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German Pages 658 Year 2017
Schriften zum Internationalen Recht Band 219
Das Alien Tort Statute Rechtsprechung, dogmatische Entwicklung und deutsche Interessen
Von
Daniel Felz
Duncker & Humblot · Berlin
DANIEL FELZ
Das Alien Tort Statute
Schriften zum Internationalen Recht Band 219
Das Alien Tort Statute Rechtsprechung, dogmatische Entwicklung und deutsche Interessen
Von
Daniel Felz
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat diese Arbeit im Jahre 2016 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany
ISSN 0720-7646 ISBN 978-3-428-15134-9 (Print) ISBN 978-3-428-55134-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-85134-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Für Krista Ohne Deine Geduld und Unterstützung wäre diese Arbeit nie zustandegekommen
Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Zeit als Common Law Lecturer an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Mainz und sie wurde im Wintersemester 2015/2016 vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde Mitte 2015 abgeschlossen, später veröffentlichte Rechtsprechung und Literatur wurden nur punktuell nachgetragen. Mein Dank gebührt all jenen, die die Verfassung dieses Werkes ermöglicht und unterstützt haben. In erster Linie bedanke ich mich bei meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Peter Huber, der mir zunächst eine Lehrtätigkeit anbot, jedoch nach produktiver Zusammenarbeit, gemeinsam gehaltenen Veranstaltungen sowie unzähligen anregenden rechtsvergleichenden Gesprächen diese von mir sehr geschätzte Gelegenheit zur Promotion gewährte. In diesem Zusammenhang möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Curt-Wolfgang Hergenröder für die Erstellung des Zweitgutachtens sowie Herrn Prof. Dr. Peter Gröschler für sein Mitwirken im Prüfungsausschuss danken. Rückblickend danke ich Dean Peter B. Rutledge der University of Georgia School of Law, der vor Jahren den Einfall hatte, mich wegen einer neuen Lehrstelle mit Prof. Dr. Huber in Verbindung zu setzen. Danken möchte ich ferner denjenigen Kollegen, die mir bei der Entstehung dieser Arbeit mit Tatkraft zur Seite standen. Ein besonderer Dank gilt meinem Freund und Kollegen Herrn Dr. Marcel Gade, der den für einen Nicht-Muttersprachler unerlässlichen Heldendienst erbrachte, sämtliche Kapitel gründlich korrekturzulesen, was in der Folge zu einer sehr wertvollen Auseinandersetzung mit dieser Arbeit führte. Holger Kall bin ich für Gliederungsanregungen sowie für einen unvergleichlichen sprachlichen Schleif dankbar. Dr. Max Oehm möchte ich dafür danken, dass er nicht nur regelmäßige Gespräche zum Stand unserer beiden Manuskripte organisierte, sondern auch dafür, dass er diese unverzüglich fallenließ und mit Dauerläufen ersetzte, sobald es unverkennbar war, dass der Geist vorerst ruhen sollte. Dr. Jennifer Antomo danke ich sehr für die gegenseitige und vielseitige Ermunterung, die das Verfassen dieser Dissertation auch in den weniger leichten Phasen zur Freude machte. Meinem Kollegen Marco Jung stehe ich wegen Anregungen sowie Hilfestellungen zum deutschen Recht in der Schuld. Auch danke ich Dr. Sonja Kokott für die tausenden unterstützenden Taten, die hier nicht einzeln genannt werden können, aber ohne welche diese Arbeit nie geschrieben worden wäre. Außerdem möchte ich Heidrun Rosendorn für tatkräftige freundschaftliche Unterstützung bei allen Phasen dieser Arbeit, die Prüfung meines Sprachgebrauchs
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Vorwort
sowie für die Gelegenheit bedanken, diese Dissertation einem internationalen Publikum vortragen zu können. Frau Inge H. A. Parche danke ich dafür, dass ich diese Arbeit nicht in einem fremd anmutenden Land, sondern an einem zweiten Zuhause schreiben durfte. Zuletzt danke ich meinen Weggefährten am Monte Asciburgio – ohne Euch hätte ich Deutschland nur schwerlich so liebgewonnen, dass ich eine wissenschaftliche Abhandlung in einer Zweitsprache geschrieben hätte, auch wenn sie ohne Euch wesentlich früher fertiggestellt worden wäre. Dallas/Texas, im März 2017
Daniel Felz
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I. Das Alien Tort Statute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Das Recht des ATS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 III. Das ATS und deutsche Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 IV. Gliederung und Methode der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Kapitel 1 Filartíga und die Erste Welle
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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 B. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 I. Rechtsprechung bis 1980 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Hintergrund: ATS-Klagen als Spezies der Human Rights Litigation . . . . . . . 58 2. ATS-Rechtsprechung von 1789 bis 1980 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 II. Filartíga v. Pena-Irala: Der Urknall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Entscheidung des District Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3. Entscheidung des Second Circuit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) Das neue Völkerrechtsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Die Quellen des Völkergewohnheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 c) Der völkerrechtliche Individualschutz vor Folter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 d) Zuständigkeit der amerikanischen Bundesgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 e) Das anwendbare Recht oder die materiellrechtliche Anspruchsgrundlage 76 f) Ergebnis und Verfahrensausgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 III. Kadic v. Karadzic . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3. Erstinstanzliche Entscheidung durch den District Court . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 4. Entscheidung des Second Circuit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Bestätigung des modernen Völkerrechtsverständnisses von Filartíga . . . . . 83 b) Unmittelbare Bindungswirkung des Völkerrechts für das Individuum . . . . 84
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Inhaltsverzeichnis c) Die einzelnen Völkerrechtsdelikte Karadzics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 aa) Völkermord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 bb) Kriegsverbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 cc) Folter und außergerichtliche Hinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (1) Die Möglichkeit, Srpska als „Staat“ im völkerrechtlichen Sinne nachzuweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (2) „Joint action“ mit einem Staat gilt als „acting under color of law“ 93 d) Justiziabilität der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 aa) Political Question Doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 bb) Act of State Doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5. Ausgang des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 6. Die Wirkung von Karadzic . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 IV. Die Erste Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Forti, Martinez-Baca und de Rapaport: Die Klagen gegen General SuarezMason . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. In re Marcos: Sammelklagen gegen die First Family der Philippinen . . . . . . 102 3. Doe v. Lui Qi: Die Klage gegen den Bürgermeister von Peking . . . . . . . . . . . 103 4. Doe v. Saravia: Die ATS-Klage aus dem Auftragsmord am Erzbischof von San Salvador . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
C. Dogmatische Entwicklung der Ersten Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 I. Die Ableitung des ATS-Tatbestands aus dem Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . 105 1. Das moderne Völkergewohnheitsrecht als „law of nations“ im Sinne des ATS 105 a) Hintergrund: Konstituierende Normgefüge des Völkerrechts . . . . . . . . . . . 106 b) Das moderne Völkergewohnheitsrecht als „law of nations“ nach dem ATS 109 2. Entwicklung des „universal, definable, and obligatory“-Standards für einklagbare Normen des Völkergewohnheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3. Die Festlegung der Quellen zur Ermittlung völkerrechtlicher Normen . . . . . . 114 4. Die Festlegung einklagbarer Deliktstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Folter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung . . . . . . . . . . . . 117 c) Außergerichtliche Hinrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 d) Willkürliche Inhaftierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 e) Zwangsweises Verschwindenlassen („causing disappearance“) . . . . . . . . . 122 f) Genozid/Völkermord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 g) Kriegsverbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 h) Sklaverei/Sklavenhandel und Zwangsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 i) Verbrechen gegen die Menschlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 II. Die Gestaltung des Schadensersatzanspruchs nach amerikanischem Recht . . . . 128 1. Das amerikanische law of remedies als Grundlage des ATS-Schadensersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
Inhaltsverzeichnis
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2. Die Anwendung amerikanischen Rechts auf die Verjährungsfrist und deren Hemmung in ATS-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Die Festlegung einer zehnjährigen Verjährungsfrist für ATS-Ansprüche
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b) Die Hemmung der Verjährungsfrist durch „equitable tolling“ . . . . . . . . . . 133 3. Die Anwendung amerikanischer Rechtsprechung auf die Feststellung hoheitlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Die „color of law“-Rechtsprechung zum 42 U.S.C. § 1983 . . . . . . . . . . . . 135 aa) Der „nexus“-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 bb) Der „symbiotic relationship“-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 cc) Der „joint action“-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 dd) Der „public function“-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Die Anwendung der § 1983-Rechtsprechung auf ATS-Klagen . . . . . . . . . . 139 4. Die Zulassung von Sammelklagen bei verbreiteten Völkerrechtsverletzungen 141 a) Das Recht der Class Action . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Class Actions der Ersten Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 c) Die Nachwirkung von In re Marcos und Karadzic für die ATS-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 III. Der grundsätzliche Ausschluss zweier wichtiger Einreden aus ATS-Klagen . . . 146 1. Die Political Question Doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Das Recht der Political Question Doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) Die Ablehnung der Political Question Doctrine in der Rechtsprechung der Ersten Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Die Act of State Doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Das Recht der Act of State Doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Die Ablehnung der Act of State Doctrine in der Rechtsprechung der Ersten Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 IV. Die stillschweigende Berufung auf das Weltrechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Dogmatischer Hintergrund: Jurisdiktion, Territorialitätsprinzip und Weltrechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Die Erste Welle als stillschweigende Berufung auf das Weltrechtsprinzip . . . 160 D. Übergang zur Zweiten Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
Kapitel 2 Die Zweite Welle
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A. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 1. Mulitnationale Unternehmen und Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2. Human rights litigation gegen Konzerne bis 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
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Inhaltsverzeichnis 3. Die Erstreckung der human rights litigation auf Konzerne mittels des ATS nach Karadzic . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 II. Die Auslöser der Zweiten Welle: Die „Holocaust Cases“ und Doe v. Unocal Corp. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Die „Holocaust Cases“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 a) Die Klagen gegen die Schweizer Banken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Weitere Klagen gegen europäische Finanzdienstleister . . . . . . . . . . . . . . . 176 c) Die Zwangsarbeiterklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 d) Analyse der Holocaust-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Doe v. Unocal Corp. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Die gemeinsame Grundlage der Unocal-Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . 184 c) Entscheidung des District Court von 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 d) Entscheidung des District Court von 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 e) Entscheidung des Ninth Circuit von 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 aa) Klärung des Sachverhalts und die Zugrundelegung von Karadzic . . . . 193 bb) Die neue Fragestellung des Ninth Circuit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 cc) Die Anwendung internationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 dd) Haftung wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen anhand des „aiding and abetting“-Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 g) Ausgang des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 III. Die Rechtsprechung der Zweiten Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1. Umweltschutzklagen und die Wende zu ATS-Klagen gegen die Rohstoffindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Internationaler Umweltschutz durch ATS-Klagen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) ATS-Klagen gegen die Rohstoffindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 aa) Wiwa und Kiobel: ATS-Klagen gegen Shell aus Nigeria . . . . . . . . . . . 205 bb) Bowoto: ATS-Klage gegen Chevron aus Nigeria . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 cc) Rio Tinto: Klage wegen Bergbau und Bürgerkrieg in Papua Neu Guinea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 dd) Doe v. ExxonMobil Corp.: ATS-Klagen wegen Gasförderung in Indonesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 ee) Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc. . . . . . . . . . . . . 215 2. Arbeitnehmerrechte in ATS-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Frühe Versuche, internationale Arbeitsrechte geltend zu machen . . . . . . . 218 b) Der Strategiewechsel nach Vorbild der Rohstoffklagen und Beispielverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 aa) Die Klagen der Sinaltrainal-Gewerkschaft gegen Coca-Cola . . . . . . . . 220 bb) Die Drummond-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
Inhaltsverzeichnis
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cc) Die Chiquita-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 3. Zwangsarbeit und Kinderarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) ATS-Klagen wegen Zwangsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Klagen wegen Kinderarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 4. „Historical Justice Litigation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Die Apartheid-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 aa) Die Einleitung der Klagen und die erste District Court-Entscheidung von 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 bb) Die Entscheidung des Second Circuit von 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 cc) Die zweite District Court-Entscheidung von 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . 240 dd) Entscheidungen des District Court von 2013 und 2014 . . . . . . . . . . . . 243 b) Weitere Historical Justice-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 5. Finanzierung von Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 a) Der Anfang: Al Baraka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 b) Die Grundlage künftiger Klagen: Arab Bank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 c) Licci v. American Express . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 6. Technologiekonzerne und China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 IV. Fazit: Zahlen und Statistiken zur Zweiten Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 II. Die dogmatische Expansionsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 1. Die Aufnahme der Rechtsprechung der Ersten Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Die Anerkennung weiterer Normen des Völkergewohnheitsrechts als ATSTatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Die Schwächung zeitlicher Einschränkungen für ATS-Ansprüche gegen Konzerne durch equitable tolling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 c) Die Übernahme des Weltrechtsprinzips auf ATS-Klagen gegen Konzerne 267 2. Verfahrensrechtliche Erweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 a) Ausdehnung der internationalen Zuständigkeit der Bundesgerichte . . . . . . 270 aa) Umfang und Schranken der internationalen Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 bb) Der „allgemeine Durchgriffsgerichtsstand“ durch den „agency test“ 273 (1) Der „agency“-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 (2) Die Anwendung des „agency“-Tests in ATS-Klagen . . . . . . . . . . . 274 cc) Fazit zur Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 b) Die scheinbare Abschaffung der forum non conveniens-Doktrin in ATSKlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 aa) Die Forum Non Conveniens-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 bb) Forum non conveniens in ATS-Klagen bis 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
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Inhaltsverzeichnis cc) Der Wegfall der forum non conveniens-Doktrin in ATS-Klagen . . . . . 280 3. Materiellrechtliche Expansionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 a) Explizite Bejahung der Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 b) Die Haftung wegen Beihilfe zu Völkerrechtsverletzungen . . . . . . . . . . . . . 286 aa) Hintergrund: Deliktische Haftung von Unternehmen nach der respondeat superior-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 bb) Die Unocal-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 cc) Die Aufnahme von Unocal in die Rechtsprechung der Zweiten Welle 290 dd) Fazit zu Beihilfehaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 c) Die Erleichterung einer Durchgriffshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 aa) Trennungsprinzip und Durchgriffshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 bb) Die Frage nach dem anwendbaren Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 cc) Die „alter ego“-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 dd) Die „agency“-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 ee) Fazit zur Durchgriffshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 4. Class Actions als Standardverfahren der Zweiten Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 5. Die Reaktion auf die Expansionsphase: Widerstand aus der Wirtschaft . . . . . 303 III. Sosa v. Alvarez-Machain: Der Supreme Court erteilt der Zweiten Welle seinen Segen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 1. Einleitung und Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 2. Die zu beantwortende Rechtsfrage von Sosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 3. Die Interessen und Argumente der amici curiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 a) Amici und Argumente gegen die Zweite Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 b) Amici und Argumente für die Zweite Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 c) Der Amicus Curiae Europäische Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 4. Entscheidung des Supreme Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 IV. Die Fortführung der Expansionsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 1. Die Rezeption von Sosa als Bestätigung der bisherigen ATS-Rechtsprechung 321 2. Die Wiederaufnahme und Expansion bisher anerkannter Deliktstatbestände
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3. Die erneute Bejahung der Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften 324 4. Weitere Circuits akzeptieren indirekte Haftung wegen Beihilfe in ATS-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 5. Die Anwendbarkeit des Territorialprinzips auf ATS-Klagen wird erneut verneint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 V. Die Wende zur allmählichen Einschränkung des ATS durch die Circuit Courts 330 1. Der wachsende Konsens gegen die Zweite Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 2. Ninth Circuit: Erfordernis der Erschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 3. Second Circuit: „aiding and abetting“ erfordert absichtliches Handeln . . . . . 339 a) Probleme in der Beihilferechtsprechung der District Courts bis 2009 . . . . 339 b) Entscheidung des Second Circuit von 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
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c) Ausgang des Verfahrens und Fazit zur Beihilfehaftung . . . . . . . . . . . . . . . 343 4. Eleventh Circuit: „heightened pleading standards“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 a) Die zu tragende Darlegungslast im Sachvortrag der Klageschrift . . . . . . . 344 b) Die Erstreckung erhöhter Darlegungsanforderungen auf ATS-Klagen . . . . 345 5. Die Einschränkung der internationalen Zuständigkeit der Bundesgerichte . . . 347 a) Die Lage bis 2010: Wiwa erweitert die Zuständigkeit der Bundesgerichte 347 b) Bauman v. DaimlerChrysler: Der Ninth Circuit schafft das Trennungsprinzip effektiv ab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 c) Die Entscheidung des Supreme Court in Bauman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 6. Eleventh Circuit und Second Circuit: Die Rückkehr der forum non conveniens-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 a) Aldana v. Del Monte Fresh Produce . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 b) Turedi v. Coca-Cola Co. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 7. Second Circuit: Das Völkerrecht sieht keine Haftung von Kapitalgesellschaften vor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 a) Die Rechtsprechung zur Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften bis 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 b) Die Entscheidung des Second Circuit von 2010 in Kiobel . . . . . . . . . . . . . 361 c) Übergang zur Verhandlung von Kiobel vor dem Supreme Court . . . . . . . . 364 VI. Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 b) Annahme der Revision vom Supreme Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 2. Erste mündliche Verhandlung vor dem Supreme Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 a) Interessen und Argumente der amici curiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 aa) Amici und Argumente gegen die Zweite Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 bb) Amici und Argumente für die Zweite Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 b) Der erste mündliche Verhandlungstermin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 c) Ergebnis der ersten mündlichen Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 3. Exkurs: Das Territorialprinzip und ATS-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 4. Die zweite mündliche Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 a) Amici und Argumente gegen weltweite ATS-Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . 376 b) Amici und Argumente für weltweite ATS-Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . 381 c) Die Europäische Kommission verlangt ein Erfordernis der Erschöpfung 387 5. Entscheidung des Supreme Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 a) Die Anwendbarkeit der „presumption against extraterritoriality“ auf ATSAnsprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 b) Die Verneinung, dass die Vermutung gegen extraterritoriale Anwendung von ATS-Ansprüchen entkräftet sei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 c) Der festzuhaltende Standard für nachfolgende ATS-Rechtsprechung . . . . 392
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Inhaltsverzeichnis VII. Die Nachwirkungen der Kiobel-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 1. Wissenschaftliche Stellungnahmen zu Kiobel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 2. Rechtsprechung nach Kiobel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 a) Abweisungen von ATS-Ansprüchen aufgrund von Kiobel . . . . . . . . . . . . . 395 aa) Abweisungen von „foreign cubed“-Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 (1) Sarei v. Rio Tinto, PLC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 (2) Chowdhury v. Worldtel Bangladesh Holding, Inc. . . . . . . . . . . . . . 398 (3) Fazit zu „foreign cubed“-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 bb) Abweisungen in Klagen mit Inlandsbezügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 (1) Giraldo v. Drummond Co. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 (2) Al Shimari v. CACI Int’l . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 (3) Adhikari v. Daoud & Parnters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 (4) Almog v. Arab Bank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 cc) Fazit zu ATS-Abweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 b) Entscheidungen ohne Abweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 aa) Doe v. Nestle: Die Überraschung aus dem Ninth Circuit . . . . . . . . . . . 405 bb) Die Verwirrung im Second Circuit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 (1) In re Apartheid: Entscheidung des Second Circuit vom August 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 (2) Licci v. Lebanese Canadian Bank: Entscheidung des Second Circuit vom Oktober 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 (3) In re Apartheid: Entscheidung des Southern District of New York von Dezember 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 (4) In re Apartheid: Zweite Entscheidung des Southern District of New York vom April 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 (a) Die Aufhebung der Kiobel-Entscheidung von 2010 . . . . . . . . . 412 (b) Die Haftung von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 (c) Fazit zur Rechtsprechung im Second Circuit . . . . . . . . . . . . . . 415 cc) Daobin v. Cisco Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 dd) Doe v. Exxon Mobil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 c) Analyse der Rechtsprechung nach Kiobel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 VIII. Ergebnis von Kiobel: Das Ende der Zweiten Welle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
Kapitel 3 Die Dritte Welle oder der Kampf gegen den Kampf gegen den Terror
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A. Einleitung: Der „War on Terror“ nach dem 11. September . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
Inhaltsverzeichnis
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B. Rechtsprechung und dogmatische Entwicklungen der Dritten Welle . . . . . . . . . . . . . . 424 I. Der Anfang: Al-Odah, Rasul, Ali und El-Masri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 1. Al-Odah v. United States . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 2. Rasul v. Rumsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 3. Ali v. Rumsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 4. El-Masri v. Tenet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 II. Die Wende zu Klagen gegen Sicherheitsfirmen und ihre ersten Erfolge . . . . . . . 431 1. Hintergrund: der privatisierte Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 2. Saleh und Ibrahim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 3. In re Xe Services: Der erste Erfolg? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 a) Hintergrund: Blackwater im Irak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 b) Die ATS-Klagen gegen Blackwater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 c) Die Entscheidung des Eastern District of Virginia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 4. Die Abu Ghraib-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 a) Hintergrund: CACI, L-3 und das Abu Ghraib-Gefängnis . . . . . . . . . . . . . . 442 b) Die ATS-Klagen gegen CACI und L-3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 c) Die ersten Gerichtsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 d) Berufung und Prozesserfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 III. Zwischenergebnis: Gute Aussichten für die Dritte Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 IV. Kiobel: Das Ende der Dritten Welle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 1. Die Neuverhandlung von Al Shimari . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 2. Ergebnis: Das Ende der Dritten Welle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455
Kapitel 4 Das ATS und Deutsche Interessen
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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 I. Die Zwangsarbeiterklagen gegen die deutsche Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 1. Zwangsarbeiterklagen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 2. Die Zwangsarbeiterklagen in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 3. Die Globalabwicklung der Zwangsarbeiterklagen durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 4. Ergebnisse der Zwangsarbeiterklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 II. Die Herero-Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 1. Der Kolonialkrieg in Namibia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 2. Die Herero-Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467
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Inhaltsverzeichnis 3. Ergebnisse der Herero-Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 III. Die Apartheid-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 1. Hintergrund der Apartheid-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 a) Das Apartheid-System Südafrikas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 b) Die „Totale Strategie“, internationale Aufmerksamkeit und das Ende des Apartheid-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 c) Die Versöhnungs- und Wahrheitskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 d) Die Rolle der Wirtschaft im Apartheid-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 2. Die amerikanischen Apartheid-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 3. Erste Reaktionen auf die Apartheid-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 4. Deutsche Konzerne in den Apartheid-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 a) Die Vorwürfe gegen Daimler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 b) Die Vorwürfe gegen die deutschen Banken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 c) Die Rheinmetall-Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 5. Verlauf der Ansprüche gegen deutsche Konzerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 6. Die Stellungnahme der Bundesregierung zu den Apartheid-Klagen . . . . . . . . 483 a) Kapitalgesellschaften sind keine Völkerrechtssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . 484 b) Völkerrechtliche Straftatbestände sind nicht auf Kapitalgesellschaften anwendbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 c) ATS-Klagen wie In re Apartheid gefährden den internationalen Handel
486
d) Die Zulassung der Apartheid-Klagen verletzt deutsche Hoheitsinteressen 488 e) Rechtsmissbräuchlichkeit von ATS-Klagen als Souveränitätsbeleidigung 490 7. Fazit zu den Apartheid-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 8. Übergang zu Bauman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 IV. Bauman v. DaimlerChrysler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 1. Sachverhalt der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 a) Hintergrund: Die Militärdiktatur Argentiniens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 b) Die Vorwürfe gegen Daimler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 2. Strafverfahren in Deutschland und Argentinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 3. Die Antwort des Daimler-Konzerns: Der Tomuschat-Bericht . . . . . . . . . . . . . 497 4. Die amerikanischen ATS-Klage Bauman v. DaimlerChrylser . . . . . . . . . . . . . 499 5. Der Zustellungsstreit in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 a) Das HZÜ, der Souveränitätsvorbehalt und Daimlers Einwände gegen Zustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 b) Aussetzung der Zustellung durch das OLG Karlsruhe . . . . . . . . . . . . . . . . 502 c) Zweite Zustellung in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 6. Die Zuständigkeitsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 a) Rechtliche Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 b) Der notwendige Rückgriff auf den Agency-Test in der Bauman-Klage . . . 506
Inhaltsverzeichnis
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c) Die Entscheidungen der amerikanischen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 aa) Die erstinstanzliche Entscheidung von 2007 und die erste Entscheidung des Ninth Circuit von 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 bb) Entscheidung des Ninth Circuit von 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 7. Deutsche Reaktionen auf die Entscheidung des Ninth Circuit . . . . . . . . . . . . 512 a) Das Urteil des OLG Karlsruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 b) Proteste der deutschen Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 aa) Das dogmatische Argument: Rechtsanwendungsbefugnis gleicht Rechtssetzungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 bb) Das ökonomische Argument: Bauman schadet dem Investitionsstandort USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 8. Aufhebung des Ninth Circuit durch den Supreme Court . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 9. Fazit zu Bauman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 C. Rechtsrisiken der ATS-Rechtsprechung für die deutsche Wirtschaft und die Antwort der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 I. Die Kostenfaktoren von ATS-Prozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 II. Dogmatische Entwicklungen der ATS-Rechtsprechung, die die Erhebung einer ATS-Klage gegen ausländische Konzerne erleichterten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 1. Equitable tolling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 2. Die Zulassung von Haftung wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen 529 3. Durchgriffshaftung auf das Vermögen ausländischer Muttergesellschaften . . 530 4. Die Anwendung des Weltrechtsprinzips auf ATS-Ansprüche . . . . . . . . . . . . . 531 5. Die Weltgerichtsbarkeit durch Bauman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 III. Die besondere Gefährdung deutscher Konzerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 1. Die Beschaffenheit deutscher Wirtschaftstätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 2. Deutsche Konzerne als ideale ATS-Beklagte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 3. Zusammenfassung: ATS-Klagen als systemrelevantes Risiko für deutsche Wirtschaftstätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 IV. Der Angriff der deutschen Politik und Wirtschaft auf die ATS-litigation in Kiobel und Bauman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 1. Die Stellungnahme der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 a) Die Annahme der Zuständigkeit für ATS-Klagen beeinträchtigt deutsche Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 b) Die Berufung auf die amerikanische Comity-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . 541 c) Analyse der Argumente der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 2. Die Stellungnahme der deutschen Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 a) Kapitalgesellschaften sind keine Völkerrechtssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . 545 b) Die Erfahrung mit ATS-Klagen spricht ihnen jede Effektivität ab . . . . . . . 547 c) ATS-Klagen gefährden amerikanische Wirtschaftsinteressen . . . . . . . . . . . 548 d) Vergeltungsklagen gegen US-Konzerne? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
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Inhaltsverzeichnis 3. Entscheidung des Supreme Court und Analyse der deutschen Stellungnahmen 551 4. Der Erfolg der deutschen Argumente in Bauman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552
D. Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 I. Vorbemerkung: Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Klagen gegen deutsche Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 II. Materielles Recht der Menschenrechtsklage vor deutschen Gerichten . . . . . . . . 554 1. Rechtliche Grundlage der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 a) § 823 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 aa) § 823 Abs. 1 BGB – Unerlaubte Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 bb) § 823 Abs. 2 BGB – Verstoß gegen eine Schutznorm . . . . . . . . . . . . . 555 b) Ausländisches Deliktsrecht – Rom II-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 c) Ausländisches Deliktsrecht nach dem EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 2. Weitere Rechtsfragen, die vom ausländischen Deliktsrecht bestimmt werden 559 3. Fragen der materiellrechtlichen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 4. Durchgriffshaftung auf das Vermögen deutscher Muttergesellschaften . . . . . 562 III. Prozessuale Hürden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 1. Die deutsche Prozesskostenregelung im Vergleich zu den USA . . . . . . . . . . . 563 a) Die erforderlichen Auslagen am Anfang des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . 563 aa) Die Gerichtsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 bb) Prozesskostensicherheit nach § 110 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 b) Das Kostenrisiko des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 aa) Die breite deutsche Definition erstattungsfähiger Prozesskosten . . . . . 566 bb) Die vergleichsweise niedrige Wahrscheinlichkeit einer Kostenbefreiung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568 c) Fazit zu Prozesskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 2. (Fehlender) Kollektiver Rechtsschutz in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 a) Die Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 b) Das Musterverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 c) Gebündelte Durchsetzung durch eine Interessengemeinschaft . . . . . . . . . . 573 aa) Begriff der Interessengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 bb) Das Recht der Interessengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 (1) Das Rechtsberatungsgesetz und das Rechtsdienstleistungsgesetz 574 (2) Klagen von Interessengemeinschaften und Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 d) Fazit zu Kollektivierungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 3. Discovery . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 4. Die Vergütung der prozessführenden Anwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 5. Fazit zu prozessualen Hindernissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 IV. Fazit zu Menschenrechtsklagen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583
Inhaltsverzeichnis
21
Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 Anhang A: ATS-Klagen der Ersten Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 Anhang B: Fälle der Zweiten Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 Anhang C: Ausgewählte Gesetzes- und Abkommenspassagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 Verzeichnis der Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655
Abkürzungsverzeichnis 2d Cir. 3d Cir. 4th Cir. 5th Cir. 6th Cir. 7th Cir. 9th Cir. 10th Cir. 11th Cir. a.a.O. ABA A.C. aff’d AG AktG Ala. All E.R. Am. Amend. App. Apr. Art. Ass’n ATS Att’y Gen. Aufl. Aug. BAG BeckOK BGB BGH BGHZ BRAO BVerfG BVerfGE bzw. c. Cal. Cal. App.
Court of Appeals for the Second Circuit Court of Appeals for the Third Circuit Court of Appeals for the Fourth Circuit Court of Appeals for the Fifth Circuit Court of Appeals for the Sixth Circuit Court of Appeals for the Seventh Circuit Court of Appeals for the Ninth Circuit Court of Appeals for the Tenth Circuit Court of Appeals for the Eleventh Circuit am angegebenen Ort American Bar Association Court of Appeals of England affirmed Aktiengesellschaft Aktiengesetz Alabama All England Reports American Amendment Appeals/Appellate April Artikel/Article Association Alien Tort Statute Attorney General (Justizminister und Bundesstaatsanwalt der Vereinigten Staaten) Auflage August Bundesarbeitsgericht Beck’scher Online-Kommentar Bürgerliches Gesetzbuch (Deutschland) Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen beziehungsweise contra California California Appellate Reporter
Abkürzungsverzeichnis Cal. Ct. App. C.D. C.D. Cal. Cir. Civ. cmt. Co. Colo. Cong. Corp. Cranch Crim. Ct. Ct. App. N.Y. D.C. D.C. Cir. D. Colo. D.D.C. DEA Dec. D. Haw. Diss. Dist. D. Kan. DM D. Mass. D.N.J. D. N. Mar. I. Doc. D.S.C. E/ ebd. ed. E.D. E.D.N.Y. E.D. Pa. E.D. Va. EG EGBGB et al. F. F.2d F.3d F. App’x F. Cas. Feb. Fla. Fed.
California Court of Appeals Central District District Court for the Central Disrict of California Circuit Court of Appeals Civil Comment Company Colorado Congress/Congressional Corporation Cranch Supreme Court Reports Criminal Court Court of Appeals of New York (höchste Gerichtsinstanz in New York) District of Columbia Court of Appeals for the District of Columbia Circuit District Court for the District of Colorado District Court for the District of Columbia United States Drug Enforcement Administration December District Court for the District of Hawaii Dissertation District District Court for the District of Kansas Deutsche Mark District Court for the District of Massachusetts District Court for the District of New Jersey District Court for the District of the Northern Mariana Islands Docket number District Court for the District of South Carolina Economic and Social Council (Vereinte Nationen) ebendasselbe Edition Eastern District District Court for the Eastern District of New York District Court for the Eastern District of Pennsylvania District Court for the Eastern District of Virginia Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch et alia Federal Federal Reporter, 2nd Series Federal Reporter, 3rd Series Federal Appendix Federal Cases February Florida Federal
23
24 Fed. R. App. P. Fed. R. Civ. P. ff. Fn. F.R.D. FSIA F. Supp. F. Supp. 2d FTCA G.A. Ga. GAOR G.A. Res. GKG GmbH Gov’t Haw. HkH.L. Hrsg. HZÜ ICC ICJ ICTY ICTR id. Ill. ILO Inc. Ind. Indus. Ins. Int’l Int’l Crim. Trib. i.S.v. i.V.m. J. La. LEXIS LG Litig. L.J. Ltd.
Abkürzungsverzeichnis Federal Rule(s) of Appellate Procedure Federal Rule(s) of Civil Procedure folgende (Seiten) Fußnote Federal Rules Decisions Foreign Sovereign Immunities Act Federal Supplement, 1st Series Federal Supplement, 2nd Series Federal Tort Claims Act General Assembly (Vereinte Nationen) Georgia General Assembly Official Records (Vereinte Nationen) General Assembly Resolution Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Government Hawaii Saenger Kommentar House of Lords of England Herausgeber Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15. November 1965 International Ciminal Court (= IStGH, ständiger Internationaler Strafgerichtshof) International Court of Justice (= IGH, Internationaler Gerichtshof) International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia (Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien) International Criminal Tribunal for Rwanda (Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda) ibidum Illinois International Labour Organisation Incorporated Indiana Industries Insurance International International Criminal Tribunal im Sinne von in Verbindung mit Judge/Justice Louisiana LexisNexis Landgericht Litigation Law Journal Limited
Abkürzungsverzeichnis Mar. Mass. MBA MBUSA Md. MGTC Mio. MOGE MOSOP Mrd. MüKo Nat’l N.D. N.D. Ala. N.D. Cal. N.D. Fla. N.D. Ga. N.D. Ill. NGO No. Nov. Nr. N.Y. Oct. OLG Op. Att’y Gen. p. Pa. para. PLC/plc PLO Proc. Pub. L. Publ. RBerG RDG Rep. Res. Rev. rev’d Rn. R. U.S. Sup. Ct. RVG S. S.A. S.A.L. S. Ct.
25
March Massachusetts Mercedes-Benz Argentina (ehemalige argentinische Tochtergesellschaft der Daimler AG) Mercedes-Benz USA (amerikanische Tochtergesellschaft der Daimler AG) Maryland Moattama Gas Transportation Company Milllion(en) Myanmar Oil and Gas Enterprise Movement for the Survival of the Ogoni People Milliarde(n) Münchener Kommentar National Northern District District Court for the Northern District of Alabama District Court for the Northern District of California District Court for the Northern District of Florida District Court for the Northern District of Georgia District Court for the Northern District of Illinois Non-governmental Organization Number November Nummer New York Reports October Oberlandesgericht Opinions of the Attorney General page Pennsylvania paragraph Public limited company Palestinian Liberation Organization Procedure Public Law Publication Rechtsberatungsgesetz Rechtsdienstleistungsgesetz Republic Resolution Review reversed Randnummer Rules of the Supreme Court of the United States Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Seite Société Anonyme/Sociedad Anonima Société Anonyme Libanaise U.S. Supreme Court Reporter
26 S.D. S.D. Fla. S.D.N.Y. S.D. Ohio S.D. Tex. Sept. Sess. SLORC S/Res Stat. sub nom. Tenn. Tex. Trib. TVPA U.N. U.N. Doc. U.N.T.S. U.S. U.S.C. U.S. Dist. LEXIS UWG v. Va. vgl. VO VStGB W.D. W.D. Pa. W.D. Tenn. Wheat. WL ZPO
Abkürzungsverzeichnis Southern District District Court for the Southern District of Florida District Court for the Southern District of New York District Court for the Southern District of Ohio District Court for the Southern District of Texas September Session State Law and Order Restoration Council Security Council Resolution (Vereinte Nationen) Statutes at Large (Bundesgesetzblatt der Vereinigten Staaten) sub nomine Tennessee Texas Tribunal Torture Victim Protection Act United Nations United Nations Document United Nations Treaty Series United States Reports (U.S. Supreme Court Reports) United States Code LexisNexis Federal District Court Reports Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb versus Virginia vergleiche Verordnung Völkerstrafgesetzbuch Western District District Court for the Western District of Pennsylvania District Court for the Western District of Tennessee Wheaton Supreme Court Reports Westlaw Zivilprozessordnung Zeitschriftenkürzel
A.J.I.L. Ala. L. Rev. Am. Crim. L. Rev. Am. Soc. Int’l L. Proc. Am. U. L. Rev. AnwBl ArbuR Ariz. L. Rev. B.C. Int’l & Comp. L. Rev. B.C. Third World L.J. B.Y.U. L. Rev. Berkeley J. Int’l L.
American Journal of International Law Alabama Law Review American Criminal Law Review American Society of International Law Proceedings American University Law Review Anwaltsblatt Arbeit und Recht Arizona Law Review Boston College International and Comparative Law Review Boston College Third World Law Review Brigham Young University Law Review Berkeley Journal of International Law
Abkürzungsverzeichnis Berkeley L. Rev. Blätter Brook. J. Int’l L. Brook. L. Rev. Cal. L. Rev. Case W. Res. J. Int’l L. Chi. J. Int’l L. Colum. Hum. Rts. L. Rev. Colum. J. Transnat’l L. Colum. L. Rev. Cong. Research Serv. Conn. L. Rev. Denv. J. Int’l L. & Pol’y Dickinson J. Int’l L. Duke J. Const. Law & Pub. Pol’y Emory Int’l L. Rev. European J. Int’l L. Fordham Int’l L.J. Fordham L. Rev. Ga. J. Int’l & Comp. L. Geo. L.J. German L.J. Golden Gate L. Rev Harv. Hum. Rts. J. Harv. Int’l L.J. Harv. L. Rev. Hastings Const. L. Q. Hastings Women’s L.J. Hous. J. Int’l L. IfZ ILSA J. Int’l & Comp. L. Ind. J. Global L. Stud. Int’l & Comp. L. Q. Int’l Conciliation Iowa L. Rev. J. App. Prac. & Process JR JURA KritJ L. & Contemp. Problems Law & Ineq. Leiden J. Int’l L. Mich. L. Rev. Minn. L. Rev. M.S.U. J. Int’l L.
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Berkeley Law Review Blätter für deutsche und internationale Politik Brooklyn Journal of International Law Brooklyn Law Review California Law Review Case Western Reserve Journal of International Law Chicago Journal of International Law Columbia Human Rights Law Review Columbia Journal of Transnational law Columbia Law Review Congressional Research Service Connecticut Law Review Denver Journal of International Law and Policy Dickinson Journal of International Law Duke Journal of Constitutional Law and Public Policy Emory International Law Review European Journal of International Law Fordham International Law Journal Fordham Law Review Georgia Journal of International and Comparative Law Georgetown Law Journal German Law Journal Golden Gate Law Review Harvard Human Rights Journal Harvard International Law Journal Harvard Law Review Hastings Constitutional Law Quarterly Hastings Women’s Law Journal Houston Journal of International Law Institut für Zeitgeschichte International Law Students’ Association Journal of International and Comparative Law Indiana Journal of Global Legal Studies International and Comparative Law Quarterly International Conciliation Iowa Law Review Journal of Appellate Practice and Process Juristische Rundschau Die Juristische Ausbildung Kritische Justiz Law and Contemporary Problems Law and Inequality Leiden Journal of International Law Michigan Law Review Minnesota Law Review Michigan State University Journal of International Law
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Abkürzungsverzeichnis
N.C .J. Int’l L. & Com. Reg. North Carolina Journal of International and Commercial Regulation NJW Neue juristische Wochenzeitschrift Notre Dame L. Rev. Notre Dame Law Review Nw. U. L. Rev. Northwestern University Law Review N.Y.U. L. Rev. New York University Law Review Pepp. L. Rev. Pepperdine Law Review RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RIW Recht der internationalen Wirtschaft Santa Clara J. Int’l L. Santa Clara Journal of International Law Seton Hall L. Rev. Seton Hall Law Review Stan. L. & Pol’y R. Stanford Law and Policy Review St. John’s J. Legal Saint John’s Journal of Legal Commentary Commentary St. John’s L. Rev. Saint John’s Law Review St. Louis L. Rev. Saint Louis Law Review St. Louis U. Pub. L. Rev. Saint Louis University Public Law Review Suffolk Transnat’l L. Rev. Suffolk Transnational Law Review Temp. Int’l & Comp. L.J. Temple International and Comparative Law Journal Temp. J. Sci. Tech. & Temple Journal of Science, Technology, and Environmental Law Envt’l L. Tex. Int’l L.J. Texas International Law Journal Tex. L. Rev. Texas Law Review Tul. Envt’l L.J. Tulane Environmental Law Journal Tulsa J. Comp. & Int’l L. Tulsa Journal of Comparative and International law U. Chi. Legal F. University of Chicago Legal Foundation U. Cin. L. Rev. University of Cincinnati Law Review U. Pa. J. Lab. & Emp. L. University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law U. Rich. L. Rev. University of Richmond Law Review U. Toledo L. Rev. University of Toledo Law Review Va. J. Int’l L. Virginia Journal of International Law Va. L. Rev. Virginia Law Review Vand. J. Transnat’l L. Vanderbilt Journal of Transnational Law Vand. L. Rev. Vanderbilt Law Review Wash. & Lee L. Rev. Washington and Lee Law Review Wash. L. Rev. Washington Law Review World Economics World Economics Journal Yale J. Int’l L. Yale Journal of International Law Yale L.J. Yale Law Journal ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Einleitung „Most Americans would probably be surprised to learn that victims of atrocities committed in Bosnia are suing the leader of the insurgent Bosnian-Serb forces in a United States District Court in Manhattan“1. „[The Alien Tort Statute] is a kind of legal Lohengrin; although it has been with us since the first Judiciary Act [of 1789], no one seems to know whence it came“2.
I. Das Alien Tort Statute Das amerikanische Alien Tort Statute (ATS) wurde vom ersten Kongress der Vereinigten Staaten als § 9 (b) des Gerichtsverfassungsgesetzes von 1789 verabschiedet und besteht aus einem einzigen knappen Satz: „The district courts shall have original jurisdiction of any civil action by an alien for a tort only, committed in violation of the law of nations or a treaty of the United States“3. 1
Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232, 236 (2d Cir. 1995). ITT v. Vencap, Ltd., 519 F.2d 1001, 1015 (2d Cir. 1975). 3 Übersetzung des Verfassers: „Die Bezirksgerichte (des Bundes) sind erstinstanzlich zuständig für Zivilklagen von Ausländern, die ausschließlich eine unerlaubte Handlung zum Gegenstand haben, die eine Verletzung des Völkerrechts oder eines Staatsvertrags der Vereinigten Staaten darstellt“. Der zitierte Wortlaut des ATS ist die vierte Version des Gesetzes. Ursprünglich wurde das ATS als § 9 (b) des Gerichtsverfassungsgesetz von 1789 mit folgendem Wortlaut verabschiedet: „The district courts shall also have cognizance, concurrent with the courts of the several States, or the circuit courts, as the case may be, of all causes where an alien sues for a tort only in violation of the law of nations or a treaty of the United States“, siehe Judiciary Act of 1789 § 9 (b). Im Jahre 1878 wurde das ATS infolge einer Nouvelle der Zuständigkeitsbestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes umformuliert: „The district courts shall have jurisdiction … [o]f all suits brought by any alien for a tort ,only‘ in violation of the law of nations, or of a treaty of the United States“, siehe Rev. Stat. § 563 (1878). 1911 folgte eine weitere Umformulierung des ATS als Teil einer nochmaligen Nouvelle der Zuständigkeitsbestimmungen des GVG: „The district courts shall have original jurisdiction … [o]f all suits brought by any alien for a tort only, in violation of the law of nations or of a treaty of the United States“, siehe Act of March 3, 1911, ch. 231, § 24, 36 Stat. 1087, 1093. Der aktuelle Wortlaut des ATS stammt aus dem Jahre 1948 und hat den Wortlaut von 1911 nur an einem Punkt geändert: Der Begriff „suits“ wurde zugunsten des Begriffs „civil action“ ausgetauscht, um das ATS an die Begrifflichkeiten der Federal Rules of Civil Procedure anzupassen. Für die ATS-Rechtsprechung, die erst ab 1980 in Erscheinung tritt, waren diese Änderungen nicht von Bedeutung. In der Literatur hat die erste Formulierung als Basis für Spekulationen 2
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Unklar ist jedoch, was der erste Kongress mit diesem kryptisch anmutenden Paragraphen bezwecken wollte. Historische Auslegungsmaterialien zum ATS existieren nicht. Die Protokolle der Debatten des Repräsentantenhauses über das GVG von 1789 sind verschollen. Im Senat sind zwar die Sitzungsprotokolle zum GVG erhalten geblieben, das ATS wurde aber während der Debatten nie angesprochen. Trotz eingehender Beschäftigung mit den zeitgenössischen Quellen haben die Rechtswissenschaftler in mehr als 1.500 Fachartikeln zum ATS bis heute nur zwei bis drei private Briefe von Senatoren des ersten Kongresses auffinden können, in denen das ATS überhaupt erwähnt wurde, und diese Erwähnungen sind genauso knapp und rätselhaft wie der Gesetzestext selbst4. Trotz seiner Kürze und obskuren Entstehungsgeschichte gibt es wenige Gesetze, die ähnlich umstritten sind. Nachdem das ATS einen etwa 200 Jahre langen Winterschlaf genoss, ist es 1980 durch die Entscheidung des Second Circuit in Filartíga v. Pena-Irala ins Zentrum der sog. human rights litigation vor amerikanischen Gerichten gerückt. Dadurch wurde das ATS zu einem Knotenpunkt der internationalen Menschenrechtspolitik. Während frühe ATS-Klagen ehemalige Amtsträger repressiver Regime und mächtige Privatpersonen aus Konfliktregionen symbolisch zur Rechenschaft gezogen haben, ist das ATS mittlerweile zum rechtlichen Werkzeug einer weltweiten Strategie von Menschenrechtsorganisationen geworden. Diese Strategie verfolgt das Ziel, Unternehmen wegen Investitionen in Krisenländern und ihrer wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit als verbrecherisch erachteten Regimen anhand großangelegter amerikanischer Sammelklagen abzustrafen, um vergleichbare Akteure von Missachtungen des Menschenrechts abzuschrecken. Für Menschenrechtsorganisationen ist das ATS deshalb beinahe zu einer heiligen Institution geworden. Unternehmen und Wirtschaftsverbände hingegen sehen im ATS einen Erzfeind der globalen Rechtssicherheit und damit ein schweres Hindernis für die internationale Wirtschaftstätigkeit. In jüngster Zeit haben Regierungen aus aller Welt ATS-Klagen gegen ihre Angehörigen als Verletzung ihrer Souveränität bemängelt und bei Verfahren vor dem Supreme Court interveniert, um die Fortführung von ATS-Klagen ohne US-Bezüge als „unacceptable“ verwerfen zu lassen5. Sogar die amerikanische Regierung argumentiert, dass das ATS die verfassungsrechtliche Prärogative des Präsidenten für die Außenpolitik in Frage gestellt hat und einer eingehenden Kontrolle unterworfen werden sollte.
über den historischen Zweck des ATS gedient, vgl. z. B. William Casto, The Federal Courts’ Protective Jurisdiction over Torts Committed in Violation of the Law of Nations, 18 Conn. L. Rev. 467 (1986). 4 Siehe Thomas Lee, The Safe Conduct Theory of the Alien Tort Statute, 106 Colum. L. Rev. 830 (2006); Curtis Bradley, The Alien Tort Statute and Article III, 42 Va. J. Int’l L. 587 (2002). 5 Brief of amicus curiae The Federal Republic of Germany, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013) (No. 10-1491), S. 10.
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Der Anwendungsbereich des ATS wurde seit 1980 kontinuierlich erweitert und auf weitere Beklagte und Sachverhalte erstreckt. In Filartíga v. Pena-Irala6 wurde ein ehemaliger paraguayischer Polizeichef wegen Folter zu Schadensersatz verurteilt, die er als Amtsperson veranlasst hatte. Diese Entscheidung ebnete weiteren Urteilen gegen andere ehemaligen Hoheitsträger (Generäle, Polizisten und Präsidenten) im Zusammenhang mit Völkerrechtsdelikten – insbesondere außergerichtlichen Hinrichtungen und willkürlichen Inhaftierungen – die diese kraft ihres Amtes angeordnet oder veranlasst hatten, den Weg. 1995 erstreckte der Second Circuit mit seiner Entscheidung zu Kadic v. Karadzic7 die ATS-Haftung ferner auf Privatpersonen, die besonders verwerfliche Völkerrechtsverletzungen wie Genozid oder ähnlich grausame Kriegsverbrechen begingen, und ließ auf dieser Basis entsprechende ATSAnsprüche gegen Radovan Karadzic, den Präsidenten der Republik Srpska während des Bosnienkriegs, zu. Die Personen, die aufgrund von an Filtartíga und Karadzic ausgerichteten Klagen zur Rechenschaft gezogen wurden, waren an den verheerenden Menschenrechtskatastrophen des letzten Jahrhunderts beteiligt und gehörten zu den mächtigsten Männern bestimmter Regionen: Ferdinand Marcos, ehemaliger Präsident der Philippinen8; Robert Mugabe, Präsident von Simbabwe9; Jean Aristide, Präsident von Haiti10 ; Lui Qui, Bürgermeister von Pekin11; Osama bin Laden12 ; „Chuckie“ Taylor, Sohn des berüchtigten liberianischen Präsidenten Charles Taylor13. Spätere ATSKlagen richteten sich gegen den Chef des israelischen Geheimdienstes14 wegen der Anordnung von Raketenangriffe auf Mitglieder der Hamas sowie gegen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld15, den Direktor der CIA George Tenet16 und gegen US-Justizminister John Ashcroft17 aufgrund der von ihnen genehmigten Maßnahmen im Rahmen des Anti-Terrorkampfes. Ein Satz in einem der letzten Absätze der Karadzic-Entscheidung erweiterte das ATS einmal mehr. Der Fall Karadzic legte nahe, dass Privatpersonen, die in Zusammenarbeit mit Hoheitsträgern Menschenrechtsverletzungen herbeiführen, genauso wie die bisher dafür haftenden Hoheitsträger zu behandeln seien. Dieser Satz löste eine Welle von ATS-Klagen gegen internationale Unternehmen und Konzerne 6
Filartíga v. Pena-Irala, 630 F.2d 876 (2d Cir. 1980). Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232 (2d Cir. 1995). 8 In re Estate of Ferdinand Marcos Human Rights Litig., 978 F.2d 439 (9th Cir. 1992). 9 Tachiona v. Mugabe, 169 F. Supp. 2d 259 (S.D.N.Y.2001), 386 F.3d 205 (2d Cir. 2004). 10 Lafontant v. Aristide, 844 F. Supp. 128 (E.D.N.Y. 1994). 11 Doe v. Liu Qi, 349 F. Supp. 2d 1258 (N.D. Cal. 2004). 12 Mwani v. Bin Ladin, 244 F.R.D. 20 (D.D.C. 2007). 13 Kpadeh v. Emmanuel, 261 F.R.D. 687 (S.D. Fla. 2009). 14 Matar v. Dichter, No. 07-2579-cv (2d Cir. 2009). 15 Rasul v. Rumsfeld, No. 04-cv-1864 (D.D.C. 2006), No. 06-5209 (D.C. Cir. 2008). 16 El-Masri v. Tenet, 479 F.3d 296 (E.D. Va. 2007). 17 Arar v. Ashcroft, No. 04-CV-0249-DGT-VVP (E.D.N.Y. 2004). 7
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wegen angeblicher „joint action“ mit Regimen der Dritten Welt aus. In diesen Entscheidungen wurde die Erstreckung des ATS auf juristische Personen bejaht und im Jahr 2002 hat der Ninth Circuit in Doe v. Unocal18 eine weitere Haftungsmöglichkeit von Unternehmen wegen Beihilfe zu hoheitlich begangenen Menschenrechtsverletzungen erläutert. Diese Erweiterungen des ATS entfalteten eine beträchtliche Wirkung. Die Möglichkeit, eine ATS-Klage gegen ein internationales Unternehmen zu erheben, führte zu einer Lawine von Klagen gegen Konzerne, die in Ländern mit fragwürdiger Menschenrechtsbilanz wirtschaftlich tätig waren. Diese ATS-Klagen legten dem jeweiligen Unternehmen entweder eine direkte Tatbegehung, viel öfter aber eine Beihilfe zu oder eine Beteiligung an staatlich begangenen Menschenrechtverletzungen zur Last. Strategie der Kläger war es, die Unternehmen stellvertretend für die jeweiligen Staaten zu verklagen – die nach dem Foreign Sovereign Immunities Act Immunität genossen – und damit internationale Unternehmen durch die Androhung von Rufschädigung und Schadensersatz in amerikanischer Höhe zur Durchsetzung von Menschenrechten anzuregen. Zwischen 1996 und 2001 wurden mindestens 130 Einzelklagen gegen amerikanische und ausländische Kapitalgesellschaften aufgrund des ATS erhoben. Allein durch diese ATS-Klagen konnten Kläger bis 2001 rund $ 8 Milliarden durch außergerichtliche Vergleiche erstreiten. Bis 2003 beliefen sich die Forderungen in anhängigen ATS-Klagen gegen multinationale Unternehmen auf etwa $ 200 Milliarden19. In der Liste der Unternehmen, die nach dem ATS verklagt worden sind, findet sich fast jeder namhafte Konzern aus den USA und Europa und auch jeder erdenkliche Wirtschaftszweig wieder. Besonders anfällig für ATS-Klagen waren Teilnehmer der sog. „extractive industry“ (Rohstroffindustrie), darunter Ölkonzerne wie Shell20, Chevron21, Texaco22, Exxon Mobil23, Occidental24, Total25 und Unocal26 sowie Bergbauunternehmen wie Freeport-McMoran27 und der britisch-australische Riese Rio Tinto28. Lebensmittelhersteller wie Coca-Cola29, Chiquita30, Del Monte31, 18
Doe v. Unocal Corp., 395 F.3d 932 (9th Cir. 2002). Siehe Gary Clyde Hufbauer & Nicholas Mitrokostas, Awakening Monster: The Alien Tort Statute of 1789, S. 7 (2003). 20 Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88 (2d Cir. 2000); Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2010). 21 Bowoto v. Chevron Corp., 621 F.3d 1116 (9th Cir. 2010). 22 Aguinda v. Texaco, Inc., 945 F. Supp. 625 (S.D.N.Y. 1996). 23 Doe v. ExxonMobil Corp., 473 F.3d 345 (D.C. Cir. 2007). 24 Mujica v. Occidental Petroleum Corp., 381 F. Supp. 2d 1164 (C.D. Cal. 2005). 25 Doe v. Unocal Corp., 248 F.3d 915 (9th Cir. 2001). 26 Doe v. Unocal Corp., 395 F.3d 932 (9th Cir. 2002). 27 Beanal v. Freeport-McMoran, Inc., 969 F. Supp. 362 (E.D. La. 1997), 197 F.3d 161 (5th Cir. 1999). 28 Sarei v. Rio Tinto, PLC, 550 F.3d 822 (9th Cir. 2008). 29 Bigio v. Coca-Cola Co., 448 F.3d 176 (2d. Cir. 2006). 19
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Nestlé32, Cargill33 und Archer Daniels Midland34 fanden sich mit ATS-Klagen im Zusammenhang mit ihren äquatorialen Plantagen konfrontiert. Technologiekonzerne wie IBM35, Nokia36, Yahoo!37 und Cisco Systems38 mussten sich für die Zusammenarbeit mit Überwachungsstaaten verantworten. Pharma- und Chemieunternehmen wie Dow Chemical39, Pfizer40 und der australische Alcolac41 wurden ebenfalls auf Grundlage des ATS verklagt. Sogar Finanzdienstleistern wie Barclay’s Bank42, JP Morgan Chase43, American Express44 und einer Reihe arabischer Banken45 wurde die finanzielle Ermöglichung von Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Die privaten Sicherheitsfirmen, die als Vertragsnehmer der CIA und der amerikanischen Armee am Irak- und Afghanistankrieg beteiligt waren, bildeten eine weitere Gruppe von Beklagten in ATS-Verfahren: Titan46, CACI International47 und L-3 Services48 sollen im Abu Ghraib-Gefängnis gefoltert haben; das berüchtigte Unternehmen Blackwater soll Kriegsverbrechen in ganz Bagdad begangen haben49; und Fluggesellschaften wie Dyncorp50 wurden angeklagt, im Auftrag der CIA verdächtigte Personen zu geheimen „Black Sites“ gebracht zu haben.
30 In re Chiquita Brands Int’l, Inc., Alien Tort Statute & Shareholder Derivative Litig., 690 F. Supp. 2d 1296 (S.D. Fla. 2010). 31 Aldana v. Del Monte Fresh Produce, N.A. Inc., 452 F.3d 1284 (11th Cir. 2006), 578 F. 3d 1283 (11th Cir. 2009). 32 Doe v. Nestle, 748 F. Supp. 2d 1057 (C.D. Cal. 2010). 33 Doe v. Nestle, 748 F. Supp. 2d 1057 (C.D. Cal. 2010). 34 Doe v. Nestle, 748 F. Supp. 2d 1057 (C.D. Cal. 2010). 35 In re South African Apartheid Litigation, 504 F.3d 254 (2d Cir. 2007), 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009). 36 Saharkhiz v. Nokia, No. 1:10-cv-912 (E.D. Va.). 37 Xiaoning v. Yahoo! Inc., No. 07-CV-02151-CW (N.D. Cal.). 38 Doe v. Cisco Sys., Inc., No. CV-11-249-PSG, 2011 WL 1338057 (N.D. Cal. 2011). 39 Vietnam Ass’n for Victims of Agent Orange v. Dow Chemical Co., 517 F.3d 104 (2d. Cir. 2008). 40 Abdullahi v. Pfizer, Inc., 562 F.3d 163 (2d Cir. 2009). 41 Aziz v. Alcolac, Inc., 658 F.3d 388 (4th Cir. 2011). 42 In re South African Apartheid Litigation, 504 F.3d 254 (2d Cir. 2007), 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009). 43 In re South African Apartheid Litigation, 504 F.3d 254 (2d Cir. 2007), 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009). 44 Licci v. American Express Bank Ltd., 704 F. Supp. 2d 403 (S.D.N.Y. 2010). 45 In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 392 F. Supp. 2d 539 (S.D.N.Y. 2005). 46 Ibrahim v. Titan Corp., 580 F.3d 1 (D.C. Cir. 2009). 47 Al-Shimari v. CACI Premier Tech., Inc., 657 F. Supp. 2d 700 (E.D. Va. 2009); 679 F.3d 205 (4th Cir. 2012). 48 Al-Quraishi v. L-3 Servs., Inc., No. 2:08-cv-01696 (D. Md.). 49 In re XE Servs. Alien Tort Litig., 665 F. Supp. 2d 569 (E.D. Va. 2009). 50 Arias v. Dyncorp., 517 F. Supp. 2d 221 (D.D.C. 2007).
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Eine erhebliche Anzahl von ATS-Klagen richtete sich auch gegen deutsche Unternehmen. Die ersten erfolgreichen ATS-Klagen gegen Konzerne überhaupt wurden von Zwangsarbeitern des Dritten Reiches gegen führende Gesellschaften der deutschen Wirtschaft erhoben und mussten durch internationale Verhandlungen zwischen Deutschland und den USA aufgrund einer Initiative von Allianz, BASF, Bayer, BMW, DaimlerChrysler, Deutsche Bank, Degussa-Hüls, Dresdner Bank, Krupp, Hoechst, Siemens, Volkswagen, Vega, und Bosch verglichen werden51. Weitere ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne folgten. Daimler52 und Siemens53 wird eine Kollaboration mit der argentinischen Militärjunta der 1970er Jahren vorgeworfen, um unliebsame Gewerkschafter zu beseitigen. Der Deutschen Bank und einer Traditionsreederei aus Bremen wird zur Last gelegt, am Völkermord in Namibia infolge des Kolonialkriegs von 1905 – 1908 teilgenommen zu haben54. Die berühmten Apartheid-Klagen begründeten schließlich die Vorwürfe gegen Rheinmetall, Daimler, Deutsche Bank, Commerzbank und Dresdner Bank, die Verbrechen des südafrikanischen Apartheid-Regimes unterstützt zu haben55. Für die Unternehmen, die sich einem ATS-Verfahren ausgesetzt sahen, wirkte sich dieses besonders nachteilhaft aus. Auch unabhängig vom ATS gleicht ein amerikanisches Zivilverfahren vor allem für europäische Konzerne einem Albtraum. Das Vorverfahren besteht aus der sog. „pre-trial discovery“, einem Beweiserhebungsverfahren, das beide Parteien verpflichtet, ihrem Gegner sämtliche relevanten Beweismaterialien offenzulegen. Diese Pflicht erstreckt sich über die geographischen Grenzen der USA hinweg und erfasst Firmenarchive auf der ganzen Welt. Allein die Durchführung von Discovery in internationalen Tort-Klagen verschlingt Unsummen an Zeit und Geld, weil oft ganze Mannschaften von Anwälten auf mehreren Kontinenten erforderlich sind. Dabei müssen die Beklagten auch davon ausgehen, dass sie auch bei haltlosen Vorwürfen auf den Kosten dieser Klagen sitzen bleiben werden. Die sog. „American rule on costs“ sieht grundsätzlich vor, dass jede Partei ihre eigenen Prozesskosten trägt. Zwar kann unter Umständen eine Erstattung kleinerer Gerichtsgebühren und Übersetzungskosten erfolgen, aber Anwaltsgebühren werden so gut wie nie erstattet, obwohl sie bei größeren Verfahren in mindestens siebenstelliger Höhe liegen und bei längerer Anhängigkeit der Klage den Löwenanteil der Parteiauslagen ausmachen. Auf der anderen Seite der Discovery warten Schadens51 In re Holocaust Era German Industry, Bank and Ins. Litig., 2000 U.S. Dist. LEXIS 11650 (S.D.N.Y. 2000). 52 Bauman v. DaimlerChrysler AG, 579 F.3d 1088 (9th Cir. 2009), rev’d 644 F.3d 909 (9th Cir. 2011). 53 Hidalgo v. Siemens Aktiengesellschaft, No. 11-CV-20107, 2011 WL 74581 (S.D. Fla. 2011). 54 Herero People’s Reparations Corp. v. Deutsche Bank, AG, 370 F.3d 1192 (D.C. Cir. 2004); Hereros ex rel. Riruako v. Deutsche Afrika-Linien Gmblt & Co., 232 F. App’x 90 (3d Cir. 2007). 55 In re South African Apartheid Litigation, 504 F.3d 254 (2d Cir. 2007), 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009).
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ersatzforderungen in einer Höhe, die nur in den USA zulässig und üblich ist. Bei vorsätzlichen Rechtsverletzungen kommt zusätzlich auch der sog. Strafschadensersatz (punitive damages) in Betracht. Und zuletzt liegt der Ausgang des Verfahrens in den Händen einer Jury, d. h. von zwölf Laien aus dem jeweiligen Gerichtsbezirk. Das Recht auf ein Jury-Verfahren ist in den USA verfassungsrechtlich verbrieft und kann vom Kläger in einem Zivilverfahren vor den Bundesgerichten in Anspruch genommen werden, sobald der Streitwert mehr als $ 20 beträgt56. Juries werden trotz teilweise anderslautender empirischer Studien als klägerfreundlich wahrgenommen; jedenfalls kann man sich sicher sein, dass das Vorgehen vor einer Jury den Ausgang des Verfahrens auch für erfahrene Praktiker unvorhersehbar macht. Auf Klägerseite haben jedoch diese üblichen Regeln amerikanischer Zivilverfahren die Erhebung von milliardenschweren ATS-Klagen gegen Konzerne geradezu gefördert. Die Gerichtsgebühren in den USA sind aus deutscher Sicht verschwindend gering: Eine Kalkulation aufgrund des Streitwerts existiert nicht und im Schnitt sind für die Eröffnung des Verfahrens nur $ 350 an die Gerichtskasse zu entrichten. Zur Einleitung einer Klage vor den Bundesgerichten genügt eine Klageschrift, die einen Klageantrag und einen knappen Sachvortrag zu den klagebegründenden Tatsachen enthält. Die Gerichte nehmen selbst keine Schlüssigkeitsprüfung vor, sondern mangelnde Schlüssigkeit wird nur auf Rüge des Beklagten und erst im Vorverfahren geprüft und dort vorzugsweise abgelehnt, um die Aufklärung des Sachverhalts durch Discovery zuzulassen. Den Großteil aller Prozesskosten bilden die Anwaltsgebühren. Kläger vereinbaren meistens ein Erfolgshonorar mit ihren Anwälten, wonach eine Vergütung regelmäßig nur im Falle des Obsiegens erfolgt. Ein weiterer praxisüblicher Aspekt amerikanischer Erfolgshonorare ist der Umstand, dass die vertretenden Anwälte bis zum Verfahrensende sämtliche Auslagen der Kläger übernehmen. Gemeinsam bewirken diese Vergütungspraxen, dass Kläger eine millionenschwere Klage einleiten und bis zum Urteil verfechten können, ohne eigenes Geld einsetzen zu müssen. So gestaltete Erfolgshonorarvereinbarungen haben wiederum logischerweise den Effekt, dass Klägeranwälte die in amerikanischen Klagen ohnehin hohen Schadensersatzforderungen – inklusive Anträgen auf punitive damages – noch weiter nach oben treiben, um ihre Vergütung zu maximieren und Auslagen auszugleichen. Des Weiteren kommt in den USA die Möglichkeit einer class action in Betracht: Sind viele Kläger mit ähnlichen Ansprüchen gegen einen Beklagten vorhanden, können die Anwälte die Ansprüche tausender Geschädigter gleichzeitig in einem Musterverfahren gegen den Beklagten durchsetzen. Bei einer class action reduziert sich dabei die Höhe des jeweiligen mitvertretenen Anspruchs nicht; die class action ermöglicht stattdessen die Vertausendfachung der bereits für sich genommen hohen Schadensersatzforderungen. Im Falle eines Unterliegens stellt wiederum die „American rule on costs“ sicher, dass jede Partei grundsätzlich die 56 Siehe U.S. Const. amend. VII („In Suits at common law, where the value in controversy shall exceed twenty dollars, the right of trial by jury shall be preserved“); Federal Rule of Civil Procedure 38 (a) („The right of trial by jury as declared by the Seventh Amendment to the Constitution … is preserved to the parties inviolate“).
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eigenen Prozesskosten – und allenfalls die eigenen Anwaltsgebühren – trägt, was das finanzielle Risiko für Kläger drastisch weiter reduziert. Diese Regelung führt faktisch dazu, dass eine Zivilklage vor den Bundesgerichten ohne eigene Auslagen, fast ohne finanzielles Risiko und auch ohne eingehende Kenntnisse des Sachverhalts erhoben werden kann. Vor diesem Hintergrund ist es leicht nachvollziehbar, warum nichtamerikanische Richter seit Jahrzehnten bemängeln, dass sich Kläger „wie die Motte zum Licht“ zu den amerikanischen Gerichten hingezogen fühlen57. „Forum shopping“ ist inzwischen ein gängiger Vorwurf für das Verhalten von Klägern, die aus taktischen Gründen ihre Ansprüche vor US-Gerichten anstatt vor scheinbar sachnäheren nichtamerikanischen Foren geltend machen58. Das Ziel der ATS-litigation war jedoch kein „forum shopping“ im engeren Sinne, sondern etwas ganz Neuartiges: Das ATS sollte ein amerikanisches Forum für die Verhandlung von Menschenrechtsverletzungen gewährleisten, damit die zahlreichen Vorteile für Kläger im amerikanischen Rechtssystem in den Dienst der globalen Menschenrechte gestellt werden konnten. Das ATS sollte der Mechanismus werden, durch den der Zuständigkeits- und Normsetzungsbereich amerikanischer Gerichte auf Menschenrechtsverletzungen aus aller Welt erstreckt werden konnte. Damit sollte es das ATS rechtlich ermöglichen, dass das Milliardenrisiko einer amerikanischen Sammelklage jederzeit jede einzelne Person treffen konnte, die auch nur anscheinend an einer Menschenrechtsverletzung beteiligt war, gleichgültig wo in der Welt die Verletzung verübt wurde. Solange das ATS ein amerikanisches Forum mit globaler Reichweite garantieren konnte, würden die üblichen Regeln großer amerikanischer Verfahren die Mittel liefern, um Anreize für die weltweite Wahrung von Menschenrechten zu setzen. 57 „As a moth is drawn to the light, so is a litigant drawn to the United States. If he can only get his case into their courts, he stands to win a fortune. At no cost to himself, and at no risk of having to pay anything to the other side. The lawyers there will conduct the case … on a ,contingency fee‘[.] The lawyers will charge the litigant nothing for their services but instead they will take 40 % of the damages, if they win the case in court, or out of court on a settlement. If they lose, the litigant will have nothing to pay to the other side. … There is also in the United States a right to trial by jury. These are prone to award fabulous damages. They are notoriously sympathetic[.] All this means that the defendant can be readily forced into a settlement. The plaintiff holds all the cards“. Lord Denning in: Smith, Kline & French Laboratories Ltd. v. Bloch, 2 All E.R. 72, 74 [C.A. 1982]. 58 Dass „forum shopping“ ein Vorwurf sein sollte, ist aus Sicht des Verfassers nicht sachgemäß. Die Anwälte des jeweiligen Klägers sind verpflichtet, die Interessen ihres Mandanten auf die bestmögliche Weise zu vertreten, was – sofern mehrere Foren zur Verfügung stehen – die Wahl des als am Vorteilhaftesten erachteten Forums zur natürlichen Folge hat. Dies ist entgegen der obigen Ansicht von Lord Denning von anderen englischen Lords anerkannt worden: „[F]orum shopping is a dirty word; but it is only a pejorative way of saying that, if your offer a plaintiff a choice of jurisdiction, he will naturally choose the one in which he thinks his case can be most favourably presented: this should be a matter neither for surprise nor for indignation“. Lord Simon of Glaisdale, in: The Atlantic Star, [1974] 1 A.C. 437, 471 (House of Lords, 1973).
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II. Das Recht des ATS Diese politisch-strategische Ausrichtung bildete die Leitlinie, vor deren Hintergrund die Menschenrechtsorganisationen die Fortentwicklung des ATS kontinuierlich auf neue Sachverhalte und neue Personen anstrebten. Dementsprechend lassen sich die zahlreichen Rechtsentwicklungen der ATS-Rechtsprechung nur unter Berücksichtigung dieser Prämisse entsprechend würdigen. Das Recht zum ATS ist keineswegs systematisch entstanden, sondern hat sich je nach Fallkonstellation und gewünschter Entwicklungsrichtung über diverse Rechtsgebiete verstreut. Dabei kamen Fragen des Völkerrechts, des allgemeinen Zivilrechts, des Gesellschaftsrechts, des amerikanischen Verfahrensrechts sowie der prudenziellen Enthaltungsdoktrinen amerikanischer Gerichte auf. Diese wurden mit rechtlichen Konzepten und den common law-Methoden der USA ergänzt, die stark vom deutschen Recht abweichen. Das Ergebnis war die allmähliche Entwicklung von ATS-Grundsätzen, die anhand der common law-Methodik von anderen Gerichten weiterverwendet wurden und die Basis des Rechts des ATS bildeten. An erster Stelle stand die Frage nach der völkerrechtlichen Subjektsqualität von Personen des Privatrechts. Nach der klassischen Völkerrechtslehre kommen nur Staaten als Völkerrechtssubjekte in Betracht, weil nur diese von völkerrechtlichen Normen unmittelbar berechtigt oder verpflichtet werden. Nach Auffassung der amerikanischen Gerichte entfaltet jedoch das Völkerrecht hingegen eine unmittelbare Bindungswirkung gegenüber Individuen. Diese unmittelbare Bindungswirkung haben Gerichte aus einer Auffassung des Völkergewohnheitsrechts abgeleitet, die sie in den Nürnberger Prozessen, internationalen Straftribunalen und der Fülle der seit dem Zweiten Weltkrieg verabschiedeten internationalen Menschenrechtsabkommen verkörpert sahen. Ihrer Ansicht nach legte das internationale Menschenrecht Basisnormen für menschliches Verhalten fest, die universelle Geltung genossen und auch ohne nationale Umsetzungsgesetzgebung das Verhalten einzelner Personen zum Gegenstand hatten. Manche dieser Normen – wie die Verbote von Folter, willkürlicher Inhaftierung und außergerichtlichen Hinrichtungen – konnten nur „under color of law“, d. h. durch hoheitliches Handeln verletzt werden. Andere Normen wie die Verbote von Völkermord, Kriegsverbrechen und Terrorangriffen hatten derart verwerfliche Taten zum Gegenstand, dass sie sich auf das Verhalten aller erstreckten und auch von privaten Akteuren verletzt werden konnten. Die Kehrseite dieser unmittelbaren Bindungswirkung des Völkerrechts war, dass nach amerikanischer Ansicht das Völkerrecht auch eine unmittelbare Schutzwirkung für den Einzelnen entfaltete. Dieser Schutz umfasste traditionell innere Angelegenheiten eines Staates, d. h. die Behandlung der eigenen Staatsbürger. Allerdings war die Bejahung einer unmittelbaren Bindungswirkung des Völkerrechts für Individuen nicht genug; es musste vielmehr die zivilrechtliche Einklagbarkeit völkerrechtlicher Normen zugrundegelegt werden. Nach amerikanischer Auffassung besteht das Völkerrecht nur aus primären Verhaltensgeboten und überlässt nationalen Rechtssystemen die Gestaltung von sog. Sekundärnormen,
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womit Verletzungen dieser Primärnormen geahndet werden oder ihnen abgeholfen wird. In diesem Zusammenhang trat die Auslegung des ATS als Ergänzung zum Verständnis von Völkerrechtsnormen als unmittelbar bindend an. Das ATS wurde als Zuweisung von Deliktsklagen mit völkerrechtlicher Komponente an die Bundesgerichte ausgelegt, damit die Bundesgerichte common law-Schadensersatzansprüche zur Abhilfe von Völkerrechtsverletzungen gewähren konnten. Damit wurde das ATS als eine Art Ermächtigungsnorm konzipiert, die die Bundesgerichte dazu befugte, Schadensersatzansprüche amerikanischen Rechts aus dem Völkergewohnheitsrecht abzuleiten. Diese common law-Ansprüche waren die einklagbaren Sekundärnormen, die primäre völkerrechtliche Verhaltensgebote umsetzten. Amerikanische Gerichte haben festgelegt, dass „universal, definite, and obligatory“-Normen des Völkerrechts zu einklagbaren Tatbeständen nach dem ATS erhoben werden können. Die Existenz so beschaffener Völkerrechtsnormen ermittelten die Gerichte anhand einer breitgefächerten Quellenlage, die internationale Abkommen, die Gründungsstatuten internationaler Straftribunale, UNO-Erklärungen sowie nationale Gesetzgebung umfasste. Auf diesem Wege erstreckte sich die Anerkennung als einklagbarer ATS-Deliktstatbestand auf Folter, willkürliche Inhaftierung, grausame Behandlung, außergerichtliche Hinrichtung, zwangsweises Verschwindenlassen, Genozid, Kriegsverbrechen, Sklaverei bzw. Zwangsarbeit, und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das Risiko, nach dem ATS zur Rechenschaft gezogen zu werden, war keiner territorialen Schranke unterworfen. Amerikanische Gerichte leiteten einen universellen sachlichen Anwendungsbereich für die ATS-Tatbestände aus der Wahrnehmung der durch diese Tatbestände umgesetzten Normen als internationale Rechtsgüter ab. Aus ihrer Sicht hatte die Staatengemeinschaft die weltweite Geltung von Normen gegen z. B. Folter oder Genozid ausgerufen, weswegen die amerikanischen Tatbestände, die aus diesen Normen abgeleitet wurden, in ihrem Anwendungsbereich genauso unbeschränkt waren. Gleichzeitig verneinten die Gerichte, dass eine ATS-Klage überhaupt einen Bezug zu den USA aufwerfen musste, um vor amerikanischen Gerichten verhandelt werden zu können. Hierfür griffen die Gerichte auf das aus dem Völkerstrafrecht stammende Weltrechtsprinzip zurück, um ein amerikanisches Interesse an der Erstreckung amerikanischer Tatbestände auf Sachverhalte ohne jedweden US-Bezug zu rechtfertigen. Das Weltrechtsprinzip billigt jedem Land der Welt einen Strafanspruch gegen Personen zu, die durch besonders verwerfliche Taten international geschützte Rechtsgüter verletzen, auch wenn weder Tat, Täter noch Opfer einen Bezug zu dem bestrafenden Land aufweisen. Amerikanische Gerichte haben die Delikte, die als Völkerrechtsverletzungen in ATS-Klagen zur Last gelegt wurden, als Verletzungen international geschützter Rechtsgüter konzipiert, und gingen deshalb davon aus, dass ihnen die Staatengemeinschaft sowohl die Befugnis als auch die Pflicht zugesprochen hatte, solche Taten gerichtlich zu ahnden, gleichgültig ob ein Bezug zu den USA vorlag oder nicht. Auch juristische Personen kamen als ATS-Beklagte in Betracht. Das amerikanische Recht bejaht allgemein eine umfassende Haftung von Kapitalgesellschaften
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für Rechtsverletzungen und hegt eine Tradition großer Klagen gegen Konzerne. Für die ATS-Rechtsprechung blieb nur die Frage, auf welcher Grundlage eine Völkerrechtsverletzung bzw. die Haftung dafür einer Kapitalgesellschaft zugerechnet werden konnte. In manchen Fällen haben die Gerichte eine sog. „direkte“ Haftung des Unternehmens auf der klassischen Grundlage der respondeat superior-Doktrin bejaht: Kapitalgesellschaften haften nach allgemeinen common law-Prinzipien verschuldensunabhängig für Handlungen ihrer Mitarbeiter im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses und sogar eine vorsätzliche unerlaubte Handlung kann der Gesellschaft zugerechnet werden, solange sie im engen Zusammenhang mit der Tätigkeit des Mitarbeiters steht und als zu erwartender Ausfluss der Tätigkeit anzusehen ist. Auf dieser Grundlage kam die Haftung des Unternehmens durch die Teilnahme von Mitarbeitern an Menschenrechtsverletzungen wie z. B. medizinischen Experimenten an Kindern59, Zwangsarbeit60, Folter61 oder Kriegsverbrechen62 in Betracht. Viel öfter jedoch ließen amerikanische Gerichte sog. „indirekte“ Haftungstheorien zu, um die Haftung für von unternehmensexternen Akteuren begangene Menschenrechtsverletzungen an Kapitalgesellschaften zuzurechnen. Wenn einer Kapitalgesellschaft die sog. „joint action“ mit Hoheitsträgern, die Menschenrechtsverletzungen begangen hatten, nachgewiesen werden konnte, ließen amerikanische Gerichte die Haftung des Unternehmens nach dem ATS zu. Des Weiteren leiteten amerikanische Gerichte die Möglichkeit einer Haftung wegen „aiding and abetting“, d. h. Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen, aus völkerstrafrechtlichen Quellen ab. Das Beihilfekonzept rechnete einem Unternehmen die Haftung für Handlungen externer Dritter zu, wenn der Konzern einem Täter die Begehung einer Menschenrechtsverletzung wissentlich – oder mit fahrlässiger Unkenntnis – erleichtert hatte. Die Zulassung von Haftung wegen Beilhilfe muss für Unternehmen sehr beunruhigend gewirkt haben, denn der Rückgriff auf Beihilfe hat die Haftungsvoraussetzungen in ATS-Klagen äußerst niedrig angesetzt. Beihilfe im Sinne des ATS wurde als jede Handlung definiert, die von einem Unternehmen mit der Kenntnis unternommen wurde, dass sie die Begehung einer Menschenrechtsverletzung wesentlich erleichtern konnte. Dabei wurde eine „wesentliche“ Auswirkung des Tatbeitrags bereits dann bejaht, wenn ohne ihn die Haupttat auf andere Weise stattgefunden hätte, während die Kenntnisse des Beklagten zur Haftungsbegründung ausreichten, wenn er beim Tatbeitrag wusste, dass dieser irgendeine Menschenrechtsverletzung, egal ob als Haupttat oder in anderer Form, erleichtern konnte. In vielen Situationen war diese Definition bereits bei Aufnahme einer Wirtschaftstätigkeit in bestimmten Ländern erfüllt. Wenn ein internationales Unternehmen in ein 59
Adamu v. Pfizer, Inc., 562 F.3d 163 (2d Cir. 2009). Doe v. Reddy, 2004 WL 5512966 (N.D. Cal. 2004); Adhikari v. Daoud & Partners, 697 F. Supp. 2d 674 (S.D. Tex. 2009). 61 Al-Shimari v. CACI Premier Tech., Inc., 657 F. Supp. 2d 700 (E.D. Va. 2009); AlQuraishi v. L-3 Servs., Inc., 728 F. Supp. 2d 702 (D. Md. 2010). 62 In re XE Services Alien Tort Litig., 665 F. Supp. 2d 569 (E.D. Va. 2009). 60
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Land investierte, musste es als Minimum Steuern oder Abgaben an das dortige Regime zahlen. Andere Investitionen erforderten den Bau von Infrastruktur, z. B. Zulieferungsstraßen für Förderanlagen oder Fabriken, sowie die Einstellung von Sicherheitsdienstleistern zum Schutz vor bewaffneten Fraktionen. Sobald das Regime des Investitionsorts diese Abgaben, Straßen oder die etwaige Stellung als Sicherheitsdienstleister in Anspruch nahm, um Menschenrechtsverletzungen zu begehen, war eine Klage gegen das Unternehmen wegen Beihilfe prinzipiell begründet. Damit hatte das Beihilfekonzept den Effekt, jede Wirtschaftstätigkeit in der Dritten Welt zum möglichen Gegenstand einer ATS-Klage zu machen. Neben diesen Erweiterungen des sachlichen Anwendungsbereichs des ATS kamen die ohnehin weitgreifenden persönlichen Gerichtsstände des amerikanischen Rechts in die ATS-Rechtsprechung hinein, um die Reichweite der amerikanischen Gerichte auf immer mehr internationale Akteure zu erstrecken. Die Zuständigkeit amerikanischer Gerichte bemisst sich nach den Kontakten des Beklagten zum amerikanischen Forum. Soweit eine Gesellschaft keinen Sitz oder Niederlassung in den USA hat, reicht bereits die Unterhaltung systematischer und anhaltender Wirtschaftstätigkeit („doing business“) zur Eröffnung eines allgemeinen Gerichtsstands in den USA aus. Anhand des allgemeinen Gerichtsstands dürfen amerikanische Gerichte sämtliche Ansprüche gegen einen Beklagten aus aller Welt verhandeln. Für international agierende Unternehmen war es besonders besorgniserregend, als Gerichte in ATS-Entscheidungen Durchgriffsprinzipien entwickelten, um die Zurechnung nicht nur der (Beihilfe-)Haftung, sondern auch amerikanischer Gerichtsstände von Konzerngesellschaften untereinander zu ermöglichen. Internationale Konzerne gründen meistens separate Tochtergesellschaften in als politisch problematisch angesehenen Ländern, um die konzernweite Gefährdung durch Haftungsrisiken ihrer dortigen Tätigkeiten zu minimieren. Dasselbe tun sie in Bezug auf Wirtschaftstätigkeiten in den USA, damit ausschließlich die amerikanische Tochter einen amerikanischen Gerichtsstand hat und dem Risiko großer amerikanischer Schadensersatzklagen ausgesetzt ist. ATS-Entscheidungen hoben jedoch zunächst den Schutz, der durch Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland erhofft wurde, auf. Die Gerichte legten nämlich fest, dass es im Einzelfall möglich ist, eine Muttergesellschaft für die Handlungen der ausländischen Tochter verantwortlich zu machen, wenn die Tochter als „alter ego“ der Mutter anzusehen ist oder in Bezug auf die konkrete Menschenrechtsverletzung als „agent“ der Mutter gehandelt hatte. Gleichzeitig stellten ATS-Entscheidungen den Schutz der Mutter vor gerichtlicher Inanspruchnahme in den USA, der durch die Gründung einer amerikanischen Tochter angestrebt wurde, in Frage. Gerichte ließen eine Zurechnung des allgemeinen amerikanischen Gerichtsstands der amerikanischen Tochter der ausländischen Mutter zu, wenn die Tochter als „alter ego“ der Mutter anzusehen war oder in Bezug auf aus konzernweiter Sicht unerlässliche Tätigkeiten als faktische Niederlassung der Mutter in den USA agiert hatte.
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Diese Entwicklungen hatten eine Rechtslage zur Folge, nach der internationale Unternehmen einer Art amerikanischer Weltgerichtsbarkeit für Menschenrechtsverletzungen unterlagen, sobald sie eine hinreichend wichtige amerikanische Tochter hatten. Einerseits wurde ihnen die Haftung für Menschenrechtsverletzungen der Dritte-Welt-Tochter, andererseits der allgemeine Gerichtsstand der amerikanischen Tochter zugerechnet, womit eine ATS-Klage gegen sie vor nunmehr zuständigen amerikanischen Gerichten zulässig war. Auch wenn die Klage keinen Bezug zu den USA aufwarf, bejahten die US-Gerichte ein amerikanisches Interesse am Verfahren aufgrund des Weltrechtsprinzips, weil dadurch universell geschützte Menschenrechte zur Geltung verholfen wurden. Eine direkte Beteiligung des verklagten Konzerns an der Begehung einer Menschenrechtsverletzung war unerheblich – dank Beihilfehaftung reichte es für die Begründung eines ATS-Anspruchs aus, dass der Konzern einer Wirtschaftstätigkeit in einem Land nachgegangen war, die dessen Regime die Begehung von Menschenrechtsverletzung erleichtert hatte. Dies war eine bisweilen lächerlich niedrige Haftungsvoraussetzung, weil erforderliche Abgabenoder Steuerzahlungen seitens des Unternehmens bereits als „Unterstützung“ des Regimes qualifiziert werden konnten. Am Ende stand z. B. die deutsche Daimler AG vor kalifornischen Gerichten, weil ihre argentinische Tochter Menschenrechtsverletzungen der argentinischen Sicherheitsbehörden ermöglicht haben sollte und weil ihre amerikanische Tochter unumstritten hohe Umsätze machte63. Diese Weltgerichtsbarkeit war für Menschenrechtsaktivisten ein heiliger Gral. Für Konzerne, die in Staaten mit fragwürdigen Menschenrechtsbilanzen investiert hatten, gab es wegen des ATS kein Entkommen vor großangelegten amerikanischen Sammelklagen mehr. Menschenrechtsorganisationen konnten das volle Arsenal amerikanischer Verfahrensvorteile einsetzen, um Konzerne zu schädigen, bis diese sich bereit erklärten, die Opfer zu entschädigen, für die Wahrung der Menschenrechte in ihrer Einflusssphäre zu sorgen oder gar ihre Desinvestition aus Krisenländern anzukündigen. Ziel der Menschenrechtsorganisationen war es, durch ATSKlagen die Kosten einer Wirtschaftstätigkeit in Ländern mit schlechter Menschenrechtsbilanz derart in die Höhe zu treiben, dass sie nicht mehr profitabel war. Dadurch hofften sie, die Geschäftspraxen internationaler Unternehmen menschenrechtskonform umzugestalten und womöglich indirekte Wirtschaftssanktionen für unterdrückende Regimes zu setzen, die zu Reformen führen würden. Es kam auch die Hoffnung hinzu, dass das ATS das langersehnte Vehikel für eine weltweite Regelung der Tätigkeiten multinationaler Unternehmen werden konnte. Die typische ATS-Klage im Rahmen dieser Strategie sah so aus: Eine Menschenrechtsorganisation, in Zusammenarbeit mit erfahrenen Klägeranwälten, erhob eine ATS-Klage gegen einen möglichst namhaften westlichen Konzern. Die Klage stützte sich auf eine Wirtschaftstätigkeit des Konzerns in der Dritten Welt und legte dem Unternehmen eine vage beschriebene Beihilfe zur Last: Seine Wirtschaftstä63 So das Ergebnis in Bauman v. DaimlerChrysler AG, 579 F.3d 1088 (9th Cir. 2009), 644 F.3d 909 (9th Cir. 2011).
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tigkeit hätte dem jeweiligen Regime, womöglich durch Warenlieferung oder Infrastrukturbau, die Begehung von Menschenrechtsverletzungen an der eigenen Bevölkerung erleichtert. Die Kläger ersuchten die Zulassung einer class action, um die Ansprüche von allen Angehörigen des fremden Staates, die durch dessen Regime verletzt worden waren – in der Regel hunderte bis tausende Personen – gleichzeitig gegen den Konzern geltend machen zu können. Damit versuchten die Kläger, ganze indigene Bevölkerungsgruppen oder Regionen gegen ihre eigene Regierung zu vertreten, nur dass ein Geschäftspartner des Regimes an seiner Stelle verklagt wurde. Die Kläger forderten Schadensersatz in Milliardenhöhe und verlangten ein Verfahren vor einer Jury, mussten aber dank amerikanischen Gerichtsgebühren und einer Erfolgshonorarvereinbarung kein eigenes Geld hinlegen. Bei oder nach Einleitung der Klage stieß die Menschenrechtsorganisation eine begleitende Pressekampagne gegen den Konzern an. Soweit es nach den finanziellen Mitteln der Menschenrechtsorganisation möglich war, wurde durch Presseerklärungen, Werbung und Nachrichten auf die Vorwürfe gegen den Konzern aufmerksam gemacht. Die astronomische Höhe der Schadensersatzforderungen und die bloßen Namen der Ansprüche – Folter, Hinrichtungen, Genozid – sollten sicherstellen, dass die Medienkampagne eine nicht wiedergutzumachende Rufschädigung des Konzerns in Aussicht stellte. Parallel zu dieser Kampagne haben sich gerichtliche Verhandlungen über Schlüssigkeit der Klage und die internationale Beweiserhebung durch Discovery in die Länge gezogen, um dem Beklagten nicht erstattungsfähige Prozessauslagen in mindestens sechsstelliger Höhe aufzubürden. Damit sollte der Konzern vor die Wahl gestellt werden: Er konnte die ATS-Klage bis zum Urteil verfechten oder sich außergerichtlich vergleichen. Sollte er sich für die Verteidigung entscheiden, würden Menschenrechtsorganisationen sicherstellen, dass er als Minimum millionenschwere Prozesskosten tragen musste und einen möglichst unwiederbringlich tiefgreifenden Rufschaden erlitt, während das Risiko von Schadensersatz in Milliardenhöhe bis zum endgültigen Urteil schwebte. Eckpunkt dieser vor-die-Wahl-stellen-Strategie war, dass sie ungeachtet der Erfolgsaussichten der jeweiligen ATS-Klage möglich war, d. h. sie griff bereits bei Einleitung der Klage und sollte durch das Ungleichgewicht der Risikoverteilung automatisch zur Vergleichsverhandlungen über Geschäftspraxen in der Dritten Welt führen. Deswegen war für Menschenrechtsorganisationen die Gewährleistung eines amerikanischen Forums mit weltweiter Reichweite aufgrund des ATS essentiell: Solange dieses Forum gegeben war, konnte man bei jeder ATS-Klage die zahlreichen Hebelfaktoren amerikanischer Sammelklagen einsetzen, um Konzernen Verhandlungen über Menschenrechte aufzuzwingen. Menschenrechtsorganisationen sahen diese Rechtslage als einmalige Errungenschaft an. Für internationale Konzerne und Wirtschaftsverbände waren aber sowohl diese Strategie als auch die Rechtsentwicklungen, die sie ermöglichten, ein direkter Angriff auf ihre Existenzgrundlage. Führende westliche Konzerne sind für langfristiges Wachstum auf Auslandsinvestitionen angewiesen und können diese nur in
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Ländern vollziehen, wo die nötigen Märkte, Partner oder Rohstoffe vorhanden sind, auch wenn dort Bürgerkriege oder Militärregierungen vorhanden sind. Die Voraussetzung für solche Investitionen ist internationale Rechtssicherheit, was bis zum Eintritt der ATS-litigation anhand politisch festgesetzter Richtlinien – z. B. die Einhaltung anwendbarer Gesetze und internationaler Investitionsschutzbestimmungen – gewährleistet wurde. Dagegen bildete das ATS die Grundlage einer schwer einschätzbaren, sich richterrechtlich fortbildenden Rechtslage, bei der die bloße Erhebung einer ATS-Klage bereits Zahlungen in Millionenhöhe nach sich zog – entweder als Anwaltsgebühren oder als abgenötigter Vergleich – und damit jede internationale Rechtssicherheit gefährdete. Die Weltgerichtsbarkeit des ATS löste heftige Proteste aus. Die frühesten Proteste gegen das ATS und seine Rechtsentwicklungen kamen aus ausländischen Staaten. Unterschiedliche Staaten nahmen das ATS als Verletzung diverser Aspekte ihrer Hoheitsinteressen wahr. China, Kolumbien, Indonesien, Israel und Nigeria protestierten gegen ATS-Klagen, die, auch wenn sie gegen Konzerne erhoben wurden, ihrer amtierenden oder ehemaligen Regierung Menschenrechtsverletzungen vorwarfen, zu denen der verklagte Konzern Beihilfe geleistet haben sollte. Aus ihrer Sicht stand es amerikanischen Gerichten nicht zu, über das Verhalten staatlicher Vertreter innerhalb des eigenen Hoheitsgebiets zu urteilen, insbesondere weil kein Bezug zu den souveränen Interessen der USA gegeben war. Südafrika, El Salvador und Kolumbien beschwerten sich gegen laufende ATS-Verfahren, die sie als Untergrabung ihrer internen Versöhnungspolitik auffassten. Nach ihrer Darstellung verletzte es ihre Souveränität, dass sie nicht über Reparationen und Entschädigung der eigenen Bevölkerung ohne Einmischung der US-Gerichte entscheiden konnten. Die lautesten und wiederholtesten Proteste gegen das ATS kamen aus den Regierungen der westlichen Länder, deren Konzerne durch ATS-Klagen in Anspruch genommen wurden. Australien, Kanada, Deutschland, die Niederlande, die Schweiz, Großbritannien und sogar die Europäische Kommission bemängelten ATS-Klagen gegen ihre Konzerne als Eingriffe in fremde Souveränität. Australien und die Schweiz beschrieben ATS-Klagen als Verletzung der Souveränität des Tatortlandes, das völkerrechtlich zum erstmaligen Aburteilen über Geschehnisse auf dem eigenen Hoheitsgebiet befugt sei, ehe fremde Gerichte ohne eigene Interessen denselben Sachverhalt verhandeln. Großbritannien und die Niederlande verwarfen ATS-Ansprüche als illegitime amerikanische Normsetzungen innerhalb der Hoheitsgebiete fremder Souveräne: ATS-Tatbestände wurden zwar aus dem Völkerrecht abgeleitet, aber sie waren amerikanisches common law, weswegen sie nicht ohne Vorliegen eines gewichtigen amerikanischen Hoheitsinteresses auf Verhalten auf dem Territorium anderer Souveräne erstreckt werden konnten. Deutschland protestierte gegen die Erstreckung allgemeiner amerikanischer Gerichtsstände auf seine Angehörige in ATS-Klagen ohne jedweden Bezug zu den USA, während deutsche Gerichte zur Verhandlung desselben Streits offenstanden. Aus deutscher Sicht war dies als Beeinträchtigung seines inhärenten souveränen Rechts zu qualifizieren, Verhaltensregeln für die eigenen Angehörigen aufzustellen.
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Auch die amerikanische Regierung intervenierte in ATS-Verfahren, um gegen die Rechtsentwicklung des ATS zu protestieren. Die Regierung beschrieb ATS-Klagen als Verstöße gegen die Gewaltenteilung der amerikanischen Verfassung. Nach der Verfassung ist allein der Präsident für die Außenpolitik der USA zuständig, was aus Sicht der Regierung zur Folge hatte, dass nur der Präsident entscheiden darf, ob und welche Schritte gegen fremde Souveräne wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen ergriffen werden sollten. Des Weiteren bemängelte die Regierung, dass ATS-Verfahren es der Exekutive erschwerten, günstige Investitionsbedingung in anderen Ländern für amerikanische Konzerne zu verhandeln. Auch wurde vom Außenministerium vorgeworfen, dass es den Gerichten nicht zustehen könnte, ausländische Staaten und Hoheitsträger als Menschenrechtsverbrecher abzuurteilen, weil es den außenpolitischen Vertretern der USA danach unmöglich sei, andere Regierungen zu überzeugen, dass das Urteil nicht die Position der Regierung widerspiegele. Diese Proteste bewirkten jedoch zunächst keine Änderung der Rechtslage. Solange bei den amerikanischen Gerichten die Ansicht vorherrschte, dass ATS-Klagen nicht nur nötig, sondern auch effektive Mittel zur Geltendmachung des internationalen Menschenrechts waren, waren sie nicht bereit, das weltweit zuständige amerikanische Forum einzuschränken. Aus diesem Grund befand es der Supreme Court 2004 in Sosa v. Alvarez-Machain64 lediglich für nötig, die unteren Gerichte zur „Vorsicht“ bei der Anerkennung einklagbarer ATS-Deliktstatbestände zu ermahnen und den Ermessensspielraum der Gerichte, ATS-Klagen mit schwerwiegenden außenpolitischen Implikationen im Einzelfall an ausländische Gerichte abgeben zu können, zu bekräftigen. Gleichzeitig unterstrich Sosa das Interesse der Vereinigten Staaten an der Verhandlung „universeller“ Menschenrechte vor amerikanischen Gerichten, auch wenn im konkreten Fall kein Bezug zu den USA vorhanden war. Jedoch wich gegen Ende der 2000er Jahre die Überzeugung der Gerichte, dass ATS-Klagen in erster Linie Menschenrechten dienten und auch als Durchsetzungsmittel effektiv waren. Sehr wichtig war hierfür die Tatsache, dass 2007/2008 in Bowoto v. Chevron Corp.65 und Romero v. Drummond Co.66 die ersten ATS-Klagen gegen internationale Unternehmen endlich zur Hauptverhandlung vor einer Jury kamen. In beiden Fällen sprach die Jury die Gesellschaft von jeder Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen einstimmig frei. Diese Ergebnisse entblößten die von Menschenrechtsorganisationen beteuerte Notwendigkeit von ATS-Klagen gegen Konzerne für die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte als übertrieben und ließen die Effektivität von ATS-Klagen als Schutzmittel für Menschenrechtsopfer anzweifeln. Parallel hierzu verwarfen es weitere erstinstanzliche Entscheidungen als überbordend, dass die bloße Aufnahme einer Wirtschaftstätigkeit in der Dritten Welt 64
Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 694 (2004). Bowoto v. Chevron Corp., 621 F.3d 1116 (9th Cir. 2010). 66 Estate of Rodriguez v. Drummond Co., Inc., 256 F. Supp. 2d 1250 (N.D. Ala. 2003), 552 F.3d 1303 (11th Cir. 2008). 65
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eine ATS-Klage wegen Beihilfe zu den Menschenrechtsverletzungen des jeweiligen Regimes begründen können sollte, wenn der verklagte Konzern weder mit Absicht noch aktiv versucht hatte, zu den Menschenrechtsverletzungen beizutragen. Konstante Proteste ausländischer Regierungen und führender Wirtschaftsverbände trugen zur zunehmend verbreiteten Ansicht bei, dass ATS-Klagen sehr oft zu rechtsmissbräuchlichen Erpressungsklagen wurden, die nicht durch ein amerikanisches Interesse an universellen Menschenrechten gerechtfertigt werden konnten, weil sie als Durchsetzungsmechanismus ungeeignet und ineffektiv waren. Ab 2009 schlug diese Perspektivenwende in verbindliche Rechtsprechung um. Führende amerikanische Circuit Courts fingen an, Einschränkungen für ATS-Klagen zu erlassen, die vor zehn Jahren undenkbar gewesen wären. Diese Einschränkungen griffen Stück für Stück das weltweit zuständige amerikanische Menschenrechtsforum an, das die bisherige Rechtsprechung ermöglicht hatte. Der Ninth Circuit legte ein Erfordernis der Erschöpfung des ausländischen Rechtswegs für ATS-Klagen fest, die keinen Bezug zu den USA aufwarfen und keine Universalstraftat zum Gegenstand hatten67. Der Eleventh Circuit stufte ATS-Klagen als an sich missbrauchsanfällig ein und erforderte deswegen substantiierte Sachvorträge von Klägern, ohne ihnen die Mittel der Discovery-Beweiserhebung zur Aufklärung des darzulegenden Sachverhalts zur Verfügung zu stellen68. Der Second Circuit und der Eleventh Circuit bejahten die Zulässigkeit der forum non conveniens-Doktrin in ATS-Klagen, womit sachlich zuständige erstinstanzliche Gerichte nach freiem Ermessen anhängige ATSKlagen an als geeigneter erachtete ausländische Foren abgeben konnten69. Der Second Circuit hob die Voraussetzungen für Haftung wegen Beihilfe an, um eine Haftung eines Unternehmens für die Handlungen externer Dritter auszuschließen, solange das Unternehmen nicht mit der Absicht gehandelt hatte, durch Aufnahme einer Wirtschaftstätigkeit an Menschenrechtsverletzungen teilzunehmen70. Diese Restriktionsphase erreichte 2010 ihren Gipfel, als der Second Circuit in Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. verneinte, dass Kapitalgesellschaften Völkerrechtssubjekte sind, und aus diesem Grunde die Haftung von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen nach dem ATS ausschloss71. Das Aufeinanderprallen des Bestrebens der Menschenrechtsorganisationen einerseits und der Interessen der internationalen Wirtschaft andererseits führte zur höchstrichterlichen Revision von Kiobel vor dem Supreme Court. Bei der Annahme der Revision war sich der Supreme Court dessen bewusst, dass das ATS inzwischen zum internationalen Politikum geworden war. Die Errichtung eines weltweit zuständigen amerikanischen Menschenrechtsforums, das hunderte ATS-Klagen ohne 67
Sarei v. Rio Tinto, PLC, 550 F.3d 822 (9th Cir. 2008). Sinaltrainal v. Coca-Cola Co., 578 F.3d 1252 (11th Cir. 2009). 69 Aldana v. Del Monte Fresh Produce, N.A. Inc., 578 F. 3d 1283 (11th Cir. 2009); Turedi v. Coca-Cola Co., 343 F. App’x 623 (2nd Cir. 2009). 70 Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 582 F.3d 244 (2d Cir. 2009). 71 Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010). 68
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Beachtung ihrer Inlandsbezüge zugelassen hatte, mochte zwar im Namen des Völkerrechts erfolgt sein, wurde aber von anderen Ländern als Verletzung grundlegenderer Souveränitätsgrenzen angesehen. Länder der Dritten Welt betrachteten ATS-Klagen als Einmischung in ihre internen Angelegenheiten. Westliche Länder betrachteten die Erstreckung des Erpressungspotenzials von ATS-Klagen auf ihre Angehörigen in Fällen, in denen kein Bezug zu den USA vorlag, als Eingriff in ihre Hoheitsinteressen, ohne dass die USA ein eigenes gleichwertiges Interesse entgegenhalten konnten. Dennoch verwiesen Menschenrechtsorganisationen auf den Grundsatz der bisherigen Rechtsprechung, dass die USA ein aus dem Weltrechtsprinzip abgeleitetes „universelles“ Interesse an der Verhandlung von Menschenrechtsverletzungen vor US-Gerichten haben. In seiner Kiobel-Entscheidung72 von 2013 hob der Supreme Court das Fundament der bisherigen ATS-Rechtsprechung auf: Es relativierte das aus dem Weltrechtsprinzip abgeleitete Interesse der USA an der Verhandlung von universell geschützten Menschenrechten gegenüber den hoheitlichen Interessen anderer Länder. Angesichts der Proteste anderer Staaten waren sich die Richter des Supreme Court einig, dass die Staatengemeinschaft selbst bei Verletzung eines international geschützten Rechtsguts keinen allgemeinen Ahndungsanspruch an die USA gestatten wollte, die den Interessen anderer Souveräne an demselben Sachverhalt ebenbürtig, geschweige denn überwiegend war. Es verblieb einzig die Frage, in welcher Form diese Ansicht als Regel für künftige ATS-Klagen festzulegen war. Vier Richter des Supreme Court, die die bisherige ATS-Rechtslage als missbrauchsanfällige Einladung zur Beeinträchtigung fremder Souveränität ansahen, wollten den Anwendungsbereich des ATS strikt auf das Hoheitsgebiet der Vereinigten Staaten beschränken. Vier weitere Richter, die das ATS noch als wirksames Mittel für die Durchsetzung internationaler Menschenrechte hielten, wollten in künftigen ATS-Klagen den Nachweis eines konkreten amerikanischen Interesses am Verfahren vom Kläger erfordern – wobei ein solches Interesse aus ihrer Sicht bereits gegeben war, wenn der Beklagte amerikanischer Angehöriger war oder wo der Komplize einer Universalstraftat in den USA präsent war. Justice Kennedy schlug sich vorsichtig auf die Seite der ersteren Richter, wollte aber aus nur ihm bekannten Gründen den Anwendungsbereich des ATS nicht so drastisch einschränken wie sie. Das Ergebnis war eine rätselhaft formulierte Territorialbeschränkung für den Anwendungsbereich des ATS: Grundsätzlich ist das ATS nur auf Verhalten auf dem Hoheitsgebiet der Vereinigten Staaten anwendbar, aber wenn ein aus dem Ausland stammender ATS-Anspruch die USA hinreichend „berührt“, ist er zulässig. Die Rechtsprechung nach Kiobel setzt sich nun mit der Vorgabe des Supreme Court auseinander und kommt bereits zu auseinanderklaffenden Ergebnissen. Problematisch für Gerichte ist die Unklarheit des Kiobel-Standards. Die Gerichte entnehmen Kiobel zwar eine klare Aussage des Supreme Court dahingehend, dass es kein stets zuständiges amerikanisches Forum mit weltweiter Gerichtsbarkeit für 72
Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013).
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Menschenrechtsverletzungen mehr geben darf. Gleichzeitig hat der Supreme Court aber keine klare Linie gezogen und stattdessen die Definition einer hinreichenden „Berührung“ der USA mit dem Fall dem Augenmaß zwölf unabhängiger unterer Gerichtsbezirke überlassen. Diese Bezirke unterscheiden sich stark in ihrer Auffassung des ATS sowie seines Werts für die Wahrung internationaler Menschenrechte und können dank des vagen Entscheidungsinhalts von Kiobel diese divergierenden Auffassungen in eine strikte Einstellung oder eine so weit wie möglich gehende Fortführung der bisherigen Rechtslage umsetzen. Z. B. hat der District Court for the District of Columbia Kiobel als Sperre für sämtliche ATS-Klagen ausgelegt, in denen die vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen im Ausland stattgefunden haben, gleichgültig ob der Beklagte amerikanischer Staatsangehöriger war oder ob er die Verletzungen aus den USA gesteuert hatte73. Der Ninth Circuit hingegen weigerte sich, auch nach Kiobel eine ATS-Klage malischer Zwangsarbeiter gegen den schweizerischen Konzern Nestlé abzuweisen, obwohl die Klage keinen ersichtlichen Bezug zu den USA aufwarf74. Die Menschenrechtsorganisationen, die das ATS zur Basis eines universellen amerikanischen Forums ausgestaltet hatten, hat dies in ihrem Bestreben aber nicht aufgehalten. Dennoch müssen sie sich in einem rechtlichen Umfeld betätigen, das ihre Strategie, amerikanische Verfahrensvorteile zur kostenschweren Aufhebung internationaler Rechtssicherheit und damit ATS-Klageerhebung zum Abschreckungsfaktor zu machen, nunmehr zu Genüge kennt und in vielerlei Hinsicht verworfen und eingeschränkt hat. Kiobel hat diese allgemeinere Entwicklungsrichtung des Rechts des ATS nicht geändert.
III. Das ATS und deutsche Interessen Die bis zur Kiobel existierende Möglichkeit, internationale Rechtssicherheit durch bloße Klageerhebung untergraben zu können, wurde von deutschen Wirtschaftsinteressen als besonders ernstzunehmende Drohung angesehen. Deutschland ist im Vergleich zu anderen westlichen Volkswirtschaften in erhöhtem Maße auf Auslandstätigkeiten, sei sie durch Direktinvestitionen, Export, Vertrieb oder Ähnliches angewiesen, weswegen internationale Rechtssicherheit als unerlässliche Voraussetzung deutschen Wirtschaftswachstums bezeichnet werden kann. Allerdings sind deutsche Konzerne traditionsreich und, im Gegensatz zu den Wirtschaftsteilnehmern anderer westlicher Länder, bis in die Gegenwart industriell tätig. Diese Aspekte deutscher Wirtschaftstätigkeit bringen deutsche Konzerne in langwährenden und näheren Kontakt sowohl mit ausländischen Regierungen als auch mit ausländischen Arbeitnehmern. Dadurch sind deutsche Konzerne – zumindest aus Sicht amerikanischer Klägeranwälte – beinahe ideale ATS-Beklagte. 73 74
Al Shimari v. CACI Int’l, Inc., No. 1:08-cv-827 (E.D. Va. June 25, 2013). Doe v. Nestle USA, Inc., No. 10-56739 (9th Cir. Dec. 19, 2013).
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Das ATS berührte damit das Fundament der deutschen Wirtschaftstätigkeit. In einer Reihe von ATS-Klagen wurde zunächst für deutsche Unternehmen und allmählich für die deutsche Politik offensichtlich, dass, solange amerikanische Schadensersatzklagen gegen deutsche Konzerne wegen ihrer Auslandstätigkeiten mittels des ATS erhoben werden konnten, die von der deutschen Wirtschaft benötigte internationale Rechtssicherheit jederzeit von ATS-Klägern angegriffen werden konnte. In der Entwicklung des ATS von einer human rights-Vorschrift im klassischen Sinne zur Grundlage eines Weltforums für die Inanspruchnahme internationaler Konzerne im Namen der Menschenrechte spielten die Klagen gegen deutsche Unternehmen eine führende Rolle. Es waren Klagen gegen deutsche Unternehmen, in denen sowohl Menschenrechtsorganisationen als auch die internationale Wirtschaft zum ersten Mal das volle Drohpotential des amerikanischen Forums erkannten. Die Zwangsarbeiterklagen der späten 1990er Jahre gegen die deutsche Industrie wurden zwar von amerikanischen Gerichten als unzulässig abgewiesen75, drohten jedoch durch die von den Menschenrechtsorganisationen angetriebenen Pressekampagnen dem Markenzeichen Deutschland eine vernichtende Rufschädigung zuzufügen. Die befürchteten Auswirkungen wurden von der deutschen Industrie als derart gravierend angesehen, dass sie sich nicht anders zu helfen wusste, als einen Globalvergleich in Höhe von $ 5,25 Milliarden abzuschließen. Die Zwangsarbeiterklagen belegten dadurch, dass allein die bloße Zulassung einer ATS-Klage ebenso schädlich für die Rechtsverhältnisse verklagter Konzerne sein konnte wie ein rechtskräftiges Urteil. Die Apartheid-Klagen gegen Daimler, Rheinmetall, Deutsche Bank, Commerzbank und die Dresdner Bank zogen eine weitere Ausweitung der ATS-Rechtsprechung nach sich. Die Apartheid-Klagen stellten den ersten Versuch von Menschenrechtsorganisationen dar, das Drohszenario der Zwangsarbeiterklagen auf die dogmatische Basis des „aiding and abetting“ (Beihilfe) zu stützen. Unter dem Vorwurf der Beihilfe sollten die verklagten Konzerne nicht für eigens begangene Menschenrechtsverletzungen haften, sondern für Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen werden, die die südafrikanische Apartheid-Regierung selbst an ihrer eigenen Bevölkerung begangen hatte. Die Haftung der Konzerne leiteten die Kläger aus dem Vorwurf ab, die Wirtschaftstätigkeiten dieser Unternehmen in Südafrika seien notwendige Voraussetzungen für die Überwachungs- und Unterdrückungsapparate des Apartheid-Regimes gewesen. 2007 bejahte der Second Circuit die Zulässigkeit dieser Haftungstheorie76 und 2009 ließ das Southern District of New York die Ansprüche gegen Daimler und Rheinmetall als ausreichend dargelegte Fälle der Beihilfe zu77. Unter international tätigen deutschen Unternehmen muss diese Entwicklung für eine Art Notstand gesorgt haben. Die von der Wirtschaft empfangene Botschaft der 75 Burger-Fisher v. Degussa AG, 65 F. Supp. 2d 248 (D.N.J. 1999); Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999). 76 Khulumani v. Barclay Nat. Bank Ltd., 504 F. 3d 254, 260 (2d Cir. 2007). 77 In re South African Apartheid Litigation, 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009).
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Apartheid-Klagen war, dass die Aufnahme einer Wirtschaftstätigkeit in bestimmten Ländern – ohne Weiteres – nunmehr zur Basis einer Beihilfeklage nach dem ATS werden konnte. Ob solche Klagen in Anbetracht der jeweiligen Tätigkeit begründet oder erfolgsversprechend waren, war aus Sicht der Wirtschaft zweitrangig. Denn man erinnerte sich an die Auswirkungen der Zwangsarbeiterklagen und ging davon aus, dass unter den richtigen Umständen die bloße Einleitung der ATS-Klage zu viele verfahrensrechtliche und mediale Druckmittel ins Spiel bringen würde, um eine ruhige und rechtskonforme Abwicklung des Streits abwarten zu können. Die Beihilfehaftung hatte damit das Potenzial, durch Erhebung einer ATS-Klage internationale Rechtssicherheit aufzuheben, auf sämtliche Länder erstreckt, in denen deutsche Unternehmen wirtschaftlich tätig waren. Es war ferner eine ATS-Klage gegen einen deutschen Traditionskonzern, die die allgemeine Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte für ausländische Unternehmen festschrieb und damit das Risiko einer ATS-Klage unvermeidbar machte. In Bauman v. DaimlerChrysler erhoben argentinische Kläger eine ATS-Klage in Kalifornien gegen die deutsche Daimler AG mit dem Vorwurf, Daimler habe mit der argentinischen Militärregierung der 1970er Jahre kollaboriert, um Gewerkschafter zu beseitigen. Die Zuständigkeit des kalifornischen Gerichts stützten die Kläger auf die Tätigkeiten von Daimlers amerikanischer Tochtergesellschaft, Mercedes USA. Der Ninth Circuit legte fest, dass der allgemeine Gerichtsstand einer amerikanischen Tochter ihrer ausländischen Mutter zugerechnet werden kann, wenn die Tochter als „agent“ der Mutter in den USA zu qualifizieren war. Die Eigenschaft der Tochter als „agent“ war jedoch aus Sicht des Ninth Circuit bereits gegeben, wenn ihre Umsätze einen signifikanten Anteil der weltweiten Umsätze des Konzerns ausmachten. Angesichts der Tatsache, dass Mercedes USA etwa 19 % von Daimlers weltweitem Umsatz jährlich beisteuerte, bestätigte der Ninth Circuit ihre Eigenschaft als „agent“ von Daimler und rechnete Daimler auf dieser Basis einen allgemeinen amerikanischen Gerichtsstand zu. Wie bei den Apartheid-Klagen rief die Bauman-Entscheidung in Wirtschaftskreisen Alarmstimmung hervor. Denn das Ergebnis von Bauman lautete, dass sämtliche internationale Unternehmen einen allgemeinen Gerichtsstand in den USA haben, sobald sie eine hinreichend umsatzträchtige amerikanische Tochter hatten. Damit hatte die Bauman-Entscheidung das Rechtsrisiko des ATS auf die Spitze getrieben: Während die Apartheid-Klagen das Erpressungspotenzial einer ATSKlage auf sämtliche Wirtschaftstätigkeiten in aller Welt erstreckt hatten, hatte Bauman nun die Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte für sämtliche Ansprüche gegen internationale Unternehmen bestätigt. Damit waren alle Schranken für ATS-Klagen gegen internationale Unternehmen gefallen. Wurde eine Menschenrechtsverletzung irgendwo in der Welt begangen, wo ein deutsches Unternehmen wirtschaftlich tätig war, konnte unter dem Vorwurf der Beihilfe und dank Bauman vor den amerikanischen Gerichten eine ATS-Klage gegen dieses erhoben werden. Das amerikanische Forum für Menschenrechtsverletzungen war fortan stets zuständig.
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Diese Entwicklungen stellten eine ernstzunehmende Bedrohung deutscher Wirtschaftsinteressen dar. Spätestens nach der Bauman-Entscheidung war für deutsche Beobachter klar, dass sämtliche Wirtschaftstätigkeiten rund um die Welt dem Risiko einer ATS-Klage ausgesetzt waren, deren Zulassung nicht mehr im Voraus durch Konzernstrukturierung verhindert werden konnte. Das Erpressungspotenzial dieser stets zulässigen ATS-Klagen bedeutete ferner, dass deutsche Unternehmen die Aufhebung internationaler Rechtssicherheit durch amerikanische Kläger nicht mehr ausschließen konnten. Dieser Umstand rief wiederholte Proteste von führenden deutschen Wirtschaftsverbänden sowie der Bundesregierung hervor. Die Bundesregierung bezeichnete ATS-Klagen unter anderem als rechtsmissbräuchliche Erpressungsklagen, deren Zustellung in Deutschland das Rechtsstaatsgebot verletzen würde. Des Weiteren kritisierte sie die Zulassung von ATS-Klagen, die keinen Bezug zu den USA aufwarfen, gegen deutsche Konzerne als inakzeptable Beeinträchtigung deutscher Hoheitsinteressen ohne völkerrechtliche Rechtfertigung. Parallel zu den Einwänden der Bundesregierung haben führende Wirtschaftsverbände amerikanische Gerichte davor gewarnt, dass deutsche und andere internationale Unternehmen ihre Investitionen aus den USA abziehen könnten, solange eine US-Investition das weltweites Risiko einer ATS-Klage zur Folge hatte. Der Kritik der Bundesregierung und deutscher Wirtschaftsverbände wurde teils durch die Kiobel-Entscheidung des Supreme Court von 2013, teils durch die Revision der Bauman-Entscheidung vom Supreme Court in 2014 Rechnung getragen. Die Entscheidungen dürften aus deutscher Sicht die Gefahr einer Souveränitätsbeeinträchtigung durch Erstreckung der amerikanischen Zuständigkeit auf deutsche Beklagte in Fällen ohne US-Bezug weitgehend beseitigt haben.
IV. Gliederung und Methode der Arbeit Das Risiko, von Nichtamerikanern aufgrund von Vorgängen außerhalb der USA vor den amerikanischen Gerichten in Anspruch genommen zu werden, ist nach Kiobel eingeschränkt, aber keineswegs eliminiert worden. Dieser Umstand erfordert eine Bestandsaufnahme der bis Kiobel festgelegten Rechtsprechung zum ATS mit internationaler Bedeutung unter Abgleich mit den rechtspolitischen Interessen, die zur Kiobel-Entscheidung geführt haben und von dieser umgesetzt werden sollten. Ziel dieser Arbeit ist es, eine möglichst genaue Einschätzung künftiger aus dem ATS zu erwartender Rechtsrisiken zu ermöglichen – mit besonderer Würdigung deutscher Wirtschaftsinteressen. Als Methode verfolgt die Arbeit die dogmatische Entwicklung des Rechts des ATS von seinen Anfängen in 1980 bis zur KiobelEntscheidung von 2013, um eine gesamtheitliche Betrachtung der Rechtslage zu ermöglichen. Hierbei werden die rechtspolitischen Interessen berücksichtigt, die als Treiber der ATS-Rechtsprechung gedient haben und von den Gerichten in ver-
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bindliches Recht umgesetzt wurden, um Schlüsse für künftige Rechtsprechung zu ermöglichen. Die Arbeit gliedert sich in vier Kapitel. Die ersten drei Kapitel sind der Darlegung und Auswertung des Rechts des ATS gewidmet und entsprechen jeweils einer dogmatischen Entwicklungsphase: Das Recht des ATS wird anhand der drei „Wellen“ der ATS-Rechtsprechung dargelegt, die bereits zum Teil in der Literatur thematisiert sind und sich inhaltlich durch wesentliche Merkmale unterscheiden. Das vierte und letzte Kapitel befasst sich ausschließlich mit deutschen Interessen. Darin werden sämtliche ATS-Entscheidungen, an denen deutsche Unternehmen beteiligt waren, umfassend dargestellt und die Reaktionen der deutschen Wirtschaft und Politik geschildert. Diese Kapitel sind wie folgt aufgegliedert: Kapitel 1: Filartíga und die Erste Welle
Kapitel 1 befasst sich zunächst mit der Ur-Entscheidung des ATS in Filartíga v. Pena-Irala, aus der die gesamte moderne ATS-litigation hervorging. Filartíga löste ab Mitte der 1980er Jahre eine „Erste Welle“ von ATS-Klagen aus. Diese Klagen richteten sich gegen natürliche Personen, hauptsächlich ehemalige Amts- und Hoheitsträger, die ihre Macht missbraucht hatten, um andere grundlos zu inhaftieren, zu verschleppen, zu foltern oder zu töten. Die Entscheidungen der Ersten Welle legten die dogmatische Basis aller künftigen ATS-Klagen fest, die ab Kapitel 2 C. dargestellt wird. In diesen Entscheidungen wurde bestimmt, dass das Völkergewohnheitsrecht in seiner modernen Ausprägung als „law of nations“ im Sinne des ATS zu verstehen ist, das moderne Völkergewohnheitsrecht eine unmittelbare Bindungswirkung gegenüber Einzelpersonen entfaltet, Verstöße gegen „universal, specific, and obligatory“ Normen des Völkergewohnheitsrechts als Völkerrechtsverletzungen im Sinne des ATS einklagbar sind und dass die Existenz solcher Normen anhand einer Auswertung internationaler Übereinkommen festzustellen ist. Vor diesem Hintergrund haben die Gerichte eine feste Anzahl an ATS-Tatbeständen abgeleitet, die in künftigen ATSKlagen stets wiederkehren sollten: Folter; grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung; willkürliche Inhaftierung; außergerichtliche Hinrichtung; zwangsweises Verschwindenlassen; Genozid; Kriegsverbrechen; Sklaverei; und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Des Weiteren haben Entscheidungen der Ersten Welle einen einzigartigen amerikanischen Anspruch für ATS-Klagen entwickelt, nach dem amerikanisches Recht die Anspruchsgrundlage, die Höhe des Schadensersatzes, die Verjährungsfrist sowie die Zulässigkeit kollektiven Vorgehens bestimmte. Die wohl wichtigste Entwicklung der Ersten Welle lag darin, den dogmatischen Grundstein für ein amerikanisches Forum mit weltweiter Gerichtsbarkeit für Menschenrechtsverletzungen zu bilden. Dies haben Entscheidungen der Ersten Welle durch die Verknüpfung von ATS-Ansprüchen an das völkerstrafrechtliche Weltrechtsprinzip zustandegebracht. Unter Berufung auf das Weltrechtsprinzip wurde
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nicht nur ein weltweiter Anwendungsbereich für ATS-Tatbestände festgelegt, sondern die Gerichte koppelten die ATS-Klagen darüber hinaus von jeder Voraussetzung eines Inlandsbezugs ab. Kapitel 2: Unocal und die Zweite Welle
Kapitel 2 widmet sich der sog. „Zweiten Welle“ von ATS-Klagen. In der Zweiten Welle richteten sich ATS-Klagen hauptsächlich gegen namhafte, international tätige Unternehmen. Hier kam die eben beschriebene Strategie von Menschenrechtsorganisationen, Unternehmen stellvertretend für ausländische Regimen nach dem ATS zu verklagen, zur vollen Blüte. Kapitel 2 A. schildert zunächst die Rechtsprechung der Zweiten Welle. Detailliert werden die „Auslöser“-Entscheidung der Zweiten Welle dargestellt: einerseits die sog. „Holocaust Cases“ gegen die europäische Industrie und andererseits die Entscheidung des Ninth Circuit in Doe v. Unocal Corp., die von vielen als Meilensteinentscheidung für die Zweite Welle angesehen wird. Danach wird die Rechtsprechung der Zweiten Welle anhand unterschiedlicher Themenbereiche zusammengefasst dargelegt. Hierin werden u. a. zunächst die großen Klagen gegen die „extractive industry“ (Rohstoffindustrie), aber auch Klagen zur Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten, Klagen von Zwangs- und Kinderarbeitern, Verfahren gegen Terrorfinanziers, Klagen gegen Technologiekonzerne wegen Mitarbeit mit Überwachungsstaaten sowie die berühmt-berüchtigten „historical justice“-Klagen von Apartheid-Opfern und Kolonialkrieg-Nachfahren geschildert. Das Hauptaugenmerk liegt bei Kapitel 2 B. bei der Darstellung der dogmatischen Entwicklungen der Zweiten Welle von ihren Anfängen nach Karadzic bis zu dem Punkt, an dem sie ein weltweit zuständiges amerikanisches Forum für die Inanspruchnahme internationaler Konzerne im Namen der Menschenrechte ergeben hatten und von dort durch eine Einschränkungsphase bis zur Kiobel-Entscheidung des Supreme Court von 2013. Die Zweite Welle fing mit einer Expansionsphase an, in der zunächst die Aufnahme der Rechtsprechung der Ersten Welle eine neue Art Massenklage gegen internationale Unternehmen ohne zeitliche oder räumliche Grenzen ermöglicht hat. Dank der bisherigen Rechtsprechung konnten Gerichte ständig neue einklagbare „Völkerrechtsverletzungen“ im Sinne des ATS aufgrund internationaler Abkommen anerkennen, einen weltweiten Anwendungsbereich für ATS-Tatbestände bejahen und die Verjährung weit in der Vergangenheit liegender Rechtsverletzungen nach Billigkeitserwägungen aufheben. Gleichzeitig griffen sie dabei auf Entscheidungen der ersten Welle zurück, um durch Anführung des Weltrechtsprinzips die Zulässigkeit von rein ausländischen ATS-Klagen ohne jedweden Bezug zu den USA zu bestätigen und ATS-Klagen als class actions mit tausenden Anspruchsinhabern zuzulassen. Damit wurde das Standardverfahren der Zweiten Welle zur Massenklage gegen international tätige Unternehmen, das die Tätigkeiten des Konzerns in einem anderen Land thematisierte und keinen Bezug zu den USA aufwarf.
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Den Grundsätzen der Ersten Welle steuerten frühe Entscheidungen der Zweiten Welle weitere eigene rechtliche Expansionen hinzu, die ab Kapitel 3 B. II. dargestellt werden. Die Haftung von Kapitalgesellschaften nach dem ATS wurde bestätigt. Dazu haben Gerichte das Konzept der Beihilfe aus dem Völkerstrafrecht abgeleitet und in ATS-Klagen angewandt, um die Haftungssphäre internationaler Konzerne auf Handlungen aller Dritter zu erstrecken, die die Begehung von Menschenrechtsverletzungen durch die Wirtschaftstätigkeiten eines verklagten Konzerns erleichtert gefunden hatten. Des Weiteren entwickelten Gerichte Durchgriffsprinzipien sowohl im haftungsrechtlichen als auch im verfahrensrechtlichen Kontext, um einer ausländischen Muttergesellschaft einerseits die Haftung der Tochter im Tatortland und andererseits der allgemeine Gerichtsstand der amerikanischen Tochter zuzurechnen. Auch wurde die forum non conveniens-Doktrin, die traditionell gegen die Verhandlung von Klagen ohne ersichtlichen amerikanischen Bezug trotz gegebener Zuständigkeit schützt, in ATS-Klagen scheinbar von den Gerichten abgeschafft. Wegen dieser Entwicklungen bestand das Risiko eines amerikanischen Massenverfahrens nunmehr weltweit und erfasste jede Wirtschaftstätigkeit internationaler Konzerne. Das stets zuständige amerikanische Forum mit weltweiter Gerichtsbarkeit für Menschenrechtsverletzungen war auf der Grundlage des ATS errichtet worden. Diese Rechtslage löste Widerstand aus der Wirtschaft sowie den Protest anderer Länder aus, die zu einem ersten Eingreifen des Supreme Court in Sosa v. AlvarezMachain führten, was im Kapitel 3 B. III. dargelegt wird. Allerdings hat in Sosa der Supreme Court der bisherigen expandierenden Rechtslage seinen Segen erteilt. Aufgrund von Sosa schritt die Expansion der Zweiten Welle ununterbrochen fort. Dennoch nahmen Proteste aus anderen Ländern und führenden Wirtschaftsverbänden stets zu und ab 2009 fingen die Circuit Courts an, den Interessen anderer Souveräne und internationaler Konzerne Rechnung zu tragen, indem sie ATS-Klagen einschränkten. Diese Einschränkungen werden ab Kapitel 3 B. V. dargestellt. Im Second Circuit wurden die Haftungsvoraussetzungen für Beihilfe angehoben. Der Ninth Circuit erforderte die Erschöpfung des ausländischen Rechtswegs in geeigneten Fällen. Der Eleventh Circuit setzte für die Zulassung von ATS-Klagen substantiiertes Darlegen voraus. Das Trennungsprinzip wurde bestärkt und die Möglichkeit, der allgemeine Gerichtsstand einer amerikanischen Tochtergesellschaft an ihre ausländische Mutter zuzurechnen, wurde streng eingeschränkt. In mehreren Circuits kehrte die Doktrin des forum non conveniens zurück, um die Abgabe von ATS-Klagen an geeignetere ausländische Foren zu ermöglichen. Diese Entwicklungen schränkten die Weltgerichtsbarkeit der amerikanischen Gerichte nach dem ATS allmählich ein, bis im Jahr 2010 in Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. der Second Circuit die Haftung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen vollständig verneinte und damit die gesamte Zweite Welle in Frage stellte. Kiobel wurde vom Supreme Court zur Revision angenommen und 2013 entschieden. Kapitel 3 B. VI. widmet sich einer Darlegung der Kiobel-Entscheidung sowie einer Auswertung seiner Auswirkungen auf die nachfolgende ATS-Recht-
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sprechung. Das Ergebnis von Kiobel war eine höchstrichterliche Anerkennung der vorrangigen souveränen Interessen anderer Länder an der Regelung und Verhandlung von Menschenrechtsklagen ohne Bezug zu den USA. Diese Anerkennung kam in einer vom Supreme Court festgelegten Zulassungsvoraussetzung für künftige ATS-Klagen zum Ausdruck, wonach die darin geltend gemachten Ansprüche die USA „berühren“ müssten. Die Rechtsprechung setzt sich nun mit dieser Vorgabe auseinander, kommt jedoch wegen ihrer Unklarheit zu widersprüchlichen Ergebnissen. Diese Rechtsprechung wird dargelegt und mit prognostizierendem Blick unter Berücksichtigung der noch gültigen Grundsätze des ATS-Rechts ausgewertet. Kapitel 3: Die Dritte Welle
Kapitel 3 befasst sich mit der „Dritten Welle“ von ATS-Klagen. Die Dritte Welle richtete sich sowohl gegen natürliche als auch juristische Personen und unterschied sich von den Ersten und Zweiten Wellen durch ihren Gegenstand: den amerikanischen Krieg gegen den Terrorismus nach dem 11. September 2001. Im Rahmen der Dritten Welle wurden ATS-Klagen zunächst gegen Minister und Angestellte der Vereinigten Staaten wegen angeblicher Anordnung von Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan, dem Irak und in Guantanamo erhoben. Ab 2006 dehnte sich die Dritte Welle auf die privaten Sicherheitsfirmen aus, die als Vertragsnehmer des Militärs und der Geheimdienste im Irak und in Afghanistan tätig waren. Angesichts der Verlegung des Schwerpunkts dieser Arbeit auf die Interessen internationaler und insbesondere deutscher Unternehmen, wird die Dritte Welle nur anhand ihrer wesentlichen Entscheidungen dargestellt. Kapitel 3 C. schildert die Rechtsprechung der Dritten Welle, die sich anfänglich gegen amerikanische Hoheitsträger richtete, nach vielerlei Zurückweisungen durch die Gerichte aber schließlich gegen private Sicherheitsfirmen. Hierbei werden die Auswirkungen der Kiobel-Entscheidung des Supreme Court von 2013 auf die Dritte Welle anhand jüngerer Entscheidungen der unteren Gerichte analysiert und daraus Schlüsse auf die Bedeutung dieser Rechtsprechung für künftige ATS-Rechtsrisiken im Allgemeinen gezogen. Kapitel 4: Das ATS und deutsche Interessen
Das letzte Kapitel dieser Arbeit widmet sich dem Zwiespalt zwischen dem Recht des ATS und deutschen Interessen. Deutsche Konzerne zählten zu den ersten ATSBeklagten der Zweiten Welle und waren für signifikante Entscheidungen der ATSJurisprudenz verantwortlich. Diese Entscheidungen haben wiederum eine Rechtslage geschaffen, die als langfristige Drohung deutscher Wirtschaftsinteressen aufgefasst wurde, weil sie amerikanischen Klägern die Mittel in die Hand gab, durch die Einleitung von ATS-Klagen internationale Rechtssicherheit einseitig aufzuheben. Auf diese Rechtslage haben sowohl die Bundesregierung als auch führende Wirtschaftsverbände immer energischer reagiert. Kapitel 4 B. enthält eine umfassende Darstellung sämtlicher ATS-Verfahren, die gegen international tätige deutsche Unternehmen erhoben wurden, mitsamt einer
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Wertung der Signifikanz der Rechtsprechung, die aus diesen Verfahren hervorging. Deutsche Unternehmen wurden hauptsächlich im Rahmen von vier ATS-Verfahren durch die US-Gerichte sukzessiv in Anspruch genommen: (1) Die Sammelklagen ehemaliger Zwangsarbeiter gegen die deutsche Industrie, (2) die Völkermordklage des namibischen Herero-Stammes, (3) die Apartheid-Klagen und (4) die Klage argentinischer Angehöriger gegen Daimler in Bauman v. DaimlerChrysler. Jedes dieser Verfahren zog eine Erweiterung des Rechts des ATS nach sich, die zur Errichtung eines stets zuständigen amerikanischen Forums mit weltweiter Gerichtsbarkeit für die Verhandlung von Menschenrechtsverletzungen beitrug. Sowohl Sachverhalt als auch (amerikanische und deutsche) Gerichtsentscheidungen in den jeweiligen Verfahren werden umfassend dargelegt. Hinzu kommen etwaige Stellungnahmen der Bundesregierung und deutscher Wirtschaftsverbände zu den dogmatischen Entwicklungen in diesen Verfahren sowie kritische Würdigungen derselben. Kapitel 4 C. setzt sich mit der besonderen Schwere des Rechtsrisikos auseinander, das das entstandene Recht zum ATS für die deutsche Wirtschaft darstellte, und schildert die Reaktion der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft auf dieses Risiko. Zahlreiche Aspekte amerikanischer Verfahren gewähren dem Kläger einen Vorteil, der es ihm ermöglicht, dem Beklagten nicht erstattungsfähige Kosten in Millionenhöhe sowie nicht wiedergutzumachende Rufschädigung androhen zu können, um ihm einen Vergleich abzunötigen. Damit greift das Schädigungspotenzial einer ATS-Klage bereits bei Klageerhebung ein und besteht unabhängig von der Begründetheit oder den Erfolgsaussichten der Klage, was zur Folge hat, dass ATS-Klagen bereits bei ihrer Einleitung Rechtssicherheit angreifen. Die Entwicklungen im Recht des ATS haben dieses Prozess- bzw. Aufhebungsrisiko auf sämtliche Wirtschaftstätigkeiten rund um die Welt erstreckt. Für deutsche Interessen war dies von wesentlicher Bedeutung, weil die deutsche Wirtschaft im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften in erhöhtem Maße international ausgerichtet und deswegen auf die Aufrechterhaltung internationaler Rechtssicherheit besonders angewiesen ist. Gleichzeitig sind deutsche Unternehmen wegen ihrer internationalen Präsenz, ihres langfristigen Bestehens sowie ihrer Betätigung in industriellen Sektoren als ATS-Beklagte besonders gefährdet. Sowohl die deutsche Politik und Wirtschaft erkannten die strukturelle Gefahr, die in diesem Umstand lag, und protestierten in der Vorbereitung auf die Kiobel-Entscheidung des Supreme Court von 2013 gegen die aktuelle ATS-Rechtslage. Ihre rechtlichen Argumente werden detailliert dargelegt und ausgewertet. Diese Argumente sind zwar nur bedingt vom Supreme Court in die Kiobel-Entscheidung übernommen, aber jedenfalls im Ergebnis gewürdigt worden. Als Letztes wird in Kapitel 4 D. der Möglichkeit einer Menschenrechtsklage gegen deutsche Unternehmen nach ATS-Muster vor deutschen Gerichten nachgegangen. Die Vorstellung einer deutschen Menschenrechtsklage fußt auf der Behauptung der Bundesregierung in einer beim Supreme Court eingereichten Stellungnahme, dass ATS-Klagen gegen deutsche Unternehmen nicht nötig sind, weil deutsche Gerichte für die Abhilfe von Menschenrechtsverletzungen zur Verfügung
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stünden. Zuerst wird die materiell-rechtliche Basis einer Menschenrechtsklage vor deutschen Gerichten erörtert. Dabei wird festgestellt, dass ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne unter Anwendung des Deliktsstatuts des Tatortlands prinzipiell möglich sind, aber Klagen wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen sowie Haftungsdurchgriffe auf das Vermögen deutscher Mutterkonzerne ausgeschlossen sind, was die Zulässigkeit einer Menschenrechtsklage gegen einen deutschen Konzern weitgehend ausschließt. Zweitens werden verfahrensrechtliche Hürden für deutsche Menschenrechtsklagen analysiert. In erster Linie wird die deutsche Prozesskostenregelung nicht nur die Einleitung einer Klage für die meisten ausländischen Menschenrechtsopfer unerschwinglich machen, sondern auch durch Androhung des Kostenrisikos eine abschreckende Wirkung entfalten. Des Weiteren kommt eine Möglichkeit des kollektiven Vorgehens nach dem Vorbild der amerikanischen class action grundsätzlich nicht in Betracht; nur wenn grundliegende Fragen über die Zulässigkeit der gebündelten Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen durch Interessengemeinschaften aufgeklärt werden, kann kollektiver Rechtsschutz relevant werden. Als Ergebnis wird festgehalten, dass Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten zwar möglich, aber wegen erheblicher Risiken höchst unwahrscheinlich sind.
Kapitel 1
Filartíga und die Erste Welle A. Einleitung Das ATS hat seine Berühmtheit hauptsächlich durch großangelegte Sammelklagen gegen namhafte internationale Unternehmen erlangt. Dies war jedoch eine spätere Entwicklung der ATS-Jurisprudenz, die erst Ende der 1990er Jahre in Erscheinung trat. Bereits 20 Jahre zuvor, im Jahr 1980, trat jedoch die Möglichkeit der ATS-Klage durch die Entscheidung des Second Circuit in Filartíga v. Pena-Irala in Erscheinung. Die ATS-Klagen, die in den unmittelbar folgenden Jahren unter Berufung auf Filartíga folgten, richteten sich nicht gegen Konzerne, sondern gegen natürliche Personen, meistens gegen ehemalige Hoheitsträger, die ihre Macht angeblich missbraucht hatten, um ihrer Gewalt unterstehende Personen zu foltern, einzusperren oder zu töten. Diese anfängliche Strömung der Rechtsprechung wird in dieser Arbeit wie in der weiteren ATS-Literatur als die „Erste Welle“ der ATS-Rechtsprechung bezeichnet. Sie spielt eine grundlegende aber oft übersehene Rolle in der dogmatischen Entwicklung des ATS. Die Rechtsprechung zu dieser Ersten Welle lieferte die rechtlichen Grundlagen für die späteren, viel berühmteren ATS-Klagen gegen internationale Unternehmen (die sog. „Zweite Welle“ der ATS-Rechtsprechung). Die in der Ersten Welle festgelegten Rechtsgrundsätze verkörperten wiederum eine expansive rechtspolitische Auffassung der Rolle der Vereinigten Staaten in der Gewährleistung internationaler Menschenrechte, die bis etwa in das Jahr 2010 in ATS-Klagen gegen multinationale Konzerne niederschlug. In diesem Kapitel werden die wichtigsten Entscheidungen sowie die dogmatischen Entwicklungen der Ersten Welle dargelegt. Ziel ist eine systematische Darlegung der Rechtslage zum ATS, die zwischen 1980 und dem Ende der 1990er Jahren festgelegt worden ist und die Ausgangslage für die Klagen der Zweiten Welle gebildet hat. Zunächst wird der Kontext des ATS als Mittel der sog. human rights litigation erläutert und ATS-Rechtsprechung bis 1980 kurz geschildert. Zweitens wird die Entscheidung des Second Circuit in Filartíga v. Pena-Irala, aus der die gesamte ATSRechtsprechung hervorgeht, umfassend dargelegt. Drittens wird die Rechtsprechung der Ersten Welle, die auf Filartíga folgte, kurz zusammengefasst. Viertens werden die dogmatischen Entwicklungen der Ersten Welle, die zum Recht des ATS wurden,
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
systematisch geschildert, wobei die rechtspolitischen Interessen, die die Rechtsprechung der Ersten Welle animiert haben, mit berücksichtigt werden.
B. Rechtsprechung I. Rechtsprechung bis 1980 1. Hintergrund: ATS-Klagen als Spezies der Human Rights Litigation Zivilklagen aufgrund des ATS sind die späteste und wohl erfolgreichste Verkörperung eines allgemeineren Bestrebens, die in der Literatur mit dem Namen „transnational public law litigation“ bezeichnet und in Bezug auf Menschenrechte als „human rights litigation“ bezeichnet wird1. Human rights litigation nimmt die Form eines privatrechtlichen Streits an, um internationale Menschenrechte zu gewährleisten. Ihr Ziel liegt darin, internationale Rechtsgüter durch Inanspruchnahme nationaler Rechtsbehelfe zur Geltung zu verhelfen: Die gerichtliche Anerkennung der Gültigkeit einer Völkerrechtsnorm im Rahmen eines privatrechtlichen Verfahrens sollte zur Basis einer größeren politischen Umgestaltung der Verhältnisse zwischen Regierungen und Regierten mit möglichst transnationaler Wirkung werden. Die Literatur beschreibt die Nürnberger (und Tokioter) Kriegsverbrecherprozesse sowie die Fülle von internationalen Menschenrechtsabkommen, die auf diese Prozesse folgten, als den Anfang der human rights litigation. Die Nürnberger Prozesse hätten gezeigt, dass sich die traditionellen streitigen Verfahren nationaler Gerichte dazu eigneten, internationale Normen durchzusetzen2. Des Weiteren sei in Nürnberg mit Zustimmung der Staatengemeinschaft eindeutig bejaht worden, dass nicht nur Staaten, sondern auch Individuen Völkerrechtssubjekte seien, die nunmehr von völkerrechtlichen Normen unmittelbar berechtigt und verpflichtet würden3. Die Menschenrechtsabkommen, die ab 1945 geschlossen wurden, seien von der in Nürnberg festgelegten Völkerrechtssubjektivität des Einzelnen ausgegangen und hätten die völkerrechtlichen Rechte und Pflichten von Individuen eingehend kodifiziert4. In den USA hat die human rights litigation auf Initiative der Bürgerrechtsbewegung kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Anfang genommen. 1947 haben mehrere Bürgerrechtsorganisationen Zivilklagen vor unterschiedlichen amerikanischen Gerichten mit dem Vorwurf erhoben, dass die Rassentrennung bei Bildung, 1 2 3 4
Siehe Harald Koh, Transnational Public Law Litigation, 100 Yale L. J. 2347 (1991). Koh, Transnational Public Law Litigation, S. 2358. Koh, Transnational Public Law Litigation, S. 2358. Koh, Transnational Public Law Litigation, S. 2358.
B. Rechtsprechung
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öffentlichem Verkehr und Arbeitsverteilung gegen die Charta der Vereinten Nationen und die Erklärung der Menschenrechte verstoße5. Sie ersuchten die gerichtliche Aufhebung der bestehenden Verhältnisse zur Realisierung der in diesen Dokumenten als universell erklärten Grundrechte. Diese Klagen beunruhigten die amerikanischen Gerichte. Aus ihrer Sicht hätte die Anerkennung einer unmittelbaren Bindungswirkung dieser Dokumente die Rechtssetzungsgewalt des Bundes und der Bundesstaaten ausgehebelt und an internationale Organisationen abgegeben6. Gegen solche Klagen wurde eine Differenzierung zwischen selbstexekutierenden („self-executing“) und nicht selbstexekutierenden („non-self-executing“) Staatsverträgen aufgestellt: Während ein selbstexekutierender Staatsvertrag eine unmittelbare Bindungswirkung entfaltet, verpflichtet ein nicht selbstexekutierender Staatsvertrag lediglich die Regierungen der Vertragsparteien zur Umsetzung der Vertragsbestimmungen in nationales Recht; bis die Umsetzung erfolgt ist, kann der Einzelne keine unmittelbaren Rechte aus dem Vertrag ableiten7. Diese Differenzierung stammte aus dem Jahr 18298 und war vor 1947 nur selten wieder aufgetaucht9, jedoch wurden Menschenrechtserklärungen und -abkommen fast ausnahmslos als nicht selbstexekutierende Verträge von den Gerichten eingestuft, um ihre gerichtliche Durchsetzung zu verhindern10. Ergebnis dieser Rechtsprechung war, dass Staatsverträge von den Gerichten als grundsätzlich nicht selbstexekutierend angesehen wurden und eine unmittelbare Bindungswirkung nur ausnahmsweise anerkannt wurde11.
5 Lockwood, The United Nations Charter and United States Civil Rights Litigation: 1946 – 1955, 69 Iowa L. Rev. 901 (1984). Im Jahre 1947 existierte im Süden der USA immer noch die gesetzlich festgelegte Rassentrennung aufgrund von sog. „Jim Crow“-Gesetzen. 6 Koh, Transnational Public Law Litigation, S. 2360. 7 Siehe Restatement (Third) of the Foreign Relations Law of the United States § 907 (1987). 8 Die Doktrin des nicht selbstexekutierenden Staatsvertrags kam zum ersten Mal in der Entscheidung des Supreme Court in Foster & Elam v. Nielson, 27 U.S. (2 Pet.) 253 (1829) zum Vorschein. 9 Vgl. Jordan Paust, Self-Executing Treaties, 82 A.J.I.L. 760, 761 ff. (1988). 10 Vgl. u. a. Huynh Thi Anh v. Levi, 586 F.2d 625, 629 (6th Cir. 1978) (Einstufung der Genfer Konventionen und der Erklärung der Menschenrechte als nicht selbstexekutierend); In re Alien Children Educ. Litig., 501 F. Supp. 544, 590 (S.D. Tex. 1980), aff’d on other grounds sub nom. Plyler v. Doe, 457 U.S. 202 (1982) (Einstufung der Charta der Organisation amerikanischer Staaten als nicht selbstexekuutierend); Camacho v. Rogers, 199 F. Supp. 155, 158 (S.D.N.Y. 1961) (Einstufung der Charta der Vereinten Nationen als nicht selbstexekutierend); Pauling v. McElroy, 278 F.2d 252 (D.C. Cir. 1960) (Einstufung der Charta der Vereinten Nationen als nicht selbstexekutierend). Selbst wo die Gerichte eine Bindungswirkung anerkannt haben, haben sie trotzdem verneint, dass aus dem Vertrag eine Klageberechtigung für Privatpersonen („standing“ oder „cause of action“) hervorging, siehe z. B. Diggs v. Schultz, 470 F.2d 461 (D.C. Cir. 1972). 11 Dieser Grundsatz ist nun im Restatement (Third) Foreign Relations § 902 cmt. a anerkannt worden: „[I]nternational agreements, even those directly benefitting persons, generally do not create private rights or provide for a private cause of action in domestic courts“.
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
Angesichts dieser ablehnenden Haltung im Inland zur Kritik an den damaligen Verhältnissen blickten Menschenrechtsorganisationen ins Ausland. Diese human rights-Klagen zielten darauf ab, das Verhalten fremder Souveräne als menschenrechtswidrig aburteilen zu lassen und auf diese Weise eine gerichtliche Anerkennung der unmittelbaren Bindungswirkung internationaler Normen zu erstreiten. Aber auch gegen diesen Versuch haben sich die Gerichte durch Aufstellung der sog. „act of state“-Doktrin gewendet. In Banco Nacional de Cuba v. Sabbatino klagte ein amerikanischer Angehöriger im Jahre 1964 gegen die kubanische Staatsbank und legte ihr zur Last, durch die Enteignung ihm zustehender Forderungen gegen das Völkergewohnheitsrecht verstoßen zu haben12. Der Supreme Court legte jedoch als Regel fest, dass es den Gerichten nicht zustehe, über Hoheitsakte fremder Souveräne auf deren eigenem Hoheitsgebiet zu urteilen13. Ansonsten würden die Gerichte in die Außenpolitik der USA, die nach der verfassungsrechtlichen Gewaltenteilung ausschließlich dem Präsidenten obliege, ungebührlich eingreifen14. Unter Berufung auf diese Doktrin haben Gerichte Klagen aus anderen Ländern (insbesondere aus Vietnam), die Verletzungen internationaler Menschenrechte geltend machten, als nicht justiziable Hoheitsakte abgewiesen15. In den späten 1970er Jahre traten jedoch zwei Veränderungen ein, die den Weg für internationale human rights litigation vor amerikanischen Gerichten einebneten. Zuerst kam ab 1971 eine Strömung von „domestic human rights litigation“ in die amerikanische Rechtsprechung16. Der Supreme Court erkannte 1971 in Bivens v. Six Unknown Federal Agents an, dass Einzelne unmittelbare Rechte und Pflichten aus der Verfassung ableiten und diese Rechte durch Zivilklagen gerichtlich durchsetzen können17. Ergebnis dieser Entscheidung war eine Welle von Schadensersatzklagen gegen amerikanische Amtspersonen zur Geltendmachung verfassungsrechtlicher Grundrechte, die nach ihrem Inhalt und Zweck mit internationalen Menschenrechten vergleichbar waren und zur Ansicht beitrugen, dass Verfahren vor US-Gerichte dazu geeignet waren, politische Verhältnisse grundrechtsgerecht umzugestalten18. Zweitens nahm in den späten 1970er Jahren die Zahl internationaler Zivilverfahren gegen Staaten rasant zu. Immer mehr Staaten wurden wirtschaftlich tätig, was zur Folge hatte, dass die USA nicht nur eine restriktive Theorie hoheitlicher Immunität ko12
Banco Nacional de Cuba v. Sabbatino, 376 U.S. 398 (1964). Sabbatino, 376 U.S. at 428: „The Judicial Branch will not examine the validity of a taking of property within its own territory by a foreign sovereign government, extant and recognized by this country at the time of suit, in the absence of a treaty or other unambiguous agreement regarding controlling legal principles, even if the complaint alleges that the taking violates customary international law“. 14 Sabbatino, 376 U.S. at 428 ff. 15 Siehe hierzu Harald Koh, Civil Remedies for Uncivil Wrongs: Combatting Terrorism Through Transnational Public Law Litigation, 22 Tex. Int’l L. J. 169 (1987). 16 Koh, Transational Public Law Litigation, S. 2365. 17 Bivens v. Six Unknown Federal Agents, 403 U.S. 388 (1971). 18 Koh, Transnational Public Law Litigation, S. 2365. 13
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difizierten19, sondern auch, dass US-Gerichte viele Handlungen von Staaten, die in den 1960ern als nicht beurteilbare Hoheitsakte abgewiesen worden wären, als Gegenstände von Schadensersatzansprüchen zuließen. Aus diesen Klagen wuchs die Überzeugung, dass die Gerichte klare Rechtsbrüche ausländischer Souveräne aburteilen konnten, ohne die Außenpolitik der USA ungebührlich zu tangieren, auch wenn der Rechtsbruch keine privatrechtliche Vertragsverletzung, sondern eine Verletzung des internationalen Menschenrechts war20. Aus diesen Entwicklungen ging die allgemeine Auffassung hervor, dass die traditionellen streitigen Verfahren amerikanischer Gerichte geeignet waren, internationale Menschenrechtsnormen durchzusetzen. Für die Zulässigkeit von Menschenrechtsklagen vor amerikanischen Gerichten fehlte nur eine rechtliche Grundlage, die individuellen Klägern die Ableitung unmittelbarer Rechte und Pflichten aus internationalen Normen ermöglichte. Denn die Doktrin nicht selbstexekutierender Staatsverträge hatte festgelegt, dass eine Ableitung unmittelbar bindender und damit einklagbarer Normen aus Staatsverträgen grundsätzlich ausgeschlossen war. Weitere Fälle der 1970er Jahre legten ferner fest, dass Einzelne in aller Regel keine unmittelbaren Rechte aus dem Völkergewohnheitsrecht ableiten konnten, weil nationale Gesetzgebung und Rechtsprechung vorrangig gegenüber dem Völkergewohnheitsrecht waren21. Das ATS sollte die Rolle eines Umsetzungsgesetzes für völkergewohnheitsrechtliche Normen übernehmen und damit die Ableitung unmittelbar bindender bzw. einklagbarer Rechtsansprüche aus dem Völkergewohnheitsrecht ermöglichen. 2. ATS-Rechtsprechung von 1789 bis 1980 Die aktuelle ATS-Rechtsprechung basiert keineswegs auf einer langen Tradition der Jurisprudenz. Vor 1980 tauchte das ATS kaum in der Rechtsprechung auf. Im Zeitraum zwischen 1789 und 1980 finden sich etwa 20 Fälle, in denen das ATS zur Klagebegründung angeführt oder im Urteil erwähnt wurde22. Die ersten drei ATS19 Die „restriktive Theorie“ hoheitlicher Immunität gewährt nur den wahren Hoheitsakten eines fremden Staates Immunität vor gerichtlicher Inanspruchnahme, während sein erwerbswirtschaftliches Handeln („commercial activities“) der ordinären Gerichtsbarkeit unterliegen. Sie wurde im Foreign Sovereign Immunities Act von 1976 kodifiziert, 28 U.S.C. §§ 1330, 1601 ff. 20 Koh, Transnational Public Law Litigation, S. 2365: „The persistent question arose, ,if contracts, why not torture‘? If American courts could subject the commercial conduct of foreign sovereigns to legal scrutiny without offending comity, why should comity immunize that same sovereign from judicial examination of its egregious public conduct“? 21 Vgl. Huynh Thi Anh v. Levi, 586 F.2d 625 (6th Cir. 1978); Nguyen Da Yen v. Kissinger, 528 F.2d 1194 (9th Cir. 1975). 22 Siehe (1) Moxon v. The Fanny, 5317 F. Cas. 942 (D.C. Pa. 1793); (2) Jansen v. The Brigantine Vrow Christina Magdalena (D.S.C. 1794), aff’d by Talbot v. Jansen, 3. U.S. 133 (1795); (3) Bolchos v. Darrell, 3 F. Cas. 810 (D.S.C. 1795); (4) O’Reilly De Camara v. Brooke, 209 U.S. 45 (1908); (5) Pauling v. McElroy, 164 F. Supp. 390 (D.D.C. 1958); Khedivial Line,
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Fälle erschienen zwischen 1793 und 179523, dann ruhte das ATS bis 190824. Danach vergingen weitere 50 Jahre, ehe die nächste ATS-Klage erhoben wurde25. In den 20 ATS-Klagen zwischen 1789 und 1980 hatte der Kläger nur in drei Fällen Erfolg: – Bolchos v. Darrel (1795) war eine Auseinandersetzung über Eigentum an Sklaven, die sich an Bord eines gekaperten Feindschiffes befanden26. Da das Kaperrecht als Unterbereich des Völkerrechts angesehen27 und überdies zum Teil in einem anwendbaren Staatsvertrag geregelt wurde, befand das Gericht, dass ein unerlaubter Verkauf der gekaperten Sklaven ein „tort … committed in violation of the law of nations or a treaty of the United States“ darstellen konnte28.
S. A. E. v. Seafarers’ Union, 278 F.2d 49 (2 Cir. 1960); (6) Madison Shipping Corp. v. National Maritime Union, 282 F.2d 377 (3rd Cir. 1960); (7) Adra v. Clift, 195 F. Supp. 857 (D. Md. 1961); Lopes v. Reederei Richard Schroder, 225 F. Supp. 292 (E.D.Pa.1963); (8) Upper Lakes Shipping Ltd. v. International Longshoremen’s Ass’n, 33 F.R.D. 348 (S.D.N.Y. 1963); (9) Seth v. British Overseas Airways Corp., 329 F.2d 302 (1st Cir. 1964); (10) Damaskinos v. Societa Navigacion Interamericana, S.A., Pan., 255 F.Supp. 919 (S.D.N.Y. 1966); (11) Valanga v. Metropolitan Life Ins. Co., 259 F. Supp. 324 (E.D.Pa. 1966); (12) Abiodun v. Martin Oil Serv., Inc., 475 F.2d 142 (7th Cir. 1973); (13) IIT v. Vencap, Ltd., 519 F.2d 1001 (2d Cir. 1975); (14) Nguyen Da Yen v. Kissinger, 528 F.2d 1194 (9th Cir. 1975); (15) Dreyfus v. von Finck, 534 F.2d 24 (2d Cir. 1976); (16) Fund of Funds, Ltd. v. Vesco, No. 74-civ-1980, 1976 WL 800 (S.D.N.Y. 1976); (17) Papageorgiou v. Lloyds of London, 436 F. Supp. 701 (E.D. Pa. 1977); (18) Benjamins v. British European Airways, 572 F.2d 913 (2d Cir. 1978); (19) Huynh Thi Anh v. Levi, 586 F. 2d 625 (6th Cir. 1978). 23 Moxon v. The Fanny, 1 F. Cas. 942 (D.C. Pa. 1793); Jansen v. The Brigantine Vrow Christina Magdalena (D.S.C. 1794), aff’d by Talbot v. Jansen, 3. U.S. 133 (1795); Bolchos v. Darrell, 3 F. Cas. 810 (D.S.C. 1795). 24 O’Reilly De Camara v. Brooke, 209 U.S. 45 (1908). 25 Pauling v. McElroy, 164 F. Supp. 390 (D.D.C. 1958). 26 Siehe Bolchos v. Darrell, 3 F. Cas. 810 (D.S.C. 1795). Ein französischer Schiffskapitän hatte im Rahmen der Revolutionskreige ein spanisches Schiff gekapert, auf dem mehrere einem Briten verpfändete Sklaven befanden. Nachdem er das Schiff in den Hafen von Charleston, South Carolina gefahren hatte, ließ ein Vertreter des britischen Pfandrechtsinhabers die Sklaven beschlagnahmen und verkaufen. Der Kapitän verklagte den Vertreter auf Herausgabe des Erlöses und behauptete, dass ihm die Sklaven aufgrund Kaperrechtsprinzipien und der Bestimmungen des US-französischen Freundschaftsvertrages zustanden. Der Klage wurde stattgegeben, obwohl das Gericht nicht klarstellte, ob es die Klage nach dem ATS oder im Rahmen seiner Seerechtsgerichtsbarkeit zuließ. 27 Vgl. hierzu z. B. The Paquete Habana, 175 U.S. 677, 678 (1900) („[P]rize courts[] administe[r] the law of nations [and] are [thus] bound to take judicial notice of, and to give effect to, [the customary law of nations]“). 28 „Besides, as the 9th section of the judiciary act of congress [d. h. das ATS] gives this court concurrent jurisdiction with the state courts and circuit court of the United States where an alien sues for a tort, in violation of the law of nations, or a treaty of the United States, I dismiss all doubt upon this point“. Bolchos, 3 F. Cas. at 810.
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– Adra v. Clift (1961) fußte auf einem Sorgerechtsstreit zwischen zwei Ausländern29. Die Mutter hatte das Kind entgegen dem gerichtlichen Sorgerechtsbeschluss ins Ausland mitgenommen und hierfür den Reisepass des Kindes gefälscht. Das Gericht befand, dass der widerrechtliche Entzug des Sorgerechtes eine einklagbare unerlaubte Handlung und die Fälschung eines Reisepasses einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstelle. Da der Völkerrechtsverstoß eng mit der unerlaubten Handlung zusammenhing, hatte der Kläger nach Meinung des Gerichts ein „tort … committed in violation of the law of nations“ nachgewiesen. – In Nguyen Da Yen v. Kissinger30 (1978) handelte es sich um die Evakuierung von vietnamesischen Kindern durch den U.S. Immigration and Naturalization Service, was als „Operation Babylift“ beschrieben wurde. Als die vietnamesische Armee am Ende des Vietnamkriegs Saigon umzingelte, evakuierten US-Behörden und Adoptionsagenturen tausende vietnamesische Kinder in die USA; hiervon waren ungefähr 2700 Evakuierungen illegal31. Zwar hatten die Kläger ihre Klage nicht nach dem ATS erhoben, aber in einem obiter dictum erwähnte das Gericht, dass die rechtswidrigen Evakuierungen Klagen nach dem ATS begründen könnten32. Alle anderen ATS-Klagen vor 1980 scheiterten. In den meisten Fällen wurden ATS-Klagen abgewiesen, weil kein Verstoß gegen eine erkennbare Völkerrechtsnorm vorlag. Vergeblich versuchte eine Reihe von Klagen, unterschiedliche Regeln des amerikanischen Seerechts als Völkerrechtsnormen darzustellen33 und im Rah29
Siehe Adra v. Clift, 195 F. Supp. 857 (D. Md. 1961). Der libanesische Vater verklagte seine irakische Ex-Frau auf Herausgabe der gemeinsamen 15jährigen Tochter – eine libanesische Bürgerin – die nach einem Beschluss eines libanesischen Gerichts dem gemeinsamen Sorgerecht unterlag. Die Mutter hatte die Tochter in ihren irakischen Pass als irakische Staatsangehörige eintragen lassen, was sie durch falsche Angaben über Namen und Staatsangehörigkeit der Tochter vollbrachte. Mit dem so gefälschten Pass hatte die Mutter das Kind in mehrere Länder mitgenommen, ehe sie sich schließlich in den USA niederließen. 30 Siehe Nguyen Da Yen v. Kissinger, 528 F.2d 1194 (9th Cir. 1975). 31 „During the waning hours of our involvement in Vietnam, as the fall of Saigon grew imminent, various agencies of the United States Government, in concert with private American adoption agencies, participated in an airlift to evacuate children from Vietnam. The airlift was apparently intended to remove only those children who were already in some stage of the requisite procedure for admission to the United States and adoption by American families – i.e., who were adoptable under Vietnamese law, legally in the custody of the American private agencies, and who satisfied the criteria for admission into the United States […].However, it now appears that some of the 2700 children airlifted were brought here improperly“. Nguyen Da Yen, 528 F.2d at 1194 – 95. 32 Nguyen Da Yen, 528 F.2d at 1194 Fn. 13: „28 U.S.C. § 1350, which gives the district court jurisdiction of ,any civil action by an alien for a tort only, committed in violation of the law of nations‘ may be available. The illegal seizure, removal and detention of an alien against his will in a foreign country would appear to be a tort … and it may well be a tort in violation of the ,law of nations‘“. 33 Siehe Khedivial Line, S. A. E. v. Seafarers’ Union, 278 F.2d 49 (2 Cir. 1960); Madison Shipping Corp. v. Nat’l Maritime Union, 282 F.2d 377 (3rd Cir. 1960); Lopes v. Reederei Richard Schroeder, 225 F. Supp. 292 (E.D.Pa.1963); Upper Lakes Shipping Ltd. v. International
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men dieser Klagen erschien der erste deutsche Beklagte in der ATS-Rechtsprechung34. In zwei anderen Fällen wiesen Gerichte die Behauptung zurück, dass internationale Abkommen über Flughafensicherheit ATS-Klagen begründeten35. Erfolglos haben Kläger in weiteren ATS-Klagen argumentiert, dass Diebstahl seit Beginn der Zivilisation in allen Rechtssystemen der Welt anerkannt und rechtswidrige Aneignung deshalb als Verstoß gegen eine völkergewohnheitsrechtliche Norm zu verstehen sei36. Aus einem dieser letzteren Klagen stammt die berühmte Bezeichnung des ATS als „rechtlicher Lohengrin“37. Grundlage dieser ATS-feindlichen Rechtsprechung war ein enges Verständnis des Völkerrechts, das die Anwendbarkeit des ATS nur selten annahm. Nach der klassischen Völkerrechtslehre verstanden US-Gerichte das Völkerrecht als ein ausschließlich auf zwischenstaatliche Beziehungen anwendbares Rechtsgefüge: „[The law of nations] deals primarily with the relationship among nations rather than among individuals“, sie begründe keine Rechte von einzelnen natürlichen Personen38. Da demnach nur Staaten als völkerrechtliche Subjekte in Frage kamen, konnten Individuen grundsätzlich keine Ansprüche aus dem Völkerrecht herleiten – und deswegen keine Ansprüche nach dem ATS einklagen. Beispielhaft für diese Einstellung war Dreyfus v. von Finck, in dem ein ehemaliger deutscher Staatsbürger Longshoremen’s Ass’n, 33 F.R.D. 348 (S.D.N.Y. 1963); Damaskinos v. Societa Navigacion Interamericana, S.A., Pan., 255 F. Supp. 919 (S.D.N.Y. 1966). Strategie hinter dieser Argumentation war vielleicht, dass das Seerecht traditionell als konstituierende Normbereich des Völkergewohnheitsrechts gilt, siehe Abschnitt C. I. 1. dieses Kapitels, unten. 34 Siehe Lopes v. Reederei Richard Schroder, 225 F. Supp. 292 (E.D. Pa. 1963). Ein nichtamerikanischer Seemann (dessen Staatsangehörigkeit nicht vom Gericht erwähnt wurrde) ist auf einem Schiff der Reederei Schröder während der Arbeit hingefallen und hat darauf eine Schadensersatzklage gegen die Reederei nach dem ATS erhoben. Als Völkerrechtsverletzung machte er eine Missachtung der völkerseerechtlichen Pflicht eines Schiffseigners, das Schiff seetüchtig zu halten, geltend. Das Gericht befand jedoch, dass die sog. Seetüchtigkeitsdoktrin („seaworthiness doctrine“) keine Völkerrechtsnorm, sondern eine Erfindung der amerikanischen Gerichte war, und verneinte deshalb, dass die Verletzung des Klägers „in violation of the law of nations“ erfolgt war. 35 Siehe Seth v. British Overseas Airways Corp., 329 F.2d 302 (1st Cir. 1964); Benjamins v. British European Airways, 572 F.2d 913 (2d Cir. 1978). 36 Siehe IIT v. Vencap, Ltd., 519 F.2d 1001 (2d Cir. 1975); Fund of Funds, Ltd. v. Vesco, No. 74-civ-1980, 1976 WL 800 (S.D.N.Y. 1976); Papageorgiou v. Lloyds of London, 436 F. Supp. 701 (E.D.Pa. 1977). Dieses Argument wurde mit folgender berühmter Formulierung zurückgewiesen: „We cannot subscribe to plaintiffs’ view that the Eighth Commandment ,Thou shalt not steal‘ is part of the law of nations. While every civilized nation doubtless has this as a part of its legal system, a violation of the law of nations arises only when there has been ,a violation by one or more individuals of those standards, rules or customs (a) affecting the relationship between states or between an individual and a foreign state, and (b) used by those states for their common good and/or in dealings inter se‘“. IIT v. Vencap, 519 F.2d at 1015. 37 Siehe IIT v. Vencap, 519 F.2d at 1015: „28 U.S.C. § 1350 … confers jurisdiction over ,any civil action by an alien for a tort only, committed in violation of the law of nations or a treaty of the United States‘. This old but little used section is a kind of legal Lohengrin; although it has been with us since the first Judiciary Act, … no one seems to know whence it came“. 38 Dreyfus v. von Finck, 534 F.2d 24, 30 – 31 (2d Cir. 1976).
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jüdischer Abstammung eine ATS-Klage auf die Konfiszierung seines Eigentums durch die Nationalsozialisten stützte39. In den 1990er führten solche Ansprüche zu Vergleichen in Milliardenhöhe gegen Schweizer Banken40, aber 1976 war für das Gericht nur relevant, dass keine Staaten unter den Parteien waren und dass Einzelpersonen keine Völkerrechtssubjekte sein könnten41. Die „Babylift“-Fälle der späten 1970er Jahre ermöglichten den Übergang zur modernen ATS-Rechtsprechung nach Filartíga. In Nguyen Da Yen v. Kissinger hatte der Kläger seine Klage nicht auf das ATS gestützt, aber das Gericht erwähnte trotzdem, dass die rechtswidrigen Evakuierungen vietnamesischer Kinder Verstöße gegen das Völkerrecht darstellen können. Aufgrund dieses Urteils erschien Huynh Thi Anh v. Levi, eine weitere „Babylift“-Klage, die nahe Verwandte der illegal evakuierten Kinder explizit nach dem ATS erhoben42. Obwohl das Gericht die Klage abwies, ließen seine Urteilsgründe ein neues Verständnis des Völkerrechts und damit des ATS erkennen. Das Gericht nahm nicht mehr an, dass private Akteure keine Völkerrechtssubjekte sein konnten. Stattdessen ging es davon aus, dass das ATS USGerichte dazu befähige, Rechtsansprüche zur Durchsetzung menschenrechtlicher Schutznormen anzuerkennen43. Folglich musste das Völkerrecht auch Rechte und Pflichten natürlicher Personen enthalten; um eine ATS-Klage auf diese zu stützen, musste ein Kläger nur das Vorliegen einer anwendbaren Schutznorm des Menschenrechts nachweisen. Problematisch für die Klage war deswegen nicht die Tatsache, dass sie von Privatpersonen erhoben wurde. Das Gericht konnte einfach keine Völkerrechtsnorm finden, die auf das Sorgerecht von nahen Verwandten anwendbar war44. Da das Sorgerecht nicht völkerrechtlich geregelt, sondern dem nationalen Recht überlassen war, musste das Gericht befinden, dass die Evakuierungen vietnamesischer Kinder nicht „in violation of the law of nations“ waren.
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Dreyfus, 534 F.2d at 26 ff. Siehe Kapitel 2, Abschnitt A. II. 1. a). 41 „There is a general consensus [that the law of nations] deals primarily with the relationship among nations rather than among individuals. […] Like a general treaty, the law of nations has been held not to be self-executing so as to vest a plaintiff with individual legal rights“. Dreyfus, 534 F.2d at 30 – 31. 42 Siehe Huynh Thi Anh v. Levi, 586 F. 2d 625 (6th Cir. 1978). Theorie der Kläger war, dass die Evakueirungen vietnamesischer Kinder gegen völkerrechtliche Sorgerechtsprinzipien verstoßen hätten, indem sie die Kinder von ihren nahen Verwandten zugunsten unverwandten Adoptiveltern über Landesgrenzen entfernt hatten. 43 „Assuming arguendo that the wrongful refusal to return a child to the custody of its parent is a ,tort only‘ within the meaning of the [ATS], and that Congress has the constitutional aut20hority under Article III to grant federal courts jurisdiction to create a federal common law of torts for aliens …“ Huynh Thi Anh, 586 F. 2d at 629. 44 „[O]ur research does not disclose in the traditional sources of the ,law of nations‘, or private international law, a universal or generally accepted substantive rule or principle which grants custody of children to grandparents over foster parents“. Huynh Thi Anh, 586 F. 2d at 629. 40
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
Die Urteilsbegründung von Huynh Thi Anh v. Levi ließ viele Nichtregierungsorganisationen in den USA, die bisher verschiedene Strategien von human rights litigation verfolgten, aufhorchen. Bisher waren ATS-Klagen für human rights litigation ungeeignet gewesen, weil man mit dem engen, klassischen Völkerrechtsverständnis der Gerichte zu kämpfen hatte, das für private Akteure nahezu unüberwindbar war. Nun hatte ein hohes Berufungsgericht dieses Verständnis aufgegeben und lediglich den Nachweis einer auf private Akteure anwendbaren Völkerrechtsnorm verlangt, um eine ATS-Klage für zulässig zu erklären. Genau solche Normen waren Inhalt von den zahlreichen Abkommen, Staatsverträgen, UNO-Dokumenten und staatlichen Erklärungen, die seit 1945 Menschenrechte ausriefen. Man spürte die Möglichkeit, Menschenrechtsnormen mit ATS-Klagen durchzusetzen – man musste nur einen geeigneten Fall finden und das Gericht mit völkergewohnheitsrechtlichen Nachweisen der allgemeinen Anerkennung einer Menschenrechtsnorm überhäufen. Aufgrund dieser Strategie hat die Nichtregierungsorganisation Center for Constitutional Rights eine ATS-Klage für einen Paraguayer erhoben, dessen Sohn von der paraguayischen Polizei zu Tode gefoltert wurde. Hierbei handelte es sich um das Verfahren Filartíga v. Pena-Irala, aus dem die moderne ATS-Rechtsprechung hervorging45.
II. Filartíga v. Pena-Irala: Der Urknall Filartíga war der sprichwörtliche Urknall der ATS-Rechtsprechung. Mit dieser Entscheidung wurde das ATS zum bevorzugten Mittel, Menschenrechtsnormen vor nationalen Gerichten durchzusetzen. Im Folgenden werden zunächst der Sachverhalt und die Entscheidung des Second Circuit in Filartíga geschildert. Im Anschluss wird die „Ersten Welle“ von ATSKlagen, die nach und aufgrund von Filartíga gegen ehemalige Hoheitsträger aus aller Welt erhoben wurden, zusammenfassend dargestellt. 1. Sachverhalt46 Der Sachverhalt von Filartíga ereignete sich in Paraguay47. In Asunción wohnte Dr. Joel Filartíga mit seinem Sohn Joelíto und seiner Tochter Dolly – allesamt pa45 Siehe hierzu Beth Stephens et al., International Human Rights Litigation in U.S. Courts 13 (2d ed. 2008), und für eine detaillierte Erzählung vom hektischen Aufsetzen der FilartígaKlageschrift gemäß der geschilderten ATS-Strategie an einem Freitagnachmittag, um die Klage vor 17.00 beim Eastern District of New York einzureichen und damit die Abschiebung des Beklagten zu verhindern, siehe Lisa Girion, Unocal Case Arises from 1789 Statute, L.A. Times., 16 Juni 2003, S. A1 und A8. 46 Für eine umfassende Erzählung der Vorfälle, aus denen Filartíga hervorging, siehe W.J. Aceves, The Anatomy of Torture: A Documentary History of Filartiga v. Pena-Irala (2007),
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raguayische Staatsangehörige. Dr. Filartíga war ein langjähriger Gegner der paraguayischen Stroessner-Regierung, der offenbar mehrmals Kritik an dieser Regierung öffentlich geäußert hatte. Als Vergeltung für Dr. Filartígas politische Tätigkeiten haben Polizisten im Mai 1976 seinen Sohn Joelíto von seinem Haus entführt, inhaftiert und zu Tode gefoltert. Diese Vergeltungsaktion geschah auf Befehl von Americo Pena-Irala, Polizeikommissar in Asunción. Dr. Filartíga erstattete danach Strafanzeige, wofür sein Anwalt auch inhaftiert und von Pena persönlich mit Folter bedroht wurde. Die verbliebenen Filartígas verließen Paraguay und zogen nach Washington, D.C., wo sie nach einiger Zeit zufällig erfuhren, dass Pena mittlerweile in New York City weilte. Sie verklagten ihn vor dem Eastern District of New York wegen Folter und widerrechtlicher Tötung von Joelíto und verlangten Schadensersatz in Höhe von $ 10 Mio. Als materiellrechtliche Grundlage seiner Klage gab Filartíga Klauseln der amerikanischen Verfassung, nationalrechtliche Deliktsgesetze, das ATS, die Charta der Vereinten Nationen, die Erklärung der Menschenrechte, die Erklärung gegen die Folter, die amerikanische Erklärung der Rechte und Pflichten des Menschen sowie das Völkergewohnheitsrecht an48. Die sachliche Zuständigkeit des Gerichts stützte Filartíga auf das ATS49. Im Grunde behauptete Filartíga, dass Folter durch Staatsbeamte anerkannte Menschenrechte und damit das Völkergewohnheitsrecht verletze. Des Weiteren argumentierte er, dass das angerufene Bundesgericht kraft des ATS nicht nur für eine solche Völkerrechtsklage zuständig war, sondern dass das ATS das Gericht überdies dazu berechtige, einen entsprechenden Rechtsanspruch auf Schadensersatz zuzuerkennen. 2. Entscheidung des District Court Der District Court wies Filartígas Klage wegen fehlender Zuständigkeit ab50. Obwohl es bereit zu sein schien, ein Folterverbot als gültige Völkergewohnheitsrechtsnorm anzusehen, sah es sich durch das enge Völkerrechtsverständnis früherer ATS-Urteile zur Klageabweisung gezwungen. Das Völkerrecht habe in erster Linie mit zwischenstaatlichen Beziehungen zu tun. Selbst wenn Normen zum Individualschutz entstanden seien, enthalte das Völkerrecht dennoch keine Regelungen über das Verhalten eines Staates gegenüber seinen eigenen Bürgern; dies sei eine rein innere Angelegenheit des jeweiligen Staates. Insofern könne Joelítos Behandlung sowie Beth Van Schaack, The Story Behind the Case that Launched a Legal Revolution: A Review of William Aceves’s the Anatomy of Torture – A Documentary History of Filartiga v. Pena-Irala, 2008 Hum. Rts. Q. 1 ff. 47 Siehe Filartíga v. Pena-Irala, 630 F.2d 876 (2d Cir. 1980). 48 Siehe Filartíga v. Pena-Irala, No. 79 Civ. 917, Doc. 1 (Complaint) (E.D.N.Y. Apr. 6 1979), at para. 4. 49 „Appellants rest their principal argument in support of federal jurisdiction upon the Alien Tort Statute“, Filartíga, 630 F.3d at 879. 50 Siehe Filartíga, 630 F.2d at 880 – 81.
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
durch die Polizeikräfte Asuncións keine völkerrechtlichen Fragen aufwerfen und deswegen nicht „in violation of the law of nations“ gewesen sein. Als Resultat müsse die Zuständigkeit nach dem ATS verneint werden. 3. Entscheidung des Second Circuit Gegen diese Entscheidung legte Filartíga Rechtsmittel ein und der Court of Appeals for the Second Circuit nahm die Berufung des Falles an. In seinem Urteil hob der Second Circuit die Entscheidung des District Court auf. Im Folgenden werden die für die nachfolgende Rechtsprechung wichtigsten Aspekte der Entscheidung des Second Circuit dargelegt. a) Das neue Völkerrechtsverständnis Zuerst verwarf der Second Circuit das enge Verständnis des Völkerrechts aus früheren ATS-Entscheidungen und legte ein eigenes, neues Völkerrechtsverständnis für ATS-Klagen zugrunde. Da die Kläger ihre Klage auf das Völkergewohnheitsrecht gestützt hatten, sah sich das Gericht mit der Frage konfrontiert, ob die Folter von Joelito gegen völkerrechtliche Normen im Sinne des ATS verstieß. Nach Meinung des Gerichts konnte der Begriff „law of nations“ im Text der ATS nicht mehr dem klassischen Völkerrecht der zwischenstaatlichen Beziehungen gleichgesetzt werden. Stattdessen musste Völkerrecht im Sinne des ATS das Völkergewohnheitsrecht bedeuten, und zwar das Völkergewohnheitsrecht in seiner aktuellen Ausprägung. Hierunter fielen auch die seit dem Zweiten Weltkrieg entstandenen völkerrechtlichen Menschenrechtsnormen. Dieses neue Völkerrechtsverständnis sah der Second Circuit sowohl durch nationalrechtliche als auch durch internationale Autoritäten als geboten an. Zunächst griff das Gericht auf frühere Urteile des Supreme Court zurück, die den Begriff des Völkerrechts als „the customs and usages of civilized nations“ auslegten51 und anerkannten, dass sich diese mit der Zeit fortentwickeln: Bloße Gepflogenheiten könnten zum „settled rule[s] of international law“ anwachsen52. Deswegen sei es offensichtlich, dass sich der Begriff Völkerrecht auf das zum Zeitpunkt der Entscheidung existierende Völkergewohnheitsrechtsgefüge beziehe. Nach Ansicht des Second Circuit wurde dieser Schluss durch die Methodik früherer Supreme Court51
„The Paquete Habana, 175 U.S. 677 (1900), reaffirmed that where there is no treaty, and no controlling executive or legislative act or judicial decision, resort must be had to the customs and usages of civilized nations; and, as evidence of these, to the works of jurists and commentators, who by years of labor, research and experience, have made themselves peculiarly well acquainted with the subjects of which they treat“. Filartíga, 630 F.2d at 880 – 881. 52 „[The Paquete] Habana is particularly instructive for present purposes, for it held that the traditional prohibition against seizure of an enemy’s coastal fishing vessels during wartime, a standard that began as one of comity only, had ripened over the preceding century into ,a settled rule of international law‘“. Filartíga, 630 F.2d at 881.
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Entscheidungen zur Bestimmung vom Inhalt des Völkerrechts bekräftigt. In Fällen mit völkerrechtlichem Einschlag habe der Supreme Court die Werke von „jurists and commentators“ herangezogen, um festzustellen, was der Inhalt des Völkerrechts zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung „ist“53. Internationale Quellen, z. B. das Statut des internationalen Gerichtshofes, würden die Richtigkeit dieser Ausrichtung auf das aktuelle Völkerrechtsgefüge bestätigen54. Insofern sei Völkerrecht im Sinne des ATS das in moderner Praxis erkennbare Völkergewohnheitsrecht und nicht etwa ein auf die klassische Völkerrechtslehre oder auf den historischen Gesetzgeber von 1789 festgefahrenes Völkerrechtsverständnis55. Am Ende dieser Erörterung fasste der Second Circuit sein für ATS-Klagen geltendes Völkerrechtsverständnis in einem für spätere Rechtsprechung überaus einflussreichen Satz zusammen: „Thus it is clear that courts must interpret international law not as it was in 1789, but as it has evolved and exists among the nations of the world today“56. b) Die Quellen des Völkergewohnheitsrechts Die Festlegung des Völkerrechtsbegriffs als Völkergewohnheitsrecht konfrontierte das Gericht mit der Frage, anhand welcher Quellen der Inhalt des modernen Völkergewohnheitsrechts zu bestimmen war. Von der Prämisse ausgehend, dass „the customs and usages of civilized nations“ den Inhalt des Völkergewohnheitsrechts ausmachten57, fragte das Gericht, was als „evidence“ hierfür herangezogen werden 53 „Such works are resorted to by judicial tribunals, not for the speculations of their authors concerning what the law ought to be, but for trustworthy evidence of what the law really is“. Filartíga, 630 F.2d at 881 (Zitat von The Paquete Habana, 175 U.S. 677, 700 (1900)). 54 „Modern international sources confirm the propriety of this approach“. Filartíga, 630 F.2d at 881. Das Gericht sah sich durch die Regelung im Statut des Internationalen Gerichtshofes zur Feststellung vom Inhalt des Völkerrechts bestätigt, da sie sich weitgehend mit der eben skizzierten Methodik des Supreme Court zur Inhaltsermittlung des Völkerrechts deckte. Die Regelung ist im Art. 38 Abs. 1 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs enthalten, die Folgendes vorsieht: „Der Gerichtshof, dessen Aufgabe es ist, die ihm unterbreiteten Streitigkeiten nach dem Völkerrecht zu entscheiden, wendet an: (a) internationale Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Natur, in denen von den streitenden Staaten ausdrücklich anerkannte Regeln festgelegt sind; (b) das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung; (c) die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze; (d) vorbehaltlich des Artikels 59 richterliche Entscheidungen und die Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtler der verschiedenen Nationen als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormen“. 55 Filartíga, 630 F.2d at 881. 56 Filartíga, 630 F.2d at 881. 57 Filartíga, 630 F.2d at 880. Das für verbindliche Völkerrechtsnormen erforderliche Merkmal der consuetudo, siehe den unteren Abschnitt C. I. 1. dieses Kapitels, wurde vom Second Circuit nicht erwähnt.
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durfte58. Einerseits könnten „the works of jurists and commentators“59 oder „judicial decisions recognizing and enforcing [the law of nations]“60 Erkenntnisse über den gegenwärtigen Stand des Völkerrechts liefern. Andererseits sei alles, was auf „the general usage and practice of nations“ schließen lasse, als relevante Völkerrechtsquelle anzusehen61. Zur vorliegenden Frage, ob das Völkerrecht ein Folterverbot enthalte, zog das Gericht eine Vielzahl von Dokumenten als relevante Quellen heran. Zunächst berief es sich auf Dokumente der Vereinten Nationen, aus denen ein Folterbot eindeutig hervorging: Ihre Charta62, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte63, eine Resolution der UNO-Generalversammlung64 und eine weitere Erklärung über den Schutz aller Personen vor Folter65. Für das Gericht waren UNO-Dokumente zu58
Filartíga, 630 F.2d at 880. Filartíga, 630 F.2d at 881. 60 Filartíga, 630 F.2d at 880. 61 Filartíga, 630 F.2d at 880. 62 Siehe Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945. Das Gericht zitierte Art. 55 der Charta („Um jenen Zustand der Stabilität und Wohlfahrt herbeizuführen, der erforderlich ist, damit zwischen den Nationen friedliche und freundschaftliche … Beziehungen herrschen, fördern die Vereinten Nationen … die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“) sowie Art. 56 („Alle Mitgliedstaaten verpflichten sich, gemeinsam und jeder für sich mit der Organisation zusammenzuarbeiten, um die in Artikel 55 dargelegten Ziele zu erreichen“). Nach Meinung des Gerichts gingen zwei Schlüsse aus diesen Artikeln hervor. Erstens sei die Wahrung der Menschenrechte keine staatsinnere Angelegenheit mehr, sondern eine Sache der Staatengemeinschaft. Zweitens herrsche Zustimmung, dass die Schutz vor Folter zu den von Art. 55 international gewährten „Menschenrechten und Grundfreiheiten“ gehöre. Siehe Filartiga, 630 F.2d at 881 – 82. Beachtlich in diesem Zusammenhang war, dass andere amerikanische Gerichte bereits eine unmittelbare Bindungswirkung dieser Artikel verneint hatten, siehe Camacho v. Rogers, 199 F. Supp. 155 (S.D.N.Y. 1961) (Einstufung von Art. 55 Charta der Vereinten Nationen als nicht selbstexekutierend). 63 Siehe Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948. Für das Gericht war Art. 5 der Erklärung relevant: „Niemand darf der Folter … unterworfen werden“. Siehe Filartíga, 630 F.2d at 882. 64 Das Gericht zitierte General Assembly Resolution 2625(XXV), U.N. Doc. A/Res/2625 (XXV), in der die Generalversammlung die Schutzregeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als „basic principles of international law“ bezeichnete. Filartíga, 630 F.2d at 882. 65 Das Second Circuit betrachtete die gesamte Erklärung als für die aktuelle Völkerrechtslage relevant und fügte ihren Text in seiner elften Fußnote ganzheitlich ein. Siehe Filartíga, 630 F.2d at 882 Fn. 11. Für das Gericht war diese Erklärung besonders wichtig, weil sie eine inhaltspräzise Definition von völkerrechtswidriger Folter enthielte, siehe Art. 1: „Unter Folter im Sinne dieser Erklärung ist jede Handlung zu verstehen durch die eine Person von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder auf dessen Veranlassung hin vorsätzlich schwere körperliche oder geistig-seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, um … sie für eine … mutmaßlich von ihr begangene Tat zu bestrafen oder sie oder andere Personen einzuschüchtern“. Diese Erklärung war ein Vorläufer des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984. 59
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verlässige Nachweise der aktuellen Völkergewohnheitsrechtslage, weil sie die Pflichten von Staaten inhaltlich präzise darlegten66, von UNO-Mitgliedern ernstgenommen wurden67 und als „authoritative statement[s] of the international community“ galten68. Die internationale Ächtung der Folter, die in den Dokumenten der Vereinten Nationen zu lesen war, sah das Gericht ferner in einer Reihe von multilateralen Menschenrechtsabkommen bestätigt69. Darüber hinaus zog es die Verfassungen von 55 Ländern als Nachweis für ein in die Praxis umgesetztes Folterverbot heran70. Zur Auswertung dieser UNO-Erklärungen, Menschenrechtsabkommen und nationalen Verfassungen griff das Gericht auf mehrere wissenschaftliche Abhandlungen zurück, um die Bedeutung dieser Quellendokumente für die aktuelle Völkerrechtspraxis zu ermitteln. Diese bestätigten, dass das in den Quellen ausgerufene Folterverbot tatsächlich in die allgemeine Praxis von Staaten aufgenommen worden sei71. Hierzu zog der Second Circuit einen Bericht des US-Außenministeriums über 66 „These U.N. declarations are significant because they specify with great precision the obligations of member nations under the Charter“. Filartíga, 630 F.2d at 883. 67 „[A] U.N. Declaration is, according to one authoritative definition, ,a formal and solemn instrument, suitable for rare occasions when principles of great and lasting importance are being enunciated‘“. Filartíga, 630 F.2d at 883 (Zitat eines Memorandums vom Sekretariat der Vereinten Nationen, U.N. Doc. E/CN.4/1/610 (1962)). 68 „[I]t has been observed that the Universal Declaration of Human Rights ,no longer fits into the dichotomy of ,binding treaty‘ against ,non-binding pronouncement,‘ but is rather an authoritative statement of the international community‘“. Filartíga, 630 F.2d at 883 (Zitat von E. Schwelb, Human Rights and the International Community 70 (1964)). 69 „The international consensus surrounding torture has found expression in numerous international treaties and accords“. Filartíga, 630 F.2d at 883. Hierfür zitierte das Gericht das Amerikanische Menschenrechtsabkommen, U.S. Treaty No. 95-21 (1975); den Internationale Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte vom 16. Dezember 1966, 999 U.N.T.S. 171; und die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, 213 U.N.T.S. 211 (1968). 70 „The substance of these international agreements is reflected in modern municipal i. e. national law as well. … According to one survey, torture is prohibited, expressly or implicitly, by the constitutions of over fifty-five nations“. Filartiga, 630 F.3d at 884. Das zitierte „survey“ war 48 Revue Internationale de Droit Penal Nos. 3 & 4 at 208 (1977). 71 Das Gericht zitierte auf S. 882 – 883 folgende Werke: Kaladharan Nayar, Human Rights: The United Nations and United States Foreign Policy, 19 Harv. Int’l L. J. 813, (1978) (Betonung der Tatsache, dass die Erklärung der Menschenrechte und die Erklärung über den Schutz vor Folter ohne Gegenstimmen verabschiedet worden sind); Louis Sohn, A Short History of United Nations Documents on Human Rights, in: The United Nations and Human Rights, 18th Report of the Commission (1968) (Argument, dass die Mitglieder der Vereinten Nationen mit Bestimmtheit wissen, welche Menschenrechtsverletzungen sie zu unterbinden haben); Humphrey Waldlock, Human Rights in Contemporary International Law and the Significance of the European Convention, Int’l & Comp. L. Q., Supp. Publ. No. 11 (1965) („[T]he Universal Declaration has become, in toto, a part of binding, customary international law“); Dr. Egon Schwelb, Human Rights and the International Community (1964) („[T]he Universal Declaration of Human Rights … is … an authoritative statement of the international community“).
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die allgemeine Anerkennung eines Folterverbots in ausländischen Rechtssystemen als weiteren Beweis heran72. In einem amicus curiae-Schriftsatz bestätigte das Außenministerium, dass Staaten dieses Folterverbot nahezu ausnahmslos in die Praxis umgesetzt hätten73. c) Der völkerrechtliche Individualschutz vor Folter Unter Berufung auf diese weit gefasste Quellenlage befand der Second Circuit, dass die hoheitlich verübte Folter einer Person („official torture“) einen eindeutigen Verstoß gegen das Völkergewohnheitsrecht im Sinne des ATS darstelle74. Als Standard legte das Gericht fest, dass eine Norm als verbindliche Regel des Völkergewohnheitsrechts anzusehen sei, wenn der „general assent of civilized nations“ hinsichtlich ihrer Gültigkeit in den relevanten Quellen nachgewiesen werden könne75. Aus Sicht des Gerichts wurden nur wenige Fragen des internationalen Rechts so einheitlich beurteilt wie die Tatsache, dass Folter eine unzulässige Machtausübung des Staates sei76. Die hoheitliche Ausübung von Folter werde in internationalen Abkommen und Erklärungen einhellig verboten77. Geradezu alle Länder der Welt hätten in ihren Rechtsystemen und in der Praxis Folter als unzulässig verdammt78. Sämtliche anderen Quellen, aus denen die staatliche Praxis zu entnehmen sei, bestätigten, dass vom Staate ausgehende Folter vom Völkergewohnheitsrecht verboten sei79. Als Resultat enthalte das Völkergewohnheitsrecht ein
72 Siehe U.S. Dep’t of State, Country Report on Human Rights Practicies for 1979 (Feb. 4, 1980). Der Bericht wurde für die auswärtigen Ausschüsse des Kongresses verfasst und resümierte seinen Befund wie folgt: „There now exists an international consensus that recognizes basic human rights and obligations owed by all governments to their citizens … There is no doubt that these rights are often violated; but virtually all governments acknowledge their validity“. 73 Siehe Brief of amicus curiae United States, Filartíga v. Pena-Irala, 630 F.2d 876 (2d Cir. 1980), at 10: „[A]ll nations with organized legal systems recognize constraints on the power of the state to invade their citizens’ human rights“. 74 „[W]e find that an act of torture committed by a state official against one held in detention violates established norms of the international law of human rights, and hence the law of nations“. Filartíga, 630 F.2d at 880. 75 Siehe Filartíga, 630 F.2d at 881. 76 „[T]here are few, if any, issues in international law today on which opinion seems to be so united as the limitations on a state’s power to torture persons held in its custody“. Filartíga, 630 F.2d at 881. 77 „In light of the universal condemnation of torture in numerous international agreements …“. Filartíga, 630 F.2d at 880. 78 „In light of … the renunciation of torture as an instrument of official policy by virtually all of the nations of the world“, Filartíga, 630 F.2d at 880. 79 „Having examined the sources from which customary international law is derived: the usage of nations, judicial opinions and the works of jurists …“, Filartíga, 630 F.2d at 884.
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Verbot von „official torture“80. Wenn ein Hoheitsträger eine Person foltere, sei dies ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht im Sinne des ATS. In einem Bruch mit der bisherigen Rechtsprechung konstatierte das Gericht ferner, dass Folter, sofern sie von einem Staat an den eigenen Bürgern verübt werde, keine völkerrechtlich neutrale innere Angelegenheit mehr darstelle. Die Menschenrechte des modernen Völkergewohnheitsrechts gälten auch gegen die eigene Regierung81. Dass das Völkerrecht nicht nur die Folter von Ausländern, sondern auch der eigenen Angehörigen verbiete, gehe klar und deutlich aus den Quellen und der Praxis hervor82. Insofern verwarf der Second Circuit den Befund des District Court, dass das Verhalten eines Staates gegenüber den eigenen Bürgern vom Völkerrecht nicht geregelt werde. Eine Verletzung der Menschenrechte der eigenen Angehörigen sei nunmehr eine Verletzung des Völkerrechts im Sinne des ATS83. Insofern war die Folter von Joelíto Filartíga völkerrechtswidrig, auch wenn sie von der paraguayischen Polizei ausging. Darüber hinaus eröffnete der Second Circuit die Möglichkeit, dass weitere Menschenrechte existieren könnten, die als Normen des Völkergewohnheitsrechts nach dem ATS einklagbar wären. Seine Anerkennung vom Folterverbot als verbindliche Völkerrechtsnorm beruhte auf der Tatsache, dass „the general assent of civilized nations“ hinsichtlich des Verbots in den einschlägigen Quellen nachweisbar war84. Entsprechend konnten weitere Menschenrechte zu verbindlichen völkergewohnheitsrechtlichen Regeln im Sinne des ATS heranwachsen, wenn man „the general assent of civilized nations“ hinsichtlich ihrer belegen konnte. Obwohl das Gericht dieses Erfordernis der staatengemeinschaftlichen Anerkennung als „streng“ bezeichnete85, hatte man in seinen eigenen Ausführungen zum Folterverbot eine Vorlage zum Nachweis weiterer Völkerrechtsnormen. d) Zuständigkeit der amerikanischen Bundesgerichte Die Feststellung, dass ein Verstoß gegen eine verbindliche Völkerrechtsnorm vorlag, beantwortete nicht die Frage, ob ein amerikanisches Bundesgericht die in80 „[W]e conclude that official torture is now prohibited by the law of nations“. Filartíga, 630 F.2d at 884. 81 „The treaties and accords cited above, as well as the express foreign policy of our own government, all make it clear that international law confers fundamental rights upon all people vis-a-vis their own governments“. Filartíga, 630 F.2d at 884 – 885. 82 „The prohibition [of torture] is clear and unambiguous, and admits of no distinction between treatment of aliens and citizens“. Filartíga, 630 F.2d at 884. 83 „[D]eliberate torture perpetrated under color of official authority violates universally accepted norms of the international law of human rights, regardless of the nationality of the parties“. Filartíga, 630 F.2d at 879. 84 Filartíga, 630 F.2d at 881. 85 „The requirement that a rule command the „general assent of civilized nations“ to become binding upon them all is a stringent one“. Filartíga, 630 F.2d at 881.
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ternationale Zuständigkeit für eine darauf stützende Schadensersatzklage beanspruchen durfte. Der Second Circuit bejahte die Zulässigkeit seiner Annahme der Zuständigkeit für Filartígas ATS-Klage anhand der sog. „transitory tort doctrine“: Grundsätzlich dürften Deliktsklagen zwischen Ausländern, deren Sachverhalt sich im Ausland ereignet hätte, vor US-Gerichten verhandelt werden, solange diese die Vorschriften der sachnächsten Rechtsordnung anwendeten86. Diese Doktrin sei seit dem späten 18. Jahrhundert im amerikanischen Recht verankert gewesen87 und sei mit der Aufteilung der internationalen Zuständigkeit vereinbar, weil jeder Staat ein legitimes Interesse an der Beilegung von Streitigkeiten zwischen Personen habe, die sich auf seinem Hoheitsgebiet befinden88. Da ATS-Klagen per se „tort“-Klagen waren, sah sie der Second Circuit gemäß einer Subsumtion unter die transitory tortDoktrin als innerhalb des international zulässigen Zuständigkeitsbereichs der USGerichte an. Dem entgegnete der Beklagte, dass die Annahme der Zuständigkeit für ATSKlagen trotzdem verfassungswidrig sei. Artikel III der Verfassung beschränke die sachliche Zuständigkeit der Bundesgerichte auf Ansprüche, die sich auf „the laws … of the United States“ stützen89; insofern kämen ATS-Klagen, die sich auf die Gewohnheitsnormen der Staatengemeinschaft stützen, nicht in den verfassungsmäßigen 86
„Common law courts of general jurisdiction regularly adjudicate transitory tort claims between individuals over whom they exercise personal jurisdiction, wherever the tort occurred“. Filartíga, 630 F.2d at 885. Die Voraussetzung für die Ausübung der sachlichen Zuständigkeit nach der transitory tort-Doktrin ist, dass das angerufene Gericht die persönliche Zuständigkeit für den Beklagten erlangt hat. Traditionell hat es diese durch die Zustellung am Beklagten innerhalb seines Gerichtsbezirks erhalten. Der Name „transitory tort doctrine“ rührt vermutlich von der Tatsache her, dass die Parteien in solchen Deliktsklagen meistens nicht in den USA wohnhaft waren, sondern auf Durchreise, d. h. ,transitory‘, waren. Der Name könnte auch damit zusammenhängen, dass der deliktsrechtliche Anspruch als bewegliches Eigentum des Klägers konzipiert wurde, das mit ihm herumreiste und in dem Sinne „transitory“ war. 87 Die Doktrin geht aus einer englischen Entscheidung unter dem Namen Mostyn v. Fabrigas (1 Cowp. 161) aus dem Jahre 1774 hervor und wurde allmählich ins amerikanische common law aufgenommen. Das Prinzip wurde von einer späteren amerikanischen Entscheidung wie folgt zusammengefasst: „If A … commits a tort upon [B] in Paris, an action … may be maintained against A in England, if he is there found“. McKenna v. Fisk, 42 U.S. (1 How.) 241, 248 (1843). 88 „A state or nation has a legitimate interest in the orderly resolution of disputes among those within its borders, [so long as] the acts alleged would violate [foreign] law, and the policies of the forum are consistent with the foreign law“. Filartíga, 630 F.2d at 885. 89 Siehe U.S. Const., Art. III, § 2. Gemäß Föderalismusprinzipien haben die Bundesgerichte keine allgemeine sachliche Zuständigkeit, sondern sie sind Sonderinstanzen, deren Zuständigkeit sich ausschließlich auf die ihnen in der Verfassung explizit zugewiesenen Streitigkeiten erstreckt. Nach Art. III § 2 der Verfassung kommen u. a. folgende Streitigkeiten in die Zuständigkeit der Bundesjustiz: „[C]ases … arising under the laws of the United States []“, und „controversies … between … citizens [of a U.S. State] and foreign … citizens or subjects“. Zivilklagen zwischen Angehörigen anderer Länder werden nicht in den Zuständigkeitsbereich der Bundesgerichte zugewiesen. Insofern muss eine ATS-Klage mit ausländischem Beklagten nach „the laws of the United States“ erhoben werden, um vor Bundesgerichten verhandelt werden zu können.
