Das einsprachige Wörterbuch in seinem soziokulturellen Kontext: Gesellschaftliche und sprachwissenschaftliche Aspekte in der Lexikographie des Englischen und des Französischen [Reprint 2014 ed.] 9783110914078, 9783484391086

The dictionary as a cultural product stands at the heart of this study, which examines nine monolingual dictionaries of

176 76 20MB

German Pages 288 [292] Year 2001

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Table of contents :
Vorwort
0 Zielsetzung und Anlage der Arbeit
1 Wörterbuch und “Kultur“
1.1 Zum Forschungsstand
1.1.1 Hausmann und der “paysage dictionnairique“
1.1.2 Rey und der “dictionnaire culturel“
1.1.3 Wörterbuch und Ideologien
1.2 Zum Untersuchungsansatz der Studie
1.2.1 Zum Kulturbegriff der Untersuchung
1.2.2 Zur Auswahl der Wörterbücher
1.2.3 Zur Materialbasis
2 Der Wörterbuchmarkt in England und Frankreich
2.1 Der englische Wörterbuchmarkt
2.2 Der französische Wörterbuchmarkt
2.3 Die beiden Wörterbuchmärkte im Vergleich
3 Selektion, Markierungsangaben und Usage Notes
3.1 Wörterbuch und Sprachnorm
3.2 Markierungsangabensysteme
3.2.1 Bestandsaufnahme: diastratisch-diaphasisch-diamedial markierter Bereich
3.2.2 Interpretation
3.3 Selektion und Vergabe von Markierungsangaben
3.3.1 Bestandsaufnahme: diastratisch und diachronisch markierter Bereich
3.3.2 Interpretation
3.4 Dianormativität, “Schwierigkeit“, Usage Notes und Remarques
3.4.1 Bestandsaufnahme
3.4.2 Interpretation
3.5 Zusammenfassung
4 Die lexikographische Definition
4.1 Definitionstypen
4.1.1 Bestandsaufnahme
4.1.2 Interpretation
4.2 Definitionsstile
4.2.1 Bestandsaufnahme
4.2.2 Interpretation
4.3 Zusammenfassung
5 Artikelbaupläne und Anordnungsformen der Makrostruktur
5.1 Abgrenzung der Bedeutungen
5.1.1 Bestandsaufnahme
5.1.2 Interpretation
5.2 Reihenfolge der Definitionen
5.2.1 Bestandsaufnahme
5.2.2 Interpretation
5.3 Hierarchische und lineare Artikelstruktur
5.3.1 Bestandsaufnahme
5.3.2 Interpretation
5.4 Anordungsformen der Makrostruktur
5.4.1 Bestandsaufnahme
5.4.2 Interpretation
5.5 Zusammenfassung
6 Lexikographische Beispiele
6.1 Quellen: konstruiertes versus zitiertes Beispiel
6.1.1 Bestandsaufnahme
6.1.2 Interpretation
6.2 Materielle Form: Satzbeispiel versus Kontextualisierung
6.2.1 Bestandsaufnahme
6.2.2 Interpretation
6.3 Zusammenfassung
7 Kollokationen
7.1 Fragestellung und methodische Überlegungen
7.2 Ergebnisse und Bewertung
8 Fazit und Ausblick
Anhang
A1 Marker im diastratisch-diaphasisch-diamedialen Markierungsbereich
A2 Selektion im diastratischen Markierungsbereich (Stichprobe)
A3 Selektion im diachronischen Markierungsbereich: Neologismen (Stichprobe)
A4 Behandlung dianormativ markierter Einheiten in allgemeinen Wörterbüchern und Lernerwörterbüchern (Stichprobe)
A5 Artikelbaupläne: see/voir
A6 Artikelbaupläne: time, fine, go, way
A7 Kollokationen
Literatur
Summary
Résumé
Recommend Papers

Das einsprachige Wörterbuch in seinem soziokulturellen Kontext: Gesellschaftliche und sprachwissenschaftliche Aspekte in der Lexikographie des Englischen und des Französischen [Reprint 2014 ed.]
 9783110914078, 9783484391086

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Series Maior

LEXICOGRAPHICA Series Maior Supplementary Volumes to the International Annual for Lexicography Supplements ä la Revue Internationale de Lexicographie Supplementbände zum Internationalen Jahrbuch für Lexikographie

Edited by Sture Allen, Pierre Corbin, Reinhard R. K. Hartmann, Franz Josef Hausmann, Ulrich Heid, Oskar Reichmann, Ladislav Zgusta 108

Published in cooperation with the Dictionary Society of North America (DSNA) and the European Association for Lexicography (EURALEX)

Ulrike Rothe

Das einsprachige Wörterbuch in seinem soziokulturellen Kontext Gesellschaftliche und sprachwissenschaftliche Aspekte in der Lexikographie des Englischen und des Französischen

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2001

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme [Lexicographica / Series maior] Lexicographica: supplementary volumes to the International annual for lexicography / publ. in cooperation with the Dictionary Society of North America (DSNA) and the European Association for Lexicography (EURALEX). Series maior. - Tübingen : Niemeyer. Früher Schriftenreihe Reihe Series maior zu: Lexicographica 108. Rothe, Ulrike: Das einsprachige Wörterbuch in seinem soziokulturellen Kontext. - 2001 Rothe, Ulrike: Das einsprachige Wörterbuch in seinem soziokulturellen Kontext : gesellschaftliche und sprachwissenschaftliche Aspekte in der Lexikographie des Englischen und des Französischen / Ulrike Rothe. - Tübingen : Niemeyer, 2001 (Lexicographica : Series maior; 108) Zugl.: Augsburg, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-484-39108-1

ISSN 0175-9264

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2001 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren

Inhalt

Vorwort

VII

0

Zielsetzung und Anlage der Arbeit

1

1

Wörterbuch und "Kultur"

3

1.1

1.2

Zum Forschungsstand 1.1.1 Hausmann und der "paysage dictionnairique" 1.1.2 Rey und der "dictionnaire culturel" 1.1.3 Wörterbuch und Ideologien Zum Untersuchungsansatz der Studie 1.2.1 Zum Kulturbegriff der Untersuchung 1.2.2 Zur Auswahl der Wörterbücher 1.2.3 Zur Materialbasis

2

Der 2.1 2.2 2.3

3

Selektion, Markierungsangaben und Usage Notes 3.1 Wörterbuch und Sprachnorm 3.2 Markierungsangabensysteme 3.2.1 Bestandsaufnahme: diastratisch-diaphasisch-diamedial markierter Bereich 3.2.2 Interpretation 3.3 Selektion und Vergabe von Markierungsangaben 3.3.1 Bestandsaufnahme: diastratisch und diachronisch markierter Bereich 3.3.2 Interpretation 3.4 Dianormativität, "Schwierigkeit", Usage Notes und Remarques 3.4.1 Bestandsaufnahme 3.4.2 Interpretation 3.5 Zusammenfassung

4

Wörterbuchmarkt in England und Frankreich Der englische Wörterbuchmarkt Der französische Wörterbuchmarkt Die beiden Wörterbuchmärkte im Vergleich

Die lexikographische Definition 4.1 Definitionstypen 4.1.1 Bestandsaufnahme 4.1.2 Interpretation 4.2 Defmitionsstile 4.2.1 Bestandsaufnahme 4.2.2 Interpretation 4.3 Zusammenfassung

3 3 4 7 9 9 12 16 18 19 24 29 33 33 40 40 47 57 57 70 74 74 82 83 85 86 86 91 103 103 104 112

VI 5

Artikelbaupläne und Anordnungsformen der Makrostruktur 5.1 Abgrenzung der Bedeutungen 5.1.1 Bestandsaufnahme 5.1.2 Interpretation 5.2 Reihenfolge der Definitionen 5.2.1 Bestandsaufnahme 5.2.2 Interpretation 5.3 Hierarchische und lineare Artikelstruktur 5.3.1 Bestandsaufnahme 5.3.2 Interpretation 5.4 Anordungsformen der Makrostruktur 5.4.1 Bestandsaufnahme 5.4.2 Interpretation 5.5 Zusammenfassung

114 115 115 126 130 130 138 146 146 153 158 160 165 174

6

Lexikographische Beispiele 6.1 Quellen: konstruiertes versus zitiertes Beispiel 6.1.1 Bestandsaufnahme 6.1.2 Interpretation 6.2 Materielle Form: Satzbeispiel versus Kontextualisierung 6.2.1 Bestandsaufnahme 6.2.2 Interpretation 6.3 Zusammenfassung

176 178 178 183 191 191 193 197

7

Kollokationen 7.1 Fragestellung und methodische Überlegungen 7.2 Ergebnisse und Bewertung

199 199 204

8

Fazit und Ausblick

210

Anhang A1 Marker im diastratisch-diaphasisch-diamedialen Markierungsbereich A2 Selektion im diastratischen Markierungsbereich (Stichprobe) A3 Selektion im diachronischen Markierungsbereich: Neologismen (Stichprobe) A4 Behandlung dianormativ markierter Einheiten in allgemeinen Wörterbüchern und Lernerwörterbüchern (Stichprobe) A5 Artikelbaupläne: see/voir A6 Artikelbaupläne: time, fine, go, way A7 Kollokationen

221 221 224 227

Literatur

259

Summary

277

R6sum0

280

230 239 252 256

Vorwort

Das einsprachige Wörterbuch als Produkt seiner Entstehungskultur - dies ist der Ausgangspunkt der vorliegenden Studie, die neun Wörterbücher des Englischen und des Französischen in ihrem soziokulturellen Kontext untersucht. Im Mittelpunkt steht die Frage, inwieweit die Methoden der Lexikographie als kulturell determiniert beschrieben werden können, und wie sich dies in den Strukturen lexikographischer Texte äußert. An dieser Stelle möchte ich allen, die zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben, sehr herzlich danken. Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Dieter Götz (Universität Augsburg), der die Anregung zum Thema gab und mich stets mit fachlichem Rat und wohlwollendem Interesse unterstützt hat. Danken möchte ich auch Prof. Dr. Reinhold Werner (Universität Augsburg) für seine Anteilnahme am Entstehen der Arbeit und für wertvolle Ratschläge für die Druckfassung. Beide ermöglichten mir durch die gemeinsame Betreuung, ein Thema zu verfolgen, das mir die Fortführung meiner beiden Studienfächer erlaubte. Professor Werner sowie Prof. Dr. Wolfram Bublitz (Universität Augsburg) danke ich für die Möglichkeit, die Arbeit in ihren Kolloquien zur Diskussion zu stellen; den teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen, insbesondere Dr. Teresa Fuentes Morän, für fachliche Hinweise. Dr. Hildegard Schäffler gilt mein Dank für die Durchsicht und Kommentierung des Manuskripts; ihr und anderen, von denen ich Dr. Heike Kamm und Judith Keller besonders hervorheben möchte, bin ich für ihre freundschaftliche Unterstützung während der Entstehung der Arbeit verbunden. Ebenso möchte ich mich bei allen bedanken, die mir bei der Erstellung der Druckvorlage behilflich waren. Meinen Eltern danke ich für ihre stete und unbedingte Unterstützung. Prof. Dr. Franz Josef Hausmann und Dr. Ulrich Heid bin ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Lexicographica. Series maior zu Dank verpflichtet.

Heidelberg, im Frühjahr 2001 Ulrike Rothe

0 Zielsetzung und Anlage der Arbeit

Les dictionnaires nous offrent, comme les oeuvres littdraires, les monuments, les institutions et les crdations de la mode, une image pröcieuse d'une certaine civilisation, et ils miriteraient d'etre 6tudi6s attentivement par les historiens des idöes, non seulement ä cause des renseignements qu'ils nous fournissent sur les mots, mais encore, et surtout peut-etre, en raison de l'esprit qui a animi leurs auteurs et des conditions qui ont assurd leur diffusion (Matord 1968:26).

Mit diesen Worten umreißt МаЮгё einen Forschungsbereich, der schon in der frühen Zeit der Metalexikographie das Interesse vor allem französischer Wörterbuchkritiker weckte und in den folgenden Jahren sowohl in Frankreich als auch im angelsächsischen Raum zunehmende Beachtung gefunden hat. Wörterbücher werden beschrieben als "temoin de la civilisation" (Boulanger 1986:VII), als "produit et vecteur de l'ideologie" (Beaujot 1989:80) oder als "cultural artifacts", die in ihren "socio-cultural settings" (Fishman 1995:29) interpretiert werden müssen; ihre Vorwörter weisen sie aus als "instrument de culture" (TRESOR DE LA LANGUE FRANCAISE 1971-1994:[s.p.]) oder als Vermittler der

"culture francophone classique et contemporaine ä travers le kalöidoscope des mots" (GRAND ROBERT 2 1985:XVIII). Im Rahmen interkultureller Untersuchungen über Sprache und Sprachpragmatik hat das Thema "Wörterbuch und Kultur" in den letzten Jahren besondere Aufmerksamkeit gefunden und wurde aus verschiedenen Perspektiven vorwiegend in Aufsatzform anhand einzelner Beispiele aus Wörterbüchern abgehandelt.1 Eine systematische Darstellung, die ausgewählte Wörterbücher zweier oder mehrerer Wörterbuchlandschaften aus einer in sich geschlossenen Perspektive in Hinblick auf eventuelle kulturell begründete Unterschiede vergleicht und dabei alle wichtigen Bauteile und Strukturen auf einer breiten Materialbasis berücksichtigt, scheint jedoch noch auszustehen. Entsprechend meint Kachru (1995:X) "We believe that this theme has yet to receive the full attention of the scholars". Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, der Frage nach der Beziehung von "Wörterbuch" und "Kultur" auf der Grundlage von umfangreichem Material aus ausgewählten einsprachigen englischen und französischen Wörterbüchern nachzugehen. Ausgangspunkt ist die These, daß in verschiedenen Gesellschaften in unterschiedlicher Weise an das Schreiben von Wörterbüchern "herangegangen" wird. Wenn dem so ist, müßten die Wörterbücher Unterschiede in ihrer Konzeption aufweisen, die sich zu Phänomenen der Kultur oder Gesellschaft, in der sie entstanden sind, in Beziehung setzen lassen. Die Arbeit unternimmt den Versuch, diese Unterschiede aufzudecken und vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen und kulturellen Umfelds der Wörterbücher zu interpretieren. Bei der Auswertung soll immer die Frage im Auge behalten werden, ob und in welchem Sinne man von 1

Eine Ausnahme bezüglich der Veröffentlichungsform stellt beispielsweise Bdjoint (1994) dar, der eine umfangreiche Monographie mit dem Titel Tradition and Innovation in Modern English Dictionaries vorlegt. Sein Thema beschreibt er als "English-language dictionaries examined from the point of view of a French metalexicographer", eines seiner Ziele als "establishing how far the findings of French specialists can be applied to the context of English-language dictionaries" (B6joint 1994:2). Vergleiche von englischen Wörterbüchern mit denen anderer nationaler Traditionen werden gelegentlich vorgenommen, spielen jedoch eine eher untergeordnete Rolle.

2 Einflüssen einer Kultur auf die Gestaltung von Wörterbüchern bzw. von einer "kulturellen Determiniertheit" von Wörterbüchern spechen kann. Als Untersuchungsgegenstand wurden insgesamt neun einbändige Wörterbücher der Gegenwartssprache ausgewählt, die den Typen des allgemeinen einsprachigen Wörterbuchs und des Lernerwörterbuchs zuzuordnen sind und deren hier untersuchte Auflagen Mitte der neunziger Jahre erschienen sind.2 In Kapitel 1 soll zunächst ein Überblick über den Forschungsstand zum Thema "Wörterbuch und Kultur" gegeben werden. Dabei wird besonders darauf zu achten sein, welches Verständnis von "Kultur" bisherigen lexikographischen Untersuchungen zugrunde liegt, welchen Wörterbuchtypen ein besonderer kultureller Gehalt bescheinigt wird und wie sich dieser nach Meinung der Autoren im Wörterbuch manifestiert. Auf dieser Grundlage soll dann der eigene Ansatz konkretisiert werden. Insbesondere wird es darum gehen, die Aspekte von "Kultur" zu definieren, die als relevant für die Untersuchung betrachtet werden, die Auswahl der untersuchten Wörterbücher zu begründen und Überlegungen zur Zusammenstellung der Materialbasis anzustellen. Kapitel 2 gibt einen Überblick über neuere Entwicklungen auf dem englischen und französischen Wörterbuchmarkt. Dabei werden auch Positionen der Wörterbuchkritik angesprochen, die helfen sollen, geeignete Fragestellungen für die Auswertung der Wörterbücher zu finden. Die übrigen Kapitel, die die eigentliche Materialauswertung darstellen, orientieren sich dann im wesentlichen an den wichtigsten Bauteilen eines Standardeintrags im Wörterbuch. Behandelt werden Selektion und Markierungsangaben in ausgewählten Wortschatzbereichen (Kapitel 3), lexikographische Definitionen (Kapitel 4), Artikelbaupläne und Anordnungsformen der Makrostruktur (Kapitel 5) sowie lexikographische Beispiele (Kapitel 6). Diese Strukturen und Bauteile sollen systematisch auf Unterschiede in ihrer Gestaltung abgefragt werden, die mit dem jeweiligen soziokulturellen Umfeld der Wörterbücher in Zusammenhang stehen könnten. Kapitel 7 ist abschließenden Überlegungen zur lexikographischen Behandlung von Kollokationen gewidmet. Bei der Formulierung geeigneter Fragestellungen an die Gestaltung der einzelnen Bauteile wurde das Augenmerk besonders auf Bereiche gerichtet, in denen unterschiedliche Wege gangbar sind, die in der Metalexikographie kontrovers diskutiert werden. Dabei liegt die Hypothese zugrunde, daß die Entscheidungen der Wörterbuchautoren oder Verlagshäuser nicht im leeren Raum nach absoluten Qualitätsmaßstäben getroffen werden, sondern auch durch das kulturelle Umfeld bedingt sind und ihm angemessen sein müssen. Daraus folgt auch, daß sich die vorliegende Arbeit nicht als Beitrag zur Wörterbuchkritik versteht und dementsprechend auch nicht das Ziel verfolgt, Wege zur Verbesserung von Wörterbüchern aufzuzeigen. Das Ziel ist vielmehr ein wertungsfreier Vergleich und die Interpretation der Beobachtungen. Die Arbeit will einen Beitrag zur Untersuchung der Methoden der Lexikographie leisten, und zwar unter der Prämisse, daß diese zumindest ein Stück weit kulturell bedingt sind.

2

Eine A u s n a h m e bildet allein LE ROBERT MICRO POCHE. DICTIONNAIRE D'APPRENTISSAGE DE LA

LANGUE FRANCAISE (1988, r6impr. 1993). A.Rey. Paris: Dictionnaires Le Robert.

1 Wörterbuch und "Kultur"

1.1 Zum Forschungsstand

In einer Festschrift von 1995, die unter dem Titel Culture, Ideologies and the Dictionary 36 Aufsätze über Wörterbücher in ihrem kulturellen und gesellschaftlichen Umfeld vereint, wird deutlich, aus wie vielen unterschiedlichen Perspektiven die These vom kulturellen Charakter von Wörterbüchern untersucht werden kann.1 Es geht um so verschiedenartige Aspekte der Verflechtung von Wörterbuch und "Kultur" wie die Darstellung kulturspezifischer Realien, die Rolle von Wörterbüchern bei der Verbreitung von politischen, gesellschaftlichen, religiösen und sprachpflegerischen "Ideologien", den Stellenwert, den Wörterbücher in verschiedenen Gesellschaften einnehmen, aber auch um die Methode des Wörterbuchschreibens in Abhängigkeit von einem anvisierten Adressatenkreis oder von in einer bestimmten Gesellschaft verfugbaren technischen Voraussetzungen. Diese Vielfalt an Untersuchungsaspekten legt die Vermutung nahe, daß die zugrunde gelegten Konzepte von Kultur und Ideologie bei den verschiedenen Verfassern sehr unterschiedlicher Natur sind. Auffällig ist, daß bei Untersuchungen zum "kulturellen" oder "ideologischen" Charakter von Wörterbüchern nur in den seltensten Fällen eine Definition der Begriffe geboten wird.2 Tatsächlich ist speziell der Kulturbegriff äußerst schwierig zu fassen, wie die 164 Definitionen, die Kroeber/Kluckhohn (1952:81ff.) anfuhren, belegen. Eine allseits akzeptierte Verwendung in der Lexikographie liegt nicht vor. Man kann also davon ausgehen, daß bei Erörterungen zum kulturellen bzw. ideologischen Charakter von Wörterbüchern die Termini in vielen Fällen vorwissenschaftlich verwendet werden. Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, in welchen Zusammenhängen die Begriffe in der Lexikographie gebraucht werden. . Bei der Diskussion um Wörterbücher in ihrem soziokulturellen Umfeld zeichnen sich drei zentrale Ansätze ab. Sie können als Ausgangspunkt zur Konkretisierung von Thema und Zielsetzung der vorliegenden Arbeit herangezogen werden und sollen deshalb kurz vorgestellt und erläutert werden. Es geht um den Begriff des "paysage dictionnairique", der mit dem Namen Franz Josef Hausmann verbunden ist, um den Begriff des "dictionnaire culturel" von Alain Rey und um die in der Metalexikographie häufig vorgenommene Betrachtung von Wörterbüchern als Produkte und Vehikel von Ideologien.

1.1.1 Hausmann und der "paysage dictionnairique" In zwei Aufsätzen mit den Titeln "Wörterbücher in Frankreich und Deutschland. Ein Vergleich" (1983) und "Trais paysages dictionnairiques. La Grande-Bretagne, la France et l'Allemagne. Comparaisons et connexions" (1985b) verfolgt Hausmann die neueren Entwicklungen auf den Wörterbuchmärkten Englands, Frankreichs und Deutschlands. Zum 1 2

Es handelt sich um Kachru/Kahane (Hgg.) (1995). Ausnahmen bilden Rey (1987b), Lara (1995) und McArthur (1995).

4 Ziel seiner Untersuchungen bemerkt er: "Nous ne nous proposons pas seulement de döcrire trois approches difförentes de la science lexicographique, mais aussi de situer le рЬёпошбпе du dictionnaire dans trois pays, mieux: dans trois paysages dictionnairiques" (1985b:24). Damit etabliert Hausmann den Begriff der "Wörterbuchlandschaft" und knüpft gleichzeitig an die von Quemada begründete Unterscheidung zwischen lexicographie und dictionnairique an.3 Hausmann interessiert sich für den "domaine 'dictionnairique'", der die Erstellung von Wörterbüchern nicht nur als wissenschaftliche Aktivität begreift, sondern sie als "cet ensemble d'activitös, scientifiques et autres, menant ä des dictionnaires" (1985b:24) auf eine breite kulturelle und gesellschaftliche Basis stellt. Im Zentrum von Hausmanns Betrachtungen steht die Frage nach Präsenz, Qualität, Prestige und Markterfolg verschiedener Wörterbuchtypen in den drei Wörterbuchlandschaften. Abgedeckt werden dabei allgemeine einsprachige Wörterbücher, Lernerwörterbücher, zweisprachige Wörterbücher und verschiedene SpezialWörterbücher. Eher am Rande kommen auch Unterschiede in der Gestaltung speziell von allgemeinen einsprachigen Wörterbüchern zur Sprache, etwa in Hinblick auf Informationen zur Konstruktion, Kollokation, Synonymik und Wortbildung. Belege für den Status des Phänomens Wörterbuch in den verschiedenen Gesellschaften entnimmt Hausmann Äußerungen in Medien und Fachzeitschriften. Er interpretiert seine Befunde vor dem Hintergrund der Geschichte der Sprachwissenschaft, der Verhältnisse im Bildungswesen, der verfügbaren technischen Hilfsmittel und der Marktsituation, die vom Adressatenkreis und dem Geltungsbereich der jeweiligen Sprache abhängt. Unterschiedliche Einstellungen zu Sprache und zu Teilbereichen von Sprache (etwa Entlehnungen oder sprachliche "Schwierigkeiten"), wie sie auch in den Medien und in der offiziellen Sprachpolitik Ausdruck finden, sind laut Hausmann ebenfalls für Unterschiede in den drei Wörterbuchlandschaften verantwortlich.

1.1.2 Rey und der "dictionnaire culturel" Grundlegend für Reys Ausführungen zum kulturellen Charakter von Wörterbüchern sind die Veröffentlichungen von Rey/Delesalle (1979), von Rey (1987b) sowie besonders der Aufsatz "Le dictionnaire culturel" (Rey 1987a). Rey geht es dabei vor allem um die Fragen, welche Wörterbuchtypen als "kulturelle Wörterbücher" zu bezeichnen sind und wie sich "Kultur" im Wörterbuch manifestiert. Ausgangspunkt ist die Überlegung, daß die Kultur einer Sprachgemeinschaft sich in ihrer Sprache ausdrückt, und damit auch in Instrumenten der Sprachbeschreibung wie Wörterbüchern und Grammatiken. Der dictionnaire culturel wird für Rey vor allem durch die g r o ß e n p h i l o l o g i s c h e n W ö r t e r b ü c h e r w i e TRESOR DE LA LANGUE FRANQAISE ( T L F ) u n d THE OXFORD ENGLISH DICTIONARY ( O E D ) v e r k ö r p e r t , in z w e i t e r L i n i e a b e r a u c h d u r c h W ö r t e r b ü c h e r m i t w e n i g e r u m f a n g r e i c h e m L e m m a b e s t a n d w i e PETIT ROBERT ( P R ) . E i n

"kulturelles Wörterbuch", so Rey (1987a:4) und (1987a:9), ist ein extensives Sprachwörterbuch (dictionnaire de langue), das eine durch bestimmte wissenschaftliche, pragmatische oder ideologische Einstellungen beeinflußte Beschreibung von sprachlichem Material vornimmt, wobei das beschriebene Material seinerseits durch dieselben Einstellungen geprägt ist. Dies ist nach Rey insbesondere dann der Fall, wenn es sich um ein "philologi3 Vgl. Quemada (1987).

5 sches" Wörterbuch handelt, d.h. wenn die Materialbasis ein Korpus von Texten ist, die von der Kultur, in der auch das Wörterbuch entstanden ist, produziert wurden und die in besonderer Weise für diese Kultur konstitutiv sind, da sie "sa propre mömoire" (1987a:5) darstellen. Nicht unter den Begriff des dictionnaire culturel im engeren Sinne fallen dagegen zweisprachige Wörterbücher und Lernerwörterbücher, die "l'apprentissage fonctionnel du systöme linguistique" (1987a:4) in den Vordergrund stellen, sowie enzyklopädische Wörterbücher, die der Beschreibung kulturspezifischer Realien dienen. Dennoch räumt Rey ein, daß auch diese Wörterbücher dem Einfluß der Kultur, in der sie entstanden sind, unterliegen. Der "caractöre social et culturel du dictionnaire" (1987a:41) manifestiert sich nach Rey (1987a: 11) in doppelter Weise: Les contenus culturels s'organisent selon un certain nombre d'axes, döfinissant soit des sdmantismes et des symboliques spicifiques correspondant ä divers sous-ensembles lexicaux, soit des attitudes mötalinguistiques qui aboutissent par exemple к Elaboration de dictionnaires au moyen de choix, de jugements, de procddös de classification, de techniques d'analyse et de mise en discours. Ces dlements [...] sont tous modifids par les valeurs propres ä une tradition culturelle.

Rey identifiziert also auf der einen Seite kulturspezifische Aspekte, die an die Semantik bestimmter Wortschatzbereiche gebunden sind, und auf der anderen Seite den Prozeß der Erstellung des Wörterbuchs, der durch Entscheidungen über lexikographische Methoden und die Konstituierung einer Metasprache gekennzeichnet ist. Er betont ausdrücklich, daß auch die aus diesem Prozeß hervorgegangene Struktur des Wörterbuchs den Einflüssen von kultur- bzw. ideologiegebundenen Einstellungen, Werten und Traditionen unterliegt und als Objekt entsprechender metalexikographischer Untersuchungen von Interesse ist: La mötalexicographie dtudie les options th6oriques et les möthodes adoptdes pour сгёег le dictionnaire et peut ddgager des attitudes et des traditions qui ont des implications idiologiques (et done culturelles). [...] Ainsi, la constitution du mdtalangage et des options lexicographiques sont ellesm6mes engagöes dans la probl6matique symbolique que la plupart des sociologues d6c£lent comme le centre de la notion dlargie de 'culture' (Rey 1987a: 12).

Einflüsse des kulturellen Umfelds lassen sich, so Rey (1987a:20, 34), am deutlichsten in Markierungsangaben, Definitionen, lexikographischen Beispielen und Artikelbauplänen nachweisen. Rey verdeutlicht seine These anhand von Beispielen aus verschiedenen Wörterbüchern, ohne dabei allerdings die beiden oben unterschiedenen Aspekte von kulturbedingten Einflüssen explizit zu trennen. Betrachtet man die von Rey genannten Fälle, so läßt sich eine Zweiteilung jedoch nachvollziehen. Zu den kulturellen Inhalten, die an die Semantik bestimmter Wortschatzbereiche gebunden sind, gehören nach seinem Verständnis wohl enzyklopädische Elemente bzw. die Bezugnahme auf Stereotypen in der lexikographischen Definition, wodurch über die distinktiven Merkmale hinausgehend kulturspezifische Bedeutungselemente beigesteuert werden (etwa der Zusatz 'rdputd charognard' in der Definition von corbeau in TLF, vgl. Rey 1987a:30). 4 In Rey (1987b:246f.) wird darauf hingewiesen, daß von kulturellen Einflüssen dieser Art einerseits bestimmte "domaines privildgiis" besonders betroffen sind (etwa der Wortschatz traditioneller Techniken oder nationa-

4

Die Problematik der Unterscheidung zwischen "denotativ-semantischen" und "enzyklopädischen" Merkmalen diskutieren ζ. B. Wiegand (1989b: 550ff.) und Hupka (1989b:145ff.).

6 ler Institutionen), andererseits aber auch moralisch oder ideologisch aufgeladene Begriffe wie liberie, nature, Ιοί, pouvoir, femme, juif. Rey bezieht sich hier also offensichtlich zum einen auf Bezeichnungen für kulturspezifische Realien, zum anderen auf Wörter, deren Konnotationen durch die Einstellung einer Gesellschaft zu bestimmten Bereichen der außersprachlichen Welt bedingt sind und die oft als "kulturelle Schlüsselwörter" bezeichnet werden.5 Wenn als weitere Beispiele fur die "Kulturhaltigkeit" von Wörterbüchern die Konzeption des Systems der Markierungsangaben und die Definitionen der Marker angeführt werden, so dürfte dies dagegen in den Bereich kulturell bedingter Entscheidungen über lexikographische Methoden fallen. Dabei kann, so Rey, z.B. diastratischen oder aber diaphasischen Kriterien der Vorzug gegeben werden, was Rückschlüsse auf die Haltung des Lexikographen zu bestimmten Arten von Sprachgebrauch zuläßt. Den Einfluß von Einstellungen gegenüber unterschiedlichen Erscheinungsformen von Sprache sieht Rey auch bei der Entscheidung für zitierte oder vom Lexikographen konstruierte Beispiele gegeben, ebenso bei der Entscheidung für die Quellen der Zitate im Zusammenhang mit der Konstituierung einer Norm. Schließlich können, so Rey, auch die Stellung und Funktion von Wörterbüchern in einer bestimmten Kultur und die Lage auf dem Wörterbuchmarkt Rückwirkungen auf die Konzeption von Wörterbüchern haben. Wenn beispielsweise als zentrale Aufgabe des dictionnaire culturel "la mdmorisation d'une information langagidre, discursive et done culturelle - par les citations" (Rey 1987a:38) definiert wird, so bedeutet dies, daß Informationen zur Diachronie eingeschlossen werden müssen. Wenn als zweite zentrale Aufgabe die Konstruktion einer Norm betrachtet wird (ebd.), so hat dies auf methodischer Ebene Einfluß auf Selektion und Markierungsangaben. Marktorientierte Überlegungen werden beispielsweise dann relevant, wenn systematische Angaben zur Silbentrennung gemacht werden, weil Schreibkräfte einen wichtigen Adressatenkreis darstellen. Rey beruft sich bei seinen Überlegungen auf den Kulturbegriff Herders und Humboldts, der - zumindest in seiner Interpretation (1987b:243ff.) - ein vorwiegend intellektuell-ästhetischer ist. 6 Eine stärker anthropologisch orientierte Konzeption von Kultur, die auch materielle und technische Apekte einschließt und - so Rey - in Extremform von der amerikanischen Kulturanthropologie vertreten wird, lehnt er als zu weit und zu vage für lexikographische Zwecke ab.7 Die Gedanken Herders und vor allem Humboldts sind für ihn auch insofern wichtig, als sie die Bedeutung der Sprachen für Denken und Weltsicht des Menschen herausstellen und damit einen Zusammenhang zwischen (Einzel-)Sprache und Kultur herstellen. Rey (1987b:244) definiert seinen Kulturbegriff wie folgt: Une culture est appröhendie comme l'ensemble des aspects intellectuels, esthetiques et dthiques d'un groupe humain bien identify, d'abord applique ä une nation ou к une dthnie, puis έ des groupes gdographiques, ä des sous-groupes sociaux, etc.. [...] Les aspects matdriels, techniques de la vie socialisee, les habitudes concrfetes sont exclus de cette conception intellectuelle et esthetique de la culture. Le point commun des faits de culture est alors ä chercher dans la symbolique (on

5

6

7

Wörter der ersten Kategorie wurden oft in der Übersetzungswissenschaft und in Studien zur zweisprachigen Lexikographie untersucht. Zur zweiten Kategorie vgl. die Diskussion von "cultural keywords" und vergleichbaren Konzepten bei Stubbs (1996a: 157-195). Manche Forscher vertreten jedoch auch die Meinung, daß Herder aufgrund des relativistischen Moments seines Kulturbegriffs und einer sich abzeichnenden Erweiterung auf alle Bereiche menschlicher Leistung als - zunächst isoliert bleibender - Vorläufer des anthropologischen Kulturbegriffs angesehen werden kann; vgl. Kroeber/Kluckhohn (1952:30), Williams (1984:89) und Fisch (1992:708ff.), letzterer allerdings mit starken Einschränkungen. Als Begründer dieses Kulturbegriffs gilt Tylor (1871), vgl. Fisch (1992:757f.).

7 dira plus tard, avec un sens un peu different et plus large, la 's6miotique'), laquelle, pour de nombreux penseurs, commence avec le langage.

Allerdings will Rey aus seinem Kulturverständnis "les traits de comportement, meme mat6riels, communs ä un groupe" (1987b:245) nicht ganz ausgeschlossen wissen. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf dem intellektuell-ästhetischen Aspekt von Kultur. Dies erklärt auch, warum Rey als dictionnaires culturels in erster Linie die großen philologischen Wörterbücher identifiziert, die sich vorwiegend auf die literarische Produktion der entsprechenden Gesellschaft stützen.8 Reys Ansatz ist in der Folge mehrmals als Ausgangspunkt für Auseinandersetzungen mit dem Thema "Wörterbuch und Kultur" genommen worden. So verteidigt beispielsweise Cowie (1995) in explizitem Widerspruch zu Rey die These, daß auch Lemerwörterbücher in starkem Maße kulturell determiniert sind. Lara (1995) meint, ein echtes "kulturelles Wörterbuch" müsse die Bedeutungsgeschichte von Wörtern vor dem Hintergrund der Kulturgeschichte der jeweiligen Sprachgemeinschaft kommentieren und Erklärungen für die unterschiedliche Metaphorik bei der Bezeichnung außersprachlicher Entitäten (z.B. der Gottesanbeterin, lat. mantis religiosa, engl, sooth-sayer, fr ς. regional prie-dieu) in verschiedenen Kulturen bieten. Dies zeigt einerseits, daß Reys Ansatz in der Metalexikographie zentrale Bedeutung zuerkannt wird. Andererseits macht es aber auch deutlich, wie heterogen die Vorstellungen vom "kulturellen Wörterbuch" sind.

1.1.3 Wörterbuch und Ideologien Der Begriff der Ideologie ist ähnlich komplex wie der Kulturbegriff. Die meisten Metalexikographen, die über die Manifestation von Ideologien, in Wörterbüchern und über die Wirkung des Wörterbuchs als Träger von Ideologien schreiben, umgehen eine Definition.9 Ein Blick auf neuere Untersuchungen zum Thema kann helfen, die Verwendung des Begriffs in der Lexikographie zu präzisieren. Herangezogen werden die Aufsätze aus dem bereits erwähnten Band Cultures, Ideologies, and the Dictionary (Kachru/Kahane, Hgg., 1995), in denen explizit von Ideologien die Rede ist, ferner "The dictionary as ideology: sixteen case studies" (Kahane/Kahane 1992), Aspects de l'interdiction dans la lexicographic frangaise contemporaine (Boulanger 1986) sowie der Übersichtsaufsatz "Dictionnaire et idöologies" von Beaujot (1989). In diesen Schriften kristallisieren sich zwei Zentralbereiche heraus. Zum einen ist vom Einfluß von Ideologien auf Wörterbücher die Rede, wenn es um die lexikographische Behandlung von Wörtern geht, die bestimmte Bereiche der außersprachlichen Wirklichkeit bezeichnen. Oft sind dabei in einer Gesellschaft tabuisierte oder als problematisch empfundene Aspekte wie Sexualität, Geschlechterrollen, Rassismus, Religion, Politik usw. betroffen. Hierher gehört auch die lexikographische Behandlung von "Schlüsselwörtern" einer Epoche oder Gesellschaft, wenn sie im Dienst der Propagierung von politischen oder welt-

8 9

Vgl. die Interpretation von Reys Ansatz durch Lara (1995:43). Die Definition von Beaujot (1989:79) - "systfcmes de concepts et de cat6gories propres ä une soci6t0 ou classe" - bleibt vage. Präziser äußert sich McArthur (1995), vgl. die Diskussion im folgenden.

8 anschaulichen Positionen steht.10 Diese Betrachtungsweise der Beziehung von Wörterbüchern und Ideologien scheint den Bemerkungen Reys zur lexikographischen Behandlung bestimmter "domaines privilögiös" nahezustehen. Zum anderen wird von einer "ideologisierten" Beziehung des Wörterbuchs zur Sprache gesprochen (Beaujot 1989:80). Gemeint ist damit die Rolle, die "dem Wörterbuch" als Institution zugeschrieben wird, und seine Stellung in der Gesellschaft als Autorität bei der Legitimation von Sprachgebrauch.11 Dies berührt die lexikographische Politik gegenüber bestimmten Erscheinungsformen von Sprache bzw. gegenüber markierten Einheiten des Wortschatzes wie Neologismen, Regionalismen, Entlehnungen, Fachwörtern, Argotismen etc. und läuft letztlich auf die Frage nach der Normativität von Wörterbüchern hinaus.12 Weitere mehrfach behandelte Themen in diesem Zusammenhang sind die Rolle von Wörterbüchern bei der Bewahrung des sprachlichen Erbes sowie bei der Emanzipation der Volkssprachen gegenüber dem Lateinischen.13 Fragt man nun nach dem gemeinsamen Nenner dieser Ansätze, so lohnt sich ein Blick auf die entsprechenden Artikel großer nationaler Enzyklopädien wie etwa der E N C Y CLOPAEDIA BRITANNICA und der ENCYCLOPAEDIA UNIVERSALIS. Sie können Aufschluß geben über die Elemente, die - aus verschiedenen philosophischen, politischen und soziologischen Kontexten kommend - im allgemeinen Sprachgebrauch mit dem Begriff "Ideologie" assoziiert werden und im Bewußtsein der Metalexikographen eine Rolle gespielt haben könnten. Dabei wird deutlich, daß der Ideologiebegriff stärker politisiert ist als der der Kultur und stets eine propagandistisch-programmatische Konnotation hat: Ideologien sind "Ideensysteme", die die Interpretation von gesellschaftlichen und politischen Realitäten zum Ziel haben, eine bestimmte Einstellung dazu nahelegen und Entwürfe zur Veränderung oder im Gegenteil zur Festschreibung der bestehenden Verhältnisse bereitstellen. Sie sind an politische, sozioökonomische oder ethnische Gruppen innerhalb der Gesellschaft gebunden; ihre Interpretation der Wirklichkeit und ihr Programm erfolgen daher aus einer bestimmten Perspektive und dienen häufig der Rechtfertigung von gruppenspezifischen Interessen. Der Terminus Ideologie wurde von dem französischen Philosophen Destutt de Tracy im Kontext der Französischen Revolution geprägt. Von hier stammt auch das programmatische Element: Destutt de Tracy verstand unter Ideologie eine "Wissenschaft der Ideen", deren Erziehungsziel die Umwandlung Frankreichs in eine rationale und wissenschaftliche Gesellschaft war. 10

Vgl. z.B. Beaujot (1989:80, 85), Boulanger (1986:27ff.), Kim (1995), W.Lehmann (1995) und Wierzbicka (1995) sowie die Absätze zu Isidor von Sevillas ETYMOLOGIAE, ZU Diderots und d ' A l e m b e r t s ENCYCLOPEDIE u n d z u m WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN GEGENWARTSSPRACHE in

Kahane/Kahane (1992:35-37, 60-63, 73-76). 11

Symptomatisch für kollektive Einstellungen in diesem Punkt ist, wenn von dem Wörterbuch des Englischen bzw. des Französischen gesprochen wird, vgl. hierzu auch Beaujot (1989:80,86), B6joint (1994:121), Boulanger (1986:98). !2 Vgl. z.B. Beaujot (1989:85f.), Boulanger (1986:56ff.), W.Lehmann (1995), Marello (1995) sowie die Absätze über die Wörterbücher von Johnson, der Acaddmie franifaise und Wörterbücher des deutschen Barock in Kahane/Kahane (1992:70-72). 13

Zur Bewahrung des sprachlichen Erbes vgl. die Absätze über griechische Lexikographie in Kahane/Kahane (1992:22-31). Zur Emanzipation der Volkssprachen vgl. die Absätze über das CRUSCA-Wörterbuch, Johnsons Wörterbuch und Wörterbücher des deutschen Barock in Kahane/Kahane (1992:70-72).

9 Der programmatisch-propagandistische Gehalt des Ideologiebegriffs scheint auch entscheidend für das Ideologieverständnis in der Lexikographie zu sein. Dem Wörterbuch wird ein erzieherischer "Auftrag" in der Gesellschaft zugeschrieben - sei es bei der Vermittlung einer "korrekten" Einstellung gegenüber tabuisierten oder politisch sensiblen Bereichen der Wirklichkeit oder bei der Vermittlung von "korrektem", d.h. normkonformem Sprachgebrauch. Dies bringt auch McArthur (1995:384) zum Ausdruck, wenn er ideological in Bezug auf Nachschlagewerke definiert als "intended to influence how people perceive certain things (and perhaps also how they then behave in relation to them)". In dieser Verwendung haftet dem Ideologiebegriff meist eine pejorative Konnotation an. Wie wenig fest umrissen der Ideologiebegriff in der Lexikographie ist, wird jedoch auch daran deutlich, daß neben den beiden hier identifizierten Themenbereichen, die übrigens auch Boulanger (1986:27) und Rey-Debove (1970a:32) unterscheiden, offenbar noch eine losere Verwendung existiert. 14 So bezeichnen Kahane/Kahane (1992:67-69) die wissenschaftstheoretische Position Walther von Wartburgs, die sich im FEW in der Verbindung von Methoden der synchronen und der historischen Sprachwissenschaft äußert, als Ideologie. Louw (1995) sieht Ideologien am Werk, wenn es um lexikographische Gepflogenheiten bei der Identifizierung und Abgrenzung verschiedener Bedeutungen von Wörtern geht. Dalgish (1995:330) schließlich will die "ideology of the dictionary maker" aus der Widerspiegelung von "attitudes and demands on different groups of learners" in verschiedenen Bauteilen des Wörterbuchs ableiten.

Als vorläufiges Fazit aus dem Vergleich der drei Ansätze läßt sich folgendes festhalten: Gleichgültig, ob die Einflüsse, denen ein Wörterbuch in seinem außersprachlichen Zusammenhang ausgesetzt ist, als "kulturell" oder "ideologisch" in einem engeren oder weiteren Sinne bezeichnet werden oder ob unter Verzicht auf beides einfach von "paysages dictionnairiques" gesprochen wird - immer wieder wird auf dieselben Einflüsse verwiesen. Zentral sind dabei Einstellungen zum Wörterbuch als Institution, Einstellungen zu Sprache bzw. zu bestimmten Erscheinungsformen von Sprache, Haltungen gegenüber bestimmten Bereichen der außersprachlichen Welt, die Lage auf dem Wörterbuchmarkt (insbesondere der Adressatenkreis) und schließlich die Geschichte sprachwissenschaftlicher Strömungen und Theorien. Auf dieser Folie soll nun im folgenden der Ansatz der vorliegenden Arbeit präzisiert werden.

1.2 Z u m Untersuchungsansatz der Studie

1.2.1 Zum Kulturbegriff der Untersuchung Wie bereits dargestellt, hat die vorliegende Arbeit zum Ziel, Unterschiede in Bauteilen und Strukturen einsprachiger Wörterbücher des Englischen und des Französischen vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen und kulturellen Umfelds der Wörterbücher zu interpretieren. Dabei liegt die Vorstellung zugrunde, daß der Prozeß des Wörterbuchschreibens aus 14

Boulanger trennt in diesem Zusammenhang "interdits linguistiques" und "mots tabouises ou bannis pour des raisons extralinguistiques", Rey-Debove spricht von Tabus im "domaine langagier" und Tabus im "domaine conceptuel".

10 einer Kette von Entscheidungen über lexikographische Methoden besteht, die untereinander und zu Faktoren der Entstehungskultur in Beziehung stehen, so daß die Wörterbücher einer Wörterbuchlandschaft gemeinsame Tendenzen aufweisen und sich in das kulturelle Umfeld einfügen. Vergleicht man diesen Ansatz nun mit den oben vorgestellten früheren Untersuchungen zum Thema "Wörterbuch und Kultur", so ist folgendes zu bemerken: In Hausmanns Überlegungen zum Thema "Wörterbuchlandschaften" geht es primär um Präsenz und Prestige verschiedener Wörterbuchtypen in verschiedenen Sprachgemeinschaften, also um die Gesamtlage auf dem Wörterbuchmarkt, und nur marginal um die Konzeption von Wörterbüchern in Abhängigkeit von ihrem Umfeld. Hier dagegen steht der zuletzt genannte Aspekt im Mittelpunkt. Gleichzeitig wird eine Einengung auf allgemeine einsprachige Wörterbücher in einem Band und Lernerwörterbücher vorgenommen. Gegenüber Hausmanns Untersuchungen findet also hier eine Verschiebung der Perspektive in Hinblick auf Fragestellung und Untersuchungsgegenstand statt. Der engere Ansatz - die Konzentration auf einsprachige Wörterbücher als prototypische "kulturelle Wörterbücher" - ist in Reys Analysen zum dictionnaire culturel vorgezeichnet, wenngleich er Wörterbüchern mit umfangreicherem Lemmabestand eine noch größere "Kulturhaltigkeit" zuspricht als den hier untersuchten Typen des einbändigen allgemeinen Wörterbuchs und des Lernerwörterbuchs. Von den beiden Bereichen, in denen sich nach Rey der kulturelle Charakter von einsprachigen Wörterbüchern manifestiert - die Behandlung von Wörtern, die kulturspezifische Realien bezeichnen, bzw. von kulturellen "Schlüsselwörtern" zu problematischen Bereichen der außersprachlichen Welt einerseits und die Wahl der lexikographischen Methoden andererseits -, wird hier allerdings nur der zweite behandelt. Zum ersten Bereich, der sich auch als besonders ergiebig für die Frage nach der Manifestation von Ideologien im Wörterbuch erwiesen hat, liegen bereits zahlreiche Untersuchungen vor. 15 Hier soll es dagegen um die methodische Seite der Erstellung von Wörterbüchern gehen, die bisher im interkulturellen Vergleich weit weniger erforscht zu sein scheint. 16 Dieser Ansatz schließt einen der beiden oben erwähnten Aspekte der Diskussion um Wörterbücher und Ideologien - die Frage nach der "ideologisierten" Beziehung des Wörterbuchs zu Sprache und seiner Rolle als Autorität bei der Legitimation von Sprachgebrauch - mit ein. Die Untersuchung der lexikographischen Behandlung von "ideologiegeladenen" kulturellen Schlüsselbegriffen bleibt dagegen ausgeklammert. Im Vergleich zu den in Kapitel 1.1 vorgestellten Untersuchungen behandelt die vorliegende Arbeit also einen engeren Ausschnitt des "kulturellen Charakters" von Wörterbüchern, der aber auf breiterer Materialbasis und damit systematischer als bisher untersucht werden soll. Was die Methode der Untersuchung angeht, so führt der Weg von konkreten Beobachtungen an Bauteilen und Strukturen der Wörterbücher zu möglichen Erklärungen aus dem außersprachlichen Umfeld und nicht - wie bei den Untersuchungen zu kulturellen

15

Vgl. die Auswahlbibliographie in Beaujot (1989:86ff.) und die Literaturangaben in Bejoint (1994:124ff.). Die quantitativen Verhältnisse der Literaturangaben sowie ein Hinweis in Bejoint (1994:126) erwecken den Eindruck, daß die Thematik eventuell in Frankreich mehr Aufmerksamkeit gefunden hat als in England.

16

Vgl. jedoch den Ansatz von Haß-Zumkehr (2000:137), die nach "methodischen Entscheidungen der Lexikographie" im Nationalsozialismus fragt, diese allerdings insbesondere anhand der lexikographischen Behandlung von "Schlüsselwörtern" untersucht.

11 Schlüsselwörtern üblich - von bestimmten Bereichen der außersprachlichen Wirklichkeit zu den entsprechenden Einträgen im Wörterbuch. Bei der Suche nach möglichen Interpretationen der festgestellten Unterschiede wurde das Augenmerk auf die Konstellationen gerichtet, die in den besprochenen Untersuchungen für den "kulturellen" oder "ideologischen" Charakter von Wörterbüchern verantwortlich gemacht werden. Entsprechend der oben formulierten Eingrenzung des Themas wurden jedoch Einstellungen zu kulturell bedeutsamen oder problematischen Bereichen der außersprachlichen Wirklichkeit (z.B. Sexualität, die Stellung der Frau in der Gesellschaft u.ä.), wie sie sich in der lexikographischen Behandlung von Bezeichnungen für kulturspezifische Realien oder von Schlüsselwörtern spiegeln können, ausgeklammert. Kulturelle Konstellationen interessieren hier nur, soweit sie für Entscheidungen über lexikographische Methoden unabhängig von der Semantik bestimmter Wortschatzbereiche wirksam werden können. Als zentrale Elemente von "Kultur", deren potentieller Niederschlag im Wörterbuch untersucht werden soll, kommen in der vorliegenden Arbeit in Frage: (1) Einstellungen zu Sprache bzw. zu bestimmten Erscheinungsformen von Sprache, wie sie sich belegen lassen anhand von Traditionen der Sprachpflege, Ergebnissen der attitudeForschung und der Verbreitung von Spezialwörterbüchern zu bestimmten Ausschnitten der Sprachwirklichkeit (etwa Argot oder Neologismen) auf den Wörterbuchmärkten. Auch die Präsenz der Thematik in gängigen englischen und französischen Handbüchern zur Sprachwissenschaft kann Aufschluß über metasprachliche Haltungen geben. (2) Einstellungen zum Wörterbuch als Institution und Funktionen, die dem Wörterbuch innerhalb einer Gesellschaft zugewiesen werden. Als Quellen werden in entsprechenden Untersuchungen meist Äußerungen in den Massenmedien und Umfragen herangezogen. Hier kann sich die vorliegende Arbeit auf bereits vorhandene Auswertungen stützen. 17 Über die Aufgaben der Wörterbücher in der Gesellschaft geben auch die Vorwörter Auskunft. (3) Sprachwissenschaftliche Theorien, die in den beiden Ländern besondere Bedeutung erlangt haben. Auch vorwissenschaftliche Traditionen der Sprachbetrachtung und die dahinterstehenden geistesgeschichtlichen Strömungen werden berücksichtigt. (4) Unterschiedliche Bedingungen auf dem Wörterbuchmarkt. Hier muß besonders auf die Adressaten als potentielle "Abnehmer" sowie auf technische und kommerzielle Voraussetzungen der Lexikographie geachtet werden. 18 Daneben ist zu bedenken, daß sich manche Unterschiede in den Wörterbüchern nur durch den Hinweis auf strukturelle Verschiedenheiten zwischen der englischen und der französischen Sprache erklären lassen. 19 Auch dieser Aspekt findet in der vorliegenden Arbeit Berücksichtigung, zumal Sprache j a auch als Teil von Kultur im weiteren Sinne betrachtet werden kann. Der Schwerpunkt liegt allerdings auf Zusammenhängen mit dem

17 18

19

Vgl. etwa Bray (1989), Algeo (1989), Hausmann (1985), Quirk (1973). Vgl. die starke Berücksichtigung marktorientierter Argumente neuerdings bei Schafroth/Zöfgen (1998) und Herbst (1998). Vgl. z.B. Rey (1987a:41) zum Zusammenhang zwischen Wortbildungssystemen und der Präsentation von Ableitungen als Lemmata oder im Artikelinneren, einem Komplex, der in Kapitel 5.4 angesprochen wird.

12 kulturellen Umfeld. Angesichts der Heterogenität des Kulturbegriffs in der Lexikographie erschien es sinnvoller, von einem für lexikographische Zwecke pragmatisch definierten Kulturbegriff im Sinne der obigen Zusammenstellung auszugehen, als das Konzept einer bestimmten philosophischen oder soziologischen Richtung zugrunde zu legen. Festgehalten werden kann allerdings, daß die Studie auf einem weit gefaßten Verständnis des kulturellen Umfelds beruht, das - im Gegensatz zu Rey - "materielle" Aspekte wie die technischen und finanziellen Voraussetzungen der Lexikographie zentral mit einschließt und - anders als viele Untersuchungen über Wörterbücher und Ideologien - nicht nur die propagandistischen Aspekte der Beziehung zwischen Wörterbüchern und ihrem Umfeld betont. Ausdrücklich gewarnt werden muß dagegen vor Argumentationen mit dem englischen oder französischen "Volkscharakter", wie sie in älteren Untersuchungen über Sprachen in ihrem nationalen Umfeld gelegentlich anzutreffen sind.20 Der Blickwinkel der Arbeit ist vorwiegend synchron. Im Vordergrund steht ein Vergleich der Mitte der neunziger Jahre erschienenen Generation von ausgewählten einsprachigen Wörterbüchern. Diese Perspektive wird jedoch um ein diachrones Element ergänzt: Anhand von Vergleichen mit älteren Wörterbüchern bzw. Auflagen soll auch untersucht werden, inwieweit sich unter den benannten Einflüssen lexikographische Traditionen bildeten und inwieweit diese in den neuen Wörterbüchern fortgeführt oder gebrochen werden. Zum generellen Ansatz der Arbeit ist noch eine Vorbemerkung nötig, die gleichzeitig auch die Grenzen der Untersuchungsperspektive deutlich werden läßt. Die Arbeit geht von der Prämisse aus, daß sich Wörterbücher aus ein und derselben Wörterbuchlandschaft durch gemeinsame Tendenzen ausweisen. Dies ist in gewisser Weise eine idealisierte Vorstellung. Wie verschieden die Wörterbücher einer einzigen Wörterbuchlandschaft untereinander sein können, ist in zahlreichen Arbeiten nachgewiesen worden und stand immer im Mittelpunkt des Interesses der Metalexikographie. Indem nun die vorliegende Arbeit die Frage nach gemeinsamen Tendenzen innerhalb von Wörterbuchlandschaften ins Zentrum rückt, verschiebt sich die Betrachtungsweise; die Wörterbücher werden gewissermaßen durch eine andere "Brille" gesehen als in den meisten metalexikographischen Untersuchungen, die auf eine qualitative Beurteilung und eine Verbesserung der lexikographischen Praxis zielen. Damit ist es nur konsequent, daß eine Wertung bzw. Vorschläge zur qualitativen Verbesserung einzelner Wörterbücher nicht zum Hauptanliegen der Arbeit gemacht werden.

1.2.2 Zur Auswahl der Wörterbücher Die Grundlage der Arbeit bildet eine Auswahl von einbändigen einsprachigen Wörterbüchern der englischen und französischen Gegenwartssprache. Die Untersuchung konzentriert sich dabei auf die Wörterbuchlandschaften Frankreich und England und klammert Wörterbücher, die in anderen Bereichen des englischen oder französischen Sprachgebiets erschienen sind oder andere nationale Varietäten in den Vordergrund stellen, aus, da der

20

Derartige Argumentationen werden z.B. von Albrecht (1970:316ff.) erörtert und kritisiert.

13 kulturelle Hintergrund in diesen Fällen notwendig ein anderer ist.21 Die folgenden Wörterbücher in ihren Mitte der neunziger Jahre erschienenen Auflagen stellen die Basis für die Arbeit dar und werden systematisch untersucht: THE CONCISE OXFORD DICTIONARY OF CURRENT ENGLISH 9 ( 1 9 9 5 ) ( C O D ) OXFORD ADVANCED LEARNER'S DICTIONARY OF CURRENT ENGLISH 5 ( 1 9 9 5 ) ( O A L D ) LONGMAN DICTIONARY OF CONTEMPORARY ENGLISH 3 ( 1 9 9 5 ) ( L D O C E ) COLLINS COBUILD ENGLISH DICTIONARY 2 ( 1 9 9 5 ) ( C O B U I L D )

LE NOUVEAU PETIT ROBERT (1993, nouvelle öd. remaniee et amplifiöe 1995) (NPR) DICTIONNAIRE DE LA LANGUE FRANQAISE. LEXIS (6d. rev. et corr. 1 9 9 4 ) ( L E X I S ) LE PETIT LAROUSSE ILLUSTRE 1 9 9 6 ( 1 9 9 5 ) ( P L ) DICTIONNAIRE DU FRANCAIS AU COLLEGE ( 1 9 9 5 ) ( D F C o l l ) LE ROBERT MICRO POCHE ( 1 9 8 8 , rdimpr. 1993) ( M R ) 2 2

Für die englische Seite wird des öfteren zusätzlich auf THE CHAMBERS DICTIONARY (1993, repr. 1994) (CHAMBERS) verwiesen, das allerdings nicht systematisch analysiert wird. Ausgewählt wurden also allgemeine einsprachige Wörterbücher mit relativ umfangreichem Lemmabestand, die sich in der Regel an einen weit gefaßten Adressatenkreis von erwachsenen Muttersprachlern wenden, und Lernerwörterbücher für den fortgeschrittenen Lerner. Diese Entscheidung steht bewußt im Gegensatz zur Definition des dictionnaire culturel durch Rey. Einerseits sind die hier betrachteten Wörterbücher erheblich selektiver als Reys Modelle (TLF und OED), andererseits ist nur eine Minderheit von ihnen als philologisch im Sinne Reys zu bezeichnen. Wenn Rey Lernerwörterbücher aus seiner Betrachtung zum kulturellen Wörterbuch ausklammert mit der Begründung, sie dienten in erster Linie dem "apprentissage fonctionnel du systöme linguistique" (Rey 1987a:4) und nicht der Vermittlung kulturgebundener Informationen, so ist dieses Argument für die vorliegende Arbeit nicht stichhaltig, da hier die Methoden der Lexikographie im Vordergrund stehen, und zwar ganz allgemein und nicht nur bezogen auf die lexikographische Behandlung besonders "kulturhaltiger" Wörter, die vielleicht im Lernerwörterbuch gegenüber Informationen zum System weniger Berücksichtigung finden könnten.23 Man kann im Gegenteil sogar genau umgekehrt zu Rey argumentieren, daß die im einbändigen Wörterbuch notwendige verschärfte Selektion auch von gesellschaftlichen und kulturellen Konstellationen abhängen dürfte, so daß kulturspezifische Charakteristika hier besonders deutlich hervortreten müßten.24

21

Ein häufig behandeltes Thema in diesem Zusammenhang sind die Wörterbuchlandschaften der verschiedenen englischsprachigen Länder, insbesondere Englands und der USA, vgl. z.B. Algeo (1995), Delbridge (1983), Ilson (1986),Whitcut (1995).

22

Im weiteren Verlauf der Arbeit werden die zentral untersuchten Auflagen der Wörterbücher stets mit den hier verwendeten Abkürzungen ohne Erscheinungsjahr und Auflagenangabe zitiert; wenn von früheren Auflagen die Rede ist, werden Auflage und Erscheinungsjahr mit aufgeführt.

23

Daß auch die Vermittlung enzyklopädischer Informationen zu spezifischen Kulturen im Typus Lernerwörterbuch ein denkbares Modell ist, zeigen die neu entstandenen encyclopedic versions der englischen Lernerwörterbücher. So stellt etwa Beaujot (1989:83) einen Zusammenhang zwischen geringem Umfang und starker Ideologisierung her; Beaujot (1989:83) und Boulanger (1986:11, 19ff.) weisen auf den Zusammenhang zwischen pädagogischen Anliegen und verstärkter Manifestation von Ideologien hin.

24

14 Bei der Auswahl der Wörterbücher mußten zwei zentrale Kriterien berücksichtigt werden. Zum einen sollten Wörterbücher gewählt werden, die als repräsentativ für die nationalen Wörterbuchlandschaften gelten können, zum anderen mußte die Vergleichbarkeit über die beiden Wörterbuchlandschaften hinweg gewährleistet werden. Als Kriterien für die Repräsentativität innerhalb einer Wörterbuchlandschaft wurden die Beachtung in der Metalexikographie und entsprechende Äußerungen über den Markterfolg herangezogen. Außerdem wurden nur solche Wörterbücher gewählt, die bereits eine gewisse Tradition haben, d.h. sich seit einiger Zeit auf dem Markt behaupten können und bis 1995 in mindestens eine Neuauflage gegangen sind. Dies bedeutet, daß Erstauflagen wie CAMBRIDGE INTERNATIONAL DICTIONARY OF ENGLISH ( 1 9 9 5 ) ( C I D E ) u n d LE ROBERT

POUR TOUS (1994) (Rtous) hier nicht bzw. nur in Form gelegentlicher Ausblicke berücksichtigt werden. Im Vergleich der beiden Wörterbuchlandschaften nehmen die gewählten Wörterbücher damit ähnliche Positionen ein. Im Sinne einer möglichst großen Vergleichbarkeit wurde auch darauf geachtet, Wörterbücher zu wählen, die sich an ungefähr vergleichbare Adressatenkreise richten, d.h. erwachsene Muttersprachler und fortgeschrittene Lerner.25 Außerdem war Voraussetzung, daß die Wörterbücher innerhalb einer so bestimmten Kategorie einen ähnlichen Umfang haben, was den Lemmabestand und die Reichhaltigkeit der Mikrostrukturen der Artikel (d.h. die Anzahl unterschiedlicher Angaben) angeht. Ein direkter Vergleich der Zahlen für enthaltene "Wörter", Lemmata oder Bedeutungen, wie sie gelegentlich auf den Umschlagklappen angegeben werden, führt natürlich nicht weiter. Die ausgewählten allgemeinen Wörterbücher zeichnen sich durch einen umfangreichen Lemmabestand und reichhaltige Mikrostrukturen aus, die Lernerwörterbücher zählen in Hinblick auf den Lemmabestand zu den umfangreichsten ihrer Kategorie in der jeweiligen Wörterbuchlandschaft26 und sind alle durch reichhaltige Mikrostrukturen gekennzeichnet. Bei der Auswertung der Untersuchungsergebnisse wurde darauf geachtet, daß Wörterbücher unterschiedlicher Kategorien getrennt voneinander besprochen wurden. Auf dieser Grundlage konnte dann festgestellt werden, ob allgemeine Wörterbücher und Wörterbücher für Lerner innerhalb einer Wörterbuchlandschaft ähnliche Tendenzen aufweisen bzw. welches Verhältnis zwischen ihnen besteht. In der Untersuchung stehen sich bei den allgemeinen Wörterbüchern drei französische und ein bzw. zwei englische (mit CHAMBERS) gegenüber, bei den Lernerwörterbüchern sind es zwei französische und drei englische. Die ungleichen Zahlenverhältnisse wurden bewußt in Kauf genommen. Sie sind an sich schon aufschlußreich für die Wörterbuchlandschaften, da sie durch die Stellung der verschiedenen Wörterbuchtypen in den Gesellschaften und die Konkurrenz in verschiedenen Marktbereichen motiviert sind. Im einzelnen wird dies in Kapitel 2 darzustellen sein. Zum jetzigen Zeitpunkt sei jedoch gesagt, daß die relativ schwache Repräsentation englischer allgemeiner Wörterbücher - nur durch COD und marginal auch durch CHAMBERS - sich dadurch rechtfertigen läßt, daß COD offenbar in der Metalexikographie und wohl auch auf dem Markt eine privilegierte Position innerhalb eines anderweitig im Vergleich mit Frankreich weniger bedeutenden Wörterbuchtyps 25

26

Besonders die zweite Adressatenkategorie ist in sich natürlich recht heterogen. Wie weit die Vergleichbarkeit der Adressatenkreise tatsächlich geht, ist als solches ein Phänomen der Wörterbuchlandschaften und wird im Lauf der Arbeit noch zu zeigen sein. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, daß die englischen Lernerwörterbücher absolut gesehen vom Lemmabestand her umfangreicher sind als die französischen.

15

innehat. Dies ist vermutlich auf seine Herkunft aus dem renommierten Verlag Oxford University Press und seine Stellung innerhalb der Verkürzungsserie des OED zurückzuführen. Andere einbändige allgemeine Wörterbücher, die mit COD konkurrieren, leiten sich von amerikanischen Modellen her, weshalb sie hier nicht einbezogen wurden.27 Eine gewisse Sonderstellung innerhalb der gewählten Wörterbücher nimmt PL ein. Er ist als einziges kein dictionnaire de langue, sondern gehört dem in Frankreich traditionsreichen Typ des dictionnaire encyclopedique an.28 Zwar existieren enzyklopädische Wörterbücher auch in England. Dennoch wurden sie nicht in die Untersuchung aufgenommen, da sie entweder unter dem Einfluß von französischen oder amerikanischen Modellen entstanden sind oder aber dem neuesten Typ von Lernerwörterbüchern angehören und daher mit PL sowieso nicht direkt vergleichbar wären.29 PL wurde - entgegen Reys Bestimmung des dictionnaire culturel als dictionnaire de langue (1987a:4,7) - aufgrund seiner großen Verbreitung und der Tradition des Typs in Frankreich aufgenommen. 30 Die partie noms propres und die enzyklopädischen Kommentare innerhalb des Sprachteils, die formal durch ein schwarzes Quadrat abgehoben sind, sind allerdings nicht Gegenstand dieser Untersuchung, da die übrigen hier interessierenden Wörterbücher keine vergleichbaren Teile enthalten. Die untersuchten Wörterbücher sind bis auf eine Ausnahme (MR) zwischen 1993 und 1995 neu aufgelegt worden. Der Schnitt wurde im Erscheinungsjahr 1995 gelegt, in dem alle hier behandelten englischen Wörterbücher in zum Teil radikal veränderten Neuauflagen herauskamen. Die Neuauflagen der französischen Wörterbücher sind - allenfalls noch mit Ausnahme von NPR - gegenüber ihren Vorgängern weit weniger tiefgreifend verändert. Dies bringt eventuell mit sich, daß nicht nur zwei nationale Wörterbuchlandschaften, sondern auch zwei verschiedene zeitliche Schichten der Lexikographie miteinander verglichen werden. Auf der anderen Seite sind der Rhythmus von Neuauflagen und die finanziellen Mittel, die für konzeptionelle Neuerungen fließen, an sich schon symptomatisch für Unterschiede zwischen den Wörterbuchlandschaften. Darauf wird in Kapitel 2 noch näher einzugehen sein. Da die Arbeit auch eine diachrone Perspektive hat und der Frage nach der Kontinuität oder dem Bruch von lexikographischen Traditionen nachgeht, werden stellenweise auch ältere Auflagen der hier behandelten Wörterbücher einbezogen (einschließlich des 3 DICTIONNAIRE DU FRANQAIS CONTEMPORAIN (DFC) als Vorläufer zu DFColl). ' Auch die großen philologischen Wörterbücher wie THE OXFORD ENGLISH DICTIONARY ( O E D ) , LE GRAND ROBERT DE LA LANGUE FRANCAISE ( G R ) u n d d e r TRESOR DE LA LANGUE FRANQAISE

(TLF), aus denen einige der hier interessierenden kleineren Wörterbücher durch Verkür27 28

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30

31

Vgl. im einzelnen Kapitel 2. Zum Begriff des enzyklopädischen Wörterbuchs und zu Abgrenzungsproblemen vom Sprachwörterbuch vgl. Hupka (1989a). Vgl. im einzelnen Kapitel 2. Der Markterfolg der enzyklopädischen Version von COD (THE OXFORD ENCYCLOPEDIC ENGLISH DICTIONARY 1991) dürfte nicht mit dem von PL vergleichbar sein. Laut Rey (1990:1829) ist er, gefolgt von PR, das am meisten verkaufte französische Wörterbuch seiner Größenordnung und Art. Da die vorliegende Arbeit nicht die Bewertung von DFC zum Ziel hat, wird nicht die neueste verfugbare Auflage, sondern die Auflage von 1971 als "Prototyp" zu Vergleichszwecken herangezogen.

16 zungsserien hervorgegangen sind, sind in diesem Zusammenhang relevant und werden punktuell zu Vergleichen herangezogen. Schließlich muß auch das Verhältnis zu repräsentativen Wörterbüchern des 17. bis 19. Jahrhunderts, wie JOHNSON (1755), RLCHELET (1680), FURETIERE (1690), d e m DICTIONNAIRE DE L'ACADEMIE ( 1 6 9 4 ) , LITTRE ( 1 8 6 3 -

1873) und HATZFELD/D ARMESTETER (1890-1900) angesprochen werden. In Kapitel 2 wird zu zeigen sein, in welchem Kontext die hier systematisch behandelten modernen Wörterbücher heute auf den Wörterbuchmärkten stehen und wie sie sich in die Geschichte der jeweiligen nationalen Tradition einfügen.

1.2.3 Zur Materialbasis Auch bei der Erstellung der Stichproben für die Untersuchung stellte die Vergleichbarkeit das zentrale Problem dar. Da das Erkenntnisinteresse der Arbeit in erster Linie auf die Methoden der Lexikographie gerichtet ist, war ein Ausgehen von außersprachlichen Bereichen wie etwa der Einstellung gegenüber Sexualität oder gegenüber ethnischen Minderheiten mit den dazugehörigen Schlüsselwörtern von vornherein ausgeschlossen. Um die Vergleichbarkeit des untersuchten Materials zu gewährleisten, erwies sich in den meisten Fällen vielmehr die Arbeit mit Stichproben aus Artikelteilstrecken, und damit aus nichtübersetzungsäquivalenten Einheiten, als angemessen. Dabei wurde auf eine gleichmäßige Verteilung der Artikelteilstrecken über das gesamte Alphabet geachtet, um den Einfluß von eventuellen Inkonsistenzen innerhalb der Wörterbücher auszuschalten.32 Bei anderen Fragestellungen wurden Spezialwörterbücher wie etwa Neologismenwörterbücher, Frequenzwörterbücher, Kollokationswörterbücher und Thesauri (d.h. im Rahmen der vorliegenden Arbeit onomasiologische Wörterbücher vom Typ des englischen ROGET'S THESAURUS OF ENGLISH WORDS AND PHRASES) als Materialquellen fur Stichproben herangezogen. Auch Hinweise aus der Sekundärliteratur erwiesen sich als nützlich. Da die Stichproben in Abhängigkeit von der jeweiligen Fragestellung erstellt wurden, wird ihre genaue Gewinnung und Zusammensetzung sowie ihre eventuelle Problematik im Rahmen der jeweiligen Kapitel darzustellen sein.33 Dasselbe gilt für die Probleme, die bei der Auszählung des Materials auftraten. Die Arbeit berücksichtigt zum einen Fragen der Selektion von sprachlichem Material und der Anordnung der Lemmata, zum anderen die Gestaltung der wichtigsten Bauteile des Standardartikels. Dadurch verfolgt sie einen Ansatz auf sehr breiter Basis. Dabei wird bewußt in Kauf genommen, daß die Stichproben manchmal um einiges kleiner sind als in Untersuchungen, die sich auf einen einzigen Aspekt im Wörterbuch konzentrieren. Die hier gewählte Methode ermöglicht, Aussagen über die Wörterbuchlandschaften durch eine Vielzahl von Beobachtungen zu stützen, die aus verschiedenen Fragestellungen an die 32

33

Allerdings dürfte dieses Problem heute durch den Einsatz von Computern bei der Erstellung von Wörterbüchern weitgehend entschärft sein. Ein Problem, das sich allerdings kaum ausschalten läßt, ist die Gefahr, im Zirkel zu argumentieren. Da die herangezogenen Spezialwörterbücher und teilweise auch die Sekundärliteratur in demselben kulturellen Umfeld entstanden sind wie die hier behandelten allgemeinen Wörterbücher, muß man davon ausgehen, daß sie dieselben Einflüsse spiegeln wie die Wörterbücher, die mit ihrer Hilfe untersucht werden.

17 Wörterbücher hervorgegangen sind. Wenn viele Belege aus verschiedenen Bauteilen gefunden werden können, die alle in ein und dieselbe Richtung zielen, so ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß der so entstehende Eindruck von den Wörterbuchlandschaften verläßlicher und repräsentativer ist als bei einer tiefergehenden Untersuchung einiger weniger Einzelaspekte. Für eine Arbeit, die Aussagen über Tendenzen, nicht über Details anstrebt, scheint dieser Ansatz folglich angemessen.

2 Der Wörterbuchmarkt in England und Frankreich

In seinem Vergleich der Wörterbuchlandschaften in Deutschland, England und Frankreich bezeichnet Hausmann (1985b:36) Frankreich als "pays du dictionnaire" und urteilt: "Comp a r e ä la lexicographie anglaise, celle de la France fait figure de geant" (1985b:26). Ein Ausgleich der Verhältnisse, so Hausmann, deute sich aber bereits an - im England der achtziger Jahre herrsche eine "soudaine frenesie dictionnairique [...], signe evident d'un retard ä rattraper" (ebd.), und England könne - allerdings noch mit Fragezeichen - als "futur pays du dictionnaire" (1985b:37) bezeichnet werden. Zehn Jahre später scheinen sich die Voraussagen Hausmanns bewahrheitet zu haben. So schreibt Herbst (1994:148): "Wahrscheinlich ist das Englische die am besten lexikographisch beschriebene Sprache der Welt". Wir haben es also offenbar mit zwei Ländern mit einer bemerkenswert reichen Wörterbuchproduktion zu tun, denen zudem eine starke - wenn auch in England gegenüber Frankreich verspätete - gesellschaftliche Sensibilität für das Phänomen Wörterbuch bescheinigt wird. So trägt Hausmann (1985b:36ff., 48ff.) Belege zusammen für die Aufmerksamkeit, die dem Wörterbuch in den französischen und mit entsprechender zeitlicher Versetzung auch den englischen Medien entgegengebracht wird, etwa in Form von Werbung, Besprechungen oder Leserbriefen, und Herbst (1994:149) weist daraufhin, daß Wörterbücher in der Bibliothek gebildeter Engländer eine bedeutendere Rolle spielen als beispielsweise in Deutschland.1 Wo die Reichtümer der beiden Wörterbuchlandschaften liegen, soll im folgenden anhand eines Überblicks über die wichtigsten Erscheinungen auf dem englischen und dem französischen Wörterbuchmarkt verdeutlicht werden. Die Darstellung muß sich dabei im wesentlichen auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum hier gelegten Zeitschnitt Mitte der neunziger Jahre und den kleinen, aber zentralen Ausschnitt der hier interessierenden Wörterbuchtypen beschränken, d.h. einbändige allgemeine einsprachige Wörterbücher und Lernerwörterbücher. Da diese in ihrem lexikographischen Kontext dargestellt werden sollen, werden allerdings auch immer wieder Ausgriffe auf historische Vorläufer und das unmittelbare lexikographische Umfeld notwendig. Die Übersicht orientiert sich an Rezensionen und Darstellungen bekannter Metalexikographen.2 Für umfassendere Untersuchungen, die auch andere Epochen und Wörterbuchtypen systematisch behandeln, sei verwiesen auf Bray (1990), Hausmann (1985b), Ilson (1990), Osselton (1990), Rey (1990) und Simpson (1990). Das Kapitel verfolgt mehrere Anliegen. Zum einen soll gezeigt werden, in welcher Tradition und Filiation die hier interessierenden Wörterbücher und ihre jeweiligen aktuellen Auflagen stehen und wie sich die Konkurrenzsituation für die beteiligten Wörterbuchtypen auf den Märkten darstellt. Damit soll auch die Auswahl der Wörterbücher, die im vorange1 2

Vgl. auch Algeo (1989:29) und Quirk (1973:76). Wo nicht anders angegeben, liegen den "faktischen" Informationen in diesem Kapitel zugrunde: für den englischen Wörterbuchmarkt Böjoint (1994:62-79), Cowie (1999), Hausmann (1985b), Hausmann/Gorbahn (1989), Herbst (1990), Herbst (1996), Ilson (1990), Walter (1996); für den französischen Wörterbuchmarkt Ettinger (1991), Hausmann (1985b), Heinz (1994), Lagane (1990), Rey (1990), Schafroth (1995), Vaslet (1991).

19 henden Kapitel mit Würdigung in der Metalexikographie, Markterfolg und Tradition begründet wurde, verständlich gemacht werden. Zum zweiten will das Kapitel nachvollziehbar machen, wie Hypothesen über untersuchenswerte Aspekte und Erwartungen bezüglich eventueller Unterschiede zwischen englischen und französischen Wörterbüchern zustande gekommen sind. Zu diesem Zweck sollen die hier ausgewählten Wörterbücher kurz charakterisiert werden. Dabei werden neben Aspekten, die im weiteren Verlauf der Arbeit dann ausführlicher diskutiert werden, auch solche angesprochen, auf die nicht näher eingegangen werden kann. Es geht jedoch nicht um eine möglichst vollständige Darstellung und Bewertung, sondern um die Hervorhebung dessen, was in der wissenschaftlichen Wörterbuchkritik Aufsehen oder Anstoß erregte. Dies soll Aufschluß darüber geben, welche Aspekte der Wörterbücher im "Gesamtklima" der jeweiligen Wörterbuchlandschaft für diskussionwürdig befunden werden, welches also die näher zu untersuchenden "Leitthemen" der metalexikographischen Diskussion sind, und welche Anforderungen an ein Wörterbuch herangetragen werden.3 Von besonderem Interesse werden dabei Charakteristika sein, die von konkurrierenden Wörterbüchern innerhalb ein und derselben Wörterbuchlandschaft übernommen wurden und damit traditionsbildend wirkten. Zum dritten soll schließlich auch ein Rahmen für Rückbezüge aus den Materialuntersuchungen der folgenden Kapitel geschaffen werden.

2.1 Der englische Wörterbuchmarkt

Die Zeit von 1945 bis Mitte der sechziger Jahre wird als relativ ruhige Zeit der Fortfuhrung und Ausweitung traditioneller lexikographischer Arbeit beschrieben.4 Zum OXFORD ENGLISH DICTIONARY (OED), dem großen Produkt der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft des späten 19. Jahrhunderts, wurden ab 1957 Supplementbände vorbereitet,5 die allerdings erst von 1972 bis 1986 erschienen, bevor 1989 die Neuauflage herauskam. THE CONCISE OXFORD DICTIONARY OF CURRENT ENGLISH ( C O D ) , d a s in erster A u f l a g e

1911 als Verkürzung von OED, aber noch vor dessen Fertigstellung erschienen war, und CHAMBERS TWENTIETH CENTURY DICTIONARY OF THE ENGLISH LANGUAGE, d e r

1901

erschienene Vorgänger des hier interessierenden CHAMBERS, wurden mehrfach neu aufgelegt. Diese beiden Wörterbücher gelten als typisch für die im 19. Jahrhundert herausgebildete britische Tradition des allgemeinen einsprachigen Wörterbuchs in einem Band und repräsentieren auch in der vorliegenden Arbeit diesen Typ.6 Als charakteristisch werden der weitgehende Verzicht auf enzyklopädische Informationen, das Fehlen von Illustrationen und die Tendenz zur genesteten Makrostruktur betrachtet.7 Lexikographische Beispiele

3

Zum Themenkreis der Wörterbuchkritik in ihrer Einbettung in verschiedene Kultur- und Sprachräume vgl. auch Lexicographica 9 (1993), Thematic Part: "Wörterbuchkritik. Dictionary Criticism". 4 Ilson (1990:1967). 5 Ilson (1990:1967). 6 Vgl. B6joint (1994:57, 63) und Ilson (1990:1964f.). 7 Vgl. B6joint (1994:64, 67) und Ilson (1990:1968ff.).

