la nullité pour vice de forme ou l’expiration intervenue de la prescription n’y sont plus intégrées dans les formules prétoriennes traditionnelles du principe du venire contra factum proprium ou de l’abus de droit. Au contraire, elles y sont justifiées en ayant recours à une interprétation téléologique réductrice du § 125 BGB ou du § 225 BGB, c’est-à-dire en réintégrant les règles extralégales développées par la jurisprudence dans la systématique normative du code49. Néanmoins, la variété des formules proposées pour légitimer les solutions judiciaires en question ne doit pas nous induire en erreur. Une analyse attentive ___________ 48
Cfr. la critique radicale de Schmidt, dans: Staudingers Kommentar (n. 35), en part. n. 90 s., n. 180-185, contre la forme classique de l’interdiction du venire contra factum proprium. La thèse fondamentale – révolutionnaire, vue la tradition – est (12e éd., § 242, n. 144): « § 242 BGB kann nicht als Sachnorm angesehen werden »; « notwendig wäre die jeweilige Sachnormen, die aus § 242 gewonnen wurden, in der Systematik des BGB zu bringen und nicht mehr formal sondern auch materiell zu begründen ». Voir aussi Schmidt, Präzisierung des § 242 BGB. Eine Daueraufgabe?, dans: Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, Göttingen 1990, p. 231 s. 49 Cfr. Schmidt, (n. 35), n. 221 s.; au sujet de § 225 BGB, n. 523 s., n. 533, n. 541 s.; en ce sens voir aussi Teichmann, dans: Soergels Kommentar zum BGB, 11e éd., Heidelberg 1986, sub § 242, en part. n. 312; Honsell, Der Verzicht auf die Einrede der Verjährung, dans: Versicherungsrecht 1975, p. 104-105. Il n’est pas possible de prévoir ici quelles conséquences cette tendance pourra avoir, cfr. infra n. 66. La thèse de Wieling, Venire contra factum proprium und Verschulden gegen sich selbst, dans: AcP 1976, p. 334 s., qui avait proposé de reclasser cette casuistique dans la notion d’actes de disposition du droit de la part du titulaire, est restée minoritaire.
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montre comment sous la formule de la violation de la bonne foi, du principe de l’abus de droit ou de l’interprétation réductrice d’une norme codifiée, l’idée de la fonction créatrice et correctrice de la bona fides s’est maintenue vitale et opérante dans le droit appliqué allemand50. Donc la substance de la ratio decidendi de la jurisprudence décrite rappelle la figure ancienne de l’exception de dol et témoigne de l’oeuvre largement créatrice que la pratique judiciaire développe tout de même dans un droit codifié51.
E. La jurisprudence allemande – un modèle pour d’autres systèmes Les solutions équitables décrites ci-dessus que les tribunaux allemands ont bâties sur la base formelle du principe de l’abus de droit ont aussi servi, particulièrement dans les dernières décennies, de modèle à la jurisprudence d’autres ___________ 50 Esser parle d’une fonction explosive, ressortant de la jurisprudence à propos du § 242 BGB dans sa note: § 242 und die Privatautonomie, dans: JZ 1956, p. 356-357. Voir aussi les remarques, très critiques, de Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre (n. 35), p. 341: « ... Diese Entwicklung führte dazu, dass heute, neben der Schweiz, kein Land Europas dem Richter derart weitreichende Möglichkeiten zur Rechtsbeschränkung bietet wie Deutschland. Der Bereich des Rechtsmißbrauchs stellt sich hier als fast unbeschränktes Richterrecht dar »; Schmidt, Staudingers Kommentar, 13e éd. (n. 35), n. 174: « ... alle Entscheidungen, die mit Hilfe des § 242 begründet werden ... müssen nur anders ... begründet werden, da sie sonst nur auf einer « Scheinbegründung » beruhen. » 51 En réalité, on ne peut pas fonder cette constatation simplement sur le fait que l’ex. doli gen. a été héritée de la tradition du droit romain commun, dans la mesure où il est naturel que sur le plan de la procédure, ce sera normalement l’intéressé qui invoquera la déloyauté du comportement de sa contrepartie. Sur le plan technique de la procédure, nous nous trouvons aujourd’hui en face d’un instrument totalement différent. Bien que l’on continue parfois à utiliser l’ancienne formule judiciaire, la déchéance que les tribunaux allemands constatent ne trouve plus sa justification sur le plan de la procédure, comme c’était le cas dans la tradition du droit romain classique, mais davantage dans une règle de droit objective: le principe de bonne foi selon le § 242 BGB, qui permet en tant que telle une évaluation complète par le juge (voir à ce sujet les observations de Wieacker, p. 26; Esser, Schuldrecht, 3e éd., I, Karlsruhe 1968, p. 33). Il est donc évident pour les commentateurs allemands que le juge peut et doit appliquer d’office la forclusion équitable décrite ci-dessus. Il ne faut cependant pas se laisser tromper par ces critères constructifs: le recours à l’interdiction d’exercer un droit d’une manière contraire à la bonne foi a été dans la pratique allemande l’instrument pour introduire une certaine relativité dans le système des normes codifiées. Il est en ceci comparable, aussi bien dans sa fonction que dans son histoire, au rôle que l’on attribuait à l’ex. doli gen. dans la tradition du droit romain commun. Quand on parle d’exception générale de dol, il ne s’agit là point d’une exception au sens technique, mais de la violation d’un droit objectif, qui peut être relevée d’office par le juge; voir sur l’impossibilité de renoncer et de déroger au principe de bonne foi aussi Natoli, L’attuazione del rapporto obbligatorio, dans: Trattato di diritto civile Cicu e Messineo, Milano 1974, p. 37; Cattaneo, Buona fede obbiettiva e abuso del diritto, dans: Riv. trim. di dir. proc. civ. 1971, p. 613 s., p. 638.
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systèmes juridiques européens. Cela est en particulier valable pour la jurisprudence des cours suisses et autrichiennes. Le code civil suisse prévoit expressément à l’art. 2 – donc dans une position systématique encore plus générale qu’au § 242 BGB – le principe de l’abus de droit et la règle selon laquelle l’exercice d’un droit soit fait de bonne foi. Les rédacteurs du code de 1911 avaient à leur disposition à cet égard entre autres les premiers exemples jurisprudentiels d’application du § 242 BGB par le Reichsgericht. Pendant des décennies suivantes, les interprètes suisses et particulièrement le Tribunal fédéral n’ont alors fait que reproduire de manière systématique les solutions équitables développées dans ces années-là par les tribunaux allemands52. Il n’est donc pas surprenant que l’on puisse retrouver dans la jurisprudence helvétique, dans un cadre légal ressemblant beaucoup au modèle allemand, les institutions prétoriennes décrites ci-dessus. A côté de la Verwirkung53, on y retrouve la déchéance du droit de faire valoir l’expiration de la prescription en faveur de celui qui a accordé sa confiance, de manière justifiée, à ce qu’elle ne soit pas soulevée54. Finalement, le droit appliqué suisse connaît aussi des cas de déchéance d’un droit en raison d’un venire contra factum proprium intolérable de la part de son titulaire. Même si l’on peut avoir de temps à autre l’impression que les tribunaux suisses ne vont pas aussi loin que la jurisprudence allemande en ce qui concerne l’orientation vers des solutions d’équité, il n’en est pas ainsi. Au contraire, le Tribunal fédéral suisse55 a même approuvé des solutions audacieuses, comme par exemple la possibilité d’empêcher au travers d’une exception d’abus de droit le recours à la nullité pour vice de forme (par exemple la forme notariée prescrite pour les transferts de biens immobiliers aux ___________ 52 Sur les origines de la norme, consulter Stähelin, zu Art. 3, I des Zivilgesetzentwurfs, dans: Zeitschrift für schweizerisches Recht 1907, p. 355 s., en part. p. 362-368, critiquant l’étude allemande de Wendt, Die exceptio doli (n. 30); pour avoir un aperçu du sujet voir Merz, Die Generalklausel von Treu und Glauben als Quelle der Rechtsschöpfung, dans: Zeitschrift für schweizerisches Recht 1961, p. 335 s.; Merz, dans: Berner Kommentar zum schweizerischen Zivilrecht, Bern 1962, I, sub art. 2, n. 400 s. 53 Cfr. Merz, Die Generalklausel (n. 52), p. 360-361; Merz, dans: Berner Kommentar (n. 52), n. 512-529, comportant d’amples renvois à la jurisprudence suisse; voir également Ranieri, Rinuncia (n. 32), p. 40-41. 54 Cfr. Merz, Die Generalklausel (n. 52), p. 359 s.; Ranieri, Exceptio temporis (n. 25), p. 270-272; le plus récemment Spiro, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bern 1975, en part. § 108, p. 248-249; § 349, p. 848-849. 55 Cfr. Meier-Hayoz, Über geschriebenes und ungeschriebenes Recht, dans: Relazioni svizzere all’VIII Congresso internazionale di diritto comparato (Pescara 1970), Basel 1970, p. 1 s., en part. p. 19 s. comportant d’autres renvois à la jurisprudence; Merz, Die Generalklausel (n. 52); Merz, dans: Berner Kommentar (n. 52) p. 461 s.; dans la jurisprudence cfr. p. ex. Bundesgericht, arrêt de 1.11.1966, dans: BGE 92 (1966), II, p. 323 s.; voir enfin Ranieri, Europäisches Obligationenrecht (n. 1), p. 677-678.
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art. 216 al. 1 OR et 657 al. 1 ZGB). La réception des solutions allemandes par la jurisprudence suisse a donc été consciente et intégrale à un point tel que l’on peut dire que le droit appliqué suisse, en ce qui concerne notre sujet, ne se différencie pas de façon essentielle du droit allemand. Au cours des dernières décennies, le modèle allemand a également été reçu en Autriche, mais de façon complètement différente. L’ABGB ne connaît pas, tout au moins dans son inspiration historique, comme nous avons déjà eu l’occasion de l’expliquer56, la figure juridique de l’exception de dol. Il est exemplaire, pour l’attitude réservée des interprètes autrichiens sur ce point, que même quand il s’agissait de rédiger à nouveau les §§ 863 et 914 ABGB à l’occasion de la réforme de 1916, les rédacteurs ont volontairement renoncé à se référer dans la nouvelle version des normes citées au principe de la bonne foi 57, bien qu’ils aient en devant leurs yeux le modèle du BGB et la jurisprudence du Reichsgericht de l’époque. Par conséquent, non seulement les interprètes58 mais aussi la jurisprudence autrichienne ont refusé pendant des décennies avec ténacité l’idée que l’on puisse admettre une exception ou une réplique pour dol, et cela même dans des cas où en l’espèce le recours par ex. à la prescription intervenue était vraiment déloyal59. Depuis environ une vingtaine d’années par contre, les tribunaux autrichiens ont commencé à adopter de manière systématique les solutions d’équité de la pratique allemande contemporaine60. C’est ainsi que la jurisprudence autrichienne connaît par ex. au___________ 56
Cfr. supra n. 14. Cfr. Kramer, Verwirkung und Anspruchsverlust durch stillschweigenden Verzicht, dans: JBl. 1962, p. 540 s.; Dölemeyer, Die Revision des ABGB durch die drei Teilnovellen von 1914, 1915 und 1916, dans: Ius Commune 6 (1977), p. 274 s., en part. p. 295-296. Il mérite d’être rapellé que l’un des auteurs, Schey, formulait dans: Die Obligationsverhältnisse des österreichischen allgemeinen Privatrechts, I, Wien 1890, p. 547 de manière explicite ses graves doutes quant à l’opportunité d’un recours explicite au principe de bonne foi, qui permettait « die Korrektur oder Beseitigung unbequemer Vertrags- oder Gesetzesbestimmungen durch freie Rechtsfindung des Richters ». 58 Voir p. ex. Gschnitzer, Kommentar zum ABGB, 2e éd., Wien 1968, sub § 914, p. 399 s., p. 413; Gschnitzer, Schuldrecht. Allgemeiner Teil, Wien/New York 1966, § 7, n. VI. 59 Cfr. Oberster Gerichtshof, arrêt de 20.3.1930, dans: SZ 12 (1930), p. 328 s.; Oberster Gerichtshof, arrêt de 28.8.1929, dans: SZ 11 (1929), p. 534 s.; voir au sujet de cette jurisprudence déjà la critique apportée par la doctrine autrichienne orientée au modèle allemand: Ehrenzweig, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, I, 2e éd., Wien 1951, p. 338; Klang, dans: Kommentar zum ABGB, 2e éd., Wien 1951, sub § 1478 ABGB, p. 604; (voir à ce sujet les indications chez Ranieri, Exceptio temporis [n. 25], p. 327). Pour la rigueur analogue en matière de vice de forme voir Oberster Gerichtshof, arrêt de 3.3.1926, dans: SZ 8 (1926), p. 184 s., et Coing, Form und Billigkeit im modernen Privatrecht, dans: Deutscher Notartag, München 1965, p. 43; Gschnitzer, Kommentar (n. 58), sub § 883 ABGB, p. 255. 60 Fondamental en droit autrichien Mader, Rechtsmißbrauch (n. 1). En jurisprudence, voir comme exemple d’application de l’ex. de dol Oberster Gerichtshof, arrêt de 27.3.1996, dans: JBl. 1996, p. 782 s., note Mader, dans l’hypothèse d’un empêchement 57
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jourd’hui la figure de la Verwirkung61. Celle-ci implique que celui qui a inspiré, par exemple au cours de négociations d’accords amiables, la confiance justifiée de la contrepartie dans le fait qu’il ne fera pas valoir un délai de prescription non encore échu, perd la possibilité de s’en prévaloir ultérieurement62. En général, c’est donc l’idée de la déchéance d’un droit due à un comportement déloyal et contradictoire qui s’est imposée. Il ne semble pas y avoir de doutes que cette solution s’appuie effectivement sur la jurisprudence allemande. Néanmoins, il faut préciser que les juges autrichiens essaient de justifier cette solution dans un cadre systématique différent de celui offert par la doctrine et jurisprudence allemande. C’est pourquoi par exemple la réplique pour dol contre l’exception de prescription a été motivée dans quelques arrêts avec une référence aux principes suprêmes de droit (natürliche Rechtsgrundsätze) du § 7 ABGB63. Malgré l’histoire des normes, les juges autrichiens voient le fondement d’une exception de dol aussi dans les §§ 863 et 914 ABGB64. Conformément à la jurisprudence, la doctrine autrichienne évite également dans ces cas-ci de recourir à la formule légitimatoire générale du principe de l’abus de droit. La figure de la Verwirkung est ainsi mise en relation – en tout cas dans la doctrine dominante – avec l’idée d’un acte déloyal du titulaire d’un droit qui se voit limité dans l’exercice de celui-ci en raison de l’attente qu’il a créée du côté de l’autre partie qu’il a renoncé à son droit65. Les solutions mentionnées en matière de délais de prescription ne sont pas justifiées dans la littérature autrichienne par la formule du venire contra factum proprium, mais au contraire au ___________ déloyal de l’accomplissement de la condition (en droit allemand on recourt dans ce cas aux §§ 162, 242 BGB). 61 Voir pour d’amples références à la jurisprudence Koziol/Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts, 4e éd., I, Wien 1976; Rummel, Kommentar zum ABGB, I, 2e éd., Wien 1990, sub § 863 ABGB, n. 2, p. 1046; n. 24, p. 1046 s.; comparer les indications chez Ranieri, Rinuncia (n. 32), p. 77; observations critiques de Bockle, Ist die Verwirkung eine brauchbare oder gar notwendige Rechtsfigur im österreichischen Rechtsbereich?, dans: JBl. 1984, p. 301 s. 62 Cfr. Oberster Gerichtshof, arrêt de 29.4.1965, dans: JBl. 1967, p. 144-147 et la note de Bydlinski, Vergleichsverhandlungen und Verjährung, p. 130-135; Koziol/Welser, Grundriß (n. 61), p. 152-153; Schubert, dans: Rummel, Kommentar zum ABGB (n. 61), II, sub §§ 1501-1502 ABGB, p. 1278-1281. Récemment à ce sujet Mader, Verjährung und außergerichtliche Auseinandersetzung, dans: JBl. 1986, p. 1-9 avec d’autres références; Ranieri, Europäisches Obligationenrecht (n. 1), p. 678-685. 63 Cfr. les indications données par Mader, Verjährung (n. 62), p. 2, p. 10-11. En jurisprudence Oberster Gerichtshof, arrêt de 7.10.1974, dans: SZ 47, Nr. 104; voir aussi Mader, Dolus suus neminem relevat, dans: Festschrift für W. Waldstein, Stuttgart 1993, p. 215-219; Mayer-Maly, dans: Gedenkschrift für Marcic, Berlin 1983, p. 855. 64 Cfr. Oberster Gerichtshof, arrêt de 29.4.1965, (n. 62), en particulier p. 146. 65 Cfr. Kramer, Verwirkung (n. 57), p. 540 s.; Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, Berlin/New York 1967, p. 184 s. Voir en jurisprudence par ex. Oberster Gerichtshof, arrêt de 9.3.1989, dans: JBl. 1989, p. 449-450.
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travers d’une interprétation téléologique réductrice de la nullité du § 1502 ABGB (correspondant au § 225 BGB). Nous ne pouvons pas entamer la question de savoir dans quelle mesure on peut constater ici une influence de tendances analogues dans la plus récente doctrine allemande66, à laquelle il a déjà été fait allusion auparavant67. Il faut enfin signaler que les solutions des tribunaux allemands, en ce qui concerne notre sujet, ont été adoptées dans les dernières années dans des autres systèmes juridiques continentaux. Le modèle allemand a influencé en particulier la doctrine et la jurisprudence hollandaise. En effet, les juges hollandais sous l’empire de l’ancien Code de 1838 ignoraient jusqu’à la première moitié de notre siècle, fidèles en cela à la tradition historique du droit français, la figure de la déchéance pour violation du principe de la bonne foi68. Dans les années suivant la deuxième guerre mondiale, la jurisprudence et la doctrine se sont ouverts au modèle offert par les cours allemandes. L’institution prétorienne de la Verwirkung, par exemple, a ainsi été reçue dans l’actuel droit appliqué hollandais et, sous l’influence de la littérature de langue flamande, apparemment aussi en Belgique69. Le nouveau Code civil hollandais de 1992, dans l’art. 2 du livre 6, ne parle pas de bonne foi, mais des « exigences de la raison et de l’équité »; pour le deuxième alinéa du même art. « la règle à laquelle » le rapport entre créancier et débiteur « est soumis en vertu de la loi, ... ne s’applique pas dans la mesure où, en la circonstance, cela serait inacceptable d’après les critères de la raison et de l’équité ». Il s’agit là d’une mise en forme ___________ 66 Cfr. Bydlinski, Vergleichsverhandlungen (n. 62), p. 134; Mader, Verjährung (n. 62), p. 4 s. et p. 7 s., qui fait explicitement référence à la tendance correspondante dans la doctrine allemande. Il semble que l’on puisse observer ici une influence de l’école de Larenz; sur le problème de l’interprétation selon la méthode de la réduction téléologique notamment dans les cas de « Ordnungsvorschriften », voir Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz. Eine methodologische Studie über Voraussetzungen und Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung praeter legem, 2e éd., Berlin 1983, p. 192 s. 67 Cfr. supra n. 48 et 49. 68 Cfr. Van Oven, Overeenkomst en goede trouw, dans: Nederlandsch juristenblad 1926, p. 337 s. et p. 353 s., qui formule une critique à l’encontre de l’orientation de la jurisprudence du Hooge Raad de l’époque, et fait directement référence à la figure romaine de l’ex. doli gen. 69 Cfr. Verheul, Over Rechtsverwerking, dans: Uit het Recht (Etudes en honneur de P. Verdam), Deventer 1971, p. 75 s.; Aaftink, Rechtsverwerking en afstand van recht, dans: Tijdschrift voor privaatrecht 17 (1980), p. 793-830; van Ommeslaghe, Rechtsverwerking en afstand van recht (Rechtsverwerking et renonciation tacite en droit), dans: Tijdschrift voor privaatrecht 17 (1980), p. 735-791; Stijns, La « rechtsverwerking »: fin d’une attente (dé)raisonnable?, dans: Journal des Tribunaux 1990, p. 687 s.; Cornelis, Rechtsverwerking: een toepassing van de goede trouw?, dans: Tijdschrift voor privaatrecht 27 (1990), p. 545-643 avec une analyse détaillée de la jurisprudence belge et hollandaise. Pour des références à la littérature antérieure, consulter Ranieri, Rinuncia (n. 32), p. 77 dans les notes.
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législative d’une formule consacrée par les décisions du Hooge Raad qui remontent aux décennies auparavant70. Aussi le nouveau code civil portugais de 1966, marqué par une nette influence du droit allemand, parle expressément dans l’art. 334 d’un exercice illégitime d’un droit « quand son titulaire excède manifestement les limites imposées par la bonne foi »71. L’on comprend dès lors que l’idée de la bonne foi comme limite à l’exercice du droit du créancier ait trouvé reconnaissance aussi dans l’art. 1.106 des « Principes du droit européen du contrat » qui ont été publiés il y a un an par la « Commission Lando »72.
F. Le débat dans la doctrine italienne L’exception de dol a commencé à intéresser les auteurs italiens dès le début du XXe siècle. Les interprètes du code de 1865, orientés vers la doctrine et la jurisprudence française, ignoraient totalement le problème. Les premières études traitant ce sujet proviennent des auteurs qui, au début du siècle, commençaient à s’intéresser à la doctrine allemande de l’époque. Il n’est donc pas surprenant que, par exemple, les traducteurs et les commentateurs italiens du manuel de pandectes de Windscheid cité ci-dessus aient nié de façon déterminée l’existence de l’institution73. La critique formulée par Osti à l’encontre de l’article de Wendt sur l’exceptio doli generalis, dans laquelle le principe de bonne foi est qualifié de « ramas de notions juridiques sans valeur scientifique »74, est exemplaire pour une telle orientation. Le rejet de l’idée de l’abus de droit dans la même période par Coviello, Rotondi et d’autres auteurs75 est ___________ 70
Cfr. Dankers-Hagenaars, Rapport néerlandais, dans: La bonne foi (n. 1), p. 311 s.; Storme, De invloed van de goede trouw (n. 1), passim et son Rapport, dans: La bonne foi (n. 1), en part. p. 172-173; Maeijer, Wil en vertrouwen bij de totstandkoming van verbintenissen, dans: Tijdschrift voor privaatrecht 28 (1991), p. 1-4; le même, De goede trouw of de redelijkheid en billijgheid, dans la même Tijdschrift, p. 5-28, avec une analyse détaillée de la jurisprudence sur la « Rechtsverwerking ». 71 Cfr. Menezes Cordeiro, Da boa fé no direito civil (n. 1), en part. p. 707 s.; le même, Rapport portugais, dans: La bonne foi (n. 1), p. 337 s. Voir aussi l’Art. 7, al. 1er du Titulo preliminar de 1974 du Código civil espagnol et l’Art. 281 du Code civil grec. 72 Cfr. Les principes du droit européen du contrat. L’exécution, l’inexécution et ses suites, traduction française par de Lamberterie, Rouhette, Tallon, Paris 1997, p. 50-56; voir aussi Unidroit. Principles of International Commercial Contracts, Rome 1994, Art. 1.7 (good faith and fair dealing in international trade). 73 Cfr. Fadda e Bensa, Note e riferimenti al diritto civile italiano, dans: Windscheid, Diritto delle Pandette (traduzione italiana), IV, Torino 1926, p. 225. 74 Cfr. Osti, Appunti per una teoria della sopravvenienza, dans: Riv. di dir. civ. 1913, en particulier p. 666; voir à propos de ce sujet Furgiuele, La « Rivista di diritto civile » dal 1909 al 1931, dans: Quaderni fiorentini 1987, p. 519 s., en particulier p. 554 s. 75 Cfr. Coviello, Manuale di diritto civile italiano. Parte generale, Milano 1924, § 153, p. 484 s.; Rotondi, L’abuso del diritto, dans: Riv. di dir. civ. 1923, I, p. 105 s.; à
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l’expression d’une tendance doctrinale identique. Egalement pendant les décennies suivantes, la doctrine italienne a nié avec ténacité l’existence de l’institution en question dans le droit positif76 – mises à part quelques exceptions marginales77. Même l’énorme intérêt que suscite le droit allemand dans la doctrine italienne de l’époque n’atténue pas ce refus total: il faut aussi rappeler à cet endroit que la doctrine italienne s’intéressait très peu à la jurisprudence du Reichsgericht78 ainsi qu’aux tendances équitables que les juges allemands de l’époque développaient sous la formule de la violation du principe de bonne foi. L’entrée en vigueur du nouveau code civil en 1942 n’apporta pas de grands changements dans un premier temps: dans l’opinion de ses interprètes, la répression de l’exercice d’un droit qui se faisait de façon malveillante ou inéquitable aux dépens des attentes et de la confiance légitimement présentes chez la contrepartie ne pouvait se faire que dans les cas expressément prévus par la loi79. Le nouveau code contenait en effet de nombreux articles destinés à sanctionner un tel comportement – donc des articles qui représentaient en réalité une concrétisation légale de l’idée qui était à l’origine de l’exception de dol. Toutefois, la doctrine italienne refusa de déduire de ces normes un principe général et applicable en droit positif. « Les exemples spécifiques de répression légale du dol et de la fraude »– écrivait-on –« ne sont ni assez constants et, surtout, ni unanimes au point de pouvoir légitimer l’admission d’un tel principe. Si l’on pense que ce serait le seul principe qui opère per definitionem et toujours
___________ propos de cette étude voir les observations sous un angle historique de Furgiuele, (n. 74), p. 608 s. 76 Cfr. La Lumia, La personalità delle eccezioni derivanti dal rapporto fondamentale come limite alla loro opponibilità nei processi cambiari, dans: Riv. di dir. comm. 1920, I, p. 363 s., p. 373 s.; Trabucchi, Il dolo nella teoria dei vizi del volere, Padova 1937, 340-346, p. 340 s.; Verga, Le controdichiarazioni per atto pubblico, dans: Riv. di dir. priv. 1937, I, en part. p. 36; Bigiavi, L’exceptio doli nel diritto cambiario, dans: Il Foro italiano 1938, IV, p. 177 s., p. 203 s.; Bigiavi, La delegazione, Padova 1940, p. 342-347. 77 Cfr. Cogliolo, La exceptio doli nel diritto commerciale, dans: Diritto commerciale 1922, p. 1-2; Cangini, L’opponibilità di eccezioni al delegatario di mala fede, dans: Riv. di dir. comm. 1939, II, p. 233 s., p. 238 s. 78 Cfr. les références données plus haut (n. 43). 79 Ainsi Carraro, Valore attuale della massima « fraus omnia corrumpit », dans: Riv. trim. di dir. proc. civ. 1949, p. 782 s.; Pugliatti, sous Eccezione (teoria generale), (n. 10), p. 170 et p. 171; Galgano, dans: Riv. di dir. civ. 1962, II, p. 400, en part. p. 418 s.; Bigiavi, Dolo e « sorpresa » nell’imputazione dei pagamenti, dans: Riv. di dir. civ. 1970, I, p. 81 s., en particulier p. 87 s. Une exception constitue Barassi, La teoria generale delle obbligazioni, III, Milano 1948, n. 230, p. 10 s.