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Zuständigkeitsbereich von US-Bundesgerichten90. Der Second Circuit wies dieses Argument ab. Seit Gründung der USA werde allgemein angenommen, dass das Völkerrecht einen Teil des common law des Bundes bilde91. Sofern kein Gesetz oder Gerichtsentscheidung anwendbar sei, seien US-Gerichte an die Normen des Völkerrechts als eigenes Recht gebunden; entsprechend sei das Völkerrecht als amerikanisches Bundesrecht anzusehen92. Deshalb kämen ATS-Klagen, die sich auf das Völkerrecht stützen, in den verfassungsmäßigen Zuständigkeitsbereich der Bundesgerichte93. Auch wenn dies so sei, entgegnete erneut der Beklagte, hätten die Kläger keine verbindliche Völkerrechtsnorm im Sinne anwendbarer Präzedenzfälle dargelegt. Der Beklagte wies auf ältere ATS-Fälle aus der Second Circuit-Rechtsprechung hin, die den Begriff „Völkerrecht“ nach klassischem Verständnis einengend definiert hatten als die Normen, die Staaten in ihren Beziehungen inter se anwandten94. Das Gericht ließ diese Formulierung unberührt, befand jedoch, dass die Staatengemeinschaft ein Folterverbot als Grundsatz ihrer Beziehungen inter se etabliert hatte95. Insofern knüpfte der Second Circuit sein modernes Völkerrechtsverständnis an die klassische Völkerrechtslehre: moderne Menschenrechte waren nur ein Ausfluss der souveränen Befugnisse, die Staaten nach der klassischen Lehre ausübten. Deswegen waren sie als gleichwertige Völkerrechtsnormen anzusehen und konnten die sachliche Zuständigkeit der US-Gerichte für ATS-Klagen begründen. Der Second Circuit schloss seine Erörterung der Zuständigkeitsfrage mit seinem Konzept des ATS ab: Das ATS eröffne die Zuständigkeit der Bundesgerichte der USA für Deliktsklagen, die eine Verletzung einer anerkannten Norm des modernen Völkergewohnheitsrechts zum Gegenstand haben. Oder, wie das Gericht es in einem 90
Siehe Filartíga, 630 F.2d at 885. „During the eighteenth century, it was taken for granted on both sides of the Atlantic that the law of nations forms a part of the common law“. Filartíga, 630 F.2d at 886 (mit Zitat auf William Blackstone, 1 Commentaries on the Laws of England 263 – 264 (1st ed. 1765)). 92 „[I]n the absence of a congressional enactment, United States courts are ,bound by the law of nations, which is a part of the law of the land‘“. Filartíga, 630 F.2d at 886 (Zitat von The Nereide, 13 U.S. (9 Cranch) 388, 422 (1815)). 93 „The constitutional basis for the Alien Tort Statute is the law of nations, which has always been part of the federal common law“. Filartíga, 630 F.2d at 885. 94 So die Definition des Begriffs Völkerrecht in Lopes v. Reederei Richard Schroder, 225 F. Supp. 292 (E.D. Pa. 1963), die vom Second Circuit im Falle IIT v. Vencap, Ltd., 519 F.2d 1001, 1015 (2d Cir. 1975), adoptiert wurde: „those standards, rules or customs (a) affecting the relationship between states or between an individual and a foreign state and (b) used by those states for their common good and/or in dealings inter se“. Unter Berufung auf diesen Satz hob der Beklagte hervor, dass keine bisherigen ATS-Klagen Völkerrechtsnormen vorweisen konnten, die die Anforderungen der IIT-Definition erfüllten. Dies erklärte das Second Circuit damit weg, dass „earlier cases did not involve such well-established, universally recognized norms of international law that are here at issue“. Filartiga, 630 F.2d at 888. 95 „[T]he nations have made it their business, both through international accords and unilateral action, to be concerned with domestic human rights violations of this magnitude. The case before us therefore falls within the Lopes/IIT rule“. Filartíga, 630 F.2d at 889. 91
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berühmten Satz formulierte: „[W]e … construe the Alien Tort Statute … as opening the federal courts for adjudication of the rights already recognized by international law“96. e) Das anwendbare Recht oder die materiellrechtliche Anspruchsgrundlage Die Tatsache, dass ein Verstoß gegen das Völkergewohnheitsrecht die Zuständigkeit des Gerichts begründete, hieß nicht, dass das Völkergewohnheitsrecht die materielle Anspruchsgrundlage der Klage darstellte. Nach dem Second Circuit war die Frage der Zuständigkeit von der Frage des anwendbaren Rechts – und damit der materiellrechtlichen Anspruchsgrundlage – streng zu unterscheiden97. Nur die Zuständigkeitsfrage befasse sich mit dem Völkerrecht, um dem Wortlaut des ATS Genüge zu tun, d. h. die Zuständigkeit des US-Bundesgerichts anhand einer „violation of the law of nations“ zu begründen98. Die Frage des anwendbaren Rechts hingegen trug der Tatsache Rechnung, dass eine ATS-Klage immerhin eine zivilrechtliche „tort“-Klage blieb, deren Haftungsvoraussetzungen und -ausmaß nicht vom Völkerrecht, sondern vom nationalen Deliktsrecht geregelt wurden. Eine kollisionsrechtliche Analyse sollte nach Meinung des Second Circuit bestimmen, wessen Deliktsrecht auf ATS-Klagen anzuwenden sei99. Laut dem Gericht war es durchaus möglich, dass paraguayisches Deliktsrecht die Ansprüche der Filartígas regelte100. Allerdings überließ das Gericht die Bestimmung des anwendbaren Rechts der Nachverhandlung im District Court. f) Ergebnis und Verfahrensausgang Aus den eben ausgeführten Gründen wies der Second Circuit Filartígas ATSKlage an den District Court zur Wiederaufnahme des Verfahrens zurück. Der Beklagte war allerdings inzwischen abgeschoben worden und er verweigerte seine 96 Filartíga, 630 F.2d at 887. Im Kontext der Zuständigkeitsfrage scheint das Gericht auch das aus dem Völkerstrafrecht stammende Weltrechtsprinzip (engl.: „universal jurisdiction“) indirekt erwähnt zu haben, indem es den Folterer als „hostis humanis generis“, Feind der gesamten Menschheit, beschrieb. Zur Rolle des Weltchrechtsprinzips in der Ersten Welle, siehe Abschnitt C. IV. dieses Kapitels, unten. 97 „[The defendant] confuses the question of federal jurisdiction under the Alien Tort Statute, which requires consideration of the law of nations, with the issue of the choice of law to be applied […]. The two issues are distinct“. Filartíga, 630 F.2d at 889. 98 Siehe Filartíga, 630 F.2d at 889. 99 Traditionell war in „transitory tort“-Fällen das Schuldstatut des Tatortlandes anwendbar (lex loci delicti), was allerdings bereits 1980 von einer IPR-Prüfung abgelöst worden war, siehe Filartíga, 630 F.2d at 889. 100 „In taking [a] broad range of factors into account, the district court may well decide that fairness requires it to apply Paraguayan law to the instant case“. Filartíga, 630 F.2d at 889 Fn. 25. In der Tat kam das District Court in der nachfolgenden Hauptverhandlung zum Schluss, dass paraguayisches Deliktsrecht auf Filartígas Ansprüche anwendbar war, siehe Filartíga v. Pena-Irala, 577 F. Supp. 860 (E.D.N.Y. 1984).
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weitere Beteiligung am Verfahren101. Im Wege des Versäumnisurteils obsiegte Filartíga und der District Court verurteilte Pena zum Schadensersatz in Höhe von $ 385.000102. Des Weiteren hat das Gericht – obwohl es befand, dass paraguayisches Deliktsrecht auf das Haftungsausmaß anwendbar war – Filartíga punitive damages in Höhe von $ 10 Mio. zugesprochen103. 4. Zwischenergebnis Die Bedeutung von Filartíga kann nicht genug hervorgehoben werden104. Vor Filartíga hatten die Nichtregierungsorganisationen der USA geflissentlich nach Wegen gesucht, Menschenrechte nicht politisch – wo Einfluss, Nähebeziehungen und Geld nötig waren – sondern verteilt und mit Präzedenzwirkung in amerikanischen Gerichten durchzusetzen. Obwohl der Trend langsam zu privatrechtlicher Durchsetzung überging, hatten die Gerichte die bisherigen Ansätze, Menschenrechtsnormen in Schadensersatzansprüche umzumünzen, vereitelt105. Insbesondere hatten sie die Doktrin des nicht-selbstexekutierenden Staatsvertrags nach langem Winterschlaf wiederbelebt, um die Verwandlung der Menschenrechte der UNOCharta und internationaler Menschenrechtsabkommen in gerichtlich durchsetzbare zivilrechtliche Ansprüche zu verhindern106. Filartíga sprengte die Blockade, die diese Doktrin zwischen Menschenrechtsnormen und Schadensersatzklagen gestellt hatte. Es war nun nicht mehr von Bedeutung, dass man keine Klage auf z. B. die Erklärung der Menschenrechte stützen konnte: Nach der ATS-Auslegung Filartígas konnte man eine ATS-Klage auf das Völkergewohnheitsrecht stützen und die Erklärung der Menschenrechte als Beleg einer einzuklagenden Völkerrechtsnorm 101
Siehe Filartíga, 577 F. Supp. at 861. Siehe Filartíga, 577 F. Supp. at 867. 103 Siehe Filartíga, 577 F. Supp. at 867. Das District Court verhängte punitive damages trotz der Tatsache, dass paraguayisches Recht diese nicht zuließ. Nach Meinung des Gerichts waren Strafzahlungen trotzdem nötig, um dem völkerrechtlichen Folterverbot dem von der Staatengemeinschaft gewollten Nachdruck zu verleihen, insbesondere weil der Beklagte nach Paraguay zurückgekehrt war und dort Straflosigkeit genoss: „[B]ecause, as the record establishes, Paraguay will not undertake to prosecute Pena for his acts, the objective of the international law making torture punishable as a crime can only be vindicated by imposing punitive damages“. Filartíga, 577 F. Supp. at 867. Dies war der Anfang der Gestaltung des ATS-Anspruchs nach amerikanischem Recht, siehe Abschnitt C. II. dieses Kapitels, unten. 104 Das in ATS-litigation sehr aktive Center for Constitutional Rights beschreibt Filartíga als „probably the most important domestic international human rights case of the modern era“. Siehe Factsheet: Alien Tort Statute, Center for Constitutional Rights, aufrufbar unter http:// ccrjustice.org/learn-more/faqs/factsheet%3A-alien-tort-statute. Filartíga wird auch als „the birth of transnational litigation“ bezeichnet, siehe W.J. Aceves, The Anatomy of Torture: A Documentary History of Filartiga v. Pena-Irala (2007), obwohl es vielleicht besser als „the birth of transnational human rights litigation“ bezeichnet wäre, siehe Koh, Transnational Public Law Litigation. 105 Siehe hierzu Abschnitt B. I. dieses Kapitels, oben. 106 Vgl. Koh, Transnational Public Law Litigation, S. 2358. 102
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vorlegen. Nach Filartíga kehrte also das gesamte Gefüge von Menschenrechtsdokumenten, die die Gerichte als an sich nicht durchsetzbar abgewiesen hatten, als der Treibstoff von ATS-Klagen zurück. Dies war eine „Revolution“107. Filartíga wurde als Dammbruch angesehen und mit entsprechender Begeisterung in NGOs und in der Wissenschaft gefeiert. Eine Fülle von ansonsten trockenen Fachbeiträgen feierten die Ankunft einer neuen Ära von human rights litigation108. Hierbei wurde Filartígas differenzierte Aussage, dass ATS-Klagen Völkerrechtsnormen eigentlich nicht „durchsetzten“, sondern nur im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung ermittelten, um die Zuständigkeit der Bundesgerichte für Deliktsklagen nach ausländischen Schuldstatuten zu begründen, so gut wie ignoriert. Man las, das ATS „open[s] the federal courts for … rights … recognized by international law“109, und man stellte sich ATS-Klagen einfach als Völkerrechtsklagen vor; in der Begeisterung um diesen Satz ging die kollisionsrechtliche Prüfung für das durch ATSKlagen tatsächlich durchzusetzende materielle Recht verloren. Unter Berufung auf
107 So Roger Alford, Kiobel Insta-Symposium: The Death of the ATS and the Rise of Transnational Tort Litigation, OpinioJuris, Apr. 17, 2013, aufrufbar unter http://opiniojuris. org/2013/04/17/kiobel-instthe-death-of-the-ats-and-the-rise-of-transnational-tort-litigation/. 108 Siehe z. B. Andrew Scoble, Comment, Enforcing the Customary International Law of Human Rights in Federal Court, 74 Cal. L. Rev. 127 (1986); Anthony D’Amato, What Does Tel-Oren Tell Lawyers? Judge Bork’s Concept of the Law of Nations is Seriously Mistaken, 79 Am. J. Int’l L. 92 (1985); Michael Glennon, Rising the Paquete Habana: Is Violation of Customary International Law by the Executive Unconstitutional?, 80 Nw. U. L. Rev. 321, 325 (1985); Richard Lillich, Invoking International Human Rights Law in Domestic Courts, 54 U. Cin. L. Rev. 367 (1985); Jules Lobel, The Limits of Constitutional Power: Conflicts Between Foreign Policy and International Law, 71 Va. L. Rev. 1071 (1985); Virginia Melvin, Comment, Tel-Oren v. Libyan Arab Republic: Redefining the Alien Tort Claims Act, 70 Minn. L. Rev. 211 (1985); Michael Small, Note, Enforcing International Human Rights Law in Federal Courts: The Alien Tort Statute and the Separation of Powers, 74 Geo. L.J. 163 (1985); Laura Wishik, Separation of Powers and Adjudication of Human Rights Claims Under the Alien Tort Claims Act – Hanoch Tel-Oren v. Libyan Arab Republic, 60 Wash. L. Rev. 697 (1985); Louis Henkin, International Law as Law in the United States, 82 Mich. L. Rev. 15555 (1984); Kathryn Burke, et al., Application of International Human Rights Law in State and Federal courts, 18 Tex. Int’l L.J. 291 (1983); Farooq Hassan, A Conflict of Philosophies: The Filartiga Jurisprudence, 32 Int’l & Comp. L.Q. 250 (1983); Scott Rosenberg, Note, The Theory of Protective Jurisdiction, 57 N.Y.U. L. Rev. 933 (1982); Louis B. Sohn, The New International Law: Protection of the Rights of Individuals Rather than States, 32 Am. U. L. Rev. 1 (1982); Burce Barenblat, Note, Torture as a Violation of the Law of Nations: An Analysis of 28 U.S.C. § 1350, 16 Tex. Int’l L.J. 117 (1981); Jeffrey Blum & Ralph Steinhardt, Federal Jurisdiction over International Human Rights Claims: The Alien Tort Claims Act After Filartiga v. Pena-Irala, 22 Harv. Int’l L.J. 53, 57, 98 – 102 (1981); Symposium: Federal Jurisdiction, Human Rights, and the Law of Nations: Essays on Filartíga v. Pena-Irala, 11 Ga. J. Int’l & Comp. L. 305 (1981); Symposium: Integrating International Human Rights Law Into Domestic Law – US Experience, 4 Hous. J. Int’l L. 1 (1981); Richard Lillich, The Role of Domestic Courts in Enforcing International Human Rights Law, 74 ASIL Proc. 20 (1980). 109 Filartíga, 630 F.2d at 888.
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Filartíga hat man das ATS undifferenziert mit der Durchsetzung des Völkergewohnheitsrechts durch Schadensersatzansprüche assoziiert110. Vor allem NGOs und Wissenschaftler interessierten sich für die Möglichkeiten, die Filartígas Urteilsbegründung für die künftige human rights litigation eröffneten. Zwar ging es bei Filartíga ausschließlich um das völkerrechtliche Folterverbot, aber seine Urteilsgründe waren allgemein formuliert. Filartíga hatte Folter für völkerrechtlich verboten erklärt, weil das Gericht aus einer Fülle von Menschenrechtsdokumenten den „general assent of civilized nations“ zu einer entsprechenden Norm herausgelesen hatte111. Diese Formulierung nahm man als allgemeinen Standard für nach dem ATS durchsetzbare Normen des Völkergewohnheitsrechts wahr. Hiermit war die Möglichkeit zur Durchsetzung weiterer Völkerrechtsnormen durch ATSKlagen eröffnet: Dieselben Dokumente, aus denen das Folterverbot von Filartíga hervorging, erklärten weitere Menschenrechte für gültig. Wenn man mit ihnen eine Filartíga-artige allgemeine Anerkennung anderer Menschenrechte darlegen konnte, konnte man sie als völkergewohnheitsrechtliche Normen präsentieren und ATSKlagen auf sie stützen. Zahlreiche wissenschaftliche Fachbeiträge erschienen unmittelbar nach Filartíga, um den Standard von Filartíga präziser zu formulieren112 und Strategien für die Einklagung weiterer Menschenrechtsnormen durch ATSKlagen auszuarbeiten113. 110 Siehe z. B. die „Diskussion“ der Filartíga-Entscheidung in Paul v. Avril, 901 F. Supp. 330, 335 (S.D. Fla. 1994) : „Both compensatory and punitive damages are recoverable for violations of international law“ – mit Verweis auf Filartíga. Diese undifferenzierte Aufnahme von Filartíga war wichtig, weil damit eine wichtige Debatte unbewusst umschifft wurde. Laut Filartíga war die Zuständigkeit von US-Bundesgerichten für ATS-Klagen verfassungsmäßig, weil diese für Ansprüche nach US-Bundesrecht zuständig waren und das Völkerrecht als amerikanisches Bundesrecht galt. Wenn man aber wüsste, dass ATS-Klagen in Wahrheit nur auf ausländischem Deliktsrecht beruhten – was denn? Für die Etablierung der ATS-Rechtsprechung war es wichtig, dass diese Frage erst nach dem presseträchtigen und erfolgreichen Abschluss einiger großer ATS-Klagen in die Diskussion kam. 111 Siehe Filartíga, 630 F.2d at 881. 112 Siehe z. B. Jeffrey Blum & Ralph Steinhardt, Federal Jurisdiction over International Human Rights Claims: The Alien Tort Claims Act After Filartiga v. Pena-Irala, 22 Harv. Int’l L.J. 53, 57, 98 – 102 (1981). 113 Siehe z. B. Viktor Mayer, Schönberger & Teree Foster, More Speech, Less Noise: Amplifying Content-Based Speech Regulations Through Binding International Law, 18 B.C. Int’l & Comp. L. Rev. 59 (1995); Martin Flaherty, Human Rights violations Against Defense Lawyers: The Case of Northern Ireland, 7 Harv. Hum. Rts. J. 87, 119 (1994); Beth Gammie, Human Rights Implications of the Export of Banned Pesticides, 25 Seton Hall L. Rev. 558, 578 – 80 (1994); Beth Stephens, The Civil Lawsuit as a Remedy for International Human Rights Violations Against Women, 5 Hastings Women’s L.J. 143 (1994); Janice Villers, Closed Borders, Closed Ports: The Plight of Haitians Seeking Political Asylum in the United States, 60 Brook. L. Rev. 841 (1994); Hernan de J. Ruiz-Bravo, Monstrous Decision: Kidnapping is Legal, 20 Hastings Const. L.Q. 833 (1993); Jorge Cicero, The Alien Tort Statute of 1789 as a Remedy for Injuries to Foreign Nationals Hosted by the United States, 23 Colum. Hum. Rts. L. Rev. 315, 340 – 58 (1992); Jacques Semmelman, Due Process, International law, and Jurisdiction over Criminal Defendants Abducted Extraterritorially: the Ker-Frisbie Doctrine
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III. Kadic v. Karadzic 1. Einleitung Die Entscheidung des Second Circuit in Kadic v. Karadzic (hiernach „Karadzic“) markiert einen Übergang in der ATS-Rechtsprechung. Bis 1995 hatten sich ATSKlagen ausschließlich auf ehemalige Hoheitsträger konzentriert. Die Gerichte waren sich weitgehend einig, dass hoheitlich begangener Folter, Inhaftierung und Mord als Angelegenheiten des Völkergewohnheitsrechts zu betrachten und auf dieser Grundlage ATS-Ansprüche zu gewähren waren. Insofern hatte die ATS-Rechtsprechung bejaht, dass Individuen unmittelbare Schutzrechte aus dem Völkergewohnheitsrecht im Rahmen von ATS-Klagen ableiten durften. Karadzic hingegen wurde gegen einen Mann erhoben, von dem man nicht wusste, ob er als Hoheitsträger oder Privatmann einzuordnen war. Radovan Karadzic hatte im Bosnienkrieg die serbische Armee und ihre Säuberungskampagne gegen Kroaten und Bosniaken geleitet. Diese Armee hatte keinem anerkannten Staat, sondern nur einem allein von Serben ausgerufenen Gebilde namens Srpska gedient. Es stellte sich also die Frage, ob neben Rechten auch unmittelbare Pflichten des Individuums aus dem Völkergewohnheitsrecht abgeleitet werden konnten. Karadzic bejahte, zumindest mit Bezug auf eine kleine Anzahl von Universalstraftaten, eine unmittelbare Bindungswirkung des Völkerrechts auf das Individuum. Des Weiteren eröffnete Karadzic die Möglichkeit, Privatpersonen als Hoheitsträger zum Zwecke ihrer Haftbarmachung in ATS-Klagen zu fingieren. Dieses Ergebnis führte zu erheblichen Erweiterungen der bisherigen ATSRechtsprechung. Am Wichtigsten unter diesen war, dass Karadzic das Tor zur Zweiten Welle, in der ATS-Klagen die größten Konzerne der Welt ins Visier nahmen, öffnete. 2. Sachverhalt Gegenstand von Karadzic bildeten die ethnischen Säuberungen des serbischen Militärs im Bosnienkrieg. 1992 haben sich die ethnischen Teilstaaten des ehemaligen Jugoslawiens für unabhängige souveräne Staaten erklärt. Im März 1992 haben die bosnischen und kroatischen Bevölkerungen nach einem Volksentscheid den neuen Staat Bosnien-Herzegowina ausgerufen114. Kurz danach hat im August 1992 die serbische Bevölkerung nach Abhaltung einer Sonderversammlung die „Republik
Reexamined, 30 Colum. J. Transnat’l L. 513 (1992); Note, Judicial Enforcement of International Law Against the Federal and State Governments, 104 Harv. L. Rev. 1269 (1991). 114 Dieser Volksentscheid wurde von der serbischen Bevölkerung boykottiert. Die Europäische Union erkannte den Staat Bosnien-Herzegowina im April 1992 an. Siehe Doe v. Karadzic, 866 F. Supp. 734, 736 (S.D.N.Y. 1994).
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Srpska“ als neuen serbischen Staat verkündet115. Weil sich die Gebiete dieser neuen Staaten zum Teil überschnitten, stürzten sie schnell in einen Krieg. Beide Seiten versuchten, das von ihnen beanspruchte Territorium von der jeweils anderen Ethnizität zu säubern. Präsident von Srpska und Oberbefehlshaber von dessen Armee war Radovan Karadzic. Karadzic ordnete eine militärische Kampagne zur Ausdehnung der von Srpska als Staatsterritorium beanspruchten Gebiete, wobei das Militär diese Gebiete gleichzeitig von Nichtserben säubern sollten. Unter Karadzics Leitung hat das serbische Militär die Auslöschung von Kroaten und muslimische Bosniaken durch Mord, Vergewaltigungen, Zwangsprostitution, erzwungene Schwangerschaften und Folterungen systematisch angestrebt. Opfer von Karadzics Kampagne sind in die USA geflohen, wo sie 1993 zwei ATSSammelklagen gegen ihn vor dem Southern District of New York eingeleitet haben116. Karadzic wurde folgende Deliktstatbestände zur Last gelegt: Völkermord; Vergewaltigung; Zwangsprostitution; erzwungene Schwangerschaften; Folter; grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung; außergerichtliche Hinrichtungen; ethnische und geschlechtsbasierte Ungleichbehandlung von Zivilisten; Körperverletzung; und widerrechtliche Tötung117. Die Klage wurde Karadzic im Empfangssaal eines New Yorker Hotels zugestellt, nachdem er auf Einladung der Vereinten Nationen in die USA eingereist war118. Mit Blick auf die bisherige ATS-Rechtsprechung, die „acting under color of law“ – hoheitliches Handeln – als Merkmal eines Völkerrechtsdeliktstatbestands im Sinne des ATS erforderte, argumentierten die Kläger, dass Karadzic als Hoheitsträger anzusehen sei. Karadzic sei als Staatsoberhaupt anzusehen, da Srpska die völkerrechtliche Definition eines Staates erfülle, indem es die tatsächliche Herrschaft über signifikante Gebiete ausübe. Alternativ habe Karadzic durch Kollaboration mit der Regierung von Serbien, dem größten Teilstaat des ehemaligen Jugoslawiens, die Funktionen einer hohen Amtsperson ausgeübt. 115 Die Republik Srpska wurde von keinem anderen Staate anerkannt. Siehe Doe v. Karadzic, 866 F. Supp. at 736. 116 Siehe Doe v. Karadzic No. 93-civ-878 (S.D.N.Y. 1993); Kadic v. Karadzic, No. 93-civ1163 (S.D.N.Y. 1993). 117 Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232, 237 (2d Cir. 1995): „The two groups of plaintiffs asserted causes of action for genocide, rape, forced prostitution and impregnation, torture and other cruel, inhuman, and degrading treatment, assault and battery, sex and ethnic inequality, summary execution, and wrongful death“. 118 Der Vollzug der Zustellung im Hotel wurde durch Leibwächter vereitelt: Als die Zustellungsbeauftragten Karadzic identifizierten und ihren Zustellungsauftrag kommunizierten, blockierten Karadzics Leibwächter ihren Zugang zu ihm, und die Zustellungsdokumente fielen auf den Boden. Deshalb haben die Kläger (mit Zustimmung des Gerichts) Karadzic durch die Vermittlung des Außenministerium zustellen lassen. Für das Gericht waren diese beiden Versuche ausreichend, um Karadzic über Anhängigkeit und Inhalt der Klage gegen ihn zu informieren.
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3. Erstinstanzliche Entscheidung durch den District Court Der District Court wies die Klagen gegen Karadzic wegen mangelnder Zuständigkeit ab119. Zuerst konstatierte das Gericht unter Berufung auf die bisherige ATSRechtsprechung, dass Völkerrechtsverletzungen nur durch hoheitliches Handeln herbeigeführt werden könnten120. Nur Hoheitsträger seien Völkerrechtssubjekte im Sinne des ATS121. Die Handlungen von Privatpersonen hingegen – „acts committed by non-state actors“ – seien innere Angelegenheiten des jeweiligen nationalen Ziviloder Strafrechts, könnten aber keine Völkerrechtsnormen im Sinne des ATS verletzen122. Insofern könne eine Handlung eines nichtstaatlichen Akteurs keine Völkerrechtsverletzung, und damit keine ATS-Zuständigkeit, begründen. Auf dieser Grundlage musste der District Court die Klagen gegen Karadzic abweisen, nachdem es befand, dass Karadzic keinen Staat, sondern nur eine formlose „kriegerische Faktion“123 leitete. Die Republik Srpska sei kein Staat: Weder werde sie von den USA anerkannt124, noch habe sie die für einen Staat erforderliche innere Organisation und internationale Anerkennung erlangt125. Insofern hätten Karadzic 119 Siehe Doe v. Karadzic, 866 F. Supp. 734 (S.D.N.Y. 1994) (konsolidierte Abweisung von Doe v. Karadzic und Kadic v. Karadzic). 120 „[A]cts committed by non-state actors do not violate the law of nations“. Karadzic, 866 F. Supp. at 739. Als Autoritäten für diesen Schluss zitierte das District Court folgende Entscheidungen: Tel-Oren v. Libyan Arab Rep., 726 F.2d 774 (D.C. Cir. 1984) (Edwards, j., concurring) („I decline to read section 1350 to cover non-state actors“); Sanchez-Espinoza v. Reagan, 770 F.2d 202, 206 – 207 (D.C. Cir. 1985) („As for the law of nations – so-called ,customary international law‘, arising from ,the customs and usages of civilized nations‘ – we conclude that this … does not reach private, non-state conduct of this sort“); Carmichael v. United Technologies Corp., 835 F.2d 109, 113 (5th Cir.1988) („[T]he Alien Tort Statute does not confer subject matter jurisdiction over private parties who conspire in or aid and abet, official acts of torture“); Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531, 1541 (N.D.Cal.1987) („Of course, purely private torture will not normally implicate the law of nations, since there is currently no international consensus regarding torture practiced by non-state actors“). 121 „Courts that have found causes of action to lie pursuant to [the ATS], have done so when state actors violated the law of nations“. Karadzic, 866 F. Supp. at 740. Hierfür zitierte das Gericht Filartiga v. Pena-Irala, 630 F.2d 876 (2d. Cir. 1980); In Re Estate of Ferdinand E. Marcos Litigation, 978 F.2d 493 (9th Cir. 1992); Siderman de Blake v. Republic of Argentina, 965 F.2d 699 (9th Cir.1992); und Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531 (N.D.Cal.1987). 122 Siehe Karadzic, 866 F. Supp. at 740 – 41. („This Court finds that the acts alleged in the instant action, while grossly repugnant, cannot be remedied through [the ATS]“.). 123 Die genaue Bezeichnung des Gerichts war „[t]he current Bosnian-Serb warring military faction“, siehe Karadzic, 866 F. Supp. at 741. 124 Siehe Karadzic, 866 F. Supp. at 736. Das Gericht fügte hinzu, dass selbst wenn die Republik Srpska von den USA anerkannt werden sollte, dies für die Kläger nicht vorteilhaft wäre, da Karadzic als Oberhaupt eines anerkannten Staates absolute Immunität genösse. 125 Karadzic, 866 F. Supp. at 741. Das Gericht verglich die Republik Srpska und ihre Armee mit der palästinensischen Befreiungsorganisation, der bereits in früheren ATS-Entscheidungen die Eigenschaft als Staat abgesprochen wurde. Siehe Tel-Oren v. Libyan Arab Rep. 726 F.2d 774, 791 (D.C. Cir. 1984). Wenn die palästinensische Befreiungsorganisation kein Staat sei – so das District Court – könne die Republik Srpska überhaupt nicht als Staat qualifiziert werden, da
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und seine ,Soldaten‘ nicht „under the color of any recognized state law“126, sondern nur als Privatmänner gehandelt. Als Privatpersonen könnten sie keine Völkerrechtsdelikte im Sinne des ATS begehen, womit sich das Gericht der Zuständigkeit für eine ATS-Klage als beraubt ansehen musste127. 4. Entscheidung des Second Circuit Die bosnischen und kroatischen Kläger legten Rechtsmittel gegen die Entscheidung des District Court ein und der Second Circuit nahm die Berufung des Falles an. Der Second Circuit hob die Entscheidung des District Court auf und verwies die Klage an den District Court zur Hauptverhandlung zurück128. a) Bestätigung des modernen Völkerrechtsverständnisses von Filartíga An erster Stelle bestätigte der Second Circuit das Völkerrechtsverständnis, das es vor 15 Jahren in Filartíga zugrundegelegt hatte und inzwischen zur Grundlage der ATS-Rechtsprechung geworden war. Völkerrecht im Sinne des ATS sei „international law … as it has evolved and exists … today“, nicht das Völkerrecht des historischen Gesetzgebers von 1789129. Der Inhalt des aktuell existierenden Völkerrechts werde durch eingehende Prüfung von „the general usage and practice of nations“, einschlägige Völkerrechtskommentare sowie Gerichtsentscheidungen, die das Völkerrecht interpretieren und anwenden, bestimmt130. Ließen diese Quellen feststellen, dass der Beklagte eine „well-established, universally recognized nor[m] of interantional law“ verletzt habe, sei eine Deliktsklage nach dem ATS zulässig und die Zuständigkeit des amerikanischen Bundesforums nach dem ATS begründet131. Auf dieser Grundlage wandte sich der Second Circuit der Frage zu, ob die Kläger eine Verletzung einer Völkerrechtsnorm im Sinne des ATS nachgewiesen hatten. In Anbetracht des Urteils vom District Court ging das Gericht davon aus, dass Karadzic als Privatperson anstatt als Hoheitsträger gehandelt hatte132. Es stellte sich deshalb
Srpska „neither the level of organization nor the [international] recognition“ der Palästinenser erlangt hatte. 126 Karadzic, 866 F. Supp. at 741. 127 Die Behauptung der Kläger, Karadzic habe durch Kollaboration mit der serbischen Teilrepublik Jugoslawiens „under color of law“ gehandelt, wurde vom District Court nicht erörtert. 128 Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232 (2d Cir. 1995). 129 Karadzic, 70 F.3d at 238. 130 Karadzic, 70 F.3d at 238. 131 Karadzic, 70 F.3d at 239. 132 Siehe Karadzic, 70 F.3d at 238 – 239.
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die Frage, ob das Völkerrecht eine unmittelbare Bindungswirkung für das Verhalten von privaten Akteuren entfalte. b) Unmittelbare Bindungswirkung des Völkerrechts für das Individuum Mit einem stark formulierten Eröffnungssatz verwarf der Second Circuit die Behauptung, dass private Akteure das Völkerrecht nicht verletzen können: „We do not agree that the law of nations, as understood in the modern era, confines its reach to state action. Instead, we hold that certain forms of conduct violate the law of nations whether undertaken by those acting under the auspices of a state or only as private individuals“133.
Obwohl das Völkerrecht in erster Linie nur staatliches Handeln regele, sei die Verletzung völkerrechtlich besonders geschützter Rechtsgüter immer als Völkerrechtsverletzung zu qualifizieren, gleichgültig ob sie unter der Federführung eines Staates oder durch private Akteure vorgenommen werde134. Für den Second Circuit hatte die direkte Anwendung des Völkerrechts auf privates Handeln eine lange rechtliche Tradition als Schutzmittel für internationale Rechtsgüter. Als frühes Beispiel hiervon nannte es die Piraterie: Das Völkerrecht des 18. Jahrhunderts habe Piraterie unter Strafe gestellt und die Piraten als „hostis humanis generis“ der weltweiten Strafverfolgung ausgesetzt135. Zeitgenössische Quellen bestätigten, dass Privatpersonen ohne jeglichen Bezug zu „public authority“ das völkerrechtliche Verbot der Piraterie verletzen konnten136. Als jüngere Beispiele privat begehbarer Völkerrechtsdelikte führte das Gericht Sklavenhandel und Kriegsverbrechen auf137. Nach der Ansicht des Second Circuit bestand die Bindungswirkung des Völkerrechts für privates Handeln bis in die Gegenwart im Kontext von „offenses of 133
Karadzic, 70 F.3d at 239. Diese Formulierung von Anja Feldbergs Dissertation zum ATS hat der Verfasser nicht übertreffen können. Siehe Anja Feldberg, Der Alien Tort Claims Act 23 (Diss. Hagen 2008). 135 Karadzic, 70 F.3d at 239. Die berühmte Verdammung vom Piraten als hostis humanis generis im common law findet sich in William Blackstone, 4 Commentaries on the Laws of England 68 (1st ed. 1765 – 1769) („[T]he crime of piracy, or robbery and depredation upon the high seas, is an offence against the universal law of society ; a pirate being … hostis humani generis“). Als Beleg der Aufnahme diese Prinzips ins amerikanische Recht zititerte das Gericht die Entscheidung des Supreme Court in The Brig Malek Adhel, 43 U.S. (2 How.) 210, 232 (1844) (Bezeichnung vom Piraten als hostis humani generis). 136 Karadzic, 70 F.3d at 239. Diese Formulierung ging aus der eben zitierten Entscheidung des Supreme Court in The Brig Malek Adhel, 43 U.S. (2 How.) 210, 232 (1844). 137 Karadzic, 70 F.3d at 239. Als Belege der Tatsache, dass Sklavenhandel und Kriegsverbrechen zum Völkerrechtsdelikte herangewachsen waren, die auch von Privatpersonen begangen werden konnten, zitierte das Gericht zwei wissenschaftliche Beiträge: M. Cherif Bassiouni, Crimes Against Humanity in International Criminal Law (1992), und Jordan Paust, The Other Side of Right: Private Duties Under Human Rights Law, 5 Harv. Hum. Rts. J. 51 (1992). 134
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universal concern“ fort. Die Stellungnahme der Regierung138, andere Gerichtsurteile139 und das Restatement (Third) of Foreign Relations140 bestätigten, dass die Verantwortung Privater für Verletzungen international geschützten Rechtsgüter – z. B. durch Flugzeugentführungen – im modernen Völkerrecht verankert sei. Deswegen müsse es als grundsätzlich möglich angesehen werden, dass das Verhalten von Privatpersonen das Völkerrecht verletzen könne. Obwohl die private Verantwortung für Völkerrechtsverletzungen im Kontext des Völkerstrafrechts entwickelt worden war, war der Second Circuit überzeugt, dass Staaten befugt waren, parallele zivilrechtliche Ansprüche zuzulassen141. Als Resultat 138 Siehe Statement of Interest of the United States, Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232 (2d Cir. 1995), at 5: „Contrary to the district court’s conclusion, conduct by non-state actors may in some circumstances violate customary international law“. 139 „[T]he two cases [that successfully invoked] the Alien Tort Act prior to Filártiga both applied the civil remedy to private action“, Karadzic, 70 F.3d at 240. Diese zwei Klagen waren Adra v. Clift, 195 F. Supp. 857 (D. Md. 1961), und Bolchos v. Darrel, 3 F. Cas. 810 (D.S.C. 1795), die im obigen Abschnitt B. I. 2. dieses Kapitels zusammengefasst sind. 140 Karadzic, 70 F.3d at 240. Der Verweis auf das Restatement (Third) of the Foreign Relations Law of the United States (1987) war das Hauptargument des Second Circuit. Zunächst zitierte das Gericht eine Grundsatzerklärung aus der Einführung des Restatement: „Individuals may be held liable for offenses against international law, such as piracy, war crimes, and genocide“. Siehe Restatement (Third) Foreign Relations, pt. II, introductory note. Diese Feststellung bestätigte das Second Circuit mit Auszügen aus seinem Haupttext. Nach der Ansicht des Gerichts differenzierte das Restatement zwischen Völkerrechtsverletzungen, die nur durch hoheitliches Handeln herbeigeführt werden konnten, und Völkerrechtsdelikten, die auch Private begehen konnten. Für das Gericht bedeutete diese Unterscheidung, dass das Völkerrecht die Haftung Privater für Verletzungen international geschützter Rechtsgüter anerkannte. Die relevanten Paragraphen waren Folgende. In seinem § 702 definierte das Restatement (Third) Foreign Relations die Haftung von Staaten für Völkerrechtsverletzungen: „A state violates international law if, as a matter of state policy, it practices, encourages, or condones (a) genocide, (b) slavery or slave trade, (c) the murder or causing the disappearance of individuals, (d) torture or other cruel, inhuman, or degrading treatment or punishment, (e) prolonged arbitrary detention, (f) systematic racial discrimination, or (g) a consistent pattern of gross violations of internationally recognized human rights“. Im Gegensatz zu § 702 führte § 404 Restatement (Third) Foreign Relations eine Liste von „offenses … of universal concern“ auf, um sie der universellen Strafverfolgung nach dem Weltrechtsprinzip auszusetzen: „A state has jurisdiction to define and prescribe punishment for certain offenses recognized by the community of nations as of universal concern, such as piracy, slave trade, attacks on or hijacking of aircraft, genocide, war crimes, and perhaps certain acts of terrorism, even where [no other basis of jurisdiction] is present“. Als das Second Circuit Piraterie und Sklavenhandel in der Liste der „offenses … of universal concern“ in § 404 las, schloss es darauf, dass die aufgeführten Völkerrechtsdelikte auch von Privatpersonen begangen werden können mussten: „the inclusion of piracy and slave trade from an earlier era and aircraft hijacking from the modern era demonstrates that the offenses of ,universal concern‘ include those capable of being committed by non-state actors“. Karadzic, 70 F.3d at 240. Insofern war § 404 Restatement (Third) Foreign Relations seiner Meinung nach als Bestätigung der Haftung von Privatpersonen für Verletzungen international geschützter Rechtsgüter anzusehen. 141 Karadzic, 70 F.3d at 240. Hierfür zitierte das Gericht comment b zu § 404 Restatement (Third) Foreign Relations: „In general, jurisdiction on the basis of universal interests has been
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seien ATS-Klagen gegen private Akteure zulässig, sofern sie einen Verstoß gegen eine Völkerrechtsnorm vorwerfen, die durch privates Handeln verletzt werden könne. c) Die einzelnen Völkerrechtsdelikte Karadzics Nachdem der Second Circuit die Haftung von Privatpersonen für Völkerrechtsverletzungen im Rahmen von ATS-Klagen für prinzipiell möglich erklärt hatte, wandte es sich der Frage zu, ob die Karadzic zur Last gelegten Taten haftungsbegründende ,private‘ Delikte des aktuellen Völkerrechts darstellten. Die mannigfaltigen Vorwürfe der Kläger teilte es in drei Kategorien ein: (1) Völkermord, (2) Kriegsverbrechen sowie (3) Folter und außergerichtliche Hinrichtungen142. Das Gericht unterzog jedes Delikt einer eingehenden Einzelprüfung, um festzustellen, ob einschlägige Völkerrechtsquellen die private Haftung dafür eindeutig bejahten143. aa) Völkermord Die Kläger hatten behauptetet, dass Karadzic mit der systematischen Verfolgung und Ermordung von Muslimen und Kroaten das Ziel ihrer Auslöschung verfolgt habe und dies deswegen als Völkermord/Genozid zu qualifizieren sei. Der Second Circuit stimmte dieser Lesart zu und befand, dass Völkermord eine Völkerrechtsverletzung darstellt, gleichgültig ob sie von einer Privatperson oder einem Hoheitsträger begangen wird. Zunächst bejahte das Gericht, dass Völkermord von der Staatengemeinschaft eindeutig als Völkerrechtsverletzung verdammt werde. Bereits 1946 habe die Generalversammlung der Vereinten Nationen Völkermord zum Verbrechen wider das Völkerrecht erklärt144. Hierzu errichtete sie das Nürnberger Straftribunal, um die Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer politischen Überzeugung, Religion oder ethnischer Zugehörigkeit unter Strafe zu stellen145. Die universelle Ächtung von exercised in the form of criminal law, but international law does not preclude the application of non-criminal law on this basis, for example, by providing a remedy in tort or restitution for victims of piracy“. 142 Siehe Karadzic, 70 F.3d at 241. 143 Karadzic, 70 F.3d at 241: „In order to determine whether the offenses alleged by the appellants in this litigation are violations of the law of nations that may be the subject of Alien Tort Act claims against a private individual, we must make a particularized examination of these offenses“. 144 „In 1946, the General Assembly of the United Nations declared that genocide is a crime under international law that is condemned by the civilized world“. Karadzic, 70 F.3d at 241 (Zitat an G.A. Res. 96(I), U.N. Doc. A/64/Add. 1 (1946)). 145 Karadzic, 70 F.3d at 241. Nach Meinung des Gerichts ging dieser Zweck aus Art. 6 des Statuts für den Internationalen Gerichtshofes vom 8. August 1945 hervor: „Der … Gerichtshof … hat das Recht, alle Personen abzuurteilen, die … Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen [begangen haben]“.
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Völkermord sei kurz danach im Übereinkommen zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 – das von 120 Ländern einschließlich den USA ratifiziert worden sei – zum besonders starken Ausdruck gekommen146. Darin werde der Tatbestand des Genozids klar definiert147 und Personen, die Völkermord begehen, der universellen Strafverfolgung ausgesetzt148. Aus diesen Quellen gehe der eindeutige Wille der Staatengemeinschaft hervor, Völkermord als besonders schwere Völkerrechtsverletzung zu verbieten149. Für die Ansprüche gegen Karadzic fand es das Gericht ausschlaggebend, dass die universelle Ächtung von Völkermord nicht zwischen Privatpersonen und Hoheitsträgern unterscheidet. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen habe Völkermord als Völkerrechtsverbrechen verdammt, gleichgültig ob „the perpetrators are ,private individuals, public officials or statesmen‘“150. Der Zweck der Nürnberger Prozesse sei die Bestrafung aller Personen, die rassistische oder religiöse Verfolgung begangen hatten, „regardless of whether the offenders acted ,as individuals or as members of organizations‘“151. Besonders wichtig für den Second Circuit war das von 120 Staaten ratifizierten Übereinkommen zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords, in dem die Staatengemeinschaft klar erklärte: „Persons committing genocide … shall be punished, whether they are constitutionally responsible rulers,
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Karadzic, 70 F.3d at 241. Siehe Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, G.A. Res. 260 A (III) vom 9. Dezember 1948. 147 Art. II der Konvention definiert Völkermord wie folgt: „In dieser Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: (a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe; (b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe; (c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; (d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; (e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe“. 148 Siehe Art. V der Konvention: „: Die vertragschließenden Parteien verpflichten sich, in Übereinstimmung mit ihren jeweiligen Verfassungen die notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen zu ergreifen, um die Anwendung der Bestimmungen dieser Konvention sicherzustellen und insbesondere wirksame Strafen für Personen vorzusehen , die sich des Völkermordes oder einer der sonstigen in Artikel III aufgeführten Handlungen schuldig machen“. 149 „[C]ondemnation of genocide as contrary to international law [has] quickly achieved broad acceptance by the community of nations“. Karadzic, 70 F.3d at 241. 150 So der Wortlaut der vom Gericht zitierten Resolution der Generalversammlung, U.N. Doc. A/64/Add.1, at 188 – 89 (1946), siehe Karadzid, 70 F.3d at 241. 151 Der zitierte Text Stammt aus Art. 6 des Statuts für den internationalen Militärgerichtshof: „Der … Gerichtshof … hat das Recht, alle Personen abzuurteilen, die … als Einzelpersonen oder als Mitglieder einer Organisation oder Gruppe [gehandelt haben]“. Siehe Karadzic, 70 F.3d at 241.
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public officials or private individuals“152. Der amerikanische Gesetzgeber habe die Anwendbarkeit dieser Norm auf privates Verhalten durch Erlass des Genocide Convention Implementation Act bestätigt153. Dieses Gesetz erkenne Genozid als Straftatbestand an, unabhängig davon, ob es von einem Hoheitsträger oder einer Privatperson begangen werde154. Aufgrund dieser Quellenlage befand das Gericht, dass Völkermord eine Völkerrechtsverletzung darstelle, die von Privatpersonen begangen werden könne155. Es blieb nur die Frage, ob die Karadzic vorgeworfenen Taten den Tatbestand des Genozids erfüllten. In dieser Hinsicht befand das Gericht, dass systematisches Ermorden, Vergewaltigen, Zwangsvergewaltigen und Foltern mit dem Ziel, bosnische Muslime und Kroaten auszulöschen, eindeutig als Genozid zu qualifizieren sei156. Folglich stelle der Karadzic vorgeworfene Völkermord eine Völkerrechtsverletzung im Sinne des ATS dar, auch wenn Karadzic nur als Privatmann gehandelt habe. Als Resultat bejahte der Second Circuit die Zuständigkeit der amerikanischen Bundesgerichte für Schadensersatzansprüche gegen Karadzic wegen Genozids. bb) Kriegsverbrechen Als Nächstes hatten die Karadzic-Kläger argumentiert, dass die Ermordungen, Vergewaltigungen, Folterungen und willkürlichen Inhaftierungen von Zivilisten, die Karadzics Truppen während des Kosovo-Kriegs begangen hatten, als Kriegsverbrechen zu werten seien. Das Gericht befand, dass diese im Rahmen des bosnischen Bürgerkriegs an Zivilisten begangenen Gräueltaten als Kriegsverbrechen zu qualifizieren waren, und dass Karadzic auch als Privatperson nach dem ATS für sie hafte. Zunächst konstatierte das Gericht, dass die Staatengemeinschaft Kriegsverbrechen als Völkerrechtsverletzungen verboten habe. Seit langem gälten unnötige Gräueltaten an Zivilisten bei bewaffneten Konflikten als Verletzung des internationalen Kriegsrechts157. Das Völkerrecht lege Befehlshabern sogar die positive Pflicht auf, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung von Gräueltaten durch ihre
152 So Art. IV des Übereinkommens zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, siehe Karadzic, 70 F.3d at 241. 153 Siehe 18 U.S.C. § 1091. 154 Siehe 18 U.S.C. § 1091(a) (Erstreckung des Genozidtatbestandes auf „whoever … [attempts] to destroy … a natinoal, ethnic, racial, or religious group“) (Hervorhebung des Verfassers). 155 „These authorities unambiguously reflect that, from its incorporation into international law, the proscription of genocide has applied equally to state and non-state actors“. Karadzic, 70 F.3d at 241 – 42. 156 Karadzic, 70 F.3d at 242. 157 „Atrocities of the types alleged here have long been recognized in international law as violations of the law of war“. Karadzic, 70 F.3d at 242.
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Truppen vorzunehmen158. Auf der Grundlage solcher Traditionsnormen des Völkergewohnheitsrechts habe die Staatengemeinschaft nach dem II. Weltkrieg das Kriegsrecht kodifiziert – Resultat seien die Genfer Konventionen gewesen159. Da die Genfer Konventionen mittlerweile von mehr als 180 Ländern inklusive den USA ratifiziert worden seien, könnten diese als zuverlässige Quelle des aktuellen Völkerkriegsrechts angesehen werden160. Artikel III aller vier Genfer Konventionen lege die Mindeststandards für die Behandlung von Zivilisten in Bürgerkriegen fest161. Absolut verboten sei unnötige Gewalt gegen Leib und Leben unbeteiligter Zivilisten, insbesondere jede Art von Mord und Folter162. Genauso verboten seien Schandtaten gegen die Würde von Zivilisten sowie ihre Hinrichtung ohne Gerichtsurteil163. Überdies dürften Zivilsten nicht wegen Rasse oder Religion schlechter als andere Zivilisten behandelt werden164. Ferner befand das Gericht, dass die Regeln des Kriegsrechts auf nichtstaatliche Akteure Anwendung fänden. Zum einen seien die Genfer Konventionen für alle „Parteien“ eines bewaffneten Konflikts verbindlich, und unter ,Parteien‘ verstand das Gericht sowohl anerkannte Staaten als auch „umherziehende Rebellenhorden“165. Folglich waren auch Privatpersonen, die sie sich an einem bewaffneten Konflikt 158 Karadzic, 70 F.3d at 242. Als Autorität verwies das Second Circuit auf die Entscheidung des Supreme Court in In re Yamashita, 327 U.S. 1, 14 (1946), in der es ein Strafverfahren gegen einen japanischen General wegen Verstöße gegen diese kriegsrechtlichen Regeln während des Zweiten Weltkriegs zuließ. 159 „After the Second World War, the law of war was codified in the four Geneva Conventions“. Karadzic, 70 F.3d at 242. 160 Siehe Karadzic, 70 F.3d at 242 – 43. 161 Karadzic, 70 F.3d at 243. Art. 3 aller vier Genfer Konventionen ist auf „bewaffnete Konflikte, die keinen internationalen Charakter aufweisen“ anwendbar. 162 Siehe Genfer Konvention I Art. 3 (1): „Personen, die nicht direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen, … sollen unter allen Umständen mit Menschlichkeit behandelt werden, ohne jede Benachteiligung aus Gründen der Rasse, der Farbe, der Religion oder des Glaubens, des Geschlechts, der Geburt oder des Vermögens oder aus irgendeinem ähnlichen Grunde. Zu diesem Zwecke sind und bleiben in Bezug auf die oben erwähnten Personen jederzeit und jedenorts verboten: (a) Angriffe auf Leib und Leben, namentlich Mord jeglicher Art, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung; (b) die Gefangennahme von Geiseln; (c) Beeinträchtigung der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende und entwürdigende Behandlung; (d) Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines ordnungsmässig bestellten Gerichtes, das die von den zivilisierten Völkern als unerlässlich anerkannten Rechtsgarantien bietet“. 163 Siehe ebd. 164 Siehe ebd. 165 Nach seinem Wortlaut bindet Art. 3 Genfer Konvention I „jede der am Konflikt beteiligten Parteien“. Das Second Circuit glossierte den Begriff Konfliktpartei so: „[C]ommon article 3 … binds parties to internal conflicts regardless of whether they are recognized nations or roving hordes of insurgents“. Karadzic, 70 F.3d at 243.
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beteiligten, an die Einhaltung der Genfer Konventionen gebunden. Dieses Verständnis von Kriegsparteien – und damit von Subjekten des Völkerkriegsrechts – sah das Gericht durch die völkerrechtliche Praxis bestätigt. Seit dem ersten Weltkrieg sei die Strafbarkeit von Privatpersonen für Kriegsverbrechen anerkannt166. Diese Strafbarkeit Privater hätten die Nürnberger Prozesse eindeutig bestätigt, indem auch Privatpersonen als Kriegsverbrecher verurteilt wurden167. Als Resultat gehörten Kriegsverbrechen zu den Völkerrechtsverletzungen, wofür private Akteure ebenso wie Hoheitsträger hafteten. Vor diesem Hintergrund befand das Gericht, dass die Karadzic zur Last gelegten Gräueltaten „the most fundamental norms of the law of war“ verletzen würden168. Da diese ungeachtet hoheitlichen Handelns Völkerrechtsverletzungen darstellten, begründeten sie ohne weiteres einen Schadenersatzanspruch nach dem ATS. Entsprechend nahm der Second Circuit die Zuständigkeit für Schadensersatzansprüche wegen Kriegsverbrechen an. cc) Folter und außergerichtliche Hinrichtungen Schließlich wandte sich das Gericht dem Vorwurf der Kläger zu, dass die von Karadzic angeordneten Folterungen und außergerichtlichen Hinrichtungen kroatischer und muslimischer Zivilisten gegen das Völkerrecht verstießen. Das Gericht behielt hinsichtlich dieser Völkerrechtsdeliktstatbestände das Erfordernis hoheitlichen Handelns bei, ließ allerdings offen, ob Karadzic als Hoheitsträger qualifiziert und dadurch haftbar gemacht werden konnte. Zunächst bestätigte das Gericht ein Erfordernis hoheitlichen Handelns für diese Ansprüche: Folter und außergerichtliche Hinrichtungen seien nur dann als Völkerrechtsverletzungen zu qualifizieren, wenn sie hoheitlich begangen würden. Konsens der Staatengemeinschaft sei es, dass Folter und außergerichtliche Hinrichtungen nur durch hoheitliche Austragung zu einer völkerrechtlichen anstatt einer rein inneren Angelegenheit anwachsen. Filartíga habe festgelegt, dass nur „official torture“ völkerrechtlich verboten sei169. Weitere Erklärungen der Vereinten Nationen170 sowie
166 Siehe Karadzic, 70 F.3d at 243. Hierfür verwies das Gericht auf eine Sammlung einschlagbarer Anklagen in Telford Taylor, Nuremberg Trials: War Crimes and International Law, 450 Int’l Conciliation 304 (April 1949). 167 Siehe ebd. 168 Karadzic, 70 F.3d at 243. 169 Karadzic, 70 F.3d at 243. 170 Karadzic, 70 F.3d at 243. Zitiert wurde die Erklärung über den Schutz aller Personen vor Folter, deren Definition des Foltertatbestandes hoheitliches Handeln erfordert, siehe Art. 1 : „Unter Folter im Sinne dieser Erklärung ist jede Handlung zu verstehen durch die eine Person von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder auf dessen Veranlassung hin vorsätzlich schwere … Schmerzen … zugefügt werden“ (Hervorhebung des Verfassers).
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internationale Abkommen171 hätten den Tatbestand völkerrechtswidriger Folter als von einem „public official“ ausgehende Folter definiert. Dazu hätte der neuere amerikanische Torture Victims Protection Act Ansprüche wegen Folter und außergerichtlicher Hinrichtung nur insofern zugelassen, als diese „under color of law“ stattgefunden hätten172. Folglich konnten Folter und außergerichtliche Hinrichtungen ATS-Ansprüche nur begründen, wenn ihre Täter als Hoheitsträger zu behandeln waren. Als Resultat wies das Gericht die Kläger auf zwei Optionen hin: Einerseits konnten sie Karadzic als Privatpersonen betrachten. Obwohl keine ATS-Ansprüche wegen Folter oder Hinrichtung gegen eine Privatperson möglich waren, könnten die Kläger Karadzics Folterungen und außergerichtlichen Hinrichtung von ethnischen Minderheiten als weitere Nachweise von Völkermord und Kriegsverbrechen verwenden173. Da diese letzteren Völkerrechtsverletzungen von Privatpersonen begangen werden konnten, würden sie eine Haftung Karadzics ungeachtet seiner Eigenschaft als Privater begründen. Damit wäre eine Entschädigung für Folter und Hinrichtung im Rahmen des Genozids- oder Kriegsverbrechensanspruchs möglich. Allerdings bliebe bei einem solchen Vorgehen unsicher, ob damit alle Fälle von Folter und Hinrichtung gedeckt und damit entschädigt würden174. Andererseits konnten die Kläger versuchen, Karadzic als Hoheitsträger nachzuweisen, womit seine völkerrechtliche Haftung für Folter und außergerichtliche Hinrichtungen begründet wäre. Entsprechend griff das Gericht die Frage auf, welche Voraussetzungen erfüllt werden müssten, um Karadzic als Hoheitsträger zu behandeln. Zum einen könnten die Kläger nachweisen, dass die Repulik Srpska einen Staat, zumindest zum Zwecke der Völkerrechtssubjektivität, darstellte und dass Karadzics im Namen dieses Staates gehandelt hätte. Alternativ könnten die Kläger darlegen, dass Karadzic mit der Regierung des ehemaligen Jugoslawien und seines Teilstaates Serbien zusammengearbeitet und deswegen nach amerikanischem Rechtsverständnis „under color of law“ gehandelt hätte. 171
Karadzic, 70 F.3d at 243. Das Gericht zitierte das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984, dessen Definition des Foltertatbestandes ebenfalls hoheitliches Handeln vorsieht, siehe Art. 1 (1): „Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck ,Folter‘ jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche … Schmerzen zugefügt werden, … wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden“.). 172 Siehe Public Law No. 102-256, § 2(a) (Mar. 12, 1992). 173 „[A]ppellants allege that acts of rape, torture, and summary execution were committed during hostilities by troops under Karadzic’s command and with the specific intent of destroying appellants’ ethnicreligious groups. Thus, many of the alleged atrocities are already encompassed within the appellants’ claims of genocide“. Karadzic, 70 F.3d at 244. 174 „Of course, at this threshold stage in the proceedings it cannot be known whether appellants will be able to … prove that each of the alleged torts were committed in the course of an armed conflict, as required to establish war crimes“. Karadzic, 70 F.3d at 244.
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(1) Die Möglichkeit, Srpska als „Staat“ im völkerrechtlichen Sinne nachzuweisen Srpska wurde 1992 von einer serbischen Sonderversammlung als unabhängiger Staat ausgerufen175. Obwohl Srpska die tatsächliche Hoheit über signifikante Gebiete ausübte, erkannte kein anderer Staat Srpska an. Erst im Dayton-Friedensabkommen von 1995 wurde es als einer von zwei Teilstaaten des neuen Landes Bosnien-Herzegowina international anerkannt. Wegen dieser fehlenden Anerkennung argumentierte Karadzic, dass Srpska vor 1995 nicht als Staat und er entsprechend nicht als einer seiner Hoheitsträger qualifiziert werden könne. Der Second Circuit lehnte Karadzics Argumentation ab und befand, dass Srpska seit seiner Ausrufung einen Staat im Sinne des ATS dargestellt hätte. Grundsätzlich sei jedes Gebilde als Staat zu qualifizieren, das die völkerrechtliche Definition eines Staates erfülle: „[A] state is an entity that has a defined territory and a permanent population, under the control of its own government, and that engages in, or has the capacity to engage in, formal relations with other such entities“176. Seien diese Voraussetzungen erfüllt, sei ein Gebilde als de facto Staat anzusehen, gleichgültig ob sein Ursprung „gewaltsam und widerrechtlich“ gewesen sei177. Die völkerrechtliche Definition eines Staates machte für den Second Circuit klar, dass internationale Anerkennung keine Voraussetzung für die Qualifizierung eines Gebildes als Staat war. Lediglich die Kapazität, diplomatische Beziehungen zu unterhalten, sei für die Eigenstaatlichkeit ausschlaggebend178; die förmliche Anerkennung habe nur gewisse zusätzliche Privilegien in gerichtlichen Verfahren zur Folge179. Als Bestätigung hierfür wies der Second Circuit auf amerikanische Gerichtsurteile hin, in denen die Handlungen von nichtanerkannten Staaten (z. B. Ostdeutschland unter sowjetischer Besatzung) als „state action“ behandelt wurden180. 175
Siehe hierzu allgemein Doe v. Karadzic, 866 F. Supp. 734 (S.D.N.Y. 1994). Karadzic, 70 F.3d at 244 (Zitat der Definition eines Staates aus Restatement (Third) Foreign Relations § 201). 177 Karadzic, 70 F.3d at 244 (Zitat von Ford v. Surget, 97 U.S. (7 Otto) 594, 620 (1878) (Clifford, J., concurring)). Die Bezeichnung eines „violent and wrongful … origin“ war zuerst für die Entstehung der Konföderation der Südstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg gedacht passte deshalb sehr gut auf das ebenfalls in einem Bürgerkrieg verwickelte Srpska. 178 Karadzic, 70 F.3d at 244. Unterstützung holte sich das Gericht aus dem Restatement (Third) Foreign Relations: „An entity that satisfies the requirements of § 201 is a state whether or not its statehood is formally recognized by other states“, Siehe Restatement (Third) Foreign Relations § 202 cmt. b. 179 „Recognized states enjoy certain privileges and immunities relevant to judicial proceedings [such as immunity and access to U.S. courts], but an unrecognized state is not a juridical nullity“. Karadzic, 70 F.3d at 244. 180 Siehe Karadzic, 70 F.3d at 244 – 45. Das Gericht zitierte United States v. Insurance Cos., 89 U.S. (22 Wall.) 99, 101 – 03 (1875) (Anerkennung von Amtshandlungen der Südstaaten während des Bürgerkriegs), und Carl Zeiss Stiftung v. VEB Carl Zeiss Jena, 433 F.2d 686, 699 (2d Cir. 1970) (Anerkennung von Handlungen der nicht anerkannten sowjetischer Regierung Ostdeutschlands). 176
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Des Weiteren knüpfe das Völkergewohnheitsrecht die Haftung für Völkerrechtsverletzungen nicht an die Legitimität, sondern nur an die de facto Existenz eines Staates an. Auch nichtanerkannte Staaten seien zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet181. Es wäre zudem absurd, die Bindungswirkung von Menschenrechten an internationale Anerkennung zu knüpfen – dadurch würde die Missbilligung eines Staates, die durch die Nichtanerkennung zum Ausdruck komme, effektiv zum Freibrief werden, Menschenrechte ohne Konsequenzen zu missachten182. Aus dem Vorangegangen schloss der Second Circuit, dass die internationale Anerkennung eines Staates unerheblich sei; die de facto Herrschaft über ein definiertes Gebiet reiche für die Qualifizierung als Staat aus. Vor diesem Hintergrund erörterte es Karadzics Srpska-Regime. Sprska übe die tatsächliche Kontrolle über ein definiertes Territorium mit fester Bevölkerung aus und habe Abkommen mit anderen Regierungen abgeschlossen183. Außerdem haften Srpska weitere staatentypische Merkmale an: Srpska habe einen Präsidenten, ein Parlament und eine eigene Währung184. Allem Anschein nach erfülle Srpska deshalb die völkerrechtliche Definition eines de facto Staates. Hierzu bejahte das Gericht, dass Karadzic als Hoheitsträger von Srpska zu qualifizieren sei. Das Konzept des hoheitlichen Handelns erfordere nur den Anschein staatlicher Autorisierung185. Insofern genüge der Anschein, dass Karadzic im Rahmen seiner Tätigkeit als Oberbefehlshaber von Srpska Folter angeordnet habe, um den völkerrechtlichen Tatbestand des „official torture“ zu erfüllen. Als Resultat bejahte der Second Circuit die Zuständigkeit der Bundesgerichte für Ansprüche gegen Karadzic wegen hoheitlicher Folterung. (2) „Joint action“ mit einem Staat gilt als „acting under color of law“ Danach adressierte der Second Circuit die alternative Haftungsgrundlage, nämlich dass Karadzic durch seine Zusammenarbeit mit der Regierung des ehemaligen Teilstaats Serbien „under color of law“ gehandelt habe.
181 „The customary international law of human rights, such as the proscription of official torture, applies to states without distinction between recognized and unrecognized states“. Karadzic, 70 F.3d at 245. 182 Siehe Karadzic, 70 F.3d at 245. 183 Karadzic, 70 F.3d at 245. 184 Karadzic, 70 F.3d at 245. 185 „[I]t is likely that the state action concept, where applicable for some violations like ,official‘ torture, requires merely the semblance of official authority. The inquiry, after all, is whether a person purporting to wield official power has exceeded internationally recognized standards of civilized conduct, not whether statehood in all its formal aspects exists“. Karadzic, 70 F.3d at 245. Für diese Ausführungen hat das Gericht keine Autoritäten herangezogen.
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Nach Meinung des Gerichts ließ sich diese Frage anhand der Rechtsprechung zum amerikanischen Bundesgesetz 42 U.S.C. § 1983 (hiernach „§ 1983“) beantworten186. § 1983 erschuf einen Schadensersatzanspruch gegen Personen, die „under color of law“ – d. h. unter dem Anschein staatlicher Autorisierung – die Grundrechte eines anderen verletzt hatten187. Wo Verletzungen von Amtspersonen und anderen Hoheitsträgern ausgingen, war es klar, dass diese „under color of law“ gehandelt hatten. Ein weiterer Teil der § 1983-Rechtsprechung hatte sich mit der Frage befasst, wann das Verhalten einer Privatperson wegen enger Mitarbeit mit Hoheitsträgern unter den Anschein staatlicher Autorisierung kam und deswegen als eine Handlung „under color of law“ zu qualifizieren war. Wenn dies der Fall war, wurde die Privatpersonen zum Zwecke der Haftung als Hoheitsträger angesehen. Der Second Circuit fand, dass die Maßstäbe dieser Strömung der § 1983-Rechtsprechung auch auf fremde Akteure anwendbar waren, um das Vorliegen hoheitlichen Handelns im Sinne des ATS festzustellen188. In der § 1983-Rechtsprechung wird das Handeln einer Privatperson als hoheitliches Handeln betrachtet, wenn „joint action“ zwischen der Privatperson und staatlichen Akteuren vorliegt189. Entscheidungen vor Karadzic hatten die Maßstäbe für haftungsbegründende „joint action“ wie folgt formuliert: „joint action“ liege vor, wenn „state officials and private parties have acted in concert“, um eine Rechtsverletzung herbeizuführen190. Der Second Circuit wandte eine eigene Version des „joint action“-Tests an, um Karadzics Eigenschaft als Hoheitsträger festzustellen. Die für ATS-Fälle anwendbare Regel, die der Second Circuit zugrunde legte, traf die NGOs der USA wie ein Donnerschlag: „A private individual acts under color of law within the meaning of § 1983 when he acts together with state officials or with significant state aid“191. Für ATS-Klagen umformuliert hieß das: eine Privatperson, die im Rahmen einer Zu186
Siehe hierzu auch Abschnitt C. II. 3. a) dieses Kapitels, unten. Siehe 42 U.S.C. § 1983: „Every person who, under color of any statute, ordinance, regulation, custom, or usage, of any State …, subjects … any [person within the United States] to the deprivation of any rights, privileges, or immunities secured by the Constitution and laws, shall be liable to the party injured in an action at law“. 188 Der Second Circuit hat diese Feststellung ohne eingehende Analyse durch einen lapidaren Verweis auf eine andere ATS-Entscheidung, Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531, 1541 (N.D.Cal.1987), begründet. Siehe hierzu Abschnitt C. II. 3. b) dieses Kapitels, unten. 189 Zum „joint action“-Test siehe Abschnitt C. II. 3. b) cc) dieses Kapitels, unten. 190 Gallagher v. Neil Young Freedom Concert, 49 F.3d 1442, 1453 (10th Cir. 1995). 191 Karadzic, 70 F.3d at 245. Diese Regel destillierte das Second Circuit aus der Entscheidung des Supreme Court in Lugar v. Edmondson Oil Co., 457 US 922, 937 (1982): „Our cases have accordingly insisted that [to be considered „under color of state law“,] conduct allegedly causing the deprivation of a federal right be fairly attributable to the State. … [For this to be the case,] the party charged with the deprivation must be a person who may fairly be said to be a state actor. This may be because he is a state official, because he has acted together with or has obtained significant aid from state officials, or because his conduct is otherwise chargeable to the State“. 187
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sammenarbeit mit Hoheitsträgern eine Menschenrechtsverletzungen beging, war nunmehr auch als Hoheitsträger mit seiner vollen völkerrechtlichen Haftung zu behandeln. Nach dieser Regel war Karadzic als Hoheitsträger anzusehen: Er hatte einen Krieg im Auftrag des Parlaments des ehemaligen Teilstaats Serbien geführt, das ihn mit Geld und einer Armee ausgestattet hatte. Wegen dieser Zusammenarbeit musste er als fingierter Hoheitsträger die von ihm ausgehenden Folterungen und außergerichtlichen Hinrichtungen verantworten. Auf dieser Grundlage nahm der Second Circuit die Zuständigkeit für entsprechende Schadenersatzansprüche nach dem ATS an. d) Justiziabilität der Klage Zuletzt erörterte der Second Circuit die Justiziabilität der Klage gegen Karadzic. Die Justiziabilität-Doktrin ist eine sog. prudentielle Regel, wonach amerikanische Gerichte die Entscheidung über einen vorliegenden Sachverhalt trotz begründeter Zuständigkeit freiwillig abgeben, wenn die Entscheidung ein Überschreiten ihrer verfassungsmäßigen Befugnisse bedeuten würde. Dadurch wird der Sachverhalt nicht mehr „justiziabel“: Er ist einer anderen Regierungsgewalt zu überantworten. Im Kontext von Karadzic nahm der Second Circuit an, dass ATS-Klagen die Gefahr wesentlicher Auswirkungen auf die diplomatischen Beziehungen der USA mit sich bringen könnten, welche traditionell die Domäne der Exekutive seien192. Deswegen musste geprüft werden, ob die Klage gegen Karadzic justiziabel war. aa) Political Question Doctrine Für die vorliegende Klage kam zuerst die „political question doctrine“ als anwendbare Justiziabilitäts-Dotrin, in Frage. Nach der political question doctrine ist ein Fall nicht justiziabel, wenn ihre zugrundeliegende Frage keine Rechtsfrage, sondern eine dem politischen Ermessen der anderen Regierungsgewalten überlassene Frage ist193. Karadzic hatte argumentiert, dass ATS-Klagen an sich nur politische Fragen darstellten, weil sie zwangsweise die außenpolitischen Beziehungen der USA tangierten und wegen ihrer Menschrechtsdimension politisch potenziert waren. Dies lehnte der Second Circuit ab: Die politische Aufladung eines Falles verwandele ihn
192 „[W]e recognize that suits of this nature can present difficulties that implicate sensitive matters of diplomacy historically reserved to the jurisdiction of the political branches“. Karadzic, 70 F.3d at 248 – 49. 193 Siehe Karadzic, 70 F.3d at 249. Beispiele von nicht justiziable politische Fragen: Die Entscheidung des Präsidenten, einen Staatsvertrag aufzukündigen (Goldwater v. Carter, 444 U.S. 996 (1979)) sowie die Entscheidungen der gesetzgebenden Versammlungen der Bundesstaaten zur Zeichnung von Abgeordnetenbezirke, sofern darin keine Rassendiskriminierung zu erkennen ist (Vieth v. Jubelirer, 541 U.S. 267 (2004)).
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nicht in automatisch in eine nicht justiziable politische Frage194. Viel besser sei der flexibler Ansatz einer Einzelfallprüfung195. Damit könnten die Gerichte das Mandat des ATS grundsätzlich durchsetzen aber den angemessenen Respekt für das Mandat und den Vorrang der Exekutive in außenpolitischen Angelegenheiten in geeigneten Fällen wahren196. Zur Prüfung, ob die Klage gegen Karadzic eine politische Frage darstellte, legte der Second Circuit als Maßstab die sechs Faktoren zugrunde, die der Supreme Court in Baker v. Carr festgelegt hatte197. Nach Anwendung dieser Faktoren war das Gericht überzeugt, dass Karadzic keine politische Frage darstellte. Das ATS sei eine ausdrückliche Zuweisung von Menschenrechtsfragen an die Judikative, was mit einem klaren Entscheidungsmandat einhergehe198. Bei ATS-Klagen bestehe kein Mangel an „judicially discoverable and manageable standards“ für die Entscheidung ihrer Sachverhalte199. Im Gegenteil – und hier horchten die NGOs der USA wieder auf – „universally recognized norms of international law provide judicially discoverable and manageable standards for adjudicating“ ATS-Klagen200. Da die für ATSKlagen anwendbaren Völkerrechtsnormen bereits feststünden, müssten Gerichte keine im Grunde außenpolitische Gestaltung der Völkerrechtslage vornehmen201. Die Anwendung anerkannter Völkerrechtsnormen widerlege ferner den Einwand des Beklagten, dass die Gerichte durch ATS-Klagen nur verkappte Außenpolitik betrieben202. Die vierten bis sechsten Baker-Faktoren fasste der Second Circuit als nur von Bedeutung auf, wenn eine gerichtliche Entscheidung früheren Entscheidungen der Exekutiv widerspreche und wichtige außenpolitische Interessen der Exekutive beeinträchtigen würde203. In der Klage gegen Karadzic waren keine derartigen Kon194 „Although these cases present issues that arise in a politically charged context, that does not transform them into cases involving nonjusticiable political questions. ,[T]he doctrine‘ is one of ,political questions,‘ not one of ,political cases‘“. Karadzic, 70 F.3d at 249. 195 Karadzic, 70 F.3d at 249. 196 Karadzic, 70 F.3d at 249. 197 In Baker v. Carr 369 U.S. 186, 211 (1962), hat das Supreme Court festgelegt, dass nicht justiziable politische Fragen mindestens einen der folgenden sechs Faktoren aufweisen müssen: „[1] a textually demonstrable constitutional commitment of the issue to a coordinate political department; or [2] a lack of judicially discoverable and manageable standards for resolving it; or [3] the impossibility of deciding without an initial policy determination of a kind clearly for nonjudicial discretion; or [4] the impossibility of a court’s undertaking independent resolution without expressing lack of the respect due coordinate branches of government; or [5] an unusual need for unquestioning adherence to a political decision already made; or [6] the potentiality of embarrassment from multifarious pronouncements by various departments on one question“. 198 Karadzic, 70 F.3d at 249. 199 Karadzic, 70 F.3d at 249. 200 Karadzic, 70 F.3d at 249. 201 Karadzic, 70 F.3d at 249. 202 Karadzic, 70 F.3d at 249. 203 Karadzic, 70 F.3d at 249 – 50.
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flikte zu sehen: In einer vom Gericht erbetenen Stellungnahme hatte die Regierung grundsätzlich verneint, dass die anhängigen Klagen gegen Karadzic ernstzunehmende Auswirkungen auf die Außenpolitik nach sich ziehen würden204. Während eine gegenteilige Stellungnahme der Regierung nicht automatisch zur Klageabweisung führen müsste, bestätige ihre positive Rückmeldung den Schluss, dass die Klage gegen Karadzic keine politische Frage darstellte205. Auf dieser Grundlage war das Gericht überzeugt, dass die Klage gegen Karadzic keine politische Frage darstellte. bb) Act of State Doctrine Zuletzt prüfte der Second Circuit die Justiziabilität der Klage anhand der Act of State-Doktrin. Nach der act of state doctrine urteilen US-Gerichte nicht über die Hoheitsakte eines Staates, die er auf seinem eigenen Hoheitsgebiet vollzogen hat206. Aus revisionsrechtlichen Gründen durfte sich Karadzic nicht auf die act of stateDoktrin berufen207, aber der Second Circuit erörterte trotzdem in obiter dicta die allgemeine Anwendbarkeit der Doktrin auf ATS-Klagen. Nach Meinung des Gerichts sollte die act of state-Doktrin nur ausnahmsweise, wenn überhaupt, Anwendung auf ATS-Klagen finden. Um eine Handlung als ein „act of state“ qualifizieren zu können, müsse ein Beklagter glaubwürdig argumentieren, dass die Handlung „the officially approved policy of a state“ umsetzte208 – was bei Folter, Hinrichtung und dergleichen nicht möglich war. Außerdem schütze die act of state-Doktrin nur Handlungen vor gerichtlicher Beurteilung, wenn keine einheitliche internationale Rechtsmeinung zu ihrer Rechtmäßigkeit zu finden sei209 – aber die 204
Siehe Statement of Interest of the United States, Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232 (2d Cir. 1995), at 3: „Although there might be instances in which federal courts are asked to issue rulings under the Alien Tort Statute … that might raise a political question, this is not one of them“. 205 Karadzic, 70 F.3d at 250. 206 „The act of state doctrine … precludes the courts of this country from inquiring into the validity of the public acts a recognized foreign sovereign power committed within its own territory“. Banco Nacional de Cuba v. Sabbatino, 376 US 398, 401 (1964). Die Doktrin wird als Folge der verfassungsrechtlichen Gewaltenteilung angesehen: Da allein der Präsident für die Pflege der Außenbeziehungen verantwortlich ist, würde das Aburteilen der Hoheitsakte anderer Regierungen eine Kompetenzüberschreitung der Gericht darstellen. Siehe Sabbatino, 376 U.S. at 423 – 24. 207 Die act of state doctrine wird verfahrensrechtlich als „defense“ (etwa: Einwand oder Einredegrund) angesehen und muss deswegen zum frühstmöglichen Zeitpunkt in der erstinstanzlichen Verhandung erhoben werden; die Nichterhebung gilt als Verzicht („waiver“) auf den Einwand. Da Karadzic den Einwand der act of state doctrine beim District Court nicht erhoben hatte, konnte er sich nicht auf ihn im Berufungsverfahren vor dem Second Circuit berufen. 208 Karadzic, 70 F.3d at 250. 209 „Banco Nacional was careful to recognize [that the act of state] doctrine [applied only] ,in the absence of … unambiguous agreement regarding controlling legal principles, … and
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Verletzung international anerkannter Völkerrechtsnormen werde einhellig von der Staatengemeinschaft verdammt. Schließlich sei es grundsätzlich fragwürdig, ob „the acts of even a state official, taken in violation of a nation’s fundamental law and wholly unratified by that nation’s government“, überhaupt als Hoheitsakt qualifiziert werden könnten210. Als Resultat solle die act of state-Doctrine generell nicht als Verteidigungsgrund für ATS-Klagen in Betracht kommen. 5. Ausgang des Verfahrens Nach den Erörterungen des Second Circuit war die ATS-Klage gegen Karadzic zulässig und die Zuständigkeit des Southern District of New York begründet. Das Gericht wies die Klage an den District Court für die Wiederaufnahme der Hauptverhandlung zurück. Karadzic war inzwischen aus den USA ausgereist und verweigerte die Beteiligung am Hauptverfahren. Die zwei Klagen gegen ihn endeten in Versäumnisurteilen, wonach er in Doe v. Karadzic zum Schadensersatz von $ 745 Mio. und in Kadic v. Karadzic zum Schadensersatz in Höhe von $ 1,2 Mrd. verurteilt wurde. 6. Die Wirkung von Karadzic Karadzic war in mehrfacher Hinsicht ein signifikantes Urteil211. Zunächst war es eine stark formulierte, eng verfolgte und presseträchtige Bestätigung des FilartígaAnsatzes zur ATS-litigation. Bis 1995 waren nur einige wenige ATS-Klagen gegen ehemalige Hoheitsträger bis zur Hauptverhandlung vorgerückt und noch weniger in die Berufungsinstanz gelangt. Diese Klagen hatten sich aufgrund von Filartíga in juristisches Neuland gewagt und Karadzic bejahte ausdrücklich ihre Richtigkeit: Gerichte durften und sollten das aktuelle Völkerrecht ermitteln und Schadensersatzansprüche für dessen Verletzungen nach dem ATS zulassen. Anhand von Filartíga und Karadzic als Präzedenzfälle hoher Berufungsgerichte gewann die ATSRechtsprechung erheblich an Legitimität in den anderen amerikanischen Circuits. Gleichzeitig leitete Karadzic eine signifikante Erweiterung des Anwendungsbereichs des ATS ein. Zum einen legte Karadzic fest, dass auch private Akteure als applied the doctrine only in a context … in which world opinion was sharply divided“. Karadzic, 70 F.3d at 250. 210 Karadzic, 70 F.3d at 250. 211 Zur Bedeutung von Karadzic siehe z. B. Charles Marshall, Re-framing the Alien Tort Act after Kadic v. Karadzic, 21 N.C. J. Int’l L. & Com. Reg. 591 (1995 – 1996); David Bloch, Dangers of Righteousness: Unintended Consequences of Kadic v. Karadzic, 4 Tulsa J. Comp. & Int’l L. 35 (1996 – 1997); Amy Eckert, Kadic v. Karadzic: Whose International Law?, 25 Denv. J. Int’l L. & Pol’y 173 (1996 – 1997); Alan Enslen, Filartiga’s Offspring: The Second Circuit Significantly Expands the Scope of the Alien Tort Claim Act with Its Decision in Kadic v. Karadzic, 48 Ala. L. Rev. 695 (1996 – 1997); Jordan Paust, Suing Karadzic, 10 Leiden J. Int’l L. 98 (1997).
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Subjekte des modernen Völkerrechts anzusehen waren. Diese Feststellung erweiterte den Kreis der für ATS-Klagen in Frage kommenden individuellen Beklagten212. Sofern man einer Privatperson ein „offense of universal concern“ des modernen Völkerrechts vorwerfen konnte, konnte man einen Schadenersatzanspruch nach dem ATS gegen sie erheben – und hierfür bot die Liste der dem Weltrechtsprinzip unterstellten Verbrechen des § 404 Restatement (Third) Foreign Relations eine Leitlinie213. Das ATS erlaubte nun Schadenersatzansprüche gegen die ehemaligen Hoheitsträger in aller Welt sowie gegen alle Kriegsverbrecher, Sklavenhändler, Völkermörder und Flugzeugentführer auf dem Globus – gleichgültig ob Letztere jemals eine Verbindung zu staatlicher Gewalt gehabt hatten
IV. Die Erste Welle Filartíga und Karadzic läuteten eine „Erste Welle“ von ATS-Klagen ein. Diese Klagen richteten sich zunächst gegen ehemalige Hoheitsträger, die – wie der paraguayische Polizeichef Pena-Irala – ihre Amtsgewalt angeblich missbraucht hatten, um andere zu foltern, einzusperren, oder zu töten. Nach Karadzic erstreckten sich ATS-Klagen ferner auf Privatpersonen, die aus einer tatsächliche Machtstellung Genozid, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Zwangsarbeit begangen hatten. Die Klagen der Ersten Welle thematisierten die großen Menschenrechtskatastrophen der neueren Geschichte. Aus dem Militärputsch in Argentinien und dem nachfolgenden „schmutzigen Krieg“ gegen verdächtigte Umstürzler gingen einige frühe ATS-Klagen hervor214. Die Gräueltaten der militärischen Regierungen Haitis215 und Somalias216 bildeten die Gegenstände einer Reihe von ATS-Klagen sowie ein Auftragsmord am Erzbischof von San Salvador217, die Willkür von Robert Mugabe in 212 Siehe z. B. Michael Rosetti, Terrorism as a Violation of the Law of Nations after Kadic v. Karadzic, 12 St. John’s J. Legal Comment. 565 (1996 – 1997); Rumna Chowdhury, Kadic v. Karadzic – Rape as a Crime against Women as a Class, 20 Law & Ineq. 91 (2002). 213 § 404 Restatment (Third) Foreign Relations wurde in der Karadzic-Entscheidung als Liste von Völkerrechtsdeliktstatbestände aufgenommen, wofür auch private Akteure hafteten (siehe den unmittelbar obigen Abschnitt zur unmittelbaren Bindungswirkung des Völkerrechts auf das Individuum). Die „offenses of universal concern“, die nach § 404 Restatement kein hoheitliches Handeln erforderten waren: „piracy, slave trade, attacks on or hijacking of aircraft, genocide, war crimes, and perhaps certain acts of terrorism“. 214 Siehe z. B. Siderman de Blake v. Rep. of Argentina, 965 F.2d 699 (9th Cir. 1992); Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531 (N.D. Cal. 1987), 694 F. Supp. 707 (N.D. Cal. 1988). 215 Siehe z. B. Doe v. Constant, No. 08-cv-4827 (S.D.N.Y.); Jean v. Dorelien, No. 03-cv20161 (S.D. Fla.); Lafontant v. Aristide, 844 F. Supp. 128 (E.D.N.Y. 1994); Paul v. Avril, 901 F. Supp. 330 (S.D. Fla. 1994). 216 Siehe z. B. Doe v. Ali (Tukeh), No. 1:05-cv-701 (E.D. Va.); Yousuf v. Samantar, 552 F.3d 371 (4th Cir. 2009), 130 S. Ct. 2278 (2010), 699 F.3d 763 (4th Cir. 2012). 217 Siehe Doe v. Saravia, 348 F. Supp. 2d 1112 (E.D. Cal. 2004).
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
Zimbabwe218 und Chuckie Taylor in Liberia219. Bürgerkriege und die Verfolgung von Unabhängigkeitsbewegungen in Kolumbien, Honduras, El Salvador, Guatemala, Bolivien, Peru und Chile rundeten das „Angebot“ ab. Wo die Inhaber staatlicher Gewalt diese zur Begehung von Menschenrechtsverletzungen missbrauchten, konnte man eine ATS-Klage erwarten, sobald die Zustellung möglich war220. Insgesamt umfasst die Erste Welle etwa 100 ATS-Klagen221. Die Kläger der Ersten Welle haben signifikante Erfolge erzielen können. Durch Erste Welle-Klagen wurden durch bisher 23 Urteile etwa 20 natürliche Personen222 zum Schadensersatz in erheblicher Höhe verurteilt. Die meisten Schadensersatzsprüche der Ersten Welle ergingen im Wege des Versäumnisurteils. Nur sieben Erste Welle-Klagen sind bis ins
218 Siehe Tachiona v. Mugabe, 169 F. Supp. 2d 259 (S.D.N.Y.2001); 186 F. Supp. 2d 383 (S.D.N.Y.2002); 386 F.3d 205 (2d Cir. 2004). 219 Siehe Kpadeh v. Emmanuel, 261 F.R.D. 687 (S.D. Fla. 2009). 220 Ab 1996 erschien eine kleine Nebenströmung ähnlicher Klagen gegen fremde Staaten, die vom amerikanischen Außenministerium als Terrorsponsoren designiert worden waren. Grundsätzlich sind fremde Staaten vor jedweder gerichtlicher Inanspruchnahme aufgrund des Foreign Sovereign Immunities Act (FSIA) immun. Siehe 28 U.S.C. §§ 1330, 1602 – 11. Ihre Immunität schützt vor ATS-Klagen, auch wenn ihnen Verletzungen universeller Menschenrechte vorgeworfen werden, siehe Ameralda Hess Shipping Corp. v. Argentine Rep., 830 F.2d 421 (2d Cir. 1987). In 1996 hat der Kongress den FSIA geändert, um Schadenersatzklagen gegen Staaten zu erlauben, die vom Außenministerium als „state sponsors of terror“ designiert wurden, solange der Anspruch aus „an act of torture, extrajudicial killing, aircraft sabotage, hostage taking“ oder Beihilfe hierzu entstanden war. Siehe 28 U.S.C. § 1605(a)(1). Aus dieser Änderung entstand eine kleine Strömung von ATS-Klagen gegen Staaten, hauptsächlich gegen Kuba und Iran, siehe z. B. Holland v. Islamic Rep. of Iran, 496 F. Supp. 2d 1 (D.D.C. 2005); Alejandre v. Rep. of Cuba, 996 F. Supp. 1239 (S.D. Fla. 1997). 221 Die Fälle der Ersten Welle sind in Anhang A dieser Arbeit aufgeführt. 222 Siehe Martinez-Baca v. Suarez-Mason (Schadensersatz von $ 21 Mio.); Forti v. SuarezMason (Schadensersatz von $ 4 Mio.); de Rapaport, et al. v. Suarez-Mason (Schadensersatz von etwa $ 30 Mio.); In re Estate of Marcos Human Rights Litigation (Schadensersatz von etwa $ 766 Mio. und punitive damages von $ 1,2 Mrd.); Paul v. Avril (Schadensersatz von $ 17 Mio. und punitive damages von $ 24 Mio.); Kadic v. Karadzic (Schadensersatz von insgesamt $ 5,25 Mrd.); Todd v. Panjaitan (Schadensersatz von $ 4 Mio. und punitive damages von $ 10 Mio.); Xuncax v. Gramajo (Schadensersatz und punitive damages von insgesamt $ 47,5 Mio.); Abebe-Jira v. Negewo, (Schadensersatz von $ 200.000 und punitive damages von $ 300.000 für jede Klägerin); Cabiri v. Assasie-Gyimah (Schadensersatz, Höhe unbekannt); Mushikiwabo v. Barayagwiza (Schadensersatz von insgesamt $ 103 Mio.); Cabello v. Fernández-Larios (Schadensersatz von $ 3 Mio. und punitive damages von $ 1 Mio.); Mehinovic v. Vuckovic (Schadensersatz von insgesamt $ 140 Mio.); Doe v. Saravia, 348 F. Supp. 2d 1112 (E.D. Cal. 2004) (Schadensersatz von $ 5 Mio. und punitive damages von $ 5 Mio.); Chavez v. Carranza ( Schadensersatz von $ 2 Mio. und punitive damages von $ 4 Mio.); Arce v. Garcia (Schadensersatz von $ 54,6 Mio.); Reyes v. Grijalba (Schadensersatz von $ 47 Mio.); Doe v. Constant (Schadensersatz von $ 4 Mio. und punitive damages von $ 15 Mio.); Jean v. Dorelien (Schadensersatz von $ 4,3 Mio.); Ochoa Lizarbe v. Hurtado, (Schadensersatz von $ 12 Mio. und punitive damages von $ 25 Mio.); Kpadeh, et al. v. Emmanuel (Schadensersatz von $ 22, 4 Mio.); Yousuf v. Samantar (Schadensersatz und punitive damages von $ 21 Mio.); Ahmed v. Magan (Schadensersatz von $ 5 Mio. und punitive damages von $ 10 Mio.).
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Stadium der Hauptverhandlung fortgeschritten223. Bei diesen sieben Hauptverhandlungen gewann die Beklagtenseite nur einmal224, in den restlichen sechs Verfahren obsiegten die Kläger. Beklagte, die über Geld verfügten, schlossen hingegen schon im Vorfeld Vergleiche mit den Klägern225. Zu den führenden Fällen der Ersten Welle gehörten folgende Entscheidungen: 1. Forti, Martinez-Baca und de Rapaport: Die Klagen gegen General Suarez-Mason Die ersten erfolgreichen ATS-Klagen nach Filartíga wurden gegen Carlos Guillermo Suarez-Mason, einen ehemaligen argentinischen General, erhoben226. Gegenstand der Klage waren Menschenrechtsverletzungen der argentinischen Militärregierung. 1975 hatte der demokratisch gewählte Präsident Peron wegen zunehmender terroristischer Tätigkeiten den Notstand ausgerufen und das argentinische Militär mit der Terrorbekämpfung beauftragt. 1976 hat das Militär Peron gestürzt, eine unbefristete Verlängerung des Notstands angeordnet und Argentinien in militärische „Schutzzonen“ aufgeteilt. General Suarez-Mason war der Oberbefehlshaber der Schutzzone, in der die Kläger wohnten. Seine Truppen haben die Kläger entführt, monate- und jahrelang willkürlich inhaftiert und gefoltert. In einigen Fällen haben Truppen ihre Familienmitglieder ohne Prozess hingerichtet. 1986 haben Folter- und Verschleppungsopfer sowie die Hinterbliebenen ermordeter Dissidenten eine ATS-Klage gegen General Suarez-Mason vor dem Northern
223 Diese waren: In re Estate of Marcos Human Rights Litigation, 978 F.2d 493 (9th Cir. 1993) (Hauptverhandlung mit Jury); Abebe-Jira v. Negewo, 72 F.3d 844 (11th Cir. 1996) (Hauptverhandlung ohne Jury); Cabello v. Fernández Larios, 205 F.Supp. 2d 1325 (S.D. Fla. 2002) (Hauptverhandlung mit Jury); Ford v. Garcia, 289 F.3d 1283 (11th Cir. 2002) (Hauptverhandlung mit Jury); Chavez v. Carranza, No. 03-2932 M1/P (W.D. Tenn. 2005) (Hauptverhandlung mit Jury); Arce v. Garcia, 434 F.3d 1254 (11th Cir. 2006) (Hauptverhandlung mit Jury); Jean v. Dorelien, No. 03-20161 (S.D. Fla. 2007) (Hauptverhandlung mit Jury). 224 Die Niederlage geschah in Ford v. Garcia, 289 F.3d 1283 (11th Cir. 2002), weil die Kläger keine direkte Befehlskette zwischen dem verklagten General und den Truppen, die vier Nonnen grundlos hingerichtet hatten, beweisen konnten. Allerdings hat die NGO, die die Klage betreute, aus der Niederlage gelernt und in Arce v. Garcia, 434 F.3d 1254 (11th Cir. 2006), eine zweite Klage gegen denselben General eingeleitet. Beim zweiten Mal hat sie die Jury überzeugt und obsiegt. 225 Siehe M.C. v. Bianchi, Nos. 09-3240, 3241, 3243 & 3247 (E.D. Pa. 2011) (Vergleich in Höhe von $ 725.000); Abiola v. Abubakar, 2008 U.S. Dist. LEXIS 2937 (N.D. Ill. 2008) (Vergleich, Höhe unbekannt); Doe v. Reddy, No. 02-cv-05570 WHA, 2003 WL 23893010 (N.D. Cal. Aug. 4, 2003) (Vergleich in Höhe von $ 11 Mio.); Siderman de Blake v. Rep. of Argentina, 965 F.2d 699 (9th Cir. 1992) (Vergleich in Höhe von $ 6 Mio.). 226 Siehe Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531 (N.D. Cal. 1987), 694 F.Supp. 707 (N.D.Ca. 1988); Martinez-Baca v. Suarez-Mason, 1988 U.S. Dist. LEXIS 19470 (N.D. Cal. 1988); de Rapaport v. Suarez-Mason, No. C87-2266-JPV (N.D.Cal. Apr. 11, 1989).
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
District of California erhoben227. Das Gericht schloss sich Filartíga an und ließ die Ansprüche wegen Folter zu228. In einer bahnbrechenden Entscheidung befand das Gericht ferner, dass hoheitlich begangene willkürliche Inhaftierung, außergerichtliche Hinrichtungen und zwangsweises Verschwindenlassen Verletzungen des universellen Menschenrechts darstellen und deshalb als ATS-Tatbestände zuzulassen waren229. Nach Zulassung der Klage gegen ihn weigerte Suarez-Mason jede weitere Beteiligung am Verfahren. Er wurde im Wege des Versäumnisurteils zu Schadensersatz in Höhe von insgesamt $ 55 Mio. verurteilt230. 2. In re Marcos: Sammelklagen gegen die First Family der Philippinen Die wohl medienträchtigste ATS-Klage nach Filartíga richtete sich gegen den ehemaligen Präsidenten der Philippinen, Ferdinand Marcos, sowie seine Frau und Tochter231. Gegenstand der Klage waren unzählige Menschenrechtsverletzungen, die staatliche Geheimdienste während Marcos diktatorischer Amtszeit an der philippinischen Bevölkerung verübt hatten. Marcos wurde zwar 1965 in freier Wahl zum Präsidenten der Philippinen gewählt, hatte jedoch 1972 den Notstand ausgerufen und seitdem als Oberhaupt einer Militärregierung regiert. Zum Erhalt seiner Macht ordnete er die gewaltsame Unterdrückung jeglichen Widerstands an. Seine Geheimdienste und Polizei inhaftierten und folterten tausende Philippiner, ohne dass diese jemals einen Prozess erhielten. Hunderte wurden willkürlich hingerichtet und Hunderte mehr verschwanden ohne Spur. Diese Verbrechen geschahen zum Teil auch auf Anweisung von Marcos’ Frau und Tochter, die direkte Kontakte zu den Geheimdiensten hatten. 1986 begehrte das Volk nach einer grob manipulierten Präsidentschaftswahl auf und Marcos musste nach Hawaii fliehen. Kurz nach Betreten amerikanischen Hoheitsgebiets wurden fünf ATS-Klagen gegen ihn erhoben232, die vor dem District of Hawaii unter dem Namen In re Ferdinand Marcos Human Rights Litigation ver-
227 Siehe Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531 (N.D. Cal. 1987). Zu den Einzeltatbeständen siehe Abschnitt C. I. 4. dieses Kapitels, unten. 228 Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531 (N.D. Cal. 1987). 229 Forti v. Suarez-Mason, 694 F. Supp. 707 (N.D. Cal. 1988). 230 In Forti belief sich der Schadensersatz auf $ 4 Mio., in Martinez-Baca auf $ 21 Mio. und in de Rapaport auf $ 30 Mio. 231 Siehe In re Estate of Ferdinand Marcos Human Rights Litig., 25 F.3d 1467 (9th Cir. 1994); Hilao v. Estate of Ferdinand Marcos, 103 F.3d 767 (9th Cir. 1996); Trajano v. Marcos, 878 F.2d 1439 (9th Cir. 1989). 232 Siehe Hilao v. Marcos, No. CV-86-390-HMF (D. Haw. filed June 3, 1986); Sison v. Marcos, No. CV-86-225-HMF (D. Haw. filed Mar. 26, 1986); Clemente v. Marcos, No.CV-861449-SW (N.D. Cal. filed Mar. 20, 1986); Trajano v. Marcos, No. CV-86-207-HMF (D. Haw. filed Mar. 20, 1986); Ortigas v. Marcos, No. CV-86-975-SW (N.D. Cal.filed Mar. 4, 1986).
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bunden wurden233. Ergebnis der Verbindung war eine riesige Sammelklage, in der die Ansprüche von etwa 10.000 Personen, die während Marcos’ Regime Menschenrechtsverletzungen erlitten hatten, geltend gemacht wurden. 1992 ließ der District of Hawaii Ansprüche wegen hoheitlich begangener Folter, willkürlicher Inhaftierung, außergerichtlicher Hinrichtung und zwangsweisem Verschwindenlassen von Personen zu. Im selben Jahr war In re Marcos die erste ATS-Klage, die zur Hauptverhandlung vor einer Jury kam. Die Jury verurteilte Marcos sowie seine Frau und Tochter und sprach den Klägern Schadensersatz in Höhe von insgesamt $ 1,9 Mrd. zu. 1994 bestätigte der Ninth Circuit das Urteil234. 3. Doe v. Lui Qi: Die Klage gegen den Bürgermeister von Peking Eine berühmte ATS-Klage richtete sich gegen Lui Qi, Bürgermeister von Peking235. Gegenstand der Klage waren unter seiner Leitung vorgenommene behördliche Maßnahmen zur Beseitigung von Falun Gong-Anhängern236. 1999 hatte der chinesische Premier die Falun Gong-Sekte als subversive Organisation eingestuft und seine Unterdrückung angeordnet. In seiner Eigenschaft als Bürgermeister von Peking – und insbesondere als Leiter der Vorbereitungen auf die olympischen Spiele von 2008 – soll Qi brutale Maßnahmen gegen Falun Gong-Praktiker angeordnet haben. Tausende Falun Gong-Anhänger wurden ohne Prozess festgenommen und in Umerziehungslager oder Anstalten für Geisteskranke eingesperrt, wo sie jahrelang inhaftiert und oft gefoltert sowie vergewaltigt wurden. 2002 haben entkommene Falun Gong-Praktiker mithilfe einer NGO eine ATSKlage gegen Qi in San Francisco erhoben. Die chinesische Regierung sowie das amerikanische Außenministerium haben Stellungnahmen gegen die Klage eingereicht, da sie die Klagen als Einmischung in die Außenpolitik ansahen237. Trotzdem hat das Gericht ein Feststellungsurteil erlassen, in dem es die Handlungen des Bürgermeisters für die Völkerrechtsverletzungen Folter, willkürliche Inhaftierung sowie grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erklärte.
233 Siehe In re Estate of Marcos Human Rights Litig., MLD 840-MLR, Order (D. Haw. May 16, 1991). 234 Siehe In re Estate of Ferdinand Marcos Human Rights Litig., 25 F. 3d 1467 (9th Cir. 1994). 235 Siehe Doe v. Liu Qi, 349 F. Supp. 2d 1258 (N.D. Cal. 2004). 236 Für den Sachverhalt des Falles, sie die opinion des District Courts, Doe v. Liu Qi, 349 F. Supp. 2d 1258 (N.D. Cal. 2004), sowie die Zusammenfassung des Center for Justice and Accountability, aufrufbar unterhttp://www.cja.org/section.php?id=36. 237 Siehe Statement of Interest of the United States, Doe v. Liu Qi, 349 F. Supp. 2d 1258 (N.D. Cal. 2004) (No. 02-0672); Statement of the People’s Republic of China on „Falun Gong“ Unwarranted Lawsuits, Doe v. Liu Qi, 349 F. Supp. 2d 1258 (N.D. Cal. 2004) (No. 02-0672).
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
4. Doe v. Saravia: Die ATS-Klage aus dem Auftragsmord am Erzbischof von San Salvador Die wohl brisanteste ATS-Klage der Ersten Welle hatte den Auftragsmord an Oscar Romero, Erzbischof von San Salvador, zum Gegenstand238. Der Beklagte war Rafael Saravia, Assistent eines Majors der salvadorianischen Armee. Seit den 1930er Jahren wurde El Salvador von etwa 14 landbesitzendem Familien und einem ihnen gegenüber loyalen Militär regiert239. Während der 1970er Jahre begann das durch Ausbeutung verarmte Volk aufzubegehren. Es wurde hierbei von der katholischen Kirche El Salvadors aufgrund der Befreiungstheologie240 unterstützt. Die aufkeimende Befreiungsbewegung wurde vom Militär als Revolution aufgefasst und brutal niedergeschlagen. Das Militär gründete paramilitärische Todesschwadronen mit eigenem Geheimdienst241, die tausende Bürger folterten und töteten und zunehmend Priester angriffen, die sich auf die Seite ihrer Gemeinden schlugen. 1977 wurde Oscar Romero zum Erzbischof von San Salvador erhoben und nach der Ermordung eines ihm nahestehenden Priesters fing auch er an, die Militärdiktatur und Armut in El Salvador offen zu kritisieren242. Hierauf haben führende Militäroffiziere offenbar beschlossen, den Erzbischof ermorden zu lassen. Am 24. März 1980 soll bei einem Treffen, an dem Saravia und sein Chef teilnahmen, der Mord in Auftrag gegeben worden sein243. Wenige Stunden später wurde Erzbischof Romero während seiner Abendmessepredigt öffentlich erschossen. Nach zwei Jahrzehnten wurde Saravia 2003 in Modesto/Kalifornien entdeckt. Nahe Verwandte des Erzbischofs sowie ihre Hinterbliebene haben eine ATS-Klage gegen ihn vor dem Eastern District of California erhoben. Das Gericht hat Verbrechen gegen die Menschlichkeit, als ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen eine Zivilbevölkerung definiert, als einklagbare Völkerrechtsverletzung im Sinne des ATS anerkannt und die Ermordung des salvadorianischen Erzbischofs als Teil eines derartigen Angriffs auf die salvadorianische Bevölkerung gewertet244. Wegen seiner Beteiligung an der Planung des Auftragsmords hat das Gericht einen ATSAnspruch wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Saravia zugelassen245. Savaria verweigerte sich einer weiteren Beteiligung am Verfahren und wurde im
238
Siehe Doe v. Saravia, 348 F. Supp. 2d 1112 (E.D. Cal. 2004). Saravia, 348 F. Supp. 2d at 1119. 240 Die Befreiungstheologie versteht sich als Stimme der Armen und argumentiert aufgrund biblischer Tradition für das Recht der Völker, sich von Unterdrückung und Entrechtung zu befreien. Von der führenden Kaste El Salvadors wurde sie als Marxismus interpretiert. Siehe Saravia, 348 F. Supp. 2d at 1119 – 1120. 241 Saravia, 348 F. Supp. 2d at 1120. 242 Saravia, 348 F. Supp. 2d at 1120 – 1121. 243 Saravia, 348 F. Supp. 2d at 1121. 244 Saravia, 348 F. Supp. 2d at 1144 ff. 245 Saravia, 348 F. Supp. 2d at 1144 ff. 239
C. Dogmatische Entwicklung der Ersten Welle
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Wege des Versäumnisurteils zu Schadensersatz in Höhe von insgesamt $ 10 Millionen verurteilt246.
C. Dogmatische Entwicklung der Ersten Welle Die Bedeutung der Ersten Welle liegt in der Rechtsprechung, die aus ihr hervorging und die Basis für die Zweite und Dritte Welle247 der ATS-litigation bildete. Denn in der Ersten Welle wurde allmählich klar, dass die ATS-Rechtsprechung kein Völkerrecht war. Zwar befasste sich diese Rechtsprechung mit dem Völkergewohnheitsrecht und sie entwickelte Ansprüche und Tatbestände, die sie als Umsetzung des Völkerrechts erachtete. Aber sie war common law. Als solches wurde sie von späteren Gerichten angesehen und nach der Präzedenzmethodik auf neue Sachverhalte angewandt.
I. Die Ableitung des ATS-Tatbestands aus dem Völkergewohnheitsrecht Das ATS begründet die Zuständigkeit der Bundesgerichte für einen Schadenersatzanspruch eines Ausländers, sofern ein „tort … in violation of the law of nations“ vorliegt. In und nach Filartíga stellte sich zwangsläufig die Frage, welches internationale Normgefüge als „law of nations“ im Sinne des ATS angesehen werden sollte. Des Weiteren stellte sich die Frage, welche Normen innerhalb dieses Normbereichs als einklagbare „tort“-Grundlagen zugelassen werden sollten. 1. Das moderne Völkergewohnheitsrecht als „law of nations“ im Sinne des ATS Erforderlich war ein völkerrechtlicher Normbereich, das (a) die Völkerrechtssubjektivität des Einzelnen bejahte sowie (b) die Ableitung unmittelbarer Rechte und Pflichten zuließ. Die Rechtsprechung der Ersten Welle legte schnell zugrunde, dass das Völkergewohnheitsrecht in seiner modernen Ausprägung das „law of nations“ und Verstöße dagegen als „tort[s] … in violation of the law of nations“ im Sinne des ATS darstellten.
246 247
Saravia, 348 F. Supp. 2d at 1159. Siehe hierzu Kapitel 2 and 3.
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
a) Hintergrund: Konstituierende Normgefüge des Völkerrechts Das Völkerrecht versteht sich als die Gesamtheit internationaler Normen, die das Verhalten von Staaten untereinander regeln248. Das Völkerrecht besteht aus drei konstituierenden Normgefügen: Anerkannte allgemeine Regeln, das Völkervertragsrecht und das Völkergewohnheitsrecht249. Das Völkervertragsrecht besteht aus den in den zwischen Staaten oder internationalen Organisationen abgeschlossenen Abkommen kodifizierten Rechtsprinzipien. Das Völkergewohnheitsrecht hingegen besteht aus ungeschriebenen Normen, die sich durch die Staatenpraxis herausgebildet haben und von der Staatengemeinschaft als bindend angesehen werden. Als Rechtsquellen stehen sich Völkervertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht gleichrangig gegenüber. Bei der Gründung der USA im späten 18. Jahrhundert herrschte ein breites Völkerrechtsverständnis vor, das die völkerrechtliche Subjektivität sowohl von Staaten als auch unter Umständen von Einzelnen umfasste. Zwar war das Völkerrecht in erster Linie ein Regelwerk für die Beziehungen von Staaten untereinander250. Aber das Völkerrecht enthielt auch weitere Unterbereiche, die das Verhalten von Einzelpersonen im Verkehr mit Angehörigen anderer Länder unmittelbar regelten251. Verträge zwischen Staaten sprachen Individuen regelmäßig unmittelbare Rechte zu und könnten als besonderes Schuldrecht für den Verkehr zwischen den Angehörigen der Vertragsparteien bezeichnet werden252. Des Weiteren diente das Völkergewohnheitsrecht als allgemeines Schuldrecht des internationalen Wirtschaftsverkehrs. Sowohl das Seerecht253 als auch das internationale Kaufrecht (lex mercato248 Vgl. Restatement (Third) of the Foreign Relations Law of the United States § 101 (1987). 249 Restatement (Third) Foreign Relations § 102 (1). 250 Vgl. Emmerich de Vattel, The Law of Nations, Preliminaries § 3 (1st ed. 1758): „The Law of Nations is the science which teaches the rights subsisting between nations or states, and the obligations correspondent to those rights“. 251 Vgl. William Blackstone, 4 Commentaries on the Laws of England 66 (1st ed. 1754 – 1759): „The law of nations is a system of rules, deducible by natural reason, and established by universal consent among the civilized inhabitants of the world; in order to decide all disputes … between two or more independent states[] and the individuals belonging to each“ (Hervorhebung des Verfassers). 252 Vgl. z. B. Treaty of Amity and Commerce Between His Majesty the King of Prussia, and the United States of America, done September 10, 1785, Art. 10: „The citizens or subjects of each party shall have power to dispose of their personal goods within the jurisdiction of the other, by testament, donation or otherwise; and their representatives … shall succeed to their said personal goods, whether by testament or ab intestato, and may take possession thereof, either by themselves or by others acting for them, & dispose of the same at their will“; Art. 11: „The most perfect freedom of conscience & of worship, is granted to the citizens or subjects of either party, within the jurisdiction of the other“. 253 Vgl. Blackstone, 4 Commentaries on the Laws of England 67: „Thus … in all marine causes, relating to freight, average, demurrage, insurances, bottomry, and others of a similar nature … the law of nations, is regularly and constantly adhered to“.
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ria)254 galten nicht als nationales Recht, sondern als unmittelbar anwendbares Völkerrecht. Im 19. Jahrhundert wurden jedoch die schuldrechtlichen Bereiche des Völkerrechts nationalisiert und das Völkerrecht übernahm die Rolle eines internationalen öffentlichen Rechts, das über die Grenzen von Staaten hinwegging. Mit dieser Entwicklung entstand ein engeres Verständnis des Völkerrechts nach der „klassischen“ Völkerrechtslehre. Demnach konnten nur Staaten Völkerrechtssubjekte sein; das Völkerrecht sah keine Subjektivität des Einzelnen vor. Nur Staaten durften Rechte aus Völkerrechtsnormen ableiten und diese auch nur gegen andere Staaten geltend machen. Sollten individuelle Rechte in den im Grunde öffentlich-rechtlichen Völkerrechtsnormen enthalten sein – z. B. ein Recht auf Erteilung eines Visums – war ihre Verletzung völkerrechtlich nur dann von Interesse, wenn die Rechte von Bürgern eines anderen Landes verletzt und dies als Affront gegen den Heimatstaat aufgefasst wurde255. Etwaige Ansprüche aus dieser Verletzung standen nicht dem Betroffenen, sondern seinem Heimatstaat zu. Der Staat konnte auf diplomatischem Wege – oder in extremen Fällen durch sog. Vergeltungsmaßnahmen – sein eigenes Recht darauf geltend machen, dass das Völkerrecht in der Person seines Angehörigen beachtet wird. Ab 1945 trat jedoch die unmittelbare Bindungswirkung völkerrechtlicher Normen für Individuen und damit die Völkerrechtssubjektivität des Einzelnen in den Vordergrund. Die Nürnberger Prozesse haben „durch die Schleier der Staatlichkeit durchgegriffen“ und eine unmittelbare Verpflichtung des Einzelnen zur Wahrung grundliegender Menschenrechte aus dem Völkerrecht abgeleitet256. Parallel zu den Prozessen wurden die Vereinten Nationen u. a. mit dem Ziel gegründet, durch internationale Koordination die universelle Geltung der Menschenrechte zu gewährleisten257. Die Vereinten Nationen haben darauf zahlreiche Erklärungen zum Inhalt universeller Menschenrechte beschlossen258 sowie die Ratifizierung multilateraler Abkommen koordiniert, in denen Menschenrechte kodifiziert wurden259. 254 Vgl. Blackstone, 1 Commentaries on the Laws of England 264: „[T]he affairs of commerce are regulated by a law of their own, called the law merchant or lex mercatoria, which all nations agree in and take notice of. And in particular the law of England does in many cases refer itself to it, and leaves the causes of merchants to be tried by their own peculiar customs; and that often even in matters relating to inland trade“. 255 Vgl. Anja Feldberg, Der Alien Tort Claims Act, S. 112 ff. (Diss. Hagen 2008). 256 Harald Koh, Transnational Public Law Litigation, 100 Yale L. J. 2347, 2358 (1991). 257 Vgl. Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945, Art. 1 Abs. 3: „[Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele:] eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um … die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen“. 258 Siehe z. B. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, U.N. Doc. A/Res/217 A(III). 259 Siehe z. B. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966, BGBl. 1973 S. 1533.
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
Durch diese Menschenrechtsabkommen entstand ein neuer Zweig des Völkervertragsrechts zum Schutz internationaler Menschenrechte, die scheinbar eine unmittelbare Schutzwirkung für Einzelne entfalteten. Allerdings wurde, zumindest in den USA, die Ableitung unmittelbarer Rechte und Pflichten aus Menschenrechtsabkommen verwehrt. Das Völkerrecht überlässt die Frage der Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge den unterzeichnenden Staaten. In den USA unterscheiden die Gerichte zwischen selbstexekutierenden Verträgen und nicht-selbstexekutierenden Verträgen260. Während selbstexekutierende Staatsverträge eine unmittelbare Bindung entfalten, verpflichtet ein nicht-selbstexekutierendes Abkommen lediglich den Präsidenten, die Vertragsbestimmungen in nationales Recht umzusetzen261. Bei nicht selbstexekutierenden Verträgen kann der Einzelne weder unmittelbare Rechte aus dem Vertrag ableiten noch die Umsetzung des Vertrags in einklagbare Ansprüche erzwingen. Viele der nach 1945 ratifizierten Menschenrechtsabkommen, aus denen Rechte von Einzelnen hätte abgeleitet werden können, wurden von den USA unter dem expliziten Vorbehalt ratifiziert, dass sich nicht selbstexekutierend seien262. Andere Menschenrechtsabkommen wurden von den Gerichten als nicht selbstexekutierend eingestuft, um ihre gerichtliche Durchsetzung zu verhindern263. Die neuen Menschenrechtsabkommen wurden aber auch als Indizien neuer Prinzipien des Völkergewohnheitsrechts angesehen. Das Völkergewohnheitsrecht besteht aus der Gesamtheit internationaler Regeln, die aufgrund einer allgemeinen und ständigen Praxis zahlreicher Staaten („consuetudo“), ausgeübt aus einem Verständnis der rechtlichen Verpflichtung („opinio juris sive necessitatis“), entstanden ist. Obwohl diese Voraussetzungen in der Regel nur durch eine wiederholte, gefestigte und einheitliche Praxis von Staaten erfüllt werden, können auch Staatsverträge die Rechtsauffassungen und Rechtsübungen der Staatengemeinschaft hinsichtlich einzelner Normen nachweisen. Prinzipiell ist der Kreis der potenziellen Subjekte völkergewohnheitsrechtlicher Normen unbeschränkt: Sofern eine ver260 Die Doktrin der nicht-selbstexekutierenden Staatsverträgen geht aus der Entscheidung des Supreme Court in Foster & Elam v. Nielson, 27 U.S. (2 Pet.) 253 (1829) hervor. 261 Siehe Restatement (Third) Foreign Relations § 907. 262 Vgl. z. B. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (ratifiziert mit dem Vorbehalt, dass die materiellen Rechte keine unmittelbare Wirkung gegenüber dem Einzelnen entfalten). 263 Vgl. u. a. Huynh Thi Anh v. Levi, 586 F.2d 625, 629 (6th Cir. 1978) (Einstufung der Genfer Konventionen und der Erklärung der Menschenrechte als nicht selbstexekutierend); In re Alien Children Educ. Litig., 501 F. Supp. 544, 590 (S.D. Tex. 1980), aff’d on other grounds sub nom. Plyler v. Doe, 457 U.S. 202 (1982) (Einstufung der Charta der Organisation amerikanischer Staaten als nicht selbstexekutierend); Camacho v. Rogers, 199 F. Supp. 155, 158 (S.D.N.Y. 1961) (Einstufung der Charta der Vereinten Nationen als nicht selbstexekutierend); Pauling v. McElroy, 278 F.2d 252 (D.C. Cir. 1960) (Einstufung der Charta der Vereinten Nationen als nicht selbstexekutierend). Selbst wo die Gerichte die unmittelbare Bindungswirkung eines Vertrags anerkannt haben, haben sie trotzdem verneint, dass aus dem Vertrag eine Klageberechtigung für Privatpersonen („standing“ oder „cause of action“) hervorging, siehe z. B. Diggs v. Schultz, 470 F.2d 461 (D.C. Cir. 1972).
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breitete und ständige Praxis der Staatengemeinschaft indiziert, dass eine Norm unmittelbare Rechte und Pflichten für Einzelpersonen entfalten sollte, kann eine unmittelbare Bindungswirkung der jeweiligen Norm bejaht werden. Allerdings gilt innerhalb der USA, dass das Völkergewohnheitsrecht, auch wenn es unmittelbar anwendbar ist, von konkurrierender nationaler Rechtsprechung oder Gesetzgebung gebrochen wird264. b) Das moderne Völkergewohnheitsrecht als „law of nations“ nach dem ATS Frühe ATS-Entscheidungen haben festgelegt, dass das „law of nations“ im Sinne des ATS als modernes Völkergewohnheitsrecht zu verstehen war, und dass das ATS die gesetzliche Grundlage bildete, einklagbare Tatbestände aus dem Völkergewohnheitsrecht unmittelbar ableiten zu können. Die Festlegung des Völkergewohnheitsrechts als die Grundlage der in ATS-Klagen geltend gemachten Schadenersatzansprüche erfolgte einerseits nach einem Ausschlussverfahren unter den völkerrechtlichen Normbereichen, andererseits aufgrund von Supreme Court-Entscheidungen. Das „Ausschlussverfahren“ bestimmte das Völkergewohnheitsrecht als das einzige völkerrechtliche Normgefüge, das auf das Verhalten von Einzelpersonen anwendbar war und als rechtliche Grundlage eines Schadensersatzanspruchs nicht ausgeschlossen war. Klassische Völkerrechtsnormen sahen, wie eben erwähnt, keine Rechte des Einzelnen vor und schieden deshalb als Klagegrundlage aus. Das Völkervertragsrecht schied ebenfalls aus. Der Wortlaut des ATS differenziert zwischen einem „tort … in violation of … a treaty“ und einem „tort … in violation of the law of nations“265. Diese Unterscheidung suggerierte, dass das Völkervertragsrecht nicht als „law of nations“ im Sinne des ATS anzusehen war. Hinzu kam die Doktrin der nichtselbstexekutierenden Staatsverträge, die die Ableitung unmittelbar bindender Menschenrechten aus internationalen Menschenrechtsabkommen ausschloss. Es blieb Klägern also nur das Völkergewohnheitsrecht übrig, um ein „violation of the law of nations“ im Sinne des ATS nachzuweisen. Eine Reihe von Supreme Court-Entscheidungen legten eine Äquivalenz zwischen dem Begriff „law of nations“ und dem Völkergewohnheitsrechts nahe266. In früheren Entscheidungen hatte der Supreme Court „law of nations“ dem Völkergewohnheitsrecht so gut wie gleichgesetzt. Dies ging aus der vom Gericht zugrunde gelegten Methodik zur Bestimmung des Inhalts des „law of nations“ hervor. In den Worten des 264 Vgl. z. B. The Paquete Habana, 175 U.S. 677, 700 (1900): „[W]here there is no treaty and no controlling executive or legislative act or judicial decision, resort must be had to the customs and usages of civilized nations“ (Hervorhebung des Verfassers). 265 28 U.S.C. § 1350. 266 Siehe The Paquete Habana, 175 U.S. 677 (1900); Hilton v. Guyot, 159 U.S. 113 (1895); The Nereide, 13 U.S. 388 (1815).
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
Supreme Court ließ sich der Inhalt des Völkerrechts durch Heranziehung der „general usage and practice of nations“, „judicial decisions recognizing and enforcing [international] law“ sowie „the works of jurists“ ermitteln267. Diese waren nichts anderes als die Quellen des Völkergewohnheitsrechts. Unter Berufung auf diese Rechtsprechung haben frühe ATS-Klagen die Quellen des Völkergewohnheitsrechts als die für die Feststellung einschlägigen Quellen angesehen, ob ein „tort … in violation of the law of nations“ im Sinne des ATS vorlag. In z. B. Filartíga hat der Second Circuit „the sources from which customary international law is derived“ sorgfältig analysiert268, um festzustellen, ob Folter eine Verletzung des Völkerrechts darstellte. Spätere ATS-Entscheidungen haben unter Berufung auf diese Supreme Court-Rechtsprechung diese Methode zur Ermittlung des Inhalts des Völkerrechts aufgegriffen und damit das „law of nations“ im Sinne des ATS als die „contemporary norms of customary international law“ aufgefasst, die in „,the works of jurists … or … the general usage and practice of nations[,] or … judicial decisions recognizing and enforcing [customary international] law‘“ ermittelt wird269. Dieselbe Supreme Court-Rechtsprechung ließ auf ein Verständnis des Völkergewohnheitsrechts schließen, das die Völkerrechtssubjektivität des Einzelnen bejahte. In seinen frühen Entscheidungen beschrieb der Supreme Court das Völkergewohnheitsrecht als rechtskräftiges common law, sofern weder Staatsvertrag, Gesetz oder Gerichtsentscheidung eine abweichende Regelung innerhalb seines sachlichen Anwendungsbereichs getroffen hatte, das amerikanische Gerichte zur Entscheidung darunter fallender Streitigkeiten anzuwenden hatten270. Insofern war Völkergewohnheitsrecht als eine Art lückenfüllendes common law konzipiert, aus dem unmittelbare Rechte und Pflichten von Einzelpersonen hervorgingen. Auf dieser Basis hat der Supreme Court im Jahr 1900 Schiffskapitäne, die Kutter kubanischer Fischer während des spanisch-amerikanischen Krieges gekapert hatten, unter Anwendung des damals gewohnheitsrechtlichen Völkerkriegsrechts zum Schadenser267
United States v. Smith, 18 U.S. (5 Wheat.) 153, 160 – 61 (1820). Filartíga v. Pena-Irala, 630 F.2d 876, 884 (2d Cir. 1980). 269 Mehinovic v. Vuckovic, 198 F. Supp. 2d 1322, 1344 (N.D. Ga. 2002) (mit Verweis auf United States v. Smith, 18 U.S. (5 Wheat.) 153, 160 – 61 (1820)). Vgl. auch z. B. Hilao v. Marcos, 103 F.3d 789 para. 25 (9th Cir. 1996) („We determine the content of international law by reference ,to the customs and usages of civilized nations, and, as evidence of these, to the works of jurists and commentators‘“). 270 Die berühmteste Formulierung hiervon liegt in The Paquete Habana, 175 U.S. 677, 700 (1900): „International law is part of our law, and must be ascertained and administered by the courts of justice of appropriate jurisdiction as often as questions of right depending upon it are duly presented for their determination. For this purpose, where there is no treaty and no controlling executive or legislative act or judicial decision, resort must be had to the customs and usages of civilized nations, and, as evidence of these, to the works of jurists and commentators who by years of labor, research, and experience have made themselves peculiarly well acquainted with the subjects of which they treat. Such works are resorted to by judicial tribunals not for the speculations of their authors concerning what the law ought to be, but for trustworthy evidence of what the law really is“. 268
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satz verurteilt271. Filartíga griff diese Rechtsprechung auf, um die Menschenrechtsnormen des modernen Völkergewohnheitsrechts als das „law of nations“ im Sinne des ATS zu definieren, aus dem Schadensersatzansprüche von Einzelpersonen direkt abgeleitet werden konnten272. Entscheidungen nach Filartíga festigten unter Berufung auf die eben skizzierte Supreme Court-Rechtsprechung sowie auf Filartíga dieses Verständnis des „law of nations“ im Sinne des ATS als modernes Völkergewohnheitsrecht. Nach kurzer Zeit wurde es in der Rechtsprechung allgemein akzeptiert, dass mit „torts … in violation of the law of nations“ Verstöße gegen das Völkergewohnheitsrecht gemeint waren273. Bis 2003 hatte sich das Völkergewohnheitsrecht als die Basis von ATS-Ansprüchen derart verfestigt, dass der Second Circuit ohne Verweis auf Präzedenzfälle die folgende Feststellung für unstrittig hielte: „The [ATS] permits an alien to assert a cause of action in tort … for violations of ,the law of nations‘, which, as used in this statute, refers to the body of law known as customary international law“274. 2. Entwicklung des „universal, definable, and obligatory“-Standards für einklagbare Normen des Völkergewohnheitsrechts Das ATS berechtigt die Bundesgerichte zur Gewährung von Schadensersatz, wenn ein „violation of the law of nations“ vorliegt. Die Festlegung des Völkergewohnheitsrechts als „law of nations“ im Sinne dieses Gesetzes gab allerdings nicht vor, welche Normen des Völkergewohnheitsrechts als Basis eines Schadenersatzanspruches nach dem ATS einzuordnen waren. In Entscheidungen der 1990er und frühen 2000er Jahre legte die Rechtsprechung in unterschiedlichen Entscheidungen fest, dass nur Verletzungen von „universal, definable, and obligatory“ Normen des Völkergewohnheitsrechts eine „violation of the law of nations“ im Sinne des ATS darstellen.
271
So das Ergebnis von The Paquete Habana, oben. Siehe Filartíga, 630 F.2d at 887 (mit Verweis auf The Paquete Habana, 175 U.S. 677, 700 (1900)). 273 Siehe z. B. Abebe-Jira v. Negewo, 72 F. 3d 844, 848 (11th Cir. 1996) („[T]he Alien Tort Claims Act establishes a federal forum where courts may fashion domestic common law remedies to give effect to violations of customary international law“); Xuncax v. Gramajo, 886 F. Supp. 162, 184 (D. Mass. 1995) („[T]o determine whether a plaintiff has a claim for a tort committed in violation of international law [under the ATS], … courts are guided by ,the usage of nations, judicial opinions and the works of jurists“ as ,the sources from which customary international law is derived‘“); Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531, 1540 (N.D. Cal. 1987) („The Court thus interprets [the ATS] to provide not merely jurisdiction but a cause of action, with the federal cause of action arising by recognition of certain ,international torts‘ through the vehicle of [the ATS]. These international torts [are] violations of current customary international law“). 274 Flores v. Southern Peru Copper Corp., 414 F.3d 233, 247 (2d Cir. 2003). 272
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
Die Rechtslage nach Filartíga war in diesem Zusammenhang ungewiss. Filartíga hatte nur festgelegt, dass Folter als Völkerrechtsverletzung im Sinne des ATS zu qualifizieren sei. Als nachfolgende ATS-Klagen weitere Tatbestände wie z. B. außergerichtliche Hinrichtungen oder „erzwungenes Verschwinden“ als Völkerrechtsverletzungen behaupteten, warfen sie eine zentrale Frage auf: Welche Verstöße gegen das Völkerrecht konnten als einklagbare „tort[s] … in violation of the law of nations“ im Sinne des ATS qualifiziert werden? Die ATS-Rechtsprechung nach Filartíga musste einen einheitlichen Standard für einklagbare Normen des Völkergewohnheitsrechts entwickeln. In diesem Bestreben diente Filartígas Analyse von hoheitlich begangener Folter als Modell. Der Second Circuit hatte anhand dreier Merkmale das Vorliegen eines einklagbaren völkerrechtlichen Folterverbots für gegeben erklärt. Zuerst stellte der Second Circuit fest, dass hoheitlich begangene Folter zur Angelegenheit der Staatengemeinschaft geworden war, anstatt der inneren Regelung einzelner Länder überlassen worden zu sein275. Zweitens genoss das Verbot staatlicher Folter nach Ansicht des Gerichts „the general assent of civilized nations“276, woraus es schloss, dass hoheitlich begangene Folter eine „universally accepted nor[m] of the international law of human rights“ verletzte277. Drittens konstatierte das Gericht, dass das völkerrechtliche Verbot staatlicher Folter inhaltlich „klar und eindeutig“ war278. Anhand seiner universellen Anerkennung als inhaltlich bestimmte Vorgabe der Staatengemeinschaft qualifizierte der Second Circuit das Folterverbot als Völkergewohnheitsrechtsnorm im Sinne des ATS, womit Verstöße dagegen als einklagbare „violation of the law of nations“ einzustufen waren. Ein Jahr nach Filartíga haben zwei Wissenschaftler die Analyse des Second Circuit zu einem allgemein anwendbaren Standard destilliert: Eine Völkerrechtsnorm müsse „universal, obligatory, and definable“ sein, um die Grundlage einer ATS-Klage bilden zu können279. In der Rechtsprechung wurde diese Formulierung erstmals 1984 in einer concurring opinion aufgegriffen: Das ATS lasse Klagen wegen „a handful of heinous actions“ zu, „each of which violates definable, universal and obligatory norms“280. Als anwendbarer Standard für eine einklagbare Völkerrechtsnorm im Sinne des ATS wurde die Formulierung 1987 zum ersten Mal in einer District Court-Entscheidung im Falle Forti v. Suarez-Mason adoptiert:
275
Filartíga v. Pena-Irala, 630 F.2d 876, 881 (2d Cir. 1980). Filartíga, 630 F.2d at 881. 277 Filartíga, 630 F.2d at 878. 278 Filartíga, 630 F.2d at 884. 279 Siehe Jeffrey Blum & Ralph Steinhardt, Federal Jurisdiction over International Human Rights Claims: The Alien Tort Claims Act after Filartíga v. Pena-Irala, 22 Harv. Int’l L.J. 53, 87 – 90 (1981). Diesen drei Voraussetzungen fügten sie eine vierte hinzu: Eine behauptete Völkerrechtsverletzung müsse eine „matter of international concern“ darstellen. 280 Tel-Oren v. Libyan Arab Republic, 726 F.2d 774, 781 (Edwards, J., concurring). 276
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„[I]nternational torts [actionable under the ATS] are characterized by universal consensus in the international community as to their binding status and their content. That is, they are universal, definable, and obligatory international norms“281.
Nach seiner Adoption in Forti hat sich der „universal, definable, and obligatory“Standard für einklagbare Völkerrechtsnormen schnell durchgesetzt. 1994 hat der Ninth Circuit den „universal, definable, and obligatory“-Standard für nachfolgende ATS-Klagen in den ihm unterstellten Gerichten zugrundegelegt282 und auch District Courts außerhalb des Ninth Circuit fanden diese Entscheidung überzeugend283. Andere Urteile haben die einzelnen Voraussetzungen des Standards definiert. Unter „universal“ verstanden Gerichte nicht etwa die allgemeine Einigung aller Länder der Welt auf eine Norm, sondern eher „a general recognition among states that a specific practice is prohibited“284. Als „definable“ galt eine Norm, wenn sie eine oder mehrere Handlungen klar untersagte; es reichte auch aus, wenn internationale Zustimmung bestand, dass das Verhalten eines Beklagten gegen die Norm verstieß285. Eine Norm war „obligatory“, wenn sie von der Staatengemeinschaft als verbindlich behandelt wurde und nicht etwa als erstrebenswertes Ziel, das hinter dringlicheren Prioritäten zurückgestellt werden konnte286. Im Second Circuit hingegen beließen es die Gerichte bei der Formulierung, dass nur „well-established, universally recognized norms of international law“ die Grundlage von ATS-Klagen bilden konnten. Im Ergebnis funktionierte diese Prüfung wie der „universal, definable, and obligatory“-Standard des Ninth Circuit. Second Circuit-Entscheidungen setzten für einklagbare Völkerrechtsnormen voraus, dass sie (a) „broad acceptance [in] the community of nations“ genossen287, (b) „a … specific articulation“ untersagten Verhaltens enthielten288, und (c) „incorporated into [state 281
Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531, 1540 (N.D. Cal. 1987). „Actionable violations of international law must be of a norm that is specific, universal, and obligatory“. In re Estate of Ferdinand E. Marcos Human Rights Litig., 25 F.3d 1467, 1475 (9th Cir. 1994). Siehe auch Alvarez-Machain v. U.S., 331 F.3d 604, 612 (9th Cir. 2003) („In Marcos II, we were careful to limit actionable violations to those international norms that are „specific, universal, and obligatory“). 283 Siehe z. B. Xuncax v. Gramajo, 886 F. Supp. 162, 184 (D. Mass. 1995) (For further guidance regarding the ”norms” of international law, courts and international law scholars look to whether the standard can be said to be ,universal, definable and obligatory‘“) (Zitat an Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531, 1540 (N.D. Cal. 1987)). 284 Forti v. Suarez-Mason, 694 F. Supp. 707, 709 (N.D. Cal. 1988). 285 „It is not necessary that every aspect of what might comprise [an international tort] be fully defined and universally agreed upon before a given action meriting the label is clearly proscribed under international law.“ Xuncax v. Gramajo, 886 F. Supp. 162, 187 (D. Mass. 1995). 286 Siehe z. B. Mehinovic v. Vuckovic, 198 F. Supp. 2d 1322 (N.D. Ga. 2002); Estate of Cabello v. Fernandez-Larios, 157 F. Supp. 2d 1345 (S.D. Fla. 2001); Xuncax v. Gramajo, 886 F. Supp. 162 (D. Mass. 1995). 287 Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232, 241 (2d Cir. 1995). 288 Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232, 241 (2d Cir. 1995). 282
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
practice] out of a sense of legal obligation“289 waren. Diese Voraussetzungen entsprachen den wesentlichen Merkmalen des „universal, definable and obligatory“Standards. 3. Die Festlegung der Quellen zur Ermittlung völkerrechtlicher Normen Mit der Festlegung, dass Verletzungen von „universal, definable, and obligatory“ Normen des Völkergewohnheitsrechts zum Schadensersatz in ATS-Klagen verpflichten, stellte sich die Frage, anhand welcher Quellen auf die Existenz derartiger Normen geschlossen werden konnte. Frühe ATS-Entscheidungen der Ersten Welle haben eine Fülle von internationalen Dokumenten herangezogen, um die Existenz völkergewohnheitsrechtlicher Normen nachzuweisen. Filartíga diente in dieser Hinsicht wieder als Modell. Um festzustellen, dass Folter gegen völkergewohnheitsrechtliche Normen verstieß, berief sich der Second Circuit auf die Charta der Vereinten Nationen, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Erklärung über den Schutz aller Personen vor Folter, die amerikanische Menschenrechtskonvention, den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, die europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie die Verfassungen von 55 Ländern290. Andere frühe ATS-Entscheidungen zogen ähnliche internationale Instrumente heran, um die Existenz weiterer einklagbarer völkergewohnheitsrechtlicher Normen nachzuweisen. In Forti v. Suarez-Mason291 wies der District Court die Existenz eines völkergewohnheitsrechtlichen Verbots außergerichtlicher Hinrichtungen anhand der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, der amerikanischen Menschenrechtskonvention und des Restatement (Third) of Foreign Relations nach292. Denselben Schluss erreichte ein District Court in Cabello v. Fernandez-Larios293 nur unter Berufung auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. In Xuncax v. Gramajo294 hat der District of Massachusetts aufgrund einer breit gefassten Quellenlage befunden, dass grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung einen Verstoß gegen eine einklagbare völkergewohnheitsrechtliche Norm darstellte. Hierfür berief es sich auf folgende Dokumente: die Europäische Konvention zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, die Amerikanische Menschenrechtskonvention, den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Art. 3, die Allgemeine Er289 290 291 292 293 294
Flores v. Southern Peru Copper Corp., 414 F. 3d 233, 249 (2d Cir. 2003). Siehe hierzu Abschnitt B. II. 3. b) dieses Kapitels, oben. Siehe Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531, 1542 (N.D. Cal. 1987). Siehe Forti, 672 F. Supp. at 1541 – 42. Siehe Cabello v. Fernandez-Larios, 157 F. Supp. 2d 1345, 1359 – 60 (S.D. Fla. 2001). Siehe Xuncax v. Gramajo, 886 F. Supp. 162 (D. Mass. 1995).
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klärung der Menschenrechte, die Restatement (Third) Foreign Relations und das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe295. Das Ergebnis dieser Rechtsprechung war eine Methode zur Feststellung der Existenz von Völkergewohnheitsrechtsnormen, die in Wirklichkeit keine Methode war. US-Gerichte durften effektiv auf alle Menschenrechtsdokumente zurückgreifen, die seit 1945 in Kraft getreten waren, um die Existenz einer einklagbaren Völkerrechtsnorm nachzuweisen. Welche und wie viele internationale Dokumente notwendig waren, um die Gültigkeit einer Völkerrechtsnorm darzulegen, war nirgends festgelegt. Die Gerichte mussten lediglich davon überzeugt sein, dass eine ausreichende Anzahl hinreichend wichtiger Menschenrechtsdokumente die Existenz einer „universal, specific and obligatory“ Völkerrechtsnorm indizierten. Für Völkerrechtler soll außerdem auffällig gewesen sein, dass die in der ATSRechtsprechung entwickelte Methode zur Feststellung einklagbarer Normen eine in der Völkerrechtslehre als unerlässlich angesehene Voraussetzungen unbeachtet ließ: Staatliche Praxis. Amerikanische Gerichte haben sich mit allgemeinen Erklärungen gegen Folter begnügt und nicht z. B. gefragt, wie viele Staaten Anklagen gegen ehemalige Hoheitsträger wegen Folter erhoben hatten. Mit der Zeit griff allerdings die common law-Methode. Dies bedeutete eine langsame Abkehr von internationalen Dokumenten zugunsten anderer amerikanischer Gerichtsentscheidungen: Was von einem Gericht als einklagbare völkergewohnheitsrechtliche Norm bzw. als Völkerrechtsverletzung im Sinne des ATS anerkannt worden war, wurde zum Präzedenzfall für nachfolgende Entscheidungen. Bereits in den 1990er Jahre fingen Gerichte an, andere ATS-Entscheidungen als die primären Nachweise der Existenz von Völkerrechtsnormen heranzuziehen, die erst im Nachhinein durch Verweise auf internationale Erklärungen und Abkommen bestätigt wurden296. Mit jeder neuen Entscheidung wurde die Basis für eine Berufung auf amerikanische Gerichte stärker. So überzeugte sich z. B. das Northern District of Georgia in 2002 von der Existenz einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm gegen Folter: Zunächst wies es darauf hin, dass „United States courts presented with the issue have unanimously recognized that official torture violates obligatory norms of customary international law and is thus actionable under the ATCA“297. Erst danach führte das Gericht internationale Dokumente als weitere Indizien dieser Norm auf298. 295
Siehe Xuncax, 886 F. Supp. at 185 – 86 Fn. 27 – 28. So z. B. Xuncax v. Gramajo, 886 F. Supp. 162, 184 (D. Mass. 1995) („I am satisfied that … torture … constitute[s a] fully recognized violatio[n] of international law. Numerous federal court decisions and an ever-growing number of international agreements and conventions have established beyond question that the use of official torture is strictly prohibited by the most fundamental principles of international law“). 297 Mehinovic v. Vuckovic, 198 F. Supp. 2d 1322, 1344 (N.D. Ga. 2002). 298 Siehe Mehinovic, 198 F. Supp. 2d at 1345 („The prohibition of torture under customary international law is evidenced by, among other things, specific prohibitions on its use in nu296
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
4. Die Festlegung einklagbarer Deliktstatbestände Der Einschlag der common law-Methodik in die ATS-Rechtsprechung der Ersten Welle hatte die Entwicklung eines Grundsatzes an anerkannten ATS-Tatbeständen zur Folge. Was einmal richterlich als einklagbare Norm des Völkergewohnheitsrechts im Sinne des ATS anerkannt worden war, wurde so gut wie nie wieder aberkannt. Bis 2004 haben Gerichtsentscheidungen der Ersten Welle unter Anwendung des „universal, definable, and obligatory“-Maßstabs neun Deliktstatbestände als nach dem ATS einklagbare Verletzungen des Völkergewohnheitsrechts festgelegt. Diese waren: (1) Folter; (2) grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung; (3) außergerichtliche Hinrichtung; (4) willkürliche Inhaftierung; (5) erzwungenes Verschwinden („causing disappearance“); (6) Genozid/Völkermord; (7) Kriegsverbrechen; (8) Skaverei bzw. Zwangsarbeit; und (9) Verbrechen gegen die Menschlichkeit. a) Folter Folter wurde zuerst 1980 in Filartíga als einklagbare Völkerrechtsverletzung im Sinne des ATS anerkannt299. In den folgenden Jahren haben mehr als zehn weitere Entscheidungen auf District- und Circuit-Ebene dieses Ergebnis bestätigt300. Die Existenz eines völkerrechtlichen Verbots von Folter wurde zunächst aus einer Fülle von internationalen Erklärungen und Abkommen sowie aus ähnlichen Verboten in nationalen Rechtsystemen abgeleitet301, aber ab Mitte der 1990er Jahre war die Zulässigkeit von ATS-Ansprüchen wegen Folter bereits auch durch ständige Rechtsprechung legitimiert. Die Voraussetzungen des Foltertatbestands wurden internationalen Abkommen, insbesondere dem Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, sowie dem TVPA entnommen. Erforderlich sind (a) eine Handlung, durch die einer Person vorsätzlich schwere körperliche
merous international human rights treaties; including the Convention Against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment“). 299 Siehe Abschnitt B. II. 3. dieses Kapitels, oben. 300 Siehe z. B. Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531 (N.D. Cal. 1987); Martinez-Baca v. Suarez-Mason, 1988 U.S. Dist. LEXIS 19470 (N.D. Cal. 1988); Siderman de Blake v. Rep. of Argentina, 965 F.2d 699 (9th Cir. 1992); In re Estate of Marcos Human Rights Litigation, 978 F.2d 493 (9th Cir. 1993); Paul v. Avril, 901 F. Supp. 330 (S.D. Fla. 1994); Xuncax v. Gramajo, 886 F. Supp. 162 (D. Mass. 1995); Abebe-Jira v. Negewo, 72 F.3d 844 (11th Cir. 1996); Cabiri v. Assasie-Gyimah, 921 F. Supp. 1189 (S.D.N.Y. 1996); Doe v. Lumintang, No. 1:00-cv-00674AK (D.D.C. 2000); Mehinovic v. Vuckovic, 198 F.Supp. 2d 1322 (N.D. Ga. 2002); Doe v. Ali (Tukeh), No. 1:05-cv-701 (E.D. Va. 2004); Doe v. Liu Qi, 349 F. Supp. 2d 1258 (N.D. Cal. 2004); Chavez v. Carranza, 413 F. Supp. 2d 891 (W.D. Tenn. 2005). 301 Siehe hierzu die Analyse des Second Circuit in Filartíga, im obigen Abschnitt B. II. 3. b) dieses Kapitels dargelegt ist.
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Schmerzen oder Leiden zugefügt werden302 und (b) ein Täter, der als Hoheitsträger qualifiziert werden kann303. Dem Erfordernis hoheitlichen Handelns lag der Gedanke zugrunde, dass Folter, die von einer Privatperson ausging, keine Völkerrechtsverletzung, sondern nur eine Körperverletzung des Privatrechts darstellte304. Die Akzeptanz des Foltertatbestands ging so weit, dass ihn der Kongress als Torture Victim Protection Act (TVPA) von 1991305 in Gesetzesform gegossen hat, um seine Haftungsmerkmale zu kodifizieren und einen Schadensersatzanspruch wegen Folter auch für amerikanische Bürger zur Verfügung zu stellen. Als „Folter“ im Sinne des TVPA galt „any act, directed against an individual in the offender’s custody or physical control, by which severe pain or suffering … is intentionally inflicted on that individual“306. Wie die bisherige ATS-Rechtsprechung kodifizierte der TVPA ein Erfordernis hoheitlichen Handelns: Folter konnte nur „under … color of law of any foreign nation“ begangen werden307. In der Rechtsprechung wurde die Verabschiedung des TVPA als gesetzgeberische Ratifizierung nicht nur von bisherigen Gerichtsentscheidungen zum Foltertatbestand, sondern auch von einer allgemeineren Auffassung, dass das ATS ein amerikanisches Forum zur Verhandlung von Menschenrechtsverletzungen aus aller Welt ausruft, bewertet308. b) Grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung Seit 1993 wird grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung als einklagbare Verletzung einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm im Sinne des ATS 302 Vgl. das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung Art. 1 (1): „Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck ,Folter‘ jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden“, mit dem TVPA, Publ. L. 102 – 256 § 2(b): „,[T]orture‘ means an act … by which severe pain or suffering (other than pain or suffering arising is intentionally inflicted on [an] individual“ 303 Vgl. das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung Art. 1 (1): Folter kann nur von einem „Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis“ ausgehen; Pub. L. 102-256: „An individual who, under actual or apparent authority, or color of law, of any foreign nation, subjects in individual to torture shall … be liable for damages“. 304 Vgl. z. B. Tel-Oren v. Libyan Arab Rep., 726 F.2d 774 (D.C. Cir. 1984) (Edwards, J., concurring) (von Privatpersonen begangene Folter sei keine völkerrechtliche Angelegenheit); Sanchez-Espinoza v. Reagan, 770 F.2d 202 (D.C. Cir. 1985) (von Privatpersonen ausgehende Folter sei keine Völkerrechtsverletzung). 305 Siehe Pub. L. 102-256 (1991). 306 Pub. L. 102-256, § 3 (b) (1). 307 Pub. L. 102-256, § 2 (a). 308 Siehe z. B. Doe v. Exxon Mobil Corp., 654 F. 3d 11, 26 (D.C. Cir. 2011): „[M]odern ATS litigation has primarily focused on atrocities committed in foreign countries, and Congress in enacting the TVPA expressly endorsed federal courts’ exercise of jurisdiction over such lawsuits“.
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qualifiziert309. Die Existenz einer Norm gegen grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung wurde zunächst auf dieselben internationalen Dokumenten, aus denen der Foltertatbestand abgeleitet wurde, gestützt310, da diese meistens nebst einem Folterverbot ein Parallelverbot von „anderer“ grausamer Behandlung ausriefen311. Genaue Tatbestandsvoraussetzungen wurden in der Rechtsprechung nicht entwickelt, weil die internationalen Quellen keine Definition von grausamer Behandlung enthielten312. In der Rechtsprechung wurde der Begriff mit der Zeit als Verhalten konkretisiert, die beinahe Folter war313 : Wenn ein hoheitlich handelnder Täter eine Person in seinem Gewahrsam vorsätzlich auf entsetzliche Weise misshandelt hatte, waren Gerichte bereit, sofern die Misshandlung nicht unter den Foltertatbestand fiel, einen ATS-Anspruch wegen grausamer, unmenschlicher oder er309 Eine einklagbare Norm gegen grausame Behandlung wurde zunächst vom District Court in Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531 (N.D. Cal. 1987) verneint, weil das Gericht unter Anwendung des „universal, definable, and obligatory“-Maßstabs die bestehende internationale Norm gegen grausame Behandlung für zu inhaltlich vage hielte. Einen Anspruch gegen grausame Behandlung wurde zum ersten Mal in Abebe-Jiri v. Negewo, 1993 WL 814304 (N.D.Ga. 1993) und Xuncax v. Gramajo, 886 F. Supp. 162 (D. Mass. 1995) und ein Jahr später auf Circuit-Ebene in Hilao v. Marcos, 103 F.3d 789 (9th Cir. 1996) zugelassen, welche als Präzedenzfälle für spätere Rechtsprechung dienten. Siehe Abebe-Jira v. Negewo, 72 F.3d 844 (11th Cir. 1996); Estate of Cabello v. Fernandez-Larios, 157 F. Supp. 2d 1345 (S.D. Fla.2001); Mehinovic v. Vuckovic, 198 F. Supp. 2d 1322 (N.D. Ga. 2002). Bereits 2002 konnte ein District Court das Vorliegen einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm gegen grausame Behandlung ausschließlich unter Berufung auf amerikanische Rechtsprechung nachweisen, siehe Mehinovic v. Vuckovic, 198 F.Supp. 2d 1322 (N.D. Ga. 2002) („Cruel, inhuman, or degrading treatment is a discrete and well-recognized violation of customary international law and is, therefore, a separate ground for liability under the [ATS]“, mit Zitat hierfür auf Abebe-Jira, Cabello und Xuncax). 310 Siehe z. B. Hilao v. Marcos, 103 F.3d 789 (9th Cir. 1996), in dem das Gericht ein völkerrechtliches Verbot der grausamen, unmenschlichen oder erniedrigender Behandlung auf folgende internationale Dokumente stützte: (1) die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 5 („Niemand darf … grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden“); (2) der Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Art. 7 („Niemand darf … grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden“); (3) das Übereinkommen gegen die Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Art. 16 (1) („Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, in jedem seiner Hoheitsgewalt … Handlungen zu verhindern, die eine grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe darstellen“); (4) die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Art. 3 („Niemand darf … unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden“); (5) die Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker, Art. 5 („Jede Form der … grausamen und unmenschlichen Behandlung ist verboten“). 311 Siehe z. B. das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung vom 10. Dezember 1984. 312 Siehe Tachiona v. Mugabe, 234 F. Supp. 2d 401, 437 (2002) (in internationalen Quellen fehle eine „distinct definition for what constitutes cruel, inhuman or degrading treatment“). 313 Siehe z. B. William Jeffress & Sara Kropf, The Alien Tort Statute and Torture Victim Protection Act, in: Business and Commercial Litigation (3d ed. 2012) § 117:26 „The best way to view cruel, inhuman and degrading treatment is conduct that falls just short of torture“.
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niedrigender Behandlung zuzulassen314. Beispiele hierfür waren Prügeln315 und Vergewaltigen316, das Foltern eines nahen Verwandten vor Augen des Opfers317, das Werfen von Sprengkörpern in die Nähe des Opfers318 sowie das Hinrichten einer Person vor dem Haus ihrer Angehörigen319. Wie beim eng verwandten Tatbestand der Folter erforderte ein Anspruch auf grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung hoheitliches Handeln, um als Völkerrechtsverletzung qualifiziert zu werden320. Das Erfordernis hoheitlichen Handelns ging auf die internationalen Dokumente zurück, aus denen das Verbot grausamer Behandlung abgeleitet wurde321. c) Außergerichtliche Hinrichtung Seit 1987 wird von der ATS-Rechtsprechung anerkannt, dass eine hoheitlich veranlasste außergerichtliche (bzw. summarische) Hinrichtung gegen völkergewohnheitsrechtliche Normen im Sinne des ATS verstößt. Frühe Gerichtsentscheidungen stützten die Existenz einer „universal, definable, and obligatory“ Norm des Völkergewohnheitsrechts gegen außergerichtliche Hinrichtungen auf internationale Menschenrechtsdokumente322 sowie auf Aussagen von Rechtsexperten323. Aber 314
Siehe z. B. Mehinovic v. Vuckovic, 198 F. Supp. 2d 1322, 1348 (N.D. Ga. 2002) („[C] ruel, inhuman, or degrading treatment includes acts which inflict mental or physical suffering, anguish, humiliation, fear and debasement, which do not rise to the level of ,torture‘ or do not have the same purposes as ,torture‘“); und Tachiona v. Mugabe, 234 F. Supp. 2d 401, 437 (2002) („Despite the absence of a distinct definition for what constitutes cruel, inhuman or degrading treatment, various authorities and international instruments make clear that this prohibition is conceptually linked to torture by shades of misconduct discernible as a continuum. The gradations of the latter are marked only by the degrees of mistreatment the victim suffers, by the level of malice the offender exhibits and by evidence of any aggravating or mitigating considerations that may inform a reasonable application of a distinction“). 315 Siehe Mehinovic v. Vuckovic, 198 F. Supp. 2d 1322 (N.D. Ga. 2002). 316 Siehe Doe v. Lui Qi, 349 F. Supp. 2d 1258 (N.D. Cal. 2004). 317 Siehe Tachiona v. Mugabe, 234 F. Supp. 2d 401, 437 (2002). 318 Siehe Xuncax v. Gramajo, 886 F. Supp. 162 (D. Mass. 1995). 319 Siehe Tachiona v. Mugabe, 234 F. Supp. 2d 401, 437 (2002). 320 Vgl. z. B. Al-Quraishi v. Nakhla, 728 F. Supp. 2d 702, 748 (D. Md. 2010) („[L]liability for [cruel, inhuman and degrading treatment] extends only to those who are state actors or who act under color of law is confirmed by domestic statutes dealing with torture“). 321 Siehe z. B. das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung vom 10. Dezember 1984, Art. 16 (1) („Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, … Handlungen zu verhindern, die eine grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung … darstellen, ohne der Folter … gleichzukommen, wenn diese Handlungen von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis begangen werden“). 322 Siehe Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531, 1542 (N.D. Cal. 1987), in dem die Kläger das Gericht von der Existenz einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm gegen außer-
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
amerikanische Gerichte brauchten wenige Nachweise, um staatlich sanktionierten Mord als Völkerrechtsverletzung anzuerkennen324 – bereits 1994 berief sich der Ninth Circuit ausschließlich auf amerikanische Entscheidungen, um Ansprüche wegen außergerichtlicher Hinrichtung als Völkerrechtsverletzungen im Sinne des ATS zuzulassen325. Eine außergerichtliche Hinrichtung im Sinne des ATS lag vor wenn, (a) eine vorsätzliche Tötung (b) von einer als Hoheitsträger zu qualifizierenden Person begangen oder befohlen wurde, die (c) nicht aufgrund eines ordentlichen Strafverfahrens gerechtfertigt war326. Dem Erfordernis hoheitlichen Handelns lag abermals der Gedanke zugrunde, dass eine widerrechtliche Tötung, die von einer Privatperson ausging, nicht als Völkerrechtsverletzung, sondern ,nur‘ als Mord zu qualifizieren war327. Im Torture Victim Protection Act von 1991 kodifizierte der Gesetzgeber den Anspruch wegen außergerichtlicher Hinrichtung, um seine Voraussetzungen zu gesetzlich zu verbriefen und den Anspruch auch amerikanischen Klägern zur Verfügung zu stellen328. Nach dem TVPA lag eine außergerichtliche Hinrichtung vor, gerichtliche Hinrichtungen mit folgenden Dokumenten überzeugt haben: (1) Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 3 („Jeder hat das Recht auf Leben“); (2) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Art. 6 („Jeder Mensch hat ein angeborenes Recht auf Leben. … Niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden“); (3) Amerikanische Menschenrechtskonvention, Art. 4 („Every person has the right to have his life respected. … No one shall be arbitrarily deprived of his life“). 323 Siehe Xuncax v. Gramajo, 886 F. Supp. 162, 185 (D. Mass. 1995): „An affidavit signed by twenty-seven widely respected scholars of international law attests that every instrument or agreement that has attempted to define the scope of international human rights has ,recognized a right to life coupled with a right to due process to protect that right‘“. 324 Für frühe ATS-Fälle mit außergerichtlicher Hinrichtung zum Gegenstand, siehe: Martinez-Baca v. Suarez-Mason, 1988 U.S. Dist. LEXIS 19470 (N.D. Cal. 1988); In re Estate of Marcos Human Rights Litigation, 978 F.2d 493 (9th Cir. 1993); Todd v. Panjaitan, CIV.A. 9212255-PBS, 1994 WL 827111 (D. Mass. 1994); Xuncax v. Gramajo, 886 F. Supp. 162 (D. Mass. 1995); Estate of Cabello v. Fernandez-Larios, 157 F. Supp. 2d 1345 (S.D. Fla. 2001); Chavez v. Carranza, 407 F. Supp. 2d 925 (W.D. Tenn. 2004); Doe v. Saravia, 348 F. Supp. 2d 1112 (E.D. Cal. 2004). 325 Siehe In re Estate of Ferdinand Marcos Human Rights Litig., 25 F.3d 1467, 1475 (9th Cir. 1994) („The prohibition against summary execution [in customary international law] is … universal, definable, and obligatory„, mit Zitat hierfür nur auf Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531, 1542 (N.D. Cal. 1987)). 326 Zu Letzterem siehe z. B. den TVPA, Pub. L. 102-256 § 2(a): „For the purposes of this Act, the term ,extrajudicial killing‘ means a deliberated killing not authorized by a previous judgment pronounced by a regularly constituted court affording all the judicial guarantees which are recognized as indispensable by civilized peoples“. 327 Vgl. z. B. Amergi v. Palestinian Authority, No. 09-13618 (11th Cir. July 27, 2010), at 19: „Utterly reprehensible as this [killing] was, and notwithstanding the universal condemnation of such acts by all civilized nations, the norm allegedly violated here is, at its core, murder, and a single act of murder at that“. 328 Siehe Pub. L. 102-256 § 1 (a) (2): „An individual who, under actual or apparent authority, or color of law, of any foreign nation … subjects an individual to extrajudicial killing shall, in a civil action, be liable for damages to the individual’s legal representative“.
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wenn (a) eine vorsätzliche Tötung vorgenommen wurde, (b) ohne dass sie vom Urteil eines ordentlichen und allgemeinen Fairnessstandards achtenden Gerichts autorisiert wurde329. Wie in der ATS-Rechtsprechung behielte der TVPA ein Erfordernis hoheitlichen Handelns bei330. d) Willkürliche Inhaftierung Bereits fünf Jahre vor Filartíga wurde in obiter dicta erörtert, dass die Inhaftierung einer Person gegen ihren Willen und ohne rechtliche Grundlage eine Völkerrechtsverletzung im Sinne des ATS darstellen könnte331. Erst 1987 wurde „prolonged arbitrary detention“ als einklagbarer Verstoß gegen eine „universal, definable, and obligatory“ Norm des Völkergewohnheitsrechts anerkannt332. Frühe Entscheidungen leiteten die Existenz dieser Norm aus amerikanischen due process-Gerichtsentscheidungen333, Gutachten von Rechtsexperten334 und schließlich auch aus internationalen Abkommen335 ab. In der Rechtsprechung entwickelte sich folgender Tatbestand der willkürlichen Inhaftierung: (a) die dauerhafte Inhaftierung einer Person, (b) ohne gesetzliche Grundlage, (c) auf Veranlassung eines Hoheitsträgers bzw. unter Anschein hoheitlicher Autorisierung, (d) ohne dass dem Inhaftierten innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens ein Strafprozess gemacht wurde336. In den meisten ATS329
Siehe Pub. L. 102-256 § 3 (a). Siehe Pub. L. 102-256 § 1 (a) (2). 331 Siehe Nguyen Da Yen v. Kissinger, 528 F.2d 1194, 1201 Fn. 13 (9th Cir. 1975) („The illegal seizure, removal and detention of an alien against his will in a foreign country would appear to be a tort [under the ATS]“). 332 Siehe Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531 (C.D. Cal. 1987). 333 Siehe Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531 (C.D. Cal. 1987). Das Gericht zitierte Fernandez v. Wilkinson, 505 F. Supp. 787 (D. Kan. 1980), in dem kubanische Flüchtlinge, die ohne Anhörung in US-Gefängnisse eingesperrt worden waren, ihre Inhaftierung erfolgreich als rechtswidrig angefochten haben. 334 Siehe Xuncax v. Gramajo, 886 F. Supp. 162 (D. Mass. 1995) (Zitat auf ein Gutachten von Rechtsexperten als Nachweis, dass „the practic[e] of … arbitrary detention [has] been met with universal condemnation and opprobrium“). 335 Siehe Martinez v. City of Los Angeles, 141 F.3d 1373, 1384 (9th Cir. 1998). Das Gericht leitete die Existenz einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm gegen willkürliche Inhaftierung aus folgenden internationalen Dokumenten ab: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 9 („Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden“), Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Art. 9 („Niemand darf willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden“). Neben diesen Dokumenten sah das Gericht einen völkerrechtlichen Schutz vor willkürlicher Inhaftierung durch die Verfassungen von 119 Ländern bestätigt. 336 Vgl. z. B. Mehinovic v. Vuckovic, 198 F. Supp. 2d 1322, 1349 (N.D. Ga. 2002): „[A] rbitrary detention is the detention of a person [for prolonged periods of time] in an official detention facility or in any other place, without notice of charges and failure to bring that person to trial within a reasonable time … [and without evidence that] that the detentions were made pursuant to any law“, mit Martinez v. City of Los Angeles, 141 F.3d 1373, 1384 (9th Cir. 1998): „Detention is arbitrary ,if it is not pursuant to law … [and] if ,it is not accompanied by notice of 330
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
Klagen waren all diese Merkmale gegeben, strittig blieb nur, wann die zeitliche Dauer der Inhaftierung die Gewährung von Schadensersatz nach dem ATS rechtfertigte. Es entwickelte sich die Regel, dass, je schlechter die Behandlung des Klägers während der Inhaftierung gewesen war, die erforderliche Zeitdauer umso kürzer war337. Eine Inhaftierung mit Folter war demnach per se eine einklagbare „willkürliche Inhaftierung“ im Sinne des ATS338. Wie bei den vorangegangenen Tatbeständen setzte die Rechtsprechung hoheitliches Handeln für ATS-Ansprüche wegen willkürlicher Inhaftierung voraus. e) Zwangsweises Verschwindenlassen („causing disappearance“) Aus frühen ATS-Klagen gegen ehemalige Hoheitsträger südamerikanischer Militärregierungen ging die Anerkennung einer völkerrechtlichen Norm gegen sog. „causing disappearance“ vor. Eine Lieblingstaktik dieser Regierungen im Kampf gegen Oppositionelle, Intellektuelle und Gewerkschafter war es, das Verschwinden solcher Personen zu veranlassen. Ein „Verschwinden“ verlief in folgenden Schritten: Entführen, heimlich Inhaftieren, Foltern und anschließend heimlich Hinrichten oder nach Jahren freilassen, währenddessen die Regierung jede Angabe zur ,verschwundenen‘ Person oder deren Verschwinden überhaupt verweigert. In Forti v. Suarez-Mason haben die Kläger den District Court unter Berufung auf Menschenrechtsabkommen339 sowie Resolutionen der Vereinten Nationen340 und der Organicharges; if the person detained is not given early opportunity to communicate with family or to consult counsel; or is not brought to trial within a reasonable time‘“. 337 Siehe hierzu Eastman Kodak Co. v. Kavlin, 978 F. Supp. 1078, 1093 – 94 (S.D. Fla. 1997). Das Gericht adoptierte diese Regel nach Auswertung der bisherigen Rechtsprechung und befand, dass, sofern die Zeitdauer der Inhaftierung nicht unerheblich war, ein Nachweis von „grässlichen“ Haftbedingungen das Vorliegen des Delikts der willkürlichen Inhaftierung bejahen ließe. Im vorliegenden Fall sah das Gericht eine willkürliche Inhaftierung gegeben, wo der Kläger acht Tage lang in das berüchtigte ,Panoptico‘-Gefängnis der Hauptstadt Boliviens eingesperrt wurde. Diese Zeitdauer stufte das Gericht wegen der Haftbedingungen als „erheblich“ ein: Während seiner Haft musste er eine Zelle mit Mördern und AIDS-Kranken teilen, bekam keine Verpflegung, musste einem Mord zusehen, und er kam nur deswegen frei, weil sein Arbeitgeber ein Lösegeld bezahlte; dies bezeichnete das Gericht als „horrendous“. 338 Siehe z. B. Xuncax v. Gramajo, 886 F. Supp. 162 (D. Mass. 1995), in dem das Gericht das Vorliegen von „prolonged arbitrary detention“ bejahte, weil die Kläger zwar nur einige Stunden bis einige Tage in Haft gehalten aber währenddessen gefoltert wurden. 339 Siehe Forti v. Suarez-Mason, 694 F. Supp. 707, 710 ff. (N.D. Cal. 1988). Die Kläger beriefen sich auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sowie den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, die jeweils Grundrechte auf Leben, auf Sicherheit und Freiheit der Person, auf Schutz vor Folter sowie auf Schutz vor willkürlicher Inhaftierung enthielten. 340 Siehe Forti v. Suarez-Mason, 694 F. Supp. 707, 710 ff. (N.D. Cal. 1988). Die UNOGeneralversammlung hatte in einer Resolution die „persistent refusal of [South American] authorities … to acknowledge that they hold [disappeared] persons in custody or otherwise to account for them“ bemängelt (U.N. G.A. Res. 33/173 (1978)).
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sation amerikanischer Staaten341 überzeugt, „causing disappearance“ als Völkerrechtsverletzung im Sinne des ATS anzuerkennen. Dieses Ergebnis hat der Ninth Circuit in der späteren Sammelklage gegen Ferdinand Marcos bestätigt342. Allerdings tauchte der disappearance-Tatbestand nach den 1990ern fast nicht mehr in ATS-Klagen, weil er in den Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit einbezogen wurde. Kläger haben zwangsweises Verschwindenlassen als Teil eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs auf eine Zivilbevölkerung dargelegt und es dadurch lediglich als Indiz für Verbrechen gegen die Menschlichkeit behandelt. f) Genozid/Völkermord Genozid wurde ab 1995 als Verstoß gegen „universal, definable, and obligatory“ Normen des Völkergewohnheitsrechts und damit als ATS-Deliktstatbestand anerkannt. Die Anerkennung erfolgte in der berühmten Entscheidung des Second Circuit in Kadic v. Karadzic343. Die Existenz völkergewohnheitsrechtlicher Normen gegen Völkermord wurde zunächst aus UNO-Erklärungen, dem Statut des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals, aber vor allem aus der Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes sowie deren amerikanischen Umsetzungsgesetzen abgeleitet344. Karadzic war allerdings eine derart überzeugende Entscheidung, dass in der späteren Rechtsprechung ein Verweis auf Karadzic und die Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes genügte, um die Einklagbarkeit von Ansprüchen wegen Völkermord nach dem ATS zu begründen345. Der Tatbestand des Genozids wurde aus Art. II der eben genannten Konvention entnommen: wer (a) mit dem Vorsatz, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe auszulöschen, (b) Mitglieder der Gruppe tötete, schwer verletzte, unter lebensgefährliche Bedingungen stellte oder zwangsumsiedelte, hatte Genozid im Sinne des ATS begangen346. Im Gegensatz zu den bisher anerkannten ATS-An341 Siehe Forti v. Suarez-Mason, 694 F. Supp. 707, 710 ff. (N.D. Cal. 1988). Die Organisation amerikanischer Staaten hatte das Problem „verschwundener Personen“ offenbar zu einem Hauptanliegen gemacht und ,causing disapperance‘ in einer Resolution ihrer Generalversammlung als „an affront to the conscience of the hemisphere and … a crime against humanity“ denunziert (siehe Organization of American States, Inter-American Commission on Human Rights, G.A. Res. 666 (Nov. 18, 1983)). 342 Siehe In re Estate of Ferdinand Marcos Human Rights Lit., 25 F.3d 1467 (9th Cir. 1994). 343 Siehe ab Abschnitt B. III. 4. dieses Kapitels, oben. 344 Siehe Abschnitt B. III. 4. c) aa) dieses Kapitels, oben. 345 Siehe z. B. Almog v. Arab Bank, PLC, 471 F. Supp. 2d 257 (E.D.N.Y. 2007); Flores v. Southern Peru Copper Corp., 414 F.3d 233 (2d Cir. 2003); Beanal v. Freeport-McMoran, Inc., 197 F.3d 161 (5th Cir. 1999); Mushikiwabo v. Barayagwiza, 1996 U.S. Dist. LEXIS 4409 (S.D.N.Y. 1996). 346 Siehe Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232, 241 (2d Cir. 1995); Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, Art. II; auch Abschnitt B. III. 4. c) aa) dieses Kapitels, oben.
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
sprüchen erforderte der Genozidtatbestand kein hoheitliches Handeln. Wegen seiner besonderen Verwerflichkeit wurde Völkermord in der Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes unter Strafe gestellt, gleichgültig ob er von Hoheitsträgern oder Privatmännern begangen wurde347. Gerichte gestalteten den ATS-Anspruch wegen Genozid entsprechend, sodass er sowohl gegen Hoheitsträger als auch gegen rein private Akteure zulässig war348: Zuerst wurde die ethnische Säuberungskampagne der quasi-staatlichen serbischen Armee gegen Kroaten und Bosniaken während des Bosnienkriegs für Völkermord im Sinne des ATS erklärt349. Kurz danach wurden ATS-Ansprüche wegen Genozid gegen einen ruandischen Parteiführer zugelassen, der in Radioauftritten die Hutu Ruandas zum Völkermord an den Tutsi aufgehetzt hatte350. Weitere Entscheidungen qualifizierten Angriffe der palästinensischen Intifada auf Israel351 sowie den Krieg der papuaneuguineischen Armee gegen die Bevölkerung der Insel Bougainville352 als Genozid im Sinne des ATS. g) Kriegsverbrechen Die Begehung von Kriegsverbrechen an Zivilisten wurde auch 1995 in der Karadzic-Entscheidung des Second Circuit als ein Verstoß gegen völkergewohnheitsrechtliche Normen anerkannt, der einen Schadensersatzanspruch nach dem ATS begründet353. Gerichte haben eine völkergewohnheitsrechtliche Norm gegen Kriegsverbrechen zum Teil aus dem Völkerkriegsrecht354, aber hauptsächlich aus den Genfer Konventionen, die als Kodifizierung des Völkerkriegsrechts angesehen wurden355, abgeleitet. Der in ATS-Klagen angewandte Tatbestand für Kriegsverbrechen wurde den Genfer Konventionen etnommen. Als „Krieg“ galt ein bewaffneter Konflikt mit oder ohne internationalen Charakter356, d. h. auch ein Bürgerkrieg. Ein Kriegsverbrechen 347
Siehe Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, Art. IV; auch Abschnitt B. III. 4. c) aa) dieses Kapitels, oben. 348 Siehe Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232, 241 (2d Cir. 1995); auch Abschnitt B. III. 4. c) aa) dieses Kapitels, oben. 349 Siehe Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232, 241 (2d Cir. 1995). 350 Siehe Mushikiwabo v. Barayagwiza, 1996 U.S. Dist. LEXIS 4409 (S.D.N.Y. 1996). 351 Siehe Almog v. Arab Bank, PLC, 471 F. Supp. 2d 257 (E.D.N.Y. 2007). 352 Siehe Sarei v. Rio Tinto, PLC, 671 F.3d 736 (9th Cir. 2011). 353 Siehe Abschnitt B. III. 4. c) bb) dieses Kapitels, oben. 354 Siehe z. B. Flores v. Southern Peru Copper Corp., 414 F. 3d 233, 244 Fn. 13 (2d Cir. 2003) („Customary international law rules proscribing … war crimes[] have been enforceable … since World War II“). 355 Siehe z. B. Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232, 243 (2d Cir. 1995) (Die Genfer Konventionen seien als Kodifikation des Völkerkriegsrechts anzusehen). 356 Siehe Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232, 242 – 43 (2d Cir. 1995). Diese Definition stammte von Art. 3 der Ersten Genfer Konvention: „Im Falle eines bewaffneten Konflikts, der keinen
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musste an einer sog. „geschützten Person“ begangen werden, d. h. einer Person, die „nicht direkt an den Feindseligkeiten“ teilnahm357. Als Kriegsverbrechen wurden die folgenden Handlungen angesehen, solange sie „im Rahmen“ („in the course of“) des bewaffneten Konflikts an unbeteiligten Zivilisten begangen wurden: Vorsätzliche Tötung, Folter, unmenschliche Behandlung, sowie die vorsätzliche Zufügung großer physischer Leiden oder Verletzungen358. Wie im Falle des Völkermordes erforderte der Tatbestand des Kriegsverbrechens kein hoheitliches Handeln. Die Genfer Konventionen galten für „jede der am Konflikt beteiligten Parteien“359. Amerikanische Gerichte haben Kriegsverbrechen für besonders verwerflich erklärt und deswegen den Begriff „Konfliktpartei“ breit ausgelegt, um auch rein private Akteure darunter fassen zu können360. Unter Anwendung dieses Tatbestands wurden ATS-Ansprüche wegen Folterungen, Ermordungen und Zwangsschwangerschaften im Bosnienkrieg als Kriegsverbrechen zugelassen361. Ähnliche Verbrechen aus dem Bürgerkrieg Ruandas stützten eine spätere ATS-Klage wegen Kriegsverbrechen362. In der Dritten Welle der ATS-Klagen, die sich gegen in Irak und Afghanistan tätige amerikanische Sicherheitsfirmen richtete, sollte der Tatbestand der Kriegsverbrechen besondere Relevanz entfalten363.
internationalen Charakter aufweist …, ist jede der am Konflikt beteiligten Parteien [an folgende Bestimmungen] gehalten“. 357 Erste Genfer Konvention, Art. 3 (1). 358 Siehe z. B. Mehinovic v. Vuckovic, 198 F. Supp. 2d 1322, 1351 (N.D. Ga. 2002). Diese Handlungen waren in Art. 147 der Vierten Genfer Konvention als „schwere Verletzungen“ gegen unbeteiligte Zivilisten aufgeführt („Als schwere Verletzungen … gelten jene, die die eine oder andere der folgenden Handlungen umfassen, sofern sie gegen Personen … begangen werden, die durch das vorliegende Abkommen geschützt sind: vorsätzlicher Mord, Folter oder unmenschliche Behandlung, … vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwere Beeinträchtigung der körperlichen Integrität oder der Gesundheit“). 359 Siehe Erste Genfer Konvention, Art. 3 („Im Falle eines bewaffneten Konflikts … ist jede der am Konflikt beteiligten Parteien [an folgende Bestimmungen] gehalten“). 360 Zuerst hat Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232, 243 (2d Cir. 1995) mit der plakativen Formulierung klar gemacht, dass Kriegsverbrecher derart verwerflich waren, dass unter „Konfliktparteien“ auch „roving hordes of insurgents“ zu verstehen waren. Nachfolgende Entscheidungen haben den Schluss Karadzics adoptiert und die ATS-Haftung Privater wegen Kriegsverbrechen unter Berufung auf das Second Circuit bestätigt, siehe z. B. Romero v. Drummond Co., Inc., 552 F. 3d 1303, 1316 (11th Cir. 2008) („Under the Alien Tort Statute, … individuals may be liable … for some conduct, such as war crimes, regardless of whether they acted under color of law of a foreign nation“ (mit Zitat hierfür auf Karadzic)). 361 Siehe Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232 (2d Cir. 1995), auch Abschnitt B. III. 4. c) bb) dieses Kapitels, oben; Mehinovic v. Vuckovic, 198 F. Supp. 2d 1322 (N.D. Ga. 2002). 362 Siehe Mushikiwabo v. Barayagwiza, 1996 U.S. Dist. LEXIS 4409 (S.D.N.Y. 1996). 363 Siehe Kapitel 3.
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h) Sklaverei/Sklavenhandel und Zwangsarbeit Sklaverei und ihre moderne Äquivalente Zwangsarbeit wurden in der Ersten Welle als Verletzungen völkergewohnheitsrechtlicher Normen und damit als ATSDeliktstatbestände anerkannt. In den 1980er und 1990er Jahren wurde die Existenz eines völkerrechtlichen Verbots der Sklaverei mehrmals in obiter dicta einflussreicher ATS-Entscheidungen als gegeben betrachtet364. Unter Berufung auf diese Entscheidungen haben Gerichte am Ende der 1990er Jahre die Zulässigkeit von ATSAnsprüchen wegen Sklaverei bestätigt365 und Zwangsarbeit als moderne Variante der Sklaverei zum Zwecke der Haftbarkeit nach dem ATS bezeichnet366. Der Tatbestand der Zwangsarbeit wurde allerdings vor 2007 nicht konkretisiert367. Fest stand nur, dass Haftung wegen Zwangsarbeit kein hoheitliches Handeln voraussetzte. Zwangsarbeit wurde als effektive Sklaverei als extrem verwerfliche Tat betrachtet368, die deshalb eine einklagbare Menschenrechtsverletzung im Sinne des ATS darstellte, egal ob sie von Hoheitsträgern oder Privatpersonen begangen wurde. i) Verbrechen gegen die Menschlichkeit Seit 2001 haben Gerichte Verbrechen gegen die Menschlichkeit als einklagbare Verletzung des Völkergewohnheitsrechts im Sinne des ATS anerkannt. Zuerst bejahte das Southern District of Florida in Cabello v. Fernandos-Larios die Existenz 364
Siehe Tel-Oren v. Libyan Arab Rep., 726 F.2d 774, 794 – 95 (D.C. Cir. 1984) (Sklaverei „is among the handful of crimes to which the law of nations attributes individual responsibility“); Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232, 239 (2d Cir. 1995) („[E]xample[s] of the application of the law of nations to the acts of private individuals [include a] prohibitio[n] against the slave trade“). Die Entscheidungen haben ein völkerrechtliches Verbot der Sklaverei auf wissenschaftliche Beiträge gestützt, siehe Korowicz, The Problem of the International Personality of Individuals, 50 A.J.I.L. 533 (1956) (Tel-Oren) und M. Cherif Bassiouni, Crimes Against Humanity in International Criminal Law (1992) (Karadzic). 365 Siehe z. B. Doe v. Reddy, No. 02-cv-5570, 2003 WL 23893010 (N.D. Cal. Aug. 4, 2003). 366 Siehe z. B. Doe v. Unocal Corp., 963 F. Supp. 880, 892 (C.D. Cal. 1997) („The allegations of forced labor in this case are sufficient to constitute an allegation of participation in slave trading“). 367 In Doe v. Reddy, No. 02-cv-5570 (N.D. Cal. Aug. 4, 2003) wurde eine ATS-Klage wegen Zwangsarbeit zugelassen, wo der Beklagte indische Frauen unter dem Versprechen einer Ausbildung in die USA lockte, wo sie ohne Bezahlung und unter Gewaltandrohung zur Arbeit gezwungen wurden. Dieser Sachverhalt reichte für das Gericht ohne Erörterung konkreter Tatbestandsmerkmale aus, das Vorliegen von Zwangsarbeit zu bejahen. Frühe HolocaustKlagen (siehe hierzu Kapitel 2, Abschnitt A. II. 1.) haben ohne Schwierigkeiten bejaht, dass die unfreiwillige Arbeit von Konzentrationslagerhäftlingen im Dritten Reich Zwangsarbeit im Sinne des ATS darstellte, siehe z. B. Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999). Erst in Roe v. Bridgestone Corp., 492 F. Supp. 2d 988 (S.D. Ind. 2007) wurden konkrete Voraussetzungen des Zwangsarbeitstatbestands ausgearbeitet, siehe hierzu Kapitel 2, Abschnitt A. III. 3. a). 368 Siehe z. B. Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232, 239 (2d Cir. 1995) (Bezeichnung von Sklavenhändler als hostes humanis generis).
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einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anhand der Gründungsstatuten internationaler Straftribunale, die einen entsprechenden Tatbestand anerkannten und unter Strafe stellten369. Spätere Entscheidungen haben unter Berufung auf Cabello und die in ihm aufgeführten internationalen Statuten die Zulässigkeit von ATS-Ansprüchen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestätigt370. Der Tatbestand von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde meist dem römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs als aktuellster Kodifizierung der entsprechenden Straftat entnommen371. Erforderlich war ein vorsätzlich betriebener „ausgedehnter oder systematischer Angriff“ gegen eine Zivilbevölkerung, die aus einer oder mehreren der folgenden Taten bestand: Vorsätzliche Tötung, Ausrottung, Versklavung, Vertreibung, Folter, Vergewaltigung, zwangsweises Verschwindenlassen oder anderen unmenschlichen Behandlungen372. So definiert überschnitt sich dieser Tatbestand oft mit anderen ATS-Tatbeständen wie Folter, grausame Behandlung, willkürliche Hinrichtung oder zwangsweises Verschwindenlassen. Der Unterschied zwischen diesen Delikten und dem Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestand darin, dass für Letzteren kein hoheitliches Handeln erforderlich war: Da Verbrechen gegen die Menschlichkeit als 369
Der Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde zum ersten Mal in Estate of Cabello v. Fernandez-Larios, 157 F. Supp. 2d 1345 (S.D. Fla. 2001) anerkannt. Das Gericht stützte die völkerrechtliche Existenz des Tatbestands auf die Gründungsstatuten von vier internationalen Straftribunalen: Statut für den Internationalen Gerichtshof (Nürnberg), Art. 6 (c): „Der … Gerichtshof … hat das Recht, alle Personen abzuurteilen, die [Verbrechen gegen die Menschlichkeit] begangen haben“; Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, Art. 5 (1): „Die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs erstreckt sich … auf … Verbrechen gegen die Menschlichkeit“; Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, Art. 5: „Der Gerichtshof ist befugt, Personen strafrechtlich zu verfolgen, die für [Verbrechen gegen die Menschlichkeit] verantwortlich sind“; Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda, Art. 3: „Der [Gerichtshof] ist befugt, Personen strafrechtlich zu verfolgen, die für [Verbrechen gegen die Menschlichkeit] verantwortlich sind“). 370 Siehe z. B. Doe v. Saravia, 348 F. Supp. 2d 1112, 1154 ff. (E.D. Cal. 2004); Chavez v. Carranza, 407 F. Supp. 2d 925 (W.D. Tenn. 2004); Flores v. Southern Peru Copper Corp., 343 F.3d 140 (2d Cir.2003); Aldana v. Fresh Del Monte Produce, Inc., 305 F. Supp. 2d 1285, 1299 (S.D. Fla. 2003); Mehinovic v. Vuckovic, 198 F. Supp. 2d 1322 (N.D. Ga. 2002). Am Häufigsten stand ein Verweis auf Cabello neben dem Gründungsstatut für den Internationalen Gerichtshof (Nürnberg), um einen solchen Leitsatz zu begründen: „Crimes against humanity have been recognized as violation of customary international law since the Nuremberg Trials in 1944“, siehe Aldana v. Fresh Del Monte Produce, Inc., 305 F. Supp. 2d 1285, 1299 (S.D.Fla.2003). 371 Siehe z. B. Mehinovic v. Vuckovic, 198 F. Supp. 2d 1322, 1352 – 53 (N.D. Ga. 2002) („Since the Nuremberg trials, the definition of crimes against humanity under customary international law has evolved significantly [and is now codified in the] Rome Statute of the International Criminal Court“). 372 Siehe römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, Art. 7.
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besonders schwerwiegende Völkerrechtsverletzung angesehen wurden, machten amerikanische Gerichte sowohl Privatpersonen als auch Hoheitsträger dafür haftbar. Unter Anwendung dieses Tatbestandes wurden Menschenrechtsverletzungen, die im Rahmen weitreichender Angriffe auf eine identifizierbare Bevölkerungsgruppe begangen waren, als Völkerrechtsverletzungen im Sinne des ATS qualifiziert. So wurde die Ermordung eines Beamten nach Pinochets Militärputsch in Chile als Teil einer systematischen gewaltsamen Unterdrückung der chilenischen Zivilbevölkerung und dadurch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit angesehen373. Auf ähnliche Weise wurde die Ermordung des Erzbischofs von San Salvador als Teil eines systematischen Angriffs der Militärregierung auf die Anhänger der Befreiungstheologie und somit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des ATS qualifiziert374.
II. Die Gestaltung des Schadensersatzanspruchs nach amerikanischem Recht Eine oft übersehene Entwicklung der Ersten Welle lag in der Ausgestaltung des Anspruchs, die in ATS-Klagen zur Anwendung kommen sollte. Denn die großen ATS-Klagen gegen z. B. Daimler, Exxon und Shell, die später in der Zweiten Welle erhoben wurden, bauten auf einem Schadensersatzanspruch auf, der in den Erste Welle-Entscheidungen bereits erörtert, gestaltet und mit Präzedenzwirkung beschlossen worden war. Dieser Schadensersatzanspruch war ausschließlich amerikanischer Natur und umfasste sowohl materiell- als auch verfahrensrechtliche Aspekte gerichtlichen Vorgehens in ATS-Klagen. Sachrechtlich wurde festgelegt, dass in ATS-Klagen amerikanische Vorschriften Art, Umfang und Höhe des Schadensersatzes, die Verjährungsfrist und ihre Hemmung sowie die Qualifizierung als Hoheitsträger bestimmen. Verfahrensrechtlich haben weitere Gerichtsentscheidungen den Leitsatz etabliert, dass ATS-Klagen als Sammelklagen (class actions) zulässig sind. Gemeinsam legte diese Rechtsprechung einen ATS-Anspruch fest, der zwar im Namen des Völkerrechts entwickelt, aber in seiner konkreten Ausgestaltung common law darstellte. 1. Das amerikanische law of remedies als Grundlage des ATS-Schadensersatzanspruchs Das ATS berechtigt die Bundesgerichte zur Gewährung von Schadensersatz, wenn eine Völkerrechtsverletzung vorliegt. Der knappe Gesetzestext aber enthält keine Leitlinien zur Bemessung des zu gewährenden Schadensersatzes. Entschei373 374
Siehe Estate of Cabello v. Fernandez-Larios, 157 F. Supp. 2d 1345 (S.D. Fla. 2001). Siehe Doe v. Saravia, 348 F. Supp. 2d 1112, 1154 ff. (E.D. Cal. 2004).
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dungen der Ersten Welle legte das amerikanische law of remedies zur Bemessung von ATS-Ansprüchen fest. Die Problematik für frühe ATS-Klagen war die Bestimmung des im Kontext der Schadensersatzgewährung anwendbaren „Sekundärrechts“. Das Völkerrecht enthält nur sog. Primärnormen, d. h. Verhaltensgebote, und gibt keine Sekundärnormen vor, die bestimmen, wie Verletzungen der Verhaltensgebote zu ahnden sind375. Die Entwicklung von Sekundärnormen zur Umsetzung des Völkerrechts in konkrete Zivil- oder Strafansprüche wird nationalen Rechtssystemen überlassen376. ATS-Klagen der Ersten Wellen lösten dieses Problem zunächst, indem sie auf ausländisches Schuldrecht als anwendbares Sekundärrecht verwiesen. Bei Filartíga hat das Gericht beispielsweise ATS-Klagen als „transitory tort“-Klagen von zwei zeitweilig in USA weilenden Ausländern konzipiert, bei denen die lex loci delicti commissi als Grundlage des Schadensersatzanspruchs anzunehmen war377. Entsprechend sollte ausländisches Deliktsrecht Umfang und Schranken des jeweiligen ATS-Schadenersatzanspruchs bestimmen. Allerdings hielten sich die Gerichte nicht an diese selbst gesetzte Vorgabe. In der Neuverhandlung von Filartíga wandte der District Court zwar paraguayisches Deliktsrecht an, um die Höhe des zu gewährenden Schadensersatzes zu bemessen378. Paraguayisches Recht sah keine punitive damages vor. Dessen ungeachtet ließ der District Court punitive damages zu, weil ansonsten „the manifest objectives of the international prohibition against torture“ nicht zur Geltung kämen379. Dieses Ergebnis wurde in der Literatur kritisiert. Wenn amerikanische Gerichte amerikanische Rechtsbehelfe zur Umsetzung des Völkerrechts gewähren sollten, sei ein neues Konzept des ATS nötig380. Die Literatur lieferte dieses Konzept: Das ATS sei keine bloße Zuweisung ausländischer Deliktsklagen, sondern eine Zuweisung völkerrechtswidriger Unrechtshandlungen an die Bundesgerichte mit der begleitenden common law-Kompetenz, sekundäre Schadensersatzansprüche nach amerikanischem Recht zur Umsetzung völkerrechtlicher Primärnormen zu kreieren381.
375 Siehe z. B. Anastasios Gourgourinis, General/Particular International Law and Primary/ Secondary Rules: Unitary Terminology of a Fragmented System, 22 European J. Int’l L. 993 (2011). 376 Siehe zustimmend die concurring opinion von Judge Edwards in. Tel-Oren v. Libyan Arab Rep., 726 F.2d 774 (D.C. Cir. 1984) (Edwards, J., concurring). 377 Siehe Filartíga, 630 F.2d at 885. 378 Siehe Filartíga, 577 F. Supp. at 864 ff. 379 Siehe Filartíga, 577 F. Supp. at 865. 380 Siehe William Casto, The Federal Courts’ Protective Jurisdiction over Torts Committed in Violation of the Law of Nations, 18 Conn. L. Rev. 467 (1986). 381 Siehe Casto, 18 Conn. L. Rev. at 480: „A more subtle and quite credible analysis can be advanced that [the ATS], though not creating a statutory cause of action, does create a federal forum in which federal judges are given power to implement the law of nations by fashioning appropriate domestic federal remedies“.
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Dieses Konzept fand schnell Akzeptanz in der Rechtsprechung. In Forti v. SuarezMason befand das Gericht, das ATS ermächtige zur Gewährung amerikanischer Schadensersatzansprüche zur Abhilfe von Verletzungen völkerrechtlicher Primärnormen382. Diese Ansicht verbreitete sich schnell: Mehrere Gerichte bejahten eine im ATS zum Ausdruck kommende Kompetenz, Schadensersatz nach amerikanischen Rechtsbehelfsregeln zur Abhilfe von Völkerrechtsverletzungen zu gewähren. Kurz nach Forti hat der Ninth Circuit in In re Marcos unter Berufung auf Filartíga das ATS als zuständigkeitsbegründende Norm ausgelegt, die bei Vorliegen einer Völkerrechtsverletzung eine Begleitkompetenz zur Gewährung sekundärer Schadensersatzansprüche impliziere383. Andere Gerichte schlossen sich seiner Meinung an. Im Jahr nach In re Marcos konstatierte der District Court of Massachusetts, dass „die Mehrheit der Gerichte“ das ATS derart auslegen, dass es bei Vorliegen einer Menschenrechtsverletzung nicht nur die Zuständigkeit der Bundesgerichte begründe, sondern auch einen materiellen Schadenersatzanspruch hergebe384. Zur selben Zeit bejahte der Second Circuit in seiner Karadzic-Entscheidung385, dass das ATS zur Erhebung von common law-Sekundäransprüchen bei Vorliegen von Völkerrechtsverletzungen berechtige386. Im folgenden Jahr legte der Eleventh Circuit das ATS als Ermächtigung zur Gewährung von common law-Sekundäransprüchen zur Abhilfe von Verletzungen völkerrechtlicher Primärnormen aus387. Aufgrund dieser Entscheidungen scheint sich die common law-Methodik fest etabliert zu haben. Entscheidungen ab 1992 haben ausländisches Deliktsrecht nicht mehr herangezogen, um die Höhe des in einer ATS-Klage zu gewährenden Schadensersatzes zu bemessen. Stattdessen gingen sie vom Verständnis aus, dass das allgemeine amerikanische common law of remedies die Arten, Umfang und Höhe der 382
Siehe Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531 (N.D. Cal. 1987). Siehe In re Estate of Ferdinand E. Marcos Human Rights Litigation, 25 F.3d 1467 (9th Cir. 1994): „The [Defendant] argues that the Alien Tort Act is a purely jurisdictional statute which does not provide the plaintiffs a cause of action. … However, … [the ATS] only mandates a ,violation of the law of nations‘ in order to create a cause of action. It is unnecessary that international law provide a specific right to sue“. 384 Siehe Xuncax v. Gramajo, 886 F. Supp. 162, 179 (D. Mass. 1995). Hierfür berief sich das Gericht zunächst auf In re Estate of Ferdinand E. Marcos Human Rights Litigation, 25 F.3d 1467 (9th Cir. 1994), aber auch auf Filartíga und Forti. Die einzige auffindbare Entscheidung, die sich gegen diese „Mehrheit“ stellte, war Judge Borks concurring opinion in Tel Oren. 385 Siehe hierzu Abschnitt C. IV. dieses Kapitels, oben. 386 Siehe Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232 (2d Cir. 1995). Dies hat das Gericht an keiner Stelle explizit gesagt. Stattdessen hat das Gericht seine Zuständigkeit aufgrund des ATS bejaht und darauf ohne weitere Diskussion Schadenersatzansprüche wegen der Völkerrechtsverletzungen Genozid und Kriegsverbrechen zugelassen. 387 Siehe Abebe-Jira v. Negewo, 72 F.3d 844, 848 (11th Cir. 1996): „[W]e conclude that the Alien Tort Claims Act establishes a federal forum where courts may fashion domestic common law remedies to give effect to violations of customary international law“. Damit folgte das Gericht dem oben dargelegten wissenschaftlichen Ansatz, was möglicherweise dadurch zu erklären ist, dass ein prominenter Rechtswissenschaftler (Prof. Harold Koh) die Kläger in Abebe-Jira vertrat. 383
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in ATS-Klagen zur Verfügung stehenden Schadensersatzansprüche bestimmten. So konnte bereits 1994 das Southern District of Florida ohne jedwede Diskussion des anzuwendenden Rechts behaupten, dass „[b]oth compensatory and punitive damages are recoverable for violations of international law“388. In folgenden ATS-Entscheidungen wurde Schadensersatz nach amerikanischen Maßstäben gewährt. Ein gutes Beispiel hiervon war Mushikiwabo v. Barayagwiza, worin ruandische Kläger, deren Verwandte im dortigen Genozid hingerichtet wurden, eine ATS-Klage gegen einen Hutu-Anführer erhoben389. Das Gericht gewährte jedem Kläger eine Grundsumme von $ 5 Mio. zum Ersatz des durch den Tod ihrer Verwandten verlorengegangenen Einkommens390. Hierzu sprach es den Klägern Schmerzensgelder in Höhe von $ 500.000 pro nachweislich getöteten Verwandten zu391. Schließlich erhielt jeder Kläger punitive damages in Höhe von $ 1 Mio.392. Das waren amerikanische Schadensersatztypen in für die USA typischer Höhe. Die Anwendung des amerikanischen law of remedies auf ATS-Ansprüche wäre der deutschen Rechtsperspektive wie eine Anwendung des § 823 Abs. 2 BGB vorgekommen, in der das internationale Menschenrecht die Rolle der Schutznorm spielt. Nach § 823 Abs. 2 BGB wird eine Schutznorm herangezogen, um die Rechtswidrigkeit einer Handlung zu indizieren, wonach das allgemeine deutsche Schuldrecht die Gewährung und Gestaltung des Schadensersatzanspruchs bestimmt. In der amerikanischen Rechtsprechung wurde das ATS ähnlich konzipiert: Das universelle Menschenrecht übernahm die Rolle der Schutznorm, während das amerikanische common law das Vorliegen und den Umfang eines Schadensersatzanspruchs bestimmte. Bei Vorliegen einer Menschenrechtsverletzung gingen amerikanische Gerichte von einer rechtswidrigen Handlung aus und betrachteten das ATS als § 823ähnliche Befugnis, einen inländischen Schadensersatzanspruch zu gewähren. 2. Die Anwendung amerikanischen Rechts auf die Verjährungsfrist und deren Hemmung in ATS-Klagen Viele Klagen der Ersten Welle wurden Jahrzehnte nach der Verübung der streitgegenständlichen Menschenrechtsverletzungen erhoben. Das ATS selbst enthält keine Verjährungsregeln. Insofern mussten die Bundesgerichte eine Verjährungsfrist für ATS-Klagen festlegen.
388 389 390 391 392
Siehe Paul v. Avril, 901 F. Supp. 330, 335 (S.D. Fla. 1994). Siehe Mushikiwabo v. Barayagwiza, 1996 WL 164496 at *1 (S.D.N.Y. 1996). Siehe Mushikiwabo, 1996 WL 164496 at *1 – 2. Siehe Mushikiwabo, 1996 WL 164496 at *1 – 2. Siehe Mushikiwabo, 1996 WL 164496 at *1 – 2.
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
a) Die Festlegung einer zehnjährigen Verjährungsfrist für ATS-Ansprüche Das Völkerrecht selbst enthält keine Verjährungsfrist. Stattdessen wird vor internationalen Tribunalen, sofern Verjährung überhaupt in Betracht kommt, mit dem Billigkeitsgrundsatz des „laches“ (Verwirkung) entschieden: Wer in Anbetracht aller Umstände erst nach unangemessener Verzögerung seinen Anspruch erhoben hat, hat ihn auch verwirkt393. Bei Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit haben zwei internationale Abkommen die Verjährung daraus entstehender Ansprüche ausgeschlossen394. Die amerikanische Auslegungsdogmatik bot einen alternativen Lösungsansatz für ATS-Ansprüche an. Wenn ein Bundesgesetz, wie im Falle des ATS, keine Verjährungsfrist enthält, wird kein unverjährbarer Anspruch daraus abgeleitet. Stattdessen wenden Bundesgerichte die entsprechende regelmäßige Verjährungsfrist des jeweiligen Bundesstaates an395, in dem das Bundesgericht sitzt, um eine einheitliche Regelung festzulegen und dadurch „forum shopping“ zu vermeiden396. Weil jedoch die Einzelstaaten ohne Beachtung der Interessen des Bundes ihre Verjährungsfristen festlegen, gilt dieser Grundsatz nicht, wenn eine deutlich nähere Analogie zu einem anderen Bundesgesetz vorliegt397. In solchen Fällen wird die anwendbare Verjährungsfrist dem „analogeren“ Bundesgesetz entlehnt. Gemäß diesen Prinzipien haben Entscheidungen der Ersten Welle die zehnjährige Verjährungsfrist des Torture Victim Protection Act (TVPA) auf ATS-Ansprüche angewandt und die Anwendbarkeit einzelstaatlicher Verjährungsfristen verneint398. 393 Siehe Ashraf Ibrahim, Note, The Doctrine of Laches in International Law, 83 Va. L. Rev. 647 (1997). 394 Siehe Convention on the Non-Applicability of Statutory Limitations to War Crimes and Crimes Against Humanity, G.A. Res. 2391 (XXIII), 23 U.N. GAOR Supp. (No. 18) S. 40, U.N. Doc. A/7218 (1968); European Convention on the Non-Applicability of Statutory Limitations to Crimes Against Humanity and War Crimes, 13 I.L.M. 540 (1974). 395 „[W]hen a cause of action under federal civil law does not have a directly applicable limitations period, … the court must ,borrow‘ the most suitable limitations period from some other source, traditionally, the law of the forum state“. In re World War II Era Japanese Forced Labor Litig., 164 F. Supp. 2d 1160, 1179 (N.D.Cal.2001) (Zitat von Arthur Miller & Edward Cooper, Federal Practice and Procedure § 4519 at 595 (1996)). 396 Für ATS-Klagen hätte dies die Anwendung von allgemeinen Verjährungsfristen für unerlaubte Handlungen bedeutet, die in Regelfall zwischen einem und zwei Jahren betragen. 397 „State legislatures do not devise their limitations periods with national interests in mind, and it is the duty of the federal courts to assure that the importation of state law will not … interfere with … national policies. … Specifically, the court should not borrow the state limitations period ,when a rule from elsewhere in federal law clearly provides a closer analogy than available state statutes‘“. In re World War II Era Japanese Forced Labor Litig., 164 F. Supp. 2d 1160, 1179 (N.D. Cal. 2001) (Zitat von Occidental Life Ins. Co. of Cal. v. EEOC, 432 U.S. 355, 367 (1977)). 398 Siehe Cabello v. Fernandez-Larios, 402 F.3d 1148 (11th Cir. 2006); Arce v. Garcia, 400 F.3d 1340 (11th Cir. 2005); Papa v. United States, 281 F.3d 1004 (9th Cir. 2002); In re World
C. Dogmatische Entwicklung der Ersten Welle
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Nach Ansicht der Gerichte war der TVPA dem ATS „analoger“ als das allgemeine einzelstaatliche Schuldrecht. Sowohl TVPA und ATS strebten den Schutz der Menschenrechte durch Zivilklagen an und der TVPA wurde als Ergänzung des ATS kodifiziert399. Die außerordentlichen praktischen Hürden einer typischen ATS-Klage seien dieselben, die in TVPA-Klagen zu erwarten seien400. Aus diesen Gründen bejahten Gerichte eine „enge Beziehung“ zwischen ATS und TVPA und erklärte die zehnjährige Verjährungsfrist des TVPA für anwendbar auf ATS-Ansprüche. b) Die Hemmung der Verjährungsfrist durch „equitable tolling“ Nach ständiger amerikanischer Rechtsprechung kann der Beginn einer auf einen Anspruch anwendbaren Verjährungsfrist anhand der sog. „equitable tolling“-Doktrin gehemmt werden. Diese Doktrin wird dem Billigkeitsrecht entlehnt, um die Härte regelmäßiger Verjährungsfristen durch Billigkeitserwägungen abzumildern. Equitable tolling wird angenommen, wenn außerordentliche Umstände, die außerhalb des Verantwortungsbereich des Klägers liegen und auch bei sorgfältigem Vorgehen nicht verhindert werden konnten, die fristgerechte Einleitung der Klage verhindert haben401. In solchen Fällen wird der Beginn der Verjährungsfrist gehemmt, bis die außerordentlichen Umstände beseitigt werden. Entscheidungen der Ersten Welle haben die Anwendbarkeit von equitable tolling auf ATS-Ansprüche einhellig bejaht402. Viele Kläger der Ersten Welle waren Opfer von Folterungen oder ähnlicher staatlicher Willkür und eine Klage gegen ihre Peiniger hätte weitere Repressalien nach sich gezogen. Diese Gefahr wurde als außerordentlicher Umstand im Sinne der equitable tolling-Doktrin verstanden. So wurde die Verjährungsfrist für Klagen gegen Ferdinand Marcos bis zu dem Zeitpunkt gehemmt, in dem eine demokratische Regierung auf den Philippinen an die Macht
War II Era Japanese Forced Labor Litig., 164 F. Supp. 2d 1160 (N.D. Cal. 2001); Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999); Cabiri v. Assasie-Gyimah, 921 F. Supp. 1189, (S.D.N.Y.1996). 399 „The TVPA, like the ATCA, furthers the protection of human rights … . Moreover, it employs a similar mechanism for carrying out these goals: civil actions. The provisions of the TVPA were added to the ATCA, further indicating the close relationship between the two statutes“. Papa v. United States, 281 F.3d 1004, 1012 (9th Cir. 2002). 400 „[T]he realities of litigating claims brought under the [ATS], and the federal interest in providing a remedy, also point towards adopting a uniform – and a generous – statute of limitations [for the ATS and TVPA]“. Papa, 281 F.3d at 1012. 401 Siehe Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999). 402 Siehe Cabello v. Fernandez-Larios, 402 F.3d 1148 (11th Cir. 2006); Arce v. Garcia, 400 F.3d 1340 (11th Cir. 2005); Jean v. Dorelien, 431 F.3d 776 (11th Cir. 2005); In re World War II Era Japanese Forced Labor Litig., 164 F. Supp. 2d 1160 (N.D. Cal. 2001); Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999); Hilao v. Estate of Marcos, 103 F.3d 767 (9th Cir. 1996); Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531 (N.D. Cal. 1987).