20 werden, wenn überhaupt, eher sparsam eingesetzt, was den Schluß erlaubt, daß diese Wörterbücher eher als Dekodier- denn als Enkodierhilfe gedacht sind.8 Daneben trat in den sechziger Jahren ein neuer Traditionsstrang von einbändigen Wörterbüchern, die unter dem Einfluß ausländischer Wörterbuchtraditionen standen und die moderne englische Wörterbuchlandschaft nach einigen weniger erfolgreichen früheren Versuchen um den Typ des einbändigen enzyklopädischen Wörterbuchs bereicherten.9 1968 erschien

LONGMANS ENGLISH LAROUSSE, d e r a b

1976

in N e u b e a r b e i t u n g

als

LONGMAN MODERN ENGLISH DICTIONARY h e r a u s g e g e b e n w u r d e u n d e i n e A d a p t a t i o n d e s

französischen PETIT LAROUSSE darstellt. Das ebenfalls enzyklopädische Modell des amerik a n i s c h e n college

dictionary

s t a n d b e i HAMLYN ENCYCLOPEDIC WORLD DICTIONARY

( 1 9 7 1 ) s o w i e b e i COLLINS ENGLISH DICTIONARY ( 1 9 7 9 ) u n d READER'S DIGEST GREAT

ILLUSTRATED DICTIONARY (1984, 2 Bde.) Pate. Diese Wörterbücher teilen bestimmte Merkmale mit der amerikanischen Tradition, wie Illustrationen, Verzicht auf das Nesten von Komposita und Kurzaufsätze zu Fragen umstrittenen Sprachgebrauchs, ohne sie jedoch alle in sich zu vereinen.10 Außerdem haben sie, wie auch das Modell des amerikanischen college dictionary, einen etwas umfangreicheren Lemmabestand als COD und CHAMBERS. In diesem Zusammenhang ist interessant, daß der britische Verlag Collins 1973 für begrenzte Zeit von dem amerkanischen Verlag World übernommen wurde und daß zwischen G.&C. Merriam (heute Merriam-Webster) und Longman im selben Jahr eine Vereinbarung über Zusammenarbeit getroffen wurde. Die ausländischen Einflüsse erklären sich also durch eine zunehmende internationale Zusammenarbeit zwischen den Verlagshäusern, vor allem im angloamerikanischen Bereich.11 Das Jahr 1982 wird von Ilson (1990:1970) als "dictionary war" im Bereich der allgemeinen einsprachigen Wörterbücher bezeichnet. Oxford University Press brachte COD in der siebten Auflage heraus; gleichzeitig erschienen bei Collins und Longman zwei konkurrierende Werke, die COD und CHAMBERS Marktanteile im Bereich der reinen Sprachwörterbücher streitig machen sollten. Es handelt sich dabei um THE NEW COLLINS CONCISE DICTIONARY OF THE ENGLISH LANGUAGE, d a s a u s d e m a m e r i k a n i s c h b e e i n f l u ß t e n COLLINS ENGLISH DICTIONARY ( 1 9 7 9 ) e n t s t a n d e n ist, u n d LONGMAN NEW UNIVERSAL DICTIONARY,

ein Produkt der Zusammenarbeit von Longman und Merriam, das wiederum dem Vorbild des amerikanischen college dictionary verpflichtet ist.12 Beide Wörterbücher sind um die enzyklopädische Komponente bereinigt, verraten aber ihre amerikanischen Wurzeln durch den Verzicht auf das Nesten von Komposita.13 1984 folgte LONGMAN DICTIONARY OF THE ENGLISH LANGUAGE n a c h ,

das durch

Erweiterung

aus

LONGMAN NEW

UNIVERSAL

DICTIONARY (1982) hervorgegangen war und als direkter Konkurrent zu CHAMBERS konzi-

piert war. Diesen Wörterbüchern gelang es jedoch nicht, den Repräsentanten der britischen Tradition auf dem Markt den Rang abzulaufen. Diese erschienen in mehreren Neuauflagen

8

Vgl. Böjoint (1994:64) und Ilson (1990:1975). Zum Begriff des enzyklopädischen Wörterbuchs und zu Abgrenzungsproblemen vom Sprachwörterbuch vgl. Hupka (1989a). Zu enzyklopädischen Zügen an englischen Wörterbüchern allgemein vgl. Hupka (1989a:994). Ю Zu diesen Merkmalen vgl. Ilson (1990:1968f.) und Ilson (1986:56ff.). 11 Vgl. Ilson (1990:1968). 12 Ab 1 9 8 5 unter dem Titel L O N G M A N CONCISE ENGLISH DICTIONARY. 13 Vgl. Ilson (1990:1970).

9

21 mit einigen Modernisierungen (wie z.B. der Einführung des Transkriptionssystems der IPA in COD8 1990), jedoch ohne wesentliche konzeptionelle Neuerungen. Insgesamt gesehen ist auf dem Markt der allgemeinen einsprachigen Wörterbücher in einem Band also zum einen ein traditionell britischer Traditionsstrang vorhanden, für den COD und CHAMBERS als Hauptvertreter genannt werden. Dazu kommen einige vor allem amerikanisch beeinflußte Wörterbücher enzyklopädischer oder rein sprachlicher Natur, die in den Materialauswertungen der vorliegenden Arbeit keine Berücksichtigung fanden. Auffällig ist, daß die Zeit um und nach 1982 zwar als "Wörterbuchkrieg" auf dem Gebiet der allgemeinen einsprachigen Wörterbücher bezeichnet wird, daß aber die Metalexikographie davon relativ wenig Notiz genommen hat. Dies ist zumindest der Eindruck, der bei der Durchsicht von einschlägigen Bibliographien entsteht - auf vergleichende Charakterisierungen von Wörterbüchern dieses Typs stößt man erheblich seltener, als dies etwa bei Lernerwörterbüchern der Fall ist. So ist wohl die Schlußfolgerung erlaubt, daß einbändige allgemeine Wörterbücher auf dem englischen Wörterbuchmarkt nicht die Spitzenposition einnehmen.14 Entsprechend erklärt sich auch, warum in der vorliegenden Untersuchung zentral nur COD und - am Rande - CHAMBERS einbezogen wurden. Ganz anders liegen die Dinge bei den englischen Lernerwörterbüchern, für die in der Materialuntersuchung

m i t OXFORD ADVANCED LEARNER'S DICTIONARY OF CURRENT

ENGLISH ( O A L D ) , LONGMAN DICTIONARY OF CONTEMPORARY ENGLISH ( L D O C E ) u n d COLLINS COBUILD ENGLISH DICTIONARY ( C O B U I L D ) g l e i c h d r e i V e r t r e t e r s t e h e n . 1 5 D e r

Typ des Wörterbuchs für fortgeschrittene ausländische Lerner ist eine spezifisch englische Entwicklung, die anderen nationalen Traditionen als Vorbild gedient hat, heute das Aushängeschild der englischsprachigen Lexikographie ist und die Aufmerksamkeit der in- und ausländischen Metalexikographie zumindest seit Beginn der achtziger Jahre in hohem M a ß e e r r e g t h a t . V o r r e i t e r w a r THE ADVANCED LEARNER'S DICTIONARY OF CURRENT

ENGLISH (1948) von A.S.Hornby, das direkt aus der Lehrtätigkeit Hornbys im Ausland h e r v o r g e g a n g e n w a r u n d b e r e i t s 1 9 4 2 u n t e r d e m T i t e l IDIOMATIC AND SYNTACTIC ENGLISH

DICTIONARY in Japan erschienen war.16 1948 wurde es von Oxford University Press übernommen und trägt seit der dritten Auflage von 1974 den Titel OXFORD ADVANCED LEARNER'S DICTIONARY OF CURRENT ENGLISH. M i t d e m E r s c h e i n e n v o n L D O C E l ( 1 9 7 8 )

und COBUILD1 (1987)17 wurde ein Konkurrenzkampf zwischen den drei großen britischen Verlagshäusern eröffnet, der zu rasch aufeinanderfolgenden Neuauflagen führte und 1995 im gleichzeitigen Erscheinen von Neuauflagen aller drei Wörterbücher gipfelte. Zusätzlich schaltete sich im selben Jahr Cambridge University Press mit CAMBRIDGE INTERNATIONAL DICTIONARY OF ENGLISH ( C I D E ) , e i n e m n e u e n W e r k d e s s e l b e n T y p s , in

den Konkurrenzkampf ein. Die seit 1995 vorliegenden Auflagen werden - eventuell mit gewissen Einschränkungen für den Marktneuling CIDE - als durchweg auf sehr hohem Niveau stehend und als quali-

14 15

16

17

Vgl. auch Böjoint (1994:78). C O B U I L D ist zwar nicht explizit als Lernerwörterbuch ausgewiesen, wird aber meist zu dieser Kategorie gerechnet; vgl. B6joint (1994:71). Zu weiteren Vorläufern, die ebenfalls aus fremdsprachendidaktischen Zusammenhängen stammten, und zur Genese des englischen Lernerwörterbuchs vgl. auch Cowie (1999). Der Titel der ersten Auflage lautet COLLINS COBUILD ENGLISH LANGUAGE DICTIONARY. .

22 tativ wie quantitativ relativ gleichwertig beurteilt.18 Die spezifischen Merkmale des Typus Lernerwörterbuch gegenüber dem allgemeinen einsprachigen Wörterbuch waren zum Teil schon in OALD1 angelegt. So zeichnet sich О ALDI durch einen hohen Reichtum an Verwendungsbeispielen und durch Konstruktionsangaben für Verben in Form von verb patterns aus, die im Kern auf Palmers THE GRAMMAR OF ENGLISH WORDS von 1938 zurück-

gehen. OALD1 ist damit in besonderem Maße als Produktionswörterbuch ausgewiesen. Diese Besonderheiten wurden in späteren Auflagen und konkurrierenden Wörterbüchern mit dem erklärten Ziel der von Wörterbuchkritikern angemahnten user-friendliness verbessert und ergänzt. Besondere Anliegen waren dabei die Verständlichkeit der Metasprache in Konstruktionsangaben und Definitionen sowie die Auffindbarkeit der Informationen. Die Patternangaben wurden systematisiert und auf andere Wortklassen ausgeweitet, durch Fallenlassen unnötiger Differenzierungen in ihrer Anzahl reduziert und damit überschaubarer gemacht und vor allem schrittweise in Hinblick auf Memorierbarkeit und Transparenz verbessert. Zur Erhöhung der Verständlichkeit der Definitionen beschritten LDOCE1 und COBUILD1 zwei unterschiedliche Wege, die beide Einfluß auf die konkurrierenden Werke nahmen. LDOCE1 führte ein begrenztes und computerkontrolliertes Definitionsvokabular ein, eine Idee, die von den anderen Lernerwörterbüchern aufgegriffen wurde, aber aufgrund von Problemen in der konkreten Anwendung inzwischen mit mehr oder weniger großer Flexibilität gehandhabt wird.19 Ähnlich wie bei den verb patterns wird hier die starke Verzahnung der englischen Lernerlexikographie mit der Fremdsprachendidaktik deutlich. COBUILD1 trat 1987 mit einem für den Wörterbuchtyp revolutionären Definitionsstil auf den Markt, nämlich der Definition in ganzen Sätzen. Die Neuerung wurde heftig diskutiert und auch kritisiert, fand aber großteils Anklang und wurde in LDOCE3 und CIDE, wenn auch nicht systematisch, übernommen.20 COBUILD1 war ebenfalls wegweisend fur die Nutzbarmachung großer Textkorpora und die computergestützte Auswertung mit Hilfe spezieller Softwareprogramme. Die anderen Verlage zogen mit eigenen Korpora nach, was zu einer radikalen Änderung und Verbesserung der Wörterbuchgeneration von 1995 geführt hat. Die Auswirkungen werden speziell im Bereich der Bedeutungsanalyse, der Artikelbaupläne, der Berücksichtigung von Kollokationen und der Frage nach Quellen für geeignete lexikographische Beispiele diskutiert. Was die Auffindbarkeit der Informationen in Lernerwörterbüchern angeht, so richtet sich die Aufmerksamkeit der Metalexikographie einerseits auf die Anordnungsformen der Makrostruktur in Hinblick auf die Behandlung von Ableitungen und Komposita, andererseits auf die Behandlung von lexikalischer Mehrdeutigkeit, wo die Entscheidung fallen muß, ob ein oder mehrere Lemmata angesetzt werden. Hier wurde mit unterschiedlichen

18

19

20

Zur Gleichwertigkeit der Lernerwörterbücher vgl. Herbst (1996:322, 344f.) und Walter (1996:356). Zur Skepsis gegenüber CIDE vgl. Herbst (1996:354). Zur Problematik vgl. Herbst (1986). COBUILD (XI) beruft sich hier relativ vage auf das Prinzip, zum Definieren wenn möglich Wörter zu verwenden, die eine höhere Frequenz als die definierten Wörter haben, während die anderen Lernerwörterbücher im Anhang Listen des Definitionsvokabulars abdrucken. Zur Geschichte des kontrollierten Definitionsvokabulars in der englischen Lernerlexikographie vgl. Cowie (1999:23ff.). Zur Kritik vgl. Hausmann/Gorbahn (1989) - interessanterweise kommt hier die Kritik von romanistischer Seite.

23 Mitteln experimentiert, die von einer radikalen Einfachlemmatisierung ohne Berücksichtigung von Wortklassenunterschieden in COBUILD1 bis zur radikalen Mehrfachlemmatisierung in CIDE reichen - zwei Lösungen, die gleichermaßen als problematisch beurteilt werden.21 Als zusätzliche Hilfsmittel zur Erleichterung der Auffindung von Bedeutungen werden heute signposts, menus (LDOCE), headings (LDOCE, OALD, COBUILD) und guidewords (CIDE) eingesetzt. Einen ähnlichen Zweck erfüllt auch die extra column von COBUILD, die der Vermittlung von Informationen zu Konstruktion, Paradigmatik und Frequenz der Einheiten getrennt vom eigentlichen Text des Wörterbuchartikels dient. Auffallig an der Entwicklung der englischen Lernerwörterbücher sind die tiefgreifenden Veränderungen von Auflage zu Auflage, die zu einem guten Teil auf Anregungen aus der Wörterbuchkritik zurückgehen und von einer großen Offenheit gegenüber der wissenschaftlichen Metalexikographie zeugen.22 Auch die Bereitschaft zum Kopieren von erfolgreichen Neuerungen aus konkurrierenden Werken scheint hoch zu sein. Beides läßt auf einen großen und hart umkämpften Markt mit hervorragenden Absatzmöglichkeiten schließen, der einerseits einen Zwang zur Profilierung durch ständig verbesserte Modelle auferlegt, andererseits aber auch Innovationen rentabel macht und damit die Investitionsbereitschaft fordert. Verständlich wird diese Situation vor dem Hintergrund des Englischen als Weltsprache bzw. als meistgelehrte Fremdsprache.23 Die enge Verzahnung von englischer Lernerlexikographie und Fremdsprachendidaktik wurde bereits angesprochen. So ist es angesichts des Booms der Didaktik des Englischen als Fremdsprache nach dem Zweiten Weltkrieg nicht erstaunlich, daß auch die Lernerlexikographie einen enormen Aufschwung erlebte.24 Wie groß die Nachfrage auf diesem Markt ist, wird auch dadurch deutlich, daß parallel zu den hier zur Diskussion stehenden "klassischen" Lernerwörterbüchern weitere Werke für denselben Adressatenkreis entwickelt wurden. So erschienen 1992, d.h. wiederum in ein und demselben Jahr, enzyklopädische Versionen von LDOCE und OALD, die den Text von OALD4 und LDOCE2 praktisch übernehmen, ihn aber um enzyklopädische Einträge und kulturelle Informationen zum Wortschatz auf der Ebene der Konnotationen erweitern. Zusätzlich sind ganzseitige Artikel zu Themen der englischen Kultur, Landkarten und zahlreiche Illustrationen enthalten.25 1993 gab Longman den L O N G M A N L A N G U A G E A C T I V A T O R heraus, einen thesaurusartigen Abkömmling von LDOCE speziell für Produktionszwecke. Zusammenfassend kann also gesagt werden, daß sich der eigentliche "Wörterbuchkrieg" im Bereich der einsprachigen englischen Lexikographie zur Zeit vor allem auf dem Markt der Wörterbücher für ausländische Lerner abspielt, die deshalb in der vorliegenden Arbeit auch besonders stark repräsentiert sind. Während die erste Auflage des A D V A N C E D L E A R N E R ' S D I C T I O N A R Y den Typus des Lernerwörterbuchs begründete, das entsprechend den Bedürfhissen des Adressatenkreises nicht nur Hilfe beim Dekodieren, sondern vor

2

1 Vgl. Vgl. 23 Vgl. 24 Vgl. 22

25

Herbst (1996:349f.) zu CIDE und Herbst (1990:1380f.) zu COBUILD. Heath/Herbst (1994:148). Heath/Herbst (1994:148). Böjoint (1994:74).

Z u LONGMAN DICTIONARY OF ENGLISH LANGUAGE AND CULTURE ( 1 9 9 2 ) u n d OXFORD ADVANCED LEARNER'S DICTIONARY OF CURRENT ENGLISH. ENCYCLOPEDIC EDITION ( 1 9 9 2 ) v g l . H e r b s t ( 1 9 9 3 ) ,

Heath/Herbst (1993) und Heath/Herbst (1994). Auch zu COD gibt es eine enzyklopädische Vers i o n m i t d e m Titel THE OXFORD ENCYCLOPEDIC ENGLISH DICTIONARY ( 1 9 9 1 ) .

24 allem auch beim Enkodieren bieten sollte, konzentrierten sich spätere Werke und Neuauflagen auf die Verbesserung der Präsentation und die Zugänglichkeit der Information. Dies führte dazu, daß sich das englische Lernerwörterbuch als Typ innerhalb kurzer Zeit recht stark verändert hat. Das Motto der Benutzerfreundlichkeit deutet dabei auf einen Trend zur verstärkten Berücksichtigung der Ergebnisse der Wörterbuchbenutzungsforschung, eines Zweiges der Metalexikographie, der besonders in England und Deutschland Interesse findet.^

2.2 Der französische Wörterbuchmarkt

Im Bereich französischer allgemeiner einsprachiger Wörterbücher in einem Band wurden f ü r d i e v o r l i e g e n d e A r b e i t LE NOUVEAU PETIT ROBERT ( N P R ) , DICTIONNAIRE DE LA LANGUE FRANQAISE. LEXIS ( L E X I S ) u n d PETIT LAROUSSE ILLUSTRE ( P L ) g e w ä h l t . D a m i t

sind die beiden in Frankreich maßgeblichen Traditionsstränge des einsprachigen Wörterbuchs - Sprachwörterbuch (dictionnaire de langue) und enzyklopädisches Wörterbuch (dictionnaire encyclopedique) - repräsentiert.27 Im Gegensatz zur Situation in England hat dieser Dualismus in Frankreich eine lange einheimische Tradition mit prestigeträchtigen historischen Vorläufern auf beiden Seiten. So standen im 17. Jahrhundert die enzyklopädisch-terminologisch ausgerichteten Wörterbücher von Richelet (RJCHELET 1680) und F u r e t i d r e (FURETIERE 1 6 9 0 ) d e m rein s p r a c h l i c h e n DICTIONNAIRE DE L'ACADEMIE ( 1 6 9 4 )

gegenüber. Die Unterscheidung verfestigte sich im 19. Jahrhundert mit den Werken von Larousse und Littrö, wobei naheliegt, anzunehmen, daß die enzyklopädische Tradition auch von der ENCYCLOPEDIE Diderots und D'Alemberts (1751-1780,35 Bde.) befruchtet wurde. Für die enzyklopädische Tradition, die seit dem 19. Jahrhundert ungebrochen fortgeführt wurde, steht bis heute vor allem das Verlagshaus Larousse. Die Tradition des dictionnaire de langue

e r f u h r n a c h d e m DICTIONNAIRE DE LA LANGUE FRAN£AISE (LITTRE 1 8 6 3 - 1 8 7 3 , 4

B d e . , supplement

1 8 7 7 ) u n d d e m DICTIONNAIRE GENERAL (HATZFELD/DARMESTETER

1890-1900, 2 Bde.) einen Bruch von einem halben Jahrhundert, bevor sie durch das DICTIONNAIRE ALPHABETIQUE ET ANALOGIQUE DE LA LANGUE FRANQAISE v o n P a u l R o b e r t (GRAND ROBERT, G R , 1 9 5 3 - 1 9 6 4 , 6 B d e . , supplement

1970) wiederbelebt wurde. Das

Erscheinen dieses Wörterbuchs, das von seiner ursprünglichen Planung als "Nouveau Littrö" zu einer völlig neuen Konzeption gedieh, war gleichbedeutend mit dem Durchbrechen der Monopolstellung des Hauses Larousse auf dem französischen Wörterbuchmarkt. Es folgten weitere mehrbändige Sprachwörterbücher, so der GRAND LAROUSSE DE LA LANGUE FRANCAISE ( G L L F 1 9 7 1 - 1 9 7 8 , 7 B d e . ) u n d d e r TRESOR DE LA LANGUE FRANCAISE

(TLF 1971-1994, 16 Bde.), der durch eine bis dahin einzigartige computergestützte Materialbasis von sich reden machte. All diese Wörterbücher sind nach historisch-philologischen 26 Vgl. B6joint (1994:110) und Herbst (1990:1379,1384). 27

PL, dessen zweiter Teil eine reine Enzyklopädie ist, wird mit Hupka (1989a:995) als enzyklopädisches Wörterbuch klassifiziert, da sein erster Teil den in Hupka (1989a:990) genannten Charakteristika des enzyklopädischen Wörterbuchs weitgehend entspricht und fur die Klassifizierung laut Hupka (1989a:995) nur der erste (Sprach-) Teil berücksichtigt wird.

25 Prinzipien konzipiert und zeichnen sich durch Erstbelege, etymologische Angaben und zahlreiche literarische Zitate aus. Parallel dazu wurde die Tradition der großen enzyklopäd i s c h e n W ö r t e r b ü c h e r m i t GRAND LAROUSSE ENCYCLOPEDIQUE ( 1 9 6 0 - 1 9 6 4 , 10 B d e . , 2 supplements

1968, 1975), GRAND DICTIONNAIRE ENCYCLOPEDIQUE LAROUSSE ( 1 9 8 2 - 1 9 8 5 ,

10 B d e . ) u n d d e n N e u a u f l a g e n d e s DICTIONNAIRE ENCYCLOPEDIQUE QUILLET ( 1 9 8 3 , z u -

letzt 8 Bde., supplement 1994) fortgesetzt. Bemerkenswert im Vergleich zu England ist der große Reichtum an im 20. Jahrhundert völlig neu konzipierten mehrbändigen Wörterbüchern, denen England nur die supplements zu OED und die konzeptionell nicht entscheidend veränderte Neuauflage von 1989 entgegenzusetzen hat. Zudem muß bedacht werden, daß sich französische Wörterbücher vom Typ eines GR oder TLF zumindest theoretisch an ein recht breites Publikum kultivierter Muttersprachler richten, während OED nach wie vor in erster Linie ein Wörterbuch für den Wissenschaftler bleibt.28 Mit seinem Urteil über die lexikographische Überlegenheit Frankreichs bezieht sich Hausmann (1985b) nun einerseits auf diese reiche Produktion, zum anderen nimmt er Bezug auf die "dictionnaires d'usage ä un volume" (1985b:26), die bei ihm beide der hier untersuchten Wörterbuchkategorien umfassen. Im Bereich der allgemeinen einsprachigen Wörterbücher bahnte sich 1967 die entscheidende Wende an. Bis dahin hatte der enzyklop ä d i s c h e PETIT LAROUSSE, d e r a u f d a s 1 8 5 6 e r s t m a l s e r s c h i e n e n e NOUVEAU DICTIONNAIRE

DE LA LANGUE FRANQAISE von Pierre Larousse zurückgeht und seit 1905 unter dem Titel PETIT LAROUSSE ILLUSTRE b z w . PETIT LAROUSSE EN COULEURS e r s c h i e n e n w a r , d e n M a r k t

praktisch beherrscht. 1967 bekam er Konkurrenz durch PETIT ROBERT (PR), ein reines Sprachwörterbuch, das durch eine stark modifizierende Verkürzung aus GR hervorgegangen war und in der Metalexikographie als das beste einbändige einsprachige Wörterbuch überhaupt gefeiert wird.29 Larousse reagierte 1975 mit LEXIS, ebenfalls einem dictionnaire de langue, das die Nomenklatur und den strukturellen Aufbau des selektiveren DICTIONNAIRE DU FRANQAIS CONTEMPORAIN (DFC) vollständig übernahm, aber um neue

Lemmata, Definitionen und literarische Zitate erweiterte und eine diachronische Komponente hinzufügte. Der sich daraus ergebende hybride Charakter wurde verschiedentlich kritisiert.30 Das Verlagshaus Hachette schaltete sich mit dem enzyklopädischen DICTIONNAIRE HACHETTE (1980) und dem um die enzyklopädische Komponente bereinigten DICTIONNAIRE HACHETTE DE LA LANGUE FRANQAISE ( 1 9 8 0 ) in d e n K o n k u r r e n z k a m p f ein,

ohne allerdings die Position der Konkurrenten zu gefährden. Die Konkurrenz auf dem Markt einbändiger allgemeiner einsprachiger Wörterbücher scheint also in Frankreich größer zu sein als in England. Die rege Aktivität spiegelt sich in vergleichsweise häufigen Neuauflagen der wichtigsten Vertreter. PR kam 1977 in zweiter Auflage auf den Markt und wurde jährlich leicht aktualisiert. 1993 erfolgte eine grundle-

28

29

Vgl. hierzu das Vorwort von TLF (1971-1994:[s.p.]): "Mais n'y avait-il pas aussi en France, dans les pays francophones, et un peu partout dans le monde, un public cultiv0 qui lit, parle, dcrit, et qui a besoin d'un ouvrage de röference lui garantissant ä la fois l'exacte interpretation de ce qu'il entend ou lit, et des modules autorisds pour ce qu'il a ä dire et surtout ä 6crire? C'est en fin de compte ä ce public que, par-delä les universitaires, nous destinions principalement notre ouvrage". Im Vorwort von OED2 (1989: [VII]) wird dagegen der Beitrag, den das Wörterbuch zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die englische Sprache geleistet hat, betont.

Hausmann (1985b:26). 30 Vgl. z.B. Rey (1990:1833).

26 gende Modernisierung und Anpassung an den modernen Sprachgebrauch, wobei die altbewährte Konzeption auch im NOUVEAU PETIT ROBERT im wesentlichen beibehalten wurde. 31 PL wird jährlich zum Schuljahresbeginn unter reger Anteilnahme der Medien neu aufgelegt (die letzten größeren Überarbeitungen stammen von 1989 und 1997) und wirbt dabei mit der Berücksichtigung der neuesten Neologismen. Schließlich gab das Verlagshaus Robert m i t L E ROBERT POUR TOUS ( R t o u s , 1 9 9 4 ) u n d LE ROBERT QUOTIDIEN ( R q u o t , 1 9 9 6 ) z w e i

neue Wörterbücher geringeren Umfangs fur ein allgemeines Publikum heraus, die in der vorliegenden Arbeit nicht mehr berücksichtigt wurden, aber zeigen, daß der Markt weiterhin aufnahmefähig bleibt. Wenn häufige Neuauflagen und erst kürzlich erschienene neue Titel ein Maß fur die aktuelle Bedeutung eines Wörterbuchtyps in einer Wörterbuchlandschaft sind, so ist damit gerechtfertigt, daß hier gleich drei Vertreter des allgemeinen einsprachigen Wörterbuchs auf französischer Seite in die Untersuchung einbezogen werden. Der Konkurrenzkampf um Marktanteile bei den allgemeinen einbändigen Wörterbüchern wurde von der Metalexikographie mit großem Interesse verfolgt. Dabei wurde PR besondere Aufmerksamkeit zuteil. Diskutiert wurden unter anderem die Auswahl der zitierten Beispiele und die Entscheidung für eine glattalphabetische Makrostruktur im Gegensatz zu den Ableitungs- und Kompositanestern der ersten Auflage von GR. Besonderes Lob fanden der syntagmatische Reichtum, der deskriptive Charakter im Gegensatz zu einer offenbar größeren Präskriptivität früherer Wörterbücher und das "Analogieprinzip", Markenzeichen des Verlagshauses Robert und revolutionierende Idee Paul Roberts für GR. 32 Die Grundidee ist dabei, daß in die Wörterbuchartikel Informationen integriert werden, die normalerweise in einem dictionnaire analogique zu finden sind, d.h. einem alphabetisierten onomasiologischen Wörterbuch, wie es in Frankreich auch als Spezialwörterbuch verbreitet ist. Jeder Artikel enthält dadurch eine Fülle an paradigmatischen Informationen. Zusammen mit dem großen Reichtum an syntagmatischer Information gewährleistet dies, daß PR nicht nur als Dekodierwörterbuch, sondern auch als Produktionswörterbuch für den gebildeten Muttersprachler dienen kann - eine Funktion, die insbesondere von englischen Lernerwörterbüchern in Bezug auf deren Zielgruppe bekannt ist und der in Frankreich offenbar in Bezug auf allgemeine einsprachige Wörterbücher großer Wert beigemessen wird. 33 Die französische Metalexikographie geht ganz offensichtlich davon aus, daß nicht nur Lernerwörterbücher, sondern auch Wörterbücher für ein allgemeines Publikum ein pädagogisches Anliegen verfolgen. Die Larousse-Wörterbücher des 19. Jahrhunderts, darunter auch der Vorläufer von PL, waren aus einem republikanischen Erziehungsideal heraus entstanden. 34 Paul Robert verfolgte bei der Erneuerung des Littre durch die Einführung des Analogieprinzips eine didaktische Zielsetzung, 35 und auch Rey betont im Vorwort zu Rtous (IX) den didaktischen Auftrag von Wörterbüchern über die Schule hinaus. Dubois/Dubois (1971:49)

31 Vgl. Heinz (1994). 32 Vgl. Hausmann (1997:181). 33

Vgl. Heinz (1994:102) und Bejoint (1994:85), der daraufhinweist, daß enkodierrelevante Informationen in "general-purpose dictionaries for native speakers" zunächst in amerikanischen Wörterbüchern mit Usage Notes und in französischen, speziell der Robert-Serie, üblich waren und daß England jetzt langsam nachzieht.

3" Vgl. Rey(1990:1820ff.). 35 Vgl. Rey (1990:1828).

27 stellen fest: "Le dictionnaire appartient au genre didactique et, ä l'int0rieur de ce genre, 1'ёпопсё lexicographique a les caracteres principaux du discours pedagogique".36 Die späten sechziger Jahre brachten auch die entscheidende Entwicklung auf dem Markt d e r L e r n e r w ö r t e r b ü c h e r , f u r die h i e r DICTIONNAIRE DU FRANCAIS AU COLLEGE ( D F C o l l )

und MICRO-ROBERT (MR) als repräsentativ ausgewählt wurden. Der Vorläufer von D F C o l l , DICTIONNAIRE DU FRANCAIS CONTEMPORAIN ( D F C 1

1966), w a r d a s e r s t e v o n

mehreren Wörterbüchern dieses Typs, die mit ca. 25 000 bis 35 000 Einträgen die Gruppe mit dem umfangreichsten Lemmabestand unter den selektiven Wörterbüchern in Frankreich darstellen. Damit bleiben sie zwar im Umfang etwas hinter den hier untersuchten englischen Lernerwörterbüchern zurück, bieten sich aber dennoch am ehesten zum Vergleich an. Interessant ist nun, daß die französischen Lernerwörterbücher von der Metalexikographie primär als Lernerwörterbücher für Muttersprachler, d.h. für französische Schüler, und erst sekundär als Wörterbücher für Ausländer eingeordnet werden.37 Für ausländische Lerner existiert in Frankreich dagegen eine Tradition, die sich an wenig fortgeschrittene Lerner wendet und in anderen nationalen Wörterbuchlandschaften kein Pendant findet. Diese Tradition gipfelte in dem als hervorragend beurteilten DICTIONNAIRE DU FRANCAIS LANGUE ETRANGERE, Niveau 1 (1978) und Niveau 2 (1979) von Jean Dubois und Franijoise Dubois-Charlier.38 Wegen ihres erheblich selektiveren Charakters wurden diese Wörterbücher allerdings hier nicht berücksichtigt. Die Aktivität und Konkurrenz auf dem Markt der Schulwörterbücher ist sehr groß. DFC wurde 1971 und 1976 bei Larousse neu aufgelegt und erschien 1980 in bebilderter Form als NOUVEAU DICTIONNAIRE DU FRANCAIS CONTEMPORAIN ILLUSTRE. A b 1 9 8 6 w u r d e es d u r c h

seine Nachfolger DFColl bzw. DICTIONNAIRE DE FRANCAIS (DDF) abgelöst und nach dem 1. Juli 1989 endgültig vom Markt zurückgezogen.39 An viel beachteten konkurrierenden Werken fehlt es nicht. Das Verlagshaus Robert brachte 1971 mit MICRO-ROBERT. DICTIONNAIRE DU FRANCAIS PRIMORDIAL (MR) ein weiteres Glied seiner Verkürzungsserie

aus GR heraus, das mehrmals neu aufgelegt wurde, auch im Taschenbuchformat als ROBERT MICRO POCHE e r s c h i e n u n d seit 1988 d e n U n t e r t i t e l DICTIONNAIRE D'APPREN-

TISSAGE DE LA LANGUE FRANQAISE trägt. Ebenfalls aus dem Haus Robert stammt LE ROBERT METHODIQUE (1982). Bei Bordas erschien 1972 der inzwischen vergriffene DICTIONNAIRE DU FRANCAIS VIVANT (DFV). Hachette schließlich brachte 1987 den DICTIONNAIRE PRATIQUE DU FRANCAIS a u f d e n M a r k t , d e r v o n d e r M e t a l e x i k o g r a p h i e w e -

niger beachtet wurde als die anderen Lernerwörterbücher und weniger gute Beurteilungen erhielt.40 Die Entwicklungen auf dem Markt dieser Wörterbücher wurden von der Metalexikographie aufmerksam verfolgt und diskutiert. Auffällig an den französischen Lernerwörterbüchern ist ihre Rückbindung an linguistische Schulen oder Positionen, wie sie in der vorliegenden Arbeit als Element von "Kultur" interessieren. Besonders DFC erregte als "linguistisches" Wörterbuch Aufsehen. Hervorgehoben werden die streng auf die Gegenwarts36 37

38 39 40

Die Hervorhebungen hier und in den übrigen Zitaten entsprechen den zitierten Quellen. Vgl. Hausmann (1985b:29) und Lagane (1990). Eine Ausnahme in der Einordnung bildet Zöfgen (1994). Zu dieser Tradition vgl. Hausmann (1985b:29f.) und Hausmann (1990c: 1388). Vgl. Ettinger (1991:22). Vgl. Schafroth (1995:134).

28

spräche bezogene Synchronic innerhalb einer ansonsten stark diachron ausgerichteten Wörterbuchlandschaft, der deskriptive Charakter und die Ordnung der Lemmata nach distributioneilen und morphologischen Gesichtspunkten unter Durchbrechen der alphabetischen Reihenfolge. Dies beinhaltet zum einen eine systematische Homonymendifferenzierung entsprechend der Distribution und den Ableitungsmöglichkeiten der Wörter (degroupement), zum anderen die Gruppierung von Ableitungs- und Kompositionsserien im Textblock bei dem lemmatisierten einfachen Wort (regroupement).41 Die Neuerungen von DFC blieben nicht unumstritten. Das Nachfolgewerk DFColl nahm einen Großteil davon wieder zurück - sehr zum Bedauern derjenigen Kritiker, die die Eignung von DFC als Produktionsund Lernwörterbuch lobend hervorgehoben hatten. Die Unterschiede zwischen DFColl und DFC und die Schlüsse, die man daraus auf die französische lexikographische Tradition ziehen kann, werden im Verlauf der Materialuntersuchungen herauszuarbeiten sein. Hier sei aber schon gesagt, daß die französische Lehrerschaft, die ein besser zum Dekodieren geeignetes Wörterbuch wünschte (sicher ein Reflex der besonderen Bedürfnisse des Adressatenkreises von muttersprachlichen Lernern), aktiv in die Debatte eingriff.42 Die Frage nach den Anordnungsprinzipien der Makrostruktur in Hinblick auf die Reihenfolge der Lemmata im Verhältnis zum Alphabet und eventuelle Gruppierungen und nach der Politik gegenüber lexikalischer Mehrdeutigkeit spielte auch bei den beiden Auflagen von MR eine Rolle. MR1 (1971) praktizierte, anders als der weitgehend glattalphabetische PR, eine äußerst zurückhaltende und alphabetnahe Nestbildung, die in der Metalexikographie als "souci de bien s'affirmer comme dictionnaire de consultation" gewertet wird (Lagane 1990:1373). Die neue Auflage nestet etwas stärker, ohne jedoch in die Nähe von DFC zu gelangen. Eine sehr radikale Nestbildung praktiziert das heute nicht mehr verlegte DFV. Dabei spielen neben morphologischen auch etymologische Kriterien eine Rolle. Aus linguistischer Sicht erregte DFV dadurch Aufsehen, daß die lexikographischen Beispiele in Form von ganzen Sätzen den Definitionen vorausgehen. Dies entsprach der Skepsis des Linguisten und Mitverfassers Marcel Cohen gegenüber der Saussureschen Trennung von langue und parole und galt für Anhänger der "ddfinition rigoureuse" als nicht akzeptabel bzw. allenfalls einem Kinderwörterbuch angemessen.43 Für die Bewertung der Charakteristika von DFV im Rahmen der französischen Wörterbuchlandschaft muß im Auge behalten werden, daß sich das Wörterbuch auf dem Markt nicht halten konnte. Dies ist auch der Grund, weshalb es nicht in die vorliegende Untersuchung einbezogen wurde. LE ROBERT METHODIQUE schließlich ist ein vom morphosemantischen Distributionalismus geprägtes Wörterbuch, das als Lemmata nicht nur "Wörter", sondern auch gebundene Morpheme aufführt und damit bereits stark in die Nähe eines paradigmatischen Spezialwörterbuchs rückt. In der englischen Wörterbuchlandschaft gibt es zu diesem Wörterbuchtyp kein Pendant. 41

Der Terminus regroupement wird in der französischen Metalexikographie in der Regel mit Bezug auf Wörterbücher mit radikal nestalphabetischer Makrostruktur und Gruppierung von Komposita und Ableitungen im Textblock hinter dem einfachen Wort angewandt, speziell auf die DFC-Serie. Ein Durchbrechen der alphabetischen Reihenfolge ist allerdings per Definition nicht unbedingt impliziert, vgl. den Gebrauch des Terminus bei Lagane (1990:1373). Zur terminologischen Differenzierung in der vorliegenden Arbeit vgl. im einzelnen Kapitel 5.4. « Vgl. Lagane (1990:1372). « Lagane (1990:1375); vgl. auch Rey-Debove (1971:301) und Rey (1995a: 108).

29 Ein weiterer Punkt schließlich, der an den französischen Lernerwörterbüchern auffällt, ist ihre häufige Anbindung an allgemeine einbändige Wörterbücher über die Bildung von Serien. MR steht von den Definitionen und der Materialbasis her (N)PR nahe. DFC (und damit in gewisser Weise auch DFColl) gehört in eine Serie mit LEXIS, wobei allerdings hier das umfangreichere Werk aus dem selektiveren hervorgegangen ist. Bei den RobertWörterbüchern erstreckt sich die Verkürzungsserie sogar vom mehrbändigen philologischen GR über den einbändigen PR bis hin zum Lernerwörterbuch MR. Von der Entstehungsgeschichte her besteht also eine starke Bindung zwischen Lernerwörterbüchern und Wörterbüchern für ein allgemeines Publikum, die berücksichtigt werden muß, wenn im Verlauf der Arbeit nach den Beziehungen zwischen den einzelnen Wörterbuchtypen gefragt wird.

2.3 Die beiden Wörterbuchmärkte im Vergleich

Zusammenfassend lassen sich einige vorläufige Ergebnisse aus dem Überblick über die beiden Wörterbuchmärkte festhalten. Was die Gesamtlage angeht, so scheint in beiden Ländern auf den Märkten für Lernerwörterbücher große Konkurrenz zu herrschen. Allerdings zielen die beiden Märkte auf unterschiedliche Adressatenkreise. In England wird, bedingt durch die Stellung des Englischen als Weltsprache, ein internationales Fremdspracheniernerpublikum anvisiert. Die französischen Lernerwörterbücher vergleichbaren Umfangs wenden sich dagegen an ein muttersprachliches Lernerpublikum, also an einen erheblich kleineren Markt. Was die Größenordnung der Märkte mit all ihren kommerziellen Konsequenzen angeht, so kann Frankreich also hier wohl nicht mit England mithalten. Symptomatisch für die englischen Lernerwörterbücher sind die starken Veränderungen von Auflage zu Auflage, die darauf hindeuten, daß hier Mittel verfügbar gemacht werden, wie sie weder für allgemeine einsprachige Wörterbücher in England noch in der gesamten französischen Wörterbuchlandschaft vorhanden sind. Allerdings muß gesagt werden, daß der Markt für muttersprachliche Lerner in Frankreich eine ganz besondere und bewußte Pflege erfährt. Die Wörterbücher sind nämlich offenbar stark in den Schulunterricht eingebunden, wie schon der Titel DICTIONNAIRE DU FRANCAIS AU COLLEGE zeigt und wie auch der Einfluß der Lehrerschaft als pressure group auf die Gestaltung von Wörterbüchern deutlich macht. In diesem Zusammenhang ist interessant, daß das Ministöre de l'Education nationale eine Broschüre mit dem Titel Les dictionnaires, outils pedagogiques et culturels: document de travail herausgibt, die Empfehlungen über den Gebrauch von Wörterbüchern im Schulunterricht gibt.44 Die Pflege der Muttersprache mit Hilfe von Wörterbüchern scheint also in Frankreich eine besondere Rolle zu spielen. Dies wird spürbar bis hinein in die einbändigen allgemeinen Wörterbücher, denen explizit eine Funktion nicht nur als Dekodier-, sondern auch als Enkodierhilfe und ein pädagogisches Anliegen zugeschrieben werden. In England dagegen ist die Enkodierfunktion nur für Lernerwörterbücher relevant; allgemeine Wörterbücher werden vor allem als Dekodierhilfe betrachtet. Mit der erweiterten Funktionalität des allgemeinen einsprachigen Wörterbuchs in Frankreich steht in Zu44

Vgl. Lagane (1990:1378).

30

sammenhang, daß diesem Wörterbuchtyp in der Gesellschaft offenbar eine größere Bedeutung beigemessen wird als in England, wie die stärkere Konkurrenz auf dem Markt, die häufigen Neuauflagen und die stärkere metalexikographische Diskussion zeigen. Zudem sind in Frankreich zwei einheimische und im metalexikographischen Bewußtsein klar voneinander geschiedene Traditionsstränge vorhanden - das dictionnaire de langue und das dictionnaire encyclopedique -, während bedeutende enzyklopädische Wörterbücher der hier untersuchten Größenordnung nach dem Zweiten Weltkrieg in England nur als "Importprodukte" existieren. Damit ist für die vorliegende Arbeit die Einbeziehung eines enzyklopädischen Wörterbuchs auf französischer Seite und die quantitativ ungleichgewichtige Auswahl der Vertreter fur die einzelnen Wörterbuchtypen gerechtfertigt. Als Elemente des "kulturellen" Hintergrunds, auf deren eventuelle Bedeutung für die Konzeption der Wörterbücher im weiteren Verlauf der Arbeit geachtet werden muß, sind die unterschiedlichen Adressatenkreise für Lernerwörterbücher und die unterschiedlichen Funktionen der Wörterbuchtypen in Hinblick auf enkodierende oder dekodierende Benutzungssituationen und pädagogische Anliegen festzuhalten. Mit der Erwähnung der unterschiedlichen Funktionen von allgemeinem Wörterbuch und Lernerwörterbuch ist ein Aspekt angeschnitten, der im weiteren Verlauf der Arbeit Beachtung verdient: In der französischen Wörterbuchlandschaft scheinen sich allgemeine einsprachige Wörterbücher und Lernerwörterbücher von ihrer Funktion her näher zu stehen als in der englischen. In Frankreich sind beide Wörterbuchtypen im Prinzip sowohl für Dekodier- als auch für Enkodierzwecke vorgesehen, während in der englischen Wörterbuchlandschaft eine klare Aufgabenteilung und damit ein Bruch besteht. Verständlich wird dies vor dem Hintergrund der Adressatenkreise, die sich ja in Frankreich im Grunde nur im Alter unterscheiden, in England dagegen weit stärker auseinanderfallen und entsprechend ganz verschiedene Bedürfnisse haben. Die Verwandschaft zwischen den beiden Wörterbuchtypen in Frankreich äußert sich auch in der starken Tendenz zur Bildung von Serien, die Wörterbücher beider Kategorien miteinander verbinden und im Fall der Robert-Serie sogar ein großes philologisches Wörterbuch mit einschließen. Selbstverständlich existiert das Phänomen der Serienbildung auch in England. Was die hier untersuchten Wörterbücher angeht, so besteht von der Entstehungsgeschichte her eine Beziehung zwischen COD und OED; die Lernerwörterbücher sind dagegen nicht als direkte Verkürzungen umfangreicherer Wörterbücher entstanden.45 Schließlich gibt es in Frankreich noch einen weiteren Berührungspunkt zwischen den beiden hier untersuchten Wörterbuchtypen, der in England nicht in derselben Weise gegeben ist: Die "Leitthemen" der metalexikographischen Diskussion über das allgemeine einsprachige Wörterbuch und das Lernerwörterbuch scheinen näher beieinander zu liegen, als dies in England der Fall ist. Zentrale Diskussionsthemen für beide Wörterbuchtypen sind in Frankreich die Fragen nach Anordnungsformen der Makrostruktur (d.h. nach Nischen- oder Nestbildung oder Verzicht darauf), nach Deskriptivität oder Präskriptivität und nach der Einbeziehung der Diachronie. In England dagegen finden die Hauptthemen der Diskussion um Lernerwörterbücher wenig Echo in der Besprechung muttersprachlicher Wörterbücher. Zu denken ist etwa an Konstruktionsangaben, Definitionstechniken, Anordnungsformen 45

Vgl. allerdings Cowie

47ff.) zu Beziehungen zwischen dem IDIOMATIC A N D SYNTACTIC von Hornby und C O D 3 ( 1 9 3 4 ) , die jedoch nicht als Verkürzung im eigentlichen Sinne betrachtet werden können, zumal umfangreiches Beispielmaterial hinzukam. (1999:

ENGLISH DICTIONARY ( 1 9 4 2 )

31 der Makrostruktur, Lemmatisierungsentscheidungen bei lexikalischer Mehrdeutigkeit (Einfach- oder Mehrfachlemmatisierung), die Auswahl adressatengerechter Beispiele und die Einsatzmöglichkeiten des Computers. Auffällig ist, daß in englischen Wörterbüchern stets eine erhöhte Benutzerfreundlichkeit im Zentrum von Neuentwicklungen stand, während konzeptionelle Fragen in französischen Lernerwörterbüchern nicht nur im Zusammenhang mit der Benutzerfreundlichkeit diskutiert werden, sondern auch in Verbindung mit linguistischen Positionen. So liegt der Verdacht nahe, daß diese Bereiche, die hier beide als Teile von "Kultur" behandelt werden, bei der Konzeption der Wörterbücher in unterschiedlichem Grad berücksichtigt wurden. Die Frage nach der Gewichtung unterschiedlicher Elemente des kulturellen Umfelds soll daher im Auge behalten werden. Interessant ist, daß zwei Wörterbücher, die aus linguistischer Sicht starke Aufmerksamkeit erregten - DFC und DFV - den "Markttest" offenbar nicht bestanden haben und heute entweder gar nicht mehr oder in weniger auffälliger Form - und vielleicht den Bedürfhissen der Benutzer besser angepaßt - herausgegeben werden. Vergleicht man nun die metalexikographische Diskussion zur englischen und zur französischen Wörterbuchlandschaft, so zeigt sich, daß sich die Leitthemen teils decken, teils aber auch in ganz verschiedene Richtungen gehen. Beides kann helfen, Ansatzpunkte für den Vergleich der Wörterbuchlandschaften zu finden. In beiden Wörterbuchlandschaften werden die Fragen nach Definitionstechniken, nach Quellen für lexikographische Beispiele, nach Anordnungsformen der Makrostruktur und nach Einfach- bzw. Mehrfachlemmatisierung bei lexikalischer Mehrdeutigkeit gestellt. Hier wird im Verlauf der Arbeit zu zeigen sein, ob verschiedene Wege eingeschlagen werden und ob sich dies mit kulturellen Gegebenheiten in Zusammenhang bringen läßt. Aber auch der Fall völlig unterschiedlicher Anliegen ist hier interessant, da er zeigt, daß in einer Wörterbuchlandschaft als diskussionsrelevant empfunden werden kann, was in der anderen völlig unproblematisch ist. Dies betrifft zum Beispiel die Gestaltung von Konstruktionsangaben, die in der englischen Lernerlexikographie im Vordergrund der Diskussion stehen, in den französischen Wörterbüchern dagegen nicht systematisch expliziert werden, ohne daß dies in der Metalexikographie in größerem Maßstab kritisiert würde. Ähnliches gilt für die Nutzbarmachung von Korpora, die für die starken Veränderungen in der neuen Generation englischer Lernerwörterbücher verantwortlich ist, in Frankreich jedoch - zumindest in Wörterbüchern der hier diskutierten Größenordnung - nicht in derselben Weise praktiziert und thematisiert wird. Auf englischer Seite scheint dagegen die Diskussion um Normativität im Sinne der Vermittlung eines vorbildlichen Sprachgebrauchs und um die Einbeziehung der Diachronie keine vergleichbare Rolle zu spielen. Zum Teil erklären sich derartige Unterschiede leicht, z.B. vor dem Hintergrund der jeweiligen Adressatenkreise. So wird verständlich, daß Konstruktionsangaben vom Typ der verb patterns in der französischen Wörterbuchlandschaft kaum eingefordert werden, weil eben muttersprachliche Lerner in dieser Hinsicht weniger Hilfe beim Enkodieren brauchen. Dieselbe Erklärung dürfte für das Fehlen der Diskussion um einen kontrollierten Definitionswortschatz in der französischen Lernerlexikographie greifen. In anderen Fällen ist jedoch genauer zu fragen, welche Auswirkungen die erhöhte Sensibilisierung in bestimmten Bereichen auf die Konzeption der Wörterbücher hat und welche kulturellen Gründe hinter einem erhöhten Diskussionsbedarf stecken mögen. Mit diesen Überlegungen dürften die Anliegen der vergleichenden Untersuchungen zu Bauteilen und Strukturen der ausgewählten Wörterbücher im weiteren Verlauf der Arbeit

32 vorgezeichnet sein. Dabei muß allerdings eine Einschränkung gemacht werden: Ein Vergleich nationaler lexikographischer Traditionen ist nur dort möglich und sinnvoll, wo sich einigermaßen einheitliche nationale Tendenzen erkennen lassen. Der Bereich der Einfachbzw. Mehrfachlemmatisierung bei lexikalischer Mehrdeutigkeit, der in beiden Wörterbuchlandschaften noch ein Experimentierfeld ist und nicht nur von Wörterbuch zu Wörterbuch, sondern auch von Auflage zu Auflage unterschiedlich behandelt wird, muß deshalb in der vorliegenden Arbeit ausgespart bleiben.46 Entscheidungen in diesem Bereich können mit der theoretischen Position der Lexikographen zum Thema Homonymie/Polysemie zusammenhängen oder rein praktischen Erwägungen folgen (da ζ. B. die Artikellänge, die Einfluß auf die Benutzerfreundlichkeit hat, berührt wird).47 Hier könnte sich ein Ansatzpunkt für spätere Untersuchungen bieten, die die weitere Entwicklung in Neuauflagen und Neuerscheinungen mitberücksichtigen könnten.

46

47

Zur Heterogenität in diesem Punkt in der ansonsten bemerkenswert homogenen englischen Lernerwörterbuchlandschaft vgl. Herbst (1996:344ff.). Vgl. hierzu auch Werner (1989:919).

3 Selektion, Markierungsangaben und Usage Notes

3.1 Wörterbuch und Sprachnorm

Durch die Beschränkung auf einen einzigen Band sind alle hier behandelten Wörterbücher zu einer mehr oder weniger starken Reduktion bei der Auswahl des präsentierten Materials gezwungen. Dies gilt natürlich in besonderer Weise für die Lernerwörterbücher, aber auch für die im Prinzip extensiv angelegten einbändigen allgemeinen Wörterbücher vom Typ eines COD oder NPR. Die mehrbändigen extensiven Wörterbücher wie OED oder TLF können zumindest theoretisch von dem Postulat ausgehen, den "gesamten" englischen oder französischen Wortschatz eines festgelegten Zeitraums zu enthalten, wobei sich natürlich auf praktischer Ebene die Frage stellt, wie sich dieser Gesamtwortschatz eigentlich abgrenzen lassen soll.1 Im Gegensatz dazu können die hier behandelten Wörterbücher immer nur einen Ausschnitt aus der Sprachwirklichkeit repräsentieren. Da diese nun kein homogenes Ganzes, sondern eine Vielfalt verschiedener Arten von Sprachgebrauch darstellt, ist die Konzeption eines Wörterbuchs immer mit der Entscheidung verbunden, welcher Sprachgebrauch überhaupt aufgenommen werden soll. Dies gilt sowohl in Hinblick auf die Einheiten, die als Lemmata aufgenommen werden sollen, als auch in Hinblick auf die Informationen, die innerhalb der Wörterbuchartikel vermittelt werden sollen. Innerhalb dieses Ausschnitts aus der Sprachwirklichkeit besteht wiederum die Möglichkeit, den ausgewählten Lemmazeichen, Bedeutungen und Verwendungen über Mechanismen der Mikrostruktur einen unterschiedlichen Grad an "Normalität", an Nähe zum "unmarkierten" Zentrum des Wortschatzes zuzuschreiben. Dabei muß entschieden werden, wo neutraler Sprachgebrauch aufhört und wo Sprachgebrauch anfängt, der als abweichend oder "markiert" empfunden wird und daher Verwendungsrestriktionen unterliegt.2 Traditionell geschieht dies einerseits durch ein formal mehr oder weniger standardisiertes System von sogenannten Markierungsangaben oder Markern (engl, labels, frz. marques), die sich im Lauf der Geschichte der Lexikographie herausgebildet haben,3 andererseits durch elaboriertere und weniger standardisierte Kommentare im Artikelinneren oder im Anschluß an die Wörterbuchartikel, etwa in Form von Usage Notes bzw. Remarques. Die Entscheidungen, die hier fallen, sind durch die Einstellung der Lexikographen, des Verlagshauses oder eher noch durch die antizipierte Einstellung des anvisierten Benutzerkreises zu sprachlichen Varietäten bedingt und als solche sicher in hohem Maße kulturund gesellschaftsabhängig. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, daß Selektion, Markierungsangaben und frei formulierte Kommentare in der Diskussion um den kulturellen oder

1 2 3

Vgl. das Modell der anglicity des englischen Wortschatzes im Vorwort von OED2 (1989:XXIV). Dieses Verständnis von Markiertheit orientiert sich an Hausmann (1989b). Alle hier untersuchten Wörterbücher bis auf COBUILD verwenden diese Marker in Form von standardisierten Abkürzungen vor der Definition. In COBUILD sind die Informationen zur Markierung sprachlicher Elemente in die Definitionen eingebettet und weniger standardisiert; aus den Angaben im Vorspann (XX f.) kann jedoch das verwendete Markierungsangabensystem abgeleitet werden.

34 ideologischen Charakter von Wörterbüchern besondere Beachtung finden. Auffällig ist, daß das Thema besonders von französischen Metalexikographen diskutiert wird, und zwar auch dann, wenn sie über englische Wörterbücher schreiben, wie z.B. Bejoint (1994). Dies läßt darauf schließen, daß in der französischen Metalexikographie eine besondere Sensibilisierung fur die Thematik herrscht. Bejoint (1994:124) verweist auf die zentrale Rolle der Selektion bei der Aufgabe des Wörterbuchs als "guardian of the moral and ideological values of the society"; Rey (1987a: 16) macht auf die Funktion der marques d'usage bei der Vermittlung von "jugements de nature culturelle" aufmerksam. In diesem Zusammenhang äußert er: "Le discours lexicographique n'est jamais c o m p l e m e n t neutre; [·•·] il vdhicule jugements de valeur, pröjuges, röfdrences ä l'univers de discours de la culture. Ainsi les marques d'usage du type 'populaire', 'familier' (en fran^ais) ou 'standard' et 'substandard' (en anglais), seront c o n s i d e r s comme une image simplifiee des protocoles sociaux reglant les discours." Beaujot (1989:80f.) erwähnt im Zusammenhang mit dem ideologischen Charakter von Wörterbüchern das Zusammenspiel von Zensurmechanismen auf Lemma- und Angabenebene und äußert bezüglich der Selektivität auf Lemmaebene: "Les contraintes matörielles et didactiques qu'invoquent rödacteurs et iditeurs masquent toujours un choix iddologique" (1989:80). Als Mechanismus der Ideologisierung über die Angaben in den Artikeln nennt er an erster Stelle die Markierungsangaben.

Die Entscheidungen, die in einem Wörterbuch in Hinblick auf markierten Sprachgebrauch getroffen werden müssen, betreffen zwei Aspekte: zum einen das Inventar oder System von Markern, mit dem gearbeitet werden soll; zum anderen die Praktiken bei der Vergabe von Markern, d.h. die Frage, wo die Grenze zwischen markiertem und unmarkiertem Sprachgebrauch gezogen wird und wie häufig einzelne Marker vergeben werden. Die Systeme der Markierungsangaben und die Praktiken ihrer Vergabe sind bei Wörterbüchern innerhalb ein und derselben Wörterbuchlandschaft oft untersucht und miteinander verglichen worden, auf englischer wie auch auf französischer Seite stets mit dem Ergebnis, daß erhebliche Divergenzen zwischen den Wörterbüchern und sogar Inkonsistenzen innerhalb ein und desselben Wörterbuchs bestehen.4 Allgemein geht das Urteil dahin, daß im Bereich der Markierungsangaben große Willkür herrscht.5 Außerdem muß sicher damit gerechnet werden, daß die Lexikographen voneinander abschreiben und sich so gewisse Traditionen losgelöst von der sprachlichen Wirklichkeit fortsetzen. Dies muß aber für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit nicht unbedingt von Nachteil sein: Es geht hier nicht darum, das Verhältnis zwischen Markierungsangaben und sprachlicher Wirklichkeit zu bestimmen, sondern Aufschluß über metasprachliche Einstellungen zu gewinnen, die sich in Markierungsangaben und -traditionen niederschlagen. Dabei muß auch bedacht werden, daß solche Traditionen ein gewisses Beharrungsvermögen haben, so daß heutige Wörterbücher eventuell bereits überholte metasprachliche Einstellungen widerspiegeln. Auch wenn die Wörterbuchlandschaften in sich als sehr heterogen beurteilt werden, so ist doch denkbar, daß die Perspektive des Vergleichs zweier nationaler Traditionen gemeinsame Tendenzen für jede Wörterbuchlandschaft zutage fördern könnte, die anders angelegten Untersuchungen verborgen bleiben. Die Ausgangsthese des vorliegenden Kapitels ist also, daß sowohl das in einem Wörterbuch verwendete System von Markierungsangaben als auch die Praktiken ihrer Vergabe, 4 5

Vgl. z.B. Hausmann (1989b:650), Müller (1985:233), Battenburg (1991:74). Vgl. z.B. D6sirat/Hord6 (1976:42).

35 ebenso wie die Selektionspraktiken und die Vergabe von Usage Notes bzw. Remarques kulturbedingt sind in dem Sinne, daß sie Einstellungen zu verschiedenen Arten von Sprachgebrauch spiegeln. Diese These soll anhand von Darstellungen in den Vorwörtern oder im Vorspann der Wörterbücher und von Material aus ausgewählten Wortschatzbereichen überprüft werden. Was die Auswahl dieser Wortschatzbereiche angeht, so sind hierzu noch einige theoretische Vorüberlegungen nötig, die das Kapitel in den Rahmen der Diskussion um sprachliche Normen stellen sollen. Entscheidungen über Selektion, Markierungsangaben und Usage Notes sowie ihre ideologischen und kulturellen Implikationen werden oft im Zusammenhang mit der Normativität von Wörterbüchern erörtert. Immer wird dabei betont, daß das Wörterbuch nicht nur in seiner Entstehung normativen Einflüssen aus dem gesellschaftlichen Umfeld ausgesetzt ist, sondern daß es damit umgekehrt auch zum Träger und Propagationsmittel von Normen gegenüber den Benutzern wird. So schreibt Rey (1987a:39): "Choix 'binaires' (inclusion-exclusion; pr6sence-absence) et choix 'analogiques' (par le continuum amdnage des jugements et des marques) sdlectionnent dans les discours et dans les usages une ou plusieurs normes, que le dictionnaire expose, diffuse, ddfend. La norme dominante ainsi propos6e peut etre plus ou moins puriste, parfois trds liberale; eile n'est jamais absente". Den Zusammenhang zwischen Normativität und kulturellem Umfeld beschreibt er folgendermaßen: "La volontd normative du dictionnaire d6pend de bien des facteurs, attitude et iddologie des auteurs, situation historique de la communautd, etc., mais c'est surtout une finalitd sociale, correspondant ä un public visd dconomiquement, ä un marchd, qui donne ä chaque ouvrage des caractöres distincts" (Rey 1983:544). In dieselbe Richtung zielt eine Bemerkung Beaujots: "Le marquage a pour fonction, non de refl&er l'usage, mais de contraindre les usagers ä respecter une norme socio-culturelle, linguistiquement discutable" (1989:81). Da, wie in Kapitel 2 bereits angedeutet, das Thema "Norm" in der metalexikographischen Diskussion speziell um französische Wörterbücher eine besondere Rolle spielt, sollen Selektion und Vergabe von Markierungsangaben sowie die Kommentare im Artikelinneren oder im Anschluß an die Artikel hier unter dem Aspekt der Normativität betrachtet werden. Der sprachwissenschaftliche Normbegriff ist sehr komplex und wird in verschiedenen Unterdisziplinen in Kontexten gebraucht, die jeweils einen anderen Bedeutungszusammenhang implizieren.6 Die uneinheitliche Verwendung spiegelt sich auch darin, daß die Beziehungen zwischen den verschiedenen linguistischen Normbegriffen sehr unterschiedlich dargestellt werden.7 Grundsätzlich muß wohl eine Unterscheidung getroffen werden zwischen systemlinguistisch konzipierten Normbegriffen wie denen von Coseriu und Hjelmslev, die die Saussuresche Dichotomie von langue und parole weiterentwickeln, und soziolinguistischen Normbegriffen, die in Auseinandersetzung mit ersteren unter dem Einfluß der Soziologie entwickelt wurden.8 Für die Bewertung der

6

Vgl. Ripfel (1989:189f.). So identifiziert Maier (1984:81) den systemlinguistisch konzipierten Normbegriff Coserius mit der "präskriptiven" Norm; nach Müller (1985:270f.) meint der Normbegriff Coserius die "absolute" Norm und vernachlässigt die Tatsache, daß es mehrere unterschiedliche (soziolinguistisch definierte) Normen gibt. Ripfel (1989:190) identifiziert Coserius Normbegriff mit "üblichem/kollektivem Sprachgebrauch, Sprachwirklichkeit oder auch standardsprachlicher Norm" in Abgrenzung zum System. 8 Vgl. Maier (1984:83) und Härtung (1977:10f.). 7

36 Praxis von Wörterbüchern ist vor allem das soziolinguistische Normverständnis geeignet.9 In romanistischen Arbeiten trifft man dabei auf die Unterscheidung zwischen statistischer bzw. deskriptiver Norm (auch norme d'usage, d.h. der übliche, kollektive Sprachgebrauch einer Sprachgemeinschaft, der sich ohne äußere Zwänge selbst reguliert, da er von der Sprachgemeinschaft als "normal" empfunden und daher angestrebt wird) und präskriptiver Norm oder Soll-Norm (ein Register, das durch normative Akte außengesteuert und als verbindlich gesetzt wird).10 Die Verwendung der Termini deskriptiv und präskriptiv wurde in diesem Zusammenhang verschiedentlich kritisiert und durch Bezeichnungen wie implizite/explizite oder interne/externe Norm ersetzt.11 Dabei geht es immer darum, daß Nonnen verschiedene Existenzweisen haben können: einerseits als vom Individuum verinnerlichtes Wissen über Handlungsweisen (bzw. Sprachgebrauch), die in der Gesellschaft als "normal" empfunden werden; andererseits als sprachlich ausformulierte Handlungs- (bzw. Sprech-)anweisungen oder "Normexplikationen" (Kohrt 1987:333), die von außen als verbindlich an das Individuum herangetragen werden. Wenn von der Normativität eines Wörterbuchs die Rede ist, so interessiert die Rolle des Werkes als Spiegel einer expliziten, d.h. von außen als verbindlich gesetzten Norm. Ausgehend von diesem Normverständnis legt Ripfel (1989) eine Typologie vor, die die Klassifikation von Wörterbüchern unter dem Aspekt ihrer Normativität erlaubt und hier als Raster fllr die Bewertung der lexikographischen Praxis in England und Frankreich verwendet werden soll. Ripfel unterscheidet "normative", "deskriptive" und "verdeckt normative" Wörterbücher.12 Ein normatives Wörterbuch, so Ripfel (1989:198), ist "ein Wörterbuch, in dem das in ihm Verzeichnete an irgendeiner Stelle [...] als verbindlich für andere bezeichnet wird bzw. normative Erwartungen durch Normexplikationen ausgedrückt werden. [...] Normative Wörterbücher werden in der Absicht gemacht, das sprachliche Handeln anderer zu korrigieren, zu regulieren, zu bessern". Deskriptive Wörterbücher werden laut Ripfel dagegen mit dem Ziel konzipiert, Informationen über Sprachregeln zu geben, ohne einen normativen Anspruch zu erheben, d.h. ohne expliziten Hinweis auf Verbindlichkeit. Die bei der Konzeption eines Wörterbuchs grundsätzlich notwendigen Bewertungen (z.B. bei der Auswahl des Textmaterials, der Lemmata, der Beispiele) erfolgen in Hinblick auf die Eignung "für die Erforschung und Darstellung eines genannten Ausschnitts aus der Sprachwirklichkeit und für einen ins Auge gefaßten Benutzerkreis" (1989:202), nicht jedoch unter ästhetischen, logischen oder dergleichen Gesichtspunkten. Wenn nun im Wörterbuch kein normativer Anspruch explizit gemacht wird, aber die notwendigen Bewertungen dennoch in normativer Absicht erfolgen, d.h. "unter dem Aspekt der Erforschung und Darstellung einer angemessenen, vorbildlichen und nachahmenswerten Sprache" (1989:203), so spricht Ripfel von "verdeckt normativen Wörterbüchern" (1989:203). Verdeckte Normativität liegt nach Ripfel (1989:203) z.B. dann vor, wenn als Materialbasis nur schöngeistige Literatur herangezogen wird, wenn vulgäre oder umgangssprachliche Wörter bei der Auswahl der Lemmata ausgeschlossen werden oder wenn die Beispiele nach ästhetischen Kriterien ausgewählt werden. Versteht man Ripfel richtig, so bedeutet dies angewandt auf den hier untersuchten Bereich der Selektion, Markierungsangaben und Kommentare, daß Normativität, die sich primär der Mechanismen der Markierungsangaben und Kommentare (also expliziter Mechanis9 Vgl. Maier (1984:83f.). 10 Vgl. die - sicherlich idealtypisierende - Darstellung in Müller (1985:276ff.), die als repräsentativ für diesen Ansatz betrachtet werden kann. Vgl. auch Ettinger (1982:36Iff.). 11 Vgl. Härtung (1977:16ff.) und Kohrt (1987:330ff.). 12 Im folgenden nach Ripfel (1989:198ff.).

37 men) bedient, als offene Normativität bezeichnet werden kann; Normativität, die primär über die Selektion erfolgt, dagegen wohl eher als verdeckte Normativität, zumal wenn im Vorwort die Selektionskriterien nicht eindeutig offengelegt werden. Entsprechend wird hier nicht nur der Grad der Normativität der ausgewählten Wörterbücher interessieren, sondern auch die Frage, ob sie als offen oder als verdeckt normativ zu bezeichnen sind. 13 Als theoretischer Ausgangspunkt zur Abgrenzung der Wortschatzbereiche, die für die Untersuchung von Interesse sind, bietet sich ein "Makrosystem" oder "Makromodell der lexikographischen Markierung" an, das Hausmann (1989b:651) entnommen ist (vgl. Abb.l). Hausmann unterscheidet darin elf Kriterien, nach denen jeweils ein unmarkiertes Wortschatzzentrum und eine markierte Peripherie definiert werden. Er entwirft eine Terminologie für die zugehörigen Markierungsarten und fuhrt jeweils eine Auswahl der traditionellen Marker auf, die wiederum für jede Markierungsart in sich ein "Mikrosystem der Markierung" bilden. 14 Abb.l "Makromodell der Markierung im Wörterbuch" (Hausmann 1989b:651) Kriterium

unmarkiertes Zentrum

markierte Peripherie

Art derMarkierung

Art HB

ausgewihlte Marker

1

Zeitlichkeit (Tempo rali tit) gegen wirtig

alt-neu

diachronisch

54

vx. ntol.

2

RiumJichkeit (Arealitit)

gesamtsprachlich

regional/dialektal

diatopisch

55

dial AmE

3

Nationalität

nationalip rachlich

entlehnt/fremd

diaintegrativ

56

anglidsme

4

Medialitlt

neutral

gesprochen· geschrieben

diamedial

57

langue ecrite umgangssprachlich

5

»oso-kulturellc Gruppe

neutral

Oberschicht-Unterschicht Kinder/Schüler Gruppe

Hiartn^ifh

57

fam. pop.

6

Formalität

neutral

formell-informell

diaphasisch

57

fml infmi

7

Texteorte

neutral

bibl./poeL/lit/ zeitungsspryadministrativ

diatextuell

57

administratif bibl poet

8

Technizität

gemeinsprachL

fachsprachlich

diatechnisch

58

botanique viticulture

9

Frequenz

biufig

selten

diafrequent

59

rare

10

Attitüde

neutral

konnotiert

diaevaluativ

60

derog euph

11

Normati vi tit

korrekt

unkorrekt

dianonnativ

61

incorrect emploi critiqufc

13

14

Gleichzeitig machen Ripfels Überlegungen deutlich, daß das Urteil über die Normativität eines Wörterbuchs nicht allein anhand der in diesem Kapitel untersuchten Bereiche gefällt werden kann. Weitere zentrale Bereiche sind die Auswahl des Sprachmaterials, das die Grundlage der Konzeption eines jeden Wörterbuchs und die Voraussetzung für die Selektion auf Lemmaebene bildet, die Wahl der lexikographischen Beispiele und die Formulierung der Definitionen. Auf die beiden ersten Punkte wird im Kapitel "Lexikographische Beispiele" eingegangen. Was die Definitionen angeht, so ist an explizit wertende Formulierungen zu denken wie etwa "Curer en ce sens signifie, Rendre gorge; & les Veneurs ont abusd du terme de curde, qu'ils ont emprunti des Fauconniers pour l'appliquer aux repas qu'ils donnent ä leurs chiens" (FURETIERE 1690, Nachdr. 1970 s.v. curer). Da jedoch Definitionen dieses Typs in den hier vorliegenden Auflagen englischer und französischer Wörterbücher in der Regel nicht mehr vorkommen, erübrigt sich eine detaillierte Behandlung. Nicht zu vernachlässigen sind auch explizite Äußerungen zur Normativität in den Vorwörtern. Darauf soll weiter unten eingegangen werden. Diese von Hausmann geprägten Termini sind nicht mit denen der Makro- und Mikrostruktur zu verwechseln.

38 Im Gegensatz zu Hausmann wird in der vorliegenden Arbeit eine terminologische Unterscheidung zwischen"Markierung" im Sinne der Markiertheit eines sprachlichen Elements und "Markierungsangabe" im Sinne von lexikographischen Angaben über Markierung getroffen. Deshalb wird im folgenden eher von "Markierungsangabensystemen" als von "Markierungssystemen" gesprochen, soweit nicht Hausmann direkt zitiert wird.

Im Prinzip können alle elf von Hausmann genannten Bereiche daraufhin abgefragt werden, wie sich ein Wörterbuch zu ihnen stellt, d.h. inwieweit der jeweils bezeichnete Sprachgebrauch als akzeptabel oder inakzeptabel beurteilt wird und entsprechend verbindlich vorgeschrieben, kritisiert oder von vornherein ausgeschlossen wird. Dies erlaubt dann Schlüsse auf die Art der Norm, die das Wörterbuch vertritt, und auf den Grad seiner Normativität. Betrachtet man explizite Äußerungen in den Vorwörtern der hier untersuchten Wörterbücher zum Thema Norm - Sprachlenkung - Autorität - usage, so zeigt sich jedoch, daß es vor allem drei Bereiche von Hausmanns "Makrosystem der Markierung" sind, die unter dem Aspekt der Normativität angesprochen werden: der diastratisch, der diachronisch und der dianormativ markierte Bereich, das heißt die Schichtung des Wortschatzes nach soziokultureller Zugehörigkeit der Sprecher, nach zeitlicher Situierung und nach "Korrektheit". In NPR steht die Problematik des diastratisch oder diaphasisch markierten Sprachgebrauchs im Vordergrund. Bezüglich dieses Wortschatzes wird eine hohe Aufnahmebereitschaft bekundet: L'accueuil fait ä la langue courante familiäre constituait une hardiesse qui bousculait la tradition. [...] II fallut developper, dans le Petit Robert, un syst6me de marques qui n'dtait pas n6cessaire du temps ой les dictionnaires, tous normatifs, rejetaient les mots que la bonne societe n'acceptait pas. [...] Refusant l'autocensure d'une norme rigoureuse - il incombe au Dictionnaire de l'Acadimie frangaise de remplir ce röle - le Nouveau Petit Robert se devait de noter pour son lecteur les valeurs sociales d'emploi des mots et des sens (NPR:IX f., XIII).

LEXIS verwahrt sich im Zusammenhang mit diachronisch markiertem Sprachgebrauch gegen Purismus, denn die Larousse-Wörterbücher seien "inspires avant tout par le souci de constater l'usage et non de le сгёег": II nous a paru important de relever, en bannissant les exclusives puristes ou socioculturelles, les ndologismes de la langue actuelle, pourvu qu'ils aient un champ d'application suffisamment large (LEXIS:VII).

Bei MR steht der dianormativ, d.h. nach "Korrektheit" markierte Spachgebrauch im Vordergrund der Normdiskussion, und das Wörterbuch bekennt sich offen zur Normativität in diesem Sinne:15

15

Um einem terminologischen Mißverständnis vorzubeugen: Wie aus den bisherigen Ausführungen bereits hervorgegangen ist, wird die "Normativität" eines Wörterbuchs in der vorliegenden Arbeit nicht nur an seiner Politik gegenüber "dianormativ" markiertem Sprachgebrauch beurteilt, sondern auch an seiner Behandlung von anderen Bereichen aus dem Hausmannschen Makrosystem. Es geht also nicht darum, pauschal zu sagen, ein Wörterbuch sei "normativ" oder "weniger normativ", sondern es muß immer spezifiziert werden, auf welchen Bereich des Makrosystems sich die restriktive oder liberale Politik eines Wörterbuchs richtet.

39 Ä се propos, on doit remarquer que des emplois courants, mais vraiment fautifs, ont etd volontairement ndgliges. D'autres, indispensables ä la comprdhension du fran?ais d'aujourd'hui, ont ete signals comme critiques [...]. Certes, un purisme trop exigeant irait ä l'encontre des buts qu'il se propose, en creusant le fossö qui existe entre la langue rdelle et celle que Ton souhaite enseigner. Mais inversement, une description objective de l'usage, necessaire dans un dictionnaire scientifique de la langue, correspondrait dans ce type d'ouvrage ä un laxisme incompatible avec la pedagogic. Nous avons done insistd sur la norme au detriment de la description fidele et totale des usages fautifs, toujours dangereuse lorsqu'elle tombe dans les mains de ceux ä qui Ton doit enseigner un module de langue qu'ils maitrisent mal (MR:XV). MR ( X V f.) versteht sich als "instrument de controle, mais aussi d'apprentissage pour un bon usage moderne, en un temps ou le fran9ais est trahi par ceux et celles qui l'utilisent de maniäre imparfaite et d0gradee" und formuliert als Zielsetzung: "Aussi selectif soit-il, le MlCRO-ROBERT demontre que la langue fran^aise contemporaine reste un outil d'expression et de communication d'une richesse et d'une clarte admirables. Encore faut-il retrouver ces tresors ä demi perdus. Telle est la mission du dictionnaire" (MR:XVI). Auch eine Äußerung im Vorwort von COD, die sich auf die gesamte Produktion an dictionaries of current English in der englischen Wörterbuchlandschaft bezieht, zielt auf den dianormativen Aspekt. Hier wird der usage zur Richtschnur erklärt; gleichzeitig wird der französischen Seite diese Orientierung abgesprochen: Dictionaries of current English [...] generally record the language as it is being used at the time, and with usage constantly changing the distinction between 'right' and 'wrong' is sometimes difficult to establish. Unlike French, which is guided by the rulings of the Acadimie franc;aise, English is not monitored by any single authority; established usage is the principal criterion (COD:XII). Entsprechend sollen diastratisch, diachronisch und dianormativ markierter Sprachgebrauch hier im Mittelpunkt des Interesses stehen. Nach den Stellungnahmen der Vorwörter zu urteilen, müßte MR zumindest hinsichtlich dianormativ markierten Sprachgebrauchs offen normativ sein. Alle anderen Wörterbücher, die sich zur Thematik äußern, beanspruchen dagegen, deskriptiv zu verfahren. Es bleibt allerdings zu prüfen, ob die Aussagen in den Vorwörtern und die lexikographische Praxis divergieren, mit anderen Worten, ob die betroffenen Wörterbücher tatsächlich als deskriptiv betrachtet werden können oder ob sie eventuell Tendenzen zu verdeckter Normativität im Sinne Ripfels aufweisen. Auffällig ist, daß drei der fünf hier interessierenden französischen Wörterbücher das Thema Normativität im Vorwort ansprechen, während dies nur in einem der vier englischen Wörterbücher der Fall ist. Dies entspricht der bereits in Kapitel 2 getroffenen Feststellung, daß die Normativität von Wörterbüchern und ihre ideologischen Implikationen in der französischen Metalexikographie ein viel diskutiertes Thema sind. Daß in der französischen Kultur eine Konstellation besteht, die die Auseinandersetzung mit diesem Thema nahelegt, ist allgemein bekannt. Aufgabe der Überlegungen wird also sein, die Befunde aus den Wörterbüchern im Detail in diesen Zusammenhang zu stellen und dabei auch zu beurteilen, wie "normativ" französische Wörterbücher im Vergleich zu englischen eigentlich sind und welcher Art ihre Normativität ist. Im folgenden wird es zunächst um die Systeme der Markierungsangaben in den beiden Wörterbuchlandschaften gehen. Dazu soll in Kapitel 3.2 exemplarisch die Konzeption des Markierungsangabensystems im diastratisch-diaphasisch-diamedialen Teilbereich der Markierung untersucht werden. In Kapitel 3.3 wird es darum gehen, die Selektionspraxis und

40 die Praxis bei der Vergabe von Markern im diastratisch und diachronisch markierten Bereich zu untersuchen. Kapitel 3.4 bleibt dem Thema Usage Notes/Remarques vorbehalten, wobei auch die lexikographische Behandlung des dianormativ markierten Sprachbereichs diskutiert wird. Die Untersuchungen sollen Aufschluß darüber geben, welchen Grad an Normativität die Wörterbücher gegenüber den genannten Bereichen an den Tag legen und ob ihre Normativität eher offener oder eher verdeckter Natur ist.

3.2

Markierungsangabensysteme

3.2.1 Bestandsaufnahme: diastratisch-diaphasisch-diamedial markierter Bereich Das "Makromodell der Markierung" aus Hausmann (1989b) ist ein idealisiertes Konstrukt, das vermutlich in keinem real existierenden Wörterbuch in Reinform abgebildet ist. Man muß im Gegenteil davon ausgehen, daß allein schon bei Wörterbüchern innerhalb einer Sprachgemeinschaft ganz unterschiedliche Realisierungen vorliegen, wobei die Unterschiede auf verschiedenen Ebenen liegen können.16 Zum einen können Zahl und Art der in einem Makrosystem zusammengefaßten Mikrosysteme verschieden sein. Zum anderen kann innerhalb ein und desselben Mikrosystems die Zahl der Stufen, mit denen die unterschiedlichen Grade der Markierung bezeichnet werden, von Wörterbuch zu Wörterbuch variieren. Zudem ist damit zu rechnen, daß die Mikrosysteme in verschiedenen Wörterbüchern unterschiedlich gegeneinander abgegrenzt sind oder daß überhaupt keine klare Grenzziehung festzustellen ist, da manche Marker mittels ihrer Definitionen im Vorspann verschiedenen Markierungsarten gleichzeitig zugeordnet werden. Die Situation wird dadurch verkompliziert, daß die Systeme der Markierungsangaben nicht immer im Vorwort oder in den Benutzungsanweisungen der Wörterbücher erläutert werden. Wenn innerhalb ein und derselben Wörterbuchlandschaft mit derartigen Unterschieden zu rechnen ist, so ist es von Interesse, zu fragen, ob es nicht doch gemeinsame nationale Tendenzen gibt, die erst im Vergleich zweier Wörterbuchlandschaften deutlich hervortreten. Tatsächlich wird in der Metalexikographie darauf hingewiesen, daß Makro- und Mikrosysteme einzelsprachenabhängig sind und daß dies wiederum mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnissen in den Sprachgemeinschaften zusammenhängt.17 So postuliert Hausmann (1989b:652), daß sich diastratische, diaphasische und diamediale Markierungsangaben (d.h. Markierungsangaben, die die Zugehörigkeit des Sprechers zu einer soziokulturellen Gruppe, die Verwendungssituation des markierten Elements oder seine Zugehörigkeit zur gesprochenen bzw. geschriebenen Sprache betreffen) oft komplementär verhalten:18 In englischen Wörterbüchern würden diaphasische (fml, infml), in französischen diastratische (fam. [sic], pop.) und in deutschen Wörterbüchern diamediale Markie16 17 18

Im folgenden nach Hausmann (1989b:650ff.). So z.B. in Hausmann (1989b:652). Die Unterscheidung zwischen "gesprochen" und "geschrieben" ist auf der Ebene der Konzeption im Sinne der Söllschen Unterscheidung zwischen code parle und code icrit anzusiedeln, vgl. Söll ( 3 1985:19f.) und Koch/Österreicher (1990:5f.).

