Das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS): Rahmenregelung zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsverkehrs unter besonderer Berücksichtigung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs von Dienstleistungsanbietern [1 ed.] 9783428492640, 9783428092642

Zum ersten Mal in der Geschichte der internationalen Wirtschaftsbeziehungen erlangt mit dem am 01.01.1995 in Kraft getre

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German Pages 257 Year 1999

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Das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS): Rahmenregelung zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsverkehrs unter besonderer Berücksichtigung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs von Dienstleistungsanbietern [1 ed.]
 9783428492640, 9783428092642

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MATTHIAS KOEHLER

Das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS)

Schriften zum Internationalen Recht Band 106

Das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) Rahmenregelung zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsverkehrs unter besonderer Berücksichtigung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs von Dienstleistungsanbietern

Von

Matthias Koehler

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Koehler, Matthias: Das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) : Rahmenregelung zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsverkehrs unter besonderer Berücksichtigung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs von Dienstleistungsanbietern / von Matthias Koehler. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum Internationalen Recht; Bd. 106) Zug!.: Köln, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09264-3

Alle Rechte vorbehalten

© 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-09264-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

Danksagung Die Entstehung der vorliegenden Arbeit, die von der Juristischen Fakultät der Universität zu Köln im Juni 1997 als Dissertation angenommen wurde, wurde in vielfacher Hinsicht durch andere unterstützt und gefordert. Für die Betreuung der Arbeit danke ich zunächst Herrn Professor Böckstiegel. Des weiteren danke ich Jochen Klein fiir seine Bereitschaft zur inhaltlichen Diskussion über A.ufbau und Konzept der Arbeit sowie Christoph Knoch, Rainer Eisentraut und Jens Siebenhaar fiir die Hilfe bei der Erstellung der Druckvorlage. Der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln danke ich fiir den Druckkostenzuschuß zur Veröffentlichung der Arbeit. Meinen Eltern gilt mein Dank, weil sie mich in jeder Phase der Arbeit in vielfältiger Weise unterstützt haben. Schließlich danke ich meiner Frau Suzanne Koehler fiir ihre Zuversicht und Geduld. Köln, im Oktober 1998

Matthias Koehler

Inhaltsübersicht

Einleitung ...................................................................................................................... 21 I. Thema und Ziel der Untersuchung......................................................................... 21

II. Gang der Darstellung ............................................................................................ 23

rn. Herkunft der verwendeten Forschungsmaterialien .............................................. 25 A. Grundlagen und Bedeutung des Dienstleistungshandels ..................................... 27 I. Der Begriff des internationalen DienstieistWlgshandels ........................................ 27

11. Handelshemmnisse im internationalen Dienstleistwtgshandel ............................. 43 III. Bedeutwtg und Umfang des Dienstleistungshandels ........................................... 49 B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS ................................................. 53 I. Völkerrechtliche Verträge vor Abschluß des GATS .............................................. 53

II. Die Verhandlungen über das GATS ..................................................................... 65 C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels ............................... 85 I. Die Grundstruktur des Übereinkommens ............................................................... 86 H. Der sachliche Geltwtgsbereich des GATS ............................................................ 89

III. Die allgemeinen Pflichten und Disziplinen ....................................................... 101 IV. Die spezifischen Verpflichtungen ..................................................................... 116 V. Die institutionellen Aspekte des GATS .............................................................. 142 VI. Zusammenfassende Betrachtwtg und Ausblick. ................................................ 156 D. Der grenzüberschreitende Personenverkehr im Rahmen des GATS ................ 160 I. Der Untersuchungsgegenstand ............................................................................. 160

8

Inhaltsübersicht II. Die völkerrechtlichen Gl1ll1dlagen ...................................................................... 167 III. Konfliktreicher Gegenstand der GATS-Verhandlungen ................................... 181 IV. Der Vertragsanhang zum Personenverkehr ....................................................... 194 V. Die Verpflichtungen nach Abschluß der Uruguay-Runde .................................. 209 VI. Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick................................................. 234

Anhang ........................................................................................................................ 238 Literaturverzeichnis ................................................................................................... 239 Sachregister ................................................................................................................ 252

Inhaltsverzeichnis

Einleitung ...................................................................................................................... 21 1. Thema und Ziel der Untersuchung ......................................................................... 21 II. Gang der Darstellung ............................................................................................ 23 III. Herkunft der verwendeten Forschungsmaterialien .............................................. 25 A. Grundlagen und Bedeutung des Dienstleistungshandels ..................................... 27 1. Der Begriff des internationalen Dienstleistungshandels ........................................ 27 1. Die Defmition der Dienstleistung in Abgrenzung zur Ware ........................ 28 a) Das Konzept des Tertiärsektors ................................................................ 28 b) Das Kriterium der Nichtstofflichkeit der Dienstleistungen ...................... 30 aa) Die Unberührbarkeit der Dienstleistungen ......................................... 31 bb) Die Unsichtbarkeit der Dienstleistungen ........................................... 32 cc) Fehlende Lager- und Transportfähigkeit von Dienstleistungen ......... 33 c) Abgrenzung im Wege der Enumeration ................................................... 33 d) Die Unterscheidung von volkswirtschaftlichem und völkervertraglichem Dienstleistungsbegriff............................................. 35 2. Die Definition des internationalen Handels mit Dienstleistungen ............... 36 a) Direkte international handelbare Dienstleistungen .................................. 38 b) Dienstleistungen in Verbindung mit der internationalen Wanderung der Anbieter ............................................................................................. 39 aa) Der temporäre Auslandsaufenthalt der Anbieter ................................ 39 bb) Die permanente Niederlassung der Anbieter im Empfangerland ....... 40 c) Dienstleistungen in Verbindung mit der internationalen Wanderung der Nachfrager ......................................................................................... 42 d) Dienstleistungen in Verbindung mit der internationalen Wanderung von Anbieter und Nachfrager .................................................................. 42 e) Zusammenfassung ................................................................................... 43 11. Handelshernmnisse im internationalen Dienstleistungshandel ............................. 43 1. Der Begriff der Hande1shernmnisse ............................................................. 43 2. Die verschiedenen Formen von Handelshernmnissen .................................. 44

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Inhaltsverzeichnis a) Sektorübergreifende und sektorspezifische Handelshemmnisse .............. 45 b) Handelshemmnisse in bezug auf die jeweilige Erbringungsforrn ............ 45 c) Marktzugangs- und Ausübungsbeschränkungen ...................................... 46 3. Die Motive für die Schaffung von Handelshemmnissen im Dienstleistungssektor ................................................................................... 47 a) Ordre public-Erwägungen ........................................................................ 48 b) Wirtschaftlicher Protektionismus ............................................................. 49 III. Bedeutung und Umfang des Dienstleistungshandels ........................................... 49

B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS ................................................. 53 I. Völkerrechtliche Verträge vor Abschluß des GATS .............................................. 53 1. Die Neuordnung der Weltwirtschaft nach dem II. Weltkrieg ....................... 53 a) Die gescheiterte Charta von Havanna ...................................................... 54 b) Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) .......................... 55 2. Die Liberalisierungskodizes der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ..•............................................. 57 3. Die völkerrechtlichen Verträge zur Gründung regionaler Wirtschaftszusammenschlüsse: Freihandelszone, Zollunion und Wirtschaftsgemeinschaft .............................................................................. 60 4. Bilaterale Handelsverträge ........................................................................... 63 5. Völkerrechtliche Regelungen in einzelnen Dienstleistungssektoren ............ 63 6. Zusammenfassung ....................................................................................... 64 II. Die Verhandlungen über das GATS ..................................................................... 65 1. Die von den USA entfachte Diskussion über den Dienstleistungshandel .... 65 a) Die US-Initiative von 1982 ...................................................................... 66 b) Die nationalen Untersuchungen des Dienstleistungshandels ................... 67 c) Weitere Bemühungen im Rahmen des GATT (1983-1985) ..................... 68 2. Die Eröffuung der Uruguay-Runde 1986 ..................................................... 69 a) Der Streit über die Einbeziehung des Dienstleistungshandels in den GATT-Verhandlungsrahrnen ................................................................... 69 b) Der Nord-Süd-Interessengegensatz.......................................................... 70 c) Die Erklärung von Punta dei Este: das Verhandlungsmandat als Komprorniß ............................................................................................. 72 3. Der Verlauf der Verhandlungen ................................................................... 75 a) Konzeptionelle K1ärungen (Oktober 1986 - April 1989) ......................... 75 b) Sektorspezifische Verhandlungen und vorläufige Vertragsentwürfe (April 1989 - Dezember 1990) ................................................................ 76 c) Rahrnenregelung, Anfangsverpflichtungen und sektorale Annexe (Januar 1991 - April 1994) ...................................................................... 79 aa) Die Erarbeitung der Rahmenregelung (Dunkel Draft) ....................... 80 bb) Die Verhandlungen über die Anfangsverpflichtungen ...................... 82

Inhaltsverzeichnis

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cc) Der Streit über die sektoralen Vertragsanhänge ................................. 83 C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels ............................... 85

1. Die Grundstruktur des Übereinkonunens ............................................................... 86 1. Die drei Bestandteile des GATS: Rahmenregelung, Listen, Anhänge ......... 86 2. Der Aufbau der Rahmenregelung ................................................................ 87 II. Der sachliche Geltungsbereich des GATS ............................................................ 89 1. Der Begriff der Dienstleistung ..................................................................... 89 a) Die fehlende Legaldefinition ................................................................... 90 b) Der Grundsatz der universellen Geltung in allen Dienstleistungssektoren ........................................................................... 90 c) Der Ausschluß der in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbrachten Dienstleistungen ...................................................................................... 91 2. Der Begriff des Handels mit Dienstleistungen ............................................. 92 a) Die vom GATS erfaßten Formen der Dienstleistungserbringung ............ 92 aa) Direkte international handelbare Dienstleistungen (Art. lAbs. 2 a GATS) ............................................................................................... 92 bb) Dienstleistungen in Verbindung mit der internationalen Wanderung der Dienstleistungsnutzer (Art. lAbs. 2 b GATS) .......... 93 cc) Dienstleistungen in Verbindung mit der internationalen Wanderung der Dienstleistungserbringer (Art. lAbs. 2 c und d GATS) ............................................................................................... 93 (1) Erbringung mittels konunerzieller Präsenz (Art. lAbs. 2 c GATS) ......................................................................................... 93 (2) Erbringung mittels Präsenz natürlicher Personen (Art. I Abs. 2 d GATS) ........................................................................... 94 dd) Zusammenfassung ............................................................................. 95 b) Die Beteiligten des Dienstleistungshandels ............................................. 96 aa) Die natürliche Person als Erbringer oder Nutzer einer Dienstleistung .................................................................................... 96 bb) Die juristische Person als Erbringer oder Nutzer einer Dienstleistung .................................................................................... 98 3. Der Begriff der Maßnahme .......................................................................... 99 a) Das staatliche Handeln als Handelshindernis ........................................... 99 b) Maßnahmen aller staatlichen Stellen ..................................................... 100 c) Maßnahmen hinsichtlich aller Erbringungsformen ................................ 100 4. Zusammenfassung ..................................................................................... 101 III. Die allgemeinen Pflichten und Disziplinen ....................................................... 101 1. Die Verpflichtung zur Meistbegünstigung (Art. II GATS) ........................ 102 a) Der Grundsatz ........................................................................................ 103 aa) Anwendungsbereich ......................................................................... 103

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Inhaltsverzeichnis bb) GleichbehandlWlgsmaßstab ............................................................. 104 cc) Sofortige MeistbegÜßstigWlg ........................................................... 105 dd) BedingWlgslose MeistbegÜßstigWlg ................................................ 105 (1) Das Problem der bedingWlgslosen MeistbegÜßstigWlg .............. 106 (2) Art. II Abs. 2 GATS in VerbindWlg mit dem ,,Anhang zu Ausnahmen von Artikel II" ....................................................... 106 (3) BewertWlg .................................................................................. 108 b) Die horizontalen MeistbegÜßstigWlgsausnahmen .................................. 109 2. Die VerpflichtWlg zur Transparenz (Art. m Wld Art. mbis GATS) ........... 110 a) Der Grwtdsatz ........................................................................................ 110 b) Erweiterte Notifikations- Wld Informationsmöglichkeiten .................... 111 c) BewertWlg .............................................................................................. 111 3. AnerkennWlg ausländischer Qualifikationen (Art. VII GATS) .................. 112 a) VerhandIWlgspflicht. .............................................................................. 112 b) Zusätzliche TransparenzverpflichtWlg ................................................... 113 c) BewertWlg .............................................................................................. 113 4. Die allgemeinen Ausnahmen (Art. XIV Wld Art. XWbis GATS) ............... 113 a) BedeutWlg der AusnahmeregeIWlgen ..................................................... 113 b) Die allgemeinen Ausnahmetatbestände ................................................. 114 c) Die Ausnahmen zur Wahrwtg der Sicherheit ......................................... 115 5. ZusanunenfassWlg ..................................................................................... 115 IV. Die spezifischen VerpflichtWlgen ..................................................................... 116 1. Das Liberalisierwtgskonzept des GATS: die sektorspezifische MarktöfthWlg ............................................................................................. 116 a) Die Alternative zwischen sektorübergreifender Wld sektorspezifischer MarktöfthWlg ......................................................................................... 116 b) Die MarktöfthWlg in Hinsicht auf Marktzugang Wld InländerbehandlWlg ............................................................................... 118 c) Die Konsolidierwtg von Konzessionslisten in Hinsicht auf die vier ErbringWlgsformen ................................................................................ 119 aa) Die sog. Listen der spezifischen VerpflichtWlgen ............................ 119 bb) Das System der Positivlisten mit Vorbehalten hinsichtlich einzelner ErbringWlgsformen ........................................................... 120 cc) Zur Terminologie der Listen der spezifischen VerpflichtWlgen ....... 121 d) Das Liberalisierwtgsprogranun des GATS: sukzessive VerhandlWlgsrwtden auf der Grwtdlage der Reziprozität ...................... 122 2. Die spezifischen VerpflichtWlgen im einzelnen ......................................... 123 a) Der Marktzugang (Art. XVI GATS) ...................................................... 124 aa) Der Begriff des Marktzugangs ......................................................... 124 bb) Die Schaffung eines Mindeststandards als Grwtdlage des weiteren Liberalisierwtgsprozesses .................................................. 125

Inhaltsverzeiclmis

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cc) Die Vorbehalte hinsichtlich des Marktzugangs (Art. XVI Abs. 2 GATS) ............................................................................................. 126 (1) Verschiedene Fonnen quantitativer Beschränkungen ................ 126 (2) Beschränkungen der rechtlichen Unternehmensfonnen und der Beteiligung ausländischen Kapitals ........................................... 127 (3) Die notwendige Einbeziehung der ,,Maßnahmen gleicher Wirkung" ................................................................................... 127 b) Die Inländerbehandlung (Art. XVII GATS) .......................................... 128 aa) Gleichbehandlung ausländischer und inländischer Dienstleistungen .............................................................................. 128 bb) De facto-Gleichbehandlung statt de jure-Gleichbehandlung ........... 129 cc) Das Verhältnis von Inländerbehandlung und Marktzugang ............. 130 c) Die zusätzlichen Verpflichtungen (Art. XVIII GATS) .......................... 131 3. Rechtswirkungen und Bedeutung der spezifischen Verpflichtungen nach der Maßgabe des Teil 11 des GATS ............................................................ 132 a) Die Anwendung innerstaatlicher Regelungen in den liberalisierten Dienstleistungssektoren (Art. VI GATS) ............................................... 133 b) Die Liberalisierung des Zahlungsverkehrs in den liberalisierten Dienstleistungssektoren (Art. XI GATS) ............................................... 134 c) Die besonderen Ausnahmetatbestände in den liberalisierten Dienstleistungssektoren ......................................................................... 135 aa) Notstandsmaßnahmen (Art. X GATS) ............................................. 136 bb) Beschränkungen zum Schutz der Zahlungsbilanz (Art. XII GATS) 137 d) Die zunehmende Beteiligung der Entwicklungsländer (Art. IV GATS) 138 aa) Der Begriff der Entwicklungsländer ................................................ 138 bb) Berücksichtigung der Entwicklungsinteressen und NonReziprozität ...................................................................................... 139 cc) Bewertung ........................................................................................ 141 4. Zusammenfassung ..................................................................................... 142 V. Die institutionellen Aspekte des GATS .............................................................. l. Die Einbindung des GATS in das institutionelle Gefüge der WTO ........... a) Das GATS als integraler Bestandteil des WTO-Übereinkommens ........ b) Das GATS als Zuständigkeitsbereich der WTO-Organe ....................... c) Auslegung, Ausnahmegenehmigungen und Änderungen der GATSNonnen und -Verpflichtungen durch die WTO-Organe ........................ 2. Die Streitbeilegungsordnung der WTO als Teil des GATS ....................... a) Das Streitbeilegungsorgan und die vorgesehenen Verfahrensarten im Überblick ............................................................................................... b) Das Panel-Verfahren als Kernstück der Streitbeilegungsordnung ......... c) Die Bedeutung der Streitbeilegungsordnung fiir das GATS .................. 3. Der Handelspolitische Überwachungsmechanismus und seine Bedeutung fiir das GA TS ...........................................................................

142 143 143 144 145 147 148 149 152 154

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Inhaltsverzeichnis 4. Zusammenfassung ..................................................................................... 155 VI. Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick ................................................. 156

D. Der grenzüberschreitende Personenverkehr im Rahmen des GATS ................ 160 I. Der Untersuchungsgegenstand ............................................................................. 160 1. Ein "ausufernder" Untersuchungsgegenstand? .......................................... 161 2. Die Eingrenzbarkeit des Untersuchungsgegenstandes ............................... 162 a) Der besondere Anhang zum grenzüberschreitenden Verkehr natürlicher Personen .............................................................................. 162 b) Der grenzüberschreitende Personenverkehr als Teil der ,,Horizontalen Verpflichtungen" innerhalb der Listen der spezifischen Verpflichtungen ..................................................................................... 163 c) Systematische Untersuchung der Listen hinsichtlich von spezifischen Verpflichtungen bezüglich bestimmter Kategorien von natürlichen Personen ................................................................................................ 165 3. Der weitere Gang der Untersuchung .......................................................... 166

11. Die völkerrechtlichen Grundlagen ...................................................................... 167 1. Das Fremdenrecht als Regelungsgegenstand im Bereich der Gebietshoheit der Staaten ........................................................................... 167 a) Der Begriff des Fremdenrechts .............................................................. 167 b) Die Regelung der Rechtsstellung von Ausländern als Ausfluß der Gebietshoheit ......................................................................................... 168 aa) Gebietshoheit und territoriale Souveränität.. .................................... 168 bb) Gebietshoheit und Personalhoheit ................................................... 169 2. Der völkerrechtliche Mindeststandard bezüglich der Rechtsstellung von Fremden ..................................................................................................... 170 a) Der Begriff des völkerrechtlichen Mindeststandards ............................. 170 b) Der Mindeststandard bezüglich Einreise und Ausweisung von Fremden ................................................................................................. 171 c) Der Mindeststandard bezüglich des Aufenthaltes von Fremden in dem staatlichen Hoheitsgebiet ....................................................................... 172 3. Das Völkervertragsrecht mit Bezug zum grenzüberschreitenden Personenverkehr von Dienstleistungsanbietern .......................................... 173 a) Übereinkommen mit weltweiter Verbreitungstendenz ........................... 174 b) Verträge zur regionalen Wirtschaftsintegration ..................................... 175 aa) Wirtschaftsgemeinschaft der Westafrikanischen Staaten (ECOWAS) ...................................................................................... 176 bb) Gemeinsamer Nordischer Arbeitsmarkt .......................................... 176 cc) Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) ............................... 177 dd) Die Europäischen Gemeinschaften .................................................. 178 c) Bilaterale Abkommen ............................................................................ 180

Inhaltsverzeiclmis

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III. Konfliktreicher Gegenstand der GATS-Verhandlungen ................................... 181 1. Die Einigung über die Einbeziehung des Personenverkehrs in den GATS-Rahmen .......................................................................................... 183 2. Der Interessengegensatz zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern .................................................................................. 184 a) Der GATS-Entwurf der USA vom Oktober 1989 .................................. 185 b) Der Entwurf eines GATS-Anhangs von acht Entwicklungsländern vom Juni 1990 ....................................................................................... 186 c) Der Entwurf eines GATS-Anhangs vom Vorsitzenden der GNS vom Dezember 1990 ...................................................................................... 188 3. Der Abschluß der GATS-Verhandlungen und die Zusatzverhandlungen zum grenzüberschreitenden Personenverkehr ............................................ 189 a) Die Einigung über den Vertragsanhang zum Personenverkehr .............. 190 b) Der Konflikt um die Anfangsverpflichtungen zum Personenverkehr .... 191 c) Die Zusatzverhandlungen zum Personenverkehr nach Abschluß der Uruguay-Runde ..................................................................................... 192 IV. Der Vertrags anhang zum Personenverkehr ....................................................... 194 1. Die Systematik des Anwendungsbereichs des GATS zum grenzüberschreitenden Personenverkehr (Abs. 1) ...................................... 195 a) Die natürliche Person als Dienstleistungserbringer. ............................... 195 b) Die natürliche Person als Beschäftigte eines Dienstleistungserbringers 196 aa) 1. Fallgruppe: Beschäftigung einer ausländischen Arbeitskraft durch einen inländischen Dienstleistungserbringer .......................... 196 bb) 2. Fallgruppe: Beschäftigung einer ausländischen Arbeitskraft durch einen grenzüberschreitend tätigen ausländischen Dienstleistungserbringer ohne Auslandsniederlassung .................... 197 cc) 3. Fallgruppe: Beschäftigung einer ausländischen Arbeitskraft durch einen grenzüberschreitend tätigen ausländischen Dienstleistungserbringer mit Auslandsniederlassung ....................... 197 c) Zusammenfassung ................................................................................. 198 2. Der Ausschluß bestimmter staatlicher Maßnahmen aus dem Liberalisierungsrahmen des GATS (Abs. 2) .................................... :......... 199 a) Maßnahmen bezüglich des Zugangs zum Beschäftigungsmarkt ............ 199 b) Maßnahmen bezüglich Staatsangehörigkeit und Daueraufenthalt ......... 200 c) Maßnahmen bezüglich Dauerbeschäftigung .......................................... 201 3. Zur Reichweite der spezifischen Verpflichtungen bezüglich des grenzüberschreitenden Personenverkehrs (Abs. 3) ..................................... 201 a) Ergänzende Regelung zu den Teilen III und IV des GATS ................... 201 b) Verhandlungen bezüglich aller Kategorien von natürlichen Personen .. 202 c) Keine Begründung subjektiver Rechte Einzelner durch spezifische Verpflichtungen ..................................................................................... 203

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Inhaltsverzeichnis 4. Das Verbot der nachteilhaften AnwendlUlg innerstaatlicher EinreiselUld AufenthaltsbestimmlUlgen (Abs. 4) ..................................................... 207 5. ZusammenfasslUlg ..................................................................................... 208 V. Die Verpflichttmgen nach Abschluß der Uruguay-RlUlde .................................. 209 1. Die Besonderheiten der spezifischen VerpflichtlUlgen zum grenzüberschreitenden Personenverkehr gegenüber den Vorgaben des GATS ......................................................................................................... 211 a) Die Systematik der VerpflichtlUlgslisten bezüglich des Personenverkehrs ................................................................................... 211 b) Die einheitliche EintraglUlg der spezifischen Verpflichttmgen bezüglich Marktzugang lUld InländerbehandllUlg .................................. 212 c) Zur Terminologie der Verpflichttmgslisten zum grenzüberschreitenden Personenverkehr ................................................ 214 2. Systematische ErfasslUlg der spezifischen Verpflichttmgen zum grenzüberschreitenden Personenverkehr .................................................... 216 a) Identifikation bestimmter Kategorien von natürlichen Personen anhand allgemeiner Kriterien ................................................................ 216 b) Die einzelnen Kategorien ...................................................................... 217 aa) Die Geschäftsreisenden ("business visitors") ................................... 218 bb) Aufenthalt natürlicher Personen zum Aufbau von AuslandsniederiasslUlgen ................................................................. 219 cc) Die innerbetrieblich versetzten Beschäftigten von AuslandsniederlasslUlgen ("intra-corporate transferees") ................ 221 dd) Die Spezialisten ............................................................................... 224 ee) Die sog. ,,Dreimonatspersonen" ("contractual service suppliers") ... 226 c) Vergleichender Überblick über die VerpflichtlUlgen der Industriestaaten lUld der EntwickllUlgsländer ........................................ 228 3. Abschließende AuswertlUlg der spezifischen Verpflichttmgen zum grenzüberschreitenden Personenverkehr .................................................... 230 a) BeschränklUlg der Verpflichttmgen auf Beschäftigte von DienstieistlUlgslUltemehmen .................................................................. 230 b) SchwerplUlkt der Verpflichttmgen auf ZulasslUlg des grenzüberschreitenden Personenverkehrs im Zusammenhang mit AuslandsniederlasslUlg .......................................................................... 231 c) Beschränktmg der VerpflichtlUlgen auf hierarchisch übergeordnetes bzw. hochqualifiziertes DienstieistlUlgspersonal ................................... 233 d) ZusammenfasslUlg ................................................................................. 234 VI. Zusammenfassende BetrachtlUlg lUld Ausblick ................................................. 234

Anhang ........................................................................................................................ 238

Inhaltsverzeichnis

17

Literaturverzeichnis ........................................................................................... ........ 239 Sachregister ................................................................................................................ 252

2 Kochlcr

Abkürzungsverzeichnis AbI. Abs. AJIL Anm. Art. Aufl. BfAl BGB BGBI. BISD CAP CIS CPC dies. Diss. Doc. DSB EA EC ECOWAS EEC EFTA EG EGV

EMRK engl. EPIL EuGH Eurostat EuZW EWIV

F.A. Z.

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz American Journal ofIntemational Law Anmerkung Artikel Auflage Bundesstelle für Außenhandelsinformation Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Basic Instruments and Selected Documents Common Agricultural Policy (Gemeinsame Agrarpolitik) Community of Independent States Central Product Classification Dieselbe (n) Dissertation Document Dispute Settlement Body (Streitbeilegungsorgan der WTO) Europa-Archiv European Community (Europäische Gemeinschaft) Economic Community of West African States European Economic Community (Europäische Wirschaftsgemeinschaft) European Free Trade Association (Europäische Freihandelsassoziation) Europäische Gemeinschaft (en) Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EWGVertrag in der Fassung des Vertrages über die Europäische Union) Europäische Menschenrechtskonvention (eigentlich: Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten) Englisch Encyclopedia of Public International Law Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaften Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische wirtschaftliche Interessengemeinschaft Frankfurter Allgemeine Zeitung

Abkürzungsverzeichnis FN Fs GATS GATT GmbH GNG GNS Hrsg. hrsg. lCJ lCJ Reports lGH ILO IMF

IrO

i.V.m. lWF JA JWTL JZ LAFTA

Iit. MTN

n. v. NAFTA NIC NJW No. Nr. NUR NVwZ OECD

2'

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Fußnote Festschrift General Agreement on Trade in Services (Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen) General Agreement on Tariffs and Trade (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) Gesellschaft mit beschränkter Haftung Group on Negotiations on Goods (Verhandlungsgruppe für den Warensektor im Rahmen der Uruguay-Runde) Group on Negotiations on Services (Verhandlungsgruppe für den Dienstleistungssektor im Rahmen der Uruguay-Runde) Herausgeber Herausgegeben International Court of Justice (Internationaler Gerichtshof) International Court of Justice, Reports of Judgements, Advisory Opinions and Orders Internationaler Gerichtshof International Labour Organization (Internationale Arbeitsorganisation) International Monetary Fonds (Internationaler Währungsfonds) International Trade Organization (Internationale Handelsorganisation) in Verbindung mit Internationaler Währungsfonds Juristische Arbeitsblätter Journal ofWorld Trade Law Juristenzeitung Latin American Free Trade Association (Lateinamerikanische Freihandelsassoziaton) Littera Multilateral Trade Negotiations (Multilaterale Handelsverhandlungen) nicht veröffentlichtes Dokument des GATT bzw. der WTO North American Free Trade Agreement (Nordamerikanische Freihandelsabkommen) New Industrialised Country Neue Juristische Wochenschrift Nummer Nummer News ofthe Uruguay Round Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Organization for Economic Cooperation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)

20 OMC OSZE PKW RGDIP RIW Rn Rs. S. SC Sec. Sero Sig. sog. Supp.

TNC

TPRM TRIPS

TRIMs

UN UNCTAD USA V verb. Verf. vgl. VN Vol. WTO ZaöRV

ZHI

Ziff.

Abkürzungsverzeichnis Organisation Mondiale du Commerce (Welthandelsorganisation) Organisation rur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Personenkraftwagen Revue generale du droit international public Recht der Internationalen Wirtschaft Randnummer Rechtssache Seite Specific Commitrnents (Spezifische Verpflichtungen der GATSMitglieder) Section Serie; Series Sammlung Sogenannt (e, er, es) Supplement Trade Negotiations Comrnittee (Ausschuß rur Handelsverhandlungen im Rahmen der Uruguay-Runde Trade Policy Review Mechanism (Handelspolitischer Überwachungsmechanismus der WTO) Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (Übereinkommen über den Schutz der handelsbezogenen Aspekte des geistigen Eigentums) Trade Related Investment Measures (Übereinkommen über handeIsbezogene Investitionsmaßnahmen) United Nations (Vereinte Nationen) United Nations Conference on Trade and Development (Konferenz der Vereinten Nationen rur Handel und Entwicklung) United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika) Vertrag Verbunden Verfasser vergleiche Vereinte Nationen Volume World Trade Organization (Welthandelsorganisation) Zeitschrift rur ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zoll- und Handelsinforrnation Ziffer

Im übrigen wird auf Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Aufl. 1993. sowie auf das Abkürzungsverzeichnis der Zeitschriften-Bibliographie Public International Law des Max-Planck-Instituts rur ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht verwiesen.

Einleitung I. Thema und Ziel der Untersuchung Die vorliegende Untersuchung befaßt sich mit dem Allgemeinen Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATSY. Dieser völkerrechtliche Vertrag ist integraler Bestandteil des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandels organisation (Agreement establishing the World Trade Organization, WTOY, welches am 01.01.1995 in Kraft trat und das Ergebnis der mehr als sieben Jahre dauernden Verhandlungen im Rahmen der achten multilateralen Handelsrunde unter der Ägide des GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, General Agreement on Tariffs and Trade)' war, der sog. Uruguay-Runde. Zum ersten Mal in der Geschichte der internationalen Wirtschaftsbeziehungen erlangt mit dem GATS eine völkerrechtlich verbindliche und institutionell eingefaßte Rahmenregelung für GATT den gesamten weltweiten Dienst· leistungsverkehr Geltung. Seit dem Scheitern der Charta von Havanna bis zum Beginn der Uruguay-Runde hatte zwar das im Jahr 1947 geschaffene GATT zunehmend an Bedeutung hinsichtlich der zwischenstaatlichen Ordnung des Welthandels gewonnen. Der Geltungsbereich dieser Übereinkunft erstreckte sich jedoch allein auf den grenzüberschreitenden Waraenaustausch. Im Bereich des globalen Handels mit Dienstleistungen, der mittlerweile mit einem Handeisvolumen von über 4 Billionen Dollar einen Anteil von mehr als 21 Prozent aller weltweit durchgeführten Transaktionen ausmacht, fehlte dagegen eine dem GATT vergleichbare Regelung. Diese Lücke wird nunmehr durch das GATS getUllt, das neben dem refonnierten GATT' und dem ebenfalls neu geschaffenen Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Proper-

I BGB!. 1994 H, S. 1473 ff. (authentische eng!. Fassung), 1643 ff. (deutsche Überset· zung). 2 BGB!. 1994 H, S. 1443 ff. (authentische eng!. Fassung), 1625 ff. (deutsche Überset· zung); im folgenden wird hierauf als WTO-Übereinkommen Bezug genommen. 'BGB!. 1951 H, S. 173 ff., 1980 H, S. 854 ff., 1994 H, S. 1453 ff. (authentische eng!. Fassung), S. 1625 ff. (deutsche Übersetzung). • Aufgrund der vereinbarten Änderungen spricht das WTO-Übereinkommen nunmehr vom "GATT 1994".

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Einleitung

ty Rights, TRlPSt zu den drei Kernelementen der in den Zuständigkeitsbereich der WTO fallenden Welthandelsordnung gehört.

Das Rechtsgebiet, in dem sich die vorliegende Untersuchung bewegt, ist das Wirtschaftsvölkerrecht. Hierunter werden die ,,Prinzipien und Normen des Völkerrechts der zwischenstaatlichen Kooperation in wirtschaftlichen Angelegenheiten"6 verstanden. Da der Regelungsbereich des GATS der internationale Handel mit Dienstleistungen ist, läßt sich darüber hinaus präzisieren, daß hier ein Untersuchungsgegenstand des Völkerrechts des internationalen Handels gewählt worden ist. Dieses wird als der ,,Kernbereich des Völkerrechts der internationalen Wirtschaftsordnung"7 bezeichnet. Das GATS ist auf die Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsverkehrs gerichtet. Unter Liberalisierung wird der Abbau von Handelshemmnissen verstanden, die die Staaten als Teil ihres jeweiligen Außenhandelsregimes zur Reglementierung und Beschränkung des grenzüberschreitenden Handelsverkehrs aufrechterhalten8• Die folgenden Ausfiihrungen dienen der Untersuchung der Rahmenregelung des GATS mit der Zielsetzung, die normativen Grundlagen zu analysieren, die durch das Übereinkommen zur Einleitung des progressiven Liberalisierungsprozesses im grenzüberschreitenden Dienstleistungsaustausch geschaffen werden. Im Zentrum dieses Prozesses stehen die multilateralen Verhandlungen, die die GATS-Mitglieder in regelmäßigen Abständen hinsichtlich des Abbaus von Handelshemmnissen in diesem Handelsbereich führen werden. Demgemäß stehen im Rahmen dieser Untersuchung die Regelungen des Vertrages im Mittelpunkt des Interesses, die diesen Verhandlungsprozeß strukturieren. Es soll daher zum einen herausgearbeitet werden, aufgrund welcher Normen sich die GATS-Mitglieder als Ergebnis der multilateralen Verhandlungen zur Übernahme effektiver Liberalisierungsmaßnahmen verpflichten. Zum anderen soll die institutionelle Einbettung des Liberalisierungsprozesses im normativer Gefüge der WTO angemessene Beachtung finden. Darüber hinaus soll einer der umstrittensten Themenbereichen der Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels, der grenzüberschreitende Personenverkehr von Dienstleistungsanbietern, besondere Berücksichtigung finden. Anders als die internationalen Warentransfers, bei deren Durchfiihrung ~ BGB!. 1994 II, S. 1565 ff. (authentische eng!. Fassung), 1730 (deutsche Übersetzung). 6 Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 2; vg!. dazu auch CarreaulFlory/Juillard, Droit international economique, S. 1 ff.; Herdegen, internationales Wirtschaftsrecht, § 1 Rn 10. 7 Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 3. I S. zum Begriff der Liberalisierung Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 1

Rn!.

11. Gang der Darstellung

23

in der Regel die Handelspartner in ihrem jeweiligen Heimatstaat verbleiben und lediglich die Ware als Handelsobjekt die Grenze zwischen den Staaten überquert, setzen eine Vielzahl von internationalen Dienstleistungstransaktionen die physische Präsenz von Dienstleistungsanbieter und Dienstleistungsnutzer voraus. Das GATS bietet insbesondere einen Verhandlungsrahmen zum Abbau von Handelsbarrieren, die die Einreise, den Aufenthalt und die Beschäftigung ausländischer natürlicher Personen im Bereich der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen betreffen. In dieser Hinsicht stellen sich eine Reihe von Abgrenzungsfragen. Vor allem die Industriestaaten drangen während der GATS-Verhandlungen darauf, daß das Übereinkommen zwar als Verhandlungsrahmen für die Vereinbarung einer größeren Freizügigkeit ausländischer natürlicher Personen dienen, gleichzeitig jedoch nicht eine allgemeine Öffnung der nationalen Beschäftigungsmärkte im Dienstleistungssektor bewirken sollte. Ebenso befürchteten sie, daß die Liberalisierung des Personenverkehrs möglicherweise zu einer unkontrollierten Migration ausländischer Arbeitskräfte aus den Entwicklungsländern zu den wirtschaftlich prosperierenden Staaten führen könnte. Im Rahmen der folgenden Ausführungen sollen zum einen die Besonderheiten des GATS hinsichtlich der Liberalisierung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs von Dienstleistungsanbietern analysiert werden. Zum anderen sollen die Liberalisierungsverpflichtungen untersucht werden, die die GATS-Mitglieder als Ergebnis der Uruguay-Runde bezüglich dieser Thematik erstmals auf der Grundlage des Übereinkommens eingegangen sind. Anhand dieses Teilbereichs des Liberalisierungsprozesses im internationalen Dienstleistungsverkehr soll also verdeutlicht werden, wie der Verhandlungsrahmen des GATS zur Übernahme von völkerrechtlichen Bindungen durch die GATSMitglieder konkret genutzt worden ist. Da die Liberalisierung des Personenverkehrs im Verhältnis der Industriestaaten und der Entwicklungsländern einen konfliktreichen Verhandlungsgegenstand darstellt, ist die Behand-Iung dieser Thematik auch unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten von Interesse. Diesbezüglich ist es Ziel dieser Untersuchung zu klären, inwiefern der Interessengegensatz von Industriestaaten und Entwicklungsländern Niederschlag im normativen Gefüge des GATS sowie in den im Rahmen der Uruguay-Runde übernommenen Liberalisierungsverpflichtungen zum grenzüber-schreitenden Personenverkehr gefunden hat.

11. Gang der Darstellung Die Untersuchung gliedert sich in vier Teile. Der Teil A befaßt sich mit den begrifflichen Grundlagen und der wirtschaftlichen Bedeutung des internationalen Dienstleistungsverkehrs. Zunächst wird der Begriff des internationalen

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Einleitung

Dienstleistungshandels geklärt. Zum einen umfaßt dies die Abgrenzung des Handelsobjekts der Dienstleistung gegenüber der stofflich greifbaren Ware. Zum anderen wird erläutert, welche Formen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen als internationaler Handel verstanden werden. Weiterhin wird dargestellt, was unter Handelshemmnissen im Dienstleistungssektor zu verstehen ist. Schließlich werden anhand einiger repräsentativer Daten die wirtschaftliche Bedeutung und der Umfang des internationalen Dienstleistungsaustauschs verdeutlicht. Der Teil B bietet den rechtsgeschichtlichen Hintergrund des GATS. Einerseits wird ein geraffter Überblick über die Lage des Wirtschaftsvölkerrechts im Bereich des internationalen Dienstleistungsverkehrs vor dem Beginn der Uruguay-Runde gegeben. Zu diesem Zweck werden in kursorischer Weise die wichtigsten völkerrechtlichen Verträgen behandelt, die bereits vor dem Abschluß des GATS in diesem Handelsbereich Geltung erlangten. Andererseits findet sich hier die Darstellung der Verhandlungsgeschichte des GATS im Rahmen der Uruguay-Runde. Der Teil C befaßt sich mit dem Übereinkommen selbst. Die Darstellung konzentriert sich auf die Kernelemente des GATS. Im Vordergrund steht das Interesse, die Mechanismen des Liberalisierungsprozesses offenzulegen, wie sie in der Rahmenregelung des GATS enthalten sind. Auf die mannigfaltigen Sonderregelungen hinsichtlich der Liberalisierung einzelner Dienstleistungssektoren, die sich in den umfangreichen Vertragsanhängen befinden, soll dagegen im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Methodisch wird die Untersuchung der Rahmenregelung in der Weise durchgeführt, daß die Normen des GATS zu denen des GATT vergleichend in Bezug gesetzt werden. Diese Vorgehensweise liegt nahe, da sich die Verhandlungsfiihrer bei der Erarbeitung des GATS in vielfacher Hinsicht an den Normen und Konzepten des GATT orientierten. Einerseits diente somit das GATT als "Vorbild" der normativen Regelung des GATS und kann daher bei der Auslegung des GATS herangezogen werden. Andererseits ist dieser Vergleich deshalb fruchtbar, da sich auf diese Weise die Besonderheiten des durch das GATS eingeleiteten Liberalisierungsprozesses im internationalen Dienstleistungshandel gegenüber den auf den Warenhandel bezogenen Regelungen des GATT entwickeln lassen.

Im Teil D wird schließlich die Regelung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs von Dienstleistungsanbietern im Rahmen des GATS untersucht. Nach der Klärung der völkerrechtlichen Grundlagen im Bereich des grenzüberschreitenden Personenverkehrs wird zunächst die Verhandlungsgeschichte des GATS im Hinblick auf die Frage betrachtet, wie es zur Einbeziehung des Personenverkehrs in den Verhandlungsrahmen des Übereinkommens kam. Vor dem Hintergrund der konfliktreichen Verhandlungsgeschichte zu dieser The-

III. Herkunft der verwendeten Forschungsmaterialien

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matik wird sodann der besondere Vertragsanhang zum grenzüberschreitenden Personenverkehr analysiert, welcher den Geltungsbereich des Übereinkommens in Ergänzung zu den allgemeinen Vorgaben des Vertrages eingrenzt. Schließlich werden die konkreten Liberalisierungsverpflichtungen der GATSMitglieder untersucht, die diese als Ergebnis der Uruguay-Runde hinsichtlich dieses Teilbereichs des Liberalisierungsprozesses übernommen haben.

III. Herkunft der verwendeten Forschungsmaterialien Die vorliegende Untersuchung wurde dadurch ermöglicht, daß das Sekretariat der WTO in Genf dem Verfasser eine Reihe von Dokumenten zur Verfügung stellte, die nicht in den Publikationsorganen und -serien" des GATT bzw. der WTO veröffentlicht sind. Zum einen handelt es sich hierbei um Dokumente aus der Verhandlungsgeschichte des GATS, die sich auf die Erarbeitung des Vertrages im allgemeinen sowie auf die Einbeziehung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs von Dienstleistungsanbietern in den Liberalisierungsrahmen des GATS im besonderen beziehen. Zum anderen handelt es sich um die sog. Listen der spezifischen Verpflichtungen der GATS-Mitglieder, die diese zum Abschluß der Uruguay-Runde sowie nach Beendigung der Zusatzverhandlungen zum grenzüberschreitenden Personenverkehr vorlegten. Auf diese Dokumente wird in dieser Untersuchung jeweils unter Angabe der im Rahmen des GATT bzw. der WTO verwendeten Bezeichnungen Bezug genommen IO • Für die freundliche Zurverfügungstellung der Dokumente zu wissenschaftlichen Zwecken wird insbesondere Councellor Mario Kakabadse gedankt, dem für das GATS zuständigen Referenten des WTO-Sekretariats. Der Verfasser ist weiterhin Herrn Botschaftsrat Thomas Keßler zu Dank verpflichtet, dem für die Dienstleistungsverhandlungen zuständigen Referenten der ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Genf, der den Kontakt zu Councellor Kakabadse vermittelte und wertvolle Hintergrundinformationen über den Ablauf der GATS-Verhandlungen geben konnte. Schließlich dankt der Verfasser dem Ministerialrat im Bundesministerium für Wirtschaft Herrn Dr. Dietrich Barth,

• Hierbei handelt es sich um die jährlich erscheinenden Serien ,,BISD" (Basic Instruments and Selected Documents) und "GATT Activities", die seit 1981 veröffentlichten Kurzberichte ,,Focus, GATT-Newsletter" sowie die während der Verhandlungen der Uruguay-Runde publizierten "NUR, News ofthe Uruguay Round". 10 In den Fußnoten der Untersuchung findet sich bezüglich dieser Dokumente jeweils der Hinweis [no v.] = [nicht veröffentlicht].

26

Einleitung

der als Vertreter der Bundesregierung im Themenbereich Dienstleistungen an den Verhandlungen der Uruguay-Runde beteiligt war und den Hinweis auf die Aktualität der im vierten Teil dieser Untersuchung behandelten Fragen des grenzüberschreitenden Personenverkehrs von Dienstleistungsanbietem gab.

A. Grundlagen und Bedeutung des Dienstleistungshandels Das GATS als Rahmenregelung zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels bezieht sich auf kommerzielle Aktivitäten, die sich in ihrer Gesamtheit als eigenständiger Teil des wirtschaftlichen Lebens gegenüber der Warenherstellung und dem Warenhandel erst in der Zeit nach dem II. Weltkrieg ausgebildet haben. Dabei entwickelte sich dieser kommerzielle Bereich nicht bloß binnenwirtschaftlich zu einem äußerst dynamischen Faktor der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vieler Staaten. Vielmehr erlangte der Dienstleistungshandel zunehmend eminente Bedeutung als Bestandteil des internationalen Handelsverkehrs. Bevor das GATS als völkerrechtliche Regelung im Bereich des internationalen Dienstleistungshandel untersucht wird, erscheint es angebracht, die wirtschaftliche Realität, die in den Anwendungsbereich dieses Vertrages fällt, zu erläutern. Dieses kann im Rahmen einer juristischen Untersuchung jedoch nicht in einem umfassenden volkswirtschaftlichen Sinn geschehen, sondern nur eingegrenzt auf die Darlegung der Begriffe, die im Zentrum des Regelungsgehalts des GATS stehen. Zum einen ist zu klären, was unter dem Begriff des internationalen Dienstleistungshandels zu verstehen ist (dazu unter 1.). Zum anderen geht es um die begriffliche Fassung der Handelshemmnisse, die in diesem Handelsbereich anzutreffen sind und auf deren Beseitigung das GATS gerichtet ist (dazu unter 11.). Darüber hinaus sollen anband einiger repräsentativer Daten die wirtschaftliche Bedeutung und der Umfang des internationalen Dienstleistungsaustausches verdeutlicht werden (dazu unter III.).

I. Der Begriff des internationalen Dienstleistungshandels Das GATS bezieht sich auf den gesamten internationalen Handel mit Dienstleistungen. Der Regelungsgehalt des Vertrages erscheint mithin als ein klar abgrenzbares wirtschaftliches Phänomen. Dienstleistungen stellen jedoch nicht eine homogene Gruppe kommerzieller Aktivitäten dar, sondern umfassen solch heterogene Handelsbereiche wie das Banken- und Versicherungswesen, die Telekommunikation, den zivilen Luftverkehr, die Seeschiffahrt sowie alle

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A. Grundlagen und Bedeutung des Dienstleistungshandels

anderen Formen des Transportwesens, den Tourismus, das Bau- und Ingenieurwesen, die Werbebranche und die sogenannten freien Berufei. Die Verwendung des Begriffes der Dienstleistungen im Kontext eines völkerrechtlichen Handelsvertrages ist nicht per se eindeutig. Dies liegt nicht nur an der Vielfalt der dahinterstehenden wirtschaftlichen Realität. Vielmehr ist auch darauf hinzuweisen, daß im Gegensatz zum Begriff des Warenhandels, der vor Aushandlung des GATT eine jahrhundertelange Präzisierung durch bilaterale Abkommen und fortwährende Handelspraxis erfahren hatte, eine solche Konturierung des Begriffs des Dienstleistungshandels nicht stattgefunden hat2• Um so notwendiger ist es, die Begriffe der Dienstleistungen und des internationalen Handels mit Dienstleistungen zu klären, bevor deren spezifische Verwendung im Rahmen des GATS analysiert werden kann. Diese Klärung setzt zum einen die Definition der Dienstleistung voraus. Hierbei ist danach zu fragen, wie sich das Produkt der Dienstleistung von dem der Ware unterscheidet. Zum anderen ist aufzuzeigen, was unter dem internationalen Handel mit Dienstleistungen zu verstehen ist. Hierbei geht es um die Frage, ob alle Formen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen als internationaler Handel zu definieren sind. 1. Die Definition der Dienstleistung in Abgrenzung zur Ware

a) Das Konzept des Tertiärsektors

Schon in den Dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts entwickelte die Volkswirtschaftslehre Analysen, nach denen die wirtschaftlichen Tätigkeiten in drei Sektoren zu unterteilen seien). Die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen umfaßt danach den sog. Primärsektor, während die Anreicherung der natürlichen Ressourcen sowie deren Umwandlung in handelbare Waren als Sekundärsektor bezeichnet wird'. Alle anderen wirtschaftlichen Aktivitäten, die weder vom

I Smeets/Hojner/Knorr, A Multilateral Framework of Principles and Rules for Trade in Services, in: Oppermann/Molsberger (Hrsg.), S. 191, 191; Benz, JWTL 1985 (Vol. 19), S. 95, 96; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 11 Rn 2. 2 IpseniHaltern, Reform des Welthandelssystems? Perspektiven zum GATT und zur Uruguay-Runde, S. 85; Raghavan, Recolonization: GATT, the Uruguay Round and the Third World, S. 108. ) Die diesbezüglich aufgestellten Theorien gehen auf Fisher, Capital and Growth of Knowledge, Economic Journal 1933, S. 380 ff., Clark, The Condition ofEconomic Progress, und Fourastie, Le grand espoir du vingtieme siede, zurück; vgl. dazu Delaunay/Gadrey, Services in Economic Thought - Three Centuries ofDebate, S. 75 ff. • Vgl. die Darstellung dieser sog. Fisher-Clark-Theorie bei Krommenacker, Worldtraded Services, S. 4.

I. Der Begriff des internationalen Dienstleistungshandels

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Primär- noch vom Sekundärsektor erfaßt werden, fallen in den sog. Tertiärsektorl • Soweit die dabei anvisierten Wirtschaftsbranchen konkret spezifiziert werden, tauchen hier auch all die Wirtschaftssektoren auf, die heute als Dienstleistungen bezeichnet werden". Gegenüber den Konzeptionen der Wirtschaft, die von der herkömmlichen Lehre vertreten worden waren, hatte diese Dreiteilung den Vorteil, unterschiedliche Volkswirtschaften vergleichbar zu machen1 • Des weiteren verdeutlichte dieser Ansatz, daß es sich bei den vom Tertiärsektor erfaßten Aktivitäten um produktive und profitable Elemente der Volkswirtschaften handelte. Für Ökonomen wie Adam Smith oder Kar! Marx: hatte es sich dabei hingegen noch um parasitäre, nicht profitable Wirtschaftsbereiche gehandelt, da nach ihrer Sicht insbesondere Dienstleistungen nicht der Akkumulation von Werten und dem Wirtschaftswachstum dienten'. Zu einer Eingrenzung der Materie, um die es im Bereich der Dienstleistungen geht, trägt daher der Begriff des Tertiärsektors zweifellos bei". Gleichwohl bleiben in den theoretischen Vorgaben dieses Konzeptes begriffliche Unklarheiten. Zum einen bestimmt sich der IIlhalt des Sektors nur ex negativo durch Ausgrenzung all der nicht im Primär- bzw. Sekundärsektor erfaßten wirtschaftlichen Aktivitäten. Daher fehlt es diesem Ansatz an einer Definition der Dienstleistungen im Sinne einer an substantiellen Kriterien orientierten Begriffsbestimmung 'o • Zum anderen ist hervorzuheben, daß nach diesem Konzept zwar die Herstellung von Waren vom Sekundär- und nicht vom Tertiärsektor erfaßt wird. Dennoch ist in der wirtschaftlichen Realität festzustellen, daß innerhalb des Prozesses der Warenproduktion Tätigkeiten ausgeführt werden, die als Dienstleistungen aufzufassen sind". So kann innerhalb eines Produktionsablaufes eine Tätigkeit von firmeninternen Mitarbeitern durchgeführt werden,

S Krommenacker, World-traded Services, S. 4. " S. etwa die Aufzählung bei Clark, The Condition of Economic Progress, S. 6 und 375. 1 Lentz, Liberalizing Trade in Services: International Tendencies - Global or Regional Approaches Discussed with References to GATS and the CIS-Framework. in: Bäckstiegel (Hrsg.), S. 147,148. B Vgl. dazu Krommenacker, World-traded Services, S. 3, der sich auf die klassischen Hauptwerke der genannten Autoren bezieht: Smith, The Wealth of the Nations; Marx, Das Kapital; in diesem Sinn auch CasslNoam, The Economics and Politics of Trade in Services: A United States Perspective, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Rules for Free Trade, S. 43,47. " In diesem Sinn etwa Blankart, Aussenwirtschaft 1989 (Vol. 44), S. 5, 7; vgl. auch Malmgren, The World Economy 1985 (Vol. 8), S. 11,12 ff. 10 DelaunaylGadrey, Services in Economic Thought - Three Centuries of Debate, S.82. " Vgl. Krommenacker, World-traded Services, S. 4.

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A. Grundlagen und Bedeutung des Dienstleistungshandels

oder aber für dieselbe Tätigkeit werden fInnenexterne Experten engagiert, etwa um eine für die Warenherstellung verwendete Maschine neu zu sistierenil. Im ersteren Fall erscheint die Tätigkeit als Teil der Warenproduktion, im zweiten als separate Dienstleistung. Die Unterscheidung der drei Wirtschaftssektoren ist daher nicht trennscharf und kann nur in begrenztem Maß zur Differenzierung zwischen den Produkten der Dienstleistung und der Ware herangezogen werden. b) Das Kriterium der NichtstofJlichkeit der Dienstleistungen

Stellt man die Dienstleistung der Ware vergleichend gegenüber, läßt sich zunächst eine wesentliche Gemeinsamkeit darin ausmachen, daß sowohl die Ware als auch die Dienstleistung als Produkt bezeichnet werden und als solche Objekt kommerzieller Transaktionen sind ll • Demgegenüber unterscheiden sich beide darin, daß eine Ware stets stofflich ist, während dies bei einer Dienstleistung grundsätzlich nicht der Fall ist l4 • Der Verkauf eines Automobils ist als Handelsvorgang in dem PKW verkörpert. Berät hingegen ein Rechtsanwalt einen Mandanten, so ist diese Dienstleistung als solche nicht stofflich greifbar. Diese Beispiele verdeutlichen die augenfälligste Differenz zwischen den Handeisobjekte der Ware und der Dienstleistung: die Ware ist stets etwas Körperhaftes, stofflich Faßbares, während die Dienstleistung etwas Nichtkörperhaftes, stofflich Nichtfaßbares ist. Je nachdem, welchen Aspekt der Dienstleistungserbringung man in Betracht zieht, lassen sich für das Unterscheidungsmerkmal der Stofflichkeit der Ware bzw. der Nichtstofflichkeit der Dienstleistungen auch andere Begriffe finden. So werden in der Literatur ebenfalls die Unberührbarkeit lS , die Unsichtbarkeit l6 ,

11 Auf dieses Beispiel verweisen in diesem Zusammenhang: CasslNoam, The Economics and Politics of Trade in Services: A United States Perspective, in: FriedmaniMestmäcker (Hrsg.), Rules for Free Trade, S. 43, 48. Il Lentz, Liberalizing Trade in Services: International Tendencies - Global or Regional Approaches Discussed with References to GATS and the CIS-Framework, in: Böckstiegel (Hrsg.), S. 147, 149. 14 Sindelar, Das GATT - Handelsordnung für den Dienstleistungshandel, S. 8; Mestmäcker, Free Trade in Services: Regional and Global Perspectives, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Rules for Free Trade, S. 9, 12 ff.; Blankart, Aussenwirtschaft 1989 (Vol. 44), S. 5, 5 ff. IS Engel, Is Trade in Services Specific?, in: OppermannlMolsberger (Hrsg.), S. 213, 214. 16 CarreaulFlorylJuillard, Droit international economique, S. 291.

I. Der Begriff des internationalen Dienstleistungshande1s

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die mangelnde Lagerfähigkeit 17 und die fehlende Transportfähigkeit" von Dienstleistungen hervorgehoben. Anband all dieser Aspekte lassen sich zwar Besonderheiten der Dienstleistungen aufzeigen. Jedoch erweisen sich die Begriffe zur Abgrenzung von Waren- und Dienstleistungshandel jeweils als nicht trennscharf, da bestimmte Aspekte bzw. Bereiche der Dienstleistungserbringung stets unberücksichtigt bleiben. Im folgenden sollen daher die mit den genannten Begriffen erfaßten Merkmale der Dienstleistung in Abgrenzung zur Ware vorgestellt werden. Dies dient dazu, einerseits die Eigenschaften der Dienstleistungen hervorzuheben und andererseits zu verdeutlichen, daß das Kriterium der Nichtstofflichkeit sowie der in Anlehnung daran vorgebenen Aspekte der Dienstleistung diese nicht umfassend von der Ware abgrenzen. aa) Die Unberührbarkeit der Dienstleistungen Wie das obige Beispiel der rechtsanwaltlichen Beratung gezeigt hat, sind Dienstleistungen zumeist nicht in konkreten Objekten verkörpert und folglich als solche unberührbar l9 • So ist etwa die Übermittlung einer Nachricht durch die verschiedensten Formen der Telekommunikation ebenfalls nicht als solche verkörpert. Auch die gegenüber einem Flugreisenden erbrachte Dienstleistung wird nicht in einem Gegenstand greifbar, sondern allein in der bewirkten Ortsveränderung. Gleichwohl finden Dienstleistungen häufig an stofflich greifbaren Objekten statt, so etwa bei der Reparaturleistung an einem defekten Motoro. Entscheidender ist jedoch noch, daß einige Dienstleistungen gerade in Objekten verkörpert sind, die als solche auch handelbar sind21 • Die Erstellung und der Verkauf von Computerprograrnmen wird beispielsweise in der auf Disketten gespeicherten Software verkörpert. Die Unberührbarkeit der Dienstleistungen gegen-

17 /pseniHaltern, Reform des Welthandelssystems? Perspektiven zum GATI und zur Uruguay-Runde, S. 85. 11 Sindelar, Das GATI - Handelsordnung für den Dienstleistungshandel, S. 9. 19 Engel, Is Trade in Services Specific?, in: OppermanniMolsberger (Hrsg.), S. 213, 214. 20 CasslNoam, The Economics and Politics ofTrade in Services: A United States Perspective, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Rules for Free Trade, S. 43, 46; vgl. Grubei, Does the World Need a GATI for Services?, in: Vosgerau (Hrsg.), S. 257,259. 21 Diese Verkörperung von Dienstleistungen in handelbaren Waren ist von Bhagwati als "disembodiment of services" bezeichnet worden, Bhagwati, The World Economy 1984 (Vol. 7), S. 133, 137 f.; vgl. dazu auch Krommenacker, World-traded Services, S.5.

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A. Grundlagen und Bedeutung des Dienstleistungshandels

über der Berührbarkeit der Waren reicht mithin als solche nicht als Abgrenzungskriterium aus. bb) Die Unsichtbarkeit der Dienstleistungen Die Überquerung der Grenze durch die von einem Land A in ein Land B verbrachte Ware ist das sichtbare Zeugnis dafür, daß internationaler Warenhandel stattgeftmden hat. Staatliche Kontrolle des Güterflusses war und ist im Wege des Zolles möglich 22 • Die Grenzüberschreitung einer Dienstleistung läßt sich dagegen nur dann durch Zollschranken im klassischen Sinn reglementieren, wenn die Dienstleistung wie bei der Computersoftware in einer Ware verkörpert isf l • Liegt die Dienstleistung dagegen wie in obigem Beispiel in der Beratung eines Mandanten durch einen ausländischen Rechtsanwalt, so bleibt sie unsichtbar in dem Sinn, daß sie durch keinerlei Grenzkontrolle erfaßt wird. Das Beispiel zeigt jedoch gleichzeitig die Grenze des Kriteriums der Unsichtbarkeit als Unterscheidungsmerkmal vom WarenhandeP4. Denn wenn auch das Beratungsgespräch zwischen Anwalt und Mandant nicht als Teil des internationalen Dienstleistungshandels sichtbar wird, so stellt doch zumindest die Einreise des Mandanten bzw. des Rechtsanwalts ein sichtbares Zeugnis dieses Handels dar25 • Ebenso läßt sich das Beispiel einer Versicherungsgesellschaft anführen, die in einem anderen Land eine Filiale eröffnet, um dort Versicherungsleistungen anzubieten26 • In diesem Fall stellt das sichtbare Zeugnis des Diensdeistungshandels die Niederlassung in dem anderen Land dar. Insofern stellt auch das Kriterium der Sichtbarkeit kein hinlängliches Abgrenzungskriterium der Dienstleistung von der Ware dar'.

22 Cass/Noam, The Economics and Politics ofTrade in Services: A United States Perspective, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Rules for Free Trade, S. 43,46. 21 von Dewitz, Services and the Uruguay Round: Issues Raised in Connection with Multilateral Action on Services: A Comment, in: PetersmannIHilf(Hrsg.), S. 475,476. 24 Vgl. Nico!aides, Aussenwirtschaft 1989 (Vol. 44), S. 29, 30 ff.; Grube!, Does the World Need a GATT for Services?, in: Vosgerau (Hrsg.), S. 257, 258; Breuss, Aussenwirtschaft 1990 (Vol. 45), S. 105, 108 f. 25 Vgl. dazu Grube!, The World Economy 1990 (Vol. 10), S. 319,319 ff. 26 Grube!, Does the World Need a GATT for Services?, in: Vosgerau (Hrsg.), S. 257, 258; Breuss, Aussenwirtschaft 1990 (Vol. 45), S. 105, 108 f. 2' Ebenso etwa Krommenacker, World-traded Services, S. 5; Mestmäcker, Free Trade in Services: Regional and Global Perspectives, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Rules For Free Trade, S. 9, 13.

I. Der Begriff des internationalen Dienstleistungshandels

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cc) Fehlende Lager- und Transportfähigkeit von Dienstleistungen Während eine Ware, sofern sie nicht verderblich ist, für eine gewisse Dauer gelagert und durch Verkehrsmittel vorn Veräußerer zum Erwerber transportiert werden kann, zeichnet sich eine Vielzahl der Dienstleistungen dadurch aus, daß der Erbringer und der Konsument im Zeitpunkt der Erbringung am gleichen Ort sein müssen. Die physische Nähe der Handelspartner ist daher oftmals Voraussetzung des DienstleistungshandelslB Im internationalen Handel kann sie entweder durch Einreise des Erbringers bzw. des Konsumenten oder durch ständige Niederlassung des Erbringers im Land des Konsumenten hergestellt werden29 • Für ersteres kann beispielsweise auf den Fall der rechtsanwaltlichen Beratung, für letzteres auf den der ausländischen Versicherungsfiliale Bezug genommen werden. Anstatt wie die Ware lager- und transportfähig zu sein, macht die Dienstleistung mithin aus, daß sie im Zeitpunkt ihrer Erbringung "verbraucht" wird. Als trennscharfes Kriterium kann der Aspekt der fehlenden Lager- und Transportfähigkeit der Dienstleistungen jedoch ebenfalls nicht dienen. Denn auch hier läßt sich auf die Dienstleistungsbereiche verweisen, in denen aufgrund der Verkörperung der Dienstleistung in einer Ware Lager- und Transportfähigkeit durchaus gegeben sind. Darüber hinaus kommt es bezüglich anderer Dienstleistungen gar nicht auf diese Kriterien an, etwa wenn die rechtsanwaltliche Beratung nicht im Wege eines Gespräches von Angesicht zu Angesicht, sondern durch Telefonat oder per Telefax abgewickelt wird. c) Abgrenzung im Wege der Enumeration Aufgrund der aufgezeigten Mängel einer klaren Abgrenzung der Dienstleistung von der Ware anhand des Kriteriums der Stofflichkeit und der daran angelehnten Aspekte der Dienstleistung wird vertreten, daß es sinnvoll sei, gänzlich auf eine begriffliche Definition der Dienstleistung zu verzichten Jo • Diesem Gedanken kommt insofern eine gewisse Plausibilität zu, als in der wirtschaftlichen Realität oftmals ein und derselbe Vorgang sowohl als Warenher-

2& Sampson/Snape, The World Economy 1985 (Vol. 8), S. 171, 172; Stern/Hoekman, The World Economy 1987 (Vol. 10), S. 39,40 ff.; Bhagwati, International Trade in Services and ist Relevance for Economic Devolpment, in: Giarini (Hrsg.), S. 3,7. 29 Vgl. etwa lpsen/Haltern, Reform des Welthandelssystems? Perspektiven zum GATT und zur Uruguay-Runde, S. 85; Hindley, Services, in: Schott (Hrsg.), S. 130, 131. JO Gershuny, The New Service Economy, S. 250; Krommenacker, World-traded Services, S. 8.