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
kam, weil davor jeder Kläger mit Einsperrung und Folter hätte rechnen müssen403. In einer anderen ATS-Klage wurde die Verjährungsfrist gehemmt, bis die persönliche Zuständigkeit über den Beklagten bestand404. Wie in anderen Aspekten der Rechtsprechung der Ersten Welle griff die common law-Methodik ein, um die Anwendbarkeit von „equitable tolling“ auf ATS-Ansprüche zu besiegeln. Ab 1996 genügte ein Verweis auf andere amerikanische Entscheidungen, um die Hemmung der in ATS-Klagen gültigen zehnjährigen Verjährungsfrist zu begründen405. Das Ergebnis dieser Rechtsprechung war ein ATS-Anspruch, der so grenzenlos war wie die amerikanischen Billigkeitsvorstellungen. Auf der einen Seite wurde eine im internationalen Vergleich lange Verjährungsfrist von zehn Jahren für ATS-Ansprüche festgelegt. Auf der anderen Seite hemmten die Gerichte diese Verjährungsfrist, solange Umstände, die sie nach freiem Ermessen als „außerordentlich“ qualifizieren durften, zwischen einem ATS-Kläger und der Einleitung der Klage standen. Damit erschuf die Erste Welle einen Anspruch mit einem fast unbefristeten zeitlichen Geltungsbereich. 3. Die Anwendung amerikanischer Rechtsprechung auf die Feststellung hoheitlichen Handelns Etwa die Hälfte der in der Ersten Welle anerkannten Deliktstatbestände – Folter, grausame Behandlung, willkürliche Inhaftierung und außergerichtliche Hinrichtung – erforderten hoheitliches Handeln. Diese Delikte waren nur dann einklagbar, wenn der Nachweis erbracht wurde, dass sie aus staatlicher Gewalt hervorgingen406. In den frühen Klagen der Ersten Welle war dieser Nachweis unproblematisch, weil sich diese Klagen gegen Amtspersonen wie Generäle, Präsidenten oder Bürgermeister richteten407. Da solche Personen kraft ihres Amtes hoheitlich angeordnete Befugnisse ausübten, konnten die von ihnen ausgehenden Rechtsverletzungen staatlicher Gewalt zugeschrieben werden408.
403 Siehe Hilao v. Estate of Marcos, 103 F.3d 767, 775 (9th Cir. 1996) („[M]any victims of torture in the Philippines did not report the human-rights abuses they suffered out of intimidation and fear of reprisals; this fear seems particularly understandable in light of testimony on the suspension of habeas corpus between 1972 and 1981, and on the effective dependence of the judiciary on Marcos“). 404 Siehe Jean v. Dorelien, 431 F.3d 776 (11th Cir. 2005). 405 Siehe z. B. Arce v. Garcia, 400 F.3d 1340 (11th Cir. 2005); Jean v. Dorelien, 431 F.3d 776 (11th Cir. 2005); Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999). 406 Siehe Abschnitte C. I. 4. a)-e) dieses Kapitels, oben. 407 Siehe z. B. die illustrativen Fälle im Abschnitt B. IV. dieses Kapitels, oben. 408 Vgl. z. B. Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531, 1546 (N.D. Cal. 1987): „[A] police chief who tortures, or orders to be tortured, prisoners in his custody fulfills the requirement that his action be ,official‘ simply by virtue of his position and the circumstances of the act“.
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Ab Mitte der 1990er Jahre wurden jedoch ATS-Klagen aus dem Bosnienkrieg und dem ruandischen Genozid erhoben. Die Beklagten in diesen Klagen waren keine Amtsinhaber, sondern die Leiter loser mörderischer Banden, die ohne die Autorisierung eines anerkannten Staates Gewalt gegen andere Bevölkerungsgruppen ausübten. Als ATS-Klagen gegen sie erhoben wurden, bestätigten die Gerichte, dass Körperverletzungen und Morde nur dann als Folter und außergerichtliche Hinrichtung im Sinne des ATS zu betrachten waren, wenn die Beklagten als Hoheitsträger anzusehen waren. Damit stellte sich die Frage, nach welchen Maßstäben die Eigenschaft eines ATS-Beklagten als Privatperson oder Hoheitsträger entschieden werden sollte. a) Die „color of law“-Rechtsprechung zum 42 U.S.C. § 1983 Die amerikanische Rechtsprechung pflegt eine lange Tradition der Qualifizierung von Privatpersonen als Hoheitsträger zum Zwecke der Schadensersatzgewährung. Gegenstand dieser Rechtsprechung ist die Beantwortung der Frage, inwiefern das Handeln Privater dem Staat zugerechnet werden soll. Hintergrund dieser Tradition war die Regel, dass Privatpersonen die Verfassungsbzw. Grundrechte anderer Personen grundsätzlich nicht verletzen können. Stattdessen können Grundrechte nur vom Staat, in der amerikanischen Fachsprache nur durch sog. „state action“ verletzt werden. Z. B. würde die Einsperrung einer Person durch eine andere Privatperson nur Freiheitsberaubung im Sinne des common law darstellen, während die Einsperrung durch einen Polizisten als due process-Verletzung anzusehen wäre. Im Jahre 1871 hat der Kongress diese Regel durch Verabschiedung von 42 U.S.C. § 1983 geändert. § 1983 gewährt einen Schadensersatzanspruch für jede Person, deren Grundrechte von einer anderen Person, die „under color of law“ gehandelt hat, verletzt wurden409. Die Formulierung „under color of law“ brach mit der bisherigen Tradition, um den Kreis der Personen, die als „state actors“ in Frage kamen, zu erweitern. Dies war vom Kongress gewollt. § 1983 wurde kurz nach Ende des Bürgerkriegs als Teil des Civil Rights Act verabschiedet und hatte die zahlreichen Angriffe des Ku Klux Klan auf Leib und Leben in den Südstaaten vor Augen, die bisher von den südstaatlichen Behörden absichtlich ungeahndet gelassen waren410. Durch die gesetzliche Festlegung eines Schadensersatzanspruchs für Grundrechtsverletzungen sollte die Ahndung dieser Verletzungen bei den Opfern anstatt bei den 409 Siehe 42 U.S.C. § 1983: „Every person who, under color of any statute, ordinance, regulation, custom, or usage, of any State …, subjects … any [person within the United States] to the deprivation of any rights, privileges, or immunities secured by the Constitution and laws, shall be liable to the party injured in an action at law“. 410 „The specific historical catalyst for the Civil Rights Act of 1871 was the campaign of violence and deception in the South, fomented by the Ku Klux Klan, which was denying decent citizens their civil and political rights“. Wilson v. Garcia, 471 U.S. 261, 276 (1985).
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Behörden liegen411. Dazu sollte die „under color of law“-Formulierung sicherstellen, dass der Ku Klux Klan als Privater nicht davonkommen konnte: Weil nach § 1983 Grundrechtsverletzungen nunmehr von allen Personen ausgingen, die unter dem Anschein hoheitlicher Autorisierung agierten, wurden den Gerichten die Mittel in die Hand gegeben, in angemessenen Fällen Privatpersonen als haftbare Hoheitsträger zu fingieren. Damit setzte § 1983 das Handeln einer Privatperson „under color of law“ dem Handeln eines Amtsträgers gleich412. Solange eine Privatperson unter dem Anschein staatlicher Autorisierung ein Grundrecht verletzte, wurde zwecks Gewährung von Schadensersatz nach § 1983 genauso vorgegangen, als hätte eine Amtsperson bzw. der Staat selbst die Grundrechtsverletzung herbeigeführt. Die Privatperson wurde zu Haftungszwecken als Hoheitsträger fingiert. Die Rechtsprechung zu § 1983 hat sich über Jahrzehnte mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Umständen eine Privatperson „under color of law“ gehandelt und deshalb als Hoheitsträger im Sinne von § 1983 fingiert werden sollte. Ergebnis dieser Rechtsprechung ist der ziemlich tautologische Grundsatz, dass Private als Hoheitsträger anzusehen sind, wenn sie nach Recht und Billigkeit als staatliche Akteure anzusehen sind413. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass der Staat durch Einbindung einer Privatperson an einer Rechtsverletzung auf irgendeine Weise direkt beteiligt war. Stattdessen muss ein Gericht nur zur Überzeugung gelangen können, dass die Handlung einer Privatperson dem Staat zugerechnet werden kann414. Die „color of law“-Prüfung wird von den Gerichten anhand uneinheitlicher einzelfallbezogener Tests vorgenommen415. Vorrangig sind der (1) „nexus“-Test, der (2) „symbiotic relationship“-Test, (3) der „joint action“-Test und (4) der „public function“-Test. aa) Der „nexus“-Test Nach dem „nexus“-Test ist eine Privatperson als Hoheitsträger zu betrachten, wenn eine Verbindung („nexus“) zwischen Staat und Privatperson existiert, die derart 411
„By providing a remedy for the violation of constitutional rights, Congress hoped to restore peace and justice to the region through the subtle power of civil enforcement“. Wilson, 471 U.S. at 277. 412 Siehe allgemein hierzu Stephen Winter, The Meaning of „Under the Color of“ Law, 91 Mich. L. Rev. 323 (1992). 413 Lugar v. Edmondson Oil Co., 457 U.S. 922, 937 (1982) („[T]he party charged with the [constitutional violation] must be a person who may fairly be said to be a state actor“.). 414 Siehe Lugar, 457 U.S. at 937 („Our cases [on § 1983] have accordingly insisted that the conduct allegedly causing the deprivation of a federal right be fairly attributable to the State“). 415 Zur Uneinheitlichkeit der Vorgehensweise siehe Lebron v. Nat’l Railroad Passenger Corp., 513 U.S. 374, 378 (1995) („[O]ur cases deciding when private action might be deemed that of the state have not been a model of consistency“).
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eng ist, dass das Verhalten der Privatperson fairerweise dem Staat zugerechnet werden müsste416. Insofern stellt der nexus-Test auf die Nähe zwischen Staat und Privatperson ab: Wenn eine hinreichende Nähe zwischen dem Staat und der Handlung einer Privatperson vorliegt, wird die letztliche Verantwortlichkeit des Staates für eine augenscheinlich private Handlung bejaht417. Was als hinreichende Nähe zu qualifizieren ist, lässt sich nicht allgemein definieren, sondern wird unter Anwendung breiten Ermessensspielraums einzelfallspezifisch geprüft. Als Leitlinie dient, dass weder der Erlass zwingender Vorgaben noch die Gewährung von Fördermitteln durch den Staat einen „nexus“ zum Verhalten Privater begründe. Stattdessen müsse der Staat an einer privaten Handlung beteiligt oder signifikant darin verwickelt sein418. Z. B. wurde ein „nexus“ zwischen Staat und privater Handlung bejaht, wo Polizisten als Sicherheitsdienstleister bei privaten Konzerten angeheuert waren und auf Anweisung der privaten Konzertbetreiber Kameras von Journalisten wegnahmen419. bb) Der „symbiotic relationship“-Test Der „symbiotic relationship“-Test ist dem „nexus“-Test nicht unähnlich, legt jedoch engere Maßstäbe für die Verbindung zwischen Staat und Privatperson an. Nach ihm werden Privatpersonen als Hoheitsträger betrachtet, wenn Privatperson und Staat in einer „symbiotischen Beziehung“ stehen. Unter welchen Umständen eine Beziehung als „symbiotisch“ zu qualifizieren ist, lässt sich wiederum nicht allgemein definieren und ist dem Ermessen des jeweiligen Gerichts überlassen. Als Leitlinie für den Test gilt, dass weder die durchgehende Regulierung noch die öffentliche Finanzierung noch staatliche Zustimmung zum Verhalten einer Privatperson eine symbiotische Beziehung zwischen ihr und dem Staat begründen420. Vielmehr wird verlangt, dass Staat und Privatperson in Hinblick auf einen konkreten Sachverhalt zu einer Art einheitlichem Gefüge zusammengewachsen sind, sodass ihre Tätigkeiten und finanziellen Interessen voneinander abhängen und nicht voneinander
416 „[T]he complaining party must [] show that ,there is a sufficiently close nexus between the State and the challenged action of the regulated entity so that the action of the latter may be fairly treated as that of the State itself‘“. Blum v. Yaretsky, 457 U.S. 991, 1004 (1982) (Zitat von Jackson v. Metropolitan Edison Co., 419 U. S. 345, 351 (1972)). 417 „The purpose of [the nexus] requirement is to assure that constitutional standards are invoked only when it can be said that the State is responsible for the specific conduct of which the plaintiff complains“. Blum, 457 U.S. at 1004. 418 „To satisfy the nexus test, the state must be significantly involved in or actually participate in the alleged conduct“. Beanal v. Freeport-McMoran, Inc., 969 F. Supp. 362, 377 (Zitat von Gallagher v. Neil Young Freedom Concert, 49 F.3d 1442, 1449 (10th Cir. 1995)). 419 Siehe D’Amario v. Providence Civic Ctr. Auth., 783 F.2d 1 (1st Cir.1986). 420 Siehe Beanal, 969 F. Supp. at 378 (Zitat von Gallagher v. Neil Young Freedom Concert, 49 F.3d 1442, 1450 (10th Cir. 1995)).
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
getrennt werden können421. Z. B. wurde eine symbiotische Beziehung zwischen einer Stadtverwaltung und einem Restaurant bejaht, wo das Restaurant seine Parkfläche von einer Sonderentität der Stadtverwaltung mietete, die zur gewerbsmäßigen Vermietung der im Stadtbesitz befindlichen Parkflächen gegründet war422. cc) Der „joint action“-Test Der „joint action“-Test stellt nicht auf die Beziehung zwischen Staat und Privatperson, sondern auf die Beteiligung des Staates an privat beschlossenen und vorgenommenen Handlungen ab. Nach dem „joint action“-Test ist eine Privatperson als Hoheitsträger zu betrachten, wenn sie willentlich gemeinsam mit Hoheitsträgern eine Rechtsverletzung begeht oder veranlasst423. Wie bei den anderen Tests existiert keine Definition von „joint action“; der Begriff wird unter Anwendung von Ermessensspielraum einzelfallbezogen definiert. Beim „joint action“-Test dreht sich die Analyse um den erforderlichen Grad an staatlicher Beteiligung. Allgemein gilt, dass staatliche Zustimmung oder Duldung einer privaten Handlung nicht ausreicht, um „joint action“ herzugeben424. Dementgegen reicht die tatsächliche Beteiligung staatlicher Akteure an einer Rechtsverletzung oder die Kooperation zwischen Privatpersonen und Hoheitsträgern mit dem Ziel einer Rechtsverletzung, um „joint action“ zu begründen und die Privatperson als Hoheitsträger zu fingieren425. Allerdings ist eine tatsächliche Beteiligung des Staates an einer Handlung der Privatperson nicht notwendig, um sie als hoheitliches Handeln nach dem „joint action“-Test zu fingieren. Eine Verabredung bzw. Verschwörung zwischen Privatperson und Hoheitsträger zur Begehung einer Rechtsverletzung reicht aus, um die Rechtsverletzung als hoheitliches Handeln zu qualifizieren426. dd) Der „public function“-Test Nach dem „public function“-Test wird eine Privatperson als Hoheitsträger behandelt, wenn sie eine traditionell hoheitliche Funktion ausübt. Zweck des Tests ist 421 Vgl. „To establish a symbiotic relationship, the state and the private entity need be ,physically and financially integral‘“ Beanal v. Freeport-McMoran, Inc., 969 F. Supp. 362, 378 (E.D. La. 1997) (Zitat von Burton v. Wilmington Parking Auth., 365 U.S. 715, 723 (1961)). 422 Siehe Burton v. Wilmington Parking Auth., 365 U.S. 715 (1961). 423 Dennis v. Sparks, 449 U.S. 24, 27 (1980) („Private persons, jointly engaged with state officials in the challenged action, are acting ”under color” of law for purposes of § 1983 actions“). 424 Siehe Gallagher v. Neil Young Freedom Concert, 49 F.3d 1442, 1453 (10th Cir. 1995). 425 Siehe Gallagher, 49 F.3d at 1454: „[I]f there is a substantial degree of cooperative action between state and private officials … or if there is overt and significant state participation … in carrying out the deprivation of the plaintiff’s constitutional rights, state action is present“. 426 Siehe Gallagher, 49 F.3d at 1454.
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es, Grundrechtsverletzungen zu verhindern, die durch die Übertragung hoheitlicher Befugnisse an Privatpersonen entstehen könnten. Wegen der schweren Bürde, die die Fiktion als öffentliche Stelle nach sich zieht, wird der Begriff „public function“ eng ausgelegt. Nur weil eine Tätigkeit öffentlich finanziert wird oder im Dienste der Öffentlichkeit ausgeübt wird, ist es noch keine „public function“427. Stattdessen ist eine Tätigkeit nur dann eine „public function“, wenn sie ihrer Art nach souveräner Natur ist428. Beispiele hierfür sind das Abhalten von Wahlen429 oder das Betreiben eines Gefängnisses430. b) Die Anwendung der § 1983-Rechtsprechung auf ATS-Klagen Die Entscheidungen der Ersten Welle haben die in der Rechtsprechung zu § 1983 entwickelten „color of law“-Maßstäbe für die Qualifizierung von Beklagten als Hoheitsträger im Sinne des ATS festgelegt. Die Anwendung der „color of law“Rechtsprechung zu § 1983 auf die Frage, ob hoheitliches Handeln im Sinne des ATS vorliegt, geschah beinahe reflexiv und ohne große Überlegungen. So skurril es sich lesen mag, geht die Anwendung der „color of law“-Rechtsprechung auf ATS-Ansprüche auf zwei Sätze in Erste Welle-Entscheidungen zurück. In Forti v. Suarez-Mason fand sich das Northern District of California mit dem Einwand des beklagten Generals Suarez-Mason konfrontiert, dass seine Handlungen als Amtsträger als souveräne Akte seines Staates einzustufen seien, die gemäß der Act of State-Doktrin431 vor Aburteilung durch die amerikanischen Gerichte geschützt sind432. Das Gericht wies diesen Einwand anhand einer Analogie zwischen dem ATS und § 1983 zurück: „Claims for tortious conduct of government officials under 28 U.S.C. § 1350 may be analogized to domestic lawsuits brought under 42 U.S.C. § 1983, where plaintiffs must allege both deprivation of a federally protected right and action ,under color of‘ state law. So, too, for purposes of § 1350 a plaintiff must allege ,official‘ (as opposed to private) action – but this is not necessarily the governmental and public action contemplated by the act of state doctrine“433.
Damit meinte das Gericht Folgendes: Genauso wie das Verhalten einer amerikanischen Amtsperson nicht automatisch als haftungsimmune souveräne Handlung der Vereinigten Staaten anzunehmen ist434, die vor § 1983-Klagen geschützt ist, ist 427
Siehe Jackson v. Metropolitan Edison Co., 419 U.S. 345, 352 – 353 (1974). Siehe Jackson, 419 U.S. at 353: „[S]tate action [is] present in the exercise by a private entity of powers traditionally exclusively reserved to the State“. 429 Siehe Nixon v. Condon, 286 U.S. 73 (1932). 430 Siehe Rosborough v. Management & Training Corp., 350 F.3d 459 (5th Cir. 2003). 431 Siehe hierzu Abschnitt C. III. 2. b) dieses Kapitels, unten. 432 Siehe Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531 (N.D. Cal. 1987). 433 Forti, 672 F. Supp. 2d at 1546. 434 Zur Immunität amerikanischer Amtsträger siehe Kapitel 3, Abschnitt C. I. 428
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das Verhalten einer ausländischen Amtsperson nicht automatisch als souveräne Handlung seines Staates anzusehen, die gemäß der Act of State-Doktrin vor ATSKlagen geschützt sein sollte. Aber genau wie der Inhaber eines Amtes per se als Hoheitsträger im Sinne von § 1983 gilt, wirdein ausländischer Amtsinhaber als Hoheitsträger im Sinne des ATS betrachtet. Mit dieser Analyse bestätigte das Northern District of California die Eigenschaft von General Suarez-Mason als Hoheitsträger und verneinte zugleich die Anwendbarkeit der Act of State-Doktrin auf seine Unrechtshandlungen. Etwa acht Jahre später fand sich der Second Circuit in Kadic v. Karadzic mit der Frage konfrontiert, ob der Anführer einer serbischen Armee, die keinem anerkannten Staat angeschlossen war, als Hoheitsträger im Sinne des ATS anzusehen war435. Unter Verweis auf die eben zitierte Passage von Forti legte der Second Circuit folgenden Leitsatz fest: „The ,color of law‘ jurisprudence of 42 U.S.C. § 1983 is a relevant guide to whether a defendant has engaged in official action … under the Alien Tort Act“436. Dieser kurze Satz bildete die Gesamtheit der Analyse des Second Circuit zur Frage, welche Maßstäbe auf die Qualifizierung von Verhalten als hoheitliches Handeln anzuwenden waren. Eine Erörterung internationaler Standards oder der Möglichkeit einer autonomen Auslegung wurde nicht vorgenommen. Stattdessen schritt der Second Circuit direkt zu einer eigenen Formulierung des „joint action“Tests, die es für die Entscheidung zur Eigenschaft des Beklagten als Hoheitsträger oder Privatperson bestimmte: „A private individual acts under color of law within the meaning of section 1983 when he acts together with state officials or with significant state aid“437. Die Karadzic-Entscheidung entfaltete eine derart breite Überzeugungskraft, dass sie die common law-Methodik in Gang setzte und zum allgemein anwendbarer Präzedenzfall für die Regel wurde, dass die „color of law“ Rechtsprechung zu § 1983 die Frage zum hoheitlichen Handeln in ATS-Klagen bestimmte. Als Beispiel hiervon kann die ,Analyse‘ des Southern District of Florida zur Anwendbarkeit der § 1983Rechtsprechung auf ATS-Ansprüche dienen: „The [Karadzic] court found cases interpreting 42 U.S.C. § 1983 to be a relevant guide on the ,color of law‘ requirement for jurisdiction under the ATCA. This court also finds the jurisprudence of § 1983 applicable“438.
Vor allem ging die Etablierung der „color of law“-Rechtsprechung als Teil der ATS-Rechtsprechung aus der Tatsache hervor, dass Karadzics Formulierung des „joint action“-Tests die Grundlage für die ersten Klagen der Zweiten Welle bildete439. 435 436 437 438 439
Siehe Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232, 245 (2d Cir. 1995). Karadzic, 70 F.3d at 245. Karadzic, 70 F.3d at 245. Sinaltrainal v. Coca-Cola Co., 256 F. Supp. 2d 1345, 1353 Fn. 5 (S.D. Fla. 2003). Siehe hierzu Kapitel 2, Abschnitt A. I. 3.
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Nachdem die Holocaust-Klagen aufgrund „joint action“ nach der Auslegung von Karadzic mit Erfolg für die Kläger abgewickelt wurden440, war an keine Abkehr von der „color of law“-Rechtsprechung zu denken. Das Ergebnis dieser Rechtsprechung war die Festlegung der Anwendbarkeit amerikanischen Rechts für die Frage, ob und wann eine ausländische Privatperson als Hoheitsträger im Sinne des Völkergewohnheitsrechts, das sie angeblich verletzt hatte, qualifiziert werden sollte. Dies hatte zur Folge, dass amerikanisches Recht entschied, wann eine ausländische Person zum Subjekt völkerrechtlichen Pflichten wurde. Damit war der Anwendungsbereich völkerrechtlicher Normen den Rechtsvorstellungen amerikanischer Gerichte anheimgefallen: Die Rechtsprechung zu § 1983 entschied nun, welche Ausländer unter welchen Umständen als Hoheitsträger im Sinne des ATS galten. Dies erweiterte wiederum den Anwendungsbereich der common law-Aspekte von ATS-Ansprüchen441. 4. Die Zulassung von Sammelklagen bei verbreiteten Völkerrechtsverletzungen Amerikanisches Verfahrensrecht ist einzigartig in seiner Handhabung von Kollektivverfahren, die unter dem Namen class actions laufen. Eine wichtige – und durchaus zweifelhafte – Errungenschaft der Ersten Welle war es, die Präzedenzfälle zu liefern, die die Zulässigkeit von class actions in künftigen ATS-Klagen begründen würden. a) Das Recht der Class Action Nach Federal Rule of Civil Procedure 23 kann ein Kläger eine normale Zivilklage auf Schadensersatz einleiten und dabei eine Vertretungsbefugnis beantragen, kraft derer er die Ansprüche einer „class“ ähnlich situierter Geschädigter vertreten darf. Wird seinem Antrag stattgegeben (durch sog. „Zertifizierung“ der class action), führt der Kläger nunmehr ein Verfahren, in dem er die Ansprüche einer class anderer Personen mitvertritt und gerichtlich durchsetzt. Das Gericht definiert die class von Geschädigten, die in der class action vertreten werden. Diese werden automatisch vom Ergebnis des class action-Verfahrens gebunden, es sei denn, sie machen expliziten Gebrauch von einem Austrittsrecht („opt out“).
440
Siehe Kapitel 2, Abschnitt A. II. 1. Vgl. z. B. „Recently, … a few courts have held individuals liable for Alien Tort Statute violations when they acted under color of law. These courts have borrowed heavily from 42 U.S.C. § 1983 color of law jurisprudence. … Reasoning in these cases is unpersuasive, however. Grafting § 1983 color of law analysis onto international law claims would be an end-run around the accepted principle that most violations of international law can be committed only by states. … Recognizing acts under color of law would dramatically expand the extraterritorial reach of the [ATS]“. Doe v. Exxon Mobil Corp., 393 F. Supp. 2d 20, 26 (D.D.C. 2005). 441
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
Class actions auf Schadensersatz sind grundsätzlich in allen Zivilklagen zulässig, solange folgende Voraussetzungen erfüllt sind: (1) die Gruppe der Geschädigten ist so groß, dass ihr Zusammenschluss als Streitgenossenschaft unpraktikabel ist442; (2) die Ansprüche aller Geschädigter werfen mindestens eine gemeinsame Rechts- oder Tatsachenfrage auf443 ; (3) die Ansprüche des Klägers, der die class action beantragt, sind angesichts der Ansprüche der anderen class-Mitglieder typisch444 ; (4) es ist zu erwarten, dass der antragstellende Kläger die Interessen der anderen Geschädigten fair und angemessen vertreten wird445 ; (5) die gemeinsamen Rechts- oder Tatsachenfragen der Geschädigten überwiegen deutlich gegenüber den Fragen in Einzelfällen446 ; und (6) die class action ist aus Sicht des Gerichts die der Einzeldurchsetzung überlegene Vorgehensweise447. Wo der Beklagte jedoch über begrenzte finanzielle Mittel verfügt, sodass die Gefahr besteht, dass nur wenige Ansprüche gegen ihn werden vollständig beglichen werden können, kann die class action unter erleichterten Voraussetzungen zugelassen werden. Solche Fälle werden in Hinblick auf das Vermögen des Beklagten als „limited fund“-class actions bezeichnet. Nach FRCP 23 (b) (1) (B) entfallen bei Vorliegen von „limited funds“ die Voraussetzungen (5) und (6) aus dem obigen Absatz, sodass die class action auch zulässig ist, wenn gemeinsame Fragen nicht überwiegen und die class action nicht die überlegene Vorgehensweise ist448. Zweck dieser Regelung ist es, bei verstreuten Schäden ein schnelles Aufbrauchen vom Vermögen des Beklagten durch wenige Anspruchsinhaber (und insbesondere ihre Anwälte) zu vermeiden. b) Class Actions der Ersten Welle Zwei Entscheidungen der Ersten Welle haben die Zulässigkeit von class actions in ATS-Verfahren festgelegt: In re Marcos. Die Klagen gegen Ferdinand Marcos, ehemaligen Präsidenten der Philippinen, waren die ersten ATS-Klagen überhaupt, in der die Zulassung einer class action beantragt wurde449. Bei Einleitung der Klagen gegen Marcos in 1986 ersuchten die Kläger und ihre Anwälte eine Befugnis, nach FRCP 23 die Ansprüche 442
Siehe Fed. R. Civ. P. 23(a)(1) („Numerosity“). Siehe Fed. R. Civ. P. 23(a)(2) („Commonality“). 444 Siehe Fed. R. Civ. P. 23(a)(3) („Typicality“). 445 Siehe Fed. R. Civ. P. 23(a)(4) („Adequate representation“). 446 Siehe Fed. R. Civ. P. 23(b)(3) („Predominance“ (of common questions)). 447 Siehe Fed. R. Civ. P. 23(b)(3) („Superiority“). 448 Siehe Fed. R. Civ. P. 23(b)(1)(B): „A class action may be maintained if Rule 23(a) is satisfied and if prosecuting separate actions by or against individual class members would create a risk of adjudications with respect to individual class members that, as a practical matter, would be dispositive of the interests of the other members not parties to the individual adjudications or would substantially impair or impede their ability to protect their interests“. 449 Siehe Hilao v. Estate of Ferdinand Marcos, 103 F.3d 767 (9th Cir 1996). 443
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aller philippinischen Angehörigen mitzuvertreten, deren Menschenrechte während Marcos’ Militärdiktatur verletzt worden waren. Der District of Hawaii ließ die class action in 1991 zu und definierte die Gruppe der Geschädigten, deren Ansprüche nunmehr im Verfahren vertreten wurden, wie folgt: „all civilian citizens of the Philippines who, between 1972 and 1986, were tortured, summarily executed or ,disappeared‘ by Philippine military or paramilitary groups“450. Tausende Personen fielen unter diese Definition und vor Ablauf der Frist zur Anmeldung eines Anspruchs hatten mehr als 10.000 Personen einen Schadensersatzanspruch beim District of Hawaii angemeldet. Marcos’ Haftung für Menschenrechtsverletzungen an diesen Personen wurde 1992 in einem Hauptverfahren vor einer Jury entschieden451, wonach ein Gerichtsbevollmächtigte mit der Festlegung der Höhe des geschuldeten Schadensersatzes gegenüber jedem vertretenen Geschädigten beauftragt wurde452. Der District of Hawaii ließ die class action gegen Marcos als „limited fund“-class action zu. Damit gab das Gericht zu erkennen, dass es die class action nicht notwendigerweise für die beste Vorgehensweise hielt. Stattdessen sah das Gericht die Zulassung der class action aus dem rein praktischen Grund für nötig, weil die zu erwartende Höhe der Gesamtheit der Ansprüche gegen Marcos den geschätzten Wert von Marcos’ Vermögen überstieg. Kadic v. Karadzic. Nach In re Marcos folgte die zweite Zulassung einer class action in einem ATS-Verfahren in der Klage gegen Radovan Karadzic, Kommandeur der serbischen Armee im Bosnienkrieg453. Zwei Klägergruppen – eine bestand aus Frauen, während die andere aus Muslimen und Bosniaken bestand – erhoben zwei parallele ATS-Klagen gegen Karadzic vor dem Southern District of New York unter dem Vorwurf, seine serbische Armee hätte im Rahmen ethnischer Säuberungen ihre Menschenrechte verletzt454. Beide Klägergruppen beantragten die Zulassung einer class action, um die Ansprüche ähnlich gelagerter Frauen, Muslimen und Bosniaken mitvertreten zu können. Zunächst wies der District Court ihre Anträge zurück, weil es die die Klage gegen Karadzic als unzulässig betrachtete und die Abweisung des gesamten Verfahrens anordnete455. Allerdings hob der Second Circuit diese Entscheidung auf und ordnete die Wiederaufnahme des Verfahens vor dem District Court an. Bei der Neuverhandlung legte der District Court beide Klagen gegen Karadzic zusammen und ließ eine einheitliche class action gegen Karadzic zu456. Die nunmehr vertretene Gruppe definierte das Gericht als „all people who suffered injury as a result of rape, genocide, summary execution, arbitrary detention, disappearance, 450
Siehe Hilao, 103 F.3d at 774. Siehe In re Estate of Marcos Human Rights Litig., 25 F.3d 1467, 1463 – 1464 (9th Cir. 1994). 452 Siehe In re Estate of Marcos Human Rights Litig., 25 F.3d at 1461 – 1465. 453 Siehe Abschnitt B. III. 3.–4. dieses Kapitels, oben. 454 Siehe Doe v. Karadzic, 866 F. Supp. 734 (S.D.N.Y. 1994). 455 Siehe Doe v. Karadzic, 866 F. Supp. 734 (S.D.N.Y. 1994). 456 Siehe Doe v. Karadzic, 176 F.R.D. 458 (S.D.N.Y. 1997). 451
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torture, or other cruel, inhuman or degrading treatment inflicted by Bosnian-Serb Forces under the command and control of [Karadzic] between April 1992 and the … present“457. Das Southern District of New York ließ die class action als „limited fund“-class action zu. Damit berief es sich auf die erleichterten Voraussetzungen des FRCP 23 (b) (1) (B) und gab zu erkennen, dass es durchaus bezweifelte, dass die class action ohne diese zulässig wäre. Konkret äußerte das Gericht „schwerwiegende Zweifel“, dass gemeinsame Tatsachenfragen überwogen und dass die class action den mit dem Verfahren verbundenen Verwaltungsaufwand reduzieren würde458. Trotz dieser Mängel ließ das Gericht die class action zu, weil die zu erwartenden Schadensersatzansprüche das geschätzte Vermögen Karadzics weit überstiegen. Aber kurz nach der Zulassung der class action in Karadzic hat der Supreme Court die Zulässigkeit von „limited funds“-class actions weitgehend eingeschränkt459. Nach seiner 1999 Entscheidung in Ortiz v. Fibreboard Corp. waren „limited fund“-class actions nur dann zulässig, wenn das nicht ausreichende Vermögen des Beklagten stichhaltig nachgewiesen werden konnte460. Unter Berufung auf diese Entscheidung haben Mitglieder der Frauen-Klägergruppe die Auflösung der class action gegen Karadzic beantragt. Das Gericht gab dem Antrag statt und hob die class action-Zulassung auf, weil ihm kein ausreichender Nachweis der Vermögensverhältnisse Karadzics vorlag461. Die ursprünglichen Klagen gegen Karadzic schritten nunmehr separat fort und beide Klägergruppen gingen als Streitgenossenschaften vor. Nachdem Karadzic säumig wurde, hat das Gericht einer Klägergruppe Schadensersatz in Höhe von $ 745 Million und der anderen Klägergruppe Schadensersatz von $ 4,5 Milliarden zugesprochen. c) Die Nachwirkung von In re Marcos und Karadzic für die ATS-Rechtsprechung Die Zulassung von class actions in ATS-Klagen der Ersten Welle hat zunächst hauptsächlich Wissenschaftler interessiert. Die Entscheidungen von In re Marcos und Karadzic wurden in mehreren Aufsätzen analysiert, in denen Vor- und Nachteile der class action im Kontext von human rights litigation thematisiert wurden462. 457
Siehe Karadzic, 176 F.R.D. at 463. Siehe Karadzic, 176 F.R.D. at 463. 459 Siehe Ortiz v. Fibreboard Corp., 527 U.S. 815 (1999). 460 Siehe Ortiz, 527 U.S. at 838 – 839. 461 Siehe Doe v Karadzic, 192 F.R.D 133, 141 – 142 (S D NY 2000). 462 Siehe z. B. Richard Faulk, Armageddon Through Aggregation? The Use and Abuse of Class Actions in International Dispute Resolution, 10 M.S.U. J. Int’l L. 205 (2001); Catharine McKinnon, Collective Harms Under the Alien Tort Statute: A Cautionary Note on Class Actions, 6 ILSA J. Int’l & Comp. L. 567 (2000); Margaret Perl, Note, Not Just Another Mass Tort: Using Class Actions to Redress International Human Rights Violations, 88 Geo. L. J. 773, 788 (2000); Kathryn L. Boyd, Collective Rights Adjudication in U.S. Courts: Enforcing Human 458
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Die Rechtsprechung interessierte sich jedoch nur für die Tatsache, dass in In re Marcos und Karadzic die class action zugelassen worden war. Dies hätte nicht passieren müssen. Aus der obigen Schilderung der In re Marcos- und KaradzicEntscheidungen geht eindeutig hervor, dass class actions nicht etwa aus systematischen oder dogmatischen Überlegungen in die ATS-Rechtsprechung gekommen sind. Im Gegenteil wurde die class action aus praktischen Gründen, konkret wegen der „limited funds“ der Beklagten zugelassen. Karadzic hätte sogar genauso gut als Präzedenzfall für den Leitsatz ausgelegt werden, dass bei fehlendem Nachweis begrenzter Finanzmittel des Beklagten die class action in ATS-Klagen nicht zulässig ist. Stattdessen legten Marcos und Karadzic fest, dass class actions in ATS-Klagen grundsätzlich zulässig waren. Es ging nur noch um die Voraussetzungen. Die Entscheidung des Supreme Court in Ortiz nahm zwar die erleichterten Voraussetzungen für „limited fund“ class actions weg, ließ jedoch die Möglichkeit einer Zulassung nach der üblichen Regelung von FRCP 23 unberührt. Insofern wurde sichergestellt, dass jede entsprechende ATS-Klage nach Karadzic von einem Antrag auf Zulassung einer class action begleitet wurde463. Für die nachfolgende ATS-Rechtsprechung war diese Entwicklung von entscheidender Bedeutung. Die Möglichkeit einer class action konnte eine ATS-Klage weniger Kläger auf $ 1 Mio. in eine Klage tausender Anspruchsinhaber auf $ 1 Mrd. verwandeln, solange die Geschädigten auf mehr oder weniger uniforme Weise verletzt worden waren. Die Wahrscheinlichkeit einer großangelegten class action wurde durch die amerikanische Prozesskostenregelung erhöht, weil Kläger eine milliardenschwere class action ohne Auslagen einleiten konnten, sowie durch die praxisüblichen Erfolgshonorare amerikanischer Anwälte, die für Kläger jeden Rest vom Prozesskostenrisiko beseitigten464. Erst in den ATS-Klagen gegen die Schweizer Banken und die Zwangsarbeiterklagen465 sollte man die volle Wucht des class actionVerfahren in ATS-Klagen erfahren. Des Weiteren ließ eine Besonderheit der ATS-Auslegung das amerikanische Verfahrensunikum class action auf alle Länder der Welt erstrecken. Im Anschluss wird dargelegt, wie die ATS-Rechtsprechung unter konkludenter Inanspruchnahme des Weltrechtsprinzips einen universellen Geltungsbereich für ATS-Ansprüche bejahte. Wo ATS-Ansprüche galten, waren sie durch class actions durchsetzbar.
Rights at the Corporate Level, 1999 BYU L Rev 1139; M. Chibundu, Making Customary International Law Through Municipal Adjudication: A Structural Inquiry, 39 Va. J. Int’l L. 1069 (1999). 463 Siehe z. B. Peter Henner, Human Rights and the Alien Tort Statute 326 ff. (2009). 464 Zur amerikanischen Prozesskostenregelung siehe Kapitel 4, Abschnitt D. III. 1. 465 Siehe hierzu Kapitel 2, Abschnitte A. II. 1. a) und A. II. 1. c).
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III. Der grundsätzliche Ausschluss zweier wichtiger Einreden aus ATS-Klagen Die eben dargelegten Rechtsentwicklungen hatten zur Folge, dass amerikanische Gerichte ihre Gerichtsgewalt sowie eigens entwickelte Ansprüche auf die Handlungen ausländischer Angehöriger im Ausland erstrecken konnten, um diese als menschenrechtswidrig abzuurteilen. Damit schienen die Gerichte in den Augen mancher Beobachter Außenpolitik zu betreiben und dadurch die verfassungsrechtliche Gewaltenteilung, die dem Präsidenten die ausschließliche Zuständigkeit für die Pflege der außenpolitischen Beziehungen zuspricht, zu missachten. Diesen Vorwurf haben die Entscheidungen der Ersten Welle einhellig abgelehnt. Die Grenzziehung zwischen Zuständigkeiten der Judikative und Exekutive in außenpolitischen Angelegenheiten wird im amerikanischen Recht durch die Erhebung zweier Einreden – die „political question doctrine“ und die „act of state doctrine“ – gewahrt. Die Rechtsprechung der Ersten Welle hat die Anwendbarkeit dieser Einreden auf ATS-Klagen generell verneint. 1. Die Political Question Doctrine Die Grenzziehung zwischen Zuständigkeit der Judikative und anderen Regierungsgewalten im amerikanischen Zivilprozess erfolgt durch die Erhebung der Einrede der „political question doctrine“. Diese richterrechtliche Lehre entspringt der verfassungsrechtlichen Gewaltenteilung und legt als Grundsatz fest, dass die Judikative keine Entscheidung treffen darf, sofern diese in die Zuständigkeit der Exekutive oder Legislative fällt. Der Name der Doktrin rührt von der Vorstellung der Legislative und Exekutive als den „politischen Abteilungen“ des amerikanischen Staats her, weil diese, im Gegensatz zu den Richtern der Bundesgerichte, der politischen Kontrolle durch Wahlen unterstellt sind466. Dementsprechend werden die Entscheidungen, die in die Zuständigkeit dieser Gewalten fallen, als „politische“ Fragen eingestuft, die ausschließlich der politischen anstatt der rechtlichen Revisionskontrolle Rechnung tragen müssen. Insofern ist ihre Justiziabilität zu verneinen, was die Abweisung sämtlicher Ansprüche, für welche sie entscheidungserheblich sind, zur Folge hat. a) Das Recht der Political Question Doctrine Das Konzept nicht justiziabler politischer Fragen erscheint zum ersten Mal im Jahre 1803 in einem obiter dictum der Entscheidung des Supreme Court in Marbury
466 Siehe z. B. Coleman v. Miller, 307 U.S. 433, 449 – 450 (1939) (Bezeichnung der Exekutive und Legislative als die „political departments“ des amerikanischen Staates).
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v. Madison467. Seitdem ist eine weitläufige Fallkasuistik um den Begriff der political question entstanden. Allerdings hat die Rechtsprechung keine feststehende Definition einer politischen Frage herausgebildet. Die Frage, ob eine vorliegende Entscheidung als politische Frage einzustufen ist, ist eine Einzelfallentscheidung. Grundsätzlich gilt, dass ein Fall nicht schon deshalb als politische Frage zu qualifizieren ist, weil er ein Politikum zum Gegenstand hat oder erhebliche politische Folgen zeitigen würde. Stattdessen dienen seit 1962 als Leitlinien die sechs Faktoren, die der Supreme Court für das Vorliegen einer „political question“ in Baker v. Carr festgelegt hat: „[1] a textually demonstrable constitutional commitment of the issue to a coordinate political department; [2] a lack of judicially discoverable and manageable standards for resolving it; [3] the impossibility of deciding without an initial policy determination of a kind clearly for nonjudicial discretion; [4] the impossibility of a court’s undertaking independent resolution without expressing lack of the respect due coordinate branches of government; [5] an unusual need for unquestioning adherence to a political decision already made; [6] the potentiality of embarrassment from multifarious pronouncements by various departments on one question“468.
Von diesen Faktoren sind insbesondere die Nummern [1] bis [3] wichtig. Nummer [1] befasst sich mit einer ,expliziten‘ politischen Frage: wo die Verfassung eine Entscheidung explizit in die Zuständigkeit einer gleichgeordneten Staatsgewalt zuweist, kann sie nicht als zulässiger Gegenstand gerichtlicher Verfahren angesehen werden469. Nummer [3] hat hingegen eine ,implizierte‘ politische Frage zum Gegenstand: Wo eine Entscheidung kraft Natur der Sache eindeutig in eine Prärogative der Exekutive oder Legislative fällt, kann sie nicht justiziabel sein470. Nummer [2] stellt eine Art Prüfungsmaßstab für die Unterscheidung zwischen politischen und justiziablen Fragen dar: Wo Methoden gerichtlichen Vorgehens offensichtlich ungeeignet sind, einen Streit zu lösen, kann davon ausgegangen werden, dass sie der Regelung durch die politischen Gewalten überlassen sind471. 467 Siehe Marbury v. Madison, 5 U.S. (1 Cranch) 137, 170 (1803): „Questions in their nature political, or which are, by the constitution and laws, submitted to the executive, can never be made in this court“. 468 Baker v. Carr, 369 U.S. 186, 217 (1962) (Nummerierung des Verfassers). 469 Vgl. z. B. Powell v. McCormick, 395 U.S. 486 (1969) (Voraussetzungen für die Vereidigung als Mitglied des Abgeordnetenhauses sei eine politische Frage, weil die Verfassung vorschreibe, dass das Abgeordnetenhaus allein seine Regeln bestimmen dürfe). 470 Vgl. z. B. Nixon v. United States, 506 U.S. 224 (1993) (Gerichte könnten nicht entscheiden, ob der Senat einen Ausschuss mit einem Ermittlungsverfahren zur Amtsenthebung eines Bundesrichters beauftragen dürfe, weil nach der Verfassung allein der Senat für Amtsenthebungsprozesse zuständig sei). 471 Vgl. z. B. Vieth v. Jubelirer, 541 U.S. 267 (2004) (die Rechtmäßigkeit einer Zeichnung von unförmigen Wahlbezirken nach Parteizugehörigkeit der Wählerschaft [„partisan gerrymandering“] durch die Landesversammlung von Pennsylvania sei eine nicht justiziable politische Frage, weil die Gerichte über keine objektiven Standards zur Berichtigung der getroffenen Bezirkszeichnung verfügten).
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In Fällen mit starken politischen Bezügen holen die Gerichte oft eine Stellungnahme der Exekutive – ein sog. „Statement of Interest“ – zum Vorliegen einer ,political question‘ ein. Die Stellungnahme ist zwar nicht für das Gericht bindend, doch sie wird bei der Entscheidungsfindung angemessen gewürdigt472. Inwiefern sich die Stellungnahme auf die Einstufung als politische Frage auswirkt, hängt von der jeweiligen Fallkonstellation sowie der Einstellung des jeweiligen Richters ab. Ein Politikum als Entscheidungsgegenstand in Kombination mit starken Interessen seitens der Exekutive kann zur Qualifizierung eines Falles als politische Frage führen. Doch sind die Gerichte keineswegs geneigt, ihre Entscheidungsbefugnisse abzugeben, und sie verlangen meist neben einem Interesse der Exekutive ein nachweisliches Überwiegen der Baker-Faktoren auf Seite der Einstufung als politische Frage. Fälle, die die Außenpolitik betreffen, kommen als politische Fragen häufig in Betracht473. Grund hierfür ist, dass die amerikanische Verfassung die Außenpolitik hauptsächlich als Prärogative der Exekutive vorsieht. Als Resultat haben sich BakerFaktoren [1] und [2] in der Rechtsprechung durchgesetzt, um gewichtige außenpolitische Entscheidungen als nicht justiziable politische Fragen zu qualifizieren. Nach diesem Verständnis sind folgende Fragen als nicht justiziable politische Fragen eingestuft worden: die Anerkennung anderer Staaten474, die Kündigung von Verträgen mit anderen Staaten475 sowie die Frage, wer in einem anderen Staat als Staatsoberhaupt anzusehen ist476. b) Die Ablehnung der Political Question Doctrine in der Rechtsprechung der Ersten Welle Vor diesem Hintergrund scheinen die ATS-Fälle der Ersten Welle besonders geeignet für die Einstufung als politische Fragen zu sein. Die Gerichte mussten Feststellungen über die Wahrung der internationalen Menschenrechte durch fremde Hoheitsträger treffen. Solche Feststellungen sind sehr nahe daran, fremde Souveräne einer Menschenrechtsverletzung schuldig zu sprechen, und sie trugen zwangsweise eine de facto Verurteilung der Menschenrechtspraxis anderer Staaten nach sich. 472 Vgl. Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232, 250 (2d Cir. 1995) („[A]n assertion of the political question doctrine by the Executive Branch [is] entitled to respectful consideration [but] would not necessarily preclude adjudication“). 473 Vgl. Baker v. Carr, 369 U.S. 186, 211 (1962): „[Q]uestions touching foreign relations … frequently turn on standards that defy judicial application, or involve the exercise of a discretion demonstrably committed to the executive or legislature[, and] many such questions uniquely demand single-voiced statement of the Government’s views“. 474 Vgl. z. B. Nat’l City Bank v. Rep. of China, 348 U.S. 356 (1955); Zivotofsky v. Clinton, 571 F.3d 1227 (D.C. Cir. 2009), rev’d on other grounds 132 S. Ct. 1421 (2011). 475 Goldwater v. Carter, 444 U.S. 996 (1979) (die Rechtmäßigkeit der unilateralen Aufhebung des Sino-American Mutual Defense Treaty mit der Volksrepublik China durch Präsidenten Carter ohne Einbindung des Senats sei eine nicht justiziable politische Frage). 476 Auch ein Ergebnis von Goldwater v. Carter, 444 U.S. 996 (1979).
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Insofern berührten sie nicht nur die außenpolitischen Beziehungen der USA, sondern sie gingen über eine bloße Berührung hinaus und implizierten eine Wertung der Tätigkeiten anderer Souveräne. Diese Aufgabe überschnitt sich mit den Kompetenzen der Exekutive und es ließ zumindest behaupten, dass die Justiz in ATSVerfahren nicht entscheidungsbefugt war. Trotzdem hat die Rechtsprechung der Ersten Welle die Anwendbarkeit der „political question“-Doktrin auf ATS-Klagen konsequent verneint. Die Gerichte waren der Ansicht, dass sie in ATS-Klagen nichts Weiteres machten, als universelle Menschenrechtsnormen anzuerkennen und auf Sachverhalte anzuwenden – eine seit Jahrhunderte von der Justiz bewältigte Aufgabe. Die Tatsache, dass ihre Entscheidungen eine außenpolitische Dimension aufwarfen, war für die Gerichte keineswegs hinreichend, um die Abgabe ganz normaler Deliktsklagen an die diplomatische Abwicklung durch das Außenministerium zu erfordern. Diese Ansicht kam zum ersten Mal in der Begründung des Southern District of New York in Klinghoffer v. SNC Achille Lauro zum Ausdruck477. Der Fall hatte die Entführung des Kreuzfahrtschiffes Achille Lauro durch die palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) und die Tötung des Passagiers Klinghoffer zum Gegenstand. Die Kläger legten dem Beklagten eine Teilnahme an Piraterie durch die PLO zur Last und machten diese als Verletzung einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm im Sinne des ATS geltend. Dagegen erhob der Beklagte die Einrede der political question doctrine. Das Gericht wies die Einrede zurück: Obwohl es einen kaum sensibleren politischen Kontext gebe als den des Nahen Ostens, könne die politische Dimension des Falles eine im Grunde normale Deliktsklage nicht in eine Angelegenheit des Außenministeriums verwandeln. In den starken Worten des Gerichts: „These are tort claims [and a]cts of piracy are clear violations of international law. They do not involve ,policy choices and value determinations constitutionally committed for resolution to the halls of Congress or the confines of the Executive Branch‘, … but familiar questions of responsibility for personal and property injuries“478.
Bei der nachfolgenden Berufung von Klinghoffer hat der Second Circuit die Ansicht des District Courts mit einem Verweis auf die erste der Baker-Kriterien untermauert: „[W]e are faced with an ordinary tort suit, alleging that the defendants breached a duty of care owed to the plaintiffs or their decedents. The department to whom this issue has been ,constitutionally committed‘ is none other than our own – the Judiciary“479.
Neben Klinghoffer hat der Ninth Circuit die Sammelklagen gegen den ehemaligen philippinischen Präsidenten Ferdinand Marcos als Anlass wahrgenommen, die 477 Siehe Klinghoffer v. SNC Achille Lauro, 739 F. Supp. 854 (S.D.N.Y. 1990), aff’d 937 F.2d 44 (2d Cir. 1991). 478 Klinghoffer v. SNC Achille Lauro, 739 F. Supp. 854, 860 (S.D.N.Y. 1990). 479 Klinghoffer v. SNC Achille Lauro, 937 F.2d 44, 49 (2d Cir. 1991).
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Anwendbarkeit der political question doctrine in ATS-Klagen aus weiteren Gründen, aber auch generell zu verneinen. Den Klagen gegen Marcos lagen die unzähligen Menschenrechtsverletzungen, die die philippinischen Geheimdienste während der von Marcos geführten Militärdiktatur an tausenden philippinischen Bürgern begangen hatten, zugrunde. Die Bürger begehrten nunmehr Schadensersatz und Marcos erhob dagegen die Einrede der political question doctrine. Der Ninth Circuit wies die Einrede in zwei Entscheidungen zurück. Zunächst hob der Ninth Circuit hervor, dass amerikanische Gerichte durchaus imstande seien, illegale Handlungen als solche abzuurteilen, auch wenn sie von dem Anführer einer Militärregierung begangen würden480. Schließlich seien fremde Hoheitsträger nicht nur dem Völkerrecht, sondern auch dem eigenen nationalen Recht unterworfen, und deshalb sei eine Aburteilung möglich, ohne dass die Gerichte sich in das Feld außenpolitischen Ermessensspielraums hinauswagen müssten481. Zweitens befand der Ninth Circuit, dass die Aburteilung ausländischer Hoheitsträger wegen offensichtlich illegaler Handlungen, die eindeutig außerhalb ihrer Amtspflichten lägen, keine außenpolitischen Konsequenzen nach sich ziehen würden482. Ausländische Hoheitsträger seien den von ihnen vertretenen Souveränen nicht gleichzusetzen, wenn sie universelle Menschenrechte absichtlich verletzen483. Da Marcos’ Anordnung von Folterungen, Hinrichtungen und zwangsweisem Verschwindenlassen keineswegs legal oder autorisiert war, könne eine Klage, die auf ihnen fußt, keine politische Frage darstellen. Die gedanklichen Grundlagen von Klinghoffer und den Marcos-Klagen kamen 1995 in der Begründung des Second Circuit in Kadic v. Karadzic zusammen, um einen allgemeinen Ausschluss der political question doctrine aus ATS-Verfahren zu verkünden. Wie bereits detailliert dargelegt hatte Karadzic die ethnische Säuberungskampagne des serbischen Militärs im Bosnienkrieg zum Gegenstand484. Die Kläger waren Muslime und ethnische Bosniaken und sie legten dem Beklagten Karadzic, der als Hauptbefehlshaber der serbischen Armee gedient hatte, die Anordnung von Völkermord und Kriegsverbrechen an ihnen und ihren Verwandten als Völkerrechtsverletzungen zur Last. Karadzic erhob die Einrede der political question doctrine und im Gegensatz zu den vorigen Fällen war dies nicht völlig fernliegend. Karadzic war das amtierende, parlamentarisch bestellte Oberhaupt des serbischen Staates Srpska, der, obzwar nicht von anderen Ländern anerkannt, immerhin von einer serbischen Volksversammlung ausgerufen worden war. Überdies strebten sowohl die Vereinigten Staaten als auch die Vereinten Nationen zur Zeit der KaradzicKlage eine diplomatische und, falls Diplomatie nicht ausreichte, bewaffnete Lösung 480
Republic of the Philippines v. Marcos, 862 F.2d 1355, 1361 (9th Cir. 1988). Philippines v. Marcos, 862 F.2d at 1361. 482 In re Estate of Ferdinand Marcos Human Rights Litig., 25 F.3d 1467, 1472 (9th Cir. 1994). 483 In re Marcos, 25 F.3d at 1472. 484 Siehe Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232 (2d Cir. 1995). 481
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des Bosnien-Konfliktes an. Insofern musste sich der Second Circuit in einen aktiven außenpolitischen Konflikt hineinwagen, um Karadzic überhaupt entscheiden zu können. Der Second Circuit verneinte jedoch das Vorliegen einer politischen Frage. Das Gericht ging die Baker-Faktoren einzeln durch, um die Anwendbarkeit der political question doctrine in ATS-Klagen generell auszuschließen. Zunächst hat das Gericht in Hinblick auf Faktor [1] – eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Zuweisung der Entscheidung an eine Staatsgewalt – das Gericht den Leitsatz von Klinghoffer bestätigt, dass ATS-Klagen als Deliktsklagen ausdrücklich in die Zuständigkeit der Judikative zugewiesen worden seien485. Aber der Second Circuit ging weiter als Klinghoffer und zog Faktor [2] heran – „judicially discoverable and manageable standards“ – um ATS-Klagen als grundsätzlich nicht politische Fragen zu charakterisieren. Aus Sicht des Gerichts fußten ATS-Klagen auf universellen Menschenrechtsnormen, die ohne weiteres von Gerichten anwendbar waren und damit jede Qualifizierung von ATS-Klagen als „politische“ Fragen ausschlossen: „[O]ur decision in Filártiga established that universally recognized norms of international law provide judicially discoverable and manageable standards for adjudicating suits brought under the Alien Tort Act, which obviates any need to make initial policy decisions of the kind normally reserved for nonjudicial discretion“486.
Für den Second Circuit bedeutete die Kombination von ausdrücklicher Zuweisung nebst einfach anwendbaren Normen die grundsätzliche Feststellung, dass ATSKlagen im Aufgabenbereich der Judikative lagen. Auf dieser Grundlage konnte das Gericht behaupten, dass die Notwendigkeit, seine Entscheidungsgewalt auf einen gegenwärtig ausgetragenen außenpolitischen Konflikt erstrecken zu müssen, keine Qualifizierung als „politische“ Frage zur Folge hatte. Aus Sicht des Gerichts hatten Baker-Faktoren [4]-[6] nur Relevanz, wenn eine gerichtliche Entscheidung einer früheren Entscheidung der Exekutive direkt widersprechen oder wichtige Hoheitsinteressen der Vereinigten Staaten beeinträchtigen würde487. Eine „parallele“ gerichtliche Lösung hingegen, die nicht in direktem Widerspruch zu den Entscheidungen exekutiver Ministerien stand, konnte nicht als ungebührliche Einmischung in die Außenpolitik angesehen werden – auch wenn sie die Außenpolitik durchaus berührte488. Das Gesamtergebnis von Klinghoffer, In re Marcos und Karadzic war ein grundsätzlicher Ausschluss der Einrede der political question doctrine aus ATSKlagen. Grundsätzlich galten ATS-Klagen als nichtpolitische Fragen, weil sie Deliktsklagen waren, die die Verfassung in die Zuständigkeit der Bundesgerichte zugewiesen hatte, und weil die Anwendung universeller Menschenrechte einfach 485 486 487 488
Karadzic, 70 F.3d at 249. Karadzic, 70 F.3d at 249. Karadzic, 70 F.3d at 249 – 250. Karadzic, 70 F.3d at 250.
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handhabbare Entscheidungsgründe herstellten. Fortan musste ein ATS-Verfahren besondere Merkmale aufweisen, um als politische Frage überhaupt in Frage zu kommen. Der Einwand, die Klage berühre die Außenpolitik der Vereinigten Staaten, war hierfür nicht ausreichend. Im Grunde war die Qualifizierung als politische Frage nur möglich, wenn die ATS-Klage in direktem Widerspruch zu konkreten Entscheidungen der Exekutive stehen würde, was allerdings nur in seltenen Fällen zu erwarten war, nicht zuletzt weil ATS-Klagen oft aus Ländern herrührten, wo das Außenministerium die Menschenrechtspraxis bereits moniert hatte. 2. Die Act of State Doctrine Die „act of state doctrine“ wird von den amerikanischen Gerichten als eine Art außenpolitische Sonderanwendung der political question doctrine angesehen489. Sie gibt vor, dass die Gerichte der Vereinigten Staaten grundsätzlich nicht über die Rechtmäßigkeit von Hoheitsakten ausländischer Souveräne auf ihrem eigenen Hoheitsgebiet aburteilen dürfen490. Im Verfahren wird sie durch die Erhebung einer Einrede, die entweder vom Beklagten oder vom Gericht stammen kann, geltend gemacht. a) Das Recht der Act of State Doctrine Ziel der act of state doctrine ist die Aufrechterhaltung der verfassungsmäßigen Grenzziehung zwischen Exekutive und Judikative im sensiblen Bereich der Außenpolitik. Im Gegensatz zur political question doctrine, die auch rein innerstaatliche Entscheidungen als nicht justiziable politische Fragen einstufen lässt, verlegt sich der Fokus der act of state doctrine ausschließlich auf die Aburteilung fremder Hoheitsakte. Eine einheitliche Außenpolitik war ein Hauptanliegen der amerikanischen Verfassung, aus diesem Grunde hat die Verfassung die Zuständigkeit für Außenpolitik hauptsächlich beim Präsidenten konsolidiert. Dementsprechend betrachten die Gerichte den Umgang mit den Hoheitsakten ausländischer Souveräne grundsätzlich als reine Außenpolitik, die nicht in ihre Zuständigkeit, sondern in die der Exekutive fällt. Insofern sind Entscheidungen, die die Verwerfung fremder Hoheitsakte zur Folge hätten, gemäß der act of state doctrine abzuweisen. Voraussetzung für die Abweisung eines Verfahrens nach der act of state doctrine ist zunächst, dass die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits von der Wirk489 Vgl. Trajano v. Marcos, 878 F.2d 1439 (9th Cir. 1989) („The act of state doctrine is the foreign relations equivalent of the political question doctrine“). 490 So die klassische Formulierung der Doktrin: „Every sovereign State is bound to respect the independence of every other sovereign State, and the courts of one country will not sit in judgment on the acts of the government of another done within its own territory. Redress of grievances by reason of such acts must be obtained through the means open to be availed of by sovereign powers as between themselves“. Underhill v. Hernandez, 168 U.S. 250, 252 (1897).
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samkeit einer Handlung eines ausländischen Souveräns abhängt491. Ist dies gegeben, kommt die Abweisung des Falles in Betracht, wenn drei weitere Anforderungen erfüllt sind: (1) streitgegenständlich ist ein hoheitlicher Akt eines fremden Souveräns, (2) der auf seinem eigenen Hoheitsgebiet erging und (3) durch eine stattgebende Entscheidung des amerikanischen Gerichts für unrechtmäßig erklärt worden wäre492. Hierbei wird der Begriff „Hoheitsakt“ restriktiv ausgelegt. Nicht jede Handlung eines fremden Staates gilt als Hoheitsakt. Ist die Handlung etwas, was ebenso von einem Privatmann unternommen werden könnte, gilt sie als private Handlung, nicht als „act of state“ im Sinne der Doktrin493. Die Erfüllung dieser Kriterien bedeutet aber nicht, dass die Klage automatisch abzuweisen ist. Denn die Grundlage der act of state doctrine ist nicht die Achtung der Souveränität ausländischer Staaten494, sondern die Aufrechterhaltung der verfassungsmäßigen Gewaltenteilung im Umgang mit ausländischen Hoheitsakten495. Die Doktrin besagt nicht, dass die Hoheitsakte anderer Souveräne nie für unwirksam erklärt werden dürfen, sondern nur, dass bei der Aburteilung ausländischer Hoheitsakte die aus verfassungsrechtlicher Sicht zuständige Staatsgewalt agieren sollte496. Grundvermutung der act of state doctrine ist, dass, sofern ein wahrer Hoheitsakt eines anderen Staates vorliegt, nur der Präsident verfassungsrechtlich befugt sei, diesen Akt für ungültig zu erklären. Die Gerichte werden hingegen als verfassungsrechtlich ungeeignete Vehikel für das Fällen einer derart außenpolitisch folgenreichen Entscheidung vermutet497. Diese Vermutungen können allerdings unter Umständen aufgehoben werden, wenn fremde Hoheitsakte in Konstellationen enthalten sind, die für gerichtliche 491
Kirkpatrick & Co. v. Envt’l Tectonics Corp., Int’l, 493 U.S. 400, 406 (1990) („Act of state issues only arise when a court must decide – that is, when the outcome of the case turns upon – the effect of official action by a foreign sovereign“). 492 Banco Nacional de Cuba v. Sabbatino, 376 U.S. 398, 401 (1964). 493 Vgl. Alfred Dunhill of London, Inc. v. Republic of Cuba, 425 U.S. 682, 695 ff. (1976) für eine Diskussion zur Differenzierung zwischen „the public and governmental acts of sovereign states on the one hand and their private and commercial acts on the other“. 494 Vgl. Philippines v. Marcos, 862 F.2d at 1360: „The classification of certain acts as ,acts of state‘ with the consequence that their validity will be treated as beyond judicial review is a pragmatic device, not required by the nature of sovereign authority“ (Hervorhebung des Verfassers). 495 Sabbatino, 376 U.S. at 423: „The act of state doctrine [has] ,constitutional‘ underpinnings. It arises out of the basic relationships between branches of government in a system of separation of powers. It concerns the competency of dissimilar institutions to make and implement particular kinds of decisions in the area of international relations“. 496 Vgl. Philippines v. Marcos, 862 F.2d at 1360: „The purpose of the device is to keep the judiciary from embroiling the courts and the country in the affairs of the foreign nation whose acts are challenged“. 497 Vgl. Sabbatino, 376 U.S. at 423: „The doctrine as formulated in past decisions expresses the strong sense of the Judicial Branch that its engagement in the task of passing on the validity of foreign acts of state may hinder rather than further this country’s pursuit of goals both for itself and for the community of nations as a whole in the international sphere“.
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
Aufarbeitung und Entscheidung geeignet sind. Der Supreme Court entwickelte in Banco Nacional de Cuba v. Sabbatino drei Kriterien, die bei der Abweisungsentscheidung zu berücksichtigen sind: [1] Je höher der Grad der Kodifizierung oder des staatengemeinschaftlichen Konsenses hinsichtlich eines bestimmten völkerrechtlichen Normbereichs, desto mehr ist die Entscheidung eines Gerichts in diesem Gebiet angemessen; [2] je geringer die Bedeutung einer Entscheidung für die außenpolitischen Beziehungen der USA, desto weniger ist die Abweisung der Klage zugunsten diplomatischer Methoden geboten; [3] ist die Regierung, die die streitgegenständlichen Handlungen begangen hatte, nicht mehr im Amt, verlagert sich die Abwägung zugunsten der Gerichte498. Im konkreten Verfahren erfolgt die act of state-Prüfung wie folgt: Die Partei, die die Abweisung des Verfahrens begehrt, muss die act of state doctrine als Einrede erheben. Diese Partei trägt die Beweislast dafür, dass die streitgegenständliche Handlung als Hoheitsakt zu qualifizieren ist und dass der ausländische Staat hoheitliche Interessen an der Handlung hat. Erfüllt sie diese Voraussetzungen, wendet das Gericht den Sabbatino-Test an, um die Eignung des Gerichts für die Annahme der Entscheidung zu prüfen. b) Die Ablehnung der Act of State Doctrine in der Rechtsprechung der Ersten Welle Wie im Falle der political question doctrine schien die act of state doctrine besonders geeignet für ATS-Klagen der Ersten Welle zu sein. Diese Verfahren beruhten auf Handlungen, die ausländische Hoheitsträger während ihrer Amtszeit auf dem Hoheitsgebiet ihres Staates begangen hatten. Die Aburteilung solcher Handlungen konnte als Verurteilung des fremden Souveräns verstanden und insbesondere als Einmischung der Gerichte in die Außenpolitik angesehen werden. Wohl aus diesen Gründen gehörte die act of state doctrine zu den am Häufigsten erhobenen Einreden der Ersten Welle. Doch haben die Entscheidungen der Ersten Welle die Anwendbarkeit der act of state doctrine in ATS-Klagen grundsätzlich, wenn nicht absolut verneint. Die Gerichte sahen zwei Hauptprobleme in der Anwendung der Doktrin auf ATS-Klagen. Auf der einen Seite waren die Beklagten von ATS-Verfahren keine amtierenden, 498 Sabbatino, 376 U.S. at 428: „[1] [T]he greater the degree of codification or consensus concerning a particular area of international law, the more appropriate it is for the judiciary to render decisions regarding it, since the courts can then focus on the application of an agreed principle to circumstances of fact rather than on the sensitive task of establishing a principle not inconsistent with the national interest or with international justice. [2] It is also evident that some aspects of international law touch much more sharply on national nerves than do others; the less important the implications of an issue are for our foreign relations, the weaker the justification for exclusivity in the political branches. [3] The balance of relevant considerations may also be shifted if the government which perpetrated the challenged act of state is no longer in existence, … for the political interest of this country may, as a result, be measurably altered“ (Nummerierung des Verfassers).
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sondern meistens ehemalige Hoheitsträger. Auf der anderen Seite bestanden die Handlungen, über die abgeurteilt werden sollte, nicht etwa aus feierlichen Amtshandlungen, sondern aus vorsätzlichen Verletzungen internationaler Menschenrechte. Gemeinsam betrachtet untergruben diese Aspekte von ATS-Klagen die Angemessenheit der act of state doctrine als Einrede im Kontext des ATS. Gerichte waren der Meinung, dass die Rechtsverletzungen in ATS-Klagen nicht als wahre Hoheitsakte im Sinne der act of state doctrine waren. Eine Qualifizierung als Hoheitsakt war ihrer Ansicht nach zu versagen, weil die in ATS-Klagen thematisierten Handlungen nicht annähernd wie Amtshandlungen zu betrachten waren und überdies auch am Begehungsort illegal waren. Wie der Second Circuit diese Ansicht in Filartíga v. Pena-Irala ausdrückte: „[W]e doubt whether action by a state official in violation of the Constitution and laws of the Republic of Paraguay, and wholly unratified by that nation’s government, could properly be characterized as an act of state“499.
Etwa sieben Jahre später hat das Northern District of California eine ähnliche Regel aufgestellt: „[V]iolations … of fundamental human rights lying at the very heart of the individual’s existence … are not the public official acts of a head of government“ und könnten deshalb nicht als Hoheitsakte im Sinne der Doktrin qualifiziert werden500. In 1995 hat der Second Circuit in Kadic v. Karadzic diese Ansicht zum Grundsatz erhoben und mit einer Begründung durch die SabbatinoFaktoren untermauert. Die Handlungen eines ausländischen Amtsträgers, die entgegen dem Grundgesetz und ohne die Zustimmung seines Souveräns begangen würden, könnten unter keinem Verständnis der act of state doctrine als Hoheitsakte qualifiziert werden501. Und selbst wenn Menschenrechtsverletzungen als Hoheitsakte zu qualifizieren wären, fielen sie trotzdem in den verfassungsmäßigen Zuständigkeitsbereich der Gerichte, weil ein weltweiter staatengemeinschaftlicher Konsens zu ihrem Inhalt und ihrer Gültigkeit existiere502. Insofern lasse die Faktorenabwägung von Sabbatino die Gerichte als geeignete Entscheidungsinstanz für die ATS-Klagen zugrundeliegenden Handlungen erscheinen, gleichgültig ob diese als Hoheitsakte zu qualifizieren seien503.
499
Filartiga v. Pena-Irala, 630 F.2d 876, 889 (2d Cir. 1980). Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531, 1546 (N.D. Cal. 1987). 501 Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232, 250 (2d Cir. 1995): „[W]e doubt that the acts of even a state official, taken in violation of a nation’s fundamental law and wholly unratified by that nation’s government, could properly be characterized as an act of state“. 502 Vgl. Karadzic, 70 F.3d 250, „[Sabbatino] was careful to recognize the [act of state] doctrine ,in the absence of … unambiguous agreement regarding controlling legal principles‘, … such as exist in the pending litigation, and applied the doctrine only in a context – expropriation of an alien’s property – in which world opinion was sharply divided“. 503 Karadzic, 70 F.3d at 250. 500
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Aus dieser Rechtsprechung entstand der Grundsatz, dass das Vorliegen begründeter ATS-Ansprüche ihre Abweisung aufgrund der act of state doctrine zwangsweise ausschloss. Dieses Ergebnis wurde von den Gerichten erkannt und ausdrücklich gebilligt: „[W]e think it would be a rare case in which the act of state doctrine precluded suit under section [the ATS]“504. Fortan war es äußerst schwierig, sich auf die act of state doctrine in ATS-Klagen zu berufen, ohne die eigene Glaubwürdigkeit vor dem Gericht einzubüßen. Selbst die Bush-Regierung, die zum entschiedenen Gegner der ATS-litigation werden sollte, hat die Einrede der act of state doctrine in ihren Stellungnahmen so gut wie aufgegeben und sich stattdessen auf die political question doctrine und allgemeine verfassungsrechtliche Argumente beschränkt.
IV. Die stillschweigende Berufung auf das Weltrechtsprinzip Die ATS-Klagen der Ersten Welle waren fast ausnahmslos das, was man später „foreign cubed cases“ nennen würde: ausländischer Kläger, ausländischer Beklagter, ausländischer Sachverhalt. Traditionell gilt in der amerikanischen Auslegungsmethodik die sog. „presumption against extraterritoriality“, d. h. die Grundsatzvermutung, dass Bundesgesetze nicht auf Verhalten im Ausland anwendbar sind. Nach einigen Jahrzehnten ATS-Rechtsprechung war allerdings kein einziger ATS-Anspruch deswegen abgewiesen, weil er im Ausland entstanden war oder keinen Bezug zu den USA aufwies. Langsam wurde klar, dass sich die Gerichte stillschweigend darauf geeinigt hatten, dass das Weltrechtsprinzip das traditionelle Territorialitätsprinzip verdrängte und ihr Vorgehen legitimierte. 1. Dogmatischer Hintergrund: Jurisdiktion, Territorialitätsprinzip und Weltrechtsprinzip Die Befugnis eines Staates, einen bestimmten Sachverhalt seiner Regelungsmacht zu unterwerfen („jurisdiction“), ist Ausfluss seiner völkerrechtlichen Souveränität505. Aus der völkerrechtlichen Souveränität fließt die staatliche Zuständigkeit sowohl zur Rechtsetzung („jurisdiction to prescribe“) als auch zur Rechtsanwendung („jurisdiction to enforce“)506. Die Ausübung dieser Zuständigkeiten
504
Karadzic, 70 F.3d at 250. Siehe Ignaz Seidl-Hohenveldern, Völkerrrecht, Rn. 1368 (9. Aufl. 1997), in: Thomas Merkli, Internationales Verwaltungsrecht: Das Territorialitätsprinzip und seine Ausnahmen, Bericht an die Obersten Verwaltungsgerichtshöfe Österreichs, Deutschlands, des Fürstentums Liechtenstein und der Schweiz (2002). 506 Siehe Restatement (Second) of the Foreign Relations Law of the United States § 6 (1965). 505
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müssen durch hinreichende Anknüpfungspunkte („connecting factors“) an einen Staat begründet werden507. Als völkerrechtliche Beschränkung der Rechtssetzungsbefugnis eines Staates galt traditionell das sog. Territorialprinzip. Nach dem Territorialprinzip war die Zuständigkeit des Staates zur Normsetzung auf Verhalten innerhalb seines Hoheitsgebiets beschränkt. Mit der Verstärkung des internationalen Wirtschaftsverkehrs stieg jedoch die Anzahl von Tätigkeiten, die außerhalb des Territoriums eines Staates erfolgten aber die Interessen des Staates belangten. Im Völkerrecht entwickelten sich entsprechende Ausnahmen zum Territorialprinzip, die eine Anknüpfung zwischen Sachverhalten im Ausland und einem Staat bejahten und dadurch die Erstreckung der Rechtssetzungsbefugnis des Staats auf ausländisches Verhalten zuließen: Das Nationalitätsprinzip508, das Schutzprinzip509, das passive Persönlichkeitsprinzip510 und das Auswirkungsprinzip511. Als Ausfluss des Territorialitätsprinzips und des Ausnahmecharakters extraterritorialer Normgeltung hat ständige Rechtsprechung in den USA die sog. „presumption against extraterritoriality“, die Grundsatzvermutung gegen Extraterritorialität, festgelegt. Diese Grundsatzvermutung ist eine Auslegungsdoktrin der amerikanischen Methodenlehre. Bei der Auslegung eines Bundesgesetzes wird angenommen, dass der Gesetzgeber nur das Verhalten von Personen auf amerikanischem Hoheitsgebiet vor Augen hatte512. Entsprechend entfaltet ein Gesetz keine Bindungswirkung im Ausland, es sei denn, der Gesetzgeber bekundet im Gesetzestext einen klaren Willen, dass es auch extraterritorial gelten soll513. Zweck dieser Vermutung ist die Vermeidung von Konflikten mit anderen Ländern, die entstehen
507
Siehe Restatement (Third) of the Foreign Relations Law of the United States § 402 – 404 (1987). 508 Siehe Restatement (Third) Foreign Relations § 402 (2) („[A] state has jurisdiction to prescribe law with respect to the activities, interests, status, or relations of its nationals outside as well as within its territory“). 509 Siehe Restatement (Third) Foreign Relations § 402 (3) („[A] state has jurisdiction to prescribe law with respect to conduct outside its territory by persons not its nationals that is directed against the security of the state“). 510 Siehe Restatement (Third) Foreign Relations § 402 (2). Nach diesem Prinzip darf der Staat Verletzungen seiner Bürger unter seine Regelungsgewalt bringen, auch wenn sie von ausländischen Angehörigen begangen werden und sich im Ausland ereignen. 511 Siehe Restatement (Third) Foreign Relations § 402 (1) (c) („[A] state has jurisdiction to prescribe law with respect to conduct outside its territory that has or is intended to have substantial effect within its territory“). 512 „[Statutory construction rests on the] assumption that Congress is primarily concerned with domestic conditions [when legislating]“. Foley Bros., Inc. v. Ilardo, 336 U.S. 281, 285 (1946). 513 „[L]egislation of Congress, unless a contrary intent appears, is meant to apply only within the territorial jurisdiction of the United States“. Foley Bros., Inc. v. Ilardo, 336 U.S. 281, 285 (1946).
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
könnten, wenn die USA den Anspruch erhöbe, das Verhalten von fremden Angehörigen auf ausländischem Hoheitsgebiet zu regeln514. Rechtsanwendungsbefugnis („jurisdiction to enforce“) war auch traditionell durch das Territorialitätsprinzip beschränkt. Grundsätzlich durfte ein Staat eine Regel nur anwenden, wenn er befugt war, sie nach seiner Rechtssetzungsbefugnis als Norm festzulegen515. In Zivilsachen ist diese Beschränkung durch die Erscheinung des internationalen Privatrechts erheblich aufgelockert, wenn nicht auf den Kopf gestellt worden. Die Aufteilung der internationalen Zuständigkeit wird als anarchisches System bezeichnet, die keinen einheitlichen Regeln unterliegt516. Die Gerichte eines Staates können Sachverhalte ihrer Entscheidungsgewalt unterwerfen, solange ihre sachliche und persönliche Zuständigkeit begründet ist517. Hierbei wird angenommen, dass die Anwendung der nach dem internationalen Privatrecht bestimmten Rechtsordnung auf den jeweiligen Sachverhalt Konflikte zwischen Rechtssystemen weitgehend vermeidet518. Bei zu weitgehenden Inanspruchnahmen der eigenen Angehörigen kann jeder Staat Anerkennungs- und Vollstreckungshindernisse aufstellen. In der amerikanischen Rechtsprechung findet deshalb diese breite Rechtsanwendungsbefugnis nur aufgrund einer lockeren Doktrin der Courtoisie gegenüber anderen Staaten („international comity“) eine Grenze. Das Weltrechtsprinzip hingegen stammt aus dem Völkerstrafrecht und gestattet jedem Land der Welt einen Strafanspruch gegen Personen, die international geschützte Rechtsgüter verletzen, auch wenn weder Tat, Täter noch Opfer einen Bezug zum bestrafenden Land aufweisen519. So ermöglicht das Weltrechtsprinzip „die Ahndung international als strafwürdig anerkannter Taten unabhängig von Tatort und Nationalität des Täters oder des Opfers“520. Hierbei handelt es sich „um die extensivste Form der Strafverfolgung eines Staates … [d]a das Weltrechtsprinzip gerade 514 „[The presumption against extraterritoriality] serves to protect against unintended clashes between our laws and those of other nations which could result in international discord“. Equal Employment Opportunity Comm’n v. Arabian Am. Oil Co., 499 U.S. 244, 248 (1991). Die Grundsatzvermutung hat auch eine verfassungsrechtliche Dimension. Wenn ein Konflikt mit anderen Ländern gewagt werden sollte, gilt dies als eine außenpolitische Entscheidung, die in den Kompetenzbereich der Exekutive und Legislative fällt. Die Vermutung gegen Extraterritorialität sollte sicherstellen, dass diese Entscheidung nicht von den Gerichten durch breite Gesetzesauslegung getroffen, sondern nur auf explizite Anweisung des Gesetzgebers erfolgen sollte. 515 Restatement (Second) of the Foreign Relations Law of the United States § 7 (1965). 516 Vgl. Huber, Kulturelle Identität von Rechtssystemen – Das Common Law und die deutsche Praxis, in: Jayme (Hrsg.), Kulturelle Identität und internationales Privatrecht, S. 51, 63 (2003). 517 Vgl. z. B. Restatement (Second) of Conflict of Laws § 6 (1971). 518 Siehe Restatement (Second) Conflict of Laws § 6 cmt d („chief function“ kollisionsrechtlicher Regeln sei die Vermeidung von Konflikten zwischen Staaten). 519 Siehe allgemein hierzu Caroline Volkmann, Die Strafverfolgung des Völkermordes nach dem Weltrechtsprinzip 21 (Diss. Mainz 2009). 520 Volkmann, Die Strafverfolgung des Völkermordes, S. 21.
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die Strafverfolgung in Fällen vorsieht, in denen der Verfolgerstaat in keiner Weise mit der Tat in Berührung kommt“521. Die im Völkerstrafrecht angestrebte Funktionsweise des Weltrechtsprinzips verläuft so: Die Staatengemeinschaft erkennt eine Tat als derart gefährlich und verwerflich an, dass es ein „offense of universal concern“ darstellt und jedes Mitglied der Staatengemeinschaft zu ihrer Unterbindung verpflichtet522. Personen, die diese Tat begehen, verletzen ein international geschütztes Rechtsgut, stellen sich gegen die internationale Ordnung und werden deshalb als hostes humanis generis der weltweiten Strafverfolgung ausgesetzt. Frühe Beispiele von Straftaten, die dem Weltrechtsprinzip unterstellt waren, sind Piraterie523 und Sklavenhandel524. Damit impliziert das Weltrechtsprinzip sowohl Rechtssetzungs- als auch Rechtsanwendungsbefugnis eines Staates525. Staaten sind nach dem Weltrechtsprinzip befugt, „offenses of universal concern“ anhand nationaler Gesetzen zu definieren und unter Strafe zu stellen, gleichgültig ob diese einen Bezug zu ihren Hoheitsgebieten aufweisen526. Insofern können die Staaten ausnahmsweise Sachverhalte ihrer Regelungsmacht unterwerfen, die keine Anknüpfungspunkte zu ihrem Territorium, ihren Angehörigen oder ihren Hoheitsinteressen aufweisen. Gleichwohl sind die Gerichtsinstanzen von Staaten kraft des Weltrechtsprinzips befugt, Personen, die Universalstraftaten begehen, in Anspruch zu nehmen, auch wenn weder die hierdurch belangte Person noch der Sachverhalt des Falles einen Bezug zum bestrafenden Land aufweist. Dabei können nationale Gerichte sowohl nationale Gesetzgebung als auch von der Staatengemeinschaft festgelegte Straftatbestände anwenden, um Verhalten als eine Universalstraftat abzuurteilen527. 521
Volkmann, Die Strafverfolgung des Völkermordes, S. 21. Siehe Kenneth C. Randall, Universal Jurisdiction Under International Law, 66 Tex. L. Rev. 785 (1988). 523 Siehe William Blackstone, 4 Commentaries on the Laws of England 71 (1st ed. 1765 – 69) (Beschreibung von Piraten als hostes humanis generis). 524 Siehe M. Cherif Bassiouni, Crimes Against Humanity in International Criminal Law 233 (1992) (Bejahung der Anwendbarkeit des Weltrechtsprinzips auf Sklavenhändler). 525 Vgl. z. B. Anthony Colangelo, Response: Adjudicative versus prescriptive jurisdiction, translating historical intent, and a brief universal jurisdiction rejoinder, SCOTUSblog (Jul. 20, 2012), aufrufbar unter http://www.scotusblog.com/2012/07/response-adjudicative-versus-pre scriptive-jurisdiction-translating-historical-intent-and-a-brief-universal-jurisdiction-rejoinder/ („I’m inclined to think that the heuristic value of the „adjudicative“ and „prescriptive“ jurisdiction categories has run out in [the universal jurisdiction] context“). 526 Siehe z. B. Restatement (Third) Foreign Relations § 404 („A state has jurisdiction to define and prescribe punishment for certain offenses recognized by the community of nations as of universal concern“). Als Beispiel kann das § 1 des deutschen Völkerstrafgesetzbuchs dienen: „Dieses Gesetz gilt für alle in ihm bezeichneten Straftaten gegen das Völkerrecht, für die in ihm bezeichneten Verbrechen auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist“. 527 Z. B. übernimmt die amerikanische Strafnorm gegen Piraterie den völkerrechtlichen Tatbestand als Inhalt: „Whoever, on the high seas, commits the crime of piracy as defined by the 522
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
2. Die Erste Welle als stillschweigende Berufung auf das Weltrechtsprinzip Frühe ATS-Entscheidungen haben weder das Weltrechtsprinzip noch das Territorialitätsprinzip erwähnt. Stattdessen haben sie ATS-Klagen als nichts mehr als eine routinemäßige Anwendung ausländischen Deliktsrechts beschrieben. In Filartíga hat der Second Circuit ATS-Klagen als sog. „transitory torts“ bezeichnet528. „Transitory torts“ waren Deliktsklagen zwischen Ausländern, die im Ausland entstanden waren aber vor amerikanischen Gerichten erhoben wurden. Seit dem 18. Jahrhundert hatten US-Gerichte ihre Zuständigkeit für solche Klagen bejaht, sofern die persönliche Zuständigkeit für den Beklagten gegeben war und die lex loci delicti commissi angewandt wurde529. Filartíga beschrieb die ATS-Klage zwischen Dr. Filartíga und Pena als normale Deliktsklage zwischen zwei paraguayischen Angehörigen und ordnete die Anwendung paraguayisches Deliktsrecht an. Frühe ATS-Entscheidungen folgten diesem Beispiel und wandten u. a. philippinisches530 und chilenisches531 Deliktsrecht als materiellrechtliche Grundalgen der in ATSKlagen geltend gemachten Schadensersatzansprüche an. Allerdings sind diese ATS-Entscheidungen bei näherer Betrachtung als alles andere als eine reine Anwendung fremdes Deliktsrechts einzuordnen. Zwar beriefen sich amerikanische Gerichte auf ausländisches Deliktsrecht, um ATS-Ansprüche zuzulassen, aber die Schadensersatzansprüche, die sie am Ende gewährten, waren eindeutig amerikanischer Natur. In Filartíga wandte das Eastern District of New York angeblich paraguayisches Schuldrecht an, gewährte jedoch punitive damages in Höhe von $ 10 Millionen, obwohl paraguayisches Deliktsrecht keine punitive damages zuließ532. Andere Gerichte machten dasselbe, weil sie die Ansprüche ausländischer Rechtsordnungen angesichts der Schwere der Verletzungen für zu dürftig hielten533. Dies taten sie unter direkter Berufung auf das Völkerrecht: In z. B. Filartíga wurden punitive damages gewährt, um „the manifest objectives of the international prohibition against torture“ zur Geltung zu verhelfen534.
law of nations, and is afterwards brought into or found in the United States, shall be imprisoned for life“, siehe 18 U.S.C. § 1651 (2014). 528 Siehe Filartíga v. Pena-Irala, 630 F.3d 876, 881 ff. (1980). 529 Siehe Abschnitt B. II. 3. d) – e) dieses Kapitels, oben. 530 Siehe In re Estate of Ferdinand E. Marcos Human Rights Litigation, 978 F.2d 493 (9th Cir. 1992). 531 Siehe Estate of Cabello v. Fernandez-Larios, 157 F. Supp. 2d 1345 (S.D. Fla. 2001). 532 Siehe Filartíga v. Pena-Irala, 577 F. Supp. 860 (E.D.N.Y. 1984). 533 Siehe z. B. In re Estate of Ferdinand E. Marcos Human Rights Litigation, 978 F.2d 493 (9th Cir. 1992). 534 Filartíga, 577 F. Supp. at 865.
C. Dogmatische Entwicklung der Ersten Welle
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Was durch solche Rechtsprechung entstand, war ein neuer Korpus amerikanischen common law535. Dieses common law zielte darauf, aus den Vorgaben des Völkergewohnheitsrechts ein paralleles System amerikanischer Ansprüche zu gestalten. Schnell wurde die ATS in der Rechtsprechung als gesetzliche Ermächtigung aufgefasst, common law-Ansprüche zur Abhilfe von Völkerrechtsverletzungen zu gewähren536. Diese Entwicklung wäre aus völkerrechtlicher Sicht problematisch gewesen, hätte ein Gericht der Ersten Welle an das Territorialprinzip gedacht. Amerikanische Rechtsansprüche sind grundsätzlich territorialbeschränkt und finden auf Verhalten im Ausland keine Anwendung537. Trotzdem ließen amerikanische Gerichte die ATSKlagen von Ausländern gegen andere Ausländer aufgrund einer wachsenden Anzahl von (zwar aus dem Völkerrecht abgeleiteten) amerikanischen Ansprüchen zu. Dies war nur insofern zulässig, als das Territorialprinzip hinsichtlich dieser Ansprüche außer Kraft getreten war. Das Weltrechtsprinzip wurde nie explizit in einer ATS-Klage der Ersten Welle genannt, aber es bildete die Grundlage der Erstreckung amerikanischer Ansprüche auf ausländisches Verhalten. Filartíga beschrieb den Folterer als hostis humanis generis538, was nur auf Personen anwendbar war, die nach dem Weltrechtsprinzip der weltweiten Strafverfolgung ausgesetzt waren. Damit implizierte Filartíga, dass die Verurteilung des ausländischen Folterers zu Schadensersatz in den USA aufgrund amerikanischer Ansprüche zulässig war, weil die Staatengemeinschaft Folter als ein „offense of universal concern“ anerkannt hatte. Nachfolgende Urteile ließen eine ähnliche Ansicht erkennen: „[T]he right to be free from official torture is fundamental and universal, a right deserving of the highest status under international law[.] The crack of the whip, the clamp of the thumb screw, the crush of the iron maiden, and, in these more efficient modern times, the shock of the electric cattle prod are forms of torture that the international order will not tolerate. To
535 Zur Entstehung dieses common law siehe den obigen Abschnitt C. I. 3. – 4. dieses Kapitels zur Entwicklung von ATS-Tatbeständen. 536 Siehe z. B. Abebe-Jira v. Negewo, 72 F. 3d 844, 848 (11th Cir. 1996) („[T]he Alien Tort Claims Act establishes a federal forum where courts may fashion domestic common law remedies to give effect to violations of customary international law“). Diese Auffassung des ATS stammt ursprünglich aus der Literatur, siehe William Casto, The Federal Courts’ Protective Jurisdiction over Torts Committed in Violation of the Law of Nations, 18 Conn. L. Rev. 467, 480 (1986) („[The ATS], though not creating a statutory cause of action, does create a federal forum in which federal judges are given power to implement the law of nations by fashioning appropriate domestic federal remedies“.). 537 Worauf zumindest in der Literatur aufmerksam gemacht wurde, siehe Casto, The Federal Courts’ Protective Jurisdiction, S. 484: „If the United States is going to regulate the activities of citizens of foreign countries in their own countries, the President and Congress should be the principal decisionmakers“. 538 Siehe Filartíga v. Pena-Irala, 630 F.3d 876, 884 (2d Cir. 1980).
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
subject a person to such horrors is to commit one of the most egregious violations of the personal security and dignity of a human being“539.
Solche Formulierungen machten deutlich, dass amerikanische Gerichte der Meinung waren, dass die Tatbestände, die eine ATS-Klage begründen würde, dem Weltrechtsprinzip unterworfen wären. Die Festlegung des „universal, definable, and obligatory„-Maßstabs für einklagbare Völkerrechtsnormen trug zur Festigung dieser Denklinie bei540. Wenn eine „universal“ Norm des Völkergewohnheitsrechts vorlag, sahen sich amerikanische Gerichte befugt, aus dieser Norm abgeleitete Ansprüche auch auf ausländisches Verhalten anzuwenden. Da die Norm „universal“ war, konnte ein Schadensersatzanspruch, den sie umsetzte, definitionsgemäß keine Einmischung in die souveräne Rechtssetzungsgewalt anderer Länder nach sich ziehen541. Es waren zunächst Rechtswissenschaftler, die merkten, dass das Vorgehen der Ersten Welle nur durch die Anwendung des Weltrechtsprinzips zu erklären war542. Sie waren auch die ersten, die auf erhebliche Probleme in der Entwicklung universell gültiger amerikanischer common law-Ansprüche unter Berufung auf das völkerstrafrechtliche Weltrechtsprinzip aufmerksam machten: Inhalt und Schranken des Weltrechtsprinzips seien im Völkerrecht höchst umstritten543 ; die Umsetzung des Weltrechtsprinzips in Rechtsnormen sei durch Gesetzgebung anstatt durch Fallkasuistik festzulegen544 ; das Völkerrecht habe bisher kein Weltrechtsprinzip für zivilrechtliche Ansprüche („universal civil jurisdiction“) vorgesehen545.
539 Siderman de Blake v. Rep. of Argentina, 965 F. 2d 699, 717 (9th Cir. 1992). Vgl. auch Linder v. Portocarrero, 963 F.2d 332, 336 (11th Cir. 1992): „All of the authorities agree that torture and summary execution – the torture and killing of wounded non-combatant civilians – are acts that are viewed with universal abhorrence. As the court said in Filartiga … ,for purposes of civil liability, the torturer has become – like the pirate and slave trader before him – hostis humani generis, an enemy of all mankind‘“. 540 Siehe hierzu Abschnitt C. I. 2. dieses Kapitels, oben. 541 Siehe z. B. In re Estate of Ferdinand E. Marcos Human Rights Litigation, 978 F.2d 493 (9th Cir. 1992): „[T]he prohibition against official torture … ,enjoy[s] the highest status within international law‘. As our survey of the scholarly and judicial opinion in Siderman reflects, there is widespread agreement on this; ,all states believe [torture] is wrong, all that engage in torture deny it, and no state claims a sovereign right to torture its own citizens[‘.] We therefore conclude that the district court did not err in [granting damages] on a violation of the [customary international] norm prohibiting official torture“. 542 Siehe K. Lee Boyd, Universal Jurisdiction and Structural Reasonableness, 40 Tex. Int’l L.J. 1, 34 – 35 (2004); Eugene Kontorovich, The Piracy Analogy: Modern Universal Jurisdiction’s Hollow Foundation, 45 Harv. Int’l L. J. 183, 184 (2004); Jason Jarvis, Comment, A New Paradigm for the Alien Tort Statute Under Extraterritoriality and the Universality Principle, 30 Pepp. L. Rev. 671 (2003); Curtis A. Bradley, Universal Jurisdiction and U.S. Law, 2001 U. Chi. Legal F. 323, 347 (2001). 543 Siehe Eugene Kontorovich, The Piracy Analogy: Modern Universal Jurisdiction’s Hollow Foundation, 45 Harv. Int’l L. J. 183 (2004). 544 Siehe Curtis A. Bradley, Universal Jurisdiction and U.S. Law, 2001 U. Chi. Legal F. 323, 347 (2001).
D. Übergang zur Zweiten Welle
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Trotzdem schritt die Erste Welle unentwegt fort. Auch der Supreme Court schien der „universal civil jurisdiction“, die die Bundesgerichte aufgrund des ATS für die von ihnen entwickelten Ansprüche beanspruchten, seinen Segen als völkerrechtskonform zu geben546. Erst in der Zweiten Welle, nachdem ATS-Klagen systemrelevante Konzerne und fremde Regierungen ins Visier genommen hatten, sollte die Spannung zwischen Territorialitätsbeschränkung und Weltrechtsprinzip wieder in Erscheinung treten.
D. Übergang zur Zweiten Welle Ein Satz in der Urteilsbegründung des Second Circuit in Kadic v. Karadzic sollte eine entscheidende Wende in der ATS-litigation einleiten547. In Bezug auf die Frage, ob der Beklagte hoheitlich gehandelt hatte, legte das Gericht folgende Regel fest: „A private individual acts under color of law … when he acts together with state officials or with significant state aid“548. Obwohl dieser Satz nichts mit Kapitalgesellschaften zu tun hatte, war nach seinem Wortlaut ein Unternehmen, das mit einer ausländischen Regierung zusammenarbeitete oder von dieser Hilfe bei einem Projekt erhielt, nunmehr als Hoheitsträger im Sinne der bisherigen ATS-Rechtsprechung zu qualifizieren. Somit waren – zumindest theoretisch – ATS-Klagen gegen multinationale Unternehmen möglich, sofern diesen eine hinreichend enge Zusammenarbeit mit einem ausländischen Staat nachgewiesen werden konnte. Diese Formulierung Karadzics hat die Erhebung vieler neuartigen ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften gezeitigt. Dabei soll sie auch eine junge Jurastudentin namens Katie Redford all ihre letzten Semester an der law school beschäftigt und überzeugt haben, dass ATS-Klagen gegen multinationale Aktiengesellschaften nicht 545 Siehe K. Lee Boyd, Universal Jurisdiction and Structural Reasonableness, 40 Tex. Int’l L. J. 1, 34 – 35 (2004) (Bezeichnung von „universal civil jurisdiction“ als eine „emerging norm“ des Völkerrechts). 546 Dies ging aus der concurring opinion von Justice Breyer in Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692, 762 – 63 (2004) hervor: „[R]ecognition of universal jurisdiction in respect to a limited set of [customary international law] norms is consistent with principles of international comity. That is, allowing every nation’s courts to adjudicate foreign conduct involving foreign parties in such cases will not significantly threaten the practical harmony that comity principles seek to protect. That consensus concerns criminal jurisdiction, but consensus as to universal criminal jurisdiction itself suggests that universal tort jurisdiction would be no more threatening … because the criminal courts of many nations combine civil and criminal proceedings[.] Thus, universal criminal jurisdiction necessarily contemplates a significant degree of civil tort recovery as well“. 547 „[T]he landmark 1995 Kadic v. Karadzic decision paved the way for subsequent corporate litigation under the ATS [by holding that] the court held that private actors can be held liable for violations that do require state action when they act under the color of official authority“. Beth Stephens, International Human Rights Litigation in U.S. Courts 311 (2008). 548 Karadzic, 70 F.3d at 245.
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Kap. 1: Filartíga und die Erste Welle
nur möglich, sondern auch zu gewinnen waren549. Insbesondere fixierte sie sich auf einen kalifornischen Ölkonzern namens Unocal, der eine Pipeline durch Birma in Zusammenarbeit mit der dortigen Militärregierung baute, die unzählige Gräueltaten gegen die einheimische Bevölkerung entlang seiner Bauzone nach sich zog. Nachdem Redford als Anwältin zugelassen wurde, ging sie nach Birma, um die Erfolgsaussichten einer Klage vor Ort festzustellen. Nachdem sie zwei prominente NGOs von ihrer Strategie überzeugt hatte550, wurde eine ATS-Klage gegen den Ölkonzern erhoben. Ihr Erfolg in Doe v. Unocal sollte eine Zweite Welle der ATSlitigation gegen multinationale Unternehmen endgültig etablieren.
549
Siehe hierzu detaillierter Lisa Girion, Unocal Case Arises from 1789 Statute, L.A. Times., 16 Juni 2003, S. A1 und A8. Frau Redford hat in einer Hausarbeit ihre Strategie für eine ATS-Klage gegen Unocal dargelegt. Obwohl sie dafür eine gute Note erhielte, kam folgender Kommentar ihres Professors dazu: „[M]y professor said it would never happen. He told me gently to stop being an idealist“. 550 Die Kläger wurden von den Menschenrechtsorganisationen EarthRights International und das Center for Constitutional Rights vertreten. Weitere Unterstützung erhielten sie von den in den USA namhaften Menschrechtsanwälten Paul Hoffmann und Judith Brown Chomsky (d.i. die Schwägerin des berühmten MIT-Professors Noam Chomsky). Siehe EarthRights International, Doe v. Unocal Case History, aufrufbar unter http://www.earthrights.org/legal/doe-v-uno cal-case-history.
Kapitel 2
Die Zweite Welle Das ATS hat seine weltweite Bekanntheit hauptsächlich durch milliardenschwere Menschenrechtsklagen gegen namhafte internationale Konzerne erlangt1. Dies war die sog. „Zweite Welle“ der ATS-Rechtsprechung. Die Zweite Welle fußte auf den Rechtsentwicklungen der eben dargelegten Ersten Welle und ging aus diesen hervor. Doch wenn man von dieser dogmatischen Vaterschaft absieht, stellt die Zweite Welle die Erste in fast jeder Hinsicht in den Schatten. Die Zweite Welle umfasst mehr als 250 ATS-Klagen, die zwischen 1996 und 2014 erhoben worden sind2. Die meisten dieser Verfahren waren keine Einzelklagen, sondern beträchtliche class actions, die Hunderte bis Tausende Ansprüche gegen internationale Unternehmen geltend machten. Damit konnten Klagen der Zweiten Welle geschätzte 300.000 einzelne Schadensersatzansprüche durchsetzen – eine Zahl, die in anderen Ländern nur durch Entschädigungsgesetze möglich wäre. Diese ATS-Klagen haben Schadensersatzzahlungen in Höhe von mehr als $ 10 Milliarden erstritten, vehemente internationale Proteste hervorgerufen und sogar einen transatlantischen Staatsvertrag erforderlich gemacht. Die Liste der Unternehmen, die in der Zweiten Welle als Beklagte erschienen, enthält die Namen der meisten weltweit bekannten führenden Konzerne: CocaCola3, Siemens4, Mercedes-Benz5, Deutsche Bank6, Barclay’s Bank7, JP Morgan8, 1 Vgl. z. B. Theresa Adamski, The Alien Tort Claims Act and Corporate Liability: AThreat to the United States’ International Relations, 34 Fordham Int’l L.J. 1502, 1502 (2011): „An obscure sentence, penned by the first US Congress in 1789, has found its way to the forefront of human rights litigation [by] being utilized against multinational corporations“. 2 Diese Anzahl muss wegen der vielen Sammelklagen und verbundenen Verfahren der Zweiten Welle bei einer Schätzung bleiben. Die zur Zweiten Welle zugehörigen ATS-Klagen sind in Anhang B zu dieser Arbeit aufgeführt, wobei Verfahren, die als Verbindung mehrerer Einzelklagen oder Sammelklagen durchgeführt wurden, durch entsprechende Anmerkungen hervorgehoben werden. 3 Siehe z. B. Sinaltrainal v. Coca-Cola Co., 474 F. Supp. 2d 1273 (S.D. Fla. 2006), 578 F.3d 1252 (11th Cir. 2009). 4 Siehe z. B. Burger-Fisher v. Degussa AG, 65 F. Supp. 2d 248 (D.N.J. 1999); Hidalgo v. Siemens Aktiengesellschaft, No. 11-CV-20107 (S.D. Fla. 2011). 5 Siehe z. B. In re South African Apartheid Litig., 504 F.3d 254 (2d Cir. 2007), 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009); Bauman v. DaimlerChrysler AG, 579 F.3d 1088 (9th Cir. 2009), rev’d 644 F.3d 909 (9th Cir. 2011). 6 Siehe z. B. Deirmenjian v. Deutsche Bank, AG, 526 F. Supp. 2d 1068 (C.D. Cal. 2007); Herero People’s Reparations Corp. v. Deutsche Bank, AG, 370 F.3d 1192 (D.C. Cir. 2004); In re
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Kap. 2: Die Zweite Welle
Microsoft9, Wal-Mart10, Yahoo!11, ExxonMobil12, Royal Dutch Shell13, Chevron14, The Gap15, Cisco Systems16, Nokia17, Banque Paribas18, Firestone Rubber19, Caterpillar20, Mitsubishi21, Al Jazeera22, Nestle23, American Express24, IBM25, Kawasaki26 und viele mehr. Sowohl amerikanische als auch europäische und asiatische Global Players fanden sich mit ATS-Klagen konfrontiert. Es war auch die Rechtsprechung der Zweiten Welle, die das Recht des ATS auf die Spitze trieb und das ATS zum internationalen Politikum erhob. Die ab 1996 eintretenden dogmatischen Entwicklungen weiteten den räumlichen, zeitlichen sowie den inhaltlichen Anwendungsbereich des ATS immer ferner aus. Im Rahmen der Zweiten Welle wurde das ATS zur Basis einer stets zuständigen amerikanischen Weltgerichtsbarkeit für Menschenrechtsverletzungen. Multinationale Unternehmen ohne jedweden Bezug zu den USA wurden unter Berufung auf das ATS in Anspruch genommen. Ihre Haftung fußte nicht auf eigenem Verhalten, sondern auf vage definierter „Beihilfe“ („aiding and abetting“) zu von Dritten begangenen MenschenAustrian and German Holocaust Litigation, 80 F. Supp. 2d 164 (S.D.N.Y. 2000), aff’d sub nom. D’Amato v. Deutsche Bank, 236 F.3d 78 (2d Cir. 2001). 7 Siehe In re South African Apartheid Litig., 504 F.3d 254 (2d Cir. 2007); 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009). 8 Siehe In re African Slave Descendents’ Litig., 471 F.3d 754 (7th Cir. 2006). 9 Siehe In re Microsoft Corp., Antitrust Litig., 127 F.Supp. 2d 702 (D. Md. 2001). 10 Siehe Doe I v. Wal-Mart Stores, Inc., 572 F.3d 677 (9th Cir. 2009). 11 Siehe Xiaoning v. Yahoo! Inc., No. 07-CV-02151-CW (N.D. Cal. 2007); Zheng v. Yahoo!, 2009 WL 4430279 (N.D. Cal. 2009). 12 Siehe Doe v. ExxonMobil Corp., 473 F.3d 345 (D.C. Cir. 2007). 13 Siehe z. B. Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88 (2d Cir. 2000); Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010), 133 S. Ct. 1659 (2013); Okpabi v. Royal Dutch Shell, P.L.C., No. 11-14572, 2011 WL 5027193 (E.D. Mich. 2011). 14 Siehe z. B. Bowoto v. Chevron, 621 F. 3d 1116 (9th Cir. 2010). 15 Siehe Doe I v. The Gap, Inc., CV-01-0031, 2001 WL 1842389 (D. N. Mar. I. 2001). 16 Siehe Doe I v. Cisco Sys., Inc., No. CV-11-249-PSG, 2011 WL 1338057 (N.D. Cal. 2011); Daobin v. Cisco Sys., Inc., No. 11-CV-1538, 2011 WL 3962879 (D. Md. 2011). 17 Saharkhiz v. Nokia, No. 1:10-cv-912 (E.D. Va. 2010). 18 Siehe Bodner v. Banque Paribas, 114 F. Supp. 2d 117, 128 (E.D.N.Y. 2000). 19 Siehe Flomo v. Firestone Natural Rubber Co., LLC, 643 F.3d 1013 (7th Cir. 2011). 20 Siehe Corrie v. Caterpillar, Inc., 503 F.3d 974 (9th Cir. 2007). 21 Siehe In re World War II Era Japanese Forced Labor Litig., 114 F. Supp. 2d 939 (N.D. Cal. 2000). 22 Siehe Kaplan v. Al Jazeera, No. 10-CV-5298-KMW, 2011 WL 2941526 (S.D.N.Y. 2011). 23 Siehe Doe v. Nestle, 748 F. Supp. 2d 1057 (C.D. Cal. 2010). 24 Siehe Licci v. American Express Bank Ltd., 704 F. Supp. 2d 403 (S.D.N.Y. 2010). 25 Siehe In re South African Apartheid Litig., 504 F.3d 254 (2d Cir. 2007); 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009). 26 Siehe In re World War II Era Japanese Forced Labor Litig., 114 F. Supp. 2d 939 (N.D. Cal. 2000).
Kap. 2: Die Zweite Welle
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rechtsverletzungen. Dabei eröffnete die Gründung einer amerikanischen Tochtergesellschaft einen allgemeinen amerikanischen Gerichtsstand, während die einheitliche Konzernleitung die Zurechnung von Handlungen aller Töchter in Ländern der Dritten Welt begründete. Den Schlussstein dieser immer weiter gehenden Rechtsprechung bildete der Begriff einer „universal civil jurisdiction“ für Menschenrechtsverletzungen, der aus dem völkerstrafrechtlichen Weltrechtsprinzip abgeleitet wurde und aus Sicht der US-Gerichte sowohl einen Ahndungsanspruch als auch ein amerikanisches Interesse an Menschenrechtsklagen hergab, auch wenn sie keinerlei Inlandsbezüge aufwarfen. Diese Entwicklungen riefen heftigen Widerstand aus der internationalen Wirtschaft und insbesondere aus anderen Staaten hervor. Mit der Zeit gelangten auch die amerikanischen Gerichte zu der Überzeugung, dass die dogmatischen Expansionen der Zweiten Welle zu Beeinträchtigungen fremder Souveränitätsinteressen geführt hatten. Aus dieser Überzeugung fingen die Gerichte 2009 an, die Reichweite des ATS einzuschränken. Dies leitete eine Restriktionsphase des ATS ein, die 2013 in die Entscheidung des Supreme Court in Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. gemündet hat. Nach Kiobel ist der Anwendungsbereich des ATS grundsätzlich auf das Hoheitsgebiet der Vereinigten Staaten beschränkt und Menschenrechtsklagen aus dem Ausland sind nur zulässig, wenn sie die USA hinreichend „berühren“. Nun setzt sich die ATS-Rechtsprechung mit dieser metaphorisch formulierten und in der amerikanischen Rechtsprechung neuartigen Schranke auseinander und sie kommt bereits zu widersprüchlichen Ergebnissen. Im Folgenden wird die Zweite Welle anhand ihrer wichtigsten Entscheidungen und dogmatischen Entwicklungen dargelegt27. Zunächst wird die Rechtsprechung, die die Basis der Zweiten Welle bildete, zusammengefasst geschildert. Hierzu gehört zum einen eine Darstellung der „Auslöser“ der Zweiten Welle – die sog. „Holocaust Cases“ und der Fall Doe v. Unocal Corp. – welche die Zweite Welle in Fahrt brachten und dogmatisch legitimierten. Zum anderen werden die verschiedenen nachfolgenden Strömungen der Rechtsprechung der Zweiten Welle kurz dargelegt, um ein Bild vom Umfang und der inhaltlichen Entwicklung der Zweiten Welle zu verschaffen. Danach widmet sich das Hauptaugenmerk dieses Kapitels der dogmatischen Entwicklung der Zweiten Welle. Zunächst wird die Aufnahme der Rechtsprechung der Ersten Welle als Basis der Zweiten Welle geschildert, wobei hervorgehoben wird, dass die Anwendung dieser Rechtsprechung auf Kapitalgesellschaften bereits zur signifikanten Erweiterung der bisherigen Rechtlage führte. Danach wird die Expansionsphase des ATS, die zwischen 1996 und etwa 2009 aus mannigfaltigen Entscheidungen hervorging, dargestellt. Sowohl materiellrechtliche als auch verfahrensrechtliche Elemente werden berücksichtigt und im Anschluss wird die 27 Der Verfasser weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine Dissertation zum Thema human rights litigation gegen internationale Konzerne bereits existiert, siehe Niels Beisinghoff, Corporations and Human Rights (Diss. Frankfurt 2008).
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Kap. 2: Die Zweite Welle
höchstrichterliche Bestätigung dieser expansiven Entwicklungen im Falle Sosa v. Alvarez-Machain und seine Aufnahme in die Rechtsprechung geschildert. Es folgt eine Schilderung der heftigen Proteste, die auf diese Entwicklungen folgten und die Gerichte überzeugten, eine Restriktionsphase in der ATS-Rechtsprechung einzuleiten. Damit geht das Kapitel in eine Schilderung der unterschiedlichen Einschränkungen des ATS über, die die Circuit Courts seit 2009 festgelegt haben. Das Kapitel schließt sich mit einer Zusammenfassung der Entscheidung des Supreme Court in Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., die das ATS grundsätzlich auf Verhalten innerhalb der USA beschränkt hat, sowie der nachfolgenden Rechtsprechung, die sich mit den Vorgaben Kiobels auseinandersetzt.
A. Rechtsprechung I. Einleitung 1. Mulitnationale Unternehmen und Menschenrechte Hintergrund der Zweiten Welle war die Unzufriedenheit der Menschenrechtsorganisationen über eine wahrgenommene „Unregelbarkeit“ multinationaler Unternehmen, die aus ihrer Sicht direkt zu Menschenrechtsverletzungen an ärmeren indigenen Bevölkerungsgruppen in der Dritten Welt führte. Konzerne waren die klaren Gewinner der Globalisierung: Bereits 2000 konkurrierten ihre Haushalte mit dem BIP von Staaten28. Durch die Privatisierungswelle in den 1970er und 1980er Jahren, die der Dekolonisierung Afrikas und Asiens folgte und durch die Entwicklung von ICSID-Investitionsschutz29 intensiviert wurde, konnten multinationale Konzerne ihre wirtschaftliche Stärke weltweit steigern und sogar recht unmittelbar sowie in erheblicher Weise Macht über das Leben und Wohlbefinden der Bewohner ganzer Regionen der dritten Welt entwickeln30. 28 Siehe z. B. Paul De Grauwe & Filip Camerman, Are Multinationals Really Bigger Than Nations?, 4 World Economics 23, 26 (April-June 2003) („Wal-Mart, the biggest company measured by value added, is bigger than Pakistan, Peru and Algeria; Exxon is bigger than the Czech Republic, New Zealand, and many other small countries“.). 29 „ICSID“ bezieht sich auf das in Washington, DC ansässige International Center for the Settlement of Investment Disputes, das 1966 von der ICSID Convention ins Leben gerufen wurde. Sein Zweck: „to remove major impediments to the free international flows of private investment posed by non-commercial risks and the absence of specialized international methods for investment dispute settlement“. Mitgliedsstaaten der ICSID-Konvention willigen ein, in bilateralen Investitionsabkommen Investoren aus anderen Ländern eine Vielzahl wirtschaftlicher Schutzrechte sowie Schutz vor Enteignung zuzusprechen. Bei Verstoß gegen diese Rechte willigen Mitgliedsländer der ICSID-Konvention ferner ein, sich einem vom verletzten Investor bei ICSID in Washington erhobenen Schiedsverfahren zu unterwerfen und im Falle des Unterliegens dem Investor Schadensersatz zu zahlen. 30 Siehe hierzu Stephen Ratner, Corporations and Human Rights: A Theory of Legal Responsibility 111 Yale L.J. 443, 462 (2002): „[C]orporations clearly exercise significant power
A. Rechtsprechung
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Trotz der zunehmenden Bedeutung internationaler Unternehmen für immer mehr Menschen – und trotz der weltweiten Anerkennung der universellen Gültigkeit von Menschenrechten – entzogen sich die Tätigkeiten internationaler Konzerne einer effektiven rechtlichen Kontrolle. Dies lag in vielen Fällen daran, dass global agierende Unternehmen Produktion und Vertrieb derart strukturieren konnten, dass das jeweils günstigste Rechtssystem für jede ihrer Tätigkeiten berufen war31. In anderen Fällen wurde – ausgehend von den Staaten – als Investitionsanreiz auf die Verpflichtung der Unternehmen, Menschenrechte der Bevölkerung zu beachten, verzichtet.32. Auch scheiterten Versuche der 1970er und 1980er Jahre, einen weltweit verbindlichen Verhaltenskodex für Konzerne festzulegen33. Wenn man diese Befreiung von staatlicher Kontrolle mit der „äußerst amoralischen“34 Ausrichtung der Gewinnmaximierung kombinierte, war – aus Sicht der NGOs – bestenfalls die wissentliche Mitarbeit von Weltkonzernen an Menschenrechtsverletzungen vorprogrammiert35. Und schlimmer: globalisierte Unternehmen konnten an Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsarbeit und Hinrichtung von Gewerkschaftern verdienen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. In den Worten des Direktors einer Washingtoner NGO: over individuals in the most direct sense of controlling their well-being. … [T]he desire of many less developed states to welcome foreign investment means that some governments have neither the interest nor the resources to monitor corporate behavior … with respect to … the broader community. … In extreme cases, governments actually grant corporations de facto control over certain territories. [And] regardless of its position on foreign investment, the government might also use various corporate resources in its own abuses of human rights“. 31 Siehe Ratner, Corporations and Human Rights, 111 Yale L.J. at 463: „[A]s firms have become more international, they have also become ever more independent of government control. Many of the largest [transnational corporations] have headquarters in one state, shareholders in others, and operations worldwide. If the host state fails to regulate the acts of the company, other states, including the state of the corporation’s nationality, may well choose to abstain from regulation based on the extraterritorial nature of the acts at issue. Corporations can also shift activities to states with fewer regulatory burdens, including human rights regulations. Recognition of duties on corporations under international law could encourage home states to regulate this conduct or permit others to do so; at the very least, it would suggest a baseline standard of conduct for corporations themselves that could be monitored by interested constituencies“. 32 Zu dieser sog. „race to the bottom“ siehe u. a. Eyal Benvenisti, Exit and Voice in the Age of Globalization, 98 Mich. L. Rev. 167 (1999); Jeffrey L. Dunoff & Joel P. Trachtman, Economic Analysis of International Law, 24 YALE J. INT’L L. 1 (1999); Susan Strange, The Retreat of the State (1996). 33 Siehe hierzu Ratner, Corporations and Human Rights, 111 Yale L.J. at 450 ff., und Beth Stephens, The Amorality of Profit: Transnational Corporations and Human Rights, 20 Berkeley J. Int’l L. 45, 69 (2002). 34 So die Bezeichnung in Stephens, The Amorality of Profit, S. 45 (2002) (Zitat von Richard Bernstein, I.B.M.’s Sales to the Nazis: Assessing the Culpability, N.Y. Times, March 7, 2001, at E8). 35 Siehe Stephens, The Amorality of Profit, S. 51: „When a business invests in a region with a repressive government and political unrest, it is often impossible to operate without becoming complicit in human rights abuses“.
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Kap. 2: Die Zweite Welle
„One of the most outrageous consequences of the so-called global economy is you have companies that are doing business with the most brutal regimes you can imagine and they are making money at it“36.
2. Human rights litigation gegen Konzerne bis 1996 Die Zweite Welle kann als Erstreckung der human rights litigation auf Kapitalgesellschaften mittels des ATS angesehen werden, deren Ziel es war, einen global effektiven Kontrollmechanismus für internationale Wirtschaftstätigkeit zu erreichen. Human rights litigation nimmt die Form eines privatrechtlichen Streits an, um internationale Menschenrechte zu verwirklichen37. Ihr Ziel liegt darin, internationalen Rechtsgütern durch Inanspruchnahme nationaler Rechtsbehelfe zur Geltung zu verhelfen. Während der 1980er und 1990er Jahre verstärkten NGOs ihr Bestreben, globalisierte Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen. Da NGOs von der Ineffektivität gesetzlicher bzw. regulatorischer Maßnahmen im Kontext internationaler Wirtschaftstätigkeiten ausgingen, wurde verstärkt auf die Methode der human rights litigation zurückgegriffen. In den 1980er Jahren kam jedoch das ATS als Teil dieser Strategie nicht ernsthaft in Betracht. Die erste große human rights-Klage vor US-Gerichten – In re Union Carbide Corp. – war eine Folge eines desaströsen Chemikalienunfalls in Bhopal/ Indien38. Union Carbide hat keine ATS-Ansprüche involviert und offenbarte ferner eine fehlende Bereitschaft in Justiz und Politik, Menschenrechte mittels einer Zivilklage gegen Kapitalgesellschaften durchzusetzen. Das amerikanische Gericht enthielt sich aufgrund der forum non conveniens-Doktrin einer Entscheidung und verwies In re Union Carbide an die indischen Gerichte39. Danach hat Indiens Parlament ein Gesetz verabschiedet, wonach alle aus dem Desaster entstandenen Ansprüche zwangsweise an die indische Regierung abgetreten wurden40. Als nunmehrige Anspruchsinhaberin hat die indische Regierung einen für Union Carbide
36 So die Auffassung von Terry Collingsworth, Direktor des International Labor Rights Fund in 2003, siehe Lisa Girion, 1789 Law Acquires Human Rights Role, L.A. Times, June 16, 2003. 37 Siehe hierzu Kapitel 1, Abschnitt B. I. 1. 38 Siehe In re Union Carbide Corp. Gas Plant Disaster at Bhopal, India, 634 F. Supp. 842 (1986). Zur Signifikanz von In re Union Carbide als erster Versuch einer litigation-Strategie von NGOs, siehe Siehe Sarah Joseph, Corporations and Transnational Human Rights Litigation (2004), S. i: „Since the mid-1980s, beginning with the unsuccessful Union Carbide litigation in the USA, litigants have been exploring ways of holding multinational corporations liable for offshore human rights abuses in the company’s home States“. 39 Siehe In re Union Carbide Corp. Gas Plant Disaster at Bhopal, India, 634 F. Supp. 842 (1986). 40 Siehe Bhopal Gas Leak Disaster (Processing of Claims) Act (No. 21 of 1985).
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sehr vorteilhaften (und für seine Bürger sehr unvorteilhaften) Vergleich abgeschlossen, um seinen investitionsfreundlichen Ruf aufrechtzuerhalten41. Bis zur Entscheidung in Kadic v. Karadzic von 1995 wurde die ATS-Klage nicht als Kontrollmöglichkeit internationaler Unternehmen eingesetzt. Vor Karadzic wurden etwa 30 ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften erhoben worden42. Die erste Hälfte davon erschien vor Filartíga und wurde ohne viel Aufhebens abgewiesen. Zwischen Filartíga und Karadzic waren nur zwei weitere Entscheidungen von Bedeutung. Im Fall Carmichael v. United Technologies Corp. hatte ein Kläger die Beratungsfirma PriceWaterhouse aufgrund des ATS unter dem Vorwurf verklagt, zu seiner Folterung beigetragen zu haben43. Interessanterweise befand das Gericht, 41 Siehe hierzu z. B. Sudhir K. Chopra, Multinational Corporations in the Aftermath of Bhopal: The Need for a New Comprehensive Global Regime for Transnational Corporate Activity, 29 Val. U. L. Rev. 235 (1994). 42 Siehe Khedivial Line, S. A. E. v. Seafarers’ Union, 278 F.2d 49 (2 Cir. 1960); Madison Shipping Corp. v. National Maritime Union, 282 F.2d 377 (3rd Cir. 1960); Seth v. British Overseas Airways Corp., 329 F.2d 302 (1st Cir. 1964); Lopes v. Reederei Richard Schroder, 225 F.Supp. 292 (E.D.Pa.1963); Upper Lakes Shipping Ltd. v. International Longshoremen’s Ass’n, 33 F.R.D. 348 (S.D.N.Y. 1963); Damaskinos v. Societa Navigacion Interamericana, S.A., Pan., 255 F.Supp. 919 (S.D.N.Y. 1966); Valanga v. Metropolitan Life Ins. Co., 259 F.Supp. 324 (E.D.Pa. 1966); Abiodun v. Martin Oil Serv., Inc., 475 F.2d 142 (7th Cir. 1973); Benjamins v. British European Airways, 572 F.2d 913 (2d Cir. 1978); IIT v. Vencap, Ltd., 519 F.2d 1001 (2d Cir. 1975); Fund of Funds, Ltd. v. Vesco, No. 74-civ-1980, 1976 WL 800 (S.D.N.Y. 1976); Papageorgiou v. Lloyds of London, 436 F. Supp. 701 (E.D.Pa. 1977); Soultanoglou v. Liberty Trans. Co., 1980 U.S. Dist. LEXIS 9177 (S.D.N.Y.); Akbar v. New York Magazine Co., 490 F. Supp. 60 (D.D.C. 1980); Canadian Transport Co. v. U.S., 663 F.2d 1081 (D.C.Cir. 1980); TransContinental Inv. Corp. S.A. v. Bank of the ommonwealth, 500 F. Supp. 565 (C.D. Cal. 1980); Canadian Overseas Ores Ltd. v. Compania de Acero Del Pacifico S.A., 528 F. Supp. 1337 (S.D.N.Y. 1982); B. T. Shanker Hedge v. British Airways, 1982 U.S. Dist. LEXIS 16469 (N.D. Ill. 1982); De Wit v. KLM Royal Dutch Airlines, N.V., 570 F. Supp. 613 (S.D.N.Y. 1983); Tamari v. Bache & Co. (Lebanon) S.A.L., 730 F.2d 1103 (7th Cir. 1984); Jaffe v. Broyles, 616 F.Supp. 1371 (W.D.N.Y. 1985); McClelland Engineers, Inc. v. Munusamy, 579 F. Supp. 149 (5th Cir. 1986); Carmichael v. United Technologies Corp., 835 F.2d 109 (5th Cir. 1988); Jones v. Petty-Ray Geophysical Geosource, Inc., 722 F. Supp. 343 (S.D. Tex. 1989); Castillo v. Spiliada Maritime Corp., 732 F.Supp. 50 (E.D.La. 1990); Amlon Metals, Inc. v. FMC Corp., 775 F. Supp. 668 (S.D.N.Y. 1991); Hamid v. Price Waterhouse, 51 F.3d 1411 (9th Cir. 1995); Aguinda v. Texaco, Inc., 945 F. Supp. 625 (S.D.N.Y. 1996); Jota v. Texaco, Inc., 157 F.3d 153 (2d Cir. 1998); Sequihua v. Texaco, Inc., 847 F. Supp. 61 (S.D. Tex. 1994). 43 Siehe Carmichael v. United Technologies Corp., 835 F.2d 109 (5th Cir. 1988).Carmichael arbeitete in Saudi Arabien, wo er sich im Laufe seiner Geschäftstätigkeiten offenbar einige Rivalen machte. Einer dieser Rivalen hat erwirkt, dass Carmichael bei der saudi-arabischen Polizei wegen Nichtzahlung von Schulden angezeigt wurde – was nach saudischem Recht eine Straftat darstellte – worauf ihm die Ausreise verweigert und er festgenommen wurde. Nach seiner Festnahme hat die Polizei gemäß saudischem Recht eine Aufforderung zur Anmeldung ausstehender Schulden in Zeitungen veröffentlicht. Neben anderen Gläubigern meldete Price Waterhouse einige von Carmichael geschuldete Beträge an. Nach saudischem Recht musste Carmichael entweder diese Beträge begleichen oder einen Erlass durch den Forderungsinhaber nachweisen, um aus der Haft entlassen werden zu dürfen. Aber PriceWaterhouse hat zumindest eine Zeitlang keine Schulden von Carmichael erlassen. Während dieser Zeit wurde Carmichael unter unwürdigen Bedingungen festgehalten und gefoltert. Nach seiner Freilassung erhob er
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dass das ATS die Haftung einer juristischen Person wegen Teilnahme an Menschenrechtsverletzungen grundsätzlich vorsehe44, dennoch wies es die Klage ab, weil es keine Zusammenarbeit zwischen PriceWaterhouse und der saudi-arabischen Polizei sah45. Weder Gerichte noch NGOs scheinen die Möglichkeiten dieser Entscheidung gewittert zu haben: Etwa drei Jahre verstrichen, ehe man eine neue ATSKlage gegen eine Kapitalgesellschaft erhob46, und nachfolgende ATS-Entscheidungen haben Carmichael lediglich als Bestätigung des Leitsatzes ausgelegt, dass Schadensersatz wegen „purely private torture“ nicht im Rahmen von ATS-Klagen einklagbar sei47. Nach Carmichael wurden drei große ATS-Sammelklagen gegen Texaco in 1991 erhoben, aber sie stockten zwischen Zulassung und Vorverfahren, bis sie schließlich aufgrund der forum non conveniens-Doktrin vollumfänglich abgewiesen wurden48. 3. Die Erstreckung der human rights litigation auf Konzerne mittels des ATS nach Karadzic Karadzic stellte zum ersten Mal das ATS als mögliche Grundlage der Erstreckung der human rights litigation auf international tätige Unternehmen in Aussicht49. Die Entscheidung des Second Circuit lieferte zwei Strategien für die Haftbarmachung von Kapitalgesellschaften durch ATS-Klagen50. Einerseits konnte man sie wegen eine ATS-Klage gegen PriceWaterhouse unter dem Vorwurf, sie hätte eine wesentliche Beihilfe zu seiner Folterung geleistet. 44 Carmichael, 835 F.2d at 113 – 14: „[T]he Alien Tort Statute does confer subject matter jurisdiction over private parties who conspire in, or aid and abet, official acts of torture“. 45 Carmichael, 835 F.2d at 113 – 14: „[T]he record in this case establishes that PriceWaterhouse did not conspire in, or aid and abet, official acts of torture by Saudi Arabia against Carmichael“. 46 Zwar erschien Jones v. Petty-Ray Geophysical Geosource, Inc., 722 F. Supp. 343 (S.D. Tex. 1989), im darauf folgenden Jahr, aber die ATS-Ansprüche der Klage waren von Anfang an derart aussichtlos, dass die Klage nicht ernsthaft als ATS-Klage eingestuft werden kann. 47 Siehe z. B. Kadic v. Karadzic, … 48 Siehe Jota v. Texaco, Inc., 157 F.3d 153 (2d Cir. 1998); Sequihua v. Texaco, Inc., 847 F. Supp. 61 (S.D. Tex. 1994); Aguinda v. Texaco, Inc., 945 F. Supp. 625 (S.D.N.Y. 1996). 49 So die Auffassung des Center for Constitutional Rights, die die Kläger vertreten und aufgrund der Karadzic-Entscheidung die ersten Pionierklagen gegen Kapitalgesellschaften gewagt hatte: „Our 1995 victory in [Karadzic] was the first time that a private person was held liable for violations of international law in U.S. courts and opened the door to extending accountability for human rights violations to other non-governmental entities“. Center for Constitutional Rights, Corporate Human Rights Abuse, aufrufbar unter http://ccrjustice.org/ files/CCR_Corp.pdf. 50 Siehe z. B. Stephens, The Amorality of Profit, S. 86 – 87: „Two related principles permit ATCA litigation against corporations. First, private corporations are liable for violations of human rights norms such as genocide, slavery and war crimes that by definition apply to private actors as well as official government agents. Second, private corporations can be held liable for human rights violations when they act together with public officials“. Prof. Stephens stützte diese Ansicht vollständig auf die Entscheidung des Second Circuit in Karadzic.
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Völkermord, Kriegsverbrechen, Sklaverei oder ähnlicher „offenses of universal concern“ direkt verklagen, weil Privatpersonen – ob natürliche oder juristische – für solche Völkerrechtsverletzungen direkt hafteten. Andererseits konnte man ihnen ein Handeln „under color of law“ im Sinne von 28 U.S.C. § 1983 vorwerfen, indem man ihnen Zusammenarbeit mit Polizisten, Armeen oder Regimen nachwies, die Menschenrechtsverletzungen begangen hatten51. Als Komplizen verbrecherisch handelnder Hoheitsträger müssten Unternehmen die mit ihren Investitionen zusammenhängenden Folterungen, Hinrichtungen und dergleichen in ATS-Klagen verantworten. Die Karadzic-Entscheidung traf ferner zu einem für ATS-Kläger sehr günstigen Zeitpunkt ein. Bis 1995 hatte die Rechtsprechung der Ersten Welle eine erhebliche Basis an ATS-Grundsätzen bereits festgelegt. Damit waren die neuen ATS-Klagen gegen Konzerne kein juristisches Novum, sondern sie erforderten nur die Anwendung ständiger und verbreiteter Rechtsprechung auf neue Beklagte. Kurz nach Karadzic erschien eine Welle von ATS-Klagen gegen Konzerne, die diese Strategien in konkreten Verfahren wagten52. Diese Klagen konnten nicht nur weltweit gespürte Erfolge verzeichnen, sondern auch dogmatische Grundlagen weiterer ATS-Klagen gegen internationale Unternehmen erstreiten. Damit lösten sie die Zweite Welle von ATS-Klagen aus.
II. Die Auslöser der Zweiten Welle: Die „Holocaust Cases“ und Doe v. Unocal Corp. Die Zweite Welle hat sich hauptsächlich durch zwei ATS-Verfahren etabliert: die sog. „Holocaust Cases“ und die Entscheidung des Ninth Circuit in Doe v. Unocal Corp. Jedes dieser Verfahren hat seinen eigenen wesentlichen Beitrag zur Festigung der Zweiten Welle geleistet. Die Holocaust-Klagen basierten auf der Zusammenarbeit der deutschen und europäischen Industrie mit dem Dritten Reich. Aus diesen Klagen ergab sich zwar kaum nennenswerte Rechtsprechung, aber sie brachten milliardenschwere geldwerte Erfolge für die Kläger ein. Damit ließ sich die Wirksamkeit des ATS als Kontrollmöglichkeit für internationale Wirtschaftstätigkeiten nicht mehr verleugnen. Die 51
Siehe hierzu Kapitel 1, Abschnitt C. II. 3. a). Die folgenden Klagen wurden kurz nach der Karadzic-Entscheidung eingeleitet: Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88 (2d Cir. 2000); Beanal v. Freeport-McMoran, Inc., 969 F.Supp. 362 (E.D.La. 1997), 197 F.3d 161 (5th Cir. 1999); Doe v. Unocal Corp., 963 F. Supp. 880 (C.D. Cal. 1997); Eastman Kodak Co. v. Kavlin, 978 F. Supp. 1078 (S.D. Fla. 1997); Nat’l Coalition Gov’t of the Union of Burma v. Unocal, Inc., 176 F.R.D. 329, 334 (C.D. Cal. 1997); Alomang v. Freeport-McMoran, Inc., Civ. A. No. 96-2139, 1996 WL 601431 (E.D. La. 1996); Roe v. Unocal Corp., 70 F. Supp. 2d 1073 (C.D. Cal. 1999);In re Holocaust Victim Assets Litig., No. 96-civ-4849 (E.D.N.Y. 1997); Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999). 52
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Holocaust-Klagen lieferten auch die Musterstrategie für künftige ATS-Verfahren der Zweiten Welle: Eine Sammelklage wurde eingeleitet, um Haftung in Milliardenhöhe in Aussicht zu stellen, während eine parallele Medienkampagne den Druck auf den Beklagten erhöhte, zur Rufwahrung einen Vergleich abzuschließen. Die Vorgehensweise der Kläger der Holocaust-Klagen sollte sich in fast allen größeren Verfahren der Zweiten Welle wiederholen. Doe v. Unocal Corp. ging hingegen aus der Beteiligung einer kalifornischen Ölgesellschaft (Unocal) am Bau einer Gaspipeline in Myanmar hervor. Unocal diente als dogmatische Legitimierung der aufkeimenden Zweiten Welle. In Unocal bestätigte der Ninth Circuit nicht nur die Zulässigkeit von ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften, sondern erweiterte gleichzeitig die Haftung multinationaler Konzerne auf von konzernexternen Dritten begangenen Menschenrechtsverletzungen. 1. Die „Holocaust Cases“53 Die Zweite Welle fing zunächst mit einer Fülle von sog. „Holocaust cases“ an. Gegenstand dieser „Holocaust litigation“ war die Zusammenarbeit zwischen der europäischen (und zum Teil amerikanischen) Konzernwelt und dem nationalsozialistischen Regime Deutschlands zwischen 1933 und 1945. Viele namhafte deutsche und österreichische Unternehmen, aber auch die Konzerne der Besatzungsgebiete Frankreich, Polen und Ungarn hatten mit den Nationalsozialisten kollaboriert und durch u. a. Zwangsarbeit54, Konfiszierungen jüdischen Eigentums und den Handel mit den dadurch gewonnenen Vermögenswerten beträchtliche Gewinne erzielt. Auch
53 Eine fundierte Darstellung der „Holocaust litigation“ aufgrund des ATS würde eine separate Dissertation ausfüllen. Als beste Einführung und Übersicht dient die Abhandlung des Experten Michael Bazyler, Holocaust Justice: The Battle for Restitution in America’s Courts (2003) oder die zum Fachartikel verkürzte Version: Michael Bazyler, Nuremberg in America: Litigating the Holocaust in United States Courts, 34 U. Rich. L. Rev. 1 (2000). Die „Holocaust Cases“ umfassen u. a. folgende Verfahren: In re Austrian and German Holocaust Litigation, 80 F.Supp. 2d 164, 180 (S.D.N.Y. 2000), aff’d sub nom. D’Amato v. Deutsche Bank, 236 F.3d 78, 87 (2d Cir. 2001); In re Holocaust Victim Assets Litig., No. 96-civ-4849 (E.D.N.Y. 1997); Bodner v. Banque Paribas, 114 F. Supp. 2d 117, 128 (E.D.N.Y. 2000); Burger-Fisher v. Degussa AG, 65 F. Supp. 2d 248 (D.N.J. 1999); Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999); Alperin v. Vatican Bank, 2008 WL 509300 (N.D. Cal. 2008), 2003 WL 21303209 (N.D. Cal. 2003), 410 F.3d 532 (9th Cir. 2005); Friedman v. Bayer Corp., 1999 WL 33457825 (E.D.N.Y 1999); Abrams v. Societe Nationale des Chemins de Fer Francais, 332 F.3d 173 (2d Cir. 2002); Ungaro-Benages v. Dresdner Bank, 2003 WL 25729923 (S.D. Fla. 2003); aff’d 379 F.3d 1227 (11th Cir. 2004); Arndt v. UBS AG, 342 F. Supp. 2d 132 (E.D.N.Y. 2004); Makro Capital of Am., Inc. v. UBS AG, 372 F. Supp. 2d 623 (S.D. Fla. 2005); Holocaust Victims of Bank Theft v. Magyar Nemzeti Bank, 807 F. Supp. 2d 689 (N.D. Ill. 2011). 54 Es wird eingeschätzt, dass etwa 12 Mio. Personen von den Nazis zur Zwangsarbeit gezwungen worden sind. Siehe Susanne-Sophia Spiliotis, Corporate Responsibility and Historical Injustice, in: Civil Society: Berlin Perspectives 57 (John Keane, ed. 2006).
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amerikanische Unternehmen wie Ford und IBM waren Zulieferer des Regimes des Dritten Reichs55. Bevor Karadzic im Jahr 1995 entschieden wurde, hatten Opfer des Dritten Reiches nur vereinzelt und ohne Erfolg versucht, ihre unter den Nationalsozialisten erlittenen Verletzungen einzuklagen. Zwischen Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1945 und 1995 hatten Opfer des Nazi-Regimes etwa ein Dutzend Zivilklagen in US-Gerichten eingeleitet. Keine dieser Klagen hatte Erfolg56. Die Entscheidung in Karadzic stellte jedoch das ATS als erfolgsversprechenden Weg zur Durchsetzung von Opferansprüchen in Aussicht. Sofern ein Unternehmen zwischen 1933 und 1945 Zwangsarbeit in Anspruch genommen hatte, konnte man es mittels einer ATS-Klage trotz seiner Eigenschaft als Privatperson als modernen Sklavenhändler haftbar machen. Des Weiteren konnte man Konfiszierungen jüdischen Eigentums als gemeinsames Vorgehen mit Hoheitsträgern darlegen und anhand eines Vorwurfs der „joint action“ im Sinne der § 1983-Rechtsprechung Unternehmen zur Verantwortung ziehen. Diese Möglichkeiten lösten eine Fülle von Klagen aus: Ab 1996 wurden etwa 75 ATS-Klagen gegen zahlreiche deutsche, französische, österreichische, ungarische und auch amerikanische Unternehmen, die zu den Verbrechen des Dritten Reiches beigetragen hatten, erhoben57. a) Die Klagen gegen die Schweizer Banken Das erste Verfahren dieser neuen ATS-Strategie lieferte ihren ersten großen Erfolg sowie eine für die Zukunft erfolgsversprechende Vorgehensweise. 1997 wurde eine Sammelklage gegen drei Schweizer Großbanken – Credit Suisse, UBS und Swiss Bank Corp. – vor dem Eastern District of New York erhoben58. Die Kläger waren Holocaustüberlebende sowie Hinterbliebene von Holocaustopfern, die den Banken die Konfiszierung jüdischer Konten sowie den Handel mit konfiszierten Vermögenswerten und aus Zwangsarbeit gewonnenen Geldern vorwarfen. Nach Darlegung der Kläger stellten diese Handlungen Verletzungen universeller Menschenrechte dar. Die Banken stellten einen Antrag auf Abweisung, in der sie diverse – und erfolgsversprechende – Einreden erhoben59. Die Klage erregte jedoch einen Sturm 55
Stephens, The Amorality of Profit, , S. 45 – 46. Siehe z. B. Kelberine v. Societe Internationale, 363 F.2d 989 (D.C. Cir. 1966) (Sammelklage von Holocaustüberlebenden als nicht justiziable politische Frage abgewiesen); Handel v. Artukovic, 60 F. Supp. 42 (C.D. Cal. 1985) (Sammelklage von yugoslawischen Holocaustüberlegenden gegen ehemaligen kroatischen Gauleiter wegen Verjährung abgewiesen). 57 Für eine Auflistung hiervon siehe Anhang A zu Michael Bazyler, The Holocaust Restitution Movement in Comparative Perspective, 20 Berkeley J. Int’l Law. 11, 15 (2002). 58 Siehe In re Holocaust Victim Assets Litigation, No. CV-96-4849 (E.D.N.Y. 1997). 59 Die Banken haben u. a. gerügt, dass (1) die Ansprüche verjährt seien, (2) die Ansprüche keine „universal, definable and obligatory“ Völkerrechtsnormen als Basis hätten sowie dass (3) die Klage eine nicht justiziable politische Frage sei. Vor allem schienen die zweiten und dritten 56
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medialen Interesses. Bald sahen die Banken trotz guter Aussichten auf Klageabweisung ein Vergleichsangebot in Höhe von $ 600 Mio. als in ihrem Interesse, um ihren Ruf zu wahren60. Gleichzeitig fingen nationale und lokale Politiker an, den Banken die Anhebung dieses Angebots nahezulegen und Sanktionen anzudrohen, sollte die Klage nicht zum Vergleich kommen61. Ohne die Entscheidung ihres Abweisungsantrags abzuwarten, verglichen sich die Banken im August 1998 in Höhe von $ 1,25 Mrd. mit den Klägern. Dies war der größte Vergleich in der Geschichte der human rights litigation62 und das entging der Aufmerksamkeit keiner Menschenrechtsorganisation. Der Verlauf der Klage gegen die Schweizer Banken lieferte die Strategie aller späteren Holocaust-Klagen: Eine Sammelklage aufgrund des ATS, kombiniert mit einer großangelegten Anprangerungskampagne in den Medien, konnte rufbewusste Unternehmen zum Vergleich zwingen63. b) Weitere Klagen gegen europäische Finanzdienstleister Nach der Klage gegen die Schweizer Banken gingen Menschenrechtsorganisationen beherzt gegen weitere europäische Gesellschaften aufgrund des ATS vor. Einreden eine Abweisung der Klagen zu erfordern. Der verhandelnde Richter hatte Gelegenheit, während einer ersten mündlichen Anhörung über diese Einreden zu befinden. Er lehnte jedoch eine mündliche Entscheidung ab und ließ die Parteien wissen, dass er einen schriftlichen Beschluss erstellen würde. Faktisch bedeutete dies, dass die Entscheidung erst in Monaten ergehen würde. Dieser Umstand lieferte den Banken dem zunehmenden politischen Druck effektiv aus und ehe der Richter seinen angekündigten Beschluss verfassen konnte, hatten sich die Banken mit den Klägern bereits außergerichtlich verglichen. 60 Eine Vielzahl von Druckfaktoren haben den Banken einen Vergleich nahgelegt: „[A] number of political factors came into the picture, all of which had the effect of putting added pressure on the Swiss banks in addition to the litigation. First, beginning in April 1996, the U.S. Senate Banking Committee … held hearings on the issue. Second, a number of state and local governments threatened to stop doing business with the Swiss banks unless they settled the claims. Third, in May 1997, the United States government issued a report … sharply criticizing the Swiss for their World War II dealings with the Nazis. Finally, UBS … was caught attempting to shred World War II-era financial documents, in violation of a newly-enacted Swiss law forbidding such action“. Hiernach verdoppelte sich das Angebot der Banken von $ 600 Mio. auf $ 1,25 Mrd. Siehe Bazyler, The Holocaust Restitution Movement in Comparative Perspective, S. 11, 15. 61 Insbesondere Drohungen aus New York City, den Banken das Tätigen wesentlicher Bankgeschäfte inskünftig zu untersagen, sollen eine besonders Überzeugungskraft auf die Banken ausgeübt haben, siehe Bazyler, The Holocaust Restitution Movement in Comparative Perspective, S. 17. 62 „At the time, [the Swiss banks settlement] represented the largest settlement of a human rights case in United States history“. Bazyler, The Hol,ocaust Restitution Movement in Comparative Perspective, S. 17. 63 „The process used to achieve the Swiss banks settlement became the model for the entire Holocaust restitution movement[:] the forceful combination of American class action litigation and political pressure“. Bazyler, The Holocaust Restitution Movement in Comparative Perspective, S. 17.
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Zunächst nahmen sie die Finanzdienstleister der Nationalsozialisten ins Visier. Es erschien eine ATS-Sammelklage gegen französische Banken – wobei Barclay’s, JP Morgan und Chase Manhattan Bank wegen ihrer französischen Filialen mitverklagt wurden – wegen Konfiszierungen jüdischer Konten im Rahmen der „Arisierung“ des Vichy-Frankreichs64. 2001 verglichen sich auch die französischen Banken. Wer Kontenbelege vorlegen konnte, erhielte vollständige Entschädigung, währende für alle anderen Ansprüche ein Fonds von $ 22,5 Mio. errichtet wurde65. Parallel zur Klage gegen die französischen Banken wurde 1997 eine Sammelklage gegen zwölf große europäische Versicherer – unter ihnen Allianz und die italienische Assicurazioni Generali – wegen der Nichtauszahlung jüdischer Ansprüche eingeleitet66. Anstatt sich zu verteidigen, gründeten die Versicherer schnell die International Commission on Holocaust Insurance Claims, die die Annahme und Auszahlung von unter dem Dritten Reich konfiszierten Versicherungsansprüchen verwalten sollte67. Im Juni 1998 folgte eine ATS-Sammelklage gegen deutsche und österreichische Banken wegen Konfiszierung jüdischer Konten und des Handels mit konfiszierten Vermögenswerten68. Fünf Monate später verglichen sich die österreichischen Banken mit den Klägern für $ 40 Mio.69.
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Siehe Bodner v. Banque Paribas, 114 F. Supp. 2d 117 (E.D.N.Y. 2000). Siehe hierzu Bazyler, The Holocaust Restitution Movement in Comparative Perspective, S. 17 – 20. 66 Siehe In re Assicurazioni Generali S.P.A. Holocaust Ins. Litig., No. 1374 (S.D.N.Y. 2000). Die Versicherer hatten Versicherungsansprüche u. a. aus der Kristallnacht an den deutschen Staat anstatt an die jüdischen Versicherten ausgezahlt. 67 Allerdings sind Experten keineswegs mit der Arbeit dieser Commission zufrieden. Es wird als „failure“ bezeichnet, weil es die Drohung amerikanischer Sammelklagen, die für das Zustandekommen der Vergleiche gegen Banken und Industrie maßgeblich war, gegenüber den Versicherern fallen ließ und ihnen deswegen zu viel Handungsspielraum eröffnete: „The establishment of the non-adversarial ICHEIC process has allowed the … insurance companies joining the ICHEIC to outmaneuver both the representatives of the Jewish organizations and state insurance commissioners on the ICHEIC board. The insurance companies have been able to drag out the claims settlement process in order to … enter into [lower settlements]“. Bazyler, The Holocaust Restitution Movement in Comparative Perspective, S. 22. 68 Siehe In re Austrian and German Bank Holocaust Litig., No. 98-Civ.-3938 (S.D.N.Y. 1998). Die ursprüngliche Klage richtete sich ausschließlich gegen die deutschen Großbanken Deutsche Bank und Dresdner Bank, denen eine tiefgehende Verwicklung in die Tätigkeiten des Dritten Reiches vorgeworfen wurde, z. B. hat die Deutsche Bank den Bau des Vernichtungslagers Auschwitz finanziert. Zu letzterem siehe Bazyler, The Holocaust Restitution Movement in Comparative Perspective, S. 17 Fn. 26. 69 Dieser Betrag soll allerdings, wenn er auf seinen Wert im Jahre 1945 umgerechnet wird, nur einen Bruchteil der von jüdischen Kunden konfiszierten Summen dargestellt haben. Ansprüche gegen die deutschen Banken wurden im Rahmen der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, die gleich dargestellt wird, verglichen. 65
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c) Die Zwangsarbeiterklagen70 Nach ihren Erfolgen gegen Banken und Versicherer zielten NGOs auf die deutsche Industrie, die aus ihrer Sicht zwischen 1933 und 1945 direkt von der Zwangsarbeit profitiert hatte. Von 1997 bis 1998 haben ehemalige Zwangsarbeiter etwa 40 ATS-Klagen gegen zahlreiche deutsche Unternehmen – und auch gegen den amerikanischen Autokonzern Ford – erhoben71. Die Klagen warfen den verklagten Konzernen die direkte Begehung des Völkerrechtsdelikts Zwangsarbeit und alternativ eine „joint action“ mit den Nationalsozialisten zur Versklavung ganzer Bevölkerungsgruppen vor. Im Gegensatz zu den Bankenklagen erlitten die Zwangsarbeiterklagen 1999 einen herben Rückschlag, als zwei Entscheidungen der District of New Jersey die Ansprüche ehemaliger Zwangsarbeiter in zwei größeren ATS-Verfahren für unzulässig erklärten. Nach Ansicht des Gerichts stellten die Klagen nicht justiziable politische Fragen dar: Ansprüche wegen Zwangsarbeit seien als während eines Krieges entstandenen Reparationsforderungen anzusehen, die nur von den jeweiligen Staaten geltend gemacht werden könnten und bereits in Nachkriegsabkommen zwischen den Alliierten und Deutschland geregelt worden seien72. Jede gerichtliche Anerkennung weiterer Ansprüche stelle diese auf höchster politischer Ebene besiegelte Lösung zwangsläufig in Frage73. Es waren aber noch anderweitige Zwangsarbeiterklagen gegen die deutsche Industrie anhängig und die Klagen gegen die Schweizer Banken hatten die deutsche Industrie bereits überzeugt, dass das uneinschätzbare Haftungsrisiko amerikanischer Sammelklagen sowie die Gefahr politischer Sanktionen einen Vergleich notwendig machten74. 1999 stießen zwölf führende deutsche Konzerne die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft an75. Ihr Konzept: Eine zentrale Stiftung sollte gegründet und ausreichend kapitalisiert werden, um eine flächendeckende Entschädigung aller Zwangsarbeiter des Dritten Reiches zu ermöglichen. Im Gegenzug sollten sowohl die vorliegenden als auch alle künftigen ATS-Sammelklagen gegen die deutsche In70
B. I.
Für eine detailliertere Schilderung der Zwangsarbeiterklagen siehe Kapitel 4, Abschnitt
71 Siehe z. B. Burger-Fisher v. Degussa AG, 65 F. Supp. 2d 248 (D.N.J. 1999); Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999). 72 Siehe Burger-Fisher v. Degussa AG, 65 F. Supp. 2d 248 (D.N.J. 1999); Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999). 73 Siehe Burger-Fisher v. Degussa AG, 65 F. Supp. 2d 248 (D.N.J. 1999); Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999). 74 „The Germans have conceded that, after a half-century of failing to recognize the claims of slave laborers, the fear of American litigation is what finally brought them to the bargaining table“. Bazyler, The Holocaust Restitution Movement in Comparative Perspective, S. 24. 75 Die Gründungsunternehmen der Stiftung waren Allianz, BASF, Bayer, BMW, DaimlerChrysler, Deutsche Bank, Degussa-Hüls, Dresdner Bank, Krupp, Hoechst, Siemens und Volkswagen. Siehe hierzu Spiliotis, Corporate Responsibility and Historical Injustice, S. 65 Fn. 15.
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dustrie wegen Zwangsarbeit abgewiesen bzw. zur Entschädigung an die Stiftung verwiesen werden76. Tausende deutsche Unternehmen schlossen sich der Stiftungsinitiative an. Sie gewann auch rasch die Unterstützung des damaligen Kanzlers Schröder und des Präsidenten Clinton, die ihre jeweiligen Außenministerien mit der Ausarbeitung eines deutsch-amerikanischen Staatsvertrags zur Besiegelung der Stiftungsidee beauftragten. Nach anderthalb Jahren Verhandlungen77 wurde im Jahre 2000 die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ durch ein deutschamerikanisches Abkommen78 sowie ein deutsches Stiftungsgesetz gegründet und mit DM 10 Mrd. (etwa $ 5,25 Mrd.) für Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter ausgestattet79. Im Gegenzug wurden alle Klagen gegen deutsche Unternehmen, die sich auf Zwangsarbeit vor 1945 stützten, von den amerikanischen Gerichten eingestellt80. 76 „The main thrust of the initiative was to secure legal closure for German business without court procedures. What the companies wanted was an all-embracing and enduring legal peace for all German business, not just for themselves. What they offered was something completely new: instead of each single company compensating only those former forced laborers who had worked for them, they suggested pooling financial means in order to compensate all surviving forced labourers, thus lending support to those victims who, because of the processes of economic reconstruction, no longer had a company to sue after [the] Second World War“. Spiliotis, Corporate Responsibility and Historical Injustice, S. 57. 77 Die Verhandlungen wurden vom amerikanischen Staatssekretär Eizenstat und vom deutschen Graf Lambsdorff geführt – mit mehrmaliger persönlicher Intervention von Clinton und Schröder. An den Verhandlungen nahmen Vertreter aus USA, Deutschland, Israel, Russland, Belarus, Ukraine, Polen und Tschechien sowie Vertreter der opfervertretenden NGOs teil. 78 Siehe Agreement between the Government of the Federal Republic of Germany and the Government of the United States of America concerning the Foundation ,Remembrance, Responsibility and the Future‘, done July 17, 2000. 79 Eine Hälfte der Summe haben etwa 6.500 deutsche Unternehmen – mit einem Zuschuss in Höhe von $ 13 Mio. von Ford – eingezahlt. Die andere Hälfte zahlten die deutschen Steuerzahler. Spiliotis, Corporate Responsibility and Historical Injustice, S. 57. Obwohl der Grundbetrag der Stiftung für die späten 1990er astronomisch war, ermöglichte er lediglich eine Auszahlung von zwischen $ 2.500 und $ 7.500 an jeden ehemaligen Zwangsarbeiter. Siehe Bazyler, The Holocaust Restitution Movement in Comparative Perspective, S. 24. 80 Der auch in Zukunft zu wahrende Rechtsfrieden (ins Amerikanische als „legal peace“ übersetzt) war ausdrückliche Bedingung für das Inkrafttreten der Gründungsabkommen der Stiftung. Siehe Joint Statement on Occasion of the Final Plenary Meeting Concluding International Talks on the Preparation of the Foundation ,Remembrance, Responsibility, and the Future‘, Berlin, July 17, 2000. Allerdings konnte die amerikanische Justiz aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zur Abweisung aller künftigen ATS-Klagen gegen deutsche Unternehmen anhand eines von der Exekutive ausgehenden Abkommens verpflichtet werden. Stattdessen hat das Abkommen zwischen Deutschland und USA das amerikanische Außenministerium verpflichtet, bei jeder künftigen ATS-Klage eines ehemaligen Zwangsarbeiters gegen die deutsche Industrie ein sog. „Statement of Interest“ gegen die Klage einzureichen, in dem es ausdrücklich auf das Interesse der Regierung an der Aufrechterhaltung des mühevollst erhandelten Stiftungsmechanismus hinzuweisen hatte. Bei späteren ATS-Klagen ehemaliger Zwangsarbeiter sind die Gerichte dem Wunsch der Regierung entgegengekommen. Siehe z. B. Ungaro-Benages v. Dresdner Bank AG, 379 F. 3d
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Im selben Jahr hat die österreichische Regierung, in Zusammenarbeit mit der österreichischen Industrie, einen ähnlichen Vergleich durch die Gründung einer eigenen Stiftung geschlossen. Die Stiftung wurde mit $ 500 Mio. für Konfiszierungsansprüche und weiteren $ 500 Mio. für konfiszierten Versicherungs- und Sozialversicherungsansprüchen dotiert81. d) Analyse der Holocaust-Klagen Am Ende der Holocaust-Klagen waren insgesamt rund $ 8 Mrd. aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Entschädigungsfonds für die Opfer des Dritten Reiches geflossen. Im Gegenzug hatten sich die Unternehmen dieser Länder die effektive Immunität vor jeder weiterer ATS-Klage mit Bezug zum Dritten Reicht erhandelt82. Die Ergebnisse der Holocaust-Klagen hatten jedoch wenig mit Dogmatik und viel mit politischer Unterstützung zu tun. Die Clinton-Regierung hatte das Außenministerium mit der Rückerlangung jüdischen Eigentums beauftragt, das von den Nationalsozialisten konfisziert wurde83. Damit wurde „retroactive justice“ für die Opfer des Dritten Reiches zur amerikanischen Staatspolitik84. ATS-Klagen wurden als Ergänzung dieser Politik angesehen und im Verfahren gegen die Schweizer Banken merkten alle Beobachter schnell, dass juristische Argumente wenig nützen und eine Verweigerungshaltung in aller Wahrscheinlichkeit politische Sanktionen nach sich ziehen würden85.
1227, 1240 (11th Cir. 2004) („[The] American and German governments have entered into extensive negotiations over this subject and those negotiations affect thousands of other victims of the Nazi regime. […] [W]e find that the strength of the interests held by the American government and the German government [in the Foundation Agreement] outweigh the plaintiff’s preference [to litigate in federal court]“.). Selbst als ein District Court versuchte, die vor Unterzeichnung des Abkommens bei ihm erhobenen Zwangsarbeitsklagen rechtshängig zu lassen, bis der Deutsche Bundestag ein Umsetzungsgesetz für die Stiftungsabkommen verabschiedete, wurde es vom ihm vorstehenden Circuit Court zur Abweisung der Klage gezwungen. Siehe Duveen v. United States Dist. Court (In re Austrian & German Holocaust Litig.), 250 F.3d 156 (2d Cir. 2001). Siehe hierzu allgemein Morris A. Ratner, The Settlement of Nazi-Era Litigation through the Executive and Judicial Branches, 20 Berkeley J. Int’l L. 212 (2002). 81 Siehe Austrian Fund To Pay Out to Holocaust Survivors, Reuters, Apr. 3, 2001. 82 Z. B.: „In effect, the settlement agreement obtained from the two private Swiss banks insulates the entire nation of Switzerland, and all its businesses, from any kind of litigation – anywhere in the world – having any connection to World War II“. Bazyler, The Holocaust Restitution Movement in Comparative Perspective, S. 16. 83 Spiliotis, Corporate Responsibility and Historical Injustice, S. 57. 84 Spiliotis, Corporate Responsibility and Historical Injustic, S. 58. 85 „The idea that the new Volkswagen Beetle might have to compete for media attention with protesting Holocaust survivors was not something shareholders or corporate executives would allow to happen“. S. Kreindler, History’s Accounting: Liability Issues Surrounding
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Illustrativ für die politische Dimension der Holocaust-Klagen sind weitere – und erfolglose – ATS-Sammelklagen gegen die japanische Industrie86. Man glaubte, anhand der „Holocaust“-Strategie der japanischen Industrie einen ähnlichen Vergleich aufzwingen zu können87. Die Klagen richteten sich gegen Mitsubishi, Nippon Steel, Kawasaki und 40 andere japanische Großkonzerne, die im Zweiten Weltkrieg Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter eingesetzt hatten. Aber im Gegensatz zu den ATS-Klagen gegen die europäische Industrie reichte die Regierung – zuerst von Clinton, dann von Bush – eine Stellungnahme gegen die japanische Klage ein88. Dieser Stellungnahme maß der Ninth Circuit besonderes Gewicht in seiner Feststellung zu, dass die Klage eine nicht justiziable politische Frage darstellte89. Und im Gegensatz zur deutschen Industrie sahen die japanischen Beklagten keine Notwendigkeit, trotz Abweisung der Klage eine Stiftung zu gründen. Trotz der Einmaligkeit und der politischen Dimension der Holocaust-Klagen waren sie für die Etablierung der Zweiten Welle überaus wichtig. Die Erstreitung von $ 8 Milliarden überzeugten internationale Menschenrechtsorganisationen, dass das ATS die aussichtsreichste Möglichkeit anbot, multinationale Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen. Gleichzeitig zeigte die Strategie der Holocaust-Klagen – milliardenschwere Sammelklage mit paralleler Medienkampagne – dass eine ATSKlage mit Politikum zum Gegenstand trotz rechtlicher Mängel effektiv sein konnte. Somit wurde das ATS zum Mittelpunkt des Bestrebens der Menschenrechtsorganisationen, human rights litigation auf internationale Unternehmen zu erstrecken. Es fehlte nur noch eine Grundsatzentscheidung, die dieses Vorhaben rechtlich absegnete. Denn trotz der Größe und historischer Bedeutung der Holocaust-Klagen war durch sie kaum nennenswerte Rechtsprechung zutage getreten. Die Entscheidung, die die nun angestoßene Zweite Welle legitimieren sollte, erging erst 2002 in Doe v. Unocal Corp. German Companies for the Use of Slave Labor by Their Corporate Forefathers, 18 Dickinson J. Int’l L. 343, 364 (2000). 86 Siehe In re World War II Era Japanese Forced Labor Litig., 114 F. Supp. 2d 939 (N.D. Cal. 2000). 87 „Without a doubt, the claims against the Japanese multinationals are a direct result of the earlier litigation against their European counterparts“. Bazyler, The Holocaust Restitution Movement in Comparative Perspective, S. 25. 88 Siehe United States Dep’t of State, In re World War II Era Japanese Forced Labor Litigation, Brief of the United States as amicus curiae in support of petitioners, Court of Appeal of the State of California Second Appellate District, Division Eight, 2d Civ. No. B155736 (2001). 89 „The material facts of the Nazi slave labor cases and the Japanese slave labor cases were very similar. The vastly different outcome of the Japanese slave labor cases is, therefore, striking. One of the reasons for the different outcome is the influence of the United States government. Still under Clinton’s administration it supplied the first Statement of Interest in August 2000 asking for a dismissal of the Japanese forced labor claims. On the other hand, in the Nazi forced labor claims, the same Clinton administration was eager to push settlement through and achieve some compensation for the victims“. Beisinghoff, Corporations and Human Rights, S. 140.
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2. Doe v. Unocal Corp. a) Sachverhalt Doe v. Unocal Corp. wurde von myanmarischen Angehörigen gegen den kalifornischen Ölkonzern Unocal erhoben. Die Klage ging aus Unocals Beteiligung an der Moattama Gas Transportation Company (MGTC) hervor90. Gegenstand des Unternehmens war das „Yadana Pipeline Project“, d. h. Bau und Betrieb einer Gaspipeline von Erdgasvorkommen in Myanmars Yadanasee durch Dschungelregionen bis nach Thailand, wo das Erdgas an Endabnehmer geliefert werden sollte. Der französische Ölkonzern Total SA war Konzessionsinhaber und Haupteigner von MGTC, an dem auch ein myanmarisches und ein thailändisches Staatsunternehmen beteiligt waren. Unocal erwog, als vierter Anteilseigner von MGTC in das Pipelineprojekt einzusteigen. Sobald Unocal eine Investition in MGTC in Betracht zog, wurde es mit Warnungen über die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen durch das Pipelineprojekt konfrontiert91. Birma wurde seit langem von einer Militärregierung regiert, diese Regierung hatte aber schon längere Zeit Menschenrechtsverletzungen zur Politik gemacht. 1988 hatte die Militärregierung den Notstand ausgerufen, Proteste gewaltsam unterdrückt, tausende Dissidenten willkürlich inhaftiert, Wahlen manipuliert und das Land in Myanmar umbenannt. Seitdem befand sie sich in einem Guerillakrieg mit Rebellen in Myanmars südlicher Tenasserim Region. Eine übliche Praxis der Militärregierung war es inzwischen geworden, staatlich finanzierte Projekte durch die Zwangsarbeit der Lokalbevölkerung bauen zu lassen. Des Weiteren wurden Dörfer nahe der Tenassarim-Region regelmäßig zwangsumgesiedelt. Derartige „Terrorisierung“ der myanmarischen Bevölkerung war offenbar das Werk von Myanmars Militär. Wer sich Zwangsarbeit oder Zwangsumsiedlung nicht fügte, war der Willkür seiner Truppen ausgeliefert. Für die Gaspipeline der MGTC waren zwei Aspekte besorgniserregend92. Erstens hatte MGTC ausgerechnet das Militär Myanmars als Sicherheitsdienstleister für das Pipelineprojekt engagiert. Zweitens sollte die Pipeline direkt durch die Heimat der ,Rebellen‘ in der Tenasserim-Region gebaut werden. Eine externe Beraterfirma, die Unocal zur Risikoprüfung des Pipeline-Projekts angeheuert hatte, wies auf die hierdurch entstehenden Gefahren für die Lokalbevölkerung hin. 1992 entscheid sich Unocal, in MGTC zu investieren93. Durch ihre Beteiligung an MGTC leistete Unocal Unterstützung an das myanmarische Militär als Sicher90 Für eine detaillierte Darstellung des Sachverhalts siehe die District Court-Entscheidung aus 2000: Doe v. Unocal Corp., 110 F. Supp. 2d 1294 (C.D. Cal. 2000). 91 Siehe Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1296 ff. 92 Siehe Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1296 ff. 93 MGTC bestand aus vier Anteilseigner: Unocal (28 % Beteiligung), Total SA (31 %), dem Petroleum Authority of Thailand Exploration and Production (25,5 %) und Myanma Oil and Gas Enterprise (15 %). Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1299.
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heitsdienstleister des Pipeline-Projekts. Unter anderem erhielt das Militär von Unocal Finanzmittel, Essen und Unterstützung bei der Unterbringung der Truppen, Luftaufnahmen der Gebiete um die Pipeline-Strecke, Land- und topographische Karten94. Des Weiteren trafen sich Unocal-Leiter täglich mit myanmarischen Militärkommandeuren, um Sicherheitsaspekte laufender oder kommender Bauarbeiten mit ihnen zu besprechen95. Im Rahmen der Absicherung der Pipeline standen zahlreiche Völkerrechtsverletzungen durch das myanmarische Militär an der Lokalbevölkerungen im Raum. Zum einen wurde der Vorwurf erhoben, das Militär habe Bewohner von Dörfern, die auf der geplanten Strecke der Pipeline lagen, zwangsumgesiedelt und sie damit entschädigungslos enteignet96. Schwerpunkt der Vorwürfe war allerdings eine großangelegte Zwangsarbeitskampagne. Das Militär soll ganze Dörfer und Bauern entlang der Pipeline-Strecke zu Zwangsarbeit gezwungen haben, um die Route der Pipeline durch den Dschungel zu roden und ebnen, Militärbaracken zu errichten, Straßen für die Zulieferung zu bauen, Hubschrauberlandeplätze für das Anreisen von Unocal-Vertretern zu bauen und dem Militär als Lastenträger und Handlanger zu dienen97. Arbeiter, die sich Anweisungen nicht fügten, ihre Dienste nicht zur Zufriedenheit der Truppen erledigten, aus Erschöpfung zu schwach wurden, oder Fluchtversuche unternahmen, wurden offenbar geschlagen, gefoltert und bisweilen hingerichtet98. Auch fanden offenbar Vergewltigungen von Frauen und Folterungen von Kindern statt, um Widerstand der Bauern zu brechen oder sie für Fluchtversuche zu bestrafen99. Diese Völkerrechtsverletzungen machten fünfzehn myanmarische Bauern der Tenasserim-Region zum Gegenstand einer ATS-Klage gegen die Eigner von MGTC. 1996 leiteten sie die Klage beim Central District of California ein, die schnell als Sammelklage zur Vertretung aller durch die „Sicherheitsdienste“ des Militärs verletzten Personen zugelassen wurde100. Die Kläger legten Unocal eine haftungsbegründende Verwicklung in u. a. folgende Völkerrechtsdeliktstatbestände zur Last: Zwangsarbeit; Verbrechen gegen die Menschlichkeit; willkürliche Inhaftierung;
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Siehe Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1289 ff. Siehe Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1298. 96 Da die Enteignung von der eigenen Regierung ausging, konnte es nach existierender ATS-Rechtsprechung keine Völkerrechtsverletzung, sondern nur eine innere Angelegenheit darstellen. Siehe z. B. Jafari v. Islamic Rep. of Iran, 539 F. Supp. 209 (N.D. Ill. 1982) (Enteignung eines iranischen Bürgers durch den iranischen Staat sei keine Völkerrechtsverletzung). 97 Für Einzelheiten zu den konkret vorgeworfenen Vorfällen in Myanmar siehe die Entscheidung des Ninth Circuit: Doe v. Unocal Corp., 395 F.3d 932 (9th Cir. 2002). 98 Siehe Unocal, 395 F.3d at 939 – 940 ff. 99 Siehe Unocal, 395 F.3d at 940 ff. 100 Siehe Doe I v. Unocal Corp., 67 F. Supp. 2d 1140 (C.D. Cal. 1999) (Zulassung der class action). 95
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Folter; gezielte Gewalt gegen Frauen; sowie grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung101. b) Die gemeinsame Grundlage der Unocal-Entscheidungen Aus der Klage gegen Unocal gingen drei wesentliche Gerichtsentscheidungen hervor: Zwei Entscheidungen des Northern District of California und die oben erwähnte Grundsatzentscheidung des Ninth Circuit Court of Appeals. In diesen Entscheidungen waren der Sachverhalt sowie die Nachweisbarkeit von Menschenrechtsverletzungen klar. Zwangsarbeit sowie hoheitlich begangene Folterungen und Vergewaltigungen erkannten die Gerichte als erhebliche Verletzungen universeller Menschenrechte an. Strittig blieb nur die Frage von Unocals Haftbarkeit für diese Verletzungen. Die erwähnten Menschenrechtsverletzungen wurden von der myanmarische Armee begangen, die zwar einen Dienstleistungsvertrag mit Unocal abgeschlossen, aber ihre Zwangsarbeitskampagne aus eigenen Stücken betrieben hatte. Inwiefern haftete Unocal für die Völkerrechtsdelikte dieser Truppen? Es musste festgestellt werden, welches Recht auf die Frage der Haftung anwendbar war. Das amerikanische common law ließ eine Zurechnung der Taten der myanmarischen Truppen an Unocal zu, sofern die Truppen als Arbeitnehmer oder als „agents“ von Unocal anzusehen waren, die im Rahmen ihres Auftrags gehandelt hatten102. Neben traditonellen common law-Prinzipien hatte die Rechtsprechung der Ersten Welle die Möglichkeit in Aussicht gestellt, Haftung für von Hoheitsträgern begangenen Menschenrechtsverletzungen auf eine „joint action“ des Beklagten im Sinne der Rechtsprechung zu 28 U.S.C. § 1983 zu stützen103. Als dritte Möglichkeit gaben die Kläger ihre Absicht an, Unocals Haftung anhand des völkerstrafrechtlichen Begriffs der Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen („aiding and abetting“) zu begründen. Zweitens mussten sich die Unocal-Gerichte mit der Anwendbarkeit der act of state-Doktrin auf ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften auseinandersetzen, weil diese eine neue Dimension der Doktrin aufwarfen. Die Rechtsprechung der Ersten Welle hatte die Doktrin für grundsätzlich nicht einschlägig erklärt104. Dies war außenpolitisch unproblematisch, weil die Klagen der Ersten Welle nur die Handlungen einzelner Personen für menschenrechtswidrig erklärten. Unocal hingegen verlangte eine viel weitreichendere Feststellung: Um einen Anspruch gegen Unocal überhaupt begründen zu können, musste ein Gericht befinden, dass das myanmarische Militär – 101
Siehe hierfür die gleich folgenden Abschnitte. Gemäß allgemeinen common law-Schuldrechtsprinzipien werden die Handlungen von „agents“ ihrem „principal“ zugerechnet, sofern sie im Rahmen des Vertretungsverhältnisses vorgenommen wurden. Siehe Restatement (Third) of the Law of Agency § 2.04 (2006) und Abschnitt B. II. 2. a) bb) dieses Kapitels, unten. 103 Siehe hierzu Kapitel 1, Abschnitt C. II. 3. 104 Zur Act of State-Doctrin siehe Kapitel 1, Abschnitt C. III. 2. 102
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d. h. ein Organ des Staates Myanmar – Menschenrechtsverletzungen begangen hatte. Da das Verhalten von Myanmars Organen als Myanmars eigenes Verhalten galt, verlange Unocal eine stillschweigende aber dennoch präsente Erklärung, dass der Staat Myanmar die Menschenrechte der eigenen Bürger verletzt hatte. Darin lag die außenpolitische Dimension, die unweigerlich die act of state-Doktrin, die den Vorrang der Exekutive für Außenpolitik wahren soll, wieder aufs Tapet brachte. c) Entscheidung des District Court von 1997 In einer ersten Entscheidung wies das Northern District of California Unocals Antrag auf Klageabweisung ab105. Seine Erörterung dieses Antrags nahm das Gericht als Gelegenheit wahr, die Diskussion über das Recht der Unternehmenshaftung nach dem ATS zu eröffnen. Nach Meinung des Gerichts war – nach dem Sachvortrag der Kläger – eine direkte Haftung Unocals gegeben, auch wenn Unocal nicht als Hoheitsträger gehandelt hatte. Unter Berufung auf Karadzic konstatierte das Gericht: „[P]rivate actors may be liable for violations of international law even absent state action“, wenn sie eins der Völkerrechtsverbrechen begehen, „for which the law of nations attributes individual responsibility“106. Zu diesen Tatbeständen, für welche Privatpersonen haften, gehöre die aktive Beteiligung am Sklavenhandel107. Dem District Court zufolge hatten die Kläger die Erfüllung dieses Tatbestands durch Unocal hinreichend dargelegt: Im Sachvortrag hätten die Kläger dargelegt, dass Unocal das myanmarische Militär de 105 Siehe Doe v. Unocal Corp., 963 F. Supp. 880 (C.D. Cal. 1997). Ein Antrag auf Klageabweisung wird vom Beklagten sehr früh nach Erhalt der Klageschrift gestellt und befasst sich nur mit dieser Schriftsatz. Nach Fed. R. Civ. P. 12 (b) veranlasst der Antrag auf Abweisung eine zweifache Prüfung der Klageschrift. Zum einen muss das Gericht feststellen, dass die geltend gemachten Ansprüche tatsächlich im anwendbaren Recht vorgesehen sind (sog. „legal sufficiency“ der Klageschrift). Zum anderen muss das Gericht in Bezug auf den Tatsachenvortrag der Klageschrift prüfen, ob der Kläger seine Darlegungslast erfüllt hat (sog. „factual sufficiency“ der Klageschrift). Ein Kläger genügt seiner Darlegungslast, wenn er Tatsachen vorträgt – ihre Richtigkeit unterstellt – die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als entstanden scheinen zu lassen. Hierbei muss er seine Vorwürfe nicht substantiiert vortragen; es genügt, wenn der Kläger die Umstände seiner Verletzungen grob schildert und die Haftung des Beklagten dafür abstrakt behauptet. Damit ist der Beklagte über den Gegenstand der Klage unterrichtet worden und kann mit der Vorbereitung seiner Verteidigung anfangen. Das Substantiieren der Vorwürfe (bzw. ihre Entlarvung als haltlos) erfolgt erst durch die Beweiserhebung der Discovery-Phase. Im Rahmen des von Unocal gestellten Antrags auf Abweisung musste das District Court deshalb feststellen, was das auf die von den Klägern erhobenen Ansprüche anwendbare Recht war und ob es diese Ansprüche vorsah. Danach musste es prüfen, ob der Tatsachenvortrag der Kläger ihr Recht auf die erhobenen Ansprüche hinreichend dargelegt hatte. 106 Unocal, 963 F. Supp. at 891 – 892. Das District Court sah seine Ansicht durch folgendes Zitat von Karadzic bestätigt: „[C]ertain forms of conduct violate the law of nations whether undertaken by those acting under the auspices of a state or only as private individuals“. Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232, 239 (2d Cir. 1995). 107 Unocal, 963 F. Supp. at 891 – 892.
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facto als „Arbeitsaufseher“ engagiert und trotz Kenntnis der Zwangsarbeitspraktiken die Dienste weiterhin in Anspruch genommen habe. Damit könne Unocal als der wahre Veranlasser der Zwangsarbeit angesehen werden108. Insofern sah das Gericht eine direkte Haftung Unocals wegen aktiver Beteiligung an Zwangsarbeit begründet. Der District Court befand ferner, dass die Taten des myanmarischen Militärs Unocal zugerechnet werden konnte. Hierfür wandte das Gericht die Rechtsprechung zu 42 U.S.C. § 1983 an109, die sich mit der Frage befasst hatte, wann eine Privatperson „under color of law“ gehandelt hatte und deswegen zum Zwecke der Haftung für eine Rechtsverletzung als fingierter Hoheitsträger gelte110. Das Gericht legte den „joint action“-Test dieser Rechtsprechung als Maßstab zugrunde111, um die Haftung Unocals für die Taten des myanmarischen Militärs zu erörtern: „A private individual acts under color of law … when he acts together with state officials or with significant state aid“112. „Joint action“ liegt danach vor, wenn Privatperson und Hoheitsträger ein gemeinsames Ziel durch einen „substantial degree of cooperative action“ gemeinsam angestrebt hatten113. Nach Auffassung des Gerichts hatten die Kläger joint action hinreichend dargetan: Die Klageschrift habe behauptet, dass Zwangsarbeit zwischen Unocal und Militär abgesprochen wurde, um den Bau der Pipeline zu fördern, und dass das Militär als „agent“ von Unocal diese Abmachung ausgetragen hätte114. Dies 108 „[Unocal has] paid and continue[s] to pay [the Burmese military] to provide labor and security for the pipeline, essentially treating [the military] as an overseer, accepting the benefit of and approving the use of forced labor. These allegations are sufficient to establish subjectmatter jurisdiction under the ATCA“. Unocal, 963 F. Supp. at 892. 109 Wie im vorigen Abschnitt dargelegt, hatte Karadzic die Rechtsprechung zu § 1983 angewandt, um festzustellen, ob der Befehlshaber von „umherziehenden (serbischen) Rebellenhorden“ als Hoheitsträger im Sinne des ATS zu betrachten war. Das District Court sah die Anwendung der § 1983-Rechtsprechung auf den vorliegenden Sachverhalt als durch ein schlichtes Zitat auf Karadzic begründet, weil es Karadzic offenbar als eins zu eins anwendbar ansah. So die Gesamtheit der Erörterungen des Gerichts: „To the extent a state action requirement is incorporated into the ATCA, courts look to the standards developed under 42 U.S.C. § 1983. Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232 (2d Cir.1995) … (concluding plaintiffs entitled to prove their allegations that private actor acted under color of law by acting in concert with Yugoslav officials or with significant Yugoslav aid)“. Unocal, 963 F. Supp. at 890. 110 Für eine Diskussion zur Anwendbarkeit von 42 U.S.C. § 1983 in ATS-Klagen siehe Kapitel 1, Abschnitt C. II. 3. 111 Siehe hierzu Kapitel 1, Abschnitt C. II. 3. a) cc). 112 Dies war die Formulierung des „joint action“-Tests vom Second Circuit in Karadzic, siehe den obigen Abschnitt dazu und Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232, 245 (2d Cir. 1995). Unocal, 963 F. Supp. at 890. 113 Diese Tatbestandsmerkmale für „joint action“ im Sinne von § 1983 entnahm das District Court zwei Circuit Court-Entscheidungen: Cunningham v. Southlake Ctr. for Mental Health, Inc., 924 F. 2d 106, 107 (7th Cir. 1991) („joint action“ im Sinne von § 1983 erfordere, dass „both public and private actors share a common, unconstitutional goal“); Gallagher v. Neil Young Freedom Concert, 49 F. 3d 1442, 1453 (10th Cir. 1995) (um „joint action“ festzustellen, „courts examine whether state officials and private parties have acted in concert in effecting a particular deprivation of constitutional rights“). 114 Unocal, 963 F. Supp. at 891.
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begründe die Einstufung ihrer Kollaboration als „joint action“ im Sinne der § 1983Rechtsprechung und führe zur Haftung Unocals im Rahmen der ATS-Klage115. Zuletzt erörterte der District Court die Anwendbarkeit der act of state-Doktrin. Obwohl der District Court die erhöhte Gefahr gerichtlicher Einmischung in die Außenpolitik anerkannte116, befand es trotzdem, dass die act of state-Doktrin nicht auf die Klage gegen Unocal anwendbar war. Diese Lehre sei in Klagen mit Völkerrechtsdimension nur dann anwendbar, wenn es offensichtlich sei, dass die Klage in eine Konfrontation mit einem fremden Staat münden würde117. Im vorliegenden Fall sei eine Konfrontation jedoch unwahrscheinlich, weil sowohl die Legislative als auch die Exekutive der Vereinigten Staaten das Regime Myanmars bereits als menschenrechtsverachtend gerügt hätten118. Des Weiteren erklärte der District Court, die act of state-Doktrin sei primär auf Handeln im öffentlichen Interesse anwendbar119. Im vorliegenden Fall stünden allerdings Zwangsarbeit und Folter einzig im Interesse des myanmarischen Militärs und keineswegs im Interesse der Bürger120. Zuletzt führte das Gericht die einhellige Verdammung von Sklavenhandel und Folter in der internationalen Gemeinschaft an121. Das klare internationale Verbot solcher Handlungen untergrabe die Behauptung, dass sie den Respekt von Staatsakten verdienten122.
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Unocal, 963 F. Supp. at 891. Siehe Unocal, 963 F. Supp. at 892 – 93. 117 „[I]t appears that invocation of the act of state doctrine is not appropriate unless it is ,apparent‘ that adjudication of the matter will bring the nation into hostile confrontation with the foreign state“. Unocal, 963 F. Supp. at 893. Diese Regel entnahm das Gericht einem obiter dictum des Ninth Circuit in einer früheren Entscheidung zu einer ATS-Klage gegen Ferdinand Marcos: „The classification [of Marcos’s actions as acts of state] might, it may be supposed, be used to prevent judicial challenge in our courts to many deeds of a dictator in power, at least when it is apparent that sustaining such challenge would bring our country into hostile confrontation with the dictator“. Siehe Rep. of the Philippines v. Marcos, 862 F.2d 1355, 1360 (9th Cir. 1988). 118 Kongress und Präsident hatten die Praktiken der myanmarischen Militärregierung als menschenrechtswidrig gerügt und der Kongress hatte dem Präsidenten per Statut die Befugnis zugesprochen, neue Investitionen amerikanischer Unternehmen in Myanmar zu verbieten. Siehe Unocal, 963 F. Supp. at 894 Fn. 17. 119 „[In evaluating whether the act of state doctrine is applicable,] courts should consider ,whether the foreign state was acting in the public interest‘“. Unocal, 963 F. Supp. at 893. Diese Regel schöpfte das District Court aus der Entscheidung des Ninth Circuit in Liu v. Rep. of China, 892 F.2d 1419 (9th Cir. 1989), wo das Ninth Circuit in einem obiter dictum erwähnte, dass die Verurteilung einer Enteignung ausländischer Angehöriger durch ihre eigene Regierung zu weit ginge, weil die Regierung dabei im öffentlichen Interesse gehandelt hätte. 120 Unocal, 963 F. Supp. at 893 – 94. 121 Siehe Unocal, 963 F. Supp. at 894. 122 Siehe Unocal, 963 F. Supp. at 894: „[W]here jurisdiction is available for jus cogens violations, it is less likely that judicial pronouncements on a foreign sovereign’s actions will undermine the policies behind the act of state doctrine“. 116
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Aus diesen Gründen wies der District Court Uncoals Antrag auf Klageabweisung ab. Damit gab es die Klage für die Discovery-Phase der Vorverhandlung frei, was zur nächsten Entscheidungen des Unocal-Verfahrens führte. d) Entscheidung des District Court von 2000 Zwei Jahre nach seiner ersten Entscheidung befasste sich der District Court wieder mit Unocal, diesmal im Rahmen eines Antrags auf „summary judgment“123. Seit zweieinhalb Jahren hatten sich die Streitparteien einem langwierigen DiscoveryVerfahren unterzogen. Durch die Erhebung von Beweismitteln war mittlerweile klar geworden, dass Unocal von den Zwangsarbeitspraxen des Militärs gewusst hatte oder zumindest davon hätte wissen müssen. Erstens war Unocal vor Anfang des Pipelineprojekts über das Risiko von Zwangsarbeit detailliert aufgeklärt worden124. Zweitens wurde Unocal mehrmals über konkrete Fälle in Kenntnis gesetzt, bei denen 123
Siehe Doe v. Unocal Corp., 110 F. Supp. 2d 1294 (C.D. Cal. 2000). „Summary judgment“ bedeutet ein Urteil im beschleunigten Verfahren aufgrund der im Rahmen von Discovery offengelegten Beweismittel. „Beschleunigt“ in diesem Sinne heißt, dass das Urteil vom verhandelnden Richter aufgrund der im Discovery erhobenen (und ihm von den Parteien vorgelegten) Beweise ohne Einbindung einer Jury und ohne Abhaltung einer Hauptverhandlung getroffen wird. Nach Fed. R. Civ. P. 56 kann das Gericht ein derart beschleunigtes Urteil über prozessuale oder materiellrechtliche Fragen fällen, wenn (1) aufgrund der vorliegenden Beweise keine streiterheblichen Tatsachen strittig sind und (2) die an diese (nicht strittige) Tatsachenlage geknüpften Rechtsfolgen klar sind. Im Normalfall erfolgt ein Antrag auf „summary judgment“ am Ende der Discovery-Phase der Vorverhandlung, weil die durch Discovery erlangten Beweise die Gesamtheit der in allen nachfolgenden Verhandlungsphasen zulässigen Beweismittel ausmachen. Wenn diese Beweise einen nicht strittigen Sachverhalt und einen klar begründeten Anspruch erkennen lassen, erklärt der verhandelnde Richter die Ansprüche durch Stattgeben des Antrags auf „summary judgment“ für begründet, anstatt diese Entscheidung für eine spätere Hauptverhandlung mit Jury aufzuheben. Das Stattgeben des Antrags ergeht in Form eines Urteils, daher der Name „summary judgment“. Dieses beschleunigte Urteil ist verfassungskonform, weil das amerikanische Verständnis von rechtlichem Gehör nicht verlangt, dass unstrittige Sachverhalte bzw. Ansprüche in einer Hauptverhandlung entschieden werden müssen. In solchen Fällen geht judicial economy vor. In Unocal hat der beklagte Ölkonzern am Ende des Discovery-Verfahrens den Antrag auf summary judgment erhoben. Für die zweite Unocal-Entscheidung bedeutete dies, dass – im Gegensatz zur ersten Entscheidung – sie sich auf die dem Gericht beigebrachten Beweise stützte, anstatt lediglich den Tatsachenvortrag der Klageschrift zu prüfen. 124 Siehe Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1296 – 97. Unocal hatte eine externe Beratungsfirma engagiert, um die Risiken einer Investition in das Pipelineprojekt zu beurteilen. Im Abschlussbericht der Firma, der Unocal gegeben wurde, stand folgende Warnung: „Throughout Burma the government habitually makes use of forced labour to construct roads. In Karen and Mon states the army is forcing villagers to move to more secure sites (similar to the ,strategic hamlets‘ employed by the U.S. army in Vietnam) in the hope of cutting off their links with the guerrillas. There are credible reports of military attacks on civilians in the regions. In such circumstances UNOCAL and its partners will have little freedom of manoeuvre. The local community is already terrorized: it will regard outsiders apparently backed by the army with extreme suspicion“.
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das myanmarische Militär die örtliche Bevölkerung entlang der Pipelinestrecke tatsächlich zur Arbeit zwang125. Allerdings konnten die Kläger Unocal mehr als die bloße Kenntnis von diesen Völkerrechtsverletzungen nicht nachweisen: Die inzwischen vorliegenden Beweise ergaben nicht, dass Unocal die Zwangsarbeitspraktiken des Militärs angeordnet, unterstützt oder auch nur irgendwie ermuntert hatte. Aufgrund dieser Beweislage musste der District Court entscheiden, ob Unocal für die Menschenrechtsverletzungen des myanmarischen Militärs im Rahmen einer ATS-Klage haftete. Dies hat das Gericht verneint, da es weder eine direkte noch eine indirekte Haftung Unocals wegen bloßer Kenntnis über die Begehung von Menschenrechten als begründet ansah. Zuerst erörterte der District Court die Frage, ob die Menschenrechtsverletzungen der myanmarischen Truppen Unocal zugerechnet werden konnten. Wie bei seiner ersten Entscheidung wandte das Gericht hierfür den „joint action“-Test der § 1983Rechtsprechung an126. Bezüglich Unocals Zusammenarbeit mit dem myanmarischen Militär sah das Disrict Court aus zwei Gründen keine „joint action“ gegeben. Einerseits müsse ein privater Akteur die Verübung von Rechtsverletzungen auf irgendeine Weise beeinflussen oder sich daran beteiligen, um als „joint actor“ qua125
Siehe Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1289 – 1301. Das Gericht führte u. a. folgende ,Aufklärungsmomente‘ auf: – „In early 1995, representatives from Unocal met with Human Rights Watch (,HRW‘). In this meeting, … HRW’s director informed Unocal that forced labor was ,so pervasive‘ in the country that HRW cannot condone any investment that would enrich the current regime“. (S. 1299). – „A 1995 letter written by a consultant to Unocal states: ,[M]y conclusion is that egregious human rights violations have occurred, and are occurring now, in southern Burma. The most common are forced relocation without compensation of families from land near/along the pipeline route; forced labor to work on infrastructure projects supporting the pipeline (the [military] calls this ,government service in lieu of payment of taxes‘); and imprisonment and/or execution by the army of those opposing such actions. Unocal, by seeming to have accepted [the military’s] version of events, appears at best naive and at worst a willing partner in the situation‘“. (S. 1299 – 1300). – „On January 4, 1995, Unocal president John Imle … met with a group of human rights watch groups … at Unocal Headquarters[, where a representative of Greenpeace stated that] ,What is happening in the exact pipeline area is increased forced labor, increased relocation of villagers … the situation there is getting much much worse‘“. (S. 1300). – „On March 16, 1995, Joel Robinson of Unocal wrote Unocal President John Imle a letter in which he states that he had received ,more [reports] which depicted in more detail than I have seen before the increased encroachment of [Burmese military] activities into the villages of the pipeline area. Our assertion that [the military] has not expanded and amplified its usual methods around the pipeline on our behalf may not withstand much scrutiny‘“. (S. 1300). – „In or about January 1996, Total’s Herve Chagnoux was questioned by the press about forced labor[.] … [He responded:] ,[L]et us admit between Unocal and Total that we might be in a grey zone‘“. (S. 1302). 126 „The ,color of law‘ jurisprudence of 42 U.S.C. § 1983 is a relevant guide to whether a defendant has engaged in official action for purposes of jurisdiction under the Alien Tort Claims Act“. Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1305.
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lifiziert zu werden127. Im vorliegenden Fall habe Unocal jedoch lediglich gewusst, dass myanmarische Truppen Menschenrechte verletzten; es liege „no evidence“ vor, dass Unocal „participated in or influenced the military’s unlawful conduct“128. Andererseits müsse eine Privatperson einen Grad an Kontrolle über die Entscheidung eines Hoheitsträgers ausüben, Menschenrechte zu verletzen, um als „joint actor“ eingestuft zu werden129. Die Kläger hätten aber keine Beweise angeführt, dass Unocal die Entscheidungen des myanmarischen Militärs auf irgendeine Weise beeinflusst hätte130. Insofern könne Unocals Zusammenarbeit mit dem myanmarischen Militär keine Einstufung als „joint actor“ im Sinne des ATS begründen. Entsprechend verneinte das Gericht die Möglichkeit einer Zurechnung der Taten des Militärs an Unocal. Zweitens zog der District Court die Möglichkeit einer direkten Haftung Unocals in Betracht. Wie bei seiner ersten Entscheidung bejahte das Gericht, dass Privatpersonen für besonders ungeheuerliche Menschenrechtsverletzungen direkt hafteten131, dass Sklavenhandel eine dieser für Private verbindlichen Tatbestände darstellte132 und dass Zwangsarbeit der Sklaverei gleichzusetzen war133. Es blieb nur 127 Unocal, 110 F. Supp. at 1306. Dieses Merkmal von „joint action“ schöpfte das Gericht aus Gallagher v. Neil Young Freedom Concert, 49 F. 3d 1442 (10th Cir. 1995): „[S]tate action may be found if a state actor has participated in or influenced the challenged decision or action“. In Gallagher hatte ein privater Konzertveranstalter Polizeibeamte als Security für einen Konzert angeheuert und darum gebeten, dass die Beamten eine Sicherheitskontrolle beim Konzerteingang durchführen. Die Beamten sind beim Abtasten sehr eifrig vorgegangen und einige Konzertbesucher verklagten den Veranstalter und warfen ihm eine „joint action“ mit den Polizisten in der Verletzung ihrer Rechte vor. Der Tenth Circuit verneinte dies, weil sich der Veranstalter in keiner Weise an den Abtastungen beteiligt hatte. 128 Siehe Unocal, 110 F. Supp. at 1306. Das Gericht schien der Meinung zu sein, dass sich Unocal in derselben Lage wie der Konzerveranstalter in Gallagher befand: Es hatte das Militär als Sicherheitstruppe angeheuert und, wie die Polizisten in Gallagher in der Sicherung des Konzertes zu weit gegangen waren, ging das Militär auf ähnliche Weise in der Sicherung der Pipeline zu weit. Aber in weder dem einen oder dem anderen Fall hatte sich der ,Veranstalter‘ an den Rechtsverletzungen beteiligt. 129 Siehe Unocal, 110 F. Supp. at 1307. Das Gericht legte diese Voraussetzung für „joint action“ unter Berufung auf King v. Massarweh, 782 F.2d 825 (9th Cir. 1986) fest. In King hatte ein Vermieter nach einem Streit mit seinen Mietern die Polizei angerufen und die Mieter wegen Hausfriedensbruch angezeigt. Polizeibeamte fuhren darauf zur Wohnung, wo sie die Mieter festgenommen und die Wohnung durchsucht haben. Darauf verklagten die Mieter den Vermieter und warfen ihm eine „joint action“ mit den Polizisten vor. Das Ninth Circuit verneinte dies, weil „Nothing in the record indicates that [der Vermieter] exerted any control over the officers’ decision to search appellants’ apartments or to arrest the appellants“ (King, 782 F.2d at 829). 130 „Plaintiffs present no evidence Unocal ,controlled‘ the Myanmar military’s decision to the commit the alleged tortious acts“. Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1307. 131 Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1307 – 08 („[I]ndividual liability [remains] available … for a handful of private acts“). 132 Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1307 („[I]ndividual liability under the ATCA may be established for acts rising to the level of slavery or slave trading“).
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festzustellen, ob die myanmarischen Truppen als Arbeitnehmer oder sonstige „agents“ von Unocal anzusehen waren, für deren Taten Unocal als Geschäftsherr („principal“) einzustehen hatte134. In der ersten Entscheidung hatte der klägerische Vortrag, myanmarische Truppen seien „agents“ von Unocal gewesen, die Zurechnung nach allgemeinen common law-Prinzipien ohne weiteres ermöglicht135. Nun war die Lage anders: Die Beweiserhebung im Discovery-Stadion des Verfahrens hatte nachgewiesen, dass myanmarische Truppen zwar mit Unocals Kenntnis, aber ohne jede weitere Anforderung, Unterstützung oder Ermunterung von Unocal Zwangsarbeit begangen hatte. Dies war nicht ausreichend für eine Einstufung als agents und eine Zurechnung war mithin ausgeschlossen. Auf einen Vorschlag der Kläger136 griff der District Court anstelle des common law das Völkerstrafrecht auf, um die Zurechnungsfrage zu erörtern. Das Gericht wandte die Grundsätze der Rechtsprechung des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals an, um Unocals Verantwortung für die Verstöße des Militärs zu beurteilen137. Das Tribunal hatte drei Fälle verhandelt, in denen deutsche Industrielle wegen Kriegsverbrechen – konkret Zwangsarbeit und Enteignung – verurteilt worden waren138. Nach Ansicht der Kläger ergaben diese Fälle das Prinzip, dass die bloße Kenntnis von Zwangsarbeit die Verantwortung und damit die Haftung dafür zur Folge habe139. Das Gericht folgte dem indes nicht: In all jenen Fällen, in denen Industrielle wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt worden waren, hätten diese sich aktiv an den Verbrechen beteiligt140. Aus der Nürnberger Rechtsprechung 133 Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1308 („[F]orced labor is ,modern slavery‘ and is therefore one of the ,handful of crimes‘ to which individual liability under [the ATS] attaches“). 134 Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1308 – 09. 135 Dies war der Fall, weil der Vorwurf, myanmarische Truppen seien „agents“ von Unocal, im Rahmen der Klageschriftprüfung der ersten Entscheidung als richtig bzw. wahr vermutet wurde. Damit ermöglichte er ohne Weiteres die Verantwortung Unocals für ihre Taten. Beim Antrag auf summary judgment hingegen mussten die Kläger diesen Vorwurf mit Beweismitteln nachweisen. 136 Siehe Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1308 – 09. 137 Siehe Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1308 – 09. 138 Siehe Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1309. Die Fälle waren United States v. Flick, 6 Trials of War Criminals Before the Nuremberg Military Tribunals Under Control Council Law No. 10, 1192 (1952) (Anklage gegen sechs leitende Angestellte eines Stahlherstellers wegen Inanspruchnahme von Sklavenarbeit); United States v. Krauch, 8 Trials of War Criminals Before the Nuremberg Military Tribunals Under Control Council Law No. 10, 1190 (1949) (Anklage gegen 23 hohe Mitarbeiter von IG Farben wegen Inanspruchnahme von Sklavenarbeit); United States v. Krupp, 9 Trials of War Criminals Before the Nuremberg Military Tribunals Under Control Council Law No. 10 (1950) (Anklage gegen 12 Mitglieder des Krupp-Konzerns wegen Inanspruchnahme von Sklavenarbeit). 139 Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1309. 140 Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1310: „[The Nuremberg] cases hold that .. liability requires participation or cooperation in the forced labor practices“. Das Gericht stützte diese Ansicht auf die Tatsache, dass, obwohl alle Angeklagten Sklavenarbeit eingesetzt hatten, nur diejenigen verurteilt wurden, die aktiv eine Erhöhung ihrer Quote zugeteilter Sklavenarbeiter beantragt
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gehe daher deutlich hervor, dass rechtliche Verantwortung gerade nur durch „participation or cooperation in“ Menschenrechtsverletzungen entstehe141. Entsprechend bestand aus Sicht des Gerichts eine indirekte Haftung für Menschenrechtsverletzungen nur dann, wenn sich eine beklagte Privatperson an deren Begehung beteiligt oder mit dem Täter kooperiert hatte. Nach Ansicht des District Courts hatte die Arbeit zwischen Unocal und myanmarischem Militär diese Voraussetzung nicht erfüllt. Unocal habe weder Zwangsarbeit angefordert noch daran auf irgendeine Weise teilgenommen142. Im Gegenteil: Unocal habe Besorgnis über den Umstand ausgedrückt, dass Zwangsarbeit beim Bau ihrer Pipeline eingesetzt werde143. Darauf habe das myanmarische Militär begonnen, das Ausmaß seiner Zwangsarbeitskampagne aktiv vor Unocal zu verbergen144. Die Tatsache, dass Unocal von Zwangsarbeit profitiert haben mag, reiche alleine zur Begründung der Haftung nach internationalem Recht nicht aus145. Als Resultat könne Unocal nicht wegen Zwangsarbeit haftbar gemacht werden. Weil damit keine Ansprüche gegen Unocal geltend gemacht werden konnten, musste das Gericht die Anwendbarkeit der act of state-Doktrin nicht erörtern. Das Gericht gab Unocals Antrag auf summary judgment statt, was ein entsprechendes Urteil zugunsten Unocals zur Folge hatte. Die Kläger legten Rechtsmittel gegen das Urteil beim Ninth Circuit Court of Appeals ein, welches die Berufung des Falles annahm. Die Entscheidung des Ninth Circuit sollte zur Grundsatzentscheidung werden. e) Entscheidung des Ninth Circuit von 2002 Der Ninth Circuit hob das Urteil des District Court auf146. In einem äußerst aufsehenerregenden Urteil entwickelte es das in Karadzic entwickelte Konzept der völkerrechtlichen Haftbarkeit von Privatpersonen fort, um Beihilfe zu Menschenrechtsverbrechen als Haftungsgrund im Rahmen von ATS-Klagen auszuarbeiten.
hatten. Alle anderen Angeklagten konnten sich erfolgreich mit dem Einwand verteidigen, sie würden von den Nazis zur Aufnahme von Sklavenarbeitern genötigt. 141 Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1310. 142 Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1310. 143 Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1310 („In fact, the Joint Venturers expressed concern that the Myanmar government was utilizing forced labor in connection with the Project“). 144 Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1310. 145 Unocal, 110 F. Supp. 2d at 1310: „The evidence does suggest that Unocal knew that forced labor was being utilized and that the Joint Venturers benefitted from the practice. However, … such a showing is insufficient to establish liability under international law“. Das Gericht führte die zu diesem Ergebnis führenden Völkerrechtsbestimmungen nicht weiter aus. 146 Doe v. Unocal Corp., 395 F.3d 932 (9th Cir. 2002).