41 rungsangaben (umgangssprachlich) bevorzugt. 19 Diese These wurde hier zum Anlaß genommen, den genannten Bereich sowohl in seiner inneren Gliederung als auch in seiner Einbettung in das jeweils umgesetzte Makrosystem exemplarisch näher zu untersuchen und auf mögliche Hintergründe zu befragen. Die Grundlage der Untersuchungen bildet die Darstellung der Markierungsangabensysteme in den Vorwörtern, Benutzungsanweisungen und Abkürzungsverzeichnissen der Wörterbücher. Angesichts der oben dargestellten heterogenen Situation im Bereich dieser Systeme stellt sich auf methodischer Ebene natürlich die Frage, wie sichergestellt werden kann, daß Marker identifiziert werden, die tatsächlich miteinander vergleichbar sind. Da nicht alle Wörterbücher die verwendeten Marker explizit in Mikrosysteme zusammenfassen beziehungsweise, wo dies doch der Fall ist, die Konstituierung und Abgrenzung der Mikrosysteme von Wörterbuch zu Wörterbuch sehr unterschiedlich ist, konnte diese Gliederung nicht zum Ausgangspunkt genommen werden, sondern mußte im Gegenteil selbst zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden. Ein Zugang allein über die Termini, mit denen in der Metalexikographie gewöhnlich die Marker des diaphasischen und des diastratischen Bereichs bezeichnet werden, war ebenfalls nicht möglich, da eben nicht von vornherein mit Sicherheit davon auszugehen ist, daß diese Marker in allen vorliegenden Wörterbüchern tatsächlich über diastratische und diaphasische Kriterien definiert werden. Überdies zeigte sich, daß kaum ein Marker von der Definition her eindeutig nur einer einzigen der von Hausmann unterschiedenen Markierungsarten zugeordnet werden kann. Vielmehr werden die Marker meist über Defmitionselemente aus mehreren Bereichen definiert, was sicherlich der sprachlichen Wirklichkeit, in der Markierungen per se immer in mehrfacher Hinsicht vorhanden sind, auch besser gerecht wird. 2 0 Als praktikabel erwies sich entsprechend die Lösung, ausgehend von Markern, die in der Metalexikographie gewöhnlich den interessierenden Markierungsarten zugerechnet werden, alle diejenigen Marker zu identifizieren, die über gemeinsame Defmitionselemente - darunter mindestens ein diaphasisches oder diastratisches - zusammenhängen. So ließ sich schließlich eine Gruppe von Markern herauslösen, deren gemeinsamer Nenner in beiden Wörterbuchlandschaften ist, daß sie über ein Konglomerat an diastratischen, diaphasischen und zusätzlich diamedialen Kriterien definiert werden. Alle Marker, die in mindestens einem der hier untersuchten Wörterbücher mindestens eines dieser Definitionselemente tragen, wurden in die Untersuchung einbezogen. 21 Es handelt sich um die Marker litteraire, soutenu, populaire, familier, 19 20

21

Die als Beispiele zitierten Marker sind Hausmann (1989b:651) entnommen. Eine strikte Trennung der Kriterien auf praktischer Ebene ist von Hausmann wohl auch nicht beabsichtigt, vgl. die von Hausmann bearbeitete Fassung von Söll (31985:34), wo betont wird, daß es sich bei den Kategorien um Abstraktionen handelt und daß in der Praxis immer mit Mischungen zu rechnen ist. Vgl. auch Barnickel (1982, Bd.l:21) zur Interdependenz von diaphasischen und diastratischen Varietäten sowie Koch/Österreicher (1990:13ff.) zur "Varietätenkette", in der "Diatopisches als Diastratisches und Diastratisches als Diaphasisches funktionieren kann", und zur Varietätendimension "gesprochen/geschrieben", die "Elemente aller drei anderen Dimensionen sekundär aufnehmen kann" (1990:14). In Kapitel 1 wurde das Prinzip formuliert, daß die Spiegelung von Einstellungen zu problematischen Bereichen der außersprachlichen Welt in der lexikographischen Behandlung der entsprechenden "Schlüsselwörter" hier ausgeklammert bleiben soll. Folglich wurden Marker wie etwa grossier oder injurieux, die nach Hausmann (1989b:651) wohl dem diaevaluativen Bereich zugeordnet werden mtlßten (vgl. auch Hausmann 1977:129) und eher Einstellungen zu außersprachli-

42 argot

auf

französischer

Seite und formal,

informal,

slang,

spoken,

written

auf englischer

Seite. Anhang Al zeigt die für die Untersuchung ausgewählten Marker und ihre Definitionen, wie sie in den Vorwörtern oder den Tabellen im Vorspann der Wörterbücher dargestellt werden. Ein Sonderproblem stellen dabei Wörterbücher dar, in denen die Marker nicht definiert werden. Dies betrifft vor allem die französische Seite, genauer LEXIS, DFColl und großteils auch PL. In diesen Fällen wurde auf die Definitionen der entsprechenden Termini im Wörterbuchteil zurückgegriffen. Dies ist natürlich aus methodischer Sicht problematisch, da zunächst einmal davon auszugehen ist, daß es sich hierbei um eine andere Verwendungsweise von Sprache im Wörterbuch handelt, die mit der der Erläuterungen im Vorspann nicht unbedingt gleichgesetzt werden kann. 22 Das Problem wird jedoch dadurch gemildert, daß die Definitionen im Wörterbuchteil in der Regel explizit Bezug auf die Verwendung der Termini im Zusammenhang mit der Beschreibung von Sprache nehmen (etwa langue soutenue 'qui appartient ä une langue ecrite surveillee', DFColl s.v. soute nu). Man kann wohl davon ausgehen, daß die Verwendung der Termini als Teil der lexikographischen Beschreibungssprache im selben Wörterbuch nicht allzu sehr abweicht. Die Titel der entsprechenden Wörterbücher stehen im Anhang A l in eckigen Klammern. CHAMBERS, das aus dem untersuchten Markierungsbereich nur den Marker colloquial im Abkürzugsverzeichnis auffuhrt, und dies ohne Definition oder Kommentar, wurde nicht in die Untersuchung einbezogen. 23 Der über diastratisch - diaphasisch - diamediale Definitionselemente zusammenhängende Markierungsbereich wurde in Hinblick auf drei Fragestellungen untersucht. A u s g e h e n d von Hausmanns These über die Verteilung diaphasischer und diastratischer Marker in englischen und

französischen

Wörterbüchern sollte zunächst die Frage beantwortet werden, o b

sich nationale Tendenzen in der Häufigkeit der Verwendung bestimmter Definitionselemente und in ihrer Verteilung feststellen lassen. Anschließend wurde dann die Frage nach der Stellung und der Abgrenzung der betroffenen Marker im Gesamtgefüge des j e w e i l i g e n Makrosystems gestellt. Es ging speziell darum, zu untersuchen, ob die identifizierten Marker tatsächlich in ein gemeinsames und in sich abgeschlossenes Mikrosystem geordnet werden oder ob sie auf verschiedene Mikrosysteme verteilt werden und dort eventuell mit weiteren, über andere Kriterien definierten und daher nicht in die Untersuchung einbezogenen Markern zusammengefaßt werden. Zum dritten interessierte schließlich die Frage, ob die Definitionen der Marker so formuliert sind, daß damit Warnungen vor bestimmten

chen "Sachen" als zu Sprache widerspiegeln, nicht in die Untersuchung aufgenommen, obwohl die Abgrenzung zu den hier diskutierten Markern in manchen Fällen problematisch ist. Allerdings liegen zu Selektion und Markierungsangaben auf diesem Gebiet zahlreiche Untersuchungen sowohl für die englische als auch für die französische Seite vor (z.B. Böjoint 1994:124ff.), die ergeben, daß alle Wörterbücher in dieser Beziehung ursprünglich restriktiv waren und daß überall ein mehr oder weniger schneller Wandel eingesetzt hat. 22

23

Zu den fünf verschiedenen Verwendungsweisen der Sprache, die in einem Wörterbuch beschrieben wird, vgl. Wiegand (1983:415ff. und 429). Die hier diskutierten Verwendungsweisen wären demnach Wiegands zweiter ("als lexikographische Beschreibungssprache (z.B. in den Bedeutungserläuterungen)") und vierter Verwendungweise ("als Sprache, mit der Teile der lexikographischen Beschreibungssprache eingeführt werden (z.B. in den Benutzungshinweisen)") zuzuordnen (Wiegand 1983:418). Im Wörterbuch selbst wird auch der Marker slang verwendet, der allerdings nicht im Abkürzungsverzeichnis erscheint.

43 Arten von Sprachgebrauch oder im Gegenteil Empfehlungen vermittelt werden - mit anderen Worten, wie es in diesem Bereich um die Normativität der Wörterbücher bestellt ist. Um Aufschluß über die Häufigkeit und die Verteilung der Definitionselemente zu gewinnen, wurden die Definitionen der Marker, wie sie in den Wörterbüchern formuliert werden, entsprechend Hausmanns Schema in Kürzel für die jeweils bezeichnete Markierungsart umgesetzt. So kann unabhängig von den jeweils gewählten Formulierungen der Wörterbücher verdeutlicht werden, welche Elemente in die Definition eingehen. Als Beispiel sei die Definition von informal in LDOCE genannt. Sie lautet 'a word or phrase that is used in normal conversation, but may not be suitable for use in more formal contexts, particularly in writing eg essays or business letters' [s.p.] und wurde wie folgt zerlegt und klassifiziert: used in normal conversation, but may not be suitable for use in more formal contexts - diaphasisch particularly in writing - diamedial eg essays or business letters - diatextuell

Tab.l zeigt die Klassifikation der Definitionselemente fur die einzelnen Marker.24 Bei LEXIS, DFColl und in den meisten Fällen auch bei PL mußten die Definitionselemente aus den Definitionen im Wörterbuchteil abgeleitet werden und stehen deshalb in eckigen Klammern. Die in der Tabelle verwendeten Abkürzungen haben folgende Bedeutung: med = diamedial, phas = diaphasisch, strat = diastratisch, text = diatextuell, - = Marker nicht vorhanden; med2 steht fur diamediale Marker, aus deren Definition eindeutig hervorgeht, daß sie sowohl auf gesprochenen als auch auf geschriebenen Sprachgebrauch angewandt werden.

24

Auf theoretischer Ebene tritt hier das Problem auf, daß manche Elemente in den Definitionen nicht eindeutig nur einem der Bereiche aus Hausmanns Klassifikation zuzuordnen sind. So läßt sich z.B. das Merkmal "conversation" wohl mit gleichem Recht der Kategorie Textsorte wie der Kategorie Kommunikationssituation zuordnen und impliziert außerdem eine Aussage über das zugeordnete Medium. Entsprechend müßte die Definition fur informal in COBUILD ("used mainly in informal situations, conversations, and personal letters" aufgelöst werden in "used mainly in informal situations" - diaphasisch; "conversations" - diatextuell/diaphasisch/diamedial; "and personal letters" - diatextuell/diamedial. Dieses Beispiel zeigt aber auch, daß sich das Problem auf praktischer Ebene entschärft, da die meisten Definitionselemente mehrfach pro Definition vorhanden sind. Ein Fall wie informal in COBUILD würde also einfach klassifiziert als diaphasisch/diatextuell/diamedial. Im Zweifelsfall wurde das Definitionselement conversation als diaphasisch gewertet, Definitionselemente wie litterature, essay, business letter etc. als diatextuell.

44 Tab.l Klassifikation der Marker im diastratisch-diaphasisch-diamedialen Markierungsbereich 1 Ι littiraire 1 soutenu populaire familier 1 ARß01 1 1 formal I informal slang I spoken 1 written

INPR Ι med -

Ι med-strat 1 med2-phas 1 strat

LEXIS

PL

MR

DFColl

[med] 25

med

med

-

-

istratl iphasl f strati

[med-phas] [med-phasl [strati

med-strat med2-phas strat

[textl [med] 26 [strati [phas] [strati

COD

LDOCE

OALD

COBUILD

phas-med phas-med (colloq.) 27 phas-strat

phas-med2 phas-med-text

phas-med phas

phas-med2 phas-med-text

strat phas

phas-med-strat

-

-

-

-

-

-

med med

I

Wie nicht anders zu erwarten, sind die beiden Wörterbuchlandschaften in sich alles andere als homogen. Dennoch kristallisieren sich einige gemeinsame Tendenzen heraus. Betrachtet man zunächst die Verteilung von diastratischen und diaphasischen Definitionselementen, so stellt sich heraus, daß die französischen Wörterbücher tatsächlich mehr mit diastratischen Kriterien arbeiten, während die englischen Wörterbücher diaphasische Kriterien bevorzugen. So gibt es in den hier untersuchten französischen Wörterbüchern zwei Marker {argot und populaire), in deren Definition das diastratische Element fast durchgängig zu finden ist. Das diaphasische Element wird dagegen nur in der Definition eines einzigen Markers, nämlich familier, systematisch verwendet und findet sich darüber hinaus nur noch in der Definition von populaire durch PL. Auf der englischen Seite dagegen liegen die Verhältnisse genau umgekehrt. Nur slang wird systematisch mit Hilfe des diastratischen Kriteriums definiert; das diaphasische Kriterium tritt dagegen sowohl bei formal als auch bei informal durchgängig auf. Zusätzlich wird es in OALD und COD auch zur Definition von slang herangezogen und in LDOCE zur Definition von spoken. Die Marker standard/ nonstandard, die in der Metalexikographie eindeutig dem diastratischen Bereich zugerechnet werden und z.B. in amerikanischen Wörterbüchern verbreitet sind, fehlen in den hier betrachteten Wörterbüchern völlig. Hausmanns These (1989b:652) von der komplementären Verteilung diastratischer und diaphasischer Markierungsangaben bestätigt sich also im wesentlichen. Sie sollte jedoch dahingehend spezifiziert werden, daß es sich nicht um eine eindeutige Verteilung entsprechender Marker handelt, sondern immer nur um die Häufig-

25 26

27

Die Definition 'constamment elevie(s) et noble(s)' entzieht sich der Klassifikation. Soutenu wird im Vorwort von DFColl zusammen mit den anderen Markern abgehandelt, tritt im Wörterbuch selbst jedoch nicht wie diese im Kursivdruck vor der jeweiligen Definition auf, sondern in Klammern hinter der Definition. Trotz dieses Sonderstatus wurde es hier nicht anders behandelt als die übrigen Marker. COD verwendet als einziges der hier untersuchten Wörterbücher den Marker colloquial, der aber nach seiner Definition zu urteilen als Äquivalent von informal betrachtet werden kann.

45 keit des Vorkommens der entsprechenden Defmitionselemente in den Kriterienkonglomeraten, durch die die Marker definiert werden. 28 Auch was die Stellung der hier interessierenden Marker im Gesamtgefüge des jeweils verwendeten Systems der Markierungsangaben angeht, so lassen sich unterschiedliche Tendenzen beobachten, die aus Abb.2 hervorgehen. Dargestellt sind die in den Wörterbüchern verwendeten Makrosysteme, soweit sie in den Vorwörtern oder Benutzungsanweisungen expliziert werden, außerdem ihre mikrosystematische Zusammensetzung in dem Bereich, der hier von Interesse ist. Die hier relevanten Marker erscheinen in Kursivdruck, ebenso die Titel der Mikrosysteme, in die sie jeweils eingeordnet werden. 29 Abb.2 Makrosysteme der Markierungsangaben in den untersuchten Wörterbüchern NPR: - temps - rögionalismes - niveaux: litt, fam; arg, pop; vulg; p6j, insulte/injure raciste - domaines du savoir LEXIS: - niveau de langue: fam., pop., soutenu, litt,30 - vocabulaire des sciences et des techniques - partie classique et littöraire - ndologismes -

fr. "marginal" [= regionale/nationale Varietäten]

DFColl: - niveaux ou registres de langue: fam., soutenu, litt., pop., arg. COD: - subject - geographical - register, formal, colloq., slang·, coarse slang, offens.; disp.; joc., derog.; literary, poet.; archaic, hist.; propr. OALD: - attitude context: approv, derog, euph, fig,fml, infml, ironic, joc, offensive, rhet, sexist, si, words) - other restrictions on the use of words - specific fields

taboo

COBUILD: - geographical labels

28 Vgl. Fußnote 20. 29 PL bietet keine explizite Darstellung des Systems der verwendeten Markierungsangaben. MR wurde nicht in die Übersicht aufgenommen, da die Darstellung im Vorwort in sich sehr inkonsistent ist. 30 Der Marker argot wird in dieser Einteilung, die dem Vorwort entnommen ist, an keiner Stelle erwähnt, tritt jedoch im Abkürzungsverzeichnis auf.

46 Fortsetzung Abb.2 Makrosysteme der Markierungsangaben in den untersuchten Wörterbüchern COBUILD (Forts.) - style labels: formal, informal, journalism, legal, literary, medical, offensive, old-fashioned, spoken, technical, written LDOCE: - region/country - foreign - situation/attitude: approving, formal, humorous, informal - context/type of language: biblical, dialect, law, literary, not technical, old-fashioned, old use, poetic, slang, spoken, taboo, technical, trademark

In den französischen Wörterbüchern haben die hier interessierenden Marker gemeinsam, daß sie durchweg in einem einzigen Mikrosystem zusammengruppiert werden, daß sie in diesem Mikrosystem weitgehend allein stehen und daß dieses Mikrosystem die Bezeichnung niveaux trägt.31 Dies ist insofern bemerkenswert, als damit ein Zusammenhang hierarchischer Art hergestellt wird, der ein Werturteil bezüglich des mit den Markern bezeichneten Sprachgebrauchs impliziert. In den englischen Wörterbüchern werden die betroffenen Marker dagegen mit zahlreichen anderen zusammengefaßt, die ihren Definitionselementen nach zu urteilen eher dem diachronischen, diatechnischen oder ganz anderen Bereichen (z.B. trademark) zugeordnet werden können. Sie werden unter die unterschiedlichsten Überschriften gestellt und gelegentlich auch in verschiedene Mikrosysteme auseinandergenommen. In COD stehen sie unter register, in OALD unter attitude/context, in COBUILD unter style labels, in LDOCE teils unter situation/attitude, teils unter context/type of language, und teilen sich diese Position mit so unterschiedlichen Markern wie archaic, proprietary term in COD, euphemistic, jocular in OALD, journalism, old-fashioned in COBUILD oder humorous, trademark in LDOCE. Welche Art der Gliederung der sprachlichen Wirklichkeit besser gerecht wird oder benutzerfreundlicher ist, soll hier nicht diskutiert werden. Entscheidend ist jedoch, daß in den englischen Wörterbüchern der Eindruck entsteht, daß die Marker bzw. die durch sie bezeichneten Formen von Sprachgebrauch horizontal nebeneinander liegen und unter rein pragmatischen Gesichtspunkten in Gruppen zusammengefaßt wurden, während auf der französischen Seite eine hierarchisierende und wertende Aufteilung eines Kontinuums vorgenommen wurde. Wenn die Tendenz der französischen Wörterbücher zur Wertung schon aus der Bezeichnung niveaux hervorgeht, so wird dies noch deutlicher in der Definition des Markers litteraire: In NPR und MR wird der entsprechende Sprachgebrauch als "langue öcrite öldgante" bezeichnet. Im Zusammenhang damit wird zwar keine explizite Empfehlung geäußert, so daß keine offene Normativität im Sinne Ripfels vorliegt. Dennoch kann man wohl sagen, daß mit einer derartigen Wertung die Verwendung des entsprechend markierten Sprachgebrauchs nahegelegt wird. Im Gegensatz dazu fällt auf, daß die hier vorliegenden englischen Wörterbücher auf derartige Wertungen verzichten. Bemerkenswert ist, daß der positiv wertende Marker litteraire praktisch ausschließlich über das diamediale Kriterium "ge31

Nur in NPR sind in diesem Mikrosystem noch weitere Marker vertreten, die nach Hausmann (1989b:651f.) dem diaevaluativen (bzw. nach Hausmann 1977:128 dem diakonnotativen) Bereich zuzurechnen wären (vulgaire, pijoratif).

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schrieben" definiert wird. Daß zusätzlich eine Assoziation mit der Textsorte (schöne) Literatur vorliegt, wird zwar in den Definitionen nicht expliziert, darf aber wohl aufgrund der Wahl des Terminus angenommen werden.32 Ein vergleichbarer Marker existiert in den englischen Wörterbüchern nicht. Das Kriterium "geschrieben/gesprochen" tritt zwar in der Definition von formal systematisch auf, ist aber an eine Kombination mit dem diaphasischen Kriterium gebunden; zudem wird in zwei Wörterbüchern ausdrücklich betont, daß auch gesprochene Sprache formal markiert sein kann. Der Marker written, der in einem der hier untersuchten englischen Wörterbücher verwendet wird, wird, ebenso wie formal, ohne Wertung definiert. Der Marker literary schließlich kann als Äquivalent für litteraire nicht in Frage kommen, da er in den englischen Wörterbüchern durchweg nur diatextuell (Textsorte "Literatur") definiert wird und daher in die Übersicht nicht mit aufgenommen wurde. In den französischen Wörterbüchern wird also eine Assoziation vorgenommen zwischen einer positiv gewerteten "Supernorm", dem diamedialen Kriterium "geschrieben" und der Textsorte "Literatur". In den englischen Wörterbüchern ist dies nicht der Fall. Betrachtet man die Ergebnisse dieser Gegenüberstellung der Markierungsangabensysteme im diastratisch-diaphasisch-diamedialen Bereich im Zusammenhang, so lassen sich folgende Unterschiede festhalten: Auf mikrosystematischer Ebene tendieren die französischen Wörterbücher dazu, diastratische Kriterien gegenüber diaphasischen bei der Definition der Marker stärker zu gewichten, die englischen zeigen genau die umgekehrte Tendenz. Was die Stellung und Abgrenzung der diaphasisch-diastratisch-diamedial definierten Marker im gesamten Markierungsangabensystem der Wörterbücher angeht, so werden sie in den französischen Wörterbüchern einheitlich zu einem einzigen hierarchisch gegliederten Mikrosystem unter der wertenden Bezeichnung "niveaux" zusammengefaßt, in den englischen Wörterbüchern jedoch weniger rigoros mit Markern ganz anderer Bereiche auf verschiedene Mikrosysteme verteilt, deren Gliederung sich von Wörterbuch zu Wörterbuch unterscheidet und keine Wertung des betroffenen Sprachgebrauchs impliziert. In der französischen Lexikographie lassen sich schließlich auch Ansätze zur expliziten Wertung bestimmter Arten von Sprachgebrauch über die Definitionen von Markern feststellen Sprachgebrauch, der über das diamediale Kriterium "geschrieben" definiert und mit der Textsorte "Literatur" assoziiert wird, wird als positiv gewertete "Supernorm" dargestellt. Zwar reicht dies noch nicht aus, um im Sinne Ripfels von offener Normativität zu sprechen, da hierzu nicht nur eine Wertung, sondern auch eine explizite Empfehlung bzw. Warnung nötig wäre. Auf jeden Fall sind die französischen Wörterbücher aber näher daran als die englischen, die sich in diesem Punkt neutraler verhalten. Im folgenden soll nun versucht werden, diese Ergebnisse in ihren kulturellen Kontext einzuordnen.

3.2.2 Interpretation Das erste Ergebnis aus dem Vergleich der Markierungsangabensysteme, das besprochen werden soll, ist die stärkere Gewichtung diastratischer Kriterien bei der Definition der Marker in den französischen Wörterbüchern, der auf englischer Seite eine Betonung diaphasischer Definitionselemente gegenübersteht. Um zu einer Interpretation dieses Befunds 32

Allein in DFColl wird der Bezug expliziert; es handelt sich allerdings um eine Definition aus dem Wörterbuchteil.

48 zu gelangen, soll zunächst die Frage geklärt werden, inwieweit die Markierungsangabensysteme in diesem Punkt diachronisch stabil sind, d.h. ob die unterschiedliche Verteilung diastratischer und diaphasischer Kriterien seit langem Tradition ist oder eine Neuentwicklung darstellt. Ein Vergleich mit älteren Auflagen der hier behandelten Wörterbücher wird dadurch erschwert, daß die Praxis, die verwendeten Marker im Wörterbuch nicht nur im Abkürzungsverzeichnis zu listen, sonderen auch zu definieren, bis vor kurzem eher die Ausnahme als die Regel war. Dennoch läßt sich feststellen, daß der entsprechende Systemausschnitt in den französischen Wörterbüchern ohne wesentliche Änderungen geblieben ist. In früheren Auflagen englischer Wörterbücher wurden dagegen einige Marker verwendet, die man wohl dem diastratischen Bereich zurechnen kann, und die in den hier betrachteten Auflagen nicht mehr aufgeführt sind. So verfügen beispielsweise noch COD8 (1990) und OALD2 (1963) über den Marker popular, der in späteren Auflagen dieser Wörterbücher nicht mehr erscheint.33 Auch der Marker nonstandard ('a word regarded as incorrect by most educated speakers'), der noch in LDOCE2 (1987:F46) verwendet wird, taucht im Verzeichnis der Markierungsangaben der hier untersuchten dritten Auflage nicht mehr auf. Dies läßt darauf schließen, daß diastratische Kriterien in den Markierungsangabensystemen früherer Auflagen von englischen Wörterbüchern eine größere Rolle spielten. In dieselbe Richtung weist auch der Diskurs über stylistic values im Vorwort von OALD2 (1963, XI), wo die Bindung bestimmter Arten von Sprachgebrauch an "the well-educated classes" bzw. "the illiterate and uneducated" erörtert wird. Derartige Diskrepanzen zwischen alten und neuen Auflagen lassen sich in den französischen Wörterbüchern nicht feststellen. Allerdings fallt auf, daß der diaphasische Charakter von familier gegenüber populaire in NPR explizit betont wird ("concerne la situation de discours et non l'appartenance sociale, ä la difference de POP.", XXV), während PR (1989) ohne diesen Zusatz auskam. Außerdem führt NPR im Verzeichnis der Markierungsangaben unter argot den Marker argot familier 'mot d'argot pass0 dans le langage familier; argotique' (XXIV) neu ein und sieht damit die Möglichkeit vor, daß ein zunächst diastratisch markiertes Wort in eine diaphasisch markierte Varietät "aufsteigt". Sein Vorgänger dagegen sah nur einen "Aufstieg" innerhalb der beiden diastratisch definierten Varietäten argot und populaire vor. Dies könnte darauf hindeuten, daß in neueren Auflagen französischer Wörterbücher eine verstärkte Sensibilisierung für diaphasische Kriterien zu beobachten ist, die aber nichts an der Tatsache ändert, daß diastratische Kriterien nach wie vor stärker gewichtet werden. Festzuhalten ist also, daß sich die englischen Wörterbücher in der letzten Zeit durchgängig auf eine stärkere Berücksichtigung diaphasischer Kriterien in den Systemen ihrer Markierungsangaben hin entwickelt haben, während die französischen Wörterbücher in dem entsprechenden Ausschnitt weitgehend stabil geblieben sind, d.h. nach wie vor diastratische Kriterien stärker gewichten. Bemerkenswert ist hier eine Parallele zur neueren Entwicklung der theoretischen Linguistik in den beiden Ländern. Verfolgt man die Geschichte der beiden betroffenen sprachwissenschaftlichen Disziplinen - der Soziolinguistik und der Pragmalinguistik - in England und Frankreich, so fällt auf, daß die Pragmalinguistik in England in den letzten Jahren einen ungeheuren Aufschwung erlebt hat, der in Frankreich nicht

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Ab COD6 (1976) tritt allerdings in der Definition des Markers der Zusatz 'not technical' auf; die Bedeutung in früheren Auflagen, wo der Marker nicht definiert wurde, ist also nicht ganz eindeutig·

49 (oder noch nicht) vergleichbar stark ist.34 Das läßt sich auch daraus ersehen, daß ein gängiges Handbuch wie beispielsweise Müller (1985) trotz seines Hinweises auf das zunehmende Interesse der Forschung an diaphasischen Varietäten der Erörterung diastratischer Zusammenhänge noch immer einen verhältnismäßig breiten Raum gibt. Die wachsende Bedeutung diaphasischer Kriterien bei den Markierungsangaben englischer Wörterbücher läuft also parallel mit einem zunehmenden Forschungsinteresse an pragmatischen Aspekten der Sprachverwendung in der englischen bzw. anglistischen Linguistik. Dieses Forschungsinteresse dürfte im übrigen auch die Ursache dafür sein, daß in der besprochenen Generation englischer Lernerwörterbücher solche Aspekte auch außerhalb der Markierungsangaben zunehmend berücksichtigt werden, so in COBUILD durch Hinweise mittels des Zeichens PRAGMATICS in der extra column und durch Besonderheiten des Definitionsstils oder in OALD durch die Seite Polite expressions. In den französischen Wörterbüchern sind solche Angaben dagegen nicht üblich. Offenbar haben wir es hier also mit übereinstimmenden Anliegen von theoretischer Sprachwissenschaft und lexikographischer Praxis zu tun, die sich auf der englischen Seite neuerdings verschoben haben, auf der französischen jedoch konstant geblieben sind.35 Sicher ist davon auszugehen, daß diastratisch bedingte Divergenzen im Sprachgebrauch durch die Nivellierung der gesellschaftlichen Unterschiede in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen sind bzw. daß die Akzeptanz fur diastratisch markierten Sprachgebrauch gestiegen ist.36 Wollen die Wörterbücher dem Wandel der sprachlichen Realität folgen, so werden entsprechende Marker tatsächlich zunehmend verzichtbar. Die Frage ist nun, warum die französischen Wörterbücher dennoch in starkem Maße an diastratischen Markierungskriterien festhalten. Haben sie den Wandel der sprachlichen Realität nicht in derselben Weise mitvollzogen wie ihre englischen Pendants, oder liegen in der sprachlichen Realität bzw. im "kulturellen" Umfeld der Wörterbücher Konstellationen vor, die den Konservatismus rechtfertigen? Es liegt nahe, die Antwort einerseits in der Präsenz und Stärke der Ausprägung diastratischer Varianz in beiden Sprachen zu suchen, andererseits in metasprachlichen Haltungen gegenüber diastratisch markiertem Sprachgebrauch. Man könnte annehmen, daß zur lexikographischen Beschreibung einer Sprache, die hinsichtlich eines bestimmten Kriteriums eine starke Varianz aufweist, auch ein differenzierteres System von Markern der entsprechenden Markierungsart bereitgestellt wird und daß dies besonders dann der Fall ist, wenn entsprechend markierter Sprachgebrauch in der Gesellschaft stigmatisiert ist. Ebenso ist anzunehmen, daß Forschungsinteressen sich bevorzugt auf die Bereiche der Sprachbeschreibung richten, die als "auffällig" beurteilt werden. Eventuell ist die Stigmatisierung markierten Sprachgebrauchs im vorliegenden Zusammenhang sogar noch bedeutsamer als der tatsächliche Grad der Varianz, da, wie oben bereits festgestellt,

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Vgl. Parret (1990:188, 193), der die theoretische Fundierung der Pragmalinguistik als angelsächsische Leistung bezeichnet und zumindest bestimmte Strömungen innerhalb der französischen Pragmalinguistik als der angelsächsischen Pragmalinguistik zeitlich nachgeordnet und auf sie bezogen darstellt; auf Seite 190ff. wird ein Abriß von Forschungen aus dem romanischsprachigen Bereich gegeben. Allerdings könnte die neuerdings zu verzeichnende erhöhte Sensibilisierung der französischen Wörterbücher für diaphasische Markierung darauf hindeuten, daß auch hier eine Änderung ansteht. Zur Erweichung der Norm vgl. auch die von Leisi ( 8 1999:166) referierten Ergebnisse.

50 die sprachliche Realität durch die lexikographischen Markierungsangaben kaum adäquat repräsentiert wird. Bezogen auf die hier diskutierten Ergebnisse müßte dies heißen, daß die diastratische Schichtung des Französischen ausgeprägter wäre als die des Englischen oder weniger nivelliert worden wäre, und besonders, daß diastratisch markierter Sprachgebrauch in Frankreich stärker stigmatisiert sein müßte. Tatsächlich wird nun aber gerade dem Englischen wiederholt eine besonders starke diastratische Varianz bescheinigt. Dabei wird immer wieder betont, daß diastratisch bedingte Unterschiede im Sprachgebrauch von starker gesellschaftlicher Relevanz sind. Entsprechende Äußerungen lassen sich nicht nur in den sechziger und siebziger Jahren finden.37 Noch 1982 äußert Wells: "In probably all Englishspeaking countries there exists a close and obvious connection between language and social class. Speech stratification correlates with social stratification" (1982:13). Bezeichnend ist allerdings, daß er fortfährt: "Both non-phonetic factors (morphology, syntax, perhaps vocabulary) and phonetic factors (accent) may be involved in this correlation^...] It seems fair to say, though, that in England the phonetic factors assume a predominating role which they do not generally have in, say, North America" (Wells 1982:13). Folgt man Wells, so liegt die Vermutung nahe, daß im Englischen in besonderem Maße die Aussprache und eventuell weniger das Lexikon als class marker fungiert. Die Markierungsangaben in den Wörterbüchern zielen jedoch in erster Linie auf Einheiten des Wortschatzes und sind Lemmata und Wortbedeutungen bzw. -Verwendungen zugeordnet. Es wäre also durchaus denkbar, daß ein breiterer Fächer diastratischer Marker für den lexikalischen Bereich in den englischen Wörterbüchern aus diesem Grund verzichtbar ist bzw. in der lexikographischen Tradition weniger stabil geblieben ist. 38 Wie groß die gesellschaftliche Bedeutung von Ausspracheunterschieden in England ist, verdeutlichen auch Untersuchungen aus dem Bereich der α/ii'We-Forschung, eines Forschungsgebiets der Soziolinguistik, das mittels spezieller Testverfahren die Einstellungen einer Sprachgemeinschaft zu bestimmten Arten von Sprachgebrauch bzw. zu dessen Sprechern untersucht. Im angelsächsischen Sprachraum hat dieser Forschungszweig eine relativ starke Tradition.39 Bezeichnend ist, daß sich ein Großteil der atf/We-Untersuchungen zu soziolinguistischen Varietäten des Englischen auf den Bereich der Aussprache konzentriert und daß der herausgehobene Sozialstatus des Prestigeakzents Received Pronunciation (RP) auch in Untersuchungen der neunziger Jahre noch deutlich zutage tritt.40 Auch ein Blick in gängige Handbücher zur englischen Soziolinguistik, wie z.B. Barnickel (1982), kann diesen Eindruck bestätigen. Hier steht weniger der Wortschatz, son-

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Vgl. z.B. Quirk (1962:65): "No language involves more far-reaching social complications than English"; Wallwork (1969:100): "Regional and so-called 'social' dialects play a much more important role in English society than in some others"; Ross (1970:31): "Among European languages, English is, surely, the most suited to the study of linguistic class-distinctions". 38 Vgl. dazu auch Landau (1984:21 If.), der argumentiert, Usage-Wörterbücher seien in den USA unter anderem deshalb populärer als in England, weil in England allein die Aussprache als class marker fungiere, in den USA dagegen Wortwahl und Grammatik. 39 Als Auskunftsquelle über etwa vorhandene atti/t«fe-Untersuchungen und ihre Fragestellungen in der jeweiligen nationalen Tradition wurden zwei gängige Handbücher zur Soziolinguistik (Müller 1985 und Barnickel 1982, Bd.l) ausgewertet, außerdem Hoppe (1976), Dittmar/Schlieben-Lange (Hgg.) (1982) und die beiden neueren Übersichtsaufsätze von Giles [u.a.] (1987) und Ryan [u.a.] (1988) einschließlich ihrer Bibliographien. 40 Vgl. Giles [u.a.] (1990).

51 dem vielmehr die Aussprache im Mittelpunkt der Diskussion, genauer die Einstellung gegenüber RP und anderen Akzenten. In Barnickels insgesamt 23 Seiten starkem Kapitel zu sozialen Sprachformen in England wird auf sechs Seiten die Theorie vom restringierten und elaborierten Code nach Bernstein und ihre Rezeption dargestellt, auf drei Seiten die Wortschatzschichtung (Untersuchung von U und Non-U durch Ross (1956), hard words)·, ca. 13 Seiten (et passim in weiteren Unterkapiteln) bleiben der Diskussion von RP und anderen accents vorbehalten, wobei attitudes ausfuhrlich zur Sprache kommen. Darüber hinaus widmet Barnickel den Spracheinstellungen ein eigenes Kapitel, in dem RP im Zentrum der Erörterungen steht. Daß die Aussprache in England ein class marker ersten Ranges ist, geht schließlich auch aus den Aussagen einiger namhafter Linguisten hervor. So urteilt Abercrombie (1956:49): "accent plays a more important part in English society than it does in any other". Gimson (41989:83) meint: "The English are to-day particularly sensitive to variations in the pronunciation of their language. The 'wrong accent' may still be an impediment to social intercourse or to advancement or entry in certain professions. Such extreme sensitivity is apparently not paralleled in any other country or even in other parts of the English-speaking world".

Zwar ist der Status der Received Pronunciation in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht mehr mit dem früherer Zeiten zu vergleichen - es kann sogar bezweifelt werden, ob es sinnvoll ist, das Konzept überhaupt noch aufrecht zu erhalten.41 Gleichzeitig zeigen jedoch die erwähnten Untersuchungen, daß Ausspracheunterschiede in England bis in die jüngste Zeit ein sozial sensibles Thema sind. Auf den Wortschatz und damit auf den zentralen Beschreibungsbereich von Markierungsangaben gerichtete Bemühungen spielten zwar im England des 18. Jahrhunderts im Zuge der Bestrebungen "to standardize, refine and fix the English language" (Baugh/Cable 4 1993:251) eine Rolle (wobei den Reformern diastratisch markierter Sprachgebrauch eventuell ein geringerer Dorn im Auge war als Wortkürzungen und Neologismen) 42 , verloren aber in späteren Jahren an Bedeutung.43 Denkbar wäre also, daß die englischen Wörterbücher sich deshalb schneller von diastratischen Markierungskriterien gelöst haben, weil im British English die soziale Stigmatisierung traditionell stärker über die Aussprache als über den Wortschatz funktioniert. Wie sieht es nun mit der Toleranz gegenüber diastratischen Varietäten im Französischen aus? Für das Französische hat die attitude-Forschung eine erheblich weniger ausgeprägte Forschungstradition. In Handbüchern kommt das Thema kaum zur Sprache. Von den wenigen Arbeiten, die erwähnt werden, befassen sich die meisten mit diatopischen Varietäten bzw. Minderheitensprachen auf französischem Territorium und mit konkurrierenden Nationalsprachen in der Frankophonie, was angesichts der besonderen soziolinguistischen Situation in Frankreich verständlich ist.44 Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, daß Spracheinstellungen zu diastratisch markiertem Sprachgebrauch in Frankreich generell eine geringere Rolle spielen. Vielmehr kann eine Aussage von Leisi ( 8 1999:162) die Richtung weisen, in der zu suchen ist: im Englischen herrsche - anders als im Französischen "keine strikte Scheidung zwischen 'literaturfähigen' und vulgären Wörtern", und dies sei 41 42 43 44

Diese Frage wird in Ramsaran (1990) diskutiert und positiv beantwortet. Vgl. die Position von Swift, dargestellt in Baugh/Cable (41993:254f.). Vgl. im Detail Kapitel 3.3.2. Schlieben-Lange (1982:219) weist darauf hin, daß die аМг/ыс/e-Forschung für den Bereich der romanischen Sprachen eine größere Bedeutung habe als für die Soziolinguistik des Deutschen, daß aber vor allem Einstellungen zu Minderheitensprachen und zu Sprachen in Diglossiesituationen untersucht werden.

52 auf das Fehlen einer Akademie zurückzuführen. Tatsächlich ist es sicher gerechtfertigt, die Aktivitäten der Acadömie franfaise und zahlreicher Institutionen und Organisationen zur Pflege des bon usage, die große Masse an normativem Schrifttum, das sich des Themas annimmt, und die lange Tradition halboffzieller und offizieller Sprachnormierung bis hin zur Sprachgesetzgebung von staatlicher Seite als Ausdruck von Spracheinstellungen zu werten.45 Die Aktivitäten, die in diesem Zusammenhang in neuerer Zeit besondere Beachtung verdienen, sind in Müller (1985:40ff. und 290ff.) dargestellt. Über die neuesten Entwicklungen - etwa die Arbeit der staatlichen Delegation gdnerale ä la langue frangaise und ihre Zusammenarbeit mit zahlreichen Sprachgesellschaften, darunter der Vereinigung Defense de la langue frangaise, die Beachtung des Themas in der Presse oder seine Bedeutung im Diskurs von Politikern - informiert Schmitt (1998:215ff.). Dieses Forschungsinteresse noch in jüngster Zeit zeigt, daß die Thematik nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat. Fragen der Pflege des bon usage werden in Handbüchern zum Französischen auf breitestem Raum behandelt. Zwar richtet sich die normative Aktivität neuerer Institutionen der Sprachpflege in besonderem Maße auf Entlehnungen (Anglizismen), Neologismen, Wortbildungen und die Standardisierung von Fachterminologien.46 In seinen Anfängen war der bon usage jedoch eindeutig diastratisch definiert. Schon bei Malherbe ist indirekt eine soziale Fixierung festzustellen,47 und nach der bekannten Definition von Vaugelas aus dem Jahr 1647 ist der bon usage identisch mit "la fa?on de parier de la plus saine partie de la Cour, conformöment ä la fafon d'escrire de la plus saine partie des Autheurs du temps". 48 Betrachtet man nun die Bereiche, auf die sich die Normierungsbestrebungen richten, so wird deutlich, daß einerseits der grammatische, andererseits aber auch der lexikalisch-semantische Bereich immer im Vordergrund standen. So richtete sich Malherbes Arbeit im Namen der bienseance vor allem gegen die "mots bas et plöWes".49 Daß der Wortschatz 45

Ryan [u.a.] (1988:1068) beschreiben die Auswertung von Dokumenten staatlicher Sprachpolitik als eine von mehreren Methoden der attitude-Forschung. Vgl. auch die Forderung von SchliebenLange (1982:222), die Beziehung zwischen Sprachbewußtsein und Sprachpolitik in künftigen Forschungen stärker zu berücksichtigen. Natürlich stellt sich die Frage, warum die attitude-Forschung in Frankreich eine viel geringere Rolle spielt als im angelsächsischen Sprachraum. Schlieben-Lange ( 3 1991:53f.) macht darauf aufmerksam, daß die Soziolinguistik in Frankreich zunächst der strukturalistisch orientierten Textlinguistik etwa eines Barthes nahestand und dadurch eine ganz andere Entwicklung nahm als in anderen europäischen Ländern. Die atfjfHife-Forschung und ihre bevorzugte Methode, die matched-guise-Technik, ist auf das Testen von Einstellungen zu Sprechweisen zugeschnitten und kommt damit der textlinguistischen Ausrichtung der französischen Soziolinguistik wenig entgegen, was das geringe Interesse erklären könnte. Da die matchedgHMe-Technik in besonderem Maße dafür geeignet ist, Einstellungen zu Akzenten bei vorgelesenen identischen Texten zu testen, könnte die geringe Popularität derartiger Untersuchungen in Frankreich eventuell auch ein Zeichen dafür sein, daß die Aussprache anders als in England nicht als potentiell interessanter und untersuchenswerter class marker betrachtet wird. Jedenfalls läßt sich die schwache Position der α/fi'ftttfe-Forschung in Frankreich durch plausible Gründe erklären und sollte nicht dahingehend gedeutet werden, daß gegenüber diastratischer Varianz eine große Toleranz besteht.

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Vgl. Müller (1985:40ff.). Vgl. die Erörterung dieses nicht ganz unstrittigen Punktes bei Wolf (1983:106f.). Zitiert nach Wolf (1983:111). Zitiert nach Lausberg (1950:192).

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53 auch in neuester Zeit eine zentrale Rolle spielt, weist Schmitt (1998:221ff.) anhand einer Analyse des Diskurses der Difense de la langue frangaise, des Organs der gleichnamigen Vereinigung, nach. Natürlich läßt sich vorbildlicher Sprachgebrauch auch in Frankreich heute nicht mehr so eindeutig an eine Gesellschaftsschicht binden wie zur Zeit der französischen Klassik. Dennoch urteilt Müller (1985:229) bezüglich des bon usage: "une certaine correlation avec la structure sociale s'est maintenue jusqu'ä nos jours", und erklärt den Wortschatz zum class marker ersten Ranges : "II est caractöristique que се soit le vocabulaire qui fournisse aujourd'hui les indices les plus sürs et les plus nombreux pour situer un interlocuteur, car la phon&ique, la morphologie et meme la syntaxe sont d£jä par trop uniformisies" (Müller 1985:173). So ist es sicher nicht verkehrt, einen Zusammenhang zwischen den historischen Wurzeln des bon usage und der nach wie vor starken Position des diastratischen Kriteriums in den Markierungsangabensystemen französischer Wörterbücher und in der französischen Linguistik überhaupt zu sehen. Die unterschiedlichen Tendenzen französischer und englischer Wörterbücher bezüglich der Gewichtung diastratischer und diaphasischer Markierungskriterien könnten also damit zusammenhängen, daß die Wortschatzpflege im diastratisch markierten Bereich für das Französische historisch fest verankert ist und bis heute eine bedeutende Rolle spielt, während sie für das Englische keine vergleichbar starke Position innehat. Vor dem Hintergrund der 6o«-Miage-Diskussion in Frankreich überrascht auch das zweite Ergebnis der Bestandsaufnahme nicht. Es lautete dahingehend, daß auf französischer Seite mit Hilfe der Definition des Markers litteraire geschriebener literarischer Sprachgebrauch explizit als vorbildlich dargestellt wird. Blickt man auf die historische Entwicklung des bon usage, so wird die Bindung dieses vorbildlichen Sprachgebrauchs an das Kriterium "geschrieben" und die Textsorte "Literatur" plausibel: Während sich der bon usage bei Vaugelas auf die gesprochene Sprache ("la fa9on de parier") einer Gesellschaftsschicht bezog, verschob sich seine Definition mit dem Zusammenbrechen der Sozialhierarchie des Ancien rigime: Vom Sprachgebrauch des Hofes wurde er zum Sprachgebrauch der bons auteurs, womit konkret die Schriftsteller des klassischen 17. Jahrhunderts gemeint waren. Die Folge war eine Gleichsetzung der Normsprache mit der geschriebenen Sprache der (schönen) Literatur.50 Hier dürften also die Wurzeln der Bindung der Idealnorm an die Gattung "Literatur" und das diamediale Kriterium "geschrieben" in französischen Wörterbüchern liegen. Daß zumindest gegenwärtig die geschriebene "literarische" Sprache in England ein deutlich geringeres Prestige hat als in Frankreich, zeigt auch die Zusammensetzung von Korpora und Belegsammlungen, die als Grundlage von Wörterbüchern erstellt werden: In englischen Korpora hat aktuelle gesprochene und geschriebene "nichtliterarische" Sprache (z.B. Pressetexte) einen zunehmend hohen Anteil, während die Materialgrundlagen der französischen Wörterbücher viel traditioneller bleiben. In den RobertWörterbüchern zum Beispiel beschränken sich Neuerungen auf die (gemäßigte) Einbeziehung von zeitgenössischer fiktionaler Literatur, von Trivialliteratur, Filmtexten, Chansonund Kabarettexten. Ältere Autoren machen aber noch immer einen großen Anteil aus, und Aufzeichnungen gesprochener Sprache werden überhaupt nicht erwähnt.51 Auch gegenüber 50 51

Vgl. Müller (1985:284f.). Vgl. auch Hausmann (1997:184) und Heinz (1994:115f.). Zwar beziehen sich diese Autoren auf die Auswahl der Zitate, aber man kann wohl aus dieser im wesentlichen auf die Zusammenset-

54 der Sprache der Massenmedien herrscht weiterhin große Zurückhaltung.52 Die französischen Materialsammlungen bleiben also auch in ihren Neuerungen näher an einem traditionellen Literaturbegriff, wie er dem Sprachgebrauch entspricht, der durch den Marker litteraire erfaßt wird, während sich die englischen Korpora weit davon entfernt haben. Verfolgt man die Geschichte des bon usage in Frankreich nun weiter, so findet sich auch ein Ansatzpunkt zur Interpretation des dritten Ergebnisses aus der Gegenüberstellung der Systeme der Markierungsangaben. Der Vergleich hatte ergeben, daß die englischen Wörterbücher die untersuchten Marker auf mehrere horizontal gegliederte und lose zusammengefaßte Gruppierungen verteilen, während die französischen sie in ein und demselben hierarchisch strukturierten Mikrosystem zusammenfassen, obwohl sie doch ganz unterschiedliche Definitionselemente enthalten. Hier kann ein Zusammenhang mit einer erneuten Verschiebung des Begriffs vom bon usage in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und mit seiner Einbindung in ein hierarchisch strukturiertes Modell qualitativer "Sprachniveaus" gesehen werden. Konnte die Acadömie fran?aise im Vorwort zur achten Auflage ihres Wörterbuchs von 1932 den bon usage noch definieren als die Sprache der "personnes instruites et des 6crivains qui ont souci d'dcrire purement le franfais" (IV), so wurde diese Definition mit der Öffnung der Literatur für die gesprochene Sprache und für Varietäten, die nicht mehr der Norm entsprachen, fragwürdig; an die Stelle der Vorstellung vom vorbildlichen Sprachgebrauch als dem Sprachgebrauch einer bestimmten Gruppe von Schriftstellern trat die Konzeption einer "qualitativen" Schichtung unter der Bezeichnung niveaux de langue, wie sie z.B. Müller (1985:226) darstellt (vgl. Abb.3). Verschiedene Arten von Sprachgebrauch werden dabei ohne Berücksichtigung von Faktoren, die die Unterschiede bedingen könnten, in einem hierarchisch strukturierten und dementsprechend wertenden Modell "du meilleur au plus mauvais" zusammengefaßt,53 wobei Terminologie und Strukturierung dem hier betrachteten Mikrosystem in den französischen Wörterbüchern ziemlich genau entsprechen. Abb.3 Niveaux de langue (Müller 1985:226) fran^ais cultive

(ou fr. soigni, choisi, soutenu, tenu)

— M - R M t franpiis courant

(ou fr. usuel, commun)

fran^ais familier franfais populaire franfais vulgaire

(ou fr. argotique)

zung der Belegsammlungen schließen. Die Frage nach der Zusammensetzung der Korpora wird in Kapitel 6 im Detail besprochen. 52 Vgl. Hausmann (1997:185), der allerdings TLF eine große Offenheit gegenüber der Zeitungssprache bescheinigt. Laut Stein (1995:3) finden inzwischen auch nichtliterarische Texte (z.B. fachsprachliche Texte) Eingang in die Datenbank Frantext, die TLF zugrunde liegt. 53 Müller (1985:225).

55 Interessant ist wiederum ein Vergleich der Wörterbuchentwicklung mit der Entwicklung der theoretischen Sprachwissenschaft in den beiden Ländern. Auch für das Englische war in frühen Versuchen der Klassifizierung von Varietäten ein Ansatz üblich, der von der Existenz einiger weniger hierarchisch angeordneter und entsprechend gewerteter levels ausging. 54 Allerdings wurde er relativ früh durch mehrdimensionale Modelle abgelöst, die für die englische Sprachwissenschaft als etabliert gelten. 55 Verschiedene Arten von Sprachgebrauch werden hier nicht mehr hierarchisch auf einer Skala angeordnet; vielmehr geht man davon aus, daß durch verschiedene Einflußfaktoren verschiedene Arten von Varietäten entstehen, die in sich wiederum eine mehr oder weniger große Varianz aufweisen. In der französischen Sprachwissenschaft scheint das w'veau-Modell dagegen wesentlich langlebiger zu sein und erst in neuester Zeit in Frage gestellt zu werden. Als exemplarisch für das frühe /eve/-Modell des Englischen wird die Einteilung von Krapp (1927:55) zitiert, der Literary English, Formal Colloquial, General Colloquial, Popular English und Vulgar English unterscheidet.56 Eine Änderung dieser Sichtweise trat mit Fries (1940) ein. Er begründete die Unterscheidung mehrerer Ebenen sprachlicher Variation, die durch verschiedene außersprachliche Faktoren bedingt sind (historical differences, regional differences, literary and colloquial differences, social or class differences). Ein weiterer Schritt wurde 1948 von Kenyon unternommen. Mit der Unterscheidung von cultural levels (standard - substandard) und functional varieties (formal - familiar) etablierte er für das Englische eine explizite Trennung der beiden Kategorien von Sprachgebrauch, die hier als diastratisch und diaphasisch bezeichnet werden: "What are frequently grouped together in one class as different levels of language are often in reality false combinations of two distinct and incommensurable categories, namely, cultural levels and functional varietes" (Kenyon 1948:31). Für das Französische hatte Coseriu (1966), aufbauend auf dem Modell von Flydal (1951), der Unterscheidung diatopischer und diastratischer Varietäten ein drittes Kriterium, das diaphasische, hinzugefugt und die Bezeichnung Sprachniveaus oder Sprachebenen nur auf diastratische Varietäten bezogen.57 Dennoch halten noch Desirat/Horde (1976) und Müller (1985) am Modell der niveaux qualitatifs fest, das im übrigen bei Desirat/Hord6 (1976:35ff.) unter der Überschrift "Les differences sociales" steht und so wiederum die starke Rolle diastratischer Kriterien in der französischen Sprachwissenschaft belegt. Dasselbe gilt für die Metalexikographie. So ordnet Hausmann (1977:118ff.) Marker, die den hier besprochenen vergleichbar sind, noch in eine einzige Hierarchie mit der Bezeichnung niveaux de langue und stellt das Kapitel unter die Überschrift "Diastratische Markierung (Der soziale Status der Wörter)".58 In Hausmann (1989b) ist die Trennung diaphasischer und diastratischer Markierungskriterien dann vollzogen.

54 55

56 57 58

Im folgenden für das Englische nach Barnickel (1982, Bd. 1:16ff.). Von dieser Trennung der Dimensionen auf der theoretischen Ebene der Sprachbeschreibung bleibt unberührt, daß sich in neuerer Zeit die Linguistik für Beziehungen zwischen den Varietäten in der Weise interessiert, daß soziale und regionale Varietäten situationsabhängig als Register eingesetzt werden können, vgl. Barnickel (1982, Bd.l:21). Zur Akzeptanz der Trennung in der englischen und amerikanischen Linguistik vgl. Barnickel (1982, Bd.l:19f.). Vgl. die Darstellung in Barnickel (1982, Bd. 1:16). Nach Albrecht (1986:74f.). Im Kapitel entsteht allerdings eher der Eindruck, daß es um eine Schichtung nach Kommunikationssituationen geht; jedenfalls fehlt eine explizite Abgrenzung diastratischer und diaphasischer Kriterien.

56 Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, daß die französischen Markierungsangabensysteme weiterhin dem niveau-Modell nahestehen. In der englischen und amerikanischen Sprachwissenschaft dagegen ist das Aufbrechen des /eve/-Modells auf theoretischer Ebene offenbar seit längerer Zeit etabliert und scheint auch auf angewandter Ebene in den neuen englischen Wörterbüchern vollzogen zu sein. Die These, von der die vorliegende Arbeit ausgeht, ist der Zusammenhang zwischen der Machart, der Konzeption von Wörterbüchern und der "Kultur" oder Gesellschaft, in der die Wörterbücher entstanden sind. Wie die vorangehenden Überlegungen zu den Markierungsangabensystemen der Wörterbücher zeigten, sind die metasprachlichen Haltungen in den Sprachgemeinschaften, soweit sie als Teil von "Kultur" betrachtet werden können, von großer Bedeutung. Für die Interpretation französischer Praktiken erwiesen sich die Spracheinstellungen, die in der Pflege des bon usage und der Geschichte seiner Konzeption zum Ausdruck kommen, als hilfreich: Das Festhalten der Wörterbücher an diastratischen Kriterien der Wortschatzschichtung, die Assoziation Supernorm - geschriebene Sprache (schöne) Literatur und die Zusammenfassung diastratisch, diaphasisch und diamedial definierter Marker in einem hierarchisch ordnenden und wertenden Mikrosystem zeigt Parallelen zur ursprünglich diastratischen Definition des bon usage, zu seiner Umdeutung als Sprachgebrauch der "bons auteurs" und schließlich zu seiner Einbindung in ein hierarchisch angeordnetes Modell qualitativ definierter "Sprachniveaus". Neueste Forschungsergebnisse zeigen, daß diese Themen in Frankreich nach wie vor aktuell sind, während die diastratische Schichtung des Wortschatzes - eventuell im Gegensatz zu der der Aussprache - im metasprachlichen Bewußtsein englischer Sprecher wohl keine vergleichbare Position einnimmt. In der englischen bzw. anglistischen Linguistik richten sich neuere Forschungsinteressen dagegen besonders auf den Bereich der diaphasischen Varianz, die heute auch in den Markierungsangabensystemen englischer Wörterbücher auf Kosten der diastratischen Varianz verstärkt berücksichtigt wird. Damit ist bereits ein zweites Element von "Kultur" angesprochen, für dessen Relevanz für lexikographische Entscheidungen sich Anhaltspunkte ergaben: die Entwicklung und Forschungsinteressen der theoretischen Sprachwissenschaft. So kann die Bevorzugung diaphasischer Markierungskriterien in den englischen Wörterbüchern im Zusammenhang mit dem Boom der Pragmalinguistik in der englischen Sprachwissenschaft gesehen werden. Die hierarchische Struktur des diastratisch-diaphasisch-diamedial definierten Mikrosystems in den französischen Wörterbüchern findet eine Parallele in der Langlebigkeit des /w'veaK-Modells in der französischen Linguistik und Metalexikographie, und die eher pragmatische horizontale Anordnung der entsprechenden Marker in verschiedenen Mikrosystemen der englischen Wörterbücher deckt sich mit dem inzwischen etablierten Aufbrechen des /eve/-Modells in der englischen Sprachwissenschaft. Insgesamt bleiben die französischen Systeme der Markierungsangaben stärker in überkommenen Traditionen verhaftet, während sich auf der englischen Seite eine entschiedenere Abkehr von der Tradition feststellen läßt.

57 3.3

3.3.1

Selektion und Vergabe v o n Markierungsangaben

Bestandsaufnahme: diastratisch und diachronisch markierter Bereich

Nachdem anhand des diastratisch-diaphasisch-diamedialen Markierungsbereichs exemplarisch einige Punkte aufgezeigt worden sind, in denen sich die Markierungsangabensysteme in englischen und französischen Wörterbüchern unterscheiden, soll nun ein Blick auf die Praxis der Selektion und der Vergabe von Markierungsangaben geworfen werden. Wie bereits in Kapitel 3.1 erläutert, wurden hierfür der diastratisch-diaphasisch-diamediale und der diachronische Bereich ausgewählt, da sich den Vorwörtern der Wörterbücher entnehmen läßt, daß diese Bereiche in Hinblick auf die Normfrage bedeutsam sind. 59 Es wird also darum gehen, anhand der Auswertung von Material aus den Wörterbüchern zu untersuchen, wie sie sich zu diesen Bereichen stellen, d.h. in welchem Umfang sie bereit sind, entsprechend markiertes Wortschatzmaterial überhaupt aufzunehmen und wo bei dem aufgenommenen Wortschatz die Grenze zwischen unmarkiertem und markiertem Gebrauch gezogen wird. Angesichts der Unterschiede in der Anlage der Markierungsangabensysteme, die im vorhergehenden Kapitel festgestellt wurden, stellt sich speziell im diastratischen Markierungsbereich natürlich die Frage, inwieweit eine vergleichende Auszählung zur Selektionspraxis und zur Markervergabe über zwei Wörterbuchlandschaften hinweg überhaupt vergleichbare Ergebnisse liefern kann. 60 Die französischen Wörterbücher verwenden ein hierarchisierendes System von Markierungsangaben und sehen die Möglichkeit der Markierung "unterhalb" und "oberhalb" des unmarkierten Gebrauchs vor. Hier kann sicher danach gefragt werden, wie sich diese Wörterbücher bei der Vergabe von Markern gegenüber der "Subnorm" und der "Supernorm" verhalten. Bei den englischen Wörterbüchern, die ein eher horizontal gegliedertes Markierungsangabensystem verwenden und die untersuchten Markierungsangaben nicht unbedingt in einem geschlossenen Mikrosystem zusammenfassen, kann nicht so einfach von Subnorm und Supernorm gesprochen werden. Allerdings ist denkbar, daß auch Marker wie informal oder colloquial, die über die Definition eindeutig auf die Benutzungssituation und nicht auf den sozialen Status des Sprechers bezogen werden, vom Benutzer als abwertend interpretiert werden. Gemeinsam ist den Markem auf der englischen wie auf der französischen Seite in jedem Fall, daß mit ihrer Vergabe Restriktionen im Gebrauch von entsprechend markierten Wörtern in bestimmten sozialen Situationen angezeigt werden. Wenn diese Restriktionen als tertium comparationis betrachtet werden, so scheint es durchaus statthaft, die Häufigkeit der Vergabe von Markem wie slang/informal/spoken und formal/written auf der englischen Seite mit der Verwendung von argot/populaire/familier und litteraire/soutenu auf der französischen Seite zu vergleichen. Allerdings muß beachtet werden, daß die Art der Restriktionen nicht unbedingt deckungsgleich ist.

59

60

Der ebenfalls zur Diskussion stehende dianormativ markierte Bereich wird im Zusammenhang mit den Usage Notes in Kapitel 3.4 besprochen. Mit "diastratischer Markierungsbereich" werden künftig der Einfachheit halber die Bereiche diastratischer, diaphasischer und diamedialer Markierung bezeichnet, deren Verflechtung in Kapitel 3.2 herausgearbeitet wurde.

58 3.3.1.1 Diastratisch markierter Sprachgebrauch Was das Verhältnis von Selektion und Vergabe von Markierungsangaben im als diastratisch "niedrig" markierten Bereich und seinen Bezug zur Normativität der Wörterbücher angeht, so liegt der Untersuchung die folgende Ausgangsüberlegung zugrunde: Als sehr normativ gegenüber Einheiten, für die die Vergabe eines Markers vom Typ slang/informal/spoken bzw. argot/populaire/familier in Frage kommt, dürfte wohl ein Wörterbuch betrachtet werden, das wenig derartige Einheiten aufnimmt und von den aufgenommenen, die ja bereits durch eine strenge Selektion gegangen sind, relativ viele mit Markern versieht. Die Zahl der vergebenen Marker allein kann also noch nicht als Indikator für die Normativität eines Wörterbuchs gewertet werden. Wenn wenig Marker vergeben werden, so kann dies schlicht bedeuten, daß Material, für das die Vergabe eines Markers in Frage gekommen wäre, von vornherein ausgeschlossen wurde. Konvergieren aber strenge Selektion und reiche Vergabe von Markern, so bedeutet dies, daß in der Norm, die das Wörterbuch reflektiert und propagiert, das unmarkierte "Niveau 0" relativ hoch angesetzt wurde und das Wörterbuch entsprechend stark normativ gegenüber dem entsprechenden Wortschatzbereich ist. Nach Ripfels Wörterbuchtypologie muß ein Wörterbuch, das sich in erster Linie des Mittels der Selektion bedient und dann wenig Markierungsangaben vergibt, als verdeckt normativ betrachtet werden, zumal wenn die Selektionskriterien im Vorwort nicht offengelegt werden. Ein Wörterbuch, das bei einer großzügigen Aufnahmepraxis viele Markierungsangaben vergibt, kann als offen normativ gelten. Dies soll jedoch kein Plädoyer für eine sparsame Vergabe von Markierungsangaben mit dem Ziel einer falsch verstandenen größeren Deskriptivität sein. "Offene Normativität" kann zunächst einmal einfach bedeuten, daß Wertungen von Sprachgebrauch, die im metasprachlichen Bewußtsein der Muttersprachler verankert sind, offengelegt und beschrieben werden. Ein Wörterbuch, das durch eine zu sparsame Vergabe von Markierungsangaben "deskriptiver" ist als die Gesellschaft, deren Sprachgebrauch es beschreibt, dürfte wohl seinem Zweck nicht gerecht werden. Speziell in Lernerwörterbüchern sind Markierungsangaben als Hilfe für die aktive Sprachproduktion unverzichtbar.61

Die Selektionspraxis der Wörterbücher und ihre Praxis bei der Vergabe von Markierungsangaben wurden an zwei getrennten Stichproben untersucht, da für repräsentative Aussagen über die Markervergabe eine erheblich größere Materialbasis notwendig war. Die Stichprobe für die Untersuchung der Selektion wurde mit Hilfe von je vier semantisch äquivalenten Einträgen bzw. Wortfeldern in C O L L I N S T H E S A U R U S (1995) und T H E S A U R U S L A R O U S S E 2 (1992) zusammengestellt. Die Wahl fiel auf die Wortfelder drunk/ivre, police/police, toilet/lieux d'aisances und sex/sexualiti, in denen viele Wörter des interessierenden Markierungsbereichs zu erwarten waren. Aus den relevanten Einträgen wurde für die englische und für die französische Seite jeweils die gleiche Anzahl von Einheiten herausgegriffen, die eine der hier interessierenden Markierungsangaben tragen. So entstand eine Stichprobe von je 50 Einheiten, die daraufhin überprüft wurden, ob sie in der jeweils markierten Bedeutung in den Wörterbüchern verzeichnet sind. Bei COLLINS THESAURUS handelt es sich strenggenommen nicht um einen Thesaurus in der durch ROGET'S THESAURUS OF ENGLISH WORDS AND PHRASES g e p r ä g t e n W o r t b e d e u t u n g , s o n d e r n u m d e n

61

Vgl. Hausmann (1977:129) und Jehle (1990:296).

59 in England eigentlich weniger als in Frankreich und den USA heimischen Typ des dictionnaire analogique oder thesaurus dictionary, also einen Thesaurus mit alphabetisierter Makrostruktur.62 Für die Zusammenstellung der englischen Stichprobe hatte dies zur Folge, daß nicht nur die Einträge drunk, police, toilet und sex auf in Frage kommendes Material gesichtet werden mußten, sondern auch deren Synonyme. COLLINS THESAURUS und THESAURUS LAROUSSE erschienen als

Grundlage für die Materialbasis aus folgenden Gründen geeignet: Beide sind relativ neu, so daß sie eine sinnvolle Basis für die Bewertung der neuen Wörterbuchgeneration bilden, umfangreich genug, um auch extensive Wörterbücher in der Selektion zu übertreffen, und vom Umfang her am ehesten vergleichbar. Allerdings ist THESAURUS LAROUSSE noch etwas umfangreicher als COLLINS THESAURUS. Entsprechend wurden Einheiten mit diastratischen Markierungsangaben aus THESAURUS LAROUSSE, wenn sie in keinem der fünf hier untersuchten französischen Wörterbücher verzeichnet sind, nicht in die Stichprobe einbezogen. Dies sollte verhindern, daß Material zugrunde gelegt wird, das eventuell allein schon aufgrund seiner niedrigen Frequenz und nicht aufgrund seiner diastratischen Markierung aus allgemeinen Wörterbüchern ausgeschlossen werden könnte. Auf der englischen Seite mußte dieses Ausschlußkriterium nicht angewandt werden, da es keine vergleichbaren Fälle gab. Zur Selektion der Einheiten für die Stichproben ist außerdem zu sagen, daß gegenüber Mehrwortlexemen (fam.: soul comme une grive) und Einheiten mit doppelter Markierungsangabe (fam.: pipi-room [anglic.]) Zurückhaltung geübt wurde, da auch hier ein Ausschluß aus dem Wörterbuch aus anderen Gründen als der diastratischen Markierung denkbar ist. Ein Problem ist die eventuelle Zirkularität der Beweisführung. Die beiden Thesauri sind in denselben Gesellschaften wie die untersuchten Wörterbücher entstanden und unterliegen damit in ihrer Konzeption und ihren Konventionen bei der Vergaben von Markern denselben gesellschaftlichen Einflüssen. So ist durchaus zu vermuten, daß in einer Wörterbuchlandschaft, in der die allgemeinen einsprachigen Wörterbücher normativ sind, dasselbe auch für die Thesauri gilt. Andererseits sind die hier ausgewählten Thesauri so umfangreich, daß das Problem wohl weitgehend reduziert wird. Aus Anhang A2 geht hervor, wie sich die Stichproben zusammensetzen und in welchen Wörterbüchern die jeweilige Einheit verzeichnet ist. Zwischen einer Eintragung als Lemma, als Nest- bzw. Nischenlemma oder im Beispielteil mit oder ohne Definition wurde dabei kein Unterschied gemacht. Tab.2 zeigt die vergleichende Auszählung der Selektionspraxis in den englischen und französischen Wörterbüchern. Die erste Spalte gibt Auskunft über die Anzahl der im Thesaurus ausgewählten markierten Glieder des jeweiligen Wortfeldes; in den weiteren Spalten ist angegeben, wie viele dieser Einheiten in den Wörterbüchern verzeichnet sind. Da die Ergebnisse für jedes einzelne Wortfeld und für alle Wortfelder zusammengenommen etwa in derselben Größenordnung liegen, kann man davon ausgehen, daß die Stichprobe groß genug ist, um aussagekräftig zu sein. Bei der Auswertung wurde das Augenmerk auf die Politik gegenüber diastratisch markiertem Sprachgebrauch ganz generell gerichtet und nicht so sehr auf die Frage, welche Haltung die englischen und französischen Wörterbücher (bzw. die englische und französische Gesellschaft) gegenüber den einzelnen jeweils bezeichneten Bereichen der außersprachlichen Wirklichkeit einnehmen. Zwar ist dies sicher ein Aspekt, von dem in der sprachlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht völlig abstrahiert werden kann; dennoch sind nur die Zahlen, die jeweils in der Zeile "Summe" angegeben sind, für die weitere Diskussion relevant.

62 Vgl. Hausmann (1990b: 1094).

60 Tab.2 Selektion im diastratischen Markierungsbereich COLLINS

COD

LDOCE

OALD

COBUILD

10 5 3 8 26

Ι

THESAURUS

drunk police toilet sex

20 10 5 15

17 10 3

19 7 4

13

14

12 7 4 8

Summe

50

43

44

31

THESAURUS

NPR

LEXIS

PL

MR

DFColl

11

14 4 3 5

6 1 2 3

26

12

LAROUSSE

ivre police lieux d'aisances sexualitä

20 10 5 15

18 9 5 14

12 8 4 10

8 5 12

Summe

50

46

34

36

Wie die Zählung zeigt, steht bei den allgemeinen Wörterbüchern NPR mit 46 Aufnahmen an der Spitze. COD mit 43 Aufnahmen bleibt nur unwesentlich dahinter zurück; die übrigen französischen Wörterbücher desselben Typs (PL und LEXIS mit 36 und 34 Aufnahmen) verfahren jedoch deutlich restriktiver.63 Sieht man von NPR einmal ab, so entsteht also der Eindruck stärkerer Zurückhaltung auf der französischen Seite, und dieser verstärkt sich bei der Betrachtung der Ergebnisse für die Lernerwörterbücher: LDOCE liegt mit 44 Aufnahmen etwa gleich mit COD und NPR und läßt dabei LEXIS und PL weit hinter sich zurück. Auch OALD und COBUILD sind mit 31 und 26 Aufnahmen den französischen Lernerwörterbüchern (MR 26 Aufnahmen, DFColl 12 Aufnahmen) insgesamt überlegen. Allgemein gesagt sind also die englischen Wörterbücher eher als die französischen Wörterbücher bereit, Material mit "niedriger" diastratischer Markierung aufzunehmen. Dies gilt sowohl im Bereich der allgemeinen Wörterbücher als auch besonders im Bereich der Lernerlexikographie. Interessant ist auch ein Vergleich der Selektionspolitik von allgemeinen Wörterbüchern und Wörterbüchern für Lerner innerhalb ein und derselben Wörterbuchlandschaft. Hier ist festzustellen, daß die französischen Lernerwörterbücher zu größerer Restriktivität im Vergleich zu den allgemeinen Wörterbüchern neigen als ihre englischen Pendants. Dies gilt insbesondere im Vergleich mit LDOCE, das COD sogar knapp übertrifft (44 gegenüber 43 Aufnahmen). Dieselbe Tendenz läßt sich aber auch bei den übrigen Lernerwörterbüchern ablesen: Werden die 43 Aufnahmen von COD und - als Mittelwert - 39 Aufnahmen fiir NPR, LEXIS und PL jeweils als 100% gesetzt, so können OALD und COBUILD 72% bzw. 60% der Aufnahmen von COD vorweisen, während MR und DFColl 67% bzw. 31% der Aufnahmen der größeren Wörterbuchkategorie erreichen und damit insgesamt gesehen stärker reduzieren.

63

Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zu Müller (1985:38), der die Meinung vertritt, die Stärke der Larousse-Wörterbücher sei u.a. die Berücksichtigung des Substandards.

61 Natürlich müssen die Ergebnisse dieser Zählungen in Relation zum Gesamtumfang der Wörterbücher gesehen werden. Je umfangreicher ein Wörterbuch ist, umso eher werden generell auch marginale Wortschatzelemente aufgenommen sein, und dazu können eben auch diastratisch markierte Elemente zählen. Verläßliche Zahlen zum Lemmabestand der Wörterbücher sind kaum zu beschaffen. Dennoch ist eindeutig, daß COD einen weniger umfangreichen Lemmabestand hat als die allgemeinen französischen Wörterbücher - zumindest LEXIS und insbesondere NPR - und auch in Hinblick auf die Menge der Informationen im Artikelinneren hinter diesen zurückbleibt. Vor diesem Hintergrund tritt seine großzügige Aufnahmepraxis gegenüber diastratisch markiertem Wortschatz noch deutlicher hervor, bleibt es doch nur wenig hinter NPR zurück und übertrifft LEXIS und PL. Was die Lernerwörterbücher angeht, so sind die französischen weniger umfangreich als die englischen. Insofern ist es im Grunde nicht erstaunlich, daß sie auch gegenüber diastratisch markiertem Wortschatz zurückhaltender verfahren, so daß ihre Selektion speziell im diskutierten Bereich vielleicht nicht um so vieles strenger ist, wie die Zählung vermuten läßt. Dennoch ist haltbar, daß in dem engeren Ausschnitt aus der Sprachwirklichkeit, den die französischen Lernerwörterbücher präsentieren, eine beträchtliche Menge an umgangssprachlichem Wortschatz ausgeblendet wird. Der präsentierte Ausschnitt ist also nicht nur kleiner, sondern dürfte auch zu einem "höheren" Niveau hin verschoben sein. Da die englischen Wörterbücher offenbar tendenziell eine höhere Aufnahmebereitschaft im diastratisch markierten Bereich zeigen, stellt sich nun die Frage, ob sie entsprechend auch mehr Markierungsangaben vergeben, da ja offensichtlich mehr Material vorhanden ist, für das eine Markierungsangabe in Betracht käme. Zur Klärung dieser Frage wurde versucht, die Praxis der Vergabe von Markierungsangaben quantitativ zu erfassen. Da zum Erzielen verläßlicher Ergebnisse eine recht umfangreiche Materialbasis notwendig war, bot sich die Arbeit mit einer alphabetischen Stichprobe aus über das gesamte Alphabet verteilten Artikelteilstrecken an. Sie umfaßt pro Wörterbuchlandschaft je 500 Einheiten. Diese wurden daraufhin ausgewertet, wie viele von ihnen mit einem Marker versehen sind. Die Stichprobe für das Korpus wurde ausschließlich aus Einträgen für Substantive zusammengestellt. Da Markierungsangaben häufig nicht einem gesamten Eintrag mit allen seinen Bedeutungen, sondern nur einzelnen Bedeutungen innerhalb eines Eintrags gelten, zählte als eine Einheit eine Bedeutung, wie sie durch eine vorausgehende arabische Ziffer oder durch eine untergeordnete Definition innerhalb eines bezifferten Paragraphen gekennzeichnet ist. Entsprechend wurden die jeweils 50 ersten Bedeutungen berücksichtigt, die unter den Buchstaben b, d, f, h, 1, n, p, r, t und ν zu substantivischen Lemmata verzeichnet sind. Bezog sich eine Markierungsangabe auf mehrere Definitionen innerhalb eines Eintrags, so wurde sie entsprechend auch mehrfach gezählt.

Tab.3.1 zeigt die Anzahl der Markierungsangaben in den Bereichen familier/populaire/ argot bzw. informal/'spoken/slang bezogen auf das Gesamtkorpus von 500 Einheiten. Die unterste Zeile zeigt jeweils die Summe für alle hier interessierenden Marker. Diese Zahlen werden zum Ausgangspunkt für die Auswertung gemacht. Dies soll nicht etwa heißen, daß es keine kulturelle Relevanz hätte, ob ein Wörterbuch z.B. den Marker populaire häufig vergibt oder aber den weniger extremen Marker familier vorzieht. Über Divergenzen zwischen den Wörterbüchern bezüglich der vergebenen "Markierungsstufe" im и/veaw-Modell ist viel geschrieben worden.64 Der immer wieder beobachtete "Aufstieg" von Wörtern von 64 Vgl. z.B. Müller (1985:231ff.) und Hausmann (1989b:650).

62 der Markierungsangabe argot über populaire bis hin zu familier in verschiedenen Auflagen ein und desselben Wörterbuchs wird dabei meist als Anzeichen gewertet, daß das betreffende Wörterbuch - und die Gesellschaft - mit späteren Auflagen liberaler wurden. 65 Zum Vergleich zwischen zwei Wörterbuchlandschaften sind die Zahlen für die einzelnen Marker aber weniger geeignet, da familier und informal, argot und slang nicht als direkt äquivalent betrachtet werden können und das niveau-Modell, wie bereits erörtert, in den englischen Wörterbüchern ohnehin nicht greift. Die "Markierungsstufen" werden hier also nicht zum Gegenstand der Untersuchung gemacht. Tab.3.1 Markierungsangaben im diastratischen Bereich 1

[

NPR

LEXIS

PL

MR

DFColl

Ι familier

32

1 populaire

2 3

18 6

28 4

22 0

18 3

4

4

0

0

28

36

22

21

I argot 1 Summe

informal spoken slang Summe

37 [COD

LDOCE

OALD

COBUILD

| 17 (colloq.) kein Marker 9

16 3 4

25 kein Marker 6

22 0 kein Marker

126

23

31

22

Wie sich aus der Zählung ergibt, vergeben die französischen allgemeinen Wörterbücher etwa ebenso viele Markierungsangaben (LEXIS mit 28 Markierungsangaben) oder deutlich mehr (PL mit 36 und NPR mit 37 Markierungsangaben) als COD (26 Markierungsangaben). Was die Lernerwörterbücher angeht, so erreicht OALD mit 31 Markern eine Spitzenposition, die etwas aus dem Rahmen fällt. LDOCE und COBUILD mit 23 und 22 Markierungsangaben liegen jedoch etwa gleich mit MR (22 Markierungsangaben) und DFColl (21 Markierungsangaben). Von einer generell erhöhten Bereitschaft zur Vergabe von Markierungsangaben, die ein Gegengewicht zur großzügigeren Selektionspraxis bilden würde, kann in den englischen Wörterbüchern also keine Rede sein - im Gegenteil vergeben die französischen Wörterbücher tendenziell ebenso viele oder eher mehr Marker, und dies, obwohl sie bei der Selektion doch offenbar strengere Kriterien anlegen. Welche Schlüsse lassen sich nun aus diesen Ergebnissen bezüglich der Normativität der Wörterbücher ziehen? Zu Beginn des Kapitels wurde argumentiert, daß ein Wörterbuch dann als sehr "normativ" gegenüber als diastratisch "niedrig" markiertem Wortschatz bezeichnet werden kann, wenn es bei strenger Selektion viele Marker vergibt, und daß Normativität, die über die Selektion funktioniert, als verdeckt betrachtet werden kann. Setzt man nun für die beiden untersuchten Wörterbuchtypen einzeln die Ergebnisse der Auszählung von Selektion und Markierungsangaben in Beziehung zueinander, so ergibt sich folgendes Bild: Im Bereich der allgemeinen Wörterbücher zeigt sich NPR in der Selektion COD zwar leicht überlegen, vergibt aber daftir überproportional mehr Markierungsangaben. PL und

es Vgl. z.B. Müller (1985:233f.) und Heinz (1994:112).

63 LEXIS bleiben in der Aufhahmebereitschaft gegenüber diastratisch markiertem Material stärker hinter COD zurück und vergeben dabei mehr Marker als COD. Insgesamt zeichnet sich bei den französischen allgemeinen Wörterbüchern also eine Tendenz zu ähnlicher oder meist stärkerer Selektivität bei erhöhter Bereitschaft zur Vergabe von Markierungsangaben ab. Dies läßt auf einen höheren Grad an Normativität schließen, d.h. das unmarkierte "Niveau 0" wird offensichtlich höher angesetzt. Der Eindruck erhöhter Normativität im französischen Lager verstärkt sich noch bei den Lernerwörterbüchern: Die französischen Lernerwörterbücher vergeben im Schnitt zwar etwa gleich viele Marker wie die englischen (sieht man von dem "Spitzenreiter" OALD einmal ab), sind aber dafür insgesamt erheblich selektiver. Während sich bei den französischen allgemeinen Wörterbüchern die Normativität mittels Selektion und mittels Vergabe von Markierungsangaben etwa die Waage halten, neigen also die französischen Lernerwörterbücher eher dazu, Material, für das Markierungsangaben in Frage kämen, von vornherein auszuschließen. In diesem Sinne kann man folglich wohl sagen, daß die hier untersuchten französischen Wörterbücher nicht nur normativer gegenüber diastratisch markiertem Wortschatz als ihre englischen Pendants sind, sondern daß in der französischen Lernerlexikographie auch gewisse Tendenzen zu verdeckter Normativität in diesem Bereich bestehen. Das Bekenntnis zu offener Normativität im Vorwort von MR ändert daran nichts, da es sich nur auf dianormativ markierten, nicht jedoch auf diastratisch markierten Wortschatz bezieht. Der in den Vorwörtern der übrigen Wörterbücher geäußerte Anspruch auf Deskriptivität ist also - zumindest im Vergleich zur englischen Wörterbuchlandschaft - zu relativieren. Was die Politik der Wörterbücher gegenüber Wortschatz angeht, der für die Marker soutenu/litteraire bzw. formal/written in Frage kommt, so muß auf Aussagen verzichtet werden, die sich sowohl auf die Selektionspraxis der Wörterbücher als auch auf ihre Praxis bei der Vergabe von Markierungsangaben stützen. Spezialwörterbücher oder ähnliche Referenzwerke, die erlauben würden, eine Stichprobe des als "gehoben" markierten Wortschatzes zusammenzustellen und dann zu prüfen, ob dieser in die hier untersuchten Wörterbücher Eingang gefunden hat, liegen nach Wissen der Verfasserin nicht vor. Auch die für die vorangehende Untersuchung benutzten Thesauri bieten sich nicht zur Zusammenstellung einer Stichprobe an, da sie in diesem Bereich sehr wenig Marker vergeben und die Marker zudem weniger eindeutig an bestimmte Wortfelder gebunden sind als bei den als "niedrig" markierten Einheiten. Umfangreichere Wörterbücher kamen als Materialquelle deshalb nicht in Frage, weil sie viele Einheiten enthalten, die allein aufgrund ihrer niedrigen Frequenz und ganz unabhängig von einer eventuellen diastratischen Markierung nicht in kleineren Wörterbüchern erscheinen, so daß keine saubere Trennung der Ausschlußkriterien möglich wäre. Im übrigen enthält OED keine Marker des Typs formal oder written. Aussagen über diesen Bereich müssen sich also zunächst auf die Praxis der Wörterbücher bei der Vergabe von Markierungsangaben stützen. Diese wurde anhand derselben alphabetischen Stichprobe wie für den als "niedrig" markierten Bereich erfaßt und ist in Tab.3.2 dargestellt.