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contre l’exercice de droits subjectifs, reconnus par l’ordre juridique même – il s’agit là quasiment du cheval de Troie dans la sécurité de notre système. »80 Ce n’est que dans les dernières années que l’on peut observer une orientation franchement nouvelle de la doctrine italienne. Notamment, la formule selon laquelle le principe de bonne foi constitue une limite générale à l’exercice du droit subjectif a connu un succès singulier auprès de nombreux auteurs. On devine facilement que cette opinion trouve ses racines dans la réception des formules analogues développées par les auteurs allemands. Il est ainsi fréquemment fait allusion dans la littérature italienne à la fonction du principe de bonne foi dans le droit allemand. On met l’accent sur la plus grande amplitude des normes italiennes vis-à-vis du § 242 BGB. En fait, ces auteurs regrettaient tous que les juges italiens ne soient pas mieux disposés envers les solutions équitables fondées sur la règle de la bonne foi. Les juges italiens voyaient en fait dans la règle de la bonne foi un principe général qu’on ne peut pas toutefois appliquer directement mais uniquement par le biais de normes légales plus concrètes dans lesquelles le principe même serait spécifié81. Ce sont ces tendances nouvelles qui ont conduit au cours des dernières années la plus grande partie de la doctrine italienne à admettre l’exception générale de dol dans le droit italien. On soutient alors l’idée que ce principe trouve son fondement légal dans les normes codifiées faisant référence à la bonne foi82. Néanmoins, les cas concrets où on pourra faire valoir une ex. de dol se si___________ 80
En ce sens v. Pellizzi, Exceptio doli (n. 3), p. 1075; voir aussi Torrente, sous « Eccezione di dolo », dans: Enc. dir., XIV, Milano 1965, p. 218 s., p. 220.; Nanni, L’uso giurisprudenziale (n. 31), p. 209. 81 La quantité de littérature italienne traitant cette matière a augmenté de façon impressionnante au cours des dernières années. Pour une appréciation et documentation complète v. Bigliazzi-Geri, sous « Buona fede nel diritto civile », dans: Digesto delle discipline privatistiche, sez. civ., Torino 1988, II, p. 154-189, en particulier p. 169 s.; Di Majo, Delle obbligazioni in generale, dans: Commentario al codice civile di Scialoja e Branca, Bologna 1988, sous art. 1175, p. 305 s., en particulier p. 326-343, avec une présentation de l’évolution du problème dans le droit français et dans la pratique juridique allemande. 82 Dans le sens d’une admissibilité de l’exception générale de dol v. Natoli, L’attuazione del rapporto obbligatorio e la valutazione del comportamento delle parti secondo le regole della correttezza, dans: Banca borsa e titoli di credito 1961, p. 157, en particulier p. 169 s.; Natoli, La regola della correttezza e l’attuazione del rapporto obbligatorio, dans: Studi sulla buona fede, Milano 1975, p. 170 s.; Salvestroni, Falso testamento e sospensione dell’usucapione dei beni ereditari, dans: Riv. di dir. civ. 1970, I, p. 214 s., en particulier p. 228 s.; Rescigno, L’abuso del diritto, dans: Riv. di dir. civ. 1965, I, p. 238 s., en particulier p. 275 s. et p. 287 s.; Di Majo, Delle obbligazioni, (n. 81), p. 334 s.; Benatti, Sulla deroga all’art. 1957 cod. civ. it. nella fideiussione bancaria, dans: Banca borsa e titoli di credito 1987, II, 216; Benatti, Le dichiarazioni del debitore ceduto nel contratto di factoring, dans: Quadrimestre 1986, en part. p. 702 s.; Portale, Impugnative di bilancio, (n. 47), p. 407-425; Portale, Le garanzie bancarie internazionali. Questioni, dans: Banca borsa e titoli di credito 1988, I, p. 1 s., en
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tuent tous dans un secteur assez restreint. Si l’on détourne son regard de ces formules générales et abstraites vers les cas d’application concrets, on s’aperçoit cependant que le nombre d’hypothèses dans lesquelles les auteurs italiens font en fait référence à notre institution est assez limité83. Egalement, le nombre des données jurisprudentielles qui témoignent d’un recours à notre institution est relativement restreint84. Durant ces dernières années, le principe selon lequel la bonne foi représente une limite générale dans l’exercice de droits semble avoir été admis par la jurisprudence italienne d’une manière plus radicale: c’est ce qui ressort d’un arrêt récemment rendu par la Cour de cassation italienne en matière de garantie globale (sûreté personnelle). Elle a en fait refusé d’étendre la sûreté personnelle à une somme versée préalablement par l’établissement bancaire au débiteur principal en invoquant une violation du principe de la bonne foi (art. 1375 cod. civ. it.). Comme la Cour l’a précisé dans sa motivation, il n’était pas nécessaire de démontrer un comportement dolosif de la banque. Il suffisait plutôt de démontrer son attitude déloyale. Dès lors, le risque assumé par le garant est limité par l’obligation de l’établissement bancaire de respecter le principe de la bonne foi85.
___________ particulier p. 19-30; Alpa, Pretese del creditore e normativa di correttezza, dans: Riv. di dir. comm. 1971, II, p. 275; Défend une position radicalement contraire: Pietrobon, Il dovere generale di buona fede, Padova 1969, en particulier p. 61-94, p. 138-140, p. 143 s., qui a une vision traditionnelle attachée au caractère codifié du droit et qui refuse par conséquent que les règles de la bonne foi puissent devancer les règles sur la validité. Il rejette donc entièrement l’idée de l’exception générale de dol (p. 138-140). 83 Le recours à l’exception de dol a par ex. été admis dans le cas d’un contrat de prêt assorti d’une garantie globale: voir Benatti, Sulla deroga (n. 82); sur cet aspect v. infra (n. 84) Cassazione civile, arrêt de 22.6.1988, n. 3362, qui a défini sa propre application de l’exception de dol.; voir aussi Benatti, Le dichiarazioni (n. 82), p. 702 s. Cette solution déjà obtenue par la pratique judiciaire étrangère a été introduite en Italie par Portale, Le garanzie bancarie (n. 82), p. 19-30, nouvelle édition dans: Portale, Le garanzie bancarie internazionali, Milano 1989, p. 78-91. Pour la jurisprudence v. Pret. Milano, arrêt de 28.6.1982, dans: Banca borsa e titoli di credito 1983, II, p. 110-115 note Angelici; Pret. Milano, arrêt de 31.3.1983, dans: Banca borsa e titoli di credito 1985, II, p. 95; Trib. Milano, arrêt de 12.6.1985, dans: Banca borsa e titoli di credito 1986, II, p. 430.; pour d’autres références Ranieri, Eccezione di dolo (n. 1), p. 311 s.; voir aussi Nanni, L’uso (n. 31), p. 216-217. 84 La jurisprudence italienne a reconnu l’existence de cet institution dans quelques cas, v. Pret. Parma, arrêt de 3.3.1950, dans: Foro padano 1950, p. 336 note Arnone, Esecuzione di sentenza emessa in lite simulata ed exceptio doli; Trib. Parma, arrêt de 3.3.1953, dans: Giustizia civile 1953, I, p. 676; voir aussi App. Bologna, arrêt de 5.9.1955, dans: Foro padano 1956, I, p. 982 note Moschella; pour autres références de jurisprudence italienne cfr. Ranieri, Eccezione di dolo (n. 1), p. 311 s.; également Nanni, L’uso giurisprudenziale (n. 31), p. 215. 85 V. Cassazione civile, arrêt de 22.6.1988, n. 3362, dans: Il Foro italiano 1989, I, note Di Majo et de Pardolesi. Avait déjà proposé une solution semblable Benatti, Sulla deroga (n. 82).
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Néanmoins, la réception du modèle allemand semble s’être effectuée en Italie de manière ambivalente. Il est remarquable que même les auteurs italiens qui se réfèrent plus concrètement à l’expérience allemande en ce qui concerne notre sujet, quand ils analysent le droit appliqué allemand – ce qui n’est d’ailleurs pas toujours le cas – refusent unanimement les solutions équitables que les tribunaux allemands ont développées en matière de nullité pour vice de forme, de délais de prescription et de déchéance86. D’autre part, c’est justement dans ces hypothèses – comme on a pu le constater – que la jurisprudence allemande en matière de Rechtsmißbrauch a développé les solutions équitables les plus audacieuses, créant ainsi en ce domaine une véritable masse normative extralégale87.
G. L’ex. doli generalis comme ratio decidendi implicite Nous avons étudié jusqu’à présent la réalisation du principe de la bonne foi et de l’idée de l’exceptio doli generalis dans la doctrine et la pratique allemande, qui a été constante de l’époque de l’usus modernus pandectarum jusqu’à la jurisprudence du Bundesgerichtshof. Le moment est donc venu de voir quel sort a été réservé à la bona fides issue des sources romaines dans le droit ___________ 86 Di Majo parle de « surprise pour l’observateur italien » quant au fait que le principe du « venire contra factum proprium » soit appliqué en matière de vice de forme dans le domaine des contrats, voir Delle obligazioni (n. 81), p. 338; sur « les excès de la jurisprudence allemande en matière de forme »; Mengoni, Spunti per une teoria delle clausole generali, dans: Rivista critica di diritto privato 1986, p. 5-19 (p. 8); de façon similaire dans le sens d’une limite de l’intervention corrective ex fide bona en matière de normes d’ordre public, par ex. pour la forme, pour des délais de prescription Bigliazzi-Geri, Buona fede (p. 81), p. 173; concernant la prescription v. Nanni, L’uso giurisprudenziale (n. 31), p. 224-226; exemplaire aussi le refus de ces solutions dans la doctrine portugaise: v. Menezes Cordeiro, Da boa fé (n. 1), en part. II, p. 785 s. 87 L’attitude des auteurs italiens est trop abstraite. Si l’on veut découvrir le véritable sens actuel de la clause générale de la bonne foi il est avantageux d’analyser quelques problèmes concrets au lieu de se référer à des formules abstraites. Il est indispensable de tenir compte des cas d’application concrets du principe de la bonne foi. L’analyse comparative d’autres systèmes juridiques latins peut alors s’avérer très utile. Exemplaire pour cette attitude de vouloir copier presque entièrement les solutions allemandes v. Patti, Profili della tolleranza nel diritto privato, Napoli 1978, qui commente textuellement la théorie de la Verwirkung (p. 101): « une analyse de droit comparé démontrera que la construction développée à la page précédente correspond à celle qui a été réalisée – de même au-delà d’une prévision normative expresse – dans un système semblable à notre expérience juridique »; beaucoup plus prudent, toujours à propos de la Verwirkung, Cian, Tutela della controparte di fronte all’annullamento o alla ratifica del negozio, dans: Riv. di dir. civ. 1973, I, en particulier p. 565-567. Une attitude abstraite, trop éloignée de la réalité du droit appliqué, on la trouve aussi dans la recherche de droit comparé de Menezes Cordeiro, Da boa fé (n. 1), par ex. en matière de Verwirkung, II, p. 823 s.
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français et dans les autres systèmes juridiques latins. La question est de savoir si la comparaison avec la pratique allemande fera apparaître une divergence réelle ou non entre les deux systèmes de droit. Il est indispensable pour cela d’effectuer une analyse concrète, basée sur la comparaison de cas jurisprudentiels spécifiques et typiques et de leur solution respective, et cela indépendamment des termes, des concepts et des définitions employés. Les comparatistes, d’Ernst Rabel à Josef Esser, parlent ici d’une comparaison par « Fallgruppen » ou d’une « funktionale Rechtsvergleichung ». Cette démarche comparative fonctionnelle s’impose pour deux raisons. Tout d’abord, c’est la terminologie différente utilisée par les interprètes dans le droit appliqué qui peut nous amener à ne pas voir la fonction en réalité analogue de figures juridiques qui formellement apparaissent tout à fait différentes en raison de leur encadrement systématique et leur fondement légal divergents. Le fait par ex. de vouloir classer ces problèmes seulement dans la règle de la bonne foi ou dans celle du principe de l’abus de droit dénote une abstraction excessive et un manque de rattachement à la réalité du droit appliqué. Ce n’est que si l’on recherche dans les différents droits codifiés, au-delà de leur superstructure dogmatique, les règles concrètes du droit vivant, qu’il devient possible de découvrir des parallèles dans les solutions jurisprudentielles. Celles-ci témoignent souvent d’une certaine continuité avec la tradition historique commune du droit continental. Ces observations méthodologiques valent en particulier dans l’hypothèse où nous sommes confrontés à un droit jurisprudentiel. Dans la littérature du droit comparé, il y a beaucoup d’études selon lesquelles l’application de l’institution allemande du « Rechtsmißbrauch » trouverait son équivalent en droit français dans la théorie de l’abus de droit. Ces études sont exemplaires pour une mauvaise application de la méthode comparative: une telle conclusion erronée est le résultat de recherches abstraites, se limitant à comparer des formules doctrinales88 et non pas le droit appliqué, notamment la réalité des solutions jurisprudentielles dans leur encadrement historique. En vérité, les hypothèses où la jurisprudence allemande applique la théorie du Rechtsmissbrauch n’ont rien à voir avec la casuistique que les juges français ont développée en matière d’abus de droit89. Il faut donc observer de près la ju___________ 88 Le mot « Rechtsmißbrauch » constitue la traduction littérale du terme « abus de droit » en allemand. 89 Voir à ce sujet les indications critiques de Ranieri, Rinuncia (n. 32), p. 76 s.; Ranieri, Norma scritta e prassi giudiziale nell’evoluzione della dottrina tedesca del Rechtsmissbrauch, dans: Riv. trim. di dir. proc. civ. 1972, p. 1216-1237 et dans: Rotondi, L’abuso del diritto. Inchieste di diritto comparato, vol. VII, Padova 1979, p. 363-384, p. 382-383. Il est également intéressant d’observer comment fréquemment un modèle étranger transformé sert à développer des solutions nationales; Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung (n. 34), pour justifier l’encadrement de la figure de la Verwirkung dans la théorie de l’abus de droit, a fait en effet souvent référence à la théorie française de l’abus de droit; pour la critique de la
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risprudence française. Il s’agit de repérer, puis de comparer des cas analogues à ceux où les juges allemands ont recours à l’idée de la forclusion de la possibilité d’exercer un droit en raison de la violation du principe de la bonne foi. Une série d’études sur des aspects particuliers de notre sujet, aux résultats desquelles nous pouvons renvoyer à cet endroit, a permis en effet de démontrer l’existence d’un parallélisme fonctionnel entre le droit appliqué en France et dans les autres ordres juridiques latins et les solutions obtenues par les juges allemands à travers l’exception de dol ou de l’abus de droit. Cette ressemblance est telle qu’il paraît légitime de se poser la question de savoir si ce phénomène de la disparition de l’exception générale de dol dans la tradition du droit français n’est pas plutôt une apparence qu’un fait réel90. Naturellement, les interprètes français ne parlent pas dans ces cas de violation de la règle de la bonne foi. En fait, les légitimations formelles servant à justifier leurs solutions d’équité varient considérablement. Le recours à la fiction d’une déclaration tacite de renonciation ou de tolérance de la part du titulaire du droit, afin de le priver de l’exercice de celui-ci, semble jouer ici un rôle particulier. On le retrouve par exemple en matière de résolution de contrat, lorsque le fait d’avoir toléré de précédentes inexécutions peut mener à la déchéance de la possibilité de résolution ou de l’exception d’inexécution. Ceci vaut en particulier pour les rapports de longue durée, lorsque le fait de tolérer la violation systématique de clauses et de prévisions contractuelles par la contrepartie peut mener à ce que le titulaire formel du droit soit privé du droit de s’en prévaloir. Le créancier peut également « renoncer » à son droit d’exiger l’exécution de la prestation s’il laisse passer des années avant d’intenter une action en justice. Le principe est le même en matière de contrats de travail: un licenciement sans préavis est illégitime lorsque l’employeur ne prend l’initiative qu’après l’écoulement d’un laps de temps supérieur à celui qui était nécessaire pour constater l’existence d’une infraction. Par analogie, le consentement du travailleur à une activité inférieure fait obstacle à sa possibilité de faire valoir l’illégitimité de la modification in pejus de celle-ci. Cette attitude jurisprudentielle a longtemps été ignorée par les auteurs français. Une étude remarquable sur les manifestations de volonté abdicatives91 réalisée il y a quelques années a démontré que dans certains cas la jurisprudence française est en réalité allée encore plus loin en établissant de véritables fictions. Contrairement au principe général selon lequel une renonciation ne se présume pas, le fait de s’abstenir d’une action pourra exceptionnellement être « interprété » par les juges français ___________ méthode de cette démarche voir De Boor, Methodisches zur Dogmatik und Rechtsvergleichung, dans: AcP 1935, p. 262 s. 90 Je me permets de renvoyer à Ranieri, Exceptio temporis (n. 25); Ranieri, Rinuncia (n. 32); Ranieri, Alienatio convalescit (n. 6). 91 Cfr. Dreifuss-Netter, Les manifestations de volonté abdicatives, Paris 1985; voir aussi Gode, Volonté et manifestations tacites, Paris 1977.
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comme une véritable renonciation de la part du titulaire du droit. On passe de l’interprétation à une fiction, de la volonté abdicative à la déchéance92. Il est remarquable qu’on ait proposé de justifier cette jurisprudence avec l’idée de l’abus de droit qui serait commis par le fait de ne pas exercer un droit potestatif. L’Estoppel en droit anglais et la Verwirkung en droit allemand et suisse peuvent servir dans l’étude citée de modèle pour encadrer la jurisprudence française décrite; « les solutions jurisprudentielles françaises basées sur une volonté abdicative fictive correspondent à celles dans les systèmes de droit étrangers étudiés. Ce n’est que la justification93 qui est différente ». C’est pourquoi on a proposé de transposer dans le droit français la notion d’une déchéance pour abus de droit contraire à la bonne foi; « renonciation tacite ou déchéance, le résultat est le même, mais le deuxième fondement nous paraît bien préférable, car il est plus simple, fondé sur des considérations objectives, et il évite de recourir à une fiction de volonté »94. Les mêmes observations peuvent être faites à propos de la jurisprudence italienne95; néanmoins les auteurs italiens n’ont pas encore vraiment reconnu la fonction de ces solutions jurisprudentielles96. ___________ 92 Cfr. Dreifuss-Netter, Les manifestations (n. 90), en part. p. 199 s.; Voir aussi mes observations de droit comparé à ce sujet, cfr. Ranieri, Verwirkung et renonciation tacite; quelques remarques de droit comparé, dans: Mélanges Bastian, tome I, Paris 1974, p. 427 s., en part. p. 444 s.; Carbonnier, Droit civil. IV Les obligations, 20e éd., Paris 1996, p. 580-581. Pour la jurisprudence voir: par ex. Cass. civ. 1ère, arrêt de 10.5.1961, dans: Dalloz 1961, p. 456; Cass. civ. 3e, arrêt de 4.12.1968, dans: Jur. Class. Pér. 1969, II, 16016, note Bechade et observations critiques de Bredin, dans: Rev. trim. civ. 1969, p. 807-808; Cass. comm., arrêt de 7.1.1963, dans: Bull. civ. 1963, III, Nr. 1b; Cass. civ., arrêt de 8.4.1987, dans: Bull. civ. 1987, III, Nr. 88. Voir enfin Ranieri, Europäisches Obligationenrecht (n. 1), p. 693 ss. 93 Cfr. Dreifuss-Netter, Les manifestations (n. 90), p. 219. 94 Op. cit., p. 215. Remarquable l’arrêt de Cass. crim., arrêt de 11.6.1996, dans: Dalloz 1997, 576, qui énonce « qu’en effet, un prévenu n’est pas recevable à invoquer l’inopposabilité en France d’une décision étrangère qui a prononcé le divorce sur sa propre demande »; en note Agostini voit dans l’arrêt « l’accueil de l’Estoppel en droit privé français » et de l’interdiction de venire contra factum proprium. Voir enfin Cass. comm., arrêt de 8.4.1987, dans: Bull. civ. 1987, III, Nr. 88; Cass. civ. 1ère, arrêt de 16.2.1999, dans: Bull. civ. 1999, I, Nr. 52; Behar-Touchais (éd.), Existe-t-il un principe d’interdiction de se contredire au détriment d’autrui en droit privé ?, Paris 2001. 95 Cfr. par ex. App. Milano, arrêt de 18.1.1952, dans: Giur. it. 1952, I, 1, 2 c. 470; Cassazione civile, arrêt de 8.11.1984, n. 5639, dans: Giur. it. 1985, I, 1, c. 436 s. 96 Benatti, Le dichiarazioni (n. 82), p. 703 constate « qu’une évaluation entière du comportement de nos juges est impossible parce qu’il n’y a pas pour le passé d’analyse sérieuse de la jurisprudence; il est par contre probable » – continue la citation – « que l’on puisse obtenir les mêmes résultats que fournit l’exception de dol à travers l’acceptation, la tolérance, la renonciation tacite, les fictions etc. » Pour une analyse détaillée de la jurisprudence française et italienne v. Ranieri, Rinuncia (n. 32), p. 83 s.; en particulier concernant le droit du travail, p. 84 s.; en matière de l’acceptation d’une prestation indue, p. 91 s.; concernant la forclusion du droit de demander l’exécution d’une obligation, p. 101 s.; v. aussi les amples analyses de Cattaneo, Buona fede obbiettiva (n. 51), p. 638 s.; en dernier Nanni, L’uso (n. 31), p. 219-24; Di Majo, Delle
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Tout en affichant une stricte fidélité au principe selon lequel la renonciation ne peut être établie que par un acte volontaire et jamais au moyen d’une présomption, les juges français – mais aussi souvent les magistrats italiens et ceux des autres droits latins – appliquent en réalité parfois l’idée de l’abandon tacite d’un droit par son titulaire avec une telle largeur qu’il est évident que la décision ne se réfère pas tellement à la volonté du titulaire du droit, mais plutôt à l’exigence de prendre en considération la confiance ou l’expectative auxquelles son titulaire peut avoir inspiré la contrepartie par ses actes ou omissions. Au fond, il ne s’agit ici – au-delà des définitions utilisées – que de la même ratio decidendi qui inspire la jurisprudence allemande lorsqu’elle parle de Verwirkung97. Ici on peut comprendre la fonction spécifique d’une étude juridique comparative: en évaluant dans le cadre d’une analyse fonctionnelle du droit appliqué l’écart entre les définitions utilisées et les solutions concrètes, on peut montrer que certaines solutions équitables peuvent être légitimées par des modèles d’argumentation qui bien qu’étant profondément différents dans la forme sont en réalité interchangeables98. La demarche d’une comparaison fonction___________ obbligazioni (n. 81), p. 341, qui constate – mais de façon critique – que « les règles concernant la formation d’un contrat peuvent représenter un outil utile quand il s’agit de trouver une réponse au problème se posant lors de la qualification du comportement du sujet ». Pour des données comparables en droit espagnol voir enfin Vaquer, Importing foreign doctrines: Yet another approach to the Unification of European Private Law ? Incorporation of the « Verwirkung » doctrine into Spanish case law, dans: ZEuP 2000, p. 300-310. 97 Cette observation avait déjà été défendue dans mon étude Rinuncia tacita (n. 32). Elle a retrouvé reconnaissance dans la doctrine allemande: voir Luther, dans: RabelsZ 1973, p. 828-829; Will, Die Verwirkung im internationalen Privatrecht, dans: RabelsZ 1978, p. 211-226, en particulier p. 211-212. Mes idées semblent par contre être radicalement rejetées en Italie: voir par ex. Patti, Profili (n. 87), p. 120, 122; Castronovo, Obblighi di protezione e tutela del terzo, dans: Jus 1976, en part. p. 143144; enfin Di Majo, Delle obbligazioni in generale (n. 81), p. 339. Voir au contraire l’utilisation positive de ces idées chez Dreifuss-Netter, Les manifestations (n. 90), p. 199 et enfin Mota-Pinto, Declaração tacita e comportamento concludente no negocio juridico, Coimbra 1995, p. 119, en part. p. 121-122. 98 Notons donc que de nombreux auteurs (parmi lesquels Flume et Wieling dans la doctrine allemande et Bydlinski dans la doctrine autrichienne) défendent encore aujourd’hui l’idée selon laquelle la forclusion de l’exercice d’un droit trouve son fondement dans un acte juridique de son titulaire en conséquence de la confiance inspirée à l’autre partie. En réalité la motivation de nombreux arrêts allemands nous prouve que les deux points de vue de l’abus du droit et de la confiance dans une renonciation sont parfaitement interchangeables (cfr. les exemples fournis par Ranieri, Dolo petit [n. 5], p. 185 [dans ce livre p. 356]). Ce qui compte finalement, ce n’est pas pour autant la „construction“ dogmatique de l’institut de la Verwirkung mais plutôt les dimensions réelles de ces solutions équitables. L’écart entre les formules de l’abus de droit et de la renonciation tacite diminuent davantage si l’on prend en considération que les tribunaux allemands n’ont en fait jamais appliqué une Verwirkung dans des hypothèses de droits indisponibles (auxquels on ne peut donc pas rénoncer) et cela malgré les définitions proposées par les manuels. Patti, Profili (n. 87), se borne à répéter les formules générales que l’on peut trouver dans les commentaires et prétend le
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nelle relativise alors la portée de certaines constructions de la dogmatique juridique. De même, le constat d’une renonciation tacite, interrompant un délai (de prescription) peut en fait permettre au juge français d’éviter l’exception de prescription apparemment donnée et soulevée en raison d’un comportement antérieur du débiteur, qui justifierait une réplique de dol pour l’interprète allemand99. Une évaluation réaliste du droit appliqué en France et – dans une certaine mesure – également en Italie permet donc de constater que l’idée de l’interdiction du venire contra factum proprium, tout au moins en tant que ratio decidendi implicite de nombreuses décisions en justice, n’est en fait pas une inconnue pour les interprètes latins. Formellement, il n’y a pas de doute pour les interprètes latins, que la reconnaissance, le consentement et la renonciation tacite ne puissent exister qu’en présence d’une volonté certaine du titulaire du droit. Mais leur constat reste toutefois une question de fait, soustraite au contrôle de la Cour de cassation – ce qui est en fait une caractéristique du système que l’on retrouve dans tous les ordres juridiques basés sur le modèle français. Ainsi, le juge du fond est libre de prendre en considération les exigences de l’équité et de la protection des attentes suscitées à l’égard des tiers par le comportement du titulaire du droit100.
___________ contraire afin de me critiquer. L’arrêt du BGH, 7.4.1983, dans: NJW 1983, p. 2073 s., note Giesen confirme clairement cette analyse; il s’agissait en l’espèce d’une contestation de paternité (§ 1594 BGB) intentée par le mari dont l’épouse s’était soumise à une insémination artificielle avec tiers donneur à laquelle il avait lui-même consenti. Tout en admettant la possibilité théorique d’accorder l’exception d’abus de droit envers le mari, la Cour a en l’espèce admis l’action intentée par celui-ci. Elle a précisé que le mari n’avait pas pu disposer d’avance du droit de contester sa paternité ce qui empêchait l’intervention d’une Verwirkung. Dans le même sens voir BGH, arrêt de 12.7.1995, dans: NJW 1995, p. 2921. Symptômatique, l’observation de Kegel, Verwirkung (n. 1), en part. p. 531: « Die Verwirkung steht daher dem Vertragsrecht nahe »; il renvoit ici au recours fréquent des juges français et belges à la notion de renonciation et de tolérance tacite (p. 532, n. 118-119); voir aussi Mota-Pinto, Declaração tacita (n. 97), p. 92 s.; Sonnenberger, Treu und Glauben (n. 18), en part. p. 715. 99 Voir Ranieri, Exceptio temporis (n. 25), p. 312-315. Voir p. ex. Cass. civ., arrêt de 19.4.1986, dans: Bull. civ. III, n. 54, p. 41 et Mestre, dans: Rev. trim. civ. 86 (1987), p. 763. 100 Il est clair que cette orientation casuistique qui est souvent dissimulée dans les évaluations de fait par les juges du fond mène à des incohérences et une discontinuité dans le droit appliqué; v. les ex. chez Ranieri, Rinuncia (n. 32), p. 105-107; enfin Cass. comm., arrêt de 18.1.1984, dans: Semaine juridique 1984, IV, 93 (refuse une déchéance malgré la durée de deux années à compter du délai de livraison jusqu’à la mise en demeure) et à ce sujet Mestre, dans: Rev. trim. civ. 1985, p. 161 s.; voir aussi Cass. civ. 1ère, arrêt de 23.1.1996, dans: Dalloz. Jur. 571, note Soustelle et pour la jurisprudence italienne Nanni, L’uso (n. 31), p. 203-204.
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Sur ce point, les interprètes latins sont inconsciemment restés fidèles à la tradition historique. Rappelons que dans les systèmes juridiques latins, la règle d’une portée normative autonome de la bona fides s’est perdue, en toute cohérence avec la prééminence du dogme de la volonté inspiré par l’école du droit naturel. Toutefois, l’exigence d’un correctif inspiré par le principe de bonne foi dans l’application de normes légales ou contractuelles n’a pas été oubliée. Même ici, la solution imposée par les principes traditionnels de la bonne foi et de l’équité a fait son chemin. Les interprètes la justifient très souvent formellement par le recours à l’idée d’une manifestation tacite de la volonté, mais en réalité par le recours à une fiction. Il semble que la fiction d’une volonté est ainsi souvent devenue dans les systèmes latins un canal, par lequel affluent ces solutions imposées par la nécessité d’une correction ex fide bona d’une norme légale ou contractuelle au moment de son application. C’est en réalité la règle qui, dans la tradition du droit commun ainsi que dans celle de l’école des pandectes allemande du siècle passé et de la pratique jurisprudentielle actuelle en Allemagne, avait été exprimée dans l’idée de l’exceptio doli et dans le principe de la bonne foi contractuelle101. On peut également constater sous d’autres points de vue comment, dans le droit français actuel ainsi que – dans une certaine mesure – dans les autres systèmes juridiques latins, certains aspects du jus strictum codifié ont fait l’objet d’une lente érosion dans la pratique judiciaire, d’une manière exemplairement parallèle au développement observé en Allemagne. Une hypothèse exemplaire est l’assouplissement de la rigueur des règles légales en matière de délais de ___________ 101
Comp. à ce sujet les observations historiques de Esser, Wert und Bedeutung der Rechtsfiktionen, 2e éd., Frankfurt a. M. 1969 et dernièrement de Schmidt, Zivilistische Rechtsfiguren zwischen Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, dans: Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, Berlin 1995, en part. p. 24-26. Cfr. dans l’ancienne littérature Meijers, Goede trouw en stilzwijgende wilsverklaring, dans: Verzamelde privaatrechtelijke opstellen, III, Leiden 1955, p. 255-300; v. également van Leeuwen, Normas morales y reglas de interpretación en el derecho de contratos, dans: Revista del Instituto de derecho comparado, Barcelona 1954, II, p. 117-139; van Dievoet, Le droit civil en Belgique et en Hollande de 1808 à 1940. Les sources du droit, Bruxelles 1948, p. 297 s.; Marty, Rôle du juge dans l’interprétation du contrat, dans: Travaux de l’Ass. H. Capitant, V, Paris 1950, p. 80 s., en particulier p. 96; Perreau, Technique de la jurisprudence, II, Paris 1923, p. 35 s.; Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, Berlin 1893 (nouvelle édition Aalen 1970), en particulier p. 288 s. Concernant le rapport entre l’exception de dol et la fiction d’une manifestion de volonté dans la littérature de droit romain commun, v. Ranieri, Dolo petit (n. 5), p. 175 n. 36 [dans ce livre p. 346 (n. 37)]; Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid (n. 23), p. 44; Wacke, Zur Lehre vom pactum tacitum und zur Aushilfsfunktion der exceptio doli. Stillschweigender Verzicht und Verwirkung nach klassischem Recht, dans: Sav. Z. Rom. Abt. 90 (1973), p. 220 s. Le conceptualisme rigoureux des juristes allemands en matière de déclaration de volonté a certainement été la raison pour le fait qu’un mode d’argumentation similaire ait perdu toute crédibilité dans la doctrine et pratique allemande, (v. Ranieri, Rinuncia [n. 32], p. 52-62).
