Das Erbauungs-Buch der Christen: Teil 3 Das Evangelium unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi von Lukas beschrieben [Reprint 2020 ed.]
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Das

Evangelium unsers Herrn und Heilandes

Jesu

Christi voo

Lukas beschrieben.

Mit Erklärungen und Betrachtungen her»u«gegeben

von

Johannes Goßner.

Berlin, 1828.

S,druckt und verlegt bei G. Reimer.

Das

Erbauungs - Buch der Christen, oder

die heiligen Schriften des Reuen Bundes mit Erklärungen und Betrachtungen. Herausgegeben

von

Johannes Goßner.

Dritter Theil.

LukaS.

Berlin, 1828. Gedruckt und verlegt bei G. Reimer.

Da K

E v a n g e l i u m unsers Herrn und Heilandes

Jesu

Christi voa

Lukas beschriebe«.

Mit Erklärungen und Betrachtungen

heraiisgcgcben von

Johannes Goßner.

erMuumtb. Ul. $ilfll. fa.4Ö,

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Vorrede zum Lukas. Xufas war, krach den Zeugnissen der alten Kirchenväter, ans

Antiochia in Syrien, von Geburt ein Heide, aber erst zu.m Ju, denthume, dann zum Christenthume, bekehrt. Paulus satzr, Kol. 4, 14, daß er ein Arzt gewesen sey. Aus der 'Apostelgeschichte, die ebenfalls von Lukas geschroben worden, sirht Man deutlich, daß pr den Apostel Paulus auf sei­ nen Reisen inner die Heiden, zur Ausbreitung des Evangeliums, begleitet habe. Vielleicht i-st er auch durch die Predigten des Pau» lus zum Glauben bekehrt worden. Die Ursache,' warum Lukas ein Evangelium schrieb, zeigt er selbst im Anfänge an. Bald nach der Himmelfahrt Jesu uw terfiengen sich nämlich Viele, Geschichten vom Leben Jesu zu schreiben, die aber Wahres und Falsches mit einander aufnah­ men. Deßwegen entschloß er sich Nun eine zuverlaßige, wahre und glaubwürdige Geschichte von Jesu zu verfassen. Er erkun­ digte sich genau und mit allem Fleiße bei denen, die Augenund Ohrenzeugen der Thaten und..Lehren Jesu gewesen waren. Er wiymete sein Evangelium einem gewissen Theophilus, einem angesehenen Manne, der vermuthlich begierig -gewesen war, etwas Zuverlaßiges von Jesus zu erfahren. Man weiß aber nicht gewiß, 'wer dieser TheophlM gewesen ist. Auch laßt es sich nicht mit Gewißheit bestimmen, wann, und wo Lukas sein Evangelium geschrieben: doch ist die alte Nachricht, die man in einem arabischen neuen Testamente findet, ziemlich glaubwür­ dig, daß Lukas 22 Jahre nach der Himmelfahrt (im I Eh. 55) in einer Stadt in Ma.cedonien geschrieben habe; denn um diese Zeit hielt er sich füfif!Jahre zu Ph^t^pi auf. Er schrieb das Evangelium in griechischer Sprache, und zwar reiner als dir übrigen Evangelisten und 'Apostel.

Das I. Kapitel. Dem I-ch-riaö wird die Geburt Johannis verkündigt; der Maria die Menschwerdung Jesu Christi; Maria Besuch bei Elisabeth; Lobgesang des Zacharias.

1. Nachdem es viele versucht haben eine ge»

ordnete Erzählung von den Begebenheiten, die sich nach sicherer Ueberzeugung unter uns zugetragen, zu verfassen, 2. so wie sie uns von denen mirge^ theilt wurden, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Worts waren.

Lukas schrieb hier eine Vorrede zu seinem Evangelio, und giebt die Ursachen an, die ihn bewogen ha­ ben, dasselbe zu verfassen. Viele haben damals geschrie­ ben über die Geschichte Jesu, aber nicht alle haben in allem treu und wahrhaftig geschrieben. Unter diesen vielen Schreibern versteht Lukas weder den Matthäus, noch den Markus, mit denen sein Evangelium ganz übereinstimmt, noch auch den Johannes, der das seine viel später, lange nach Lukas, verfaßte, sondern es gab damals viele falsche Evangelien, z. B. ein sogenanntes Evangelium der Aegypcer, der Hebräer, der zwölf Apo­ stel, ein Evangelium des Barnabas, des Nikodemus und mehrere Andere, von denen viele verloren gegan­ gen sind. Da sie nicht in allen Stücken der^WahrKeit treu geblieben sind, und viel Fabelhaftes und Fal­ sches mit ausgenommen haben, so wurden sie von den 1*

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Lukas i/ z — 6.

Aposteln verwerfen, und mußten daher durch ächte unv treue Geschichten ersetzt und überftüßig gemacht werden. 3. Deßwegen, sagt LukaS, habe auch ich für gut befu den/über alles von Anfang an genaue Bunde cinzuholeii, und es dir, vortrefflicher Dbcophilus! der Ordnung nach zu schreiben. 4. damit du von dem, was man dich gekehrt hat, Gewiß­ heit erhaltest. Lukas hat auch in den ächten Evangelien gefun­ den, daß sie nichts oder zu wenig vom Anfang, von der Geburt und Jugend Jesu, sagten, darum fühlte er sich angctrieben, uns auch diese so wichtige Geschichte aufzubebalten. Wie viel wäre verloren, wenn wir seine ersten zwei Kapitel nicht hätten, von der Geburt des Vorläufers Johannes/ von der Empfängnis; und Ge­ burt Christi selbst, die Matthäus nur berührte, Markus gar nicht aufnabm. Weil Theophilus so viel heißt als Gottlieb, so könnte man glauben, Lukas hätte damit nicht einen gewissen Mann, sondern jeden seiner Leser so angeredet, weil jeder Christ ein Gott-lieb seyn sollte; allein er seht ein Wort bei, das sich nicht für jeden Leser schickt, sondern das damals nur Personen von hohem Rang gegeben wurde, wie Apg. 23,26. und 24,3. dem Felix und Festus. 5. jn den Tagen Herodes, des-Bönigs von Iudaa, lebte ein Priester mit Namen Zacharias, von der Wochenreihe des Abias; feine Frau war eine von den Töchtern 2larons und ihr Name Elifabeth. Johannes war also von beiden Seiten seiner Aeltern aus priesterlichem Geschlechte. Mir seiner Ge­ burt mußte es schon wunderbar und übernatürlich zu­ gehen, damit die Gläubigen vorbereitet wurden, das Außerordentliche der Geburt Christi desto leichter zu glauben. 6. Beide waren gerecht vor Gott und wan­ delten nach allen Geboren und Vorschriften des

Herrn tadellos. Sie waren gerecht vor Gott, nicht nur vor den Menschen. Viele scheinen gerecht vor Menschen, die von Gott als Ungerechte verworfen werden. Gerecht vor Gott, unsträflich und untadellich nach allen Geboten und Vorschriften des Herrn zu wandeln, ist der Beruf aller wahren Christen, besonders aber der Pnester und Geistlichen, wie sie denn an diesem from­ men Priester-Paare ein Beispiel und einen Beweiß haben, daß es möglich sey, eine heilige Ehe zu führen, und die Gottseligkeit im häuslichen Leben zu bewah­ ren. Eheleute glauben sonst eine Ausnahme machen zu dürfen. Aber bei Gott ist kein Ding unmöglich. 7. Sie hatten aber kein Rind, denn Elisa­ beth war unfruchtbar, und beide waren in ihren Tagen schon vorgerückt, konnten also natürlicherweift keins mehr hoffen, und dieses war damals eine große Bcttübniß. Dennoch murrten sie nicht gegen Gort, sondern ergaben sich geduldig in Seine Wege. Die Gerechten nehmen die äußerlichen Gaben Gottes mit Dank an; sie wissen aber auch die Beraubung dersel­ ben mir Demuth und Ergebung zu ertragen. 8. nun geschah eo aber, da er nach der Ord­ nung seiner UDochenreihe vor Gott das priesteramt verrichtete, 9. traf ihn, nach der Gervohnheit des priefterthums, das Loos, zu räuchern, und er ging in den Tempel des Herrn. 10. Das ganzs Volk aber stand draußen und betete zur Zeit des Räucherns. Ein Priester, der seines Amtes vor Gort pflegt) nicht nur so aus Gewohnheit, weil ihn die Reihe trifft, sondern im Geiste und mit heiliger Ehrfurcht, wie im Angesichte Gottes, so daß er das Rauchwerk des guten Geruches Christi verbreitet, stiftet mehr Segen, als ein großer Haufe von nachlässigen Priestern, die als Knechte des Buchstabens blos das Zeremoniel beobachten und weniger Geist und Andacht haben als Weltlinge, wenn sie einem Großen die Aufwartung machen.

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Lukas i/ n—iZ.

Wenn im cn Rindern Israel zu dem-Herrn ihrem Gort bekehren, die.von den falschen Priestern und Pharisäern ganz verführt und von Gott abgekehrt waren. O! möchte die Kirche Christi lauter solche Lehrer und Hirten haben, welche ihre Größe nicht in reichem Einkommen, in weltlichem Stande, menschlichem An­ sehen und äußerlichen Ehrenbezeugungen, oder gar nur

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LukaS i, 17.

in dem kirchlichen Ornat setzten, sondern wie Jodan­ nes, ganz allein darin, daß sie voll heiligen Geistes die Menschen zu ihrem Heilande bekehren, die sich des­ sen nicht schämen, die es wenigstens nicht hindern, und den Leuten erlauben, daß sie sich ruhig bekehren können. 17. Er wird vor Ihm hergehen (als ein die Luft und Oerter reinigender Wind, wo Jesus Christus selbst hinkommen soll,) tni Geiste und in der Rrafc des Elias, Der Geist des alten Testaments wird dem Geiste des neuen Platz und Bahn machen. Jo­ hannes oder die Buße muß vor Jesu Christo herge­ hen ; sie bereitet den Weg, und wenn die Buße, d, h. der reumüthige, zerknirschte Sinn in eine Seele ge­ kommen ist, so folgt ihr Jesus Christus nach. Im Geiste und in der Rrafr des Elias, dieses feuereifrigen Propheten, wird er vor Ihm hergehen, um die Gesinnungen der Väter, Abrahams, Isaaks, Jakobs, Davids rc, wieder in die Herzen ihrer Kin­ der (der Juden) zurückzubringen,#) und die Ungläu­ bigen zur Weisheit der Gerechten zu leiten, und dem -Herrn ein vollkommenes Volk zu bereiten, ein wahres Israel, ein nach Gottes Heil trachtendes Volk, zu erwecken. Unglaube ist Thorheit, und die Klugheit oder wahre Weisheit ist die Bekehrung zu Gott. Von dem Unglauben und Ungehorsam durch Buße und Glauben zu Gott zurückkehren und der göttlichen Füh­ rung kindlich folgen, das ist die Klugheit und WeisHeit der Gerechten.

*) Da- „He Herzen der Väter zu den Kindern zu be» Hehren, wie e- wörtlich heißt, und gewöhnlich übersetzt wird, kann doch nicht wohl anders verstanden werden, als daß die Kinder oder Nachkommen Abrahams und der alten frommen Väter, auch solche Herzen bekommen möchten, al- wie ihre Väter; daß sich da- Herz, der Sinn der Väter, zu den Kindern wenden und in ihnen erweckt werden möchte; oder daß sich die Herzen der Väter in Verbindung anit den Kindern bekehren, indem beide, wenn sie einander betrachten, fühlen müffcn, daß sic mit einander sich «mindern und bessern sollen.

Johannes, der die Sorlaufende Gnade vorbikdet, muß durch die Bußtaufe oder Zerknirrschunz und Er­ weckung des Herzens zur Bekehrung die Leute für Christus vorbereiten, und dann, so bereitet, sie zu Christo weisen: Seht! das ist das Lamm Gottes, das eure Sünden tilgt! Aber die meisten taufen dem Johannes, oder der vorlaufenden Gnade über den Kopf hin, und werden durch einen Sprung Christen, ohne sich erst recht erwecken und bekehren zu taffen. 18. Zacharias sprach (ziemlich ungläubig, doch nicht hartnäckig) zum Engel: Woran soll ich das erkennen? denn ich bin alc und mein Weib ist in ihren Tagen Vorgerückt. Wo sollen die Kinder Herkommen? Das ist unmöglich. Das ist immer das Erste, daß der Mensch sein Bischen Denken dem Göttlichen entgegensetzt. Wir springen immer voran. Aber solche Vorsprünge sind gewiß nicht vernünftig in solchen Dingen. Das ist die rechte Klugheit der Gerechten, die eigene Klugheit der göttlichen opfern. Maria fragte nur: Wie soll das geschehen? Sie zweifelte nicht, daß es geschehen könne. Sie will nur zviffen, wie es der göttliche Wille haben wolle, um ihm nachleben zu können. Aber Zacharias wollte ein Zeichen, eben als wenn er Gott auf sein Wort nicht glauben dürfte. Und er erhielt eins. 19. Da Zacharias sich ungläubig gebehrdete und ein Zeichen forderte, antwortete ihm der Engel und sprach zu ihm: Ich bin Gabriel, der vor Gott steht, ich bin gesandt mit dir zu reden und dir diese frohe Botschaft zu bringen. Der Engel erinnerte ihn, indem er ihm seinen Namen nannte, an die Weis­ sagungen der Propheten, besonders an Daniel, bei dem er auch schon Dienste that, und daß er, was er dort begon­ nen hatte, nun vollenden wollte, weil jetzt die Zeit erfüllt war, die er dort vorher verkündigte. Da Zacharias gewiß in der Schrift wohl bewandert war, so mußt«

es ihm schon genug seyn, den Namen Gabriel zu hö» ren, um zu wissen, woran er sey. 20. Und sieh, du wirst stumm seyn und nicht reden können, bis auf den Tag, da dieß geschehen wird, weil du meinen Worten nicht geglaubt hast, die zu ihrer Zeit in Erfüllung gehen werden. So scharf straft der Herr ein einziges ungläubiges Wort, welches aus Mißtrauen gegen sein Wort, dem wir alle Ehrerbietigkeit und unbedingten Glauben schul­ dig sind, entstanden ist. Dieses Mißtrauen und diesen Unglauben züchtigt der Herr besonders an den Seinen; den herrschenden Unglauben der Welt laßt Er für jetzt ungestraft, aber mit den Gläubigen verfährt Er sehr streng, und läßt ihnen nichts hingehen. Das erhält sie in der Denruth und Weisheit, denn wenn sie hernaü) glauben, so prah­ len sie nicht damit, weil sie wissen, daß sie vorher nicht geglaubt und gestolpert haben. 21. Indeß warrere das Volk auf Zacharias, und verwunderte sich, daß er so lange im Tempel verweilte. Da muß etwas ungewöhnliches vorgefallen seyn. 22. Als er nun heraus kam, konnte er nicht mit ihnen reden. Da merkten sie, daß er im Tem, pel sine Erscheinung gesehen; und er winkte ihnen und blieb stumm. Welche liebe und gute Meinung müssen sie von dem frommen Greise gehabt haben, da sie dessen Stummheit und Stillschweigen nicht der göttlichen Strafe, sondern einem göttlichen Besuche zuschricben. Süne Stummheit hatte auch noch den Vortheil, daß «er die besondere Gnade, die ihm da widerfuhr, nicht mündlich offenbaren konnte, weil sie Gott noch geheim halten wollte. Besser wäre es manchem, so­ bald er begnadiget und von Gott heimgesucht wird, er wäre stumm, daß er damit nicht prahlen und so das empfangene Gnadenwerk durch Ruhmsucht und schwatz­ hafte Selbstgefälligkeit nicht wieder zerstören könnte.

33 Als nun die Taqe seines Amtes vollendet waren, ging er nach -Haufe. Ein Geistlicher soll nie anders als um seines Amtes willen ausgeden, und sobald er es vollbracht hat, wieder in die Stille und zu sich selbst zurückkehren. 24. Nach dieser Zeit empfing Elisabeth, sein toOcib, und verbarg sich fünfMonace lang, um sich und ihre Leibesfrucht desto ernstlicher Gott zu empfeh­ len, in der Stille und Abgeschiedenheit. Wenn Gott erst neuerlich etwas in dein Herz gepflanzet hat, so trag es nicht gleich zur Schau, son­ dern verbirg es, so viel möglich. Gott wird's schon offenbaren, wenn es Zeit ist. 25. Sie sprach: Also hat mir der -Herr gethan zur Zeit, da niemand mehr an mich dachte, hat Er mich angesehen, tun meine Schmack vor den Men­ schen von mir zu nehmen. Denn es war im alten Testamente eine große Schmach, unfruchtbar zu seyn. Wenn Gott eine unfruchtbare Seele anblickt, wird sie bald fruchtbar und gesegnet. Wen aber der Herr nicht ansieht, der wird nicht viel Gutes zur Welt bringen. Nun kommt das Hauptwerk; — der Erstgeborne aller Kreaturen wird in diese Welt eingeführt. 26. Im sich Sten Monate darnach ward der Engel Gabri.l (d. h. die Kraft oder Macht des star­ ken Gottes, ein Fürst des himmlischen Reiches) von Gott gesandt in eine Sradc in Galiläa, mir Namen Nazaret, nicht weit vom Berge Tabor gelegen, 27. zu einer armen Jungfrau, die verlobt war mit einem Manne, genannt Joseph, aus dem -Hause Davids; der Name der Jungfrau war Maria. Die Wiederversöhnung zwischen Gott und den .Menschen, ein Geheimniß, worüber sich Engel und Men, sehen verwundern sollten, nahm hier ihren Anfang, Das allerwichtigste Werk fängt so klein, so niedrig an, in einem so tinbedeutenden Städtchen, mit einer armen vergessenen Familie. O großer Gott! wie klein »virst

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Lukas i, 28. 29.

du, wenn du Großes beginnst! und wie groß bist du im Kleinen? 28. Der Engel kam zu ihr hinein (und wo findet er sie? In der Stille und Einsamkeit, da pflegt Gott seine größten Gaben mitzutheilen,) und sprach: Gey gegrüßt/ oder: -Heil mir dir! Freue dich, du Hochbtgnadigre! (Gnadenvolle!) der -Herr ist mir dir, du Gesegnete unter den Weibern! Ein solcher Gruß, eine solche Anrede von einem Boten aus dem Himmel ist nicht nur für die, der der Bote zunächst ge­ sandt war, sondern für alle ihre Brüder und Schwe­ stern, für das ganze Menschengeschlecht ein Beweiß, daß Gott Gedanken des Friedens über uns hat. So lange der liebe Gott nur noch ein Menschenkind fteundlich grüßt oder grüßen läßt, so wissen wir, Er ist unserm Geschlechte doch noch gut, Er kanns nicht verlassen, Er wird ihm doch noch helfen. Daß Maria die Gesegneteste ihres Geschlechtes war, kann ihr niemand nehmen, denn der Himmel läßt es der Erde sagen, und wir wissen, sie empfing und trug in ihrem Leibe den Segen aller Völker, die Se­ gensquelle, aus der wir alle schöpfen Gnade um Gnade. Da wir aber Ihn alle, im Geiste haben und tm' Her­ zen ihn alle Tage bei uns tragen können, so können wir auch Gesegnete werden und seyn. 29. Sie aber erschrack, da sie dieß hörte, und dachte bei sich, was für ein Gruß dieß wäre, der ihrer Meinung nach sich nicht für sie schickte. Eine demüthige Seele erschrickt, wenn sie sich loben hört. Maria wußte zu gut, und fühlte zu tief, was sie gegen Gott und dem Messias sey, als daß sie nicht durch ein solche Begnadigung erschrocken wäre. Dieß Erschrecken verräth ihre tiefe Demuth und Selbsterkennt­ niß. Wenn sie aber über der Verkündigung einer so großen Gnade, die ihr widerfahren ist, erschrack, wie würde sie erst erschrocken seyn, wenn ihr ungebührende Ehre oder Anbetung, übertriebenes Lob und Erhebung

über Den, dessen Magd sie war, widerfahren wäre? Darum laßt uns sie ansehen als die von Gott Begna­ digte, Auserwählteste, als das Gefäß voll Gnade, um dest willen, der sie so Hochbegnadigte, und den Sie in ihrem Leibe trug. Laßt uns aber die Schranken nicht» überschreiten; denn Gott muß Gott und Christus muß Christus bleiben, der uns erlöset hat von unsern Sün­ den, und in dem allein Heil ist. 30. Und der Engel sprach zu ihr: Fürcht dich nicht Maria! So zärtlich muß Gott mit uns umgehen, Er mag unmittelbar, oder durch Mittelspersonen uns zu Hülfe kommen. Denn wir sind so tief in Finsterniß und Furchtsamkeit versunken, daß wenn uns nur halb­ weg ein göttliches Licht anstrahlet, oder etwas aus der seligen Ewigkeit begegnet, wir gleich erschrecken und zit­ tern. Das findet man fast an allen Heiligen in der Schrift, die des Umgangs mit Gott oder seinen En­ geln gewürdiget worden. Das beweist unsern elenden Zustand unter dem Falle, wie fremde und entfernt wir durch die Sünde der göttlichen Natur und dem himm­ lischen Wesen, womit Adam so vertraulich umgehen konnte, geworden sind, so daß Gott nie selbst mit uns reden und umgehen kann, so wie Er in sich selbst ist, und wie Er als Vater gern möchte, sondern immer durch fremde Gestalten und andere Personen. Und auch da geht es nicht ohne Furcht ab, wenn Er En­ gel braucht. — Denn du haft Gnade gefunden bei Gott; also wohl auch Gnade gesucht. Gnade läßt sich aber nicht verdienen, sonst hörte Gnade auf, Gnade zu seyn. Wer den Geist der Gnade empfangen hat, der weiß, daß er alles nur, als ein unverdientes Geschenk gefun­ den/ nicht aber als einen Lohn erworben habe. Wenn wir fänden, was wir verdienen, so würden schlechte Sachen herauskommen, und würden wenig Gnade finden. Aber Gott, der da reich ist an Barm-

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LukaS i, 3i. 32.

Herzigkeit, handelt mit uns nicht nach unsern Werken und Verdiensten, sondern hat uns. durch Gnade selig gemacht. Epb. 2,4. 5. 31. Sich! du wikst empfangen in deinern Lei­ be, und einen Sohn gebären, der Gott zum Vater unt> dich zur Mutter haben wird. Von Seiten des Varers ist Er Gott aus Gott, mit Gott innigst ver­ wandt, eins mit Gott, Golt gleich, wahrer Gott; von Seiten der Mutter, wahrer Mensch, vom Menschen, Menschen-Sohn. Und ftinen Namen sollst du Jesus heißen. Sieh Matth. 1,21. 32. Dieser wird groß seyn, und ein Sohn des Höchsten genannt werdeir. Seine Größe und Hoheit haben aber wenige Menschen und diese nicht ganz erkannt, weil ein Vor­ hang vorgezogen war, seine Knechtsgestalt; darum haben sie 2hn für pichtS geachtet, als für den Zim­

mermann. Wäre Gott nur Gott geblieben und nicht Mensch geworden, wäre Er nicht in unsre Reihe getreten, hätte Ek nicht, in unsrer Natur, seine Hütte mitten unter uns aufgeschlagen, so hatten wir uns alle an der Gottheit zu Narren spekulirt, oder hätten sie ewig ge­ hen lasten und uns so wenig um Gort bekümmert als die Hottentoten. Man würde die für die Klügsten hal­ ten, die da sagen: Man verstände Gott nicht; oder wie die Indianer sprechen: Es ist ein Gott, aber wir wol­ len uns hüten, daß wir Ihm nicht zu nahe kommen, wir sind seine Kreaturen; Er wirds etwa wohl mit uns.machen; aber wir wollen uns nicht drein mengen, Ek ist zu hoch für uns, wir können Ihm nicht nach; wik sind dazu nicht gemacht, wir müsten Bären schie­ ßen, und Mahis pflanzen, und sehen, wo wir etwas zu esten kriegen, wir haben weder Zeit noch Verstand, noch Lust uns in den großen Geist hinein zu spekuliren. — Die aber hatten geistlicher seyn und spekuliren wollen,

die würden es dein Aristoteles nachmachen, der sich in den Euripum gestürzt und dabei geschrieen haben soll: du Wesen der Wesen, erbarme dich mein! Kmz dir Menschen hätten sich gecheilt zwischen der spekula­ tiven Philosophie, darüber man zum Narren wird und zwischen der Unbeküminrrniß um die. Gottheit, wo bei man mit den Thieren in Paaren geht. Davon har uns befreit die selige Wahrheit, daß unser Schöp­ fer ein Mensch geworden ist.

— Gorr, der Herr, wird Ihm dm Thron sei­ nes Vaters David geben, und Er wird Rönig seyn über das Haus Iakob in alle Ewigkeit, 33. und sei­ nes Königreichs wird kein Ende seyn. Was kann einer gläubigen Seele seliger seyn, als: Er, ihr Freund und Bräutigam, sitzt auf dem throne

und ist König über das Haus Jakob (das wir sind nach Hebr. 3,6.) ewiglich, König, Hausherr, Haushalter. So lange Jesus bleibt der Herr, wird's alle Tage herr­ licher. Diese Freude kann niemand von uns nehmen, kein Teufel und kein Mensch. Darum wollen wir auch fleißig seyn, Ihn ewig zu erfreuen. Ewig wollen wir uns üben, über alles Ihn zu lieben. Er regiert aber in uns, als der Gekreuhigte, in der Kreutzgeftalt; Er ist keinem weltlichen Könige im Wege. Sein Reich ist nicht von dieser Welt, und wird's auch nie werden, sondern es stehen nur die Herzen und Er in einem solchen Zusammenhänge,' daß niemand dazwischen kann. Nur alle die Herzen, deren ganze Uebung, Schuldigkeit und Unterthanenpfiicht ist, übee alles Ihn zu lieben, die sind seine Gemeinde, die heißen das Haus Gottes auf Erden, das Reich Gottes, das Himmelreich. Die mögen sich ausbreiten und den halben Erdboden erfüllen, wie cs verheißen ist, so bleibt doch alles stehen, was menschlich ist; es wird nichts von menschlicher Ordnung und Verfassung durch sie gestört; die Herzen haben ihre Sache für sich; Ihm aus ganzem Herzen anzuhangen, das sind zollfreie

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LukaS i, Z4. Z5.

Gedanken. Wenn sie zusammenkemmen, so denken sie laut. Wovon das Herz voll ist, davon geht der Mund über.

34. Marta aber sprach zu dem Engel.- wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenneMaria zweifelt auch nicht, daß es geschehen könne, son­ dern will nur wiffm, wie es geschehen solle, wie sie sich dabei zu verhalten habe. Sie offenbaret ihre jung­ fräuliche Lebensart, ihren Entschluß, obwohl sie mit Josoph verlobt war, dennoch Jungfräulich zu bleiben, und ihn nicht als Mann zu erkennen, sie will also nur wissen, ob cs nöthig sey, diesen Entschluß, diese Lebensart zu ändern. Das ist einem Gläubigen gar wohl relaubt, nach dem besondern göttlichen Willen zu fragen, zumal, wenn es das gegenwärtige Verhalten erfordert. Nur muß wahre Bescheidenheit und Demuth dabei seyn, wie bei Maria, und aller unzeitige Vorwitz keinen Theil daran haben. Denn warum sollte nicht ein Volk sei­ nen Gott fragen dürfen? Jes. 8,10. Wir sollen uns ja an Ihn und seinen heiligen Mund gewöhnen.

35. Der Engel antwortete.- Der heilige Geist wird über dich herabkommen, und die Kvafc des -Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das -Heilige, das aus dir geboren wird, Gottes Sohn genannt werden, weil die ganze heilige Dreieinig­ keit Maria mit ihrer göttlichen Kraft überschattet, und diesen heiligen Menschen ohne Sünde hervorgebracht hat. Das hat schon Jeremias 31,22. geweiffagtr Das Weib wird den Mann umgeben. Der große Mann, der Mann, auf den alle Propheten gedeutet haben, sollte sich selbst in Maria hineinsprechen, daß sie Ihn als einen Menschen gebären, und Er alsdann in der mensch­ lichen Natur leben und erfahren, was die Menschen erfahren, leiden, was die Menschen leiden, und so al­ les Unglück wieder erstatte« könnte.

Das Weib wird den Mann umgeben; eine arme Kreatur, eine geringe Magd wird mit Gott ihrem Herrn schwanger gehen. Es wird eine solche erstaun­ liche Sache geschehen, daß ein armes, gering geachtetes Mädchen, die Hoffnung der Welt, die Ursache der Seligkeit bei sich tragen wird. Der Sohn Gottes ist also in so fern auch GotteSohn, als Er Mensch ist, weil die heilige Dreieinigkeit in Maria diesen Menschen bereitete. Und aus dieser Ursache wird Er nicht allein dem Adam gleichgesetzt, von dem es heißt: er war Gottes (Luk. 3. .38), son­ dern Er wird über Adam gesetzt, als der andere Mensch, der der Herr vom Himmel ist. 1. Kor. 16,47. Er ist also vorzüglich von uns anzusehen, alMensch, der in der äußersten Armuth geboren morden der seine Zeit im Verborgenen zugebracht hat, der end­ lich ans Kreutz genagelt worden. So müssen wir Ihm durch unser ganzen Leben nachfolgen, so müssen wir das Andenken an seinen Namen beständig vor Augen haben. Wir sehen Ihn betrübt, traurig, hungrig und durstig; wir sehen Ihn unwissend (Mark. 13,32.); wir sehen Ihn schwach; 2 Kor. 13,4. wir sehen Ihn', wie Er sich über das Schlafen seiner Jünger beklagt; mit einem Wort: wir sehen Ihn mit Schwachheit um­ geben, doch ohne Sünde, und so tief in die Schwach­ heit versunken, daß ein Engel kommen und Ihn stär-en muß. Und das ist seine größte Ehre; das macht jljn uns eben so erstaunlich groß, weil wir wissen, daß hinter diesem Menschen etwas Großes, das man nicht 'ieht, ja das Größte steckt, die Kraft des Höchsten, der eingeborne Sohn Gottes, Gott von Art, wie Er's in den tiefen Ewigkeiten ist, wohin kein menschlicher Ver­ stand, ohne verrückt zu werden, denken kann.