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aa) Klärung des Sachverhalts und die Zugrundelegung von Karadzic Zunächst hob der Ninth Circuit die Tatsachenfeststellungen des District Court auf, um den Sachverhalt für seine anschließende Analyse festzulegen147. Entgegen den Feststellungen des District Court war der Ninth Circuit nicht der Meinung, dass Unocal nur Kenntnis von den Menschenrechtsverletzungen aber keinen Einfluss darauf gehabt habe. Zum einen könne belegt werden, dass Unocal die Entscheidung, das myanmarische Militär als Sicherheitsdienstleister anzuheuern, mitgetragen habe148 – und zwar nachdem Unocal über die Zwangsarbeitspraktiken aufgeklärt worden war149. Zum anderen eröffne die Beweislage die konkrete Möglichkeit, dass Unocal die Tätigkeiten des Militärs beeinflusst, wenn nicht teilweise geleitet habe150. Vor diesem Hintergrund wandte sich der Ninth Circuit der Haftungsfrage zu. Ausgangspunkt der Analyse waren die Grundsätze der Karadzic-Entscheidung: Grundsätzlich könnten Völkerrechtsverletzungen wie Folter, Vergewaltigung und außergerichtliche Hinrichtungen nur hoheitlich begangen werden151. Dennoch seien auch private Akteure für solche Taten völkerrechtlich verantwortlich, wenn diese zur Förderung noch verwerflicherer Verbrechen wie Genozid, Kriegsverbrechen oder Sklavenhandel begangen werden152. Diese letzteren Verbrechen erfordern kein ho147 Wenn ein Berufungsverfahren ein durch summary judgment stattgegebenes Urteil zum Gegenstand hat, prüft das Berufungsgericht „de novo“, ob alle streiterheblichen Tatsachen unstrittig sind sowie ob die aus ihnen resultierenden Rechtsfolgen klar sind. Dies ist dem Konzept einer revision au fond nicht unähnlich. Das Berufungsgericht darf nach freiem Ermessen sämtliche vom District Court getroffenen Tatsachen- sowie Rechtsfeststellungen aufheben und mit eigenen Feststellungen ersetzen. Hierbei findet allerdings keine neue Beweiserhebung statt; das Berufungsgericht ist an die Beweise gebunden, die die Grundlage der erstinstanzlichen Entscheidungen gebildet haben. 148 „There is … evidence sufficient to raise a genuine issue of material fact whether the Project hired the Myanmar Military, through Myanmar Oil, to provide these services, and whether Unocal knew about this“. Unocal, 395 F.3d at 938. 149 „[E]ven before Unocal invested in the Project, Unocal was made aware – by its own consultants and by its partners in the Project – of this record and that the Myanmar Military might also employ forced labor and commit other human rights violations in connection with the Project“. Unocal, 395 F.3d at 940. In dieser Hinsicht führte den oben zitierten Bericht der von Unocal engagierten externe Beratungsfirma sowie Korrespondenz mit Total auf. 150 „[T]here is evidence sufficient to raise a genuine issue of material fact whether the Project directed the Myanmar Military in these activities, at least to a degree, and whether Unocal was involved in this“. Unocal, 395 F.3d 938 – 39. In dieser Hinsicht hob das Ninth Circuit hervor, dass Unocal dem Militär „aerial photos, precision surveys, and topography maps“ gegeben hatte, um den Bau und Sicherung von Projekteinrichtung zu koordinieren (S. 239) Des Weiteren zitierte das Gericht folgende Passage aus einer internen Email an Unocals Pressesprecherin: „By saying we influenced the army not to move a village, you introduce the concept that they would do such a thing; whereas, by saying that no villages have been moved, you skirt the issue of whether it could happen or not“. (S. 239). 151 Unocal, 395 F.3d at 945. 152 „[C]rimes like rape, torture, and summary execution, which by themselves require state action for ATCA liability to attach, do not require state action when committed in furtherance of
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heitliches Handeln; sie werden von der Staatengemeinschaft derart einhellig geächtet, dass sie immer gegen das Völkerrecht verstoßen, gleichgültig ob sie hoheitlich oder von Privatpersonen begangen werden153. bb) Die neue Fragestellung des Ninth Circuit Auf dieser Grundlage erörterte der Ninth Circuit die Frage von Unocals Haftung für die Taten des myanmarischen Militärs. Unstrittig war, dass das Militär myanmarische Bürger zu Zwangsarbeit gezwungen und hierfür Folter, Mord und Vergewaltigungen begangen hatte. Zudem war unstrittig, dass diese Taten klare Völkerrechtsverletzungen darstellen. Das Gericht ignorierte die Möglichkeit, dass Unocal wegen seiner Zusammenarbeit mit dem Militär als Hoheitsträger fingiert und als solcher für diese Verstöße haftbar gemacht werden konnte154. Stattdessen stellte es nur die Frage, inwiefern ein Beklagter in einem ATS-Verfahren für die von einem Dritten begangenen Menschenrechtsverletzungen haftete. cc) Die Anwendung internationalen Rechts Um diese Frage zu beantworten, musste der Ninth Circuit zuerst das anwendbare Recht festlegen. Als anwendbares Recht kamen mehrere Rechtssysteme in Betracht: In seiner ersten Entscheidung hatte der District Court allgemeines amerikanisches common law angewandt155 und ein Richter des Senats plädierte in einer concurring opinion für die Anwendung der § 1983-Rechtsprechung156. Daneben argumentierte Unocal, dass das Gericht die lex loci delicti anwenden sollte, um die Haftung für die Menschenrechtsverletzungen Dritter zu ermitteln157. Das Gericht verwarf alle nationalrechtlichen Ansätze und entschied sich für die Anwendbarkeit internationalen other crimes like slave trading, genocide or war crimes, which by themselves do not require state action for ATCA liability to attach“. Unocal, 395 F.3d at 946. 153 Unocal, 395 F.3d at 946. 154 Das Gericht hat diese Möglichkeit nicht in Betracht gezogen, weil sie die Anwendung der amerikanischen Rechtsprechung zu 42 U.S.C. § 1983 bedeutet hätte. Das Ninth Circuit war hingegen der Meinung, dass internationales Recht auf die Frage der Zurechnung von Völkerrechtsverletzungen anzuwenden war, siehe den nachfolgenden Unterabschnitt. 155 Siehe Abschnitt A. II. 2. c) dieses Kapitels, oben. 156 Siehe Doe v. Unocal Corp., 395 F.3d 932, 965 (9th Cir. 2002) (Reinhardt, j., concurring) („I believe that we are required to look to federal common law to resolve ancillary legal issues that arise in ATCA cases [such as liability for the conduct of third parties]“). 157 Unocal, 395 F.3d at 948. Dies war ein ziemlich transparenter Versuch, das Recht Myanmars durch die Hintertür einzuschleusen und es wurde entsprechend abschätzend vom Gericht quittiert: „Where, as in the present case, only jus cogens violations are alleged – i. e., violations of norms of international law that are binding on nations even if they do not agree to them … – it [is] preferable to apply international law rather than the law of any particular state, such as the state where the underlying events occurred []. The reason is that, by definition, the law of any particular state is either identical to the jus cogens norms of international law, or it is invalid“.
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Rechts. Weil die Haftung im Rahmen von ATS-Klagen auf der Basis von Völkerrecht erfolge, sei es nur konsequent, wenn auch die Haftung für die Taten Dritter nach internationalen Standards entschieden würde158. Die auf Unocal anwendbaren völkerrechtlichen Regeln schöpfte der Ninth Circuit aus der Rechtsprechung internationaler Straftribunale, die seit dem Zweiten Weltkrieg über die Verantwortung von Privatpersonen wegen Kollaboration mit verbrecherischen Regimen entschieden hatten159. In dieser Hinsicht verwarf das Gericht zunächst die Rechtsprechung des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals als auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die Nürnberger Strafprozesse gegen Industrielle hätten „aktive Beteiligung“ an Menschenrechtsverbrechen als Haftungsvoraussetzung nur deswegen erfordert, weil die Angeklagten sich damit verteidigt hatten, dass sie von den Nazis zur Tat genötigt wurden – die sog. „necessity defense“160. Unocal hingegen könne sich auf nicht auf Nötigung aus Myanmar berufen, weswegen die Voraussetzung der „aktiven Beteiligung“ an den Taten myanmarischer Truppen zu viel verlange161. Anstatt auf Nürnberg blickte der Ninth Circuit auf die Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs für das frühere Jugoslawien162 (ICTY) und des Internationalen Strafgerichts für Ruanda163 (ICTR). Aus Sicht des Ninth 158 „,[T]he basic polic[y] underlying [the ATS]‘ is to provide tort remedies for violations of international law. This goal is furthered by the application of international law, even when the international law in question is criminal law but is similar to domestic tort law“. Unocal, 395 F.3d at 949. 159 Das Ninth Circuit scheint auf diese Rechtsprechung zurückgegriffen zu haben, weil es sie für die einzige Völkerrechtsquelle hielte, die sich mit der Frage der Haftung für die Taten Dritter auseinandergesetzt hatte. Siehe Unocal, 395 F.3d at 949 („International human rights law has been developed largely in the context of criminal prosecutions rather than civil proceedings“, Zitat an Beth Stevens, Translating Filartiga: A Comparative and International Law Analysis of Domestic Remedies for International Human Rights Violations, 27 Yale J. Int’l L. 1, 40 (2002)). Der Anwendung des Völkerstrafrechts auf die zivilrechtliche Haftungsfrage fand das Ninth Circuit unter Berufung auf denselben Beitrag unproblematisch, weil „what is a crime in one jurisdiction is often a tort in another …, and this distinction is therefore of little help“, 395 F.3d at 949. In dieser Hinsicht konnte das Ninth Circuit auf zwei weitere District Court-Entscheidungen zum ATS hinweisen, die die Rechtsprechung internationaler Straftribunale auf ATS-Ansprüche angewandt hatten: Cabello v. Fernandez Larios, 205 F.Supp. 2d 1325 (S.D. Fla. 2002) und Mehinovic v. Vuckovic, 198 F. Supp. 2d 1322 (N.D. Ga. 2002). 160 Unocal, 395 F.3d at 947 – 48. 161 Unocal, 395 F.3d at 948. 162 Der vollständige Name des 1993 von den Vereinigten Nationen errichteten Tribunals mit Sitz in den Haag lautet „Internationaler Strafgericht zur Verfolgung von Verletzungen des humanitären Völkerrechts im ehemaligen Jugoslawien“. Im Folgenden wird er durch seine international geläufige Kürzel „ICTY“ (International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia) bezeichnet. 163 Der vollständige Name des 1994 von den Vereinigten Nationen errichteten Tribunals mit Sitz in Arusha/Tansania lautet „Internationales Strafgericht zur Untersuchung von schweren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht und Völkermordhandlungen in Ruanda“. Im Folgenden wird es durch seine international geläufige Kürzel „ICTR“ (International Criminal Tribunal for Rwanda) bezeichnet.
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Circuit hatten die Entscheidungen dieser Tribunale die „current standard[s]“ für Gehilfenhaftung im Völkerrecht ohne Einschlag der „necessity defense“ formuliert und waren deshalb auf die Frage zu Unocals Haftung anwendbar164. dd) Haftung wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen anhand des „aiding and abetting“-Tests Der Ninth Circuit wandte den zweiteiligen „aiding and abetting“-Test auf Unocal an, der vom ICTY formuliert und vom ICTR bestätigt und weiterverwendet worden war165. Beihilfe bzw. Gehilfenhaftung im völkerrechtlichen Sinne setze voraus, dass eine Beihilfehandlung (actus reus) vorliege und dass der Gehilfe mit dem erforderlichen Grad an subjektivem Unrechtbewusstsein (mens rea) gehandelt habe166. Die Voraussetzungen für die Beihilfehandlung (actus reus) entnahm der Ninth Circuit der Entscheidung des ICTY in Prosecutor v. Furundzija167: „the actus reus of aiding and abetting … requires practical assistance, encouragement, or moral support which has a substantial effect on the perpetration of the crime“168. Ein „wesentlicher“ („substantial“) Tatbeitrag in diesem Sinne müsse für eine Menschenrechtsverletzung nicht ursächlich sein; es genüge, wenn die Verletzung ohne den Tatbeitrag nicht auf dieselbe Weise stattgefunden hätte169. Auch für die Voraussetzungen des subjektiven Tatbestandes (mens rea) stützte sich der Ninth Circuit auf die Entscheidung des ICTY in Furundzija. Der Gehilfe müsse nicht mit dem Vorsatz handeln, zur Begehung einer Menschenrechtsverlet164
Unocal, 395 F.3d at 950. Siehe Unocal, 395 F.3d at 950 ff. Die Zulässigkeit von Haftung wegen Beihilfe wurde nicht vom ICTY ausgerufen, sondern ging aus Art. 7 (1) seines Gründungsstatuts hervor: „Wer ein in [diesem] Statut genanntes Verbrechen geplant, angeordnet, begangen oder dazu angestiftet hat oder auf andere Weise zur Planung, Vorbereitung oder Ausführung des Verbrechens Beihilfe geleistet hat, ist für das Verbrechen individuell verantwortlich“. Ebendasselbe wurde im Art. 6 (1) des Statuts des ICTR vorgesehen: „Wer ein in [diesem Statut] genanntes Verbrechen geplant, angeordnet, begangen oder dazu angestiftet hat oder auf andere Weise zur Vorbereitung oder Ausführung des Verbrechens Beihilfe geleistet hat, ist für das Verbrechen individuell verantwortlich“. 166 Siehe Unocal, 395 F.3d at 950 – 51. Das ICTY musste in Prosecutor v. Furundzija, IT-9517/1-T (Int’l Crim. Trib. for Former Yugoslavia Trial Chamber Dec. 10, 1998) diese Haftungsvoraussetzungen durch lange Würdigung der bisherigen Völkerrechtspraxis entwickeln, siehe para. 191 ff. („Since no treaty law on the subject exists, [the Tribunal] must establish both whether the accused’s alleged presence in the locations where Witness Awas assaulted would be sufficient to constitute the actus reus of aiding and abetting, and also the relevant mens rea required to accompany this action for responsibility to ensue“.). 167 Siehe Prosecutor v. Furundzija, IT-95-17/1 T, reprinted in 38 I.L.M. 317 (1999). 168 Unocal, 395 F.3d at 950 (Zitat von Furundzija, IT-95-17/1 T, para. 235). 169 Unocal, 395 F.3d at 950. Das Ninth Circuit nahm diese Glossierung der WesentlichkeitsVoraussetzung aus dem späteren ICTY-Verfahren Prosecutor v. Tadic, ICTY-94-1 (Int’l Crim. Trib. for Former Yugoslavia Trial Chamber May 7, 1997), para. 688. 165
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zung beizutragen170. Stattdessen genüge es, wenn er wisse oder aufgrund bestimmter Tatsachen hätte wissen sollen, dass er dem Täter die Begehung eines Verbrechens erleichtere171. Hierbei müsse der Teilnehmer gar nicht über die vom Täter anvisierte Haupttat im Klaren sein: „[I]f the accused ,is aware that one of a number of crimes will probably be committed, and one of those crimes is in fact committed‘“, habe er den für die Gehilfenhaftung erforderlichen Kenntnisstand bereits erreicht172. Nach Ansicht des Gerichts konnte Unocals Zusammenarbeit mit dem myanmarischen Militär die objektiven und subjektiven Tatbestände völkerrechtlicher Gehilfenhaftung erfüllen. Zahlreiche Beweise ließen darauf schließen, dass Zwangsarbeit beim Bau der Pipeline eingesetzt wurde173. Ferner existierten Beweise, dass Unocal dem Militär praktische Unterstützung zur Einpressung der myanmarischen Bevölkerung geleistet habe174. Unocals Unterstützung könne wesentlich gewesen sein, weil ohne sie das Militär die Kläger nicht oder zumindest nicht auf dieselbe Weise zur Zwangsarbeit gezwungen hätte175. Außerdem habe Unocal hinreichenden Kenntnisse von den Verbrechen des Militärs gehabt: Unocal habe um den Einsatz von Zwangsarbeit bei der Realisierung der Pipeline gewusst176 und hätte wissen müssen, dass seine Geldzahlungen und täglichen Sicherheitsbesprechungen das Militär zur Weiterführung seiner Zwangsarbeitspraktiken ermuntern würden177.
170 Unocal 395 F.3d at 950, mit Zitat auf Furundzija, para. 254: „[I]t is not necessary for the accomplice to share the mens rea of the perpetrator, in the sense of positive intention to commit the crime“. 171 Unocal, 395 F.3d at 950, mit Zitat auf Furundzija, para. 245: „[T]he clear requirement in the vast majority of the cases is for the accomplice to have knowledge that his actions will assist the perpetrator in the commission of the crime“. 172 Unocal, 395 F.3d at 950 – 51 (Zitat von Furundzija, para. 245). 173 „[T]here is little doubt that the record contains substantial evidence creating a material question of fact as to whether forced labor was used in connection with the construction of the pipeline“. Unocal, 395 F.3d at 952. 174 Unocal, 395 F.3d at 952: „The practical assistance took the form of hiring the Myanmar Military to provide security and build infrastructure along the pipeline route in exchange for money or food. The practical assistance also took the form of using photos, surveys, and maps in daily meetings to show the Myanmar Military where to provide security and build infrastructure“. 175 Unocal, 395 F.3d at 952 – 53. Das Gericht war der Meinung, dass die Zwangsarbeitspraktiken ohne die eben erwähnten präzisen Luftaufnahmen und Sicherheitsbesprechungen nicht auf dieselbe Weise stattgefunden hätten. 176 Unocal, 395 F.3d at 953. 177 Unocal, 395 F.3d at 953. Es fiel in diesem Zusammenhang ein Satz, der Energie- und Bergbaugesellschaften erzittern ließ: „Unocal knew or should reasonably have known that … payments and the instructions where to provide security and build infrastructure [] would assist or encourage the Myanmar Military to subject Plaintiffs to forced labor“.
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f) Ergebnis Aus diesen Gründen befand der Ninth Circuit, dass die Tatsachenfrage, ob Unocal Beihilfe zur Zwangsarbeit des myanmarischen Militärs geleistet hatte, aufgrund der existierenden Beweislage noch zu klären war178. Weiterhin befand das Gericht, dass die Unocal zur Last gelegten Morde und Vergewaltigungen zur Förderung von Zwangsarbeit hätte begangen werden können; wäre dies der Fall, begründeten sie ohne hoheitliches Handeln weitere Schadenersatzansprüche nach dem ATS179. Insofern blieben einige streiterheblichen Tatsachenfragen noch zu klären. Folglich hob der Ninth Circuit das summary judgment-Urteil des District Court auf und wies die Klage gegen Unocal zur Wiederaufnahme der Hauptverhandlung zurück. g) Ausgang des Verfahrens Unocal legte Rechtsmittel gegen die Entscheidung des drei-Richter-Senats des Ninth Circuit ein und beantragte eine en banc-Neuverhandlung des Berufungsverfahrens180. Diesem Antrag wurde stattgegeben und der Ninth Circuit hielte im Juli 2003 eine Neuverhandlung des Falles ab. Ehe der Ninth Circuit eine neue Entscheidung verfasste, setzte es das Unocal-Verfahren vorübergehend aus, um die Entscheidung des Supreme Court in Sosa v. Alvarez-Machain181 abzuwarten. Nach Verkündung von Sosa beantragten beide Parteien die Wiederaufnahme des Verfahrens, aber bevor das Urteil erging, verglichen sich die Parteien außergerichtlich in Höhe von etwa $ 35 Millionen182. Auslöser dieses Vergleichs soll nicht etwa die Furcht Unocals vor einer nachteiligen Entscheidung, sondern eine Anregung des Ölkonzerns Chevron gewesen sein, der 2005 Unocal aufkaufen wollte und bei Verhandlungen zum Kaufpreis Unocal angeblich anwies, seine „litigation risk“ zu minimieren183. Damit behielte die oben dargestellte Entscheidung des Ninth Circuit von 2002 seine Gültigkeit und seinen Präzedenzwert.
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Siehe Unocal, 395 F.3d at 953. Siehe Unocal, 395 F.3d at 954 – 56. 180 Siehe Doe v. Unocal Corp., 395 F.3d 978 (9th Cir. 2003). Eine en banc-Berufung wird in vom jeweiligen Circuit als außerordentlich wichtig erachteten Fällen zugelassen, siehe Fed. R. App. P. 35 (a). „En banc“ bedeutet, dass eine zweite Berufungsrunde zugelassen wird, bei der sämtliche Richter im Circuit – anstatt wie in normalen Fällen nur ein drei Richter-Senat – teilnehmen und abstimmen. Der damit verbundene Aufwand zeigt von der im Circuit wahrgenommenen Wichtigkeit der zu verhandelnden Rechtsfrage: Im Ninth Circuit müssen die meisten der 29 aktiven Richter u. a. aus Alaska und Hawaii nach Kalifornien fliegen, um an der außerordentlichen Berufung teilzunehmen. 181 Zu Sosa siehe Abschnitt B. III. dieses Kapitels, unten. 182 Siehe Douglas Branson, Holding Multinational Corporations Accountable? Achilles’ Heels in Alien Tort Claims Act Litigation, 9 Santa Clara J. Int’l L. 227, 229 – 230 Fn. 15 (2011). 183 Siehe Branson, Holding Multinational Corporations Accountable, S. 230 Fn. 15. 179
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3. Fazit Gemeinsam haben Unocal und die Holocaust-Klagen eine Zweite Welle von ATSKlagen gegen multinationale Unternehmen eingeleitet. Zunächst stellten die Holocaust-Klagen die Wirksamkeit von ATS-Klagen als Kontrollmechanismus für internationale Wirtschaftstätigkeiten unwiderlegbar unter Beweis. Gleichzeitig dienten die Holocaust-Verfahren als Modell für künftige ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften. Die Hoffnung der Menschenrechtsorganisationen war es, jede ATS-Klage gegen ein multinationales Unternehmen zu einem neuen HolocaustVerfahren zu machen: Auf der einen Seite sollte eine class action erhoben werden, die Haftung in Milliardenhöhe in Aussicht stellte. Auf der anderen Seite sollte der Sachverhalt der Klage als Basis einer rufschädigenden parallelen Medienkampagne dienen, die dem Beklagten einen außergerichtlichen Vergleich abnötigte. Damit sollte das ATS eine Kontrolle multinationaler Unternehmen durch Zivilklagen ermöglichen – und zwar ungeachtet der Erfolgsaussichten der jeweiligen ATS-Klage. Diesem Bestreben spielte die Entscheidung des Ninth Circuit in Unocal in die Hände. Unocals stark formulierter Grundsatz, dass internationale Unternehmen wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern durch ATSKlagen haftbar gemacht werden konnten, wirkte zu einem gewissen Grad wie ein zweites Filartíga184. Die bisherigen vereinzelten Bestreben, Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen durch ATS-Klagen zur Verantwortung zu ziehen, waren nun durch ein durchweg fundiertes Urteil eines angesehenen Berufungsgerichts für rechtens erklärt. Damit hatte die Rechtsprechung den dogmatischen Boden für die eben erwähnte Strategie der Menschenrechtsorganisationen bereitet. Es folgte eine Welle größerer ATS-Klagen gegen namhafte internationale Unternehmen aus aller Welt. Diese Arbeit wendet sich nun einer Zusammenfassung der Hauptströmungen dieser Rechtsprechung zu.
III. Die Rechtsprechung der Zweiten Welle Es ist unmöglich, die hunderten bis tausenden Gerichtsentscheidungen, die die Zweite Welle ausmachen, auch ansatzweise zu schildern. Aus diesem Grunde wird im Folgenden die Rechtsprechung der Zweiten Welle in Kategorien, die in der Fachliteratur üblich sind185, eingegliedert und anhand ihrer Leading Cases zusammengefasst präsentiert. Das Ziel dieses Kapitels ist es, ein Bild vom Umfang sowie 184 Vgl. hierzu z. B. Seibert-Fohr, Die Deliktshaftung von Unternehmen für die Beteiligung an im Ausland begangenen Völkerrechtsverletzungen – Anmerkungen zum Urteil Doe I v. Unocal Corp. des US Court of Appeal (9th Circuit), ZaöRV 2003, 195. 185 Vgl. hierzu Beth Stephens et al., International Human Rights Litigation in U.S. Courts (2006); Sarah Joseph, Corporations and Transnational Human Rights Litigation (2004).
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von der inhaltlichen Fortentwicklung der Zweiten Welle im angemessenen Rahmen zu geben. Die ATS-Rechtsprechung wird anhand von sechs Hauptströmungen dargestellt. Zunächst werden die frühen und unerfolgreichen Umweltschutzklagen sowie die viel berühmteren Klagen gegen die Rohstoffindustrie, die aus den Umweltschutzklagen wuchsen, dargelegt. Zweitens werden die leading cases des auch sehr medienträchtig gewordenen Bereichs der Arbeitnehmerrechte präsentiert. Drittens wendet sich dieses Kapitel einer kleineren Strömung, die sich mit Zwangsarbeit und Kinderarbeit befasst, zu. Viertens werden die sog. „historical justice“-Fälle – und unter diesen hauptsächlich die mittlerweile berüchtigten Apartheid-Klagen – dargelegt. Fünftens wird eine neuere Strömung der Rechtsprechung, die das ATS auf die Finanzierung terroristischer Angriffe erstreckt hat, zusammengefasst. Sechstens werden ATSKlagen gegen Technologiekonzerne, die mit der chinesischen Regierung kollaboriert haben, erwähnt. Das Kapitel schließt mit einer Übersicht der Zahlen und Statistiken zur Zweiten Welle. 1. Umweltschutzklagen und die Wende zu ATS-Klagen gegen die Rohstoffindustrie a) Internationaler Umweltschutz durch ATS-Klagen? Die ersten Versuche der Zweiten Welle fanden im Kontext internationalen Umweltschutzes statt. Dies war historisch bedingt. Auch lange bevor das ATS zum bevorzugten Mittel für das Vorgehen gegen internationale Gesellschaften wurde, träumten die NGOs der USA davon, multinationale Konzerne durch amerikanische civil actions für die von ihnen ausgehende Umweltschädigung zur Verantwortung zu ziehen. Die erste große Völkerrechtsklage gegen ein multinationales Unternehmen überhaupt ging Mitte der 1980er Jahre aus dem Bhopal-Desaster gegen den Raffinerie-Betreiber Union Carbide vor186. Obwohl sie erfolglos ausging, blieb die Durchsetzung internationalen Umweltrechts gegen Multinationale ein Herzensanliegen in Menschenrechtskreisen. Insbesondere hofften NGOs, den Stammeseinwohnern von rohstoffintensiven Gebieten der dritten Welt eine Entschädigungsmöglichkeit zu verschaffen, wenn Ausbeutungskonzerne aus Industrieländern nicht nur die Rohstoffe ihrer traditionellen Heimatsgebiete plünderten, sondern darüber hinaus diese Gebiete durch starke Verschmutzung in unbewohnbare Ödnisse verwandelten. Nach Filartíga und besonders nach Karadzic sahen viele NGOs im ATS das langersehnte Vehikel zur Durchsetzung internationaler Umweltrechtsnormen gegen
186 Siehe In re Union Carbide Corp. Gas Plant Disaster at Bhopal, India, 634 F. Supp. 842 (1986); Joseph, Corporations and Transnational Human Rights Litigation, a.a.O.
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Konzerne187. Gleich nach der Karadzic-Entscheidung gab es ATS-Klagen gegen Bergbaukonzerne, die in Indonesien bzw. Peru große Gebiete lebensgefährlich verschmutzt hatten188. In Beanal v. Freeport-McMoran betrieb das verklagte Bergbauunternehmen eine offene Tagebaugrube, dessen Abflüsse die Heimat des Amungme-Volkes im westlichen Papua Neu Guinea unbewohnbar gemacht und das Volk zur Umsiedlung gezwungen hatten189. Das Volk warf dem Beklagten „kulturellen Genozid“ durch Umweltverschmutzung als Völkerrechtsverletzung vor, da ihre traditionelle Lebensweise durch die Zerstörung ihrer Heimat nunmehr unmöglich war190. In Flores v. Southern Peru Copper Corp. betrieb das beklagte Unternehmen eine Schmelzhütte in einer Stadt an der peruanischen Küste191. Die Hütte stieß erhebliche Mengen an Schwefeldioxid und metallischem Feinstaub aus, was schwere Lungenerkrankungen der Stadtbewohner zur Folge hatte. Diese Bewohner erhoben eine ATS-Klage gegen Southern Peru und warfen ihm als Völkerrechtsverstoß eine Verletzung des völkerrechtlichen Grundrechts auf Leben und Gesundheit192 sowie eine Verletzung völkerrechtlicher Umweltschutznormen193 vor. 187
Für eine derartige zeitgenössische Auffassung siehe Hari Osofsky, Environmental Human Rights under the Alien Tort Statute: Redress for Indigenous Victims of Multinational Corporations, 20 Suffolk Transnat’l L. Rev. 335 (1996 – 1997), und Pauline Abadie, A New Story of David and Goliath: The Alien Tort Claims Act Gives Victims of Environmental Injustice in the Developing World a Viable Claim Against Multinational Corporations, 34 Golden Gate L. Rev. 745 (2004). 188 Siehe Beanal v. Freeport-McMoran, Inc., 969 F. Supp. 362 (E.D. La. 1997); 197 F.3d 161 (5th Cir. 1999); Flores v. Southern Peru Copper Corp., 414 F.3d 233 (2d Cir. 2003). 189 Siehe Beanal v. Freeport-McMoran, Inc., 969 F.Supp. 362 (E.D.La. 1997); 197 F.3d 161 (5th Cir. 1999). 190 Ein völkerrechtliches Verbot von „kulturellem Genozid“ leiteten die Kläger aus folgenden Dokumenten ab: Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (Art. 27: „In Staaten mit ethnischen … Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, … ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen“); Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 (Art. 1 (1): „Alle Völker haben das Recht … in Freiheit ihre … kulturelle Entwicklung [zu gestalten]“); Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Art. 22: „Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf … soziale und kulturelle Rechte …, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind“). Siehe Beanal, 197 F.3d at 168 Fn. 7. 191 Siehe Flores v. Southern Peru Copper Corp., 414 F.3d 233 (2d Cir. 2003). 192 Die Kläger behaupteten die Existenz eines völkerrechtlichen Grundrechts auf Leben und Gesundheit unter Berufung auf folgende internationale Dokumente: die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Art. 25: „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet“); Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Art. 12 (1): „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an“); und die Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung vom 14. Juni 1992 (Art. 1: „Die Menschen … haben das Recht auf ein gesundes und produktives Leben im Einklang mit der Natur“.) Siehe Flores, 414 F.3d at 254 – 55. 193 Die Existenz internationaler Normen zur Regelung von Schadstoffen leiteten die Kläger aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dessen Art. 6 (1) Fol-
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Diese Klagen wurden mit viel Hoffnung seitens der NGOs erhoben, da seit den 1970er Jahren eine erhebliche wissenschaftliche Literatur und seit den 1990ern eine wachsende Anzahl internationaler Erklärungen über internationalen Umweltschutz entstanden waren194. Das Ziel der Kläger war es, eine gerichtliche Erklärung zu erstreiten, dass Umweltverschmutzung per se als Menschenrechtsverletzung anzusehen war, weil sie schlechthin nicht ohne die Gefährdung grundliegender Menschenrechte machbar war. Allerdings erfuhren die Kläger schnell, dass die Gerichte weit weniger von der Existenz einklagbarer internationaler Umweltschutznormen überzeugt waren als sie. Wie es ein Richter in einer ATS-Klage gegen Texaco wegen Umweltverschmutzung in Ecuador ausdrückte: „[P]laintiffs’ imaginative view of this Court’s power must face the reality that United States district courts are courts of limited jurisdiction. While their power within those limits is substantial, it does not include a general writ to right the world’s wrongs“195.
Beanal und Flores wurden beide vollumfänglich abgewiesen. In Beanal befand der Fifth Circuit, dass völkerrechtliche Genozidsnormen nur Person, nicht Kulturen beschützen196. In Flores fand der Second Circuit die Klage in zweierlei Hinsicht mangelhaft. Erstens konnte das Gericht in einschlägigen Völkerrechtsquellen keine verbindlichen Umweltschutznormen finden: Auch wenn sich internationale Abkommen und wissenschaftliche Schriften in letzter Zeit gehäuft hätten, liege keine einheitliche staatliche Praxis zur Frage des Quantums zulässiger Ausstoß- bzw. Ausflussmengen vor197. Nach Ansicht des Gerichts bedeutete dies, dass die Staatengemeinschaft Luft- und Wasserschutz als rein innere Angelegenheit eines jeden Landes betrachtete198. Zweitens gab das Gericht zu, dass das Völkerrecht Grundrechte auf Leben und Gesundheit enthalten mag, verwarf dies jedoch als Anspruchsgrundlage für ATS-Klagen, weil Inhalt und Schranken dieser Grundrechte viel zu unbestimmt waren, um ihre Verletzung konsistent erkennen zu lassen199. Insofern konnten sie nicht als Völkerrechtsnormen im Sinne des ATS qualifiziert werden. gendes vorsieht: „Jeder Mensch hat ein angeborenes Recht auf Leben. … Niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden“. Nach Ansicht der Kläger musste die Zulassung lebensgefährlicher Umweltverschmutzung eine Verletzung dieser Norm nach sich ziehen. Siehe Flores, 414 F.3d at 257 – 58. 194 So z. B. die Quellen, aus denen die Beanal-Kläger verbindliche internationale Umweltschutznormen ableiten wollten: erstens die Abhandlung Principles of International Environmental Law I: Frameworks, Standards and Implementation (Phillip Sands ed,. 1995), und zweitens die UNO-Resolution unter dem Namen Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung (Erklärung der Vereinten Nationen von 14. Juni 1992), U.N. Doc. A/CONF. 15 1/5 rev.1 (1992). 195 Aguinda v. Texaco, Inc., 945 F. Supp. 625, 628 (S.D.N.Y. 1996). 196 Beanal, 197 F.3d at 167 – 68. 197 Flores, 414 F.3d at 258 – 59. 198 Flores, 414 F.3d at 259. 199 Flores, 414 F.3d at 255. In der plakativen Formulierung des Gerichts: „These principles are boundless and indeterminate“.
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Das Schicksal von Flores wiederholte sich in nachfolgenden ATS-Klagen gegen Konzerne, denen Umweltverschmutzung als Völkerrechtsverletzung zur Last gelegt wurde200. Wo Umweltschutznormen einen hinreichenden Grad an Bestimmtheit erlangt hatten, waren sie wegen mangelnder staatlicher Praxis nicht als verbindlich zu qualifizieren. Und wo anerkannte Menschenrechte durch Umweltverschmutzung verletzt wurden – wie etwa das Recht auf Leben und Gesundheit – waren diese Rechte inhaltlich zu unbestimmt, um als „violation of the law of nations“ im Sinne des ATS zu qualifizieren201. Etwa vier Jahre nach Erhebung von Beanal und Flores mussten Mitstreiter der Umweltschutzbewegung gestehen, dass ATS-Klagen aufgrund des Vorwurfs der Umweltverschmutzung nur „judicial hostility“ geerntet hatten202. Diese Erfolgslosigkeit dauert bis in die Gegenwart fort. Bis zur Veröffentlichung dieser Arbeit – d. h. fast 20 Jahre nachdem Karadzic Umweltschutzklagen möglich machte – hat bisher keine ATS-Klage, die aufgrund internationaler Umweltschutznormen erhoben wurde, irgendeinen Erfolg verbuchen können203. Bei allem Entgegenkommen der amerikanischen Bundesgerichte für Menschenrechtsverletzungen aus aller Welt ging Umweltschutz durch amerikanisches Gerichtsdekret zu weit204. Angesichts dieser Ergebnisse fanden die NGOs einen Strategiewechsel vonnöten. Sie verlegten ihren Fokus auf die Verletzung von in Erste Welle-Klagen bereits anerkannten Menschenrechten, die in der gewaltsamen Unterdrückung indigener Opposition gegen Umweltverschmutzung begangen wurden. Die Völker Nigerias205, 200 Siehe z. B. Sarei v. Rio Tinto, PLC, 550 F.3d 822 (9th Cir. 2008); Viera v. Eli Lilly & Co., No. 1:09-cv-495-RLY-DML, 2010 WL 3893791 (S.D. Ind. 2010); Okpabi v. Royal Dutch Shell, P.L.C., No. 11-14572, 2011 WL 5027193 (E.D. Mich. 2011). 201 „Despite considerable international discussion of the human rights violated by environmental destruction, the courts have held consistently that these claims do not rise to the level required by the ATS“. Stephens, International Human Rights Litigation in U.S. Courts, S. 64. 202 So das Fazit von Richard Herz, Litigating Environmental Abuses Under the Alien Tort Claims Act: A Practical Assessment, 40 Va. J. Int’l L. 545, 545 (1999 – 2000); siehe auch Kathleen Jaeger, Environmental Claims under the Alien Tort Statute, 28 Berkeley J. Int’l L. 519 (2010). 203 So die lapidare Feststellung eines Fachartikels aus 2010: „Starting with Amlon Metals, Inc. v. FMC Corp. in 1991, courts have addressed a number of environmental claims under the ATS. None of them has been successful“. Jaeger, Environmental Claims under the Alien Tort Statute, S. 526. 204 Dies hatte vermutlich mit der gespürten Anmaßung zu tun, die im Beurteilen der Souveränitätsausübung anderer Länder über die eigenen Gebiete und Ressourcen zwangsläufig mitgeschwungen wäre, vgl. z. B. Aguinda v. Texaco, Inc., 142 F. Supp. 2d 534, 537 & 551 (S.D.N.Y. 2001): „[T]hese [pollution] cases have everything to do with Ecuador and nothing to do with the United States. […] [T]he uncontested role of the Government of Ecuador in authorizing, directing, funding, and profiting from these activities necessarily lessens the United States’ interest in the litigation while further increasing that of Ecuador“. 205 Siehe z. B. Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88 (2d Cir. 2000); Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010), 133 S. Ct. 1659 (2013); Okpabi v. Royal Dutch Shell, P.L.C., No. 11-14572, 2011 WL 5027193 (E.D. Mich. 2011).
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Papua Neu Guineas206 und Sudans207 hatten sich nämlich gegen die Ausbeutung ihrer Heimatgebiete durch Förderungs- und Minenanlagen organisiert, wofür sie von ihrem jeweiligen Regime – angeblich auf Geheiß der involvierten Konzerne – gewaltsam niedergeschlagen wurden. Anstatt die Umweltverschmutzung an sich einzuklagen, klagten NGOs nun wegen Kriegsverbrechen, willkürlicher Inhaftierungen, Folterungen und außergerichtlicher Hinrichtungen, die die indigenen Völker nahe Förderungsgebieten bei der Durchsetzung ihrer Rechte erlitten hatten. Durch diesen Strategiewechsel wuchs aus dem Versuch, Konzerne wegen Umweltschädigung haftbar zu machen, eine Strömung der ATS-litigation, in der die sog. „extractive industry“ für die Menschenrechtsverbrechen der Regimes der dritten Welt durch ATS-Klagen verantwortlich gemacht wurde. b) ATS-Klagen gegen die Rohstoffindustrie In der Zweiten Welle folgte eine im Verhältnis übermäßige Quote signifikanter ATS-Klagen gegen die Teilnehmer der sog. Ausbeutungsinstudrie („extractive industry“)208. Hierunter fielen Öl- und Gasprospekteure209, Öl- und Gasförderer210 sowie Energieunternehmen211 und Bergbaukonzerne212. Solche Unternehmen er-
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Siehe Sarei v. Rio Tinto, PLC, 550 F.3d 822 (9th Cir. 2008). Siehe Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 582 F.3d 244 (2d Cir. 2009). 208 Siehe u. a. folgende Klagen: Aguinda v. Texaco, Inc., 945 F. Supp. 625 (S.D.N.Y. 1996); Jota v. Texaco, Inc., 157 F.3d 153 (2d Cir. 1998); Doe I v. Unocal Corp., 395 F.3d 932 (9th Cir. 2002); Nat’l Coalition Gov’t of the Union of Burma v. Unocal, Inc., 176 F.R.D. 329, 334 (C.D. Cal. 1997); Alomang v. Freeport-McMoran, Inc., Civ. A. No. 96-2139 (E.D. La. 1996); Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88 (2d Cir. 2000); Bowoto v. Chevron, 621 F. 3d 1116 (9th Cir. 2010); Flores v. Southern Peru Copper Corp., 414 F.3d 233 (2d Cir. 2003); Romero v. Drummond Co., 256 F. Supp. 2d 1250 (N.D. Ala. 2003), 552 F.3d 1303 (11th Cir. 2008); Doe v. ExxonMobil Corp., 473 F.3d 345 (D.C. Cir. 2007); Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 582 F.3d 244 (2d Cir. 2009); Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010); 133 S. Ct. 1659 (2013); Maugein v. Newmont Mining Corp., 298 F. Supp. 2d 1124 (D. Colo. 2004); Sarei v. Rio Tinto, PLC, 550 F.3d 822 (9th Cir. 2008); Mujica v. Occidental Petroleum Corp., 381 F.Supp. 2d 1164 (C.D.Cal. 2005), 564 F.3d 1190 (9th Cir. 2009); Shiguago v. Occidental Petroleum Co., No. 06-4982 (C.D. Cal. 2010); Mastafa v. Chevron Corp., 759 F. Supp. 2d 297 (S.D.N.Y. 2010); Saldana v. Occidental Petroleum Corp., No. CV-1:11-8957 (C.D. Cal. 2011); Bera v. Shell Petroleum Dev. Co. of Nigeria, No. 11-CIV8169 (S.D.N.Y. 2011); Okpabi v. Royal Dutch Shell, P.L.C., No. 11-14572 (E.D. Mich. 2011); Martinez v. BP P.L.C., No. 1:12-cv-308 (D.D.C. 2012); Cong v. Conocophillips Co., No. 12CV-1976 (S.D. Tex. 2012). 209 Z. B. Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88 (2d Cir. 2000). 210 Z. B. Mujica v. Occidental Petroleum Corp., 381 F. Supp. 2d 1164 (C.D.Cal. 2005). 211 Z. B. Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 582 F.3d 244 (2d Cir. 2009). 212 Z. B. Sarei v. Rio Tinto, PLC, 550 F.3d 822 (9th Cir. 2008). 207
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wiesen sich als „besonders anfällig“ für ATS-Klagen213. Die Gründe hierfür waren aus Sicht der NGOs offensichtlich: „[M]any of the most egregious human rights abuses have arisen in the context of natural resource disputes, whether in mining … or oil exploration[.] That’s not an accident: how resources are developed or extracted in the Global South is a highly contentious political issue, often pitting indigenous peoples against central governments, and many of those central governments are not particularly solicitous of human rights – especially when so much money is at stake“214.
Die sog. „extractive cases“ bildeten eine charaktergebende, einflussreiche und sehr umstrittene Strömung der Zweiten Welle. Der typische Sachverhalt einer ATSKlage gegen einen Rohstoffkonzern sah etwa so aus: Ein westliches Unternehmen erhält in einem von einem Militärregime regierten Staat eine Rohstoffkonzession und fängt an, den jeweiligen Rohstoff – z. B. Öl, Gas oder Minerale – zu fördern. Beim Bau und Betrieb von Förderanlagen werden ethnische Minderheiten aus ihren traditionellen Wohngebieten durch massive Verseuchung vertrieben. Die betroffene indigene Bevölkerung organisiert sich, aber ihre Proteste werden von einer Regierung gewaltsam niedergeschlagen. Danach wird eine ATS-Klage in den USA nicht gegen die Regierung, sondern gegen den Rohstoffkonzern erhoben. Ihm wird eine Beihilfe zu oder Teilnahme an den Menschenrechtsverletzungen des Regimes vorgeworfen. Die Kläger in diesem Verfahren sind nicht nur Einzelpersonen, sondern – dank der Vertretungsbefugnis der Class Action – alle Mitglieder der indigenen Bevölkerung. Die Größe solcher Verfahren und die Schwere ihrer Vorwürfe garantierten, dass ATS-Klagen gegen die Rohstoffindustrie hart verfochten und signifikante Rechtsprechung erzeugen würden: Bereits Mitte der 2000er Jahre sprach man von der Entwicklung einer „lex petrolea“ durch ATS-Klagen215. Im Folgenden werden Sachverhalt und Verfahrensverlauf der größeren und maßgeblichen „extractive cases“ zusammengefasst. aa) Wiwa und Kiobel: ATS-Klagen gegen Shell aus Nigeria Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co.216 und Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co.217 entstanden aus der Ölprospektion durch den britisch-niederländischen Ölkonzern 213 „The mining and energy industries were especially vulnerable [to ATS suits]“. Michael Goldhaber, The Life and Death of the Corporate Alien Tort, The American Lawyer, Oct. 12, 2010. 214 So die Auffassung von Prof. Jonathan Zasloff in One More For the Supreme Court Scorecard: Chief Justice Roberts Feels Very Sorry for Multinational Corporations, LegalPlanet, 30. Apr. 2013, aufrufbar unter http://legal-planet.org/2013/04/30/one-more-for-the-supremecourt-scorecard-chief-justice-roberts-feels-very-sorry-for-multinational-corporations/. 215 Siehe Luis Enrique Cuervo, The Alien Tort Statute, Corporate Accountability, and the New Lex Petrolea, 19 Tul. Envt’l L.J. 151 (2006). 216 Siehe Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 223 F.3d 88 (2000).
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Kap. 2: Die Zweite Welle
Shell an der Küste Nigerias. Seit 1958 fördert Shell Erdöl an der Mündung des NigerFlusses in den Atlantik-Ozean, wo sich das traditionelle Wohngebiet des OgoniStammes befindet. Shells Förderungstätigkeit soll die Gebiete der Ogoni massiv verseucht und unzählige Ogoni aus ihren Wohnräumen vertrieben haben. Gleichzeitig behielt die nigerianische Militärregierung die aus der Shell-Konzession gewonnenen Gelder für sich und sie hat die Ogoni, die eine ethnische Minderheit waren, politisch isoliert und aus Sozialleistungen ausgegrenzt. In den späten 1980er Jahren formte sich eine Protestbewegung, die 1990 in die Gründung der Organisation „Movement for the Survivial of the Ogoni People“ (MOSOP) mündete. MOSOP wurde hauptsächlich von neun Männern geleitet, den sog. „Ogoni Neun“, deren Präsident der Aktivist Ken Saro-Wiwa war. Gegen Ende 1992 forderte MOSOP Reparationen von Shell und eine verfassungsrechtliche Verbriefung der Rechte der Ogoni von der nigerianischen Regierung. Diese Forderungen wurden Ende 1993 in einer massiven friedlichen Demonstration bekräftigt, an der etwa 300.000 Ogoni teilgenommen haben sollen. Diese Entwicklungen beunruhigten Shell angeblich derart, dass es überlegte, sich aus Ogoni-Gebieten zurückzuziehen. Dies soll wiederum die nigerianische Regierung beunruhigt haben, die den Verlust der beträchtlichen Konzessionszahlungen fürchtete. Die Truppen der damals noch in Nigeria regierenden Militärjunta griffen mit einer Terrorkampagne gegen MOSOP ein. Von 1993 bis 1994 sollen Regierungstruppen tausende Ogoni zusammengeschlagen, festgenommen, inhaftiert, vergewaltigt, gefoltert und erschossen haben. Vier von den Ogoni Neun wurden ermordet. Die verbleibenden fünf Ogoni-Anführer wurden festgenommen und nach einem kurzen Schauprozess vor einem militärischen Sondertribunal zu Tode verurteilt. Ohne dass eine Revisionsmöglichkeit gewährt wurde, wurden die Anführer am symbolträchtigen neunten Tag nach ihrer Verurteilung hingerichtet. Aus diesen Vorfällen gingen zwei ATS-Klagen hervor: Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co. wurde von den Familienangehörigen des durch den Schauprozess ermordeten Aktivisten Ken Saro-Wiwa erhoben. Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. wurde von weiteren Ogonis eingeleitet, die oder deren Familienangehörige durch die gewaltsame Unterdrückung der Ogoni Menschenrechte erlitten hatten. Die Kiobel-Kläger ersuchten zudem die Zulassung einer class action, um die Ansprüche aller Ogoni, die durch die Terrorkampagne von 1993 – 1994 Menschenrechtsverletzungen erlitten hatten, mitvertreten zu dürfen218. Die Klagen richteten sich nicht gegen Nigeria, sondern gegen Shell. Denn obwohl nigerianische Truppen die Terrorkampagne gegen die Ogoni ausgeführt hatten, soll
217 Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010), 133 S. Ct. 1659 (2013). 218 Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., No. 02-CV-7618, 1st amended complaint (S.D.N.Y. May 14, 2004), para. 1 (Bezeichnung der Kläger als „residents of Ogoniland, Rivers State, Nigeria during any period between January 4, 1993 and May 28, 1999“).
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sie von Shell konzipiert, angeregt und geplant worden sein219. Um die Kampagne zu ermöglichen, soll Shell dem nigerianischen Militär „money, weapons, and logistical support“ inklusive „vehicles and ammunition used in the raids on [Ogoni] villages“ zur Verfügung gestellt haben220, sowie Angriffe auf Ortschaften beordert haben, wo Förderanlagen gebaut werden sollten221. Des Weiteren soll Shell an der Orchestrierung des Schauprozesses gegen die Ogoni-Neun mitgewirkt haben und Zeugen für eine Falschaussage gegen Ken Saro-Wiwa bestochen haben, um seine Hinrichtung zu sichern222. Die Kläger warfen Shell eine Beihilfe zu, Absprache zu oder Beteiligung an folgenden Menschenrechtsverletzungen vor: (a) Willkürliche Inhaftierungen; (b) Folter; (c) grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung; (d) außergerichtlichen Hinrichtungen; sowie (e) Verbrechen gegen die Menschlichkeit223. Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co. wurde im November 1996 vor dem Southern District of New York eingeleitet224. Im September 1998 wies der District Court die Klage wegen forum non conveniens ab225. 2000 hob der Second Circuit diese Entscheidung auf und wies das Verfahren zur Wiederaufnahme an den District Court zurück226. In seinem Urteil bejahte der Second Circuit einen allgemeinen Gerichtsstand für Shell in New York aufgrund der Kontakte seines in New York City befindlichen Investor Relations Office227. 2006 hat der District Court die Ansprüche der Kläger zum Teil abgewiesen aber Ansprüche wegen Folter, willkürlicher Inhaftierung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit für die Hauptverhandlung vor der Jury zugelassen228. Im Juni 2009 sollte die Hauptverhandlung stattfinden. Gleich vor Anfang des Jury-Verfahrens haben sich die Parteien in Höhe von $ 15,5 Millionen außergerichtlich verglichen229.
219
Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88, 92 (2d Cir. 2000). Wiwa, 226 F.3d at 92 – 93. 221 Siehe Wiwa, 226 F.3d at 93. 222 Siehe Wiwa, 226 F.3d at 93. 223 Siehe Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., No. 96-Civ.-8386, Doc. 1 (Complaint) (Nov. 8, 1996), para. 16 ff. 224 Siehe Wiwa, No. 96-Civ.-8386, Doc. 1. 225 Siehe Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., No. 96-Civ.-8386 (Sept. 25, 1998). 226 Siehe Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 223 F.3d 88 (2d Cir. 2000). 227 Für eine detaillierte Darlegung dieser Entscheidung des Second Circuit, siehe Abschnitt B. II. 2. a) bb) dieses Kapitels, unten. 228 Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 456 F. Supp. 2d 457 (S.D.N.Y. 2006). 229 Siehe Statement of the Plaintiffs in Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co. of June 8, 2009, aufrufbar unter http://ccrjustice.org/files/Wiwa_v_Shell_Statement_of_Plaintiffs-1.pdf. Der Vergleich sollte zu folgenden Zwecken verwendet werden: „The settlement will create The Kiisi Trust. The name ,kiisi‘ means ,progress‘ in our Ogoni languages. This Trust will allow for initiatives in Ogoni for educational endowments, skills development programmes, agricultural development, women’s programmes, small enterprise support, and adult literacy. The settlement will also provide funds to compensate the Plaintiffs for their injuries“. 220
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Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. wurde erst im Jahr 2002 vor dem Southern District of New York eingeleitet230. 2006 ließ der District Court die Ansprüche der Kläger wegen Folter, willkürlicher Inhaftierung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Discovery zu231. Gegen diese Entscheidung legte Shell Rechtsmittel ein und das Verfahren wurde vom Second Circuit zur außerordentlichen Berufung angenommen. 2010 hob der Second Circuit die Zulassung von Kiobel durch den District Court auf und wies sämtliche Ansprüche der Kläger ab232. In einer Grundsatzentscheidung legte der Second Circuit fest, dass Kapitalgesellschaften keine Völkerrechtssubjekte sind und deswegen nicht für Menschenrechtsverletzungen haften können233. Diese Entscheidung wurde vom Supreme Court zur Revision angenommen. 2013 hat der Supreme Court eine eigene Grundsatzentscheidung verkündet, in der es die Anwendbarkeit von ATS-Ansprüchen auf Rechtsverletzungen auf amerikanischem Hoheitsgebiet beschränkte234. Auf Basis dieser Entscheidung wurde Kiobel rechtskräftig abgewiesen. bb) Bowoto: ATS-Klage gegen Chevron aus Nigeria Bowoto v. Chevron235 bildete neben Wiwa und Kiobel eine dritte große ATS-Klage aus der Ölförderung in Nigeria. Gegenstand der Klage war die gewaltsame Niederschlagung eines Protests gegen Ölförderung sowie nachfolgende Repressalien gegen einen nigerianischen Stamm. Der amerikanische Rohstoffkonzern Chevron fördert seit Jahrzehnten Öl an Küstenregionen Nigerias. In Sumpfgebieten des NigerDeltas wohnt auch der kleine indigene Stamm der Ilaje. Chevrons Förderung soll die traditionellen Heimatgebiete der Ilaje derart verseucht haben, dass die existenzsichernden Tätigkeiten des Stammes, Ackerbau und Fischfang, nicht mehr möglich waren236. Eine weitere Folge der Förderung soll erhebliche Erosion des Deltas gewesen sein, sodass manche Ilaje-Dörfer unter Wasser versetzt wurden. 1998 gründeten Mitglieder der Ilaje eine Organisation namens „Concerned Ilaje Citizens“ (CIC), um die Interessen der Ilaje gegenüber Chevron und der nigerianischen Regierung geltend zu machen. Als Reaktion auf Chevrons Weigerung, an 230 Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., No. 02-CIV-7618, Doc. 1 (Complaint) (S.D.N.Y. ****, 2002). 231 Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 456 F. Supp. 2d 457 (S.D.N.Y. 2006). 232 Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010). 233 Für eine detaillierte Darlegung siehe Abschnitt B. V. 7. dieses Kapitels, unten. 234 Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013). Für eine detaillierte Darlegung der Entscheidung des Supreme Court siehe Abschnitt B. VI. 5. dieses Kapitels, unten. 235 Siehe Bowoto v. Chevron Corp., 312 F. Supp. 2d 1229 (N.D. Cal. 2004), 621 F.3d 1116 (9th Cir. 2010). 236 Siehe die Darstellung der klageführenden Menschenrechtsorganisation Center for Constitutional Rights, „Bowoto v. Chevron: International Human Rights Litigation Fact Sheet“, aufrufbar unter http://ccrjustice.org/files/Chevron_Basic_Facts.pdf.
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Gesprächen teilzunehmen, organisierte CIC einen Protest. Am 25. Mai 1998 fuhren über 100 Ilaje – unter ihnen Larry Bowoto – zu einer Bohrinsel Chevrons, die sie besetzten und lahmlegten. Sie teilten Chevron mit, Chevron müsse mit ihren Stammesführern verhandeln, damit sie die Bohrinsel wieder freigeben237. Am dritten Tag der Besetzung griffen nigerianische Truppen ein238. Hubschrauber eröffneten das Feuer auf die Besetzer, wonach die Insel von Truppen gestürmt wurde. Anführer der Besetzer sollen vom Militär in Haft genommen, monatelang ohne Anklage im Militärgefängnis inhaftiert und von Verhörleitern gefoltert worden sein. Im folgenden Jahr soll eine weitere Vergeltungsaktion des nigerianischen Militärs stattgefunden haben. Ein Militärhubschrauber soll zwei Ilaje-Dörfern ohne Provokation unter Beschuss genommen haben, wonach Truppen in die Dörfer einmarschierten und sie in Brand setzten239. Aufgrund dieser Ereignisse wurde 1999 eine ATS-Klage unter dem Namen Bowoto v. Chevron Texaco Corp. vor dem Northern District of California erhoben. Die Kläger warfen Chevron vor, das nigerianische Militär zum gewaltsamen Angriff auf die Besetzer der Bohrinsel angeregt zu haben sowie die Hubschrauber, die beim Angriff zum Einsatz kamen, selbst besorgt zu haben. Des Weiteren sollen ChevronFahrzeuge und Chevron-Mitarbeiter an den Angriffen auf Ilaje-Dörfer beteiligt gewesen sein. Aus Sicht der Kläger begründeten diese Handlungen Chevrons Beihilfe zu folgenden Menschenrechtsverletzungen: (a) grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung; (b) Folter; (c) außergerichtlichen Hinrichtungen; und (d) Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 2004 hat der District Court die Ansprüche gegen Chevron zu Discovery zugelassen240. Die Entscheidung des District Court war in der Entwicklung der ATSRechtsprechung wichtig, weil sie die zweite Gerichtsentscheidung nach Unocal war, die die Zulässigkeit der Beihilfehaftung in ATS-Klagen bejahte241. Darüber hinaus berief sich das Gericht auf eine weitgehende Theorie der Durchgriffshaftung aufgrund des „agency“-Tests, um Chevron die Haftung seiner nigerianischen Tochter zuzurechnen242. Nach der Entscheidung des Supreme Court in Sosa v. Alvarez237 Ob die Besetzung der Bohrinsel friedlich verlief, wurde von beiden Seiten bestritten. Laut den Klägern waren sie unbewaffnete und friedliche Demonstranten, die gegen die Verseuchung ihrer Heimat protestierten (so die Darstellung des eben zitierten „Fact Sheet“ des Center for Constitutional Rights). Chevron hingegen beschreibt die Besetzung als eine Art Geiselnahme von gewaltbereiten Außenseitern, die keine Jobs in der Ölindustrie von den IlajeStammesführern zugeteilt bekommen hatten und deswegen nun versuchten, Geld und Arbeitsplätze von Chevron zu erpressen. Für Chevrons Darstellung der Vorfälle siehe: „Background: Hostage Takers Sue Chevron“, April 2009, aufrufbar unter http://www.chevron.com/ bowoto/background/. 238 Siehe Bowoto v. Chevron Texaco Corp., 312 F. Supp. 2d 1229, 1233 (N.D. Cal. 2004). 239 Siehe Bowoto, 312 F. Supp. 2d at 1233. 240 Siehe Bowoto, 312 F. Supp. 2d at 1232 ff. 241 Siehe Bowoto, 312 F. Supp. 2d at 1247 – 1248. 242 Siehe Bowoto, 312 F. Supp. 2d at 1238 ff.
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Machain243 beantragte Chevron die Abweisung des Verfahrens erneut. Das Gericht wies den Antrag zurück. Es befand, dass die Ansprüche der Kläger Verletzungen von „specific, universal and obligatory“ Völkerrechtsnormen im Sinne von Sosa darstellten244. Des Weiteren bekräftigte das Gericht, dass ATS-Ansprüche weltweite Gültigkeit genießen, weil sie dem Weltrechtsprinzip unterliegen245. Es ließ die Ansprüche der Kläger zur Hauptverhandlung vor einer Jury zu. Im Oktober 2008 kam Bowoto zur Hauptverhandlung vor der Jury. Damit war Bowoto das zweite ATS-Verfahren gegen eine Kapitalgesellschaft, die bis zur JuryVerhandlung vorgeschritten war246. Nach etwa drei Wochen der Beweisaufnahme sprach die Jury Chevron einstimmig von jeder Beihilfe zu einer Menschenrechtsverletzung frei. cc) Rio Tinto: Klage wegen Bergbau und Bürgerkrieg in Papua Neu Guinea Sarei v. Rio Tinto, PLC war eine ATS-Klage der indigenen Bewohner der Insel Bougainville (ein Teil von Papua-Neuguinea) gegen Rio Tinto, einen australischbritischen Bergbaukonzern mit Sitz in London. Gegenstand der Klage war ein langanhaltender Konflikt zwischen den Bougainville-Bewohnern und der papuaneuguineischen Regierung, der angeblich durch Rio Tinto ausgelöst wurde. In den 1960er Jahren schloss Rio Tinto ein Abkommen mit Papua-Neuguinea zum Betrieb von Gold- und Kupferminen auf Bougainville247. Zur Erschließung des Minengeländes sollen tausende indigene Inselbewohner durch Sondereinheiten der papua-neuguineischen Polizei gewaltsam vertrieben worden sein. Nach Aufnahme der Minentätigkeit im Jahr 1974 wurde die Bougainville-Mine zur größten offenen Kupfertagebaugrube der Welt. Rio Tinto soll die erheblichen Abfallprodukte der Mine ungeklärt in das Flusssystem Bougainvilles und in die Luft geleitet haben, was zur Zerstörung der traditionellen Lebensräume sowie zu erheblichen Gesundheitsschäden der lokalen Bevölkerung führte248. Des Weiteren soll Rio Tinto seine 243
Im Abschnitt B. III. 4. dieses Kapitels dargelegt. Siehe Bowoto v. Chevron Corp., 557 F. Supp. 2d 1080 (N.D. Cal. 2008). 245 Siehe Bowoto, 557 F. Supp. 2d at 1090 ff. 246 Das erste Jury-Verfahren der Zweiten Welle fand im Falle Romero v. Drummond Co. statt, der im unteren Abschnitt A. III. 2. b) bb) dieses Kapitels geschildert wird. 247 Siehe Sarei v. Rio Tinto, Plc, 221 F. Supp. 2d 1116, 1121 ff. (C.D. Cal. 2002). 248 „Plaintiffs allege that … the mine produced more than one billion tons of waste. After the waste … was removed from the mine pit, it was allegedly deposited into the Kawerong-Jaba river system. Plaintiffs contend that, in this fashion, fertile river valleys were turned into wasteland, entire forests died, and three thousand hectares of land were completely destroyed. They further contend that a significant portion of the tailings placed in the Jaba River were ultimately deposited into Empress Augusta Bay, destroying the fish that were a major food source for the Bougainvilleans. Mining operations in Bougainville allegedly polluted not only the island’s waterways, but also its atmosphere. Plaintiffs assert that ,[d]ust clouds from the 244
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schwarzen Mitarbeiter unter sklavenähnlichen Bedingungen gehalten und viel schlechter als weiße Mitarbeiter bezahlt haben. Die papua-neuguineische Regierung sah angeblich über diese Missstände hinweg, weil sie jährlich 19,1 % der Gewinne der Rio Tinto-Mine erhielte. Als Reaktion auf die „unglaublich“ werdende Ausbeutung saboierten 1988 schwarze Mitarbeiter die Mine durch eine Reihe von Angriffen, was zur Lahmlegung des Minenbetriebs sowie zu einem Aufbegehren der Bevölkerung Bougainvilles führte249. Rio Tinto soll darauf der Regierung von Papua-Neuguinea mit der Schließung der Mine gedroht haben, falls sie keine Maßnahmen zur Beendigung der Sabotage ergreifen sollte. Die Regierung soll danach Truppen nach Bougainville beordert haben, um den Aufstand niederzuschlagen. Mehrere Dörfer in Bougainville wurden angegriffen und viele Zivilisten wurden erschossen. Als Reaktion auf diese Gewalttaten stimmte die Bevölkerung Bougainvilles für die Unabhängigkeit von Papua-Neuguinea, was einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg auslöste250. Während dieses Konflikts beging die papua-neuguineische Armee schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen: Zivilisten wurden willkürlich inhaftiert, gefoltert, vergewaltigt und getötet. Dörfer sollen in Brand gesteckt und durch Luftbombardement vernichtet worden sein. Die Armee nahm sogar eine Blockade der Insel vor, um die Zufuhr lebensnotwendiger Artikel wie Lebensmittel, Arzneimittel und Kleider abzuschneiden. Die Blockade führte zum Tod von geschätzten 10.000 Menschen. In November 2000 erhoben 21 Bewohner von Bougainville eine ATS-Klage unter dem Namen Sarei v. Rio Tinto, PLC gegen Rio Tinto vor dem Central District of California251. Die Kläger behaupteten, dass die Mine auf Bougainville als joint venture zwischen Rio Tinto und der papua-neuguineischen Regierung anzusehen war252. Rio Tinto habe seinen staatlichen Geschäftspartner zur gewaltsamen Unterdrückung der Sabotage seiner Mine aufgefordert. Des Weiteren habe Rio Tinto den Krieg gegen die Bevölkerung Bougainvilles sowie die Fortführung der Blockade angestiftet, indem es der Regierung mit Schließung der Mine drohte, sollte sie ihre Truppen zurückziehen. Als Ergebnis sei Rio Tinto für folgende Menschenrechtsverletzungen verantwortlich: (a) Völkermord; (b) Kriegsverbrechen; (c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit; und (d) grausame, unmenschliche oder erniedrigende
mining operations combined with emissions from the copper concentrator,created a poisonous mix which polluted the air‘. As a result of this air pollution, the number of Bougainvilleans suffering from respiratory infections and asthma purportedly increased“. Rio Tinto, 221 F. Supp. 2d at 1123. 249 Rio Tinto, 221 F. Supp. 2d at 1124. 250 Siehe Rio Tinto, 221 F. Supp. 2d at 1126 ff. 251 Siehe Sarei v. Rio Tinto, Plc, No. 00-Civ-11695, Doc. 1 (Complaint) (C.D. Cal. Nov. 2, 2000). 252 Siehe Rio Tinto, 221 F. Supp. 2d at 1128 ff.
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Behandlung. In der Klageschrift beantragten die Kläger die Zulassung einer class action, um die Ansprüche aller Bewohner von Bougainville mitvertreten zu können. Rio Tinto machte mehrere Züge durch die Instanzen des Ninth Circuit durch. 2002 wies das Central District of California sämtliche Ansprüche der Kläger als nicht justiziable politische Fragen ab253. Allerdings hob 2006 ein Senat der Ninth Circuit diese Entscheidung auf und ordnete die Wiederaufnahme des Verfahrens an254. Gegen die Entscheidung des Senats stellte Rio Tinto einen Antrag auf eine en bancNeuverhandlung, um vor dem vollständig versammelten Ninth Circuit zu argumentieren, dass das Völkerrecht die erstmalige Erschöpfung des lokalen Rechtswegs in ATS-Klagen erfordert. Der Ninth Circuit ließ die Neuverhandlung zu und verkündete 2008 ein Erfordernis der Erschöpfung für ATS-Klagen: Wenn weder starke Inlandsbezüge noch Universalstraftaten vorlägen, seien ATS-Klagen erst nach Erschöpfung des ausländischen Rechtswegs zulässig255. Das Verfahren wurde an den District Court zurückverwiesen, um feststellen zu lassen, ob in Rio Tinto die Erschöpfung des papua-neuguineischen Rechtswegs von den Klägern erfordert werden sollte. Der District Court befand, dass Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit „matters of universal concern“ darstellten und deswegen auch ohne Erschöpfung des ausländischen Rechtswegs zulässig waren256. Gegen diese Entscheidung legte Rio Tinto erneut Rechtsmittel beim Ninth Circuit ein und ein zweites en banc-Berufungsverfahren wurde zugelassen. 2011 hat der Ninth Circuit in einer Grundsatzentscheidung die Zulässigkeit der Ansprüche gegen Rio Tinto bestätigt257. Aus der Entscheidung des Ninth Circuit gingen folgende rechtliche Feststellungen hervor: (a) ATS-Tatbestände genießen einen weltweiten Anwendungsbereich258 ; (b) Kapitalgesellschaften sind Völkerrechtssubjekte, die für Menschenrechtsverletzungen haften259 ; (c) Haftung wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen ist in ATS-Klagen zulässig260; und (d) Menschenrechtsverletzungen im Sinne des ATS sind keine nicht justiziable politische Fragen261. Des Weiteren bestätigte der Ninth Circuit, dass Völkermord und Kriegsverbrechen „matters of universal concern“ waren, die ohne erstmalige Erschöpfung des ausländischen Rechtswegs zulässig seien262. 253
Sarei v. Rio Tinto, Plc, 221 F. Supp. 2d 1116 (C.D. Cal. 2002). Sarei v. Rio Tinto, Plc., 456 F.3d 1069 (9th Cir. 2006), 487 F. 3d 1193 (9th Cir. 2007) (superceding opinion). 255 Sarei v. Rio Tinto, Plc, 550 F.3d 822 (9th Cir. 2008) (en banc). 256 Sarei v. Rio Tinto, Plc, 650 F. Supp. 2d 1004 (C.D. Cal. 2009). 257 Sarei v. Rio Tinto, PLC, 671 F.3d 736 (9th Cir. 2011) (en banc). 258 Rio Tinto, 671 F.3d at 744 – 747. Zur Debatte über extraterritoriale Anwendung von ATS-Tatbeständen siehe Abschnitt B. IV. 5. dieses Kapitels, unten. 259 Rio Tinto, 671 F.3d at 747 – 748. Zur Debatte über die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften siehe Abschnitt B. V. 7. dieses Kapitels, unten. 260 Rio Tinto, 671 F.3d at 748 – 749. 261 Rio Tinto, 671 F.3d at 754 – 758. 262 Rio Tinto, 671 F.3d at 758 ff. 254
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Das Verfahren wurde zur Wiederaufnahme an den District Court zurückgewiesen und ging in die Discovery-Phase über. Aber 2013 hob der Supreme Court aufgrund seiner Entscheidung in Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co.263 die Entscheidung des Ninth Circuit von 2011 auf264. Kurz danach wies der Ninth Circuit Rio Tinto unter Berufung auf die Kiobel-Entscheidung vollumfänglich und rechtskräftig ab265. dd) Doe v. ExxonMobil Corp.: ATS-Klagen wegen Gasförderung in Indonesien Die ATS-Klage Doe v. ExxonMobil Corp.266 ging aus der Erdgasförderung in Indonesien hervor. Gegenstand der Klage waren Übergriffe von angeheuerten Sicherheitstruppen auf die Bevölkerung in der Nähe von Exxon-Förderanlangen. In den 1970er Jahren hat Exxon eine Konzession von der indonesischen Regierung erhalten, um in der Aceh-Provinz, die an der nördlichen Spitze der Insel Sumatra liegt, Erdgas zu fördern. Ab 1977 betrieb Exxon mehrere Förderungsanlagen auf indonesischem Gebiet, deren Fördergut durch Pipelines zu einer riesigen Verflüssigungsanlage in der Aceh-Provinz zusammenfloss267. Die Insel Sumatra und insbesondere die Aceh-Provinz ist die Heimat von Separatisten, die einen langen Guerilla-Krieg gegen die indonesische Regierung führen268. Die Separatisten assoziierten Exxon-Anlagen mit der Regierung und griffen diese sowie Exxon-Mitarbeiter vermehrt an. Während der 1990er Jahre hat sich der Konflikt zwischen Separatisten und Regierung derart intensiviert, dass Exxon es für nötig hielte, seine Anlagen auf Sumatra zu sichern. Exxon heuerte hierfür eine Einheit der indonesischen Armee als Sicherheitstruppen an, um die Verflüssigungsanlage sowie die Pipelines durch die Aceh-Provinz vor Guerilla-Übergriffen zu sichern269. Diese Einheit soll jedoch offenbar ganz im Sinne der Regierung eine Säuberungskampagne gegen die Bevölkerung, die in der Nähe von Exxon-Anlagen wohnte, betrieben haben. Truppen haben angeblich Siedlungen und Dörfer überfallen und dabei Dorfbewohner geschlagen, gefoltert, vergewaltigt und getötet. 2001
263
Zur Kiobel-Entscheidung siehe Abschnitt B. VI. 5. dieses Kapitels, unten. Siehe Rio Tinto, Plc. v. Sarei, No. 11-649 (U.S. Sup. Ct. April 22, 2013). 265 Siehe Sarei v. Rio Tinto, Plc., No. 02-56256 (9th Cir. June 28, 2013). 266 Siehe Doe v. ExxonMobil Corp., 393 F. Supp. 2d 20 (D.D.C. 2005), 473 F.3d 345 (D.C. Cir. 2007), 654 F. 3d 11 (D.C. Cir. 2011). 267 Siehe hierzu Michael Schuman & Thaddeus Herrick, Exxon Mobil’s Gas Shutdown In Aceh Shows Unrest’s Cost, Wall Street Journal, Apr. 4, 2001, aufrufbar unter http://online.wsj. com/news/articles/SB986332572505839907. 268 Siehe Doe v. ExxonMobil Corp., 393 F. Supp. 2d 20, 22 (D.D.C. 2005). 269 Siehe ExxonMobil, 393 F. Supp. 2d at 22. 264
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wurden die Gefechte zwischen Armee und Separatisten so heftig, dass Exxon seine Verflüssigungsanlage stilllegen musste270. Im Juni 2001 leiteten elf Einwohner der Aceh-Provinz eine ATS-Klage gegen ExxonMobil unter dem Namen Doe v. ExxonMobil Corp. vor dem District Court for District of Columbia ein. Nach Darlegung der Kläger hatte Exxon Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen der indonesischen Armee geleistet. Den Vorwurf der Beihilfe begründeten die Kläger mit der Behauptung, Exxon habe gewusst, dass indonesische Soldaten als Vertreter der Armee auch als Sicherheitsdienstleister ihren Krieg gegen die Aceh-Bevölkerung fortführen würden271. Trotz dieses Wissen habe Exxon indonesische Soldaten als Sicherheitsdienstleister engagiert, ausgebildet, mit Waffen ausgerüstet und täglich logistisch unterstützt272. Aus diesem Grund habe Exxon Beihilfe zu folgenden Menschenrechtsverletzungen geleistet: (a) willkürliche Inhaftierung; (b) grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung; (c) Folter; (d) Genozid; (e) Kriegsverbrechen; und (f) Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 2005 wies der District Court sämtliche Ansprüche der Kläger ab273. Der District Court befand, dass Haftung wegen Beihilfe in ATS-Klagen ausgeschlossen war274, und dass keine enge Zusammenarbeit zwischen Exxon und dem indonesischen Militär nachgewiesen worden war, die einen Befund haftungsbegründender „joint action“ im Sinne der Karadzic-Entscheidung275 tragen könnte276. 2011 hob ein Senat des DC Circuit die Entscheidung des District Court auf277. Die Entscheidung des Berufungsgerichts war eine Grundsatzentscheidung, die Folgendes festlegte: (a) ATS-Tatbestände sind universal bzw. extraterritorial anwendbar278; (b) Haftung wegen Beihilfe ist in ATS-Klagen zulässig279; und (c) Kapitalgesellschaften können nach dem ATS für Menschenrechtsverletzungen haften280. Der DC Circuit wies das Verfahren an den District Court zur Wiederaufnahme unter einer Theorie der Beihilfehaftung zurück.
270 Die Schließung soll Exxon nicht zu sehr geschmerzt haben „,[The Aceh plant is] past its prime‘ says Fadel Gheit, an analyst at Fahnestock & Co. in New York. ,The growth potential is not there‘“. Schuman/Herrick, Exxon Mobil’s Gas Shutdown, a.a.O. 271 Siehe ExxonMobil, 393 F. Supp. 2d at 22. 272 Siehe ExxonMobil, 393 F. Supp. 2d at 22. 273 Siehe Doe v. Exxon Mobil Corp., 393 F. Supp. 2d 20 (D.D.C. 2005). 274 Exxon Mobil, 393 F. Supp. 2d at 24. 275 Siehe Kapitel 1, Abschnitt B. III. 4. c) cc). 276 Exxon Mobil, 393 F. Supp. 2d at 26 ff. 277 Siehe Doe v. Exxon Mobil Corp., 654 F. 3d 11 (D.C. Cir. 2011). 278 Siehe Exxon Mobil., 654 F.3d at 20 – 28. 279 Siehe Exxon Mobil, 654 F.3d at 32 – 39. 280 Siehe Exxon Mobil, 654 F.3d at 40 – 57.
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Im Juli 2013 hob jedoch der DC Circuit sua sponte seine Grundsatzentscheidung von 2011 unter Berufung auf die Kiobel-Entscheidung des Supreme Court auf281. Es wies das Verfahren gegen Exxon abermals an den District Court zurück, um seine Zulässigkeit nach den Territorialitätsmaßstäben von Kiobel erneut zu prüfen. Die Klage befindet sich momentan im Stadion des Vorverfahrens. ee) Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc.282 Die ATS-Klage Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc. entstand durch die Ölförderung im Sudan. Seit circa 1955 befindet sich das Land Sudan in einem Bürgerkrieg283. Der arabisch-muslimische Norden kämpft gegen den christlich-afrikanischen Süden. Ein von Ägypten vermitteltes Abkommen sorgte 1972 für einen kurzen Frieden, aber nach einem gescheiterten Putschversuch des Südens fing 1983 die (im Norden ansässige) Regierung an, Sudan in einen islamistischen Staat zu verwandeln. Im Süden führte dies zur Wiederaufnahme bewaffneter Feindseligkeiten. 1989 setzte das Militär des Nordens die gewählte Regierung ab und regierte fortan durch einen islamistischen „Revolutionären Befehlsrat für Nationale Erlösung“. Neben der Einführung von Scharia-Gesetzgebung beschloss die Armee eine militärische Säuberungskampagne gegen die Bewohner des Südens, um durch Ermordung, Sklaverei und Zwangsschwangerschaften sudanesische Gebiete von Christen und ethnischen Afrikanern zu ,bereinigen‘. Im Jahre 1979 entdeckte Chevron Ölvorkommen im Süden von Sudan und erhielt eine Konzession von der sudanesischen Regierung284. Der Bürgerkrieg aber zwang Chevron zur Einstellung sämtlicher Förderungsprojekte, nachdem 1984 einige Chevron-Mitarbeiter getötet wurden. 1988 verkaufte Chevron seine Konzession an Arakis, einen kanadischen Ölkonzern, unter dem Verständnis, dass „military action“ zur Erschließung und Sicherung der Förderungsgebiete erforderlich sein würde. 1998 kaufte der kanadische Rohstoffkonzern Talisman Energy („Talisman“) Arakis mitsamt seiner sudanesischen Konzessionen. Die Konzession berechtigte Talisman zur Ölförderung auf fast 5 Millionen Hektar im Süden Sudans. Angeblich bezweckte die (nord)sudanesische Militärregierung, die Ölförderung im Süden für ihre Säuberungskampagne gegen Christen und Afrikaner einzuspannen285. Konzessionen sollen unter dem Verständnis erteilt worden sein, dass das Militär eine schützende „Pufferzone“ rund um geplante Förderungsanlagen für investierende Konzerne leerräumen würde. Im Gegenzug sollten Konzerne der Regierung versprochen haben, die für eine Militärkampagne nötige Infrastruktur wie 281
Doe v. Exxon, No. 09-7125 (D.C. Cir. July 26, 2013). Siehe 582 F.3d 244 (2d Cir. 2009). 283 Siehe Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 244 F. Supp. 2d 289, 297 – 298 (S.D.N.Y. 2003). 284 Siehe Talisman, 244 F. Supp. 2d at 298. 285 Siehe Talisman, 244 F. Supp. 2d at 299. 282
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Straßen, Flugplätze und Kommunikationsnetzwerke zu erbauen, auch wenn diese Infrastruktur gleichenteils der Ölförderung dienen sollte. Insofern soll die Konzessionspolitik der Militärregierung nicht nur die Entvölkerung der Gebiete um Förderanlagen, sondern auch die logistische und finanzielle Unterstützung eines jihad gegen den Süden zum Ziel gehabt haben. Im November 2001 erhoben sudanesische Christen eine ATS-Klage unter dem Namen Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc. vor dem Southern District of New York gegen Talisman286. Die Kläger ersuchten gleichzeitig die Zulassung einer class action, um die Ansprüche aller sudanesischen Christen und Afrikaner mitvertreten zu können287. Ihr Vortrag legte zum einen dar, dass militärische Angriffe auf ihre Dörfer in Folterungen, Vergewaltigungen, Vertreibungen, Versklavungen sowie Morden geführt hatten. Zum anderen legten die Kläger dar, dass ihre Dörfer durch Luftbombardements zerstört worden seien, um „Pufferzonen“ für Förderanlagen freizumachen, und dass diese Bombardements ihre Familienangehörigen schwer verletzt und umgebracht hätten. Die Kläger machten folgende ATS-Ansprüche geltend: (a) Völkermord; (b) Kriegsverbrechen; (c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit; (d) Folter; (e) Sklaverei; sowie (f) außergerichtlichen Hinrichtungen. Talismans Haftung für diese Verletzungen stützen die Kläger auf seine angebliche Beihilfe zu den kriegerischen Tätigkeiten des nordsudanesischen Regimes288. Talisman habe mit Regierungsvertretern zusammengearbeitet, um einen Sicherheitsplan für seine Ölfelder zu entwickeln, sowie eigene Militärberater engagiert, um Strategie mit der sudanesischen Armee zu koordinieren289. Insofern habe Talisman gewusst, dass seine Investition die militärische Zerstörung sudanesischer Siedlungen zur Folge haben würde. Des Weiteren habe Talisman ein Straßennetzwerk und Flugplätze gebaut, die die sudanesische Armee als Ausgangspunkte für Angriffe auf Zivilisten benutzt habe290. Schließlich hätten Talismans Konzessionsabgaben an die sudanesische Regierung deren Säuberungskrieg gegen Christen und Afrikaner finanziert291. Auf dieser Grundlage behaupteten die Kläger, dass Talisman mehrere Beihilfehandlungen mit dem Wissen begangen hatte, dass es die Verbrechen des Regimes erleichtere. 2003 ließ das Southern District of New York die Ansprüche der Kläger gegen Talisman zu292. Der Entscheidung des District Court wird eine besondere Über286 Siehe Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., No. 01-CV-9228, ECF No. 1 (Complaint) (S.D.N.Y. Nov. 11, 2001). 287 Siehe Talisman, 244 F. Supp. 2d at 296. 288 Siehe Talisman, 244 F. Supp. 2d at 301. 289 Siehe Talisman, 244 F. Supp. 2d at 301. 290 Siehe Talisman, 244 F. Supp. 2d at 301. 291 Siehe Talisman, 244 F. Supp. 2d at 301 – 302. 292 Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 244 F. Supp. 2d 289 (S.D.N.Y. 2003).
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zeugungskraft in der ATS-Rechtsprechung zugemessen. Der District Court war das erste Gericht nach der Unocal-Entscheidung, die sich mit der Frage der Haftung wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen befasste, und es bejahte ausdrücklich die Zulässigkeit der Beihilfehaftung in ATS-Klagen293. Als Voraussetzungen für Beihilfehaftung übernahm das Gericht den „aiding and abetting“-Test des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien. Des Weiteren war das Urteil des District Court die erste ATS-Entscheidung, die unter Berufung auf völkerrechtlichen Quellen explizit erklärte, dass Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen haften können294. Das Verfahren schritt zur Beweiserhebung durch Discovery voran. Im Jahr 2006 wies der District Court sämtliche Ansprüche gegen Talisman wegen Mangel an Beweisen vollumfänglich ab295. Das Gericht befand, dass alle Handlungen von Talisman, die die Kläger als Beihilfehandlungen moniert hatten, normale Geschäftshandlungen ohne Deliktskomponente waren296. Bei Förderungsprojekten müssten z. B. Straßen und Flugplatzen immer gebaut und Konzessionsabgaben immer bezahlt werden297. Das Gericht war deswegen der Meinung, dass Talismans Wirtschaftstätigkeit in Sudan nur dann als Beihilfehandlungen zu betrachten wäre, wenn sie mit der Absicht begangen worden wäre, Rechtsverletzungen zu erleichtern – denn ansonsten würde jede auch rechtmäßige Wirtschaftstätigkeit in einem Krisenstaat eine Beihilfeklage begründen298. Aus Sicht des Gerichts hatten die Kläger keine Beweise vorgebracht, die einen Schluss zuließen, dass Talisman die Absicht hatte, die streitgegenständlichen Menschenrechtsverletzungen zu erleichtern. Dementsprechend wies es sämtliche Ansprüche gegen Talisman ab. Im Jahre 2009 bestätigte der Second Circuit das Urteil des District Court299. Der Second Circuit nahm die Talisman-Entscheidung als Gelegenheit wahr, die Anforderungen an den subjektiven Tatbestand des „aiding and abetting“-Tests zu erhöhen. Entgegen dem vom District Court festgelegten Standard, der nur die Kenntnis des Beklagten voraussetzte, er erleichtere durch seine Handlung irgendeine Menschenrechtsverletzung, erforderte der Second Circuit nunmehr einen subjektiven 293 Siehe Talisman, 244 F. Supp. 2d at 321 – 325, siehe hierzu detailliert Abschnitt B. II. 3. b) cc) dieses Kapitels, unten. 294 Siehe Talisman, 244 F. Supp. 2d at 308 – 319, siehe hierzu detailliert Abschnitt B. II. 3. b) cc) dieses Kapitels, unten. 295 Siehe Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, 453 F. Supp. 2d 633 (S.D.N.Y. 2006). Die Abweisung erfolgte auf einen Antrag von Talisman auf „summary judgment“, was eine Prüfung der Beweislage durch das Gericht ohne Einschaltung einer Jury ermöglicht. 296 „The activities which the plaintiffs identify as assisting the Government in committing … crimes generally accompany any natural resource development business“. Talisman, 453 F. Supp. 2d at 672. 297 Talisman, 453 F. Supp. 2d at 672. 298 Talisman, 453 F. Supp. 2d at 672. 299 Siehe Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 582 F.3d 244 (2d Cir. 2009).
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Zweck des Beklagten, zur Verübung einer Menschenrechtsverletzung beizutragen300. Wie der District Court war der Second Circuit der Meinung, dass keine Beweise vorlagen, die auf eine subjektive Absicht Talismans schließen ließen, durch Straßenbau und Sicherheitsbesprechungen den Krieg und die Bombardements des sudanesischen Militärs zu erleichtern301. Aus diesem Grund wies es Talsiman vollumfänglich und rechtskräftig ab. 2. Arbeitnehmerrechte in ATS-Klagen Eine zweite Strömung der ATS-Klagen gegen Unternehmen nahm Verstöße gegen Arbeitnehmerrechte ins Visier302. Diese Strömung ging aus der Begeisterung um Filartíga hervor. Dank Filartíga sahen NGOs im ATS das Mittel, bisher politisch nur schwer durchsetzbare Arbeitnehmerrechte doch durchsetzen zu können303. Insbesondere hofften Menschenrechtsorganisationen, das ATS zum Garant für die Rechte auf gewerkschaftliche Organisation, sichere Arbeitsplätze und angemessene Bezahlung herauszubilden304. a) Frühe Versuche, internationale Arbeitsrechte geltend zu machen Frühe ATS-Klagen von Arbeitnehmern versuchten, übliche Arbeitnehmerrechte als Völkerrechtsnormen zu präsentieren, um die Verletzung dieser als Basis einer 300
Siehe Talisman, 582 F.3d at 257 – 260, siehe hierzu detailliert Abschnitt B. V. 3. dieses Kapitels, unten. 301 Siehe Talisman, 582 F.3d at 260. 302 Siehe u. a.: Mendonca v. Tidewater, Inc., 159 F. Supp. 2d 299 (E.D. La. 2001); Manzanarez v. C&Y Sportswear, No. CV-0012715-NM (C.D. Cal. 2000); Sinaltrainal v. Coca-Cola Co., 474 F. Supp. 2d 1273 (S.D. Fla. 2006), 578 F.3d 1252 (11th Cir. 2009); Aldana v. Del Monte Fresh Produce, N.A. Inc., 452 F.3d 1284 (11th Cir. 2006), 578 F. 3d 1283 (11th Cir. 2009); Romero v. Drummond Co., 256 F. Supp. 2d 1250 (N.D. Ala. 2003), 552 F.3d 1303 (11th Cir. 2008); Bauman v. DaimlerChrysler AG, 579 F.3d 1088 (9th Cir. 2009); 644 F.3d 909 (9th Cir. 2011); ___ U.S. ___ (2014); Abagninin v. AMVAC Chemical Corp., 545 F.3d 733 (9th Cir. 2008); Sinaltrainal v. Nestle, No. 06-CV-61623 (S.D. Fla. 2006); Turedi v. Coca-Cola Co., 343 Fed. App’x 623 (2nd Cir. 2009); In re Chiquita Brands Int’l, Inc., Alien Tort Statute & Shareholder Derivative Litig., 690 F. Supp. 2d 1296 (S.D. Fla. 2010); Baloco v. Drummond Co., Inc., 640 F.3d 1338 (11th Cir. 2011); Hidalgo v. Siemens Aktiengesellschaft, No. 11-CV20107, 2011 WL 74581 (S.D. Fla. 2011); Saldana v. Occidental Petroleum Corp., No. CV-1:118957-PA-AJWx, 2011 WL 5142961 (C.D. Cal. 2011); Martinez v. BP P.L.C., No. 1:12-cv-308, 2012 WL 609438 (D.D.C. 2012). 303 Siehe z. B. Douglas S. Morrin, People Before Profits: Pursuing Corporate Accountability for Labor Rights ViolationsAbroad Through the Alien Tort Claims Act, 20 B.C. Third World L.J. 427 (2000); Wesley Carrington, Note, Corporate Liability for Violation of Labor Rights Under the Alien Tort Claims Act, 94 Iowa L. Rev. 1381 (2009). 304 Vgl. z. B. William Gould, Labor Law beyond U.S. Borders: Does What Happens outside of America Stay outside of America?, 21 Stan. L. & Pol’y R. 401 (2010); Faye Kolly, Comment, The Right of Association: Enforcing International Labor Rights of Undocumented Workers Via the Alien Tort Claims Act, 23 St. Louis U. Pub. L. Rev. 669 (2004).
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großangelegten Schadensersatzklage erscheinen zu lassen. So wurde z. B. versucht, widerrechtliche Entlassung als Völkerrechtsverletzungen einzuklagen305. Solche Argumente wurden schnell abschlägig beschieden, da die Gerichte darin keine Verletzungen ein international geschützter Rechtsgüter sahen. Deshalb machten die nächsten ATS-Klagen von Arbeitnehmern ein grundliegenderes Arbeitnehmerrecht, nämlich das Recht auf gewerkschaftliche Organisation, als internationales Rechtsgut und die Versagung dieses Rechts als Völkerrechtsverletzung geltend. So wurden die großen amerikanischen Konzerne Del Monte und Drummond Co. nach dem ATS verklagt, weil ihre Sicherheitstruppen angeblich das Organisieren von Gewerkschaften in Guatemala bzw. Kolumbien unterdrückt hätten306. Diese Klagen stützten sich auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte307, Art. 22 des Internationalen Paktes über Bürgerliche und Politische Rechte308 sowie Art. 87, 98 des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation309, aus denen das „right to associate and organise“ als Gewerkschaft hervorging. In einer ersten Entscheidung hierzu stimmte ein District Court „widerstrebend“ zu, dass diese Instrumente ein international geschütztes und im Sinne des ATS einklagbares Recht auf gewerkschaftliche Organisation begründeten310. Kurz danach kam jedoch ein anderes District Court zum gegenteiligen Ergebnis: Das Fehlen einer „consistent practice“ von Staaten mit Bezug auf Gewerkschaftsschutz widerlege jede Behauptung, die Gewerkschaftsbildung wäre als international geschütztes Rechtsgut anzuerkennen311. Der Supreme Court schien die letztere Position 305
Siehe Mendonca v. Tidewater, Inc., 159 F. Supp. 2d 299 (E.D. La. 2001). Siehe Romero v. Drummond Co., 256 F. Supp. 2d 1250 (N.D. Ala. 2003), 552 F.3d 1303 (11th Cir. 2008); Aldana v. Del Monte Fresh Produce, N.A. Inc., 452 F.3d 1284 (11th Cir. 2006), 578 F. 3d 1283 (11th Cir. 2009). 307 Siehe Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Art. 20 (1) („Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu Vereinigungen zusammenzuschließen“) und Art. 23 (4) („Jeder hat das Recht, zum Schutze seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten“). 308 Siehe Internationaler Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte vom 19. Dezember 1966, Art. 22 (1) („Jedermann hat das Recht, sich frei mit anderen zusammenzuschließen sowie zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und ihnen beizutreten“). 309 Siehe Übereinkommen über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes von 1948 (ILO Convention No. 87), Art. 2 („Die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber ohne jeden Unterschied haben das Recht, ohne vorherige Genehmigung Organisationen nach eigener Wahl zu bilden und solchen Organisationen beizutreten, wobei lediglich die Bedingung gilt, daß sie deren Satzungen einhalten“); Übereinkommen über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen von 1949 (ILO Convention No. 98), Art. 2 (1) („Den Organisationen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber ist in bezug auf ihre Bildung, Tätigkeit und Verwaltung gebührender Schutz gegen jede Einmischung von der anderen Seite, sowohl seitens der Organisationen wie auch ihrer Vertreter oder Mitglieder, zu gewähren“.). 310 Siehe Estate of Rodriguez v. Drummond Co., 256 F. Supp. 2d 1250 (N.D. Ala. 2003). 311 Siehe Aldana v. Del Monte Fresh Produce, N.A. Inc., 305 F. Supp. 2d 1285 (S.D. Fla. 2003). 306
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zu befürworten, als es in einem obiter dictum in einem Fall aus einem anderen Kontext erwähnte, dass die Erklärung der Menschenrechte und der Pakt über bürgerliche und politische Rechte „themselves [do not] establish … relevant and applicable rule[s] of international law“312. An dieser Stelle nahm man an, dass das Recht auf gewerkschaftliche Organisation keine ATS-Klagen mehr begründen konnte313. b) Der Strategiewechsel nach Vorbild der Rohstoffklagen und Beispielverfahren In auf Arbeitnehmerrechte spezialisierten NGOs folgte ein Strategiewechsel. Wenn internationale Arbeitnehmerrechte nicht einklagbar sein sollten, konnte die gewaltsame Unterdrückung dieser Rechte die Grundlage für eine ATS-Klage bilden. Denn es war keine unübliche Praxis in Staaten der Dritten Welt, Gewerkschaften als Brutstätten von Subversiven zu betrachten und Versuche von Arbeitnehmern, sich gewerkschaftlich zu organisieren, durch Armee oder Polizei gewaltsam zu beseitigen. So entstand eine neue Form der Arbeitnehmerklage nach dem ATS: Arbeitnehmer klagten nun wegen willkürlicher Inhaftierungen, Folterungen und außergerichtlicher Hinrichtungen, die zur gewaltsamen Unterdrückung der Gewerkschaftsbildung eingesetzt wurden. Dadurch waren die ATS-Ansprüche, die in diesen Klagen geltend gemacht wurden, bereits durch die Rechtsprechung der Ersten Welle zu einklagbaren ATS-Tatbeständen erklärt worden314. Die Klagen richteten sich nicht gegen die Staaten, deren Truppen oder Polizisten diese Menschenrechtsverletzungen verübt hatten, sondern gegen die multinationalen Konzerne, die von der Zerschlagung der gewerkschaftlichen Bestrebungen ihrer Belegschaften angeblich profitiert hatten. Man hoffte, durch die Inanspruchnahme multinationaler Arbeitgeber im Wege der Beihilfehaftung internationale Arbeitnehmerrechte indirekt zu stärken. Im Folgenden werden Sachverhalt und Verfahrensverlauf der größeren und maßgeblichen Arbeitnehmerklagen zusammengefasst. aa) Die Klagen der Sinaltrainal-Gewerkschaft gegen Coca-Cola Wenige ATS-Klagen haben so viele mediale Aufmerksamkeit sowie konzernkritische Literatur hervorgerufen wie Sinaltrainal v. Coca-Cola Co.315. Gegenstand 312
Siehe Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692, 735 (2004). Siehe hierzu David D. Christensen, Corporate Liability for Overseas Human Rights Abuses: The Alien Tort Statute After Sosa v. Alvarez-Machain, 62 Wash. & Lee L. Rev. 1219 (2005). 314 Zur Bildung von ATS-Tatbeständen siehe Kapitel 1, Abschnitt C. I. 4. 315 Siehe z. B. Michael Blanding, The Coke Machine: The Dirty Truth Behind the World’s Favorite Soft Drink (2010); Mark Thomas, Belching out the Devil: Global Adventures with 313
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der Klage war die Ermordung von Isidro Gil, eines führenden Gewerkschafters, sowie eine Kampagne des Terrors zur Einschüchterung weiterer Gewerkschafter in kolumbianischen Coca-Cola Abfüllanlagen. Hintergrund der Klage war der etwa 40 Jahre andauernder Bürgerkrieg in Kolumbien zwischen linken Guerillas, rechten Paramilitärs und der kolumbianischen Regierung. Ende der 1980er Jahre wurden Gewerkschaften mit linker Ideologie assoziiert, sodass (rechte) paramilitärische Kräfte anfingen, Gewerkschaften als Feinde zu betrachten und ihre Zerschlagung durch Entführungen, Folter und Ermordungen anzustreben316. Die Coca-Cola Company war (und ist) ein amerikanischer Konzern mit Sitz in Atlanta/Georgia. In Kolumbien wurde Herstellung und Vertrieb von Coca-ColaGetränken durch eine 100prozentige Tochtergesellschaft, Coca-Cola Columbia, unabhängig geführt317. Die lokale Abfüllung und Lieferung einzelner Cola-Flaschen wurde wiederum von vertraglich engagierten unabhängigen Abfüllergesellschaften ausgeführt. In der nördlichen Uraba-Region Kolumbiens hatte Coca-Cola die Firma Bebidas y Alimentas de Uraba („Bebidas“) als Abfüllpartner engagiert318. Im Juni 1995 wurde Gil, Mitarbeiter der Bebidas-Abfüllanlage, zum Bezirkspräsidenten von Sinaltrainal, der kolumbienweiten Dienstleistergewerkschaft, gewählt. Er machte sich daran, die gewerkschaftlichen Rechte der Arbeiterschaft der Bebidas-Anlage zu stärken. Als Antwort darauf soll die Leitung der Bebidas-Anlage paramilitärische Einheiten engagiert haben, um die Gewerkschaft durch Drohungen und Gewalt zu brechen319. Gil wurde mehrmals gedroht und Dezember 1996 wurde er vor den Toren der Bebidas-Abfüllanlage von Paramilitärs ermordet320. Weitere Gewerkschafter sollen von Paramilitärs gedroht, verschleppt, als Geisel gehalten und gefoltert worden sein. 2001 erhoben die Hinterbliebenen von Gil eine ATS-Klage gegen Coca-Cola unter dem Namen Sinaltrainal v. Coca-Cola Co. vor dem Southern District of Florida321. Der Erhebung der Gil-Klage folgten drei weitere ATS-Klagen der Familienangehörigen anderer ermordeter Sinaltrainal-Anführer gegen Coca-Cola, in denen Coca-Cola sowie kolumbianischen Abfüllerfirmen zur Last gelegt wurde, sie
Coca-Cola (2009); Jeffrey Wright, What Coca-Cola Did to Keep the Union from Coming In (2009). In den Medien haben die prozessführenden NGOs anhand der Sinaltrainal-Klage CocaCola mit kolumbianischen „Todesschwadronen“ in Verbindung bringen können, siehe z. B. Coke Sued over Death Squad Claims, BBC News, July 20, 2001, aufrufbar unter http://news. bbc.co.uk/2/hi/business/1448962.stm. 316 Siehe Sinaltrainal v. Coca-Cola Co., 256 F. Supp. 2d 1345, 1348 ff. (S.D. Fla. 2003). 317 Siehe Sinaltrainal, 256 F. Supp. 2d at 1348 – 1349. 318 Siehe Sinaltrainal, 256 F. Supp. 2d at 1348 – 1349. 319 Siehe Sinaltrainal, 256 F. Supp. 2d at 1348 – 1349. 320 Siehe Sinaltrainal, 256 F. Supp. 2d at 1350. 321 Siehe Sinaltrainal, 256 F. Supp. 2d at 1348 – 1349.
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hätten Paramilitärs zur Auslöschung von Gewerkschaften angeheuert322. Alle vier Klagen enthielten ähnliche Vorwürfe und wurden 2001 zusammengelegt. Die Kläger legten Coca-Cola folgende Menschenrechtsverletzungen zur Last: (a) Kriegsverbrechen; (b) Folter; (c) grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung; und (d) außergerichtlichen Hinrichtungen. Die Kläger begründeten die Haftung von Coca-Cola USA mit Durchgriffsprinzipien amerikanischen common law323 : Coca-Cola habe ein „bottler’s agreement“ mit den Abfüllern abgeschlossen, das derart weitgehende Kontrollrechte vorsehe, dass Coca-Cola USA für die Handlungen dieser Firmen auch hafte324. 2003 wies das Southern District of Florida sämtliche Ansprüche gegen Coca-Cola ab325. Das Gericht wies die Ansprüche wegen Kriegsverbrechen ab, weil die Kläger nicht substantiiert hätten, dass die Ermordung der Gewerkschafter dem bewaffneten Konflikt zwischen linken Guerillas und rechten Paramilitärs anstatt dem privaten Profitstreben der Beklagten zuzurechnen war326. Alle anderen Ansprüche wurden abgewiesen, weil das Gericht nach Wertung des „bottler’s agreement“ der Meinung war, die Vereinbarung sehe zu wenig Kontrollrechte für Coca-Cola auf das Tagesgeschäft seiner Abfüller vor, um eine Durchgriffshaftung zu begründen327. Gegen diese Entscheidung füllten die Kläger den Tatsachenvortrag ihrer Klageschriften mit detaillierterem Lebenssachverhalt aus und erhoben ihre Ansprüche erneut. 2003 wies jedoch das Southern District of Florida sämtliche Ansprüche abermals als nicht substantiiert ab328. Zunächst wies das Gericht die Ansprüche wegen Kriegsverbrechen ab. Die Kläger hätten nicht dargelegt, dass Coca-Cola in irgendeiner Weise „im Rahmen“ eines bewaffneten Konflikts gehandelt hatte, sondern nur, dass Coca-Cola einen Vorteil aus Gils Ermordung gewonnen haben konnte329. Des weiteren wies das Gericht Ansprüche wegen Folter und außergerichtlicher Hinrichtung Gericht ebenfalls ab. Die Kläger hätten keine faktischen Details über eine Zusammenarbeit zwischen Coca-Cola und kolumbianischen Hoheitsträgern dargelegt, sondern nur, dass die Leitung der Bebidas-Abfüllanlage über den Bürgerkrieg Bescheid wusste und ein Mitglied einer paramilitärischen Einheit angestellt hatte330.
322 Siehe Sinaltrainal (Galvis) v. Coca-Cola Co., No. 02-CIV-20258 (S.D. Fla.); Sinaltrainal (Leal) v. Coca-Cola Co., No. 02-CIV-20259 (S.D. Fla.); Sinaltrainal (Garcia) v. Coca-Cola Co., No. 02-CIV-20260 (S.D. Fla.). 323 Zum „agency“-Test siehe Abschnitt B. II. 3. c) dd) dieses Kapitels, unten. 324 Siehe Sinaltrainal, 256 F. Supp. 2d at 1349. 325 Siehe Sinaltrainal v. Coca-Cola Co., 256 F. Supp. 2d 1345 (S.D. Fla. 2003). 326 Sinaltrainal, 256 F. Supp. 2d at 1352 – 1355. 327 Sinaltrainal, 256 F. Supp. 2d at 1355 ff. 328 Siehe In re Sinaltrainal Litig., 474 F. Supp. 2d 1273 (S.D. Fla. 2006). 329 In re Sinaltrainal, 474 F. Supp. 2d at 1286. 330 In re Sinaltrainal, 474 F. Supp. 2d at 1287 – 1300.
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2009 bestätigte der Eleventh Circuit die Entscheidung des District Court331. Die Entscheidung des Eleventh Circuit legte als neue Regel fest, dass die faktische Anspruchsgrundlage einer ATS-Klage substantiiert dargelegt werden muss332. Das Gericht war ferner der Ansicht, dass die Kläger ihren Tatsachenvortrag nicht ausreichend substantiiert hatten, insbesondere in Bezug auf hoheitliches Handeln. Zum Vorliegen der ATS-Tatbestände Folter und außergerichtliche Hinrichtung sei hoheitliches Handeln erforderlich333. Folglich müssten die Kläger substantiiert darlegen, dass die Paramilitärs, die Sinaltrainal-Angehörige gefoltert und ermordet haben, als Hoheitsträger anzusehen seien, weil sie in „symbiotischer Beziehung“ mit der kolumbianischen Regierung standen334. Die Kläger hätten jedoch nur dargelegt, dass die kolumbianische Regierung paramilitärische Einheiten registriert und geduldet hätte; dies reiche nicht ohne weitere Details aus, um Paramilitärs in Vertreter des kolumbianischen Staates zu verwandeln335. Aus diesem Grunde fehle hoheitliches Handeln und die Ansprüche der Kläger seien abzuweisen. bb) Die Drummond-Klagen Eine weniger medienträchtige ATS-Klage von Arbeitnehmern stammte auch aus Kolumbien und wurde unter den Namen Romero v. Drummond Co., Baloco v. Drummond Co. und Balcero v. Drummond Co. verhandelt. Wie in Sinaltrainal war der Hintergrund der Drummond-Klagen der lange andauernde Bürgerkrieg in Kolumbien zwischen linken Guerillas und rechten Paramilitärs. Die im US-Bundesstaat Alabama ansässige Drummond Company ist eine international tätige Bergbaugesellschaft. Ihre eigenständige Tochter Drummond Ltd – auch mit Sitz in Alabama – führte die Tätigkeiten einer Kohlegrube in Kolumbien336. In den 1990er Jahren soll die kolumbianische Kumpel-Gewerkschaft Sintramienergetica die Organisation der Arbeiter der Drummond-Mine sowie Verhandlung mit der Drummond Ltd. über Arbeitsbedingungen angestrebt haben. Als Reaktion soll Drummond Ltd. mit Zustimmung der Konzernleitung die paramilitärische Organisation Autodefensorias Unidos de Colombia (AUC) beauftragt haben, die Gewerkschaft auszulöschen337. Drummond soll AUC-Truppen den Zutritt zum Berg-
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Siehe Sinaltrainal v. Coca-Cola Co., 578 F.3d 1252 (11th Cir. 2009). Siehe hierzu detailliert Abschnitt B. V. 4. dieses Kapitels, unten. 333 Sinaltrainal, 578 F.3d at 1266, siehe hierzu auch Kapitel 1, Abschnitte C. I. 4. a), c). 334 Sinaltrainal, 573 F.3d at 1266. 335 Sinaltrainal, 573 F.3d at 1266. 336 Die Mine war offenbar die weltgrößte offene Tagebaugrube für Kohle, siehe Kyle Whitmire, Alabama Company Is Exonerated in Murders at Colombian Mine, New York Times, July 27, 2007, aufrufbar unter http://www.nytimes.com/2007/07/27/business/27drummond. html. 337 „Shortly after the Drummond employees in Colombia successfully organized a trade union, [the supervisor of Drummond’s Colombian mine allegedly] met with leaders of the AUC 332
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werksgebiet gestattet haben, wo diese mehrere Arbeitnehmer gefoltert haben. 2001 ermordeten AUC-Truppen drei Anführer der Sintramienergetica-Gewerkschaft. Im März 2002 erhoben die Ehefrauen der ermordeten Gewerkschaftsführer eine ATS-Klage unter dem Namen Rodriguez v. Drummond Co. – später Romero v. Drummond Co. – vor dem Northern District of Alabama338. Die Klage richtete sich sowohl gegen die zentrale Drummond Co. als auch gegen die für das KolumbienGeschäft zuständige Tochter Drummond Ltd. Die Kläger warfen den Gesellschaften vor, gemeinsam die AUC engagiert zu haben, um ihre Ehemänner zu foltern und zu töten. Deshalb legten die Kläger den Drummond-Gesellschaften eine Beihilfe zu folgenden Menschenrechtsverletzungen zur Last: (a) Genozid; (b) Kriegsverbrechen; (c) außergerichtlichen Hinrichtungen; sowie (d) Versagen des Rechts auf gewerkschaftliche Organisation. 2003 ließ das Northern District of Alabama die Ansprüche gegen die DrummondGesellschaften wegen Kriegsverbrechen, außergerichtlichen Hinrichtungen und Versagen des Rechts auf gewerkschaftliche Organisation zu339. Zur Begründung der Zulassung der Ansprüche wegen Kriegsverbrechen befand das Gericht, dass Drummond „im Rahmen“ eines bewaffneten Konflikts gehandelt habe, weil die Auslöschung von Gewerkschaftern ein wesentliches Ziel der paramilitärischen Seite des kolumbianischen Bürgerkriegs und Drummond zur Austragung dieses Aspekts des Kriegs auf seinem Gelände eingeladen haben konnte340. Die Zulassung der Ansprüche wegen außergerichtlicher Hinrichtung begründete das Gericht damit, dass das für dieses Delikt erforderliche hoheitliche Handeln gegeben zu sein schien: Die Paramilitärs, die die Morde ausgeführt hätten, seien auch Soldaten der kolumbianischen Armee gewesen und hätten die Morde in offiziellen Armeeuniformen ausgeführt341. Zuletzt beschloss das Gericht, dass das Versagen des Rechts auf gewerkschaftliche Organisation einen einklagbaren Völkerrechtsverstoß darstellte342. Nach dieser Entscheidung schritt das Verfahren zur Beweiserhebung durch Discovery fort, was Ende 2005 abgeschlossen wurde. 2007 wies der District Court die Ansprüche gegen die zentrale Drummond Company ab, weil Discovery weder Beweise ergeben hatte, dass sie an dem Engagieren paramilitärischer Kräfte durch ihre Tochter Drummond Ltd. beteiligt war, noch dass sie ihre Tochter derart durchgehend beherrscht hatte, dass die Möglichkeit einer Durchgriffshaftung in
… to arrange for the AUC to eradicate the union through violent means“. Baloco v. Drummond Co., No. 07:09-cv-00557-RDP (N.D. Ala. Nov. 9, 2009), at 3. 338 Siehe Estate of Rodriguez v. Drummond Co., No. CV-02-BE-0665, Doc. 1 (Complaint) (N.D. Ala. March 14, 2002). 339 Siehe Estate of Rodriguez v. Drummond Co., 256 F. Supp. 2d 1250 (N.D. Ala. 2003). 340 Siehe Rodriguez, 256 F. Supp. 2d at 1261 – 1262. 341 Siehe Rodriguez, 256 F. Supp. 2d at 1264. 342 Siehe Rodriguez, 256 F. Supp. 2d at 1262 – 1264; siehe auch detaillierter Abschnitt B. II. 1. a) dieses Kapitels, unten.
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Betracht käme. Gleichzeitig ließ das Gericht die Ansprüche gegen Drummond Ltd. zur Hauptverhandlung vor einer Jury zu. Im Juli 2007 war Romero v. Drummond Co. die erste ATS-Klage der Zweiten Welle, die zur Hauptverhandlung vor einer Jury kam. Nach zwei Wochen der Beweisaufnahme sprach die Jury Drummond Ltd. von jeder Beihilfe zu den Ermordungen der Gewerkschaftsführer frei. Offenbar konnten die Kläger keine eindeutigen Verbindungen zwischen Drummond Ltd. und den kolumbianischen Paramilitärs nachweisen343. Ende 2008 bestätigte der Eleventh Circuit das Ergebnis des JuryVerfahrens344. Die Entscheidung des Eleventh Circuit hatte für die ATS-Rechtsprechung Relevanz, weil sie entgegen einem Einwand von Drummond festlegte, dass Haftung wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen in ATS-Klagen zulässig ist345. Dieses Ergebnis bildete den Anfang weiterer Klagen gegen Drummond. 2009 leiteten die Kinder (anstatt der Ehefrauen) der ermordeten Gewerkschafter eine neue ATS-Klage vor dem Northern District of Alabama unter dem Namen Baloco v. Drummond Co. ein346. Die Baloco-Kläger versuchten, Präklusionsregeln zu umschiffen, indem sie eigene Schadensersatzansprüche – anstatt die ihrer ermordeten Väter – geltend machten347. Des Weiteren legten die Baloco-Kläger neue Beweise über Zusammenarbeit zwischen Drummond und der AUC vor: seit 1997 sollen die Drummond-Gesellschaften die AUC als Sicherheitsdienstleister engagiert und sie mit der Niederschlagung aller Sabotage durch linke Guerillas beauftragt haben348. Die Ermordung der drei Gewerkschaftsführer sollen in Ausführung dieser Aufgabe vorgefallen sein. 2009 wies das Northern District of Alabama sämtliche Ansprüche der Kinder ab349. Aus Sicht des District Court waren die Kinder nicht klageberechtigt, weil nur ihre ermordeten Väter eine Völkerrechtsverletzung im Sinne des ATS erlitten hatten. Alternativ befand das Gericht, dass etwaige Ansprüche der Kinder als res iudicata präkludiert waren. Aber 2011 hob der Eleventh Circuit die Entscheidung des District Court auf. Das Gericht erklärte, dass die Kinder doch eine Völkerrechtsverletzung im 343
Siehe Whitmire, Alabama Company Is Exonerated in Murders at Colombian Mine. Siehe Romero v. Drummond Co., Inc., 552 F.3d 1303 (11th Cir. 2008). 345 Siehe Romero, 552 F.3d at 1315: „[T]he law of this Circuit permits a plaintiff to plead a theory of aiding and abetting liability under the Alien Tort Statute“. 346 Siehe Baloco v. Drummond Co., Inc., No. 07:09-cv-00557 (N.D. Ala. 2009). 347 Im ersten Drummond-Verfahren haben die überlebenden Ehefrauen der ermordeten Gewerkschaftsführer zwei Gruppen von Schadensersatzansprüchen geltend gemacht: (1) Die ATS-Ansprüche der ermordeten Gewerkschaftsführer und (2) die Schadensersatzansprüche der Frauen selbst. 348 Für eine umfassende Zusammenfassung der neuen Beweise, siehe die Darlegung der prozessführenden Menschenrechtsorganisation: „Balcero v. Drummond Co., Inc.: Case Information“, International Rights Advocates, aufrufbar unter http://www.iradvocates.org/case/ latin-america-colombia/balcero-et-al-v-drummond-company-inc. 349 Siehe Baloco v. Drummond Co., Inc., 631 F.3d 1350 (11th Cir. 2011). 344
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Sinne des ATS erlitten hatten und deswegen klageberechtigt waren350. Des Weiteren verneinte das Gericht, dass die Ansprüche der Kläger präkludiert waren. Zur Zeit des ersten Drummond-Verfahrens seien die Kinder nicht vollmündig gewesen, was zur Folge habe, dass sie die eigenen Ansprüche nicht selbst geltend machen konnten351. Folglich wurden ihre Ansprüche nur dann geltend gemacht, wenn das Prozessgericht die Vertretung der Ansprüche durch ihre Mütter explizit bewilligt hätte352. Aus diesen Gründen wies der Eleventh Circuit die Ansprüche an den District Court zur Wiederaufnahme zurück. Diese Entscheidung bildete die Grundlage einer weiteren Sammelklage gegen die Drummond-Gesellschaften. In Balcero v. Drummond Co. machten 592 weitere Personen, deren Väter oder nahe Verwandten von der AUC im Rahmen der ,Sicherung‘ von Drummond-Tätigkeiten in Kolumbien ermordet worden sein sollen, ATS-Ansprüche wegen außergerichtlicher Hinrichtung gegen Drummond Co. und Drummond Ltd. geltend353. Im Januar 2011 hatte der District Court die meisten dieser Ansprüche wegen mangelnder Klageberechtigung abgewiesen, weil die Kläger keine eigenen körperlichen Verletzungen geltend machten354. Aber nach der Entscheidung in Baloco musste der District Court die Klageberechtigung von Kindern und nahen Verwandten anerkennen, was zur Wiederaufnahme sowohl des Baloco als auch des größeren Balcero-Verfahrens führte355. Im Juli 2013 wies der District Court jedoch sämtliche Ansprüche der Kläger in Baloco und Balcero wegen Mangels an Beweisen ab356. Aus Sicht des District Court hatten die Kläger keine Beweise vorgelegt, die auf ein Wissen Drummonds schließen ließen, dass es durch das Engagieren der AUC zu außergerichtlichen Hinrichtungen beitragen würde357. Alternativ befand das Gericht unter Berufung auf Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., dass die Ansprüche gegen Drummond als extraterritorial abzuweisen waren, weil sie keinen Bezug zu den USA aufwarfen358. Gegen diese Entscheidung legten die Kläger Rechtsmittel ein und ein Berufungsverfahren beim Eleventh Circuit steht an.
350 Die Begründung dieser Feststellung ist etwas schleierhaft, scheint aber zu sein, dass im Kontext des ATS das Konzept der „indirekten Haftung“ bejaht worden und dass die Klage eines Kindes wegen einer Rechtsverletzung an einem Elternteil als indirekte Haftung zuzulassen sei, siehe Baloco, 631 F.3d at 1357. 351 Siehe Baloco, 631 F.3d at 1362 – 1363. 352 Siehe Baloco, 631 F.3d at 1363. 353 Siehe Balcero v. Drummond Co., Inc., 2:09-cv-01041-RDP (N.D. Ala.). 354 Siehe Balcero v. Drummond Co., Inc., 2:09-cv-01041-RDP, Doc. 113 (N.D. Ala. Jan. 6, 2011). 355 Siehe Balcero v. Drummond Co., Inc., 2:09-cv-01041-RDP, Docs. 230, 232 (N.D. Ala.). 356 Siehe Balcero v. Drummond Co., Inc., No. 2:09-cv-01041 (N.D. Ala. July 25, 2013). 357 Siehe Balcero, No. 2:09-cv-01041, p. 11 – 16. 358 Siehe Balcero, No. 2:09-cv-01041, p. 16 – 17, siehe detailliert hierzu Abschnitt B. VII. 2. a) bb) (1) dieses Kapitels, unten.
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cc) Die Chiquita-Klagen Die größte aller ATS-Arbeitnehmerklagen wird unter dem Namen In re Chiquita Brands verhandelt. Chiquita ist ein international tätiger Lebensmittelkonzern mit Sitz in Charlotte/North Carolina und Obstplantagen auf sechs Kontinenten359. Im amerikanischen Markt ist Chiquita der Hauptproduzent bzw. -lieferant von Bananen. Gegenstand der Chiquita-Klage war eine lange Zusammenarbeit zwischen Chiquita und beiden Seiten des kolumbianischen Bürgerkriegs. Hintergrund der Chiquita-Klage war nochmals der jahrzehntelange kolumbianische Bürgerkrieg zwischen Guerillas und Paramilitärs. Chiquitas Rechtsvorgänger, die amerikanische United Fruit Company, hatte in den 1960er Jahren große Bananenplantagen in der Uraba-Region im Norden Kolumbiens angelegt360. Damals war die Uraba-Region sehr dünn besiedeltes Dschungelgebiet, das von der Regierung in Bogota nicht kontrollierbar war und deswegen das Zentrum der linken Guerillas bildete. Bis etwa 1994 soll Chiquita die linke Guerilla-Armee, die unter dem Namen Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) bekannt ist, bezahlt haben, um ihre Uraba-Plantagen zu sichern. In den 1980er schlossen sich die anti-FARC-Kräfte zur paramilitärischen Organisation Autodefensas Unidas de Colombia (AUC) zusammen361. Die AUC führte nunmehr den Krieg gegen die FARC in der Uraba-Region. Die Methoden der AUC waren offenbar grausam: „As part of its war strategy, the AUC sought to eliminate any guerrilla sympathizer who opposed the paramilitaries’ control of the territories in which the AUC operated. The AUC’s primary method was to terrorize individuals and communities suspected of guerrilla sympathies. To this end, the AUC routinely engaged in death threats, summary executions, torture, rape, kidnapping, forced disappearances, looting, and large-scale attacks on civilian populations“362.
Weil die kolumbianische Regierung ohne die AUC nur schwerlich in FARCGebiete vordrang, hat sie die AUC nicht nur geduldet, sondern die AUC als eine Art Zusatzheer behandelt und die Zusammenarbeit zwischen AUC und dem eigenen Militär gefördert. In den USA wurde die AUC jedoch 2001 zur terroristischen Organisation erklärt, was zur Folge hatte, dass das Abschließen von Geschäften mit ihr nunmehr unter Strafe stand363.
359 So die Selbstbeschreibung Chiquitas auf http://www.chiquita.com/Our-Company/MeetChiquita.aspx. 360 Siehe Doe v. Chiquita Brands Int’l, Inc., No. 0:08-md-01916, Doc. 285 (1st amended class action complaint) (S.D. Fla. Feb. 26, 2010), para. 24 – 25. 361 Siehe Doe v. Chiquita Brands, Doc. 285, oben, para. 27 ff. 362 In re Chiquita Brands Int’l Inc. Alien Tort Statute & Shareholder Deriv. Litig., No. 0:08md-01916 (S.D. Fla. June 3, 2011), p. 4. 363 Siehe Doe v. Chiquita Brands, Doc. 285, oben, para. 105 ff.
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Mitte der 1990er Jahre begann auf Chiquitas Initiative eine Zusammenarbeit mit der AUC, nachdem die AUC die Kontrolle über die Städte der Uraba-Region erkämpft hatte364. Chiquita sollte die AUC finanzieren sowie ausrüsten und die AUC sollte im Gegenzug eine Vernichtungskampagne gegen die FARC ausführen, die die FARC aus den Bananengebieten der Uraba-Region vertreiben und ihre Wiederkehr verhindern würde365. Ab 1995 soll Chiquita seine Zahlungen an die FARC eingestellt haben und die AUC als neuer Sicherheitsdienstleister engagiert haben. Zwischen 1997 und 2004 bezahlte Chiquita etwa $ 1,7 Millionen an die AUC366. Die AUC erhielt von Chiquita eine monatliche Zahlung, deren Höhe direkt von der Menge der exportierten Bananen abhing367. Die Zahlungen wurde auch weiterhin entrichtet, nachdem die AUC für eine terroristische Organisation erklärt wurde368. Chiquita soll weitere Leistungen für die AUC erbracht haben, die die Ausführung ihres Sicherungsmandats erleichterten. Zum einen soll Chiquita die Ausrüstung von AUC-Einheiten ermöglicht haben. Chiquita unterhielte einen privaten Hafen im Norden Kolumbiens, der als Bananenumschlagplatz benutzt wurde. Chiquita soll der AUC seinen Hafen zur Verfügung gestellt haben, um moderne Waffen – darunter etwa 13.000 Maschinengewehre – illegal zu importieren369. Zum anderen soll Chiquita die Finanzierung der AUC erleichtert haben. Die AUC finanzierte sich hauptsächlich aus dem Kokainhandel. AUC-Truppen sollen mit Wissen von Chiquita-Mitarbeitern Kokain in die großen Bananenschiffe Chiquitas versteckt haben, um ihn nach Europa zu transportieren370. 2005 leitete das amerikanische Justizministerium ein Strafverfahren gegen Chiquita wegen unerlaubter Geschäfte mit einer terroristischen Organisation ein. Im März 2007 bekannte sich Chiquita für schuldig371. Im Gegenzug erwirkte das Justizministerium eine leichte Strafe: Ein Bußgeld von $ 25 Millionen, fünf Jahre Bewährung und – für Chiquitas Vorstand vielleicht am wichtigsten – keine Anklagen gegen individuelle Mitarbeiter372. Kurz nach Ergehen des strafrechtlichen Urteils wurden sieben ATS-Klagen gegen Chiquita vor verschiedenen District Courts in u. a. New Jersey, New York, Florida 364
Siehe Doe v. Chiquita Brands, Doc. 285, oben, para. 112 ff. Siehe Doe v. Chiquita Brands, Doc. 285, oben, para. 115 ff. 366 Siehe Doe v. Chiquita Brands, Doc. 285, oben, para. 74 ff. 367 Siehe Doe v. Chiquita Brands, Doc. 285, oben, para. 80. 368 Siehe Doe v. Chiquita Brands, Doc. 285, oben, para. 81 ff. 369 Siehe Doe v. Chiquita Brands, Doc. 285, oben, para 85 ff. 370 Siehe Doe v. Chiquita Brands, Doc. 285, oben, para. 95 ff. 371 Siehe Doe v. Chiquita Brands, Doc. 285, oben, para. 83 ff. 372 Siehe Doe v. Chiquita Brands, Doc. 285, oben, para. 84; siehe auch eine Zusammenfassung des Falles von einem der vertretenden Anwälten in: Paul Wolf, In re Chiquita Brands: The Bellwether Human Rights Case, University of the District of Columbia School of Law, June 5, 2011, aufrufbar unter http://www.law.udc.edu/news/67347/Paul-Wolf-05-In-re-ChiquitaBrands-the-Bellwether-Human-Rights-Case.htm. 365
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und dem District of Columbia erhoben373. Zu den ATS-Klagen gesellte sich eine actio pro socio der Chiquita-Aktionäre gegen die Konzernleitung. Diese Klagen wurden unter dem Namen In re Chiquita Brands International Inc. Alien Tort Statute and Shareholder Derivative Litigation (hiernach „In re Chiquita“) vor dem Southern District of Florida zusammengelegt374. Die Kläger der Chiquita-Klage waren tausende Kolumbianer – bis Juli 2011 hatten mehr als 4.000 kolumbianische Angehörige Ansprüche angemeldet375 – die (oder deren Verwandte) durch die AUC gefoltert oder ermordet waren. Viele der Kläger waren Mitarbeiter auf Chiquitas kolumbianischen Bananenplantagen, die von AUC-Truppen als Gewerkschafter verdächtigt und im Rahmen der ,Beruhigung‘ der Arbeiterschaft gefoltert wurden376. Andere Kläger waren politisch aktive Bewohner der Uraba-Region, die von der AUC als linke Umstürzler grässlich gepeinigt wurden. Die Kläger begründeten Chiquitas Haftung für die Verbrechen der AUC mit einer Theorie der Beihilfe. Chiquita habe die AUC kontaktiert, um die „blutige Befriedung“ der Uraba-Region zu diskutieren, damit es die Kontrolle über die profitablen Bananengebiete Kolumbiens behalte377. Trotz Wissens der grässlichen Vorgehensweise der AUC und trotz seiner Bezeichnung als terroristische Organisation habe Chiquita die bewaffnete Kampagne der AUC in der Uraba-Region finanziert und die AUC als Arbeitsaufseher auf seinen Plantagen eingestellt378. Hierzu habe Chiquita AUC-Soldaten ausgerüstet. Und weil Chiquita die Höhe der Entgelte an die AUC an die Menge der exportierten Bananen gekoppelt habe, habe es die AUC implizit zur gewaltsamen Unterdrückung der Plantagenarbeiter aufgefordert. Das Engagement der AUC sowie die Zahlungen an die AUC würden Chiquita-Vorstandsmitgliedern vorgelegt und von diesen genehmigt379. Insofern müsse Chiquita gewusst haben, dass Folter und Mord an Plantagenarbeitern und der umliegenden Bevölkerung ein direktes Ergebnis seiner Zusammenarbeit mit der AUC sein würde. Chiquita habe deshalb Beihilfe zu folgenden Menschenrechtsverletzungen geleistet: (a) Terrorismus; (b) grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung; (c) Verletzung der völkerrechtlichen Grundrechte auf Leben und friedliche Versammlung; (d) Folter; (e) außergerichtliche Hinrichtungen; (f) Kriegsverbrechen; und (g) Verbrechen gegen die Menschlichkeit380.
373
Siehe hierzu Wolf, In re Chiquita Brands, a.a.O. Siehe In re Chiquita Brands Int’l Inc. Alien Tort Statute & Shareholder Deriv. Litig., No. 0:08-md-01916 (S.D. Fla.). 375 So die Angabe von Wolf, In re Chiquita Brands, oben. 376 Siehe Wolf, In re Chiquita Brands, oben. 377 Wolf, In re Chiquita Brands, oben. 378 In re Chiquita Brands Int’l Inc. Alien Tort Statute & Shareholder Deriv. Litig., No. 0:08md-01916, Doc. 412 (S.D. Fla. June 3, 2011), p. 9. 379 Siehe In re Chiquita Brands, No. 0:08-md-01916 (S.D. Fla. June 3, 2011), p. 9. 380 Siehe Doe v. Chiquita Brands, Doc. 285, oben, para. 191 ff. 374
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Im Juni 2010 ließ das Southern District of Florida die Ansprüche wegen Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu, wies jedoch die anderen Ansprüche ab381. Zunächst befand das Gericht, dass die Tatbestände der Folter und außergerichtlichen Hinrichtung substantiiert dargelegt waren. Die ATS-Tatbestände Folter und außergerichtliche Hinrichtung erforderten hoheitliches Handeln382. Chiquita argumentierte, dass hoheitliches Handeln nicht dargelegt sei, wenn die Kläger das Einwirken der kolumbianischen Regierung bei jeder streitgegenständlichen Folterung oder Tötung darlegen konnten. Das Gericht fand diese Regel zu streng und legte einen anderen Maßstab zugrunde: Ein Kläger müsse nur eine „symbiotic relationship“ zwischen Regierung und Vollzugsmannschaften in Hinblick auf eine koordinierte Kampagne substantiieren, aus der Folterungen und Ermordungen hervorgingen383. In der vorliegenden Klage sah das Gericht eine solche Beziehung als substantiiert an: Die Klageschrift habe dargelegt, wie AUC und Militär im Kampf gegen die FARC voneinander abhängig waren und miteinander koordinierten, um Strategie für die Uraba-Region zu entwickeln sowie führende Offiziere auszutauschen384. Insofern hätten die Kläger dargelegt, dass die AUC als Hoheitsträger anzusehen sei, weswegen Ansprüche wegen Folter und außergerichtlicher Hinrichtung zu bejahen seien. Zweitens befand das Gericht, dass Ansprüche wegen Kriegsverbrechen statthaft waren. Chiquita hatte eingewendet, dass die Ausschweifungen der AUC lediglich der Sicherung von Chiquita-Plantagen gedient hätten und nicht als Teil des Bürgerkriegs zwischen FARC und AUC anzusehen waren. Das Gericht war von dieser Argumentation unbeeindruckt. Die Kläger hätten ausreichend dargelegt, dass „the AUC intended to torture and kill Plaintiffs’ relatives for the purpose of furthering its military objectives in defeating its guerrilla enemies in the Colombian civil war“385. Insofern habe die AUC „im Rahmen“ eines bewaffneten Konflikts gefoltert und gemordet, was ihre Handlungen als Kriegsverbrechen nach dem ATS einklagen lasse. Drittens stellte das Gericht fest, dass die Kläger die Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit substantiiert hatten. Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfordere einen „ausgedehnten oder systematischen Angriff“ auf eine Zivilbevölkerung386. Die Klageschrift schildere die Ermordung, Verschleppung oder Folterung tausender Zivilisten und lege deshalb einen „ausgedehnten“ Angriff dar387. Des Weiteren führe der Vortrag die Planung und Organisation hinter diesen 381 Siehe In re Chiquita Brands Int’l Inc. Alien Tort Statute & Shareholder Deriv. Litig., No. 0:08-md-01916 (S.D. Fla. June 3, 2011). 382 Siehe hierzu Kapitel 1, Abschnitte C. I. 4. a), c). 383 Siehe In re Chiquita Brands, No. 0:08-md-01916 (S.D. Fla. June 3, 2011), at 38. 384 Siehe In re Chiquita Brands, No. 0:08-md-01916 (S.D. Fla. June 3, 2011), at 38 – 39. 385 In re Chiquita Brands, No. 0:08-md-01916 (S.D. Fla. June 3, 2011), at 49. 386 In re Chiquita Brands, No. 0:08-md-01916 (S.D. Fla. June 3, 2011), at 52. 387 Siehe In re Chiquita Brands, No. 0:08-md-01916 (S.D. Fla. June 3, 2011), at 55.
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Verbrechen aus, was einen „systematischen“ Angriff darlege388. Diese Ausführungen seien mit detailliertem Lebenssachverhalt wie „the manner of attack, specific perpetrators, specific victims, locations, motivations underlying the attacks, and in many cases specific dates“ ausgefüllt und deshalb hinreichend substantiiert389. Zuletzt bestätigte das Gericht, dass Chiquita für die eben erörterten Menschenrechtsverletzungen der AUC haften konnte, weil die Kläger ihre Beihilfe dazu hinreichend dargelegt hatten. Eine Beihilfehandlung sei hinreichend dargelegt, weil die Kläger ausgeführt hatten, wie Chiquita Geld und Waffen an die AUC zukommen ließ, damit sie eine Militärkampagne in der Uraba-Region verfolge390. Des Weiteren sei ein Vorsatz Chiquitas, zu den Menschenrechtsverletzungen der AUC beizutragen, substantiiert worden, weil die Kläger ausgeführt hatten, dass Menschenrechtsverletzungen Teil der von Chiquita gewünschten Vorgehensweise waren391. Aus diesen Gründen ließ das Southern District of Florida Ansprüche wegen Beihilfe zu Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen, Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Chiquita zu. Allerdings ließ der District Court gleichzeitig eine außerordentliche Berufung der wichtigeren Rechtsfragen seiner Entscheidung vor dem Eleventh Circuit zu392. Das Verfahren weilt derzeit vor dem Eleventh Circuit, das entscheiden muss, ob die Chiquita-Klage hinreichende Inlandsbezüge im Sinne der Kiobel-Entscheidung des Supreme Court aufweist, um zulässig zu sein393. Sollte der Eleventh Circuit die Chiquita-Klage zulassen, wird sie nicht nur die größte ATS-Arbeitnehmerklage, sondern die größte anhängige ATS-Klage überhaupt darstellen. Mehr als zwölf Anwaltskanzleien vertreten die Ansprüche von mehr als 4.000 Personen gegen Chiquita, die inzwischen in mehrfacher Milliardenhöhe auflaufen sind394. Des Weiteren scheinen die Anwälte der Klägerseite die ChiquitaKlage als gute Chance anzusehen, den ersten Sieg vor einer Jury in einem ATSVerfahren zu erstreiten395. Insofern wird die Entscheidung des Eleventh Circuit von grundlegender Bedeutung für die ATS-litigation sein.
388
Siehe In re Chiquita Brands, No. 0:08-md-01916 (S.D. Fla. June 3, 2011), at 55. In re Chiquita Brands, No. 0:08-md-01916 (S.D. Fla. June 3, 2011), at 55. 390 Siehe In re Chiquita Brands, No. 0:08-md-01916 (S.D. Fla. June 3, 2011), at 77 – 78. 391 Siehe In re Chiquita Brands, No. 0:08-md-01916 (S.D. Fla. June 3, 2011), at 73 – 75. 392 Siehe In re Chiquita Brands Int’l Inc. Alien Tort Statute & Shareholder Deriv. Litig., No. 0:07-cv-60821, Doc. 155 (S.D. Fla. March 27, 2012). 393 Siehe hierzu z. B. Brief of Appellants, In re Chiquita Brands Int’l, Inc. Alien Tort Statute Litigation, No. 12-14898-B (11th Cir., filed May 28, 2013). 394 Siehe Wolf, In re Chiquita Brands, a.a.O. 395 Vgl. z. B. die Aussage einer vertretenden NGO, der International Rights Advocates: „[P] laintiffs look forward to moving this case to trial as soon as possible“. Doe v. Chiquita Brands: Case Information, International Rights Advocates, aufrufbar unter http://www.iradvocates.org/ case/latin-america-colombia/does-v-chiquita-brands-international-et-al. 389
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3. Zwangsarbeit und Kinderarbeit Eng verwandt mit ATS-Rechtsprechung zu Arbeitnehmerrechten ist eine Strömung von ATS-Klagen gegen Unternehmen, die angeblich Zwangsarbeit oder Kinderarbeit in ihrer Produktion eingesetzt haben396. Zwangsarbeit wurde bereits mit Karadzic als besonders verwerfliche Menschenrechtsverletzung anerkannt397, was nachfolgende ATS-Klagen zu von der Wirtschaft im Dritten Reich eingesetzter Zwangsarbeit bestätigt haben398. Ab 2001 wurden ATS-Klagen wegen Zwangsarbeit insbesondere gegen Lebensmittelkonzerne mit großen Plantageflächen und die für anspruchsvolle Arbeitsbedingungen mittlerweile berüchtigt gewordene Kleidungsindustrie erhoben. Kinderarbeit war hingegen aus völkerrechtlicher Sicht ein ziemlich unbeschriebenes Blatt. Zwar wurde vielfach argumentiert, dass Kinder die „Opferlämmer“ der Globalisierung waren, darunter besonders litten und deswegen einen besonderen Schutz brauchten399. Trotzdem war Kinderarbeit in der Verarbeitungsindustrie der dritten Welt üblich und die Staatengemeinschaft hatte sich bisher ausschließlich gegen die „worst forms“ der Kinderarbeit ausgesprochen400, aber nicht gegen Kinderarbeit im Allgemeinen. a) ATS-Klagen wegen Zwangsarbeit ATS-Klagen gegen Unternehmen wegen Zwangsarbeit gehörten zu den erfolgreicheren Klagen der Zweiten Welle. Die Klagen gegen deutsche, österreichische und amerikanische Unternehmen, die im Dritten Reich die Zwangsarbeit mehrerer Millionen Menschen eingesetzt haben, konnten auf der Grundlage von Karadzic klare Völkerrechtsverletzungen geltend machen und durch politische Unterstützung signifikante Vergleiche erzielen401.
396
Siehe Bao Ge v. Li Peng, 201 F. Supp. 2d 14 (D.D.C. 2000); Doe I v. The Gap, Inc., CV01-0031, 2001 WL 1842389 (D. N. Mar. I. 2001); Doe v. Nestle, Inc., 748 F. Supp. 2d 1057 (C.D. Cal. 2010); Doe I v. Wal-Mart Stores, Inc., 572 F.3d 677 (9th Cir. 2009); Licea v. Curacao Drydock Co., 584 F. Supp. 2d 1355 (S.D.Fla. 2008); Roe I v. Bridgestone Corp., 492 F. Supp. 2d 988 (S.D. Ind. 2007), aff’d sub nom. Flomo v. Firestone Natural Rubber Co., LLC, 643 F.3d 1013 (7th Cir. 2011); Aguilar v. Imperial Nurseries, No. 07-cv-0193 (D.Conn. 2008); Adhikari v. Daoud & Partners, 697 F. Supp. 2d 674 (S.D. Tex. 2009); Magnifico v. Villanueva, 783 F. Supp. 2d 1217 (S.D. Fla. 2011); Thuy Thi Vu v. W & D Apparel Corp., No. 12-CV-282, 2012 WL 251632 (S.D. Tex. 2012). 397 Siehe hierzu den Abschnitt über Kadic v. Karadzic in Kapitel 1, Abschnitt B. III. 398 Siehe hierzu den Abschnitt über Holocaust-Klagen in A. II. 1. dieses Kapitels, oben. 399 Siehe Dr. Ranee Khooshie Lal Panjabi, Sacrificial Lambs of Globalization: Child Labor in the Twenty-First Century, 37 Denv. J. Int’l L. & Pol’y 421 (2009). 400 Siehe Übereinkommen über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit von 1999 (ILO Convention No. 182). 401 Diese werden im Anschluss dargestellt, siehe Abschnitt A. II. 1. dieses Kapitels, unten.
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ATS-Klagen wegen moderner Zwangsarbeit begannen mit dem medial spektakulären Fall Doe v. The Gap, Inc. in 2001402. Zur Zeit der Klageerhebung war der amerikanische Kleiderfabrikant The Gap der führende Massenproduzent moderner Modebekleidung, der hohe Beliebtheit in fast allen Verbrauchersegmenten genoss403. Die Klage warf The Gap durchgehende Zwangsarbeit in seinen 49 Produktions- und Vertriebsstätten auf der Insel Saipan vor. Diese Vorwürfte führten zu Empörung in den Medien und unter Verbrauchern und machte aus Sicht des Beklagten einen schnellen Vergleich mit den Klägern nötig404. Insofern lieferte Doe v. The Gap eine Ermunterung zu weiteren Zwangsarbeitsklagen aber keine signifikante Rechtsprechung. Einige Jahre später folgte eine zweite medienträchtige Zwangsarbeitsklage gegen den amerikanischen Reifenhersteller Firestone. In Flomo v. Firestone Rubber Co. warfen Arbeiter aus liberianischen Kautschukplantagen Firestone vor, sie wie Zwangsarbeiter gehalten zu haben. Firestone habe verschwindend niedrige Löhne bezahlt und die Arbeiter durch die isolierte Stellung der Plantagen von der Außenwelt abgeschnitten; insofern seien die Kläger zum Weiterarbeiten an den Plantagen effektiv gezwungen worden405. Das Southern District of Indiana lehnte wies jedoch die Ansprüche der Kläger ab: Die Arbeitsbedingungen in Liberia seien „somewhere on a continuum that ranges from those clear violations of international law (slavery or labor forced at the point of soldiers’ bayonets) to more ambiguous situations involving poor working conditions and meager or exploitative wages“406. Als „ambiguous situation“ waren sie nicht als Völkerrechtsverletzung im Sinne des ATS einklagbar. Als Resultat vermieden Zwangsarbeitsklagen gegen Unternehmen nach Firestone „ambiguous situations“ und stützten sich nur auf eindeutige Erzwingungen der Kläger zur Arbeit gegen ihren Willen. In solchen Klagen widerholte sich ein Muster: Der Kläger wird in der dritten Welt für eine Tätigkeit im Ausland angeworben; hierbei wird er mit Versprechen von hohen Löhnen und guten Arbeitsbedingungen überzeugt; er reist zum ausländischen Arbeitgeber, wo ihm der Pass plötzlich 402
Siehe Doe I v. The Gap, Inc., CV-01-0031, 2001 WL 1842389 (D. N. Mar. I. 2001). Siehe hierzu allgemein Michael Wishnie, Immigrant Workers and the Domestic Enforcement of International Labor Rights, 4 U. Pa. J. Lab. & Emp. L. 529 (2001 – 2002). 404 Allerdings kann der Vergleich nicht als Sieg für die Kläger betrachtet werden. Obwohl die Kläger $ 20 Mio. erhielten, die zur Errichtung einer Entität zur regelmäßigen Kontrolle der Arbeitsbedingungen verwendet werden sollten, entsprach dieser Betrag nur etwa 2 % von dem, was die Kläger am Anfang verlangt hatten. Der verhandelnde Richter ließ den Vergleich nur missmutig zu, zumal die Klägeranwälte durch den Vergleich eine Sonderzahlung von etwa $ 4 Mio. an Gebühren und Aufwandsentschädigung einkassierten. 405 Siehe Roe I v. Bridgestone Corp., 492 F. Supp. 2d 988 (S.D. Ind. 2007), aff’d sub nom. Flomo v. Firestone Natural Rubber Co., LLC, 643 F.3d 1013 (7th Cir. 2011). 406 Siehe Roe I, 492 F. Supp. 2d at 1010. Auch wichtig für das Gericht war die Tatsache, dass die Plantagenarbeiter keine Bestrafung befürchteten, sollten sie ihren Job verlassen. Im Gegenteil: die Arbeiter befürchteten den Verlust ihrer Stellen. Insofern hatte Firestone nach Ansicht des Gerichts die Kläger nicht gegen ihren Willen zur Arbeit gezwungen. 403
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weggenommen und er wie ein Sklave gehalten wird407. So wurden z. B. vietnamesische Arbeiter in die jordanische Kleidungsherstellung408 und Philippiner in die amerikanische Gärtnereiindustrie409 gelockt, die nachher ATS-Klagen gegen ihre ,Arbeitgeber‘ erhoben haben. Eine weitere ATS-Klage warf einem curacao’schen Unternehmen eine direkte Kollaboration mit Kuba vor, aufgrund welcher Kuba unliebsam gewordene Bürger an Docks des Unternehmens in Curacao geschickt hat, um dort unter sklavenähnlichen Bedingungen zu schuften410. Diese letzteren Klagen konnten für ATS-litigation der Zweiten Welle eine sehr hohe Erfolgsquote verbuchen. Aus ihnen gehen zwei Vergleiche411, ein Versäumnisurteil in Höhe $ 80 Mio.412 und einer der zwei Klägersiege gegen ein Unternehmen vor einer Jury413 vor. Allerdings muss in diesem Zusammenhang betont werden, dass diese Siege gegen eher kleine bzw. mittelständische Unternehmen erstritten wurden414. Vor diesem Hintergrund schauen Beobachter gespannt auf Doe v. Nestle, eine ATS-Klage malischer Staatsangehöriger, die 2005 gegen die Lebensmittelriesen Nestle, Cargill und Archer Daniels Midland vor dem Central District of California erhoben wurde415. Die Kläger behaupten, dass sie auf Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste wie Sklaven gehalten wurden, wobei sie regelmäßig ausgepeitscht und durch Erschießungsdrohungen etwa 14 Stunden am Tag an der Arbeit gehalten wurden. Trotz Wissens über diese Umstände sollen die Beklagten Kakao vom Betreiber der Plantagen gekauft haben, weil er den marktbesten Preis angeboten habe. Auf dieser Grundlage werfen die Kläger Nestle und den anderen Beklagten eine mindestens wissentliche Beihilfe zur Zwangsarbeit vor.
407 Siehe z. B. Adhikari v. Daoud & Partners, 697 F. Supp. 2d 674 (S.D. Tex. 2009); Magnifico v. Villanueva, 783 F. Supp. 2d 1217 (S.D. Fla. 2011). 408 Siehe Thuy Thi Vu v. W & D Apparel Corp., No. 12-CV-282, 2012 WL 251632 (S.D. Tex. 2012). 409 Siehe Aguilar v. Imperial Nurseries, No. 07-cv-0193 (D. Conn. 2008). 410 Siehe Licea v. Curacao Drydock Co., 584 F. Supp. 2d 1355 (S.D. Fla. 2008). 411 Siehe Aguilar v. Imperial Nurseries, No. 07-cv-0193 (D. Conn. 2008) (Vergliche mit vereinzelten Beklagten, Höhe unbekannt); Thuy Thi Vu v. W & D Apparel Corp., No. 12-CV282 (S.D. Tex. 2012) (Vergleich wird vermutet). 412 Siehe Licea v. Curacao Drydock Co., 584 F. Supp. 2d 1355 (S.D. Fla. 2008). 413 Siehe Aguilar v. Imperial Nurseries, No. 07-cv-0193 (D. Conn. 2008) (Sieg im JuryVerfahren gegen die Beklagten, die sich nicht außergerichtlich verglichen haben). 414 Eine mögliche Ausnahme hierzu bildet Licea v. Curacao Drydock Co., 584 F. Supp. 2d 1355 (S.D. Fla. 2008). Der Beklagte in dieser Klage war der zweitgrößte Trockendock-Betreiber der Welt. Allerdings hat er sich entschieden, ein Versäumnisurteil über sich ergehen zu lassen, womit er noch weniger Widerstand als die eben benannten mittelständischen Beklagten leistete. 415 Siehe Doe v. Nestle, Inc., 748 F. Supp. 2d 1057 (C.D. Cal. 2010), No. 10-56739 (9th Cir. Dec. 19, 2013).
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Doe v. Nestle wurde 2010 vom Central District of California abgewiesen, weil das Gericht kategorisch verneinte, dass der bloße Kauf von Kakao eine wesentliche Auswirkung auf die vorgeworfenen Zwangsarbeitspraktiken ausgeübt haben konnte416. 2013 hob jedoch der Ninth Circuit die Entscheidung des District Court auf und wies das Verfahren zur Wiederaufnahme zurück417. Der District Court muss nun befinden, ob die Klage die USA im Sinne Kiobels hinreichend „berührt“. Ein Erfolg gegen Nestle wäre der erste Erfolg gegen eine wahrhaft multinationale Gesellschaft in der Zweiten Welle418. b) Klagen wegen Kinderarbeit ATS-Klagen, die einem Unternehmen Kinderarbeit als Völkerrechtsverletzung vorwarfen, hatten einen steinigen Weg. Zwar war Kinderarbeit für viele NGOs ein Herzensanliegen und Kinderarbeit wurde in der ersten Welt fast einhellig als unerwünschter und tragischer Auswuchs der Globalisierung verdammt419. Allerdings scheiterten Versuche, den Einsatz von Kinderarbeit als Völkerrechtsverletzung im Sinne des ATS zu etablieren.
416
Siehe Doe v. Nestle, Inc., 748 F. Supp. 2d 1057 (C.D. Cal. 2010). Das Gericht wies die Klage auch unter Berufung auf die Entscheidung des Second Circuit in Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010) ab, weil das Gericht Kiobels Schluss adoptierte, Kapitalgesellschaften seien keine Völkerrechtssubjekte, die für Menschenrechtsverletzungen haften. 417 Siehe Doe v. Nestle, Inc., No. 10-56739 (9th Cir. Dec. 19, 2013). Die Entscheidung des Ninth Circuit war äußerst knapp formuliert, bejahte aber mit einem Satz, dass Schadensersatzansprüche gegen Kapitalgesellschaften wegen Menschenrechtsverletzungen zulässig seien. Das District Court muss sich nun mit der Frage auseinandersetzen, ob die ATS-Ansprüche der Kläger aufgrund von Kiobel als extraterritorial abzuweisen sind. 418 Die Erfolgsaussichten der Klage sehen zunächst nicht schlecht aus. Das Ninth Circuit hat bereits die Zulässigkeit des sekundären Schadenersatzanspruchs gegen die beklagten Kapitalgesellschaften bejaht. In einem weiteren Satz hat es das District Court angewiesen, die für „aiding and abetting“-Haftung erforderliche Beihilfehaftung aufgrund neuer – und klägerfreundlicherer – Rechtsprechung neu zu erörtern. Bisher hatten Entscheidungen des Ninth Circuit als Beihilfehandlung eine spezifische Anweisung des Beklagten an einen Dritten erfordert, eine Menschenrechtsverletzung zu begehen. Nach der neuen Entscheidung scheint aber ein konkludentes Einverständnis bzw. schlüssiges Handeln des Beklagten eine derartige Anweisung darstellten zu können. Siehe Doe v. Nestle, Inc., No. 10-56739 (9th Cir. Dec. 19, 2013), S. 5. Insofern ist es durchaus möglich, dass die Kläger eine Beihilfe Nestles darlegen können, die den Antrag auf Abweisung überlebt. Ob sie dies durch Discovery und insbesondere vor einer Jury beweisen können – und ob ein etwaiges Urteil vom Supreme Court geduldet würde – sind jedoch andere Fragen. Beobachter erwarten deswegen „a few more years of litigation“ in Doe v. Nestle, siehe John Bellinger, Undeterred by Kiobel, Ninth Circuit Allows Doe v. Nestle ATS Claims to Continue, Lawfare, Dec. 23, 2013, aufrubar unter http://www.lawfareblog.com/2 013/12/undeterred-by-kiobel-ninth-circuit-allows-doe-v-nestle-ats-claims-to-continue/. 419 Siehe z. B. das berühmte Zitat von The Economist: „[O]f all the alleged sins of globalization, child labour is among the most scorned“. Sickness or Symptom?, The Economist, Feb. 5, 2004, at 73.
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Flomo v. Firestone Rubber Co., die eben geschilderte Klage liberianischer Kautschukarbeiter gegen den Reifenhersteller Firestone, war der Leading Case in dieser Hinsicht. Die Flomo-Kläger warfen Firestone neben Zwangsarbeit auch den Einsatz von Kinderarbeit als Völkerrechtsverletzung vor420. Im erstinstanzlichen Verfahren befand das Southern District of Indiana, dass der Einsatz von Kinderarbeit gegen etablierte internationale Normen verstoße und damit Schadensersatzansprüche nach dem ATS begründe421. Aber der Seventh Circuit hob diese Feststellung auf422 : Die einschlägigen internationalen Kinderarbeitsabkommen enthielten keine spezifischen und verbindlichen Normen, sondern nur vage Vorgaben423 oder unverbindliche Vorschläge424. Daraus könne nicht geschlossen werden, dass die internationale Staatengemeinschaft Kinderarbeit verboten habe425. Die Tatsache, dass Kinderarbeit zur ökonomischen Realität vieler Länder gehöre, zeige ferner, dass die Staatengemeinschaft sie noch als erlaubt betrachte426. Aus diesen Gründen schloss der Seventh Circuit, dass Kinderarbeit grundsätzlich keine Völkerrechtsverletzung im Sinne des ATS darstellen konnte. Seit der Entscheidung des Seventh Ciruit in Flomo tauchen ATS-Klagen gegen Unternehmen wegen des Einsatzes von Kinderarbeit nicht mehr auf427.
420
Siehe Roe I v. Bridgestone Corp., 492 F. Supp. 2d 988 (S.D. Ind. 2007); Flomo v. Firestone Natural Rubber Co., LLC, 643 F.3d 1013 (7th Cir. 2011). 421 Siehe Roe I v. Bridgestone Corp., 492 F. Supp. 2d 988 (S.D. Ind. 2007). 422 Siehe Flomo v. Firestone Natural Rubber Co., LLC, 643 F.3d 1013 (7th Cir. 2011). 423 „Article 32(1) of the United Nations Convention on the Rights of the Child provides that a child has a right not to perform ,any work that is likely to be hazardous or to interfere with the child’s education, or to be harmful to the child’s health or physical, mental, spiritual, moral or social development‘. That’s much too vague and encompassing to create an international legal norm“. Flomo, 643 F.3d at 1022. 424 „The Convention’s Recommendation 190 adds some stiffening detail; it explains that Article 3(d) encompasses ,work in an unhealthy environment which may, for example, expose children to hazardous substances, agents or processes, or to temperatures, noise levels, or vibrations damaging to their health‘ […]. But a ,Recommendation‘ creates no enforceable obligations“. Flomo, 643 F.3d at 1022. 425 „Given the diversity of economic conditions in the world, it’s impossible to distill a crisp rule from the three conventions“. Flomo, 643 F.3d at 1023. 426 Das Gericht führte in diesem Zusammenhang vor, dass die Staatengemeinschaft nicht einig sei, was ein „Kind“ im Sinne eines etwaigen Kinderarbeitsverbotes sei. Wenn jede Person unter 18 als Kind qualifiziert werden solle, müssten die USA als Völkerrechtsverbrecher verdammt werden, weil amerikanische Jugendliche auch nach der Schule oft arbeiten gingen. Siehe Flomo, 643 F.3d at 1022 ff. 427 Siehe hierzu Jessica Bergman, The Alien Tort Statute and Flomo v. Firestone Natural Rubber Company: The Key to Change in Global Child Labor Practices?, 18 Ind. J. Global L. Stud. 455 (2011). Dies heißt nicht, dass Kinderarbeit nicht in anhängigen ATS-Klagen vorkommt, sondern nur, dass diese nicht mehr als Völkerrechtsverletzung im Sinne des ATS eingeklagt wird.
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4. „Historical Justice Litigation“ Die wohl bekannteste Strömung von ATS-Klagen gegen Unternehmen wird in der Literatur als „historical justice litigation“ bezeichnet428. „Historical justice“-Klagen werden von Opfern gravierender Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit zu dem Zweck erhoben, mittels des ATS die Entschädigung zu erstreiten, die ihnen in ihrer Heimat bisher verwehrt war. a) Die Apartheid-Klagen429 Die international wohl Berüchtigste aller ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften trägt den Titel Khulumani v. Barclay National Bank Ltd., ist aber auch unter dem Namen In re South African Apartheid Litigation verhandelt worden. Diese Klage wurde 2002 erhoben und hat Ende 2013 einen vierten Antrag auf Abweisung überstanden, nun geht sie langsam auf einen fünften Antrag auf Abweisung zu. Für ATS-Befürworter ist Khulumani eine Art Leuchtturm unter den ATS-Klagen, für ATS-Kritiker ein Dorn im Auge430. Khulumani war eine Reaktion südafrikanischer Bürger auf die Versöhnungspolitik Südafrikas nach Ende des Apartheid-Regimes. 1994 endete das südafrikanische Apartheid-Regime und die neue Regierung unter Präsidenten Mandela entschied sich gegen eine Siegerjustiz und für eine Politik der Versöhnung mit der weißen Bevölkerung. Diese Politik wurde durch den Promotion of National Unity and Reconciliation Act von 1995 in Gesetzesform gegossen, welcher eine Amnestie für Hoheitsträger der Apartheid-Ära vorsah431. Das Gesetz und insbesondere seine Klagesperre waren in der schwarzen Bevölkerung sehr unbeliebt432. In der Unzu428
Die Bezeichnung dieser Klagen als „historical justice“-Fälle ist in der ATS-Literatur allgemein üblich, siehe z. B. Kapitel VII von Stephens, International Human Rights Litigation in U.S. Courts, a.a.O. 429 Da sich die Apartheid-Klagen gegen fünf führende deutsche Konzerne richteten, werden die Hintergründe der Klagen sowie die Vorwürfe gegen die deutschen Beklagten ausführlich in Kapitel 4, Abschnitt B. III. 4. dargestellt. 430 Siehe z. B. Curtis Bradley & Jack Goldsmith, Judicial Foreign Policy We Cannot Afford, Washington Post, 19. Apr. 2009: „Plaintiffs started suing corporations on the theory that the firms ,aided and abetted‘ foreign regimes and should be liable for those regimes’ actions. [Cases like Khulumani] are not merely symbolic – the U.S. corporations have deep pockets and U.S. bank accounts – and present enormous opportunities for judicial meddling in foreign relations“. 431 Siehe Promotion of National Unity and Reconciliation Act, No. 34 of 1995. Das Gesetz erschuf die sog. „Truth and Reconciliation Commission“, die für die Aufklärung des ApartheidSystems zuständig sein und damit eine führende Rolle in der Versöhnung zwischen weißer und schwarzer Bevölkerungen einnehmen sollte. Ehemalige Amtspersonen bzw. Hoheitsträger des Apartheidstaats, die vollständige Aufklärung (aus dem skeptischen Blickwinkel: ein vollständiges Geständnis) zu ihrer Taten bei der TRC ablegten, erhielten im Gegenzug Amnestie. 432 „As anyone familiar with the history of South Africa’s [Truth and Reconciliation Commission] knows, its amnesty provisions prohibited South Africans from suing the
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friedenheit der südafrikanischen Bevölkerung sahen dieselben Klägeranwälte, die die Holocaust-Klagen betreut hatten, eine Gelegenheit, die Strategie, die gegen Schweizer Banken und die deutsche Industrie erfolgreich war, auf die Zulieferer des Apartheid-Regimes anzuwenden433. aa) Die Einleitung der Klagen und die erste District Court-Entscheidung von 2004 Im Jahre 2002 wurden 10 Sammelklagen von 91 Südafrikanern aufgrund des ATS eingeleitet. Die Beklagten waren etwa 50 amerikanische, europäische, kanadische und japanische Großkonzerne – u. a. IBM, General Motors, 3M, RheinMetall, Daimler, Dresdner Bank – die laut den Klägern „actively and willingly collaborated with the [South African] government … in maintaining“ das Apartheid-System434. Die Kläger warfen den beklagten Unternehmen vor, dem Apartheid-Regime Kriegswaffen, Panzerfahrzeuge, Computersysteme und Finanzdienstleistungen mit dem Wissen verkauft zu haben, dass diese in der systematischen Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung zur Verwendung kommen würden. Nach Ansicht der Kläger stellten diese Geschäfte mit einem verbrecherischen Regime eine Beihilfe zu den durch die Geschäfte ermöglichten Menschenrechtsverletzungen dar. Insofern hätten die beklagten Unternehmen die willkürlichen Inhaftierung, Vergewaltigungen, außergerichtlichen Hinrichtungen und Folterungen des Regimes sowie die Aufrechterhaltung des an sich völkerrechtswidrigen Apartheid-Systems mitzuverantworten. Diese Klagen wurden 2004 vor dem Southern District of New York unter dem Namen Khulumani v. Barclay National Bank Ltd. verbunden435. Gleich nach seiner Taufe stieß Khulumani auf politischen Widerstand aus allen Richtungen. Nach der Ansicht Südafrikas handelten die Khulumani-Kläger ihrer eigenen Regierung direkt zuwider. Die südafrikanische Regierung reichte eine Stellungnahme beim District Court ein, in der sie protestierte, Khulumani untergrabe die von ihr angestrebte Versöhnung, gefährde ihr gesetzlich vorgesehenes Reparationssystem und treibe dringend benötigte Investitionen vom neuen Südafrika weg436. Das amerikanische government for civil damages, even though the government was fully aware that the overwhelming majority of South Africans preferred the right to sue to forgiveness. Indeed, the inability to sue the South African government was one of the primary motivations for bringing the Khulumani lawsuit in the first place“. Kevin Jon Heller, Bradley and Goldsmith’s Disturbing Editorial About Khulumani, Opinio Juris, Apr. 18, 2009, aufrufbar unter http://opiniojuris.org/2 009/04/18/bradley-and-goldsmiths-disturbing-editorial-about-khulumani/. 433 „Many of the same plaintiffs’ attorneys took a leading role in both [the Holocaust and South African] litigations, especially Michael Hausfeld and Edward Fagan“. Michael Allen, The Limits of Lex Americana: The Holocaust Restitution Litigation as a Cul-de-Sac of International Human-Rights Law (2009), Student Scholarship Papers, Paper 93, S. 51. 434 In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d 228, 258 (S.D.N.Y. 2009). 435 Siehe In re South African Apartheid Litig., 238 F. Supp. 2d 1379 (S.D.N.Y. 2004). 436 „[T]he South African government has indicated that it does not support this litigation and that it believes that allowing this action to proceed would preempt the ability of the government
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Außenministerium unterstützte den Protest der südafrikanischen Regierung: Khulumani bedrohe wesentliche amerikanische Wirtschaftsinteressen sowie die Beziehungen zum neuen Südafrika437. Der District Court spürte diesen politischen Druck und wies sämtliche Ansprüche der Apartheid-Klagen ab438. Zum Zeitpunkt seiner Entscheidung war die Entscheidung des Ninth Circuit in Unocal439 die einzige ATS-Entscheidung eines höheren Gerichts, die sich mit der Frage der Beihilfehaftung auseinandergesetzt hatte, und der District Court war entgegen Unocal der Meinung, dass eine Beihilfehaftung in ATSKlagen ausgeschlossen war. Der Wortlaut des ATS erwähne keinerlei Haftung wegen Beihilfe zu Völkerrechtsverletzungen440. Des Weiteren enthalte das Völkergewohnheitsrecht keine eindeutige Norm bezüglich Haftung wegen Beihilfe441, und weil ATS-Klagen eine besondere Gefahr für mutwilligen Missbrauch gegen Kapitalgesellschaften bergen, sollte keine entsprechende Norm ins Völkerrecht hineingelesen werden442. Ferner könnte eine Feststellung der Haftung im vorliegenden Fall den Grundsatz etablieren, dass „doing business in apartheid South Africa“ einer Völkerrechtsverletzung gleichkomme443. Angesichts der erheblichen außenpolitischen Konsequenzen, die diese Feststellung zur Folge hätte, müsse die Möglichkeit der Gehilfenhaftung – und damit die Zuständigkeit für die vorliegenden Klagen – im Kontext des ATS verneint werden444. to handle domestic matters and would discourage needed investment in the South African economy“. In re South African Apartheid Litig., 346 F. Supp. 2d 538, 553 (S.D.N.Y. 2004). Siehe auch Declaration of Penuell Mpapa Maduna, South African Minister of Justice and Constitutional Development, of July 11, 2003, aufrufbar unter http://www.nftc.org/default/us sabc/Maduna%20Declaration.pdf. 437 „[T]he United States government has expressed its belief that the adjudication of this suit would cause tension between the United States and South Africa and would serve to hamper the policy of encouraging positive change in developing countries via economic investment“. In re South African Apartheid Litig., 346 F. Supp. 2d 538, 553 (S.D.N.Y 2004). 438 Siehe In re South African Apartheid Litig., 346 F. Supp. 2d 538 (S.D.N.Y 2004). 439 Zu Doe v. Unocal und Haftung wegen „aiding and abetting“, siehe Abschnitt A. II. 2. e) dd) dieses Kapitels, oben. 440 In re South African Apartheid Litig., 346 F. Supp. 2d at 549. 441 In re South African Apartheid Litig., 346 F. Supp. 2d at 548 – 49. Entgegen der Analyse von Unocal lehnte das District Court die Rechtsprechung des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals und des Interantionalen Strafgerichtshofs für das frühere Jugoslawien (ICTY) als Quellen eines völkerrechtlichen „aiding and abetting“-Test ab, weil es sie ohne weitere Begründung als „not binding sources of international law“ verwarf. 442 In re South African Apartheid Litig., 346 F. Supp. 2d at 549. Das Gericht beschrieb ATSKlagen als „an area that is so ripe for non-meritorious and blunderbuss suits“ (NB: „blunderbuss“ bedeutet eine Donnerbüchse oder anderes Schrotgewehr ohne Zielgenauigkeit). 443 In re South African Apartheid Litig., 346 F. Supp. 2d at 548. 444 „In a world where many countries may fall considerably short of ideal economic, political, and social conditions, this Court must be extremely cautious in permitting suits here based upon a corporation’s doing business in countries with less than stellar human rights records, especially since the consequences of such an approach could have significant, if not
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bb) Die Entscheidung des Second Circuit von 2007 Die Kläger legten Rechtsmittel gegen diese Entscheidung beim Second Circuit ein, aber an dieser Stelle gingen die meisten davon aus, dass Khulumani sein Ende erreicht hatte. Es war schwer vorstellbar, dass sich der Second Circuit über die Wünsche zweier Regierungen hinwegsetzen würde. Doch überraschenderweise hob der Second Circuit in 2007 das Urteil des District Court auf. Der drei-Richter-Senat des Second Circuit konnte sich auf das Ergebnis seiner Entscheidung einigen: Haftung wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen sei in ATS-Klagen gegeben445. Allerdings waren die Richter über die Begründung dieses Ergebnisses zerstritten446. Entsprechend wiesen sie Khulumani an den District Court mit der Anweisung zurück, das für die Beihilfehaftung anwendbare Recht sowie die darin enthaltenen Haftungsvoraussetzungen festzustellen. Auf dieser Grundlage sollte der District Court erneut prüfen, inwiefern etwaige Interessenskonflikte mit Südafrika und der amerikanischen Exekutive zu berücksichtigen seien. Nach dieser unerwarteten Wendung – und besonders angesichts ihrer politischen Brisanz – erwarteten viele ein Einschreiten des Supreme Court. Allerdings mussten sich vier seiner neun Richter aus Befangenheitsgründen aus dem Falle zurückziehen447, was die Beschlussunfähigkeit des Gerichts bezüglich Khulumani zur Folge hatte448. Das revisionsrechtliche Ergebnis dieser Beschlussunfähigkeit war, dass der Supreme Court die Entscheidung des Second Circuit bestätigen musste449, und Khulumani wurde gemäß dieser Bestätigung an den District Court zurückverwiesen. cc) Die zweite District Court-Entscheidung von 2009 Vor dem zweiten Anlauf vor dem District Court nahm Khulumani nochmal eine unerwartete Wendung. Der Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu, derzeit amtierender Vorsitzender von Südafrikas Wahrheits- und Versöhnungskomission, disastrous, effects on international commerce“. In re South African Apartheid Litig., 346 F. Supp. 2d 538, 554 (S.D.N.Y 2004). 445 „We hold that in this Circuit, a plaintiff may plead a theory of aiding and abetting liability under the ATCA“. Khulumani v. Barclay Nat. Bank Ltd., 504 F. 3d 254, 260 (2d Cir. 2007). 446 Judge Katzmann war der Meinung, dass internationales Recht auf die Frage der Gehilfenhaftung im Rahmen von ATS-Klagen anzuwenden war. Judge Hall war hingegen der Ansicht, dass das ATS lediglich die Zuständigkeitsfrage beantworte, wonach amerikanisches common law aus der § 1983-Rechtsprechung auf die Frage der Gehilfenhaftung anzuwenden sei. Siehe Khulumani v. Barclay Nat. Bank Ltd., 504 F. 3d 254, 264 ff. (2d Cir. 2007). 447 Drei Richter – Chief Justice Roberts sowie Justices Alito und Breyer – waren offenbar im Besitz von Aktien einiger der beklagten Unternehmen. Der Sohn von Justice Kennedy war ein hoher Angestellter („top manager“) beim Beklagten Credite Suisse. Siehe hierzu Supreme Court Upholds Apartheid-Era Lawsuit, CNN, May 12, 2008, aufrufbar unter http://money.cnn. com/2008/05/12/news/international/apartheid_lawsuit/?postversion=2008051211. 448 Das Supreme Court ist nur beschlussfähig, wenn sechs seiner neun Richter an einem Verfahren teilnehmen können. Siehe R. U.S. Sup. Ct. 4 (2). 449 Siehe Am. Isuzu Motors, Inc. v. Ntsebeza, 553 U.S. 1028 (2008).
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reichte eine Stellungnahme ein, in der er entgegen der eigenen Regierung für die Fortführung der Apartheid-Klagen vor amerikanischen Gerichten plädierte und Khulumani als Partner in der Arbeit seiner Kommission beschrieb450. Gegen diese Stellungnahme haben die Regierungen von Südafrika, Deutschland, der Schweiz, Kanada, Großbritannien und der Vereinigten Staaten ihre Opposition zum Haftbarmachen von in Südafrika tätig gewesenen Unternehmen dargelegt451. Auf 134 Seiten Würdigung dieser Argumente entschied der District Court, dass die ATS-Klagen der südafrikanischen Kläger doch zum Teil begründet waren452. Zunächst befand das Gericht, dass das Völkergewohnheitsrecht auf die Frage der Beihilfehaftung anwendbar war453. Darauf legte es – genau wie das Gericht in Unocal – den „aiding and abetting“-Test des Internationalen Strafgerichtshofs für das frühere Jugoslawien als Haftungsmaßstab an454. Um wegen Beihilfe zu einer Menschenrechtsverletzung haftbar gemacht zu werden, müsse ein Beklagter mit dem erforderlichen Vorsatzgrad (mens rea) eine hinreichend ursächliche Beihilfehandlung (actus reus) begehen. Zur Erfüllung des subjektiven Tatbestands sei nur die Kenntnis erforderlich, eine Handlung „will assist the perpetrator in the commission of the crime“455, was im vorliegenden Falle bei allen Beklagten gegeben sei456. Aber die Voraussetzung der Beihilfehandlung (actus reus) verlange viel mehr als „simply doing business with a state … who violates the law of nations“457. Das, was ein Unternehmen einem Staate verkaufe oder leiste, müsse einen klaren ursächlichen Zusammenhang mit nachfolgenden Völkerrechtsverletzungen aufweisen, um als
450 Siehe Brief of Amici Curiae Commissioners and Committee Members of South Africa’s Truth and Reconciliation Commission in Support of Appellants in Khulumani, In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009). 451 Siehe z. B. Brief of the United States as Amicus Curiae in Support of Petitioners und Brief of Amicus Curiae Republic of South Africa in Support of Affirmance, In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009). 452 Siehe In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009). 453 In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 255 – 56. 454 In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 257. 455 In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 259. Das District Court sah diese Formulierung des subjektiven Tatbestands durch folgende Entscheidungen bestätigt: Prosecutor v. Furundzija, Case No. IT-95-17/1, Trial Chamber Judgment, { 235 (Dec. 10, 1998) (Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs für das frühere Jugoslawien (ICTY)); Prosecutor v. Akayesu, No. ICTR-96-4-T { 545 (Dec. 10, 1998) (Entscheidung des Internationalen Strafgerichts für Ruanda); Prosecutor v. Tadic, Case No. IT-94-1-T (May 7, 1997) (Entscheidung des ICTY); United States v. Flick, 6 Trials of War Criminals Before the Nuernberg Military Tribunals 1217 (1952) (Entscheidung des Nürnberger Tribunals); United States v. Ohlendorf, 4 Trials of War Criminals Before the Nuernberg Military Tribunals 569 (1949) (Entscheidung des Nürnberger Tribunals); Trial of Bruno Tesch and Two Others („The Zyklon B Case“), 1 Law Reports of Trials of War Criminals 93 – 103 (1947) (Entscheidung des Nürnberger Tribunals). 456 In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 259 – 60. 457 In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 257.
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Beihilfe im Sinne des ATS zu gelten458. Als Beispiel verglich das Gericht Geld oder Baumaterialien, die für beliebig viele Zwecke einsetzbar waren, mit Zyklon B: Nur bei Letzterem sei es von Vornherein klar, dass es zur Begehung einer Völkerrechtsverletzung beitragen werde459. Vor diesem Hintergrund wandte sich der District Court der Frage der Haftung der Beklagten zu. Die Beklagten teilte das Gericht in vier Gruppen ein: (1) die „Automotive Defendants“ (Daimler, Ford und GM), (2) die „Technology Defendants“ (IBM und Fujitsu); (3) die „Banking Defendants“ (z. B. Barclay’s); und (4) die Rheinmetall-Gruppe460. Mit Blick auf die Autohersteller stellte das Gericht fest, dass diese speziell gepanzerte Militärfahrzeuge an das Apartheid-Regime geliefert sowie Namen von Dissidenten an die Regierung weitergegeben hatten; insofern hätten sie Beihilfe zu Folter, unmenschlichen Behandlungen, außergerichtlichen Hinrichtungen und der Aufrechterhaltung von Apartheid begangen461. Bezüglich Rheinmetall stellte das Gericht fest, dass das Unternehmen Kriegsgerät an das südafrikanische Militär heimlich verkauft hatte; deshalb habe es eine Beihilfe zu außergerichtlichen Hinrichtungen, aber nicht zu Folterungen oder grausamer Behandlung begangen462. Mit Blick auf die Technologie-Beklagten konstatierte das Gericht, das IBM und Fujitsu Rechnersysteme geliefert hatte, die die Katalogisierung der schwarzen Bevölkerung ermöglichten; insofern hätte es zur willkürlichen Entbürgerung von Schwarzen und zur Aufrechterhaltung der Apartheid beigetragen, aber nicht zu Folter, grausamer Behandlung oder außergerichtlicher Hinrichtung463. Schließlich wies das Gericht sämtliche Ansprüche gegen die Banken-Beklagten ab, da ihre Finanzdienstleistungen keine ursächliche Verbindung zu den vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen aufwiesen464. 458
In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 258. In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 257 – 58. Das Gericht legte die Voraussetzung der Ursächlichkeit anhand einer Analyse von zwei Entscheidungen aus Nürnberg fest: „In The Ministries Case, the Nuremberg Tribunal found Karl Rasche, a banker who had facilitated large loans to a fund at the personal disposal of Heinrich Himmler – head of the S.S. – not guilty of aiding and abetting crimes against humanity. […] On the other hand, in The Zyklon B Case, the Tribunal found Bruno Tesch, the owner of a firm that had manufactured and sold the poison gas used in the gas chambers in Nazi concentration camps, guilty of aiding and abetting crimes against humanity. […]The distinction between these two cases is the quality of the assistance provided to the primary violator. … The provision of goods specifically designed to kill, to inflict pain, or to cause other injuries resulting from violations of customary international law bear a closer causal connection to the principal crime than the sale of raw materials or the provision of loans“ (Zitate von United States v. von Weizsacker („The Ministries Case“), 14 Trials of War Criminals Before the Nuernberg Military Tribunals, at 478 (1950); Trial of Bruno Tesch and Two Others („The Zyklon B Case“), 1 Law Reports of Trials of War Criminals 93 – 103 (1947)). 460 In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 264 ff. 461 In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 266 – 67. 462 In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 270. 463 In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 268 – 69. 464 In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 269. 459
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Zuletzt entschied sich der District Court, der Bitte der Exekutive und Südafrikas um Abweisung nicht nachzukommen. Das Gericht befand, dass der Exekutive prinzipiell nur dann Folge zu leisten sei, wenn sie auf konkrete Auswirkungen einer ATS-Klage auf die amerikanische Außenpolitik hinweisen könne465. Im vorliegenden Falle habe jedoch das Außenministerium lediglich vage davor gewarnt, dass die Fortführung der Apartheid-Klagen Wirtschaftsinvestitionen in unterentwickelte Staaten verunsichern werde466. Außerdem befand das Gericht, dass die Stellungnahme Südafrikas nur maßgeblich wäre, wenn Khulumani einen Konflikt mit den Zielen der südafrikanischen Versöhnungspolitik herbeiführen würde467. Aber nach Ansicht des Gerichts war das Gegenteil der Fall: Khulumani strebe, genau wie Südafrikas Wahrheitspolitik, die Aufklärung des Apartheid-Regimes und seine verantwortlichen Akteure an468. Aufgrund dieser Analyse ließ der District Court die Ansprüche der Kläger gegen Daimler, Ford, GM, Rheinmetall, IBM und Fujitsu erneut zu469. Auch wenn Khulumani nun „vastly different“ als seine Urform geworden war470, hatte die Klage trotz allen politischen Widerstands überlebt. dd) Entscheidungen des District Court von 2013 und 2014 Nach der Wiederherstellung von Khulumani durch den District Court nahm das Verfahren noch eine unerwartete Wendung. Die Regierung Südafrikas ließ ihren Widerstand fallen und drückte in einer neuen Stellungnahme ihre Unterstützung der Klage sowie des amerikanischen Forums aus471. Hierauf erlebte Khulumani seinen
465
Das District Court formulierte es so: „[T]he Executive Branch’s views will not prevail if they are ,presented in a largely vague and speculative manner‘ or if the Executive’s concerns are not ,severe enough or raised with the level of specificity required to justify … a dismissal on foreign policy grounds‘“. In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 282. 466 In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 282. 467 In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 285 – 86. 468 Siehe In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 285 – 86: „[T]he purposes of the [Truth and Reconciliation Commission] and this lawsuit are closely aligned: both aim to uncover the truth about past crimes and to confront their perpetrators“. Das Gericht sah keinen Konflikt zwischen der Amnestiepolitik Südafrikas und der amerikanischen ATS-Klage, weil Südafrika zum einen keine „policy of blanket immunity for corporations“ adoptiert hatte, und weil zum anderen den Beklagten sowieso keine Amnestie zustand, da sie keine Aufklärung über ihre Tätigkeiten während des Apartheid-Regimes geleistet hatten. 469 In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 296 – 97. 470 So war sie zumindest nach der Beschreibung des Gerichts, siehe In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 296. Es sollte angemerkt werden, dass die Zulassung der Sammelklage auch mittlerweile verneint wurde, was zur Folge hatte, dass Khulumani nach dieser Entscheidung eine Aufstellung von nur 25 Klägern gegen sechs Beklagten hatte. 471 Siehe Letter of South African Minister of Justice Jeffrey Radebe, In re South African Apartheid Litig., No. 1:02-md-01499-SAS (S.D.N.Y.).
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Kap. 2: Die Zweite Welle
ersten Erfolg: General Motors schloss einen außergerichtlichen Vergleich mit den Klägern ab472. Allerdings wurde die Fortführung von Khulumani vorerst ausgesetzt, um die Entscheidung des Supreme Court Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co.473 abzuwarten. Der Grundsatz der Kiobel-Entscheidung, dass extraterritoriale ATS-Klagen nicht mehr zulässig seien, wurde von den meisten Experten als das Ende von Khulumani aufgefasst, zumal weil der Second Circuit in einer Zurückweisung des Verfahrens an den District Court klar andeutete, dass Khulumani keinen Bezug zu den USA aufwarf, die die Zulässigkeit der Klage begründen könnte474. Jedoch überraschte Khulumani die Experten abermals: Zwar wurden die Ansprüche gegen Rheinmetall und Daimler als extraterritorial abgewiesen, aber die Ansprüche gegen IBM und Ford blieben bestehen, damit die Kläger Gelegenheit hatten, die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften bzw. ihre Haftung für Menschenrechtsverletzungen zu argumentieren475. Damit hatte Khulumani seinen dritten Antrag auf Abweisung überlebt. Im April 2014 entschied der District Court, dass Kapitalgesellschaften Völkerrechtssubjekte sind, die für Menschenrechtsverletzungen haften476. Wie inzwischen 472 Der Betrag des Vergleiches war nicht sehr hoch: GM zahlte kein Bargeld, sondern versprach Stammaktien in Höhe von $ 1,5 Mio. an einen den Klägern gewidmeten Fonds. Warum GM in diesen Vergleich eingewilligt hat, ist unklar. Zum Zeitpunkt des Vergleichs in 2012 befand sich GM in einem von der Finanzkrise ausgelösten Insolvenzverfahren, das seine Restrukturierung zur Folge haben würde, und im Verfahren hatte der Insolvenzrichter den Wert der Ansprüche der Khulumani-Kläger gegen GM auf $ 0,00 bewertet. Insolvenzrechtlich hieß das, dass GM nur auf den rechtskräftigen Abschluss seiner Restrukturierung hätte warten müssen, um die Ansprüche der Khulumani-Kläger loszuwerden – aber GM hat sich trotzdem für einen Vergleich entschieden. Eine mögliche Erklärung für den (vor diesem Hintergrund unnötigen) Vergleich wäre ein politisches Einschalten der Obama-Regierung, die andere Aspekte der GM-Restrukturierung aktiv mitgestaltet hat. Jedenfalls waren die Kläger mit dem verhältnismäßig niedrigen Betrag von $ 1,5 Mio. zufrieden, weil sie den Vergleich als symbolisch betrachteten und hofften, er würde die anderen Beklagten zu weiteren Vergleichen ermutigen. Zur Höhe des Vergleichs und Reaktion der Kläger siehe Rebecca Davis, General Motors concedes to Khulumani in apartheid reparations case, Daily Maverick, 1 Mar. 2012, aufrufbar unter http://www.dailymaverick.co.za/article/2012-03-01-general-motors-concedes-to-khuluma ni-in-apartheid-reparations-case/. 473 Zu Kiobel siehe Abschnitt B. VI. dieses Kapitels, unten. 474 Siehe Abschnitt B. VII. 2. b) bb) (1) dieses Kapitels, unten. 475 Siehe In re South African Apartheid Litig., No. 1:02-md-01499-SAS (S.D.N.Y. Dec. 12, 2013), aufrufbar unter http://www.lawfareblog.com/wp-content/uploads/2013/12/JudgeScheindlin-Order.pdf. Dieses Ergebnis soll IBM und Ford regelrecht „frappiert“ haben, siehe Nate Raymond, German Firms Not Liable Under U.S. Alien Tort Statute for Aiding Apartheid, Reuters, December 27, 2013. Ihre Überraschung rührte vermutlich daher, dass die Klage vom Second Circuit an den District Court mit der klaren Anweisung zurückverwiesen wurde, sie abzuweisen, sofern keine der beklagten Menschenrechtsverletzungen in den USA vorgefallen waren. Dies hat das District Court freilich nicht getan. Siehe hierzu detaillierter Abschnitt B. VII. 2. b) bb) dieses Kapitels unten. 476 Siehe In re South African Apartheid Litig., No. 02-MDL-1499 (S.D.N.Y. Apr. 17, 2014).
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üblich hat diese Entscheidung überrascht, weil sie scheinbar direkt gegen die KiobelEntscheidung des Second Circuit von 2010 verstieß477, die mit Geltung für die New Yorker Bundesgerichte die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften verneint hatte. Der District Court betrachtete jedoch diese Entscheidung des Second Circuit als nicht mehr zwingend, weil ihr Leitsatz, Kapitalgesellschaften seien keine Völkerrechtsubjekte, vom Supreme Court zur Revision angenommen aber nicht bestätigt wurde478, und weil anderweitige Gerichte die Entscheidung des Supreme Court als Bestätigung der Haftung von Gesellschaften für Menschenrechtsverletzungen ausgelegt hatten479. Die Kläger haben nun Gelegenheit, hinreichende Inlandsbezüge der KhulumaniKlage aufzuzeigen, um die Zulässigkeit ihrer Ansprüche unter dem „touch and concern“-Test der Kiobel-Entscheidung des Supreme Court zu begründen. Gelingt ihnen dies, wird Khulumani fünf Anträge auf Abweisung überlebt haben und etwa zwölf Jahre nach seiner Einleitung zum Vorverfahren schreiten. b) Weitere Historical Justice-Klagen Die Holocaust- und Apartheid-Klagen gehören zu den berühmtesten ATS-Klagen der Zweiten Welle, machen aber die Gesamtheit der „historical justice“-Klagen bei weitem nicht aus. Ausgehend von der Strategie der Holocaust-Klagen haben Opfer repressiver Regimen aus aller Welt die von ihnen erlittenen Folterungen, Inhaftierungen und Hinrichtungen gegen die Aktiengesellschaften eingeklagt, die diese Völkerrechtsverletzungen angeblich ermöglicht hatten480. Aber im Gegensatz zu den Holocaust-Klagen haben diese ATS-Klagen keine politische Unterstützung und deshalb auch kaum Erfolg genossen.
477
Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010). Anstatt die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften zu erörtern, hat sich die Kiobel-Entscheidung des Supreme Court ausschließlich mit dem Anwendungsbereich des ATS befasst, siehe Abschnitt B. VI. 5. dieses Kapitels, unten. 479 Siehe In re South African Apartheid Litig., No. 02-MDL-1499 (S.D.N.Y. Apr. 17, 2014), at 8 ff. 480 Siehe z. B. Bigio v. Coca-Cola Co., 448 F.3d 176 (2d. Cir. 2006) (Klage aus der ägyptischen Enteignung von Juden unter der Nasser-Regime); Paellmann v. Fleetboston (In re African Slave Descendents‘ Litig.), 471 F.3d 754 (7th Cir. 2006) (Klage der Nachkommen amerikanischer Sklaven); Movsesian v. Victoria Versicherung AG, No. CV-03-09407 (C.D. Cal. 2003), No. 07-56722 (9th Cir. 2010) (Klage gegen deutsche Versicherer von Opfern des armenischen Genozids); Deirmenjian v. Deutsche Bank, AG, 526 F. Supp. 2d 1068 (C.D. Cal. 2007) (Klage gegen deutsche Banken von Opfern des armenischen Genozids); Latchford v. Turkish Rep. of N. Cyprus, No. 12-CV-846, 2012 WL 1913761 (D.D.C. 2012) (Klage griechischer Zyprioten gegen Unternehmen, die von den Klägern widerrechtlich enteignetes Land aufgekauft haben sollen). 478
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Wohl am berühmtesten unter diesen anderweitigen historical justice-Klagen sind zwei Klagen gegen deutsche Unternehmen wegen angeblicher Zusammenarbeit mit der argentinischen Militärdiktatur der 1970er Jahre. In Bauman v. DaimlerChryler AG481 haben die Hinterbliebenen von Betriebsräten des Mercedeswerks in Buenos Aires die (deutsche) Daimler AG vor dem Central District of California verklagt. Laut den Klägern hat in 1978 der Sicherheitschef des argentinischen Werks die Namen dieser Betriebsräte an die argentinische Sicherheitspolizei als Subversive weitergegeben, worauf sie am nächsten Tag spurlos verschwunden waren und nie wiedergesehen wurden. Bauman erregte mediales Interesse, weil der Ninth Circuit den Fall als Anlass nahm, die internationale Zuständigkeit amerikanischer Gerichte auf fast alle internationalen Unternehmen mittels ihrer Tochtergesellschaften zu erstrecken, ungeachtet dessen, ob sie Kontakte zu den USA hatten482. Diese Entscheidung wurde allerdings neulich vom Supreme Court aufgehoben und die internationale Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte deutlich eingeschränkt483. In Hidalgo v. Siemens AG484 warf ein ehemaliger argentinischer Beamter Siemens vor, ihn bei Argentiniens Militärregierung verpfiffen zu haben, nachdem er Siemens Bestechung von wichtigen Politikern aufdeckte. Allerdings wurde auch Hildalgo abgewiesen, weil der Kläger die Zustellung an Siemens nicht fristgerecht erledigen konnte485. Neben den argentinischen Klagen hat ein namibischer Stamm eine Klage gegen deutsche Unternehmen erhoben, die am Kolonialkrieg in Namibia teilnahmen und dadurch zum Völkermord beigetragen haben sollen486. Die Klage wurde aus einer Reihe von Vorsichtsgründen abgewiesen, nicht zuletzt weil der Third Circuit befürchtete, durch eine Zulassung alle Völkerrechtsverletzungen „in recorded history“ durch ATS-Klagen für einklagbar zu erklären487. Die wohl interessantesten historical justice-Klagen gegen Unternehmen sind von Kurden erhoben worden, die bis 2001 unter dem Regime Saddam Husseins schwer gelitten haben488. Zwei ATS-Klagen haben australischen und amerikanischen Un481
Siehe Bauman v. DaimlerChrysler AG, 579 F.3d 1088 (9th Cir. 2009), 644 F.3d 909 (9th Cir. 2011); rev’d Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746 (2014). 482 Bauman sowie die Entscheidung des Ninth Circuit werden umfassend in Kapitel 4, Abschnitt B. IV. dargelegt. 483 Siehe hierzu den Abschnitt zur Einschränkung der Zweiten Welle durch Regeln zur internationalen Zuständigkeit der Bundesgerichte in III.2.5.5. unten. 484 Siehe Hidalgo v. Siemens Aktiengesellschaft, No. 11-CV-20107 (S.D. Fla. 2011). 485 Siehe Hildalgo, No. 11-CV-20107 (S.D. Fla. 2011). „Fristgerecht“ in dieser Klage hieß, dass die Zustellung auch nach zwei Verlängerungen der gesetzlichen Zustellungsfrist nicht erfolgt war. 486 Siehe Hereros v. Deutsche Afrika-Linien Gmblt & Co., 232 F. App’x 90 (3d Cir. 2007). Die Herero-Klage wird umfassend in Kapitel 4, Abschnitt B. II. geschildert. 487 Siehe Hereros, 232 F. App’x at 95. 488 Siehe Mastafa v. Australian Wheat Bd. Ltd., No. 07-CV-7955 (S.D.N.Y. 2008); Aziz v. Alcolac, Inc., No. 1:09-cv-00869 (D. Md. ), 658 F.3d 388 (4th Cir. 2011); Mastafa v. Chevron Corp., 759 F. Supp. 2d 297 (S.D.N.Y. 2010).
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ternehmen vorgeworfen, im Rahmen des „oil for food“-Programms der Vereinten Nationen geheime Schmiergelder an die irakische Regierung im Gegenzug für Öllieferungen gezahlt zu haben; mit diesen Geldern sollen die Unternehmen der Regierung die Mittel verschafft haben, womit sie Angriffe auf Kurden finanzierte489. Diese Klagen wurden abgewiesen, weil die Kläger keine zielgerichtete Zusammenarbeit der Unternehmen mit dem irakischen Regime hinsichtlich der vorgeworfenen Angriffe vorweisen konnten490. In einer dritten ATS-Klage haben Kurden einen britischen Chemikalienhersteller verklagt, der Chemikalien an die irakischen Regierungen verkauft hatte, die sie in Senfgas verarbeitete491. Die Kläger warfen dem Hersteller die Beihilfe zum mit diesem Senfgas verübten Völkermord an Kurden vor. Allerdings wurde die Klage abgewiesen, da die Kläger nicht nachweisen konnten, dass der Hersteller in Kenntnis über die geplante Verwendung seiner Chemikalien gehandelt hatte492. 5. Finanzierung von Terrorismus Nach dem 11. September trat eine Strömung der ATS-litigation auf, die sich gegen die Finanziers des modernen Terrorismus richtete. Private Terrorfinanzierungsnetzwerke boten ein vielversprechendes Feld für ATS-Klagen an. Die Gründe hierfür schilderten zwei Anti-Terror-Experten wie folgt: „While the direct costs of mounting individual terrorist attacks are relatively low, maintaining a terrorist network is an expensive undertaking. To promote a veil of legitimacy, large terrorist organizations must spend tens of millions on propaganda and ostensibly legitimate social or charitable activities such as hospitals, schools and other public works. They raise the money largely through fundraising efforts worldwide, including ,witting and unwitting‘ contributions from mosques, non-governmental organizations, wealthy donors, and charitable foundations. Criminal prosecutions alone have not stopped such contributions[.] Unleashing legions of private attorneys to pursue civil actions against individuals and or-
489 Siehe Mastafa v. Australian Wheat Bd. Ltd., No. 07-CV-7955 (S.D.N.Y. 2008); Mastafa v. Chevron Corp., 759 F. Supp. 2d 297 (S.D.N.Y. 2010). 490 Siehe z. B. Mastafa v. Chevron Corp., 759 F. Supp. 2d 297 (S.D.N.Y. 2010). Was fehlte, war der Nachweis von „joint action“ zwischen den Unternehmen und dem irakischen Regime im Sinne der § 1983-Rechtsprechung, womit die beklagten Unternehmen als Hoheitsträger fingiert werden sollten. Dies war nötig, weil die Kläger Deliktstatbestände wie Folter und außergerichtliche Hinrichtungen vorwarfen, die hoheitliches Handeln erfordern. 491 Siehe Aziz v. Alcolac, Inc., 658 F.3d 388 (4th Cir. 2011). 492 Siehe Aziz v. Alcolac, Inc., 658 F.3d 388 (4th Cir. 2011). Hierzu hat der Fourth Circuit in Aziz die erhöhten Anforderungen an den subjektiven Tatbestand des „aiding and abetting“Tests, die das Second Circuit in Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 582 F.3d 244 (2d Cir. 2009) zuerst entwickelt hatte, als eigenes Recht adoptiert. Demnach hätte der beklagte Chemiekonzern mit der subjektiven Absicht, die Senfgasangriffe auf Kurden zu unterstützen, Chemikalien an die Hussain-Regierung verkaufen müssen, was vom Gericht verneint wurde.
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ganizations, including charities and banks, involved in the chain of terrorist financing may be a much more credible deterrence“493.
a) Der Anfang: Al Baraka Die erste ATS-Klage gegen „charities and banks“, denen eine Verwicklung in Terrorfinanzierung vorgeworfen wurde, wurde 2002 unter dem Namen Burnett v. Al Baraka Investment & Development Corp. erhoben494. Gegenstand der Klage waren die Terroranschläge des 11. Septembers. 198 ausländische Kläger warfen etwa 200 Entitäten – unter ihnen Banken, gemeinnützige Organisationen und die saudi-arabische Königsfamilie – eine Teilnahme an der Finanzierung des 11. Septembers vor. Nach Darlegung der Kläger war die Finanzierung eines Terroranschlags einer Beihilfe zum Anschlag gleichzusetzen, die eine Haftung nach dem ATS ermöglichte. Mit diesem Argument erstritten die Kläger einen ersten Erfolg. Der District Court befand, dass Flugzeugentführungen zur Verübung von Terroranschlägen eine Völkerrechtsverletzung darstellte495. Des Weiteren stellte es fest – zumindest mit Bezug auf eine islamische Stiftung – dass eine Finanzierungstätigkeit für Al-Quaida als Beihilfe zu deren Terroranschlägen anzusehen war496. Somit hatte es ATS-Klagen gegen die Finanziers des 11. September für grundsätzlich zulässig erklärt. Allerding ging die Bedeutung dieser Erklärung in der medialen Aufregung zu einem anderen Aspekt der Entscheidung unter, in dem das Gericht Ansprüche gegen saudi-arabische Prinzen (die offenbar direkt an Al Quaida gespendet hatten) aufgrund hoheitlicher Immunität abwies. b) Die Grundlage künftiger Klagen: Arab Bank Ein Jahr nach dem Urteil in Al-Baraka folgte die wohl berühmteste ATS-Klage gegen einen Terrorfinanzier. Etwa neun ATS-Klagen wurden gegen die jordanische Großbank „Arab Bank“ eingeleitet, die vor dem Eastern District of New York unter dem Namen Almog v. Arab Bank Plc konsolidiert wurden497. Die Kläger waren israelische Opfer von Selbstmordattentaten der palästinensischen Intifada. Arab Bank 493 Jack Smith & Gregory Cooper, Disrupting Terrorist Financing with Civil Litigation, 41 Case W. Res. J. Int’l L. 65, 65 (2009). Vgl. auch Mark Drumbl, Transnational Terrorist Financing: Criminal and Civil Perspectives, 9 German L.J. 933 (2005). 494 Siehe Burnett v. Al Baraka Inv. & Dev. Corp., 274 F. Supp. 2d 86 (D.D.C. 2003). 495 Siehe Al Baraka, 274 F. Supp. 2d at 99 – 100. Hierfür verwies das Gericht auf die Entscheidung in Karadzic, die in § 404 Restatement (Third) Foreign Relations eine Liste derjenigen Deliktstatbestände sah, für welche private wie hoheitliche Akteure gleichermaßen hafteten. Einer der im § 404 aufgeführten Tatbestände waren Flugzeugentführungen. 496 Siehe Al Baraka, 274 F. Supp. 2d at 99 – 100. Diese Feststellung traf das Gericht ohne Analyse, vermutlich weil ihm die beihelfende Wirkung von Finanzierung offensichtlich war und weil es in seiner Entscheidung die Anträge auf Abweisung von 19 verschiedenen Beklagten entscheiden musste. 497 Siehe Almog v. Arab Bank, PLC, 471 F. Supp. 2d 257 (E.D.N.Y. 2007).
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warfen sie eine Beihilfe zu palästinensischen Selbstmordattentaten auf zweifache Weise vor498. Erstens sollte Arab Bank Bankdienste und Sammlungsaktionen für Hamas mit dem Wissen abgewickelt haben, dass diese Dienste Geldströme auf die Finanzierung von Attentaten in Israel gezielt zugeleitet haben. Zweitens soll Arab Bank ein mit saudischen Geldern gesponsertes „Sterbegeldprogramm“ für die Familien von palästinensischen „Märtyrern“ verwaltet haben. Arab Bank nahm offenbar durch Stiftungskonten saudische Gelder entgegen und hat diese durch ihre New Yorker Filiale überwiesen, um sie dort zuerst in Dollars und dann in israelische Schekel zu wechseln. Danach soll sie die Familien von palästinensischen Selbstmordattentätern von einem ihnen zustehenden „Sterbegeld“ informiert haben499. Wenn ein palästinensischer Angehöriger ein Selbstmordattentat in Israel verübte, erhielte seine Familie eine „Märtyrerurkunde“ von Hamas, die zur Beziehung von Sterbegeld berechtigte. Bei Vorlage der Urkunde in einer Arab Bank-Filiale soll die Bank ein entsprechendes Konto für die Familie des Attentäters eröffnet und Zahlungen in Schekel an das Konto getätigt haben. Ungefähr 200 solcher „Märtyrerfamilien“ haben das von Arab Bank betreutes Sterbegeldprogramm scheinbar in Anspruch genommen. Berühmt wurde die Entscheidung in Arab Bank nicht nur durch diesen brisanten Sachverhalt, sondern auch durch die umfassende und fundierte District Court-Entscheidung, die die Zulässigkeit der ATS-Ansprüche gegen Arab Bank wegen Beihilfe zu den Intifada-Attentaten bejahte. Der District Court befand zunächst, dass die Selbstmordattentate von Hamas Völkerrechtsverletzungen darstellten. Der systematische Einsatz mörderischer Gewalt mit dem Ziel „to eradicate the State of Israel [or] murder or throw out the Jews“ erfülle die völkerrechtlichen Tatbestände des Genozids500 sowie eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit501. Und Terrorismus 498
Für einen detaillierten Sachverhalt siehe den Abschnitt „Factual Allegations and Claims“ der District Court-Entscheidung: Arab Bank, 471 F. Supp. 2d at 260 – 65. 499 Das „Sterbegeldprogramm“ sowie die Voraussetzungen zum Erhalt von saudischem Sterbegeld scheint Arab Bank allgemein in palästinensischen Gebieten zugänglich gemacht zu haben, anstatt dass sie sich nach einzelnen Attentaten mit der jeweiligen Familie in Verbindung setzte. 500 Arab Bank, 471 F. Supp. 2d at 274 – 75. Die Definition des Genozidtatbestands entnahm das District Court Art. II des Übereinkommens über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 9. Dezember 1948, U.N. G.A. Res. 260/A/III. Die Festlegung dieses Übereinkommens als einschlägige Quelle der anwendbaren Genozidsnorm sah das Gericht durch die Ratifizierung des Übereinkommens von mehr als 120 Ländern sowie das Anwendung desselben Art. II vom Second Circuit in Karadzic bestätigt. Art. II des Übereinkommens definiert Völkermord wie folgt: „In dieser Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“: „(a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe; (b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe; (c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen;
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– als „bombings and other attacks intended to coerce or intimidate a civilian population“ verstanden – stelle selbst eine weitere Völkerrechtsverletzung dar502.