64 Tab.3.2 Markierungsangaben im diastratischen Bereich 2 NPR litteraire

11

LEXIS

PL

MR

DFColl

11

17

21

13

( + 1 6 CLASS, e t LITT.)

1 soutenu

kein Marker

0

kein Marker

kein Marker

4

1 Summe

11

27

17

21

17

1

COD

LDOCE

OALD

COBUILD

written

0 kein Marker

13 kein Marker

12 kein Marker

14 1

Summe

0

13

12

15

formal

Sowohl die französischen als auch die englischen Lernerwörterbücher vergeben im Bereich soutenu/littiraire bzw. formal/written relativ viele Markierungsangaben. Markierungsangaben dieses Typs in Lernerwörterbüchern können wohl dahingehend interpretiert werden, daß sie vor der Verwendung von Wortschatz warnen sollen, der dem Register des Lerners eventuell nicht angemessen ist. Insofern ist die hohe Bereitschaft zur Vergabe von Markern in den Lernerwörterbüchern nicht erstaunlich. Auffällig ist jedoch die große Anzahl an Markern aus diesem Bereich in NPR, LEXIS und PL, denen in COD kein einziger Marker gegenübersteht. Natürlich könnte dies daran liegen, daß COD selektiver gegen derartige Einheiten vorgeht. Eine Überprüfung von 10 willkürlich gewählten Einheiten mit der Markierungsangabe formal aus LDOCE ergab jedoch, daß die Einheiten in COD alle verzeichnet sind, und zwar ohne Markierungsangabe. 66 Von je 10 mit dem Marker littüraire versehenen Einheiten aus MR und DFColl tragen dagegen immerhin je sechs in NPR denselben Marker. Während COD also auf eine Markierungsangabe verzichtet, sehen die Autoren von NPR offenbar die Notwendigkeit, Einheiten, die in Lernerwörterbüchern mit einer Markierungsangabe versehen werden, für die Zielgruppe erwachsener Muttersprachler ebenso zu präsentieren. Ein Anhaltspunkt, wie diese hohe Bereitschaft zur Vergabe von Markern zu werten ist - ob als Warnung oder im Gegenteil als Empfehlung - ist aus der bereits im vorigen Kapitel diskutierten Definition des entsprechenden Markers in NPR und MR abzuleiten. Dort wird als litteraire markierter Sprachgebrauch als zugehörig zur "langue ёсгке 616gante" bezeichnet. In dieselbe Richtung weisen Aussagen in den Vorwörtern der französischen Wörterbücher. Die "Supernorm" wird dabei mit diachronisch zurückliegenden Sprachstufen assoziiert und erfährt durchweg eine sehr positive Wertung, auf die bei der Diskussion der lexikographischen Politik gegenüber diachronisch markiertem Sprachgebrauch noch näher einzugehen sein wird. Jedenfalls läßt sich schon jetzt festhalten, daß derartige Aussagen in den Vorwörtern moderner englischer Wörterbücher nicht üblich sind. Daraus kann man wohl schließen, daß französische Wörterbücher nicht nur strenger gegenüber der "Subnorm" verfahren, sondern zusätzlich auch der "Supernorm" einen privilegierten Rang einräumen und diesen durch eine explizite Kennzeichnung der betroffenen Einheiten deutlich machen.

66

Einzig hackney carriage 'taxi', in LDOCE mit der Markierungsangabe formal versehen, wird in COD in einer Usage Note als "official use" bezeichnet.

65 Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß die hier ausgewerteten französischen Wörterbücher gegenüber diastratisch als "niedrig" markiertem Wortschatz generell normativer sind und daß dies besonders für die Lernerwörterbücher gilt, die im Vergleich zu den allgemeinen Wörterbüchern speziell in diesem Bereich beträchtliche Reduktionen vornehmen. Zudem neigen sie zur Normativität mittels Selektion und weisen damit im Vergleich zu ihren englischen Pendants Tendenzen zu verdeckter Normativität auf. Parallel zur erhöhten Restriktivität gegenüber der Subnorm ist in den französischen allgemeinen Wörterbüchern eine Privilegierung der Supernorm festzustellen, die an die positive Wertung diachronisch zurückliegender Sprachstufen gebunden ist. Damit liegt die Norm, die im diastratischen Bereich propagiert wird, insgesamt "höher" als in den englischen Wörterbüchern. Wie die Beziehung zwischen Supernorm und Diachronie im einzelnen aussieht, soll im folgenden Kapitel erörtert werden, das die Politik der Wörterbücher gegenüber diachronisch markiertem Sprachgebrauch zum Thema hat.

3.3.1.2 Diachronisch markierter Sprachgebrauch Wie aus der bereits zitierten Äußerung im Vorwort von LEXIS hervorgeht, 67 ist die Politik gegenüber diachronisch markiertem Sprachgebrauch ein weiterer "sensibler" Punkt, an dem die Normativität von Wörterbüchern gemessen wird. In LEXIS geht es um die lexikographische Behandlung von Neologismen. Bevor auf diesen Aspekt näher eingegangen wird, soll der Umgang mit veraltetem Sprachgebrauch beleuchtet werden. Was die Systeme der Markierungsangaben angeht, so scheinen sich die englischen und französischen Wörterbücher zumindest nach Auskunft der Vorwörter und Abkürzungsverzeichnisse hier erheblich weniger zu unterscheiden als im Bereich der diastratischen Markierungsangaben. In der französischen Wörterbuchlandschaft werden für bereits veralteten und eben im Veralten begriffenen Sprachgebrauch zwei Marker zur Verfügung gestellt, die in allen Wörterbüchern sehr ähnlich definiert werden: vieux (NPR, LEXIS, PL, MR) steht für sprachliche Einheiten der ancienne langue, die heute weder verstanden noch verwendet werden; vieilli (NPR, PL, MR) fur Einheiten, die noch verständlich sind, aber zunehmend weniger verwendet werden. LEXIS sieht am Ende der Artikel bzw. Artikelnester zusätzlich eine graphisch abgesetzte Rubrik classique et litteraire vor. LDOCE trifft mit old use ('a word used in earlier centuries') und old-fashioned ('a word that was used earlier in this century, but would sound old-fashioned today1) im Prinzip die gleiche Unterscheidung wie die französischen Wörterbücher. Dies gilt auch für OALD mit archaic ('no longer in current use') und dated ('dated expressions are passing out of current use and already seem rather old-fashioned'). COD und COBUILD sehen jeweils nur einen Marker vor. COBUILD versieht mit old-fashioned ('generally considered to be old-fashioned, and no longer in common use') wohl Einheiten, die der beschriebenen Synchronic angehören, aber innerhalb dieser zumindest von einem Teil der Sprecher als veraltend empfunden werden. COD verwendet den Marker archaic ('words that have lost currency except perhaps in special contexts such as legal or religious use'), äußert sich aber nicht eindeutig über den Grad der Veraltung von lexikalischen Elementen, die diese Markierungsangabe erhalten. Die Marker ancien und hist, wurden hier nicht berücksichtigt, da sie sich nicht auf veraltete lexikalische Einheiten beziehen, sondern auf Wortschatz, der einer nicht mehr existierenden Sachwelt angehört.

cardiaque, cardio-)· Coeur droit, cceur gauche, moities du coeur divisees, chacune, en deux cavites (oreillette, ventricule). Contraction (systole), dilatation (diastole) du coeur. Battement du cceur. Operation chirurgicale λ CCEUR OUVERT. 2 . La poitrine. II la serra tendrement sur, centre son coeur. 3 . J'ai encore топ diner SUR LE C(EUR : sur l'estomac. Avoir MAL AU CCEUR : avoir des nausees. Avoir le cceur barbouille. Soulever le cceur de qqn, ecoeurer, digouter qqn. < • icoeurer, haut-le-coeur >

© COSUr n. m. I . Le siege des sensations et Amotions. Serrement de coeur. Une douleur, un chagrin qui arrache, brise, fend, serre le cceur. Avoir le cceur gros (de peine). 2 . Dans des loc. Siege du dέsίr, de l'humeur. Accepter, avouer, consentir DE BON CCEUR, de grand cceur, de taut cceur, de gaiete de cceur : avec plaisir. — De tout son cceur, de toutes ses forces. — Si le cceur vous en dit, si vous en avez le desir. Avoir le cceur ά..., avoir envie de. Je n'ai pas le cceur ä rire. — Avoir, prendre qqch. к CCEUR : у prendre un interet passionne. Cela lui tient a cceur, il у tient. — λ CCEUR JOIE : avec grand plaisir, jusqu'ä satiete. S'en donner ä cceur joie. 3. Le stöge des sentiments, des passions. Les sentiments que le cceur eprouve, ressent. Avoir un cceur sensible. — Siege de l'amour. Cceur fidele. Affaire de cceur. Offrir, refuser son cceur. 4. Bonte, sentiments altruistes. Avoir bon cceur, avoir du cceur. => cbarite, generosite, sensibilite. Avoir un coeur d'or. Homme, femme de cceur. SANS CCEUR adj. et η. : dur. II est sans cceur. C'est une sans cceur. — Fam. Avoir le cceur sur la main, etre genereux. — La personne consideree dans ses sentiments, ses affections. C'est un brave coeur. — Terme d'affection. Mon coeur, топ petit coeur. 5> Litter. Les qualites de caractere, le siege de la conscience. Noblesse du cceur. => äme. — Courage. Le cceur lui manqua. II n'aura pas le cceur de faire cela. 6· La pensee secrete, intime de (qqn). Dans le secret de son cceur, dans son for interieur. Ouvrir son cceur. se confier. Loc. Parier a cceur ouvert. n> se livrer. 7 . Loc. Je veux en avoir le CCEUR NET : etre fixe la-dessus. — PAR CCEUR : de memoire. Apprendre, savoir, reciter par cceur. < • accroche-coeur, a contrecoeur, crtve-coeur, sacre-coeur >

© cceur n. m. • Ce qui rappelle la forme ou la situation du coeur ©. l.Fam. Faire la BOUCHE EN CCEUR : affecter Pamabilite. => minauder. 2. Aux cartes. Une des quatre couleurs, dont les points sont figures par des coeurs. As de cceur. 3. La partie centrale de qqch. => centre, milieu. Le cceur d'une laitue, d'un fruit. Un fromage fait Λ CCEUR : egalement, jusqu'en son centre. — Coeur a la creme, nom d'un fromage ä la creme. — Coeur de palmier, chou-palmiste* comestible. Des cceurs de palmier en conserve. 4 . AU CCEUR DE l'hiver, de l'ete : au plus fort de l'hiver, de Pete. — Le cceur du sujet, de la question, le point essentiel, capital.

137 Fortsetzung Abb.6 Artikelbaupläne: coeur (MR)/heart (LDOCE) heart (LDOCE) heart /ha:t||ha:rt/η 1 • BODY ORGAN 4 [C] the organ in your chest which pumps blood through your body: Eating too many fatty foods is bad for the heart. | My heart was beating so fast I thought it would burst. | have heart trouble/ have a heart condition (=have problems with your heart) I a weak heart (=an unhealthy heart) —see pic· TURE AT RESPIRATORY

2 •EMOTIONS/LOVE·* [C] especially literary the part of your body that feels strong emotions and feelings: My head said no, but my heart kept saying yes. I affairs of the heart (=matters connected with love)[(deep) in your heart (=used when saying what someone really feels) She still loved him, deep down in her heart. | heart and soul (=completely) You love the boy heart and soul, don't you?\break sb's heart (=to make someone extremely sad, especially by ending a romantic relationship with them) 3 • YOUR CHEST 4 [C usually singular] the part of your chest near your heart: He put his hand across his heart to show where the pain was. 4 • SHAPE < [C] a shape used to represent a heart —see picture at SHAPE 1 5 from the heart if you say or mean something from the heart, you really mean it or feel it very strongly: He spoke simply but from the heart. | from the bottom of my heart I want to thank you from the bottom of my heart. \ straight from the heart What she said came straight from the heart. 6 in your heart of hearts if you know, feel, or believe something in your heart of hearts, you are secretly sure about it although you may not admit it: Claire knew in her heart of hearts that she would never go back there. 7 • IMPORTANT PART OF STH 4 the most important part of a problem, question etc: get to the heart of the matter/problem/question etc The new book gets to the heart of the controversy over nuclear power. 8 • THE MIDDLE PART OF AN AREA « [C] the middle of an area: in the heart of somewhere deep in the heart of Texas 9 know/learn something by heart to know or learn something so that you can remember all of it: You have to know all the music by heart. 10 set your heart on to want something very much: The coach had set his heart on winning. 11 a) [C] • CARD GAMES A a heart shape printed in red on a playing card b) hearts [plural] the SUIT (=set) of playing cards that have these shapes on them: the ace of hearts с) [C] one of the cards in this set: Have you got any hearts? 12 kind-hearted/cold-hearted/hard-hearted etc having a kind, unkind, cruel etc character 13 have a heart of gold to be very kind 14 have a heart of stone to be very cruel or unsympathetic 15 a man/woman after my own heart someone who likes the same things or behaves in the same way that you do: Geoff was clear-thinking and decisive - a man after my own heart. 16 at heart if you are a particular kind of person at heart, that is the kind of person that you really are: I've always been a country boy at heart, —see also have sb's (best) interests at heart (INTEREST1 (5)), young at heart (YOUNG1 (4)) 17 dose/dear to sb's heart very important to someone 18 my/his/her heart leapt literary used to say that someone suddenly felt happy and full of hope 19 my/his etc heart sank used to say that someone sud-

denly lost hope and began to feel sad: Our hearts sank when we heard the results of the voting. 20 my heart was in my mouth used to say that you suddenly felt very afraid 21 my heart bleeds (for sb) used to say that you do not really feel any sympathy towards someone: "He's had to sell his Ferrari." "My heart bleeds for him." 22 my/his/her heart goes out to sb used to say that someone feels a lot of sympathy towards another person 23 my/his/her heart isn't in it used to say that someone does not really want to do something: I tried to join in the fun, but somehow my heart wasn't in it. 24 not have the heart to do something to be unable to do something because it will make someone unhappy: I didn't have the heart to tell my daughter we couldn't keep the puppy. 25 be in good heart formal to feel cheerful and confident: Our troops are in good heart and ready for action. 26 take heart to feel encouraged: We took heart when we saw the sign, knowing that we were close to home. 27 take sth to heart to be very upset by something that someone says or does to you: Don't take her criticisms so much to heart. 28 do sth to your heart's content to do something as much as you want: After I leave, Joe can sing in the shower to his heart's content. 29 it does у our heart good to see/hear used to say that something makes you feel happy: It does my heart good to see him running around again. 30 have a heart! often humorous used to tell someone not to be too strict or unkind 31 with all your heart with all your strength, energy or emotion: Ben hated school with all his heart. 32 have your heart's desire/have everything your heart could desire to get everything that you could possibly want 33 know the way to sb's heart humorous to know the way to please someone: What a great meallYou certainly know the way to a man's heart! 34 •VEGETABLE-4 [C] the firm middle part of some vegetables: artichoke hearts 35 his/her heart is in the right place informal used to say that someone is really a kind person, even though they may not appear to be: He's a little grouchy sometimes, but his heart's in the right place, —see also a broken heart (BROKEN1 (10)), cross my heart (CROSS1 (9)), eat your heart out (EAT (2)), have a change of heart (CHANGE1 (l)), sick at heart (SICK1 (9)), strike at the heart of (STRIKE1 (9)), wear your heart on your sleeve (WEAR1 (10)), win sb's heart (WIN1 (3)), with a heavy heart (HEAVY1 (25))

138 Als Fazit läßt sich also festhalten, daß die englischen Wörterbücher sich einhellig auf das Kriterium der Gebrauchsfrequenz berufen, gleichgültig, ob auf Korpora oder auf das Sprachbewußtsein der Lexikographen gestützt, während in der französischen Wörterbuchlandschaft eine größere Heterogenität herrscht. Nach Aussagen der Vorwörter sind neben dem frequenzorientierten das historische und das distributioneile Prinzip vertreten. Das Kriterium der "Logik", wie es hier verstanden wird, wird nirgends als maßgebend genannt; gleichzeitig häufen sich jedoch die Anzeichen dafür, daß es in den aktuellen Ausgaben französischer Wörterbücher von größerer Bedeutung ist, als offengelegt wird. Sei es, daß das Frequenzkriterium als "logisch" ausgegeben wird, daß der Verzicht auf logische Kriterien ausfuhrlich gerechtfertigt wird, daß die Wörterbuchartikel explizit durch semantische Glossen gegliedert werden, die mit dem logischen Prinzip assoziiert werden, oder daß trotz gegenteiliger Behauptungen im Vorwort "logische" Zusammenhänge im Sinne semantischer Affinitäten zwischen Bedeutungen erhalten bleiben - das logische Kriterium scheint in der französischen Wörterbuchlandschaft eine Rolle zu spielen, die aus den Vorwörtern nicht unmittelbar ersichtlich ist. Ähnliches gilt für das historische Prinzip, zu dem sich zwar nur NPR bekennt, das aber dadurch bedeutsam wird, daß anderweitig ein Abweichen von der historischen Ordnung ausdrücklich gerechtfertigt wird. Beides soll im folgenden im Auge behalten werden, wenn die unterschiedlichen Prinzipien bei der Festlegung der Reihenfolge der Definitionen in ihren kulturellen Kontext gestellt werden.

5.2.2

Interpretation

Wie die Bestandsaufnahme zeigte, liegen die "Auffälligkeiten" der französischen Wörterbuchlandschaft gegenüber der englischen darin, daß neben dem Frequenzkriterium auch das historische und das distributionelle und - so kann man interpolieren - das logische Prinzip eine Rolle spielen. Die Richtungen, in denen nach Erklärungen für diesen Befund gesucht werden kann, sind in Werner (1989:918f.) angedeutet. Werner nennt als Faktoren, die die Anordnung der Definitionen beeinflussen können, in erster Linie den Adressatenkreis und die vorgesehenen Benutzungssituationen, daneben die Struktur der beschriebenen Sprache, den Grad der dia- und synchronen Erforschung, die sprachwissenschaftliche Theorie oder Sprachauffassung, die hinter dem Wörterbuchkonzept steht, sowie generelle Charakteristika der Makro- und Mikrostruktur - Kriterien also, die sich mit den in dieser Arbeit interessierenden Elementen von "Kultur" weitgehend decken. Betrachtet man zunächst den letzten Punkt der Aufzählung - die generelle Anlage des Wörterbuchs - so läßt sich feststellen, daß die französischen Wörterbücher die Diachronie prinzipiell stärker berücksichtigen als ihre englischen Pendants. Dies gilt insbesondere für die allgemeinen, aber in gewissem Umfang auch für die Lernerwörterbücher. Im Zusammenhang mit der Untersuchung der Vergabe von Markierungsangaben wurde bereits auf die Rolle des diachronisch zurückliegenden Wortschatzes und der entsprechenden Marker hingewiesen; darüber hinaus äußert sich die diachronische Orientierung in der Angabe von Etymologien (NPR, LEXIS, PL, DFColl), in der Datierung von Erstbelegen (NPR, LEXIS) und in der reichen Aufführung von Verwendungsbelegen aus verschiedenen Jahrhunderten (NPR, LEXIS). In der englischen Wörterbuchlandschaft werden Informationen dieser Art nur in Form der etymologischen Angaben in COD und in der - seltenen - Belegung einzelner Definitionen und Verwendungen durch Namen wie Shakespeare, Spenser oder Milton

139 in CHAMBERS vermittelt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, daß DFC, das sich auf dem Wörterbuchmarkt letztlich nicht halten konnte, ein streng synchrones Wörterbuch war und auf etymologische Angaben verzichtete, während sein Nachfolger DFColl sie ab der Auflage von 1989 in sein Programm aufnahm. In Kapitel 2 war bereits erwähnt worden, daß DFColl einige der Innovationen von DFC wieder zurücknimmt. In diesem Sinne läßt sich die Einführung von etymologischen Angaben in DFColl also wohl dahingehend interpretieren, daß DFColl zur französischen Tradition zurückkehrt, nachdem die Neuerungen von DFC vom Benutzer als zu radikal empfunden worden waren. 39 Die stärkere Rolle historischer Kriterien bei der Anordnung der Definitionen in französischen Wörterbüchern fügt sich also in die generell stärker diachronische Orientierung dieser Wörterbuchlandschaft ein, die offensichtlich von den Benutzern erwartet wird. Wie in Kapitel 3 bereits ausgeführt, ist diese Ausrichtung wohl auf die besondere Wertschätzung von historisch zurückliegenden Sprachstufen als Träger des patrimoine culturel zurückzuführen. Hier sei an die bereits zitierte Passage aus dem Vorwort von NPR (XIII) erinnert, in der die Bedeutung der Informationen zur Diachronie betont und ein Bezug zur Anordnung der Definition hergestellt wird: Ces informations [sc. historiques] sont plus abondantes et plus precises que dans tout autre dictionnaire franfais en un seul volume. Elles manifestent l'importance accordee ä la notion de patrimoine culturel, et au fait que les usages actuels se sont consiliums par un cheminement historique, que refute aussi l'organisation des articles.

Eine etwas anders gelagerte, im vorliegenden Zusammenhang besonders aufschlußreiche Interpretation liefern die mit der Entstehung von DFC verbundenen Lexikographen Dubois/Dubois (1971:108): Les descriptions synchroniques de la langue n'ont pas besoin de ces indications [6tymologiques] qui ne peuvent servir qu'ä expliquer l'histoire et non le fonctionnement; cependant les lecteurs ressentent l'absence de l'ötymologie non pas comme un ddfaut de l'information [...], mais comme une rupture du discours 'logique' [...]. La prösence de l'dtymologie dans les dictionnaires depuis le XIX е sifecle rel£ve non de considörations scientifiques, mais des nöcessites de Гёпопсё pedagogique et de la destination culturelle du dictionnaire.

Offenbar steht also die hohe Gewichtung diachronischer Informationen im Zusammenhang mit der Erwartung, daß Wörterbücher nach "logischen" Prinzipien verfahren. Speziell in Hinblick auf die Anordnung der Definitionen präzisieren die Autoren von DFC dies in folgender Weise (Dubois/Dubois 1971:106): Le lexicographe tient sur l'histoire comme sur la langue en genöral un discours pidagogique; celuici est, dans son argumentation, constituö d'un certain nombre de propositions logiques; aussi constate-t-on que le dictionnaire rationalise l'histoire. Ceci signifie que lorsque le sens Α pröcede le sens В dans l'analyse historique de la langue, on doit considdrer que В est dans la suite ndcessaire de A, ou que A explique logiquement В [...]. La temporalite est interprdtde en termes de causalitd. Pour que A soit reconnu comme pr6cddant B, il faut done que la relation temporelle de Α ä В soit interprdtable selon un certain nombre d'op6rations logiques: l'extension de sens [...], la restriction de sens [...], l'image (de propre ä figur6 ou r6ciproquement), le changement de categorie.

39 Vgl. auch Schafroth/Zöfgen (1998:16).

140 Auch in der französischen Metalexikographie wird also der Berücksichtigung historischer Aspekte ein hoher Wert beigemessen. Zur Rechtfertigung dieser Orientierung wird vorgebracht, sie sei "logisch" und der pädagogischen Funktion des Wörterbuchs, die ja in Frankreich bekanntlich großgeschrieben wird, angemessen. Einen weiteren Ansatz zur Interpretation des generell stärker historischen Charakters französischer Wörterbücher und speziell der Präsenz des historischen Prinzips bei der Anordnung der Definitionen liefert die Frage, auf welchen sprachwissenschaftlichen Theorien bzw. Sprachauffassungen die Wörterbuchkonzepte beruhen könnten. Das historische Prinzip der Anordnung der Definitionen, oft in Verbindung mit dem logischen Prinzip, wird gemeinhin als Ausfluß der semantischen Theorie der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts betrachtet. 40 Ein Blick auf die Geschichte der Lexikographie zeigt, daß diese lexikographische Tradition in beiden Ländern vertreten ist. Nachdem schon RLCHELET die sens propres vor die sens figures stellte - eine Ordnung, die Brunot ( 2 1966:30) als "le plus naturel" bezeichnet -, fand das historisch-logische Prinzip in Frankreich seine Blüte in LLTTRE (1863-1873) und HATZFELD/DARMESTETER ( 1 8 9 0 - 1 9 0 0 ) .

Insbesondere

HATZFELD/DARMESTETER

ist

die

Etablierung dieses Prinzips in der französischen Wörterbuchlandschaft und die explizite Gliederung der Artikel durch semantische Glossen zu verdanken. 41 In England bekennt sich Samuel Johnson im Plan zum Wörterbuch (1747, Nachdruck 1974:22ff.) zu historischlogischen Kriterien ("first its natural and primitive signification [...]. THEN [...] its consequential meaning [...]. THEN its metaphorical sense [...]. THEN [...] any observation that arises from the comparison of one meaning with another [...]. THEN the remoter or metaphorical signification [...]. AFTER having gone through the natural and figurative senses, it will be proper to subjoin the poetical sense of each word [...]". Im Gegensatz zu RICHELET, wo die sens figures mit einem Sternchen kennzeichnet sind, expliziert das Wörterbuch selbst die verschiedenen Übertragungstypen jedoch nicht. Dies tut das etwa zur selben Zeit w i e LITTRE u n d HATZFELD/DARMESTETER e n t s t a n d e n e O E D , d a s s e m a n t i s c h e

Glossen

einsetzt und Lücken in der Kenntnis der diachronischen Entwicklung der Sprache durch Schlußfolgerungen auf logischer Grundlage zu schließen versucht, denn, so das Postulat der Autoren,"if the historical record were complete, that is, if we possessed written examples of all the uses of each word from the beginning, the simple exhibition of these would display a rational or logical development" (OED2 1989:XXVIII).« Auffällig ist nun, daß sich diese Tradition in Frankreich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein halten konnte. Ein Beweis ist GR, der für ein historisches Wörterbuch grundsätzlich die Optionen der historischen und der logischen Ordnung sieht (die Autoren ziehen die historische Ordnung vor, da sie die sprachliche Wirklichkeit objektiver wiedergebe, geben aber zu bedenken, daß historische und logische Reihenfolge in vielen Fällen konform gehen können, vgl. GR2 1985:XXXII), sowie sein Abkömmling, der hier untersuchte PR bzw. NPR. In England dagegen ist dieselbe Tradition schon recht früh abgerissen, und dies innerhalb der Verkürzungsserie von OED. COD setzt sich im Vorwort seiner ersten, 1911 erschiene-

40

Vgl. z.B. Werner (1989:919). 1 Vgl. Hausmann (1977:42). 42 Werner (1989:920) zitiert allerdings Forschungsergebnisse, die daraufhindeuten, daß das historische Prinzip zumindest in OED (1961) durchgängig mit verschiedenen anderen Prinzipien kombinert wird. 4

141

nen Auflage noch mit dem historischen Prinzip auseinander, um es zugunsten einer frequenz- oder logikorientierten Ordnung auf den zweiten Rang zu verweisen: Occasionally, when a rare but still current sense throws light on the commoner senses that follow or forms the connecting link with the etymology, it has been placed at the beginning; but more commonly the order adopted has been that of logical connexion or of comparative familiarity or importance (zitiert nach COD5 1964:VIII).

Ab der sechsten Auflage von 1976 beruft sich das Vorwort (VIII) dann auf das frequenzorientierte Prinzip. Vor diesem Hintergrund lassen sich das historische Prinzip in NPR, die Auseinandersetzung mit dem logischen und dem historischen Prinzip in anders orientierten französischen Wörterbüchern und die Verwendung von semantischen Glossen zur Explizierung logischer Bedeutungsbeziehungen wohl als Überbleibsel einer lexikographischen Tradition betrachten, die auch in England existierte, sich aber nicht in derselben Weise behaupten konnte. Fragt man nun nach dem Warum, so ist zunächst zu sagen, daß OED, der Hauptrepräsentant der logisch-historischen Tradition auf der englischen Seite, als primär wissenschaftliches Wörterbuch sowieso eine gewisse Sonderposition innerhalb seiner Wörterbuchlandschaft einnimmt. Dem Einfluß auf nachfolgende Wörterbücher sind also von vornherein gewisse Grenzen gesetzt. Dies gilt nicht für LlTTRE und HATZFELD/DARMESTETER und auch nicht für französische Wörterbücher vom Typ eines GR oder TLF, die auch den kultivierten Muttersprachler ansprechen, so daß ihre Konzepte sich eher zur Übernahme in kleinere Wörterbücher eignen dürften.43 Darüber hinaus kann eine Antwort aber wohl auch in den unterschiedlichen Ausprägungen der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft in den beiden Ländern gesucht werden. Als Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen dient eine vergleichende Analyse der Geschichte der Semantik im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert in Deutschland, England und Frankreich, die Neriich (1992) vorlegt. 44 Neriich zeigt auf, welche Gemeinsamkeiten, Unterschiede und gegenseitigen Einflüsse zwischen den Ausprägungen der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft und ihren Semantiktheorien in den drei Ländern bestanden und welche Theorien innerhalb ein und derselben nationalen Tradition miteinander konkurrierten. Damit liefert ihre Studie Material über Unterschiede in der Quantität und Qualität der sprachwissenschaftlichen Produktion im späten 19. Jahrhundert und über Unterschiede im geistesgeschichtlichen Umfeld, die für die unterschiedliche Vitalität historisch-vergleichender Einflüsse in der Lexikographie verantwortlich sein könnten.

Zunächst ist zu bedenken, daß die etymologische Erforschung des Französischen im 19. Jahrhundert innerhalb der europäischen Sprachen eine Vorreiterrolle einnahm, die sie der privilegierten lückenlosen Belegsituation mit Zeugnissen aus dem Lateinischen bis in die Neuzeit verdankte. Wenn nach Werner (1989:918f.) also der Grad der diachronischen Erforschung einer Sprache Einfluß auf die Prinzipien der Anordnung der Definitionen nimmt, so waren die Wörterbücher der romanischen Sprachen sicherlich in besonderem Maße für die historische Ordnung prädestiniert.45 Unter diesen Umständen war es auch folgerichtig, daß das theoretische Gebäude der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft außer in « 44 45

Vgl. Kapitel 2, Fußnote 28. Vgl. auch Neriich (1993) und Auroux/Delesalle (1990). Darauf weist auch Werner (1982a:317) und (1982b:152) hin.

142 Deutschland maßgeblich in Frankreich entwickelt wurde und dort eine wesentlich höhere Produktivität entfaltete als etwa in England, wo die theoretische Konzeption zunächst aus Deutschland, dann aus Frankreich übernommen wurde und wenig eigenständige theoretische Beiträge entstanden. 46 Die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft konnte sich also offensichtlich in Frankreich von vornherein besser etablieren als in England. Ein möglicher Grund könnte darin liegen, daß die linguistische Diskussion im Frankreich des späten 19. Jahrhunderts in Anknüpfung an und Auseinandersetzung mit heimischen Traditionen der Sprachbetrachtung entstand, insbesondere des Rationalismus und der Ideologie,47 einer sprachphilosophischen Strömung des 18. Jahrhunderts, die mit Namen wie Condillac und Destutt de Tracy assoziiert wird und auf die sich verschiedene linguistische Strömungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts beriefen. 48 Die Anhänger der iddologie interessierten sich für die Beziehung zwischen Sprache und Geist, zwischen dem Einzelwort und der damit verbundenen "Idee", die seine "Bedeutung" ausmachen sollte. 49 Ein möglicher Berührungspunkt mit der Sprachtheorie etwa eines Darmesteter ist der, daß in beiden Fällen ein Zusammenhang zwischen dem Funktionieren von Sprache und dem Funktionieren des menschlichen Geistes gesehen wird. 50 Nach der Vorstellung der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft wird die Entwicklung der Sprache vom menschlichen Geist gesteuert, der menschliche Geist funktioniert nach den Gesetzen der Logik, also entwickelt sich auch die Sprache nach logischen Prinzipien. 51 Entsprechend heißt es in HATZFELD/DARMESTETER: Si le langage sert ä exprimer la pensee, les mots ne sauraient passer du sens primitif aux sens deriv6s et figurds sans suivre un certain ordre, qui a son explication rationnelle; et Ton doit chercher dans les lois de la pens6e la cause historique des transformation auxquelles les mots ont έίέ soumis (zit. nach dem Nachdruck 1964:11).

Dabei funktioniere, so HATZFELD/DARMESTETER "le passage d'une signification ä une autre" "en vertu de la logique de l'esprit humain" (zit. nach dem Nachdruck 1964:11). Die enge Assoziation historischer und logischer Kriterien bei der Anordnung der Definitionen dürfte hier begründet sein. Auf derselben Grundlage argumentiert auch LLTTRE, der im Bedeutungswandel das Wirken des "esprit vivant et organisateur qui pröside toujours ä une langue" erkennt (zit. nach dem Nachdruck 1971, Pröface au premier tome: 130) und folgert: Etablir la filiation des sens est une operation difficile, mais ndcessaire pour la connaissance du mot, pour l'enchainement de son histoire, surtout pour la logique göndrale qui, ennemie des incoherences, est döconcertöe par les brusques sauts des acceptions et par leurs caprices inexpliquds (zit. nach dem Nachdruck 1971, Prdface au premier tome: 131).

Natürlich drängt sich in diesem Zusammenhang auch der Gedanke an die immer wieder aufgestellte These von der "Logik" der französischen Sprache als einer Qualität auf, die sie, ebenso wie ihre clarti und abstraction, vor anderen Sprachen auszeichne. Auch wenn mit 46

Vgl. Neriich (1992:15). Vgl. Neriich (1992:21). 48 Vgl. Neriich (1993:11) und (1992:17f.). 49 Vgl. Auroux/Delesalle (1990:112f.). 50 Bei Darmesteter muß allerdings auch der Einfluß der deutschen Tradition durch das Werk August Schleichers berücksichtigt werden (Neriich 1993:10). 5 > Vgl. Gorcy (1989:906). 47

143 dieser These wohl eher Bezug auf die Ordnung der Glieder im Satz genommen wird (man denke hier an die berühmte Abhandlung De l'universalite de la langue franqaise von Rivarol), so zeigt eine derartige metasprachliche Einstellung doch die Bedeutung, die der "Logik" in der französischen Kultur beigemessen wird, und macht die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit einer "logischen" Reihenfolge der Definitionen in den Vorwörtern französischer Wörterbücher bzw. das Fortwirken logischer Anordnungskriterien verständlich. Hinzu kommt, daß die "Entdeckung" der Tropen als Mechanismen des Bedeutungswandels durch die Rhetorik des 18. Jahrhunderts vor allem mit französischen, deutschen und italienischen Namen assoziiert wird, weniger jedoch mit englischen.52 Dies könnte die Vorliebe französischer Wörterbücher für semantische Glossen des Typs par mitaphore, au figure oder par analogie erklären. In diesem geistigen Klima dürfte die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft, wie sie ihre Ausprägung in der lexikographischen Tradition der logisch-historischen Ordnung der Definitionen findet, eine gute Ausgangsposition gehabt haben. In England dagegen rissen einheimische Traditionen der Sprachphilosophie, wie sie etwa von Locke, Hörne Tooke oder Smart vertreten wurden, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ab und machten Einflüssen aus Deutschland und Frankreich Platz.53 Damit ist die englische Ausprägung der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft, die zur Entstehung von OED führte, im Grunde ein Importprodukt. Dies könnte ein Grund gewesen sein, weshalb die Dauer ihres Einflusses in der englischen Lexikographie trotz des Prestiges von OED relativ begrenzt geblieben ist. Hinzu kommt schließlich, daß sich das logische Prinzip der Anordnung der Definitionen auf französischer Seite durch weitere Sprachtheorien rechtfertigen läßt, deren Bedeutung fiir die französische Lexikographie schon im Zusammenhang mit den Definitionstechniken aufgezeigt worden war. So kann die "logische" Anordnung aus der Position der aristotelischen Logik gerechtfertigt werden, wie etwa bei Dubois/Dubois (1971:88). Zwar äußern sich die Autoren nicht im Detail zu der Art der Beziehung; anzunehmen ist jedoch, daß ein Herleiten von Bedeutungen auseinander durch Hinzufügen von differentiae specificae als "logisch" betrachtet wird. Bis zu einem gewissen Grad ist es auch möglich, aus der Sicht der strukturellen Semantik für die logische Anordnung zu plädieren: An Stelle der differentiae specificae werden dann zusätzliche Seme zum Semem der "Grundbedeutung" hinzugefügt, so daß die Reihenfolge der Definitionen die semantischen Affinitäten zwischen den beschriebenen Bedeutungen spiegelt.54 Einen expliziten Zusammenhang dieser Art stellt das Vorwort von TLF (1971-1994:XXXV) her: И у a des cas oü seule l'analyse componentielle, c'est-ä-dire pratiquement la definition analytique, permet un ordre tant soit peu rationnel. Ainsi humanite peut signifier tour ä tour 1. 'ensemble des hommes', 2. 'qualites de bonte ou d'indulgence propres aux hommes consideres dans leur ensemble'; on voit, d'apr£s les definitions, que le sens 1 est supposd par le sens 2, en d'autres termes

52

Vgl. Neriich (1992:22). Als eines der ersten Werke zur Bedeutungslehre gilt auf französischer Seite Dumarsais' Des tropes von 1730, vgl. Auroux/Delesalle (1990:113). 53 Vgl. Neriich (1993:6,lOff.). 54 Auf die Möglichkeit, einen Zusammenhang zwischen der logischen Anordnung der Definitionen und aristotelischen bzw. strukturalistischen Sprachtheorien herzustellen, weist auch Werner (1989:918, 922f.) hin. Allerdings veranschaulicht er auch, daß die Ergebnisse einer Semanalyse nicht unbedingt zu einer eindeutig festgelegten Reihenfolge der Definitionen führen (1989:922f.).

144 que le sens 2 a intögre les sömes du sens 1 en у ajoutant les siens propres: le sens int6grant suivra naturellement le sens intdgrd. Si nous faisons passer le sens figurd apr6s le sens propre, c'est que celui-ci est intögri (totalement ou partiellement) ä celui-lä, ou en tout cas suppose par celui-lä; il en est ainsi des autres regies de succession des sens ou acceptions ou emplois.

Zwar wird von den hier untersuchten Wörterbüchern nicht ausdrücklich auf diesen Zusammenhang hingewiesen; man kann jedoch durchaus annehmen, daß die historisch-logische Reihenfolge ihre von vornherein bessere Ausgangsposition in Frankreich auch in diesen Wörterbüchern länger halten konnte, weil sie durch andere Theorien gestützt wurde. Zudem war in Kapitel 4 im Zusammenhang mit der Erörterung von Definitionsstilen bereits darauf hingewiesen worden, daß französische Wörterbücher im Sinne eines mentalistischen Bedeutungsverständnisses von fixierten Grundbedeutungen ausgehen. Die "logische" Anordnung der Definitionen mit ihrem Postulat einer "eigentlichen" Grundbedeutung, aus der sich andere Bedeutungen "logisch" herleiten lassen, kommt dieser Sprachauffassung grundsätzlich entgegen. Vor diesem Hintergrund läßt sich der Bruch von COD mit dem historisch-logischen Prinzip, der gleichzeitig einen Bruch mit der Tradition von OED darstellt, und seine Hinwendung zum Frequenzprinzip wohl auch dadurch begründen, daß in der lexikographischen Tradition Englands Einflüsse fehlten, die das logisch-historische Prinzip hätten stützen können. Was die Lernerwörterbücher angeht, so wird häufig argumentiert, fllr diesen Wörterbuchtyp sei das Frequenzprinzip geeigneter als das historische Prinzip, da letzteres den Blick auf geläufige Bedeutungen verstelle.55 Das Bekenntnis zum frequenzorientierten Prinzip sowohl in den englischen als auch in den französischen Lernerwörterbüchern läßt sich also wohl im Sinne der Berücksichtigung von Adressatenkreis und Benutzungssituation deuten. In englischen Lernerwörterbüchern der neuen Generation wird das Frequenzprinzip erstmals anhand der Ergebnisse aus Korpusanalysen untermauert und "objektiviert". Die Korpora werden also auch in dieser Richtung nutzbar gemacht, was den hohen Stellenwert, den das Frequenzkriterium in der englischen Wörterbuchlandschaft genießt, unterstreicht. Daß den hier untersuchten einbändigen französischen Wörterbüchern keine vergleichbaren Korpora zugrunde liegen, wurde schon in Kapitel 4 gesagt. Die technischen Voraussetzungen für eine statistische Fundierung des Frequenzprinzips fehlen also. Eine Ausnahme könnte das eigens für lexikographische Zwecke erstellte computerbasierte Korpus von TLF bilden. Auffällig ist jedoch, daß es offenbar nicht zur Objektivierung der Anordnung der Einzelbedeutungen verwendet wurde. Zwar spielt laut Gorcy (1989:907) in TLF, zumindest in den frühen Bänden, das frequenzorientierte Prinzip eine gewisse Rolle, doch ist keine Rede von einer statistischen Fundierung. Daneben kommen in späteren Bänden zunehmend auch logische und historische Kriterien zur Anwendung, die durch die lexikographische Tradition und semantische Zusammenhänge motiviert werden.56 55

56

Vgl. z.B. Hausmann (1977:42). Werner (1986:165 und 1989:920) dagegen argumentiert, daß die semantischen Beziehungen zwischen etymologisch auseinander hervorgegangenen Einzelbedeutungen, wie sie speziell beim historischen Prinzip in seiner genetischen Ausprägung dargestellt werden, für den fortgeschrittenen Lerner aufschlußreich sein können. Vgl. TLF (1971 -1994:XXXV) und Gorcy (1989:907). Nach Hausmann (1977:43) kommt dem distributioneilen Kriterium in TLF große Bedeutung zu; wenn man nach dem Vorwort (XXXV) urteilt, wurde dieses Kriterium jedoch nur zur Abgrenzung der Bedeutungen, nicht aber zur Festlegung der Reihenfolge der Definitionen herangezogen: "l'analyse distributionnelle, qui indique

145 Als weiteres Kriterium, das neben dem historisch-logischen in der französischen Wörterbuchlandschaft (speziell in DFC/DFColl und MR) angewandt wird, war das distributionelle Kriterium identifiziert worden. Wie Werner (1989:918f.) bemerkt, ist die Anwendbarkeit dieses Prinzips und die spezielle Umsetzung im Wörterbuch von der Struktur der beschriebenen Sprache, d.h. der Rolle, die distributionelle Restriktionen in ihr spielen, abhängig. Das Englische und das Französische dürften sich strukturell in diesem Punkt so ähnlich sein, daß die prinzipielle Anwendbarkeit sowohl in der französischen als auch in der englischen Lexikographie gegeben wäre. Der Grund fiir die Verschiedenheit der englischen und französischen Wörterbücher ist also in diesem Fall wohl nicht in unterschiedlichen Sprachstrukturen zu suchen, sondern könnte eher wiederum mit hinter den Wörterbuchkonzepten stehenden linguistischen Positionen zusammenhängen. Wie bereits erwähnt, beruft sich das Livret methodologique zu DFC auf einen Strukturalismus distributionalistischer Prägung, der die syntaktischen und klassematischen Umgebungen eines Wortes zum Ausgangspunkt für die Bestimmung der Wortbedeutungen macht. Wenn also DFC (1971:IV) nach der "nature des compliments" ordnet und MR (XIII) die "emplois les plus simples" an die Spitze stellt, so ist zu vermuten, daß dies auf der Grundlage eben dieser sprachwissenschaftlichen Theorie geschieht, ohne daß allerdings angegeben würde, welche Reihenfolge für die verschiedenen Distributionen gilt. Nun hatte Kapitel 5.1 gezeigt, daß die Umgebung, in der Wörter auftreten, auch in den englischen Wörterbüchern eine große Rolle spielt, und zwar insofern, als sie zur Abgrenzung der Bedeutungen herangezogen wird. Allerdings war nachgewiesen worden, daß in den englischen Wörterbüchern der lexikalische Kontext bis in eine hochspezifische Ebene hinein ausschlaggebend ist. Da dieser im Gegensatz zum syntaktischen und klassematischen Kontext nicht rekurrent ist, wäre ein Heranziehen lexikalischer Kontexte fur die Anordnung der Definitionen von vornherein nicht praktikabel.57 Ziel der Interpretation war gewesen, die Befunde zur Reihenfolge der Definitionen in ihren kulturellen Kontext zu stellen. Als interpretationswürdig hatten sich auf der französischen Seite die Berücksichtigung historisch-logischer und distributioneller Kriterien erwiesen, auf der englischen die einheitliche Befolgung des Frequenzprinzips. Was die stärkere Gewichtung historischer und logischer Kriterien in der französischen Lexikographie angeht, so wurde darauf hingewiesen, daß sie sich in die generell stärker diachronische Orientierung dieser Wörterbuchlandschaft einfügt und daß dies wohl als Ausfluß einer besonders positiven Einstellung gegenüber Sprachstadien der Vergangenheit als Träger des patrimoine culturel gewertet werden kann. Daneben erwiesen sich auch in diesem Kapitel geistesgeschichtliche Strömungen sowie Traditionen der Sprachbetrachtung und Sprachwissenschaft als besonders relevante Elemente von "Kultur". So wurde die Berücksichtigung distributioneller Kriterien in DFColl und MR mit einer distributionalistisch orientierten Ausprägung des Strukturalismus in Frankreich in Zusammenhang gebracht. Die historisch-logische Reihenfolge der Definitionen konnte mit Einflüssen der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts und der speziell durch

57

les ddcoupes de sens, ne fournit pas de critäres pour l'ordre dans lequel, ä l'intdrieur d'un mot polysömique, doivent se succ6der les sens ou acceptions". Vgl. auch Werner (1989:923), der bemerkt, das Kriterium der semantischen Distribution könne sich "sinnvollerweise nur auf ganz wenige markante und immer wiederkehrende Merkmale ('Mensch1, 'Lebewesen' etc.) stützen".

146 HATZFELD/DARMESTETER etablierten und offensichtlich noch immer fortdauernden lexikographischen Tradition identifiziert werden. Die Kontinuität dieser Tradition in Frankreich im Gegensatz zu ihrem Bruch in England nach OED wurde darauf zurückgeführt, daß sie sich auf dem günstigen Boden einheimischer geistesgeschichtlicher Strömungen entwickeln konnte und zusätzlich durch andere für die französische Lexikographie relevante Theorien gestützt wurde, während in England beides fehlte. In Kapitel 4 war im Zusammenhang mit der "aristotelischen" Definition, die später in eine "strukturalistische" umgedeutet wurde, bereits die Vermutung geäußert worden, daß lexikographische Verfahrensweisen, die sich in einer Wörterbuchlandschaft als lexikographische Traditionen etablieren können, meist aus mehreren Quellen gleichzeitig gespeist werden. Die Ergebnisse der Untersuchung zur Reihenfolge der Definitionen können diese Vermutung nun weiter stützen. Außerdem muß noch einmal betont werden, daß in Frankreich in Hinblick auf die Ordnungsprinzipien innerhalb der Artikel eine starke Kontinuität zwischen den Wörterbüchern vergangener Jahrhunderte, den mehrbändigen philologischen Wörterbüchern des 20. Jahrhunderts und einem modernen einbändigen allgemeinen Wörterbuch wie NPR zu beobachten ist und daß diese Kontinuität in England fehlt. An dieser Stelle sei daran erinnert, daß sich im Zusammenhang mit der Diskussion dianormativer Kommentare in Kapitel 3.4 bereits herausgestellt hatte, daß in der englischen Wörterbuchlandschaft ein Bruch zwischen einbändigen allgemeinen Wörterbüchern und Lernerwörterbüchern besteht, während sich französische allgemeine und Lernerwörterbücher ähnlicher sind. Zurückgeführt wurde dies auf die mehr oder weniger große Homogenität des Adressatenkreises - auf französischer Seite der (kultivierte oder noch lernende) Muttersprachler, auf der englischen Seite einerseits ein unspezifiziertes (muttersprachliches) Publikum, andererseits ausländische Lerner. Dieses Argument gilt im Prinzip auch für die Beziehung zwischen GR/TLF und den hier betrachteten französischen Wörterbüchern einerseits und OED und COD andererseits. Ein- wie mehrbändige französische Wörterbücher wenden sich an den kultivierten Muttersprachler, während OED mit seinem wissenschaftlichen Charakter eine Sonderrolle einnimmt und einen ganz anderen Adressatenkreis als COD hat. Man kann also an dieser Stelle vorsichtig den Eindruck festhalten, daß die französische Wörterbuchlandschaft in Hinblick auf die verschiedenen Wörterbuchtypen homogener ist als die englische und daß auch eine stärkere historische Kontinuität, das heißt eine seit HATZFELD/DARMESTETER in vielen Charakteristika ungebrochene Tradition zu beobachten ist.

5.3

Hierarchische und lineare Artikelstruktur

5.3.1 Bestandsaufnahme Eine weitere Entscheidung, die bezüglich der Artikelbaupläne getroffen werden muß, ist die für ein hierarchisches oder ein lineares Gliederungsschema der Artikel. Die Verfahren, die in den hier besprochenen Wörterbüchern zur Anwendung kommen, werden zum Teil in den Vorwörtern expliziert; zum Teil müssen sie aus dem Vorspannmaterial (Abkürzungsverzeichnisse u.ä.) abgeleitet werden, das Auskunft darüber gibt, welche formalen Mittel zur Gliederung der Artikel zur Verfügung stehen.

147 Beide Wörterbuchlandschaften sehen ein Zeicheninventar zur Hierarchisierung von Bedeutungsangaben vor. Im Zusammenhang mit der Abgrenzung der Bedeutungen war bereits die Rede von einer durch arabische Ziffern gekennzeichneten zentralen Ebene, auf der "Hauptbedeutungen" beschrieben werden, und von den typographischen Mitteln, die unterhalb dieser Ebene zur Gliederung der Artikel eingesetzt werden. NPR und PL hierarchisieren auf insgesamt fünf Ebenen (zwei der zentralen Ebene übergeordnete, zwei untergeordnete); MR auf drei (eine über- und eine untergeordnete); DFColl und LEXIS gliedern zwei übergeordnete Ebenen aus, auf denen allerdings keine Bedeutungsangaben formuliert werden, und nehmen keine Hierarchisierung auf untergeordneter Ebene vor. Die englischen Lernerwörterbücher verzichteten bis vor kurzem gänzlich auf die Kennzeichnung übergeordneter Ebenen. In den hier besprochenen Auflagen der drei Lernerwörterbücher werden Hauptdefinitionen jedoch in Paragraphen zusammengefaßt, die in COBUILD und LDOCE durch superheadwords bzw. paragraph headings eingeleitet werden und in OALD durch das Symbol · und ein fettgedrucktes heading eingeführt werden. 58 Unterhalb der Hauptdefinitionen hierarchisieren LDOCE, OALD und COBUILD jeweils auf einer Ebene. COD gliedert oberhalb und unterhalb der Hauptdefinitionen auf je einer Ebene. Die Gliederung unterhalb der Hauptdefinitionen wurde mit der achten Auflage von 1990 eingeführt, die Strukturierung oberhalb der Hauptdefinitionen erst mit der vorliegenden neunten Auflage. 59 CHAMBERS kennt nur eine einzige Ebene, auf der die Definitionen linear aneinandergereiht werden. NPR bildet die Hierarchie durch römische Ziffern - Großbuchstaben - arabische Ziffern - losange eclaire - Gedankenstrich, PL durch Großbuchstaben - römische Ziffern - arabische Ziffern Kleinbuchstaben - losange eclaire, MR durch römische Ziffern - arabische Ziffern - Gedankenstrich, LEXIS und DFColl verwenden römische Ziffern, Großbuchstaben und arabische Ziffern. COD gliedert durch das Symbol · - arabische Ziffern - Kleinbuchstaben, LDOCE durch paragraph heading - arabische Ziffern - Kleinbuchstaben, OALD durch · - arabische Ziffern - Kleinbuchstaben und COBUILD durch superheadword - arabische Ziffern - triangle symbol. Befragt man die Vorwörter und die Erläuterungen in den Abkürzungsverzeichnissen nach den Kriterien, die der Hierarchisierung zugrunde gelegt werden, so werden - auf englischer wie auf französischer Seite - zumindest bezüglich der untergeordneten Ebene in der Hauptsache semantische Kriterien genannt. Auch auf der übergeordneten Ebene berufen sich die Wörterbücher meist auf semantische Kriterien; zusätzlich wird häufig nach grammatischen Kriterien gegliedert, etwa nach transitivem und intransitivem Gebrauch von Verben (z.B. in NPR baisser) oder nach unterschiedlicher Flexion des Adjektivs (z.B. in NPR banal). COD

58

59

Bei COBUILD stellt sich aus formaler Sicht die Frage, ob es sich eher um eine Hierarchisierung innerhalb ein und desselben Artikels oder um Mehrfachlemmatisierung auf der Ebene der Makrostruktur handelt. Wenn Hierarchisierung rein formal dahingehend definiert wird, daß ein einziges Lemma und ein Zähl- oder Zusammenfassungsmodus oberhalb der Hauptbedeutungen vorliegt, müßte die Darstellungsweise in COBUILD als Mehrfachlemmatisierung gelten. Da sie aber im Vorwort (X) als ein einziger untergliederter Eintrag interpretiert wird, wird hier ebenso verfahren, d.h. sie wird als Hierarchisierung gewertet. Die Strukturierung oberhalb der Hauptdefinitionen dient, wie noch zu erläutern sein wird, ausschließlich der Gliederung nach Wortklassen. In COD8 (1990) wurde ein Wortklassenwechsel weniger auffällig durch Gedankenstrich und ein Buchstabenkürzel für die Wortklasse angezeigt. Die Übergänge zwischen hierarchischer und linearer Struktur sind hier also fließend.

148 steht insofern allein, als e s auf übergeordneter E b e n e ausschließlich nach d e m Kriterium der Wortklasse hierarchisiert, s o daß folgerichtig auch keine B e d e u t u n g s a n g a b e n a u f übergeordneter E b e n e formuliert werden. D i e s e s Problem wird in den anderen Wörterbüchern e n t w e d e r durch Mehrfachlemmatisierung ( L D O C E ) oder durch M e h r f a c h l e m m a t i s i e r u n g b z w . B e h a n d l u n g als N u l l a b l e i t u n g in der derivative

section

( O A L D ) g e l ö s t oder aber auf

der E b e n e der Hauptbedeutungen abgehandelt ( C O B U I L D ) . 6 0 Insofern ist die Hierarchisierung a u f übergeordneter E b e n e in C O D - w e n n sie denn als s o l c h e gewertet w e r d e n soll nicht mit der in den anderen Wörterbüchern z u vergleichen. Innerhalb ein und derselben Wortklasse w e r d e n in C O D nur Hauptbedeutungen und untergeordnete B e d e u t u n g e n unterschieden. Im einzelnen stellt sich die Situation in den Vorwörtern und Abkürzungsverzeichnissen wie folgt dar: Auf übergeordneter Ebene nimmt N P R ein "regroupement de sens apparentes ou de formes semblables" mit zusätzlichen "subdivisions [...] dans les grands articles" vor (XXIII); M R gliedert die "grandes valeurs fonctionnelles ou de sens" aus (XIII), PL strukturiert nach semantischen Kriterien ("une structure sdmantique hidrarchisee" [21]). In LEXIS und DFColl wird keine Angabe über das Gliederungsprinzip oberhalb der Hauptbedeutungen gemacht. Auf untergeordneter Ebene nimmt N P R eine "subdivision qui s£pare les nuances de sens ou d'emploi ä l'intdrieur d'un sens (1., 2., etc.), suivi ou non d'une nouvelle döfinition" vor [XXIII] und gliedert auf einer noch weiter untergeordneten Ebene "les nuances d6terminies par le contexte" und "les emplois ou expressions ä l'intdrieur d'un т ё т е sens" aus ([XXIII]); M R setzt den Gedankenstrich ein "pour sdparer des emplois particuliers, des constructions ou des locutions" [XIII], PL den leeren Rhombus "pour marquer le passage d'un sens propre ä un sens figur6, ou le passage d'un emploi libre ä un emploi partiellement ou totalement fig6 (emploi ou locution); il peut marquer dgalement une subdivision ä l'intörieur d'un sens герёгё par une lettre minuscule grasse" [21]. C O B U I L D verwendet auf übergeordneter Ebene superheadwords, wenn eine "major sense distinction" zwischen verschiedenen Gruppen von Verwendungen vorliegt oder verschiedene Wortklassen abgegrenzt werden sollen (X). LDOCE faßt oberhalb der Hauptbedeutungen "meanings that are closely related to each other" (XVII) zusammen. O A L D gliedert in langen Verbeinträgen "a group of similar meanings" aus (vgl. die Angabe auf der Innenseite des vorderen Buchdeckels), und C O D hierarchisiert auf übergeordneter Ebene nach unterschiedlichen Wortklassen (XIV). Auf untergeordneter Ebene werden in den englischen Wörterbüchern "closely-related meanings" (OALD:IX) bzw. "closelyrelated or dependent subdivisions" (COD:XIV) zusammengefaßt. C O B U I L D benutzt die untergeordnete Ebene unter anderem, um "a meaning which is closely connected with another meaning" (XV) zu kennzeichnen.

D i e Wörterbücher beider Wörterbuchlandschaften v e r f ü g e n also im Prinzip über Mittel, um hierarchisierende Gliederungen innerhalb der Artikel kenntlich z u m a c h e n , und w e n d e n ähnliche Kriterien der Hierarchisierung an. A l l e r d i n g s läßt sich s c h o n hier festhalten, daß d i e A u s g l i e d e r u n g v o n übergeordneten E b e n e n o f f e n b a r in der f r a n z ö s i s c h e n Wörterbuchlandschaft fester verankert ist als in der englischen: Wörterbücher, die z w e i übergeordnete E b e n e n ausgliedern, finden sich nur a u f der

französischen

Seite. A u f der e n g l i s c h e n Seite

d a g e g e n war bis zu d e n N e u a u f l a g e n v o n 1995 überhaupt keine Hierarchisierung a u f übergeordneter E b e n e üblich, und CHAMBERS ist bis heute bei einer rein linearen Ordnung geblieben.

60

COBUILD 1 (1987) verfolgte eine strikte one word one елггу-Politik und zählte die verschiedenen Definitionen grammatischer Homonyme innerhalb eines Eintrags linear durch. Dieses Prinzip stieß allerdings auf Kritik und ist in der zweiten Auflage etwas reduziert, vgl. Herbst (1996:348).

149 Die geringere Verwurzelung der hierarchisierenden Struktur auf englischer Seite macht sich auch in der Umsetzung der Hierarchisierungsmöglichkeiten bemerkbar. So ist festzustellen, daß die übergeordnete Ebene in den englischen Lernerwörterbüchern kaum bzw. nur in extrem langen Artikeln mit einer Vielzahl von Definitionen genutzt wird. Innerhalb des Buchstabens В ist dies in LDOCE nur in zwei Artikeln der Fall {burn, business), in COBUILD in neun Fällen (back, bank, be, bear, behind, bid, blow, bound, bow) und in OALD überhaupt nicht (innerhalb von G finden sich jedoch die Beispiele get, give, go). In NPR enthält dagegen allein schon die Artikelteilstrecke BA- 22 mittels römischer Ziffern hierarchisierte Artikel, was trotz des größeren Volumens dieses Wörterbuchs bemerkenswert ist.61 In MR und PL finden sich in derselben Artikelteilstrecke immerhin 12 und in DFColl 10 Artikel, in denen eine übergeordnete Ebene ausgegliedert wird. LEXIS gliedert allerdings nur in den seltensten Fällen übergeordnete Ebenen aus (z.B. in den Artikeln faire und prendre), was angesichts der starken Tendenz zur Mehrfachlemmatisierung bei Mehrdeutigkeit nicht erstaunlich ist. COD verzeichnet zwar sehr viele Gliederungen mittels ·; diese sind jedoch grundsätzlich nach grammatischen Kriterien vorgenommen. Innerhalb der einzelnen Wortklassen ist die Ebene der Hauptdefinitionen in COD die höchste Ebene. Eine lineare Aneinanderreihung der Hauptdefinitionen mit Hierarchisierung nur auf der untergeordneten Ebene kommt in den englischen Wörterbüchern also bei weitem am häufigsten vor; in den französischen Wörterbüchern wird dagegen sehr oft von den formalen Mitteln der Hierarchisierung auf übergeordneter Ebene Gebrauch gemacht. Zudem wird die Hierarchisierung der Artikelstruktur in beiden Wörterbuchlandschaften unterschiedlich begründet, wie ein Blick auf die Vorwörter verdeutlichen kann. Von den französischen Wörterbüchern thematisieren NPR, MR und PL die Entscheidung zwischen linearer und hierarchischer Artikelstruktur im Vorwort. MR (XIII) urteilt: "Ce type d'analyse 'en arbre' est logiquement tres superieur ä la numerotation lindaire, et tout aussi nöcessaire dans un petit dictionnaire d'apprentissage que dans un gros ouvrage", PL [21] bekennt sich zur "structure sdmantique hidrarchisde", da sie dem Benutzer "une vision plus synthdtique de la langue" gebe. NPR (IX) beurteilt sie als "bien meilleure que la presentation linöaire de Littrd" und weist auf HATZFELD/DARMESTETER als Begründer dieser Tradition hin. Bei HATZFELD/DARMESTETER heißt es: "Enumdrer les divers sens l'un aprds l'autre, т ё т е dans l'ordre historique et logique, au moyen d'une serie uniforme composde d'autant de numdros qu'il у a de sens distincts, c'est confondre les genres, les especes et les varietes; c'est supprimer la subordination qui relie les varidtös aux espdces et les espdces aux genres, c'est-ä-dire mdconnaitre la loi fondamentale qui rdgit toute classification" (zit. nach dem Nachdruck 1964:XVII).

Diese Äußerungen sprechen dafür, daß die hierarchische Struktur in den französischen Wörterbüchern auf der Grundlage einer Theorie gewählt wird, die von logischen Inklusionsbeziehungen zwischen generischen und spezifischeren Bedeutungen eines polysemen Wortes ausgeht. Die englischen Wörterbücher dagegen nennen als Motiv für die Zusammenfassung einen rein pragmatischen Grund - die leichtere Auffindbarkeit für den Benutzer.

61

Dazu muß allerdings gesagt werden, daß ein beträchtlicher Teil der Hierarchisierungen auf das Konto grammatischer Kriterien geht.

150 In LDOCE (XVII) heißt es, die Hierarchisierung und Benennung mit paragraph headings sei vorgenommen worden "so that you can easily find the section that contains the sense that you want", in COBUILD (X) wird der Hoffnung Ausdruck gegeben, die Strukturierung durch superheadwords möge "a general guide to the longer and more complex or unusual entries" geben, nachdem von Benutzern negative Rückmeldungen bezüglich der long entries und besonders der one word, one ew/ry-Politik bei grammatischer Homonymie in der ersten Auflage gekommen waren. 62

Hier wird also nicht aus der Position einer Theorie über Sprache argumentiert, sondern aus der Benutzerperspektive. Daß die Hierarchisierungen in den englischen Wörterbüchern rein pragmatisch begründet sind, läßt sich im übrigen auch daran ablesen, daß in COBUILD nur Artikel mit zehn und mehr Definitionen fur eine Gliederung mittels superheadword in Frage kommen und daß in OALD grundsätzlich nur lange Verbartikel Kandidaten für eine hierarchische Strukturierung sind. 63 Die These, daß die Hierarchisierung in den englischen Wörterbüchern aus Gründen der Benutzerfreundlichkeit vorgenommen wird, in den französischen Wörterbüchern dagegen aufgrund einer Theorie über Polysemie, die logische Inklusionsbeziehungen zwischen den einzelnen Bedeutungen postuliert, läßt sich durch eine Detailanalyse des Verhältnisses zwischen Hauptdefinitionen und Angaben auf übergeordneter Ebene in ausgewählten Artikeln weiter stützen. Zur Untersuchung der französischen Praxis wurden die Artikel jour, garde und homme in NPR, MR und PL herangezogen, die hochfrequente polyseme Wörter beschreiben und in denen die übergeordnete Ebene jeweils mit einer eigenen Definition versehen ist. 64 In diesen Artikeln lassen sich zahlreiche Beispiele dafür finden, daß die übergeordneten Definitionen in Bezug auf die ihnen untergeordneten als klassifizierend dargestellt werden. Erstens entspricht die Wortklasse des genus proximum der übergeordneten Definition in der Regel der des genus proximum der Hauptdefinition, so daß die Grundvoraussetzung für eine Inklusionsbeziehung gegeben ist. Zweitens ist beim Übergang von übergeordneten zu nachgeordneten Hierarchiestufen ein Fortschreiten von merkmalarmen zu merkmalreicheren Definitionselementen bei anderweitig fast parallel konstruierten Definitionen festzustellen. Dies betrifft die genera proximo, aber auch andere Elemente der Definitionen. Zum dritten wird häufig die gesamte übergeordnete Definition praktisch wörtlich als genus proximum der Hauptdefinition wiederholt, zu dem dann noch weitere differentiae specißcae hinzukommen. Ein Beispiel für das Forschreiten von einem merkmalarmen zu einem merkmalreichen genus proximum bei weitgehend parallel konstruierten Definitionen findet sich in PL s.v. 1. garde IV., wo die übergeordnete Definition 'Chose (qui sert ä garder, έ protöger)' in der ersten Hauptdefinition wieder aufgenommen wird durch 'Partie d'une arme blanche (couvrant sa poignee et protögeant la main)'. Ein Fall, in dem Elemente der differentiae fortschreitend spezifiziert werden, ist in MR s.v. 4 garde zu finden, wo die übergeordnete Definition 'Personne qui surveille qqn, qqch.' in den Hauptdefinitionen 1. bis 3. präzisiert wird als 'Celui qui garde une chose, un depot, un lieu', 'Celui qui a la garde d'un prisonnier', 'Celui qui veille sur la personne d'un souverain, d'un prince, d'un

62 63 64

In OALD wird die Hierarchisierung nicht auf theoretischer Ebene begründet. Vgl. COBUILD (X) und die Angaben auf der Innenseite des vorderen Buchdeckels von OALD. DFCoII und LEXIS konnten nicht mit herangezogen werden, da sie keine Bedeutungsangaben auf übergeordneter Ebene formulieren.

151 chef d'armee'. Die Wiederaufnahme der gesamten übergeordneten Definition als genus proximum der Hauptdefinition ist in PL gegeben, wo die erste übergeordnete Definition zu 1. garde 'Action de garder' lautet; in den Hauptdefinitionen 1. bis 4. wird sie aufgenommen als 'Action de surveiller un etre pour le protdger, le defendre', 'Action de surveiller qqn pour l'empecher de fiiir', 'Action de surveiller qqch pour le conserver en bon dtat, le preserver' und 'Action de surveiller un lieu pour le döfendre'. Eine Sonderform dieses Verfahrens macht sich HATZFELD/DARMESTETER zunutze, auf den sich NPR j a immerhin beruft: Hier finden sich Hauptdefinitionen, die aufgebaut sind aus dem genus proximum der übergeordneten Definition (oder einem äquivalenten Element), einem anaphorischen Element, das die differentiae specißcae der übergeordneten Definition wieder aufnimmt, und weiteren differentiae specißcae. Ein Beispiel ist homme, das in der ersten übergeordneten Definition definiert wird als 'L'homme en general', um dann in den Hauptdefinitionen als 'Cet etre considdrd au point de vue de l'espdce [...]', 'Cet etre considere au point de vue des varietes de race', 'Cet 6tre considörd au point de vue de son döveloppement', 'Cet etre consid6r0 au point de vue de son sexe [...]' wieder aufgenommen zu werden. D i e übergeordneten Definitionen und die ihnen nachgeordneten Hauptdefinitionen sind also so formuliert, daß eine Inklusionsbeziehung nachvollzogen wird. Ganz anders liegen die Dinge in den englischen Wörterbüchern. Hier lassen sich zahlreiche Beispiele zitieren, w o die Grundvoraussetzung für eine logische Inklusionsbeziehung - die Identität der Wortklasse des genus proximum

im übergeordneten heading

und in der Hauptdefinition - nicht

gegeben ist und offensichtlich auch gar nicht angestrebt wird. Zudem werden auch Angaben zu Grammatik, Pragmatik oder Registerzugehörigkeit s o w i e Kollokationen oder wiederkehrende Teile von festen syntagmatischen Verbindungen mehreren zusammengefaßten Hauptdefinitionen als headings

vorausgestellt.

Dies sei mit Bezug auf einige Wörterbuchartikel, die in Anhang A6 aufgeführt sind, illustriert. Als Beispiel für den ersten Fall (Wortklassen der genera stimmen nicht überein) sei der Artikel timex in LDOCE genannt, wo als superheadword (13) SLOWLY/QUICKLY auftritt. Beispiele fur den zweiten Fall (Angaben zu Grammatik, Pragmatik oder Registerzugehörigkeit als heading) sind das superheadword "adjective uses" in COBUILD s.v. fine 1, die Verwendung von Sprechaktbezeichnungen als headings in OALD (z.B. Commands fur die Hauptdefinitionen 25 und 26 s.v. go]) und das heading SPOKEN PHRASES (17) in LDOCE s.v. way К Der dritte Fall (Kollokation als heading) wird durch MAKE WAY (13) (für die unter make way, make your way, make/find your own way angegebenen Bedeutungen) s.v. way1 (LDOCE) illustriert. Daß die englischen headings

gar nicht logisch klassifizierend in B e z u g auf die Hauptdefi-

nitionen sein sollen, wird überdies rein formal schon allein dadurch deutlich, daß - zumindest in L D O C E und O A L D - die übrigen Definitionen unabhängig von ihnen durchgezählt werden. 6 5 A u c h beziehen sich die headings

nicht unbedingt auf ganze Gruppen von Haupt-

definitionen, sondern sind als Suchhilfen manchmal nur einer einzigen Hauptdefinition zugeordnet (z.B. (1) TIME als heading SOMETHING

65

H A P P E N S als heading

zur ersten Hauptdefinition und (5) T I M E W H E N zur siebzehnten Hauptdefinition s.v. time1

in

Werner (1989:924) erkennt Wörterbüchern, die die Definitionen auf der zentralen Ebene unabhängig von auf höherer Rangebene angesiedelten Zusammenfassungen durchzählen, allerdings keinen wesentlich anderen Status zu als solchen, die die Definitionen unter jeder übergeordneten Position getrennt zählen.

152 LDOCE, vgl. Anhang A6).66 Es liegt also keine echte baumartige Verzweigung vor, die einen hierarchisch gegliederten Wortinhalt mit auseinander ableitbaren und einander klassifizierenden Einzelbedeutungen abbilden würde. Die englischen headings genießen demnach einen ganz anderen Status als die übergeordneten Definitionen der französischen Wörterbücher und werden eher so gehandhabt, als seien sie zur Orientierung für den Benutzer in ein eigentlich lineares System eingefugt worden. Mit Wiegand (1998b:241ff.) gesprochen dürfte es sich daher in vielen Fällen noch nicht einmal um Bedeutungsangaben im eigentlichen Sinne handeln, sondern eher um "Suchzonentitelangaben" innerhalb der Zugriffsstruktur der Wörterbücher. Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß zwar beide Wörterbuchlandschaften über Mittel der hierarchischen Strukturierung der Artikel verfugen, daß diese Mittel aber in verschiedener Weise und mit verschiedener Motivation eingesetzt werden. Was die Anzahl der unterschiedenen Hierarchiestufen angeht, so ist die Ausgliederung von Ebenen oberhalb der zentralen Ebene der Hauptdefinitionen auf der französischen Seite differenzierter (häufig auf zwei Ebenen), während in den englischen Wörterbüchern nie mehr als eine Ebene ausgegliedert wird, und dies erst in der hier besprochenen Generation. Zudem wird in den französischen Wörterbüchern viel häufiger von den Mitteln der übergeordneten Ausgliederung Gebrauch gemacht; die "Dichte" hierarchisierter Artikel ist wesentlich höher als in den englischen Wörterbüchern. Außerdem ließ sich durch eine detaillierte Untersuchung der Definitionsformulierungen in ausgewählten Wörterbuchartikeln nachweisen, daß die Hierarchisierung in den französischen Artikeln auf der Grundlage eines Polysemieverständnisses vorgenommen wird, das logische Inklusionsbeziehungen zwischen den Einzelbedeutungen voraussetzt, in den englischen dagegen aus Gründen der leichteren Auffindbarkeit, also der Benutzerfreundlichkeit, und ohne den Anspruch, eine sprachliche Realität abzubilden. In beiden Wörterbuchlandschaften wird vorwiegend nach semantischen und zweitrangig nach grammatischen Kriterien hierarchisiert. COD stellt insofern einen Sonderfall dar, als es auf übergeordneter Ebene nur nach Wortklassen hierarchisiert (und dies auch erst seit der neunten Auflage), wobei innerhalb der einzelnen Wortklassen die Hauptdefinitionen linear aneinandergereiht werden. Insgesamt gesehen fügt es sich damit in eine Wörterbuchlandschaft ein, die eigentlich zum linearen Prinzip tendiert (man denke hier an CHAMBERS), aber aus Gründen der Benutzerfreundlichkeit Orientierungshilfen auf übergeordneter Ebene eingeführt hat. In der französischen Wörterbuchlandschaft dagegen ist das hierarchisierende Prinzip der analyse en arbre fest etabliert. Im folgenden soll im kulturellen Umfeld der Wörterbücher nach möglichen Gründen für diese unterschiedlichen Entwicklungen gefragt werden.

66

Auch in den französischen Wörterbüchern kommt es gelegentlich vor, daß auf übergeordneter Ebene hierarchisiert wird und dabei einer der übergeordneten Positionen nur eine einzige Hauptdefinition zugeordnet wird. Dann tritt diese jedoch stets direkt hinter die römische Ziffer, die die übergeordnete Ebene anzeigt, ohne daß eine arabische Ziffer zwischengeschaltet wird. Eine einszu-eins-Zuordnung von übergeordneten Definitionen und Hauptdefinitionen kommt also nicht vor,

vgl. z.B. DFColl 1. bateau, NPR 1. bac.

153 5.3.2 Interpretation Der Eindruck, der bei der Untersuchung der aktuellen Wörterbuchauflagen entstanden war auf der französischen Seite eine Bevorzugung der hierarchischen Artikelstruktur, auf der englischen zwar Mittel zur Hierarchisierung, aber gleichzeitig Merkmale einer Tendenz zur Linearität - kann durch einen Blick auf die lexikographische Tradition beider Länder ergänzt und erhärtet werden. Wie in der Bestandsaufnahme bereits angedeutet, stammen die hier untersuchten englischen Wörterbücher aus einer linearen Tradition und zeigen erst in den hier besprochenen Auflagen Ansätze zur Hierarchisierung. In der französischen Tradition dagegen wurde das hierarchische Prinzip bereits von HATZFELD/DARMESTETER (18901900) begründet und in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren von den RobertWörterbüchern wie auch von TLF übernommen. PL schloß sich mit der Auflage von 1989 an. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung von DFC zu DFColl. Während DFC mit einer praktisch rein linearen Struktur aus der Tradition ausscherte,67 führte DFColl eine hierarchisierende Struktur ein, die mit der Reduktion der Mehrfachlemmatisierung und der Auflösung des regroupement in Zusammenhang steht. Wo in DFC mehrere Lemmata oder Nestlemmata für einen signißant angesetzt waren, sind die zugehörigen Artikel in DFColl häufig in einem einzigen durch römische Ziffern gegliederten Artikel zusammengeführt. 68 Dieser Wandel muß wohl als Reaktion auf die Probleme der Benutzer mit den radikalen Neuerungen von DFC gewertet werden. Auch in der Entscheidung zwischen hierarchischer und linearer Artikelstruktur ist DFColl demnach der "französischen" Tradition wieder näher als DFC. Hierarchische Strukturen in den französischen Wörterbüchern und lineare Tendenzen in den englischen korrelieren mit den in Kapitel 5.2 diskutierten Tendenzen zu einer "logischen" bzw. zu einer frequenzorientierten Reihenfolge der Definitionen. Dies ist eine naheliegende, wenn auch theoretisch nicht zwingend notwendige Koppelung von Entscheidungen bei der Konzeption von Wörterbüchern (es wäre beispielsweise auch eine lineare Struktur denkbar, in der die Bedeutungen jeweils als logisch auseinander abgeleitet präsentiert werden, oder eine hierarchische, in der innerhalb der einzelnen Verzweigungen nach Frequenz geordnet wird).69 Entsprechend liegt nahe, zunächst wieder den Bereich der geistesgeschichtlichen Strömungen und sprachwissenschaftlichen Theorien auf mögliche Zusammenhänge zu befragen, da diese Bereiche sich bereits im Zusammenhang mit den Prinzipien bei der Festlegung der Reihenfolge der Definitionen als relevant für die Wörterbuchkonzeption erwiesen haben. Auf der französischen Seite ist dabei in erster Linie wieder an aristotelische Logik und strukturelle Semantik zu denken, auf der englischen an Prototypensemantik und fuzzy meaning. Besonders interessiert das Polysemieverständnis dieser Modelle, da bei der Analyse französischer Artikel die Vermutung entstanden war, daß die hierarchische Strukturierung im Polysemieverständnis der Lexikographen begründet liegt.

67

68 69

Eine Gliederung auf übergeordneter Ebene ist in DFC die absolute Ausnahme, vgl. z.B. s.w. faire mittels römischer Zahlen und Großbuchstaben (DFC 1971). Vgl. z.B. die Artikel bac und barrer in DFC (1971) und DFColl. Zur Diskussion verschiedener Möglichkeiten der Korrelation vgl. das Vorwort von HATZFELD/DARMESTETER (Nachdruck 1964:XVII) und Werner (1989:924).

154 Die Interpretation von Polysemie, wie sie von der strukturellen Semantik vorgenommen wird, geht aus dem Vorwort von TLF (1971-1994:XXXV) hervor. Dort wird gleichzeitig die Beziehung zur aristotelischen Logik hergestellt: Les changements de sens ä l'intörieur d'un champ de signification se traduisent par des additions ou des suppressions (ou par les deux ä la fois) de sfemes. [...] L'addition de semes equivaut done le plus souvent ä un contenu sdmique plus concret, la soustraction d'un s£me aboutit au contraire ä un contenu abstrait. [...] Un sens plus abstrait est en principe classificateur par rapport ä un sens plus concret; on dit qu'il est generique par rapport ä celui-ci, tout en conservant un certain nombre de ses sfcmes. A un classificateur de се type correspond ce que l'ancienne logique appelle le genre prochain, qui classe des especes caractdrisees par rapport ä celui-ci par la presence dans leur comprehension de s0mes spdcificateurs correspondant ä ce que l'ancienne logique appelait la diff6rence specifique. La representation graphique correspondante est celle d'un arbre hidrarchisd, au sommet duquel se trouve place le genre prochain (qui est ce qu'on peut appeler un hyperonyme), en dessous duquel se trouvent ranges les termes classes (qu'on peut appeler des hyponymes). Dies entspricht dem Polysemieverständnis, wie es auch in den hier untersuchten französischen Wörterbüchern umgesetzt wird. Polysemie wird als hierarchische Strukturierung von Wortinhalten interpretiert, bei der in jeder Verzweigung ein bestimmter Kern an semantischen Merkmalen erhalten bleibt und sich die einzelnen Hierarchiestufen durch hinzukommende Seme bzw. differentiae specificae unterscheiden, so daß übergeordnete Bedeutungen klassifizierend in Bezug auf untergeordnete sind. Damit besitzen die Bedeutungsmodelle der aristotelischen Logik und der strukturellen Semantik eine besondere Affinität zur Darstellung von Bedeutung in hierarchischen Schemata, erlauben diese doch innerhalb jeder Verzweigung das Erhalten eines allen hierarchischen Positionen gemeinsamen Bedeutungskerns, der als genus proximum bzw. Archisemem ausgegliedert und als übergeordnete Definition an die Spitze gestellt wird, beim Hinzukommen verschiedener differentiae specificae bzw. Seme, die in den Hauptdefinitionen expliziert werden. 7 0 Gleichzeitig wird damit verständlich, daß die Bevorzugung der hierarchischen Anordnung der Definitionen und die Bevorzugung der aristotelisch-strukturalistischen Definition mittels inclusion, die j a für die französischen Wörterbücher in Kapitel 4 nachgewiesen werden konnte, eine Affinität zueinander besitzen. Beide setzen nämlich voraus, daß eindeutig festgelegt wird, welche Merkmale in das genus eingehen und welche den differentiae zugeordnet werden. Genau diese Festlegung wird nun von Kritikern des strukturalistischen Modells angegriffen. Anderson/Goebel/Reichmann (1985:265ff.) bringen gegen die hierarchische Anordnung der Definitionen vor, daß durch die exakt festgelegte Verteilung der Merkmale Bedeutungen mit gemeinsamem Merkmal in verschiedene Bedeutungsstränge im Baumdiagramm auseinandergerissen werden, wenn das gemeinsame Merkmal als Teil der differentiae von zwei verschiedenen genera betrachtet wird. 71 So werde der Blick auf semantische Gemeinsamkeiten verstellt. Demgegenüber argumentieren sie zugunsten des linearen Modells, daß es flexibler sei und "die gerade für den Kulturwortschatz charakteristische semantische Offenheit der einzelnen Sememe zueinander, die Vielfalt 70

71

Einen Zusammenhang zwischen hierarchischer Anordnung der Definitionen und struktureller Semantik setzen zum Beispiel auch Henne (1972:140ff.) und Anderson/Goebel/Reichmann (1985:262ff.) voraus. Werner (1989:927) weist in diesem Zusammenhang auf die Willkürlichkeit von Entscheidungen bei der Festlegung der Schemata hin.