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prescription, effectué par la jurisprudence française au moyen d’un recours à l’ancienne maxime équitable « contra non valentem agere non currit praescriptio »102. Il ne s’agit là point d’un cas de suspension de la prescription, ce qui permet aux juges français de contourner habilement l’énumération légale des causes de suspension de la prescription selon l’art. 2251 Cod. civ. On se trouve plutôt en présence d’un bénéfice, d’une soustraction à la forclusion, que les tribunaux peuvent appliquer « cognita causa » en vertu de la notion de force majeure et de la considération que nul n’est tenu à l’impossible. Comme l’affirment les décisions en cause, cette jurisprudence est fondée sur le principe « contra non valentem agere... », mais les motifs de la fraude et déloyauté, dont la contrepartie trompée a été la victime s’y mêlent souvent. Il est ainsi remarquable que les tribunaux français ne retiennent dans ces cas l’impossibilité d’agir qu’en ce qu’elle est connexe avec un comportement frauduleux ou déloyal de la part du débiteur. Et, en vérité, la connexité de ce remède à la maxime transmise ne saurait pas échapper à l’observateur attentif; néanmoins, la grande majorité de la doctrine ne semble pas se rendre compte des raisons qui ont inspiré cette tendance pragmatique et équitable des tribunaux français. « A la lecture de quelques décisions » – a-t-on justement observé – « il semble que pour celles-ci le fait que le titulaire du droit se trouve dans l’impossibilité absolue d’agir soit moins important que le fait que ce soit la fraude qui est à l’origine de cet état. »103. Et si l’on examine, au-delà des formules stéréotypées, les rationes decidendi concrètes, il semble en vérité que l’on puisse observer que la forclusion de la possibilité d’invoquer l’intervention d’une prescription ou déchéance, que les juges français infligent à l’auteur d’un comportement déloyal, ne répond que tout simplement du même principe dont la jurisprudence allemande s’inspire concrètement pour admettre une replicatio doli à l’encontre d’une exception de prescription ou de déchéance104. On trouve aussi des ten___________ 102 Comp. à ce sujet les analyses de la jurisprudence chez Ranieri, Exceptio temporis (n. 25), p. 289-298. 103 En le même sens v. Carbonnier, La règle « contra non valentem agere non currit praescriptio », dans: Revue critique de législation et de jurisprudence 1937, p. 169; du même auteur de façon analogue v. Notes sur la prescription extinctive, dans: Rev. trim. civ. 1952, p. 171; Droit civil, IV. Les obligations, 20e éd., Paris 1996, n. 361, p. 580; enfin concernant ce sujet v. Dabin, Sur l’adage « contra non valentem agere ... », dans: Revue critique de jurisprudence belge 1969, p. 93 s.; Terré/Simmler/Lequette, Droit civil. Les obligations, 6e éd., Paris 1996, p. 1104. 104 Voir Ranieri, Exceptio temporis (n. 25), p. 296-297; en le même sens aussi Spiro, Zur neueren Geschichte des Satzes « contra non valentem agere non currit praescriptio », dans: Festschrift für H. Lewald, Basel 1953, p. 585-682, en particulier p. 600-601. Voir en jurisprudence française par ex. Cass. civ. 1ère, arrêt de 13.3.1968, dans: Dalloz 1968, p. 626; enfin Cass. com., arrêt de 21.3.1984, dans: Bull. civ. 1984, IV, Nr. 116; Cass. civ. 1e, arrêt de 28.10.1991, dans: Bull. civ. 1991, I, Nr. 282; voir toutefois aussi Cass. civ. 2e, arrêt de 5.10.1988, dans: Bull. civ. 1988, II, Nr. 188, note Mestre, dans: Rev. trim. civ. 1989, p. 752; Cass. civ. 1e, arrêt de 13.11.1991, dans: Bull. civ. 1991, I, Nr. 308. Voir enfin Ranieri, Sospensione (n. 37), p. 27-29.
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dances analogues dans quelques décisions de l’ancienne jurisprudence italienne sous l’empire du code de 1865105. L’art. 2941 n. 8 du nouveau code italien de 1942 a apparemment tranché le problème. Néanmoins, une interprétation plus libérale de cet article pourrait donner la possibilité aux interprètes italiens de mettre en accord la rigidité des délais de prescription avec l’exigence de protéger la bonne foi et la confiance suscitée auprès de l’autre partie106. Pour compléter le tableau, on évoquera encore la jurisprudence française en matière d’aliénation de biens d’autrui, sanctionnée de nullité par les articles 1599, 1238, 893, 943 Cod. civ. Depuis les premières années qui suivaient l’entrée en vigueur du code napoléonien, on peut constater une tendance très nette des tribunaux français à limiter les conséquences de la nullité prévue par les normes citées ci-dessus. La casuistique dans laquelle cette jurisprudence a particulièrement eu l’occasion de s’affirmer concerne en premier lieu l’hypothèse où la nullité de la vente d’une chose appartenant à autrui est invoquée par le vendeur même, qui, ayant ultérieurement acquis la propriété de la chose aliénée, se fondait alors sur la nullité du contrat et prétendait la revendiquer en s’appuyant sur le nouveau titre107. Il s’agit là d’une hypothèse dans laquelle les juristes allemands de l’usus modernus pandectarum et du XIXe siècle paralysaient l’action de revendication déloyalement intentée par l’exceptio rei venditae et traditae seu doli108. Là où, comme par exemple en droit suisse, une telle consolidation normative pour un cas pareil d’aliénation (par ex. le § 185 al. 2 BGB) n’existe pas, on parle encore aujourd’hui d’une exceptio doli ou d’un abus de droit109. Dès le début, la Cour de cassation française n’eut pas de doutes quant à l’inadmissibilité de l’action en revendication: en exacte continuité avec la tradition de l’Ancien droit, la maxime « quem de evictione tenet actio eundem agentem repellit exceptio » fut retenue ici et l’action du vendeur paralysée par une « exception de garantie ». Les juges se fondent dans ces cas sur la responsabilité pour éviction pesant sur le vendeur. Une analyse précise des dimensions réelles du droit appliqué de l’époque démontre toutefois – ___________ 105 Par ex. App. Milano, arrêt de 14.1.1927, dans: Il Foro italiano 1927, I, c. 922. Voir les références chez Ranieri, Exceptio temporis (n. 25), p. 299-307; Ranieri, Sospensione (n. 37), p. 27-29. 106 Voir Ranieri, Exceptio temporis (n. 25), p. 305-307; de façon similaire est proposée une ample interprétation analogue de l’art. 2941 n. 8 par Cattaneo (n. 51), p. 641; v. sur cet aspect Nanni, L’uso (n. 31), p. 224-226; voir enfin Caponi, Gli impedimenti all’esercizio dei diritti nella disciplina della prescrizione, dans: Riv. di dir. civ. 42 (1996), p. 721 s., en part. p. 732 s. 107 Voir à ce sujet Ranieri, Alienatio convalescit (n. 6), p. 59 s. 108 Voir Ranieri, Alienatio convalescit (n. 6), p. 37-46. 109 Voir Bundesgericht, arrêt de 16.1.1915, dans: BGE 41 (1915), II, p. 37-51; Merz, dans: Berner Kommentar zum schweizerischen Zivilrecht, Bern 1962, sous art. 2, n. 444, p. 342.
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comme nous avons eu l’occasion de l’éclaircir ailleurs110 – que les interprètes français ne se laissent qu’en apparence guider par l’idée de la responsabilité pour l’éviction, mais qu’ils suivent plutôt – dans une ratio decidendi implicite – l’idée de sanctionner et de paralyser le comportement contraire à la bonne foi du vendeur devenu postérieurement propriétaire de la chose qu’il avait aliénée. C’est exactement la voie suivie par les juristes allemands lorsqu’ils admettaient une exceptio doli dans ces cas. Dans cette matière, la jurisprudence française est d’une grande cohérence: ainsi, par exemple, elle n’a jamais hésité à paralyser l’action en revendication intentée par le donateur d’une chose appartenant à autrui qui en réclame la restitution après avoir acquis la propriété de la chose aliénée, et ceci bien que le donataire ne soit pas garant de l’éviction éventuelle du donateur111. En dernier lieu, nous allons traiter l’exemple du recours déloyal à la nullité pour vice de forme dont on ne trouve que quelques rares exemples dans la jurisprudence française et italienne. Dans le Code civil et les autres codifications latines, il n’y a pas d’équivalent au formalisme typique du droit contractuel du code allemand. Une norme comparable au § 313 BGB qui sanctionne de nullité absolue les contrats immobiliers où la forme notariée n’est pas respectée, y est inconnue. Dans le droit appliqué néanmoins, le problème d’une forclusion prétorienne d’une action déloyale en nullité n’est pas complètement inconnue. Il y a par ex. une ancienne jurisprudence du XIXe siècle où les défendeurs avaient invoqué en l’espèce l’exception de dol à l’encontre de la demande d’annulation de la vente de biens dotaux effectuée par l’époux; ils invoquaient le fait que le mari avait refusé volontairement de donner son consentement par acte notarié afin de pouvoir se prévaloir ultérieurement de la nullité de l’aliénation. Les juges français et italiens ont toujours rejeté une telle action en nullité112. Dans le droit romain commun de l’Allemagne du XIXe siècle, l’ex. de dol était admise dans ces cas sans hésitation113. Ce n’est que le changement du cadre légal dans la matière qui a fait disparaître ce problème de la jurisprudence contemporaine.
H. Solutions judiciaires ex fide bona et équité codifiée Les données comparatives présentées jusqu’ici permettent de formuler quelques conclusions finales. On peut constater que l’idée d’une déchéance de la ___________ 110
Pour l’analyse de la jurisprudence v. Ranieri, Alienatio convalescit (n. 6), p. 63 s. Voir Ranieri, Alienatio convalescit (n. 6), p. 65-67. 112 Cfr. par ex. Gabba dans une note à App. Napoli, arrêt de 1.7.1878, dans: Giur. it. 1879, I, p. 2, c. 568-570 avec beaucoup de références. Contre une déchéance de l’action en nullité App. Napoli, arrêt de 25.1.1952, dans: Foro padano 1952, I, 1089. 113 Cfr. Riezler, Venire contra factum proprium (n. 31), p. 24-25; Brinz, Lehrbuch der Pandekten (n. 20), vol. II, p. 697. 111
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possibilité d’utiliser une position juridique formelle en tant que sanction, infligée à celui qui ferait valoir son propre droit de manière déloyale ou contraire aux attentes que son comportement a fait naître aux côtés de la contrepartie, est omniprésente en tant que telle dans tous les systèmes juridiques de l’Europe continentale114. Dans une perspective historique, il s’agit d’un principe découlant de la tradition du droit romain qui trouvait sa concrétisation dans la figure ancienne de l’exceptio doli. La continuité de cette institution en Allemagne, de l’époque du droit commun jusqu’à la théorie actuelle du Rechtsmißbrauch, confirme à nouveau que le droit allemand est encore aujourd’hui de tous les systèmes juridiques continentaux celui qui est resté le plus rattaché à la tradition du droit romain. Le modèle allemand a influencé ici de manière décisive le droit suisse, autrichien et, dans les dernières années, le droit hollandais. Dans le droit français et dans les autres systèmes de droit liés à celui-ci, l’ancienne idée de la fonction corrective de la bona fides a continué à exister, mais de façon moins visible, dissimulée dans diverses structures d’argumentation, par exemple dans la fiction d’une renonciation ou d’une tolérance tacite du titulaire d’un droit ou dans d’autres règles d’équité. La fonction classique de l’exceptio doli continue donc d’exister ici sous la forme de ratio decidendi implicite dans certaines solutions jurisprudentielles. C’est le cas par ex. de la jurisprudence italienne qui a, jusqu’à aujourd’hui, rarement eu recours au principe de la bonne foi pour résoudre les cas décrits ci-dessus115. Cela ne vaut pas, par contre, pour ___________ 114 Il me semble vraiment problématique, compte tenu du contexte historique de notre sujet, de parler de bonne foi et d’exception de dol dans le cadre de la tradition du Common Law (c’est ce qui semble être le cas pour Nanni, L’uso [n. 31], p. 204-206). D’autres questions sont les dimensions réelles du droit anglais appliqué qui font apparaître des solutions analogues: il suffit de penser à la figure du Estoppel by acquiescence; v. Ranieri, Rinuncia (n. 32) p. 72 avec d’autres références de droit comparé; Nanni, L’uso (n. 31), p. 205-206; Kegel, Verwirkung (n. 1), p. 517 s. L’expérience anglaise ne relève point de recours particulier au concept de bonne foi; pour un résumée voir Ferraris, La buona fede negli orientamenti della giurisprudenza inglese, dans: Riv. dir. comm. 93 (1995), p. 759 s.; Goode, The Concept of « Good Faith » in English Law (Centro di Studi e ricerche di diritto comparato e straniero, n. 2), Roma 1992, p. 1: « ... we in England find it difficult to adopt a general concept of good faith »; dans le même sens par rapport à la notion de « good faith » dans le CISG voir Nicholas, The United Kingdom and the Vienna Sales Convention, Roma 1993, qui refuse, du point de vue du Common Law, l’utilisation de la notion allemande de « Treu und Glauben » au niveau de l’interprétation internationale de l’art. 7 II CISG. Au contraire, les interprètes allemands et hollandaises de la Convention de Vienne utilisent aussi dans le cadre du CISG la notion de la Verwirkung: voir Schlechtriem, Good Faith (n. 1), en part. p. 17; Tribunal d’Arrondissement d’Amsterdam, arrêt de 5.10.1994, dans: Nederlands International Privaatrecht 1995, n. 231 et aussi dans: Dalloz. Cahier Somm. commentés 1997, p. 222-223 avec une note critique de Papandreau-Deterville. Voir enfin Whittaker/Zimmermann, Good faith (n. 1), p. 39-48; Ranieri, Europäisches Obligationenrecht (n. 1), p. 704-706; Ferreri, Il gudice italiano e l’interpretazione del contratto internazionale, Padova 2000, p. 107-131. 115 En ce sens Di Majo, Delle obbligazioni in generale (n. 81), p. 340, p. 342, p. 343. Voir à cet endroit les observations précises de Giuliani, L’applicazione della legge,
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la doctrine italienne: au moment même où certains auteurs allemands commencent à prendre leurs distances vis-à-vis de ce type d’argumentation, l’idée d’une application directe du principe de bonne foi pour corriger l’application du droit codifié semble être en train de faire son entrée dans le droit appliqué italien. Cela est aussi valable pour le droit hollandais et il semble que même au Portugal on est en train d’assister à une évolution comparable. Le fait de croire que l’on puisse déduire directement d’une règle générale de bonne foi des solutions dans des cas concrets est toutefois une illusion ou plutôt l’expression d’une confiance excessive dans les articles des codes. C’est justement l’analyse historique et comparative qui nous a démontré que, malgré les différentes argumentations, il y a toujours dans le droit appliqué de l’Europe continentale des solutions d’équité identiques ou tout de même largement similaires (exception de dol ou abus de droit avec le § 242 BGB; fiction d’une renonciation ou tolérance tacite; référence aux principes de droit naturel du § 7 ABGB; interprétation téléologique réductrice d’une norme légale). La démarche comparative oblige en même temps le civiliste à reconnaître la portée limitée de certaines constructions de la dogmatique juridique. La thèse selon laquelle le principe de bonne foi « se mesure toujours aux règles antinomiques, parmi lesquelles le législateur a fait une première sélection provisoire et parmi lesquelles le principe de bonne foi opère un deuxième choix », est alors confirmée de façon exemplaire. On a aussi pu souligner que la solution victorieuse « tendra à juste titre à se présenter comme possédant le critère unique et incontesté caractérisant la bonne foi »116. L’interprète devra donc à nouveau porter son attention à la solution du cas concret. Il ne semble pas que le législateur puisse toujours disposer d’avance des instruments pour légitimer de telles évolutions jurisprudentielles. L’analyse faite ci-dessus démontre comment la pratique peut choisir d’autres voies plus proches à la tradition historique du système. Il est également possible que la rè___________ Rimini 1983 et dans: Trattato di diritto civile sotto la direzione di Rescigno, I, Torino 1984, p. 57 s., concernant la technique d’interprétation de la loi par les juges italiens, qui « évitent d’avoir recours à leur pouvoir leur permettant de prendre des décisions d’équité. Ils préfèrent se servir de moyens alternatifs formalistiques et fictifs où la véritable motivation reste souvent invisible. » 116 Dans ce sens Sacco, Cos’ è la buona fede oggettiva, dans: Il principio di buona fede (n. 1), p. 43 s., en part. p. 48-49. Ce qui est soutenu ici ne peut naturellement pas être accepté par certains auteurs italiens, qui soutiennent que la clause générale de bonne foi lie le juge à une directive expresse ce qui l’amènerai à distinguer entre des décisions basées sur la bonne foi et d’autres basées sur l’équité. (v. Mengoni, Spunti per una teoria delle clausole generali, p. 8; Castronovo, L’avventura delle clausole generali, tous les deux dans: Rivista critica di diritto privato 1986, p. 5-19, en part. p. 21-30, p. 23 s). Le point de vue défendu ici se voit confirmé par les observations de Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 2e éd., Tübingen 1964, p. 63 s.; p. 220 s.; voir enfin Menetes Cordeiro, La bonne foi à la fin du vingtième siècle (n. 1), en part. p. 236-243.
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gle générale de la bonne foi devienne inutile voire superflue. Ce sera par exemple le cas lorsque le problème de la répression de comportements déloyaux est absorbé par des normes légales spécifiques. On peut songer à la compensation ou au droit de rétention qui présentaient des cas d’application de l’exceptio doli dans la jurisprudence allemande de droit romain avant la codification du BGB. Les solutions – pour donner un autre exemple – qui encore au XIXe siècle étaient obtenues dans la jurisprudence allemande grâce à une exceptio rei venditae et traditae seu doli, sont aujourd’hui légalement concrétisées dans les §§ 185 al. 2 et 986 BGB117. Cette dialectique entre d’une part le pouvoir créatif et correctif des juges et la concrétisation des solutions jurisprudentielles par le législateur dans le droit codifié d’autre part persiste depuis l’époque des premiers codes jusqu’à aujourd’hui. On peut mentionner ici le cas exemplaire du § 852 al. 2 BGB introduit en 1977. Celui-ci prévoit une nouvelle hypothèse légale de suspension du délai de prescription. En fait, c’est la jurisprudence d’équité développée sur la base du § 242 BGB auparavant – comme on l’a rappelé ci-dessus – qui a été codifiée. Elle prévoyait que le débiteur qui quitte la table des négociations, peut se voir refusée l’exception de la prescription, soulevée après la rupture des négociations, à cause d’une réplique fondé sur l’abus de droit118. Le législateur allemand a voulu dans la réforme de 1977 consolider la suspension des délais de prescription pendant les négociations amiables uniquement en matière de responsabilité civile (à cause de la prescription très brève du § 852 al. 1 BGB). Néanmoins, il n’a fallu que de quelques années aux juges allemands pour établir le lien entre la norme nouvelle et les solutions d’équité antérieures. Ceci leur a finalement permis d’étendre son application à toutes les actions visant l’attribution de dommages-intérêts119 dépassant ainsi les intentions du législateur de 1977. L’on comprend dès lors que cette solution d’équité ait trouvé enfin reconnaissance dans le projet de réforme du droit allemand des obligations qui a été publié il y a quelques années120. ___________ 117 Pour le § 185 al. 2 BGB v. Ranieri, Alienatio convalescit (n. 6), p. 51-55; pour le § 986 BGB, v. au sujet de la continuité avec la pratique du droit romain commun Reichsgericht, arrêt de 10.6.1922, dans: RGZ 105, p. 20 s.; pour cette origine historique v. encore, Baur, Lehrbuch des Sachenrechts, 2e éd., München/Berlin 1963, § 11, A.II, p. 75. 118 Sur le § 852 al. 2 BGB voir Stein, dans: Münchener Kommentar, BGB Schuldrecht, Besonderer Teil, 3e éd., München 1997, au sujet du § 852, n. 66; Zeuner, dans: Soergels Kommentar zum BGB, 11e éd., Heidelberg 1986, sous § 852, n. 22-27. 119 Voir BGH, arrêt de 28.11.1984, dans: JZ 1985, p. 386 s. note détaillée Peters, p. 388-390; v. aussi Peters, Vergleichsverhandlungen und Verjährung, dans: NJW 1982, p. 1857-1858. 120 Voir Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, hrsg. vom Bundesminister der Justiz, Köln 1992, en part. p. 91-94, avec § 216 BGB dans la nouvelle rédaction du projet et à p. 92 la jurisprudence d’équité antérieure. Voir enfin Ranieri, Europäisches Obligationenrecht (n. 1), p. 703 s.
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Une vision unitaire de l’histoire du droit de l’Europe continentale121 confirme donc que même dans le droit moderne codifié continue à exister en réalité ce qu’un auteur a défini comme une « dialectique continue et efficace »122 entre la norme législative et l’exception générale de dol ou plutôt le pouvoir créatif du juge123.
___________ 121 Quant à la nécessité de reconduire la réflexion technique et dogmatique du juriste à une vision unitaire du droit privé du Civil Law cfr. Coing, Die Bedeutung der europäischen Rechtsgeschichte für die Rechtsvergleichung, dans: RabelsZ 1968, p. 1 s., en particulier p. 18 et 19, où il aborde expressément la question de la nécessité d’une recherche historique comparative sur la permanence et la fonction de l’exception générale de dol dans les systèmes de droit codifiés en Europe continentale; v. à ce sujet aussi Impallomeni, La validità di un metodo storico comparativo nell’interpretazione del diritto codificato, dans: Riv. di dir. civ. 1971, I, p. 369 s., en particulier p. 375. 122 En le même sens Torrente, sous Eccezione di dolo (n. 80), p. 220. 123 Gambaro a donc raison, v. sous « Abuso del diritto » Diritto comparato, dans: Digesto delle discipline privatistiche, sez. civ., I, Torino 1988, § 6: il ramène le problème de l’abus de droit à l’histoire du droit jurisprudentiel et au problème de la théorie des sources dans le droit codifié.
L’eccezione di dolo generale nella tradizione del diritto romano comune A. Introduzione La presentazione della figura giuridica dell’eccezione di dolo generale nella tradizione storica del diritto romano comune apre la via alla comprensione di un importante aspetto del diritto civile contemporaneo nell’Europa continentale. Lo stato degli studi sul punto è più che lacunoso. Il mio contributo non potrà quindi che offrire una sintesi dello stato delle ricerche sul tema e descrivere insieme la direzione in cui gli studi si dovrebbero in futuro dirigere. Come è noto, in diritto romano la exceptio doli generalis si riferisce non già ad un vero dolo commesso in danno del convenuto nel momento in cui sorgeva l’atto giuridico sul quale la domanda giudiziale è fondata (ex. doli praeteriti), ma ad un dolo impropriamente detto, di cui può incolparsi l’attore allorché chiede una condanna che, sebbene conforme allo stretto diritto, tuttavia, tenuto conto delle varie relazioni ed affidamenti sorti tra le parti, sarebbe per riuscire iniqua. Nella civilistica italiana attuale è stata formulata spesso la questione, se questa figura giuridica sia sopravvissuta nel moderno diritto codificato. Uno sguardo al diritto tedesco contemporaneo conferma, in effetti, come, al di là della codificazione del 1900, esista una precisa continuità ed interdipendenza tra le antiche applicazioni della eccezione di dolo nella prassi tedesca di diritto romano comune e gli orientamenti giurisprudenziali attuali in tema di divieto dell’abuso del diritto e di principio generale di buona fede (§ 242 BGB). Il modello offerto dalla giurisprudenza tedesca ha trovato seguito nella prassi di numerosi ordinamenti europei e, recentemente, anche nella dottrina italiana. I giudici italiani sembrano, al contrario, più restii a ricorrere espressamente a tale rimedio. Tali differenze sottendono un problema più vasto. Un’analisi storico dogmatica mostra, in effetti, come sia in Francia che negli altri ordinamenti latini, in diretta continuità coll’ispirazione giusnaturalistica del Code Napoleon del 1804 (e così pure nella passata tradizione giusnaturalistica della prima versione dell’ABGB austriaco nel 1811) è rimasta ignota una portata normativa autonoma del canone di buona fede, inteso come punto di riferimen___________
Vortrag gehalten bei: L’eccezione di dolo generale nel diritto romano e intermedio. Seminario in ricordo di Giambattista Impallomeni (Venezia 28.-30. April 2005). Veröffentlicht in: Garofalo, L’eccezione di dolo generale, diritto romane e tradizione romanistica (L’arte del diritto n. 5), Padova 2006, S. 545-566.
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to alternativo, a cui il giudice possa ricorrere per correggere gli effetti iniqui di una norma legale o contrattuale, e quindi come strumento di costante adeguamento dello jus strictum codificato alle esigenze della giustizia materiale. Coerentemente negli ordinamenti latini – specie in quello francese – la figura dell’exceptio doli generalis pare scomparsa dal vocabolario sia dei dottrinali che dei giudici. Un’analisi comparativa della casistica giurisprudenziale ha mostrato tuttavia, che le soluzioni equitative che i giudici tedeschi legittimano coll’idea dell’eccezione di dolo e dell’abuso del diritto, solo apparentemente sono sconosciute negli ordinamenti romanistici. L’antica funzione correttiva ed equitativa dell’exceptio doli generalis del diritto romano comune sopravvive quindi, come ratio decidendi implicita di numerose soluzioni giurisprudenziali dei tribunali francesi, italiani e spagnoli. Le radici profonde di questo aspetto dell’attuale diritto civile continentale risalgono in effetti alla tradizione del diritto romano comune1. Il tema ci confronta quindi con un capitolo centrale della scienza giuridica contemporanea alla ricerca dei comuni principi direttivi del diritto europeo dei contratti2.
B. L’eccezione di dolo generale tra diritto giustinianeo e comune È noto che venuto meno il processo formulare classico scompare nel tardo diritto romano la caratteristica duplicità tra jus civile ed jus honorarium. L’exceptio si riduce ad un mero argomento processuale a difesa del convenuto, venendo meno l’antitesi caratteristica del diritto classico tra soluzioni sostanziali e soluzioni processuali. Ciò che rimane del passato diritto pretorio sono i ___________ 1 Si rimanda qui ai numerosi lavori dell’autore in materia. Si veda Ranieri, Dolo petit qui contra pactum petat. Bona fides und stillschweigende Willenserklärung in der Judikatur des 19. Jahrhunderts, in: Ius Comune 4 (1972), p. 158 ss. [in diesem Band S. 329]; id., Exceptio temporis e replicatio doli nel diritto dell’Europa continentale, in: Riv. di dir. civ. 1972, I, p. 253-330; id., Alienatio convalescit. Contributo alla storia ed alla dottrina della convalida nel diritto dell’Europa continentale, in: Quaderni di Studi senesi 34, Milano 1974; id., voce Eccezione di dolo generale, in: Dig. disc. priv. sez. civ. 7 (1991); id., Bonne foi et exercice du droit dans la tradition du Civil law, in: Rev. intern. de droit comparé 1998, p. 1055 ss. [in diesem Band S. 415]; id., Europäisches Obligationenrecht. Ein Handbuch mit Texten und Materialien, 2. ed., Wien/New York 2003, cap. 15, p. 663-707; si veda pure da ultimo Zimmermann/Whittaker (eds.), Good Faith in European Contract Law, Cambridge 2000, e qui il contributo storico di Schermaier, p. 63-92 con ulteriori ricche indicazioni di bibliografia romanistica e storico giuridica, e fondamentale ora Talamanca, La bona fides nei giuristi romani: “Leerformeln” e valori dell’ordinamento, in: Garofalo, Il ruolo della buona fede oggettiva nell’esperienza giuridica contemporanea, IV, Padova 2003, p. 1 ss., in part. p. 33-38, p. 289-297. 2 Si veda da ultimo il quadro di insieme di Zimmermann, Die Principles of European Contract Law als Ausdruck und Gegenstand europäischer Rechtswissenschaft, in: Vorträge und Berichte des Zentrums für Europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Bonn, Heft 138, Bonn 2005, come pure in: Jura 2005, p. 289 ss. con ampia bibliografia.