(d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; (e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe“. 501 Arab Bank, 471 F. Supp. 2d at 274 – 75. Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit entnahm das District Court Art. 7 des römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs: „(1) Im Sinne dieses Statuts bedeutet ,Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘ jede der folgenden Handlungen, die im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen wird: a) vorsätzliche Tötung; b) Ausrottung; h) Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaft aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen … im Zusammenhang mit einer in diesem Absatz genannten Handlung oder einem der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen; k) andere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art, mit denen vorsätzlich große Leiden oder eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der geistigen oder körperlichen Gesundheit verursacht werden. (2) Im Sinne des Absatzes 1 a) bedeutet ,Angriff gegen die Zivilbevölkerung‘ eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Absatz 1 genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat“. Einzelne Elemente dieses Tatbestands konkretisierte das District Court durch Glossierungen internationaler Straftribunale. Z. B. hat das Gericht die Anforderung eines „ausgedehnten oder systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung“ aus Art. 7 (1) römisches Statut mit einem Urteil des Internationalen Strafgerichts für Ruanda definiert: „a massive, frequent, large scale action, carried out collectively with considerable seriousness and directed against a multiplicity of victims … [and] thoroughly organised action, following a regular pattern on the basis of a common policy and involving substantial public or private resources“. Arab Bank, 471 F. Supp. at 275 (Zitat von Prosecutor v. Rutaganda, Case No. ICTR-96-3-T, para. 69 (Int’l Crim. Trib. for Rwanda Trial Chamber Dec. 6, 1999)). 502 Die Festlegung, dass durch Bombenattentate durchgeführte Terrorangriffe als einklagbare Verletzungen des Völkergewohnheitsrechts einzustufen sind, erfolgte unter Berufung auf drei Völkerrechtsquellen. Zuerst berief sich das Gericht auf das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge von 1997 (kurz das „Bombing Convention“), G.A. Res. 52/164 (Art. 2 (1): „Eine Straftat im Sinne dieses Übereinkommens begeht, wer … vorsätzlich einen Sprengsatz … zu einem öffentlichen Ort, … einem öffentlichen Verkehrssystem oder einer Versorgungseinrichtung befördert oder dort … auslöst oder zur Explosion bringt in der Absicht … den Tod oder schwere Körperverletzungen zu verursachen“). Dieses sog. „Bombing Convention“ war für das Gericht „signifikanter“ Nachweis einer Völkerrechtsnorm, weil es innerhalb von 10 Jahren von bereits mehr als 120 Ländern ratifiziert worden war. Als nächstes berief sich das Gericht auf das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus von 1999, G.A. Res. 54/109 (Art. 2 (1): „Eine Straftat im Sinne dieses Übereinkommens begeht, wer, … vorsätzlich finanzielle Mittel zur Verfügung stellt, … um … den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson … herbeizuführen“). Das Übereinkommen sah das Gericht als Nachweis, dass „suicide bombings and other
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Unter Anwendung des zweiteiligen „aiding and abetting“-Tests befand das Gericht ferner, dass Arab Bank eine haftungsbegründende Beihilfe zu diesen Völkerrechtsverletzungen geleistet haben konnte503. Die Finanzierungsdienste der Bank seien als Beihilfehandlungen zu qualifizieren, weil sie notwendige Voraussetzung für die Verübung der streitgegenständlichen Attentate gewesen seien. Des Weiteren habe Arab Bank mit dem zur Beihilfe erforderlichen Vorsatz gehandelt, wenn sie wusste, dass Hamas die von ihr verwalteten Gelder zur Finanzierung von Terroranschlägen zu verwenden gedachte sowie dass sie durch Sterbegeldzahlungen an „Märtyrerfamilien“ zu weiteren Anschlägen ermunterte504. Aus diesen Gründen ließ der District Court die Klage gegen Arab Bank für die Durchführung von Discovery zu505, damit die Kläger feststellen konnten, ob Arab Bank tatsächlich mit dem erforderlichen Vorsatz gehandelt hatte. c) Licci v. American Express Nach dem Erfolg von Arab Bank erhob 2008 eine weitere Gruppe israelischer Opfer eines Hisbollah-Raketenangriffs eine zweite ATS-Klage gegen Banken unter murderous attacks against innocent civilians intended to intimidate or coerce a population“ von der Staatengemeinschaft als Verbrechen angesehen werden. Arab Bank, 471 F. Supp. at 278. Schließlich führte das Gericht das dreihundert Jahre alte „Unterscheidungsprinzip“ des Völkerkriegsrechts an, das Konfliktparteien jederzeit zur Unterscheidung zwischen feindlichen Kämpfern und Zivilisten verpflichtet und nun im Art. 3 der Genfer Konventionen kodifiziert war („Personen, die nicht direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen, … sollen unter allen Umständen mit Menschlichkeit behandelt werden“). Zusammengenommen belegten aus Sicht des Gerichts die zwei UNO-Übereinkommen und die Genfer Konventionen eine Völkerrechtsnorm, die vorsätzliche terroristische Bombenattentate auf eine Zivilbevölkerung eindeutig untersagte. 503 Das Gericht bejahte die Zulässigkeit einer Beihilfehaftung im vorliegenden Fall, weil die in den vorigen Fußnoten dargelegten internationalen Übereinkommen, aus denen die einzuklagenden Völkerrechtsnormen hervorgingen, Haftung wegen „aiding and abetting“ explizit zuließen: „The Genocide Convention expressly provides liability for actors who conspire, incite, or are complicit in acts of genocide. Article 2 of the Bombing Convention provides for liability for an accomplice or one who in any way intentionally contributes to the bombing of a public place“. Arab Bank, 471 F. Supp. 2d at 288. Die Voraussetzung für Haftung wegen „aiding and abetting“ entnahm das Gericht der Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Prosecutor v. Furundzija, IT-95-17/1-T (Int’l Crim. Trib. for Former Yugoslavia Trial Chamber Dec. 10, 1998). Für eine ausführliche Darstellung des objektiven und subjektiven Tatbestandes der Beihilfehaftung, siehe den Abschnitt zur Entscheidung des Ninth Circuit in Doe v. Unocal in A. II. 2. dieses Kapitels, oben. 504 Siehe Arab Bank, 471 F. Supp. 2d at 290 – 91. 505 Arab Bank blieb in der Discovery-Phase eine Zeitlang wegen der Einrede der Bank stocken, ihre internen Unterlagen seien vor der Offenlegungspflicht privilegiert. Im August 2013 wurde die Klage nach der Entscheidung des Supreme Court von Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. abgewiesen. Siehe Almog et al. v. Arab Bank, No. 1:04-cv-055 (E.D.N.Y. Aug. 23, 2013).
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dem Vorwurf der Terrorismusfinanzierung. In Licci v. American Express Bank Ltd.506 warfen die Kläger einer amerikanischen und einer libanesischen Bank vor, routinemäßige Überweisungen für eine palästinensische Stiftung – allerdings in Millionenhöhe – getätigt zu haben. Laut den Klägern war die Stiftung in Wahrheit der Finanzierungsarm der Hisbollah gewesen und die überwiesenen Gelder wurden zum Kauf von Raketen verwendet, die Hisbollah 2006 auf israelische Städte abschoss. Die Banken hätten durch ihre Überweisungsdienste wissentlich Beihilfe zu diesem Angriff geleistet, weil es seit 2004 „notorious public knowledge“ gewesen sei, dass die Stiftung von Hisbollah kontrolliert werde507. Hinsichtlich der amerikanischen Bank war der District Court von diesen Vorwürfen unbeeindruckt und wies die Ansprüche gegen sie ohne eingehende Analyse ab: „[I]t is not reasonably foreseeable that the routine banking services performed by [the Defendant banks] would result in the death and bodily injuries suffered by plaintiffs in rocket attacks launched at Israel“508. Die Ansprüche gegen die libanesische Bank wies der District Court aus anderen Gründen ab: die persönliche Zuständigkeit amerikanischer Gerichte sei wegen mangelnder Kontakte der Bank zu den USA nicht gegeben509. 2013 hob jedoch der Second Circuit die Abweisung der Ansprüche gegen die libanesische Bank auf510. Nach Meinung des Gerichts konnten die Geschäfte der libanesischen Bank im Finanzzentrum New York einen besonderen Gerichtsstand für Ansprüche aus dort geleisteten Überweisungsdiensten eröffnen511. Des Weiteren befand der Second Circuit, dass eine Beihilfe der libanesischen Bank zum Raketenangriff der Hisbollah möglich war: Wenn die Bank um den wahren Zweck der palästinensischen Stiftung gewusst und ihr Überweisungsdienste mit dem Ziel angeboten habe, „to assist and advance Hizbollah’s goal of using terrorism to destroy the State of Israel“, läge eine Beihilfehandlung mit dem erforderlichen Vorsatz vor512. Es wies die Klage an den District Court zur Wiederaufnahme des Verfahrens zurück513. Der District Court muss nun im Lichte der Kiobel-Entscheidungen des Second Circuit514 und des Supreme Court515 entscheiden, ob die Bank als Kapital506 Siehe Licci v. American Express Bank, Inc., 704 F. Supp. 2d 403 (S.D.N.Y. 2010), aff’d sub nom. Licci v. Lebanese Canadian Bank, SAL, 672 F.3d 155 (2d Cir. 2012). 507 Licci, 704 F. Supp. 2d at 405. 508 Licci, 704 F. Supp. 2d at 410 – 411. 509 Siehe Licci, 704 F. Supp. 2d at 410. 510 Siehe Licci v. Lebanese Canadian Bank, SAL, 732 F. 3d 161 (2d Cir. 2013). 511 Siehe Licci, 732 F.3d at 164 ff. 512 Siehe Licci v. Lebanese Canadian Bank, SAL, 732 F.3d 161, 166 (2d Cir. 2013). 513 Im Moment befindet sich Licci vor dem Southern District of New York, wo das Gericht demnächst feststellen muss, ob verbindliche Normen des Völkerrechts die Haftung von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen vorsehen. Bejaht es dies, wird die Klage zur Discovery-Phase fortschreiten. 514 Siehe Abschnitt B. V. 7. dieses Kapitels, unten. 515 Siehe Abschnitt B. VI. 5. dieses Kapitels, unten.
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gesellschaft als Völkerrechtssubjekt zu qualifizieren ist, das nach dem ATS für Menschenrechtsverletzungen haften kann. d) Fazit Das Ergebnis von Al-Baraka, Arab Bank und Licci ist eine grundsätzliche Zustimmung zur zivilrechtlichen Ahndung der Finanziers des modernen Terrorismus durch ATS-Klagen. Allerdings muss ein klarer Zusammenhang zwischen den jeweiligen Bankdiensten und späteren Anschlägen, oder alternativ das Bescheidwissen der Bank über die terroristischen Vorhaben eines Kontoinhabers nachgewiesen werden, um die Beihilfe des Geldinstituts zu begründen. Des Weiteren wird es insbesondere nach Kiobel erforderlich sein, wesentliche Banktätigkeiten des Beklagten im US-amerikanischen Wirtschaftsraum – z. B. in New York City – darzulegen. Weil jedoch solche Kontakte bei vielen Banken vorliegen werden, gehören Klagen wegen Terrorismusfinanzierung zu den wenigen Strömungen der Zweiten Welle, die nach Kiobel zukunftsfähig bleiben könnten. 6. Technologiekonzerne und China Eine kleinere aber die Aufmerksamkeit der Medien stets auf sich ziehende Strömung der ATS-litigation hat sich mit der Zusammenarbeit zwischen amerikanischen Technologiekonzernen und dem chinesischen Staat befasst. ATS-Klagen gegen Teilnehmer an chinesischen Technologiemärkten gehen auf eine ATS-Klage aus dem Jahr 2007 gegen den Such- und Maildienst Yahoo! zurück516. Ein chinesischer Journalist, Wang Xiaoning, benutzte ein anonymes Yahoo!Konto, um über Übergriffe der Polizei zu berichten und regierungskritische Artikel zu posten. Die chinesischen Behörden beschwerten sich bei Yahoo!, welches das Konto von Xiaoning einstellte. Hierauf eröffnete Xiaoning ein neues anonymes Yahoo!-Konto und nahm seine regierungskritischen Tätigkeiten wieder auf. Die chinesischen Behörden beschwerten sich wieder bei Yahoo! und verlangten die Nutzerdaten des Kontoinhabers. Yahoo! soll Xiaonings Daten an die Behörden übermittelt haben, die damit Xiaoning identifizierten und festnahmen. Anschließend wurde er zu zehn Jahren Haft wegen „Anstiftung zur Subversion der Staatsgewalt“ verurteilt. Im chinesischen Gefängnis soll Xiaoning mehrfach schwer gefoltert worden sein. Nach Xiaonings Verurteilung erhob seine Ehefrau mithilfe amerikanischer Menschenrechtsorganisationen eine ATS-Klage gegen Yahoo! vor den Northern District of California. Yahoo! warf sie eine Beihilfe zu Folter vor. Der öffentliche 516 Siehe Xiaoning v. Yahoo! Inc., No. 07-CV-02151-CW (N.D. Cal. 2007). Für eine detaillierte Wiedergabe des Sachverhalts, siehe Khurram Nasir Gore, Xiaoning v. Yahoo!: Piercing the Great Firewall, Corporate Responsibility, and the Alien Tort Claims Act, 27 Temp. J. Sci. Tech. & Envt’l L. 97 (2008).
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Schock, dass Yahoo! eine derartige Zusammenarbeit mit China überhaupt in Betracht ziehen konnte, donnerte durch die Presse517. Yahoo!s Vorstandsvorsitzender wurde von einem Untersuchungsausschuss des Kongresses vorgeladen und musste während der Anhörung auf Drängen der Abgeordneten eine öffentliche Entschuldigung an Xiaonings anwesende Familienmitglieder leisten. Diese Umstände nötigten Yahoo! zu einem schnellen Vergleich518. Insofern ging keine signifikante Rechtsprechung aus der Yahoo!-Klage hervor, aber sie zeigte, dass für künftige ATSKläger der Vorwurf des Kollaborierens mit China gegen einen Technologiekonzern, gemeinsam mit einer Strategie des öffentlichen Anprangerns, besonders effektiv sein konnte519. Seit der Yahoo!-Klage sind zwei weitere ATS-Klagen mit ähnlichen Vorwürfen gegen den führenden kalifornischen Technologiekonzern Cisco Systems von chinesischen Angehörigen erhoben worden520. Eine Klage wurde von Anhängern der Falun Gong-Sekte, die andere Klage von chinesischen Menschenrechtsaktivisten und Schriftstellern erhoben. Beide Klägergruppen werfen Cisco die Beihilfe zu ihrer Folterung in chinesischen Gefängnissen vor. Cisco soll eine führende Rolle in der Entwicklung des sog. „Golden Shield“ gespielt haben, welches es der chinesischen Regierung ermöglichte, die Internetkommunikationen der eigenen Bevölkerung zu überwachen521. Anwendungen des „Golden Shield“ sollen die Kläger als Anhänger einer verbotenen Religion bzw. als Aktivisten anhand ihrer Tätigkeiten im Internet identifiziert haben, worauf sie inhaftiert, gefoltert und in einigen Fällen scheinbar außergerichtlich hingerichtet wurden. Cisco hat laut Darlegung der Kläger bei der Entwicklung des Golden Shield gewusst, dass der Zweck des Programmes die 517 Siehe z. B. Internet Crackdown: Yahoo Acknowledges Role in Arrest of Chinese Dissidents, Der Spiegel, Nov. 14, 2007, aufrufbar unter http://www.spiegel.de/international/world/ internet-crackdown-yahoo-acknowledges-role-in-arrest-of-chinese-dissidents-a-517283.html. 518 Yahoo! wurde ein Vergleich von Mitgliedern des Untersuchungsausschusses nachdrucksvoll nahegelegt, siehe hierzu die ,Empfehlung‘ eines Abgeordneten: „Settling the case would be a good step forward. And you should settle with them generously in favor of the families. It can never make things whole, but it would be an important gesture. That would be one way that you could convey to the committee and the American people and especially the victims that there are true victims because of your complicity. You can settle that tomorrow or by the end of the week if you’d like to“. Rep. Chris Smith, Smith Comments on Yahoo! Settlement of Lawsuit with Families of Jailed Chinese Journalists, Nov. 13, 2007, aufrufbar unter http:// chrissmith.house.gov/News/DocumentSingle.aspx?DocumentID=78514. 519 Siehe hierzu Theresa Harris, Settling a Corporate Accountability Lawsuit Without Sacrificing Human Rights: Wang Xiaoning v. Yahoo!, Washington College of Law, aufrufbar unter http://www.wcl.american.edu/hrbrief/15/2harris.pdf. 520 Siehe Doe v. Cisco Sys., Inc., No. CV-11-249-PSG, 2011 WL 1338057 (N.D. Cal. 2011); Daobin v. Cisco Sys., Inc., No. 11-CV-1538, 2011 WL 3962879 (D. Md. 2011). 521 Das „Golden Shield“ funktionierte offenbar wie folgt: „Cisco … proposed to [Chinese] officials a system that would link a person’s identity, voice patterns, Internet patterns of use and history, political tendencies, family background, and work history to their cell phone, then to make that information instantaneously accessible to CCP officials via a mobile device. … In 2011, Cisco … provide[d Chinese authorities] with networking equipment that would facilitate city-wide surveillance“. Daobin v. Cisco Sys., Inc., 2 F. Supp. 3d 717, 720 (D. Md. 2014).
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Überwachung der chinesischen Bevölkerung und damit die Verfolgung von Dissidenten war. Im Februar 2014 wies der District of Maryland eine der zwei ATS-Klagen gegen Cisco – die unter dem Namen Doabin v. Cisco Systems verhandelt wurde – ab522. Aus Sicht des Gerichts waren die gegen Cisco geltend gemachten Ansprüche nicht justiziable politische Fragen. Das Gericht begründete seine Berufung auf die political question-Doktrin damit, dass es die Ansprüche der Kläger nicht beurteilen konnte, ohne sich gegen detaillierte Exportregelungen der Legislative und außenpolitische Feststellungen der Exekutive zu stellen. Im Jahre 1989 habe der Kongress als Antwort auf das Tienanmen-Massaker ein Sanktionsgesetz gegen China verabschiedet523. Nach diesem Gesetz sei die Ausfuhr von „crime control or detection instruments or equipment“ nach China verboten, es sei denn, die Exekutive befinde explizit, dass China politische Reformen eingeführt hat, die im Interesse der USA seien524. Die nach dem Sanktionsgesetz erlassenen Ausfuhrverordnungen untersagten grundsätzlich den Export von „crime control“-Software an chinesische Abnehmer, lassen sie jedoch zu, sofern das Handelsministerium, als Vertreter der Exekutive, nach Berücksichtigung der Menschenrechtspraxis in China und der zu erwartenden Verwendung der Software eine Exportlizenz gewähre525. Im Falle von Cisco habe das Handelsministerium unter Berücksichtigung von Chinas Menschenrechtspraxis eine Lizenz für die Ausfuhr der Golden Shield-Software ausgestellt526. Deshalb könnten die Ansprüche gegen Cisco nicht verhandelt werden, ohne außenpolitische Entscheidungen der Legislative und Exekutive direkt zu hinterfragen: „To adjudicate this question would require the Judiciary to determine whether the U.S. rules and regulations surrounding the export of products to China are sound“527. Aus diesen Gründen stufte das Gericht die in Daobin geltend gemachten Ansprüche als nicht justiziable politische Fragen ein. Als alternativen Abweisungsgrund führte der District of Maryland den Act of State-Doktrin an. Nach dem Act of State-Doktrin urteilen die US-Gerichte nicht über die Hoheitsakte ausländischer Souveräne auf ihrem Hoheitsgebiet, um Einmischungen in die Außenpolitik durch die Judikative zu vermeiden528. Der District Court befand, dass die Zulassung der Daobin-Klage eine ungebührliche Einmischung in außenpolitische Angelegenheiten darstellen würde:
522
Siehe Daobin v. Cisco Sys., Inc., 2 F. Supp. 3d 717 (D. Md. 2014). Siehe Daobin, 2 F. Supp. 3d at 724; siehe auch Foreign Relations Authorization Act for Fiscal Year 1990 – 1991, Pub. L. 101-246 (Feb. 16, 1990). 524 Siehe Pub. L. 101-246 (Feb. 16, 1990), §§ 902 (a) (4), 902 (b). 525 Siehe 15 C.F.R. §§ 730 – 774. 526 Siehe Daobin, 2 F. Supp. 3d at 725. 527 Siehe Daobin, 2 F. Supp. 3d at 725. 528 Siehe Daobin, 2 F. Supp. 3d at 725 – 726 (Zitat von Banco Nacional de Cuba v. Sabbatino, 376 U.S. 398, 416, (1964)). 523
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„Plaintiffs are effectively asking the Court to decide that the Chinese government, with substantial assistance from Cisco, has engaged in multiple violations of international law, namely, crimes against humanity, torture, cruel, inhuman, or other degrading treatment, arbitrary arrest and prolonged detention, forced labor, and other human rights violations. Adjudication of these claims would require judging official actions of the Chinese government and its officials in enforcing Chinese law against Chinese citizens in China. There cannot be the slightest doubt that Plaintiffs’ allegations of violations of international law touch sharply on national nerves, which carry important implications for our foreign relations with China“529.
Unter Berufung auf die political question- und act of state-Doktrinen wies der District of Maryland Daobin ab. Das Urteil des Gerichts hat zwei wesentliche Hürden für ATS-Klagen aufgestellt, die in wenigen anderen ATS-Klagen präsent sind. Einerseits konnte das Urteil dahingehend ausgelegt werden, dass, wo die Exekutive die Ausfuhr von Software genehmigt hat, die Zulassung einer ATS-Klage als per sepolitische Frage einzustufen sei, weil es eine Entscheidung der Exekutive in Frage stellt. Andererseits schrak das Gericht offensichtlich davor zurück, den Umgang des chinesischen Staats mit den eigenen Bürgern auch nur implizit als völkerrechtswidrig abzuurteilen. Sollten diese Aspekte seiner Entscheidung Überzeugungskraft entfalten – was in klägerfreundlichen Foren wie z. B. dem Ninth Circuit keineswegs sicher ist – wären künftige ATS-Klagen gegen Technologiekonzerne wegen Mitarbeit mit chinesischen Behörden nur schwer vorstellbar. Dennoch bleiben solche ATS-Klagen zumindest in absehbarer Zeit noch relevant. Weil amerikanische Technologiekonzerne ihre Entwicklungstätigkeiten hauptsächlich auf amerikanischem Hoheitsgebiet betreiben, gehören ATS-Klagen gegen Technologiekonzerne zu den wenigen ATS-Klagen, die einen klaren Inlandsbezug aufweisen und nach Kiobel noch möglich sind.
IV. Fazit: Zahlen und Statistiken zur Zweiten Welle Seitdem Kadic v. Karadzic in 1995 ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften die dogmatischen Grundlagen der Zweiten Welle lieferte, sind etwa 250 ATS-Klagen gegen Unternehmen aus aller Welt erhoben worden530. Aber im Gegensatz zu ehemaligen Hoheitsträgern im Exil hatten Kapitalgesellschaften die Ressourcen und den Willen, sich vehement zu verteidigen531. Dies hat zu deutlich günstigeren Ergebnissen für Beklagte der Zweiten Welle geführt. 529
Daobin, 2 F. Supp. 3d at 726. Es gestaltet sich schwierig, die Fälle der Zweiten Welle genau zu beziffern. Für eine Liste der Fälle der Zweiten Welle sowie Erläuterungen zur Einschätzung ihrer Anzahl siehe Anhang B zu dieser Arbeit verwiesen. 531 „Unlike first wave ATS defendants, second wave ATS defendants could and did defend themselves in court“. Julian Ku, The Third Wave: The Alien Tort Statute and the War on Terrorism, 19 Emory Int’l L. Rev. 205, 210 (2005). 530
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Die große Mehrheit von ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften endete mit einem Sieg des Beklagten durch Antrag auf Abweisung oder durch summary judgment532. Nur fünf aus 200 Klagen haben den langen Weg533 durch Discovery und Vorverhandlungsanträge bis zur Verhandlung vor einer Jury geschafft534 und das erste jury trial fand erst im Juli 2007 – d. h. gute 12 Jahre nach Karadzic – statt535. In diesen fünf Jury-Verhandlungen hat der Kläger nur zweimal gegen die beklagte Gesellschaft obsiegt536. Und diese zwei Prozesssiege wurden nur gegen kleinere Unternehmen erstritten – einmal gegen einen bangladeschischen Telekomanbieter537 und einmal gegen eine amerikanische Baumzucht538. In ATS-Prozessen gegen die global tätigen und „wahren Übeltäter“ der Globalisierung – Ölförderer wie Chevron539 und Bergbaugesellschaften540 – hat sich bisher keine Jury für die Kläger entschieden. Außerdem hat nur ein einziger Beklagter durch Nichtbeteiligung am Verfahren ein Versäumnisurteil über sich ergehen lassen541, was einen erheblichen Unterschied zu den vielen Versäumnisurteilen der Ersten Welle darstellte542. Wenn ein Kläger etwas aus einer ATS-Klage gegen ein Unternehmen erstreiten konnte, geschah dies meistens – d. h. in etwa siebzehn Fällen543 – durch einen außergerichtlichen Ver532 Z. B. hatten bis 2004 nur vier ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften den Antrag auf Abweisung überstanden, siehe Beth Stephens, Upsetting Checks and Balances, 17 Harv. J. Hum. Rts. 169 (2004). 533 Die ersten ATS-Klagen, die vor eine Jury kamen, verbrachten erstmals jeweils fünf bzw. neun Jahre im Vorverhandlungsstadion, siehe Abschnitt B. V. 1. dieses Kapitels, unten. 534 Siehe Jama v. Esmor Corr. Servs. Inc., 22 F. Supp. 2d 353 (D.N.J. 1998); Romero v. Drummond Co., 552 F.3d 1303 (11th Cir. 2008); Bowoto v. Chevron, 621 F. 3d 1116 (9th Cir. 2010); Chowdhury v. Worldtel Bangladesh Holding, Ltd., 588 F. Supp.2d 375 (E.D.N.Y. 2008); Aguilar v. Imperial Nurseries, No. 07-cv-0193 (D.Conn. 2008). 535 Siehe); Romero v. Drummond Co., 552 F.3d 1303 (11th Cir. 2008) (Jury-Verfahren im Juli 2007). 536 Siehe Chowdhury v. Worldtel Bangladesh Holding, Ltd., 588 F. Supp.2d 375 (E.D.N.Y. 2008) (Urteil der Jury in Höhe von $ 1,5 Mio. Schadensersatz insgesamt und $ 250.000 punitive damages pro Beklagte); Aguilar v. Imperial Nurseries, No. 07-cv-0193 (D.Conn. 2008) (Schadensersatz in Höhe von $ 300.000 je Kläger). 537 Siehe Chowdhury v. Worldtel Bangladesh Holding, Ltd., 588 F. Supp. 2d 375 (E.D.N.Y. 2008). 538 Siehe Aguilar v. Imperial Nurseries, No. 07-cv-0193 (D.Conn. 2008). 539 Siehe Bowoto v. Chevron, 621 F. 3d 1116 (9th Cir. 2010) (Sieg des Beklagten nach einem Jury-Prozess). 540 Siehe Romero v. Drummond Co., 552 F.3d 1303 (11th Cir. 2008) (Sieg des Beklagten nach einem Jury-Prozess). 541 Siehe Licea v. Curacao Drydock Co., 584 F. Supp. 2d 1355 (S.D. Fla. 2008) (Versäumnisurteil, Schadensersatz in Höhe von $ 80 Mio.). 542 Die Zahlen und Statistiken der Ersten Welle sind im obigen Abschnitt A. IV. dieses Kapitels aufgeführt. 543 Siehe u. a. folgende Fälle: In re Holocaust Victim Assets Litig., No. 96-civ-4849 (E.D.N.Y. 1997) (Vergleich mit Schweizer Banken in Höhe von $ 1,25 Mrd.); In re Austrian and German Holocaust Litigation, 80 F. Supp. 2d 164, 180 (S.D.N.Y. 2000) (Vergleich mit österreichischen Banken und Industrie in Höhe von $ 210 Mio.); In re Austrian and German
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Kap. 2: Die Zweite Welle
gleich. Kapitalgesellschaften waren entschiedene Gegner und haben es äußerst schwer gemacht, durch ATS-Klagen Völkerrechtsansprüche gegen sie durchzusetzen544. Trotz aller Rückschläge hielten NGOs und Wissenschaftler die Möglichkeit einer ATS-Klage gegen Unternehmen für die vielleicht wichtigste Entwicklung der human rights litigation545. Weil ausländische Staaten mit fragwürdigen Menschenrechtspraktiken eine grundsätzliche Immunität vor US-Gerichten genossen und ehemalige Hoheitsträger erst nach Einreise auf amerikanisches Hoheitsgebiet belangbar waren, boten ATS-Klagen gegen die Kapitalgesellschaften die erste Möglichkeit einer allgemeinen Kontrolle von Menschenrechtsverletzungen im Ausland. Des Weiteren begeisterte viele NGOs die Vorstellung, die – aus ihrer Sicht – größten Profiteure der Globalisierung wegen der von ihnen angetriebenen Auswüchse gegen indigene Völker zur Verantwortung zu ziehen. Man hoffte, das Haftungsrisiko von Wirtschaftstätigkeiten in Ländern mit fragwürdigen Menschenrechtspraktiken derart zu steigern, dass multinationale Gesellschaften entweder an der Unterbindung derartiger Praktiken mitwirken oder aus solchen Staaten desinvestieren würden546. Die Holocaust Litigation, 80 F. Supp. 2d 164, 180 (S.D.N.Y. 2000) (Vergleich mit deutschen Banken und Industrie aufgrund eines Sonderfonds in Höhe von $ 5,25 Mrd.); Bodner v. Banque Paribas, 114 F. Supp. 2d 117, 128 (E.D.N.Y. 2000) (Vergleich mit französischen Banken, Höhe unbekannt); Doe v. Unocal, 395 F.3d 932 (9th Cir. 2009) (Vergleich in Höhe von geschätzten $ 35 Mio.); Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88 (2d Cir. 2000) (Vergleich in Höhe von $ 15,5 Mio.); Manzanarez v. C&Y Sportswear, No. CV-0012715-NM (C.D. Cal. 2000) (Vergleich, Höhe unbekannt); Doe I v. The Gap, Inc., CV-01-0031, 2001 WL 1842389 (D. N. Mar. I. 2001) (Vergleich in Höhe von $20 Mio. zzgl. etwa $ 4 Mio. in Zahlungen an die Klägeranwälte); Xiaoning v. Yahoo! Inc., No. 07-CV-02151-CW (N.D. Cal. 2007) (Vergleich, Höhe unbekannt); Aguilar v. Imperial Nurseries, No. 07-cv-0193 (D. Conn. 2008) (Vergleiche mit vereinzelten Beklagten, Höhen hiervon unbekannt); Abdullahi v. Pfizer, Inc., 562 F.3d 163 (2d Cir. 2009) (Vergleich in Höhe von $75 Mio., mit Zahlungen von maximal $ 175.000 pro Kläger); Shiguago v. Occidental Petroleum Co., No. 06-4982 (C.D. Cal. 2010) (Vergleich wird vermutet, Höhe ist unbekannt); In re South African Apartheid Litig., No. 02 MDL 1499 (S.D.N.Y.) (Vergleich zwischen General Motors und Apartheid-Opfern in Höhe von $ 1 Mio.); In re Xe Servs. Alien Tort Litig., Nos. Nos. 1:09-cv-615, 1:09-cv-616, 1:09-cv-617, 1:09-cv618, 1:09-cv-645 (E.D. Va.) (Vergleich in Höhe von zwischen $ 20.000 und $ 30.000 pro Körperverletzung und $ 100.000 je Todesfall). 544 Ihr entschiedener Widerstand soll möglicherweise mit den Folgen der Niederlage in Unocal zu tun gehabt haben. Nachdem die Kläger die im Vergleich von Unocal enthaltenen Mittel zur Finanzierung weiterer ATS-Klagen verwendet haben, sollen viele Gesellschaften Vergleiche nicht mehr als realistische Optionen in Betracht gezogen haben. Siehe Childress III, The Alien Tort Statute, Federalism, and the Next Wave, S. 714 ff. 545 Vgl. z. B. Richard Herz, The Liberalizing Effects of Tort: How Corporate Complicity Liability Under the Alien Tort Statute Advances Constructive Engagement, 21 Harv. Hum. Rts. J., at *2 (2008); Gregory Tzeutschler, Corporate Violator: The Alien Tort Liability of Transnational Corporations for Human Rights Abuses Abroad, 30 Colum. Hum. Rts. L. Rev. 359 (1998 – 1999). 546 Siehe z. B. Herz, The Liberalizing Effects of Tort, S. 2: „[L]iability for abetting abuses creates incentives for companies to actually [promote reform and convey democratic values]. Conversely, without the potential for liability, companies might continue to abet the very abuses
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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weitere Gefahr eines unwiederbringlich schweren Ansehensverlustes, die mit einer ATS-Klage einherging, sollte diesem Risiko besonderen Nachdruck verleihen. Das Resultat dieser Ausgangslage war ein von beiden Seiten entschieden geführter Kampf um die Haftung von Kapitalgesellschaften für im Ausland begangenen Menschenrechtsverletzungen durch das Mittel der ATS-Klage. Das Ziel der Menschenrechtsorganisationen war es, das ATS als Basis eines Rechtsrisikos zu etablieren, das sich bereits bei Klageerhebung realisierte und von den Erfolgsaussichten der jeweiligen Klage mehr oder weniger unabhängig war. Ihnen gegenüber standen Wirtschaftsteilnehmer und andere Staaten, die dieses Vorhaben als ungeheuerlichen Angriff gegen die internationale Rechtssicherheit empfanden und deshalb jahrzehntelang gegen die Zweite Welle kämpften. Aus dem Zusammenprall dieser Kontrahenten ist die einzigartige dogmatische Entwicklung des Rechts des ATS entstanden, der sich diese Arbeit nun zuwendet.
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle Die Zweite Welle ist für den Löwenanteil der ATS-Rechtsprechung verantwortlich. Grund für diese Rechtsprechung war ein neuer Bedarf an dogmatischer Entwicklung, um eine stets größer werdende Anzahl von ATS-Klagen gegen Konzerne zu bewältigen. Auf der einen Seite verlief diese Entwicklung horizontal, weil sich die ATS-Rechtsprechung auf Drängen neuer und wehrhafter Beklagter mit immer mehr Rechtsfragen wie Zuständigkeit, Durchgriffshaftung und völkerrechtlichen Beihilfevoraussetzungen befassen musste. Auf der anderen Seite bedeuten die dogmatischen Auseinandersetzungen der Zweiten Welle eine Vertiefung und Verfeinerung aller Rechtsgebiete, die mit dem ATS in Berührung kamen. Im Folgenden wird die dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle dargelegt. Diese Darlegung verläuft in fünf Hauptabschnitten. (1) Die Zweite Welle fing mit einer dogmatischen Expansionsphase an, in der die Rechtsprechung die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften und die Zulässigkeit der Beihilfehaftung bejahte, während sie gleichzeitig traditionelle verfahrensrechtliche Hindernisse in ATS-Klagen ausräumte. (2) 2004 hat der Supreme Court diesen Entwicklungen in seiner Entscheidung in Sosa v. Alvarez-Machain keine Absage erteilt, was zu einer Fortführung der Expansion führte. (3) Allerdings bildete sich langsam ein Konsens gegen die Expansion der ATS-litigation gegen Konzerne, und Ende der 2000er Jahre leiteten die Circuit Courts eine Phase der dogmatischen Einschränkung in ATSKlagen ein, in denen Voraussetzungen für Beihilfe verschärft wurden, Verfahrenshindernisse zurückkehrten und die Haftung von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen in Frage gestellt wurde. (4) Diese Einschränkungen führten zu einer zweiten höchstrichterlichen Entscheidung in Sachen Kiobel v. Royal Dutch engagement is designed to prevent. Thus, … liability facilitates a constructive engagement policy“.
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Kap. 2: Die Zweite Welle
Petroleum Co., im Rahmen derer der Supreme Court ATS-Ansprüche auf Verhalten, das die USA „berührt“, beschränkte. (5) Die Rechtsprechung setzt sich in der Folge mit dem durch Kiobel festgelegten Erfordernis auseinander, insbesondere mit der Frage nach dem Ausmaß des Inlandsbezugs, den eine ATS-Klage aufwerfen muss, um zulässig zu sein.
I. Einleitung Die Zweite Welle wuchs auf dem Boden, den die Rechtsprechung der Ersten Welle bereitet hatte547. Bis 1995 hatte ständige Rechtsprechung der Gerichte in ATSKlagen folgende Leitsätze als ATS-Recht etabliert: – Die rechtliche Grundlage einer ATS-Klage ist amerikanisches common law, das Schadensersatzansprüche zur Abhilfe von Völkerrechtsverletzungen auf Basis des ATS abgeleitet hat548 ; – Eine Norm des Völkergewohnheitsrechts kann als ATS-Anspruch eingeklagt werden, wenn sie „universal, specific and obligatory“ ist549 ; – Das amerikanische law of remedies bestimmt Art, Umfang und Höhe des zulässigen Schadensersatzes in ATS-Klagen550 ; – ATS-Ansprüche unterliegen einer zehnjährigen Verjährungsfrist, wobei die „equitable tolling“-Doktrin eine womöglich unbegrenzte Hemmung der Verjährungsfrist zulässt551; – Ob ein Beklagter als Hoheitsträger zu qualifizieren ist, die völkerrechtlichen Pflichten unterliegt, wird anhand der „color of law“-Rechtsprechung zu 42 U.S.C. § 1983 bestimmt552; – bei Streuschäden können ATS-Klagen als class actions zugelassen werden553 ; – ATS-Ansprüche unterliegen dem Weltrechtsprinzip und genießen deshalb einen weltweiten Geltungsbereich554. Ab 1996 wurde auf der Grundlage dieser Rechtsprechung und insbesondere nach Ermunterung durch Karadzic eine regelrechte Lawine von ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften erhoben. Obwohl die genaue Anzahl dieser frühen ATS-Klagen schwer feststellbar ist, kann davon ausgegangen werden, dass allein zwischen 1996 547 548 549 550 551 552 553 554
Zur dogmatischen Entwicklung der Ersten Welle siehe Kapitel 1, Abschnitt C. Siehe Kapitel 1, Abschnitt C. I. Siehe Kapitel 1, Abschnitt C. I. 2. Siehe Kapitel 1, Abschnitt C. II. 1. Siehe Kapitel 1, Abschnitt C. II. 2. Siehe Kapitel 1, Abschnitt C. II. 3. b). Siehe Kapitel 1, Abschnitt C. II. 4. Siehe Kapitel 1, Abschnitt C. IV. 2.
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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und 2001 mindestens 100 Einzelklagen gegen amerikanische und ausländische Kapitalgesellschaften aufgrund des ATS erhoben wurden555. Die Bedeutung dieser Zahlen sollte nicht unterschätzt werden: Innerhalb von fünf Jahren hatte die Zweite Welle genauso viele ATS-Klagen hervorgebracht wie die gesamte Erste Welle, wobei die Zweite Welle hundertausende Ansprüche mehr als die Erste Welle tatsächlich durchsetzte556. Ab 1996 machten ATS-Klagen gegen Unternehmen zwischen 50 und 80 % aller anhängigen ATS-Klagen aus557. Diese Klagen waren nicht nur zahlenmäßig stark, sondern sie hatten auch signifikante, medienträchtige und geldwerte Erfolge. Vor allem waren die HolocaustKlagen in dieser Hinsicht relevant, allein durch diese ATS-Klagen konnten Kläger bis 2001 mehr als $ 8 Mrd. durch außergerichtliche Vergleiche erstreiten558. Auch damit stellte die Zweite Welle die erste in den Schatten: $ 8 Mrd. war mehr Geld, als in der gesamten Erste Welle bis zum heutigen Datum erstritten wurde559. Die Erfolge der Holocaust-Klagen ermunterten weitere Kläger zum Einstieg in die wachsende Klagelawine. Bis 2003 beliefen sich die Forderungen in anhängigen ATS-Klagen gegen multinationale Unternehmen auf etwa $ 200 Milliarden560.
555
Genaue Zahlen sind schwierig, weil ATS-Klagen oft zusammengelegt und fast immer als class actions erhoben wurden, die die Ansprüche hunderter bis tausender Personen geltend machten. Siehe hierzu Anhang B. Trotzdem kann die Erhebung von mindestens 100 ATSEinzelklagen zwischen 1996 und 2001 nachgewiesen werden, wovon einige dieser Klagen größere Sammelklagen waren. 556 Zwischen 1980 und 2014 haben ATS-Kläger im Rahmen der Ersten Welle etwa 100 Klagen gegen ehemalige Hoheitsträger bzw. natürliche Personen erhoben, die eine Menschenrechtsverletzung begangen haben. Siehe hierzu Anhang A. 557 Siehe hierzu Stephens, International Human Rights Litigation in U.S. Courts, S. 306 ff. 558 Siehe hierzu den obigen Abschnitt A. II. 1. dieses Kapitels zu den Holocaust-Klagen. Deutsche Beklagten haben durch die Stiftung ,Erinnerung, Verantwortung und Zukunft‘ etwa $ 5,25 Mrd. gezahlt; österreichische Beklagte haben durch eine Stiftung $ 1 Mrd. für Opfer bereitgestellt, wobei sich die Banken separat für $ 40 Mio. verglichen; französische Banken haben ein Minimum von $ 22,5 Mio. versprochen; und schweizerische Banken verglichen sich in Höhe von $ 1,25 Mrd. Angesichts derartiger Beträge kommen die $ 35 Mio., die Unocal in Dezember 2002 im Rahmen eines Vergleichs zahlte, ziemlich kleinlich vor. 559 Ein anderer wesentlicher Unterschied zur Ersten Welle bestand darin, dass die Kläger diese $ 8 Mrd. tatsächlich erhielten. Die Klagen der Ersten Welle gegen natürliche Personen waren im Normalfall symbolisch und niemand erwartete, dass die Urteile vollstreckt werden konnten. Z. B. wurde der Serbenführer Karadzic zu Schadensersatz in Höhe von insgesamt etwa $ 2 Mrd. verurteilt, aber die Kläger haben bis heute keinen Dollar davon erhalten. Auch die Kläger in Filartíga haben bis heute nichts von den ihnen zustehenden $ 10 Mio. eintreiben können. Siehe William Aceves, The Anatomy of Torture: A Documentary History of Filartíga v. Pena-Irala 76 (2007). 560 Siehe Gary Clyde Hufbauer & Nicholas Mitrokostas, Awakening Monster: The Alien Tort Statute of 1789, S. 7 (2003).
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Kap. 2: Die Zweite Welle
Der Umfang dieser neuen ATS-litigation schien ins Unermessliche zu laufen. Jedes Jahr nahmen neue ATS-Klagen neue Industrien ins Visier:zuerst die Rohstoffund Ausbeutungsindustrie561, bald darauf die Finanzwelt562, Lebensmittelkonzerne563, internationale Pharmaunternehmen564, Chemikalienhersteller565 und auch Technologiefirmen566. Diese ATS-Klagen warfen Unternehmen eine stets wachsende Zahl neuartiger „Menschenrechtsverletzungen“ vor, wie z. B. „kulturelles Genozid“567, die Überschreitung angeblicher internationaler Schadstoffausstoßgrenzen568, ein angebliches völkerrechtliches Grundrecht auf gewerkschaftliche Organisation569 oder sogar ein völkerrechtliches Verbot von internationalen Preisabsprachen570. Des Weiteren warfen sie Kapitalgesellschaften eine Haftung wegen Menschenrechtsverletzungen vor, die die Gesellschaften gar nicht selbst begangen hatten. Die Theorie vieler neuer ATS-Klagen war, dass die Zusammenarbeit einer Gesellschaft mit einem verbrecherischen Regime eine indirekte Haftung für dessen Verstöße gegen das Völkerrecht begründete571. Für die frühen ATS-Klagen der Zweiten Welle waren räumliche Grenzen nicht vorhanden: Tätigkeiten aus aller Welt, egal ob Südamerika572, Afrika573, Europa574 561 Siehe z. B.Aguinda v. Texaco, Inc., 945 F. Supp. 625, 628 (S.D.N.Y. 1996); Doe I v. Unocal Corp., 395 F.3d 932 (9th Cir. 2002). 562 Siehe In re Austrian and German Holocaust Litigation, 80 F. Supp. 2d 164, 180 (S.D.N.Y. 2000), aff’d sub nom. D’Amato v. Deutsche Bank, 236 F.3d 78, 87 (2d Cir. 2001). 563 Siehe z. B. Sinaltrainal v. Coca-Cola Co., 474 F. Supp. 2d 1273 (S.D. Fla. 2006); 578 F.3d 1252 (11th Cir. 2009); Aldana v. Del Monte Fresh Produce, N.A. Inc., 452 F.3d 1284 (11th Cir. 2006), 578 F. 3d 1283 (11th Cir. 2009). 564 Siehe z. B. Abdullahi v. Pfizer, 77 Fed. App. 48 (2d Cir. 2003); Friedman v. Bayer Corp., 1999 WL 33457825 (E.D.N.Y 1999). 565 Siehe In re Agent Orange Prod. Liab. Litig., 818 F.2d 187 (2d Cir. 1987). 566 Siehe In re South African Apartheid Litig., 238 F. Supp. 2d 1379 (S.D.N.Y. 2004). 567 Siehe Beanal v. Freeport-McMoran, Inc., 197 F.3d 161 (5th Cir. 1999). 568 Siehe Flores v. Southern Peru Copper Corp., 414 F.3d 233 (2d Cir. 2003). 569 Siehe Estate of Rodriguez v. Drummond Co., Inc., 256 F. Supp. 2d 1250 (N.D. Ala. 2003); 552 F.3d 1303 (11th Cir. 2008). 570 Siehe Empagran S.A. v. Hoffman-La Roche, Ltd., 2001 WL 761360 (D.D.C. 2000); Kruman v. Christie’s Int’l PLC, 129 F. Supp. 2d 620 (S.D.N.Y. 2001). 571 Siehe z. B. Doe v. Unocal Corp., 395 F.3d 932 (9th Cir. 2002); Doe v. ExxonMobil Corp., 473 F.3d 345 (D.C. Cir. 2007). 572 Siehe z. B. Jota v. Texaco, Inc., 157 F.3d 153 (2d Cir. 1998); Aldana v. Del Monte Fresh Produce, N.A. Inc., 452 F.3d 1284 (11th Cir. 2006), 578 F. 3d 1283 (11th Cir. 2009); Sinaltrainal v. Coca-Cola Co., 474 F. Supp. 2d 1273 (S.D. Fla. 2006). 573 Siehe z. B. Khulumani v. Barclays Nat. Bank Ltd. (In re South African Apartheid Litigation), 504 F.3d 254 (2d Cir. 2007); Hereros v. Deutsche Afrika-Linien Gmblt & Co., 232 F. App’x 90 (3d Cir. 2007). 574 Siehe z. B. Ungaro-Benages v. Dresdner Bank, 379 F.3d 1227 (11th Cir. 2004); Movsesian v. Victoria Versicherung AG, No. CV-03-09407 (C.D. Cal. 2003).
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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oder Asien575, waren Gegenstand von ATS-Klagen. Außerdem schien die Zweite Welle keine zeitliche Beschränkung anzuerkennen. Konzerne fanden sich mit ATSKlagen wegen Zusammenarbeit mit u. a. den Nazis576, dem Apartheid-Regime Südafrikas577, der argentinischen Militärdiktatur578 und der deutschen Kolonialregierung von Namibia579 konfrontiert.
II. Die dogmatische Expansionsphase Von 1996 bis 2004 wurde die Zunahme von ATS-Klagen gegen Konzernen von wesentlichen dogmatischen Expansionen begleitet, die aus Entscheidungen in diesen Klagen hervorgingen und den Weg für weitere Klagen einebneten. In diesem Abschnitt werden die wichtigsten dogmatischen Entwicklungen der Zweiten Welle präsentiert, die ATS-Klagen zu einem ernormen Risko für international tätige Unternehmen machten. 1. Die Aufnahme der Rechtsprechung der Ersten Welle a) Die Anerkennung weiterer Normen des Völkergewohnheitsrechts als ATS-Tatbestände Wie eingangs erwähnt wurden die Konzerne durch die Klagen der Zweiten Welle mit einer stets wachsenden Anzahl neuartiger „Völkerrechtsverletzungen“ wie z. B. „kulturellem Genozid“ oder „willkürlicher Entbürgerung“580 konfrontiert. Die Basis dieser Expansion geltend gemachter Ansprüche lag in der Rechtsprechung der Ersten Welle. ATS-Klagen aus den 1980er und 1990er Jahren hatten das Völkergewohnheitsrecht als die Quelle zur Ableitung von ATS-Ansprüchen festgelegt und den „universal, definable, and obligatory“-Standard für einklagbare Normen des Völkergewohnheitsrechts entwickelt581. Unter Anwendung dieses Maßstabs wurden bis 1996 neun Deliktstatbestände als einklagbare Völkerrechtsverletzungen Sinne des ATS anerkannt582 : Folter; grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung; willkürliche Inhaftierung; außergerichtliche Hinrichtung; zwangsweises Ver575
Siehe z. B. In re World War II Era Japanese Forced Labor Litigation, 114 F. Supp. 2d 939 (N.D. Cal. 2000); Chowdhury v. Worldtel Bangladesh Holding, Ltd., 588 F. Supp. 2d 375 (E.D.N.Y. 2008). 576 Siehe Abschnitt A. II. 1. dieses Kapitels zu den Holocaust-Klagen. 577 Siehe Abschnitt A. III. 4. a) dieses Kapitels zu Khulumani bzw. den Apartheid-Klagen. 578 Siehe Abschnitt A. III. 4. b) dieses Kapitels zu anderweitigen Historical Justice-Klagen. 579 Siehe Abschnitt A. III. 4. b) dieses Kapitels zu anderweitigen Historical Justice-Klagen. 580 Siehe z. B. Ntsebeza v. Daimler AG (In re South African Apartheid Litig.), 504 F.3d 254 (2d Cir. 2007). 581 Siehe hierzu Kapitel 1, Abschnitt C. I. 2. 582 Siehe hierzu Kapitel 1, Abschnitt C. I. 4.
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Kap. 2: Die Zweite Welle
schwindenlassen; Sklaverei bzw. Zwangsarbeit; Völkermord; Kriegsverbrechen; und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Jedoch lud die in der Ersten Welle entwickelte Methodik zur Anerkennung einklagbarer Völkerrechtsverletzungen praktisch zur Behauptung neuer Normen ein. Gerichte erkannten die Existenz völkergewohnheitsrechtlicher Normen aufgrund einer unbestimmten Anzahl von internationalen Dokumenten, Staatsverträgen, Statuten, sowie nationalen und internationalen Gerichtsentscheidungen und von Klägern eingereichten Expertengutachten an583. Solange ein Gericht eine geltend gemachte Norm aufgrund dieser Quellen als „universal, definable, and obligatory“ bewertete, konnte sie zur Ableitung eines ATS-Anspruchs führen. In den frühen Klagen der Zweiten Welle zeichnete sich bereits ab, dass sich dieser „universal, definable, and obligatory“ Maßstab auszudehnen schien. Ob eine vorgeschlagene Norm hinreichend bestimmt bzw. von genug Staaten anerkannt worden war, um im Rahmen einer ATS-Klage einklagbar zu sein, war dem Ermessen eines jeden Richters überlassen. Zwar blieben einige Richter vorsichtiger – so befand z. B. der Second Circuit, dass das Menschenrecht auf Leben und Gesundheit vielleicht universell anerkannt, aber am Ende inhaltlich zu unbestimmt war, um eine einklagbare Norm im Sinne des ATS darzustellen584. Andere Richter aber zeigten sich für neue Normen empfänglich. Auch das konservative Northern District of Alabama sah sich „widerwillig“ zum Schluss gezwungen, dass das Recht auf gewerkschaftliche Organisation eine „well-established, universally recognized nor[m] of international law“ bildete585 – trotz der Tatsache, dass das Recht auf gewerkschaftliche Organisation in den USA nicht verfassungsrechtlich verbrieft ist. Hierzu gesellten sich Entscheidungen, dass eine Inhaftierung von acht Tagen in einem bolivianischen Gefängnis als grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Völkergewohnheitsrechts anzusehen war586, und dass eine (folterlose) Nacht in einem mexikanischen Hotel in Gewahrsam von Kopfgeldjägern eine menschrechtsverletzende „willkürliche Inhaftierung“ darstellte587. Weil die Methode zur Anerkennung neuer Deliktstatbestände nichts anderes als die Wertung einer nicht einschränkbaren Quellenlage nach freiem Ermessen war, barg jede neue Klage der Zweiten Welle das Risiko einer weiteren Expansion. Wenn ein Kläger behauptete, ein Konzern hätte eine „universal, definable, and obligatory“ Norm des Völkergewohnheitsrechts verletzt, konnte der Beklagte „a holistic as-
583 Siehe hierzu die Ausführungen zu den Quellen, die zur Anerkennung der Tatbestände der Ersten Welle geführt haben, in Kapitel 1, Abschnitt C. I. 3. 584 Siehe Flores v. Southern Peru Copper Corp., 414 F.3d 233 (2d Cir. 2003). 585 Siehe Estate of Rodriguez v. Drummond Co., 256 F. Supp. 2d 1250 (N.D. Ala. 2003). 586 Siehe Eastman Kodak Co. v. Kavlin, 978 F. Supp. 1078 (S.D. Fla. 1997). 587 Siehe Alvarez-Machain v. US, 331 F.3d 604 (9th Cir. 2003).
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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sessment of state practice along with international legal materials, treaties, and proclamations“ erwarten588. Dies war das Gegenteil von Rechtssicherheit. Es war auch eine Expansion der bisherigen Risikolage. Die Menschenrechtsverletzungen, die in ATS-Klagen der Ersten Welle geltend gemacht werden konnten, waren aus praktischen Gründen beschränkt. Um Klage erheben zu können, mussten Kläger der Ersten Welle warten, bis ein ehemaliger Hoheitsträger in die USA einreiste, sodass eine Zustellung erfolgen konnte589. Diese Klage konnte sich dann nur auf die begrenzte Anzahl der Völkerrechtsdelikte stützen, die der jeweilige Beklagte tatsächlich begangen hatte. In der Zweiten Welle konnten NGOs nun Ausschau halten, einen unliebsamen Konzern ins Visier nehmen und dann versuchen, unter Berufung auf internationale Dokumente seine bisherige Wirtschaftstätigkeit als Völkerrechtsverletzung im Sinne des ATS anerkennen zu lassen. Parallele Erweiterungen der internationalen Zuständigkeit der US-Gerichte590 sowie die Zulassung der Beihilfehaftung591 stellten sicher, dass solche Versuchsklagen zulässig waren, auch wenn kein Bezug zu den USA vorhanden war. b) Die Schwächung zeitlicher Einschränkungen für ATS-Ansprüche gegen Konzerne durch equitable tolling In Kapitel 1, Abschnitt C. II. 2. wurde dargestellt, wie Entscheidungen der Ersten Welle die Anwendbarkeit amerikanischer Verjährungsprinzipien auf ATS-Ansprüche festlegte. Die Rechtsprechung der Ersten Welle legte eine zehnjährige Verjährungsfrist für ATS-Klagen zugrunde, ließ aber gleichzeitig eine Hemmung dieser Frist aufgrund der „equitable tolling“-Doktrin zu. Frühe Entscheidungen der Zweiten Welle haben diese Rechtsprechung der Ersten Welle in Klagen gegen Konzerne aufgenommen und durch Anwendung der „equi588
So die Formulierung der Methode zur Feststellung der Existenz einer einklagbaren Völkergewohnheitsrechtsnorm in In re South African Apartheid Litigation, 617 F. Supp. 2d 228, 249 (S.D.N.Y. 2009). Vgl. auch Villeda Aldana v. Fresh Del Monte Produce, Inc., 305 F. Supp. 2d 1285, 1292 (S.D. Fla. 2003): „Defining customary international law is no simple feat; it is ,discerned from myriad decisions made in numerous and varied international and domestic arenas‘“ (Zitat von Flores v. Southern Peru Copper Corp., 343 F.3d 140, 154 (2d Cir.2003)). 589 Kläger der Ersten Welle mussten für die Klageerhebung auf die Einreise des Beklagten in die USA warten, weil er keine Kontakte zu den USA hatte, die die Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte begründen konnten. Eine Zustellung im Inland heilte jedoch diesen Mangel an Kontakten und begründete ohne weiteres die Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte hinsichtlich sämtlicher Ansprüche, die in der Klageschrift geltend gemacht wurden. In Klagen der Zweiten Welle mussten die Kläger aber nicht mehr auf eine „Einreise“ der verklagten Gesellschaft in die USA warten, um die Zuständigkeit der Gerichte zu begründen, weil diese entweder durch die eigene Wirtschaftstätigkeit oder durch die Tätigkeiten einer Tochtergesellschaft Kontakte zu den USA hatte. Dank begründeter Zuständigkeit war keine Zustellung im Inland erforderlich, um den Mangel an US-Kontakten zu heilen, d. h. die Kläger konnten einem ausländischen Konzern auch im Ausland zustellen, um Klage zu erheben. 590 Siehe Abschnitt B. II. 2. a) dieses Kapitels, unten. 591 Siehe Abschnitt B. II. 3. b) dieses Kapitels, unten.
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Kap. 2: Die Zweite Welle
table tolling“-Doktrin die Verjährungsfrist für ATS-Ansprüche der Willkür amerikanischer Billigkeitsvorstellungen ausgeliefert. Dies war das Ergebnis vor allem der Zwangsarbeiterklagen592. Eine dieser Klagen, Iwanowa v. Ford Motor Co.593, wurde vor dem District of New Jersey von einer jüdischen Zwangsarbeiterin gegen den amerikanischen Autohersteller Ford erhoben, in dessen Kölner Werk sie während des Zweiten Weltkriegs arbeiten musste. Ihre Ansprüche waren zwischen 1942 und 1945 entstanden, während ihre ATS-Klage erst 1998 eingeleitet wurde. Der District of New Jersey übernahm den Befund der Rechtsprechung der Ersten Welle, dass ATS-Ansprüche einer regelmäßigen Verjährungsfrist von zehn Jahren unterlagen594. Gleichwohl befand das Gericht unter Anwendung von equitable tolling, dass Iwanowas ATS-Ansprüche fristgerecht geltend gemacht wurden, auch wenn sie 53 Jahre nach ihrer Entstehung eingeleitet worden waren. „Equitable tolling“ hemme den Beginn der Verjährungsfrist, wenn außerordentliche Umstände, die außerhalb des Verantwortungsbereichs des Klägers liegen und auch bei sorgfältigem Vorgehen nicht verhindert werden konnten, die fristgerechte Einleitung der Klage verhindert haben595. Nach Meinung des Gerichts lagen „außerordentliche Umstände“ im Falle Iwanowas vor, weil internationale Abkommen eine zeitweilige Sperre für Klagen ehemaliger Zwangsarbeiter gegen die deutsche Industrie von 1945 bis 1991 vorgesehen hatten. Zunächst habe gleich nach Kriegsende das Pariser Reparationsabkommen Reparationszahlungen für Deutschland festgesetzt und diese Zahlungen als abschließenden Ersatz für sämtliche Forderungen gegen „im Auftrage des Reichs handelnde Stellen“ vereinbart596. Im 1953 sei das Pariser Reparationsabkommen vom Londoner Schuldenabkommen (LSA) abgelöst, dessen Art. 5 eine ähnliche Vorgabe enthalten habe: „Eine Prüfung der aus dem Zweiten Weltkriege herrührenden Forderungen … von Staatsangehörigen [der Alliierten] gegen … im Auftrage des [deutschen] Reichs handelnde Stellen oder Personen […] wird bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt“. In 1963 habe der deutsche Bundesgerichtshof den Begriff „im Auftrage des Reichs handelnde Personen“ als deutsche Konzerne erfassend ausgelegt, die auf Drängen der Nationalsozialisten 592
Siehe Abschnitt A. II. 1. c) dieses Kapitels, oben. Siehe Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999). 594 Das Gericht entnahm der zehnjährigen Verjährungsfrist dem Torture Victim Protection Act, weil dieser aus seiner Sicht das ATS-„analogste“ Gesetz darstellte. Diese Feststellung begründete das Gericht mit einem Verweis auf Fälle der Ersten Welle. „Since the enactment of the TVPA, courts addressing claims under the ATCA have applied the TVPA limitations period“, mit Zitat an Cabiri v. Assasie-Gyimah, 921 F. Supp. 1189 (S.D.N.Y.1996) und Xuncax v. Gramajo, 886 F. Supp. 162 (D. Mass. 1995). Iwanowa, 67 F. Supp. at 462. 595 Siehe Kapitel 1, Abschnitt C. II. 2. b). 596 Siehe Iwanowa, 67 F. Supp. 2d at 449 (Zitat an Paris Reparations Treaty, Art. 2.A: „The Signatory Governments agree among themselves that their respective shares of reparation, as determined by the present Agreement, shall be regarded by each of them as covering all its claims and those of its nationals against the former German Government and its Agencies, of a governmental or private nature arising out of the war“). 593
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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Zwangsarbeiter eingestellt hätten597. Als Resultat seien Ansprüche von Zwangsarbeiter „zurückgestellt“ und nicht einklagbar gewesen, bis das LSA außer Kraft getreten sei. Dies sei erst 1991 durch Verabschiedung des Zwei-plus-Vier-Vertrages erfolgt, der als „Ersatz“-Friedensvertrag das LSA abgelöst und keine Sperre mehr für Zwangsarbeiterklagen gegen die deutsche Industrie enthalten habe598. Entsprechend sei die Klage noch fristgerecht erhoben worden. Das Ergebnis von Iwanowa war die Übernahme der „equitable tolling“-Doktrin in die Rechtsprechung der Zweiten Welle. Damit reichte die Verjährungsfrist für ATSKlagen gegen Konzerne so weit in die Vergangenheit zurück, als die Billigkeitsvorstellungen der amerikanischen Gerichte dies zuließen. Dies hieß zwar nicht, dass die Einrede der Verjährung von den Gerichten einfach über Bord geworfen wurde; einige Gerichte wiesen ATS-Klagen nach Iwanowa als verjährt ab, insbesondere wenn die beklagten Konzerne ihren Sitz in den USA hatten, wo, so vermuteten die Gerichte, die Einleitung einer Klage keinen außerordentlichen Umständen ausgesetzt war599. Aber die Übernahme von „equitable tolling“ bedeutete, dass das In-derVergangenheit-Liegen einer Menschenrechtsverletzung keinen Kläger davon abhalten würde, eine ATS-Klage gegen einen Konzern einzuleiten und an die Billigkeit des Gerichts zu appellieren. Das beste Beispiel hierfür sind die Apartheid-Klagen, die Menschenrechtsverletzungen ab dem Jahr 1960 in einer ATS-Klage, die 2002 erhoben wurde, geltend machten600. 2009 hat das Southern District of New York unter Anwendung von equitable tolling entschieden, dass die Ansprüche der ApartheidOpfer nicht verjährt waren601. Mit anderen Worten: Solange man als Kläger die Symphathie des Gerichts für sich hatte standen die Chancen gut, dass auch die Verjährungsfristen ausgesetzt wurden. c) Die Übernahme des Weltrechtsprinzips auf ATS-Klagen gegen Konzerne In Kapitel 1, Abschnitt C. IV. wurde bereits geschildert, wie die Rechtsprechung der Ersten Welle die weltweite Geltung von ATS-Ansprüchen aufgrund des Weltrechtsprinzips zugrundelegte. In einer frühen Entscheidung der Zweiten Welle wurde das Weltrechtsprinzip zum ersten Mal auf ATS-Ansprüche gegen Konzerne übertragen.
597 Siehe Iwanowa, 67 F. Supp. 2d at 449 (Zitat einer Entscheidung des BGH vom 26. 02. 1963, RzW 1963, 525 (Staucher)). 598 Siehe Iwanowa, 67 F. Supp. 2d at 453 – 454. 599 Siehe z. B. Deutsch v. Turner Corp., 317 F.3d 1005 (9th Cir. 2003); In re World War II Era Japanese Forced Labor Litigation, 164 F. Supp. 2d 1160 (2001). In beiden Entscheidungen wurden Ansprüche von Zwangsarbeitern gegen deutsche, amerikanische und japanische Firmen als verjährt abgewiesen. 600 Siehe Abschnitt A. III. 4. c) dieses Kapitels, oben. 601 Siehe In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d 228, 286 ff. (S.D.N.Y. 2009).
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Kap. 2: Die Zweite Welle
Diese Entwicklung ging zunächst aus der Entscheidung des Second Circuit in Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co. hervor602. Wiwa war eine Klage nigerianischer Angehöriger gegen den britisch-niederländischen Ölkonzern Shell wegen dessen angeblichen Anstiftung zu außergerichtlichen Hinrichtungen603. Der District Court wies die Klage wegen forum non conveniens ab, wonach die Kläger Rechtsmittel beim Second Circuit einlegten604. In der Vorbereitung auf das Berufungsverfahren hat Shell argumentiert, dass die US-Gerichte kein Interesse an ATS-Klagen hätten, die keinen Bezug zu den USA aufwarfen. Deswegen seien die britischen Gerichte das angemessenere Forum für die Verhandlung von Wiwa: Die Kläger seien nigerianisch, die Beklagten britisch und niederländisch, während sich der gesamte relevante Sachverhalt auf nigerianischem Boden abgespielt habe. Der Second Circuit hat die Argumentation von Shell zurückgewiesen, indem es das ATS als gesetzliche Erklärung eines amerikanischen Interesses an der Verhandlung von universell geschützten Rechtsgütern vor US-Gerichten auslegte. Zur Begründung dieser Ansicht musste der Second Circuit jedoch nachweisen, dass ein weltweiter Anwendungsbereich für ATS-Ansprüche gewollt war. Einen derart unbeschränkten Geltungsbereich sah das Gericht durch zwei Entwicklungen gegeben. Einerseits habe Filartíga die Verhandlung von Menschenrechtsverletzungen vor USGerichten bejaht, auch wenn sie keinerlei Inlandsbezug aufwarfen605. Andererseits habe der Kongress durch Verabschiedung des Torture Victims Protection Act von 1991 die Ansicht von Filartíga ratifiziert606, dass die USA immer ein Interesse an der Ahndung von Verletzungen international geschützter Rechtsgüter hätten, gleichgültig ob im konkreten Fall ein Inlandsbezug vorliege607. Als Ergebnis dieser Entwicklungen sei festzuhalten, das ATS „seems to reach claims for international human rights abuses occurring abroad“608. Dies war ein Rückgriff auf das Weltrechtsprinzip unter dem Deckmantel einer forum non conveniens-Analyse. Wenn ein konkreter Fall wirklich keinerlei Bezug zu den USA aufwarf – wie dies in Wiwa der Fall war –, konnten die USA nur dann ein 602
Siehe Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88 (2d Cir. 2000). Zum Sachverhalt von Wiwa siehe Abschnitt A. III. 1. b) aa) dieses Kapitels, oben. 604 Siehe Wiwa, 226 F.3d at 91 – 92. 605 Siehe Wiwa, 226 F.3d at 105 Fn. 10. 606 „Ratifikation“ in diesem Zusammenhang bezieht sich auf eine Auslegungsdoktrin für amerikanische Bundesgesetze. Der Gesetzgeber „ratifiziert“ ständige Rechtsprechung, wenn er ein Gesetz zum selben Normbereich erlässt, ohne im Gesetzestext die Entwicklungen der bisherigen Rechtsprechung abzuändern; damit wird die bisherige Rechtsprechung als gewollter Inhalt des Gesetzes angenommen. Gerichte nehmen eine Ratifizierung ferner als gesetzgeberische Ermunterung zur Fortentwicklung bzw. Vertiefung der bisherigen Rechtsprechung wahr. Insofern argumentierte das Second Circuit, dass der TVPA als Zustimmung des Kongresses zum weltweiten Anwendungsbereich des ATS, der in der ATS-Rechtsprechung ab 1980 entwickelt worden war, anzusehen war. 607 Siehe Wiwa, 226 F.3d at 105 Fn. 10. 608 Wiwa, 226 F.3d at 105 Fn. 10. 603
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Interesse an seiner Verhandlung vor ihren Gerichten haben, wenn ein international geschütztes Rechtsgut vorlag, die durch eine staatengemeinschaftlich festgelegte universelle Schutzpflicht ein Interesse aller Länder an der streitgegenständlichen Rechtsverletzung hergab. Insofern implizierte die Argumentation des Second Circuit, dass die Behauptung eines amerikanischen Interesses an der Verhandlung von Wiwa nur durch die ausnahmsweise Gewährung eines Ahndungsanspruchs anhand des Weltrechtsprinzips gerechtfertigt war. Das Gericht schien dies zu bestätigen, indem es das in Wiwa streitgegenständliche Menschenrechtsdelikt der Folter als Verbrechen beschrieb, zu dessen Bekämpfung die USA als Mitglied der Staatengemeinschaft verpflichtet waren609. Weitere Gerichte griffen diesen Grundgedanken auf und brachten in nachfolgenden Entscheidungen die Überzeugung zum Ausdruck, dass das Interesse der USA an ATS-Klagen in der universellen Verdammung der durch sie geahndeten Menschenrechtsverletzungen lag. In z. B. Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc. machten sudanesische Angehörige Ansprüche wegen Völkermord, Kriegsverbrechen und Folter gegen einen kanadischen Energiekonzern geltend, Verbrechen, die angeblich mit seiner Hilfe im Sudan und im Rahmen des sudanesischen Bürgerkriegs verübt worden waren610. Der Konzern beantragte die Abweisung der Klage aufgrund von forum non conveniens und argumentierte, dass die USA kein Interesse an einer Klage zwischen Sudanesen und Kanadiern hatte, deren Sachverhalt aus dem Sudan stammte. Das Southern District of New York wies seine Argumentation – unter Verweis auf Wiwa – mit folgender Begründung zurück: „[T]he allegations include charges of genocide, war crimes, torture, and enslavement. These acts are universally condemned, and the United States has a strong interest in seeing violations of international law vindicated … (through suits under the [ATS]), most notably where the allegations include ,claims of violations of the international standards of the law of human rights‘“611.
Wie in Wiwa ergab die Begründung des Southern District of New York nur dann einen Sinn, wenn das Weltrechtsprinzip den USA einen ausnahmsweisen Ahndungsanspruch bezüglich eines Sachverhalts, die keinen Bezug zu den USA aufwarf, gewährt hatte. Bis 2004 sollte sich Wiwa durchgehend in der Rechtsprechung der Zweiten Welle festsetzen. Erst durch die Arbeiten von Wissenschaftlern wurde klar, dass die Gerichte sich nicht mit der forum non conveniens-Doktrin, sondern in der Substanz mit dem Weltrechtsprinzip auseinandersetzten612. Die Berufung auf das Weltrechts609 Siehe Wiwa, 226 F.3d at 105: „[T]he interests of the United States are involved in the eradication of torture committed under color of law in foreign nations“. 610 Zum Sachverhalt von Talisman siehe Abschnitt A. III. 1. b) ee) dieses Kapitels, oben. 611 Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 244 F. Supp. 2d 289, 339 (S.D.N.Y. 2003). 612 Siehe z. B. Donald Francis Donovan & Anthea Roberts, The Emerging Recognition of Universal Civil Jurisdiction, 100 A.J.I.L. 142 (2005); K. Lee Boyd, Universal Jurisdiction and
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Kap. 2: Die Zweite Welle
prinzip, die in der Ersten Welle stillschweigend geschah, hatte sich durch die Hintertür der forum non conveniens-Analyse in die Rechtsprechung der Zweiten Welle eingeschlichen. Weil die Aufnahme des Weltrechtsprinzips in die Zweite Welle auch mehr oder weniger implizit und stillschweigend geschah, hatten die Gerichte keine Gelegenheit, wesentliche Unterschiede zwischen der Ersten und Zweiten Welle zu bedenken, die womöglich zur Vorsicht gemahnt hätten. Denn während die Anwendung des Weltrechtsprinzips auf Klagen der Ersten Welle ohne bemerkenswerte Konflikte verlaufen war, hätte man ahnen können, dass die Kombination der Zweiten Welle und des Weltrechtsprinzips ein erheblich größeres Konfliktpotenzial barg. In der Ersten Welle richteten sich ATS-Klagen gegen ehemalige Hoheitsträger, die Universalverbrechen begangen hatten und vor allem in amerikanisches Hoheitsgebiet einreisen mussten, sodass ein Gerichtsstand in den USA eröffnet wurde. Dadurch waren Erste Welle-Klagen von dem Inbegriff einer Anklage nach dem Weltrechtsprinzip – der Pirat wird in England vorgefunden und dort auch angeklagt – nicht weit entfernt, weswegen andere Länder ihre Souveränität als nicht angetastet sehen mussten. In der Zweiten Welle war es jedoch möglich, dass eine Gesellschaft, die nach der Rechtsordnung eines anderen Staates organisiert war und deren Wirtschaftstätigkeit vollständig außerhalb der USA stattfand (wie z. B. Shell), nach dem ATS wegen Handlungen verklagt wurde, die außerhalb und ohne Bezug zu den USA vorgefallen waren. Konflikte mit den Souverenitätsinteressen anderer Staaten waren bei einer solchen eigenmächtigen Kompetenzerweiterung vorprogrammiert. 2. Verfahrensrechtliche Erweiterungen Die eben geschilderte Bejahung des Weltrechtsprinzips kam einer Expansion gleich, weil sie von dem scheinbaren Wegfall von Verfahrenshindernissen begleitet wurde, die der Verhandlung ausländischer Sachverhalte in den USA traditionell vorgebeugt hatten. Zum einen wurde die internationale Zuständigkeit der Bundesgerichte anhand von common law-Durchgriffsprinzipien erheblich erweitert. Zum anderen wurde die Anwendbarkeit der forum non conveniens-Doktrin auf ATSKlagen grundsätzlich verneint. a) Ausdehnung der internationalen Zuständigkeit der Bundesgerichte Die Klagen der frühen Zweite Welle wurden großenteils gegen namhafte ausländische Konzerne wie Shell oder Daimler erhoben. Damit stellte sich die Frage, auf Structural Reasonableness, 40 Tex. Int’l L.J. 1, 34 – 35 (2004); Eugene Kontorovich, The Piracy Analogy: Modern Universal Jurisdiction’s Hollow Foundation, 45 Harv. Int’l L. J. 183, 184 (2004); Jason Jarvis, Comment, A New Paradigm for the Alien Tort Statute Under Extraterritoriality and the Universality Principle, 30 Pepp. L. Rev. 671 (2003); Curtis A. Bradley, Universal Jurisdiction and U.S. Law, 2001 U. Chi. Legal F. 323, 347 (2001).
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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welcher Basis die amerikanischen Gerichte ihre Zuständigkeit auf solche Beklagte erstrecken durften, denn solche Konzerne hatten ihren Sitz im Ausland und unterhielten wenn überhaupt nur vereinzelt Kontakte zum amerikanischen Rechtsraum. Die Rechtsprechung legte jedoch in zwei Entscheidungen fest, dass bei Vorliegen faktischer Abhängigkeits- und Beherrschungsverhältnissen die Wirtschaftstätigkeit amerikanischer Töchter zuständigkeitsbegründend für Klagen gegen die Mutter wirke. aa) Umfang und Schranken der internationalen Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte Die persönliche Zuständigkeit („personal jurisdiction“) bezeichnet die Befugnis eines Staates, eine Person der Inanspruchnahme durch seine Gerichte zu unterwerfen613. Im amerikanischen Recht wird die Gerichtshoheit unter den Bundesstaaten aufgeteilt. Entsprechend ist – innerhalb der USA – stets zu fragen, ob ein „Forumstaat“ die persönliche Zuständigkeit seiner Gerichte auf einen Beklagten aus einem anderen Bundesstaat erstrecken darf. Der Umfang der persönlichen Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Bundesstaats misst sich am verfassungsrechtlichen due process-Gebot614, das durch eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen konkretisiert worden ist. Für amerikanische sowie ausländische Beklagte gelten einheitliche Maßstäbe. Entscheidungen des Supreme Court differenzieren zwischen einem allgemeinen Gerichtsstand („general jurisdiction“) und einem besonderen Gerichtsstand („specific jurisdiction“) für einen Beklagten. Ein allgemeiner Gerichtsstand ist begründet, wenn der Beklagte seinen Sitz im Forumstaat hat oder nach den Gesetzen des Forumstaats organisiert ist615. Ist der Beklagte nicht im Forumstaat ansässig, hat er dort 613 Vgl. Goodyear Dunlop Tires Operations, SA v. Brown, 131 S. Ct. 2846, 2850 (2011) („A state court’s assertion of jurisdiction exposes defendants to the State’s coercive power“). 614 Siehe U.S. Const., Amends. 5, 14 (1). Traditionell unterlag die Zuständigkeit der Bundesstaaten dem sog. „presence test“, der die absolute Gerichtshoheit jedes Bundesstaates innerhalb der eigenen Grenzen annahm und aus dem entsprechenden Territorialprinzip abgeleitet wurde. Ein Beklagter musste im Forumstaat „präsent“ sein und während seines dortigen Aufenthalts mit der Klageschrift zugestellt werden, um unter die Zuständigkeit dessen Gerichte zu kommen. Siehe Pennoyer v. Neff, 95 U.S. 714 (1877). Aufgrund des wachsenden Wirtschaftsverkehrs wurde es jedoch nötig, Beklagte außerhalb des Territoriums eines Bundesstaates in Anspruch zu nehmen. In International Shoe Co. v. Washington, 326 U.S. 310 (1945) schaffte das Supreme Court das Territorialprinzip ab und legte das due process-Gebot als Grundlage der persönlichen Zuständigkeit fest. Demnach wurde Zuständigkeit als Balance zwischen hoheitlichen Interessen der Bundesstaaten und dem durch die due process-Klausel verfassungsrechtlich verbrieften Freiheitsinteresse von Personen konzipiert. Somit war eine gerichtliche Inanspruchnahme von Nichtansässigen nunmehr möglich, solange die Erstreckung der Gerichtshoheit des jeweiligen Forums auf sie fair im Sinne des due process-Gebots war. 615 Zum allgemeinen Gerichtsstand siehe einführend Goodyear, 131 S. Ct. at 2854 („place of incorporation [] and principal place of business [are] ,paradig[m]‘ bases for the exercise of
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Kap. 2: Die Zweite Welle
nur dann einen allgemeinen Gerichtsstand, wenn ihm das sog. „doing business“ im Forumstaat nachgewiesen werden kann616. Dies ist der Fall, wenn der Beklagte zur Ausübung seiner Geschäftstätigkeit „continuous and systematic contacts“ zum Forumstaat aufgebaut und unterhalten hat617. Ein besonderer Gerichtsstand des Beklagten ist gegeben, wenn er „minimum contacts“ zum Forumstaat unterhalten hat, so dass ein Verfahren gegen ihn nicht im Widerspruch zu traditionellen Vorstellungen von Fairness und Gerechtigkeit stünde618. Im Wege des besonderen Gerichtsstands können die Gerichte des Forumstaates die persönliche Zuständigkeit auf den Beklagten nur insofern erstrecken, als die gegen ihn geltend gemachten Ansprüche aus seinen Kontakten zum Forum entstanden sind619. Bei der Untersuchung von Forumkontakten wird das gesellschaftsrechtliche Trennungsprinzip von der Rechtsprechung grundsätzlich beachtet620. Rechtlich selbständige juristische Personen sind nur für eigene Kontakte verantwortlich und der Besitz von Aktien einer im Forum tätigen Gesellschaft reicht ohne weiteres nicht aus, um die Zuständigkeit des Forums auf den Aktienbesitzer zu erstrecken. Insofern kann die Errichtung einer amerikanischen Tochtergesellschaft nicht ohne weiteres die Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte für die ausländische Muttergesellschaft begründen: „The existence of a relationship between a parent company and its subsidiaries is not sufficient to establish personal jurisdiction over the parent on the basis of the subsidiaries‘ minimum contacts with the forum“621.
Vor diesem Hintergrund mussten sich die Kläger in frühen ATS-Klagen gegen ausländische Konzerne auf einen allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten in einem US-Bundestaat berufen. Denn die specific jurisdiction der amerikanischen Gerichte general jurisdiction“) (Zitat von Lea Brilmayer, A General Look at General Jurisdiction, 66 Tex. L. Rev. 721, 728 (1988)). 616 Siehe z. B. Perkins v. Benguet Consolidated Mining Co., 342 U.S. 437, 446 (1952). Allerdings scheint die Zulässigkeit eines allgemeinen Gerichtsstands aufgrund von „doing business“ nach der Entscheidung des Supreme Court in Daimler AG v. Bauman in Frage gestellt, wenn nicht ausgeschlossen zu sein. Siehe hierzu Kapitel 4, Abschnitt D. VIII. 617 Siehe Helicopteros Nacionales de Colombia, S.A. v. Hall, 466 U.S. 408 (1984). 618 Siehe International Shoe Co. v. Washington, 326 U.S. 310 (1945) („[D]ue process requires only that in order to subject a defendant to a judgment in personam, if he be not present within the territory of the forum, he have certain minimum contacts with it such that the maintenance of the suit does not offend ,traditional notions of fair play and substantial justice‘“) (Zitat von Milliken v. Meyer, 311 U.S. 457, 463 (1940)). 619 Siehe Goodyear, 131 S. Ct. at 2853 („[J]urisdiction unquestionably [can] be asserted where the corporation’s in-state activity … gave rise to the episode-in-suit. … Adjudicatory authority is ,specific‘ when the suit ,aris[es] out of or relate[s] to the defendant’s contacts with the forum‘“) (Zitat von Helicopteros Nacionales de Colombia, S.A. v. Hall, 466 U.S. 408, 414 Fn. 8 (1984)). 620 Zum Trennungsprinzip siehe Abschnitt B. II. 3. c) aa) dieses Kapitels, unten. 621 Doe v. Unocal Corp., 248 F.3d 915, 925 (9th Cir. 2001).
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für ausländische Konzerne wegen Menschenrechtsverletzungen im Ausland war ausgeschlossen: Sollte eine ausländische Gesellschaft überhaupt Kontakte zu den USA haben, hatten diese nichts mit einer Menschenrechtsverletzung im Ausland zu tun und konnten deswegen keine Erstreckung der amerikanischen Zuständigkeit für Ansprüche aus den „forumkontakt-fremden“ Menschenrechtsverletzungen begründen622. Allerdings sollte angesichts des Trennungsprinzips die Bejahung eines allgemeinen Gerichtsstands für die ausländischen Konzerne, die in der frühen Zweiten Welle verklagt wurden, genauso ausgeschlossen sein. Ausländische Kapitalgesellschaften hatten seit Jahren keine eigenen Kontakte zu den USA unterhalten, um Haftungsrisiken zu minimieren, und ihre Geschäftstätigkeit in den USA durch eigenständige Tochtergesellschaften führen lassen. bb) Der „allgemeine Durchgriffsgerichtsstand“ durch den „agency test“ Frühe Entscheidungen der Zweiten Welle haben das Trennungsprinzip geschwächt, womit die Ausübung der Zuständigkeit über ausländische Muttergesellschaften erleichtert wurde. Im Second und Ninth Circuit wandten die Gerichte den sog. „agency“-Test an, um die Forumkontakte amerikanischer Töchter den ausländischen Müttern zuzurechnen. (1) Der „agency“-Test Der „agency“-Test lässt die Zurechnung der Kontakte einer amerikanischen Tochtergesellschaft an die ausländische Mutter zum Zwecke der Gerichtsstandsbegründung zu, wenn die Tochter nicht als eigenständig, sondern als bloße Außenstelle der Mutter in den USA anzusehen ist. Grundgedanke dieser Regelung ist es, dass „if the parent and subsidiary are not really separate entities, or one acts as an agent of the other, the local subsidiary’s contacts with the forum may be imputed to the foreign parent corporation“623. Dies ist der Fall, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: (1) Die Tätigkeiten der Tochter sind für das Geschäft der Mutter derart wesentlich, dass – sollte die Tochter sie nicht mehr erbringen – die Mutter sie selbst erbringen müsste, und (2) die Mutter steht in einem Beherrschungsverhältnis zur Tochter624.
622 Vgl. z. B. Doe v. Unocal Corp., 248 F.3d 915, 922 ff. (9th Cir. 2001), in dem das Ninth Circuit dieses Ergebnis für Ansprüche gegen den französischen Ölkonzerns Total SA bejahte, weil die aus Myanmar stammenden Ansprüche der Kläger nichts mit Totals US-Kontakten zu tun hatten. 623 Unocal, 248 F.3d at 926 (Zitat von El-Fadl v. Central Bank of Jordan, 75 F.3d 668, 676 (D.C. Cir.1996)). 624 Siehe z. B. Chan v. Society Expeditions, Inc., 39 F.3d 1398, 1405 (9th Cir.1994).
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Kap. 2: Die Zweite Welle
Sind diese Voraussetzungen gegeben, werden die Kontakte der Tochter der ausländischen Mutter zugerechnet. Zur Begründung eines allgemeinen Gerichtsstands der Mutter bleibt dann nur zu prüfen, ob die zugerechneten Kontakte der amerikanischen Tochter für einen allgemeinen Gerichtsstand ausreichend sind und ob die Erstreckung der Zuständigkeit auf die ausländische Mutter fair im Sinne des due process-Gebotes wäre. (2) Die Anwendung des „agency“-Tests in ATS-Klagen Die erste ATS-Entscheidung, die den „agency“-Test anwandte und das Vorliegen eines derartigen „agency“-Verhältnisses bejahte, war die des Second Circuit in Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co.625. Wiwa wurde vor dem Southern District of New York erhoben und war die Klage der Hinterbliebenen ermordeter nigerianischer Aktivisten gegen den britischen-niederländischen Ölkonzern Shell. Gegenstand war der Vorwurf der Anstiftung zur Ermordung ihrer Familienmitglieder, um Widerstand gegen Shells Fördertätigkeiten in Nigeria zu brechen626. Dabei ergaben sich wenige Anhaltspunkte für die Zuständigkeit der New Yorker Gerichte. Der Sachverhalt der Klage wies keine Kontakte zu den USA auf. Des Weiteren lag der Sitz des weltweit agierenden Shell-Konzerns teilweise in den Niederlanden und teilweise in London. Die Zuständigkeit des New Yorker Gerichts für die Ansprüche gegen Shell stützten die Kläger auf Shells amerikanische Tochtergesellschaft, die sein „Investor Relations Office“ in New York City betrieb627. Gegenstand der Tätigkeiten dieses Office war die Pflege von Shells Beziehungen zu den Kapitalmärkten, z. B. durch das Arrangieren von Treffen zwischen potenziellen Großanlegern, Finanzanalysten und Shell-Vorstandsmitgliedern. Die Kläger argumentierten, dass das Investor Relations Office als „agent“ von Shell anzusehen war und dass die Forumkontakte des Office deshalb der niederländischen Muttergesellschaft zuzurechnen seien. Da die Kontakte des Investor Relations Office „continuous and systematic“ waren, argumentierten die Kläger ferner, war damit einen allgemeinen Gerichtsstand in New York eröffnet. Der Second Circuit bejahte zunächst die Anwendbarkeit des „agency“-Tests in New York. Das Gericht sah den Test als durch ständige Rechtsprechung der New Yorker Gerichte in das allgemeine Zuständigkeitsrecht des Forums aufgenommen628. Die Anwendung ergab, dass das Trennungsprinzip durchbrochen werden konnte und dass eine Zuständigkeit amerikanischer Gerichte gegeben war. Für diese Fest625
Siehe Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88 (2d Cir. 2000). Zum Sachverhalt von Wiwa siehe Abschnitt A. III. 1. b) aa) dieses Kapitels, oben. 627 Das Investor Relations Office gehörte formell der Shell Oil Co. (eingetragen in Delaware) an. 628 Siehe Wiwa, 226 F.3d at 95: „Under well-established New York law, a court of New York may assert jurisdiction over a foreign corporation when it affiliates itself with a New York representative entity and that New York representative renders services on behalf of the foreign corporation that go beyond mere solicitation and are sufficiently important to the foreign entity that the corporation itself would perform equivalent services if no agent were available“. 626
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stellung legte das Gericht die folgende Formulierung des „agency“-Tests zugrunde: (1) Die Tätigkeiten der Tochter sind für die Mutter derart wesentlich, dass, sollte die Tochter sie nicht mehr erbringen, die Mutter sie selbst leisten müsste, und (2) die Mutter steht in einem faktischen Beherrschungsverhältnis zur Tochter629. Zunächst konstatierte das Gericht, dass die Tätigkeiten des Investor Relations Office einen wesentlichen Teil von Shells weltweiten Tätigkeiten darstellten: Würde das Investor Relation Office seine Tätigkeiten einstellen, müsste Shell seine Investor Relations selbst erledigen630. Zweitens befand der Second Circuit, dass Shell die Tätigkeiten des Investor Relations Office beherrschte: Shell habe sämtliche Ausgaben des Office direkt finanziert631. Damit lag ein „agency“-Verhältnis vor, welches die Zurechnung der Kontakte des Investor Relations Office an Shell zuließ. Der Second Circuit befand ferner, dass diese Kontakte zur Begründung eines allgemeinen Gerichtsstands Shells in New York ausreichten: Das Office sei eine „physical corporate presence“ in New York City, die dort die Interessen Shells permanent verfolge632. Zuletzt urteilte das Gericht, dass die Erstreckung der Zuständigkeit amerikanischer Gerichte auf Shell fair sei. Shell habe sich bewusst entschieden, das Investor Relations Office in New York City anstatt etwa in London zu gründen633. Des Weiteren könne Shell nicht glaubhaft behaupten, dass ein Verfahren in New York City eine Belastung darstelle634. Ein Jahr nach Wiwa bestätigte der Ninth Circuit in Doe v. Unocal Corp. die Anwendbarkeit des „agency“-Tests in ATS-Klagen gegen ausländische Muttergesellschaften635. Wie bereits in Wiwa erachtete der Ninth Circuit den „agency“-Test als in die ständige Rechtsprechung der Gerichte des Forums aufgenommen636. Für die 629
Siehe Wiwa, 226 F.3d at 95. Siehe Wiwa, 226 F.3d at 97 – 98. 631 Siehe Wiwa, 226 F.3d at 97 – 98. 632 Wiwa, 226 F.3d at 98. 633 Siehe Wiwa, 226 F.3d at 98 – 99. 634 Siehe Wiwa, 226 F.3d at 99. Die Formulierung des Gerichts in diesem Zusammenhang hätte viele multinationale Unternehmen treffen können: „The defendants control a vast, wealthy, and far-flung business empire which operates in most parts of the globe. They have a physical presence in the forum state, have access to enormous resources, face little or no language barrier, have litigated in this country on previous occasions, have a four-decade long relationship with one of the nation’s leading law firms, and are the parent companies of one of America’s largest corporations, which has a very significant presence in New York. New York City, furthermore, where the trial would be held, is a major world capital which offers central location, easy access, and extensive facilities of all kinds. We conclude that the inconvenience to the defendants involved in litigating in New York City would not be great and that nothing in the Due Process Clause precludes New York from exercising jurisdiction over the defendants“. 635 Siehe Doe v. Unocal Corp., 248 F.3d 915 (9th Cir. 2001). 636 Siehe Unocal, 248 F.3d at 928: „In [Chan v. Society Expeditions, Inc., 39 F.3d 1398 (9th Cir.1994)], the Ninth Circuit approved the decision of a Pennsylvania district court [that applied the agency test] and found it appropriate to attribute the subsidiary’s contacts to the parent. Rejecting the German corporate defendant’s argument that ,courts cannot look to the activities of an affiliated corporation for purposes of determining whether its parent corporation was 630
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Zurechnung der Kontakte einer amerikanischen Tochtergesellschaft an die ausländische Mutter legte der Ninth Circuit dieselben Maßstäbe zugrunde, die in Wiwa ausschlaggebend waren637. Allerdings musste das Gericht verneinen, dass der „agency“-Test die Zuständigkeit der kalifornischen Gerichte für den französischen Ölkonzern Total SA aufgrund der Tätigkeiten ihrer amerikanischen Tochter hergab: Keine Beweise lägen vor, dass Totals amerikanische Tochtergesellschaften überhaupt Dienstleistungen erbracht haben, geschweige denn unerlässliche, denn die Töchter seien ausschließlich dazu errichtet worden, in den USA belegene Vermögenswerte zu besitzen638. cc) Fazit zur Zuständigkeit Die Anwendung des „agency“-Tests erhöhte die Rechtsunsicherheit, das aus dem ATS hervorging. Mit Wiwa und Unocal hatten die Second und Ninth Circuits den New Yorker und kalifornischen Bundesgerichten das Mittel in die Hand gegeben, einen allgemeinen amerikanischen Gerichtsstand weltweit auszudehnen. Die traditionellen Schranken des „minimum contacts“-Tests und des Trennungsprinzips waren nunmehr dem richterlichen Augenmaß anheimgefallen: Solange der jeweilige Richter die Tätigkeiten der amerikanischen Tochter für hinreichend wichtig hielte und die Aufsicht durch die Mutter als Kontrolle deutete, kam ein allgemeiner Gerichtsstand der Mutter in Betracht. Was genau von der weiteren Anwendung des „agency“-Test zu erwarten war, war anfänglich schwer einschätzbar. Auf der einen Seite konnten Kläger argumentieren, dass, je erfolgreicher die amerikanische Tochter eines Konzerns wurde, desto „wichtiger“ ihre Tätigkeiten für die Mutter waren. Dem konnte allerdings entgegengehalten werden, dass umsatzschwere Töchter unabhängig agieren mussten, was eine Kontrolle durch die Mutter erschwerte. Fürs Erste stellte die Aufnahme des „agency“-Tests sicher, dass Zuständigkeitsschranken keinen ausländischen Konzern mehr vor einer ATS-Klage schützten. Aus Sicht von Klägern war es daher in jedem ATS-Verfahren einen Versuch wert, die ausländische Mutter direkt zu verklagen und auf eine großzügige Sichtweise des District Court zu hoffen.
,doing business‘ in a state[,]‘ the Chan court explained that ,courts have permitted the imputation of contacts where the subsidiary was either established for, or is engaged in, activities that, but for the existence of the subsidiary, the parent would have to undertake itself‘“). 637 Unocal, 248 F.3d at 928: „The agency test is satisfied by a showing that the subsidiary … performs services that are ,sufficiently important to the foreign corporation that if it did not have a representative to perform them, the corporation’s own officials would undertake to perform substantially similar services‘“ (Zitat von Chan, 39 F.3d at 1405). 638 Unocal, 248 F.3d at 930.
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b) Die scheinbare Abschaffung der forum non conveniens-Doktrin in ATS-Klagen aa) Die Forum Non Conveniens-Doktrin Die forum non conveniens-Dokrin wurde richterrechtlich als korrigierende Maßnahme für die weitgehende Zuständigkeit amerikanischer Gerichte entwickelt639. Nach dieser Doktrin kann ein persönlich und sachlich zuständiges Gericht nach seinem Ermessen eine Klage abweisen, wenn es ein ausländisches Gericht als signifikant geeigneteres Forum für die Verhandlung der vorliegenden Klage betrachtet640. Voraussetzung hierfür ist, dass ein adäquates, alternatives Forum existiert und die vom Verfahren berührten privaten und öffentlichen Interessen für eine Verhandlung im Ausland deutlich überwiegen. Ist ein solches Forum gegeben, wägt das Gericht die Interessen des Klägers gegen das öffentliche Interesse sowie die Interessen des Beklagten ab. Fällt die Abwägung eindeutig zugunsten des ausländischen Forums aus, liegt es im Ermessen des Gerichts, die Klage zur Verhandlung im Ausland zu verweisen641. Die im Rahmen einer forum non conveniens-Entscheidung angewandte Analyse verläuft wie folgt. Zuerst muss das Gericht feststellen, ob ein adäquates, alternatives Forum zur Verhandlung der Klage existiert. Dies ist der Fall, solange im Ausland die Zulässigkeit des Verfahrens642, die Zustellungsfähigkeit des Beklagten643, ein im Groben angemessener Schadensersatzanspruch644, ein faires Gerichtssystem645 sowie 639 Ursprünglich entstammt die forum non conveniens-Doktrin dem schottischen Billigkeitsrecht. Sie wurde zuerst von den englischen und dann auch von amerikanischen Gerichten übernommen. Zunächst wurde sie auf Seerechtsfälle angewandt, weil diese meistens einen Streit zwischen Ausländern zum Gegenstand hatten, die auf hoher See entstanden war. Mit der Zeit wurde sie auf Streitigkeiten in anderen Rechtsgebieten erstreckt. Siehe Gary Borne, International Civil Litigation in United States Courts 460 ff. (1996). 640 Verfahrensrechtlich muss der Beklagte muss die Einrede des forum non conveniens durch Antrag erheben. Die Bundesgerichte prüfen ex officio nur ihre sachliche Zuständigkeit; ist diese gegeben, prüfen Gerichte nicht ferner, ob ein alternatives Forum für die Verhandlung geeigneter wäre. Siehe Wright & Miller, 13 Federal Practice and Procedure § 3522, p. 100 (3d ed. 2008). 641 Es soll betont werden, dass amerikanische Gerichte – im Gegensatz zu den englischen Gerichten – Klagen niemals aufgrund der forum non conveniens-Doktrin abweisen müssen. Es liegt stets im Ermessen des Gerichts, selbst bei offensichtlichem Effizienzgewinn durch die Abgabe des Verfahrens die Verhandlung bei sich zu behalten, falls aus seiner Sicht gewichtere Interessen vorliegen. 642 „An alternative forum is ordinarily adequate if the defendants are amenable to service of process there and the forum permits litigation of the subject matter of the dispute“. In re Arbitration Between Monegasque de Reassurances S.A.M. (Monde Re), 311 F.3d 488, 499 (2d Cir. 2002). 643 Siehe Monegasque, 311 F.3d at 499. 644 Vgl. Aldana v. Del Monte Fresh Produce N.A., Inc., 578 F.3d 1283, 1290 (11th Cir. 2009): „[I]t is only in ,rare circumstances‘ where ,the remedy offered by the other forum is
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Kap. 2: Die Zweite Welle
die Sicherheit des Klägers646 zu erwarten ist. Zweitens bestimmt das Gericht, wie viel Gewicht es der Forumwahl des Klägers zumessen sollte. Traditionell gilt: „the plaintiff’s choice of forum deserve[s] substantial weight“647. Allerdings kann ein Gericht beim Verdacht, dass ein ausländischer Kläger „forum shopping“ betreibt, seiner Forumwahl eine geringere Gewichtung beimessen648. Drittens gewichtet das Gericht das öffentliche Interesse sowie die Interessen des Beklagten an einer Verhandlung von dem ausländischen Forum. Dies macht das Gericht anhand einer Liste von „public interest factors“ und „private interest factors“, die der Supreme Court in Gulf Oil Corp. v. Gilbert festgelegt hat649. Zu den zu berücksichtigenden öffentlichen Interessen gehören: Die Auslastung des Gerichts, das Interesse des lokalen Forums an der Verhandlung der Klage sowie das Interesse des ausländischen Forums an der Verhandlung der Klage650. Zu den relevanten privaten Interessen gehören: Zugänglichkeit von Beweismitteln, die Möglichkeit der Vorladung aussageunwilliger Zeugen, die Möglichkeit einer Ortsbegehung sowie andere praktische Überlegungen651. Zuletzt wiegt das Gericht die eben erörterten privaten und öffentlichen Interessen an einer Verhandlung im Ausland gegen das Interesse des Klägers an der Verhandlung in den USA ab. Hierbei wird vermutet, dass die Klage vor dem amerikanischen Gericht bleiben sollte652. Aber wenn die öffentlichen und privaten Interessen eindeutig für das alternative Forum sprechen653, kann das Gericht die Klage nach Ermessen abweisen.
clearly unsatisfactory‘, that the alternative forum may be regarded as inadequate“ (Zitat von Satz v. McDonnell Douglas Corp., 244 F.3d 1279, 1283 (11th Cir.2001)). 645 Vgl. Turedi v. Coca Cola Co., 460 F. Supp. 2d 507, 523 (S.D.N.Y. 2006): „The proffered alternative forum may be inadequate … where the plaintiff demonstrates that he would encounter exceptional legal, political or practical barriers in litigating in the other forum, such as the prospect of execution or a justice system closed to him as a member of an outcast class“. 646 Vgl. Aldana, 578 F.3d at 1278 (ein alternatives Forum ist nicht adäquat, wenn dort die physische Sicherheit des Klägers gefährdet wäre). 647 Siehe Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 U.S. 235, 244 (1981). 648 Siehe Iragorri v. United Technologies Corp., 274 F.3d 65, 72 (2d Cir. 2001): „[T]he greater the plaintiff’s or the lawsuit’s bona fide connection to the United States and to the forum of choice and the more it appears that considerations of convenience favor the conduct of the lawsuit in the United States[.] … On the other hand, the more it appears that the plaintiff’s choice of a U.S. forum was motivated by forum-shopping reasons … the less deference the plaintiff’s choice commands“. 649 Siehe Gulf Oil Corp. v. Gilbert, 330 U.S. 501 (1947). 650 Siehe Gilbert, 330 U.S. at 507 – 508. 651 Siehe Gilbert, 330 U.S. at 508. 652 Vgl. Gilbert, 330 U.S. at 508: „[T]he plaintiff’s choice of forum should rarely be disturbed“. 653 Siehe Gilbert, 330 U.S. at 508.
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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bb) Forum non conveniens in ATS-Klagen bis 1995 Die allermeisten ATS-Klagen der Zweiten Welle wiesen keinen Bezug zu den USA auf. Die Parteien waren ausländische Bürger und ausländische Kapitalgesellschaften. Die streitgegenständlichen Menschenrechtsverletzungen wurden im Ausland begangen. Diese Konstellation macht die forum non conveniens-Doktrin zu einer logischen Einrede für jeden ATS-Beklagten. Trotzdem spielte die Doktrin vor der Zweiten Welle keine Rolle in der ATS-Rechtsprechung. Entscheidungen der Ersten Welle haben die Anwendbarkeit der forum non conveniens-Doktrin auf ATS-Klagen bestätigt. Trotzdem hat kein Beklagter der Ersten Welle – und in ATS-Klagen gegen natürliche Personen überhaupt – sich erfolgreich auf die forum non conveniens-Doktrin berufen können. Die Gründe hierfür waren mannigfaltig. Die Gerichte waren nicht geneigt, bspw. Folteropfer vor die Gerichte zurückzuschicken, die ihre Folterung zu- und ihre Peiniger bisher straflos gelassen hatten654. Oft haben Beklagte auch nur zögerlich einen effektiven Rechtsbeistand engagiert und so eine rechtzeitige Erhebung der forum non conveniensEinrede versäumt655. Rechtswissenschaftler haben sich gegen die Anwendung der Doktrin in ATS-Klagen ausgesprochen656. Reger Gebrauch von der Einrede wurde indes in den Klagen der Zweiten Welle gemacht657. Dies hatte allein schon damit zu tun, dass der Bezug zu den USA als Forum viel weniger stark ausgeprägt war verglichen mit den Erste Welle-Klagen, die überhaupt erst durch „personal presence“ des Beklagten in den USA möglich waren.
654 Siehe z. B. Cabiri v. Assasie-Gyimah, 921 F. Supp. 1189, 1199 (S.D.N.Y. 1996) („[T]he Court is unconvinced that the courts of Ghana provide an adequate alternative forum for this action. Presuming [the Plaintiff’s] allegations to be true, he would be putting himself in grave danger were he to return to Ghana to prosecute this action“.); Eastman Kodak Co. v. Kavlin, 978 F. Supp. 1078, 1085 (S.D. Fla. 1997) („Whatever inhibitions the Court may feel about declaring the Bolivian justice system too corrupt to permit fair adjudication of plaintiffs’ claims are substantially diminished by the Bolivian Minister of Justice’s own comments … that ,the current judicial system is a collection agency and the penal system an agent of extortion‘“.). 655 In z. B. den Sammelklagen gegen den ehemaligen Präsidenten der Philippinen Ferdinand Marcos sind nach seinem Ableben einige seiner Familienangehörigen säumig geworden und haben erst nach Ergehen eines Urteils gegen sie die Einrede des forum non conveniens erhoben. Das Ninth Circuit hat die Einrede als verwirkt zurückgewiesen, siehe In re Estate of Ferdinand E. Marcos Human Rights Litig., 978 F.2d 493 (9th Cir. 1992). 656 Siehe z. B. Malcolm Rogge, Towards Transnational Corporate Accountability in the Global Economy: Challenging the Doctrine of Forum Non Conveniens in In re Union Carbide, Alfaro, Sequihua, and Aguinda, 36 Tex. Int’l L. J. 299 (2001). 657 Siehe hierzu Skolnik, The Forum Non Conveniens Doctrine In Alien Tort Claims Act Cases: A Shell of Its Former Self After Wiwa, 16 Emory Int’l L. Rev. 190 (2002).
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Kap. 2: Die Zweite Welle
cc) Der Wegfall der forum non conveniens-Doktrin in ATS-Klagen Die erste forum non conveniens-Entscheidung eines Circuit Court in der Zweiten Welle fiel gegen die Anwendung der forum non conveniens-Doktrin aus. Dies war die Entscheidung des Second Circuit in Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co.658. Wiwa war die ATS-Klage nigerianischer Angehöriger gegen den britisch-niederländischen Ölkonzern Shell, die diesem Beihilfe zu einer außergerichtlichen Hinrichtung in Nigeria als Völkerrechtsverletzung vorwarf. Shell erhob die Einrede der forum non conveniens und wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass alles, was mit der Verhandlung zu tun haben könnte, im Ausland war, weswegen die USA kein Interesse an der Klage haben könnten. Der Second Circuit hat Shells Einrede abgelehnt und in seinen Ausführungen die Position eingenommen, dass die forum non conveniens-Doktrin prinzipiell nicht auf ATS-Klagen Anwendung finden sollte. Das Gericht war der zunächst der Meinung, dass sich Gerichte der „enormous difficulty“ bewusst sein mussten, die der Verhandlung einer Menschenrechtsklage am Begehungsort anhaften659. Lokale Gerichte seien meistens opferfeindlich. Kläger stünden amtierenden Hoheitsträgern gegenüber und müssten der eigenen Regierung menschenrechtswidriges Handeln vorwerfen660. Und wenn ATS-Kläger ihre Heimat entfliehen und einen Wohnsitz in den USA begründen wollten, sollte ihrer Wahl, vor amerikanischen Gerichten vorzugehen, ein ganz besonderer Stellenwert beigemessen werden. Des Weiteren sah der Second Circuit im Torture Victim Protection Act von 1991 eine Anerkenntnis des Kongresses, dass Menschenrechtsklagen oft nur in den USA eine Chance hätten und deswegen nie an ausländische Foren abgegeben werden sollten, bloß weil diese ein Interesse am Verfahren hätten und formell offenstünden661. Insofern sollten ATS-Klagen nur höchst ausnahmsweise aufgrund der forum non conveniens-Doktrin zur Verhandlung im Ausland abgewiesen werden. In den Jahren unmittelbar nach Wiwa haben drei District Court-Entscheidungen die Anwendbarkeit der forum non conveniens-Doktrin auf ATS-Klagen bejaht. Dennoch ließen die Entscheidungen eine beachtliche Unsicherheit erkennen, ob die Doktrin in begründeten ATS-Klagen zum Tragen kommen würde: – In Aguinda v. Texaco wies der District Court eine ATS-Klage ecuadorianischer Angehöriger gegen Texaco aufgrund von forum non conveniens zur Verhandlung 658
Siehe Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88 (2d Cir. 2000). Wiwa, 226 F.3d at 106. 660 Siehe Wiwa, 226 F.3d at 106 („It is not easy to bring such suits in the courts of another nation. Courts are often inhospitable. Such suits are generally time consuming, burdensome, and difficult to administer. In addition, because they assert outrageous conduct on the part of another nation, such suits may embarrass the government of the nation in whose courts they are brought“). 661 Siehe Wiwa, 226 F.3d at 106 („The [TVPA] has[] communicated a policy that [ATS] suits should not be facilely dismissed on the assumption that the ostensibly foreign controversy is not our business“. 659
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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in Ecuador ab662. Die Kläger warfen Texaco die Umweltschädigung in einer Region Ecuadors als Völkerrechtsverletzung vor und verlangten, dass Texaco den Urzustand der verschmutzten Gebiete wiederherstellte. Dies war eine ungeheuerliche Forderung, die ein US-Gericht zur internationalen Umweltbehörde gemacht hätte, und sie stützte sich auf internationale Umweltschutznormen, die es im Völkergewohnheitsrecht nicht gab. Anstatt diese detailliert zu thematisieren, wies der District Court die Klage zur Verhandlung in Ecuador ab. – In Flores v. Southern Peru Copper Co. wies der District Court die ATS-Klage peruanischer Angehöriger ab, die dem beklagten Bergbaukonzern ebenfalls Umweltschändungen vorwarf663. Das Gericht wies die Klage zunächst ab, weil es im Völkergewohnheitsrecht keine verbindlichen Umweltschutznormen finden konnte, die als Grundlage einer ATS-Klage hätte dienen können. In einem weiteren obiter dictum erwähnte es aber, dass auch die forum non conveniens-Doktrin die Abweisung der Klage zur Verhandlung in Peru erfordere, weil sich alles, was mit der Klage zu tun hatte – inklusive den Klägern – in Peru befand. – In Abdullahi v. Pfizer wies ein District Court die ATS-Klage nigerianischer Bürger gegen Pfizer ab, die Pfizer die Durchführung medizinischer Experimente an unwissenden Kindern als Völkerrechtsverletzung vorwarf664. Das Gericht wies die Klage zunächst deswegen ab, weil es die vorgeworfenen medizinischen Versuche nicht als einklagbare Völkerrechtsverletzungen im Sinne des ATS betrachtete665. Darüber hinaus erwähnte das Gericht, dass auch die forum non conveniensDoktrin die Abweisung erforderte, weil die Kläger nicht bewiesen hätten, dass Nigeria ein inadäquates alternatives Forum sei. Diese Entscheidungen waren keine starke Befürwortung der forum non conveniens-Doktrin in ATS-Klagen. In Flores und Abdullahi kam die Doktrin bestenfalls als alternativer bzw. zweitrangiger Abweisungsgrund zur Anwendung, nachdem das Gericht bereits festgestellt hatte, dass die Klage unzulässig war. In Aguinda hatten die Kläger unerhörte Forderungen an das Gericht gestellt, sich mit dem vorsitzenden Richter angelegt666 und eine widersprüchliche Strategie verfolgt667. Es entstand zu662
Siehe Aguinda v. Texaco, Inc., 142 F. Supp. 2d 534 (S.D.N.Y. 2001). Siehe Flores v. Southern Peru Copper Corp., 253 F. Supp. 2d 510 (S.D.N.Y. 2002). 664 Zur Zeit der District Court-Entscheidung wurde die Klage unter dem Titel Adamu v. Pfizer, Inc., 399 F. Supp. 2d 495 (S.D.N.Y. 2005), verhandelt. 665 Das District Court war der Meinung, dass das Völkerrecht ein pimäres Verhaltensgebot enthielte, dass das medizinische Experimentieren an menschlichen Subjekten verbot. Allerdings verneinte es, dass das Völkerrecht eine Sekundärnorm enthielte, die einen Schadenersatzanspruch im Falle der Verletzung des Experimentverbots vorsah. Insofern stellten aus seiner Sicht die streitgegenständlichen Rechtsverletzungen zwar Völkerrechtsverletzungen, aber keine einklagbaren Völkerrechtsverletzungen im Sinne des ATS dar. Siehe Adamu v. Pfizer, Inc., 399 F. Supp. 2d 495 (S.D.N.Y. 2005). 666 Die Kläger hatten dem Richter Befangenheit vorgeworfen und beantragt, dass er sich aus dem Falle zurückziehe. Sie hatten sich dadurch „mit ihm angelegt“, weil sie diesen Antrag 663
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Kap. 2: Die Zweite Welle
mindest der Eindruck, dass, solange sich eine ATS-Klage auf eine einklagbare Völkerrechtsnorm stützte, die Abweisung aufgrund von forum non conveniens nicht erfolgen würde. Angesichts des im obigen Abschnitt B. II. 1. c) geschilderten Einschlages des Weltrechtsprinzips in forum non conveniens-Entscheidungen der Zweiten Welle kann die generelle Ablehnung der forum non conviens-Einrede in ATS-Klagen als logische doktrinale Entwicklung qualifiziert werden. Bei der forum non conveniensAnalyse gingen die Gerichte davon aus, dass die Völkerrechtsverletzungen, die die Gegenstände von ATS-Klagen bildeten, dem Weltrechtsprinzip unterlagen. Insofern hatten die USA automatisch ein Interesse an ATS-Verfahren, gleichgültig ob sie überhaupt einen Bezug zu den USA aufwarfen, solange nur die Verletzung einer einklagbaren – und deswegen als „universell“ anerkannten – Menschenrechtsnorm vorlag. Weil die forum non conveniens-Doktrin im Grunde aus einem Interessenvergleich besteht und überdies ein überwiegendes Interesse anderer Foren zur Abweisung der Klage erfordert, begründete die Annahme eines aus dem Weltrechtsprinzip abgeleiteten amerikanischen Interesses an Menschenrechtsverletzungen einen grundsätzlichen Ausschluss der forum non convienens-Doktrin aus ATSKlagen. Diese Gedanken kamen durch die nachfolgenden Berufungsverfahren der zitierten Entscheidungen zum Vorschein. Das Urteil von Aguinda wurde unter der Bedingung bestätigt, dass Texaco auf die Einrede der Verjährung im ecuadorianischen Verfahren verzichtete; damit wurde klargestellt, dass die USA kein Interesse an einem Verfahren ohne Menschenrechtsverletzung hatten, solange ein ausländisches Forum zur Verfügung stand. In Flores bestätigte das Second Circuit das Fehlen einer einklagbaren Völkerrechtsverletzung und erklärte damit eine Erörterung der forum non conviens-Doktrin in der erstinstanzlichen Entscheidung für überflüssig668. In Abdullahi erklärte der Second Circuit die Entscheidung des District Court aufgehoben und medizinische Experimente an unwissenden Subjekten für eine einklagoffenbar nicht, wie es verfahrensrechtlich geboten ist, beim Richter selbst, sondern beim Second Circuit gestellt haben. Der Richter schein dies als Hinterrücks-Taktik aufzufassen und etwas Ärger darüber kam in seiner Abweisungsbegründung zum Vorschein, siehe Aguinda, 142 F. Supp. 2d at 537 ff. 667 Die Kläger haben zwei Parallelverfahren gegen Texaco eingeleitet: eins vor dem Southern District of New York und eins vor dem Southern District of Texas. Im texanischen Verfahren haben die Kläger eine eingehende Beteiligung der ecuadorianische Regierung zugelassen, was das District Court davon überzeugt hat, dass Ecuador ein starkes Interesse am Verfahren hatte, das eine Abweisung wegen forum non convenies rechtfertige, siehe Sequihua v. Texaco, Inc., 847 F.Supp. 61, 63 (S.D. Tex. 1994). Im New Yorker Verfahren haben die Kläger hingegen versucht, Ecuadors Interesse am Verfahren herunterzuspielen und ein amerikanisches Interesse durch Discovery nachzuweisen, was das Southern District of New York als inkonsequent auffasste, siehe Aguinda, 142 F. Supp. 2d at 537 ff. 668 Siehe Flores v. Southern Peru Copper Corp., 414 F.3d 233, 266 (2d Cir. 2003) („[I]n light of our conclusion that plaintiffs failed to state a claim under the ATCA, we need not review [the forum non conveniens] ground for the dismissal“.).
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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bare Völkerrechtsverletzung im Sinne des ATS669. Parallel zu dieser Feststellung hob es die Abweisung wegen forum non conveniens auf, bis Pfizer die Adäquanz der nigerianischen Gerichte bewiesen hatte. Damit hatte der Second Circuit impliziert, dass die USA ein Interesse an der Verhandlung einer Klage hatten, in der eine Menschenrechtsverletzung vorlag. Aufgrund dieser Entscheidungen gingen die meisten Beobachter davon aus, dass die forum non conveniens-Doktrin kein ernstzunehmendes Hindernis mehr für ATSKlagen der Zweiten Welle darstellte670. 3. Materiellrechtliche Expansionen Neben der Übernahme der Rechtsprechung der Ersten Welle und verfahrensrechtlicher Expansionen gingen aus der Rechtsprechung der Zweiten Welle eigene dogmatische Entwicklungen hervor, die auf die besondere Konstellation der ATSKlagen gegen Konzerne zugeschnitten waren. Diese Entwicklungen dehnten das Haftungsrisiko aus ATS-Klagen erheblich aus. a) Explizite Bejahung der Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften Bis 2003 gingen alle frühen ATS-Klagen der Zweiten Welle ohne Diskussion davon aus, dass Kapitalgesellschaften als Völkerrechtssubjekte anzusehen waren, die für Menschenrechtsverletzungen haftbar gemacht werden konnten. Im Jahre 2003 bejahte jedoch ein Gericht die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften bzw. ihre Haftbarkeit für Menschenrechtsverletzungen explizit. Dies ging aus der Entscheidung des Southern District of New York in Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy hervor671. In Talisman klagten sudanesische Angehörige gegen den kanadischen Ölkonzern Talisman Energy672. Als Verteidigung erhob Talisman den Einwand, dass Kapitalgesellschaften keine Völkerrechtssubjekte seien und deswegen für Menschenrechtsverletzungen nicht haften können. Sein Argument hierfür verlief so: Die Erstreckung einer Haftung für Menschenrechtsverletzungen auf Kapitalgesellschaften müsse nach ständiger Rechtsprechung aufgrund „universal, specific, and obligatory“-Normen des Völkergewohnheitsrechts erfolgen. Jedoch erwähne keine völkerrechtliche Quelle die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften bzw. ihre Haftung für Menschenrechtsverletzungen. Weder internationale Abkommen noch die Gründungsstatuten oder Rechtsprechung 669
Siehe Abdullahi v. Pfizer, Inc., 562 F.3d 163 (2d Cir. 2009). Siehe z. B. Skolnik, The Forum Non Conveniens Doctrine In Alien Tort Claims Act Cases, S. 190 ff. 671 Siehe Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 244 F. Supp. 2d 289 (2003). 672 Zum Sachverhalt von Talisman siehe Abschnitt A. III. 1. b) ee) dieses Kapitels, oben. 670
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Kap. 2: Die Zweite Welle
Internationaler Straftribunale hätten eine Haftung wegen Menschenrechtsverletzungen auf Kapitalgesellschaften erstreckt. Vielmehr beschränke sich die Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen ausschließlich auf natürliche Personen. Insofern könnten Kapitalgesellschaften nicht als Subjekte moderner Menschenrechtsnormen angesehen werden und für Verletzungen dieser Normen nicht haften. Der District Court wies diese Argumentation zurück und bejahte die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften zum Zwecke des ATS ausdrücklich. Das Gericht war der Meinung, der Beklagte berufe sich auf eine Immunität von Kapitalgesellschaften in ATS-Klagen, was allerdings keinerlei rechtliche Grundlage habe673. Zunächst verwies das Gericht auf die ATS-Entscheidungen des Second Circuit. Zwar habe der Second Circuit die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften nie direkt erörtert674, aber bis 2003 habe der Second Circuit Entscheidungen in vier ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften erlassen675. In einer dieser Entscheidungen habe der Second Circuit die geltend gemachten ATS-Ansprüche gegen einen Konzern zugelassen676. Die drei anderen Klagen müssten wegen forum non conviens oder rechtlicher Mängel abgewiesen werden677, aber der Second Circuit habe gleichwohl zu erkennen gegeben, dass, wären diese Einwände nicht vorhanden gewesen, die ATS-Klage gegen die beklagten Konzerne zulässig gewesen wären. Insofern habe der Second Circuit eingeräumt, dass Konzerne für Menschenrechtsverletzungen haftbar gemacht werden könnten678. Zweitens fand der District Court in den Entscheidungen anderer Circuits Bestätigung, dass Kapitalgesellschaften nach dem ATS für Menschenrechtsverletzungen haften. In Doe v. Unocal Corp. habe der Ninth Circuit ATS-Ansprüche gegen einen Ölkonzern zugelassen, ohne seine Völkerrechtssubjektivität in Frage zu stellen679. Der Fifth Circuit habe bisher zwei ATS-Verfahren gegen Konzerne wegen 673 „A private corporation is a juridical person and has no per se immunity under U.S. domestic or international law“. Talisman, 244 F. Supp. 2d at 319. 674 „[T]he Second Circuit has never squarely addressed the question of whether corporations are potentially liable for international law violations under the ATCA“. Talisman, 244 F. Supp. 2d at 313. 675 Diese waren: Aguinda v. Texaco, Inc., 303 F.3d 470 (2d Cir. 2002); Bigio v. Coca-Cola Co., 239 F.3d 440 (2d Cir. 2000); Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88 (2d Cir. 2000); Jota v. Texaco Inc., 157 F.3d 153 (2d Cir. 1998). 676 So das Ergebnis von Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88 (2d Cir.2000). 677 Aguinda v. Texaco, Inc., 303 F.3d 470 (2d Cir.2002) und Jota v. Texaco Inc., 157 F.3d 153 (2d Cir.1998) wurden wegen forum non conviens abgewiesen. In Bigio v. Coca-Cola Co., 239 F.3d 440 (2d Cir. 2000) wurde die Klage abgewiesen, weil der von den Klägern geltend gemachte Anspruch wegen Enteignung keine Völkerrechtsverletzung im Sinne des ATS darstellte. 678 „In each of these cases, the Second Circuit acknowledged that corporations are potentially liable for violations of the law of nations that ordinarily entail individual responsibility“. Talisman, 244 F. Supp. 2d at 313. 679 Siehe Doe v. Unocal Corp., 395 F.3d 932 (9th Cir. 2002).
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rechtlicher Mängel abgewiesen680, aber in beiden Fällen habe das Gericht eindeutig angenommen, dass eine ATS-Klage gegen ein Unternehmen grundsätzlich zulässig sei681. Schließlich hätten alle District Courts, die bisher mit einer ATS-Klage gegen einen Konzern befasst gewesen seien, die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften angenommen oder konkludent bejaht682. Erst nach Berücksichtigung der Präzedenzlage in den USA wandte sich der District Court internationalen Quellen zu. Auch hier fand das Gericht die Haftbarkeit von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen bestätigt. Zunächst befasste sich das Gericht mit den Nürnberger Prozessen: Obwohl das Nürnberger Straftribunal keine Anklage gegen Kapitalgesellschaften erhoben habe, komme in den Urteilsbegründungen des Tribunals klar zum Vorschein, dass das Tribunal von der Fähigkeit von Konzernen ausging, Menschenrechtsnormen verletzen zu können683. Zweitens zog das Gericht internationale Staatsverträge heran und stellte unter Berufung auf Kernenergie- und Ölverschmutzungsabkommen684 fest, dass das Völkervertragsrecht eine unmittelbare Bindungswirkung auf Kapitalgesellschaften bezüglich Delikten mit Streuschäden prinzipiell entfalten könne685. Zuletzt führte das Gericht die Europäische Union als Beweis dafür an, dass Kapitalgesellschaften die Adressaten der von internationalen Organisationen beschlossenen Rechtsnormen sein können686.
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Diese waren: Beanal v. Freeport-McMoran, Inc., 197 F.3d 161 (5th Cir. 1999) (wegen Fehlens einer einklagbaren Völkerrechtsverletzung abgewiesen); Carmichael v. United Technologies Corp., 835 F.2d 109 (5th Cir. 1988) (wegen Mangel an Beweisen abgewiesen, dass der Beklagte an der Folterung des Klägers beteiligt war). 681 „[T]he Fifth Circuit explicitly assumed without deciding that it had subject matter jurisdiction in an ATCA action against a corporation for violations of international law“. Talisman, 244 F. Supp. 2d at 314. 682 Talisman, 244 F. Supp. 2d at 314 – 315. Das Gericht zitierte folgende Entscheidungen: Abdullahi v. Pfizer, Inc., No. 01 Civ. 8118 (S.D.N.Y. Sept. 17, 2002); Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., No. 96 Civ. 8386 (S.D.N.Y. Feb. 28, 2002); Bodner v. Banque Paribas, 114 F. Supp. 2d 117 (E.D.N.Y. 2000); Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999); Eastman Kodak Co. v. Kavlin, 978 F. Supp. 1078 (S.D. Fla. 1997). 683 Siehe Talisman, 244 F. Supp. at 316: „The language of the [Nuremberg Tribunal’s IG Farben] decision makes it clear that the court considered that the corporation qua corporation had violated international law … [and] makes it clear that while individuals were nominally on trial, the … company itself, acting through its employees, violated international law“. 684 Das Gericht zitierte: Convention on Third Party Liability in the Field of Nuclear Energy, 956 U.N.T.S. 251; International Convention on Civil Liability for Oil Pollution Damage, 973 U.N.T.S. 3; Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage, 1063 U.N.T.S. 265; Brussels Convention Relating to Civil Liability in the Field of Maritime Carriage of Nuclear Material, 974 U.N.T.S. 255; Convention on Civil Liability for Oil Pollution Damage Resulting from Exploration for and Exploitation of Seabed Mineral Resources, 16 I.L.M. 1450. 685 Siehe Talisman, 244 F. Supp. 2d at 317 („[T]he line of instruments cited above indicates that precedent does exist for holding corporations liable for largescale torts“). 686 Siehe Talisman, 244 F. Supp. 2d at 318.
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Aus diesen Gründen bejahte der District Court, dass Kapitalgesellschaften Subjekte moderner Menschenrechtsnormen waren und für ihre Verletzung hafteten. Das Gericht fügte außerdem hinzu, dass diese Feststellung nichts Außerordentliches verkündete: „Given that private individuals are liable for violations of international law in certain circumstances, there is no logical reason why corporations should not be held liable“687. Diese Entscheidung – auch wenn sie nur der Beschluss eines District Court war – wirkte wie eine Grundsatzerklärung. In Talisman wurde erstmals ein Gericht mit dem Einwand konfrontiert, Kapitalgesellschaft seien keine Völkerrechtssubjekte. Das Gericht hat in einer durchaus fundierten Antwort diesem Einwand jede Gültigkeit abgesprochen. Bis 2010 sollte Talisman die herrschende Meinung der amerikanischen Gerichte zur Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften sowohl anführen als auch widerspiegeln. b) Die Haftung wegen Beihilfe zu Völkerrechtsverletzungen Die erheblichste dogmatische Expansion der frühen Zweiten Welle ging aus der Bejahung der Haftung wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen hervor. aa) Hintergrund: Deliktische Haftung von Unternehmen nach der respondeat superior-Doktrin Unternehmen sowie sämtliche andere juristischen Personen sind fiktive Entitäten, die nicht selbst handeln können. Ihre Handlungen sowie die Haftung, die mit diesen Handlungen einhergeht, müssen von Dritten verrichtet und ihnen zugerechnet werden. Es ist eine grundliegende sozialpolitische Frage jedes Rechtssystem, wie weit der Kreis der Personen, für wessen Handlungen Unternehmen Haftung tragen, zu zeichnen ist688. Im amerikanischen Recht wird diese Frage anhand langtradierter common lawDoktrinen beantwortet. Das common law-Konzept der „vicarious liability“ lässt die Zurechnung der Haftung einer Person an eine andere Person ausschließlich wegen des Rechtsverhältnisses zwischen diesen Personen zu, ohne dass die mit fremder Haftung belastete Person irgendeine Vorwerfbarkeit begangen haben muss. Dieses Institut findet im Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Kontext in Form der sog. „respondeat superior“-Doktrin Anwendung: Nach jahrhundertelang währendem common law haften Arbeitgeber für Handlungen ihrer Angestellten im Rahmen des Beschäfti-
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Talisman, 244 F. Supp. 2d at 319. Vgl. z. B. Alan Sykes, The Boundaries of Vicarious Liability: An Economic Analysis of the Scope of Employment Rule and Related Legal Doctrines, 101 Harv. L. Rev. 563 (1988). 688
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gungsverhältnisses, und zwar verschuldensunabhängig und ohne die Möglichkeit einer Exkulpation689. Die respondeat superior-Doktrin ist auch auf Arbeitsverhältnisse in Kapitalgesellschaften anwendbar. Unternehmen treten aus Sicht des common law in die Rolle des Arbeitgebers. Deshalb gilt grundsätzlich, dass Unternehmen für die Handlungen ihrer Angestellten einstehen müssen, solange Letztere im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses gehandelt haben. Voraussetzungen für die Zurechnung einer Handlung bzw. von Haftung an ein Unternehmen sind nur, dass die handelnde Person als Arbeitnehmer („employee“) zu qualifizieren ist und dass sie im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses („within the scope of employment“) gehandelt hat. Liegen diese Voraussetzungen vor, wird die Haftung verschuldensunabhängig auf das Unternehmen übertragen. Subjektive und objektive Tatbestandsmerkmale werden ausschließlich auf der Ebene des Arbeitnehmers geprüft; insofern existiert keine Möglichkeit eines Entlastungsbeweises. Eine Person ist als „employee“ zu qualifizieren, wenn sie im Auftrag des Unternehmens handelt und weisungsgebunden ist690. Eine Einbindung der Person in den Betrieb des Unternehmens ist nicht zwingend erforderlich, denn die Haftungszurechnung versteht sich in erster Linie als Gegenstück zum Weisungsrecht des Arbeitgebers. Wer als weisungsgebundener „employee“ zu qualifizieren ist, ist weder gesetzlich noch in der Rechtsprechung definiert und erhält hauptsächlich durch Gegenüberstellung zum Begriff des freien Mitarbeiters („independent contractor“) seine Grenze691. Nur wenn eine Person als freier Mitarbeiter zu qualifizieren ist692, wird die Zurechnung ihrer Handlungen an das Unternehmen ausgeschlossen. Eine Handlung eines Arbeitnehmers ist als im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses anzusehen, wenn sie im Kreis der ihm aufgegebenen Tätigkeiten liegt693 und innerhalb der zeitlichen und räumlichen Grenzen seiner Arbeit verrichtet wird694. Liegen diese Voraussetzungen vor, wird die Handlung als Konkretisierung des dem Arbeitgeber zurechenbaren Risikos angesehen695. Vorsätzlich verübte Delikte bilden in der Regel einen Grenzfall des „scope of employment“, denn es ist selten vorstellbar, dass ein Arbeitgeber, auch wenn er dem Arbeitnehmer eine ge689 Siehe Restatement (Second) of the Law of Agency § 219 (1) (1958): „A master is subject to liability for the torts of his servants committed while acting in the scope of their employment“. 690 Siehe Restatement (Second) Agency § 220 (1): „A servant is a person employed to perform services in the affairs of another and who with respect to the physical conduct in the performance of the services is subject to the other person’s control or right of control“. 691 Vgl. Restatement (Second) Agency § 220 (2). 692 Die Grenze zwischen Arbeitnehmer und freier Mitarbeiter ist nicht gesetzlich definiert und wird im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände sowie einem Vergleich mit einer langen Fallkasuistik entschieden, siehe Restatement (Second) Agency § 220 (2) (a) – (j). 693 Vgl. Restatement (Second) Agency § 228 (1) (a). 694 Vgl. Restatement (Second) Agency § 228 (1) (b). 695 Vgl. Sykes, The Boundaries of Vicarious Liability, S. 564 ff.
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fährliche Tätigkeit aufgibt, seinen Arbeitnehmer zur Begehung von Körperverletzungen, Tötungen o.Ä. anweist. Generell gilt in solchen Fällen, dass, sofern ein konkretes vorsätzliches Delikt einen objektiv zu erwartenden Ausfluss der aufgetragenen Tätigkeit bildet, es dem Arbeitgeber zurechenbar ist696. Insofern sind „erwartbare“ vorsätzliche Delikte des Arbeitnehmers als im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses zu qualifizieren. Das Ergebnis dieser Regelung ist ein zwar striktes aber letztendlich überschaubares Haftungsrisiko für Unternehmen. Der Kreis der Personen, deren Handlungen dem Unternehmen zugerechnet werden können, ist auf die eigene Arbeitnehmerschaft beschränkt. Eine Zurechnung der Handlungen unternehmensexterner Personen ist ausgeschlossen. Wird ein vorsätzliches Delikt von einem Arbeitnehmer begangen, kann es dem Unternehmen nur dann zugerechnet werden, wenn das Unternehmen eine Tätigkeit in Auftrag gegeben hat, aus dem das Delikt fließen musste. bb) Die Unocal-Entscheidung Die Zulässigkeit der Beihilfehaftung ging zunächst aus der Entscheidung des Ninth Circuit in Doe v. Unocal Corp.697 hervor. In Unocal haben myanmarische Angehörige eine ATS-Klage gegen den kalifornischen Ölkonzern Unocal wegen Zwangsarbeit erhoben. Der Vorwurf der Kläger basierte darauf, dass Unocal beim Bau einer Pipeline durch Myanmar Einheiten des myanmarischen Militärs als Sicherheitsdienstleister engagiert habe, dass diese die Bevölkerung entlang der Baustrecke zu Zwangsarbeit gezwungen, und dass Unocal von der Zwangsarbeit gewusst aber trotzdem seine Zusammenarbeit mit den Einheiten fortgeführt habe. Insofern habe Unocal wissentlich zur Zwangsarbeit beigetragen und könne deshalb nach dem ATS haftbar gemacht werden. Vor diesem Hintergrund sah sich der Ninth Circuit mit der Frage konfrontiert, welche Maßstäbe entscheiden sollen, ob und unter welchen Voraussetzungen der Beklagte einer ATS-Klage für von Dritten begangene Menschenrechtsverletzungen haften sollte. Nach Meinung des Ninth Circuit mussten diese Maßstäbe dem Völkerrecht entnommen werden: Weil die Tatbestände der nach dem ATS einklagbaren Völkerrechtsverletzungen aus dem Völkergewohnheitsrecht abgeleitet werden, sollte auch die Haftung für die Handlungen Dritter als weitere Haftungsvoraussetzung einer ATS-Klage dem Völkerrecht entstammen698. Diese Entscheidung führte der Ninth Circuit zur völkerstrafrechtlichen Doktrin der Beihilfe („aiding and abetting“), die zunächst in den Nürnberger Prozessen und in den folgenden Jahr696 Vgl. Restatement (Second) Agency § 228 (1) (d): „Conduct of a servant is within the scope of employment only if, if force is intentionally used by the servant against another, the use of force is not unexpectable by the master“. Das klassische Beispiel der amerikanischen Juristenausbildung von einer Tätigkeit, bei der der Arbeitgeber vorsätzliche Delikte erwarten sollte, ist der Türsteher vor einer Bar. 697 Doe v. Unocal Corp., 395 F.3d 932 (9th Cir. 2002). 698 Unocal, 395 F.3d at 949.
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zehnten von weiteren internationalen Straftribunalen angewandt wurde699. Aus Sicht des Ninth Circuit war die Übertagung der völkerstrafrechtlichen Beihilfe-Doktrin auf die Frage der deliktsrechtlichen Haftung für die Taten Dritter in ATS-Klagen zulässig, weil „what is a crime in one jurisdiction is often a tort in another“, und weil die völkerrechtlichen Voraussetzungen für Beihilfehaftung denen der deliktischen Zurechnungshaftung ähnlich waren700. Als Voraussetzungen für Haftung wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen in ATS-Klagen übernahm der Ninth Circuit den zweiteiligen „aiding and abetting“-Test des Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY). Haftung wegen Beihilfe setze voraus, dass eine Beihilfehandlung (actus reus) vorliege, die der Beklagte mit dem erforderlichen Grad an Unrechtsbewusstsein (mens rea) vorgenommen habe701. Eine Behilfehandlung (actus reus) sei gegeben, wenn der Beklagte „practical assistance, encouragement, or moral support“ geleistet habe, die eine wesentliche Auswirkung auf die Tatbegehung hatte702. Als wesentlich gelte eine Handlung bereits, wenn die Tat nicht oder nicht auf dieselbe Weise ohne den Beitrag des angeblichen Beihelfers begangen worden wäre703. Das Vorliegen des erforderlichen Unrechtsbewusstseins (mens rea) sei hingegen zu bejahen, wenn der Teilnehmer wisse oder wissen sollte, dass seine Handlung die Tatbegehung erleichtere704. Hierbei müsse der Teilnehmer keine Kenntnis über genaue Verbrechen besitzen, es reiche aus, wenn er wisse, dass Verbrechen wahrscheinlich begangen würden und dass sein Tatbeitrag deren Begehung erleichtere705. Unter Anwendung dieses Tests bejahte der Ninth Circuit, dass Unocals Zusammenarbeit mit dem myanmarischen Militär die Voraussetzungen für Beihilfehaftung erfüllen konnte. Aus Sicht des Gerichts deuteten einige Beweise darauf hin, dass Unocal über zahlreiche Menschenrechtsverletzungen des Militärs in der nahen Vergangenheit Bescheid wusste, das Militär jedoch trotz dieses Wissens als Sicherheitstrupp eingestellt hatte706. Des Weiteren befand das Gericht, dass die täglichen Sicherheitsbesprechungen zwischen Unocal und dem Militär sowie der im Rahmen des Pipelineprojekts vorgenommene Straßenbau als wesentliche Beiträge zur vom Militär verübten Zwangsarbeit angesehen werden konnten707. Aus diesen 699
Unocal, 395 F.3d at 949 – 950. Unocal, 395 F.3d at 949. 701 Unocal, 395 F.3d at 950. 702 Unocal, 395 F.3d at 950 (Zitat von Prosecutor v. Furundzija, Prosecutor v. Furundzija, IT-95-17/1-T (Int’l Crim. Trib. for Former Yugoslavia Trial Chamber Dec. 10, 1998), para. 235). 703 Unocal, 395 F.3d at 950 (Zitat von Prosecutor v. Tadic, Prosecutor v. Tadic, ICTY-94-1 (Int’l Crim. Trib. for Former Yugoslavia Trial Chamber May 7, 1997), para. 688). 704 Unocal, 395 F.3d at 951 (Zitat von Furundzija, para. 245). 705 Unocal, 395 F.3d at 951 (Zitat von Furundzija, para. 245). 706 Siehe Unocal, 395 F.3d at 952 – 953. 707 Unocal, 395 F.3d at 953. 700
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Gründen verwies es das Verfahren an den District Court zur Anberaumung einer Hauptverhandlung vor einer Jury. Unocal legte gegen diese Entscheidung Rechtsmittel ein und der Ninth Circuit ließ eine en banc-Neuverhandlung des Verfahrens zu, um die Beihilfefrage unter Beteiligung aller Senate neu zu erörtern. Allerdings kam einer neuen Entscheidung des Ninth Circuit der außergerichtliche Vergleich der Parteien zuvor. Dies hatte zur Folge, dass die eben dargelegte Unocal-Entscheidung als gültiges Recht fortbestand. Die Entscheidung in Unocal war bahnbrechend in der Expansion des Haftungsrisikos, das Unternehmen aus ATS-Klagen zu erwarten hatten. Gesellschaften, die in der Dritten Welt tätig waren, hafteten im Wege der Beihilfe nicht mehr nur für Menschenrechtsverletzungen konzerneigener Mitarbeiter, sondern darüber hinaus für sämtliche Menschenrechtsverletzungen aller Dritter ungeachtet ihrer Beziehung zur Gesellschaft, die die Gesellschaft ,erleichtert‘ hatte. Der Umfang dieses Risikos kann vor allem im Sachverhalt von Unocal gesehen werden. Unocal baut lediglich auf die in dieser Industrie durchaus gängige Weise eine Gaspipeline. Dafür war es nötig, Straßen entlang der Pipelinestrecke zu bauen. Und weil die Pipeline im Hinterland eines Krisenstaats gebaut werden musste, war Projektsicherheit nötig, was wiederum erforderte, dass Unocal sein Sicherheitspersonal täglich über die zu sichernden Gebiete aufklärte. Damit war die Pipeline, vereinfacht gesagt, ein ganz normales Geschäft der Rohstoffindustrie. Nach Unocal konnte es nun zur Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen mit begleitender millionenschwerer ATS-Klage werden, sobald konzernfremde Sicherheitstruppen – aus eigenen Stücken – Menschenrechtsverletzungen begingen. cc) Die Aufnahme von Unocal in die Rechtsprechung der Zweiten Welle Die in Unocal anerkannte indirekte Haftung fand 2003 in der Entscheidung des Southern District of New York in Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy eine weitere Bestätigung708. Der Sachverhalt von Talisman war dem von Unocal nicht unähnlich: ein Ölkonzern (Talisman) heuerte beim Bau von Förderanlagen in Sudan, wo ein Bürgerkrieg stattfand, Truppen der sudanesischen Militärregierung für die Projektsicherheit an und hielt mit ihnen tägliche Besprechungen über die zu sichernden Fördergebiete ab. Anhand dieser Informationen betrieben die Truppen um die vorgesehenen Fördergebiete herum eine „Säuberungskampagne“, in der christliche und ethnisch afrikanische Zivilisten vertrieben, versklavt, erschossen und bombardiert wurden. Die Kläger warfen Talisman eine Beihilfe zu Kriegsverbrechen vor. Talisman erhob den Einwand, dass Haftung wegen Beihilfe in ATS-Klagen nicht zulässig sei, bis der Kongress ein entsprechendes Gesetz verabschiede709. 708 Siehe Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 244 F. Supp. 2d 289 (S.D.N.Y. 2003). 709 Talisman, 244 F. Supp. 2d at 320.
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Das Gericht wies Talismans Einwand zurück. Aus seiner Sicht erforderte das ATS kein Warten auf weitere Gesetzgebung, weil es für die Feststellung der Haftungsvoraussetzungen bereits auf das Völkerrecht verwies: „The [ATS] provides a cause of action in tort for breaches of international law. In order to determine whether a cause of action exists under the [ATS], courts must look to international law. … Thus, whether or not aiding and abetting … [is] recognized with respect to charges of genocide, enslavement, war crimes, and the like is a question that must be answered by consulting international law“710.
Damit hatte das Southern District of New York, genau wie der Ninth Circuit in Unocal, entschieden, dass in ATS-Klagen die Maßstäbe für Haftung für die Taten Dritter aus dem Völkerrecht abzuleiten waren. Wie in Unocal führte diese Feststellung das Gericht zur völkerstrafrechtlichen Doktrin der Beihilfe („aiding and abetting“). Nach Meinung des Gerichts war die rechtliche Verantwortung für Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen im Völkergewohnheitsrecht verankert. Der District Court verwies auf die Gründungsstatuten des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals711, des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien712 und des Internationalen Strafgerichtshofs713, in welchen die Strafbarkeit von Beihilfe explizit vorgesehen war714. Das Gericht führte internationale Abkommen gegen Genozid715 und Folter716 an, die die Strafbarkeit von Komplizen bei diesen Verbrechen bejahten. Aufgrund dieser Quellen bejahte der District Court, dass das Völkergewohnheitsrecht die Haftung wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen vorsieht und dass Beihilfehaftung deshalb in ATS-Klagen zulässig war. Als Voraussetzungen für Haftung wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen in ATS-Klagen übernahm der District Court ebenfalls den zweiteiligen „aiding and abetting“-Test des ICTY. Haftung wegen Beihilfe setze voraus, dass eine Beihilfehandlung (actus reus) vorliege, die der Beklagte mit dem erforderlichen Grad an Unrechtsbewusstsein (mens rea) vorgenommen habe717. Eine Beihilfehandlung (actus reus) liege vor, wenn der Teilnehmer praktische Unterstützung zur Tat leiste, die zur Tatbegehung wesentlich beitrage718; wobei ein „wesentlicher“ Beitrag bereits dann vorliege, wenn die Tat nicht auf dieselbe Weise ohne den Tatbeitrag begangen 710 711 712
(1). 713
Talisman, 244 F. Supp. 2d at 320. Siehe Statut für den Internationalen Militärgerichtshof vom 8. August 1945, Art. 6. Siehe Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, Art. 7
Siehe römisches Statut für den Internationalen Strafgerichtshof, Art. 25 (3). Siehe Talisman, 244 F. Supp. 2d at 322. 715 Siehe Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948. 716 Siehe Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984. 717 Talisman, 244 F. Supp. 2d at 323 – 324. 718 Talisman, 244 F. Supp. 2d at 323 (Zitat von Prosecutor v. Furundzija, para. 235). 714
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worden wäre719. Der erforderliche Vorsatz (mens rea) ist gegeben, wenn der Teilnehmer gewusst habe oder habe wissen müssen, dass seine Handlung die Tatbegehung erleichtere. Unter Anwendung dieser Voraussetzungen befand der District Court, dass bei der Klage gegen Talisman eine Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen ausreichend dargelegt worden sei: „[T]he [c]omplaint includes allegations that Talisman worked with Sudan to carry out acts of ,ethnic cleansing‘; that Talisman encouraged Sudan to do so; and that Talisman provided material support to Sudan, knowing that such support would be used in carrying out such unlawful acts“720.
Aufgrund dieser Feststellung ließ der District Court die Ansprüche gegen Talisman zur Vorverhandlung zu. dd) Fazit zu Beihilfehaftung Durch diese Beihilfehaftung läuteten Unocal und Talisman eine wesentliche Expansion der Zweiten Welle ein. Das Konzept der Beihilfe in diesen Entscheidungen dehnte den Kreis potenziell verklagbarer Konzerne aus und erleichterte zugleich die Klageerhebung. Dank Beihilfehaftung war es nicht mehr erforderlich, dass eine Menschenrechtsverletzung von einer Kapitalgesellschaft bzw. ihren Mitarbeitern ausging, um die Gesellschaft dafür haftbar machen zu können. Jede Zusammenarbeit mit anderen Personen in Krisenregionen barg nun den Keim einer Beihilfeklage. Die niedrigen Voraussetzungen des zweiteiligen „aiding and abetting“-Test förderte eine breitgefächerte Haftung. Nach diesem Test mussten ATSKläger einem Unternehmen keine absichtliche Verwicklung in Menschenrechtsverletzungen nachweisen. Es reichte aus, dass das Unternehmen irgendeine normale Geschäftstätigkeit im Ausland vorgenommen hatte und hätte wissen müssen, dass örtliche Staatsvertreter diese Tätigkeit ausnutzen könnten, um Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Jede Wirtschaftstätigkeit in der Dritten Welt war nun potenziell als Beihilfe zu den Menschenrechtsverletzungen des jeweils herrschenden Regimes einklagbar. c) Die Erleichterung einer Durchgriffshaftung Die ATS-Klagen der frühen Zweiten Welle wurden gegen Konzerne mit Sitz in USA oder Europa erhoben. Allerdings gingen die in diesen Klagen thematisierten Menschenrechtsverletzungen nicht vom amerikanischen oder europäischen Mutterhaus, sondern von einer ausländischen Tochtergesellschaft aus. Damit stellte sich die Frage, ob und unter welchen Umständen eine Durchgriffshaftung auf die Mutter 719 720
Talisman, 244 F. Supp. 2d at 324 (Zitat von Prosecutor v. Tadic, para. 688). Talisman, 244 F. Supp. 2d at 324.
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in ATS-Klagen zugelassen werden sollte. Die Entscheidungen der frühen Zweiten Welle haben sich deshalb mit der Zulässigkeit der Durchgriffshaftung auseinandergesetzt und als Ergebnis verschiedene Strategien für einen Durchgriff auf das Mutterhaus in ATS-Klagen zugelassen. aa) Trennungsprinzip und Durchgriffshaftung Das Trennungsprinzip bezieht sich auf den Grundsatz des Gesellschaftsrechts, dass getrennt errichtete Gesellschaften bei der Geltendmachung eines Rechtsanspruchs als eigenständige juristische Personen zu behandeln sind. Dieses Prinzip fußt auf der gesellschaftsrechtlichen Trennung zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern: Für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft gegenüber externen Gläubigern haftet grundsätzlich nur das Gesellschaftsvermögen, nicht das private Vermögen der Gesellschafter. Auf die Konstellation angewandt, wo eine Muttergesellschaft im Besitz der Aktien einer Tochtergesellschaft ist, ergibt die Trennung zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern das Trennungsprinzip. Für die Verbindlichkeiten der Tochter kann nur das Vermögen der Tochtergesellschaft haften, während die Mutter als Gesellschafterin angesehen wird, deren ,Privatvermögen‘ vor dem Zugriff von Gläubigern der Tochter geschützt ist. Das Trennungsprinzip bewirkt folglich, dass Ansprüche gegen eine Tochtergesellschaft grundsätzlich nur gegen die Tochtergesellschaft selbst und nicht gegen die Muttergesellschaft geltend gemacht werden können. Das Konzept der Durchgriffshaftung dient als Korrektiv der strikten Trennung rechtlich selbständiger Gesellschaften bei Ausnützung eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Mutter und Tochter. Im amerikanischen Rechtsraum wird die Durchgriffshaftung als Gläubigerschutz verstanden: Eine Mutter sollte die rechtliche Trennung ihrer Tochter nicht ausnützen können, um Gläubiger durch das Vorschieben einer mittellosen Tochter zu benachteiligen. Ab 1996 wurden mehrere ATS-Klagen gegen die berühmten Muttergesellschaften Unocal, Shell und Chevron aufgrund von Handlungen ihrer in Myanmar bzw. Nigeria tätigen Tochtergesellschaften erhoben. Hierbei scheinen die Klägeranwälte das Trennungsprinzip nicht gekannt zu haben oder zumindest nicht daran gedacht zu haben, denn sie nannten als Beklagte nur die Muttergesellschaften, offenbar in der Annahme, dass damit alle Tochtergesellschaften mitverklagt worden waren721. Erst 721 Vgl. die Erfahrung des Gutachters, der in der Klage gegen Unocal von den Klägern engagiert wurde: „The attorneys who brought [the Unocal] suit had no notion or idea that they would encounter any obstacles that corporate law might impose. In fact, the initial complaint named neither the subsidiary (Moattama Gas Transportation Company; hereinafter MGTC), nor the mezzanine level corporations (Unocal International Pipeline Corporation; Unocal International Co.; Union Oil of California) as defendants. Likely, counsel for the plaintiffs thought that they could file a complaint against the entity at the top of the chain, Unocal, a corporation with shares listed on the New York Stock Exchange, and be done with it. Or equally likely is that, focused on the merits as they were, the attorneys gave it no thought whatsoever“. Douglas
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als die Beklagten Einwände gegen ihre Haftung vorbrachten, kamen das Trennungsprinzip und die Erforderlichkeit einer Durchgriffshaftung zum Vorschein. Die Gerichte mussten sich deshalb mit der Frage der Durchgriffshandlung im Kontext von weltweit agierenden, aus mehreren Ebenen von in unterschiedlichen Ländern eingetragenen Tochtergesellschaften bestehenden Unternehmen auseinandersetzen. bb) Die Frage nach dem anwendbaren Recht Die erste Frage, mit denen sich Gerichte der Zweiten Welle sich konfrontiert sahen, war die Frage nach der Rechtsordnung, die auf die Frage der Durchgriffshaftung anwendbar war. Diese Frage war durchaus problematisch. Amerikanische IPR-Regeln zur Bestimmung der auf die Durchgriffshaftung anwendbaren Rechtsordnung variieren nach Bundesstaat und sind zudem unklar722. Manche Gerichte haben festgelegt, dass das Recht, das auf die Innenverhältnisse der Tochtergesellschaft anwendbar ist, auch auf die Durchgriffshaftung anzuwenden ist, weil sich die Durchgriffshaftung letztendlich nur mit dem Innenverhältnis zwischen einem Gesellschafter (der Muttergesellschaft) und einer Gesellschaft (der Tochter) befasse723. Andere Gerichte haben, insbesondere in Fällen mit unerlaubten Handlungen zum Gegenstand, das Recht des Tatortlandes auf die Durchgriffshaftung angewandt, weil die streitgegenständliche Verbindlichkeit nicht das Innenverhältnis zwischen Mutter und Tochter, sondern in erster Linie das Verhältnis zu einem externen Gläubiger betrifft724. Vor diesem konfusen Hintergrund haben drei Entscheidungen der frühen ersten Welle die Anwendbarkeit allgemeiner common law-Durchgriffsprinzipien festgelegt: Doe v. Unocal war die erste ATS-Klage, in der sich ein Gericht mit der Frage der Durchgriffshaftung auseinandersetzen musste. Durch mehrere Wendungen landete das Central District of California auf die Anwendung allgemeiner common lawDurchgriffsprinzipien. Das Gericht entschied sich zunächst, dass das Recht des Tatortlandes, d. h. Myanmar, auf die Frage der Durchgriffshaftung anzuwenden Branson, Holding Multinational Corporations Accountable? Achilles’ Heels in Alien Tort Claims Act Litigation, 9 Santa Clara J. Int’l L. 227, 229 (2011). 722 Siehe hierzu umfassend: Peter Oh, Veil Piercing, 89 Tex. L. Rev. 81 (2010). Vgl. auch Branson, Holding Multinational Corporations Accountable, oben. S. 237 („Although [piercing the corporate veil is] the favorite corporate law doctrine of courts, with at least 15,188 reported cases by one count, courts have not even reached agreement on the proper law to apply“). 723 So z. B. in den Bundesstaatsgerichten New Yorks: „[U]nder New York choice of law principles, the law of the state of incorporation determines when the corporate form will be disregarded and liability will be imposed on shareholders“. Fletcher v. Atex, Inc., 68 F.3d 1451, 1456 (2d Cir. 1995). Siehe auch Henry Hansmann & Reiner Kraakman, A Procedural Focus on Unlimited Shareholder Liability, 106 Harv. L. Rev. 446 (1992). Dies führt zur Anwendung der Rechtsordnung des Staates, in dem die Tochtergesellschaft eingetragen ist. 724 So das Ergebnis in: In Re Union Carbide Corporation Gas Plant Disaster at Bhopal, India, 1984, 634 F. Supp. 842 (S.D. N.Y. 1986).
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war725. Die Anwälte Unocals haben deshalb einen myanmarischen Professor als Gutachter engagiert, um den Inhalt myanmarischen Rechts zur Frage der Durchgriffshaftung nachzuweisen. In seinem Gutachten kam der Experte zum Schluss, dass myanmarisches Recht keine Durchgriffshaftung vorsieht. Das Gericht hat jedoch das Gutachten verworfen, weil es die Ausführungen für unbegründet hielt und außerdem befand, dass Myanmar seit Jahren kein funktionales Gerichtssystem und deshalb auch keine Rechtsprechung habe, die auf die Frage der Durchgriffshaftung angewandt werden könne726. Das Gericht ordnete darauf an, dass es das Recht anzuwenden gedachte, dass auf die Innenverhältnisse der haftbar zu machenden Muttergesellschaft anwendbar war. Die unmittelbare Besitzerin der Aktien von Unocals myanmarischer Tochtergesellschaft war eine in Bermuda eingetragene Gesellschaft namens Unocal International Pipeline Corp. (deren Aktien wiederum im 100-prozentigen Besitz der Unocal Corp. waren). Unocals Anwälte haben aber keinen Experten für das Gesellschaftsrecht Bermudas finden können. In Ermangelung von Nachweisen des Inhalts des anzuwendenden Rechts befand das Gericht, dass das Recht Bermudas dem Recht des Forums – im Falle Unocal Kaliforniens – ähnlich war727. Auf dieser Grundlage ordnete der District Court die Anwendung des Rechts des amerikanischen Forums an. Zwei zeitnahe andere ATS-Entscheidungen scheinen dieses Ergebnis als Bestätigung aufgefasst zu haben, dass common law-Durchgriffsprinzipien auf Frage der Durchgriffshaftung in ATS-Klagen anwendbar waren. In einer District Court-Entscheidung in Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co. hat das Southern District of New York allgemeine New Yorker common law-Durchgriffsregeln auf das Verhältnis zwischen den britischen und niederländischen Mutterhäusern Shells mit ihrer nigerianischen Tochter angewandt728. Etwa zwei Jahre später hat das Northern District of California in Bowoto v. Chevron Corp. das allgemeine common law der Bundesgerichte auf die Frage der Zulässigkeit einer Durchgriffshaftung auf das amerikanische Chervron für das Verhalten einer nigerianischen Tochter angewandt729. Aufgrund von Unocal, Wiwa und Chevron konnte ab etwa 2004 angenommen werden, dass allgemeine common law-Prinzipien auf die Frage der Durchgriffshaftung in ATS-Fällen anwendbar waren. Damit ergaben sich zwei Möglichkeiten, um das Mutterhaus für die Delikte der ausländischen Tochter haftbar zu machen: (1) Die „alter ego“-Theorie und (2) die „agency“-Theorie.
725
Siehe Branson, Holding Multinational Corporations Accountable, S. 238. Branson, Holding Multinational Corporations Accountable, oben, S. 238. 727 Branson, Holding Multinational Corporations Accountable, oben, S. 238. 728 Siehe Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., No. 96 Civ. 8386 (S.D.N.Y. Feb. 28, 2002). 729 Siehe Bowoto v. Chevron Texaco Corp., 312 F. Supp. 2d 1229, 1246 ff. (N.D. Cal. 2004). 726
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cc) Die „alter ego“-Theorie Eine Muttergesellschaft haftet für die Rechtsverletzungen ihrer Tochter, wenn die Tochter als „alter ego“ oder „mere instrumentality“ der Mutter anzusehen ist. Dies ist der Fall, wenn die Tätigkeiten der Tochter derart von der Mutter beherrscht werden, dass trotz förmlich-rechtlicher Trennung ihr jede tatsächliche Eigenständigkeit abzusprechen ist. Ein „alter ego“-Verhältnis wird angenommen, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen: „(1) [T]here is such a unity of interest between the corporate personalities that they do not function as separate personalities and (2) failure to disregard the separate nature of the corporate entities would result in fraud or injustice“730.
Die erste Voraussetzung („unity of interest and ownership“) ist als gegeben zu betrachten, wenn die Mutter eine derart durchgehende Kontrolle auf die Tochter ausübt, dass die Tochter als bloße Fassade ohne Eigenleben erscheint731. Die zweite Voraussetzung („fraud or injustice“) ist erfüllt, wenn ein Missbrauch der beschränkten Haftung der Tochtergesellschaft anzunehmen ist732. In der frühen zweiten Welle kam die „alter ego“-Theorie aus praktischen Gründen nur begrenzt zum Vorschein. Das Hauptproblem für diese Durchgriffsmöglichkeit war, dass die meisten multinationale Konzerne mehrere Zwischengesellschaften zwischen sich und die Töchter gestellt hatten, die in Drittwelt-Ländern tätig waren. Für einen Haftungsdurchgriff auf die Mutter war ein Nachweisen eines „alter ego“Verhältnisses bei jedem Glied der Tochterkette erforderlich, was praktisch unmöglich war. Dieses Problem wurde trefflich Doe v. Unocal Corp. illustriert. Dort musste das Central District of California entscheiden, ob Unocals myanmarische Tochtergesellschaft, die Moattama Gas Transportation Company (MGTC) als „alter ego“ von Unocal qualifiziert werden sollte. Allerdings standen drei Ebenen von Tochtergesellschaften zwischen MGTC und dem verklagten Konzernoberhaupt, der Unocal Corp: MGTC war im 100-prozentigen Besitz des Unocal International Pipeline Corp. (mit Sitz in Bermuda), die 100-prozentig von Unocal International Corp. (mit Sitz im US-Bundesstaat Nevada) gehalten wurde, die wiederum die 100prozentige Tochter von Union Oil of California (mit Sitz in Kalifornien) war733. Nur 730
Bowoto, 312 F. Supp. 2d at 1246 (Zitat von Doe v. Unocal Corp., 248 F.3d 915, 926 (9th Cir. 2001)). 731 Der erforderliche Grad an Kontrolle wird wie folgt beschrieben: „Control, not merely majority or complete stock control, but complete domination, not only of finances, but of policy and business practices in respect to the transaction attacked so that the corporate entity had at the time no separate mind, will or existence of its own“. Lowendahl v. Baltimore & ORR, 287 N.Y. 62, 76 (N.Y. App.), aff’d 272 N.Y. 360 (Ct. App. 1936). In solchen Fällen wird die Tochter als „alter ego“ oder „mere instrumentality“ der Mutter betrachtet, siehe z. B. Fish v. East, 114 F.2d 177 (10th Cir. 1940). 732 Vgl. Doe v. Unocal Corp., 248 F. 3d 915, 926 ff (9th Cir. 2001). 733 Branson, Holding Mulitnational Corporations Accountable, S. 239 – 240.
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Union Oil of California war im unmittelbaren Besitz der Unocal Corp. (eingetragen in Delaware)734. Es gelang den Klägern, das MTGC als „alter ego“ der Unocal International Pipeline Corp. nachzuweisen, und das Gericht war auch der Meinung, dass die Unocal International Pipeline Corp. ein „alter ego“ von Unocal International Corp. war735. Aber Unocal International verfügte über ein Gesellschaftsvermögen von mehr als $ 800 Millionen und betrieb eigenständige Geschäfte; insofern waren ihre Qualifizierung als abhängiges „alter ego“ sowie weitere Durchgriffe ausgeschlossen. dd) Die „agency“-Theorie Die praktischen Probleme der „alter ego“-Theorie verwiesen ATS-Kläger auf die alternative Durchgriffsmöglichkeit der „agency“-Theorie. Die „agency“-Theorie ermöglicht strenggenommen keinen Durchgriff, sondern eine Zurechnung von Handlungen der Tochter an das Mutterhaus, wenn die Tochter als „agent“ der Mutter anzusehen ist. Insofern erfordert diese Möglichkeit keine Aufhebung des Trennungsprinzips, sondern nur eine Zurechnung fremden Verhaltens – kommt aber im Ergebnis einem Haftungsdurchgriff gleich. Die „agency“-Theorie gestattet die Zurechnung vom Verhalten der Tochter an die Mutter, wenn die Tochter als „agent“ der Mutter nach allgemeinen common lawPrinzipien anzusehen ist. Ein „agency“-Verhältnis liegt vor, wenn „one person (a ,principal‘) manifests assent to another person (an ,agent‘) that the agent shall act on the principal’s behalf and subject to the principal’s control“736. Im Kontext von Mutter- und Tochtergesellschaften wird das Vorliegen eines solchen Verhältnisses hauptsächlich anhand der Kontrolle beurteilt, die die Mutter auf die Tochter ausübt: „Where one corporation is controlled by another, the former acts not for itself but as directed by the latter, the same as an agent, and the principal is liable for acts of its agent within the scope of the agent’s authority“737. Alternativ haftet der Prinzipal für jede Handlung seines Vertreters, die der Prinzipal nachträglich ratifiziert738. Eine Ratifikation ist anzunehmen, wenn der Prinzipal Kenntnis von der Handlung des
734
Branson, Holding Mulitnational Corporations Accountable, S. 239. Branson, Holding Mulitnational Corporations Accountable, S. 240 – 241. Grund für diese Feststellung war, dass beide Gesellschaften keine eigenen Vorstände oder Arbeitnehmer hatten – diese wurden von anderen Unocal-Gesellschaften ,ausgeliehen‘ – und nur mit einigen Tausend Dollar Stammkapital (und ohne Versicherung) zum Betreiben von Milliardenprojekten ausgestattet waren. 736 Restatement (Third) of the Law of Agency § 1.01 – 1.02 (2006). 737 Bowoto v. Chevron Texaco Corp., 312 F. Supp. 2d 1229, 1239 (N.D. Cal. 2004) (Zitat von Pacific Can Co. v. Hewes, 95 F.2d 42, 45 – 46 (9th Cir. 1938)). 738 Siehe Restatement (Third) Agency § 4.01 (1): „Ratification is the affirmance of a prior act done by another, whereby the act is given effect as if done by an agent acting with actual authority“. 735
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Vertreters erlangt hat und darauf nach außen seine Zustimmung indiziert, dass „[the agent’s] prior act shall affect the [principal’s] legal relations“739. Für die frühen Kläger der Zweiten Welle bot die „agency“-Theorie bessere Erfolgsaussichten als die „alter ego“-Theorie, weil sie das Problem der Zwischengesellschaften löste. Weil die „agency“-Theorie alleine auf Kontrolle oder Ratifikation abstellt, ist es für die Haftungszurechnung gleichgültig, ob die beherrschende Muttergesellschaft drei Ebenen entfernt von der abhängigen Tochter war. Auch eine „Oma“-Gesellschaft konnte als Prinzipal haften, wenn sie eine ausreichende Kontrolle über eine „Enkel“-Gesellschaft ausübte. Auf dieser Grundlage kamen frühe Zweite Welle-Entscheidungen zum Schluss, dass namhafte Mutterkonzerne für das Verhalten ihrer in der Dritten Welt tätigen Töchter hafteten, weil die Töchter als ihre „agents“ anzusehen waren: In Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co. haben die Kläger dem niederländischbritischen Konzern Shell die Anstiftung des nigerianischen Militärs zur Ermordung führender nigerianischer Aktivisten, die Widerstand des Ogoni-Stammes gegen die Ölförderung organisiert hatten, vorgeworfen740. Allerdings war Shell nicht in Nigeria tätig. Sämtliche Tätigkeiten in Nigeria inklusive einem etwaigen Einbinden des nigerianischen Militärs zur Niederschlagung einer Widerstandsbewegung wurden eigenständig von Shells Tochter Shell Nigeria geführt. Die Kläger legten Shells Haftung für die Handlungen von Shell Nigeria durch ein „agency“-Verhältnis dar: Shell Nigeria habe lediglich im Auftrage oder auf Anweisung des Shell-Konzerstabs das nigerianische Militär zur Beseitigung indigenen Protests engagiert. Das Southern District of New York stimmte zu, dass eine solche Faktenlage eine Haftungszurechnung begründen würde: Sollte es Treffen in London zwischen Shell und Shell Nigeria gegeben haben, und sollte der Konzernstab mit Shell Nigeria eine Kampagne gegen den indigenen Widerstand koordiniert haben, wäre zu bejahen, dass Shell die effektive Kontrolle über Shell Nigeria in Bezug auf die vorgeworfenen Ermordungen ausgeübt hätte741. Es ließ die Ansprüche gegen Shell zur Discovery-Phase zu, um das Vorliegen eines „agency“-Verhältnisses durch Beweiserhebung ermitteln zu lassen. In Bowoto v. Chevron Corp. warfen andere nigerianischen Angehörigen der amerikanischen Chevron Corp. vor, das nigerianische Militär zur gewaltsamen Niederschlagung einer Demonstration auf einer Bohrinsel angestiftet zu haben742. 739
Restatement (Third) Agency § 4.01, Cmt. d. Zum Sachverhalt von Wiwa siehe Abschnitt A. III. 1. b) aa) dieses Kapitels, oben. 741 Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., No. 96-Civ.-8386, 2002 U.S. Dist. LEXIS 3293 at *41 Fn. 14 (S.D.N.Y. 2002): „Plaintiffs have … alleged meetings in London and the Netherlands concerning [the Nigerian resistance movement], and coordination of the anti-[resistance] campaign between [Royal Dutch/Shell] and Shell Nigeria[]. Such factual allegations, although limited, are sufficient to give rise to an inference that defendants did more than merely ,hold stock‘ in Shell Nigeria. By involving themselves directly in Shell Nigeria’s anti-[resistance] activities, and by directing these activities, defendants made Shell Nigeria their agent with respect to the torts alleged in the complaint“. 742 Zum Sachverhalt von Bowoto siehe Abschnitt A. III. 1. b) bb) dieses Kapitels, oben. 740
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Die Chevron Corp. war jedoch nur indirekt am Nigeria-Geschäft beteiligt. Die Auslandstätigkeiten der Chevron Corp. wurden eigenständig von einer Tochtergesellschaft, der ChevronTexaco Overseas Petroleum (CTOP), geführt743. CTOP besaß zu 90 % die Aktien von Chevron Nigeria Ltd (CNL), die ihrerseits die Ölförderung in Nigeria mehr oder weniger eigenständig betrieb. Insofern mussten die Kläger das Verhalten von CNL durch die Zwischengesellschaft CTOP hindurch an die Chevron Corp. zurechnen lassen. Das Northern District of California befand trotzdem, dass ein „agency“-Verhältnis vorliegen konnte, und berief sich hierfür auf folgende Tatsachenfeststellungen: Chevron und CNL hätten vor, während und nach den Übergriffen auf der Bohrinsel ihre Kommunikationen derart verstärkt, dass eine „extraordinarily close relationship“ in Hinblick auf die vorgeworfenen Rechtsverletzungen hätten744; Chevron habe das Tagesgeschäft von CNL regelmäßig kontrolliert und zentralen Vorgaben angepasst745; es habe eine „Drehtür“ zwischen der Vorstands- und Aufsichtsratsebenen von Chevron und CNL existiert, sodass beide Gesellschaften dasselbe Management geteilt hätten746 ; CNL habe mehr als 20 Prozent von Chevrons weltweitem Umsatz erwirtschaftet747; vor dem Übergriff auf der Bohrinsel habe die „Corporate Security Group“ des Konzernstabs ein Treffen in London mit Vertretern von CNL abgehalten, um Chevrons Reaktion auf nigerianischen Widerstand zu besprechen748. Aus Sicht des Gerichts konnten diese Tatsachen die Feststellung stützen, dass CNL im Auftrage von Chevron die Niederschlagung des BohrinselProtests ausgeführt haben konnte, und dass das Verhalten von CNL deshalb Chevron zuzurechnen wäre. Es ließ deshalb die Ansprüche gegen Chevron zur Hauptverhandlung vor einer Jury zu, damit die Jury entscheiden konnte, ob CNL als „agent“ von Chevron gehandelt hatte. Die Akzeptanz der „agency“-Theorie ging so weit, dass sie auch dann für Haftungsdurchgriffe zugelassen wurde, wenn kein Mutter-Tochterverhältnis vorlag. Ein Vertragsverhältnis konnte ausreichen, um eine Haftungszurechnung wegen „agency“ zu begründen. In Sinaltrainal v. Coca-Cola Co. warfen die Hinterbliebenen ermordeter kolumbianischer Gewerkschafter Coca-Cola vor, paramilitärische Einheiten angeheuert zu haben, um Gewerkschaften gewaltsam zu brechen749. Die Einstellung der Paramilitärs ging jedoch nicht von Coca-Cola, sondern von einer kolumbianischen Abfüllgesellschaft, Bebidas y Alimentas de Uraba („Bebidas“), aus750. Coca-Cola besaß keine Aktien von Bebidas, sondern war nur über ein sog. 743 744 745 746 747 748 749 750
Siehe Bowoto v. Chevron Corp., 312 F. Supp. 2d 1229, 1233 (N.D. Cal. 2004). Bowoto, 312 F. Supp. 2d at 1243 – 1244. Bowoto, 312 F. Supp. 2d at 1244. Bowoto, 312 F. Supp. 2d at 1244 – 1245. Bowoto, 312 F. Supp. 2d at 1245. Bowoto, 312 F. Supp. 2d at 1245 – 1246. Zum Sachverhalt von Sinaltrainal siehe Abschnitt A. III. 2. b) aa) dieses Kapitels, oben. Siehe Sinaltrainal v. Coca-Cola Co., 256 F. Supp. 2d 1345, 1349 (S.D. Fla. 2003).
300
Kap. 2: Die Zweite Welle
„bottler’s agreement“ mit ihr verbunden. Die Kläger in Sinaltrainal legten diese Abfüllvereinbarung als eine Art Beherrschungsvertrag aus, die Bebidas einer durchgehenden Kontrolle durch Coca-Cola unterwarf und dadurch Bebidas zum „agent“ von Coca-Cola machte. Obwohl das Southern District of Florida die Existenz solcher Kontrollrechte verneinte und deshalb ein „agency“-Verhältnis zurückwies, ließ es gleichzeitig zu, dass bei Vorliegen stärkerer Kontrollrechte eine Haftungszurechnung berechtigt gewesen wäre751. Insofern war es für die „agency“-Theorie hinfällig, ob Aktienbesitz zwischen „Mutter“ und „Tochter“ vorlag; solange ein tatsächliches Beherrschungsverhältnis hinsichtlich menschenrechtsverletzende Handlungen nachgewiesen werden konnte, war eine Haftungszurechnung wegen „agency“ möglich. ee) Fazit zur Durchgriffshaftung Das Zulassen einer Durchgriffshaftung erhöhte das Risiko einer ATS-Klage für namhafte Konzerne erheblich, weil diese die Reichweite amerikanischer ATS-Verfahren rund um die Welt erweiterte. Der durch Konzernstrukturierung angestrebte Schutz vor Haftungsrisiken war durch die ATS-Rechtsprechung auf das Augenmaß amerikanischer Richter reduziert. Eine aus Sicht des jeweiligen Richters hinreichende Kontrolle auf eine Tochtergesellschaft oder gar einen Vertragspartner war alles, das nötig war, um diese andere juristische Person in einen „agent“ zu verwandeln, für dessen Handlungen die Muttergesellschaft nunmehr haftete. Nichtamerikanische Gesellschaften mussten zudem einsehen, dass durch die „agency“-Theorie bei der Haftungsfrage in Kombination mit dem „agency“-Test der Zuständigkeitsprüfung ihre weltweiten Tochtergesellschaften zu einer Art Konzern wurden, der einem allgemeinem amerikanischen Gerichtsstand ausgesetzt war. Hatte eine Gesellschaft wie z. B. Shell eine hinreichend wichtige amerikanische Niederlassung, hatte sie auch einen allgemeinen Gerichtsstand in den USA. Und wenn Shell auch eine weitgehende Kontrolle über seine nigerianische Tochter nachgewiesen werden konnte, wurden ihr die Rechtsverletzungen der Tochter zugerechnet. Das Ergebnis war, dass die amerikanischen Gerichte ihre allgemeine Zuständigkeit für die Menschenrechtsverletzungen von Shell Nigeria bejahen konnten. 4. Class Actions als Standardverfahren der Zweiten Welle Die bisher ausgeführten dogmatischen Entwicklungen erschufen einen Anspruch ohne scheinbare zeitliche, räumliche oder gesellschaftsrechtliche Grenzen. Trotzdem wäre das daraus resultierende Rechtsrisiko überschaubar geblieben, hätte das amerikanische Verfahrensunikum der class action nicht existiert.
751
Sinaltrainal, 256 F. Supp. 2d at 1350 ff.
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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Die class action erlaubt die gleichzeitige Vertretung mehrerer Schadensersatzansprüche gegen einen Beklagten, solange der/die Kläger, der die Zulassung einer class action beantragt, die Voraussetzungen der Federal Rule of Civil Procedure 23 erfüllt752. Bis 1997 hatten zwei Entscheidungen der Ersten Welle class actions in ATS-Verfahren zugelassen. In Hilao v. Marcos wurden die Ansprüche von mehr als 10.000 philippinischen Angehörigen in einer class actions gegen Ferdinand Marcos zugelassen753. Etwa sieben Jahre später wurden die Ansprüche hunderter Kroaten und Bosniaken gegen den Serbenführer Radovan Karadzic als class action verhandelt754. Wie im Kapitel 1, Abschnitt C. II. 4. dargelegt, wurden class actions in Marcos und Karadzic hauptsächlich aus dem Grunde zugelassen, dass das geschätzte Vermögen der jeweiligen Beklagten nicht ausreichte, um alle Ansprüche gegen sie zu decken. In Karadzic wurde die class action sogar aufgehoben, sobald eine neue Entscheidung des Supreme Court einen konkreten Nachweis dürftiger finanzieller Ausstattung seitens des Beklagten erforderte. Insofern wäre aus diesen Verfahren zu entnehmen gewesen, dass class actions in ATS-Verfahren nur ausnahmsweise zuzulassen seien und dass sich ATS-Verfahren grundsätzlich nicht für class actions eignen. Die frühe Zweite Welle hat jedoch aus Marcos und Karadzic scheinbar nur die Aussage entnommen, dass class actions in ATS-Klagen zulässig waren. Frühe Erfolge besiegelten die class action als Teil einer neuen Strategie der Zweiten Welle, in dem namhafte Kapitalgesellschaften gleichzeitig gerichtlich als auch medial angegriffen wurden. Vor allem dienten die Klagen gegen die Schweizer Banken als Vorbild für nachfolgende Zweite Welle-Klagen755. Zuerst haben Klägeranwälte Sammelklagen vor New Yorker Bundesgerichten gegen führende Schweizer Banken eingeleitet, in denen sie die Ansprüche tausender von während des Dritten Reichs enteigneten Juden mitvertraten und damit die potenzielle Haftung der Banken in Milliardenhöhe anhoben. Parallel zur Verfolgung dieser Klagen haben die Anwälte eine Medienkampagne entfacht, um den Ruf der Banken durch Assoziieren mit NaziDeutschland zu schädigen. Nach kurzer Zeit sahen sich die Banken zum Abschluss eines Vergleichs in Höhe von $ 1,25 Milliarden genötigt. Durch dieselbe Strategie haben die Zwangsarbeiterklagen die gesamte deutsche Industrie zu einem Vergleich in Höhe von $ 5,25 Milliarden und die Errichtung einer Stiftung zur Verwaltung der Ansprüche aller ehemaligen Zwangsarbeiter gebracht756. Nach dem Vergleich in den Zwangsarbeiterklagen gewahrte man einen erheblichen Unterschied zwischen der Ersten und Zweiten Welle. Während in der Ersten Welle class actions die Ausnahme bildeten, wurden sie in der Zweiten Welle zum 752 753 754 755 756
Zu diesen Voraussetzungen siehe Kapitel, Abschnitt C. II. 4. a). Siehe Hilao v. Estate of Ferdinand Marcos, 103 F.3d 767 (9th Cir 1996). Siehe Doe v. Karadzic, 176 F.R.D. 458 (S.D.N.Y. 1997). Siehe hierzu Abschnitt A. II. 1. a) dieses Kapitels, oben. Siehe Abschnitt A. II. 1. c) dieses Kapitels, oben.
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Kap. 2: Die Zweite Welle
Regelfall. Die Strategie der Klagen gegen die Schweizer Banken dehnte sich auf ATS-Klagen gegen die Rohstoffindustrie, Technologiekonzerne, die Pharmabranche usw. aus.757 Als Illustration für das Ausmaß der Ansprüche, dem sich die Beklagten der Zweiten Welle nun in einem normalen ATS-Verfahren ausgesetzt sahen, können die Bezeichnungen der vertretenen „classes“ der Geschädigten in führenden ATSVerfahren der Zweiten Welle dienen. Im Folgenden wird nebst dem Titel des Verfahrens die Bezeichnung der Personen aufgeführt, deren Ansprüche gegen den verklagten Konzern geltend gemacht wurden: Doe v. Unocal Corp.758: „[A]ll residents of the Tenasserim region of Burma … who have been, are, or will be subject to the following acts in furtherance of the Yadana gas pipeline project in which [Unocal is a] joint venture[r]: forced relocation, forced labor, torture, violence against women, arbitrary arrest and detention, cruel, inhuman or degrading treatment, crimes against humanity, [or] the death of family members“759 ; In Re South African Apartheid Litigation760: „[A]ll persons who were subject to torture and rape, prolonged unlawful detention, and cruel, inhuman, and degrading treatmen by South African security forces between 1960 and 1994“, sowie „all surviving personal representatives of persons who were subject to extrajudicial killing by South African security forces between 1960 and 1994“761; 757 Zu den ATS-Klagen, die als class actions erhoben wurden, gehören u. a. folgende Verfahren: Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010), 133 S. Ct. 1659 (2013); Aziz v. Alcolac, Inc., 658 F.3d 388 (4th Cir. 2011); Flomo v. Firestone Natural Rubber Co., LLC, 643 F.3d 1013 (7th Cir. 2011); Doe I v. Cisco Sys., Inc., No. CV-11-249-PSG, 2011 WL 1338057 (N.D. Cal. 2011); Genocide Victims of Krajina v. L-3 Servs., Inc., 804 F. Supp. 2d 814 (N.D. Ill. 2011); Doe v. Nestle, 748 F. Supp. 2d 1057 (C.D. Cal. 2010); Bowoto v. Chevron, 621 F.3d 1116 (9th Cir. 2010); Hereros v. Deutsche Afrika-Linien Gmblt & Co., No. 05-Civ1872 (D.N.J. Jan. 17, 2006), aff’d 232 F. App’x 90 (3d Cir. 2007); In re African Slave Descendents’ Litig., 471 F.3d 754 (7th Cir. 2006); In re Agent Orange Prod. Liab. Litig., 373 F. Supp. 2d 7 (E.D.N.Y. 2005); In re Chiquita Brands Int’l, Inc., Alien Tort Statute & Shareholder Derivative Litig., 690 F. Supp. 2d 1296 (S.D. Fla. 2010); In re South African Apartheid Litigation, 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009); In re Austrian and German Holocaust Litigation, 80 F. Supp. 2d 164 (S.D.N.Y. 2000), aff’d sub nom. D’Amato v. Deutsche Bank, 236 F.3d 78 (2d Cir. 2001); In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 392 F. Supp. 2d 539 (S.D.N.Y. 2005); Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 582 F.3d 244 (2d Cir. 2009); Sarei v. Rio Tinto, PLC, 550 F.3d 822 (9th Cir. 2008); Vietnam Ass’n for Victims of Agent Orange v. Dow Chemical Co., 517 F.3D 104 (2d. Cir. 2008); Stutts v. De Dietrich Group, 465 F. Supp. 2d 156 (E.D.N.Y. 2006); In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 392 F. Supp. 2d 539 (S.D.N.Y. 2005); Burnett v. Al Baraka Inv. & Dev. Corp., 274 F. Supp. 2d 86 (D.D.C. 2003); Flores v. Southern Peru Copper Corp., 414 F.3d 233 (2d Cir. 2003); Doe v. Unocal Corp., 395 F.3d 932 (9th Cir. 2002); Doe I v. The Gap, Inc., No. CV-01-0031, 2002 WL 1000068 (D. N. Mar. I. May 10, 2002); Beanal v. Freeport-McMoran, Inc., 197 F.3d 161 (5th Cir. 1999); Aguinda v. Texaco, Inc., 945 F. Supp. 625 (S.D.N.Y. 1996). 758 Zum Sachverhalt von Unocal siehe Abschnitt A. II. 2. a) dieses Kapitels, oben. 759 Doe v. Unocal Corp., 67 F. Supp. 2d 1140, 1141 (C.D. Cal. 1999). 760 Zum Sachverhalt von In re Apartheid siehe Kapitel 4, Abschnitt B. III. 1. 761 In Re South African Apartheid Litigation, 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009).
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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Sarei v. Rio Tinto, PLC762: „[A]ll [persons] who were themselves or whose family members were the victims and survivors of the Bougainville conflict [including] (a) all other survivors of the conflict who suffered physical injury as a direct consequence of the conflict; (b) all those individuals and/or families residing near the mine or portions of Bougainville that were destroyed or injured by defendants’ destruction of the environment and culture; and (c) individuals (Bougainvilleans) who were forced to flee to the Solomon Islands and elsewhere as a result of the conflict and who suffered greatly during flight and subsequently as impoverished refugees in the Solomon Islands. … The precise number of individuals is not presently known with certainty, but exceeds 10,000“763. Wenn man bedenkt, dass der typische Schadensersatz für eine schwere Körperverletzung oder außergerichtliche Hinrichtungen in Millionenhöhe liegt, bedeutete die Zulassung einer class action in einem ATS-Verfahren die Geltendmachung von Milliardenforderungen. Parallel zur Verfechtung derartiger Ansprüche betrieben Menschenrechtsorganisationen Medienkampagnen gegen die beklagten Gesellschaften in der Presse764. Der Wechsel zur class action als Standardverfahren der Zweiten Welle verwandelte das ATS von einer bloßen Klageform zur Möglichkeit, jede Wirtschaftstätigkeit einer Gesellschaft in der Dritten Welt zur Existenzbedrohung für den Konzern zu erheben. Die dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle hatte durch die Berufung auf das Weltrechtsprinzip, die Zulassung der Beihilfehaftung sowie die Ausdehnung amerikanischer Zuständigkeit und Haftung auf alle „agents“ von Kapitalgesellschaften das Risiko einer ATS-Klage rund um die Welt gestreut, ohne dass ein Bezug zu den USA vorhanden sein musste. Nun konnte das Risiko anhand des class actionMechanismus um das 10.000fache durch einen einfachen Beschluss eines amerikanischen Gerichts auswuchern. Die Tatsache, dass ein derart außerordentliches Risiko auf die Wirtschaftstätigkeiten fremder Angehöriger übertragen werden konnte, ohne dass die USA ein starkes Regelungsinteresse vorzeigen konnten, sollte zum Kernpunkt von Beschwerden ausländischer Regierungen gegen das ATS werden.
5. Die Reaktion auf die Expansionsphase: Widerstand aus der Wirtschaft Die Expansionsphase der Zweiten Welle erzeugte heftigen Widerstand aus der Wirtschaft. Im Gegensatz zur Ersten Welle waren die ATS-Klagen der Zweiten Welle nicht mehr rein symbolisch. Es ging nun um viel Geld. Wie eben dargelegt, hatten 762
Zum Sachverhalt von Rio Tinto siehe Abschnitt A. III. 1. b) cc) dieses Kapitels, oben. Sarei v. Rio Tinto, PLC, 221 F. Supp. 2d 1116 (C.D. Cal. 2002), Complaint paras. 88, 92. 764 Vgl. z. B. die Organisation und Pressematerialien der Khulumani-Opfergruppe, die südafrikanische Opfer für die Apartheid-Klagen organisiert hat, unter http://www.khulumani. net/. 763
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Kap. 2: Die Zweite Welle
ATS-Kläger bis 2001 mehr als $ 8 Mrd. durch Vergleiche erstritten und bis 2003 Forderungen in anhängigen ATS-Klagen gegen etwa 50 multinationale Unternehmen auf insgesamt $ 200 Mrd. gehäuft765. Des Weiteren riefen die ATS-Klagen der Zweiten Welle erhebliche Kosten hervor, die in der Ersten Welle nicht vorhanden waren766. Wirtschaftsverbände beklagten zunächst das „investment risk“, das ATS-Klagen für internationale Konzerne bedeuteten: Wenn Unternehmen für die Handlungen fremder Regierung hafteten, und wenn diese Haftung aufgrund des nirgends kodifizierten und erst im Rahmen einer ATS-Klage anerkannten Völkergewohnheitsrechts erfolge, sei jede Auslandsinvestition mit „enormous uncertainty“ behaftet767. Die Möglichkeit einer class action multiplizierte dieses Risiko ums Uneinschätzbare. „The mere existence of ATS litigation“ bedeute deshalb höhere Versicherungsprämien und teurere Zinssätze am Kapitalmarkt für Unternehmen mit Auslandspräsenz768. Neben dem „investment risk“ fielen bei jeder neuen ATS-Klage die üblichen Unkosten eines großangelegten amerikanischen Verfahrens an: Anwaltskosten in mindestens sechsstelliger Höhe und meistens noch teurere Discovery-Kosten769. Negative Presseberichte konnten den Aktienkurs oder den Umsatz des betroffenen Unternehmens beeinträchtigen und Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit nötig machen770. Falls Aktionäre die durch ATS-Klagen ans Licht gekommenen Auslands765
Siehe Hufbauer/Mitrokostas, Awakening Monster: The Alien Tort Statute of 1789, S. 7. Siehe z. B. Curtis Bradley, The Costs of International Human Rights Litigation, 2 Chi. J. Int’l L. 457, 471 (2001) (ATS-litigation bedeute forum shopping und die damit einhergehenden Kosten amerikanischer Discovery); Peter Marber, From Third World to Class: The Future of Emerging Markets in the Golbal Economy (1998) (ATS-Klagen gegen mulitnationale Konzerne wegen Auslandstätigkeiten gefährde die Rechtssichterheit von Auslandsinvestitionen). 767 Siehe Brief of amici curiae National Foreign Trade Council, USA*Engage, The Chamber of Commerce of the United States of America, The United States Council for International Business, The International Chamber of Commerce, The Organization for International Investment, The Business Roundtable, the American Petroleum Institute, and the USASEAN Business Council as Amicus Curiae in Support of Petitioners, at 10 – 11, Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692 (2004). 768 Siehe Brief of National Foreign Trade Council, S. 10 – 11: „Because ATS cases are based upon an implied cause of action without any clear standards of liability, there may be little companies can do to protect themselves against potential claims, short of simply ceasing to do business in the many nations whose human rights practices come up short against evolving Western ideals“. 769 Siehe hierzu allgemein Bradley, The Costs of International Human Rights Litigation, S. 471 ff. 770 Siehe z. B. Childress, The Alien Tort Statute, Federalism, and the Next Wave of Transnational Litigation, S. 710: „The use of the ATS converts a claim sounding in tort against a corporation into a claim sounding as a violation of international law. This has the potential to create public-relations problems for corporations, and thus force a settlement, because no corporation wishes to be known as a human-rights abuser or violator of international law. Put another way, it seems that the real value of an ATS case is that it transforms a tort case into a human-rights case. The public-relations fallout from being labeled a human-rights abuser is perhaps much greater than the fallout from committing a tortious act“. 766
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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tätigkeiten des Konzerns unvertretbar fanden, konnten sie eine actio pro sozio gegen die verantwortlichen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder erheben771. Vor diesem Hintergrund sahen sich Unternehmen mit US-Präsenz durch ATS-Klagen gegenüber ihren von US-Gerichten nicht belangbaren ausländischen Wettbewerbern signifikant benachteiligt772. Für die NGOs hingegen waren diese Schreckensmeldungen ein weiterer Antrieb. Wenn Geschäfte mit Schurkenstaaten mit „investment risk“ behaftet waren, hatten Unternehmen nun einen Anreiz, menschenrechtskonforme Praktiken anzuordnen773. Alternativ würden weniger Gesellschaften in menschenrechtsverachtende Länder investieren, was so gut war wie Sanktionen. Des Weiteren konnten die Kosten amerikanischer Verfahren und Pressekampagnen als Hebel eingesetzt werden, damit multinationale Konzerne Menschenrechte ernst nahmen. Schließlich sahen NGOs Unternehmen nicht als unschuldige Zuschauer, sondern als Profiteure, die bisher eine unvertretbare Straflosigkeit genossen hatten. So war auch von der Klägerseite ein verbissener Kampf zu erwarten. Es soll der Vergleich in Unocal gewesen sein, der die Wirtschaft endgültig zu einer harten Linie bewogen hat. Etwa $ 30 Millionen, die die prozessführenden NGOs durch den Vergleich einfuhren, wurden offenbar nicht an die Kläger ausgezahlt, sondern in die Finanzierung weiterer ATS-Klagen gegen andere internationalen Konzerne investiert774. Dies hat die Wirtschaft als Kriegserklärung aufgefasst. Ab 2002 wurden weitere Vergleiche offenbar nur als allerletzte Notlösung in Betracht gezogen775.
771 Was z. B. die Aktionäre des Lebensmittelriesen Chiquita Brands getan haben, nachdem der Entscheidung des Vorstands, kolumbianische Paramilitärs mit dem Bekriegen linker Guerillas in Plantagenregionen zu beauftragen, zum Gegenstand einer ATS-Klage wurde, siehe In re Chiquita Brands Int’l, Inc., Alien Tort Statute & Shareholder Derivative Litig., 690 F. Supp. 2d 1296 (S.D. Fla. 2010) sowie Abschnitt A. III. 2. b) cc) dieses Kapitels, oben. 772 Siehe z. B. Mark Gibney & David Emerick, The Extraterritorial Application of United States Law and the Protection of Human Rights: Holding Multinational Corporations to Domestic and International Standards, 10 Temp. Int’l & Comp. L. J. 123 (1996) (Unternehmen, die der Zuständigkeit amerikanischer Gerichte unterliegen, werden im internationalen Wettbewerb durch ATS-litigation benachteiligt werden). 773 Siehe z. B. Jordan J. Paust, Human Rights Responsibilities of Private Corporations, 35 Vand. J. Transnat’l L. 801 (2002). 774 Siehe hierzu Childress, The Alien Tort Statute, Federalism, and the Next Wave of Transnational Litigation, S. 719. 775 Childress, The Alien Tort Statute, Federalism, and the Next Wave of Transnational Litigation, S. 719.
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Kap. 2: Die Zweite Welle
III. Sosa v. Alvarez-Machain: Der Supreme Court erteilt der Zweiten Welle seinen Segen Die Expansion der Zweiten Welle und die Empörung der Wirtschaft und anderer Regierungen, die sie erzeugte, führten schnell zu einer Verhandlung vor dem Supreme Court. Der Fall hieß Sosa v. Alvarez-Machain und wurde 2004 entschieden. Die Entscheidung des Supreme Court wurde als Absegnung der Zweiten Welle aufgefasst. 1. Einleitung und Sachverhalt Nach seinem Sachverhalt zu urteilen war Sosa ein kleinerer Fall aus der Ersten Welle: Ein mexikanischer Arzt verklagte amerikanische Drogenfahndungsbeamte wegen einer angeblichen willkürlichen Festnahme in Mexico. Die amerikanische Drogenfahndungsbehörde (DEA) hatte den Verdacht, dass ein mexikanischer Arzt (Alvarez-Machain) an der Folterung und Hinrichtung einer ihrer Agenten beteiligt war776. Die Behörde heuerte mexikanische Kopfgeldjäger an, um Alvarez in Mexico dingfest zu machen, um ihn für einen Prozess in den USA zu stellen. Die Kopfgeldjäger entführten Alvarez und behielten ihn eine Nacht lang in einem Hotel, bis sie ihn am nächsten Tag an amerikanische Agenten übergaben. Gefoltert wurde Alvarez nicht; er erhob eine ATS-Klage gegen die verantwortlichen US-Beamten (unter ihnen Sosa) wegen einer „willkürlichen Festnahme“. Der District Court befand, dass eine willkürliche Festnahme eine Völkerrechtsverletzung im Sinne des ATS darstellte und verurteilte Sosa zu Schadensersatz in Höhe von $ 25.000, was der Ninth Circuit im Berufungsverfahren bestätigte. Aber die Entscheidung in Sosa galt der Zweiten Welle. Die Tatsache, dass eine für amerikanische Maßstäbe winzige Klage mit Streitwert von nur $ 25.000 vom Supreme Court angenommen wurde, kann nur durch die gespürte Notwendigkeit, die Zulässigkeit der Zweiten Welle höchstrichterlich zu klären, erklärt werden. Der Supreme Court fand sich genötigt, Sosa als Gelegenheit hierzu aufgreifen, weil sich kein Fall aus der Zweiten Welle anbot: Die Holocaust-Klagen sowie Unocal waren zwischen 1997 und 2002 durch außergerichtliche Vergleiche abgeschlossen worden. Alle anderen ATS-Klagen der Zweiten Welle waren entweder bereits abgewiesen worden oder, sofern sie noch anhängig waren, noch in der erstinstanzlichen Vorverhandlung befindlich.
776 Der Agent soll eine Drogengang in Mexiko unterwandert haben aber von der Gang ertappt worden sein. Als Vergeltung hat ihn die Gang über mehrere Tage zu Tode gefoltert. Die Rolle vom Arzt Alvarez-Machain sollte es gewesen sein, den Agenten so lange wie möglich am Leben zu halten, um seine Qualen zu maximieren. Allerdings hat sich der Verdacht von AlvarezMachains Beteiligung an der Folterung des Agenten nicht bewahrheitet; das Strafverfahren gegen ihn wurde bereits in der Vorverhandlung abgewiesen. Siehe Alvarez-Machain v. U.S., 331 F.3d 604 (9th Cir. 2003).
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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2. Die zu beantwortende Rechtsfrage von Sosa Sosa wurde vom Supreme Court als Auslegungsfrage mit weitreichenden Folgen konzipiert. Das Gericht stellte die Frage, wie das ATS auszulegen und auf welche Grundlage diese Auslegung zu stützen sei. Es standen zwei Optionen zur Wahl: Auf der einen Seite konnte der Supreme Court das ATS im Sinne Filartígas und der bisherigen Rechtsprechung als Doppelnorm auslegen. Dies bedeutete ein Verständnis des ATS als Zuweisungsnorm, die bei Vorliegen einer Völkerrechtsverletzung die Zuständigkeit der Bundesgerichte bejahte, damit diese einen aus dem Völkergewohnheitsrecht abgeleiteten Schadensersatzanspruch gewähren konnten777. Die Folge dieser Auslegung war die Bejahung der bisherigen Rechtsprechung und die Fortführung der Zweiten Welle. Auf der anderen Seite konnte der Supreme Court das ATS restriktiv auslegen. Dies erforderte ein Verständnis des ATS als bloße Zuweisungsnorm, die die Gewährung von Schadensersatz nur insofern zuließ, als sie durch positive Gesetzgebung oder Instrumente des Völkergewohnheitsrechts explizit vorgesehen war. Nach dieser Auslegung würde das ATS die Bundesgerichte nicht mehr zur Gewährung von Schadensersatz wegen Völkerrechtsverletzungen befugen, ehe der Kongress gesetzliche Schadensersatzansprüche wie der Torture Victim Protection Act verabschiedet hatte778. Die Folge dieser Auslegung wäre die Verwerfung der bisherigen ATS-Rechtsprechung als illegitim und die Einstellung der Zweiten Welle bis auf weitere Gesetzgebung gewesen. 3. Die Interessen und Argumente der amici curiae Die Bedeutung von Sosa erklärt die hohe Anzahl an amicus curiae-Schriftsätzen, die der Supreme Court in Vorbereitung auf die Verhandlung erhielt779. 777 Diese Auslegung des ATS entstammte ursprünglich dem Aufsatz William Casto, The Federal Courts’ Protective Jurisdiction over Torts Committed in Violation of the Law of Nations, 18 Conn. L. Rev. 467 (1986) und seine Aufnahme in die Rechtsprechung wird in Kapitel 1, Abschnitt C. II. 1. detailliert. 778 Diese Auslegung des ATS stammte ursprünglich aus der concurring opinion von Judge Bork in Tel-Oren v. Libyan Arab Republic, 726 F.2d 774 (D.C. Cir. 1984), die jedoch in der Rechtsprechung bis 2004 einhellig abgelehnt wurde. Allerdings erhielt sie durch einen wissenschaftlichen Aufsatz, der kurz nach Anbruch der Zweiten Welle veröffentlicht wurde, neues Leben, siehe Jack Goldsmith & Curtis Bradley, The Current Illegitimacy of International Human Rights Litigation, 66 Fordham L. Rev. 319 (1997). 779 Amicus curiae heißt Freund des Gerichts und ein amicus curiae-Schriftsatz bezieht sich auf eine Stellungnahme, die in Vorbereitung auf die Entscheidung einer gewichtigen Rechtsfrage von einer interessierten Nichtpartei bei dem mit der Entscheidung befassten Gericht eingereicht wird. Zweck eines amicus curiae-Schriftsatzes ist es, das Gericht zu einer fundierten Entscheidungsfindung zu verhelfen. Voraussetzung für die Zulassung eines amicus curiaeSchriftsatzes sind: (a) die Nichtpartei, die eine Stellungnahme abgeben möchte, hat ein Interesse am vorliegenden Verfahren, (b) die Stellungnahme ist für die Entscheidung des Gerichts relevant bzw. hilfreich und (c) die Streitparteien haben der Einreichung der Stellungnahme
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Kap. 2: Die Zweite Welle
a) Amici und Argumente gegen die Zweite Welle Auf Seite der restriktiven Auslegung standen führende Wirtschaftsverbände, die Bush-Regierung sowie die Regierungen von Australien, der Schweiz und Großbritannien. Das Aufgebot an amici ließ ein starkes Interesse der größten Global Players sowie führende Wirtschaftsländer der Welt an einer Einschränkung der Zweiten Welle erkennen. In sieben amicus curiae-Schriftsätzen780 haben die folgenden Entitäten für eine Abweisung der Klage zugunsten Sosas aufgrund einer Neuauslegung des ATS argumentiert: Entität
Beschreibung
Regierungen Regierung vom Vereinigten Königreich Regierung von Australien Regierung der Schweiz Regierung der Vereinigten Staaten Wirtschaftsverbände
National Foreign Trade Council
„[T]he premier business organization advocating a rules-based world economy“ mit mehr als 300 Mitgliedsgesellschaften
USA*Engage
„[A] a broad-based coalition Representing organizations, companies and individuals from all regions, sectors and segments of our society concerned about the proliferation of unilateral foreign policy sanctions“
National Association of Manufactu- „[T]he [USA]’s largest broad-based rers industrial trade association“ mit mehr als 14.000 Mitgliedsgesellschaften und 350 örtliche Niederlassungen
zugestimmt. Siehe Fed. R. App. P. 29 (a); R. U.S. Sup. Ct. 37. In der Praxis verweigert keine Partei ihre Zustimmung zur Einreichung von amicus curiae-Schriftsätzen und das Vorliegen eines ausreichenden Interesses seitens der Nichtpartei wird so gut wie immer bejaht. Als Folge sind amicus curiae-Schriftsätze generell zulässig. Ihre Anzahl im konkreten Verfahren gilt als zuverlässiger Maßstab der in Industrie und Öffentlichkeit wahrgenommenen Wichtigkeit der zu treffenden Entscheidung. 780 Siehe: (1) Brief for the United States as Respondent Supporting the Petitioner, (2) Brief of Amici Curiae Governments of the Commonwealth of Australia, the Swiss Confederation, and the United Kingdom, (3) Brief of Amici Curiae National Foreign Trade Council, (4) Brief of Amici Curiae National Association of Manufacturers, (5) Brief of Amici Curiae Washington Legal Foundation, (6) Brief of Amici Curiae Pacific Legal Foundation, (7) Brief of Amici Curiae Professors of International Law, Federal Jurisdiction, and the Foreign Relations Law of the United States; Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692 (2004) (No. 03-339).