3 Kochlcr

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A. Grundlagen und Bedeutung des Dienstleistungshandels

stellung als auch als Dienstleistungserbringung aufgefaßt werden kannli. Nach diesem Ansatz lassen sich daher die mit dem Begriff der Dienstleistung gemeinten kommerziellen Aktivitäten nur im Wege der Enumeration bestimmen12 • Statt also anband einer allgemeingültigen Definition zu bestimmen, was als Dienstleistung zu verstehen sei, werden all die kommerziellen Aktivitäten aufgelistet, die in der wirtschaftlichen Realität als Dienstleistung verstanden werden. Im Verlauf der Verhandlungen des GATS wurde in diesem Sinn vom Sekretariat des GATT eine solche Liste erstellt, die sog. "Services Sectoral Classification List"ll. Darin werden 155 verschiedene Arten von Dienstleistungen aufgefiihrt, die in zwölf Sektoren untergliedert werden1'. Die Bezeichnungen dieser Sektoren lauten gewerbliche Dienstleistungen, Kommunikationsdienstleistungen, Bau- und Ingenieurwesen, Distributionsdienstleistungen, Bildungswesen, Umweltdienstleistungen, Finanzdienstleistungen, Gesundheitswesen und soziale Dienste, Tourismus und Reisedienstleistungen, Dienstleistungen in bezug auf Erholung, Kultur und Sport, Transportwesen und "andere Dienstleistungen". Die Sektoren werden weiterhin in Subsektoren und weitere Untergliederungen eingeteilt. So setzt sich etwa der Sektor der Finanzdienstleistungen im wesentlichen aus den Subsektoren Versicherungs- und Bankwesen zusammen, die dann jeweils nochmals in verschiedene Kategorien aufgeschlüsselt werden. Der Vorzug dieser enumerativen Herangehensweise an die Bestimmung der Dienstleistungen liegt darin, daß ein umfassender Katalog der kommerziellen Aktivitäten erstellt wird, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der wirtschaftlichen Realität als Dienstleistungen verstanden werden. Gegen dieses Konzept lassen sich freilich Bedenken geltend machen. Auf der einen Seite bleibt bei diesem Ansatz ungeklärt, warum die eine oder andere Tätigkeit in dem Katalog Aufnahme findet oder niches• Die Beantwortung dieser Frage läßt sich nur unter Zugrundelegung einer allgemeingültigen Definition erlangen.

11 Vgl. dazu auch Bhagwati, International Trade in Services and ist Relevance for Economic Developrnent, in: Giarini (Hrsg.), S. 3, 7. 12 So etwa Krommenacker, World-traded Services, S. 8; CarreaulFlorylJuillard, Droit international economique, S. 292. II GATT-Doc. M1N.GNS/W/120 (10.07.1991), abgedruckt in: SauvantlWeber, Binder I, XXV-XXVIII; Grundlage dieser Liste war das Klassifizierungssystern der Vereinten Nationen zur Erfassung aller wirtschaftlichen Aktivitäten, die sog. "International Standard Industrial Classification", S. dazu: Shelp, Beyond Industrialization: Ascendancy ofthe Global Econorny, S. 10. 34 Vgl. dazu auch unten B 11 3 c bb. 1S CasslNoam, The Econornics and Politics ofTrade in Services: A United States Perspective, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Rules for Free Trade, S. 43, 48.

I. Der Begriff des internationalen Dienstleistungshandels

35

Außerdem ist zu bedenken, daß gerade der Bereich der Dienstleistungen einem permanenten technologischen und wirtschaftlichen Wandel unterworfen ist. Es entstehen daher ständig ,,neue" kommerzielle Aktivitäten, bei denen sich die Frage stellt, ob sie dem Begriff der Dienstleistung unterfallen oder niche". Auch unter diesem Aspekt erscheint es vorteilhaft, über einen definitorischen Maßstab zur Bestimmung der Dienstleistung zu verfügen. d) Die Unterscheidung von volkswirtschaftlichem und völkervertraglichem Dienstleistungsbegriff

Es zeigt sich mithin, daß weder der begriffiiche Ansatz, der sich am Kriterium der Nichtstoffiichkeit der Dienstleistungen orientiert, noch der enumerative Ansatz zu einem befriedigenden Ergebnis führen. Eine begriffiich trennscharfe Definition der Dienstleistungen läßt sich nicht finden, gleichzeitig jedoch auch nicht durch bloße Aufzählung von kommerziellen Aktivitäten ersetzen. Letztlich stellt sich jedoch die Frage, inwieweit es tatsächlich erforderlich ist, über eine allgemeingültige, von allen akzeptierte Definition des Dienstleistungsbegriffs zu verfügen. Erforderlich ist diese gewiß, wenn es um das theoretische Interesse der Volkswirtschaftslehre geht, die Vielzahl der kommerziellen Aktivitäten auf abstrakter Ebene in solche des Waren- und des Dienstleistungshandels zu unterteilen. Aus diesem Blickwinkel ist daher von einer Definition auszugehen, die sich zum einen an der Nichtstofflichkeit der Dienstleistung orientiert, zum anderen aber die Begrenztheit dieses Kriteriums integriert. Eine solche Definition läßt sich dann etwa dahingehend formulieren, daß Dienstleistungen kommerzielle Aktivitäten sind, die nicht unmittelbar in handelbaren, stoffiichen Produkten verkörpert sind17 • Demgegenüber besteht keine Notwendigkeit einer allgemeingültigen Definition, wenn es darum geht zu bestimmen, welche kommerzielle Aktivitäten von einem völkerrechtlichen Vertrag erfaßt werden. Hier kommt es allein darauf an, daß sich die Vertragspartner untereinander darüber einigen, welche Tätigkeiten sie im einzelnen in den Anwendungsbereich der Regelung einbeziehen wollen und welche nicht. Diesbezüglich läßt sich auf das GATT als der Rahmenrege-

3" Vgl. zu diesem Aspekt EhlermannlCampogrande, Rules on Services in the EEC: A Model for Negotiationg World-Wide Rules?, in PetersmannIHilj(HIsg.), S. 481,485. 31 Diese Definition entspricht der von CasslNoam, The Economics and Politics of Trade in Services: A United States Perspective, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Rules for Free Trade, S. 43, 49: " ( ... ) commercial activities that are not embodied fairly directly in tradeable, tangible products."; diesem Ansatz folgend Mestmäcker, Free Trade in Services: Regional and Global Perspectives, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Rules for Free Trade, S. 9, 13. 3'

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A. Grundlagen und Bedeutung des Dienstleistungshandels

ltmg zur Liberalisierung des internationalen Warenhandels verweisen 3B • Dieser Vertrag verwendet die Begriffe der "Ware" Wld des ,,Produktes", ohne diese zu defmieren. Trotzdem besteht seit Bestehen des GATT Einigkeit über den AnwendWlgsbereich des Vertrages 39• In analoger Weise ist daher auch für den Bereich der DienstleistWlgen zu vertreten, daß es im Zusammenhang eines völkerrechtlichen Vertrages auf die ÜbereinkWlft der VerhandlWlgspartner ankommt, welche kommerziellen Aktivitäten sie im einzelnen einbeziehen wollen oder nicht. Es kommt mithin darauf an, zu welchem Zweck bestimmt werden soll, was Wlter einer DienstleistWlg zu verstehen ist. Geht es darum, aus der Warte der Volkswirtschaftslehre den Wirtschaftsbereich abzustecken, der mit dem Begriff der DienstleistWlg erfaßt werden soll, so läßt sich auf eine allgemeine Definition im oben dargelegten Sinn verweisen, welche mit einer gewissen Ungenauigkeit Waren- Wld DienstleistWlgshandel abgrenzt. Soll dagegen bestimmt werden, welchen AnwendWlgsbereich ein völkerrechtlicher Vertrag wie das GATS hat, bleibt nur die Möglichkeit der AufstellWlg von Listen mit Aktivitäten, die die Vertragspartner übereinstimmend als DienstleistWlgen verstanden wissen wollen. In diesem Sinn schließen sich der am Kriterium der Stofflichkeit orientierte Wld der enumerative Ansatz nicht gegenseitig aus, sondern dienen lediglich verschiedenen Zwecken. 2. Die Definition des internationalen Handels mit Dienstleistungen Nach der Standarddefinition des Internationalen Währungsfonds bestimmt sich der internationale Handel nach dem sog. Standort- oder auch Wohnsitzprinzip40. Internationaler Handel liegt demnach vor, wenn Wirtschaftssubjekte, die ihren Wohnsitz in unterschiedlichen Ländern haben, gleichartige ökonomische Werte austauschen·I • Unter Wirtschaftssubjekten werden in diesem Zusammenhang Individuen, UnternehmWlgen, private Organisationen ohne Erwerbscharakter Wld Regierungen verstanden. Der Wohnsitz wird als AbgrenZWlgskriterium zur BestimmWlg des internationalen Handels gewählt, da davon ausgegangen wird, daß die jeweiligen Wirtschaftssubjekte zu dem Territorium,

38 S. dazu unten B I 1 b; vgl. Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg), Vol. II, S.2335, 2409. 39 Barth, EuZW 1994, S. 455,455. 40 Vgl. dazu Reinhardt, Dienstleistungssektor und Dienstleistungspolitik in Entwicklungsländern, S. 53 ff. sowie Reinhardt/Shamleh/Uhlig, Der Dienstleistungssektor ausgewählter Entwicklungsländer: Entwicklungs- und handelspolitische Aspekte, S. 7 ff. 41 IMF, Balance ofPayrnents Manuel, S. 7 und 10.

I. Der Begriff des internationalen Dienstleistungshandels

37

in dem sie ihren Stammsitz haben, eine engere Beziehung als zu anderen Territorien haben42 . Bei der Anwendung der Definition auf den Warenhandel ist lediglich zu klären, wann ein Wirtschaftssubjekt als Inländer zu bezeichnen ist. Dies geschieht mittels Konvention nach Maßgabe der Aufenthaltsdauer der Wirtschaftssubjekte in einem bestimmten Land43 . Demnach stellt der Verkauf eines im Land A produzierten und im Land B veräußerten Gutes eine internationale Handelsaktivität dar. Werden hingegen die Produktion und der Verkauf desselben Gutes aus dem Land A in eine Niederlassung in das Land B verlagert, so stellt dies nicht mehr internationalen Handel, sondern eine internationale Investitionstätigkeit dar". Will man die am Wohnsitz orientierte Definition des internationalen Handels auf den Dienstleistungssektor anwenden, so ergeben sich dagegen Schwierigkeiten. Denn anders als beim Warentransfer läßt sich hier in der Regel der Handelsvorgang nur in Ausnahmefällen an der Grenzüberschreitung eines physisch greifbaren Objektes festmachen. Entscheidend ist dagegen für die Mehrzahl der Dienstleistungen die physische Präsenz von Anbieter und Nachfrager. Da die Erbringung simultan mit dem Konsum der Dienstleistung erfolgt, bedarf es dann dieses unmittelbaren Kontaktes, um den Handelsvorgang überhaupt möglich zu machen4s . In der Literatur hat sich eine Einteilung des internationalen Dienstleistungshandels herausgebildet, die sich daran orientiert, ob und wie diese physische Präsenz zustandekommt46 • Es sind dabei vier unterschiedliche Alternativen denkbar, die sich daraus ergeben, ob Anbieter und Konsument sich zur Dienstleistungserbringung überhaupt treffen bzw. welcher der beiden sich zu dem jeweils anderen bewegt41. Im folgenden sollen diese Fonnen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen vorgestellt werden". 42IMF, Balance ofPayments Manuel, S. 10. 43IMF, Balance ofPayments Manuel, S. 12. 44 IMF, Balance of Payments Manuel, S. 22; vgl. dazu Cass/Noam, The Economies and Politics of Trade in Services: A United States Perspective, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Rules for Free Trade, S. 43, 50 f.; Gray, JWTL 1983 (Vol. 17), S. 376,381 ff.; Hoekman, Aussenwirtschaft 1993 (Vol. 48), S. 203,213 f. 4S S. dazu oben All b ce. 46 Die Einteilung wurde zuerst entwickelt von SampsonlSnape, The World Economy 1985 (Vol. 8), S. 171, 172 ff.; den Ansatz aufgreifend: SternlHoekman, The World Economy 1987 (Vol. 10), S. 39, 40 ff.; Bhagwati, International Trade in Services and its Relevance for Economic Development, in: Giarini (Hrsg.), S. 3, 9 ff; Breuss, Die Aussenwirtschaft 1990 (Vol. 45), S. 105, 107 ff. 41 S. dazu auch Krommenacker, Multilateral Services Negotiations: From InterestLaterism to Reasoned Multilaterism in the Context ofthe Servicization ofthe Economy, in: PetersmannIHilj(Hrsg.), S. 456, 465 f. 48 Die hier verwendete Terminologie entspricht im wesentlichen der von Breuss, Aussenwirtschaft 1990 (Vol. 45), S. 105,107 ff.

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A. Grundlagen und Bedeutung des Dienstleistungshandels

Es ist dabei jeweils zu prüfen, ob nach der am Wohnsitz orientierten Definition internationaler Handel vorliegt. a) Direkte international handelbare Dienstleistungen

Hierbei handelt es sich um Dienstleistungen, bei denen ein physischer Kontakt zwischen Anbieter und Nachfrager nicht erforderlich ist. Da diese Dienstleistungen ohne Grenzübertritt der Handelspartner erbracht werden, werden sie im Prinzip international wie Waren gehandelt..•. Verschiedentlich werden sie auch als "getrennt" bezeichnet, da sie als Produkt von den Handelspartnern getrennt gehandelt werden und unabhängig von deren Grenzüberschreitung sind'o. Aufgrund derselben Überlegung werden sie auch als ,,rein" oder "unabhängig" eingeordnet, da sie im internationalen Handeisverkehr wie eine Ware die Grenze passieren". Als Beispiele für diese Gruppe von Dienstleistungen sind zum Warenhandel komplementäre Dienste (Frachttransportleistungen, Versandhandel, Transportversicherungen) und Personentransporte'2 zu erwähnen, insbesondere jedoch jeder über internationale Informations- und Kommunikationsnetze erfolgende Dienstleistungsaustausch. Darüber hinaus gehören in diese Kategorie auch bestimmte Finanz- oder Versicherungsdienste sowie Dienstleistungen von Freiberuflern (etwa Rechtsanwälte, Architekten, Wirtschaftsberater), sofern diese ihre Dienste vom Land ihres Wohnsitzes aus ohne persönliche Grenzüberschreitung darbieten. Da hier also sowohl der Dienstleistungserbringer als auch der Konsument in dem Land ihres Wohnsitzes bleiben, handelt es sich bei den in dieser Erbringungsform erbrachten Dienstleistungen nach der Standarddefinition des Internationalen Währungsfonds um internationalen Handel.

49 Im Englischen wird diese Kategorie auch "across the border services" genannt, vgl. Slern/Hoekman, The World Economy 1987 (Vol. 10), S. 39, 40; Breuss, Aussenwirtschaft 1990 (Vol. 45), S. 105,107 f. 50 Sampson/Snape, The World Economy 1985 (Vol. 8), S. 171, 173., die von "separated services" sprechen. " Richardson, Negotiations on Services, S.6, der von "pure cross-border trade" spricht. 52 Hinsichtlich des Einwands, der Reisende überschreite als Empfänger die Grenze, läßt sich vorbringen, daß der Grenzübertritt insofern Bestandteil, nicht jedoch Voraussetzung dieser Dienstleistung ist, vgl. Riddle, Service-Ied Growth, S. 117.

I. Der Begriff des internationalen Dienstleistungshandels

39

b) Dienstleistungen in Verbindung mit der internationalen Wanderung der Anbieter Diese Kategorie von Dienstleistungen erfordert den physischen Kontakt von Anbieter und Nachfrager, wobei der Kontakt in diesem Fall durch die Wanderung des Anbieters hergestellt wird'). Die jeweilige Dienstleistungstransaktion kommt mithin erst durch die Mobilität des Erbringers zustande. Allerdings ist hinsichtlich der Art und der Dauer des Aufenthaltes des Dienstleistungsanbieters im Empfangerland nochmals zu unterscheiden'4. Es ist zum einen denkbar, daß es nur zu einem temporären Auslandsaufenthalt des Anbieters zum Zweck der Dienstleistungserbringung kommt. Zum anderen kann die Dienstleistungserbringung die permanente Niederlassung des Anbieters im Empfängerland erfordern. aa) Der temporäre Auslandsaufenthalt der Anbieter Um einen temporären Auslandsaufenthalt der Dienstleistungsanbieter handelt es sich, wenn diese die Grenze zum Empfangerland lediglich für die Dauer der konkreten Dienstleistungstätigkeit überschreiten, um nach Abschluß dieser Tätigkeit wieder in ihr Heimatland zurückzukehren". Als Beispiel für diese Art der Erbringung kann die Erstellung eines Straßenprojektes durch ein Tiefbauunternehmen angeführt werden, das seinen Bautrupp und seine Ingenieure nach Bewerkstelligung der Arbeit in dem Empfangerland wieder ins eigene Land zurückführt. Ebenso kann das Beispiel eines Wirtschaftsberaters genannt werden, der zur Inspektion des von ihm betreuten Unternehmens in das Empfangerland einreist und dort nur während der Beratungstätigkeit verbleibt. Bei dieser Erbringungsform findet der Dienstleistungshandel mithin zwischen Handelspartnern statt, deren Wohnsitz jeweils in unterschiedlichen Ländern liegt. Die temporäre Wanderung des Anbieters in das Empfangerland ändert dabei nichts an dem Charakter der Transaktion als internationale Han-

SJ Diese Erbringungsfonn wird daher auch als ,.Nachfrage-orientiert" bezeichnet, vgl. Breuss, Aussenwirtschaft 1990 (Vol. 45), S. 105, 108; ebenso Stern/Hoekman, The World Economy 1987 (Vol. lQ), S. 39,40, die von "demander-located services" sprechen. ,. Sampson/Snape, The World Economy 1985 (Vol. 8), S. 171,173 u. 175 f.; Reinhardt/Shamleh/Uhlig, Der Dienstleistungssektor ausgewählter Entwicklungsländer: Entwicklungs- und handelspolitische Aspekte, S. 10; Bhagwati, International Trade in Services and ist Relevance for Economic Development, in: Giarini (Hrsg.), S. 3, 7. " Vgl. etwa Reinhardt, Dienstleistungssektor und Dienstleistungspolitik in Entwicklungsländern, S. 57 f.

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A. Grundlagen und Bedeutung des Dienstleistungshandels

delstätigkeit im Sinne der Definition des Internationalen Währungsfonds, sondern stellt lediglich das Spezifikum dieser kommerziellen Aktivität dar 6 • bb) Die permanente Niederlassung der Anbieter im Empfangerland Von einer permanenten Niederlassung der Anbieter im Empfangerland ist zu sprechen, wenn die Grenzüberschreitung nicht nur zum Zwecke der einmaligen Erbringung einer bestimmten Dienstleistung erfolgt, sondern sich in einer dauerhaften kommerziellen Präsenz in einem anderen Land als dem des Wohnsitzes auswirktS7 • Als Beispiel fiir diese Art der kommerziellen Aktivität bietet sich die Niederlassung von Banken und Versicherungen durch Eröffnung von Filialen und Gründung von Tochtergesellschaften im Empfangerland anSl • Hat etwa ein Versicherungsunternehmen eine solche ausländische Niederlassung geschaffen, wird es nicht bloß eine einmalige Transaktion damit ermöglichen, sondern eine Vielzahl von Versicherungsgeschäften. Die Investition von Kapital in solche Auslandsniederlassungen, von denen aus Dienstleistungen auf dem Markt des Empfangerlandes angeboten werden sollen, wird als ausländische Direktinvestition bezeichnetS9 • Fraglich ist allerdings, ob es sich hierbei nach der herkömmlichen Definition des internationalen Handels noch um eine internationale Handelstätigkeit handelt. Mit der dauerhaften Niederlassung im Gastland erwirbt der Dienstleistungsanbieter den Status eines (Handels-)Inländers, da es dafiir nicht auf die Nationalität, sondern auf die Aufenthaltsdauer ankommt 6O • Wird von einer solchen Auslandsniederlassung ein Dienstleistungsgeschäft mit einem anderen Inländer abgeschlossen, so findet nicht mehr eine kommerzielle Transaktion zwischen Handelspartnern statt, deren Wohnsitz in unterschiedlichen Ländern liegt. Folglich handelt es sich nach der hier zugrunde gelegten Definition nicht um internationalen Handel, sondern um eine internationale Investitionstätigkeit.

S6 So etwa auch Bhagwati, International Trade in Services and its Relevance for Economic Development, in: Giarini (Hrsg.), S. 3, 7; Hoekman, Aussenwirtschaft 1993 (Vol. 48), S. 203, 210; CasslNoam, The Economics and Politics ofTrade in Services: A United States Perspective, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Rules for Free Trade, S.43, 50. S7 Breuss, Aussenwirtschaft 1990 (Vol. 45), S. 105, 108; SternlHoekman, The World Economy 1987 (Vol. 10), S. 39,40; vgl. Sacerdoti, The International Regulation of Services: Basic Concepts and Standards ofTreatment, in: Sacerdoti (Hrsg.), S. 26,31. SB Vgl. Herdegen, Internationales Wirtschaftrecht, § 11 Rn 2. S9 Breuss, Aussenwirtschaft 1990 (Vol. 45), S. 105, 108; im Englischen spricht man demgemäß von "foreign direct investment", vgl. Gray, JWTL 1983 (Vol. 17), S. 377, 381; Stern/Hoekman, The World Economy 1987 (Vol. 10), S. 39,40. 60 Hoekman, Aussenwirtschaft 1993 (Vol. 48), S. 203, 210; vgl. Nicolaides, Liberalizing Service Trade. Strategies for Success, S. 29.

1. Der Begriff des internationalen DienstIeistWlgshandels

41

Aufgnmd dieser Überlegung wurde traditionellerweise vertreten, diese Art der kommerziellen Aktivität sei im Bereich der Dienstleistungen ebenso wie in dem des Warenhandels aus dem Begriff der internationalen Handelstätigkeit auszugrenzen61 • Dementsprechend sollte sich auch eine völkervertragliche Rahmenregelung des Dienstleistungshandels nicht auf den Bereich der ausländischen Direktinvestitionen beziehen, sondern nur auf den grenzüberschreitenden Dienstleistungshandel im engeren Sinn62 • Gegen diese Position ist jedoch mit Recht eingewandt worden, ein solches Verständnis der internationalen Handelsaktivitäten im Dienstleistungssektor verkenne die Unterschiede zwischen Waren- und Dienstleistungsaustausch63 • Im Bereich des Güterhandels stellt eine ausländische Direktinvestition eine Alternative zum Handel dar. Statt im eigenen Land eine Ware herzustellen und abzusetzen, kann hier ein Anbieter Produktion und Vertrieb in das Absatzland verlegen. Insofern läßt sich hierbei auch die internationale Handelstätigkeit von der internationalen Investi-tionstätigkeit trennen64 • Anders verhält es sich dagegen im Dienstleistungshandel. Um etwa den Großteil von Bank- oder Versicherungsleistungen auf einem ausländischen Markt anbieten zu können, muß der Dienstleistungserbringer notwendigerweise eine Niederlassung auf dem ausländischen Markt eröffnen. Die ausländische Direktinvestition ist hier mithin nicht Alternative zur Handelstätigkeit im Sinn der am Wohnsitz orientierten Handelsdefinition. Vielmehr stellt sie notwendige Voraussetzung dafiir dar, daß die hier betroffenen Dienstleistungen überhaupt international erbracht werden können6'. Daher herrscht heute ein Begriffsverständnis des internationalen Dienstleistungshandels vor, das die ausländischen Direktinvestitionen, anders als im Bereich des internationalen Warenhandels, einbezieht66 • Dies trägt auch dem Umstand Rechnung, daß ein Großteil der bedeutenden Dienstleistungsaktivitä-

Sampson/Snape, The World Economy 1985 (Vol. 8), S. 171, 175. Sampson/Snape, The World Economy 1985 (Vol. 8), S. 171, 175; nach einem differenzierten StandpWlkt wird von internationaler Handelsaktivität gesprochen, wenn der größere Teil der mit der internationalen Produktion einer DienstIeistWlg verbWldenen Wertschöpfung zwischen WirtschaftsinIändern verschiedener Länder ausgetauscht wird, vgl. UNCTAD, Services and the Development Process, S. 42; in ähnlicher Weise vorgehend Richardson, A Sub-sectoral Approach to Services' Trade, in: Giarini (Hrsg.), S. 59, 61. 63 Reinhardt, DienstleistWlgssektor Wld DienstIeistungspolitik in EntwicklWlgsländem, S. 54; vgl. Nicolaides, Liberalizing Service Trade. Strategies for Success, S. 29. 64 Gray, JWTL 1983 (Vol. 17), S. 377, 381. 65 Reinhardt, DienstIeistWlgssektor und DienstleistWlgspolitik in EntwicklWlgsländem, S. 54. 66 Stern/Hoekman, The World Economy 1987 (Vol. 10), S.39, 41 f; Reinhardt, DienstIeistWlgssektor Wld DienstIeistWlgspolitik in EntwicklWlgsländern, S. 60. 61

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42

A. Grundlagen und Bedeutung des Dienstleistungshandels

ten hauptsächlich im Wege der Auslandsniederlassung international erbracht werden67 • Hierzu zählen insbesondere das Bank- und Versicherungswesen, das Bildungswesen oder auch die Baubranche61 • c) Dienstleistungen in Verbindung mit der internationalen Wanderung der Nachfrager Bei dieser Kategorie von Dienstleistungen ist ebenfalls der physische Kontakt von Anbieter und Nachfrager erforderlich. Hier ist es allerdings der Nachfrager, der die Grenze in das Land des Anbieter überschreitet6". Die jeweilige Dienstleistungstransaktion kommt mithin erst durch die Mobilität des Konsumenten zustande. Beispiele für Dienstleistungen, bei denen diese Erbringungsform vorherrschend ist, sind der Tourismus, das Ausbildungswesen und die medizinische Betreuung70 • Da der Aufenthalt in dem Anbieterland auf die Dauer der Dienstleistungserbringung begrenzt ist, stellt der Handel hier eine Transaktion zwischen Geschäftspartnern dar, deren Wohnsitz in unterschiedlichen Ländern liegt. Es handelt sich also nach dem Wohnsitzprinzip um eine internationale Handelsaktivität. d) Dienstleistungen in Verbindung mit der internationalen Wanderung von Anbieter und Nachfrager Diese letzte Kategorie von Dienstleistungen basiert auf der Mobilität beider Handelspartner7l • Die Dienstleistung wird in diesem Fall jedoch nicht in einem der Länder erbracht, in denen die beidenjeweils ihren Wohnsitz haben, sondern in einem dritten Land 72 • Es handelt sich hier also um eine Kombination der Er-

67 CasslNoam, Tbe Economies and Politics ofTrade in Services: A United States Perspective, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Rules for Free Trade, S. 43, 50. 61 So betrugt Mitte der 80-iger Jahre in den USA der Anteil des durch ausländische Niederlassungen erwirtschafteten Umsatzes in diesen Dienstleistungsbereichen etwa 75 Prozent des gesamten Auslandsumsatzes, vgl. CasslNoam, Tbe Economies and Politics of Trade in Services: A United States Perspective, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Rules for Free Trade, S. 43, 51. 6" Diese Erbringungsfonn wird daher auch als ,,Angebots-orientiert" bezeichnet, vgl. Breuss, Aussenwirtschaft 1990 (Vol. 45), S. 105, 109; ebenso SternlHoekman, Tbe World Economy 1987 (Vol. 10), S. 39, 41, die von "provider-Iocated services" sprechen. 70 SampsonlSnape, Tbe WorldEconomy 1985 (Vol. 8), S. 171,173 und 176 f. 71 Vgl. Breuss, Aussenwirtschaft 1990 (Vol. 45), S. 105, 109. 72 Daher wird diese Kategorie auch als "third-country trade" bezeichnet, vgl. SampsonlSnape, Tbe World Economy 1985 (Vol. 8), S. 171, 173; ReinhardtlShamlehlUhlig,

11. Handelshemnmisse im intemationalen Dienstleistungshandel

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bringungsfonnen, die unter b) und c) dargestellt worden sind. Da Konsument und Anbieter in dieser Konstellation in jedem Fall unterschiedliche Wohnsitze haben, ergibt sich nach dem Wohnsitzprinzip, daß es sich um internationalen Dienstleistungshandel handelt. e) Zusammenfassung

Gegenüber der klassischen Definition des internationalen Handels ist im Bereich des internationalen Dienstleistungshandels von einer erweiterten Begriffsfassung auszugehen 7J • Während im internationalen Warenhandel nur eine Art der ,,Erbringung" denkbar ist - die Ware überquert die Grenze von einern Land in das andere -, zeichnet sich der internationale Dienstleistungshandel durch die vier dargelegten Erbringungsfonnen aus". Die eigentliche Erweiterung des traditionellen Begriffs des internationalen Handels ist in der Einbeziehung der Dienstleistungen in Verbindung mit der internationalen Wanderung der Anbieter, die die pennanente Niederlassung der Anbieter im Empfangerland erfordern, zu erblicken.

11. Handelshemmnisse im internationalen Dienstieistungshandel 1. Der Begriff der Handelshemmnisse

Unter Handelshemrnnissen versteht man im allgemeinen solche Maßnahmen, die eine ungleiche Behandlung inländischer und ausländischer Wirtschaftsinteressen bei direkt konkurrierendem Leistungsangebot bewirken7s • Als Folge einer derartiger Ungleichbehandlung tritt eine Wettbewerbsverzerrung zugunsten der inländischen und zulasten der ausländischen Anbieter auf6 • Im internationalen Warenhandel unterscheidet man dabei grundsätzlich zwischen zwei Arten von Handelshemrnnissen, den tarifären und den nichttarifären. Die klassische Barriere des internationalen Güterflusses stellt der Zolltarif dar, also die bei Grenzüberschreitung an das Importland zu entrichten-

Der Dienstleistungssektor ausgewählter Entwicklungsländer: Entwicklungs- und handelspolitische Aspekte, S. 10. 7J Nusbaumer, Services in the Global Market, S. 186, bringt dies durch die Forderung nach einer ,,IMF-Plus-Definition" zum Ausdruck. 74 Vgl. Hoekman, The World Economy 1992 (Vol. 15), S. 707, 708. 7S Schultz, Handelshemnmisse im Rahmen der Weltwirtschaft, in: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (Hrsg.), S. 149, 149. 76 Vgl. auch Mukherjee, JWTL 1992 (Vol. 20), S. 45,46.

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A. Grundlagen Wld BedeutWlg des DienstieistWlgshandels

de Abgabe, deren Höhe durch Festlegung eines bestimmten prozentualen Anteils des Warenwertes im In- oder Ausland (Wertzoll) oder eines absoluten Wertbetrag pro Gewichtseinheit (spezifischer Gewichtszoll) bestimmt wird 77 • Das entscheidende Spezifikum dieser Handelshemmnisse liegt in einer allgemein und objektiv ablesbaren Festlegung der zu entrichtenden Abgabe in einem bestimmten Tarif, der in den Zolltariflisten nachzusehen ist". Alle anderen Handelshindernisse bezeichnet man in Abgrenzung zum Zolltarif als nicht-tarifär 79 • Es handelt sich dabei also um all jene handelshemmenden Maßnahmen, die außerhalb eines Tarifs bestehen'o . In dieser Gruppe finden sich solch unterschiedliche Hindernisse wie mengenmäßige Beschränkungen, Subventionierung der heimischen Anbieter oder technische Anforderungen 81 • Im internationalen Dienstleistungshandel spielt der Zoll als Handelshindernis nur dann eine Rolle, wenn die Dienstleistung in einer Ware verkörpert ist 82 • Im Mittelpunkt stehen hier daher die nicht-tarifären HandelsbarrierenlJ • Im Gegensatz zu den nicht-tarifären Handelshemmnissen im Warensektor ist hier allerdings weitergehend zu differenzieren nach den Barrieren, die den Zutritt eines Dienstleistungsanbieters bzw. Dienstleistungskonsumenten zu einem bestimmten nationalen Markt betreffen, und anderen Barrieren, die die Art und Weise der Erbringung der Dienstleistung angehen84 • Der unterschiedlichen Definition des internationalen Handels im Warensektor und im Dienstleistungssektor entsprechen mithin ebenfalls Differenzen in den bestehenden Handelsbarrieren. 2. Die verschiedenen Formen von Handelshemmnissen So heterogen und vielfältig die kommerziellen Aktivitäten sind, die als Dienstleistungen bezeichnet werden, so heterogen und vielfältig sind auch die 77 Neben dem Wertzoll Wld dem spezifischen Gewichtszoll gibt es außerdem noch eine ZollfestsetzWlg, die eine Kombination der beiden anderen Systeme ist; vgl. Senti, GATT - System der WelthandelsordnWlg S. 138 Wld 140. 7S Senti, GATT - System der WelthandelsordnWlg, S. 146. 79 Senti, GATT - System der WelthandelsordnWlg, S. 146; Benedek, Die RechtsordnWlg des GATT, S. 37 Wld 105. 10 Vgl. zum Begriff der ,,nicht-tarifaren Handelshemmnisse" Quambusch, Nichttarifare Handelshemmnisse, S. 4 ff. 11 Vgl. etwa Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7.Rn 20. 82 Mukherjee, JWTL 1992 (Vol. 20), S. 45,45. 13 Hindley, Services, in: Schott, S. 130, 133; Sampson, Uruguay ROWld Negotiations on Services - Issues and Recent Development, in: DickelPetersmann (Hrsg.), S. 274, 281; McCulloch, The World Economy 1990 (Vol. 13), S. 329,339 ff. 14 Vgl. dazu Hoekman, The World Economy 1992 (Vol. 15), S. 707,708.

11. Handelshemmnisse im internationalen Dienstleistungshandel

45

Handelsbarrieren, die den internationalen Austausch von Dienstleistungen verzerren. Es gibt unterschiedliche Ansätze, die diversen Formen dieser Handelshemmnisse einzuteilen". Die verschiedenen Kategorien stehen dabei nicht in Konkurrenz, sondern dienen dazu, eine bestimmte Handelsbarriere unter verschiedenen Aspekten begrifflich einzuordnen. a) Sektorübergreifende und sektorspezijische Handelshemmnisse

Zunächst lassen sich die Handelsbarrieren danach einteilen, daß einige von ihnen zu Wettbewerbsverzerrungen in allen Dienstleistungssektoren führen, während andere nur in ganz bestimmten Dienstleistungssektoren handelshemmende Wirkungen habenS". Erstere lassen sich daher als sektorübergreifende oder auch horizontale Handelshemmnisse, letztere als sektorspezifische oder vertikale Handelshemmnisse bezeichnen". Gelten in einem Land beispielsweise diskriminierende Devisenkontrollen oder Beschränkungen des Transfers von Einkünften in das Land des Dienstleistungsanbieters, so treffen diese Regelungen alle ausländischen Anbieter von Dienstleistungen unabhängig davon, in welchem Dienstleistungssektor ihre Tätigkeit liegt. Folglich handelt es sich um sektorübergreifende, horizontale Handelsbarrieren. Stellt ein Land demgegenüber diskriminierende Anforderungen an die Zulassung einer ausländischen Geschäftsbank, etwa in Form von verschärften Vorschriften über die Höhe des Gründungskapitals, so ist hiervon nur der Bankenwettbewerb betroffen. Also handelt es sich dabei um eine sektorspezifische, vertikale Handelsbarriere. b) Handelshemmnisse in bezug aufdiejeweilige Erbringungsform

Des weiteren kann man die Handelshemmnisse, die den internationalen Dienstleistungswettbewerb verzerren, danach einteilen, auf welche Form der grenzüberschreitenden Erbringung der Dienstleistung sie sich jeweils beziehen". 15 Wegweisend für die Klassifikationen sind die Untersuchungen des USHandelsministeriums von 1976 sowie die OECD-Studie von 1979, vgl. dazu Krommenacker, World-Traded Services, S. 79 ff.; Schultz, Handelshemmnisse im Rahmen der Weltwirtschaft, in: Deutsches Institutfor Wirtschafisforschung (Hrsg.), S. 149, 155 ff. 16 Vgl. SampsonlSnape, The World Economy 1985 (Vol. 8), S. 171,180. 17 Schultz, Handelshemmnisse im Rahmen der Weltwirtschaft, in: Deutsches Institut flr Wirtschafisforschung (Hrsg.), S. 149, 164; vgl. CojJield, International Services-Trade Issues and the GATI, in: RubinlGraham (Hrsg.), S. 69, 77 ff.; Sindelar, Das GATI Handelsordnung für den Dienstleistungshandel, S. 19. 11 SampsonlSnape, The World Economy 1985 (Vol. 8), S. 171, 179 ff.; Mukherjee, JWTL 1992 (Vol. 20), S. 45, 45; vgl. Schultz, Handelshemmnisse im Rahmen der Weltwirtschaft, in: Deutsches Institutfor Wirtschafisforschung (Hrsg.), S. 149, 149.

A. Grundlagen und Bedeutung des Dienstleistungshandels

46

Die direkten international handelbaren Dienstleistungen sind oftmals in Waren verkörpert, so daß bei deren GrenzüberschreitWlg der Zoll, ebenso wie beim Warenhandel, die bedeutendste Handelsbarriere darstellt". Bei einer Vielzahl der Dienstleistungen, die in dieser Form erbracht werden, besteht jedoch oft praktisch keine staatliche Zugriffsmöglichkeit hinsichtlich der Einfiihrung Wld Aufrechterhaltung von handelsbeschränkenden Maßnahmen, etwa wenn die Leistung in einer elektronisch übermittelten Information besteht9O • Alle Handelsbarrieren hinsichtlich der übrigen ErbringWlgsformen Wlterscheiden sich größtenteils erheblich von denen im Warensektor. Verallgemeinernd gesprochen handelt es sich um Maßnahmen, die in der einen oder anderen Form auf die ErschwerWlg oder VerhinderWlg des physischen Kontaktes zwischen Dienstleistungsanbieter Wld -nachfrager gerichtet sind, welcher in diesen ErbringWlgsformen notwendige VoraussetzWlg für den Handelsvorgang ist. Im Bereich der Dienstleistungen in VerbindWlg mit der WanderWlg der Nachfrager spielen vor allem die Einreise- Wld AufenthaltsbedingWlgen eine wesentliche Rolle 91 • Bei der WanderWlg des Anbieter sind hinsichtlich der permanenten NiederlassWlg die RahmenbedingWlgen für die ausländischen Direktinvestitionen Wld hinsichtlich des temporären Auslandsaufenthaltes die Einreise-, Aufenthalts- Wld BeschäftigungsbestimmWlgen des Empfangerlandes von zentraler Bedeutung92 • Hinsichtlich dieser EinteilWlg der Handelsbarrieren ist kritisch anzumerken, daß eine bestimmte Maßnahme sich Wlter Umständen gleichzeitig in Wlterschiedliche Kategorien einordnen lassen kann. So kann das Niederlassungsrecht einer ausländischen Firma von der Bedingung abhängig gemacht werden, daß nur inländische Vertreter angestellt werden; dieses Erfordernis entspricht dann gleichzeitig der BeschränkWlg der BeschäftigWlgsmöglichkeiten ausländischer Arbeitnehmer durch den reglementierenden Staat93 • c) Marktzugangs- und Ausübungsbeschränkungen

Schließlich kann eine EinteilWlg der Handelsbarrieren im internationalen DienstleistWlgsverkehr in der Weise vorgenommen werden, daß zwischen

Vgl. Hindley, Services, in: Schott (Hrsg.), S. 130, 131. SampsoniSnape, The World Economy 1985 (Vol. 8), S. 171, 180. 91 Vgl. Sindelar, Das GATT - Handelsordnung für den Dienstleistungshandel, S. 20. 92 Benz, JWTL 1985 (Vol. 19), S. 95, 101; Coffield, International Services-Trade Issues and the GATT, in: RubinlGraham (Hrsg.), S. 69,78 f. 93 Vgl. zu diesem Beispiel Nicolaides, Aussenwirtschaft 1989 (Vol. 44), S. 29, 39. 89

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II. Handelshemmnisse im internationalen Dienstleistungshandel

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Marktzugangsbeschränkungen und Ausübungsbeschränkungen unterschieden wird94 • Diese Kategorisierung basiert auf der Differenzierung zwischen unterschiedlichen Stufen von Handelsbarrieren. Die Marktzugangsbeschränkungen sind darauf gerichtet, den Zutritt eines Anbieters oder Nachfrager ganz auszuschließen oder zumindest erheblich zu erschweren. Demgegenüber zielen die anderen Handelshemmnisse darauf ab, die Ausübung der Dienstleistung im Anschluß an den Marktzutritt zu beeinträchtigen. Beispiele für Marktzugangsbeschränkungen sind etwa das Nationalitätserfordernis oder das Verbot der Gründung von Auslandsniederlassungen im Empfängerland9s • Demgegenüber lassen sich als Beispiele für die Ausübungsbeschränkungen etwa die Behinderung beim Import wichtiger Ausrüstungsgegenstände für den Betrieb eines Dienstleistungsunternehmens im Inland, die diskriminierende Besteuerung von Niederlassungen und Tochtergesellschaften oder die Festsetzung von Quoten für einheimisches Personal anführen96 • Bei dieser Einteilung ist allerdings in kritischer Hinsicht einzuwenden, daß die Übergänge zwischen Marktzugangs- und Ausübungsbeschränkungen fließend sein können. So können insbesondere bestimmte Ausübungsbeschränkungen die Dienstleistungstätigkeit eines Anbieters derartig behindern, daß sie praktisch einer Marktzugangsbeschränkunggleichkommen. Die diskriminierende Besteuerung eines ausländischen Anbieters kann etwa einen solchen Nachteil gegenüber einem inländischen Konkurrenten bedeuten, daß dies den Markt aus Rentabilitätsgründen faktisch für die internationale Konkurrenz verschließt9' • 3. Die Motive für die Schaffung von Handelshemmnissen im Dienstleistungssektor Es lassen sich eine Reihe von Motiven ausmachen, die die Staaten dazu bewegen, Handelshemmnisse im Dienstleistungssektor zu schaffen. Verallgemei94 Vgl. Blankart, Aussenwirtschaft 1989 (Vol. 44), S. 5, 10; Nicolaides, Aussenwirtschaft 1989 (Vol. 44), S. 29, 39. 95 Vgl. Schultz, Handelshemmnisse im Rahmen der Weltwirtschaft, in: Deutsches Institut for Wirtschafisforschung (Hrsg.), S. 149, 156, der in diesem Bereich nochmals nach der Verweigerung und der Beeinträchtigung des Marktzutritts differenziert. 96 Schultz, Handelshemmnisse im Rahmen der Weltwirtschaft, in: Deutsches Institut for Wirtschafisforschung (Hrsg.), S. 149, 158 f., der in diesem Bereich zwischen der Behinderung im Betriebsablauf, der diskriminierenden Besteuerung sowie Maßnahmen im Devisen- und Kapitalverkehr und den Beschäftigungsbeschränkungen unterscheidet. 9' Vgl. dazu Blankart, Aussenwirtschaft 1989 (Vol. 44), S. 5, 10; Nicolaides, Aussenwirtschaft 1989 (Vol. 44), S. 29, 39 f.

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A. Grundlagen und Bedeutung des Dienstleistungshandels

nernd kann man diese Beweggrunde in zwei verschiedene Kategorien einteilen9S • Auf der einen Seite stehen die Ungleichbehandlungen ausländischer Anbieter, die durch den Ordre public gegeben sind. Auf der anderen Seite sind die protektionistisch motivierten Handelshemmnisse auszumachen. Die Argumente, die die Staaten zur Rechtfertigung der Handelsbarrieren vorbringen, werden von der herrschenden liberalen Volkswirtschaftslehre kritisiert, können jedoch als solche nicht Gegenstand einer juristischen Untersuchung sein99 • a) Ordre public-Erwägungen

Hierbei handelt es sich um Motive, die durch Gemeinwohlerwägungen bedingt sind. So spielt etwa der Verbraucherschutz in vielen Diensdeistungsbranchen eine wichtige Rolle 100. Im Versicherungswesen sind beispielsweise in vielen Ländern die Anforderungen an ausländische Anbieter besonders hoch, da hier der Kunde meist zu Vorleistungen im Hinblick auf eine Gegenleistung des Versicherers, die sich erst in Zukunft realisieren wird, verpflichtet ist lol • Weiterhin gehören in diese Kategorie auch die Erwägungen, die sich aus dem Bedürfuis der Wahrung der kulturellen Identität ergeben l02 • Im Medienbereich führt dies beispielsweise zur Quotierung ausländischer Sendebeiträge. Schließlich läßt sich in diese Kategorie auch das Motiv einordnen, daß Schlüsselbereiche der Wirtschaft in inländischer Verfiigungsmacht stehen sollen. Vor allem im Bereich der Hochtechnologie wird von den Staaten die Öffnung der nationalen Märkte mit dem Hinweis auf das Bedürfuis nach Unabhägigkeit und nationaler Sicherheit erschwert l01 •

91 Vgl. CasslNoam, The Economics and Politics ofTrade in Services: A United States Perspective, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Rules for Free Trade, S. 43, 62; Blankart, Aussenwirtschaft 1989 (Vol. 44), S. 5, 8. 99 S. dazu die ausführliche Diskussion bei Krommenacker, World-traded Services, S. 41 ff. 100 Schultz, Handelshemmnisse im Rahmen der Weltwirtschaft, in: Deutsches Institut for Wirtschaftsforschung (Hrsg.), S. 149, 154; CasslNoam, The Economics and Politics of Trade in Services: A United States Perspective, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Rules for Free Trade, S. 43, 63. 101 Vgl. dazu Krommenacker, World-traded Services, S. 54 ff. 102 Schultz, Handelshemmnisse im Rahmen der Weltwirtschaft, in: Deutsches Institut for Wirtschaftsforschung (Hrsg.), S. 149, 154. 103 Nicolaides, Aussenwirtschaft 1989 (Vol. 44), S. 29, 40.

Ill. Bedeutung Wld Umfang des DienstleistWlgshandels

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b) Wirtschaftlicher Protektionismus Der Großteil der Handelsbarrieren im Dienstleishmgssektor ist durch protektionistische Motive bedingtl04. Das Ziel der Abschothmg des heimischen Marktes vor ausländischer Konkurrenz wird zum Teil durch die Argumentation mit Ordre-public-Erwägungen verdeckt, zum Teil allerdings auch ganz offen zum Ausdruck gebracht lOS. Die Staaten verschließen oder erschweren den Zugang zu den heimischen Märkten, da sie sich meist aus kurzfristigen Erwägungen und bedingt durch aktuelle wirtschaftliche oder soziale Schwierigkeiten Vorteile für die eigene Industrie erhoffen, wenn diese ohne ausländische Konkurrenten den eigenen Markt beherrschen kann. Der Schutz der heimischen Märkte findet insbesondere mit dem Verweis auf die angespannte beschäftigungspolitische Situation statt lO6 . Daher wird in der Regel der Beschäftigung von Inländern der Vorzug gegeben. Bei den Entwicklungsländern ist darüber weiterhin noch das Motiv erkennbar, den heimischen Dienstleistungsmarkt gegen ausländische Konkurrenten zu schützen, um für eine begrenzte Periode der nationalen Wirtschaft den Aufbau einer eigenständigen und - nach Öffnung des Marktes - konkurrenzfähigen Dienstleishmgsindustrie zu ermöglichen lO7 • Schließlich führen auch Zahlungsbilanzschwierigkeiten der Staaten zu einer protektionistischen Halhmg gegenüber dem internationalen Dienstleishmgsaustausch lOS.

111. Bedeutung und Umfang des Dienstleistungshandels Seit Anfang der achtziger Jahre stellt der internationale Dienstleistungshandel den Teil der Welthandels dar, der am stärksten expandiert. Während das 104 Vgl. dazu Senti, ErscheinWlgsfonnen Wld Ursachen des neuen Protektionismus im Außenhandel, ORDO 1986 (Vol. 37), S. 218 ff., 225; Schott, The World Economy 1983 (Vol. 6), S. 195 ff. lOS McCulloch, International Competition in Services, in: Feldstein (Hrsg.), S. 367, 397 f. 106 Schultz, Handelshemmnisse im Rahmen der Weltwirtschaft, in: Deutsches Institut .für Wirtschaftsforschung (Hrsg.), S. 149, 154. 107 Krommenacker, World-traded Services, S. 56 ff; CasslNoam, The Econornics and Politics of Trade in Services: A United States Perspective, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Rules for Free Trade, S. 43, 66. 108 Schultz, Handelshemmnisse im Rahmen der Weltwirtschaft, in: Deutsches Institut .für Wirtschaftsforschung (Hrsg.), S. 149, 154; Nicolaides, Aussenwirtschaft 1989 (Vol. 44), S. 29,40. 4 Kochler

A. Grundlagen und Bedeutung des Dienstleistungshandels

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Handelsvolumen von 1982 bis 1992 im internationalen Warenverkehr um 9,8 Prozent wuchs, erweiterte sich der Umfang des internationalen Dienstleistungsaustauschs während desselben Zeitraums um 15 Prozent lO9 • Im Jahr 1992 überschritt das weltweite Volumen grenzüberschreitender Dienstleistungen zum ersten Mal die Grenze von einer Billion Dollar" o• Nach dem Jahresbericht 1995 der Welthandelsorganisation über die Entwicklung des internationalen Handels betrug im Jahr 1994 das Volumen der internationalen Warenexporte 4,09 Billionen Dollar, während bei den grenzüberschreitenden kommerziellen Dienstleistungen ein Handelsvolumen von 1,1 Billionen Dollar zu verzeichnen war lll • Damit macht dieser Bereich der internationalen Transaktionen einen Anteil von 21,19 Prozent am gesamten Welthandel aus. Er übersteigt den Umfang des globalen Agrarhandels, der im Jahr 1994 bei 485 Milliarden Dollar lag, weit über das Doppelte. Die Entwicklungen des internationalen Waren- und Dienstleistungsaustauschs stehen in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis, das sich an der von der WTO veröffentlichten Handelsstatistik ablesen läßt. So war im Bereich der weltweiten Warenausfuhr des Jahres 1994 mit etwa 23 Prozent der stärkste Zuwachs gegenüber dem Vorjahr bei den Ausrüstungsgegenständen im Büro- und Telekommunikationsbereich festzustellen ll2 • Hierbei handelt es sich um Waren, fiir die insbesondere im Dienstleistungssektor besonderer Bedarf besteht. Das erhöhte Wachstum in diesem Handelsbereich bedingt mithin auch die Ausweitung des globalen Warenverkehrs. Im regionalen Vergleich ist festzustellen, daß die 15 wichtigsten Export- und Importländer grenzüberschreitender Dienstleistungen annähernd identisch mit denjenigen im globalen Warenverkehr sindl\3. Im wesentlichen handelt es sich bei diesen Handelspartnern um die Mitgliedsstaaten der OECD und die dynamischen Wirtschaftsrnächte Asiens (Hong Kong, Südkorea, Singapur, Thailand und Taiwan). Zusammengenommen verzeichnen diese Staaten etwa 70 Prozent der weltweiten Dienstleistungsexporte und -importe. Diese Proportion entspricht derjenigen im Warenverkehr. Dies läßt den Schluß zu, daß die Teilnahme eines Staates am internationalen Dienstleistungsverkehr mit dem Entwicklungsstand im Bereich der Warenaus- bzw. einfuhr korreliert. Gleichwohl wäre es verfehlt, davon auszugehen, die Ausweitung des globalen Dienstleistungsverkehrs stehe allein im Interesse der Industriestaaten und sei

Angaben nach Schotl/Buurman, The Uruguay Round, An Assessment, S. 99. Focus, GATT Newsletter 1993/98, S. 3. 111 World Trade Organization, International Trade 1995, S. 4. 112 World Trade Organization, International Trade 1995, S. 4. 113 World Trade Organization, International Trade 1995, S. 15, S. auch die in diesem Bericht wiedergegebene Übersichtstabelle 1.8 auf S. 14. 109

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III. Bedeutung \llld Umfang des Dienstleistungshandels

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fiir die wirtschaftliche Entwicklung der sog. Entwicklungsländer von untergeordneter Bedeutung 1l4• Hiergegen spricht die Tatsache, daß fast die Hälfte der Entwicklungsländer mehr als 20 Prozent ihrer gesamten Exporteinkünfte im Bereich der Dienstleistungsausfuhren zu verzeichnen haben llS • Einschränkend ist diesbezüglich hinzuzufiigen, daß diese Einkünfte vor allem im T ourismussektor erlangt werden, während diese Länder in der überwiegenden Zahl der anderen Wachstumsbranchen des Dienstleistungssektors nur in äußerst geringem Umfang am internationalen Handelsverkehr beteiligt sind. Die Zunahme des internationalen Dienstleistungsverkehrs ist ebenfalls an der gesteigerten Abhängigkeit einzelner Volkswirtschaften von der Dienstleistungsausfuhr abzulesen. In der Außenhandelsbilanz der Bundesrepublik Deutschland, die laut Angaben der WTO mittlerweile nach den USA und Frankreich der drittwichtigste Dienstleistungsexporteur und nach den USA der zweitwichtigste Dienstleistungsimporteur ist, entfällt auf den Dienstleistungsbereich etwa ein Drittel der gesamten Transaktionen mit dem Ausland; zu Beginn der neunziger Jahre lag der Anteil noch bei einem VierteP l6 • Diese Entwicklung hat gleichzeitig erhebliche Auswirkungen auf die Zahl der von der Ausfuhr abhängigen Beschäftigten in der Bundesrepublik gehabt. Nach den Angaben des Deutschen Instituts fiir Wirtschaftsforschung sind von den etwa 7 Millionen Beschäftigten der deutschen Exportwirtschaft 2,5 Millionen, d. h. mehr als ein Drittel, im Dienstleistungssektor tätig ll7 • Auch in diesem Zusammenhang ist darüber hinaus auf die Interdependenz von Warenproduktion bzw. -handel auf der einen Seite und dem Dienstleistungshandel auf der anderen Seite hinzuweisen. Es wird davon ausgegangen, daß in zunehmendem Maß die Dienstleistung als Teil des industriell erzeugten Angebots über die globale Wettbewerbsfähigkeit dieses Angebots entscheidet lll • Daher ist davon auszuge-

114 S. dazu allgemein Keppler, Die Bedeutung des Dienstieist\lllgssektors fiir die Entwick1\lllgsländer - Ansatzp\lllkte fiir bi- \llld multilaterale Zusammenarbeit. llS Diese Angabe machen Dembinski/Degbelo, Effets de l'Uruguay RO\llld sur les pays en developpement, Vol. I (Evaluation et perspectives), S. 14, im Rahmen ihrer Studie zu den Auswirk\lllgen der Uruguay-R\lllde auf die Entwick1\lllgsländer. 116 Deutsche Bundesbank, Neuere Entwick1\lllgen im Dienstleistungsverkehr mit dem Ausland, Monatsbericht Januar 1995, S. 51, 53; vgl. dazu auch Deutsche Bundesbank, Der Dienstieist\lllgsverkehr der B\llldesrepublik mit dem Ausland, Monatsbericht April 1990, S. 13, 13. 117 Weise, Auswirk\lllgen des Dienstleistungshande1s auf die deutsche Volkswirtschaft, in: Deutsches Institutfor Wirtschaftsforschung (Hrsg.), S. 107,112; S. zu der Beschäftig\lllg im Dienstleistungssektor innerhalb der Europäischen Gemeinschaften auch Eurostat, Some Statistics on Services, S. 59 ff. IIB Weise, Auswirkungen des Dienstieist\lllgshandel auf die deutsche Volkswirtschaft, in: Deutsches Institut for Wirtschaftsforschung (Hrsg.), S. 107, 129 f.; vgl. dazu auch Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. II, S. 2335, 2342.

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A. Grundlagen und Bedeutung des Dienstleistungshandels

hen, daß die Bedeutung des Dienstleistungssektors bereits heute größer ist, als dies durch die genannten Zahlen zum Ausdruck gebracht wird.

B. Der rechts geschichtliche Hintergrund des GATS Am 15.04.1994 unterzeichneten die Vertreter von 111 Staaten in Marrakesch nach einer Verhandlungsdauer von mehr als sieben Jahren die Schlußakte der GATT-Uruguay-Runde, mit der die neue Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) gegründet wurde. Integraler Bestandteil des Übereinkommens zur Errichtung der WTO ist das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen.

Das GATS stellt zwar die erste völkerrechtliche Regelung dar, mit der der internationale Dienstleistungshandel auf der Basis eines multilateralen Vertrages einer umfassenden und global wirkenden Liberalisierung zugeführt werden soll. Dennoch gab es auch schon vor Abschluß des GATS im Wirtschaftsvölkerrecht eine Vielfalt vertraglicher Übereinkünfte, die den internationalen Dienstleistungshandel zumindest wesentlich tangierten. Einzelne Dienstleistungssektoren sowie der Dienstleistungsaustausch zwischen einzelnen Staaten waren sogar schon einer weitreichenden und umfassenden Regelung unterworfen. Im folgenden soll zum einen auf diese völkerrechtlichen Regelungen im Bereich des Dienstleistungshandels eingegangen werden (dazu unter 1.). Zum anderen soll ein geraffter Überblick über den Verlauf der Verhandlungen bis zum Abschluß des GATS im Rahmen der Uruguay-Runde gegeben werden (dazu unter II.).

I. Völkerrechtliche Verträge vor Abschluß des GATS 1. Die Neuordnung der Weltwirtschaft nach dem 11. Weltkrieg

Schon im Rahmen der Neuordnung des internationalen Wirtschaftssystems unter der Ägide der USA und Großbritanniens nach dem 11. Weltkrieg wurde der internationale Dienstleistungshandel Gegenstand völkervertraglicher Übereinkünfte. Generelles Ziel dieser Neuordnung war es, der Weltwirtschaft auf der Grundlage einer marktwirtschaftlich-liberalen Ausrichtung durch Schaffung

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B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS

multilateraler Verträge und Errichtung internationaler Organisationen einen rechtlichen und institutionellen Organisationsrahmen zu gebent. a) Die gescheiterte Charta von Havanna Neben dem internationalen Währungsfonds und der Weltbank für den monetären bzw. den entwicklungspolitischen Bereich der Weltwirtschaft sollte mit der in den Jahren 1947/48 ausgehandelten Charta von Havanna eine umfassende Kodifizierung des Welthandels erreicht werden2• In der Charta war ebenfalls die Gründung einer Internationalen Handelsorganisation (International Trade Organization, ITO) vorgesehen. Die Charta trat jedoch nicht in Kraft, da deren Ratifizierung am Widerstand des US-Kongresses scheiterte, der allzuweit gehende Beschränkungen außenwirtschaftlicher Gestaltungsspielräume befürchtete). Die Charta von Havanna bezeichnete in Art 53 Abs. I Satz 1 bestimmte Dienstleistungen "wie etwa das Transportwesen, die Telekommunikation, das Versicherungswesen und die kommerziellen Leistungen der Kreditinstitute" als "substantielle Elemente des internationalen Handels"'. Anders als im Bereich des internationalen Warenhandels sah die Charta von Havanna jedoch für den internationalen Dienstleistungsaustausch keine umfassende Regelung der Außenhandelsbeziehungen der Staaten vor, sondern gab der zu errichtenden Internationalen Handelsorganisation in diesem Bereich lediglich eine begrenzte Zuständigkeit. Aufgabe der ITO sollte nicht die Sicherstellung einer progressiven Liberalisierung des Dienstleistungshandels sein. Statt dessen sahen die Absätze 2 und 3 des Art. 53 der Charta ein besonderes Verfahren zur Bekämpfung restriktiver Handelspraktiken in diesem Handelsbereich vor. Für den Fall eines drohenden Schadens für einen Mitgliedsstaat durch solche Handelspraktiken wurde eine Art Streitbeilegungsverfahren zwischen den betroffenen Staaten stipuliert, das zunächst von der ITO beaufsichtigte Konsultationen zwischen den beteiligten Staaten vorsah und an dessen Ende die ITO gegebenenfalls ,,Empfehlungen" zur Beilegung der Streitigkeit aussprechen sollte'.

t Vgl. Beise, Vom alten zum neuen GATT - Zu den neuen Dimensionen der Welthandelsordnung, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), S. 179, 189 ff.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7 Rn 1. 2 Sautter, Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Band 9, S. 660. J Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7 Rn 1. , Der Text des Art. 53 der Charta von Havanna ist abgedruckt bei Krommenacker, World-traded Services, S. 187 f. 'Vgl. dazu Krommenacker, World-traded Services, S. 141 ff., 192 ff.