36. Und sieh, Elisabeth, deine verwandt^, auch sie hat noch in ihrem Alter einen Sohn em­ pfangen, und sie geht jetzt tm sechsten Monate, sie, ertAitungfl. III. th«il Eula*. 2

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Lukas i, 37, z8.

welche unfruchtbar heißt. 37. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Es ist Gott eben so leicht, die Jungfrauschaft mit der Fruchtbarkeit, als die Frucht­ barkeit mit der Unfruchtbarkeit und dem hohen Alt.r zu vereinigen. Die Allmacht Gottes ist der erste Glau­ bens-Artikel, den man sehr gut kennen muß, wenn man erhörlich beten, wenn man sich allein auf Gott verlassen, wenn man selig werden will. Denn der Wille der Allmacht ist die Quelle aller Wirkungen der Gnade und Barmherzigkeit Gottes. Ist es, wollte der Engel sagen, wider die Natur und unmöglich in deinen Augen, daß eine Jungfrau ohne Zuthun eines Mannes gebären sollte, so ist es ja eben so wider die Natur, daß eine betagte, und noch dazu eine unfrucht­ bare Frau noch Kinder haben sollte; und doch ist die­ ses an deiner Base geschehen. Eben so kann und muß auch die Unfruchtbarkeit unserer Natur, durch die Kraft Gottes des heiligen Geistes, fruchtbar gemacht werden zu allen guten Werken. Gott wäre nicht Gott, wenn Er nicht mehr könnte rsss die Natur. Dieses Glaubens-Schwerdt, „bei Gott ist kein Ding unmöglich," das hier der Engel der Maria in die Hände gab, müssen wir nie aus den Händen lassen, denn damit können wir alle Zweifel-Knoten auf ein­ mal zerhauen im Namen des Herrn, und durch alles Bahn machen und durchbrechen. Will uns die Schlan­ genvernunft Gott als einen ohnmächtigen oder beschränk­ ten Gott darstellen und vormahlen, so dürfen wir nur dieses Schwert ergreifen, das uns vom Himmel durch Gabriel gesendet ist, so können wir alle Spinngewebe der Vernunftszweifel leicht zerhauen und vernichten. 38. Maria sprach: Sieh, ich bin die Magd des Herrn! mir geschehe nach deinem wort. Und der Lngel entfernte sich von ihr. Wenn der Glaube geboren ist, so hören die außerordentlichen Dinge auf uijb'f verschwinden. Es liegt eine schöne Idee in der

Entschließung Mariä. Es ist gleichwohl kein gar so gewöhnlicher Ausdruck; er zeigt eine Klarheit im Ge­ müthe an, und bezieht sich so schön auf die gloriöse Verheißung: „Der heilige Geist wird über dich herab­ kommen rc., das Heilige, das von dir geboren wird, wird Gottes Sohn seyn." . Eigentlich aber geht die Erklärung dahin: Ich bin dein Geschöpf; mache mit mir, waS du willst, ich bin deine Magd, wie sollte ich mich denn sträuben, Gutes, Gnade und Seligkeit zu empfangen. Ich nehme es, weil du es geben willst. Wie die Augen der Knechte auf die Hände ihrer Herren, und .die Augen der Mägde auf die Hände ihrer Frauen sehen, also sehen unsere Augen auf zu dir! (Ps. 123,2.) daß du dein Ver­ gnügen an uns findest, daß wir dir recht nach deinem Sinne seyen, daß man es dir anmerke, daß du einen Blick der Liebe auf uns wirfst. Aus dieser Antwort und nach aller Beschreibung, die wir von Maria haben, hat man an ihr wahrgcnommen, daß sie still, arm und herzlich war. Wer diese drei Eigenschaften im Sinne und Ge­ müthe hat, und wer die drei großen Laster: Einbildung von sich selbst, Liebe zu Ausschweifungen, Zurückhalten und Künsteln nicht kennt, der ist mir lieb und ange­ nehm, und zu meiner Freundschaft von Herzen will­

kommen. Die Stille besteht nicht darin, daß man nichts redet, sondern in einer ruhigen Art zu handeln, zu re­ den und zu denken, in einem ungezwungenen, gesetzten Wesen, das sich nicht erst in Fassung bringen, und das wilde Wesen mit Mühe abgewöhnen muß. Wenn man, ohne daran zu denken, die Sache stille weg niacht» so wirds allen leicht, mit einem solchen stillen Men­ schen zu thun ztl haben. Armuth, ist eine Gemüthsüberzeugung von seiner Geringheit und Wenigkeit. Ich wünsche Uns den Sinn, der mit der Geringheit zufrieden ist, Und in 2»

20

Lukas i, 39—41.

wahrem Respekt gegen seine Mitgenoffen steht, und mit ihnen, wie mit Priestern und Priesterinnen, handelt und redet, wie sich Christen und Christinnen begegnen sollen, daß kein leichtsinniger Gedanke durch den Kopf fahre oder im Gemüthe sich sehe. Dagegen ist De­ muth ein sicherer Schuh und Schild, bei der keine Ge­ danken Plah haben, die sich im Anfang als Tugend und unschuldig darstellen, hernach aber zu schändlichen Sachen werden. Herzlichkeit haben diejenige Leute, die so auf­ richtig sind, daß sie ihren wahren Sinn gleich sagen, und keine Künste suchen, und nicht erst, nachdem fünf­ zig falsche Sinne zum Vorschein gekommen, endlich, wenn man keine Auswege mehr weiß, der einundfünfzigste Sinn herauskommt. „Ich wollte, daß mein Herz Fenster hätte I" so denkt ein herzlicher Mensch. 39. Maria aber machte sich auf in denselben Tagen und ging in Eile auf das Gebirge, zu der Stadt Juda (d. h. zu der vornehmsten Stadt im Stamm Juda, der Priesterstadt Hebron.) 40. Sie kam in das -Haus Zachariä, und grüßte Elisabeth. Die Gemeinschaft in der Sache des Heilandes ist etwas herrliches, und es ist sehr viel daran gelegen. Der Besuch ging sehr eilig vor sich. Maria wollte nicht viel Zeit verstreichen kaffen, der Elisabeth die Barmherzigkeit anzupreisen, die Gott an ihr gethan hatte. 41. Und es geschah, als Elisabeth den Gruß Mariä Hörre, hüpfte das Rind in ihrem Leibe, und Elisabeth ward voll des heiligen Geistes. Nach der Beschreibung scheint es, als hätte Eli­ sabeth nichts gewußt von den Umständen der Maria, und es ist auch keine Wahrscheinlichkeit dazu da; denn Maria hatte sie ihrem eigenen Verlobten nicht gesagt, und er Häm auch nichts davon gewußt, wenn ers nicht durch eine Offenbarung erfahren hätte. Es wurde aber der Elisabeth die Sache in ihrem Innern klar. Ungeachtet man sonst aus dem Gefühl keinen Schluß

wachen kann, und man sich in Phantasien fünfzigmal betrügen könnte, so giebt es doch wahrhaftige Empfin» düngen, da man mit Gewißheit sagen kann, sie bedeu­ ten das und jenes. So war es hier bei Elisabeth; ihr wurde bei der Empfindung im Leibe klar, daß die Mutter des Heilandes zu ihr käme.

42. Sie rief mit lauter Stimme und sprach : Gesegnet bist du unter den Weibern, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wenn es wahr ist, daß Eva, da sie ihren ersten Sohn gebar, ihn darum Kain genannt und gesagt hat: „Ich habe den Mann, den Herrn, (1 Mos. 4, 1.) weil sie ihn für den versprochenen Weibessamen hielt, (wie es denn wahrscheinlich ist,) so beweist das, bflfP man sich etwas zu früh einbilden kann, und daß man die Weissagung vor der Zeit kann wollen erfüllt haben. Elisabeth aber sagt mit Gewißheit: Gesegnet, gebenedeyt ist die Frucht deines Leibes! Sie wußte be­ stimmt, was Maria für eine Leibesfrucht trug; denn sie setzte hinzu: woher kommt mir das, daß die Murcer meines Herrn zu mir kommt? Das wurde ihr deutlich aus der Empfindung, die sie hatte. Mit philosophischen Beweisen würde sie unmöglich zurecht gekommen seyn. Wir können auch nicht alles beweisen und klar machen. Die natürlichen Menschen können ja auch nicht von allem den Grund angeben. Die Versicherungen im Inwendigen kann man niemals mit Gründen beweisen, sonst prosiituirt man des Heilandes Sache. Affaph macht ein schönes Bekenntniß: (Ps. 73, 22.) „Ich muß seyn, wie einer, der nichts weiß, wie ein Thier, vor dir." Wer sich vom Heiland führen laßt, ist seiner Sache gewiß, wenn ihn gleich andere nicht fassen. Man weiß es selbst auch nicht, wie eins mit dem andern zusam­ menhängt, weil wir das Ganze nicht wissen. Die Führung des Heilandes erfordert es, daß nicht allemal Grund angegeben wird. Wir haben Beispiele genug

davon in der Schrift, da der Heiland etwas befohlen hat, ohne die Ursache anzugeben. Wir müssen lernen, der allgemeinen Führung der Gnade zu gehorsamen, ohne bei jedem Umstande zu raisonniren. 43. woher kommt mir das, daß die Mutter meines -Herrn zu mir kommt? Sieh! wie der Mund von Demuth überfiießt, weil das Herz davon voll war. Sie achtet sich nicht werth, von der Mutter des Messias besucht zu werden. „Das ist ja umgekehrt, ich sollte ja vielmehr zu ihr kommen." Mit solcher Demuth und Beschämung sol­ len wir ja wohl auch die Gnaden und Wuhlthaten Gottes aufnehmen, Eine seiner größten Wohlthaten ist, daß Christus sammt seinem Vater zu uns kommen, und bleibende Wobnung in uns nehmen will, da^ Er

seinen heiligen Geist in unsre Herzen sendet, von wel­ chem das Kind war, das Maria trug, der Heiland aller Menschen. Woher kommt uns das? Die Gnad' ist wirklich übergroß, für Leute, die so arm und bloß, für Sünder, die so häßlich re. O daß sie aber auch nur recht erkannt würde, mit Sünder-Schamröthe und Beugung, so daß es immer im Herzen heißt: Wo­ her kommt mir das? Und wenn der Heiland sagt: Wißt ihr'auch, was für Privilegien zum beständigen Seligseyn ich euch verschafft, und wen ich euch hinter­ lassen, und daß ich überdem selbst alle Tage ungesehen bei euch bin, und unter und in euch wandle? daß als­ dann die Antwort sey: Wir wissens und fühlens, und wir wissen nichts zu sagen, als dich erstaunt zu fragen: Ists möglich? Woher kommt uns das? 44. Denn sieh, sobald mein Ohr die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Rind vor Freude in meinem Leibe. Da sehen wir die Wirkung, die der Heiland im Mutterleibe, auf den Johannes, auch im Mutterleibe gehabt bat. Das waren zwei Kinder, Jesus und Jo­ hannes, die nichts von einander wissen und sehen könn?

ren, der Natur nach, weil sie noch beide unaeboren, noch im Mutterleibe waren, die aber durch den heili­ gen Geist eine starke Ahnung von einander gehabt har­ ren. Da Maria die Elisabeth gegrüßt, hat sich ihr Kind gefreut, mit einer solchen Freude, die Elisabeth nicht genug beschreiben kann. Und bas ging so stille ^u, daß es niemand erfahren hatte, wenn es Elisabeth nicht gesagt hätte. Der Heiland ist seht nicht weiter von uns, als Er vom Johannes im Anfang seines menschlichen Le­ bens war. Die Kinder können von Mutterleibe an, seine Nähe und ihre Wirkung auf sie gewahr, und des heiligen Geistes voll werden. Sie können von Jugend auf in seiner Nähe und in seinem Umgänge bleiben. Seine heilige Gegenwart und liebe Nähe' ist auch setzt noch für Kinder und Erwachsene spürbar, obgleich unsichtbar. Man weiß es, und kann es fülsten, wenn Er mit uns umgeht, und unsere Seele Schritt vor Schritt nachzieht. Wenn man eine Stunde oder ein paar im Geiste des Gemüthes bei Ihm bleibt, so mer­ kens auch die andern, die uns umgeben; sie merken die Spuren von dem Gange eines solchen Kindes, man sieht es so einem Gottes-Kinde an, daß es in der Nähe Jesu gewesen ist. Denn so oft man Ihm nahe kommt, macht Er uns seliger und besser. Wenn gleich ein Kind nicht leiblich von Ihm auf den Arm genom­ men wird, wenn Er gleich keinem Menschen sichtbar mehr die Hände auflegt; (denn das ist wider die Na­ tur des Nichtsehens, und man soll ja jetzt glauben und nicht sehen;) so wird so ein Kind oder so eine Seele doch genug erfahren. Daher wünsche ich mir und al­ len Kindern Gottes nicht nur seine liebe Nähe, sondern auch ein wahres, wesentliches Gefühl und Erfahrung von dem, was dem Johannes begegnet ist, da er noch im Mutterleibe war, daß uns das liebe, treue, freund­ liche, herablassende Herz des Heilandes vor unser Herz treten mag, und wir allemal fähig seyn mögen, eS zu

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Lukas i, 45—48.

genießen, und etwas von seiner Aehnlichkeit wegzutra­ gen. Denn Er ist Alles in Allem, und einem jeden ebey das, was ihm selig ist, was ihm das zuträglichste ist.

45. Selig bist du, daß du geglaubt hast; denn es wird Alles in Erfüllung gehen, was dir vom -Herrn verkündiget worden. Etwas glauben, von einer Sache versichert seyn, und sie dem Heilande zutrauen, geht allemal in Erfül­ lung. Das Ende, das wir erwarten, den Ausgang haben wir gewiß; nur allemal mehr, als wir gedacht haben, über Bitten und Verstehen.

46. Und Maria sprach: Hoch erhebt meine Seele den -Herrn. 47. Und mein Geist frohlockt in Goyt, meinem Heilande. Maria hatte den ehrerbietigsten Glauben; sie läug» nete die Sache nicht, sie wußte, daß sie Mutter des Herrn seyn sollte, sie wußte auch, wer sie war, und daß es eine große Gnade für sie sey, daß sie den ge­ bären sollte, der der Heiland seines Volkes werden würde. Sie lobt, sie erhebt nicht sich selbst, sondern den Herrn. Sie macht nicht sich selbst groß damit, prahlt nicht, gefällt sich nicht selber wohl — sie ver­ gißt, verschwindet gleichsam sich selbst vor der Größe, Freundlichkeit und Gütigkeit Gottes und ihres Heilan­ des — leer von sich, und voll von ihrem Gott-Heiland preiset ihr Geist und Mund nur Ihn.

48. Er har auf die Niedrigkeit seiner Magd Herabgesehen, auf ihr Elend, leiblich und geistlich. Es kann ihr Stand ihr eingefallen seyn, daß sie von so einem großen, gesegneten Hause war, und so herun­ ter gekommen, daß man es ihr nicht ansah. Laßt uns klein seyn, und geringe von uns denken, wie Maria.

— Siehe! von nun an werden mich selig prei­ sen alle Geschlechter. Die nachkommenden Geschlechter werden davon zu sagen wissen; denn die Sache geht sie alle an, weil alle Geschlechter außer Ihm verflucht sind, und in Ihm

gesegnet werden. Daß sie auch hier nicht eigentlich sich selbst im Auge hat, und großmachen will, sondern allein den Herrn und seine große Gnade, beweißt das Folgende: Denn 49. Großes hat an mir gethan der Mächtige. Heilig ist sein Name. Ihm gebührt allein die Ehre, der das Werk gethan. Ich bin nur die Werkstätte, worin Er wirket; aber ich hab nichts gethan, darum soll (iiid) niemand mich loben und ehren, sondern Gott und sein Werk soll man in mir loben und ehren. ES ist genug, daß man sich mit mir freuet und mich selig preiset. Die großen Dinge, die Gott an uns thut, ver­ schweigen, ist falsche Demuth und Heuchelei. Sie hält die Majestät, die Größe dieser Sache, und ihre Nie­ drigkeit gegen einander, dadurch wird, was sie Großes singt, in Demuth erhallen. Sie wußte, wer die Gnade an ihr gethan, und wußte es als Gnade zu preisen, sie brüstet sich nicht und fordert keine Ehre, gehet hin und schaffet im Hause wie vorhin, als wäre ihr nichts Großes geschehen. ES ist aber merkwürdig, daß Gott große Dinge so ins Verborgene legt, daß der Mensch sich bücken und beugen muß, um sie zu finden. 50. Seine Barmherzigkeit geht von Geschlecht zu Geschlecht, auf die, welche Ihn fürchten. Das geht bis ins tausendste Glied., Was Er verheißen har, das geht doch endlich in Erfüllung. Die Menschwer­ dung Christi ist kein Spektakel, sondern ein Werk der Barmherzigkeit, um unsers elenden Zustandes willen veranstaltet. Er wird nie müde, barmherzig zu seyn, bis ans Ende der Welt, so lange Elende sind, die seine Barm­ herzigkeit annehmen, und sich derselben bedürftig halten. 51. Er hat Macht geübt mit seinem Arm, zer­ streut die Hoffärtigen in ihres Herzens Ginn. Er macht ihre vergeblichen Gedanken zu Schanden, und

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Lukas i, 52. 53.

wenn sich gleich die Unbeschnittenen zu Königen ma­ chen, so bleibt doch der Sohn der Verheißung König. Der wars eben, der geboren werden sollte, der Arm des Herrn. Isa. 53,12. Wenn dieser Arm, diese Macht, recht lebendig er­ kannt wird, so sinkt man gleich in denselben, und wagt es nicht mehr. Ihm zu widerstehen, oder ohne Ihn etwas zu thun. Mit diesem Arm beweiset Gott auch Stärke in den Seim'gen, und thut Dinge, die keines Menschen Kraft verniag. Und Et würde millionenmal öfter be­ weisen, daß dieser Arm noch nicht verkürzt sey, wenn nur Glauben da wäre in den Menschen.

52. Er hat die Mächtigen vom Throne ge­ stürzt, und die Niedrigen erhöht. Dieß geschieht nicht nur äußerlich in der Welt durch Demüthigung der Hohen und Stolzen, sondern auch durch den Sturz der geistlichen Höhen vom Sitz und Stuhl ihrer eingebildeten Kräfte, wodurch sich der Antichrist der Eigenliebe auf den Thron setzt im Her­ zen, und vorgiebt, er sey Gott. Die Niedrigen, die ihr Vertrauen auf den Herrn setzen, die Verachteten, die tief unter sich wurzeln, die Verborgenen und Kleinen, über die man hergeht, wer­ den zu rechter Zeit gewiß erhöht. Der Größere muß dem Kleinern noch dienen. Das ist das Ende von den Lilienkindern, die in den Thälern wachsen; ihre Sonne wird nicht untergehen, sie werden erhöhet, und erhöhet bleiben ewiglich. Die Welt mit aller ihrer Größe und Höhe ist nur so ein Distelkopf.

53. Die Hungrigen hat Er mir Gütern erfüllt, und die Reichen leer entlassen. Wer's weiß, wie sich die Alten darnach gesehnt haben, und wie sie darauf gestorben sind, und sich ge­ freut haben, einen Blick da hinein zu thun, der ver­ steht, was das heißt.

Gott ist gewohnt, daS Leere zu erfüllen, und das Volle auszuleeren. Das Leere läßt sich viel lieber fülfcif, als das Volle ausleeren. Und da fehlts. Je leerer, l)ungriger, ärmer du vor Gott erscheinst, desto mehr wird dich Gott erfüllen und sättigen. Und so oft du dich des Tages oder Nachts nach Jesu sehnest, nach seiner Gnade durstest, und dein Herz wie eine dürre Erde nach Regen schreit, so oft betest du im Geiste, welches im Gehen und im Stehen, beim Essen und Arbeiten unablässig geschehen kann. Thue deinen Mund weit auf, laß mich ihn füllen, ruft der Herr. Ps. 81,11. Die Fülle Gottes ist die beste. Eph. 3,19. 54. Er hat sich Israel, seines Rnechres ange­ nommen, eingedenk seiner Barmherzigkeit. Sie hätten Ihn alle vorher bitten sollen/ Priester, Leviten^ und das ganze Volk, daß ihnen Gort den Messias bald geben möchte. Er kam ihnen aber zuvor und spricht: Wollt ihr wissen, was ich euch versprochen habe? Und gab ihnen die Verheißung. Er vergißt seine Barmherzigkeit nicht/ wie die Gläubigen bisweilen meinen. „Herr! hast du vergessen/ barmherzig zu seyn?" 55. wie Er zu unsern Vätern geredet hatte/ zu Abrahain und seinen Nachkommen in Ewigkeit, — so thut er auch; so erfaßte es Maria, und so müsi sen wir es auch lernen. 56. Und Maria blieb bei Elisabeth ungefähr drei Monate; dann kehrte sie nach Hause zurück. Daß dieses keine leere Visite war, kann sich feder vorstellen, der da weiß, wessen Mütter diese beiden Frauen waren. Ihr gegenseitiger Empfang, ihre Grüße künden schon an, welche erbauliche und geistreiche Ge­ spräche und gottselige Unterhaltungen sie während die­ sen drei Monaten mit einander gehabt haben werden. O möchten alle christlichen Frauen bei ihnen in die Schule gehen und lernen, wie sie sich unterhalten, wo­ von in ihren Gesellschaften, und bei ihren Besuchen

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Lukas I, 57—60.

die Rede seyn soll. Aber ach! wie unähnlich, wie himmelweit verschieden sind die meisten Besuche dieses Geschlechtes!

57. Bet Elisabeth kam ihre Zeit, daß sie yehären sollte, und sie gebar einen Sohn. 58. Da ihre Nachbarn und Verwandten hörte»/ daß der Herr große Barmherzigkeit an ihr bewiesen, so freuten sie sich mit ihr. Das ist ein Zeichen des wahren Glaubens, der durch Liebe wirkt, wenn man sich über der Gnade an­ derer freut, und daran Theil nimmt. Wer nur sich selbst sucht, und nur für sich Gnade haben will, der freut sich nicht, wenn Gott andern wohl thut. Dage­ gen genießt man allezeit den Segen mit, wenn wir mit denen, die in der Gnade stehen, in Gemeinschaft

treten. Der Herr hat große Barmherzigkeit an Elisabeth bewiesen, nachdem Er sie zuvor lange Zeit unter gro­ ßer Schmach hat liegen lassen. Aber man wüßte ja sonst nicht, daß es Barmherzigkeit wäre, wenn es nicht

durch solche Wege ginge.

59. Und am achten Tage kamen sie das Rind zu beschneiden, und sie nannten es nach dem Na­ men seines Vaters, Zacharias. 60. Aber seine Mutter nahm das Wort und sprach: Nein, son­ dern Johannes soll er heißen. Die Demuth entzieht sich unter dem Vorwand besonderer Begnadigung, dem Gesetze nicht. Johannes war im Mutterleibe schon geheiligt, wozu noch die Be­ schneidung? Die Gnade war ja im Herzen dem äu­ ßern Zeichen des Sakramentes schon zuvorgekommen. Das hindert doch nicht den Gebrauch des äußern Mit­ tels. Abraham war auch gerecht um seines Glaubens willen, und doch mußte er auf Gottes Befehl das Zei­ chen der Beschneidung, als Siegel der Gerechtigkeit empfangen. So auch Johannes. So wird jeder Fromme und Gerechte, der kein geisterisches Wesen an

Ich hat, den äußern Gnadenmitreln sich nicht entzie^ >en, wenn er schon innere Gnade besitzt. Was hat der liebe Gott auch mit den Namen, »äß Er seinen Auserwählten dieselben entweder verän­ dert, wie dem Abraham, oder ihnen andere beilegt, oie dem Petrus, oder sie ihnen schon vor der Geburt esiiimnt, wie hier dem Johannes und dann auch Cbriro? Es soll an ihnen aües bedeutend seyn, nichts leer inD sinnlos; ihr Name sollte schon ihren Charakter, der ihr Amt und ihre Bestimmung verkünden. Jo­ hannes, welcher Gabe, Gnade oder Barmherzigkeit Lottes bedeutet, zeigt an, daß er auf den mit Fingern oeisen soll, welcher die Gabe Gottes, der Urheber aller i)nade und Barmherzigkeit ist. Die Auserwahlten Voltes hatten kurze Namen, die viel bedeuteten, und ie sie auch verdienten. Hüte dich, daß du deinen Ra­ dien und Titel nicht unverdient und vergeblich trägst, hne in der That und Wahrheit etwas davon zu beIhcn. Laß dich nichts nennen, was du nicht bist. ^>üte dich, daß du dich nicht mit Namen und Titeln roß und breit machst, blos damit Eitelkeit treibst und ich selbst vergötterst. Sey, was du heißest und geannt wirst. 61. Und sie sprachen zu ihr: Niemand ist in »einer Verwandtschaft, der diesen Namen trägt. »2. Da winkten sie seinem Vater, wie er ihn nenlen wollte. Der soll auch noch seine Erklärung abgeen. Die Menschen wollen sich nicht in die Wege Vottes schicken. Da haben sie immer viele Einwenungen zu machen. Sie lieben den Schlendrian, ländch-sittlich, sägen sie, und darnach muß es gehen. Las nicht in der Freundschaft ist, daß will man auch icht in die Freundschaft einreißen lassen; und besoners gegen Kinder der Gnade sperrt man sich am meien. Wenn ein Kind fromm wird und Gnade har, > will das die Freundschaft als etwas Ausländisches icht aufkommen lassen.

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Lukas i, 63—66.

63. Zacharias verlangte ein Täfelchen, schrieb und sprach: Johannes ist sein Name. Und sie verwunderten sich alle. 64. Denn augenblicklich ward sein Mund geöffnet, und seine Zunge gelösek, und er redete und lobte Gott. Die andern sahen noch zu viel auf Herkommen, Und Gewohnheit. „Eß ist niemand in deiner Ver­ wandtschaft, der also heißt; es muß bei der Gewohn­ heit bleiben/^ Elisabeth und Zacharias aber sahen nur auf Gottes Befehl und Anordnung, wie es ihnen der Engel schon vor der Empfängniß des Kindes eröff­ net hatte. Schreiben und Reden kam da zugleich bei Za­ charias. Ueber dem Unglauben ist er verstummt; der Glaube löset ihm nun wieder die Bande seiner Zunge, und da ist das Erste, was hervor kommt, das Lob Gottes.

65. Und Huvchk überfiel alle, die umher wohn­ ten, da sie hörten, daß der stumme Zacharias auf ein­ mal wieder redete; und auf dem ganzen jüdischen

Gebirge wurden alle diese Dinge ausgebreitet. Gott wollte durch diese besonderen Umstände bei der Geburt Iohannes, die Juden aufmerksam machen auf die Nähe des Messias; sie sollten in den Prophe­ ten forschen und der Sache nachdenken» Ein heiliger Schauer durchdrang alle, die davon hörten» Denn sie fühlten, daß Gott sein Volk heim zu suchen in Be­ griff sey. Eine heilsame Furcht Gottes erwachte und verbreitete sich auf dem ganzen jüdischen Gebirge. Es war ihnen dabei nicht, wie bei andern Neuigkeiten und Zeitungsartikeln, von denen man eine Zeitlang redet, aber sie bald wieder vergißt, weil alle Tage wieder an­ dere Neuigkeiten aufgetischt werden.

66. Und alle, die es hörten, Nahmen es zu -Herzen und sagten: was wird wohl aus die­ sem Linde werden? Und die Hand des Herrn war mit ihm.

Das ist die rechte Art, mit Gottes Wort und Werke zu verfahren, wenn man sie zu Herzen ninuur. Dahin gehöret alles, was wir von Gott hören. Im Herzen soll es sich fesiseyen und wurzeln. Das Son­ derbare, Außerordentliche, das sich bei dieser Geburt ereignete, erregte ein allgemeines Erstaunen, ein Ahnen großer Dinge, ein sicheres Erwarten, daß aus dem Knaben einst ein großer Mann werden würde» Aus genscheinlich war die Hand des Herrn mit ihm. Got­ tes Führung waltet sichtbar! über ihm. Jedermann erkannte in ihm seht schon einen besondern Liebling Gottes.

67. Und Zacharias, sein Vater, ward voll hei­ ligen Geistes, weissagte, und sprach: Da so lange kein Prophet mehr gewesen ist, so tritt nun Zacharias gleich beim Anfänge des neuen T-stamentes auf, und singt ein so herrliches Lied von dem neuen Bunde, daß schon das ganze Evangelium darin enthalten ist. So läßt sich auch gut weissagen und lobsingen, wenn der heilige Geist das Herz erfüllt, und sogleich die lebendige Erfahrung im Herzen ist. Gut wäre es, wenn niemand seinen Mund aufthäte, und von der allerwl'chtigsten Sache des neuen Bundes redete, als der vom heiligen Geiste getrieben und unterrichtet ist.

68. Gepriesen sei der ^err, der Gott Israels! denn Er hat sein Volk heimgesuchc, und ihm Er­ lösung verschafft. Zacharias lobt Gott nicht deswegen, daß ihm ein Erbe geboren ist, und also sein Name nicht erlöschen müsse; er sieht auf das allgemeine Heil, und sieht es schon wie geschehen. Das zeigt, was ihm eigentlich am Herzen gelegen, und auf was er so lange gewar­ tet hat, nämlich: auf die Heimsuchung Gottes und die Erlösung des armen menschlichen Geschlechtes. Wer ist nun lobens»,liebens- und anbethungs­ würdiger, als der ewige Gott und Heiland, der die

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Lukas i, 69.

Menschen nach ihrem gänzlichen Abfalle nicht auf ewig von sich gestoßen, und sich in sein unzugängliches Licht zurückgezogen hat, sondern hervorgetreten ist, und noch eine weit größere Gnade in der Erlösung als in der Schöpfung geschenkt hat? Der Allgenugsame, der Nie­ mand bedarf, hat sein rebellisches Volk heimgesucht. Die uninteressirte Liebe und Freundlichkeit hat sich zu dem in der Hölle und im Tode liegenden menschlichen Wesen, das kein Recht und keinen Anspruch mehr zu Gottes Gnade hatte, herunterlassen, hat das Verlorne aufgesucht, und das Getrennte wieder vereinigt.

69. Ein -Horn des -Heils har Er uns aufgerichtec in dem -Hause Davids, seines Rnechces. Horn bedeutet eine Kraftquelle, eine Macht, ein mäch­ tiges Königreich, weil Könige aus Hörnern gesalbt wurden.

Zu diesem Horn des Heils muß man seine Zu­ flucht nehmen, wie im alten Bunde die Hörner des Altars eine Zuflucht waren, und das Horn des Heils am Sühn-Altar war. Man muß im Glauben fest daran halten, cs nicht loslaffen, bis man gesegnet ist, wie ein Flüchtling nicht vom Altare wich, und das Horn fest hielt, bis ihm das Leben geschenkt war. Das wird jeden die Sündennoth wohl lehren, wenn man nichts mehr als Verdamnrniß und Hölle vor sich sieht, da ergreift man dieses Horn, und hält es fest, bis man begnadiget ist. O wer kann aussprechen, wie mächtig sich dieß Horn beweist, denen, die da glauben? Dieses Horn steht jedem aufgerichtet am Kreutz- und Sühn-Altar auf Golgatha, jedem, der von der Rache der Gerechtigkeit und seinem Gewissen verfolgt wird. Wem seine Sünden leid sind, wer ihrer gern los, und von Fluch und Strafe gern frei wäre, der laufe zum Gnadenftuhl, er wird Barmherzigkeit finden. Es stoße sich aber niemand durch Unglauben an diesem Horn, das allen Völkern zur Zuflucht und Freistatt errichtet ist.