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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United States Chamber of Commerce „[T]he world’s largest business federation“ mit mehr als 3 Mio. Mitgliedsentitäten United States Council for International Business
„[A] business advocacy and policy deployment group representing approximately 300 global companies“
International Chamber of Commerce „[T]he the world business organization representing companies, chambers of commerce and business associations in 130 countries“ mit dem Ziel, den internationalen Handel zu fördern Organization for International Investment
„[T]he largest business association in the United States representing the interests of U.S. subsidiaries of international companies“.
The Business Roundtable
„[A]n association of CEOs of leading U.S. corporations with a combined workforce of more than 10 million U.S. employees“.
American Petroleum Institute
„[O]ver 450 members involved in all aspects of the petroleum industry, including exploration, production, refining, and marketing … throughout the world“.
US-ASEAN Business Council
„America’s leading private business organization dedicated to promoting increased trade and investment between the [US] and the member nations of the Association of Southeast Asian Nations“
Konservative Washington Legal Foundation Think Tanks
„[A] a nonprofit public interest law and policy center [dedicated to] issues involving national security, civil-justice reform and federalism and opposes the expansion of federal-court jurisdiction beyond appropriate statutory and constitutional limits“
Allied Educational Foundation
Wohltätige Organisation „dedicated to promoting education in diverse areas of study, such as law and public policy“
310
Sonstige
Kap. 2: Die Zweite Welle Pacific Legal Foundation
Konservative Think Tank, die „constitutionally grounded government, including adherence to the principles of separation of powers, democratic consent, and limited federal powers“ anstrebt
National Fraternal Order of Police
Polizeigewerkschaft mit mehr als 310.000 Mitgliedern (die verklagten Bundesbeamten waren Gewerkschaftsmitglieder)
Professors of International Law, Fe- Sieben Professoren mit Expertise in deral Jurisdiction and the Foreign den benannten Gebieten, die Filartíga Relations Law of the United States für eine falsche Auslegung des ATS hielten
Die Wirtschaftsverbände begründeten ihre Position mit Schreckensmeldungen über die ökonomischen Folgen der Zweiten Welle. ATS-Klagen gegen internationale Unternehmen hätten nicht nur „investment risk“, sondern auch unvorhersehbare Kosten und Benachteiligung im internationalen Wettbewerb zur Folge781. Das weitere Ausufern der Zweiten Welle könnte bedeuten, dass Amerikanische Unternehmen nicht mehr in Krisenländer investieren782 und dass solche Länder nicht mehr mit US-Konzernen handeln783. Dadurch verlören die USA bis zu $ 60 Mrd. an Handelsvolumen und 100.000 Arbeitsplätze784. Es könne nicht im Sinne des historischen Gesetzgebers sein, dass Ansprüche mit derart gravierenden Konsequenzen von Gerichten anstatt vom Gesetzgeber erschaffen werden785. Deshalb solle das ATS als Zuweisungsnorm ausgelegt werden und ATS-Klagen nur dann zulässig sein, wenn der Kongress eine Völkerrechtsnorm zu einem expliziten gesetzlichen Anspruch erhoben hat786. Die Bush-Regierung plädierte für die Einstellung der Zweiten Welle aus rechtsdogmatischen bzw. verfassungsrechtlichen Gründen787. Nach der Verfassung
781 Siehe Brief of Amici Curiae National Foreign Trade Council, Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692 (2004) (No. 03-339), S. 10 – 14. 782 Siehe Brief of National Foreign Trade Council, S. 10 – 14. 783 Siehe Brief of National Foreign Trade Council, S. 12 – 14. 784 „ATS litigation ,could diminish U.S. merchandise trade (imports plus exports) by $50 billion to $60 billion with the target countries‘, putting ,more than 100,000 U.S. manufacturing jobs at risk‘“. (Ziffern entnommen aus Hufbauer/Mitrokostas, Awakening Monster, S. 38 – 39). 785 „Given the harmful consequences of ATS lawsuits …, there is simply no reason to infer a private cause of action in the ATS“. Brief of National Foreign Trade Council, S. 20. 786 Brief of National Foreign Trade Council, S. 20 ff. 787 Siehe Brief of United States as Respondent in Support of Petitioner, Sosa v. AlvarezMachain, 542 U.S. 692 (2004) (No. 03-339), aufrufbar unter http://www.justice.gov/osg/ briefs/2003/3mer/2mer/2003-0339.mer.aa.html.
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
311
sei allein die Exekutive für die „conduct of … foreign relations“ zuständig788. Die Klagen der Zweiten Welle hätten diesen Aspekt der Gewaltenteilung missachtet. Durch ATS-litigation hätten sich die Gerichte in „difficult and politically sensitive disputes“ in anderen Ländern eingemischt789. Dabei hätten sie das Verhalten von fremden Regierungen oft als menschenrechtswidrig aburteilt. Solche Urteile trügen zwangsläufig den Anschein, dass die USA eine Position gegen eine andere Regierung einnehme. Derartige Einmischung nehme der Exekutive die Entscheidung vorweg, ob und welche Schritte gegen andere Souveräne ergriffen werden sollen. Des Weiteren habe nur der Kongress die verfassungsrechtliche Befugnis, Verbrechen gegen das Völkerrecht „zu definieren und zu bestrafen“790. Folglich sei die viel bessere Auslegung des ATS, dass es alleine dem Gesetzgeber zustehe, Ansprüche aus dem Völkergewohnheitsrecht vor amerikanischen Gerichten einklagen zu lassen. Die Regierungen von Australien, der Schweiz und Großbritannien verwarfen die Berufung auf das Weltrechtsprinzip als Grundlage der ATS-litigation. Jedes dieser Länder hatte mindestens einen einheimischen Großkonzern, der Beklagter in einem anhängigen ATS-Verfahren war oder wegen ATS-Klagen bereits Schadensersatz zahlen musste791. Diese Staaten verwarfen die Inanspruchnahme des Weltrechtsprinzips in Zivilsachen als juristischen Fehlschlag. Das Völkergewohnheitsrecht sehe keine „universal civil jurisdiction“, kein Weltrechtsprinzip mit Anwendbarkeit auf zivilrechtliche Ansprüche, vor. Weder internationale Erklärungen noch staatliche Praxis existiere, worauf eine völkerrechtliche Anerkennung von universal civil jurisdiction gestützt werden könnte. Im Gegenteil: Die Verhängung von amerikanischen Schadensersatzansprüchen auf Verhalten im Ausland gegen Gesellschaften ohne Bezug zu den USA verletze die Souveränität anderer Länder. Nach völkerrechtlichen Prinzipien gehöre die zivilrechtliche Sanktionierung einer Rechtsverletzung nicht der Staatengemeinschaft als Ganzer zu, sondern sie sei das souveräne Recht des Landes, auf welchem Hoheitsgebiet die Verletzung geschehen ist. Die Missachtung dieses Rechts komme einer Souveränitätsbeleidigung gleich. Als perfektes Beispiel hiervon führten die Regierungen die vor kurzem eingeleitete ATSKlage In re South African Apartheid Litigation vor: Diese Klage sei ein direkter Eingriff in das souveräne Recht Südafrikas, die Menschenrechtsverletzungen der
788
Brief of United States, a.a.O. Brief of United States, a.a.O. 790 Siehe U.S. Const., Art. I, Sec. 8, cl. 10. 791 Die größten Banken der Schweiz waren die ersten Beklagten der Holocaust-Klagen, die sich zu einem Vergleich in Höhe von $ 1,25 Mrd. gezwungen gesehen hatten, siehe Abschnitt A. II. 1. a) dieses Kapitels, oben. Ein australischer Bergbaukonzern war vor kurzem von allen indigenen Einwohnern der papua-neuguineischen Insel Bougainville in Sarei v. Rio Tinto Plc verklagt worden, siehe hierzu Abschnitt A. III. 1. b) cc) dieses Kapitels, oben. Britische Konzerne waren bereits in Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co. und Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. verklagt worden und standen nun weiteren milliardenschweren Forderungen tausender schwarzer Südafrikaner wegen Zusammenarbeit mit der Apartheid-Regime gegenüber, siehe Abschnitt A. III. 1. b) aa) dieses Kapitels, oben. 789
312
Kap. 2: Die Zweite Welle
Apartheid-Ära durch die von seiner Regierung entschiedene Versöhnungspolitik zu adressieren. b) Amici und Argumente für die Zweite Welle Die Verfechter der Menschenrechte traten genauso geschlossen gegen die Wirtschaft auf, um für die Fortführung der Zweiten Welle zu plädieren. Stellungnahmen wurden von 49 führenden Menschenrechtsorganisationen aus aller Welt beim Supreme Court eingereicht, unter ihnen Amnesty International, Human Rights Watch und das Center for Constitutional Rights. Unterstützung erhielten sie von angesehenen, politisch einflussreichen jüdischen Interessengruppen sowie amerikanischen Diplomaten im Auswärtigen Dienst. Insbesondere hat sich die Wissenschaft auf Seite der NGOs geschlagen: In drei Amicus Curiae-Schriftsätzen haben über 100 Rechtsgelehrte aus aller Welt für die die Bejahung von Filartíga plädiert. In zwölf amicus curiae-Schriftsätzen792 haben die folgenden Personen und Entitäten für die Zulassung von Alvarez-Machains ATS-Klage aufgrund einer Bejahung von Filartíga plädiert: Entität
Beschreibung
Menschenrechts- Amnesty International organisationen Bar Human Rights Committee of England and Wales The Berne Declaration Canadian Helsinki Watch Group Castan Centre for Human Rights Law Catholic Agency for Overseas Development 792 Siehe: (1) Brief of Amici Curiae International Human Rights and Religious Organizations in Support of Respondent, (2) Brief of Amici Curiae Professors of Federal Jurisdiction and Legal History, (3) Brief of Amici Curiae National and Foreign Legal Scholars in Support of Respondent, (4) Brief of Amici Curiae International Jurists, (5) Brief of Amici Curiae Alien Friends Representing Hungarian Jews and Bougainvilleans’ Interests, (6) Brief of Amici Curiae Surviving Family Members of the Victims of the September 11 2001 Terrorist Attacks, (7) Brief of Amici Curiae Center for Justice and Accountability, National Consortium of Torture Treatment Programs, and Individual ATCA Plaintiffs, (8) Brief of Amici Curiae Corporate Social Responsibility, (9) Brief of Amici Curiae Women’s Human Rights Organizations, (10) Brief of Amici Curiae Presbyterian Church of Sudan and Clifton Kirkpatrick, Stated Clerk of the General Assembly of the Presbyterian Church (U.S.A.), (11) Brief of Amici Curiae World Jewish Congress and American Jewish Committee, (12) Brief of Amici Curiae Career Foreign Service Diplomats, (13) Brief of Amici Curiae Lawyers Committee for Human Rights and the Rutherford Institute, Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692 (2004) (No. 03-339).
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle Center for Civil and Human Rights Center for Constitutional Rights Center for Economic and Social Rights 10
Center for Human Rights and Global Justice Center for Human Rights of the Robert F. Kennedy Memorial Center on Housing Rights and Evictions Center for Justice and Accountability Christian Aid Doughty Street Chambers International Law Team Earthrights International Ecology and Development Faith and Action Friends of the Earth
20
Germanwatch Global Rights Global Witness Human Rights Council of Australia Human Rights First Human Rights Watch Immigration Clinic Institute on Religion and Public Policy International Commission of Jurists International Federation for Human Rights
30
International Human Rights Law Clinic International League for Human Rights Interights
313
314
Kap. 2: Die Zweite Welle Jacob Blaustein Center for Advancement of Human Rights Joseph R. Crowley Program in International Human Rights JUSTICE National Clergy Council Physicians for Human Rights Public Interest Advocacy Center REDRESS
40
Safe Horizon Shalom Center Swedish NGO Foundation for Human Rights TRIAL (Track Impunity Always) Urban Morgan Institute for Human Rights War Crimes Research Office World Economy World Organization Against Torture World Organization Against Torture USA
Rechtsgelehrte
Kläger in anderen ATS-Verfahren
National and Foreign Legal 75 Rechtsgelehrte aus aller Welt „includScholars ing Australia, Canada, Ireland, Mexico, the Netherlands, New Zealand, the United Kingdom, and the United States“ Professors of Federal Jurisdiction and Legal History
Pro-Filartíga Professoren mit Expertise in den benannten Gebieten mit Interesse an „the proper understanding and interpretation of [the ATS]“
International Jurists
„[J]urists who have served as judges and experts on international human rights bodies around the world“
Ungarische Juden
Kläger in Ungaro-Benages v. Dresdner Bank
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle Einwohner der Insel Bougainville
315
Kläger in Sarei v. Rio Tinto Plc
The Presbyterian Church of Kläger in Presbyterian Church of Sudan v. Sudan Talisman Energy
Andere NGOs
General Assembly of the Presbyterian Church (U.S.A.)
Keine Teilnahme an ATS-Verfahren; Solidaritätsbekenntnis zur sudanesischen Schwesterkirche
Surviving Family Members of the Victims of the September 11, 2001 Terrorist Attacks
Kläger in u. a. Burnett v. Al Baraka Inv. and Dev. Corp.
Individual ATCA Plaintiffs
Kläger aus neuen früheren (und abgeschlossenen) ATS-Verfahren: „individual survivors of gross human rights violations who have filed suit against their abusers under the ATCA“
The World Jewish Congress „[A]n international federation of Jewish communities that played a leading role in the Holocaust restitution movement, which included litigation using the [ATS]“ American Jewish Committee
„An national human relations organization founded to protect the civil rights and religious liberty of Jews“.
Women’s Human Rights Organizations
Mehrere amerikanische und ausländische Frauenrechtsverbände „working to end impunity for grave violations of human rights of women“
Corporate Social Responsibility Groups
Mehrere internationale Interessengruppen „working to develop, implement or support mechanisms to improve corporate compliance with human rights standards in the global economy“
National Consortium of Gruppe von wohltätigen Organisationen Torture Treatment Programs „dedicated to serving survivors of torture and other acts of severe violence“ Sonstige
Career Foreign Service Diplomats
28 Beamte im Auswärtigen Dienst inkl. mehreren ehemaligen Botschaftern
United Electrical Radio and Gewerkschaft mit etwa 35.000 Mitgliedern Machine Workers in der freien Wirtschaft und im öffentlichen Dienst
316
Kap. 2: Die Zweite Welle
Ein Schriftsatz prominenter Professoren lieferte eine rechtshistorische Begründung, das ATS als Doppelnorm auszulegen, die die Zweite Welle bejahte793. Nach ihrer Darstellung wäre es nach Auffassung des historischen Gesetzgebers unsinnig gewesen, das ATS als bloße Vorratsnorm auszulegen, die weiterer Gesetzgebung bedurfte, um überhaupt erst Ansprüche an die Bundesgerichte zuzuweisen. Im Jahre 1789 habe das Völkergewohnheitsrecht als Teil des ungeschriebenen common law gegolten, aus dem die Bundesgerichte unmittelbare Rechte und Pflichten ableiten konnten. Eine führende zeitgenössische Abhandlung liste sogar drei Deliktstatbestände auf, die im Jahre 1789 als Völkerrechtsverletzungen gegolten hätten und deswegen ohne weitere Gesetzgebung einklagbar gewesen wären: Piraterie, Verletzung der Botschafterprivilegien und Verletzungen des freien Geleits794. Gleichwohl sei es ein Hauptanliegen des Kongresses von 1789 gewesen, alle Streitigkeiten mit Völkerrechtseinschlag vor die neugegründeten Gerichte der Vereinigten Staaten anstatt vor die als parteiisch erachteten Einzelstaatsgerichte zuzuweisen795. Vor diesem Hintergrund hätte der historische Gesetzgeber das ATS eindeutig als Doppelnorm verstanden, die die Zuständigkeit der Bundesgerichte begründete, damit sie gemäß common law-Prinzipien Schadensersatz zur Abhilfe von Völkerrechtsverletzungen gewähren konnten. Menschenrechtsorganisationen bekräftigten mit dogmatischen Argumenten, dass das ATS keine Verletzung der Gewaltenteilung nach sich ziehe796. Das ATS sei eine explizite gesetzliche Zuweisung von Entscheidungen über Völkerrechtsverletzungen an die Judikative797. Diese Zuweisung sei vom Gesetzgeber verabschiedet und vom Präsidenten unterzeichnet worden. Das ATS sei deswegen als Mandat der anderen Regierungsgewalten anzusehen, die Zuständigkeit für Völkerrechtsverletzungen anzunehmen. Dementsprechend könnten ATS-Entscheidungen keine Einmischung in deren Kompetenzen darstellen. Dies sei durch Verabschiedung des Torture Victim Protection Act von 1991 bestätigt worden. Durch dieses Gesetz habe der Kongress seine Auffassung kundgetan, dass die Verhandlung von Menschenrechtsverletzungen vor den Bundesgerichten nicht gegen die Gewaltenteilung verstoße798.
793 Siehe Brief of Amici Curiae Professors of Federal Jurisdiction and Legal History, Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692 (2004) (No. 03-339). 794 Brief of Professors of Federal Jurisdiction and Legal History, S. 8 ff. (Zitat von William Blackstone, 4 Commentaries on the Laws of England 71 (1st ed. 1765 – 1786)). 795 Brief of Professors of Federal Jurisdiction and Legal History, S. 8 ff. 796 Siehe Brief of Amici Curiae International Human Rights and Religious Organizations in Support of Respondent; Brief of Amici Curiae Center for Justice and Accountability, National Consortium of Torture Treatment Programs, and Individual ATCA Plaintiffs; Brief of Amici Curiae Lawyers Committee for Human Rights and the Rutherford Institute; Sosa v. AlvarezMachain, 542 U.S. 692 (2004) (No. 03-339). 797 Siehe Brief of Amici Curiae Center for Justice and Accountability, Sosa v. AlvarezMachain, 542 U.S. 692 (2004) (No. 03-339), S. 12. 798 Brief of Amici Curiae Lawyers Committee for Human Rights and the Rutherford Institute, Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692 (2004) (No. 03-339), S. 17.
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
317
Schließlich haben Menschenrechtsorganisationen die Legitimität der Zweiten Welle auf das Weltrechtsprinzip gestützt. Der Schutz der Menschenrechte liege in universellem Interesse. Auch wenn die Klagen der Zweiten Welle kurzfristige negative Auswirkungen auf die Wirtschaft zeitigen sollten, müssten wirtschaftlichen Bedenken dem Universalschutz der Menschenrechte hintangestellt werden799. Des Weiteren resultiere das ATS nicht in die extraterritoriale Anwendung amerikanischen Rechts. Keine amerikanischen Gesetze werden aufgrund des ATS auf ausländisches Verhalten angewandt, sondern das ATS erschaffe lediglich ein Forum zur Verhandlung von Verletzungen universell geltender Menschenrechtsnormen800. c) Der Amicus Curiae Europäische Kommission Die Europäische Kommission (EC) legte einen amicus curiae-Schriftsatz beim Supreme Court ein, in dem sie für eine völkerrechtlich vertretbare Gestaltung der Zweiten Welle plädierte801. Zunächst befürwortete die EC die Gültigkeit des Weltrechtsprinzips für Zivilklagen nach dem ATS802. Zwar sei das Weltrechtsprinzip strenggenommen nur in Strafsachen anwendbar. Aber die Grenze zwischen zivil- und strafrechtlichen Verfahren sei nicht immer klar zu zeichnen, zumal die meisten Staaten Adhäsionsverfahren zuließen. Angesichts der Entschlossenheit der Staatengemeinschaft, die Straflosigkeit für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen zu beenden, sollte die „universal civil jurisdiction“, auf welche sich ATS-Klagen stützen, bejaht werden. Gleichzeitig plädierte die EC für die Beachtung der völkerrechtlichen Aufteilung der Zuständigkeit in künftigen ATS-Klagen803. Auch wenn das Weltrechtsprinzip die Verhandlung einer Menschenrechtsverletzung in jedem Land möglich mache, sei trotzdem zur Wahrung der Souveränität des Tatortlandes die erstmalige Erschöpfung des lokalen Rechtswegs völkerrechtlich geboten, ehe eine Klage in den USA erhoben werde. Der Supreme Court sollte deshalb die Erschöpfung des lokalen Rechtswegs als Voraussetzung für die Zulassung künftiger ATS-Klagen festlegen. 4. Entscheidung des Supreme Court Der Supreme Court entschied sich zunächst, das ATS als Doppelnorm im Sinne der ATS-Befürworter auszulegen. Nach Ansicht des Supreme Court ließen „history 799
Brief of Center for Justice and Accountability, S. 6. Brief of Lawyers Committee for Human Rights and the Rutherford Institute, S. 10. 801 Siehe Brief of Amicus Curiae European Commission, Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692 (2004) (No. 03-339). 802 Brief of European Commission, S. 21 – 22. 803 Brief of European Commission, S. 10 ff. 800
318
Kap. 2: Die Zweite Welle
and practice“ diese ATS-Auslegung als richtig erkennen804. Nach seinem Wortlaut sei das ATS zweifelsohne eine „bloße“ Zuweisungsnorm, aber es wäre für einen historischen common law-Gesetzgeber ein völlig unsinniger Text gewesen, wenn es als Zuweisungsnorm keine Ansprüche in die Zuständigkeit der Bundesgerichte zuwiese805. Insofern müsse der historische Gesetzgeber davon ausgegangen sein, dass das ATS Zivilklagen zur Durchsetzung von aus dem Völkerrecht herrührenden Ansprüchen vorsah806. Entsprechend habe das ATS eine Doppelfunktion: Wenn eine Völkerrechtsverletzung vorliege, begründe das ATS die Zuständigkeit der Bundesgerichte, damit diese einen der Völkerrechtsverletzung abhelfenden Schadenersatzanspruch gewähren könnten. Gleichwohl spürte das der Supreme Court die Notwendigkeit, die Zweite Welle einzudämmen. Allerdings lag die Lösung aus Sicht des Gerichts nicht in der Einstellung der ATS-litigation an sich, sondern in einer klaren Ermahnung der Gerichte zur Vorsicht. Drei Vorsichtsmaßnahmen sollten das von der Wirtschaft befürchtete Ausufern sowie das von der Politik beklagte Einmischen von ATS-Klagen unter Kontrolle bringen. Erstens sollten Gerichte in der Anerkennung neuer einklagbarer Völkerrechtsnormen eine sorgfältige Vorsicht walten lassen. Nach Meinung des Supreme Court geboten dieselben historischen Überlegungen, die die Zulässigkeit von zivilrechtlichen Ansprüchen nach dem ATS begründeten, Vorsicht in der Zulassung neuer Völkerrechtsansprüche. Zuständigkeit nach dem ATS habe Verhalten von Personen zum Gegenstand gehabt, die zum Ziel internationaler Aufmerksamkeit geworden war und durch Haftung des Beklagten im Rahmen einer Zivilklage entschädigt werden konnte807. Im Jahre 1789 hätten drei völkerrechtlich anerkannte Klagegründe existiert, die diese Voraussetzungen erfüllten: (1) Piraterie, (2) Verletzung der Botschafterprivilegien, und (3) Verletzungen des freien Geleits808. Ziel des ATS war es, den Bundesgerichten die Zuständigkeit für Schadenersatzansprüche aufgrund dieser „bescheidenen“ Anzahl von derzeit universell anerkannten Völkerrechtsde804
Sosa, 542 U.S. at 718. Sosa, 542 U.S. at 719: „It would have been passing strange for [the] Congress [of 1789] to vest federal courts expressly with jurisdiction to entertain civil causes brought by aliens alleging violations of the law of nations, but to no effect whatever until the Congress should take further action“. 806 Sosa, 542 U.S. at 719: „[T]here is every reason to suppose that the First Congress did not pass the ATS as a jurisdictional convenience to be placed on the shelf for use by a future Congress or state legislature that might, some day, authorize the creation of causes of action or itself decide to make some element of the law of nations actionable for the benefit of foreigners“. 807 Sosa, 542 U.S. at 715 (Ziel des historischen Gesetzgebers seien wohl „violations of the law of nations, admitting of a judicial remedy and at the same time threatening serious consequences in international affairs, that was probably on minds of the men who drafted the ATS with its reference to tort“). 808 Sosa, 542 U.S. at 715. Diese drei Klagegründe wurden in einem zeitgenössischen Kommentar zum common law als Verbrechen wider das Völkerrecht aufgeführt, siehe William Blackstone, 4 Commentaries on the Laws of England 68 ff. (1st ed. 1765 – 68). 805
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
319
likten zuzuweisen809. Diese Zielsetzung diene als Vorgabe für die Anerkennung weiterer Delikte des heutigen Völkerrechts810. Bundesgerichte könnten die Verletzung einer Norm nur dann als „tort … in violation of the law of nations“ im Sinne des ATS anerkennen, wenn die Norm genauso allgemein in der Staatengemeinschaft akzeptiert und inhaltlich spezifisch ist, wie die für den Gesetzgeber paradigmatischen Völkerrechtsdelikte des 18. Jahrhunderts gewesen seien811. Dies werde „a handful of heinous actions“ umfassen, die jeweils „definable, universal and obligatory norms“ des Völkergewohnheitsrechts verletzen812. Deshalb sollten Gerichte „caution“ walten lassen, wenn sie über die Einklagbarkeit weiterer Normen entscheiden. Zwar schien Sosa damit den „universal, definable, and obligatory“-Standard für einklagbare Normen, der in der bisherigen Rechtsprechung verwendet worden war, adoptiert zu haben813. Allerdings schein Sosa gleichzeitig zu implizieren, dass dieser Maßstab bisher nicht mit der gebotenen Strenge angelegt worden war. Nur „eine Handvoll“ bzw. eine „bescheidene“ Anzahl von Völkerrechtsverletzungen sollten nach dem ATS einklagbar sein und Gerichte sollten bei der Anerkennung einklagbarer Völkerrechtsdelikte „vorsichtig“ vorgehen814. Die Gerichte hätten kein Mandat, das Völkerrecht fortzuentwickeln, sondern sie durften nur die bereits etablierten, inhaltlich ausgearbeiteten Normen der Staatengemeinschaft anerkennen815. Wo Zweifel bestanden, galt eine Norm als nicht durchsetzbar. Als Beispiel führte der Supreme Court die von Alvarez-Machain vorgeworfene „willkürliche Festnahme“ vor. Der Ninth Circuit hatte befunden, dass seine willkürliche Festnahme durch mexikanische Kopfgeldjäger „universal, definable and obligatory“ Normen des Völkergewohnheitsrechts verletzte. Dementgegen führte der Supreme Court vor, dass nur dauerhafte willkürliche Inhaftierung eindeutig vom Völkerrecht verboten werde, und dass keinerlei internationaler Konsens zur Frage bestehe, ob eine Nacht in folterlosem Gewahrsam diese Norm verletze. Insofern war die ATS-Klage AlvarezMachains in Ermangelung einer mit der gebotenen Vorsicht auszumachenden Völkerrechtsverletzung abzuweisen. 809 „Congress intended the ATS to furnish jurisdiction for a relatively modest set of actions alleging violations of the law of nations“. Sosa, 542 U.S. at 720. 810 Siehe Sosa, 542 U.S. at 718 – 19. 811 „[W]e think courts should require any claim based on the present-day law of nations to rest on a norm of international character accepted by the civilized world and defined with a specificity comparable to the features of the 18th-century paradigms we have recognized“. Sosa, 542 U.S. at 725. 812 Sosa, 542 U.S: at 732 (Zitat von Tel-Oren v. Libyan Arab Republic, 726 F. 2d 774, 781 (D.C: Cir. 1984) (Edwards, J., concurring)). 813 Siehe hierzu die Diskussion zur Entwicklung des „universal, definable, and obligatory“Standards in Kapitel 1, Abschnitt C. I. 2. 814 Sosa, 542 U.S. at 725. 815 Sosa, 542 U.S: at 728 („We have no congressional mandate to seek out and define new and debatable violations of the law of nations“).
320
Kap. 2: Die Zweite Welle
Zweitens stellte der Supreme Court zwei weitere Vorsichtsmaßnahmen zur Verfügung, die Gerichte auch bei Vorliegen einer einklagbaren Völkerrechtsnorm anwenden konnten, um Einmischung in die Außenpolitik sowie Übertretungen auf fremde Souveränität zu vermeiden. Einerseits durften Gericht inskünftig in „geeigneten Fällen“ in Erwägung ziehen, die Erschöpfung des lokalen Rechtswegs vom Kläger zu erfordern816. So konnten Gerichte etwaigen Überstapazierungen der internationalen Zuständigkeitsaufteilung in ATS-Klagen ohne jedweden Bezug zu den USA nach eigenem Ermessen entgegentreten. Andererseits sollte in jeder ATS-Klage eine Einzelfallprüfung feststellen, ob erhebliche außenpolitische Auswirkungen der Klage ihr Überlassen an die Exekutive zur diplomatischen Austragung als angemessen erscheinen ließen817. Damit sollte sichergestellt werden, dass ATS-litigation keine ungebührliche Einmischung in die außenpolitische Prärogative der Exekutive nach sich zog. Für ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften hielt der Supreme Court keine besonderen Vorsichtmaßnahmen für nötig. Das galt auch, wenn die Haftung der Gesellschaft auf ihre angebliche Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen gestützt wurde. Die unteren Gerichte könnten aufgrund der bereits genannten Vorsichtsprinzipien entscheiden, inwiefern Kapitalgesellschaften für eigens oder für von anderen begangenen Menschenrechtsverletzungen haften sollten818. Mit dieser Entscheidung glaubte der Supreme Court, die Tür für ATS-Klagen nur „eine Spaltbreit“ offengelassen und die Gerichte als wachsame Türsteher davor aufgestellt zu haben819. 816
„This requirement of [a clearly defined international norm] is not meant to be the only principle limiting the availability of relief in the federal courts for violations of customary international law … . For example, the European Commission argues as amicus curiae that basic principles of international law require that before asserting a claim in a foreign forum, the claimant must have exhausted any remedies available in the domestic legal system. … [W]e would certainly consider this requirement in an appropriate case“. Sosa, 542 U.S: at 761 Fn. 21. 817 Die geflügelte Floskel des Supreme Court hieß „case-specific deference“, d. h. eine in jeder ATS-Klage durchzuführende Einzelfallprüfung, ob die außenpolitischen Prärogativen der Exekutive betroffen seien und, wenn ja, inwiefern die Abweisung der Klage zur Wahrung dieser Prärogativen erforderlich sei. Der Umfang dieser Prüfung sowie die in ihr zu berücksichtigenden Faktoren ließ das Supreme Court offen und begnügte sich mit der folgenden Formulierung: „Another possible limitation that we need not apply here is a policy of case-specific deference to the political branches“. Sosa, 542 U.S. 761 Fn. 21. 818 Die berühmte Fußnote 20 der Sosa-Entscheidung überließ zwei wichtige Rechtsfragen der Zweiten Welle der Rechtsprechung der unteren Gerichte: ob Kapitalgesllschaften Völkerrechtssubjekte im Sinne des ATS sind und inwiefern sie (z. B. wegen einer Beihilfetheorie) für von Dritten begangenen Menschenrechtsverletzungen hafteten. Dies ging aus folgender knapper Formulierung des Gerichts hervor: „A related consideration is whether international law extends the scope of liability for a violation of a given norm to the perpetrator being sued, if the defendant is a private actor such as a corporation or individual“. Siehe Sosa, 542 U.S. at 760 Fn. 20. 819 So die berühmte Formulierung des Gerichts: „[T]he door [for ATS claims] is still ajar subject to vigilant doorkeeping, and thus open to a narrow class of international norms today“. Sosa, 542 U.S. at 729.
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
321
IV. Die Fortführung der Expansionsphase Sowohl die Wirtschaft als auch Menschenrechtsorganisationen haben Sosa als Sieg für ihre Seite gewertet. Menschenrechtsorganisationen sahen in Sosa die grundsätzliche Bestätigung ihrer ATS-Auslegung und damit die Zulassung zur Fortführung der Zweiten Welle820. Wirtschaftsverbände und ATS-Kritiker hingegen haben auf die neuen Schranken für ATS-Klagen verwiesen und vorausgesagt, dass die nunmehr gebotene „Vorsicht“ die Einstellung der Zweiten Welle erforderte. 1. Die Rezeption von Sosa als Bestätigung der bisherigen ATS-Rechtsprechung Nach Ansicht der Rechtsprechung hatte Sosa jedoch die bisherige Rechtsprechung nicht nur unbeschadet gelassen, sondern auch höchstrichterlich für auf anhängige und künftige ATS-Klagen anwendbar erklärt. Gerichtsentscheidungen unmittelbar nach Sosa ließen keine wesentlichen Änderungen in der gerichtlichen Handhabung von ATS-Klagen erkennen. Gleich nach Sosa haben zwei District Court-Entscheidungen Sosas Erfordernis eines universell anerkannten, inhaltlich spezifischen Menschenrechtsnorm als das Äquivalent des bisherigen „universal, definable, and obligatory“-Standards ausgelegt821. Entsprechend wandten sie die preSosa Rechtsprechung weiterhin an, als wäre sie von Sosa nicht tangiert, um Ansprüche, die vor Sosa als Völkerrechtsverletzungen anerkannt waren, weiterhin zuzulassen. Des Weiteren haben die ersten Circuit Court-Entscheidungen nach Sosa Urteile aus zwei ATS-Klagen bestätigt, ohne nachzufragen, ob Sosa eine strengere Rechtsprüfung – z. B. unter erhöhter „Vorsicht“ – erforderlich gemacht hatte822. In den Augen der Rechtsprechung hatte Sosa kein klares Nein zur Zweiten Welle ausgesprochen, deshalb sollte die Entscheidung als Bejahung der bisherigen Rechtsprechung ausgelegt werden. Die Worte eines District Courts illustrierten diese Ansicht: 820 Vgl. z. B.: „Sosa … firmly established a cause of action under the [ATS]“. Rosaleen O’Gara, Procedural Dismissals Under the Alien Tort Statute, 52 Ariz. L. Rev. 797, 802 (2011); siehe auch Ralph Steinhardt, Laying One Bankrupt Critique to Rest: Sosa v. Alvarez-Machain and the Future of International Human Rights Litigation in U.S. Courts, 57 Vand. L. Rev. 2241 (2004). 821 Siehe Doe v. Saravia, 348 F. Supp. 2d 1112, 1153 – 57 (E.D. Cal. 2004) (Ansprüche wegen außergerichtlicher Hinrichtung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgrund von pre-Sosa-Rechtsprechung zugelassen); Doe v. Liu Qi, 349 F. Supp. 2d 1258, 1320 (N.D. Cal. 2004) („[T]he requisite clarity of definition under international law and specificity of the conduct violative of that definition, as expressed by the circuit courts in Filartiga, Tel-Oren, and In re Estate of Marcos Human Rights Litigation, was affirmed by the Supreme Court in Sosa“.). 822 Siehe Arce v. Garcia, 434 F.3d 1254 (11th Cir. 2006) (Urteil einer Jury in einer ATSKlage wegen Folterung bestätigt); Cabello v. Fernandez-Larios, 402 F.3d 1148 (11th Cir. 2005) (Urteil aus einem Jury-Verfahren wegen außergerichtlicher Hinrichtung, Folter, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie grausamen, unmenschliche und erniedrigende Behandlung bestätigt).
322
Kap. 2: Die Zweite Welle
„In light of Sosa’s ambiguities, it would be inappropriate for a district court to assume that Filartiga ’s view of the scope of ATS jurisdiction no longer controls. The Court therefore analyzes Plaintiffs’ claims on the assumption that the Filartiga holding controls, and will dismiss claims only where they clearly run afoul of Sosa“823.
Die Bejahung der bisherigen Rechtsprechung unter Berufung auf Sosa bedeutete die Fortführung der Zweiten Welle ohne wesentliche Unterschiede. 2. Die Wiederaufnahme und Expansion bisher anerkannter Deliktstatbestände Bis die Sosa-Entscheidung in 2004 erging, hatte die Rechtsprechung der Ersten Welle neun Deliktstatbestände als einklagbare Verletzungen von „universal, definable, and obligatory“ Normen des Völkergewohnheitsrechts anerkannt824. Die frühen Entscheidungen der Zweite Welle hatten bis 2004 diese Tatbestände als die Grundlagen für ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften angewandt. Nach Verkündung von Sosa wurden dieselben Tatbestände als Verletzungen von „universal and specific“ Normen des Völkergewohnheitsrechts im Sinne der SosaEntscheidung anerkannt. In unterschiedlichen Entscheidungen bestätigten die Gerichte die fortdauernde Zulässigkeit folgender Tatbestände in ATS-Verfahren gegen Kapitalgesellschaften: Folter825; außergerichtliche Hinrichtung826; willkürliche Inhaftierung827; grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung828; zwangsweises Verschwindenlassen829 ; Sklaverei/Zwangsarbeit830 ; Genozid831; Kriegsverbrechen832; und Verbrechen gegen die Menschlichkeit833. 823
Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 456 F. Supp. 2d 457, 463 (S.D.N.Y. 2006). Siehe hierzu Kapitel 1, Abschnitt C. I. 2. 825 Siehe In re Chiquita Brands Int’l, Inc., Alien Tort Statute & Shareholder Deriv. Litig., 690 F. Supp. 2d 1296 (S.D. Fla. 2010); Al-Quraishi v. Nakhla, 728 F. Supp. 2d 702 (D. Md. 2010); Sinaltrainal v. Coca-Cola Company, 578 F.3d 1252 (11th Cir. 2009); Chowdhury v. Worldtel Bangladesh Holding, Ltd., 588 F. Supp. 2d 375 (E.D.N.Y. 2008); Cabello v. Fernandez-Larios, 402 F.3d 1148 (11th Cir. 2005); Doe v. Liu Qi, 349 F. Supp. 2d 1258, 1320 (N.D. Cal. 2004). 826 Siehe In re Chiquita Brands Int’l, Inc., Alien Tort Statute & Shareholder Deriv. Litig., 690 F. Supp. 2d 1296 (S.D. Fla. 2010); Sinaltrainal v. Coca-Cola Company, 578 F.3d 1252 (11th Cir. 2009); Romero v. Drummond Co., Inc., 552 F.3d 1303 (11th Cir. 2008); Cabello v. Fernandez-Larios, 402 F.3d 1148 (11th Cir. 2005). 827 Siehe Doe v. Liu Qi, 349 F. Supp. 2d 1258 (N.D. Cal. 2004). 828 Siehe Al-Quraishi v. Nakhla, 728 F. Supp. 2d 702 (D. Md. 2010); Cabello v. FernandezLarios, 402 F.3d 1148 (11th Cir. 2005); Doe v. Liu Qi, 349 F. Supp. 2d 1258, 1320 (N.D. Cal. 2004). 829 Siehe Bauman v. DaimlerChrysler AG, 579 F.3d 1088 (9th Cir. 2009). 830 Siehe Adhikari v. Daoud & Partners, 697 F. Supp. 2d 674 (S.D. Tex. 2009); Licea v. Curacao Drydock Co., 584 F. Supp. 2d 1355 (S.D. Fla. 2008). 831 Siehe Genocide Victims of Krajina v. L-3 Servs., Inc., 804 F. Supp. 2d 814 (N.D. Ill. 2011); Almog v. Arab Bank, Plc, 471 F. Supp. 2d 257 (E.D.N.Y. 2007). 824
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
323
Der Nachweis, dass diese Tatbestände als „universal, specific, und obligatory“Normen des Völkergewohnheitsrechts im Sinne von Sosa zu qualifizieren waren, war ihre Anerkennung in der bisherigen Rechtsprechung. Die Tatsache, dass ein Deliktstatbestand vor Sosa eine einklagbare Völkerrechtsverletzung anerkannt worden war, reichte aus, um denselben Tatbestand als einklagbare Verletzung universeller und spezifischer Normen im Sinne Sosas zuzulassen. Typisch für diese Einstellung der Gerichte zur vor-Sosa-Rechtsprechung ist z. B. eine Erörterung des Southern District of Florida: „[The defendant] argues that a claim for crimes against humanity is not cognizable under the ATS [because] ,under Sosa’s cautious approach‘, crimes against humanity is too ambiguous a norm to satisfy Sosa’s definiteness requirement for recognizing violations of the law of nations. … Based on … case law recognizing crimes against humanity as an actionable claim under the ATS, the Court rejects [this] argument“834. Neben der Wiederaufnahme der bisherigen Rechtsprechung erweiterten Gerichte nach Sosa die Anzahl einklagbarer Völkerrechtsverletzungen. Unterschiedliche Urteile haben weitere Tatbestände als einklagbare „torts … in violation of the law of nations“ im Sinne des ATS anerkannt. In Almog v. Arab Bank, Plc wurden Terrorangriffe auf eine Zivilbevölkerung als einklagbare Verletzung moderner Völkerrechtsnormen anerkannt835. In In re South African Apartheid Litigation wurde die willkürliche Ausbürgerung von Schwarzen sowie die Aufrechterhaltung des Apartheid-Systems als Verletzungen universeller Menschenrechtsnormen zugelassen836. Abdullahi v. Pfizer hat ferner festgelegt, dass die Durchführung medizinischer Experimente an Menschen ohne deren Einwilligung eine einklagbare Verletzung des Völkergewohnheitsrechts im Sinne des ATS darstellt837.
832 Siehe Al-Quraishi v. Nakhla, 728 F. Supp. 2d 702 (D. Md. 2010); In re XE Services Alien Tort Litig., 665 F. Supp. 2d 569 (E.D. Va. 2009). 833 Siehe In re Chiquita Brands Int’l, Inc., Alien Tort Statute & Shareholder Deriv. Litig., 690 F. Supp. 2d 1296 (S.D. Fla. 2010); Cabello v. Fernandez-Larios, 402 F.3d 1148 (11th Cir. 2005); Doe v. Saravia, 348 F. Supp. 2d 1112 (E.D. Cal. 2004). 834 In re Chiquita Brands Int’l Inc. Alien Tort Statute & Shareholder Deriv. Litig., 792 F. Supp. 2d 1301, 1334 (S.D. Fla. 2011). Vgl. auch die Erörterungen des Southern District of New York in In re South African Apartheid Litigation, 617 F. Supp. 2d 228, 248 – 249 (S.D.N.Y. 2009) (Ansprüche wegen Folter, Genozid, Kriegsverbrechen, außergerichtlicher Hinrichtung und willkürlichen Inhaftierung seien nach Sosa zulässig, weil „the Second Circuit has recognized tort liability for torture, genocide, and war crimes committed by both state and nonstate actors. … The Ninth Circuit has recognized additional causes of action against state actors for summary execution and prolonged and arbitrary detention and against non-state actors for forced labor“). 835 Siehe Almog v. Arab Bank, Plc, 471 F. Supp. 2d 257 (E.D.N.Y. 2007), detailliert hierzu Abschnitt A. III. 5. b) dieses Kapitels, oben. 836 Siehe In re South African Apartheid Litigation, 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009), detailliert hierzu Abschnitt A. III. 4. a) dieses Kapitels, oben. 837 Siehe Abdullahi v. Pfizer, Inc., 562 F.3d 163 (2d Cir. 2009).
324
Kap. 2: Die Zweite Welle
3. Die erneute Bejahung der Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften Vor Sosa wurde die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften bzw. ihre Haftbarkeit für Menschenrechtsverletzungen bejaht838. Sosa stellte diese Entscheidung nicht in Zweifel, sondern überließ die Frage der Völkerrechtssubjektivität juristischer Personen den unteren Gerichten. Kurz nach Sosa erhob ein anderer Beklagter in In re Agent Orange Product Liability Litigation den Einwand der mangelnden Völkerrechtssubjektivität erneut839. In dem Fall behauptete ein amerikanischer Chemikalienhersteller, er könne nicht für Menschenrechtsverletzungen haften, weil keine „universal, specific, and obligatory“ Norm des Völkergewohnheitsrechts im Sinne Sosas die Völkerrechtssubjektivität von juristischen Personen vorsehe. Das Gericht wies diese Argumentation ab. Eine Verneinung der Völkerrechtssubjektivität juristischer Personen bedeute eine absolute Immunität multinationaler Konzerne vor ATS-Klagen, die durch keine Sachgründe begründet sei840. Des Weiteren seien die Zahlreichen Entscheidungen, die bereits die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften zugrundegelegt hätten, hinreichende Nachweise dafür, dass das Völkerrecht die Haftung juristischer Personen wegen Menschenrechtsverletzungen zulasse841. Nach dieser Entscheidung wurde die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften bis zum Ende der 2000er Jahre von keinem weiteren Beklagten angefochten. 4. Weitere Circuits akzeptieren indirekte Haftung wegen Beihilfe in ATS-Klagen Vor Sosa hatten der Ninth Circuit und zwei weitere District Court-Entscheidungen die Zulässigkeit einer indirekten Haftung einer Gesellschaft wegen „aiding and 838
Siehe Abschnitt B. II. 3. b) dieses Kapitels, oben. Siehe In re Agent Orange Product Liability Litig., 373 F. Supp. 2d 7 (E.D. N.Y. 2005). 840 Siehe In re Agent Orange, 373 F. Supp. 2d at 58: „A corporation is not immune from civil legal action based on international law“ … „Limiting civil liability to individuals while exonerating the corporation directing the individual’s action through its complex operations and changing personnel makes little sense in today’s world. … Our vital private activities are conducted primarily under corporate auspices, only corporations have the wherewithal to respond to massive toxic tort suits, and changing personnel means that those individuals who acted on behalf of the corporation and for its profit are often gone or deceased before they or the corporation can be brought to justice“. 841 Siehe In re Agent Orange, 373 F. Supp. 2d at 58. Das Gericht legte Sosa in diesem Zusammenhang als Bejahung der Völkerrechtssubjektivität juristischer Personen aus: „The Supreme Court acknowledged that corporations can be sued under the ATS [in] Sosa v. AlvarezMachain“. 839
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
325
abetting“ von Menschenrechtsverletzungen bejaht842. Sosa stellte diesen Entscheidungen nichts entgegen, sondern überließ die weitere Entwicklung der indirekten Haftung in ATS-Klagen den unteren Gerichten. Nach Sosa bestätigten weitere Urteile, dass Haftung wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen aufgrund „universal, specific, and obligatory“ Normen des Völkergewohnheitsrechts im Sinne von Sosa zulässig ist. Zunächst bestätigte In re Agent Orange Product Liability Litigation, dass Haftung wegen aiding and abetting in „universal, specific, and obligatory“ Normen des Völkergewohnheitsrecht verankert ist843. Das Gericht stützte diese Ansicht hauptsächlich auf amerikanische ATS-Entscheidungen, die vor Sosa getroffen wurden844. Diese Entscheidungen sah das Gericht durch Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien bestätigt und insbesondere in dessen Entscheidung in Prosecutor v. Furundzija, in der das ICTY den Tatbestand des „aiding and abetting“ genau definiert hatte845. Sein Schluss: „Clearly, customary international law provides a ,specific, universal and obligatory‘ norm against aiding and abetting“846. Kurz nach In re Agent Orange bestätigte ein weiteres District Court, dass Sosa die Zulässigkeit von „aiding and abetting“-Haftung unberührt gelassen hatte. In Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. hatten die Kläger dem Ölkonzern Shell eine Beihilfe zu außergerichtlichen und Folter vorgeworfen847. Der District Court befand, dass es zwar eine „close question“ sei, ob Haftung wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen nach Sosa noch zulässig sei848. Allerdings hätten Gerichte vor Sosa die Zulässigkeit von Beihilfehaftung bejaht, und der District Court sah diese Rechtsprechung aus drei Gründen für fortan anwendbar: „(1) the Supreme Court’s directive [on aiding and abetting liability] is unclear, (2) secondary liability is mentioned in Sosa only in a footnote, and (3) dictum in [pre-Sosa case law] implies that aiding and abetting claims pursuant to the ATS are viable generally“849. Ergebnis des Gerichts: „where a cause of action for violation of an international norm is viable under the ATS, claims for aiding aid abetting that violation are viable as well“850.
842
Siehe Abschnitt B. II. 3. b) cc) dieses Kapitels, oben. Siehe In re Agent Orange, 373 F. Supp. 2d 7 (E.D. N.Y. 2005). 844 „[F]ederal case law dating back more than two hundred years … recognized liability for aiding and abetting violations of international law norms“. In re Agent Orange, 373 F. Supp. 2d at 55. 845 Siehe In re Agent Orange, 373 F. Supp. 2d at 54. 846 In re Agent Orange, 373 F. Supp. 2d at 54. 847 Sehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 456 F. Supp. 2d 457 (S.D.N.Y. 2006). 848 Kiobel, 456 F. Supp. 2d at 463. 849 Kiobel, 456 F. Supp. 2d at 464 Fn. 9. 850 Kiobel, 456 F. Supp. 2d at 463 – 464. 843
326
Kap. 2: Die Zweite Welle
Parallel zu In re Agent Orange und Kiobel kam ein anderes Gericht zum gegenteiligen Ergebnis. In In re South African Apartheid Litigation851 befand das Southern District of New York, dass unter der in Sosa gebotenen Vorsicht eine weltweit gültige Beihilfehaftung zu weit ginge. Beihilfehaftung sei nicht im Wortlaut des ATS enthalten, ziehe erhebliche diplomatische Konflikte nach sich und verleite Kläger zu missbräuchlichen Klagen852. Derartige Konsequenzen könnten mit der Vorsichtspflicht von Sosa nicht in Einklang gebracht werden. Allerdings wurde jeder Bremseffekt, den diese Entscheidung zu veranlassen erhoffte, vom Second Circuit zunichte gemacht. Im Jahre 2007 hat der Second Circuit die Entscheidung des District Court in In re South African Apartheid Litigation aufgehoben. Der Second Circuit war sich einig, dass der District Court zu vorsichtig gewesen war, und dass eine Beihilfehaftung in ATS-Klagen gegeben sei853. Es verwies die Klage an den District Court zurück, um die Voraussetzungen für Beihilfehaftung näher zu erörtern854. Nach der Entscheidung des Second Circuit bejahten weitere hohe Gerichte die Zulässigkeit der Beihilfehaftung in ATS-Klagen. Die meisten ließen Haftung nach dem „aiding and abetting“-Test des ICTY zu. Sowohl der Ninth Circuit855 als auch der Eleventh Circuit856, der DC Circuit857 und eine weitere Entscheidung des Second Circuit858 haben bis 2011 die Anwendbarkeit des „aiding and abetting“-Tests in ATSKlagen bejaht. 5. Die Anwendbarkeit des Territorialprinzips auf ATS-Klagen wird erneut verneint Vor Sosa wurde eine Einschränkung des Geltungsbereichs von ATS-Ansprüchen aufgrund des Territorialprinzips verneint, weil die Gerichte die Anwendung dieser Ansprüche auf ausländisches Verhalten durch das Weltrechtsprinzip gerechtfertigt
851
Siehe In re South African Apartheid Litig., 346 F. Supp. 2d 538 (S.D.N.Y. 2004). Siehe In re South African Apartheid Litig., 346 F. Supp. 2d at 549 – 555. 853 Allerdings war das Second Circuit zerstritten, ob der Tatbestand der Beihilfehaftung aus dem „aiding and abetting“-Test des ICTY oder aus der amerikanischen Rechtsprechung zu 42 U.S.C. § 1983 zu schöpfen war. Siehe Khulumani v. Barclay Nat. Bank Ltd., 504 F.3d 254 (2d Cir. 2007). 854 Nach der Zurückverweisung entscheid sich das District Court für den „aiding and abetting“-Test internationaler Straftribunale, siehe In re South African Apartheid Litigation, 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009). Siehe auch Abschnitt A. III. 4. a) dieses Kapitels zu Khulumani bzw. den Apartheid-Klagen. 855 Siehe Sarei v. Rio Tinto, PLC, 487 F.3d 1193 (9th Cir. 2007). 856 Siehe Romero v. Drummond Co., Inc., 552 F.3d 1303 (11th Cir. 2008). 857 Siehe Doe v. Exxon Mobil Corp., 654 F.3d 11 (D.C. Cir. 2011). 858 Siehe Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 582 F.3d 244 (2d Cir. 2009). 852
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
327
sahen859. Sosa stellte diese Entwicklung nicht in Frage. Im Gegenteil schien der Supreme Court die bisherige Berufung der Rechtsprechung auf „universal civil jurisdiction“ für ATS-Ansprüche zu bejahen860. Aus Sosa ging allerdings eindeutig hervor, dass ATS-Ansprüche nicht als Völkerrecht, sondern als amerikanisches common law zu qualifizieren waren. Zwar wurden ATS-Ansprüche aus „universal, specific, and obligatory“ Normen des Völkergewohnheitsrechts abgeleitet, aber sie waren übliche common law-Schadensersatzansprüche, die allgemeinen amerikanischen Schuldrechtsprinzipien unterlagen. Nach Sosa fingen Konzerne an, die extraterritoriale Gültigkeit dieser gerichtlich erschaffenen Ansprüche anzufechten. In Bowoto v. Chevon Corp. behauptete Chevron, dass „creating extraterritorial federal common law [under the ATS] would violate international law“, weil es einer Rechtssetzung auf fremdem Hoheitsgebiet gleichkäme861. Das Gericht wies dieses Argument ab. Seiner Ansicht nach war die extraterritoriale Anwendung von ATS-Ansprüchen gerechtfertigt, weil sie seit Jahren so gehandhabt worden war. Die Bundesgerichte hätten die Anwendung von ATS-Ansprüchen ohne US-Bezug seit den 1980ern zugelassen, solange die Ansprüche aus universell gültigen Völkerrechtsnormen abgeleitet wurden. „It logically follows that if [] ATS claims are brought under a sufficiently definite and universal norm of international law, there will be no violation of international law when the ATS is applied extraterritorially“862. 2010 wurde das Territorialprinzip jedoch für Zivilklagen wieder relevant. In Morrison v. National Australia Bank Ltd.863 bestätigte der Supreme Court, dass die amerikanische Auslegungsdoktrin der sog. „presumption against extraterritoriality“864 eine allgemeine Schranke des Anwendungsbereichs von Bundesgesetzen bildet. Morrison war eine Kapitalanlegerklage australischer Anleger gegen eine 859
Siehe Abschnitt B. II. 1. c) dieses Kapitels, oben. Dies ging aus der concurring opinion von Justice Breyer hervor: „Today international law will sometimes similarly reflect not only substantive agreement as to certain universally condemned behavior but also procedural agreement that universal jurisdiction exists to prosecute a subset of that behavior. … The fact that this procedural consensus exists suggests that recognition of universal jurisdiction in respect to a limited set of norms is consistent with principles of international comity. That is, allowing every nation’s courts to adjudicate foreign conduct involving foreign parties in such cases will not significantly threaten the practical harmony that comity principles seek to protect. That consensus concerns criminal jurisdiction, but consensus as to universal criminal jurisdiction itself suggests that universal tort jurisdiction would be no more threatening. … That is because the criminal courts of many nations combine civil and criminal proceedings, allowing those injured by criminal conduct to be represented, and to recover damages, in the criminal proceeding itself. … Thus, universal criminal jurisdiction necessarily contemplates a significant degree of civil tort recovery as well“. Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692, 762 – 763 (Breyer, J., concurring). 861 Siehe Bowoto v. Chevron Corp., 557 F. Supp. 2d 1080 (N.D. Cal. 2008). 862 Bowoto, 557 F. Supp. 2d at 1089. 863 Siehe Morrison v. National Australia Bank Ltd., 130 S. Ct. 2869 (2010). 864 Zur dogmatischen Grundlage der presumption against extraterritoriality siehe Kapitel 1, Abschnitt C. IV. 1. 860
328
Kap. 2: Die Zweite Welle
australische Bank wegen falscher Angaben über Wertpapiere, die die Anleger in Australien gekauft hatten. Die Frage war, ob amerikanische Kapitalmarktgesetzgebung auf das Verhalten in Australien anwendbar war. Zur Beantwortung dieser Frage hatte der Second Circuit versucht, durch eine Auflistung der Bezugspunkte des ausländischen Verhaltens zu den USA den Willen eines hypothetischen Gesetzgebers festzustellen. Der Supreme Court verwarf diese Vorgehensweise als und legte die „presumption against extraterritoriality“ als allgemeine Schranke in der Auslegung amerikanischer Gesetzgebung fest. Bei der Feststellung des Geltungsbereichs jedes Bundesgesetzes werde vermutet, dass es nur Verhalten im Inland zum Gegenstand habe865. Folglich gälten amerikanische Gesetze grundsätzlich nur für Verhalten auf amerikanischem Hoheitsgebiet866, bis der Gesetzgeber einen offensichtlich gegenteiligen Willen äußert. Sofern die extraterritoriale Bindungswirkung eines Gesetzes nicht aus seinem Text oder Begleitumständen klar hervorgehe, sei das Gesetz nicht extraterritorial anwendbar867. Gleich nach Verkündung von Morrison wurde die Entscheidung als Einrede in ATS-Klagen eingesetzt. Beklagte Konzerne argumentierten, dass das ATS als Bundesgesetz der allgemeinen „presumption against extraterritoriality“ unterlag; als Folge dürften die common law-Ansprüche, die nach dem ATS anerkannt würden, keine Bindungswirkung im Ausland entfalten. Dieses Argument wurde zunächst von verschiedenen Gerichten summarisch abgelehnt. Hierzu beriefen sie sich auf die bisherige ATS-Rechtsprechung, um die weltweite Anwendbarkeit von ATS-Ansprüchen durch ständige Praxis der Bundesgerichte zu rechtfertigen868. Zwei Circuit Court-Entscheidungen fanden es jedoch angebracht, sich eingehender mit der „presumption against extraterritoriality“ im Kontext des ATS auseinanderzusetzen, kamen aber zum gleichen Ergebnis. – Doe v. ExxonMobile Corp.869 war eine ATS-Klage indonesischer Angehöriger gegen Exxon wegen Folterungen und Hinrichtungen, die in Indonesien begangen waren. Exxon wandte unter Berufung auf Morrison ein, dass ATS-Ansprüche als 865
Morrison, 130 S. Ct. at 2877. Morrison, 130 S. Ct. at 2877. 867 Morrison, 130 S. Ct. at 2878 („When a statute gives no clear indication of an extraterritorial application, it has none“). 868 Siehe Flomo v. Firestone Natural Rubber Co., LLC, 643 F.3d 1013, 1015 (7th Cir. 2011) („Courts have been applying the statute extraterritorially (and not just to violations at sea) since the beginning; no court to our knowledge has ever held that it doesn’t apply extraterritorially; and Sosa was a case of nonmaritime extraterritorial conduct yet no Justice suggested that therefore it couldn’t be maintained“.); Lev v. Arab Bank, PLC, No. 08-CV-3251(NG)(VVP), 2010 WL 623636, at *1 (E.D.N.Y. Jan. 29, 2010) („in citing Filartiga and Kadic, the Supreme Court in Sosa made no reference to any limitation on the jurisdiction of courts to hear claims under the ATS which might arise from the extra-territoriality of the actions or the parties“); Velez v. Sanchez, 754 F. Supp. 2d 488, 496 (E.D.N.Y. 2010) („the expanded role for the ATS has always been understood as covering torts committed abroad“). 869 Siehe Doe v. Exxon Mobil Corp., 654 F. 3d 11 (D.C. Cir. 2011). Zum detaillierteren Sachverhalt von Doe v. Exxon Mobil siehe Abschnitt A. III. 1. b) dd) dieses Kapitels, oben. 866
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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amerikanisches common law keine Bindungswirkung in Indonesien entfalten könnten, weil das ATS keinen klaren Hinweis auf extraterritoriale Gültigkeit enthalte. Der DC Circuit lehnte diese Argumentation ab und bestätigte, dass ATSAnsprüche nicht vom Territorialprinzip eingeschränkt werden. Der DC Circuit wies zunächst auf die historischen Begleitumstände des ATS: Zeitgenössische Rechtsquellen belegen, dass im Jahre 1789 Piraterie eine Völkerrechtsverletzung darstellte, die nach dem ATS einklagbar gewesen wäre. Weil Piraterie per Definition außerhalb des Hoheitsgebiets der USA stattfinde, müsse der Gesetzgeber angenommen haben, dass das ATS extraterritorial anwendbar war. Des Weiteren überzeugten den DC Circuit zwei weitere moderne Rechtsentwicklungen von der extraterritorialen Gültigkeit von ATS-Ansprüchen. Erstens habe der Gesetzgeber durch Verabschiedung des Torture Victim Protection Act die Anwendung der ATS-Rechtsprechung auf Verhalten im Ausland ratifiziert870. Zweitens habe die Bush-Regierung in Sosa dieselbe Extraterritorialitäts-Einrede wie Exxon vor dem Supreme Court erhoben, aber „no Justice indicated agreement with the United States’ position“871. – In Sarei v. Rio Tinto, PLC872 warfen indigene papua-neuguineische Einwohner einem australischen Bergbaukonzern Kriegsverbrechen und Völkermord auf einer papua-neuguineischen Insel vor. Der Bergbaukonzern wandte unter Berufung auf Morrison ein, dass ATS-Ansprüche als common law keine Bindungswirkung in Papua-Neuguinea entfalten dürften. Der Ninth Circuit verwarf dieses Argument. Aus seiner Sicht lagen mehrere Gründe zur Rechtfertigung einer extraterritorialen Anwendung des ATS vor. Zunächst stellte sich das Gericht gegen die Behauptung, dass ATS-Ansprüche als eine Anwendung amerikanischen common law auf Verhalten auf fremdes Hoheitsgebiet zu qualifizieren waren: „The norms being applied under the ATS are international, not domestic, ones, derived from international law … we are not asserting an entitlement to ,make law‘ for the ,entire planet‘“873. Entsprechend sei nicht zu befürchten, dass ATS-Ansprüche „intrusions into the sovereignty of other nations“ nach sich zögen874. Zweitens verneinte der Ninth Circuit die Anwendbarkeit der „presumption against extraterritoriality“ auf ATS-Ansprüche aus rechtshistorischen Gründen. Im Jahre 1789 habe die „presumption against extraterritoriality“ von Morrison nicht existiert, und auch wenn sie existiert hätte, ließ das ATS nach dem zeitgenössischen Rechtsverständnis Klagen wegen Piraterie, was bekanntlich nur auf hoher See möglich sei,
870
Siehe Doe v. Exxon Mobil Corp., 654 F. 3d at 25. Zum Torture Victim Protection Act siehe Abschnitt II.3.1.4.1. oben. 871 Siehe Doe v. Exxon Mobil Corp., 654 F. 3d at 25. 872 Siehe Sarei v. Rio Tinto, PLC, 671 F.3d 736 (9th Cir. 2011). Zum detaillierteren Sachverhalt von Rio Tinto siehe Abschnitt A. III. 1. b) cc) dieses Kapitels, oben. 873 Rio Tinto, 671 F.3d at 746. 874 Rio Tinto, 671 F.3d at 746.
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Kap. 2: Die Zweite Welle
zu875. Insofern müsse der Gesetzgeber die Anwendbarkeit von ATS-Ansprüchen auf Verhalten außerhalb der USA gewollt haben. Zuletzt befand das Gericht, dass die „presumption against extraterritoriality“ durch den Text des ATS entkräftet sei. Die „presumption against extraterritoriality“ sei nur eine Vermutung gegen extraterritoriale Bindungswirkung, die entkräftet werde, wenn der Kongress eine „clear indication of extraterritorial applicability“ zu erkennen gebe. Solche „indications“ seien im Text des ATS mehrfach vorhanden. Das ATS begründe die Zuständigkeit der Bundesgerichte „for claims brought by persons who are not citizens of this country“876. Zur Gewährung dieser Ansprüche müssten die Bundesgerichte „beyond the law of the United States“ zum Völkergewohnheitsrecht blicken, um einklagbare Verletzungen festzustellen877. Diese Anhaltspunkte indizierten einen eindeutigen Willen des Gesetzgebers, ATS-Ansprüche über die territorialen Grenzen der USA hinaus zu erstrecken. Aufgrund dieser Entscheidungen wurde allgemein angenommen, dass das völkerrechtliche Territorialprinzip bzw. die amerikanische „presumption against extraterritoriality“ im Kontext des ATS nicht statthaft war. Diese Verneinung des Territorialprinzips kam im Ergebnis der Bejahung einer „universal civil jurisdiction“ für ATS-Ansprüche gleich.
V. Die Wende zur allmählichen Einschränkung des ATS durch die Circuit Courts Die Wiederaufnahme und Weiterentwicklung der Zweiten Welle nach Sosa bedeutete nicht, dass die Zweite Welle nun ohne Widerstand fortschreiten konnte. Nach 2004 erzeugte die Zweite Welle stets heftiger werdende Gegenreaktionen aus der Wissenschaft und von anderen Staaten. Diese Reaktionen verfestigten sich zu einem neuen Konsens, dass die Zweite Welle weit über die Zwecke des ATS hinausging und souveräne Interessen anderer Staaten beeinträchtigte. Dieser Konsens manifestierte sich in dogmatischen Einschränkungen von ATS-bezogenen Doktrinen durch die Circuit Courts: Ein Erfordernis der Erschöpfung des ausländischen Rechtswegs, erhöhte Anforderungen für die Darlegungslast im Sachvortrag von ATS-Klagen, erhöhte Anforderungen für Haftung wegen Beihilfe, die Einschränkung der internationalen Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte sowie die Zulassung der forum non conveniens-Doktrin in ATS-Klagen. Schließlich hat der Second Circuit in 2010 entschieden, dass Kapitalgesellschaften keine Völkerrechtssubjekte sind, die für Menschenrechtsverletzungen haften können, und hat damit der Zweiten Welle ein Ende verkündet. Seine Entscheidung führte zum höchstrichterlichen Revisionsver-
875 876 877
Siehe Rio Tinto, 671 F.3d at 745. Rio Tinto, 671 F.3d at 746. Rio Tinto, 671 F.3d at 746.
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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fahren in Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., das zu nachhaltigen Einschränkungen der Zweiten Welle führe und im nächsten Abschnitt dargelegt wird. 1. Der wachsende Konsens gegen die Zweite Welle Die Klagen der Zweite Welle in wesentlichen Aspekten anders als die der Erste Welle und wurden mit der Zeit als eine neue Art von Ansprüchen angesehen. Während die Erste Welle sich hauptsächlich gegen einzelne ehemalige Hoheitsträger gerichtet hatte, wurde es in der Zweiten Welle bald klar, dass die Zielscheibe der meisten Kläger nun gesamte ausländische Regierungen waren – die man über Kapitalgesellschaften angriff. Weil fremde Staaten nach dem Foreign Sovereign Immunities Act grundsätzlich immun vor ATS-Klagen waren, verklagten Kläger an deren Stelle ausländische Gesellschaften, die mit ausländischen Regierungen zusammenarbeiteten878. Die Theorie dieser Klagen war, dass die anvisierte Regierung Menschenrechtsverletzungen begangen hatte, aber dass die beklagten Gesellschaften dafür herhalten mussten, weil sie Beihilfe geleistet hätten. Die Kläger waren normalerweise keine Einzelpersonen, sondern eine große „class“ von tausenden Anspruchsinhabern. Solche ATS-Klagen wurden ausnahmslos in den USA erhoben, wo Discovery, ruinöse Schadensersatzansprüche und Jury-Verfahren zulässig waren, auch wenn die Gerichte der anzuprangernden Regierung oder die der Heimat der beklagten Gesellschaft offen standen. Diese Klagen erzeugten erhebliche Probleme, die in der Ersten Welle nicht oder nur im geringen Maße vorhanden waren. Erstens griffen ATS-Klagen das Handeln fremder Regierungen offen an und beschuldigten souveräne Regierungen gravierender Menschenrechtsbrüche. Zweitens schwächten große ATS-Sammelklagen die souveräne Befugnis fremder Staaten, Menschenrechtsverletzungen, die auf ihrem Hoheitsgebiet stattgefunden hatten, durch eine eigene interne Politik abschließend zu regeln. Drittens bedeutete die Erstreckung einzigartig amerikanischer Rechtsansprüche auf die Auslandstätigkeiten fremder Konzerne, dass amerikanische Gerichte ihren Verhaltenskodex auf die weltweiten Tätigkeiten der Konzerne anderer Länder festlegten. Die Bush-Regierung war der erste wirklich entschiedene Gegner dieser Entwicklungen. Ab 2004 betrachtete sowohl das Justiz- als auch das Außenministerium von George W. Bush die Zweite Welle als eine per se Beeinträchtigung der Interessen der Vereinigten Staaten. Die Anprangerung fremder Regierungen betrachtete die Bush-Regierung als Einmischung in ihre Befugnis, vorteilhafte Investitionsbedingungen für amerikanische Konzerne auszuhandeln und ökonomische Anreize zur 878
Selbst ATS-Befürworter gaben zu, dass Gesellschaften wie Unocal und Shell verklagt wurden, weil die Regierungen in Myanmar und Nigeria nicht belangbar waren. Siehe AnneMarie Slaughter & David Bosco, Plaintiff’s Diplomacy, Foreign Affairs, Sept.-Oct. 2000, at 102, 107 (Gesellschaften als Beklagte seien nur „proxies for what are essentially attacks on [foreign] government policy“).
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Beachtung der Menschenrechte zu setzen. Sie reichte bei jeder bedeutenden ATSKlage gegen eine Kapitalgesellschaft eine Stellungnahme ein, in der sie um Abweisung der Klage ersuchte879. Diese Stellungnahmen beschrieben ATS-Klagen u. a. als Bedrohungen für die wirtschaftliche Stabilität der Dritten Welt, als Untergrabung der Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Konzerne und sogar als Beeinträchtigung der Terrorismusbekämpfung880. Andere Staaten wurden schnell zu weiteren Gegnern der Zweiten Welle. China, Kolumbien, Indonesien, Israel, Südafrika und Nigeria protestierten gegen ATSKlagen, die ihrer amtierenden oder ehemaligen Regierung Menschenrechtsverletzungen vorwarfen. Südafrika, El Salvador und Kolumbien beschwerten sich gegen laufende ATS-Verfahren, die sie als Affront gegen ihre interne Versöhnungspolitik auffassten. Australien, Kanada, Deutschland, die Niederlande, die Schweiz und Großbritannien bemängelten ATS-Klagen gegen ihre Konzerne als Eingriff in ihr souveränes Recht, die Auslandstätigkeiten ihrer juristischen Personen an erster Stelle zu regeln. Das Ergebnis dieser stets zunehmenden Proteste war, dass – im krassen Gegensatz zur Ersten Welle – „diplomatic friction [became] the hallmark of modern ATS litigation“881. Langsam wandte sich ein signifikanter Anteil des Schrifttums gegen die Zweite Welle. Bis Unocal in 1997 eingeleitet worden war, hatten sich etwa 200 Fachbeiträge zum Thema ATS gesammelt, die fast einheitlich Filartíga sowie die ATS-litigation befürworteten882. Als ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften zur Norm wurden, explodierte die Zahl von Fachbeiträgen auf mehr als 1.800883. Eine wichtige Strömung der wissenschaftlichen Literatur konzentrierte sich auf die „Illegitimität“884 der neuen human rights litigation gegen Kapitalgesellschaften885. 879 „Having failed in the effort to reverse the modern interpretation of the ATS [in Sosa], the Bush administration repeatedly submitted statements designed to sharply curtail the reach of the statute, particularly as applied to corporate defendants“. Stephens, International Human Rights Litigation in U.S. Courts, S. 435. 880 Siehe Letter from William Taft, Legal Advisor, Dep’t of State, to Judge Louis Oberdorfer, at 1, Doe v. Exxon Mobil, 393 F. Supp. 2d 20 (D.D.C. 2005) (No. 01-1357). Dass ATSKlagen die Terrorismusbekämpfung beeinträchtigen sollten, wurde wie folgt argumentiert: Wenn eine ATS-Klage eine fremde Regierung uns abspenstig mache, werde sie nicht mehr unseren Bitten nachkommen, verdächtige Personen zu überwachen oder geheimdienstliche Daten zu übermitteln. 881 Brief of amici curiae Chevron Corp., Dole Food Co., Dow Chemical Co., Ford Motor Co., GlaxoSmithKline PLC, and the Proctor & Gamble Co., Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (No. 10-1491), S. 9. 882 Siehe Childress, The Alien Tort Statute, Federalism, and the Next Wave of Transnational Litigation, S. 711. 883 Childress, The Alien Tort Statute, Federalism, and the Next Wave of Transnational Litigation, S. 711 ff. 884 So die berühmte Formulierung in Jack Goldsmith & Curtis Bradley, The Current Illegitimacy of International Human Rights Litigation, 66 Fordham L. Rev. 319 (1997). „Goldsmith and Bradley’s 1997 article inspired a ,backlash‘ against the ATS by a number of serious
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Für die wahrgenommene Legitimität der Zweiten Welle war ferner benachteiligend, dass die ersten ATS-Klagen gegen Konzerne endlich zur Hauptverhandlung vor eine Jury kamen – und in einstimmigen Niederlagen für die Kläger endeten. In Juli 2007 kam Romero v. Drummond Co.886 vor eine Jury in Alabama. Die Jury sprach den beklagten Bergbaukonzern von jeder Verantwortung für die Ermordung von Betriebsräten in Kolumbien frei887. Im Oktober 2008 kam Bowoto v. Chevron Corp.888 vor eine Jury im viel linkeren Kalifornien, aber das Ergebnis war dasselbe: Die Jury sprach Chevron einstimmig von jeder Verantwortung für die Ermordung von nigerianischen Demonstranten frei. Diese Ergebnisse untergruben Behauptungen über die Notwendigkeit von ATS-Klagen zur Wahrung internationaler Menschenrechte und trugen deshalb zum Eindruck von ATS-Klagen als missbrauchsanfälligen Erpressungsklagen bei. Ende der 2000er Jahre schloss sich die Rechtsprechung diesem wachsenden Konsens an. In unterschiedlichen Entscheidungen legten die Circuit Courts immer neue Einschränkungen für ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften fest. Die Einstellung hinter dieser neuen Rechtsprechung entsprang einer wachsenden Unruhe über die diplomatischen Konsequenzen der Zweiten Welle und wurde von einem Richter am Second Circuit trefflich zum Ausdruck gebracht: „[Most modern ATS cases involve] transnational corporations, many of them foreign. Such foreign companies are creatures of other states. They are subject to corporate governance and government regulation at home. They are often engines of their national economies, sustaining employees, pensioners and creditors – and paying taxes. I cannot think that there is some consensus among nations that American courts and lawyers have the power to bring to court transnational corporations of other countries, to inquire into their operations in third countries, to regulate them – and to beggar them by rendering their assets into compensatory damages, punitive damages, and (American) legal fees. Such proceedings have the natural tendency to provoke international rivalry, divisive interests, competition, and grievance – the very opposite of the universal consensus that sustains customary international law“889.
international law and foreign relations scholars“, Eugene Kontorovich, Kiobel Surprise: Unexpected by Scholars but Consistent with International Trends, 89 Notre Dame L. Rev. ___, ___ (2014) (im Druck). 885 Siehe z. B. Julian G. Ku, The Curious Case of Corporate Liability Under the Alien Tort Statute: A Flawed System of Judicial Lawmaking, 51 Va. J. Int’l L. 353 (2011). 886 Zum Sachverhalt der Drummond-Klagen siehe Abschnitt A. III. 2. b) bb) dieses Kapitels, oben. 887 Siehe hierzu die Bestätigung des Urteils in der nachfolgenden Berufung, Romero v. Drummond Co., Inc., 552 F.3d 1303 (11th Cir. 2008). 888 Zum Sachverhalt von Bowoto siehe Abschnitt A. III. 1. b) bb) dieses Kapitels, oben. 889 Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 642 F.3d 268, 270 (2d Cir. 2011) (Jacobs, C.J., concurring in denial of rehearing).
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2. Ninth Circuit: Erfordernis der Erschöpfung Vor diesem Hintergrund adoptierte der Ninth Circuit in Sarei v. Rio Tinto, PLC890 die Möglichkeit, die Erschöpfung des lokalen Rechtswegs von Klägern in ATSVerfahren zu erfordern. Damit gab der Ninth Circuit den ihm unterstehenden Gerichten ein Mittel an die Hand, ATS-Klagen ohne US-Bezüge zur Verhandlung im Ausland abzuweisen, wenn sie kein staatengemeinschaftlich für universal erklärtes Interesse involvierten. Durch diese Regelung sollten Übertretungen der amerikanischen Rechtssetzung und Rechtsanwendung auf die Souveränität anderer Staaten vermieden werden. Die Verbindung zwischen ATS-Klagen und einem Erfordernis der Erschöpfung ging auf die Entscheidung des Supreme Court in Sosa v. Alvarez-Machain zurück. Als amicus curiae hatte die Europäische Kommission das aus dem Weltrechtsprinzip herrührende Interesse der USA an der Ahndung von Universalverbrechen konstatiert, aber zugleich argumentiert, dass die souveränen Interessen anderer Länder die Einführung eines Erfordernisses der Erschöpfung des lokalen Rechtswegs für ATSKlagen erforderte, sofern diese nicht aussichtlos erschien891. Der Supreme Court hat in einem obiter dictum auf dieses Argument geantwortet, dass die Zulässigkeit einer ATS-Klage grundsätzlich keine Erschöpfung des ausländischen Rechtswegs voraussetzte, aber dass Gerichte ein Erfordernis der Erschöpfung in „geeigneten Fällen“ in Betracht ziehen konnten892. In Rio Tinto wurde dieses dictum des Supreme Court zur neuen Einschränkung für ATS-Klagen im Ninth Circuit. Rio Tinto war eine Sammelklage tausender Bewohner der papua-neuguineischen Insel Bougainville gegen den britisch-australischen Bergbaukonzern Rio Tinto, die auf Rio Tintos angebliche Beihilfe zu Verbrechen der papua-neuguineischen Armee im Rahmen eines Bürgerkriegs gegen Bougainville stütze893. Somit war es eine ,typische‘ ATS-Klage der Zweiten Welle, die keinen Bezug zu den USA aufwarf aber gleichzeitig einem ausländischen Konzern mit Schadensersatz in Milliardenhöhe drohte. Der verklagte Bergbaukonzern ersuchte den Ninth Circuit, diese Praxis einzuschränken und „foreign cubed“ ATS-Klagen – d. h. ausländische Kläger, ausländischer Beklagter, ausländischer Sachverhalt – für an sich geeignet für eine Erschöpfungsvoraussetzung zu erklären.
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Siehe Sarei v. Rio Tinto, Plc, 550 F.3d 822 (9th Cir. 2008). Siehe Abschnitt B. III. c) cc) dieses Kapitels, oben. 892 Siehe Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692, 716 Fn. 21 (2004): „[T]he European Commission argues as amicus curiae that basic principles of international law require that before asserting a claim in a foreign forum, the claimant must have exhausted any remedies available in the domestic legal system, and perhaps in other forums such as international claims tribunals. … We would certainly consider this requirement in an appropriate case“. 893 Zum Sachverhalt von Rio Tinto siehe Abschnitt III. 1. b) cc) oben. 891
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Eine derartiges allgemein anwendbares Erfordernis der Erschöpfung hat der Ninth Circuit abgelehnt, aber es stellte trotzdem eine sog. „prudenzielle“894 Erschöpfungsvoraussetzung in Aussicht: Wenn eine ATS-Klage keinen Bezug zu den USA aufweise und keine Universalstraftat zum Gegenstand habe, könne ein Gericht nach freiem Ermessen die Klage abweisen, damit der Kläger zunächst den lokalen (ausländischen) Rechtsweg erschöpfe895. Diesen Ansatz sah der Ninth Circuit als Mittelweg zwischen zwei in ATS-Klagen widerstrebenden „Impulsen“ an. Auf der einen Seite sah das Gericht ein klares Erfordernis der Erschöpfung im Völkergewohnheitsrecht gegeben: „Under international law, … a state is not required to consider a claim by another state for an injury to its national until that person has exhausted domestic remedies“896. Sämtliche Menschenrechtsabkommen, die internationale Straftribunale gegründet hätten, hätten die Erschöpfung des lokalen Rechtswegs als Zulassungsvoraussetzungen beibehalten897. Diese Völkerrechtsbräuche hätten im internen Recht der USA als Courtoisie gegenüber anderen Ländern („comity“) Einschlag gefunden: Die amerikanische Rechtsprechung habe anerkannt, dass „we are but one member in a community of nations“ und müssten als solches auf eine souveränitätsgerechte internationale Aufteilung gerichtlicher Arbeit zuarbeiten898. Insofern sei festzuhalten, dass bei den Verhandlungen von Fällen, die keinen US-Bezug aufwerfen, das Völkerrecht die Erschöpfung des Rechtswegs des Tatortlandes erfordert899. Auf der anderen Seite betonte das Gericht, dass das völkerrechtliche Erfordernis der Erschöpfung nicht absolut formuliert war, und dass die USA bei Vorliegen eines Universalverbrechens ein völkerrechtlich anerkanntes Interesse an einer ATS-Klage hätten. Erschöpfung des lokalen Rechtswegs sei vom Völkergewohnheitsrecht nie vorausgesetzt worden, wenn keine Erfolgsaussichten im ausländischen Rechtssystem zu erwarten waren900. Die USA hätten überdies ein langanhaltendes und historisches Interesse an der Ahndung von Verletzungen des Völkergewohnheitsrechts, insbesondere wenn diese Verletzungen „matters of universal concern“ wie Universalstraftaten901 implizierten902. Insofern spreche das Vorliegen einer Völkerrechts894 Sogenannte „prudential doctrines“ befassen sich mit Situationen, wo die Zuständigkeit des Gerichts zwar vorliegt aber trotzdem aus verfassungs- oder völkerrechtlichen Bedenken nicht angenommen werden soll. Siehe hierzu z. B. Independent Living Ctr. of S. Cal., Inc. v. Shewry, 543 F.3d 1050 (9th Cir. 2008). 895 So der Standard des Gerichts: „Where the ,nexus‘ to the United States is weak, courts should carefully consider the question of exhaustion, particularly – but not exclusively – with respect to claims that do not involve matters of ,universal concern‘“. Rio Tinto, 550 F.3d at 825. 896 Rio Tinto, 550 F.3d at 829. 897 Rio Tinto, 550 F.3d at 829. 898 Rio Tinto, 550 F.3d at 830 – 831. 899 Rio Tinto, 550 F.3d at 831. 900 Rio Tinto, 550 F.3d at 830. 901 Universalstraftaten werden als Straftaten verstanden, deren Verfolgung dem Weltrechtsprinzip unterliegt. Sie sind besonders verwerfliche Handlungen, die von der Staatenge-
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verletzung für die Bejahung eines amerikanischen Forums, ohne die vorherige Erschöpfung ausländischer Instanzen vorauszusetzen. Vor diesem Hintergrund entschied sich der Ninth Circuit für eine salomonische Lösung: Die District Courts sollten fortan entscheiden, ob ein Erfordernis der Erschöpfung im jeweiligen ATS-Verfahren angemessen sei. Hierbei seien zunächst die Bezüge der vorliegenden Klage zu den USA zu berücksichtigen; je schwächer die Inlandsbezüge, desto stärker komme der völkerrechtliche Erschöpfungsgedanke in Betracht903. Gleichzeitig müssten die Gerichte prüfen, ob ein „matter of universal concern“ vorliege; sei dies der Fall, könne ein Interesse der USA an der Verhandlung des Verfahrens ohne vorherige Erschöpfung eruiert werden904. Das konkrete Verfahren für die Erschöpfungsentscheidung legte der Ninth Circuit wie folgt fest: Zuerst müsse der Beklagte nachweisen, dass bei der Abwägung dieser widerstrebenden Überlegungen die Erschöpfung des ausländischen Rechtswegs eindeutig überwiege und dass das ausländische Rechtssystem ein adäquates Forum anbiete905. Tut er dies, könne der Kläger die Adäquatheit des ausländischen Rechtssystems in Frage stellen bzw. die Aussichtlosigkeit des Vorgehens im Ausland nachweisen906. Die genauen Voraussetzungen für das so formulierte Erfordernis der Erschöpfung waren unklar. Zum einen war ungewiss, welche Deliktstatbestände als Universalstraftaten anzusehen waren, die eine Verhandlung der ATS-Klage vor US-Gerichten rechtfertigen würden. Seit Karadzic hatten ATS-Entscheidungen die in § 404 Restatement (Third) Foreign Relations genannten als die Liste der anerkannten Universalstraftaten berufen: Piraterie, Sklavenhandel, Flugzeugentführungen, Völkermord und Kriegsverbrechen907. Der Ninth Circuit führte § 404 als Beispiel möglicher Universalstraftaten auf, ließ jedoch offen, dass weitere Deliktstatbestände wie Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit das Weltrechtsprinzip „implizieren“ konnten908. Zum anderen legte das Gericht nicht fest, ob in einer konkreten ATSmeinschaft zu einem „matter of universal concern“ erklärt worden sind und deshalb der Strafgerichtsbarkeit aller Länder unterliegen, ohne dass einen territorialen Bezug zum Verfolgerland vorliegen muss. Zum Weltrechtsprinzip siehe Caroline Volkmann, Die Strafverfolgung des Völkermordes nach dem Weltrechtsprinzip (Diss. Mainz 2009). 902 Rio Tinto, 550 F.3d at 831. 903 Rio Tinto, 550 F.3d at 831. 904 Rio Tinto, 550 F.3d at 831. 905 Rio Tinto, 550 F.3d at 832. 906 Rio Tinto, 550 F.3d at 832. 907 Siehe Restatement (Third) of the Foreign Relations Law of the United States § 404: „A state has jurisdiction to define and prescribe punishment for certain offenses recognized by the community of nations as of universal concern, such as piracy, slave trade, attacks on or hijacking of aircraft, genocide, war crimes, and perhaps certain acts of terrorism, even where [no other basis of jurisdiction] is present“. 908 Siehe Rio Tinto, 550 F.3d at 831. Gemeint war damit vielleicht, dass Straftaten wie z. B. Folter zur Förderung von Zwangsarbeit oder Kriegsverbrechen begangen werden konnten. Allerdings beließ das Ninth Circuit seine Ausführungen bei der im Haupttext erwähnten rätselhaften Formulierung.
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Klage mit einer Universalstraftat zum Gegenstand das aus dem Weltrechtsprinzip herrührende Interesse an Verfolgung oder der fehlende Bezug zu den USA überwiegen sollte. Die nachfolgende Neuverhandlung von Rio Tinto vor dem District Court gab Aufschlüsse über die Art und Weise, wie der Ninth Circuit das Erfordernis der Erschöpfung zu handhaben gedachte. Aufgabe des Central District of California war es, anhand der eben ausgeführten Entscheidung des Ninth Circuit festzustellen, dass die Erschöpfung des papua-neuguineischen Rechtswegs von den Klägern der Rio TintoKlage erfordert werden sollte909. In einem ersten Schritt bewertete der District Court die Stärke des Inlandsbezugs der Rio Tinto-Klage. Angesichts der Tatsachen, dass Rio Tintos US-Kontakte nichts mit der ATS-Klage zu tun hatten und dass die USA keine inhärenten Interessen an den Ansprüche papua-neuguineischer Angehöriger hatten, schloss das Gericht, dass der Inlandsbezug von Rio Tinto „schwach“ war910. In einem zweiten Schritt fragte der District Court, ob ein „matter of universal concern“ vorlag. Bei dieser Feststellung war für das Gericht ausschlaggebend, ob ein Verbrechen universell verdammt wurde, aber die inhaltliche Bestimmtheit der dem Verbrechen zugrundeliegenden Völkerrechtsnorm war für das Gericht auch relevant. Als Basis ging das Gericht davon aus, dass alle in § 404 Restatement (Third) Foreign Relations aufgeführten Tatbestände „matters of universal concern“ darstellten911. Hierzu legte das Gericht fest, dass weitere „heinous offenses like genocide, crimes against humanity, and war crimes“ als Universalstraftaten zum Zwecke der Erschöpfungsprüfung anzusehen waren, weil sie von der Staatengemeinschaft einhellig als besonders verwerflich geahndet würden912. Auf dieser Grundlage befand das Gericht, dass die Ansprüche der Kläger wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord913, Kriegsverbrechen914 und rassischer Diskriminierung915 „matters
909
Siehe Sarei v. Rio Tinto PLC, 650 F. Supp. 2d 1004, 1014 ff. (C.D. Cal. 2009). Rio Tinto, 650 F. Supp. 2d at 1014 ff. 911 Rio Tinto, 650 F. Supp. 2d at 1020. Diese Feststellung führte das Gericht auf den Wortlaut von § 404 Restatement (Third) Foreign Relations zurück: „A state has jurisdiction to define and prescribe punishment for certain offenses recognized by the community of nations as of universal concern …“ (Hervorhebung des Verfassers). 912 Rio Tinto, 650 F. Supp. 2d at 1021. Die Qualifizierung von Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Universalstraftaten entnahm das Gericht einem Zitat in einer concurring opinion zur eben dargelegten Entscheidung des Ninth Circuit, siehe Sarei v. Rio Tinto, Plc, 550 F.3d 822, 845 (9th Cir. 2008) (Reinhardt, J., concurring) („[The] ATS recognizes jurisdiction only for violations of ,a norm of international character accepted by the civilized world‘ and ,defined with a specificity‘ comparable to the 18th century norm prohibiting piracy. … These are heinous offences like genocide, crimes against humanity, and war crimes“). 913 Die Begründung: „Genocide … is one of the matters of ,universal concern‘ identified in section 404 of the Restatement, and both genocide and crimes against humanity are among the ,heinous crimes‘ mentioned by Judge Reinhardt in his [concurrence]“. Rio Tinto, 650 F. Supp. 2d at 1023. 910
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of universal concern“ darstellten916. Der dritte Schritt des District Court war jedoch der Wichtigste: Das Gericht legte als Regel fest, dass das Vorliegen einer Universalstraftat das Fehlen eines Inlandsbezugs überwog: „While the nexus between plaintiffs’ claims and the United States is weak, the court believes that this consideration is outweighed by the ,heinous‘ nature of the allegations on which the claims are based“917. Das hatte zur Folge, dass aus seiner Sicht Universalstraftaten grundsätzlich keinem Erfordernis der Erschöpfung unterlagen918. Dementsprechend ließ der District Court die Ansprüche gegen Rio Tinto wegen Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und systematischer rassischer Diskriminierung zu, ohne die vorherige Erschöpfung des papua-neuguineischen Rechtswegs zu erfordern. Gegen die Entscheidung des District Court legte Rio Tinto Rechtsmittel beim Ninth Circuit ein. Der Ninth Circuit nahm die Berufung an und bestätigte die Entscheidung des District Court919. Hierbei schwächte der Ninth Circuit jedoch den Leitsatz des District Court ab, dass das Vorliegen von Universalstraftaten das Fehlen eines Inlandsbezugs überwinden könne. Es befand nur, dass der District Court sein Ermessen nicht missbraucht hatte, indem es in der konkreten Klage gegen Rio Tinto keine Erschöpfung hinsichtlich einiger Ansprüche der Kläger erfordert hatte920. Dieses Ergebnis ließ die Möglichkeit einer Erschöpfung als ernstzunehmende Hürde für jede künftige ATS-Klage vor Gerichten des Ninth Circuit erscheinen. Obwohl das so gestaltete Erfordernis der Erschöpfung nicht auf jede ATS-Klage anwendbar war, stellte es ausländischen Kapitalgesellschaften ein Mittel zur Verfügung, um eine der Abweisung gleichkommenden Entscheidung am Anfang des Verfahrens zu erwirken. Und weil ein District Court die Erschöpfungsentscheidung nach freiem Ermessen traf, würde sie so gut wie endgültig sein921 – so viel hat die
914 Rio Tinto, 650 F. Supp. 2d at 1023 („War crimes are one of the matters of ,universal concern‘ listed in section 404 of the Restatement, and federal courts have long recognized that alleged violations of the law of war give rise to an actionable ATCA claim“). 915 Rio Tinto, 650 F. Supp. 2d at 1028 („Acts of [systematic] racial discrimination are violations of jus cogens law … states may exercise universal jurisdiction over acts committed in violation of jus cogens norms“). 916 Rio Tinto, 650 F. Supp. 2d at 1022 – 1031. Das Gericht verneinte hierbei, dass Ansprüche wegen grausamer Behandlung, Umweltschädigung und wiederholter schwerer Menschenrechtsverletzungen „matters of universal concern“ darstellten. 917 Rio Tinto, 650 F. Supp. 2d at 1031. 918 „[F]or [this] reason [the Court] concludes that it should not, as a prudential matter, impose an exhaustion requirement with respect to the claims [that constitute ,matters of universal concern‘]“. Rio Tinto, 650 F. Supp. 2d at 1031. 919 Siehe Sarei v. Rio Tinto, PLC, 671 F.3d 736 (9th Cir. 2011) (en banc). 920 Rio Tinto, 671 F.3d at 754 – 755. 921 Nach amerikanischem Verfahrensrecht dürfen Entscheidungen, die die District Courts nach freiem Ermessen treffen, nur bei Missbrauch ihres Ermessens aufgehoben werden. Dementsprechend werden Ermessensentscheidungen nur selten geändert oder aufgehoben.
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Entscheidung des Ninth Circuit festgestellt. Vor diesem Hintergrund war es sicher, dass jedes ausländische Unternehmen einen entsprechenden Antrag auf Erschöpfung stellen würde und dass damit mehrere Monate der Vorverhandlung – und möglicherweise ein Zwischengang vor die Berufungsinstanz – der Erschöpfungsfrage gewidmet würden. ATS-Klagen waren für Kläger im Ninth Circuit zugleich unsicherer und teurer geworden. 3. Second Circuit: „aiding and abetting“ erfordert absichtliches Handeln Eine schwere Einschränkung für ATS-Klagen, die auf Beihilfehaftung stützten, erging 2009 in der Entscheidung des Second Circuit in Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc.922. In dieser Entscheidung erhöhte der Second Circuit die subjektiven Voraussetzungen für Beihilfehaftung. a) Probleme in der Beihilferechtsprechung der District Courts bis 2009 Frühe Entscheidung der Zweiten Welle wie Doe v. Unocal sowie eine Entscheidung des Southern District of New York in Talisman hatten die Möglichkeit der Beihilfehaftung in die ATS-Rechtsprechung eingeführt923. Nach der Entscheidung des Supreme Court in Sosa v. Alvarez-Machain wurde die fortwährende Zulässigkeit der Beihilfehaftung in ATS-Klagen unter Berufung auf „universal, specific und obligatory“-Normen des Völkergewohnheitsrechts bestätigt924. Die Voraussetzungen für Haftung wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen entnahmen die frühen Entscheidungen der Zweiten Welle dem „aiding and abetting“-Test des Internationalen Straftribunals für das ehemalige Jugoslawien: Haftung wegen Beihilfe setze voraus, dass eine Beihilfehandlung (actus reus) vorliege, die der Beklagte mit dem erforderlichen Grad an Unrechtsbewusstsein (mens rea) vorgenommen habe925. Eine Behilfehandlung (actus reus) sei gegeben, wenn der Beklagte „practical assistance, encouragement, or moral support“ geleistet habe, die eine wesentliche Auswirkung auf die Tatbegehung hatte926. Als wesentlich gelte eine Handlung bereits, wenn die Tat nicht oder nicht auf dieselbe Weise ohne den Beitrag Siehe z. B. Martha Davis, Standards of Review: Judicial Review of Discretionary Decisionmaking, 2 J. App. Prac. & Process 47 (2000). 922 Siehe Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, 582 F.3d 244, 259 (2d Cir. 2009). 923 Siehe Abschnitt B. II. 3. b) dieses Kapitels, oben. 924 Siehe Abschnitt B. IV. 4. dieses Kapitels, oben. 925 Siehe Doe v. Unocal Corp., 395 F.3d 932, 950 (9th Cir. 2002). 926 Unocal, 395 F.3d at 950 (Zitat von Prosecutor v. Furundzija, IT-95-17/1-T (Int’l Crim. Trib. for Former Yugoslavia Trial Chamber Dec. 10, 1998), para. 235).
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des angeblichen Beihelfers begangen worden wäre927. Das Vorliegen des erforderlichen Unrechtsbewusstseins (mens rea) sei hingegen zu bejahen, wenn der Teilnehmer wisse oder wissen sollte, dass seine Handlung die Tatbegehung erleichtere928. Hierbei müsse der Teilnehmer keine Kenntnis über genaue Verbrechen besitzen, es reiche aus, wenn er wisse, dass Verbrechen wahrscheinlich begangen werde und dass sein Tatbeitrag deren Begehung erleichtere929. Ab 2005 fingen Gerichte an, diesen Test für problematisch zu halten. Das Hauptproblem lag in der Tatsache, dass die bloße Aufnahme einer Wirtschaftstätigkeit in der Dritten Welt die Voraussetzungen des „aiding and abetting“-Tests erfüllte, solange bei Aufnahme der Tätigkeit hinreichend wahrscheinlich war, dass das Regime des Landes irgendeine Menschenrechtsverletzung begehen würde. Kam es dann tatsächlich zu Menschenrechtsverletzungen, konnten Kläger im Anschluss behaupten, der investierende Konzern habe über die Kenntnis verfügt, dass Verbrechen „wahrscheinlich begangen würden“, und dass die Verbrechen ohne seine Investition „nicht auf dieselbe Weise“ begangen worden wären. Dieses Ergebnis ging aus Sicht der District Courts zu weit: „It is (or should be) undisputed that simply doing business with a state or individual who violates the law of nations is insufficient to create liability under customary international law. International law does not impose liability for declining to boycott a pariah state or to shun a war criminal“930.
Dementsprechend fingen die District Courts an, den „aiding and abetting„-Test enger auszulegen. In In re South African Apartheid Litigation hat das Southern District of New York eine eingehende Prüfung der vorgeworfenen Beihilfehandlung angeordnet, um ihre Eignung für die Unterstützung von Menschenrechtsverletzungen festzustellen. Weise die Wirtschaftstätigkeit eines Konzerns in einem anderen Staat eine offensichtliche Eignung zur Begehung einer Menschenrechtsverletzung auf, könne es als Beihilfehandlung in Betracht kommen, ansonsten sei das Vorliegen einer Beihilfehandlung zu verneinen931. Nach diesem Maßstab kam die Anlieferung von Panzerfahrzeugen an das südafrikanische Militär als Beihilfehandlung in Betracht, während die Gewährung von Krediten an die südafrikanische Regierung keine Beihilfehandlung darstellte932. In der erstinstanzlichen Entscheidung von Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc. hat das Southern District of New York hingegen den subjektiven Tatbestand des „aiding and abetting“-Tests um ein Erfordernis der Absicht erweitert, 927 Unocal, 395 F.3d at 950 (Zitat von Prosecutor v. Tadic, ICTY-94-1 (Int’l Crim. Trib. for Former Yugoslavia Trial Chamber May 7, 1997), para. 688). 928 Unocal, 395 F.3d at 951 (Zitat von Prosecutor v. Furundzija, para. 245). 929 Unocal, 395 F.3d at 951 (Zitat von Prosecutor v. Furundzija, para. 245). 930 In Re South African Apartheid Litigation, 617 F. Supp. 2d 228, 257 (S.D.N.Y. 2009). 931 In Re South African Apartheid Litigation, 617 F. Supp. 2d at 257 – 258. 932 In Re South African Apartheid Litigation, 617 F. Supp. 2d at 258.
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durch eine Wirtschaftstätigkeit die Verübung der in der ATS-Klage streitgegenständlichen Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen933. Talisman war die Klage sudanesischer Angehöriger gegen den kanadischen Ölkonzern Talisman Energy, dem sie die Beihilfe zur Säuberungskampagne des islamistischen sudanesischen Militärs vorwarfen. Die Beihilfe Talismans stützten die Kläger auf die Tatsachen, dass Talisman im Rahmen seiner Ölförderung u. a. Flugplätze erbaut, Gebiete im Süd-Sudan als Ölfelder designiert und dem sudanesischen Regime Förderungsabgaben entrichtet hatten934. Vor diesem Hintergrund gab sich das Southern District of New York mit der „mens rea“-Vorgabe des „aiding and abetting“-Tests zufrieden, wonach die bloße Kenntnis, dass die sudanesische Armee irgendeine Menschenrechtsverletzung begehen würde, ausgereicht hätte, um Talismans Beihilfe zu bejahen. Aus Sicht des Gerichts hätte die Einhaltung dieser Vorgabe bedeutet, dass jede auch rechtmäßige Wirtschaftstätigkeit in Krisenregionen als haftbare Beihilfe zu qualifizieren wäre: „The activities which the plaintiffs identify as assisting the Government in committing crimes against humanity and war crimes generally accompany any natural resource development business or the creation of any industry. … For instance, designating acreage for exploration is an essential component of any exploration for and development of natural resources. Upgrading airstrips is critical to the safe delivery of supplies for and transport of personnel. Similarly, paying royalties is customary, as is the payment of taxes and duties“935.
Aus diesem Grund befand das Gericht, dass Beihilfe nicht nur die Kenntnis eines Konzerns erforderte, dass seine Wirtschaftstätigkeit die Begehung irgendeiner Menschenrechtsverletzung unterstützen könnte, sondern vielmehr seine Absicht voraussetzte, die konkreten Menschenrechtsverletzungen der jeweiligen ATS-Klage zu erleichtern: „[A] plaintiff must be able to show that the business activity, which would otherwise appear to be a normal component of the conduct of a lawful business, was in fact specifically directed to assist another to commit a crime against humanity or a war crime“936. Unter Anwendung dieses Maßstabs befand das Gericht, dass die Kläger keine Beweise vorgelegt hatten, die auf eine Absicht Talismans schließen ließen, durch Ölförderung die ethnischen Säuberungen des sudanesischen Militärs zu unterstützen937. Es wies deshalb sämtliche Ansprüche gegen Talisman ab.
933
2006). 934 935 936 937
Siehe Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, 453 F. Supp. 2d 633 (S.D.N.Y. Siehe Talisman, 453 F. Supp. 2d at 642 ff. Talisman, 453 F. Supp. 2d at 672. Talisman, 453 F. Supp. 2d at 672. Talisman, 453 F. Supp. 2d at 673 ff.
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Kap. 2: Die Zweite Welle
b) Entscheidung des Second Circuit von 2009 2009 bestätigte der Second Circuit die Entscheidung des Southern District of New York938. In seiner Entscheidung gab der Second Circuit den Überlegungen des District Court eine dogmatischen Hintergrund und verkündete auf dieser Grundlage, dass Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen nur dann gegeben war, wenn der Beklagte mit der Absicht gehandelt hatte, die Begehung der im jeweiligen ATSVerfahren streitgegenständlichen Menschenrechtsverletzungen zu erleichtern. Das Erfordernis eines auf Absicht abstellenden subjektiven Tatbestands für Beihilfehaftung begründete der Second Circuit unter Verweis auf das Völkergewohnheitsrecht. Nach Meinung des Gerichts erforderte das Völkergewohnheitsrecht nicht nur die bloße Kenntnis eines Beklagten, dass er die Verübung irgendeiner Menschenrechtsverletzung erleichtere, sondern auch den subjektiven Vorsatz, zur Begehung der Menschenrechtsverletzung beizutragen939. Der Second Circuit leitete diesen Schluss aus einer Fortentwicklung des Völkerrechts ab. Nach Ansicht des Gerichts hatte sich das Völkerrecht seit der Errichtung des ICTY fortentwickelt, sodass der Haftung-wegen-bloßer-Kenntnis-Maßstab dessen Rechtsprechung nicht mehr das Völkergewohnheitsrecht zur Beihilfehaftung reflektierte. Der Second Circuit wies darauf hin, dass die Voraussetzungen für Beihilfehaftung im Jahr 1998 in Art. 25 vom römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs kodifiziert worden sind940, und dass, da das Statut mittlerweile von 139 Ländern unterzeichnet worden sei, das römische Statut den aktuellen Konsens der Staatengemeinschaft zur Beihilfehaftung darstelle941. Nach seinem Art. 25 könne ein Beklagter nur dann Beihilfe leisten, wenn er mit dem subjektiven Zweck handle, einer anderen Person die
938 Siehe Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 582 F.3d 244 (2d Cir. 2009). 939 Siehe Talisman, 582 F.3d at 244 ff. Die Begründung der Entscheidung des Second Circuit wurde bereits 2007 in einer concurring opinion von Judge Katzmann aufgestellt, siehe Khulumani v. Barclay Nat. Bank Ltd., 504 F.3d 254, 264 ff. (2d Cir. 2007) (Katzmann, j., concurring). In Talisman hat das Second Circuit Judge Katzmanns concurring opinion als fortan gültiges Recht adoptiert. 940 Siehe römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, Art. 25 Nr. 3 lit. c) – d): „In Übereinstimmung mit diesem Statut ist für ein … Verbrechen strafrechtlich verantwortlich und strafbar, wer [] zur Erleichterung eines solchen Verbrechens Beihilfe oder sonstige Unterstützung bei seiner Begehung oder versuchten Begehung leistet, einschließlich der Bereitstellung der Mittel für die Begehung; oder auf sonstige Weise zur Begehung oder versuchten Begehung eines solchen Verbrechens durch eine mit einem gemeinsamen Ziel handelnde Gruppe von Personen beiträgt. Ein derartiger Beitrag muss vorsätzlich sein und entweder i) mit dem Ziel geleistet werden, die kriminelle Tätigkeit oder die strafbare Absicht der Gruppe zu fördern, soweit sich diese auf die Begehung eines der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechens beziehen, oder ii) in Kenntnis des Vorsatzes der Gruppe, das Verbrechen zu begehen, geleistet werden“. 941 „[The Rome Statute] reflects an international consensus on the issue of the appropriate standard for determining liability for aiding-and-abetting“. Khulumani, 504 F. 3d at 333.
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Verübung einer Menschenrechtsverletzung zu erleichtern942. Seine bloße Kenntnis hingegen, dass er womöglich die Verübung einer Menschenrechtsverletzung erleichtere, reiche nach Art. 25 des römischen Statuts nicht mehr aus, um seine Haftung wegen Beihilfe zu begründen. Diese strengere Ausgestaltung des subjektiven Tatbestands der Beihilfehaftung sah der Second Circuit durch die zur Zeit seiner Entscheidung einzig existierende internationale Auslegung von Art. 25 des römischen Statuts, nämlich durch die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen für Osttimor, bestätigt: „With regard to facilitating the commission of a crime, the aider and abettor must act with ,purpose‘. … This means more than the mere knowledge that the accomplice aids the commission of the offence, as would suffice for complicity according to the … ICTY Statutes, rather he must know as well as wish that his assistance shall facilitate the commission of the crime“943.
Aus diesen Gründen legte der Second Circuit fest, dass Beihilfehaftung im Sinne des ATS den subjektiven Zweck erforderte, eine Menschenrechtsverletzung zu erleichtern: „We hold that the mens rea standard for aiding and abetting liability in ATS actions is purpose rather than knowledge alone“944. c) Ausgang des Verfahrens und Fazit zur Beihilfehaftung Für ATS-Kläger war der neue subjektive Tatbestand des Second Circuit eine massive Hürde. Der Ausgang von Talisman ein gutes Beispiel: Die Kläger konnten nachweisen, dass das beklagte Energieunternehmen gewusst hatte, dass das sudanesische Militär mit Gewalt eine „Pufferzone“ um seine Ölfelder erschaffen und dass sich diese Gewalt gegen unbeteiligte Zivilisten richten würde. Trotzdem konnten die Kläger nicht nachweisen, dass das Unternehmen durch bloße Zusammenarbeit mit der sudanesischen Militärregierung den Zweck verfolgt hatte, die nachfolgenden Zwangsumsiedlungen und Bombardements örtlicher Dörfer zu erleichtern945. 942 „[A] defendant is guilty of aiding-and-abetting the commission of a crime only if he does so ,[f]or the purpose of facilitating the commission of such a crime‘“. Khulumani, 504 F. 3d at 332, zustimmend Talisman, 582 F.3d at 259 („Thus, applying international law, we hold that the mens rea standard for aiding and abetting liability in ATS actions is purpose rather than knowledge alone“ (mit Zitat auf die concurring opinion von Judge Katzmann in Khulumani)). 943 Khulumani, 504 F. 3d at 332 (Zitat von Albin Eser, Individual Criminal Responsibility, in 1 The Rome Statute of the International Criminal Court 767, 801 (Antonio Cassese et al., Hrsg. 2002). 944 Talisman, 582 F.3d at 259. 945 Nach einiger Beweiserhebung durch Discovery schien das Gegenteil der Fall zu sein: „Plaintiffs do not suggest in their briefs that Talisman was a partisan in regional, religious, or ethnic hostilities, or that Talisman acted with the purpose to assist persecution. To the contrary, the actions of the Sudanese government threatened the security of the company’s operations, tarnished its reputation, angered its employees and management, and ultimately forced Talisman to abandon the venture“. Talisman, 582 F.3d at 263.
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Kap. 2: Die Zweite Welle
Die Entscheidung in Talisman ließ die Wirtschaft aufatmen. Ein zweites Unocal war nun – zumindest in der litigation-Hochburg des Second Circuit – nicht mehr möglich. Stattdessen mussten Kläger ein Wollen bzw. ein konkretes Vorhaben einer beklagten Gesellschaft nachweisen, an der Begehung von Menschenrechtsverletzungen mitzuwirken, um ihre Haftung wegen Beihilfe zu begründen. Dies ließ sich vermeiden. Solange man das industrieübliche Geschäft betrieb, war eine ATSHaftung wegen Beihilfe nun viel unwahrscheinlicher geworden. 4. Eleventh Circuit: „heightened pleading standards“ Der Eleventh Circuit hat eine oft übersehene aber sehr effektive Hürde für ATSKlagen geschaffen: In seiner Entscheidung in Sinaltrainal v. Coca-Cola Co.946 hat es höhere Anforderungen an die Klageschrift aller ATS-Klagen gestellt. a) Die zu tragende Darlegungslast im Sachvortrag der Klageschrift Der Hintergrund dieser Einschränkung war ein technisches Fachgebiet amerikanischen Verfahrensrechts: Die Strenge der Darlegungslast des Klägers im Sachvortrag der Klageschrift. Bis 2007 mussten Klageschriften nur den Anforderungen des sog. „notice pleading“ genügen, um ihre Darlegungslast zu erfüllen. „Notice pleading“ bedeutete im Grunde, dass die Klageschrift lediglich als eine Art Klagebescheid dienen musste. Der Tatsachenvortrag des Klägers musste den Beklagten über die Vorfälle informieren, die den Gegenstand der Klage bildeten, sowie über die Rechtsverletzungen, die ihm zur Last gelegt werden, in Kenntnis setzen, damit er mit seiner Verteidigung anfangen konnte947. Einzeldetails über das, was der Beklagte getan haben sollte, mussten nicht aufgeführt werden. Dies war eine gewollt niedrige Hürde, um dem Kläger den Gerichtsgang zu erleichtern. Entsprechend prüften Gerichte den Sachvortrag des Klägers nur dahingehend, ob er die geltend gemachten Rechtsansprüche tragen könnte, falls er durch Discovery bewiesen würde. Substantiiertes Darlegen und das Anführen von Lebenssachverhalt waren keineswegs erforderlich; es genügte, dass die Klageschrift eine Verletzung schilderte und die Haftung des Beklagten dafür abstrakt-konklusorisch behauptete. Unocal war ein gutes Beispiel hiervon: Der Sachvortrag der Kläger schilderte Zwangsarbeit und Folter in Myanmar und warf darauf mit einem Satz und ohne weitere Details vor, myanmarische Truppen hätten als „agents“ von Unocal gehandelt948. Diese Darlegung genügte, ohne dass sie irgendeine weitere Tatsache zur 946
Siehe Sinaltrainal v. Coca-Cola Co., 578 F.3d 1252 (11th Cir. 2009). Diese etwas niedrigen Anforderungen gehen aus Federal Rule of Civil Procedure 8 (a) (2) hervor: „A pleading that states a claim for relief must contain a short and plain statement of the claim showing that the pleader is entitled to relief“. 948 Siehe Doe v. Unocal Corp., 963 F. Supp. 2d 880 (C.D. Cal. 1997). 947
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Basis des „agency“-Verhältnisses darlegte, um Ansprüche gegen Unocal wegen Beihilfe zu den genannten Menschenrechtsverletzungen zuzulassen. Im Jahre 2007 hat der Supreme Court die Anforderungen an den Sachvortrag des Klägers in Kartellrechtsklagen erhöht949. Besondere Strenge war aus Sicht des Gerichts geboten, weil kartellrechtliche Klagen ungeheuer teuer und deswegen besonders anfällig für Missbrauch durch mutwillige Kläger waren. Die leichte Darlegungslast sollte nicht zum Freibrief werden, „in terrorem“-Vergleiche von Beklagten zu erzwingen950. Deshalb legte der Supreme Court bei Kartellrechtsklagen fest, dass die Klageschrift einen hinreichend substantiierten Sachvortrag enthalten musste, um die Haftung des Beklagten nicht nur möglich, sondern auch aufgrund bestimmter Tatsachen plausibel erscheinen zu lassen. Demnach war es nicht mehr ausreichend, eine Verletzung zu schildern und die Haftung des Beklagten abstrakt/ konklusorisch zu behaupten. Stattdessen mussten Kläger genaue Daten, Personen, Orte und weitere solche Details darlegen, sodass sich die gegen den Beklagten geltend gemachten Ansprüche auf bestimmte Tatsachen stützten. b) Die Erstreckung erhöhter Darlegungsanforderungen auf ATS-Klagen 2009 hat der Supreme Court diese Anforderungen für Kartellrechtsklagen auf alle Klagetypen erstreckt, die eine teure Discovery nach sich ziehen und deswegen missbrauchsanfällig sind951. Kurz darauf wandte der Eleventh Circuit diese neuen, für missbrauchsanfällige Klagen bestimmten, erhöhten Darlegungsanforderungen auf die Ansprüche der ATS-Klage Sinaltrainal v. Coca-Cola Co. an952. Damit stand fest, dass im Eleventh Circuit ATS-Klagen zu den als missbrauchsanfällig erachteten Klagetypen gehörten und deswegen nur aufgrund eines substantiierten Sachvortrags in der Klageschrift zulässig waren953. 949
Siehe Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S. 544 (2007). Twombly war der Inbegriff eines Versuchs, einen „in terrorem“ Vergleich zu erzwingen. Ein Kläger verklagte 90 % des amerikanischen Mobiltelefonmarkts wegen angeblicher illegaler Preisabsprachen und ersuchte die Zulassung einer class action, um die Ansprüche aller amerikanischen Mobilfunkteilnehmer gegen ihre Anbieter zu vertreten. Dies hätte eine Klage aller amerikanischen Mobiltelefonnutzer gegen alle amerikanischen Mobilfunkanbieter bedeutet. Siehe Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S. 544 (2007). 951 Siehe Aschroft v. Iqbal, 556 U.S. 662 (2009). 952 Siehe Sinaltrainal v. Coca-Cola Co., 578 F.3d 1252 (11th Cir. 2009). 953 Der Eleventh Circuit hat nicht begründet, warum es ATS-Klagen als missbrauchsgefährdet betrachtete bzw. warum es ATS-Klagen als geeignet für erhöhte Darlegungsanforderungen hielte. In den Augen von Kommentatoren war jedoch die Einstufung von ATS-Klagen als missbrauchsgefährdet zu erwarten und begründet: „The imposition of the Twombly standard on ATS claims was not surprising. The similarities between antitrust and ATS law when it comes to discovery costs – the main concern behind application of the heightened pleading standard – also make it an easy step for courts to take. In both antitrust and ATS litigation, the defendants tend to be multi-billion dollar corporations, and in both situations, discovery tends to be time 950
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Kap. 2: Die Zweite Welle
Für ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften, denen Beihilfe oder eine ähnliche sekundäre Haftung vorgeworfen wurde, war dies eine sehr ernstzunehmende Hürde, weil es die bisherige Praxis auf den Kopf stellte. Bisher hatten NGOs Klagen aufgrund detailarmer Sachvorträge eingeleitet und Discovery eingesetzt, um an die eigentlichen Einzelheiten der Klage zu kommen. Nun mussten sie bereits vor Einleitung der Klage eine private Discovery durchführen, um einen hinreichend substantiierten Sachvortrag überhaupt darlegen zu können. Ein gutes Beispiel der Schwierigkeiten, die für ATS-Kläger hierdurch entstanden, war in der Entscheidung des Eleventh Circuit in Sinaltrainal zu sehen. In dem Fall warfen kolumbianische Kläger Coca-Cola vor, Einheiten der paramilitärischen kolumbianischen Armee AUC zur Ermordung von Gewerkschaftern angeheuert zu haben954. Für die Qualifizierung dieser Ermordungen als die Menschenrechtsverletzung der außergerichtlichen Hinrichtung war hoheitliches Handeln erforderlich955. Dementsprechend mussten die Kläger in der Klageschrift vortragen, warum die paramilitärische Armee AUC, die einen Guerilla-Krieg gegen Linke und Gewerkschafter führte, als Hoheitsträger anzusehen war. Die Klageschrift legte dar, dass die relevanten FARC-Einheiten von der kolumbianischen Regierung registriert und geduldet worden und deswegen als der tatsächliche Hoheitsträger innerhalb der von ihnen kontrollierten Gebieten anzusehen waren. Für den Eleventh Circuit war jedoch dieser Vortrag nicht hinreichend substantiiert: Es seien keine Fakten über tatsächliche Zusammenarbeit bzw. Absprachen zwischen FARC und Regierung dargelegt worden, die einen Schluss zuließen, dass die relevanten Einheiten zur Zeit der Erschießungen auch nur unter der scheinbaren Autorisierung des Staates gehandelt hätten956. Stattdessen stünde nur die nackte Behauptung im Raum, dass paramilitärische Einheiten als Hoheitsträger anzusehen seien.
consuming and costly“. Rosaleen O’Gara, Procedural Dismissals Under the Alien Tort Statute, 52 Ariz. L. Rev. 797, 808 – 09 (2011). Vgl. auch Amanda Sue Nichols, Alien Tort Statute Accomplice Liability Cases: Should Courts Apply the Plausibility Pleading Standard of Bell Atlantic v. Twombly?, 76 Fordham L. Rev. 2177 (2008). 954 Zum Sachverhalt von Sinaltrainal siehe Abschnitt A. III. 2. b) aa) dieses Kapitels, oben. 955 Hoheitliches Handeln wird für den Deliktstatbestand der außergerichtlichen Hinrichtung mindestens seit Karadzic erfordert, siehe den Abschnitt zu Karadzic in Kapitel 1, Abschnitt B. III. 956 Siehe Sinaltrainal, 578 F.3d at 1265: „Allegations the Colombian government tolerated and permitted the paramilitary forces to exist are insufficient to plead the paramilitary forces were state actors. The plaintiffs make the naked allegation the paramilitaries were in a ,symbiotic relationship‘ with the Colombian government and thus were state actors. … There is no suggestion the Colombian government was involved in, much less aware of, the murder and torture alleged in the complaints. The plaintiffs’ ,formulaic recitation‘[] that the paramilitary forces were in a symbiotic relationship and were assisted by the Colombian government, absent any factual allegations to support this legal conclusion, is insufficient to state an allegation of state action that is plausible on its face“.
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Resultat dieser erhöhten Anforderungen an ATS-Klageschriften war eine Verteuerung jeder ATS-Klage957. Fortan mussten Kläger ohne Discovery vor Erhebung der Klage genug Tatsachen ermitteln, um einen substantiierten Sachvortrag zu verfassen. Diese Tatsachen mussten oft in anderen Ländern und gefährlichen Gebieten gesammelt werden. Faktisch bedeutete dies hohe Auslagen schon vor Anfang der ATS-Klage. Es bedeutete auch, dass beklagte Unternehmen den Sachvortrag jeder ATS-Klageschrift automatisch als unsubstantiiert bemängeln würden. Und weil ATS-Verfahren nicht zu Discovery und Vorverhandlung fortschreiten können, ehe die Klageschrift zugelassen wird, zog dieser unumgängliche Streit um die Darlegung der Klageschrift das gesamte Verfahren in die Länge. 5. Die Einschränkung der internationalen Zuständigkeit der Bundesgerichte a) Die Lage bis 2010: Wiwa erweitert die Zuständigkeit der Bundesgerichte Im Abschnitt B. II. 2. a) aa) dieses Kapitels wurden die allgemeinen Prinzipien der persönlichen Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte dargelegt. Im selben Abschnitt wurde die Entscheidung des Second Circuit in Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co. geschildert958. In Wiwa hatte der Second Circuit den sog. „agency test“ angewandt, um die Forumkontakte von Shells amerikanischem Investor Relations Office an den britisch-niederländischen Mutterkonzern zuzurechnen. Anhand dieser Zurechnung wurde einen allgemeinen Gerichtsstand von Shell in New York begründet. Der agency test lässt die Zurechnung der Kontakte einer amerikanischen Tochtergesellschaft an die ausländische Mutter zum Zwecke der Zuständigkeitsbegründung zu, wenn die Tochter nicht als eigenständig, sondern als bloße Außenstelle der Mutter in den USA (ein „agent“) anzusehen ist959. Dies ist der Fall, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: (1) Die Tätigkeiten der Tochter sind für das Geschäft 957 Siehe hierzu O’Gara, Procedural Dismissals under the Alien Tort Statute, S. 797 ff.; Nichols, Alien Tort Statute Accomplice Liability Cases, S. 2177 ff. 958 Für einen detaillierten Sachverhalt von Wiwa, siehe Abschnitt A. III. 1. b) aa) dieses Kapitels; für die Diskussion des agency-Tests, siehe Abschnitt B. II. 3. c) dd) dieses Kapitels, oben. 959 Die Zulässigkeit des „agency test“ sah das Gericht in ständiger Rechtsprechung der New Yorker Gerichte gegeben: „[A] court of New York may assert jurisdiction over a foreign corporation when it affiliates itself with a New York representative entity and that New York representative renders services on behalf of the foreign corporation that go beyond mere solicitation and are sufficiently important to the foreign entity that the corporation itself would perform equivalent services if no agent were available“. Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88, 95 (2d Cir. 2000). Eine Berücksichtigung des due process-Grundsatzes fand nur auf Einspruch des Beklagten statt und eine Verletzung von due process wurde verneint, siehe 226 F.3d at 99 ff.
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der Mutter derart wesentlich, dass, wenn die Tochter sie nicht mehr machte, die Mutter sie selbst übernehmen müsste, und (2) die Mutter steht in einem Beherrschungsverhältnis zur Tochter960. Die Entscheidung in Wiwa mag manchen Konzern beunruhigt haben, aber die Sorgen hielten sich in Grenzen. Wiwa war keine Grundsatzerklärung, sondern basierte auf einem konkreten Sachverhalt. Man konnte investor relations-Tätigkeiten umstrukturieren, um eine Wiwa-ähnliche Zurechnung von der amerikanischen Tochter an die ausländische Mutter zu vermeiden. Damit konnte die Trennung zwischen Tochter und Mutter aufrechterhalten und die Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte für ATS-Klagen gegen die ausländische Muttergesellschaft mehr oder weniger ausgeschlossen werden. b) Bauman v. DaimlerChrysler: Der Ninth Circuit schafft das Trennungsprinzip effektiv ab961 In 2010 hat der Ninth Circuit in Bauman v. DaimlerChrysler Corp.962 eine Entscheidung verkündet, die das Trennungsprinzip im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung abzuschaffen drohte. Bauman war eine ATS-Klage gegen die (deutsche) Daimler AG vor dem Northern District of California. Die Kläger warfen Daimler eine Verwicklung in die Verschleppung und Ermordung argentinischer Gewerkschafter im Mercedes-Werk von Buenos Aires während Argentiniens Militärdiktatur vor. Insofern lag kein Bezug des Falles zu den USA vor. Die Zuständigkeit des kalifornischen Bundesgerichts stützten die Kläger nicht auf die Kontakte der Daimler AG zu den USA, sondern unter Berufung auf den „agency“-Test auf die Geschäftstätigkeiten von Mercedes USA, Daimlers Tochtergesellschaft für Vertrieb in den Vereinigten Staaten. Nach Meinung der Kläger war Mercedes USA eine bloße Außenstelle von Daimler in den USA. Dies sei der Fall, weil der Umsatz von Mercedes USA so hoch sei, dass ihre Tätigkeiten für Daimlers Überleben notwendig seien. Des Weiteren sei in der detaillierten Vertriebsvereinbarung zwischen Daimler und Mercedes USA zu sehen, dass Mercedes USA unter der durchgehenden Kontrolle von Daimler stehe. Der Ninth Circuit stimmte zu und befand, dass Mercedes USA als „agent“ der Daimler AG zum Zwecke der Zuständigkeitsprüfung anzusehen war. Zunächst konstatierte das Gericht, dass die Tätigkeiten von Mercedes USA einen essentiellen Teil von Daimlers weltweitem Geschäft ausmachten: Da der Umsatz von Mercedes USA etwa 19 % von Daimlers weltweitem Volumen betrage, könne Daimler ohne
960
Siehe die Formulierung des Gerichts in der vorigen Fußnote. Für eine sehr ausführliche Diskussion zum Sachverhalt und zur Entscheidung des Ninth Circuit in Bauman inklusive deutschen Reaktionen siehe Kapitel 4, Abschnitt B. IV. 962 Siehe Bauman v. DaimlerChrysler Corp., 644 F.3d 909 (9th Cir. 2011). 961
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seine amerikanische Tochter gar nicht existieren963. Zweitens bejahte der Ninth Circuit ein Beherrschungsverhältnis zwischen Daimler und Mercedes USA. Das Gericht ging die Vertriebsvereinbarung zwischen den Gesellschaften detailliert durch, um festzulegen, dass sich Daimler Kontrollrechte in so vielen wesentlichen Prozessen von Mercedes USA vorbehalten hatte, dass Mercedes USA der effektiven Kontrolle Daimlers unterlag964. An dieser Stelle lag ein „agency“-Verhältnis zum Zwecke der Zuständigkeitsprüfung vor, das die Zurechnung der US-Kontakte von Mercedes USA an Daimler zuließ. Keine Partei bestritt, dass Mercedes USA ausreichende Kontakte mit Kalifornien hatte, um einen allgemeinen Gerichtsstand in Kalifornien zu begründen; es blieb nur festzustellen, ob die Erstreckung der kalifornischen Zuständigkeit auf die deutsche Daimler AG fair im Sinne von due process wäre965. Unter Anwendung von sieben Faktoren befand der Ninth Circuit, dass es fair wäre, das Verfahren gegen Daimler in Kalifornien aufgrund der Tätigkeiten von Mercedes USA zuzulassen966. Durch Mercedes USA habe sich Daimler gezielt zum Teilnehmer am kalifornischen Automarkt gemacht. Daimler habe durch Vertrieb in Kalifornien erhebliche Summen verdient und könne nicht glaubhaft behaupten, dass es ihm eine Belastung sei, in San Francisco einen Prozess zu führen. Des Weiteren sei Deutschlands Interesse an der vorliegenden Klage nicht größer als das der Vereinigten Staaten, weil zur Zeit der Klageerhebung die Hälfte von Daimlers weltweitem Umsatz aus den USA gestammt habe. Aus diesen Gründen bejahte der Ninth Circuit die Zurechnung der Kontakte von Mercedes USA an die Daimler AG, womit ein allgemeiner Gerichtsstand in Kalifornien für Klagen gegen Daimler begründet war. Die Entscheidung in Bauman sprengte jeden Rahmen, der nach Wiwa geblieben war. Unterm Strich legte Bauman folgende Regel fest: Macht eine amerikanische Tochter genug Umsatz, hat die ausländische Mutter einen (zweiten) allgemeinen
963 Bauman, 644 F.3d at 922: „When this suit was filed, the United States market accounted for 19 % of the sales of Mercedes-Benz vehicles worldwide, and [Mercedes USA] sales in California alone accounted for 2.4 % of [Daimler AG’s] total worldwide sales. [Daimler AG] simply could not afford to be without a U.S. distribution system“. 964 Bauman, 644 F.3d at 923 – 924: „[Daimler AG] has the right to control nearly all aspects of [Mercedes USA’s] operations …“. 965 „Once plaintiffs have made the requisite showing of minimum contacts in the forum state, ,[t]he burden … shifts to the defendant to present a compelling case that jurisdiction would be unreasonable‘“. Bauman, 644 F.3d at 924. 966 „We weigh seven factors in resolving th[e question of fairness to the defendant]: [1] the extent of purposeful interjection [into the forum state]; [2] the burden on the defendant; [3] the extent of conflict with sovereignty of the defendant’s state; [4] the forum state’s interest in adjudicating the suit; [5] the most efficient judicial resolution of the dispute; [6] the convenience and effectiveness of relief for the plaintiff; and [7] the existence of an alternative forum“. Bauman, 644 F.3d at 924 – 925. Diese „Fairness“-Faktoren stammten aus früheren jurisdictionEntscheidungen des Ninth Circuit, siehe Sinatra v. Nat’l Enquirer, Inc., 854 F.2d 1191 (9th Cir.1988).
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Gerichtsstand in den USA967. Denn es war nicht möglich, Vertriebsverträge wie der zwischen Daimler und Mercedes USA umzugestalten, ohne die von der Mutter angestrebte Markenbildung/Branding zu gefährden. Nach dem Maßstab des Ninth Circuit waren nun alle ausländischen Konzerne potenzielle ATS-Beklagte, sofern sie einen Vertrieb in den Vereinigten Staaten hatten968. c) Die Entscheidung des Supreme Court in Bauman 2014 nahm der Supreme Court die Revision von Bauman an. Einstimmig hob das Gericht die Entscheidung des Ninth Circuit auf969. Es war klar, dass die Entscheidung des Ninth Circuit für die Richter des Supreme Court zu weit gegangen war970. Obwohl das Gericht den „agency“-Test bzw. die Zurechnung der Forumkontakte einer Tochtergesellschaft nicht in Frage stellte, stellte es eine Neuregelung des allgemeinen Gerichtsstands auf, in deren Folge die Zuständigkeit für ATS-Klagen wie Bauman so gut wie ausgeschlossen war. Zunächst legte der Supreme Court die Regeln für die Bestimmung des allgemeinen Gerichtsstands eines Unternehmens fest. Unter Berufung auf frühere Rechtsprechung konstatierte der Supreme Court, dass eine Kapitalgesellschaft ihren allgemeinen Gerichtsstand grundsätzlich nur in den Bundesstaaten hat, wo sie im Handelsregister eingetragen ist und wo sie ihren Hauptsitz hat971. Sollte sie in einem anderen Bundesstaat verklagt werden, sei die Zuständigkeit des Gerichts grundsätzlich nur im Wege des besonderen Gerichtsstands zu begründen972 : Die Klage müsse aus den Kontakten des Beklagten zum Forumstaat entstehen, um die Zuständigkeit dessen Gerichte auf den Beklagten erstrecken zu können. Ein allgemeiner Gerichtsstand sei hingegen außerhalb der Staaten der Eintragung und des Hauptsitzes nur höchst ausnahmsweise zulässig. Ein im Forumstaat nicht ansässiger Beklagter 967 So wurde das Ergebnis von Bauman in der späteren Entscheidung des Supreme Court aufgefasst: „The Ninth Circuit’s agency theory thus appears to subject foreign corporations to general jurisdiction whenever they have an in-state subsidiary or affiliate“. Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746, 760 (2014). 968 Siehe hierzu z. B. Todd Noelle, at Home in the Outer Limits: DaimlerChrysler v. Bauman and the Bounds of General Personal Jurisdiction, 9 Duke J. Const. Law & P.P. Sidebar 17 (2013); Linda Mullenix, Due Process, General Personal Jurisdiction, and F-Cubed Litigation: The Extraterritorial Reach of American State Courts Over Foreign Nation Corporations for Alleged Human Rights Violations, 1 Preview of Supreme Court Cases 23 (Oct. 7, 2013), aufrufbar unter http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2335510. 969 Siehe Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746 (2014). 970 Die Einigkeit des Gerichts wurde ferner dadurch unterstrichen, indem Justice Ginsburg, die der Durchsetzung von Menschenrechten mittels ATS-Klagen als freundschaftlich galt, die im Folgenden geschilderte Entscheidung verfasste. 971 Bauman, 134 S. Ct. at 639 – 640. 972 „Since International Shoe, ,specific jurisdiction has become the centerpiece of modern jurisdiction theory, while general jurisdiction [has played] a reduced role‘“. Bauman, 134 S. Ct. at 755 (Zitat von Goodyear Dunlop Tires Operations, S.A. v. Brown, 131 S. Ct. 2846, 2854 (2011)).
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habe dort nur dann einen (zusätzlichen) allgemeinen Gerichtsstand, wenn seine Kontakte mit dem Forumstaat derart beständig und systematisch sind, dass man diesen Staat als sein „Zuhause“ betrachten könne973. Als Beispiel einer Gesellschaft, die fern des Ortes ihrer Eintragung und Hauptsitzes „zu Hause“ war, führte der Supreme Court den Sachverhalt von Perkins v. Benguet Consol. Mining Co. auf: Wo ein philippinischer Bergbaukonzern während des Zweiten Weltkriegs seine gesamte Zentrale nach Ohio verlegte, war er während dieser Zeit dort „zu Hause“. Nach Meinung des Gerichts war Perkins beispielgebend für die hohen Anforderungen des „zu Hause“-Standards: Nur wenn es so aussehe, als wäre ein Bundesstaat das wahre Zentrum der Tätigkeiten einer Gesellschaft, könne ein allgemeiner Gerichtsstand bejaht werden974. Unter Berücksichtigung dieses Standards verneinte der Supreme Court, dass die Daimler AG in Kalifornien „zu Hause“ war – auch wenn ihr die Kontakte von Mercedes USA zugerechnet würden. Zunächst wies das Gericht darauf hin, dass weder Daimler noch Mercedes USA in Kalifornien eingetragen waren, und dass weder die eine oder die andere Gesellschaft ihren Hauptsitz in Kalifornien hatte. Des Weiteren gab der Supreme Court zwar zu, dass Mercedes USA einen erheblichen Anteil seines Umsatzes in Kalifornien verdienen möge, aber das Gericht war der Meinung, dass Umsatzzahlen nicht ausreichen, um das „Zuhause“ und damit den allgemeinen Gerichtsstand eines Unternehmens zu bestimmen. Wäre dies der Fall, hätte Mercedes USA (und damit Daimler) einen allgemeinen Gerichtsstand in jedem Bundesstaat der USA, wo sie gute Geschäfte mache. Demnach wären Menschenrechte aus aller Welt in jedem US-Bundesstaat einklagbar, wo die Umsatzzahlen stimmten. Ein derartiges Ergebnis biete keinerlei Rechtssicherheit an und mache es für ausländische Unternehmen unmöglich, ihre Geschäftstätigkeiten nicht nur in den USA, sondern rund um die Welt zu planen975. Aus diesem Grund verneinte der Supreme Court, dass Mercedes USA (und damit Daimler) in Kalifornien „zu Hause“ war. Damit war ein allgemeiner Gerichtsstand Daimlers in Kalifornien ausgeschlossen und die Bauman-Klage wegen mangelnder persönlicher Zuständigkeit des kalifornischen Bundesgerichts für den Beklagten abzuweisen.
973
„[T]he inquiry … is whether [a foreign] corporation’s affiliations with the State are so ,continuous and systematic‘ as to render it essentially at home in the forum State“. Bauman, 134 S. Ct. at 760. 974 Bauman, 134 S. Ct. at 756. 975 „If Daimler’s California activities sufficed to allow adjudication of this Argentina-rooted case in California, the same global reach would presumably be available in every other State in which MBUSA’s sales are sizable. Such exorbitant exercises of all-purpose jurisdiction would scarcely permit out-of-state defendants ,to structure their primary conduct with some minimum assurance as to where that conduct will and will not render them liable to suit‘“. Bauman, 134 S. Ct. at 761 – 762 (Zitat von Burger King Corp. v. Rudzewicz, 471 U.S. 462, 472 (1985)).
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Kap. 2: Die Zweite Welle
d) Ergebnis Ergebnis dieser Entscheidung war, dass der Supreme Court den „agency“-Test des Ninth und Second Circuit zwar nicht in Frage gestellt, aber doch in die Schranken gewiesen hat. Das Gericht legte zugrunde, dass einer ausländischen Muttergesellschaft nur dann der allgemeine Gerichtsstand in einem US-Bundesstaat zugerechnet werden kann, wenn die amerikanische Tochter in dem Forumstaat „zu Hause“ ist. Weil das Gericht das „Zuhause“ der Tochter effektiv als der Staat der Eintragung bzw. der Staat des Hauptsitzes auslegte, konnten potenzielle Beklagte bestimmen, in welchen Bundesstaaten sie wegen Tätigkeiten ohne US-Bezug verklagt werden konnten. Eine wichtige Nebenwirkung dieser Entscheidung war, dass ausländische Beklagte die Anwendung des „agency“-Tests auf ihre amerikanischen Töchter effektiv verhindern konnten. Außerhalb des Second und Ninth Circuits hatten die anderen Circuit Courts den „agency“-Test als due process-widrig verworfen. Der allgemeinere Effekt von Bauman war eine Grundsatzerklärung, dass US-Gerichte die Zuständigkeit für ausländische Gesellschaften nur in Bezug auf ihre Tätigkeiten in den USA ausüben können976. 6. Eleventh Circuit und Second Circuit: Die Rückkehr der forum non conveniens-Doktrin Die forum non conveniens-Dokrin wurde richterrechtlich als korrigierende Maßnahme für die weitgehende Zuständigkeit amerikanischer Gerichte entwickelt. Nach dieser Doktrin kann ein persönlich wie sachlich zuständiges Gericht nach seinem Ermessen eine Klage abweisen, wenn es ein ausländisches Gericht als signifikant geeigneteres Forum für die Verhandlung der vorliegenden Klage betrachtet. Voraussetzung hierfür ist, dass ein adäquates, alternatives Forum existiert und die vom Verfahren belangten privaten und öffentlichen Interessen für eine Verhandlung im Ausland deutlich überwiegen977. Gerichtsentscheidungen der frühen Zweiten Welle hatten bis 2004 die Anwendbarkeit der forum non conveniens-Doktrin in ATS-Klagen scheinbar abgeschafft978. Die Entkoppelung der forum non conveniens-Doktrin von ATS-Klagen hatte hauptsächlich mit der Berufung der Rechtsprechung auf das Weltrechtsprinzip zu tun979. Solange die Verletzung einer einklagbaren – und deswegen als „universell“ anerkannten – Menschenrechtsnorm im Sinne des ATS vorlag, konnten US-Gerichte 976
Siehe hierzu Alan Trammell, A Tale of Two Jurisdictions, 68 Vand. L. Rev. ___ (2014) (im Druck). 977 Für eine eingehende Auffühung der foum non conveniens-Analyse, siehe Abschnitt B. II. 2. b) dieses Kapitels, oben. 978 Siehe Abschnitt B. II. 2. b) cc) dieses Kapitels, oben. 979 Siehe ebd.
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kraft des Weltrechtsprinzips automatisch ein Interesse an ATS-Verfahren behaupten, gleichgültig ob sie überhaupt einen Bezug zu den USA aufwarfen. In den späten 2000er Jahre haben die Gerichte jedoch angefangen, sich trotz Vorliegen einer einklagbaren Menschenrechtsverletzung auf die forum non conveniens-Doktrin zu berufen, um ATS-Klagen abzuweisen. Aus ihren Entscheidungen gingen eine neue Wertschätzung der souveränen Interessen anderer Länder sowie eine entsprechende Auffassung von ATS-Klagen als völkerrechtlich suspekte Vorgehensweise hervor. a) Aldana v. Del Monte Fresh Produce Die erste Wendeentscheidung im Kontext der forum non conveniens-Doktrin ging aus Aldana v. Del Monte Fresh Produce980 hervor. Aldana war die Klage von sieben guatemaltekischen Gewerkschaftsführern, die Arbeiter auf guatemaltekischen Bananenplantagen des amerikanischen Lebensmittelriesen Del Monte vertreten hatten. Gegenstand der Klage waren Ausschreitungen gegen die Kläger während Tarifverhandlungen mit Del Monte. 1999 hatten die Kläger Tarifverhandlungen mit Del Monte angetreten, aber weil Del Monte keine Zugeständnisse machte und Arbeiter als Vergeltung feuerte, kündigten die Kläger einen Warnstreik an. Nach dieser Ankündigung soll Del Monte eine private Sicherheitsfirma angeheuert haben, um die Kläger und die Arbeiterschaft einzuschüchtern. Die Kläger wurden von Del Montes Söldnern entführt, ungefähr acht Stunden lang als Geisel gehalten und vor vorgehaltenem Maschinengewehr gezwungen, öffentlich im Radio ihren Rücktritt anzukündigen und die Gewerkschaft zu denunzieren. Danach flohen sie unter Todesdrohungen in die USA. Die Kläger erhoben eine ATS-Klage gegen Del Monte vor dem Southern District of Florida, in der sie Del Monte Folter, willkürliche Inhaftierung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung zur Last legten. Das Southern District of Florida wies 2003 alle Ansprüche ab, weil es eine achtstündige Geiselnahme als klares Delikt, aber unter keinem Rechtsverständnis als völkerrechtswidrig verwarf981. Der Eleventh Circuit hob jedoch diese Entscheidung auf, stufte das Verhalten der Sicherheitsfirma als Folter im Sinne internationaler Abkommen ein und ordnete die Zulassung der Ansprüche gegen Del Monte sowie die Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem District Court an982. Damit war die Zu980 Siehe Villeda Aldana v. Fresh Del Monte Produce, Inc., 305 F. Supp. 2d 1285 (S.D. Fla. 2003), aff’d Aldana v. Del Monte Fresh Produce NA, Inc., 578 F.3d 1283 (11th Cir. 2009). 981 Siehe Villeda Aldana v. Fresh Del Monte Produce, Inc., 305 F. Supp. 2d 1285 (S.D. Fla. 2003). 982 Siehe Aldana v. Del Monte Fresh Produce, N.A., Inc., 416 F.3d 1242, 1252 – 53 (11th Cir. 2005) (per curiam): „Plaintiffs allege they were (a) in the custody or physical control of the security force; (b) suffered severe, prolonged mental and physical pain or suffering; by being (c) threatened with imminent death; for the purposes of (d) punishing Plaintiffs for their labor activities. … In addition, Plaintiffs allege … they ,have suffered and will continue to suffer …
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Kap. 2: Die Zweite Welle
lässigkeit der Folter-Ansprüche bereits zu einem frühen Zeitpunkt im Aldana-Verfahren entschieden. Bei der Neuverhandlung wies der District Court trotz der Bestätigung der Zulässigkeit der Folter-Ansprüche auf Circuit-Ebene Aldana aufgrund der forum non conveniens-Doktrin ab983. Der District Court befand, dass sämtliche Aspekte der forum non conveniens-Prüfung auf Guatemala verwiesen und eine Verhandlung der Aldana-Klage in Guatemala eindeutig befürworteten. Zunächst konstatierte das Gericht, dass Guatemalas Gerichte ein adäquates alternatives Forum darstellten984. Überzeugend für das Gericht war zum einen, dass einige Politiker, die an der Unterdrückung der Gewerkschaft mitgewirkt haben, inzwischen zu Bewährungsstrafen verurteilt worden waren. Zum anderen befand das Gericht aufgrund von Expertengutachten, dass die Kläger nicht nach Guatemala reisen müssten, um dort ihre Ansprüche gerichtlich durchzusetzen. Und falls die guatemaltekischen Gerichte das Erscheinen der Kläger erfordern sollten, verfügte der District Court, dass die amerikanische ATS-Klage wiederhergestellt werde. Zweitens stellte das Gericht fest, dass die involvierten privaten Interessen eindeutig für eine Verhandlung in Guatemala sprachen: Sämtliche Zeugen und Beweismittel seien in Guatemala; das Gericht könne keine aussageunwilligen Zeugen vorladen; und das ganze Verfahren müsste in spanischer Sprache abgehalten werden985. Drittens befand der District Court, dass das öffentliche Interesse eine Verhandlung in Guatemala bevorzugte. Der vorliegende Streit sei im Grunde eine innenpolitische Angelegenheit Guatemalas: „one of Guatemala’s most influential labor unions“ trete gegen „one of Guatemala’s largest private employers in one of Guatemala’s most important economic sectors“ auf986. Guatemala habe deshalb ein offensichtlich stärkeres Interesse am Verfahren als die USA. Zwar hätten die Bundesgerichte aufgrund ATS ein Interesse an der Verhandlung von Verletzungen universeller Menschenrechtsnormen, aber dieses Interesse muss der Verhütung von Forum Shopping und der Wahrung von „comity [with] other nations“ weichen987. Nach Wertung all dieser Ansichtspunkte wies der District Court Aldana zur Verhandlung in Guatemala ab. Der Eleventh Circuit bestätigte diese Entscheidung des District Court988. Grundlage dieser Bestätigung war der berufungsrechtliche Grundsatz, dass die Abweisung wegen forum non conveniens als Ermessensentscheidung zu qualifizieren ist, die nur wegen Ermessensmissbrauchs des erstinstanzlichen Richters extreme and severe mental anguish and emotional distress‘. All things considered, the acts alleged in the complaint could constitute torture – based on intentionally inflicted emotionally pain and suffering – under the [ATS]“. 983 Siehe Villeda Aldana v. Fresh Del Monte Produce, Inc., No. 01-3399-CIV (S.D. Fla. Oct. 16, 2007). 984 Siehe Aldana No. 01-3399-CIV (S.D. Fla. Oct. 16, 2007), at 1 – 2. 985 Siehe Aldana No. 01 – 3399-CIV (S.D. Fla. Oct. 16, 2007), at 4. 986 Aldana, No. 01-3399-CIV (S.D. Fla. Oct. 16, 2007) at 5. 987 Aldana, No. 01-3399-CIV (S.D. Fla. Oct. 16, 2007) at 5. 988 Aldana v. Del Monte Fresh Produce N.A., Inc., 578 F.3d 1283 (11th Cir. 2009).
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aufgehoben werden darf989. Nach Ansicht des Eleventh Circuit hatte der District Court in keinem Aspekt seiner Entscheidung sein Ermessen missbraucht. Die Feststellung des District Court, dass Guatemala ein adäquates alternatives Forum darstelle, solange die Kläger nicht in Guatemala erscheinen müssen, habe sich im zulässigen Ermessensspielraum bewegt. Seine Abwägung der involvierten privaten Interessen und des öffentlichen Interesses hätte anders ausfallen können, sei aber keineswegs als Ermessensmissbrauch anzusehen, insbesondere weil: „the underlying events took place in Guatemala, all of the individuals involved were … Guatemalan citizens, and Guatemalan political and economic tensions form the essential backdrop to the entire dispute“990. Insofern seien die Abweisung von Aldana aufgrund von forum non conveniens zu bestätigen. Das Ergebnis von Aldana war ein Abweichen von der bisherigen Rechtsprechung. Vor Aldana herrschte die Auffassung, dass, solange eine ATS-Klage eine anerkannte Völkerrechtsverletzungen vorwarf, die forum non conveniens-Doktrin nicht mehr von Bedeutung war, weil das Weltrechtsprinzip den USA ein überwiegendes Interesse an der Ahndung von Verletzungen universell geschützten Rechtsgüter gestattete991. In Aldana haben die Kläger mit dem Folteranspruch die älteste Völkerrechtsverletzung der ATS-Rechtsprechung geltend gemacht und die Zulässigkeit dieses Anspruchs wurde vor Anberaumung der forum non conveniens-Entscheidung vom Eleventh Circuit sogar bestätigt. Trotzdem wurde Aldana wegen forum non conveniens abgewiesen. Diese Abweisung brachte zum Vorschein, dass die Gerichte nun bereit waren, das aus dem Weltrechtsprinzip abgeleitete „universelle“ Interesse der USA an ATSKlagen zu relativieren, wenn die souveränen Interessen eines anderen Landes im Spiel waren. Dies wird bei näherer Betrachtung der Gründe für die forum non conveniens-Entscheidung in Aldana klar. Die vom Gericht aufgeführten praktischen Probleme des Verfahrens – Zeugen in Guatemala, Beweismittel in Guatemala, ein Verfahren in spanischer Sprache – werden jeden Tag von amerikanischen Gerichten bewältigt. Verfahren aus dem Ausland sind in den USA nichts Neues. Insbesondere im Southern District of Florida verfügt jedes Gericht über eine beträchtliche Anzahl von spanischsprechenden Übersetzern und Dolmetschern, und da Aldana ein Zivilverfahren war, hätten die Parteien und nicht die öffentliche Kasse die Übersetzungskosten tragen müssen. Folglich müssen es Guatemalas souveräne Interessen an der Verhandlung eines innenpolitisch geladenen Verfahrens gewesen sein, die aus Sicht der Gerichte das Interesse der USA an der Verfolgung von Universaldelikten 989 Siehe Aldana, 578 F.3d at 1288: „It is … well settled in our decisional law that ,[w]e may only reverse a district court’s dismissal based on forum non conveniens if it constitutes a clear abuse of discretion‘“. Dieser Grundsatz stammt von Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 US 235, 257 (1981) („The forum non conveniens determination is committed to the sound discretion of the trial court. It may be reversed only when there has been a clear abuse of discretion“.). 990 Aldana, 578 F.3d at 1299. 991 Siehe hierzu Abschnitt B. II. 2. b) cc) dieses Kapitels, oben.
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Kap. 2: Die Zweite Welle
aufwog. Insofern kündigte Aldana ein Entgegenkommen gegenüber der Gerichtshoheit anderer Staaten mittels der forum non conveniens-Doktrin an. b) Turedi v. Coca-Cola Co. Parallel zu Aldana ging in Turedi v. Coca-Cola Co. eine zweite wichtige forum non conveniens-Entscheidung aus dem Second Circuit hervor992. Turedi wurde von Gewerkschaftern und ehemaligen Arbeitern türkischer Abfüllanlage gegen CocaCola erhoben. Gegenstand der Klage war das gewaltsame Eingreifen von Sonderkräften der türkischen Polizei auf eine Demonstration der Belegschaft von Abfüllanlagen gegen Coca-Colas Verhinderung ihrer gewerkschaftlichen Organisation993. Bis zum Jahr 2000 waren die Arbeiter von zwei Instanbuler Coca-Cola-Abfüllanlagen als Gewerkschaft organisiert. 2000 wurde die Gewerkschaft scheinbar zwangsaufgelöst, wonach die ehemals organisierte Belegschaft auf eine externe Leiharbeitsfirma ausgegliedert wurde. Danach arbeiteten die ausgegliederten Arbeiter auf die erneute Organisation einer Gewerkschaft hin und nach einigen Jahren hatten sie genug Zustimmung in der Belegschaft gewonnen, dass sie im Mai 2005 die Anerkennung einer Gewerkschaft beim türkischen Arbeitsministerium beantragen konnten. Als Vergeltung dafür soll die Geschäftsführung der Abfüllanlagen zunächst die Anführer der Gewerkschaft und dann 105 weitere Arbeiter, die an der Gewerkschaft beteiligt waren, unter Vorwänden gefeuert haben. Gegen diese Maßnahmen haben die gefeuerten Arbeiter vor einer der Abfüllanlagen friedlich demonstriert. Die Demonstration wurde von der türkischen Bereitschaftspolizei (Cevik Kuvvet) gewaltsam auseinandergetrieben. Demonstranten wurden mit Stöcken geschlagen, in Polizeifahrzeugen abtransportiert und während ihrer anschließenden Inhaftierung angeblich von Polizisten tätlich angegriffen. Aufgrund dieser Sachlage haben die Gewerkschafter eine ATS-Klage gegen Coca-Cola vor dem Southern District of New York erhoben994. Sie warfen den Abfüllanlagenbetreibern vor, das gewaltsame Eingreifen der türkischen Bereitschaftspolizei angefordert zu haben, und legten überdies dar, dass die Abfüllanlagen unter Anweisung von Coca-Cola gehandelt hatten und deshalb als seine „agents“ anzusehen waren. Als Völkerrechtsverletzungen warfen die Kläger Coca-Cola eine Beihilfe zu Folter vor. Coca-Cola beantragte die Abweisung des Verfahrens aufgrund von forum non conveniens. Darauf erwiderten die Kläger, dass das Gericht zuerst seine Zuständigkeit nach dem ATS festzustellen hatte, ehe es die eigene Zuständigkeit an ein ausländisches Gericht durch forum non conveniens abgeben konnte. Ziel der Kläger 992
Siehe Turedi v. Coca Cola Co., 460 F. Supp. 2d 507 (S.D.N.Y. 2006), aff’d 343 F. App’x 623 (2d Cir. 2009). 993 Der nachfolgende Sachverhalt wird der erstinstanzlichen Entscheidung entnommen, siehe Turedi, 460 F. Supp. 2d at 508 ff. 994 Siehe Turedi, 460 F. Supp. 2d at 510 – 511.
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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war hierbei die Festlegung einer Menschenrechtsverletzung, damit sie das Vorliegen eines „universellen“ Interesses des amerikanischen Forums dem forum non conveniens-Antrag entgegenhalten konnten. Das Gericht hat das Ersuchen der Kläger abgelehnt, die Feststellung einer Menschenrechtsverletzung als Voraussetzung der forum non conveniens-Überprüfung festzulegen. Stattdessen legte das Gericht das genaue Gegenteil fest: Es befand, dass der Inlandsbezug von ATS-Klagen derart schwach und ihr Konfliktpotenzial mit anderen Souveränen so ausgeprägt war, dass die forum non conveniens-Entscheidung zu den ersten Beschlüssen eines jeden Gerichts bei einem ATS-Verfahren gehören sollte. Die Ausführungen des Gerichts hierzu sind stark formuliert und werden deshalb wortwörtlich wiedergegeben: „[Jurisdiction for] claims brought under the ATS [is formidable to assess]. Adding to the difficulties posed by this case and a growing number of others like it is the courts’ encounter with numerous public policy issues necessarily implicated in the controversy. … As a byproduct of the strong justice system this country has established over time, the number of [human rights] lawsuits commenced in the United States based on transactions and events that occur abroad is likely on the rise, though often the connection of these actions to the United States is minimal at best. Typically, these controversies raise the potential for courts to pass judgment on several issues – always delicate for judicial consideration – implicating, for instance: international comity; United States foreign policy interests; the lawfulness of official conduct by foreign government agents; [and] extraterritorial application of American law[.] For the most part, these issues fall within the realm of political and public policy questions beyond the proper domain of our courts. In consequence, not infrequently, when they arise in the context of forum non conveniens analysis, the circumstances weigh heavily in favor of dismissal of the actions[.] [T] he intractable difficulties these transnational conflicts present when they involve foreign plaintiffs and underlying events occurring abroad that have nominal other contacts with the United States, not only compel strongly towards dismissal under application of forum non conveniens standards, but more often than not demonstrate that the proper tribunal inquiry is far simpler to resolve than is an unraveling of the underlying jurisdictional disputes“995.
Aus diesen Gründen schritt der District Court direkt zur forum non conveniensAnalyse, ohne das Vorliegen einer Menschenrechtsverletzung zu ermitteln. Das Gericht befürwortete, dass sämtliche Aspekte der forum non conveniens-Doktrin für die Abweisung von Turedi zur Verhandlung vor den türkischen Gerichten sprachen. Zuerst konstatierte das Gericht, dass die türkischen Gerichte ein adäquates alternatives Forum darstellten. Dies befand das Gericht aufgrund von von Coca-Cola eingereichten Gutachten türkischer Rechtsexperten996 sowie von anderen forum non conveniens-Entscheidungen, die die Türkei als adäquates alternatives Forum be995
Turedi, 460 F. Supp. 2d at 519 – 520. Turedi, 460 F. Supp. 2d at 524. Den Gutachten von Coca-Cola gab das Gericht den Vorzug, weil die Kläger keine eigenen Gutachten als Erwiderung eingereicht und damit ihren Beweisantritt hinsichtlich der Frage zur Adäquatheit des türkischen Rechtssystems versäumt hatten. 996
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Kap. 2: Die Zweite Welle
trachtet hatten997. Zweitens stellte das Gericht fest, dass der Wahl des New Yorker Forums durch die Kläger wenig Gewicht beizumessen war. Zwar gelte grundsätzlich, dass „the plaintiff’s choice of forum should rarely be disturbed“, aber wo Kläger einen ausländischen Wohnsitz hätten und der Verdacht des Forum Shopping naheliege, „the plaintiffs choice of forum … is not entitled to special deference“998. Im vorliegenden Falle sei von Forum Shopping auszugehen, was nicht dadurch abgeholfen werde, dass die Kläger Ansprüche aus Menschenrechtsverletzungen geltend machten999. Drittens erwog der District Court, dass die privaten Interessen der Parteien für eine Verhandlung in der Türkei sprachen, weil sich sämtliche Zeugen und Beweismaterialien dort befänden, während eine Verhandlung in den USA mit Verzögerungen und signifikant erhöhten Auslagen verbunden wäre1000. Zuletzt stellte das Gericht fest, dass die involvierten öffentlichen Interessen eine Verhandlung in der Türkei erforderten. Der türkische Staat habe ein starkes Interesse an der Verhandlung eines Streites zwischen türkischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, insbesondere wo der türkischen Polizei mannigfaltige Verletzungen des internationalen Menschenrechts vorgeworfen worden seien1001. Die USA hingegen hätten kein besonderes Interesse an einem rein türkischen Verfahren, das kaum Inlandsbezüge aufwerfe1002. Dem werde durch die Tatsache, dass internationale Menschenrechte aufgrund des ATS geltend gemacht würden, keinen Abbruch getan: „The United States … has no special public interest, under the [ATS] or otherwise, in providing a forum for plaintiffs pursuing an international law action … that [they] can adequately pursue in the place where the violation actually occurred“1003.
Aus diesen Gründen wies das Southern District of New York Turedi wegen forum non conveniens ab. 2009 bestätigte der Second Circuit die Entscheidung des District Court1004. Hierbei ging das Gericht nicht detailliert auf die Entscheidung des District Court ein: Weil forum non conveniens eine Ermessensentscheidung eines jeden District Court darstelle, sei im Berufungsverfahren nur das Fehlen eines klaren Ermessensmissbrauchs festzustellen1005. Trotzdem nahm der Second Circuit Turedi als Gelegenheit 997 Turedi, 460 F. Supp. 2d at 525: „[I]n the context of forum non conveniens inquiries, other courts have rejected the contention that Turkey is an inadequate forum for adjudication of private disputes sufficiently similar to those at issue here“ (Zitat von Mercier v. Sheraton Int’l, Inc., 981 F.2d 1345 (1st Cir.1992); Travelers Indem. Co. v. S/S Alca, 713 F. Supp. 129 (S.D.N.Y. 1989)). 998 Turedi, 460 F. Supp. 2d at 524. 999 Turedi, 460 F. Supp. 2d at 524. 1000 Turedi, 460 F. Supp. 2d at 526. 1001 Turedi, 460 F. Supp. 2d at 527 – 528. 1002 Turedi, 460 F. Supp. 2d at 528. 1003 Turedi, 460 F. Supp. 2d at 522 (Zitat von Aguinda v. Texaco, Inc., 142 F. Supp. 2d 534, 553 (S.D.N.Y. 2001)). 1004 Siehe Turedi v. Coca-Cola Co., 343 F. App’x 623 (2d Cir. 2009). 1005 Siehe Turedi, 343 F. App’x at 624.
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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wahr, die forum non conveniens-Doktrin für künftige ATS-Klagen zur Verfügung zu stellen. Das Gericht bezog sich nämlich auf den Befund des District Court, dass in Turedi forum shopping anzunehmen sei, weil „[t]he underlying injuries Plaintiffs assert stem from their alleged assaults and arrests by the Turkish police arising from their labor dispute with [Coca-Cola bottlers] in Istanbul“1006. Nach Ansicht des Second Circuit war dieser Befund vollkommen korrekt und sollte für künftige Klagen beispielgebend sein, denn „such facts“ seien starke Indizien für das Vorliegen von forum shopping1007. Auf dieser Grundlage wies das Gericht die Ansprüche der Kläger rechtskräftig ab. Die Entscheidungen in Turedi stellten ein auf-dem-Kopf-Stellen der bisherigen forum non conveniens-Praxis in ATS-Klagen dar. Vor 2006 hatten Gerichte angenommen, dass das Vorliegen einer Menschenrechtsverletzung automatisch in ein Interesse der USA an der Verhandlung der ATS-Klage mündete, die dem parallelen Interesse anderer Länder mindestens gleichwertig, wenn nicht überwiegend war. Turedi erklärte hingegen, dass die Geltendmachung einer Menschenrechtsnorm in einer ATS-Klage kein Interesse der USA an der Verhandlung der Klage, geschweige denn ein überwiegendes Interesse, begründete. Des Weiteren lag die Entscheidung des Southern District of New York nahe, dass das internationale Konfliktpotenzial von ATS-Klagen derart hoch war, dass forum non conveniens grundsätzlich in jeder ATS-Klage zu einem möglichst frühen Zeitpunkt erörtert werden sollte. Insofern stellte Turedi nicht nur ein Entgegenkommen gegenüber den Hoheitsinteressen anderer Länder dar, sondern brachte vielmehr einen Willen zum Ausdruck, eine Aufteilung internationaler Zuständigkeit für Menschenrechtsverletzungen anzuerkennen und sie in ATS-Verfahren mittels der forum non conveniens-Doktrin durchzusetzen. 7. Second Circuit: Das Völkerrecht sieht keine Haftung von Kapitalgesellschaften vor 2010 hat der Second Circuit die Zweite Welle direkt angegriffen: In Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co.1008 hat es befunden, dass das Völkerrecht keine Haftung von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen vorsieht. a) Die Rechtsprechung zur Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften bis 2010 Seitdem die Zweite Welle in 1996 anfing, war die Frage, ob Kapitalgesellschaften Völkerrechtssubjekte seien, die für Menschenrechtsverletzungen haften können, nur zaghaft aufgetreten. Die Erste Welle hatte festgelegt, dass „private Akteure“ Völ1006 1007 1008
Turedi, 343 F. App’x at 625 (Zitat von Turedi, 460 F. Supp. 2d at 522). Turedi, 343 F. App’x at 625. Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010).
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Kap. 2: Die Zweite Welle
kerrechtssubjekte waren1009, und frühe Entscheidungen der Zweiten Welle stuften Kapitalgesellschaften ohne Analyse als eine weitere Kategorie von „privaten Akteuren“ im Sinne der bisherigen Rechtsprechung ein1010. Erst 2003 erhob ein beklagter Konzern die Einrede – scheinbar (und ironischerweise) aufgrund einiger Fachbeiträge von ATS-Befürwortern1011 – dass Kapitalgesellschaften keine Völkerrechtssubjekte seien und dass die Haftung für Völkerrechtsverletzungen deshalb nur von natürlichen und nicht von juristischen Personen getragen werden konnte1012. In den Jahren 2003 und 2005 haben sich zwei District Courts mit dieser Behauptung auseinandergesetzt, aber beide befanden, dass Kapitalgesellschaften Völkerrechtssubjekte seien und deswegen im Rahmen von ATS-Klagen haften konnten1013. Beide Gerichte schienen das Argument gegen die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften als Versuch aufzufassen, eine getarnte zivilrechtliche Immunität für internationale Konzerne durch die Hintertür einzuführen1014. In beiden Entscheidungen war es auch spürbar, dass sich die District Courts nicht gegen die erhebliche Anzahl von ATS-Entscheidungen stellen wollten, die bereits Schadenersatzansprüche gegen Kapitalgesellschaften wegen Menschenrechtsverletzungen zugelassen hatten1015.
1009
So das Ergebnis von Karadzic, siehe Kapitel 1, Abschnitt B. III. Siehe z. B. Doe v. Unocal Corp. 395 F.3d 932, 965 (9th Cir. 2002) („in order to prevail on its claims against Unocal, plaintiffs would have to prove that the private entity [d. h. Unocal] may be held legally responsible for the Myanmar military’s human rights violations“). Vgl. auch In re Xe Servs. Alien Tort Litig., 665 F. Supp. 2d 569, 582 (E.D. Va. 2009) („Nothing in the ATS … may plausibly be read to distinguish between private individuals and corporations; indeed, Sosa simply refers to both individuals and entities as ,private actors‘“). 1011 Siehe Stephen Ratner & Jason Arams, Accountability for Human Rights Atrocities in International Law: Beyond the Nuremberg Legacy 16 (2d ed. 2001) („It remains unclear … whether international law generally imposes criminal responsibility on groups and organizations“). 1012 Siehe Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, 244 F. Supp. 2d. 289 (S.D.N.Y. 2003). 1013 Siehe In re Agent Orange Product Liability Litig., 373 F. Supp. 2d 7 (E.D.N.Y. 2005); Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, 244 F. Supp. 2d. 289 (S.D.N.Y. 2003). 1014 Siehe In re Agent Orange, 373 F. Supp. 2d at 57 („[O]ne may not utilize the corporate structure to achieve an immunity from criminal responsibility for illegal acts which he directs, counsels, aids, orders or abets“); Talisman, 244 F. Supp. 2d at 319 („A private corporation is a juridical person and has no per se immunity under U.S. domestic or international law“). 1015 Siehe In re Agent Orange, 373 F. Supp. 2d at 52 („Federal courts have repeatedly confronted the question of whether the ATS encompasses the liability of private actors, including private corporations, for violations of international law. Federal courts, including those of this jurisdiction, have consistently answered the question in the affirmative“); Talisman, 244 F. Supp. 2d at 314 („In addition to the Second, Ninth, and Fifth Circuits, numerous district courts have examined cases in which corporations were sued under the ATCA for alleged violations of the law of nations. In these cases, the district courts either assumed or held that the court had subject matter jurisdiction over a corporation for alleged international law violations“). 1010
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Außerhalb von diesen Entscheidungen wurde es zwischen 1996 und 2010 in der Rechtsprechung mehr oder weniger angenommen1016, dass Kapitalgesellschaften Völkerrechtssubjekte waren, die für Menschenrechtsverletzungen hafteten1017. b) Die Entscheidung des Second Circuit von 2010 in Kiobel In Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. hat der Second Circuit die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften verneint und damit ihre Haftbarkeit im Rahmen von ATS-Klagen ausgeschlossen1018. Kiobel war die ATS-Klage der Hinterbliebenen nigerianischer Aktivisten gegen den britisch-niederländischen Ölkonzern Shell, dem die Kläger eine Beihilfe zur Ermordung ihrer Familienangehörigen vorwarf1019. 2006 ließ der District Court die Zulässigkeit von ATS-Ansprüchen gegen Shell wegen Beihilfe zu willkürlicher Inhaftierung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Folter und grausamer Behandlung zu1020. Dagegen legte Shell Rechtmittel aufgrund der Argumentation ein, das Völkerrecht enthalte keine Norm, die die Haftung von Kapitalgesellschaften vorsehe. Diese Argumentation begründete Shell mit Rechtsgutachten angesehener Professoren1021. Der Second Circuit schloss sich der Argumentation von Shell an und verneinte die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften. Nach Ansicht des Gerichts kam das Völkerrecht in ATS-Klagen gegen Unternehmen doppelt zur Anwendung: Erstens müsse es bestimmen, ob eine Völkerrechtsverletzung vorliege, und zweitens müsse es feststellen, ob der Beklagte für die vorliegende Völkerrechtsverletzung hafte1022. Bei jeder dieser Anwendungen müsse gemäß Sosa eine „universal, definite, 1016
So die Ansicht des Seventh Circuit: „All but one of the cases at our level … assume … that corporations can be liable“. Flomo v. Firestone Nat. Rubber Co., LLC, 643 F.3d 1013, 1017 (7th Cir. 2011). 1017 Vgl. das Fazit eines Professoren aus 2011: „There is a widespread consensus in the United States that private corporations owe duties under customary international law and can be subject to lawsuits under the Alien Tort Statute. The consensus is so broad that there is not a single court decision in the United States, and barely any legal scholarship, that dissents from this view“. Julian Ku, The Curious Case of Corporate Liability Under the Alien Tort Statute: A Flawed System of Judicial Lawmaking, 51 Va. J. Int’l L. 353, 353 (2011). 1018 Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010). 1019 Zum Sachverhalt von Kiobel siehe Abschnitt A. III. 1. b) aa) dieses Kapitels, oben. 1020 Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 456 F. Supp. 2d 457 (S.D.N.Y.2006). 1021 Siehe Declaration of James Crawford, Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., No. 07-0016 (2d Cir. Jan. 22, 2009); Second Declaration of Christopher Greenwood, Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., No. 01 Civ. 9882 (S.D.N.Y. July 10, 2002). Die Gutachten wurden in einem anderen ATS-Verfahren eingereicht, aber vom Beklagten in Kiobel angeführt, um die eigene Position zu begründen. 1022 „Since Sosa, we have continued to adhere to the method prescribed in Sosa footnote 20 by looking to customary international law to determine both whether certain conduct leads to ATS liability and whether the scope of liability under the ATS extends to the defendant being sued“. Kiobel, 621 F. 3d at 128. In der Völkerrechtsliteratur würde man an dieser Stelle von einer Differenzierung zwischen Primärnormen, aus denen Verhaltensgebote hervorgehen, und
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Kap. 2: Die Zweite Welle
and obligatory“ Norm des Völkergewohnheitsrechts vorliegen, die eine Völkerrechtsverletzung feststellen ließ bzw. die Haftung des Beklagten für diese Verletzung vorsah. Obwohl der Second Circuit das Vorliegen einer Völkerrechtsverletzung in der Klage gegen Shell annahm, konnte es keine Nachweise im Völkerrecht finden, die die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften bejahten und damit Shells Haftung für die Verletzung begründen konnten. Zunächst wandte sich das Gericht internationalen Straftribunalen zu. Nach Analyse der Gründungsstatuten des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals1023, des ICTY1024, des ICTR1025 sowie des Internationalen Strafgerichtshofs1026 stellte der Second Circuit fest, dass diese Tribunale nur die Gerichtsbarkeit über „natürliche Personen“ innegehabt hätten1027. Für das Gericht war die Zuständigkeitsbeschränkung dieser internationalen Straftribunale ein Nachweis, dass in der Staatengemeinschaft kein Konsens zur Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften herrschte1028. Danach erörterte der Second Circuit die Rechtsprechung dieser Tribunale. Insbesondere das Nürnberger Tribunal war für das Gericht relevant. Trotz der Zusammenarbeit vieler Konzerne mit dem Nazi-Regime hätte das Tribunal keine Anklagen gegen Unternehmen erhoben, obwohl es insbesondere den Konzern IG Farben wegen Herstellung und Lieferung von Zyklon B an Auschwitz problemlos hätte anklagen können1029. Für den Second Circuit bewies die Nichtanklage von IG Sekundärnormen, die bestimmen, ob und inwiefern ein Schadensersatzanspruch bei Verletzung einer Primärnorm zur Verfügung steht. Siehe z. B. … . Weil diese Differenzierung aber im common law nicht geläufig ist, formulierte das Second Circuit seine Erörterung als eine Ermittlung vom Umfang der zulässigen Haftung bei Verletzungen völkerrechtlicher Verhaltensnormen. 1023 Siehe Statut für den internationalen Militärgerichtshof vom 8. August 1945, Art. 6: „Der … Gerichtshof … hat das Recht, alle Personen abzuurteilen, die … als Einzelpersonen oder als Mitglieder einer Organisation oder Gruppe eines der folgenden Verbrechen begangen haben“. 1024 Siehe Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, Art. 6: „Der Gerichtshof hat Gerichtsbarkeit über natürliche Personen“. 1025 Siehe Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda, Art. 5: „Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda hat Gerichtsbarkeit über natürliche Personen“. 1026 Siehe das römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998, Art. 25 (1): „Der Gerichtshof hat aufgrund dieses Statuts Gerichtsbarkeit über natürliche Personen“. 1027 Kiobel, 621 F.3d at 134 – 137. 1028 Kiobel, 621 F.3d at 137. Insbesondere fand das Gericht relevant, dass ein Vorschlag Frankreichs, die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs auf Kapitalgesellschaften und andere juristischen Personen zu erstrecken, beim Entwurf des römischen Statuts abgelehnt wurde, weil viele Rechtssysteme eine strafrechtliche Haftung juristischer Personen noch verneinen. Siehe Draft Report of the Intersessional Meeting from 19 to 30 January 1998 in Zuthphen, The Netherlands, in: The Statute of the International Criminal Court: A Documentary History (M. Cherif Bassiouni ed., 1998). 1029 Kiobel, 621 F.3d at 135 – 36.
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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Farben, dass das Nürnberger Tribunal die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften als nicht gegeben sah1030. Neben internationalen Straftribunalen erörterte das Gericht, inwiefern internationale Abkommen eine kapitalgesellschaftliche Haftung für Menschenrechtsverletzungen vorsahen. Nach Meinung des Gerichts existierten nur wenige Abkommen, die das Verhalten von Kapitalgesellschaften zum Gegenstand hatten, und das Gericht verneinte, dass aus diesen eng gezeichneten Abkommen verbindliche Normen gewonnen werden konnten, aus denen die Völkerrechtssubjektivität von juristischen Personen eindeutig hervorging1031. Schließlich befasste es sich mit wissenschaftlichen Abhandlungen und stellte fest, dass selbst ATS-freundliche Kommentatoren zugaben, dass in der Staatengemeinschaft kein Konsens zur Völkerrechtssubjektivität und der damit einhergehenden Haftbarkeit von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen existiere1032. Vor diesem Hintergrund stellte der Second Circuit fest, dass – zumindest zum Zwecke der Haftung – die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften verneint werden musste: „[C]orporate liability is not recognized as a ,specific, universal, and obligatory‘ norm [of inter1030 „In declining to impose corporate liability under international law in the case of the most nefarious corporate enterprise known to the civilized world, while prosecuting the men who led I.G. Farben, the military tribunals established under Control Council Law No. 10 expressly defined liability under the law of nations as liability that could not be divorced from individual moral responsibility. It is thus clear that, at the time of the Nuremberg trials, corporate liability was not recognized as a ,specific, universal, and obligatory‘ norm of customary international law“. Kiobel, 621 F.3d at 135 – 36. 1031 „[T]he relatively few international treaties that impose particular obligations on corporations do not establish corporate liability as a ,specific, universal, and obligatory‘ norm of customary international law“. Kiobel, 621 F.3d at 141. Das Gericht zitierte folgende Abkommen: (1) Convention Concerning the Application of the Principles of the Right to Organise and to Bargain Collectively of July 1, 1949, 96 U.N.T.S. 257; (2) Convention on Third Party Liability in the Field of Nuclear Energy of July 29, 1960, 956 U.N.T.S. 263; (3) International Convention on Civil Liability for Oil Pollution Damage of Nov. 29, 1969, 973 U.N.T.S. 3; (4) Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage of May 21, 1963, 1063 U.N.T.S. 265; (5) Convention Relating to Civil Liability in the Field of Maritime Carriage of Nuclear Material of Dec. 17, 1971, 974 U.N.T.S. 255, siehe Kiobel, 621 F.3d at 138 Fn. 40. Aus Sicht des Gerichts waren diese Abkommen von zu wenigen führenden Ländern ratifiziert worden – in den meisten Fällen fehlte die Ratifikation von den USA, China, den UdSSR sowie führenden europäischen Ländern – um ihnen den Charakter eines Ausdrucks des staatengemeinschaftlichen Willens zubilligen zu können. Des Weiteren war der Umfang dieser Abkommen nach Meinung des Second Circuit viel zu eng, um aus ihm eine allgemeine völkerrechtliche Akzeptanz der Subjektivität von Kapitalgesellschaften zu schließen: „Provisions on corporate liability in a handful of specialized treaties cannot be said to have a ,fundamentally norm-creating character‘, S. 139 (Zitat von North Sea Continental Shelf Cases, [1969] 8 I.L.M. 340, 374 (Int’l Ct. of Justice)). 1032 Even those [academics] who favor using the ATS as a means of holding corporations accountable for human rights violations reluctantly acknowledge that ,the universe of international criminal law does not reveal any prosecutions of corporations per se‘“. Kiobel, 621 F.3d at 143 – 44. (Zitat von Steven Ratner, Corporations and Human Rights: A Theory of Legal Responsibility, 111 Yale L. J. 443, 477 (2001)).
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Kap. 2: Die Zweite Welle
national law]“1033. Insofern waren nicht nur die vorliegende Klage, sondern auch alle ATS-Klagen gegen Unternehmen abzuweisen. c) Übergang zur Verhandlung von Kiobel vor dem Supreme Court Mit dieser Entscheidung war die Zweite Welle im Second Circuit beendet. Die einzige verbleibende Frage war, ob sich andere Circuits der Entscheidung in Kiobel anschließen würden. Dies haben sie nicht getan. Kurz nach Kiobel haben der Seventh Circuit1034, der DC Circuit1035 und der Ninth Circuit1036 – unter ausdrücklicher Ablehnung der Entscheidung des Second Circuit1037 – die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften sowie ihre Haftbarkeit Rahmen von ATS-Klagen bejaht. Daraus entstand ein Streit zwischen den Circuits und der Supreme Court nahm die Revision von Kiobel an.
VI. Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. war die erste ATS-Klage nach Sosa v. Alvarez-Machain, die der Supreme Court zur Revision annahm. Sowohl Wirtschaft als auch Menschenrechtsorganisationen war klar, dass eine Grundsatzentscheidung zu erwarten war. Entsprechend groß war das Interesse von Wirtschaft und Menschenrechtsorganisationen am Verfahren. Die Wirtschaft sah in Kiobel die Möglichkeit, die Zweite Welle für völkerrechtlich illegitim abstempeln zu lassen und dadurch zu beenden. Menschenrechtsorganisationen hingegen sahen eine Gelegenheit, die völkerrechtliche Haftbarkeit von Kapitalgesellschaften höchstrichterlich festlegen zu lassen.
1033
Kioebel, 621 F.3d at 145. Flomo v. Firestone Nat. Rubber Co., LLC, 643 F.3d 1013 (7th Cir. 2011). 1035 Doe v. Exxon Mobil Corp., 654 F.3d 11 (D.C. Cir. 2011). 1036 Sarei v. Rio Tinto, PLC, 671 F.3d 736 (9th Cir. 2011). 1037 Siehe Rio Tinto, 671 F.3d at 747: „Rio Tinto urges us to … suppor[t] … the recent Second Circuit majority opinion in Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., holding that customary international law as a whole ,has not to date recognized liability for corporations that violate its norms‘. … We, however, conclude the sounder view is that … [n]o principle of domestic or international law supports [the Second Circuit’s] conclusion that the norms enforceable through the ATS – such as the prohibition by international law of genocide, slavery, war crimes, piracy, etc. – apply only to natural persons and not to corporations“. 1034
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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1. Einleitung a) Sachverhalt Der Sachverhalt von Kiobel ist bereits in Abschnitt A. III. 1. b) aa) dieses Kapitels ausführlich geschildert worden und wird deshalb hier nur skizziert. Gegenstand der Klage war die gewaltsame Niederschlagung des Widerstands des nigerianischen Ogoni-Stammes gegen Ölförderung an den Küstenregionen Nigerias. Seit 1958 fördert der britisch-niederländische Konzern Shell Erdöl an der Mündung des NigerFlusses, wo sich das traditionelle Wohngebiet des Ogoni-Stammes befindet. Die Förderung soll die Gebiete der Ogoni massiv verseucht haben. Hierbei hat die nigerianische Regierung Shell angeblich freie Hand bei Umweltschändung und Vertreibung von Ogoni gelassen, weil sie ein stärkeres Interesse an Förderabgaben als am Schutz der Ogoni, die eine ethnische Minderheit bildeten, hatte. In den späten 1980er formte sich eine Protestbewegung, die 1990 durch die Gründung der Organisation „Movement for the Survivial of the Ogoni People“ (MOSOP) einen formellen Anführer erhielte. Gegen Ende 1992 hat MOSOP Reparationen von Shell und eine verfassungsrechtliche Verbriefung der Rechte der Ogoni von der nigerianischen Regierung formell gefordert. Diese Forderungen wurden Ende 1993 von einer massiven friedlichen Demonstration bekräftigt, an der etwa 300.000 Ogoni teilgenommen haben sollen. Darauf soll Shell der nigerianischen Regierung mit Einstellung seiner Fördertätigkeiten gedroht haben, sollte der Widerstand der Ogoni ungehindert bestehen bleiben. Von 1993 bis 1994 hat die nigerianische Armee durch MOSOP und die Ogoni mit einer Terrorkampagne brutal niedergeschlagen. Tausende Menschen wurden von Regierungstruppen zusammengeschlagen, festgenommen, inhaftiert, vergewaltigt, gefoltert und erschossen. Aus diesen Vorfällen ging 2002 die Kiobel-Klage hervor. Esther Kiobel und dreizehn andere Ogoni erhoben eine ATS-Klage gegen Shell vor dem Southern District of New York1038. Als Völkerrechtsverletzungen warfen die Kläger Shell eine Teilnahme an oder Beihilfe zu willkürlichen Inhaftierungen, Folter, grausamer Behandlung, außergerichtlichen Hinrichtungen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Nach Darlegung der Kläger hatte Shell die Terrorkampagne gegen die Ogoni konzipiert, angeregt und geplant1039 sowie dem nigerianischen Militär „money, weapons, and logistical support“ inklusive „vehicles and ammunition used in the raids on [Ogoni] villages“ zur Verfügung gestellt haben1040, um die Kampagne zu ermöglichen. Die Kläger ersuchten die Zulassung einer class action, um die Ansprüche aller Ogoni, die durch Shells Militärkampagne verletzt worden waren, gegen Shell geltend machen zu können.
1038 Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., No. 02-CV-7618, (1st Amended Complaint) (S.D.N.Y. May 14, 2004), para. 1 ff. 1039 Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88, 92 (2d Cir. 2000). 1040 Wiwa, 226 F.3d at 92 – 93.
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Kap. 2: Die Zweite Welle
b) Annahme der Revision vom Supreme Court 2006 ließ das Southern District of New York die in Kiobel geltend gemachten Ansprüche gegen Shell zu1041. Angesichts der Wichtigkeit der Entscheidung sowie der Möglichkeit divergierender Rechtsauffassungen hat der District Court die unmittelbare Berufung seiner Entscheidung angeordnet1042 und der Second Circuit hat die Berufung angenommen. Der Second Circuit hat dann in einer eben dargelegten Grundsatzentscheidung verkündet, dass Kapitalgesellschaften nicht als Völkerrechtssubjekte im Sinne des ATS zu qualifizieren seien und deshalb für Menschenrechtsverletzungen nicht haften können1043. Nach dieser Entscheidung kamen jedoch der Seventh Circuit, der DC Circuit sowie der Ninth Circuit zum gegenteiligen Ergebnis, indem sie die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften sowie ihre Haftung für Menschenrechtsverletzungen mittels ATS-Klagen bejahten1044. In Anbetracht des Konfliktes zwischen der Kiobel-Entscheidung des Second Circuit und der Rechtsprechung der anderen Circuits sowie der grundsätzlicher Bedeutung der Kiobel-Entscheidung nahm der Supreme Court in Oktober 2011 die Revision des Falles an. 2. Erste mündliche Verhandlung vor dem Supreme Court Die Frage, die der Supreme Court als Gegenstand des Revisionsverfahrens festlegte, war, ob Kapitalgesellschaften als Völkerrechtssubjekte im Sinne des ATS zu qualifizieren waren, die für Menschenrechtsverletzungen mittels ATS-Klagen haftbar gemacht werden konnten1045. Damit war allen Beobachtern klar, dass die Legitimität der Zweiten Welle nun auf den Prüfstand kommen sollte. Die Fragestellung des Supreme Court ließ einen Willen erkennen, die Zweite Welle mit einem Schlag zu beenden. a) Interessen und Argumente der amici curiae Das Interesse an Kiobel war enorm und kann an der außerordentlich großen Anzahl von amicus curiae-Schriftsätzen, die dem Supreme Court in Vorbereitung auf 1041
Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 456 F. Supp. 2d 457 (S.D.N.Y. 2006). Siehe Kiobel, 456 F. Supp. 2d at 467 – 468. 1043 Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010). 1044 Siehe Flomo v. Firestone Nat. Rubber Co., LLC, 643 F.3d 1013 (7th Cir. 2011); Sarei v. Rio Tinto, PLC, 671 F.3d 736 (9th Cir. 2011); Doe v. Exxon Mobil Corp., 654 F.3d 11 (D.C. Cir. 2011). 1045 Vgl. Brief of amicus curiae United States in Support of Petitioners, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013) (No. 10-1491), S. (I) („Whether a corporation can be held liable in a federal common law action brought under the ATS“). 1042
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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die mündliche Verhandlung eingereicht wurden, gesehen werden. Insgesamt wurde eine ungeheuerliche Anzahl von insgesamt 86 amicus curiae-Schriftsätzen beim Supreme Court eingereicht, ehe eine Entscheidung gefallen war. Bei der ersten Verhandlung wurden 33 dieser Stellungnahmen für und gegen die Zweite Welle abgegeben. Die Wichtigkeit von Kiobel wurde außerdem von den Namen unterstrichen, die auf diesen Schriftsätzen standen. Regierungen führender Wirtschaftsländer sowie führende multinationale Konzerne machten ihre Interessen an Kiobel geltend. Auf der anderen Seite traten internationale Menschenrechtsorganisationen, Nobelpreisträger sowie UN-Kommissare als Freude des Gerichts an. aa) Amici und Argumente gegen die Zweite Welle Die Gegner der Zweite Welle sahen in Kiobel eindeutig eine Gelegenheit, einen breitflächigen Angriff auf die Legitimität der Zweiten Welle zu lancieren. In vierzehn amicus curiae-Schriftsätzen reichten Regierungen führender Wirtschaftsländer, große Wirtschaftsverbände, namhafte Konzerne sowie eine neue ATS-kritische Faktion in der Wissenschaft Stellungnahmen gegen das ATS ein. Staatliche Proteste gegen die Zweite Welle gingen aus Schriftsätzen der Regierungen von Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland hervor. Neben ihnen traten einige der größten Konzerne der Welt gegen das ATS auf: Chevron, Coca-Cola, Archer Daniels Midland, Dole Foods, Dow Chemical, Ford, GlaxoSmithKline, Proctor & Gamble, BP, Rio Tinto, Occidental Petroleum, Caterpillar, ConocoPhillips, General Electric, Honeywell und IBM. Weitere Stellungnahmen wurden von den größten Wirtschaftsverbänden der Welt eingereicht, unter ihnen die amerikanische Chamber of Commerce, die europaweite Internationale Handelskammer sowie die Industrie- und Handelskammertage von Deutschland, Schweden, der Schweiz und Großbritannien1046. 1046 Folgende Amicus Curiae-Schriftsätze wurden zur Unterstützung der Postition von Royal Dutch Petroleums eingereicht: (1) Brief of amici curiae The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain; (2) Brief of amicus curiae The Federal Republic of Germany; (3) Brief of amici curiae BP America, ConocoPhillips, Caterpillar, General Electric, Honeywell, and International Business Machines; (4) Brief of amici curiae Chevron Corp., Dole Food Co., Dow Chemical Co., Ford Motor Co., GlaxoSmithKline PLC, and the Proctor & Gamble Co; (5) Brief of amicus curiae KBR, Inc.; (6) Brief of amici curiae The CocaCola Co. and Archer Daniels Midland; (7) Brief of amici curiae Rio Tinto Group and Occidental Petroleum Corp.; (8) Brief of amicus curiae Chamber of Commerce of the United States of America; (9) Brief of amicus curiae The Cato Institute; (10) Brief of amicus curiae The Clearing House Association L.L.C.; (11) Brief of amici curiae the Association of German Chambers of Industry and Commerce, Federation of German Industries, CBI, Confederation of Swedish Enterprise, Economiesuisse, and International Chambers of Commerce Germany, Netherlands, Switzerland and United Kingdom; (12) Brief of amici curiae The National Foreign Trade Council, USA*Engage, United States Council for International Business, American Petroleum Institute, National Association of Manufacturers, Organization for International Investment, and the American Insurance Association; (13) Brief of amici curiae Professors of International
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Kap. 2: Die Zweite Welle
Zunächst argumentierte eine Gruppe namhafter multinationaler Konzerne, dass Kapitalgesellschaften keine Völkerrechtssubjekte im Sinne des ATS seien1047. Seit Sosa könne die Völkerrechtssubjektivität eines ATS-Beklagten nur dann angenommen werden, wenn sie auf eine „universal, specific, and obligatory“ Norm des Völkergewohnheitsrechts gestützt werden könne. Bei Kapitalgesellschaften sei diese Voraussetzung keineswegs erfüllt. Keine internationale Menschenrechtserklärung nach dem Zweiten Weltkrieg erwähnte Kapitalgesellschaften als Völkerrechtssubjekte1048. Internationale Straftribunale seien nach ihren Gründungsstatuten nur befugt, natürliche Personen für Menschenrechtsverletzungen abzuurteilen1049. In den 1990er habe sich die Staatengemeinschaft sogar bewusst gegen die Feststellung entschieden, dass Kapitalgesellschaften als Völkerrechtssubjekte strafbar seien, indem sie die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs auf natürliche Personen beschränkt habe1050. Insofern müsse die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften sowie ihre Haftbarkeit in ATS-Klagen verneint werden. Die Bundesrepublik Deutschland kritisierte in einem deutlich formulierten amicus curiae-Schriftsatz die Zweite Welle als Übertretung völkerrechtlicher Souveränitätsgrenzen1051. Nach Meinung der BRD gebiete das souveräne Interesse eines jeden Landes an der eigenen Gerichtshoheit, dass Klagen gegen ausländische Gesellschaften in aller Regel nur in den Gerichten ihres Heimatstaats zulässig sein sollten. Amerikanisches Recht erkenne durch das Prinzip der Courtoisie zwischen Souveränen einen tieferen völkerrechtlichen Grundsatz an: Wo die Sachnähe eines Verfahrens ein deutlich stärkeres Interesse eines Staates an einer Streitigkeit ergebe, sollte sie zur Vermeidung von Souveränitätskonflikten der Verhandlung dieses Streites seinen Gerichten überlassen werden1052. Dieser Grundsatz sei insbesondere in ATS-Klagen zu beachten. Deutschland habe ein „inherent interest in applying its laws and using its courts in cases in which German defendants are accused of the Law; (14) Brief of amici curiae Professors of International Law, Foreign Relations Law, and Federal Jurisdiction Law; Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013) (No. 10-1491). 1047 Siehe Brief of amici curiae Chevron Corp., Dole Food Co., Dow Chemical Co., Ford Motor Co., GlaxoSmithKline PLC, and the Proctor & Gamble Co., Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (No. 10-1491). 1048 Brief of Chevron Corp., S. 11 – 13. 1049 Brief of Chevron Corp., S. 18 – 19. Die amici bezogen sich hierfür auf die Gründungsstatuten des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals, des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda sowie des Internationalen Strafgerichtshofs. 1050 Brief of Chevron Corp., S. 18 – 19 (Zitat von Albin Eser, Individual Criminal Responsibility, in: 1 The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary 767, 778 – 779 (Antonio Cassese et al., Hrsg. 2002)). 1051 Siehe Brief of amicus curiae the Federal Republic of Germany in Support of Respondents, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (No. 10-1491). Für eine ausführliche Diskussion der Stellungnahme der Bundesregierung, siehe Kapitel 4, Abschnitt C. IV. 1052 Brief of the Federal Republic of Germany, S. 9 – 10.
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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violation of international customary laws“1053 ; die USA hingegen hätten kein derartiges Interesse an Klagen aus dem Ausland gegen deutsche Beklagte. Hierbei hätten Kläger die Möglichkeit, nach § 823 BGB i.V.m. §§ 17, 23 ZPO Zivilklagen wegen Menschenrechtsverletzungen gegen deutsche Konzerne in Deutschland zu erheben1054. Die Zulassung von ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne trotz der Möglichkeit gerichtlichen Vorgehens vor den eindeutig sachnäheren Gerichten Deutschlands komme einem Eingriff in Deutschlands Souveränität nahe1055. Solche Souveränitätsstreitigkeiten sind zwischen Ländern wie Deutschland und USA „unacceptable“, besonders weil beide Länder ansonsten eng kooperieren und auf den Schutz der Menschenrechte gemeinsam hinarbeiten1056. Die Bundesrepublik Deutschland argumentierte ferner, dass die Wahrung fremder Gerichtshoheit die Erschöpfung des lokalen Rechtsweges in jeder ATS-Klage erfordere. Jedes Land habe das souveräne Recht, das Verhalten von Wirtschaftsteilnehmern auf seinem Hoheitsgebiet zu regeln. Ohne ein Erfordernis der Erschöpfung ziehe die Zweite Welle „a serious risk of interference with a foreign nation’s ability independently to regulate its own commercial affairs“ nach sich1057. Schließlich argumentierten multinationale Unternehmen, dass die „universal civil jurisdiction“, die als Legitimation der bisherigen Rechtsprechung gedient hatte, nicht im Völkergewohnheitsrecht gegeben sei1058. Die Staatengemeinschaft habe lediglich der universellen Strafverfolgung einiger besonders verwerflicher Tatbestände zugestimmt und insofern ein strafrechtliches Weltrechtsprinzip in wenigen Einzelfällen bejaht1059. Daraus sei kein zivilrechtliches Weltrechtsprinzip abzuleiten. Universal civil jurisdiction bedeute, dass private Kläger die amerikanische Justiz in Anspruch nehmen können, um das Verhalten kommerzieller Akteure auf dem Hoheitsgebiet anderer Länder durch einzigartig amerikanische Schadensersatzansprüche regeln zu können1060. Dieses Ergebnis habe die Staatengemeinschaft überhaupt nicht zugelassen, sondern sie habe in Zivilsachen den Vorrang der Souveränität jedes Landes und damit die aus der Souveränität fließende absolute Rechtssetzungsbefugnis in-
1053
Brief of the Federal Republic of Germany, S. 10. Brief of the Federal Republic of Germany, S. 11 – 12. 1055 Brief of the Federal Republic of Germany, S. 10 („An unreasonable extraterritorial application of the ATS could potentially interfere with The Federal Republic of Germany’s sovereignty, thus hugely affecting The Federal Republic of Germany’s governmental interests“). 1056 Brief of the Federal Republic of Germany, S. 10. 1057 Brief of the Federal Republic of Germany, S. 15. 1058 Brief of Chevron Corp., S. 2. 1059 Brief of Chevron Corp., S. 2 – 3. 1060 Siehe Brief of amici curiae The Coca-Cola Co. and Archer Daniels Midland, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (No. 10-1491), S. 11 (Zitat an Carlos Vázquez, Direct vs. Indirect Obligations of Corporations Under International Law, 43 Colum. J. Transnat’l L. 927, 958 (2005)). 1054
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Kap. 2: Die Zweite Welle
nerhalb des eigenen Territoriums unberührt gelassen1061. Dass das ATS das Ziel des Weltrechtsprinzips verfehlt habe, könne in den mehrfachen Protesten ansonsten befreundeter Regierungen gegen ATS-Klagen gesehen werden1062. Insofern sollten ATS-Ansprüche nur bezüglich Menschenrechtsverletzungen zulässig sein, die auf amerikanischem Hoheitsgebiet begangen wurden. bb) Amici und Argumente für die Zweite Welle Menschenrechtsorganisationen und Wissenschaft waren sich auch der grundsätzlichen Bedeutung von Kiobel bewusst und traten beinahe geschlossen gegen die Wirtschaft auf. In neunzehn amicus curiae-Schriftsätzen argumentierten internationale Rechtsgelehrte sowie führende NGOs für die Fortführung der Zweiten Welle1063. Zunächst argumentierten die Kläger, dass die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften zu bejahen sei1064. Die zivilrechtliche Haftbarkeit von Kapitalgesellschaften für Rechtsverletzungen sei „a universal feature of the world’s legal systems“1065. Insofern habe die Staatengemeinschaft die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften in Zivilsachen eindeutig bejaht. Der vom Beklagten 1061
Brief of Chevron Corp., S. 3. Brief of Chevron Corp., S. 8 – 9. 1063 Folgende amicus curiae-Schriftsätze wurden zur Unterstützung der Position der KiobelKläger eingereicht: (1) Brief of amicus curiae United States; (2) Brief of amici curiae Center for Justice and Accountability, Dr. Juan Romagoza Arce, Cecilia Santos Moran, and Ken Wiwa; (3) Brief of amici curiae International Law Scholars; (4) Brief of amicus curiae Joseph E. Stiglitz; (5) Brief of amicus curiae Ambassador David Scheffer; (6) Brief of amici curiae Former U.S. Government Counter-Terrorism and Human Rights Officials; (7) Brief of amici curiae Former U.S. Senator Arlen Specter, Human Rights First, and the Anti-Defamation League; (8) Brief of amicus curiae Navi Pillay, United Nations High Commission for Human Rights; (9) Brief of amicus curiae EarthRights International; (10) Brief of amici curiae International Human Rights Organizations and International Law Experts; (11) Brief of amici curiae American Federation of Labor and Congress of Industrial Organizations; (12) Brief of amici curiae Brennan Center for Justice at N.Y.U. School of Law; (13) Brief of amici curiae Nuremberg Scholars Omer Bartov, Michael Bazyler, Donald Bloxham, Lawrence Douglas, Hilary Earl, Hon. Bruce Einhorn, Ret. David Fraser, Sam Garkawe, Stanley Goldman, Gregory Gordon, Kevin Jon Heller, Michael Kelly, Matthew Lippman, Michael Marrus, Fionnualad Niaolain, Kim Christian Priemel, Christoph Schafferling and Frederick Taylor; (14) Brief of amici curiae Yale Law School Center for Global Legal Challenges; (15) Brief of amici curiae Professors of Civil Liberties and 42 U.S.C. § 1983; (16) Brief of amicus curiae Thomas J. Schoenbaum; (17) Brief of amici curiae Professors of Legal History Barbara Aronstein Black, William Casto, Martin Flaherty, Robert Gordon, Nassar Hussain, Stanley Katz, Michael Lobban, John Orth, and Anne-Marie Slaughter; (18) Brief of amici curiae Civil Procedure Professors; (19) Brief of amicus curiae The Rutherford Institute; Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013) (No. 10-1491). 1064 Siehe Brief for Petitioners, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (No. 10-1491). 1065 Brief for Petitioners, S. 46 – 47. 1062
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aufgeführte Ausschluss von Kapitalgesellschaften aus dem Zuständigkeitsbereich moderner Straftribunale zeige nur, dass die Staatengemeinschaft über die strafrechtliche Haftung von Kapitalgesellschaften noch nicht einig sei1066. Eine Gruppe von Rechtshistorikern belegte eine Tradition der Haftbarkeit juristischer Personen im Völkerrecht. Die Subjektivität von „Entitäten“ sei seit dem 18. Jahrhundert bei der Gewährung vom Schadensersatz im Völkerseerecht angenommen worden1067. Spezifisch sei die Völkerrechtssubjektivität von Schiffen universell bejaht und Schadensersatz gegen Schiffe verhängt worden, obwohl Schiffe juristische Personen gewesen seien1068. Eine weitere Gruppe von Rechtshistorikern mit Expertise in den Nürnberger Prozessen argumentierte, dass die Behandlung deutscher Entitäten nach dem Zweiten Weltkrieg eine Anerkennung der Völkerrechtssubjektivität juristischer Personen erkennen lasse1069. Zum einen habe das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal nicht nur natürliche Personen, sondern auch juristische Entitäten als Verbrecher abgeurteilt1070. Zum anderen habe die alliierte Militärregierung die schwerste Strafe, über die sie verfügte, gegen Kapitalgesellschaften wie IG Farben verhängt, die an Völkermord und Kriegsverbrechen teilgenommen hatten: Diese wurden per Befehl zwangsaufgelöst und ihre Vermögen verteilt1071. Zweck dieser Maßnahmen war die Vorbeugung künftiger Menschenrechtsverletzungen durch die Gesellschaften1072. Insofern seien sie als Anerkennung der Verantwortung der aufgelösten Gesellschaften für die Menschenrechtsverbrechen im Dritten Reich und damit als Bejahung ihres Status als Völkerrechtssubjekte zu werten. Schließlich argumentierten NGOs und internationale Rechtsgelehrte, dass die Nichtanerkennung der Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften einen Verrat am im Weltrechtsprinzip verkörperten Bestreben der Staatengemeinschaft bedeute, die Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechern zu beenden. Die Verneinung der Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften komme der Gewährung einer absoluten Immunität für Menschenrechtsverletzungen gleich, sofern sie von multinationalen Konzernen ausgehen1073. Regierungen könnten demnach 1066
Brief for Petitioners, S. 47. Siehe Brief of amici curiae Professors of Legal History Barbara Aronstein Black, et al., Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (No. 10-1491), S. 23 ff. 1068 Brief of Professors of Legal History Barbara Aronstein Black, et al., S. 23 – 24. 1069 Siehe Brief of amici curiae Nuremberg Scholars Omer Bartov, et al., Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (No. 10-1491). 1070 Brief of Nuremberg Scholars Omer Bartov, et al., S. 20 ff. 1071 Brief of Nuremberg Scholars Omer Bartov, et al., S. 23: „The punishment imposed by the Allied Control Council upon I.G. Farben was seizure. … This ultimate sanction was as drastic as any that could be imposed on a juridical entity: death through seizure“. 1072 Brief of Nuremberg Scholars Omer Bartov, et al., S. 23 – 30. 1073 Siehe Brief of amicus curiae the Rutherford Institute, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (No. 10-1491), S. 5 ff. 1067
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Kap. 2: Die Zweite Welle
Genozid oder Kriegsverbrechen „privatisieren“, um einer Haftung zu entgehen und ihre Straflosigkeit zu sichern1074. Neben ihren Argumenten für die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften plädierten weitere amici, dass die Zweite Welle in ihrer gegenwärtigen Form legitim sei. Der Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen argumentierte, dass die Ausübung einer universal civil jursidiction zur Gewährung von Schadensersatz für Menschenrechtsverletzungen aus anderen Staaten völkerrechtlich gerechtfertigt sei1075. Das Völkergewohnheitsrecht enthalte ein fundamentales Gebot, effektive Rechtsbehelfe zur Ahndung von Menschenrechtsverbrechen zu gewährleisten: „The principle of effective remedy … ist the golden thread that runs through all modern international human rights treaties“1076. Die Verneinung einer universal civil jurisdiction der amerikanischen Gerichte für Menschenrechtsverletzungen, etwa zugunsten eines Territorialprinzips, würde die Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechern zwangsläufig nach sich ziehen1077. Dies könne nicht im Sinne des völkergewohnheitsrechtlichen Gebots sein, effektive Rechtsbehelfe für Menschenrechtsopfer zu gewährleisten. Um Sorgen um Souveränitätsübertretung durch Anwendung von universal civil jurisdiction zu beschwichtigen, argumentierte eine Gruppe von Professoren, dass traditionelle verfahrensrechtliche Schranken die Abtretung ausländischer Fälle an die jeweils kompetente Gerichtssysteme sicherstellen könnten1078. Der „minimum contacts“-Test zur Begründung der persönlichen Zuständigkeit erfordere, dass Klagen gegen ausländische Konzerne auf ihre Kontakten zu den USA gestützt werden. Dies werde verhindern, dass ausländische Konzerne wegen Menschenrechtsverletzungen im Ausland vor US-Gerichten verklagt werden können1079. Für ATS-Klagen gegen amerikanische Konzerne bestehe die forum non conveniensDoktrin1080 sowie die Courtoisie gegenüber anderen Ländern („international comity“)1081. Diese Doktrinen ließen es den Gerichten offen, ATS-Klagen zur Verhandlung im Ausland abzuweisen, wenn kein Bezug zu den USA vorliege.