I. Völkerrechtliche Verträge vor Abschluß des GATS

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Von einer umfassenden und effektiven Regelung des Dienstleistungshandels war dieser Vertragstext jedoch noch weit entfernt. Zum einen legte die Charta nicht fest, welche rechtlichen Konsequenzen sich an die Nichtbefolgung der auf Grundlage des Art. 53 der Charta ausgesprochenen Empfehlungen anschließen sollten6 • Zum anderen schränkte die Charta den Anwendungsbereich dieses Verfahrens dadurch ein, daß die ITO nicht zuständig sein sollte, sofern eine andere zwischenstaatliche Organisation für den geltend gemachten Streitgegenstand zuständig wäre'. Selbst wenn die Charta von Havanna jemals in Kraft getreten wäre, hätte dies also nur sehr begrenzte Auswirkung auf den internationalen Dienstleistungshandel gehabt.

b) Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) Der Konferenz von Havanna, an deren Ende die Charta von Havanna unterzeichnet wurde, waren bereits 1947 Verhandlungen zwischen 23 Staaten über einen gegenseitigen Zollabbau vorausgegangen, die in das ,,Allgemeine Zollund Handelsabkommen" (General Agreement on Tariffs and Trade, GATT) mündeteni. Um die Notwendigkeit des Einverständnisses einer Zweidrittelmehrheit des amerikanischen Senats in Washington zu vermeiden, kam man darin überein, das GATT als ein vorläufiges Protokoll zu behandeln, das keines Ratiflkationsverfahrens bedurfte9 • Die Mehrzahl der GATT -Vertragsparteien entschlossen sich gleichwohl zur Durchführung dieses Verfahrens, so etwa die Bundesrepublik Deutschland 10 • In den USA und anderen Staaten hat das GATT kraft Verfassungsrecht auch ohne Ratiflkationsverfahren Geltung. Nach dem Scheitern der Internationalen Handelsorganisation wurde das lediglich als Provisorium geplante GATT zur dauerhaften Grundordnung des Welthandels für die darin geregelten Handelsbereiche". Anders als die Benennung dieses multilateralen Vertrages als ,,Allgemeines Handelsabkommen" vermuten lassen könnte, nimmt das GATT jedoch nicht Bezug auf den Dienstleistungshandel als solchen. Die einzige Norm, die sich ausdrücklich mit einem Dienstleistungssektor befaßt, ist Art. IV des GATT, in dem eine Sonderbestimmung für den Import von Kinofilmen statuiert wird, Art. 53 Absatz 3 Satz 2 der Charta von Havaruta. Art. 53 Absatz 3 Satz 1 der Charta von Havaruta; vgl. dazu Carreau/F/ory/ Juillard, Droit international economique, S. 300. I Zur Entstehungsgeschichte des GATT S. Sautter, Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Band 9, S. 660 ff. 9 Zuleeg, ZaöRV 1975 (Vol. 35), S. 341,348. 10 BGBI. 1951 H, S. 173. 11 Herdegen, htternationales Wirtschaftsrecht, § 7 Rn 2; Hailbronner/Bienl'agen, JA 1988, S. 318 ff., die vom GATT als der ,,Magna Charta des Welthandels" sprechen. 6

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B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS

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nach der bestimmte mengenmäßige BeschränkWlgen erlaubt sind. Der Ausnahmecharakter dieser Norm deutet jedoch gerade auf den Ausschluß der DienstleistWlgen aus dem AnwendWlgsbereich des GATT hin 12 • Zwar spricht der englische Text des GATT an Wlterschiedlichen Stellen von "products"l3. Diesen Terminus könnte man durchaus in der Weise interpretieren, daß er sich sowohl auf Waren als auch auf DienstleistWlgen beziehe l4 • Gleichwohl besteht weitreichende ÜbereinstimmWlg darin, daß das GATT sich lediglich auf den Warenhandel beziehen sollte l5 • Hierfür spricht insbesondere, daß sich den GATT-Vertragsparteien im Jahr 1947, also bei AusarbeitWlg des Vertrages, der internationale DienstleistWlgshandel noch nicht als ein separater, eigenständiger Bereich neben dem internationalen Warenhandel darstellte. In der Geschichte der Auslegung des Begriffes des Produktes hat sich dieses Verständnis durchgesetzt, so daß an der Begrenzung des GATT auf den Warensektor kein Zweifel mehr besteht l6 • Gleichwohl fand im Verlauf der auf der GfWldlage des GATT durchgeführten VerhandlWlgen zur LiberalisiefWlg des Welthandels eine gewisse ÖffnWlg des GATT-Rechts zu Fragen des internationalen DienstleistWlgshandels statt. Dies geschah allerdings nicht in der Weise, daß das GATT einer AnwendWlg auf den DienstleistWlgssektor zugänglich gemacht worden wäre. Vielmehr rückten verschiedene DienstleistWlgssektoren ins Blickfeld der multilateralen VerhandlWlgen, sofern sie auch für den Warenhandel von BedeutWlg waren. So fanden etwa in den Jahren 1953-1959 ausführliche Handelsdiskussionen über die Beseitigung von Handelshemmnissen im Bereich der TransportversichefWlgen statt, welche jedoch schließlich ergebnislos endeten 17 •

Carreau/F1ory/Juillard, Droit international economique, S. 301. So etwa in Art. II Absatz 2 Satz 1, Art. VI Absatz 1 Satz 1 oder Art. IX Absatz I Satz 1 GATT; dieser Terminus ist in deutschen Vertragsübersetzung oftmals mit dem Begriff der Ware übersetzt, was in sofern eine Ungenauigkeit darstellt, als der englische Text auch das Wort "good" verwendet, das ebenfalls mit "Ware" zu übersetzen ist. 14 Versuche, durch eine extensive Auslegung des Begriffs "product" eine Anwendung des GATT auf den Dienstleistungshandel zu ennöglichen, gab es zu Beginn der 80-iger Jahre, vgl. zu dieser Diskussion Schultz, Dienstleistungen und GATT, in: Beihefte zur Konjunkturpolitik 1987 (Heft 34), S. 151, 161. 15 Ipsen/Haltern, Refonn des Welthandels systems? Perspektiven zum GATT und zur Uruguay-Runde, S. 88; Bai!, EuZW 1990, S.465, 470; CarreaulFlory/Juillard, Droit international economique, S. 301; Koekkoeh/de Leeuw, Aussenwirtschaft 1987 (Vol. 42), S. 65,69. 16 Vgl. etwa Senti, GATT - System der Welthandelsordnung, S. 110; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7 Rn 19; Jackson, World Trade and the Law ofGATT, S.257. 17 Dazu Krommenacker, World-traded Services, S. 143 ff. 12 11

I. Völkerrechtliche Verträge vor Abschluß des GATS

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Ebenso schließen einige der im Verlauf der Tokio-Runde (1973-1979) ausgehandelten Kodizes, die sich auf den Abbau der nicht-tarifaren Handelshemmnisse richten, Dienstleistungen in ihren Anwendungsbereich ein l8 • Als Beispiele lassen sich dazu das Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen, der Subventionskodex und das Abkommen über den Handel mit zivilen Luftfahrzeugen anführen. Charakteristisch für die Inkorporierung des Dienstleistungshandels in diese spezifischen Vereinbarungen ist jedoch, daß Dienstleistungen nur insofern Erwähnung finden, als sie vom Warenhandel nicht getrennt werden können l9 • So betrifft das Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen die Dienstleistungen nur dann, wenn sie zusammen mit Waren angeboten werden und ihr Wert denjenigen der Ware nicht übersteigt20. Zusammenfassend läßt sich mithin sagen, daß das GATT selbst sowie die im Rahmen der GATT-Verhandlungen vereinbarten Kodizes den internationalen Dienstleistungshandel nur peripher betreffen. Es handelte sich mithin vor Beginn der Uruguay-Runde um eine vom GATT-Recht nicht geregelte Materie.

2. Die Liberalisierungskodizes der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Die internationale Organisation, die im Vorfeld der Verhandlungen über das GATS im Rahmen der Uruguay-Runde die intensivsten Anstrengungen in Hinsicht auf eine Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsaustausches machte, ist die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organization for Economic Cooperation and Development, OECD)21. Die von ihr vorangetriebenen Aktivitäten umfaßten nicht nur die Normierung gewisser, allerdings nur die OECD-Mitglieder bindender Standards zum liberaleren Ablauf des Dienstleistungshandels, sondern vor allem auch die Erarbeitung von Untersuchungen über den Umfang des internationalen Handels in einzelnen Dienstleistungssektoren22 . Diese Untersuchungen wurden durchgeführt, um das notwendige Datenmaterial zur Verfügung zu stellen, damit umfassendere Libe-

11 Reinhardt, Dienstleistwlgssektor und Dienstleistwlgspolitik in Entwicklungsländern, S. 97. 19 Vgl. Koekkoek/de Leeuw, Aussenwirtschaft 1987 (Vol. 42), S. 65,70 f. 20 Senti, GATT - System der Welthandelsordnung, S. 194. 21 Vgl. zur OECD Hahn, Organization for Econornic Co-operation and Development, in: EPIL 1983 (Vol. 5), S. 214 ff.; S. zum Wirtschaftsrecht der OECD Hahn/Weber, Die OECD - Organisation fiir wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, S. 211 ff. 22 Dazu Krommenacker, World-traded Services, S. 113 ff.; Benz, JWTL 1985 (Vol. 19), S. 95, 107 f.

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B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS

ralisierungsprogramme im Rahmen anderer internationaler Organisationen, wie etwa im GATT, in Angriff genommen werden konnten23 . AufgrlUld dieser BeschäftiglUlg der OECD mit dem DienstleistlUlgshandel war vor Beginn der Uruguay-Runde sogar der Vorschlag entwickelt worden, den normativen Liberalisierungsrahmen für die DienstleistlUlgen nicht lUlter den GATT -Mitgliedern, sondern nur lUlter den OECD-Mitgliedern auszuhandeln 24 . Diesem Vorschlag wurde jedoch nicht Folge geleistet, da nur die 24 größten Industrieländer dieser Organisation angehören lUld damit wesentliche Bereiche des Welthandels, insbesondere im Verhältnis zu den EntwickllUlgslUld Schwellenländern, von einer umfassenden Liberalisierung des internationalen DienstleistlUlgsverkehrs ausgenommen worden wären25 . Die von der OECD entwickelten Rechtsinstrumente, die die Liberalisierung des internationalen DienstleiStlUlgsaustausches tangieren, sind im Licht der Konvention zur GründlUlg der Organisation von 1960 zu sehen. Die Mitgliedsstaaten kommen darin überein, "ihre BemühlUlgen fortzusetzen, die Hindernisse des Austausches von Gütern lUld DienstleistlUlgen lUld laufenden ZahllUlgen zu reduzieren oder abzuschaffen lUld die Liberalisierung der KapitalbeweglUlgen auszuweiten"26. Entsprechend dieser vertraglichen Vorgabe verabschiedeten die Mitglieder der OECD im Jahr 1961 gleichzeitig zwei Kodizes, die den Dienstleistungsverkehr zwischen ihnen berühren. Dabei handelt es sich zum einen um den "Kode zur Liberalisierung der laufenden lUlsichtbaren Operationen" lUld zum anderen um den "Kode zur LiberalisierlUlg der KapitalbeweglUlgen"27. Kennzeichnend für diese Kodizes ist die Diskrepanz zwischen ihrem theoretischen Anspruch, den Handel zwischen den OECD-Mitgliedern zu liberalisieren, lUld der mangelnden praktischen DurchsetzlUlg dieses Anspruchs. So weist Art. 1 a des Kodes zur Liberalisierung der laufenden lUlsichtbaren Operationen die Mitgliedsstaaten an, die BeschränklUlgen auf den laufenden unsichtbaren Transaktionen lUld Transfers zu beseitigen. Unter Transaktion ist dabei die vertraglich geschuldete LeistlUlg, also etwa die ErbringlUlg einer konkreten Versi-

23 Von besonderer Bedeutung war die 1980 von den USA initiierte Studie, die als grundlegend für die politische Durchsetzung der Einbeziehung der Dienstleistungen in die multilateralen Handelsverhandlungen gilt, Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. H, S. 2335,2345. 24 So etwa Gray, JWTL 1983 (Vol. 17), S. 377,386 f. 25 Benz, JWTL 1985 (Vol. 19), S. 95, 112. 26 Vgl. dazu Benz, JWTL 1985 (Vol. 19), S. 95, 108. 27 Beide Kodizes sind abgedruckt bei SauvantlWeber, The International Legal Framework for Services, Binder H, Booklet II.B; S. zu den Kodizes insb. Everard, The OECD Codes and Declarations and Trade in Services, S. 2 ff.; Hahn/Weber, Die OECD - Organisation tUr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, S. 249 ff.

1. Völkerrechtliche Verträge vor Abschluß des GATS

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cherungsdienstleistung, gemeint, unter Transfer demgegenüber der Rückfluß an Kapital als Gegenleistung". Der weit gesteckte Rahmen der von dem Kode anvisierten Liberalisierung wird jedoch nicht konkret ausgefüllt. Zunächst wird der Anwendungsbereich des Kodes dadurch eingeschränkt, daß er sich nicht grundsätzlich auf alle Dienstleistungssektoren erstreckt. Aus Art. 2 in Verbindung mit dem Annex A ergibt sich, daß nur die dort enumerierten Dienstleistungsbereiche erfaßt werden sollen. Zwar finden sich darunter solch wichtige Handelssektoren wie das Transportwesen, die Bank- und Versicherungsdienstleistungen oder der Tourismus. Jedoch fehlen die Computerdienstleistungen, die freien Berufe, die Bildungsdienstleistungen und das Gesundheitswesen 29 • Des weiteren mangelt es dem Kode an Normen, die die Liberalisierung tatsächlich umsetzen. So fehlt insbesondere eine Vorschrift zur Inländerbehandlung, d. h. die Anweisung, ausländische Anbieter auf dem heimischen Markt nicht gegenüber inländischen Anbietern zu diskriminieren. Ebenso berührt der Kode nicht das für die Erbringung vieler Dienstleistungen essentielle Niederlassungsrecheo• Schließlich ergibt sich die Schwäche des Kodes daraus, daß den OECDMitgliedern sehr weitreichende Möglichkeiten eröffnet werden, durch die in Annex B aufgeführten Vorbehalte die Wirksamkeit vertraglicher Verpflichtungen im einzelnen auszuschließen 31 • Hiervon haben alle OECD-Staaten in annähernd allen vom Kode erfaßten Dienstleistungsbereichen Gebrauch gemacht. Darüber hinaus kann ein Mitglied gemäß Art. 7 des Kodes (Derogationsklausel) im Fall wirtschaftlicher und finanzieller Schwierigkeiten einzelne Liberalisierungsverpflichtungen aussetzen. Der Kode zur Liberalisierung von Kapitalbewegungen bezieht sich nicht bloß auf den Dienstleistungshandel, sondern auf alle Kapitalbewegungen, unabhängig davon, ob sie im Zusammenhang mit dem Güter- oder dem Dienstleistungshandel stehen J2 • Die strukturelle Schwäche dieser Vereinbarung liegt darin, daß der Kapitalfluß zwischen den OECD-Staaten von Hindernissen weit-

28 Benz, JWTL 1985 (Vol. 19), S. 95, 109; vgl. Carreau/Flory/Juillard, Droit international economique, S. 303 f. 29 Vgl. zu dieser Kritik Shelp, Beyond Industrialization: Ascendancy of the Global Service Economy, S. 128 f.; Carreau/Flory/Juillard, Droit international economique, S.305. 10 Benz, JWTL 1985 (Vol. 19), S. 95, 110. 11 Krommenacker, World-traded Services, 114; Benz, JWTL 1985 (Vol. 19), S. 95, 109. J2 Vgl. dazu Hahn/Weber, Die OECD - Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit wtd Entwicklwtg, S. 254 ff.

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B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS

gehend befreit werden soll, ohne daß das Niederlassungsrecht ausländischer Investoren gewährleistet wird. Damit bleibt der Einfluß dieses Kodes auf die Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels gering. Denn wenn auch der Kapitaltransfer erleichtert wird, bleiben die Beschränkungen ausländischer Direktinvestitionen unberührt, da die Möglichkeiten, sich dauerhaft auf einem ausländischen Markt zu verankern, durch den Kode nicht erweitert werdenH. Ebenso wie der Kode zur Liberalisierung der laufenden unsichtbaren Operationen gewährt auch der Kode zur Liberalisierung der Kapitalbewegungen den OECD-Mitgliedern die Möglichkeit, Vorbehalte in einem Annex anzumelden sowie Derogationen herbeizuführen. Insgesamt erweisen sich die Rechtsinstrumente der OECD zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsverkehrs mithin als unzureichend. Neben der Beschränkung der Effektivität der Liberalisierungskodizes, die sich aus der begrenzten Zahl der OECD-Mitglieder ergibt, haben diese Vereinbarungen aufgrund der aufgezeigten Mängel nur begrenzten Einfluß auf den Abbau von Hemmnisse im internationalen Dienstleistungsverkehr gehabt 34 • Dies entspricht jedoch durchaus der eigentlichen Bedeutung der OECD, die weniger im Erlaß verbindlicher völkerrechtlicher Regelungen als in der Abstimmung der Wirtschafts- und Währungspolitik ihrer Mitglieder lieges.

3. Die völkerrechtlichen Verträge zur Gründung regionaler Wirtschaftszusammenschlüsse: Freihandelszone, Zollunion und Wirtschaftsgemeinschaft Eine besondere Form der partiellen Regelung des internationalen Dienstleistungsverkehrs stellen die Verträge zur Gründung regionaler Wirtschaftszusammenschlüsse dar. Der begrenzte Anwendungsbereich dieser Übereinkünfte zur regionalen Integration ergibt sich, ungeachtet der durch sie im zwischenstaatlichen Bereich bewirkten Liberalisierung, aus der begrenzten Zahl der an ihnen beteiligten Staaten. Die Grundform dieser Integration ist die Freihandelszone, die sich durch den fortschreitenden Abbau der Handelsbeschränkungen zwischen den beteiligten Staaten bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung eigenständiger Barrieren (Zölle

H Benz, JWTL 1985 (Vol. 19), S. 95,111; vgl. Shelp, Beyond Industrialisation: Ascendancy ofthe Global Services Econorny, S. 130. 3. Ewing, JWTL 1985 (Vol. 19), S. 147, 154; vgl. auch Everard, The OECD Codes and Declarations and Trade in Services, S.21 f. 35 So etwa Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 3 Rn 31.

1. Völkerrechtliche Verträge vor Abschluß des GATS

61

und nicht-tarifäre Beschränkungen) gegenüber den nichtbeteiligten Drittstaaten auszeichnet'°. Von großer Bedeutung ist etwa das zwischen Kanada und den USA abgeschlossene Freihandelsabkommen von 1988. Dieser Vertrag legt großes Gewicht auf die Liberalisierung des bilateralen Dienstleistungshandels, welche gemäß Art. 1402 des Abkommens durch die Einführung des Grundsatzes der Inländerbehandlung in mehr als 150 Dienstleistungsbereichen realisiert wird", In den betroffenen Sektoren müssen die USA und Kanada konkurrierenden Anbietern aus dem jeweils anderem Land mithin dieselben Wettbewerbsbedingungen wie einheimischen Anbietern gewähren. Als weitere Beispiele für Freihandelszonen können die Nordamerikanische Freihandelszone (North American Free Trade Agreement, NAFTA), die durch Einbeziehung Mexikos eine Fortentwicklung des zwischen den USA und Kanada geschlossenen Abkommens darstellt, und die Lateinamerikanische Integrationsassoziation (Asociaci6n Latinamericana de Integraci6n, LAFTA) angeführt werden". Eine weitergehende Form der regionalen Integration ist die Zollunion, die anders als die Freihandelszone nicht bloß auf den Abbau der Binnenschranken zwischen den beteiligten Staaten gerichtet ist, sondern ebenfalls auf ein einheitlichen Außenhandelsregime der Mitgliedsstaaten gegenüber Drittstaaten. Wichtigstes Beispiel ftir eine Zollunion sind die Europäischen Gemeinschaften 39 • Das Integrationssystem der Europäischen Gemeinschaften geht jedoch über das Modell der Zollunion hinaus, da dieser Zusammenschluß auf die Bildung eines gemeinsamen Marktes abzielt, auf dem es zu einer völligen Angleichungen der Rahmenbedingungen unternehmerischer Tätigkeit und zur Freizügigkeit aller Arbeitnehmer in allen Mitgliedsstaaten kommt. Daher spricht man hier von einer Wirtschaftsgemeinschaft40 • Die Erbringung von Dienstleistungen wird im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vor allem durch drei Normenkomplexe berührt, zunächst durch die Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit (Art. 52 ff. EGV), des weiteren durch die über den freien Dienstleistungsverkehr (Art. 59 ff. EGV)41 und schließlich durch die über die Freizügigkeit der Arbeit36 S. die Definition in Art. XXIV (8) (b) des GATT, das für Freihandelszonen eine Ausnahme vom Grundsatz der Meistbegünstigung statuiert . .17 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 9 Rn 3; vgl. dazu Weber, RlW 1990, S. 975 ff. l8 Vgl. Fischer, Free Trade Areas, in: EPIL 1985 (Vol. 8), S. 250 ff. 19 Art. 9 Abs. 1 EGV. 40 Vgl. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 9 Rn 7. 41 Dazu Müller-Graf!, Dienstleistungsfreiheit und Erbringungsformen grenzüberschreitender Dienstleistungen, in: Fs für Lukes, S. 471 ff.; Hindley, Trade in Services within the European Comrnunity, in: Giersch (Hrsg.), S. 468 ff.

62

B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS

nehmer (Art. 48 ff EGV). Die Niederlassungsfreiheit gibt natürlichen und juristischen Personen das Recht, in einem anderen Mitgliedsstaat als ihrem Heimatstaat eine dauernde selbständige Tätigkeit zu den gleichen Bedingungen wie Inländer auszuüben42 . Dienstleistungen im Sinn der Art. 59 ff. EGV sind alle Leistungen. die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden (Art. 60 Abs. 1 EGV). Ungeachtet der beispielhaften Aufzählung in Art. 60 Abs.2 EGV. ist nicht der volkswirtschaftliche Begriff der Dienstleistung das entscheidendes Merkmal dieses Regelungsbereiches. Die Dienstleistungsfreiheit ergänzt vielmehr die Niederlassungsfreiheit dahingehend, daß erwerbswirtschaftliche Tätigkeiten auch ohne Wohnsitzverlagerung grenzüberschreitend nach den Grundsätzen der Inländerbehandlung ermöglicht werden (Art. 60 Abs. 3 EGV)43. Gegenüber dem oben entwickelten Begriff des internationalen Dienstleistungshandels" unterscheidet sich der europarechtliche Begriff in zweifacher Hinsicht4s • Letzterer ist enger, da damit nur die grenzüberschreitende gewinnbringende Tätigkeit jenseits der Grenze unter Ausschluß der dauerhaften Niederlassung gemeint ist. Gleichzeitig ist er weiter, da die gewinnbringende Tätigkeit im primären, sekundären oder tertiären Sektor liegen kann. Die Normen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß Art. 48 ff. EGV sind hingegen einschlägig, wenn die natürliche Person, die grenzüberschreitend in einem anderen Mitgliedsstaat der Gemeinschaft tätig wird, nicht selbständig, sondern unselbständig in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Da die Arbeitnehmerfreizügigkeit unabhängig von der Art der Beschäftigung gewährleistet wird, gilt der freie Marktzugang für Arbeitnehmer auch in den Wirtschaftssektoren, die dem gesamten Bereich der Dienstleistungen im volkswirtschaftlichen Sinn zugerechnet werden. Als Vorbild für die weltweiten Liberalisierung des Dienstleistungshandels kann die Europäische Gemeinschaft nur partiell dienen. Während die weltweite Liberalisierung auf einen nur schrittweisen Abbau gewisser Handelsschranken gerichtet ist, geht es bei der Europäischen Gemeinschaft um die Herstellung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes, in dessen Grenzen letztlich völlig identische Wettbewerbsbedingungen für alle Anbieter aus den Mitgliedsstaaten

42 Schweitzer/Hummer, Europarecht, § 10 DIll; vgl. Gornig, NJW 1989, S. 1120 ff.

Streinz, Europarecht, Rn 721; vgl. HailbronnerlNachbaur, EuZW 1992, S.105, 105 f. 44 S. oben All und 2. 45 Vgl. Blankart, Aussenwirtschaft 1989 (Vol. 44), S. 5,5. 43

1. Völkerrechtliche Verträge vor Abschluß des GATS

63

existieren und in dem es zur vollständigen Konvergenz der Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten kommt 46 •

4. Bilaterale Handelsverträge Die wohl älteste und meist verbreitete Form von völkerrechtlichen Handelsverträgen ist das bilaterale Abkommen von Staaten zur Regelung des zwischenstaatlichen wirtschaftlichen Austausches. Das Ausmaß der geregelten Materien und der Regelungsdichte variiert bei diesen Verträgen in dem Maß, wie intensiv die beteiligten Staaten ihre Handelsbeziehungen regeln wollen47 • Die niederlassungsrechtlichen Aspekte des Dienstleistungshandels sind insbesondere von bilateralen Investitionsschutzabkommen betroffen, die Fragen des Marktzugangs für ausländische Direktinvestitionen und des Schutzes vor Verstaatlichung und Enteignung erfassen4•• Darüber hinaus wird der Dienstleistungsaustausch ebenso wie der Warenaustausch von den allgemeinen Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsverträgen zwischen Staaten berührt, in denen diese sich gegenseitig ein wohlwollendes Verhalten bei der Abwicklung der gegenseitigen Handelsbeziehungen zusichern49 •

5. Völkerrechtliche Regelungen in einzelnen Dienstleistungssektoren Die letzte Gruppe der völkerrechtlichen Regelungen im Bereich des internationalen Dienstleistungshandels, die bereits vor Abschluß des GATS existierten, ist schließlich die Vielzahl von Übereinkommen, die jeweils in einzelnen

46 In diesem Sinn Ehlermann/Campogrande, Rules on Services in the EEC: A Model for Negotiating World-Wide Rules?, in: Petersmann/Hi/j(Hrsg.), S. 481, 483 ff. 47 Das GATT-Sekretariat legte im Verlauf der GATS-Verhandlungen eine Untersuchung vor, in der eine Übersicht über die bestehenden bilateralen Handelsverträge gegeben wurde; hierbei unterschied man die bilateralen Investitionsschutzabkommen (eng!. "Treaties of Bilateral Investment") von den allgemeinen Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsverträgen (eng!. "Treaties of Friendship, Commerce and Navigation"), vg!. Existing International Arrangements and Disciplines Relevant to Trade in Services: Summary of Material Made Availaible to the GNS, GATT Doc.No.MTN.GNS/W/93 (14.02.1990) [no v.] 48 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 19 Rn 2; Somarajahe, JWTL 1986 (Vo!. 20), S. 79 ff. 49 Vg!. Blumenwitz, Treaties ofFriendship, Commerce and Navigation, in: EPIL 1984 (Vol. 7), S. 484 ff.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 19 Rn 3.

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B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS

Dienstleistungssektoren abgeschlossen worden sind50 • Dabei soll hier nur beispielhaft auf die Regelungen in den unterschiedlichen Sparten des internationalen Transportwesens hingewiesen werden. Das internationale Lufttransportrecht wird etwa bestimmt durch das Chi cagoer Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt von 1944 und das Warschauer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr von 1929, während die internationale Linienschiffahrt durch die unter den Auspizien der UNCT AD (United Nations Conference for Trade and Development) entstandene "Konvention über einen Kodex über die Linienkonferenzen" von 1974 völkerrechtlich eingefaßt ist. Diese Übereinkommen bewirken jedoch weniger eine Handelsliberalisierung im Sinn eines progressiven Abbaus bestehender Handelshemmnisse, sondern stellen vielmehr, wie im Fall der maritimen "Linienkonferenzen", massive Marktregulierungen dar51 •

6. Zusammenfassung Die völkerrechtlichen Regelungen, die bereits vor Abschluß des GATS regelnde Wirkung auf den internationalen Dienstleistungshandel hatten, sind unterschiedlicher Art. Kennzeichnend für all diese Übereinkünfte ist jeweils ihr begrenzter Anwendungsbereich. Dieser ergibt sich zunächst daraus, daß in keinem der Verträge eine umfassende Regelung des internationalen Dienstleistungsaustausches vorgesehenen war. Weiterhin resultiert die Begrenzung daraus, daß die vertraglichen Abmachungen wie die Liberalisierungskodizes der OECD oder die europarechtlichen Übereinkommen von vorne herein nur einen beschränkten Kreis von Staaten binden sollen. Schließlich befassen sich andere Verträge allein mit einem bestimmten Dienstleistungssektor, wie etwa das Chicagoer Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt von 1944 oder die multiplen Übereinkommen im Bereich der internationalen Seeschiffahrt. Insgesamt läßt sich also die Lage des Völkerrechts im Bereich des internationalen Dienstleistungshandels vor Abschluß des GATS als lückenhaft und fragmentarisch bezeichnen.

50 S. zum Überblick über völkerrechtliche Regelungen in einzelnen Dienstleistungssektoren Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 11 Rn 1 ff.; CarreaulFlary/ Juillard, Droit international economique, S. 306 ff. 51 Stall, ZaöRV 1994 (Vol. 54), S. 241, 321; Sindelar, Das GATT - Handelsordnung rur den Dienstleistungshandel, S. 107 ff.

Ir. Die Verhandlungen über das GATS

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11. Die Verhandlungen über das GATS Die Verhandlungen über das GATS waren Teil der achten Runde zur Liberalisierung des Welthandels, die unter den Auspizien des GATT stattfanden52 • Daher ist die Verhandlungs geschichte des Vertrages mit dem Verlauf dieser GATT-Verhandlungen eng verknüpft. Von besonderer Bedeutung ist die historische Entwicklung der Vertragsausarbeitung deshalb, da dabei vor allem die Interessengegensätze zwischen den Industriestaaten auf der einen Seite und den Entwicklungsländern auf der anderen Seite hinsichtlich der Liberalisierung des weltweiten Dienstleistungshandels zutage traten.

1. Die von den USA entfachte Diskussion über den Dienstleistungshandel Die treibende Kraft zur Schaffung einer Rahmenregelung für die Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels waren die USA". Schon in dem Trade Act von 1974, der im Zusammenhang mit der siebten Handelsrunde des GATT, der sog. Tokio-Runde (1973-1979), erlassen wurde, bezog die Definition des internationalen Handels ausdrücklich die Dienstleistungen ein 54 • Darüber hinaus ermächtigte § 301 des Trade Act die Exekutive zur Ergreifung von vergeltenden Handelsmaßnahmen gegen unverhältnismäßige und ungerechtfertigte Beschränkungen des amerikanischen Dienstleistungsaußenhandels 55 •

52 Die vorherigen GATT-Runden waren: Genf (1947), Annecy (1949), Torquay (1950/1951), Genf (1955/1956), Genf (196111962 - Dillon-Runde), Genf (1964-19567 Kennedy-Runde), Genf (1973-1979 - Tokio-Runde). 53 Stewart, lntroduction and Overview, in: Stewart (Hrsg.), Vol. L S. 116; Randhawa. JWTL 1987 (Vol. 21), S. 163, 167. 54 Dazu Krommenacker, World-traded Services, S. 96 ff.; Gibbs, JWTL 1985 (Vol. 19),199,199 f. 55 Diese Gesetgebung fand ihre Fortsetzung in dem Trade and Tariff Act von 1984, in dem der Kongress die Beseitigung oder Reduktion von Handelsbeschränkungen oder verzerrungen im Dienstleistungshandel als Ziel von bilateralen und multilateralen Verhandlungen nannte und in dem die jährliche Erarbeitung einer US-Studie über den internationalen Dienstleistungshandel festgeschrieben wurde. Weiterhin ermächtigte der Onmibus Trade and Competitiveness Act von 1988 die Exekutive zu Verhandlungen über die Ausweitung des GA TI und anderer Übereinkonunen auf Handelssektoren, einschließlich der Dienstleistungen, die noch nicht adäquat geregelt waren, S. dazu Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. Il, S. 2335,2343 f. und StolI, ZaöRV 1994 (Vol. 54), S.241,321.

5 Kochlcr

66

B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS

a) Die US-Initiative von 1982

Der Begirm der Bemühungen der USA zur Einbeziehung der Dienstleistungen in den GATT-Rahmen liegt im Jahr 1982'·. Anläßlich der 38. Tagung der Vertragsparteien des GATT regten die US-Vertreter die Einsetzung der achten multilateralen Handelsrunde an, in deren Rahmen insbesondere auch der Dienstleistungssektor Verhandlungsgegenstand werden sollte. Dieser Vorschlag war Teil eines gesamten "Paketes" von Initiativen der USA zur Bekämpfung der zu diesem Zeitpunkt allgemein festgestellten Krise der Welthandelsordnung". Zu den vieWiltigen Gründen, die zu dieser Krise gefUhrt hatten, wurde insbesondere der provisorische Charakter des GATT gerechnet der sich auch darin offenbarte, daß eine Reihe von wirtschaftlich und handelspolitisch bedeutsamen Handelssektoren nicht von der GATTRechtsordnung erfaßt wurden. Neben dem Dienstleistungssektor betraf diese Unzulänglichkeit des GATT den Schutz geistigen Eigentums sowie die Regelung von Investitionsmaßnahmen". Aufgrund des Widerstandes seitens der Entwicklungsländer und der mangelnden Unterstützung durch die übrigen Industriestaaten gelang es den USA zwar 1982 noch nicht, eine neue Verhandlungsrunde zu eröffnen. Jedoch erreichten sie zumindest die Beauftragung der GATT-Vertragsparteien, Länderstudien zu verfassen, in denen die birmen- und außenwirtschaftliche Bedeutung des Dienstleistungshandels untersucht werden sollte'9.

S. Auf der Ebene des GATT hatte sich zumindest schon die sog. Konsultativgruppe der Achtzehn mit dem Dienstleistungssektor befaßt. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von 18 Vertragsparteien des GATT, die bereits am 22.11.1979 eingesetzt worden war, um Konzepte zu einer Refonnierung des GATT zu entwickeln. Nach einem Bericht dieser Gruppe bestehen wesentliche Beziehungen zwischen dem Güter- und dem Dienstleistungshandel, so daß letzterer ein eigene Angelegenheit des GATT darstelle, vgl. Report on the Consultative Group of Eighteen to the Council of Representatives, GATT Doc. No. L/521O, in: BISD, 28. Supp.(1981), S. 71,74. S7 Vgl. dazu Finger/Laird, JWTL 1987 (Vol. 21), S. 9 ff.; Molsberger/Kotios, ORDO 1990 (Vol. 41), S. 93 ff. SB Weitere Diskussionsfelder waren die Reform der im Rahmen der Tokio-Runde hinzugefiigten Kodizes, die zu einer Zersplitterung der GATT-Rechtsgrundlagen gefiihrt hatten, die Neufassung des Streitbeilegungsmechanis1l1us, die Einarbeitung der Sonderregelungen fiir die Landwirtschaft und fiir den Textilsektor in den GATT-Rahmen und die Bekämpfung der sog. Grauzonenmaßnahmen, vgl. StoII, ZaöRV 1994 (Vol. 54), S. 241, 245 f.; Jackson. Reflections on Restructuring the GATT, in: Schott (Hrsg.), S.205, 207 ff.; Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 451 ff.. S9 GATT Activities 1983, S. 13, vgl. Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. H, S. 2235,2346.

11. Die Verhandlungen über das GATS

67

b) Die nationalen Untersuchungen des Dienstleistungshandels

Die zur lnitiierung der Länderstudien verabschiedete Ministererklärung faßte deren Zielsetzung dahingehend zusammen, daß diese zunächst den einzelnen GATT-Vertragsparteien Aufschluß über die Relevanz des Dienstleistungssektors in ihrem jeweiligen Wirtschaftsraum geben sollte60 • Weiterhin sollten die Untersuchungsergebnisse unter den beteiligten Staaten ausgetauscht sowie den mit dem Dienstleistungssektor befaßten internationalen Organisationen übergeben werden"l. Schließlich sollte das derartig erlangte Datenmaterial als Basis für die weitere Behandlung der Frage dienen, ob sukzessive multilaterale Bemühungen im Dienstleistungsbereich notwendig und erwünscht seien62 • Als Folge dieser Initiative wurden insgesamt 17 Länderstudien vorgelegt, allerdings nur von Industriestaaten63 • Überdies beteiligten sich 13 internationale Organisationen an der Erarbeitung der Studien"'. Die Gruppe der Entwicklungsländer blieb geschlossen diesem Informations- und Erfahrungsaustausch fern. Dieser Umstand deutet deren Zurückhaltung hinsichtlich der Entwicklung eines völkervertraglichen Rahmens zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels an. Die Länderstudien brachten zum Ausdruck, daß der Dienstleistungssektor nicht bloß binnenwirtschaftlich von wachsender Bedeutung war. Vielmehr wurde deutlich, daß auch die außenwirtschaftliehe Bedeutung der Dienstleistungen ständig zunahm 6S • Weitere Ergebnisse der Untersuchungen waren, daß es an einer klaren und allgemein anerkannten Definition des internationalen Dienstleistungshandels mangelte, daß tiefgreifende staatliche Regulierungen des Dienstleistungshandels in allen Untersuchungsländern vorherrschten und daß eine Vielfalt von Handelsbarrieren den internationalen Austausch von Dienstleistungen behinderten66 • Als Konsequenz dieser Ergebnisse formulierten abermals die USA, unterstützt von Großbritannien, ihre Forderung nach multilateralen Verhandlungen über einen Rahmenvertrag für den Abbau der Han-

GATT Doc. No. Ll5424, in: BISD, 29. Supp. (1982). S. 9,21. GATT Doc. No. Ll5424, in: BISD, 29. Supp. (1982), S. 9,21. 62 GATT Doc. No. Ll5424, in: BISD, 29. Supp. (1982), S. 9,21. 63 Dabei handelte es sich um Berichte von den USA, Kanada, Japan, der Europäischen Gemeinschaft, Großbritannien, der Bundesrepublik Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Italien, der Schweiz, Dänemark, Schweden und Norwegen, S. Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. II, S. 2335, 2347. "' Engels, Probleme der Einbeziehung des Dienstleistungshandels in die Verhandlungen der Uruguay-Runde, in: Engels (Hrsg.), S. 115, 124. 6S Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. H, S. 2335,2347. 66 Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. H, S. 2335, 2347. 60 61

5*

B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS

68

deishemmnisse im Dienstleistungssektor, vergleichbar dem GATT im internationalen Güterhandel 67 • c) Weitere Bemühungen im Rahmen des GATT 0983-1985)

Im November 1983 beauftragte der Generaldirektor des GATT einen Ausschuß von sieben "bedeutenden Persönlichkeiten" , deren Vorgabe es unter anderem war, die Rolle des internationalen Dienstleistungsaustausches im globalen Handel zu untersuchen und die Frage zu beleuchten, welche Stellung das GATT gegenüber diesem Handelssektor einnehmen sollte"'. Der Ausschuß legte seinen Abschlußbericht im März 1985 vor. Darin hieß es, daß ohne ein multilaterales Verhandlungssystem zur Liberalisierung des weltweiten Dienstleistungshandels mit diskriminierenden bilateralen und regionalen Regulierungen dieses Handelssektors zu rechnen sei. Diese Warnung wurde vor allem gegenüber den Entwicklungsländern ausgesprochen, deren Skepsis bezüglich des wirtschaftlichen Nutzens der Liberalisierung des Dienstleistungshandels weitere Aktivitäten des GATT zu behindern drohte 6". Um die GATT-Bemühungen hinsichtlich der Dienstleistungen nicht abreißen zu lassen, verlangten die USA, gefolgt von Schweden, Kanada und Israel, im November 1984 die offizielle Einsetzung einer Arbeitsgruppe zum Dienstleistungshandel'°. Wiederum regte sich Widerstand seitens der Entwicklungsländer, als deren führender Sprecher der Vertreter Indiens, unterstützt von Argentinien, Ägypten und Kuba, auftrat. Diese Länder obstruierten die US-Initiative mit dem Hinweis auf den weiterhin bestehenden Informations- und Datenmangel über die Notwendigkeit eines multilateralen Rahmens zur Liberalisierung des Dienstleistungsaustausches 71. Schließlich wurde aufgrund dieses Widerstandes lediglich eine inoffizielle Arbeitsgruppe etabliert, deren Arbeit unter der Leitung des Botschafters Kolumbiens Felipe Jaramillo in der systematischen Analyse der nationalen Untersuchungen bestand 72 •

Reyna, Services, in: Stelllart (Hrsg.), Vol. IL S. 2335,2348. GATT Activities 1983, S. 25; vgl. Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. H, S. 2335, 2348. 6" Vgl. ElI'ing, JWTL 1985 (Vol. 19), S. 147, 150 ff.; Schott/Mazza, JWTL 1986 (Vol. 20), S. 253, 258 ff. 70 Minutes ofMeeting, GATT Doc. No. CIM/183 (10.12.1984), S. 41 [no v.]. 71 Minutes ofMeeting, GATT Doc. No. CIM/183 (10.12.1984), S. 42 [no v.]. "Minutes ofMeeting, GATT Doc. No. CIM/194 (22.11.1985), S. 16 [no v.]. 67

6'

H. Die Verhandlungen über das GA TS

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2. Die Eröffnung der Uruguay-Runde 1986 Den offiziellen Beginn der Verhandlungen über das GATS markiert die ministerielle Erklärung von Punta dei Este, mit der die achte Runde der multilateralen Handelsverhandlungen unter den Auspizien des GATT am 20.09.1986 eingeläutet wurde.

a) Der Streit über die Einbeziehung des Dienstleistungshandels in den GATT-Verhandlungsrahmen Als anläßlich der jährlichen GATT-Treffens im 1ahr 1985 ein Ausschuß einberufen wurde, der die Eröffnung der nächsten multilateralen Verhandlungen 7J vorbereiten sollte, offenbarte sich die grundlegende Meinungsverschiedenheit zwischen den Industriestaaten auf der einen Seite und den Entwicklungsländern auf der anderen Seite hinsichtlich der Einbeziehung der Dienstleistungen in den GATT -Verhandlungsrahmen. Vordergründig wurde dieser Konflikt an der Debatte um die Frage deutlich, ob das GATT als völkerrechtlicher Rahmenvertrag für die multilaterale Liberalisierung des Warenhandels überhaupt Rechtsgrundlage für die Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandel sein könne. Die USA, als Wortführer der Industriestaaten, sahen in einer solchen Erstreckung des GATT auf den Dienstleistungssektor keine Probleme 7'. Dieser Position lag die Auffassung zugrunde, daß dem Text des Allgemeinen Zollund Handelsabkommen eine ausdrückliche Begrenzung auf den Warenhandel nicht zu entnehmen sei und daß insofern die Anwendbarkeit des Vertrages und die Zuständigkeit des GATT als Institution durchaus gegeben seien75 • Die Frage, inwieweit das GATT als Rahmenregelung für die Liberalisierung des Dienstleistungshandels erweiterungsbedürftig sei, sollte nach Auffassung der USA den späteren Verhandlungen überlassen werden. Nach diesen Vorstellungen hätte im Rahmen der GATT-Verhandlungen über Güter und Dienstleistungen simultan verhandelt werden müssen 76 • 7J Wichtiger Impetus hierfiir war die Erklärung von 25 OECD-Staaten im April 1985. daß bald multilaterale Handelsverhandlungen unter Einschluß des Dienstleistungssektors begonnen werden sollten, vgl. dazuStolI, ZaöRV 1994 (Vol. 54), S. 241,322. 74 Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. II, S. 2335,2354 f. 75 Engels, Probleme einer Einbeziehung des Dienstleistungshande1s in die Verhandlungen der Uruguay-Runde, in: Engels (Hrsg.), S. 115, 116; vgl. Raghavan, Recolonization: GATT, the Uruguay Round and the Third World, S. 101. 76 Engels, Probleme einer Einbeziehung des Dienstleistungshandels in die Verhandlungen der Uruguay-Runde, in: Engels (Hrsg.). S. 115, 116; Reyna, Services. in: Stell'art (Hrsg.), Vol. II, S. 2335,2355.

70

B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS

Demgegenüber vertraten die Entwicklungsländer, geführt von Indien und Brasilien, die Meinung, das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen sei lediglich auf den Warenhandel anwendbar71 • Dieser Umstand habe sich in der historischen Entwicklung der Vertragsauslegung seit 1947 gezeigt". Daher verlangte eine Kerngruppe der Entwicklungsländer, die sog. Zehner-Gruppe'·, zu einem internationalen Übereinkommen über den Dienstleistungshandel außerhalb des GATT zu kommen 80 • Nach einem gesonderten Verfahrensvorschlag Brasiliens vom Juni 1985 sollten die Verhandlungen über den Dienstleistungssektor nicht von den GATT-Vertragsparteien geführt werden, sondern von den Regierungen. Außerdem sollte das Ziel dieser Verhandlungen nicht die Inkorporierung der Dienstleistungen in das GATT, sondern die Erarbeitung eines separaten internationalen Übereinkommens fiir die Liberalisierung dieses Handelsbereiches sein". b) Der Nord-Süd-Interessengegensatz

Dem Streit über die Anwendbarkeit bzw. über die Zuständigkeit des GATT als Rechtsgrundlage und Verhandlungsforum zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels lagen nicht nur unterschiedliche Rechtsauffassungen zugrunde, sondern auch ein wirtschaftspolitischer Interessengegensatz. Während sich die Industriestaaten von der Einleitung eines Liberalisierungsprozesses im Dienstleistungssektor auf der Grundlage eines multilateralen Rahmenvertrages wirtschaftliche Vorteile versprachen, wurden diesbezüglich von seiten der Entwicklungsländer Bedenken geltend gemacht. Zunächst gründeten diese Bedenken in der Überlegung, daß es sich bei vielen Dienstleistungen um technologieintensive Handelsaktivitäten handelt, bei denen die weniger entwickelten Staaten nur in geringem Umfang konkurrenzfähig gegenüber den

71 Vgl. Bail, EuZW 1990, S. 465, 470; Gibbs/Mashayekhi, JWTL 1988 (Vol. 22), S. 81,90. " Randhawa, JWTL 1987 (Vol. 21), S. 163, 164; S. zu diesem Punkt schon oben unter BI 1 b. ,. Ägypten, Argentinien, Brasilien, Indien, Jugoslawien, Kuba, Nicaragua, Nigeria, Peru und Tansania. 80 Vgl. Schl/ltz, Dienstleistungen und Entwicklungsländer - Positionen der Dritten Welt zur Einbindung des Dienstleistungshandels in den GATT-Rahmen, in: Sal/tter (Hrsg.), S. 69, 69 f.; Randhawa, JWTL 1987 (Vol. 21), S. 163, 164. 81 Engels, Probleme einer Einbeziehung des Dienstleistungshandels in die Verhandlungen der Uruguay-Runde, in Engels (Hrsg.), S. 115, 116; vgl. Reyna, Services, in: SlelI'arl (Hrsg.). Vol. II. S. 2335, 2355.

II. Die Verhandlungen über das GATS

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Industriestaaten sind82 • Um den Aufbau eines eigenständigen heimischen Dienstleistungshandels zu ennöglichen, zogen viele Entwicklungsländer daher eine Abschottung der schrittweisen Öffnung der nationalen Dienstleistungsmärkte vor83 • Des weiteren ergaben sich die Zweifel an der Glaubwürdigkeit einer vorteilhaften Ausgestaltung des Liberalisierungsprozesses im Dienstleistungssektor aus den im Warensektor gemachten Erfahrungen mit dem handelspolitischen Verhalten der Industriestaaten. In den Bereichen, in denen einigen Entwicklungsländern aufgrund niedriger Produktionskosten Wettbewerbsvorteile entstanden waren, wie etwa im Textilhandel oder im Stahlhandel, hatten sich die Industriestaaten nicht den von ihnen selber propagierten Liberalisierungsverpflichtungen gebeugt, sondern zu protektionistischen Maßnahmen zum Schutz heimischer Hersteller gegriffen". Schließlich ergab sich die Skepsis der Entwicklungsländer aus dem Umstand, daß viele Dienstleistungssektoren in einern hohen Maß von transnationalen Unternehmen beherrscht werden 85 • Es wurde daher die Befürchtung geäußert, mit der Öffnung der nationalen Märkte im Tertiärsektor in wirtschaftliche Abhängigkeit von diesen Unternehmen zu geraten&6. Mithin handelte es sich hierbei um die Sorge der Entwicklungsländer um den Verlust nationaler Souveränität in wirtschaftlicher und handelspolitischer Hinsicht87 • Diese ablehnende Haltung konkretisierte sich im Juni 1985 dahingehend, daß eine Gruppe von 23 Entwicklungsländern dem GATT-Rat ein Positionspapier vorlegten, in dem diese sich zur Aufnahme multilateraler Handelsverhandlungen nur unter der Bedingung bereit erklärten, daß der Dienstleistungssektor nicht in die Liberalisierungsbemühungen einbezogen würde 88 • Zu einer Zuspitzung des Streites karn es durch die Ankündigung der USA, jegliche GATT -Verpflichtungen aufzukündigen und sich dem Aufbau eines Systems regionaler und bilateraler Handelsbeziehungen zuzuwenden, falls der internatio-

12 Koekkoek, The World Economy 1988 (Vol. 11), S. 151, 152; Schl/lt=, Dienstleistungen und Entwicklungsländer - Positionen der Dritten Welt zur Einbindung des Dienstleistungshandels in den GATT-Rahmen, in: Sal/tter (Hrsg.), S. 69,70. B3 Keppler, Interessen der Entwicklungsländer bei einer zukünftigen vertraglichen Regelung des internationalen Dienstleistungsaustausches, in: Sal/tter (Hrsg.), S.49, 57 ff.; Sapir, The World Economy 1985 (Vol. 8), S. 27, 39 f. 84 Schultz, Dienstleistungen und Entwicklungsländer - Positionen der Dritten Welt zur Einbindung des Dienstleistungshandels in den GATT-Rahmen, in: Sal/tter (Hrsg.), S. 69,69; Koekkoek, The World Economy 1988 (Vol. 11), S. 151,152. 85 Dazu Randhawa, JWTL 1987 (Vol. 21), S. 163,167 und 169. 86 Schott/Mazza, JWTL 1986 (Vol. 20), S. 253, 262 f.; Koekkaek, The World Economy 1988 (Vol. 11), S. 151,152. 87 S. dazu auch Khor Kak Peng, Third World Economic Sovereignty at Stake in the Uruguay Round, S. 1 ff. 8& Reyna, Services, in: Stell'art (Hrsg.),Vol. IL S. 2335. 2355.

B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS

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nale Dienstleistungshandel nicht zum Gegenstand multilateraler Verhandlungen im Rahmen des GATT gemacht werden würde 89 • c) Die Erklärung von Punta dei Este: das Verhandlungsmandat als Kompromiß

Nach langwierigen Verhandlungen im Vorfeld des Treffens der Handeisminister der GATT -Vertragsparteien am 20. September 1986 in Punta dei Este (Uruguay) kam schließlich ein Komprorniß zustande, der das Verhandlungsmandat in einer Weise ausgestaltete, die den Beginn der Verhandlungsrunde ermöglichte, ohne eine der gegensätzlichen Positionen zu nivellieren90 • Der Deklaration von Punta dei Este 91 läßt sich die kompromißhafte Beilegung des Konfliktes in mehrerlei Hinsicht ablesen. Zunächst gliederte sich die Erklärung in zwei separate Teile, wobei sich der erste auf die Verhandlungen über den Warenhandel und der zweite auf die Verhandlungen über den Dienstleistungshandel bezog. Das beschlußfassende Organ des ersten Teiles des Mandates waren die jeweiligen Minister als Vertreter der GATT-Vertragsparteien. Demgegenüber traten die Minister hinsichtlich der Verabschiedung des zweiten Teiles des Mandates nicht als Vertreter der Vertragsparteien, sondern der Regierungen auf, in deren Auftrag sie an dem Treffen in Punta dei Este teilnahmen. Diese Ausgestaltung der Erklärung verdeutlichte mithin, daß die Verhandlungen über den Dienstleistungssektor losgelöst von den bisherigen und kommenden Liberalisierungsbemühungen im Warensektor stattfinden sollten. Insofern wurde der von den Entwicklungsländern vorgetragenen Position Rechnung getragen 92 • Andererseits bezeichnete Teil II der Erklärung die Verhandlungen über den Dienstleistungshandel als Teil der multilateralen Handeisverhandlungen und stellte somit gleichzeitig klar, daß es sich um eine

Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. II., S. 2335,2355. Dieser Kompromiß wurde möglich durch die Koalition kleinerer und gemäßigter Verhandlungspartner unter der Führung der Schweiz und Kolumbiens, die der sich anbahnenden Nord-Süd-Konfrontation entgegenzuwirken versuchten, dazu Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. H, S. 2335,2357 f. 91 Der englische Originaltext ist abgedruckt in Petersmann/Hilj(Hrsg.), S. 500 ff. und Stewart (Hrsg.), Vol. III, S. I ff., die deutsche Übersetzung in EA 1987 (Vol. 42), D 167. 92 Vgl. Engels, Probleme einer Einbeziehung des Dienstleistungshandels in die Verhandlungen der Uruguay-Runde, in: Engels (Hrsg.), S. 115, 116; Randhawa, JWTL 1987 (Vol. 21), S. 163,164; Bai!, EuZW 1990, S. 433,435. 89

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11. Die Verhandlungen über das GATS

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einzige Handelsrunde handelte. Hiennit wurde der Position der Industriestaaten Rechnung getragen9J • Auch hinsichtlich der organisatorischen Ausgestaltung des Verhandlungsrahmens läßt sich die besondere Stellung der Verhandlungen über den Dienstleistungssektor erkennen. Nach der Erklärung wurden separate Verhandlungsgruppen für den Warensektor (Group ofNegotiations on Goods, GNG) und für den Dienstleistungssektor (Group of Negotiations on Services, GNS) eingerichtet 94 • Um zu verdeutlichen, daß letztere nicht im herkömmlichen Rahmen des GATT arbeiten sollte, wurde ein Ausschuß für Handelsverhandlungen (Trade Negotiations Committee, TNC) gebildet, der halbjährlich tagen und den Fortgang der Verhandlungen überwachen sollte. Die Besonderheit dieses Ausschusses lag darin, daß er nicht als ein GATT-Organ konzipiert war, sondern den Handelsministern direkt unterstellt war9S • Neben dem Kompromiß hinsichtlich der prozeduralen Fragen zur Einbeziehung des Dienstleistungshandels in die multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde enthielt die Erklärung von Punta dei Este auch einen inhaltlichen Kompromiß hinsichtlich der Verhandlungsziele. Man einigte sich darauf, ein multilaterales Rahmenübereinkommen über Grundsätze und Regeln des Dienstleistungshandels einschließlich der Möglichkeit besonderer Regeln für einzelne Sektoren zu erstellen. Zielsetzung war es, den Dienstleistungshandel unter den Bedingungen der Transparenz und der progressiven Liberalisierung auszuweiten und damit das Wirtschaftswachstum aller Handelspartner zu fOrdern, wobei den Interessen der Entwicklungsländer in besonderer Weise Rechnung getragen werden sollte96 • Bemerkenswert an dieser Fonnel ist zunächst, daß nicht die Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels als Ziel genannt wurde, sondern dessen Ausweitung, wobei die fortschreitende Liberalisierung lediglich als ein Mittel zur Erreichung dieses Zieles erschien. Der Position der Entwicklungsländer wurde damit insofern Rechnung getragen, als verdeutlicht wurde, daß angesichts der schlechteren Wettbewerbssituation dieser Länder im Dienstleistungssektor die Beseitigung der Handelshemmnisse allein keine wirtschaftli-

93 Vgl. Engels, Probleme einer Einbeziehung des Dienstleistungshandels in die Verhandlungen der Uruguay-Runde, in: Engels (Rrsg.), S. 115, 116; Randhawa, JWTL 1987 (Vol. 21), S. 163, 164; Borchmann, EuZW 1990, S. 339,340. 94 Die Verhandlungs struktur wurde weiterhin konkretisiert durch eine Entscheidung des TNC am 28.01.1987, abgedruckt in: Stewart (Rrsg.), Vol. III, S. 11. 9S Randhawa, JWTL 1987 (Vol. 21), S. 163, 164; vgl. zur organisatorischen Struktur der Verhandlungen Borchmann, EuZW 1990, S. 339, 340. 96 Teil 11 Satz 2 der Erklärung von Punta dei Este.

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B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS

chen Vorteile bringen würde 9'. Vielmehr wurde deutlich gemacht, daß dazu auch die Schaffung positiver Grundbedingungen zum Aufbau einer eigenen Dienstleistungsinfrastruktur in diesen Ländern erforderlich wäre98 • Anders als im Rahmen des GATT, bei dem die Interessen der unterentwickelten Staaten erst durch später eingefiigte Sonderregelungen Berücksichtigung fanden, stellte dieses Verhandlungsmandat von vorne herein klar, daß der Entwicklung dieser Staaten neben der primär durch Liberalisierung zu erreichenden Förderung des Dienstleistungssektors der Industriestaaten gleichrangige Bedeutung zukommen sollte"". Die zurückhaltende Position vieler Entwicklungsländer gegenüber einer Öffnung ihrer nationalen Märkte fiir den internationalen Dienstleistungshandel wurde darüber hinaus durch den ausdrücklichen Hinweis auf die zu respektierenden Zielsetzungen nationaler Gesetze und Verordnungen der verhandelnden Staaten verdeutlicht loo • Während dem Wortlaut der Erklärung von Punta dei Este die Berücksichtigung der Interessen der Entwicklungsländer deutlich zu entnehmen ist, bleibt festzuhalten, daß schon die Aufnahme der Verhandlungen über ein Rahmenübereinkommen im Dienstleistungssektor einen beträchtlichen Erfolg der Industriestaaten ausmachte lol • Abschließend ist festzuhalten, daß die Teilnahme an den Verhandlungen über das GATS einem weiten Kreis von Staaten ermöglicht werden sollte. Neben den Vertragsparteien des GATT sollten an diesen Verhandlungen die Staaten, die dem GATT vorläufig beigetreten waren, und die Staaten, die das GATT auf einer de-facto-Basis anwendeten, teilnehmen können. Darüber hinaus wurden auch die Staaten zu den Verhandlungen geladen, die den GATT-Vertragsparteien erst ihre Absicht notifiziert hatten, diesem Abkommen beizutreten l02 • Auch an dieser Orientierung am GATT läßt sich ablesen, daß die Verhandlungen im Dienstleistungssektor zwar separat von denen im Warensektor gefiihrt werden sollten. Gleichwohl war die Anlehnung an die organisatorische und institutionelle Struktur des GATT nicht zu verkennen. 9' Randhawa, JWTL 1987 (Vol. 21), S. 163, 164; Engels, Probleme einer Einbeziehung des Dienstleistungshandels in die Verhandlungen der Uruguay-Runde, in: Engels (Hrsg.), S. 115, 125. 98 Randhawa; JWTL 1987 (Vol. 21), S. 163, 164; Raghavan, Recolonization: GATT, the Uruguay Round and the Third World, S. 102. 99 Vgl. dazu Senfi, Die Stellung der Entwicklungsländer im GATT, in: Sautter (Hrsg.), S. 19 ff.; Langhammer, Die Sonderbehandlung der Entwicklungsländer im GATT, in: Beihefte der KunjunktUlpolitik 1987 (Heft 34), S. 117 ff. 100 Teil II Satz 3 der Erklärung von Punta dei Este; vgl. Koekkoek, The World Economy 1988 (Vol. 11), S. 151,152. 101 Vgl. Lazar, JWTL 1990 (Vol. 24), S. 135,138 ff. 102 Teil II Satz 6 der Erklärung von Punta dei Este, der aufTeil I F verweist, worin die Beteiligung an den Verhandlungen im Warensektor festgelegt ist.

11. Die Verhandlungen über das GA TS

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3. Der Verlauf der Verhandlungen Anders als die Verhandlungsgruppe im Warensektor bildete diejenige im Dienstleistungssektor zunächst keine Untergruppen. Ab Mai 1990 wurden jedoch informelle Beratungen in ad hoc-Gruppen geführt, die sich mit einzelnen Dienstleistungssektoren (F inanzdienstleistungen, Telekommunikation, Luft-, See- und Landverkehr, Bau- und Ingenieurdienstleistungen, freiberufliche Dienstleistungen, Tourismus, audiovisuelle Dienstleistungen) und mit dem grenzüberschreitenden Personenverkehr ausländischer Arbeitskräfte befaßten'o,. Der Verlauf der GATS-Verhandlungen im Rahmen der Uruguay-Runde von der Erklärung von Punta dei Este (20.09.1986) bis zur Unterzeichnung des gesamten WTO-Übereinkommens in Marrakesch (15.04.1994) läßt sich in drei Phasen unterteilen. Die erste Phase reichte bis zur sog. Halbzeitkonferenz der Verhandlungen lO4 im Dezember 1988 in Montreal und dem Nachfolgetreffen des Trade Negotiations Committee im April 1989 in Genf. Die zweite Phase erstreckte sich bis zum Dezember 1990, als die gesamten Verhandlungen der Uruguay-Runde aufgrund des Agrarstreites zwischen den USA und den Europäischen Gemeinschaften kurzzeitig ausgesetzt wurden. Die dritte und letzte Phase begann mit der Wiederaufnahme der Verhandlungen Anfang 1991 und endete mit deren Abschluß im Dezember 1993 und der Vertragsunterzeichnung i.m April 1994. a) Konzeptionelle Klärungen (Oktober 1986 - April 1989)

Die Arbeit der Verhandlungsgruppe für den Dienstleistungshandel (GNS) unter der Leitung von Felipe Jaramillo in der ersten Phase der GATSVerhandlungen läßt sich ablesen an dem Bericht der Gruppe, der für die Halbzeitkonferenz in Montreal und das Nachtreffen des Komittees der HandeIsverhandlungen (TNC) im Dezember 1988 bzw. April 1989 erstellt und von dem Komittee förmlich angenommen wurde. Der Bericht der GNS und die Erklärung des TNC stellen die ersten bedeutsamen Dokumente der Verhandlungsgeschichte des GATS darlos.

10' Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. H, S. 2335, 2373; Bai!, EuZW 1990, S. 433, 435. 104 Diese Konferenz (eng!. ,,Mid-term Review Conference) fand also nach gut zwei der ursprünglich auf vier Jahre angelegten Verhandlungen dar, vgl. Satz 5 der Einleitung der Erklärung von Punta dei Este. 105 Der Bericht findet in GATT. Doc. MTN.GNS/21 [no v.]; die Erklärung des TNC ist abgedruckt in: Stewart (Hrsg.), Vol. III, S. 27 ff.

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B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS

Inhaltlich war diese Phase zunächst geprägt von der Erarbeitung eines konzeptionellen Rahmens für das GATS. Es wurde Einigung darüber erzielt, daß das GATS ein separates Übereinkommen für den Dienstleistungshandel und nicht eine dem Vertrags system des GATT untergeordnete Zusatzvereinbarung, etwa in Form eines Dienstleistungskodes, sein sollte'06. Weiterhin wurde grundsätzliche Übereinkunft darüber gefunden, daß das GATS sich apriori auf alle Dienstleistungssektoren beziehen sollte, allerdings unter Hinzufügung von Vertragsannexen mit Sonderbestimmungen für einzelne Sektoren'o,. Schließlich bestand Einvernehmen darin, daß apriori keine der vier Formen grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung aus dem Anwendungsbereich des Rahmenübereinkommens ausgeschlossen werden sollte'o,.

b) Sektorspezijische Verhandlungen und vorläufige VertragsentwürJe (April 1989 - Dezember 1990) Die zweite Phase der Verhandlungen der GNS entwickelte nach den Vorgaben der Halbzeitkonferenz in einer zweigleisigen Weise. Zum einen wurden verschiedene Dienstleistungssektoren konkret hinsichtlich der möglichen Anwendung multilateraler Liberalisierungsnormen untersucht. Zum anderen wurden von den Verhandlungspartnern erste Entwürfe zu einem Vertragstext sowie zu einzelnen Normen eingereicht. Auf der Grundlage dieser Entwürfe legte der Vorsitzende der GNS im Dezember 1990 aus Anlaß der Ministerkonferenz in Brüssel einen Vertragsentwurf vor, der das zweite wesentliche Dokument der Verhandlungsgeschichte darstellt '09• Die Verhandlungen im Bereich einzelner Dienstleistungssektoren konzentrierten sich zunehmend auf die Frage, inwieweit der jeweilige Sektor außerhalb oder in Ergänzung des allgemeinen Übereinkommens besondere Regelungen erforderlich mache, die in Form von sektoralen Anhängen zu dem endgültigen Vertragstext normativerfaßt werden sollten"o. Dabei mußte insbesondere die Problematik der Kollision von GATS-Verpflichtungen mit anderen völkerrechtlichen Verträgen aus den jeweiligen Sachmaterien einer Lösung zu-

'06 Vgl. dazu auch News from the Uruguay Round, NUR 031 (16.10.1989), S. 14; Stewart, in: Stewart (Hrsg.), Vol. I, S. 116. '07 Part II 5 der Erklärung des TNC vom Apri11989, in: Stewart (Hrsg.), Vol. I, S. 61. '0' Part II 4 der Erklärung des TNC vom April 1989, in: Stewart (Hrsg.), Vol. I, S. 61. '09 Dieser Text hatte einen Vorläufer im Juli 1990, abgedruckt in: GATT Doc. No. MTN.GNS/35 (23.07.1990) [no v.]; der Juli-Text war seinerseits Grundlage des Dezember-Textes, abgedruckt in: Stewart (Hrsg.), Vol. III, S. 392 ff. "0 Vgl. dazu Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. II, S.2335, 2372 f. und 2389 ff.; News ofthe Uruguay Round, NUR 041 (09.10.1990), S. 11.