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termini processuali, in cui le soluzioni sostanziali vengono ancora presentate, quali ope exceptionis. Nel linguaggio dei compilatori la soluzione ope exceptionis permane quindi, quasi quale ricordo archeologico di un ormai passato ordine giuridico. Comprova esemplare di questa trasformazione sostanziale della nostra figura è la circostanza che nel processo giustinianeo – anticipando, quindi, una regola tipica del processo romano comune dell’epoca intermedia – l’exceptio doli venne considerata come eccezione perentoria e non dilatoria3. È quindi nel quadro della compilazione giustinianea che si impone definitivamente il principio generale “et generaliter sciendum est ex omnibus in factum exceptionibus doli oriri exceptionem, quia dolo facit, quicumque id, quod quaqua exceptione elidi potest petit” (Ulp. 76 ad ed. D. 44.4.2.5) e che tutte le exceptiones dell’epoca classica vengono ricondotte all’exceptio doli tout court. La sua qualifica generalis non risale tuttavia, come vedremo, all’ epoca giustinianea4. La situazione descritta per il diritto giustinianeo condiziona la storia del nostro istituto anche nella seconda grande stagione di vigenza delle fonti romane. La figura dell’exceptio doli entrò a far parte, come una delle tante formule tralatizie cristallizzate nei passi del Corpus juris, del bagaglio concettuale e del linguaggio tecnico dei giuristi di diritto comune. In realtà, data l’attitudine antistorica con cui gli interpreti medievali e tardomedievali affrontarono i passi del Corpus juris, era naturale che rimanesse per essi incomprensibile il significato meramente storico delle soluzioni ope exceptionis descritte nelle fonti romane5. Per i giuristi bolognesi dell’XI e XII secolo i frammenti del Corpus Juris hanno un’autorità assoluta, nella convinzione antistorica di una continuità della propria epoca con la tradizione romana. Il testo dei frammenti del Digesto viene preso quindi alla lettera, al di fuori di ogni comprensione per il senso storico insito nelle formulazioni delle fonti. Appunto nel dominio del testo, nella spiegazione dei singoli termini e delle singole soluzioni coerentemente a quelle rinvenibili in altri frammenti e nella ricostruzione di queste conoscenze sul testo del Digesto in un complesso sistema di riferimenti reciproci tra i diversi frammenti, la scuola dei Glossatori vide il proprio compito privilegiato. Testimonianza esemplare di questa attitudine dei giuristi medievali rispetto al testo delle fonti romane è proprio l’origine della qualificazione della nostra eccezione come generalis. Essa compare nella Glossa accursiana in una allegazione, pro___________ 3 Conseguentemente nel diritto moderno l’eccezione di abuso del diritto per violazione del principio generale di buona fede non è propriamente una vera eccezione ma piuttosto un “Einwand” nel senso tecnico del termine, rilevabile quindi d’ufficio da parte del giudice. Sul punto Ranieri, voce Eccezione di dolo (n. 1), nota 49. 4 Sugli sviluppi in epoca giustinianea vedi Ranieri, Dolo petit (n. 1), p. 160-161 [in diesem Band S. 331 f.] con ampi richiami. 5 Sui giuristi medievali e l’exceptio doli vedi i cenni in Ranieri, Alienatio convalescit (n. 1), p. 11-17.
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babilmente risalente ai primi apparati di glosse dell’XI secolo, su Ulp. 76 ad ed. D. 44.4.4.33: “Metus causa exceptionem Cassius non proposuerat, contentus doli exceptione, quae est generalis: sed utilius visum est etiam de metu proponere exceptionem”. Il frammento non concerne evidentemente il nostro problema. A spiegazione del termine generalis nel testo di questo frammento, il glossatore allega tuttavia un richiamo a D. 44.4.2.5 sopra citato: “glossa ‚generalis‘ ad leg. ‚Metus causa‘: ut supra leg. 2 § generaliter”. Sulla base di questo piccolo malinteso giuridico linguistico, la qualificazione exceptio doli generalis fa ingresso quindi nel linguaggio tecnico dei giuristi dell’epoca intermedia. La exceptio doli generalis rimane vigente nella tradizione dottrinale e giurisprudenziale del diritto romano comune come rimedio processuale offerto al convenuto contro l’esercizio malizioso e contrario a buona fede di una posizione giuridica formale. È degno di nota, che nella letteratura e nella prassi di diritto romano comune essa trovò applicazione non solo nelle ipotesi previste nella casistica del Corpus juris (ad esempio sotto forma di ex. rei venditae et traditae, ex. pacti, ex. retentionis, di promessa senza causa ecc.), ma pure in nuovi esempi (ad es. in materia di promessa di debito, di obbligazione cambiaria). Ciò vale in particolare anche per la tradizione tedesca dell’usus modernus pandectarum e per la prassi del diritto romano comune nella Germania del XIX secolo6. La prassi di diritto romano comune sul punto non è mai stata sistematicamente studiata. Gli studi di storia del diritto, anche in Italia, hanno trascurato ___________ 6
I passi nella letteratura di diritto romano comune, che trattano del nostro tema sono innumerevoli; per un solo esempio si veda Gothofredus, Dissertatio de exceptionibus, Argentorati 1603, 11, n. 63 con la definizione formulata sulla traccia delle fonti romane (D. 44.4.2.5): “doli exceptionem proposuit praetor, ne cui dolus suus per occasionem juris civilis prodesset contra aequitatem naturalem; doli exceptio generalis est competens si qui petit id quod qualibet exceptione elidi potest: sic debitor creditoris sui creditori solvens, adversus creditorem doli mali exceptione munitus est”. Per una testimonianza dalla letteratura del tardo diritto comune si veda Strykius, Specimen Usus moderni Pandectarum, 10. ed., Halle 1780, I-IV, ad D. 44.4 § 1 [Paul. 71 ad ed. D. 44.4.1.1]: “Exceptio doli mali pariter ac exceptio metus hodie frequentissima est. Et quidem exceptio doli specialis datur, quando dolus in ipso negotio admissus fuit: leg. 1. §. 2 et 3 h. t. [Paul. 71 ad ed. D. 44.4.1.2-3]; alias vero eadem quoque latissime patitur, adeo, ut toties opponi possit, quoties ab altero aliquid contra aequitatem petitur, unde etiam exceptio doli generalis dicitur et cum reliquis concurrit, vide glossa [si tratta della gl. “generalis” sopra cit.]; si jam solvi, et tu nihilominus debitum adhuc semel praetendis, vide leg. 2 §. 4. et 5. h.t. [si tratta di D. 44.4.2.5 sopra cit.; l’esempio addotto è tuttavia palesemente non pertinente e non corrisponde affatto ai testi cit.]”. Sull’utilizzazione della figura nella letteratura di diritto romano comune vedi Ranieri, Dolo petit (n. 1), p. 162-168 [in diesem Band S. 332-338] con ampie citazioni dalle fonti; in particolare sulla prassi dell’usus modernus pandectarum tedesco, vedi ivi, p. 168, note 20-22. Sul carattere creativo della prassi di diritto comune sia qui solo ricordato il ricorso all’ex. doli per dare rilevanza alla mancanza di causa di una obbligazione (si tratta dell’ipotesi di D. 44.4.2.3); cfr. sul punto l’ampia indagine storica di Spada, Cautio quae indiscrete loquitur. Lineamenti funzionali e strutturali della promessa di pagamento, in: Riv. di dir. civ. 1978, I, p. 673-757.
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finora il diritto applicato dai pratici di diritto comune. Alla ricchezza imponente di collezioni di Decisiones e Consilia fa riscontro l’inesistenza, quasi, di ricerche specifiche e precise sui dati giudiziali del diritto dei pratici7. In ciò gli studi di storia del diritto risentono ancora dell’antica ipoteca rappresentata dal modello della scuola storica tedesca, che privilegiò, come è noto, unilateralmente il dato culturale del “Professorenrecht” al diritto dei pratici dei secoli anteriori. Poco chiaro è in particolare in che misura i giuristi di diritto comune recepirono e compresero il carattere meramente storico delle soluzioni ope exceptionis descritte nei frammenti del Digesto. Si tratta in realtà di un traguardo raggiunto solo dagli autori della scuola storica e della pandettistica tedesca8. Mi limiterò in questo quadro quindi ad una sola specifica ipotesi di exceptio doli, sulla quale si sono soffermate le mie ricerche anni or sono. Essa mostra insieme in maniera esemplare la trasformazione strutturale subita spesso dalla categoria romana dell’exceptio doli nell’interpretazione medievale e tardo medievale.
C. La trasformazione interpretativa delle soluzioni “ope exceptionis” nei giuristi medievali I frammenti del Digesto in materia di ex. doli gen. sono in effetti oggetto già presso i primi interpreti medievali, non di rado anche di una trasformazione in___________ 7
Una completa e precisa descrizione delle fonti a stampa delle collezioni di Decisiones e Consilia del XVI-XVIII sec. nelle varie tradizioni di diritto romano comune è offerta dai contributi nello Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, ed. Coing, vol. II, 2, München 1976, alla cui realizzazione anche l’autore di questo contributo molti anni or sono fu partecipe. 8 Fondamentale a mio avviso per comprendere l’attitudine completamente nuova rispetto alle fonti dei romanisti tedeschi del sec. XIX in confronto ai loro predecessori dei secoli anteriori, è l’effetto dirompente nella romanistica dell’epoca della scoperta del manoscritto gaiano e dei primi risultati dei moderni studi di filologia storica sulle fonti. Fondamentali al riguardo le osservazioni di Pugliese, I pandettisti fra tradizione romanistica e moderna scienza del diritto, in: La formazione storica del diritto moderno in Europa. Atti del terzo Congresso internazionale della società italiana di storia del diritto, I, Firenze 1977, p. 40 ss., il quale acutamente osserva “con il loro mettere da parte secoli e secoli di elaborazione dottrinale e pratica del diritto romano, i pandettisti operarono apertamente contro la storia, ponendo inoltre le premesse di quel paradossale iato fra diritto romano giustinianeo e diritto dei secoli XIX e XX, che si è a lungo avvertito e in qualche misura tuttora si avverte nelle opere di romanisti, civilisti e cultori di altre discipline giuridiche nell’Europa continentale”. I pandettisti, osserva sempre Pugliese, “si rifanno […] al diritto romano (attestato per lo più dalle fonti giustinianee), ma negano valore alle interpretazioni e rielaborazioni di tali fonti fatte dalle numerose scuole medievali e moderne e passano scrupolosamente sotto silenzio i relativi autori, riservando semmai qualche sporadica attenzione ai Glossatori piuttosto che ai giuristi più recenti. […] Essi, in sostanza, sono dentro e fuori della tradizione romanistica nello stesso tempo o, per essere più esatti, tendono a formare una tradizione romanistica nuova”.
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terpretativa9. Menziono qui il caso dell’ exceptio rei venditae et traditae seu doli. Questa figura entra a far parte, come una delle tante formule tralatizie cristallizzate nei passi del Corpus Juris, del bagaglio concettuale dei giuristi di diritto comune. Sarebbe tuttavia inesatto credere che gli interpreti medievali riprendessero senz’altro, riguardo a questa ipotesi di exceptio doli, l’impostazione raggiunta dai compilatori giustinianei. I glossatori ebbero ben presenti i problemi che si pongono nel caso di trasferimento di proprietà fatto a non domino. In particolare essi si occuparono anche dell’ipotesi che l’alienante successivamente diventi proprietario della cosa e come tale pretenda rivendicare quest’ultima presso l’acquirente (si tratta dei frammenti D. 21.3.110 e D. 21.2.1711); o dell’ipotesi inversa che la reivindicatio venga fatta valere dal proprietario della cosa, divenuto nel frattempo erede dell’alienante (si tratta del caso di D. 21.2.7312). Essi fecero propria la soluzione delle fonti romane e nega___________ 9 L’atteggiamento non univoco della dottrina medievale di fronte alla categoria romana dello “jus honorarium” è stato in alcuni suoi aspetti esaminato da Calasso, Il negozio giuridico, 2. ed., Milano 1959, p. 251 ss. e da Cortese, La norma giuridica. Spunti teorici nel diritto comune classico, vol. I, Milano 1962, p. 47 ss., p. 308; vol. II, Milano 1964, p. 326 ss. Sulla recezione dell’ “aktionenrechtliches Denken” tipico delle categorie giuridiche romane da parte dei giuristi di diritto comune si vedano Wolff, Prozessrechtliches und materiellrechtliches Denken in rechtlicher Beleuchtung, in: L’Europa e il diritto romano. Studi in memoria di P. Koschaker, vol. II, Milano 1954, p. 415 ss.; Kaufmann, Zur Geschichte des aktionenrechtlichen Denkens, in: JZ 1964, p. 482 ss.; da ultimo, fondamentale, Kriechbaum, Actio ius und dominium in den Rechtslehren des 13. und 14. Jahrhunderts (Münchener Universitätsschriften. Juristische Grundlagenforschung), Ebelsbach 1996, p. 217 ss. 10 Cfr. Ulp. 76 ad ed. D. 21.3.1: “Marcellus scribit si alienum fundum vendideris et tuum postea factum petas, hac exceptione recte repellendum. Sed et si dominus fundi heres venditori existat, idem erit dicendum”. 11 Cfr. Ulp. 29 ad Sab. D. 21.2.17: “Vindicantem venditorem rem, quam ipse vendidit, exceptione doli posse summoveri nemini dubium est, quamvis alio iure dominium quaesierit: improbe enim rem a se distractam evincere conatur, eligere autem emptor potest, utrum rem velit retinere intentione per exceptionem elisa, an potius re ablata ex causa stipulationis duplum consequi”. 12 Cfr. Paul 7 resp. D. 21.2.73: “Seia fundos Maevianum et ceteros doti dedit: eos fundos vir Titius viva Seia sine controversia possedit: post mortem deinde Seiae Sempronia heres Seiae quaestionem pro praedii proprietate facere instituit: quaereo, cum Sempronia ipsa sit heres Seiae, an iure controversiam facere possit. Paulus respondit iure quidem proprio, non hereditario Semproniam, quae Seiae de qua quaeritur heres exstitit controversiam fundorum facere posse, sed evictis praediis eandem Semproniam heredem Seiae conveniri posse: vel exceptione doli mali summovere posse”. Si vedano pure i due seguenti passi: Pomp. 2 ad plaut. D. 21.3.2: “Si a Titio fundum emeris qui Sempronii erat isque tibi traditus fuerit, pretio autem soluto Titius Sempronio heres exstiterit et eundem fundum Maevio vendiderit et tradiderit: Iulianus ait aequius esse priorem te tueri, quia et si ipse Titius fundem a te peteret, exceptione summoveretur et si ipse Titius eum possideret, Publiciana peteres”; Ulp. 76 ad ed. D. 44.4.4.32: “Si a Titio fundum emeris qui Sempronii erat isque tibi traditus fuerit pretio soluto, deinde Titius Sempronio heres exstiterit et eundem fundum Maevio vendiderit et tradiderit: Iulianus ait aequius esse praetorem te tueri, quia et, si ipse Ti-
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rono in queste ipotesi l’ammissibilità della reivindicatio. Tuttavia giustificarono la soluzione contenuta nei citati passi del Digesto in maniera del tutto nuova, riconducendola alla responsabilità da evizione del revindicante. L’idea a ciò sottostante è molto semplice e si riconnette all’ipotesi più frequente di alienazione fatta a non domino, cioè al caso della vendita di cosa altrui. Il venditore in quanto obbligato a garantire dall’evizione non può rivendicare la cosa anche in base a un nuovo titolo, poichè altrimenti violerebbe il proprio obbligo contrattuale. Lo stesso vale naturalmente anche per il proprietario della cosa, che diventando erede del venditore, ha assunto anche gli obblighi di quest’ultimo. La sedes materiae del nuovo principio, destinato a condizionare la trattazione di questo problema durante tutti i secoli successivi, è nella Glossa accursiana a D. 21.2.17 (lex Vindicantem): Glossa ‘Conatur’: “[…] idem nota hic ex hac lege et praedictis regulam talem: quem de evictione tenet actio, eundem agentem repellit exceptio”13. Ed appunto alla lex Vindicantem venne ricondotto il principio durante tutta la tradizione di diritto romano comune. Non è facile chiarire perché la Glossa abbia inteso in questo nuovo senso i passi delle fonti ed abbia ricondotto la exceptio rei venditae et traditae seu doli all’idea di una exceptio evictionis. Le fonti romane si ispirano nel paralizzare la reivindicatio all’idea di contrastare un venire contra factum proprium contrario alla buona fede. L’idea di un rapporto colla responsabilità da evizione pare estranea agli interpreti classici. La nuova impostazione dei commentatori medievali può aver trovato un appiglio testuale nel glossema sicuramente spurio ad avviso del Koschaker in D. 21.2.17, improbe enim rem a se distractam evincere conatur. D’altronde il significato meramente storico della soluzione ope exceptionis in questo caso non poteva che rimanere inaccessibile agli interpreti medievali. È bene insieme osservare che l’inquadramento del problema nel quadro della responsabilità da evizione dovrebbe essere stato introdotto fin dai primi rappresentanti della scuola dei glossatori. È degno di nota a questo riguardo che la Glossa ‚Conatur‘ su D. 21.2.17 compaia già in alcuni manoscritti contenenti
___________ tius fundum a te peteret, exceptione in factum comparata vel doli mali summoveretur et si ipse eum possideret et Publiciana peteres, adversus excipientem ‚si non suus esset‘ replicatione utereris, ac per hoc intellegeretur eum fundum rursum vendidisse, quem in bonis non haberet”. Per la letteratura romanistica sul punto si vedano i richiami in Koschaker, Fr. 4.32 D. 44.4. Contributo alla storia ed alla dottrina della convalida nel diritto romano, in: Iura 1953, p. 1-89; Ranieri, Alienatio convalescit (n. 1), p. 4-9; Wacke, Die Konvaleszenz der Verfügung eines Nichtberechtigten, in: ZSS Rom. 114 (1997), p. 197-232; Potjewijd, Beschikkingsbevoegdheid, bekrachtiging en convalescentie. Een romanistische studie, Deventer 1998, in part. p. 214-223. 13 Per i particolari si veda con ulteriori indicazioni Ranieri, Alienatio convalescit (n. 1), p. 11-17.
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glosse preaccursiane sul Digestum vetus databili nell’epoca di Ugolino o al più tardi nei primi anni dell’attività di Azzo 14. L’impostazione seguita dai primi interpreti medievali e dalla Glossa accursiana fornì la base per la trattazione del nostro problema a tutta la tradizione europea di diritto romano comune. La regola per cui quem de evictione tenet actio, eundem agentem repellit exceptio, venne ripetuta tralatiziamente da Bartolo e da tutta la scuola dei commentatori15, per essere recepita nei secoli successivi come un principio tralatizio di portata quasi legale. Un esame della letteratura di diritto comune mostra come il problema della convalescenza dell’atto di alienazione fatto a non domino, nel caso di acquisto successivo della proprietà da parte dell’alienante, venne costantemente visto in rapporto alla responsabilità da evizione di quest’ultimo. Le definizioni nella letteratura del tempo si muovono al riguardo su un caratteristico doppio binario, in cui il richiamo allo schema dell’exceptio rei venditae et traditae seu doli ed all’idea di un venire contra factum proprium del revindicante si fondono con l’argomento della sua responsabilità da evizione. Esemplare al riguardo, per citare un solo autore, quanto osserva Donello:16 “[…] Id factum tale est, cum quis vendidit et tradidit emptori rem alienam, cuius postea dominus factus est; puta cum domino successisset. Nihil ad rem facit nova dominii caussa quominus venditor, si ex ea caussa rem a se venditam ab emptore vindicet, exceptione summoveatur […] At qua exceptione? Doli quidem, seu in factum comparata […] Re igitur evicta, haberet emptor ultro actionem adversus venditorem eo nomine. Quanto magis, venditore vindicante, habere debet adversus eum exceptionem ad rem retinendam?”. Argomentazioni simili costituiscono un luogo comune nella letteratura europea di diritto romano comune. Si può rinviare qui a tutta una serie di autori dell’usus modernus pandectarum tedesco. Lo stesso vale naturalmente anche per i rappresentanti dell’ancien droit francese17.
D. La scomparsa dell’ “exceptio dolis generalis” nella tradizione giusnaturalistica Già prima delle codificazioni giusnaturalistiche la tradizione del diritto romano comune in materia di exceptio doli non pare tuttavia unitaria. Mentre nell’area tedesca dell’ “usus modernus pandectarum” la distinzione radicata nella casistica delle fonti romane tra contratti bonae fidei e stricti juris e, con___________ 14 Ulteriori indicazioni sulla tradizione anteaccursiana in: Ranieri, Alienatio convalescit (n. 1), p. 13-14. 15 Si veda per i particolari Ranieri, Alienatio convalescit (n. 1), p. 18. 16 Sul punto Ranieri, Alienatio convalescit (n. 1), p. 18. 17 Per indicazioni bibliografiche ed ulteriori citazioni Ranieri, Alienatio convalescit (n. 1), p. 19-21.
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nessa a quest’ultima, la figura giuridica dell’ex. doli gen., permasero operanti – come minimo sotto la forma di soluzioni ope exceptionis – fin nel periodo pandettistico18, l’ “ancien droit” francese ci offre un quadro ben diverso. Fin dai sec. XVI-XVII si impose in Francia la massima che tutti i contratti fossero bonae fidei19. Nel momento in cui si affermò che tutti i contratti erano ormai di buona fede e che l’equità ispirava ormai tutto il diritto, la bona fides venne recepita, per così dire, all’interno dell’ordinamento e fu naturale che si perdesse in tal maniera comprensione per istituti, quale la ex. doli gen., che presentandosi come rimedi, almeno formalmente, processuali avevano mantenuto attuale nelle categorie del diritto romano comune l’idea della realizzazione dell’aequitas al di fuori dello jus scriptum20. È in questo quadro che l’idea della funzione e della necessità della ex. doli andò persa nell’ ancien droit francese. Fondamentale pare poi la circostanza che le fonti romane nell’ancien droit francese furono recepite solo come ratio scripta: in particolare la casistica delle fonti e le categorie processuali in queste ricorrenti furono viste come mere subtilitates. L’ ‚aktionrechtliches Denken‘ delle fonti romane, di cui la figura dell’exceptio doli costituisce una tipica testimonianza, scompare dal linguaggio dell’ancien droit francese dei sec. XVII-XVIII, in cui, a differenza dell’usus modernus tedesco, si osserva il passaggio da una sistemazione processuale ad una ricostruzione sostanziale delle regole e delle soluzioni romane21.
___________ 18
Cfr. Hoetink, De beperkende werking van de goede trouw bij overeenkomsten, in: TRG 1928, p. 417-438, in part. p. 430; Ranieri, Dolo petit (n. 1), p. 165 con ulteriori richiami dalle fonti [in diesem Band S. 335 f.]. 19 Cfr. Hoetink, De beperkende werking (n. 18), p. 417 ss.; vedi pure, con ampi richiami della letteratura dell’ancien droit, Ranieri, Dolo petit (n. 1), p. 164-165 [in diesem Band S. 334 ff.]; da ultimo Massetto, Buona fede nel diritto medievale e moderno, in: Dig. disc. priv., sez. civ. 1988, II, p. 147-151. Non ben chiaro e non oggetto finora di studi specifici è, quando e con quale motivazione i giuristi medievali oltrepassarono questa distinzione presente, almeno formalmente, ancora nel linguaggio della compilazione giustinianea. 20 Cfr. Esser, Wandlungen von Billigkeit und Billigkeitsrechtsprechung im modernen Privatrecht, in: Summum jus summa iniuria, Tübingen 1963, p. 22 ss., specie p. 28 ss.; De Los Mozos, El tratamiento de la equidad en los diversos sistemas juridicos. La equidad en el derecho civil español, in: Relazioni spagnole all’VIII Congresso internazionale di diritto comparato, Pescara 1970, p. 26 estratto. 21 Cfr. Ranieri, Dolo petit (n. 1), p. 166-167 [in diesem Band S. 336 f.]; id., in: TRG 40 (1972) (n. 5), p. 322. È degno di osservazione che questo punto di vista si ritrova ancora nei commentatori del Code civil del XIX sec.: cfr. Toullier, Le droit civil français suivant l’ordre du code, 5. ed., Bruxelles 1824, III, § 89, 57: “[…] cette raison subtile était imaginée pour procurer au défendeur l’exception de dolo, sans laquelle il n’eut pas repoussée la demande; mais, dans notre jurisprudence, toutes les actions sont de bonne foi, et nous n’avons pas besoin de cette subtilité”; analogamente ancora Demolombe, Cours de Code Napoléon, XXXI. Traité des engagements qui se forment sans convention, 3. ed., Paris 1882, p. 75.