155 ihrer inhaltlichen B e z u g s m ö g l i c h k e i t e n " besser o f f e n h a l t e ( A n d e r s o n / G o e b e l / R e i c h m a n n 1985:265). D i e s gilt n a c h A n d e r s o n / G o e b e l / R e i c h m a n n i n s b e s o n d e r e dann, w e n n d a s lineare M o d e l l H a n d in H a n d g e h t mit der l e x i k o g r a p h i s c h e n D e f i n i t i o n d u r c h S y n o n y m b z w . S y n o n y m r e i h u n g , bei der ein u n d d a s s e l b e S y n o n y m in m e h r e r e n D e f i n i t i o n e n eines p o l y s e m e n L e m m a z e i c h e n s auftritt. 7 2 H i e r w i r d also argumentiert, d a ß die v e r s c h i e d e n e n B e d e u t u n g e n ein u n d d e s s e l b e n L e m m a z e i c h e n s nicht u n b e d i n g t s c h a r f g e g e n e i n a n d e r abgegrenzt seien u n d d a ß ein lineares M o d e l l diese A u f f a s s u n g v o n B e d e u t u n g a n g e m e s s e n e r darstellen k ö n n e als ein hierarchisches M o d e l l . Z w a r b e r u f e n sich die A u t o r e n nicht explizit auf die P r o t o t y p e n s e m a n t i k ; d e n n o c h d ü r f t e hinter ihrer A r g u m e n t a t i o n w o h l eine B e d e u t u n g s a u f f a s s u n g stehen, die der fuzzy-meaning-Theone

v e r w a n d t ist und die strengen

G r e n z z i e h u n g e n strukturalistischer B e d e u t u n g s t h e o r i e n ablehnt. D a ß in d e n englischen W ö r t e r b ü c h e r n o f t d u r c h S y n o n y m u n d S y n o n y m r e i h u n g definiert w i r d , w u r d e bereits in Kapitel 4 n a c h g e w i e s e n u n d ebenfalls als A u s d r u c k eines B e d e u t u n g s v e r s t ä n d n i s s e s interpretiert, d a s d e m d e r P r o t o t y p e n s e m a n t i k n a h e steht. Ein Beispiel für einen Artikel, der auf der Ebene der Hauptdefinitionen linear strukturiert ist und im Sinne von Anderson/Goebel/Reichmann die semantischen Beziehungen zwischen den Hauptbedeutungen durch die Wiederaufnahme von Synonymen in verschiedenen Bedeutungsangaben andeutet, ist der Artikel world in COD (Abb.7). Das Synonym 'people' tritt in lc und in 6 auf, das Synonym 'life' verbindet die Definitionen 3b und 5. A b b . 7 A r t i k e l b a u p l ä n e : world

(COD)

world /«гэ:И/ η. 1 a the earth, or a planetary body like lt. b Its countries and their inhabitants, e all people; the earth as known or in some particular respect 2 a the universe or all that exists; everything, b everything that exists outside oneself (dead to the world). 3 a the time, state, or scene of human existence, b (prec. by the, this) mortal life. 4 secular interests and affairs. S human affairs; their course and conditions; active life (how goes the world with you?), β average, respectable, or fashionable people or their customs or opinions. 7 all that concerns or all who belong to a specified class, time, domain, or sphere of activity (the medieval world: the world of sport), β (foil, by of) a vast amount (that makes a world of difference), β (attrib.) affecting many nations, of all nations (world politics; a world champion). • all A · world and his wife Brit. 1 any

large mixed gathering of people. 2 all with pretensions to fashion, bring into the world give birth to or attend at the birth of. cany the world baft»« one have rapid and complete success, come into the world be born, for all the world (foU. by like, as i f ) precisely (.looked for all the world as if they mere real), get the best of both worlds benefit from two incompatible sets of ideas, circumstances, etc. in the world of all; at all (used as an intensifler in questions) (what in the world is it?), man (or woman) of the world a person experienced and practical in human affairs, not forth· world not whatever the inducement, out of tUa world colioq. extremely good etc. (the food aas out of this world), saa the world travel widely; gain wide experience, think the world of have a very high regard for. the world, the Sash, and the devil the various kinds of temptation, the (or all the) world over throughout the world, the world to come supposed life after death, world without end for ever. [Old English w(e)orold, world from a Germanic root meaning 'age': related to OLD]

N a t ü r l i c h soll hier, wie a u c h in Kapitel 4, kein direkter E i n f l u ß d e r P r o t o t y p e n s e m a n t i k postuliert w e r d e n , d a eine lineare A n o r d n u n g der D e f i n i t i o n e n in e i n b ä n d i g e n e n g l i s c h e n 72

Die Argumentation von Anderson/Goebel/Reichmann (1985) ist am Beispiel des FRÜHNEUHOCHDEUTSCHEN [HAND]WÖRTERBUCHS auf den Wörterbuchtypus des historischen Sprachstadienwörterbuchs bzw. des zweisprachigen Wörterbuchs bezogen. Der synonymischen bzw. heteronymischen Bedeutungsangabe (je nachdem, ob die beiden Sprachstadien als Varietäten einer Sprache oder als zwei Sprachen betrachtet werden) wird von Anderson/Goebel/Reichmann (I985:266f.) in diesem Wörterbuchtyp eine doppelte Funktion zuerkannt: Einerseits soll sie "potentielle Translationsäquivalente" liefern, andererseits die Beziehungen zu anderen Bedeutungen offenhalten. Das zweite Argument ist auch auf einsprachige Wörterbücher anwendbar und ist als solches in die hier angestellten Überlegungen eingegangen.

156 Wörterbüchern lange vor der Entstehung dieser Theorie etabliert war. Dennoch erscheint im vorliegenden Zusammenhang bedeutsam, daß zwischen der in England entstandenen lexikographischen Tradition und der maßgeblich im selben kulturellen Umfeld entwickelten Bedeutungstheorie gewisse Affinitäten bestehen.73 Festhalten läßt sich also, daß die hierarchische Artikelstruktur mit einer Bedeutungskonzeption, die der aristotelischen bzw. strukturellen Semantik nahesteht, in Verbindung gebracht werden kann, die lineare Struktur dagegen mit einem Bedeutungsmodell, das von fuzzy meaning und prototypisch strukturierten Bedeutungen ausgeht. Damit decken sich die Ergebnisse zur Präferenz verschiedener Artikelgliederungsmodelle mit denen zur Bevorzugung verschiedener Definitionstypen. Auf der französischen Seite werden das hierarchische Modell und die aristotelische bzw. strukturalistische Definition bevorzugt, auf der englischen ein Modell mit linearen Tendenzen und die Definition durch Synonymreihung und andere Techniken, die Bedeutung entsprechend dem Verständnis der Prototypensemantik präsentieren. Die Verwurzelung der beiden unterschiedlichen Bedeutungsauffassungen in der englischen bzw. französischen Kultur war in Kapitel 4 im Zusammenhang mit unterschiedlichen Definitionstechniken bereits besprochen worden. Mindestens ebenso wichtig wie die theoretische Grundlage, die hinter den Wörterbuchkonzeptionen steht, ist die Frage nach Adressatenkreis und Benutzungssituation. Dies gilt besonders, zumal in der Bestandsaufnahme die Vermutung geäußert wurde, daß pragmatische Gesichtspunkte bei der Artikelstrukturierung englischer Wörterbücher eine große Rolle spielen. Es war bereits mehrfach davon die Rede, daß die englischen Lernerwörterbücher aufgrund der Position des Englischen als Weltsprache besonders an ausländische Lerner gerichtet sind, die französischen dagegen mindestens ebenso sehr oder vorrangig an muttersprachliche Lerner, und daß das englische Lernerwörterbuch vor allem ein Produktionswörterbuch sein muß, das französische Lernerwörterbuch dagegen ein Produktionsebenso wie ein Rezeptionswörterbuch. So ist im vorliegenden Kontext besonders danach zu fragen, welches Artikelstrukturierungsmodell für Muttersprachenlerner bzw. für Fremdsprachenlerner und welches für rezeptive bzw. für produktive Benutzungssituationen am 73

Daß Polysemie im Verständnis der Prototypentheorie durch "multiple overlapping" und "uncertain boundaries" gekennzeichnet ist, während die klassische Theorie von scharf abgegrenzten Bedeutungen ausgeht, meint auch Geeraerts (1990:206). Interessanterweise zieht er aber in Hinblick auf eine adäquate lexikographische Darstellung einen ganz anderen Schluß als Anderson/Goebel/ Reichmann: Die hierarchische Präsentation sei geeigneter zur Darstellung dieses Polysemieverständnisses als die lineare, wobei allerdings bestimmte Bedingungen erfüllt sein müßten. So müsse die Hierarchisierung mehr auf Ähnlichkeitsbeziehungen als auf Klassenlogik beruhen, und dies müsse durch Merkmale an den Definitionen expliziert sein, wie sie etwa denen entsprechen, die in Kapitel 4 der vorliegenden Arbeit als Indizien für die Nähe englischer Definitionstechniken zum Bedeutungsmodell der Prototypensemantik genannt wurden. Diese Bedingungen sind, wie Kapitel 4 gezeigt hat, in den hier untersuchten französischen Wörterbüchern eben nicht realisiert. Auf die Möglichkeit, im linearen Modell Beziehungen zwischen Einzelbedeutungen durch die Wiederholung von Synonymen in verschiedenen Positionen offenzuhalten, geht Geeraerts nicht ein. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß sich T H E NEW O X F O R D DICTIONARY OF ENGLISH (1998) (und in seinem Gefolge das hier nicht mehr besprochene COD 10 1999) von der linearen Artikelstruktur löst und eine hierarchische Gliederung mit core meanings und subsenses einfuhrt, diese jedoch nicht aus in der langue verankerten Grundbedeutungen motiviert, sondern sich auf "what is central and typical" beruft und die "necessary conditions" explizit ablehnt (Preface:[s.p.]).

157 geeignetsten erscheint. In der Metalexikographie lassen sich unterschiedliche Einschätzungen finden. Hausmann (1977:44) argumentiert: Für den L2-Lerner ist die möglichst klare hierarchische Gliederung wichtig wegen der Progression im Wortschatzlernen. Die oberste Stufe der Hierarchie sollte vor den anderen gelernt werden, deshalb muß das Wichtige vom weniger Wichtigen klar unterschieden werden. Hausmann geht dabei von der Benutzungssituation des Lernerwörterbuchs als Lernwörterbuch für den Fremdsprachenlerner aus; über die Verwertung zur Textrezeption bzw. Textproduktion ist keine Aussage impliziert. Die Verwertbarkeit der übergeordneten, "wichtigen" Definitionen für Fremdsprachenlerner, die das Wörterbuch zu Produktionszwecken nutzen, ist zu bezweifeln. Dies gilt besonders, wenn die übergeordneten Definitionen semantisch so allgemein und merkmalarm gehalten sind wie in den französischen Wörterbüchern. 74 Der These von einer grundsätzlich besseren Eignung der hierarchischen Gliederung im Lernerwörterbuch für ausländische Lerner sollte also mit Vorsicht begegnet werden, da gerade diese Adressaten besonders auf Hilfe bei der Textproduktion angewiesen sind. Überzeugender erscheint dagegen die Argumentation von Anderson/Goebel/Reichmann (1985:263), die darauf zielt, daß die hierarchische Strukturierung für eine Benutzungssituation verwendet wird, bei der die Benutzer "zum Wörterbuch greifen, um Rezeptionsschwierigkeiten bei der Lektüre von Texten zu beheben oder aber um lexikologischen Erkenntnisanliegen unabhängig von konkreten Rezeptionsschwierigkeiten nachzugehen". 75 Tatsächlich läßt sich der Schluß von einem spezifischen Textbeispiel, dessen Verständnis Probleme bereitet, auf eine generische Definition und der anschließende Weg zu der untergeordneten spezifischen Definition noch einigermaßen problemlos praktizieren und kann unter Umständen sogar ein "Aha-Erlebnis" vermitteln; der Umkehrschluß von einem spezifischen Kommunikationsanliegen in einem gegebenen sprachlichen und außersprachlichen Kontext auf die übergeordnete Definition, unter der dann die spezifische Definition samt Verwendungsbeispiel zu finden ist, dürfte wohl schwerer fallen, zumal bei den abstrakt formulier74

75

Auch Werner (1989:926) äußert Bedenken an der Verwertbarkeit übergeordneter Definitionen wegen ihrer Merkmalarmut und ihres abstrakten Charakters. Hausmann selbst vertritt zu einem späteren Zeitpunkt die Meinung, "Wortschatzlernen ist Kollokationslernen" (1984), und hebt damit stärker auf das produktive Potential des Lern(er)wörterbuchs ab. Anderson/Goebel/Reichmann (1985:263) argumentieren weiter, die lineare Anordnung werde dagegen in Wörterbüchern angewandt, "deren Benutzern vom Lexikographen Schwierigkeiten bei der Produktion von Texten, insbesondere bei der Herübersetzung [...], unterstellt werden". Diese Argumentation, bei der Textproduktion und Herübersetzung in Verbindung gebracht werden, es also um Textproduktion in der Muttersprache geht, wird verständlich, wenn man bedenkt, daß Anderson/Goebel/Reichmann sich auf den Wörterbuchtypus des historischen Sprachstadienwörterbuchs beziehen, das die Herübersetzung aus einem früheren Stadium der Muttersprache in das gegenwärtige Stadium erlauben soll und damit auf eine ähnliche Benutzungssituation zugeschnitten ist wie zweisprachige Wörterbücher. Die Argumentation von Anderson/Goebel/Reichmann läßt sich in diesem Punkt nicht direkt auf die hier zur Debatte stehenden einsprachigen Wörterbücher übertragen. Diese sollen nämlich als Produktionswörterbücher eine Hilfe bei der Produktion von Texten in der Fremdsprache, als Rezeptionswörterbücher dagegen eine Hilfe beim Verständnis von fremdsprachlichen Texten und damit bei der Herübersetzung in die Muttersprache bieten. Dennoch erscheint der Verfasserin dieser Arbeit eine lineare Anordnung auch für Wörterbücher geeigneter, die Hilfe bei der Produktion von Texten in der Fremdsprache bieten sollen.

158 ten übergeordneten Definitionen der hier vorliegenden französischen Wörterbücher. In diesem Fall dürfte dem Benutzer eher mit einer Reihung von Bedeutungen und Verwendungen auf gleicher Ebene gedient sein. Dies gilt besonders dann, wenn - wie in den englischen Wörterbüchern gegeben - Bedeutung als Gebrauch formuliert wird und die Orientierung zusätzlich durch pragmatisch gewählte paragraph headings u.ä. erleichtert wird, die nicht den generischen Charakter der französischen übergeordneten Definitionen besitzen. Die lineare Anordnung dürfte also für ein Wörterbuch angemessen sein, dessen Benutzer besonders auf Hilfe bei der Textproduktion angewiesen sind. Die hierarchische Gliederung erscheint dagegen geeigneter für ein Wörterbuch, das auch als Rezeptionswörterbuch genutzt wird, das Einsicht in Bedeutungszusammenhänge vermitteln soll und dessen Benutzer die mangelnde Hilfestellung bei der Textproduktion nicht einklagen. Entsprechend kommen die unterschiedlichen Präferenzen für die Artikelstrukturierung in den englischen und französischen Wörterbüchern auch den Bedürfnissen der unterschiedlichen Zielgruppen und den für sie typischen Benutzungssituationen entgegen. Das Fazit lautet also: Die französische Tendenz zur hierarchischen Artikelstruktur und die englische zur Linearität fügen sich sowohl in theoretischer wie auch in pragmatischer Hinsicht in das kulturelle Umfeld der jeweiligen Wörterbücher ein und korrespondieren mit den Ansprüchen, die in der jeweiligen Gesellschaft an Wörterbücher gestellt werden. Gründe für unterschiedliche Entscheidungen können einerseits in der Rezeption "kulturspezifischer" sprachwissenschaftlicher Theorien (hier aristotelische bzw. strukturelle Semantik, dort Prototypensemantik) gesucht werden, andererseits auch in den besonderen Zielgruppen und Benutzungssituationen, auf die das Wörterbuch zugeschnitten ist. Damit ist die Bedeutung sprachwissenschaftlicher Theorien sowie die Bedeutung der Einstellung auf einen ganz bestimmten Wörterbuchmarkt und die Ansprüche seiner Benutzer auch in Hinblick auf die Hierarchisierung bzw. Linearität der Artikelstrukturierung untermauert.

5.4 Anordnungsformen der Makrostuktur

Die Frage, inwieweit eine alphabetische Anordnung der Lemmata zugunsten einer Ordnung, die über Mechanismen der Wortbildung gestiftete Beziehungen zwischen den Lemmazeichen zum Ausdruck bringt, durchbrochen wird, ist in erster Linie ein Problem der Organisation der Makrostruktur und hängt mit der Entscheidung zusammen, ob nur auf einer oder auf mehreren hierarchischen Ebenen lemmatisiert wird. Da sie jedoch auch die Frage, ob Informationen auf Lemmaebene oder im Artikelinneren piaziert werden, und damit die Artikelstrukturierung berührt, soll sie ans Ende der Überlegungen zum Kapitel "Artikelbaupläne" gestellt werden. Was die theoretisch gegebenen Möglichkeiten in diesem Bereich angeht, so wird hier auf eine Klassifikation zurückgegriffen, die Wiegand in mehreren Aufsätzen (1983, 1989a, 1998a und 1999) entwickelt hat. Von ihr sind im vorliegenden Zusammenhang die Kategorien "glattalphabetische", "nischenalphabetische" und "nestalphabetische" Anordnungsformen relevant, die auf die Reihenfolge der Leitelementträger (d.h. der Lemmata, ggf. auf mehreren hierarchischen Ebenen) und auf formale Mittel ihrer "Zusammenordnung" (Wiegand 1998a:358) zielen.

159 Wiegand gliedert zunächst initialalphabetische Makrostrukturen nach dem Kriterium "strenge" (bzw. "nicht strenge") "Anwendung nur einer striktinitialalphabetischen Anordnungsmethode" (1998a:361) in "striktinitialalphabetische" und "nichtstriktinitialalphabetische" Makrostrukturen. Von letzteren interessieren hier nur die "nestalphabetischen" Makrostrukturen, in denen die Anwendung einer striktinitialalphabetischen Anordnung in der Weise Beschränkungen erfährt, daß z.B. morphologische oder etymologische Zusammenhänge in der Reihenfolge der Leitelementträger deutlich werden (vgl. Wiegand 1999:1819). Zur weiteren Klassifikation zieht Wiegand die Position der Leitelementträger im Druckraum und die Möglichkeit der "Gruppierung" heran. Gruppierung liegt vor, "wenn zu einem Textblock eines Wörterverzeichnisses mindestens zwei, höchstens aber endlich viele lexikographische Leitelementträger gehören, die keine vertikale Lemmareihe bilden" (1998a:358f.). Geht die nestalphabetische Anordnung mit Gruppierung einher, so liegen "gruppierte Nester" vor; wird die Zusammengehörigkeit im Nest durch andere formale Mittel der "Zusammenordnung" angezeigt, so liegen "nichtgruppierte Nester" vor. 7 6 Ist dagegen die striktinitialalphabetische Anordnungsform mit Gruppierung verbunden, so spricht Wiegand von "Nischenbildung". Wenn bei einer striktinitialalphabetischen Anordnung keine Gruppierung und damit eine durchgehend vertikale Gesamtlemmareihe vorliegt, so wird die Makrostruktur als "glattalphabetisch" bezeichnet. 77 Aus diesen Überlegungen ergibt sich im Fall von Makrostrukturen mit Nest- oder Nischenbildung eine Hierarchisierung der Lemmata in übergeordnete "Nest-" bzw. "Nischeneingangslemmata" und untergeordnete "Nest-" bzw. "Nischenlemmata". In Wiegands Klassifikation gehen also mehrere Parameter ein: die Reihenfolg der Leitelementträger im Sinne einer strengen oder nicht strengen A n w e n d u n g nur einer striktinitialalphabetischen Anordnungsmethode (vereinfacht gesprochen, die Anordnung der Lemmata im Verhältnis zum Alphabet) 7 8 , die glatt- und nischenalphabetische Anordungsformen von nestalphabetischen trennt; die Position der Leitelementträger im Druckraum (Gruppierung oder Verzicht auf Gruppierung), die N i s c h e n und gruppierte Nester als Anordnungsformen mit Gruppierung gegenüber glattalphabetischen

Anordnungformen

gemeinsam

haben;

schließlich die Anwendung anderer, nicht gruppierender formaler Mittel der "Zusammenordnung", die erlaubt, gruppierte Nester von nichtgruppierten zu unterscheiden. 7 9 In der folgenden Diskussion soll in Anlehnung an Wiegand ( 1 9 9 8 a : 3 5 8 ) von "Zusammenordnung" die Rede sein, w e n n Leitelementträger durch w e l c h e formalen Mittel auch immer als zusammengehörig gekennzeichnet werden und noch nicht näher bestimmt wurde, ob dies unter Durchbrechen der alphabetischen Anordnung geschieht, bzw. w e l c h e formalen Mittel der Zusammenordnung benutzt werden. Für die weitergehende Klassifikation wird die Terminologie von Wiegand angewandt. 8 0 Allerdings müssen die Termini flexibel gehandhabt werden und graduelle Übergänge zulassen, zum Beispiel die Möglich76

77

78 79

80

Z.B. durch den Längsbalken, der in DFV nichtgruppierte Nester als zusammengehörig kennzeichnet, vgl. Wiegand (1998a:358). Die Unterscheidung zwischen "gruppierten Nischen" und "nichtgruppierten Nischen" als Anordnungsform, bei der in der vertikalen Lemmareihe Lemmata auftreten, deren untergeordneter Status auf anderem Weg als durch Gruppierung deutlich wird, ist zur Beschreibung der vorliegenden Wörterbücher nicht relevant und wird daher nicht berücksichtigt, vgl. Wiegand (1999:1816f.). Wiegand (1998a:360f.) legt dar, warum diese Formulierung nicht ganz korrekt greift. Ähnliches gilt fur die Unterscheidung zwischen gruppierten und nichtgruppierten Nischen, auf die hier vezichtet wird, vgl. Fußnote 77 (vgl. Wiegand 1999:1817). Ähnliche terminologische Differenzierungen werden in der englischsprachigen Metalexikographie mit den Termini nested bzw. open-plan macrostructure und run-on entry bzw. subentry getroffen, vgl. z.B. Ilson (1990:1973) und Herbst (1996:345).

160 keit einer mehr oder weniger radikalen, d.h. mehr oder weniger alphabetfernen Nestbildung.81 Bei den vorliegenden Wörterbüchern zielt die Frage nach der makrostrukturellen Anordnung letztlich darauf, wie mit Wortbildungen, insbesondere Ableitungen und Komposita, verfahren wird, d.h. auf welcher hierarchischen Ebene der Lemmatisierung diese abgehandelt werden. Wenn im konkreten Fall über die Behandlung eines solchen Wortes entschieden wird (wobei die Entscheidung vorausgehen muß, ob überhaupt ein "Wort" oder eher eine Phrase vorliegt), so ist damit zu rechnen, daß zusätzlich zur Grundsatzentscheidung für eines der möglichen Organisationsprinzipien der Makrostuktur weitere Festlegungen getroffen werden. Zum Beispiel ist denkbar, daß in einem grundsätzlich nestenden Wörterbuch formal regelmäßige, aber semantisch demotivierte Ableitungen nicht als Nestlemmata, sondern auf übergeordneter Ebene lemmatisiert werden. Darüber hinaus bestehen weitere Möglichkeiten der lexikographischen Behandlungen von Wortbildungen, die im Rahmen der Materialuntersuchungen erläutert werden sollen. Die von Wiegand formulierten Anordnungsprinzipien sind wohl als Idealtypen zu betrachten, die in mehr oder weniger reiner Form realisiert sein können, auf deren Grundlage im konkreten Fall Lemmatisierungsentscheidungn getroffen werden und in Bezug auf die auch Inkonsistenzen oder gewollter Pragmatismus herrschen können.82 Ob englische und franzöische Wörterbücher in Hinblick auf die Bevorzugung bestimmter Anordnungsformen unterschiedliche Tendenzen aufweisen, soll Gegenstand der folgenden Diskussion sein.

5.4.1 Bestandsaufnahme Zur Praxis bezüglich der Entscheidung für eine der möglichen Organisationsformen der Makrostruktur sind in allen Vorwörtern explizite Stellungnahmen zu finden. Diese zeigen, daß die englischen Wörterbücher innerhalb gewisser Grenzen relativ einheitlich verfahren. LDOCE (XIVf.) ordnet Ableitungen ohne Definition mit dem einfachen (oder "einfacheren") Wort zusammen, wenn sie semantisch voll motiviert sind (z.B. gracefully, gracefulness). Komposita dagegen werden in den meisten Fällen auf übergeordneter Ebene lemmatisiert; in selteneren Fällen werden sie als Bedeutung innerhalb eines Artikels aufgeführt, wenn sie als "idiomatic phrases" betrachtet werden können (big deal s.v. big). OALD (IX) ordnet Ableitungen und Komposita in der Regel in der derivative section bzw. der compound section mit dem einfachen Wort zusammen, und zwar auch dann, wenn sie eine Definition benötigen; semantisch demotivierte Ableitungen, Ableitungen mit abweichender Orthographie in der Wurzel sowie Komposita, die als ein orthographisches Wort geschrieben werden, werden jedoch auf übergeordneter Ebene lemmatisiert. COBUILD (XV) ordnet Ableitungen, die mit "common suffixes such as '-ly' or '-ness'" gebildet und semantisch voll motiviert sind, ohne Definition mit dem einfachen Wort zusammen, wo sie direkt hinter der ihnen entsprechenden Hauptbedeutung angeschlossen werden. Über Komposita wird keine Aussage gemacht; Stichproben im Wörterbuch zeigen jedoch, daß viele Komposita auf

81

82

Wiegand (1989a:390f.) berücksichtigt die nötige Flexibilisierung des Modells mit einer Unterscheidung verschiedener Grade der Nischenbildung in Abhängigkeit von der semantischen Nähe der gruppierten Einheiten. Vgl. z.B. die Entscheidung des "eigentlich" striktinitialalphabetischen MR, ab dem vierten oder fünften Buchstaben einen Bruch der striktinitialalphabetischen Anordnung zuzulassen, und Hausmanns Bemerkungen (1977:10) über Inkonsistenzen in der Gruppierung von Präfixableitungen in DFC.

161 übergeordneter Ebene lemmatisiert werden. COD (VII) schließlich lemmatisiert nach Auskunft des Vorwortes in der neunten Auflage "alle" Nominalkomposita auf übergeordneter Ebene, ohne daß allerdings die Abgrenzung von Komposita und Phrasen im Vorwort diskutiert würde. Aus dem Wörterbuch selbst läßt sich erschließen, daß Ableitungen oft ohne Definition mit dem einfachen Wort zusammengeordnet werden. Die englischen Wörterbücher weisen also eine einheitliche Tendenz zur Zusammenordnung von formal und semantisch motivierten Suffixableitungen mit dem jeweiligen einfachen Wort auf. Im Fall von OALD gilt dies auch fur Komposita und als definitionsbedürftig betrachtete Ableitungen, woraus zu schließen ist, daß die Bereitschaft zum Zusammenordnen besonders hoch ist. Dasselbe gilt für CHAMBERS. In allen fünf Wörterbüchern lassen sich Beispiele finden, die belegen, daß diese Zusammenordnung auch unter Bruch der alphabetischen Reihenfolge geschieht. So ist beispielsweise mentally adv. immer mit mental adj. zusammengeordnet und steht damit vor dem Lemma mentality п.; ein weiteres Beispiel aus OALD, LDOCE, COD und CHAMBERS ist runic adj., das als Ableitung von rune п. vor rung п. bzw. rung pp. of ring steht (COBUILD verzeichnet runic nicht). Dies zeigt, daß es sich um Nestbildung und nicht bloß um Nischenbildung handelt, die allerdings durch die Voraussetzung der formalen und semantischen Regelmäßigkeit und vor allem durch den Ausschluß von Präfixbildungen sehr moderat bleibt, d.h. von alphabetferneren Zusammenordnungen Abstand nimmt. Man könnte also für die englische Wörterbuchlandschaft von einer einheitlichen Tendenz zu gemäßigter Nestbildung sprechen. 83 In allen Wörterbüchern mit Ausnahme von OALD liegt dabei Textblockbildung und damit eine Anordnung mit gruppierten Nestern vor. In OALD treten neben gruppierten Nestern auch nichtgruppierte auf, und zwar dann, wenn die Artikel für Ableitungen und Komposita jeweils auf einer neuen Zeile beginnen, die Lemmata jedoch durch die vorausgehenden Zeichen^« u n d · (für die derivative section bzw. die compound section), die kleinere Drucktype und eine Einrükkung als Nestlemmata gekennzeichnet sind. Demgegenüber zeigen sich auf der französischen Seite zwei grundsätzlich gegensätzliche Tendenzen. NPR, MR, DFColl und PL verletzen die alphabetische Anordnung in der Regel nicht. DFColl verfährt laut Vorwort "dans l'ordre alphabötique strict" und ohne jede Zusammenordnung ([3]); NPR verzeichnet semantisch regelmäßige Ableitungen ohne Definition in Kapitälchen beim einfachen Wort, jedoch nur "ä la condition que l'ordre alphab6tique n'en soit pas perturb6" (XI f.) und allein aus Gründen der Raumersparnis; eine "intention thdorique" (XII) wird explizit zurückgewiesen.84 MR (X f.) gruppiert formal und semantisch regelmäßige Ableitungen und auch Komposita, jedoch in der Regel nur "lorsque l'ordre alphabdtique, indispensable ä la recherche et ä une consultation commode, le permet". Allerdings läßt MR aufgrund empirischer Untersuchungen über die Auffindbarkeit gruppierter Wörter Abweichungen von der alphabetischen Reihenfolge ab dem vierten oder fünften Buchstaben zu und geht damit weiter als die meisten französischen Wörterbücher. PL äußert sich im Vorwort nicht zur Organisation der Makrostruktur, aus dem Wörterbuch selbst läßt sich jedoch ablesen, daß keine Form der Zusammenordnung oder des Bruchs der alphabetischen Ordnung praktiziert wird. Ganz anders als die bisher angesprochenen Wörterbücher verfährt 83

84

Das Urteil Ilsons (1990:1973), die Makrostruktur von LDOCE und COBUILD sei open-plan, läßt sich wohl daraus erklären, daß er die Opposition nested/open-plan lediglich auf die Behandlung von Komposita bezieht. Allerdings zeigt das Beispiel von FOLIOTAGE im Anschluß an folioter, daß es Ausnahmen von der Wahrung der alphabetischen Ordnung zu geben scheint.

162 LEXIS, das das Thema im Vorwort (VIII f.) ausführlich diskutiert: Hier wird ein radikales regroupement praktiziert, das unter Bruch der alphabetischen Reihenfolge nicht nur Komposita und Suffixableitungen unabhängig von ihrer formalen Regelmäßigkeit gruppiert, sondern auch Präfixableitungen einschließt. Angestrebt wird die Abbildung möglichst vollständiger Wortfamilien nach synchronischen Kriterien; entsprechend ist ein umfangreiches Verweissystem nötig. Drei der fünf hier diskutierten Wörterbücher (DFColl, PL und N P R ) verfahren also striktinitialalphabetisch. DFColl und PL verzichten prinzipiell auf Gruppierung oder Zusammenordnung anderer Art und sind damit als glattalphabetisch zu bezeichnen; N P R läßt theoretisch die Möglichkeit zur Nischenbildung zu, nutzt sie jedoch, w i e ein Blick auf die Makrostruktur zeigt, eher selten und tendiert damit ebenfalls z u m glattalphabetischen Prinzip (z.B. wird bei cardiologie

- cardiologique

- cardiologue

auf Nischenbildung verzichtet,

obwohl die Gruppe im Vorwort (XII) als grundsätzlich geeignet zur Zusammenordnung beurteilt wird). M R läßt gruppierte Nester zu, allerdings nur in sehr eingeschränktem U m fang und unter Hinweis auf die Notwendigkeit der Respektierung des Alphabets. Insgesamt dominiert also eine Tendenz zur striktinitial- und dabei oft glattalphabetischen Anordnung, aus der nur L E X I S ausschert, das eine radikale Nestbildung unter Einschluß von K o m p o sita, alphabetfernen Suffix- und auch Präfixableitungen vornimmt. Damit unterscheiden sich die

französischen

Wörterbücher deutlich von den englischen, die innerhalb eines be-

stimmten Spielraums einheitlich eine gemäßigte Nestbildung praktizieren. 85 Was aus den Vorwörtern j e d o c h nicht in j e d e m Fall hervorgeht, ist die Tatsache, daß für Komposita neben der Verzeichnung als Lemma bzw. gegebenenfalls als N i s c h e n - oder N e s t l e m m a noch eine weitere Alternative möglich ist, nämlich die Aufführung im Artikelinneren unter einer der Konstituenten. In diesem Fall wird das Kompositum im Beispielteil einer der Hauptbedeutungen untergebracht. Als Kriterium fur den Status "lexikographisches Beispiel" wird in der vorliegenden Arbeit der Kursivdruck herangezogen. 86 Alternativ wäre möglich, von einer Lemmatisierung auf einer noch weiter untergeordneten Ebene im Sinne von "artikelinternen" Lemmata zu sprechen, vor allem wenn die Bildungen mit eigenen Bedeutungsangaben in Form von Glossaten versehen sind. Durch die unterschiedlichen Drucktypen dürfte der Status der verschiedenen Verzeichnungsmodi (d.h. Nischen- oder Nestlemma im Fettdruck und Verwendungsbeispiel bzw. artikelinternes Lemma im Kursivdruck) in den hier untersuchten Wörterbüchern abgrenzbar sein, 87 allerdings ohne daß sich die Aussagen auf andere Wörterbücher mit anderen Druckkonventionen übertragen ließen. Die Verwendung von Kapitälchen für semantisch regelmäßige Ableitungen in NPR, die in keinem der anderen hier untersuchten Wörterbücher zu diesem Zweck zum Einsatz kommen, zeigt, wie pro85

Herbst (1996:351) bezeichnet demgegenüber den Komplex der Behandlung von Wortbildungen als "one of the essential differences in structure" zwischen den englischen Lernerwörterbüchern und hebt damit auf die Frage ab, ob nur Ableitungen oder auch Komposita mit dem einfachen Wort zusammengeordnet werden und ob Ableitungen, die genestet werden, bei der jeweils zugehörigen Bedeutung des einfachen Wortes oder aber gesammelt in Anschluß an den Artikel des einfachen Wortes aufgeführt werden. Dies verdeutlicht, wie sich die Perspektive verschiebt, wenn wie in der vorliegenden Arbeit zwischen zwei Wörterbuchlandschaften und nicht innerhalb ein und derselben Wörterbuchlandschaft verglichen wird.

86

Zur Begründung vgl. die einleitenden Bemerkungen in Kapitel 6. Auf diesem Weg läßt sich z.B. die Praxis COBUILDs, das Ableitungen direkt an einzelne Hauptbedeutungen anschließt, sie jedoch durch Rhombus und Fettdruck abhebt und ihnen eigene kursiv gedruckte Beispiele zuordnet, als Nestbildung identifizieren.

87

163 blematisch die Abgrenzung von "Lemmatisierung" und "Verzeichnung als Beispiel" in der Praxis sein kann. 88 Bei der Entscheidung, ob lemmatisiert oder im Beispielteil verzeichnet wird, spielen unter anderem Faktoren wie Graphie, grammatische Struktur und Semantik herein.89 Bei der Schreibung als ein graphisches Wort ist eher eine Lemmatisierung zu erwarten als bei Getrenntschreibung. Präpositionale Komposita der Struktur N de N oder Ν ά N (salle de bains, brosse ä dents), die in manchen, vor allem älteren Arbeiten über die Komposition im Französischen gar nicht als Komposita betrachtet oder zumindest als Untersuchungsobjekt ausgeklammert werden,90 finden sich tendenziell eher als Verwendungsbeispiele im Artikel inneren als solche, die ohne Relatoren gebildet werden (z.B. camion-citerne und bateau-phare, die in den von Wolf (1984) untersuchten Wörterbüchern, wenn überhaupt verzeichnet, lemmatisiert werden); dasselbe gilt für Komposita, bei denen die Bedeutung der Gesamtheit aus der Bedeutung der Einzelkomponenten zu erschließen ist, d.h. motivierte Komposita gegenüber nicht motivierten. Die Lage verkompliziert sich zusätzlich durch die Entscheidung, ob im konkreten Einzelfall ein Kompositum oder eine Phrase vorliegt bzw. welche Kriterien zur Abgrenzung herangezogen werden sollen. Und nicht zuletzt muß entschieden werden, welchen Einfluß solche theoriegeleiteten Überlegungen überhaupt auf Lemmatisierungsentscheidungen im Wörterbuch nehmen sollen, denn die Verzeichnung als Lemma oder im Beispielteil berührt ja auch Fragen der Auffindbarkeit und Artikellänge und damit der Benutzerfreundlichkeit. Wie ausgiebig das Verfahren der Verzeichnung im Artikelinneren in der französischen Tradition zumindest bei motivierten Komposita angewandt wird, dokumentiert Wolf (1984), der die Behandlung von ohne Relatoren gebildeten Substantiv-Substantiv-Komposita und die Kriterien untersucht, nach denen sie als Lemmata oder innerhalb der Wörterbuchartikel mit oder ohne Definition verzeichnet werden. 91 Dabei sind die im Französischen sehr häufigen präpositionalen Komposita wie brosse ä dents, salle de bains etc., die gewöhnlich ohne Bindestrich geschrieben werden, noch nicht mitberücksichtigt. Der Artikel salle aus DFColl (Abb.8) zeigt stellvertretend für die französische Seite, wieviel Raum solche Bildungen in den Artikeln französischer Wörterbücher einnehmen - sechs der insgesamt elf Beispiele unter den Hauptbedeutungen 1. und 2. sind Bildungen mit der Struktur

88

89 90

91

Den anderen Weg, nämlich Mehrworteinheiten im Artikelinneren nicht als "Beispiele", sondern als "infralemmatische Adressen" zu bezeichnen, gehen Werner/Hausmann (1991:2731), die allerdings über zweisprachige Wörterbücher schreiben und sich speziell auf Mehrworteinheiten beziehen, die eines zielsprachlichen Äquivalents bedürfen. Zu dieser Problematik, auch in Hinblick auf Komposita, vgl. auch Werner (1988:159ff.). Zu den im folgenden genannten und weiteren Kriterien vgl. Wolf (1984) und Rothe (1994). Vgl. den Forschungsüberblick bei Wolf (1990:29ff.). Von den Kriterien, die zur Abgrenzung von Komposita und Syntagmen angeführt werden, greifen jedoch vor allem die wichtigen morphologischen auch für viele präpositionale Komposita. Das Kriterium der nur globalen Modifizierbarkeit greift z.B. für pomme de terre (des pommes de terre nouvelles, nicht *des pommes nouvelles de terre), ebenso das Kriterium der Unmöglichkeit, eine koordinierte Struktur zu bilden, in der eine Konstituente ausgelassen wird (*chemin de fer et de terre), vgl. Wolf (1984:413f.) und Picoche (1997:16). Das Kriterium der Motivation (oder, mit Wolf 1984, der Motivierbarkeit), d.h. die Frage nach Erhaltung oder Verlust der semantischen Autonomie der Konstituenten, ist nach Wolf wichtigstes, wenn auch nicht alleiniges Kriterium für die lexikographische Behandlung von Komposita in französischen Wörterbüchern. Die lexikographische Praxis, so Wolf, ist heterogen und theoretisch wenig fundiert.

164 salle de N. Ein Vergleich mit dem kompositareichen Artikel garden in OALD (Abb.8) zeigt, daß zwar ebenfalls einige Substantiv-Substantiv-Bildungen als Verwendungsbeispiele in das Artikelinnere geordnet werden (z.B. a herb/rose/vegetable garden, a garden wall/shed/seat, garden flowers/plants), daß aber andererseits auch einige herausgenommen und als Nestlemmata (ausgewiesen durch Fettdruck) verzeichnet werden, und zwar nicht nur solche, die sich durch Akzent auf der ersten Konstituente eindeutig als Komposita ausweisen, sondern auch phrasenartige mit Akzent auf der zweiten Konstituente wie garden city oder garden suburb,92 Abb.8 Artikelbaupläne: salle (DFColl)!garden (OALD) • a l l e [sal] η. f. (frq. sal)· 1. D a n s une maison, dans un appartement, piece destinee ä un usage particulier (indique par un compl. du n.): Salle a manger ( = piece dans laquelle o n prend les repas). Salle de sejour (ou sejour n. m.) [ = piece servant ä la fois de salle ä manger et de salon], Salle d'eau ( = petit cabinet de toilette comprenant une douche). — 2. D a n s un etablissement public o u ouvert au public, local amenage suivant sa destination : Salle de classe. Salle de bat. Salle d'armes (= lieu o ü les maitres d'armes donnent leurs l e i o n s d'escrime). Salle commune d'un hopital (= oil sont les lits de plusieurs malades). Salle des ventes - lieu o u se font les ventes judiciaires). Salle des fetes ( = local generalement c o m m u n a l reserve aux fetes). Salle d'attente d'une gare. Salle des pas perdus (= hall qui precede l'ensemble des chambres d ' u n tribunal, I'acces aux quais d ' u n e gare). — 3. Faire salle comble, se dit d ' u n e salle de spectacle dont toutes les places ont ete vendues o u d e la representation qui permet ä cette salle d'etre remplie. || Salle (de spectacle), theatre, cinema, music-hall; public qui remplit une salle d e spectacle : Une salle enthousiaste, houleuse.

g a r d e n /'ga:dn/ η 1 [С] a piece of private ground used for growing flowers, fruit, vegetables, etc, typically with a lawn or other open space for playing or relaxing: α big house with α front and back garden ° a herb/rose/vegetable garden о weeding the garden о a garden wall/shed/seat о garden flowers/plants о We've only got a small garden. See also KITCHEN GARDEN, ROCK-GARDEN. 2 gardens [pi] a public park: botanical/zoological gardens. 3 [C] (esp in compounds) a place where refreshments are served out of doors: a beer/tea garden. 4 [sing] a region good for growing flowers, vegetables, etc: Kent is the garden of England. ШШ common or garden о COMMON 1 , everything in the garden Is 'lovely (.Brit saying) everything is very satisfactory, lead sb up the garden path О LEAD1. See also MARKET GARDEN.

• garden ν to cultivate a garden: [V] She's outdoors gardening every afternoon, gardener /'ga:dna(r)/ n: My wife's a keen gardener, о We employ a gardener two days a week, gardening /'ga:dmq/ η [U]: organic gardening о gardening gloves/tools ° I like watching the gardening programmes on television. • 'garden centre η a place where plants, seeds, garden equipment, etc are sold, garden 'city, ,garden 'suburb ns (esp Brit) a city or part of a city designed with many open spaces, parks, etc and planted with many trees, 'garden party η a formal social event on a lawn or in a garden, usu in the afternoon.

Ähnliches gilt auch für die übrigen englischen Wörterbücher, die allerdings Komposita nicht als Nestlemmata, sondern auf übergeordneter Ebene lemmatisieren. Umgekehrt ist die Lemmatisierung von Komposita auch französischen Wörterbüchern nicht fremd;93 sie scheint jedoch nicht in demselben Umfang praktiziert zu werden wie in den englischen Wörterbüchern. Dies bestätigt die empirische Überprüfung in den hier untersuchten Auflagen anhand einer - zugegebenermaßen sehr kleinen - Stichprobe aus je sechs motivierten Substantiv-Substantiv-Komposita, die Wolf (1984) und Quirk [u.a.] (1995) entnommen sind. Auf der englischen Seite sind fast alle Bildungen als Lemmata (bzw. in OALD als Nestlemmata) verzeichnet; ein Beispiel (table leg) ist nirgends verzeichnet, ein weiteres (oak tree) in OALD im Beispielteil s.v. oak und s.v. tree. Auf der französischen Seite liegen die Verhältnisse genau umgekehrt: Von den untersuchten Bei92

93

Zum Kriterium des Betonungsmusters für die Abgrenzung von Komposita und Phrasen vgl. Quirk [u.a.] (1995:1592f.). Als Kriterium zur Identifikation von Komposita gilt normalerweise der Akzent auf der ersten Konstituente; eine kleinere Anzahl von Bildungen mit dem Akzent auf der zweiten Konstituente wird dennoch als Komposita mit etwas weniger "typischem" Status klassifiziert. Vgl. z.B. MR (X und XIV), aber dagegen auch MR (XIV) zur Verzeichnung im Beispielteil.

165 spielen wird nur ein einziges (camion-citerne) lemmatisiert, und zwar in allen Wörterbüchern. 94 Die anderen Beispiele, sofern überhaupt verzeichnet, sind im Artikelinneren untergebracht, in Einzelfällen in Kapitälchen oder als Haupt- oder untergeordnete Bedeutungen, zumeist jedoch ohne formale Unterscheidung von den übrigen lexikographischen Beispielen (was die in der Realität fließenden Übergänge zwischen "Lemmatisierung" und "Verzeichnung als Beispiel" nochmals veranschaulicht). Vier der sechs untersuchten Beispiele sind in mindestens einem der fünf französischen Wörterbücher nicht verzeichnet.

Für die hier geführte Diskussion ist wichtig, daß mit der Praxis der Verzeichnung von Komposita im Artikelinneren ein mehr oder weniger großer Teil an Material, das aus Wortbildungsprozessen hervorgegangen ist, aus der Frage nach dem Organisationsprinzip der Makrostruktur herausgenommen und in den Bereich der Artikelstrukturierung verlagert wird. Dabei wird das Problem der Verteilung von Informationen zwischen der Lemmaebene und der Ebene des Artikelinneren berührt und die Frage nach der Definition des Wortes als lexikographischer Einheit aufgeworfen. Dies muß bei der Interpretation des Befundes aus den Wörterbüchern mitberücksichtigt werden. Im folgenden wird es darum gehen, Überlegungen zum Zusammenhang zwischen bevorzugten Organisationsprinzipien der Makrostruktur und der im Hintergrund stehenden "Kultur" anzustellen. Besonders wird dabei auf Fragen der Adressatengemäßheit, der Auffindbarkeit von Wortbildungen und der Ausnutzung des Druckraums zu achten sein.

5.4.2 Interpretation Um die unterschiedlichen Tendenzen der französischen und englischen Wörterbuchlandschaft zu beurteilen, sei zunächst ein Blick auf die Vorläufer der hier untersuchten Wörterbücher bzw. Auflagen geworfen. Dies soll Aufschluß über das Schicksal verschiedener Anordnungsformen in der jeweiligen lexikographischen Tradition geben und damit bereits erste Rückschlüsse auf die möglichen Ursachen von Unterschieden zulassen. Simpson (1990:1964) nennt als eines der generellen Charakteristika der britischen lexikographischen Tradition, wie sie z.B. in den frühen Auflagen von COD und CHAMBERS repräsentiert ist, die Tendenz zur Bildung von Ableitungs- und Kompositanestem. Wenn die englischen Wörterbücher also bis heute Ableitungen nesten, so bedeutet dies eine Fortsetzung der Tradition, wenn auch in reduzierter Form, da Komposita außer in OALD nicht mehr genestet werden. COD stellte die Bildung von Kompositanestem erst mit der achten Auflage von 1990 in Frage (Komposita werden ab dieser Auflage auf übergeordneter Ebene an ihrem alphabetischen Platz lemmatisiert, sofern sie als ein graphisches Wort geschrieben werden, vgl. COD8 1990:XXXIII)95 und baut die "policy of denesting" in der neunten Auflage weiter aus (VII). Ilson (1990:1968f.) macht darauf aufmerksam, daß der Rückgang der Nestbildung in Hinblick auf Komposita auf Einflüsse der amerikanischen Tradition zurückzuführen sein könnte.

94 95

In LEXIS erscheint es als Nestlemma. Das Vorwort spricht ganz generell von "compound terms". Es ist anzunehmen, daß damit insbesondere Nominalkomposita gemeint sind, deren "denesting" dann auch in der 9. Auflage explizit thematisiert wird, vgl. COD9 (1995:VII).

166 In Frankreich dagegen hat das alphabetische Prinzip, das auch in den meisten der hier untersuchten Wörterbücher realisiert ist, eine starke Tradition. LITTRE, HATZFELD/DARMESTETER, TLF und PR wenden es an, und GR kehrt - nach einem Versuch des Nestens von Ableitungen und Komposita in der ersten Auflage - mit der zweiten wieder zu ihm zurück. Im Zusammenhang mit dem Ausscheren von LEXIS aus dieser Tradition sei jedoch daran erinnert, daß es als nestalphabetisches Wörterbuch in der französischen Tradition nicht allein steht. DFC, der Ausgangspunkt der Serie, der auch LEXIS angehört, erregte unter anderem dadurch Aufsehen, daß eine radikale Nestbildung nach streng synchronen Kriterien vorgenommen wurde. Eine ebenso spektakuläre Nestbildung, wenn auch nach etymologischen Kriterien und mit nichtgruppierten Nestern, praktizierte DFV. Signifikant im vorliegenden Zusammenhang ist, daß beide sich auf dem Markt nicht behaupten konnten: DFV wird nicht mehr aufgelegt, und in DFColl wurde die Nestbildung zugunsten einer glattalphabetischen Reihenfolge zurückgenommen. So betrachtet stellt sich LEXIS als Überbleibsel eines zweiten französischen Traditionsstrangs dar, der im Bereich der Lernerlexikographie seinen Ausgang nahm und dessen Vertretern auf dem Markt wenig Glück beschieden war. Der Grund wird in der Auseinandersetzung um DFC und DFColl deutlich: Ein nestendes Wörterbuch erschwert die Auffindbarkeit von Wortbildungen und ist daher für eine rezeptive Benutzungssituation weniger geeignet als ein striktinitialalphabetisches. Umgekehrt ist es für Hilfestellung in produktiven Benutzungssituationen wahrscheinlich geeigneter. 96 Die Autoren von DFC machen für das nestalphabetische Prinzip in erster Linie pädagogische Motive geltend und denken dabei an den Gebrauch als Produktions- und Lernwörterbuch. 97 Dieser Aspekt wurde im Ausland aus sprachdidaktischer Sicht auch begrüßt, 98 war aber offensichtlich beim eigentlichen französischen Adressatenkreis wenig gefragt, wie die in Kapitel 2 erwähnte Gegnerschaft der französischen Lehrer zeigt. Es wurde bereits angesprochen, daß das französische Lernerwörterbuch gegenüber seinem muttersprachlichen Publikum in starkem Maße als Dekodierwörterbuch fungiert, während das englische Lernerwörterbuch gegenüber seinen ausländischen Adressaten in erster Linie die Rolle eines Produktionswörterbuchs erfüllt. Folglich verwundert es wenig, wenn sich so extrem nestende Wörterbücher wie DFC und DFV in Frankreich nicht etablieren konnten, während die gemäßigte Nestbildung englischer Lernerwörterbücher dem speziellen Adressatenkreis durchaus entgegenkommen mag. Wieder liefert also die Frage nach Adressatenkreis und Benutzungssituation einen Anhaltspunkt dafür, weshalb ein bestimmtes konzeptionelles Prinzip in einer der beiden Wörterbuchlandschaften - wenn auch in gemäßigter Form - Beifall findet, in der anderen sich dagegen - zumindest in extremer Form - nicht durchsetzen konnte. Daß eine stark reduzierte Form der Nestbildung in der französischen Wörterbuchlandschaft durchaus Chancen hat, beweist MR, der als einziges der hier untersuchten und nicht der DFC-Serie angehörigen französischen Wörterbücher die striktinitialalphabetische Reihenfolge durch96 97

98

So argumentiert auch Cowie (1999:35f.) Vgl. DFC (1971:111): "Le dictionnaire doit etre un instrument de travail qu'on puisse utiliser pour l'apprentissage du franfais. Les possibilites qu'offrent les systämes de suffixation et de pr6fixation pour passer d'une construction de phrase ä une autre construction, d'un verbe ä un substantif, d'un substantif ä un adjectif, etc., ont etd mises en 6vidence dans cet ouvrage par des regroupements autour des termes de base". In ähnlicher Weise sind auch die Ansätze zur Nestbildung in MR zu verstehen, vgl. MR (X). Vgl. z.B. Hausmann (1983:131) und Schafroth/Zöfgen (1998:16).

167 bricht, aber in der Radikalität weit hinter DFC zurück und damit offenbar im Rahmen des Akzeptablen bleibt. In diesem Zusammenhang sei schließlich auch daraufhingewiesen, daß bereits die erste Auflage des DlCTIONNAlRfi DE L'ACADEMIE von 1694, die im Gegensatz zu FURETIERE etymologische Wortfamilien nestete, Schiffbruch erlitt, während die zweite Auflage von 1718 striktinitialalphabetisch verfuhr und sich damit den Bedürfnissen des honnete homme besser anpaßte." Denkbar ist, daß diese Entwicklung den Grundstein für die Marginalisierung des nestalphabetischen Prinzips in der lexikographischen Tradition Frankreichs legte. 100 Wenn die Autoren von DFC die nestalphabetische Anordnung auch sprachdidaktisch motivieren, so darf nicht verkannt werden, daß das nestende Prinzip auch ein Ausfluß der linguistischen Orientierung von DFC ist. 101 Morphologisch orientierte Ansätze in der Lexikographie stellen ein besonderes Anliegen des linguistischen Strukturalismus dar, 102 dessen Einfluß auf die französische Wörterbuchlandschaft bereits mehrfach angesprochen worden ist, und werden in etwas anderer Form zum Beispiel auch von ROBERT METHODIQUE (1982: [XVI]) als "dictionnaire synchronique structural" verkörpert. Wenn in DFC also eine Ordnung zum Prinzip erhoben wurde, die sich unter Bezugnahme auf eine linguistische Theorie stützen läßt, im Nachfolgewerk aber wegen mangelnder Benutzerfreundlichkeit wieder aufgegeben werden mußte, so erlaubt dies auch Rückschlüsse auf die Gewichtung unterschiedlicher "kultureller" Einflußfaktoren. Entsprechend könnte der Verdacht aufkommen, daß hier eine gewisse Tendenz bestand, linguistische Anliegen noch vor die Benutzerfreundlichkeit zu stellen. Das Problem der Auffindbarkeit von Wortbildungen ist einer der Kristallisationspunkte in der Diskussion um verschiedene Formen der makrostrukturellen Anordnung und soll deshalb im folgenden näher beleuchtet werden. Eine nestalphabetische Makrostruktur, zumal wenn sie - wie in allen hier untersuchten Wörterbüchern außer OALD - mit Gruppierung einhergeht, erschwert dem Benutzer das Auffinden des gesuchten Wortes. Dies geschieht einerseits durch die Tendenz zu längeren Textblöcken, andererseits vor allem durch die Verletzung der alphabetischen Ordnung. Ein Verweissystem löst das Problem nur teilweise, da es dem Benutzer doppeltes Nachschlagen abverlangt und zusätzlichen Druckraum kostet. Die Auffindbarkeit wird umso problematischer, je größer die formalen Divergenzen zwischen einfachem Wort und Ableitung sind. Die Entscheidung, ob ein Wörterbuch nestend oder striktinitialalphabetisch verfahren soll, muß also auch in Abhängigkeit von der formalen Komplexität des Ableitungssystems der beschriebenen Sprache getroffen werden. Zwar sei gleich gesagt, daß derartige Erwägungen für die lexikographische Praxis umso weniger relevant sind, je kleiner der Lemmabestand des Wörterbuchs ist, da die Abstände zwischen alphabetisch getrennten Wörtern einer Wortfamilie hier nie allzu groß ausfallen können. Bei den hier zur Debatte stehenden Lernerwörterbüchern ist aufgrund ihrer Selek99

Zur Reaktion auf die Nestbildung des DICTIONNAIRE DE L'ACADHMIE vgl. Bray (1990:1799fr.), Rey-Debove (1989a:933) und besonders Quemada (1967:352ff.). RICHELET nestet gelegentlich Wortfamilien, vgl. Quemada (1967:351).

100

Vgl. Quemada (1967:355), der das Scheitern der ersten Auflage des DICTIONNAIRE DE L'ACADEMIE für die Zurückhaltung späterer französischer Wörterbücher gegenüber dem nestenden Prinzip verantwortlich macht.

101

Vgl. Hausmann (1983:130f.). Die Prinzipien des regroupement und digroupement werden in Dubois/Dubois (1971:7If.) auf distributioneller und transformationeller Grundlage begründet.

i°2 Vgl. Äugst (1990:1149).

168 tivität eine ernstzunehmende Behinderung beim Auffinden eigentlich nur dann zu erwarten, wenn die Nestbildung so extrem abweichende Formen einschließt wie in DFC, insbesondere auch Präfixableitungen. Die hier betrachteten Wörterbücher stehen jedoch nicht nur für sich selbst, sondern, wie die obigen Ausführungen gezeigt haben, auch für ihre jeweilige nationale Tradition - im vorliegenden Fall eine nestende Tradition mit Tendenzen zum denesting von Komposita auf englischer Seite und zwei konkurrierende Traditionen - striktinitial- bzw. glattalphabetisch und extrem nestend - auf französischer Seite. Deshalb soll auf der Basis der hier vorliegenden Befunde aufgezeigt werden, in welche Richtung Überlegungen gehen müssen, die nach Zusammenhängen zwischen Organisationsprinzipien der Makrostruktur und dem Wortbildungssystem der beschriebenen Sprache fragen. Dies gibt Gelegenheit, zu zeigen, daß die Konzeption von Wörterbüchern nicht nur zu den hier im Mittelpunkt stehenden "kulturellen" Faktoren des außersprachlichen Umfelds, sondern auch zu sprachstrukturellen Gegebenheiten in Beziehung gesetzt werden kann. Will man beurteilen, inwieweit die Charakteristika eines Ableitungssystems das Auffinden von Derivationen im Wörterbuch erschweren, so muß man sich zunächst einmal vergegenwärtigen, daß die Auffindbarkeit im Wörterbuch durch die graphische, nicht die phonische Komplexität des Ableitungssystems bedingt ist. Eventuelle Divergenzen zwischen Phonie und Graphie müssen also berücksichtigt werden. Auf dieser Basis kann man von unterschiedlichen Graden der erschwerten Auffindbarkeit ausgehen. Wenn durch Anhängen eines Suffixes Änderungen im Auslaut der Ableitungsbasis hervorgerufen werden (z.B. eine Veränderung der graphischen Repräsentation des Auslautkonsonanten), so stören diese relativ wenig, wobei der tatsächliche Grad der Störung von der Wortlänge abhängig ist. Größere Probleme verursachen dagegen Änderungen in der Wurzel (z.B. Vokalalternanzen). Weiterreichende Modifikationen bis hin zur totalen Suppletion schließlich führen zur Dissoziation von Wortfamilien und machen das Auffinden von Ableitungen im Nest sehr schwierig oder vollends unmöglich. Im folgenden muß also gefragt werden, welche Tendenzen die Wortbildungssysteme des Englischen und des Französischen in Hinblick auf diese drei Aspekte aufweisen. Auskunft über die Ableitungssysteme der beiden Sprachen geben Handbücher wie z.B. Marchand ( 2 1969) oder Thiele ( 3 1993), die verschiedene Typen der Ableitung nach formalen und semantischen Gesichtspunkten klassifizieren. Nun wäre es sinnlos, im Rahmen dieser Arbeit Aussagen anzustreben wie "In Sprache Α sind 50% aller Ableitungen von Vokalalternanzen betroffen, in Sprache В nur 30%, folglich ist Sprache В eher zur Darstellung mittels einer nestalphabetischen Makrostruktur geeignet als Sprache A". Erstens sind derartige Aussagen nur schwer empirisch abzusichern; 103 zweitens stellt das Wörterbuch, zumal das hier untersuchte mehr oder weniger selektive, ja nicht "die Sprache" an sich dar, sondern einen definierten Teilausschnitt einer Sprache, und dies aus einer bestimmten Perspektive. Mit generalisierenden Angaben zur Zahl verschiedener Ableitungstypen in einer Sprache schlechthin ist also noch nicht unbedingt eine gültige Aussage für den im Wörterbuch beschriebenen Teil der Sprache getroffen. Wenn die Autoren eines Wörterbuchs sich zwischen verschiedenen möglichen Anordnungsformen der Makrostruktur entscheiden, so ist vielmehr anzunehmen, daß sie sich auf ihr metasprachliches Wissen um die prinzipielle Tendenz zur Einfachheit oder Komplexität des Ableitungssystems der beschriebenen Sprache stützen, und nicht auf exakte quantitative Abwägungen. Was also hier angestrebt wird, sind keine vergleichenden Quantifizierungen, sondern vergleichende Aussagen darüber, ob die generellen Ten-

103

Vgl. jedoch den Überblick über Ansätze zur Quantifizierung morphologischer Eigenschaften von Sprachen bei Altmann/Lehfeldt (1973:108ff ).

169 denzen der englischen und französischen Ableitungssysteme diese Sprachen eher zur lexikographischen Darstellung in einer nestalphabetischen oder in einer striktinitialalphabetischen Makrostruktur prädestinieren.

Was Änderungen in der graphischen Repräsentation des Auslautkonsonanten anbetrifft, so hängt der Grad, in dem sie die Auffindbarkeit von Wortbildungen im Nest behindern, unter anderem davon ab, ob die beschriebene Sprache eher zu kurzen oder zu langen Wortkörpern tendiert. Sowohl dem Englischen als auch dem Französischen wird aufgrund ihrer historischen Entwicklung eine Tendenz zu kurzen Wortkörpern bescheinigt.104 Unter diesem Aspekt bietet sich die lexikographische Beschreibung beider Sprachen mittels einer radikal nestalphabetischen Makrostruktur also nicht gerade an. Allerdings muß die Tendenz einer Sprache zu längeren Wortkörpern nicht unbedingt dazu fuhren, daß in den sie beschreibenden Wörterbüchern das nestalphabetische Prinzip bevorzugt wird. Die überwiegende Mehrheit vergleichbarer italienischer Wörterbücher (zum Beispiel ZINGARELLI12 1995, GARZANTI 1993 und DEVOTO/OLI 1995) nestet in den bis 1995 erschienen Auflagen

allenfalls moderat.105 Alternanzen des Wurzelvokals sind im Englischen durch das Phänomen des Akzentwechsels (photograph - photographer, author - authorial) besonders häufig. Sie werden neben Änderungen im Auslautkonsonanten durch Assimilation an den Anlaut des Suffixes (press - pressure, part - partial) am häufigsten als Grund für die sogenannte Komplexität des englischen Ableitungssystems angeführt und bilden auch die Grundlage dafür, daß das Ableitungssystem des Englischen im Vergleich mit dem des Französischen vielfach als komplexer bzw. unregelmäßiger beurteilt wird.106 Nun muß allerdings berücksichtigt werden, daß diese Divergenzen zwischen Ableitungsbasis und Ableitung in den meisten Fällen nur die phonische Ebene betreffen und damit keine Relevanz für die Auffindbarkeit der Bildungen im Wörterbuch haben. In der Diskussion um die Wortbildung des Englischen wird immer wieder darauf hingewiesen, daß das Englische sehr stark zu einer morphologischen Schreibung tendiert,107 so daß unabhängig von phonischen Verschiebungen der graphische Zusammenhang von Wortfamilien und damit die Auffindbarkeit im Nest gewährleistet ist. Das Prinzip der visual morphemes ist zwar auch im Französischen wirksam und äußert sich zum Beispiel im graphischen Erhalt und phonischen Hörbarwerden der "stummen" Auslautkonsonanten (grand - grandeur, petit - petitesse, enfant - enjanter).108 Gleichzeitig ist jedoch an Beispiele wie choc - choquer, bloc - bioquer - blocage zu denken, in denen die Wurzel lautlich unverändert bleibt, die Graphie sich aber durch Zwänge der lois de position in Abhängigkeit vom Anlaut des Suffixes ändern kann. Wenn DFC (1971) choquer im Nest hinter choc ordnet und damit zum Beispiel vor die Lemmata chocolat, choisir usw., so ist damit zu rechnen, daß der ungeübte Benutzer Probleme hat, das Verb 104

Vgl. z.B. Catach (1990:47) und Leisi (81999:27ff.). Allerdings sind diese Aussagen sehr relativ zu verstehen; für das Französische stammen sie aus Vergleichen mit den übrigen romanischen Sprachen und bieten daher keine Grundlage für einen direkten Vergleich mit dem Englischen. 105 D.h. bezogen auf awerbi und alterati; DEVOTO/OLI (1995) lemmatisiert diese, wenn sie lexikalisiert sind, jedoch auf übergeordneter Ebene. 106 Vgl. z.B. Marchand (1951:95) und Schwarze (1970:21f.). Die gegenteilige Meinung vertreten Vinay/D arbeinet (1977:69). 107 Vgl. z.B. Leisi («1999:39f.), Sampson (1985:204f.) und Stubbs (1980:60). ίο» Vgl. z.B. Catach (1990:52).

170 aufzufinden bzw. auf den Verweis angewiesen ist. Dasselbe gilt fur die Zusammenordnung von blocage mit bioquer. Je stärker eine Sprache zur morphologischen Schreibung tendiert, umso eher kann sie sich nestalphabetische Ordnungsprinzipien leisten, ohne die Auffindbarkeit der genesteten Wörter zu gefährden. In diesem Sinne dürfte speziell das Englische also zu einer nestenden Darstellung durchaus prädestiniert sein. Was schließlich die Dissoziation von Wortfamilien angeht, so gelten sowohl das Französische als auch das Englische aufgrund der starken Präsenz von gelehrten bzw. lateinischromanischen Entlehnungen als stark dissoziierte Sprachen. 109 Dadurch unterscheiden sie sich beispielsweise vom Deutschen, das einen recht hohen Grad an Konsoziation aufweist. Als Standardbeispiele werden in Handbüchern Wortpaare wie pere - paternel, foie - hepatique, poitrine - pectoral, coeur - cardiaque, doigt - digital, fleuve - fluvial auf der einen Seite und father - paternal, breast - pectoral, stomach - gastric auf der anderen Seite genannt. Mit Leisi ( 8 1999:5 5) muß es als kaum möglich betrachtet werden, gesicherte Aussagen darüber zu machen, in welcher der beiden Sprachen der Grad der Dissoziation höher ist. 110 Wichtig im vorliegenden Zusammenhang scheint jedoch ein Unterschied, der auch aus den Beispielen hervorgeht: Bei den französischen Wortfamilien besteht in vielen (wenn auch nicht in allen) Fällen noch eine gewisse Alphabetnähe, die dadurch bedingt ist, daß Erbwörter und gelehrte Ableitungsbasen oft auf eine gemeinsame lateinische Wurzel zurückgehen. Bei den englischen Wortfamilien sind derartige Gemeinsamkeiten durch die Mischung von ererbtem germanischem und entlehntem romanischem bzw. gelehrtem Wortgut oft völlig verloren. 111 Die dissoziierten Wortfamilien sind damit in Hinblick auf ihre Auffindbarkeit im Wörterbuch unterschiedlich zu bewerten. Ein Nesten der total dissoziierten englischen Wortfamilien dürfte von vornherein undenkbar sein. Entsprechend wäre verständlich, daß englische Wörterbücher sich auf eine gemäßigte Nestbildung beschränken müssen, die alphabetnahe Bildungen zusammenordnet und Suppletionen ausklammert. Im Französischen dagegen erscheint eine radikalere Nestbildung unter Einschluß von Ableitungen mit gelehrten Basen durchaus noch denkbar (DFC 1971 nestet von den oben genannten Beispielen fleuve - fluvial und pere - paternel), gleichzeitig aber auch stark angreifbar. Dies macht die Herausbildung von zwei konkurrierenden Traditionen plausibel, und ebenso die Tatsache, daß sich die striktinitialalphabetische Tradition auf Kosten der radikal nestalphabetischen durchzusetzen scheint. 112 Wenn Fragen der formalen Regelmäßigkeit von Wortfamilien für die Entscheidung zwischen verschiedenen Anordnungsformen relevant sind, so dürfte dasselbe auch für den 109 110

Vgl. z.B Leisi (81999:54), Albrecht (1970:217) und Wandruszka (1976:21). Aus Leisi ( 8 1999:55) kann man ableiten, daß er den Grad der Dissoziation bzw. die Entfernung dissoziierter Wortpaare im Englischen eventuell höher einschätzt als im Französischen; aus Albrecht (1970:217) wie auch aus Ulimann (1983:110) geht eher das Gegenteil hervor.

111

Gauger (1971:99) spricht folglich für das Französische von partiell durchsichtigen Bildungen und undurchsichtigen Bildungen bzw. Suppletion, Wandruszka (1976:21) unterscheidet verschiedene Grade der Latinisierung. Allerdings soll nicht verschwiegen werden, daß es auch im Französischen zahlreiche Beispiele für totale Dissoziation gibt (ville - urbain, Campagne - rural, aveugle cecite) und daß es umgekehrt im Englischen romanisch-lateinische Wortpaare wie language - linguistic gibt, die durch die gemeinsame lateinische Wurzel formale Ähnlichkeit aufweisen.

112

Bereits Fureti6re hebt in einer Stellungnahme zum DICTIONNAIRE DE L'ACADEMIE hervor, daß die Darstellung "par racines" sich wenig für Sprachen mit einer starken Tendenz zur Dissoziation eignet, wie sie eben für das Französische typisch ist; vgl. Quemada (1967:354).

171 Grad der semantischen Durchsichtigkeit von Wortbildungen gelten. Wiegand (1989a:385f.) macht darauf aufmerksam, daß die glattalphabetische Anordnungsform den Druckraum schlechter ausnutzt als Anordnungsformen mit Gruppierung, welche somit kostengünstiger sind. Eine besonders starke Einsparung von Druckraum ist möglich, wenn aufgrund von semantischer Durchsichtigkeit auf die Definition der Nest- oder Nischenlemmata verzichtet werden kann, wie es die hier vorliegenden gruppierenden Wörterbücher ja meist auch praktizieren. Folglich ist zu erwarten, daß eine gruppierende Struktur vor allem dann als geeignet betrachtet wird, wenn die beschriebene Sprache zu einem hohen Grad an semantischer Durchsichtigkeit in formalen Wortfamilien tendiert. Beiden hier zur Debatte stehenden Sprachen werden diesbezüglich gewisse Einschränkungen bescheinigt. Leisi (81999:53, 63f.) hebt hervor, daß sich Glieder lateinischer Wortfamilien im Englischen häufig bedeutungsmäßig auseinanderentwickelt haben (zum Beispiel pathos 'Pathos' - pathetic 'kläglich'), so daß von einem höheren Grad semantischer Verdunkelung als im Lateinischen und eventuell in anderen europäischen Sprachen auszugehen sei. Vinay/Darbelnet (1977:69f.) dagegen schätzen die Tendenz des Französischen zur Verdunkelung von Wortfamilien offenbar noch höher ein als die des Englischen; Dauzat (1937:295f.) hält sie im Französischen auf jeden Fall für höher als in den übrigen romanischen Sprachen. Sollte das Französische tatsächlich stärker zur semantischen Verdunkelung formaler Wortfamilien tendieren als das Englische und damit den Verzicht auf die Definition von lexikalischen Einheiten, die aus Wortbildungsprozessen hervorgegangen sind, erschweren, so wäre dies ein Grund mehr, warum sich Anordnungsformen mit Gruppierung in der französischen Wörterbuchlandschaft letztendlich nicht etablieren konnten. Wenn die Entscheidung zwischen verschiedenen möglichen Anordnungsformen der Makrostruktur im Zusammenhang mit der Struktur der beschriebenen Sprache diskutiert wird, so müssen schließlich auch Überlegungen zur Produktivität von Wortbildungsprozessen bzw. zur Frequenz von sprachlichem Material, das aus Wortbildungsprozessen hervorgegangen ist, angestellt werden. Es ist davon auszugehen, daß sich eine Anordnungsform, die möglichst viele Glieder einer Wortfamilie zusammenordnet, vor allem dann anbietet, wenn eine Sprache beschrieben werden soll, die besonders reich an Wortbildungen ist oder - im vorliegenden Zusammenhang vielleicht noch wichtiger - die als besonders reich dargestellt werden soll, da die Zusammenordnung die Existenz von Wortfamilien besonders ins Auge springen läßt. Zu fragen ist also, ob die beiden Sprachen unterschiedliche Tendenzen in Hinblick auf die quantitative Rolle, die Wortbildungen in ihnen spielen, aufweisen. Wiederum können keine präzisen quantitativen Aussagen angestrebt werden; relevant für die Entscheidungsprozesse bei der Konzeption eines Wörterbuchs dürften auch hier nicht tatsächliche "Grenzwerte" sein, sondern das metasprachliche Bewußtsein der Lexikographen in Bezug auf die grundsätzlich hohe oder niedrige Frequenz von Wortbildungen in der betroffenen Sprache. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß sich die Tendenz einer Sprache zu gelehrten Entlehnungen und damit zur Dissoziation von Wortfamilien einerseits und die Produktivität eigener Wortbildungmuster andererseits umgekehrt proportional zueinander verhalten. So ist sowohl für das Englische als auch für das Französische von gewissen Einschränkungen in der Präsenz von Wortbildungen auszugehen. Was die Komposition in beiden Sprachen angeht, so herrscht in der Literatur ein Konsens darüber, daß sie im Englischen und mehr

172 noch im Deutschen eine große Rolle spielt, im Französischen dagegen eine geringere.113 In Bezug auf die Derivation gehen die Meinungen auseinander; es gibt jedoch Stimmen, die auch hier von einer relativ schwachen Position des Französischen114 bzw. der Überlegenheit des Englischen115 ausgehen. Die relative Armut des Französischen wird häufig - zumal in älteren Arbeiten - einfach als sprachstrukturelles Phänomen betrachtet und sprachintern begründet.116 Zum Teil wird aber auch der französische Sprachpurismus mit seiner Abneigung gegen Neubildungen für eine seit dem 17. Jahrhundert verminderte Produktivität bzw. - hier vielleicht besonders interessant - für ein vermindertes Bewußtsein der Produktivität französischer Wortbildungsmuster verantwortlich gemacht.117 Eventuell gibt es also im Französischen tatsächlich weniger Material, das Kandidat für eine Zusammenordnung wäre, so daß die Herausbildung einer starken glattalaphabetischen Traditon nahelag. Denkbar wäre jedoch auch, daß das an puristischen Traditionen der Sprachbetrachtung gebildete metasprachliche Bewußtsein der Lexikographen eine generelle Zurückhaltung in der Aufnahme von Wortbildungen begründet und den Verzicht auf eine demonstrative Zusammenordnung der dennoch aufgenommenen gebietet.118 Hier könnte auch ein Ansatzpunkt zur Erklärung des dritten Weges der Behandlung von Komposita liegen, wie er in den französischen Wörtebüchern praktiziert wird. Wenn nämlich Komposita im Kursivdruck ins Artikelinnere geordnet werden, so wird diesen Bildungen damit ein ähnlicher Status verliehen wie den reichlich vorhandenen frei gebildeten Beispielen bzw. dem mehr oder weniger stark lexikalisierten syntagmatischen Material, dessen Einordnung in die Wörterbuchartikel unter der jeweils "passenden" Hauptbedeutung in Kapitel 5.1 besprochen worden war (man beachte in diesem Zusammenhang die zahlreichen Glossate im Artikel salle in DFColl). Daß dieses Verfahren nicht nur auf Neubildun113

Vgl. z.B. Albrecht (1970:28), Haarmann (1976:140), Leisi («1999:79) und Rohrer (1977:200). Albrecht und Haarmann spezifizieren allerdings nicht näher, was sie unter "Komposita" verstehen, so daß es möglich ist, daß sie von einem Kompositumbegriff ohne die im Französischen sehr häufigen präpositionalen Komposita ausgehen.

114

Vgl. z.B. Dauzat (1937:289ff.); die gegenteilige Meinung vertritt Leisi ( 8 1999:79). Derartige Aussagen sind natürlich sehr relativ und abhängig von den Sprachen, die zum Vergleich herangezogen wurden. Beide Autoren stellen keinen direkten Vergleich zwischen dem Englischen und dem Französischen an. 115 Vgl. z.B. Vinay/Darbeinet (1977:124) und Ullmann (1983:109). 116 Sauvageot (1964:111) spricht von der "inaptitude d'origine structurale ä former des composds par simple juxtaposition" und der Tendenz des Französischen, auf "des syntagmes qualificatifs" auszuweichen (1964:106), wozu er allerdings auch Bildungen zählt, die hier als präpositionale Komposita bezeichnet werden. Dauzat (1937:293ff.) führt als Begründung für die seiner Meinung nach geringe Bedeutung der Derivation im Französischen die Tendenz zu kurzen Wortkörpern auf (die allerdings auch im Englischen gegeben ist), außerdem die Tendenz zur semantischen Erstarrung von Suffixen in verengter Bedeutung (z.B. das Diminutivsuffix in chevalel 'support'), die bewirke, daß das Suffix in seiner "eigentlichen" Bedeutung nicht mehr frei für Neubildungen verfugbar sei. Dauzats (1937:297f.) Begründung mit dem "genie de la langue", das aus Gründen der "pröcision" analytische Verfahren (sprich die Modifikation mittels Adjektiv, Adverb oder compliment du п о т ) gegenüber synthetischen (Ableitung per Affix) vorzöge, muß wohl im Kontext der Zeit gesehen werden. 117 118

Vgl. z.B. Albrecht (1970:222f.), Gauger (1971:112ff.) und Zwanenburg (1990:72, 76). Erstaunlich wäre dann allerdings die Tatsache, daß gerade das DICTIONNAIRE DE L'ACADEMIE Wortfamilien durch Nestbildung hervorhebt.

173

gen, sondern auch auf so gängige Bildungen wie salle de sejour oder salle de classe angewandt wird, geht aus Abb.8 hervor, die gleichzeitig verdeutlicht, wie dadurch die in Kapitel 5.1.1 dargelegte Tendenz französischer Wörterbücher zu langen Artikeln verstärkt wird. Zwar hatte die Bestandsaufnahme gezeigt, daß solche Einordnungen in das Innere der Artikel auch in den englischen Wörterbüchern vorkommen; überwiegend ließ sich jedoch die gegenläufige Tendenz zur Herausnahme von Komposita und sogar von Phrasen aus den Artikeln und zur Verleihung von Lemmastatus nachweisen. Der Weg französischer Wörterbücher könnte als Ausfluß einer in normativen Traditionen wurzelnden negativen Einstellung gegenüber Wort(neu)bildungen gedeutet werden, die die Interpretation solcher Bildungen als Phrasen vorzieht und das Bekenntnis zu einer aus einem Wortbildungsprozess hervorgegangenen lexikalisierten Einheit durch Einordnung in den Beispielteil umgeht. 119 Das Verständnis dessen, was ein lemmatisierungsföhiges "Wort" ist, unterliegt nach dieser Interpretation für das Französische gewissen Restriktionen, die nahelegen könnten, Zurückhaltung in der Aufnahme mancher Wortbildungstypen zu üben und aufgenommene Wortbildungen eher in die Artikel einzuordnen, als ihnen Lemmastatus zu verleihen und sie als "Wort" anzuerkennen. Die englische Seite dagegen scheint weniger Probleme mit der Anerkennung von Wortbildungen (und machmal sogar von Phrasen) als "Wörter" zu haben, so daß der Herausbildung einer nestenden Tradition (und neuerdings auch der Lemmatisierung von Komposita auf übergeordneter Ebene) nichts im Wege stand. 120 Die Überlegungen zur Organisation der Makrostruktur haben gezeigt, daß auch die Struktur der jeweils beschriebenen Sprache fur die Konzeption von Wörterbüchern relevant sein kann. Als sprachstrukturelle Gründe, die Einfluß auf die Entscheidung zwischen verschiedenen Anordnungsformen nehmen können, wurden die graphische Komplexität des Ableitungssystems, der Grad der semantischen Motivation von Ableitungen und Komposita und die Produktivität von Wortbildungsmustern bzw. die Frequenz von Wortbildungen in einer gegebenen Einzelsprache erörtert, wobei beim letzten Punkt bereits Spracheinstellungen, d.h. nicht in der Sprachstruktur selbst begründete Aspekte, hereinspielen. Bei der vergleichenden Quantifizierung der strukturellen Tendenzen des Englischen und des Französischen mußte mit großer Vorsicht verfahren werden, zumal von einer relativ großen strukturellen Ähnlichkeit der beiden Sprachen auszugehen ist. Daß sprachstrukturelle Erwägungen wie die oben dargestellten aber bei der Konzeption von Wörterbüchern tatsächlich eine Rolle spielen, läßt sich am Beispiel von Wörterbüchern des Deutschen zeigen, das in Hinblick auf die hier diskutierten Erscheinungen strukturell stärker abweicht: Die Konsoziation 119

120

Vgl. hierzu auch Rey (1987a:41), der meint, die zahlreichen Diminutiva des Italienischen, die in manchen italienischen Wörterbüchern in die Wörterbuchartikel eingeordnet werden, seien "ainsi assimilös ä une production syntaxique". Im Zusammenhang mit der Frage nach der Zuerkennung des Wortstatus liegt der Verdacht nahe, der Grund für die unterschiedliche Praxis englischer und französischer Wörterbücher in Hinblick auf die Einordnung von Komposita ins Innere der Wörterbuchartikel könnte damit zusammenhängen, daß Komposita und syntaktische Fügungen in beiden Sprachen unterschiedlich klar voneinander abgrenzbar sind. Hier kann geantwortet werden, daß es sowohl für das Englische wie auch für das Französische eine Reihe formaler Prüfmechanismen gibt (vgl. z.B. Rohrer 1977:26ff., Wolf 1990:35ff., Quirk [u.a.] 1995:1567fr., 1592ff.), die zwar eine Abgrenzung erlauben, aber dabei auch eine Grauzone bestehen lassen. Dies dürfte also nicht der Grund für die unterschiedliche Behandlung sein.

174 von Wortfamilien und die Produktivität vor allem der Komposition gilt im Deutschen als erheblich höher als im Englischen oder Französischen. 121 Erwartungsgemäß dominieren in den bis 1995 erschienenen Wörterbüchern der deutschen Wörterbuchlandschaft Anordnungsprinzipien mit Zusammenordnung, so - mit leicht voneinander abweichenden Modalitäten - im WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN GEGENWARTSSPRACHE ( 1 9 8 0 f f . ) u n d

im

DUDEN, DEUTSCHES UNIVERSALWÖRTERBUCH 2 (1989).> 2 2

Für die hier zur Debatte stehenden englischen und französischen Wörterbücher ist anzunehmen, daß unterschiedliche Tendenzen noch stärker im angepeilten Adressatenkreis und in der Benutzungssituation begründet sind: Die französische Kultur setzt beim Lernerwörterbuch besonders auf die Dekodierfunktion, so daß sich linguistisch motivierte Versuche zu extremer Nestbildung in diesem Marktsegment gegenüber einer striktinitial- bzw. glattalphabetischen Traditionsbildung nicht durchsetzen konnten. Die gemäßigte Nestbildung englischer Wörterbücher dagegen wird dadurch möglich, daß sie die Auffindbarkeit nicht wesentlich behindert und dabei gleichzeitig den Anforderungen entspricht, die von ausländischen Lernern an ein Produktionswörterbuch gestellt werden.