II. Die Verhandlungen über das GATS

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geführt werden 111. Im Dezember 1990 lagen bereits Entwürfe zu Vertragsanhängen in den Bereichen des Seetransports, der Binnenwassertransports, des Straßentransports, des Lufttransports, der Telekommunikation sowie der audiovisuellen Dienstleistungen vor 112 • Ebenso gab es einen Entwurf eines Anhangs zur Frage der Arbeitskräftemobilität llJ • Der Entwurf des GATS vom Dezember 1990 enthielt im Rahmen seines 35 Normen und 6 Teile umfassenden Vertragskorpus bereits die Grundstrukturen und wichtigsten Normen des endgültigen Vertragstextes. Seine Ausformulierung läßt deutlich eine Anlehnung an den Vertragstext des GATT erkennen. Die strittigen Elemente sind dadurch zu erkennen, daß der Entwurf an diesen Stellen jeweils alternative Normentwürfe enthält, die in Klammem eingefaßt sind l14 • Während es gelang, Übereinkunft in wesentlichen Normbereichen wie dem Anwendungsbereich des Vertrages auf alle Erbringungsfonnen (Art. I), der Verpflichtung zum Marktzugang (Art. XVI) oder zur Inländerbehandlung (Art. XVII) zu finden, bestand der gravierendste Streitpunkt in der Ausgestaltung des Grundprinzips der Meistbegünstigung (Art. II)115. Dazu lagen zwei konkurrierende Konzeptionen vor. Nach einem Ansatz sollte es sich dabei um eine allgemeine Verpflichtung handeln, nach der jeder beliebige Vorteil, den ein GATS-Mitglied einem anderen GATS-Mitglied im Dienstleistungshandel gewährt, bei Inkrafttreten des Übereinkommen ipso jure Geltung im Verhältnis zu allen anderen GA TSMitgliedern erlangt I 16. Diese multilaterale Ausweitung von Handelsvorteilen sollte hiernach auch für solche Regelungen gelten, die bereits vor dem Inkrafttreten des GATS getroffen worden wären. Demgegenüber war nach dem konkurrierenden Ansatz zur Meistbegünstigung vorgesehen, daß die Vorteilsausweitung nur solche Regelungen betreffen sollte, die unter dem Regime des GATS zwischen GATS-Mitgliedern ausgehandelt würden 117 • Nach dieser Konzeption wäre die Wirkung der Meistbegün111 S. dazu den einleitenden Kommentar, Ziff. 3 zu dem Entwurf des GATS vom Dezember 1990, in: Stewart (Hrsg.), Vol. III, S. 392. 112 Diese Entwürfe sind dem GATS-Entwurf vom Dezember 1990 angefiigt, abgedruckt in: Stewart (Hrsg.), Vol. III, S. 427 ff. 113 S. dazu unten D III 2 c. 114 S. dazu den einleitenden Kommentar, Ziff. 1 zu dem GATS-Entwurfvom Dezember 1990, in: Stewart (Hrsg.), Vol. III, S. 392 115 S. eingehend zur Meistbegünstigung unten C III 1. 116 So die erste Alternative des Art. II Abs. 1 des GATS-Entwurf von Dezember 1990; vgl. den einleitenden Kommentar, Ziff. 2 zu diesem Entwurf, in: Stewart (Hrsg.), Vol. III, S. 397 bzw. 392. 117 So die zweite, in Klammern gesetzte Alternative des Art. II des GATS-Entwurfs vom Dezember 1990; vgl. den einleitenden Kommentar, Ziff. 2 und 3 zu diesem Entwurf, in: Stewart (Hrsg.), Vol. III, S. 397 bzw. 392.

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B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS

stigungsverpflichtung in einem ganz erheblichen Maß beschränkt worden, da nur die von den GATS-Mitgliedern gewährten Anfangsverpflichtungen der multilateralen Ausweitung unterlegen hätten. Es war zudem davon auszugehen, daß wichtige Dienstleistungssektoren durch die Uruguay-Runde noch nicht einer weitergehenden Liberalisierung zugefiihrt werden würden" 8 • Diesen bei den unterschiedlichen Konzeptionen lag eine Auseinandersetzung der Europäischen Gemeinschaften mit den USA zugrunde. Die Europäischen Gemeinschaften befürworteten das erste, weit angelegte Meistbegünstigungskonzept, die USA hatten sich im Verlauf des Jahres 1990 das zweite, enger gefaßte Meistbegünstigungskonzept zu eigen gemacht. Der restriktiven Position der USA lagen zwei Motive zugrunde. Zum einen schätzten die USA das Außenhandelsregime, das sie der überwiegenden Zahl ihrer Handelspartner hinsichtlich deren Einfuhr von Dienstleistungen in die USA gewährten, als sehr liberal ein. Sie befürchteten daher bei Geltung des weiten Meistbegünstigungskonzeptes gewisse Assymetrien hinsichtlich der Handelsvorteile, die im Rahmen der GATS-Verhandlungen vereinbart werden würden. Während sich die von den USA gewährten Vorteile auf alle GA TSMitglieder ausweiten würden, wäre die Ausweitung der von anderen GATSMitgliedern auf den US-Export von Dienstleistungen in diese Länder wenig einträglich, da deren Außenhandelsregime wesentlich restriktiver als das der USA warli". Daher bemühten sich die USA um eine Begrenzung der Meistbegünstigungswirkung l20. Zum anderen war die US-Position zur Meistbegünstigungsregelung im Dienstleistungssektor nur vor dem Hintergrund des Streites über die Subventionierung der Landwirtschaft durch die Europäische Gemeinschaft zu verstehen. Um in diesem Sektor die Europäer zur Reform ihrer Gemeinsamen Agrarpolitik (Common Agricultural Policy, CAP) zu bewegen, legten die USA eine restriktivere Haltung im Dienstleistungssektor an den Tag und versahen sich dadurch mit einem neuen "Verhandlungspfand"121. Der scheinbar unlösbare Konflikt im Agrarbereich fiihrte letztlich zum Abbruch der Verhandlungen der gesamten Uruguay-Runde anläßlich des Treffens

11& Vgl. Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. II, S. 2335, 2393; dies war insbesondere von den Transportdienstleistungen und der Telekommunikation zu erwarten. "" Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. II, S. 2335,2393. 120 Diese Begrenzung konnte entweder durch die bedingte Gewährung der MeistbegÜllstigungswirkung erreicht werden oder auch durch die Einschränkung der MeistbegÜllstigungsverpflichtung in den sektoralen Annexen des GATS, vgl. dazu den einleitenden Kommentar, Ziff. 3 zum GATS-Entwurfvom Dezember 1990, in: Stewart (Hrsg.), Vol. III, S. 392. 121 Reyna, Services, in: SIewart (Hrsg.), Vol. II, S. 2335,2394.

II. Die Verhandlungen über das GATS

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des TNC in Brüssel am 07.12.1990. Da nach der Erklärung von Punta deI Este die Verhandlungen nur in Form eines einzigen ,,Abschlußpaketes" in allen Verhandlungsbereichen zum Abschluß gebracht werden konnten, bedeutete der Abbruch der Verhandlungen im Agrarsektor zunächst auch das Ende der GATS-Verhandlungen 122. c) Rahmenregelung, Anfangsverpflichtungen und sektorale Annexe

(Januar 1991-April1994)

Bereits Anfang 1991 setzten die Bemühungen ein, die abgebrochenen Verhandlungen erneut in Gang zu setzen 123 • Am 26.02.1991 gelang es, die Verhandlungen offiziell wieder aufzunehmen, indem ein Plan erstellt wurde, der die Konzentration auf sieben Schwerpunkte vorsah l24 • Einer dieser Schwerpunkte war der Dienstleistungssektor. Die Arbeit der GNS 125 sollte sich nunmehr in drei Ausrichtungen fortentwickeln: zunächst sollte das Rahmenübereinkommen auf der Grundlage der bisher vorgelegten Entwürfe ausgearbeitet werden; weiterhin sollten die einzelnen Verhandlungspartner darlegen, welche Liberalisierungsverpflichtungen sie in einzelnen Dienstleistungssektoren einzugehen bereit sein würden; und schließlich wollte man sich den sektoralen Anhängen widmen, wobei die Frage des Verhältnisses des GATS zu anderen völkerrechtlichen Regelungen einer Klärung zugeführt werden sollte l26 • Während die GATS-Verhandlungen auf der Grundlage dieser dreigeteilten Vorgehensweise fortgeführt wurden, hing deren endgültiger Erfolg nicht allein vom Verhalten der Verhandlungspartner im Dienstleistungssektor ab. Wegen der Festlegung auf die Annahme eines umfassenden Verhandlungspaketes in allen Handelsbereichen kam es vielmehr auch auf die Einigung in anderen

122 S. dazu den abschließenden Abschnitt der Erklärung von Punta dei Este: ,,Durchführung der Ergebnisse von Teil I (Warensektor) und Teil Il (Dienstleistungssektor): Wenn die Ergebnisse der multilateralen Handelsverhandlungen in allen Gebieten erreicht sind, entscheiden die Minister ( ... ) über die ( ... ) Durchführung." (Hervorhebung durch Verf.). 123 Die zu diesem Zweck allein zwischen den USA und der Europäischen Gemeinschaft durchgefiihrten Verhandlungen im Januar 1991 wurden als Signal fiir die Gefahren eines endgültigen Scheitems der Uruguay-Runde aufgefaßt: statt multilateraler Liberalisierung drohte der Zerfall der Welthandelssystems in ein Netz von bilateralen und regionalen Vereinbarungen, vgl. dazu schon Borchmann, EuZW 1990, S. 339,391. 124 Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. II, S. 2335,2396. 125 Neben dem bisherigen Vorsitzenden der GNS Jaramillo fungierte zusätzlich in dieser Funktion der ständige Vertreter Australiens beim GATT David Hawes, GATT Doc. MTN.GNS/41 (06.05.1991) [no v.]. 126 News of the Uruguay Round, NUR 046 (04.03.1991), S.4 f; vgl. auch Croome, Reshaping the World Trading System, S. 312.

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B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS

Sektoren an. insbesondere in der Landwirtschaft. Der entscheidende Durchbruch in dieser Hinsicht war die Entscheidung der Europäischen Gemeinschaften im Mai 1992 zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik 127, welche den Weg zur Beilegung des Streites über die EG-Subventionierung der Landwirtschaft im Dezember 1992 bereitetem. aa) Die Erarbeitung der Rahmenregelung (Dunkel Draft) Was die Verhandlungen über die Rahmenregelungen des GATS betraf, so war die Vorlage eines Vertragsentwurfes durch den Generaldirektor des GATT, Arthur Dunkel, von entscheidender Bedeutung. Dieser als "Dunkel Draft" bezeichnete Entwurf war Teil einer Vorlage, in der Dunkel alle bis Ende des Jahres 1991 entwickelten, Waren und Dienstleistungen umfassenden Verhandlungsergebnisse zu einem möglichen Abschlußübereinkommen zusammenführte 129. Dieses "Gesamtpaket" wurde den Verhandlungspartnern mit der Vorgabe zugeleitet, es entweder tatsächlich als solches zu akzeptieren und damit die Uruguay-Runde zu einem Ende zu führen oder aber die darin vorgelegten Vorschläge als Grundlage der weiteren, "ergebnisorientierten" Verhandlungen zu nehmen 130. Anläßlich der Zusammenkunft des TNC am 13.01.1992 wurde die zweite Alternative von den Verhandlungspartnern gewählt l3l • Der "Dunkel Draft" baute auf den bis zum Dezember 1991 entwickelten und verhandelten Konzepten auf und enthielt einen vollständigen Entwurf für den abschließenden Text des GATS. Er stellt mithin das dritte wesentliche Dokument der Verhandlungsgeschichte des GATS darm. Da dieser Entwurf den Verhandlungspartnern zur endgültigen Annahme vorgelegt wurde, erscheint er bereits wie ein endgültiger Vertragstext l3J • Dies ist daran erkennbar, daß er, anders als der Entwurf vom Dezember 1990, keine alternativen, in Klammem gesetzte Normkonzeptionen enthält. Der Dunkel Draft bestand aus sechs Teilen und 35 Artikeln. Ihm angefügt waren sektorale Anhänge in den Bereichen der Arbeitskräftemobilität l3 \ der FiVgl. dazu Oppermann/Beise, EA 1993, S. 1,6. Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. II, S. 2335,2420 ff. 129 Draft Final Act Embodying The Results of the Uruguay Round of Multilateral Trade Negotiations, GATT Doc. No. MTN.TNC/WIFA (20.12.1991), abgedruckt in; Stewart (Hrsg.), Vol. III, S. 457 ff. 130 Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. II, S. 2335,2412. 131 Meeting on 13 January 1992, Opening Statement and Conditional Remarks by the Chairman, GATT Doc. No. MTN.TNC/W/99 (15.01.1992), S. 1 f. [no v.]. 132 Der Text ist abgedruckt bei Stewart (Hrsg.), Vol. I1I, S. 797 ff. 133 Vgl. dazu Hoekman, The World Economy 1992 (Vol. 15), S. 707,717. 134 S. dazu unten D III 3 a. 127 128

II. Die Verhandlungen über das GATS

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nanzdienstleistungen, der Telekommunikation und der Lufttransportdienstleistungen. Der entscheidende Fortschritt des Textes lag in der Vorlage des normativen Konzeptes zur Regelung der Meistbegünstigungsklausel. Artikel II des Entwurfes und der dazugehörige Vertrags anhang zu den Meistbegünstigungsausnahmen entsprachen bereits dem endgültigen Wortlaut des GATS. Nach Art. II Abs. 1 des Entwurfes sollte der Meistbegünstigungsgrundsatz sofort und bedingungslos für alle Maßnahmen eines GATS-Mitgliedes gelten. Jedoch gewährte Art. II Abs. 2 des Entwurfes in Verbindung mit dem Anhang über die Ausnahmen von Art. II jeder Partei die Möglichkeit, bestimmte Maßnahmen vom Meistbegünstigungsgrundsatz auszunehmen. Für diese Maßnahmen sah der Anhang allerdings ein Verfahren vor, in dem nach Ablauf von fünf Jahren die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Meistbegünstigungsausnahme durch die GATS-Vertragsparteien überprüft werden sollte iJ5 • Nach Ablauf von 10 Jahren sollten dann alle Ausnahmen vom Meistbegünstigungsgrundsatz aufgehoben oder zumindest zum Gegenstand weiterer multilateraler Liberalisierungsverhandlungen gemacht werden 136 • Zusätzlich zu dieser Grundkonzeption enthielt der Dunkel Draft eine ,,Ergänzung zu dem Annex über die Ausnahmen zu Artikel II", in der für den weiteren Verlauf der Verhandlungen ein Verfahren vorgegeben wurden, nach dem die Parteien die Maßnahmen zu kennzeichnen hatten, die sie in Ausnahme von der Meistbegünstigung aufrechterhalten wollten lJ7 • Danach mußten die Parteien die Maßnahme beschreiben und angeben, inwieweit die Behandlung anderer Vertragsparteien nicht dem Meistbegünstigungsgrundsatz entspreche. Des weiteren mußten sie festlegen, wie lange die Meistbegünstigungsausnahme gelten sollte. Schließlich waren die Parteien verpflichtet, die Bedingungen zu nennen, die die Notwendigkeit für die einzelne Ausnahme schaffe. Neben der Meistbegünstigungsklausel enthielt der Dunkel Draft ebenfalls die normative Konzeption zur Festlegung weitergehender Liberalisierungsmaßnahmen. Auch die Normen des Dunkel Drafts zum Marktzugang (Art. XVI) und zur Inländerbehandlung (Art. XVII) entsprachen schon dem endgültigen Wortlaut des GATS-Textes 138 • Die diesen Normen zugrunde liegende Liberalisierungskonzeption sah die Aufstellung von Listen vor, in die jeder Verhandlungspartner die Dienstleistungssektoren aufnehmen sollte, in denen er zu

135 S. Ziff. 3 und 4 des Annex zu den Ausnahmen von Art. II des Dunkel Drafts, in: Stewart (Hrsg.), Vol. III, S. 827. 136 S. Ziff. 5 - 7 des Annex zu den Ausnahmen von Art. II des Dunkel Drafts. in: Stewart (Hrsg.), Val. III, S. 827. 13J S. ,Attachment to Annex on Article II Exemptions", in: Stell'art (Hrsg.), Val. III. S.826. m Vgl. zu diesen Nonnen Reyna. Services. in: Stell'art (Hrsg.). Val. 11. S.2335. 2415.

6 Kochlcr

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B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS

Liberalisierungsmaßnahmen bereit sein würde. Damit wurde bezüglich der Liberalisierungsmethode im Dienstleistungssektor eine Festlegung auf eine Sektor-für-Sektor-Vorgehensweise vorgenommen. Die theoretische Alternative wäre eine sektorübergreifende Herangehensweise gewesen 139 • bb) Die Verhandlungen über die Anfangsverpflichtungen Mit der Erarbeitung der normativen Grundlagen für die Liberalisierungsverhandlungen, wie sie im Dunkel Draft festgehalten und als Grundlage der abschließenden Verhandlungen durch das TNC im Januar 1992 beschlossen wurden, näherten sich die Verhandlungspartner der Konzeption des endgültigen Vertragstextes an. Darüber hinaus machten sie konkrete Vorgaben, in welcher Weise die Verhandlungspartner ihre Liberalisierungsangebote in einzelnen Sektoren vorlegen sollten. Denn nunmehr war es den Staaten möglich, die Liberalisierungskonzessionen im Dienstleistungssektor, die sie einerseits zu machen bereit waren und die sie andererseits von den anderen Verhandlungspartnern einfordern wollten, in konkrete Vorlagen umzuwandeln. Nach den systematischen Vorgaben des Dunkel Draft konnten die Listen über die Reichweite des Meistbegünstigungsgrundsatzes und das Ausmaß der Liberalisierung in einzelnen Sektoren erstellt werden. Da es sich bei diesen konkreten Liberalisierungsverpflichtungen um die ersten Verpflichtungen auf der Grundlage des GATS handelte, wurden diese als Anfangsverpflichtungen (engl. "initial commitments") bezeichnet. Es wurde allgemein davon ausgegangen, daß der Erfolg des GATS als der dauerhaften Rahmenregelung für die Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels in einem erheblichen Maß davon abhinge, daß bereits zum Abschluß der Uruguay-Runde substantielle Liberalisierungsverpflichtungen in einzelnen Dienstleistungssektoren übernommen würden'40. Die Anfangsverpflichtungen offenbarten mithin die Funktionstüchtigkeit der Marktöffnungskonzeption, die dem GATS zugrunde liegen sollte"'. Die ersten Listen mit den Anfangsverpflichtungen einzelner Staaten wurden schon im Sommer und Herbst 1991 vorgelegt'·2. Wichtige Voraussetzung dafür

139

S. dazu ausführlich unten C IV I.

'40 So etwa Hoekman. The World Economy 1992 (Vol. 15). S. 707,724.

'4' S. dazu ausführlich unten C VI und D I.

'42 Bei den Vorlagen der Anfangsverpflichtungen hielten sich die meisten Entwicklungsländer zunächst stark zurück, während die Industriestaaten zügiger ihre Vorlagen entwickelten, vgl. Uruguay Round Service Negotiation, List of 50 Developing Countries Which Have to Table Initial Commitments, S. GATT Doc. MTN.GNS/WI143 (03.11.1991) [no v.].

II. Die Verhandlungen über das GA TS

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war die Verabschiedung von "Verfahrensrichtlinien zu den Verhandlungen über die Anfangsverpflichtungen während der Uruguay-Runde" anläßlich der Sitzung der GNS am 28.06.1991 143 • Hierin war insbesondere die Festlegung auf eine von allen Verhandlungspartnern akzeptierte Einteilung aller verhandelbaren Dienstleistungen in Sektoren und Subsektoren von Bedeutung. Diese Einteilung, die in der "Services Sectoral Classification List"l44 niedergelegt ist, teilt die Dienstleistungen in 12 Sektoren auf, die ihrerseits in Subsektoren und teilweise in weitere Unterabteilungen gegliedert sindi". Nach den Richtlinien sollten die Verhandlungspartner die von ihnen anvisierten liberalisierungsverpflichtungen anband dieser Einteilung vorlegen, wobei jeweils der Zeitrahmen ausgehandelt werden sollte, in dem einzelne Verpflichtungen in Kraft treten sollten l46 . Gleichzeitig verpflichteten sich die Staaten, während der Dauer der Verhandlungen keine zusätzlichen Maßnahmen zu erlassen, die ihre jeweilige Verhandlungsposition verbessern würde I". cc) Der Streit über die sektoralen Vertragsanhänge Nachdem der Abschluß der Uruguay-Runde durch die Beseitigung des Haupthindernisses, des Agrarstreits zwischen den Europäischen Gemeinschaften und den USA, im Januar 1992 möglich geworden war, wurde die Vollendung der Verhandlungen in zunehmenden Maß durch die Schwierigkeiten im Bereich des Dienstleistungssektors in Frage gestellt. Zwar gelang es, auf der Grundlage des Dunkel Draft Übereinkunft über die Rahmenregelung des GATS als solche und über Ausmaß und Reichweite der Anfangsverpflichtungen in den meisten Dienstleistungssektoren zu erzielen. Problematisch wurde jedoch die Einigung in denjenigen Dienstleistungssektoren, in denen sich aufgrund der strukturellen Marktbesonderheiten die Notwendigkeit von Sonderregelungen im Rahmen von Vertragsannexen herauskristallisiert hatte 148. 143 Procedural Guidelines for Negotiations on Initial Commitments during the Uruguay Round, GATT Doc. MTN/GNS/W/1l9 (02.07.1991), abgedruckt bei SIewart (Hrsg.), Vol. III, S. 850. 144 GATT Doc. MTN.GNS/W/120 (10.07.1991), abgedruckt bei Sal/vant/Weber, Binder I, S. XXV- XXVIII. 145 Vgl. den Verweis auf diese Liste in Ziff. 2 (a) der Verfahrensrichtlinien für die Verhandlungen der Anfangsverpflichtungen während der Uruguay-Runde, in: Slell'art (Hrsg.), Vol. III, S. 850. 146 Ziff. 2 (b) und (c)der Verfahrensrichtlinien für die Verhandlungen der Anfangsverpflichtungen während der Uruguay-Runde, in: SIewart (Hrsg.). Vol. III. S. 850. 14' Ziff. 3 der Verfahrensrichtlinien fiir die Verhandlungen der Anfangsverpflichtungen während der Uruguay-Runde, in: Slewarl (Hrsg.), Vol. III, S. 850. 148 Vgl. Reyna, Services, in: StelVarl (Hrsg.), Vol. II, S. 2335, 2419 f.

6'

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B. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des GATS

Im Verlauf des Jahres 1993 verschärften sich die Auseinandersetzungen insbesondere in den Bereichen des Luftverkehrs, der Finanzdienstleistungen sowie der audiovisuellen Dienstleistungen"". Wie im Agrarbereich standen sich auch hier die USA und die Europäischen Gemeinschaften als Kontrahenten gegenüber. Nach intensiven bilateralen Sonderverhandlungen zwischen diesen Verhandlungspannern Anfang Dezember 1993 konnte der Streit kurz vor dem Ablauf des US-amerikanischen Verhandlungsmandates beigelegt werden'so. Während in den Bereichen der Luftfahrt und der Finanzdienstleistungen Vereinbarungen über die Fortführung der Verhandlungen nach dem Abschluß der Uruguay-Runde getroffen wurden, mußte der Bereich der audiovisuellen Dienstleistungen (Fernsehprogramme, Spielfilme, Tonaufnahmen) wegen unüberbrückbarer Gegensätze vorläufig aus dem Liberalisierungsrahmen des GATS ausgenommen werden's,. Die Beilegung dieses Streites eröffnete schließlich die Möglichkeit des Abschlusses der Verhandlungen der Uruguay-Runde Mitte Dezember 1993 und der fOrmlichen Vertragsunterzeichnung im April 1994 152 •

'"" Im Bereich der Seetransportdienstleistungen war es zu einem Komprorniß in Form eines gesonderten Vertragsannexes sowie eines ministeriellen Beschlusses zu weiteren Verhandlungen nach Abschluß der Uruguay-Runde gekommen, vgl. Reyna, Services, in: Stell'art (Hrsg.), Vol. II, S. 2335,2424. 'so S. dazu Mickey Kanlor,.,Erklärung des amerikanischen Handelsbeauftragten zur Einigung zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union im Rahmen der Uruguay-Runde. abgegeben am 14.12.1993 in Genf" abgedruckt in: EA 1994. D 77 ff.. und Sir Leon Brillan. ,.Erklärung des Verhandlungsführers der Europäischen Union" zu derselben Einigung, abgedruckt in: EA 1994, D 79 ff.77 15' Vgl. Semi. Die neue Welthandelsordnung, Ergebnisse der Uruguay-Runde, Chancen und Risiken. ORDO 1994 (Vol. 45), S. 301,308. ,;, Vgl. Opperll1ann Reise. EA 1994. S. 195 ff.

C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels Das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit DienstleistWlgen (GATS) ist fortan für den Bereich des internationalen DienstleistWlgsverkehrs die entscheidende völkerrechtliche RahmenregelWlg. Das GATS wird damit im DienstleistWlgssektor die Funktion einnehmen, die das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) im internationalen Warenverkehr bereits seit 1947 ausgefüllt hat l • Wie das GATT ist auch das GATS in seiner Funktion als allgemeine RahmenregelWlg eines bestimmten Handelssektors im wesentlichen durch zwei Charakteristika gepräge. Auf der einen Seite enthält der Vertrag völkerrechtliche Normen, die unmittelbar regelnd in den internationalen Handelsverkehr einwirken, etwa dadurch, daß die Vertragsstaaten zur Schaffung von transparenten BedingWlgen für die Erbringung von DienstleistWlgen in ihrem Hoheitsgebiet verpflichtet werden (Art.lII GATS). Ebenso kann in diesem Zusammenhang auf das Prinzip der MeistbegünstigWlg (Art. 11 GATS) verwiesen werden, dem im GATS eine vergleichbar zentrale Rolle wie im GATT zukommt. Insofern stellt das GATS die völkerrechtliche HandelsordnWlg im Bereich des DienstleistWlgshandel dar, die einen normativen Rahmen zur LiberalisiefWlg dieses Handelssektors enthält Wld komplementär an die Seite des für den Bereich des Warenhandels geltenden GATT tritt. Auf der anderen Seite finden sich im GATS Regeln für die Schaffung liberalerer BedingWlgen des internationalen DienstleistWlgsverkehrs. Diese Normen geben einen Rahmen vor, der erst durch zusätzliche VerhandlWlgen Wlter den Mitgliedsstaaten des GATS ausgefüllt werden wird. Wie das GATT ist daher auch das GATS ein VerhandlWlgsforum. Den normativen Rahmen hinsichtlich der für die VerhandlWlgen geltenden Verfahren gibt dabei das Über-

I Die unterschiedliche Bezeichnung des GATT. als ,,Abkommen" und des GATS als "Übereinkommen" ergibt sich aus einer geänderten bundesdeutschen Übersetzungspraxis; die Bezeichnung ,,Abkommen" soll nunmehr nur noch für bilaterale Verträge verwendet werden, während "Übereinkommen" Verträge erfaßt, die mehr als zwei Staaten binden. l Vgl. Broadman, The World Economy 1994 (Vol. 17), S.281, 281; ebenso UNCTAD, Liberalizing International Transactions in Services, S. 139 f.; McGovern, International Trade Regulation, § 31.1.

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

einkommen, während die organisatorische und institutionelle Einfassung des Liberalisierungsprozesses der neugegründeten Welthandelsorganisation überantwortet ist. GATT und GATS stellen also nicht bloß komplementäre Regelungen im internationalen Handelsverkehrs dar, die eine als völkerrechtliche Rahmenregelung im Bereich des Warenverkehrs, die andere im Bereich des Dienstleistungsverkehrs. Die beiden Verträge weisen als Handelsordnungen und Verhandlungsforen vielmehr auch parallele Grundstrukturen auf. Aus diesem Grund soll im folgenden die Analyse des GATS in der Weise vorgenommen werden, daß bei der Darstellung der Normen dieses Übereinkommens vergleichend und erklärend Bezug auf diejenigen des GATT genommen wird. Dabei soll freilich nicht bloß das Gemeinsame der Verträge herausgearbeitet werden, sondern der Akzent gerade darauf gelegt werden, inwiefern sich das GATS von seinem normativen Vorbild, dem GATT, unterscheidet. Ziel der Analyse ist es mithin, das Spezifische des GATS als Rahmenregelung zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsverkehrs zu erfassen.

I. Die Grundstruktur des Übereinkommens 1. Die drei Bestandteile des GATS: Rahmenregelung, Listen, Anhänge Das GATS besteht aus drei verschiedenen Elementen. Zunächst handelt es sich dabei um den eigentlichen Text des Übereinkommens, die Rahmenregelung, die den normativen Rahmen zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsverkehrs und die Verfahrensvorschriften fiir die dazu durchzufiihrenden multilateralen Verhandlungen enthält. Des weiteren gehören als integraler Bestandteil zu dem Vertrag die von den Vertragsstaaten erstellten Listen, auf denen zum einen die Ausnahmen von dem ansonsten unbedingt und sofort geltenden Meistbegünstigungsgrundsatz und zum anderen die konkreten Liberalisierungskonzessionen in einzelnen Dienstleistungssektoren aufgefiihrt werden. Letztere betreffen vor allem Fragen des Marktzugangs und der Inländerbehandlung. Schließlich sind gemäß Art. XXIX GATS mehrere Anhänge "ein wesentlicher Bestandteil" des Übereinkommens und stellen das dritte Element des GATS dar. Dabei handelt es sich zum einen um die ,,Anlage zum grenzüberschreitenden Verkehr natürlicher Personen, die im Rahmen des Übereinkommens Dienstleistungen erbringen" und zum anderen um verschiedene Anlagen, die fiir die Sektoren der Luftverkehrs-, der Finanz-, der Seeverkehrs- und der Telekommunikationsdienstleistungen Modifikationen hinsichtlich der Geltung des GATS bzw. weitere Verhandlungsmandate fiir die Zeit nach Inkrafttreten des Vertrages festlegen.

I. Die Grundstruktur des Übereinkommens

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Entsprechend der Absicht, das GATS als Liberalisierungsrahmen für den internationalen Dienstleistungsverkehr zu analysieren, soll im folgenden der Schwerpunkt auf das Zusammenspiel des Übereinkommens mit den in den Listen festgelegten Liberalisierungsschritten gelegt werden, während den einzelnen sektoralen Besonderheiten im Rahmen dieser Untersuchung keine Aufmerksamkeit geschenkt werden kann. Dem Anhang über den grenzüberschreitenden Personenverkehr soll dagegen erst im vierten Teil dieser Arbeit besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden}. 2. Der Aufbau der Rahmenregelung

Die Präambel des GATS hebt die zunehmende Bedeutung des Handels mit Dienstleistungen für das Wachstum und die Entwicklung der Weltwirtschaft hervor. Neben der Nennung der Ziele des Übereinkommens, die in der Ausweitung des internationalen Dienstleistungsverkehrs unter den Bedingungen der Transparenz und der fortschreitenden Liberalisierung liegen, hebt die Präambel explizit die besondere Stellung der Entwicklungsländer hervor, deren entwicklungspolitisch bedingte Interessen im eingeleiteten Liberalisierungsprozeß Berücksichtigung finden sollen. Die Rahmenregelung setzt sich aus 34 Artikeln zusammen, die in sechs Teile untergliedert sind. Teil I legt den Geltungsbereich des GATS fest und enthält grundlegende Begriffsbestimmungen, während die Teile 11, III und IV den Kern des Übereinkommens mit den materiellen und verfahrensrechtlichen Normen zur Liberalisierung des Dienstleistungshandels bilden. Der Teil 11 besteht aus Normen, die in dessen Überschrift als ,,Allgemeine Pflichten und Disziplinen" bezeichnet werden. Demgegenüber werden in Teil III "spezifische Verpflichtungen" festgeschrieben. Mit dieser Unterscheidung zwischen allgemeinen und spezifischen Verpflichtungen deuten die Überschriften der Teile 11 und III bereits die beiden unterschiedlichen Verpflichtungsebenen an, zwischen denen im Rahmen des GATS zu differenzieren ist. Auf der einen Seite handelt es sich um Verpflichtungen, die die GATSVertragsstaaten hinsichtlich aller Dienstleistungssektoren binden, ohne daß die Möglichkeit besteht, einzelne Sektoren oder Subsektoren von der Wirksamkeit der Verpflichtungen auszunehmen. Insofern sind dies also sektorübergreifende, ,,horizontale" Verpflichtungen. Eine Differenzierung ist allerdings für die Verpflichtung zur Meistbegünstigung (Art. 11 GATS) vorzunehmen. Diese ist zwar grundsätzlich als eine "allgemeine Verpflichtung" konzipiert und gilt mithin für alle Regelungen der GATS-Mitgliedsstaaten in allen Dienstleistungssektoren } S. dazu unten D IV.

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

Wld -subsektoren. Jedoch können die Vertragsstaaten von der Wirksamkeit dieser VerpflichtWlg gemäß Art. 11 Abs. 2 GATS in Verbindung mit der ,,Anlage zu Ausnahmen von Artikel 11" einzelne Ausnahmen anmelden. Auf der anderen Seite bestehen im Rahmen des GATS VerpflichtWlgen, die nur fiir einzelne DienstleistWlgssektoren oder -sub sektoren Wirksamkeit erlangen. Um welche Sektoren es dabei im einzelnen handelt, ist Gegenstand der multilateralen LiberalisiefWlgsverhandlWlgen, wie sie bereits im Rahmen der Uruguay-RWlde stattgefunden haben Wld wie sie auch bei den weiteren HandelsfWlden stattfinden werden. Als Ergebnis dieser Verhandlungen stellt jedes GATS-Mitglied eine Liste auf, in der es die Sektoren Wld Subsektoren vermerkt, fiir die diese spezifischen VerpflichtWlgen gelten sollen. Es handelt sich hierbei also um sektorspezifische, "vertikale" VerpflichtWlgen. Zu den VerpflichtWlgen, die in diesem Sinn als sektorspezifisch zu bezeichnen sind, zählen zum einen die im Teil III des GATS festgeschriebenen Normen zum Marktzugang (Art. XVI GATS) Wld zur InländerbehandlWlg (Art. XVII GATS). Zum anderen ist jedoch darauf hinzuweisen, daß sich auch im Teil 11 Normen befinden, die nur in den DienstleistWlgssektoren GeltWlg erlangen, fiir die von einem GATS-Mitglied spezifische VerpflichtWlgen übernommen worden sind. Dieses gilt etwa fiir die Normen zu den innerstaatlichen RegelWlgen (Art. VI GATS) oder zu den mit DienstleistWlgstransaktionen verbWldenen ZahlWlgen Wld ÜbertragWlgen (Art. XI GATS). Es ist also festzustellen, daß der Teil 11 des Übereinkommens, anders als dessen Titel vermutet läßt, nicht nur "allgemeine Pflichten Wld Disziplinen" enthält, sondern ebenfalls spezifische VerpflichtWlgen. Der Teil IV des Übereinkommens ergänzt Teil III. Hier wird normiert, wie die spezifischen VerpflichtWlgen zwischen den Vertragsstaaten ausgehandelt werden. Zum einen umfaßt dies RegelWlgen darüber, wie die Listen der spezifischen VerpflichtWlgen aufzustellen sind (Art. XX GATS) Wld wie es nach Abschluß der VerhandlWlgen zu ÄndefWlgen dieser Listen kommen kann (Art. XXI GATS). Zum anderen finden sich in Teil IV normative Vorgaben für die zur VerhandlWlgsrunden (Art. XIX GATS), die zur Liberalisierung des DienstleistWlgsverkehrs durchgeführt werden sollen. Wie dem Titel des Teil IV zu entnehmen ist, enthält dieser Teil institutionelle Bestimmungen. Demgemäß finden sich hier Normen zu dem "Rat fiir den Handel mit DienstleistWlgen" (Art. XXIV GATS), zu der technischen Zusammenarbeit, die hilfsbedürftigen GATS-Mitgliedern zu gewähren ist (Art. XXV GATS) sowie zu den BeziehWlgen zu anderen internationalen Organisationen (Art. XXVI GATS). Darüber hinaus befinden sich in diesem Abschnitt auch Normen (Art. XXII, XXIII GATS), die sich auf die BeilegWlg von Streitigkeiten beziehen, die zwischen den GATS-Mitglieder hinsichtlich ihrer durch das Übereinkommen begründeten Rechte Wld Pflichten entstehen. Das GATS ent-

11. Der sachliche Geltungsbereich des GATS

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hält hierzu jedoch nur rudimentäre Regelungen und verweist daher auf die fiir den gesamten Geltungsbereich der WTO geltende Vereinbarung über Streitbeilegung4. Der sechste und letzte Teil des GATS enthält Schlußbestimmungen. Neben dem Verweis auf die Anlagen des Übereinkommens (Art. XXIX GATS) gehört dazu einerseits eine Regelung über den Entzug von Handelsvorteilen (Art. XXVII GATS), die aufgrund des Vertrages gewährt worden sind, wenn diese Vorteile durch Dienstleistungserbringer genutzt worden sind, die nicht Begünstigte des GATS sind. Andererseits definiert Art. XXVIII GATS eine Reihe von Begriffen, die im Übereinkommen verwendet werden.

11. Der sachliche Geltungsbereich des GA TS Die Konzipierung des GATS als der allgemeinen Rahmenregelung fiir die Liberalisierung des gesamten internationalen Dienstleistungshandels zeigt sich an dem von Art. I gesteckten Geltungsbereich des Vertrages. Danach findet dieser Anwendung auf alle Maßnahmen, "die den Handel mit Dienstleistungen beeinträchtigen"s. Der umfassende Charakter des Übereinkommens bezieht sich mithin sowohl auf die territoriale Anwendbarkeit der Regelung - der gesamte internationale Dienstleistungshandel soll ohne regionale Ausnahme erfaßt werden - als auch auf die sektorale Anwendbarkeit - der Vertrag gilt grundsätzlich fiir alle Dienstleistungssektoren6 • Um die Reichweite des Vertrages im einzelnen zu bestimmen, ist zu klären, in welcher Weise die Begriffe der Dienstleistung, des internationalen Handels mit Dienstleistungen und der Maßnahme bestimmt werden. 1. Der Begriff der Dienstleistung

Entsprechend Art. lAbs. 3 b GATS schließt der Begriff ,,Dienstleistungen" jede Art von Dienstleistung in jedem Sektor mit Ausnahme solcher Dienstleistungen ein, die in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht werden.

S. dazu unten C V 2. Art. lAbs. 1 GATS. 6 Vgl. Schott/Buurman, The Uruguay Round, An Assessment, S. 100 f.; Etter, Das Dienstleistungsabkommen der Uruguay-Runde und seine Bedeutung für die Schweiz, in: Cottier(Hrsg.), S. 91,96. 4

S

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

a) Die fehlende Legaldefinition

Die Begriffsbestimmung in Art. lAbs. 3 b GATS stellt keine Legaldefinition der Dienstleistungen dar, da es darin an einer Abgrenzung der Dienstleistung gegenüber der Ware mangelt. Über eine allgemeingültige Definition konnten sich die Vertragsstaaten im Verlauf der Verhandlungen nicht einigen'. Dies verwundert nicht, da letztlich eine trennscharfe begriffiiche Eingrenzung der Dienstleistung nicht zu finden ist'. Der Mangel einer Legaldefinition fUhrt dazu, daß sich die Vertragsparteien nunmehr jeweils im einzelnen darüber einigen müssen, ob eine kommerzielle Aktivität eine Dienstleistung im Sinn des GATS darstellt oder nicht. Der Vertrag verzichtet allerdings auch darauf, die im Verlauf der Verhandlungen entwickelte Sektorenliste9 zu einem integralen Bestandteil des Übereinkommens zu erklären lo • So gibt diese Liste zwar einen Anhaltspunkt hinsichtlich der Frage, auf welche Bereiche sich das GATS aktuell bezieht. Hinsichtlich des ganz überwiegenden Teils der Dienstleistungen wird sich mithin ein Abgrenzungsproblem hinsichtlich des Anwendungsbereichs des Vertrages nicht stellen. Jedoch wird es jeweils dann zu Schwierigkeiten kommen, wenn sich durch den technologischen Fortschritt oder aufgrund veränderter Marktstrategien ,,neue" Dienstleistungen ausbilden. Hier wird dann die Frage der Anwendbarkeit des GATS im Verhandlungswege zu klären sein". Indem die Mitgliedsstaaten des GATS das Übereinkommen nicht mit einer Legaldefinition der Dienstleistung versehen haben, haben sie ihre Orientierung an dem normative Vorbild des Vertrages, dem GATT, zu erkennen gegeben. Denn das GATT verfUgt seinerseits über keine begriffiiche Definition der Ware l2 •

b) Der Grundsatz der universellen Geltung in allen Dienstleistungssektoren Das GATS schließt ausdrücklich keinen Dienstleistungssektor aus seinem Geltungsbereich aus. Daher läßt sich davon sprechen, daß der Vertrag vom

, Vgl. Barth, EuZW 1994, S. 455,455. S. dazu oben A I I b-d. 9 Services Sectoral Classification List, GATT-Dokument MTN GNS/w/120 (10.07.1991), abgedruckt bei SauvantlWeber (Hrsg.), Binder I, S. XXV-XXVII!; S. dazu schon oben All c und B I! 3 c bb. 10 Vgl. dazu oben schon All c. " A. A. Barth, EuZW 1994, S. 455, 455, der davon ausgeht, daß der Mangel einer Legaldefinition ,,keine praktischen Schwierigkeiten" bereiten wird. 12 Vgl. dazu oben schon All d. I

11. Der sachliche Geltungsbereich des GATS

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Grundsatz der universellen Geltung des GATS-Liberalisierungsrahmens in allen Dienstleistungssektoren geprägt istl). Hinsichtlich des Umfangs der für jeden einzelnen Dienstleistungssektor geltenden Verpflichtungen läßt sich Art. XXVIII lit. e GATS eine Differenzierung entnehmen, die sich an der bereits angesprochenen Unterscheidung zwischen den allgemeinen und spezifischen Verpflichtungen orientiert. Bei der Frage, ob eine der spezifischen Verpflichtungen des Teil III für einen bestimmten Dienstleistungssektor gilt, ist die jeweilige Verpflichtungsliste eines Landes maßgebend. Da in diesen Listen in Anlehnung an die Sektorenliste eine weitere Binnendifferenzierung nach Teilsektoren vorgenommen wird, ist hier jeweils zu fragen, ob die spezifischen Verpflichtungen nur in einem, in mehreren oder in allen Teilsektoren der betreffenden Dienstleistung gelten sollen '4• In bezug auf die Geltung der allgemeinen Verpflichtungen des Teil 11 nimmt das GATS demgegenüber keine Differenzierung vor. Sie gelten in der "Gesamtheit des betreffenden Dienstleistungssektors einschließlich aller seiner Teilsektoren"'s.

c) Der Ausschluß der in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbrachten Dienstleistungen Unabhängig von der Frage der universellen Geltung des GATS in allen Dienstleistungssektoren bestimmt der Vertrag jedoch eine wesentliche Ausnahme hinsichtlich seines Anwendungsbereichs. Er gilt nicht für Dienstleistungen, die in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht werden. Darunter ist gemäß Art. lAbs. 3 c GATS jede Art von Dienstleistung zu verstehen, die weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Dienstleistungserbringern erbracht wird. Ein Staat kann sich mithin den Verpflichtungen des GATS nicht dadurch entziehen, daß er sich hinsichtlich seines eigenen Handeln als Dienstleistungsanbieter auf die Ausübung hoheitlicher Gewalt beruft 16. Sofern er nämlich als ein Anbieter unter anderen auftritt, muß er sich die eingegangenen Liberalisierungsverpflichtungen entgegenhalten lassen. Umgekehrt greift das GATS nicht,

I) So etwa Barth, EuZW 1994, S. 455, 455, der vom Prinzip des ,,\Uliversellen Dekk\Ulgsbereiches" spricht; vgJ. auch Messerlin, La nouvelle organisation mondial du commerce, S. 228, der von der "portee \Uliverselle" spricht. 14 Art. XXVIII Ht. ei GATS. IS Art. XXVIII Ht. e ii GATS. 16 McGovern, International Trade Regulation, § 31. 111; Messerlin, La nouvelle organisation mondiale du commerce, S. 229.

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

wenn der Staat in dem betreffenden Sektor als alleiniger Anbieter auftritt und nicht mit Gewinnabsicht handelt l7 • 2. Der Begriff des Handels mit Dienstleistungen

Der Begriff des Handels mit Dienstleistungen wird in Art. lAbs. 2 GATS definiert. Das GATS verfUgt auch diesbezüglich über de weitestmöglichen Geltungsbereich, da alle denkbaren Formen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen vom Liberalisierungsrahmen des Übereinkommens erfaßt werden". Auch der Begriff der Erbringung selbst wird weit aufgefaßt. Er umfaßt entsprechend der Begriffsbestimmung in Art. XXVIII lit. b GATS die Produktion, den Vertrieb, die Vermarktung, den Verkauf und die Bereitstellung der Dienstleistung. Im folgenden sollen zum einen die vom GATS erfaßten Erbringungsformen vorgestellt werden und in bezug zu dem oben entwickelten Begriff des internationalen Dienstleistungshandels gesetzt werden. Zum anderen ist auf die Differenzierung zwischen der natürlichen und der juristischen Person als Beteiligte an der jeweiligen Dienstleistungstransaktion einzugehen. a) Die vom GATS erfaßten Formen der Dienstleistungserbringung

aa) Direkte international handelbare Dienstleistungen (Art. lAbs. 2 a GATS) Gemäß Art. lAbs. 2 a GATS ist zunächst unter dem Handel mit Dienstleistungen zu verstehen, daß eine Dienstleistung "aus dem Hoheitsgebiet eines Mitglieds in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitglieds" erbracht wird. Hiermit werden die Dienstleistungen erfaßt, die im Rahmen dieser Untersuchung als direkte international handelbare bezeichnet worden sind l9 • Die an der Transaktion beteiligten Handelspartner verbleiben dabei jeweils in ihrem Wohnsitzland, während die Dienstleistung als solche die Grenze passiert. Der Handelsvorgang weist daher eine parallele Struktur mit dem des Warenhandels auf.

17 Etter, Das Dienstleistungsabkommen der Uruguay-Runde und seine Bedeutung fiir die Schweiz, in: Cottier (Hrsg.), S. 91, 96; Messerlin, La nouvelle organisation mondiale du commerce, S. 229. 11 S. dazu auch UNCTAD, The Outcome of the Uruguay Round: An Assessment,

S.154. 19

S. dazu oben A I 2 a.

II. Der sachliche Geltungsbereich des GATS

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bb) Dienstleistungen in Verbindung mit der internationalen Wanderung der Dienstleistungsnutzer (Art. lAbs. 2 b GATS) Gemäß Art. lAbs. 2 b GA TS ist weiterhin unter Handel mit Dienstleistungen zu verstehen, daß die Dienstleistung "im Hoheitsgebiet eines Mitglieds an den Dienstleistungsnutzer eines anderen Mitglieds" erbracht wird. Dies betrifft die Dienstleistungen, die in Verbindung mit der internationalen Wanderung der Nachfrager erbracht werden 20 • Nach der Terminologie des GATS wird der Nachfrager als "Dienstleistungsnutzer" bezeichnet21 • Die Dienstleistung wird hier also im Hoheitsgebiet eines GATS-Mitgliedes gegenüber dem Nutzer aus einem anderen GATS-Mitgliedsstaat erbracht. cc) Dienstleistungen in Verbindung mit der internationalen Wanderung der Dienstleistungserbringer (Art. lAbs. 2 c und d GATS) Die beiden anderen vom GATS erfaßten Erbringungsformen betreffen Dienstleistungstransaktionen, die durch die internationale Wanderung der Dienstleistungsanbieter zustande kommen. Der Dienstleistungsanbieter wird in der Terminologie des Übereinkommens als Dienstleistungserbringer bezeichnef2• Das Übereinkommen differenziert weitergehend zwischen zwei Formen der Erbringung in diesem Bereich, die sich durch Art und Dauer des Aufenthaltes des Erbringers im Hoheitsgebiet des anderen GATS-Mitgliedes unterscheiden. Zum einen wird die Erbringung mittels kommerzieller Präsenz (Art. lAbs. 2 c GATS), zum anderen die Erbringung mittels Präsenz natürlicher Personen (Art. lAbs. 2 d GATS) erfaßt. (1) Erbringung mittels kommerzieller Präsenz (Art. lAbs. 2 c GATS)

Gemäß Art. lAbs. 2 c GATS ist also unter Handel mit Dienstleistungen zu verstehen, daß die Dienstleistung "durch einen Dienstleistungserbringer eines Mitglieds mittels kommerzieller Präsenz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitglieds" erbracht wird. Unter dem Begriff der kommerziellen Präsenz ist gemäß Art. XXVIII lit. d GATS jede Art geschäftlicher oder beruflicher Niederlassung zu verstehen. Mit dieser Erbringungsform wird also der gesamte Bereich der Dienstleistungserbringung im Wege der ausländischen Direktinvestition er-

S. dazu oben A I 2 c. Vgl. dazu auch die ergänzende Begriffsbestimmung in Art. XXVIII lit. i GATS. 22 Vgl. die ergänzende Begriffsbestimmung in Art. XXVIII lit. g GATS.

20

21

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

faßt 21 • Die Niederlassoog des Erbringers im Hoheitsgebiet eines anderen GATS-Mitgliedes kann dabei alle möglichen Formen annehmen. Art. XXVIII lit. d GATS erwähnt diesbezüglich zum einen die Errichtoog, den Erwerb oder die Fortführung einer juristischen Person24 ood zum anderen die Fortführung einer Zweigstelle oder einer Repräsentanz2s • Da diese konkreten Formen der Niederlassoog nur "ooter anderem" genannt werden, ist davon auszugehen, daß das GATS mit dieser Erbringoogsform jegliche Art der dauerhaften Niederlassoog eines DienstleistW1gserbringers im Hoheitsgebiet eines anderen GATSMitgliedes erfaßt26 • (2) Erbringung mittels Präsenz natürlicher Personen (Art. lAbs. 2 d GATS)

Schließlich ist gemäß Art. lAbs. 2 d GATS ooter Handel mit Dienstleistoogen zu verstehen, daß die DienstleistW1g "durch einen Dienstleistoogserbringer eines Mitglieds mittels Präsenz natürlicher Personen eines Mitglieds im Hoheitsgebiet eines anderen Mitglieds" erbracht wird. Zooächst ergibt sich aus der Gegenüberstelloog dieser Erbringoogsform mit der von Art. lAbs. 2 c GATS erfaßten Erbringoogsform, daß hiermit die GrenzüberschreitW1g einer natürlichen Person zum Zweck der Erbringoog einer DienstleistW1g im Hoheitsgebiet eines anderen GATS-Mitgliedes gemeint ist, wobei sich der Aufenthalt der natürlichen Person auf die Dauer der Erbringoog beschränkt21 • Darüber hinaus ergeben sich jedoch insofern AbgrenzW1gsschwierigkeiten, als auch für die ooter Art. lAbs. 2 c GATS erfaßte Erbringoogsform mittels kommerzieller Präsenz die Anwesenheit von natürlichen Personen notwendige Voraussetzoog ist. Will etwa eine VersicheTW1gsgesellschaft eine Tochtergesellschaft in einem anderen Land eröffnen, so bedarf es allein zur ErrichtW1g dieser Niederlassoog vieler VorbereitW1gshandloogen. Reist zu diesem Zweck ein Repräsentant der Gesellschaft in den anderen Staat ein, stellt sich die Frage, ob dies von der Erbringoogsform der kommerziellen Präsenz oder der Präsenz natürlicher Personen erfaßt ist. Von BedeutW1g ist diese Einordnoog deshalb, weil die GATS-Mitglieder die Handelsbedingoogen, an die sie sich im Rahmen ihrer spezifischen VerpflichtW1gen binden, jeweils in bezug auf die einzelnen Erbringoogsformen festlegen.

23 Vgl. zu dem Begriff oben A I 2 b bb; S. außerdem Hoekman, Assessing the General Agreement on Trade in Services, in: MartinlWinters (Hrsg.), S. 327, 329; Messerlin, La nouvelle organisation mondiale du commerce, S. 229. 24 Art. xxvrn lit. d i GATS. 2S Art. XXVIII lit. d ii GATS. 26 McGovern, International Trade Regulation, § 31.111. 21 McGovern, International Irade Regulation, § 31.111.

11. Der sachliche Geltungsbereich des GATS

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Der Konzeption des GATS ist diesbezüglich zu entnehmen, daß die beiden Erbringungsformen, die die internationale Wanderung der Dienstleistungserbringer betreffen, als distinkte HandlWlgsformen auseinanderzuhalten sindlI. NiederlassWlgsrechtliche Fragen werden von Art. lAbs. 2 c GATS erfaßt, Fragen der PersonenbewegWlg von Art. lAbs. 2 d GATS. Gleichzeitig ist jedoch festzustellen, daß in der Praxis ein bestimmter Handelsvorgang beide Erbringungsformen ins Spiel bringen kann. Im Beispiel der Errichtung der AuslandsniederlassWlg durch eine Versicherungsgesellschaft bedeutet dies, daß hinsichtlich der Einreise Wld der HandlWlgen des Repräsentanten Art. lAbs. 2 d GATS einschlägig ist, während in bezug auf die niederlassWlgsrechtlichen Fragen allein Art. lAbs. 2 c GATS eingreift:. Zur weiteren Eingrenzung der von Art. lAbs. 2 d GATS erfaßten Form der grenzüberschreitenden DienstleistungserbringWlg ist über diese Erwägungen hinaus der besondere Vertragsanhang heranzuziehen. Diese ,,Anlage zum grenzüberschreitenden Verkehr natürlicher Personen, die im Rahmen des Übereinkommens Dienstleistungen erbringen" soll im vierten Teil dieser Arbeit eingehend Wltersucht werden. dd) ZusammenfassWlg Der Begriff des internationalen Handels mit Dienstleistungen, wie er vom GATS verwendet wird, entspricht der weiten, im Rahmen dieser UntersuchWlg entwickelten Defmition29 • Insbesondere bezieht sich das GATS ausdrücklich auch auf den gesamten Bereich der internationalen Investitionstätigkeit im Dienstleistungssektor Wld erweitert damit den bisher üblichen Handelsbegriff, wie er im Warensektor entwickelt worden ist, in erheblichem Umfang Jo• Darüber hinaus erfaßt das Übereinkommen auch die GrenzüberschreitWlg von natürlichen Personen zum Zweck der NutZWlg oder der Erbringung einer Dienstleistung. Diese Erbringungsformen werden zwar von dem traditionellen Handeisbegriff erfaßt, da sich dieser an dem Wohnsitzprinzip orientiertli. Jedoch wird auch mit der EinbeziehWlg dieser Transaktionsformen Neuland, betreten, da die Grenzüberschreitung natürlicher Personen im Warenhandel, auf den sich der Begriff des internationalen Handels bezog, eine Wltergeordnete Rolle spielt. Dementsprechend enthält das GATT keine RegelWlg hinsichtlich des grenz-

21 Hoekman/Sauve, Liberalizing Trade in Services, S. 30; vgl. Messer/in, La nouvelle organisation mondiale du commerce, S. 229. 29 Vgl. dazu oben A I 2 a-e. JO Barth, EuZW 1994, S. 455, 456; UNCTAD, Liberalizing International Transactions in Services, S. 140. JI S. dazu oben A I 2.

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

überschreitenden Verkehrs natürlicher Personen, der im Zusammenhang mit der Warenein- oder ausfuhr steht. Im Dienstleistungshandel ist die Grenzüberschreitung natürlicher Personen dagegen notwendige Voraussetzung der Erbringung, wenn diese die physische Präsenz von Erbringer und Nutzer erfordert. Schließlich ist festzustellen, daß das GATS die Erbringung einer Dienstleistung, die in Verbindung mit der internationalen Wanderung des Erbringers und des Nutzers steht und also in einem Drittland stattfindet, nicht als gesonderte Kategorie behandelt32 • Dies ist konsequent, da es sich hierbei um eine Mischform der internationalen Wanderung des Erbringers, die von Art. I Abs. 2 c GATS und derfaßt wird, und derjenigen des Nutzers, die von Art. I Abs. 2 b GATS erfaßt wird, handele 3 • b) Die Beteiligten des Dienstleistungshandels

Die Beteiligten einer Dienstleistungstransaktion werden vom GATS als ,,Erbringer" und "Nutzer" bezeichnet34 • Dabei kann es sich gemäß der Begriffsbestimmung in Art. :XXVIII lit. j GATS sowohl um eine natürliche Person als auch um eine juristische Person handeln. aa) Die natürliche Person als Erbringer oder Nutzer einer Dienstleistung Der Begriff der ,,natürlichen Person eines anderen Mitgliedes" wird in Art. :XXVIII lit. k GATS definiert. Er ist stets dann von Bedeutung, wenn die Dienstleistungserbringung den Grenzübertritt einer natürlichen Person erfordert. Bei der Frage, ob gegenüber einer natürlichen Person die Handelsbedingungen gelten, wie sie sich aus dem GATS bzw. aus den Listen der spezifischen Verpflichtungen der GATS-Mitglieder ergeben, ist jeweils zu klären, ob die Person einem anderen GATS-Mitglied angehört. Nur dann kann sie in den Genuß der Handelsvorteile des GATS gelangen, da diese nur die GATSMitgliedsstaaten binden35 • Zur Bestimmung des Begriffs der natürlichen Person eines anderen Mitgliedes legt Art. :XXVIII lit. k GATS zwei Kriterien fest. Einerseits kommt es darauf an, daß die Person im Hoheitsgebiet des betreffenden anderen GATSMitglied ansässig ise 6 • Entscheidend ist also, daß die Person ihren Wohnsitz in

S. dazu oben A I 2 d. S. dazu oben schon A I 2 d. 34 Art. XXVIII lit. g und lit. i GATS. 35 S. dazu Hoekman, JWTL 1993 (Vol. 27), S. 81, 89 f. 36 Art. XXVIII lit. k GATS am Anfang. 32

33

II. Der sachliche Geltungsbereich des GATS

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dem anderen GATS-Mitgliedsstaat hat. Andererseits ist erforderlich, daß die Person nach dem Recht des anderen GATS-Mitgliedsstaates Staatsangehöriger dieses Staates ist oder ein Recht auf dauerhaften Aufenthalt in diesem genießt 37 • Da das GATS hinsichtlich der Kriterien der Staatsangehörigkeit keine weiteren Bestimmungen trifft, sondern lediglich auf das Recht des einzelnen Staates verweist, ist neben diesem jeweiligen innerstaatlichen Recht das allgemeine Völkerrecht heranzuziehen, das hinsichtlich der Verleihung der Staatsangehörigkeit gewisse Grenzen aufstelles. Entscheidend ist dabei das Prinzip der "genuine connection" oder auch des "genuine link". Danach muß zwischen dem Staat und der natürlichen Person, der er die Staatsangehörigkeit verleiht, eine tatsächlich nähere Beziehung bestehen, die enger ist als die Beziehung zu anderen Staaten'·. Existiert diese Beziehung nicht, ist die Verleihung für andere Staaten nicht rechtsverbindlich. Dieses Prinzip hat sich seit dem Urteil des International Gerichtshofes im Nottebohm-Fall durchgesetzt4o • Bezüglich der Möglichkeit, daß die natürliche Person statt über die Staatsangehörigkeit des anderen GATS-Mitgliedes über ein Recht auf dauerhaften Aufenthalt in dem betreffenden anderen Staat verfügt, stellt das Übereinkommen zusätzliche Anforderungen auf. Diese Möglichkeit wird nur in zwei Fällen zugelassen. Zum einen genügt das Aufenthaltsrecht, wenn das betreffende andere GATS-Mitglied keine Staatsangehörigen hat4l • Zum anderen ist das Aufenthaltsrecht statt der Staatsangehörigkeit ausreichend, wenn ein GATS-Mitglied seinen dauerhaft Gebietsansässigen in bezug auf Maßnahmen, die den Handel mit Dienstleistungen betreffen, im wesentlichen dieselbe Behandlung wie seinen eigenen Staatsangehörigen gewährt42 •

Art. XXVIII Iit. k i und ii GATS. Vgl. McGovern, International Trade Regulation, § 31.112; allgemein zur Staatsangehörigkeit natürlicher Personen im Völkerrecht Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, Theorie und Praxis, §§ 1191 ff.; Epping, Die Personalhoheit, in: Ipsen, Völkerrecht, § 24 Rn 4 ff.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rn 1310 ff. ,. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, Theorie und Praxis, § 1194; Epping, Die Personalhoheit, in: Ipsen, Völkerrecht, § 24 Rn 6. 40 ICJ Reports 1955, S. 4 ff., insbesondere S. 23; vgl. dazu Kunz, AJIL 1960 (Vol. 54), S. 536 ff.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, Theorie und Praxis, § 1194. 41 Art. XXVIII lit. k ii Ziff. 1 GATS; diese Alternative bezieht sich auf GATSMitglieder wie die Europäische Union, die kein Staat im klassischen Sinn sind und daher auch über keine Staatsangehörigen verfiigen. Die Bürger der Europäischen Union, die neben den einzelnen Mitgliedsstaaten der WTO angehört, besitzen gemäß Art. 8 EGV die sog. Unions bürgerschaft, die das Recht umfaßt, ,.sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten ( ... ) zu bewegen und aufzuhalten". 42 Art. XXVIII lit. k ii Ziff. 2 Satz 2 GATS. Hierfiir ist allerdings erforderlich, daß der betreffende GATS-Mitgliedsstaat diese Gleichbehandlung in seiner Urkunde über die Annahme des WTO-Übereinkommens notifiziert hat. Eine geringe Anzahl solcher 37 J8

7 Kochlcr

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C. Das GATS als Rahmenregelung des DienstIeistungshandels

bb) Die juristische Person als Erbringer oder Nutzer einer Dienstleistung Der Begriff der juristischen Person wird im Rahmen der Begriffsbestimmungen des Art. XXVIII GATS in zweifacher Hinsicht gefaßt. Zum einen enthält Art. XXVIII GATS die Definition eines allgemeinen Begriffs der juristischen Person (lit. 1), zum anderen findet sich dort die spezifische Verwendung des Terminus ,Juristische Person eines anderen Mitgliedes" (lit. m)43. Allgemein ist im Rahmen des GATS unter einer juristischen Person eine nach geltendem Recht ordnungsgemäß gegründete oder anderweitig errichtete rechtsfähige Organisationseinheit zu verstehen, unabhängig davon, ob sie der Gewinnerzielung dient oder nicht und ob sie sich in privatem oder staatlichen Eigentum befindet44 • Der Begriff der ,Juristischen Person eines anderen Mitgliedes" gewinnt dagegen immer dann an Relevanz, wenn festgestellt werden muß, ob eine bestimmte rechtsfahige Organisationsform einem GATS-Mitgliedsstaat zugeordnet werden kann". Die Zugehörigkeit der juristischen Person zu einem Staat stellt mithin das Pendant zur Staatsangehörigkeit der natürlichen Person dar46 • Wie bei der Anerkennung der Staatsangehörigkeit natürlicher Personen zieht das allgemeine Völkerrecht auch der Anerkennung der Staatszugehörigkeit einer juristischen Person gewisse Grenzen47 • Als zulässige Anknüpfungspunkte gelten vier unterschiedliche Kriterien. Hierbei handelt es sich um (1) den Sitz der juristischen Person, (2) das Zentrum ihrer Geschäftstätigkeit, (3) das Recht, nach dem sie gegründet worden ist, und (4) die Staatsangehörigkeit der Personen, von denen sie beherrscht wird41 • Hinsichtlich der Erbringungsformen, die keine Auslandsniederlassung erfordern, stellt das GATS zur Bestimmung der

Notifikationen ist von einigen GATS-Mitgliedern bereits vorgenommen worden, vgl. dazu McGovern, International Trade Regulation, § 31.112. 43 Hervorhebung durch Verfasser. 44 Dieses extrem weite Begriffsverständnis wird durch die beispielhafte Aufzählung der Organisationseinheiten verdeutlicht, die als juristische Person zu verstehen sein sollen. Art. XXVIII Iit. I GATS erwähnt Kapitalgesellschaften, treuhänderisch tätige Einrichtungen, Personengesellschaften, Gemeinschaftsunternehmen und Verbände. 4' S. dazu Hoekman, JWTL 1993 (Vol. 27), S. 81, 89 f. 46 Aufgrund der Differenz zwischen natürlichen und juristischen Personen wird bei letzteren vielfach nicht von Staatsangehörigkeit, sondern von Staatszugehörigkeit gesprochen, vgl. Epping, Die Personalhoheit, in: Ipsen, Völkerrecht, § 24 Rn 22; SeidlHohenveldern, Völkerrecht, Rn 1342. 47 Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rn 1342; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, Theorie und Praxis, § 1204; Mann, Zum Problem der Staatsangehörigkeit der juristischen Person, in: Fs f. M WoljJ, S. 271 ff. 41 Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rn 1343 f.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, Theorie und Praxis, § 1204.