Der Glaube erfaßt es, der Unglaub« stößt und zerstößt sich daran.

70. Wie Er es durch den Mund seiner heili­ gen Propheten von Alters her verheißen hat, 71. uns zu erlösen von unsern Feinden, und aus den -Händen aller, die uns hasten. DaS zielt noch auf das Horn und heißt: Gott schickt uns einen mächtigen Heiland, der uns erlösen und erretten sott von den Feinden unsers Heils, und von allen, die uns um dasselbe beneiden und Haffen, daß ist: von einer ganzen Welt arger, listiger und mächtiger Geister, und der Menschen dazu, die alle in ein Horn blasen mit dem Teufel. Was Odem hat, machts den Gläubigen sauer in der Welt; Landsleute und Verwandte, ehemalige Freunde und Kameraden stehen dagegen auf und lästern. Ihr werdet gehaßt werden um meines Namens willen von jedermann. Die Feindschaft, der Haß ist schon 1. Mos. 3,15. ge­ boren worden. Das leidet Satan nicht, daß ihm daS menschliche Geschlecht entgehen soll; darum erregt und erhält er einen unversöhnlichen Haß in seinen Kindern gegen die, welche das Horn des Heils ergreifen. Wer sich aus der Sünde herauswindet, und Heil erlangt, bei dem setzt es Fersenstiche; man darf sich um Feinde nicht sorgen, sobald man gläubig wird. Darum redet David in seinen Psalmen so viel von Feinden. Er meint nicht seine Privatfcinde, sondern die Feinde der Sache Christi, die die Gläubigen Haffen, blos um Chri­ sti willen.

72. Barmherzigkeit unsern Vätern zu be­ weisen, und eingedenk zu seyn seines heiligen Bun­ des, 73. des Eides, den Er unserm Varer Abra­ ham geschworen hat, Die Versuchung, es sei der heilige Bund, daß uns Gott barmherzig und gnädig seyn wolle, vergessen, ist wohl eine der schwersten Versuchungen für einen Gläubigen. Hier aber sehen wir, daß es Ihm nachge« Crbaimnflit. M. Lheil. Lukas. 3

rühmt wird, daß Er seines Bundes, seiner Verheißun­ gen eingedenk ist/ daß Er wohl daran denkr, was Er vor Jahrtausenden versprochen har. Was fehlt nun noch daran? will Zacharias sagen. Haben wir nicht daS Kind der Verheißung, Immanuel? Daß Gott ei­ nen Eid schwören mußte, beschämt unsern Unglauben. West unS aber daS Glauben so schwer wird, und durch so viele Kämpfe geht, so hat Gott Geduld, und so wird uns sein Eid ein fester Anker in schweren Um­ ständen, daß wir denken können: Es muß doch erfüllt werden; es gehe, wie es wolle; Gott kann nicht falsch geschworen haben. Wer wollte dem schwörenden Gott nicht glauben? Und was schwur Er uns? 74, Uns zu verleihen, daß wir aus der Hand (Macht, Gewalt,) unserer Feinde erlöset, ohne Furcht Ihm dienen 75. in Heiligkeit und Gerechtigkeit unser Leben lang. Wenn die Menschen nicht Kinder Gottes, heilig und gerecht seyn wollen, so kommt das nicht von Fleisch und Blut her, sondern von der Macht und Gewalt deS Feindes, der sie verblendet, und ihnen Blaues vor die Augen macht, ihnen die Sache verkehrt vor­ stellt. Der Satan pflegt die Menschen durch Miß­ trauen, Verzweiflung und andere dergleichen Laster zu­ rückzuhalten, daß sie es nicht genießen, daß sie erlöst und erkauft sind. Das viele Bedenken und das Nicht­ glauben kommt eben von der Macht der Finsterniß her. Der Zwang des Teufels ist ein finsterer, widerwärti­ ger, mit Unruhe und Verwirrung verknüpfter Zwang. Der Feind muß vorerst einen Haufen Gaukeleien und blauen Dunst erfinden, um seinen Zwang zu verbergen. Er sucht durch allerlei Lustbarkeiten, Beschäftigungen im Irdischen, zeitliche Ebre, Glück oder Unglück, die Seelen zu verhindern, daß sie nicht an das Himmlische denken. Davon aber, singt Zacharias und jeder wahre Christ, sind wir erlöset, find frei von dieses Feindes Hanbund Macht, daß wir Gott dienen ohne Furcht.

Sobald eine Seele einmal erkennt, daß sie gefan­ gen und gebunden ist, so kann sie mit Grund denken, daß ihr geholfen werden, und Barmherzigkeit wieder­ fahren soll. Es ist eine vorausgesehte Hoffnung da: Der Heiland will mich selig machen; Er hat mich ge­ rufen; es wird gewiß sein Ernst seyn. So steht man da, und wartet bei allen Gelegenheiten, wann Er sich näher offenbaren wird. Die aber aus dem Tode ins Leben gekommen sind, genießen alle Tage Gnade, Vergebung der Sünden und Ruhe; sie halten alle Tage Gericht über die Sünde und das Verderben; erlangen täglich neue Kräfte und weitere Einsicht, bis sie völlige Gottes-Menschen wer­ den, zu allen guten Werken tüchtig.

76. Und du Rindlein! wirst ein Prophet des Höchsten heißen: denn du wirst hergehen vor dem Angesicht des Herrn, Ihm seine Wege zu bereiten, 77. um Erkenntniß des Heils seinem Volke miczurheilen, zur Vergebung ihrer Sünden, 78. durch die herzliche Barmherzigkeit Gocces. Aus dieser Weissagung des Zacharias von seinem Sohne, der ein großer Prediger war, lernen wir, waS es heiße, Christum predigen. 1 Kor. 1,23. 1) Vor Ihm hergehen, 2) Ihm Bahn machen, 3) die Leute erkennen lehren, was Seligkeit ist, 4) Vergebung der Sünden predigen, 5) den Grund zei­ gen, warum man Vergebung der Sünden erlangen kann. 1. Wenn ein Prediger das erste nicht versteht, so ist er schon mit seiner Predigt in Unordnung. Es muß ein ewiger Unterschied bleiben zwischen dem Herrn und dem Diener; so genau dieser als Menschenseele mit Ihm vereinigt seyn muß, so himmelweit ist er als Diener von Ihm unterschieden. Wenn dieß nicht beob­ achtet wird, so bringt eben der Mensch, der die Leute zu Ihm führt, sie wieder von Ihm weg. Wenn wir die Seelen zu'Christus gebracht haben, so halten sie sich an Ihn, den wir ihnen gezeigt haben; lassen sich 3 *

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LukaS i, 77.

nicht mehr, wie das erstemal, durch uns zu Ihm ein­ führen, sondern melden sich von nun an selber. Wenn sie aber das im ersten Anfänge versäumen, so entsteht Verwirrung. Unser Vorhergehen vor dem Herrn, ist so viel als eine Anmeldung, daß Er nachkommt. Wenn aber der Herr kommt, bleibt man nicht beim Boten, sondern beim Herrn stehen. Das 2te Geschäft ist, den Weg bereiten. Es wäre besser, wenn das nicht nöthig wäre. Aber es muß seyn. Wenn eine Seele zum erstenmal hört, (und dazu sind Kanzeln, Kirchen rc. doch sehr bequem, denn da hörens die Leute, die es sonst nicht hörten; da haben sie Gelegenheit, wenn sie nur wollen; es ist ein Ausruf; wer stille steht, der börts;) wer es nun hört, der soll nicht erst wieder davon gehen und es ver­ gessen, vielweniger sich im Gemüthe dagegen sehen, um es nicht aufkommen zu lassen. Es wäre besser, wenns gleich finge. Aber weils nun schon anders ist, und beinahe mehr so ist, als wie es seyn sollte, so hat der Heiland dafür Rath geschafft, indem Er drn Predigern des Evangeliunis befiehlt: Redet Jerusalem zu Herzen. Jes, 40,2. Sie müssen Bahn machen, und den Seelen das Evangelium auf die faßlichste Art auslegen. Paulus sagt 2. Kor. 5, 11.: Wir suchen die Leute zu bereden, ihnen ans Herz zu kommen, ihnen die Sache gemüthlich zu machen, sie in ein freundschaftliches Be­ nehmen mit der Sache zu bringen. Wenn der Die­ ner, der Anmelder, der vor dem Herrn hergehr, also verfährt, so entsteht in den Leuten 3. Erkenntniß des Heils, die Art und Weise, wie man selig wird: Ein verständiger Mensch seht seine Ebre darin, daß er seinen Zweck erreicht. Der Zweck des Heilandes ist, selig zu machen. Luk. 19, 10. Wenn Er den Ziveck erreicht, so hat Er Ehre von sei­ ner Kreatur. Das Werk lobt den Meister. Unser aller Seligkeit ist seine Ehrenkrone, und eine jede Seele bringt ein neues Steinlein dazu.

4) Wie wird man aber selig? Fängt man an mit fromm werden, heilig leben, Gutes thun? Fängt man einen Krieg mit allem Bösen an? Und wenn man überwunden hat, stellt man sich alsdann erst dar, als einen seligen Mann? So fangen cs gutmeinend e See­ len meistens an, und plagen sich sehr. Aber Zacha­ rias sagt: Die Seligkeit besteht und fängt an in der Vergebung der Sünden! „das; du ihnen Erkenntniß des Heils gebest, die da ist in Vergebung der Sün» den." Denn es ist an kein Heil zu denken, wenn nicht erst die Sünde gehoben ist. Ich gebe gern zu, daß es einem, der sich nicht sehr von der Sünde geplagt «nd gedrückt fühlt, wun­ derlich klingen muß, daß die Seligkeit mit Vergebung der Sünden anfangen muß. Wer keine Erkxnnmiß von der Größe der Sünde hat, der bittet um Ver­ gebung, wie die Leute, die einen im Vorbeigehen un­ versehens stoßen, um Vergebung bitten. Dieses cavaliere Begehren erhält auch ein dergleichen Vergeben. Wer so um Gnade bittet, der erhält auch so Gnade. Wer aber nach dem Sinn der Schrift selig wird, und Vergebung der Sünden erhält, der erhält sie nicht von einer, sondern von allen Sünden auf einmal. Jeh will alle ihre Sünden in die Tiefe des Meeres werfen. Mich. 7,19. Es irren sich nur darum so viel Tausend Menschen mit der Vergebung der Sünden, weil sie nicht aus ver Schrift lernen wollen, was Sünde ist. Joh. 16, 5. 9. heißt's: Der heilige Geist wird predigen, und die Welt strafen wegen der Sünde. Mas ist denn die Sünde?---------- Daß sie nicht glauben an nrich. Das sind die eigenen Worte des demüthigen Heilandes, )arum muß es wohl eine Hauptwahrheit seyn. Seine Bescheidenheit würde nicht zugelaffen Ha­ ien, so laut damit zu seyn, wenn Ihn die Nothwen)igkeit und Unentbehrlichkeit der Wahrheit nicht dazu gedrungen hätte. Aber Er ist der Mann, an den man

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LukaS

glauben muß, sonst ist man stirbt in der Sünde. Joh. wir gingen alle in aber der -Herr warf all

i, 77. noch unter der Sünde und 8,24. der Irre, wie Schafe; unsere Sünde auf Hihn.

Darum, daß feine Seele gearbeitet har, fbu Er feine Lust fehen, und durch die Erkenntniß seines er­ worbenen Heils, d. h. durch die Vergebung der Sün­ den, foll Er viele gerecht machen, denn Er trug ihre Sünden. Jes. 53, 5.6. Aus Jesu Leiben kann man sehen, wie sehr unsere Sünden den frommen Gott erzürnet haben, und wie schrecklich sie gestraft und gezüchtiget wurden an seinem eigenen ©ebne. Das heißt Erkenntniß des Heils ha­ ben, die Ursache wissen, warum man selig wird; erfah­ ren haben, von was für Folgen die Sünde ist; den Grund zur Moral und zukünftigen Heiligkeit eben dar­ ein legen, um wessentwillen man der Sünde so gram ist. Wie sollten wir der Sünde dienen wollen, um derer willen Jesus Christus gestorben ist? „Man spricht zur Lust, zum Stolz und Geiz: Dafür hing unser Herr am Kreutz." Das ist eine kurze Abfertigung; aber eine solche, damit man fertig ist. 5) Aber warum denn das? Was ist denn die Ursache? Soll man denn ohne allen Grund solche er­ staunliche Dinge glauben? Ist denn kein Grund vor­ handen? Ja, ich weiß einen: Seine herzliche Barm­ herzigkeit. Er hat ein mitleidiges, weiches Herz. Er ist das Original aller Liebe und Zärtlichkeit. Alles, was Großmuth, Gnade, Barmherzigkeit, Mitleiden heißt, ist nur Kopie von seinem Herzen. Sein Herz hat Ihm weh gethan; es hat Ihn in der Seele geschmerzt, daß wir verderben sollten, Unser Jammer jammerte Ihn. Das kann ich doch nicht zugeben, daß sie so alle zu Grunde gehen sollten; es ist wahr: es ist ein elendes Geschlecht, eine miserable Kreatur; soll ich's aber darum vertilgen? Soll ich allein selig bleiben, und wei­ ter niemand meiner Seligkeit theilhaftig machen? Nein,

ich will mein Geschöpf erhalten." Und der Schöpfer aller Dinge zog an eines Knechtes Leib rc. Das ist die Ursache, daß seiner Kreatur nun geholfen werden kann, wenn sie will. Seine Barmherzigkeit, sein mit­ leidiges Herz, sein allmächtiges Mitleiden ist die Ur­ sache. Und das ist das Wichtigste; denn wir möchten sterben vor Gram und Mitleiden, und können doch nicht helfen. Aber Er hat ein allmächtiges Mitleiden. Sein Jammer und Schmerz muß helfen und selig machen. Wenn wir vorangehen und sagen: Die herz­ liche Barmherzigkeit wird euch besuchen; Seele, dein König kömmt zu dir sanftmüthig, Er hätte dich gern in seinem Arm, Er machte dich gern selig; so glaubet es nur, ihr lieben Seelen; glaubet an den Herrn Je­ sum, so dürfet ihr einmal nicht um Ihn heulen, denn ihr werdet selig. 78. Herzliche Barmherzigkeit war es — durch welche uns besucht har der Aufgang aus der -Höhe, der helle Morgenstern, 2. Petr. 1,19., die Sonne der Gerechtigkeit, Zach. 3,8.29., 79. um denen zu leuchten, die da sirzen in Finsterniß und Todesschaccen, damit unsere Füße auf den we§ des Friedens geleitet würden. Die Macht und Finsterniß der Sünde in uns weicht nicht, ehe die Sonne, Christus, in uns leuchtet. Er aber ist erschie­ nen als ein Licht der Welt, daß Er alle Menschen er­ leuchte. Wer denn nun an dem großen Heile, das Christus bringt, Theil nehmen möchte, der öffne dieser strahlenden Sonne die Fenster seines Herzens, und lasse den besuchenden Aufgang aus der Höhe in sein Herz, so werden seine Füße auf dem Wege des Frie­ dens wandeln. Außer Ihm aber ist kein Friede, kein Heil, kein Licht, keine Seligkeit. 80. Das Rind aber wuchs, ward stark Ain Geiste, und blieb in der Wüste bis zum Tage, da Er tot Israel aufcrat. Er ist also auf keine Universität gekommen, noch

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Lukas i, go.

g’i Jerusalem ausgewachsen, wie andere Priestersöhne. In der Einsamkeit, — nicht in einer philosophischen, — hat Er seine Kräfte gesammelt. Möchte jeder Prediger, ehe er vor Israel auftritt, dem Johannes wenigstens in so weit nachfolgen, daß er, 1) wachst, indem er sich mit dem Brode des GebeteS speist, 2) stark am Geiste wird durch innigem Umgang mit Dem, der allein den Geist stärken kann, und durch Betrachtung des Wortes Gottes, das den schwachen Geist befestiget, 3) die Einsamkeit und Stille liebt, und darin so lange verharret, bis ihn Gott herausruft und ans Licht stellt. Man irrt sehr, wenn man sich so bald einen Wirkungskreis sucht, wenn man seine Ga­ ben so hoch schätzt und anschlägt, daß man sie nicht schnell genug brauchen und anwenden zu können glaubt. Johannes und Christus, die doch auch gewiß Gaben und Talente hatten, mehr als du, konnten dreißig Jahre stille bleiben, der eine in der Wüste, der andere in der Zimmermanns-Werkstätte. Sie gingen nicht heraus, bis sie Gott und Gottes Geist Heraustrieb. Welch eine Schande für's Predigtamt, welche Verantwortung für alle diejenigen, die so schnell und hastig zum Predigt­ amte laufen, als wenn die Welt ohne sie zu Grunde gehen würde, und das, ohne einen Finger lang gewach­ sen zu seyn, ohne einen Funken Geist zu haben, ge­ schweige stark am Geiste zu seyn, ohne die Einsamkeit oder Stille je gekannt zu haben, oder auch nur zu wissen, was denn das ist, von dem Geiste getrieben zu seyn, ohne von dem Geiste, der die Prediger treiben und lehren muß, nur die mindeste Kunde oder Erfahrung zu haben.

Das II. Kapitel. (Geburt, Beschneidung, Darstellung und Besuch Jesu im Tempel, da Er zwölf Jahre alt war.) 1. Es geschah zu derselben Zeit, daß vom Raiser Augustus ein Gebot ausging, daß der ganze Erdkreis *) beschrieben (und in die Register gebracht) werden sollte. 2. Diese erste Beschreibung wurde von Lyrenius, dem Landpfleger in Syrien

unternommen. Der Kaiser Augustus hatte besondere Einfälle oder Launen, und befahl etwas, ohne selbst zu wissen, war­ um? Gott aber wußte es. Er meinte vielleicht etwas zur Ehre seines Namens und Verherrlichung seines Throns zu unternehmen, und Gott ließ es geschehen, aber nicht um des Augustus willen, sondern um Christi willen. Er hatte ganz andere Absichten dabei, die Au­ gustus und seine geheimen Räthe nicht errathen haben. Augustus muß durch seinen Befehl zur Erfüllung alter, ihm ganz unbekannter Weissagungen, in Hinsicht des Geburts - Ortes eines Königs und zur Aufrichtung eines Königreichs beitragen, welches am Ende sein Reich und alle Reiche der Welt verschlingen und sich unterwürfig machen wird. Offenb. 11,15. Dan. 7, 27. So spielt Gott mit den Menschen, aber sie denken nicht daran. Sprüchw. 8, 31. 3. Und alle gingen hin, sich einschreiben zu lassen, ein jeder in seine Stadt. Da nun die Ju­ den keinen eignen König mehr hatten, sondern dem römischen Kaiser unterworfen waren, so mußten sie auch jedem kaiserl. Befehl gehorchen, und jeder in sei­ nem Stammhause oder Orte erscheinen um seine Per­ son, Habe, Lebensart und andere Umstände anzugeben

*) D i. das ganze Römische Reichs welche- wegen stiner Größe der ganze Erdkreis oder die ganze Welt genant wurde.

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kukaö 2, 4—7.

und aufzeicknen zu lassen. 4. So kam auch Joseph r-on Galiläa, aus der Stadt Nazareth, nach Judäa in die Sradt Davids, die Bethlehem heißt, weil er aus dem -Hause und Geschlechte Davids war, 5. um sich einschreiben zu lassen mir Ma­ ria seinem getrauten Weibe, die schwanger war. Es scheint hier alles so von ungefähr zu geschehen, und doch ist alles von Gott und seiner Vorsehung weise geleitet, damit die Schrift erfüllt würde, an die dabei kein Mensch dachte, als der sie eingegeben hat. Die Zeit und der Ort der Geburt Christi, so wie sein Ursprung aus dem Geschlechte Davids mußte erwiesen werden können, und das hat nun der liebe Gott so veranstaltet, durch Leute, die nichts davon ahnden, durch Heiden, die, wenn sie gewußt hätten, was sie veran­ stalten mußten, es wohl nicht gethan haben würden.

Jesus war schon vor seiner Geburt gehorsam aller menschlichen Ordnung, besonders der obrigkeitli­ chen Gewalt. Er hat sich unter die äußerlichen Umstände ge­ fügt und erniedriget, und auch all die Seinigen dazu angewiesen. Zacharias und Maria haben zwar gesun­ gen von der Erlösung aus der Hand der Feinde, aber da sieht man, daß sie keinen sinnlichen Chiliasmus (tausendjähriges Reich) verstanden haben. Der beidni'sche Kaiser mußte unwissend ein ge­ horsamer Diener Gottes seyn. Denn Jesus mußte in Bethlehem geboren werden, und dieser kaiserliche Be­ fehl veranstaltete, daß Joseph und Maria gerade zur Zeit ihrer Geburt sich nach Bethlehem begeben mußten, wohin sie sonst nicht gekommen wären; denn Bethlehem war das Stammhaus der königlichen Familie Davids, von der Jesus, Maria und Joseph herstammten.

6. Und es geschah, als sie daselbst waren, kam die Zeit, da sie gebären sollce. 7. Und sie gebar ihren erftgeborn-.n Sohn, wickelte Ihn in

Windeln und legre Ihn in eine Rrippe, weil in der -Herberge sonst kein Play für sie übrig war. Drei Tage lang hatten sie zu reisen von Nazaret bis Bethlehem, und da fie ankamen mußten sie eine Herberge suchen und fanden nicht. Seht doch! der Schöpfer aller Dinge kömmt in die Welt und findet keinen Raum, keine Herberge. Droben im Himmel beteten Ihn die Engel an, hier unten dient Er uns und legt sich in unsern Schlamm. Die göttliche Mafestat, vor der die Engel zittern, läßt sich so herunter daß sie wie der ärmste Bettler dahergeht. Da sollen wir doch wohl lernen demüthig seyn. Denn wenn dein Retter, ja dein Bruder, der König Himmels und der Erde, so elend und armselig sich ins Stroh legt, warum willst du herrlich seyn und gar nichts leiden, der du nicht werth bist, daß du auf einer Hechel liegest? Ist denn der Kaecht mehr als sein Herr? Es wird von der Geburt des Heilandes, als von einem Freudenfeste geredet. Es muß sich aber niemand einbilden, daß es ein anderes Freudenfest ist als der Charfreitag, und wenn man entscheiden müßte, welcher von diesen beiden Tagen mehr Jubel-Natur habe, so hat's unstreitig der Charfreitag. Denn die Geburt des Heilandes war der Eintritt in das Elend, wobei sich der Heiland auf ein etlich dreißigjähriges Marter- und Sterbens-Leben einrichten mußte; der Charfreitag aber war der Eingang in die Freude und Herrlichkeit. Wenn man bedenkt, daß Er ein armes Menschen­ kind geworden, daß sich das höchste Gut in unser Fleisch und Blut gekleidet hat, daß Er seine unendliche Herr­ lichkeit und Majestät aus- und unsere elende Natur angezogen hat, und dann die Ursache davon recht be­ trachtet, so wird es einem schwer ums Herz, daß wir unsern Schöpfer so viel gekostet haben. Es ist billig, daß wir dabei denken: Lieber Hei­ land! du sollst auch meinethalben nicht umsonst ein Menschenkind geworden seyn, ohne den vollen Lohn

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LukaS 2, 7.

dafür zu empfangen. Der besieht aber darin, daß wir uns Ihm opfern. Unsere Glieder fallen bei dem Kripplein nieder, und wollen nichts mehr wissen, hören oder sehen, was seiner Menschwerdung zur Schmach gereichte.

Er ist wie ein anderes Kind auf die Welt ge­ kommen, nur mit dem Unterschiede, daß man ein Kind, auch das ärmste, nicht leicht ohne Wiege und Benchen, darauf es ruhen kann, lassen wird. Für Ihn aber hat man kaum etliche Windeln zusammengebracht, und statt der Wiege hatten sie eine Krippe, in der man das Vieh im Stalle füttert, geschwind ausgeräumt und Ihn hineingelegt. Diese Geburt soll uns unsere Menschheit lieb, und einen solchen Eindruck machen, daß es uns um deßwillen nicht betrübt, sondern vielmehr erfreut, daß wir Menschen-Seelen, und keine heilige Engel sind, wenn wir gleich wissen, daß die Engel reine Geister sind, die nicht krank und schwach sind, oder schlafen, noch auf unsere Art essen und trinken dürfen, sondern immer wie die Sterne in ihrer Klarheit, und wie die Sonne in ihrer Macht leuchten, und in einer großen Geschwindigkeit seyn können, wo sie wollen, um Gotteö Befehle zu vollziehen.

Da der Heiland ein Mensch geworden, so denken wir: Gott Lob! daß wir auch Menschen sind, ich will gern erfahren und ausstehen, was man als Mensch erfährt und aussteht; war doch unser Herr Gott auch ein wahrer Mensch. Ich will von den andern Schmerzen bei seiner Geburt nichts sagen, sondern nur davon, daß es an sich selbst etwas Schmerzliches gewesen ist, daß Er in unser Elend hineingeboren ward, und aufwuchs, und alle äußere Umstände seines Lebens waren hart und schwer. Es war aber einmal bei Ihm ausgemacht: Ich gehe dahin. Und so ist Er Schritt vor Schritt

in daS Elend hineingezogen, und zwar in eine jede Sache mit sehenden Augen. (Siehe Hebr, 10, 9.) Seine Geburt und fein Tod, Weihnachten und Charfreitag, können und werden oft in Einem Liede besungen; das heißt, die Menschwerdung und Passion wird zusammengenommen, und seine Passion von der Menschwerdung an gerechnet. Denn Er hat sich gleich den Augenblick zur Marter und zum Leiden hingege­ ben, da Er ein Mensch geworden, und unsere Glieder angenommen hat, das heißt, da Er sich in das Fleisch, die Adern, Knochen und Haut hat einfügen lassen, die wir tragen. Darum sollen wir ewig nicht vergessen, daß der Heiland in unser armes Fleisch und Blut, trt eine so beschwerte Wohnung eingezogen ist, seine kost­ bare Seele in einem irdenen Gefäße getragen, und das nicht nur so im Vorbeigehen, sondern drei und dreißig Jahre lang. Die Menschheit ist Ihm noch immer unvergessen, wie sie es Ihm damals war; Er trägt sie verklärt, doch nicht ohne Narben der Passion, und denkt noch an das elende Leben, hat Mitleiden mit denen, die in denselben Umständen sind, in denen Er hier war. Wenn einem jetzt etwas begegnet, wenn man Schmerzen fühlt, und seine Schwachheit auf ir­ gend eine Art inne wird, so denkt man mit allem Rechte: „War doch unser lieber Gott auch so ein Mensch, der in allem versucht ward, wie wir."

was das für eine Beschäftigung achtzehn Jahre lang für den Messias ist, der kaum drei Jahre übrig behält, das eigentliche Geschäft seiner Menschwerdung auszuführen; hätte Ihm nicht hundertmal einfallen können: Der Zimmermanns-Beruf ist der Mühe nicht werth? Wer hätte es Ihm in seinem achtzehnten, zwanzigsten, oder vier und zwanzigsten Jahre verdenken können, wenn Ihn die Begierde, zu zeugen, hingerissen hätte, wenn Jbm nicht wohl gewesen wäre, bis Er ein paar tau­ send Menschen vor sich gehabt, denen Er hätte predi­ gen können: Aber anstatt dessen geht Er achtzehn Jahre in ei­ ner Verborgenheit hin, die unbegreiflich ist, nicht als ein vorsehlicher Anachoret (Einsiedler), nicht als ein großer Philosoph, der sich lange hinsetzt und auf seine zukünftigen Meisterstücke, die er machen will, bereitet, sich selbst studiert, um hernach die andern zu studiren rc. Nein, Er ging seinem Berufe in aller Stille nach; Er zimmerte so fieißig, daß, als Er das erstemal zu Nazareth predigte, die Leute sagten: Ey, was ist un­ serm Zimmermann angekommen? Der redet, daß man sich wundern muß! Wenn Er nur ein Rabbi wäre! Das giebt die Geschichte zu verstehen. Mark. 6, 5. Luk. 4, 22. So dachten die Leute von Ihm, und Er sagte: „Ich kanns ihnen nicht übel nehmen; sie können sich in so einen Propheten in seiner Vaterstadt nicht finden; sie könnens nicht begreifen, wo Ihm das auf einmal herkommt; sie haben mich nicht einmal als einen Pro­ phetenknaben gekannt; ich bin kein solcher Schüler un­ ter ihnen gewesen, kein solcher Mensch, von dem etwas Besonderes zu erwarten gewesen wäre; ich habe so un­ ter ihnen als Nachbar und Bürger dahin gelebt; sie haben mich lieb und gern mit mir zu thun gehabt, aber das haben sie nicht hinter mir gesucht." Deßwe­ gen ging Er ihnen nachher auch aus dem Wege, und setzte sie nicht auf große Proben, sich an Ihm zu är-

gern, und Ihm feind zu werden. Er that daselbst nicht viele Zeichen, um sie nicht wild zu machen. Wo Er vorher nicht bekannt war, da hatte es weniger Schwierigkeiten; da sah man auf das, was vor Augen war, und bekümmerte sich nicht, wie es vorher gewesen. Seine achtzehnjährige Handwerkstreu« und Pünkt­ lichkeit in seinem eigenen Berufe, wozu Er gebraucht und angewiesen wurde, fleißig und gehorsam zu seyn, soll uns auch treu machen in unserm Berufe. Von Ihm sollen wir die Gemüthsstellung lernen, gerne Un­ terthan zu seyn, sill) eine Freude daraus zu machen, wenn andere vor einem sind, auf die man sich mit Erlaubniß seines Berufs lehnen darf.

— Seine Mutter aber bewahrte alle dieft Worte in ihrem Herzen. Maria hat sich in allem, was man von ihr weiß, als eine Person bewiesen, die genau aufs Wort merkte, die eine solche Liebe und Aufmerksamkeit auf das Wort Gottes gehabt hat, daß ihr alles wichtig war. Sie har immer betrachtet und über die göttlichen Worte, die zu ihr gesagt worden, in der Stille nachgedacht; sie hat dieselben ins Herz fallen lassen, sie überlegt und bewahret, bis der Umstand gekommen, da es ihr so war: Das ists, was mir gesagt worden. Sie war unter den Aposteln, und unter denen sie lebte, ein ge­ segnetes Beispiel, und wird immer auf ihres Sohnes Wort gewiesen haben. Das war also eine selige Seele, eine leibliche Mutter des Heilands, und zugleich eine andächtige Hörerin des Wortes. Sie war eine Magd

Gottes, zu der der Herr redete, die im Umgang, in der Gemeinschaft u'nd im Gespräche mit Gott stand, und Ihn bei Tag und Nacht wirklich hörte.