5.5

Zusammenfassung

Ziel des Kapitels war es, nachzuweisen, daß englische und französische Wörterbücher unterschiedliche Prinzipien bei der Gestaltung der Artikelbaupläne und bei der Entscheidung zwischen verschiedenen möglichen Anordnungsformen der Makrostruktur verfolgen und daß diese Prinzipien Affinitäten zu bestimmten Gegebenheiten in der jeweiligen Entstehungskultur besitzen. Versucht man nun abschließend, Rechenschaft abzulegen über die Elemente von "Kultur", die sich für lexikographische Entscheidungen in diesem Bereich als relevant erwiesen haben, so sind an erster Stelle sicherlich wieder die Bedeutungstheorien zu nennen, die bereits im Zusammenhang mit den Definitionstechniken der Wörterbücher diskutiert wurden. Mentalistische Bedeutungsmodelle auf der französischen Seite und operationelle auf der englischen dürften eine Rolle spielen bei der Entscheidung, welche Funktion dem lexikalischen Kontext bei der Abgrenzung der Bedeutungen zugebilligt wird. Dies wiederum beeinflußt die relative Gewichtung von Hauptbedeutungen und unter diesen subsumierten untergeordneten Bedeutungen und die Tendenz zum adressage sous-lemmatique bzw. zum adressage lemmatique. Die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft, deren besondere Affinität zu geistesgeschichtlichen Strömungen der französischen Kultur dargestellt werden konnte, dürfte für die Stellung des logisch-historischen Prinzips bei Entscheidungen über die Reihenfolge der Definitionen in den französischen Wörterbüchern verantwortlich sein; aristotelische bzw. strukturelle Semantik dürften diese Tendenz noch verstärken und gleichzeitig eine Rolle bei der Bevorzugung hierarchischer Gliederungsprinzipien in den französischen Wörterbüchern gespielt haben. Der distributionalistische

121

Vgl. z.B. Leisi (»1999:55), Ullmann (1983:106) und Wandruszka (1976:21).

122

LANGENSCHEIDTS GROBWÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE 4 (1995) verzeichnet "transparente" Komposita "unter der entsprechenden Bedeutung des Stichworts [...] ohne eigene Definition" (IX).

175 Strukturalismus französischer Prägung dürfte bei der Formulierung bedeutungsrelevanter Kontexte als Klasseme in der DFC-Serie wie auch bei der Berücksichtigung distributioneller Kriterien bei der Festlegung der Reihenfolge der Definitionen Pate gestanden haben. Auf der englischen Seite besitzen Prototypensemantik und lineare Tendenzen des Artikelbaus gewisse Affinitäten. Die Gestaltung der Artikelbaupläne liefert also Anhaltspunkte für ganz bestimmte Zusammenhänge mit dem kulturellen Umfeld, die bereits bei der Interpretation der Definitionstechniken im Gespräch waren. Damit dürfte die These von der Relevanz der entsprechenden Zusammenhänge für die Methoden der Lexikographie erhärtet sein. Ein neuer Aspekt, der in diesem Kapitel aufgedeckt werden konnte, ist der Zusammenhang zwischen lexikographischen Entscheidungen und Strukturen der beschriebenen Sprache - in diesem Fall zwischen möglichen Anordnungsformen der Makrostruktur und dem Wortbildungssystem des Englischen und des Französischen. Neben dieser Einbindung in sprachtheoretische und sprachstrukturelle Zusammenhänge scheint - besonders auf der englischen Seite - die pragmatische Orientierung an den besonderen Bedürfnissen der Zielgruppe eine starke Rolle zu spielen. So dürfte die lineare Gliederungsstruktur der Wörterbuchartikel mit Orientierungshilfen auf übergeordneter Ebene, wie sie die englischen Lernerwörterbücher praktizieren, für ausländische Lerner vorzuziehen sein, während die hierarchische Gliederung französischer Wörterbücher besonders für muttersprachliche Nutzer geeignet erscheint. Auch die Entscheidung für "gemäßigte" Nestbildung auf englischer und striktinitialalphabetische Anordnungsformen der Makrostruktur auf französischer Seite kann als Einstellung auf die Benutzerbedürfnisse interpretiert werden. Dabei sollte allerdings nicht übersehen werden, daß dies im Fall von DFC/DFColl erst "im zweiten Anlauf' vollzogen wurde, das heißt nachdem der Versuch von DFC, ein stärker "linguistisch" orientiertes Prinzip zu etablieren, als benutzerunfreundlich bewertet worden war. Schließlich ließ sich am Beispiel der Abgrenzung der Bedeutungen zeigen, daß Wörterbücher im Spannungsfeld zwischen Einflüssen, die zur Zeit ihrer Entstehung aktuell sind (z.B. operationelle Bedeutungstheorien in COBUILD und LDOCE), und der Verhaftung in älteren Traditionen stehen. Mit aller Vorsicht vor Generalisierungen kann man wohl sagen, daß die französische Wörterbuchlandschaft - nach der Rücknahme der Neuerungen von DFC - zumindest in diesem Zusammenhang traditioneller sein dürfte als die englische. Innerhalb der englischen Wörterbuchlandschaft sind wohl die Wörterbücher, die auf die längste Geschichte zurückblicken (also COD und OALD), auch diejenigen, die Neuerungen am langsamsten aufnehmen. Der Zeitpunkt, zu dem sich eine Wörterbuchlandschaft von Traditionen löst, und die Radikalität, mit der Neuerungen vollzogen werden, dürften abhängig sein von der Nachfrage auf dem Markt und von den Mitteln, die entsprechend für neue Konzeptionen verfügbar gemacht werden. Angesichts des florierenden englischen Wörterbuchmarktes ist daher die englische Vorreiterrolle nicht erstaunlich.

6 Lexikographische Beispiele

Neben den Markierungsangaben und der Definition zählt für Rey (1987a:20) das lexikographische Beispiel zu den wichtigsten Trägern von "Kultur" im Wörterbuch. Rey (1995a: 104) räumt ihm innerhalb der Bauteile des einsprachigen Wörterbuchs sogar einen privilegierten Rang als Vehikel von kulturell determinierten Einstellungen und Werten ein: Chaque dictionnaire construit ainsi une pragmatique de l'exemple au moyen d'une chaine de decisions et de choix [...]. C'est ainsi que l'appareil d'exemples d'un dictionnaire manifeste ou trahit des positions pödagogiques, editoriales - voire commerciales, et en gdneral ideologiques, autant et parfois plus que ['analyse des sens, les choix de nomenclatures, la politique definitionnelle.

Die kulturellen und ideologischen Implikationen von lexikographischen Beispielen sind bereits mehrfach Gegenstand metalexikographischer Untersuchungen gewesen. Dies geschah allerdings vor allem aus einer Perspektive, die nach den im Beispielteil vermittelten kollektiven Einstellungen einer Sprachgemeinschaft zu bestimmten Bereichen der außersprachlichen Welt fragt, in der Formulierung von Rey-Debove (1971:272): "Les exemples, en tant que discours sur le monde, nous restituent les centres d'intöret et les jugements communs de la sociötö dont la langue est d6crite". So untersucht beispielsweise Cowie (1995) die Einstellung gegenüber Männern und Frauen, wie sie in der Verwendung von Nomina und Pronomina in den Beispielsätzen englischer Lernerwörterbücher zum Ausdruck kommt, sowie die Tätigkeiten und Positionen, in denen Männer und Frauen portraitiert werden,·!Martin (1989:605) umreißt die "themes" der Beispiele von DFC. Zur Rolle des lexikographischen Beispiels als Träger religiöser, moralischer oder politischer Werte in älteren französischen Wörterbüchern äußert sich Quemada (1967:527ff.).

Die Beispiele dienen also hier, mit Reys Worten, als "exemplification [...] des caractöristiques de certains discours socialement acceptös quant ä leurs 'contenus' exprimes" (1995a: 110). Daneben kann jedoch noch eine zweite "kulturelle" Dimension des Verwendungsbeispiels unterschieden werden: Das Kapitel geht von der Hypothese aus, daß lexikographische Beispiele nicht nur kulturell bedingte Inhalte und Werte transportieren, sondern daß Form und Funktion der Beispiele in verschiedenen nationalen Traditionen oder Kulturen unterschiedlich konzipiert werden. Gemäß dem in Kapitel 1 formulierten Prinzip, das die Untersuchung konzeptioneller Unterschiede zwischen den Wörterbüchern verschiedener Wörterbuchlandschaften zum Gegenstand der Arbeit macht, soll dieser Aspekt von Kulturgebundenheit der Beispiele hier im Mittelpunkt des Interesses stehen. 1 Bevor allerdings mit der Auswertung des Materials begonnen werden kann, muß der Untersuchungsgegenstand des Kapitels abgegrenzt werden. Was unter einem lexikographischen Beispiel zu verstehen ist, wird in der Metalexikographie kontrovers diskutiert; die Uneinigkeit wird schon allein daran deutlich, daß neben der Bezeichnung lexikographisches Beispiel andere Termini wie Demonstrationsteil oder Illustrationsteil stehen, die sich

1

Einen methodisch ähnlichen Ansatz verfolgt Hausmann (1987:107): "Nous voudrions passer en revue le röle de l'exemple (plus que de la citation) dans un certain nombre de paysages dictionnairiques. II en rdsultera que les traditions peuvent etre fort differentes d'un pays ä l'autre".

177

in der Definition der Autoren ganz oder teilweise mit ihrem Verständnis vom "lexikographischen Beispiel" decken. 2 Von der Vielzahl der Begriffsbestimmungen seien zwei entgegengesetzte Positionen hier kurz skizziert. Eine sehr weite Definition bietet Hermanns (1988:163f.). Ein lexikographisches Beispiel sei jedes Textfragment und jeder Text, "das oder der in einem Wörterbuchartikel erscheint und von dem das Lemmazeichen dieses Artikels ein Teil ist" (1988:163). Damit sind bewußt auch "normierte, normalisierte Textfragmente" (1988:164) wie die Angabe von Valenzen (sich, jmdn.

(jmdm.) vorstellen) und von typischen Wortverbindungen (ein junger, großer, rassereiner, scharfer, treuer, kluger, herrenloser Hund) eingeschlossen. 3 Viel enger wird der Begriff des lexikographischen Beispiels von Zöfgen (1994:184) gefaßt: Ein lexikographisches Beispiel liegt vor, "wenn es sich um objektsprachliche, eindeutig auf der parole-Ebene angesiedelte Äußerungen handelt, bei denen das monosemierte Lemmazeichen in einem semantisch relevanten Kontext gezeigt wird". Damit kommt der Status des lexikographischen Beispiels nur noch "ganzen Beispielsätzen oder satzähnlichen, meist infinitivischen Kontextualisierungen" zu (Zöfgen 1986:221); drei andere Ebenen der syntagmatischen Dimension im Wörterbuch, die Zöfgen identifiziert (Angaben zur Konstruktion oder Valenz (en arriver ä qc/ä faire qc), typische Zweierkombinationen oder Kollokationen {prendre de l'importance) und feste, meist lemmatisierte lexikalische Verbindungen (faire etalage de qc)), werden ausgegrenzt.4

Derartige Definitionen sind aber für die Bestimmung des Gegenstands des vorliegenden Kapitels im Prinzip nicht relevant. Ausgangspunkt ist nicht die Frage, was ein lexikographisches Beispiel "an sich" ist, sein sollte oder leisten sollte; vielmehr soll sichergestellt werden, daß all das Material in die Untersuchung einbezogen wird, das die Wörterbücher nachweislich als Beispiel (so, wie diese Kategorie eben von dem jeweiligen Wörterbuch definiert wird) und nicht als irgendeine andere Kategorie präsentieren. Aus den Vorwörtern ist ersichtlich, daß alle untersuchten Wörterbücher zur Bezeichnung des hier interessierenden Gegenstands den traditionellen Terminus example bzw. exemple wählen und den Beispielteil typographisch durch Kursivdruck sowie in vielen Fällen durch seine Position im Artikel identifizieren. Gegenstand der Untersuchung sind also die Teile der Wörterbuchartikel, die in Kursivdruck nach den Definitionen bzw. - im Fall von OALD - nach dem jeweils relevanten verb pattern erscheinen. Dabei wird bewußt in Kauf genommen, daß auch Material einbezogen wird, das z.B. nach der Definition Zöfgens nicht in die Kategorie des lexikographischen Beispiels fällt. Mit dieser Abgrenzung ist keine einheitliche Kategorie geschaffen - manche Wörterbücher sehen z.B. für Wortverbindungen, die sie als Kollokationen, als idioms oder als Komposita präsentieren wollen, eigene Darstellungskategorien 2

3

4

Zöfgens "Demonstrationsteil" z.B. umfaßt "Kollokationen" und "Beispiele" (1994:184). Zum Gebrauch des Terminus "Beispiel" in Bezug auf zweisprachige Wörterbücher vgl. Hausmann/Werner (1991:2734ff.). Die zitierten Beispiele folgen den in Hermanns (1988:164) gegebenen und sind DEM HANDWÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN GEGENWARTSSPRACHE (1984) entnommen. Eine ähnlich umfassende Definition liefern schon Dubois/Dubois (1971:91) ("Les exemples [...] sont des phrases ou le mot d'entrde figure par une occurrence") und noch Rey-Debove (1989b:638) ("L'exemple de dictionnaire, dans son principe, est n'importe quelle phrase ou söquence possible (bien formee, ayant un sens) qui contient le mot-entrde"). Zu den vier Ebenen der syntagmatischen Dimension im Wörterbuch vgl. Zöfgen (1986:221) und (1994:147); zur Eingrenzung des "lexikographischen Beispiels" vgl. Zöfgen (1994:156, 184). In Zöfgen (1986:221) werden Kollokationen allerdings noch dem Beispielteil zugerechnet.

178 vor, andere handeln sie ohne weitere Kennzeichnung innerhalb der Kategorie des lexikographischen Beispiels ab. Zudem muß mit Inkonsistenzen in der typographischen Darstellung von Kategorien innerhalb ein und desselben Wörterbuchs gerechnet werden, wie sie z.B. MR zugunsten der besseren Lesbarkeit der Artikel ganz bewußt verteidigt. 5 Eingeschlossen sind also Beispiele ganz unterschiedlicher Länge, Struktur und Herkunft. Dies beeinträchtigt die hier angestrebte Untersuchung jedoch nicht, denn eines der Ziele dieses Kapitels ist es ja gerade, zu bestimmen, wie die Kategorie des lexikographischen Beispiels in den verschiedenen Wörterbuchlandschaften konzipiert wird. In Kapitel 6.1 soll es um die Quellen lexikographischer Beispiele gehen, das heißt um die Wahl zwischen zitiertem und konstruiertem Beispiel. In Kapitel 6.2 steht die materielle Form der Beispiele zur Diskussion, d.h. die Frage, ob sich Präferenzen für vollständige Beispielsätze oder für kürzere Kontextualisierungen ablesen lassen. Dabei soll auch die Anzahl lexikographischer Beispiele in den einzelnen Wörterbüchern und ihre Rolle im Verhältnis zu anderen Bauteilen des Wörterbuchartikels angesprochen werden.

6.1

6.1.1

Quellen: konstruiertes versus zitiertes Beispiel

Bestandsaufnahme

Die Diskussion, ob und unter welchen Umständen, d.h. für welche Wörterbuchtypen und Zielgruppen, authentische oder vom Lexikographen aus seiner eigenen Kompetenz heraus konstruierte Beispiele geeigneter sind, ist ein Dauerbrenner der Lexikographie. 6 Sie erreichte einen ersten Höhepunkt im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts in der Debatte um das Akademiewörterbuch, in die Voltaire mit seinem berühmten Zitat "un dictionnaire sans citations est un squelette" eingriff. 7 In neuester Zeit hat sie im Zusammenhang mit der korpusbasierten Erstellung speziell von Lernerwörterbüchern in England neue Nahrung erhalten. 8 In der neueren metalexikographischen Literatur wird der Dualismus zwischen den beiden Beispieltypen insofern überwunden, als graduelle Übergänge identifiziert werden und für eine verfeinerte Typologie der zitierten Beispiele plädiert wird. 5

MR (XIV) bezieht sich an dieser Stelle auf in der langue verankerte "unites complexes", die teils im Beispielteil mit Glossat abgehandelt werden, teils in Kapitälchen gedruckt und teils mit loc. gekennzeichnet sind.

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In der französischen Metalexikographie sind die Termini exemple cite/observe bzw. citation (dt. Zitat, Beleg) und exemple forge/construit/fabrique üblich, in der englischen wird üblicherweise zwischen authentic examples oder quotations und invented examples unterschieden, vgl. z.B. Allen (1986:2), Herbst (1996:326), Martin (1989:600). In der französischen Terminologie werden die beiden Typen einander manchmal auch nur als citation und exemple gegenübergestellt, vgl. Hausmann (1987:107).

7

Zitiert nach Hausmann (1997:177), der auch auf einen häufigen Zitierfehler hinweist ("un dictionnaire sans exemples est un squelette").

8

Vgl. Herbst (1996:326f.) und Cowie (1999:134). Diskutiert wird die Frage aus Lernerperspektive z.B. in Drysdale (1985:213f.), Battenburg (1991:64), Zöfgen (1986:230ff.), Fox (1987), Hausmann/Gorbahn (1989:45f.), Cowie (1989:58ff.), Zöfgen (1994:191ff.).

179 Wooldridge (1995:18) äußert: "En principe, la distinction entre exemple construit [...] et exemple citö [...] est absolue. Dans la pratique, eile est souvent floue; l'exemple forgd par le lexicographe peut etre conditionnö par les lectures de celui-ci, l'exemple observe peut etre normalisd par le discours articulateur. II n'y a que des degrös de generalisation et de particularisation". Delesalle (1995:74f.) weist auf die Notwendigkeit hin, eine Unterscheidung nach den Textsorten der Quellen und nach dem Vorhandensein oder Fehlen einer Quellenangabe vorzunehmen; Rey (1995b:24) zeigt unterschiedliche Verfahrensweisen in der Genauigkeit der Quellenangabe auf. In dieselbe Richtung wie Delesalle (1995) zielt auch A.Lehmann (1995:119), die die traditionelle Einteilung der zitierten Beispiele in "önoncis littöraires/non-litteraires" als ungenügend empfindet und ein Überdenken der Klassifikation der Quellen anregt. Außerdem will sie den "Mischtyp" des authentischen Beispiels ohne Belegstellenangabe berücksichtigt wissen und die verschiedenen Beispieltypen eher als Kontinuum denn als Dichotomie betrachten. Corbin (1995) und A.Lehmann (1995) machen außerdem auf die Möglichkeit aufmerksam, daß innerhalb von Verkürzungsserien zitierte Beispiele mit entsprechenden Modifikationen von umfangreichen in weniger umfangreiche Wörterbücher übernommen werden und dabei die Belegstellenangabe weggelassen wird, so daß die betroffenen Beispiele formal nicht von konstruierten Beispielen zu unterscheiden sind.

Hier soll der Frage nachgegangen werden, ob sich nationale Tendenzen in der Präferenz für zitierte oder für konstruierte Beispiele nachweisen lassen. In Anlehnung an die erwähnten verfeinerten Zitattypologien erscheinen im vorliegenden Zusammenhang außerdem die Frage ergiebig, (1) ob innerhalb der beiden Wörterbuchlandschaften ausgeprägte Präferenzen für bestimmte Textsorten als Quellen festzustellen sind, (2) ob nationale Vorlieben für Quellentexte bestimmter Epochen herrschen und (3) wie mit der Belegstellenangabe verfahren wird. Im Fall von konstruierten Beispielen wird außerdem an Stichproben zu überprüfen sein, ob es sich eventuell um verkappte zitierte Beispiele handelt, die innerhalb einer Verkürzungsserie in modifizierter Form übernommen wurden. Die Entscheidung zwischen konstruierten und zitierten Beispielen ist eng mit der Frage nach der Zusammensetzung der Korpora oder Belegstellensammlungen verbunden, die den Wörterbüchern auch für die Auswahl der Lemmata, die Identifizierung der Bedeutungen und die generelle Konzeption zugrunde liegen. Deshalb sollen auch die Prinzipien der Korpuserstellung, die in Kapitel 3 und 4 bereits angerissen wurden, hier nochmals angesprochen werden. Was die allgemeinen Wörterbücher anbetrifft, so beschränkt sich PL auf konstruierte Beispiele, NPR und LEXIS dagegen verwenden sowohl konstruierte als auch authentische Beispiele. NPR stützt sich im wesentlichen auf "literarische" Zitate von Autoren des 16. bis 20. Jahrhunderts. Gegenüber PR (1989) sind im Autorenverzeichnis im Vorspann eine Reihe von neuen Namen aufgeführt, und das Vorwort rühmt sich des "apport des meilleurs öcrivains actuels" (XVIII).9 Zitate der heutigen Autorengeneration sind jedoch, glaubt man Heinz (1994:115), noch relativ selten. Ebenfalls neu ist in NPR der explizite Hinweis, daß Zitate aus der Presse wegen der Aktualität des repräsentierten Sprachgebrauchs in größe-

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Im einzelnen werden Duras, Tournier, Modiano, Cioran, Grainville, Pennac, Quignard, Sollers, Simenon, Yourcenar, Godbout, Kateb Yacine und Hampatd Bä genannt.

180 rem Umfang berücksichtigt worden seien (XVII), 10 sowie die Praxis, berühmte Filmtitel, Chansontexte und dergleichen zu zitieren, was wohl auf eine Öffnung gegenüber "marginalen" literarischen Gattungen hindeutet. Blickt man jedoch auf das Autorenverzeichnis, so liegt der Schluß nahe, daß letztlich ein relativ traditioneller Literaturbegriff zugrunde liegt. LEXIS verwendet als authentische Beispiele nach eigenen Angaben "des citations Нйёraires tiröes pour la plupart d'auteurs du XX е siöcle" (XI) sowie Zitate von Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts in der partie classique et littdraire. Beide Wörterbücher belegen Zitate im Prinzip durch Aufführen des Autorennamens in Klammern.11 Für PR1 (1967) weist A.Lehmann (1995) allerdings nach, daß - wenn auch in geringem Umfang - verkürzte und durch Wegfallen der Quellenangabe "entliterarisierte" Zitate von GR übernommen werden, und dies gilt Stichproben zufolge auch fur NPR. 12 Was die diachronische Schwerpunktsetzung bei der Auswahl der Zitate angeht, so orientieren sich beide Wörterbücher mehr oder weniger stark an Texten der Vergangenheit. Wie Thiele (1995:158) zeigt, beträgt der Anteil der Zitate aus dem 19. Jahrhundert in der von ihr untersuchten Stichprobe von NPR (1993) immerhin 44,4% gegenüber 48,0% für das 20. Jahrhundert, der Anteil der zitierten Autoren aus dem 19. Jahrhundert 38,7% (gegenüber 45,1% aus dem 20. Jahrhundert). Für LEXIS (1987), das sich von der hier untersuchten Auflage nicht allzu sehr unterscheiden dürfte, ermittelt Thiele eine Gewichtung von Zitaten und Autoren mit der Spitze (74,1% bzw. 60,5%) im 20. Jahrhundert und der zweiten Position im 19. Jahrhundert (Autoren, 23,4%) bzw. im 17. Jahrhundert (Zitate, 14,6%). Die starke Position des 17. Jahrhunderts in LEXIS erklärt sich durch die partie classique et littiraire,13

Die Praxis des Zitats, und zwar des belegten und vorwiegend "literarischen" Zitats, in dem auch der Sprachgebrauch vergangener Jahrhunderte ein hohes Gewicht hat, ist also auf französischer Seite in immerhin zwei von drei der hier untersuchten allgemeinen Wörterbücher vertreten. COD dagegen verwendet im Prinzip konstruierte Beispiele und steht damit, wie ein Blick auf COLLINS ENGLISH DICTIONARY 3 ( 1 9 9 1 , updated 1 9 9 4 , reprinted 1995) bestätigen kann, nicht allein unter den Wörterbüchern seines Typs. 14 Im Vorwort der ersten Auflage von COD wird zur Auswahl der Beispiele bemerkt: "These sentences often are, but still more often are not, quotations from standard authors; they are meant to establish the senses of the definition by appeal not to external authority, but to the reader's own consciousness, and therefore their source, even when authoritative, is not named" (zit. nach COD5 1964, repr. 1972:VI). Offensichtlich waren also durchaus zitierte Beispiele vorhanden, wenn auch ohne Quellenangaben. Folgt man jedoch Allen (1986:2), dem Bearbeiter von COD8 (1990), der in Bezug auf CODI (1911) nur von konstruierten Beispielen spricht, so ist anzunehmen, daß die An-

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Auch PR (1989) zitiert aus Pressetexten (vgl. PR 1989:XV), macht aber keine Angaben zum Umfang. Auf eine genaue Belegstellenangabe, wie sie in den Wörterbüchern vom Typ eines GR oder OED üblich ist, verzichten die hier vorliegenden Wörterbücher grundsätzlich. Die Stichproben wurden mit den von A.Lehmann genannten Beispielen vorgenommen. Ein Verzeichnis der zitierten Autoren wird in Lexis nicht aufgeführt, so daß die Möglichkeit entfällt, daraus ein Bild über den zugrunde liegenden Literaturbegriff abzuleiten. LONGMAN DICTIONARY OF THE ENGLISH LANGUAGE (1984) führt allerdings neben konstruierten auch zitierte Beispiele mit Verfassernamen an. CHAMBERS enthält keine Beispiele, macht aber im Definitionsteil gelegentlich Angaben zum Sprachgebrauch von Autoren wie Shakespeare, Spenser oder Milton.

181 zahl zitierter Beispiele verschwindend gering ist bzw. daß diese Beispiele nicht identifizierbar sind.

Was nun die Lernerwörterbücher angeht, so kann man pointiert sagen, daß die Verhältnisse genau umgekehrt liegen. DFColl verwendet ausschließlich konstruierte Beispiele. Dasselbe trifft im Prinzip auch auf MR zu; allerdings praktiziert auch MR die Wiederverwendung von Zitaten aus der Petit Robert-Tradition (gegebenenfalls in verkürzter und dem didaktischen Programm angepaßter Form) ohne Nennung der Zitatquelle, so daß manche der scheinbar konstruierten Beispiele Spuren ihrer literarischen Herkunft tragen.15 Mit dieser Tradition des konstruierten Beispiels im Lernerwörterbuch, die auch den früheren Auflagen von OALD und LDOCE eigen war, wird in der englischen Lernerlexikographie seit COBUILD1 (1987) radikal gebrochen.16 Grundlage für die Beispiele bilden jetzt die computerbasierten Korpora. Was die Verwertung der Korpora für den Beispielteil der Wörterbücher angeht, so sind laut Vorwort von COBUILD (XXII) die meisten Beispiele "word for word" aus dem Korpus übernommen; gelegentlich sind "very minor changes" vorgenommen worden, um die Beispiele "more successful as dictionary examples" zu machen. Eine ähnliche Politik verfolgt LDOCE: alle Beispiele seien korpusbasiert, einige unverändert übernommen, einige "changed slightly from the corpus to remove difficult words", andere "written specially for the entry" (XVI). Auch OALD benutzt nach eigenen Angaben das Korpus als "raw material" (VI) fur die Beispiele, ohne allerdings genauere Angaben über die Art eventueller Modifikationen zu machen.17 In allen drei Wörterbüchern werden wörtlich zitierte Beispiele nicht mit Quellenangaben versehen und sind damit für den Benutzer auch nicht von modifizierten oder in Anlehnung an Korpusbelege konstruierten Beispielen zu unterscheiden. Was die Zusammensetzung der Korpora bzw. Materialsammlungen angeht, die die Basis für die Auswahl der lexikographischen Beispiele und die gesamte Wörterbuchkonzeption bilden, so wurde bereits in Kapitel 4 angesprochen, daß den hier untersuchten französischen Wörterbüchern keine Textkorpora zugrunde liegen, die den englischen vergleichbar wären. Die Grundlage der zitierenden Wörterbücher bilden mehr oder weniger umfangreiche Sammlungen von Belegstellen, deren Art aus der Art der zitierten Beipiele, wie sie oben dargestellt wurden, und bei NPR auch aus dem Verzeichnis der zitierten Autoren erschlossen werden kann.18 Dieselbe "Literaturlastigkeit" gilt auch für das Korpus von

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Vgl. Corbin (1995), insbesondere 140ff.. Allerdings untersucht Corbin die Zitatübernahmen von PR1 (1967) nach MR1 (1971). Einige Stichproben mit den von Corbin zitierten Fällen legen den Verdacht nahe, daß die Praxis der Zitatübernahme in den hier zugrunde gelegten Auflagen reduziert, aber keineswegs ausgemerzt worden ist. Bereits LDOCE2 (1987) lehnte sich allerdings nach Angaben des Vorworts (F9) mit manchen Beispielen eng an das Longman Citation Corpus an. "Many existing examples were rewritten in the light of the new evidence, and nearly 9000 new ones were added for this edition" (OALD:VI). Es dürfte bezeichnend sein, daß die Zusammensetzung und Größe der Materialbasis in den Vorwörtern von NPR und LEXIS nicht im Detail expliziert wird. Man kann jedoch davon ausgehen, daß die Wörterbücher in weiten Teilen aus den Korpora von GR bzw. GLLF schöpfen; vgl.hierzu auch Rey (1977:144), der feststellt, daß die literarischen Zitate in LEXIS in Teilen denen von GLLF entsprechen. Das Vorwort von GLLF (1971 :V) macht keine Angabe zum absoluten Um-

182 TLF, dessen Zusammensetzung im Vorwort ausfuhrlich dargestellt ist. Im Gegensatz dazu läßt sich über die englischen Korpora und Beispiele sagen, daß sie (1) nicht nur der geschriebenen, sondern auch der gesprochenen Sprache einen - manchmal recht großen - Raum geben; (2) innerhalb der geschriebenen Texte Gebrauchstexten vor belletristischen Texten den Vorrang geben (besondere Bedeutung hat die Sprache der Massenmedien); (3) relativ "neue" Texte wählen, d.h. Texte, die innerhalb der letzten 2 0 bis 3 0 Jahre entstanden sind. COBUILD beruht auf der 200 Millionen Wörter starken Bank of English. Wie im Vorspann (XII f.) dargestellt, stammt der Großteil der Texte fur die zweite Auflage aus den neunziger Jahren; 25% sind amerikanischer Herkunft, 5% "other native varieties of English", der Rest repräsentiert britisches Englisch. Der Anteil an Aufzeichnungen informeller gesprochener Sprache ("recordings of everyday casual conversation, meetings, interviews, and discussions") liegt mit 15 Millionen Wörtern recht hoch. Zu den Textsorten, denen die geschriebenen Texte entstammen, äußert sich der Vorspann (XII) wie folgt: "Written texts come from newspapers, magazines, fiction and nonfiction books, brochures, leaflets, reports, and letters. Two-thirds of the corpus is made up of media language: newspapers, magazines, radio and TV [...]. There are thousands of books and special interest magazines in The Bank of English which reflect hundreds of topics of general interest, from aerobics to zoology. However, technical or scientific textbooks, manuals, directories, and so on are not included in the corpus". Die Basis des neuen LDOCE sind nach Informationen auf dem Buchdeckel der deutschen Lizenzausgabe "über 140 Millionen Wörter aus dem Longman Corpus Network und dem British National Corpus (BNC)". OALD beruft sich auf das British National Corpus und das 40 Millionen Wörter starke Oxford American English Corpus. Das BNC besteht aus etwa 100 Millionen Wörtern, die Texten des britischen Englisch entnommen sind. 19 90% entfallen auf geschriebene, 10% auf gesprochene Texte und innerhalb dieser sowohl auf "informal conversation" als auch auf "formal business or government meetings to radio shows and phoneins". 75% der geschriebenen Texte werden als informative klassifiziert, 25% als imaginative. Als Beispiele für Textsorten werden "extracts from regional and national newspapers, specialist periodicals and journals for all ages and interests, academic books and popular fiction, published and unpublished letters and memoranda, school and university essays" genannt; Pressetexte machen 25% des geschriebenen Korpus aus. Der Zeitschnitt bei der Textauswahl liegt im BNC bei 1975 bzw. fur imaginative texts bei 1964. Auch COD beruft sich für die gesamte Wörterbuchkonzeption auf BNC, ohne jedoch im Vorwort auf die eventuelle Beziehung zwischen Korpus und Beispielen einzugehen. Zusammenfassend lassen sich also die folgenden Ergebnisse bezüglich der Herkunft der Beispiele festhalten: Authentische Beispiele sind in beiden Wörterbuchlandschaften von Bedeutung, aber die Verteilung auf die Wörterbuchtypen, die Einordnung der Quellen nach Textsorte, Medialität und Entstehungszeit und die Belegpraxis w e i s e n deutliche Unterschiede auf. A u f der französischen Seite ist bei den allgemeinen Wörterbüchern eine starke Präsenz des literarischen Zitats festzustellen (NPR, LEXIS), die über die Praxis der modifizierten Übernahme ohne Quellenangabe bis in den Bereich der Lernerwörterbücher ( M R ) ausstrahlt. Die zitierten Beispiele entstammen großteils "klassischen" Autoren des 17., 19.

19

fang des Korpus, enthält jedoch ein Verzeichnis zitierter Autoren und Werke, wobei es sich um "auteurs connus" des 17. bis 20. Jahrhunderts handelt. Zur Zusammensetzung von BNC hier und im folgenden vgl. http://info.ox.ac.uk/bnc/.

183

und 20. Jahrhunderts und werden durch Autorennamen belegt; eine Öffnung gegenüber nichtliterarischen Textsorten oder marginaleren literarischen Gattungen findet eher zögernd statt. Auf der englischen Seite dagegen verwenden allgemeine Wörterbücher eher konstruierte Beispiele; authentische Beispiele werden, so überhaupt vorhanden, nicht mit Quellenangabe versehen. Eine umso größere Rolle spielen sie jedoch heute in den Lernerwörterbüchern, wo sie neuerdings die konstruierten Beispiele teilweise oder ganz ablösen. Quellen sind nicht nur geschriebene, sondern auch gesprochene Texte; nichtliterarische Texte haben Vorrang vor literarischen Texten, wobei die Sprache der Massenmedien eine besondere Rolle spielt. Die Zitate entstammen neuen und neuesten Texten und sind grundsätzlich nicht mit Quellenangaben versehen. In den französischen Wörterbüchern, die zitieren, wird also der Dualismus von zitiertem versus konstruiertem Beispiel formal kenntlich gemacht; in der englischen Wörterbuchlandschaft wird auf eine formale Trennung verzichtet.

6.1.2

Interpretation

Die unterschiedliche Handhabung der Kategorie "lexikographisches Beispiel" in beiden Wörterbuchlandschaften legt die Vermutung nahe, daß den Beispielen in den beiden Traditionen unterschiedliche Funktionen zugewiesen werden, die auf ihre Zusammenhänge mit Konstellationen im kulturellen Umfeld hin betrachtet werden sollen. In der Regel hat das lexikographische Beipiel eine multiple Funktion, sowohl von der Intention des Wörterbuchs wie von den Benutzungsinteressen seiner Benutzer her betrachtet. 20 Im konkreten Einzelfall dürfte es daher schwierig sein, ein vorliegendes Beispiel auf die eine oder andere Funktion oder Funktionen festzulegen. Bezüglich der primären Funktion bestimmter Typen von Beispielen lassen sich jedoch Aussagen machen. Die metalexikographische Literatur bietet verschiedene Funktionstypologien fur lexikographische Beispiele, die je nach Wörterbuchtyp, auf den sie sich beziehen, im wesentlichen mit ähnlichen Elementen arbeiten. Exemplarisch seien hier zwei Funktionstypologien - eine aus der französischen, eine aus der englischen Metalexikographie - skizziert. Sie beanspruchen jedoch keine Repräsentativität für die jeweilige metalexikographische Tradition. Die Typologie aus französischer Perspektive von Martin (1989) bleibt ohne Bezug auf einen bestimmten Wörterbuchtyp. Martin (1989) gliedert in (1) fonctions linguistiques, (1 a) fonction syntagmatique: Illustration gängiger syntaktischer Konstruktionen und üblicher Kollokationen, ( l b ) fonction paradigmatique: Illustration des champ associatif des Lemmazeichens, d.h. Synonyme, Antonyme etc., (2) fonction rhetorique: Illustration von Bedeutungsverschiebungen, figürlichem Sprachgebrauch u.ä., (3) fonction pragmatique: Illustration eines typischen situativen Kontexts, (4) fonctions philologiques, (4a) l'exemple comme temoin: "Beweis" für die Korrektheit einer identifizierten Bedeutung, einer Definition durch Zitieren einer "Autorität", (4b) fonction epilinguistique: metasprachliche Aussage über Wortbedeutung, Gebrauchsbedingungen, Konnotationen etc. des Lemmazeichens im Zitat und (5) Funktionen, die au delä [sie] de la langue angesiedelt sind, (5a) encyclopddisme: Vermittlung von Informationen über die bezeichnete Sache, (5b) Ideologie·. Vermittlung von Einstellungen, Werturteilen etc. bezüglich außersprachlicher Sachverhalte, (5c) qualite litter aire: die Beispiele im Wörterbuch als anthologie litteraire.

20

Vgl. die Maxime von Hermanns (1988:179): "Ein Beispiel sollte multifunktional sein".

184 Aus englischer Perspektive sind solche allgemeinen Funktionstypologien seltener, was angesichts der untergeordneten Rolle, die das lexikographische Beispiel in den allgemeinen englischen Wörterbüchern spielt, nicht erstaunt. Umso intensiver setzt sich die Metalexikographie dagegen mit theoretischen Aspekten des Beispiels im Lernerwörterbuch auseinander. Deshalb wird hier die Funktionstypologie von Drysdale (1987) vorgestellt, die zur Messung englischer Lernerwörterbücher an den Leistungen der Beispiele amerikanischer Schulwörterbücher entworfen wurde. Drysdale (1987:215) ordnet dem lexikographischen Beispiel im Lernerwörterbuch sechs Funktionen zu: (1) "to Supplement the information in a definition", (2) "to show the entry word in context", (3) "to distinguish one meaning from another", (4) "to illustrate grammatical patterns", (5) "to show other typical collocations", (6) "to indicate appropriate registers or stylistic levels". Im Vergleich mit der Funktionstypologie von Martin (1989) kann man sagen, daß hier im wesentlichen Martins fonction linguistique und fonction pragmatique abgedeckt sind. Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich die von Hausmann (1997:178) dargestellte Funktionstypologie fur zitierte Beispiele, die die Zitattypologie des Dictionnaire critique de la langue franqaise von Fdraud (1787-1788) in moderne Terminologie überträgt. Unterschieden werden hier die linguistische Funktion ("zur Unterstützung der Explikation und zum Vorzeigen der Syntagmatik"), die ästhetische Funktion (Auswahl der Zitate "wegen ihres stilistischen, philosophischen oder sonst ästhetischen Werts"), die normative oder autoritaristische Funktion21 (das Zitat als Autorität in sprachlichen Zweifelsfällen) und die kritische Funktion (Zitate "als Fehlerbeispiele"). Wenn nun versucht wird, den unterschiedlichen Beispieltypen in der englischen und französischen Lexikographie Funktionen zuzuweisen und diese in das jeweilige kulturelle Umfeld einzuordnen, so können diese Funktionstypologien als Raster dienen. Für die französischen allgemeinen Wörterbücher war eine starke Position des literarischen Zitats etablierter Autoren auch aus vergangenen Jahrhunderten und ein formaler Dualismus zwischen zitierten Beispielen mit Beleg gegenüber konstruierten Beispielen festgestellt worden. Dieser Befund kann einerseits der Praxis von COD gegenübergestellt werden, das fast nur konstruierte Beispiele verwendet und die wenigen zitierten - so sie überhaupt in der hier besprochenen Auflage noch vorhanden sind - nicht belegt; andererseits bietet sich ein Vergleich mit der Praxis der englischen Lernerwörterbücher an, die ihre Zitate aus Korpora entnehmen, welche sich vorwiegend aus Gebrauchstexten der Gegenwartssprache zusammensetzen und auch gesprochene Sprache berücksichtigen, und die authentische Beispiele gegenüber modifizierten oder auf Korpusbasis konstruierten nicht formal kenntlich machen. Natürlich muß dabei berücksichtigt werden, daß die beiden Wörterbuchtypen nur bedingt miteinander verglichen werden können, da sie auf unterschiedliche Adressatenkreise und Benutzungssituationen zugeschnitten sind. Ein Blick auf das Vorwort von NPR kann verdeutlichen, daß mit dem formal durch die Quellenangabe kenntlich gemachten Dualismus von zitiertem und konstruiertem Beispiel eine Bindung an unterschiedliche Funktionalitäten verknüpft ist: L'exemple produit et la citation sont fondamentalement diffdrents dans leur signification globale, leur contenu. [...] les exemples du lexicographe sont [...] des 6nonc6s tout prets qui sont inscrits dans sa mdmoire, ce sont les phrases qu'il a lues ou entendues le plus frdquemment. Et cette grande frdquence sölectionne l'emploi le plus attendu du mot, un lieu commun dans un sens non pdjoratif, aujourd'hui nomm6 stiriotype. [...] La citation d'auteur, pour sa part, ne se donne pas comme lieu commun [...]. [...] la citation littdraire est compldmentaire de l'exemple forgi, eile se prdsente comme un modöle supirieur d'expression et une refdrence culturelle, mais aussi comme 21

Zum Terminus vgl. Hausmann (1997:175).

185 un ancrage dans le particulier et un surgissement de l'individu sur fond de stdreotypes sociaux (NPR:XVII f.).

Eine "Arbeitsteilung" zwischen konstruiertem Beispiel und (literarischem) Zitat wird auch in LEXIS hervorgehoben, wenn der funktionale Unterschied auch weniger deutlich expliziert wird als in NPR: Certains [exemples] ont dtd forgds par les rddacteurs de manidre ä faire apparaitre tel ou tel fait syntaxique ou sdmantique de la langue courante qui a paru interessant. Les autres sont des citations littdraires tirdes pour la plupart d'auteurs du XX е siöcle: il s'agissait en effet pour nous d'illustrer l'usage contemporain de la langue (LEXIS :XI).

In ähnlicher Weise wie NPR betont die französische Metalexikographie die Komplementarität der beiden Beispieltypen. So erörtert Rey-Debove (1970b: 1053), die zugegebenermaßen personell eng mit der Entstehung der Robert-Wörterbücher verbunden ist, die Vor- und Nachteile von konstruierten und zitierten Beispielen und folgert: C'est ce besoin de modules supdrieurs chez le lecteur d'un dictionnaire monolingue qui pousse le lexicographe ä donner des exemples littdraires. Ici s'affrontent deux vocations opposdes du dictionnaire monolingue: la description d'une rdalitd moyenne fondde sur la frdquence et l'apport d'informations qui ddpassent cette rdalitd moyenne puisqu'elle est ddjä de la compdtence du lecteur.

Zumindest in der Robert-Tradition wird also wiederholt auf die Funktion des literarischen Zitats als "modöle supdrieur" hingewiesen. In (1995b: 17) macht Rey dies noch deutlicher: "Le discours littfraire tdmoigne de la norme sociale". Hier fällt der Begriff der Norm, dessen Bedeutung speziell für die französische Wörterbuchlandschaft schon in der Diskussion um Selektion und Markierungsangaben herausgearbeitet worden war. Bezogen auf die Normdiskussion in Frankreich, wie sie etwa Müller (1985:263ff.) darstellt, lassen sich die zitierten Äußerungen dahingehend interpretieren, daß konstruierte Beispiele und zitierte Beispiele zwei verschiedene Arten von Norm repräsentieren und damit eine komplementäre Funktion erfüllen: zum einen die Norm, die Müller (1985:276) als norme d'usage oder norme statistique bezeichnet, zum anderen die Norm, die als norme prescriptive, SollNorm, explizite oder externe Norm bezeichnet wird.22 Den Beispielen in Form literarischer Zitate wird also die Funktion zugeschrieben, den Sprachgebrauch zu repräsentieren, der als präskriptive Norm im Wörterbuch gesetzt wird. Damit werden sie zum Modell für vorbildlichen Sprachgebrauch und können auch dazu dienen, die Korrektheit der Sprachbeschreibung durch Berufung auf anerkannte Autoritäten zu belegen. Wie bereits in Kapitel 3 dargelegt, war die französische Lexikographie - im Gegensatz zur englischen - seit ihren Anfängen eine normative Lexikographie. Erklärt worden war dies durch das normative "Gesamtklima", das Frankreich vom 17. Jahrhundert bis heute beherrscht und das sich in England trotz normativer Bestrebungen im 17. Jahrhundert letztlich nicht durchsetzen konnte. Entsprechend überrascht es nicht, daß das normative Element bei der Funktionsbestimmung der Beispiele auf der französischen Seite eine Rolle spielt, während es im Vorwort von COD keine Erwähnung findet. In CODI (1911) werden den Beispielen zwei Hauptfunktionen zugewiesen: Sie seien "a necessary supplement to definition when a word has different senses between which the distinction is fine, or when

22

Zur Terminologie vgl. Kapitel 3.1.

186 a definition is obscure and unconvincing until exemplified" (zit. nach COD5 1964, repr. 1972:VI). In COD8 (1990:XXX) kommt die Illustration des Wortgebrauchs im Kontext hinzu. Schon in CODI (1911) wird dagegen die Funktion, eine Definition durch einen "appeal [...] to external authority" (zit. nach COD5 1964, repr. 1972:VI) im Beispiel zu rechtfertigen, ausdrücklich abgelehnt. Allen Beispielen, ob konstruiert oder zitiert, wird damit ein und dieselbe Funktion zugeschrieben, und zwar - bezogen auf die zu Eingang des Kapitels vorgestellten Funktionsmodelle des lexikographischen Beispiels - eine linguistische. Auf der französischen Seite wird die linguistische Funktion dagegen von konstruierten Beispielen erfüllt; die zitierten Beispiele übernehmen die Funktionen, die als normativ, philologisch, anthologisch oder auch ästhetisch umschrieben werden. Dies wird nochmals in Rey (1995a: 108) deutlich: Die konstruierten Beispiele, so Rey, dienen der "illustration d'un fait de langue et d'usage", den zitierten dagegen komme eine "fonction anthologique et allusive" zu, "si l'exemple doit etre une 'autorite' [...] ou encore une reference culturelle ä un savoir suscitö par les mots". Da eine genaue Belegung der Zitatquellen nur in Wörterbüchern sinnvoll ist, die die zitierten Verfasser als Autoritäten behandeln, d.h. eine normative Zielsetzung verfolgen, ist auch folgerichtig, daß COD in den (seltenen, wenn heute überhaupt noch vorhandenen) Fällen authentischer Beispiele auf eine Quellenangabe verzichtet, während NPR und LEXIS zitierte Beispiele mit Autorennamen belegen und so die komplementäre Funktion der beiden Beispieltypen auch formal kenntlich machen.23 Bezüglich der Fixierung der präskriptiven Norm in den französischen Wörterbüchern war in Kapitel 3 bereits festgehalten worden, daß sie im französischen Sprachbewußtsein an das diamediale Kriterium "geschrieben", die Textsorte (schöne) Literatur und die Epoche Vergangenheit gebunden ist. Zurückgeführt wurde dies auf die historische Entwicklung der bon-usage-OoVXrm in Frankreich, die den zunächst diastratisch definierten vorbildlichen Spachgebrauch nach dem Ende des Ancien Regime als Sprachgebrauch der bons auteurs, d.h. der Schriftsteller des klassischen 17. Jahrhunderts, und damit als geschriebenen Sprachgebrauch in literarischen Texten einer vergangenen Epoche festschrieb. Die Hochschätzung von literarischer Sprache und die Rückorientierung des bon usage hatte sich bereits bei der Untersuchung der Markierungsangabensysteme, der Selektion und der Vergabe von Markierungsangaben nachweisen lassen. So entspricht es der Erwartung, daß sich dieselbe metasprachliche Einstellung der Sprachgemeinschaft auch bei der Auswahl der zitierten Beispiele und der Norm, die damit als verbindlich gesetzt wird, bemerkbar macht. So weit zu den Unterschieden im Bereich der englischen und französischen allgemeinen Wörterbücher. Daneben kann die Zitatauswahl der französischen allgemeinen Wörterbücher - unter Vorbehalt - der der englischen Lernerwörterbücher gegenübergestellt werden. Hier werden die Quellen diamedial (geschriebene und gesprochene Sprache vs. nur geschriebene Sprache), diatextuell (Gebrauchstexte vs. literarische Texte) und diachronisch (neueste Texte vs. ältere Texte des 20. Jahrhunderts und auch vergangener Jahrhunderte) anders situiert; wörtliche Zitate werden gegenüber modifizierten oder auf Korpusgrundlage konstruierten Beispielen formal nicht kenntlich gemacht. Dem entspricht, ähnlich wie in COD, die Fixierung auf eine einzige Funktion, nämlich die linguistische, in den Vorwörtern. Laut OALD (IX) sollen die Beispiele aufzeigen "how the headword is used in con23

Zur Notwendigkeit der Quellenangabe in normativen Wörterbüchern vgl. auch Zgusta (1971:266). Auch im Vorwort von CODI (1911) wird als Grund für das Fehlen der Quellenangaben die Tatsache genannt, daß das autoritaristische Prinzip keine Rolle spielt (nach COD5 1964, repr. 1972:VI).

187 text", laut COBUILD sollen sie "the patterns that are frequently found alongside a word or phrase", "the characteristic phrasing round the word" (IX), "typical grammatical patterns, typical vocabulary, and typical contexts" (XXII) demonstrieren, laut LDOCE (XVI) "the ways in which a word or phrase is normally used" bzw. "the grammar of the word, and the way in which it is often used with other words". Zitierte bzw. modifizierte und konstruierte Beispiele erfüllen hier also, anders als in den französischen allgemeinen Wörterbüchern, keine komplementäre Funktion, sondern stehen in Konkurrenz in Hinblick auf ein und dasselbe Ziel, nämlich geeignete Beispiele für den entsprechenden Wörterbuchtyp und die anvisierte Benutzergruppe zu sein.24 Als geeignetes Beispiel wird dabei ganz klar ein Beispiel identifiziert, das "Normalität", Typizität und große Vorkommenshäufigkeit des demonstrierten Sprachgebrauchs repräsentiert. Was hier vermittelt werden soll, ist eine Gebrauchsnorm, nicht jedoch im Sinne einer selbstregulierenden Norm, die im Sprachbewußtsein des kompetenten Sprechers verankert ist,25 sondern eine echte statistische Norm, die auf "objektivem" Weg nach quantitativen Kriterien, d.h. nach der durch Konkordanzen erschließbaren Frequenz des syntagmatischen Miteinanderaufitretens von Wörtern ermittelt wird. Das Korpus wird als "a new kind of evidence" proklamiert (COBUILD: VIII), das die Intuition des kompetenten Sprechers ablösen soll, denn - so Fox (1987:146) - "intuition is not as good as evidence". Diese "Objektivität" oder "Wissenschaftlichkeit" kann wohl als eine neue "Ideologie" der englischen (Lerner-)Lexikographie betrachtet werden.26 Als evidence haben die Beispiele durchaus autoritative Funktion, nur dient als Maßstab nicht der Sprachgebrauch einzelner zu Vorbildern erklärter Autoritäten, sondern der auf statistischem Wege ermittelte Sprachgebrauch der Mehrheit.27 Sicher sind die Unterschiede in der Zitatpolitik mit dadurch zu erklären, daß hier unterschiedliche Wörterbuchtypen (allgemeine und Lernerwörterbücher) miteinander verglichen wurden. Dennoch läßt sich festhalten, daß die englischen und französischen Wörterbücher sich in diesem Punkt fundamental unterscheiden. Wenn in den englischen Korpora andere Textsorten privilegiert werden als in den französischen Belegsammlungen, so hängt dies natürlich einerseits damit zusammen, daß in England keine der französischen vergleichbare Tradition der Pflege des patrimoine culturel und der Diskussion des bon usage vorhanden ist. Außerdem ist es wohl nicht ganz abwegig, zu mutmaßen, daß die Zusammenstellung des COBUILD-Korpus, das eine Vorreiterrolle einnahm, auch dadurch beeinflußt wurde, daß Gebrauchstexte in elektronischer Form in der Anfangsphase der computergestützten Lexikographie erheblich leichter verfügbar waren als belletristische Texte, die eigens hätten gescannt und mit Texterkennungssoftware bearbeitet werden müssen.28 24

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27

28

Vgl. COBUILD (XXII): "The majority of the examples in the dictionary are taken word for word from one of the texts in The Bank of English. Occasionally, we have made very minor changes to them, so that they are more successful as dictionary examples". Zu diesem Verständnis der Gebrauchsnorm oder "statistischen" Norm vgl. Müller (1985:276f.). Rey (1995a: 105) spricht von der "frdndsie scientiste du corpus alimente par ordinateur que 1'on retrouve notamment en Grande-Bretagne". Dies ist zumindest das angestrebte Ziel; wie groß die Unterschiede zwischen den Wörterbüchern dennoch sind, wurde bereits angesprochen. Diese Interpretation wird durch eine Äußerung Sinclairs in der Einleitung zu COBUILD (VIII f.) nahegelegt: "A few years ago it became much easier to gather large quantities of spoken and written English. The publishers of books, magazines, and newspapers became aware that large

188 Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß authentische Beispiele in den beiden Wörterbuchlandschaften mit sehr unterschiedlicher Zielsetzung eingesetzt werden: in Frankreich, um eine präskriptive Norm hochzuhalten, die sich an Modellen geschriebener literarischer Sprache auch vergangener Jahrhunderte orientiert, in England dagegen, um dem Wörterbuch einen Anspruch von "Wissenschaftlichkeit" zu verleihen, indem ein statistisch abgesichertes Bild der Gegenwartssprache vermittelt wird, das eine viel größere Bandbreite an Erscheinungsformen von Sprache berücksichtigt. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf die lexikographische Tradition der beiden Länder. In den vorhergehenden Kapiteln konnte wiederholt nachgewiesen werden, daß die Wörterbücher, die den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bilden, in England und Frankreich ein unterschiedliches Verhältnis zur lexikographischen Tradition der jeweiligen Wörterbuchlandschaft haben. Im folgenden soll gefragt werden, ob dies auch illr das Schicksal des zitierten Beispiels gilt. Deshalb seien hier einige Stationen der Geschichte des zitierten bzw. konstruierten Beispiels in den beiden nationalen Traditionen skizziert und kommentiert. Gleichzeitig soll mit diesem historischen Abriß auch ein Bezugsrahmen für die Diskussion der materiellen Form konstruierter Beispiele in Kapitel 6.2 geschaffen werden. Die Darstellung folgt Hausmann (1987) und (1997), Osselton (1990), Quemada (1967) und Simpson (1990). In Frankreich lassen sich bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt zwei traditionsbildende Stränge beobachten. Der Ursprung des konstruierten Beispiels in Form kurzer Kontextualisierungen wird in der Tradition der zweisprachigen französisch-lateinischen Wörterbücher des 16. Jahrhunderts gesehen. So finden sich in den Wörterbüchern der Estienne-Nicot-Serie des 16. und frühen 17. Jahrhunderts zahlreiche Wortverbindungen und Wendungen, die praktisch wörtlich in das DICTIONNAIRE DE L'ACADEMIE ( 1 6 9 4 ) sowie in RICHELET ( 1 6 8 0 ) und FURETIERE ( 1 6 9 0 ) übernommen wurden und von dort aus fester Bestandteil späterer Wörterbücher wurden.29 Die Praxis, Sprachgebrauch in Form von konstruierten kollokationsartigen Verbindungen zu belegen, fand im 30 DICTIONNAIRE DE L'ACADEMIE ihren ersten - und nicht unumstrittenen - Höhepunkt.

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amounts of language passed through their hands, and there could be many good reasons for keeping it in electronic form as well as printing it out in what is now known as 'hard copy'. A market grew up for electronic language among people who want to find or check statements, particularly in news, magazines, and legal language". Allerdings greift dieses Argument fur das Korpus von TLF, das noch früher entstand und hauptsächlich aus (älteren) literarischen Texten besteht, nicht. Die Auswahl dürfte also in diesem Fall durchaus "ideologisch" motiviert sein. Demgegenüber war in Großbritannien bereits frühzeitig eine Tradition vorhanden, die gesprochene Sprache mit einbezieht und sich auf eine breite Auswahl an Textsorten stützt (vgl. z.B. den ab 1959 entstandenen Survey of English Usage für geschriebene und gesprochene Sprache und das von 1970 bis 1978 aufgebaute Lancaster-Oslo-Bergen-Corpus für geschriebene Sprache). Vgl. Quemada ( 1 9 6 7 : 5 3 5 ) . Die betroffenen Wörterbücher sind ESTIENNE ( 1 5 3 9 ) , NICOT/DUPUYS ( 1 5 7 3 ) u n d NICOT ( 1 6 0 6 ) .

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Zur Sonderstellung der Beispiele des DICTIONNAIRE DE L'ACADEMIE, die ja immerhin von einem Gremium namhafter und sich selbst als "klassisch" empfindender Schriftsteller stammten, vgl. Quemada (1967:541) und Hausmann (1997:175); dennoch zielen die Beispiele auf Geläufigkeit und nicht auf Literarizität, vgl. Hausmann (1997:175). Zur Polemik gegen die Beispiele des Akademiewörterbuchs vgl. Quemada (1967:540f.).

189 Erste Beispiele für die zitierende Lexikographie finden sich in Frankreich ebenfalls in der Estienne-Nicot-Serie, 31 dann in RICHELET und - dies ist bezeichnend - in späteren Bearbeitungen des ursprünglich vorwiegend konstruierte Satzbeispiele verwendenden FURETIERE (BASNAGE 1 7 0 1 , 1 7 0 2 , TREVOUX 1 7 0 4 ) s o w i e a u c h i m DICTIONNAIRE CRITIQUE (FERAUD 1 7 8 7 - 1 7 8 8 ) . I m 18.

und 19. Jahrhundert neigte sich die Waage dann endgültig zugunsten des autoritaristischen Prinzips und damit zugunsten des zitierenden Wörterbuchs, zumal es das Vorbild des VOCABOLARIO DEGLI ACCADEMICI DELLA CRUSCA ( 1 6 1 2 ) f ü r s i c h h a t t e . A l s P r o t o t y p d e s z i t i e r e n d e n W ö r t e r b u c h s

gilt LITTRE (1863-1873), der einen hohen Anteil an Zitaten aus dem klassischen 17. Jahrhundert verzeichnet, ebenso wie HATZFELD/DARMESTETER (1890-1900), der das Französische des 17. bis 19. Jahrhunderts beschreibt und noch stärker als LITTRE auf Zitate des 17. Jahrhunderts fixiert ist. Auswahlkriterium für die Zitatquellen war die literarische Qualität des Autors. Den Zitaten wurde nicht nur die Funktion zugeschrieben, Bedeutungswandel zu demonstrieren und den Definitionen durch Berufung auf das patrimoine culturel Autorität zu verleihen; sie sollten vielmehr gleichzeitig auch eine angenehme und literarisch hochwertige Lektüre bieten. 32 Dieselbe Konzentration auf literarische Belege unter Einbeziehung der Literatur vergangener Jahrhunderte trifft im Prinzip auch auf die hier untersuchten allgemeinen einbändigen Wörterbücher sowie auf die großen philologischen Wörterbücher des 20. Jahrhunderts zu. GR wird noch in seiner zweiten Auflage (1985) als "Anthologie der schönen Literatur für den Leser aus dem französischen Bildungsbürgertum" beurteilt, 33 und auch TLF hält trotz einer für französische Verhältnisse auffälligen Offenheit fiir die zeitgenössische Presse 34 (die jedoch mit der Orientierung der englischen Wörterbücher nicht vergleichbar ist) am Prinzip der Belegung durch Zitate "klassischer" Schriftsteller fest. 3 5 Der Fall von TLF ist insofern bemerkenswert, als es sich dabei um das einzige Produkt korpusgestützter Lexikographie in Frankreich handelt. Die Methode der Wörterbucherstellung entspricht also (wenn auch aufgrund des früheren Entstehungsdatums nicht von den technischen Möglichkeiten, so doch vom Prinzip her) der heute in England etablierten Methode, die Belegpraxis bleibt aber in der französischen Tradition. Die Tradition des literarischen Zitats ist auch der englischen Wörterbuchlandschaft nicht fremd und hat ihre Ursprünge in derselben Zeit und mit derselben Zielsetzung wie in Frankreich. Erste Ansätze finden sich in BLOUNT (1656), PHILLIPS (1658) und der GLOSSOGRAPHIA ANGLICANA NOVA (1707); JOHNSON (1755), der Schriftsteller des späten 16. bis frühen 18. Jahrhunderts zitierte und damit dem Bedürfnis der Zeitgenossen nach autoritativer Führung in Abwesenheit einer Akademie nachkam, systematisierte es, und RICHARDSON (1817) weitete es noch aus. Ein zitierendes Wörterbuch ist auch OED. Allerdings scheint gegenüber Johnsons autoritätsorientierter Zitatpraxis, die im Prinzip der der französischen Wörterbücher entspricht, eine andere Schwerpunktsetzung in der Auswahl und Funktion der Zitate eingetreten zu sein. Im Vorwort von Johnsons Wörterbuch heißt es, er habe Zitaten von Schriftstellern vor der Restauration den Vorzug gegeben, da er deren Werke als "the wells of English undeßled, [...] the pure sources of genuine diction" betrachte (zit. nach dem Nachdruck 1967:[s.p.]). Im Vorwort von OED2 (1989) dagegen ist keine Rede davon, daß die Zitate nach Gesichtspunkten der literarischen Qualität oder der Vorbildlichkeit des Sprachgebrauchs ausgewählt worden wären. Zitiert werden "the earliest and, in obsolete words or senses, the latest, known instances of its occurrence" (OED2 1989:XXIX), außerdem wird darauf hingewiesen: "It is to be distinctly borne in mind that the quotations are not merely 31

32

33 34 35

Die Bearbeitung des Wörterbuchs von Estienne durch THIERRY (1564) wird als erstes Beispiel fur ein zitierendes französisches Wörterbuch genannt, vgl. Quemada (1967:545). Man denke an Littrös Forderung, zitierte Beispiele sollten "des lambeaux de pourpre" sein (zit. nach dem Nachdruck 1971, Preface au premier tome: 138). Hausmann (1997:184). So Hausmann (1997:183), der dies ab Band 8 feststellt. Details gibt Hausmann (1997:182f.).

190 examples of the fully developed use of the word or special sense under which they are cited: they have also to illustrate its origin, its gradual separation from allied words or senses, or even, by negative evidence, its non-existence at the given date" (OED2 1989:XXIX). Die Zitate dienen also weniger der Demonstration von "gutem" oder "korrektem" Sprachgebrauch als vielmehr der Demonstration der Bedeutungsentwicklung, wobei auch die Berufung auf noch nicht ausgereiften Sprachgebrauch in Kauf genommen wird. Hand in Hand mit dem mehr wissenschaftlich-etymologischen Erkenntnisinteresse bei der Auswahl der Beispiele geht auch das Fehlen einer expliziten Konzentration auf eine bestimmte bevorzugte Epoche für die Quellentexte. Nachdem der gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstehende Typ des Concise Dictionary (ANNANDALE 1886, WILLIAMS 1891, CHAMBERSI 1901, CODI 1911) die Bedeutung des Beispielteils stark reduziert und eher mit konstruierten Beispielen arbeitet, entsteht im 20. Jahrhundert mit OALD in der Lernerlexikographie ein Traditionsstrang der reichen Verwendung konstruierter Satzbeispiele. Seit COBUILD1 (1987) hat diese neue Tradition im Lernerwörterbuch Konkurrenz durch Korpusbelege bekommen bzw. ist durch sie abgelöst worden. Beiden lexikographischen Traditionen ist also die Praxis des literarischen Zitats nicht fremd; bedeutsam erscheint jedoch im vorliegenden Zusammenhang die Tatsache, daß das Zitat sich in Frankreich seit dem 17. Jahrhundert bis in die heutigen allgemeinen ein- und mehrbändigen Wörterbücher in seiner Funktion als Autorität für guten Sprachgebrauch gehalten hat und auch die bevorzugte Textsorte und die diachronische Fixierung vorbildlicher Sprache konstant geblieben sind. In England dagegen zeichnete sich in OED eine Verschiebung dieser Funktion zugunsten eines eher bedeutungsgeschichtlichen Interesses ab, die wohl als Ausfluß des wissenschaftlichen Charakters dieses Wörterbuchs betrachtet werden kann. In den allgemeinen einbändigen Wörterbüchern vom Typ eines COD wird das literarische Zitat dann weitgehend durch konstruierte Beispiele ersetzt; in den Lernerwörterbüchern schließlich wird es durch nicht belegte Zitate aus ganz anderen Quellen und mit ganz anderen Funktionen abgelöst, da es in der Funktion, die es in OED hat, in einem modernen synchronen Wörterbuch nicht mehr von Interesse ist. 36 Auch bezüglich der lexikographischen Beispiele läßt sich also die These stützen, daß wir es in Frankreich mit einer relativ kontinuierlichen und homogenen lexikographischen Tradition zu tun haben, und zwar sowohl in Hinblick auf die historische Entwicklung der lexikographischen Tradition als auch in Hinblick auf verschiedene Wörterbuchgrößen und -typen, in England dagegen mit stärkeren Brüchen in der Tradition und einer heterogeneren Ausprägung der Wörterbuchlandschaft. 37

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Auf die unterschiedliche Funktion authentischer Beispiele in verschiedenen Epochen der englischen Lexikographie macht in ähnlicher Weise auch Bejoint (1994:97f.) aufmerksam: das Zitat habe im 18. Jahrhundert (z.B. in JOHNSON 1755) als Autorität für "guten" Sprachgebrauch gedient, im 20. Jahrhundert dagegen als Mittel zur Objektivierung der Sprachbeschreibung; entsprechend sei die Auswahl der Quellen nach unterschiedlichen Prinzipien erfolgt. Grundsätzlich muß allerdings in diesem Zusammenhang angemerkt werden, daß die Stellung, die OED einerseits und französische Wörterbücher vom Typ eines LITTRE oder HATZFELD/DARMESTETER andererseits innerhalb ihrer jeweiligen Wörterbuchlandschaft einnehmen, wohl nicht ganz vergleichbar ist, und dies nicht nur in Hinblick auf den wissenschaftlichen Charakter von OED. Konnte sich Rey bei der Konzeption von GR zum Ziel setzen, einen "Nouveau Littri", d.h. eine verbesserte Fassung von Littre zu schreiben und damit die Tradition im Prinzip wieder aufzunehmen, so kann man annehmen, daß OED als so monumental empfunden wurde,

191 6.2

Materielle Form: Satzbeispiel versus Kontextualisierung

6.2.1 Bestandsaufnahme Neben der Unterscheidung zwischen authentischen und konstruierten Beispielen ist - insbesondere bei den konstruierten Beispielen - eine Klassifizierung nach ihrer materiellen Form üblich. 38 Die gängigen formalen Beispieltypologien unterscheiden sich j e nachdem, was der jeweilige Metalexikograph unabhängig von der Praxis konkreter Wörterbücher als lexikographisches Beispiel betrachtet und was er anderen Kategorien zuschlägt. Geht man, wie zu Eingang des Kapitels als Prinzip festgehalten, von dem Material aus, das in den hier betrachteten Wörterbüchern typographisch und durch seine Position im Artikel als dem Beispielteil zugehörig gekennzeichnet wird, so reichen lexikographische Beispiele formal von syntaktisch vollständigen Sätzen über Zöfgens "satzähnliche[n], (meist infinitivischein]) Kontextualisierungen" (1986:221) (inventer une histoire pour se disculper, DFColl s.v. inventer), frei gebildete Syntagmen (une femme agreable ä voir, NPR s.v. voir) und Kollokation im Sinne von typischen oder hochfrequenten Wortverbindungen (apply/ tighten/lift economic sanctions, OALD s.v. sanction) bis hin zu lexikalisierten Verbindungen wie Komposita oder idioms. Innerhalb der Kategorie des lexikographischen Beispiels sind also Verbindungen mit ganz unterschiedlichen Graden an Idiomatizität vertreten. 39 Nachdem die Frage nach nationalen Präferenzen für konstruierte oder zitierte Beispiele beantwortet ist, soll jetzt geprüft werden, ob sich innerhalb der mehr oder weniger zahlreich vorhandenen konstruierten Beispiele Präferenzen für bestimmte formale Beispieltypen nachweisen lassen. Im Zusammenhang damit soll auch der Frage nachgegangen werden, wie es mit der Anzahl der Beispiele schlechthin steht. Die Untersuchung wird dadurch erschwert, daß die Grenzen zwischen den oben identifizierten formalen Beispieltypen fließend sind. Um eine Artikelteilstrecke auf die Dichte, in der ein bestimmter Beispieltyp vorhanden ist, zu prüfen, müßte erst ein Verfahren entwickelt werden, das erlauben würde, bei jeder vorliegenden Verbindung zweifelsfrei zu entscheiden, ob es sich beispielweise um ein freies Syntagma, eine Kollokation oder ein idiom handelt. Dies erscheint nicht nur auf theoretischer Ebene problematisch, sondern würde auch den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Praktikabel dürfte sein, zunächst rein formal zwischen Beispielen zu unterscheiden, die in Form vollständiger Sätze auftreten, und solchen, die als mehr oder we-

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daß danach keine Steigerungen derselben Tradition, sondern nur noch Neukonzeptionen möglich waren. Auf unterschiedliche Möglichkeiten der Trunkierung authentischer Beispiele, die besonders in Frankreich üblich ist, wird hier nicht eingegangen. Zu verschiedenen Klassifizierungen und Terminologien, die dieser Grobklassifizierung zugrunde liegen, vgl. z.B. Harras (1989:608), Zöfgen (1986:220ff.) und Zöfgen (1994:157ff.). Harras (1989:608) fuhrt zusätzlich zu den hier skizzierten Typen noch konstruierte Beispiele mit Angaben zur Syntax des Lemmazeichens auf (Typ donner qc ä qn), die aber in den hier untersuchten Wörterbüchern einer summarischen Durchsicht entsprechend bis auf wenige Ausnahmen in DFColl und NPR kaum vorkommen. Derartige Informationen werden heute wohl eher in Form von typographisch abgehobenen pattern-Angaben bzw. -Illustrationen (vgl. Herbst 1996:329) vor der Definition oder den Beispielen vermittelt.

192 niger umfangreiche Kontextualisierungen erscheinen, ohne eine weitere Feinunterscheidung vorzunehmen. In Bezug auf diese Grobunterscheidung weisen die beiden Wörterbuchlandschaften deutliche Unterschiede auf, die in den einzelnen Wörterbüchern mehr oder weniger stark ausgeprägt sind. Betrachtet man die französische Wörterbuchlandschaft insgesamt, so ist der Anteil an Kontextualisierungen gegenüber vollständigen konstruierten Sätzen erheblich höher als in der englischen. Dies trifft in besonderem Maße auf NPR zu, wo unter den konstruierten Beispielen nur wenige vollständige Sätze nachzuweisen sind, außerdem auf PL, und zwar unbeschadet der Tatsache, daß PL generell viel weniger beispielreich ist als NPR. In MR und DFColl halten sich Beispielsätze und Kontextualisierungen dem Augenschein nach etwa die Waage; in LEXIS dagegen sind ganze Sätze häufiger als Kontextualisierungen. Während also auf französischer Seite insgesamt ein relativ hoher Anteil an Kontextualisierungen zu verzeichnen ist, überwiegen auf englischer Seite insgesamt die Satzbeispiele. Besonders ausgeprägt ist diese Tendenz in COBUILD, das ausschließlich Satzbeispiele verwendet, und in LDOCE, wo der Anteil an Kontextualisierungen außerordentlich gering ist. Auch COD zeigt - bei einer insgesamt deutlich geringeren Anzahl an Beispielen - eine Bevorzugung des Satzbeispiels vor der Kontextualisierung, allerdings mit der Besonderheit, daß in den finiten Sätzen meist das Subjekt ausgespart wurde. Bei OALD schließlich liegen die Anteile von Satzbeispielen und Kontextualisierungen ungefähr gleich hoch. Eine weitere Auffälligkeit im Vergleich der Wörterbuchlandschaften, die bereits angeklungen ist, ist die Zahl der Beispiele schlechthin. Während sie in den Lernerwörterbüchern beider Wörterbuchlandschaften als hoch einzustufen ist, läßt sich bei den allgemeinen Wörterbüchern eindeutig ein Unterschied feststellen. Der Beispielteil nimmt in französischen allgemeinen Wörterbüchern tendenziell einen viel größeren Raum ein als in englischen. Dies gilt sowohl für die Anzahl der Beispiele pro angesetzter Bedeutung als auch für die Anzahl der Beispiele pro Artikel, hängt also nicht nur damit zusammen, daß, wie in Kapitel 5.1 im Zusammenhang mit den Artikelbauplänen dargestellt, französische Wörterbücher weniger Hauptbedeutungen unterscheiden als englische. NPR und LEXIS sind außerordentlich beispielreich, PL bleibt dahinter zurück, dürfte aber COD nicht unterlegen sein. COD ist sowohl im Vergleich mit den französischen Pendants als auch im Vergleich mit den englischen Lernerwörterbüchern recht beispielarm. Ein Blick auf CHAMBERS, das keine Beispiele enthält, sowie auf die amerikanisch beeinflußten Konkurrenten von COD zeigt jedoch, daß COD innerhalb der Wörterbücher seiner Kategorie eher noch die Spitzenposition besetzt.40 Der hohe Beispielreichtum französischer allgemeiner Wörterbücher wird einerseits durch die Präsenz von Zitaten, andererseits durch die hohe Zahl an Kontextualisierungen erreicht. Ergebnis des Kapitels ist also, daß auf der französischen Seite der Anteil an Kontextualisierungen an der Gesamtzahl der Beispiele recht hoch ist, während auf der englischen Seite Kontextualisierungen gegenüber ganzen Sätzen weniger ins Gewicht fallen. Durch 40

Longman Dictionary of the English Language (1984) dürfte COD in puncto Beispiele kaum übertreffen, Collins English Dictionary 3 (1991, updated 1994, reprinted 1995) ist extrem beispielarm. Die Sonderstellung von COD geht auch aus dem Vorwort von CODI (1911) hervor, wo der Gebrauch von Beispielen als "copious for so small a dictionary" herausgestellt wird (zit. nach COD5 1964, repr. 1972:VI).

193 die große Anzahl an Kontextualisierungen und die Aufrechthaltung des formalen Dualismus zwischen zitierten und konstruierten Beispielen ist die Dichte der Beispiele in den französischen allgemeinen Wörterbüchern tendenziell erheblich höher als auf englischer Seite.

6.2.2 Interpretation Eine Erklärung für den auffälligen Reichtum der französischen Wörterbücher an dem Beispieltyp, der hier als Kontextualisierung bezeichnet wird, ist in Quemada (1967:534ff.) und Hausmann (1987:11 lf.) vorgezeichnet. Folgt man diesen beiden Autoren, so wurzelt der Reichtum in der Entstehungsgeschichte der französischen Lexikographie. Wie im vorigen Kapitel bereits dargestellt, finden sich erste Beispiele für konstruierte Kurzkontextualisierungen in frühen französisch-lateinischen Wörterbüchern. Diese frühe Lexikographie des Französischen wie auch der anderen europäischen Sprachen leitet sich aus einer Tradition her, die - aufbauend auf einsprachigen lateinischen Glossaren des Mittelalters - im 13. und 14. Jahrhundert eine lateinische Nomenklatur mittels volkssprachlicher Äquivalente und Glossen erklärte, wenn kein lateinisches Äquivalent zur Verfügung stand. Bei der "Umkehrung" dieser Werke im 16. Jahrhundert wurden die französischen Äquivalente zu Elementen der Nomenklatur, und die französische Phraseologie, die vorher der Paraphrasierung unübersetzbarer lateinischer Ausdrücke gedient hatte, wurde mit übernommen. Diese Praxis findet sich zum Beispiel in der Estienne-Nicot-Serie. Die Belegung durch kurze Kontextualisierungen wurde von der Acadömie fran9aise, die durch ihre Zusammensetzung nicht auf Zitate angewiesen war, fortgeführt und durch das Prestige ihres Wörterbuchs bis in die Gegenwart transportiert.41 Hinzu kommt, wie Hausmann (1982:186ff.) ausfuhrlich darstellt, daß die französischen allgemeinen Wörterbücher durch einen Spezialwörterbuchtyp beeinflußt wurden, der ausschließlich der Beschreibung von kurzen, kollokationsartigen Verbindungen diente - das dictionnaire d'epithetes, das seine größte Blüte im Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts erlebte. Epitheta Wörterbücher waren konzipiert als Hilfe bei der (rhetorischen) Textproduktion und seit dem 17. Jahrhundert auch als Instrumente der Sprachpflege.42 Offenbar bestand also in Frankreich eine große Nachfrage nach dieser Art von Information, so daß sich die aus der zweisprachigen Lexikographie übernommene Tradition der Kurzkontextualisierung auch in den allgemeinen Wörterbüchern halten und bis in die aktuelle Lernerlexikographie fortpflanzen konnte. Die große Zahl, in der solche Verbindungen wie auch literarische Zitate als modeles superieurs in den allgemeinen einsprachigen Wörterbüchern des Französischen aufgeführt

41

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Das Prestige des zitierenden Wörterbuchs von Johnson macht Hausmann (1987:11 lf.) dagegen für die Bevorzugung von Zitaten gegenüber Kollokationen in der englischsprachigen Lexikographie verantwortlich. Vermutlich bezieht er sich hier auf OED; allerdings muß bedacht werden, daß die an COBUILD beteiligte Fox (1987:138) Johnson und Murray als Vorläufer für die Politik des authentischen Beispiels in COBUILD nennt. Als wichtigste Epithetawörterbücher des 16. und 17. Jahrhunderts nennt Hausmann (1982:192f.) LA PORTE (1571), LANOUE (1596) und MONTMERAN (1645). Zur weiteren Entwicklung dieses Wörterbuchtyps und seinem Fehlen in der heutigen französischen Wörterbuchlandschaft vgl. Hausmann (1982:192ff.).

194 werden, qualifiziert diesen Wörterbuchtyp in hohem Maße als Produktionswörterbuch für den erwachsenen Muttersprachler. Dies zeigt, daß die "Erziehung" erwachsener Muttersprachler zu korrektem und "vorbildlichem" Sprachgebrauch ein wichtiger Punkt des normativen und sprachpflegerischen Programms allgemeiner einsprachiger Wörterbücher in Frankreich ist. Vergleicht man die französische Situation nun mit der in England, wo Satzbeispiele bevorzugt werden, so fallen zwei Unterschiede ins Auge. Zwar stammen die frühen Wörterbücher des Englischen aus einer analogen zweisprachigen Tradition. Der Schwerpunkt der frühen einsprachigen Lexikographie des Englischen lag jedoch auf der Vermittlung von hard words und technical terms; idioms, Komposita und Wortverbindungen wurden erst nachträglich im 18. Jahrhundert aus den paraphrasierenden Übersetzungen der zweisprachigen lateinisch-englischen Lexikographie übernommen43 und hatten damit von Anfang an nicht dieselbe Verwurzelung in der Tradition wie in Frankreich. Das Epithetawörterbuch als Typus eines syntagmatischen Spezialwörterbuchs konnte sich in England nie etablieren, was darauf hindeutet, daß das Interesse an dieser Art von Information auch in späteren Jahrhunderten gering war.44 Die englische Lexikographie des frühen 20. Jahrhunderts, die COD und CHAMBERS hervorbrachte, konnte also nicht auf einen traditionell überlieferten Schatz an Kontextualisierungen zurückgreifen, noch hatte sie Verwendung für zitierte Beispiele wie OED. Dies dürfte der Grund für ihre ausgesprochene Beispielarmut gegenüber französischen Wörterbüchern sein. Damit fehlte auch eine Tradition des lexikographischen Beispiels, die sich als Grundlage für die neu entstehende Lernerlexikographie angeboten hätte. Der große Beispielreichtum ist eines der Hauptmerkmale, das die englischen Lernerwörterbücher von Wörterbüchern für ein allgemeines Publikum unterscheidet. Ausschlaggebend, so Hausmann (1987:109ff.), war der Einfluß von Thorndykes "The psychology of the School Dictionary" (1928) und der darauf aufbauenden amerikanischen Tradition des beispielreichen Schulwörterbuchs45 s o w i e v o n d e r d u r c h T h o r n d i k e b e e i n f l u ß t e n GRAMMAR OF ENGLISH WORDS (PALMER

1938), die ebenfalls bereits Beispiele in vollständigen Sätzen aufführte. 46 Die Philosophie des Verwendungsbeispiels wurde also aus didaktischen bzw. fremdsprachendidaktischen Zusammenhängen in die Lernerwörterbücher übernommen und ist pädagogisch motiviert. In England bildete sich damit eine Wörterbuchlandschaft heraus, die durch beispielarme allgemeine Wörterbücher und beispielreiche Lernerwörterbücher gekennzeichnet ist, in Frankreich dagegen eine Wörterbuchlandschaft, in der sowohl allgemeine als auch Lernerwörterbücher eine hohe Dichte an Beispielen aufweisen. Dies dürfte auch wiederum damit zusammenhängen, daß in Frankreich beiden Wörterbuchtypen die Funktion von Produktionswörterbüchern und außerdem eine Rolle als "Erziehungsinstrument" zugeschrieben wird, während in England nur das Lernerwörterbuch für Produktionszwecke entworfen ist. Damit ist die Dichte der Beispiele in den beiden Wörterbuchtypen ein weiteres Glied im Netz der Hinweise, die darauf schließen lassen, daß die französische Wörterbuchlandschaft

«

Vgl. hierzu Osselton (1983:14ff.) und Osselton (1979:557ff.).

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Vgl. Hausmann (1989a: 101 lf.). Die einzelnen Titel der Thorndike-Barnhart-Serie sind in Hausmann (1987:108f.) aufgeführt. Zum Verhältnis von Satzbeispiel und Kontextualisierung in OALD1 (1948) äußet sich Cowie (1995). Der Anteil an Satzbeispielen gegenüber Kontextualisierungen in der englischen Lernerlexikographie dürfte zwischenzeitlich noch gestiegen sein.