1074
Siehe Brief of amici curiae International Law Scholars, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (No. 10-1491), S. 5 ff. 1075 Siehe Brief of amicus curiae Navi Pillay, The United Nations High Commissioner for Human Rights, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (No. 10-1491). 1076 Brief of Navi Pillay, S. 5. 1077 Brief of Navi Pillay, S. 5 – 7. 1078 Siehe Brief of amici curiae Professors of Civil Procedure and Federal Courts, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (No. 10-1491). 1079 Brief of Professors of Civil Procedure and Federal Courts, S. 7 ff. 1080 Brief of Professors of Civil Procedure and Federal Courts, S. 19 ff. 1081 Brief of Professors of Civil Procedure and Federal Courts, S. 17 – 19.
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b) Der erste mündliche Verhandlungstermin Bei der ersten mündlichen Verhandlung von Kiobel stand, wie oben erwähnt, nur eine Frage zur Beantwortung: ob und aus welchen Gründen Kapitalgesellschaften als Völkerrechtssubjekte im Sinne des ATS zu qualifizieren seien. Die Verhandlung fand im Februar 2012 statt. Obwohl sich die Diskussion zwischen Richtern und Anwälten in den Anfangsminuten der aufgestellten Fragestellung zur Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften widmete, wandte sich der Aufmerksamkeit des Gerichts schnell einer anderen Problematik zu. Es fielen Fragen wie: „I think the question is whether there’s any other country in the world where these plaintiffs could have brought these claims against the respondents“1082; „If there is no other country where this suit could have been brought, regardless of what American domestic law provides, isn’t it a legitimate concern that allowing the suit itself contravenes international law?“1083 ; „What business does a case like that have in the courts of the United States? There’s no connection to the United States whatsoever. [Such a lawsuit] only creates international tension“1084. „Suppose an American corporation commits human trafficking with U.S. citizens in the United States. Under your view, the U.S. corporation could be sued in any country in the world, and it would have no international consequences. We don’t look to the international consequences at all“1085.
Die Richter waren offensichtlich nicht so sehr von der Inanspruchnahme von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen beunruhigt. Stattdessen schien das Supreme Court der völkerrechtlichen Verrtretbarkeit der Zweiten Welle überhaupt skeptisch gesinnt zu sein. Diese Skepsis fußte allem Anschein nach auf drei Gesichtspunkten: Zuerst war der Supreme Court überzeugt, dass ATS-litigation die Erstreckung von einzigartig amerikanischen Ansprüche auf ausländisches Verhalten bedeutete. Wie Justice Alito betonte, ging das Gericht davon aus, dass „these claims“ – d. h. die von den Kiobel-Klägern geltend gemachten Schadensersatzforderungen sowie ihre beantragte Zulassung einer class action – nur vor amerikanischen Gerichten möglich waren. Zweitens war das Gericht der Ansicht, dass die Erstreckung amerikanischer Ansprüche auf ausländisches Verhalten nur durch ein im Zivilrecht anwendbares Weltrechtsprinzip – eine universal civil jurisdiction – möglich wäre, das es jedoch im Völkergewohnheitsrecht nicht gab. Chief Justice Roberts legte nahe, dass „there is no other country where this suit could have been brought“. Diese Aussage ging von 1082 Frage von Justice Alito. Siehe Transcript of Oral Argument, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013) (No. 10-1491) (Feb. 28, 2012), S. 4. 1083 Frage von Chief Justice Roberts, Transcript of Oral Argument, S. 8. 1084 Frage von Justice Alito, Transcript of Oral Argument, S. 11 – 12. 1085 Frage von Justice Kennedy, Transcript of Oral Argument, S. 22.
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Kap. 2: Die Zweite Welle
einem Konsens der Staatengemeinschaft aus, dass im Zivilrecht das Territorialprinzip anstatt des Weltrechtsprinzips herrschte. Vor diesem Hintergrund konnte Chief Justice Roberts fragen, ob die bloße Zulassung einer ATS-Klage wie Kiobel „contravenes international law“, weil sie das in den Augen der Staatengemeinschaft zugrundeliegende Territorialprinzip missachtet. Drittens war das Gericht um die „international tension“ besorgt, die die Berufung auf universal civil jurisdiction zur Annahme ausländischer ATS-Klagen erzeugt hatte. Universal jurisdiction wurde als Ausnahme zum grundsätzlichen Territorialprinzip formuliert, was seinerseits als Ausfluss der territorialen Souveränität eines jeden Staates war1086. Was Konflikte mit anderen Staaten verursacht, schien das Gericht festzulegen, wird in der Staatengemeinschaft nicht als legitime Ausübung des Weltrechtsprinzips aufgefasst, sondern als Übertretung der Souveränität anderer Länder. Justice Kennedy brachte diese Ansicht auf den Punkt: Wenn ein amerikanischer Konzern etwa in China wegen Menschenhandel verklagt würde, würden wir dieses Vorgehen als legitime universal jusidiction oder als Souveränitätsbeleidigung ansehen? c) Ergebnis der ersten mündlichen Verhandlung Der Supreme Court hat die von ihm aufgestellte Frage zur Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften nicht beantwortet. Stattdessen hat das Gericht sechs Tage nach der mündlichen Verhandlung eine zweite mündliche Verhandlung anberaumt. In dieser Verhandlung sollte eine neue Frage beantwortet werden: „Whether and under what circumstances the [ATS] allows courts to recognize a cause of action for violations of the law of nations occurring within the territory of a sovereign other than the United States“1087.
Im Grunde hatte der Supreme Court damit die Frage gestellt, ob das Territorialprinzip oder das Weltrechtsprinzip auf bei ATS-Klagen ausschlaggebend sein sollte. Die Folgen dieser Entscheidung waren für die ATS-litigation von grundsätzlicher Bedeutung. Die meisten Klagen der Zweiten Welle waren sog. „foreign cubed cases“ – d. h. ausländischer Kläger, ausländischer Beklagte, ausländischer Sachverhalt. Kiobel selbst war ein paradigmenhaftes Beispiel einer „foreign cubed“Klage. Bisher war es die Annahme einer universal civil jurisdiction für Menschenrechtsverletzungen, die die Verhandlung derart aufgestellter Streitigkeiten vor den Bundesgerichten nach dem ATS begründet hatte. Sollte jedoch die Anwendbarkeit des Territorialprinzips für ATS-Klagen zugrundegelegt werden, dürften Gerichte ATS-Ansprüche nur insofern zulassen, als sie einen Bezug zum Hoheitsgebiet oder zumindest zu wesentlichen Interessen der USA aufwiesen. Die typische 1086
Siehe hierzu Kapitel 1, Abschnitt C. IV. 1. Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., No. 10-1491 (U.S. Sup. Ct.), Docket Entry from Mar. 5, 2013. 1087
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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„foreign cubed“-Aufstellung einer Zweite Welle-Klage wäre demnach wegen Extraterritorialität grundsätzlich nicht mehr zulässig. Die Verwerfung der ersten und Anberaumung einer zweiten mündlichen Verhandlung mit einer komplett neuen Fragestellung war für alle Beteiligten sehr überraschend1088. Diese Entwicklung war besonders unerwartet, weil die KiobelBeklagten die Frage einer Territorialbeschränkung von ATS-Ansprüchen noch nie erhoben hatten1089, noch hatte ein District oder Circuit Court des Kiobel-Instanzenzuges die Frage erörtert. Bis heute ist nicht bekannt, warum der Supreme Court eine zweite Verhandlung für nötig hielt1090. 3. Exkurs: Das Territorialprinzip und ATS-Klagen1091 Das Territorialitätsprinzip sowie sein Einschlag in die ATS-Rechtsprechung wurden bereits im obigen Abschnitt B. II. 1. c) detailliert dargestellt. 4. Die zweite mündliche Verhandlung Die Teilnahme von Wirtschaft und Menschenrechtsorganisationen an der zweiten mündlichen Verhandlung überstieg das Engagement an der ersten Runde. Beide Seiten haben gespürt, dass die Bejahung der Anwendbarkeit der „presumption 1088
Siehe hierzu Kontorovich, Kiobel Surprise, a.a.O. Die Territorialitätsfrage wurde in der Kiobel-litigation zum ersten Mal im Schriftsatz der Beklagten vor der ersten mündlichen Verhandlung sowie im amicus curiae-Schriftsatz von Chevron angesprochen erhoben. Siehe Brief for Respondents and Brief amici curiae of Chevron Corp, et al., Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (No. 10-1491). Die Erhebung der Territorialitätsfrage zu dieser späten Phase wurde von den Klägern als verfahrensrechtlich verwirkte Einrede gerügt, siehe Petitioner’s Reply Brief, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (No. 10-1491). Allerdings kommt es vor, dass höhere Instanzen in den USA neue Rechtsfragen sua sponte zum Gegenstand einer Berufungs- oder Revisionsverhandlung machen. Obwohl umstritten, ist ein solches Vorgehen zulässig, insbesondere wenn ein Gericht den Parteien die Möglichkeit einräumt, in neuen Schriftsätzen Stellungnahmen einzureichen. Siehe hierzu Barry Miller, Sua Sponte Appellate Rulings: When Courts Deprive Litigants of an Opportunity to be Heard, 39 San Diego L. Rev. 1253 (2002). 1090 Es existieren nur die (freilich spekulierten) Theorien von Kommentatoren. Einige meinten, dass das Supreme Court seiner öffentlichen Wahrnehmung als übermäßig „corporatefrendly“ bewusst war und deswegen eine Entscheidung vermeiden wollte, die eine effektive Immunität für Kapitalgesellschaften vor Menschenrechtsklagen bedeutet hätte. Andere vermuten, das Gericht wollte eine Blamage für die amerikanische Rechtsprechung vermeiden, die nun fast 20 Jahre lang von der Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften ausgegangen war. Andere sehen die Thematisierung des Territorialprinzips als Anschluss an eine seit Jahren um sich greifende Entwicklung in den Bundesgerichten, die extraterritoriale Anwendung amerikanischer Gesetzgebung einzuschränken. Siehe hierzu Childress, The Alien Tort Statute, Federalism, and the Next Wave of Transnational Litigation, S. 710 ff. 1091 Zum Territorialitätsprinzip und Weltrechtsprinzip siehe Kapitel 1, Abschnitt C. IV. 1.; zur „presumption against extraterritoriality“ in ATS-Klagen bis 2013, siehe Abschnitt B. IV. 5. dieses Kapitels, oben. 1089
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Kap. 2: Die Zweite Welle
against extraterritoriality“ auf ATS-Ansprüche das Ende der Zweiten Welle bedeuten konnte, und sie haben dem Ernst der Lage entsprechend ihre Interessen verstärkt geltend gemacht. Insgesamt 47 amicus curiae-Schriftsätze wurden in Vorbereitung auf die zweite Kiobel-Verhandlung eingereicht. a) Amici und Argumente gegen weltweite ATS-Ansprüche Shell und seine amici haben einen systematischen Angriff auf die Legitimität der Anwendung von ATS-Ansprüchen auf Verhalten in anderen Ländern lanciert. In fünfzehn amicus-curiae Schriftsätzen argumentierten die Regierungen führender Wirtschaftsländer sowie weltweit führende Konzerne und Wirtschaftsverbände für die Einführung einer Territorialbeschränkung für ATS-Ansprüche1092. Zunächst argumentierte die Beklagte Shell, dass die Zulassung von ATS-Klagen, die auf ausländischem Sachverhalt basierten, die Anwendung amerikanischen Rechts auf Verhalten im Ausland bedeute1093. Der Supreme Court habe in Sosa das ATS als eine Zuweisungsnorm mit Begleitkompetenz ausgelegt, common lawSchadensersatzansprüche zur Abhilfe von Verletzungen von „universal, specific, and obligatory“ Normen des Völkergewohnheitsrechts zu gewähren. Die Ansprüche, die die Bundesgerichte gemäß dieser ATS-Auslegung gewähren, sind folglich amerikanisches common law, das lediglich aus dem Völkergewohnheitsrecht abgeleitet sei1094. Die Tatsache, dass Völkergewohnheitsrechtsnormen den Inhalt dieser ATSAnsprüche bilden, bedeute nicht, dass ATS-Ansprüche als reine Anwendung völ1092 Folgende amicus curiae-Schriftsätze wurden zur Unterstützung der Position Shells eingereicht: (1) Supplemental Brief of amici curiae The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain in Support of Neither Party; (2) Supplemental Brief of amici curiae BP America, ConocoPhillips, Caterpillar, General Electric, Honeywell, and International Business Machines; (3) Supplemental Brief of amici curiae Chevron Corp., Dole Food Co., Dow Chemical Co., Ford Motor Co., GlaxoSmithKline PLC, and the Proctor & Gamble Co.; (4) Supplemental Brief of amicus curiae Chamber of Commerce of the United States of America; (5) Supplemental Brief of amicus curiae The Cato Institute; (6) Supplemental Brief of amicus curiae Engility Corp.; (7) Supplemental Brief of amici curiae Former U.S. State Department Legal Advisers; (8) Supplemental Brief of amicus curiae KBR, Inc.; (9) Supplemental Brief of amici curiae The National Foreign Trade Council, USA*Engage, United States Council for International Business, American Petroleum Institute, National Association of Manufacturers, Organization for International Investment, and the American Insurance Association; (10) Supplemental Brief of amicus curiae OTP Bank; (11) Supplemental Brief of amici curiae Professors Anthony Bellia and Bradford Clark; (12) Supplemental Brief of amici curiae Professors of International Law, Foreign Relations, and Federal Jurisdiction; (13) Supplemental Brief of amicus curiae Rio Tinto Group; (14) Supplemental Brief of amicus curiae U.S.-China Law Society; (15) Supplemental Brief of amici curiae Washington Legal Foundation and Allied Educational Foundation; Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013) (No. 101491). 1093 Siehe Supplemental Brief for Respondent, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013) (No. 10-1491). 1094 Supplemental Brief for Respondent, S. 6 – 7.
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kerrechtlicher Normen anzusehen seien. Die stets zunehmenden Proteste fremder Regierungen gegen ATS-Klagen der Zweiten Welle zeigten, dass die Staatengemeinschaft ATS-Ansprüche als ein Eingriff amerikanischen Rechts anstatt als reine Anwendung universell gültiger Völkerrechtsnormen sähe1095. In einem begleitenden amicus curiae-Schriftsatz legten die Regierungen von Großbritannien und den Niederlanden dar, warum fremde Staaten ATS-Ansprüche trotz ihrer direkten Ableitung aus universellen Normen als Anwendung amerikanischen Rechts empfanden1096. Ihr Argument: Auch wenn ATS-Ansprüche auf dem Völkerrecht basierten, seien sie zu sehr mit amerikanischen Verfahrens- und Schadensersatzregeln behaftet, um von anderen Ländern als ein völkerrechtliches – oder zumindest nicht rein amerikanisches – Vorgehen qualifiziert zu werden. Für die Regierungen waren sechs Aspekte von bisherigen ATS-Verfahren relevant. Die „American rule“ bürde Beklagten Prozesskosten auf und schaffe „an important safeguard against marginal or frivolous litigation“ ab1097. Amerikanische Discovery erhöhe die (nicht erstattbare) Kosten von ATS-Verfahren1098. Jury-Verfahren seien unvorhersehbar und, obwohl traditionell nur für US-Investitionen ein Risikofaktor, durch ATS-Klagen nur zum Risiko für Geschäftstätigkeiten in aller Welt geworden1099. Punitive damages stünden in ATS-Klagen zur Verfügung, obwohl sie weder im Völkerrecht oder allgemein in anderen Rechtssystemen zulässig seien1100. Class actions mit opt-out-Mechanismus, die fast ausschließlich in den USA möglich sind, multiplizierten die Anzahl von ATS-Klägern, ohne dass eine „loser pays“-Regel, die alle anderen Länder mit class actions als Schutzmaßnahme beibehalten hätten, beachtet werde1101. Zuletzt seien die Erfolgshonorare, die für amerikanische Klägeranwälte üblich seien, bei anderen Mitgliedern der Staatengemeinschaft allgemein unzulässig. Diese Honorare i.Z.m. der „American rule on costs“ würden so gut wie sicherstellen, dass große class actions, Jury-Verfahren und punitive damages bei jeder ATS-Klage angestrebt würden1102. Vor diesem Hintergrund argumentierten Großbritannien und die Niederlande, dass ATS-Ansprüche – auch wenn sie im Namen des Völkerrechts durchgesetzt werden – in den Augen anderer Länder als amerikanische Rechtssetzung im Ausland angesehen werden. Dieselben Regierungen legten für den Supreme Court dar, warum die extraterritoriale Anwendung von ATS-Ansprüchen auf Tätigkeiten außerhalb der USA 1095
Supplemental Brief for Respondent, S. 5. Siehe Brief of amici curiae The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain in Support of Neither Party, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013) (No. 10-1491). 1097 Brief of The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain, S. 27. 1098 Brief of The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain, S. 27. 1099 Brief of The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain, S. 27. 1100 Brief of The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain, S. 28. 1101 Brief of The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain, S. 28. 1102 Brief of The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain, S. 28. 1096
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Kap. 2: Die Zweite Welle
völkerrechtlich illegitim sei. Ein Staat dürfe einen Sachverhalt seiner Regelungsmacht nur dann unterwerfen, wenn hinreichende Anknüpfungspunkte zwischen dem Sachverhalt und dem regelnden Staat bestehe1103. Nur bei Verhalten, das auf dem eigenen Hoheitsgebiet eines Staates stattfinde, wird das Vorliegen hinreichender Anknüpfungspunkte universell bejaht. Wenn jedoch ein Staat Verhalten auf fremdem Hoheitsgebiet regeln will, müsse ein „internationally recognized principle [of jurisdiction]“ sein Vorgehen rechtfertigen1104. Das Weltrechtsprinzip sei eine solche Rechtfertigung, aber es sei jedoch ausschließlich im strafrechtlichen Kontext von der Staatengemeinschaft anerkannt worden1105. Im Zivilrecht hingegen sei bisher kein Weltrechtsprinzip anerkannt worden. Die Erweiterung des strafrechtlichen Weltrechtsprinzips um eine universal civil jurisdiction, wie es amerikanische Gerichte getan hätten, widerspreche „the way in which international law develops“1106. Zuerst müsste die Ableitung von universal civil jurisdiction aus dem strafrechtlichen Weltrechtsprinzip in anhaltender Staatspraxis nachweisbar sein, und erst dann würde universal civil jurisdiction zum „internationally recognized principle [of jurisdiction]“ des Völkergewohnheitsrechts1107. Jedoch gebe es außerhalb der USA keine staatliche Anerkennung von universal civil jursidiction, im Gegenteil: der Internationale Gerichtshof merkte bereits an, dass universal civil jurisdiction „has not attracted the approbation of States generally“1108. Insofern existiere keine völkerrechtlich anerkannte Grundlage für die Erstreckung von ATS-Ansprüchen auf Verhalten außerhalb der USA. Die australische Bergbaugesellschaft Rio Tinto begründete in einem eigenen amicus curiae-Schriftsatz, warum das strafrechtliche Weltrechtsprinzip von einer universal civil jurisdiction im Sinne der ATS-Rechtsprechung streng zu trennen sei1109. Das strafrechtliche Weltrechtsprinzip sei institutionell dahingehend gestaltet, diplomatische Reibereien zu vermeiden. Da die jeweilige Regierung eines Staates für jede Strafverfolgung aufgrund des Weltrechtsprinzips verantwortlich sei, sei vor Einleitung eines Verfahrens gewährleistet, dass die Interessen anderer Souveräne von Amts wegen berücksichtigt würden1110. In den USA sei dies sogar gesetzlich festgelegt: Ehe das Justizministerium eine Anklage wegen „serious human rights abuses“ im Ausland aufgrund des Weltrechtsprinzips erheben dürfe, müsse es zuerst die Möglichkeit einer Auslieferung prüfen und mit dem Außenministerium über di1103
12. 1104
Brief of The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain, S. 11 –
Brief of The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain, S. 11. Brief of The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain, S. 13. 1106 Brief of The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain, S. 17. 1107 Brief of The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain, S. 17. 1108 Brief of The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain, S. 16. 1109 Siehe Supplemental Brief of amicus curiae Rio Tinto Group, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013) (No. 10-1491). 1110 Supplemental Brief of Rio Tinto Group, S. 23 ff. 1105
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plomatische Konsequenzen eines US-Prozesses konferieren1111. Bei „universal civil jurisdiction“ hingegen seien private Kläger für die Erhebung der Klage verantwortlich, und diese hätten keinerlei Anreiz, die Interessen nichtamerikanischer Souveräne zu beachten1112. Deshalb sollte keine universal civil jurisdiction aus dem strafrechtlichen Weltrechtsprinzip abgeleitet werden, ansonsten riskierten amerikanische Gerichte zahlreiche Justizkonflikte mit anderen Souveränen. Die Regierungen von Großbritannien und den Niederlanden legten ferner dar, dass universal civil jurisdiction in ATS-Klagen zu genau solchen Konflikten mit fremden Souveränen führe. Die extraterritoriale Anwendung amerikanischer Zivilrechtsansprüche habe bereits vermehrt zu internationalen Konflikten geführt, weil andere Staaten dies als Souveränitätsübertretung empfunden hätten1113. In ATSKlagen sei dies nicht anders, sondern noch verstärkt der Fall: „Extraterritorial claims in ATS cases are particularly likely to generate international disputes among sovereigns“1114. ATS-Klagen würfen ausländischen Regierungen Menschenrechtsverletzungen vor. Diese Klagen verträten die Ansprüche ganzer Bevölkerungsgruppen und untergrüben Bestreben fremder Staaten, eigene Innenpolitik umzusetzen. Als Illustration und Beleg hiervon führten Großbritannien und die Niederlande die Stellungnahme des südafrikanischen Präsidenten zu den Apartheid-Klagen vor: „[W]e consider it completely unacceptable that matters that are central to the future of our country should be adjudicated in foreign courts which bear no responsibility for the well-being of our country“1115. Eine Gruppe namhafter Konzerne unter der Federführung von Chevron setzte die völkerrechtlichen Argumente Großbritanniens und der Niederlande in ein dogmatisches Argument um1116. Das völkerrechtliche Territorialprinzip gelte in den USA als eine Grundsatzvermutung gegen die extraterritoriale Anwendung von Bundesgesetzen. Die allgemeine Anwendbarkeit dieser Doktrin sei vor kurzem in Morrison v. National Australia Bank bestätigt worden, wo festgelegt wurde, dass Bundesgesetze grundsätzlich nur auf Verhalten auf amerikanischem Hoheitsgebiet anwendbar seien. Die Anwendung dieser Doktrin sei in zweifacher Hinsicht auf ATS-Klagen geboten. Erstens werde gemäß dieser Grundsatzvermutung bei jedem Bundesgesetz angenommen, dass „unless a contrary intent appears, [a law] is meant to apply only 1111 1112 1113
30. 1114
Supplemental Brief of Rio Tinto Group, S. 27. Supplemental Brief of Rio Tinto Group, S. 27 – 28. Brief of The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain, S. 29 –
Brief of The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain, S. 32. Brief of The Governments of the Kingdom of the Netherlands and Great Britain, S. 5a (Zitat von Declaration of Penuell Maduna, Minister of Justice and Constitutional Development of the Republic of South Africa, In re South African Apartheid Litig., MDL No. 1499 (S.D.N.Y. July 23, 2003)). 1116 Siehe Supplemental Brief of amici curiae Chevron Corp., Dole Food Co., Dow Chemical Co., Ford Motor Co., GlaxoSmithKline PLC, and the Proctor & Gamble Co , Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013) (No. 10-1491). 1115
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within the territorial jurisdiction of the United States“1117. Weder der Text noch die Begleitumstände des ATS enthielten einen klaren Hinweis des historischen Gesetzgebers, dass das Gesetz auf Verhalten im Ausland anzuwenden sei1118. Zweitens sei der Zweck der Grundsatzvermutung gegen Extraterritorialität die Vermeidung von „unreasonable interference with the sovereign authority of other nations“ und die internationalen Konflikte, die daraus entstünden1119. Die mannigfachen und heftigen „foreign government protests in this and other ATS cases“ zeigten jedoch eindeutig, dass ATS-litigation genau die Gefahren impliziere, die vom Territorialprinzip vermieden werden sollten1120. Insofern sollte die Grundsatzvermutung gegen extraterritoriale Anwendung auf ATS-Ansprüche angewandt werden. Demnach dürften ATS-Ansprüche nur auf Verhalten anwendbar sein, die auf amerikanischem Hoheitsgebiet stattgefunden habe. Schließlich gab eine Gruppe angesehener Wissenschaftler eine rechtshistorische Grundlage für eine territoriale Beschränkung des ATS geliefert1121. Gegenstand des ATS waren Völkerrechtsverletzungen, die internationale Konfrontation hervorgerufen hätten, wenn die USA keine gerichtliche Abhilfe vorgesehen hätte1122. Das zeitgenössische Völkerrecht von 1789 verpflichtete jedes Land, die auf seinem Hoheitsgebiet weilenden Ausländern vor der einheimischen Bevölkerung zu schützen. Kam es zu einer Verletzung des Ausländers, war der Gastgeberstaat verpflichtet, eine angemessene Entschädigung zur Verfügung zu stellen1123. Tat er dies nicht, galt das Ausbleiben einer Entschädigung als direkte Verletzung des Heimatstaats des Ausländers, die nunmehr zu Vergeltungsmaßnahmen berechtigt war1124. Diese Pflichten und die auf ihr basierenden internationalen Verantwortung galten jedoch nur für Rechtsverletzungen, die auf dem eigenen Hoheitsgebiet begangen wurden. Insofern müsse das ATS aus Sicht des historischen Gesetzgebers nur für Völkerrechtsverletzungen innerhalb der USA gedacht worden sein1125.
1117 Supplemental Brief of Chevron Corp., S. 10 (Zitat von Morrison v. Nat’l Australian Bank Ltd., 130 S. Ct. 2869, 2877 (2010)). 1118 Supplemental Brief of Chevron Corp., S. 13 – 14. 1119 Supplemental Brief of Chevron Corp., S. 11 (Zitat von Hoffmann-La Roche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155, 164 (2004)). 1120 Supplemental Brief of Chevron Corp., S. 11. 1121 Supplemental Brief of amici curiae Professors Anthony Bellia and Bradford Clark, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (No. 10-1491). 1122 Supplemental Brief of Professors Anthony Bellia and Bradford Clark, S. 8 – 9. 1123 Supplemental Brief of Professors Anthony Bellia and Bradford Clark, S. 9 (Zitat von Emmerich de Vattel, 1 The Law of Nations 144 (1759)). 1124 Supplemental Brief of Professors Anthony Bellia and Bradford Clark, S. 9 (Zitat von Vattel, 1 The Law of Nations at 145). 1125 Supplemental Brief of Professors Anthony Bellia and Bradford Clark, S. 9 – 14.
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b) Amici und Argumente für weltweite ATS-Ansprüche Die Kiobel-Kläger und ihre amici antworteten mit einer breitgefächerten Verteidigung der weltweiten Anwendung von ATS-Ansprüchen auf das Verhalten multinationaler Konzerne. Die erste mündliche Verhandlung vor dem Supreme Court scheint die internationale NGO-Welt überzeugt zu haben, dass das Ende der ATSlitigation möglicherweise bevorstand. Durch eine bisweilen als überbordend erscheinende Anzahl von 32 amicus curiae-Schriftsätzen traten Menschenrechtsorganisationen, Rechtsgelehrte sowie UNO-Vertreter aus aller Welt zur Verteidigung der Zweiten Welle an1126. Die Regierung von Argentinien argumentierte als amicus curiae, dass ATS-Ansprüche nicht mehr als eine reine Rechtsanwendung weltweit gültiger Völkerrechtsnormen seien1127. Das Völkerrecht unterscheide zwischen Rechtssetzungsbe1126 Folgende amicus curiae-Schriftsätze wurden zur Unterstützung der Position der KiobelKläger eingereicht: (1) Supplemental Brief amicus curiae of Navi Pillay, the United Nations High Commissioner for Human Rights; (2) Supplemental Brief amici curiae of Volker Beck and Christoph Strässer, Members of Parliament of the Federal Republic of Germany; (3) Supplemental Brief amici curiae of Former UN Special Representative for Business and Human Rights, Professor John Ruggie, et al.; (4) Supplemental Brief amicus curiae of The Rutgers Law School Constitutional Litigation Clinic; (5) Supplemental Brief amici curiae of Genocide Victims of Krajina; (6) Supplemental Brief amici curiae of Victims of the Hungarian Holocaust; (7) Supplemental Brief amici curiae of Human Rights First, et al.; (8) Supplemental Brief amici curiae of Professors of Civil Procedure, et al.; (9) Supplemental Brief amici curiae of Professors of Legal History and Federal Jurisdiction, Martin Flaherty, and John V. Orth; (10) Supplemental Brief amicus curiae of American Civil Liberties Union; (11) Supplemental Brief amici curiae of Australian International Law Scholars; (12) Supplemental Brief amicus curiae of Yale Law School Center for Global Legal Challenges; (13) Supplemental Brief amicus curiae of Government of the Argentine Republic; (14) Supplemental Brief amicus curiae of Ambassador David Scheffer, Northwestern University School of Law; (15) Supplemental Brief of amici curiae of Center for Justice and Accountability and Ahmed, et al.; (16) Supplemental Brief amici curiae of South African Jurists Anton Katz, et al.; (17) Supplemental Brief amici curiae of International Law Scholars; (18) Supplemental Brief amici curiae of Institute for Human Rights and Business, et al.; (19) Supplemental Brief amici curiae of International Human Rights Organizations; (20) Supplemental Brief amici curiae of Professors of Legal History; (21) Supplemental Brief amici curiae of Eleven Jewish Former Residents of Iran Whose Family Members „Disappeared“; (22) Supplemental Brief amicus curiae of The Association of the Bar of the City of New York; (23) Supplemental Brief amicus curiae of American Bar Association; (24) Supplemental Brief amici curiae of German Institute for Human Rights, et al.; (25) Supplemental Brief amicus curiae of EarthRights International; (26) Supplemental Brief amici curiae of Comparative Law Scholars, et al.; (27) Supplemental Brief amicus curiae of Juan E. Mendez U.N. Special Rapporteur on Torture; (28) Supplemental Brief amici curiae of Former United States Diplomats Diego Asencio, et al.; (29) Supplemental Brief amici curiae of English Law Practitioners Martyn Day, et al.; (30) Supplemental Brief amici curiae of Professor AlexGeert Castermans (Leiden University), et al.; (31) Supplemental Brief amici curiae of Former United States Government Counterterrorism and Human Rights Officials; (32) Supplemental Brief amicus curiae of United States; Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013). 1127 Siehe Brief of amicus curiae Government of the Argentine Republic, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (No. 10-1491).
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fugnis (jurisdiction to proscribe) und Rechtsanwendungsbefugnis (jurisdiction to enforce). Während die Rechtssetzungsbefugnis eines Landes grundsätzlich territorialbeschränkt sei, um internationale Konflikte zu vermeiden, sei seine Rechtsanwendungsbefugnis so gut wie unbeschränkt, weil reine Rechtsanwendung wenig Konfliktpotenzial berge1128. Entgegen der Darstellung von Shell seien ATS-Ansprüche keine Rechtssetzung auf fremdem Hoheitsgebiet. ATS-Klagen seien nichts mehr als reine Anwendung völkerrechtlicher Primärnormen, die sich an internationale Prinzipien soweit möglich anpasse: „The basic legal principles governing any proper action brought using the [ATS] are not prescribed by the United States but by International Law“1129. Insofern sei festzuhalten, dass „there simply is little risk of the United States improperly prescribing conduct to foreign jurisdictions“. Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen über Folter plädierte, dass, auch wenn ATS-Ansprüche als amerikanisches Recht anzusehen seien, eine „universal civil jurisdiction“ im Völkergewohnheitsrecht verankert sei, die ihre Anwendung auf Verhalten in allen Ländern erlaube1130. Das Weltrechtsprinzip stamme aus dem Völkerstrafrecht und werde in diesem Kontext universell bejaht. Eine „growing recognition“ existiere, dass dasselbe Weltrechtsprinzip auch auf zivilrechtliche Ansprüche wegen Universaldelikte anwendbar sei1131. Internationale Abkommen, die Restatement (Third) of Foreign Relations und amerikanische Rechtsprechung hätten bejaht, dass universal civil jurisdiction im Völkerrecht gegeben sei1132. Das römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) sowie das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) gestatten Adhäsionsverfahren vor nationalen Gerichten zur Gewährung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche auf der Grundlage von vom ICC bzw. ICTY festgestellten Universaldelikten1133. Des Weiteren erforderten die Gründe des Weltrechtsprinzips – die Verdammung besonders verwerflicher Taten im Namen der Staatengemeinschaft, die Beendigung der Straflosigkeit und der universell gültige
1128
Brief of the Government of the Argentine Republic, S. 12 – 13. Brief of the Government of the Argentine Republic, S. 13. 1130 Siehe Supplemental Brief of amicus curiae Professor Juan E. Méndez, U.N. Special Rapporteur on Torture, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (No. 10-1491). 1131 Supplemental Brief of Professor Juan E. Méndez, S. 12. 1132 Supplemental Brief of Professor Juan E. Méndez, S. 8 – 12 (Zitate an: Restatement (Third) of the Law of Foreign Relations § 404 (1987); Convention against Torture and other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment of Dec. 10, 1984, 465 U.N.T.S. 112; the Geneva Conventions of 1949, 75 U.N.T.S. 31 (Geneva Convention I), 75 U.N.T.S. 85 (Geneva Convention II), 75 U.N.T.S. 135 (Geneva Convention III), 75 U.N.T.S. 287 (Geneva Convention IV); Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, 78 U.N.T.S. 277). 1133 Supplemental Brief of Professor Juan E. Méndez, S. 14 (Zitat an Rules of Procedure and Evidence, International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, Rule 106 (B): „Pursuant to the relevant national legislation, a victim or persons claiming through the victim may bring an action in a national court or other competent body to obtain compensation“). 1129
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Schutz der Menschenrechte – seine Erstreckung auf zivilrechtliche Ansprüche1134. Schließlich sei die Bejahung einer universal civil jurisdiction für Menschenrechtsverletzungen erforderlich, um das völkergewohnheitsrechtliche Grundrecht auf einen „effektiven Rechtsbehelf“ zu gewährleisten1135. Die Kläger argumentierten, dass das Territorialprinzip im Kontext des ATS irrelevant sei, weil das ATS als Zuweisungsnorm nie auf ausländisches Verhalten erstreckt werde1136. Der Supreme Court habe bereits in Sosa festgelegt, dass das ATS „purely jurisdictional“ sei1137. Aus einer reinen Zuweisungsnorm gingen keine Normen hervor, die auf ausländisches Verhalten angewandt werden,1138. Stattdessen weise das ATS nur einige wenige Streitigkeiten aus dem Ausland, die Verletzungen universeller Völkerrechtsnormen zum Gegenstand hätten, in den Zuständigkeitsbereich der Bundesgerichte, damit diese einen abhelfenden Schadensersatz gewähren können. Insofern sei das ATS nur auf die Aufteilung der Zuständigkeit der Bundesgerichte und nie auf ausländische Tätigkeiten anwendbar. Sollten ATS-Ansprüche trotzdem als Anwendung amerikanischen Rechts auf Verhalten im Ausland aufgefasst werden, argumentierten die Kläger ferner, sei die aus dem Territorialprinzip abgeleitete amerikanische „presumption against extraterritoriality“ nicht auf ATS-Ansprüche anwendbar. Die Vermutung gegen extraterritoriale Anwendung sei nur eine Vermutung und werde entkräftet, wenn der Gesetzgeber einen klaren Willen verkündet, dass ein Gesetz auch im Ausland gelte1139. Bezüglich des ATS habe der historische Gesetzgeber einen solchen Willen durch (1) den Text, (2) den Zweck und (3) die Begleitumstände des ATS zum Erkennen gegeben. (1) Der Text des ATS sehe die Zulassung von „tort“-Klagen von „aliens“ vor, wenn ein „violation of the law of nations“ vorliege. Beim historischen Gesetzgeber seien Ausländer als im Ausland Wohnende konzipiert worden; Deliktsansprüche würden als bewegliches Eigentum verstanden, die mit solchen Nichtansässige in die USA einreiste; und Rechtsverletzungen seien in 1789 in jedem Land der Welt einklagbar gewesen1140. Insofern deuteten die Begriffe im Text des ATS auf eine klare Absicht hin, Schadensersatzansprüche aus dem Völkerrecht ableiten und diese in Deliktsklagen aus dem Ausland anwenden zu lassen.
1134
Supplemental Brief of Professor Juan E. Méndez, S. 11. Supplemental Brief of Professor Juan E. Méndez, S. 11 – 14. 1136 Siehe Petitioners’ Supplemental Opening Brief, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (No. 10-1491). 1137 Petitioners’ Supplemental Opening Brief, S. 34 (Zitat von Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692, 713 (2004)). 1138 Siehe Petitioners’ Supplemental Opening Brief, S. 34 – 35. 1139 Petitioners’ Supplemental Opening Brief, S. 37 (Zitat von Morrison v. Nat’l Australia Bank Ltd., 130 S. Ct. 2869, 2877 (2010)). 1140 Petitioners’ Supplemental Opening Brief, S. 23. 1135
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(2) Der historische Zweck des ATS untermauere den Schluss, dass amerikanische Schadensersatzansprüche zur Abhilfe von Verletzungen internationaler Normen zulässig seien. „[T]he First Congress intended to make a federal forum available for torts committed in violation of the law of nations“, weil die Bundesgerichte dem nationalen Interesse verpflichtet gewesen seien1141. Eine im 1789 anerkannte Völkerrechtsverletzung sei die Piraterie und entsprechend wäre Piraterie als „tort … in violation of the law of nations“ nach dem ATS einklagbar gewesen1142. Da Piraterie nie auf amerikanischem Hoheitsgebiet stattfinde, könne es nicht sein, dass ATS-Ansprüche territorialgebunden sein sollten1143. (3) Die Begleitumstände bei Verabschiedung des ATS lasse ferner den Willen erkennen, nach dem ATS anerkannte Deliktsansprüche auf Verhalten im Ausland anwenden zu lassen. Zum einen sei zur Zeit des Inkrafttretens des ATS die „transitory tort“-Doktrin ein Grundprinzip des common law gewesen. Nach dieser Doktrin dürften Deliktsklage aus dem Ausland vor amerikanischen Gerichten verhandelt werden, solange der Täter in den USA vorgefunden und die lex loci delicti angewandt würde1144. Moderne ATS-Klagen seien nichts anderes als die Fortführung dieser historischen Klageform. Die Beklagten moderner ATS-Klagen müssten gemäß due process-Prinzipien effektiv präsent auf dem Hoheitsgebiet der USA sein, ehe eine ATS-Klage gegen sie erhoben werden dürfe1145. Des Weiteren werde in ATS-Klagen wie im 18. Jahrhundert die lex loci delicti angewandt: „[T]he source of law applied to the conduct at issue [in an ATS case] is customary international law, rather than the municipal law of any one nation“1146. Insofern hätte der historische Gesetzgeber die moderne ATSlitigation gebilligt, was ein weiterer Begleitumstand des ATS belege. In 1795 habe ein amerikanischer Angehöriger die britische Kolonie Sierra Leone überfallen und geplündert. Auf das Verlangen Großbritanniens, den Täter strafrechtlich zu verfolgen, antwortete der Generalstaatsanwalt der USA, eine Strafverfolgung sei nicht möglich, weil das Territorialprinzip keinen Strafanspruch der USA auf Verhalten im Ausland zulasse1147. Er fügte jedoch hinzu, dass die verletzten britischen Kolonisten eine Zivilklage nach dem ATS gegen
1141 Petitioners’ Supplemental Opening Brief, S. 25 (Zitat von Anne-Marie Burley [Slaughter], The Alien Tort Statute and the Judiciary Act of 1789: A Badge of Honor, 83 A.J.I.L. 461, 464 (1989)). 1142 Petitioners’ Supplemental Opening Brief, S. 25 (Zitat von Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692, 720 (2004)). 1143 Petitioners’ Supplemental Opening Brief, S. 25. 1144 Petitioners’ Supplemental Opening Brief, S. 29 – 30. 1145 Petitioners’ Supplemental Opening Brief, S. 43. 1146 Petitioners’ Supplemental Opening Brief, S. 39. 1147 Petitioners’ Supplemental Opening Brief, S. 31 (Zitat von 1 Op. Att’y Gen. 57, 58 (1795)).
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die Plünderer einleiten könnten1148. Dies zeige, dass Zeitgenossen des historischen Gesetzgebers keine territoriale Beschränkung für ATS-Ansprüche anerkannten. In einem weiteren amicus curiae-Schriftsatz argumentierte das NGO Center for Justice and Accountability, dass ATS-Ansprüche auch ohne Berufung auf das Weltrechtsprinzip auf Verhalten im Ausland anwendbar seien1149. Auch wenn der Geltungsbereich von ATS-Ansprüchen aufgrund des Territorialprinzips beschränkt werden sollte, hätten die USA ein zwingendes nationales Interesse an der Verfolgung von internationalen Verbrechern, die die Erstreckung von ATS-Ansprüchen auf ausländisches Verhalten rechtfertige. Das Territorialprinzip sei nur ein völkerrechtlicher Grundsatz und ein Land dürfe ausländische Sachverhalte unter seine Regelungsmacht bringen, wenn sie seine wesentlichen Interessen tangieren1150. ATSKlagen implizierten ein wichtiges Interesse der USA: „It has long been the policy of the United States to deny safe haven to individuals who come here after committing human rights abuses abroad“1151. Dies sei durch Bundesgesetze1152, die Ratifizierung von Menschenrechtsabkommen1153 sowie Erklärungen der Exekutive1154 und des Kongresses1155 mehrfach bestätigt worden. ATS-Klagen seien nötig, um dieses Interesse zu wahren: „The ATS … is often the only realistic [] means of holding individuals accountable for violations of human rights in other countries“1156. Insofern 1148
Petitioners’ Supplemental Opening Brief, S. 31 (Zitat von 1 Op. Att’y Gen. at 59: „[T] here can be no doubt that the company or individuals who have been injured by these acts of hostility have a remedy by a civil suit in the courts of the United States; jurisdiction being expressly given to these courts in all cases where an alien sues for a tort only in violation of the law of nations“). 1149 Siehe Brief of amici curiae Center for Justice and Accountability and Ahmed, et al., Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013) (No. 10-1491). 1150 Brief of Center for Justice and Accountability and Ahmed, S. 13. 1151 Brief of Center for Justice and Accountability and Ahmed, S. 12. 1152 Brief of Center for Justice and Accountability and Ahmed, S. 13 (Zitat an Torture Victim Protection Act, 28 U.S.C. § 1350 note; Genocide Accountability Act, 18 U.S.C. § 1091; Child Soldiers Accountability Act, 8 U.S.C. § 1227(a)(4)(F); Human Rights Enforcement Act, 28 U.S.C. § 509B). 1153 Brief of Center for Justice and Accountability and Ahmed, S. 13 – 14 (Zitat an „Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, the Geneva Conventions, and the Convention Against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment“). 1154 Brief of Center for Justice and Accountability and Ahmed, S. 14 (Zitat an die Aussage eines Anwalts des Justizministeriums bei einer Anhörung des Kongresses, in der er versprach, sämtliche „resources“ der USA einzusetzen, damit „no human rights violator or war criminal ever again finds safe haven in the United States“, siehe No Safe Haven: Accountability for Human Rights Violators, Part II: Hearing Before the S. Comm. on the Judiciary, 111th Cong. 10 (2009) (statement of Lanny A. Breuer, Assistant Att’y Gen., Criminal Division)). 1155 Brief of Center for Justice and Accountability and Ahmed, S. 14 („Just since 2007, the Legislative Branch has held three hearings entitled ,No Safe Haven‘ to address how Congress can ensure that the United States is not a sanctuary for human rights abusers“). 1156 Brief of Center for Justice and Accountability and Ahmed, S. 19.
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sollten ATS-Ansprüche auf Verhalten im Ausland erstreckt werden, damit die USA nicht zum „safe haven“ für die Folterer, Völkermörder und Kriegsverbrecher der Welt werde. Schließlich erschienen zwei deutsche Parlamentarier, um sich in einem eigenen amicus curiae-Schriftsatz gegen die eigene Regierung zu stellen. Volker Beck und Christoph Straßer, jeweils die parlamentarischen Sprecher von den Gründen bzw. der SPD, verwarfen die Stellungnahmen der Bundesregierung und der deutschen Industrie- und Handelskammertagen aus der ersten Schriftsatzrunde als überheblich und unrealistisch1157. Die Bundesregierung „cannot demand German forums for companies headquartered in Germany, as there is no basis for this requirement in international law“1158. Des Weiteren sei das Klagen der Bundesregierung über universal civil jurisdiction rechtlich fraglich sowie unbotmäßig. Die Bundesregierung vergesse, dass das Weltrechtsprinzip durch Verabschiedung des Völkerstrafgesetzbuches bereits „firmly established“ im deutschen Recht sei1159. Unbotmäßig sei die Haltung der Bundesregierung, weil die Zwangsarbeit und Enteignungen des Dritten Reiches ohne Hilfestellung von ATS-Klagen und ihrer Inanspruchnahme des Weltrechtsprinzips nie abschließend entschädigt worden wären1160. Schließlich sollte den von der Industrie beklagten Kosten und Risiken von ATS-Klagen kein Gehör gewidmet werden. Die Realität sei umgekehrt: Es seien die Opfer, die bei der Geltendmachung ihrer Menschenrechte echten Risiken und Hürden ausgesetzt seien1161. Das Überleben multinationaler Konzerne werde hingegen nie ernsthaft von ATS-Klagen gefährdet. Als Beleg hierfür zitierten Beck und Straßer den Vergleich in Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co.: Den von Shell ausgezahlten Betrag von $ 15,5 Millionen habe die Gesellschaft in weniger als einem Tag wieder erwirtschaftet1162.
1157
Siehe Supplemental Brief of amici curiae Volker Beck and Christoph Strässer, Members of Parliament of the Federal Republic of Germany, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013) (No. 10-1491). 1158 Supplemental Brief of Volker Beck and Christoph Strässer, S. 11. 1159 Supplemental Brief of Volker Beck and Christoph Strässer, S. 11. 1160 Supplemental Brief of Volker Beck and Christoph Strässer, S. 5 („The prospect of ATS litigation induced German enterprises and the German government to cooperate with victims’ associations to reach an extrajudicial agreement regarding compensation. … Absent the ATS, none of this would have been possible“). 1161 Supplemental Brief of Volker Beck and Christoph Strässer, S. 13. 1162 Supplemental Brief of Volker Beck and Christoph Strässer, S. 14.
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c) Die Europäische Kommission verlangt ein Erfordernis der Erschöpfung Wie zuvor bei Sosa reichte die Europäische Kommission (EC) einen amicus curiae-Schriftsatz beim Supreme Court ein, um für ein Erfordernis der Erschöpfung des lokalen Rechtswegs in ATS-Klagen zu plädieren1163. Zunächst befürwortete die EC die Gültigkeit des Weltrechtsprinzips für Zivilklagen nach dem ATS. Zwar sei das Weltrechtsprinzip strenggenommen nur in Strafsachen anwendbar. „Nonetheless, the assertion of universal civil jurisdiction is consistent with international law if confined by the limits in place for universal criminal jurisdiction“1164. Angesichts der Entschlossenheit der Staatengemeinschaft, die Straflosigkeit für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen zu beenden, sollte die „universal civil jurisdiction“, auf welche sich ATS-Klagen stützen, allenfalls bei Vorliegen einer Universalstraftat bejaht werden1165. Gleichzeitig argumentierte die EC für die Beachtung der völkerrechtlichen Aufteilung der Zuständigkeit in künftigen ATS-Klagen. Auch wenn das Weltrechtsprinzip die Verhandlung einer Menschenrechtsverletzung in jedem Land ermögliche, sei trotzdem die Erschöpfung des lokalen Rechtswegs völkerrechtlich geboten, ehe eine Klage in den USA erhoben werde1166. Der Supreme Court sollte deshalb die Erschöpfung des lokalen Rechtswegs als Voraussetzung für die Zulassung von ATS-Ansprüchen festlegen. 5. Entscheidung des Supreme Court1167 Der Supreme Court war sich einig, dass die Kiobel-Klage unzulässig und deshalb abzuweisen war. Allerdings fand sich zunächst keine Mehrheit für eine bestimmte Begründung. Vier Richter wollten die amerikanische Grundsatzvermutung gegen extraterritoriale Gesetzesanwendung anwenden, um alle ATS-Klagen, die sich auf Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern stützten, zukünftig für unzulässig zu erklären. Vier andere Richter wollte ATS-Klagen aus dem Ausland weiterhin 1163 Siehe Brief of amicus curiae European Commission on Behalf of the European Union in Support of Neither Party, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013) (No. 101491). 1164 Brief of European Commission, S. 17. 1165 Brief of European Commission, S. 18. 1166 Brief of European Commission, S. 30: „[The exhaustion] requirement derives from a general rule of international law that before a claim may be asserted in an international tribunal or forum, the claimant must have exhausted remedies in the domestic legal system“ (Zitate hierfür an: Restatement (Third) Foreign Relations § 713 cmt. f; United Nations International Law Commission, 58th Sess., May 1-June 9, July 3-August 11, 2006, Draft Articles on Diplomatic Protection, U.N. Doc. A/61/10, Art. 14 (2007); Report of the International Law Commission, 53rd Sess., April 23-June 1, July 2-August 10, 2001, Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, U.N. Doc. A/56/10, Art. 44 (2001)). 1167 Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013).
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zulassen, solange sie ein wichtiges Interesse der USA tangierten, was die Richter aber im vorliegenden Fall nicht als gegeben sahen. Justice Kennedy stand zunächst zwischen diesen Positionen. Am Ende entschied sich Justice Kennedy, sich zu den Befürwortern der Extraterritorialitätsdoktrin zu schlagen. Damit war eine knappe fünf-zu-vier-Mehrheit für die Abweisung der Klage aufgrund einer abgeänderten Variante der Extraterritorialitätsdoktrin gegeben. a) Die Anwendbarkeit der „presumption against extraterritoriality“ auf ATS-Ansprüche Zunächst skizzierte der Supreme Court die Grundsatzvermutung der amerikanischen Dogmatik gegen extraterritoriale Anwendung von Bundesgesetzen. Die Grundsatzvermutung gegen extraterritoriale Anwendung sei eine Auslegungsdoktrin mit allgemeiner Gültigkeit für die Bundesgesetze. Nach dieser Vermutung werde grundsätzlich angenommen, dass der Gesetzgeber nur Verhalten auf amerikanischem Hoheitsgebiet zu regeln beabsichtige1168. Wenn ein Gesetz keine „clear indication of an extraterritorial application“ enthalte, sei eine extraterritoriale Bindungswirkung des Gesetzes zu verneinen1169. Der Zweck dieser Grundsatzvermutung hänge mit dem Grundsatz der Souveränitätswahrung des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips zusammen: „This presumption ,serves to protect against unintended clashes between our laws and those of other nations which could result in international discord‘“1170. Derartige Konflikte seien besonders wahrscheinlich, wenn sich Gerichte anmaßen, Gesetzen mit einer extraterritorialer Bindungswirkung zu versehen, die von den politischen Regierungsgewalten, die die Verantwortung für die diplomatischen Beziehungen der USA tragen, nicht beabsichtigt worden sei1171. Nach Erörterung der Extraterritorialitätsdoktrin legte der Supreme Court fest, dass ATS-Ansprüche das völkerrechtliche Territorialprinzip und damit die Grundsatzvermutung gegen extraterritoriale Anwendung implizierten. Zwar sei das ATS, wie in Sosa festgelegt worden sei, eine „strictly jurisdictional“ Norm – „[i]t does not directly regulate conduct or afford relief“1172. Das ATS lege nur die Kompetenz der Bundesgerichte zugrunde, Schadensersatzansprüche zur Abhilfe von Verletzungen 1168
Kiobel, 133 S. Ct. at 1664. Kiobel, 133 S. Ct. at 1664 (Zitat von Morrison v. Nat’l Australian Bank Ltd., 130 S. Ct. 2869, 2878 (2010)). 1170 Kiobel, 133 S. Ct. at 1664 (Zitat von EEOC v. Arabian American Oil Co., 499 U.S. 244, 248 (1991)). 1171 „For us to run interference in … a delicate field of international relations there must be present the affirmative intention of the Congress clearly expressed. It alone has the facilities necessary to make fairly such an important policy decision where the possibilities of international discord are so evident and retaliative action so certain. … The presumption against extraterritorial application helps ensure that the Judiciary does not erroneously adopt an interpretation of U.S. law that carries foreign policy consequences not clearly intended by the political branches“. Kiobel, 133 S. Ct. at 1664 (Zitat von EEOC v. Aramco, 499 U.S. at 248). 1172 Kiobel, 133 S. Ct. at 1664. 1169
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völkergewohnheitsrechtlicher Normen anzuerkennen1173. Aber die Ansprüche, die gemäß dieser Kompetenz anerkannt und in die common law-Rechtsprechung aufgenommen und auf nachfolgende Fälle aus dem Ausland angewandt werden, seien effektiv wie Gesetzgebung mit extraterritorialer Anwendung anzusehen. ATS-Ansprüche seien rechtskräftige Verknüpfungen von Verhalten mit schadensrechtlichen Konsequenzen, die sich auf „conduct within the territory of another sovereign“ erstrecken1174. Diese Erstreckung berge die Gefahr einer „unwarranted … interference“ in die souveränen Rechtssetzungsbefugnisse anderer Länder und damit auch in die Außenpolitik der USA1175. Die vielen Ermahnungen des Supreme Court in Sosa v. Alvarez-Machain, Vorsicht in der Anerkennung von ATS-Ansprüchen walten zu lassen1176, seien aus einer Unruhe über gerichtliche Gesetzgebung mit Anwendung im Ausland heraus entstanden1177. Aus diesen Gründen stellte der Supreme Court fest, dass die dem Territorialprinzip zugrundeliegenden Prinzipien die Unterwerfung von ATS-Ansprüchen unter die amerikanische Grundsatzvermutung gegen extraterritoriale Anwendung erforderten1178. ATS-Tatbestände versehen Verhalten auf dem Hoheitsgebiet anderer Souveräne mit Haftung nach amerikanischem Recht. Diese effektive Rechtssetzung im Ausland laufe den völkerrechtlichen Grundsätzen der Grundsatzvermutung gegen Extraterritorialität zuwider. Zweck der Vermutung sei die Vermeidung von „clashes between our laws and those of other nations“ sowie die internationalen Spannungen, die dies hervorriefe1179. ATS-Ansprüche riefen genau solche Konflikte hervor und bärgen sogar ein erhöhtes Konfliktpotenzial mit fremden Souveränen: Weil die Gerichte anstatt des Gesetzgebers für die Erschaffung neuer ATS-Ansprüche zuständig seien, würden die außenpolitischen Konsequenzen eines neuen Anspruchs wenn überhaupt nur unzureichend berücksichtigt1180. Die Tatsache, dass der Inhalt von ATS-Ansprüchen „universal, specific, and obligatory“ Normen des Völkergewohnheitsrechts sei, ändere diesen Schluss nicht. Die Ansprüche, die aus diesen Normen abgeleitet würden, seien in ihrer konkreten Ausgestaltung rein amerikanischer Natur. Die Gerichte müssten vielmehr Anspruchsinhaber, Verjährungsfristen, Erschöpfungsregeln und ähnliche Aspekte von ATS-Ansprüchen aus dem Völkerrecht ableiten, um der Gefahr des Eingriffs in 1173 Kiobel, 133 S. Ct. at 1664 „[The ATS] instead allows federal courts to recognize certain causes of action based on sufficiently definite norms of international law“. 1174 Kiobel, 133 S. Ct. at 1665. 1175 Kiobel, 133 S. Ct. at 1664 – 1665. 1176 Siehe hierzu Abschnitt B. III. 4. dieses Kapitels, oben. 1177 Kiobel, 133 S. Ct. at 1664: „As the Court explained [in Sosa], ,the potential [foreign policy] implications … of recognizing … causes [under the ATS] should make courts particularly wary of impinging on the discretion of the Legislative and Executive Branches in managing foreign affairs‘“. (Zitat von Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 694, 727 (2004)). 1178 Kiobel, 133 S. Ct. at 1665. 1179 Kiobel, 133 S. Ct. at 1664. 1180 Kiobel, 133 S. Ct. at 1664 – 1665.
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fremde Souveränität, die jeder Erstreckung amerikanischer Rechtsvorschriften auf ausländisches Hoheitsgebiet anhafte, gerecht zu werden1181. Dies hätten sie nicht getan. Insofern vermöge die Ableitung von ATS-Ansprüchen aus „universellen“ Menschenrechtsnormen ihr Konfliktpotenzial mit anderen Souveränen nicht zu reduzieren. b) Die Verneinung, dass die Vermutung gegen extraterritoriale Anwendung von ATS-Ansprüchen entkräftet sei Vor diesem Hintergrund hielte der Supreme Court fest, dass die „presumption against extraterritoriality“ auf das ATS und auf den Geltungsbereich der nach ihm gewährten Schadensersatzansprüche grundsätzlich anwendbar war. Das Gericht wandte sich anschließend der Frage zu, ob der Text, Zweck oder die Begleitumstände des ATS eine klare Entkräftung dieser Vermutung begründeten. Zuerst verneinte das Gericht, dass Text und Zweck des ATS einen extraterritorialen Geltungsbereich für ATS-Ansprüche indizierten. Zwar lasse der Wortlaut des ATS „tort“-Klagen von Ausländern vor die Bundesgerichte zu, und im Jahre 1789 seien nach der „transitory tort“-Doktrin Deliktsklagen aus dem Ausland allgemein zulässig gewesen, solange der Beklagte in den USAvorgefunden worden sei1182. Aber ATS-Klagen seien keine „transitory tort“-Klagen. „Transitory tort“-Klagen seien Deliktsklagen nach der lex loci delicti, d. h. nach ausländischem Recht gewesen, die lediglich in den USA verhandelt würden1183. ATS-Klagen seien hingegen rein amerikanische Ansprüche für Völkerrechtsverletzungen im Ausland1184. Insofern bärgen ATS-Klagen eine Gefahr der Souveränitätsübertretung, die in „transitory tort“-Klagen nicht gegeben sei. Zweitens befand der Supreme Court, dass die Begleitumstände des ATS und das daraus abzuleitende historische Verständnis des Gesetzgebers keine extraterritoriale Anwendung von ATS-Ansprüchen zuließen. Als das ATS verabschiedet würde, hätten nur drei staatengemeinschaftlich anerkannte Völkerrechtsverstöße eine ATSKlage begründet: (1) Piraterie, (2) Verletzung der Botschafterprivilegien, und (3)
1181 Siehe Kiobel, 133 S. Ct. at 1665: „As demonstrated by Congress’s enactment of the Torture Victim Protection Act of 1991, … identifying [a ,universal, specific, and obligatory‘ international law norm] is only the beginning of defining a cause of action. See Torture Victim Protection Act § 3 (providing detailed definitions for extrajudicial killing and torture)[,] § 2 (specifying who may be liable, creating a rule of exhaustion, and establishing a statute of limitations). Each of these decisions carries with it significant foreign policy implications“. 1182 Siehe Kiobel, 133 S. Ct. at 1665 – 1666. 1183 Kiobel, 133 S. Ct. at 1666 (Zitat von Cuba R. Co. v. Crosby, 222 U.S. 473, 479 (1912)). 1184 Kiobel, 133 S. Ct. at 1666: „The question under Sosa is not whether a federal court has jurisdiction to entertain a cause of action provided by foreign or even international law. The question is instead whether the court has authority to recognize a cause of action under U.S. law to enforce a norm of international law“ (Hervorhebung des Verfassers).
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Verletzung des freien Geleits1185. Die letzteren zwei Verletzungen hätten ausschließlich auf dem Hoheitsgebiet der USA stattfinden können und begründeten deshalb kein extraterritoriales historisches ATS-Verständnis1186. Piraterie hingegen möge zwar auf hoher See stattgefunden haben, aber die Erstreckung amerikanischer Rechtsvorschriften auf internationale Gewässer sei weit davon entfernt, amerikanische Regelungen auf das territoriale Hoheitsgebiet anderer Länder auszudehnen1187. Der Supreme Court schloss seine rechtshistorische Erörterung mit einer stark formulierten Feststellung, dass – entgegen den Behauptungen der Kläger – moderne weltweite ATS-Ansprüche die Zwecke und Rechtsverständnisse des historischen Gesetzgebers weit verfehlten: „[T]here is no indication that the ATS was passed to make the United States a uniquely hospitable forum for the enforcement of international norms. [N]o nation has ever yet pretended to be the custos morum of the whole world. [] It is implausible to suppose that the First Congress wanted their fledgling Republic – struggling to receive international recognition – to be the first. Indeed, the parties offer no evidence that any nation, meek or mighty, presumed to do such a thing“1188.
Schließlich merkte der Supreme Court an, dass moderne Erfahrungen mit ATSKlagen die Richtigkeit einer Territorialbeschränkung für ATS-Ansprüche bewiesen. Neuere ATS-Klagen hätten keinen staatengemeinschaftlichen Frieden eingeleitet, sondern zunehmend heftige Proteste anderer Regierungen provoziert1189. Sollten diese Proteste ignoriert werden, müsste man erwarten, dass bald andere Länder Menschenrechtsklagen gegen amerikanische Konzerne vor ihre Gerichte zuließen1190. Die Grundsatzvermutung gegen extraterritoriale Anwendung sollte jedoch verhindern, dass derartig gravierende internationale Konsequenzen aus Entscheidungen der Gerichte ausgehen könnten1191. Stattdessen könne nur ein klar formuliertes Gesetz solche außenpolitischen Konsequenzen einleiten1192.
1185 Kiobel, 133 S. Ct. at 1666 (Zitat von Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 694, 723 (2004); William Blackstone, 4 Commentaries on the Laws of England 68 (1st ed. 1769)). 1186 Kiobel, 133 S. Ct. at 1666. 1187 Kiobel, 133 S. Ct. at 1667: „Applying U.S. law to pirates, however, does not typically impose the sovereign will of the United States onto conduct occurring within the territorial jurisdiction of another sovereign, and therefore carries less direct foreign policy consequences“. 1188 Kiobel, 133 S. Ct. at 1668. 1189 Kiobel, 133 S. Ct. at 1669: „Indeed, far from avoiding diplomatic strife, providing [worldwide] cause[s] of action [under the ATS] could have generated it. Recent experience bears this out“. 1190 Kiobel, 133 S. Ct. at 1669: „[A]ccepting petitioners’ view would imply that other nations, also applying the law of nations, could hale our citizens into their courts for alleged violations of the law of nations occurring in the United States, or anywhere else in the world“. 1191 Kiobel, 133 S. Ct. at 1669. 1192 Kiobel, 133 S. Ct. at 1669.
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c) Der festzuhaltende Standard für nachfolgende ATS-Rechtsprechung Aus dem Vorhergehenden bejahte der Supreme Court die Anwendbarkeit der „presumption against extraterritoriality“ auf ATS-Ansprüche. Dementsprechend waren ATS-Ansprüche inskünftig als unzulässig abzuweisen, sofern sie als „extraterritorial“ bzw. als extraterritoriale Anwendung amerikanischen Rechts zu qualifizieren waren. Damit stellte sich jedoch zwangsläufig die Frage, unter welchen Umständen eine ATS-Klage als extraterritorial einzustufen war und ob Bezüge eines ATS-Verfahrens zu dem Hoheitsgebiet der Vereinigten Staaten die Zulassung von ATS-Ansprüchen trotz der Anwendung amerikanischer Tatbestände auf Verhalten im Ausland rechtfertigen konnten. Wie eine zulässige ATS-Klage nach Kiobel auszusehen hatte, skizzierte der Supreme Court in einem kryptischen letzten Paragraphen. Das Gericht stellte eine neue zukünftig anzuwendende Zulassungsanalyse für ATS-Klagen mit folgender Struktur auf: Grundsätzlich seien ATS-Klagen, in denen „all the relevant conduct“ außerhalb der USA stattgefunden habe, als extraterritorial zu qualifizieren und deshalb als unzulässig abzuweisen1193. Wenn jedoch die Ansprüche eines ATSVerfahrens die USA mit hinreichender Kraft „berühren“ – „where the claims touch and concern the territory of the United States … with sufficient force to displace the presumption against extraterritorial[ity]“ – seien Bedenken über Extraterritorialität entkräftet und die Klage nunmehr zulässig. Diese „touch and concern“-Formulierung war in der ATS-Rechtsprechung ein Novum und der Supreme Court konkretisierte nicht näher, unter welchen Umständen eine hinreichende Berührung einer ATS-Klage zum Hoheitsgebiet der Vereinigten Staaten zu bejahen wäre. Das Gericht merkte lediglich an, dass „mere corporate presence“ in den USA nicht ausreiche, um einer Klage einen hinreichenden Berührungspunkt zu den USA zu verschaffen, da Kapitalgesellschaften oft in vielen Ländern eine Präsenz unterhielten1194. Es stellte auch fest, dass die vorliegende Klage Kiobels keine hinreichenden Berührungspunkte zu den USA aufwies und wies Kiobel deshalb rechtskräftig ab1195.
VII. Die Nachwirkungen der Kiobel-Entscheidung Die Richter am Supreme Court hielten die Entscheidung in Kiobel für vage und hinsichtlich seiner zu erwartenden Auswirkung auf die ATS-Rechtsprechung ergebnisoffen. So Justice Kennedy: „The opinion for the Court is careful to leave open a number of significant questions regarding the reach and interpretation of the Alien 1193
Kiobel, 133 S. Ct. at 1669. Kiobel, 133 S. Ct. at 1669 („Corporations are often present in many countries, and it would reach too far to say that mere corporate presence suffices [to displace the presumption against extraterritorial application]“). 1195 Siehe Kiobel, 133 S. Ct. at 1669. 1194
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Tort Statute“1196. Insbesondere die in der Rechtsprechung völlig neue „touch and concern“-Prüfung des Gerichts wurde als Einladung zu weiterer Rechtsprechung empfunden , wie es z. B. der District Court for the District of Columbia formulierte: „[Kiobel’s] ,touch and concern‘ language is textually curious and may be interpreted by some as leaving the proverbial door ajar for courts to eventually measure its width“1197. 1. Wissenschaftliche Stellungnahmen zu Kiobel Für die Wissenschaft war klar, dass die charakteristischen „foreign cubed“Klagen der Zweiten Welle – in denen ausländische Menschenrechtsopfer einen ausländischen Konzern wegen seiner Zusammenarbeit mit einer ausländischen Regierung in den USA verklagten – vom Tisch waren. Alle Kommentatoren waren einig, dass Kiobel sämtliche „foreign cubed“-Klagen für fortan unzulässig erklärt hatte1198. Das Schrifttum befasste sich nunmehr mit der Frage, was für einen Bezug zu den USA eine ATS-Klage aufweisen musste, um nach Kiobel zulässig zu sein. Zu diesem Thema war die Lehre gespalten. Zum einen argumentierten ATS-Befürworter, dass „foreign squared“-Klagen nach Kiobel noch zulässig blieben – d. h. Klagen mit ausländischem Kläger und ausländischem Sachverhalt aber mit einem amerikanischen Beklagten – weil Klagen gegen US-Personen die USA berührten‘1199. ATSKritiker waren hingegen der Meinung, dass nach Kiobel auch amerikanische Beklagte nicht aufgrund des ATS verklagt werden konnten, solange die ihnen vorgeworfene Menschenrechtsverletzung im Ausland erfolgt war1200. Zum anderen ar1196
Kiobel, 133 S. Ct. at 1669. Al Shimari v. CACI Int’l, Inc., No. 1:08-cv-827, p. 18 (D.D.C. June 25, 2013). 1198 Vgl. z. B. Donald Childress, Kiobel commentary: An ATS answer with many questions (and the possibility of a brave new world of transnational litigation), SCOTUSblog (Apr. 18, 2013, 5:03 PM), aufrufbar unter http://www.scotusblog.com/2013/04/kiobel-commentary-anats-answer-with-many-questions-and-the-possibility-of-a-brave-new-world-of-transnational-liti gation/: „[L]et’s start with what is clear. A foreign plaintiff suing a foreign defendant for acts or omissions occurring wholly outside of the United States that allegedly violate the law of nations (a so-called ,[foreign]-cubed case‘ as presented in Kiobel) cannot bring suit under the ATS, even when there is personal jurisdiction in the United States“. 1199 Siehe Oona Hathaway, Kiobel Commentary: The Door Remains Open to „Foreign Squared“ Cases, SCOTUSblog (Apr. 18, 2013, 4:27 PM), http://www.scotusblog.com/2013/04/ kiobel-commentary-the-door-remains-open-to-foreign-squared-cases/ („[T]he Supreme Court’s decision appears to leave the door open to ,foreign squared‘ cases“.); Anupam Chander, Unshackling Foreign Corporations: Kiobel’s Unexpected Legacy, 107 A.J.I.L. 829, 830 (2013) („[T]he door is open, in particular, for cases involving American corporate defendants[,] … given that their headquarters and key personnel are more likely to be located in the United States“.). 1200 „[Kiobel] appears to leave little room for the argument that ATS suits may be brought against U.S. corporations for overseas violations of international law“. Meir Feder, Commentary: Why the Court unanimously jettisoned thirty years of lower court precedent (and what 1197
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gumentierten ATS-Befürworter, dass ATS-Klagen, in denen Handlungen des Beklagten in den USA zur Verübung einer Menschenrechtsverletzung im Ausland wesentlich beigetragen hatten, trotz Kiobel zulässig blieben – gleichgültig, ob der Beklagte ein amerikanischer oder ausländischer Konzern war1201. Dem entgegneten ATS-Kritiker wiederum, dass nach Kiobel nur Menschenrechtsverletzungen, die in den USA tatsächlich herbeigeführt werden, durch ATS-Klagen eingeklagt werden konnten1202. 2. Rechtsprechung nach Kiobel Man blickte erwartungsvoll auf die Gerichte, um zu beobachten, wie sie die „touch and concern“-Prüfung Kiobels auslegen würden. Seit Kiobel sind etwa 25 Entscheidungen der unteren Gerichte in ATS-Klagen ergangen1203. Wie erwartet that can tell us about how to read Kiobel), SCOTUSblog (Apr. 19, 2013, 11:30 AM), aufrufbar unter http://www.scotusblog.com/2013/04/commentary-why-the-court-unanimously-jettisonedthirty-years-of-lower-court-precedent-and-what-that-can-tell-us-about-how-to-read-kiobel/. 1201 Siehe z. B. Marty Lederman, Kiobel Insta-Symposium: What Remains of the ATS?, Opinio Juris, 18. Apr. 2013, aufrufbar unter http://opiniojuris.org/2013/04/18/kiobel-insta-sym posium-what-remains-of-the-ats/ („Cases in which the defendant is alleged to have engaged in conduct in the United States that contributed materially to the violation of a … law of nations norm (such as providing active assistance to torture), but where that conduct in the U.S. was not itself sufficient to establish the violation[, remain viable after Kiobel]“). 1202 Siehe z. B. Childress, Kiobel commentary: An ATS answer with many questions, a.a.O. („[F]oreign plaintiffs will only be able to proceed under the ATS when they are injured in the United States or when substantial activities [] that violat[e] the law of nations [occur in the United States]“.). 1203 Siehe Murillo v. Micheletti, No. 4:11-cv-02373 (S.D. Tex. Apr. 19, 2013); Ezekiel v. B.S.S. Steel Rolling Mills (N.D. Fla. Apr. 22, 2013); Al-Khalifa v. Salvation Army Nigeria, No. 3:13-cv-289 (N.D. Fla. Apr. 29, 2013); Ahmad v. Foundation for Int’l Research and Education, No.1:13-cv-003376 (S.D.N.Y. May 17, 2013); Ahmed-Al-Khalifa v. Queen Elizabeth II, No. 5:13-cv-103 (N.D. Fla. May 21, 2013); Mwani v. Bin Laden, No. 1:99-cv-125 (D.D.C. May 29, 2013); Mohammadi v. Islamic Rep. of Iran, No. 09-cv-1289 (D.D.C. May 31, 2013); Mwangi v. Bush, No. 5:12-373-KKC (E.D. Ky. June 18, 2013); Al Shimari v. CACI Int’l, Inc., No. 1:08-cv-827 (E.D. Va. June 25, 2013); Sarei v. Rio Tinto, PLC, No. 11-649 (S. Ct. Apr. 22, 2013); No. 02-56256 (9th Cir. June 28, 2013); Al-Khalifa v. Obama, No. 1:13-cv-49 (N.D. Fla. July 1, 2013); Giraldo v. Drummond Co., Inc., No. 2:09-cv-1041 (N.D. Ala. July 25, 2013); Doe v. Exxon Mobil Corp., 527 F. App’x 7 (D.C. Cir. 2013) (July 26, 2013); Hua Chen v. Honghui Shi, No. 09-Civ-8920 (S.D.N.Y. Aug. 1, 2013); Sexual Minorities Uganda v. Lively, 2013 WL 4130756 (D. Mass. Aug. 14, 2013); Kaplan v. Central Bank of Iran, No. 10-cv-483 (D.D.C. Aug. 20, 2013); Balintulo v. Daimler AG (In re South African Apartheid Litig.), No. 09-2778-cv (2d Cir. Aug. 21, 2013); Ahmed v. Magan, No. 2:10-cv-342 (S.D. Ohio Aug. 20, 2013); Adhikari v. Daoud & Partners, No. 1:09-cv-1237 (S.D. Tex. Aug. 23, 13); Almog v. Arab Bank, No. 1:04-cv-055 (E.D.N.Y. 23 Aug. 2013); Tymoshenko v. Firtash, No. 11-CV-2794 (S.D.N.Y. Aug. 28, 2013); Chen Gang v. Zhao Zhizhen, No. 3:04-CV-1146RNC (D. Conn. Sept. 20, 2013); Licci v. Lebanese Canadian Bank, 732 F.3d 161 (2d Cir. 2013) (Oct. 18, 2013); Doe v. Nestle USA, Inc., 738 F.3d 1048 (9th Cir. 2013) (Dec. 19, 2013); In re South African Apartheid Litig., No. 1:02-md-01499 (S.D.N.Y. Dec. 26, 2013); Chowdhury v. Worldtel Bangladesh Holding, Ltd., No. 09-4483 (2d Cir. Feb. 10, 2014); Daobin v. Cisco Sys.,
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wurden die meisten „foreign cubed“-Fälle als extraterritorial abgewiesen, aber hiervon gab es zumindest eine gewichtige Ausnahme. Gleichzeitig wurden viele ATS-Klagen mit offensichtlichen Berührungspunkten zu den USA nicht so freundlich von den Gerichten empfangen, wie mancher Kommentator es prognostiziert hatte. Allerdings haben andere Gerichte angedeutet, dass sie bei geeigneten Fällen bereit wären, das Konzept einer hinreichenden „Berührung“ der USA breit auszulegen und ATS-Ansprüche weiterhin zuzulassen. Die Rechtsprechung deutet zwar auf eine signifikante Einengung der Zulässigkeit von ATS-Klagen hin, ist allerdings keineswegs eindeutig. Im Folgenden werden die seit Kiobel erlassenen Gerichtsentscheidungen dargelegt und eine Bilanz daraus gezogen. a) Abweisungen von ATS-Ansprüchen aufgrund von Kiobel In einer Reihe von Verfahren wurden entweder die ATS-Ansprüche oder die gesamte Klage unter Berufung auf Kiobel abgewiesen. Die Entscheidungen in diesen Fällen trafen mehrheitlich „foreign cubed“-Klagen und waren wegen der Ähnlichkeit solcher Klagen zum Sachverhalt von Kiobel zu erwarten. Weitere Fälle sind jedoch über „foreign cubed“-Klagen hinausgegangen und haben unter Berufung auf Kiobel ATS-Klagen mit nicht unerheblichen Bezügen zu den USA abgewiesen. Diese letzteren Fälle deuten auf eine strikte Handhabung von Kiobel in den unteren Gerichten hin. aa) Abweisungen von „foreign cubed“-Fällen Die ersten Opfer Kiobels waren viele „foreign cubed“-Fälle – ausländischer Kläger, ausländischer Beklagter, ausländischer Sachverhalt – die keinen Bezug zu den USA aufwiesen. „Foreign cubed“-Ansprüche kamen in etwa 60 Prozent der nach Kiobel anhängigen Verfahren vor und wurden – mit einer Ausnahme1204 – einhellig abgewiesen1205. Inc., No. 8:11-cv-01538 (D. Md. Feb. 24, 2014); In re South African Apartheid Litig., No. 1:02MDL-01499 (S.D.N.Y. Apr. 17, 2014). 1204 Siehe Doe v. Nestle USA, Inc., No. 10-56739 (9th Cir. Dec. 19, 2013), das gleich im unteren Abschnitt B. VII. 2. b) aa) dieses Kapitels dargelegt wird. 1205 Siehe Murillo v. Micheletti, No. 4:11-cv-02373 (S.D. Tex. Apr. 19, 2013); Ezekiel v. B.S.S. Steel Rolling Mills (N.D. Fla. Apr. 22, 2013); Al-Khalifa v. Salvation Army Nigeria, No. 3:13-cv-289 (N.D. Fla. Apr. 29, 2013); Ahmad v. Foundation for Int’l Research and Education, No.1:13-cv-003376 (S.D.N.Y. May 17, 2013); Ahmed-Al-Khalifa v. Queen Elizabeth II, No. 5:13-cv-103 (N.D. Fla. May 21, 2013); Mohammadi v. Islamic Rep. of Iran, No. 09-cv-1289 (D.D.C. May 31, 2013); Sarei v. Rio Tinto, PLC, No. 02-56256 (9th Cir. June 28, 2013); Al-Khalifa v. Obama, No. 1:13-cv-49 (N.D. Fla. July 1, 2013); Hua Chen v. Honghui Shi, No. 09-Civ-8920 (S.D.N.Y. Aug. 1, 2013); Kaplan v. Central Bank of Iran, No. 10-cv-483 (D.D.C. Aug. 20, 2013); Adhikari v. Daoud & Partners, 09-cv-1237 (S.D. Tex. Aug. 23, 2013); Almog v. Arab Bank, No. 1:04-cv-055 (E.D.N.Y. 23 Aug. 2013); Tymoshenko v. Firtash,
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Die Abweisung von „foreign cubed“-Fällen wurde meistens nur durch einen knappen Beschluss ohne eingehende Analyse der jeweiligen Gerichte angeordnet. Für die Gerichte war dies möglich, weil der Sachverhalt von „foreign cubed“-Fällen dem von Kiobel so ähnlich war, dass eine kurze Beschreibung faktischer Ähnlichkeiten die Extraterritorialität der jeweiligen Klage eindeutig festlegte. In z. B. Tymoshenko v. Firtash klagte gegen die ehemalige ukrainische Premierministerin gegen eine ukrainische Bank, die sie angeblich hat einsperren und foltern lassen, weil sie Gasverträge mit Russland gekündigt und damit der Bank die Grundlage eines milliardenschweren Geldwäschegeschäfts entzogen haben sollte1206. Das Southern District of New York wies Tymoshenkos Ansprüche mit folgender Begründung als extraterritorial ab: „The facts of this case closely mirror those of Kiobel. Plaintiffs are citizens of a foreign country, [the defendant] Nadra Bank is a foreign corporation, and the tortious conduct at issue – arbitrary arrest and detention – took place [in Ukraine]. Although the defendant in Kiobel maintained an office in New York, Nadra Bank’s presence in the United States is even less substantial – merely the use of New York bank accounts. Given these facts, the Court concludes that Plaintiffs’ ATS claim against Nadra Bank is impermissibly extraterritorial and must therefore be dismissed“1207.
Andere Gerichte legten Kiobel als eine grundsätzliche Sperre für Fälle aus, die bei einer Eingangsanalyse als „foreign cubed“ qualifiziert werden konnten. Aus Sicht dieser Gerichte waren „foreign cubed“-Klagen die wahre Zielscheibe von Kiobel („foreign cubed [claims] … are precisely what Kiobel seeks to bar“1208). Eine derartige Ansicht kam in z. B. Gang v. Zhizhen zum Vorschein, wo chinesische Falun Gong-Anhänger gegen den Leiter eines chinesischen Fernsehsenders klagten, weil er bei Fernsehauftritten zu ihrer Inhaftierung und Folterung aufgehetzt habe1209. Der District of Connecticut stufte die Klage als „foreign cubed“ ein und war damit zufrieden, dass die Abweisung begründet war: „[T]his case is … a paradigmatic ,foreign-cubed‘ case. The plaintiffs are all ,past or present residents of the People’s Republic of China, or visitors to that country‘, … the defendant is a Chinese citizen, … and the alleged violations of international law that the defendant allegedly aided and abetted – torture, arbitrary arrest and detention, [and] crimes against humanity[] – all took place entirely abroad, in ,Mainland China‘[]. Under Kiobel, the ATS does not confer jurisdiction over such exclusively extraterritorial claims“1210.
No. 11-CV-2794 (S.D.N.Y. Aug. 28, 2013); Licci v. Lebanese Canadian Bank, 732 F.3d 161 (2d Cir. 2013) (Oct. 18, 2013); In re South African Apartheid Litig., No. 1:02-md-01499 (S.D.N.Y. Dec. 26, 2013); Chowdhury v. Worldtel Bangladesh Holding, Ltd., No. 09-4483 (2d Cir. Feb. 10, 2014). 1206 Siehe Tymoshenko v. Firtash, No. 11-CV-2794 (S.D.N.Y. Aug. 28, 2013). 1207 Tymoshenko v. Firtash, No. 11-CV-2794 (S.D.N.Y. Aug. 28, 2013). 1208 Adhikari v. Daoud & Partners, No. 09-cv-1237 (S.D. Tex. Aug. 23, 13). 1209 Siehe Gang v. Zhizhen, No. 3:04-CV-1146-RNC (D. Conn. Sept. 20, 2013). 1210 Ebend., S. 6 – 7.
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Die post-Kiobel-Rechtsprechung ist anhand solcher Beschlüsse schnell zum Konsens gekommen, dass „foreign cubed“-Fälle als an sich extraterritorial zu qualifizieren und deshalb abzuweisen seien. Unter diesen Fällen sind vor allem zwei bedeutendere ATS-Verfahren hervorzuheben: Sarei v. Rio Tinto und Chowdhury v. Worldtel Bangladesh Holding. (1) Sarei v. Rio Tinto, PLC Das wohl berühmteste Verfahren unter den abgewiesenen „foreign cubed“-Klagen war Sarei v. Rio Tinto, PLC. Rio Tinto war die ATS-Klage der Bewohner der papua-neuguineischen Insel Bougainville gegen den britisch-australischen Bergbaukonzern Rio Tinto wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während eines papua-neuguineischen Bürgerkriegs1211. Das Verfahren war seit November 2000 anhängig und hatte mehrere Instanzenzüge hinter sich gebracht sowie vier umfassende Entscheidungen des Ninth Circuit erzeugt1212. Kurz vor Kiobel hatte der Ninth Circuit im Jahr 2011 nach fast elf Jahren Berufungsverfahren die ATS-Ansprüche gegen Rio Tinto rechtskräftig zugelassen1213. Aber ehe Rio Tinto zum District Court zurückkehren konnte, wurde sie vom Supreme Court zur Revision angenommen. Rio Tinto kam allerdings nie zur Verhandlung vor dem Supreme Court. Kurz nach Kiobel hat der Supreme Court im April 2013 ein vacatur für die Entscheidung des Ninth Circuit von 2011 erlassen und die Klage zur Neuverhandlung unter Berücksichtigung von Kiobel an den Ninth Circuit zurückgewiesen1214. Nach der Zurückweisung unterließ der Ninth Circuit eine Neuverhandlung. Im Dezember 2013 wies der Ninth Circuit Rio Tinto in einem schlichten Beschluss aus vier Sätzen rechtskräftig ab1215. Hierbei bezeichnete das Gericht Rio Tinto weder als extraterritorial noch als „foreign cubed“. Es gab nur folgende Begründung an: „Upon due consideration, a majority of the en banc court has voted to affirm the district court’s judgment of dismissal with prejudice“1216.
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Zum Sachverhalt von Rio Tinto siehe Abschnitt A. III. 1. b) cc) dieses Kapitels, oben. Siehe Sarei v. Rio Tinto, PLC, 456 F.3d 1069 (9th Cir. 2006), 487 F.3d 1193 (9th Cir. 2007) (superseding opinion); 550 F.3d 822 (9th Cir. 2008) (en banc); 671 F.3d 736 (9th Cir. 2011) (en banc). 1213 Siehe Sarei v. Rio Tinto, PLC, 671 F.3d 736 (9th Cir. 2011) (en banc). 1214 Siehe Rio Tinto PLC v. Sarei, 133 S. Ct. 1995 (2013) („Judgment vacated, and case remanded to the United States Court of Appeals for the Ninth Circuit for further consideration in light of Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co.“, 133 S. Ct. 1659 (2013)). 1215 Siehe Sarei v. Rio Tinto, PLC, No. 02-56256 (9th Cir. June 28, 2013). 1216 Siehe Sarei v. Rio Tinto, PLC, No. 02-56256 (9th Cir. June 28, 2013), S. 4. 1212
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(2) Chowdhury v. Worldtel Bangladesh Holding, Inc. Chowdhury v. Worldtel Bangladesh Holding, Inc. war eine ATS-Klage zwischen zwei bangladeschischen Angehörigen, Nayeem Chowdhury („Chowdhury“) und Amjad Khan („Khan“)1217. Chowdhury und Khan waren Geschäftspartner und jeweils 50prozentige Aktionäre der Gesellschaft WorldTel Bangladesh Ltd (WBL). WBL war Inhaberin einer 25 Jahre lang gültigen Lizenz zur Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen in Bangladesch, die Gewinne in neunstelliger Höhe versprach. Sowohl Chowdhury als auch Khan wohnten in Bangladesch. 2005 soll Chowdhury eine neue Emission von WBL-Aktien veranlasst haben, sodass Khans Anteilseignerschaft an WBL von 50 Prozent auf weniger als ein Prozent fiel1218. Als Gegenmaßnahme soll Khan eine paramilitärische Einheit in Bangladesch beauftragt haben, Chowdhury einzusperren und zu foltern, bis er genug WBL-Aktien an eine von Khan beherrschte Gesellschaft (den Beklagten WorldTel Bangladesh Holding, Ltd.) überschrieben hatte, um Khan zum Mehrheitsbesitzer von WBL zu machen. Nach seiner Freilassung erhob Chowdhury eine ATS-Klage gegen Khan und WorldTel Bangladesh Holding Ltd. wegen willkürlicher Inhaftierung und Folter. Die Ansprüche gegen Khan wurden zugelassen und im August 2009 wurde Chowdhury zu einem der wenigen ATS-Verfahren, das zur Hauptverhandlung vor einer Jury kam. Die Jury verurteilte die Beklagten und sprach Chowdhury Schadensersatz in Höhe von $ 1,75 Millionen zu. Nach Kiobel kam Chowdhury zur Berufung vor dem Second Circuit. Der Second Circuit hob das Jury-Urteil auf und wies die gegen Khan geltend gemachten ATSAnsprüche als extraterritorial ab1219. Das Gericht legte Kiobels Leitsatz dahingehend aus, dass Ansprüche als extraterritorial abzuweisen seien, wenn „all the relevant conduct [took] place outside the United States“1220. Und aus Sicht des Gerichts war „all the relevant conduct“ der Chowdhury-Klage in Bangladesch vorgefallen1221. Als alternativer Abweisungsgrund führte das Gericht in einer Fußnote aus, dass die Kiobel-Entscheidung des Supreme Court den Leitsatz der Kiobel-Entscheidung des Second Circuit von 20101222 – d.i. dass Kapitalgesellschaften keine Völkerrechtssubjekte seien und deshalb nicht für Menschenrechtsverletzungen haften können – nicht aufgehoben und deshalb unberührt gelassen hatte1223. Deshalb gelte die Entscheidung von 2010 fort und ATS-Ansprüche könnten demnach nicht gegen 1217 Siehe Chowdhury v. WorldTel Bangladesh Holding, Ltd., 588 F. Supp. 2d 375 (E.D.N.Y. 2008); No. 09-4483 (2d Cir. Feb. 10, 2014). 1218 Zum Sachverhalt von Chowdhury siehe Chowdhury v. WorldTel Bangladesh Holding, Ltd., 588 F. Supp. 2d 375, 380 ff. (E.D.N.Y. 2008). 1219 Siehe Chowdhury v. Worldtel Bangladesh Holding, Ltd., 746 F.3d 42 (2d Cir. 2014). 1220 Chowdhury, 746 F.3d at 49. 1221 Chowdhury, 746 F.3d at 49. 1222 Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010). 1223 Chowdhury, 746 F.3d at 49 Fn. 6.
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den zweiten Beklagten WorldTel Bangladesh Holding Ltd. als juristische Person geltend gemacht werden. Allerdings hat sich eine Richterin des Senats gegen diese Feststellung gewehrt und in einer concurring opinion argumentiert, dass sie als reines obiter dictum anzusehen sei, weil sie in Anbetracht der vollständigen Abweisung wegen Extraterritorialität entscheidungsunerheblich sei1224. Die Richterin fügte hinzu, dass die Frage der Haftbarkeit von Kapitalgesellschaften in ATS-Klagen derart wichtig sei, dass es nicht in einer lapidaren Fußnote zu entscheiden sei und ausführlich vor einem späteren Senat verhandelt werden sollte1225. (3) Fazit zu „foreign cubed“-Klagen Die Rechtsprechung nach Kiobel hat eindeutig und einhellig festgelegt, dass „foreign cubed“-Fälle als extraterritorial im Sinne Kiobels anzusehen sind. Sofern ein in einer ATS-Klage geltend gemachter Anspruch von einem ausländischen Kläger gegen einen ausländischen Beklagten erhoben wird und aus Verhalten im Ausland herrührt, ist er als extraterritorial abzuweisen. bb) Abweisungen in Klagen mit Inlandsbezügen Es blieben ATS-Klagen mit ernstzunehmenden US-Bezügen, in denen eine Qualifizierung als „foreign cubed“ nicht möglich war und die Gerichte sich deshalb mit der „touch and concern“-Prüfung von Kiobel eingehender auseinandersetzen mussten. In den folgenden Fällen wurden ATS-Ansprüche gegen einen amerikanischen Konzern (mit Sitz in den USA) erhoben und in manchen Fällen konnten die Kläger sogar die Planung oder Steuerung von Menschenrechtsverletzungen aus der amerikanischen Unternehmenszentrale glaubwürdig darlegen. Trotzdem haben Gerichte die ATS-Ansprüche dieser Fälle als extraterritorial im Sinne Kiobels abgewiesen. (1) Giraldo v. Drummond Co. Die Drummond-Klagen1226 gingen aus den Tätigkeiten des im Bundesstaat Alabama ansässigen Bergbaukonzern Drummond Co. in Kolumbien hervor. Gegenstand der Klagen war Drummonds angebliche Anheuerung paramilitärischer Einheiten, um die gewerkschaftliche Organisation von seinen Minen mit Gewalt zu brechen. Darüber hinaus soll Drummond die Einheiten mit der Sicherung von Eisenbahnstrecken beauftragt haben, die von seiner Mine an Abnehmer führten und von linken Guerillas offenbar regelmäßig sabotiert wurden. Giraldo v. Drummond Co. wurde von etwa 592 Bewohnern der umliegenden Gebiete der Eisenbahnstrecken erhoben, die oder deren Verwandte von den paramilitärischen Einheiten als Teil einer 1224
Chowdhury, 746 F.3d at 56 – 57 (Pooler, J., concurring). Chowdhury, 746 F.3d at 57 – 58 (Pooler, J., concurring). 1226 Zum Sachverhalt der Drummond-Klagen siehe Abschnitt A. III. 2. b) bb) dieses Kapitels, oben. 1225
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Gewaltkampagne gefoltert oder getötet waren1227. Drummond wurde eine Beihilfe zu diesen Handlungen vorgeworfen. Obwohl die Unrechtshandlungen in Kolumbien stattgefunden hatten, argumentierten die Kläger, dass ihre Ansprüche die USA im Sinne von Kiobel hinreichend „berührten“, weil Führungskräfte von Drummond in der Unternehmenszentrale in Alabama die Anheuerung paramilitärischer Einheiten sowie eine Gewaltstrategie zur Sicherung der Eisenbahnstrecken geplant und geleitet hätten. Das Northern District of Alabama wies die Klage ab. Der vorrangige Grund für die Abweisung war das Versagen der Kläger, einen Inlandsbezug nachzuweisen. Die Kläger hätten keine Beweise beigebracht, dass Drummond oder seine Mitarbeiter irgendeine Handlung in den USA unternommen hätten, die mit der Verübung von Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien zu tun gehabt habe1228. Insofern müsse nicht festgestellt werden, ob der vorliegende Fall die USA ,berühre‘. Allerdings erörterte das Gericht in weiteren obiter dicta, dass es auch beim Nachweis der Planung einer Unrechtshandlung in den USA einen hinreichenden USBezug im Sinne Kiobels verneint hätte, und dass es in Zukunft die „touch and concern“-Prüfung des Supreme Court eng auslegen würde. Die „presumption against extraterritoriality“ stamme zunächst aus der Entscheidung des Supreme Court in Morrison v. National Austrialia Bank Ltd. und in dieser Entscheidung habe das Gericht festgelegt, dass Ansprüche als extraterritorial zu qualifizieren seien, wenn „the event on which [a federal] statute focuses“ im Ausland vorgefallen seien1229. ATS-Ansprüche seien deshalb als extraterritorial zu qualifizieren, solange „the event on which the [ATS] focuses … occur[red] abroad“1230. Der Fokus des ATS seien Menschenrechtsverletzungen. Entsprechend sei festzuhalten, dass, solange die in einer ATS-Klage streitgegenständliche Menschenrechtsverletzung im Ausland begangen wurde, sämtliche daraus entstehende Ansprüche als extraterritorial im Sinne Kiobels abzuweisen seien. Die Tatsache, dass dem Beklagten „some activity“ in den
1227 Siehe Giraldo v. Drummond Co., Inc., No. 2:09-cv-1041 (N.D. Ala. July 25, 2013); Giraldo v. Drummond Co., Inc., 808 F. Supp. 2d 247 (N.D. Ala. 2011). 1228 Giraldo v. Drummond Co., Inc., No. 2:09-cv-1041 (N.D. Ala. July 25, 2013), at 16: „[T] he admissible … evidence, boiled down to its essence, is this: in 1996, there were discussions in Columbia about stationing AUC forces closer to the Prodeco mine; AUC operatives were instructed by local Colombian Drummond employees not to allow guerillas in the Cesar Province where Drummond operated; after a meeting among the AUC and Drummond officials in Columbia, the AUC presence along Drummond’s rail line increased; AUC operatives understood that ,cleaning up‘ meant killing guerillas and civilians; and Drummond corporate officers were aware that human rights violations would follow the AUC. There is nothing left in this final analysis to support Plaintiffs’ contention that [Drummond] made decisions in the United States to conspire with and aid and abet the commission of war crimes in Colombia“. 1229 Siehe Giraldo v. Drummond Co., No. 2:09-cv-1041, at 17 (Verweis auf Morrison v. Nat’l Australian Bank Ltd., 130 S. Ct. 2689, 2883 – 2884 (2010)). 1230 Siehe Giraldo v. Drummond Co., No. 2:09-cv-1041 (N.D. Ala. July 25, 2013), at 17.
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USA nachgewiesen werden könne, reiche deshalb bei weitem nicht aus, um die Extraterritorialität der Klage zu widerlegen1231. (2) Al Shimari v. CACI Int’l Al Shimari v. CACI Int’l Inc.1232 war eine Klage aus der gleich zu schildernden Dritten Welle und richtete sich gegen die amerikanische Sicherheitsfirma CACI International. Die Klage wurde von irakischen Angehörigen, die im berüchtigten Abu Ghraib-Gefängnis in Bagdad inhaftiert waren, erhoben. Dort hatte CACI als Vertragsnehmer des Verteidigungsministeriums die Verhöre der Häftlinge geleitet und soll zugelassen haben, dass seine Verhörsleiter und Dolmetscher die Kläger brutal folterten. Allem Anschein nach war eine Al Shimari eine auf die Rechtslage nach Kiobel perfekt zugeschnittene ATS-Klage. Das Eastern District of Virginia hatte kurz vor Kiobel die Ansprüche der Kläger wegen Folter, grausamer Behandlung und Kriegsverbrechen gegen CACI zugelassen1233. Des Weiteren war CACI eine amerikanische Gesellschaft mit Sitz in Virginia und die Kläger konnten glaubhaft behaupten, dass CACI die streitgegenständlichen Menschenrechtsverletzungen in den USA geplant und geleitet hatte1234. Trotzdem war das Gericht anderer Meinung und wies die Klage als extraterritorial ab1235. Das Gericht legte eine sehr restriktive Auslegung der Kiobel-Enscheidung fest. Seiner Ansicht nach hatte Kiobel den Gerichten die Entscheidung, ob eine ATSKlage hinreichende Berührungspunkte zu den USA aufwerfe, aus der Hand genommen. Nach Kiobel könne nur der Gesetzgeber bestimmen, unter welchen Um1231
Siehe Giraldo v. Drummond Co., No. 2:09-cv-1041 (N.D. Ala. July 25, 2013), at 17. Siehe Al Shimari v. CACI Int’l, Inc., No. 1:08-cv-827 (E.D. Va. June 25, 2013). Die Klage gegen CACI sowie die im Folgenden geschilderte Entscheidung werden ausführlich in Kapitel 3, Abschnitt C. II. 4. diskutiert. 1233 Siehe Transcript of Motions Hearing on Nov. 1, 2012 before Judge Gerald Bruce Lee, Al Shimari v. CACI Int’l, Inc., No. 1:08-cv-00827 (E.D. Va. Nov. 1, 2012), S. 26. 1234 Siehe z. B. Kevin Jon Heller, Is This the Model of a Viable Post-Kiobel ATS Lawsuit?, Opinio Juris, 10 Mai 2013, aufrufbar unter http://opiniojuris.org/2013/05/10/is-this-the-modelof-a-viable-post-kiobel-ats-lawsuit/ („Al Shimari is precisely the rare ATS lawsuit that can survive Kiobel. First, … Kiobel’s presumption against extraterritorial application of the ATS should not even apply in Al Shimari, because the conduct in question occurred in Iraq during the US occupation, a period in which … the US had ,complete jurisdiction and control‘ over Abu Ghraib[.] … Second, … the relevant conduct does indeed ,touch and concern‘ the US[.] CACI is a US corporation headquartered in the US; that CACI’s immunity from Iraqi legal process made it subject to US law; and that the conduct in question was directed from the US“.); Gillian Leatherberry, Post-Kiobel ATS Cases: Does the proverbial ATS door now have a screen?, International Rights Advocates, 8. Aug. 2013, aufrufbar unter http://www.iradvocates.org/blog/ post-kiobel-ats-cases-does-proverbial-ats-door-now-have-screen („Because the abuse took place in Iraq during US occupation and in a prison run by US military contractors, many plaintiffs’ lawyers thought that if any case would survive Kiobel, Al-Shamari would“.). 1235 Für eine detailliertere Ausführung der Entscheidung des Eastern District of Virginia, siehe Kapitel 3, Abschnitt C. IV. 1. 1232
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ständen Menschenrechtsverletzungen, die im Ausland begangen worden seien, vor US-Gerichten aufgrund des ATS einklagbar seien1236. Bis diese weitere Gesetzgebung erfolge, seien alle ATS-Klagen als extraterritorial abzuweisen, solange die streitgegenständlichen Menschenrechtsverletzungen im Ausland vorgefallen seien – egal ob sie von Amerikanern begangen oder in den USA geplant oder von den USA aus geleitet worden seien. Diesen Schluss destillierte der District Court aus mehreren Hinweisen an zerstreuten Stellen der Kiobel-Entscheidung1237. Das Ergebnis von Al Shimari war wegen seiner Strenge für viele sehr unerwartet. Auch das Gericht gab zu, dass seine Auslegung möglicherweise zu eng sei und hoffte auf Klarstellung durch das ihm überstellte Circuit Court1238. (3) Adhikari v. Daoud & Parnters In Adhikari v. Daoud & Partners verklagten die Familien von im Irak ermordeten Nepalesen eine jordanische Baufirma (Daoud & Partners) und einen großen amerikanischen Baukonzern (KBM, Inc.)1239. Die Kläger warfen den Unternehmen vor, zur Kostensenkung Menschenhandel mit ihren Verwandten abgesprochen und ausgeführt zu haben1240. Zwölf nepalesische Männer sollen unter falschen Versprechen hoher Löhne in den USA zur Unterzeichnung eines Arbeitsvertrags und zur Übernahme beträchtlicher Schulden für die Vermittlung der Arbeitsstelle überzeugt worden sein. Nach ihrer Abreise – vermeintlich in die USA – wurden sie aber angeblich auf Wunsch KBMs in Jordanien bei Daoud & Partners deponiert, wo ihnen die Pässe weggenommen und sie in dunklen Zellen gehalten wurden. Nach einigen Tagen wurden sie in einen Bus gebracht, um zu einer Baustelle von KBM im Irak transportiert zu werden. Auf der Fahrt wurden sie von irakischen Freiheitskämpfern gefangengenommen und hingerichtet. Ihre Familien verklagten den amerikanischen Baukonzern KBM wegen Menschenhandels, da die hingerichteten Männer angeblich 1236
Siehe Al Shimari, No. 1:08-cv-00827, Doc. 460, at 16. Siehe Al Shimari, No. 1:08-cv-00827, Doc. 460, at 16 – 17: „First, Kiobel framed its discussion by stating that ,[w]hen a statute gives no clear indication of an extraterritorial application, it has none‘, suggesting that the text of the statute itself, rather than any judicial factual determination, must rebut the presumption. Second, Kiobel stated that ,to rebut the presumption, the ATS would need to evince a clear indication of extraterritoriality,‘ again using language directed at the statute itself. In concluding this portion of the analysis, the Kiobel Court again stated that ,nothing in the statute rebuts [the] presumption‘. Third, the Court commented that a statute more specific than the ATS would be required if Congress intended courts to exercise jurisdiction over claims predicated on extraterritorial acts. Fourth, Kiobel explains that the presumption serves to maintain the respect of those matters committed to other branches, such that ,the Judiciary does not erroneously adopt an interpretation of U.S. law that carries foreign policy consequences not clearly intended by the political branches‘“. 1238 Siehe Al Shimari, No. 1:08-cv-00827, Doc. 460, at 18. 1239 Siehe Adhikari v. Daoud & Partners, 697 F. Supp. 2d 674 (S.D. Tex. 2009); No. 09-cv1237 (S.D. Tex. Aug. 23, 2013). 1240 Zum Sachverhalt von Adhikari siehe Adhikari v. Daoud & Partners, 697 F. Supp. 2d 674, 679 ff. (S.D. Tex. 2009). 1237
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auf dem Weg zu einer ihrer Baustellen waren, als sie getötet wurden. Nach Darlegung der Kläger waren ihre ATS-Ansprüche nicht extraterritorial im Sinne Kiobels, weil KBM ein amerikanischer Konzern war, der das Schema zum „Aufkaufen“ billiger Arbeitskräfte angeblich in seiner Zentrale in Texas abgesprochen hatte. Das Southern District of Texas wies die Klage dennoch als extraterritorial im Sinne Kiobels ab1241. Bezüglich der Ansprüche gegen die jordanische Baufirma Daoud & Partners befand das Gericht, dass Extraterritorialität auf der Hand lag: „Daoud is a Jordanian company with no presence in the United States. The conduct underlying Plaintiffs’ ATS claim is entirely foreign. This Plaintiffs’ ATS claims are precisely what Kiobel seeks to bar“1242.
In Hinblick auf die Ansprüche gegen den amerikanischen Konzern KBM griff das Gericht das Zitat im letzten Paragraphen der Kiobel-Entscheidung aus, dass die „mere presence“ einer Kapitalgesellschaft in den USA nicht ausreiche, um eine „Berührung“ der USA in einer ATS-Klage herzustellen1243. Das Gericht gab zu, dass der Supreme Court nicht klargestellt hatte, was als „mere presence“ einer Kapitalgesellschaft in den USA zu qualifizieren war, noch ob die extensive Wirtschaftstätigkeit einer Gesellschaft in den USA ihre „Präsenz“ in einen hinreichenden Inlandsbezug für ATS-Klagen verwandeln könnte1244. Für das Gericht war jedoch ausschlaggebend, das in der vorliegenden Klage „all relevant conduct by … KBR“ außerhalb der USA stattgefunden hatte1245. Weil kein Verhalten, das zu den streitgegenständlichen Menschenrechtsverletzungen beigetragen hätten, in den USA stattgefunden habe, bleibe nur die „mere presence“ von KBR als Bezugspunkt zu den USA übrig. Insofern sei die Klage als extraterritorial abzuweisen. (4) Almog v. Arab Bank Almog v. Arab Bank, Plc war die Klage israelischer Angehöriger, die durch Selbstmordattentäter der palästinensische Intifada verletzt worden waren1246. Die israelischen Kläger hatten die jordanische Bank „Arab Bank“ wegen Beihilfe zu Völkermord und Terrorismus verklagt, weil die Bank Überweisungsdienste für Hisbollah getätigt und ein saudi-finanziertes Sterbegeldprogramm für palästinensische „Märtyrerfamilien“ verwaltet hatte, die die Attentate der Intifada wesentlich unterstützt hatten1247. 1241 1242 1243 1244 1245 1246
2013).
Siehe Adhikari v. Daoud & Partners, No. 09-cv-1237 (S.D. Tex. Aug. 23, 2013). Adhikari, No. 09-cv-1237, S. 12. Siehe Adhikari, No. 09-cv-1237, S. 12. (Zitat von Kiobel, 133 S. Ct. at 1669). Adhikari, No. 09-cv-1237, S. 12. Adhikari v. Daoud & Partners. Siehe Almog v. Arab Bank, PLC, No. 1:04-cv-05564-BMC-VVP (E.D.N.Y. Aug. 23,
1247 Für einen detaillierten Sachverhalt von Arab Bank, siehe Abschnitt A. III. 5. b) dieses Kapitels, oben.
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Vor Kiobel hatte das Eastern District of New York in einer umfassenden und fundierten Entscheidung die Ansprüche der Kläger gegen Arab Bank zugelassen1248. Nach Kiobel beantragte die Bank die Abweisung der Klage erneut unter dem Einwand, die geltend gemachten Ansprüche seien extraterritorial. Bezugspunkte zu den USA waren in Arab Bank vorhanden: Die verklagte Bank hatte die für AttentäterFamilien bestimmten Gelder durch New Yorker Filialen überwiesen, um sie in israelische Schekel zu wechseln, ehe sie sie in palästinensische Konten eingezahlt hatten. Der District Court wies die Klage jedoch ohne Erörterung ihrer US-Bezüge ab1249. Der District Court wies darauf hin, dass die Kiobel-Entscheidung des Second Circuit von 20101250, in der die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften verneint wurde – oben in Abschnitt B. V. 7. dargestellt – von der Entscheidung des Supreme Court nicht aufgehoben worden sei1251. Nach ständiger Rechtsprechung bedeute dies, dass die Entscheidung des Second Circuit noch gültig sei1252. Dementsprechend sei die Völkerrechtssubjektivität juristischer Personen aufgrund dieser Entscheidung weiterhin zu verneinen, was eine Abweisung aller ATS-Ansprüche gegen Arab Bank erfordere. cc) Fazit zu ATS-Abweisungen Die Gerichte scheinen festgelegt zu haben, dass „foreign cubed“-Klagen nach Kiobel als per se extraterritorial gelten. Aber in Hinblick auf die Frage, was für Inlandsbezüge erforderlich sind, um die Extraterritorialität einer ATS-Klage zu entkräften, sind die Gerichte uneins. Adhikari und Drummond legen fest, dass die Tatsache, dass ein amerikanischer Konzern seinen Sitz im Inland hat, nicht ausreicht, um eine „Berührung“ der USA zu bejahen. Drummond geht weiter und hält fest, dass die Planung und Steuerung von Menschenrechtsverletzungen aus den USA nicht als US-Bezüge ausreichen, solange die streitgegenständlichen Menschenrechtsverletzungen im Ausland begangen werden. Al Shimari geht noch weiter und befindet, dass nur Menschenrechtsverletzungen im Inland die USA ,berühren‘ und dass nur der Kongress ein anderes Ergebnis verfügen kann. Zusammengenommen deuten diese Entscheidungen auf ein enges Verständnis der „touch and concern“-Prüfung Kiobels hin. Allerdings kommen die Entscheidungen
1248 1249 1250 1251
S. 1.
Siehe Almog v. Arab Bank, PLC, 471 F. Supp. 2d 257 (E.D.N.Y. 2007). Almog v. Arab Bank, PLC, No. 1:04-cv-05564-BMC-VVP (E.D.N.Y. Aug. 23, 2013). Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010). Almog v. Arab Bank, PLC, No. 1:04-cv-05564-BMC-VVP (E.D.N.Y. Aug. 23, 2013),
1252 Almog v. Arab Bank, PLC, No. 1:04-cv-05564-BMC-VVP, S. 1 (Zitat von Baraket v. Holder, 632 F.3d 56, 59 (2d Cir. 2011): „A decision by a panel of the Second Circuit ,is binding unless and until it is overruled by the Court en banc or by the Supreme Court‘“).
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dieser Gerichte demnächst in die Berufung, weswegen ihnen nur vorläufiger Charakter beizumessen ist. b) Entscheidungen ohne Abweisungen In etwa neun ATS-Verfahren haben Gerichte ATS-Ansprüche entweder nicht oder nicht wegen Extraterritorialität abgewiesen1253. Diese Entscheidungen lassen auf eine expansivere Auslegung von Kiobel als die der eben dargelegten District CourtEntscheidungen schließen. aa) Doe v. Nestle: Die Überraschung aus dem Ninth Circuit In Doe v. Nestle USA, Inc.1254 warfen malische Kinder dem schweizerischen Lebensmittelriesen Nestle eine Beihilfe zu Zwangsarbeit vor. Die Kinder wurden angeblich auf liberianischen Kakaoplantagen in die Zwangsarbeit gezwungen, wo sie täglich bis zu 14 Stunden lang unter vorgehaltenem Maschinengewehr arbeiten mussten. Nestle soll von diesen Umständen gewusst haben, aber den Kakao trotzdem von diesem Plantagenbetreiber gekauft haben, weil er den niedrigsten Preis anbot. Aus diesem Grunde warfen die Kläger Nestle eine Beihilfe zu ihrer Zwangsarbeit vor. Die Nestle-Klage schien allen Beobachtern eine typische „foreign cubed“-Klage zu sein, die nach Kiobel keine Zukunft mehr hatte. Diese Ansicht rührte nicht nur aus seinem rein ausländischen Sachverhalt her, sondern auch aus seinem Verfahrensverlauf. 2010 hatte das Central District of California die Klage aus zwei Gründen abgewiesen1255. Zum einen sah der District Court die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften als nicht im Völkergewohnheitsrecht gegeben, was die Haftung Nestles für Menschenrechtsverletzungen ausschloss1256. Zum anderen verwendete das Gericht einen erhöhten subjektiven Tatbestand für Beihilfe, wonach ein Beklagter nur dann für einen Beitrag zu einer Menschenrechtsverletzung haftete, wenn er mit der spezifischen Absicht handelte, die streitgegenständliche Menschenrechtsverletzung herbeizuführen1257. Aus Sicht des Gerichts ließen Nestles
1253 Mwani v. Bin Laden, No. 1:99-cv-125 (D.D.C. May 29, 2013); Doe v. Exxon Mobil Corp., 527 F. App’x 7 (D.C. Cir. 2013) (July 26, 2013); Sexual Minorities Uganda v. Lively, 2013 WL 4130756 (D. Mass. Aug. 14, 2013); Ahmed v. Magan, No. 2:10-cv-342 (S.D. Ohio Aug. 20, 2013); Licci v. Lebanese Canadian Bank, 732 F.3d 161 (2d Cir. 2013) (Oct. 18, 2013); Doe v. Nestle USA, Inc., 738 F.3d 1048 (9th Cir. 2013) (Dec. 19, 2013); In re South African Apartheid Litig., No. 1:02-md-01499 (S.D.N.Y. Dec. 26, 2013); In re South African Apartheid Litig., No. 1:02-MDL-01499 (S.D.N.Y. Apr. 17, 2014). 1254 Siehe Doe v. Nestle USA, Inc., No. 10-56739 (9th Cir. Dec. 19, 2013). 1255 Siehe Doe v. Nestle, S.A., 748 F. Supp. 2d 1057 (C.D. Cal. 2010). 1256 Siehe Nestle, 748 F. Supp. 2d at 1124 ff. 1257 Siehe Nestle, 748 F. Supp. 2d at 1082 ff.
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bloße Kakaokäufe auf keine derartige Absicht schließen1258. Die Kläger hatten gegen diese Entscheidung Rechtsmittel eingelegt und der Ninth Circuit hatte die Berufung angenommen, aber ehe die Berufungsverhandlung gehalten werden konnte, fiel die Kiobel-Entscheidung des Supreme Court. Nach Kiobel erwarteten aber alle einen knappen Abweisungsbeschluss des Ninth Circuit wegen Extraterritorialität: Die Kläger waren Ausländer; der Beklagte war ein ausländischer Konzern; und sämtliches relevantes Verhalten war in Liberia vorgefallen. Entgegen allen Erwartungen hob der Ninth Circuit die Entscheidung des District Court auf und ordnete die Wiederaufnahme des Verfahrens an1259. In drei kurzen Paragraphen verkündete der Ninth Circuit eine Art Grundsatzentscheidung, die die meisten Beobachter frappierte. Zunächst befand das Gericht, dass juristische Personen Völkerrechtssubjekte im Sinne des ATS seien. Als Autorität hierfür führte der Ninth Circuit eine neue und aus der Sicht mancher eigenwillige Auslegung der Kiobel-Entscheidung vor. Das Gericht legte Kiobel vor dem Hintergrund aus, dass der Supreme Court zunächst die Revision der Rechtsfrage angenommen hatte, ob Kapitalgesellschaften nach dem ATS für Menschenrechtsverletzungen haften. Allerdings hatte der Supreme Court diese Frage nicht beantwortet und an ihrer Stelle nach einer Neuverhandlung lediglich befunden, dass ATS-Ansprüche unzulässig seien, sofern sie als extraterritorial zu qualifizieren seien. Der Ninth Circuit zog aus dieser Konstellation den Leitsatz, dass Ansprüche gegen Kapitalgesellschaften von der Entscheidung des Supreme Court unberührt waren und weiterhin zulässig blieben, solange sie nicht als extraterritorial einzustufen waren: „[C]orporations may be liable under ATS so long as [the] presumption against extraterritorial application is overcome“1260. Unter Berufung auf diese Auslegung von Kiobel hob der Ninth Circuit den Befund des District Court auf, dass Kapitalgesellschaften nicht für Völkerrechtsverletzungen nach dem ATS haften können. Damit war der Ninth Circuit das erste Gericht, das Kiobel als eine Bestätigung der Haftbarkeit von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen interpretierte, sowie das erste Gericht nach Kiobel, das die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften nach Kiobel erneut bejahte. Des Weiteren hob der Ninth Circuit die erhöhten subjektiven Voraussetzungen des Beihilfetatbestands, die der District Court zugrundegelegt hatte, als zu streng formuliert auf. Haftung wegen Beihilfe erfordere keine Absicht, die im konkreten Verfahren streitgegenständlichen Menschenrechtsverletzungen herbeizuführen, sondern nur einen subjektiven Zweck, zur Begehung von Menschenrechtsverletzungen beizutragen1261. 1258 1259 1260 1261
Siehe Nestle, 748 F. Supp. 2d at 1111. Siehe Doe v. Nestle USA, Inc., No. 10-56739 (9th Cir. Dec. 19, 2013). Siehe Doe v. Nestle USA, Inc., No. 10-56739 (9th Cir. Dec. 19, 2013), S. 4. Siehe Doe v. Nestle USA, Inc., No. 10-56739 (9th Cir. Dec. 19, 2013), S. 4 – 5.
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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Aus diesen Gründen wies der Ninth Circuit Nestle an den District Court zur Wiederaufnahme des Verfahrens zurück. Dabei räumte es den Klägern die Gelegenheit ein, ihren Sachvortrag nachzubessern, um etwaige Behauptungen, die Klage wäre extraterritorial, zu entkräften1262. Der Ninth Circuit scheint mit dieser Entscheidung ein sehr lockeres Verständnis von „claims that touch and concern … the United States“ zugrundegelegt zu haben. Kommentatoren fassten Nestle als „the most lenient possible reading of Kiobel“ auf1263. bb) Die Verwirrung im Second Circuit Nach Kiobel sind bisher vier ATS-Entscheidungen aus Gerichten des Second Circuit hervorgegangenen. Diese Entscheidungen deuten auf eine Divergenz in der Auslegung der „touch and concern“-Prüfung sowie in der Auslegung der KiobelEntscheidung. (1) In re Apartheid: Entscheidung des Second Circuit vom August 2013 Der Sachverhalt und Verfahrensverlauf der Apartheid-Klagen wurde in Abschnitt A. III. 4. a) detailliert geschildert. In 2009 hat das Southern District of New York in einer umfassenden Entscheidung die Ansprüche der Apartheid-Kläger wegen Beihilfe zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen der südafrikanischen Regierung gegen Ford, Daimler, IBM und Rheinmetall zugelassen1264. Darauf haben die Beklagten einen Antrag auf die Zulassung einer unmittelbaren Berufung des Falles gestellt. Der District Court hat den Antrag zurückgewiesen, wonach die Beklagten einen Antrag auf Berufungserzwingung beim Second Circuit gestellt haben. Der Second Circuit nahm den Antrag zur Entscheidung an, setzte jedoch das Verfahren vorerst aus, um die Kiobel-Entscheidung des Supreme Court abzuwarten. Nach Verkündung der Kiobel-Entscheidung wandte sich ein drei-Richter-Senat des Second Circuit dem Antrag der Apartheid-Beklagten auf Berufungserzwingung zu1265. Hintergrund seiner Entscheidung waren die Regeln zur Berufungserzwingung. Das Gericht betonte, dass die Erzwingung eines Berufungsverfahrens eine außerordentliche Maßnahme darstellt, die grundsätzlich nur statthaft sei, wenn der Antragsteller „no other adequate means“ habe, um seine Interessen zu schützen1266. 1262
„[W]e grant plaintiff-appellants leave to amend their complaint in light of recent authority regarding the extraterritorial reach of the Alien Tort Statute“. Siehe Doe v. Nestle USA, Inc., No. 10-56739 (9th Cir. Dec. 19, 2013), S. 5. 1263 Siehe John Bellinger, Undeterred by Kiobel, Ninth Circuit Allows Doe v Nestle ATS Claims to Continue, Lawafare, Dec. 23, 2013, aufrufbar unter http://www.lawfareblog.com/2 013/12/undeterred-by-kiobel-ninth-circuit-allows-doe-v-nestle-ats-claims-to-continue/. 1264 Siehe In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009). 1265 Siehe Balintulo v. Daimler AG, 727 F.3d 174 (2d Cir. 2013). 1266 Balintulo, 727 F.3d at 186 (Zitat von Cheney v. United States Dist. Court, 542 U.S. 367, 380 (2004)).
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Kap. 2: Die Zweite Welle
Allerdings könne die Berufungserzwingung auch in Betracht kommen, wenn außerordentliche öffentliche Interessen vom Vorgehen des District Court beeinträchtigt werden1267. Im Kontext von ATS-Klagen sah der Second Circuit zwei mögliche öffentliche Interessen, die beeinträchtigt werden konnten. Zum einen riskierten ATSKlagen eine ungebührliche Einmischung in die Außenpolitik1268. Zum anderen bringe das ATS die Bundesgerichte in die für sie ungewohnte Rolle eines „creato[r] of federal common law“ und erhöhe dabei die Gefahr von Eingriffen in die außenpolitischen Prärogativen der anderen Regierungsgewalten1269. Insofern dürfe es als Circuit Court in Erwägung ziehen, die Berufungserzwingung verstärkt bei ATSKlagen einzusetzen, um eine für ATS-Klagen angemessene Aufsicht auszuüben. Bei der vorliegenden Apartheid-Klage sah der Second Circuit einen eindeutigen Eingriff des District Court in die Außenpolitik gegeben1270, verneinte jedoch die Notwendigkeit, ein Berufungsverfahren zu erzwingen. Die Erzwingung war aus Sicht des Gerichts nicht nötig, weil die Klage nach seiner Auslegung der „touch and concern“-Prüfung abzuweisen war. Das Gericht legte die Kiobel-Entscheidung dahingehend aus, dass sie sämtliche ATS-Ansprüche als extraterritorial verwarf, die aus Verhalten entstanden waren, die sich auf ausländischem Hoheitsgebiet ausgetragen hatte. Aus Sicht des Gerichts war diese Auslegung durch eine gesamtheitliche Wertung der Kiobel-Entscheidung geboten: „The [Kiobel] majority framed the question presented in [terms of conduct occurring within the territory of a foreign sovereign] no fewer than three times; it repeated the same language, focusing solely on the location of the relevant ,conduct‘ or ,violation‘, at least eight more times in other parts of its eight-page opinion; and it affirmed [dismissal of] the plaintiffs’ claims because ,all the relevant conduct took place outside the United States‘. … Accordingly, if all the relevant conduct occurred abroad, that is simply the end of the matter under Kiobel“1271.
Nach Meinung des Gerichts hatte kein für die Apartheid-Verfahren entscheidungserhebliches Verhalten in den USA stattgefunden. Die Kläger würfen nicht vor, dass die Beklagten eine Mitarbeit mit dem Apartheid-Regime aus den USA gesteuert hätten, sondern legten nur dar, dass südafrikanische Tochtergesellschaften Beihilfe geleistet hätten und dass diese als „agents“ ihrer haftbar zu machenden Mütter gehandelt hätten1272. Damit gäben die Kläger zu, dass sämtliches relevantes Verhalten in Südafrika vorgefallen sei. 1267
Balintulo, 727 F.3d at 187. Siehe Balintulo, 727 F.3d at 187: „ATS suits often create particular ,risks of adverse foreign policy consequences‘ … [by] impinging on the discretion of the Legislative and Executive Branches in managing foreign affairs“ (Zitat von Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 694, 727 (2004)). 1269 Balintulo, 727 F.3d at 187. 1270 Balintulo, 727 F.3d at 188 („[I]mportant foreign policy interests [are] raised here [that] cannot be vindicated by waiting until final judgment“). 1271 Balintulo, 727 F.3d at 189 – 190. 1272 Siehe Balintulo, 727 F.3d at 192. 1268
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Das Gericht führte zuletzt aus, dass dieser Schluss nicht geändert werde, nur weil einige Beklagte (Ford und IBM) amerikanische Konzerne seien. Wenn „mere corporate presence“ in den USA nicht ausreiche, um einen hinreichenden Inlandsbezug nachzuweisen, reiche „corporate citizenship in the United States“ ohne weiteres auch nicht aus1273. Stattdessen müsse das konkrete Verhalten, aus dem die streitgegenständlichen Ansprüche entstanden seien, einen Inlandsbezug aufweisen. Und weil die Kläger eben kein Verhalten mit US-Bezug nachgewiesen hätten, sei die Tatsache, dass Ford und IBM amerikanische Konzerne seien, nicht von Bedeutung. Vor diesem Hintergrund verneinte der Second Circuit die Notwendigkeit einer Berufungserzwingung, weil seine Auslegung der Kiobel-Entscheidung inskünftig anzuwenden und der District Court entsprechend verpflichtet war, die ApartheidKlagen als extraterritorial abzuweisen1274. Es wies das Verfahren an den District Court unter der Annahme zurück, dass das Southern District of New York seiner Entscheidung Folge leisten würde. (2) Licci v. Lebanese Canadian Bank: Entscheidung des Second Circuit vom Oktober 2013 Licci v. Lebanese Canadian Bank wurde von israelischen Opfern palästinensischer Raketenangriffe gegen die kanadische Lebanese Canadian Bank (LCB) wegen Beihilfe zu Terrorismus und Völkermord erhoben1275. LCB soll Überweisungsdienste für Hisbollah in erheblicher Höhe mit dem Wissen abgewickelt haben, dass die überwiesenen Gelder zur Finanzierung von Raketenangriffen auf israelische Städte bestimmt waren. In 2010 hat das Southern District of New York die Ansprüche gegen LCB wegen mangelnder persönlicher Zuständigkeit abgewiesen1276. Allerdings wurde diese Entscheidung des District Court in 2012 aufgrund der Tätigkeiten der Bank im Finanzzentrum New York vorläufig aufgehoben1277. Während Licci noch beim Second Circuit anhängig war und auf eine rechtskräftige Zurückweisung an den District Court zur Wiederaufnahme des Verfahrens wartete, fiel die Kiobel-Entscheidung. Damit war Licci die zweite Gelegenheit des Second Circuit, sich mit der „touch and concern“-Prüfung Kiobels auseinanderzusetzen. Allerdings wurde Licci vor einem anderen Drei-Richter-Senat als demjenigen, der die eben dargelegte Ent1273
Balintulo, 727 F.3d at 189. Balintulo, 727 F.3d at 188 („For the reasons explained … defendants can seek the dismissal of all of the plaintiffs’ claims, and prevail“). 1275 Siehe Licci v. American Express Bank, Inc., 704 F. Supp. 2d 403 (S.D.N.Y. 2010), rev’d sub nom. Licci v. Lebanese Canadian Bank, SAL, 672 F.3d 155 (2d Cir. 2012). 1276 Licci v. American Express Bank, Inc., 704 F. Supp. 2d 403 (S.D.N.Y. 2010). 1277 Siehe Licci v. Lebanese Canadian Bank, SAL, 673 F.3d 50 (2d Cir. 2012) (Verweisung der Zuständigkeitsfrage an das oberste Gericht New Yorks); Licci v. Lebanese Can. Bank, 984 N.E. 2d 893 (N.Y. Ct. App. 2012) (Bejahung der persönlichen Zuständigkeit der New Yorker Gerichte für LCB). 1274
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Kap. 2: Die Zweite Welle
scheidung in Balintulo gefällt hatte, verhandelt und seine Entscheidung wich weit von den weitgehenden Ausführungen von Balintulo ab. Der Senat von Licci kam überhaupt nicht dazu, sich mit den US-Bezügen der Klage zu befassen1278. Das Gericht wies auf seine vorläufige Entscheidung von 2012 hin, in der es angedeutet hatte, dass die Ansprüche gegen LCB abzuweisen wären, sollte die Kiobel-Entscheidung des Second Circuit von 20101279, in der Kapitalgesellschaften jede völkerrechtliche Subjektivität abgesprochen wurde, bestätigt werden1280. Nun habe der Supreme Court die Entscheidung des Second Circuit von 2010 zwar bestätigt aber die Frage zur Haftbarkeit von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen nicht erörtert1281. Aus Sicht des Gerichts hatte dies zur Folge, dass es im Second Circuit eine noch offene Frage war, ob Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen haften konnten bzw. ob die Kiobel-Entscheidung von 2010 zwingendes Recht darstellte. Es wies deshalb das Verfahren an den District Court zurück, um „the question of corporate liability under the ATS“ erstmals zu adressieren1282, ohne die Bezüge des Verfahrens zu den USA überhaupt zu prüfen. (3) In re Apartheid: Entscheidung des Southern District of New York von Dezember 2013 Die Entscheidungen des Second Circuit in In re Apartheid und Licci bildete den Hintergrund, vor dem das Southern District of New York die Apartheid-Klagen wieder aufnahm. Entgegen den scheinbar klaren Anweisungen des Senats in In re Apartheid wies das Gericht die Apartheid-Klagen nur teilweise ab1283. Das Gericht behandelte Licci als spätere Entscheidung des Second Circuit, die die frühere Entscheidung in In re Apartheid abgelöst hatte1284. Des Weiteren legte das Gericht Licci dahingehend aus, dass die für ATS-Klagen nunmehr gebotene Vorgehensweise darin lag, den Parteien zunächst die Möglichkeit einzuräumen, die Haftbarkeit von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen darzulegen und, sollte dies zu bejahen sein, sich anschließend der Frage zu widmen, ob die jeweilige Klage die USA hinreichend ,berührt‘1285. 1278
Licci v. Lebanese Canadian Bank, 732 F.3d 161 (2d Cir. 2013). Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010). 1280 Siehe Licci v. Lebanese Canadian Bank, SAL, 673 F.3d 50 (2d Cir. 2012) („If the Supreme Court affirms in Kiobel …, we will likely be required to affirm the dismissal of the ATS claims against [LCB]“). 1281 Siehe Licci v. Lebanese Canadian Bank, 732 F.3d 161, 168 (2d Cir. 2013). 1282 Siehe Licci, 723 F.3d at 168. 1283 Siehe In re South African Apartheid Litig., No. 1:02-MDL-01499 (S.D.N.Y. Dec. 26, 2013). 1284 Siehe In re South African Apartheid Litig., No. 1:02-MDL-01499, S. 4. 1285 Siehe In re South African Apartheid Litig., No. 1:02-MDL-01499, S. 4 („I reach this conclusion based on the Second Circuit’s recent decision in Licci to refer the issue of corporate 1279
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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Vor diesem Hintergrund ließ das Southern District of New York die Ansprüche gegen Ford und IBM weiterhin bestehen und beraumte einen Verhandlungstermin an, um die Haftbarkeit von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen bzw. die Gültigkeit der Kiobel-Entscheidung von 2010 zu ermitteln. Gleichzeitig wies das Gericht die Ansprüche gegen Daimler und Rheinmetall ab, weil es befand, dass „plaintiffs have failed to show that they could plausibly plead that the actions of [these foreign defendants] touch and concern the United States“1286. (4) In re Apartheid: Zweite Entscheidung des Southern District of New York vom April 2014 Im April 2014 wandte sich das Southern District of New York der von ihm aufgestellten Frage der Haftung von Kapitalgesellschaften nach dem ATS für Menschenrechtsverletzungen zu. Das Gericht entschied, dass Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen haften können und es ließ die Ansprüche gegen Ford und IBM weiterhin anhängig, um ihre Zulässigkeit nach den Territorialitätsmaßstäben Kiobels nach einem späteren Verhandlungstermin feststellen zu lassen1287. Der Hintergrund der Entscheidung des District Court war die Kiobel-Entscheidung des Second Circuit von 20101288. Darin hatte der Second Circuit entschieden, dass Kapitalgesellschaften keine Völkerrechtsubjekte seien und deshalb nicht für Menschenrechtsverletzungen haften können. Der Supreme Court hatte darauf Kiobel zur Revision angenommen aber es hat die Frage der Haftbarkeit von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen nach der ersten mündlichen Verhandlung beiseitegestellt und den Fall anhand der „presumption against extraterritoriality“ entschieden. In Chowdhury v. WorldTel Bangladesh Holdings, Ltd.1289 hatte ein Richter des Second Circuit im Februar 2014 argumentiert, dass der Supreme Court durch diese Abwicklung die Kiobel-Entscheidung von 2010 unberührt gelassen habe und dass Kapitalgesellschaften deshalb im Second Circuit nicht nach dem ATS verklagt werden könnten1290. Allerdings verwarf eine andere Richterin des Chowdhury-Senats seine Meinung als nicht zwingendes obiter dictum1291.
liability under the A TS to the district court, despite the Second Circuit’s 2010 decision in Kiobel“). 1286 In re South African Apartheid Litig., No. 1:02-MDL-01499, S. 4. 1287 Siehe In re South African Apartheid Litig., No. 02-MDL-1499 (S.D.N.Y. Apr. 17, 2014). 1288 Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010). 1289 Siehe Chowdhury v. Worldtel Bangladesh Holding, Ltd., No. 09-4483 (2d Cir. Feb. 10, 2014). 1290 Siehe Abschnitt B. VII. 2. a) aa) (2) dieses Kapitels, oben. 1291 Siehe ebd.
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Kap. 2: Die Zweite Welle
(a) Die Aufhebung der Kiobel-Entscheidung von 2010 Das Southern District of New York entschied zunächst, dass die Haftung von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen eine offene Frage im Second Circuit war, weil die Entscheidungen des Supreme Court in Kiobel und Daimler AG v. Bauman die Kiobel-Entscheidung des Second Circuit von 2010 aufgehoben hatten. Das Gericht begründete diese Entscheidung durch die Regeln zur Bestimmung des Vorliegens einer Aufhebung in Second Circuit-Präzedenzsystem. „Lower courts are bound by Second Circuit precedent ,unless it is expressly or implicitly overruled‘ by the Supreme Court“1292. Eine Entscheidung gelte als „implizit aufgehoben“, wenn sie von nachfolgenden Supreme Court-Entscheidungen in Frage gestellt werde oder wenn ihrer Begründung von einer späteren Supreme Court-Entscheidung widersprochen werde1293. Eine derartige implizite Aufhebung liege im Falle der KiobelEntscheidung des Second Circuit von 2010 vor. In Kiobel und in Daimler AG v. Bauman1294 habe der Supreme Court zwei ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften zur Revision angenommen. Zwar habe der Supreme Court die ATS-Ansprüche gegen die Gesellschaften in beiden Fällen abgewiesen, aber es habe die Ansprüche gegen Shell bzw. Daimler nicht aus dem Grunde abgewiesen, dass diese unverklagbare Kapitalgesellschaften waren, sondern Shell wegen Extraterritorialität und Daimler wegen mangelnder persönlicher Zuständigkeit. Die einzige Stellungnahme des Supreme Court zur Haftbarkeit von Kapitalgesellschaften nach dem ATS sei in Kiobel gefallen, in dem der Supreme Court festgelegt habe, dass „mere corporate presence“ in den USA nicht ausreiche, um die Zulässigkeit von ATS-Ansprüchen gegen eine Kapitalgesellschaft zu begründen. Zusammen betrachtet ergäben diese Entwicklungen, dass der Supreme Court die Haftbarkeit von Kapitalgesellschaften in Menschenrechtsklagen bejaht habe, sofern die üblichen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ATS-Klagen erfüllt seien: „The Supreme Court’s opinions in Kiobel[] and Daimler … explicitly recognize that corporate presence alone is insufficient to overcome the presumption against extraterritoriality 1292 In re South African Apartheid Litig., No. 1:02-MDL-01499, S. 13 (Zitat von World Wrestling Entm’t, Inc. v. Jakks Pac., Inc., 425 F. Supp. 2d 484, 499 (S.D.N.Y. 2006)). 1293 Siehe In re South African Apartheid Litig., No. 1:02-MDL-01499, S. 13: „[A] decision of the Second Circuit is binding ,unless it has been called into question by an intervening Supreme Court decision or by one of [the Second Circuit] sitting in banc‘ or ,unless and until its rationale is overruled, implicitly or expressly, by the Supreme Court‘“ (Zitat von United States v. Agrawal, 726 F.3d 235, 269 (2d Cir. 2013)). 1294 Zum Sachverhalt von Bauman siehe Kapitel 4, Abschnitt B. IV. 1., zur Entscheidung des Supreme Court zur persönlichen Zuständigkeit siehe Abschnitt B. V. 5. dieses Kapitels, oben. Bauman war die Klage argentinischer Angehöriger gegen die deutsche Daimler AG wegen Beihilfe zu u. a. Folter und außergerichtlichen Hinrichtungen während des „schmutzigen Krieges“ der argentinischen Militärregierung in den 1970er Jahren. Daimler soll mit Sicherheitsbehörden der Militärjunta kollaboriert haben, um Gewerkschafter verschwinden und ermorden zu lassen. Eine ATS-Klage wurde 2004 von Hinterbliebenen der verschwundenen Gewerkschafter im Northern District of California gegen Daimler erhoben. In 2013 hat das Supreme Court die Klage wegen mangelnder persönlicher Zuständigkeit der kalifornischen Gerichte rechtskräftig abgewiesen, siehe Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746 (2014).
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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or to permit a court to exercise personal jurisdiction over a defendant in an ATS case, respectively. By necessity, that recognition implies that corporate presence plus additional factors can suffice under either holding. … [T]he Supreme Court has [thus] written two opinions contemplating that certain factors in combination with corporate presence could overcome the presumption against extraterritoriality or permit a court to exercise personal jurisdiction over a foreign corporation in an ATS case. This language makes no sense if a corporation is immune from ATS suits as a matter of law“1295.
Aus Sicht des District Court hatte der Second Circuit dieses Verständnis der Supreme Court-Rechtsprechung in Licci v. Lebanese Canadian Bank1296 bestätigt. In Licci habe der Second Circuit die ATS-Ansprüche gegen eine kanadische Bank nicht abgewiesen, sondern zur erstmaligen Erörterung der Haftung von Kapitalgesellschaften in ATS-Klagen an den District Court zurückgewiesen1297. Damit habe es zwangsläufig anerkannt, dass die Haftung von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen eine offene Frage im Second Circuit sei. Aus diesen Gründen beschloss der District Court, dass die Kiobel-Entscheidung des Second Circuit von 2010 aufgehoben worden war und dass es ihm deshalb freistand, die Haftung von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen festzustellen. (b) Die Haftung von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen Der District Court entschied in einem zweiten Schritt, dass Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen haftbar gemacht werden konnten. Das Gericht verwarf zunächst die dogmatische Vorgehensweise des Second Circuit in der KiobelEntscheidung von 2010, nach der der Second Circuit die Haftung für Menschenrechtsverletzungen an die Eigenschaft als Völkerrechtssubjekte knüpfte. Aus Sicht des District Court war die Frage, wer für eine Menschenrechtsverletzung haftet, keine Frage des Völkerrechts, sondern eine Frage für das jeweilige nationale Rechtssystem. Das Völkerrecht lege nur primäre Verhaltensgebote fest und überlasse es den nationalen Rechtssystemen der Staatengemeinschaft, die Sekundärnormen festzulegen, womit seine Verhaltensgebote umgesetzt werden1298. Dies habe der Supreme Court in Sosa v. Alvarez-Machain anerkannt, indem es ausführte, dass manche Völkerrechtsnormen nur von Hoheitsträgern verletzt werden könnten; im Umkehrschluss heiße dies, dass sämtliche Privatpersonen, gleichgültig ob natürlich oder juristisch, gleichermaßen nach dem ATS haften, sofern die Haftung Privater zu 1295
In re South African Apartheid Litig., No. 1:02-MDL-01499, S. 13 – 14. Siehe Licci v. Lebanese Canadian Bank, 732 F.3d 161 (2d Cir. 2013). 1297 Siehe Abschnitt B. VII. 2. b) bb) (2) dieses Kapitels, oben. 1298 In re South African Apartheid Litig., No. 02-MDL-1499, S. 19: „[The Second Circuit’s 2010 Kiobel decision] misses a key ,distinction between a principle of [a] law … and the means of enforcing it‘. Courts look to customary international law to determine whether the alleged conduct violates a definite and universal international norm necessary to sustain an ATS action []. However, the question of who can be held liable for a violation of a norm requires a determination of the means of enforcement – or the remedy – for that violation, rather than the substantive obligations established by the norm. This is an issue governed by federal common law“. 1296
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Kap. 2: Die Zweite Welle
bejahen sei1299. Insofern bestimme amerikanisches Recht, ob Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen im Sinne des ATS haften. Vor diesem Hintergrund bejahte der District Court, dass Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen im Sinne des ATS hafteten, weil amerikanisches Recht die allgemeine Haftbarkeit von Gesellschaften für Rechtsverstöße vorsehe. Das amerikanische Recht erkenne seit Gründung der Nation „corporate liability“ für Rechtsverletzungen an und das common law differenziere bei Haftungsfragen nicht zwischen natürlichen und juristischen Personen1300. Juristische Personen hafteten sogar verschuldensunabhängig für die Delikte ihrer Mitarbeiter. Das Gericht führte ferner aus, dass, auch wenn das Völkerrecht die Haftung von Kapitalgesellschaften nicht bestimme, Kapitalgesellschaften dennoch als Völkerrechtssubjekte zu qualifizieren waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe die Übergangsregierung der Besatzungsgebiete die IG Farben zwangsliquidiert. Ihre Liquidierung sei unter Berufung auf das Völkergewohnheitsrecht vorgenommen und sei als Strafe für IG Farbens wissentliche Teilnahme an den Verbrechen des Dritten Reichs konzipiert worden1301. Selbst wenn seitdem keine weiteren Anklagen gegen Kapitalgesellschaften vor internationalen Straftribunalen erhoben worden seien, heiße dies nicht, dass Kapitalgesellschaften eine völkerrechtliche Immunität genössen – schließlich würden Kapitalgesellschaften in den USA kaum strafrechtlich verfolgt, obwohl ihre Straffähigkeit seit Jahrzehnten feststehe und zahlreiche Strafgesetze zur Verfügung stünden1302. Jedes anderes Ergebnis hätte zur Folge, dass Verbrecher die von der Staatengemeinschaft beabsichtigte Bindungswirkung des internationalen Menschenrechts durch Errichtung und Zwischenschiebung einer Kapitalgesellschaft aushebeln könnten1303. Aus diesen Gründen beschloss der District Court, dass Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen im Sinne des ATS hafteten. Es ordnete darauf einen weiteren Verhandlungstermin an, um den Klägern die Möglichkeit einzuräumen, hinreichende Inlandsbezüge ihrer Ansprüche gegen Ford und IBM im Sinne der „touch and concern“-Prüfung Kiobels darzulegen.
1299
In re South African Apartheid Litig., No. 02-MDL-1499, S. 21: „Far from implying that natural persons and corporations are treated differently for purposes of civil liability under the ATS, the intended inference of [Sosa] is that they are treated identically“ (Zitat von Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111, 165 (2d Cir. 2010) (Leval, J., concurring)). 1300 In re South African Apartheid Litig., No. 02-MDL-1499, S. 22. 1301 In re South African Apartheid Litig., No. 02-MDL-1499, S. 25 (Zitat von Flomo v. Firestone Natural Rubber Co., 643 F.3d 1013, 1017 – 1018 (7th Cir. 2011)). 1302 In re South African Apartheid Litig., No. 02-MDL-1499, S. 26 – 27 (Verweis auf Pamela Bucy, Why Punish? Trends in Corporate Criminal Prosecutions, 44 Am. Crim. L. Rev. 1287 (2007)). 1303 In re South African Apartheid Litig., No. 02-MDL-1499, S. 26 (Zitat von Sarei v. Rio Tinto, PLC, 671 F.3d 736, 760 (9th Cir. 2011)).
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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(c) Fazit zur Rechtsprechung im Second Circuit Die post-Kiobel-Rechtsprechung im Second Circuit deutet allenfalls darauf hin, dass dort die ATS-litigation keineswegs in absehbarer Zeit zu Ende kommen wird und womöglich noch einige Grundsatzentscheidungen vor sich hat. Aus den Entscheidungen der Senate und unteren Gerichte des Second Circuit geht eine in der Öffentlichkeit ausgetragene Auseinandersetzung um die künftige Richtung des ATS hervor. Judge Cabranes, Richter am Second Circuit und Autor der Entscheidungen in Balintulo und Chowdhury, versucht nach Kräften, eine Auslegung von Kiobel zu etablieren, die effektiv die Begehung einer Menschenrechtsverletzung in den USA erfordert, um die vermutete Extraterritorialität von ATS-Ansprüchen zu entkräften. Demnach wären auch amerikanische Konzerne nicht nach dem ATS verklagbar, solange die ihnen vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen im Ausland vorgefallen wären. Judge Cabranes war auch der Autor der Kiobel-Entscheidung des Second Circuit von 2010 und bemüht sich um Aufrechterhaltung des Leitsatzes, dass Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen nicht haften können. Beim letzteren Bestreben wird ihm von anderen Richtern am Second Circuit sowie von den District Courts widersprochen. Aber ob sich sein Konzept von Extraterritorialität festsetzt, wird wahrscheinlich von der anstehenden Entscheidung des Southern District of New York in den Apartheid-Klagen bestimmt. Es wäre auch möglich, dass weitere Senate des Second Circuit ein klageempfänglicheres Verständnis einer US„Berührung“ entwickeln könnten. Dies wird vor allem im bevorstehenden Instanzenzug von Licci zu beobachten sein. cc) Daobin v. Cisco Systems Daobin v. Cisco Systems, Inc. wurde von chinesischen Schriftstellern und Falun Gong-Anhängern gegen den kalifornischen Technologiekonzern Cisco Systems aufgrund seiner Mitarbeit mit der chinesischen Regierung vor dem District of Maryland erhoben1304. Cisco soll Software für das sog. „Golden Shield“-Programms der chinesischen Behörden entwickelt haben, die staatliche Überwachung und die Identifizierung von Dissidenten ermöglichte. Durch den Einsatz von Cisco-Software sollen die chinesischen Behörden die Kläger identifiziert haben, wonach sie ohne Prozess inhaftiert und gefoltert wurden. Cisco wird eine Beihilfe zu den Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Behörden vorgeworfen. Im Februar 2014 wies der District of Maryland die Ansprüche gegen Cisco ab. Das Gericht war der Ansicht, dass die Klage als nicht justiziable politische Frage einzustufen war, weil eine Qualifizierung von Ciscos Lieferung von Software an China als Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen die Entscheidung des amerikanischen Handelsministeriums, die Ausfuhr von Cisco-Software an China zu genehmigen, zwangsläufig in Frage stellen würde1305. 1304 1305
Siehe Daobin v. Cisco Sys., Inc., No. 8:11-cv-01538 (D. Md. Feb. 24, 2014). Dargelegt in Abschnitt A. III. 6. dieses Kapitels, oben.
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Kap. 2: Die Zweite Welle
Trotz Abweisung der Ansprüche führte das Gericht in weiteren obiter dicta aus, dass – hätte es den Einwand der Justiziabilität nicht gegeben – der Sachverhalt von Daobin geeignet gewesen wäre, um die Vermutung der Extraterritorialität zu entkräften. Die Ausführungen des Gerichts zeigten zugleich auf, wie eine hinreichende „Berührung“ der USA in ATS-Klagen seiner Meinung nach aussehen konnte: „Cisco is an American company with offices throughout the United States, including in this state. Second, Plaintiffs allege that Cisco’s developmental actions relevant to the Golden Shield took place predominantly, if not entirely, within the United States. Arguably, Kiobel notwithstanding, ATS claims could be brought against a defendant which has taken certain actions within the United States with respect to products that might be primarily used for violations of the laws of nations“1306.
Auch wenn das Gericht den Charakter dieser Zeilen als dicta betonte – „the Court need not wade into this debate“1307 – hatte es sichergesellt, dass jeder klägerische Schriftsatz seine Ausführungen als authority aufgreifen würde, um in Daobinähnlichen Fällen einen hinreichenden Inlandsbezug der Klage zu argumentieren. dd) Doe v. Exxon Mobil Doe v. Exxon Mobile ist die Klage indonesischer Angehöriger gegen den amerikanischen Ölkonzern Exxon wegen Beihilfe zu Verbrechen indonesischer Truppen im Rahmen eines Guerilla-Kriegs in der indonesischen Aceh-Provinz1308. Exxon soll Armeeeinheiten als Sicherheitstrupp für seine Gaspipelines in der Aceh-Provinz mit dem Wissen angeheuert haben, dass sie eine seit Jahren ausgefochtene Säuberungskampagne gegen die umliegende Bevölkerung weiterhin austragen würden. 2011 hat der DC Circuit die Ansprüche gegen Exxon zugelassen1309. In seiner Entscheidung befand das Gericht, dass Kapitalgesellschaften als Völkerrechtssubjekte zu qualifizieren seien, die für Menschenrechtsverletzungen hafteten, und dass die „presumption against extraterritoriality“ nicht auf ATS-Ansprüche anwendbar seien. Allerdings setzte der DC Circuit die Fortführung des Verfahrens vorerst aus, um die Kiobel-Entscheidung des Supreme Court abzuwarten. Nach Verkündung von Kiobel stellte Exxon einen Antrag auf Abweisung aller Ansprüche wegen Extraterritorialität beim DC Circuit. Exxon argumentierte, dass die Ansprüche gegen sie als extraterritorial zu qualifizieren waren, weil sämtliche anspruchsbegründenden Handlungen in Indonesien vorgefallen waren. Die Antwort des Gerichts war für ATS-Befürworter nicht das optimale, aber auch nicht das schlimmste Ergebnis. In einer kurzen Entscheidung hob der DC Circuit
1306 1307 1308 1309
Daobin, No. 8:11-cv-01538, S. 16. Daobin, No. 8:11-cv-01538, S. 16. Zum Sachverhalt von Exxon siehe Abschnitt A. III. 1. b) dd) dieses Kapitels, oben. Doe v. Exxon Mobil Corp., 654 F.3d 11 (D.C. Cir. 2011).
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
417
seine Entscheidung von 2011 auf1310. Die Aufhebung seiner Entscheidung war nach seiner Darlegung „in light of Kiobel“ geboten1311. Allerdings wies der DC Circuit die ATS-Ansprüche der Kläger nicht ab. Stattdessen wies es das Verfahren an den District Court „for further consideration“ zurück1312, damit sich der District Court mit den von Kiobel aufgeworfenen Rechtsfragen erstmals auseinandersetzen können. c) Analyse der Rechtsprechung nach Kiobel Die Rechtsprechung nach Kiobel ist nicht eindeutig und steht nur in dem Anfangsstadion. Insofern ist der Boden für eine Analyse eher dürftig gesät und man muss sich mit Vorhersagen begnügen. Fest scheint nur zu sein, dass „foreign cubed“-Fälle als per se extraterritorial im Sinne Kiobels gelten und deshalb nicht mehr zugelassen werden. Insofern kann man von einer spürbaren Einschränkung der bisherigen ATS-Rechtsprechung sprechen. Einige der berühmtesten Klagen der Zweiten Welle waren „foreign cubed“ – Sarei v. Rio Tinto, Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., die Apartheid-Klagen, Bauman v. DaimlerChrysler AG – und solche Klagen müssen nun als fortan extraterritorial angenommen werden. Es bleiben jedoch mehrere auch große ATS-Klagen mit Inlandsbezügen. In Hinblick auf solche Klagen ist die Rechtsprechung nur am Anfang seiner Entwicklung. Auf der einen Seite deutet die momentane Bilanz der Urteile der unteren Gerichte auf ein enges Verständnis von Kiobels Erfordernis, dass ATS-Klagen die USA berühren. Außerhalb des Ninth Circuit legen die District Courts die „touch and concern“-Prüfung Kiobel sehr restriktiv aus. In Adhikari, Al Shimari und Drummond haben District Courts verneint, dass die Erhebung einer ATS-Klage gegen einen amerikanischen Konzern die Extraterritorialität der Klage widerlege. Als Regel formuliert hieße das, dass ein Sitz in den USA keinen hinreichenden Inlandsbezug einer ATS-Klage zu den USA darstellt. In Drummond ging das Gericht weiter und legte fest, dass eine Menschenrechtsverletzung in den USA begangen oder aus den USA befohlen worden sein muss, um einen hinreichenden Inlandsbezug der ATSKlage bejahen zu können. Und in Al Shimari entschied das Gericht sogar, dass nur ATS-Klagen aus dem Inland zulässig seien und dass nur der Kongress ein anderes Ergebnis verfügen könne. Die derzeitige Einstellung der unteren Gerichte zu ATSKlagen hat der District Court for the District of Columbia auf den Punkt gebracht: „[T]he Supreme Court appears to have set a very high bar for plaintiffs asserting jurisdiction under the ATS for claims arising out of conduct occurring entirely abroad“1313. 1310 1311 1312 1313
Siehe Doe v. Exxon Mobil Corp., 527 F. App’x 7 (D.C. Cir. 2013) (July 26, 2013). Exxon Mobil, 527 F. App’x at 8. Exxon Mobil, 527 F. App’x at 8. Siehe Mohammadi v. Islamic Rep. of Iran, No. 09-cv-1289 (D.D.C. May 31, 2013).
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Kap. 2: Die Zweite Welle
Allerdings kommen diese Entscheidungen demnächst in die Berufungsinstanz. Insbesondere die äußerst restriktive Auslegung von Al Shimari könnte bei Berufungsverfahren aufgehoben werden. Auf der anderen Seite gibt der Ninth Circuit zu erkennen, dass es eine breitestmögliche Auslegung von Kiobel zugrundelegen wird. In Doe v. Nestle hat es bereits Kiobel als Bestätigung der Haftung von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen ausgelegt, was darauf hindeutet, dass eine enge Auslegung von „touch and concern“ nicht zu erwarten ist. Diese Erwartung wurde durch seine Weigerung, einen „foreign cubed“-Fall wie Doe v. Nestle rechtskräftig abzuweisen, nur noch bekräftigt. Des Weiteren scheinen weder der Second Circuit noch der DC Circuit bereit zu sein, eine enge Kiobel-Auslegung nach Muster der unteren Gerichte für ATS-Klagen festzulegen. Der DC Circuit hat eine Neuverhandlung von Doe v. Exxon Mobil angeordnet, anstatt die Ansprüche gegen Exxon einfach als extraterritorial abzuweisen. Damit hat es sich die Möglichkeit verschafft, einige Jahre lang die Entwicklung der ATS-Rechtsprechung zu beobachten und eine eigene Auslegung des Erfordernisses hinreichender Inlandsbezüge hinzuzusteuern. Und der Second Circuit macht momentan einen internen Streit um die künftige Richtung des ATS durch, der noch lange nicht zu Ende ist. Insofern bleibt festzuhalten, dass sich die ATS-Rechtsprechung noch mit einer Reihe offener Fragen zu befassen hat. Ironischerweise könnte man diese Ausgangslage als genau im Sinne der Kiobel-Entscheidung auffassen. Justice Kennedy, der die fünfte Stimme in der fünf-zu-vier Mehrheit der Kiobel-Entscheidung gegeben hat, hat in einer concurring opinion das Ergebnis von Kiobel wie folgt zusammengefasst: „The opinion for the Court is careful to leave open a number of significant questions regarding the reach and interpretation of the Alien Tort Statute. In my view that is a proper disposition“1314.
VIII. Ergebnis von Kiobel: Das Ende der Zweiten Welle? Gleich nach Verkündung der Kiobel-Entscheidung haben Kommentatoren die Zweite Welle und sogar die ATS-litigation überhaupt für tot erklärt: „The ATS as we know it is dead. … [T]he Filartiga human rights revolution is essentially over“1315. 1314 Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659, 1669 (2013) (Kennedy, J., concurring). 1315 Siehe Roger Alford, Kiobel Insta-Symposium: The Death of the ATS and the Rise of Transnational Tort Litigation, Opinio Juris, Apr. 17, 2013, aufrufbar unter http://opiniojuris. org/2013/04/17/kiobel-instthe-death-of-the-ats-and-the-rise-of-transnational-tort-litigation/.
B. Dogmatische Entwicklung der Zweiten Welle
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„A quick review of lower court decisions suggests that Kiobel marks the end of the Filartiga revolution in the United States“1316.
Neben solchen Erklärungen haben sich Menschenrechtler mit neuen Strategien zur Einklagung von Menschenrechtsnormen unter der Annahme befasst, dass das ATS fortan keine Erfolgsaussichten versprach1317. Die Ergebnisse der Rechtsprechung nach Kiobel lassen jedoch höchstens auf eine erstmalige Einschränkung der Zweiten Welle schließen, wobei eine Wiederbelebung, insbesondere in Bezug auf amerikanische Konzerne, noch möglich ist. Die Todeserklärungen haben in der Regel die Entscheidung des Ninth Circuit in Doe v. Nestle ignoriert. Des Weiteren sind in nächster Zeit mehrere Entscheidungen in den Circuit Courts zu erwarten, die Kiobel noch auslegen müssen. Alles, was nach Kiobel festzustehen scheint, ist, dass „foreign cubed“-Fälle nun eine andere Basis als das ATS finden müssen, um vor amerikanischen Gerichten einklagbar zu sein. Trotzdem muss den Kommentatoren in der Hinsicht Recht gegeben werden, dass künftige ATS-Klagen einen steinigen Weg vor sich haben. Das Problem für ATSKlagen läge jedoch nicht in erster Linie in Kiobels Extraterritorialitätshürde, sondern auch die vielen Einschränkungen, die in den letzten Jahren von den Circuit Courts und Supreme Court aufgestellt worden sind. Auf der einen Seite sind die verfahrensrechtlichen Hürden für eine typische Klage der Zweiten Welle inzwischen signifikant. Ausländische Gesellschaften sind nach Daimler AG v. Bauman grundsätzlich nur im Wege des besonderen Gerichtsstands von US-Gerichten belangbar, was die Zuständigkeit amerikanischer Gerichte für Menschenrechtsklagen aus anderen Ländern gegen sie ausschließt, auch wenn Bezüge des Falles zu den USA vorhanden sind1318. Alle Circuits lassen eine Abweisung wegen forum non conveniens zu1319 und in den meisten ATS-Klagen aus dem Ausland werden mindestens zwei alternative Foren mit signifikanten Interessen am Verfahren zur Verfügung stehen. Selbst im Ninth Circuit können die Gerichte in jeder ATS-Klage die erstmalige Erschöpfung des ausländischen Rechtswegs nach freiem Ermessen anordnen1320. Die Anforderung substantiierten Darlegens in ATS-Klageschriften wird vor Einleitung der Klage eingehende und international angelegte Nachforschungen zur Aufklärung des Sachverhalts auf Kosten der Kläger erfor-
1316 Siehe Roger Alford, Lower Courts Narrowly Interpret Kiobel, Opinio Juris, Sept. 23, 2013, aufrufbar unter http://opiniojuris.org/2013/09/23/lower-courts-narrowly-interpret-kiobel/. 1317 Siehe z. B. Roxanna Altholz, Chronicle of a Death Foretold: The Future of U.S. Human Rights Litigation Post-Kiobel, ___ Cal. L. Rev. ___ (2013) („This article … identifies strategies for how human rights victims can best use existing legal remedies [besides ATS suits] in the United States to vindicate their rights“). 1318 Siehe Kapitel 4, Abschnitt B. IV. 8. 1319 Siehe hierzu Abschnitt B. V. 6. dieses Kapitels, oben. 1320 Siehe hierzu Abschnitt B. V. 2. dieses Kapitels, oben.
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Kap. 2: Die Zweite Welle
derlich machen1321. Und Kläger müssen davon ausgehen, dass mindestens eine fremde Regierung einen Protest gegen ihre ATS-Klagen melden wird. Sollte eine ATS-Klage diese erheblichen Verfahrenshindernisse überwinden, haben auf der anderen Seite die materiellen Anforderungen an ATS-Verfahren gegen Kapitalgesellschaften in letzter Zeit auch an Strenge zugenommen. Im Second Circuit werden Kläger in aller Wahrscheinlichkeit zunächst nachweisen müssen, dass Kapitalgesellschaften für Völkerrechtsverletzungen haften können1322. Des Weiteren sind die Voraussetzungen für eine Beihilfehaftung seit Unocal signifikant erhöht worden. Eine Beihilfehandlung muss nun einen klaren ursächlichen Zusammenhang mit nachfolgenden Menschenrechtsverletzungen aufweisen1323. Hierbei muss die so gestaltete Handlung mit dem subjektiven Zweck begangen worden sein, die Begehung der streitgegenständlichen Menschenrechtsverletzungen zu erleichtern1324. In Zusammenarbeit mit den Verfahrenshürden sind diese materiellen Anforderungen ernstzunehmende Einschränkungen. Beispielsweise wegen der Substantiierungsanforderungen an den Sachvortrag in ATS-Klagen müssen Kläger nun die Details zum subjektiven Zweck einer beklagten Gesellschaft erlangen, bevor sie die Klage einleiten und Zugriff auf Discovery-Methoden erhalten. Als Ergebnis dieser Rechtsprechung war die Zweite Welle schon vor Kiobel nur in eingeschränkter Form durchführbar. Um eine ATS-Klage gegen einen multinationalen Konzern bis zum Ende zu führen, brauchte man bereits in Jahre 2010 Geld, sehr gute Anwälte und einen Horizont von mindestens einem Jahrzehnt – man musste im Grunde ein Konzern oder zumindest eine Organisation sein. Kiobel hat insofern der Zweiten Welle keinen Todesstoß versetzt, sondern nur eine weitere Hürde am Anfang eines schon lang gewordenen Spießrutenlaufs aufgestellt.
1321
Siehe hierzu Abschnitt B. V. 4. dieses Kapitels, oben. Siehe hierzu die eben geschilderte Entscheidung des Southern District of New York in Abschnitt B. VII. 2. b) bb) (4) dieses Kapitels, oben. 1323 Siehe hierzu die Ausführungen zur Entscheidung des Southern District of New York in In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009) in Abschnitt A. III. 4. a) cc) dieses Kapitels, oben. 1324 Siehe Abschnitt A. III. 4. a) cc) dieses Kapitels, oben. 1322
Kapitel 3
Die Dritte Welle oder der Kampf gegen den Kampf gegen den Terror Im letzten Quartal des Jahres 2006 stellte Prof. Beth Stephens bei der Verfassung eines ATS-Lehrbuchs eine signifikante Wendung in der ATS-litigation fest: „In the most striking change in ATS jurisprudence, … [c]laims against U.S. government employees accounted for about a third of the reported post-Sosa decisions [from 2004 to 2006], many of them addressing the internationally condemned abuses of detainees taken into custody after the September 11, 2001, attacks“1.
Damit beschrieb sie die sog. „Dritte Welle“ der ATS-litigation. Seit 2004 richtet sich ein wesentlicher Teil aller ATS-Klagen gegen die Vereinigten Staaten, ihre Beamten und Angestellten sowie ihre privaten Vertragsnehmer. Gegenstand dieser ATS-Klagen war die Behandlung von Ausländern im Rahmen des nach dem 11. September ausgerufenen „War on Terror“. Die Dritte Welle war eine Kombination der Strategien aus den Ersten und Zweiten Wellen, die sich nun auf ein neues Streitthema konzentrierten. Wie die Erste WelleKlagen nahmen diese neuen ATS-Klagen Hoheitsträger ins Visier, die angeblich Menschenrechtsverletzungen angeordnet hatten. Und wie die Zweite Welle-Klagen wurden Kapitalgesellschaften verklagt, die als Vertragsnehmer an der Verübung von vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen beteiligt gewesen sein sollten. Die Dritte Welle konnte auf die Rechtsprechung der Ersten und Zweiten zurückgreifen, um diese Klagen zu begründen. Erste Welle-Klagen hatten ATS-Ansprüche für Deliktstatbestände des Völkerrechts wie Folter, Kriegsverbrechen, willkürliche Inhaftierung und grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bereits anerkannt, die nun amerikanischen Amtsträgern und Konzernen vorgeworfen wurden. Dazu hatten Karadzic und Zweite Welle-Klagen festgelegt, dass Kapitalgesellschaften für ihre Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen hafteten, was zur Grundlage für ATS-Klagen gegen Vertragsnehmer der CIA und der Armee wurde. Ab 2004 machten „Dritte Welle“-Klagen bis zu 30 % aller anhängigen ATSlitigation aus2. Allerdings ist das Fortleben der Dritten Welle aufgrund der Entscheidung des Supreme Court in Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. derzeit unsicher. Im Folgenden wird zuerst der Hintergrund der Dritten Welle, nämlich der amerikanische „War on Terror“ nach dem 11. September, kurz skizziert. Danach 1 2
Stephens, International Human Rights Litigation in U.S. Courts, a.a.O., S. 22. Stephens, S. 22 ff.
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Kap. 3: Dritte Welle oder Kampf gegen den Kampf gegen den Terror
werden Rechtsprechung und dogmatische Entwicklungen der Dritten Welle anhand wichtiger Meilensteinentscheidungen geschildert.
A. Einleitung: Der „War on Terror“ nach dem 11. September Kurz nach dem 11. September unterzeichnete Präsident Bush einen geheimen Befehl an die CIA, wonach diese fast uneingeschränkte Befugnisse erhielt, um einen weltweiten und geheimen Krieg gegen terroristische Organisationen zu führen3. Dieser Schattenkrieg erhielt den Namen „Operation Greystone“. Erstes Hauptziel war Afghanistan: Dort sollte die CIA die Taliban zu Fall bringen. Aber in kurzer Zeit waren CIA-Einheiten in mehr als zwölf weiteren Ländern aktiv, um terroristische Elemente aufzuspüren und zu zerstören. Operation Greystone enthielte mehrere Elemente, die aus menschenrechtlicher Sicht fragwürdig waren. Einerseits fing die CIA an, durch Drohnenanschläge führende Terroristen zu töten – eine Kapazität der CIA, die bisher unbekannt war – was Fragen über außergerichtliche Hinrichtungen hervorrief. Andererseits errichtete die CIA ein weltweites Netzwerk geheimer Gefängnisse für Terroristen von nachrichtendienstlichem Wert (sog. „black sites“), unter ihnen das berüchtigte Gefängnis in Guantanamo. In Afghanistan hatte man nämlich gemerkt, dass sog. „high value terrorists“ über Nacht aus den ordentlichen Haftanstalten verschwanden. In anderen Ländern führte die CIA ein Programm zur Durchführung sog. „extraordinary renditions“ von Verdachtspersonen ein: Potentielle Terroristen wurden von ausländischen Polizei- und Geheimdiensten festgenommen und ohne jedweden Prozess an die CIA ausgeliefert, die sie in ihre geheimen Gefängnisse brachte4. In diesen black sites wurden diese Verdächtigen ohne Anhörung oder Prozess inhaftiert und von der Außenwelt vollständig abgeschnitten. Während ihrer Inhaftierung wurden sie mit „verschärften Vernehmungsmethoden“5 verhört, um Informationen über Terrornetzwerke und bevorstehende Angriffe zu gewinnen. Zu diesen Methoden gehörten das berüchtigte Waterboarding, aber auch vorgetäuschte Hinrichtungen, erzwungene 3 Für die überaus spannende Geschichte des geheimen CIA-Kriegs bildet folgende öffentlich-rechtliche Dokumentation einen guten Anfangspunkt: PBS Frontline, Top Secret America: From 9/11 to the Boston Bombings (Michael Kirk et al., Producers), Transcript available at http://www.pbs.org/wgbh/pages/frontline/iraq-war-on-terror/topsecretamerica/tran script-6/ . 4 Zur Einführung in das „rendition“-Programm siehe Stephen Grey, Ghost Plane: The True Story of the CIA Rendition and Torture Program (2006). Eine Beschreibung des Programms befindet sich auch in den im Folgenden zitierten ATS-Klagen z. B. Mohamed v. Jeppesen Dataplan, Inc., 579 F. 3d 943 (9th Cir. 2009). 5 Der Begriff stammt aus Unterlagen der Geheimdienste und des Verteidigungsministeriums, die auf folgender Webseite abrufbar sind: The Justice Campaign, Torture Techniques Used in Guantanamo, aufrufbar unter http://thejusticecampaign.org/?page_id=273#enhanced.
A. Einleitung: „War on Terror“ nach dem 11. September
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Medikamenteneinnahme, Schlaf- und Sinnesreizentzüge, Lärmüberwältigung, sexuelle Demütigung sowie das Einpferchen in kleine Kästen voller Insekten6. In einigen Fällen haben CIA-Gefängnisse ihre Häftlinge an ausländische Geheimdienste z. B. in Syrien übergegeben, damit sie mittels syrischer Methoden verhört werden konnten. Neben der CIA stieg auch das amerikanische Militär durch den Irakkrieg in den Krieg gegen den Terror ein. Nach der Strategie von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sollte eine geringe Truppenstärke die Eroberung des Iraks und den Sturz von Saddam Hussein bewältigen können. Damit hatte er recht, aber nach dem Sturz Saddams erwies sich seine kleine Truppenzahl als unfähig, den Frieden im aufbegehrenden Irak zu gewährleisten. Der Mangel an Truppen wurde durch die Anheuerung zahlreicher privater Sicherheitsfirmen, sog. „security contractors“, ausgeglichen7. Diese sollten für Recht und Ordnung in Bagdad und für aufschlussreichere Verhöre von Irakern sorgen. Einerseits wurden Sicherheitsfirmen wie Blackwater mit dem Patrouillieren in Bagdader Vierteln, der Begleitung wichtiger Konvois sowie der Durchführung von Sicherheitskontrollen an Verkehrsknotenpunkten beauftragt. Andererseits wurden Sicherheitsfirmen als private Geheimdienste in Bagdad eingesetzt: Nachdem die Armee das berüchtigte Gefängnis Abu Ghraib gebaut hatte, waren es oft Sicherheitsfirmen, die die Verhöre der dort inhaftierten vermuteten Terroristen durchführten. Zu den Vernehmungsmethoden in Abu Ghraib gehörten Stromschläge und insbesondere sexuelle Demütigung durch unbekleidetes Zurschaustellen, Rasieren, Vorführen vor Frauen und Fotografieren in unterwürfigen Körperstellungen8. Zu primitiveren Foltermethoden wie Vergewaltigungen soll es dort ebenfalls gekommen sein9. Drei Aspekte des Krieges gegen den Terror sollten in der Dritten Welle zu Gegenständen von ATS-Klagen werden. Die Behandlung von Häftlingen in den Gefängnissen von Guantanamo und Abu Ghraib wurde als Folter bemängelt. Die 6 Für eine Beschreibung der Bedingungen innerhalb geheimer CIA-Gefängnisse siehe z. B. International Committee of the Red Cross, Report on the Treatment of Fourteen „High Value Detainees“ in CIA Custody, Doc. No. WAS 07/76 (Feb. 14, 2007) aufrufbar unter http://assets. nybooks.com/media/doc/2010/04/22/icrc-report.pdf, und The Justice Campaign, Torture Techniques Used in Guantanamo, aufrufbar unter http://thejusticecampaign.org/?page_id=273 #enhanced. 7 Siehe detailliert hierzu Jennifer Elsea et al., Cong. Research Serv., Rep. No. RL32419, Private Security Contractors in Iraq: Background, Legal Status, and Other Issues (2008), aufrufbar unter http://www.fas.org/sgp/crs/natsec/RL32419.pdf. 8 Zu den Vorfällen im Abu Ghraib siehe den internen Ermittlungsbericht der US-Armee: George Fay, AR 15-6 Investigation of the Abu Ghraib Detention Facility and 205th Military Intelligence Brigade (2004), aufrufbar unter http://www.defenselink.mil/news/Aug2004/d2004 0825fay.pdf. 9 Siehe ebd. S. 81 – 82 (Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma hat einen Häftling vergewaltigt, während ein anderer Mitarbeiter das Vorgehen fotographierte), S. 49 (Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma ließen einen Feldwebel der Armee wiederholt in ein Verhör kommen, um den Häftling mehrfach zu würgen und auf andere Weise physischen Schmerz zuzufügen).
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Kap. 3: Dritte Welle oder Kampf gegen den Kampf gegen den Terror
„extraordinary renditions“, durch welche vermutete Terroristen ohne Prozess auf unbefristete Zeit in CIA- oder ausländische Gefängnisse kamen, wurden als Völkerrechtsverletzung verklagt. Schließlich wurden mehrere unprovozierte Schießereien von Sicherheitsfirmen im Rahmen ihrer Bagdader Tätigkeiten als Kriegsverbrechen eingestuft.
B. Rechtsprechung und dogmatische Entwicklungen der Dritten Welle Der Verlauf der Dritten Welle spiegelte den Verlauf der Ersten und Zweiten Wellen wider. Zuerst wurde der Staat direkt verklagt, dann seine Hoheitsträger und schließlich die ihm zuarbeitenden Kapitalgesellschaften. Anfängliche ATS-Klagen gegen die Vereinigten Staaten und ihre Minister gingen erfolglos aus. Dies machte einen Strategiewechsel nötig. Ab 2004 wurden ATS-Klagen vermehrt gegen Kapitalgesellschaften erhoben, namentlich gegen die Sicherheitsfirmen, die als private Truppen und Geheimdienstler in Guantanamo und im Irak gearbeitet haben. Mit diesen Klagen konnten ATS-Kläger ihre ersten Erfolge verbuchen. Diese Entwicklungen der Dritten Welle werden anhand der hierfür maßgeblichen Entscheidungen geschildert.
I. Der Anfang: Al-Odah, Rasul, Ali und El-Masri 1. Al-Odah v. United States Die ersten ATS-Klagen der Dritten Welle wurden gegen die USA erhoben. In AlOdah v. United States10 verklagten drei Gruppen von Guantanamo-Häftlingen die Vereinigten Staaten u. a. aufgrund des ATS. Ihr Vorwurf lautete, dass ihre Inhaftierung ohne Prozess im Guantanamo-Lager völkerrechtswidrig war. Der DC Circuit wies die ATS-Ansprüche der Klagen ohne tiefgehende Analyse ab. Mit Blick auf ältere Rechtsprechung zu Klagen von Kriegsgefangenen legte das Gericht fest, dass „the privilege of litigation[] does not extend to aliens in military custody who have no presence in any territory over which the United States is sovereign“11. Darauf befand 10
Siehe Al-Odah v. U.S., 321 F.3d 1134 (D.C. Cir. 2003). Al-Odah, 321 F.3d at 1144. Diese Regel leitete das DC Circuit aus der Entscheidung des Supreme Court in Johnson v. Eisentrager von 1950 ab. Eisentrager war eine Klage zweier deutscher Kriegsgefangener, die nach der Kapitulation Deutschlands weitergekämpft hatten, von der USA-Armee gefangen genommen wurden und wegen ihrer Fortführung der Feindseligkeiten entgegen unterzeichneter Kapitulation von einem amerikanischen Kriegsgericht zu Haftstrafen in Kriegsgefangenenlagern verurteilt wurden. Sie versuchten, vor den amerikanischen Bundesgerichten ihre Inhaftierung als unrechtmäßig anzufechten. Das Supreme Court wies die Klage ab, weil es festlegte, dass Kriegsgefangene kein Recht auf gerichtliches Vor11
B. Rechtsprechung und dogmatische Entwicklungen
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der DC Circuit, dass sich das Guantanamo-Gefängnis nicht auf amerikanischem, sondern auf kubanischem Hoheitsgebiet befand12. Weil die Kläger nicht auf amerikanischem Hoheitsgebiet seien, hätten sie folglich kein Recht, die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung vor US-Gerichten anzufechten – auch nicht aufgrund des ATS. Entsprechend wies der DC Circuit die Klage ab. Eine Gruppe der Al-Odah-Klägern legte beim Supreme Court Rechtsmittel ein und das Gericht nahm die Revision an, die unter dem Titel Rasul v. Bush verhandelt wurde13. In seiner Entscheidung hob das Gericht eine zentrale Feststellung von AlOdah auf: Nach Ansicht des Supreme Court übten die USA die tatsächliche Hoheit über das Guantanamo-Gebiet doch aus14. Damit stand „the privilege of litigation“ Guantanamo-Häftlingen zu, womit die Eingangssperre ihrer ATS-Klagen nunmehr aufgehoben war. 2. Rasul v. Rumsfeld Die Rasul-Klage ging mit dieser Feststellung zurück an den District Court, wo es nun unter dem Namen Rasul v. Rumsfeld15 weitergeführt wurde. Bei der Neuverhandlung richteten sich die ATS-Ansprüche nicht direkt gegen die Vereinigten Staaten, sondern gegen ihre Minister und Angestellte. Rasul war eine ATS-Klage von vier Guantanamo-Häftlingen aus Großbritannien gegen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Als die Kläger durch Pakistan nach Afghanistan reisten – um nach ihrer Darstellung humanitäre Hilfe zu leisten – wurden sie von einem pakistanischen Stammesführer festgenommen und an die amerikanische Armee ausgeliefert. Die Armee habe sie ohne Prozess in Guantanamo inhaftiert, wo sie mit „verschärften Vernehmungsmethoden“ verhört worden seien16. Sie erhoben eine Klage gegen gehen in den USA hätten, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: „[the plaintiff] (a) is an enemy alien; (b) has never been or resided in the United States; (c) was captured outside of our territory and there held in military custody as a prisoner of war; (d) was tried and convicted by a Military Commission sitting outside the United States; (e) for offenses against laws of war committed outside the United States; (f) and is at all times imprisoned outside the United States“. Johnson v. Eisentrager, 339 U.S. 763, 777 (1950). Die Zulassung von Klagen unter solchen Umständen würde, so die Ansicht des Supreme Court, „would hamper our war effort or aid the enemy“. Eisentrager, 339 U.S. at 778. 12 Diese Feststellung stützte das Gericht auf die Tatsache, dass die USA das GuantanamoGebiet nicht besaßen, sondern nur aufgrund eines mit der kubanischen Regierung abgeschlossenen Dauerpachtverhältnisses benützen durften. 13 Siehe Rasul v. Bush, 542 U.S. 446 (2004). 14 Das Supreme Court befand, dass „a territory over which the United States exercises plenary and exclusive jurisdiction“ als Hoheitsgebiet der USA zu qualifizieren sei, siehe Rasul, 542 U.S. at 475. 15 Siehe Rasul v. Rumsfeld, 414 F. Supp. 2d 26 (D.D.C. 2006), aff’d Rasul v. Myers, 512 F.3d 644 (D.C. Cir. 2008). 16 Die Kläger haben folgende Vernehmungsmethoden vorgeworfen: „[Plaintiffs] claim they were beaten, shackled in painful stress positions, threatened by dogs, subjected to extreme
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Kap. 3: Dritte Welle oder Kampf gegen den Kampf gegen den Terror
Donald Rumsfeld, der die Vernehmungsmethoden genehmigt hatte, sowie gegen andere hochrangige Armee-Offiziere. Die Kläger warfen ihnen folgende Völkerrechtsverletzungen vor: Folter, fristlose willkürliche Inhaftierung sowie grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Diesmal scheiterte die Klage an der Immunität der Beklagten. Nach dem Westfall Act genießen Minister und Angestellte der USA Immunität vor Zivilklagen, solange sie die für die Klage streitgegenständlichen Handlungen im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses vorgenommen haben17. Ist diese Voraussetzung erfüllt, scheidet der Minister bzw. Angestellte aus der Klage aus und die USA tritt an dessen Stelle in die Rolle des Beklagten ein18. Das Vorgehen gegen die USA erfolgte dann gemäß dem im Federal Tort Claims Act19 vorgesehenen Verfahren: Der Kläger musste erst den internen Instanzenweg der jeweils zuständigen Behörde erschöpfen, ehe die Klage vor einem District Court erhoben werden konnte20. Nach der Ansicht des District Court hatte Rumsfeld bezüglich aller vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses gehandelt21. Rumsfelds Anordnung von prozessloser Inhaftierung und von verschärfter Vernehmungsmethoden hätte einen direkten Sachzusammenhang zu den üblichen Aufgaben des Verteidigungsministeramtes22. Die Kläger hätten nicht dargelegt, dass Rumsfeld etwa eigenmächtig oder wider Anweisungen gehandelt hätte23. Und selbst wenn die angeordneten Maßnahmen kriminell gewesen seien, seien sie als Reaktion eines Verteidigungsministers auf den 11. September vorhersehbar gewesen; insofern müssten sie als Ausfluss von Rumsfelds Amtstätigkeit angesehen temperatures and deprived of adequate sleep, food, sanitation, medical care and communication“. Siehe Rasul, 512 F.3d at 650. 17 Siehe 28 U.S.C. § 2679. 18 Siehe 28 U.S.C. § 1697 (d) (1): „Upon certification … that the defendant employee was acting within the scope of his office or employment at the time of the incident out of which the claim arose, any civil action or proceeding commenced upon such claim in a United States district court shall be deemed an action against the United States … and the United States shall be substituted as the party defendant“. 19 Siehe 28 U.S.C. §§ 2671 ff. 20 Siehe 28 U.S.C. § 2675 (a): „An action shall not be instituted upon a claim against the United States for money damages … unless the claimant shall have first presented the claim to the appropriate Federal agency and his claim shall have been finally denied by the agency“. 21 Für diese Feststellung wandte das District Court den „scope of employment“-Test des Restateent (Second) of Agency § 228 (1957) an: „Conduct of a servant is within the scope of employment if, but only if: (1) it is of the kind he is employed to perform; (2) it occurs substantially within the authorized time and space limits; (3) it is actuated, at least in part, by a purpose to serve the master; and (4) if force is intentionally used by the servant against another, the use of force is not unexpectable by the master“. 22 Rasul, 414 F. Supp. 2d at 35. 23 „The plaintiffs do not allege that the tortious actions arose purely from personal motives [.] … The plaintiffs have not proffered any evidence that would lead this court to believe that the defendants had any motive divorced from the policy of the United States to quash terrorism around the world“. Rasul, 414 F. Supp. 2d at 35 – 36.
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werden24. Aus diesen Gründen befand der DC Circuit, dass Rumsfeld im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses gehandelt hatte und dass die Klage deshalb direkt gegen die USA zu erheben war. Es wies die Klage mangels Erschöpfung des Rechtswegs in der zuständigen Behörde ab. 3. Ali v. Rumsfeld Die Feststellung des Supreme Court, dass Guantanamo als amerikanisches Hoheitsgebiet zu qualifizieren sei und damit „the privilege of litigation“ vor Bundesgerichten den Guantanamo-Häftlingen zustehe, rief eine weitere Klage gegen amerikanische Hoheitsträger hervor. Die Bezeichnung von Guantanamo als amerikanisches Hoheitsgebiet ermunterte Häftlinge im Irak und in Afghanistan, die dort befindlichen CIA- und Armee-Gefängnisse auch als amerikanisches Hoheitsgebiet zu charakterisieren und auf dieser Grundlage ATS-Klagen wegen dort erlittener Verletzungen zu erheben. Ali v. Rumsfeld25 war die ATS-Klage irakischer und afghanischer Staatsangehöriger, die ins Abu Ghraib-Gefängnis im Irak und auch in geheime afghanische Gefängnisse ohne Prozess eingesperrt worden waren. Während ihrer Inhaftierung wurden die Kläger mit verschärften Vernehmungsmethoden verhört. Zu diesen Methoden gehörten wiederholte schwere Schläge, Todesdrohungen, Scheinhinrichtungen, sexuelle Demütigung, sexueller Missbrauch, sensorischer Entzug, Waterboarding, Messerverletzungen sowie das Festbinden in äußerst schmerzhaften Körperhaltungen26. Die Kläger erhoben eine ATS-Klage wegen willkürlicher Inhaftierung, Folter und grausamer, erniedrigender und unmenschlicher Behandlung. Die Klage richtete sich hauptsächlich gegen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der die Anwendung dieser Methoden autorisiert hatte. Kurz nach Klageerhebung nahm der Fall Ali eine neue wichtige Dimension als Kampf zwischen Auslegungsprärogative der Gerichte und Exekutive an. Die bisherige ATS-Rechtsprechung hatte den Foltertatbestand aus dem Völkergewohnheitsrecht abgeleitet, hauptsächlich aus dem Übereinkommen gegen Folter und 24 Nach Meinung des Gerichts war eine Völkerrechtsverletzung nicht per se eine Handlung außerhalb des Rahmens des Beschäftigungsverhältnisses. Stattdessen galt folgende Analyse: „The inquiry is necessarily whether the intentional tort was foreseeable, or whether it was ,unexpectable in view of the duties of the servant‘“. Rasul, 414 F. Supp. 2d at 36. Dies Vorhersehbarkeit von Folter hat das Gericht bejaht: „In the present case, the heightened climate of anxiety, due to the stresses of war and pressures after September 11 to uncover information leading to the capture of terrorists, would naturally lead to a greater desire to procure information and, therefore, more aggressive techniques for interrogations. Indeed, according to the plaintiffs, this increased motivation culminated in defendant Rumsfeld’s December 2002 memorandum approving more aggressive interrogation techniques“. Rasul, 414 F. Supp. 2d at 36. Somit war Folter eine Handlung im Rahmen der Anstellung als Verteidigungsminister. 25 In re Iraqi and Afghan Detainees Litig., 479 F. Supp. 2d 85 (D.D.C. 2007), aff’d in part Ali v. Rumsfeld, 649 F.3d 762 (D.C. Cir. 2011). 26 In re Iraqi and Afghan Detainees Litig., 479 F. Supp. 2d at 89 – 90.
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andere grausame, erniedrigende und unmenschliche Behandlung27. Demnach galt jede Handlung als Folter, „durch die einer Person vorsätzlich große körperliche … Schmerzen oder Leiden zugefügt werden“28. Entgegen dieser Definition hatte das Justizministerium im Jahr 2001 ein Memorandum erlassen, das verschärfte Vernehmungsmethoden in den Gefängnissen der Armee und CIA autorisierte29. Die Legalität dieser neuen Methoden begründete das Justizministerium mit einer eigenen Definition der Folter, die das Ministerium ebenfalls aus dem Völkergewohnheitsrecht abgeleitet hatte: Folter sei eine Handlung, die „unausstehliche“ physische Schmerzen zufüge und derart schwerwiegend sei, dass sie zum Tode, Organversagen oder dauerhaftem Verlust von Körperfunktionen führen könne30. Die Bush-Regierung intervenierte im Verfahren Ali und argumentierte, dass der Präsident, als verfassungsmäßiger Vertreter der USA in auswärtigen Angelegenheiten, die vorrangige Befugnis innehabe, das Völkergewohnheitsrecht auszulegen31. Insofern binde seine Auslegung des Folterbegriffs die Gerichte und die ATS-Ansprüche der Ali-Kläger seien abzuweisen. In diesen Streit wollte sich der District Court offensichtlich nicht hineinwagen und es wies die ATS-Ansprüche aus prozessualen Gründen ab. In einer Rasul-ähnlichen Begründung befand es, dass Rumsfelds Autorisierung von verschärften Vernehmungsmethoden im Rahmen seiner Tätigkeit als Verteidigungsminister vorgenommen worden sei, und dass Rumsfeld deswegen Immunität nach dem Westfall Act genieße32. Die Handlungen eines Angestellten der Vereinigten Staaten 27 Zur Ableitung des Foltertatbestands in der Rechtsprechung siehe Kapitel 1, Abschnitt C. I. IV. a). 28 Siehe Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Art. 1 (1): „Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck ,Folter‘ jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden“. 29 Siehe Memorandum von Jay Bybee, Assistant Attorney General, Office of Legal Counsel, Re: Standards of Conduct for Interrogation under 18 U.S.C. §§ 2340 – 2340 A (Aug. 1, 2001). 30 So die Memorandum von Jay Bybee, S. 13: „The victim must experience intense pain or suffering of the kind that is equivalent to the pain that would be associated with serious physical injury so severe that death, organ failure, or permanent damage resulting in a loss of significant body function will likely result“. Aufgrund dieser Definition hat das Verteidigungsministerium unter Rumsfeld die Richtlinien für Verhöre entwickelt, die in Guantanamo angewandt wurden. Diese Richtlinien wurden in einem weiteren Memorandum von Rumsfeld aus dem Jahre 2002 festgelegt. 31 Siehe hierzu umfassend Julian Ku, Ali v. Rumsfeld: Challenging the President’s Authority to Interpret Customary International Law, 38 Case W. Res. J. Int’l L. 101 (2006) („Due to his role as central representative of the nation in its international relations, the President develops and announces foreign policy, communicates with other nations, and negotiates and signs international agreements. … Given the President’s role as chief spokesman and treatymaker for the United States, allowing him to control recognition, acceptance and interpretation of [customary international law] rules seems a sensible complement to his powers“). 32 In re Iraqi and Afghan Detainees Litig., 479 F. Supp. 2d at 109 ff.
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seien als im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses zu qualifizieren, wenn „conduct is of the kind an employee is employed to perform“ oder „incidental to authorized conduct“33. Im Falle Rumsfelds müsse bejaht werden, dass „detaining and interrogating enemy aliens [during a war] were the kinds of conduct [a defense minister was] employed to perform“34. Die Tatsache, dass Rumsfelds Handlungen möglicherweise Völkerrechtsverletzungen darstellten, änderte diesen Schluss nicht. Die Vorhersehbarkeit einer Handlung als Ausfluss von Amtspflichten, nicht die Schwere ihrer Rechtswidrigkeit, bestimme, ob sie als im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses des Beklagten einzustufen sei35. Insofern seien alle Ansprüche gegen Rumsfeld aus Immunitätsgründen abzuweisen.
4. El-Masri v. Tenet Kurz nachdem der Supreme Court die Klagen von Häftlingen in US-Gefängnissen für zulässig erklärt hatte, erhob das Opfer einer sog. „extraordinary rendition“ eine ATS-Klage gegen den Direktor der CIA. „Renditions“ waren eine geheime Terrorismusermittlungspraxis der CIA: ausländische Polizei- und Geheimdienste sollten Verdachtspersonen festhalten und die CIA darüber informieren. Meldete die CIA Interesse, wurde die Person an die CIA übergeben, was die „rendition“ dieser Person darstellte. Darauf inhaftierte die CIA diese Person ohne Prozess in einem ihrer geheimen Gefängnisse, um sie zu verhören. El-Masri v. Tenet36 war die Klage eines deutschen Staatsangehörigen, der auf Durchreise durch Mazedonien von der mazedonischen Polizei festgenommen und von dieser an die CIA – im Rahmen einer „rendition“ – übergeben wurde. Die CIA hat El-Masri nach Afghanistan gebracht, wo er etwa fünf Monate lang im berüchtigten „Salt Pit“-Gefängnis nahe Kabul ohne Prozess inhaftiert und mehrfach verhört wurde37. El-Masri erhob nach seiner Freilassung eine ATS-Klage gegen George Tenet, den zur Zeit seiner Inhaftierung amtierenden Direktor der CIA. Als Völkerrechtsverletzung warf er dem Beklagten fristlose willkürliche Inhaftierung sowie grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung vor. Der Fall El-Masri scheiterte letztlich daran, dass für die Beurteilung relevante Informationen als Staatsgeheimnisse eingestuft wurden. Nach ständiger Rechtsprechung zur sog. „state secrets doctrine“ sind Behörden der Vereinigten Staaten befugt, in Zivilklagen zu intervenieren und die Abweisung einer Klage zu ersuchen, wenn die für das Verfahren nötige Beweisführung Staatsgeheimnisse mit sicher33
In re Iraqi and Afghan Detainees Litig., 479 F. Supp. 2d at 114. In re Iraqi and Afghan Detainees Litig., 479 F. Supp. 2d at 114. 35 In re Iraqi and Afghan Detainees Litig., 479 F. Supp. 2d at 113 – 14. 36 El-Masri v. Tenet, 479 F.3d 296 (4th Cir. 2007). 37 El Masri warf vor, er wurde „beaten, drugged, bound, and blindfolded during transport; confined in a small, unsanitary cell; interrogated several times; and consistently prevented from communicating with anyone outside the detention facility“. El-Masri, 479 F.3d at 300. 34
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heitspolitischem Bezug offenbaren würde38. Befindet das Gericht, dass die Verhandlung der Klage zwangsläufig zur Offenlegung derartiger Staatsgeheimnisse führen wird, muss die Klage abgewiesen werden39. So war es auch bei El-Masri: Kurz nach Einleitung der Klage hatte die BushRegierung eine Stellungnahme eingereicht, in der sie bemängelte, dass die Erörterung von El-Masris Auslieferung durch die mazedonischen Behörden wichtige Operationsgeheimnisse der CIA offenlegen würden. Dies machte eine Feststellung des Gerichts nötig, ob El-Masris zu erwartende Beweisführung die Offenlegung von CIA-Geheimnissen erfordern würde. El-Masri argumentierte, dass keine Geheimnisse gelüftet werden mussten, weil das Rendition-Programm der CIA wegen regen Medieninteresses bereits derart weltbekannt war, dass z. B. die Europäische Union Ermittlungen dagegen eingeleitet hätte. Der Fourth Circuit war jedoch anderer Meinung. Laut dem Gericht müsste El-Masri, um seine Ansprüche zu begründen, einzelne CIA-Agenten sowie ihre Rollen in seiner Rendition und Inhaftierung beschreiben. Dies würde zu viele Details preisgeben: „Such a showing [would] expos [e] how the CIA organizes, staffs, and supervises its most sensitive intelligence operations“40. Des Weiteren müsste El-Masri die streng gehüteten wahren Identitäten von CIA-Agenten offenlegen, um sie zu verklagen, was per se als nicht hinnehmbare Offenlegung eines Staatsgeheimnisses zu qualifizieren sei. Aus diesen Gründen befand der Fourth Circuit, dass die Verhandlung von El-Masris ATS-Klage zwangsläufig zur Offenbarung von „state secrets“ führen würde, und wies die Klage dementsprechend ab. 5. Zwischenergebnis Die Ergebnisse in Rasul, Ali und El-Masri waren klare Signale, dass die Gerichte ATS-Klagen gegen die amtlichen Befehlshaber des Terrorkrieges mit äußerster Skepsis empfangen würden. Rasul und Ali erklärten im Grunde, dass auch menschenrechtswidrige Befehle die Grundsatzimmunität amerikanischer Angestellter und Minister nicht entkräften würden. Parallel erklärte El-Masri, dass CIA-Mitarbeiter praktisch immun waren, weil Klagen gegen sie zwangsläufig zur Offenbarung von Staatsgeheimnissen führen würden. 38 „[E]vidence is privileged pursuant to the state secrets doctrine if, under all the circumstances of the case, there is a reasonable danger that its disclosure will expose military (or diplomatic or intelligence) matters which, in the interest of national security, should not be divulged“. El-Masri, 479 F.3d at 307. Die „state secrets doctrine“ wurde in der common lawRechtsprechung als verfahrensrechtliche Beweisführungsregel entwickelt, wird heute aber auch unter Berufung auf die verfassungsrechtliche Gewaltenteilung angewandt, da die Offenlegung der Geheimnisse der Exekutive durch Vorgänge der Judikative als Beeinträchtigung ihrer Verteidigungs- und Kriegsführungsbefugnisse angesehen wird. 39 „[I]f the circumstances make clear that privileged information will be so central to the litigation that any attempt to proceed will threaten that information’s disclosure[, the suit must be dismissed]“. El-Masri, 479 F.3d at 306. 40 El-Masri, 479 F.3d at 309.
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Diese Ergebnisse waren aber nur die Spitze eines größeren Eisbergs, den Menschenrechtsorganisationen nun gewahrten. Das Einschalten der Exekutive in Ali zeigte, dass der Präsident ATS-Klagen gegen seine Minister als Affront gegen seine vorrangige Prärogative, das Völkergewohnheitsrecht in Zeiten eines Krieges auszulegen, auffasste. Die Abweisung aller Klagen aus prozessualen Gründen angesichts dieser Einrede der Exekutive gab klar zu erkennen, dass sich die Gerichte nicht gegen den eigenen Präsidenten und seine Kriegsführung stellen würden.
II. Die Wende zu Klagen gegen Sicherheitsfirmen und ihre ersten Erfolge Nach Rasul und El-Masri war ein Strategiewechsel nötig. Ab 2004 fingen Menschenrechtsorganisationen an, die Sicherheitsfirmen zu verklagen, die als Vertragsnehmer des Militärs den privatisierten Krieg gegen den Terror betrieben. 1. Hintergrund: der privatisierte Krieg Die Kriege in Irak und Afghanistan beschrieb die Zeitschrift The Economist als „the first privatised war[s]“ der Geschichte41. In der Tat wären beide Kriege hauptsächlich ohne private Sicherheitsfirmen – im amerikanischen Fachjargon „private military contractors“ – undenkbar gewesen. Es waren so viele Sicherheitsfirmen und Vertragsnehmer in beiden Kriegen involviert, dass selbst ihre genaue Anzahl noch umstritten ist. Nach Einschätzung der US-Regierung flossen zwischen 2003 und 2007 etwa $ 85 Milliarden an private Sicherheitsfirmen – und das betraf lediglich die Sicherheitsfirmen, die im Irak tätig waren42. Die Vereinten Nationen haben den jährlichen Gesamtumsatz solcher Firmen mit $ 100 bis $ 120 Milliarden beziffert, wovon etwa 70 % an Vertragsnehmer der USA und Großbritannien geflossen sein sollte43. Private Sicherheitsfirmen waren in jeglicher Hinsicht an den amerikanischen Kriegen beteiligt. Ihre Dienste teilte man in „bewaffnete“ und „unbewaffnete“ Dienstleistungen ein44. Als „unbewaffnete“ Dienstleister waren sie u. a. für Transport, Unterbringung und Verpflegung von Truppen, für die Besetzung von Kommandozentralen, für nachrichtendienstliche Analyse, für die Ausbildung irakischer 41
Siehe Military-Industrial Complexities, The Economist, Mar. 29, 2003, at 56. Siehe Congressional Budget Office Report, Contractors’ Support of U.S. Operations in Iraq, S. 2 (2008). 43 Siehe U.N. Gen. Assembly, Working Group on the Use of Mercenaries as a Means of Violating Human Rights and Impeding Exercise of the Right of Peoples to Self-determination, Report on the Question of the Use of Mercenaries as a Means of Violating Human Rights and Impeding the Exercise of the Right of Peoples to Self-determination, para. 26, U.N. Doc. A/63/ 325 (Aug. 25, 2008). 44 Siehe hierzu Jennifer Elsea et al., Private Security Contractors in Iraq, a.a.O., 35 – 50. 42
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Streitkräfte sowie – wie gleich zu sehen sein wird – für die Verhörleitung in den Gefängnissen verantwortlich. Zu ihren „bewaffneten“ Diensten gehörten die Bewachung/Sicherung wichtiger Gebiete und Gebäude, das Begleiten von Konvois durch Bagdad oder Kabul sowie das Beschützen von wichtigen Personen. Wenn man bedenkt, dass maximal 200.000 amerikanische Truppen im ganzen Irak stationiert waren, wird klar, dass private Sicherheitsfirmenpersonell die eigentliche Besatzungstruppe und Übergangsbehörden gestellt haben45. Mitarbeiter dieser Firmen haben „unzählige“ Straftaten an der Zivilbevölkerung begangen46. Im berüchtigten Abu Ghraib-Gefängnis Bagdads haben Verhörleiter und Dolmetscher aus Sicherheitsfirmen die Häftlinge gefoltert und in einigen Fällen sogar hingerichtet47. Private Söldner, die Verkehrskontrollen in Bagdad unterhielten und Konvois durch Bagdad begleiteten, haben in zahlreichen Fällen ohne Provokation auf Zivilisten geschossen48. Trotz ihrer Allgegenwärtigkeit und ihrer regulären Ausschweifungen gegen die Zivilbevölkerung genossen private Sicherheitsfirmen sowohl eine rechtliche als auch eine faktische Immunität. Die von den USA installierte Übergangsregierung des Iraks hat in einem ihrer ersten Befehle die absolute Immunität amerikanischer Sicherheitsfirmen vor Inanspruchnahme durch das irakische Rechtssystem festgelegt49, womit rechtliche Konsequenzen innerhalb von Irak ausgeschlossen waren. In den USA hat das Justizministerium der Bush-Regierung eine de facto Immunitätsregel für Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen erlassen50. Somit waren strafrechtliche Konsequenzen auch im amerikanischen Rechtssystem effektiv eliminiert.