11. Der sachliche Geltungsbereich des GATS

99

Staatszugehörigkeit auf das Gründungsrecht und das Zentrum der Geschäftstätigkeit ab 49 • Demgegenüber ist bei der Erbringung in der Form der kommerziellen Präsenz (Art. lAbs. 2 c GATS) das Kontrollprinzip entscheidend50• Danach kommt es darauf an, welcher Staatsangehörigkeit bzw. welcher Staatszugehörigkeit die natürliche oder juristische Personen sind, in deren Eigentum die juristische Person51 steht oder die diese beherrschen52• 3. Der Begriff der Maßnahme

Das GATS ist auf die fortschreitende Liberalisierung des internationaler Dienstleistungshandels gerichtet53 • Dazu bedarf es der Beseitigung der Handeishemmnisse, die den Dienstleistungsverkehr in vielfaltiger Form behindern54 • Diese Handelshemmnisse werden in der Terminologie des GATS lediglich als ,,Maßnahmen" bezeichnet. a) Das staatliche Handeln als Handelshindernis

Unter einer Maßnahme ist entsprechend der Begriffsbestimmung des Art. XXVIII lit. a GATS jede staatliche Handlung eines GATS-Mitgliedes zu verstehen, unabhängig davon, ob sie in Form eines Gesetzes, einer sonstigen Vorschrift, einer Regel, eines Beschlusses, eines Verwaltungshandeln oder in sonstiger Form vorgenommen wird. Diese DefInition ist mithin so weit gefaßt, daß jegliches Handeln eines GATS-Mitgliedsstaates, das sich als Beeinträchtigung einer Dienstleistungstransaktion in seinem Hoheitsbereich erweist, davon erfaßt wird. Anders als das GATT verfügt das GATS damit über einen allgemeinen Begriff der Handelsbarrieren, deren Abbau beabsichtigt ist. Der Mangel 49 Art. XXVIII Iit. m i GATS; vgl. McGovern, International Trade Regulation, §31.112. 50 Art. XXVIII Iit. m ii GATS; vgl. McGovern, International Trade Regulation, §31.112. 51 Eine juristische Person steht im Eigentum von Personen eines Mitglieds, wenn sich mehr als 50 % ihres Eigenkapitals im wirtschaftlichen Eigentum von Personen des betreffenden Mitglieds befinden, S. Art. XXVIII Iit. n i GATS; S. dazu auch UNCTAD, The Outcome ofthe Uruguay Round: An Inititial Assessment, S. 154. 52 Von Beherrschung wird gesprochen. wenn die Personen befugt sind, die Mehrheit der Direktoren der juristischen Person zu benennen oder deren Tätigkeit auf andere Weise rechtlich bestimmen, vgl. Art. XXVIII Iit. n ii GATS. 53 S. Satz 2 der Präambel des GATS. 54 S. allgemein zu den Handelshemmnissen im internationalen Dienstleistungsverkehr oben A II 1-3.

7*

100

C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

einer solchen Definition im Rahmen des GATT ist darauf zurückzuführen, daß das GATT im Zeitpunkt seiner Gründung im wesentlichen den Abbau der Zollschranken intendierte, während die sog. nicht-tarifären Handelshemmnisse erst im Verlauf der sechziger und vor allem der siebziger Jahre ins Blickfeld rückten". Der Vorzug der allgemeinen Begriffsbestimmung, wie sie im GATS enthalten ist, liegt darin, daß auch solche Handelsbarrieren, die sich erst durch kommende Entwicklungen der Handelspolitik der GATS-Mitgliedsstaaten ergeben werden, vom Geltungsbereich des Übereinkommen erfaßt sein werden und somit zum Gegenstand multilateraler Liberalisierungsverhandlungen gemacht werden können. b) Maßnahmen aller staatlichen Stellen

Wie aus Art. lAbs. 3 a GATS hervorgeht, ist der Begriff der Maßnahme auch insofern weit aufzufassen, als unter der Maßnahme eines Mitglieds jede Maßnahme zentraler, regionaler oder örtlicher Regierungen oder Behörden sowie nichtstaatlicher Stellen in Ausübung hoheitlicher Aufgaben verstanden wird. Ebenso hat jeder GATS-Mitgliedsstaat fiir die Einhaltung der von ihm übernommenen Verpflichtungen durch alle ihm untergeordneten Stellen Sorge zu tragenS6 • c) Maßnahmen hinsichtlich aller Erbringungsformen

Schließlich ergibt sich aus Art. XXVIII lit. c GATS, daß die vom Geltungsbereich des Übereinkommens erfaßten Maßnahmen solche sind, die sich auf die Erbringung von Dienstleistungen in allen erfaßten Erbringungsformen beziehen. Es zeigt sich hieran, daß die Einteilung der Dienstleistungstransaktionen in die vier Erbringungsformen gerade auch dem Zweck dient, die verschiedenen Handelsbarrieren in begriffliche Kategorien fassen zu können. Dadurch entsteht eine Art ,,Raster", in das sich jede Handelsbeschränkung einordnen läßt. Auf diese Weise werden die Handelsbarrieren begrifflich faßbar und als Gegenstand der Liberalisierungsverhandlungen abgrenzbar 7• " Vgl. dazu Senti, GATT - System der Welthandelsordnung, S. 145 ff.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7 Rn 28 ff. S6 Art. lAbs. 3 a Satz 2 GATS; vgl. dazu McGovern, International Trade Regulation, §31.113. S7 Vor diesem Hintergrund erscheint die Einteilung der Transaktionen in Erbringungsformen weniger dem Bedürfuis zu entspringen, dem abstrakten Begriff des internationalen Dienstleistungshandel zu entsprechen, sondern vielmehr der Notwendigkeit zu einer praktischen Verhandelbarkeit der Verhandlungsgegenstände; dieser Umstand

III. Die allgemeinen Pflichten und Disziplinen

101

4. Zusammenfassung Das GATS verfügt über einen sehr weiten sachlichen Geltungsbereich, da der gesamte internationale Dienstleistungsverkehr erfaßt wird. Die Weite des Geltungsbereiches entsteht zunächst dadurch, daß der Begriff der Dienstleistung als solcher nicht definiert wird, jedoch grundsätzlich alle Dienstleistungssektoren erfaßt werden, daß weiterhin alle denkbaren Formen grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung vom Übereinkommen betroffen sind, und daß schließlich alle staatlichen Maßnahmen, die den Dienstleistungshandel behindern, Gegenstand von GATS-Liberalisierungsnormen und -verpflichtungen werden können.

III. Die allgemeinen Pflichten und Disziplinen Die in Teil II des Übereinkommens enthaltenen allgemeinen Pflichten und Disziplinen beziehen sich auf alle Dienstleistungssektoren und können daher als horizontale Verpflichtungen bezeichnet werden. Die Kernelemente dieses Teiles sind die Verpflichtungen zur MeistbegÜllstigung (Art. II GATS) und zur Transparenz (Art. III GATS) sowie die Vorschrift über die gegenseitige Anerkennung von Qualifikationsnormen und -kriterien für die Zulassung von Dienstleistungsanbietern (Art. VII GATS). Außerdem enthält dieser Teil allgemeine Bestimmungen über die Ausnahmen von den GATS-Verpflichtungen (Art. XIV und Art. XlVbis GATS). Die folgende Darstellung konzentriert sich auf diese Kernelemente des Teil II des Übereinkommens. Auf die übrigen Normen des Teil II des Übereinkommens soll zum Teil erst im Zusammenhang mit der Behandlung der spezifischen Verpflichtungen eingegangen werden, da diese Regelungen erst dann relevant werden, wenn das jeweilige GATS-Mitglied solche spezifischen Verpflichtungen übernommen hat. Dies betrifft vor allem die Bestimmungen über die auf den Dienstleistungshandel bezogenen innerstaatlichen Regelungen (Art. VI GATS), über die Zahlungen und Übertragungen (Art. XI GATS) und über die Beschränkungen zum Schutz der Zahlungsbilanz (Art. XII GATS).

erschließt sich weniger aus dem Vertragstext, sondern eher aus dem Kontext des konkreten Ablaufs der Liberalisierungsverhandlungen, vgl. Reiterer, The New Areas of the WTO: Services, TRIMs, TRIPS, in: Breuss (Hrsg.), S.21, 30; Hoekman, General Agreement on Trade in Services, in: OECD Docurnents, S. 177, 177, der davon spricht, daß der Verhandlungsprozeß wesentlich vom Element des "learning by doing" geprägt gewesen sei.

102

C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

Es zeigt sich mithin, daß das nonnative Gefüge des Teil lIdes GATS in zwei Arten von Bestimmungen zu unterteilen ist: solche, die allgemein für alle Dienstleistungssektoren gelten, unabhängig von der individuellen Übernahme spezifischer Liberalisierungsverpflichtungen durch die einzelnen GATSMitglieder, und solche, die bindende Wirkung haben für die Dienstleistungssektoren, die von den GATS-Mitglieder entsprechend den Teilen III und IV des GATS ausdrücklich in den Liberalisierungsprozeß eingebracht worden sind. Zum Teil kann im Rahmen dieser Untersuchung auf die weiterhin in Teil II enthaltenen Nonnen nicht eingegangen werden, da diese Nonnen lediglich rudimentäre Regelungen sind, die noch weiterer Ausfonnung bedürfen. Dies trifft etwa auf die Bestimmungen über das Wettbewerbsrecht zu (Art. VIII und Art. IXV GATS)S'. Der unvollständige Charakter gewisser Regelungsbereiche tritt insbesondere dort zutage, wo das GATS, statt präzise Bestimmungen zu stipulieren, lediglich Verhandlungsmandate für die Ausarbeitung der konkreten Nonnen festlegt. Dies gilt insbesondere für die Bereiche der Notstandsmaßnahmen (Art. X GATS), des öffentlichen Beschaffungswesens (Art. XIII GATS)S9 und des Subventionsrechtes (Art. XV GATS)6O. Diese Verhandlungsmandate verdeutlichen, daß das GATS in seiner jetzigen Fassung noch "unfertig" ist. Bevor in einem umfassenden Sinn von dem Übereinkommen als der Handelsordnung des internationalen Dienstleistungsverkehrs gesprochen werden kann, bedarf es mithin weiterer multilateraler Verhandlungserfolge, durch die die Lücken des GATS-Rechts gefüllt werden. 1. Die Verpflichtung zur Meistbegünstigung (Art. 11 GATS)

Der Grundsatz der Meistbegünstigung ist in Art. II Abs. 1 GATS geregelt. Danach gewährt jedes GATS-Mitglied hinsichtlich aller Maßnahmen den

S8 Die wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen sind bereits insofern entwickelt, als Art. VIII GATS das Problem der Monopole Wld der Dienstleistungsanbieter mit ausschließlichen Rechten einfaßt. Allerdings beschränkt sich die Bestimmung im wesentlichen auf ein Mißbrauchsverbot. Darüber hinaus erkennt Art. IX GATS lediglich an, daß gewisse Geschäftspraktiken wettbewersverzerrend wirken können, sieht zur Bekämpfungjedoch nur die Pflicht der GATS-Mitglieder zur Durchführung von Konsultationen vor; vgl. dazu UNCTAD, The Outcome of the Uruguay Round: An Initial Assessment, S. 158 f.; McGovern, International Trade Regulation, § 31.143. so Bis zum Abschluß der Verhandlungen zur EinbindWlg des öffentlichen Beschaffungswesens in den GATS-Rahmen finden die Vorschriften des Übereinkommens keine Anwendung auf diesen Bereich, vgl. Art. XIII Abs. 1 GATS; dazu UNCTAD, The Outcome ofthe Uruguay Round: An Initial Assessment, S. 160 f. 60 Die Verhandlungsmandate sehen teilweise bestimmte Zeitpläne vor (Art. X und Art. XIII GATS), teilweise beläuft sich die Vorgabe allein in der FeststellWlg, daß überhaupt Verhandlungen aufgenommen werden sollen (Art. XV GATS).

m. Die allgemeinen Pflichten und Disziplinen

103

Dienstleistungen und Dienstleistungserbringern eines anderen Mitgliedes sofort und bedingungslos eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als diejenige, die es den gleichen Dienstleistungen und Dienstleistungserbringern eines anderen Landes gewährt. Diesem Prinzip der Gleichbehandlung aller ausländischen Konkurrenten soll im Rahmen des GATS eine ähnlich zentrale Rolle zukommen wie in dem des GATT. Allerdings lassen sich erhebliche Differenzen zwischen dem Meistbegünstigungskonzept des GATT und dem des GATS feststellen. Während nämlich die Regelungen des Meistbegünstigungsgrundsatzes in Art. 11 des GATS und Art. lAbs. 1 des GATT auf eine identische Struktur dieser Verpflichtung in beiden Verträgen schließen lassen könnte, ergeben sich hinsichtlich der möglichen Anmeldung von individuellen Ausnahmen von dem Grundsatz erhebliche Unterschiede zwischen dem GATT und dem GATS. a) Der Grundsatz Der Regelungskern der Meistbegünstigungsverpflichtung ist in dem Gebot der Gleichbehandlung der ausländischen Konkurrenten und dem Verbot der Diskriminierung gegenüber Anbietern aus bestimmten Herkunftsländern zu sehen61 • Gewährt ein Staat A einem Staat Beinen Handelsvorteil, so hat der Staat C automatisch Anspruch auf Gewährung desselben Vorteils durch den Staat A, sofern die Staaten A und C durch den Meistbegünstigungsgrundsatz gebunden sind. Die Meistbegünstigung bewirkt also stets die Ausweitung bilateral gewährter Handelsvergünstigungen auf andere Handelspartner62 • Diese auch als Multilateralisierung bezeichnete Wirkung führt dazu, daß ein allgemeines, d. h. fiir alle Handelspartner gleiches Niveau der Handelsbedingungen geschaffen wird. Durch diesen Mechanismus wird die Zersplitterung der weltweiten Handelsbeziehungen in bilaterale Sonderverhältnisse verhindert61 • aa) Anwendungsbereich Der Grundsatz bezieht sich auf alle Maßnahmen, die ein GATS-Mitglied gegenüber den Dienstleistungen und Dienstleistungserbringern eines anderen

61 Vgl. Senfi, GATT - System der Welthandelsordnung, S. 100 u. 105; Mestmäcker, Free Trade in Services: Regional and Global Perspectives, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Rules for Free Trade, S. 9, 16 f. 62 Senti, Das GATT - System der Welthandelsordnung, S. 106; Herdegen, internationales Wirtschaftsrecht, § 7 Rn 23. 63 Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht. S.61 f.; Krommenacker, World-Traded Services, S. 168.

104

C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

Mitgliedsstaates ergreift. Während das GATT die Meistbegünstigungsbehandlung lediglich in Hinsicht auf das Produkt der Ware anordnet, gilt sie im GATS also sowohl bezüglich des Produktes der Dienstleistung als auch bezüglich des Produzenten, den Dienstleistungserbringer. Diese Differenz hat ihren Grund darin, daß im internationalen Warenhandel allein die Ware die Grenze überquert, während in drei der vier vom GATS erfaßten Formen der Dienstleistungserbringung die Grenzüberschreitung eines der Handelspartner notwendige Voraussetzung des Zustandekommens der Transaktion ist64 • Daher muß die Meistbegünstigungspflicht gerade auch die Gleichbehandlung der am Handel beteiligten Personen einbeziehen. bb) Gleichbehandlungsmaßstab Maßstab der zu gewährenden Gleichbehandlung ist eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als diejenige, die den Dienstleistungen und Dienstleistungserbringern eines anderen Landes gewährt wird. Es kommt mithin nicht nur auf die Handelsbedingungen an, die der betreffende GATS-Mitgliedsstaat anderen GATS-Mitgliedsstaaten gewährt6s • Vielmehr ist als Maßstab die Behandlung jedes anderen Landes heranzuziehen, unabhängig davon, ob dieses Landes GATS-Mitglied ist oder nicht66 • Problematisch könnte die Beantwortung der Frage sein, wann ein Dienstleistung oder ein Dienstleistungserbringer als "gleich" im Sinn des Art. 11 Abs. 1 GATS zu bezeichnen sind. Im Rahmen des GATT, das in paralleler Weise die Gleichbehandlung mit "gleichartigen" Waren verlangt, bewegt sich die Definition zwischen zwei Deutungsalternativen67 • Entweder stellt man darauf ab, daß die zu vergleichenden Waren in ihrer Beschaffenheit identisch sind, oder man konzentriert sich auf die Feststellung, die Waren ständen auf dem betreffenden Markt in unmittelbarer Konkurrenz6 '. Die liberale Ausrichtung des GATT wird gemeinhin dahingehend verstanden, den Begriff der Gleichartigkeit möglichst weit zu fassen und daher eher die Orientierung an dem Kriterium des Konkurrenzverhältnisses zu wählen6". S. dazu oben A I 2 und C II 2 a. Vgl. zu Art. I des GATT Sen!i, GATT- System der Welthandelsordnung, S. 106. 66 Vgl. zu Art. I des GATT Küng, Das Allgemeine Abkommen über Zölle und Handel (GATT), S. 11. 67 S. dazu Art. lAbs. 1, II Abs. 2, III Abs. 4, VI Abs. 1 a und b, IX Abs. 1, XI Abs. 2 C, XIII Abs. 1, XVI Abs. 4 des GATT, vgl. Sen!i, GATT - System der Welthandelsordnung, S. 109. 68 McGovern, International Trade Regulation, § 8.122; Jackson, World Trade and the Law ofthe GATT, S. 260 f. 69 Vgl. Sen!i, GATT - System der WelthandeIsordnung, S. 109. 64 6S

III. Die allgemeinen Pflichten und Disziplinen

105

In ähnlicher Weise wird wohl auch im Rahmen des GATS bei der Bestimmung der Gleichheit von Dienstleistungen bzw. von verschiedenen Dienstleistungserbringem zu verfahren sein70 • Allerdings ist diesbezüglich abzuwarten, wie in konkreten Streitfällen etwa im Rahmen von Streitbeilegungsverfahren entschieden werden wird 7 '. cc) Sofortige Meistbegünstigung Wie im GATT ist auch im GATS der Begriff der sofortigen Meistbegünstigung in der Weise aufzufassen, daß die Gleichbehandlung gleichzeitig gegenüber allen Handelspartnern zu gewähren ist, also ohne zeitlichen Verzug 72 • Insbesondere heißt dies, daß die multilaterale Ausweitung von Handelsvorteilen nicht zwischen einzelnen GATS-Mitgliedem im Sinne eines zeitlichen Nacheinanders differenzieren darf. Es ist also ausgeschlossen, daß einem GATS-Mitglied eine günstige Behandlung gewährt wird, die einem anderen - und sei es auch nur befristet - vorenthalten wird 73 • dd) Bedingungslose Meistbegünstigung Schließlich hat die Meistbegünstigung bedingungslos zu erfolgen. Darunter ist zu verstehen, daß die Gleichbehandlung ohne Anspruch auf Gegenleistungen und Zusatzbedingungen zu gewähren ise4 • Im Rahmen des GATT ist dieses Merkmal der Bedingungslosigkeit der Meistbegünstigung realisiert. Es bedeutet eine deutliche Abkehr von der in den zwanziger Jahres dieses Jahrhunderts praktizierten "bedingten" Meistbegünstigung. Handelsvorteile wurden in dieser Zeit regelmäßig gegenüber Drittstaaten nur dann in Kraft gesetzt, wenn diese "angemessene" Gegenleistungen anzubieten hatten75 •

70

McGovern, International Trade Regulation, § 31. 121.

7' S. zur Streitbeilegung unten C V 2.

S. zu Art. I des GATT Sen!i, GATT - System der Welthandelsordnung, S. 106. CarreaulFlory/Juillard, Droit international economique, S. 107. 74 CarreaulFlory/Juillard, Droit international economique, S. 108; Messerlin, La nouvelle organisation mondiale du commerce, S. 233 f.; diese Art der Meistbegünstigung wird auch als "absolut" bezeichnet. 7S Senti, GATT - System der Welthandelsordnung, S. 106; vgl. auch Küng, Das Allgemeine Abkommen über Zölle und Handel (GATT), S. 11. 72 73

106

C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

(1) Das Problem der bedingungslosen Meistbegünstigung

Im Verlauf der GATS-Verhandlungen war dieser Punkt umstritten 76 • Das Problem der bedingungslosen Meistbegünstigung ist darin zu sehen, daß sie Staaten, die per se über ein liberales Außenhandelsregime verfügen, gegenüber solchen Staaten benachteiligt, deren Märkte für Wettbewerber ausländischer Herkunkt nur unter erschwerten Bedingungen zugänglich sind". Dies liegt daran, daß der Meistbegünstigungsgrundsatz selbst keine Öffnung der Märkte in dem Sinn herbeiführt, daß dadurch liberalere Bedingungen für alle ausländischen Konkurrenten geschaffen würden. Statt dessen bewirkt das Prinzip nur die Ausweitung der bestehenden Handelsbedingungen. Anbieter mit Herkunft aus einem Staat, dessen Handelspolitik restriktiv gegenüber ausländischer Konkurrenz ist, können also in den Genuß von Handelsvorteilen gelangen, ohne daß ihr Herkunftsstaat seinerseits zu einer weitergehenden Marktöffnung genötigt würde". Insbesondere die USA, deren Handelspolitik in einer Reihe von Dienstleistungssektoren als relativ liberal anzusehen ist, traten während der GATSVerhandlungen zeitweilig für die Ausgestaltung des Art. II GATS im Sinne einer bedingten Meistbegünstigung ein". Der Grundsatz der Meistbegünstigung sollte demnach nur Anwendung auf die Dienstleistungssektoren finden, für die die GATS-Mitgliedsstaaten spezifische Verpflichtungen übernehmen würden'o. (2) Art. II Abs. 2 GATS in Verbindung mit dem "Anhang zu Ausnahmen von Artikel Ir

Letztlich wurde von den Verhandlungspartnernjedoch eine andere Herangehensweise gewählt. Dem Grundsatz nach wird die Meistbegünstigung bedingungslos gewährt, wie es Art. II Abs. 1 GATS zu entnehmen ist. Jedoch besteht die Möglichkeit, gemäß Art. II Abs. 2 GATS in Verbindung mit dem ,,Anhang

76

S. dazu schon oben B II 3 b und c aa.

" Messerlin, La nouvelle organisation mondiale du commerce, S. 235 ff.

78 Dieses Phänomen wird mit dem "Schwarzfahrer" (eng!. ,,free rider") verglichen; die Vorteile der MeistbegÜ11stigung werden in Anspruch genommen, ohne dafür ,,zu zahlen", vg!. etwa Reiterer, The New Areas ofthe WTO: Services, TRlMs, TRIPS, in: Breuss (Hrsg.), S.21, 30; Hoekman, General Agreement on Trade in Services, in: OECD Documents, S. 177, 178; BarthlPutscher, Die Bank 1994, S. 132,135. 79 SchottlBuurman, The Uruguay-Round, An Assessment, S. 100; S. dazu auch schon oben B II 3 c aa. 10 S. dazu den von den USA eingebrachten Altemativentwurf des Art. II im sog. Dezember-Entwurf des GATS, abgedruckt in: Stewart (Hrsg.), Vol. III, S. 392 ff., vgl. dazu schon oben B II 3 b.

III. Die allgemeinen Pflichten und Disziplinen

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zu Ausnahmen von Artikel 11" unilateral einzelne Dienstleistungssektoren zu benennen, in denen der Grundsatz nicht uneingeschränkt gelten soll. Auf diese Weise stellt jeder GATS-Mitgliedsstaat "Negativlisten" auf, die diese Meistbegünstigungsausnahmen abschließend aufführen und die integraler Bestandteil des GATS sind". Beabsichtigt ein GATS-Mitglied, gegenüber einem anderen Staat einen Handelsvorteil aufrecht zu erhalten oder zu gewähren, der nur gegenüber diesem und nicht gegenüber anderen GATS-Mitgliedem gelten soll, dann ist ihm dies mithin möglichl2 • Diese Regelung stellt eine Durchbrechung des Meistbegünstigungsgrundsatzes dar. Gleichwohl liegt der Konzeption die Bemühung zugrunde, die Auswirkungen dieser Durchbrechung zu begrenzen, indem die Ausnahmen auf den Negativlisten bestimmten Anforderungen genügen müssen. Zunächst sind die GATS-Mitglieder bei der Benennung der Regelungen, die sie von der Meistbegünstigungswirkung ausnehmen wollen, frei. Will ein GATS-Mitglied jedoch nach dem Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens eine solche Ausnahme anmelden, dann bedarf es dazu gemäß Ziff. 2 der Anlage zu Ausnahmen von Artikel 11 in Verbindung mit Art. IX des WTO-Übereinkommens der Zustimmung von drei Vierteln der GATS-Mitgliedsstaaten. Hierdurch soll verhindert werden, daß die Staaten nach und nach immer neue Ausnahmen von Artikel 11 GATS benennen. Weiterhin sieht die Anlage einen Überprüfungsmechanismus hinsichtlich aller Ausnahmen auf den Negativlisten vor. Spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens obliegt es dem Rat für den Handel mit Dienstleistungen, die Bedingungen zu überprüfen, welche die Notwendigkeit der jeweiligen Ausnahme begründetenIl. Zwar wird der Rat nicht mit der Befugnis ausgestattet, eine Meistbegünstigungsausnahme als unzulässig zu bezeichnen, jedoch bewirkt dieser Überprüfungsmechanismus zumindest den Zwang zur Begründung jeder Ausnahme 14• Schließlich bestimmt die Anlage, daß die Ausnahmen gemäß Art. 11 Abs. 2 GATS grundsätzlich nur von begrenzter Geltungsdauer sein sollen. Entsprechend Ziff. 6 der Anlage sollen sie einen Zeitraum von 10 Jahren nicht überschreiten. In jedem Fall sind die Ausnahmen Gegenstand von Verhandlungen im Rahmen der späteren Liberalisierungsrunden. 11 Vgl. Senti, Die neue Welthandelsordnung, Ergebnisse der Uruguay-Rund, Chancen und Risiken, ORDO 1994 (Vol. 45), S. 301,308. 12 Wartenweiler, Vertragswerk tUr den Dienstleistungshandel - Neues Dossier multilateraler Verhaltensregeln, in: Gemperle/ZellerlWartenweiler (Hrsg.), S.27, 29 f.; Hoekman, Assessing the General Agreement on Trade in Services, in: Martin/Winters (Hrsg.), S. 327, 333. 83 Ziff. 3 und 4 der Anlage zu Ausnahmen von Artikel n. 14 McGovern, International Trade Regulation, § 31.121.

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

Insgesamt fUhrt die von den Vertragsparteien gewählte Konzeption folglich dazu, daß ein Mitglied Vereinbarungen mit anderen Staaten der Meistbegünstigungswirkung entziehen kann, indem sie auf der jeweiligen Negativliste benannt werden. Hat das Mitglied umgekehrt eine solche Ausnahme nicht angemeldet, tritt die Multilateralisierungswirkung automatisch ein. (3) Bewertung

Aufgrund der Möglichkeit, unilateral Meistbegünstigungsausnahmen anzumelden, hat der Meistbegünstigungsgrundsatz eine weit geringere Wirkung im GATS als im GATT. Während der Grundsatz im GATT als ,,Motor" der liberalisierung bezeichnet worden ist '5 , ist im Rahmen des GATS fraglich, ob er nicht durch das Ausnahmeregime des Art. 11 Abs. 2 GATS gänzlich ausgehöhlt werden wird. Unterzieht man die von den GATS-Mitgliedem nach Abschluß der UruguayRunde aufgestellten Negativlisten einer kritischen Überprüfung, so ergibt dies ein Gesamtbild, das erkennen läßt, daß in fast allen bedeutsamen Dienstleistungssektoren erhebliche Ausnahmen vorn Multilateralisierungsgrundsatz des Art. 11 Abs. 1 GATS angemeldet worden sind'6 . Freilich läßt sich auch nicht davon sprechen, daß dem Meistbegünstigungsprinzip im GATT uneingeschränkte Wirkung zukommt. Auch hier gibt es bedeutsame Bereiche, die der Multilateralisierungswirkung entzogen sind, etwa die Präferenzzölle zugunsten der Entwicklungsländerl7 • Gleichwohl ist als markanter Unterschied festzuhalten, daß es den GATT -Vertragsstaaten verwehrt ist, unilateral jeden Handelsvorteil dem Meistbegünstigungsregime zu entziehen, ganz gleich gegenüber welchem Handelspartner er gewährt wird. Anders als der Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 GATS vermuten läßt, handelt es sich im Rahmen des GATS nicht um ein Konzept bedingungsloser Meistbegünstigung. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Herstellung der Multilaterali-

85 Vgl. Hindley, Services, in: Schott (Hrsg.), S. 130,145; S. dazu auch Mrusek, Nachruf auf ein schönes Kürzel, in: F. A. Z. v. 30.12.1995, S. 11, der den Erfolg des GATT als Rahmenregelung zur Liberalisierung des internationalen Warenverkehrs insbesondere auf das in diesem Vertrag durchgesetzte MeistbegÜDstigungskonzept zurückführt. 16 Vor allem drei Dienstleistungssektoren sind von diesen Ausnahmen besonders betroffen, die audiovisuellen Dienstleistungen, die Finanzdienstleistungen sowie das Transportwesen, vgl. die Auswertung der Negativlisten bei Messer/in, La nouvelle organisation mondiale du commerce, S. 238; ebenso Hoekman, Assessing the General Agreement on Trade in Services, in: MartinlWinters (Hrsg.), S. 326,334. 17 Vgl. dazu Senti, Die Stellung der Entwicklungsländer im GATT, in: Sautter (Hrsg.), Konsequenzen neuerer handelspolitischer Entwicklungen fiir die Entwicklungsländer, S. 19 ff., insb. S. 23 ff.

III. Die allgemeinen Pflichten und Disziplinen

109

sierungswirkung von Fall zu Fall Gegenstand der kommenden Liberalisierungsrunden wird. Damit wird die Beseitigung der Meistbegünstigungsausnahmen von den GATS-Mitgliedem als Verhandlungsgegenstand behandelt werden. Die Ausweitung von Handelsvorteilen auf andere Handelspartner wird folglich von der Gewährung von entsprechenden Zugeständnissen der Gegenseite abhängig gemacht werden. Statt von einer bedingungslosen Meistbegünstigung ist daher im Rahmen des GA TS zutreffender von einer Konzept der bedingten Meistbegünstigung zu sprechen". Es zeigt sich mithin, daß das GATS in seiner jetzigen Form gerade in Hinsicht auf die Geltung des Meistbegünstigungsgrundsatzes erst als Anfangspunkt eines Liberalisierungsprozesses einzuordnen ist. Die gewählte Meistbegünstigungskonzeption birgt allerdings den Vorteil in sich, daß im Zuge weiterer Verhandlungsrunden die Meistbegünstigungsausnahmen sukzessiv beseitigt werden können. Ziel der Verhandlungen wird es in diesem Sinn sein, die gemäß Art. II Abs. 2 GATS angemeldeten Ausnahmen zunehmend in das umfassende Meistbegünstigungsregime des Art. II Abs. I GATS zu überführen. b) Die horizontalen Meistbegünstigungsausnahmen

Das Regime der Meistbegünstigungsausnahmen im Rahmen des GATS läßt sich in zwei Kategorien einteilen. Auf der einen Seite gibt es die Ausnahmen, die jedes GATS-Mitglied gemäß Art. II Abs.2 GATS individuell anmelden kann, die jedoch schrittweise dem Grundsatz des Art. II Abs. 1 GATS unterstellt werden sollen. Da diese Ausnahmen von den GATS-Mitgliedern jeweils hinsichtlich bestimmter Vereinbarungen mit anderen Staaten in einzelnen Dienstleistungssektoren angemeldet werden, läßt sich von sektorspezifischen Meistbegünstigungsausnahmen sprechen. Auf der anderen Seite gibt es dauerhafte Ausnahmen, die nicht Gegenstand weiterer Verhandlungen sein sollen. Von der Multilateralisierungswirkung werden damit bestimmte Arten von Vereinbarungen ausgenommen, unabhängig davon, welcher Dienstleistungssektor betroffen ist. Es läßt sich daher auch von horizontalen Meistbegünstigungsausnahmen sprechen&9. Hierzu zählen zunächst die Übereinkünfte zur wirtschaftlichen Integration9O • Gemäß Art. V GATS, der in Anlehnung an Art. XXIV des GATT geschaffen wurde, steht es den GATS-Mitgliedsstaaten offen, Mitglied einer solchen Übereinkunft zu

&8 Vgl. Reiferer, The New Areas of the WTO: Services, TRIMs, TRIPS. in: Breuss (Hrsg.), S. 21, 30. &9 Barfh, EuZW 1994, S. 455,456. 90 Vgl. dazu McGovern, International Trade Regulation, § 31.131; UNCTAD, The Outcome ofthe Uruguay Round: An Initial Assessment, S. 157 f.

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

werden. Wichtigste Beispiele dieser Übereinkünfte sind die Zollunion und die Freihandelszone9 '. Hinsichtlich der Zulässigkeit dieser Integrationsfonnen bestimmt das GATS vor allem, daß die Übereinkünfte zu deren Gründung einen beträchtlichen sektoralen Geltungsbereich haben müssen und daß deren Vertragsparteien in ihrem Binnenverhältnis den Dienstleistungshandel weitestgehend von allen Handelsbarrieren befreien müssen92 • Darüber hinaus ist im Zusammenhang mit diesen horizontalen Meistbegünstigungsausnahmen auf die gemäß Art. 11 Abs. 3 GATS gewährte Möglichkeit zu verweisen, Verträge mit benachbarten Staaten zu schließen, um den Dienstleistungsverkehr im Bereich der unmittelbaren Grenzgebiete zu liberalisieren. Die im Rahmen solcher Vereinbarungen gegebenen Zugeständnisse zur Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in regional begrenzten Randzonen müssen ebenfalls nicht auf andere Handelspartner ausgeweitet werden. Schließlich ist noch auf die entsprechend Art. XIV lit. e GATS eingeräumte Meistbegünstigungsausnahme zugunsten von internationalen Abkommen zur Venneidung von Doppelbesteuerung zu verweisen. Aufgrund der Besonderheit dieser Materie soll hier die Multilateralisierungswirkung ebenfalls nicht eintreten93 • 2. Die Verpflichtung zur Transparenz (Art. 111 und Art. IIIbi • GATS) a) Der Grundsatz

Ein wesentliches Hindernis des internationalen Dienstleistungshandels stellt der Mangel an Infonnationen über die rechtlichen Rahmenbedingungen dar, die von einem Dienstleistungserbringer auf dem jeweiligen nationalen Markt zu beachten sind. Dies verringert die Vorhersehbarkeit der Marktbedingungen und begünstigt die ungerechte Behandlung ausländischer Anbieter94 • Daher war die Schaffung einer Rechtspflicht zur Transparenz eine der wichtigsten Anforde-

9' S. dazu schon oben B I 3; darüber hinaus wird ausdrücklich auch die Möglichkeit der Bildung von Übereinkünfte über integrierte Arbeitsmärkte eingeräumt, Art. Vbi' GATS. Typischerweise geben solche Übereinküfte den betroffenen Bürgern volles Zugangsrecht zu den Arbeitsmärkten der beteiligten Staaten und umfassen Regelungen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und der Gewährung sozialer Rechte, vgl. McGovern, International Trade Regulation, § 31. 132. 92 Art. V Abs. 1 a und b GATS. 93 Barth, EuZW 1994, S. 455,456. 94 Etter, Das Dienstleistungsabkonunen der Uruguay-Runde, in: Cottier (Hrsg.), S. 91,98; Schott/Buurman, The Uruguay Round, An Assessment, S. 103.

Ill. Die allgemeinen Pflichten und Disziplinen

111

rungen, die an das GATS gestellt wurden"s. Art. III GATS setzt dieses Bestreben in der Weise um, daß die GATS-Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet werden, alle nationalen Gesetze, Regulierungen und allgemein anwendbaren Vorschriften sowie alle internationalen Übereinkünfte, die den Handel mit Dienstleistungen berühren, zu veröffentlichen96 • Diese Verpflichtung wurde in Anlehnung an Art. X Abs. 1 des GATT geschaffen"7. b) Enveiterte Notifikations- und Informationsmöglichkeiten

Über das Vorbild des GATT wurde allerdings insofern hinausgegangen, als die Staaten gemäß Art. III Abs. 4 Satz 2 GATS zur Einrichtung von Auskunftsstellen verpflichtet werden, die anderen GATS-Mitgliedern auf Ersuchen Informationen zur Verfügung stellen müssen. Ebenso soll sich der Rat für den Handel mit Dienstleistungen als eine Art Informationsstelle entwickeln. Die GATS-Mitglieder müssen diesem nicht nur Auskünfte über die eigene Rechtslage erteilen, sondern können hier Maßnahmen anderer Staaten notifizieren, die den Dienstleistungshandel beeinträchtigen"l. c) Bewertung

Ob durch Art. III GATS tatsächlich eine transparentere Rechtslage entsteht, kann letztlich allerdings in Zweifel gezogen werden. Sofern ein GATSMitglied bestimmte rechtliche Verhältnisse nicht allgemein zugänglich machen will, wird es sich auf Art. IIIbis GATS berufen können, der die Geheimhaltung vertraulicher Informationen gestattet, deren Offenlegung die Durchsetzung von Gesetzen behindern oder sonst dem öffentlichen Interesse widersprechen würde. Insgesamt kommt dem Art. III GATS daher wohl eher eine Appellfunktion ZU99. Erst wenn sich die Staaten, die bisher Informationen über die Rechtslage im Dienstleistungssektor zurückgehalten haben, Vorteile von der eigentlichen

9S S. dazu Satz 2 des Teil 11 der Erklärung von Punta deI Este, abgedruckt in: Stewart (Hrsg.), Vol. Ill, S. 1 ff.; vgl. dazu schon oben B II 2 c; diese Vorgabe greift die Präambel des GATS auf, indem die Transparenz neben der fortschreitenden Liberalisierung als eine der Bedingungen zur Ausweitung des Handels mit Dienstleistungen genannt wird. 96 Art. III Abs. 1 Satz 1 und 2 GATS. 97 Vgl. dazu den ähnlichen Wortlaut von Art. III Abs. 1 Satz 1 und 2 des GATS und Art. X Abs. 1 Satz 1 und 2 des GATT. 91 S. zu der Möglichkeit der ,,Meldung" von Handelsbarrieren anderer GATSMitglieder Art. III Abs. 5 GATS. 99 In diesem Sinn Messerlin, La nouvelle organisation mondiale du commerce, S.240.

112

C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

Öffnung ihres Marktes versprechen, wird der Verpflichtung zur Transparenz Folge geleistet werden lOo • 3. Anerkennung ausländischer Qualifikationen (Art. VII GATS) a) Verhandlungspflicht

Von großer Bedeutung für die Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte ist die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen durch die einzelnen Staaten. Dies gilt in einem besonderen Maß für die sog. freien Berufe, die auf der nationalen Ebene zumeist einem strengen Zulassungs- und Ausübungsregime unterliegen, ist aber darüber hinaus auch in vielen anderen Dienstleistungsbranchen von Relevanz lol • Art. VII GATS befaßt sich mit dieser Problematik. Die Vorschrift erkennt die gängige Praxis an, daß die Staaten Vereinbarungen über die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen schließen, die auf dem Prinzip der Reziprozität beruhen l02 • Danach erkennt ein Staat etwa den Berufsabschluß eines Anbieters ausländischer Herkunft nur dann an, wenn dessen Herkunftsland eine solche Anerkennung gegenüber einem Anbieter aus dem eigenen Land in paralleler Weise ebenfalls aussprechen würde l03 • Die Staaten werden in dieser Hinsicht lediglich gemäß Art. VII Abs. 2 GATS verpflichtet, anderen interessierten GATS-Mitglieder ausreichende Gelegenheit zu geben, über den Beitritt zu einer solchen Vereinbarung zu verhandeln oder ähnliche Absprachen mit dem jeweiligen Staat auszuhandeln. Erkennt ein Staat autonom, also ohne darüber vertragliche Vereinbarungen zu treffen, die in einem bestimmten anderen Staat erworbenen Qualifikationen an, so soll er anderen GATS-Mitgliedem ebenfalls Gelegenheit zu Konsultationen im Hinblick auf die Anerkennung der in seinem Hoheitsgebiet erlangten Qualifikationen geben lO4 • Bedeutsam an dieser Regelung ist zum einen, daß die in dieser Materie geschlossenen zwischenstaatlichen Verträge der Meistbegünstigungswirkung entzogen werden, da anderenfalls zusätzliche Beitrittsverhandlungen aufgrund der automatisch gemäß Art. II Abs. 1 GATS einsetzenden Multilaterlisierungswir-

Messerlin, La nouvelle organisation mondiale du commerce, S. 240. McGovern, International Trade Regulation, § 31. 142; vgl. Reiterer, The New Areas ofthe WTO: Services, TRIMs, TRIPS, in: Breuss (Hrsg.), S. 21, 31. 102 Art. VII Abs. 1 Satz 1 GATS. 103 Vgl. zum Prinzip der Reziprozität etwa Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7 Rn 22. 104 S. dazu Art. VII Abs. 2 Satz 2 GATS. 100 101

III. Die allgemeinen Pflichten Wld Disziplinen

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kung nicht erforderlich wärenlOS. Zum anderen ist festzustellen, daß der Charakter dieser Norm als allgemeiner Verpflichtung des Teil 11 hier deutlich zutage tritt, da die GATS-Mitglieder hinsichtlich der Anerkennung selbst in keiner Weise verpflichtet werden. Kern der Norm ist dagegen nur die Verpflichtung, in Verhandlungen zu treten. b) Zusätzliche Transparenzverpjlichtung Darüber hinaus verstärkt die Vorschrift die bereits in Art. III GATS festgelegte Verpflichtung zur Transparenz. Die GATS-Mitglieder werden gemäß Art. VII Abs. 4 GATS dazu angehalten, den Rat fiir den Handel mit Dienstleistungen über die bereits bestehenden Vereinbarungen zur Anerkennung von Qualifikationen zu unterrichten sowie jeweils darüber Auskunft zu geben, wenn neue Verhandlungen über derartige Vereinbarungen aufgenommen worden sind. Dadurch wird es anderen GATS-Mitgliedern ermöglicht, ihr Interesse an der Teilnahme an solchen Verhandlungen zu bekunden lO6 • c) Bewertung Insgesamt erweist sich der Regelungsgehalt dieser Norm als gering, da den GATS-Mitgliedern lediglich die Pflicht zur Aufnahme von Verpflichtungen und die wohlwollende Prüfung des Verhandlungsbegehrens anderer Staaten sowie die Pflicht zur Offenlegung bereits geschlossener oder noch abzuschließender Vereinbarungen auferlegt werden. Beiden Verpflichtungen kommt - wie schon der allgemeinen Verpflichtung zur Transparenz - eher Appellfunktion ZUI07.

4. Die allgemeinen Ausnahmen (Art. XIV und Art. XIVbis GATS) a) Bedeutung der Ausnahmeregelungen In Art. XIV und Art. XlVbis GATS finden sich die eng an Art. XX und Art. XXI des GATT angelehnten Vorschriften über die allgemeinen Ausnah105 Vgl. Barth, EuZW 1994, S. 455,456; Messerlin, La nouvelle Organisation mondiale du commerce, S. 240 f. 106 S. dazu insbesondere Art. VII Abs. 4 b GATS am Ende. 107 Vgl. Hoekman, Assessing the General Agreement on Trade in Services, in: MartinlWinters (Hrsg.), S.327, 335, der jedoch zumindest die VerpflichtWlg der GATSMitglieder zur gegenseitigen EinräumWlg von VerhandlWlgsmöglichkeiten in diesem Bereich für "bemerkenswert" hält.

X Kochlcr

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

men bzw. die Ausnahmen zur Wahrung der Sicherheit lol • Es werden Maßnahmen umschrieben, die von den GATS-Mitgliedern ergriffen werden können. ohne gegen Verpflichtungen des GATS zu verstoßen, sofern bestimmte allgemeine Tatbestände die Ergreifung dieser Maßnahmen rechtfertigen lO9 • Diese allgemeinen Ausnahmebestimmungen gelten unabhängig von den spezifischen Verpflichtungen, die von den GATS-Mitgliedern gemäß der Teile III und IV des Übereinkommens übernommen werden. Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, daß ihnen insbesondere in bezug auf diese spezifischen Verpflichtungen Bedeutung zukommen wird. Der Grund dafür ist darin zu sehen, daß der von den allgemeinen Verpflichtungen ausgehende Verpflichtungsgrad nur sehr gering ist, während die spezifischen Verpflichtungen das eigentliche Verpflichtungspotential des Übereinkommens ausmachen. b) Die allgemeinen Ausnahmetatbestände

Die Maßnahmen, die von den GATS-Mitgliedsstaaten im Rahmen dieses Ausnahmeregimes ergriffen werden dürfen, betreffen unter anderem solche, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Moral und der öffentlichen Ordnung sowie dem Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen dienen" o• In der Endphase der Verhandlungen der Uruguay-Runde begehrten insbesondere die Europäischen Gemeinschaften die zusätzliche Aufnahme des Schutzes der Kultur in den Katalog der Ausnahmetatbestände ill • Es war die Absicht der Europäer, sich auf diese Ausnahme zu berufen, um Verpflichtungen im Bereich der audiovisuellen Dienstleistungen außer Kraft zu setzen, die vor allem den Handel mit Filmen und Fernsehproduktionen im Verhältnis zu den USA betrafen. Aufgrund des Drucks anderer Verhandlungspartners, die eine uferlose Ausweitung einer allgemeinen kulturellen Ausnahme-

101 Vgl. zur Entstehung dieser Vorschriften Hoekman, The World Economy 1993 (Vol. 16), S. 29, 37 ff. 109 Vgl. McGovern, International Trade Regulation, § 31.153; UNCTAD, Tbe Outcome ofthe Uruguay Round: An Initial Assessment, S. 161 f. 110 S. Art. XIV Iit. a und b GATS; insbesondere in bezug auf diese Ausnahmetatbestände hat es bereits im Rahmen der GATT-Streitbeilegungsverfahren zahlreiche PanelBerichte gegeben, die die Auslegung der allgemeinen Begriffe konkretisieren. Im Streitfall im Rahmen des GATS wird auf diese Entscheidungen zurückgegriffen werden, vgl. McGovern, International Trade Regulation, § 31.153 sowie § 13.141 zu Art. XX des GATT. 111 Vgl. dazu Sen/i, Die neue Welthandelsordnung, Ergebnisse der Uruguay-Runde, Chancen und Risiken, in: ORDO 1994 (Vol. 45), S. 301,308.

III. Die allgemeinen Pflichten und Disziplinen

115

bestimmung befürchteten, wurde schließlich auf solch einen Tatbestand verzichtet l12 • Statt dessen meldete die Europäische Union hinsichtlich der audiovisuellen Dienstleistungen eine weitreichende Ausnahme vom Meistbegünstigungsgrundsatz gemäß Art. 11 Abs. 2 GATS an lll • c) Die Ausnahmen zur Wahrung der Sicherheit

Die entsprechend Art. XlVbis GATS genannten Ausnahmen zur Wahrung der Sicherheit stellen in Rechnung, daß insbesondere im Dienstleistungssektor oftmals sensible militärische Interessen der Staaten betroffen sind"'. Die GATSMitglieder werden in Hinsicht auf die Transparenzverpflichtungen davon befreit, Informationen zur Verfügung zu stellen, deren Offenlegung den nationalen Sicherheitsinteressen zuwiderläuft 11 I.

In bezug auf das Verteidigungsengagement der GATS-Mitglieder ist insbesondere von Bedeutung, daß der Bereich der Dienstleistungen, die direkt oder indirekt der Versorgung einer militärischen Einrichtung dienen, einer generellen Ausnahme vom Geltungsbereich des Übereinkommens unterworfen ist" 6 • 5. Zusammenfassung

Die Verpflichtungen zur Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs, die von den allgemeinen Pflichten und Disziplinen des Teil 11 des Übereinkommens ausgehen, sind als gering zu bewerten. Zwar ist auch die Pflicht zur Meistbegünstigung eine solche allgemeine Verpflichtung. Jedoch schränkt die Möglichkeit, unilateral Ausnahmen von dieser Pflicht anzumelden, die Meistbegünstigungswirkung erheblich ein. Durch diese Regelung unterscheidet sich das GATS vom GATT in erheblicher Weise. Die übrigen allgemeinen Pflichten implizieren einen niedrigen Verpflichtungsgrad, da sie wie die Verpflichtung zur Transparenz lediglich Appellfunktion haben oder wie die Norm zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen nur eine Pflicht zur Durchführung von Verhandlungen enthalten.

a

Khavand, Le nouvel ordre commercial mondial, du GATT l'OMC, S. 177. S. die ,,Endgültige Liste der Ausnahmen zu Artikel II" der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedsstaaten, in: BGBl. 1994 II, S. 1723, 1723 f. 114 Vgl. Hoekman, The World Economy 1993 (Vol. 16), S. 29.38. 111 Art. XlVbis Abs. 1 a GATS. 116 Art. XlVbis Abs. 1 bi GATS. 112

III

8*

116

C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

IV. Die spezifischen Verpflichtungen Aus den allgemeinen Verpflichtungen des GATS ergibt sich für dessen Mitglieder noch keine rechtliche Bindung hinsichtlich des eigentlichen Abbaus bestehender Handelshemmnisse im Dienstleistungshandel. Auch die Verpflichtung zur Meistbegünstigung gemäß Art. 11 GATS bewirkt diesbezüglich nichts, da durch diese Norm lediglich die Pflicht zur Ausweitung der Handelsbedingungen, die gegenüber bestimmten Handelspartner gelten, ausgelöst wird. Mithin erweitert sich durch Art. 11 Abs. 1 GATS zwar der Kreis der Dienstleistungsanbieter, die ein Recht auf die Gewährung des günstigsten Außenhandelsregime eines GATS-Mitglieds haben. An dem eigentlichen Bestand des Außenhandelsregimes der einzelnen GATS-Mitgliedsstaaten ändert die Meistbegünstigungswirkung hingegen nichts. Im Unterschied dazu ist der Abbau der bestehenden Handelsbarrieren im internationalen Dienstleistungshandel der Regelungsgegenstand der Teile III und IV des Übereinkommens. Im folgenden soll zunächst das diesen Teilen zugrunde liegende Liberalisierungskonzept der sektorspezifischen Marktöffnung dargelegt werden. Daran anschließend sollen die beiden entscheidenden Normen des Teil III, die Vorschriften über den Marktzugang und die Inländerbehandlung, erklärt werden. Schließlich wird auf die rechtlichen Wirkungen der Übernahme spezifischer nach der Maßgabe des Teil 11 eingegangen werden. Hier werden mithin die Normen des Teil 11 untersucht, die lediglich Geltung bezüglich der Dienstleistungssektoren erlangen, in denen die GATS-Mitglieder spezifische Verpflichtungen übernommen haben. 1. Das Liberalisierungskonzept des GATS: die sektorspezifische Marktöffnung

a) Die Alternative zwischen sektorübergreifender und sektorspezijischer Marktäffnung Zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels standen den verhandelnden Staaten grundsätzlich zwei verschiedene konzeptionelle Vorgehensweisen zur Verfügung 1l7 • Zum einen war es möglich, einen horizontalen Ansatz zu wählen, der auf die gleichzeitige Beseitigung von Handelsschranken

117 Vgl. dazu Ascher, Georgia Journal of International and Comparative Law 1989 (Vol. 19), S. 392 ff.; Cornford, Some Notes on Proposed New International Regimes for Foreign Investment and Services, UNCTAD Review 1989, Nr. 1, S. 17 ff.; Jackson, The World Economy 1988 (Vol. 11), S. 187 ff.

IV. Die spezifischen Verpflichtlmgen

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in allen Dienstleistungssektoren gerichtet war ll8 • Zum anderen konnte ein Ansatz verfolgt werden, dessen Kern in dem Abbau bestimmter Handelsschranken in einzelnen Dienstleistungssektoren zu sehen ist ll9 • Die Ausgestaltung der Teile III und IV des GATS läßt deutlich erkennen, daß der Vertrag dem zweiten Ansatz folgt. Der Liberalisierungsprozeß im Dienstleistungshandel soll folglich sektorspezifisch und nicht sektorübergreifend stattfinden. Der Grund für die Wahl dieser Vorgehensweise ist zum einen in der Vielgestaltigkeit und Heterogenität der verschiedenen Dienstleistungssektoren zu sehen. Dies ließ es als unmöglich erscheinen, die diversen Handelsbeschränkungen in einer einheitlichen und umfassenden Weise zu behandeln, wie es nach Maßgabe des horizontalen, sektorübergreifenden Ansatzes erforderlich gewesen wäre l20 • Der sektorspezifische Ansatz gewährleistet es demgegenüber, den Besonderheiten einzelner Sektoren Rechnung tragen zu können. Insbesondere kann mit diesem Ansatz das Problem der möglichen Kollision zwischen den neu einzuführenden GATS-Verpflichtungen und den in einzelnen Sektoren bereits bestehenden völkerrechtlichen Regelungen angemessener gelöst werden l2l • Zum anderen waren fast alle Handelspartner nicht gewillt, den Dienstleistungshandel insgesamt einer solch weitgreifenden Liberalisierung zuzuführen, wie sie durch die horizontale Vorgehensweise bewirkt worden wäre 122. Eine wichtige Ausnahme bildete in dieser Hinsicht allerdings die Position der USA, die in der Anfangsphase der Verhandlungen das weitreichendste Liberalisierungskonzept vertraten. Darin war ein umfassender Bestand an horizontalen Verpflichtungen vorgesehen, wobei sich insbesondere die Inländerbehandlung

118 S. dazu Woodrow, Sectoral Coverage and Implementation within a Uruguay Round Services Trade Agreement: Paradox and Prognosis, in: Oppermann/Molsberger (Hrsg.), S. 221, 228 ff.; vgl. auch die sektorspezifische Konzeption von Jackson, The World Economy 1988 (Vol. 11), S. 187 ff.; ders., International Competition in Services - A Constitutional Framework, S. 10 ff. 119 Diesen Ansatz vertrat etwa Gray, JWTL 1983 (Vol. 17), S. 377 ff.; vgl. dazu auch Hoekman, The World Economy 1992 (Vol. 15), S. 707, 719 f.; Broadman, The World Economy 1994 (Vol. 17), S. 281, 287 f. 120 Mit dieser konzeptionellen Thematik beschäftigten sich die Verhandlungsfiihrer zu Beginn der GATS-Verhandlungen, dazu Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. H, S. 2337,2360 f.; Croome, Reshaping the World Trading System, S. 125. . 121 Gerade in der Anfangszeit der GATS-Verhandlungen stellte dieses Verhältnis des zu schaffenden Übereinkommens zu den existenten sektoralen völkerrechtlichen Regelungen eines der wichtigsten Probleme dar, vgl. dazu die vom GATT-Sekretariat vorgelegte Studie "Summary of Objectives, Coverage, and Main Features of Existing International Disciplines and Arrangements Relevant to Trade in Services", GATT Doc. No. MTN.GNS/W/16 (06.08.1987) [no v.]. 122 Hoekman/Sauve, Liberalizing Trade in Services, S. 42 f.

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

unterschiedslos auf alle Dienstleistungssektoren beziehen sollte l2J • Demgegenüber präferierte die Europäische Union von vornherein das sektorspezifische Konzept und wurde hierin durch die Mehrzahl der anderen Staaten unterstützt '24 • Nach der sektorspezifischen Vorgehensweise besteht vor allem die Möglichkeit, in späteren Liberalisierungsrunden auch die Sektoren, in denen einzelne oder alle GATS-Mitglieder zunächst nicht zu weitergehenden Marktöffnungsverpflichtungen bereit sind, schrittweise in das Regime der spezifischen Verpflichtungen des GATS zu integrieren'2s • b) Die Marktöffnung in Hinsicht aufMarktzugang und In/änderbehand/ung Die schrittweise Öffnung eines bestimmten Dienstleistungssektors eines GATS-Mitgliedsstaates für ausländische Anbieter erfolgt nach Maßgabe der Normen zum Marktzugang (Art. XVI GATS) und zur Inländerbehandlung (Art. XVII GATS). Der Marktzugang betrifft dabei die Bedingungen, die ein Staat hinsichtlich der Möglichkeit des Zutritts zu einem bestimmten nationalen Dienstleistungsmarkt aufstellt 126• Die Inländerbehandlung bezieht sich auf die Rechtsstellung ausländischer gegenüber inländischen Dienstleistungsanbieter '27 • In dieser Hinsicht nimmt das GATS die Vorgehensweise des GATT auf, das seinerseits in bezug auf die Wareneinfuhr unterscheidet zwischen Maßnahmen bei der Grenzüberschreitung, etwa dem Zolltarif, und Maßnahmen, die innerhalb der Grenzen eines Zollgebietes ergriffen werden l2l • Im Unterschied zu Art. III des GATT ist die Inländerbehandlung jedoch im Rahmen des GATS keine allgemeine Verpflichtung, sondern eine spezifische Verpflichtung, die konkret und in bezug auf jeden einzelnen Dienstleistungssektor ausgehandelt werden muß '29 •

123 S. dazu Art. 8 des US-Entwurfes für das Übereinkommen vom Oktober 1989, Communication from the United States, Agreement on Trade in Services, GATT Doc.MTN.GNS/WI75 (17.10.1989), S. 6 [no v.]. 124 Hoekman/Sauve, Liberalizing Trade in Services, S. 42. IlS Reyna, Services, in: Stewart (Hrsg.), Vol. II, S. 2337,2364. 126 S. dazu unten C IV 2 a. 127 S. dazu unten C IV 2 b. 121 Vgl. Bail, Conceptual Problems and Possible Elements of a Multilateral Framework for International Trade in Services, in: Sacerdoti (Hrsg.), S. 42, 51; Hoekman, The World Economy 1992 (Vol. 15), S. 707, 711; zum GATT Senti, GATT - System der Welthandelsordnung, S. 146 f. 129 Hoekman/Sauve, Liberalizing Trade in Services, S. 32.

IV. Die spezifischen VerpflichtlUlgen

119

c) Die Konsolidierung von Konzessionslisten in Hinsicht auf die vier Erbringungsformen aa) Die sog. Listen der spezifischen Verpflichtungen Die Aushandlung der Bedingungen des Marktzugangs und der Inländerbehandlung erfolgt im Rahmen des GATS nicht allein in bezug auf einzelne Dienstleistungssektoren, sondern ist darüber hinaus in Hinsicht auf die vier vom sachlichen Geltungsbereich des Übereinkommens erfaßten Formen grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung festzulegen 130 • Als Ergebnis der Verhandlungen entsteht auf diese Weise fiir jedes einzelne GATS-Mitglied die sog. Liste spezifischer Verpflichtungen l3l , die die von dem jeweiligen Mitglied gemachten Konzessionen wiedergibt und an die dieses fortan gebunden ist. Jeder Mitgliedsstaat ist zur Vorlage einer solchen Liste verpflichtet. Allerdings bestehen keine Vorgaben in Hinsicht auf ein bestimmtes Mindestniveau der einzugehenden Verpflichtungen. Die Gesamtheit der Konzessionslisten ist gemäß Art. XX Abs. 3 GATS integraler Bestandteil des Übereinkommens. Diese Vorgehensweise ähnelt derjenigen des GATT, in dessen Rahmen ebenfalls Listen erstellt werden, die länderweise den jeweils ausgehandelten Zolltarif hinsichtlich einer bestimmten Ware oder einer Warengruppe festlegen 132 • Auch diese Zolltariflisten sind integraler Bestandteil des GATT. In Analogie zu der Aufstellung der Zolltariflisten des GATT läßt sich die Aufnahme der konkreten Verpflichtungen zum Marktzugang und zur Inländerbehandlung in die Liste der spezifischen Verpflichtungen als Konsolidierung bezeichnen llJ • Diese bindet das jeweilige GATS-Mitglied in der Weise, daß die rechtliche Behandlung eines ausländischen Anbieters fortan nicht mehr weniger günstig sein darf, als es die Bedingungen der jeweiligen Liste erlauben. Die in den Listen gemachten Konzessionen sind grundsätzlich irreversibel. Eingegangene Verpflichtungen können nur rückgängig gemacht werden, wenn in anderen Sektoren Kompensation geleistet wird, welche für die anderen GATSMitglieder akzeptabel ist 13'.

Art. XVI Abs. 1 lUld Art. XVII Abs. 1 GATS. Art. XX Abs. llUld Abs. 3 GATS. 132 Vgl. Art. 11 des GATT; dazu Senfi, GATT - System der WelthandelsordnlUlg. S. 137 ff.; Carreau/Flory/Juillard, Droit international econornique, S. 112 ff. llJ Etter, Das DienstieistlUlgsabkommen der Uruguay-RlUlde lUld seine BedeutlUlg für die Schweiz, in: Cottier (Hrsg.), S. 91, 100. 13. Art. XXI Abs. 2 a GATS. 130

13l

120

C. Das GATS als Rahmenregehmg des DienstieistlUlgshandels

bb) Das System der Positivlisten mit Vorbehalten hinsichtlich einzelner Erbringungsformen Hinsichtlich der Ausgestaltung dieses Listensystems bestanden wiederum zwei verschiedene konzeptionelle Möglichkeiten. Nach dem sog. Prinzip der Negativlisten werden all diejenigen Dienstleistungssektoren von einem bestimmten Vertrags staat aufgelistet, für die die spezifischen Verpflichtungen keine Geltung erlangen sollenm. Nimmt ein Staat danach einen Dienstleistungssektor nicht in seine Liste auf, so ist er automatisch dem Regime dieser Verpflichtungen unterworfen. Im Rahmen des GATS ist auf dieses Prinzip zur Festlegung der individuellen Meistbegünstigungsausnahmen gemäß Art. 11 Abs. 2 GATS zurückgegriffen worden 136• Demgegenüber bestimmt sich nach dem sog. Prinzip der Positivlisten die Geltung der spezifischen Verpflichtungen in umgekehrter Weise. Jedes Mitglied legt danach in seiner Liste fest, für welche Dienstleistungssektoren die spezifischen Verpflichtungen gelten sollen137 • Wird demnach ein Sektor nicht in der Liste aufgeführt, so unterliegt er gerade nicht der Geltung der spezifischen Verpflichtungen. Das GATS folgt grundsätzlich dem Prinzip der Positivlisten lll • Denn die GATS-Mitglieder legen in ihren Listen als Ergebnis der multilateralen Verhandlungen die Dienstleistungssektoren fest, für die grundsätzlich die Verpflichtungen bezüglich Marktzugang und Inländerbehandlung bindende Wirkung haben sollenJ)9. Andererseits ist jedes GATS-Mitglied berechtigt, Vorbehalte in bezug auf jede der vier Erbringungsformen anzumelden l4O • Demnach sind die nationalen Gesetze und Bestimmungen aufzuführen, die entgegen der grundsätzlichen Geltung der spezifischen Verpflichtungen in dem jeweiligen Dienstleistungssektor eine bestimmte Form der Dienstleistungserbringung beschränken. Da also die spezifischen Verpflichtungen nach Maßgabe dieser Vorbehalte gerade nicht zur Anwendung kommen, ist insoweit auch ein Element des Prinzips der Negativlisten verwirklicht l4l •

m Broadman, The World Economy 1994 (Vol. 17), S. 281,286. S. oben C III 1 a dd (2). 137 Broadman, The World Economy 1994 (Vol. 17), S. 281, 286. m Vgl. Messerlin, La nouvelle organisation mondiale du commerce, S. 247. 139 Art. XX Abs. 1 Satz 2 GATS am Anfang. 140 Art. XX Abs. 1 Satz 2 a GATS spricht diesbezüglich von ,,BestimmlUlgen, Beschränkungen lUld BedinglUlgen für den Marktzugang" , Art. XX Abs. 1 b GATS von ,,BedinglUlgen lUld Qualifikationen rur die InländerbehandllUlg". 141 Reiterer, The New Areas of the WTO: Services, TRIMs, TRIPS, in: Breuss (Hrsg.), S. 21, 32; SchoU/Buurman, The Uruguay ROlUld, An Assessment, S. 106. 136

IV. Die spezifischen VerpflichtWlgen

121

Die Ausgestaltung des Listensystems weist also eine recht komplexe Struktur auf. Fragwürdig erscheint diese Regelungstechnik unter dem Aspekt der Transparenz, da es nicht ohne weiteres möglich ist, die in den Listen gemachten Zugeständnisse zu dechiffrieren l42 • Gleichzeitig ist in diesem Zusammenhang auf den Mangel an Infonnationen über die Marktzugangsbedingungen in den Sektoren zu verweisen, die nicht in den Listen aufgeführt sind l4J • Darüber hinaus ist festzustellen, daß die grundsätzliche Entscheidung der Verhandlungspartner für den Ansatz der Positivlisten Ausdruck einer zurückhaltenden Position gegenüber dem weiteren Liberalisierungsprozeß ist. Dies wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie das Verhältnis des GATS zu ,,neuen" Dienstleistungssektoren ist, die erst in der Entstehung sind und über die bisher noch nicht verhandelt worden ist. Wäre von den Verhandlungspartner der Ansatz der Negativlisten gewählt worden, so würden derartige Sektoren ipso jure dem Regime der spezifischen Verpflichtungen unterliegen, da diese nach dem Ansatz der Negativlisten für alle Sektoren gelten, die nicht "aufgelistet" sind. Demgegenüber fallen diese Sektoren nach dem vom GATS realisierten Ansatz der Positivlisten aus dem Geltungsbereich der spezifischen Verpflichtungen heraus, da nur die "aufgelisteten" Sektoren unter dieses Regime fallen. Mithin läßt sich sagen, daß das System der Positivlisten in Hinsicht auf den weiteren Liberalisierungsprozeß weniger dynamisch ist, als es die Einführung des Systems der Negativlisten gewesen wäre l44 • cc) Zur Tenninologie der Listen der spezifischen Verpflichtungen Die in den Verpflichtungslisten verwendete Tenninologie entspricht weitestgehend den systematischen Vorgaben der Rahmenregelung. Will ein GATSMitglied in einem Dienstleistungssektor bezüglich einer bestimmten Erbringungsfonn den Nonnen zum Marktzugang und zur Inländerbehandlung uneingeschränkte Geltung zukommen lassen, so findet sich in den dafür vorgesehenen Spalten unter Angabe der Ziffer der Erbringungsfonn der Begriff "Keine" (engl. "None"). So gelten beispielsweise nach der Liste der ,Europäischen Union keine Beschränkungen des Marktzugangs und der InländerbehandlWlg bezüglich der zweiten vom GATS erfaßten Erbringungsfonn im

142 Vgl. zu dieser Kritik Messer/in, La nouvelJe organisation mondiale du commerce, S. 247 f.; Hoekman, Assessing the General Agreement on Trade in Services, in: MartinlWinters (Hrsg.), S. 327, 328. 14J Hoekman/Sauve, Liberalizing Trade in Services, S. 34. 144 So auch Messerlin, La nouvelle organisation mondiale du commerce, S.247; Broadman, The World Economy 1994 (Vol. 17), S. 281,286.