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In questo quadro si inserisce l’esperienza delle codificazioni illuministiche e l’influenza del dogma della volontà della scuola giusnaturalistica. L’ideologia illuministica, con la sua svalutazione dell’opera del giudice e la sua esaltazione della certezza del diritto realizzata in un codice scritto, rifiuta gli strumenti dell’aequitas presenti nella prassi giurisprudenziale del diritto romano comune. Insieme a numerose massime equitative tralatizie anche la figura dell’ex. doli gen. e la bona fides vennero quindi sotterrate nelle prime moderne codificazioni alla fine del XVIII secolo22. È testimonianza esemplare di questo orientamento che né nell’ “Allgemeines Landrecht” (ALR) prussiano, né nell’ “Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch” (ABGB) austriaco, nella sua versione originaria del 1811, viene fatta menzione della bona fides contrattuale. È degna di nota al riguardo, per es., la critica estremamente radicale che il padre della codificazione austriaca – lo Zeiller – ed i suoi contemporanei formularono nei confronti dell’ “equità dei giudici romani”23. Non sorprende perciò in questo quadro, che nel XIX secolo i commentatori dell’ABGB ignorarono completamente la figura dell’ ex. doli gen. Quest’ultima ha fatto ingresso nella dottrina e nella giurisprudenza austriaca solo negli ultimi decenni, sulla falsariga offerta dal modello dell’odierna giurisprudenza tedesca24. ___________ 22 Corradini, Il criterio della buona fede e la scienza del diritto privato, Milano 1970, sostiene (p. 12 ss., p. 27) che buona fede ed equità avrebbero avuto un’enorme importanza nel pensiero dei giuristi giusnaturalisti. Mi pare si tratti di una valutazione inaccettabile, che malintende il pensiero giuridico del XVIII secolo. La buona fede come “legge naturale” è cosa ben diversa dalla bona fides delle fonti romane, e non bisogna farsi sviare da qualche affermazione di principio frequente negli autori del tempo. In realtà il pensiero giuridico giusnaturalistico rifiuta radicalmente l’idea che al di là del codice sussista un sistema normativo alternativo (buona fede, equità), a cui il giudice possa ricorrere per correggere gli effetti iniqui della norma legale o contrattuale. Si vedano le mie osservazioni sul punto, in: TRG 40 (1972), p. 318-216, in part. p. 323, e Dolo petit (n. 1), p. 170 sul problema della bona fides nelle codificazioni prussiana ed austriaca [in diesem Band S. 340]. Non mi pare che veda il problema Massetto, Buona fede (n. 19), p. 151 ss. 23 Cfr. Zeiller, Kommentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, Wien/Triest 1811, I, p. 72; id., Das natürliche Privatrecht, Wien 1808, § 117, p. 150. Come osserva Schuster, Theoretisch-praktischer Kommentar über das ABGB für die gesamten deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie, Prag 1818, p. 158, il legislatore austriaco non ha “[…] gleich dem römischen Rechte, den Richter auf die natürliche Billigkeit, sondern auf das Naturrecht angewiesen”; si pensi in effetti al rinvio contenuto nel § 7 ABGB ai principi del diritto naturale. 24 Il § 914 ABGB nella sua formulazione originaria (1811), prevede solo che “[…] ein zweifelhafter Vertrag so erklärt werden (soll), daß es keinen Widerspruch enthalte und von Wirkung sei”; sulla sua nuova formulazione nella Novella del 1916 si veda Ranieri, Europäisches Obligationenrecht (n. 1), p. 682-683, con ulteriori indicazioni sull’attuale giurisprudenza austriaca. Il diritto austriaco del XIX sec. ignora completamente la figura dell’ex. doli. Si veda Unger, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, 5. ed., Leipzig 1892, II, § 125, n. 37, p. 509, che, malgrado la massiccia recezione della pandettistica tedesca all’epoca, nega l’ammissibilità dell’istituto; analo-
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E. La “bona fides” romana e il dogma volontaristico del giusnaturalismo Contemporaneamente la concezione stessa della bona fides contrattuale subisce, sotto l’influenza del volontarismo della scuola del diritto naturale, una profonda trasformazione. Come è stato osservato25, nella concezione sistematica del diritto privato, quale fu quella della scuola del diritto naturale, tutti i rapporti giuridici ruotano attorno ad atti volontari di un soggetto: negozio o delitto. In una tale prospettiva volontaristica non c’era spazio per la sistemazione di altri fattori dinamici del diritto privato quale appunto la regola romana della buona fede. Anzi, in base alla equazione volontaristica “ciò che è voluto è giusto ed equo; ciò che è giusto ed equo non può che essere voluto”, la bona fides stessa venne recepita nel momento volitivo. In questo quadro non meraviglia che l’art. 1134, 3 comma del Code civil napoleonico, secondo cui le convenzioni vanno eseguite secondo buona fede, venne spiegato dagli interpreti dell’epoca nel senso che il contratto va eseguito secondo la volontà delle parti e che la regola dell’interpretazione secondo buona fede codificata nel seguente art. 1135 fu intesa come interpretazione secondo la precisa volontà delle parti26. In realtà l’assorbimento della bona fides nel momento della volontà trasformò nel diritto applicato francese la regola di buona fede in una norma di interpretazione e di esecuzione della volontà. L’orientamento giusnaturalistico degli interpreti del Code civil ha condizionato in maniera decisiva la storia del nostro tema in tutti i sistemi giuridici sviluppatisi sulla traccia del modello legislativo, dottrinale e giurisprudenziale francese. Non deve sorprendere, perciò, che in questi ultimi l’idea di una portata normativa autonoma della buona fede come punto di riferimento alternativo, a cui il giudice possa ricorrere per correggere gli effetti iniqui di una norma legale o contrattuale non abbia mai avuto, almeno nel diritto applicato, – malgrado il modello offerto dal diritto tedesco – alcun successo27. È comprensibile, quindi, in questa perspettiva storica come la ___________ gamente Krainz, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, a cura di Pfaff, 2. ed., Wien 1894, § 157, p. 405-406. 25 Vedi Coing, Bemerkungen zum überkommenen Zivilrechtssystem, in: Vom deutschen zum europäischen Recht. Festschrift für H. Dölle, Tübingen 1963, I, p. 25; Coing, Das Verhältnis der positiven Rechtswissenschaft zur Ethik im 19. Jahrhundert, in: Recht und Ethik. Zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrhundert, Frankfurt 1970, p. 11 ss. 26 Cfr. Toullier, Le droit civil (n. 21), n. 338: “[…] on ne doit pas violer les conventions en cherchant un’équité purement imaginaire […] quand elles (les conventions) sont claires, il ne faut pas en éluder la lettre, sous prétexte d’en revenir à l’équité et à la bonne foi”; Demolombe, Cours (n. 21), XXIV. Traité des contrats ou des obligations conventionelles en général, I. partie, p. 376, osserva sul contenuto dell’art. 1134, comma 3: “ […] c’est toujours le devoir du juge […] d’interpréter la convention et d’en ordonner l’exécution conformément à l’intention des parties”. 27 Malgrado qualche isolato tentativo, sulla falsariga della dottrina tedesca (cfr. Vouin, La bonne foi, notion et rôle actuels en droit privé français, Thèse, Bourdeaux 1939, p. 141-143; Markovitch, La théorie de l’abus des droits en droit comparé, Thèse, Lyon 1936, p. 201) l’idea di intendere la regola di buona fede, di cui all’art. 1134, 3,
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3. Teil: Rechtsprechung und Zivilrecht
nozione dell’eccezione di dolo generale sia completamente scomparsa fino ad oggi dal vocabolario dei commentatori e dei giudici francesi.
F. L’eccezione di dolo generale nella tradizione della pandettistica tedesca In continuità colla tradizione anteriore dell’usus modernus pandectarum la figura dell’eccezione di dolo generale permane invece presente nel diritto e nella prassi giudiziale di diritto comune della Germania del XIX secolo. I giuristi pandettisti, per la verità, in consonanza coll’orientamento positivista e formalista della scienza giuridica del tempo, non videro l’istituto con favore. L’opinione dominante nella letteratura pandettistica della prima metà del secolo vuole ammetterlo solo nelle specifiche ipotesi emergenti dalla casistica del Corpus juris28. Nella seconda metà del secolo – specie sotto l’influenza del definitivo abbandono da parte dei pandettisti dell’epoca della categoria dell’ exceptio, sostituita da una ricostruzione sostanziale delle soluzioni ope exceptionis nelle fonti romane29 – si nega da molti la vigenza dell’istituto nel diritto romano attuale30. Anche qui sia analizzato il solo esempio sopra esaminato dell’exceptio rei venditae et traditae seu doli. Se si considerano i criteri con cui gli interpreti medievali affrontarono questa figura giuridica, risulta comprensibile come, anche nella dottrina di diritto romano comune dei secoli seguenti solo lentamente ed in maniera imprecisa si fece strada l’idea di una automatica convalescenza del trasferimento di proprietà fatto a non domino nel caso di successivo acquisto della proprietà da parte dell’ alienante. Un coerente sviluppo di tale idea, come tale già implicita nelle fonti romane, venne ostacolato da un canto, dall’inquadramento che gli interpreti medievali fecero del problema nell’ambito della teoria dell’evizione, d’altro canto dal loro legame formale agli esempi contenuti nella casistica del ___________ Code civil come clausola generale di tutto il diritto privato non ha avuto in Francia, anche in epoca recente, mai successo. Ampie indicazioni, in: Ranieri, Europäisches Obligationenrecht (n. 1), p. 689 ss. 28 Cfr. Hänel, Ueber das Wesen und den heutigen Gebrauch der Actio und exceptio doli, in: AcP 1829, p. 408 ss.; Heimbach, sub Exceptio doli, in: Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten, redigiert von Weiske, III, Leipzig 1841, p. 709 ss.; Albrecht, Die Exceptionen des gemeinen teutschen Civilprozesses geschichtlich entwickelt, München 1835, p. 179 ss.; sul tema cfr. Ranieri, Dolo petit, (n. 1), p. 176 [in diesem Band S. 345]. 29 Per un quadro generale delle discussioni pandettistiche sulla nozione di exceptio e di Einrede, cfr. Colesanti, Eccezione (diritto processuale civile), in: Enc Dir., XIV, Milano 1965, p. 172 ss., in part. p. 174 ss.; Ranieri, Alienatio convalescit (n. 1), p. 47-50 con cit. dalle fonti. 30 Cfr. per es. Römer, Die exceptio doli, insbesondere im Wechselrecht, in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht 1875, p. 54 ss.; Brinz, Lehrbuch der Pandekten, 3. ed., Erlangen 1873, I, § 111, p. 381.
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Corpus Juris recepiti prescindendo da una valutazione della loro dimensione storica. Il passo decisivo lo osserviamo nel diritto comune della Germania del secolo XIX31. In realtà si tratta di un aspetto di quel più generale sviluppo, attraverso cui la scienza giuridica tedesca del sec. XIX, inconsapevolmente sulla traccia dell’antica critica giusnaturalistica alle subtilitates juris romani, si emancipò dall’ossequio agli schemi processuali cristallizzati nelle fonti romane. Così, analogamente alla trattazione del problema dell’actio, anche l’evoluzione della discussione dottrinale sulla nozione di exceptio, è contrassegnata nella romanistica tedesca dell’epoca, essenzialmente, dal tentativo di dare precisione di contorni e permanente validità concettuale ad un istituto che, a prima vista, si sarebbe indotti a ritenere una mera categoria storica. Su tale traccia era ormai naturale parificare l’exceptio rei venditae et traditae seu doli all’exceptio dominii e trasformare la convalida indiretta fide bona in una diretta ed automatica convalescenza di diritto materiale. Alla fine del secolo, riassumendo tale sviluppo, il Dernburg nel suo trattato di Pandette poteva così osservare: “Es ist daher nicht allzu gewagt, im heutigen Rechte da Eigenthum anzunehmen, wo die Römer eine exceptio rei venditae et traditae eingreifen liessen. Hierin liegt nur eine vollständige Durchführung dessen, was das prätorische Recht der Römer angebahnt hat”. Si tratta qui della soluzione codificata definitivamente nel § 185 Abs. II BGB.
G. L’eccezione di dolo nella continuità tra il diritto comune del sec. XIX e le soluzioni giurisprudenziali nel diritto tedesco contemporaneo Non manca, tuttavia, chi nella letteratura pandettistica – come il Regelsberger – vede nell’exceptio doli generalis invece una figura giuridica tuttora operante32; l’atteggiamento dello stesso Windscheid sul tema non pare decisamente negativo33. La prassi giudiziale nella Germania dell’epoca delle pandette non è mai stata oggetto di ricerche specifiche. Alcune indagini su aspetti particolari ___________ 31
Per un’ampia analisi si veda con ulteriori citazioni Ranieri, Alienatio convalescit (n. 1), p. 37-55. 32 Cfr. Regelsberger, Pandekten, Leipzig 1893, p. 686; un atteggiamento simile ebbero Hartmann, Bechmann, Jhering, Dernburg. Si veda da ultimo la precisa analisi di Behrends, Geschichte, Politik und Jurisprudenz in F. C. v. Savignys System des heutigen römischen Rechts, in: Römisches Recht in der europäischen Tradition, Göttingen 1985, p. 257 ss., in part. p. 293 ss., dove si osserva: “… insoweit ist das ganze savignysche Vermögensrecht der ex. doli unterordnet […] Savigny schöpft hier aus dem römischen Recht, aus dem Dualismus zwischen formaler Zuständigkeit und materialer Gerechtigkeit”. 33 Si veda Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. ed., Frankfurt 1906, § 47, p. 179, n. 7: “... in der Praxis ist die ex. doli häufig nichts als der Ausdruck für die Geltendmachung des Prinzips der bona fides von Seiten des Beklagten, was dem römischen Grundsatz der exceptio ganz entspricht”.
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del nostro tema, hanno tuttavia messo in luce come, malgrado le riserve della dottrina, i giudici tedeschi nell’applicare il diritto romano comune, fecero ricorso nel secolo XIX in maniera sistematica alla figura dell’exceptio doli34, e ciò non solo nelle ipotesi, in cui le fonti romane prevedono una soluzione ope exceptionis – per es. sotto la forma di una ex. pacti, una ex. rei venditae et traditae, una ex. retentionis o simili –, ma anche in esempi nuovi, non previsti espressamente nella casistica del Corpus juris35. Quanto fossero radicate queste soluzioni ope exceptionis, viene esemplarmente confermato dalla circostanza che addirittura nella applicazione del Code civil, nel quadro del Rheinisches Recht, i tribunali tedeschi dell’epoca fecero ricorso alla figura dell’exceptio doli36. Lo stesso vale, sembra, per gli interpreti dell’ALR prussiano, influenzati dalle categorie pandettistiche37. E ciò malgrado questa figura giuridica fosse in realtà – come si è già osservato – completamente estranea a questi codici di ispirazione giusnaturalistica38. Non sorprende, quindi, che al di là della cesura rappresentata dalla codificazione del 1900, la figura della exceptio doli permane presente sia nella giurisprudenza delle corti germaniche che nella contemporanea dottrina. L’istituto viene segnalato praticamente in tutti i primi commentari del BGB; nel 1906 il Wendt dedica un’ampio studio alla questione della sua vigenza nel diritto del nuovo codice39; nel 1912 il Riezler la inquadra nella regola del divieto del venire contra factum proprium, riconducendola ai §§ 242 e 157 BGB. È nel ___________ 34
Cfr. per un’ampia analisi della giurisprudenza dell’epoca Ranieri, Dolo petit (n. 1), p. 177-181 [in diesem Band S. 346-351]; id., Alienatio convalescit (n. 1), p. 39-43; id., Exceptio temporis (n. 1), p. 256; si vedano pure Näf-Hofmann, Zur objektiven Ausweitung der ‚actio de dolo‘ im römischen und gemeinen Recht, Diss. Bern, Winterthur 1962, p. 55 ss., p. 69 ss. Quando Hedemann, nel suo scritto polemico Die Flucht in die Generalklauseln, 1933, osserva a p. 4, che l’exceptio doli generalis compare per la prima volta nella giurisprudenza del Reichsgericht nel 1886, malintende la prassi giudiziale anteriore delle varie corti territoriali. 35 Si vedano degli esempi in Ranieri, Alienatio convalescit (n. 1), p. 42-43. 36 Cfr. Ranieri, Dolo petit (n. 1), p. 182, n. 52 [in diesem Band S. 351 (Fn. 53)]; così ne parla pure, seppur in senso negativo, il Crome, Allgemeiner Theil der modernen französischen Privatrechtswissenschaft, Mannheim 1892, p. 398-399 (trad. it.). 37 Cfr. Ranieri, Alienatio convalescit (n. 1), p. 44, n. 90. 38 Cfr. sopra n. 24. 39 Cfr. Wendt, Die exceptio doli generalis im heutigen Recht oder Treu und Glauben im Recht der Schuldverhältnisse, in: AcP 1906, in part. p. 259 ss.; si vedano pure Schneider, Treu und Glauben im Rechte der Schuldverhältnisse des bürgerlichen Gesetzbuches, München 1902, p. 175 ss.; Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, 3. ed., Jena 1911, p. 160 ss.; Gadow, Die Einrede der Arglist, in: Jherings Jahrbücher (1934), p. 193 ss. Per ulteriori indicazioni si vedano da ultimo Ranieri, Europäisches Obligationenrecht (n. 1), p. 669; Haferkamp, Die ‚exceptio doli generalis‘ in der Rechtsprechung des Reichsgerichts vor 1914, in: Falk/Mohnhaupt(eds.), Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter. Zur Reaktion der Rechtsprechung auf die Kodifikation des deutschen Privatrechts (1896-1914), Frankfurt a. M. 2000, p. 1-38.
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secondo e, specie, nel terzo decennio del secolo XX, che l’idea, secondo cui l’esercizio di un diritto in maniera maliziosa e contraria all’affidamento suscitato nella controparte può essere paralizzato col ricorso alla figura dell’exceptio o della replicatio doli, trova una sempre maggiore applicazione nella giurisprudenza tedesca. Esemplare al riguardo è lo sviluppo dell’istituto giurisprudenziale della ‚Verwirkung‘, secondo cui, chi ritarda nell’esercizio di un suo diritto e suscita così nella controparte il giustificato affidamento che non ne farà più uso è da considerarsi decaduto da quest’ultimo, anche se i termini di prescrizione non sono ancora decorsi. Questa preclusione pretoria venne giustificata inizialmente dai tribunali tedeschi in maniera varia: sia facendo ricorso al divieto di arrecare un danno in maniera contraria ai buoni costumi (§ 826 BGB), sia ricollegando la preclusione al § 242 BGB. In una sistemazione definitiva, ed ancora oggi praticamente indiscussa, della casistica giurisprudenziale si parla oggi in questi casi di un uso abusivo del diritto (‚Rechtsmissbrauch‘)40. La dottrina della ‚Verwirkung‘ non costituisce un dato isolato ma, al contrario, un aspetto di un indirizzo giurisprudenziale molto più generale. Si pensi – per qui ricordare gli sviluppi più noti – alle applicazioni, prima della figura dell’exceptio doli, poi dell’idea del divieto dell’abuso del diritto all’ipotesi di nullità di un contratto per mancanza della forma prescritta ad substantiam, quando dal comportamento malizioso di chi vuol far valere la nullità, dopo aver suscitato nella controparte l’aspettativa che non vi si sarebbe richiamato, si giunge a far derivare la preclusione dall’azione di nullità. Sia ricordato inoltre l’indirizzo, sintomaticamente parallelo seppur opposto a quello della dottrina della ‚Verwirkung‘, secondo il quale commette un abuso chi si richiama ad una intervenuta prescrizione o decadenza dopo che col proprio precedente comportamento, per esempio con dilatorie trattative di bonaria composizione, abbia lasciato la controparte nella convinzione che non l’avrebbe eccepita, inducendola così a tralasciare il compimento di un formale atto interruttivo del termine41. Più in generale, si è imposta nella giurisprudenza tedesca la regola che costituisce un venire contra factum proprium e quindi un abuso del diritto far valere una formale posizione giuridica in maniera contraria alle relazioni ed agli affidamenti creati nei rapporti colla controparte. Non è un caso che gli orientamenti equitativi, che i tribunali tedeschi hanno sviluppato sotto l’egida del divieto dell’abuso del diritto, abbiano avuto proprio nelle materie sopramenzionate un particolare sviluppo, testimoniato da un imponente numero di decisioni giudiziali. Le norme sulla prescrizione, sulla decadenza, sulla forma negoziale costi-
___________ 40 Sul punto si veda con ampie indicazioni Ranieri, Europäisches Obligationenrecht (n. 1), p. 669-677, sulla ‚Verwirkung‘ p. 669-672. 41 Per un’analisi dettagliata si veda Ranieri, Europäisches Obligationenrecht (n. 1), p. 672-676.
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tuiscono in effetti un caso esemplare di permanenza nell’ambito del moderno diritto codificato di un rigoroso jus strictum.
H. Le soluzioni “bona fide” quale “ratio decidendi” implicita nel diritto applicato francese e l’ubiquitarietà del principio generale di buona fede nel diritto continentale contemporaneo Che fine hanno avuto nel diritto francese e negli ordinamenti tradizionalmente orientati verso il modello francese le soluzioni giustificate altrove con un’eccezione di dolo o di abuso del diritto? Ricerche comparatistiche hanno messo in luce che nel diritto applicato francese e di altri ordinamenti latini si rinvengono parallelismi funzionali di tale rilievo con le soluzioni raggiunte dagli interpreti tedeschi attraverso il ricorso all’eccezione di dolo o di abuso del diritto, che pare lecito formulare la domanda se la scomparsa dell’eccezione di dolo generale nella tradizione del diritto francese non sia un fenomeno più apparente che reale. Gli interpreti francesi non parlano in questi casi naturalmente di eccezione di dolo o di violazione della regola di buona fede, ed in effetti le vie di formale legittimazione di queste soluzioni equitative sono di volta in volta completamente diverse. Un ruolo particolare pare svolgere, per es., il ricorso all’idea di una dichiarazione tacita di rinuncia o di acquiescenza da parte del titolare del diritto per vederlo decaduto dal suo esercizio. I giudici francesi pur mantenendosi astrattamente fedeli al principio per cui la rinuncia deve essere sempre un atto volontario che non può essere presunto, applicano in realtà talvolta l’idea della dismissione tacita del diritto da parte del titolare con una tale larghezza che l’osservatore smaliziato si rende conto che la decisione nella specie non guarda tanto alla volontà quanto piuttosto all’esigenza di tutelare quell’aspettativa o quell’affidamento in un abbandono del diritto, che il contegno positivo od omissivo del titolare potrebbe aver ingenerato nella controparte. In sostanza non si tratta – al di là delle formule definitorie utilizzate – che della medesima ratio decidendi, a cui concretamente si ispira la giurisprudenza tedesca quando parla di ‚Verwirkung‘42. In ciò gli interpreti francesi sono rimasti inconsapevolmente coerenti alla tradizione storica, da cui muovono. Come si è avuto occasione di mettere in luce, nella tradizione giuridica francese con la prevalenza del dogma giusnaturalistico della volontà si è persa coscienza di una forza normativa autonoma della bona fides del diritto romano comune43. L’esigenza di un correttivo ispirato al canone della buona fede nell’applicazione di norme contrattuali o legali non è andata tuttavia persa. In un fenomeno tipicamente carsico, la soluzione imposta dai canoni tradizionali della ___________ 42
Per i particolari si veda Ranieri, Europäisches Obligationenrecht (n. 1), p. 689-
700. 43
Vedi infra n. 26.
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buona fede e dell’equità si è fatta anche qui egualmente strada. Spesso la finzione di una volontà tacita è divenuta nel diritto applicato francese un canale legittimatorio, in cui rifluiscono quelle soluzioni imposte dalla necessità di una correzione ex fide bona nell’applicazione di una norma legale o contrattuale, che nella tradizione del diritto romano comune, così come in quella della pandettistica tedesca del secolo XIX e della prassi giudiziale tedesca attuale, avevano ed hanno trovato espressione nel rimedio dell’exceptio doli generalis e nella regola della bona fides contrattuale44. Si conferma quindi esemplarmente quanto esatto sia il richiamo di chi ha fatto osservare che il principio di buona fede “si misura sempre con regole antinomiche, tra le quali ha fatto una prima e provvisoria scelta il legislatore puntuale, e rispetto alle quali il criterio di buona fede opera una seconda scelta”; lo soluzione vincente “aspirerà a giusto titolo a presentarsi essa stessa come criterio unico e incontrovertibile di buona fede”45. L’attenzione dell’interprete si dovrà quindi rivolgere di nuovo alla soluzione concreta. Non sembra che il legislatore possa sempre predisporre i canali di legittimazione per tale evoluzione. L’analisi sopra svolta mostra come la prassi possa scegliere altre vie a lei più congeniali. È pure possibile che regole generali possano esaurire la loro funzione quando il problema della repressione di certi comportamenti sleali venga assorbito in specifiche previsioni normative. Si pensi agli istituti della compensazione o del diritto di ritenzione, che nel diritto precodificato erano ipotesi di applicazione dell’exceptio doli. Soluzioni – per fare qui un altro esempio – che ancora nella prassi tedesca del XIX secolo erano raggiunte con una exceptio rei venditae et traditae seu doli, si ritrovano oggi legalmente concretizzate nei §§ 185, Abs. II e 986 BGB. Questa dialettica tra potere creativo e correttivo del giudice e successiva concretizzazione della soluzione giurisprudenziale nel diritto codificato continua dall’epoca dei primi codici giusnaturalistici fino ad oggi. Si pensi solo – per fare un esempio recentissimo – al § 203 BGB introdotto nell’ultima grande riforma del codice civile tedesco del 2001. Esso prevede una nuova ipotesi legale di sospensione del decorso della prescrizione, che codifica la passata giurisprudenza equitativa, sviluppata – come si è sopra ricordato – sulla base del § 242 BGB, per la quale il debitore che aveva invitato la controparte a trattative di bonario componimento, poteva vedersi re___________ 44
Sulla funzione della finzione giurisprudenziale di una volontà tacita nel diritto continentale si vedano i riferimenti bibliografici in Ranieri, voce Eccezione di dolo generale (n. 1), n. 103. Nella dottrina francese degli ultimi anni pare sia crescente la chiara consapevolezza della vera funzione di queste soluzioni giurisprudenziali; si veda sul punto Ranieri, Europäisches Obligationenrecht (n. 1), p. 694, n. 44. 45 Cfr. Sacco, Cos’è la buona fede oggettiva?, in: Il principio di buona fede. Giornate di studio, Pisa 14.6.1985 (Collana Quaderni della Scuola superiore di Studi universitari e di perfezionamento in scienze giuridiche, 3), Milano 1987, in part. p. 48-49.
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spinta l’eccezione di intervenuta prescrizione, sollevata dopo la rottura delle trattative, con la replica dell’abuso del diritto46. La varietà delle formule legittimatorie delle soluzioni giudiziali descritte non deve tuttavia trarre in inganno. Un’analisi attenta mostra come sotto la formula della violazione dei buoni costumi, del divieto dell’abuso del diritto, di una interpretazione teleologicamente riduttrice di una norma codicistica o di una rinuncia ed acquiescenza tacita del titolare del diritto, si sia mantenuta ancora vitale ed operante nel diritto applicato l’idea della funzione creatrice e correttiva della bona fides e quindi, se non formalmente certo nella sostanza della ratio decidendi implicita, la figura giuridica dell’exceptio doli generalis, testimonianza dell’opera largamente creativa, che la prassi giudiziale svolge pure in un diritto codificato. Il modello tedesco è stato espressamente recepito negli ultimi decenni sia a livello dottrinale che giurisprudenziale in numerosi ordinamenti europei. Si pensi solo alla giurisprudenza svizzera, austriaca, olandese ed, in qualche ipotesi, anche italiana.47 Non stupisce quindi, che la categoria tedesca del Rechtsmissbrauch sia stata recentemente recepita anche nel nuovo codice olandese del 199248 e nei Principi della Commissione Lando49. L’exceptio doli generalis sopravvive quindi, in forma espressa o sotterranea, ancora oggi nell’attuale diritto civile dell’Europa continentale.
___________ 46
Si veda Ranieri, Europäisches Obligationenrecht (n. 1), p. 704. Per i particolari, con indicazioni sui varii ordinamenti, vedi Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, cit., p. 677-688. 48 Vedi Art. 2., libro 6 del NNBW olandese del 1992: “1. Il creditore ed il debitore sono tenuti a comportarsi l’uno nei confronti dell’altro secondo le esigenze della correttezza e dell’equità; 2. La norma a cui il loro rapporto è sottomesso in virtù della legge, della consuetudine o di un atto giuridico non si applica nella misura in cui, nel caso concreto, ciò sarebbe inaccettabile secondo le esigenze della correttezza e dell’equità”. Sul punto Ranieri, Europäisches Obligationenrecht (n. 1), p. 686. 49 Vedi Art. 1.201 PECL. 47
Kaufrechtliche Gewährleistung und Irrtumsproblematik: Kontinuität und Diskontinuität in der Judikatur des Reichsgerichts nach 1900* A. Einleitung Seit dem Urteil des Fünften Zivilsenats des Reichsgerichts vom 1. Juli 19051 steht im deutschen Zivilrecht unumstritten fest, dass eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB beim Vorliegen von Gewährleistungsansprüchen nicht in Betracht kommt. Die §§ 459 ff. BGB sind nach einer heute im deutschen Schrifttum und in der deutschen Judikatur unangefochtenen Ansicht im Verhältnis zu § 119 Abs. 2 BGB als leges speciales mit Vorrangcharakter anzusehen. Die seit einigen Jahren stattfindende vollständige Erschließung der zivilrechtlichen Rechtsprechung des ehemaligen Reichsgerichts, insbesondere die auf zahlreiche Bände angewachsene Publikation der „Sammlung reichsgerichtlicher Erkenntnisse“ und des „Nachschlagewerks“ von Werner Schubert und Hans Peter Glöckner2, macht uns nunmehr mit einigen sehr frühen Urteilen des Reichsgerichts bekannt, die bisher in der Literatur nicht diskutiert worden sind3. Diese frühen reichsgerichtlichen Entscheidungen zeigen zugleich, dass die Judikatur des Reichsgerichts zu diesem Problem – ebenso wie das damalige zivilrechtliche Schrifttum – in einer Anfangsphase offenbar Wandlungen unterzogen war. Das Thema und die Fragestellung dieses kleinen Beitrags lassen sich insoweit in dem Sinne präzisieren, dass hier die reichsgerichtliche Recht___________ * Zuerst erschienen in: Falk/Mohnhaupt (Hrsg.), Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter, Frankfurt a. M. 2000, S. 207-229. 1 (V ZR 16/1905), in: RGZ 61, S. 171. 2 Vgl. Sammlung sämtlicher Erkenntnisse des Reichsgerichts in Zivilsachen. Inhalt sämtlicher und Wiedergabe von unveröffentlichten Entscheidungen zum Bürgerlichen Gesetzbuch, bearbeitet von Schubert, Jahrgang 1900/1901 ff., Goldbach 1992 ff.; Schubert/Glöckner (Hrsg.), Nachschlagewerk des Reichsgerichts. Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. 1 ff., Goldbach 1994 ff. Siehe dazu meine Bemerkungen in: AcP 1995, S. 579-594. 3 Zur Rechtsprechung des Reichsgerichts vgl. Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, Münster 1948 (Nachdruck Darmstadt 1975), insbes. S. 138-146; vgl. auch zu der frühesten Judikatur des Reichsgerichts die Heidelberger juristische Dissertation von Hinsch, Das Verhältnis des Irrtums zur Wandelung, Minderung und zum Schadenersatz wegen Nichterfüllung beim Kauf, Diss. jur., Heidelberg 1908, insbes. S. 43-45 und die neuere, relativ bescheidene, Dissertation von Fröhlich, Die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums beim Kauf. Eine Überprüfung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, Frankfurt a. M./Bern 1984, S. 21 ff.