45 46

195 bezüglich der Wörterbuchtypen relativ homogen ist, die englische dagegen mehr Brüche aufweist. Im bisherigen Verlauf der Diskussion sind Satzbeispiele und Kontextualisierungen einander als Blöcke gegenübergestellt worden. Eine Feingliederung nach Untertypen der Kontextualisierung ist, wie bereits dargestellt, methodisch problematisch. Dennoch wäre es für die Thematik der vorliegenden Arbeit von besonderem Interesse, zu ermitteln, welche Bedeutung speziell kollokationsartige Wortkombinationen im Rahmen der lexikographischen Beispiele haben, da sich die Frage nach der Rolle von Kollokationen schon in der Diskussion um Definitionsstile und um die Abgrenzung der Bedeutungen als wichtiges Unterscheidungskriterium der Wörterbuchlandschaften erwiesen hatte. Eine objektive Antwort auf diese Frage ist deshalb nicht leicht zu geben, weil kollokationsartige Verbindungen im Beispielteil sowohl in "Reinform" als auch über infinitivische Kontextualisierungen oder über ganze Sätze vermittelt werden können und weil eine Abgrenzung gegenüber freien Kombinationen auf der einen Seite und idioms auf der anderen Seite nicht ohne weiteres möglich ist. 47 Die Frage nach der Behandlung von Kollokationen und ihren "kulturellen" Implikationen soll in Kapitel 7 aus einer etwas anderen Perspektive wieder aufgegriffen werden. Trotz der genannten Probleme kann man aber schon hier die Annahme aufstellen, daß der formale Beispieltyp, der hier als Kontextualisierung bezeichnet wird, in höherem Maße als das vollständige Satzbeispiel geeignet ist, den Charakter von "Halbfertigprodukten des Formulierens", der Kollokationen zugeschrieben wird (Hausmann 1993:8), zu vermitteln. Wenn also in den französischen Wörterbüchern eine besondere Vorliebe für die Kontextualisierung als Beispieltyp besteht, so kann man das wohl als Hinweis darauf werten, daß der Beispielteil in diesen Wörterbüchern eine privilegierte Rolle bei der Vermittlung von Informationen über Kollokationen spielt. Wenn englische Lernerwörterbücher dagegen Satzbeispiele vorziehen, so muß man fragen, ob sie andere Wege finden, um den versatzstückartigen Charakter von Kollokationen zu transportieren. Mit Blick auf die Ergebnisse aus den Kapiteln 4 und 5, die sich auf die Ebenen der Definitionen und der Artikelbaupläne konzentriert hatten, ist diese Frage zu bejahen. Dort war nachgewiesen worden, daß in der englischen Lernerlexikographie Kollokationen bereits bei der Beschreibung und Abgrenzung der Hauptbedeutungen relevant werden, während in der französischen Lexikographie Bedeutung auf dieser Ebene als immanente "Grundbedeutung" präsentiert wird. Wenn die französischen Wörterbücher unter diesen Umständen einen formalen Beispieltyp bevorzugen, der sich besonders für die Vermittlung von Informationen über Kollokationen eignet, so liegt der Schluß nahe, daß solche Informationen in den betroffenen Wörterbüchern tatsächlich auf den Beispielteil beschränkt bleiben. Führt man die Ergebnisse aus der Diskussion der Artikelbaupläne, der Definitionen und der Beispiele nun zusammen, so dürfte die unterschiedliche Politik in der Behandlung von Kollokationen einerseits auf Einflüsse operationeller bzw. mentalistischer Bedeutungstheorien zurückzuführen sein, andererseits aber auch darauf, daß der traditionelle "Stammplatz" von

47

Zöfgen (1985:51) legt Kriterien zur Abgrenzung von Kollokationen gegen freie Kombinationen vor, deren Anwendung im vorliegenden Zusammenhang aber viel zu aufwendig wäre. Nur wenige Wörterbücher, wie z.B. O A L D und auch LANGENSCHEIDTS GROBWÖRTERBUCH DEUTSCH ALS

FREMDSPRACHE, setzen Verbindungen, die sie als Kollokationen präsentieren wollen, im Beispielteil graphisch ab. LDOCE verzeichnet Kollokationen fett und ggf. mit einem bedeutungserläuternden Glossat unmittelbar vor dem entsprechenden Beispiel.

196 Kollokationen im Verständnis französischer Lexikographen eben im Beispielteil und nicht im Definitionsteil liegt.48 In Kapitel 4 war darauf hingewiesen worden, daß die neueste Entwicklung in der englischen Wörterbuchlandschaft die Unterscheidung von langue und parole in Frage stellt, indem die Verwendung von Wörtern in sehr spezifischen lexikalischen Kontexten als relevant für die Identifizierung und Beschreibung von Bedeutung erachtet wird. Betrachtet man im Vergleich dazu metalexikographische Äußerungen aus französischer bzw. romanistischer Sicht, so läßt sich eine entschiedene Aufrechterhaltung der Dichotomie und eine klare funktionale Trennung sowohl der Bauteile des Wörterbuchartikels als auch der verschiedenen Beispieltypen in Hinblick auf die Situierung zu langue, parole und Norm (im Coseriuschen Sinne des Zwischenbereichs zwischen langue und parole) erkennen.49 Die Lemmata und Definitionen bilden die Domäne der langue; Norm und parole werden im Beispielteil situiert. Zitierte Beispielsätze werden dabei meist als Manifestation von parole interpretiert, kurze Kontextualisierungen, die Aussagen über Kollokationen machen, werden als Repräsentanten der Norm betrachtet bzw. am Übergang zwischen langue und parole angesiedelt, und konstruierte Beispielsätze werden von manchen Autoren der parole, von anderen der Norm zugeordnet. Kollokationen als Repräsentanten der Norm bleiben also auch nach der Doktrin der Metalexikographen auf die Ebene des Beispielteils beschränkt. Dies wird auch im Vorwort von NPR bestätigt: Zum Informationsprogramm der Artikel heißt es, es müsse "l'entourage du mot, les collocations [...], les locutions [...], et aussi les constructions syntaxiques, les difficultös d'emploi" zeigen, und zwar "aprös la döfinition" (X). Ganz anders in COBUILD (XVIII): "In our definitions, we try to show the typical collocates of a word". Dies schließt natürlich nicht aus, daß Kollokationen in den Satzbeispielen erneut aufgegriffen und demonstriert werden - die Vermittlung typischer Kontexte im Beispielteil ist ja sogar eine erklärte Zielsetzung der englischen Lernerwörterbücher. Entscheidend ist, daß Kollokationen als "Gebrauchsanweisungen" für die Verwendung von Wörtern darüber hinaus schon auf der Ebene der Definitionen und Artikelbaupläne relevant werden, die den "Halbfertigcharakter" solcher Verbindungen auf einer höheren Ebene der Generalisierung vermitteln können, als dies in Verwendungsbeispielen möglich ist. In den französischen Wörterbüchern bleiben Informationen über Kollokationen dagegen traditionsgemäß dem Beispielteil vorbehalten. Auf der französischen Seite sind Definitionsteil und Beispielteil von ihrer Funktion her also komplementär, indem sie einerseits Informationen über Bedeutung unabhängig vom Gebrauch und andererseits Informationen über den Gebrauch vermitteln, auf der englischen Seite übernehmen sie dagegen ähnlichere Funktionen, da Bedeutung gleich Gebrauch ist. Hier liegt auch ein Ansatzpunkt zur Erklärung der ausgesprochen allergischen Reaktion auf die Umkehr der Reihenfolge von Definition und Beispiel im DFV. Bedeutung wird hier grundsätzlich als abhängig vom

48

49

Vielleicht ist bezeichnend, daß gerade der Romanist Zöfgen (1994:183) sich bei der Besprechung der Politik gegenüber Kollokationen in englischen und französischen Wörterbüchern dafür stark macht, daß "dieser Datentyp seinen angestammten Platz im Demonstrationsteil behält". Vgl. Harras (1989:608), Hausmann (1985a:118), Martin (1969:53) und Rey-Debove (1970b:1054). Harras (1989:608) ordnet außerdem Beispiele, die eine Aussage über die Syntax des Lemmazeichens machen (Typ donner qc ä qri) und, wie oben dargelegt, in den hier betrachteten Wörterbüchern praktisch keine Rolle spielen, der langue zu.

197 Gebrauch hingestellt, was als Angriff auf das Dogma vom Verhältnis von langue und parole interpretiert wurde und mit zum Scheitern dieses Wörterbuchs beitrug.50 Mit diesen Überlegungen ist die Frage nach dem Verhältnis von Beispielteil und anderen Bauteilen des Wörterbuchartikels bei der Vermittlung bestimmter Arten von Information angeschnitten. Dem letzten Kapitel wird vorbehalten bleiben, diese Frage exemplarisch am Beispiel der Vermittlung von Informationen zu Kollokationen zu vertiefen und darüber hinaus weitere Ergebnisse dieser Arbeit im Licht der Politik der Wörterbücher gegenüber Kollokationen zu überprüfen.

6.3

Zusammenfassung

In der Konzeption der Beispielteile weisen die beiden Wörterbuchlandschaften deutliche Unterschiede auf, sowohl, was die Auswahl der Quellen anbetrifft, als auch in Hinblick auf die materielle Form der lexikographischen Beispiele und die Anzahl, in der sie vertreten sind. Bei der Suche nach Erklärungen ließ sich des öfteren ein Zusammenhang mit bestimmten "kulturellen" Konstellationen herstellen, deren Bedeutung für die Lexikographie schon in früheren Kapiteln postuliert worden war; andere Unterschiede verlangten nach neuen Interpretationen. Die Bedeutung der präskriptiven Norm und ihrer in der französischen Kulturgeschichte verankerten spezifischen Ausprägung war im Zusammenhang mit Selektion und Markierungsangaben bereits angesprochen worden. So entspricht es der Erwartung, daß sie in den französischen Wörterbüchern auch in der Entscheidung für zitierte Beispiele mit Belegstellenangabe und in der Wahl der Quellen (geschriebene literarische Texte etablierter Autoren, die bis ins 17. Jahrhundert zurückgehen können, jedoch die neuesten Jahre aussparen) zum Tragen kommt. Wo in der englischen Wörterbuchlandschaft authentisches Material herangezogen wird (d.h. neuerdings in den Lernerwörterbüchern), werden aktuelle Gebrauchstexte und Beispiele gesprochener Sprache bevorzugt, die unsigniert bleiben. Dies wurde als Streben nach der Repräsentation einer echten statistischen Norm und damit nach "Wissenschaftlichkeit" und "Objektivität" interpretiert. Unterschiedliche Konstellationen in der Geschichte der Lexikographie scheinen dagegen relevant im Zusammenhang mit der Bevorzugung unterschiedlicher materieller Beispielformen in den beiden Wörterbuchlandschaften. Die französischen Wörterbücher beider Typen sind sehr reich an kurzen Kontextualisierungen, während sich dieser Beispieltyp in der englischen Wörterbuchlandschaft gegenüber vollständigen Sätzen nicht in der gleichen Weise durchsetzen konnte. Dies dürfte mit unterschiedlichen Zeitpunkten der Übernahme von Phrasen aus der lateinisch-volkssprachlichen Tradition in die einsprachigen Wörterbücher zusammenhängen; außerdem wurde in diesem Zusammenhang auf das Fehlen von Epithetawörterbüchern in England aufmerksam gemacht. Was die Zahl der Beispiele in den allgemeinen Wörterbüchern anbelangt, so wurde der Beispielreichtum allgemeiner französischer Wörterbücher und die relative Beispielarmut ihrer englischen Pendants darauf zurückgeführt, daß die französische Gesellschaft sowohl dem allgemeinen als auch dem Ler50 Vgl. Hausmann (1990a:230f.), Lagane (1990:1375) und Rey (1995a:108).

198 nerwörterbuch eine Rolle als Produktionswörterbuch und einen pädagogischen Auftrag zuschreibt, die englische dagegen nur vom Lernerwörterbuch die Qualitäten eines Produktionswörterbuchs verlangt. Mit diesen Ergebnissen ließen sich auch zwei weitere Anhaltspunkte finden, die die bereits mehrfach aufgestellte These von der größeren Homogenität der französischen Wörterbuchlandschaft im Vergleich zur englischen erhärten können, und zwar sowohl in Hinblick auf unterschiedliche Wörterbuchtypen als auch auf die historische Entwicklung der lexikographischen Tradition. Literarische Zitate in normativer Funktion finden sich vom 17. Jahrhundert bis heute und in mehrbändigen philologischen Wörterbüchern wie auch in den hier untersuchten allgemeinen einsprachigen Wörterbüchern, während die Tradition der normativen Zielsetzung in England abgerissen zu sein scheint. Außerdem ist Lernerwörterbüchern und allgemeinen Wörterbüchern in Frankreich eine hohe Dichte an Beispielen gemeinsam, in England dagegen ist der unterschiedliche Beispielreichtum gerade einer der Hauptunterschiede zwischen allgemeinen Wörterbüchern und Lernerwörterbüchern. Zum Abschluß des Kapitels war die Frage aufgeworfen worden, wie das Verhältnis und die Funktion des Beispielteils zu anderen Bauteilen des Wörterbuchartikels und speziell zum Definitionsteil zu beurteilen ist. Anlaß für diese Frage war die Vermutung gewesen, daß die kurze Kontextualisierung ein Beispieltyp ist, der sich besonders für die Vermittlung von Informationen über Kollokationen eignet. Die traditionell hohe Präsenz kurzer Kontextualisierungen in französischen Wörterbüchern wurde dahingehend interpretiert, daß Kollokationen in der französischen Tradition bevorzugt im Beispielteil abgehandelt werden. Umso plausibler werden vor diesem Hintergrund die Überlegungen aus Kapitel 4 und 5, die zu dem Ergebnis geführt hatten, daß in französischen Wörterbüchern aufgrund von Zusammenhängen mit mentalistischen Bedeutungstheorien nur "Grundbedeutungen" auf der Ebene der Definitionen und Artikelbaupläne relevant sind. Lexikographische Traditionen und Einflüsse unterschiedlicher Bedeutungsmodelle scheinen also gemeinsam dafür verantwortlich zu sein, daß "Bedeutung" und "Verwendung" in den französischen Wörterbüchern streng getrennt und auf verschiedene Bauteile des Wörterbuchartikels verteilt bleiben, während sie in der hier besprochenen Generation englischer Lernerwörterbücher quasi synonym geworden sind. Die lexikographische Behandlung von Kollokationen spielt damit eine Kernrolle in mehreren Kapiteln der vorliegenden Arbeit. Deshalb soll das Abschlußkapitel ganz ihrer Diskussion gewidmet sein. Dabei soll auch versucht werden, die These, nach der Kollokationen in den französischen Wörterbüchern bevorzugt im Beispielteil, in den englischen dagegen im Definitionsteil abgehandelt werden, auf statistischem Weg zu bestätigen.

7 Kollokationen

7.1

Fragestellung und methodische Überlegungen

Im Verlauf der vorliegenden Arbeit hat sich die lexikographische Behandlung von Kollokationen in mehrfacher Hinsicht als Angelpunkt der Unterschiede speziell im Bereich der Lernerwörterbücher erwiesen. Deshalb soll sie im letzten Kapitel nochmals gezielt und zusammenfassend betrachtet werden. Anders als die bisherigen Kapitel geht diese Untersuchung also nicht von formalen Strukturen und Strukturelementen im Wörterbuch aus Markierungsangaben, Definitionen, Artikelbauplänen oder Beispielen - , um Unterschiede in ihrer Konzeption aufzudecken. Vielmehr wird ein konkretes sprachliches Phänomen in den Vordergrund gestellt, nach dessen formaler Umsetzung im Wörterbuchartikel gefragt werden soll. Kollokationen waren bisher bereits im Zusammenhang mit Definitionstechniken, mit der Abgrenzung der Bedeutungen in den Artikelbauplänen und mit dem Beispielteil diskutiert worden. Ziel des Kapitels ist nun die Überprüfung, Bestätigung und gegebenenfalls die Korrektur der bisherigen Ergebnisse. Damit stellt Kapitel 7 gleichzeitig einen Rückblick, eine Zusammenfassung und eventuell ein Korrektiv für ein Kerngebiet dieser Arbeit dar. Das Kapitel konzentriert sich auf die englischen und französischen Lernerwörterbücher. Dabei sollen die folgenden Aspekte der lexikographischen Behandlung von Kollokationen zur Debatte gestellt werden: (1) Wie steht es um die Anzahl der berücksichtigten Kollokationen? Da Kollokationen ein cheval de bataille des britischen Kontextualismus und der unter seinem Einfluß stehenden Lernerlexikographie sind, da die Berücksichtigung von Kollokationen als Neuheit der neuen Auflagen in den Vorwörtern und Benutzungsanweisungen marktwirksam verkündet wird, 1 und da die Zielgruppe englischer Lernerwörterbücher tatsächlich stark auf diese Art von Informationen angewiesen ist, kann man wohl annehmen, daß die englischen Lernerwörterbücher eine gute Berücksichtigung anstreben. Gleichzeitig hatte sich in der Diskussion um lexikographische Beispiele aber herausgestellt, daß die französische Lexikographie eine sehr starke Tradition der Vermittlung von Informationen zu Kollokationen im Beispielteil besitzt. Welche der beiden Wörterbuchlandschaften sich letztlich als stärker im Hinblick auf die Anzahl der berücksichtigten Kollokationen erweist, bleibt abzuwarten.

(2) An welcher Stelle in der Lemmareihe werden Kollokationen abgehandelt, d.h. findet der Benutzer sie unter der Basis oder unter dem Kollokator? Aus fremdsprachendidaktischer Position wird argumentiert, daß Kollokationen aus einem determinierten Teil, der Basis, und einem determinierenden Teil, dem Kollokator, bestehen und daß der Benutzer, der das Wörterbuch zur Textproduktion verwendet, unter der Basis nachschlägt, um einen passenden Kollokator zu finden. 2 Wenn man davon ausgeht, daß englische Wörterbücher auf-

1 2

Vgl. OALD (VI), LDOCE (XI) und (XVI), COBUILD (IX f.) und (XVIII). Vgl. z.B. Cop (1990: 38ff.), Cowie (1989:62), Hausmann (1985a:l 19), Zöfgen (1994:163ff.).

200 grund ihres Zielpublikums, das auf besondere Hilfe bei der Textproduktion angewiesen ist, vor allem als Produktionswörterbücher konzipiert sind, dann milßten die englischen Lernerwörterbücher diesen Punkt berücksichtigen. Zu erwarten wäre also ein höherer Anteil an Eintragungen unter der Basis als in den französischen Wörterbüchern, deren vorwiegend muttersprachliche Benutzer hier mit weniger Hilfe auskommen. ( 3 ) In w e l c h e m Bauteil der Wörterbuchartikel w e r d e n K o l l o k a t i o n e n behandelt? Diese Frage greift die Überlegungen wieder auf, die am Ende der Diskussion um die materielle Form lexikographischer Beispiele gestanden hatten. Wenn in der englischen Lexikographie der Einfluß operationeller Bedeutungstheorien vorausgesetzt wird, dann ist zu erwarten, daß Kollokationen verstärkt im Definitionsteil berücksichtigt werden, wo ihnen eine bedeutungsstiftende Rolle zugewiesen wird. In der französischen Lexikographie dagegen ist eine Behandlung im Beispielteil wahrscheinlicher, zum einen aus Gründen der lexikographischen Tradition, zum anderen, da - den Einfluß mentalistischer Bedeutungstheorien vorausgesetzt - in der Definition nur kontextunabhängige "Grundbedeutungen" Platz finden. D i e s e Fragestellungen ähneln denen v o n B a h n s (1996:69fF.), der eine größere A n z a h l an e n g l i s c h e n Wörterbüchern a u f ihre B e h a n d l u n g v o n V e r b - N o m e n - K o l l o k a t i o n e n hin systematisch auswertet, und denen v o n Z ö f g e n ( 1 9 9 4 : 1 7 0 ff.), der dasselbe für e i n e R e i h e v o n französischen Wörterbüchern leistet. 3 B e i d e n Autoren geht es allerdings nicht (oder nicht in erster Linie) um d e n V e r g l e i c h der beiden Wörterbuchlandschaften, sondern um die quantitative und qualitative B e w e r t u n g der Wörterbücher innerhalb einer j e d e n Wörterbuchlandschaft. 4 Ihre Ergebnisse lassen sich hier nicht direkt verwerten, da sie sich a u f ältere A u f l a g e n der hier interessierenden Wörterbücher stützen. 5 Für e i n e e i g e n e Untersuc h u n g wurde deshalb eine Stichprobe aus 55 e n g l i s c h e n und 55

französischen

Verb-No-

m e n - K o l l o k a t i o n e n z u j e w e i l s e l f Substantivbasen z u s a m m e n g e s t e l l t . Grundlage für die Erstellung der Stichprobe waren - w i e auch bei B a h n s und Z ö f g e n - z w e i Spezialwörterbücher für Kollokationen, und zwar LANGENSCHEIDTS KONTEXTWÖRTERBUCH FRANZÖSISCHDEUTSCH ( K F D 2 1 9 9 3 ) und THE BBI COMBINATORY DICTIONARY OF ENGLISH ( B B I 1986). 6 Als Kollokationsbasen

3

4

5

6

wurden die Substantive responsibility/responsabilite,

attention/

Auch Schafroth (1995) legt eine Untersuchung der Behandlung von Kollokationen in französischen Lemerwörterbüchern vor, deren Ergebnisse jedoch aufgrund von Unterschieden in Methode und Erkenntnisinteresse mit den hier erzielten nicht vergleichbar sind. Zöfgen (1994:182f.) zieht allerdings ein generelles Fazit aus seiner Untersuchung, in dem auch die englischen Wörterbücher berücksichtigt werden: Sowohl englische als auch französische Lernerwörterbücher besäßen in der Verzeichnung von Kollokationen in quantitativer Hinsicht "eine mindestens ausreichende, z.T. sogar eine hervorragende Qualität"; qualitativ lägen die Schwächen auf ähnlichem Gebiet, und zwar in der mangelnden Verzeichnung unter der Basis. Auf weitere Untersuchungen zum Thema - allerdings auf erheblich kleinerer empirischer Basis - machen Zöfgen (1994:160, Fußnoten 75, 76 und 164, Fußnote 81) und Bahns (1996:63ff.) aufmerksam. Bahns untersucht О A L D I bis 4, LDOCE1 und 2 und COBUILD1; Zöfgen untersucht DFC (1982), D D F (1989), M R (1988) und andere hier nicht näher interessierende Wörterbücher; zu den von Zöfgen benutzten Auflagen vgl. Zöfgens Literaturverzeichnis (1994:347ff.). Seit 1997 existiert eine überarbeitete Auflage unter dem Titel THE BBI DICTIONARY OF ENGLISH WORD COMBINATIONS. Diese wurde jedoch für die vorliegende Arbeit nicht herangezogen, um die untersuchten Wörterbücher nicht an einem SpezialWörterbuch zu messen, das später als sie entstanden ist.

201 attention, conclusion/conclusion, confidence/confiance, promise/promesse, rule/regie, problem/probleme, difficulty/difficulte, table/table, humiliation/humiliation, visit/visite gewählt. Die ausgewählten Kollokatoren gehen aus Anhang A7 hervor. Im Vergleich zu den Korpora, die Bahns und Zöfgen zugrunde legen, ist die hier verwendete Stichprobe sehr klein.7 Dies scheint jedoch im vorliegenden Zusammenhang vertretbar, da die Untersuchung hauptsächlich der Überprüfung von Ergebnissen dient, die bereits auf anderem Wege zustande gekommen sind. Die Entscheidung für ein externes tertium comparationis bringt einige Probleme mit sich. Zunächst einmal kommt, wie auch Zöfgen (1994:172) zu bedenken gibt, der Reichtum der Wörterbücher an Kollokationen, die nicht in den Spezialwörterbüchern verzeichnet sind, nicht zur Geltung. Bei der Auswertung wurde festgestellt, daß dies eine gar nicht unbeträchtliche Menge ist. Die Alternative, nämlich die in jedem Wörterbuch verzeichneten Kollokationen direkt zugrunde zu legen, wurde aufgrund der bereits diskutierten Schwierigkeiten bei der Identifikation von Kollokationen nicht in Betracht gezogen. Zum zweiten nehmen Inkonsistenzen, Lücken und "Fehler" der Spezialwörterbücher Einfluß auf die Untersuchung.8 Zum dritten - und dies wiegt im vorliegenden Zusammenhang vermutlich am schwersten - sind die Kollokationswörterbücher ja ihrerseits ebenfalls in zwei verschiedenen Wörterbuchlandschaften beheimatet und unterliegen damit denselben kulturellen Einflüssen wie die Lernerwörterbücher. Auch in diesem Fall besteht also die Gefahr, sich in einem "kulturellen Zirkel" zu bewegen. Inbesondere ist anzunehmen, daß die Kollokationswörterbücher unterschiedliche Kollokationsbegriffe zugrunde legen. Nach Auskunft der Vorwörter ist dies auch tatsächlich der Fall, wobei hier nicht gesagt sein soll, daß die von den Kollokationswörterbüchern repräsentierten Kollokationsbegriffe typisch für die jeweilige nationale Tradition wären oder daß sie den Kollokationsbegriffen, die die allgemeinen Wörterbücher der jeweiligen Tradition vertreten, entsprechen müßten. Der britische Kontextualismus und Sinclair ermitteln Kollokationen auf rein statistischer Basis; BBI und KFD haben dagegen gemeinsam, daß Frequenzuntersuchungen bei der Ermittlung von Kollokationen gerade keine Rolle spielen. Hausmann, der im Vorwort zu KFD2 (1993:8) Kollokationen als "Halbfertigprodukte des Formulierens" bezeichnet, scheint eher den psychölinguistischen Aspekt der Verfügbarkeit im Auge zu haben, und ein ähnliches Kollokationsverständnis läßt sich auch in Schriften Bensons nachweisen.9 Weiterhin ist beiden Wörterbüchern gemeinsam, daß sie Kollokationen auf der einen Seite gegen idiomatische Wendungen, auf der anderen gegen freie Kombinationen abgrenzen. Die praktische "Füllung" dieses Kollokationsbegriffs unterscheidet sich jedoch erheblich. Die Auswahl der Beispiele für die Stichprobe wurde so getroffen, daß eine einigermaßen homogene Materialsammlung entstand. Problematisch, aber unvermeidlich ist, daß die Wörterbücher somit an einer subjektiven Auswahl gemessen werden.

7

8

9

Bahns legt 176 Substantivbasen mit insgesamt 1375 Verbkollokatoren zugrunde, Zöfgen 75 Substantivbasen mit 1092 Verbkollokatoren. Für eine ausführliche Diskussion der Schwächen von BBI verweist Zöfgen (1994:163) auf Pätzold (1987); die Stärken und Schwächen von KFD werden in Zöfgen (1994:31 Off.) diskutiert. Vgl. hierzu Bahns (1996:18), der sich in (1996: Iff.) ausführlich zu verschiedenen Interpretationen des Kollokationsbegriffs äußert.

202 BBI schließt auch grammatical collocations des Typs to decide on, a pleasure to + inf. ein, ebenso zum Teil Verbindungen eher idiomatischen Charakters. 10 KFD verwahrt sich zwar in der Einfuhrung (KFD2 1993:9) gegen derartige Wendungen, Zöfgen (1994:171) weist ihm jedoch einige nach. Beide Wörterbücher fuhren auch Verbindungen auf, die man ebenso gut als freie Kombinationen betrachten könnte. Bei der Zusammenstellung der Stichprobe wurde eine Beschränkung auf Verb-Nomen-Kollokationen vorgenommen, bei denen das Nomen die Satzfunktion des direkten Objekts erfüllt. Idioms und Kombinationen, die freieren Charakter haben, wurden soweit möglich nicht in die Stichprobe aufgenommen. 11 Die Auswahl aus dem Angebot der Kollokationswörterbücher geschah durchaus auf intuitiver Basis - immerhin gehört die Verfasserin der Zielgruppe von Lernerwörterbüchern ja selbst an und kann daher ein - natürlich nicht repräsentatives - Urteil darüber abgeben, ob sie eine Verbindung als frei produzierbar betrachtet oder sie im Wörterbuch zu finden hofft. 1 2 Ebenfalls auf intuitiver Basis wurde darauf geachtet, daß die ausgewählten Kollokationen eine gewisse "Gängigkeit" besitzen, d.h. daß hohe Relevanz für fortgeschrittene Lerner gewährleistet ist. Auf eine identische Zahl der Kollokatoren pro Basis auf englischer und auf französischer Seite wurde verzichtet. Die ausgewählten englischen und französischen Kollokationen sind zum Teil bedeutungsäquivalent, jedoch war dies kein Kriterium fur die Auswahl. Bahns und Zöfgen interessieren sich jeweils primär fur einen Vergleich der Wörterbücher innerhalb ein und derselben Wörterbuchlandschaft; ihre Methoden bei der Auszählung der Korpusbeispiele sind nicht ganz identisch. Angepaßt an das besondere Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie - den Vergleich über zwei Wörterbuchlandschaften hinweg - und an die Gegebenheiten der neuesten Wörterbuchauflagen wurde hier ein Zählmodus zugrunde gelegt, der in einigen Punkten von den Vorschlägen von Bahns und Zöfgen abweicht. 1 3 Im einzelnen gelten folgende Prinzipien: (1) Was die quantitative Auswertung angeht, so wurde eine Kollokation dann als "verzeichnet" eingestuft, wenn sie in expliziter Form belegt ist. Verzeichnungen, die verlangen, daß der Benutzer Kollokationen aufgrund von im Artikel belegten morphologisch oder semantisch ähnlichen Fällen korrekt ableitet, wurden hier nicht berücksichtigt. 14 So wurden die folgenden Verb-Nomen Kollokationen als "nicht verzeichnet" gewertet: the focus of attention (OALD s.v. attention) > to focus (one's) attention on If you observe something such as a law or custom, you obey it or follow it (COBUILD s.v. observe) > to observe a rule Kleine formale Abweichungen von der im Kollokationswörterbuch angegebenen Form der Kollokation (z.B. tenir ses promesses statt tenir sa promesse, MR s.v. tenir) wurden jedoch toleriert.

Ю Vgl. BBI (1986:IX ff., XXIX). So verfährt auch Zöfgen (1994:171) bei der Auswahl der Kollokationen aus KFD; Bahns (1996:71) dagegen betrachtet das Verzeichnetsein in BBI allein als hinreichenden Nachweis für den Kollokationsstatus. 12 Auch Zöfgen (1994:161) vertritt die Meinung, daß in der lexikographischen Praxis eine gewisse Großzügigkeit gegenüber derartigen Abgrenzungen vertretbar ist, zumal wenn kontrastive Aspekte berücksichtigt werden. 13 Zur Methode dieser beiden Untersuchungen vgl. Bahns (1996:96ff.) und Zöfgen (1994:173ff.). 14 Der Nutzen derartiger Verzeichnungen für den Benutzer soll damit nicht in Abrede gestellt werden. Er ist jedoch schwer objektivierbar, so daß auf die Zählung verzichtet wurde. Bahns zählt solche Fälle mit, Zöfgen sieht dafür eine eigene Kategorie "indirekte Belegung" vor (1994:174). 11

203 (2) Was den Ort der Verzeichnung in der Lemmareihe angeht, so wurde - wie bei Bahns und Zöfgen - die Verzeichnung unter der Basis (d.h. in diesem Fall s.v. Nomen) und die Verzeichnung unter dem Kollokator (d.h. s.v. Verb) unterschieden. (3) Was den Ort der Verzeichnung im Artikel anbetrifft, so wurde unterschieden zwischen der definitionsrelevanten Verzeichnung (D), der Verzeichnung im Beispielteil (B) und der Verzeichnung in besonderen, speziell für Kollokationen vorgesehenen Strukturen (X), sofern das Wörterbuch solche bereithält. 15 (3a) Unter einer defmitionsrelevanten Verzeichnung (D) wird hier verstanden, daß die Kollokation als ganze vor oder in der Hauptdefinition aufgeführt ist. Diese Rubrik soll den adressage souslemmatique erfassen, soweit er semantischer (und nicht formaler) Art ist. Im einzelnen wurden als (D) gewertet: Die Verzeichnungen in der Definition im COBUILD-Stil, mit und ohne Hervorhebung durch Fettdruck (COBUILD, LDOCE): If someone or something attracts your attention or catches your attention, you suddenly notice them (COBUILD s.v. attention) sowie die Verzeichnungen in typographisch abgehobener Form vor der Definition (LDOCE, DFColl): Soulever un probleme, soulever)

une question, les faire naitre, en provoquer la discussion (DFColl s.v.

Eine Verzeichnung, bei der der Kollokationspartner des Lemmazeichens zwar in der Definition genannt wird, aber nicht in direkter syntaktischer Beziehung zu ihm steht, wurde dagegen nicht gewertet. So wird beispielsweise bear2 in OALD, Definition 4(b), mit 'to take responsibility, etc. on oneself umschrieben; trotzdem wird die Kollokation to bear responsibility als nicht verzeichnet betrachtet. 16 Dasselbe gilt für Fälle, in denen der Kollokationspartner als signpost vor der Definition angeführt ist, wie es z.B. in LDOCE für die Kollokation share responsibility (s.v. share) der Fall ist, die dennoch als "nicht verzeichnet" gezählt wird. 17 Fraglich ist, wie die Verzeichnung des Kollokationspartners in Klammern in der Definition gewertet werden soll (z.B. surmonter 'aller au-dela de (un obstacle, une difficult6)', MR s.v. surmonter). Diese Art der Verzeichnung wurde in Kapitel 5 nicht als adressage sous-lemmatique gezählt; dennoch muß die Kollokation hier als aufgeführt gelten, denn die syntaktische Beziehung des Kollokationspartners zum Lemmazeichen geht eindeutig aus der Art der Aufführung hervor. Derart verzeichnete Kollokationen treten in der ausgewerteten Stichprobe nur in MR auf. Sie wurden, wie auch bei Zöfgen, als (D) gezählt. Die Auswertung der Zählung wird jedoch zeigen, daß auch eine Wertung als "nicht verzeichnet" die Schlußfolgerungen nicht wesentlich verändert hätte. (3b) Als "besondere Strukturen" (X) wurden die Verzeichnung in der idiom section in OALD, die Kennzeichnung durch loc. bzw. Kapitälchen in MR und die Verzeichnung hinter Doppelstrich (||) in DFColl gezählt, ebenso der kursive Fettdruck innerhalb des Beispielteils in OALD und der

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Die Kategorie (X) findet keine direkte Entsprechung bei Bahns und Zöfgen, da die von ihnen untersuchten Wörterbuchauflagen andere typographische Gepflogenheiten haben. So verfährt auch Zöfgen (1994:173f.), nicht jedoch Bahns (1996:77), der solche Fälle als verzeichnet wertet. Die Verbindung ist in der folgenden Weise aufgeführt: 5 >RESPONSIBILITY< [T] to be equally responsible for doing something, paying for something etc (LDOCE s.v. share1).

204 Fettdruck vor dem entsprechenden Beispiel in LDOCE.18 All diesen Strukturen wird in den Vorwörtern die Funktion zugewiesen, Informationen über Kollokationen, idioms, locutions u.ä. zu vermitteln. Außerdem ging hier die - in der Praxis sehr seltene - graphisch abgehobene Aufführung vor einer untergeordneten Definition ein. Es handelt sich also hier um eine relativ hybride Kategorie, um ein "Sammelbecken" für unterschiedliche sprachliche Strukturen und typographische Gepflogenheiten, das nicht näher ausgewertet werden soll.19 (3c) Als Aufführung im Beispielteil (B) wurden alle explizit verzeichneten Kollokationen gewertet, die in Kursivdruck nach der Definition auftreten und nicht in die Kategorie (X) fallen. Dies gilt auch für die Aufführung mit einem bedeutungserklärenden Glossat, obwohl hier auch zu rechtfertigen wäre, sie als (X) zu zählen. Eines der Hauptziele der Zählung ist die Beantwortung der Frage, inwieweit Kollokationen bedeutungskonstituierende Funktion zugebilligt wird. Deshalb wird die definitionsrelevante Verzeichnung - anders als bei Bahns (1996:73) und Zöfgen (1994:175) - stets vorrangig gezählt.20 Wird also eine Kollokation in definitionsrelevanter Form verzeichnet und dann im Beispielteil wiederholt, so zählt sie als (D). In gleicher Weise hat die Verzeichnung in einer "besonderen Struktur" Vorrang vor einer eventuellen zusätzlichen Verzeichnung als Beispiel. Dies bedeutet gleichzeitig, daß die Meinung von Zöfgen (1994:183), der richtige, weil "angestammte" Platz von Kollokationen sei im Beispielteil, hier nicht geteilt wird. Die Gründe hierfür werden noch zu erläutern sein. Bezogen auf die Vergleichbarkeit mit den Ergebnissen von Bahns und Zöfgen bedeuteten diese Prinzipien, daß sich die Zahlen zur Anzahl der verzeichneten Kollokationen und zum Verzeichnungsort in der Lemmareihe (s.v. Nomen, s.v. Verb) mit gewissen Vorbehalten miteinander vergleichen lassen. Nicht vergleichbar sind jedoch die Zahlen zum Verzeichnungsort im Artikelinneren (definitionsrelevant, Beispielteil, "besondere Strukturen"), da die Kategorie "besondere Strukturen" keine direkte Entsprechung bei den beiden Autoren hat und da Bahns und Zöfgen bei doppelter Verzeichnung die Verzeichnung im Beispielteil vorrangig zählen, während hier die definitionsrelevante Verzeichnung Priorität hat.

7.2

Ergebnisse und Bewertung

Die Ergebnisse der Zählung, die die drei eingangs gestellten Fragen beantworten soll, gehen aus den Tabellen 11.1 und 11.2 hervor. Tab. 11.1 zeigt die Gesamtzahl der in jedem 18

19

20

LDOCE kennt neben dem Fettdruck vor dem jeweiligen Beispiel einen weiteren Typ des Fettdrucks, der unmittelbar vor einer Definition auftritt. Dieser Fall wurde entsprechend (3a) als deftnitionsrelevant gewertet. Usage Notes und andere Strukturelemente außerhalb der Wörterbuchartikel wurden nicht auf das eventuelle Vorhandensein von Kollokationen geprüft, das prinzipiell durchaus möglich ist, vgl. Bahns (1996:63). Zöfgen schreibt vor 1995 und konnte somit die "Trendwende" zur Berücksichtigung von Kollokationen im Definitionsteil noch nicht absehen; auch Bahns geht von den Vorgängern der aktuellen Generation englischer Lernerwörterbücher aus und berücksichtigt die aktuelle Generation nur in einem kurzen Nachtrag.

205 Wörterbuch verzeichneten Kollokationen in Relation zur höchstmöglichen Gesamtzahl von 55 Verzeichnungen; Doppeleintragungen werden also in der Gesamtsumme (Gesamt 1) nur einfach gezählt. Außerdem verdeutlicht Tab. 11.1 den Anteil an Verzeichnungen unter der Basis (d.h. dem Nomen) und unter dem Kollokator (d.h. dem Verb) in Relation zur Gesamtzahl (Gesamt 1) der im jeweiligen Wörterbuch tatsächlich verzeichneten Kollokationen.21 Aus Tab. 11.2 geht die Anzahl der Verzeichnungen in definitionsrelevanter Form (D), in "besonderen Strukturen" (X) und im Beispielteil (B) hervor. Die Entscheidung, in welcher dieser drei Formen die Eintragung vorgenommen werden soll, muß bei Doppeleintragungen zweimal fallen und kann, wie das Beispiel draw a conclusion in LDOCE zeigt, durchaus unterschiedlich ausfallen - unter dem Nomen ist die Verbindung als (X) verzeichnet, unter dem Verb als (D). Deshalb nehmen die Prozentwerte fur die jeweilige Eintragungsform auf die Gesamtzahl (Gesamt 2) der Verzeichnungen unter Einschluß von Doppeleintragungen Bezug.22 Angesichts des geringen Umfangs der Stichprobe drängt sich die Frage auf, ob eine Angabe in Prozent sinnvoll ist. Andererseits erlauben die Prozentangaben einen Vergleich mit den Zahlen von Bahns und Zöfgen und damit eine vorsichtige Aussage über die Entwicklung der Wörterbücher von der älteren zur hier besprochenen Generation, sofern die Ermittlungsmethode im jeweils untersuchten Aspekt sich nicht wesentlich von der hier verwendeten unterscheidet. Solche Vergleiche werden hier angestellt, allerdings wegen der unterschiedlichen Größe der Stichproben mit aller gebotenen Vorsicht. Tab. 11.1 Kollokationen: Gesamtzahl und Ort der Verzeichnung s.v. Basis/s.v. Kollokator Σ Kollokationen 55 = 100%

LDOCE

OALD

COBUILD

MR

DFColl

Gesamt 1 (ohne Doppeleintragungen) s.v. N (Basis) s.v. V (Kollokator)

39 70,9%

42 76,4%

38 69,1%

36 65,5%

33 60,0%

22 34

29 31

13 36

19 28

13 26

Anteil an Gesamt 1 % s.v. N % s.v. V

56,4% 87,2%

69,0% 73,8%

34,2% 94,7%

52,8% 77,8%

39,4% 78,8%

21

22

Die Summe der Prozentwerte für Eintragungen s.v. Verb und s.v. Nomen ergibt Werte über 100%, die durch Doppeleintragungen zustande kommen. Ist an einem der beiden Verzeichnungsorte lediglich ein Verweis auf den anderen Verzeichnungsort vorhanden, so wurde dies trotzdem als vollwertige Verzeichnung gezählt.

206 Tab. 11.2 Kollokationen: Ort der Verzeichnung im Artikelinneren LDOCE

OALD

COBUILD

MR

DFColl

56

60

49

47

39

21 37,5% 6 10,7% 29 51,8%

0 0% 44 73,3% 16 26,7%

34 69,4%

6 12,8%23

15 30,6% 0 0%

37 78,7% 4 8,5%

12 30,8% 24 61,5% 3 7,7%

1 Ι Gesamt 2 1 (mit Doppel1 eintragungen)

Ρ В Χ

ι

Fragt man nun als erstes nach der Anzahl der Verzeichnungen, so geht die Antwort aus Tab.ll.l relativ eindeutig hervor. Die englischen Wörterbücher sind den französischen ausnahmslos überlegen, wenn auch der Abstand nicht übermäßig groß ausfällt. Interessant ist der Vergleich mit den von Bahns und Zöfgen ermittelten Zahlen für die älteren Auflagen. Die hier untersuchten englischen Wörterbücher erreichen zwischen 69% und 76% der Kollokationen der Stichprobe. Dies bedeutet eine nennenswerte Steigerung gegenüber den Vorauflagen. Diese lagen alle um 40%,24 worin zudem Kollokationen Inbegriffen waren, die gar nicht explizit verzeichnet waren, sondern vom Benutzer aufgrund semantisch oder morphologisch ähnlicher verzeichneter Fälle erschlossen werden mußten. Zum Teil sind die höheren Zahlen sicher darauf zurückzuführen, daß in der vorliegenden Untersuchung "gängige" Kollokationen gewählt wurden - die durchschnittliche Anzahl der Kollokatoren pro Basis liegt erheblich niedriger als bei Bahns, der demnach auch "exotischere" Kollokationen einbezogen haben muß. Gleichzeitig aber ist stark anzunehmen, daß die verstärkte Berücksichtigung von Kollokationen den Einfluß des britischen Kontextualismus und des "COBUILD-Schocks" widerspiegelt. Etwas überraschend ist allerdings, daß COBUILD OALD und LDOCE unterlegen bleibt.2* In den französischen Lernerwörterbüchern dagegen haben Kollokationen offenbar eine längere Tradition und sind erst kürzlich von den englischen Wörterbüchern "überholt" worden: Für DDF (1989) ermittelt Zöfgen (1994:178) 54,7% berücksichtigte Kollokationen, für DFC sogar 56,3%.26 Nach der hier durchgeführten Zählung werden in der Neu23

24

25

26

Diese Zahl kommt ausschließlich durch die Angabe von Kollokationspartnern in Klammern innerhalb der Definitionen zustande. LDOCE2 (1987): 38,5%, OALD4 (1989): 43,9%, COBUILD1 (1987): 39,0% nach Bahns (1996:79). Bahns stellt in seinem Nachtrag zu den aktuellen Auflagen eine nennenswerte Verbesserung in quantitativer Hinsicht nur fiir LDOCE fest (1996:122); seine empirische Basis ist allerdings sehr klein. OALD, das ein besonders kollokationsstarkes Wörterbuch zu sein scheint, nahm nach den Ergebnissen von Bahns (1996:83f.) auch schon in der 3. und 4. Auflage die Spitzenposition unter den jeweiligen Konkurrenten ein. Zur Geschichte der Kollokation im englischen Lernerwörterbuch vgl. Cowie (1999:52ff.). Bei Zöfgen in der Auflage München: Langenscheidt, 1982. Für die aus Zöfgen zitierten Zahlen wird Zöfgens Kategorie "Gesamt 2" zugrunde gelegt, die "indirekte Belegung" in Form von morphologisch oder semantisch ähnlichen Kollokationen nicht einbezieht.

207 auflage von DFColl 60% der Kollokationen der Stichprobe berücksichtigt. Wie einige Stichproben an MR (1979) zeigen, dürfte auch dieser nicht allzu sehr hinter der Neuauflage mit 66% zurückbleiben.27 Die oben formulierten Erwartungen - hohe Kollokationsstärke bei englischen Wörterbüchern aufgrund der Einflüsse des britischen Kontextualismus, beträchtliche Kollokationsstärke auch bei französischen Wörterbüchern aufgrund der lexikographischen Tradition - werden durch diese Zahlen voll bestätigt und lassen sich dahingehend spezifizieren, daß die englischen Lernerwörterbücher des "Zeitalters des Kontextualismus" nun die traditionell kollokationsreicheren französischen überholt haben. Ähnlich verhält es sich mit der zweiten der oben formulierten Erwartungen, wenn auch die Ergebnisse weniger deutlich ausgeprägt sind. Die englischen Lernerwörterbücher, so wurde vermutet, müßten in der Berücksichtigung von Kollokationen unter der Basis (in diesem Fall dem Nomen) besonders stark sein, da sie in besonderem Maße als Produktionswörterbücher konzipiert sind und diese Eignung im Verlauf der Untersuchung auch schon mehrfach unter Beweis stellen konnten. Nun wurden zwar in allen englischen Wörterbüchern mehr Verzeichnungen unter dem Kollokator (dem Verb) als unter der Basis (dem Nomen) gezählt. Immerhin verzeichnen aber OALD mit 69% und LDOCE mit 56% erheblich mehr als die Hälfte aller aufgenommenen Kollokationen (auch) unter der Basis und liegen damit über den Werten von MR (53%) und DFColl (39%). Auch gegenüber den von Bahns ermittelten Werten für die Vorauflagen (LDOCE2 (1987) 50,5%, OALD4 (1989) 52,2%) ist eine Steigerung festzustellen.28 Wenn also die englischen Wörterbücher die Erwartungen, die in diesem Punkt aus der Perspektive des textproduzierenden Lerners an sie gestellt werden könnten, nicht voll erfüllen, so kommen sie doch in den hier besprochenen Auflagen näher daran als ihre jeweiligen Vorgänger und entschieden näher als die französischen Lernerwörterbücher. Offensichtlich haben sich die englischen Lexikographen und ganz besonders die Verfasser von OALD den aus wissenschaftlicher Perspektive immer wieder vorgebrachten Einwand, es werde zu wenig unter der Basis verzeichnet, zu Herzen genommen.29 Überraschend ist, daß wiederum ausgerechnet COBUILD hinter den anderen englischen Wörterbüchern zurückbleibt. Ein Grund könnte sein, daß im britischen Kontextualismus, zu dem COBUILD durch personelle Verflechtungen sicher die größte Nähe aufweist, auf theoretischer Ebene gar keine Unterscheidung nach Basis und Kollokator im Sinne von determiniertem und determinierendem Partner vorgenommen wird. Unterschieden wird vielmehr zwischen node und collocate; dabei steht nicht von vornherein fest, welches Element node und welches collocate ist. Vielmehr ist der node das Element, dessen Kollokationsmuster jeweils analysiert werden. Der Wert der Kollokationen für die semantische Analyse bemißt sich nach der relativen Frequenz der beiden Elemente 27

28

29

Zöfgen benutzt MR (1988), dessen Nachdruck der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegt, und ermittelt für diesen 45,7% (Kategorie "Gesamt 2" ohne "indirekte Belegung"). Die Abweichung gegenüber der hier durchgeführten Zählung muß wohl einerseits auf die unterschiedliche Geläufigkeit der Kollokationen zurückgeführt werden (die ja aber nicht nur die französische, sondern auch die englische Stichprobe betrifft, so daß die Vergleichbarkeit innerhalb der hier durchgeführten Zählung nicht gefährdet ist), andererseits aber auch auf die unterschiedliche Größe der Stichproben. Bahns (1996:79) gibt die Anteile der Verzeichnungen s.v. Nomen und s.v. Verb in absoluten Zahlen an, die hier unter Bezugnahme auf Bahns' Angabe der jeweils verzeichneten Gesamtzahl von Kollokationen in Prozent umgerechnet wurden. Zu OALD vgl. Bahns (1996:123).

208 (ιdownward collations, bei denen das collocate seltener ist als der node, sind fllr die Beschreibung wertvoller). Es wäre also denkbar, daß die Verzeichnung nicht unter Gesichtspunkten des Determinationsverhältnisses, sondern entsprechend der relativen Frequenz der Partner erfolgt.30 Was schließlich den Bauteil der Wörterbuchartikel angeht, in dem Kollokationen bevorzugt abgehandelt werden, so sind die Verhältnisse wiederum recht eindeutig und bestätigen die Erwartungen. In COBUILD und LDOCE beträgt der Anteil der definitionsrelevant verzeichneten Kollokationen 69% bzw. 38%. In DFColl werden 31% erreicht, in MR wenn man die Angabe von Kollokationen in Klammern innerhalb der Definition als definitionsrelevant werten will - nur 13%, wobei MR in der untersuchten Stichprobe keine andere Art der definitionsrelevanten Verzeichnung enthält. Wenn das Vorwort von MR (XIII) hervorhebt, daß Definitionen nötigenfalls auch in Abhängigkeit von ganz spezifischen semantischen Kontexten formuliert werden,31 so ist dies wohl im Vergleich mit der früheren Auflage bemerkenswert, relativiert sich aber im Vergleich mit den englischen Lernerwörterbüchern und auch mit DFColl. Die französischen Wörterbücher verzeichnen also erwartungsgemäß einen deutlich geringeren Anteil an Kollokationen in definitionsrelevanter Form, dafür ist der Anteil an Kollokationen im Beispielteil aber erheblich höher als in LDOCE und COBUILD (MR 79%, DFColl 62,%, COBUILD 31%, LDOCE 11%). Was OALD angeht, so hatte sich bei der Untersuchung der Artikelbaupläne bereits abgezeichnet, daß dieses Wörterbuch aus der englischen Wörterbuchlandschaft ausschert, indem es weniger adressages sous-lemmatiques enthält und der angegebene Kontext zudem häufiger syntaktischer als semantischer Art ist. Diese Tendenz, die auf ein gewisses Verhaftetsein des Wörterbuchs in seiner vergleichsweise langen Tradition zurückgeführt wurde, wird in der Kollokationenzählung noch deutlicher: Kollokationen werden hier ausnahmslos (und in sehr reichem Maße) über den Beispielteil und "besondere Strukturen" vermittelt, nie jedoch in definitionsrelevanter Form. Für DFColl müssen die Ergebnisse aus Kapitel 5 etwas relativiert werden. Dort war gesagt worden, daß in diesem Wörterbuch im adressage sous-lemmatique vorwiegend der formale und funktionale (und nicht der lexikalische) Kontext ausschlaggebend ist und daß es sich dadurch fundamental von den englischen Lernerwörterbüchern unterscheidet. Die hier vorgenommene Untersuchung zeigt nun, daß Kollokationen doch eine nicht zu unterschätzende Rolle beim adressage souslemmatique spielen (31%). Dennoch ist dies in geringerem Maße der Fall als in LDOCE (38%) und vor allem in COBUILD (69%). Wenn also in Kapitel 5 die generelle Aussage gemacht wurde, daß - bedingt durch den Einfluß unterschiedlicher Bedeutungstheorien dem lexikalischen Kontext in englischen Wörterbüchern in höherem Maße bedeutungsstiftende Funktion zugewiesen wird als in französischen, so ist diese Aussage haltbar. Zwar ist es nicht Ziel der vorliegenden Arbeit, eine vergleichende Wertung der unterschiedlichen Vorgehensweisen in den beiden nationalen Traditionen vorzunehmen. Da die Frage nach dem angemessenen Ort für die Verzeichnung von Kollokationen jedoch in der Metalexikographie immer wieder diskutiert wird, soll hier der Versuchung nachgegeben werden, eine Stellungnahme auszusprechen. Wie bereits angedeutet, wird hier die Auffassung, Kollokationen seien am besten im Beispielteil aufgehoben, nicht geteilt. Zöfgen (1994:166) begründet diese Auffassung mit dem Argument, der Benutzer erwarte eine Verzeichnung im Beispielteil und könne die Kollokationen

30

Zu den Begriffen node und collocate vgl. Sinclair (1991:115). > Vgl. Kapitel 5.1.1.

3

209 deshalb dort besser auffinden, Bahns (1996:73) argumentiert, daß der Benutzer meist über den Beispielteil in den Wörterbuchartikel einsteigt, da die Definitionen zu schwer verständlich seien. Dem ist nun aber entgegenzuhalten, daß speziell in englischen Wörterbüchern neuerdings auf zwei verschiedenen Wegen Anstrengungen unternommen werden, die Schwierigkeiten beim Verständnis der Definitionen abzubauen.32 Einerseits dient der Definitionsstil, wie ihn COBUILD und in seiner Nachfolge punktuell auch LDOCE und CIDE praktizieren, der besseren Verständlichkeit; andererseits hat sich die Verwendung eines begrenzten Definitionswortschatzes, die von LDOCE eingeführt wurde, inzwischen auch in OALD und CIDE durchgesetzt. Für eine Berücksichtigung von Kollokationen bereits auf der Ebene der Definitionen spricht, daß hier eine Aussage von größerem Allgemeinheitsgrad möglich ist als in einem lexikographischen Beispiel, das nur für sich selbst stehen kann und keine Rückschlüsse auf die eventuelle Übertragbarkeit auf andere Fälle zuläßt. Was Zöfgens Forderung nach der typographischen Kenntlichmachung von definitionsrelevant verzeichneten Kollokationen angeht (1994:183), so ist allerdings unbedingt zuzustimmen, und in den neuen Auflagen von LDOCE und COBUILD ist diese Forderung in vielen Fällen ja auch durch Fettdruck verwirklicht.33

Ziel des Kapitels war gewesen, die Ergebnisse, die in den bisherigen Untersuchungen ausgehend von der Konzeption verschiedener Bauteile des Wörterbuchartikels herausgearbeitet worden waren, durch eine Annäherung von der "anderen Seite", also über die gezielte Frage nach der Art der Vermittlung von Informationen über eine bestimmte sprachliche Struktur, zu überprüfen. Die Auswertung hat gezeigt, daß die bisherigen Ergebnisse - mit kleineren Korrekturen - haltbar sind. Beide Wörterbuchlandschaften berücksichtigen Kollokationen in recht hohem Maße, was auf französischer Seite als Fortführung der Tradition, auf englischer dagegen als Auswirkung neuer operationeller Bedeutungstheorien interpretiert werden kann. Dem entspricht auch der hohe Anteil an definitionsrelevanten Verzeichnungen in den englischen Wörterbüchern, dem auf französischer Seite eine ausgeprägte Bevorzugung des Beispielteils als Ort für die Verzeichnung von Kollokationen gegenübersteht. Die relativ stärkere Berücksichtigung von Kollokationen unter der Basis auf englischer Seite schließlich weist diese Wörterbücher erneut in besonderem Maße (wenn auch vielleicht noch nicht in wünschenswerter Stärke) als Produktionswörterbücher für den ausländischen Lerner aus. Damit ist auch die Relevanz der zur Erklärung herangezogenen "kulturellen" Konstellationen, auf die im Verlauf der Arbeit immer wieder hingewiesen worden war (Bedeutungstheorien, lexikographische Traditionen, Zielgruppen und Benutzungssituationen), aus dieser Perspektive bestätigt. Gleichzeitig ließ sich eine Behauptung, die in Kapitel 2 beim Überblick über die Wörterbuchmärkte zunächst allein anhand von metalexikographischen Darstellungen aufgestellt worden war, am konkreten Beispiel erhärten: Gerade in Hinblick auf die Berücksichtigung und Behandlung von Kollokationen wird der ungeheure Fortschritt der englischen Lernerlexikographie und ihre Offenheit gegenüber der wissenschaftlichen Wörterbuchkritik deutlich, während die französischen Wörterbücher - zumindest gegenwärtig - eine traditionellere Haltung einzunehmen scheinen.

32 Vgl. hierzu auch Hausmann (1990a:226f.). 33

Vgl. hierzu LDOCE (XVI) und COBUILD (X).

8 Fazit und Ausblick

Das Wörterbuch als Produkt von "Kultur" - dies war die These, die den Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung bildete. Ziel war gewesen, zu überprüfen, welche Beziehungen zwischen der Konzeption einsprachiger Wörterbücher und ihrer Entstehungskultur bestehen und inwieweit es berechtigt ist, von "Einflüssen" des kulturellen und gesellschaftlichen Umfelds auf die Methoden der Lexikographie zu sprechen. Als Gegenstand der Untersuchung waren vier allgemeine einsprachige Wörterbücher in einem Band und fünf Lernerwörterbücher des heutigen Englischen und Französischen gewählt worden, deren Vergleich gemeinsame Tendenzen innerhalb der Wörterbuchlandschaften und Unterschiede zwischen den beiden nationalen Traditionen aufdecken sollte. Die französische Wörterbuchlandschaft war durch NPR, LEXIS, PL, MR und DFColl vertreten, die englische wurde am Beispiel von COD, COBUILD, OALD, LDOCE und einigen Hinweisen auf CHAMBERS diskutiert. Die Arbeit ging von der Annahme aus, daß der Prozeß des Wörterbuchschreibens aus einer Kette von Entscheidungen besteht, die untereinander und zu Phänomenen des soziokulturellen Umfelds in Beziehung stehen. Auf dieser Basis wurden die Bauteile eines Standardwörterbuchartikels systematisch auf Unterschiede abgefragt, die dann vor dem Hintergrund des kulturellen und gesellschaftlichen Umfelds interpretiert wurden. Um einen vernünftigen Rahmen innerhalb dieses an sich sehr weiten Untersuchungsbereichs abzustecken, wurde dabei das Augenmerk besonders auf eine Reihe kultureller Phänomene gerichtet, deren potentielle Relevanz aus früheren Untersuchungen zum Thema hervorgeht. Insbesondere waren dies sprachwissenschaftliche Theorien und Traditionen der Sprachbeträchtung, Einstellungen der Gesellschaft zu Sprache und ihren Erscheinungsformen, Einstellungen zum Wörterbuch als Institution und die Funktion, die ihm von der Gesellschaft zugewiesen wird, und schließlich die Situation auf dem Wörterbuchmarkt - sowohl in Hinblick auf die Adressaten als "Abnehmer" als auch in Bezug auf technische und kommerzielle Voraussetzungen der Lexikographie. Daß auffällige Parallelen zwischen Tendenzen bei der Konzeption von Wörterbüchern und Phänomenen ihrer Entstehungskultur bestehen, dürfte durch die vorgelegten Materialuntersuchungen hinreichend deutlich geworden sein. Zwar wird sich in manchen Fällen nicht mit letzter Sicherheit ausschließen lassen, daß es sich um zufällige Ähnlichkeiten handelt, es sei denn, die Vorwörter nehmen explizit auf Zusammenhänge Bezug. Im Lauf der Arbeit ließ sich jedoch immer wieder zeigen, daß innerhalb einer jeden Wörterbuchlandschaft Entscheidungen, die bezüglich der einzelnen Bauteile eines Wörterbuchartikels getroffen werden, miteinander korrespondieren und alle in ein und dieselbe Richtung weisen, auf ein und denselben kulturellen Zusammenhang hin interpretiert werden können. Die "kulturelle Signifikanz" dieser Erscheinungen in den Wörterbüchern dürfte damit recht hoch und ein Zusammenhang mit den entsprechenden Phänomenen des kulturellen Umfelds sehr wahrscheinlich sein. Die Arbeit war von konkreten Beobachtungen an den Wörterbüchern ausgegangen, die dann zur jeweiligen Kultur in Beziehung gesetzt wurden. Aus umgekehrter Perspektive sollen nun noch einmal die wichtigsten Konstellationen des kulturellen Umfelds, für die ein Zusammenhang mit den Methoden der Lexikographie postuliert wurde, rekapituliert werden. Dabei soll nochmals deutlich werden, wie die Entscheidungen, die in den einzelnen

211

Bauteilen fallen und zu denselben kulturellen Phänomenen in Beziehung gesetzt werden können, auch untereinander zusammenhängen und ineinandergreifen. Ein Komplex metasprachlicher Haltungen, der von besonderer Relevanz für die französische Wörterbuchlandschaft sein dürfte, ist das Streben nach Sprachnormierung, wie es in Frankreich seit dem 17. Jahrhundert in zahlreichen Aktivitäten zur Pflege des bort usage zum Ausdruck kommt. So konnten Parallelen aufgedeckt werden zwischen früheren und heutigen Anliegen der bon z/sage-Diskussion und dem Normmodell, das die französischen Wörterbücher durch Markierungsangaben, Selektion, Remarques und die Wahl der Quellen für lexikographische Beispiele entwerfen. In beiden Fällen wird ein Modell von Sprache vertreten, das im Vergleich zu den englischen Wörterbüchern diastratische und dianormative Kriterien bei der Beschreibung sprachlicher Varianz stärker und diaphasische Kriterien schwächer gewichtet, restriktiver gegenüber der diastratischen "Subnorm" und Neologismen ist und gleichzeitig geschriebene literarische Sprache und diachronisch zurückliegende Sprachstufen als "Supemorm" privilegiert. Daß französische Wörterbücher ältere Sprachstufen offenbar als "primär" betrachten, konnte darüber hinaus auch daran offengelegt werden, daß diachronische Aspekte bei der Wahl der Kriterien für die Reihenfolge der Definitionen stärker berücksichtigt werden als in englischen Wörterbüchern und daß häufiger etymologische Angaben und Erstbelege angeführt werden. Schließlich wäre denkbar, auch die französische Tendenz zur Einordnung von Komposita in das Innere der Wörterbuchartikel als Ausfluß von Spracheinstellungen zu interpretieren und auf eine puristisch bedingte Skepsis gegenüber Wort(neu)bildungen zurückzuführen. Ein weiterer Bereich von "Kultur", der auf eventuelle Zusammenhänge mit lexikographischen Konzepten unter die Lupe genommen wurde, waren Theorien über Sprache, die in vorwissenschaftlichen und wissenschaftlichen Kontexten in den beiden Kulturen entwickelt wurden oder herausragende Beachtung fanden. Als besonders fruchtbares Feld hat sich dabei die Geschichte von Bedeutungstheorien erwiesen. So konnte gezeigt werden, daß beide Wörterbuchlandschaften Definitionstechniken entwickelt haben, die Wortbedeutung so präsentieren, wie es auch die in den jeweiligen Wissenschaftstraditionen entwickelten Bedeutungstheorien (strukturelle Semantik bzw. Prototypensemantik) tun, daß die Entscheidung für hierarchische bzw. lineare Artikelbaupläne tendenziell an die Entscheidung für bestimmte Definitionstechniken gekoppelt ist und daß die beiden unterschiedlichen Arten der Artikelstrukturierung ihrerseits Affinitäten zur strukturellen Semantik bzw. Prototypentheorie besitzen. Operationelle Bedeutungstheorien auf der englischen und mentalistische auf der französischen Seite erwiesen sich immer dann als interpretationsrelevant, wenn die Entscheidung impliziert war, ob Wortbedeutung als inhärente "Grundbedeutung" oder als kontextbedingte Bedeutung vermittelt werden soll. Hier konnten Zusammenhänge hergestellt werden zur Bevorzugung unterschiedlicher Definitionsstile und zur relativen Gewichtung von Hauptbedeutungen und unter diesen subsumierten untergeordneten Bedeutungen innerhalb des Wörterbuchartikels, zur Entscheidung für oder gegen eine idioms section und zur Plazierung und Art von Angaben zum sprachlichen Kontext. Außerdem wurde dargestellt, wie diese Theorien mit unterschiedlichen Verfahren in der lexikographischen Behandlung von Kollokationen korrespondieren, und zwar sowohl in Hinblick auf die Anzahl der berücksichtigten Kollokationen im Vergleich zu den Vorauflagen als auch in Hinblick auf die Positionierung der Information im Definitionsteil oder Beispielteil. Neben diesen Aspekten, die vermutlich eher den Metalexikographen als den Benutzer interessieren, ließen sich jedoch auch ganz konkrete Zusammenhänge mit den Bedingun-

212 gen auf dem Wörterbuchmarkt herausarbeiten. Manche Unterschiede in der Anlage englischer und französischer Lernerwörterbücher werden verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Zielgruppe "Lerner", für die sie konzipiert sind, auf englischer und französischer Seite nicht identisch ist - hier sind ausländische Lerner der Weltsprache Englisch von unbestimmtem Alter betroffen, dort französische Schüler, die ihre Muttersprache erlernen, und zwar im Rahmen einer staatlichen Institution mit einem Erziehungsauftrag. Die Benutzungssituationen, in denen diese Adressaten auf die Hilfe des Wörterbuchs angewiesen sind oder angehalten werden, es zu benutzen, sind dementsprechend verschieden. Man kann davon ausgehen, daß englische Lernerwörterbücher vor allem fiir Zwecke der Textproduktion benutzt werden, französische dagegen in gleichem Maße, um rezeptive Einsicht in sprachliche Zusammenhänge zu erlangen. Dies kann z.B. die Bevorzugung linearer Artikelbaupläne auf der englischen und hierarchischer auf der französischen Seite erklären. Hält man sich die Bedeutung von Informationen über Kollokationen für ausländische Lerner in Produktionssituationen vor Augen, so wird nachvollziehbar, warum nicht nur das über direkte personelle Zusammenhänge mit dem britischen Kontextualismus "verwandte" COBUILD, sondern auch andere englische Lernerwörterbücher die These von der Kontextabhängigkeit von Bedeutung so schnell aufnahmen und in neue Definitionsstile und neu gestaltete Artikelbaupläne umsetzten, während auf der französischen Seite bisher kein Echo bemerkbar ist. Auch wird auf diesem Weg verständlich, warum englische Lernerwörterbücher stärker als französische die von der Metalexikographie geforderte Verzeichnung von Kollokationen unter der Basis umsetzen. Zudem ist zu bedenken, daß die Erwartungen, die die Gesellschaft an Lerner der Muttersprache stellt, durch besondere pädagogische Anliegen geprägt sind, die für ausländische Lerner nicht relevant werden. Entsprechend unterscheidet sich der Auftrag, der dem Wörterbuch als Institution von der Gesellschaft zugewiesen wird. Bezieht man solche Zusammenhänge in die Interpretation der Wörterbücher ein, so läßt sich zum Beispiel erklären, warum französische Lernerwörterbücher gegenüber allgemeinen Wörterbüchern des Französischen ein stärker reduziertes Modell sprachlicher Varianz bieten als dies im englischen "Lager" der Fall ist und warum sie zu verdeckter Normativität tendieren. Berücksichtigt man schließlich, daß in Frankreich nicht nur Lernerwörterbüchern, sondern auch allgemeinen Wörterbüchern ein "erzieherischer" Auftrag im Rahmen der offiziellen Sprachpflege zugeschrieben wird, so wird der große Reichtum an lexikographischen Beispielen verständlich, den französische allgemeine Wörterbücher zur Vermittlung von "korrektem" und "vorbildlichem" Sprachgebrauch enthalten, während ihre englischen Pendants recht beispielarm sind. Ganz generell muß in diesem Zusammenhang noch einmal das Wechselspiel zwischen Nachfrage und Qualität der Wörterbücher betont werden. Die Position des Englischen als Weltsprache und meistgelehrte Fremdsprache und die dadurch bestehende hohe Nachfrage speziell nach englischen Lernerwörterbüchern hat eine Konkurrenz auf dem Markt geschaffen, die bewirkt, daß die finanziellen und technischen Voraussetzungen zur Verbesserung der Wörterbücher (d.h. die entsprechende Hardware und Software) bereitgestellt werden, daß schnell und effizient auf Benutzerbedürfnisse reagiert wird und daß Anregungen der wissenschaftlichen Linguistik und Metalexikographie bereitwillig aufgenommen werden. Dadurch sind Wörterbücher von einer Qualität entstanden, die die Nachfrage weiter steigert und damit eine erneute Verbesserung der Qualität ermöglicht.

213 "Die Wörterbücher als Kulturprodukte folgen den kulturellen Leitlinien der Gesellschaft". Die Ausgangsthese der vorliegenden Arbeit, hier in der Formulierung von Hausmann (1997:184), dürfte mit diesen Ergebnissen in Bezug auf die Wörterbuchlandschaften England und Frankreich erhärtet sein. Daß schließlich auch sprachstrukturelle Gegebenheiten, die ja in gewissem Sinne ebenfalls als Teil von "Kultur" betrachtet werden können, mit Entscheidungen über lexikographische Methoden korrespondieren können, ließ sich am Beispiel der Präferenzen für unterschiedliche Anordnungsformen der Makrostruktur demonstrieren. Entsprechend ist Rey (1987a:41) rechtzugeben, wenn er feststellt: "On peut trouver dans la structure des dictionnaires, ä la fois l'image des caractöristiques propres ä la langue [...] et celle des besoins liös ä certaines pratiques sociales". Aus diesen Überlegungen zur "kulturellen Signifikanz" von Unterschieden zwischen englischen und französischen Wörterbüchern sollen nun zusammenfassend einige Thesen zu den beiden Wörterbuchlandschaften abgeleitet werden. Es handelt sich dabei um Eindrücke, die sich im Lauf der Arbeit durch zahlreiche Einzelvergleiche zwischen den Vertretern der beiden lexikographischen Traditionen verdichtet haben und die sich auf große Tendenzen innerhalb der Wörterbuchlandschaften beziehen. Diese Tendenzen können in den einzelnen Wörterbüchern mehr oder weniger stark ausgeprägt sein; einzelne "Ausreißer" sind durchaus zulässig. Die erste These besagt, daß zumindest gegenwärtig die englische Lexikographie (speziell die Lernerlexikographie) mehr innovative Impulse hat als die französische und daß aktuelle französische Wörterbücher stärker in überkommenen Traditionen verhaftet sind als englische. So ließ sich beispielsweise zeigen, daß französische Wörterbücher in Bezug auf die Markierungsangaben konservativere Systeme fortfuhren, daß sie an Definitionstechniken und Artikelbauplänen festhalten, die traditionellen mentalistischen Bedeutungstheorien nahe stehen, und daß logisch-historische Prinzipien bei der Festlegung der Reihenfolge der Definitionen nach wie vor eine große Rolle spielen. Zum einen wird dies mit der oben geschilderten finanziellen Situation zusammenhängen - die Nachfrage auf dem englischen Markt ist einfach höher, zumal im Marktsegment der Lernerwörterbücher, so daß das Klima für Innovationen günstiger bzw. die Notwendigkeit zur Profilierung der Verlage durch Neuerungen größer ist. Zum zweiten ist zu bedenken, daß England noch nicht so lange wie Frankreich als pays du dictionnaire etabliert ist,1 und daß die Loslösung von weniger lange gepflegten Traditionen sicher leichter fällt. Diese Tatsache gilt im übrigen nicht nur im englisch-französischen Vergleich, sondern ließ sich auch innerhalb der englischen Wörterbuchlandschaft bei der Gegenüberstellung der älteren Konzeptionen COD und OALD auf der einen Seite und LDOCE und COBUILD auf der anderen Seite nachweisen. Zum dritten schließlich scheint eine hohe Wertschätzung von Traditionen Teil der französischen Kultur zu sein (mit dem Argument der Kultivierung des patrimoine culturel wird ja auch die Privilegierung von Informationen zur Diachronie in den Wörterbüchern gerechtfertigt). Symptomatisch ftlr die Probleme des französischen Publikums mit lexikographischen Innovationen ist das Schicksal von DFV und DFC, die mit Neuerungen wie der Umkehr von Definitions- und Beispielteil, einer radikalen Nestbildung und einer radikalen Mehrfachlemmatisierung bei lexikalischer Mehrdeutigkeit derartige Probleme auf dem Markt hatten, daß sie heute entweder gar nicht mehr (DFV) oder in "entschärfter" Form unter Rücknahme der Neuerungen (DFC/DFColl) verlegt werden. Beide Wörterbuchkon'

Vgl. Hausmann (1985b:36f.).

214

zepte werden von der Wörterbuchkritik als letztlich gescheitert bewertet.2 Dies dürfte den innovativen Elan der französischen Lernerlexikographie der späten sechziger und frühen siebziger Jahre bis auf weiteres gebremst haben und mit ein Grund für die relativ traditionalistische Orientierung des Hauses Robert sein. Eine zweite generelle Beobachtung, die eng mit der ersten zusammenhängt, ist die, daß die französische Wörterbuchlandschaft wohl insgesamt homogener ist als die englische, und zwar sowohl in Hinblick auf die historische Entwicklung der lexikographischen Tradition als auch in Hinblick auf die verschiedenen Wörterbuchtypen. So zeigen die großen V o r l ä u f e r w i e RICHELET, FURETIERE, HATZFELD/DARMESTETER u n d LITTRE, d i e h e u t i g e n

mehrbändigen philologischen Wörterbücher wie GR und TLF und einige der hier untersuchten einbändigen Wörterbücher auffällige Gemeinsamkeiten in den Kriterien, die für die Festlegung der Reihenfolge der Definitionen herangezogen werden, und in der Wahl der Quellen ftir lexikographische Beispiele. COD dagegen bricht mit den meisten Traditionen von OED, die denen der französischen Wörterbücher des ausgehenden 19. Jahrhunderts gar nicht so unähnlich sind. Dieselbe Beobachtung - hier Kontinuität bzw. graduelle Übergänge, dort Brüche bzw. tiefgreifende konzeptionelle Unterschiede - gilt auch für die Beziehung zwischen allgemeinem einbändigem Wörterbuch und Lernerwörterbuch. Die englischen Lernerwörterbücher unterscheiden sich radikal von COD, während in Frankreich eine Reihe von Gemeinsamkeiten festzustellen ist. Betroffen sind z.B. die Anzahl der lexikographischen Beispiele (beide hier untersuchten Wörterbuchtypen sind in Frankreich sehr beispielreich, in England gilt dies nur für die Lernerwörterbücher) oder die Verteilung der dianormativen Kommentare und die Anliegen der Usage Notes bzw. Remarques (in Frankreich erscheinen dianormative Markierungsangaben und Kommentare in beiden hier vorliegenden Wörterbuchtypen, in England nur in COD; in Frankreich ist der Begriff der sprachlichen Schwierigkeit, wie er in den Anliegen der Remarques zum Ausdruck kommt, in beiden Wörterbuchtypen relativ ähnlich, in England dagegen haben die Usage Notes in allgemeinen Wörterbüchern und in Lernerwörterbüchern ganz unterschiedliche Anliegen). Im Licht der stärkeren Traditionsgebundenheit der aktuellen französischen Lexikographie dürfte die größere Homogenität und Kontinuität damit zusammenhängen, daß die Wörterbücher sowohl in ihrer historischen Entwicklung als auch in neu entstandenen Wörterbuchtypen relativ nahe an der einmal etablierten Tradition blieben, während ihre englischen Pendants in beiderlei Hinsicht stärker mit Traditionen brachen. Außerdem dürfte auch hier relevant sein, daß sich die Zielgruppen französischer Lernerwörterbücher und französischer allgemeiner Wörterbücher näher stehen, als dies in der englischen Wörterbuchlandschaft der Fall ist, und daß damit die Funktionen, die den beiden Wörterbuchtypen von der Gesellschaft zugewiesen werden, näher beieinanderliegen. Das Argument der Zielgruppe dürfte auch für die Gemeinsamkeiten von Wörterbüchern wie GR und TLF mit französischen allgemeinen Wörterbüchern in einem Band Gültigkeit haben. Beide Typen wenden sich im Prinzip an den kultivierten Muttersprachler, während OED als wissenschaftliches Wörterbuch eine gewisse Sonderposition einnimmt, so daß seine Charakteristika von vornherein weniger geeignet zur Übernahme in einbändige Wörterbücher sein dürften. Eine dritte Beobachtung, die allerdings mit einiger Vorsicht gemacht werden soll, betrifft das Gewicht unterschiedlicher Elemente des kulturellen Umfelds, für die ein Zusammenhang mit lexikographischen Methoden postuliert werden kann. Eingangs war die Ver2

Vgl. zu DFC und DFColl auch das Urteil von Schafroth/Zöfgen (1998:16).

215 mutung geäußert worden, daß französische Wörterbücher "linguistischer", englische dagegen stärker benutzerorientiert sein könnten. Blickt man nun auf die oben zusammengefaßten Zusammenhänge zwischen Wörterbuch und "Kultur" zurück, so scheint es, als ließe sich tatsächlich in der französischen Wörterbuchlandschaft eine besonders starke Bindung an sprachwissenschaftliche Theorien und Doktrinen nachweisen, in der englischen dagegen in ganz besonderem Maße eine pragmatische Orientierung am Markt. Dies ist kein Widerspruch zu der im Lauf der Arbeit mehrfach geäußerten These, daß englische Lernerwörterbücher in besonderem Maße für Neuerungen der wissenschaftlichen Linguistik, konkret des britischen Kontextualismus, offen sind, da dieser ja parallel zur Entstehung von COBUILD in direktem Zusammenhang mit der praktischen Anwendung weiterentwickelt worden ist. Angesichts der Situation auf dem Wörterbuchmarkt wäre eine stärker marktorientierte Ausrichtung der englischen Wörterbuchlandschaft im Prinzip nicht erstaunlich. Damit soll den französischen Wörterbüchern natürlich die Benutzerorientiertheit nicht abgesprochen werden; allerdings fällt auf, daß Benutzerfreundlichkeit auch in der wissenschaftlichen Wörterbuchkritik auf englischer Seite immer ein ganz besonderes Anliegen war (was nicht nur auf die Konzeption der einzelnen Bauteile der Wörterbücher, sondern auch auf die hier nicht näher behandelte Frage des Layouts der Wörterbuchseiten seine Wirkung gezeigt hat).3 Bemerkenswert ist, daß in neuerer Zeit mit DFC und DFV zwei speziell für Lerner konzipierte französische Wörterbücher, die gleichzeitig als besonders "linguistisch" galten, auf dem Markt gescheitert sind. Vielleicht ist die Äußerung, zu der sich Rey (1990:1833) angesichts einiger Änderungen des NOUVEAU DICTIONNAIRE DU FRANQAIS CONTEMPORAIN ILLUSTRE ( 1 9 8 0 ) g e g e n ü b e r D F C v e r a n l a ß t sieht, s y m p t o m a -

tisch: "L'efficacitö pödagogique du dictionnaire a peut-etre έίέ accrue, mais sa valeur linguistique en a päti". Insgesamt betrachtet dürfte die These, daß die Wörterbücher innerhalb einer Wörterbuchlandschaft durch gemeinsame Tendenzen gekennzeichnet sind und daß dies mit dem kulturellen Umfeld zusammenhängt, also Bestätigung gefunden haben. Dem Leser wird allerdings nicht entgangen sein, daß bisher sehr vorsichtig von "Zusammenhängen" und "Beziehungen" zwischen bestimmten Phänomenen in Wörterbüchern und bestimmten kulturellen Konstellationen gesprochen wurde und daß der Ausdruck "Einfluß" nur zurückhaltend gebraucht wurde. Tatsächlich ließ sich zeigen, daß eine gewisse Vorsicht angebracht ist, da mehrere Phänomene, die in den Wörterbüchern beobachtet wurden, schon lange in der lexikographischen Tradition der jeweiligen Wörterbuchlandschaft etabliert waren, bevor der "Einfluß", mit dem ein Zusammenhang postuliert wird, überhaupt hätte einsetzen können. So war z.B. die definition par inclusion schon lange als "aristotelische" Definition in der französischen Wörterbuchlandschaft etabliert, bevor sie von der strukturalistischen Metalexikographie vereinnahmt wurde; die Tendenz englischer Wörterbücher zur Definition per Synonymreihung kann als Überbleibsel der hard-word-Tradition interpretiert werden, ohne daß die Prototypensemantik bemüht werden muß; die Privilegierung logisch-historischer 3

Böjoint (1994:1 lOf.) kommt zu dem Schluß, daß die marktorientierte Erforschung der Bedürfnisse von Wörterbuchbenutzern in England besonders stark entwickelt ist, nennt aber auch einige französische Untersuchungen zu diesem Thema. Einen Forschungsüberblick für den englischen Bereich gibt Cowie (1999:175fF.). Im Vorwort von MR (XIII) wird betont, daß die lexikographischen Entscheidungen didaktisch, nicht theoretisch motiviert seien.