52. Und Jesus nahm zu an Weisheit und Al­ ter und Gnade bei Gott und den Menschen. Das sind die drei wesentlichen Sachen. 1) Jesus nahm zu an Weisheit. Er, der Gott war, der in seinem ersten Jahre hatte reden können.

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kukaö 2, 52.

was Ek gewollt, der in acht Tagen hätte gehen, und in ffd)6 Wochen alles hätte verrichten können, was Er im drei und dreißigsten Jahre gethan, hat lieber wol­ len zunehmen an Weisheit, Geschicklichkeit und an al­ lem, was einen Menschen vollenden kann. Er hat er­ fahren wollen, was wir heutzutage erfahren, und hat sich nie übers Ziel gemessen. Man meint, Er habe im zwölften Jahre schon im Tempel gelehret, und da sein frühzeitiges Genie bewie­ sen. Er hat aber nicht gelehrt, sondern nur so ver­ ständig gefragt und geantwortet, als man es von ei­ nem Kinde in dem Alter nicht gewohnt war. Er hat nur seinen reifen Kinderverstand wohl angewendet, und ihn nicht wie andere Kinder durch Hochmuth, Leicht­ sinn und Faselhaftigkei't. Und weil die Welt, die Schriftgelehrten und Pharisäer, keine solche Kinder er­ ziehen, so haben sie Ihn bewundern müssen. Seine Aeltern wußten gut, daß Er ein Kind war; es fiel ihnen nicht ein, daß Er, als sie Ihn verloren hatten, allein den Weg nach Hause finden könne, und dachten nicht: Er wird wohl kommen, Er ist Mannes genug, sondern sie suchten Ihn mit Schmerzen und beklagten sich bei Ihm: Liebes Kind! wie hast du uns einen solchen Schrecken machen können, daß uns angst und bange darüber geworden ist? Das ist ein klarer Be­ weis, daß seine Aeltern nicht mehr, als einen guten Verstand eines feinen, artigen, frommen Knaben, aber doch eines zwölfjährigen Knaben bei Ihm gefunden haben. 2) Jesus nahm zu an Alter. Es haben alle Alter ihre Veränderungen in der Natur, und die Dinge, die zu der und der Zeil erfahren werden müssen, die lassen sich nicht abbringen. Und wenn Kinder Gottes dergleichen nicht erfahren wollten, so wären's Einbil­ dungen. Sie dürfen nicht sagen: Wir sind Kinder Gottes, darum dürfen wir nicht erfahren, was andere Menschen als Menschen erfahren, sondern das ist ihr

Trost: Kinder Gottes haben in allen unschuldigen Dingen das Lamm zum Vorgänger: und es kann ih­ nen nichts blos Natürliches begegnen, was das Lamm nicht auch erfahren hätte; nur hals bei Ihm nicht auf die schlimme Seite hinüber schlagen, können, weil bei Ihm alles gut und ohne Sünde geblieben ist. So muß es aber auch bei uns werden. Was der Knabe Jesus ohne Sünde war, das werden wir aus Gnaden. Es kommt darauf an, daß man in allen Lebenszeiten und Jahren, gewaschen von Sünden mit Seinem Blute, und gewaffnet mit Seinem Sinne, alle Dinge behandeln und alle die Zeiten und Alter durchgehen kann, so sind sie uns alle gut, eines leich­ ter oder schwerer als das andere; aber allezeit gesegnet. 3) Jesus nahm zu an Gnade bei Gott und den Menschen. Ein Kind, das vorher auf den Händen getragen wird, das alles liebkoset hat, wenn sichs einmal zurück­ besinnt, so findet *es, daß man ihm vor drei Jahren so schön gethan hat, und jetzt ists nicht mehr so. Das hat von einem Jahre zum andern abgenommen, und nimmt immer mehr ab. Dadurch entsteht in den Kin­ dern, so wie sie verständiger werden, eine gewisse Schüch­ ternheit und Scheu vor den Menschen; diese macht, daß sie mit sich selbst am bekanntesten werden. Da­ her entstehen ihre zwei großen, obgleich verschiedenen Sünden, — ihre Einbildung von sich selbst, oder ihr Leichtsinn und Ausschweifung. Da können sich nun freilich natürliche Kinder nicht selbst helfen, und sie mögen sich noch so viele Mühe geben, das Ding in Ordnung zu bringen; es ist alles eben so umsonst, und verloren, als wenn sie mit einem Siebe die See ausschöpfen wollten. Wer aber in seiner Jugend ein Kind GotteS wird, oder während derselben Vergebung der Sünden vom Heilande bekommt, der wird auch zugleich geheiligt, nimmt Theil am Verdienste des Jünglings Jesu; der

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Lukas Z, i. 2.

stellt das lebendige Bild des Knaben Jesu vor sich, und denkt: Hat Jesus durch die Knaben-Jahre durch­ kommen können, warum ich nicht auch? Ob ich wohl weit schlechter bin, so bin ich doch sein, und Er wird mich nicht lassen. Wie Er zunahm an Gnade bei Gott, so erhalten es auch wir durch sein Verdienst; denn so, wenn wir sein Verdienst annehmen, sind wir ganz sein und Erben seiner Heiligkeit. Bittet daher, ihr Kinder, daß ihr auch zunehmen möget in der Gnade bei den Leuten, die euch erziehen; hauptsächlich aber, daß ihr Vergebung der Sünden habet, und Gnade bei Gott behaltet, d. i. daß euch Jesus lieb hat, wie Ihn sein Vater liebte.

Das III. Kapitel. Johannes predigt und tauft alles Volk, auch Je­ sum; Stammregister Mariä.

1. Im fünfzehnten Jahre der Regierung des Raisers Tiberius, da Pontius Pilatus Landpfle­ ger in Judäa war, und Merodes Vierfürst in tNaliläa, und Philippus fein Bruder Vierfürst in Ituräa und in der Gegend Trachoniris und Lyfanias Vierfürft von Abilene; 2. unter den -Ho­ henpriestern Annas und Raiphas, erging das wort des -Herrn an Iohannes, Zacharias Sohn, in der wüste. Die Predigt muß durch das Wort Gottes und auf das Wort Gottes geschehen, nicht nach unserm Willen. Der Wink und Trieb Gottes muß dabei ab­ gewartet werden. Gott läßt die Großen, Kaiser, Könige und Für­ sten seyn, und ihre Staaten einrichten, wie sie wollen; Er führt indessen doch sein Werk aus. Annas und

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Lukas Z, i. 2.

stellt das lebendige Bild des Knaben Jesu vor sich, und denkt: Hat Jesus durch die Knaben-Jahre durch­ kommen können, warum ich nicht auch? Ob ich wohl weit schlechter bin, so bin ich doch sein, und Er wird mich nicht lassen. Wie Er zunahm an Gnade bei Gott, so erhalten es auch wir durch sein Verdienst; denn so, wenn wir sein Verdienst annehmen, sind wir ganz sein und Erben seiner Heiligkeit. Bittet daher, ihr Kinder, daß ihr auch zunehmen möget in der Gnade bei den Leuten, die euch erziehen; hauptsächlich aber, daß ihr Vergebung der Sünden habet, und Gnade bei Gott behaltet, d. i. daß euch Jesus lieb hat, wie Ihn sein Vater liebte.

Das III. Kapitel. Johannes predigt und tauft alles Volk, auch Je­ sum; Stammregister Mariä.

1. Im fünfzehnten Jahre der Regierung des Raisers Tiberius, da Pontius Pilatus Landpfle­ ger in Judäa war, und Merodes Vierfürst in tNaliläa, und Philippus fein Bruder Vierfürst in Ituräa und in der Gegend Trachoniris und Lyfanias Vierfürft von Abilene; 2. unter den -Ho­ henpriestern Annas und Raiphas, erging das wort des -Herrn an Iohannes, Zacharias Sohn, in der wüste. Die Predigt muß durch das Wort Gottes und auf das Wort Gottes geschehen, nicht nach unserm Willen. Der Wink und Trieb Gottes muß dabei ab­ gewartet werden. Gott läßt die Großen, Kaiser, Könige und Für­ sten seyn, und ihre Staaten einrichten, wie sie wollen; Er führt indessen doch sein Werk aus. Annas und

KaiphaS waren gewiß nicht schläfrig, ihr verderbtes Ju­ denthum zu erhalten, und wollten ja nichts neues auf­ kommen lassen. Dennoch mußte unter ihnen das Reich Christi auftommen. Gott macht dem Johannes Platz, ohne daß es die großen Sraatsleuie und die ganze Klerisey verhindern konnte. 3. Und er kam durch die ganze umliegende Gegend des Iordans und predigte die Taufe zur Bu^e (nicht nur Taufe, sondern auch Buße, d. i.

Sinnesänderung, dadurch der alle fleischliche Sinn ausgezogen, und Christus ungezogen wird), zur Verge­ bung der Sünden, die der Glaube ergreift, welcher also der Buße zum Grunde liegt. 4. wie geschrie­ ben fteht: (Jes. 40, 3.) Die Stimme eines Ru­ fenden in der Wüste: bereitet den weg des Herrn! ebnet feine Fußsteige! 5. Alle Thäler sollen ausgefüllt, uht) alle Berge und Hügel sollen abge­ tragen werden; was krumm ist, soll gerade, und was uneben ist, soll ebener weg werden. Es giebt an gewissen Orten und zu gewissen Zei­ ten Schwierigkeiten, die alle Wege unwegsam machen, daß die Leute nicht in das Reich Gottes kommen kön­ nen. Wo der Heiland das sieht, da sendet Er einen Wegbereiter hin, wie Johannes, daß eine Bahn werde, die man betreten kann, daß der Weg ausgehauen, und was diesem oder jenem Berge sind, geebnet, und was dem andern zu eben ist, darüber er wegspringen will, genugsam erhöht, und ein Gegenstand werde, dabei er stille stehen muß. Das sind zwei verschiedene Anstalten beim Evangelium. Die Schwierigkeiten wegräumen, heißt die Berge eben machen; den Leichtsinn figiren, oder machen, daß die Leute attent, aufmerksam werden, und bei der Sache stehen bleiben, heißt die Thäler ausfüllen, oder die Ebenen zu Hügeln machen, Mo­ numente und Grenzsteine setzen. Bereitet dem Herrn die Wege, heißt also eigent­ lich : Wenn Gott vorwärts zieht, so sollt ihr die Pferde nicht hinter den Wagen spannen.

$o

Lukas Z, 6. 7.

0 komm, du einziger Wegbereiter! Gott heiliger Geist! Erniedrige du selbst alle Berge des Stolzes, und alle Höhen der Vernunft! Erhöhe alle Thäler des irdischen verzagten Sinnes. Was gekrümmt und dei­ nem geraden Sinne entgegen ist, das mache du gerade und was höckericht, ungleich und ungeschlacht ist, laß eben, und auftichtig werden. 6« Und alles Fleisch, (das ist alle Menschen, die wegen ihrer Verdorbenheit und Jrdischgesinntheit in der Schrift fast immer Fleisch genannt werden,) wird das -Heil Gottes sehen. Es ist kein Mensch, dem Gott in Christo nicht sein Heil die Seligkeit, an­ bietet, den Er nicht gerne selig machen wollte und könn­ te; allein es giebt Kranke, die nicht heil werden wol­ len. Christus ist das Heil für alles Fleisch, für alle Menschen. S. Matth. 3.1 — 4. 7. Daher sprach Iohannes zu den volksschaaren, welche hinaus gingen, um sich von ihm raufen zu lassen: Ihr Otterngezüchte! wer hat euch (den Neben-Weg, oder die Hinterthüre) ge­ zeigt, wie ihr dem zukünftigen Zorne entfliehen könnet? Das war denn doch nicht höflich, nicht hofartig gesprochen; das ist grob, sagen sie, die nicht wissen, daß sie gröbere Sünder sind, als daß für sie ein Name, der ihnen gebührte, erfunden werden könnte. Ein Prediger muß kein Schmeichler seyn, sondern das Kind beim Namen nennen, und es die Zuhörer fühlen lassen, was sie als Sünder vor Gott sind, sie mögen vor den Menschen auf Erden seyn, wie sie wol­ len, reich, groß und angesehen, oder arm und niedrig, das ist gleich viel. Die Menschen wollen denn doch nicht verdammt werden, wenn sie schon die Welt, die Sünde und das Fleisch lieb haben. Weün sie aber hören, der Weg in den Himmel sey so schmal und die Thüre so eng, daß man mit Fleisch und Blut, Welt und Sünde unmöglich fort und durchkommen könne.

so studiren sie und suchen Nebenwege, Seitenthüren, obs nicht möglich wäre, auf eine andere Weise selig zu werden, als die das Evangelium vorschreibt. Da ver­ fallen sie auf allerlei Wege und Mittel. Gewöhnlich erwählen sie die Praxis der Pharisäer, sie thun einige gute Werke, fasten, beten, geben Almosen und denken: Das muß alles gut machen, und deswegen dürfen wir uns schon etwas erlauben; der liebe Gott muß ein Aug zudrücken bei unseren Sünden, sobald Er unsere guten Werke sieht. Johannes aber sagt: Otterngezüchte! wer hat euch dieß Evangelium geprediget, euch solche Schleichwege gezeigt? Glaubt ihr durch Heuchelei den Zorn der untrüglichen und unbestechlichen Gerechtigkeit Gottes abwenden, und euch vor dem Allsehenden hinaus­ lügen zu können? (Matth. 3,7.)

8. So bringet also würdige Früchte der Buße, und fanget nicht an zu sagen.- wir ha. den Abraham zum Vater. Denn ich sage euch, Gott ist mächtig auch aus diesen Greinen dem Abra­ ham Rinder zu erwecken. Er braucht euch nicht. Sieh da, das ist der einzige Weg, auf welchem man dem künftigen Zorne entfliehen kann, der Weg der ernsten Buße und Sinnesänderung, die durch Got» teswürdige Früchte sich beurkunden muß. Nicht nur sich fromm und andächtig stellen, sondern wirklich einen reinen Sinn und heiligen Wandel führen, das beweist die ächte Buße und die ernste Bekehrung. Was hilft es uns, auf unsere frommen KirchenVäter, Reformatoren und Heiligen, wie die Juden, uns zu berufen? Wenn wir ihren frommen Sinn und ihr gottseliges Leben nicht nachahmen, so wird uns ihre Frömmigkeit und ihr Glaube nur verdammen vor dem Gerichte Gottes, anstatt uns dort zu vertreten. Wir sind nicht ihre Kinder, sie nicht unsre Väter, wenn wir nicht ihren Sinn haben. (Siehe Matth. 3,8.9.)

9. Denn schon ist die A-rc den Bäumen an die Wurzel gelegt; der Bauin, der nicht gut« Erbauungtb. IN. Cut* 6

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Lukas 3, 10—13.

Früchre bringt, wird ausgehauen und ins Feuer geworfen. Versäume nicht, verschiebe nicht einen Augenblick deine Besserung, wenn du selig werden willst, denn der Arm Gottes ist schon aufgehoben, die Axt ist schon an der Wurzel deines Lebensbaums — heute noch kannst du — ausgehauen werden aus dem Lande der Lebei­ digen, und dann ist keine Zeit zur Buße mehr. Und diese Axt sieht die Person nicht an, schont kein Alter, keine Würde, kein Amt, keine Wissenschaft, keinen Pur­ pur und keine Krone, sie haut alle faule, unnü.;e Bäume ab, und wirft sie ins Feuer. (Matth. 3,10.) 10. Da fragte ihn das Volk: was sollen wir denn thun? (welches Er ihnen doch soeben gesagt har­ te.) 11. Er antwortete ihnen: wer zwei Rö^ke har, gebe dem einen, der keinen har, und wer Speise har, der rnache es eben so. Wer Ueberfluß oder auch nur etwas mehr hat, als ihm unentbehrlich ist, der theile mit dem, der zu wenig hat und Mangel leidet. Johannes hat beim Volke den rechten Fleck getroffen. Der Eigennutz, der nur für sich leben will, ist die Sünde des Volkes; ein jeder für sich, Gott für uns alle, ist ihr Grundsatz. Johannes aber will nicht sagen: Wenn ihr einen Rock wegschenket, so werdet ihr selig. Es ist nur ein Beispiel von allem, was weg muß, und wie man ge­ sinnt seyn muß, wenn man selig ist. Wenn man daß Böse nicht fahren läßt, kann man zum Guten nicht kommen. 12. Auch Zöllner kamen, um sich taufen zu lassen, und sprachen: Lehrer! was sollen wir thun? Zöllner waren Leute, die die Zölle von den Rö­ mern gepachtet, und sich durch Betrug und Schinderei bereichert haben. 13. Er aber sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als was euch gesetzt ist. Sie hatten das wohl selber gewußt, und sind darüber in Eid und

Pflicht genommen worden; aber bisher, will Johannes sagen, habt ihr gegen euer Wissen und Gewissen ge­ handelt. Wenn ihr nun das nicht ableget, so ist euch nicht zu helfen. Daran wird es offenbar werden, ob euer Wille redlich und ernstlich ist. Johannes zwingt sie'nicht, ihren Stand zu verlassen, sondern ermahnt sie nur, ihre Schuldigkeit in Acht zu nehmen.

14. Go fragten ihn auch Rriegsleute: was sollen denn wir thun? Und er heißt sie auch nicht ihren Stand verlassen, sondern sagte ihnen nur, wie sie sich darin verhalten sollten, und sprach: Thut nie­ manden Gewalt, gebet niemand fälschlich an, und lasset euch begnügen an eurem Solde.

Man kann daraus schließen, wenn der Soldaten­ stand mit dem Christenthume nicht verträglich wäre, so würde ihnen Johannes gerathen haben, ihn ganz zu verlassen. Es ist kein Stand von der Buße und Se­ ligkeit ausgeschlossen. Nur kann ein Stand Einem hinderlicher seyn als dem andern. Und es kommt darauf an, aus welcher Absicht man einen Stand er­ greift. 15. Da nun alles Volk in Erwartung war, und alle in ihrem -Herzen von Iohannes dachten, ob er nicht etwa gar Christus wäre. Sie merkten, daß etwas im Werke sey, daß die Zeit des Messias da sey. Es war damals alles rege in aller Herzen^ Sie sahen den Johannes für Christus an. Man hält gern die Buße, die zu Christus leiten soll, für Christus selber. Und die falsche Meinung macht, daß man bei den Mitteln stehen bleibt, und nicht zu Christus selbst kommt. Man bleibt unter der Thüre stehen, und geht nicht in das Haus selbst hinein.

16. Da dieß Iohannes merkte, so wehrte er, was er konnte und sprach: Ich raufe euch nur mit Wasser; es kommt aber Einer, der mächtiger ist als ich, dem ich nicht werth bin, dre Gchuhrie6*

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Lukas 3, 17. 18.

men aufzulösen, der wird euch mit Feuer und heiligem Geiste taufen. Er hatte denken können: Das Volk meint es doch gut; ich will sie jetzt dabei lassen: hernach will ichs ihnen schon sagen. Aber nein, er weift sie gleich von sich auf Christus hin. Mein Thun ist gegen das Seine, wie Wasser. Meine Taufe ist nicht hinreichend, denn ich kann euch nicht mit Feuer und Geist taufen; darum müßt ihr euch zu Ihm selbst wenden, und euch Feuer und Geist von Ihm geben lassen. Das kalte Wasser des Jordans, des Gesetzes, kann die Liebe in den Her­ zen nicht anzünden, sondern auslöschen, kann nur die Feindschaft gegen das Gesetz im Herzen aufdecken und erwecken. Und das ist auch nothwendig. Aber dann muß die Geistes-und Feuertaufe Jesu kommen; so fangt das Herz an zu brennen. So sucht jeder wahre Evan­ gelist das Ansehen von sich wegzuwälzen, und die Leute zu Christo zu weisen.

17. Er hält die wurffchaufel in seiner -Hand, und Er wird seine Tenne reinigen und den Weizen in die Scheuer sammeln, die Spreu aber mit un­ auslöschlichem Feuer verbrennen. Es ist wahrlich nicht gut, eine Spreu zu seyn, wenn man einmal auf die Wurfschaufel kommt. Und doch wie viel Spreu unter den Christen? Wie ist das Christenthum der meisten noch leichter, leerer, kraftund saftloser als Spreu! Merke dies, du Menschenkind! Es geht mit dir einst entweder in die ewige Scheuer, oder in das ewige Feuer. Glaube nicht, daß der Herr immer ein solches Durcheinander dulden wird, wo Weitzen und Spreu, Gute und Böse auf seiner Tenne, in seiner Kirche, vermischt sind, und die Spreu mehr Ansehen und Gewalt chat, mehr Platz einnimmt, und ein größeres Geräusch macht als der Weihen. Nein der Herr wird schon fegen und sondern. '

18. Und noch viel anderes verniahnte er, und predigte das Evangelium dem Volke.

Er grif sie scharf an, verkündigte ihnen aber auch das frohe und seligmachende Evangelium, daß Christus der. Sündentilger, daß Lamm Gottes nahe sey. Joh. 1, 36. Er wollte die Leute nicht verdammen, sondern nur zur ernsten Buße weisen, damit sie fähig würden den Trost des Evangeliums anzunehmm. Die Leute wären sonst alle leicht bereit, die süße Lehre von der Vergebung der Sünden anzunehmen, und an Christum als den Heiland zu glavben, wenn sie ihre Sünden beibehalten und fortsündigen dürften. 19. Als aber Herodes der Vierfürst, von ihm bestraft wurde, wegen -Herodias, des Weibes fei­ nes Bruders, und wegen alles Böfen, das -Hero­ des verübt hatte, 20. fügte er zu allem noch die­ ses hinzu, daß er den Iohannes in das Gefäng­ niß werfen ließ. Wenn der Prediger den Herodes schont, sey er. Chur- oder Vierfürst, so werden ihm die andern auch nicht glauben, daß es sie angehe, sondern sagen: gehts diesem hin, warum uns nicht? Aber bei denen, die Gewalt haben auf Erden, soll man ja doch durch die Finger sehen. Das Leben, der Wirkungskreis, die Ausübung des Amtes, die Be­ soldung und vieles andere hängt von ihnen ab. Man hat mehr Ansehen, Macht und Unterstützung, wenn man sie schont. Man opfert alles, setzt alles aufs Spiel, wenn man es mit ihnen verdirbt. Das mag alles wahr seyn, aber Johannes und feder treue Zeuge der Wahrheit, kann doch nicht weiß schwarz und schwarz weiß nennen; kann doch dem Reichen oder Mächtigen nicht sagen: dir ist das Sündigen nicht Sünde; kann doch die Großen, die er auch liebt als Erlöste Jesu Christi, nicht verlohren gehen und zum Teufel fahren lassen, um seines Amtes und Wirkungskreises oder um seines Kopfes willen. Einen Kopf wird er schon wieder bekomureu, und hat schon ein ander Haupt im

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Lukas Z, 21. 22.

Himmel; für den Wirkungskreis und für die andern Dinge wird der sorgen, der für alles sorgt; wenn aber die Seele -es Großen verloren geht, so kann man sie nie wieder erlösen. Die ehebrecherische Lebensart des Herodes, war nicht ohne anderes Gefolge von Sünden. Das Böse ist nie allein, es liebt Gesellschaft. Man sagt gewöhn­ lich: der Mann hat nur diesx oder jene Schwachheit. Das kann nicht seyn. Wer einmal der Sünde die Thüre öffnet, der hat ihre ganze Suite über dem Halse. Man begehr freilich nicht auf einmal alle Sünden, aber eine folgt der andern auf dem Fuße nach. Es steigen nicht alle Diebe auf einmal durch das Fenster ein; aber einer bietet dem andern die Hand.

21. Es geschah aber, als Jesus sich taufen ließ und betete, daß sich der -Himmel aufthat.

Er hat gebetet, wie wir. Das ist eins von den merkwürdigsten Dingen, daß wir aus mehreren Stellen wissen, daß unser Heiland, obwohl Er Gott der Herr war, gebetet, und zu derselben Stunde Andacht gehabt, und der Majestät, die seinen Thron umgiebt, nicht ge­ dacht, sondern sich in seinen gegenwärtigen, eingeschränk­ ten Umständen dem empfohlen hat, der Ihm nach dem göttlichen Rathe aushelfen mußte; und Er ist erhört worden von der trennenden (furchtbaren) Majestät, an welche die alten Patriarchen nicht ohne Beben ih­ rer Haare denken konnten. 22. Und der heilige Geist kam in leiblicher Gestalt, gleich einer Taube auf Ihn herab, und eine Stimme vom Himmel erscholl, die sprach: Du bist mein geliebter Sohn,' an dir habe ich Wohlgefallen. Jesus schämt sich nicht, sich unter alles Volk, un­ ter alle Sünder hinzustellen und sich mit ihnen, als wäre er auch ein Sünder, taufen zu lassen. Da Er

hm betete, kann Er doch nicht für sich und die Verge­ bung seiner Sünden gebetet haben, denn Er hatte keine Sünde, sondern Er stand da als das Lamm, das un­ sere Sünden auf sich genommen hatte, das für uns Buße that und zum Vater um Vergebung für alle Menschen bat. Das darfst du kühn glauben, armer Sünder! daß der Heiland hier auch für dich sich taufen ließ, für deine Sünden betete; und sieh', er ist erhört worden, der Heilige Geist kam, der Vater zeugte und erklärte, daß sein Gebet erhört, wohlgefällig sey. Es gefiel dem Vater so wohl, daß sein Sohn mitten un­ ter den Sündern stand und für sie so demüthig, herz­ lich und angelegentlich betete, baß Er den Himmel zer­ riß, herabfuhr und öffentlich sein Wohlgefallen darüber zu erkennen gab. O wie tröstlich ist dieses für alle wahrhaft reumüthige und gläubige Sünder!

Es beweist auch, daß wenn Jesus nicht gebetet hätte für die Sünden der Menschen, der heilige Geist nicht auf die Menschen herabgekommen wäre. Sein Gebet und Leiden hat Ihn uns zuwege gebracht.

Jesus wird gleichsam zum Sünder durch die Taufe, damit wir gerecht würden durch die Taufe. (Siehe Matth. 3,16.)

23. Jesus war ungefähr dreißig Jahre alt, da Er anfing. Bis ins dreißigste Jahr ist Er ein Bürger gewesen, und hat gearbeitet mit Handwerks­ treue, welches der Trost für alle Christen ist, die nicht in alle Welt fliegen können, um Seelen für Ihn zu gewinnen, sondern durch eine Profession zum Besten ihres Hauses, das ein Haus Gottes ist, gebunden sind. Freilich, wenn es nach Neigung geht, so erwählt man den letzten Theil vom Leben des Heilands, die evange­ lische Wanderschaft in dieser Zeit mit ihren rauhen Wegen. Denn hat man gleich viele Beschwerlichkei­ ten, so genießt man doch auch viele Freuden. Und kommt einer auch über sein Zeugniß um, so fiflKet er

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Lukas z, 24—27.

eben die Palmzweige, als wenn die Arbeit noch zwan­ zig Jahre gewährt hätte. Wer aber seines Berufes zum Lehr-Amte nicht gewiß ist, der lerne vom Heilande warten, bis er geru­ fen wird. Er kam die Menschen zu belehren, und zu erlösen und verbirgt sich dreißig Jahre lang, fast seine ganze Lebenszeit, und schweigt und lernt, weil bei den Juden keine« vor dem dreißigsten Jahre auftreten durfte. (Siehe Mark. 1,14.) Nur drei Jahre die lebten sei­ nes Crdenlebens wendet Er auf das äußere öffentliche Leben und Lehramt. Sollten also nicht auch wir viel mehr auf das Lernen, als auf das Lehren, auf das innere Leben, als auf das äußere Wirken verwenden.

— Und war, wie man dafür hielt, ein Sohn Josephs, dieser ein Sohn Helis*), dieser ein Sohn Marcha. 24. Der ein Sohn Levis, der ein Sohn LNeltchi, der ein Sohn Ianna, der ein Sohn Jo­ sephs^ 25. Der ein Sohn Maccathias, der ein Sohn Amos, der ein Sohn Nahums, der ein Sohn Esli, der ein Sohn Nange. 26. Der ein Sohn Maaths, der ein Sohn Maccathias, der ein Sohn Semei, der. ein Sohn Josephs, der ein Sohn Juda. 27. Der ein Sohn Johanna, der ein Sohn ♦) Dieses kann und muß eigentlich so übersetzt werden: Jesus der für einen Sohn Josephs gehalten wurde, war ein Enkelsohn Elis, des Vaters der Maria; oder: Jesus war, wie man dafür hielt, ein Sohn Josephs, dieser ein Schwiegersohn Helis, weil Heli oder Eli Josephs Schwiegervater, und Joseph also auch dessen Sohn, oder Lochtermann war. fSiehe Matth, i, 16.) Enkelsöhne werden sehr gewöhnlich in alten Lest. Söhne der Großväter genannt. 2. Sam. 19, 84. 1. Mos. 2y, 5. oc. Eö heißt auch nicht: Eli zeugte Joseph. Dieß erklärt und hebt auch die Schwierigkeit, warum Matthäus den Joseph ein Sohn Jakobs nennt, und Lukas nennt ihn hier ein Sohn HeliS. Beides ist wahr, nämlich, wenn man dedenkt, daß Matthäus das Geschlechtsregister Josephs, und Lukas, das Geschlechts­ register Mariä beschreibt; oder wenn man annimmt daß Joseph zwei Väter, einen rechten und einen Stiefvater gehabt hat — wahrschein­ licher aber ist, daß Iakob sein rechter Vater, und Heli sein Schwie­ gervater oder der Vater Mariä war; Joseph mußte sich aber als sein wirklicher Sohn in dessen Geschlecht einschreiben lassen, weil er dessen Erbtochter Mariä ehelichte.