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sprechung auf dem Weg zur Grundsatzentscheidung von RGZ 61, S. 171 analysiert werden soll. Die Frage einer etwaigen Konkurrenz zwischen Haftung aus kaufrechtlicher Gewährleistung und Irrtumsregelung hat bis heute ihre Aktualität behalten. Dadurch, dass sich das Reichsgericht schon frühzeitig – nämlich 1905 – auf einen Standpunkt festgelegt hat, war auch die weitere Orientierung der deutschen Judikatur und Literatur eindeutig vorgegeben. Seitdem gilt es in der deutschen Rechtsprechung nämlich als unumstritten, dass bei Vorliegen eines Fehlers i. S. d. § 459 Abs. 1 BGB die Anfechtungsmöglichkeit nach § 119 Abs. 2 BGB ausgeschlossen ist; ebenso als ausgeschlossen wird ein Heranziehen der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage angesehen4. Seit der grundlegenden Monographie von Werner Flume, „Eigenschaftsirrtum und Kauf“, ist auch die deutsche Doktrin fast einstimmig der Rechtsprechung gefolgt. Unstimmigkeiten gibt es nur hinsichtlich des Randproblems, ob auch vor Gefahrübergang eine Irrtumsanfechtung in derartigen Fällen ausgeschlossen sein soll5. In anderen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen ist die Frage einer etwaigen Konkurrenz zwischen Sachmängelhaftung und Irrtumsregelung dagegen keinesfalls eindeutig geklärt und z. T. heftig umstritten. Die österreichische Rechtsprechung beispielsweise vertritt in Fortsetzung einer Judikatur, die bis ins 19. Jahrhundert reicht, bis heute die gegenteilige Auffassung zur deutschen. Eine Anfechtung wegen Geschäftsirrtums wird durchaus in Konkurrenz zur ___________ 4 Vgl. RG, Urt. v. 11.3.1932 (II ZR 307/31), in: RGZ 135, S. 339 ff.; BGH, Urt. v. 18.12.1954 (II ZR 296/53), in: BGHZ 16, S. 54 ff.; BGH, Urt. v. 14.12.1960 (V ZR 40/60), in: BGHZ 34, S. 32 ff. sowie in: NJW 1961, S. 772 ff.; zuletzt vgl. etwa BGH, Urt. v. 6.6.1986 (V ZR 67/85), in: NJW 1986, S. 2824; zu der immer wiederkehrenden Fallkonstellation der Nichtechtheit eines Kunstwerkes, die als Fehler im Sinne von § 459 BGB eingestuft wird, siehe Flume, Der Kauf von Kunstgegenständen und die Urheberschaft des Kunstwerks, in: JZ 1991, S. 633-638, und in der deutschen Judikatur OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 20.1.1993, in: NJW 1993, S. 1477; OLG Düsseldorf, Urt. v. 9.8.1991, in: NJW 1992, S. 1326-1327. 5 Vgl. zur Problematik insgesamt Fröhlich, Die Anfechtung (Anm. 3), S. 31 ff.; aus den Diskussionen zur Reform des deutschen Schuldrechts vgl. zum Thema Vollkommer, Die Konkurrenz des allgemeinen Leistungsstörungsrechts mit den Leistungsstörungsinstituten der besonderen Schuldvertragstypen, in: AcP 1983, S. 527-561; Müller, Zur Beachtlichkeit des einseitigen Eigenschaftsirrtums beim Spezieskauf, in: JZ 1988, S. 381 ff.; für eine allgemeine Übersicht neuerdings Hönn, Grundfälle zur Konkurrenz zwischen Sachmängelhaftung beim Stückkauf und Anfechtung wegen Willensmängeln, in: JuS 1989, S. 293 ff.; zuletzt Schmidt, Spezieskauf und „aliud“, in: JZ 1989, S. 973984, insbes. mit wesentlichen Äußerungen zur Konkurrenz zwischen § 306 BGB und § 459 BGB. Weitere Nachweise bei Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 6. Aufl., Neuwied 1997, Rn. 591-600, S. 229-233. Kritisch noch zur bisher herrschenden Meinung Wasmuth, Wider das Dogma vom Vorrang der Sachmängelhaftung gegenüber der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtum, in: Festschrift für Henning Piper zum 65. Geburtstag, München 1996, S. 1083-1113.
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Regelung der kaufrechtlichen Gewährleistung angenommen6. Ebenso wie die österreichische, erlaubt auch die Judikatur des schweizerischen Bundesgerichts eine Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums in den Fällen, in denen zugleich eine kaufrechtliche Gewährleistung gegeben ist7. In den romanischen Rechtsordnungen lässt sich der Stand der Rechtsprechung nur schwer erschließen. Die italienische ebenso wie die spanische und die portugiesische Rechtsprechung scheinen von einem Konkurrenzverhältnis zwischen Gewährleistungs- und Irrtumsrecht auszugehen8. Die französische Judikatur war lange Jahre auf diesem Gebiet uneinheitlich. Neuerdings scheint die erste Chambre civile des französischen Kassationsgerichts ein Nebeneinander von „action en nullité pour erreur“ ___________ 6 Zum Thema vgl. die klassische Monographie von Pisko, Gewährleistungs-, Nichterfüllungs- und Irrtumsfolgen bei Lieferung mangelhafter Ware, 2. Aufl., Wien 1926, S. 69 ff. Neuerdings siehe in der österreichischen Judikatur Oberster Gerichtshof, Urt. v. 26.4.1966, in: EvBl 1966, Nr. 352; zum Thema vgl. Kramer, Die Abgrenzung von Gewährleistungs- und Irrtumsanfechtung beim Kauf nach schweizerischem, deutschem und österreichischem Recht, in: JBl 1971, S. 294 ff.; zuletzt Kerschner, Probleme der Sachmängelhaftung oder das ABGB ist tot. Es lebe das BGB!, ebd. 1989, S. 541 ff. (kritisch zu den Versuchen, die deutsche Rechtsprechung in die österreichische Praxis zu rezipieren, etwa seitens von Honsell, JBl 1989, S. 205 ff.). Unter § 871 ABGB subsumierte der historische Gesetzgeber nicht nur den Inhaltsirrtum, sondern auch den Geschäftsirrtum (so Pisko, Gewährleistung, S. 74 ff.). Bei dem „veranlassten“ Irrtum ging der österreichische Gesetzgeber insoweit von einer Konkurrenz mit den Fällen der Gewährleistung aus (so Pisko, Gewährleistung, S. 82-85). Kritisch zur österreichischen Judikatur bereits Pisko und neuerdings Kramer. 7 Vgl. Schweizerisches Bundesgericht v. 7.6.1988, in: BGE 114, II, S. 131 ff.; dazu vgl. Kramer, Die Abgrenzung (Anm. 6), S. 294-296; Bucher, Obligationenrecht. Besonderer Teil, 3. Aufl., Zürich 1988, § 4 VIII, S. 109-110; kritisch Merz, Sachgewährleistung und Irrtumsanfechtung, in: Vom Kauf nach schweizerischem Recht. Festschrift Guhl, 1950, S. 87-107, insbes. S. 91; Baudenbacher/Spiegel, Die Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts zum Verhältnis von Sachmängelgewährleistung und allgemeinen Rechtsbehelfen des Käufers. Ein Musterbeispiel angewandter Rechtsvergleichung?, in: Festschrift für M. Pedrazzini, Bern 1990, S. 229-261. Art. 24 Abs. 1 schweizerisches OR wurde 1911 an der Stelle des Art. 19 Nr. 3 des OR von 1881 eingeführt; dabei wollte der schweizerische Gesetzgeber gerade die Konkurrenz zu den Gewährleistungsregeln vermeiden (vgl. Kramer, Die Abgrenzung (Anm. 6), S. 295, Anm. 6 m. w. N.). 8 Vgl. die rechtsvergleichenden Angaben von Neumayer, Wiener Kaufrechtsübereinkommen und Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums, in: Scintillae Juris. Studi in memoria di Gino Gorla, Milano 1994, Bd. II, S. 1267 ff., insbes. S. 1271. Siehe im italienischen Recht mit widersprüchlichen Ansichten Amorth, Errore ed inadempimento nel contratto, Milano 1967, S. 127 ff.; Sacco/de Nova, Il contratto, Torino 1993, Bd. I, S. 416-419; Pietrobon, Errore volontà e affidamento nel negozio giuridico, Padova 1990, S. 410-415 m. w. N. Für eine Konkurrenz plädiert die spanische Judikatur (vgl. Ares Rodriguez/Diez Picazo u.a., Comentario del Codigo Civil, Madrid 1993, Bd. II, zu Art. 1266, S. 462 und zu Art. 1484, S. 955 sowie Morales, in: Anuario de derecho civil 1980, S. 671 ff.); in einem anderen Sinne scheinbar die portugiesische Judikatur (vgl. Abilio Neto, Codigo civil anotado, 10. Aufl., Lisboa 1996, zu Art. 915 und zu Art. 251, Nr. 17.
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und kaufrechtlicher Gewährleistung wegen „vices cachés“ grundsätzlich auszuschließen9. Die Uneinheitlichkeit und Unsicherheit in nahezu allen kontinentalen Rechtsordnungen bei der Klärung des Verhältnisses zwischen Irrtumsregelung und kaufrechtlicher Gewährleistung haben dieses Konkurrenzproblem zu einer klassischen Streitfrage des Kaufrechts in allen kontinentalen Rechtssystemen werden lassen. Der vom Reichsgericht eingeschlagene Lösungsweg, welcher der kaufrechtlichen Gewährleistungsregelung als lex specialis Vorrang vor der Irrtumsregelung einräumt, wird zwar im deutschen Recht inzwischen als unumstritten und selbstverständlich angesehen, wurde aber und wird bis heute in zahlreichen anderen kontinentalen Rechtsordnungen keinesfalls als verpflichtend betrachtet. Das rechtsvergleichende Schrifttum auf diesem Gebiet ist in der Tat beträchtlich10. Neuerdings scheint sich international die Ansicht durchzusetzen, dass es dem Käufer nicht gestattet sein soll, seinen Irrtum geltend zu machen, wenn seine kaufrechtlichen Ansprüche erloschen sind. Man denke an die neuere Judikatur des französischen Kassationshofs oder an das neueste niederländische Zivilgesetzbuch von 1992, in dem ausdrücklich vorgesehen ist, dass dem Käufer keine Möglichkeit der Vertragsaufhebung zur Verfügung ___________ 9
Vgl. Cass. Civ., 1ère, Urt. v. 7.11.1995, Bull. Civ. 1995, I, Nr. 401, S. 279 und neuerdings Cass. Civ., 1ère, Urt. v. 14.5.1996, in: JCP 1997, I, Nr. 4009, Annexe und dazu Rade, L’autonomie de l’action en garantie des vices cachés, ebd.; sowie Boulanger, Erreur, non-conformité, vice caché: la fin d’une confusion, in: JCP 1996, Doctrine, S. 1585 ff. Für eine Analyse der französischen Rechtsprechung vgl. neuerdings Huber, Der Irrtum über die Echtheit von Kunstgegenständen im französischen Recht. Entscheidung der Cour de Cassation vom 7.11.1995, in: ZeuP 1997, S. 1142 ff.; aus der älteren französischen Rechtsprechung und Literatur vgl. etwa Tournafond, Les pretendus concours d’actions et le contrat de vente (erreur sur la substance, défaut de conformité, vice caché), in: Dalloz Chronique 1989, S. 237-244; Chauvelle, Erreur substantielle, cause et équilibre des prestations dans les contrats synallagmatiques, in: Droit. Revue française de théorie juridique, Heft 12, Les contrats, 1990, S. 93-103; für das belgische Recht siehe Meinerzhagen/Lippens, Erreur, non-conformité et vices cachés, in: Actualité de droit civil 1994, S. 5 ff. 10 Allgemein zum Problem mit rechtsvergleichenden Hinweisen Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl., Tübingen 1996, § 31, Bd. 1, S. 408; Kötz/Flessner, Europäisches Vertragsrecht, Tübingen 1996, S. 266-269. Aus dem Spezialschrifttum siehe zuletzt Kramer, Der Irrtum beim Vertragsschluß. Eine weltweit rechtsvergleichende Bestandsaufnahme (Publications de l’Institut suisse de droit comparé, Bd. 32), Zürich 1998, insbes. S. 148-158; Gabrielli, Das Verhältnis zwischen der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums und den Gewährleistungsansprüchen im deutschen, österreichischen und italienischen Recht (Studien zum vergleichenden und internationalen Recht, Bd. 49), Frankfurt a. M./Berlin/Bern 1999; Flesch, Mängelhaftung und Beschaffenheitsirrtum beim Kauf (Arbeiten zur Rechtsvergleichung, Bd. 162), Baden-Baden 1994; Bacher, Irrtumsanfechtung, vertragswidrige Leistung und Sachmängelgewährleistung beim Kauf (Arbeiten zur Rechtsvergleichung, Bd. 179), BadenBaden 1996.
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steht, wenn er die rechtzeitige, erforderliche Mängelrüge unterlassen hat11. Der Streit auf diesem Gebiet lebt selbst bei der Auslegung der Wiener Konvention zum Internationalen Kaufrecht fort. Man gewinnt hier den Eindruck, dass trotz des Gebotes einer international einheitlichen Handhabung der Konvention die nationalen Lösungen bei der Beantwortung unserer Frage im Rahmen des internationalen Kaufrechts spiegelbildlich weiterleben. So lehnen die führenden deutschen Kommentatoren des Art. 39 CISG es als selbstverständlich ab, dass sich der Käufer bei vertragswidriger Ware auf einen etwaigen Irrtum beim Vertragsschluss berufen kann12. Es ist bezeichnend, dass die österreichischen und schweizerischen Kommentatoren der Wiener Kaufrechtskonvention dieses Problem anders sehen und einordnen. Viele von ihnen vertreten hier eine völlig konträre Auffassung und warnen zugleich ausdrücklich davor, die Ansicht der deutschen Judikatur diesbezüglich auf die Auslegung des CISG zu übertragen13. Die Tragweite dieser Streitfrage für das heutige deutsche Zivilrecht und ihre Aktualität im Rahmen der heutigen Rechtsvergleichung und internationalen Rechtsvereinheitlichung soll uns in diesem Beitrag nicht weiter beschäftigen. Im Zentrum unserer Bemühungen wird vielmehr die historische Einordnung und Herkunft der heute im deutschen Recht unumstrittenen Lösung stehen. Insbesondere interessiert hier die Frage, auf welchem argumentativen Weg das Reichsgericht damals zu seiner Lösung gelangte und wie der Fünfte Zivilsenat seinerzeit seine Ansicht bei der Ablehnung einer möglichen Anspruchskonkurrenz durchsetzte. Es geht hier also um ein Kapitel der frühesten Auslegungsgeschichte des BGB. Welche Rolle spielten dabei die Lehre und die ältere vorkodifikatorische Judikatur? Welches Gewicht nahm in der damaligen Argumentation des Reichsgerichts die eigene vor- und nachkodifikatorische Rechtsprechung ein? Das Thema konfrontiert uns also mit der allgemeinen Frage, wie richterliche Lösungen und Festlegungen in der frühesten Auslegungsgeschichte des BGB, unmittelbar nach der Kodifikation von 1900, entstanden sind. In einem ersten Abschnitt soll hier zunächst die dogmengeschichtliche Ausgangslage des Problems in der Doktrin und in der vorkodifikatorischen Ge___________ 11
Vgl. Art. 7.23 Abs. 1 NNBW. Vgl. v. Caemmerer/Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum CISG, 2. Aufl., München 1995, insbes. Rdn. 30 zu Art. 39 CISG; zuletzt zu diesem Auslegungsproblem siehe Huber, UN-Kaufrecht und Irrtumsanfechtung. Die Anwendung nationalen Rechts bei einem Eigenschaftsirrtum des Käufers, in: ZEuP 1994, S. 585 ff. m. w. N. 13 Vgl. etwa aus der österreichischen Literatur Lessiak, UNCITRAL Kaufrechtsabkommen und Irrtumsanfechtung, in: JBl 1989, S. 487 ff.; zuletzt Gstoehl, Das Verhältnis von Gewährleistung nach UN-Kaufrecht und Irrtumsanfechtung nach nationalem Recht, in: ZfRV 1998, S. 1 ff. Aus der schweizerischen Literatur siehe als entschiedenen Vertreter für eine Konkurrenz der kaufrechtlichen Regelung des internationalen Kaufrechts mit den nationalen Bestimmungen zur Irrtumsanfechtung Neumayer, Wiener Kaufrechtsübereinkommen (Anm. 8), S. 1267 ff. 12
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richtspraxis von 1900 kurz skizziert werden. In einem zweiten Teil sollen dann die verschiedenen Entscheidungen des Reichsgerichts, die dem „Leading case“ von RGZ 61, S. 171 vorausgingen, im Einzelnen analysiert werden. Zugleich wird untersucht, in welcher Weise der Fünfte Zivilsenat in der Entscheidung von 1905 argumentativ mit den vorhandenen reichsgerichtlichen Präjudizien umging. Ein dritter Abschnitt wird schließlich das Urteil von 1905 in die damalige methodologische Debatte einordnen. Eine Analyse der Entscheidung wird uns zugleich Gelegenheit bieten, an diesem konkreten Einzelfall zu verdeutlichen, wie sich das Reichsgericht schon damals dogmatisch festlegte und judizielle Lösungen bei der Auslegung der jungen Kodifikation durchsetzte.
B. Die dogmengeschichtliche Ausgangslage Einige Hinweise seien hier zunächst zur dogmenhistorischen Ausgangslage unseres Problems gegeben. Die römischen Quellen bieten diesbezüglich ein uneinheitliches Bild14. Dementsprechend uneinheitlich und kontrovers sind bis heute die Ansichten der Romanisten geblieben. Vincenzo Arangio Ruiz, in seiner klassischen Darstellung des römischen Kaufrechts15, zuletzt auch Heinrich Honsell16 sind der Ansicht, dass die römischen Juristen – sowohl die Klassiker als auch die Post-Klassiker – eine Konkurrenz zwischen Irrtum und Gewährleistung ganz entschieden ablehnten. Peter Apathy17 hat vor einigen Jahren dagegen die gegenteilige Ansicht vertreten, dass die spätklassischen Juristen längst davon entfernt seien, bei allen Fällen von qualitativer Unmöglichkeit auch eine Konsensbildung als ausgeschlossen anzusehen. Kürzlich hat Martin Schermaier die traditionelle Sicht des Problems gründlich revidiert18. Es ist seiner Meinung nach ein methodischer Fehler, die völlig uneinheitliche und widersprüchliche Überlieferung der römischen Quellen wei___________ 14 Siehe etwa D. 18.1.45 (Marcian. 4 reg.); D. 19.1.6.4 (Pomp. 9 ad Sab.); D. 19.1.11.3 (Ulp. 32 ad ed.); D. 18.1.57 pr. (Paul. 5 ad Plaut.); D. 18.4.8. (Iav. 2 ex Plaut.); D. 19.1.13 pr. (Ulp. 32 ad ed.); D. 18.1.41.1 (Iul. 3 ad Urs. Fer.); D. 18.1.58 (Pap. 10 quaest.); D. 18.1.10 (Paul. 5 ad Sab.); D. 19.1.21.2 (Paul. 33. ad ed.); D. 21.2.31 (Ulp. 42 ad Sab.); D. 18.1.9.2 (Ulp. 28 ad Sab.); D. 18.1.11.1 (Ulp. 28 ad Sab.); D. 18.1.14 (Ulp. 28 ad Sab.). 15 Vgl. Arangio Luiz, La compravendita in diritto romano, 2. Aufl., Napoli 1961 (Nachdruck Napoli 1976), S. 106. 16 Vgl. Honsell, Quod interest in bonae fidei judicium. Studien zum römischen Schadensersatzrecht, München 1969, S. 62 ff. 17 Vgl. Apathy, Sachgerechtigkeit und Systemdenken am Beispiel der Entwicklung von Sachmängelhaftung und Irrtum beim Kauf im klassischen römischen Recht, in: Sav. Z. Rom. Abt. 1994, S. 95-154. 18 Vgl. Schermaier, Auslegung und Konsensbestimmung. Sachmängelhaftung, Irrtum und anfängliche Unmöglichkeit nach römischem Kaufrecht, ebd. 1998, S. 235-288.
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terhin im Lichte der diesbezüglichen dogmatischen Konstruktionen und Diskussionen in der deutschen Pandektistik des vergangenen Jahrhunderts zu verstehen. Die in den Quellen verwendete Bezeichnung „error in substantia“ sei als „Irrtum im Objekt“ zu verstehen und habe insoweit nichts mit dem modernen Begriff des „Eigenschaftsirrtums“ – etwa von § 119 Abs. 2 BGB – zu tun. Die „Klassiker“ würden deshalb nach dieser moderneren Rekonstruktion keine Verbindung zwischen dem Dissens und dem Fehlschlagen der Leistungsbestimmung kennen. Die Diskussion hierüber in der romanistischen Literatur der letzten Jahrzehnte leidet in der Tat zweifellos darunter, dass die Rekonstruktion der Quellenüberlieferung z. T. unbewusst im Lichte der heutigen Erörterung des Problems gesehen und behandelt wird. Die modernen kontinentalen Kodifikationen kennen neben dem „Inhaltsirrtum“ auch einen „Sachverhaltsirrtum“ (etwa § 119 Abs. 2 BGB; Art. 21 Abs. 1, S. 4 schweizerisches OR; Art. 1110 Code civil). „Weil aber dem Käufer ein Gewährleistungsanspruch nur zu Gebote steht, wenn er vom Mangel oder der fehlenden Eigenschaft nichts gewußt hat, kann derselbe Fall sowohl als Sachverhaltsirrtum als auch als Gewährleistungsproblem beurteilt werden“19. Nach Schermaiers Ansicht20 waren es erst die postklassischen Juristen und die Justinianische Kompilation, welche „den Vertragsgegenstand in das Konsenserfordernis“ des Kaufs einzubeziehen begannen. Auf der Grundlage der justinianischen Quellen basiert in der Tat das Entstehen unseres Problems in der mittelalterlichen Jurisprudenz der Glossatoren und Postglossatoren. Die mittelalterlichen Juristen versuchten nämlich, die Quellenwidersprüche zu glätten. Sie gruppierten dabei ihre Lehrsätze um die Begriffe von „error“ und „ignorantia“. Die Glossatoren behandelten insoweit die Fälle der kaufrechtlichen Gewährleistung und der Leistungsunmöglichkeit unter irrtumsrechtlichen Gesichtspunkten. Diese Tendenz, die Problematik des Irrtums und der Leistungsstörungen zu vermengen und zu überlappen, charakterisiert auch in den darauf folgenden Jahrhunderten die Behandlung des Problems vor allem im deutschen Usus modernus. Kristallisationspunkt war hier insbesondere der Begriff des „error in substantia“21.
___________ 19
So Schermaier, Auslegung (Anm. 18), S. 238. a. a. O., S. 286 ff. 21 Zur Geschichte des Problems in der gemeinrechtlichen Wissenschaft siehe Schermaier, Auslegung (Anm. 18), S. 286-288; Zimmermann, The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition, Cape Town 1990, S. 592 ff., insbes. S. 608609; Pisko, Gewährleistung (Anm. 6), S. 66 ff.; in der Geschichte des englischen Rechts vgl. Barton, Redhibition, error, and implied warranty in english law, in: TRG 1994, S. 317-329. 20
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Die hier kurz skizzierte Vorgeschichte bestimmte die Sicht des Problems auch im vergangenen Jahrhundert.22 Die Lehre des Gemeinen Rechts war mehrheitlich der Auffassung, dass die Gewährleistung dem Schutze des Käufers gegen einen Irrtum über die Eigenschaften der gekauften Sache diene, also einen Schutz gegen den sonst unbeachteten Motivirrtum biete. Die Kommentare zum Code civil und die französische Rechtsprechung sowie die ältere österreichische Kommentarliteratur und Praxis zum ABGB23 sahen es ebenso als selbstverständlich an, dass die kaufrechtliche Gewährleistung mit der Irrtumsklage konkurrieren könne. Eine gegenteilige Ansicht wird erst von der jüngeren Kommentarliteratur zum preußischen ALR vertreten. Diese Sicht des Problems schimmert noch bei den Vorarbeiten zum BGB in den Motiven zum ersten Entwurf24 durch. Nachdem man es hier ablehnte, den Irrtum über „Eigenschaften eines Gegenstandes“ für beachtlich zu erklären, wurde dem Kommentar hinzugefügt: „Dazu kommt, daß, soweit ein Bedürfniß, den hinsichtlich der Eigenschaften einer Sache Irrenden zu schützen, wirklich vorliegt, durch die demselben zur Seite stehenden sonstigen Rechtsbehelfe genügend vorgesorgt ist.“25
C. Die vorkodifikatorische reichsgerichtliche Judikatur Der Stand von Wissenschaft und Praxis zu unserer Frage vor Inkrafttreten des BGB war in Deutschland uneinheitlich. Er ist übrigens auch schwer zu rekonstruieren, zumal die deutsche Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts bis heute nur zum Teil untersucht wurde. Das preußische Obertribunal hatte in seiner älteren Judikatur offenbar immer ein Konkurrenzverhältnis zwischen Wande___________ 22 Im einzelnen hierzu Pisko, Gewährleistung (Anm. 6), S. 66 ff. mit umfassenden Nachweisen. 23 Vgl. v. Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesamten deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie, Wien 1811-1813, Bd. III, S. 138; Nippel, Erläuterung des ABGB für die gesamten deutschen Länder der österreichischen Monarchie, Bd. VI, S. 159, Grätz 1830-1838. 24 Vgl. Motive zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Berlin 1896, Bd. I, S. 199. 25 Man vergleiche hier die Bemerkung in den Protokollen, Mugdan, Bd. I, S. 671: „An sich liege bei dem Kaufe einer Sache, die mit einem vom Käufer nicht gekannten Mangel behaftet sei, ein Irrtum im Beweggrunde vor. Diesem werde, in Abweichung von dem allgemeinen Grundsatze der Unbeachtlichkeit solchen Irrtums, durch positive Vorschrift die Wirkung beigelegt, dass der Käufer wegen Mangels Wandelung oder Minderung verlangen könne. Dabei sei es ebenso, wie bezüglich eines die Anfechtung begründenden Irrtums, durchaus gerechtfertigt, wenn das Gesetz den Irrtum, soweit er einen geringfügigen Punkt betreffe, nicht berücksichtige.“ Vgl. hierzu die Ausführungen von Schneider, Das Verhältnis zwischen Anfechtung eines Kaufes wegen Irrtums über Sachmängel und zwischen Wandelung, in: AcP 1905, S. 142 ff., insbes. S. 144 und später von Flume, Eigenschaftsirrtum (Anm. 3), S. 43.
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lung und Irrtumsanfechtung angenommen. Dasselbe gilt auch für die rheinische Judikatur zum französischen Code civil. Die gemeinrechtliche Rechtsprechung vertrat anscheinend die gegenteilige Ansicht.26 Seit Mitte des Jahrhunderts kann man in der preußischen Rechtsprechung eine immer stärker werdende Tendenz der Judikatur beobachten, die Irrtumsanfechtung zugunsten des Gewährleistungsrechts einzuschränken. Am Ende des Jahrhunderts – in einer Entscheidung aus dem Jahre 1885 – machte sich der Vierte Zivilsenat des Reichsgerichts diese preußische Judikatur zu Eigen.27 In diesem Fall hatte das Berliner Kammergericht als Vorinstanz dem Käufer vor Übergabe noch die Möglichkeit einer Geltendmachung seines Irrtums zugebilligt. Der Vierte Zivilsenat lehnte dies ab: § 81, Teil I, tit. 4 des preußischen ALR sei bereits vor Übergabe des Kaufgegenstandes ausgeschlossen, wenn der Verkäufer schon zu diesem Zeitpunkt den Mangel beseitigen könne. Das Reichsgericht verlässt hier also in seiner Begründung den Wortlaut der preußischen Vorschrift. Seine maßgebende Erwägung liegt darin, dem Erfüllungsanspruch zu Lasten des Rücktritts Vorrang einzuräumen. „Fehlende Eigenschaften des Vertragsgegenstandes können“ – heißt es in der Entscheidung28 – „solange die Übergabe der Sache noch nicht erfolgt ist, den Bestand des Vertrages wegen Irrtumes nur in Frage stellen, wenn sie bis zur Übergabe nicht gewährt werden können“. Die spätere Judikatur zu § 119 Abs. 2 BGB im Verhältnis zu § 459 BGB wird hier, in einem gewissen Sinne, bereits angelegt.29 In seiner Rechtsprechung zum rheinischen Recht vertrat der Zweite Zivilsenat die gegenteilige Ansicht, dass nämlich eine Irrtums- bzw. Nichtigkeitsklage (action en nullité pour erreur) mit den Gewährleistungsrechten konkurrieren könne. Maßgebend blieb hier die „Bronzestatue“-Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 189430. Der Kläger hatte hier eine römische Bronzestatue zum Preis mehrerer tausend Reichsmark erworben und erst später feststellen müssen, dass sie nur eine perfekt aussehende moderne Nachbildung war. Die kurze Gewährleistungsfrist (bref délai) von Art. 1648 Code civil war bereits ___________ 26
Vgl. Seiler, Vom Allgemeinen Landrecht zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Dargestellt am Beispiel der höchstrichterlichen Judikatur zum kaufrechtlichen Sachmängelgewährleistungsrecht (Rechtshistorische Reihe, Bd. 137), Frankfurt a. M./Berlin 1996, S. 239-260, insbes. S. 240-250. 27 Siehe RG, Urt. v. 11.5.1885 (Rep. IV 26/1885), in: RGZ 13, S. 281 ff.; dazu Seiler, Vom ALR zum BGB (Anm. 26), S. 250 ff. 28 RG, Urt. v. 11.5.1885, insbes. S. 284. 29 Vgl. in diesem Sinne auch die spätere Entscheidung vom RG, Urt. v. 28.5.1892, in: RGZ 30, S. 154 ff. und dazu Seiler, Vom ALR zum BGB (Anm. 26), S. 254 ff. 30 Vgl. RG, Urt. v. 21.9.1894 (Rep. II 152/1894), in: Rheinisches Archiv, Bd. 88, II, S. 9 ff.; auch in: JW 1894, S. 528, Nr. 41-43 sowie in: RGZ 34, S. 321 ff. Dazu Olsen, Das kaufrechtliche Sachmängelgewährleistungsrecht des Code civil in der Rechtsprechung deutscher Gerichte im 19. Jahrhundert (Rechtshistorische Reihe, Bd. 159), Frankfurt a. M./Berlin 1997, insbes. S. 160-163.