216 Kriterien bei der Anordnung der Definitionen kann als Fortsetzung der Tradition von HATZFELD/DARMESTETER betrachtet werden, ohne daß mit einer Affinität zu modernen strukturalistischen Theorien argumentiert werden muß (wobei allerdings eine Besprechung von HATZFELD/DARMESTETER ohne Hinweis auf die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft schwerfallen dürfte). Dies führt jedoch die These von Zusammenhängen zwischen den Charakteristika der Wörterbücher und den entsprechenden kulturellen Phänomenen keineswegs ad absurdum. Die Wörterbücher einer Wörterbuchlandschaft stehen immer im Spannungsfeld von lexikographischen Traditionen, die sich unter dem Einfluß früherer kultureller Gegebenheiten herausgebildet haben, von der Einbindung in das aktuelle kulturelle Umfeld und vom Zwang zur Anpassung an die Verhältnisse auf dem Markt. Die Ergebnisse der Arbeit legen den Schluß nahe, daß Verfahrensweisen der Lexikographie dann eine besondere Chance haben, sich dauerhaft als lexikographische Traditionen zu behaupten, wenn mehrere dieser potentiell einflußreichen Faktoren in ein und dieselbe Richtung wirken. Anders ausgedrückt: Ein Element der aktuellen Kultur wird am ehesten dann relevant für die Gestaltung von Wörterbüchern, wenn die lexikographischen Verfahrensweisen, die es nahelegt, schon in der Tradition der Wörterbuchlandschaft angelegt sind oder wenn seine Berücksichtigung in besonderer Weise die Verkäuflichkeit fördert. So kann man z.B. vermuten, daß die aristotelische Definition ihre traditionell starke Position in französischen Wörterbüchern bis heute auch deshalb halten konnte, weil sie eine Struktur aufweist, die sich für die Uminterpretation im Sinne der strukturellen Semantik eignet, oder daß die Erkenntnisse des britischen Kontextualismus über Sprache deshalb so schnell in der englischen Lernerlexikographie umgesetzt wurden, weil sie den Bedürfnissen der Zielgruppe und damit der Verkäuflichkeit in besonderem Maße entgegenkommen. Auf jeden Fall sollte vermieden werden, die These vom Zusammenhang zwischen Wörterbüchern und Kultur dahingehend zu interpretieren, daß ein direkter unilateraler Einfluß von ganz bestimmten kulturellen Phänomenen auf ganz bestimmte Erscheinungen im Wörterbuch besteht und daß diese kulturellen Phänomene die Ursache und die Erscheinungen im Wörterbuch die unmittelbare Wirkung darstellen. Bemerkenswert ist allein schon die Tatsache, daß lexikographische Traditionen und Erscheinungen von "Kultur", die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander entwickelt haben, Affinitäten zueinander besitzen. Die Erfahrung mit COBUILD legt sogar den Schluß nahe, daß Einwirkungen nicht nur von Kultur auf das Wörterbuch, sondern auch in umgekehrter Richtung verlaufen können, wenn etwa ein sprachwissenschaftliches Modell mit Blick auf die praktische Lexikographie weiterentwickelt wird. Eines der Ziele der Arbeit war gewesen, zu untersuchen, ob es berechtigt ist, von direkten Einflüssen, von einer "kulturellen Determiniertheit" des Wörterbuchs zu sprechen. Die vorliegende Untersuchung konnte das einsprachige Wörterbuch als Teil von Kultur ausweisen, zeigt jedoch auch, daß mit der These von der kulturellen Determiniertheit des Wörterbuchs vorsichtig umgegangen werden muß, wenn von konkreten Einzelphänomenen die Rede ist. Die oben genannten Beispiele verdeutlichen, daß Wörterbücher durch ein komplexes Ineinandergreifen von Traditionen, Befruchtung durch aktuelle kulturelle Konstellationen und Erfordernissen des Marktes entstehen. Damit sind auch die Grenzen für eine Untersuchungsperspektive gesetzt, die einheitliche Tendenzen innerhalb einer Wörterbuchlandschaft postuliert und diese auf kulturelle Zusammenhänge zurückführt. Sie dürften einerseits darin liegen, daß Traditionen, die sich unter früheren kulturellen Konstellationen ge-

217 bildet haben, und aktuelle kulturelle Einwirkungen in den Wörterbüchern einer Wörterbuchlandschaft verschieden stark gewichtet sind, was eine gewisse Heterogenität innerhalb der Wörterbuchlandschaften zur Folge hat. Andererseits sind dem Untersuchungsansatz dadurch Grenzen gesetzt, daß die Bedingungen des Marktes nicht nur Ähnlichkeiten aufzwingen (wie im Fall des Zuschnitts auf einen bestimmten Adressatenkreis und eine bestimmte Benutzungssituation), sondern den Verlagshäusern und einzelnen Wörterbüchern innerhalb einer Wörterbuchlandschaft auch die Notwendigkeit auferlegen, sich durch Originalität gegenüber anderen zu profilieren. Daß die Wörterbücher einer nationalen Tradition neben gemeinsamen Tendenzen eine breite Varianz unterschiedlicher lexikographischer Methoden aufweisen, wurde auch in der vorlegenden Untersuchung immer wieder deutlich. Dies ist auch nicht anders zu erwarten, wenn man bedenkt, daß Metalexikographie und Wörterbuchkritik sich insbesondere aus Vergleichen innerhalb ein und derselben Wörterbuchlandschaft speisen. Die Unterschiede innerhalb von Wörterbuchlandschaften sollen hier also keinesfalls heruntergespielt oder gar geleugnet werden. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß es gemeinsame Tendenzen gibt und daß diese in der Perspektive des Vergleichs zweier Wörterbuchlandschaften deutlicher hervortreten als bei qualitativen Vergleichen innerhalb ein und derselben Wörterbuchlandschaft. Umgekehrt muß allerdings auch gesehen werden, daß englische und französische Wörterbücher von ihrer gesamten Anlage her eine große Anzahl an Gemeinsamkeiten aufweisen, die für Benutzer von Wörterbüchern indoeuropäischer Sprachen, die in europäischen Kulturen entstanden sind, mittlerweile als selbstverständlich betrachtet werden. Dies liegt auf der Hand, wenn man bedenkt, daß die englische und die französische Sprache sich durch ihre gemeinsamen Wurzeln sehr ähnlich sind, so daß radikal abweichende Beschreibungsmethoden nicht von Nöten sind, ferner daß beide Traditionen ihren Ursprung in der lateinisch-volkssprachlichen Lexikographie des späten Mittelalters haben und daß ihre Entwicklung durch das gemeinsame Umfeld des christlichen Abendlandes geprägt ist. Zu Eingang der Arbeit war angesprochen worden, daß die Wörterbuchkonzepte, die hier zur Diskussion gestellt wurden, nicht nur aus verschiedenen Kulturen, sondern auch aus verschiedenen zeitlichen Schichten stammen, so daß eventuell nicht nur verschiedene nationale Traditionen, sondern auch verschiedene Wörterbuchgenerationen verglichen werden. Die Arbeit konnte nun zeigen, daß speziell die englischen Lernerwörterbücher vor den radikalen Neuerungen der Generation von 1995 tatsächlich einige Züge aufwiesen, die bis heute die französischen Wörterbücher kennzeichnen (man denke etwa an die Konzeption der Markierungsangabensysteme oder an die auf Intuition basierende und "logische" Beziehungen berücksichtigende Umsetzung des Frequenzkriteriums bei der Festlegung der Reihenfolge der Definitionen). Ein Generationsunterschied ist also vorhanden, und er ist in sich kulturell signifikant, insofern als die französische Wörterbuchlandschaft durch ein stärkeres Festhalten an Traditionen, die englische durch stärkere Innovationsbereitschaft gekennzeichnet ist. Dies wirft eine Frage auf, die hier in Form eines kleinen Ausblicks auf neueste Tendenzen in der französischen Wörterbuchlandschaft beantwortet werden soll. Gibt es, so kann man fragen, Mitte der neunziger Jahre bereits Anzeichen dafür, daß die französische Wörterbuchlandschaft demnächst "nachziehen" und sich den neueren Tendenzen, wie sie in der englischen Wörterbuchlandschaft verkörpert sind, angleichen wird? Zur Überprüfung wurden zwei Wörterbücher ausgewählt, die 1994 bzw. 1996 in erster Auflage erschienen sind und damit aus der Untersuchung zunächst ausgeklammert blieben.

218 L E ROBERT POUR TOUS ( R t o u s ) und LE ROBERT QUOTIDIEN ( R q u o t ) l i e g e n v o n der G r ö ß e n -

ordnung her knapp oberhalb von MR bzw. knapp unterhalb von NPR, bieten aber das volle mikrostrukturelle Informationsprogramm größerer Formate und wenden sich an einen allgemeinen Adressatenkreis. Beide Wörterbücher stammen aus dem Haus Robert, dessen bislang eher traditionalistische Orientierung innerhalb der französischen Wörterbuchlandschaft bereits angesprochen worden war. Fragt man nun, ob sich hier entscheidende Neuerungsansätze zeigen, so muß die Antwort (die sich natürlich nur auf eine grobe Durchsicht des Artikelaufbaus und die Aussagen der Vorwörter stützen kann) eindeutig negativ ausfallen. Beide Wörterbücher entsprechen in Hinblick auf die Bauteile der Artikel dem NPR-Programm; die Systeme der Markierungsangaben4 und der Definitionsstil zeigen keinerlei Anzeichen für Neuerungen. Die Hauptdefinitionen werden in der Regel auf das Lemmazeichen in Isolation bezogen (adressage lemmatique), die Artikel sind hierarchisch auf vier bzw. fünf Ebenen gegliedert und weisen wenige Hauptdefinitionen und viel unter diesen subsumiertes Material auf. Beide Wörterbücher gliedern die Artikel durch semantische Glossen, was als Hinweis auf das Festhalten an logischen Kriterien bei der Anordnung der Definitionen bewertet wurde;5 beide halten den Dualismus zwischen kollokationsartigen Kontextualisierungen und zitierten Beispielen aufrecht und greifen für zitierte Beispiele auf ähnliche Quellen zurück wie NPR. Die Beispieldichte scheint, vor allem bei Rquot, etwas auf Kosten des ansonsten vollen mikrostrukturellen Programms zu gehen, immer noch sind beide Wörterbücher aber erheblich beispielreicher als COD. Rquot propagiert im Vorwort (VIII f.) eine "originalitd notable", nämlich die Einfuhrung von 6 0 0 0 Remarques, die "des 'regies de lexique"

vermitteln sollen. Rey-Debove als Verfasserin des Vor-

worts verwahrt sich ausdrücklich dagegen, diese Remarques fur sprachpuristische Z w e c k e zu nutzen, über sie ein '"dictionnaire de difficultds'" zu integrieren oder "reförence ä l'usage d'une epoque antdrieure" zu nehmen. Dennoch entpuppen sie sich bei näherem Hinsehen als Informationen eher traditioneller Art in neuem formalem Gewand. Sie dienen dazu, Besonderheiten oder Schwierigkeiten zu kommentieren, die mehreren Wörtern gemeinsam sind, wie z.B. Probleme der Orthographie oder der Wortbildung, verwechselbare Wörter u.ä.. So wird zwar der B e z u g auf das isolierte Lemmazeichen, der für die Remarques der hier untersuchten französischen Wörterbücher typisch ist, durchbrochen; allerdings geschieht dies nicht in syntagmatischer, sondern in paradigmatischer Hinsicht. Damit stehen die Remarques der analogischen Tradition der Robert-Wörterbücher näher als den Usage Notes englischer Lernerwörterbücher. Auch wird meist nicht die Verwendung der Wörter kommentiert, sondern der Wortkörper, was dem Prinzip der traditionellen Remarque entspricht. Zur Erklärung synchroner Zusammenhänge wird oft die Diachronie hinzugezogen, zum Beispiel in Form von Hinweisen auf etymologische Wortfamilien. Dieses Prinzip ist aus anderen Bauteilen der hier untersuchten Wörterbücher bereits bekannt.

In den Äußerungen der Vorwörter kommt einem ebenfalls vieles bekannt vor. So proklamiert Rtous als Prinzip der lexikographischen Definition: "Definir, c'est delimiter". "La premiere fonction du dictionnaire", so heißt es, sei "celle d'un guide du bon usage du franfais"; das Wörterbuch sei ein Begleiter für lebenslanges Lernen und ein "outil social, pedagogique et culturel de premiere importance"; es müsse "l'histoire de la culture en fran9ais" vermitteln und zu diesem Zweck nicht nur "un choix de phrases d'auteurs connues ou signi4 5

Soweit expliziert, was nur in Rquot der Fall ist. Rquot beruft sich im Vorwort (VII) auf das historische Prinzip.

219 ficatives" enthalten, sondern dem "bei usage des classiques, des romantiques et des modernes" auch Angaben zur Diachronie des Lexikons hinzufügen, denn "le pass0 est garant du present" (X ff.). Dies liest sich wie eine Zusammenfassung der hier für die französische Wörterbuchlandschaft als charakteristisch dargestellten Tendenzen. Bezeichnend ist im übrigen schon allein die Tatsache, daß das Verlagshaus Robert mit Rtous und Rquot zwei Wörterbücher bereitstellt, die vom Umfang her Bindeglieder zwischen dem traditionellen Lernerwörterbuch und dem traditionellen allgemeinen Wörterbuch sind und so die französische Tendenz zur Kontinuität zwischen den verschiedenen Wörterbuchtypen fortsetzen. Die Hauptanliegen der aktuellen englischen Wörterbücher, wie etwa Kollokationen oder Korpusbasiertheit, spielen in Rtous und Rquot keine Rolle. Daß diese Charakteristika sich jedoch auf der englischen Seite als zukunftsweisend durchgesetzt haben, zeigt die Konzeption des 1995 in erster Auflage erschienenen CIDE. Mitte der neunziger Jahre spricht also noch nichts dafür, daß sich in der französischen Lexikographie entscheidende Umwälzungen anbahnen, die sie den Neuentwicklungen auf englischer Seite näherbringen würden und damit die These vom Wörterbuch als einem Teil von "Kultur" relativieren würden.6 Für weitergehende Untersuchungen, die über den hier gelegten Zeitschnitt hinausreichen, müßten auf der englischen Seite die Neuauflagen OALD6 (2000), COBUILD3 (2001) und COD 10 (1999), das Änderungen in den Artikelbauplänen einführt, 7 herangezogen werden. Auf der französischen Seite kämen die (augenscheinlich nicht gravierend veränderten) Neuauflagen von NPR (2000) und MR (1998) sowie der erweiterte DICTIONNAIRE DE FRANQAIS (2000) in Frage; außerdem der 1999 erstmals erschienene DICTIONNAIRE DU FRANCAIS. REFERENCE, APPRENTISSAGE, ein Lernerwörterbuch, das einen kleineren Lemmabestand als die hier untersuchten Lernerwörterbücher hat, sich jedoch laut Vorwort (VII) ausdrücklich an ausländische Lerner wendet. Daß eine gegenseitige Beeinflussung nationaler Traditionen durchaus im Rahmen des Möglichen liegt, beweist LANGENSCHEIDTS GROBWÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE, dessen Konzeption in germanistischer, anglistischer und romanistischer Hand lag und das ganz offensichtlich Anregungen von englischen und französischen Lernerwörterbüchern aufgenommen hat.8 Ob die Zukunft eine weitere Internationalisierung lexikographischer Methoden bringen und damit auch die Unterschiede zwischen der englischen und der französischen Wörterbuchlandschaft verwischen wird, bleibt abzuwarten.

6

7

8

Man könnte allerdings auch in diesem Fall argumentieren, eine eventuelle Angleichung der Wörterbücher sei Ausfluß einer zunehmend stärkeren Verwischung kultureller Unterschiede. Die Neuerungen orientieren sich an T H E N E W O X F O R D DICTIONARY OF ENGLISH ( 1 9 9 8 ) , vgl. Kapitel 5, Fußnote 73. Vgl. im einzelnen Schafroth/Zöfgen (1998) und Herbst (1998).

Anhang

Anhang A1

Marker im diastratisch-diaphasisch-diamedialen Markierungsbereich

NPR ARG.:

mot d'argot, emploi argotique limitd ä un milieu particulier, surtout professionnel [...], mais inconnu du grand public; ARG. FAM.: mot d'argot passd dans le langage familier; argotique. Ne pas confondre avec FAM. et ЮР. FAM.:

familier (usage parld et т ё т е dcrit de la langue quotidienne: conversation, etc., mais ne s'emploierait pas dans les circonstances solennelles; concerne la situation de discours et non l'appartenance sociale, ä la diffdrence de POP.) LITTER.:

littöraire: ddsigne un mot qui n'est pas d'usage familier, qui s'emploie surtout dans la langue dcrite dldgante. Ce mot a gdndralement des synonymes d'emploi plus courant POP.:

populaire: qualifie un mot ou un sens courant dans la langue parlde des milieux populaires (souvent argot ancien rdpandu), qui ne s'emploierait pas dans un milieu social dleve. (Ä distinguer de FAM., qui concerne une situation de communication) [LEXIS] arg.: ensemble de termes [...] dont usent les gens d'un т ё т е groupe social ou professionnel [...] fam.: caractdristique de la langue de la conversation litt.: rdservde aux oeuvres de la langue dcrite pop.: repandu dans le peuple; conforme aux gouts du peuple soutenu: constamment dlevde(s) et noble(s) [PL] arg.: argot; argotique. Vocabulaire particulier ä un groupe social, ä une profession, fam.: familier; familidrement. Se dit d'un mot, d'une expression employds couramment, mais pouvant etre ressentis comme incongrus dans certaines relations sociales ou dans les dcrits de style sdrieux ou soutenu. tr0sfam.: tres familier, tr6s famili6rement litt.: littdraire (mot que Ton rencontre surtout dans les texts ecrits)

222 Fortsetzung Anhang A l Markierungsbereich

Marker im diastratisch-diaphasisch-diamedialen

PL (Fortsetzung) pop.: populaire. Se dit d'un mot ou d'une expression courants dans la langue parlee, mais qui seraient consid6res comme choquants ou vulgaires dans un 6crit ou une communication orale plus formelle. MR arg.: mot d'argot, emploi argotique limiti ä un milieu particulier, surtout professionnel, mais inconnu du grand public. Pour les mots d'argot passes dans le langage courant, voir pop. fam.: familier (usage parle et meme ecrit de la langue quotidienne: conversation, etc.; mais ne s'emploierait pas dans les circonstance solennelles). litter.: littiraire: designe un mot qui n'est pas d'usage familier, qui s'emploie surtout dans la langue ecrite elegante. Ce mot a gdneralement des synonymes d'emploi plus courant. pop.: populaire: qualifie un mot ou un sens courant dans la langue parlee des milieux populaires (souvent argot ancien ripandu), qui ne s'emploierait pas normalement dans un milieu social 61eve. [DFColl] arg.: argot. 1. Ensemble de termes, de locutions ou de formes grammaticales dont usent les gens d'un meme groupe social ou professionnel, et par lesquels ils se distinguent des autres groupes. 2. Langue populaire en gdnöral. fam.'. familier, familierement. Qui appartient ä la langue de la conversation. litt.: litteraire. Langue littiraire (= celle de la litterature). pop.: populaire. Ripandu dans le peuple. soutenu: Style soutenu, langue soutenue, qui appartient ä une langue dcrite surveillde. COD formal: words and phrases more common in formal (esp. written English) [sic] colloq. (colloquial): [words and phrases] more common in informal spoken English slang: very informal or restricted to a particular social group LDOCE formal: a word that is suitable for formal speech or writing, but would not normally be used in ordinary conversation

223 Fortsetzung Anhang A l

Marker im diastratisch-diaphasisch-diamedialen

Markierungsbereich LDOCE (Fortsetzung) informal·. a word or phrase that is used in normal conversation, but may not be suitable for use in more formal contexts, particularly in writing eg essays or business letters slang'. a word or phrase that is used by a particular group of people, but is not normally used by most people spoken: a word or phrase used only, or nearly always, in conversation OALD fml: Formal expressions are usually only used in serious or official, especially written, language and would be inappropriate in normal everyday conversation, infml: Informal expressions are used between friends or people who know each other well, in a relaxed or unofficial context. They are not appropriate for formal situations. si: Slang is very informal language, mainly used in speaking and sometimes restricted to a particular group of people, eg those who have similar interests or do the same job. COBUILD formal: used mainly in official situations, or by political and business organizations, or when speaking or writing to people in authority informal: used mainly in informal situations, conversations, and personal letters spoken: used mainly in speech rather than in writing written: used mainly in writing rather than in speech

224 Anhang A2 Selektion im diastratischen Markierungsbereich (Stichprobe)

Collins Thes.

|COD

LDOCE

OALD

COBUILD

-

-

drunk blitzed blotto

-

esp. AmE informal

slang slang

BrE old-fashioned

infml

-

bombed

si

-

-

canned

slang

si

-

-

legless

slang

BrE informal

si

informal

merry

colloq.

BrE informal

infml

informal British Ε

paralytic

esp. Brit, slang

BrE informal

Brit infml

informal British Ε

pickled

slang

old-fash, informal

infml

British Ε informal

pissed

coarse slang

BrE spoken

! Brit si

plastered

slang

informal

si

informal offensive mainly Br Ε informal British Ε

sloshed

slang

informal

si esp Brit

informal

smashed

slang

informal

si

informal

soaked

ohne Marker

-

-

-

steaming

-

ScotE

-

-

stewed

colloq.

informal

-

-

informal

stoned

slang

informal

si

tiddly

esp. Brit, colloq.

BrE informal

infml esp Brit

informal British Ε

tight

colloq.

old-fash, informal

infml

-

wasted

slang

slang

-

-

wrecked

-

informal BrE

-

-

police fuzz 'police'

slang

ohne Marker

dated si

old-fash, informal

the law

colloq.

ohne Marker

infml

-

bobby

Brit, colloq.

BrE informal oldfashioned

Brit infml

cop

slang

informal

infml

old-fashioned informal informal

copper

slang

BrE informal

infml

British Ε informal

flatfoot

slang

-

-

-

fuzz 'policeman'

slang

-

-

-

gendarme

ohne Marker

ohne Marker

ohne Marker

ohne Marker

pig rozzer

slang offens.

slang

si derog offensive

-

Brit, slang

-

-

-

ablutions

-

-

Brit

-

bog

Brit, slang

BrE slang

Brit si

informal British Ε

crapper

-

BrE slang

-

-

gents

Brit.

BrE

Brit infml

informal British Ε

loo

Brit, colloq.

BrE informal

Brit infml euph

British Ε informal

slang

humorous

-

informal

toilet

sex nookie

225 Fortsetzung Anhang A2

Selektion im diastratischen Markierungsbereich (Stichprobe)

Collins Thes.

COD

LDOCE

rumpy-pumpy the other it oomph sexiness bonk(ing)

-

humorous

slang colloq. slang ohne Marker Brit, coarse slang

come-hither bent

colloq. Brit, slang offens. colloq.

camp pink queer

slang offens. Brit, slang offens. slang

dyke

-

COBUILD

-

-

-

-

-

-

ohne Marker si joc

ohne Marker British Ε informal

dated infml si esp Brit derog offensive infml

British Ε offensive informal

-

-

si derog offensive

informal offensive

BrE

-

-

ohne Marker

si usu offensive

slang informal ohne Marker BrE slang humorous old-fashioned BrE slang informal ohne Marker informal

-

poofy

OALD

-

fairy

slang offens.

ohne Marker

si derog

informal offensive offensive

Summe

43

44

31

26

Ts. Larousse ivre emdche noir defonce mür paf plein pompette raide rond schlass/ chlässe beurre blinde bourre casse cuit imbibe parti pete retame

NPR

LEXIS

PL

MR

DFColl

fam. fam. fam. arg. pop. fam. fam. fam. fam. fam.

fam. pop.

fam. fam.

fam fam

fam. pop.

-

-

pop. pop. pop. fam. pop. fam. pop.

-

fam fam ohne Marker fam

-

pop. pop. fam. -

-

-

fam. pop.

fam fam

fam.

fam. fam. fam.

pop.

fam.

fam

-

-

-

-

-

fam.

fam

-

-

-

-

-

-

-

fam.

-

-

-

-

fam.

fam.

fam fam

-

-

-

-

pop.

-

fam

-

fam. fam. fam. fam. vx

-

fam. (vieilli)

-

-

fam.

226 Fortsetzung Anhang A2

S e l e k t i o n im d i a s t r a t i s c h e n M a r k i e r u n g s b e r e i c h ( S t i c h p r o b e )

NPR

LEXIS

PL

MR

DFColl

-

-

-

fam

pop.

flicaille

pej. et fam.

pop.

-

-

-

rousse

arg.

arg.

arg., vx.

-

-

moblot

-

-

fam., vieilli

-

-

flic

fam.

pop.

fam.

fam

pop.

pandore

fam. et vx

fam.

fam. et vieilli

vx et iron.

-

perdreau

arg. fam.

-

-

-

-

poulet

fig. et fam.

pop.

pop.

fam

-

vache

fam. et vieilli

arg.

pop. et vx.

-

-

hirondelle

fam. et vieilli

pop.

fam.. vieilli

-

-

bourre

arg. (vieilli)

arg.

arg., vx.

fam

-

pissoir

region. (Nord)

pop.

pop.

-

-

pissotiere

fam.

fam.

fam.

fam

fam.

veces

fam.

-

fam.

-

-

chiottes

fam.

proscrit par le bon usage

vulg.

fam

pop.

feuillees

ohne Marker

ohne Marker

ohne Marker

ohne Marker

-

la bagatelle

mod. fam.

fam.

fam.

plaisant.

fam.

la gaudriole

fam.

fam.

fam.

ohne Marker

fam.

le cul

fam.

-

-

-

-

la fesse

ohne Marker

pop.

-

-

coucherie

fam. et pej.

pop. et pejor.

pop. fam., pej.

-

pop. et pejor.

fornication

plaisant

ohne Marker

fam., par plais.

-

-

folle

specialt, fam.

-

fam.

-

-

baise

fam.

-

vulg.

-

lopette

fam. et pej.

pop.

-

-

homo

fam.

vulg. arg. abrev. (fam.)

-

-

gouine

mod. et pej. abrev. fam.

pop.

vulg.

-

-

-

-

-

-

-

-

-

cour. et pej.

-

fam

-

26

12

Ts. Larousse givre police

lieux

d'aisances

sexual ite

hetero gousse pede

fam.

arg. Abrev. pop.

pedale

pej. et fam.

Syn. pop.

vulg. et injur. vulg. et injur.

Summe

46

34

36

227 A n h a n g A3

Selektion im diachronischen Markierungsbereich: N e o l o g i s m e n

(Stichprobe)

Barnhart fu.a.l (1990)

COD

LDOCE

OALD

COBU1LD

bicycle motocross bioremediation +

B M X (sport)

+

break-dance v. buckminsterfullerene (ehem.)

+

building sickness bulimic η.

+

dark matter (astron.)

+

+

D A T (audio)

+

+

desktop publishing

+

+

D N A fingerprint, D N A fingerprinting

+

+

deconstruct v. ('destroy') deconstructivism (archit.) deconstructivist (archit.) +

+ +

fitness center +

flops (comp.) front 'dividing surface between two elements' high-temperature superconductor hit woman (slang)

+

HIV

+

+

+

+

homeschool v. homeschooler +

home shopping

+

Η-ras (genet.) LBO lentivirus light piping (botan.) +

liposuction (cosmetic)

+

lithotripter

+

+

local area network

+

narco-terrorism

+

necklace v.

+

neural net (biotech.)

+

N e w Age

+

+

+

+

perestroika

+

+

+

+

prion

+

+

+1 + +2

N e w Ager people meter (telev.)

program trading (stocks)

'

s.v. LAN, s.v.

-

neural

network.

network.

228 Fortsetzung Anhang A3

S e l e k t i o n im d i a c h r o n i s c h e n M a r k i e r u n g s b e r e i c h : N e o l o g i s m e n

(Stichprobe) Barnhart [u.a.] (1990)

COD

LDOCE

OALD

COBU1LD +

raider ('corporate raider') ras (genet.) reflag v.

+

reverse vending machine R F L P (genet.) talk line talk radio +

+

virus (comp.)

+

+

+

+

Summe

23

10

6

14

Merle (1989)

NPR

thong ( b a t h i n g suit')

+

vaccinate (comp.) vaccination/vaccine propramme/vaccine (comp.)

bancarise

PL

LEXIS

MR

+

+

+

abri fiscal +

BD-phile betonne 'bloque d'avance, sans issue' beurette

+

bicrosseur se debureaucratiser decoiffer 'couper le souffle'

+

decouplage 'desengagement'

+

+

de?u du + п.

+

+

demonopoliser echolocatif familialiser financiarisation

+

FIVETE

+

+

+

+

libanisation

+

+

livre-cassette

+

+

lombriculture

+

+

galerer pop. 's'ennuyer' hectopascal hexagonalisme hiver demographique hydroponie hyperbranche incohabitable j u s d'elephant

lombriculteur

DFColl

229 Fortsetzung Anhang A3 (Stichprobe)

Selektion im diachronischen Markierungsbereich: Neologismen

Merle (1989)

NPR

PL

m a g i s t e r e ' d i p l ö m e u n i v e r s i t a i r e c r e e en 1985'

+

+

LEXIS

MR

DFColl

1

0

+

niche technologique nouveau terrorisme n o u v e a u terroriste n o u v e a u village n u m e r a t i o n 'utilisation du c o d a g e binaire ( d a n s le d o m a i n e d e s t e l e c o m m u n i c a t i o n s , etc.)' radio-trottoir

+

+

redaction electronique (se) r e f a i r e u n e s a n t e 'passer d ' u n e situation

+

d e f a v o r a b l e ä u n e situation m e i l l e u r e ' r e v i s i o n n i s t e [ b e z o g e n a u f d a s Dritte R e i c h ]

+

+

r u b r i q u a r d pej. technopole/technopöle

+

+

telecarte

+

+

+

+

+

touche pas а шоп X t o u r e x t e r i e u r 'integration d a n s un c o r p s d e fonctio n n a i r e s [...] sur titre et etat d e services' tout-numerique verrouiller, v e r r o u i l l e ' b i o q u e r t o u t e p o s s i b i l i t e d e changement' verrouillage

+

videofilm violer ' p e n e t r e r par e f f r a c t i o n d a n s u n o r d i n a t e u r ' or b l a n c 'ivoire' or gris ' p o i s s o n ' or vert 'feuilles d e la coca' Summe

79

15

2

230 A n h a n g

A 4

B e h a n d l u n g

Wörterbüchern

und

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dianormativ

markierter Einheiten

Lernerwörterbüchern

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231 F o r t s e t z u n g

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235 Fortsetzung Anhang A4 Behandlung dianormativ markierter Einheiten in allgemeinen Wörterbüchern und Lernerwörterbüchern (Stichprobe)

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237 Fortsetzung Anhang A4 Behandlung dianormativ markierter Einheiten in allgemeinen Wörterbüchern und Lernerwörterbüchern (Stichprobe)

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ο ρ. Л 5 l S i Ϊ7 ο Η "- visiter. Il ne \€Ut w i r personne. => recevoir, frequenter. Je ne le wis plus, j'ai rompu avec lui — LOC. FAM.Je l'ai assez vu : j ' e n suis las. j e ne tiens plus a le voir. Je ne рейх pas le voir (en peinture'), le supporter, о Trouver, rencontrer (qqch.). « Une petite larnpe comme on en wit dans les cuisines de Campagne » (Bosco). c o m m e il ν en a... 4» Regarder attentivement. avec intern. => examiner. J'ai vu le courrier (a» ι. l i r e ) . i'ai et corrige ce texte. Ii faut wir cela de plus prts, considerer. Allez- voir ce qui se passe d c6t& Voyez ce que dit le dictionnaire, consultez-le. Voyez ci-dessous. — Voir un malade, Texaminer. с Preter attention a, avoir present a la vue. a » remarquer. J'ai des fautes dans ce texte. decouvHr. tprouver, l. savoir. Voyez si eile accepte, informez-vous-en. Il faut d'abord wir, c'est d w u s de voir si la chose est possible. Ii tiliphonait pour wir si eile etait chez eile, о En incise, pour, appuyer une opinion en invitant ä la reflexion.«Les femmes, wyez-wus, fa ne dit jamais la vtriti» (Maupass.). «Vois-tu [...] ce qui est beau, c'est d'itre simple» (Daud.). о vom (aprts un verbe sans compl.). => done, FAΛ Voyons voir! Regardez voir sur la table s'il у est Dites wir. «Alors, explique w i r » (Queneau). «Essaye wir!» (Zola). «Attendez un peu wir, me dit Franfoise» (Proust). Φ VOYONS! s'emploie en maniere de rep röche, pour rappeler a la raison, a l'ordre. « Calmez-wus, wyons !» (Celine). «Voyons, qu'est-ce qui wus prend?» (Maupass.). «Voyons, топ petit» (Flaub.). Un peu de bon sens, wyons. «Ii me rtpondit "Ben ! Voyons ! " comme s'il s'agissait Id d'une Evidence» (St-Exup.), 6» Se representer par la pen see. concevolr, imaginer. Voir la rtaliti teile qu'elle est C'est une maniire, une fafon de wir, un point de vue* personnel. * Ii se wyait, se sentait perdu» (Maupass.). «Jamais eile necherchait ά imposer aux autres ses fafons de w i r · (Mart, du G.). «Je wus w i s pas dans un bureau» (Fallet). — Nous ne wyons pas de quoi il s'agit, de qui wus parlez. « Vous wyez ce que je veux dire»

247 Fortsetzung Anhang A5 Artikelbaupläne: see/voir NPR (Forts.)

(Duras). < C'ttait tout juste devenu un sujet de conversation, si vous voyez ce que je veux dire»(Le Clezio). Ah !je vois! je comprends fort bien (souvent iron.)· Tu vois, expression qui revient dans les dialogues, en incise, ye ne wis plus rien d dire, je ne trouve plus rien, il n'y a plus rien. J'ai vu le moment oil il se mettait en colire: il a ete sur le point de se mettre en colere.J* vois un inconvinient ά cela, j'estime qu'il у a un inconvenient. Si was n'y voyez pas d'inconvtnient: · si vous etes d'accord, si vous le permettez. — Voir grand: avoir de grands projets. О VOIR... EN (qqn), le considerer comme. *Il vit en eile une bienfaitrice»(Balz.)· 7* AVOIR QQCH. A VOIR (avec, dans): avoir une relation, un rapport avec (seult avec pas, rien, peu). je n'ai rien d voir dans cette affaire, Id-dedans: je n'y suis pour rien, cela ne me concerne pas. «La patience n'a rien d voir avec la simple attente»(Gide), n'est pas comparable a... AMOLT Cela n'a rien d voir! c'est tout different. *La sensualiU n'a pas grand-chose d voir avec les sentiments» (Maurois). Ill* v. tr. Ind. vom Л (et inf.): songer, veiller a. ι Nous verrons ά entratner votre oncle > (Huysm.). FAA II faudrait voir d ne pas nous raconter d'histoires! — FAA (II) faudrait voir d voir! il faudrait songer a faire attention (formule divertissement, parfois de menace). Et de lui expliquer qu'* il itait hors de question de faire des bitises avant d'y avoir riflichi; qu'il fallait voir d voir»(Perec). IV« SE VOIR V. pron. 1* (яйг.) Voir sa propre image. Se voir dans une glace. «On ne se voit pas dans la mer» (Prevert). о (Avec I'attribut d'objet, un compi.) Quand je me suis vue dans cet itat Elle ne s'est pas vue mourir. => sentir. — S'imaginer. lis se voyaient dijd marts (cf. Croire sa derniere heure arrivee). Je ne me tots pas habiier Id, habitant id} je me vois mal le suppliant, je l'imagine mal, cela n'est guere possible ou ne me plait guere. — (Employ^ comme aemi-auxil.) Elle s'est vue contrainte d renoncer (un sujet. done accord du p. p.), eile fut, elle se trouva contrainte. Elle s'est vu refuser l'entrie du club, on lui a refuse l'entree (deux sujets, pas d'accord). *A sa grande stupeur, le romancier s'est vu dter en justice» (Duham.). 2» (Map*.). Se rencontrer, se trouver ensemble. Des amoureux qui se voient en cachette. Nous nous sommes vues ricemment Nous ne nous voyons plus, ^frequenter. — LOC no-Ilsne peuvent pas se voir: ils se detestent. =>se sentir. 3« (PASS.) Etre, pouvoir etre vu. Un film qui se voit avec plaisir. Φ ßtre remarque, visible. Une reprise qui ne se voit pas. LOC Cela se voit comme le na' au milieu de la figure. => visible. Φ Se rencontrer, se trouver. Cet appareil se voit encore dans les campagnes, LOC Cela se voit tous les iours (cf. Deja vu*). Cela ne s'est jamais vu : c'est impossible, inepte. $ HOM. Voire > virent: vi re (virer); visse; visse (visser); »is : vis ' (1. vi vre).

248 Fortsetzung Anhang A5 Artikelbaupläne: see/voir MR

voir

[vwait] v. . conjug. 30. I . V. intr. Recevoir les images des objets par le sens de la vue*. Les aveugles ne voient pas. Ne voir que d'un ceil => borgne. Voir trouble, confusement. Je ne vois pas clair. Les rapaces voient loin. — Fig. Voir loin, prevoir. II. V. tr. dir. 1. Percevoir (qqch.) par les yeux. Voir qqch. de ses yeux, de ses propres yeux. II a tout vu, tout observe sans etre vu. Je l'ai ά peine vu. => apercevoir, entrevoir. Une femme agreable a voir, jolie. C'est ά voir, cela merite d'etre vu. J'ai vu cela dans le journal. => lire. — FAIRE VOIR : montrer. Faites voir ce livre. — (Personnes}Se faire voir, se montrer. Fam. S'il n'est pas content, qu 41 aille se faire voir!, qu'il aille au diable. — LAISSER VOIR : permettre qu'on voie; ne pas cacher. Ne pas laisser voir son trouble. Decollete qui laisse voir les epaules. — VOIR QUE, COMME, si... J'ai vu qu'il allait tomber. Vous voyez comme c'est beau. Allons voir si eile est prete. 2 . Avoir l'image de (qqn, qqch.) dans i'esprit. => se representee Ma future maison, je la vois en Bretagne. — Fam. Tu vois (a d'ici I, tu imagines. 3 · (Avec un compl. suivi d'un infinitif) Je vois tout tourner. Les voitures que j'ai vues rouler (ce sont les voitures qui roulent: accord du participe). Les voitures que j'ai vu conduire (le compl. de voir n'est pas le sujet du verbs & I'infinitif : pas d'accord). Loc. On vous wit venir, vos intentions sont connues. II faut voir venir, attendre. — Le pays qui I'a vue naitre, ой elle est nee. Ce journal a vu son tirage augmenter. — (Avec un compl. suivi d'un attribut) Quand je l'ai vue si malade, j'ai appele le medecin. Je voudrais la voir heureuse. Vous m 'en voyez desolee. Fam. Je voudrais vous у voir! (dans cet etat, cette situation), ce n'est guere facile. — (Avec un compl. suivi d une propos. relative) Je les vois qui arrivent. — (Avec un compl. suivi d'une propos. au participe) Je la vois montant I'escalier. 4 . Etre spectateur, temoin de (qqch.). Voir une piece de theatre. => assister. — Voir une ville, un pays, у aller, visiter. Loc. Voir Naples et mourir (parce qu'il n'y a rien de plus beau ä voir). Voir du pays, voyager. — Loc. On aura tout vu, c'est le comble. J'en ai vu bien d'autres !, j'ai vu pire. II en a vu, dans sa vie, il a eu des malheurs. En faire voir ά qqn, lui causer des tourments. II m 'en fait voir de routes les couleurs, il me tourmente. 5 . fetre, se trouver en presence de (qqn). Je l'ai dejä vu. => rencontrer. II ne veut voir personne. => recevoir ; frequenter. — Fam. Je l'ai assez vu, j'en suis las. Aller voir qqn, lui rendre visite. Je ne рейх pas le voir, je le deteste. => fam. encaisser, sentir. 6 · Regarder attentivement. avec interet. => examiner. J'ai vu des fautes dans ta dictee. II faut voir cela de plus pres. Voyez ci-dessous. Voir un malade, l'examiner. (Sans compl.) II ne sait pas voir, il est mauvais observateur. 7 . Fig. Se faire une opinion sur (qqch.). Voyons un peu cette affaire. => considered etudier. (Sans compl.) Nous allons voir, reflechir (avant un choix). C'est tout vu, c'est tout decide. — PROV. Qui vivra verra, 1'avenir seul permettra d'en juger. — On verra bien !, attendons la suite des evenements. — POUR

VOIR : pour se faire une opinion. En menace. Essaie un peu, pour voir! — VOIR QUE, COMME, COMBIEN... => constater. Voyez comme le hasard fait bien les choses / — VOIR SI... Voyez si eile accepte, informez-vous-en. — Tu vois, vois-tu, voyez-vous, appuie une opinion en invitant ä la reflexion. Ce qu'il faut, vois-tu, c'est... — Regardez voir, dites voir, pour voir. Fam. Voyons voir! — VOYONS ! : s'emploie pour rappeler ä la raison, ä l'ordre. Un peu de bon sens, voyons ! 8 · Se representer par la pensee. concevoir, imaginer. Voir la realite telle qu'elle est. Vous voyez ce que je veux dire ? Ah I je vois!, je comprends fort bien (souvent iron ). Si vous n'y voyez pas ^'inconvenient, si vous etes d'accord. — Voir grand avoir de grands projets. — Elle voyait en lui un ami, elle le considerait comme... — Voir qqch. ά, d'apres, par. « A quoi voyez-vous cela ) — A ses vetements. » 9 . AVOIR qqch. Λ VOIR (avec, dans) : avoir une relation, un rapport avec (seulement avec pas, rien, peU). Je n'ai rien a voir dans cette affaire, Ιά-dedans, je n'y suis pour rien. Cela n'a rien a voir!, c'est tout different. III. V. tr. ind. VOIR λ (+ infinitif) : songer, veiller a. — Litrtr. Nous verrons ά vom recompenserplus tard. — Fam. Ilfaudrait voir a ne pas nous raconter d'histoires IIV. SE VOIR v. pron. 1. (RM.) Voir sa propre image. Elle s'est vue dans la glace. — (Avec un attribut d'objet, un compl.) Elle ne s'est pas vue mourir. sentir. Elle s'est vue contrainte de renoncer, elle fut, elle se trouva contrainte. Elle s'est vu refuser son passage en cinquieme, on lui a refuse... lis se voyaient dejä morts, Us se croyaient morts. 2 . (Rfecipr.) Se rencontrer, se trouver ensemble. Des amoureux qui se voient en cachette. lis ne se voient pas. => se frequenter. — lis nepeuventpas se voir, ils se detestent. => se sentir. 3. (Passif) £tre, pouvoir etre vu. — fitre remarque, visible. La retouche ne se voit pas. — Se rencontrer, se trouver. Cela se voit tous les jours, c'est frequent. Cela ne s'est jamais vu, c'est impossible. < • entrevoir, m'as-tu-vu, prevoir, revoir, voici, voilä, © , © , © voyant, voyeur, vu, vue >

249 Fortsetzung Anhang A5

Artikelbaupläne: see/voir

DFColl v o i r [vwar] v. t. (lat. videre) [c. 41]. 1. Voir (qqn, qqch [+ inf.]), percevoir par la vue : Voir Ыеп, mal ( - avoir bonne, mauvaise vue). Lunettes pour voir de pris. Ne rien voir dans I'obscuriti (syn. DISTINGUER). Voir quelque chose Ä I'oeil nu (syn. APERCEVOIR). Voir le Ыё pousser. le regarde si je la vois arriver, mais je ne vois rien du tout, faire voir le chemin i quelqu'un ( - le lui indiquer, le lui montrer). Laisser voir son chagrin ( - ne pas le cacher). R'tdeau transparent qui laisse voir ce qui se passe & l'extirieur. Je.l'ai vu de mes propres yeux ( « je suis sOr de ce que j'avance). De la hauteur, on voit jusqu'ä des dizaines de kilometres. — 2. Voir qqch, en Иге le t&noin, assister 1 un tenement, le vivre : La giniration qui avula guerre de 14 (syn. FAIRE OU VIVRE). Voir du pays ( - le visiter, le parcounr). Un pays qui a vu plusieurs

revolutions

( s y n . CONNAITRE, SUBIR). Je

n'ai

jamais vu fa (marque la surprise, avec une nuance de disapprobation). Quelqu'un qui a beaucoup vu ( » qui a beaucoup d'exp&ience). Voir un film. Voir un match & la titevision ( - regarder). — 3. Voir qqn, qqch, I'imaginer, le concevoir: lenele vois pas du tout en m4deein. Voir I'avenir ( - privoir). Je ne vois pas ob cela peut vous mener. Je ne vois pas d'issue, ае solution (syn. TROUVER). Je ne vois pas ае mal & cela. Je ne vois pas ce qu'il у a de dröle (syn. COMPRENDRE). Vous pensez aux mois i venir, mais il faut voir plus loin. Voir grand. Elle ne voyait pas quel parti prendre. — 4. Voir qqn, qqch (+ int.), voir que (+ ind.), voir si (+ interrogative indi-

PL VOIR v.t (lat vidtn) E l 1.1. Percevoir par les yeux. Je l'ai vu de mes propres yeux. - Fain voir: montrer. - Laisser voir ; permettre de regarder ; ne pas dissimuler. - St faire voir : se montrer en public. - Voir le jour : naltre. О Pop. Alter se faire voir : aller au diabte. - En faire voir (de tomes les auleurs) ά qqn, lui causer des ennuis de toutes softes. - En voir (de loules les couleurs): subir toutes sortes de malheurs. 2. £tre ttmoin, spectateur de; assister ä. La giniration qui a vu la ρterre. Π. 1. Regarder avec attention, examiner. Voyez ce tableau. 2. Se trouver en presence de (qqn); rencontrer, frequenter. Voir souvent ses amis. Voir son midea'n, son avocat. 3. Se rendre dans (un lieu), visiter. Voir du pays. Voir une exposition. 1Π. 1. Se repr£senter mentalement; imaginer. Je l'ai vu en rive. Je vous vois Ыеп professeur. 2. Percevoir par ['esprit, constater, considirer. J'ai vu la situation danger. О Voir d'un Imt, d'un mauvais ait: apprtcier, ne pas appr6cier. 3. Saisir par I'intelligence; concevoir, comprendre. Je ne vois pas a que vous voutez dire. О Voir (de) bin ; avoir de la perspicacity ; prtvoir. - Voir venir : attendre avant d'agir. - Voir venir qqn, deviner ses intentions. 4. Se faire une opinion de ; juger, examiner. Je connais votre fafon de voir. Nous verrons. Aller voir Us choses de pris. О Pour voir ; pour essayer. 5. N'avoir rien ά voir avec : n'avoir aucun rapport avec. 6. Voyons, formule servant ä exhorter, A rappeter i 1'ordre. • v.t ind. β). Veiller i, faire en sorte de. • sc voir v.pr. 1. S'apercevoir; s'imaciner soi-mtaie. Je ne me vois pas faire ata. 2. Se frequenter. 3. £tre apparent, visible. Cela se voit comme le nex au nutiai de ta figure. 4. Se produire, arriver. Cela se voit tous les jours.

recte), constater un fait: II voit riussir tous ses camarades. Maintenant, je vois mes erreurs. Tu vois que tu as tort (syn. SE RENDRE COMPTE). Je vais au tiliphone pour voir si eile est Ii (syn. SAVOIR); (sujet qqch) voir qqch (+ inf.), il est constati que qqch se fait: Des terrains qui ont vu leurs prix doubter en un an. L'annie prochaine verra le mariage de ma saeur. — 5. Voir qqch, l'examiner, l'itudier de prfes, у гёЯёсЫг : Voir un dossier, une affaire. Je verrai fa. Voir un chapitre de Biographie. Je verrai ce que j'ai i faire. C'est i voir Г" Η raut у гёЯёсЫг). C'est une question ä voir (syn. STUDIER). Nous verrons fa entre nous ( - nous en reparlerons). — 6. Examiner, juger : Je connais votre fafon de voir & ce sujet (— votre opinion). Elle a fait la chose simplement pour voir (—pour pouvoir juger). — 7. Voir qqn, lui rendre visite, le frequenter: Voir son directeur (— le rencontrer, avoir un entretien avec lui). Voir rigulierement ses amis (— entretenir avec eux des relations d'amitie). Aller voir ses parents (= leur rendre visite). Aller voir le midecin. Voir un avocat (syn. CONSULTER). — 8. Voir i ce que (+ subj.), faire en sorte que, veiller ίι ce que : Voyez & ce qu'il ne manque de rien. — 9. Fam. Voir, р1асё aprfes un impiratif, sert i I'accentuer: Dites voir. Ecoute voir. || Voir, voyez, introduisent un renvoi dans un texte : Voir page suivante. Voyez cidessus. II Voyons I, sert & inciter qqn i parier ou ä agir ou bien sert & rappeler qqn il l ordre : Explique-toi, voyons! Voyons, un peu de silence, s'il vous plait! II Voyons voir, аплопсе qu'on va examiner qqen. — 10. Avoir quelque chose, n'avoir rien i voir (avec qqn, qqch), avoir, n'avoir aucun rapport avec la personne ou la chose dont il est question : Cette ftlle η a rien i voir avec moi, je ne la connais pas. Estu de mes propres yeux ( = j e s u i s s ü r ( I 0 ß 0 . t r u e ; v. 1220). 1. S e n s p a r l e q u e l o n p e r ^ o i t la f o r m e et la d e r e q u e j'avance). — 2. E t r e s p e c t a t c u r d ' u n e c h o s e , assister a e o u l e t i r d e s o h j e t s , el q u i p a r t i e i p c a la r e p r e s e n t a t i o n d e l ' e s p a c e : u n e v e n e r n e n t : Voir u n film. La plus belle chose que j'aie jamais Organes dr la vue. Ferdre la vue ( = d e v e n i r a v e u g l e ) . — vue. V o i r u n match ά la television ( s y n . REGARDER). La generation 2 . F a c u l t e d e voir : Sa vue baisse. S'user la vue. Avoir une bonne qui a im la guerre de 14 {syn. f a i r e ou v i v r e ) . Voir du pays ( = le vue. A perte de vue ( = a u s s i loin q u e Ton p e u t voir). L'avion est v i s i t e r , le p a r c o u r i r ) . Un pays qui a vu plusieurs revolutions {syn. hors de vue ( = n e p e u t p l u s e t r e vu). — 3 . R e g a r d : Detourner la c o n n a i t r e . Sl'RlR). Cette plaine a vu bien des combats {syn. ßTRELE vue pour ne pas voir un spectacle. S'offrir α la vue de quelqu'un t h e a t r e DE). Je n'ai jamais vu ςα ( m a r q u e la s u r p r i s e , a v e c u n e chose ( s y n . LES YEUX). — n u a n c e d e d i s a p p r o b a t i o n ) . Quelqu'un qui a beaucoup t m ( = q u i a ( s \ n . REGARDS). Jeter la vue sur quelque b e a u e o u p d ' e x p e r i e n c c ) . La ville qui Γα im naitre { = oil il e s t n e ) . — 3 . Voir quelqu'un (el u n a d j e c l i f a t t r i b u t ) , le I r o u v e r : Je l'ai vu si malade que j'ai appele le medecin. Vous m'en voyez ravi, navre, desnlr ( - j e s u i s r a v i , n a v r e , d e s o l e ) . — 4 . C o n s t a t e r , r e m a r q u e r : On voit bien que tu es trop je une. JI a telephone pour voir si j'etais chez moi. J'ai vu dans le journal que notre annonce etait pas see. — 5 . T r o u v e r , r e n c o n t r e r : Une commode comme on en voit dans presque toutes les maisons de Campagne ( = c o m m e il у a). — 6 . Voir quelqu'un, lui r e n d r e visit*·, a v o i r d e s r a p p o r t s a v e c lui : Des detuain il ira voir le prefet ( M a u r i a c ) [ = l e r e n c o n t r e r , a v o i r u n e n i r e t i c n a v e c lui J. V o i r r e q u i r e m e n t ses a m i s ( = e n t r e t e n i r a v e c e u x d e s r e l a t i o n s d ' a m i t i e ) . Ne plus pouvoir voir quelqu'un (syn. sol kvhir). Allez voir ses parents ( = r e n d e z - l e u r v i s i t c ) . Aller voir le mederin, Voir un avocat ( s y n . CONSUI.TER). — 7 . Aller sans voir, o u . s i m p l e m . , sans voir, a u p o k e r , p a r t i e i p e r ä u n c o u p s a n s a v o i r vu sim j e u . (I Allez-y voir, i n c i t a l i o n i r o n i q u e q u e T o n fait a c e u x isi6fe en ce moment. • n . m . Le visible echappe parfois aux

251 Fortsetzung Anhang A5 Artikelbaupläne: see/voir LEXIS (Forts.)

regards. • v i s i b l e m e n t a d v . (ν. 1200). De m a n it· re I n s facile a voir, ä c o n s t a t e r : II grandit et grossit visiblement. Enchantss, visibiement. А их anges ( M a r c e a u ) (syn. MANIKESTKMENT). Ce que l'humeur lache de trop visiblement faux rend ce qu'il у a de plus vrai improbable (Bazin). • v i s i b i l i t y n. f. ( b a s lat. visibilitas: 1487). 1. Q u a l i t e d e c e q u i p e u l e t r e vu f a c i l e m e n t : La faible visibility d'un objet α une telle distance. — 2. P o s s i b i l i t e d e voir b i e n et a s s e z loin : Manquer de visibilite dans u n virage. — 3 . (1935). Meteor. D e g r e d e t r a n s p a r e n c e d e I'air, v a r i a b l e selon la c o n c e n t r a t i o n d e s c o r p s s o l i d e s et d e la v a p o u r d ' e a u qu'il c o n t i e n t . • I n v i s i b l e a d j . (lat. invisibilis; v. 1220). 1. Q u i ne peul e t r e vu : « L 'Homme invisible » a ete un roman о succes. — 2. Trop petit p o u r e t r e a p e r y и : D ' i n v i s i b l e s insectes le piquaient au visage. • η. m. L'exprcssion de ['invisible. • I n v i s i b l e m e n t adv. (v. 1200). • I n v i s i b i l i t y n. f. (lat. invisibilitas; v. 1550). • r e v o i r v. tr. (980, ecrit revedeir; v. 1120). [ C o n j . 4 1 .J 1. Revoir une personne, une chose, les voir d e n o u v e a u : II failait qu'il revoie Paule tout de suite, mats a l'idee de se retrouver en face d'elle le cceur lui manquait (Beauvoir). — 2. Revoir un lieu, у r e v e n i r : II n'a pas revu son pays natal depuis de nombreuses annees. — 3 . R e g a r d e r d e n o u v e a u : Aller dans un musee revoir les tableaux que l'on aime. — 4. Revoir un spectacle, у a s s i s t e r d e nouveau : Revoir une piece de theatre, un film. — 5 . Revoir quelqu'un. quelque chose, s e l e s r e p r c s e n t e r p a r la m e m o i r e : Elte se revet f/л η demi et, com me en un rive, elle revit la masse noire des cheveux de Simon (Sagnn). • S e revolt v. p r . E t r e d e n o u v e a u en p r e s e n c e I ' u n ' d e I ' a u t r e : lis ne se sont pas revus depuis longtemps. • η. m. (v. 1620, « a d i e u j u s q u ' a u r e v o i r » ; 1798). Au revoir, f o r m u l e d r politess»* p o u r цгепНге cong»'· d e q u e l q u ' u n . • f e v u e η. f. (v. 1500). Farn. Etre de revue, avoir T o c c a s i o n d e s e revoir : Vans

de I'argentetudier la m a r c h e d e s c h o s e s p o u r l e s j u g e r et у pourvoir a u b e s o i n : II faut attendre et voir venir. • v. tr. ind. Avoir a voir a, avoir u n i n t e r e t a q u e l q u e c h o s e : Vous n'uvez rien ά voir ά ma conduite. • s e voir v. p r . 1. S e r e p r e s e n t e r p a r la p e n s e e : Elle se voit de ja toute vieille dans quelques annees (syn. S'LMACLNER). Tu te vois ά skis? Je vous regarde et je me vois (Audiberti). — 2 . S e t r o u v e r d a n s telle s i t u a t i o n : II s'est vu dans la misere apres avoir ete dans I'opulence. Elle etait fiere de se voir admiree de tant de monde. — 3. S e j u g e r , s ' a p p r e c i e r : Se voir tel qu'on est. • VU, e a d j . Bien vu, mal vu, b i e n , m a l c o n s i d e r e . j| C'est tout vu, inutile d e r e f l e c h i r , d ' e x a m i n e r p l u s l o n g t e m p s . • η. f. 1. I m a g e m e n t a l e ou f a c u l t e d e f o r m e r d e s i m a g e s m e n t a les ( d a n s q u e l q u e s e x p r e s s i o n s ) : J'en suis venu ά me demander si la maladie ne developpe pas en nous une sorte de seconde vue (Mallet-Joris) [— p o s s i b i l i t e d e s e n t i r , d e d e v i n e r c e q u i s e p u s s e a u loin). — 2. I d e e , c o n c e p t i o n : Les vues des doctes contrvdisaient Celles du vulgaire ( Y o u r c c n a r ) . Vuts infaillibles, hardies, larges. Proceder d un echange de vues ( = u n e n t r e t i e n p r e l i m i n a i r e , ou sont e x p o s e c s l e s c o n c e p t i o n s d e s d e u x p a r t i e s ) . Donner une vue d'ensemble ά la question (syn. APERCU, ID£E). II a maintenant des vues sur les maeurs et les habitudes de la Californie ( C e n d r a r s ) . Un esprit a courtes vues ( = q u i n e voit p a s loin). II a une vue pessimiste du monde. — 3 . I n t e n t i o n d e f a i r e q u e l q u e c h o s e : Tu as une nouvelle affaire en vue? (Pagnol) [ = tu e n v i s a g e s d e f a ^ o n p r e c i s e ] . Avoir quelqu'un en vue pour une place, un emploi ( = p e n s e r a lui). Börner ses vues a acquerir une maison a la Campagne (syn. AMBITION). Avoir des vues sur quelqu'un ( = avoir j e t e son d e v o l u s u r lui pour u n p o s t e , ou p o u r I ' e p o u s e r ) . — 4 . Point de vue, i d e e , opinion : Donner son point de vue sur une idee; du point de vue, e n c o n s i d c r a n t tel ou tel a s p e c t : Du point de vue artistique, historique. II Vue de l'esprit, conception purement theorique, sans r a p p o r t s ü f f i s a n t a v e c le r e e l : Jaures compte aussi sur I'influence des masses, pour empicher la guerre... Vue de l'esprit! ( M a r t i n d u C a r d ) . · L o c . PR£P. (V. 1650). En vue de, d e m a n i e r e a p r e p a r e r quelque c h o s e , a realiser un objectif, ä atteindre un but, etc. : Travailler en vue de reussir d un concours. Leroy retira ses chaus' sures, mit des chaussons de feutre en vue de cette expedition (Maigret). • v o y a n t , e n. (1812). P e r s o n n e q u i dit p o s s e d e r la vision s u r n a t u r e l l e d e s c h o s e s p a s s e e s , f u t u r e s , l o i n t a i n e s : Consuiter une voyante. Les femmes sont toutes un peu voyantes ( D a u det). Φ v o y a n c e η . f. (1829). Don s u r n a t u r e l q u e d e t i e n n e n t l e s

me rendrez топ livre un autre jour, nous sommes de revue. (V. a u s s i a son o r d r e a l p h a b . ) • r e v o y u r e η. Г. (1821). A la revoyure, syn. pop. d e AT) HEVOIR. • CLASS, v o i r v. tr. 1. F r e q u e n t e r : Se derober a la cour un seul moment, c'est у renoncer : le courtisan qui I'a vue le matin la voit le soir ( L a B r u y e r e ) . — 2. C o n n a l t r e c h a r n e l l e m e n l : Encore qu'un homme n'ait pas vu sa femme depuis un an, un ne iaisse pas de lui adjuger l'enfant dont elle est accuuchee ( F u r e t i e r e ) . — 3. R e g a r d e r : C'est le propre d'un effemine de se voir au miroir (La B r u y e r e ) . • v u e n. f. 1. R e g a r d : Ce serait presumer que d'une seule vue J'aurais vu de ton caeur la plus vaste etendue (Corneille). — 2. R e n c o n t r e : Nous parlerons de cela a notre v o y a n t s et l e s v o y a n t e s : Le don de voyance des choses cachees premiere vue ( F u r e t i e r e ) . — 3 . I n t e n t i o n : S a premiere vue pour ( H u y s m a n s ) . • r e v o i r v. tr. (v. 1120). 1. Revoir un texte, Vexamices filles etait qu'elles fussent extremement pauvres ( R a c i n e ) . — ner d e n o u v e a u , p o u r le m e t t r e a u point : Revoir un manuscrit 4. Dans la vue, a la v u e : II oublie sa dignite dans la vue de celle avant I'impression (syn. REVISER). — 2. Revoir une maliere des pauvres ( B o s s u e t ) . jl Donner dans la vut, p l a i r e : Je donnai inlellectuelle, l ' e t u d i e r d e n o u v e a u p o u r s e la r a p p e l e r : Revoir son dans la vue aux deux filles du Roi (Corneille). programme de fran$ais et de sciences naturelles pour le baccalaureat (syn. KEPASSER, HfcvisER). — 3 . Revoir une v o t f u r e , la r e p u r e r . 2 . V O I R [ v w a r ] v. tr. et i n t r . (de voir 1). [ C o n j . 41.} 1. Voir une Φ se revoir v. pr. S e voir s o i - m e m e e n i m a g i n a t i o n : Je me revois chose, l ' e x a m i n e r , l ' e t u d i e r d e p r e s , у r e f l e c h i r : Voir un dossier. le premier jour de la rentree, d la pension. Φ r e v u e n. f. (1317). Voir une affaire. Voir les choses de pres. Voir un chapitre de 1 . A c t i o n d ' e x a m i n e r a v e c soin : Tous les ans, il fait la revue de ses geographic, un morceau de musique. Je verrai ce que j'ai d faire. livres. Faire la revue de ses fautes, de sa vie passee. P a s s e r en revue C'est a voir ( = il f a u t у r e f l e c h i r ) . C'est une question ά voir (= к divers projets. — 2 . Revue de presse, c o m p t e r e n d u d e s a r t i c l e s etudier). — 2 . J u g e r , d e c i d e r , a v i s e r : Voir quelqu'un a t'ceuvre. p a r u s d a n s l e s j o u r n a u x et r e f l e t a n t d e s o p i n i o n s d i f f e r e n t e s . Ah! c'est quand j'etais en Grece qu'il failait me voir (Mallet-Joris). • CLASS, v u e s n . f. pi. I d e e s , p e n s e e s : II n'a nulles vues et il Je connais votre fa$on de voir Ά ce sujet (syn. OPINION). Nous est incapable de profiter de celles d'autrui ( L a B r u y e r e ) . verrons ςα entre nous ( = n o u s e n r e p a r l e r o n s ) . — 3. Avoir d a n s l'esprit l ' i m a g e d e q u e l q u e c h o s e : En fermant les yeux, je vois la maisonnette et son jardin. Je l'ai vu en reve. — 4 . I m a g i n e r , concevoir : Je ne le vois pas du tout en medecin. Voir les choses en aoir ( = e t r e p e s s i m i s l e ) . Les tribus sauvages du Haut-Sacramento uoyaient son etablissement d'un mauvais ceil ( C e n d r u r s ) . Je ne vois pas ой cela peut vous mener. Je ne vois pas d 'issue, de solution (syn. TROUVER). Je ne vois pas de mal d cela. Je ne vois pas ce qu'il у α de drole (syn. COMPRENDRE). Vous pensez aux mois ά venir, mais il faut voir plus loin. Voir grand ( = avoir d e g r a n d s p r o j e i s ) . II ne voyait pas quel parti prendre. Les pythonisses pretendent voir I'avenir (syn. PRfcvoiR). — 5 . Voir en quelqu'un quelque chose ou quelqu'un, le c o n s i d e r e r c o m m e : Je vois en elle ma bienfaitrice. — ί . Considerer un a s p e c t de, tenir c o m p t e d e (surtout en n e g a t i o n ) : Ne voir que I'argent. Dans un coupable une mere ne voit que son fils. — 7 . F o p . Faudrait voir d voir, il f a u d r a i t e x a m i n e r c e l a . }| N'avoir rien ά voir avec, n e p a s avoir d e r a p p o r t a v e c , n e p a s i n t e r e s s e r : Cela n'a rien a voir avec les sentiments reels que je puis ressentir ( M a u r i a c ) ; e t , a b s o l . : Cela n'a rien ά voir ( = c ' e s t lotalement d i f f e r e n t ) . || Ne voir que par les yeux de quelqu'un, suivre »on o p i n i o n e n t o u t . || Voir venir (quelqu'un), pressenlir, deviner ce q u ' u n e p e r s o n n e va f a i r e ou d i r e : Je vous vots venir, vous voulez

252 Anhang A6 Artikelbaupläne: time/fine/go/way

LDOCE

time 1 (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11)

TIME TIME SHOWN ON A CLOCK OCCASION HOW OFTEN TIME WHEN STH HAPPENS TIME WHEN STH SHOULD HAPPEN SUITABLE TIME PERIOD OF TIME GOOD TIME/BAD TIME ETC PERIOD IN HISTORY TIME NEEDED TO DO STH

(12) AVAILABLE TIME (13) SLOWLY/QUICKLY (14) MODERN (15) INTIME (16) HOW M A N Y (17) COMPARISONS (18) GRADUALLY/EVENTUALLY (19) MUSIC (20) LIKE/DISLIKE (21) OTHER MEANINGS

© AVAILABLE TIME Θ MODERN 46 [U] the amount of time that is available for you to do 57 ahead of your time someone who is ahead of their something: You'd better hurry up - we don't have much time uses the newest ideas and methods, which are lattime. I Time is running out in the hostage crisis. | sb's er used by many other people: Matisse was well ahead of his time in his use of colour. time (=the time they have available) I seem to spend most of my time on the phone. | precious time (=time 58 ahead of its time a machine, system etc that is ahead of its time has a very modern and advanced that is valuable because there is not much available) design: way ahead of its time (=a long way ahead of Hurry up—we're wasting precious time. 47 have all the time in the world used to say that you its time) The car, whichfeatured a turbo-charged engine have as much time as you want in which to do and disc-brakes, was way ahead of its time. something 48 time's up spoken used in competitions and examinations to tell people that there is no more time left 49 be out of time an expression used on television and radio programmes when saying that there is no more time left: Sorry, w 're out of time - I'll have to stop you there. © SLOWLY/QUICKLY 50 take your time a) to do something slowly or carefully without hurrying: There's no need to rush back -just take your time, b) to do something more slowly than seems reasonable: The builders are certainly taking their time with our roof! 51 irt no time at all/in next to no time very quickly or soon, especially in a way that is surprising: Jed got the car fixed in no time at all. 52 make good time if you make good time on a journey, you travel quickly, especially more quickly than you expected: There wasn't much traffic, so we made good time. 53 there's no time to lose used to say that you must do something quickly because there is very little time 54 with time to spare sooner than expected or necessary: There was very little traffic, and we got to the airport with time to spare. 55 time is of the essence formal used to say that it is important that something is done quickly 56 time is money used to say that wasting time or delaying something costs money

253 Fortsetzung Anhang A 6

Artikelbaupläne:

time/fine/go/way

COBUILD fine 1 adjective uses fin· /fain/ finer, finest •••• 1 You usefineto describe something that you ad- ADJ-GRADEDmire and think is very good. There is a fine view of usu,DJn the countryside... This is a fine book. ...London's finest art deco cinema. •finelyThey are finely engi- ADV-GRADED: ADV'M neered boats. 2 If you say that you arefine,you mean that you are ADJ-GRADED: in good health or reasonably happy. Lina is fine HinltADJ and sends you her love and best wishes. 3 If you say that something isfine,you mean that it ADJ-GRADED: is satisfactory Ч".!' 1 '?^', ,. ' or acceptable. ^ . . - The _ skiing is .fine... , oftffv-linkADJ Everything was going to be just fine... Itsfinetoask to-ini questions as we go along, but it's better if you wait =9reat. until we have finished. • Also an adverb. All the in- ^-GRADED strumentsare working fine. 4 You say 'fine' or 'that'sfine'to show that you do CONVENTION not object to an arrangement, action, or situation I ' " « " T H S | that has been suggested. If competition is the best *0K way to achieve it, then, fine... If you don't want to giveittome, that's fine, I don't mind... 'It'lltakeme a couple of days.'- 'That'sfinewith me.' 5 Something that isfineis very delicate, narrow, or ADJ-GRADED·. small. The heat scorched the fine hairs on her arms... The ship has come to rest on the fine sand. ^ • finely Chop the ingredients finely and mix them ADV-GRADED: together. · fineness Thatfineness of the tip is what *DV ^» controls the resolution of the image. N-UNCO 1973): Lexikon der Germanistischen Linguistik, 778-787. Tübingen: Niemeyer. Herbst, Thomas (1986): Defining with a controlled defining vocabulary in foreign learners' dictionaries. - Lexicographica 2, 101-119. - (1990): Dictionaries for foreign language teaching. English. - In: F.J.Hausmann, O.Reichmann, H.E.Wiegand [u.a.] (Hgg.) (1989-1991). Bd.2, 1379-1385. - (1993): Besprechung zu: Oxford Advanced Learner's Dictionary of Current English. Encyclopedic Edition, ed. by Jonathan Crowther (Oxford, OUP, 1992). - ZAA 41/4,366-368. - (1996): On the way to the perfect learners' dictionary. A first comparison of OALD5, LDOCE3, COBUILD2 and CIDE. - IJL 9/4, 321-357. - (1998): Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache und die britische Lernerlexikographie. - In: H.E.Wiegand (Hg.) (1998), 20-32. Hermanns, Fritz (1988): Das lexikographische Beispiel. Ein Beitrag zu seiner Theorie. - In: G.Harras (Hg.) (1988): Das Wörterbuch. Artikel und Verweisstrukturen, 161-195. Düsseldorf: Schwann (= Sprache der Gegenwart 74) (= Jahrbuch des Instituts für Deutsche Sprache 187).

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of

the

French

Language

(ARTFL):

Summary

The dictionary as a cultural artefact - this is the starting point for the present study, which examines nine English and French monolingual dictionaries in their social and cultural contexts. The author sets out to investigate the idea that dictionaries from different "dictionary landscapes" differ with respect to the organization of their component parts and structures, and that this is at least partly due to the social and cultural structures of the language community where the dictionaries were compiled. The focus of the study, then, is not so much on the "cultural content" of dictionaries (as exemplified in the lexicographical treatment of words related to racism or sexism, or in the encyclopedic knowledge reflected in the dictionary), but on the methodological aspect of lexicography: It is an attempt to examine, systematically and empirically, how far and in what ways the methods of dictionary making can be described as "culturally determined", and how this translates into specific structures on the surface of the lexicographic text. The study is based on material from five contemporary French dictionaries produced in F r a n c e (NOUVEAU PETIT ROBERT, PETIT LAROUSSE ILLUSTRE, LEXIS,

MICRO-ROBERT,

DLCTLONNAIRE DU FRANCAIS AU COLLEGE) and four contemporary English dictionaries compiled

i n B r i t a i n (CONCISE OXFORD DICTIONARY, OXFORD ADVANCED

LEARNER'S

DICTIONARY OF CURRENT ENGLISH, LONGMAN DICTIONARY OF CONTEMPORARY ENGLISH,

COLLINS COBUILD ENGLISH DICTIONARY). These dictionaries w e r e chosen because the

author considers them to be representative of their categories (the so-called general monolingual dictionary in one volume and the learners' dictionary) and - within the sub-corpora of the categories - to be comparable with respect to their position on the dictionary market, their size, the intended audience and the intended purpose of use. Chapter 1 reviews previous research on the subject, in particular Hausmann's "dictionary landscapes" (1985), Rey's "cultural dictionary" (1987), and several papers concerned with dictionaries and ideologies. These are taken as a basis to define the notion of "culture" for purposes of the present study. The aspects of culture taken into account are: (1) metalinguistic attitudes as exemplified by traditions of linguistic politics, research results on language attitudes, and the presence of special purpose dictionaries dealing with particular aspects of language (for example new words or slang) on the dictionary market; (2) attitudes towards the dictionary as an institution and the social tasks of lexicography. These can be inferred from statements in the mass media, from reports on user surveys and from the front matter of the dictionaries; (3) linguistic theories and popular points of view on language that were developed or prevail in a given society; (4) the situation on the dictionary market and the dictionary as a commodity. In this context, the technical and commercial prerequisites of lexicography as well as the intended users as "consumers" of the dictionary need to be considered. Chapter 2 gives a survey of recent developments on the dictionary market in Britain and France and discusses related issues of dictionary criticism. This situates the dictionaries under discussion in their historical context and reveals a first set of aspects about potentially relevant differences between the two corpora, which are examined more closely in the following chapters.

278 Chapters 3-6 each deal with one particular aspect or component part of the standard dictionary entry. The author attempts to pinpoint systematic differences between the two dictionary corpora, and to interpret them in the light of the cultural background as defined in chapter 1. In this context, lexicographic traditions need to be taken into account, in order to trace the development of the idiosyncrasies of each corpus, and to determine to what extent traditions are continued or modified under the influence of the present cultural environment. Chapter 3 looks into selection, usage labels and Usage Notes. The author compares selection and labelling practices of stylistically and diachronically marked vocabulary, and attempts to determine the linguistic norm which is reflected in and promoted by the dictionaries. Chapter 4 deals with lexicographic definitions. It discusses different defining techniques and defining styles in relation to what a lexicographic definition is supposed to achieve in the two societies. Chapter 5 looks into entry structures and discusses issues of meaning discrimination, sense ordering, and preferences for linear versus hierarchical structures. At the end of chapter 5 the perspective is broadened to include aspects of macro-structural ordering. This is taken as an opportunity to show how dictionary structures (in this case, different degrees of alphabetical ordering), in addition to their dependence on underlying cultural structures, relate to language structures (i.e. the derivational systems of the two languages under consideration). Chapter 6 deals with lexicographic examples and discusses their physical form (full sentences versus phrases) and their sources (authentic examples from various sources versus invented examples). In chapter 7 the author approaches the issue of lexicographical methods and cultural backgrounds from the opposite angle, taking as a starting point not a part of the dictionary entry but a linguistic structure, namely collocations, whose lexicographic treatment had proved particularly "culturally significant" in the previous chapters. The dictionaries are compared with respect to their treatment of collocations. The results of this comparison serve as a means to test and corroborate results from the previous chapters. The study concludes that specifically British tendencies as opposed to specifically French tendencies can be found in all parts of the dictionary entry, and that there are significant parallels between the structural features of the dictionary entries and socio-cultural parameters. In particular, it was possible to establish a relationship with language attitudes as expressed in normative traditions, with linguistic theories such as structural semantics, prototype semantics, and contextual theories of meaning, and with intended audiences (foreign or native) and intended purposes of use (encoding dictionary/decoding dictionary). Care should be taken, however, not to over-interpret certain clues for a direct causal relationship between dictionary structures and aspects of culture if the relationship is not explicitly stated in the front matter of the dictionary: Lexicographic texts should be seen as complex products of several factors: the socio-cultural setting prevailing at the time of compilation, established lexicographic traditions, and the laws of the market, which put the lexicographer under pressure to create an original work without violating certain cultural norms. One of the possible conclusions that can be drawn from the present study is that procedures of dictionary compilation have the best chance of establishing themselves as lexicographic traditions if several of these potentially relevant factors point into the same

279 direction. To put it differently: an element of a given culture has the greatest chance of becoming lexicographically relevant if the methodological options which it implies are already rooted in a given lexicographic tradition, and if sales are likely to be increased. At the end of the study the author proposes three general statements about the two dictionary landscapes. They concern (1) the relation of tradition and innovation within each dictionary landscape, (2) the degree of homogeneity within the dictionary landscapes, and (3) the weighting of different elements of the cultural context, which results in more "linguistic" and more "user-oriented" dictionaries.

Resume

Le dictionnaire de langue en tant qu'objet culturel - tel est le point de depart du present travail qui etudie neuf dictionnaires monolingues anglais et fran?ais dans leurs contextes culturels et sociaux. L'auteur part de l'idde que les dictionnaires appartenant ä diffirents "paysages dictionnairiques" se distinguent du point de vue de l'organisation de leurs elements et structures, et que cela est au moins partiellement dü aux structures sociales et culturelles de la communaute linguistique dont ils ömanent. II s'agit done moins de determiner le "contenu culturel" des dictionnaires (le savoir encyclopedique d'une communaute linguistique vehicuie par le dictionnaire; le traitement lexicographique des unites lexicales ayant trait au racisme ou au sexisme, etc.) que d'analyser l'aspect methodologique du travail lexicographique: L'auteur se propose de dömontrer de fa?on systömatique et e x p e r i m e n t a l comment et ä quel point les möthodes de la lexicographie sont d e t e r m i n e s par une culture donnöe, et comment се рЬёпотёпе se manifeste au niveau du texte lexicographique. Le travail se base sur des donndes provenant de cinq dictionnaires du fran?ais contempor a i n p r o d u i t s e n F r a n c e (NOUVEAU PETIT ROBERT, PETIT LAROUSSE ILLUSTRE, LEXIS, MICRO-ROBERT u n d DICTIONNAIRE DU FRANQAIS AU COLLEGE) et q u a t r e d i c t i o n n a i r e s d e

1'anglais contemporain produits en Grande-Bretagne (CONCISE OXFORD DICTIONARY, OXFORD ADVANCED LEARNER'S DICTIONARY OF CURRENT ENGLISH, LONGMAN

DIC-

TIONARY OF CONTEMPORARY ENGLISH, COLLINS COBUILD ENGLISH DICTIONARY). L e c h o i x

de ces ouvrages se justifie par le fait que l'auteur les considöre comme reprösentatifs de leurs categories (le dictionnaire monolingue general en un volume et le dictionnaire d'apprentissage) et - ä l'interieur d'une т ё т е cat6gorie - comme comparables du point de vue de leur Statut sur le тагсЬё du dictionnaire, de leur dpaisseur, du public vise et des types d'utilisation vises. Le chapitre 1 passe en revue des etudes pr0c6dentes sur le sujet, en particulier les "paysages dictionnairiques" de Hausmann (1985), le "dictionnaire culturel" de Rey (1987) et certains travaux sur les aspects idöologiques du travail lexicographique. Ces etudes sont prises comme point de depart pour delimiter la notion de culture qui sera retenue pour le present travail. Seront pris en consideration parmi les aspects de "culture": (1) les attitudes metalinguistiques telles qu'elles se refletent dans les traditions de la politique langagiere, dans les rösultats de la recherche sociolinguistique, et dans la presence sur le marche de dictionnaires specialises consacres aux unites marquees du lexique (tels que les n0ologismes ou l'argot); (2) les attitudes ä regard du dictionnaire en tant qu'institution et les fonctions sociales du dictionnaire. Ces dernieres peuvent etre deduites de certaines observations faites dans les mass medias, d'enquetes aupr£s des utilisateurs et des prefaces des dictionnaires; (3) les theories linguistiques et les points de vue populaires sur le langage qui se sont form0s dans une societe donnee ou qui у sont particulierement repandus ä un moment donne; (4) la situation sur le marche du dictionnaire et le dictionnaire en tant qu'objet de commercialisation. Dans ce contexte, le cadre technique et commercial de la lexicographie ainsi que les lecteurs potentiels en tant que "consommateurs" du dictionnaire doivent etre pris en consideration.

281 Le chapitre 2 präsente une vue d'ensemble de Involution гёсеШе sur le шагсЬё du dictionnaire en Angleterre et en France, ainsi que des grands themes de la critique du dictionnaire se rapportant aux deux paysages dictionnairiques. Ceci permet de situer les dictionnaires discutds ici dans leur contexte historique et d'avoir une premiere idee des differences potentiellement pertinentes, dont l'etude sera approfondie dans les chapitres qui suivent. Les chapitres 3-6 analysent chacun un aspect ou un element de l'article du dictionnaire standard. L'etude se propose de digager les differences systematiques entre les deux corpus de dictionnaires, et de les interpreter ä la lumiöre de la culture sous-jacente telle qu'elle a έίέ definie dans le chapitre 1. Dans ce contexte, l'auteur tient compte dgalement des traditions lexicographiques anterieures pour retracer Involution de certaines particularites observ6es dans les corpus, et pour determiner dans quelle mesure les traditions sont observees ou m o d i f i e s sous l'influence d'un environnement culturel nouveau. Le chapitre 3 traite de la selection, des marques d'usage et des Remarques. L'auteur compare les pratiques de selection et de marquage des unites lexicales stylistiquement et diachroniquement marquees et tente de determiner la norme linguistique refietee dans les dictionnaires. Le chapitre 4 est consacre ä la definition lexicographique. L'auteur analyse differentes techniques et styles definitoires et pose la question de savoir ce que la definition lexicographique est censee achever dans les deux civilisations. Le chapitre 5 a pour objet la structure des articles, plus particulierement la differenciation des significations, l'agencement des definitions et les plans d'article (structure lineaire vs. structure arborescente). A la fin du chapitre, l'optique est ouverte sur certains aspects de l'organisation de la macrostructure. Ceci donne l'occasion de montrer que les structures du dictionnaire (en l'occurrence, differents degres d'alphabetisation), tout en dependant de facteurs culturels, sont egalement en correlation avec les structures de la langue decrite (c'est-ä-dire les systemes derivationnels des deux langues traitees). Dans le chapitre 6, il est question de l'exemple lexicographique, qui est discute du point de vue de sa forme physique (phrase complete/syntagme) et de ses sources (exemple observe/exemple forge). Dans le chaptire 7, l'auteur aborde le sujet du "dictionnaire culturel" sous un angle different, en prenant comme point de depart non pas un element de l'article standard mais une structure linguistique: ä savoir les collocations, dont le traitement lexicographique s'etait avere particuliörement significatif dans le contexte donne au cours des chapitres precedents. Les dictionnaires sont compares du point de vue de la ташёге dont ils ргёsentent les collocations, ce qui donne l'occasion de verifier et de corroborer certains resultats des chapitres precedents. L'etude conclut que des tendances specifiquement anglaises, par opposition ä des tendances specifiquement franfaises, peuvent etre observees dans toutes les parties de l'article du dictionnaire, et qu'il у a des paralieiismes significatifs entre les caracteristiques structurelles des dictionnaires et certains paramfetres socio-culturels. Plus particulierement, il a 6te possible de faire ressortir des correlations avec les attitudes metalinguistiques telles qu'elles s'expriment dans l'histoire des activites normatives, avec certaines theories linguistiques comme la semantique structural, la semantique des prototypes et les theories contextuelles du sens, avec les usagers vises (de langue maternelle ou etrangfere) et le type d'utilisation vise (dictionnaire de consultation/de production).

282 II faut cependant se garder de surestimer certains indices qui semblent temoigner une veritable relation causale si cette relation n'est pas explicitee dans les prdfaces des dictionnaires. Les textes lexicographiques devraient etre vus comme des produits complexes de plusieurs facteurs: ä savoir le contexte socio-culturel ä l'dpoque de leur production, les traditions lexicographiques antörieures, et les lois du marchö qui imposent aux lexicographes de produire des ouvrages originaux tout en respectant certaines normes sociales. Les resultats du prdsent travail permettent de conclure qu'une pratique άοηηέε du travail lexicographique s'ötablira le plus facilement comme tradition si plusieurs de ces facteurs potentiellement influents concourent au т ё т е effet. Autrement dit: un ё1ётеШ d'une culture donnee influera le plus facilement sur les methodes de la lexicographie si les pratiques qu'il impose sont d6jä ancröes dans la tradition lexicographique, et si les ventes s'en trouvent meilleures. L'etude se termine en avanfant trois thöses g^nirales ä propos des deux paysages dictionnairiques. Elles concernent (1) la relation entre tradition et innovation, (2) le degre d'homogönöiti au sein d'un т ё т е paysage dictionnairique, et (3) l'impact des differents 0l6ments du contexte culturel sur les dictionnaires, dont resultent des ouvrages soit plus "linguistiques", soit plus "pragmatiques".