Resia, der ein Sohn Zorobabels, der ein Sohn Salsrhiels, der ein Sohn V7eri. 28. Der ein Sohn Melchi, der ein Sohn Addi, der ein Sohn Rosams, der ein Sohn Elmadams, der ein Sohn -Her. 29. Der ein Sohn Jose, der ein Sohn Elie, zers, der ein Sohn Iorems, der ein Sohn Mar­ tha, der ein Sohn Levi. 30. Der ein Sohn Si­ meons, der ein Sohn Juda, der ein Sohn Josephs, der ein Sohn Jonans, der ein Sohn Eliakimo. 31. Der ein Sohn Melea, der einl Sohn Menains, der ein Sohn Marrarhans, der ein Sohn Nathans, der ein Sohn Davids. 32. Der ein Sohn Jesse, der ein Sohn Obeds, der ein Sohn Boas, der ein Sohn Salmons, der ein Sohn Nahassons. 33. Der ein Sohn Amiadabs, der ein Sohn Arams, der ein Sohn Eßroms, der ein Sohn Khares, der ein Sohn Juda. 34. Der ein Sohn Jakobs, der ein Sohn Isaaks, der ein Sohn Abrahams, der ein Sohn Thara, der ein Sohn Nachors. 35. Der ein Sohn Saruchs, der ein Sohn Ragahn, der ein Sohn phalegs, der ein Sohn Ebers, der ein Sohn Sala. 36. Der ein Sohn Lainans, der ein Sohn Arphachsads, der ein Sohn Gems, der ein Söhn Noa, der ein Sohn Lamechs. 37 Der ein Sohn Marhusalahs, der ein Sohn Enochs, der ein Sohn Jareds, der ein Sohn Maleleels, der ein Sohn Lainans. 38. Der cm Sohn Enos, der ein Sohn Seths, der ein Sohn Adams, der war tVocces, ein unmittelbares Geschöpf Gottes. Das ist das ganze Geschlechtsregister Maria, alle ihre Ahnen. Wer kann so viele Ahnen zählen? Der Urheber unsers Heils, der Schöpfer neuer Kreaturen, der Erlöser der Welt, der seiner Gottheit nach keine Ahnen zählt, sondern ewig von sich selbst war, wie Er es ewig seyn wird, dieser übet j alles Er­ habene erniedrigt sich so, daß er sich unter die Zahl d.r gemeinen Geschöpfe, der sündigen Kinder Adams

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Lukas 4/ i.

sehen läßt. Er will nicht, daß wir im Geringsten zwei­ feln sollen, er sey ein wahrer Mensch, sondern vielmehr wir sollen gewiß versichert seyn, daß wir an Ihm ei­ nen wahren Bruder und Blutsverwandten, einen Goel haben, der sich für seine Brüder zum Opfer, Priester und Heiland bargiebt, und weil Er unsere Natur an sich trägt mit unsern Schwachheiten Geduld und Mit­ leiden zu haben gelernt hat. Sein Geschlechtsregister wird hier bis auf Adam, den Stammvater aller Men­ schen zurückgeführt, um anzuzeigen, daß alle Menschen von Adam an, an der Erlösung durch den Messias Theil haben können.

Das IV. Kapitel. Jesus wird versucht; lehrt zu Nazareths wird da aus­ gestoßen; kommt nach Kapsrnaum; heilt Besessene, Petri Schwieger und andere.

1. Voll heiligen tVeiftes kehrte Jesus vom Iordan zurück und ward vom Geiste in die lüufle getrieben. Wenn Er aber schon voll des heiligen Gei­ stes ist, was sucht Er denn noch in der Einsamkeit? Was thut derjenige, der den Schatz im Acker gefunden har? Er geht hin und verbirgt ihn, daß er ihm von der betrügerischen Welt nicht geraubt werde. Eines hilft dem andern; der Geist Gottes treibt jedes Herz, das er erfüllt hat, zur Einsamkeit und Stille, nicht in das Geräusch; und die Stille und Einsamkeit erhalt, bewahrt und befördert die Fülle des Geistes. Deßwe­ gen sind betrogen, die ohne vom Geist erfüllt zu seyn, sich sogleich auösthütten, hervortreten, sich aufbringen und ihr bischen Geist, Weisheit und Erkenntniß sogleich an Mann bringen wollen. Das Hervordrängen und die Sucht zu wirken, sobald man sich erleuchtet glaubt,

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Lukas 4/ i.

sehen läßt. Er will nicht, daß wir im Geringsten zwei­ feln sollen, er sey ein wahrer Mensch, sondern vielmehr wir sollen gewiß versichert seyn, daß wir an Ihm ei­ nen wahren Bruder und Blutsverwandten, einen Goel haben, der sich für seine Brüder zum Opfer, Priester und Heiland bargiebt, und weil Er unsere Natur an sich trägt mit unsern Schwachheiten Geduld und Mit­ leiden zu haben gelernt hat. Sein Geschlechtsregister wird hier bis auf Adam, den Stammvater aller Men­ schen zurückgeführt, um anzuzeigen, daß alle Menschen von Adam an, an der Erlösung durch den Messias Theil haben können.

Das IV. Kapitel. Jesus wird versucht; lehrt zu Nazareths wird da aus­ gestoßen; kommt nach Kapsrnaum; heilt Besessene, Petri Schwieger und andere.

1. Voll heiligen tVeiftes kehrte Jesus vom Iordan zurück und ward vom Geiste in die lüufle getrieben. Wenn Er aber schon voll des heiligen Gei­ stes ist, was sucht Er denn noch in der Einsamkeit? Was thut derjenige, der den Schatz im Acker gefunden har? Er geht hin und verbirgt ihn, daß er ihm von der betrügerischen Welt nicht geraubt werde. Eines hilft dem andern; der Geist Gottes treibt jedes Herz, das er erfüllt hat, zur Einsamkeit und Stille, nicht in das Geräusch; und die Stille und Einsamkeit erhalt, bewahrt und befördert die Fülle des Geistes. Deßwe­ gen sind betrogen, die ohne vom Geist erfüllt zu seyn, sich sogleich auösthütten, hervortreten, sich aufbringen und ihr bischen Geist, Weisheit und Erkenntniß sogleich an Mann bringen wollen. Das Hervordrängen und die Sucht zu wirken, sobald man sich erleuchtet glaubt,

ist das sicherste Zeichen, daß man nicht den Geist Cdristi empfangen habe, oder ihn nicht bewahren wolle, denn der Geist Christi treibt nicht in die Welt, sondern zuerst in die Wüste, nicht zum Wirken in das äußere und auf andere, sondern vor allem, zum Wirken auf das In­ nere, auf das^Herz, wo er eingekehrt ist. Da will er sich zuerst eine bleibende Wohnung, ein Haus bauen, und einrichten, daß er da aus- und eingehen kann. Wenn er dann endlich auch auftritt und wirkt, so kehrt er doch immer wieder in die Stille, in sein eige­ nes Herz zurück, wie es Jesus machte, der, nachdem Er 40 Tage in der Wüste zugebracht hatte, und end­ lich öffentlich auftrat, alle Nacht und so oft Er konnte am Tage, in einsame Orte, auf Bergen, in Wüsten sich begab, um da allein zu beten. Z. B. am Ende dieses Kapitels, Vers 42. Kap. 9,10.28. K. 11,1. und 21, 37. Laß dich also, wenn du glaubst, mit Gottes Geist erfüllt zu seyn, nicht bereden, sogleich öffentlich zu wir­ ken, laß dich nicht gleich umhertreiben von dem Geist, in dem Wahne, als wenn du schon zu voll wärest, und dich mittheilen und etwas an andere abgeben müßtest. 2. Da hielt Er sich vierzig Tage auf, und ward vom Teufel versucht. Da hätte Er denken können: Ich habe den rechten Weg verfehlt, der Geist hat mich irre geleitet, denn er führte und trieb mich ja dem Teufel in die Klauen. Aber das ist es gera­ de, was dem noch abgeht, der erst neuerlich mit Geist getauft ist; er muß nun erst versucht, geprüft werden. — Und Er aß nichts in denselben Tagen. Als sie aber vorüber waren, hungerte Ihn. Jesus hat sein unschuldiges Fleisch nicht verschont, sondern ihm alles entzogen und es hart gehalten. Die fleischlichen sündigen Menschen aber leben, als wenn sie nur dazu da wären, ihr Fleisch zu mästen, und ihm wohl zu thun. Der arme Geist muß fasten.

-r

Lukas 4, Z—6.

Die Ungläubigen wollen es nicht zugestehen, daß sich der Teufel in ihre Sachen mische, und gerade diese Verblendung ist ein Beweis, daß sie der Teufel in seiner vollen Gewalt hat. Man wird nie gefähr­ licher versucht, als wenn man glaubt, daß man nicht versucht werden könne.

3. Da sprach der Teufel zu Ihm: Bist du Gottes Sohn, so sprich zu diesem Steine, daß er Brod werde. 4. Jesus antwortete Ihm: Es steht geschrieben: Nicht vom Brode allein lebt der Nstensch sondern von jedem Worte Gottes. Dem Satan muß man nie folgen, auch wenn er Dinge von uns fordert, die an sich nicht böse scheinen.

Wenn die Menschen Noth leiden, so kommt der Satan gewiß mit einem solchen Projekte, mit einem solchen gutscheinenden Rath, wie sie sich aus der Noth helfen könnten, entweder auf außerordentlichen oder un­ gerechten Wegen. Der uns aber befohlen hat, Ihn täglich um unser Brod zu bitten, wird es uns auch geben, wenn wir Ihn bitten, ohne daß wir auf den Rath des Teufels Wunder suchen. „Gottes Sohn seyn und Hunger leiden, wie reimt sich das zusammen?" wollte der Teufel sagen.

„Wenn aber Gott selbst zu dir käme und verspräche dir alle Steine in deinem Hause zu lauter Gold zu machen, wie würdest du dich dabei benehmen? Soltest du nicht vielmehr Trübsale und Leiden lieber als Gold baben, weil dir der Herr Jesus theuer verheißen hat, daß er lauter Freude und Herrlichkeit daraus machen werde?" Eure Traurigkeit wird in jFreude verwand.lt werden, die nicht von euch genommen wird. Joh. 16. 20.

5. Nun führte Ihn der Teufel auf einen sehr hohen Berg, und zeigte Ihm alle Reiche der Erde in einen Augenblicke, 6. und sprach zu Ihm: Dir will ich diese ganze Gewalt geben und ihre -Herr-

lichkeit. Denn mir ist sie verliehen, und ich gebe sie, wem ich will. Jesus giebt sich in die Gewalt des Teufels, um uns aus seiner Gewalt zu erlösen. In einem Augenblick kann Einen der Teufel auf eine sehr schwindliche Höhe führen. Viele hat er zu unsern Zeiten auf die sehr gefährliche Bergesspihe ge­ stellt, auf der sie in die ganze Welt-Herrlichkeit des künftigen Reiches Christi hineinschauen wollen und sich viele unzeitige Gedanken damit machen. Ob es nun gleich mit dem Reiche Christi seine Richtigkeit hat, so ist doch das müssige Spekuliren darüber und die Lü­ sternheit nach Weltherrlichkeit, eine Versuchung vom Teu« fel, wodurch er lauter Pseudochiliasten bildet^ die sich blos mit unzeitigen Gedanken über die Sachen aufhal­ ten und sich selbst im Wege stehen, in das Reich Christi wahrhaftig einzudringen. 7. wenn du nun vor mir anbetest, so sollen sie alle dein seyn. Die teuflische Neigung sich anbeten zu lassen, ist in allen Hochmüthigen vorherrschend und ist eine stär­ kere Versuchung als die fleischliche. Herodes hat, um seine Lust zu befriedigen, nur die Hälfte seines Reiches versprochen, aber mancher Hochmürhige gäbe gern alles was er hat, wie der Teufel, wenn er nur angebetet würde. Der Teufel verheißt den Leuten große Herrschaft, wenn sie ihn als Oberherrn anerkennen. Er hat es in der Welt so weit gebracht, daß keiner zu etwas kom­ men kann, er beuge sich denn vor ihm und stelle sich der Welt gleich. Wenigstens hat er den Leuten dieses weiß gemacht und sie glaubens und sagen: Wessen Brod man ißt, dessen Lied muß man singen. Jetzt darf der Teufel nicht mehr so viel, keine ganze Welt verheißen. Nur eine Handvoll Geld, ein Compliment, ein kleiner Vortheil, eine Ehrenstelle, oder nur ein Ehrenzeichen, ein Titel, rc. und dergleichen unbedeutende Dinge, sind für Manche schon so reizend, daß sie, ohne sich zu be-

denken, den Teufel anbeten, ja wohl gar seinen Speid)d lecken, und Gott und Christum sammt dem guten Gewissen fahren lassen. Mancher entschuldigt und beruhigt sich damit, es ist mir angeboren worden, es ist ungesucht an mich gekommen. Das hätte Christus ja hier auch sagen kön­ nen. Der Teufel kam auch ungerufen und machte Ihm das Anerbieten mit der ganzen Weltherrlichkeit für die Kleinigkeit, das Knie vor ihm zu beugen. „Das kann man fa thun, denkt Mancher. Was ist daran gele­ gen ? Im Herzen denke ich doch anders. So eine schöne Gelegenheit kommt nicht alle Tage wieder." Was dem Satan bei Christus mißlungen ist, ist ihm nun desto mehr bei der jetzigen Christenheit gelun­ gen, bei der er alles erhalten hat, was er hier bei Christo vergeblich suchte. Er wird von Vi-len unter dem Namen Gottes angebetet, indem sie falsche Lehren als Gottes Wort, Teufelslehren als Gotteslehren an­ nehmen, und das von Satansdienern erfundene Buch­ stabenwerk für Geist preisen.

8. Jesus antwortete und sprach zu ihm: wei­ che von mir! denn es steht geschrieben: Den-Herrn deinen Gott sollst du anderen und Ihm allein dienen. Ein Gott, eine Religion. Aber wie Weinge ver­ stehen, was das heiße: Gott allein anbeten! Man betet an, was man liebt; man betet alle Dinge an, in de­ nen man sein Glück sucht. Die Zahl derer aber, die nur Gott allein lieben, und in Ihm allein ihre See^ ligkeit suchen, ist sehr klein.

9. Da führte er Ihn nach Jerusalem, stellte Ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu Ihm: List du Gottes Sohn, so stürze Dich da hinunter, 10. Denn es steht geschrieben: Seinen Engeln hat Er deinetwegen befohlen, daß sie dich bewahren; 11. Auf den -Händen werden sie Dich tragen, damit du nicht Deinen Fuß an einen Stein stoßest.

Es ist besser, als ein Wurm der Erde kriechen* als durch teuflischen Hochmuth und Ehrgeiz auf dem höch­ sten Gipfel der Schri'ftgeleKrsamkeit oder der Kirchenäm­ ter sich aufblähen und erbeben. Die Verbeißungen Gottes müssen uns zwar.kindlich vertrauend aber nicht vorwitzig und vermessen machen. Gott allein ist mächtig genug, uns ohne seine Engel zu schützen und zu bewahren. Er braucht seine Engel nicht aus Noth, sondern nur aus Liebe, um auf mannigfaltige Weise seine väterliche Vorsorge uns zu erkennen zu geben, daß alle Geschöpfe im Himmel und auf Erden zur Seligkeit und zum Besten der Menschen dienen müssen, und daß sich alles in der Kirche, deren Haupt Christus ist, vereinige. Daß der Teufel auch ein Schriftgelehrter ist, und die Schrift eben so gut anzuwenden versteht, als der gelehrteste Exeget unsrer Zeit, sehen wir hier wieder; er kann es aber nicht verbergen, daß er eine teuflische Gelehrsamkeit besitzt, und beweist damit, daß man mit dem Buchstaben der Schrift ohne Geist, in die Hölle fahren und ein Teufel werden kann. 12. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Es ist gesagt: Du sollst den -Herrn deinen Gott nicht versuchen, oder dich nicht ohne Noth aus falschem Ver­ trauen auf Gottes Hülfe in Gefahr stürzen, mukbwillige Luftsprünge machen, um den Engeln in die Hände zu fallen». Man würde wohl dem Teufel in den Schooß hüpfen, wenn man solche Luftsprünge machte, wie der Satan hier angerathen hat. Ohne Noth und ohne gewissen Befehl Gottes muß man nicht aus den ordent­ lichen Wegen schreiten. Die Engel sind ausgesandt, uns zu dienen in der Noth, aber nicht den Muthwil­ len zu unterstühen, und Luftspringer auf den Händen zu tragen. 13. Nachdem nun der Teufel alle Versu­ chungen vollendet harre, wich er von Ihm eine Zeit lang.

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Lukas 4, 14.

Nachdem der Teufel alle seine Pfeile an Ihm verschossen und alle Arten von Versuchungen, (denn unter diesen, die er hier anbrachte, sind alle Arten Versuchungen begriffen,) angewendet hatte, wich er von Ihm, aber nicht für immer, nur auf eine Zeit lang; denn er kommt immer wieder und versucht es öfters. Er wartet auf eine bequemere Zeit. Wer sich je vor ibm sicher glaubt, der ist schon versucht und in seinen Schlingen. Seyd wachsam! Die Versuchung des Heilandes war von ganz eigener Art, und ein Seitenstück zu der im Paradiese so unglücklich abgelaufenen Begebenheit. Er mußte be­ weisen, daß es noch einen Menschen gebe, der dem Satan überlegen sey. Daher mußte Er seine Versu­ chung auch ganz allein aushalten, und erst vierzig Tage dazu entkräftet werden, damit Ihn der Satan in den allerschwachsten Umständen antreffen möchte, und doch nicht überwinden könnte. An diesem Augenblicke hieng das Wohl und Wehe des ganzen Menschengeschlechtes. Wir wären sonst noch immer ein Spott des Teufels. Die andere Niederlage des Teufels, die Haupt­ schlacht, wodurch ihm alles Recht und alle Gewalt vom Heiland genommen wurde, war die, da Ihn Satanas ans Kreuz brachte. Da hat Er in Ansehung des mensch­ lichen Geschlechtes den Prozeß vollkommen verloren. Mehr von der Versuchung Christi siehe Matth. 4,1 — 4.

14. Und Jesus kehrte in der Rraft des Gei­ stes nach Galiläa zurück. Wre der Eintritt in die Wüste, so der Ausgang aus derselben. Der Geist trieb Ihn in die Wüste hinaus (s. V. 1.), und Geisteskraft erfüllte Ihn, nach­ dem Er überwunden hatte, und sein Amt antrat. Da­ raus können wir lernen, daß man zuvor geprüft wer­ den muß, ehe man ins Amt tritt, und daß man sich vom Geiste treiben lassen soll; denn Er ging hin, wo­ hin Ihn der Geist trieb.

— Und der Ruf von Ihm verbreitete sich in der ganzen Gegend. — Sein Name, seine Lehre, sein erbauliches Wesen und heiliger Wandel, seine Liebe und Menschenfreundlichkeit, die sich so hülfteich und dienstfertig mit so vielen Wundern in lauter Wohltha» ten offenbarte, war wie eine ausgeschüttete Salbe, die das ganze Land mit Wohlgeruch erfüllte.

15. Er lehrte in ihren Synagogen und wurde von allen gepriesen. Aber dem Ruhme ging die Versuchung vorher, und die Verfolgung kam gleich nach, und trat dem Ruhm noch auf den Schweif; denn eben diese Leute, die Ihn jetzt so rühmten, wollten Ihn gleich darauf oii Krankheiten und Plagen und bösen Geistern, rnd vielen Blinden schenkte Er das Geficht. Sie amen also gerade zur rechten Stunde. Aber wann vird man auch bei Jesu nicht zur rechten Stunde ommen? Er wirket imnrerdar und sein Vater auch — auf liefe Weise. Man kann bei Ihm nie etwas anders ehen und erfahren, wann man zu Ihm kommt oder einer gewahr wird. „Barmherzig, gnädig geduldig eyn, uns täglich reichlich die Schuld verzeihen, heilen, killen, trösten, erfreuen und segnen, und unsrer Seele lls Freund begegnen, ist seine Lust," und sein unab« ässiges Geschäft.

22. Da antwortete ihnen Jesus, und shrach: Vehec hin und verkündiget dem Johannes, was ihr gehöre und gesehen habt, Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören. Todte stehen auf. — Ob Jesus zu uns und für uns schon gekommen st, und wir nicht erst Seiner warten muffen? das kön» ren wir nicht anders, als an diesen Zeichen erkennen; )enn dieselben muffen noch erfolgen und geschehen, überall und bei allen, zu denen Er gekommen ist. Wer noch blind, unrein, lahm, taub, todt in Sünden st, wie kann der Jesum haben? Er wirkt an den Seelen, was Er an den Leibern wirkte; 1) Er erlcuchet das Gemüth, 2) bessert den Willen, 3) tilgt die Zünde, 4) öffnet die Ohren des Herzens, 5) bekehret >ie verstocktesten Sünder und giebt ihnen das ewige !eben der Gnade wieder, 6) lehrt die Demüthigen eine Wege.

— Und den Atmen wird das Evangelium ge» »redlger. Erbauunsid. 111. theil. kuka»> 11

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Lukas 7, 2Z.

Diese Rede ist historisch. Er erzählt, wie es zu seiner Zeit ging, denn ehemals war es so. Es steht noch dahin, ob dadurch die geistlich Arnien gemeint sind, oder ob's nicht heißt, dem armen Volke, dem gemei» nen Pöbel. Johannes predigte Vornehmen und Geringen, Ho­ henpriestern, Pharisäern, Schriftgelehrten, und Allen. Das war sein Amt. Der Heiland aber hatte diese Zu Hörer nicht. Es kamen die Pharisäer nur zu Ihm, wenn sie Ihn versuchen oder verspotten wollten. Und wenn auch so ein Nokodemus bei der Nacht kam, so war es etwas Wunderbares. Wenn die Herodianer kamen, so konnte man sich daraufverlaffen, daß sie als Spionen kamen. Also hatte Er eigentlich nur das ge­ meine Volk. Daher sagten r;' auch von Ihm: Glaub auch irgend ein Oberster oder Pharisäer an Ihn? son­ dern nur das Voll, das nichts vom Gesetze weiß, Joh. 7,48. Dgher hat der Heiland die Jünger Johannis besonders unterrichtet, daß Er die Armen lehrte, daß Er den afza£TOÄoi$, den Sündern und Sünderinnen, dem Pöbelvolke, das nichts vom Gesetze weiß, das Evangelium predige. Aber nun heißt es: Prediget das Evangelium aller Kreatur. Das Evangelium hat, wo man es prediget, zweier­ lei Wirkungen. Leuten, die in Sünden leben und sich darin belustigen, ist es ordentlich das, was die Wolffthaten den Feinden sind, nämlich feurige Kohlen auf ihr Haupt. Es ist ihnen ein Schrecken. Wenn man aber das Evangelium den Seelen sagt, die einen Erlö­ ser brauchen- die in der Armuth des Geistes stehen, so ist es ihnen süß, wie Milch und Honig.

23. Und selig ist, wer sich an mir nicht ärgert. Alle Welt ärgert sich, wenn der Heiland in ei­ nem Lande, in einer Stadt so verkündigt und so an Ihn geglaubt wird, wie Er ist. Wenn ein falscher Christus, ein falsches Evangelium verkündigt wird, giebt alle Welt Beifall, weil die Welt Welt bleiben will

und doch dabei selig zu werden hofft, ohne sich bessern zu müssen. (Matth. 11, 2 — 6.) Wenn ein Türke oder ein Jude sich ärgert an Jesus, so kann man's begreifen. — Aber wenn man ein Christ beißt, zum Abendmahl geht und alle Hand­ lungen der Religion mit macht, und ärgert sich doch am KreuZ Christi, was muß der für eine Edition von einem Menschen seyn? Ein verständiger Mensch nimmt keine Handlung vor, außer er weiß warum? Ein fol. eher kann kaum entschuldigt werden, wenn man ihm Schuld giebt, daß all seine Religionshandlungen lauter Injurien, Spöttereien auf Christum sind. Im Herzen eine Feindschaft und Widrigkeit gegen Jesu Kreuz und Verdienst haben, und deßungeachtet an den Geheimnis­ sen der Religion theilnehmen, besonders wenn einen niemand dazu zwingt, das ist der größte Widerspruch von der Welt. 24. Als nun die Abgesandten des Johannes fortgegangen waren, fing Jesus an von Johannes zum Volke zu sprechen: was seyd ihr hinausgegangen zu sehen? Ein Rohr vom winde hin - und hergetrieben? (Matth. 11,7. rr.) Wer Gott treu bleiben und nicht wie ein Schilf­ rohr vom Winde jeder Lehre oder von feder Versuchung der Welt und des Fleisches hin - und hergetrieben wer­ den will, muß, wie Johannes, tief in der Demuth gegründet, nur auf Gottes Wort stehen, sich ganz al­ lein auf seine Gnade verlassen, mit sich selbst, mit der Welt und dem Teufel in beständigem Kriege leben, die Gemeinschaft mit denen, die den Geist der Welt haben, fliehen, und von der Welk nichts anders erwar­ ten und wollen, als was Christus von ihr empfing. Christus will mit diesen drei Fragen, die Er m diesem und den zwei folgenden Versen an das Volk richtet, die Leute zur Selbstprüfung führen, sie möchten bedenken, aus welcher Absicht sie denn zum Johannes in die Predigt liefen? P)as sie denn bei ihm suchten? 11 *

164

Lukas 7, 25—27.

Diese Frage muß jeder an sich thun, der in die Pre­ digt läuft, wenn ein Prediger Aufsehen macht; denn da treibt viele Zuhörer gewöhnlich mehr die Neugierde als Heilsbegierde. Man sieht mehr auf den Prediger, auf den Vortrag, auf Nebendinge als auf die Sache selbst. Man lauert auf Worte, man beobachtet alle Mie­ nen und Geberden und kommt nur bis zum Prediger, nicht zur Wahrheit, nicht zur Bekehrung und nicht zu Christus.^ 25. Oder was seyd ihr hinauogegangen zu se­ hen? einen Menschen mit weichlichen Rleidern an-, aerhan? Sieh', die sich prächtig kleiden und nr Lüsten leben, sind an den ^oflagern der Rönige. Die große Welt ist ein Sammel- oder Taumel­ platz der Sünde, der Schwelgerei, der Ueppigkeit, des Wohllebens, der Unbußfertigkeit und alles besten, was gegen das wahre Christenthum streitet. Seelig ist, wer davon entfernt lebt, Es ist zwar bei Gott kein Ding unmöglich, Er kann auch mitten in der Welt und am Hofe die Menschen selig machen, wie Er die Leiber der Menschen im Feuer unversehrt erhalten kann, aber dann müssen sie sich nicht selbst muthwillig hineinstürzen, sondern wider ihren Willen hineingeworfen werden. Es ist immer sehr gefährlich, an einem Orte, in Umgebungen seine Seligkeit suchen, wo ihr alles entge­ genwirkt. Es ist gerade so viel, als wenn der Fisch auf dem Trocknen schwimmen, und der Vogel im Was­ ser- fliegen sollte. Die Gottseligen fliehen immer die Welt und ihre Weichlichkeit, damit sie von ihr nicht angesteckt werden, di« Weltkinder aber lieben und su­ chen die Welt, um da ungestraft ihren Lüsten nachzu­ hängen.

26. Oder was seyd ihr denn hinausgegangen zu sehen? einen Propheten? Ich sage euch, wohl noch mehr, als einen Propheten. 27. Denn er ist der, von dem geschrieben steht: Siehe ich sende meinen Loren vor deinem Angesichte her, daß er deinen weg bereite vor dir her. Mal. 3,1.

Rein, dachten die Leute, wir hielten den Johan­ nes doch für kein Schilfrohr, sondern für einen Pro­ pheten , und damit glaubten sie es getroffen zu haben. Nein, sagte Jesus, ihr habt es nicht getroffen, er ist noch mehr, denn es ist ein großer Unterschied zwischen ihm und den alten Propheten, die Christum nur als zukünftig verkündigten; er steht dem Lichte viel näher, er verkündigt es als gegenwärtig, und zeigt mit Fin­ gern darauf. Darin besteht der Vorzug des Neue« Testamen­ tes: Christum nicht als zukünftig, nicht fern zu denken, wenn er uns vom heilige« Geiste verkündiget wird, sondern Ihn als nahe, als gegenwärtig aufzunchmen und zu erfassen, denn wir können Ihn alle Tage ha­ ben und in Jhni leben. Wer nicht auf den gegenwärtigen, nahen Heiland weist, sondern einen fernen, künftigen predigt, ist kein Evangelist, sondern sieht ins alte Testament zurück. Jeder Prediger des N. Bundes muß mehr als ein Prophet des A. Bundes seyn. Er darf Jesum nicht von ferne sehen, nicht nur von seinem Lichte erleuchtet seyn, sondern er muß Jesum so nahe haben, als wenn er Ihn mir Fingern berührte; er muß Ihn den Leu­ ten so nahe ins Auge rücken, so an ihr Herz hinlegen, daß sie nur die Augen und Herzen öffnen dürfen, so haben sie Ihn. Er ist da, und steht vor der Thüre, klopft an, läßt seine Stimme hören; wer sie hört und Ihm aufthut, zu dem geht Er ein und hält Abendmahl mit ihm. Er hat uns schon erlöst, Er hat schon alles bereitet; wir sollen es nur glauben, annehmen und ge­ nießen. Das predigt ein Evangelist des N. B. DaS konnten die alten Propheten nicht. Sie hatten nur Verheißungen, Erwartungen; wir haben Ihn, Ihn selber.

28- Denn ich sage euch: unter denen, die von Weibern geboren sind, ist kein größerer Prophet, als Johannes der Täufer, weil er dem Messias un-

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Lukas 7, r8.

ter allen Propheten des alten Bundes am nächsten stand, und doch ist der Rleinste im Reiche Gottes gr-ßer als er. Wer ist denn der Kleinste im Reiche Gottes? Wer anders als Christus selbst? jemand hat sich, niemand

konnte sich so tief erniedrigen und verkleinern als Chri­ stus, Er, der Knechtsgestalt anzog, ein Knecht ward, da Er in.Gottesgestalt, Gott gleich war. Und darum, weil Er sich so erniedrigt hat, und der Kleinste gewor­ den ist, darum hat Ihn Gott erhöht und Ihn zum Größten gemacht. So ist es auch mit allen, die Christi Lehren fol­ gen und seinen Sinn und Geist, seine Gnade haben, sie sind klein, die Kleinsten, so wie auch die Jünger Jesu kleiner waren als die Jünger Johannis, die im­ mer noch viel Einbildung, geistlichen Stolz besaßen, weil sie viel gesehliches Wesen an sich hatten. S. Matth.

11,11. Zacharia weissagte von N. B. der Rleinste un­ ter ihnen wird seyn wie David. Zach. 12,8., das ist schwer zu begreifen, wenn es einem nicht der heil. Geist klar macht. Die Meisten verstehen es so, daß der Kleinste im N. B. größere Wunder thun würde, als die großen Propheten des A. B. Und was Jesus Joh. 14,12. sagte, bestärket sie in ihren Sinn. Aber die Wunder sind nicht für die Gläubigen sondern für die Ungläubigen — gehören nicht ins Haus, sondern in den Vorhof der Heiden. Ein Kind Gottes nimmt sich davor in Acht, es will, so viel möglich, kein an­ dern Rock tragen als andere Leute, weil das Reich Gottes kein Aufsehen machen, nicht observirt seyn will. Der Vorzug der Kinder des N. B. muß also in etwas anders bestehen. Moses hatte etwas davon, und Aaron und Myriam hätten's auch gerne gehabt, da kam Gott und trat in die Thüre der Hütte und sprach: mit den Propheten rede Ich durch Gesichte und Träume — aber nicht also mit meinem Knechte Mose, der sieht

b wie JeremiaS denken, da er die Versuchung hatte: „Ich will sein nicht mehr gedenken unter den Leuten." Jer 20,10. oder es muß einem wie Ihm und den Jün­ gern auf dem Wege nach Emmaus umS Herz so heiß werden, daß man nicht anders kann, als den großher­ zigen Entschluß fassen: Ich glaube, darum rede ich. Ich schäme mich des Evangeliums nicht. Röm. 1,16. Psaln. 116,10. 27. Ich sage euch aber in Wahrheit, es sind einigt von denen die hier stehen, welche den Tod nicht kosten werden, bis ste das Reich Gottes kom­ men 1 hev. Deses Reich Gottes sehen wir nun schon 1800 Jahre, in der Welt errichtet und überall ausgebreitet, dennoch wollen so viele nicht daran glauben; dessen Vollendtng aber können wir nicht sehen, ohne zu ster­ ben, dem Fleisch und Blut kann das Reich Gones nicht erbe». 1. Kor. 15, 50. Match. 16,10. Mark, 9,1.