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abgelaufen. Der Zweite Zivilsenat sah dennoch in der Nichtigkeitsklage gemäß Art. 1110 Code civil eine Möglichkeit, den Vertrag aufzuheben. Die Nichtechtheit des Kunstgegenstandes wurde hier nämlich – unter Rückgriff auf die herrschende Ansicht in der damaligen französischen Literatur und Praxis – als Substanzirrtum (erreur sur la substance) qualifiziert. Obiter merkte der Senat allerdings auch an: „Es mag übrigens bemerkt werden, daß gemäß der vom Reichsgericht (RGZ 19, S. 264) gebilligten Ansicht von Savigny (System, Bd. III, S. 276 ff.) auch nach gemeinem Rechte erhebliche Momente für die Annahme eines wesentlichen Irrtumes im vorliegenden Falle anzuerkennen sein würden“.31 Der Meinungsstand in der damaligen gemeinrechtlichen Literatur war allerdings – trotz der zitierten Feststellung des Reichsgerichts – mehr als kontrovers. Die Pandektisten vertraten, wie bereits erwähnt, mehrheitlich die Ansicht, dass die kaufrechtliche Gewährleistung den Käufer gegen Irrtümer über Eigenschaften der gekauften Sache – also gegen den sonst unbeachtlichen Motivirrtum – schütze32. Die deutschen Zivilrechtler versuchten vor und unmittelbar nach Inkrafttreten des BGB zunächst, das Problem des Verhältnisses zwischen Irrtum des Käufers und kaufrechtlicher Gewährleistung rein dogmatisch zu bewältigen. Begrifflich konstruktive Argumente standen hier primär im Vordergrund. Eine Konkurrenz zwischen Irrtumsanfechtung und Anspruch aus Gewährleistung wurde etwa von Rudolf Leonhard vertreten.33 Die herrschende Meinung ging allerdings in die gegenteilige Richtung und versagte dem Käufer eine Irrtumsanfechtung. Eine Durchsicht der damaligen einschlägigen Literatur offenbart die Fortwirkung einer spätpandektistischen Argumentationskultur, weitestgehend dogmatisch und begrifflich orientiert. Bezeichnenderweise wird ___________ 31
So RG, Urt. v. 21.9.1894, insbes. S. 326. Vgl. v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Berlin 1841, Bd. III, S. 358; v. Vangerow, Pandekten, Bd. I, 2. Aufl., Marburg/Leipzig 1843-1849, S. 119; Leonhard, Die Haftung des Verkäufers für sein Verschulden beim Vertragsschlusse, Göttingen 1896, S. 87. Zur Entstehung des § 119 Abs. 2 BGB siehe Fusco, Per una storia dell’errore sulle qualità della cosa nella normativa e nella scienza giuridica tedesca, in: Annali della Facoltà di Giurisprudenza dell’Università di Macerata, Milano 1971, S. 140-170; Repgen, Die Kritik Zitelmanns an der Rechtsgeschäftslehre des Ersten Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches, in: Sav. Z. Germ. Abt. 1997, S. 73 ff. 33 Vgl. Leonhard, Der Allgemeine Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs in seinem Einflusse auf die Entwicklung der Rechtswissenschaft, Berlin 1900, S. 495: „Der Eigenschaftsmangel kann als Gültigkeitsbedingung, als Vorbedingung eines Rücktrittsrechts, eines Anspruchs auf Schadensersatz, Wandelung oder Minderung, auch eines Bereicherungsanspruchs entweder gedacht oder erwähnt sein [...]. In welcher dieser Beziehungen die Eigenschaft als erheblich gilt, kann freilich nur im einzelnen Falle gesagt werden. Für die Anfechtung wegen Irrtums ist dies aber gleichgültig, denn alles, was Geschäftsinhalt ist, berechtigt zur Anfechtung. In welcher Weise aber eine Eigenschaft ein Stück des Inhalts ist, ob als Kennzeichen, als Geltungsbedingung oder als Vorbedingung eines besonderen Anspruchs, ist gleichgültig. In allen diesen Fällen ist sie Anfechtungsgrund, wenn sie Gegenstand eines Irrtums ist [...]“. 32
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darin selten auf die Rechtsprechung, auch auf die vorkodifikatorische Judikatur, Bezug genommen. Für Erich Danz etwa reduziert sich das Problem auf die Frage der richtigen Auslegung der Vertragsworte.34 Entscheidend sei, ob eine versprochene Eigenschaft vorliege oder ob ein Fehler beim Vertragsschluss festzustellen sei. Eine Konkurrenz sei insoweit begrifflich nicht denkbar, weil der Inhalt der Vertragsworte nicht durch eine mangelhafte Lieferung geändert werde. In derartigen Fällen sei nicht der Käufer der Irrende, sondern der Verkäufer. Für Siegmund Schloßmann handelt es sich hier dagegen um eine Regelungslücke in der neuen Kodifikation.35 Wenn der Gesetzgeber diese Lücke gekannt hätte, hätte er sie in dem Sinne gefüllt, dass in unserem Fall § 119 Abs. 2 BGB die Anwendbarkeit zu versagen sei. Ähnlich spricht Lippmann36 von einer „Normdissonanz“. Von einem Irrtum im Motiv – schreibt er – könne nicht gesprochen werden, wenn es bei der Eigenschaft, über die geirrt wurde, zugleich um die Erfüllung des Kaufgeschäfts gehe. Insoweit stehe dem Käufer die Wandelungsklage erst beim Gefahrübergang zu, das Anfechtungsrecht – wenn überhaupt – bereits vorher.37 Es fehlt in jenen Jahren auch nicht an Stimmen, die eine solche begriffliche Argumentationsweise bereits kritisierten: „§ 119 Abs. 2 BGB“ – schreibt im Jahre 1897 der Richter am Oberlandesgericht Stettin Karl Schneider38 – „muß sich in seinem Wortsinne [...] aus dem eigentlichen Inhalt der gesetzlichen Anordnung heraus berichtigen lassen“. „Eine derartige Berichtigung der Gedanken des Gesetzes“ – bemerkt er weiter – „ist ja keineswegs etwas ganz Ungewöhnliches oder gar Frevelhaftes. Es hieße vielmehr, Eulen nach Athen tragen, wollte man noch ernstlich die Meinung bekämpfen, der Befehl des Gesetzes sei nur aus seinen Worten, mittels logischer Entwicklung ihres Sinnes festzustellen, – statt auch und sehr wesentlich aus seinen mehr oder weniger unausgesprochenen Absichten, aus seinen wirtschaftlichen Zielen, aus der Natur der Verhältnisse, über die es herrschen will, die sie nicht zum Spiel logischer Künste macht, sondern die zu praktisch verständigen Ergebnissen führt. Die gängige Gesetzesauslegung legt freilich vielfach noch allzu großen Wert auf die logisch folgerichtige Behandlung der Worte des Gesetzes und sieht noch ___________ 34 Vgl. Danz, Über das Verhältnis des Irrtums zur Auslegung nach dem BGB, in: Iherings Jahrbücher für die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts, Bd. 46 (1904), S. 381 ff., insbes. S. 463 ff. 35 Vgl. Schlossmann, Der Irrtum über wesentliche Eigenschaften der Person und der Sache nach dem BGB. Zugleich ein Beitrag zur Theorie der Gesetzesauslegung, in: Fischer (Hrsg.), Abhandlungen zum Privatrecht und Civilprozeß, Jena 1903, insbes. S. 5078. 36 Vgl. Lippmann, Studien zu § 119 Abs. 2 BGB, in: AcP 1902, S. 283 ff., insbes. S. 344 ff. 37 Vgl. Lippmann, Studien (Anm. 36), S. 363-364. 38 Vgl. Schneider, Das Verhältnis (Anm. 25), insbes. S. 154-155.
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allzu oft darin den eigentlichen Zweck des juristischen Urteilens, – ohne genügend Rücksicht darauf, daß das Gesetz doch praktischen Zwecken dienen will.“ Von den übrigen literarischen Stellungnahmen zu unserem Problem setzt sich deutlich der Beitrag des Romanisten Otto Lenel ab, dem wohl auch ein maßgebender Einfluss auf die spätere reichsgerichtliche Judikatur zuzuschreiben sein dürfte.39 Als Ausgangsfall für seine Erörterungen nimmt Lenel die klassische Fallkonstellation, dass ein Bild in der falschen Annahme gekauft wird, es stamme von einem berühmten Maler. Die Möglichkeit einer Anfechtung für den irrenden Käufer würde hier – meint Lenel – den Risikocharakter eines solchen Geschäfts übersehen.40 Insoweit kritisiert Lenel entschieden die damals von Endemann und Leonhard vertretene Ansicht, wonach „wesentlich die Eigenschaft sei, deren Fehlen die Sache für das vorliegende Rechtsgeschäft als eine andere erscheinen lasse, als die [...], wofür sie vom Erklärenden angesehen würde.“41 „Es ist klar,“ – schreibt Lenel kritisch – „daß hiernach auch alle die Eigenschaften wesentlich sein würden, als deren Negation die ädilizischen Fehler erscheinen. Jeder Irrthum über eine solche Eigenschaft würde also ein Anfechtungsrecht begründen, das neben die Ansprüche auf Wandelung oder Minderung träte. Leonhard nimmt keinen Anstoß daran. Im Gegenteil, er erklärt es für einen ‚Hauptvorzug‘ des BGB, ‚daß es dem Käufer einer schlechten Sache im Irrthumsfalle die Wahl zwischen verschiedenen Rechtshülfen giebt, zu denen auch das Anfechtungsrecht des § 119 gehört‘.“42 „Andererseits aber“ – kritisiert Lenel – „würde Leonhard’s Lehre alle die Bestimmungen illusorisch machen, die unser Gesetzbuch mit gutem Bedacht getroffen hat, um dem Mißbrauch der ädilicischen Ansprüche entgegenzutreten.“ 43 Der grob fahrlässige Käufer bliebe entgegen der Regelung von § 460 BGB geschützt; entgegen der kurzen Verjährungsregelung des § 477 bliebe eine Vertragsaufhebung während der langen Verjährungsfrist des § 121 Abs. 2 BGB denkbar. Mit seinem Beitrag liefert Lenel die entscheidenden systematischen Argumente, welche in der späteren reichsgerichtlichen Judikatur zur Ablehnung der Konkurrenz zwischen Irrtumsanfechtung und Gewährleistungshaftung angeführt sein werden. Lenel argumentiert hier bemerkenswerterweise – im Unterschied zur übrigen zeitgenössischen Doktrin – keinesfalls begrifflichdogmatisch, sondern vor allem systematisch. Nach einer umfassenden Analyse der römischen Quellen geht er ausführlich auf die Justizpraxis im 19. Jahrhundert ein, mit einer präzisen Berücksichtigung insbesondere der französischen ___________ 39 Vgl. Lenel, Der Irrthum über wesentliche Eigenschaften, in: Iherings Jahrbücher für die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts, Bd. 44 (1902), S. 1-30. 40 Vgl. Lenel, Der Irrthum (Anm. 39), S. 2. 41 Vgl. Endemann, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, 8. Aufl., § 71, Nr. 21 und dazu Lenel, Der Irrthum (Anm. 39), S. 4. 42 So Leonhard, Der Allgemeine Teil (Anm. 33), S. 496, 2 c. 43 So Lenel, Der Irrthum (Anm. 39), S. 5.
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Judikatur und der rheinischen Rechtsprechung, welche er, insoweit konsequent, grundsätzlich ablehnt.44 „Ich sehe“ – schreibt Lenel – „in allen derartigen Entscheidungen, die dem Käufer ein normalerweise ihn treffendes Risiko abnehmen, die entschiedenste Gefahr für die Sicherheit des Verkehrs und glaube auch nicht, daß eine solche Ausdehnung des Anfechtungsrechts von der Billigkeit gefordert wird.“45 Die französische und die rheinische Judikatur zu solchen Fällen sei unrichtig, wenigstens „unrichtig begründet“. Zugunsten des Käufers wäre hier nur dann zu entscheiden gewesen, wenn den Umständen nach eine Zusicherung der Echtheit des Kunstwerks anzunehmen gewesen wäre.46 Der Beitrag von Lenel setzte einen Wendepunkt in der literarischen Auseinandersetzung zu unserem Thema und dürfte maßgebend die ersten Entscheidungen des Reichsgerichts zu der Frage beeinflusst haben.
D. Das Reichsgericht und das BGB Die Rechtsprechung des Reichsgerichts zu unserem Problem zeigt zunächst einige Unklarheiten und Schwankungen. Vor allem werden gegenteilige Orientierungen in der Judikatur des Zweiten und des Fünften Zivilsenats sichtbar. Der Zweite Senat, der frühere „rheinische“ Senat, welcher also unter Anwendung des französischen Rechts eine Konkurrenz zwischen Gewährleistungshaftung und Irrtumsnichtigkeit vertreten hatte, wurde gleich nach Inkrafttreten der Kodifikation im Jahre 1901 mit dem Problem konfrontiert: In einer Entscheidung vom 25. Oktober 190147 behauptete der Kläger, geringwertigere Sammlermünzen – „Ulmer-Dombau-Doppeltaler“ – als vereinbart erhalten zu haben; er hatte deshalb den Vertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten und sich hilfsweise auch auf Irrtum berufen. Der Revision wurde aus prozessualen Gründen stattgegeben. Im Nachschlagewerk48 wurde später das Urteil folgendermaßen nachgewiesen: „Die Grundsätze über die Wandlung und den Rück___________ 44
a. a. O., S. 17-18. a. a. O., S. 19. 46 a. a. O., S. 17 (Anm. 3). 47 (ZR II 219/1901), nachgewiesen in: Sammlung (1900-1901), S. 469-470, Nr. 12. Kritisch zur Entscheidung Danz, Über das Verhältnis (Anm. 34), insbes. S. 467: es wäre hier erforderlich gewesen, zunächst den Sinn des über „Ulmer-Dombau-Doppeltaler“ abgeschlossenen Kaufvertrages durch Auslegung zu ermitteln. Es handele sich hier um ganz bestimmte Münzen: habe der Verkäufer „andere, nicht mit diesen, durch den Vertrag versprochenen Eigenschaften versehene Stücke geliefert, so steht auf Grund dieses Tatbestandes dem Kläger nach §§ 459 Abs. 2, 462 BGB die Wandelungsklage zu“. Der Inhalt der Vertragserklärung ging hier dahin, dass solche Doppeltaler geliefert würden; der Käufer sei bei der Abgabe der Vertragserklärung gar nicht über deren Inhalt im Irrtum gewesen. „Lieferte der Verkäufer andere Sachen, welche nicht die versprochene Eigenschaft besaßen, so änderte sich dadurch der Inhalt der Vertragsworte nicht“. 48 Vgl. Bd. I, S. 314, Nr. 1 vor den §§ 116-144 BGB. 45
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tritt vom Vertrag sind nicht anwendbar, wenn die Folgen der auf Irrtum oder arglistige Täuschung gegründeten Anfechtbarkeit eines Kaufes geltend gemacht werden.“ Die Vorinstanz – das Oberlandesgericht Königsberg – hatte zunächst den Rückgabeanspruch auf die §§ 119 und 121 BGB bezogen, danach aber die Klage als Wandelungsklage qualifiziert. „Allerdings sind“ – stellt der Senat fest – „die Wandelungsklage und die Klage wegen Irrthums oder Betruges miteinander rechtlich nicht vereinbar“. Voraussetzung sei im ersten Fall die Nichtigkeit, im zweiten gerade die Wirksamkeit des Vertrages. Es handelt sich hier nur um einen „obiter dictum“: Eigentlich war Hauptgegenstand der Entscheidung, dass sich durch die Bestimmung der Rechtsnatur der streitigen Verpflichtung auch der Erfüllungsort und demnach der Gerichtsstand verändern. Bezüglich der grundsätzlichen Frage der Anspruchskonkurrenz wollte sich das Gericht offenbar nicht festlegen: Von diesem Urteil wurden bezeichnenderweise sowohl in der amtlichen Sammlung49 als auch in der Juristischen Wochenschrift50 nur die Ausführungen zum damaligen § 29 ZPO für die Veröffentlichung vorgesehen. Ein Jahr später wurde der Zweite Zivilsenat wieder mit dem Thema konfrontiert. In der reichsgerichtlichen Entscheidung vom 5. Dezember 190251 hatte der klagende Käufer ein Desinfektionsmittel für Pferde gekauft und den Vertrag anschließend (durch Schriftsatz seines Prozessvertreters) angefochten, nachdem er erfahren hatte, „daß das fragliche Pulver ein Geheimmittel sei und daß dasselbe durch Regierungsverordnung verboten sei“. Das Oberlandesgericht Hamm als Vorinstanz hatte die Berufung auf § 119 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, weil eventuell Ansprüche nach § 459 BGB in Betracht kämen. Der Zweite Zivilsenat gab der Revision statt, da eine solche Konkurrenz nicht ausgeschlossen sei. Im Nachschlagewerk52 wird die Entscheidung so vermerkt: „Die Verkäuflichkeit einer Ware ist im Handelsverkehr als eine Eigenschaft i. S. v. § 119 BGB anzusehen. Das Bestehen von Gewährleistungsansprüchen nach §§ 459 ff. BGB schließt die Anfechtung wegen Irrtums nicht aus.“ Erwähnenswert ist hier, dass dieser Leitsatz nachträglich durch einen Hinweis auf die spätere Rechtsprechung korrigiert wurde. Noch bezeichnender ist, dass auch von dieser Entscheidung nur die Ausführungen der Urteilsbegründung zur Veröffentlichung vorgesehen wurden, welche die Zulässigkeit einer Anfechtung mittels eines anwaltlichen Schriftsatzes betrafen.53 Wie das Oberlandesge-
___________ 49
Vgl. RGZ 49, S. 421-425. Vgl. JW 1901, S. 864-865. 51 (ZR II 269/1902), nachgewiesen in: Sammlung 1902, S. 97-98, Nr. 69. 52 Vgl. Bd. I, S. 350, Nr. 6 zu § 119 BGB. 53 Vgl. RGZ 53, S. 148-150 und JW 1903, S. 21, Nr. 3. 50
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richt Hamm hatte übrigens im selben Jahr auch das Oberlandesgericht Karlsruhe entschieden.54 Zwei Jahre später wurde mit dem Problem auch der Fünfte Zivilsenat konfrontiert, welcher früher als „preußischer“ Senat für die Revisionsfälle zum preußischen ALR zuständig gewesen war. In der Entscheidung vom 21. Dezember 1904, „Hausschwamm-Fall Nr. 1“,55 war der klagende Käufer vom Kaufvertrag mit der Begründung zurückgetreten, er sei arglistig getäuscht worden. Es ging um den Kauf eines Wohngebäudes, dessen Dachabdeckung sich später als von Hausschwamm befallen erwiesen hatte. Ein Ausschluss der Gewährleistung war vertraglich vereinbart worden. Der Verkäufer hatte allerdings die Schäden auf eigene Kosten beseitigen lassen, und die Beweisaufnahme hatte eine arglistige Täuschung seinerseits nicht bestätigt. Hilfsweise hatte sich der klagende Käufer auch auf einen Irrtum berufen, was das Oberlandesgericht Breslau in der Vorinstanz als unbeachtlich angesehen hatte. In der Begründung der Entscheidung, welche die Revision abwies, stellte der Fünfte Zivilsenat in einem obiter dictum fest: „Was aber den etwaigen Irrtum über Schwammfreiheit der Gebäude zur Zeit des Vertragsschlusses anlangt, so ist dem Berufungsgericht allerdings darin beizutreten, daß der Gewährleistungsausschluß im Vertrage – ohne Hinzukommen der oben besprochenen Arglist des Verkäufers – auch jede Haftung des Verkäufers wegen Irrtums des Käufers über Eigenschaften oder Mängel der Sache ausschließt. Es mag hier“ – schreibt der Senat weiter – „dahingestellt bleiben, ob neben den Gewährleistungsklagen aus Kaufverträgen noch eine allgemeine Klage wegen solchen Irrtums gegeben ist, jedenfalls muß in einem vertragsmäßigen Verzicht auf jede Mängelrüge zugleich die Erklärung gefunden werden, daß der Käufer auch einer allgemeinen Irrtumsklage wegen Sachmängeln, falls solche gegeben sein sollte, entsage.“56 Das obiter dictum bereitet die grundsätzliche Stellungnahme in der Entscheidung desselben Senats vom 1. Juli 1905 vor, dem „Hausschwamm-Fall ___________ 54
Siehe die Urteilsbesprechung des Richters am Oberlandesgericht Karlsruhe Betzinger, Berührungspunkte zwischen den ädilizischen Rechtsbehelfen (§§ 459 ff. BGB), der Anfechtung wegen Irrtums (§ 119 BGB) und der Kondiktion (§ 812 BGB), in: Das Recht 1903, S. 276-278. Es ist anzunehmen, dass Betzinger der berichterstattende Richter bei der fraglichen Entscheidung gewesen ist. Sein Beitrag gibt eine ausführliche Begründung wieder. Sie ist weitestgehend von der Argumentation Otto Lenels beeinflusst. 55 (ZR V 266/1904). Die Entscheidung ist z. T. in: JW 1905, S. 79 sowie in: Das Recht 1905, S. 77 abgedruckt und ferner nachgewiesen in: Sammlung 1904, S. 394, Nr. 172. Siehe hierzu Schneider, Das Verhältnis (Anm. 25), S. 158-159. 56 Das obiter dictum fand keine Berücksichtigung im Nachschlagewerk, wo (Bd. I, S. 351-352, Nr. 17 zu § 119 BGB) die Entscheidung so nachgewiesen wurde: „Die Vereinbarung, durch die die Gewährleistung des Verkäufers für Mängel der Kaufsache ausgeschlossen wird, schließt regelmäßig auch die Anfechtung des Kaufvertrags wegen Irrtums nach § 119 Abs. 2 BGB im gleichen Umfange aus.“
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Nr. 2“.57 Auch hier ging es um einen Hauskauf. Das erworbene Gebäude hatte sich nachträglich als von Hausschwamm befallen erwiesen. Der klagende Käufer war vom Vertrag zurückgetreten und hatte dabei die Mangelhaftigkeit des Gebäudes angeführt und sich auf einen Irrtum berufen. Streitig war, inwieweit die Schwammfreiheit zugleich eine Eigenschaft des verkauften Grundstücks war, die im Verkehr als wesentlich anzusehen ist, und ob der Käufer, der vom Vorhandensein des Schwamms nichts wusste, sich über eine solche Eigenschaft im Irrtum befunden habe. Beide Vorinstanzen – das Landgericht und das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. – hatten diese Fragen bejaht, wobei allerdings das Landgericht den Anspruch auf Rückzahlung des Preises aus dem nichtigen Vertrag nach der Irrtumsanfechtung der kurzen Verjährungsfrist des § 477 BGB unterworfen hatte. Der Fünfte Zivilsenat nimmt hier die Gelegenheit wahr, grundsätzlich zum Problem der Konkurrenz Stellung zu nehmen. Entscheidend sei hier, dass „Gründe zwingend dafür sprechen, daß das Gesetz wegen eines Irrtums über eine solche Eigenschaft [...] nicht neben der Wandelungsklage des § 463 BGB auch noch die Anfechtung des Vertrags wegen Irrtums aus § 119 Abs. 2 BGB hat zulassen wollen und zugelassen hat. Entscheidend hierfür ist, daß sonst in das Gesetz ein unerklärlicher Zwiespalt getragen würde.“ Damit macht sich der Senat das Argument von Otto Lenel – den er merkwürdigerweise im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen Stimmen nicht zitiert – zu Eigen. „Das Gesetz hat“, stellt der Senat fest, „die für die Wandelungsklage gegebenen besonderen Vorschriften so ausgestaltet, um dem Verkehre die notwendige Sicherheit zu geben und um gerade Kaufgeschäfte, die im rechtsgeschäftlichen Verkehr eine Hauptrolle spielen, einer glatten Abwicklung in verhältnismäßig kurzen Fristen entgegenzuführen.“ Bereits aus diesem Grunde sei im Gemeinen Recht und im preußischen Recht eine Konkurrenz zwischen Irrtumsanfechtung und Wandelungsklage ausgeschlossen worden. Sonst „würden damit alle Bestimmungen illusorisch gemacht, die das Bürgerliche Gesetzbuch mit gutem Bedacht getroffen hat, um die Verkehrssicherheit zu schützen“. Das Gericht argumentiert hier bezeichnenderweise nicht begrifflichkonstruktiv, wie die zeitgenössische Doktrin, sondern primär zweckorientiert. Der Senat greift anschließend auf die Entstehungsgeschichte des BGB zurück: ___________ 57 (ZR V 16/1905), in: RGZ 61, S. 171-178; abgedruckt auch in: JW 1905, S. 525 und in: Seuffert’s Archiv Bd. 61, S. 146 ff. Siehe dazu Fröhlich, Die Anfechtung (Anm. 3), S. 21-22. Das Urteil ist nachgewiesen in: Sammlung 1905, S. 325, Nr. 172 und in: Nachschlagewerk, Bd. I, S. 352, Nr. 20 zu § 119 BGB, wo es heißt: „Neben der Wandlungsklage aus § 462 BGB ist nicht auch die Anfechtung eines Kaufvertrags aus § 119 Abs. 2 BGB zulässig, wenn die Kaufsache mit einem Fehler behaftet ist, für den der Verkäufer nach § 459 BGB haftet, und der dem Käufer beim Vertragsschlusse nicht bekannt war. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Käufer den Fehler erst nach Ablauf der Verjährungsfrist für die Wandlungsklage entdeckt hat.“ Zugleich wurde ein Korrekturhinweis zu RG, Urt. v. 5.12.1902 (II 269/02), Nachschlagewerk, Bd. I, S. 350, Nr. 6 zu § 119 BGB, angebracht.