122

C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

Bereich der "Rechtsberatung über das Recht des Heimatstaats und des Völkerrechts""5. Wenn ein GATS-Mitglied demgegenüber innerhalb eines Sektors, den es in seiner Liste aufführt, eine bestimmte Erbringungsform gänzlich vom Liberalisierungsregime des GATS ausnehmen will, so macht es dies durch die Angabe des Begriffs "Ungebunden" (engl. "Unbound") kenntlich. Beispielsweise übernehmen die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bezüglich der ersten vom GATS erfaßten Erbringungsform keine Bindungen im Bereich der Wirtschaftsprüfer-Dienstleistungen, obwohl dieser Sektor grundsätzlich dem Liberalisierungsregime der Art. XVI und XVII GATS unterstellt werden sollw,. Will ein Mitgliedsstaat nur bestimmte Beschränkungen hinsichtlich einer Erbringungsform in einem Dienstleistungssektor gelten lassen, so nennt es diese ausdrücklich. So bestimmt beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland, daß Niederlassungen d. h. Dienstleistungserbringung in der dritten, vom GATS erfaßten Erbringungsform gemäß Art. lAbs. 2 c GATS ausländischer Anbieter mit Herkunft aus einem GATS-Mitgliedsstaat im Bereich der Wirtschaftsprüfer-Dienstleistungen nur soweit zulässig sind, als sie nicht in der Rechtsform der GmbH & Co KG und der EWIV erfolgen l47 • d) Das Liberalisierungsprogramm des GATS: sukzessive Verhandlungsrunden auf der Grundlage der Reziprozität

Der Liberalisierungsprozeß im internationaler Dienstleistungshandel soll nach den Vorgaben des GATS in regelmäßigen Abständen durch das Abhalten von Liberalisierungsrunden vorangetrieben werden. Während das GATT in Art. xxvmbis Abs. 1 Satz 2 lediglich vorsieht, daß die Zollverhandlungen im Warensektor "von Zeit zu Zeit" stattfinden sollen, gibt Art. XIX Abs. 1 Satz 1 GATS den GATS-Mitgliedern einen zeitlichen Rahmen fiir die Verhandlungsrunden vor. Das Übereinkommen schreibt sukzessive Liberalisierungsrunden vor, die spätestens alle fünf Jahre stattfinden müssen I4'.

145 S. Liste der spezifischen Verpflichtungen der Europäischen Gemeinschaften und ihrer Mitgliedsstaaten, BGBI. 199411, S. 1678, 1684. 146 S. Liste der spezifischen Verpflichtungen der Europäischen Gemeinschaften und ihrer Mitgliedsstaaten, BGBI. 1994 II, S. 1678, 1685. 147 S. Liste der spezifischen Verpflichtungen der Europäischen Gemeinschaften und ihrer Mitgliedsstaaten, BGBI. 1994 II, S. 1678, 1685. 141 Da das WTO-Übereinkommen am 01.01.1995 in Kraft getreten ist, beginnt die nächste GATS-Liberalisierungsrunde also spätestens am 01.01.2000.

IV. Die spezifischen VerpflichtlUlgen

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Ziel der Verhandlungen ist es, schrittweise einen höheren Stand der Liberalisierung zu erreichen l49 • Dies bedeutet in erster Linie, das Niveau der durch die spezifischen Verpflichtungen bestimmten Marktöffnungsbestimmungen zu erhöhen. Der Prozeß der schrittweisen Liberalisierung ist in jeder kommenden Runde durch bilaterale, plurilaterale (d. h. unter Einschluß von mehr als zwei GATS-Mitglieder) oder multilaterale Verhandlungen voranzutreiben. Hinsichtlich dieser Verfahrenstechnik können die GATS-Mitglieder auf die Vorgehensweise zurückgreifen, die sich im Rahmen der GATT-Zollverhandlungen bewährt haben i50 • Das Grundprinzip der GATT-Liberalisierungsverhandlungen ist das der Reziprozität lSl • Im Rahmen des GATI ist dieser Grundsatz nicht Gegenstand einer eigenständigen Nonn. Statt dessen ist einer Reihe von verfahrensleitenden Artikeln zu entnehmen, daß die Handelszugeständnisse, die sich die Vertragsparteien in ihrem gegenseitigen Verhältnis gewähren, in einem ausgewogenen Verhältnis zu stehen haben. Nach Art. XIX Abs.3 GATT ist im Kontext der erlaubten Gegenmaßnahmen von "im wesentlichen gleichwertigen Zugeständnissen" die Rede. In ähnlicher Weise stellt Art. xxvm bis GATT darauf ab, die Zollverhandlungen seien "auf der Grundlage der Gegenseitigkeit" zu führen. Das Prinzip der Reziprozität wird im Rahmen des GATS in Art. XIX Abs. 1 Satz 3 ausdrücklich angesprochen und zur Grundlage der Verhandlungen über die spezifischen Verpflichtungen gemacht. Demnach hat der Prozeß der Liberalisierung im internationalen Dienstleistungsverkehr mit dem Ziel stattzufinden, "die Interessen aller Beteiligten auf der Grundlage des gemeinsamen Nutzens zu fOrdern und ein insgesamt ausgeglichenes Verhältnis von Rechten und Pflichten zu gewährleisten"lS2. 2. Die spezifischen Verpflichtungen im einzelnen Die zentralen Nonnen im Bereich der spezifischen Verpflichtungen sind diejenigen hinsichtlich des Marktzugangs (Art. XVI GATS) und der InländerArt. XIX Abs. 1 Satz 1 GATS am Ende. Etter, Das DienstleistlUlgsabkommen der Uruguay-RlUlde lUld seine BedeutlUlg für die Schweiz, in: Cottier (Hrsg.), S. 91, 100 f.; McGovern, International Trade Regulation, § 31.211; vgl. zum GATT Senti, GATT - System der WelthandelsordnlUlg, S. 57 ff.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7 Rn 5 ff. 151 S. dazu Senti, GATT - System der WelthandelsordnlUlg, S. 63 ff.; Carreau/Flory/Juillard, Droit international economique, S. 112 f.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7 Rn 14. 152 UnterstreichlUlg durch Verfasser. Zu der Ausnahme von diesem Prinzip zuglUlsten der EntwickllUlgsländer, die diesen gemäß Art. XIX Abs.2 GATS gewährt wird, S. lUlten C IV 3 d. 149

150

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

behandlung (Art. XVII GATS). Daneben eröffnet Art. XVIII GATS den Vertragsstaaten die Möglichkeit, sich zusätzlichen Verpflichtungen zur Marktöffnung zu unterwerfen. Von dieser Möglichkeit haben im Rahmen der Anfangsverpflichtungen der Uruguay-Runde allerdings nur wenige Mitglieder Gebrauch gemacht. a) Der Marktzugang (Art. XVI GATS)

aa) Der Begriff des Marktzugangs Der Begriff des Marktzugangs wird in Art. XVI GATS nicht definiert. Statt dessen legt Art. XVI Abs.2 GATS eine Reihe von Maßnahmen fest, die Marktzugangshindernisse darstellen und deren Anwendung durch ein GATSMitglied grundsätzlich unzulässig ist, wenn es sich für die Marktöffnung in einem bestimmten Dienstleistungssektor entscheidet. Will es diese Maßnahmen dennoch anwenden, so ist ihm dies nur dann gestattet, wenn es sie mit Bezug auf die jeweils betroffene Erbringungsform in seiner Liste aufführt lSl • Der Marktzugang wird mithin nur unter dem Vorbehalt der in den Listen aufgeführten Beschränkungen gewährt l54 • Im Umkehrschluß läßt sich hieraus ableiten, daß freier Marktzugang im Sinne des GATS die Freiheit der Wahl zwischen den vier Erbringungsformen in einem Dienstleistungssektor bedeutet, wobei keine der in Art. XVI Abs. 2 GATS genannten Maßnahmen die Dienstleistungserbringung beschränken darf 55 • Weiterhin läßt sich feststellen, daß ein GATS-Mitglied nicht gegen Art. XVI GATS verstößt, wenn es einen Dienstleistungssektor in seine Verpflichtungsliste aufnimmt und lediglich alle Beschränkungen der verschiedenen Erbringungsformen in diesem Sektor auf der Liste angibt, wie sie seiner derzeitigen innerstaatlichen Rechtslage entsprechen. Art. XVI GATS bewirkt in diesem Fall nicht die Ausweitung und Verbesserung der gegenwärtig geltenden Marktzugangsbedingungen für ausländische Anbieter auf diesem nationalen Dienstleistungsmarkt, sondern führt nur eine Bindung des betroffenen GATSMitgliedes an diese Bedingungen herbei. . 153 Art. XVI Abs. 2 GATS stellt insofern eher eine Richtlinie fiir die Aufstellung der Marktzugangsverpflichtungen als einen Katalog von verbotenen Maßnahmen dar, vgl. Reiterer, The New Areas ofthe WTO: GATS, TRIMs,TRIPS, in: Breuss (Hrsg.), S. 21, 32. 154 Etter, Das Dienstleistungsabkommen der Uruguay-Runde und seine Bedeutung für die Schweiz, in: Cottier (Hrsg.), S. 91, 99. 155 So auch Hoekman/Sauve, Liberalizing Trade in Services, S. 31; Hoekman, The World Economy 1992 (Vol. 15), S. 707, 719.

IV. Die spezifischen VerpflichtWlgen

125

Von Art. XVI GATS selbst geht daher nicht die Verpflichtung aus, ausländischen Dienstleistungen und Dienstleistungserbringern tatsächlich einen effektiveren Marktzugang zu gewähren. Vielmehr liegt die Rechtspflicht zunächst nur darin, all jene Maßnahmen transparent zu machen, die nicht mit Art. XVI Abs. 2 GATS konform sind. Kommt der betroffene GATS-Mitgliedsstaat dieser Rechtspflicht zur Offenlegung der Beschränkungen nicht nach, darf er diese Maßnahme nicht mehr anwenden. bb) Die Schaffung eines Mindeststandards als Grundlage des weiteren Liberalisierungsprozesses Entsprechend Art. XVI Abs. 1 GATS ist jedes GATS-Mitglied verpflichtet, den Dienstleistungen und Dienstleistungserbringern eines anderen Mitglieds den Marktzugang zu einem bestimmten Dienstleistungssektor nach Maßgabe der in seiner Liste vereinbarten und festgelegten Bestimmungen, Beschränkungen und Bedingungen zu gewähren. Hinsichtlich der vier vom Übereinkommen erfaßten Erbringungsformen darf die Behandlung nicht weniger günstig sein, als dies aus der jeweiligen Liste hervorgeht. Die festgelegten Marktzugangsbedingungen legen mithin einen Mindeststandard fest, dessen Niveau der jeweilige GATS-Mitgliedsstaat nicht unterschreiten darr~6. Diese Festlegung schafft zunächst eine Bindung an eine bestimmte Rechtslage, die nicht durch die Einführung restriktiverer Marktzugangsbedingungen verändert werden darr~7. Diese Bindungswirkung wird gemeinhin als "Standstill" bezeichnet 'Sl • In dieser Hinsicht ist Art. XVI GATS mit Art. II des GATT vergleichbar. Die gemäß dieser Norm vereinbarten und konsolidierten Zollsätze dürfen von den Vertragsstaaten des GATT ebenfalls nicht mehr zuungunsten ausländischer Warenimporte verändert werden lS9 • Die Bindungen, die die GATS-Mitglieder im Rahmen ihrer Verpflichtungskataloge eingehen, schaffen mithin eine völkerrechtlich verbindliche Grundlage. Diese dient als Ausgangspunkt der kommenden multilateralen Liberalisierungsverhandlungen, in deren Rahmen Handelshemmnisse des internationalen Dienstleistungsverkehrs effektiv abgebaut werden können.

International Trade Regulation, § 31.161. Vgl. Schott/Buurman, The Uruguay ROWld, An Assessment, S. 107. I~I Zum Begriff des "standstill" als BindWlg des aktuellen Standes des Außenhandelsregime eines Staates Hoekman, Assessing the General Agreement on Trade in Services, in: MartinIWinters (Hrsg.), S. 327, 329; vgl. zu "Standstill"-Vereinbarungen im Rahmen des GATT Benedek, Die RechtsordnWlg des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 114. 1~9 Vgl. dazu Senti, GATT - System der WelthandelsordnWlg, S. 140; Carreau/Flory/Juillard, S. 112 f.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7 Rn 27. 1~6 McGovern,

1~7

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

cc) Die Vorbehalte hinsichtlich des Marktzugangs (Art. XVI Abs. 2 GATS) Art. XVI Abs. 2 GATS enthält einen Katalog bestimmter Marktzugangsbeschränkungen, deren Anwendung in einem liberalisierten Dienstleistungssektor nur dann zulässig ist, wenn sie auf der Liste der spezifischen Verpflichtungen vermerkt sind. (1) Verschiedene Formen quantitativer Beschränkungen

Diese Regelungsvorbehalte betreffen zunächst Maßnahmen, die quantitative Beschränkungen des Dienstleistungshandels darstellen (Art. XVI Abs.2 a-d GATS). Konkret handelt es sich dabei um Beschränkungen der Anzahl der Dienstleistungserbringer (a), des Gesamtwerts der Dienstleistungsgeschäfte oder des Betriebsvermögens (b), der Gesamtzahl der Dienstleistungen oder des Gesamtvolumens erbrachter Dienstleistungen (c) und der Gesamtzahl natürlicher Personen, die in einem Dienstleistungssektor tätig sind (d). Als Formen der Beschränkungen werden jeweils zahlenmäßige Quoten und das Erfordernis wirtschaftlicher Bedürfnisprüfung genannt l6O • Dieses grundsätzliche Verbot quantitativer Beschränkungen entspricht dem des Art. XI des GATT. Mengenmäßige Beschränkungen werden danach hinsichtlich der Aus - und Einfuhr von Waren untersagt. Gleichzeitig ist auf den erheblichen Unterschied zwischen Art. XVI Abs. 2 a-d des GATS und Art. XI des GATT hinzuweisen. Im Bereich des Warenverkehrs ist unter mengenmäßigen Beschränkungen nämlich eine Form der Diskriminierung gegenüber ausländischen Produkten zu verstehen. Dagegen stellen die von Art. XVI Abs. 2 ad GATS erfaßten Beschränkungen solche Maßnahmen dar, die den Zugang zu einem nationalen Markt eines Dienstleistungssektors für ausländische und inländische Anbieter gleichermaßen beeinträchtigen l61 • Bedeutsam ist dies deshalb, weil hieran deutlich wird, daß der vom GATS intendierte Liberalisierungsprozeß nicht bloß eine Marktöffnung gegenüber ausländischen Anbietern mit sich bringt, sondern letztlich ohne eine gewisse Liberalisierung auch gegenüber inländischen Anbietern nicht möglich ist l62 • Vor diesem Hintergrund ist die Sorge vieler Staaten, insbesondere der Entwicklungsländer, zu verstehen, 160 Hinsichtlich der Anzahl der Dienstleistungserbringer (a) stellen darüber hinaus Monopole und Dienstleistungserbringer mit ausschließlichen Rechten besondere Beschränkungsformen dar. 161 Man spricht daher auch von nicht-diskriminierenden (d. h. nicht ausschließlich gegenüber ausländischen Anbietem geltenden) Marktzugangsbeschränkungen, so etwa Hoekman/Sauve, Liberalizing Trade in Services, S. 33. 162 Vgl. dazu Hoekman, Assessing the General Agreement on Trade in Services, in MartinlWinters, S. 327,334 f.

IV. Die spezifischen Verpflichtungen

127

ihr souveränes Recht zur Regelung des innerstaatlichen Wirtschaftslebens sei durch die Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte gefährdet. Um dieser Sorge Rechnung zu tragen, wurde das Recht, "die Erbringung von Dienstleistungen in ihrem Hoheitsgebiet zu regeln" explizit in der Präambel des GATS erwähnt 163.

(2) Beschränkungen der rechtlichen Unternehmens/ormen und der Beteiligung ausländischen Kapitals Weitere Beschränkungen der Dienstleistungserbringung, die als Regelungsvorbehalte in den Listen der spezifischen Verpflichtungen aufzuführen sind, betreffen Maßnahmen, die bestimmte Arten rechtlicher Unternehmensformen beschränken oder vorschreiben (Art. XVI Abs. 2 e GATS), sowie Begrenzungen der Beteiligung ausländischen Kapitals an dienstleistungsrelevanten Investitionsprojekten (Art. XVI Abs.2 f GATS). Die Einordnung dieser Maßnahmen als Marktzugangsbeschränkungen ist allerdings insofern fragwürdig, als beide Beschränkungen im Hinblick auf die Ungleichbehandlung der ausländischen mit den inländischen Anbietern untersagt werden l64 • Diese ist jedoch nicht eine Frage des Marktzugangs (Art. XVI GATS), sondern gehört zum Regelungsgegenstand der Inländerbehandlung (Art. XVII). Insofern überlappen sich die Anwendungsbereiche der Art. XVI und XVII GATS. Um dies zu vermeiden, wäre eine Einordnung der unter Art. XVI Abs. 2 e und f GATS erfaßten Verbote unter Art. XVII GATS sinnvoller gewesen l65 •

(3) Die notwendige Einbeziehung der "Maßnahmen gleicher Wirkung" Die Bestimmung der Maßnahmen, die den Marktzugang beschränken, im Wege der Aufzählung bestimmter Formen von staatlichen Regulierungen bringt zwar den Vorteil mit sich, dem Art. XVI GATS· einen klar abgrenzbaren Anwendungsbereich zu verschaffen. Betrachtet man diese enumerative Vorgehensweise unter dem Gesichtspunkt eines möglichst breit anzulegenden Marktöffnungsprozesses, ergeben sich allerdings Bedenken an der Effektivität des Art. XVI GATS. Diese Bedenken sind darin begründet, daß Art. XVI

S. den vierten Halbsatz der Präambel des GATS. Daß diese Verbote auf die Gleichbehandlung ausländischer und inländischer Anbieter gerichtet sind, wird insbesondere an Art. XVI Abs. 2 f GATS deutlich; wird etwa einem ausländischen Anbieter eine prozentuale Höchstgrenze seiner Beteiligung an einer Investition vorgeschrieben, sind seine Wettbewerbschancen gegenüber unbegrenzt investitierenden Inländern erheblich schlechter. 165 Vgl. zu dieser Kritik Messerlin, La nouvelle organisation mondiale du commerce, S. 242 f.; Hoekman/Sauve, Liberalizing Trade in Services, S. 33. 163

164

128

C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

GATS in seiner jetzigen Form nur die Beschränkungen zu erfassen vermag, die sich eindeutig unter eine der sechs aufgezählte Formen staatlicher Regulierungen subsumieren lassen. Denkbar ist dagegen, daß ein Staat Maßnahmen erläßt, die zwar wie eine der aufgeführten Beschränkungsformen wirken, die jedoch nicht durch den Wortlaut des Art. XVI Abs. 2 GATS erfaßt werden. Diese Handelsbeschränkungen entziehen sich dem Regelungsbereich des Art. XVI GATS. Hier besteht also die Gefahr, daß die GATS-Mitgliedsstaaten die Bindungen zum Marktzugang umgehen. Zur Vermeidung dieser Umgehungsgefahr wäre es von Vorteil gewesen, Art. XVI Abs. 2 GATS würde weniger auf die Form der Maßnahmen als vielmehr auf deren Wirkung abstellen l66 • Dieser Aspekt hätte in das Konzept des Art. XVI GATS integriert werden können, indem man das Verbot nicht bloß auf die aufgezählten Marktzugangsbeschränkungen, sondern zusätzlich auf "Maßnahmen gleicher Wirkung" bezogen hätte l67 • Es bleibt allerdings abzuwarten, ob Art. XVI Abs. 2 GATS in etwaigen Streitbeilegungsverfahren trotz des Fehlens dieses Zusatzes in eben diesem Sinn interpretiert werden wird l61 •

b) Die Inländerbehandlung (Art. XVII GATS) aa) Gleichbehandlung ausländischer und inländischer Dienstleistungen Unter dem Gebot der Inländerbehandlung ist gemäß Art. XVII Abs. 1 GATS die Pflicht jedes GATS-Mitgliedsstaates zu verstehen, die Dienstleistungen und Dienstleistungserbringer eines anderen Mitglieds nicht weniger günstig als seine eigenen Dienstleistungen und Dienstleistungserbringer zu behandeln l69 • In allen Sektoren, die ein GATS-Mitglied in seine Liste der spezifischen Verpflichtungen aufuimmt, gilt mithin diese Pflicht zur Gleichbehandlung von ausländischen und inländischen Dienstleistungsprodukten und -produzenten. Wie im Rahmen des Art. XVI GATS ist jedes Mitglied auch in bezug auf die Inländerbehandlung berechtigt, auf seiner Liste Vorbehalte anzumelden. Diese 166 So auch Lentz, Liberalizing Trade in Services: International Tendencies - Global or Regional Approaches Discussed with References to GATS and the CIS-Framework, in: Böckstiegel (Hrsg.), S. 147, 156; S. außerdem Hoekman, Assessing the General Agreement on Trade in Services, in: MartinlWinters (Hrsg.), S. 327,328. 167 Dies entspricht der Vorgehensweise des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, vgl. dort etwa Art. 9 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1, Art. 12 oder Art. 34 Abs. 1 EGV. 161 S. zur Streitbeilegung unten C V 2. 169 Vgl. zur Inländerbehandlung Mestmäcker, Free Trade in Services: Regional and Global Perspectives, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Rules for Free Trade, S. 9,20 f.; Vigano, National Treatment in Trade in Services and Developing Countries, in: DikkelPetersmann (Hrsg.), S. 288 ff.; Krommenacker, World-traded Services, S. 168.

IV. Die spezifischen Verpflichtungen

129

benennen also die nationalen Regelungen, die entgegen der grundsätzlichen Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu einer Schlechterstellung ausländischer Dienstleistungsanbieter führen. Wiederum sind diese Vorbehalte jeweils in Hinsicht auf die vier möglichen Erbringungsfonnen anzugeben. Konkret bedeutet dies, daß darzutun ist. wie die jeweilige nationale Regelung eine bestimmte Erbringungsfonn mit der Folge einschränkt, daß ausländische Dienstleistungen und Dienstleistungserbringer gegenüber ihren inländischen Konkurrenten benachteiligt werden. bb) De facto-Gleichbehandlung statt de jure-Gleichbehandlung Gegenüber der Pflicht zur Inländerbehandlung im Rahmen des GATT, die in Art. III des GATT geregelt ist, unterscheidet sich Art. XVII GATS zum einen dadurch, daß die Inländerbehandlung keine allgemeine Pflicht, sondern eine spezifische Verpflichtung ist, welche konkret und in bezug auf die verschiedenen Erbringungsfonnen in einem bestimmten Diensdeistungssektor ausgehandelt werden muß l70 • Zum anderen unterscheiden sich die bei den Nonnen in dem Maßstab, der hinsichtlich der Feststellung der Gleich- bzw. der Ungleichbehandlung aufgestellt wird. Art. III des GATT legt diesbezüglich einen Maßstab an, der darauf gerichtet ist, eine de jure-Gleichbehandlung ausländischer mit inländischen Waren zu realisieren l7l • Dies bedeutet, daß ausländische und inländische Waren rechtlich denselben Abgaben und sonstigen Belastungen ausgesetzt sein sollen. Demgegenüber stellt Art. XVII Abs. 2 und 3 des GATS einen de facto-Gleichbehandlungsrnaßstab auf 72 • Gemäß Art. XVII Abs. 2 GATS kann dem Prinzip der Inländerbehandlung sowohl durch eine fonnal identische als auch durch eine fonnal unterschiedliche Behandlung ausländischer Dienstleistungen und Dienstleistungserbringer genüge getan werden. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liegt gemäß Art. XVII Abs. 3 GATS vor, wenn sich durch die jeweilige Behandlung, sei sie nun identisch oder nicht, die Wettbe-

170 Hoekman, The World Economy 1992 (Vol. 15), S. 707, 720; McGovern, International Trade Regulation, § 31.162; vgl. Wartenweiler, Vertragswerk für den Dienstleistungshandel - Neues Dossier multilateraler Verhaltensregeln, in: GemperlelZellerl Wartenweiler (Hrsg.), S. 27, 30 f. 171 S. insbesondere Art. III Abs. 1 und 2 des GATT, dazu Senti, GATT - System der Welthandelsordnung, S. 331 ff.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7 Rn 29; Carreau/FlorylJuillard, Droit international economique, S. 110 f. 172 BarthlPutscher, Die Bank 1994, S. 132, 134; HoekmanlSauve, Liberalizing Trade in Services, S. 32; Messerlin, La nouvelle organisation mondiale du commerce, S. 243.

9 Knehle,

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

werbsbedingungen des ausländischen gegenüber denjenigen eines inländischen Konkurrenten verschlechtern 171. Wird beispielsweise durch ein nationales Gesetz eine bestimmte Bankentätigkeit mit einer Abgabe belegt, die rechtlich für alle in dem Hoheitsgebiet ansässigen Geschäftsbanken gilt, so ist die Gleichbehandlung de jure gewährleistet. Stellt sich hingegen heraus, daß tatsächlich nur ausländische Banken aufgrund ihres Status' als Auslandsniederlassungen die betroffene Tätigkeit ausführen, so erweist sich die Erhebung der Abgabe als eine faktische Ungleichbehandlung l14 • Entscheidend ist mithin jeweils, ob eine bestimmte Maßnahme ihrer tatsächlichen Wirkung nach zu einer SchlechtersteIlung ausländischer Dienstleistungsanbieter führtl7S. Im Einzelfall wird der Nachweis dieser Wirkung nicht immer leicht sein. Insofern wird es der Entwicklung von präziseren Kriterien zur Feststellung der Ungleichbehandlung, etwa im Rahmen von Streitbeilegungsverfahren, bedÜTfen '76 • cc) Das Verhältnis von Inländerbehandlung und Marktzugang Die Abgrenzung zwischen Maßnahmen, die den Marktzugang betreffen, und solchen, die in den Bereich der Inländerbehandlung fallen, ist nur auf den ersten Blick eindeutig. Art. XVI GATS betrifft die Handelsbeschränkungen, die gegenüber allen ausländischen Bewerbern in der Weise wirken, daß diesen der Zutritt zu dem nationalen Dienstleistungsmarkt verwehrt ist. Hat demgegenüber ein ausländischer Anbieters in einer der vom GATS erfaßten Erbringungsformen Zutritt zu dem nationalen Markt erlangt, betrifft Art. XVII GATS die rechtlichen Wettbewerbsbedingungen des Anbieters auf dem jeweiligen Markt. In der Praxis läßt sich die Zuordnung einer staatlichen Maßnahmen zu den Regelungsbereichen der beiden Normen jedoch nicht immer trennscharf durchführen. Diesem Umstand trägt Art. XX Abs. 2 GATS dadurch Rechnung, daß Maßnahmen, die sowohl mit Art. XVI GATS als auch mit Art. XVII GATS nicht vereinbar sind, in der jeweiligen Liste der spezifischen Verpflichtungen in

171 S. dazu auch UNCTAD, The Outcome of the Uruguay Round: An Initial Assessment, S. 167. 174 Vgl. zu diesem Beispiel Messerlin, La nouvelle organisation mondiale du commerce, S. 243. 17S McGovern, International Trade Regulation, § 31.162. 176 S. dazu unten C V 2.

IV. Die spezifischen Verpflichtungen

131

die fiir Art. XVI GATS vorgesehene Spalte eingetragen werden. In diesem Fall gilt die EintragWlg "als BedingWlg oder Qualifikation auch zu Art. XVII"I71.

c) Die zusätzlichen Verpflichtungen (Art. XVIII GATS) Neben den VerpflichtWlgen zum Marktzugang Wld zur InländerbehandlWlg können sich die GATS-Mitglieder zusätzlichen VerpflichtWlgen gemäß Art. XVIII GATS Wlterwerfen. Welcher Art diese VerpflichtWlgen sind, läßt sich in zweierlei Hinsicht abgrenzen. Zum einen stellt Art. XVIII GATS eine Art ,,Auffangtatbestand" dar l7l • Alle VerpflichtWlgen, die sich nicht in die Kategorien des Marktzugangs Wld der InländerbehandlWlg fassen lassen, fallen mithin in den Bereich des Art. XVIII GATS. Zum anderen präzisiert Art. XVIII GATS diesen Bereich insofern, als hier insbesondere VerpflichtWlgen zur Beseitigoog von ,,Maßnahmen in bezug auf Qualifikations-, Normen- Wld ZulassWlgsfragen" erfaßt werden sollen 179• Die RegelWlgstechnik zur Übernahme von spezifischen VerpflichtWlgen im Bereich der Art. XVI Wld XVII GATS Wlterscheidet sich von derjenigen im Bereich des Art. XVIII GATS. Während die VerpflichtWlgen zum Marktzugang Wld zur InländerbehandlWlg Wleingeschränkt greifen, sobald ein Sektor ohne Vorbehalt in die Liste aufgenommen worden ist, legen die GATSMitglieder bei Art. XVIII GATS sowohl die VerpflichtWlg als auch Art Wld Umfang deren EinschränkWlg selber fest. Da der AnwendWlgsbereich des Art. XVIII GATS trotz dieser begrifflichen Eingrenzung vage bleibt, verwWldert es nicht, daß praktisch kein GATSMitglied in diesem Bereich VerpflichtWlgen übernommen hae 'o. Die meisten Listen der spezifischen VerpflichtWlgen lassen die für Art. XVIII GATS vorgesehene Spalte gänzlich frei oder führen diese Kategorie gar nicht auf. Soweit EintragWlgen gemacht sind, verweisen diese zumeist auf Maßnahmen, die das

171 Art. XX Abs. 2 Satz 2 GATS; wenn ein solcher Fall vorliegt, daß sich eine staatliche Maßnahme in einem Dienstleistungssektor als Beschränkung einer ErbringWlgsform Wlter dem GesichtpWlkt des Marktzugangs Wld der InländerbehandlWlg auffassen läßt, haben die Staaten in der Spalte zur InländerbehandlWlg zumeist auf die RegelWlg in der Spalte zum Marktzugang ausdrücklich verwiesen. 178 V gl. McGovern, International Trade Regulation, § 31.163: ,,Members may negotiate commitments with respect to measures affecting trade in services in addition to those regarding market access and national treatment.". 179 Vgl. Messerlin, La nouvelle organisation mondiale du commerce, S. 243; Reiferer, The New Areas ofthe WTO: Services, TRIMs, TRIPS, in: Breuss (Hrsg.), S. 21, 33 f. 110 S. dazu die auswertende BetrachtWlg der Listen der spezifischen Verpflichtung in UNCTAD, The Outcome ofthe Uruguay ROWld: An Initial Assessment, S. 169.

9*

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

jeweilige GATS-Mitglied im Rahmen zukünftiger Liberalisierungen zu ergreifen beabsichtigtlil. 3. Rechtswirkungen und Bedeutung der spezifischen Verpflichtungen nach der Maßgabe des Teil lIdes GATS Hat ein GATS-Mitglied eine spezifische Verpflichtung gemäß der Teile III und IV des Übereinkommens in einem bestimmten Dienstleistungssektor übernommen, so treten hinsichtlich dieses Sektors weitere Rechtswirkungen ein, die sich aus einer Reihe von Artikeln des Teil 11 des Übereinkommens ergeben. Diese Artikel sind daran erkennbar, daß ihr Wortlaut den jeweiligen Geltungsbereich der Norm auf die Sektoren begrenzt, "in denen spezifische Verpflichtungen übernommen werden""2. Systematisch gesehen, gehören diese Vorschriften eigentlich nicht in den Teil 11 des Übereinkommens, da dort laut Überschrift eigentlich lediglich ,,Allgemeine Pflichten und Disziplinen" geregelt werden, d. h. nur solche Verpflichtungen, die unabhängig von konkreten Liberalisierungskonzessionen in einzelnen Dienstleistungssektoren Geltung erlangen 18J. Zu den derartig geregelten Rechtswirkungen der spezifischen Verpflichtungen gehören zunächst die Norm zur Anwendung innerstaatlicher Regelungen in den liberalisierten Sektoren (Art. VI GATS), weiterhin die Norm zur Liberalisierung der Zahlungen und Übertragungen in den liberalisierten Sektoren (Art. XI GATS) und schließlich besondere Ausnahmetatbestände, nach denen sich das jeweilige Mitglied von einer spezifischen Verpflichtung lösen kann (Art. X und XII GATS). Zusätzlich ist in diesem Zusammenhang auf Art. IV GATS einzugehen. Den besonderen Interessen der Entwicklungsländer hinsichtlich des Aufbaus einer international konkurrenzfahigen Dienstleistungsindustrie wird im Rahmen des GATS durch diese Norm Rechnung getragen. Zu diesem Zweck soll der Liberalisierungsrahmen der Teile III und IV unter Berücksichtigung der entwicklungspolitisch bedingten Forderungen dieser Staaten genutzt werden, um die zunehmende Beteiligung von Entwicklungsländern am Welthandel im Bereich grenzüberschreitender Dienstleistungen zu realisieren.

I" UNCTAD, The Outcome ofthe Uruguay Round: An Initial Assessment, S. 169 f.

So etwa der Wortlaut von Art. VI Abs. 1 GATS, S. ebenfalls Art. VI Abs. 3,5 a, 6, Art. X Abs. X, Art. XI Abs. 1, Art. XII Abs. 1 GATS. 183 S. dazu auch schon oben C I 2. 112

IV. Die spezifischen VerpflichtWlgen

133

a) Die Anwendung innerstaatlicher Regelungen in den liberalisierten Dienstleistungssektoren (Art. VI GATS) Während der Präambel des GATS zu entnehmen ist, daß es das Recht der GATS-Mitglieder bleibt, "die Erbringung von Dienstleistungen in ihrem Hoheitsgebiet zu regeln und neue Vorschriften hierfür einzuführen", ist Art. VI GATS darauf gerichtet, dieses Souveränitätsrechts zumindest in bezug auf die Sektoren, in denen spezifische Verpflichtungen übernommen worden sind, gewissen grundlegenden normativen Bindungen zu unterwerfen. An dieser Vorschrift tritt damit der Grundkonflikt der Liberalisierungsbemühungen zutage l14 • Auf der einen Seite beharren die Staaten auf ihrem Souveränitätsrecht zur Regelung des innerstaatlichen Wirtschaftslebens. Auf der anderen Seite ist eine Öffuung der Dienstleistungsmärkte nur durch die Modifizierung der innerstaatlichen Regelungen zu erreichen, die sich als Handelsbarrieren der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung erweisen. Art. VI Abs. 1 GATS verlangt von den GATS-Mitgliedsstaaten, daß die innerstaatlichen Regelungen in den Bereichen, in denen spezifische Verpflichtungen übernommen worden sind, "angemessen, objektiv und unparteiisch" angewendet werden. Es wird damit also eine Art Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stipuliert lS5 • Soweit die innerstaatlichen Regelungen Qualifikationserfordernisse und -verfahren, technische Normen und Zulassungserfordernisse betreffen, wird dieser Grundsatz weitergehend konkretisiert, indem unter anderem gefordert wird, daß sie auf objektiven und transparenten Kriterien beruhen und nicht belastender als nötig sind, um die Qualität der Dienstleistung zu gewährleisten 186 • Daneben schreibt Art. VI Abs. 2 GATS Verwaltungs- und Rechtsweggarantien fest, um in allen GATS-Mitgliedsstaaten ein Mindestniveau an rechtsstaatlichen Einrichtungen zur Überprüfung von administrativen Entscheidungen zu gewährleisten, die im Zusammenhang mit der Erbringung von Dienstleistungen getroffen werden.

\14 Vgl. dazu Barth, EuZW 1994, S. 455, 457, der davon spricht, die Nonn spiegele diesen Konflikt von Handelsliberalisierung und Souveränitätsrechten in einer "Nußschale" wieder. 115 Vgl. zu diesem Begriff Etter, Das Dienstleistungsabkommen der Uruguay-Runde und seine BedeutWlg für die Schweiz, in: Cottier (Hrsg.), S. 91,98. 186 S. dazu Art. VI Abs. 5 a GATS in Verbindung mit dessen Abs. 4; gemäß Art. VI Abs.4 GATS wird der Rat für den Handel mit Dienstleistungen darüber hinaus beauftragt, in dieser Hinsicht allgemeine ,,Disziplinen" zu entwickeln. Hierunter sind Richtlinien zu verstehen, an denen sich die innerstaatlichen Verfahren orientieren sollen, vgl. McGovern, International Trade Regulation, § 31.141.

134

C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

Der Verpflichtungsgrad dieser Bestimmung ist allerdings als gering einzustufen, da in Art. VI Abs. 2 b GATS ausdrücklich bestimmt wird, daß das jeweilige GATS-Mitglied die erforderlichen Instanzen nicht einzurichten habe, "wenn dies mit seiner verfassungsmäßigen Struktur oder Rechtsordnung unvereinbar ist". b) Die Liberalisierung des Zahlungsverkehrs in den liberalisierten Dienstleistungssektoren (Art. XI GATS)

Übernimmt ein GATS-Mitglied in einem bestimmten Sektor eine spezifische Verpflichtung zur Liberalisierung dieses Sektors, so ist es entsprechend Art. XI Abs. 1 GATS grundsätzlich auch zur Aufhebung der Beschränkungen der internationalen Kapitaltransfers und der Zahlungen fiir laufende Transaktionen verpflichtet, die mit diesen spezifischen Verpflichtungen in Zusammenhang stehen I!7. Besondere Bedeutung hat diese Vorschrift fiir Verpflichtungen, die im ZuOsammenhang mit den ausländischen Direktinvestitionen stehen (Art. I Abs.2 c GATS), da zur Errichtung von dauerhaften Niederlassungen der Kapitaltransfer in erheblichem Umfang erforderlich ist ill • Gleichwohl gewährt das Übereinkommen gemäß Art. XI Abs. 2 GATS seinen Mitgliedern die Möglichkeit, entgegen dem Grundsatz des Art. XI Abs. 1 GATS den Kapitalverkehr zu beschränken. Voraussetzung dafiir ist jedoch, daß entweder eine der in Art. XII GATS umschriebenen Situationen vorliegt"9 oder daß der Internationale Währungsfonds als der in der Materie des internationalen Kapitalverkehrs zuständigen internationalen Organisation ein entsprechendes Ersuchen stellt. Ein solches Ersuchen wird regelmäßig gestellt werden, wenn die Zahlungsbilanz eines GATS-Mitgliedsstaates nach der Einschätzung des Internationalen Währungsfonds in Ungleichgewicht geraten ist und daher insbesondere der weitere Devisenverlust durch Begrenzung des grenzüberschreitenden Kapitalflusses in andere Staaten verhindert werden muß l90 •

111 Vgl. dazu Hoekman, Assessing the General Agreement on Trade in Services, in: Martin/Winters (Hrsg.), S. 327,335.

lBa Daher wird in Art. XVI Abs. 1 GATS (Anmerkung 8) die Pflicht zur liberalisierung des Kapitalverkehrs in Hinsicht auf diese Erbringungsform ausdrücklich erwähnt, obwohl diese Pflicht eigentlich schon durch Art. XI GATS festgeschrieben ist, vgl. dazu auch UNCTAD, The Outcome ofthe Uruguay Round: An Initial Assessment, S. 160. 189 S. dazu unten C IV 3 c. 190 S. dazu UNCTAD, The Outcome of the Uruguay Round: An Initial Assessment, S.160.

IV. Die spezifischen VerpflichtWlgen

135

c) Die besonderen Ausnahmetatbestände in den liberalisierten Dienstleistungssektoren

Das GATS sieht hinsichtlich der spezifischen Verpflichtungen besondere Ausnahmetatbestände vor. Liegen die darin festgelegten Voraussetzungen vor, so kann sich das jeweilige GATS-Mitglied von einer bestimmten spezifischen Verpflichtung vorzeitig lösen. Bei diesen Ausnahmevorschriften handelt es sich zum einen wn Art. X GATS, der die Ergreifung von Notstandsmaßnahmen erlaubt, und zum anderen wn Art. XII GATS, der Beschränkungen der Anwendung spezifischer Verpflichtungen zum Schutz der Zahlungsbilanz des jeweiligen GATS-Mitgliedes ermöglicht. Von den allgemeinen Ausnahmebestimmungen der Art. XIV und XlVbis GATS unterscheiden sich diese Vorschriften dadurch, daß nach jenen Normen dauerhafte Ausnahmen von GATS-Verpflichtungen zugelassen werden, während nach diesen Normen unter den gegebenen Voraussetzungen nur zeitlich begrenzte Ausnahmen möglich sind l91 • Darüber hinaus liegt der Unterschied darin, daß sich die allgemeine Ausnahmetatbestände auf die Anwendung aller GATS-Normen beziehen, während die besonderen Ausnahmevorschriften nur bezüglich der spezifischen Verpflichtungen angewendet werden können l92 • Es ist signifikant, daß sich diese besonderen Ausnahmetatbestände allein auf die spezifischen Verpflichtungen der GATS-Mitglieder beziehen. Denn dies verdeutlicht, daß allein diese Verpflichtungen zu einer spürbaren Bindung der Staaten zur Öffnung ihrer Dienstleistungsmärkte fiihren. Nur aufgrund der Listen der spezifischen Verpflichtungen werden die GATS-Mitglieder zu Maßnahmen gezwungen, deren Rückgängigmachung etwa im Fall von ZahlWlgsbilanzschwierigkeiten (Art. XII GATS) eine effektive Beschränkung der Marktzutrittsmöglichkeiten ausländischer Dienstleistungsanbieter bewirkt. Ginge auch von den allgemeinen VerpflichtWlgen des Teil 11 eine solche MarktöffnWlgswirkWlg aus, müßten sich die besonderen Ausnahmetatbestände auch auf diese Verpflichtungen beziehen.

191 S. zu dieser UnterscheidWlg von dauerhaften Wld zeitlich begrenzten Ausnahmevorschriften im GATS Wld in anderen multilateralen Handelsverträgen Hoekman, The World Economy 1993 (Vol. 16), S. 29 ff. 192 S. zu dieser UnterscheidWlg im Rahmen des GATT Senfi, GATT - System der WelthandelsordnWlg, S. 200 f., der in dieser Hinsicht die Begriffe der "Wliversellen·' bzw. der "spezifischen Schutzmaßnahmen" verwendet.

136

C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

aa) Notstandsmaßnahmen (Art. X GATS) Die von Art. X GATS erfaßten Notstandsmaßnahmen betreffen einen normativen Bereich, der im Warensektor vor allem von Art. XIX des GATT geregelt ist und der dort sehr konfliktbeladen ist l93 • Es geht hier um die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Staat von ihm selbst gemachte Handelszugeständnisse zumindest zeitweilig aussetzen kann, wenn die heimischen Produzenten einer bestimmten Ware aufgrund der Zunahme der durch die Zugeständnisse erleichterten Wareneinfuhr in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten l94 • Um die Überwindung dieser Anpassungsschwierigkeiten an den erhöhten Konkurrrenzdruck, der durch das verstärkte Auftreten ausländischer Anbieter entsteht, zu ermöglichen, sieht Art. XIX des GATT vor, daß der Staat seine Zugeständnisse in dem betroffenen Warensektor ganz oder teilweise zurücknehmen kann. Allerdings ist der Staat dazu verpflichtet, mit den Staaten, deren Exporteure durch die Rücknahme der Zugeständnisse Nachteile erleiden, in Verhandlungen zu treten und Entschädigung fiir diese Nachteile zu leisten l9s • Können sich die beteiligten Staaten nicht einigen, so steht es den benachteiligten Staaten frei, ihrerseits mit der Rücknahme entsprechender Handelszugeständnisse zu reagieren l96 • Da sich die Verhandlungs führer bei den GATS-Verhandlungen noch nicht auf eine dem Art. XIX des GATT entsprechende Norm verständigen konnten, schreibt Art. X Abs. I GATS lediglich ein weiteres Verhandlungsmandat fest, wonach vorgesehen ist, daß innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten des Übereinkommens konkrete Ergebnisse zu erzielen sind. Für die Phase bis zum Inkrafttreten dieser Ergebnisse sieht Art. X Abs. 2 GATS eine Übergangsregelung vor. Ein GATS-Mitglied kann sich danach von einer spezifischen Verpflichtung lösen, indem es dem Rat fiir den Handel mit Dienstleistungen mitteilt, daß es bestimmte Zugeständnisse nach Ablauf eines Jahres ändert oder zurücknimmt. Die einzige Anforderung, die Art. X Abs. 2 GATS an den Staat stellt, ist, daß er begründet, warum die Änderung oder Rücknahme nicht bis zum Ende der in Art. XXI Abs. 1 GATS vorgesehenen Dreijahresfrist aufgeschoben werden kann. Nach Art. XXI GATS ist es den GATS-Mitgliedsstaaten erlaubt, nach Ablauf von drei Jahren ihre Listen der spezifischen Zugeständnisse zu modifizie-

193 Vgl. zu Art. XIX des GATT Sen/i, GATT - System der WeIthandelsordnung, S. 240 ff.; Carreau/Flory/Juillard, Droit international economique, S. 135ff.; Hoekman, The World Economy 1993 (Vol. 16), S. 29, 32. 194 Vgl. Art. XIX Abs. 1 a GATT. 19S Art. XIX Abs. 2 GATT. 196 Art. XIX Abs. 3 a und b GATT.

IV. Die spezifischen VerpflichtWlgen

137

ren, vorausgesetzt, daß sie den dadurch benachteiligten GATS-Mitglieder Entschädigungen leisten 197 • Aus dieser Bezugnahme auf Art. XXI GATS ist zu schließen, daß ein Staat, der sich auf Art. X Abs. 2 GATS beruft, ebenfalls an die Pflicht zur Leistung von Entschädigungen für die Rücknahme von Zugeständnissen gebunden ist I9'. Wäre dies nicht der Fall, käme den Listen der spezifischen Verpflichtungen nur eine äußerst begrenzte Bedeutung zu, da es jedem GATS-Mitglied offenstünde, seine Verpflichtungen durch Notifikation gegenüber dem GATS-Rat zu annullieren, ohne mit nachteiligen Folgen rechnen zu müssen l99 • bb) Beschränkungen zum Schutz der Zahlungsbilanz (Art. XII GATS) Unter Zahlungsbilanzschwierigkeiten versteht man eine Situation, in der die Währungsreserven eines Staates aufgrund einer gegenüber dem Ausland negativen Handelsbilanz gefährdet sind oder auf einem sehr niedrigen Niveau liegen2OO • Gerät ein GATS-Mitglied in eine derartige Situation, gewährt Art. XII GATS die Möglichkeit, die Anwendung spezifischer Verpflichtungen auszusetzen, um die Marktchancen ausländischer Dienstleistungsanbieter in dem betroffenen Staat entgegen der ursprünglich herbeigeführten Liberalisierung zeitweilig wiederum zu verschlechtern und dadurch die Außenhandelsbilanz des Staates zu verbessern201 • Allerdings dürfen diese Restriktionen nicht diskriminierend gegenüber einzelnen ausländischen Anbietern sein, sondern müssen sich im Sinne des Meistbegünstigungsprinzips auf alle Konkurrenten mit ausländischer Herkunft beziehen202 • Weiterhin müssen die Maßnahmen zeitlich begrenzt sein und progressiv wieder abgebaut werden, sobald sich die Zahlungsbilanz des betroffenen Staates verbessert hat 20). Schließlich hat sich der gemäß Art. XII GATS handelnde Staat einem multilateralen Konsultationsund Überwachungsverfahren zu unterwerfen, durch das die Wiederherstellung

Vgl. zu Art. XXI GATS schon oben C IV 1 c aa. , So auch McGovern, International Trade regulation, § 31.151; vgl. UNCTAD, The Outcome ofthe Uruguay ROWld: An Initial Assessment, S. 159 f. 199 Anzumerken ist, daß die RegelWlg des Art. X Abs. 2 GATS insofern problematisch ist, als der Norm keine VoraussetzWlgen zu entnehmen sind, wann ein GATSMitglied eine spezifische VerpflichtWlg aussetzen darf, um einen heimischen DienstleistWlgserbringer zu schützen. Inwieweit sich die Staaten auf Art. X Abs. 2 GATS berufen können, ist daher Wlk1ar. 200 Senti, GATT - System der WeithandelsordnWlg, S. 259; vgl. CarreaulFlory/Juillard, Droit international economique, S. 119 f. 201 S. dazu Hoekman, The World Economy 1993 (Vol. 16), S. 29, 38; McGovern, international Trade Regulation, § 31.151. 202 Art. X Abs. 2 a GATS. 203 Art. XII Abs. 2 e GATS. 197

19.

138

C. Das GATS als Rahmenregehmg des Dienstleisnmgshandels

des ursprünglichen Niveaus der spezifischen Verpflichtungen überprüft werden sol1204.

d) Die zunehmende Beteiligung der Entwicklungsländer (Art. IV GATS) Das Zustandekommen des GATS war geprägt von der Überwindung des Widerstands der Entwicklungsländer gegen die Einbeziehung des internationalen Dienstleistungsverkehrs in den multilateralen Liberalisierungsrahmenlos . Daher liegt es nahe, daß das Übereinkommen an verschiedenen Stellen explizit auf die besonderen entwicklungspolitisch bedingten Interessen dieser Staaten eingeht. Neben der Präambel, in der die "Weiterentwicklung der Entwicklungsländer"l06 als eine der Zielsetzungen des GATS genannt wird, ist in diesem Zusammenhang vor allem Art. IV GATS von Bedeutung. aa) Der Begriff der Entwicklungsländer Das Übereinkommen verzichtet auf eine begriffliche Definition der Entwicklungsländer. Im Rahmen des GATT wird demgegenüber die Gruppe dieser Staaten zumindest in der Weise eingegrenzt, indem in Art. XVIII Abs. 1 GATT von den Vertragsparteien gesprochen wird, "deren Wirtschaft nur einen niedrigen Lebensstandard zuläßt und sich in den Anfangsstadien der Entwicklung befindet"107. Es besteht jedoch Einigkeit darüber, daß sich der Begriff der Industriestaaten auf die Mitgliedsstaaten der OECD bezieht. Darüber hinaus werden hierzu mittlerweile auch die Staaten gezählt, die in den letzten Jahren eine relativ starke Industrialisierung erfahren haben, die sog. New Industrialized Countries (NIC'sYOI • Hieraus läßt sich also ex negativo schließen, daß die übrigen

104 Art. XII Abs. 5 a - e GATS; bei diesem Verfahren kooperiert der GATS-Ausschuß für Zahlungsbilanzbeschränkungen mit dem Internationalen Währungsfonds, dessen statistischen Feststellungen und Beurteilungen der währungspolitischen Situation des betroffenen GATS-Mitgliedsstaates zur Grundlage des Überwachungsverfahrens gemacht werden. lOS S. dazu oben insbesondere B 11 2. 106 Halbsatz 2 der Präambel. Des weiteren greift die Präambel in Halbsatz 5 bereits die Regelung des Art. IV GATS auf, indem "die zunehmende Beteiligung der Entwicklungsländer am Handel mit Dienstleistungen und die Ausweinmg ihrer Dienstleistungsausfuhren unter anderem durch die Stärkung der Kapazität, Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit ihrer inländischen Dienstleistungen" als Ziele des Übereinkommens Erwähnung finden. 107 S. dazu Senti, Die Stellung der Entwicklungsländer im GATT, in: Sautter (Hrsg.), S. 19,20 f.; ders., GATT - System der Welthandelsordnung, S. 312 ff. 101 Senti, Die Stellung der Entwicklungsländer im GATT, in: Sautter (Hrsg.), S. 19, 21.

IV. Die spezifischen VerpflichtWlgen

139

Staaten als Entwicklungsländer zu bezeichnen sind. Dies läßt freilich die Frage offen, welcher Status den Staaten zukommt, deren Wirtschaft sich im Zustand des Übergangs von einer staatlich gelenkten Handelsordnung zu einem marktwirtschaftlich organisierten System befmdet. Gemessen an den derzeitigen wirtschaftlichen Eckdaten dieser Staaten liegt vielfach eine Einordnung in die Kategorie der Entwicklungsländer nahe. Andererseits wäre es verfehlt, davon zu sprechen, diese Staaten befänden sich "in den Anfangsstadien der Entwicklung", da sie in ihrer ganz überwiegenden Zahl über ein hohes Bildungsniveau der Bevölkerung und gute infrastrukturelle Rahmenbedingungen verfUgen. Ob sich diese Staaten auf die vom GATS stipulierte Sonderbehandlung werden berufen können, ist mithin nicht zuletzt von ihrer kommenden wirtschaftlichen Entwicklung abhängig209 • bb) Berücksichtigung der Entwicklungsinteressen und Non-Reziprozität Gemäß Art. IV Abs. 1 GATS ist die zunehmende Beteiligung der Entwicklungsländer am internationalen Austausch von Dienstleistungsprodukten "durch ausgehandelte spezifische Verpflichtungen der verschiedenen Mitglieder nach den Teilen III und IV" zu erleichtern. Das Liberalisierungskonzept der sektorspezifischen Marktöffnung einzelner Dienstleistungssektoren findet also auf diese Staaten in derselben Weise wie auf die Industriestaaten Anwendung2lO • Allerdings wird gleichzeitig vorgegeben, welcher Art die Liberalisierungsverpflichtungen im Verhältnis zu den Entwicklungsländern sein sollen. Art. IV Abs. 1 präzisiert diesbezüglich, diese Verpflichtungen sollten sich zunächst auf (a) "die Stärkung der Kapazität, Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit ihrer inländischen Dienstleistungen, unter anderem durch Zugang zu Technologie auf kommerzieller Grundlage", weiterhin auf (b) "die Verbesserung ihres Zugangs zu Vertriebswegen und Infortnationsnetzen" und schließlich auf (c) "die Liberalisierung des Marktzugangs in Sektoren und Erbringungsfortnen, die von Ausfuhrinteresse für diese Länder sind", beziehen. Mit diesen Präzisierungen trägt das GATS zwar explizit den besonderen Entwicklungserfordernisse und Grundbedürfnisse der Entwicklungsländer hinsichtlich der weltweiten Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs Rechnung. Diese liegen in dem Bedürfnis nach dem Ausbau der inländischen infrastruktu-

209 Das Beispiel der BehandlWlg der NIC's im Rahmen des GATI veranschaulicht, daß die bevorzugte StellWlg bestimmter Staaten in dem Maß abnimmt, wie diese den Abstand zu den wirtschaftlich dominierenden Handelspartnern abzubauen in der Lage sind, S. dazu Senti, Die Stellung der EntwicklWlgsländer im GATI, in: Sautter (Hrsg.), S. 19,21. 210 Vgl. dazu Messerlin, La nouvelle organisation mondiale du commerce, S. 251 f.; UNCTAD, The Outcome ofthe Uruguay ROWld: An Assessment, S. 155 ff.

140

C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

rellen Rahmenbedingungen, insbesondere nach technologischer Ausrüstung, in dem Bedürfuis nach Zugang zu den internationalen Vermarktungssystemen im Dienstleistungssektor sowie in der Ausweitung des Handels in bestimmten Sektoren, in denen diese Staaten international konkurrenzfähig sind21l • Entscheidend ist jedoch, daß Art. IV GATS den Entwicklungsländern keine Sonderstellung hinsichtlich der effektiven Übernahme von Liberalisierungsverpflichtungen seitens der Industriestaaten einräumt. Diese werden nicht zwingend dazu verpflichtet, den unterentwickelten Staaten Konzessionen zu machen, die sie anderen GATS-Mitgliedern gerade nicht zugestehen. Daher ist Art. IV Abs. 1 GATS lediglich als eine Erklärung der "guten Absichten" der Industriestaaten hinsichtlich der Berücksichtigung der Interessen der Entwicklungsländer zu bezeichnen2l2 • Im Gegensatz dazu besteht im Rahmen des GATT die Möglichkeit, daß die Industriestaaten den Entwicklungsländern insgesamt oder bestimmten regional begrenzten Gruppen von Entwicklungsländern Zollpräferenzen zugestehen, die nicht dem Regime der unbedingten und sofortigen Meistbegünstigung unterliegen und daher den wirtschaftlich schwachen Staaten bevorzugte Marktzugangschancen gewähren 2ll • Die Effektivität dieser entwicklungspolitisch bedingten Vorzugsbehandlung zur Steigerung des Exportvolumens unterentwickelter Staaten ist allerdings seit dem Ende der siebziger Jahre zunehmend in Zweifel gezogen worden, da der Zoll im Bereich des Warenverkehrs an Bedeutung verloren und statt dessen die sog. Nicht-tarifären Handelshemmnissen an Bedeutung gewonnen haben. Statt einer Vorzugsbehandlung der Entwicklungsländer wird daher vermehrt gefordert, den Entwicklungsländern tatsächlich zu denselben Bedingungen begegnen wie allen anderen Staaten auch2l4 • Nicht zuletzt diese Erfahrungen aus dem Bereich des Warenverkehrs haben ihren Niederschlag in der Fassung des Art. IV GATS gefunden.

211 S. dazu Mark/Helleiner, Trade in Services - The Negotiating Concerns ofthe Developing Countries, S. 4 ff.; Keppler, Interessen der Entwicklungsländer bei einer zukünftigen vertraglichen Regelung des internationalen Dienstleistungsaustauschs, in: Sautter (Hrsg.), S. 49 ff., insb. S. 57 ff.; Schott/Mazza, JWTL 1986 (Vol. 20), S. 253 ff, insb. S. 259 ff.; Ewing, JWTL 1985 (Vol. 19), S. 147 ff., insb. S. 150 ff. 212 So auch UNCTAD, The Outcome of the Uruguay Round: An Assessment, S. 156 ("a statement of good intentions"). 213 Die Einführung der umfassenden Gewährung von Präferenzzöllen wurde 1979 mit der sog. Enabling Clause realisiert: "Ungeachtet des Artikels I des GATT können die Vertragsparteien den Entwicklungsländern eine differenzierte und günstigere Behandlung gewähren, ohne diese behandlung den anderen Vertragsparteien zu gewähren.", GATT, BISD, 26. Supp. (1980), S. 203;S. dazu Langhammer, Die Sonderbehandlung der Entwicklungsländer im GATT, in: Beihefte zur Konjunkturpolitik 1987 (Heft 34), S. 117 ff. 214 S. dazu Sen/i, Die Stellung der Entwicklungsländer im GATT, in: Sautter (Hrsg.), S. 19,23 ff.

IV. Die spezifischen Verpflichtungen

141

Art. IV Abs. 2 GATS gewährt den Entwicklungsländern eine besondere Behandlung hinsichtlich des Zugangs zu Infonnationen über verschiedene Aspekte des internationalen Dienstleistungsverkehrs. Insbesondere die Verbesserung der beruflichen Qualifikationen und die Verfiigbarkeit von Dienstleisrungstechnologie stehen im Vordergrund des Infonnationsbedarf dieser Staaten. Zu diesem Zweck werden die entwickelten Staaten zur Einrichtung von KontaktsteIlen verpflichtet, die den Entwicklungsländern den Zugang zu diesen Infonnationen ennöglichen sollen 21s • Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang auf die Sonderstellung der Entwicklungsländer bei der Aushandlung der spezifischen Verpflichtungen hinzuweisen. Während im wechselseitigen Verhältnis der Industriestaaten die Gewährung von Handelsvorteilen im Dienstleistungssektor auf der Grundlage von Art. XIX Abs. 1 GATS nach dem Prinzip der Reziprozität zu erfolgen hat, gilt hinsichtlich der Entwicklungsländer die Ausnahmeregelung des Art. XIX Abs. 2 GATS. Danach findet der Liberalisierungsprozeß "unter angemessener Berücksichtigung der nationalen politischen Zielsetzungen und des Entwicklungsstands der einzelnen Mitglieder sowohl allgemein als auch in einzelnen Sektoren statt"216. Konkret bedeutet dies, daß in den multilateralen Liberalisierungsrunden die Entwicklungsländer nicht gleichwertige Zugeständnisse gegenüber denen der Industriestaaten zu machen haben. Dieses Prinzip der sog. Non-Reprozität wurde bereits im Rahmen des GATT entwickelt und ausdrücklich in Art. XXXVI Abs. 8 GATT nonniert 2l7 • cc) Bewertung Insgesamt ist festzustellen, daß die Interessen der Entwicklungsländer zwar hinreichend Erwähnung im Vertragsrahmen des GATS gefunden haben. Das Konzept der Einbeziehung dieser Staaten in den internationalen Dienstleistungsaustauschs beruht jedoch stärker als das des GATT auf dem Grundgedanken des "Trade instead of aid". Indem auf eine Präferenzierung der Entwicklungsländer hinsichtlich deren Dienstleistungsausfuhren verzichtet wird, bringt das GATS das Vertrauen auf die Vorteilhaftigkeit der weltweiten Liberalisierung für alle Handelspartner zum Ausdruck. Inwieweit man damit der Zielvorgabe des GATS, die Entwicklungsländer zunehmend am Handels-

21S

S. dazu McGovern, International Trade regulations, § 31. 123.

216 Art. XIX Abs. 2 Satz 1 GATS.

217 Zur Non-Reziprozität im Rahmen des GATT S. Senti, GATT - System der Welthandelsordnung, S. 318 f.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7 Rn 14; Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, 53 f.; Schultz, Dienstleistungen und Entwicklungsländer - Positionen der Dritten Welt zur Einbindung des Dienstleistungshandels in den GATT-Rahmen, in: Sautter (Hrsg.), S. 69, 72.