2l6

LukaS 9, 28. 29.

28. Und es begab sich nach diesen Reden bei acht Tagen, daß Er zu sich nahm Petrus, bus und Johannes und stieg auf einen Berg, um zu beten. 29. Und da Er betete, ward die Ge­ stalt seines Angestchrs verändert, und fein Rleid weiß und strahlend. Es haben sich mit dem Heiland viele schöne, merk« würdige Sachen zugetragen. Wie Er aus dem Was ser stieg bei seiner Taufe, kam der heilige Geist sichtbar auf Ihn herab. Wie Er einmal betete: Vater! ver­ kläre deinen Sohn, kam eine Stimme vom Himmel: „Ich habe Ihn verklärt, und will Ihn abermals ver» klären." Als Er hier betete, so wird Er auf einmal in den Glanz seiner himmlischen Herrlichkeit verseht, deß die armen Jünger nicht wußten, was sie anfangen soll­ ten. Sie sahen Ihn in einer Gestalt, die sie von Ilm nicht gewohnt waren. Sie sagten nachher (2. Petr. 1,16.): Wir haben Ihn in seiner Herrlichkeit gesehen;

wir wissen wohl, wer Er ist; wir haben die herrliche und majestätische Gestalt des eingebornen Gottes gese­ hen; wir Habens mit unsern Augen gesehen, wie Er aussahe, wenn Er seine Decke, den Vorhang wegschtbe; wenn Er seine Majestät nicht mit menschlichem Gend bedeckt hielte. Da Er ein andermal betete, da wurde sein H-upt nicht mit göttlichem Glanze und Herrlichkeit umg den, sondern der Angstschweiß floß Ihm vom Angesicht über den Leib herab. Da that Er Buße für unsere Sün­ den, die sich wie Körnlein finden des Sandes an dem Meer. Er hatte aber nicht gar zu lange gebellt, so kam ein Engel vom Himmel herunter, tröstett und stärkte Ihn. Luk. 22,41 — 44. Das Beten, daß alle Tage mir Ihm Reden über sich und sein eigenes Herz, oder wegen anderer, ist auch für uns von sehr großen Folgen. Man kann bemer­ ken, wenn fromme Seelen im Umgänge mit dem Freunde treu sind, und in den Stunden, die sie sich dazu er-

mahlen, die Zeit recht gut anwenden, und wenn man sie gerade darin anttiffr, daß die Gestalt ihres Ange­ sichtes anders ist. Daraus ist zu schließen, daß, wenn der Umgang mit dem Heilande fleißig fortgesetzt wird, und Er den Geistes-Augen des Tages wenigstens etli­ chemal erscheint, und das so viele Jahre und Stunden anhalt, endlich das ganze Jesusbild aus den Augen solcher vertrauten Freunde des Heilandes herausblicken wird. Wenn man diese Gnade bewahrt und sich hütet, daß sie nicht durch Trägheit versäumt wird, so bleibt sie in großem Segen, und erhält uns mit unserm Freunde m einer Verbindung, daß seine Seele immer mit uns umgeht, und wir Ihn nie weit suchen dürfen, wo wir auch in Der Welt sind oder hinkommen. Die Worte werden Wahrheit bleiben: „Man hat Ihn, wo man um Ihn weint."

30. Und sieh, zween Männer redeten mit Ihm, Moses und Elias. 3L Sie erschienen in Herrlich­ keit, und redeten von dem Ausgange, den es mir Ihm in Jerusalem nehmen sollte. Es war für die zwei Patriarchen eine große Ehre, mit Ihm von dem großen Gegenstände, von seinem werthen Tode zu sprechen. Er hat mit seinen Jüngern kurz zuvor (V. 22.) davon gesprochen; dieß mußten nun diese zween Zeugen bekräftigen, daß es die drei Jünger hörten, Das Leiden und der Tod Jesu war der Ge­ genstand des Gespräches auch auf Thabor, in der Herr­ lichkeit. Er hat so gerne, und so oft davon geredet, daß Er es in seiner Verklärung nicht lassen konnte. Und von was anderm sollen wir denn reden, denken, betrachten, als von diesem allerwichtigsten, allerheiligsten, und allersegenreichsten Werke? Das sollte der Gegen­ stand aller unserer Unterhaltungen, Gespräche, Gebete und Erbauungen seyn; denn davon hängt doch einmal Alles ab, und wer davon, von seinem heilbringenden Tode und Leiden, von seiner Liebe bis zum Kreuze recht

218

Lukas 9, zr. 3Z.

durchdrungen ist und sich ganz darin versenkt, waS kann dem noch fehlen? Sey du also auf Thabor oder auf Golgatha, so sey es nie etwas anderes, was du wissest, denkest, betrachtest, sprechest, oder genießest, als Jesus Christus, und zwar der Gekreuzigte, der für uns Ge» tödkete, der Versöhner, das Lamm für uns geschlachtet, das alle Sünden weggenommen und für uns getilget hat. In deinen heiligsten, verklärtesten, herrlichsten, in­ nigsten Gebetsstunden schwebe dir nur Er, der verwun­ dere Bräutigam, vor deinen Geistesaugen, wie Er sich aus Liebe zu dir, zu seiner Braut, zu Tode geblutet, und dadurch das ewig herrliche, unvergängliche Hoch­ zeitkleid erworben hat. Daran weide sich dein Auge, ohne müde ,ju werden. Moses und Elias in der Herr­ lichkeit wissen nichts anderes zu sagen und zu denken, als dieses. Wer etwas Höheres sucht, ist gewiß ein Thor und jagt Schatten nach. 32. Den Petrus aber und die bei Ihm waren, hatte der Schlaf überfallen. 2sls sie nun erwach­ ten, sahen sie seine -Herrlichkeit und die zween Män­ ner, die bei Ihm standen. Da wurden sie munter, weil sie die Herrlichkeit sahen; aber vorher, da sie vom Leiden und Tode Jesu reden hörten, schliefen sie ein. So ist der Mensch, den herrlichen Heiland sieht Er lieber als den Gekreuzigten; und doch können wir nur durch den Gekreuzigten zum Verklärten gelangen, durch Tod zum Leben, durch Leiden zur Herrlichkeit. 33. Und als sie von Ihm schieden, sprach pe. troe zu Jesus: Meister! hier ist gut seyn; wir wol­ len drei -Hütten bauen; dir eine, Mosi eine, und Elia eine. Er wußte nicht, was er sagte (vor Freuden). Er redete in geistlicher Trunkenheit. Petrus machte wieder menschliche Bemerkungen; er, der seinen Meister vom Leiden hatte abhalten wol­ len: „Das soll dir nicht widerfahren," er wollte Ihn hier im Genusse und in der Herrlichkeit erhalten, und wäre gern bei Ihm geblieben.

Wenn Er darum hätte Hütten bauen wollen, weil hier auch vom Leiden gesprochen wurde, so wäre es noch angegangen; aber das war sein Sinn nicht. „Hier ist gut seyn! Hier ist uns so wohl! Hier haben wir es so gut." Das war sein Sinn, und der war ziemlich sinnlich. Er war von sinnlicher Freude so übernommen, daß er sich da ein Nest machen wollte. Ein Anfänger in Gottes Wegen möchte gern, wenn er einige Mittheilungen der Herrlichkeit des Sohnes Got­ tes fühlt, es allezeit so haben, und empfinden, und das wäre ihm auch nicht nur zu gönnen, sondern er soll auch die heilige und selige Nähe seines Heilandes nicht mehr aus dem Auge und Herzen lassen; aber in die sinnliche Freude und in das innere Wohlbeha­ gen, als solches, soll er sich keine Hütte und kein Nest bauen wollen, sich darin einzulogiren, und ein süßes Leben zu führen. Nein, wir müssen Jesu nicht nur gern auf Thabor, sondern auch auf Golgatha nachfol­ gen, ohne deßwegen die Freude und Seligkeit in Ihm zu verlieren oder wegzuwerfen. 34. Als ev aber dies (vom Hüttenbauen) sagte, kain eine Wolke und überschattete sie, und sie fürch­ teten sich, als jene in die Wolke hineingingen. Menn wir im LichteHütten bauen wollen, müssen Wolken kommen, so wie oft Schrecken auf den Trost folgen, damit wir uns im Glanze des Lichts nicht selbst gefallen und nicht beim Lichtglanze uns vergaffend ste­ hen bleiben, sondern den Herrn, der das Licht unS offenbart, allein behalten. Jede Freude muß wieder gesalzen werden mit Leiden, jeder Genuß mit Entbehrung, so wie das Licht durch Wollen wieder gemildert wird. 35. Und es erscholl eine Gtiinme aus der Wolke, die sprach: Dieser ist mein geliebter Sohn, Ihn höret. Nachdem MoseS und Elias, die größten Männer des alten Bundes, abgetreten und von der Wolke be»

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Lukas 9, Z6.

deckt waren, wird Jesus aus der Wolke für den Sohn Gottes und Lehrer der Menschen erklärt, damit man nun Ihn und nicht mehr sie hören, auf Ihn, nicht auf sie schauen, bei Ihm, nicht bei ihnen stehen blei­ ben soll. Die Knechte mußten abtreten und der Sohn wurde aufgeführt.

36. Und als die Stimme erscholl, befand sich Jesus allein. Ein Beweist, daß die Stimme Ihm und nicht dem Moses oder Elias gegolten hat. Jesus ist *un6 allein genug, ist uns mehr als das ganze Gesetz, als alle Opfer und alle Priester und Propheten des alten Bundes. Matth. 17,1. re. Mark. 9, 2. re.

— Und sie schwiegen, und sagten zur selbigen Zeit niemanden etwas von dem, was sie da gesehen hatten. Wem gefalt nicht an diesen drei Jüngern, daß sie dem Heilande so treu waren und Ihm seine Ge­ heimnisse verschwiegen haben. Es giebt so eigenliebige Seelen, die denken, sie werden nicht so lieb gehabt, wenn man ihnen nicht al­ les sagt, da doch das Verschonen eine Frucht der zärt­ lichsten Liebe ist. Sie sind ja oft von so schwatzhafter Art, obwohl sie es nicht böse meinen, daß sie sich ange­ wöhnt haben, alles zu sagen, und beinahe laut zu denken. Es sind manche so ergriffen und eingenommen von den Sachen, von ihrer Schönheit, Wichtigkeit und Seligkeit, daß sie denken, sie würden eine Sünde be­ gehen, wenn sie nicht andern Menschen auch die Gnade anpriesen. Da nun der Heiland wirklich drei Jünger hatte, denen Er etwas anvertrauen konnte, so pflegte Er einen Unterschied zwischen ihnen und den -andern neun zu machen, daß Er sie in besondere Umstände seines Le­ bens hineinnahm. Zeugen mußte Er haben, die alles mit ansahrn, damit Er nichts im Winkel that, und sie

einmal sagen konnten: Wir Habens gesehen; wir ha­ ben seine Herrlichkeit selber gesehen, da Er von Gott rc. rc. 2. Petr 1,17. Aber wenn dergleichen Dinge zur Unzeit ausgeplaudert und vor seinem Leiden und Auferstehen publik geworden waren, so würde nichts als Schade und Verwirrung daraus entstanden seyn; unter den Zün­ dern Neid und Eifersucht, unter Phantasten ein fabel­ hafter Glaube, unter Selbstklugen ein philosophischer Widerspruch rc. Es ist daher zu gewissen Zeiten nicht gut, alles zu sagen; und es giebt Wahrheiten, die nur in gewis­ sen Umständen und in gewissem Maaße, bis der Herr kommt, können gebraucht werden, und die den andern Leuten nicht nur ganz unnütz, sondern auch schädlich sind, weil sie es nicht brauchen, wohl aber mißbrauchen können. Man macht den Christen die widersprechendsten Einwürfe: Ihr saget eure Geheimnisse nicht allen: oder: Ihr saget sie unbesonnen, zu öffentlich. Darauf ist nothwendig die doppelte Gegenanrwort: Wir können ja nichts sagen, was nicht schon alle Leute wissen; wir appliziren nur; und zweitens: Es müssen doch am Ende gewisse Dinge seyn, mit denen man geheimer und schatz­ mäßiger umgeben sollte. 37. Es geschah am folgenden Tage, als sie vom Berge herabstiegen, kam ihnen viel Volk entgegen. Immer finden wir, daß nur das Volk in großer Men­ ge Jesu entgegen ging, Ihn hören und von Ihm geheilt werden wollte. Haben denn die andern keine Ohren? oder sind sie nicht krank? Warum fühlt nur das Volk am meisten Bedürfniß, Jesum und das Evangelium zu hören, und selig zu werden? Matth. 5,3.—, ist es beantwortet. 38. Und sieh, ein Mann rief laut und sprach: Meister ich bitte dich, nimm dich doch meines

Sohnes an; er ist mein einziges Rind. (Man sorgt so sehr für das, was man nur einfach hat, für ein einziges Kind, um es zu erhalten; warum nicht auch so für seine Seele, die ja auch nur Eine ist.) 39. Und sieh, wenn ihn der Geist ergreift, so schreit er plötzlich, er reißt ihn so heftig hin und her, daß er schäumet, und er läßt mit Mühe von ihm ab, wend er ihn ganz abgemattet hat. Das wahre Bild eines Sünders, der ein Sklave des Teufels und seiner Leidenschaften ist, und den Teufel und die Lüste zum Herrn hat. Er schleppt ihn von einer Sünde in die andere, und reißt ihn gewaltsam mit fort in alles wüste Wesen hinein. Daher sind die Gottlosen in beständiger Unruhe, weil ihnen ihr Treiber keine Ruhe läßt. 40. Ich habe deine Jünger gebeten, weil du nicht da warst, daß sie ihn auskreiben möchten in deinem Namen; aber sie konnten es nicht, obwohl ihnen Vers 1. Vollmacht über alle Teufel gegeben war. Die Schuld lag an ihnen; sie sind nicht im rechten Lager geblieben, und hatten die Waffen noch nicht an» gezogen, die ihnen geschenkt waren; darum klagt der Herr. 41. Da antwortete Jesus und sprach: O du ungläubiges und verkehrtes Geschlecht! das gleich den Glauben sinken läßt, wenn sich Schwierigkeiten zeigen; wie lange soll ich bei euch seyn und euch tragen? So hatte Christus auch mit seinen eigenen Freunden seine Leiden. Er mußte nicht nur unter lauter ungeschlachten Menschen wandeln, ihre Blind­ heit und Bosheit erdulden, und so zu sagen, in einer steten Hölle unter seinen Feinden leben, sondern auch an seinen Freunden mit Herzleid so viel Unglauben und Elend bemerken. Aber Helfen war doch seine Lust, Darum sprach Er: Bring deinen Sohn hjeher. Cs verdroß Ihn, daß seine Jünger dem armen Manne nicht gleich auf der Stelle geholfen und ihn so lange hatten warten lassen»

42. Indem Er nun hinzu trat, warf ihn der Teufel nieder, und fchürcelre ihn hin und her. Wenn sich der Sünder zu Jesus wendet, so tobt der Teufel örtt meisten. 43. Jesus aber bedrohte den unreinen Geist und heilte den Rnaben, und gab ihn seinem Vater wieder, als ein Geschenk, daß Er dem Teufel aus den Klauen seiner Leibeigenschaft ent­ rissen hat. Matth. 17,15. rc. Mark. 9,17. re. 44. Und es erstaunten alle über die Herrlichkeit Gottes. Da sich aber alle verwunderten, über al­ les, was Jesus that, sprach Er zu seinen Jüngern: Nehmet diese Worte wohl zu Herzen! "denn der

Menschen-Sohn wirv in die Hände der Sünder überliefert werden. Der Heiland war alle Minuten bereit, hervorzu­ treten, und sich mitzutheilen. Er war also kein finstrer Mann, kein Anachoret; Er ging den Verlornen nach, Er war ein Freund der Menschen und der Sünder, der sich überall zu ihnen gesellte, sie aufsuchte, wo Er sie zu finden wußte. Er hat selbst gesagt, daß man Ihn für einen Freund der Zöllner und Sünder gehal­ ten habe. Diese Beschuldigung ist nicht von der Mönchshaftigkeit, sondern von der herzlichen Liebe her­ gekommen, womit Er den verlornen Schafen nachlief und sie selig zu machen suchte. Aber wenn Er bewun­ dert wurde, und Komplimente anhören mußte wegen seiner Vortrefflichkeit, da war Er äußerst bescheiden. Den Lobeserhebungen machte Er bald ein Ende. Das Weib, das seine Mutter so selig pries, fertigte Er kurz ab. Wenn Er sah, daß den Lobeserhebungen nicht auszuweichen war, so beschwieg Ers für dießmal, und das zweitemal entzog Er sich. Denn es war Ihm gar nicht um sein Lob zu thun, und daß nur von Ihm geredet würde; sondern um die Ausführung des Zwekkes, dazu Er gesandt war, war Ihm zu thun. Daö soll auch unser wirkliches und wahres Stre­ ben seyn. Unsre ganze Sache soll in Ausführung sei­ nes Zweckes bestehen, so viel wir dabei thun können.

224

Lukas 9, 45—48»

45. Sie aber verstanden dies Wort fvom Leiden und Tode Jesu) nicht und es war vor ihnen verhüllt, so daß sie es nicht faßten. Sie fürchteten sich auch, Ihn wegen dieser Rede zu fragen

Kap. 18,34. Das Geheimnis; des Todes Jesu ist über dem menschlichen Verstände erhaben, daß man mehr Glauben und Demuth haben must, es abzubeten, als Neugierde, es zu erforschen. Wer sich fürchtet, sein Fleisch mit Christo zu kreu­ zigen, und den alten Menschen mit Ihm zu begraben, hat nicht gerne mit diesem Geheimnisse zu thun, und fürchtet sich darüber zu fragen, oder es genau kennen zu lernen. Matth 17,22. — Mark. 9,31. 46. Es stieg auch der Gedanke in ihnen auf, wer der Größte von ihnen wäre. (S. Matth. 18,1.) Solche Gedanken drängen sich freilich in das Ge­ müth, wenn man ihnen Thür und Thor öffnet, und wenn man das Leiden Christi nicht gern betrachtet; wie denn die Jünger nichts davon hören wollten. Darum stiegen ihnen solche Gedanken auf, die nur aufblähen. 47. Da aber Jesus die Gedanken ihres -Herzens sah, (der Herzenskündiger, Er sieht ja auch deine und meine Gedanken!) so nahm Er ein Rind, und stellte es neben sich, und zum Lehrmeister der Einfalt und Demuth für seine Schüler auf, 48. und sprach zu ihnen: wer ein solches Rind, (oder eine solche kindliche Seele) Ausnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat. Wer mich also gern hätte, der kann mich leicht haben, und meinen Va­ ter auch. S.Matth. 18,2. re. Mark. 9,34. rc. Joh. 13,20. — Denn wer der Rleinste unter euch allen ist, der wird groß seyn. Das ist historisch wahr; denn der Heiland erhebt einen solchen, giebt ihm zu thun, und läßt ihm seine besondere Liebe merken. Solche Leute werden vom Heiland vorgezogen, die es nicht suchen. Der

Lukas 9/ 49. $o.

aas

Der Sinn ist aber eigentlich: Wer der Kleinste ist, den lasset euch groß seyn; vor dem habt Respekt; der sey euch eine wichtige Person. Lasset eigentlich das Maaß der Hochachtung von einen wahren Jünger seyn, wie klein er ist. Es . ist in der That eine große Seligkeit und eine schöne Qualität von einem Jünger, wenn er der Kleinste ist, und man von ihm denken kann, daß er unter al­ len am wenigsten von sich denkt, und am besten zufrie­ den ist, wenn er von allen andern nicht hochgeachtet wird. Das flößt eine Hochachtung gegen ihn ein. Der angenehmste Charakter, den ein Jünger haben kann, ist nichts seyn, klein seyn, sich die Zeit nicht neh­ men, über seine Gaben und Eigenschaften, über sein Amt und Geschicklichkeit und Vertrauen, das man ihm bezeigt, nachzudenken, sondern immer fortzumachen, was ihm aufgetragen ist, es sey klein oder groß. 49. Da nahm Iohannes das wort, dem ein Skrupel aufstieg, und sprach: Meister! wir sahen einen, der in deinem Namen Teufel austrieb, und wir wehrten es ihm; denn es kam uns vor, daß ihm dieß nicht zukäme, weil er uns nicht Nachfolge, nicht zu unserer Gesellschaft oder Parthei gehört. „Der Mensch greift uns ja in unser Amt; denn uns ist eben die Macht, Teufel auszutreiben, gegeben." Aber hin­ ter solchen Anmaßungen steckt eben der Teufel der Hoffart und Partheisucht, den Christus jetzt vor allem austreiben muß. 50. Und Jesus sprach zu Ihm: wehret es ihm nicht; denn wer nicht wider euch ist, der ist für euch. Das ist eben das, was alle Jünger Chrifls noch bis auf den heutigen Tag in den verschiedenen Par­ theien zu.beobachten haben. Wenn sie in denselben Leute finden, die in der Hauptsache nicht wider sie sind, ja sich wohl gar die Hauptsache angelegen seyn lassen, und etwas ausrich­ ten (denn die Leute, von denen hier die Rede ist, nie« ertailiuiffrt, sah ihn, und ging vorüber. Er dachte: Du willst thun, als wenn du es nicht sähest. Siehts doch hier niemand. Wenn du wieder in die Stadt kommst, hält man dich doch für einen frommen Gesetzlebrer. So geht man vor der Barmherzigkeit vorbei (siehe Kap. 11,42.) und doch pocht und prahlt man mit dem Gesetze. „Gehst du hier vor deinem Nächsten vorüber, so wird er dir dort im Wege liegen, das du vor der Him­ melsthüre wieder umkehren mußt." Wer dieß liest, der merke darauf. 33. Ein reisender Samariter aber (oder einer von den Leuten, die den Juden verhaßte und verdammte Leute, oder Ketzer und Schismatiker waren,) kam zu

hm, und als er ihn sah, mit andern Augen, als )er Priester und Levit, erbarmte er sich. An dem Priester und Leviten sehen wir das Bild Der Lieblosigkeit und Herzlosigkeit. Es ist nicht genug, Das Gesetz lesen, wissen, predigen; sondern innige, thä­ tige Liebe muß das Herz erfüllen, und Hand und Fuß lind Aug in Bewegung setzen, sobald irgendwo Hülfe nöthig ist. Das Elend, die Noth, das Leiden unsers Nebenmenschen muß uns so zu Herzen gehen, daß uns licht anders zu Muthe ist, als wäre uns der Schaden, Das Unglück, das Leiden, die Schmach anderer selbst begegnet, wie es dem Samariter war. Christus macht also einen Unterschied zwischen den Tamaritern; Er sagt nicht: Es sind alle Teufelekinder, Denn etliche waren gut unter ihnen. Er sagt aber auch licht: Die Samariter sind alle gut, denn es waren iud) viele Böse unter ihnen. (Sieh Kap. 9, 53.) So muß man nie eine Nation oder Parthei ganz verwer­ fen, oder ganz loben. 34. Er trat zu. ihm hin, und nahm sich seiner an, ohne zu fragen, von welcher Religion er sey. Er begnügte sich auch nicht mit dem bloßen innerlichen Muleiden, wie- manche meinen, es sey. genug, wenn sie .'in paar Seufzer oder mitleidige Worte über die EkenDen äußern. Nein, er griff wirtlich zu, und verband seine wunden, die ihm selbst Wunden machten, und zoß Oel und Wein darein, und seyce ihn auf fein Lastchier, daß er selbst zu Fuß gehen mußte: er führte ihn in die Herberge und versorgte ihn. 35. Und xin folgenden Tage, da er weiter reifte, seinen Geschäften nach, hörte er darum nicht auf, für ibn zu sorgen, sondern zog zwei Denare heraus, und gab sie dem Wirthe, daß er diesen verlassenen und hülfsbedürftigen Menschen dafür verpflegen sollte, und sprach zu ihm: Trage Sorge für ihn, und was du noch darüber aufwendest, will ich dir bezahlen, penn ich zurückkomme.

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LukaS io, Z7.

Der Samariter fehl seine Reise und seine Liebe fort. Die Menschen suchen sonst immer eine Sache von sich zu schieben, und sprechen: Ich habe da und da hin müssen. Wohl! thue zuerst das, dann geh hin. Sanft ist die Liebe, besonders gegen Leidende, sie gießt gern Del der Sanftmuth in die Wunden des leidenden Nächsten, in zerrissene Herzen, flößt ihnen al­ len erdenklichen Trost ein, mit Rath und Beistand, sucht allen Schaden mit Güte, Langmuth und Treue zu heilen. Sie hat aber auch den Ernst und die Kraft des Weins; sie kann es auch scharf und genau nehmen, wo es nöthig ist, und wendet dann den Wein der ernstlichen Bestrafung, Zurechtweisung und Entdeckung des Bösen an. Das werden ihm nun die Schriftgelehrten und Ju­ den sehr übel genommen haben, daß Er einen Sama­ riter, einen Ketzer zum Beispiel aufstellte, und ihm solches Lob beilegte; das muß sie nicht wenig verdros­ sen haben, weil die Juden und Samariter einen gro­ ßen Haß gegen einander hegten. Er wollte sie aber damit nicht kranken, sondern nur zurecht weisen, daß die Liebe des Nächsten keinen Unterschied der Religio­ nen, Nationen und Stände kennt.

36. welcher mm von diesen Dreien scheint vir der Nächste von dem gewesen zu seyn, der un­ ter die Mörder siel? 37. Jener aber konnte nicht in Abrede seyn, daß es derjenige seyn müßte, der Barmherzigkeit an ihm gethan. Die andern waren es auch nach der Schuldigkeit, und hätten eben das thun sollen. Der ist allemal mein Nächster, den ich zur Zeit der Noth am nächsten bei mir habe. Wenn auch einer aus der wilden Barbarei käme, so wäre er mein Näch­ ster, und daher würdig, alle mögliche Treue und Liebe von mir zu genießen. Wer nur unsrer nöthig hat, ist unser Nächster, er sey, wer er wolle — und ich bin ihm der Nächste, wenn ich ihm helfe.

— Und Jesus machte die Anwendung und sprach: Gehe hin, und thue -desgleichen; mach Ernst daraus. Wenn der unbarmherzige Priester und Levit sich andächtige Fürbitter des Unglücklichen nennen, so lehrt uns Christus: unser eigenes Lastthier, Bequemlichkeit, Geld, Gut, Hand, Mund und Fuß dem Nothleidenden leihen, und nicht nur mit Worten, sondern mit der That und mit Wahrheit lieben. Christus ist der wahre barmherzige Samaritan ge­ gen uns alle. Er trifft uns alle ausgezogen, nackt und blos, voll Blut und Wunden, voll Sünden und Laster an der Straße dieser Welt liegend an ; voll Mit­ leid und Erbarmen geht Er zu uns hin, wäscht unsere Wunden mit seinem Blute, gießt das Oel und den Wein seines Geistes darauf, verbindet uns, nimmt unS auf sein Lastthier, bringt uns in die Herberge seiner lebendigen Gemeine, übergiebt uns dem Wirthe, dem Seelsorger, mit dem Auftrage; „Sorge für ihn;" Er kommt wieder, und trägt uns zuletzt in den Himmel. 38. Es geschah nun, da sie umherzogen, ging Er in einen Flecken hinein. Das war Betbanien, nicht weit von Jerusalem, wo Er oft einzukehren pflegte. Joh. 11,5. Ein weid mit Namen Marcha, nahm Ihn in ihr -Haus auf. Christus wird heutzutag noch von schwachen, geringen und armen Seu.in lieber aus­ genommen, als von Hohen und Klugen. 39. Sie harre eine Schwester, die Maria, und einen Bruder, der Lazarus hieß; alle drei Geschwi. ster fürchteten Gott und hatten Jesum lieb, und Jesus hatte sie alle auch sehr lieb, und kehrte als Hausfreund oft bei ihnen ein. Maria, die sehr innig war und einen stillen frommen Sinn hatte, machte sich seine Ge­ genwart besonders zu Nutzen, und setzte sich zu den Füßen Jesu, und Hörre seine Worte. Martha nahm Jesum in ihr Haus, Maria nahm Ihn in ihr Herz auf.

2$o

Lukas io, 40 — 42.

40. Marcha machte sich viel zu schaffen, um Ihn recht zu bedienen; sie machte allerlei Anstalten dazu, und konnte nicht fertig werden; darum trat sie hinzu und sprach: -Herr! kümmert es Dich nicht, kannst Du es so ansehen, und dazu schweigen, daß mir meine Schwester die Bedienung allein überlcißt, und sich der Hausgeschafte gar nicht annimmt; sag ibr doch, daß sie mir helfe. Die eifrigen Kin­ der Gottes und besonders die stillen innigen Seelen haben das Unglück, daß sie auch in ihren schönsten Verrichtungen getadelt werden, als ob sie bald zu viel, bald zu wenig gethan hätten. 41 Jesus aber antwortete ihr: Martha, Martha! du bist zu sorgfältig und beunruhigest dich mit zu vielen Dingen. Du sorgst zu viel für das Acußere und zu wenig für das Innere; daran doch alles gelegen ist. Daß Er sie zweimal beim Namen nennt, ist auch nicht ohne Bedeutung. Er tadelt sie eben nicht, daß sie thätig, arbeitsam ist, sondern weil sie 1) die Gelegenheit, Ihn zu hören, die sie nicht allemal hatte, versäumte; 2) daß sie ihre Geschäfte mit Unruhe und Kummerhaftigkeit verrichtete; 3) daß sie sich mit zu vielen Geschäften, die unnöthig waren, beladet, verwirrt und stört.. Zerstreuung, Ha­ stigkeit, war ihr Fehler, nicht häusliche Fertigkeit. Maria dageaen setzte sich, wie der Heiland kam, so­ gleich zu Ihm; ihre Sache war, kein Wort zu verlie­ ren das Er redete. Darum sagte der Heiland: 42. nur Eines ist Noch. Maria hat den be­ sten Theil erwählt, der ihr nicht wird genommen werden. Maria war also anhänglich an Ihn. daß sie kei­ nen Augenblick von Ihm wegbleiben konnte, daß sie dachte: Die Stunden und Momente, da ich um Ihn seyn kann, sind so unschätzbar, daß das Haus und al­ les darüber warten muß. Ich sollte Ihn wohl auch bedienen helfen; es wäre meine Schuldigkeit; aber Er

Lukas ii, i.