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Es sei „nicht richtig, daß die Kommission bei der Hinzufügung des in der ursprünglichen Gesetzesvorlage fehlenden Abs. 2 des § 119 der Meinung gewesen sei, daß damit auch für den Käufer ein zweiter Weg, wie er vom Kaufvertrage loskommen könne, eröffnet werden sollte“. Die Kommission habe sich hierüber überhaupt nicht ausgesprochen; die Protokolle ergäben hierüber nichts58. Im Anschluss geht der Senat auf die bisherige Rechtsprechung ein. Eine grundsätzliche Entscheidung des Reichsgerichts zu der Frage sei bisher nicht ergangen. Das Urteil des Zweiten Zivilsenats vom 25. Oktober 1901 stelle nur klar, welche Klage damals erhoben war, „ohne sich darüber, ob sie so, wie sie erhoben worden ist, erhoben werden durfte, zu äußern“. Die Entscheidung betreffe insoweit nur die Zuständigkeitsfrage. Auch die „gelegentliche Äußerung“ desselben Zweiten Senats in der Entscheidung vom 5. Dezember 1902 entscheide die Frage nicht. „Sie steht der hier getroffenen Entscheidung schon deshalb nicht entgegen, weil sich diese auf den dort nicht vorliegenden Fall beschränkt, daß es sich um einen nach § 459 BGB zu vertretenden Fehler handelt und über diesen Fall nicht hinausgreift.“ Der erkennende Senat habe die jetzt zu entscheidende Frage „früher zwar berührt, sie aber damals ausdrücklich unentschieden gelassen“. Ältere, vorkodifikatorische Judikatur wird nicht zitiert und auch nicht erwähnt. Ohne dies ausdrücklich zu erwähnen, knüpft der Fünfte Zivilsenat allerdings an die eigene, frühere Rechtsprechung zum preußischen ALR an und entscheidet sich definitiv für den Ausschluss der Konkurrenz beider Ansprüche. Die bereits erwähnte Korrektur im Nachschlagewerk besiegelt die endgültige Festlegung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zu unserem Thema. Ihr schließt sich zwei Jahre später auch der Dritte Zivilsenat an. Sein Urteil vom 5. April 1907 wird folgendermaßen in das Nachschlagewerk aufgenommen: „Der vom 5. Zivilsenat für den Fall, daß die Kaufsache mit einem Fehler behaftet ist, für den der Verkäufer nach § 459 des BGB haftet, ausgesprochene Grundsatz gilt auch für den Fall, daß der Kaufsache eine zugesicherte Eigenschaft mangelt. Auch hier ist neben der Zulassung des Wandelungs-, Minderungs- oder Schadensersatzanspruchs die Erhebung einer Anfechtungsklage wegen Irrtums ausgeschlossen.“59
___________ 58 Eine solche Argumentation scheint allerdings angreifbar zu sein: vgl. oben Anm. 25. 59 Vgl. RG, Urt. v. 5.4.1907 (III ZR 322/06), nachgewiesen in: Nachschlagewerk, Bd. I, S. 362, Nr. 49 zu § 119 BGB sowie in: Sammlung 1907, S. 183, Nr. 1; bisher unveröffentlicht, ist es hier abgedruckt auf S. 638-639. Siehe auch RG, Urt. v. 20.1.1909 (V 108/08), nachgewiesen in: Nachschlagewerk, Bd. I, S. 372, Nr. 82 zu § 119 BGB: „Die Anfechtung eines Kaufvertrags wegen Irrtums über Mängel der Kaufsache wird erst unzulässig mit dem Entstehen der Gewährleistungsansprüche des § 462, also erst mit der Übergabe der Kaufsache.“
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E. Methodengeschichtlicher Ausblick Die Entscheidung des Fünften Zivilsenats im Jahre 1905 nimmt in der Geschichte unseres Problems die Stellung eines „Leading case“ ein. Seitdem hat die deutsche Judikatur sich nicht mehr geändert. Mit der endgültigen Durchsetzung der subjektiven Definition des „Fehlers“ i. S. d. § 459 BGB einige Jahre später60 war die heute noch im deutschen Recht herrschende Ansicht endgültig durchgesetzt. Bereits einige Jahre zuvor hatte in diesem Zusammenhang der schon erwähnte Richter am Oberlandesgericht Stettin, Karl Schneider, zu unserem Problem bezeichnenderweise geschrieben: „Hier hilft es eben nur, daß das Schwergewicht einer höchstgerichtlichen, jetzt ja glücklicherweise für ganz Deutschland maßgeblichen Entscheidung in die eine oder in die andere Waagschale fällt.“61 Die Entscheidung des Fünften Zivilsenats wurde in der Tat von manchen zeitgenössischen Kommentatoren als ein Zeugnis richterlicher Gestaltungsmacht betrachtet. Damit ordnet sich die Diskussion zu unserer Frage zugleich in die damalige Debatte zur Stellung des Richters bei der Auslegung und Gestaltung der neuen Kodifikation ein. Dies sind bekanntlich auch die Jahre des Streits um die „Freirechtsschule“. Gerade im Jahre 1905 kann einer ihrer profiliertesten Vertreter – der Greifswalder Professor Ernst Stampe – diese reichsgerichtliche Entscheidung als ein Zeugnis der neuen Richtung preisen. „Nach meiner Ansicht“ – schreibt er62 – „darf dem Richter die Befugnis zur Gesetzesänderung nur unter besonderen Kautelen gegeben werden“. „Für die Entscheidung, ob in concreto die Befugnis zur Gesetzesänderung vorliege, müssen ganz andere Kriterien maßgebend sein als ein Widerspruch mit diesem schemenhaften ‚Willen des Gesetzgebers‘. [...] Die Interessenabwägung ist also auch hier die notwendige Vorarbeit [...] Steht eine solche Interessenverletzung fest, so ist das Ob der Aenderungsbefugnis des weiteren davon abhängig zu machen, ob die Sache der Legislative entzogen werden darf, [...] weil die Legislative für ihre Erledigung erheblich minder geeignet ist als die Spruchpraxis.“ Als Beispiel wird ausgerechnet die Entscheidung des Fünften Zivilsenats zitiert. „Gerade solche Überlegungen“ – schreibt Stampe weiter – würden „die jetzt durch das Reichsgericht sanktionierte Ausschließung der Irrtumsanfech___________ 60
Siehe dazu Flume, Eigenschaftsirrtum (Anm. 3), S. 112-113, und aus der Rechtsprechung des Zweiten Zivilsenats die Entscheidung RG, Urt. v. 13.1.1920 (II 352/19), in: RGZ 97, S. 351 ff. („Orchestergeigenfall“), wo dieser noch für ein objektives Verständnis der Mangelhaftigkeit der Kaufsache plädiert, und die gegenteilige Entscheidung im Sinne des „subjektiven Fehlerbegriffs“ von RG, Urt. v. 8.6.1920 (II ZR 549/1919), in: RGZ 99, S. 147 ff. („Haakjöringsköd-Fall“; eine umfassende historische Analyse dazu neuerdings von Cordes in: Jura 1991, S. 352-357 und Martinek, in: JuS 1997, S. 136-142) sowie von RG, Urt. v. 11.3.1932 (II 307/31), in: RGZ 135, S. 340 ff. („Eichen am Wasser“). 61 Schneider, Das Verhältnis (Anm. 25), S. 157. 62 So Stampe, Gesetz und Richtermacht, in: Deutsche Juristenzeitung 1905, S. 1018 ff., insbes. S. 1019.
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tung aus BGB § 119 Abs. 2 von dem Gebiet der Wandelungsklage (§ 459 BGB)“ rechtfertigen. Auch hier liege „richterliche Gesetzesänderung vor; denn der Gesetzesinhalt statuiert, sprachlich wie logisch betrachtet, die Zuständigkeit beider Rechtsmittel für den Käufer.“ Eine solche Einordnung dieser Entscheidung fand jedoch nicht überall ungeteilte Zustimmung. „Gerade an diese m. E. so klaren Verhältnisse zwischen § 119 und § 459“ – schreibt etwa Lippmann63 – „hat man übrigens in neuerer Zeit angeknüpft, um den Nachweis der Notwendigkeit von einer Stellung des Richters über dem geschriebenen Gesetze zu führen. Stampe will auch in unserem Falle eine solche Befugnis des Richters verwirklicht sehen, nachdem die Rechtsprechung nunmehr die Irrtumsanfechtung nach § 119 Abs. 2 von dem Gebiet der Wandlungsklage nach § 459 ausdrücklich ausgeschlossen hat. Nun, vor einer solchen Betätigung der richterlichen Souveränitätsstellung braucht man wohl nicht zu scheuen. Aber wer in der gedachten Entscheidung des Reichsgerichts wirklich schon Betätigung einer Souveränitätsstellung des Richters findet, muß das geschriebene Gesetz, wie Schlossmann sagt, nur für nichts weiter als eine Kombination von Papier und Druckerschwärze erklären.“ Ein Aspekt des Urteils von 1905 wird allerdings von diesen zeitgenössischen Kommentatoren bezeichnenderweise nicht angesprochen: Durch diese Entscheidung setzte der Fünfte Zivilsenat nämlich die eigene, vorkodifikatorische Judikatur fort. Auch hier, wie in anderen Rechtsgebieten, lässt sich in der Tat also beobachten, wie das Reichsgericht relativ früh zu streitigen Fragen Stellung nahm und Lösungen festlegte, die bis heute nachwirken. Unausgesprochen, vom Reichsgericht selbst übrigens, wie bereits erwähnt, weder zitiert noch erwähnt, setzte sich hier die Kontinuität zu der vorkodifikatorischen Rechtsprechung fort. Unser Fall verdeutlicht also exemplarisch die damalige vereinheitlichende Wirkung der reichsgerichtlichen Judikatur: Die Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung, welche Ende des 19. Jahrhunderts noch zwischen preußischem und rheinischem Recht festzustellen war, wurde durch den Fünften Zivilsenat endgültig zugunsten der preußischen Judikatur entschieden: eine Entwicklung, welche auch für weitere Aspekte des Kaufrechts im BGB zu beobachten ist.64 ___________ 63
So Lippmann, Studien (Anm. 36), S. 365, Fn. 65 Eine vergleichbare Entwicklung lässt sich etwa auch bei der frühen Rechtsprechung des Reichsgerichts zu § 463 BGB beobachten, in welcher der V. Zivilsenat an die preußische Judikatur zum ALR anknüpfte und die Kategorie der „Zusicherung einer Eigenschaft“ im Sinne von § 463 S. 1 BGB besonders eng auslegte. Dies kam im Wesentlichen aus dem preußischen Recht (Haftung für vorbedungene Eigenschaften; dazu Seiler, Vom Allgemeinen Landrecht [Anm. 26], S. 92 ff.), während das gemeine Recht auch die Haftung für dicta kannte. „Die BGB-Regelung wurde bald im Sinne der Rechtsprechung zum preußischen Recht vor 1900, obwohl Alternativen bestanden, zu einem exklusiven System ausgestaltet und verschärft“: so Schubert, Anmerkung zu BGH, Urt. v. 24.4.1996, in: JR 1997, S. 152, insbes. S. 153 m. w. N. 64
Sachwortverzeichnis Abstrakter dinglicher Vertrag (s. auch iusta causa traditionis) – Pandektistik, Deutschland 78 ff. – römische Quellen 86 ff. – Savigny, Friedrich Carl von 78 ff., 83 ff. – Willensdogma 90 ff.
Auslegung 21, 22 – Verbote 23
Action en nullité 64 ff.
BGB – Einfluss, Frankreich 139 – Methode 139
Aktenrelation 322 ff., 382 ff. – Anleitungen 402 ff. – Aufbauregel 402 ff. – Extractus actorum 404 – Historia processus 404 – Juristenausbildung, Deutschland 407 ff. – Proberelationen 400 – Referendariat, Preußen 409 ff. – Reichskammergericht 397 ff. – Species facti 403 – Votum 405 ff. (s. auch Relationstechnik)
Begriffsjurisprudenz, Einfluss, Italien 163 ff. Bentham, Jeremy 381
Blackstone, William 381 Bona fides – Europäisches Zivilrecht 474 ff., 476 – französisches Recht 343 ff., 469 – Naturrecht 342, 467 ff. – romanische Rechte, stillschweigende Willenserklärung 474 ff. – Römisches Gemeines Recht 341 ff. – stillschweigende Willenserklärung 343 ff.
Anwaltsprofession – Internationalisierung 267 ff. – Prüfungen – Frankreich 264 ff. – Italien 264 ff.
Bonaini, Francesco 109
Argumentationsstil 288 ff., 315 ff., 381 – französisches Recht 139
Capuano, Luigi 110
Assessoren am Reichskammergericht (s. Aktenrelation) Aubry et Rau 142 – Cours de droit civil, Übersetzungen 62 ff. auctoritas loci vicini 22 ausländisches Recht, Deutschland, Rechtsprechung 187 ff.
Bosellini, Lodovico 132 Capei, Pietro 107, 130 ff. Code civil – Ausstrahlung 211 – Einführung, Deutschland 212 ff. – Italien 212 ff. – Niederlande 212 ff. – Polen 212 ff. Common law, Juristenausbildung 248 Conticini, Pietro 107 ff. Coke, Edward 378
498
Sachwortverzeichnis
Crome, Carl 143
– Abstraktion, römische Quellen 86 ff. – Lehre, Italien 157 ff. (s. auch iusta causa traditionis)
David, René 135
École systématique, 19. Jahrhundert 140
Del Rosso, Federico 109 ff., 115 ff., 131 ff., 157 ff. – Gewohnheitsrecht, Lehre 122 – iusta causa traditionis 123
Eigenschaftsirrtum (s. Gewährleistung)
Cour de cassation, Autorität, Europa 24 f., 214 ff.
Deutsches Recht – Einfluss, italienisches Recht 151 ff. – exceptio doli generalis 474 ff. – Verwirkung 354 ff. – Zivilrecht, exceptio doli generalis 471 ff. Deutschland – 19. Jahrhundert, französisches Recht 141 ff. – Aktenrelation, Juristenausbildung 409 ff. – Code civil, Einführung 212 ff. – deutsche Rechtswissenschaft – Stellvertretung, Einfluss 161 ff. – französisches Recht 138 – historische Rechtsschule (s. auch dort) – exceptio doli generalis 348 ff. – französisches Recht, Einfluss 139 ff. – historische Rechtsschule 67 (s. auch dort) – Juristenausbildung 239 ff., 243 ff. – Pandektistik, abstrakter dinglicher Vertrag 78 ff. – römische Quellen 90 ff. – Rechtsprechung, ausländisches Recht 187 ff. – historische Schule 70 ff. – Rechtsvergleichung 187 ff. – Rechtsvergleichung, Geschichte 167 ff. – Relationstechnik, Juristenausbildung 409 ff. – rheinisches Recht 142 f. – Richterauswahl 282, 285 ff. – Unterrichtsmethode 261 ff. – Urteilsstil 145 ff., 382 – Zivilrechtswissenschaft, Rechtsvergleichung 186 ff. Didaktik, juristische 304 ff. (s. auch Juristenausbildung) Dinglicher Vertrag
Eigentumsübertragung, französisches Recht 95 ff. England – Rechtsprechungspräjudizien 377 ff. – Reports 371 ff. – Richterauswahl 283 ff. Error in causa, iusta causa traditionis 94 ff. (s. auch abstrakter dinglicher Vertrag) – Dissensus in causis 85 ff. Esser, Joseph 184 Europa – Cour de cassation, Autorität 214 ff. – Juristenausbildung 239, 250 ff., 300 ff. – Justiz 292 ff. – Justiztradition 231 ff. – Pandektistik, Einfluss 219 ff. – Rechtskultur 227 ff., 230 ff. – Rechtsprechungspräjudizien 377 ff. – Rechtsvergleichung 135 – Rechtswissenschaft, Romanistik 207 ff. – Urteilsstil 381 Europäische Rechtsgeschichte 236 ff. Europäisches Zivilrecht – bona fides 474 ff., 476 – exceptio doli generalis 459 ff. Exceptio doli 331 ff. – Glossatoren 461, 463 – Justinianisches Recht 460 ff. Exceptio doli generalis 459 ff. – deutsches Zivilrecht 348 ff., 471, 472 ff. – Europäisches Zivilrecht 459 ff. – Justinianisches Recht 460 ff. – mittelalterliches Recht 462 ff. – Naturrecht 466 ff., 467 – Pandektistik 470 ff. – Römisches Gemeines Recht 347, 461 – Willensdogma 468 ff. Exceptio evictionis 465 ff. (s. auch exceptio rei venditae et traditae) Exceptio pacti 333 ff.
Sachwortverzeichnis Exceptio rei venditae et traditae 464 ff. – Glossatoren 463 ff. – mittelalterliches Recht 464 ff. – Pandektistik 470 ff., 471 – Römisches Gemeines Recht 466 Extractus actorum (s. Aktenrelation) Feuerbach, Anselm von 179 Frankreich – Anwaltsprüfungen 264 ff. – BGB, Einfluss 139 – Juristenausbildung 239 ff. – Rechtsliteratur, Übersetzungen 25 f. – Rechtsprechung, Autorität 24 f. – Veröffentlichung 147 – Sammlungen, Übersetzungen 56 – Richterauswahl 282, 286 ff. – Unterrichtsmethode 259 – Urteilsstil 145, 289, 384 ff., 391 ff. Französisches Recht – Argumentationskultur 139 – bona fides 343 ff., 469 – deutsche Doktrin 138 – école systématique, 19. Jahrhundert 140 – Eigentumsübertragung 95 ff. – Einfluss 136 ff. – Deutschland 139 ff., 141 ff. – Kodifikationen, Italien 154 ff. – Europa 24 – iusta causa traditionis 95 ff. – stillschweigende Willenserklärung 343 ff. – Zivilrecht – 19. Jahrhundert 217 ff. – 20. Jahrhundert, Einfluss 221 ff. Gabba, Carlo Filippo 158 Gemeines Recht – Italien 74 ff. – Rechtsprechung 68 ff. Gerichtsentscheidungen – Publikation 359 ff., 393 ff. – Technik 367 ff. Gerichtshöfe, Europa 22 f., 53 Gewährleistung und Eigenschaftsirrtum (s. auch Kaufrecht) – 19. Jahrhundert 484 ff. – BGB 487 ff.
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– gemeinrechtliche Doktrin 486 – Konkurrenz 477 ff. – deutsche Rechtsprechung 478 ff., 489 ff. – Europäisches Zivilrecht 479 – internationales Vertragsrecht 481 – Römisches Gemeines Recht 482 ff. Gewohnheitsrecht, Del Rosso, Federico, Lehre 122 Globalisierung – Anwaltsprofession 267 ff. – Juristenausbildung 267 ff. Glossatoren – exceptio doli 461 – exceptio rei venditae et traditae 463 ff. – exceptio 463 Grandi tribunali (s. Gerichtshöfe) Handschenkung 93 ff. Heine, Heinrich 99 Historia processus (s. Aktenrelation) Historische Rechtsschule – Deutschland 67 – Rechtsprechung 70 ff. – Italien, Rechtsprechung 74 ff. – Rezeption 116 ff., 129 ff., 133 – Rechtsvergleichung 178 Humanismus, juristischer 198 ff. Ihering, Rudolf von 180 Interessenjurisprudenz 176 ff., 181 Interpretationslehre (s. Auslegung) Italien – 19. Jahrhundert, Römisches Gemeines Recht 156 – Anwaltsprüfungen 264 – Begriffsjurisprudenz 163 ff. – Code civil, Einführung 212 ff. – Doktrin, dinglicher Vertrag 157 ff. – Vollmacht 161 ff. – Historische Rechtsschule, Rezeption 116, 129 ff., 133 – Juristenausbildung 253 ff., 297 ff., 308 ff. – Kodifikationen, 19. Jahrhundert 153 ff. – französisches Recht 155 ff. – Öffentliche Meinung 127 ff.
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Sachwortverzeichnis
– Restauration 126 ff. – Pandektistik, Einfluss 156 ff., 219 ff. – Rechtsgeschäft, Einfluss 159 ff. – Rechtsprechung, Gemeines Recht 74 ff. – Savigny, Friedrich Carl von 100, 113 ff., 125 ff., 155 ff. – Kodifikation 125 ff. – Schüler 102 ff. – Übersetzungen, Pandektistik 155 ff. – Unterrichtsmethode 260 – Urteilsstil 290 Italienisches Recht, Einfluss, deutsches Recht 151 ff. Iusta causa traditionis 77 – Del Rosso, Federico 123 – error in causa 94 ff. – französisches Recht 95 ff. – Savigny, Friedrich Carl von, Rezeption der Lehre 123 (s. auch abstrakter dinglicher Vertrag) Juristenausbildung 235 ff., 271 ff., 279 ff. – common law 248 – Deutschland 239 ff., 243 ff. – Aktenrelation 407 ff. – Europa 237, 250 ff., 271 ff., 300 ff. – Frankreich 239 ff. – Geschichte 247 ff. – Internationalisierung 267 ff. – Italien 253 ff., 297 ff., 308 ff. – Preußen 249 – Referendariat 262 – Relationstechnik, Deutschland 407 ff. – Unterrichtsmethode 258 ff. – Deutschland 261 ff. – Frankreich 259 – Gemeines Recht 259 ff. – Italien 260 – US law schools, Rechtsunterricht 270 Justinianisches Recht – exceptio doli 460 ff. – exceptio doli generalis 460 ff. Justiz – Ausbildung 279 ff. (s. auch Richterausbildung) – Bürokratisierung 281 ff. – Europa 292 ff. – Justizstil 232 ff. – Tradition, Europa 231 ff.
Kaufrecht, Gewährleistung 477 ff. (s. auch Gewährleistung und Eigenschaftsirrtum) Klock, Kasper 378 Kodifikationen – Italien, 19. Jahrhundert 153 ff. – französisches Recht 154 ff. – Öffentliche Meinung 127 ff. – Restauration 126 ff. – Savigny, Friedrich Carl von 125 ff. Latein, Rechtssprache 54 Lei da Boa Razão 42 Longi temporis praescriptio 119 Mansfield, Lord William Murray 378 Messina, Giuseppe 159 Mittelalterliches Recht (s. auch Glossatoren) – exceptio 463 – exceptio doli generalis 463 ff. – exceptio rei venditae et traditae 465 ff. Mittermaier, Karl Josef Anton 171 Modus et titulus-Lehre 78 (s. auch abstrakter dinglicher Vertrag und iusta causa traditionis)
Nationalismus, juristischer 46 ff. (s. auch Rechtsvergleichung) Nattini, Angelo 161 Naturrecht – bona fides 342, 465 ff. – exceptio doli generalis 464 ff., 465 Nervini, Niccolò 130 Neunzehntes Jahrhundert – französisches Recht, Deutschland 141 ff. – école systématique 140 – Italien, Römisches Gemeines Recht 156 – Kodifikationen 153 ff. Niederlande, Code Civil, Einführung 212 ff. Nouvelle rhétorique 318
Sachwortverzeichnis Pactum, Römisches Gemeines Recht 335 ff. Pandektistik 199 ff. – Deutschland, abstrakter dinglicher Vertrag 78 ff. – Einfluss, Europa 219 ff. – Italien 219 ff. – exceptio doli generalis 470 ff. – exceptio rei venditae et traditae 470 ff., 471 – Italien, Übersetzungen 57 ff., 155 ff. – römische Quellen 90 ff. Parlement de Paris, Urteilsstil 387 ff. Perelman, Chaim 318 Polen, Code civil, Einführung 212 ff. Portugal – Lei da Boa Razão 42 – Zivilrecht, 19. Jahrhundert 42 ff. Preußen – Juristenausbildung 249 – Preußisches Obertribunal 331 – Referendariat 262 Proberelationen (s. auch Aktenrelationen) – Assessoren am Reichskammergericht 400 – Reichskammergericht 400 Publikationstechnik (s. Rechtsprechung) Rabel, Ernst 174 ff., 182 Rechtsdogmatik, Romanistik 199 ff., 206 Rechtsgeschäftslehre, Italien, Einfluss 159 ff. Rechtsgeschichte – Forschungs- und Lehrbetrieb 203 ff. – Grundlagenfach 228 ff. Rechtskultur, Europa 227 ff., 230 ff. Rechtsliteratur, Frankreich, Übersetzungen 25 f. Rechtsprechung – Autorität im Ausland 31 – Deutschland, ausländisches Recht 187 ff. – historische Rechtsschule 70 ff. – Rechtsvergleichung 187 ff. – Frankreich, Autorität 24 f., 31 ff. – Veröffentlichung 147 – Gemeines Recht 68 ff.
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– Italien 74 ff. – Präjudizien, England 377 – Kontinentaleuropa 377 ff. – Präzedentwirkung 32 ff., 36 ff. – Publikation 359 ff. – Technik 367 ff. – Quellen, 19. Jahrhundert 359 ff. – Sammlungen 359 ff. – Frankreich 26 ff., 56 – Italien 27 – Urteilsstil 367 ff. – Veröffentlichung 393 ff. – Veröffentlichungspraxis, Richterrecht 373 ff. Rechtssprache – Latein 54 – nationale 54 Rechtsstil 280 (s. auch Urteilsstil) Rechtsvergleichung 21 – Anfänge 169 ff. – Deutschland, Geschichte 167 ff. – Rechtsprechung 187 ff. – Zivilrechtswissenschaft 186 ff. – Europa 135 – Grundlagenfach 228 ff. – Historische Rechtsschule 178 – als Interpretationsmethode 184 ff. (s. auch Auslegung) – juristische Grundlagenforschung 190 ff. – Urteilsstil 391 ff. – Versailler Friedensvertrag 172 ff. – Verwirkung 354 ff. Rechtswissenschaft, Europa, Romanistik 207 ff. Referendariat 262 (s. auch Juristenausbildung) Reichsgericht – Rechtsprechung, Argumentation 493 ff. – Kontinuität 493 ff. – Nachschlagewerk 477 ff. Reichskammergericht – Aktenrelation 324 ff., 397 ff. – Entscheidungssammlungen 397 ff. – Proberelationen 398 – Reichskammergerichtsordnungen 399 ff. – Relationstechnik 397 ff. – Urteilsstil 324 ff., 397 ff. Relationstechnik 262, 323 ff., 382 ff. (s.
502
Sachwortverzeichnis
auch Aktenrelation) – Anleitungsbücher, 19. Jahrhundert 410 – Juristenausbildung, Deutschland 407 ff. – Referendariat, Preußen 409 ff. – Reichskammergericht 324 ff., 397 ff. Reports, England 371 ff. Rezeption – „Beruf“, Savigny, Friedrich Carl von 128 – Historische Rechtsschule, Italien 116 ff., 129 ff., 133 – Italien, Savigny, Friedrich Carl von 113 ff., 123, 125 ff. – Savigny, Friedrich Carl von, Werke 113
– abstrakter dinglicher Vertrag 83 ff. – „Beruf“, Rezeption 128 – Heine, Heinrich 101 – Italien 100 – Einfluss 155 ff. – Kodifikation 125 ff. – Schüler 105 ff. – italienische Korrespondenz 101 – iusta causa traditionis, Rezeption 123 – Rezeption, Italien 113 ff., 125 ff. – Werke 113 – Werke, Übersetzungen 59 ff., 102 ff. Scialoja, Antonio 158
Rheinisches Recht 142 f.
Scialoja, Vittorio 113
Rhetorik, Juristische 315 ff.
Sclopis, Federico 126
Richterausbildung 279 ff. (s. auch Juristenausbildung) – Richterauswahl – Deutschland 282, 285 ff. – England 283 ff. – Frankreich 282, 286 ff.
Siebert, Wolfgang 182
Riezler, Erwin 181 Romanische Rechte, bona fides, stillschweigende Willenserklärung 474 ff. Romanistik 197 ff. – Europa, Rechtswissenschaft 207 ff. – Forschungs- und Lehrbetrieb 203 ff. – Historisierung 200 ff. – Rechtsdogmatik 199 ff., 206 Römische Quellen – dinglicher Vertrag, Abstraktion 86 ff. – Pandektistik 90 ff. Römische Rota, Urteilsstil 386 ff. Römisches Gemeines Recht 197 ff. – 19. Jahrhundert, Italien 156 – aktionenrechtliches Denken 404 ff. – bona fides 341 ff. – exceptio doli generalis 347 ff., 460 – exceptio rei venditae et traditae 464 – pactum 334 ff. Rumänien, Zivilrecht, 19. Jahrhundert 44 ff. Saleilles, Raymond 144 Salvotti, Antonio 101 Savigny, Friedrich Carl von
Species facti (s. Aktenrelation) Stellvertretung, deutsche Lehre, Einfluss 161 ff. Stillschweigende Willenserklärung – bona fides 343 ff. – bona fides, romanische Rechte 474 ff. – französisches Recht 343 ff. Titulus et modus-Lehre, Kodifikationen, Deutschland 81 ff. (s. auch abstrakter dinglicher Vertrag und iusta causa traditionis) Topik (s. Rhetorik) Übersetzungen – 19. Jahrhundert 55 ff. – Cours de droit civil, Aubry et Rau 62 ff. – Frankreich, Rechtsliteratur 25 f. – Rechtsprechungssammlungen 26 ff., 56 – Italien, Pandektistik, 57 ff., 155 ff. – juristische 61 ff. – Literaturgattung 51 ff. – Savigny, Friedrich Carl von, Werke 59 ff., 102 ff. Unterrichtsmethode (s. Juristenausbildung) Urteil – Urteilsbegründung 388 – Urteilsstil 232 ff., 288 ff. – Deutschland 145 ff., 382
Sachwortverzeichnis – Europa 381 – Frankreich 145, 289, 384 ff., 391 ff. – Italien 290 – Parlement de Paris 387 ff. – Rechtsprechung 367 ff. – Rechtsvergleichung 391 ff. – Reichskammergericht 324 ff., 397 ff. – Römische Rota 386 ff.
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Willensdogma, abstrakter dinglicher Vertrag 90 ff. Zachariae, Carl Salomo 141, 171 Zaiotti, Paride 112 Zitierungsgesetze (s. Auslegung)
Vollmacht, Lehre, Italien 161 ff. (s. auch Stellvertretung)
Zivilrecht – 19. Jahrhundert, Portugal 42 ff. – Rumänien 44 ff. – Deutschland – Rechtsvergleichung 186 ff. – Rechtswissenschaft – Stellvertretung, Einfluss 161 ff. – französisches Recht 138 – historische Rechtsschule (s. dort) – Frankreich – 19. Jahrhundert 217 ff. – 20. Jahrhundert, Einfluss 221 ff.
Votum (s. Aktenrelation)
Zweigert, Konrad 184
US law schools 270 (s. auch Juristenausbildung) Versailler Friedensvertrag (s. Rechtsvergleichung) Verwirkung – deutsches Recht 354 ff. – Rechtsvergleichung 354 ff.