142

C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

volumen des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs zu beteiligen, gerecht wird, bleibt angesichts der strukturellen Nachteile dieser Staaten gegenüber den entwickelten Handelspartnern abzuwarten. 4. Zusammenfassung

Auf der Ebene der spezifischen Verpflichtungen liegt der Regelungsschwerpunkt im Bereich derjenigen Bindungen, aufgrund derer die GATSMitgliedsstaaten zur effektiven Liberalisierung ihrer nationalen Dienstleistungsmärkte verpflichtet werden. Es handelt sich in zweifacher Hinsicht um ein "spezifisches" Liberalisierungskonzept. Die Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbschancen ausländischer Anbieter auf den heimischen Dienstleistungsmärkten werden zum einen in Hinsicht auf einzelne Dienstleistungssektoren ergriffen, zum anderen in Hinsicht auf eine der vier vorn Übereinkommen erfaßten Formen der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung. Die zu diesem Zweck aufgestellten Listen der spezifischen Verpflichtungen entsprechen den Zollkonzessionslisten im Rahmen der GATT. Allerdings enthalten die GATS-Verpflichtungslisten Bindungen in Hinsicht auf einzelne Dienstleistungssektoren und Erbringungsformen, die im Rahmen des GATT allgemeine Verpflichtungen darstellen. So bezieht sich die Pflicht zur Inländerbehandlung im Rahmen des GATT auf alle Waren, während sie im Rahmen des GATS nur spezifische Geltung in Hinsicht auf einzelne Dienstleistungsformen und -erbringungsformen erlangt. Das Liberalisierungskonzept der sektorspezifischen Marktöffnung nach Maßgabe der Normen zum Marktzugang und zur Inländerbehandlung gibt den systematischen Rahmen für die Liberalisierung einzelner Dienstleistungssektoren vor. Hierin ist die besondere Bedeutung der Teile III und IV des GATS zu sehen.

V. Die institutionellen Aspekte des GATS Die Funktionsfähigkeit des GATS als Rahmenregelung zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsverkehrs hängt in einern hohen Maß von der Einbindung des Vertrages in das institutionelle und organisatorische Gefüge der neugegründeten Welthandelsorganisation (WTO) abm . Die normativen Grund-

218 S. zum institutionellen Gefüge der WTO StolI, ZaöRV 1994 (Vol. 54), S.241, 257 ff.; Senti, Die neue Welthandelsordnung, ORDO 1994 (Vol. 45), S. 301, 302 ff.;

V. Die institutionellen Aspekte des GA TS

143

lagen dieser Einbindung in das WTO-System sind zum einen der Teil V des GATS und zum anderen das Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (im folgenden WTO-Übereinkommen)219. Darüber hinaus sind in diesem Zusammenhang zwei zusätzliche Vereinbarungen von Bedeutung, die als Anhänge des WTO-Übereinkommens dessen integraler Bestandteil sind. Bei diesen Anhängen handelt es sich um die "Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Streitbeilegung" und die "Vereinbarung über den Handelspolitischen Prüfungsmechanismus". Im folgenden sollen die institutionellen und organisatorischen Aspekte des GATS in aller Kürze verdeutlicht werden. Im einzelnen betrifft dies die Darlegung der organisatorischen Einbindung des GATS in das institutionelle Gefiige der WTO (dazu unter 1.), des Verfahrens zur Beilegung von Streitigkeiten, die aufgrund des GATS zwischen seinen Mitgliedsstaaten entstehen (dazu unter 2.), und des Mechanismus zur Überprüfung der Handelspolitik und -praktiken (dazu unter 3.).

1. Die Ein bindung des GATS in das institutionelle Gefüge der WTO a) Das GATS als integraler Bestandteil des WTO-Übereinkommens

Gemäß Art. 11 Abs. 2 des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation sind die Anhänge 1, 2 und 3 dieses Übereinkommens dessen integraler Bestandteil und fiir alle WTO-Mitglieder verbindlich. Das GATS gehört zu Anhang 1, der das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen mit den dazugehörigen Nebenübereinkünften fiir den Bereich des Warenhandels 220 (GATT, Anhang 1 A), das GATS (Anhang 1 B) und das Übereinkommen über die handelsbezogenen Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TradeRelated Intellectual Property Rights (TRIPS), Anhang 1 C) enthält. Ein Staat kann nur Mitglied der WTO sein, wenn er auch Vertragspartner dieser anderen Übereinkommen wird221 • Eine Besonderheit gilt gemäß Art. XI Abs. 1 des WTO-Übereinkommens hinsichtlich der Mitgliedschaft der Europäischen Ge-

Lowenfeld, AJIL 1994, S. 477,478 ff.; Jackson, RGDIP 1994, S. 675,678 ff.; Jansen, EuZW 1994, S. 333,334 ff.; Oppermann/Beise, EA 1994, S. 195,196 f. 219 Abgedruckt in BGB!. 1994 TI, S. 1442 ff (eng!. Originaltext), S. 1624 ff. (deutsche Übersetzung). 220 Das GATT und insbesondere die vielfältigen Nebenabkünfte im Bereich des Warenhandels sind im Rahmen der Uruguay-Runde umfassend reformiert worden, so daß das WTO-Übereinkommen vom GATT 1994 in Abgrenzung zum GATT 1947 spricht, vgl. Art. 11 Abs. 4 des WTO-Übereinkommens. 221 S. dazu Lowenfeld, AJIL 1994, S. 477, 478; Senfi, Die neue Welthandelsordnung, ORDO 1994 (Vo!. 45), S. 301, 302.

144

C. Das GATS als Rahmenregehmg des DienstieistUllgshandels

meinschaften. Diese sind als solches Mitglied der WTO. Daneben haben jedoch die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften ebenfalls jeweils den Status von WTO-Mitgliedernm . GATT, GATS und TRIPS werden daher als Multilaterale Handelsübereinkommen bezeichnet, während die in Anhang 4 aufgefiihrten Verträge Plurilaterale Übereinkommen genannt werden22J • Letztere sind zwar auch Bestandteil des WTO-Übereinkommens, zeichnen sich jedoch dadurch aus, daß sie nur fiir die Staaten verbindlich sind, die sie gesondert unterzeichnet haben224 • b) Das GATS als Zuständigkeitsbereich der WTO-Organe

Entsprechend Art. III des WTO-Übereinkommens ist es die Aufgabe der WTO, die DurchfUhrung, die Verwaltung und das Funktionieren der Multilateralen Übereinkommen, zu denen das GATS zählt, zu f6rdern22'. Zu diesem Zweck dient sie einerseits als Forum der Verhandlungen zwischen ihren Mitgliedern über deren multilaterale Handelsbeziehungen226 • Andererseits ist innerhalb der WTO ein komplexer institutioneller Rahmen mit einer Reihe von Organen geschaffen worden, die sich mit den Übereinkommen befassen, die in den Zuständigkeitsbereich der Organisation fallen 227 • Oberstes Organ der WTO ist die Ministerkonferenz, die sich aus Vertretern aller Mitgliedsstaaten zusammensetzt und mindestens einmal innerhalb von zwei Jahren tagen. Zwischen den Tagungen der Ministerkonferenz übernimmt der Allgemeine Rat deren Funktionen229 • Dieser tritt als ständig tätiges Exekutivorgan der WTO so oft zusammen, wie dies zur Erfiillung seiner Aufgaben erforderlich ist. Ebenso wie die Ministerkonferenz besteht der Allgemeine Rat Barth, NJW 1994, S. 2811, 2812. Art. 11 Abs. 2 bzw. 3 des WTO-Übereinkommens. 224 Art. II Abs. 3 Satz 2 des WTO-Übereinkommens; es handelt sich hierbei um besondere Übereinkommen aus dem Bereich des Warenverkehrs (Öffentliches Beschaffungswesen, Handel mit Zivilluftfahrzeugen, Milcherzeugnisse Ulld Rindfleisch). m Vgl. dazu Jansen, EuZW 1994, S. 333, 334; Jackson, RGDIP 1994, S. 675, 678 f.; Lowenfeld, AJIL 1994, S. 477, 478; Barth, NJW 1994, S. 2811 f. 226 Vgl. Art. III Abs. 2 des WTO-Übereinkommens; die gemäß Art. XIX des GATS durchzuführenden VerhandlUllgsTUllden zur weiteren LiberalisierUllg des DienstleistUllgshandels werden mithin Ullter den Auspizien Ulld im organisatorischen Rahmen der WTO stattfinden, S. dazu auch Blankort, Aussenwirtschaft 1994 (Vol. 49), S. 17, 20; oben schon C IV 1 d. 227 S. zum Überblick das Organigramm der WTO bei Reiterer, The New Areas ofthe WTO: Services, TRIMs, TRIPS, in: Breuss (Hrsg.), S. 21,27; vgl. auch Hauser/Schanz, Das neue GATT - Die WelthandelsordnUllg nach Abschluß der Uruguay-RUllde, S. 55. 221 Art. IV Abs. 1 des WTO-Übereinkommens. 229 Art. IV Abs. 2 des WTO-Übereinkommens. 222 223

V. Die institutionellen Aspekte des GATS

145

aus Vertretern aller WTO-Mitgliedern. Die beiden Gremien unterscheiden sich mithin nicht in ihrer zahlenmäßigen Zusammensetzung, sondern allein im Rang der in ihnen vertretenen nationalen Repräsentanten23o • Daneben sieht Art. VI des WTO-Übereinkommens als drittes Hauptorgan der WTO die Bildung eines Sekretariats vor, an dessen Spitze der Generaldirektor steht, dessen Ernennung originäre Aufgabe der Ministerkonferenz ist. Die besondere Bedeutung der drei im Zuständigkeitsbereich der WTO liegenden multilateralen Übereinkommen hat ihren institutionellen Niederschlag darin gefunden, daß dem Allgemeinen Rat drei eigenständige Ratsorgane zugeordnet sind, über die dieser die allgemeine Aufsicht führt231. Neben dem Rat für den Handel mit Waren und dem Rat für die handelsrelevanten Aspekte des geistigen Eigentums errichtet also das WTO-Übereinkommen selbst den Rat für den Handel mit Dienstleistungen2J2 • Aufgabe dieses Rates ist es, das Funktionieren des GATS als dem Liberalisierungsrahmen für den internationalen Dienstleistungshandel zu überwachen. Der Rat setzt sich ebenfalls aus Vertretern aller WTO-Mitgliedsstaaten zusammen, die stets Mitglieder des GATS sein müssen. Vorbehaltlich einer Genehmigung durch den Allgemeinen Rat gibt sich der Rat über den Handel mit Dienstleistungen seine eigenen Verfahrensregeln; er tritt zur Ausübung seiner Funktionen je nach Notwendigkeit zusammen. Diese Bestimmungen des WTOÜbereinkommens werden durch Art. XXIV des GATS ergänzt, der zusätzlich festlegt, daß der Rat für den Handel mit Dienstleistungen die Befugnis hat, einen Vorsitzenden zu ernennen233 • c) Auslegung, Ausnahmegenehmigungen und Anderungen der GA TS-Normen und -Verpflichtungen durch die WTO-Organe An den Kompetenzen, die der Ministerkonferenz bzw. dem Allgemeinen Rat auf der einen Seite und dem Rat für den Handel mit Dienstleistungen auf der anderen Seite hinsichtlich der Auslegung, den Ausnahmegenehmigungen und Änderungen der GATS-Normen und -Verpflichtungen zugeschrieben werden, läßt sich das hierarchische Verhältnis dieser Organe zueinander ablesen. Es

230 Die Ministerkonferenz soll sich mithin aus hochrangigen politischen Vertretern aus den Mitgliedsstaaten zusammensetzen, der Allgemeine Rat dagegen aus besonders sachverständigen Repräsentanten, vgl. Stall, ZaöRV 1994 (Vol. 54), S.241, 259 f.; Jacksan, RGDIP 1994, S. 675, 684. 231 Art. IV Abs. 5 Satz 1 des WTO-Übereinkommens. 2J2 Art. IV Abs. 5 Satz 3 des WTO-Übereinkommens. 233 Art. XXIV Abs. 3; außerdem wird hier bestimmt, daß der Rat rur den Handel mit Dienstleistungen ihm nachgeordneten Gremien bilden kann, sofern hierfiir die Notwendigkeit besteht; vgl. dazu McGavern, International Trade Regulation, 31.222.

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

wird deutlich, daß dem Rat für den Handel mit Dienstleistungen lediglich eine koordinierende und überprüfende Funktion zukommt, während der Ministerkonferenz und - zwischen deren Tagungen an ihrer Stelle - dem Allgemeinen Rat die wesentlichen Entscheidungsbefugnisse hinsichtlich grundlegender Regelungsfragen in bezug auf das GATS (wie auch in bezug auf GATT 1994 und TRIPS) übertragen worden sind234 • Kommt es etwa zwischen den GATS-Mitgliedern zu Differenzen über die richtige Interpretation einzelner GATS-Bestimmungen, so liegt es gemäß Art. IX Abs. 2 des WTO-Übereinkommens in der Zuständigkeit der Ministerkonferenz, einen bindenden Beschluß über die zutreffende Auslegung zu fassen, die fortan Geltung haben soll. Der Rat für den Handel mit Dienstleistungen ist in dieser Hinsicht lediglich kompetent, der Ministerkonferenz eine Empfehlung vorzulegen, auf deren Grundlage der bindende Beschluß über die Auslegungsfrage gefaßt wird. Ebenso kommt der Ministerkonferenz die Entscheidungshoheit hinsichtlich der Gewährung von Ausnahmegenehmigungen (engl. "waivers") von spezifischen Verpflichtungen der GATS-Mitglieder zu. Diese Ausnahmegenehmigungen können gemäß Art. IX Abs. 3 und 4 des WTO-Übereinkommens unabhängig von den Ausnahmebestimmungen des GATS, also insbesondere Art. X und XII GATS, erteilt werden, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine Entbindung des jeweiligen Staates von den von ihm übernommenen Liberalisierungsverpflichtungen rechtfertigenllS • Wiederum obliegt es dem Rat für den Handel mit Dienstleistungen, den mit einer Mehrheit von drei Vierteln der WTO-Mitglieder zu fassenden Beschluß durch Vorlage eines Berichtes vorzubereiten. Schließlich ist die Ministerkonferenz auch das zuständige Organ für die Entscheidung über Änderungen des Vertragstextes des GATS2l6. Neben den einzel-

234 AufgrWld der Bündelung der Entscheidungsbefugnisse bei dem Allgemeinen Rat wird dieser mittlerweile bereits als "Welthandelsrat" bezeichnet, StoII, ZaöRV 1994 (Vol. 54), S. 241,259. 235 Diese in Anlehnung an Art. XXV Abs. 5 des GATT geschaffene Vorschrift wird allerdings im Rahmen des GATS so lange von untergeordneter Bedeutung bleiben, als es Art. X Abs. 2 des GATS den GATS-Mitgliedem ermöglicht, sich der Bindung spezifischer Verpflichtungen zu entziehen; das in Art. X Abs. 2 vorgesehene Verfahren sieht zwar die Pflicht zur Entschädigung der benachteiligten GATS-Mitglieder vor. Allerdings setzt das Verfahren keine Genehmigung durch die Ministerkonferenz voraus. Sobald eine endgültige Fassung der Notstandsmaßnahmen gemäß Art. X Abs. 1 des GATS gefunden worden ist, wird diese Möglichkeit jedoch nur noch eingeschränkt gegeben ~~in, so daß die "Waiver"-Regelung des Art. IX Abs. 3 und 4 des WTOUbereinkommens an Bedeutung gewinnen wird, vgl. dazu Hoekman, The World Economy 1993 (Vol. 16), S. 29, 39 ff. 236 Art. X des WTO-Übereinkommens.

V. Die institutionellen Aspekte des GATS

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nen GATS-Mitgliedern hat der Rat für den Handel mit Dienstleistungen das Recht, Änderungsvorschläge vorzulegen. Die Tatsache, daß das WTO-Übereinkommen die Bestimmungen für diese wesentlichen Regelungsbereiche allgemein und gleichlautend für die drei multilateralen Handelsübereinkommen (GATT, GATS, TRIPS) triffi, verdeutlicht das Bestreben der Verhandlungspartner der Uruguay-Runde, ein einheitliches und komplexes institutionelles Gefüge für die zwischenstaatliche Regelung des gesamten Welthandels zu schaffen2l7 • 2. Die Streitbeilegungsordnung der WTO als Teil des GA TS Art. XXII und XXIII des GATS betreffen die Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten, die zwischen den GATS-Mitgliedsstaaten aufgrund der von ihnen eingegangenen Verpflichtungen entstehen. Allerdings regeln die Normen diesen verfahrensrechtlichen Teil der GATS-Rechtsordnung nicht umfassend, sondern verweisen diesbezüglich auf die Vereinbarung über die Regeln und Verfahren zur Streitbeilegung231 (engl. "Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes"; im folgenden: Vereinbarung über die Streitbeilegung), welche als Anhang 2 des WTO-Übereinkommens dessen integraler Bestandteil ist219 •

Diese Verfahrensordnung zur Streitbeilegung gilt nicht bloß für Streitigkeiten im Bereich des Dienstleistungshandels, sondern findet Anwendung auf Streitigkeiten bezüglich aller vom WTO-Übereinkommen erfaßten Handelsverträge sowie bezüglich des WTO-Übereinkommens selbst240 • Neben der institutionellen Bündelung aller Handelsverträge zur Liberalisierung des internationalen Wirtschaftsverkehrs unter dem Dach der WTO ist es vor allem diese einheitliche Verfahrensregelung zur Schlichtung zwischenstaatlicher Handelskonflikte, die es rechtfertigt, von einer durch die Uruguay-Runde geschaffenen Welthandelsordnung zu sprechen241 •

217 Jansen, EuZW 1994, S. 333, 334; Senti, Die neue Welthandelsordnung, ORDO 1994 (Vol. 45), S. 301, 302. 231 BGBI. 1994 11, S. 1598 ff. (authentische englische Fassung), 1749 ff. (deutsche ÜbersetzWlg). 239 Art. n Abs. 2 des WTO-Übereinkommens. 240 Art. 1 Abs. 1 und 2 der Vereinbarung über die Streitbeilegung. 241 S. zu der Streitbeilegungsordnung der WTO Jackson, RGDIP 1994, S.675, 684 ff.; Canal-Forgues, RGDIP 1994, S. 689 ff.; Lowen/eld. AJIL 1994, S. 477, 479 ff.; Pescatore, JWTL 1993 (Vol. 27), S. 5 ff.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, §8Rn44ff.

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

a) Das Streitbeilegungsorgan und die vorgesehenen Verfahrensarten im Überblick Gemäß Art. 2 der Vereinbanmg über die Streitbeilegung ist das zuständige Organ für die Durchführung der Streitbeilegungsverfahren das Streitbeilegungsorgan (eng!. ,,Dispute Settlement Body", DSB). Es stellt entsprechend Art. IV des WTO-Übereinkommens eine Untergliederung des Allgemeinen Rates dar, besitzt jedoch diesem gegenüber eine gewisse Autonomie, da es zur Bestimmung seines eigenen Vorsitzenden sowie zur Festlegung seiner internen Verfahrensregeln befugt ist. Die Streitbeilegungsordnung der WTO verfügt über vier unterschiedliche Verfahrensarten, von denen keine Vorrang vor der anderen hat, sondern die von den betroffenen Streitparteien grundsätzlich frei gewählt werden können. Diese Verfahrensarten sind nicht erst durch die Vereinbanmg zur Streitbeilegung zur Entstehung gelangt, sondern haben sich bereits im Rahmen des GATT entwikkele42 . Ursprüngliche Grundlage dieser Rechtsentwicklung waren die Art. XXII und XXIII des GATT. In der Praxis der GATT-Streitbeilegung wurden die dort vorgesehenen Verfahren jedoch fortentwickelt und in einer Vielzahl von Entscheidungen der GATT-Vertragsparteien kodifiziert 243 • Die Regelungen aus diesen verschiedenen Rechtsquellen führt die Vereinbanmg über die Streitbeilegung zu einer einheitlichen Verfahrensordnung zusammen. Darüber hinaus modifiziert sie jedoch die Verfahren in zum Teil signifikanter Weise 2..... Das grundlegendste Verfahren zur Streitbeilegung ist das in Art. 4 der Vereinbanmg über die Streitbeilegung geregelte Konsultationsverfahren. Im wesentlichen handelt es sich dabei um bilaterale Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien. Die Besonderheit des Verfahrens liegt in der Pflicht der WTO-Mitglieder, sich gegenseitig stets die Möglichkeit zur Kompromißfindung im Verhandlungswege einzuräumen und jedes Konsultationsersuchen dem Streitbeilegungsorgan sowie dem jeweils für das betroffene Übereinkommen zuständigen Rat mitzuteilen (die sog. Pflicht zur Notifikation)245.

242 S. zur Streiterledigung im Rahmen des GATT Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 306 ff.; van Bael, JWTL 1988 (Vol. 22), S. 67 ff.; Canal-Forgues/Oslrihansky, JWTL 1990 (Vol. 24), S. 67 ff.; Flory, RGDIP 1982, S. 235 ff.; Meng, ZaöRV 1981 (Vol. 41), S. 69 ff.; Basl/Schmidl, RIW 1991, S. 929 ff. 243 Von besonderer Bedeutung sind die Beschlüsse der GATT-Vertragsparteien von 1979 und 1989, abgedruckt in GATT, Analytical Index, Art. XXII und XXIII. 244 Bei der Vereinbarung handelt es sich also um eine progressive Kodifikation, d. h. einen das Recht fortentwickelnden völkerrechtlichen Vertrag, vgl. Lowenfeld, AJIL 1994, S. 477,479. 245 Art. XXII Abs. 2 GATS ergänzt diese Bestimmungen in der Weise, daß sich der Rat für den Handel mit Dienstleistungen sowie das Streitbeilegungsgremium im Fall des

V. Die institutionellen Aspekte des GATS

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Neben den bilateralen Konsultationen sieht Art. 5 der Streitbeilegungsordnung als weitere Verfahrensart die Hinzuziehung von Dritten zur Vennittlung zwischen den Streitparteien vor. Sobald die Streitigkeit notifiziert worden ist, bestinunt Art. 5 Abs. 6 insbesondere, daß sich der Generaldirektor der WTO ex officio für diese Vennittlungstätigkeit zwischen den Konfliktparteien anbieten kann246 • Als dritte Verfahrensfonn können die Streitparteien ein Schiedsverfahren wählen247 • Unter einem Schiedsverfahren versteht man die einvernehmliche Unterwerfung zweier Konfliktpartner unter den endgültigen und für beide Seiten bindenden Spruch eines unabhängigen Schiedsgerichts, über dessen Zusanunensetzung und verfahrensmäßige Vorgehensweise die Parteien im vorhinein Einigung erzielen241 • Die Streitbeilegungsordnung enthält hinsichtlich dieser Verfahrensart keine bindenden Vorschriften, da es in der Natur des Schiedsverfahren liegt, daß die Konfliktparteien bis zur Übergabe der Streitigkeit an das von ihnen gewählte Schiedsgericht Herren über den Streitstoff bleiben249 • Kernstück der Streitbeilegungsordnung der WTO ist dagegen die vierte, in Art. 6 bis 22 der Streitbeilegungsordnung geregelte Verfahrensart, das sog. Panel-Verfahren, auf dessen Ausgestaltung die Verhandlungsparteien bei Ausarbeitung der Vereinbarung über die Streitbeilegung die größte Sorgfalt verwendet haben2S0 •

b) Das Panel-Verfahren als Kernstück der Streitbeilegungsordnung Unter dem Panel-Verfahren ist die Einsetzung eines drei- oder fiinfköpfigen Expertengremiums (das sog. Panel) zu verstehen, das damit beauftragt wird, die streitige Angelegenheit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unter AnhöScheiterns der bilateralen VerhandlWlgen in den VerhandlWlgsprozeß mit den Konfliktparteien einschalten kann. 246 Vgl. dazu schon Benedek, Die RechtsordnWlg des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 313 f. 247 Art. 25 der VereinbarWlg über die StreitbeilegWlg; das Schiedsverfahren soll primär in Fällen zur AnwendWlg kommen, wenn es sich um klar definierte, vor allem faktische FragestellWlgen handelt. 248 S. dazu Böckstiegei, Dispute Settlement by lntergovernmental Arbitration, in: Petersmann/Jaenicke (Hrsg.), S. 59, 64 ff. 249 Die EinbindWlg des Schiedsverfahren in den multilateralen VerhandlWlgsrahmen der WTO geschieht lediglich durch die Notifikationspflicht in Hinsicht auf die DurchfilltfWlg des Verfahrens Wld die Bekanntgabe des Schiedsspruches, vgl. Art. 25 Abs. 2 Wld 3 der VereinbarWlg über die StreitbeilegWlg. 2S0 S. zur VerhandlWlgsgeschichte Croome, Reshaping the World Trading System, S. 147 ff., 262 ff., 320 ff.

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

rung der Streitparteien zu untersuchen. Auf der Grundlage dieser Untersuchung verfaßt das Panel einen Bericht, der Empfehlungen zur abschließenden Beilegung der Streitigkeit enthält 2s ,. Das Verfahren kann zum einen in Gang gesetzt werden, wenn eine Partei behauptet, ein anderes WTO-Mitglied habe gegen von ihm übernommene Verpflichtungen verstoßen. Zum anderen trifft Art. XXIII Abs. 3 des GATS die besondere Bestimmung, daß die Einsetzung eines Panels auch dann verlangt werden kann, wenn ein GATS-Mitglied der Auffassung ist, ein Handelsvorteil, den es vernünftigerweise aufgrund einer spezifischen Verpflichtung eines anderen GATS-Mitgliedes hätte erwarten können, werde durch eine Maßnahme, die nicht im Widerspruch zum GATS steht, zunichte gemacht oder geschmälert252 • Dieses sog. Nichtverletzungsverfahren setzt mithin nicht voraus, daß ein Verstoß gegen GATS-Normen vorliegt. Hierdurch wird der Anwendungsbereich der Streitbeilegungsordnung erheblich erweitert2S1 • Zuständig für die Einsetzung des Panels ist das Streitbeilegungsorgan, das auf Antrag einer Streitpartei tätig wird, wenn die bilateralen Schlichtungsbemühungen nicht zu einem positiven Ergebnis geführt haben. Das bereits im Rahmen der GATT-Panels gewohnheitsrechtlich anerkannte "Recht auf ein Panel" bedeutet, daß sich kein Vertragsstaat dem Panel-Verfahren entziehen kann214 • Dieses Recht schreibt Art. 6 Abs. I der Vereinbarung über die Streitbeilegung nunmehr ausdrücklich fest. Der Abschlußbericht des Panels wird dem Streitbeilegungsorgan vorgelegt, durch dessen förmliche Annahme die Feststellungen des Panels zu bindendem Recht werden. Kommt in der Folge eine der Streitparteien diesen Feststellungen nicht nach, indem es etwa weiterhin bestimmte GATS-Verpflichtungen nicht einhält, so kann das Streitbeilegungsorgan die obsiegende Partei zur einseitigen Aussetzung von Liberalisierungszugeständnissen gegenüber der vertragsuntreuen Partei ermächtigenm.

2SI Zur dogmatischen Einordnung des Panel-Verfahrens als einem völkerrechtlichem Vergleichsverfahren vgl. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 354 ff. m Vgl. zu Art. XXIII Abs. 1 lit. a GATT, der die Nichtverletzungsverfahren ebenfalls vorsah; dazu Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 359 f.; Jackson, World Trade and the Law of GATT, S. 183. m Insbesondere hieran wird deutlich, daß es dem Streitbeilegungssystem nicht primär um die Rechtsdurchsetzung geht, sondern vor allem um die Schaffung eines Ausgleichs widerstreitender wirtschaftlicher Interessen im Einzelfall; S. dazu unten unter C V2 c. 254 Lacharriere, The World Economy 1985 (Vol. 8), S. 339, 341. 255 Art. 22 der Vereinbarung über die Streitbeilegung.

V. Die institutionellen Aspekte des GATS

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Die wesentlichen Neuerungen dieses Verfahrens gegenüber der vorherigen GATT-Praxis liegen zunächst in der Änderung der Modalitäten der Annahme des Panel-Berichts. Während die Annahme des Berichtes zuvor den Konsens aller Vertragsparteien des GATT voraussetzte und also die Zustimmung der unterlegende Streitpartei erforderlich war, kommt die Annahme nunmehr zustande, wenn nicht alle WTO-Mitglieder, die in ihrer Gesamtheit im Streitbeilegungsorgan vertreten sind, im Konsens den Bericht ablehnen. Dieses sog. Prinzip des umgekehrten Konsenses bewirkt die quasi-automatische Annahme der Panel-Feststellungen. Diesen kommt daher praktisch der Status von juridiktionellen Entscheidungen ZU2'6. Die einzige Möglichkeit der unterlegenen Partei, sich dieser Entscheidung zu widersetzen, ist die gemäß Art. 17 bis 19 der Streitbeilegungsordnung vorgesehene Anrufung eines Berufungsorgans, das als permanent institutionalisierter Spruchkörper bereits als Teil einer internationalen Gerichtsbarkeit bezeichnet werden kannm . Im Berufungsverfahren kommt es allerdings nur noch zu einer Würdigung der rechtlichen und nicht mehr der tatsächlichen Aspekte der Streitigkeit. Der Abschlußbericht des Berufungsorgans wird wie der Panel-Bericht dem Streitbeilegungsorgan zur Annahme vorgelegt, wobei wiederum das Prinzip des umgekehrten Konsenses gilt. Von besonderer Bedeutung ist schließlich noch, daß sich die Ermächtigung zur Aussetzung von Handelszugeständnissen nicht mehr nur auf das Handelsgebiet erstrecken muß, in dem es zur streitigen Auseinandersetzung gekommen ist, sondern sich auch auf Liberalisierungsmaßnahmen aus dem Bereich eines anderen vom WTO-Übereinkommen erfaßten Übereinkommen beziehen kannm . Ist es beispielsweise zum Streit über die Einhaltung von Marktzugangsverpflichtungen in einem bestimmten Dienstleistungssektor gekommen, so kann das obsiegende GATS-Mitglied ermächtigt werden, eine dem GATTRecht zugehörige Zollkonzession hinsichtlich einer bestimmten Ware gegenüber der unterlegenen Partei auszusetzen. Dieses Konzept der sog. "crossretaliation" bringt den Vorteil mit sich, daß eine Streitpartei wirtschaftliche Pressionen gegenüber der unterlegenen Partei in einem Handelssektor ausüben kann, der selbst nicht Gegenstand des Panel-Verfahrens gewesen ist. Hierzu wird vor allem dann kommen, wenn die obsiegende Partei durch die Aussetzung von Handelsvorteilen in dem anderen Handelssektor elementare Exportinteressen der unterlegenen Partei treffen kann. Auf diese Weise wird der 2'6 Canal-Forgues, RGDIP 1994, S.689, 703; Jackson. RGDIP 1994, S. 765, 686; Pescatore, JWTL 1993 (Vol. 27), S. 5, 18. m Canal-Forgues, RGDIP 1994, S.689, 704, der von der Einführung einer veritablen Rechtsprechung aufBerufungsebene ("une veritable juridiction d'appel") spricht. m Vgl. die detaillierte Regelung über die Möglichkeiten der Aussetzung von Zugeständnissen in Art. 22 Abs. 3 der Vereinbarung über die Streitbeilegung.

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C. Das GATS als RahmenregehUlg des DienstJeistWlgshandels

Wlterlegenen Partei ein Mittel an die Hand gegeben, sich effektiv gemäß der Panel-EntscheidWlg "sein Recht" zu verschaffen2S9 • Insgesamt läßt sich das Panel-Verfahren als ein quasi-gerichtlicher Mechanismus zur Beilegoog von Streitigkeiten auf dem Gebiet der vom WTOÜbereinkommen erfaßten Handelsübereinkommen bezeichnen26O • c) Die Bedeutung der Streitbeilegungsordnungfür das GATS Die BedeutWlg der StreitbeilegWlgsordnWlg fiir das GATS liegt ZWlächst darin, daß den GATS-Mitgliedern in institutionalisierter Form die Möglichkeit gegeben wird, die in den LiberalisierungsverhandlWlgen übernommenen spezifischen VerpflichtWlgen im Fall der NichteinhaltWlg durch einen anderen Vertragsstaat durchzusetzen. Entscheidend ist dabei, daß die StreitbeilegoogsordnWlg insbesondere mit dem Panel-Verfahren einen multilateral ausgerichteten DurchsetzWlgsmechanismus stipuliert. Nach allgemeinem Völkerrecht wäre ein Staat, dem gegenüber eine völkerrechtliche Verpflichtung nicht eingehalten wird, unilateral zur Ergreifung von Gegenmaßnahmen berechtigt, die man als Repressalien bezeichnee61 • Demgegenüber sind diese Gegenmaßnahmen im Rahmen der WTO-RechtsordnWlg erst nach der Ermächtigung des WTOMitgliedes durch das StreitbeilegWlgsorgan zulässig, in dem alle WTOMitglieder repräsentiert sind. Nicht nur die AushandlWlg der LiberalisiefWlgsverpflichtWlgen findet somit im multilateralen Rahmen der WTO statt, sondern auch die streitige DurchsetzWlg dieser VerpflichtWlgen262 • Gleichzeitig ist darauf hinzuweisen, daß es in den StreitbeilegWlgsverfahren, die bisher im Rahmen des GATT stattgefunden haben, nicht primär um die Erzwingoog der RechtseinhaltWlg gegangen ist, sondern vor allem um die WiederherstellWlg der durch die Handelskonzessionen erlangten wirtschaftlichen Vorteile. Die Panel-Verfahren waren in diesem Sinn nicht auf die "Verurtei-

219 Vgl. dazu Esser, Conflict Resolution Wlder the General Agreement on Tariffs and Trade: Experience and Reform, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Conflict Resolution, S. 125, 156 ff.; Rom, JWTL 1994 (Vol. 28), S. 5,24 f. 260 Während das Panel-Verfahren im Rahmen des GATT den Streitparteien insbesondere durch die Möglichkeit, den Panel-Bericht abzulehnen, noch als ein diplomatisches Verfahren der StreiterledigWlg einzuordnen war, ist das Panel-Verfahren im Rahmen der WTO in Hinsicht auf die EinsetzWlg der Panels Wld die endgültige StreitentscheidWlg der Disposition der Parteien entzogen. Diese sog. "VergerichtlichWlg" des Verfahrens spricht für die EinordnWlg als einer quasi-gerichtlichen Form der StreitbeilegWlg, vgl. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7 Rn 51; Canal-Forgues, RGDIP 1994, S. 689, 707. 261 S. dazu etwa Schweitzer, Staatsrecht III, § 1 Rn 11. 262 Vgl. dazu schon in bezug auf das GATT Meng, ZaöRV 1981 (Vol. 41.), S. 69, 71.

V. Die institutionellen Aspekte des GATS

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IWlg" einer Streitpartei gerichtet, sondern zielten darauf ab, die konfligierenden wirtschaftlichen Interessen beider Streitparteien zu einem Ausgleich zu bringen263 • Auch die StreitbeilegWlgsverfahren, die hinsichtlich der EinhaltWlg spezifischer GATS-VerpflichtWlgen stattfinden werden, werden in diesem Sinn eher die VorteilswahrWlg als die RechtsdurchsetzWlg strictu sensu betreffen. Hierfür spricht insbesondere, daß Art. XXIII Abs.3 des GATS das PanelVerfahren auch dann für zulässig erklärt, wenn es nicht zur VerletZWlg von GATS-Normen gekommen ist, sondern lediglich die BehauptWlg erhoben wird, vernünftigerweise zu erwartende Handelsvorteile würden einem GATSMitglied vorenthalten. Schließlich liegt die BedeutWlg der StreitbeilegoogsordnWlg für das GATS in der AusbildWlg eines SekWldärrechts. Denn in den Streitbeilegoogsverfahren werden die AnwendWlgsbereiche Wld Rechtsbegriffe der GATS-Normen, auf deren GfWldlage die GATS-Mitgliedsstaaten die spezifischen VerpflichtWlgen eingegangen sind, einer präziseren KonturiefWlg zugeführt. Zwar wird auch die VereinbarWlg zur Streitbeilegoog von dem Prinzip des "each case on its own merits" geleitet, d. h. der BehandlWlg jeder streitigen Angelegenheit entsprechend der individuellen LagefWlg des konkreten Streitfalles in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht264 • Jedoch wird jedes Panel darum bemüht sein, seine ErwägWlgen soweit wie möglich an objektiven Rechtsrnaßstäben zu orientieren, so daß jedem Panel-Bericht über die einzelne StreiterledigWlg hinaus ein gewisses Maß an allgemeingültiger Bedeutung bezüglich der Interpretation bestimmter GATS-Normen zukommen wird. Neben der primärrechtlichen Ebene der GATS-Vertragsnormen wird sich insofern, wie schon im Rahmen des GATT-Rechts, eine sekWldärrechtliche Ebene von Panel-Entscheidungen herausbilden, die die weitere Auslegoog des Vertrages determinieren werden26s • Dieser WirkWlg wird insbesondere die EinrichtWlg des Berufungsorgans V orschub leisten, da dieser Spruchkörper, anders als die jeweils für den einzelnen Streitfall gebildeten Panels, aus Wlabhängigen Experten besteht, die sich dieser Aufgabe in permanenter Weise widmen werden. Zwangsläufig wird dieser einheitliche Spruchkörper auch eine größere Kohärenz der interpretativen Maßstäben Wld BegriffsverwendWlgen mit sich bringen, da nicht damit zu rechnen ist, daß das Berufungsorgan seinen Entscheidungen divergierende BeurteilWlgs-

263 Esser, Conflict Resolution under the General Agreement on Tariffs and Trade: Experience and Reform, in: FriedmanlMestmäcker (Hrsg.), Conflict Resolution, S. 125, 130 f.; Meng, ZaöRV 1981 (Vol. 41), S. 69, 75 f. 264 Vgl. dazu Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, 320 f.; Pescatore, JWTL 1993 (Vol. 27), S. 5, 12. 26S S. zur Ausbildung dieser sekundärrechtlichen Ebene im Rahmen des GATT BastlSchmidt, RlW 1991, S. 929, 931; Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 115 ff.

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

kriterien zugrunde legen und in verschiedenen Streitfällen voneinander abweichende Nonnauslegungen heranziehen wird. Die Ausbildung dieses sekundärrechtlichen GATS-Rechtes wird mithin der Rechtsklarheit dienen. Rechtsklarheit hat im Rahmen einer Handelsordnung jedoch nicht bloß die Bedeutung der klarstellenden Auslegung einzelner Rechtsnonnen, sondern dient einer gesteigerten Rechtssicherheit im Sinne einer verläßlich möglichen wirtschaftlichen Kalkulation266 •

3. Der Handelspolitische Überwachungs mechanismus und seine Bedeutung für das GATS Neben der Streitbeilegungsordnung der WTO dient auch die Schaffung des Handelspolitischen Überprüfungsmechanismus der Einhaltung der allgemeinen Pflichten und spezifischen Verpflichtungen der GATS-Mitglieder267 • Während im Rahmen der Streitbeilegungsverfahren das einzelne GATS-Mitglied die Einhaltung bestimmter Nonnen und Bindungen durch ein anderes GATSMitglied durchsetzen kann, handelt es sich hierbei um ein objektives, d. h. von einzelnen Rechtsverhältnissen der GATS-Mitglieder losgelöstes Überprüfungsverfahren261 • Die zu diesem Zweck geschaffene Vereinbarung 269 sieht die regelmäßige Untersuchung der Handelspolitik und der Handelspraktiken der WTOMitgliedsstaaten vor, wobei alle vom WTO-Rechtssystem erfaßten Handelsbereiche und damit insbesondere auch der Dienstleistungshandel Gegenstand der Prüfung sind270 • Der Einfluß der einzelnen WTO-Mitglieder auf das Funktionieren des multilateralen Handelssystems ist, ausgedrückt als ihr Anteil am Welthandel in einem repräsentativen Zeitabschnitt der jüngsten Vergangenheit, der entscheidende Faktor bei der Festlegung der Häufigkeit der Überprüfungen271 •

266 Vgl. dazu Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S.353. 267 Vgl. zu dem bereits im Rahmen des GATT geschaffenen Überwachungsmechanismus Courage-van-Lier, Supervision within the General Agreement on Tariffs and Trade, in: van Dijk (Hrsg.), S. 47 ff.; Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 294 ff.; B1ackhurst, Strengthening GATT Surveillance of TradeRelated Policies, in: PetersmannIHi/f(Hrsg.), S. 123 ff. 261 S. StoII, ZaöRV 1994 (Vol. 54), S. 241, 277 f.; vg!. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 280 f. 269 Handelspolitischer Überprüfungsmechanismus (eng!. Trade Policy Review Mechanism, TPRM), abgedruckt in: ZHl Nr. 6 (Januar 1995), WTO/GATT '94, S. 253 ff. 270 S. zum Umfang der Überprüfung D. Satz 3 des Handelspolitischen Überprüfungsmechanismus. 27\ C. (ii) Satz 2 des Handelspolitischen Überprüfungsmechanismus; konkret bedeutet dies, daß die vier bedeutendsten WTO-Mitglieder alle zwei Jahre, die folgenden sechszehn WTO-Mitglieder alle vier Jahre und alle übrigen WTO-Mitglieder alle sechs Jahre

V. Die institutionellen Aspekte des GATS

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Die Bedeutung dieses Mechanismus für das GATS als der Rahmenregelung zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsverkehrs liegt vor allem in der Transparenz, die durch die regelmäßig veröffentlichten Berichte über die nationale Handelspolitik der einzelnen GATS-Mitglieder geschaffen wird. Zum einen geht von der Pflicht zur Offenlegung wirtschaftlicher Eckdaten ein gewisses Maß an Druck auf das einzelne GATS-Mitglied aus, sich an die eingegangenen Verpflichtungen zu halten, da etwa die Verwehrung des Marktzugangs in einzelnen Dienstleistungssektoren, für die gleichwohl spezifische Liberalisierungsverpflichtungen übernommen worden sind, offenbar wird272 • Diesbezüglich wird es allerdings faktisch darauf ankommen, wie detailliert einzelne Überprüfungen durchgefiihrt werden. Zum anderen ergibt sich durch die Dokumentation der nationalen Handelspolitik ein Gesamtbild der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Liberalisierungsmaßnahmen, das es ermöglicht, die Effektivität des durch die GATSNormen und -Bindungen geschaffenen Marktöffnungsmechanismus kritisch zu bewerten. Hierdurch wird eine an Zahlen und Daten orientierte objektivierte Grundlage zur Fortentwicklung des GATS-Rechts in kommenden Liberalisierungsrunden geschaffen213 • 4. Zusammenfassung Die Einbindung des GATS in das institutionelle Gefüge der WTO stellt ein entscheidendes Element des eingeleiteten Liberalisierungsprozesses im Dienstleistungssektor dar. Die Organisation dient fortan als der institutioneller Rahmen für alle weiteren Liberalisierungsverhandlungen. Die Mechanismen zur Streitbeilegung und zur Überwachung der nationalen Handelspolitiken haben die Funktion, die Durchsetzung der materiellen Liberalisierungsverpflichtungen der Staaten zu gewährleisten. Wie schon das GATT, das ebenfalls in das Regime der WTO überfiihrt worden ist, stipuliert das GATS nicht lediglich Liberalisierungsverpflichtungen. Vielmehr stellt die WTO gleichzeitig institutionalierte Verfahren zur Verwirklichung bestehender und zur Schaffung neuer Verpflichtungen zur Verfügung. Diese institutionelle Einfassung des Liberali-

überprüft werden sollen, vgl. dazu C. (ii) Satz 3 des Handelspolitischen Überprüfungsmechanismus. 272 Vgl. zu dieser Überprüfungsfunktion von völkerrechtlichen Überwachungsmechanismen van Dijk, Supervisory Mechanisms in International Economic Organizations, in: van Dijk (Hrsg.), S. 10 f. 213 Hierbei handelt es sich um die sog. korrektive Funktion der Überwachung; diese läßt sich im Hinblick auf die Möglichkeit der Schaffung neuer Normen auf der Grundlage der Überprüfungsergebnisse auch als kreative Funktion auffassen, vgl. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 296.

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C. Das GATS als Rahmenregelung des Dienstleistungshandels

sierungsprozesses markierte die Stärke des GATT und wird gleichermaßen diejenige der Rechtsordnung der WTO sein, deren integraler Bestandteil das GATS ist.

VI. Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick Führt man die Ergebnisse der Untersuchung der Kernelemente des GATS zu einer abschließenden Bewertung zusammen, so ergibt sich hieraus eine Antwort auf die Frage, worin das Spezifische des GATS als Rahmenregelung zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsverkehrs liegt. Das Übereinkommen enthält zwar ein gewisses Maß an allgemeinen Verpflichtungen, die sich unterschiedslos auf alle Dienstleistungssektoren und alle Formen grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung beziehen. Entscheidend ist jedoch, daß der eigentliche Liberalisierungsprozeß, also der effektive Abbau von Handelshemmnissen im internationalen Dienstleistungsverkehr, nicht durch die Stipulierung der allgemeinen Verpflichtungen in Gang gesetzt wird, sondern auf der Basis der spezifischen GATS-Verpflichtungen stattfindet. Diese konkreten Bindungen sind spezifisch in zweifacher Hinsicht. Der Abbau der Handelshemmnisse bezieht sich jeweils auf einen bestimmten Dienstleistungssektor und innerhalb des Sektors jeweils auf eine bestimmte Erbringungform. Der Schwerpunkt der GATS-Verpflichtungen liegt mithin eindeutig im Bereich der spezifischen und nicht der allgemeinen Verpflichtungen274 • Die Prädominanz der spezifischen gegenüber den allgemeinen Verpflichtungen hinsichtlich der effektiven Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsverkehrs läßt sich am Beispiel der Verpflichtung zur Transparenz verdeutlichen. Gemäß Art. m und mbis GATS handelt es sich hierbei um die Verpflichtung, aufgrund derer die GATS-Mitglieder zur Offenlegung aller innerstaatlichen Maßnahmen gezwungen werden sollen, die den Dienstleistungshandel behindern. Als Teil der allgemeinen Pflichten erstreckt sich diese Bindung auf alle Dienstleistungssektoren und Erbringungsformen. Handelt ein GATS-Mitglied in einer Weise, die mit dieser Norm nicht konform ist, so bleibt die Zuwiderhandlung für diesen Staat sanktionslos. Daher ist davon auszugehen, daß die GATS-Mitgliedsstaaten aufgrund dieser Offenlegungspflicht we-

274 Aufgrund dieser Struktur des GATS wird bereits davon gesprochen, das GATS sei nicht ein ,,Allgemeines Übereinkommen", sondern eher ein "Spezielles Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen", S. zu dieser Bewertung Schott/Buurman, The Uruguay Round, An Assessment, S. 102; vgl. die ähnliche Einschätzung bei Woodrow, Sectoral Coverage and Implementation within a Uruguay Round Services Trade Agreement: Paradox and Prognosis, S. 221,228 ff.

VI. Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick

157

nig dazu beitragen werden, die innerstaatlichen Handelshemrnnisse des grenzüberschreitenden Dienstleistungshandels einer größeren Transparenz zuzuführen. Anders verhält es sich dagegen bei den Dienstleistungssektoren, fiir die der Mitgliedsstaat spezifische Verpflichtungen übernommen hat. Hier ist der GATS-Mitgliedsstaat dazu verpflichtet, nach der Maßgabe der Teile III und IV des Übereinkommens a11 jene Maßnahmen in seiner Liste der spezifischen Verpflichtungen zu benennen, die hinsichtlich des Marktzugangs und der Inländerbehandlung als Handelshemmnisse zu betrachten sind. Auch durch die Übernahme spezifischer Verpflichtungen wird mithin eine Verpflichtung zur Transparenz übernommen. Wenn ein GATS-Mitglied eine innerstaatliche Regelung, die etwa eine Beschränkung des Marktzugangs i. S. d. Art. XVI Abs. 2 GATS darstellt, nicht in seiner Verpflichtungsliste aufführt, so kann sich dieser Staat gegenüber einem ausländischen Dienstleistungsanbieter nicht auf die Geltung der entsprechenden innerstaatlichen Norm berufen. Vielmehr ist diesem Anbieter der Marktzugang zu gewähren, als existiere die Norm nicht. Es liegt mithin im Interesse der GATS-Mitglieder, in den liberalisierten Dienstleistungssektoren umfassend die Handelsbarrieren zu benennen, die in einem bestimmten Dienstleistungssektor Geltung haben und behalten sollen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß die Übernahme spezifischer Verpflichtungen im Rahmen der Teile III und IV eher die vom GATS intendierte Transparenz der Handelsbedingungen herbeiführt als die allgemeine Verpflichtung zur Transparenz im Teil 11 des Übereinkommens. Denn während die Nichtbeachtung der Offenlegungsverpflichtung der Art. III und III bis GATS keine rechtlichen Konsequenzen nach sich zieht, bestimmen die GATSMitglieder im Rahmen ihrer Verpflichtungen zu Art. XVI und XVII GATS durch die Nennung der innerstaatlichen Beschränkungen der internationalen Dienstleistungstransaktionen das Ausmaß und den Umfang ausländischer Konkurrenz auf ihrem heimischen Markt. Gegenüber dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen unterscheidet sich das GATS vor allem durch das Liberalisierungskonzept der sektorspezifischen Marktöffnung. Das GATT ist seinerseits durch eine Vielzahl von allgemeinen Verpflichtungen geprägt, die sich unterschiedslos auf alle Arten von Waren beziehen. Im Rahmen der bisherigen Handelsrunden zum Abbau der Handelsbeschränkungen im Warenhandel sind daher umfassende Liberalisierungsmaßnahmen beschlossen worden, die sich auf alle Waren bezogen haben. In den ersten Handelsrunden bis zum Beginn der siebziger Jahre betraf dies vor allem Zollsenkungen, danach wurden zunehmend die nicht-tarifaren Handelshemmnisse Gegenstand der Verhandlungen. Der Liberalsierungsprozeß, der auf der Grundlage des GATS im Bereich des internationalen Dienstleistungsverkehrs stattfinden wird, wird demgegenüber

158

C. Das GATS als RahmenregelWlg des DienstieistWlgshandels

weniger den Abbau von Handelsbeschränkungen betreffen, die diesen gesamten Handelsbereich tangieren. Vielmehr wird das GATS den nonnativen Rahmen zur Liberalisierung einzelner Dienstleistungssektoren darstellen, deren distinktiven Besonderheiten auf diese Weise Rechnung getragen werden soll. Diese Differenz zwischen dem GATT und dem GATS läßt sich am treffendsten daran verdeutlichen. welche Stellung dem Grundsatz der Inländerbehandlung in den bei den Vertragswerken jeweils zukommt. Im Rahmen des GATT ist gemäß Art. III dieses Abkommens die Gleichstellung ausländischer mit inländischen Waren auf dem Gebiet der inneren Abgaben und Rechtsvorschriften eine Verpflichtung, die sich generell auf alle importierten Waren bezieht. Demgegenüber stellt die Inländerbehandlung im Rahmen des GATS eine spezifische Verpflichtung dar, die hinsichtlich jedes Dienstleistungssektors gesondert ausgehandelt werden muß und deren Reichweite den besonderen Bedingungen und Qualifikationen der Verpflichtungslisten der einzelnen GATSMitgliedsstaaten unterliegt. Des weiteren unterscheiden sich GATT und GATS erheblich bezüglich der Ausgestaltung des Meistbegünstigungsgrundsatzes. Während es sich im Rahmen des Art. I des GATT um ein Konzept der bedingungslosen Meistbegünstigung handelt, ist im Rahmen des GATS eher von der Geltung einer bedingten Meistbegünstigung zu sprechen. Zwar ist dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 des GATS zu entnehmen, die multilaterale Ausweitung von Handelsvorteilen im Dienstleistungssektor habe "bedingungslos" zu erfolgen. Jedoch eröffnet Art. 11 Abs. 2 des GATS den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit der Anmeldung individueller Meistbegünstigungsausnahmen. Da die Beseitigung dieser Ausnahmen spätestens nach dem Ablauf von zehn Jahren Gegenstand weiterer multilateraler Liberalisierungsverhandlungen werden soll, kann die Meistbegünstigungswirkung des Art. 11 GATS nicht als bedingungslos bezeichnet werden. Dagegen liegen die Gemeinsamkeiten von GATT und GATS zum einen darin, daß beide Vertragswerke jeweils über weit angelegte Anwendungsbereiche verfügen. Das GATT ist die völkerrechtliche Rahmenregelung für die Liberalisierung des gesamten internationalen Warenverkehrs. Der Geltungsbe-reich des GATS bezieht sich grundsätzlich auf die Beseitigung der Handelshemmnisse im gesamten internationalen Dienstleistungsverkehr. Zum anderen ist festzustellen, daß das GATS wie das GATT nicht nur Normen und Prinzipien zur Liberalisierung des Handelsverkehrs stipuliert, sondern darüber hinaus auch einen institutionellen und organisatorischen Rahmen zur Durchsetzung und Überprüfung der Verpflichtungen bietet. Beide Vertragswerke sind nunmehr integraler Bestandteil des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation. Die Streitbeilegungsordnung und der Handelspo-

VI. Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick

159

litische Überwachungsmechanismus regeln unter dem "Dach" der WTO einheitlich die Verfahren zur Streitschlichtung und zur Überprüfung der Handelspolitik der WTO-Mitglieder im Bereich des internationalen Warenverkehrs und des internationalen Dienstleistungsverkehrs. Insgesamt läßt sich festhalten, daß das Maß der durch das GATS bewirkten Liberalisierung von dem Umfang der von den Staaten übernommenen spezifischen Verpflichtungen abhängig ist. Die umfassende Überführung einzelner Dienstleistungssektoren in das Liberalisierungsregime der Teile III und IV des GATS entscheidet mithin über die Effektivität des Übereinkommens als Rahmenregelung zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsverkehrs.

D. Der grenzüberschreitende Personenverkehr im Rahmen des GATS Die Effektivität des GATS als Rahmenregelung zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsverkehrs hängt in einem entscheidenden Maß davon ab, inwieweit die GATS-Mitglieder gemäß den Teilen III und IV des Übereinkommens spezifische Verpflichtungen übernehmen. Ob die Staaten den Vertrag tatsächlich als völkerrechtliche Handelsordnung in diesem Wirtschaftsbereich annehmen, läßt sich mithin nicht allein an der Zahl der GATSMitglieder ablesen. Allein daran gemessen, ist es freilich angebracht, von einer quasi-universellen Anerkennung des GATS zu sprechen, da das Übereinkommen am 31.01.1996 bereits über 131 Mitglieder verfügtei. Vielmehr kommt es darauf an, ob die einzelnen GATS-Mitglieder den normativen Rahmen des GATS und das institutionelle Gefüge der WTO dazu nutzen, einzelne Dienstleistungssektoren in den multilateralen Verhandlungen auf der Grundlage der Teile III und IV einem liberaleren Außenhandelsregime zu unterwerfen. Insofern erscheint es sinnvoll, die Listen der spezifischen Verpflichtungen zu untersuchen, wie sie von den einzelnen GATS-Mitgliedern zum Abschluß der Uruguay-Runde und als Ergebnis der darin gefiihrten multilateralen Verhandlungen erstellt worden sind.

I. Der Untersuchungsgegenstand Die Untersuchung der Listen der spezifischen Verpflichtungen kann auf der Grundlage von zwei verschiedenen Vorgehensweisen systematisiert werden. Zum einen besteht die Möglichkeit, diese Verpflichtungen im Hinblick darauf zu analysieren, in welchem Maß sich die einzelnen GATS-Mitglieder in einem

I Gemäß Art. II Abs.2 des WTO-Übereinkommens ist das GATS als Anhang 1 B integraler Bestandteil des WTO-Übereinkommens mit der Folge, daß jedes WTOMitglied ipso jure auch GATS-Mitglied ist; von den 131 aktuellen WTO-Mitgliedern sind 114 sog. Gründungsmitglieder (Art. XI Abs. 1 des WTO-Übereinkommens), während die anderen Mitglieder erst nach Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens beigetreten sind. Weitere 28 Staaten, darunter die Russische Federation und die Volksrepublik China, haben den Antrag auf Mitgliedschaft gestellt; S. zum aktuellen Stand der WTOMitgliedschaft McGovern, International Trade Regulation, § 1.1 und § 1.2.

I. Der Untersuchungsgegenstand

161

bestimmten Dienstleistungssektor zur Ergreifung von Liberalisierungsmaßnahmen verpflichtet haben. So ließe sich etwa vergleichen, ob im Bereich der sog. gewerblichen Dienstleistungen, in dem die Europäischen Gemeinschaften und ihre Mitgliedsstaaten die größte Anzahl von Bindungen übernommen haben2, ein ausgewogenes Maß an Liberalisierungsverpflichtungen unter den bedeutendsten Handelspartnern besteht. Für diese Vorgehensweise spricht, daß das GATS auf dem Liberalisierungskonzept der sektorspezifischen Marktöffnung aufbaut, nach dem der Abbau von Handelshemmnissen nicht sektorübergreifend in Hinsicht auf den gesamten Dienstleistungsverkehr, sondern in Hinsicht auf die Besonderheiten jedes einzelnen Dienstleistungssektor erfolgen solP. Zum anderen läßt sich bei der Untersuchung der Listen eine Vorgehensweise wählen, aufgrund derer danach gefragt wird, welche Bindungen die GATSMitglieder hinsichtlich einer bestimmten, vom GATS erfaßten Form der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung eingegangen sind. Diese Vorgehensweise soll im Rahmen dieser Arbeit gewählt werden. Die zu untersuchende Erbringungsform ist die von Art. lAbs. 2 d GATS erfaßte Erbringung von Dienstleistungen durch einen Dienstleistungsanbieter "mittels Präsenz natürlicher Personen eines (GATS-) Mitglieds im Hoheitsgebiet eines anderen Mitglieds"'. 1. Ein "ausufernder" Untersuchungsgegenstand?

Gegen die Wahl dieser Vorgehensweise könnte eingewandt werden, daß die GATS-Mitglieder ihre jeweiligen Listen der spezifischen Verpflichtungen in erster Linie sektorspezifisch aufstellten. Erst wenn ein GATS-Mitglied sich zur ,,Aufnahme" eines Dienstleistungssektors in seiner Verpflichtungsliste und damit zur Einleitung des durch das GATS vorgesehenen Liberalisierungsprozesses in diesem Sektor entschieden hat, legt es hinsichtlich jeder einzelnen Erbringungsform fest, welche Bindungen es einerseits bezüglich des Marktzugangs und andererseits bezüglich der Inländerbehandlung übernehmen will'. Insofern könnte es sich hierbei um einen geradezu "ausufernden" Untersuchungs-

2 Zu diesem Bereich zählen vor allem die freiberuflichen Dienstleistungen, aber auch etwa auch Datenverarbeitungs- und Immobilien-Dienstleistungen; S. Services Sectoral Classification List, GATI-Doc.MlN.GNS/WIl20, abgedruckt in: SallvantlWeber, Binder I, XXV-XXVIII, 1. A.-F.; Die Europäischen Gemeinschaften und ihre Mitgliedsstaaten, Liste der spezifischen Verpflichtungen, BGBI. 1994 II, 1678, S. 1684-1700. 3 S. dazu oben C IV 1. • S. dazu schon oben A I 2 b aa und C II 2 a cc (2). S S. dazu oben C IV 1 b.

11 Kochlcr

162

D. Der grenzüberschreitende Personenverkehr im Rahmen des GATS

gegenstand handeln. Denn um ein umfassendes Bild über die Bindungen der GATS-Mitglieder hinsichtlich einer bestimmten Form der Dienstleistungserbringung zu erhalten, müßte auf der jeweiligen Liste eines GATS-Mitgliedes jeder einzelne erfaßte Dienstleistungssektor in Hinsicht auf die bestimmte Erbringungsform untersucht werden. Da auf der "Services Sectoral Classification List", auf deren Grundlage die multilateralen Liberalisierungsverhandlungen im Dienstleistungssektor stattgefunden haben, 155 sich nicht überlappende Dienstleistungssektoren aufgeführt sind, wären bei jedem GATS-Mitglied insofern potentiell 310 Eintragungen auf jeder Verpflichtungsliste hinsichtlich der zu untersuchenden Erbringungsform zu untersuchen6 • 2. Die Eingrenzbarkeit des Untersuchungsgegenstandes Entgegen diesen möglichen Bedenken läßt sich der Untersuchungsgegenstand des grenzüberschreitenden Personenverkehrs von Dienstleistungsanbietern im Rahmen des GATS jedoch durchaus in sinnvoller Weise eingrenzen. a) Der besondere Anhang zum grenzüberschreitenden Verkehr natürlicher Personen Zunächst ergibt sich eine Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes daraus, daß die GATS-Mitglieder bezüglich der hier zu untersuchenden Erbringungsform einen gesonderten Vertragsanhang zu dem GATS geschaffen haben7 • Dieser Anhang erfüllt vor allem die Funktion klarzustellen, was unter dem grenzüberschreitenden Personenverkehr von Dienstleistungsanbietern im Rahmen des GATS zu verstehen ist und welche Rechtsbereiche von den diesbezüglich zu ergreifenden Liberalisierungsmaßnahmen ausdrücklich unberührt bleiben sollen. Während es zu den drei anderen von Art. lAbs. 2 GATS erfaßten Formen der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung keinen gesonderten Anhang gibt, hielten es die GATS-Mitglieder also für notwendig,

6 Vg!. Hoekman, Assessing the General Agreement on Trade in Services, in: Martin/Winters (Hrsg.), S. 327 ff., der den Versuch einer vorläufigen Auswertung der gesamten spezifischen Verpflichtungen unternimmt, sich allerdings darauf beschränkt, in quantitaiver Hinsicht aufzuzeigen, welche Länder überhaupt Bindungen übernommen haben und wie viele Dienstleistungssektoren in den Verpflichtungslisten jeweils erscheinen. 7 Anlage zum grenzüberschreitenden Verkehr natürlicher Personen, die im Rahmen des Übereinkommens Dienstleistungen erbringen, BGB!. 199411, S. 1658; S. dazu ausführlich lUlten D IV.