251

>ird m»rS nicht übel nehmen; seine Stunden sind mir > kostbar. Und seine Person ist mir so wichtig, daß h lieber grob seyn und genießen will. Der eigentliche Punkt, das Wesentliche aller PreigteU, Reden, geistlichen Unterhaltungen, worauf alles inausgeht, ist das: „Ihr Menschenkinder, macht euch iit Ihm selber bekannt." Das ist eine selige Stunde, a man mit Ihm umgeht; sonst verdirbt alle Zeit. Benn die Leute einmal von Ihm lebendig zeugen hö­ rn, und sie thun, was sie der Zeuge bittet; so brau>en sie von dem Momente an, da sie überzeugt sind, aß der Umgang mit seinem Heilande die Quelle aller )lückseligkeit ausmacht, sich nur an Ihn selber zu wenen, um Ihn zu finden; denn Er kommt zu uns; >ir dürfen Ihm nicht weit nachlaufen. Wer mit Ihm ekannt ist, und mit Ihm im Umgänge steht, kann viglich nicht verloren gehen; das ist unmöglich.

Das XI. Kapitel zesuL lehrt beten; wird gelästert; lehrt vom unreken Geiste; der gern widerkehrtz vom Aei chen Ionäz von Niniviten; Strafpredigt der Pharisäer.) 1. Und es geschah, als Er an einem Orte erere. Daß Jesus selber geglaubt hat,, ist aus vielen iner Reden und Handlungen klar. Er war doch ge­ äst die unaffeclirteste Person, die man je finden konnte,, nd sieh! Er har gebetet, so anhaltend, wie einer er etwas durch's Gebet erlangen will. Er hat nicht xerqitii gratis (aus langer Weile) gebetet oder nur ormeln gemacht, die die Apostel nachbeten sollten, )enn Er hat des Nachts in den Wüsten, allein aus Zergen ohne einen Schüler um sich zu haben, im Ge-ete durchgewacht. Er hat vor dem Grabe des Lanus laut gebetet, wie jeder, wenn er etwas oon Gott

Lukas ii, i.

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>ird m»rS nicht übel nehmen; seine Stunden sind mir > kostbar. Und seine Person ist mir so wichtig, daß h lieber grob seyn und genießen will. Der eigentliche Punkt, das Wesentliche aller PreigteU, Reden, geistlichen Unterhaltungen, worauf alles inausgeht, ist das: „Ihr Menschenkinder, macht euch iit Ihm selber bekannt." Das ist eine selige Stunde, a man mit Ihm umgeht; sonst verdirbt alle Zeit. Benn die Leute einmal von Ihm lebendig zeugen hö­ rn, und sie thun, was sie der Zeuge bittet; so brau>en sie von dem Momente an, da sie überzeugt sind, aß der Umgang mit seinem Heilande die Quelle aller )lückseligkeit ausmacht, sich nur an Ihn selber zu wenen, um Ihn zu finden; denn Er kommt zu uns; >ir dürfen Ihm nicht weit nachlaufen. Wer mit Ihm ekannt ist, und mit Ihm im Umgänge steht, kann viglich nicht verloren gehen; das ist unmöglich.

Das XI. Kapitel zesuL lehrt beten; wird gelästert; lehrt vom unreken Geiste; der gern widerkehrtz vom Aei chen Ionäz von Niniviten; Strafpredigt der Pharisäer.) 1. Und es geschah, als Er an einem Orte erere. Daß Jesus selber geglaubt hat,, ist aus vielen iner Reden und Handlungen klar. Er war doch ge­ äst die unaffeclirteste Person, die man je finden konnte,, nd sieh! Er har gebetet, so anhaltend, wie einer er etwas durch's Gebet erlangen will. Er hat nicht xerqitii gratis (aus langer Weile) gebetet oder nur ormeln gemacht, die die Apostel nachbeten sollten, )enn Er hat des Nachts in den Wüsten, allein aus Zergen ohne einen Schüler um sich zu haben, im Ge-ete durchgewacht. Er hat vor dem Grabe des Lanus laut gebetet, wie jeder, wenn er etwas oon Gott

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Lukas iir 2.

will, beten muß. So meistens, wenn Er heilte, betete oder seufzte Er zum Himmel, gewiß nicht aus Heuche­ lei, sondern in Wahrheit, aus Bedürfniß, den Vater

zu ehren.

— Und es sprach, da Er aufhörce, einer seiner Jünger zu Ihm.- -Herr! lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger gelehrt hak. Da Christus betete, ward in seinen Jüngern auch ein gottseliges Verlangen erweckt, daß sie beten lernen möchten. Sie meinten, Christus habe ihnen noch kein Gebetbuch gemacht, und wollten gleichsam ein Formu­ lar haben, das sie nachsprechen könnten. Sie beriefen sich darauf, wie auch Johannes seine Jünger beten gelebrt hätte. Damit wollen sie Christo stillschweigend verweisen, daß Er in seiner Schule noch etwas Nöthi­ ges vergessen habe. Wer von Christo beten lernen will, hat sich den besten Lehrer im Gebete erwählt. Und es ist die größte Weisheit, wenn man alles von Ihm, und nichts von sich selbst erwartet. Beten halten die Menschen für das Leichteste, die es nur mit dem Munde verrichten; aber es ist die größte Kunst, die nur der Geist Christi uns lehren kann; in seiner Schule kann man es aber auch gar leicht lernen.

2. Und Er sprach zu ihnen: Wenn ihr betet, so saget: Vater! Geheiligek werde Dein Name! Dein "Reich komme! Gott der der Vater der ewigen Wahrheit und mit seinem Sohne und heiligen Geiste der Urheber aller Dinge ist, will von Kindern, nicht von Knechten und Sklaven bedient, im Geiste und in der Wahrheit an­ gebetet werden, und vor Allem um der Heiligung sei­ nes Namens willen gesucht werden, damit wir durch denselben auch geheiligt werden. Die erste Triebfeder unserer Handlungen und das erste Verlangen unsers Herzens soll die Ehre Gortes und das Reich der Gnade in den Herzen der Menschen seyn, weil dadurch allein

Gott verherrlicht und unsere Heiligung vollendet wird. S. Matth. 6,9.10.

3. Unser täglich Brod gieb uns heute! Wir sollen uns gemäß dieser Bitte betrachten, als arme Fremdlinge auf Erden, als Bettler, die sich durch dieses fremde Land in ihre Heimath durchbetteln müssen. Doch dürfen wir uns ansehen als Kinder, und Goit im Himmel als Vater bitten, daß Er uns armen Pil­ gern für jeden Tag verleihe, daß wir nicht verschmach ten in dieser Wüste. Ein Wanderer bittet aber nur um so viel Brod, als er essen kann und nöthig hat, um weiter zu kommen. Ueberftuß würde ihn nur hin­ dern und beschweren, wenn er so viel mitschleppen müßte.

4. Und vergieb uns unsere Sünden, denn auch wir vergeben jedem unserer Beleidiger, und führe uns nicht in Versuchung. Das Abbitten muß mit dem Birten verbunden werden; wir haben viele Schulden, wie wir viele Be­ dürfnisse haben. Damit muß sich aber ein Sünder von Profession nicht trösten, und darauf lossündigen, weil uns Gott erlaubt ihn täglich um Vergebung zu bitten und er also dadurch gleichsam verheißen hat, täglich zu vergeben. Denn das hat Er nicht für muthwillige, sondern für schwache Sünder erklärt, die der Sünde entsagt haben, aber von ihr noch manchmal übereilt werden. Diese dürfen zuversichtlich Vergebung hoffen, wenn sie anders auch redlich aus ihrem Herzen um das Reich Gottes, und die Erfüllung des Willens Gottes bitten.

Wie wir aber in den Himmel, in das Vaterherz Gottes hineinschreien: „Vergebung unserer Schuld!" so schalt das Echo zurück: „Vergebung euren Schul­ diger»!" Wie könnten wir auch einem Beleidiger, der uns um Verzeihung bittet, Verzeihung versagen, ohne die Vergebung unsrer Sünden bei Gott zu verhindern, oder wieder aufzuheben?

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LukaS II, 5 — 8.

Wir bitten auch nicht, daß keine Versuchung über uns komme, sondern nur, daß wir nicht in die Versu­ chung hineingefübrt werden, nicht in ihr verwickelt, gefangen und gefällt werden. Wir müssen auf den Kampfplatz, aber wir sollen im Kampfe nicht erliegen, dem Feinde nicht weichen/ uns nicht besiegen lassen-; sondern das Feld behalten. Und das müssen wir von Gott erbitten, nicht von uns erwarten. Siehe Matth. 6, 6.16 Jesus hatte die Jünger schon m der Bergpredigt Matth. 6. dasselbe Gebet gelehrt, nur ein paar Bitten mehr als hier; sie ware-r aber damit nicht zufrieden, sondern glaubten ein längeres Formular haben zu müs­ sen, da giebt Er ihnen nun ein kürzeres, um sie zu lehren, daß es gar nicht auf lange oder kurze Gebets­ formeln ankomme, sondern auf das Verlangen und den Glauben des Herzens» > Da übrigens Christus seine Jünger dieses Gebet lehrte, als Er eben vom Gebet herkam, so muß es wohl auch der Inhalt seines Gebets gewesen seyn» Wer das Vaterunser länger und im großen For­ mat haben will, der nehme das Psalmbuch, das ja auch größten theils ein Gebetbuch des Messias ist, in­ dem Er durch den Mund Davids mir seinem Vater

spricht» 5. Er sprach: wenn einer von euch einen Freund hätte, und er käme zu ihm um Mittel nacht und spräche zu ihm.- Freund! leih mir drei Brode; 6» denn mein Freund ist Zu mir von der Reise gekonnnen, und ich habe nichts, ihm vorzuseyen; 7. Und jener antwortete von innen und spräche: Ma­

che mir keine Beschwerden, die Thüre ist schon ger schlossen, und meine Rinder sind bei mir in der Rammer! ich kaNn nicht aufstehett und dir geben. 8. wenn aber jener doch Nicht nachließe anzuklopfen, sd versschere ich euch: wenn er auch nicht aufstände und ihm gäbe, darum, weil er sein

Freund ist, fb würde er doch wegen seiner Zudring­ lichkeit aufstehen und ih«n geben, so viel er nö­ thig hat. ES wird vorausgesetzt, daß man etwas nothwen­ dig habe, wenn man bitten soll. Es ist nicht genug, daß man den Mann kennt, der einem helfen soü; son­ dern man muß auch seiner Hülfe bedürfen; die Ursa­ che, warum dort die Samariterin Joh. 4. nicht bat, war, sie kannte den Mann nicht. Und daß so viele Menschen heutzutage auch nichts erhalten, kommt da­ her, daß sie wohl vorgeben, den Mann und seine Kraft, Vermögen und Reichthum zu kennen, aber sie denken. Seiner nicht nöthig zu haben. Nun ist kein Zweifel, daß nicht mit geistliche Sa­ chen, (welche es hauptsächlich sind, darum wir bitten,) sondetn auch die Dinge, die zum äußern Leben und Berufe gehören, einfältig und kindlich können begehrt. Und von Ihm erhalten werden. Wenn man nur erst mit seinem Herzensfteunde über die Nothwendigkeit und Nützlichkeit der Dinge eins geworden ist; für das Er­ halten hals keine Noth. Unsere Hauptbitte soll seyn: „Gieb dich mir, und nimm mich dit dafür hin! Mache, was du willst in allen Sachen, die ich zu bedürfen glaube, die mir zur Freude oder zum Nutzen gereichen; gieb sie Mir, oder gieb sie mir nicht, gieb nur dich her!"

Keine andere Bitte soll uns so angelegen seyn, als die, Ihn zu besitzen. Doch kann man auch nicht sagen, daß man nicht Um andere Sachen bitten soll. Man kommt in tausend Umstände, wo Man Seiner und seiner Hülfe nöthig hat; — aber das bleibt doch : Wer Ihn hat, der hat alles. Die ganze heilige Dreiei» nigkeit macht sich mit den Bedürfnissen eines solchen, um Jesu willen, mehr zu thun, als man glaubt.

9. Darum sage ich euch, bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr^ finden, klopfet an, |o wird euch aufgethan. 10. Denn jeder, der btt>

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Lukaö ii, II.

ter, empfängt, wer sucht, der findet, und wer an» klopft, dem wird aufgethan. Wenn man erhört werden will, muß man bitten mit der Demuth eines Armen, suchen mit der Angele­ genheit eines treuen Knechtes, und anklopfen mit der Dreistigkeit eines Freundes. Menschen lasten warten auf ihre Gaben aus Härte, Laune, Hochmuth oder Ohn­ macht, Gott aus Güte, Liebe und Weisheit, um uns desto reichlicher zu geben. Wenn Gott nicht giebt, nicht erhört, so muß man dieß auch als Gabe mit Anbetung annehmen; denn es ist eine große Gabe, wenn man das nicht erlangt, wovon Gott vorhersieht, daß wir es mißbrauchen, oder daß es uns jetzt schaden würde. Gott giebt nicht alle­ mal sogleich, wenn die Gebete nur von der Oberfläche des Herzens kommen oder gar nur Schaum der Worte sind; Er giebt erst nach tiefem Seufzen. Er läßt das Gebet erst wachsen und stärker, dringender werden. Denn wenn Er gleich auf den ersten Schrei mit Hülfe da wäre, so würde das Gebet nicht wachsen, sondern kalt werden. Darum verzieht Er mit der Hülfe, und dadurch wächst das Gebet. Wenn du daher mit Bit­ ten nichts ausrichtest, so mußt du suchen, und wenn dir auch dieses vergeblich zu seyn und Gott sich mehr zu verbergen scheint, so fange an zu klopfen, und höre nicht auf, bis du die Thüre aufklopfest, darin Er ver­ schlossen ist. Denn es ist kein Zweifel, unser Gebet ist schon erhört, sobald wir nur die erste Sylbe vorgebracht haben, wie der Engel zu Daniel sagte (Dan. 9, 23) : „Da du anfingest zu beten, ging dieser Befehl aus re." Gott giebt aber oft auf unser Bitten nichts, weil Er gefochc seyn und haben will, daß man anhalte und Ihn also herausklopfen soll, wie der Herr Luk. 18, 2. lehrt.

11. wo ist ein Vater unter euch, der seinem Sohne, wenn er ihn um Brod bitter, einen Stein giebt? Oder wenn er um einen Fisch bittet, wird er ihm

Lukas iif i2. iz,

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hm statt des Fisches eine Schlange geben. 12. Oder venn er ihn um ein Ey bittet, wird er ihm einen Acorpion dafür geben? 13. wenn nun ihr, die ihr >och böse seyd, euren Rindern gute Gaben geben 'önnec, um wie viel mehr wird euer Varer im -Himnel seinen guten Geist denen geben, die ihn >arum bitten? Welche Schande für die armen Bettler, wenn »an sie so aufmuntern, und so viele Gründe -nführen nuß, um sie zum Bitten zu bringen. Und dennoch senken wir so verkehrt und glauben, wir müssen den ieben Gott durch viele Vorstellungen und Beweggründe >nd mit vielen Fürbitten bewegen und erweichen, daß Er uns erhöre, weil wir in dem Wahne stehen, als venn es nur an Ihm fehle. Du lieber Gott! Und Du giebst Dir hier so viele Nühe uns zu bewegen, daß wir nur kommen, nur btt» en, nur glauben und vertrauen möchten. Du kannst ins Deine Bereitwilligkeit zu geben nicht genug schil­ dern, Deine väterliche Güte nicht genug bezeugen! Da ehen wir ja, daß es an uns, am Glauben und Ver­ täuen auf unserer Seite fehlt. Er giebt uns gewiß einen Stein statt Brod, aber wir verwandeln das Brod Lottes in Stein, durch die Härte unseres Herzens, so hat z. B. Judas den Bissen Brod von der Hand Zesu in seinen Mund empfangen, und die Schlange uhr in sein Herz, weil Er es mit einem Schlangenheren empfangen hat. So ist das Wort GotteS ein Ey, welches, wenn nan die äußere Schale durchbricht und es öffnet, die »errlichsten Geheimnisse enthält, die mit dem Salze der Peishcit oder Salbung des heiligen Geistes genossen, >as Herz stärken; Ungläubige, Zweifler, Spötter oder luch Pharisäer und Abergläubische aber finden Gift, §korpionen darin, weil sie ein vergiftetes Herz haben. Hier hat uns Jesus zugleich angezeigt, was Gott >m liebsten giebt, und um was wir Ihn vor allery ErbmiurSb. III. XM Luka«. 17

258

LukaS ii, 14. 15.

und am angelegendsten bitten sollen, und das ist die beste Gabe, der heilige Geist. S. Matth. 7,8— 11.

14. Und Er trieb einen Teufel aus, der stumm war; und irachdein Er den Teufel ausgetrieben hatte, redete der Stumme und das Volk verwun­ derte sich. Von stummen Teufeln sind viele Chn'sien besessen, die es gar nicht glauben; indem der Teufel ihre Zunge bindet, wenn sie dieselbe zum Lobe Gottes, zum Gebete, oder zum heilsamen Gespräche von göttlichen Dingen brauchen sollen; sobald aber etwas Weltliches auf die Bahn gebracht wird, löst der Satan ihre Zunge und läßt sie nur zu viel schy-ahen. Mach den Versuch, und fang in einer Gesellschaft der gewöhnlichen Chri­ sten von Christus und Gottseligkeit zu reden an, und du wirst sehen, wie der stumme Teufel auf einmal sich auf alle Zungen seht und kein Wort herauslaßt, oder wenn starke Geister da sind, wie sie in Wuth versetzt werden, daß sie lästern und spotten, wie folgt. 15. Einige aber von ihnen lästerten und sagten:

durch Beelzebub den obersten Teufel, treibt er die Teufel aus. Das Volk hat sich verwundert über das Wunder, hat es angegafft und angestaunt, weil es entweder die Sache noch nicht recht glauben konnte oder in Zweifel stand, was es davon denken sollte; aber Einige (Mat­ thäus sagt Kap. 12,24: die Pharisäer) waren aufge­ klärter und wußten dem Kinde einen andern Namen zu geben. Ihre Zunge war nicht von einem stummen Geiste gebunden, sondern von der Hölle entzündet und vom ärgsten Lästerteufel in Bewegung gesetzt, daruni schreiben sie ohne Scheu dem Teufel zu, was offenbar des Geistes Gottes war. Der gute Geist entschuldigt böse Haudlungen, so gut er kann, der böse Geist aber lästert die besten Werke, selbst Wunderwerke. Matth. 12, 24. und Mark. 3,

22 — 30.

16. Andere versuchten Ihn und forderten von Ihm ein Zeichen am Himmel. Wer sich mit den Zeichen, die Gott gab und giebt, nicht begnügt, dem mangelt der Glaube, nicht der Beweiß; der könnte glau. ben, aber er will nicht und wird nicht glauben, wenn er noch so viele Zeichen sieht. 17. Er aber, da Er ihre Gedanken sah, sprach zu ihnen: Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist wird zerstört, und ein Haus, das wider sich selbst ist, fällt zusammen. 18. Wenn nun auch der Gacan mit sich selbst uneins ist, wie kann sein Reich bestehen? und doch saget ihr, ich treibe durch Beel­ zebub die Teufel aus. So thöricht und boshaft diese Lästerung war, eben so teuflisch ist auch die der Pharisäer unserer Zeit, wenn sie die Predigt des Evangeliums, wodurch die Teufel des Irrthums, der Unwissenheit und des Lasters ausgetrieben werden, Ketzerei, Verführung, Irrlehre oder

Schwärmerei nennen. 19. Wenn ich nun durch Beelzebub die Teu­ fel auscreibe, durch wen treiben sie denn eure Binder aus? Diese werden also eure Richter sevn und euch lehren, daß die Teufel nicht durch Teu­ felskraft, sondern nur durch Gotteskraft ausgejagt wer­

den können. Der Haß und Neid tfl blmd, er verdammt an einem was er an dem andern bis über die Sterne er­ bebt. ' Dieß ist die gewöhnliche Ketzerei der Ketzerma­ cher die sie für Gottesdienst halten und als ein Mit­ tel aebrauchen die, welche ihre Heuchelei aufdecken, ver­ haßt zu machen S. Matth. 12.25. Mark. 3,24. 20 Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Teufel austreibe, so ist ja wahrhaftig das Reich Görres zu euch gekommen. Wie erkennt man also, daß das Reich Gottes

gewiß da sey?

a6o

Lukas ii, 20. Erstens daran, wenn man den Finger Gottes

unverkennbar wahrnimmt. 2. Mos. S, 19. sagten schon

die ägyptischen Zauberer: Das ist der Finger Gottes. Und der Heiland nimmt es für bekannt an, daß auch die natürlichen Leute, ja die Teufel selbst den Finger Gottes erkennen müssen. Wenn das Reich Gottes wahrhaftig kommt, und sich das Gnadenreich wirklich auf einen Ort, Stadt, Land niederkäßi, so muß sich der heilige Geist, der un­ nachahmliche Finger Gottes dabei offenbaren, dem keine menschliche Kraft noch Weisheit von ferne gleich kom­

men kann. Das zweite Kennzeichen ist, wenn

der Satan seinen Abschied bekommt. Darum sagte er dort zum Heiland: warum bist du gekommen, uns zu quälen, ehe denn es Zeit ist? (Matth. 8,28.) Er hat sich nicht über das Fortmüffen überhaupt, sondern über das zu frühe Fortmüffen beschwert. Daher ist klar, daß der Satan überzeugt ist, daß er dahin gehört, und daß er zu seiner Zeit fort muß; nur geht er ungerne. Aber er muß doch ganz fort, denn Christus ist erschienen, daß Er die Werke des Teufels zerstöre, daß Er ihm seine Werkstätte, sein künstliches Gewebe und Gespinnste zerreiße und verderbe. Wenn er nun glaubt und fühlt, hier muß er ohne Barmherzigkeit, ohne Auswege, ohne Hoffnung des Wiederkehrens fort, da sträubt er sich, da zürnt und tobt er, und wendet alles an, was er kann, sich zu rächen, (Mark. 9, 24. 25.) wenn er sich nicht wehren kann. Aber er muß weichen. Es ist der Finger Got­ tes, der ihn weichen heißt. Er weiß es oft eine ge­ raume Zeit vorher, daß er keine Zeit mehr habe, daß es sich zum Abschiede, zum Ende mit ihm neige, und er seine letzte Kraft anwenden müsse. Allein er kann njchtS machen, er muß fort; das Reich Gottes ist da, er weiß wobl, das Christus und Bilial nicht zusam­ men gehören, noch an einem und demselben Orte blei-

den können. „Machet die Thore weit, und die Thüren in der Welt hoch, daß der König der Herrlichkeit ein­ ziehe." Ps.24,7. Nur davon muß man gewiß seyn, daß der Sa» tan wahrhaftig und nicht nur zum Schein aus einem Herzen, oder Haus oder einer Gegend gewichen sey. Und dazu giebt uns auch der Heilan!) Gnade, daß

man es wissen kann.

Das dritte Kennzeichen der Ankunft des Reiches Gottes ist, daß der Heiland einzieht. Wie kommt man dazu? Joh. 14,23. steht es. Wer es so macht, sagt Er, bei dem zieh ich ein; der hat mich und kann sagen: Ich lebe, doch nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Gal. 2 24. So gewiß nun das Wort Christi Gottes Wort und Wahrheit ist, so wahrhaftig erhalten alle Seele», die ihren Glaubens-Mund aufthun, und begieng hinein essen, was von göttlicher Wahrheit unter ihnen verkün­ diget wird, den Heiland selbst; sie erhalten den leben­ digen Samen in ihr Herz; sie werden der Natur Jesu Christi theilhaftig, aufs allerinnigste mit Ihm vereinigt; wie der Vater in Ihm ist, so ist Er in ihnen. (Joh. 17, 26.) Sie werden seiner stündlich inne, Er ist daS tägliche Brod ihrer Seele, sie können ohne Ihn keinen Tag bestehen, es wäre ihnen die Luft genommen, wenn man ihnen des Heilandes innige Nahe auf die Seite schaffen wollte.

Wenn es so zugeht im Herzen, in Orten, in Städ­ ten, in Häusern, in Familien, dann ist daS Reich Got­ tes da, dann ists der Finger Gottes gewesen, der den Satan hat weicht» heißen, dann ist er auch hinaus­ geworfen. Da ists kein Betrug, keine Verstellung, kein falsches Licht, sondern das ewige Lickt geht da auf, und giebt dem Herzen, den Orten, der Gegend einen neuen Glanz, und macht aus den Seelen Kinder des Lichts und der Gnade (wovon 2. Kor. 11,14. nachzulesen ist.)

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Lukas 11/ 21. 22.

21. wenn ein starker Bewaffneter sein -Haus be­ wacht, so ist das Seinige in Sicherheit. 22. wenn aber ein Stärkerer, als er, über ihn kommt, und ihn überwindet, so nimmt er ihm feine ganze Waf­ fenrüstung, auf welche er sich verließ, und vertheilt feine Beute. Der Heiland will sagen: So lange ich nicht Hand anlege, so bleibt der Satan Meister von einem Herzen, von einem Hause, und von der Welt überhaupt. Aber sobald ich angreife, so muß er weichen; da setzt es Un­ ruhe ab; da geht Unfriede an; die Seele kommt in Verwirrung; denn sie merkt, daß mit ihr erwas vorgeht. Da zeigt sichs dann auch, wozu sie Lust hat, ob sie sich dem Lamme ergeben will. Giebt sie sich Ihm ganz hin, so behalt Er sie, und sie rühmt es Ihm dann ewig nach. Ihm zur Ehre, ihr zur Schmach: Ich war in den Armen des Feindes; er hielt mich fest; aber der Herr hat sich meiner erbarmet, der Allmächtige kam selbst, und hat mich dem Starken genommen. Wenn die Leute in guter Sicherheit schlafen, und man schlägt ans Haus, und will sie wecken, so geben sie nicht viel darauf, so lange die Aufwecker und Straf­ prediger eine trockene Moral, oder nur den Buchstaben des Evangeliums predigen. Dadurch werden die Lente nur noch mehr eingewiegt in eine Art Scheinheiligkeit und eigene Gerechtigkeit. Der Pallast des Feindes, die Todesstille, in der die armen Seelen liegen, bleibt in ungestörter Ruhe. Wenn aber das Evangelium, Christus, der Ge­ kreuzigte, mit Ernst ünd lebendig gepredigt wird, so wehren sich die Feinde desselben; es wird ihnen bange, die Festung möchte eingenommen werden; sie müssen sich entweder für verloren halten, oder sie müssen den Heiland wahrhaftig in seinem Blute und in seiner Ver­ söhnungsgnade erfahren. Darum wehren sie sich, so lange sie können, und eben dadurch verrathen sie ihre Blöße, daß sie heimliche Gönner des Vertrauens auf

eigene Kräfte und eigenes Bemühen im Werke der Seligkeit sind, und daß sie ohne Christus etwas zu kön­ nen glauben. Man muß sich nicht wundern, wennS in Hinsicht solcher Lehrer, beim Satan und in seinen Gegenden herum, wo er solche Gönner hat, ruhig zugeht; er hat da nichts zu fürchten; man muß sich aber auch nicht wundern, wenn Lärmen wird, sobald Christus und sein Verdienst, seine Gnade und Gerechtigkeit ver­ kündiget wird; denn davor fürchtet er sich, und ist nicht mehr sicher hinter seinen Wällen.

23. wer nicht mir mir ist, der ist wider mich, wer nicht mit mir sammelt, der zerstreuet. Vergeblich schmeichelst du dir, daß du nichts Bö­ ses thuest; es ist schon schlimm genug, wenn du nichts Gutes thuest. Wer nicht mit mir ist, mit dem bin ich auch nicht. Mit mir, oder wider mich. Christ, oder Wider-Christ. Christi Freund, oder Christi Feind und des Teufels Gesell. Wer es nicht mit Christo hält, der hält es mit dem Teufel. Da gilt kein Jndifferentism. Mit oder wider; kein drittes. Viele denken, sie seyen nicht wider Christum. Wenn sie sich aber ernstlich prüfen, werden sie finden, daß sie nicht mit Christo sind, und Christus nicht mit ihnen ist, und sie also doch wider Ihn sind. So ist auch alles Wirken, Thun, Dichten und Trachten, wenn es nicht in, mit und durch Christum geschieht, kein Sammle», sondern ein Zerstreuen, kein Gewinn, sondern lauter Verlust und Schaden. Was ohne Christus, außer Ihm gebaut wird, das wird und muß zerfallen und zerstört werden, so daß kein Stein auf dem andern bleibt. Man kann bei Jesu nicht neutral bleiben, entwe­ der mit Ihm, oder wider Ihn. Wer nicht in der Vereinigung mit Jesu steht durch den lebendigen Glau­ ben; ist nicht mit Ihm, und also wider Ihn. Wenn Jesus nicht im Herzen wohnt, und die Seele sich nicht

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LukaS 11, 24—26.

zu Ihm versammelt und in Ihm bleibt, so zerstreuet fie sich, und alles, was sie thut, ist lauter Zerstreuung. (Match. 12,30.)

24. wenn der unreine Geist von dem Men­ schen «usgefahren ist, so durchwandert er dürre -Gegenden und sucht Ruhe; weil er sie aber nicht findet, so spricht er: Ich will in mein Haus zurück­ kehren, das ich verlassen habe. 25. Rommc er nun dahin und findet es rein ausgekehrt und geschmückt, 26. so geht er hin, und nimmt noch sieben andere Geister mit sich, die ärger sind als er, und sie gehen hinein bei der offenen Thüre, und wohnen da, weil es schön ausgeputzt ist, und so werden die letzten Dinge eines solchen Menschen ärger als die ersten. Der Zorn des Satans gegen alle, die sich von ihm zu Gott gewendet haben, ist größer als man glau­ ben kann. Wer, nachdem er von seiner Sclaverei frei geworden ist, wieder einschlummert, und sich sicher glaubt, kennt den Satan und seine listige Feindschaft nicht. Niemand hat sich mehr vor ihm in Acht zu nehmen, und gegen ihn auf der Wache zu stehen, als der ihn überwunden hat und ihm entkommen ist. Sey nicht stolz, blähe dich nicht, sondern wache, denn er lauert auf dich. Ein bekehrter Sünder ist eine Festung, die der Teufel verloren hat, wovon er alle Zugänge und schwache Seiten kennt, und mit der er öfters noch ein heimli­ ches Einverständniß unterhält, oder wo er noch Spione darinne hat.