I. Der UntersuchWlgsgegenstand

163

diese Eingrenzung bezüglich dieser Erbringungsform vorzunehmen'. Diese besondere Behandlung des grenzüberschreitenden Personenverkehr von Dienstleistungsanbietern durch die GATS-Mitglieder rechtfertigt die separate Untersuchung dieser Form der Dienstleistungserbringung im Rahmen des Übereinkommens. Ziel dieser Untersuchung ist also b) Der grenzüberschreitende Personenverkehr als Teil der .. Horizontalen Verpflichtungen" innerhalb der Listen der spezifischen Verpflichtungen

Weiterhin ergibt sich die Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes aus der Art und Weise der Aufstellung der Listen der spezifischen Verpflichtungen, wie sie V0n den GATS-Mitgliedern hinsichtlich der Erbringungsform des grenzüberschreitenden Personenverkehrs von Dienstleistungsanbietern vorgenommen worden ist. Ohne daß dies den Vorgaben des GATS bezüglich der Aufstellung der Listen (Art. XX GATSt zu entnehmen sei, enthalten die Listen nicht bloß sektorspezifische Eintragungen, die die Liberalisierungsverpflichtungen hinsichtlich des Marktzugangs und der Inländerbehandlung sowie hinsichtlich der vier Erbringungsformen wiedergeben. Vielmehr findet sich in den Listen stets eine Zweiteilung in horizontale und in sektorspezifische Verpflichtungen 10• Im Gegensatz zu den sektorspezifischen Verpflichtungen beziehen sich die horizontalen Verpflichtungen nicht bloß auf einen Dienstleistungssektor, sondern auf all die Sektoren, die das jeweilige GATS-Mitglied in seine Liste der spezifischen Verpflichtungen aufgenommen hat. Die horizontalen Verpflichtungen innerhalb der Listen stellen folglich Bindungen dar, die gewissermaßen "vor die Klammer gezogen" worden sind und Geltung fiir alle Dienstleistungssektoren erlangen, die als Ergebnis der multi-

• Neben diesem Anhang enthält das GATS lediglich Anhänge zu bestimmten DienstleiStWlgssektoren, in denen gegenüber den allgemeinen BestimmWlgen des Übereinkommens besondere RegelWlgen bezüglich des weiteren LiberalisiefWlgsprozesses getroffen werden. Diese Anlagen betreffen den zivilen Luftverkehr, die FinanzdienstleistWlgen, den Seeverkehr Wld die TelekommWlikation. 9 Vgl. dazu schon oben C 1V 1 c. 10 S. etwa die Liste der spezifischen VerpflichtWlgen der Europäischen Gemeinschaften Wld ihrer Mitgliedsstaaten, BGBI. 1994 II, 1678, S. 1679-1683 (,,I. Horizontale VerpflichtWlgen", die sich auf "sämtliche in dieser Liste aufgefiihrten Sektoren" beziehen) Wld S.1684-1721 (,,11. Sektorspezifische VerpflichtWlgen"); vgl. die Liste der USA, GATS/SC/94, S. 1 [no v.], in der es bezüglich der horizontalen VerpflichtWlgen heißt: ,,All sectors covered by this schedule". 11*

164

D. Der grenzüberschreitende Personenverkehr im Rahmen des GATS

lateralen Verhandlungen unter das Liberalisierungsregime des GATS fallen". Es ist weiterhin daraufhin zu weisen, daß die horizontalen Verpflichtungen im Rahmen der Verpflichtungslisten von den horizontalen Verpflichtungen des Teil 11 des GATS zu unterscheiden sind. Die horizontalen Verpflichtungen des Teil 11 des GATS beziehen sich auf alle Dienstleistungssektoren, unabhängig davon, ob bezüglich des einzelnen Sektors spezifische Verpflichtungen übernommen worden sind. Demgegenüber beziehen sich die horizontalen Verpflichtungen im Rahmen der Verpflichtungskataloge nur auf die Sektoren, die im zweiten Teil der Listen aufgeführt sind und bezüglich derer also gerade spezifische Verpflichtungen übernommen worden sind. Die Durchsicht der Listen der spezifischen Verpflichtungen läßt erkennen, daß die GATS-Mitglieder insbesondere die Bindungen bezüglich der hier zu untersuchenden Erbringungsform im Rahmen dieser horizontalen Verpflichtungen festgeschrieben haben. Welche Bedingungen fiir die Einreise, den Aufenthalt und die Beschäftigung natürlicher Personen zum Zweck der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung und vor allem fiir die Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten durch ausländische natürliche Personen gelten, wird mithin allgemein geregelt. Auf welche Dienstleistungssektoren sich diese Bindungen beziehen, ist sodann daran ablesbar, welche Sektoren jeweils unter der Rubrik "Sektorspezifische Verpflichtungen" aufgeführt werden. Zu bedenken ist freilich, daß eine Vielzahl von GATS-Mitgliedern weitere Qualifikationen und Bindungen bezüglich des grenzüberschreitenden Personenverkehrs von Dienstleistungsanbietern im Rahmen der konkreten sektorspezifischen Verpflichtungen stipuliert haben. So legt beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Liste der Europäischen Gemeinschaften zusätzlich zu der horizontalen Verpflichtung zu dieser Erbringungsform fest, daß im Bereich der Veterinärsdienstleistungen eine natürliche Person, die in diesem Sektor grenzüberschreitend tätig werden will, über die deutsche Staatsangehörigkeit verfUgen muß 12 • Für diese konkrete Dienstleistung stellt die sektorspezifische Bindung mithin eine erhebliche Einschränkung der Möglichkeiten ausländischer Konkurrenten dar, auf dem deutschen Markt tätig werden zu können. Die horizontalen Verpflichtungen stehen also stets unter dem Vorbehalt, daß sich das jeweilige GATS-Mitglied im Rahmen der sektorspezifischen Verpflichtungen an die Geltung eines restriktiveren Außenhandelsregimes bindet.

" Im Englischen wird deshalb davon gesprochen, es handele bei diesen horizontalen Verpflichtungen innerhalb der Listen um ,,headnotes", vgl. etwa Hoekman, Assessing the General Agreement on Trade in Services, in: MartiniWinters (Hrsg.), S. 327,337. 12 BGBI. 199411, S. 1678, 1690.

I. Der UntersuchWlgsgegenstand

165

Gleichwohl erscheint es durchaus sinnvoll, sich auf die Untersuchung der horizontalen Verpflichtungen hinsichtlich des grenzüberschreitenden Verkehrs natürlicher Personen zu beschränken. Denn zunächst ergibt diese Untersuchung ein Gesamtbild über den Grad der Bindung, die die GATS-Mitglieder diesbezüglich einzugehen bereit sind. Die horizontalen Verpflichtungen geben mithin eine Art Standardbehandlung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs wieder, von der allerdings in einigen Sektoren abgewichen wird. Dies gilt um so mehr, als bereits nach dem aktuellen Stand der Listen in der ganz überwiegenden Zahl der Dienstleistungssektoren, die von den GATS-Mitgliedern in das Liberalisierungsregime des Übereinkommens überführt worden sind, im Bereich dieser Erbringungsform lediglich auf die Bedingungen verwiesen wird, wie sie im Rahmen der horizontalen Verpflichtungen festgelegt worden sind". Weiterhin ist zu bedenken, daß die Listen der spezifischen Verpflichtungen die ersten Liberalisierungsverpflichtungen sind, die unter dem Regime des GATS eingegangen worden sind. Sie stellen also die Grundlage fiir weitere Liberalisierungsverhandlungen dar, in deren Rahmen mit weitergehenden Marktöffnungsverpflichtungen der GATS-Mitglieder zu rechnen ist 14 • Insbesondere ist damit zu rechnen, daßsektorspezifische Besonderheiten, wie sie durch das angeführte Beispiel der Veterinärsdienstleistungen belegt werden, Gegenstand der multilateralen Verhandlungen werden, an deren Ende zunehmend mit einem einheitlichen Regime hinsichtlich aller Dienstleistungssektoren zu rechnen ist. Insofern kommt den horizontalen Verpflichtungen innerhalb der Listen perspektivische Bedeutung hinsichtlich des weiteren Liberalisierungsprozesses im gesamten Dienstleistungssektor zu. c) Systematische Untersuchung der Listen hinsichtlich von spezifischen Verpflichtungen bezüglich bestimmter Kategorien von natürlichen Personen

Schließlich läßt sich der hier gewählte Untersuchungsgegenstand durch eine systematische Vorgehensweise eingrenzen. Die Listen der spezifischen Verpflichtungen sollen hier nicht in der Weise analysiert werden, daß der derzeitige Verpflichtungsstand jeder einzelnen Verpflichtungs liste in bezug auf den grenzüberschreitenden Personenverkehr von Dienstleistungsanbietern unter-

" S. etwa die Liste der spezifischen VerpflichtWtgen der Europäischen Gemeinschaften Wld ihrer Mitgliedsstaaten, in der es Wlter der Rubrik "Sektorspezifische VerpflichtWlgen" in der Mehrzahl der Sektoren zu dieser ErbringWlgsform stets lautet: "UngebWlden mit Ausnahme der Angaben Wlter 'Horizontale VerpflichtWlgen"', BGB\. 1994 II, S. 1678, 1684-1721; S. dazu auch Wlten D V. 14 Vg\. Schotl/Buurman, The Uruguay-Round, An Assessment, S. 107, die davon sprechen, die spezifischen VerpflichtWlgen bildeten eine 'GrWldlinie fiir zukünftige LiberalisiefWlgsbemühWlgen' ("a baseline for future liberalization efforts").

166

D. Der grenzüberschreitende Personenverkehr im Rahmen des GATS

sucht und wiedergegeben wird. Demgegenüber liegt der Ausgangspunkt dieser Untersuchung in der Analyse des Absatz 3 Satz 1 des Vertragsanhangs zum grenzüberschreitenden Personenverkehr. Danach können die GATS-Mitglieder über spezifische Verpflichtungen verhandeln, "die den grenzüberschreitenden Verkehr aller Kategorien von natürlichen Personen betreffen, die Dienstleistungen nach dem Übereinkommen erbringen". Im Rahmen dieser Arbeit soll gefragt werden, in bezug auf welche Kategorien von natürlichen Personen die GATS-Mitglieder tatsächlich Bindungen eingegangen sind. Während also zunächst der systematische Rahmen zur Lieberalisierung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs nach der Maßgabe des besonderen Vertragsanhangs analysiert werden soll, ist im abschließenden Teil dieser Untersuchung herauszuarbeiten, in welcher Weise dieser Rahmen von den GATS-Mitglieder durch die konkrete Übernahme von Liberalisierungsverpflichtungen bisher genutzt worden ist. Diese Vorgehensweise läßt sich als systematisch in dem Sinn bezeichnen, als festzustellen ist, daß alle Verpflichtungskataloge Bezug auf dieselben Gruppen von natürlichen Personen nehmen, die hier als Kategorien bezeichnet werden sollen. Nicht alle Listen enthalten zwar Bindungen hinsichtlich aller Kategorien von natürlichen Personen. Alle GATS-Mitglieder haben sich jedoch bei der Übernahme ihrer Bindungen an einer begrenzten Anzahl von Kategorien orientiert, deren Erscheinungsbild und rechtliche Ausgestaltung hier herausgearbeitet werden sollen.

3. Der weitere Gang der Untersuchung Im folgenden wird die Thematik in der Weise behandelt, daß zunächst die mit dieser Form der Dienstleistungserbringung betroffenen völkerrechtlichen Grundlagen dargestellt werden (dazu unter 11.). Im Anschluß daran wird dargelegt, inwieweit der grenzüberschreitende Personenverkehr während der Erarbeitung des GATS ein konfliktreicher Verhandlungs gegenstand insbesondere zwischen den Entwicklungsländern und den Industriestaaten gewesen ist (dazu unter III.). Sodann soll auf der Grundlage der Untersuchung des besonderen GATS-Anhanges zum grenzüberschreitenden Personenverkehr abgrenzt werden, in welcher Weise die GATS-Mitglieder die mit Art. lAbs. 2 derfaßten Handelsaktivitäten in den Liberalisierungsrahmen des GATS einbeziehen wollen und welche Rechtsbereiche gerade nicht Gegenstand der multilateralen Verhandlungen werden sollen (dazu unter IV). Schließlich werden vor dem Hintergrund dieser Ausführungen die Listen der spezifischen Verpflichtungen der GATS-Mitglieder daraufhin untersucht, welche Bindungen die Staaten hinsichtlich des grenzüberschreitenden Personenverkehrs übernommen haben (dazu unter V.).

11. Die völkerrechtlichen Grundlagen

167

11. Die völkerrechtlichen Grundlagen Der grenzüberschreitende Personenverkehr von Dienstleistungsanbietern betrifft in faktischer Hinsicht zunächst die Einreise einer natürlichen Person in einen Staat, dessen Staatsangehörigkeit diese Person nicht innehat, weiterhin den Aufenthalt der Person in dem Hoheitsgebiet des Staates und schließlich die Ausübung einer bestimmten Dienstleistungstätigkeit. Bezüglich all dieser tatsächlichen Vorgänge bestehen in allen Staaten eine Vielfalt von Rechtsvorschriften, die das Handeln der natürlichen Person beschränken oder gänzlich ausschließen. Im Bereich dieser besonderen Form der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung handelt es sich mithin bei all diesen innerstaatlichen Regelungen um HandelshemmnisseIS, die in der Terminologie des GATS als ,,Maßnahmen (... ), die den Handel mit Dienstleistungen beeinträchtigen" (Art. I Abs. 1) bezeichnet werden l6 • Wenn die GATS-Mitglieder bezüglich dieser Handelshemmnisse im Rahmen ihrer Listen der spezifischer Verpflichtungen Bindungen eingehen, die auf den schrittweisen Abbau der Beschränkungen gerichtet sind, so handelt es sich bei diesen Bindungen um völkerrechtliche Verpflichtungen, welche die GATSMitgliedsstaaten in ihren wechselseitigen Rechtsverhältnissen betreffen. Im folgenden soll zum einen geklärt werden, auf welche völkerrechtliche Rechtspositionen der Staaten sich diese Verpflichtungen beziehen (dazu unter 1.); zum anderen soll dargelegt werden, welcher Art die völkerrechtlichen Bindungen sind, die außerhalb des GATS-Rahmen im Bereich des grenzüberschreitenden Personenverkehr von Dienstleistungsanbietern bereits bestehen (dazu unter 2. und 3.). 1. Das Fremdenrecht als Regelungsgegenstand im Bereich

der Gebietshoheit der Staaten

a) Der Begriff des Fremdenrechts

Die Bindungen der GATS-Mitglieder hinsichtlich der Liberalisierung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs von Dienstleistungsanbietern stellen Verpflichtungen dar, die dem völkerrechtlichen Fremdenrecht angehören l1 • Dieses befaßt sich mit der Rechtsstellung der Staatsangehörigen fremder StaaIS Vgl. zur Einteilung der Handelshemmnisse bezüglich des grenzüberschreitenden Personenverkehrs von Dienstleistungsanbietem Bernier/Binette/Grenon, Labour Mobility and Trade in Services, S. 47 ff. 16 S. dazu oben C II 3. 17 Vgl. Senti, Die neue Welthandelsordnung, ORDO 1994 (Vol. 45), S. 301, 309.

168

D. Der grenzüberschreitende Personenverkehr im Rahmen des GATS

ten hinsichtlich deren Ein- und Ausreise und den rechtlichen Bedingungen ihres Aufenthaltes in dem anderen Landli. Die natürlichen Personen, die zum Zweck der Erbringung einer Dienstleistung in das Hoheitsgebiet eines anderen Staates einreisen, sind zum Teil von den allgemeinen Rechtsbedingungen betroffen, denen alle ausländischen Personen bei deren Einreise und Aufenthalt ausgesetzt sind. Dies gilt etwa für den in vielen Staaten für jegliche Einreise geltenden Visumzwang l9 . Zum Teil geht es hier jedoch um ganz spezielle Rechtsbedingungen, die nur Geltung hinsichtlich der Ausübung einer bestimmten Dienstleistungstätigkeit durch einen Ausländer haben 20 •

b) Die Regelung der Rechtsstellung von Ausländern als Ausfluß der Gebietshoheit aa) Gebietshoheit und territoriale Souveränität Die Rechtsstellung von Ausländern wird von den Staaten kraft ihrer Gebietshoheit geregelt21 • Unter dieser versteht man allgemein das Recht, auf dem betreffenden Staatsgebiet gegenüber allen Personen und Sachen Akte der Staatsgewalt zu setzen22 • Begrifflich ist die Gebietshoheit zunächst von der territorialen Souveränität zu unterscheiden23 • Hierunter wird die Befugnis des souveränen Staates gefaßt, über das Staatsgebiet oder Teile desselben endgültig und ohne Einschaltung anderer Stellen zu verfügen24 • Da der Begriff der territorialen Souveränität keinen Bezug zu den auf dem Staatsgebiet befindlichen Personen, sondern nur zu der Verfügungsbefugnis über das Territorium als solches

1I Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rn 1593; Ipsen, Zum völkergewohnheitsrechtlichen Mindeststandard des Individualschutzes, in: Ipsen, Völkerrecht, § 46 Rn 2; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 4 Rn 1; Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts und das deutsche Verfassungsrecht, S. 22 ff. 19 Vgl. den Überblick zu diesen allgemeinen Rechtsbedingungen, die als Handelshemmnisse des grenzüberschreitenden Personenverkehrs betrachtet werden können, UNCTAD, Liberalizing International Transactions in Services. S. 104 ff. 20 UNCTAD, Liberalizing International Transactions in Services, S. 108 ff. und 111 ff. 21 VerdrosslSimma, Universelles Völkerrecht, Theorie und Praxis, § 1225; SeidlHohenveldern, Völkerrecht, Rn 1113; Mössner, Einführung in das Völkerrecht, S. 99. 22 Epping, Das Staatsgebiet, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn 3 f.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rn 1113; vgl. auch Nguyen QuoclDail/ierIPellet, Droit international puhlic, S.416. 23 VerdrosslSimma, Universelles Völkerrecht, Theorie und Praxis, §§ 1038 ff.; SeidlHohenveldern, Völkerrecht, Rn 1111. 24 Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rn 1112; Mössner, Einführung in das Völkerrecht, S. 191 f.; Nguyen QuoclDaillierlPellet, Droit intemational public, S. 416.

II. Die völkerrechtlichen Grundlagen

169

hat, ist dieser Begriff hinsichtlich der hier zu behandelnden Rechtsmaterie nicht von Bedeutung. bb) Gebietshoheit und Personalhoheit Darüber hinaus ist der Begriff der Gebietshoheit von dem der Personalhoheit zu unterscheiden. Die Personalhoheit findet ihren Grund darin, daß jeder Staat in erster Linie einen Personenverband darstelles. Das Staatsvolk stellt gewissermaßen die "persönliche" Grundlage des souveränen Staates dar, welche auf dem besondere Treueverhältnis zwischen der staatliche Gewalt und den einzelnen Mitgliedern des Staatsvolkes beruhe6• Der rechtliche Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der Adressaten der Personalhoheit eines Staates ist die Staatsangehörigkeit der natürlichen Personen27 • Während also alle natürlichen Personen, die sich auf dem Territorium eines Staates befinden oder die Zugang zu diesem erlangen wollen, zum Adressatenkreis der hoheitlichen Regelungen gehören, die aufgrund der Gebietshoheit erlassen werden können, beschränkt sich die Personalhoheit auf die Personen, die Angehörige des jeweiligen Staates sind. Daher handeln die Staaten bei der Regelung der Rechtsstellung von Ausländern, die sich als Dienstleistungsanbieter in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, nicht auf der Grundlage ihrer Personal-, sondern ihrer Gebietshoheit. Es stellt sich die Frage, ob die Staaten bei der Regelung der Rechtsstellung von Fremden völkerrechtlichen Bindungen unterliegen. Zunächst ist diesbezüglich festzustellen, daß es sich bei der Gebietshoheit um einen der Kernbereiche der inneren Souveränität der Staaten handelt. Aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten wird geschlossen, daß der einzelne Staat und die Staatengemeinschaft die innerstaatliche Regelung von Rechtsmaterien, die in diesen Kembereich fallen, grundsätzlich zu achten habenlI. Daher ist davon auszugehen, daß die Staaten grundsätzlich frei sind, das innerstaatliche Fremdenrecht nach ihrem Gutdünken und entsprechend ihren verfassungsrechtlichen

2S VerdrosslSimma, Universelles Völkerrecht, Theorie und Praxis, §§ 388, 1225; Epping, Die Personalhoheit, in: Ipsen, Völkerrecht, § 24 Rn 1. 26 Epping, Die Personalhoheit, in: Ipsen, Völkerrecht, § 24 Rn 1; Mössner, Einführung in das Völkerrecht, S. 192. 27 Epping, Die Personalhoheit, in: Ipsen, Völkerrecht, § 24 Rn 3; VerdrosslSimma, Universelles Völkerrecht, Theorie und Praxis, § 1225; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn 405 ff.; Mössner, Einführung in das Völkerrecht, S. 192. 21 Vgl. Ipsen, Zum völkergewohnheitsrechtlichen Mindeststandard des Individualschutzes, in: Ipsen, Völkerrecht, § 46 Rn 1; Nguyen QuoclDaillierlPellet, Droit international public, S. 386 und 420.

170

D. Der grenzüberschreitende Personenverkehr im Rahmen des GATS

Vorgaben zu reglementieren29 • Die Rechtsstellung des Fremden in einem anderen Staat stellt jedoch insofern eine Besonderheit dar, als der Fremde nicht ausschließlich der Gebietshoheit des Aufenthaltsstaates unterworfen ist. Gleichzeitig untersteht er als Staatsangehöriger seines Herkunftsstaates auch der Personalhoheit dieses Staates10• Anders als die Gebietshoheit wirkt die Personalhoheit nämlich nicht bloß innerhalb der Grenzen eines jeden Staates, sondern hat grenzüberschreitende Geltung. Hinsichtlich der Rechtsstellung von Fremden ist daher von einer Überschneidung der Staatsgewalten zu sprechen. 2. Der völkerrechtliche Mindeststandard bezüglich der Rechtsstellung von Fremden a) Der Begriff des völkerrechtlichen Mindeststandards

Zur Klarstellung der Grenzen der Hoheitsbefugnisse von Aufenthalts- bzw. Herkunftsstaat haben viele Staaten auf bilateraler Ebene Verträge geschlossen, die Grundfragen der Rechtsstellung ihrer jeweiligen Staatsangehörigen bezüglich deren Einreise, Aufenthalt und Ausweisung regelnli. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von multilateralen Vertragswerken, deren Gegenstand ebenfalls die Rechtsstellung des Individuums gegenüber fremder Staatsgewalt oder unterschiedslos gegenüber jeglicher Staatsgewalt (also auch gegenüber der des Herkunftsstaates) ist. Hierzu gehören zum einen die Deklarationen und Resolutionen der Vereinten Nationen, die weltweite Verbreitungstendenz besitzen, beispielsweise die Allgemeine Erklärung der Menschenrechtel2 • Zum anderen sind hier die Grundverträge der Organisationen zu erwähnen, die, wie etwa die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), lediglich regionale Geltung beanspruchen11 • Aus der Gesamtheit dieser völkervertraglichen Staatenpraxis und der ihr entsprechenden Rechtsüberzeugung wird der sog. Mindeststandard an Individualrechten abgeleitet, zu dessen Gewährlei-

29 Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts und das deutsche Verfassungsrecht, S. 25. 10 Epping, Die Personalhoheit, in: Ipsen, Völkerrecht, § 24 Rn 1; Mössner, Einführung in das Völkerrecht, S. 208. 31 Derartige Vereinbarungen fmden sich vorallem in bilateralen Niederlassungsverträgen und in Freundschafts-, Schifffahrts- und Handelsverträgen, vgl. SeidlHohenveldern, Völkerrecht, Rn 1593; S. dazu auch schon oben B I 4. 12 S. zu diesen Verträgen mit weltweiter Verbreitungstendenz Higgens, La liberte de circulation des personnes en droit international, in: Flory/Higgens (Hrsg.), S. 3 ff.; Jean, Le contenu de la liberte de circulation, in: Flory/Higgens (Hrsg.), S. 21 ff. II Ipsen, Zum gewohnheitsrechtlichen Mindeststandard des Individualschutzes, in: Ipsen, Völkerrecht, § 46 Rn 1.

II. Die völkerrechtlichen Gnmdlagen

171

stung die Staaten völkergewohnheitsrechtlich verpflichtet sind". Unabhängig von den völkervertraglichen Bindungen eines jeden Staates besteht mithin ein Minimum an gewohnheitsrechtlichen Verpflichtungen. die die Staaten bei der innerstaatlichen Ausgestaltung der Rechtsstellung von Fremden zu beachten haben 3'. Im folgenden soll geklärt werden, ob dieser Mindeststandard bindende Rechtswirkung hinsichtlich der mit dem grenzüberschreitenden Personenverkehr von Dienstleistungsanbietern verbundenen Regelungsbereiche hat. b) Der Mindeststandard bezüglich Einreise und Ausweisung von Fremden

Hinsichtlich der Gestattung der Einreise von Fremden in das Hoheitsgebiet des Staates bestehen nach allgemeiner Auffassung keine gewohnheitsrechtlichen Bindungen3". Abgesehen von den eng begrenzten Fällen der Verpflichtung zur Aufnahme von politisch verfolgten Individuen, sind die Staaten mithin frei, in ihren Rechtsordnung festzulegen, unter welchen Voraussetzungen sie dem Fremden die Einreise erlauben. Zwar haben sich in bezug auf diesen Vorgang gewisse typische staatliche Verwaltungsabläufe ausgebildet 37 • So wird die Einreiseerlaubnis von vielen Staaten in Form der Anbringung eines Einreisesichtvermerkes (Visum) erteile". Aufgrund der anerkanntermaßen unbeschränkten Regelungsbefugnis der Staaten in diesem Bereich läßt sich aus dieser Praxis jedoch keinerlei bindendes Recht ableiten39• Auch hinsichtlich der natürlichen Personen, die zum Zweck der Dienstleistungserbringung in einen anderen Staat einreisen, läßt sich mithin sagen, daß es keine völkergewohnheitsrechtlichen Bindungen der Staaten zur Gestattung dieses Vorgangs gibt. Hinsichtlich der Ausweisung von einmal zugelassenen Ausländern gilt zwar der Grundsatz, daß Ausländer, denen die Einreise gestattet worden ist, in der Regel nicht ohne die Angabe von Gründen ausgewiesen werden dürfen40 • Die Bandbreite der völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Ausweisungsgründe ist 34 Zum Begriff des Mindeststandards Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rn 1594; Mössner, Einfiihnmg in das Völkerrecht, S. 207 f.; Ipsen, Zum völkergewohnheitsrechtlichen Mindeststandard des Individualschutzes, in: Ipsen, Völkerrecht, § 46 Rn 2. 3' Vgl. auch Roth, The Minimum Standard of International Law Applied to Aliens,

S.3.

3" Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, Theorie und Praxis, § 1210; SeidlHohenveldem, Völkerrecht, Rn 1595. 37 Vgl. Mössner, Einfiihnmg in das Völkerrecht, S. 208. 31 Vgl. dazu den vergleichenden Überblick über die Staatenpraxis der Visaerteilung in UNCTAD, Liberalizing International Trade in Services, S. 104 ff. 39 Jean, Le contenu de la liberte de circulation, in: Flory/Higgens (Hrsg.), S. 21,21. 40 Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rn 1641; Mössner, Einfiihnmg in das Völkerrecht, S. 208; Ipsen, Zum völkergewohnheitsrechtlichen Mindeststandard des Individualschutzes, in: Ipsen, Völkerrecht, § 46 Rn 7.

172

D. Der grenzüberschreitende Personenverkehr im Rahmen des GATS

jedoch derartig weit, daß den Staaten de facto diesbezüglich keine Beschränkungen auferlegt sind. Insbesondere kann auch der Ausweisungsgrund angeführt werden, der weitere Aufenthalt des Fremden stelle eine Beeinträchtigung der Beschäftigungsaussichten arbeitssuchender eigener Staatsangehöriger dar'l. c) Der Mindeststandard bezüglich des Aufenthaltes von Fremden in dem staatlichen Hoheitsgebiet

Hat der Fremde einmal die Erlaubnis zur Einreise in das Hoheitsgebiet eines Staates erlangt, treffen den Aufenthaltsstaat gewohnheitsrechtlich anerkannte Bindungen hinsichtlich der Behandlung des Individuums. Grundlegend ist die Pflicht, jede natürliche Person als Rechtspersönlichkeit, das heißt als Trägerin von Rechten und Pflichten, zu behandeln42 • Weiterhin gehört zum Mindeststandard das Recht auf Leben, körperliche Unverletzlichkeit und Sicherheit der Person43 • Ebenso sind die Staaten gewohnheitsrechtlich zur Garantie der Gleichheit vor Gesetz und Gericht verpflichtet, wobei diese Pflicht auch die Gewährleistung geordneter Gerichtsverfahren und rechtlichen Gehörs umfaßt"'. Von entscheidender Bedeutung hinsichtlich der hier zu behandelnden Frage der Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten ist allerdings, daß der Mindeststandard bezüglich der wirtschaftlichen Betätigung von Ausländern nur sehr begrenzte Bindungen enthält. Zwar können Fremde alle für das normale Leben notwendigen Privatrechte erwerben und ausüben, wobei allerdings der Erwerb von Grundbesitz und Wirtschaftsunternehmen zulässigerweise ausgeschlossen werden darf". Die Staaten sind jedoch in bezug auf die Reglementierung der wirtschaftlichen Aktivität von Ausländern grundsätzlich keinen gewohnheitsrechtlich anerkannten Beschränkungen unterworfen. Die zulässigen Beschränkungen reichen von der Stipulierung einer allgemein notwendigen Arbeitserlaubnis bis zur Reservierung bestimmter Berufe für eigene Staatsangehörige des Aufenthaltsstaates 46 • Insbesondere im Bereich der dem Dienstleistungssektor zugehörigen freien Berufe ist dieser Ausschluß von Fremden häufig anzu-

41 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, Theorie Wld Praxis, § 1211; ebenso Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rn. 1641. 42 S. dazu etwa Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, Theorie Wld Praxis, § 1213; Ipsen, Zum völkerrechtlichen Mindeststandard des Individualschutzes, in: Ipsen, Völkerrecht, § 46 Rn 6. 43 Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rn 1639. 44 Mössner, EinfiihfWlg in das Völkerrecht, S.209; Ipsen, Zum völkerrechtlichen Mindeststandard des Individuaischutzes, in: Ipsen, Völkerrecht, § 46 Rn 6. 45 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, Theorie Wld Praxis, § 1213. 46 Mössner, EinfiihrWlg in das Völkerrecht, S. 209; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 1640.

11. Die völkerrechtlichen Grundlagen

173

treffen und widerspricht nicht den Vorgaben des Mindeststandards47 • Ebenfalls ist es zulässig, daß ein Staat quantitativ begrenzte Kontingente zur Bestimmung der Höchstgrenze von Ausländern festlegt, die in einem Wirtschaftssektor beschäftigt werden dürfen41 • Der begrenzte Verpflichtungsgrad des Mindeststandards in dieser Hinsicht entspricht dem Bestreben der Staaten, durch die restriktive Zulassung von Fremden zum innerstaatlichen Wirtschaftsleben für eine ausreichende Lebensgrundlage der eigenen Staatsangehörigen zu sorgen sowie wirtschaftliche Abhängigkeiten von ausländischen Wirtschaftsfaktoren zu verhindern4". Zusammenfassend läßt sich folglich festhalten, daß der völkerrechtliche Mindeststandard zwar einen gewissen Schutz des Individuums, also auch der natürlichen Person, die zur Dienstleistungserbringung in einen anderen Staat einreist, bewirkt. Gleichzeitig ist jedoch festzustellen, daß er hinsichtlich der Ausübung der Dienstleistungstätigkeit als solcher keine Rechtsbindungen für die innerstaatliche Reglementierung mit sich bringt. 3. Das Völkervertragsrecht mit Bezug zum grenzüberschreitenden Personenverkehr von Dienstleistungsanbietern Ein beträchtliche Zahl von zwischenstaatlichen völkerrechtlichen Übereinkünften regelt bzw. tangiert Rechtsfragen des grenzüberschreitenden Personenverkehrs von Dienstleistungsanbieternso• Die Verträge, die diesbezüglich wesentliche Regelungen enthalten, lassen sich in drei verschiedene Kategorien einteilen. Zunächst bestehen internationale Übereinkommen mit weltweiter Verbreitungstendenz. Hier sind vor allem bestimmte Konventionen der Vereinten Nationen und der Internationalen Arbeitsorganisation zu erwähnen. Weiterhin sind regionale Übereinkünfte zur wirtschaftlichen Integration zwischen einer begrenzten Zahl von·Staaten in Betracht zu ziehen. Schließlich bestehen auf bilateraler Ebene mannigfaltige Abkommen, die Regelungsfragen des grenzüberschreitenden Personenverkehr berühren. Vgl. dazu UNCTAD, Liberalizing International Transactions in Services, S. 108 ff. S. zum vergleichenden Überblick dieser Kontingentierungspraxis der Staaten UNCTAD, Liberalizing International Transactions in Services, S. 106 f. 4" Vgl. Mössner, Einfiihrung in das Völkerrecht, S.209; vgl. dazu auch die vom GATT-Sekretariat in Auftrag der Verhandlungsgruppe zum Dienstleistungshandelausgearbeitete Untersuchung ,,Labour Movement and Trade in Services", GATT-Doc. MTN.GNSIW/104, S. 3 f[n. v.]. so S. dazu die detaillierte Untersuchung von Bernier/Binette/Grenon, Labour Mobility and Trade in Services, insb. S. 11 ff.; weiterhin GATT-Secretariat, Labour Movement and Trade in Services, GATT-Doc. MTN.GNS/WIl04, S. 7 ff. [no v.]; ebenso Fuchs, Ausländerbeschäftigung, S. 5 ff., 54 ff. 47

41

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D. Der grenzüberschreitende Personenverkehr im Rahmen des GATS

Im folgenden soll unter Berücksichtigung wesentlicher Verträge ein geraffter Überblick über diese Übereinkünfte und die darin vorzufindenden Verpflichtungen gegeben werden, um den völkervertraglichen Kontext zu verdeutlichen, in dem die spezifischen Verpflichtungen der GATS-Mitglieder zum grenzüberschreitenden Personenverkehr von Dienstleistungsanbietern zu betrachten sind. Die in einzelnen Dienstleistungssektoren existierenden Sonderübereinkünfte sollen hier allerdings unberücksichtigt bleiben. a) Übereinkommen mit weltweiter Verbreitungstendenz

Unter den Übereinkommen mit weltweiter Verbreitungstendenz sind zunächst die Übereinkünfte der Vereinten Nationen von Bedeutung. Hinsichtlich der mit der Arbeitskräftemobilität verbundenen Rechtsfragen ist insbesondere die ,,Konvention zum Schutz der Rechte von allen Wanderarbeitnehmern und ihren Familienmitgliedern" vom 25.02.199pI in Betracht zu ziehens2 • Bezeichnend fiir den begrenzten Verpflichtungsgrad dieser Konvention ist deren Art. 8 Abs. 1. Hier wird zwar das Recht aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienmitglieder stipuliert, jeden Staat, einschließlich ihren Herkunftsstaat, zu jeder Zeit zu verlassen. Jedoch korrespondiert mit diesem Recht keine Pflicht der Staaten, dem Wanderarbeitnehmer die Einreise zu gestatten und diesem die Arbeitserlaubnis zu erteilen. Hinsichtlich der Öffnung von nationalen Märkte und damit etwa auch von Dienstleistungsmärkten fiir ausländische natürliche Personen enthält diese Konvention mithin keine völkerrechtlichen Verpflichtungen. Regelungsziel des Übereinkommens ist dagegen die Sicherung der Rechtsstellung von ausländischen natürlichen Personen, wenn sie bereits legal in einen fremden Staat eingereist sind und dort als Arbeitnehmer tätig sindsl • Darüber hinaus sind in diesem Zusammenhang auch die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO) zu erwähnen. Die ILO hat sich als Spezialorganisation der UNO mehrfach mit

SI In Engl. ,,International Convention on the Protection of the Rights of all Migrant Workers and Members of their Families", abgedruckt bei SauvantlWeber (Hrsg.), Booklet 8, S. I ff. n Darüber hinaus sind die Internationalen Pakte über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16.12.1966 und über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 als Vertragstexte mit Bezug auf die Rechtsstellung von ausländischen Individuen von Bedeutung, vgl. dazu Fuchs, Ausländerbeschäftigung, S. 7; als spezielleres Übereinkommen soll hier jedoch nur die Konvention von 1991 angesprochen werden. Sl S. dazu vor allem die Art. 8-35 der Konvention, die die Geltung der elementaren bürgerlichen Freiheitsrechte fiir die von dem Übereinkommen geschützten Personen festschreiben.

II. Die völkerrechtlichen Grundlagen

175

Fragen der Arbeitskräftemobilität befaßt5'. Insbesondere von Bedeutung sind die ILO-Konvention Nr. 97 bezüglich der Wanderarbeitnehmer vom 1.7.194955 und die ILO-Konvention Nr. 143 bezüglich der Mißbräuche bei Arbeitsmigrationen und der Förderung von Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Wanderarbeitnehmern vom 24.6.197556• Art. 6 der ILO-Konvention Nr. 97 verpflichtet die Vertragschließenden Staaten, ausländische Wanderarbeitnehmer nicht zu diskriminieren, wobei dieses Nichtdiskriminierungsgebot etwa als Pflicht zur Gleichbehandlung im Steuerrecht konkretisiert wirdS7 • In ähnlicher Weise wird das Gebot der Gleichbehandlung in der ILO-Konvention Nr. 143 bezüglich verschiedener Regelungsbereiche des innerstaatlichen Rechts ausgeformt 5'. Auch in bezug auf diese Übereinkommen ist jedoch darauf zu verweisen, daß ihr Anwendungsbereich nur für die ausländischen Arbeitnehmer von Bedeutung ist, die schon legal in einen anderen Staat eingereist sind und dort nach erteilter Arbeitserlaubnis in einem Beschäftigungsverhältnis stehen. Die vom GATS intendierte Verpflichtung der Staaten zur Öffnung ihrer Dienstleistungsmärkte und die damit verbundene Freizügigkeit von Individuen, die als Dienstleistungsanbieter auftreten, liegen mithin nicht im Regelungsbereich dieser Verträge. b) Verträge zur regionalen Wirtschaftsintegration Während die völkerrechtlichen Verträge mit weltweiter Verbreitungstendenz lediglich auf die Gewährleistung von Schutzrechten für ausländische Individuen gerichtet sind, denen die Einreise und die Aufnahme einer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit gestattet worden ist, gehen eine Vielzahl von Verträge zur regionalen Wirtschaftsintegration weit über dieses Verpflichtungsniveau hinaus. Diese völkerrechtlichen Bindungen zielen darauf ab, die bestehenden Handelshemmnisse progressiv zu eliminieren, den Zugang zu den nationalen Territorien der jeweiligen Mitgliedsstaaten zu erleichtern, die Erwerbsmöglichkeiten von Staatsangehörigen dieser Staaten in allen Mitgliedsstaaten des jeweiligen Integrationsraumes zu verbessern und die dazugehörigen Rechte

54 S. allgemein zur !LO Gamillscheg, Internationale Arbeitsorganisation, in: StrupplSchlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Band H, S. 38 ff; VerdrosslSimma, Universelles Völkerrecht, Theorie und Praxis, §§ 303 ff. 55 In Eng!. ,,Migration for Employment Convention, abgedruckt bei SauvantlWeber (Hrsg.), Booklet 9, S. 39 ff.; vg!. dazu GATT-Secretariat, Labour Movement and Trade in Services, GATT-Doc. MTN.GNS/W/104, S. 8 f. [no v.]. 56 In Eng!. "Convention conceming Migrations in Abusive Conditions and the Promotion of Equality of Opportunity and Treatment of Migrant Workers", abgedruckt bei SauvantlWeber(Hrsg.), Booklet 9, S. 9 ff. 57 Vg!. dazu Fuchs, Ausländerbeschäftigung, S. 8. 51 S. Art. 10-16 der Konvention Nr. 143.

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D. Der grenzüberschreitende Personenverkehr im Rahmen des GATS

bezüglich des Aufenthalts in den Mitgliedsstaaten zu gewährleisten. Das Ausmaß der den ausländischen Individuen gewährten Rechte variiert dabei entsprechend der Intensität der von den Mitgliedsstaaten der jeweiligen Verträge intendierten wirtschaftlichen Integration. Der hier gewählte Ausschnitt der in dieser Kategorie von völkerrechtlichen Verträgen bestehenden Übereinkommen enthält vier Beispiele für das unterschiedliche Ausmaß des jeweils vereinbarten Verpflichtungsniveaus im Bereich des grenzüberschreitenden Personenverkehrs. aa) Wirtschaftsgemeinschaft der Westafrikanischen Staaten (ECOWAS) In der Wirtschaftsgemeinschaft der Westafrikanischen Staaten existiert bis dato ein recht geringes Maß an Freizügigkeit von natürlichen Personen S9 • Zwar sieht das ,,Protokoll bezüglich der Freizügigkeit von Personen, Aufenthalt und Niederlassung" vom 29.5.1979 langfristig weitreichende Liberalisierungsmaßnahmen zur Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes für alle Staatsangehörigen der beteiligten Mitgliedsstaaten vor60 • Der derzeitige Stand der Ratifikationen läßt jedoch erkennen, daß sich die Mitgliedsstaaten bisher lediglich zur Abschaffung der Visumspflicht für einreisewillige Staatsangehörige der beteiligten Staaten verpflichtet haben61 • bb) Gemeinsamer Nordischer Arbeitsmarkt Demgegenüber erreicht der Gemeinsame Nordische Arbeitsmarkt, der seit 1954 Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden verbindet, ein wesentlich höheres Integrationsniveau. Jeder dieser Staaten ist verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedsstaaten nicht nur visumsfreie Einreise, sondern in seinem Hoheitsgebiet auch die Aufnahme einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit ohne das Erfordernis einer Arbeitserlaubniserteilung zu gestatten62 • Diese Rechte werden unterschiedslos in bezug auf alle Wirtschaftsbereiche eingeräumt. Folglich wird von dieser Übereinkunft auch der

S9 S. dazu Art. 40 des Treaty for the Establishment of the Econornic Community of West African States (ECOWAS), abgedruckt bei SauvantlWeber (Hrsg.), Booklet 22, S. 1. 60 Protocol Relating to Free Movement ofPersons, Residence, and Establishment, abgedruckt bei SauvantlWeber (Hrsg.), Booklet 22, S. 5 ff. 61 S. dazu GATT-Secretariat, Labour Movement and Trade in Services, GATT-Doc. Mrn.GNS/W/I04, S. 8 [no v.]. 62 S. Art. 1 des ,,Agreement between Denmark, Finland, Norway and Sweden concerning a Common Labour Market", abgedruckt bei SauvantlWeber (Hrsg.), Booklet 21, S.103.

11. Die völkerrechtlichen Grundlagen

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grenzüberschreitende Personenverkehr von Dienstleisrungsanbietern erfaßt. Im Verlauf der achtziger Jahre nutzten etwa eine Million Staatsangehörige der skandinavischen Staaten diese Freizügigkeit6). cc) Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) In dem 1992 geschaffenen Integrationsraum der Nordamerikanischen Freihandelszone64 zwischen den USA, Kanada und Mexiko wird dem Abbau der Barrieren, die zwischen diesen Staaten hinsichtlich der Grenzüberschreirung von natürlichen Personen zu erwerbswirtschaftlichen Zwecken bestehen, nur begrenzt Rechnung getragen. Bereits zu Beginn der Vertragsverhandlungen einigten sich die Vertragschließenden Parteien darauf, das weite Feld der Arbeitskräftemobilität, also insbesondere die wirtschaftliche Migration von niederqualifizierten Arbeitnehmern, nicht in den Liberalisierungsrahmen dieser Freihandelszone einzubeziehen6s • Statt dessen beschränkt sich der NAFTAVertragstext auf die Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Vereinfachung der Einreisebedingungen, denen natürliche Personen ausgesetzt sind, wenn sie Staatsangehörige der Vertragsstaaten sind und als Geschäftsleute mit zeitlich begrenzter Aufenthaltsdauer in einen der anderen Vertragsstaaten einreisen wollen66 • Der Begriff der Geschäftsleute ("business persons") bezieht sich gemäß Art. 1608 NAFTA auch auf Dienstleisrungsanbieter. Allerdings wird der Kreis der von den Regelungen begünstigten Personen dadurch eng umgrenzt, daß nur bestimmte, exakt definierte oder aufgezählte Kategorien von Geschäftsleute in den Genuß der Handelserleichterungen kommen6'. Eine Stärke des mit dem NAFTA-Übereinkommen eingeleiteten Liberalisierungsprozesses ist in der Bereitstellung eines institutionalisierten Streitbeilegungsmechanismus zu sehen. Sind einem Staatsangehörigen der beteiligten NAFTA-Mitgliedsstaaten ihm nach dem Vertrag zustehende Rechte hinsichtlich der Einreisebe-

6) S. dazu GATT-Secretariat, Labour Movement and Trade in Services, GATT-Doc. MTN.GNS/W/104, S. 8 [no v.]. 64 In Engl. ,,North American Free Trade Agreement", abgedruckt bei HollerinlMusch (Hrsg.), Binder I-III.; vgl. dazu auch schon oben B I 3 a. 6S Vgl. dazu Hinojosa Ojeda, Tbe North American Free Trade Agreement and Migration, in: OECD (Hrsg.), Migration and Development, S. 229,229. 66 Vgl. dazu Art. 1601-1608 NAFTA ("Temporary Entry for Business Persons"), abgedruckt bei HollerinlMusch (Hrsg.), Binder I, S. 291 ff. 6' Dies sind gemäß dem Annex 1603 NAFTA "business visitors" (kurzfristige Aufenthalte von Geschäftsleuten zur Vertragsvorbereitung oder -durchführung), "traders and investors" (Aufenthalte zur Vorbereitung einer Direktinvestition), ,,Intra-company transferees" (innerhalb von Gesellschaften versetzte Führungskräfte) und "professionals" (bestimmte Arten von Vertretern der freien Berufe), vgl. dazu UNCTAD, Liberalizing International Transactions in Services, S. 152.

12 Kochler

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D. Der grenzüberschreitende Personenverkehr im Rahmen des GATS

dingungen nicht gewährt worden, kann sein Herkunftsstaat diese in einem Streitbeilegungsverfahren gemäß Art. 2007 NAFTA gegenüber dem vertragsuntreuen Mitgliedsstaat "einklagen"61. dd) Die Europäischen Gemeinschaften In keinem anderen Vertrag zur Schaffung eines regionalen Integrationsraumes stehen den Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten hinsichtlich des grenzüberschreitenden Personenverkehrs solch weitreichende Rechte zu wie im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften. Ebenso wie der gesamte Warenverkehr ist auch der Dienstleistungsverkehr innerhalb der Europäischen Gemeinschaften einem umfassenden Liberalisierungsregime unterworfen69 • Die Freiheit des Personenverkehrs wird durch drei Normenkomplexe gewährleistet. Überschreitet eine natürliche Person, die Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaates ist, die Grenze zu einem anderen Mitgliedsstaat, um dort selbständig, d. h. ohne in einem weisungsgebundenen Beschäftigungsverhältnis zu stehen, eine Dienstleistungstätigkeit auszuführen, so garantieren die Art. 59 ff. EGV den freien Marktzugang und die Geltung des Grundsatzes der InIänderbehandlung 70 • Beabsichtigt die natürliche Person, sich zur Dienstleistungserbringung dauerhaft in dem anderen Mitgliedsstaat niederzulassen, wird dieses Recht durch die Art. 52 ff. EGV sichergestellt". Handelt es sich schließlich bei der Dienstleistung um eine unselbständige Tätigkeit, so wird diese sog. Arbeitnehmerfreizügigkeit durch die Art. 48 ff. EGV gewährleistet72 •

Zusätzlich zu dieser an der wirtschaftlichen Aktivität des Individuums orientierten Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft wird nunmehr durch Art. 8 a EGV allgemein die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht aller Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union sichergestellt. Dieses Recht ist einer der Bestandteile der neu eingeführten Unionsbürgerschaft 71 • 61 S. dazu Art. 1606 Abs. 1 NAFTA. 69 S. dazu allgemein Hindley, Trade in Services within the European Community, in: Giersch (Hrsg.), S. 468 ff.; Müller-Graff, Dienstleistungsfreiheit und Erbringungsformen grenzüberschreitender Dienstleistungen, in: Fs f. Lukes, 471 ff.; EhlermannlCampogrande, Rules on Services in the EEC: A Model for Negotiating WorldWide Rules?, in: PetersmannIHi/f(H:rsg.), S. 481 ff.; S. oben B I 3 b. 70 S. dazu Ihnen, Grundzüge des Europarechts, S. 51 ff.; Müller-Graff, Dienstleistungsfreiheit und Erbringungsformen grenzüberschreitender Dienstleistungen, in: Fs f. Lukes, S. 471, 476 ff. " S. dazu HailbronnerlNachbaur, EuZW 1992, 105 ff.; SchweitzeriHummer, Europarecht, S. 296 ff.; Streinz, Europarecht, Rn 721 ff. n S. dazu SchweilzerlHummer, Europarecht, S. 293 ff.; Ihnen, Grundzüge des Europarechts, S. 47 ff.; Fuchs, Ausländerbeschäftigung, S. 11. 7l S. dazu etwa SJreinz, Europarecht, Rn 696.

11. Die völkerrechtlichen Grundlagen

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Das Recht der Europäischen Gemeinschaften stellt allerdings nicht bloß wegen der prinzipiellen Geltung dieser umfassenden Freiheit des Personenverkehrs das fortentwickelteste Modell eines regionalen Liberalisierungsraumes dar, sondern vor allem auch wegen der zusätzlichen gemeinschaftsrechtlichen Bemühungen zur faktischen Durchsetzung dieser Freiheit7•• Zur Realisierung tatsächlich gleicher Marktbedingungen für alle Dienstleistungsanbieter wurden in verschiedenen Dienstleistungssektoren Richtlinien zur Harmonisierung und zur gegenseitiger Anerkennung der nationalen Regularien und Standards erlassen 7S • Dabei läßt sich zwischen allgemeinen Richtlinien betreffend die Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen und speziellen Richtlinien betreffend die Angleichung des Berufszulassungs- und -ausübungsrechts differenzieren 76 • Während die allgemeinen Richtlinien sektorübergreifend Beschränkungen beseitigen, denen natürliche Personen stets bei der Inanspruchnahme der Rechte des grenzüberschreitenden Personenverkehrs ausgesetzt sind. sind die speziellen Richtlinien auf den Abbau von Beschränkungen in einzelnen Dienstleistungssektoren gerichtet". Schließlich ist auf den umfangreichen institutionellen Rahmen der Europäischen Union hinzuweisen, der nicht bloß der rechtlichen Schaffung der Wirtschaftsunion dient, sondern auch die Lösung von Konflikten, die aufgrund des Gemeinschaftsrechtes entstehen, sicherstellen so1l7l. Der Gerichtshof der Gemeinschaften kann entsprechend Art. 170 EGV von einem Mitgliedsstaat angerufen werden, wenn er der Auffassung ist, daß ein anderer Mitgliedsstaat gegen eine Verpflichtung aus dem Vertrag, also etwa aus dem Bereich des grenzüberschreitenden Personenverkehrs, verstoßen hat. Ebenso entscheidet der Gerichtshof gemäß Art. 177 Abs. 2 EGV auf Anrufung durch die nationalen Gerichte über die gemeinschaftsrechtliche Gültigkeit oder die Auslegung von sekundärem Gemeinschaftsrecht, auf dessen Grundlage eine nationale Behörde

74 Vgl. zu dieser BewertWlg UNCTAD. Liberalizing International Transactions in Services, S. 151. 7S S. dazu Roth, Common Market Law Review 1988 (Vol. 25), S. 35 ff. 76 Schweitzer/Hummer, Europarecht, S. 301. " Als Beispiel für eine allgemeine Richtlinie S. Richtlinie Nr. 148/73 des Rates vom 21.05.1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedsstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs, abgedruckt in: Sartorius H, Nr. 180 a; als Beispiel für eine spezielle Richtlinie S. etwa Richtlinie Nr. 73/183 des Rates vom 28.06.1973 zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für selbständige Tätigkeiten der Kreditinstitute und anderer finanzieller Einrichtungen, abgedruckt in: AbI. 1973, Nr. L 194, S. 1 ff. 7S Vgl. dazu Bernier/Binette/Grenon, Labour Mobility and Trade in Services, S. 41, die auf die besondere Bedeutung der institutionellen und juridiktionellen Flankierung des gemeinschaftsrechtlichen Liberalisierungsprozesses im Bereich des grenzüberschreitenden Personenverkehrs im Dienstleistungssektor hinweisen.

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D. Der grenzüberschreitende Personenverkehr im Rahmen des GATS

gegenüber einem Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaates eine Verwaltungsentscheidung getroffen hat. c) Bilaterale Abkommen

Auf der Ebene der bilateralen völkerrechtlichen Verträge finden sich die unterschiedlichsten Formen von Abkommen, die Rechtsfragen des grenzüberschreitenden Personenverkehr berühren. Aus dem mannigfaltigen Bestand dieser Abkommen sollen hier exemplarisch drei Vertrags arten angesprochen werden. Traditionell schlossen viele Staaten zur Regelung ihrer wechselseitigen Wirtschaftsbeziehungen die sog. Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsverträge 7". Der grenzüberschreitende Personenverkehr wurde von diesen Übereinkünften insofern geregelt, als sich die vertragschließenden Staaten regelmäßig dazu verpflichteten, Staatsangehörigen des Vertragspartners den Zugang zum eigenen staatlichen Territorium und das Aufenthaltsrecht zur Vorbereitung bzw. Durchfiihrung eines Exportgeschäftes und zur Errichtung bzw. Aufrechterhaltung einer Niederlassung zu gewähren1o • Die Einräumung dieser Rechte beschränkte sich jedoch auf die Geschäftsleute und bezog sich nicht das niederqualifiziertes Personal von Auslandsniederlassungen. Außerdem bezogen sich diese Verträge in der Regel allein auf den zwischenstaatlichen Güterhandel 81 • Eine modernere Form der bilateralen Verträge stellen die bilateralen Investitionsschutzabkommen dar, deren sich insbesondere die Bundesrepublik Deutschland in der Gestaltung ihrer Außenhandelsbeziehungen zu einer Vielzahl von Staaten, vor allem zu den Entwicklungsländern, bedientS2 • Primär auf den Schutz der von Deutschland aus in dem Vertragschließenden Staat getätigten Direktinvestitionen gerichtet, wird durch diese Verträge der grenzüberschreitende Personenverkehr insofern geregelt, als üblicherweise zum Schutz der mit der Investition befaßten Geschäftsleute der Grundsatz der Inländerbe-

S. dazu schon oben B I 4. Dazu Bernier/Binette/Grenon, Labour Mobility and trade in Services, S. 12 f.; S. dort etwa das Beispiel des Handelsvertrages zwischen Belgien und der USA von 1961; vgl. GATT-Secretariat, Labour Movement and Trade in Services, GATT-Doc. MTN/GNSIW/104, S. 7 f. [no v.]. II Da der Dienstleistungshandel erst in den letzten zwanzig Jahren an Bedeutung gewonnen hat, stellt sich mithin bei vielen dieser Verträge die Frage der Anwendbarkeit auf die mit Dienstleistungstransaktionen befaßten Personen, vgl. Bernier/Binette/Grenon, Labour Mobility and Trade in Services, S. 13. 82 Der Abschluß dieser Abkommen erfolgt auf der Grundlage eines Mustervertrages, abgedruckt in: Handbuch rur Internationale Zusammenarbeit, 1960 ff., Teil 11 A 65, S. 11; vgl. dazu Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 19 Rn 4. 79

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III. Konfliktreicher Gegenstand der GATS-Verhandlungen

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handlung vereinbart wird 83 • Bezüglich der Behandlung dieser Personen während deren Aufenthalt in dem Vertragspartnerstaat gilt mithin das Verbot der Diskriminierung gegenüber den Inländern. Schließlich sind noch solche bilateralen Verträge hervorzuheben, die sich nicht auf die Rechtsstellung der mit Auslandsinvestitionen befaßten Geschäftsleute beziehen, sondern deren Regelungsgegenstand die Beschäftigung und Rechtsstellung von ausländischen Arbeitnehmern istI'. So hat etwa die Bundesrepublik Deutschland eine Reihe von Regierungsabkommen mit anderen Staaten, insbesondere mit osteuropäischen Staaten, geschlossen, in denen sich Deutschland dazu verpflichtet hat, jährlich einem bestimmten, zahlenmäßig exakt festgelegten Kontingent an Staatsbürgern aus dem jeweiligen Vertragspartnerstaat Einreise, Aufenthalt und Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit zu gestatten85 • Insbesondere im Bereich der Bauwirtschaft hat diese Versorgung der heimischen Industrie mit ausländischen Arbeitskräften eine gewisse Bedeutung'6.

III. Konfliktreicher Gegenstand der GATS-Verhandlungen Bei dem grenzüberschreitenden Personenverkehr von Dienstleistungsanbietern handelte es sich um einen der konfliktreichsten Gegenstände der GATSVerhandlungenl1 • Der Rückblick auf diesen Teil der Verhandlungsgeschichte ist deshalb von besonderem Interesse, weil im Verlauf dieser Verhandlungen der Interessengegensatz zutage trat, der charakteristisch ist fiir die mit der von Art. lAbs. 2 d des GATS erfaßte Form der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung. Es geht dabei um den Konflikt zwischen den Entwicklungsländern auf der einen und den Industriestaaten auf der anderen Seite 88 • S. dazu Art. 3 Abs. 1 des Mustervertrages. S. zu derartigen Verträgen mit Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland Fuchs, Ausländerbeschäftigung, S. 39 tI. 85 Als Beispiel kann hier die "Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Lettland über die Beschäftigung von Arbeitnehmern zur Erweiterung ihrer beruflichen und sprachlichen Kenntnisse" vom 2.6.1992 angeführt werden, abgedruckt in: BGBI. 11, S. 1207 ff. 86 So lag im Jahr 1992 die Zahl dieser sog. Werkvertragsarbeitnehmer bei 87.800; aufgrund der beträchtlichen Rate an heimischen Arbeitslosen wurde das Gesamtkontingent bis zum August 1994 auf 36.621 Bauarbeiter reduziert, S. dazu Fuchs, Ausländerbeschäftigung, S. 39 sowie 213 ff. 17 Reiterer, The New Areas of the WTO: Services, TRIMs, TRIPS, in: Breuss (Hrsg.), S. 21, 37; Messerlin, La nouvelle organisation mondiale du commerce, S. 244 . .. Zur begrifflichen Abgrenzung von Industriestaaten und Entwicklungsländern im Rahmen des GATS S. oben C IV 3 d aa. 13

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D. Der grenzüberschreitende Personenverkehr im Rahmen des GATS

Zu den wenigen wirtschaftlichen Vorteilen l9, über die die Entwicklungsländer gegenüber den technologisch fortgeschrittenen Industriestaaten im Dienstleistungssektor verfügen, gehört das große Potential an Arbeitskräften, dessen Lohnniveau weit unter dem vergleichbarer Arbeitskräfte in den entwickelten Staaten liegt90. Daher versprechen sich die unterentwickelten Staaten von der Marktöffnung in einzelnen Dienstleistungssektoren insbesondere die Möglichkeit, in einem zunehmenden Maß eigene Arbeitskräfte auf den Dienstleistungsmärkten der Industriestaaten einsetzen zu können91 • Gegenüber diesem Bestreben ist die Haltung der Industriestaaten jedoch äußerst restriktiv. Zum einen sehen sich diese Staaten innenpolitisch mit dem Problem der Dauerarbeitslosigkeit konfrontiert, so daß es einen Mangel an Arbeitskräften, anders als in den zurückliegenden Jahrzehnten nach 1945, praktisch nur noch selten gibt92 • Zum anderen befürchten die Industriestaaten, durch eine breite Öffnung der Arbeitsmärkte könne aus dem Zustrom von Arbeitskräften eine faktische Einwanderung werden, welche selbst in den klassischen Einwanderungsländern wie den USA oder Kanada aufgrund der angespannten sozialpolitischen Situation mittlerweile unerwünscht ist93 • Im folgenden soll aufgezeigt werden, welchen Niederschlag dieser Interessengegensatz im Ablauf der GATS-Verhandlungen hinsichtlich des grenzüberschreitenden Personenverkehrs von Dienstleistungsanbietern gefunden hat.

19 In der volkswirtschaftlichen Lehre werden diese als ,,komparative Kostenvorteile" bezeichnet; nach der diesem Begriff zugrunde liegenden Theorie, die ursprünglich auf David Ricardo Wld John SI. Mill zurückgeht, wird jedes Land bei völlig offenen Wld freien Märkten letztlich die Güter erzeugen, rur deren Produktion es relative Produktionsvorteile besitzt. Inwieweit die Theorie auf den internationalen DienstieistWlgshandel anwendbar ist, ist noch umstritten, vgl. dazu Kater, Dienstleistungen in der Realen Außenwirtschaftstheorie, insb. S. 62 ff.; HindleylSmith, The World Economy 1984 (Vol. 7), S. 369 ff. 90 S. dazu Keppler, Interessen der EntwicklWlgsländer bei einer zukünftigen vertraglichen RegelWlg des internationalen DienstieistWlgsaustauschs, in: Sauller (Hrsg.), S. 49 ff.; Schult:, Dienstleistungen Wld EntwicklWlgsländer - Positionen der Dritten Welt zur EinbindWlg des DienstieistWlgshandels in den GATT-Rahmen, in: Sauller (Hrsg.), S. 69 ff.; Koekkoeh, The World Economy 1988 (Vol. 11), S. 151 ff. 91 Mark/Hel/einer, Trade in Services - The Negotiating Concerns of the Developing COWltries, insb. S. 24 ff.; vgl. auch Sapir, The World Economy 1985 (Vol. 8), S.27, 35 ff.; Ewing, JWTL 1985 (Vol. 19), S. 147, 156 ff.; SchoIlIMa:za, JWTL 1986 (Vol. 20), S. 253, 259 ff.; GibbslMashayekhi, JW1L 1988 (Vol. 22), 81, 98 f. 92 S. dazu den Bericht des GATT-Secretariats, Labour Movement and Trade in Services, GATT-Doc. MTN.GNS/W/I04, S. 2 Wld 4 f. [no v.]. 93 Zur Migrationsproblematik S. die aktuelle Studie des Internationalen Arbeitsbüros Genf Stalker (Hrsg.), Les travailleurs irnmigres, insb. S. 153 ff.

m. Konfliktreicher Gegenstand der GATS-Verhandlungen

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1. Die Einigung über die Einbeziehung des Personenverkehrs

in den GATS-Rahmen

Die Diskussionen über die Definition des internationalen Dienstleistungshandels in der ersten Phase der GATS-Verhandlungen (1986-1989)94 waren für den hier zu betrachtenden Verhandlungsgegenstand insofern bedeutsam, als sich die Verhandlungspartner schließlich darauf einigten, daß die grenzüberschreitende Bewegung aller Produktionsfaktoren im Dienstleistungsverkehr zum Gegenstand des multilateralen Rahmenvertrages werden sollte 9s • Dies schloß also auch den Produktionsfaktor Arbeit und folglich den grenzüberschreitenden Verkehr natürlicher Personen, die zum Zweck der Erbringung einer Dienstleistung in einen anderen Staat einreisen, ein. Von den Entwicklungsländer wurde dieser Einschluß der Liberalisierung des grenzüberschreitenden Verkehr von natürlichen Personen im Zusammenhang mit der Dienstleistungserbringung als Ausdruck der notwendigen "Symmetrie" der GATS-Verhandlungen verstanden96 • Die Einbeziehung der Liberalisierung bezüglich der ausländischen Direktinvestitionen lag ihrer Auffassung nach eher im Interesse der Industriestaaten, da die Beseitigung von Beschränkungen des internationalen Kapitalflusses und die Verbesserung der Möglichkeiten zur Schaffung von Auslandsniederlassungen in einzelnen Dienstleistungssektoren vor allem für diese Länder aufgrund des dort vorhandenen Investitionspotentials vorteilhaft sein würde. Diese Argumentation beruhte auf der Überzeugung, daß das entscheidende Charakteristikum für die Unterentwicklung vieler Staaten der Dritten Welt der Mangel an frei verfügbarem Investitionskapital sei 9'. Demgegenüber konnten sich die unterentwickelten Staaten aufgrund des GATS und der damit eingeleiteten Liberalisierung vornehmlich dann Handelsvorteile versprechen, wenn auch im Bereich der Mobilität der Arbeitskräfte, einschließlich des weniger qualifizierten Dienstleistungspersonals, der Abbau von Handeisbeschränkungen zum Gegenstand der Verhandlungen werden würde91 • Ungeklärt blieb zunächst, in welcher Weise vertragliche Regelungen hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung des mit der Dienstleistungserbringung verbundenen Auslandsaufenthalts der natürlichen Personen gefunden werden 94 S. dazu oben schon B 11 3 a. 9S Dies geht aus Teil 11 Nr. 4 der Erklärung des Trade Negotiating Conunittee (TNC) hervor, die aus Anlaß der sog. Halbzeitkonferenz als Zusammenfassung der bis dahin erreichten Verhandlungserfolge verabschiedet wurde. abgedruckt in: SleIVarl (Hrsg.), Vol. III, S. 27 ff., insb. 61. 96 Vgl. dazu UNCTAD, Liberalizing International Trade in Services. S. 19; Messer/in. La nouvelle organisation mondiale du commerce. S. 244. 9' UNCTAD. The Outcome ofthe Uruguay Round: An Initial Assessment. S. 173. 98 UNCTAD, Liberalizing International Trade in Services. S. 20.

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D. Der grenzüberschreitende Personenverkehr im Rahmen des GATS

kOIUlten99 • Ebenso bedurfte es weiterer Klärung, auf welche Arten von natürlichen Personen sich das GATS beziehen sollte. Fraglich war dabei insbesondere, ob die Liberalisierung nur qualifiziertes Personal wie Führungskräfte oder Spezialisten betreffen oder ob das GATS nicht auch Geltung für niederqualifizierte Arbeitskräfte haben solltel