Wenn ein versöhnter Sünder nicht ernstlich sucht in der Heiligung zu wachsen, und seinen Beruf und seine Erwählung durch ungeheuchelte Selbstverläugnung fest zu machen, sondern sich nur einen Schein der Gottseeligkeit erkünstelt und darüber ein Wohlgefallen an sich selbst, als an seiner eignen Gerechtigkeit hat, so ist er recht dazu geschmückt und geputzt, daß er den

Teufel vsn neuem einladet und wieder eine Visite von ihm bekommen kann. Und weil er das erstemal allein mit dir nicht fer­ tig werden konnte, so nimmt er dießmal siebenfache Verstärkung mit sich, um nicht so leicht wieder abziehen zu müssen. Und damit wirst du nicht so leicht fertig werden, denn die Bosheit verbirgt sich seht unter die Heuchelei. (Matth. 12,43 —) 27. Und es geschah, als Er dieß sagte, erhob ein Weib ihre Stimme unter dem Volke und sprach zu Ihm: Selig der Leib, der dich getragen hat, und die Brüste, die du gesogen hast! Ach, was hast du für eine glückliche Mutter! Was ist das für eine selige Person, die dich getragen hat! Ja, sagt der Heiland, sie hat noch eine Eigenschaft, die sie weit seli­ ger macht. 28. Er aber sprach: Ja selig vielmehr, die Gottes Wort hören und dasselbe beobachten. Der Heiland widerspricht der Frau nicht; Er sagt nur mehr, als sie. Der Heiland hat nach seiner Art allemal erstaun­ lich viel in seinen Antworten gesagt, so daß die Leute die sie bekamen, genug zu thun hatten, wenn sie sie für ihre Person benutzen wollten. Es ist kein Zweifel, daß Er diese Antwort nicht aus Geringschätzung gegen seine Mutter, oder um sie herabzusetzen gegeben hat; Er hat aber doch gewiß hin­ ausgedacht auf künftige Zeiten. Wenn man der Sache ganz einfältig nachgehr, so war es die schicklichste Antwort auf die Frage: „Du gute Frau! du weißt noch lange nicht, wie selig man seyn kann. Es war wohl auch eine Gnade für meine Mutter, mich zu tragen und zu säugen; aber was für eine Seligkeit kann jetzt eine jede Seele haben, die mein seligmachendes Wort auffaßt, die sich durch mein Wort rufen läßt, sich zu meinen Füßen seht, und in meinen Worten mich in ihr Herz aufnimmt! Denn es

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LukaS ii, 29—32.

ist kein Mensch auf dem Erdboden, der mit nicht so nahe werden kann, als meine Mutter mir ist, und dem ich nicht so nahe werden kann, als ich ihr war und bin. Man betrachte nur, wie nahe man Ihn ewig ha­ ben wird, und was Er uns schon hier theils täglich, theils im heiligen Abendmahl von seiner Nähe spüren läßt. Er ist der Weinstock und wir die Reben. Die Seele hat beständig Theil an Ihm, zieht beständig den ausfiießenden Saft aus Ihm -n sich; sie lebt und webt durch seine Kraft. 29. Da nun das Volk immer mehr hinzu­ drang, fing Er an und sprach: Dieses Geschlecht ist ein böses Geschlecht; es verlangt ein Zeichen, und hat schon so viele gesehen; aber es wird ihm kein Zeichen (mehr) gegeben werden als das Zeichen Ionas des Propheten. 30. Denn so wie Ionas ein Zeichen war den Niniviten, so wird es auch der Menschensohn diesem Geschlechte seyn. Die allerauffallendsten Wunder verhärten die Un­ gläubigen nur desto mehr, wenn das Herz nicht durch innere Wunder der Gnade verändert und für die Stimme der äußern Wunder gelehrig gemacht wird. Das Zei­ chen, das Gott den Juden durch die Auferstehung Jesu gegeben hat, hat das Maaß ihrer Verhärtung voll gemacht. Den Heiden aber war es ein Zeichen zur Bekehrung, so wie der aus dem Fische wieder er­ löste Jonas es den Niniviten war. (Matth. 12, 29.) 31. Die Röniginn von Mittag wird im Ge­ richte wider die Menschen dieses Geschlechtes aufrreten und sie verdammen, denn sie kam von den äußersten Grenzen der Erde, um die Weisheit Sa­ lomons zu hören, und sieh, hier ist mehr als Salo­ mon. 32. Die Leute von Ninive werden aufrreten im Gerichte wider dieses Geschlecht, und dasselbe verdammen, dem» sie thaten Buße auf die predigt Ionas, und sieh! hier ist mehr als Ionas.

Die bessern Heiden werden gegen die schlechtem Christen auftreten an jenem Tage, und sie verdammen, weil sie ihre falschen Götter mehr fürchten, als die Christen den wahren Gott; bei ihrem schwachen Lichte der Ver­ nunft oder Vernunftmoral oft besser sind, als die Chri­ sten beim Evangelio, das sie nicht lesen und nicht hö­ ren mögen. (Matth. 12,42.) 33. Niemand zündet ein Licht an und stellt es in einen verborgenen Winkel, noch unter den Schef­ fel, sondern auf den Leuchter stellt er es, damit die Eintretenden das Licht sehen. Die Bibel, das Evangelium, ist unsere Lampe, die der Geist Gottes angezündet und auf den Leuchter der Kirche gestellt hat, daß sie von allen Gläubigen ge­ sehen, daß ist gelesen und zum Lichte des Lebens wer­ den soll. Wer sie nun vom Leuchter wegstößt und unter die Bank wirft, oder verbietet, als gefährlich und schädlich lästert, was soll man von dem halten? Ist er ein Christ oder Antichrist? Ein Freund oder ein Feind des Lichts? Ein Diener Christi oder des Teufels? Ein Knecht deS Lichts oder der Finsterniß? Er will ja geflißentlich, es soll finster in seinem Hause seyn; darum verbirgt er und verbietet er das Licht, damit alles erblinde und im Finstern tappe. Gott! welch ein Gericht ist dieses? Den Kindern des Lichts den Gebrauch des Lichts ver­ bieten! (Marc. 4,21.) 34. Die Lampe deines Leibes ist dein Auge. Ist nun dein Auge lauter, fo wird dein ganzer Leib licht feyn. Ist aber dein Auge verdorben oder dir gar ausgestochen, so wird dein Leib finster seyn. Die Bibel, Gotteswort, wegnehmen, heißt den Kindern die Augen ausstechen oder doch verbinden, daß sie mit ih­ ren blinden Führern in die Grube fallen. Wenn ein Christ oder Geistlicher ein falsches Licht, Vorurkheile oder unrichtige Begriffe und irrige An - und Absichten im Gemüthe hat, so ist sein ganzer Wandel

und seine Lehre falsch und verkehrt, alle seine Urtheile sind ungerecht und böse.

35. Sieh also zu, daß das Licht in dir nicht Finsterniß sey. Der Mensch hat Licht und Finster­ niß, Fleisch und Geist in sich. Wenn nun das Licht, der Geist, ganz ausgelöscht ist, wie groß muß die Fin­ sterniß, wie mächtig das Fleisch seyn! Das Licht im Manschen ist das innere Zeugniß, der Zeuge im Gewissen, welches Gott ihm nach dem Falle noch gelassen hat. Wenn dieses Fünkchen nun auch vollends erstickt wird, wie blind ist dann der Mensch! 36. wenn aber dein Leib ganz Licht ist und nichts Finsteres an sich hat, so wird das Ganze Licht seyn, und dich wie eine Lampe mit ihren Strahlen beleuchten. Wenn alle Neigungen des Herzens auf Gott ge­ richtet sind, so hat man einen sichern Wegweiser, ukd wandelt auf dem Wege des Lichts. Du sollst nichts von der Finsterniß an dir dulden, sondern ganz erleuchtet seyn; so will dich Christus ha­ ben. (Matth. 6,22. —) 37. während Er so redete, bat ihn ein Pha­ risäer, daß Er bei ihm zu Mittag speisece. Und Er ging hinein und legte sich zu Tisthe. 38. Der unge­ waschene Pharisäer aber verwunderte sich, daß Christus sich vor Tische nicht gewaschen hatte. Die Uebung äußerer willkührlicher Gebräuche wird erstens steife Gewohnheit, die Gewohnheit wächst dann zum Aberglauben, dieser erzeugt Verdammung anderer, die nicht gewohnt sind an die steife Gewohnheit, die Verdammung gebiert Verachtung, Trennung, Spaltung re. (Matth. 15,2.)

39. Der Herr aber sprach zu ihm- Ihr Pha­ risäer reiniget wohl das Auswendige des Lechers und der Schüssel, euer Inwendiges aber ist voll Raub und Losheic.

Jesus bezahlte den Pharisäer für daS Mittages­ sen, daß Er bei ihm einnahm, mit der Wahrheit, da sonst manche gute Mahlzeit mit Schmeicheleien und Lügen zum Schaden der Wahrheit gekauft oder ver­ kauft wird. Die Pharisäer haben Dinge zu Gewissenssachen gemacht, die keine sind, sie halten sich bei der Schale auf, und kommen nie zum Kern. Jesus will sie auf das Innere führen, weil sie immer nur auf das Aeußere schauten, und darauf das wachsamste Auge hatten, während sie für ihr Herz ganz blind waren, als wenn sie kein Auge oder kein Herz hätten. Wer ist aber ganz rein von dieser pharisäischen Heuchelei? Wer hütet sich äußerlich vor den Augen der Menschen nicht mehr, um den Menschen nicht zu miß­ fallen, als er sich Mühe giebt sein Herz zu bewahren, um die Augen Gottes nicht zu beleidigen? Man hat immer mehr die Menschen als Gott vor Augen. Man schämt sich viel mehr eines Fehlers, wenn er äußerlich in die Augen der Menschen fällt, als wenn er nur in­ nerlich vor Gott offenbar ist. Man ist so sorgfältig, äußerlich gegen die Menschen nicht unhöflich und unar­ tig zu seyn indeß man gegen Gott im Herzen alle llnarten sich erlaubt. Es giebt äußerlich sehr geordnete Christen, die im Innern die unordentlichen Bewegun­ gen ihres Gemüths wenig oder gar nicht achten. Man verbirgt äußerlich sorgfältig Geitz, Zorn, Haß, Neid, Eigennutz, Hoffart, re. und inwendig im Verborge­ nen des Herzens, wo kein Menschenauge hinschaut, nährt man diese giftigen Thiere. Matth. 23, 25.

40. Ihr Thoren: hak nicht der, welcher das Auswendige gemacht har, auch das Inwendige gemacht? Es giebt keine Art Sünder, die sich mehr selig preisen als die Heuchler, deswegen zeigt ihnen der Hei­ land so nachdrücklich ihre Thorheit. Denn es ist ja doch der größte Unsinn, blos durch äußerliche Zucht

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Lukas ii, 41. 42.

den Heiligen zu spielen, um den Menschen _$u gefallen, die uns doch nicht selig machen können, und sich keine Mühe zu geben, Gott zu gefallen, der in die Hölle werfen oder selig machen kann. 41. Gebet lieber von dem, was drinnen ist, Almosen; und sieh, alles ist euch rein. Der Herr will sagen, gebet vielmehr Almosen von dem, was da ist — in eurem Vorrath, in euren Schüsseln und Be­ chern, die ihr äußerlich waschet und reiniget, gebet den Armen, den Hungrigen und Nothleidenden davon, übet Werke der Liebe, so sind eure Schüsseln und Becher auch innerlich d. h. religiös rein, auch wenn sie weni­ ger gewaschen wären. Oder, Er will sagen: Gebt das rechte Inwendige, das Herz hin, verschließet es nicht gegen eure dürftigen Brüder; gebt von Herzen, gebt mit der Gabe das Herz hin, wie die Wittwe. Kap. 21,4. So wird alles, was aus diesem reinen Grunde der Liebe herkommt, rein seyn. Was hilft das äußere Wa­ schen und Reinigen der Schüsseln und Trinkgeschirre, wenn inwendig im Herzen Unreinigkeit, Geib, Härte und Gefühllosigkeit gegen Arme ist? Wenn Heuchelei und Geib zusammen kommen, sind sie unheilbar. Wenn man aber den Geib durch Almosen und Freigebigkeit bestreitet, so schwindet auch die Heuchelei, weil diese gewöhnlich eine Frucht des Geihes ist, und weil die Barmherzigen Barmherzigkeit er­ langen. Cap. 12,33. 42. Aber wehe euch Pharisäern, die ihr Rrausemünze, Raute und jedes Rräutlein verzehncec, aber die Gerechtigkeit und die Liebe Gottes vernachläßiget. Dieses sollt ihr thun, und jenes nicht unterlassen. Alle Heuchler gehen bei der Hauptsache der Re­ ligion so leicht vorbei, als wenn sie nichts wäre, und bei Kleinigkeiten und Nebensachen können sie stehen bleiben uyd ihr ganzes Leben mit äußerlichen Dingen zubringen.

Wer der Pharisäerrei entgegen arbeiten will, muß die Religion im Herzen gründen durch die Liebe Gottes, die Gott in Christo in der Wahrheit anbetet, und durch die Liebe des Nächsten, welche eine Frucht des Glau­ bens und der Gerechtigkeit ist.

43. wehe euch Pharisäern, die ihr die ersten Plätze in den Synagogen und riefe Ehrenbezeugun­ gen auf deur Markre lieb-ec. Der Hochmuth besteht nicht darinn, daß man der Erste und Vornehmste ist, sondern daß man die Vor­ züge und die Ehren, die mit der ersten Stelle ver­ bunden sind, liebet, und wenn sie nicht jeder zollet, sich gekränkt fühlt.

44. wehe euch, die ihr wie die verborgenen Gräber seyd, über welche die Leute hinwandeln, ohne es zu wissen, was für ein häßliches Aas darun­ ter liegt, weil sie mit Gras bewachsen oder gar mir Blumen verdeckt sind. So können die Pharisäer ihren Stolz, Geih, Wollust und Zorn verbergen; sie lassen das Gras der Heuchelei darüber wachsen. Mit.diesen Tischreden, die Jesus in des Phari­ säers Hause und an seiner Tafel ihm derb unter die Augen gesprochen hat, hat Er sie alle aufgebracht und sich den Tod zugezogen. Die Wahrheit kostet das Le­ ben, besonders wenn man sie den Heuchlern sagt, die die größten Feinde der Wahrheit sind.

45. Da nahm einer der Schriftgelehrten das wort und sprach zu ihm: Meister! mit diesen Worten schmähest du auch uns. Es war kein anderes Mittel und kein anderer Weg zur Bekehrung für sie, als öffentliche Beschämung, aber sie erkannten es nicht, sondern hielten die Wahr­ heitsliebe und Aufrichtigkeit Jesu für Schmähsucht, und was ihnen zum Heile gesagt war, nahmen sie als Beleidigung an. Es ist aber ein erschreckliches Ge­ richt über die Heuchler, wenn es Gott zuläßt, daß sie ihr Verderben nach dem Wunsche ihres Herzens immer

verbergen tonnen. Es ist Barmherzigkeit und Gnade, wenn sie Gott aufdeckt. So ist es auch mit kleinen Heucheleien, wovon niemand frei ist. Es ist eine Gnade, wenn man darü­ ber gedemüthigt und beschämt wird. Die Juristen freuen sich, wenn es über die Theo­ logen geht, wenn man aber auch ihre Kniffe aufdeckt, schreien sie mit. Und die Profanen, die weltlichen Herren, schmeicheln sich und frohlocken, wenn nian über die Pfaffen schimpft; wenn aber sie selbst von den Pfei­ len der Wahrheit getroffen werden, sagen sie: das ist keine Predigt; das gehört nicht auf die Kanzel; es ist nur Schmäherei. Was sagt Jesus dazu?

46. Er aber antwortete: Ja wehe auch euch Gchriftgelehrten! die ihr den Menschen unerträg­ liche Bürden aufbürdec, und doch sell>er nicht mit einem Finger die Bürde anrühret. Die Gleißner denken nur, wie sie sich durch die streügen Dinge, die sie andern auflegen und vorschrei­ ben, eine Ehre machen können, wenn sie gleich selbst nichts von dem thun, was sie andere thun heißen. So leicht sie das Gewissen in Hinsicht der wahren innern Heiligung machen, so sehr beschweren und ängstigen sie die Gewissen mit unnöthiger Furcht und selbstgemachten Skrupeln über nichtsbedeutende Menschcnsatzungen.

47. wehe euch, die ihr die Grabstätten der Pro­ pheten bauer, welche eure Väter gerödtet haben. 48. Wahrhaftig! so lobet und billiget ihr die Tha­ ten euer Väter, denn sie haben dieselben getödcec, ihr aber bauet ihre Gräber. Das ist ein auffallendes Kennzeichen der Heuchler, noch heut zu Tage: sie sind eifrige Verehrer der Heili­ gen, oder der großen Männer der Vorzeit, sie bauen ih­ nen Monumente, Kirchen, Altäre und geben sich das Ansehen, als ob sie die großen Seelen lieben und eh­ ren, welche ihr Leben für Christus und die Wahrheit gegeben haben. Allein, wenn sie jetzt lebten, würden

sie ihren heiligen Sinn eben so wenig ertragen können und sie eben so verfolgen und Haffen, wie sie die ver, folgen, die sehr Christum predigen und Ihm im Geiste dienen. Grausam wie die Christenverfolger der ersten Jahrhunderte, brüten sie Anschläge wider die Zeugen der Wahrheit, die ihnen ihre Heuchelei aufdecken, und dabei stellen sie sich, als ob sie die Heiligen der Vor­ zeit ehrten. 49. Darum spricht auch die Weisheit Gorees: Ich will Propheten und Apostel zu ihnen senden, sie aber werden einige von ihnen tödcen und andere verfolgen. 50. Damit ja das Blut aller Prophe­ ten, das seit Grundlegung der Welt vergossen ward (und das ist doch sehr viel! —) von diesen» Ge­ schlechte gefordert werde, 51. vom Blute Abels an bis zum Blute Zacharias, der zwischen dem Al­ tare und Tempel uinkam. Ja ich sage euch, von diesein Geschlechte wird es gefordert werden. Dieß Wort gilt nicht so fast den Heiden als den Ju­ den und den Christen.

Prediger, Lehrer, Zeugen, Apostel, werden nicht als bloße Menschen verfolgt, denn wenn sie das Wort Gottes, die Wahrheit nicht verkündigten, würde man sie unangetastet lassen. Daher ist es Christus, der sie sendet, und das Wort, die Wahrheit, »velche sie pre­ digen, was man in ihnen verfolgt. Das fing bei Abel an und geht so fort bis an den jüngsten Tag.

Das Blut der Propheten, das ist, alle Ungerech­ tigkeiten und Gewaltthätigkeiten, die ein Land, eine Stadt, ein Volk an den Knechten Gottes, die ihnen die Wahrheit bezeugen, verübt, erfüllen gewöhnlich das Maaß, und bringen schreckliche Gerichte über Reiche, Städte und Völker. Abel wird unter die Propheten gerechnet, weil er durch seinen Tod, den er um der Gerechtigkeit willen litt, Jesum vorbildete, so wie Kain den Judas und ErbauungSb. HL Theil. Luka-18

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LukaS ii, 52.

das jüdische Volk, und die falschen Christen, die seinen Sinn geerbt haben. (Matth 23,35.)

52. Wehe euch ihr Gchrifcgelehrken! die ihr den Schlüssel der Erkenntniß an euch gerissen (oder hinweggenommen) habt; ihr selbst gehet nicht hinein, und denen, die hinein wollen, weh­ ret tbr. Es ist ein unseliger und teuflischer Griff, wenn man, um in der Religion zu herrschen, die Unwissen­ heit einführt und unterhält. Man will die Finsterniß nicht zerstreuen, um im Trüben zu fischen. Möchten dieß doch alle hören, die Meister und Herren der Bi­ bel seyn oder das Recht zu lehren, die Bibel auszule» gen, das heißt den Schlüssel, allein haben wollen. Sie haben das so an sich gerissen, und wollen nun, es soll niemand etwas verstehen und wissen als sie, und was sie sagen und sehen, das soll die ganze Welt mit tiefer Beugung annehmen. So nehmet ihr den Schlüs­ sel, (die Bibel und Erklärung der Bibel,) andern weg, daß sie ja nicht zur Erkenntniß des Wortes Gottes kommen. Wenn man sie auch den Layen nicht in die Hände geben will, was doch immer ein Raub ist, so sollte man sie ihnen doch wenigstens erklären und selbst ' darnach leben. Matth. 23,13. Was heißt doch das, die Schlüssel der Erkenmniß an sich reißen, wegneh­ men, und die Leute nicht ins Himmelreich lassen, wenns das nicht heißet, den Leuten die Bibel verbieten, sie dieselbe weder lesen lassen, noch ihnen erklären, sie we­ der in ihre Hände geben, noch zu ihren Ohren brin­ gen, vielweniger die wahre Erkenntniß des Wortes Gottes in der Bibel ihnen beibringen? Was ist denn der Schlüssel der Erkenntniß? Was schließet uns denn das Himmelreich, Gottes Herz und Rathschlüsse, die Thüre der seeligmachenden Erkenntniß Gottes und Christi auf, als das Wort Gottes, die Aussprüche Gottes, die Offenbarung des Willens Gottes in seinem Worte? Von Christus heißt es: Luk. 24, 32. Er öffnete ihnen

die Schrift. Von Paulus heißt eS Apg. 17,3. er öff­ nete ihnen die Schrift; das heißt doch nicht, er verbot ihnen die Bibel, sondern er führte sie in den klaren Verstand derselben, das sie sie mit Erkenntniß des Heils lesen und daran glauben konnten.

53. Nachdem Er dieses zu ihnen gesagt, fin­ gen die Pharisäer und Schriftgelehrten an, Ihm heftig zuzufetzen und Ihn mit mancherlei Fragen zu bestürmen. 54. Sie stellten 3W nach und such, ten etwas aus seinem Munde avfzufangen, um Ihn verklagen zu können. Er hat ihnen einen zu bittern Wein über Tisch eingeschenkt! sie wollten es Ihm eintränken. Der Pha­ risäer, der Ihn (vers 37) zu Tische bat, wird es wohl bereut haben, obwohl sich Jesus nicht dankbarer für sein Mittagsmahl hätte bezeugen können, als daß Er ihm und seinen Mitgästen die Wahrheit sagte. Allein das erkannten sie nicht, sondern wurden nun alle gegen Ihn aufgebracht. Die Schriftgelehrten, die sich sonst freu­ ten, wenn Er die Pharisäer entlarvte, waren eben so toll geworden, weil Er sie diesmal eben so wenig schonte. Sie vereinigten sich nun mit diesen, machten Herzensbrüderschaft, um Ihn wegzuräumen. Ich bin versichert, das viele Pharisäer unserer Tage über stas, was Christus in dem vorigen Verse sagte, wenn sie es verstehen, eben so rasend werden, wie die Pharisäer über Jesum; aber damit bezeugen sie, daß sie dieselben sind, und daß ihnen dieselbe Wahrheit ge­ sagt werden muß. Die Pharisäer und Schriftgeleherten, so wie ihre Nachfolger, verlassen sich auf ihre Frechheit, Arglist und ihre Betrügereien; da hingegen Demuth, Einfalt und Vertrauen zu Gott die einzige Stärke des Gerech­ ten ist.

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LukaS i2, r.

Das XII. Kapitel. (Sauerteig t>fr Pharisäer; Lästerung deS heil. Gei­ stes; vom reichen Manne; vom untreuen Nerwalter; Wachsamkeit)

1. Als sich unterdessen d«s Volk bei Taufen­ den versammelt hatte, so daß sie einander traten, fing Er an und sprach zu seinen Jüngern: Vor al­ lem hütet euch vor dem Sauerteige der Pharisäer, das ist vor ihrer -Heuchelei. Wie schön! wie herrlich! so viele Menschen um den Erlöser der Menschen, den Einen Lehrer der Wahr­ heit versammelt zu sehen. Welche Freude für Ihn, daß sie sich so zu Ihm hindrängten, daß sie einander traten und jeder der nächste bei Ihm seyn wollte, um Ihn recht zu hören und zu verstehen, um der Kraft die von Ihm ausströmte, theilhaftig zu werden. Es waren Tausende da. Dennoch wendet Er sich zuerst an seine Jünger, weil er die zuerst von Sauerteig rein wissen wollte. Wie Er die Pharisäer bei Tische nicht geschont hat, so schonte Er sie auch vor dein Volke nicht, sondern warnt seine Jünger vor allem Volke, vor Tausenden seiner Zuhörer, daß sie ja keine Pharisäer, d. t. keine Heuchler werden sollten, weil keine Sünde so gräulich und schädlich ist, als die Heuchelei oder die Pharisäerei. Der Heiland nennt sie einen Sauerteig, weil sie, wenn sie einmal in das Herz ausgenommen ist, den ganzen Menschen, alle seine Gesinnungen und Handlungen versäuert und verdirbt, daß sie nichts taugen vor Gott. DaS Böse wird erst recht böse, wenn es sich in ein Licht-Gewand verkleidet, so wie der Satan in LichtEngels Gestalt mehr schadet, als in seiner wahren teuf­ lischen Gestalt. Man muß sich aber nicht nur vor der Heuchelei anderer hüten, sondern Jesus will, daß seine Jünger

sich selbst prüfen und hüten sollen, daß sie nicht in dieses Laster verfallen. Denn der Pharisäer nistet sich überall gerne ein, wenn man nicht recht auf seiner Hur ist.

2. Denn es ist nichts so verborgen, das nicht offenbar, und nichts fo heiinlich, das nicht bekannt werden wird. Vergeblich stiehl die Sünde die Augen der Men­ schen, da sie sich vor den Augen des Richters nicht unsicht­ bar machen kann. Der Heuchler wird und muß im­ mer offenbar werden, es sey früh oder spat, hier oder dort. Welche Thorheit also, daß er, der -aS künftige Leben gewiß verliert, nicht einmal in diesem Leben sicher ist, das kurze Vergnügen der eitlen Ehre zu genießen. Mark. 4,22. Matth. 10,26. Der Tag, der alles aufdeckt, wird alle Geheimnisse der Bosheit und Heuchelei an das Licht bringen.

3. was ihr daher im Finstern redet, das wird man am hellen Tage hören; und was ihr in den Rammern einander ins Ohr saget, das wird auf den Dächern verkündiget werden. Je verborgener du sündigest, desto mehr wirft du zu Schanden werden vor aller Welt. Die wahre Ruhe und Sicherheit besitzt nur der fromme und redliche Christ, der nichts Heimliches thut, dessen er sich am Tage der Vergeltung vor Gott oder den Menschen zu schämen hätte; und der das Gute nur deswegen verbirgt, damit er nicht von Menschen seinen Lohn empfange. Matth. 16,27.

4. Ich sage euch, meinen Freunden, fürchtet euch vor denen nicht, die nur den Leib tödcen, und urach diesem nichts weiter thun können. Den Chri­ sten kann kein Tod todten; sondern er reißt ihn nur aus allen Nöthen. Aus diesem Grunde sind ihm alle Drohungen und Verfolgungen nichts. Sie sind ihm so viel, als wenn man ihm den größten Dienst thun wollte, wie jener alte Märtyrer sagte: Es komlne ihm

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LukaS za, 5.

man ihm sagte: Geh and packe dich fort, und gäbe ihm noch ein gesatteltes Pferd dazu. So ist es einem Kinde Gottes im Herzen, das da weiß, daß es den Heiland liebt, und von Ihm geliebt wird, wenn es aus der Hütte geht, daß es aller Pla­ gen, und was es etwa aufhalten könnte, los wird, und daß es, was es im Glauben genossen hat, nun auch wirklich zu sehen und zu genießen bekommt, und in Per­ son grüßen und küssen kann die Wunden, durch die es heil geworden.

vor, als wenn

5. Ich will euch aber zeigen, wen ihr fürchten sollet. Fürchtet den, der, nachdem Er gerödret hat, auch die Macht har, in die -H-lle zu werfen. Ja, ich sage euch, diesen fürchtet. Es ist Thorheit, den Tod des Leibes fürchten, dem man doch nicht entgehen kann, und den Tod der Seele nicht achten, die doch geschaffen und berufen ist, ewig zu leben. Jesus ist keiner von jenen Freunden, die ihren Ge­ liebten nur das Unangenehme dieses Lebens ersparen wollen, sie aber in Hinsicht der ewigen Unannehmlich­ keiten einschläfern, um sie ja nicht mit den Gedanken an dieselben einen Augenblick zu betrüben. Sie opfern die Seligkeit der Seele der Erhaltung des Leibes und des irdischen Lebens, anstatt das Leben des Leibes und das Angenehme des irdischen Lebens der Seligkeit der Seele zum Opfer zu bringen.

Die Welt, die sich furchtbar macht, soll der Christ nicht fürchten, sondern für ohnmächtig halten, weil sie gegen die Sache, an der am meisten gelegen ist, nichts thun kann, sondern durch alle Gegenwirkungen nur mit­ wirken muß. Erlaube dir auch nicht, etwas Böses zu thun, aus Furcht oder aus Gefälligkeit für die, welche Ge­ walt über dich haben, denn es kann dich keiner erret­ te», wenn dich Gott deswegen strafen wird.

6. Verkauft man nicht fünf Sperlinge um zween Pfenninge? Und doch ist nicht ein einziger von ihnen vergessen vor Gott. Mattb. 10, 29 Die Quelle aller menschlichen Unruhe und Furcht ist der Kleinglaube, das Mißtrauen auf die Vorsorge der väterlichen Haushaltung Gottes, die auf alles sieht, über alles wacht, was uns angeht. Der Mensch traut seinem Gott nicht, und fürchtet immer von ihm verges­ sen zu werden, weil er von Gott nach nch selber ur­ theilt, und von seinem Herzen, das Gott so oft ver­ gißt, und ihm untreu wird, auf Gottes Herz schließt. Aber Gott lehrt uns andere Schlüffe. Isa. 49,14,15. 7. Sogar auch die -Haare eures -Hauptes sind ave gezählt. Fürchtet euch also nicht; ihr seyd besser als viele -Sperlinge. . Mancher Mensch bewundert die göttliche Vorse-huni» über die geringsten Kreaturen, und wenn er selbst in Roth geräth, beunruhigt er sich und verzweifelt, als wenü es keinen Gott gäbe. Gott läßt sich zu den geringsten Dingen herab, ohne sich zu erniedrigen. Er wirket überall, ohne müde zu werden, ist allgenugsam, ohne sich zu verviel­ fältigen. Gott neigt sich mit so großer Güte und Liebe zu dem Menschen: warum wird es denn dem Menschen so schwer, sich zu Gott zu wenden? Das sind sehr liebliche Wone Christi, die uns tief in sein und seines Vaters Herz blicken lassen; und was man darin erblickt, kann besser in der Seele empfunden als beschrieben werden. 8. Ich sage euch aber: wer >ni