45 Siehe hierzu Congressional Budget Office Report, Contractors’ Support of U.S. Operations in Iraq, S. 2 (2008). 46 Siehe Jenny Lam, Accountability for Private Military Contractors Under the Alien Tort Statute, 97 Berkeley L. Rev. 1459, 1461 (2009): „[Private military contractors] providing armed and unarmed services have committed countless acts of a potentially criminal or tortious nature“. 47 Siehe hierzu die Abschnitte zu Ibrahim, Saleh und den Abu Ghraib-Klagen ab Abschnitt C. II. 2. dieses Kapitels, unten. 48 Zu den Blackwater-Klagen siehe den unteren Abschnitt C. II. 3. dieses Kapitels. 49 Die sog. Coalition Provisional Authority (CPA), die die Übergangsregierung Iraks nach dem Sturz Husseins bildete, befehligte in ihrer „Order 17“ eine absolute Immunität vor irakischem Recht für Sicherheitsfirmen, die im Irak tätig waren, siehe Order 17 § 1 (2): „Coalition contractors and their sub-contractors as well as their employees not normally resident in Iraq, shall be immune from Iraqi Legal Process with respect to acts performed by them within their official activities pursuant to the terms and conditions of a contract between a contractor and Coalition Forces or the CPA and any sub-contract thereto“. Der Umfang dieser Immunität war flächendeckend, sie verbot jedwede „arrest, detention or legal proceedings in the Iraqi courts or other Iraqi bodies, whether criminal, civil, administrative or other in nature“. Siehe Order 17 § 1 (3). 50 Siehe Scott Horton, Getting Closer to the Truth About the Blackwater Incident, Harper’s Magazine, Nov. 14, 2007: „One of the most astonishing facts surrounding the whole contractor abuse issue is the consistent could-care-less attitude of the Justice Department. Dozens of
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Die NGOs kamen zu dem Schluss, dass die Rechtsprechung der Zweiten Welle Strategien für die Haftbarmachung privater Sicherheitsfirmen durch ATS-Klagen anbot51. In Karadzic hatte der Second Circuit die Regel verkündet, dass Privatpersonen durch ATS-Klagen für Kriegsverbrechen haftbar gemacht werden konnten52. Außerdem hatte Karadzic festgelegt, dass Privatpersonen, die durch willentliche Zusammenarbeit mit Hoheitsträgern gefoltert oder getötet hatten, als fingierte Hoheitsträger dafür hafteten. Des Weiteren hatte der Ninth Circuit in Unocal die Haftung für Beihilfe zur Verübung von Menschenrechtsverletzungen anerkannt53. Unter Berufung auf diese Entscheidungen wurden die ersten ATS-Klagen gegen Sicherheitsfirmen erhoben. Nach einem ersten Scheitern konnten Kläger mit dieser neuen Strategie Erfolge verzeichnen. 2. Saleh und Ibrahim Die ersten ATS-Klagen gegen Sicherheitsfirmen stammten aus dem berüchtigten Abu Ghraib-Gefängnis in Bagdad. In Ibrahim v. Titan Corp.54 und Saleh v. Titan Corp.55 haben über 250 Iraker, die in Abu Ghraib inhaftiert wurden, ATS-Klagen gegen die Sicherheitsfirmen erhoben, die für den Betrieb und die Verhöre im Gefängnis verantwortlich waren. Eine dieser Firmen war Titan Corp., dessen Mitarbeiter als Gefängniswächter sowie als Leiter und Dolmetscher in Verhören gearbeitet hatten. Der Gegenstand beider Klagen war die Behandlung von Häftlingen in Abu Ghraib. Die Vorwürfe gegen Titan waren erschreckend. Ein Kläger behauptete, er sei mit Stöcken zusammengeschlagen, von Wächtern angepinkelt, mehrheitlich nackt eisigen Temperaturen ausgesetzt, nackt in demütigender Stellung fotografiert, mit incidents which are comparable to the Nisour Square case have been referred to Justice; no action follows on them. […]“. „In fact, political functionaries at the Justice Department have, according to my sources, made a determination that they do not want to move on contractor cases. They deal with the matter using their standard tools: resource allocation and placing difficult matters into the hands of politically trusted personnel. By allocating no resources, they can assure that nothing happens“. 51 Siehe z. B. Jenny Lam, Accountability for Private Military Contractors, a.a.O; Thomas Harvey, Wrapping Themselves in the American Flag: The Alien Tort Statute, Private Military Contractors, and U.S. Foreign Relations, 53 St. Louis L. Rev. 247 (2009); Matthew Dahl, Note, Soldiers of Fortune – Holding Private Security Contractors Accountable: The Alien Tort Claims Act and its Potential Application to Abtan v. Blackwater Lodge and Training Center, Inc., 37 Denv. J. Int’l L. & Pol’y 119 (2008). 52 Zu Kadic v. Karadzic, siehe Kapitel 1, Abschnitt B. III. 53 Zu Doe v. Unocal Corp. siehe Kapitel 2, Abschnitt A. II. 2. 54 Ibrahim v. Titan Corp., 391 F. Supp. 2d 10 (D.D.C. 2005), aff’d 580 F.3d 1 (D.C. Cir. 2009). 55 Saleh v. Titan Corp. 436 F. Supp. 2d 55 (D.D.C. 2006), aff’d 580 F.3d 1 (D.C. Cir. 2009).
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Kampfhunden bedroht worden und habe sogar bei der Vergewaltigung eines anderen Häftlings zuschauen müssen56. Eine Klägerin warf Titan-Mitarbeitern vor, ihren Mann mit Stromschlägen gequält, eines seiner Augen ausgestochen, eines seiner Beine gebrochen, ihn mit einem Speer durchbohrt und letztendlich getötet zu haben57. Der Leitkläger in Saleh schilderte Unvorstellbares: Er sei nackt ausgezogen und danach mit zwölf anderen Gefangene an den Geschlechtsorganen mit Seilen zusammengebunden worden; ihre Genitalien seien mit den Seilen in die Länge gezogen und mit Stöcken geschlagen worden58. Danach habe man ihn mit einem elektrischen Stock und Stahlkabeln geschlagen, mit Chemikalien übergossen, mit Fäkalien beschmiert und mit einem Seil um den Hals durch die Gänge des Gefängnisses geschleift59. Als Völkerrechtsverletzungen warfen die Kläger Titan Folter sowie grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung vor60. Der District Court for the District of Columbia wies beide Klagen ab. Zuerst wurde 2005 Ibrahim abgewiesen. Das Gericht wies darauf hin, dass die Völkerrechtsdelikte Folter und grausame Behandlung nur durch hoheitliches Handeln begangen werden konnten61. Im vorliegenden Fall aber hätten die Kläger nicht behauptet, dass Titan etwas anderes wäre als ein rein privater Akteur62. Insofern könnten ihre Vorwürfe weder Zuständigkeit noch Haftung nach dem ATS begründen. Allerdings merkte das Gericht in einer Fußnote an, dass eine Haftung von Titan in Betracht kommen könne, falls die Kläger sein Handeln als „under color of law“ im Sinne der § 1983-Rechtsprechung darlegen könnten63. Die Kläger im Parallelverfahren Saleh haben diese Fußnote aufgegriffen und unter Berufung auf Karadzic argumentiert, dass Titan „under color of law“ gehandelt 56 Siehe First Amended Complaint para. 38, Ibrahim v. Titan Corp., 391 F. Supp. 2d 10 (D.D.C. 2005) (No. 04-01248). 57 Siehe First Amended Complaint para. 51, Ibrahim v. Titan Corp., 391 F. Supp. 2d 10 (D.D.C. 2005) (No. 04-01248). 58 Siehe Third Amended Class Action Complaint para. 116, Saleh v. Titan Corp., 436 F. Supp. 2d 55 (D.D.C. 2006) (No. 05-1165). 59 Siehe Third Amended Class Action Complaint para. 117 – 120, Saleh v. Titan Corp., 436 F. Supp. 2d 55 (D.D.C. 2006) (No. 05-1165). 60 Siehe First Amended Complaint, Ibrahim v. Titan Corp., 391 F. Supp. 2d 10 (D.D.C. 2005) (No. 04-01248); Third Amended Class Action Complaint, Saleh v. Titan Corp., 436 F. Supp. 2d 55 (D.D.C. 2006) (No. 05-1165). 61 Siehe Ibrahim, 391 F. Supp. 2d at 14: „[T]he aw of nations ,does not reach private, nonstate conduct‘ [such as] ,execution, murder, abduction, torture, rape, [and] wounding‘“. (Zitate von Sanchez-Espinoza v. Reagan, 770 F.2d 202 (D.C. Cir. 1985), und Tel-Oren v. Libyan Arab Republic, 726 F.2d 774 (D.C. Cir. 1984)). 62 „[T]hese plaintiffs disavow any assertion that the defendants were state actors“. Ibrahim, 391 F. Supp. 2d at 14 Fn. 3. 63 „In Tel-Oren, Judge Edwards noted that torture by private parties acting under ,color of law,‘ as compared to torture by private parties ,acting separate from any states authority or direction,‘ would be actionable under the ATS“. Ibrahim, 391 F. Supp. 2d at 14, Fn. 3.
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hätte. Durch einen Nachweis von „joint action“ zwischen Titan und der Armee bzw. von Titans Beihilfe zu Folter hoffen die Saleh-Kläger, ihre Ansprüche vor der Abweisung zu retten64. Aber 2006 wies der District Court auch Saleh ab65. Nach Meinung des Gerichts gab es keine fingierten Hoheitsträger im Sinne von Karadzic, d. h. private Akteure, die wegen Zusammenarbeit mit Hoheitsträgern als „state actors“ eingestuft werden, weil sie „under color of law“ gehandelt hätten66. Ein Beklagte sei entweder Hoheitsträger oder Privatperson – eine Mischform gebe es nicht67. Und aus Sicht des District Court war das ein Problem für die Kläger: Wenn sie behaupten wollten, Titan habe als Hoheitsträger gehandelt, müssten sie zugeben, dass es als Staatsorgan der USA zu behandeln war und eine entsprechende Grundsatzimmunität vor Zivilklagen genoss68. Gegen diese Entscheidung legten die Ibrahim und Saleh-Kläger Rechtsmittel ein, aber der DC Circuit bestätigte die Abweisung beider Klagen69 und schloss sich der Argumentation des District Court an. Die Kläger befänden sich in einer Zwickmühle70 : Entweder müssten sie behaupten, Titan habe als Privatperson gehandelt, aber als Privatperson könnte Titan nicht für die Delikte Folter oder grausame Behandlung haften71. Alternativ müssten die Kläger behaupten, Titan habe als Ho-
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Zum „joint action“-Test siehe Kapitel 1, Abschnitt C. II. 3. a) cc). Siehe Saleh v. Titan Corp., 436 F. Supp. 2d 55 (D.D.C. 2006). 66 Diese Feststellung des Gerichts stützte auf eine sehr frühe ATS-Entscheidung des D.C. Circuit in Sanchez-Espinoza v. Reagan, 770 F.2d 202 (D.C. Cir. 1985). Dort hatten nicaraguanische Kläger behauptet, dass die Tätigkeiten der Contras in Nicaragua – Hinrichtungen, Folterungen, Vergewaltigungen und dergleichen – als Völkerrechtsverletzungen zu qualifizieren waren, weil sie im Rahmen eines von der US-Regierung unterstützten Krieges geschahen. Diese Argumentation hat das DC Circuit in einer Entscheidung vom damaligen Judge Scalia abgelehnt. Entweder seien die Contras Privatpersonen, die für derlei Handlungen keine völkerrechtliche Haftung tragen, oder sie seien als US-Truppen zu behandeln, in welchem Falle sie immun vor Zivilklagen seien. Nach Meinung des District Court war Sanchez-Espinoza die letzte für das DC Circuit gültige Entscheidung zur Frage der Haftung von Privatpersonen in ATS-Klagen gewesen, da Karadzic nur im Second Circuit Gültigkeit hatte. Aus diesem Grunde betrachtete es Sanchez-Espinosa als der auf Ibrahim anwendbare Präzendenzfall. 67 „[T]here is no middle ground between private action and government action, at least for purposes of the Alien Tort Statute“. Saleh, 436 F. Supp. 2d at 57. 68 Dies ging aus einem Satz der Ibrahim-Entscheidung hervor: „[I]f defendants were acting as agents of the state, they would have sovereign immunity“. Siehe Ibrahim, 391 F. Supp. 2d at 14 Fn. 3. Nach dem Westfall Act genießen Angestellte der Vereinigten Staaten Immunität gegen gerichtliche Inanspruchnahme bezüglich aller Handlungen, die sie im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses vorgenommen haben, siehe hierzu Kapitel 3, Abschnitt B. I. 69 Siehe Saleh v. Titan Corp. 580 F.3d 1 (D.C. Cir. 2009) (konsolidierte Revision der Abweisungen von Saleh und Ibrahim). 70 „[A]ppellants are caught between Scylla and Charybdis …“, Saleh, 580 F.3d at 16. 71 „Although torture committed by a state is recognized as a violation of a settled international norm, that cannot be said of private actors“. Saleh, 580 F.3d at 15. 65
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heitsträger gehandelt, aber in diesem Fall wäre Titan grundsätzlich immun vor ATSKlagen72. Saleh und Ibrahim zeigten einen Schwachpunkt von ATS-Klagen gegen Sicherheitsfirmen: Viele Sicherheitsfirmen hatten ihren Sitz in Washington DC, aber der DC Circuit hatte bisher keine indirekte bzw. sekundäre Haftung anerkannt. Dies stand im Gegensatz zum Second Circuit und Ninth Circuit. In Unocal hatte der Ninth Circuit anerkannt, dass Privatpersonen wegen „aiding and abetting“ der Menschenrechtsverletzungen anderer Personen für diese hafteten73. Der Second Circuit hatte in Karadzic erklärt, dass Privatpersonen, die durch „joint action“ mit Hoheitsträgern Menschenrechtsverletzungen herbeiführen, für diese Verletzungen auch haften, ohne unter den Schutz hoheitlicher Immunität zu kommen74. 3. In re Xe Services: Der erste Erfolg? a) Hintergrund: Blackwater im Irak Als Saleh und Ibrahim ihren Weg durch die Instanzen beschritten, leiteten andere Kläger derweil eine weitere ATS-Klage gegen die wohl berüchtigste Sicherheitsfirma des Irakkrieges ein: Blackwater. In den frühen Jahren des Irakkriegs diente Blackwater als eine Art private Besatzungsarmee. Nachdem US-Truppen Gebiete Bagdad von irakischen Truppen befreit hatten, nahmen BlackwaterTruppen die Wahrung des Friedens und des sicheren Geleits durch gefährliche Gebiete wahr. Zu ihren wichtigsten Aufgaben gehörten die Unterhaltung von Sicherheitskontrollen an strategischen Verkehrsknotenpunkten, die bewaffnete Begleitung von Personen- und Materialienkonvois sowie das Patrouillieren in strategisch relevanten Stadtvierteln. Dies waren keineswegs ungefährliche Aufgaben. Kurz nach dem Sturz Saddam Husseins hatten US-feindliche islamistische Rebellen die Stadtviertel Bagdads schnell wieder unterwandert und eine Bombenkampagne gegen US-Streitkräfte sowie ihre irakischen Verbündeten eröffnet, die in den Medien mit dem Titel „the Insurgency“ versehen wurde. Trotz dieser Zustände entstand der Eindruck, dass Blackwater-Söldner zu bereitwillig auf irakische Zivilisten schossen: „Between 2005 and 2007, the private security firm Blackwater was ,involved in at least 195 ,escalation of force‘ incidents in Iraq … that involved the firing of shots by Blackwater forces‘. […] According to Blackwater’s own reports, its forces fired first in over 80 percent
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„[P]laintiffs are unwilling to assert that the contractors are state actors. [S]uch an admission … would virtually concede that the contractors have sovereign immunity“. Saleh, 580 F.3d at 15. 73 Siehe hierzu Kapitel 2, Abschnitt B. II. 3. b) bb). 74 Siehe hierzu Kapitel 1, Abschnitt B. III. 4. c) cc) (2).
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of these incidents, despite a contractual requirement that Blackwater use only defensive force“75.
Das berühmteste Beispiel von Blackwater-Aggression lief unter dem Titel „The Nissor Square Massacre“76 : Im September 2007 näherte ein schwer bewaffneter Blackwater-Konvoi dem verkehrsstarken Bagdader Nisur-Verkehrskreisel. Obwohl die Kreisel für die Durchfahrt des Konvois gesperrt worden war, merkten die Blackwater-Truppen, dass auf dem Kreisel ein Personalkraftfahrzeug gegen Fahrtrichtung auf sie zufuhr. Im Wagen waren eine Ärztin und ihr Sohn, die nach eigener Darstellung zum Einkaufen fuhren. Ein Warnschuss der Blackwater-Truppen tötete den Fahrer des Pkws und sein Körper sackte auf das Gaspedal herunter, was die Fahrt des Wagens auf den Blackwater-Konvoi beschleunigte. Blackwater-Truppen an der Spitze des Konvois fingen an, den Wagen unter Beschuss zu nehmen und Schockgranaten abzuwerfen. Gleichzeitig zielten Söldner weiter hinten im Konvoi – ohne ersichtliche Provokation – auf umstehende (und nun fliehende) Zivilisten und schossen in allen Richtungen77. Die Söldner vorne im Konvoi sollen vergebens einen Haltebefehl ausgegeben haben. Ein Blackwater-Söldner soll überhaupt nicht auf Befehle reagiert haben; andere Blackwater-Truppen hätten ihre Waffen auf ihn richten und ihm mit Erschießung drohen müssen, um seine Schießerei auf die Zivilisten einzuhalten. Am Ende lagen 17 Zivilisten tot und 24 schwer verletzt um den Schauplatz verteilt. Zu diesem Vorfall häuften sich Vorwürfe, dass Blackwater-Söldner unzählige Iraker bei Verkehrskontrollen in ihren Autos ohne Grund er- oder angeschossen hätten. Andere Iraker behaupteten, sie würden ohne Provokation von BlackwaterSöldner lebensgefährlich zusammengeschlagen. Blackwater schien aber aus diesen Vorfällen keine Konsequenzen zu treffen. Zwar wurden strafrechtliche Ermittlungen gegen die Beteiligten des Nisurkreisel-Massakers eingeleitet, aber sie wurden ohne Erklärung – und gegen heftigen Protest des irakischen Premierministers – eingestellt. Des Weiteren genoss Blackwater als Gesellschaft wegen ihrer Irak-Tätigkeiten eine Immunität vor strafrechtlichen 75
Jenny Lam, Accountability for Private Military Contractors, a.a.O., S. 1461 – 1462 (Zitat: Majority Staff of H. Comm. on Oversight and Gov’t Reform, 110th Cong., Memorandum Regarding Additional information About Blackwater USA (2007), aufrufbar unter http://over sight.house.gov/documents/20071001121609.pdf). 76 Zum Nisoor Square Massacre siehe u. a. James Glanz, From Errant to Fatal Shot to Hail of Fire to 17 Dead, New York Times, Oct. 3, 2007, aufrufbar unter http://www.nytimes.com/2007/1 0/03/world/middleeast/03firefight.html?pagewanted=all&_r=0; Scott Horton, Getting Closer to the Truth About the Blackwater Incident, a.a.O. 77 Die Blackwater-Söldner haben behauptet, sie hielten die Schussgeräusche an der Spitze des Konvois für einen Angriff aus der Zivilistenmenge. Ein späterer FBI-Bericht hat diese Behauptung widerlegt und die Schüsse auf Zivilisten für ungerechtfertigt erklärt. Siehe David Johnston & John Broder, F.B.I. Says Guards Killed 14 Iraqis Without Cause, New York Times, Nov. 14, 2007, aufrufbar unter http://www.nytimes.com/2007/11/14/world/middleeast/14black water.html?ei=5090&en=baf511f71e78f1fd&ex=1352696400&adxnnl=1&partner=rssuser land&emc=rss&pagewanted=print&adxnnlx=1392656521-wpFT5yuj6VCA+QhBNXQPOg.
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Kap. 3: Dritte Welle oder Kampf gegen den Kampf gegen den Terror
Konsequenzen78. Immerhin sah sich Blackwater wegen einer Welle negativer Presseberichte zu einer Namensänderung gezwungen: Es benannte sich in „Xe Services“ um. b) Die ATS-Klagen gegen Blackwater 2007 haben insgesamt 64 Iraker fünf unterschiedliche ATS-Klagen gegen Blackwater in diversen District Courts eingeleitet79. Diese Klagen wurden vor dem Eastern District of Virginia unter dem Namen In re Xe Services Alien Tort Litigation (hiernach In re Xe Services) konsolidiert80. Die Kläger warfen vor, dass bewaffnete Blackwater-Truppen in mehreren Fällen sie bzw. ihre Familienmitglieder ohne Grund erschossen oder lebensgefährlich verletzt hätten. Unter ihnen waren die Familien von Personen, die beim „Nisoor Square Massacre“ erschossen wurden81. Eine andere Klägerin behauptete, dass ein Blackwater-Söldner, der besoffen von einer Weihnachtsfeier nach Hause ging, ihren Mann aus Spaß erschossen hätte82. Mehrere weitere Kläger warfen vor, dass Blackwater-Truppen sie bei Verkehrskontrollen ohne Grund angeschossen hätten83. Als Völkerrechtsverletzung warfen die Kläger Blackwater die Begehung von Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung vor. Der Vorwurf von Kriegsverbrechen war eine neue Strategie. Unter Berufung auf Karadzic argumentierten die Xe Services-Kläger, dass Blackwater für Kriegsverbrechen haften konnte, egal ob es als Privatperson oder als Hoheitsträger einzustufen war. Damit hofften die Kläger, die dogmatische Zwickmühle von Ibrahim und Saleh zu umschiffen. c) Die Entscheidung des Eastern District of Virginia Mit diesem Argument hatten die Kläger Erfolg: Der District Court bejahte die Zulässigkeit von ATS-Ansprüchen gegen Blackwater/Xe Services aufgrund von Kriegsverbrechen. Zunächst konstatierte das Gericht, dass Kriegsverbrechen eine im Sinne des ATS einklagbare Völkerrechtsverletzung darstellte. Unter Berufung auf Sosa legte der District Court als Standard fest, dass nach dem ATS einklagbare Delikte auf Völkerrechtsnormen stützen müssen, die „(i) are universally recognized, (ii) have specific definition and content, and (iii) are binding and enforceable, rather 78 Siehe Abschnitt C. II. 1. dieses Kapitels zur Immunität von Sicherheitsfirmen aufgrund von Order 17 der amerikanischen Übergangsverwaltung. 79 Siehe In re Xe Services Alien Tort Litigation, Nos. 1:09-cv-615, 1:09-cv-616, 1:09-cv617, 1:09-cv-618, 1:09-cv-645 (E.D. Va.). 80 Siehe In re Xe Services Alien Tort Litigation, 665 F. Supp. 2d 569 (E.D. Va. 2009). 81 Siehe Hassoon v. Blackwater, No. 1:09-cv-617 (E.D. Va.) (zusammengelegt mit ähnlichen Verfahren in In re Xe Services Alien Tort Litigation, 665 F. Supp. 2d 569 (E.D. Va. 2009)). 82 Siehe Sadoon v. Blackwater, No. 1:09-cv-615 (E.D. Va.) (zusammengelegt mit ähnlichen Verfahren in In re Xe Services Alien Tort Litigation, 665 F. Supp. 2d 569 (E.D. Va. 2009)). 83 Siehe Hassoon v. Blackwater, a.a.O.
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than merely aspirational“84. Nach Meinung des Gerichts erfüllte die Menschenrechtsnorm gegen Kriegsverbrechen diesen Standard. Die Genfer Konventionen enthielten den völkerrechtlichen Straftatbestand von Kriegsverbrechen und wären von allen Länder der Welt ratifiziert; insofern könne ihre universelle Akzeptanz angenommen werden85. Des Weiteren sei durch die konkreten Inhaltsbestimmungen der Genfer Konventionen die Völkerrechtsnorm gegen Kriegsverbrechen hinreichend bestimmt86. Und weil Verstöße gegen die Genfer Konventionen in so gut wie allen Ländern der Welt strafbar seien, sei das Verbot von Kriegsverbrechen als verbindlich zu qualifizieren87. Zweitens bejahte der District Court die Haftung privater Akteure für Kriegsverbrechen. Nach Ansicht des Gerichts differenzierten die Genfer Konventionen zwischen normalen Zuwiderhandlungen, die nur von Kriegsteilnehmern begangen werden konnten, und „schweren Verletzungen“, die zum Schutz besonders gefährdeter Personen die Strafbarkeit von allen Personen vorsahen, die sie begingen88. Nach den Konventionen sowie ihren amerikanischen Umsetzungsgesetzen89 gehörten Kriegsverbrechen – als vorsätzliche Angriffe auf unbewaffnete Zivilisten verstan84
In re Xe Servs. Alien Tort Litig., 665 F. Supp. 2d at 582. „[I]t is a ,grave breach‘ of the Fourth Geneva Convention intentionally to kill or inflict serious bodily injury upon innocent civilians during the course of an armed conflict. The treaty has been ratified by the United States and every other nation in the world“. In re Xe Servs., 665 F. Supp. 2d at 582 – 583. 86 „By ratifying the Geneva Conventions, Congress has adopted a precise … definition of war crimes. … [E]very country in the world, including the United States, has agreed to precisely the same definition of war crimes“. In re Xe Servs., 665 F. Supp. 2d at 582 – 583. 87 „[T]his specific universal norm [against war crimes] is binding on nationals of the vast majority of nations in the world. Indeed, nationals of 110 states – including Australia, Canada, Japan, Mexico, and all of Western Europe – are criminally punishable in the International Criminal Court (ICC) for precisely these grave breaches as defined in the Geneva Conventions. Furthermore, many of the countries that have not ratified the treaty establishing the ICC have nonetheless passed laws criminally punishing grave breaches of the Geneva Conventions in their own courts“. In re Xe Servs., 665 F. Supp. 2d at 583. 88 „While other prohibitions contained within the Geneva Conventions, such as the ban on summary executions, discussed infra, require that the conduct be committed by a party to the armed conflict, there is no such requirement for grave breaches such as the murder of protected persons. Instead, the grave breach is defined in terms of the status of the victim, not the status of the perpetrator“. In re Xe Servs., 665 F. Supp. 2d at 584 – 585. Diese Ansicht stützte das Gericht auf Art. 146 der Vierten Genfer Konvention: „Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, alle notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen zur Festsetzung von angemessenen Strafbestimmungen für solche Personen zu treffen, die irgendeine der im folgenden Artikel umschriebenen schweren Verletzungen des vorliegenden Abkommens begehen oder zu einer solchen Verletzung den Befehl erteilen“. 89 Das vom Gericht angeführte Umsetzungsgesetz war der War Crimes Act of 1996, 18 U.S.C. § 2441. Das Gesetz definitert den Tatbestand von Kriegsverbrechen als die Begehung einer „schweren Verletzung“ im Sinne der Genfer Konventionen, siehe § 2441 (c) (1): „[T]he term ,war crime‘ means any conduct defined as a grave breach in any of the international conventions signed at Geneva 12 August 1949“. 85
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Kap. 3: Dritte Welle oder Kampf gegen den Kampf gegen den Terror
den – zu den „schweren Verletzungen“90. Auf dieser Grundlage schloss das Gericht, dass Privatpersonen für die Begehung von Kriegsverbrechen im Rahmen von ATSKlagen haften konnten91. Drittens wies der District Court Blackwaters Einspruch zurück, Kapitalgesellschaften seien keine Völkerrechtssubjekte und das ATS sehe deshalb keine Haftung von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen vor. Nach Ansicht des Gerichts differenzierte das Völkerrecht nicht zwischen natürlichen und juristischen Personen, sondern nur zwischen privaten Akteuren und Hoheitsträgern92. Und in dieser Hinsicht sah das Gericht keinen Grund, private juristische Personen anders als private natürliche Personen zu behandeln93. Als Bestätigung hiervon verwies das Gericht auf mehrere ATS-Entscheidungen aus der Zweiten Welle, die die Haftbarkeit von Kapitalgesellschaften in ATS-Klagen bereits bejaht hatten94. Somit waren Ansprüche gegen Blackwater wegen Kriegsverbrechen aufgrund des ATS grundsätzlich zulässig: „In sum, Congress, by ratifying the Geneva Conventions and by enacting the War Crimes Act, has defined the international law norm governing war crimes. This norm is binding, universal, and precisely defined. Accordingly, the ATS recognizes a cause of action alleging war crimes, and claims arising under this cause of action are cognizable against non-state actor defendants, including corporations“95.
90 „Indeed, the War Crimes Act, in codifying the Geneva Conventions’ ,grave breach‘ provisions into federal criminal law, subjects all United States nationals to liability with no reference to color of law or status as a party to the armed conflict“. In re Xe Servs., 665 F. Supp. 2d at 585. 91 Das Gericht fand auch überzeugend, dass andere Gerichtsentscheidungen in ATS-Klagen die Haftbarkeit privater Akteure für Kriegsverbrechen bejaht hatten: Sinaltrainal v. Coca-Cola Co., No. 06-15851, at *10 (11th Cir. Aug. 11, 2009) („[W]ar crimes … negate the need for state action“); Abdullahi v. Pfizer, Inc., 562 F.3d 163, 173 (2d Cir.2009) („ATS claims may sometimes be brought against private actors … when the tortious activities violate norms of universal concern that are recognized to extend to the conduct of private parties – for example, slavery, genocide, and war crimes“); Doe v. Unocal Corp., 395 F.3d 932, 945 – 46 (9th Cir.2002) („[C] rimes like slave trading, genocide or war crimes … by themselves do not require state action for [ATS] liability to attach“.). 92 „Nothing in the ATS … may plausibly be read to distinguish between private individuals and corporations; indeed, Sosa simply refers to both individuals and entities as ,private actors‘“. In re Xe Servs., 665 F. Supp. 2d at 887. 93 „[T]here is no identifiable principle of civil liability which would distinguish between individual and corporate defendants in these circumstances“. In re Xe Servs., 665 F. Supp. 2d at 887. 94 Das Gericht zitierte: Khulumani v. Barclay Nat’l Bank Ltd., 504 F.3d 254, 282 (2d Cir. 2007) (Katzmann, J., concurring, joined by Hall, J.); Abdullahi v. Pfizer, Inc., 562 F.3d 163 (2d Cir. 2009); Romero v. Drummond Co., 552 F.3d 1303, 1314 – 16 (11th Cir. 2008); Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 374 F. Supp. 2d 331, 336 n. 10 (S.D.N.Y. 2005); In re Agent Orange Prod Liab. Litig., 373 F. Supp. 2d 7, 58 – 59 (E.D.N.Y. 2005). 95 In re Xe Servs., 665 F. Supp. 2d at 588.
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Anschließend wandte sich der District Court der Frage zu, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des Kriegsverbrechen-Delikts erfüllt waren. Unter Berufung auf die Vierte Genfer Konvention definierte das Gericht Kriegsverbrechen als eine Handlung, die (i) vorsätzlich (ii) den Tod oder die schwere körperliche Verletzung (iii) eines Zivilisten herbeigeführt hatte, und die (iv) während eines bewaffneten Konflikts und (v) im Rahmen dieses Konflikts begangen worden war96. Nach Meinung des Gerichts hatten die Kläger Kriegsverbrechen nach dieser Definition dargelegt97. In der Klageschrift hätten die Kläger dargelegt, dass Blackwater-Söldner mehrmals mit Tötungsabsicht auf Zivilisten geschossen, Zivilisten mit Vorsatz fast zu Tode geprügelt und weitere lebensgefährdende Handlungen unter billigender Inkaufnahme des Todes von Zivilisten vorgenommen hätten. Als Resultat erklärte das Gericht, dass die Ansprüche der Kläger wegen Kriegsverbrechen ausreichend dargelegt waren und es ließ das Verfahren zur Beweiserhebung durch Discovery zu. d) Ergebnis In re Xe Services war der erste Erfolg der Dritten Welle. Irakische Kläger hatten eine Gerichtsentscheidung gegen eine amerikanische Sicherheitsfirma erwirkt, die die Delikte ihrer Mitarbeiter an der irakischen Zivilbevölkerung explizit für nach dem ATS einklagbare Völkerrechtsverletzungen erklärt hatte. So medienträchtig wie Filartíga oder Unocal war In re Xe Services indes nicht, aber die Entscheidung wurde in Menschenrechtskreisen als Ermunterung zu weiteren Vorgehen gegen Sicherheitsfirmen durch ATS-Klagen aufgenommen. Allerdings scheint dieser Anfangserfolg nicht in einen finanziellen Sieg für die Kläger umgesetzt worden zu sein. Im Januar 2010 – etwa zweieinhalb Monate nach der Entscheidung des District Court – haben sich die irakischen Kläger und Blackwater außergerichtlich verglichen. Der Vergleich sah Entschädigungszahlungen von $ 100.000 pro Todesfall und zwischen $ 10.000 und $ 30.000 pro Körperverletzung vor98. Offenbar war Blackwater viel zufriedener mit diesem Ergebnis als 96
„This cause of action [for war crimes] requires plaintiffs to show that defendants (i) intentionally (ii) killed or inflicted serious bodily harm (iii) upon innocent civilians (iv) during an armed conflict and (v) in the context of and in association with that armed conflict“. In re Xe Servs., 665 F. Supp. 2d at 588. Diese Definition wurde Art. 147 der Vierten Genfer Konvention entlehnt, die im einschlägigen Teil Folgendes vorsieht: „Als schwere Verletzungen [nach diesem Abkommen] … gelten jene, die die eine oder andere der folgenden Handlungen umfassen, sofern sie gegen Personen … begangen werden, die durch das vorliegende Abkommen geschützt sind: vorsätzlicher Mord, Folterung oder unmenschliche Behandlung … , vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwere Beeinträchtigung der körperlichen Integrität oder der Gesundheit“. 97 Die Entscheidung des Gerichts fand im Rahmen eines Antrags auf Abweisung der Klage statt, deshalb befasste sie sich nur mit dem Sachvortrag der Kläger in der Klageschrift. 98 Siehe Liz Sly, Iraqis say they were forced to take Blackwater settlement, L.A. Times, Jan. 11, 2010, aufrufbar unter http://articles.latimes.com/2010/jan/11/world/la-fg-iraq-blackwa ter11-2010jan11.
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die Kläger, die ihrerseits behaupteten, sie wären aufgrund einer angeblich drohenden Insolvenz Blackwaters gezwungen, dem Vergleich zuzustimmen99. 4. Die Abu Ghraib-Klagen a) Hintergrund: CACI, L-3 und das Abu Ghraib-Gefängnis Etwa ein Jahr bevor In re Xe Services entschieden wurde, haben andere Iraker zwei weitere ATS-Klagen gegen Sicherheitsfirmen eingeleitet, die den Bekanntheitsgrad Blackwaters nicht erreicht hatten aber in Menschenrechtskreisen fast genauso geächtet wurden: CACI International und L-3 Services. Während Blackwater die Funktion einer privaten Besatzungsarmee innegehabt hatte, hatten CACI und L-3 als private Nachrichtendienste in Bagdad gedient. Nach eigenen Angaben ist CACI ein „information solutions company“, die „Informationsdienstleistungen“ für sicherheitspolitische Aufgaben anbietet100. Im Irak war CACI u. a. im Abu GhraibGefängnis aktiv. Dort war CACI für die Aufsicht über vermutete Terroristen sowie die Durchführung von Verhören derselben zuständig. L-3 hingegen hat etwa 6.000 Dolmetscher für die Verhöre im Abu Ghraib bereitgestellt. CACI-Mitarbeiter haben offenbar die Folter und Erniedrigung irakischer Häftlinge in ihren Gefängnistrakten angeordnet, durchgeführt oder wissentlich geduldet101. Zu den zahmeren Maßnahmen sollen Würgen, das Eindrücken von schmerzhaften Schwachpunkten am Körper und das mit Seilen erfolgte Festbinden der Häftlinge in gequälten, gebückten Körperstellungen gehört haben. Hierzu sollen regelrechte Foltermethoden gekommen sein, z. B. hat ein Häftling behauptet, er sei wiederholt auf den Fußflächen mit Stöcken geschlagen und dann unmittelbar danach zum Rennen gezwungen worden sein. Der wohl berüchtigtste Vorfall aus Abu Ghraib involvierte das Fotografieren irakischer Gefangener in entwürdigenden Stellungen102. Gefängniswächter – wieder offenbar unter Leitung oder Einfluss von Stefanowicz und Johnson – haben Häftlinge 99 Siehe ebd. Weil In re Xe Services aber keine Sammelklage war, sondern nur sieben Einzelklagen, musste (und wurde) der Vergleich nicht ex officio vom Gericht auf Fairness geprüft, ehe er zugelassen wurde. 100 So CACIs Selbstdarstellung auf der eigenen Webseite, siehe „CACI Profile“, aufrufbar unter http://www.caci.com/about/profile.shtml. 101 Zu den Vorfällen im Abu Ghraib mit CACI-Mitarbeitern siehe die Darstellung einer der vertretenden Klägeranwälten: Katherine Hawkins, CACI’s Forgotten Role in Abu Ghraib, The Huffington Post, Aug. 29, 2013, aufrufbar unter http://www.huffingtonpost.com/katherine-haw kins/cacis-forgotten-role-in-a_b_3830280.html?utm_hp_ref=tw. Siehe auch Gwynne Skinner et al., The Third Pillar: Access to Judicial Remedies for Human Rights Violations by Transnational Business 86 – 88 (2013). 102 Siehe hierzu z. B. Rebecca Leung, Abuse of Iraqi POWs by GIs Probed, CBS NEWS, Feb. 11, 2009, aufrufbar unter http://www.cbsnews.com/stories/2004/04/27/60ii/main614063. shtml sowie The Abu Ghraib Pictures, The New Yorker, aufrufbar unter http://www.newyorker. com/archive/2004/05/03/slideshow_040503.
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nackt ausgezogen und in sexuell demütigende Stellungen gezwungen sowie aufeinander gestapelt. In einigen Fällen haben sie Stromleitungen an Finger, Füße und Geschlechtsteile von Gefangenen gebunden. Die Häftlinge wurden, offenbar auch zur Belustigung der Wächter, in diesen Stellungen fotografiert. Später wurden sogar Wächter bei der Folterung oder Vergewaltigung von Häftlingen abgelichtet. Als diese Bilder öffentlich wurden, lösten sie weltweite Empörung aus. Die beteiligten Wächter wurden unehrenhaft aus der Armee entlassen und erhielten zum Teil Gefängnisstrafen. Neben CACI-Mitarbeitern haben L-3-Dolmetscher offenbar sichergestellt, dass Verhöre von Häftlingen mit verschärften Methoden vonstattengingen. Häftlinge sollen während der Verhöre geschlagen, an Händen oder Füßen aufgehängt, mit Stromschlägen gequält, mit einem Seil am Boden entlang geschleppt, an den Geschlechtsteilen gezogen und wundgeprügelt sowie vergewaltigt worden sein. L-3 s Dolmetscher sollen solche Taten angeordnet, durchgeführt oder zu ihnen beigetragen haben. b) Die ATS-Klagen gegen CACI und L-3 2008 haben vier irakische Angehörige, die zwischen 2003 und 2008 im Abu Ghraib-Gefängnis inhaftiert waren, eine ATS-Klage gegen CACI vor dem Eastern District of Virginia erhoben, die unter dem Namen Al Shimari v. CACI International, Inc. lief103. Als Völkerrechtsverletzungen warfen die Kläger CACI Folterung, Kriegsverbrechen sowie grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung vor. Parallel zu Al Shimari haben 74 Iraker, die zwischen 2003 und 2008 in Abu Ghraib verhört wurden, eine ATS-Klage gegen L-3 vor dem District of Maryland erhoben, die unter dem Titel Al-Quraishi v. Nakhla lief104. Die Al-Quraishi-Kläger warfen dieselben Völkerrechtsverletzungen als die Kläger von Al Shimari vor: Folterung; grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung; und Kriegsverbrechen. Neben ihren ATS-Ansprüchen haben die Kläger in beiden Verfahren eine Reihe von deliktsrechtlichen Ansprüchen aus dem Bundesstaatsrecht Virginias bzw. Marylands geltend gemacht. c) Die ersten Gerichtsentscheidungen Zuerst hat 2009 das Eastern District of Virginia die ATS-Ansprüche gegen CACI in Al Shimari abgewiesen. Nach Meinung des District Court waren die gegen CACI geltend gemachten Ansprüche zu „neuartig“, um nach dem ATS einklagbar zu sein. Das Gericht verstand die Entscheidung des Supreme Court in Sosa v. Alvarez103 104
Siehe Al Shimari v. CACI Int’l, Inc., 657 F. Supp. 2d 700 (E.D. Va. 2009). Siehe Al-Quraishi v. Nakhla, 728 F. Supp. 2d 702 (D. Md. 2010).
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Machain105 als Ermahnung, nur „claims in a very limited category defined by the law of nations“ zuzulassen106. Vor allem sollten Gerichte „caution“ walten lassen, wenn Kläger sie ersuchen, „additional torts under the common law that enable ATS jurisdiction“ anzuerkennen107. Nach Ansicht des Gerichts war die Behauptung der Al Shimari-Kläger, dass eine private Sicherheitsfirma Kriegsverbrechen begangen habe, ein völkerrechtliches Novum: „[T]he Court doubts that the content and acceptance of the present claims [against CACI] are sufficiently definite … because the use of contractor interrogators is a modern, novel practice“108. Insofern glaubte das Gericht, ein „new tor[t]“ ins Leben rufen zu müssen, um die Ansprüche gegen CACI zulassen zu können109. Unter Berufung auf seine aus Sosa herrührende Pflicht, Vorsicht den Vorzug zu geben, lehnte das Gericht ab, dies zu tun. Weil die Kläger damit keine Völkerrechtsnorm hatten, worauf sie ihre ATS-Klage stützen konnten, wies das Gericht alle ATS-Ansprüche gegen CACI ab. Allerdings ließ der District Court die common law-Ansprüche gegen CACI nach dem bundestaatlichen Recht Virginias gegen CACI zu. Sowohl die Kläger als auch CACI legten gegen diese Entscheidung Rechtsmittel ein. Ein Jahr später hat der District Court in Al-Quraishi das gegenteilige Ergebnis erreicht und sämtliche ATS-Ansprüche gegen L-3 zugelassen110. In einer umfassenden und fundierten 94-seitigen Entscheidung erkannte der District Court Ansprüche wegen Folter, grausamer Behandlung sowie Kriegsverbrechen als zulässig an und lehnte alle Einsprüche von L-3 ab. Zunächst konstatierte der District of Maryland das Vorliegen von im Sinne des ATS einklagbaren Völkerrechtsverletzungen. Als Erstes bejahte das Gericht die Zulässigkeit von ATS-Ansprüchen gegen L-3 wegen Kriegsverbrechen. Nach Ansicht des District Court wurden Kriegsverbrechen von den Genfer Konventionen verboten, und weil alle Nationen der Welt diese Konventionen ratifiziert hatten, sah das Gericht einen verbindlichen „universal, international consensus“ hinsichtlich des in den Konventionen enthaltenen Kriegsverbrechentatbestandes an111. Wer also im 105
Sosa wird ausführlich in Kapitel 2, Abschnitt B. III. dargestellt. „It is clear … that under ATS jurisdiction, courts have only the ability to hear claims in a very limited category defined by the law of nations and recognized at common law“. Al Shimari, 657 F. Supp. 2d at 726. 107 „Although the Supreme Court recognizes that ATS jurisdiction may extend beyond the three torts mentioned in Sosa, district courts must exercise caution when recognizing additional torts under the common law that enable ATS jurisdiction“. Al Shimari, 657 F. Supp. at 726. 108 Al Shimari, 657 F. Supp. 2d at 727. 109 „[T]he Court is particularly wary of exercising too much discretion in recognizing new torts [against CACI]“. Al Shimari, 657 F. Supp. 2d at 728. 110 Al-Quraishi v. Nakhla, 728 F. Supp. 2d 702 (D. Md. 2010). 111 „[T]he Geneva Conventions represents a universal, international consensus with respect to what constitute war crimes, and the Fourth Geneva Convention specifically covers treatment of civilians in warzones and occupied territories. … All four Geneva Conventions have been ratified by nearly every country in the world“. Al-Quraishi, 728 F. Supp. 2d at 744. 106
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Rahmen eines bewaffneten Konflikts einen Zivilisten folterte, unmenschlich behandelte oder vorsätzlich schwer verletzte, hatte im Sinne der Konventionen und damit des ATS Kriegsverbrechen begangen112. Insofern waren nach Ansicht des Gerichts die L-3 vorgeworfenen Folterungen, Peinigungen und Demütigungen von Häftlingen als einklagbare Kriegsverbrechen im Sinne des ATS zu qualifizieren. L-3 entgegnete, dass es als privater Akteur für Kriegsverbrechen nicht haftete, aber das Gericht winkte ab. Weil weder die Genfer Konventionen113 noch ihre amerikanischen Umsetzungsgesetze114 noch bisherige ATS-Entscheidungen115 hoheitliches Handeln für die Haftung wegen Kriegsverbrechen vorausgesetzt hätten, könne L-3 als Privatperson für Kriegsverbrechen direkt haften. Von besonderer Bedeutung für das Gericht war eine Fülle von weiteren ATS-Entscheidungen, die explizit erklärt hatten, dass private Akteure für Kriegsverbrechen hafteten116. Zweitens bejahte der District Court die Zulässigkeit von Ansprüchen gegen L-3 wegen Folter und grausamer Behandlung. Es war von vornherein klar, dass L-3 Mitarbeiter die Kläger gefoltert und grausam behandelt hatten, aber diese völkerrechtlichen Deliktstatbestände erforderten hoheitliches Handeln, und es war unsicher, ob L-3 als Hoheitsträger im Sinne des ATS anzusehen war. Das Gericht bejahte ein hoheitliches Handeln und ließ aufgrund dieser Feststellung die Ansprüche gegen L-3 wegen Folter und grausamer Behandlung zu. Der District Court wandte amerikanisches common law an, das im Rahmen von Zivilklagen gegen amerikanische Hoheitsträger und ihre Komplizen nach 42 U.S.C. § 1983 entstanden war, um das
112 Al-Quraishi, 728 F. Supp. 2d at 744. Diese Tatbestandsvoraussetzungen entnahm das Gericht Art. 147 der Vierten Genfer Konvention, die „schwere Verletzungen“ der Konventionen definiert: „Als schwere Verletzungen … gelten jene, die die eine oder andere der folgenden Handlungen umfassen, sofern sie gegen Personen … begangen werden, die durch das vorliegende Abkommen geschützt sind: vorsätzlicher Mord, Folterung oder unmenschliche Behandlung … , vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwere Beeinträchtigung der körperlichen Integrität oder der Gesundheit …“. 113 „[T]his Convention, which represents the international consensus on war crimes, makes no distinctions between state actors and private actors“. Al-Quraishi, 728 F. Supp. 2d at 744 – 45. 114 „Passage by the United States Congress of the War Crimes Act of 1996 … further suggests that war crimes are not limited to state actors. … The law does not provide that nonstate actors are exempt from prosecution“. Al-Quraishi, 728 F. Supp. 2d at 745. 115 „Judicial decisions in other ATS cases confirm that non-state actors may be held liable for war crimes“. Al-Quraishi, 728 F. Supp. 2d at 746. 116 Das Gericht verwies auf die „weight of authority“ der Rechtsprechung, die die Haftung Privater für Kriegsverbrechen bejaht hatte, und zitierte hierfür folgende Entscheidungen: Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232 (2d Cir. 1995); Sinaltranal v. Coca-Cola, 578 F.3d 1252 (11th Cir. 2009); Abdullahi v. Pfizer, Inc., 562 F.3d 163 (2d Cir. 2009); Doe I v. Unocal Corp., 395 F.3d 932 (9th Cir.2002); In re XE Services Alien Tort Litigation, 665 F. Supp. 2d 569 (E.D. Va. 2009); Estate of Rodriquez v. Drummond Co., 256 F. Supp. 2d 1250 (N.D. Ala.2003); Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 244 F. Supp. 2d 289 (S.D.N.Y. 2003); und Sarei v. Rio Tinto PLC, 221 F. Supp. 2d 1116 (C.D. Cal. 2002).
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Vorliegen hoheitlichen Handelns zu ermitteln117. Nach der § 1983-Jurisprudenz hafte eine Privatperson wie ein Hoheitsträger, wenn sie „under color of law“ handele118. Unter dem Anschein hoheitlicher Autorisierung handele man, wenn man eine an sich hoheitliche Funktion ausübe119 oder an einem gemeinsamen zielgerichteten Unterfangen („joint action“)120 mit einem Hoheitsträger teilnehme. Nach der Ansicht des District Court hatte L-3 beide dieser Tatbestände erfüllt. Einerseits befand das Gericht, dass L-3 eine staatliche Funktion ausgeübt hatte: „[L-3 is] alleged to have operated alongside the military, carrying out a military task which likely would have been performed by the military itself under other circumstances“121. Andererseits war das Gericht der Meinung, dass die Folter von Abu Ghraib-Häftlingen ein gemeinsames Unterfangen von L-3 und anderen Hoheitsträgern darstellte: „[C]ertain members of the military, indisputably state actors, conspired and acted together with [L-3] to commit the alleged acts of torture“122. Auf dieser Grundlage befand der District Court, dass L-3 mit dem Anschein hoheitlicher Autorisierung gefoltert hatte. Folglich bejahte es die Zulässigkeit der ATS-Ansprüche wegen Folterung und grausamer Behandlung. Zuletzt hat der District Court drei wichtige Einwände L-3 s gegen die Klage abgelehnt. Zuerst berief sich L-3 auf die Entscheidungen in Saleh und Ibrahim123 und argumentierte, dass, wenn es als fingierter Hoheitsträger nach § 1983 haften musste, 117
„In evaluating whether Defendants acted under color of law, the Court looks for guidance in those areas of the law where color of law analysis is prototypically used, such as the federal civil rights statute, 42 U.S.C. § 1983“. Al-Quraishi, 728 F. Supp. 2d at 749. Die Anwendung der § 1983-Rechtsprechung auf ATS-Klagen geschah erst in Kadic v. Karadzic, wo das Second Circuit die § 1983-Rechtsprechung heranzog, um zu ermitteln, ob der Beklagte unter dem Anschein hoheitlicher Autorisierung vom jugoslawischen Teilstaat Serbien Folter begangen hatte, siehe Kapitel 1, Abschnitt B. III. 4. c) cc). Nachfolgende Entscheidungen in ATS-Klagen haben diese Lösung von Karadzic als Autorität angesehen und § 1983-Jurisprudenz weiterhin auf die Frage hoheitlichen Handelns in ATS-Klagen angewandt, siehe Kapitel 1, Abschnitt C. II. 3. b). Als Al-Quraishi in 2008 erhoben wurde, war es bereits ständige Rechtsprechung, dass § 1983-Rechtsprechung entscheidet, ob eine Privatperson als Hoheitsträger im Sinne des ATS haftetet, siehe z. B. Jessica Priselac, The Requirement of State Action in Alien Tort Statute Claims: Does Sosa Matter?, 21 Emory Int’l L. Rev. 789 (2008). 118 „,[T]he deed of an ostensibly private organization or individual‘ may at times demand to be treated ,as if a State has caused it to be performed‘“. Al-Quraishi, 728 F. Supp. 2d at 749. 119 Dies war der sog. „public function“-Test: „[S]tate action may be found when the private actor is engaged in a ,public function‘, such that ,the private entity has exercised powers that are ,traditionally the exclusive prerogative of the State‘‘“. Al-Quraishi, 728 F. Supp. 2d at 749 (Zitat von Blum v. Yaretsky, 457 U.S. 991, 1005 (1982)). 120 Dies war hingegen der sog. „joint action“-Test: „State action has also been found ,in circumstances where the private actor operates as a ,willful participant in joint activity with the State or its agents‘“. Al-Quraishi, 728 F. Supp. 2d at 749 (Zitat von Brentwood Academy v. Tenn. Secondary Sch. Athletic Ass’n, 531 U.S. 288, 296 (2001)). 121 Al-Quraishi, 728 F. Supp. 2d at 751. 122 Al-Quraishi, 728 F. Supp. 2d at 751. 123 Siehe hierzu Abschnitt C. II. 2. dieses Kapitels, oben.
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es auch die Grundsatzimmunität eines Hoheitsträgers genießen sollte. Das Gericht war anderer Meinung: Haftung nach § 1983 verlange nur den Anschein hoheitlicher Autorität; Immunität hingegen schütze nur echte Amtshandlungen124. Weil L-3 durchaus unter dem Anschein hoheitlicher Autorisierung gehandelt habe, aber keine Amtshandlungen nachweisen könne, müsse seine Haftbarkeit bejaht und ihm jede Immunität versagt werden. Zweitens argumentierte L-3 unter Berufung auf AlOdah125, dass die Kläger „the privilege of litigation“ in den USA nicht genossen, weil sie außerhalb des Hoheitsgebiets der USA inhaftiert worden waren. Der District Court winkte in diesem Zusammenhang aber ab. Grundsätzlich stünden die Gerichte der USA für Ausländer offen126. Einem Ausländer werde gerichtliches Vorgehen in den USA nur dann ausnahmsweise verwehrt, wenn er ein Kriegsgefangener ist, der bereits von einem Kriegsgericht außerhalb der USAverurteilt worden sei und vor USGerichten seine Inhaftierung anfechten wolle127. Auf dieser Grundlage konnte das Gericht leicht darauf hinweisen, dass die Al-Quraishi-Kläger niemals von einem Kriegsgericht verurteilt wurden, noch befanden sie sich überhaupt noch in Haft. Drittens argumentierte L-3, dass es als Kapitalgesellschaft kein Völkerrechtssubjekt war und deswegen nicht für Völkerrechtsverletzungen haftete. Wieder lehnte der District Court L-3 s Argument ab. Zum einen gebe es keinen Grund, private juristische Personen anders als private natürliche Personen zu behandeln, und insbesondere leuchte es nicht ein, warum Kapitalgesellschaften eine de facto Immunität im Völkerrecht genießen sollten128. Zum anderen existiere bereits ein breiter Konsens in der Rechtsprechung, dass „the ATS provides for corporate liability“129.
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„A person may have acted under color of law, yet still not have acted in an official capacity so as to gain the benefit of sovereign immunity“. Al-Quraishi, 728 F. Supp. 2d at 752. In der Rechtsprechung wird zwischen „acts in an official capacity“ (die grundsätzlich immun sind) und „acts taken under color of legal authority“ (die grundsätzlich nicht immun sind) differenziert. Siehe Stafford v. Briggs, 444 U.S. 527, 536 Fn. 6 (1980). 125 Siehe hierzu Abschnitt C. I. 1. dieses Kapitels, oben. 126 „The courts of the United States have traditionally been open to nonresident aliens“. AlQuraishi, 728 F. Supp. 2d at 719 (Zitat von Disconto Gesellschaft v. Umbreit, 208 U.S. 570, 578 (1908)). 127 „Based on six factors, said the [Supreme Court], constitutional habeas corpus would not extend to a prisoner who (a) is an enemy alien; (b) has never been or resided in the United States; (c) was captured outside of our territory and there held in military custody as a prisoner of war; (d) was tried and convicted by a Military Commission sitting outside the United States; (e) for offenses against laws of war committed outside the United States; (f) and is at all times imprisoned outside the United States“. Al-Quraishi, 728 F. Supp. 2d at 717 – 18 (Zitat von Johnson v. Eisentrager, 339 U.S. 763, 765 – 66 (1950)). 128 „There is no basis for differentiating between private individuals and corporations in this respect since ,[a] private corporation is a juridical person and has no per se immunity under U.S. domestic or international law‘“. Al-Quraishi, 728 F. Supp. 2d at 753 (Zitat von Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 244 F. Supp. 2d 289, 319 (S.D.N.Y. 2003)). 129 Al-Quraishi, 728 F. Supp. 2d at 754.
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Aufgrund dieser Analyse bejahte der District Court die Zulässigkeit der ATSAnsprüche ehemaliger Abu Ghraib-Häftlinge gegen L-3. Gegen diese Entscheidung legte L-3 Rechtsmittel ein. d) Berufung und Prozesserfolge Al Shimari und Al-Quraishi wurden jeweils von District Courts innerhalb des Fourth Circuit entschieden130. Weil beide Verfahren dieselben Ansprüche aus demselben Sachverhalt betrafen, gleichwohl zu entgegengesetzten Ergebnissen gekommen waren, nahm der Fourth Circuit eine außerordentliche Berufung von Al Shimari und Al-Quraishi gleichzeitig an und verhandelte beide Klagen in einem zusammengelegten Berufungsverfahren. In einer ersten Entscheidung wies der Fourth Circuit beide Klagen vollständig ab, weil es CACI und L-3 als „government contractors“ eine Grundsatzimmunität vor Zivilklagen zusprach131. Diese Entscheidung hob jedoch dasselbe Gericht ein Jahr später wieder auf, weil es aus berufungsrechtlichen Gründen seine Annahme der Berufungszuständigkeit als verfrüht ansah132. Auf dieser Basis wies es Al Shimari und Al-Quraishi an ihre jeweiligen District Courts zur Wiederaufnahme der Vorverhandlungsphase zurück, ohne auf die bisherigen Entscheidungen einzugehen. An dieser Stelle konnten beide Klägergruppen Erfolge verbuchen. Im Oktober 2012 haben sich die Kläger im Verfahren Al-Quraishi mit L-3 außergerichtlich verglichen133. Dieser Vergleich wurde in der Presse und bei NGOs aus mehreren Gründen begeistert gefeiert. Einerseits betrug die Höhe des Vergleichs $ 5,28 Mio. oder etwa $ 74.000 pro Kläger134, was als signifikant angesehen wurde und – im Gegensatz zum Vergleich mit Blackwater – keine Äußerungen der Unzufriedenheit unter den Klägern aufkommen ließ. Andererseits stellte der Vergleich die erste er130 Der Bezirk des Fourth Circuit umfasst die Bundesstaaten Maryland, Virginia, West Virginia, North Carolina und South Carolina. 131 Siehe Al Shimari v. CACI Int’l, Inc., 658 F.3d 413, 420 (4th Cir. 2011) („This case involves allegations of misconduct in connection with the essentially military task of interrogation in a war zone military prison by contractors working in close collaboration with the military. We hold that … where a civilian contractor is integrated into wartime combatant activities over which the military broadly retains command authority, tort claims arising out of the contractors’ engagement in such activities are preempted“); Al-Quraishi v. L-3 Services, Inc., 657 F. 3d 201 (4th Cir. 2011) („On the contractor’s appeal, we reverse and remand with instructions to dismiss this case for the reasons given in Al Shimari v. CACI Int’l, Inc. 658 F.3d 413 (4th Cir. 2011)“). 132 Siehe Al Shimari v. CACI Int’l, Inc., 679 F.3d 205, 222 – 223 (4th Cir. 2012) (en banc) („[T]here has been no discovery in the cases at bar, and the pleadings provide nothing approaching definitive answers. [Thus, t]he questions that will require proper answers in order to gauge the appellants’ entitlement to immunity have yet to be fully ascertained“). 133 Siehe Al-Quraishi v. Nakhla, No. 8:08-cv-01696, Doc. 133 (D. Md. Oct. 9, 2012). 134 Siehe Iraqis awarded $5 m over Abu Ghraib abuse, Al Jazeera, Jan. 9, 2013, aufrufbar unter http://www.aljazeera.com/news/middleeast/2013/01/2013193300675421.html.
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folgreiche gerichtliche Ahndung einer in Abu Ghraib tätig gewesenen privaten Sicherheitsfirma für die in dem Gefängnis begangenen Gräueltaten dar135. Insofern wurde er als „historisch“136 und neuer Meilenstein der ATS-Jurisprudenz137 bezeichnet. Auf Seite der Sicherheitsindustrie sah man den Vergleich als eine Meldung von neuen, ernstzunehmenden Risiken wegen der Tätigkeiten im Irak an138. Nach dem Vergleich in Al-Quraishi richteten sich „alle Augen“ auf Al Shimari139. Das Eastern District of Virginia hatte 2009 sämtliche ATS-Ansprüche in Al Shimari abgewiesen, weil es die Behauptung, CACI habe als private Sicherheitsfirme das Völkerrecht verletzt, als zu neuartig für das ATS empfand140. Seitdem waren aber zwei andere District Courts zu gegenteiligen Ergebnissen gekommen. In In re Xe Services hatte ein anderer Richter am Eastern District of Virginia befunden, dass die Sicherheitsfirma Blackwater Kriegsverbrechen begangen hatte und nach dem ATS für diese haftbar gemacht werden konnte141. Noch überzeugender war Al-Quraishi, wo der District of Maryland identische Ansprüche aus demselben Abu GhraibSachverhalt gegen die Sicherheitsfirma L-3 als klare Völkerrechtsverletzungen zugelassen hatte142. Unter Berufung auf diese Entscheidungen beantragten die AlShimari-Kläger die Wiederherstellung und Zulassung ihrer ATS-Ansprüche143. Damit hatten sie Erfolg: Im November 2012 hat das Eastern District of Virginia in einer mündlichen Verhandlung die ATS-Ansprüche der Kläger erneut eingeleitet und das Verfahren zur Beweiserhebung/Discovery in Bezug auf diese Ansprüche zuge-
135 Siehe ebendass: „Tuesday’s settlement marks the first successful effort by lawyers for former prisoners at Abu Ghraib and other US-run detention centres to collect money from a US defence contractor in lawsuits alleging torture“. 136 Siehe Marissa Vahlsing, Abu Ghraib detainees reach settlement in historic lawsuit against military contractors, EarthRights International, Oct. 19, 2012, aufrufbar unter http:// www.earthrights.org/blog/abu-ghraib-detainees-reach-settlement-historic-lawsuit-against-milita ry-contractors. 137 So zumindest war die Auffassung vom Anwalt der Kläger: „This settlement is a landmark because it represents one of the first times plaintiffs have had a positive outcome in seeking accountability for torture and abuse“. Siehe Brent Kendall, Contractor’s Torture Settlement a Milestone, Wall Street Journal, Jan. 9, 2013, aufrufbar unter http://online.wsj.com/news/artic les/SB10001424127887324442304578232070457319286. 138 „Legal observers said the settlement is the latest sign that the law remains unclear on when and whether contractors can face lawsuits seeking monetary damages for alleged wrongdoing in a combat zone“. Kendall, Contractor’s Torture Settlement a Milestone, a.a.O. 139 So die Formulierung eines Professors, siehe Kendall, Contractor’s Torture Settlement a Milestone, a.a.O. 140 Siehe hierzu Abschnitt C. II. 4. c) dieses Kapitels, oben. 141 Siehe den obigen Abschnitt C. II. c) dieses Kapitels zu In re Xe Services. 142 Siehe hierzu den unmittelbar obigen Abschnitt C. II. 4. c) dieses Kapitels. 143 Siehe Plaintiffs’ Memorandum in Support of the Motion Seeking Reinstatement of the Alien Tort Statute Claims, Al Shimari v. CACI Int’l, Inc., No. 1:08-cv-00827, Doc. 145 (E.D. Va. Oct. 11, 2012).
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lassen144. Dies war ein Sieg für ATS-Befürworter, allerdings zeigte sich CACI entschlossen, gegen die Ansprüche zu kämpfen145.
III. Zwischenergebnis: Gute Aussichten für die Dritte Welle Ende 2012 ließen die Ergebnisse von In re Xe Services, Al Shimari und Al Quraishi neue Hoffnung für die Erfolgsaussichten der Dritten Welle aufkommen. Obwohl Ibrahim und Saleh ATS-Klagen gegen amerikanische Sicherheitsfirmen in den Bundesgerichten von Washington DC erheblich erschwert hatte, hatten in wenig Zeit drei unterschiedliche District Courts im Fourth Circuit ATS-Klagen gegen dieselben Sicherheitsfirmen für grundsätzlich zulässig erklärt. Weil Sicherheitsfirmen in der Regel kurz außerhalb von Washington DC in Virginia und Maryland angesiedelt waren und deshalb im Bezirk dieser letzteren Gerichte lagen, sah man einem freundlichen – oder zumindest nicht feindseligen – Klima für künftige ATS-Klagen entgegen. In weiteren ATS-Klagen gegen Vertragsnehmer des amerikanischen Militärs konnten Kläger zusätzliche Erfolge melden. In Mohamed v. Jeppesen Dataplan, Inc. erhob ein Opfer einer „extraordinary rendition“ eine Klage gegen eine private Fluggesellschaft146. Der Kläger wurde von schwedischen Beamten festgenommen, ohne Prozess an die CIA ausgeliefert und nach Ägypten befördert, wo er zweieinhalb Jahre lang in einem geheimen CIA-Gefängnis gefoltert wurde. Er erhob eine ATSKlage gegen die private amerikanische Fluggesellschaft, die ihn im Rahmen eines Dienstleistungsvertrags mit der CIA nach Ägypten befördert hatte. Wie in El-Masri, der ersten ATS-Klage aufgrund des „rendition“-Programmes der CIA147, intervenierte die Bush-Regierung und behauptete, dass die Klage abzuweisen war, weil sie zur Offenlegung von „state secrets“ führen würde. Aber im Gegensatz zum El-Masri ließ der Ninth Circuit die Klage zu. Weil der Vertrag zwischen dem beklagten Flugunternehmen und der CIA nicht geheim sei und der Kläger keine CIA-Agenten identifizieren müsse, werde die Beweisführung des Klägers nicht zwangsläufig zur 144 Siehe Transcript of Motions Hearing on Nov. 1, 2012 before Judge Gerald Bruce Lee, Al Shimari v. CACI Int’l, Inc., No. 1:08-cv-00827 (E.D. Va. Nov. 1, 2012), aufrufbar unter http:// ccrjustice.org/files/Al%20Shimari%20v.%20CACI%20 %2011-1-12.PDF. So das Gericht: „I am of the opinion that in this case that CACI is similarly situated as a corporate defendants in Xe Services and Al-Quraishi and could be liable and may be liable for violation of law of nations under ATS“ (S. 26). 145 Gleich nach Wiederherstellung der ATS-Ansprüche hat CACI mehrere Anträge auf Abweisung gestellt und bis Frühjahr 2013 zwei Neufassungen der Klageschrift erzwungen. 146 Siehe Mohamed v. Jeppesen Dataplan, Inc., 579 F. 3d 943 (9th Cir. 2009). 147 Siehe Abschnitt C. I. 4. dieses Kapitels zu El-Masri v. U.S., einer ATS-Klage eines rendition-Opfers gegen den damaligen CIA-Direktoren, die aufgrund der „state secrets doctrine“ abgewiesen wurde.
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Offenlegung von Staatsgeheimnissen führen148. Deshalb müssten die USA jedes einzelne Beweisstück durchgehen und individuell darlegen, welche Staatsgeheimnisse durch das jeweilige Beweisstück gefährdet würden149. Nur wenn dem Kläger dadurch alle entscheidungserheblichen Beweise abhandenkämen, sei die Klage abzuweisen. Somit waren ATS-Klagen gegen Vertragsnehmer der CIA grundsätzlich zulässig und der Ninth Circuit öffnete mit dieser Entscheidung die Tür für weitere ATS-Klagen gegen Unternehmen aufgrund des ,rendition‘-Programms ein150. Hierzu haben weitere Kläger, die vom amerikanischen „War on Terror“ nicht betroffen waren, ATS-Klagen gegen die Sicherheitsfirmen erhoben, die durch die Dritte Welle unter Beschuss geraten waren. Z. B. hatte L-3 Services nicht nur eine Dolmetscherabteilung, sondern offenbar auch einen militärischen Beratungsdienst. In Genocide Victims of Krajina v. L-3 Services., Inc.151 erhoben Serben aus der Provinz Krajina eine ATS-Klage gegen L-3. Sie warfen vor, dass L-3 s militärische Beratung einen Plan zur Vertreibung der Serben aus Krajina für die kroatische Armee ausgearbeitet sowie kroatische Truppen ausgerüstet und für die Vertreibungskampagne ausgebildet hatte. Nachdem ein District Court in Chicago die Zulässigkeit der Ansprüche und seine Zuständigkeit für Verfahren gegen L-3 bestätigte, hat L-3 sich mit den Klägern außergerichtlich verglichen152.
148
„[T]he government argues here that state secrets form the subject matter of a lawsuit, and therefore require dismissal[.] … We reject this[.] … Here, plaintiffs have not sued the government to enforce an alleged secret agreement between themselves and the Executive Branch. The subject matter of this action therefore is not a state secret“. Mohamed v. Jeppesen Dataplan, Inc., 579 F.3d 943, 955 – 56 (9th Cir. 2009). 149 Das Vorgehen beschrieb das Gericht als „excising secret evidence on an item-by-item basis, rather than foreclosing litigation altogether at the outset“. Mohamed, 579 F.3d at 956. 150 Allerdings hat das Ninth Circuit ein Jahr später diese Tür fast gänzlich geschlossen. In einem zweiten Berufungsverfahren (Mohamed v. Jeppesen Dataplan, Inc., 614 F.3d 1070 (9th Cir. 2010)) hat es die Vorgehensweise für „state secret“-Einreden der Regierung vereinfacht. Erstens müsse die Regierung intervenieren und auf Sachverhalte in der Klage hinweisen, deren gerichtliche Aufarbeitung zur Offenlegung von Staatsgeheimnissen führen werde. Zweitens müsse das Gericht ex officio und ohne Einbindung der Parteien prüfen, ob die Offenlegung dieser Staatsgeheimnisse eine notwendige Folge der Fortführung der Klage sein werde. Sei dies zu erwarten, könne die Klage nicht ohne Gefährdung von Staatsgeheimnissen verhandelt werden und sie müsse entsprechend abgewiesen werden. Im vorliegenden Fall sei dies gegeben: „We [must dismiss Mohamed’s suit] because all [his] claims … describe Jeppesen as providing logistical support in a broad, complex process, certain aspects of which … are absolutely protected by the state secrets privilege“. Mohamed, 614 F.3d at 1088. 151 Siehe Genocide Victims of Krajina v. L-3 Servs., Inc., 804 F. Supp. 2d 814 (N.D. Ill. 2011). 152 Die Höhe des Vergleichs ist unbekannt. Die Parteien wurden ausdrücklich vom verhandelnden Gericht zu einem Vergleich ermuntert: „The parties are directed to reevaluate their settlement positions in light of this opinion and to exhaust all efforts to settle this case“. Genocide Victims of Krajina, 804 F. Supp. 2d at 825.
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IV. Kiobel: Das Ende der Dritten Welle? Gleich nachdem die Dritte Welle endlich in Fahrt zu kommen schien, verkündete der Supreme Court seine Grundsatzentscheidung in Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co.153. Damit legte der Supreme Court unter Anwendung der „presumption against extraterritoriality“ fest, dass ATS-Ansprüche grundsätzlich nicht mehr zulässig waren, solange sie sich auf Menschenrechtsverletzungen stützten, die auf nichtamerikanischem Hoheitsgebiet vorgefallen waren. Außerdem stellte es den Grundsatz auf, dass ATS-Ansprüche inskünftig nur dann zulässig sind, wenn sie die USA „berühren“154. Allerdings war fragwürdig, ob Kiobel die ATS-Klagen der Dritten Welle betraf. Zwar waren die Völkerrechtsverletzungen, die den Gegenstand von Dritte WelleKlagen bildeten, im Ausland – hauptsächlich im Irak – vorgefallen. Aber die Beklagten in diesen Streiten waren amerikanische Sicherheitsfirmen mit Sitz in den USA. In ihren US-Zentralen hatten sie die Söldner und Verhörleiter ausgebildet, die für Folterungen und Kriegsverbrechen verantwortlich waren. Die Tätigkeiten der Sicherheitsfirmen im Irak wurden aus dem US-Hauptsitz gesteuert und beaufsichtigt. Zu guter Letzt stand der Irak unter der Verwaltung der USArmee, insofern lag das Argument nahe, dass Irak als de facto amerikanisches Hoheitsgebiet anzusehen war. Es lagen also mehrere Bezüge zu den USA vor, um ein Argument zu konstruieren, dass ATS-Klagen gegen Sicherheitsfirmen „touched and concerned“ die USA. In wissenschaftlichen Kreisen war man sich beinahe sicher, dass Dritte Welle-Klagen auch nach Kiobel zulässig waren155. Allerdings blieb unsicher, wie die Gerichte Kiobels „touch and concern“-Maßstab in konkreten Fällen auslegen würden. 1. Die Neuverhandlung von Al Shimari Al Shimari v. CACI Int’l, Inc. sollte die Frage beantworten. Kurz vor Kiobel hatte das Eastern District of Virginia die ATS-Ansprüche ehemaliger Abu Ghraib-Häftlinge gegen CACI wiederhergestellt und zum Vorverfahren zugelassen. Nach Kiobel stellte CACI einen erneuten Antrag auf Klageabweisung. CACI argumentierte, dass die ATS-Ansprüche als extraterritorial abzuweisen waren, weil sich sämtliche für die
153 Für eine Zusammenfassung des Falles siehe Kapitel 2, Abschnitt B. VII., in welchem Kiobel und seinen Nachwirkungen auf die Zweiten Welle behandelt wird. 154 Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659, 1669 (2013) („[E]ven where the claims touch and concern the territory of the United States, they must do so with sufficient force to displace the presumption against extraterritorial application“). 155 Siehe z. B. Kevin Jon Heller, Is This the Model of a Viable Post-Kiobel ATS Lawsuit?, Opinio Juris, 10. Mai 2013, aufrufbar unter http://opiniojuris.org/2013/05/10/is-this-the-modelof-a-viable-post-kiobel-ats-lawsuit/ (Al Shimari v. CACI Int’l Inc. sei ein „Modell“ von nach Kiobel zulässig gebliebenen ATS-Ansprüchen).
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Klage relevanten Vorfälle im Irak ereignet hatten156. Die Kläger argumentierten hingegen, dass ihre Klage die USA im Sinne Kiobels „berührten“. Dies war ihrer Ansicht nach der Fall, weil Irak als de facto amerikanisches Gebiet zu betrachten war, CACI eine amerikanische Gesellschaft war und weil CACIs US-Tätigkeiten wesentlich zur Begehung der streitgegenständlichen Menschenrechtsverletzungen beigetragen hätten157. In einer sehr konservativen Entscheidung wies das Eastern District of Virginia jedoch die ATS-Ansprüche als extraterritorial ab158. Der erste Teil der Entscheidung war mehr oder weniger unstreitig: Der District Court befand, dass Irak nicht als de facto Hoheitsgebiet der Vereinigten Staaten anzusehen war. Nach Ansicht des Gerichts musste ein de facto Souverän „complete jurisdiction and control“ in einem Gebiet ausüben, was die USA zu keinem Zeitpunkt im Irak getan hätten. Zum einen seien die USA nur eines von vielen Ländern eines internationalen Bündnisses gewesen, die Irak erobert hätten159. Zum anderen sei der Irak nicht mit z. B. Guantanamo vergleichbar – dort übten die USA aufgrund eines in perpetuam Pachtvertrages mit Kuba seit Jahren die ausschließliche Staatsgewalt aus, während im Irak eine internationale Übergangsregierung für die Verwaltung des Nachkriegsiraks zuständig gewesen sei160. Der zweite Teil der Entscheidung enthielt jedoch eine sehr enge und keineswegs unumstrittene Auslegung des „touch and concern“-Maßstabs Kiobels. Der District Court befand, dass Kiobel den Gerichten die Entscheidung, ob ein konkreter ATSAnspruch einen hinreichenden Bezug zu den USA aufwarf, aus der Hand genommen hätte. Stattdessen konnte seiner Ansicht nach nur ein neues Gesetz des Kongresses bestimmen, welche Ansprüche die USA „berührten“ und deswegen nicht als extraterritorial abzuweisen waren. Insofern waren sämtliche ATS-Ansprüche abzu-
156 Siehe Memorandum in Support of Defendant [CACI’s] Motion for Reconsideration of the Court’s Order Reinstating Plaintiff’s Alien Tort Statute Claims [] or in the Alternative to Dismiss the Alien Tort Statute Claims for Lack of Subject Matter Jurisdiction, Al Shimari v. CACI Premier Tech., Inc., No. 1:08-cv-00827, Doc. 355 (E.D. Va. Apr. 24, 2013). 157 Siehe Plaintiff’s Opposition to Defendant [CACI’s] Motion for Reconsideration of the Court’s order Reinstating the Plaintiffs’ Alien Tort Statute Claims or in the Alternative to Dismiss the Alien Tort Statute Claims for Lack of Subject Matter Jurisdiction, Al Shimari v. CACI Premier Tech., Inc., No. 1:08-cv-00827, Doc. 399 (E.D. Va. May 13, 2013). 158 Siehe Al Shimari v. CACI Premier Tech., Inc., No. 1:08-cv-00827, Doc. 460 (E.D. Va. June 25, 2013). 159 Siehe Al Shimari, No. 1:08-cv-00827, Doc. 460, at 14 – 15: „[W]hile wartime occupation may demonstrate dejure sovereignty …, the occupying force in Iraq involved more than just the United States military“. 160 „[T]he CPA [,Coalition Provisional Authority‘, d. h. die irakische Übergangsregierung] was the product of a multinational coalition … The District Court for the District of Columbia previously found insufficient an offering of the CPA regulations and the United States’ military presence in Iraq as demonstrative of the United States’ sovereignty over Iraq“. Al Shimari, No. 1:08-cv-00827, Doc. 460, at 15.
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weisen, die eine im Ausland vorgefallene Menschenrechtsverletzung zum Gegenstand hatten, bis diese neue Gesetzgebung erfolgt war. Diesen Schluss sah der District Court aufgrund zweier Argumente als geboten an. Zuerst gebe die Kiobel-Entscheidung nach Meinung des Gerichts einige Anhaltspunkte, um die Notwendigkeit eines Gesetzes zur Zulassung extraterritorialer ATSAnsprüche nahezulegen: „First, Kiobel framed its discussion by stating that ,[w]hen a statute gives no clear indication of an extraterritorial application, it has none‘, suggesting that the text of the statute itself, rather than any judicial factual determination, must rebut the presumption. Second, Kiobel stated that ,to rebut the presumption, the ATS would need to evince a clear indication of extraterritoriality‘, again using language directed at the statute itself. In concluding this portion of the analysis, the Kiobel Court again stated that ,nothing in the statute rebuts [the] presumption‘. Third, the Court commented that a statute more specific than the ATS would be required if Congress intended courts to exercise jurisdiction over claims predicated on extraterritorial acts. Fourth, Kiobel explains that the presumption serves to maintain the respect of those matters committed to other branches, such that ,the Judiciary does not erroneously adopt an interpretation of U.S. law that carries foreign policy consequences not clearly intended by the political branches‘“161.
Für den District Court war die Quintessenz dieser Andeutungen, dass „it is for Congress, not the Judiciary, to displace the presumption [against extraterritoriality]“162. Als zweites Argument wandte der District Court die Supreme Court-Entscheidung in Morrison v. Australia National Bank163 – also die Entscheidung, die kurz vor Kiobel die „presumption against extraterritoriality“ für allgemeingültig erklärt hatte – auf ATS-Klagen an. In Morrison hatten australische Kapitalanleger eine australische Bank wegen falscher Darstellungen vom Wert ihrer Aktien in New York verklagt. Der Second Circuit fand im Text der Kapitalmarktgesetze keine Hinweise, ob diese einen extraterritorialen Geltungsbereich vorsahen und beschloss deshalb, dass es bei jeder Einzelklage ausländischer Kläger bestimmen musste, ob der Gesetzgeber der Zulassung der Klage zugestimmt hätte164. Der Supreme Court verneinte die Richtigkeit dieser Vorgehensweise: Sie sei wenig mehr als unvorhersehbare richterliche Spekulation165. Richtig sei stattdessen nur eine Grundannahme, dass der
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Al Shimari, No. 1:08-cv-00827, Doc. 460, at 16 – 17. Al Shimari, No. 1:08-cv-00827, Doc. 460, at 17. 163 Siehe Morrison v. Nat’l Australia Bank Ltd., 130 S. Ct. 2869 (2010). 164 „[T]he Second Circuit believed that, because the Exchange Act is silent as to the extraterritorial application of § 10(b), it was left to the court to ,discern‘ whether Congress would have wanted the statute to apply [to a particular instance of extraterritorial conduct]“. Morrison, 130 S. Ct. at 2878. 165 Das Supreme Court beschrieb die Methode des Second Circuit als „judicial-speculationmade-law“, siehe Morrison, 130 S. Ct. at 2881. 162
B. Rechtsprechung und dogmatische Entwicklungen
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Kongress nur inländisches Verhalten regeln wolle166. Deshalb dürften Gerichte nicht entscheiden, ob Klagen mit ausländischem Sachverhalt zulässig seien; sie müssten stattdessen solche Klagen uniform als extraterritorial abweisen, bis der Gesetzgeber ein anderes Ergebnis explizit im Gesetzestext vorschreibe167. Nach Meinung des Eastern District of Virginia galten diese Überlegungen nicht nur für Kapitalanlegerverfahren, sondern auch für ATS-Klagen. Wenn Gerichte bei jeder einzelnen ATS-Klage entscheiden sollten, ob sie einen für die Zulassung hinreichenden Bezug zu den USA aufweise, wäre diese Entscheidung wenig mehr als die „richterliche Spekulation“, die der Supreme Court durch Morrison unterbinden wollte168. Für den District Court war es viel mehr im Sinne des Supreme Court, alle ATS-Klagen als extraterritorial abzuweisen, die auf Völkerrechtsverletzungen im Ausland stützten, bis der Kongress solche Klagen durch neue Gesetzgebung explizit für zulässig erklärt hatte169. 2. Ergebnis: Das Ende der Dritten Welle? Aufgrund dieser Argumente wies der District Court Al Shimari ab. Die Entscheidung des District Courts war für viele eine Überraschung. Die meisten Beobachter erwarteten eine Diskussion darüber, ob Al Shimari einen hinreichenden Bezug zu den USA aufwies, um als nicht extraterritorial eingestuft zu werden. Keiner hat eine „kategorische Sperre“170 von ATS-Klagen mit ausländischem Sachverhalt ungeachtet ihrer Bezüge zu den USA erwartet.
166 „It is a ,longstanding principle of American law ,that legislation of Congress, unless a contrary intent appears, is meant to apply only within the territorial jurisdiction of the United States‘‘. … It rests on the perception that Congress ordinarily legislates with respect to domestic, not foreign matters“. Morrison, 130 S. Ct. at 2877 (Zitat von EEOC v. Arabian American Oil Co., 499 U.S. 244 (1991)). 167 „Rather than guess anew in each case, we apply the presumption [against extraterritoriality] in all cases, preserving a stable background against which Congress can legislate with predictable effects“. Morrison, 130 S. Ct. at 2881. 168 „Morrison admonished that ,[t]he results of judicial-speculation-made-law – divining what Congress would have wanted if it had thought of the situation before the court – demonstrate the wisdom of the presumption against extraterritoriality‘. … Plaintiffs[, however] urge the Court to adopt [that approach] here – namely that rebutting the presumption against extraterritoriality is for a court to ,discern‘ rather than for Congress to legislate“. Al Shimari, No. 1:08-cv-00827, Doc. 460, at 17 – 18. 169 „[T]he Court’s decision … comports with the presumption[ against extraterritoriality’s] best practice, which is the universal application of the presumption, providing the stable backdrop against which Congress is free to indicate otherwise“. Al Shimari, No. 1:08-cv00827, Doc. 460, at 18. 170 So die Bezeichnung der NGO Center for Justice and Accountability, die als amicus curiae am Berufungsverfahren von Al Shimari teilnimmt, siehe http://cja.org/article.php?id=14 05.
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Kap. 3: Dritte Welle oder Kampf gegen den Kampf gegen den Terror
Klar ist, dass wenn die District Court-Entscheidung in Al Shimari in anderen Districts überzeugt, dies das Ende der Dritten Welle bedeutet. Das würde das Ende der ATS-litigation überhaupt nach sich ziehen. Die Al Shimari-Kläger haben bereits Rechtsmittel beim Fourth Circuit eingelegt und hierfür die Unterstützung diverser amici curiae erhalten. Drei Gruppen von Professoren171, eine Gruppe ehemaliger US-Offiziere172 und die Vereinten Nationen173 haben amicus curiae-Schriftsätze beim Fourth Circuit eingereicht, in denen sie für die Zulassung der ATS-Ansprüche der Kläger wegen ihrer Bezüge zu den USA plädieren. Eine für sie günstige Entscheidung des Fourth Circuit könnte die Wiederbelebung der ATS-litigation gegen amerikanische Konzerne und Sicherheitsfirmen bedeuten.
171 Siehe Brief amici curiae of Professors of Civil Procedure, Al Shimari v. CACI Int’l, Inc. No. 13-1937 (4th Cir.); Brief amici curiae of International Law Scholars, Al Shimari v. CACI Int’l, Inc. No. 13-1937 (4th Cir.); Brief amici curiae of Legal History Professors, Al Shimari v. CACI Int’l, Inc. No. 13-1937 (4th Cir.). 172 Siehe Brief amici curiae of Retired Military Officers, Al Shimari v. CACI Int’l, Inc. No. 13-1937 (4th Cir.). 173 Siehe Brief amicus curiae of the United Nations’ Special Rapporteur on Torture, Al Shimari v. CACI Int’l, Inc. No. 13-1937 (4th Cir.).
Kapitel 4
Das ATS und Deutsche Interessen A. Einleitung Das ATS ist auch in Deutschland zum Politikum geworden. In Menschenrechtskreisen wurde das ATS als eine Art Hoffnungsträger unter human rightsVorschriften, ein langersehntes Vehikel für eine weltweite Kontrolle der Tätigkeiten multinationaler Unternehmen gesehen. Aus Sicht der Wirtschaft stellte das ATS jedoch eine schwere Bedrohung langfristiger und fundamentaler deutscher Interessen dar. Mit der Zeit fasste die deutsche Bundesregierung das ATS und insbesondere das amerikanische Weltforum für Menschenrechtsverletzungen, das unter Berufung auf das ATS errichtet wurde, als Beeinträchtigung deutscher Souveränität auf. In diesem Kapitel wird das Verhältnis zwischen den Rechtsentwicklungen zum ATS und deutschen Interessen umfassend untersucht. Unter deutschen Interessen versteht diese Arbeit hauptsächlich Wirtschaftsinteressen, da ATS-Klagen nur gegen deutsche Konzerne Fuß fassen konnten. Frühe Versuche, den deutschen Staat mittels des ATS in Anspruch zu nehmen, scheiterten an seiner hoheitlichen Immunität nach dem Foreign Sovereign Immunities Act1. Danach kamen nur international tätige deutsche Unternehmen als ATS-Beklagte in Betracht. Dies soll nicht heißen, dass die Auswirkungen des ATS auf deutsche Interessen unerheblich waren. Im Gegenteil: Der Gesamtbetrag an Schadensersatz, den deutsche Konzerne bis heute wegen ATS-Forderungen entrichten mussten, übersteigt die Schadensersatzzahlungen sämtlicher Unternehmen aller anderen Länder der Welt als Ergebnis von ATS-Verfahren2. Deutsche Konzerne zählten zu den ersten Be1
Siehe Sampson v. Federal Republic of Germany, 250 F.3d 1145 (7th Cir. 2001); Princz v. Federal Republic of Germany, 26 F.3d 1166 (D.C. Cir. 1994). 2 Im Rahmen der Zwangsarbeiterklagen mussten deutsche Konzerne nach dem Globalvergleich mit der amerikanischen Regierung DM 5 Mia. zur Verfügung stellen. Ähnliche Größen sieht man nur bei anderen „Holocaust“-Klagen – Schweizer Banken verglichen sich in Höhe von $ 1,25 Mia., während die österreichische Industrie eine Entschädigungsstifung mit ÖS 1 Mia. errichtete – während man bei diesen letzteren Klagen nicht weiß, wie viel aus Konzernvermögen und wie viel aus staatlichen Mitteln beglichen worden ist. In anderen ATSKlagen gegen Unternehmen geschah der beträchtlichste Vergleich in Doe v. Unocal Corp. und belief sich auf eine vergleichsweise niedrige Summe von $ 30 Mio. Außer von den HolocaustKlagen und Unocal endeten ATS-Klagen gegen Unternehmen entweder mit einem Sieg des
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
klagten der Zweiten Welle überhaupt und es waren ATS-Massenverfahren gegen deutsche Konzerne, die die Entwicklung des ATS von human rights-Vorschrift im klassischen Sinne zur Basis eines Weltforums für die Inanspruchnahme internationaler Konzerne im Namen der Menschenrechte angetrieben haben. Dieses Forum berührte die Grundlagen der deutschen Wirtschaft, die auf Auslandsinvestitionen und deshalb in erhöhtem Maße auf internationale Rechtssicherheit angewiesen ist, weil sie amerikanischen Klägern die Mittel in die Hand gab, durch Einleitung von ATSKlagen internationale Rechtssicherheit einseitig aufzuheben. Zunächst werden sämtliche ATS-Verfahren, die gegen international tätige deutsche Unternehmen erhoben wurden, mitsamt einer Wertung der Signifikanz der Rechtsprechung, die aus diesen Verfahren hervorging, umfassend dargelegt. Als Teil dieser Darlegung kommen Stellungnahmen der Bundesregierung sowie eine kritische Würdigung derselben hinzu. Zweitens setzt sich dieses Kapitel mit der besonderen Schwere des Rechtsrisikos auseinander, das das angereifte Recht zum ATS für die deutsche Wirtschaft dargestellt hat, und schildert die Versuche der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft, diesem Risiko ein Ende zu setzen. Hierbei werden sowohl die fundamentale Natur internationaler Rechtssicherheit für deutsche Wirtschaftstätigkeiten als auch die besondere Eignung deutscher Konzerne als ATS-Beklagte erörtert. Zuletzt wird die Möglichkeit einer Menschenrechtsklage gegen deutsche Unternehmen nach ATS-Muster vor deutschen Gerichten untersucht.
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne Deutsche Unternehmen wurden hauptsächlich im Rahmen von vier ATS-Verfahren durch die US-Gerichte sukzessiv in Anspruch genommen: (1) Die Sammelklagen ehemaliger Zwangsarbeiter gegen die deutsche Industrie, (2) die Völkermordklage des namibischen Herero-Stammes, (3) die Apartheid-Klagen und (4) die Klage argentinischer Angehöriger gegen Daimler in Bauman v. DaimlerChrysler. Jedes dieser Verfahren zog eine Erweiterung des Rechts des ATS nach sich, die zur Errichtung eines stets zuständigen amerikanischen Forums mit weltweiter Gerichtsbarkeit für die Verhandlung von Menschenrechtsverletzungen beitrug.
I. Die Zwangsarbeiterklagen gegen die deutsche Industrie Die erste Begegnung der deutschen Wirtschaft mit ATS-Klagen kam durch die sog. Zwangsarbeiterklagen zustande. Während des Zweiten Weltkrieges beschäfBeklagten oder mit einem Versäumnisurteil, und es ist nicht bekannt, ob das Versäumnisurteil eines ATS-Verfahrens jemals erfolgreich gegen ein Unternehmen vollstreckt werden konnte.
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne
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tigten deutsche Unternehmen fast 10 Mio. Zwangsarbeiter aus 20 Ländern3. Von diesen kamen die meisten aus Russland (3 Mio.) und Polen (2 Mio.)4, aber z. B. auch aus Griechenland und Holland wurden Zwangsarbeiter nach Deutschland deportiert. Oft war der jüdische Glaube der Grund für die Deportierung in die Zwangsarbeit. Zwangsarbeiter wurden unterernährt, mussten unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten und hausten in Konzentrationslagern, wo die meisten von ihnen starben. Die Zwangsarbeit sollte den Mangel an Arbeitskräften im kriegsmobilisierten Deutschland wettmachen sowie die NS-Politik der „Vernichtung durch Arbeit“ realisieren. Nach Kriegsende haben Zwangsarbeiter versucht, Schadensersatzforderungen gegen die Unternehmen geltend zu machen, die sie zwangsbeschäftigt hatten. Trotz der klaren Menschenrechtswidrigkeit der Zwangsarbeit waren diese Klagen gegen die deutsche Industrie vor 1996 nicht zulässig – weder in Deutschland noch in den USA. 1. Zwangsarbeiterklagen in Deutschland Der deutsche Gesetzgeber hat eine Reihe von Entschädigungsgesetzen für Opfer der Naziverfolgung verabschiedet, die bis 1995 etwa DM 100 Milliardeen auszahlen sollten5. Allerdings hat keines dieser Gesetze eine Entschädigung der Zwangsarbeiter im Dritten Reich vorgesehen. Am berühmtesten war wohl das Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG) vom 29. Juni 1956. Das BEG hat Freiheitsberaubung, Gesundheitsschädigung und Tötung durch das Dritte Reich als anspruchsbegründende Verfolgungstatbestände anerkannt6. Zwar gingen diese oft mit Zwangsarbeit einher, aber weil dem Entschädigungsanspruch nach dem BEG eine öffentlich-rechtliche Rechtsnatur zugeschrieben wurde, war er territorial begrenzt, d. h. Anspruchsteller mussten im Jahre 1937 Inländer gewesen sein – was die allermeisten Zwangsarbeiter nicht gewesen waren. Damit waren sie von einer Entschädigung nach dem BEG ausgeschlossen. Des Weiteren hat das BEG-Schlussgesetz von 14. September 1965 festgelegt, dass nach dem 31. Dezember 1969 keine Ansprüche mehr nach dem BEG angemeldet werden konnten. Zwar wurden etwa eine Millionen Verfolgte durch das BEG entschädigt, aber die „allermeisten Zwangsarbeiter“ waren nach dem BEG nicht anspruchsberechtigt7.
3
Siehe Ertel/Hawranek/Spörl/Steingart/Wiegrefe, Schuld und Schlussstrich, Der Spiegel, 30. 11. 1998, S. 30 ff., aufrufbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8039107.html. 4 Siehe Ertel et al., S. 36. 5 Siehe Ertel et al., S. 33. 6 Siehe §§ 1, 43 Abs. 1 BEG. 7 Siehe Blanke, Der lange Weg zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeiter, KritJ 2/2001, 195, 200.
460
Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
Vor deutschen Gerichten konnte nur ein einziger ehemaliger Zwangsarbeiter einen Prozesserfolg erstreiten. Im Jahr 1950 erhob der ehemalige Zwangsarbeiter Wollheim einen Musterprozess gegen die IG Farben i.L.8. Als deutscher Jude wurde Wollheim in das KZ Auschwitz abtransportiert und in der am KZ angebauten Fabrik von IG Farben als Zwangsarbeiter beschäftigt. 1953 hat das LG Frankfurt seine Klage für zulässig erklärt9, was nach einigen Jahren Verhandelns in einen Globalvergleich mündete. Nach dem Vergleich stellte die IG Farben DM 30 Millionen zur Entschädigung ihrer Zwangsarbeiter zur Verfügung10. Alle anderen Entschädigungsklagen von Zwangsarbeitern vor deutschen Gerichten scheiterten bis zum Jahr 1996. Grund hierfür war das Londoner Schuldensabkommen (LSA)11, das die Auslandsschulden Nachkriegsdeutschlands vorübergehend regeln sollte und eine Sperrwirkung gegen Schadensersatzklagen ehemaliger Zwangsarbeiter entfaltete. Diese Sperrwirkung wurde aus Art. 5 Abs. 2 LSA abgeleitet, der folgenden Wortlaut enthielt: „Eine Prüfung der aus dem Zweiten Weltkriege herrührenden Forderungen von Staaten, die sich mit Deutschland im Kriegszustand befanden oder deren Gebiet von Deutschland besetzt war, und von Staatsangehörigen dieser Staaten gegen das Reich und im Auftrag des Reichs handelnde Stellen oder Personen … wird bis zu der endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt“.
Die deutsche Rechtsprechung legte diesen Paragraphen dahingehend aus, dass „für individuelle Entschädigungsansprüche für geleistete Zwangsarbeit gegen … gegen Unternehmen [des Dritten Reiches] oder deren Rechtsnachfolgerinnen kein Raum bestehe, weil Zwangsarbeit … unter den allgemeinen Kriegsfolgenbegriff falle und daher nur im Rahmen von Reparationszahlungen zu behandeln sei“12. Die hinsichtlich Art. 5 Abs. 2 LSA herrschende Meinung war, dass die völkerrechtliche Deliktshaftung von Staat zu Staat die zivilrechtliche Deliktshaftung des Schädigers gegenüber dem Geschädigten absorbiere, solange das Delikt während und im Rahmen des Krieges begangen wurde13. Anders ausgedrückt: Deutsche Unterneh8 Siehe ausführlich hierzu Joachim Rumpf, Der Fall Wollheim gegen die I.G. Farbenindustrie AG in Liquidation: Die erste Musterklage eines ehemaligen Zwangsarbeiters in der Bundesrepublik Deutschland (Diss. Hannover 2010). 9 Siehe Urteil des LG Frankfurt vom 10. Juni 1953, Az. 2/3 O 406/51, in: IfZ, ED 422, Bd. I. 10 Siehe Rumpf, Der Fall Wollheim; bestätigend auch die von der Wollheim-Kommission der Universität Frankfurt bekanntgegebenen Entschädigungszahlen, siehe http://www.woll heim-memorial.de/de/wollheimprozess_19511957_2. 11 Seihe Abkommen über deutsche Auslandsschulden vom 27. Februar 1953, BGBl. II 1953, 333. 12 Safferling/Zumbansen, Iura novit curia: Rechtsanspruch auf Entschädigung für Zwangsarbeit im Nationalsozialismus, JR 1/2001, 6 (Zitat von BGH vom 21. 06. 1955, BGHZ 18, 22, 30; BGH MDR 1963, 492; NJW 1973, 1549; LG Frankfurt, NJW 1960, 1575, 1577). 13 Dieses Argument entstammte dem sehr einflussreichen Aufsatz von Ernst Féaux de la Croix, Schadensersatzansprüche ausländischer Zwangsarbeiter im Lichte des Londoner Schuldenabkommens, NJW 1960, 2268, 2269.
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne
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men, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben, handelten „im Auftrage“ des Reiches, weswegen Ansprüche gegen sie bis zur endgültigen friedensvertraglichen Reparationsregelung zurückzustellen waren. Nach allgemeiner Ansicht sollte durch diese Regelungen eine wirtschaftliche Gesundung Nachkriegsdeutschlands nicht gefährdet werden14. Zwangsarbeiterklagen wurden von deutschen Gerichten als „derzeit unbegründete“ Reparationsforderungen abgewiesen15. Mit Verabschiedung des Zwei-plus-Vier-Vertrags vom 15. September 199116 wurde die Gültigkeit des Art. 5 Abs. 2 LSA in Frage gestellt. Der Zwei-plus-VierVertrag wurde als neuer Friedensvertrag angesehen, der Art. 5 LSA ablöst. Nach dieser Argumentation wurden zwei Zwangsarbeiterklagen vor den LG Bremen und LG Bonn erhoben, die 1993 zu Vorlagen vor dem Bundesverfassungsgericht führten. In einer Entscheidung von 1996 bestätigte das BVerfG, dass der Zwei-plus-VierVertrag als „Ersatz-Friedensvertag“ anzusehen war, der das LSA und damit seinen Art. 5 Abs. 2 LSA abgelöst hatte17. Damit war die Sperre für Zwangsarbeiterklagen aus dem LSA aufgehoben. Trotz Aufhebung der Klagesperre des Art. 5 Abs. 2 LSA wiesen deutsche Gerichte seit 1996 die Schadensersatzklagen ehemaliger Zwangsarbeiter ausnahmslos ab. Die ersten Zwangsarbeiterklagen wurden auf der Grundlage von Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB erhoben18. Nachdem diese Klagen als verjährt abgewiesen wurden19, wurden andere Schadensersatzklagen aufgrund des Arbeitsrechts (wegen Nichtzahlung von Lohn)20, des Bereicherungsrechts21 sowie des Deliktsrechts22 erhoben. Die meisten dieser Zwangsarbeiterklagen wurden aber auch wegen Verjährung des zugrundeliegenden Anspruchs abgewiesen23. Andere Kläger versuchten, eine Qualifizierung als Härtefall nach dem BEG zu erstreiten, wurden jedoch als 14
Safferling/Zumbansen, S. 7. LG Frankfurt, NJW 1960, 1575, 1577. 16 Siehe Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12. September 1990, BGBl. II 1990, 1317. 17 Siehe BVerfGE 94, 315 (= NJW 1996, 2717). 18 Siehe Vorlagebeschlüsse LG Bonn 2. 7. 1993 – 1 O 134/92, LG Bremen 3. 12. 1992 – I O 2889/90; erstinstanzliche Urteile LG Bonn 5. 11. 1997 – 1 O 134/92, LG Bremen 2. 6. 1998 – 1 O 2889/90. 19 Weil die Zwangsarbeiterklagen vor der Schuldrechtsreform und damit vor Eintritt der heutigen regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB eingeleitet wurden, hoffte man, durch das Abstellen auf andere Rechtsgebiete eine für die jeweilige Klage günstige Verjährungsregelung in Anspruch nehmen zu können. 20 BAG, NZA 2000, 385 = ArbuR 2000, 228. 21 Siehe Pawlita, Verfolgungsbedingte Zwangsarbeit im Nationalsozialismus, ArbuR 1999, 426, 431. 22 Seihe z. B. LG München I, 26. 6. 2000 – 22 O 10945/00. 23 Safferling, Zwangsarbeiterentschädigungsgesetz und Grundgesetz, KritJ 2/2001, 208, 208 ff.; siehe auch BGHZ 48, 125, 126 (§ 852 Abs. 1 BGB); LG Berlin, NJW 1999, 2825 (§ 195 BGB); LG Berlin, NJW 2000, 1958; OLG Hamm, NJW 2000, 3577, 3579 (§§ 196 Abs. 1 Nr. 9, 222 BGB). 15
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
nicht entschädigungsberechtigt zurückgewiesen24, und ein ähnliches Schicksal erwartete Kläger, die vor Verwaltungsgerichten in dem Versuch klagten, Vergütungszahlungen zu erstreiten25. 2. Die Zwangsarbeiterklagen in den USA In den USA hatten die Schadensersatzklagen ehemaliger Zwangsarbeit bis 1996 genauso wenig Erfolg wie in Deutschland. Amerikanische Gerichte wiesen Zwangsarbeiterklagen gegen die deutsche Industrie als nicht einklagbare Reparationsforderungen26 oder als verjährte Ansprüche27 ab. Ab 1995 traten jedoch zwei Änderungen ein, die die Möglichkeit einer Schadensersatzklage aufgrund des Vorwurfs der Zwangsarbeit wieder aufleben ließen. Erstens verkündete der Second Circuit 1995 seine Entscheidung in Kadic v. Karadzic, die nicht nur Zwangsarbeit als einklagbares ATS-Delikt anerkannte, sondern auch die ATS-Haftung auf Privatpersonen erstreckte, die mit verbrecherischen Regimes kollaborierten28. Auf der Grundlage von Karadzic wurden die ATS-Klagen gegen Schweizer Banken29 erhoben und diese zeigten eindeutig, dass ATS-Sammelklagen gegen Nazi-Kollaborateure nach Karadzic Erfolgschancen hatten. Zweitens erließ das BVerfG 1996 seine Grundsatzentscheidung, dass Art. 5 Abs. 2 LSA keine Sperre mehr für Zwangsarbeiterklagen entfaltete. Für amerikanische Anwälte bedeutete das Urteil des BVerfG, dass Urteile in amerikanischen Zwangsarbeiterklagen nunmehr in Deutschland vollstreckbar sein könnten. Ab 1997 wurden die ersten Sammelklagen ehemaliger Zwangsarbeiter gegen die deutsche Industrie vor amerikanischen Gerichten aufgrund des ATS erhoben. Diese Klagen waren nicht so sehr von den Niederlagen vor deutschen Gerichten (die erst später kamen) als vielmehr durch den Erfolg in den ATS-Klagen gegen die Schweizer Banken motiviert. Verklagt wurde scheinbar jedes deutsche Unternehmen, das zwischen 1940 und 1945 existiert hatte oder (nach amerikanischem Rechtsverständnis) als Rechtsnachfolger eines solchen Unternehmens anzusehen war, wie z. B. Siemens, Daimler, Volkswagen, DeGussa, Deutsche Bank, Dresdner Bank, Bayer und TyssenKrupp. Insgesamt wurden zwischen 1996 und 1998 mehr als 75 separate Sammelkalgen gegen führende deutsche Unternehmen vor unterschiedlichen amerikanischen Gerichten erhoben30.
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OLG Köln, NJW 1999, 1555. VGH Münster, NJW 1998, 2302. 26 Siehe z. B. Kelberine v. Societe Internationale, 363 F.2d 989 (D.C. Cir. 1966). 27 Siehe z. B. Handel v. Artukovic, 60 F. Supp. 42 (C.D. Cal. 1985). 28 Siehe hierzu Kapitel 1, Abschnitt B. III. 29 Siehe hierzu Kapitel 2, Abschnitt A. II. 1. a). 30 Siehe hierzu Michael Bazyler, Nuremberg in America: Litigating the Holocaust in United States Courts, 34 U. Rich. L. Rev. 1 (2000). 25
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne
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Die Zwangsarbeiterklagen genossen in den USA einen für Sammelklagen unerhörten Grad an politischer Unterstützung. Beginnend mit den Klagen gegen die Schweizer Banken im Jahr 1996 hatte die Regierung Clintons erklärt, „bis zum Jahr 2000 alle schwebenden Fragen aus der deutschen Nazi-Vergangenheit zu regeln“, sodass sie „in Gerechtigkeit enden“31. US-Senatoren drohten Deutschland damit, den Beitritt osteuropäischer Staaten zur NATO zu verhindern, bis die „legitimen Ansprüche von Holocaust-Opfern und deren Erben“ berücksichtigt wurden32. Diese Unterstützung hatte viel damit zu tun, dass die größten jüdischen Verbände der USA die Zwangsarbeiterklagen als Herzensangelegenheit betrachteten, nicht zuletzt weil eine Entschädigung gut 60 Jahre lang verwehrt worden war. Menschenrechtsorganisationen führten neben den Zwangsarbeiterklagen eine Pressekampagne gegen die deutsche Industrie. Ziel der Kampagne war es, die bloße Anfechtung der Klagen als Verleugnung ihrer Mitverantwortung für die Verbrechen des Dritten Reiches darzustellen und somit der deutschen Industrie einen Vergleich nahezulegen. Ein gutes Beispiel dafür, wie heftig diese Medienauseinandersetzung vonstatten ging, erschien als Vollbildanzeige in der New York Times: Vor dem Mercedes-Stern stand eine leicht abgeänderte Version des Mercedes Werbeslogans, „Mercedes: Design. Execution. Slave Labor“. Unter dieser prägnanten Formulierung wurde zum Boykott gegen Mercedes aufgerufen. 3. Die Globalabwicklung der Zwangsarbeiterklagen durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ Einige führende deutsche Großkonzerne wie Daimler und Siemens gelangten gleich nach Einleitung der Zwangsarbeiterklagen zu dem Schluss, dass ein Vergleich mit den Zwangsarbeitern notwendig war, um das Ansehen der deutschen Industrie in ihrem derzeit wichtigsten Absatzmarkt zu wahren. Ihre Vergleichsbereitschaft bestand ungeachtet der Tatsache fort, dass 1999 zwei amerikanische Gerichte die Entschädigungsansprüche der Zwangsarbeiter als nicht justiziable politische Fragen abwiesen33. Die Konzernleitungen befürchteten einen unüberwindlichen Ansehensund Marktverlust, falls die amerikanische Öffentlichkeit den Eindruck gewinnen sollte, dass die deutsche Industrie ihre Verantwortung für die Verbrechen des Dritten Reiches leugnete. 1998 gründeten die führenden Gesellschaften die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, um die deutsche Industrie von der Notwendigkeit einer Globalentschädigung der Zwangsarbeiter zu überzeugen34. 31
Ertel et al., S. 30. Ertel et al., S. 30. 33 Siehe Burger-Fisher v. Degussa AG, 65 F. Supp. 2d 248 (D.N.J. 1999); Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999). 34 Gründungsmitglieder der Stiftungsinitiative waren Allianz, BASF, Bayer, BMW, DaimlerChrysler, Deutsche Bank, Degussa-Hüls, Dresdner Bank, Krupp, Hoechst, Siemens und Volkswagen. Kurz nach ihrer Gründung traten Commerzbank, Deutz, RAG, Vega und 32
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
Der Rest der deutschen Industrie und insbesondere die deutschen Medien reagierten empört auf die amerikanischen Sammelklagen. Die sog. Entschädigungsdebatte entfachte sich in der deutschen Öffentlichkeit und zeigte eine tiefe Abneigung gegen die amerikanischen Zwangsarbeiter-Prozesse35. 1999 sah sich die Schröder-Regierung dazu genötigt, sich „schützend“ vor die deutsche Industrie zu stellen36. Damit war das Globalentschädigungskonzept der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft auf gleicher Wellenlänge mit dem Ansatz der Bundesregierung, was in einem Geheimtreffen zwischen dem Kanzleramt und den zwölf größten deutschen Unternehmen am 27. November 1998 besiegelt wurde37. Sowohl die Bundesregierung als auch die amerikanische Regierung bestellten Unterhändler, um eine Entschädigung der Zwangsarbeiter auszuarbeiten. Langwierige Verhandlungen mit mehreren Lösungsvorschlägen führten zu einem Deal: eine geldwerte Anerkennung der Verantwortung von deutscher Seite gegen Rechtssicherheit von amerikanischer Seite. Diese Einigung wurde durch den Abschluss eines deutsch-amerikanischen Entschädigungsabkommens38 sowie die Errichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ besiegelt. Die Stiftung wurde mit DM 10 Milliarden zur Auszahlung von Entschädigungen an Zwangsarbeiter ausgestattet und Ansprüche der Zwangsarbeiter wurden aufgrund des deutschen Stiftungsgesetzes39 geregelt. Im Gegenzug verpflichtete sich das amerikanische Außenministerium, allen künftigen Zwangsarbeiterklagen gegen die deutsche Industrie durch Einreichung eines Statement of Interest entgegenzuwirken. 4. Ergebnisse der Zwangsarbeiterklagen Die Zwangsarbeiterklagen waren die erste Begegnung der deutschen Wirtschaft mit dem ATS und sie hat diese Begegnung als durchaus rau empfunden. Hierbei war es nicht so sehr das ATS, das für die Unannehmlichkeiten sorgte – schließlich haben die amerikanischen Gerichte die Zwangsarbeiterklagen als nicht justiziabel abgewiesen –, sondern eher das class action-Verfahren mit einem Politikum zum GeBosch hinzu. Siehe Susanne-Sophia Spiliotis, Corporate Responsibility and Historical Injustice, in: Civil Society: Berlin Perspectives 65 Fn. 15 (John Keane, ed., 2006). 35 Z. B. bezeichnete Spiegel-Redakteur Rudolf Augstein die Zwangsarbeiterklagen als einen Missbrauch der Justiz, der von „Haifischen im Anwaltsgewand“ angetrieben wurde. Siehe Rudolf Augstein, „Wir sind alle verletzbar“, Der Spiegel, 30. November 1998, S. 32. 36 Siehe Matthias Arning, Wenn Entschädigung zu einer Frage des Prestiges wird, Frankfurter Rundschau, 11. Juli 1998. 37 Siehe Ertel et al., S. 33. 38 Siehe Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ vom 2. August 2000. 39 Siehe Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ vom 2. August 2000, BGBl. I, 1263.
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne
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genstand. Die Holocaust-Klagen mögen aus finanzieller Sicht zu den erfolgreichsten ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften gehören, aber aus ihnen ging kaum signifikante Rechtsprechung hervor. Es war politische Unterstützung, die den Zwangsarbeiterklagen zum Erfolg verhalf, und das Risiko, wieder zur Zielscheibe der amerikanischen Politik zu werden, schien durch die Errichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ausgeschöpft. Aus demselben Grund intervenierte die Bundesregierung nicht mit rechtlichen Argumenten gegen die Zwangsarbeiterklagen, sondern strebte eine politische Lösung an. Die Regierung von Kanzler Schröder hat eine umfassende Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter als im nationalen Interesse betrachtet und ist deshalb in die Rolle des Vermittlers mit dem Ziel getreten, die Zwangsarbeiterklagen zu einer für Deutschland ruferhaltenden Lösung zu bringen. Diese Rolle verlangte keine Auseinandersetzung mit dogmatischen Grundlagen der Klagen, was einerseits im Mangel an rechtlichen Stellungnahmen seitens der Bundesregierung zu den amerikanischen ATS-Klagen, andererseits an der Fortführung von Entschädigungsverhandlungen trotz der Abweisung der Ansprüche der Zwangsarbeiter als politische Fragen gesehen werden kann. Allerdings kam durch das Anstreben eines Stiftungsabkommens indirekt und zum ersten Mal zum Vorschein, was die deutsche Industrie und die Bundesregierung an ATS-Klagen am meisten fürchten würden: Die Aufhebung der Rechtssicherheit durch die bloße Erhebung der ATS-Klage. Die Zwangsarbeiterklagen wurden als class actions erhoben, forderten Schadensersatz in Milliardenhöhe und wurden von rufschädigenden Medienkampagnen begleitet. Damit war die deutsche Industrie in einer Zwickmühle: Entweder musste sie zur Rufwahrung einen Vergleich abschließen, obwohl sie ihre rechtliche Verantwortung abstritt, oder sie musste sich vor Gericht verteidigen, was ein Urteil in Milliardenhöhe sowie nicht wiedergutzumachende Rufschädigung befürchten ließ. Dieser Zweifrontenkrieg gegen die Rechtssicherheit war deutschen Konzernen neu und gefährdete ihre auf Langfristigkeit und Internationalität ausgebauten Geschäftsmodelle. Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, dass eine Garantie der Rechtssicherheit – unter dem Namen des Rechtsfriedens – das Hauptanliegen der deutschen Industrie bei der Verhandlung des Stiftungsmechanismus bildete. Historisch gesehen markieren die Zwangsarbeiterklagen einen Meilenstein in der deutschen Geschichte. 60 Jahre nach Kriegsende waren es ATS-Klagen, mit politischen Druckmitteln und Medienkampagnen angereichert, die Deutschland zur Entschädigung seiner Zwangsarbeiter bewegt haben40. Aus diesem Grund bestehen 40 „The Germans have conceded that, after a half-century of failing to recognize the claims of the slave laborers, the fear of American litigation is what finally brought them to the bargaining table. Chancellor Schroeder, announcing the establishment of a fund for slave laborers in February 1999 …, explicitly stated that Germany was establishing the fund in order ,to counter lawsuits, particularly class action suits, and to remove the basis of the campaign being led against German industry and our country‘“. Michael Bazyler, The Holocaust Restitution Movement in Comparative Perspective, 20 Berkeley J. Int’l Law. 11 (2002) (mit Zitat von Roger
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
bis in die Gegenwart Zweifel an der Aufrichtigkeit der von der Industrie bekundeten „Verantwortung“, der angeblich durch die Errichtung der Entschädigungsstiftung nachgekommen wurde41. Diesen Zweifeln wäre entgegenzuhalten, dass die führenden Konzerne der deutschen Wirtschaft die amerikanischen Zwangsarbeiterklagen als eine einmalige Gelegenheit gesehen haben, die historische Schuld der deutschen Industrie auf den Tisch zu bringen und umfassend zu bewältigen.
II. Die Herero-Klage Gleich nach dem Vergleich bei den Holocaust-Klagen erfolgte die zweite großangelegte ATS-Klage gegen deutsche Konzerne. Die Klage wurde von namibischen Angehörigen erhoben und wird in der Literatur als „Herero-Klage“ bezeichnet. 1. Der Kolonialkrieg in Namibia Gegenstand der Klage war die Mitarbeit deutscher Konzerne am Kolonialkrieg von 1904 – 1908 in Namibia gegen den Herero-Stamm. Die Hereros waren indigene Einwohner von Namibia, die ihren Lebensunterhalt traditionell durch Viehzucht bestritten42. Als die deutsche Kolonialisierung von Namibia im späten 19. Jahrhundert zunahm, zerstöre eine Rinderpest ihre Existenzgrundlage. Die deutschen Siedler nutzten die Notlage der Hereros aus, um ihre Weideländer aufzukaufen und ganze Herero-Unterstämme in die Schuldknechtschaft zu verdingen. 1904 kam es zu einem Aufstand der Hereros, der die Siedler überraschte und weitgehend aus den traditionellen Herero-Gebieten vertrieb. Das deutsche Kaiserreich antwortete mit einer Armee von etwa 15.000 Mann unter der Leitung von Generalleutnant Lothar von Trotha. Trotha betrieb einen Vernichtungskrieg gegen die Hereros: Sämtliche Hereros, auch Frauen und Kinder, standen unter sofortigem Erschießungsbefehl; Vernichtungslager wurden errichtet und Herero-Gruppen wurden in Dürregebieten zum Verdursten festgesetzt. Durch den Krieg wurden 80 % der Hereros (etwa 65.000 von 80.000) getötet. Der Herero-Stamm bezeichnet den Kolonialkrieg als den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts. An diesem Krieg sollen deutsche Konzerne mitgewirkt und davon profitiert haben. Der Krieg soll zum Teil von der Deutschen Bank finanziert worden sein, Cohen, German Companies Set up Fund for Slave Laborers under Nazis, New York Times, Feb. 7, 1999, at A1). 41 So z. B. Blanke, Der lange Weg zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern, KritJ 2/ 2001, 195. 42 Zur Geschichte des Kolonialkriegs siehe allgemein Zimmerer, Völkermord in DeutschSüdwestafrika: der Kolonialkrieg (1904 – 1908) in Namibia und seine Folgen (2003); sowie Bettina Vestring, „Jeder Herero wird erschossen“, Frankfurter Rundschau, March 1, 2012, aufrufbar unter http://www.fr-online.de/politik/-kolonialverbrechen-in-deutsch-suedwestafrikajeder-herero-wird-erschossen-,1472596,11740870.html.
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während Truppen und Material von einer deutschen Reederei, der Woermann Line, befördert worden sein sollen43. Des Weiteren soll die Woermann Line Hereros als Zwangsarbeiter beschäftigt und sie hierfür in Konzentrationslager gebracht haben44. 2. Die Herero-Klage 2001 hat eine von den Hereros gegründete Interessengemeinschaft eine ATSKlage gegen die Deutsche Bank und die Woermann Line (unter dem Namen Deutsche Afrika-Linien GmbH & Co.) erhoben. Die Hereros warfen den Gesellschaften Genozid sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Die Haftungstheorie der Klage war eine Abschrift der Zwangsarbeiterklagen45 : Da die beklagten Unternehmen mit dem verbrecherischen deutschen Kolonialregierung kollaboriert hatten, war ihre Haftung nach dem ATS für deren Verbrechen unter der Auslegung von Kadic v. Karadzic46 gegeben. Die Hereros forderten Schadensersatz in Höhe von $ 2 Milliarden. Die Herero-Klage mag Aufsehen erregt haben47, wurde aber schnell und ohne viel Mühe abgewiesen. In Wahrheit umfasste ,die‘ Herero-Klage drei verschiedene Verfahren. Zunächst wurde eine Klage gegen die Deutsche Afrika-Linien GmbH vor dem District Court for the District of Columbia erhoben48. Parallel wurde eine ATSKlage vor dem Southern District of New York gegen die Deutsche Bank eingeleitet49. Beide Gerichte verneinten, dass sie für den jeweiligen Beklagten persönlich zuständig waren, und wiesen die Klagen entsprechend ab. Als Resultat erhoben die Hereros eine dritte ATS-Klage, diesmal nur gegen Deutsche Afrika-Linien GmbH50, vor dem District of New Jersey51. Der District of New Jersey entschied in der Sache,
43 Siehe Hereros v. Deutsche Afrika-Linien Gmblt & Co., No. 05-Civ-1872 (D.N.J. Jan. 17, 2006), S. 2 ff. 44 Siehe Hereros, No. 05-Civ-1872, S. 2 ff. 45 Dies hatte damit zu tun, dass einer der führenden Anwälte der Holocaust-Klagen, Edward Fagan, den Hereros-Stamm vor Einleitung der Klage beraten hat, siehe Barry Meier, An Avenger’s Path: A special report; Lawyer in Holocaust Case Faces Litany of Complaints, New York Times, Sept. 8, 2000. 46 Siehe hierzu Kapitel 1, Abschnitt B. III. 4. c) cc) (2). 47 Vgl. z. B. Duncan Bartlett, German bank accused of genocide, BBC News, Sept. 25, 2001, aufrufbar unter http://newswww.bbc.net.uk/2/hi/business/1561463.stm. 48 Herero People’s Reparation Corp. v. Deutsche Bank, 370 F.3d 1192 (D.C. Cir. 2004). 49 Herero People’s Reparations Corp. v. Deutsche Bank, No. 03-Civ.-991 (S.D.N.Y. Apr. 5, 2006). 50 Die Klage richtete sich ausschließlich gegen Deutsche Afrika-Linien, weil die persönliche Zuständigkeit des District of New Jersey für die Deutsche Bank offensichtlich nicht gegeben war. 51 Hereros v. Deutsche Afrika-Linien Gmblt & Co., No. 05-Civ-1872 (D.N.J. Jan. 17, 2006).
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
dass die Klage unbegründet war, und wies die Ansprüche der Kläger ab52. 2007 wurde die Abweisung der Herero-Klage endgültig vom Third Circuit bestätigt53. Der Third Circuit begründete die Abweisung der Klage mit der vom Supreme Court in Sosa gebotenen Pflicht zur Vorsicht in der Anerkennung einklagbarer Deliktstatbestände nach dem ATS54. Die Deutsche Afrika-Linien bzw. die Woermann Line argumentierten, dass die Klage ohne rechtliche Grundlage war, weil keine Völkerrechtsnorm gegen Genozid in den Jahren 1904 – 1908 existiert hätte. Das Gericht neigte zur gegenteiligen Ansicht und legte nahe, dass die von den Klägern vorgeworfenen Grässlichkeiten wohl auch im Jahre 1905 eine Völkerrrechtsverletzung darstellten55. Trotztdem befand das Geicht, dass es jede von Sosa gebotene Sorgfalt sprengen würde, wenn es sein Ermessen dazu einsetzen würde, jahrhundertalte Begebenheiten zu einem einklagbaren ATS-Deliktstatbestand zu erheben56. Des Weiteren stellte der Third Circuit fest, dass die Herero-Klage als eine so gut wie nicht justiziable politische Frage anzusehen war, weil die Kapazitäten eines Gerichts nicht ausreichten, um sie zu bewältigen. Erstens erfordere die Herero-Klage, dass das Gericht die außenpolitischen Entscheidungen der USA vom Jahre 1904 wieder aufrollte. Zweitens gäbe es keine „judicially discoverable or manageable standards“, die die Beurteilung der Ansprüche von etwa 125.000 Menschen gegen eine nicht mehr existierende Regierung ermöglichen würden57. Schließlich würde die Zulassung der Herero-Klage die ohnehin lockeren Verjährungsregeln vollständig beseitigen und „open the door to claims by countless aggrieved groups for human rights violations occurring anywhere in the world at any point in the vast expanse of recorded human history“58.
52 Das Gericht befand zum einen, dass etwaige ATS-Ansprüche verjährt waren und dass die Kläger keine außerordentlichen Umstände nachgewiesen hätten, die eine 80 Jahre lange Hemmung der Verjährungsfrist nach „equitable tolling“ begründen würden. Zum anderen legte das Gericht fest, dass der Klage an einklagbaren Völkerrechtsnormen im Sinne des ATS fehlte, weil die Beweisführung ausschließlich anhand historischer Dokumente möglich sei, was die Ermittlung einer Verletzung einer inhaltlich spezifischer Völkerrechtsnorm unmöglich machte. Siehe Hereros v. Deutsche Afrika-Linien Gmblt & Co., No. 05-Civ-1872 (D.N.J. Jan. 17, 2006), S. 10 ff. 53 Siehe Hereros v. Deutsche Afrika-Linien GmbH & Co., No. 06-1684 (3d Cir. Apr. 10, 2007). 54 Zu Sosa siehe Kapitel 2, Abschnitt B. III. 55 Siehe Hereros, No. 06-1684, at 9. 56 „While we are inclined to believe that the conduct alleged by [the Hereros] did violate international norms at the time it occurred, a mere inclination does not support a cause of action in our reading of Sosa. … The need for a court to exercise substantial judicial discretion over matters which occurred almost a century ago in order to create a cause of action is contrary to Sosa“. Hereros, No. 06-1684, at 9 – 10. 57 Hereros, No. 06-1684, at 10 – 11. 58 Hereros, No. 06-1684, at 11.
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3. Ergebnisse der Herero-Klage Die Herero-Klage war die zweite große ATS-Klage gegen deutsche Konzerne. Trotz ihrer Forderung von Schadensersatz in Höhe von $ 2 Milliarden wurde sie schnell und mit einem Minimum an Aufwand der beklagten Gesellschaften zu deren Gunsten abgewickelt59. Damit bestätigte die Herero-Klage das, was man eine umgekehrte Lehre aus den Zwangsarbeiterklagen nennen könnte: Eine ATS-Sammelklage aus der Vergangenheit ohne politische Unterstützung müsste an den rechtlichen Mängeln der Zwangsarbeiterklagen zugrundegehen. Dennoch hat die Herero-Klage die Bundesregierung beunruhigt. Im August 2004, d. h. als Herero-Verfahren noch vor dem District of Columbia und New York anhängig war, bat Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul den HereroStamm um Vergebung: „Wir Deutschen bekennen uns zu unserer historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu der Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben[,] ich bitte Sie im Sinne des gemeinsamen ,Vater unser‘ um Vergebung unserer Schuld“60.
Diese Bitte war durchaus als Annäherungsversuch an die Hereros gedacht61. Vielleicht war dies der Grund, warum die Bundesregierung bei der Herero-Klage zum ersten Mal aktiv eine rechtliche Stellungnahme zur Aufnahme in die ATSRechtsprechung bekannt gemacht hat. Ihre Position: Die gezielte Vernichtung eines Volkes könne vor 1953 keine Völkerrechtsverletzung darstellen, weil die Staatengemeinschaft Genozid erst 1953 als Völkerrechtsverbrechen anerkannt habe62. Diese Rechtsauffassung schlug sich sogar in der eben zitierten Bitte der Entwicklungsministerin um Vergebung nieder: „Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde – für den ein General von Trotha heutzutage vor Gericht gebracht und verurteilt würde“63. Allerdings scheint dieses Verhalten der Bundesregierung ATS-Klagen nicht oder zumindest nicht direkt gegolten zu haben. Die Bundesregierung befürchtete offenbar Reparationsforderungen der Hereros gegen den deutschen Staat und ging davon aus,
59
Alle drei Hereros-Verfahren kamen durch einen Antrag auf Klageabweisung zu Ende. Verfahrenstechnisch hieß das, dass keine der Herero-Klagen es überhaupt bis in die DiscoveryPhase des Vorverfahrens geschafft hat, stattdessen scheiterten alle Klagen an rechtlichen Mängeln in der Klageschrift. Dieses Ergebnis kann man fairerweise als das „Minimum“ an Aufwand bezeichnen, das in einer amerikanischen Zivilklage möglich ist. 60 Zimmerer, Entschädigung für Herero und Nama, Blätter 6/2005, S. 658. 61 Zimmerer, S. 658. 62 „Zur Begründung ihrer Haltung bedient sich die Bundesregierung eines formaljuristischen Argumentes: Die Völkermord-Konvention der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1948 habe keine rückwirkende Geltung und könne deswegen auf Ereignisse des Jahres 1904 keine juristische Anwendung finden“. sowie Vestring, „Jeder Herero wird erschossen“. 63 Zimmerer, S. 658.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
dass die Bezeichnung des Kolonialkriegs als Genozid als Einlassung gedeutet werden konnte64.
III. Die Apartheid-Klagen 2002 leiteten drei südafrikanische Opfergruppen ATS-Sammelklagen gegen führende Konzerne aus Großbritannien, Frankreich, Kanada, Japan, Deutschland und den USA ein. Gegenstand der Klagen war die Rolle der beklagten Konzerne bei der Errichtung und Aufrechterhaltung des Apartheid-Regimes, das zwischen 1948 und 1994 in Südafrika regierte. Die Apartheid-Klagen forderten Schadensersatz in Milliardenhöhe von deutschen Konzernen und sie waren die ersten ATS-Klagen, zu denen die Bundesregierung öffentlich Stellung nahm. Im Folgenden werden die Hintergründe und dogmatische Grundlage der Apartheid-Klagen sowie die Antwort der deutschen Bundesregierung auf die Klagen geschildert. 1. Hintergrund der Apartheid-Klagen a) Das Apartheid-System Südafrikas Apartheid bedeutete die rechtlich sanktionierte Entrechtung, Diskriminierung und Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung Südafrikas. Nach den Generalwahlen von 1948 führte die Nationale Partei die ersten Apartheid-Gesetze ein. Zunächst wurde nur eine strikte Rassentrennung im öffentlichen Leben angeordnet. Ab 1950 wurden Schwarze aus den Städten vertrieben und auf Reservate auf dem Land, „Homelands“ genannt, zwangsumgesiedelt, wo sie unter Stammesgleichen zu wohnen hatten65. Bis 1970 hatte die südafrikanische Regierung diese Reservate für unabhängige Länder – „Bantustans“ – erklärt und fortan die schwarze Bevölkerung als ausländische Angehörige behandelt66. Die Passgesetze von 1952 untersagten Schwarzen die Bewegungsfreiheit: Sie mussten die Einreise in weiße Gebiete beantragen, konnten nur mit Arbeitsgenehmigung in weiße Gebiete eintreten und mussten zu jeder Zeit ihren Pass bei sich führen67. Im Jahre 1956 verloren Schwarze alle ihnen verbleibenden Wahlrechte68. Schwarze erhielten nur dürftige Ausbil-
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So Zimmerer, S. 658. Siehe Population Registration Act, Act 30 of 1950; Group Areas Act, Act 41 of 1950 [South Africa]. 66 Siehe Bantu Authorities Act, Act No. 68 of 1951; Prevention of Illegal Squatting Act, Act 52 of 1951; Bantu Homelands Citizens Act, Act No. 26 of 1970. 67 Siehe Natives (Abolition and Coordiation of Documents) Act, Act 67 of 1952. 68 Siehe Separate Representation of Voters Act, Act 46 of 1951; Separate Representation of Voters Amendment Act of 1956. 65
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dungen69, bekamen nur niedrige Arbeitsplätze, wurden in Bezahlung und Beförderung diskriminiert70 und fanden sich von der Entwicklung Südafrikas ausgeschlossen71. Apartheid setzte die schwarze Bevölkerung der Willkür der weißen Bevölkerung aus. Bis 1994 wurden etwa 17 Millionen Schwarze von Polizisten ohne Verdacht kontrolliert und wegen „nicht ordnungsgemäßer Pässe“ festgenommen72. Circa 80.000 weitere Schwarze wurden ohne Prozess inhaftiert, meistens, weil sie politischen Widerstand geleistet hatten73. Festgenommene und inhaftierte Schwarze wurden oft gefoltert74. Des Weiteren wurden 3,5 Mio. Schwarze zwangsumgesiedelt und als Einwohner von Reservaten entbürgert75. Schwarze, die es gewagt haben, gegen das Apartheid-System zu protestieren, wurden mit Gewalt begegnet. Bei Protesten gegen die Passgesetze in 196076 und gegen die Einführung von AfrikaansUnterricht im Jahr 197677 eröffnete die Polizei das Feuer auf Demonstranten und überfuhr zahlreiche Menschen mit Panzerfahrzeugen. Hunderte Schwarze starben durch diese Maßnahmen.
69 Z. B. hat der Extension of University Education Act (Act 45 of 1959) getrennte Bildungseinrichtungen für Schwarze und Weiße angeordnet und Schwarzen das Studium an weißen Universitäten untersagt. 70 Bis 1993 war etwa 50 % der schwarzen Bevölkerung arbeitslos, siehe Werner MeyerLarsen, Die Ein-Zehntel Gesellschaft, Der Spiegel 15/1994, 11. April 1994, aufrufbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13683338.html. 71 So eine Bestandsaufnahme von 1993: „Südafrikas weißes Wirtschaftskartell ist von Nelson Mandela nicht zu knacken, und er weiß es. Den 14 Prozent Weißen im Lande gehören 90 Prozent an Grund und Boden und 90 Prozent aller Geschäfte. Fast die Hälfte des 320 Milliarden Rand (160 Milliarden Mark) hohen Sozialprodukts wird von den sechs großen Trusts der Nation kontrolliert, zwei Drittel der Industrie allein von nur drei Mega-Konzernen“. Meyer-Larsen, Die Ein-Zehntel Gesellschaft. 72 Siehe Christopher Wren, The World: South Africa and Apartheid: No Apologies, New York Times, Feb. 24, 1991, at 42. 73 Der Terrorist Act (Act 83 of 1967) erschuf das Bureau of State Security („BOSS“), das nunmehr für die innere Sicherheit zuständig war, und spach BOSS die Befugnis zu, vermutete „Terroristen“ ohne Prozess zu inhaftieren. Dank dem Suppression of Communism Act (Act No. 44 of 1950) war der Begriff Terrorist sehr weit definiert, sodass praktisch jeder, der zu weitgehenden gesellschaftlichen Änderungen aufrief, darunter fiel. 74 So die Aussage Mtutuzeli Tom, Betriebsrat im südafrikanischen Daimler-Werk und Aktivist: „Wen die Polizei mitnahm, der wurde gefoltert. … Wir wurden erniedrigt – man hat uns nackt ausgezogen, kaltes Wasser über den Kopf geschüttet, die Hände auf dem Rücken gefesselt, den Ventilator angeschaltet, so dass man zitterte, bevor sie ihre Fragen stellte“. Birgit Morgenrath, Apartheid unter dem guten Stern, Der Freitag, 6. Dezember 2002, aufrufbar unter http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/apartheid-unter-dem-guten-stern. 75 Siehe Wren, The World: South Africa and Apartheid, S. 42. 76 Dies war das sog. Sharpeville-Massaker von 1960. Siehe Richard Hull, American Enterprise in South Africa: Historical Dimensions of Engagement and Disengagement, S. 243 – 244 (1990). 77 Dies war das sog. Soweto-Massaker von 1976. Siehe Hull, S. 297 – 298.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
b) Die „Totale Strategie“, internationale Aufmerksamkeit und das Ende des Apartheid-Systems In den 1980er Jahren wurde es für die weiße Regierung zunehmend schwer, die entrechtete schwarze Bevölkerung unter Kontrolle zu halten. Tausende Schwarze brachen aus ihren Bantustans, die inzwischen viel zu klein für die auf ihnen wohnenden Stämme geworden waren, aus, um Arbeit in weißen Gebieten zu suchen. In den Städten der Reservaten legte die schwarze Bevölkerung die dortigen Verwaltungen lahm. Eine Befreiungsbewegung organisierte sich und verübte Anschläge gegen Weiße und die Regierung. Die Regierung antwortete mit der sog. „Totalen Strategie“, einem verdeckten Krieg gegen schwarze Befreiungskämpfer78. 1985 rief die Regierung den Notstand aus, womit die Grundrechte ausgeschaltet wurden und die Geheim- und Sicherheitsdienste gewaltsam gegen schwarze Freiheitskämpfer vorgehen konnten79. Schwarze Wohngebiete wurden von den Sicherheitsbehörden mit Panzerfahrzeugen besetzt, um Widerstand gewaltsam zu unterbinden. Etwa 30.000 Schwarze wurden zwischen 1985 und 1988 ohne Prozess inhaftiert und gefoltert80. Aktivisten wurden von geheimen Polizeikommandos verfolgt und auf offener Straße erschossen. Zu dieser Zeit wurde Südafrikas Apartheid-System zur Zielscheibe der Weltöffentlichkeit81. Bereits 1977 verhängten die Vereinten Nationen ein Waffenembargo gegen Südafrika. In den USA und Europa wuchs die sog. „Divestiture“-Bewegung an Einfluss, deren Ziel es war, Konzerne und Investoren durch Boykotte zum Ausstieg aus Südafrika zu bewegen. 1986 verabschiedete der amerikanische Kongress den Comprehensive Anti-Apartheid Act, der neue Investitionen und Kredite an Südafrika sowie Handel mit südafrikanischen Firmen verbot82. Die Europäische Gemeinschaft verhängte auch Sanktionen83. 1990 wurde Frederik de Klerk Präsident von Südafrika. Kurz nach Amtsantritt kündigte de Klerk das Ende des Apartheid-Systems an und fing an, mit dem Afrikanischen Nationalkongress Verhandlungen über eine friedliche Demokratisierung Südafrikas zu führen. 1993 segnete unter de Klerks Leitung das südafrikanische Parlament eine neue Verfassung ab, die die rechtlichen Strukturen des Apartheid-
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Siehe hierzu Morgenrath, Apartheid unter dem guten Stern. Südafrika: Zwischen Reform und Repression, Der Spiegel 7/1986, 10. Februar 1986, aufrufbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13517143.html. 80 Siehe Kristen Hutchins, Khulumani v. Barclay National Bank Ltd.: The Decision Heard ,Round the Corporate World, 9 German L. J. 639, 646 (2008). 81 Siehe hierzu allgemein Hull, American Enterprise in South Africa, a.a.O, S. 296 – 359. 82 Siehe Comprehensive Anti-Apartheid Act, Pub. L. 99-440, 100 Stat. 1086 (1986). 83 Siehe Hefti/Staehelin-Witt, Economic Sanctions against South Africa and the Importance of Switzerland, Forschungsbericht des Schweizer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, S. 4, aufrufbar unter http://www.snf.ch/sitecollectiondocuments/nfp/ nfp42p/nfp42p_staehelin-e.pdf. 79
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Systems abschaffte. 1994 fand die erste Generalwahl statt, an der Schwarze teilnehmen durften. Nelson Mandela wurde zum Präsidenten gewählt. c) Die Versöhnungs- und Wahrheitskommission Mandela verfolgte eine Politik der Versöhnung mit der weißen Bevölkerung. Diese Politik erhielte durch die Errichtung die sog. Versöhnungs- und Wahrheitskommission (Truth and Reconciliation Commission) („TRC“) ihren institutionellen Ausdruck84. Der Zweck der TRC wurde wie folgt beschrieben: „To obtain a complete accounting of past transgressions in hopes that they would never be forgotten, and thus never repeated“85. Als Nebenziel sollte die Aufklärungs- und Reparationsarbeit der TRC Verständnis zwischen schwarzer und weißer Bevölkerung stiften und damit Vergeltung aus der schwarzen Bevölkerung zuvorkommen. Die TRC bestand aus drei Unterausschüssen86: Das Menschenrechtsverletzungskomitee, der Reparations- und Rehabilitierungsausschuss und der Amnestieausschuss. Das Menschenrechtsverletzungskomitee untersuchte und protokollierte die Menschenrechtsverletzungen der Apartheid-Ära. Als Teil seiner Untersuchungen hielt es öffentliche – und medienträchtige – Anhörungen der Überlebenden ab, um den Opfern eine nie zuvor gehabte öffentliche Stimme zu verleihen. Bei Feststellung einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung verwies das Komitee den Fall an den Reparations- und Rehabilitierungsausschuss. Dieser konnte Reparationsmaßnahmen anordnen, die aus der Staatskasse zu bezahlen waren. Im Gegenzug waren Zivilklagen der schwarzen Bevölkerung auf Reparationen gesetzlich gesperrt. Der dritte Ausschuss der TRC war auch der umstrittenste: Der Amnestieausschuss. Hintergrund des Amnestieausschusses war, dass die Gewährung von Amnestie die Täter zur Mitarbeit an der Aufklärung der Apartheid-Ära bewegen und damit die Versöhnung beschleunigen würde87. Folglich war dieser Ausschuss befugt, Amnestie an die weißen Täter zu gewähren, solange sie gesetzliche Voraussetzungen erfüllten. Weiße, die Grund zur Annahme hatte, dass sie wegen eines zwischen 1960 und 1994 politisch motivierten Verbrechens strafrechtlich verfolgt werden konnten, durften einen Amnestieantrag beim Amnestieausschuss stellen. Wenn sie ein öffentliches und vollständiges Geständnis leisteten, erhielten sie hinsichtlich der gestandenen Taten Amnestie. 84 Die TRC wurde durch den Promotion of National Unity and Reconciliation Act, No. 34 of 1995, gesetzlich errichtet. 85 Cassandra Charles, Truth v. Justice: Promoting the Rule of Law in Post-Apartheid South Africa, 5 Scholar 81, 84 (2002). 86 Zur Struktur der TRC siehe allgemein Audrey Chapman & Hugo van der Merwe, Introduction, in: Truth and Reconciliation in South Africa: Did the TRC Deliver? (2008). 87 Vgl. Chapman/van der Merwe, S. 10: „The TRC’s amnesty process was a unique innovation breaking with the international pattern of blanket amnesty through offering a limited and conditional amnesty if perpetrators participated in a public process and met specified conditions“.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
Im Jahre 2002 beendete die TRC ihre aktive Aufklärungsarbeit. Die Tätigkeiten der TRC endeten endgültig in 2003 mit der Veröffentlichung der letzten zwei Bände ihres Abschlussberichts88. d) Die Rolle der Wirtschaft im Apartheid-System Bei der Arbeit der TRC blieb die Rolle von internationalen Konzernen, die während der Apartheid-Ära in Südafrika investiert hatten, unberücksichtigt89. Keine Kapitalgesellschaft hat an den TRC-Verfahren teilgenommen und keine wurde von der TRC vorgeladen. In der Literatur ist die Rolle der Wirtschaft im Apartheid-System sehr umstritten90. Aus Menschenrechtskreisen wird behauptet, ausländische Konzerne hätten nicht nur vom Apartheid-System profitiert, sondern auch in entscheidenden Momenten das Überleben des Apartheid-Regimes sichergestellt91. Andere hingegen zeigen, dass das durch Auslandsinvestitionen angetriebene Wirtschaftswachstum die strikte Rassentrennung in Südafrika unmöglich machte92, und dass bereits in den 1980er Jahren Konzerne sich über die Apartheid-Gesetze hinwegsetzten, indem sie Schwarze zu gleichen Bedingungen wie Weiße zu beschäftigen sowie als Führungskräfte ausbildeten93. Eine gespaltene Haltung der Politik zur Rolle der Wirtschaft in der Apartheid kann in den außenpolitischen Antworten westlicher Länder auf die Grässlichkeiten der „Totalen Strategie“ der 1980er Jahre gesehen werden. In den USA wollte der Kongress Südafrika die Abschaffung der Apartheid durch Sanktionen Form von Investitionsverboten aufzwingen, während die Reagan-Regierung für eine Politik der „contructive engagement“ argumentierte94. Die EG beschloss zwar Sanktionen, überließ es jedoch den einzelnen Mitgliedstaaten, die Sanktionen auf gesetzlicher 88
Die Berichte der TRC sind unter http://www.justice.gov.za/trc/report/ aufrufbar. Siehe hierzu Bände II, III und IV der Berichte der TRC. 90 Siehe z. B. Hull, American Enterprise in South Africa; Morgenrath/Wellmer, Deutsches Kapital am Kap: Kollaboration mit dem Apartheidregime (2003). 91 So Morgenrath/Wellmer in: Deutsches Kapital am Kap: Kollaboration mit dem Apartheidregime (2003). Die „entscheidenden Momente“ sind vor allem die Umschuldungsverhandlungen von 1985, die gleich im Abschnitt B. III. 4. b) dieses Kapitels dargestellt werden. 92 „[T]he country’s economic development made the original ideology of Apartheid impossible. … [T]he high economic growth of the 1960s and 1970s created high demand for workers that could only be satisfied by the influx of black employees to the big cities“. Hefti/ Staehelin-Witt, Economic Sanctions against South Africa and the Importance of Switzerland, S. 5. 93 So z. B. der niederländische Shell-Konzern, siehe Meyer-Larsen, Die Ein-Zehntel Gesellschaft. 94 Das Ergebnis dieser Debatte war ein Sanktionsgesetz mit zahlreichen Ausnahmen, siehe den Comprehensive Anti-Apartheid Act in den Fußnoten zum unmittelbar obigen Abschnitt B. III. 1. c) dieses Kapitels. 89
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne
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oder freiwilliger Basis umzusetzen95. Während die Niederlande zwingende Sanktionen verabschiedeten, ließen Deutschland und Großbritannien eine Reagan-ähnliche Politik des „stay and behave“ gelten96. Welche Politik effektiver gewesen wäre, ist bis heute umstritten. Die Forderung nach Sanktionen geht davon aus, dass Wirtschaftsakteure das Apartheid-System entweder nicht ändern konnten oder nicht ändern wollten. Trotzdem haben Sanktionen die Existenz des Apartheid-Regimes verteuert, aber keineswegs in Not gebracht97. Aus Sicht der Apartheid-Opfer hatten jedoch große ausländische Konzerne jahrzehntelang profitiert, während sie selbst leiden mussten. Viele betrachteten eine Untersuchung der Rolle ausländischer Konzerne im Apartheid-System als konsequente Weiterführung der Arbeit der TRC98. Andere hatten sich entschlossen, dass die während des Apartheid-Regimes erzielten Gewinne dieser Konzerne nun den Opfern zustanden99.
2. Die amerikanischen Apartheid-Klagen Die Versöhnungspolitik der TRC und insbesondere die an Weiße gewährte Amnestie waren in der schwarzen südafrikanischen Bevölkerung sehr unbeliebt. Nachdem die TRC in 2002 ihre aktive Ermittlungsarbeit einstellte, blieben große 95 Siehe Hefti/Staehelin-Witt, Economic Sanctions against South Africa and the Importance of Switzerland, a.a.O, S. 4. 96 Vgl. Meyer-Larsen, Die Ein-Zehntel Gesellschaft: „Die deutschen Industrieunternehmen … blieben im [Apartheid-]System, solange es ging. … Erst als die USA seit 1986 ihre Industrie zum Rückzug aus Südafrika zwangen, geriet [die deutsche Industrie] unter Entscheidungsdruck. [Die deutsch-südafrikanische Handelskammer mit] Siemens an der Spitze entschied es sich fürs ,stay-and-behave‘. ,Wenn wir gehen‘, hieß es …, ,würde das den Schwarzen noch mehr schaden‘“. Deutschland scheint eine parallele Strategie von politischer Isolierung neben wirtschaftlicher Zusammenarbeit zur Abschaffung der Apartheid angestrebt zu haben, siehe Hauke Goos, Im Schatten des Buffels, Der Spiegel, 7. Juni 2010, aufrufbar unter http://www. spiegel.de/spiegel/print/d-70833814.html. 97 „Economic sanctions did not trigger the political transformation [of South Africa]. The costs brought about by the sanctions were too meager for that“. Hefti/Staehelin-Witt, Economic Sanctions against South Africa and the Importance of Switzerland, S. 4. 98 „[V]erschiedene Mitglieder der TRC [erklärten sich] mit den Klägern [in In re Apartheid] solidarisch. Sie sahen die Klage in den USA als eine Fortführung des südafrikanischen Aufarbeitungsprozesses. … Die eingereichten Klagen stellten ihrer Ansicht nach einen weiteren Schritt in Richtung Versöhnung dar“. Saage-Maaß, Geschäft ist Geschäft?: Zur Haftung von Unternehmen wegen der Förderung staatlicher Menschenrechtsverletzungen, KritJ 1/2010, 54. 99 So die Meinung des Friedensnobelpreisträgers und Vorsitzenden der TRC Erzbischof Desmond Tutu: „Sie sagten: Geschäft ist Geschäft. Redet mit uns nicht über Moral. Sie hätten wohl auch Geschäfte mit dem Teufel gemacht. Alle Unternehmen, die mit dem Apartheidregime Geschäfte gemacht haben, müssen wissen, dass sie in der Schusslinie stehen. Sie müssen zahlen, sie können das leisten. Und sie sollten es mit Würde tun“. Birgit Morgenrath, Apartheid unter gutem Stern – Deutsche Konzerne wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt, LabourNet.de Germany, 18 Dezember 2012, aufrufbar unter http://labournet.de/branchen/auto/dc/ sa/morgenrath.html.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
Teile der Bevölkerungen – sowie Mitglieder der TRC selbst – mit ihrer Aufklärungsarbeit und insbesondere mit den von ihr angeordneten und als nicht annähernd ausreichend empfundenen Reparationsmaßnahmen unzufrieden100. Amerikanische Anwälte, die die Holocaust-Klagen betreut hatten, berieten südafrikanische Opfergruppen über die Möglichkeit einer ATS-Klage gegen führende Konzerne, die als Ergänzung der Arbeit der TRC dienen könnte. Das Konzept einer Apartheid-Klage traf sich zeitlich mit günstigen Entwicklungen der ATS-Rechtsprechung. Bis 2002 diente die Strategie der Zwangsarbeiterklagen101 als Muster für ATS-litigation gegen Konzerne, aber diese Strategie versprach im Kontext der Apartheid keinen Erfolg: Die deutschen Konzerne hatten Zwangsarbeiter in den eigenen Fabriken beschäftigt und damit direkt an Menschenrechtsverletzungen teilgenommen, während die in Südafrika tätigen Konzerne das Regime lediglich Waren auf Bestellung beliefert hatten, die das Regime später und aus eigenen Stücken menschenrechtswidrig einsetzte. 2002 erschien jedoch das Konzept einer ATS-Haftung wegen „aiding and abetting“102. Demnach musste ein Konzern nur eine Handlung mit dem Wissen begehen, dass sie die Verübung einer Menschenrechtsverletzung erleichtert, um nach dem ATS für die Menschenrechtsverletzung zu haften. Nach dieser Formulierung der Voraussetzungen für Beihilfehaftung, die 2002 in Doe v. Unocal Corp. erschien103, war das Haftbarmachen der Zulieferer des Apartheid-Regimes für dessen Verbrechen erstmals möglich. Gegen Ende 2002 erhoben südafrikanische Opfergruppen drei ATS-Sammelklagen vor dem Southern District of New York. Kurz nach ihrer Einleitung wurden die Klagen unter dem Namen In re South African Apartheid Litigation (hiernach „In re Apartheid“) vor dem Southern District of New York verbunden104. Die Kläger gaben ihre Absicht an, die Zulassung einer class action beantragen zu wollen, um die Ansprüche von allen schwarzen Südafrikanern, die unter dem Apartheid-Regime eine Menschenrechtsverletzung erlitten hatten, mitvertreten zu können105. Der Antrag der Klageschriften auf Schadensersatz blieb anfänglich unbestimmt, wurde aber schnell auf circa $ 400 Milliarden beziffert. 100 Die TRC hat bis Ende ihrer Arbeit Reparationen in Höhe von maximal $ 3.500 etwa 19.000 Familien zugesprochen, dessen Mitglieder während des Apartheid-Regimes gefoltert oder außergerichtlich getötet wurden. 101 Siehe hierzu ab Abschnitt B. I. dieses Kapitels, oben. Die Strategie dieser Klagen bestand darin, einem Konzern eine „joint action“ mit Hoheitsträgern nachzuweisen, um unter Berufung auf die Auslegung von Kadic v. Karadzic seine Haftung nach dem ATS zu begründen. 102 Siehe hierzu Kapitel 2, Abschnitte A. II. 2. und B. II. 3. b). 103 Siehe Kapitel 2, Abschnitt A. II. 2. e) dd). 104 Siehe In re South African Apartheid Litig., No. 1:01-CV-04712, Complaint (S.D.N.Y. June 19, 2002). 105 Siehe In re South African Apartheid Litig., No. 1:01-CV-04712, Complaint (S.D.N.Y. June 19, 2002). (Ersuchung einer Vertretungsbefugnis für „All Other Victims of Apartheid Human Rights Violations and Crimes Against Humanity and Other Persons Similarly Situated“).
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne
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Die Klage richtete sich gegen etwa 50 weltweit führende Konzerne aus den USA, Großbritannien, Japan und Deutschland106. Ihnen wurde die Beihilfe zu den Menschenrechtsverletzungen des Apartheid-Regimes zur Last gelegt. Dies waren: (a) die Errichtung eines rassistischen Apartheid-Systems; (b) die „willkürliche Entbürgerung“ der schwarzen Bevölkerung, die durch die Verwandlung der Reservate in unabhängige Staaten erfolgte; (c) willkürliche und dauerhafte Inhaftierungen von Schwarzen; (d) Folter sowie grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung; (e) außergerichtliche Hinrichtungen durch Armee- und Polizeigewalt sowie das zwangsweise Verschwindenlassen leitender Aktivisten; und (f) Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zuge der „Totalen Strategie“ der 1980er Jahre107. Die beklagten Konzerne sollen auf unterschiedliche Weise Beihilfe zu den genannten Menschenrechtsverletzungen geleistet haben. Die „banking defendants“108 sollen Kredite an das Apartheid-Regime gewährt haben und damit dessen Verübung von Menschenrechtsverletzungen gegen die schwarze Bevölkerung verlängert haben. „Automotive defendants“109 sollen kriegstaugliche Fahrzeuge geliefert haben, die zur Besetzung von schwarzen Wohngebieten sowie bei der Niederschlagung von schwarzen Aufständen zum Einsatz gekommen sind. „Technology defendants“110 haben angeblich die Systeme entwickelt, die zur Überwachung der schwarzen Bevölkerung benutzt und damit die Durchsetzung der Reservaten- und Passgesetze technisch möglich machten. Ölkonzerne111 sollen das Regime trotz Sanktionen mit Treibstoffen für Polizei und Militär versorgt haben, was die Verlängerung des Apartheid-Systems sowie das gewaltsame polizeiliche Vorgehen gegen Schwarze ermöglichte. Schließlich sollen Rüstungskonzerne112 die südafrikanische Armee mit 106
Bis 2005 haben die Kläger die Zahl der Beklagten aus taktischen Gründen auf die folgenden 23 Unternehmen reduziert: Barclay National Bank Ltd., British Petroleum, PLC, Chevrontexaco Corporation, Chevrontexaco Global Energy, Inc., Citigroup, Inc., Commerzbank, Credit Suisse Group, Daimlerchrysler AG, Deutsche Bank AG, Dresdner Bank AG, Exxonmobil Corporation, Ford Motor Company, Fujitsu, Ltd., General Motors Corporations, International Business Machines Corp., J.P. Morgan Chase, Shell Oil Company, UBS AG, AEG Daimler-Benz Industrie, Fluor Corporation, Rheinmetall Group AG, Rio Tinto Group and Total-Fina-Elf. Siehe It’s not just Barclay’s, khulumani.net, June 12, 2005, aufrufbar unter http://www.khulumani.net/khulumani/statements/item/156-its-not-just-barclays.html. 107 Siehe In re South African Apartheid Litig., No. 1:01-CV-04712, Complaint (S.D.N.Y. June 19, 2002). 108 Diese waren: Barclay National Bank, Citigroup, Commerzbank, Credit Suisse, Deutsche Bank, Dresdner Bank, J.P. Morgan Chase und UBS. Siehe „List of Defendants“, khulumani.net, Oct. 13, 2007, aufrufbar unter http://www.khulumani.net/khulumani/statements/item/13-khulu mani-wins-lawsuit-appeal.html. 109 DaimlerChrysler AG, Ford Motor Co. und General Motors Corp., siehe die eben zitierte „List of Defendants“. 110 Fujitsu und IBM, siehe die eben zitierte „List of Defendants“. 111 British Petroleum, ChevronTexaco, ChevronTexaco Global Energy, ExxonMobil, Fluor Corp., Shell Oil Co., Rio Tinto Group und Total-Fina-Elf SA, siehe die eben zitierte „List of Defendants“. 112 Die Rheinmetall-Gruppe, siehe die eben zitierte „List of Defendants“.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
Feuerwaffen und Hubschraubern ausgerüstet haben, die zur Erschießung bzw. zur Überwachung von Schwarzen eingesetzt wurden. 3. Erste Reaktionen auf die Apartheid-Klagen Politik und Wirtschaft reagierten mit heftiger Ablehnung auf die ApartheidKlagen. Die Regierung der USA sah die Klagen als Angriff auf ihre Außenpolitik an: In den späten 1980ern hätten die USA nur begrenzte Sanktionen gegen Südafrika verabschiedet, damit Konzerne mit Schlüsselrollen in Südafrika bleiben und sich vor Ort für das Ende von Apartheid engagieren konnten113. Die Regierung von Südafrika sah die Apartheid-Klagen als Verletzung ihrer Souveränität an: Es sei inakzeptabel, dass ein ausländisches Gericht über rein inländische Sachverhalte entscheide und die von Volksvertretern beschlossene Versöhnungs- und Reparationspolitik untergrabe114. Des Weiteren gefährde die Apartheid-Klage den wirtschaftlichen Aufbau Südafrikas, indem sie dringend benötigte Auslandsinvestitionen abschrecke115. Für die Wirtschaft sprengten die Apartheid-Klagen jede Form von Rechtssicherheit. Südafrika mag kein idealer Abnehmer gewesen sein, aber die Geschäfte und Investitionen der beklagten Konzerne in Südafrika waren zu jeder relevanten Zeit nach den jeweils gültigen Gesetzen rechtmäßig gewesen. Wenn ein amerikanisches Gericht das nirgends kodifizierte Völkergewohnheitsrecht heranziehen konnte, um legale Handlungen Jahrzehnte nach ihrer Abwicklung zu Haftungsfällen zu machen, war keine Auslandsinvestition mehr vor amerikanischen ATS-Prozessen sicher116. 4. Deutsche Konzerne in den Apartheid-Klagen Fünf namhafte deutsche Konzerne gehörten zu den Beklagten der ApartheidKlagen: Daimler, Deutsche Bank, Commerzbank, Dresdner Bank und Rheinmetall. Die Vorwürfe gegen die Konzerne werden im Folgenden einzeln dargestellt.
113
Siehe In re South African Apartheid Litig., 346 F. Supp. 2d 538, 553 (S.D.N.Y 2004). Siehe Declaration of Penuell Mpapa Maduna, South African Minister of Justice and Constitutional Development, 11 Juli 2003, In re South African Apartheid Litig., 346 F. Supp. 2d 538 (S.D.N.Y 2004). 115 Siehe Declaration of Penuell Maduna, S. 2 ff. 116 Diese Botschaft war von den Klägern durchaus erwünscht: „The message of the [Apartheid suits] was clear: Not everything that is legal in the world is also legitimate“. Daimler AG’s Shady Ties With Apartheid Regime In South Africa, khulumani.net, June 11, 2010, aufrufbar unter http://www.khulumani.net/khulumani/in-the-news/item/385-daimler-ags-shadyties-with-apartheid-regime-in-south-africa.html. 114
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne
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a) Die Vorwürfe gegen Daimler Die Stuttgarter Daimler AG soll auf zweifache Weise Beihilfe zum Fortbestehen des Apartheid-Systems sowie zu außergerichtlichen Hinrichtungen schwarzer Südafrikaner geleistet haben117. Erstens soll Daimler trotz Waffenembargos die südafrikanische Armee mit Dieselmotoren für ihre Militärfahrzeuge versorgt haben. 1977 verhängten die Vereinigten Nationen ein Waffenembargo gegen Südafrika, was den Import von Militärfahrzeugen und ihr Zubehör unmöglich machte. Als Reaktion darauf gründete die südafrikanische Regierung einen staatseigenen Motorenhersteller, Atlantis Diesel Engines („ADE“), um im Inland Dieselmotoren für die Fahrzeuge seiner Armee herzustellen. Daimler erwarb eine zwölfprozentige Beteiligung an ADE und lizenzierte seine Dieselmotorenpatente an die südafrikanische Gesellschaft. Laut den Klägern hat Daimler nicht nur die Baupläne und das prozesstechnische Know-How für ADE-Motoren geliefert, sondern soll auch Leiter für die Produktionsaufsicht in ADE-Fabriken und Techniker für ADE-Wartungsstätten gestellt haben. Insofern seien es in Wirklichkeit Mercedes-Dieselmotoren gewesen, die alle Fahrzeuge der südafrikanischen Armee angetrieben hätten. Nach Ansicht der Kläger hätte Daimler wissen müssen, dass der Endzweck der von ihm gebauten Motoren die bewaffnete Unterdrückung von Schwarzen sowie die Verteidigung des Apartheid-Systems war. Zweitens soll Daimler während der 1980er Jahre besondere Einsatzfahrzeuge geliefert haben, die im Rahmen der „Totalen Strategie“ zur gewaltsamen Niederschlagung der schwarzen Freiheitsbewegung bestimmt waren. Während der 1980er soll Daimler zwischen 2.500 und 6.000 Fahrzeuge des Modells „Unimog“ an die südafrikanische Regierung verkauft haben. Neben diesen Unimogs habe Daimler weitere Zusatzteile wie z. B. Panzerplatten, schusssichere Reifen sowie Stützverrichtungen für Schussanlagen an die südafrikanische Armee geliefert. Die Sicher117 Die Vorwürfe gegen Daimler werden der Klageschrift der Apartheid-Klagen entnommen, siehe In re South African Apartheid Litig., No. 1:01-CV-04712, Complaint (S.D.N.Y. June 19, 2002). Eine regelrechte Literatur zu Daimlers Tätigkeiten im Apartheid-Südafrika ist auch mittlerweile entstanden, die fast ausnahmslos aus Menschenrechtskreisen stammt und entsprechend kritisch ist, siehe z. B. Hauke Goos, Im Schatten des Buffels; Morgenrath/Wellmer, Deutsches Kapital am Kap, ; Klaus Heidel, Kein guter Stern für die Schwarzen: die Geschäfte von Daimler-Benz im Land der Apartheid (1987). Neben dieser Literatur nahm die NGO-Welt die Fußballweltmeisterschaft von 2010 in Südafrika als Gelegenheit wahr, eine Medienkampagne gegen Daimler zu verfolgen, um aus Daimlers Status als Hauptsponsor der deutschen Nationalmannschaft verstärkte Aufmerksamkeit zu gewinnen. Unter dem Namen „The Star of Apartheid“ (eine Persiflage auf Daimlers Selbstbezeichnung als „Fourth Star“ der Nationalmannschaft) wurden parallel in Südafrika und Deutschland Demonstrationen und Aufklärungsaktionen gegen Daimler geführt. Im Rahmen dieser ist noch mehr aktivistisches Material zu Daimlers Südafrika-Tätigkeiten entstanden, siehe z. B. „Fragen und Antworten zur Klage der Apartheid-Opfer“ aus dem Flugblatt „The Star of Apartheid“, aufrufbar unter http://www.medico.de/datei/fragen-und-antworten-zur-klageder-apartheid-opfer.pdf.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
heitsbehörden bauten die Zusatzteile an die Unimogs an, um gepanzerte Mannschaftstransportwagen („Büffel“) und Raketenwerfer („Valkiris“) herzustellen. Diese nunmehr kriegstauglichen Kampfgefährten kamen zum Teil im Krieg Südafrikas gegen Angola zum Einsatz; im Inland wurden sie zur militärischen Besetzung von schwarzen Wohngebieten sowie zur Niederschlagung von Protesten benutzt. Daimler-Werkstätten in Johannesburg sollen Motoren und Achsen fertiggebauter MTWs und Raketenwerfer repariert und einsatzfähig an die südafrikanische Armee zurückgegeben haben. Laut den Klägern hätte Daimler wissen müssen, dass seine besonders ausgerüsteten Unimogs für den Einsatz in der „Totale Strategie“ gegen die schwarze Freiheitsbewegung bestimmt waren. Daimler stritt jede Kenntnis über die Verwendung seiner Motoren und Fahrzeuge ab. So formulierte Mercedes-Chef Christoph Köpke in 2002: „Wir haben Unimogs an alle Welt geliefert. Wir hatten keinen Sondervorteil daraus, dass wir Unimogs nach Südafrika lieferten. Auch [unsere Beteiligung an] ADE war ja ein öffentliches Ausschreiben. Es ist ja nicht so, als wenn Daimler da im Alleingang gegangen ist“118. b) Die Vorwürfe gegen die deutschen Banken In re Apartheid richtete sich gegen drei deutsche Banken: Deutsche Bank, Commerzbank und Dresdner Bank119. Diese sollen Beihilfe zur Aufrechterhaltung des Apartheid-Systems geleistet haben, indem sie „Milliardenkredite an das Apartheid-Regime vergeben [] haben, als es von internationalen Sanktionen und politischer Isolation betroffen war“120. Die Kläger begründeten ihre Beihilfetheorie wie folgt: Anfang der 1980er Jahre hatte das Apartheid-Regime die „Totale Strategie“ beschlossen, womit es einen verdeckten Krieg gegen die schwarze Bevölkerung erklärte. Um diesen Krieg zu führen, musste das Regime seinen Militär- und Überwachungsapparat immer weiter aufblähen121. Die stets steigenden Militärausgaben finanzierte die Regierung mit Krediten. 1985 wurden die Kosten der Kreditbedienung so hoch, dass die Regierung ein Teilmoratorium bei der Rückzahlung von Auslandsschulden erklären musste, und damit war Südafrika von internationalen Kreditmärkten ausgeschlossen. An diesem Punkt haben Deutsche Bank, Commerzbank und Dresdner Bank Umschuldungs118
Morgenrath, Apartheid unter dem guten Stern, der Freitag. Siehe In re South African Apartheid Litig., No. 1:01-CV-04712, Complaint (S.D.N.Y. June 19, 2002). 120 Reuters, Apartheid-Opfer klagen gegen deutsche Banken, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Juli 2002, aufrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/banken-apartheid-op fer-klagen-gegen-deutsche-banken-173072.html. 121 Vgl. Morgenrath, Apartheid unter dem guten Stern, der Freitag („Ein aus Verfolgungswahn gespeistes System mit Tausenden von Zuträgern aus Militär, Geheimdienst, Polizei – auch der Wirtschaft – entstand. Das National Security Management System hatte seine Augen überall und in 400 Joint Management Centers ein Frühwarnsystem gegen die schwarze Opposition installiert“.). 119
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne
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verhandlungen mit der Regierung geführt, deren Ergebnisse neue Liquidität für die Regierung, die Aufhebung des Rückzahlungsmoratoriums sowie der erneute Zugang zu den Kapitalmärkten waren122. Diese Rettungsaktion scheint die deutschen Banken zu den Hauptgläubigern des Apartheid-Regimes gemacht zu haben. 1993 betrug die Gesamtschuld Südafrikas gegenüber den deutschen Banken DM 7,4 Milliarden123. Eine 1999 veröffentlichte Studie belegte, dass deutsche Banken einen Anspruch auf 27,3 Prozent aller Auslandschulden des öffentlichen Sektors des Apartheidsystems innehätten und damit der weltweit wichtigste Direkt-Finanzier der Apartheid gewesen seien124. Die Apartheid-Kläger behaupteten, dass die deutschen Banken hätten wissen müssen, dass die Fortführung der Menschenrechtsverletzungen des Apartheid-Regimes ohne ihre Kredite unmöglich oder nur im stark eingeschränkten Umfang möglich gewesen wären. Deshalb sei die Kreditgewährung als Beihilfe zur Aufrechterhaltung des Apartheid-Systems zu qualifizieren125. Eine Entschädigung haben die Opfer zunächst über einen Schuldenerlass angestrebt. Sie führten Verhandlungen mit der Deutschen Bank, Commerzbank und Dresdner Bank, worin sie die Staatsschulden als sittenwidrig bezeichneten und den Standpunkt vertraten, dass „die Schulden des Apartheidstaates … gegen die südafrikanische Bevölkerung für Apartheid benutzt wurden“ und darum von den Opfern nicht zurückzuzahlen sind126. Die Banken haben die Sittenwidrigkeitsvorwürfe zurückgewiesen127. Die Commerzbank betonte, sie habe sich lediglich in der Export- und Importfinanzierung engagiert. Die Deutsche Bank beharrte darauf, dass sie sich an deutsches Recht und Gesetz gehalten habe. Die Dresdner Bank stellte eine interne Überprüfung der Geschäftspolitik in Aussicht, gab aber keine weiteren Aussagen ab. Nach erfolglosen Verhandlungen zum Schuldenerlass wurden die Banken zu weiteren Beklagten. c) Die Rheinmetall-Gruppe Der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall-Gruppe soll Beihilfe zur Erhaltung des Apartheid-Systems sowie zu außergerichtlichen Hinrichtungen von
122
Siehe ebd. Siehe ebd. 124 Madörin/Wellmer/Egli, Apartheidschulden – der Anteil Deutschlands und der Schweiz (Stuttgart 1999). 125 Siehe In re South African Apartheid Litig., No. 1:01-CV-04712, Complaint (S.D.N.Y. June 19, 2002). 126 Birgit Morgenrath, Apartheid unter gutem Stern – Deutsche Konzerne wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt, LabourNet.de. 127 Die folgenden Stellungnahmen der Banken sind enthalten in: Morgenrath, Apartheid unter dem guten Stern, Der Freitag. 123
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
Schwarzen geleistet haben128. Laut den Klägern habe Rheinmetall entgegen dem UNO-Waffenembargo die südafrikanische Armee mit Munition versorgt und ausgebildet. Nach Darstellung der Kläger hat Rheinmetall so gehandelt: 1977 haben die Vereinten Nationen ein Waffenembargo gegen Südafrika verhängt. Im Jahre 1978 soll Rheinmetall über eine paraguayische Briefkastenfirma anhand gefälschter Exporterklärungen eine komplette Munitionsfabrik nach Südafrika exportiert haben129. Etwa ein Jahr lang wurde die Fabrik gebaut und im Jahr 1979 begann sie, 155 mmLangbahngeschosse mit Sprengsätzen herzustellen, die für die Langrohrkanonen von panzerähnlichen Fahrzeugen bestimmt waren. Diese explosiven Geschosse wurden im Geheimkrieg der „Totalen Strategie“ eingesetzt und auf wehrlose schwarze Demonstranten abgefeuert. Des Weiteren soll Rheinmetall südafrikanische Sicherheitskräfte für den Gebrauch neuer automatisierter Artilleriesysteme ausgebildet haben. Wegen des unerlaubten Munitionsfabrikgeschäfts wurden 1986 vier RheinmetallManager nach einem strafrechtlichen Prozess in Deutschland verurteilt130. 5. Verlauf der Ansprüche gegen deutsche Konzerne Die Gerichtsentscheidungen in den Apartheid-Klagen sind bereits an anderer Stelle ausführlich geschildert worden131 und werden deshalb hier nur kurz skizziert. In 2004 wies das Southern District of New York die Apartheid-Klagen vollumfänglich ab, weil es die Existenz einer Beihilfenorm im Völkergewohnheitsrecht verneinte, die als Basis für die Haftung der Beklagten dienen konnte132. Diese Entscheidung wurde 2007 vom Second Circuit aufgehoben133. Der Second Circuit befand, dass Haftung wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen in ATS-Klagen gegeben war, und wies die Apartheid-Klagen zur Wiederaufnahme des Verfahrens ans District Court zurück. 2009 hat das Southern District of New York in einer Neuverhandlung die Ansprüche gegen Daimler und Rheinmetall zugelassen, weil es befand, dass ihre Lieferung von Fahrzeugen bzw. Munitionen an das Apartheid-Regime einen klaren ursächlichen Zusammenhang zu dessen außerge128 Siehe In re South African Apartheid Litig., No. 1:01-CV-04712, Complaint (S.D.N.Y. June 19, 2002). 129 Für eine detaillierte Darstellung dieses Vorfalls aus Sicht einer Klägergruppe, siehe „The Corporations On Trial – IBM, Ford, GM, Daimler and Rheinmettal [sic]“ auf der Webseite der Khulumani Support Group (eine der drei klageführenden Interessengruppen), aufrufbar unter http://redcardcampaign.wordpress.com/2010/06/21/the-corporations-on-trial-ibm-ford-gmdaimler-and-rheinmettal/. 130 Siehe Birgit Morgenrath, Apartheid unter gutem Stern – Deutsche Konzerne wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt, LabourNet.de Germany. 131 Siehe Kapitel 2, Abschnitt A. III. 4. a). 132 In re South African Apartheid Litig., 238 F. Supp. 2d 1379 (S.D.N.Y. 2004). 133 Khulumani v. Barclay Nat. Bank Ltd., 504 F. 3d 254 (2d Cir. 2007).
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne
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richtlichen Hinrichtungen aufwiesen und deswegen als Beihilfe zu qualifizieren waren134. Allerdings wies es gleichzeitig die Ansprüche gegen die deutschen Banken ab, weil das Gericht keinen offensichtlichen Zusammenhang zwischen Kreditgewährung und den Verbrechen des Apartheid-Regimes sah135. Die Klage schritt nunmehr gegen Daimler und Rheinmetall bis zur Kiobel-Entscheidung des Supreme Court von 2013136 fort. Nach Kiobel hat der Second Circuit die Ansprüche der Apartheid-Klagen als extraterritorial bezeichnet und die Klage an den District Court mit der Anweisung zurückgewiesen, sämtliche Ansprüche abzuweisen137. Der Southern District of New York hat daraufhin die Ansprüche gegen Daimler und Rheinmetall wegen Extraterritorialität als unzulässig abgewiesen138. Damit hatten sämtliche Ansprüche der Apartheid-Opfer gegen deutsche Konzerne ihr Ende erreicht. 6. Die Stellungnahme der Bundesregierung zu den Apartheid-Klagen Die Apartheid-Klagen waren die ersten ATS-Verfahren, in denen die Bundesregierung eine rechtliche Stellungnahme bei einem amerikanischen Gericht eingereicht hat. Nachdem das Southern District of New York 2009 die Ansprüche gegen Daimler und Rheinmetall für zulässig erklärt hatte, legten diese Konzerne Rechtsmittel beim Second Circuit ein. Der Second Circuit bat während seiner Vorbereitung auf das Berufungsverfahren die von den Klagen betroffenen Regierungen – Deutschland, Südafrika und USA – um Stellungnahmen. Südafrika und die USA hatten vor kurzem ihren Widerstand gegen die Apartheid-Klagen aufgegeben und bekundeten ihre Unterstützung für die Fortführung der Klagen. Die deutsche Bundesregierung hingegen sah die Klagen als illegitim an. Aus Sicht der Bundesregierung mochten die Apartheid-Klagen zwar im Namen des Völkerrechts erhoben worden sein, aber die Vorgehensweise der US-Gerichte missachtete grundliegende Völkerrechtsgrundsätze. In zwei Stellungnahmen139 brachte die Bundesregierung fünf aus dem Völkerrecht abgeleitete Argumente vor, die die Abweisung der Ansprüche gegen Daimler und Rheinmetall erforderten. Im Folgenden werden diese Argumente einzeln dargestellt und ausgewertet. 134 135 136 137 138
2013). 139
In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d 228, 266 ff. (S.D.N.Y. 2009). Siehe In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d at 269. Siehe hierzu Kapitel 2, Abschnitt B. VI. 5. Balintulo v. Daimler AG, 727 F.3d 174 (2d Cir. 2013). In re South African Apartheid Litig., No. 1:02-md-01499-SAS (S.D.N.Y. Dec. 12,
Siehe Statement of the German Government of December 18, 2009, Balintulo et al. v. Daimler AG et al., No. 09-2778-cv (S.D.N.Y.); Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 17/992, 12. Dez. 2010.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
a) Kapitalgesellschaften sind keine Völkerrechtssubjekte Zunächst argumentierte die Bundesregierung, dass Kapitalgesellschaften nicht für Völkerrechtsverletzungen haften könnten, weil keine völkergewohnheitsrechtliche Norm die Völkerrechtssubjektivität von Gesellschaften vorsah. Insofern hätten die Ansprüche gegen Daimler und Rheinmetall keine rechtliche Grundlage. Aus Sicht der Bundesregierung wären die Apartheid-Ansprüche nur dann zulässig gewesen, wenn die Kläger „[a] rule of customary international law which [imposes] obligations on multinational corporations resulting in civil liability“ aufzeigen könnten, die durch „a ,general practice accepted as law‘“ nachweisbar sei140. Hinsichtlich der Haftung von Kapitalgesellschaften für Völkerrechtsverletzungen sei keine derartige Staatspraxis zu erkennen: Die USA schienen das einzige Land der Welt zu sein, die die Haftbarkeit juristischer Personen für Völkerrechtsverstöße bejaht141. In europäischen Ländern hingegen werde die Völkerrechtssubjektivität von Kapitalgesellschaften weiterhin verneint142. Mit dieser Stellungnahme brachte die Bundesregierung zwei Argumente zum Tragen. Zuerst argumentierte sie, dass die Frage des für Völkerrechtsverletzungen haftenden Personenkreises eine Frage des Völkerrechts und nicht des nationalen Rechts war143. Zweitens implizierte die Bundesregierung, dass die bisherige ATSRechtsprechung die anwendbaren völkerrechtlichen Methoden missachtet hatte, wenn es darum ging, die Existenz völkerrechtlicher Normen zu ermitteln. Bisher hatten US-Gerichte lediglich gefragt, ob eine in einer ATS-Klage geltend gemachte Völkerrechtsnorm „universal, obligatory and specific“ war und die Erfüllung dieses Standards nicht durch Berücksichtigung der tatsächlichen Staatspraxis, sondern durch Heranziehung einer Fülle internationaler Erklärungen, Abkommen und Urteile internationaler Straftribunale beurteilt144. Entgegen dem Standard der ATS-Rechtsprechung stellte die Bundesregierung das Erfordernis der allgemeinen und anhaltenden Staatspraxis aus Art. 38 (1) (b) des Statuts des Internationalen Gerichtshofs auf145. Die Erfüllung dieses Erfordernisses verlangte eine Bestandsaufnahme der 140 Statement of the German Government of December 18, 2009, Balintulo et al. v. Daimler AG et al., No. 09-2778-cv (S.D.N.Y.), S. 2, aufrufbar unter http://www.kosa.org/documents/ 09-12-18_position_dt_botschaft.pdf. Die Bundesregierung gab ferner an, dass „[s]tate practice required to establish a rule of customary law needs to be ,both extensive and virtually uniform‘ with regards to all ,states whose interests are specially affected‘“ (Zitat von North Sea Continental Shelf Judgment, ICJ Judgment, ICJ Reports 1969, p. 3, para. 74). 141 Statement of the German Government, S. 3. 142 Statement of the German Government, S. 3. 143 In der ATS-Rechtsprechung war diese Frage bis 2009 in unterschiedlichen District Court-Entscheidungen diskutiert und unter Berücksichtigung von völkerrechtlichen Quellen sowie anderen amerikanischen ATS-Entscheidungen beurteilt worden, siehe Kapitel 2, Abschnitte B. II. 3. a) und B. V. 7. a). 144 Siehe hierzu detaillierter Kapitel 1, Abschnitt C. I. 2. 145 Siehe Art. 38 (1) (b) Statut des Internationalen Gerichtshofs: „[D]as internationale Gewohnheitsrecht [sei] Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung“.
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne
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tatsächlichen Praxis anderer Staaten: Nur wenn andere westlichen Länder Kapitalgesellschaften wegen Menschenrechtsverletzungen verklagen ließen, wäre deren Haftbarkeit für Völkerrechtsverletzungen aufgrund einer aus der erforderlichen Staatspraxis herrührenden Völkergewohnheitsrechtsnorm begründet. Aus Sicht der Bundesregierung existierte keine staatliche Praxis des Haftbarmachens von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen. Stattdessen seien die USA das einzige Land, die eine derartige ,Völkerrechtsnorm‘ durch ATSUrteile anerkannt hätten146. So gesehen war dieses Argument ein Angriff auf die völkerrechtliche Legitimität der ATS-Rechtsprechung. Aus Sicht der Bundesregierung waren Menschenrechtsklagen gegen Konzerne in den USA völkerrechtlich nicht zulässig, bis andere westlichen Staaten die Haftung von Kapitalgesellschaften für Völkerrechtsverletzungen bejaht hatten. b) Völkerrechtliche Straftatbestände sind nicht auf Kapitalgesellschaften anwendbar Die Bundesregierung argumentierte ferner, dass die völkerrechtlichen Straftatbestände, die in der bisherigen Rechtsprechung die Haftungsbasis von ATS-Klagen gebildet hatten, keine Anwendung auf Daimler und Rheinmetall finden konnten. Wie bei der Frage des zulässigen Umfangs der Haftung für Völkerrechtsverletzungen sei die Anwendbarkeit von völkerrechtlichen Straftatbestände auf das Verhalten von Kapitalgesellschaften eine Frage des Völkerrechts und nicht des jeweiligen nationalen Rechts147. Der Verweis auf das Völkerrecht bedeute, dass das Erfordernis staatlicher Praxis auch in diesem Kontext zu beachten sei, d. h. dass Straftatbestände wie außergerichtliche Hinrichtungen nur dann auf Kapitalgesellschaften angewandt werden könnten, wenn eine entsprechende Anwendung in uniformer und anhaltender Staatspraxis nachweisbar sei148. Weil jedoch viele Staaten, inklusive Deutschland, die Straf- oder Schuldfähigkeit von Kapitalgesellschaften verneinen, könne keine Völkergewohnheitsrechtsnorm existieren, die die Erstreckung völkerrechtlicher Straftatbestände auf Kapitalgesellschaften erlaube149. Dieses Argument scheint eine weitere Kritik der Bundesregierung daran gewesen zu sein, dass in der bisherigen ATS-Rechtsprechung zwar im Namen des Völkerrechts, aber nicht mit völkerrechtlichen Methoden vorgegangen worden sei. Amerikanische Entscheidungen hatten in ATS-Klagen die deliktische Haftung von Kapitalgesellschaften für die Begehung von Völkerrechtsstraftatbeständen wie 146
Statement of the German Government, S. 3. Statement of the German Government, S. 3. 148 Statement of the German Government, S. 3. 149 Statement of the German Government, S. 3: „We do not see a general and settled state practice with regard to corporate criminal liability. As we understand, the issue of corporate criminal liability is approached differently in the domestic legal systems of various states“. 147
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
Zwangsarbeit, Folter und außergerichtlicher Hinrichtung bejaht. Die Begründungen dieser Entscheidungen zeigten eine durchaus common law-typische Denkweise auf: indem sie Straftatbestände in zivilrechtliche Deliktstatbestände verwandelten, weil die Grenze zwischen Straftat und unerlaubter Handlung oft fließend sei und weil andere Rechtsordnungen Adhäsionsverfahren erlaubten150. Gegen diese Vorgehensweise machte die Bundesregierung geltend, dass das Völkerrecht seine Normen enger zeichne und an erster Stelle eine Prüfung der Anwendbarkeit der jeweiligen Norm auf den Beklagten verlange. Hierbei versuchte die Bundesregierung, wie bei der Frage der Haftung, den Fokus der US-Gerichte von common law-Präzedenzfällen auf die tatsächliche Staatspraxis außerhalb der USA zu lenken. Nur wenn andere Staaten die Anwendbarkeit von Strafnormen auf Kapitalgesellschaften regelmäßig zulassen, könne die Existenz einer Völkerrechtsnorm bejaht werden, die die Erstreckung von Straftatbestände auf Unternehmen in ATS-Klagen erlaube. c) ATS-Klagen wie In re Apartheid gefährden den internationalen Handel Neben rechtsdogmatischen Argumenten behauptete die Bundesregierung, dass ein Nebeneffekt der Klage gegen Daimler und Rheinmetall eine Einschränkung des internationalen Handels sei. Aus diesem Grunde sollten amerikanische Gerichte überlegen, ATS-Klagen wegen Beihilfe als in erster Linie außenpolitische Angelegenheiten anzusehen und die Klärung der ihnen zugrundeliegenden Sachverhalte den politischen Regierungsgewalten zu überlassen. Dieses Argument stützte die Bundesregierung auf die Sorge, dass ATS-Klagen „auch dazu benutzt werden können, Schadenersatzklagen wegen behaupteter Menschenrechtsverletzungen gegen multinationale Unternehmen missbräuchlich zu erheben und diese dadurch zu schädigen“151. Das Missbrauchspotenzial von ATSKlagen schaffe ein erhebliches Prozessrisiko für Unternehmen, das mit Aufnahme einer Wirtschaftstätigkeit in bestimmten Staaten oder Regionen entstünde. Um dieses Risiko zu vermeiden, könnten Unternehmen entscheiden, Investitionen in
150 So zumindest die berühmte Rechtfertigung in der concurring opinion von Justice Breyer in Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692, 731 – 732 (2004): „[R]ecognition of universal jurisdiction in respect to a limited set of norms is consistent with principles of international comity. That is, allowing every nation’s courts to adjudicate foreign conduct involving foreign parties … will not significantly threaten the practical harmony that comity principles seek to protect. That consensus concerns criminal jurisdiction, but consensus as to universal criminal jurisdiction itself suggests that universal tort jurisdiction would be no more threatening. That is because the criminal courts of many nations combine civil and criminal proceedings, allowing those injured by criminal conduct to be represented, and to recover damages, in the criminal proceeding itself“. (Hervorhebung des Verfassers). 151 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, Drucksache 17/992, 12. Dez. 2010, S. 3.
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risikoreichen Staaten oder Regionen aufzugeben oder von vornherein abzusagen152. Dies verletzte den internationalen Handel, weil das ATS damit als „zusätzliche Handels- und Investitionsbarriere“ fungiere153. Der Schaden dieser Barriere sei nicht unwesentlich, da solche Investitionsentscheidungen „[r]egelmäßig … Staaten treffen, für die internationales wirtschaftliches Engagement erhebliche Bedeutung hat“154. Wohl für die deutsche Öffentlichkeit betonte die Bundesregierung gleichzeitig, dass ihre Sorge um den internationalen Handel nicht bedeute, der internationale Handel habe Vorrang vor „der gerichtlichen Aufklärung etwaiger Menschenrechtsverletzungen sowie der Entschädigung der Opfer“155. Weil die Gerichte des Handlungsortes sowie die Gerichte im Heimatstaat des angeblichen Täters zur Verfügung stünden, um Menschenrechtsverletzungen zu ahnden, sei eine angemessene „Möglichkeit der gerichtlichen oder sonstigen Geltendmachung“ für Opfer bereits gegeben, ohne dass ATS-Klagen in den USA nötig seien156. Es ist unklar, was die Bundesregierung durch diese Argumentation erreichen wollte. Seit Sosa wurden amerikanische Gerichte regelmäßig mit Schreckensmeldungen über die verheerenden Schäden für die Weltwirtschaft konfrontiert, die die Zulassung einer amerikanischen Klagemöglichkeit auslösen sollten, und unter Verweis auf diese gebeten, ATS-Klagen für politische Fragen zu erklären157. Die ATS-Rechtsprechung hat sich von solchen Argumenten unbeeindruckt gezeigt. Die Gerichte gehen davon aus, dass multinationale Konzerne kostspielige und äußerst profitable Investitionen in Schwellenländern nicht plötzlich aufgeben werden, weil das Risiko einer ATS-Klage einen Schatten wirft. Des Weiteren verlangen die USGerichte viel mehr als bloße Kostenprojektionen, um eine Klage als politische Frage einzustufen. Amerikanische Prozesse sind immer teuer. Eine Klage muss vielmehr einer bestimmten außenpolitischen Entscheidung der Exekutive direkt zuwider- oder unterlaufen, um als nicht justiziable politische Frage eingestuft zu werden158.
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Siehe Antwort der Bundesregierung, S. 3 – 4. Antwort der Bundesregierung, S. 4. 154 Antwort der Bundesregierung, S. 4. 155 Antwort der Bundesregierung, S. 4. 156 Antwort der Bundesregierung, S. 4. 157 Siehe z. B. Amicus Brief of United States Chamber of Commerce, Sosa v. AlvarezMachain, 542 U.S. 692 (2004). Diese Argumentation war auch eine Lieblingsbehauptung der Bush-Regierung, die sie bei jeder bedeutenden ATS-Klage durch Einreichung eines Statement of Interest geltend machte, führte aber nie zur gewünschten Verwandlung von ATS-Klagen in politische Fragen. 158 Siehe hierzu In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009). 153
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d) Die Zulassung der Apartheid-Klagen verletzt deutsche Hoheitsinteressen Als Nächstes argumentierte die Bundesregierung, dass die Fortführung der Apartheid-Klagen vor amerikanischen Gerichten wichtige öffentliche Interessen Deutschlands beeinträchtige, weil sie die deutsche Gerichtshoheit verletze. Folglich seien die Apartheid-Klagen abzuweisen, damit sie vor den völkerrechtlich zuständigen Foren Deutschland bzw. Südafrika verhandelt werden können. Das Argument der Bundesregierung ist mehrdeutig und wird deswegen zunächst wortwörtlich wiedergegeben: „[D]ie Gerichte der Republik Südafrika als auch diejenigen der Bundesrepublik Deutschland [sind] für [die Apartheid-Klagen] international zuständig. [D]urch die Fortsetzung des [Apartheid-]Verfahrens und durch eine Entscheidung in den USA [sind] deutsche Interessen … beeinträchtigt[], weil kein Bezug des Streitgegenstandes und der Parteien dieses Verfahrens zu den USA besteht. Die Kläger versuchen, nach dem [ATS] deutsche Unternehmen in den USA auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, obwohl weder die behauptete unerlaubte Handlung noch ihr Erfolg noch die Beteiligten des Verfahrens eine Beziehung zu den USA aufweisen. Eine so weitgehende Inanspruchnahme von internationaler Gerichtszuständigkeit widerspricht einem allgemein anerkannten Grundsatz des Internationalen Zivilverfahrensrechts, wonach dafür enge Kontakte zum Gerichtsstaat vorhanden sein müssen, und verletzt dadurch die deutsche Gerichtshoheit“159.
Aus diesen Sätzen geht klar hervor, dass die Bundesregierung eine Verletzung der deutschen Gerichtshoheit geltend machte. Unklar ist, woher die Bundesregierung eine Beeinträchtigung ihrer Gerichthoheit ableiten wollte. Auf dem ersten Blick scheint die Bundesregierung eine Verletzung ihrer Gerichtshoheit aus dem internationalen Verfahrensrecht ableiten zu wollen. Laut der Bundesregierung sei es ein „allgemein anerkannter Grundsatz des internationalen Zivilverfahrensrechts“, dass ein Verfahren durch seinen Sachverhalt oder die Streitparteien „enge Kontakte“ zum Forumstaat aufweisen müssen, um die internationale Zuständigkeit des Forums zu begründen. In ihrer Argumentation wird ferner behauptet, dass die Annahme der Zuständigkeit trotz der Kontaktlosigkeit eines Verfahrens zum Forumstaat160 eine Verletzung dieses Grundsatzes darstellt, und dass diese Verletzung derart international gravierend ist, dass sie einer Beeinträchtigung der Gerichtshoheit der ansonsten zuständigen Foren gleichzusetzen ist. Ein solches Argument der Bundesregierung kann nicht überzeugen. Die Aufteilung der internationalen Zuständigkeit für Zivilsachen wird als anarchisches
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Antwort der Bundesregierung, S. 2. In den Worten der Bundesregierung eine zu „weitgehende Inanspruchnahme von internationaler Gerichtszuständigkeit“, siehe Anwort der Bundesregierung, S. 2. 160
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System bezeichnet161: Es gibt keine allgemein anerkannten völkerrechtlichen Einschränkungen der zulässigen Zuständigkeitsgründe. Stattdessen erfolgen Zuständigkeitseinschränkungen indirekt über die nationalen Anerkennungs- und Vollstreckungsregeln eines jeweiligen Landes, die den Zuständigkeitsgrund eines ausländischen Urteils als für nicht anerkennungsfähig erklären können162. Auch wenn die Literatur sich bemüht, die Voraussetzung eines „genuine link“ zu etablieren163, bleibt die – vorhin von der Bundesregierung als unerlässlich betonte – Praxis von Staaten fest im anarchischen System: Art. 14 des französischen Code Civile164 sowie amerikanische „tag jurisdiction“165 sind völkerrechtlich zulässig, auch wenn die Urteile, die auf ihrer Grundlage ergangen sind, in anderen Ländern als nicht anerkennungsfähig gelten. Das Beharren der Staaten auf der Zulässigkeit ihrer außerordentlichen Zuständigkeitsgründe geht so weit, dass es die Verhandlungen für ein internationales Abkommen zur Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen bereits torpediert hat166. Ein Abstellen auf internationales Verfahrensrecht überzeugt ferner nicht, weil deutsches Recht eine fast genauso „weitgehende Inanspruchnahme“ internationaler Gerichtszuständigkeit ermöglicht wie das amerikanische Verfahrensrecht. Nach § 23 ZPO kann ein deutsches Gericht die Zuständigkeit über einen Nichtansässigen ausüben, solange er Vermögen in Deutschland besitzt und die Klage einen „hinreichenden Inlandsbezug“ aufweist167. Im Ergebnis ist die Regelung des § 23 ZPO der Zuständigkeit nach dem amerikanischen „minimum contacts“-Test nicht unähnlich. Der „minimum contacts“-Test erfordert, dass der Beklagte hinreichende Kontakte zum US-Forum vorsätzlich unterhalten hat und dass die Klage aus diesen Kontakten entstanden ist. Weil die Forumkontakte des Beklagten die Basis der Klage 161 Siehe Huber, Kulturelle Identität von Rechtssystemen – Das Common Law und die deutsche Praxis, in: Jayme (Hrsg.), Kulturelle Identität und internationales Privatrecht, S. 51, 63 (2003). 162 Vgl. z. B. § 328 ZPO. 163 Vgl. z. B. Joachim Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht: Eine Untersuchung der aus dem Völkerrecht ableitbaren Grenzen staatlicher extraterritorialer Jurisdiktion im Verfahrensrecht (Diss. 1998). 164 „L’étranger, même non résidant en France, … pourra être traduit devant les tribunaux de France, pour les obligations par lui contractées en pays étranger envers des Français“. 165 „Tag jurisdiction“ bezeichnet die Begründung der Zuständigkeit eines amerikanischen Forums für einen Beklagten durch die Zustellung der Klageschrift an ihn, während er im Forumstaat physisch präsent ist. Zur Zulässigkeit von ,tag jurisdiction‘ siehe Burnham v. Superior Court of California, 495 U.S. 604 (1990). 166 Das gescheiterte Abkommen war das Preliminary Draft Convention on Jurisdiction and Foreign Judgments in Civil and Commercial Matters, das am 30. Oktober 1999 von der Sonderkommission der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht adoptiert wurde. Zu den Verhandlungen siehe Wagner, Die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht zehn Jahre nach der Vergemeinschaftung der Gesetzgebungskompetenz in der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen – mit einem Rückblick auf die Verhandlungen zum Haager Gerichtsstandsübereinkommen, RabelsZ 73/2009, Heft 2, 215. 167 Siehe § 23 ZPO i.V.m. BGH vom 02. 07. 1991, XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90.
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bilden müssen, ist von einer „Rechts- oder Beweisnähe des Sachverhalts“ zum Forum, die in Deutschland einen hinreichenden Inlandsbezug im Sinne von § 23 ZPO herstellen würde168, auszugehen. Eine alternative Möglichkeit wäre, dass die Bundesregierung die Fortsetzung der Apartheid-Klagen in den USA als de facto Ausschaltung der deutschen Gerichtshoheit betrachtete, weil die ausländische Anhängigkeit dieser Klagen die Einleitung einer Parallelklage vor den (international zuständigen) deutschen Gerichten verhindern könnte. Allerdings schien die Bundesregierung dieses Argument selbst zu verwerfen: „Ist die Anerkennung der US-Entscheidung in Deutschland von vornherein nicht zu erwarten, wäre auch die Zulassung paralleler Rechtsverfolgung denkbar“169. Am Ende bleibt die dogmatische Grundlage der behaupteten Verletzung der deutschen Gerichtshoheit schleierhaft. Wie beim vorigen Argument ist es unklar, was die Bundesregierung durch den Verweis auf fehlende Kontakte der Apartheid-Klagen zum US-Forum erreichen wollte. Die Annahme der Zuständigkeit für die ApartheidKlagen durch die New Yorker Gerichte war völkerrechtlich zulässig. Das Einbringen der Bundesregierung – dass ein anderes Gericht das eigentlich zuständige Forum sei – war hingegen ein Einwand, der in den USA üblicherweise im Rahmen einer forum non conveniens-Prüfung zu berücksichtigen wäre, aber keineswegs Grund zur Annahme gäbe, dass fremde Gerichte ihrer internationalen Zuständigkeit beraubt werden. Insofern wäre das Pochen der Bundesregierung auf internationales Zivilverfahrensrecht und deutsche Gerichtshoheit vielleicht am besten als eine Art diplomatischen Protests zu verstehen. Alternativ könnte es als Vorschlag an die USA verstanden werden, durch Abweisung der Apartheid-Klagen einen neuen staatlichen Usus anzustoßen, die mit anhaltender Übung zum völkerrechtlichen Zuständigkeitsgrundsatz anwachsen könnte. Die Bundesregierung wäre nicht die erste ausländische Regierung gewesen, die in einer ATS-Klage diesen Protest bzw. Vorschlag unterbreitet hätte170. e) Rechtsmissbräuchlichkeit von ATS-Klagen als Souveränitätsbeleidigung Zuletzt brachte die Bundesregierung ein Argument indirekt zum Ausdruck, das nicht vollständig ausgearbeitet wurde aber trotzdem latent vorhanden zu sein scheint: Das Potenzial für Rechtsmissbräuche durch ATS-Klagen erhebe die Führung einer 168
BGH vom 02. 07. 1991, XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90. Antwort der Bundesregierung, S. 4. 170 Vgl. z. B. Motion for Leave to File Brief as Amici Curiae and Brief of the Governments of Australia and the United Kingdom in Support of the Petitioners, Sarei v. Rio Tinto, PLC, 617 F.3d 736 (9th Cir. 2011), S. 6, 8: „There is a clear and urgent need for this Court to resolve the jurisdictional uncertainty that continues to burden both parties and judges in ATS cases … The Governments strongly believe that such allegations of human rights violations should be dealt with in an appropriate forum, in accordance with international law“ (Betonung im Original). 169
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ATS-Klage vor US-Gerichten zur Souveränitätsbeleidigung gegen die Heimatstaaten verklagter Konzerne. Als Resultat müssen ATS-Klagen durch eine Berücksichtigung fremder Souveränität eingeschränkt werden. Dieses Argument ging aus einer Diskussion der Bundesregierung zum Haager Zustellungsübereinkommen (HZÜ)171. Nach dem HZÜ sind Staaten grundsätzlich verpflichtet, ausländische Schriftstücke an Beklagte im Inland zuzustellen172. Eine Ablehnung der Zustellung ist nur erlaubt, wenn die Zustellung geeignet wäre, ihre Souveränität zu gefährden173. Nach Ansicht der Bundesregierung wäre eine Souveränitätsgefährdung durch ATS-Klagen denkbar: „Die Erledigung eines Zustellungsantrags kann nach HZÜ nur dann abgelehnt werden, wenn der ersuchte Staat sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden. … Gerade bei – aus Sicht der deutschen Rechtsordnung – missbrauchsanfälligen Rechtsinstituten muss [] stets geprüft werden, ob die konkret zuzustellende Klage offenkundig rechtsmissbräuchlichen Charakter hat. Nur dann kann ein Verstoß gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats gegeben sein, der deutsche Staatsorgane zur Zurückweisung des Ersuchens verfassungsrechtlich verpflichten und völkerrechtlich berechtigen kann“174.
Diese Sätze scheinen die embryonale Form eines Arguments zu enthalten, die später vor dem Supreme Court in Kiobel Überzeugungskraft entfalten sollte175: ATSKlagen gegen Konzerne wegen Beihilfe zu staatlich verübten Menschenrechtsverletzungen locken Rechtsmissbräuche an, die weit über die Grenzen der USA Schäden an ausländischen Angehörigen verursachen, weswegen sie fremde Souveränität tangieren können und ihre Zulässigkeit auf die völkerrechtlich gebotene Achtung der Souveränität der betroffenen Staaten zurechtzuschneiden ist. Mit „Rechtsmissbrauch“ meinte die Bundesregierung vermutlich Folgendes176: ATS-Klagen werden als Sammelklagen ganzer Volksstämme gegen Konzerne zugelassen, verursachen infolge langer Discovery erhebliche Kosten und bergen das uneinschätzbare Risiko eines Jury-Verfahrens mit punitive damages in Milliardenhöhe. Derweil tragen die Kläger, dank der amerikanischen Prozesskostenregelung in Verbindung mit der praxisüblichen Vereinbarung eines Erfolgshonorars, so gut wie kein Kostenrisiko, während ihr Vorgehen durch die Annahme amerikanischer Ge171 Siehe Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965 (HZÜ), BGBl Teil II Nr. 54, S. 1452 ff. (1977). 172 Für eine detailliertere Diskussion des HZÜ siehe den gleich folgenden Abschnitt B. IV. 5. a) dieses Kapitels zur Bauman-Klage. 173 So der Vorbehalt des Art. 13 Abs. 1 HZÜ. 174 Antwort der Bundesregierung, S. 2. 175 Für eine ausgearbeitete Skizze dieses Arguments siehe Kapitel 2, Abschnitt B. VI. 4. a), in dem die Ausführungen der Regierungen von Großbritannien und den Niederländen in Kiobel dargestellt werden. 176 Für eine ausführliche Diskussion der Risiken amerikanischer Klagen für deutsche Konzerne, siehe Abschnitt C. dieses Kapitels, unten.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
richte einen legitimierenden Anschein für die Öffentlichkeit erhält. Eine derartige Konstellation muss missbräuchliche Klagen anlocken, die aus nüchterner juristischer Sicht aussichtslos sind, nur damit die Kläger einen Vergleich aus dem Beklagten abnötigen oder eine symbolische Rufschädigung des Beklagten vor der Öffentlichkeit verrichten können. Vor diesem Hintergrund konnte die Bundesregierung eine Souveränitätsgefährdung durch ATS-Klagen glaubhaft geltend machen. Das Verlangen eines ausländischen Gerichts, einen Bürger bzw. einen Konzern für einen derart missbräuchlichen Prozess zu stellen – ungeachtet seiner Aussichtlosigkeit – berührt „unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats“177. Dies kann vor allem darin gesehen werden, dass die USA in aller Wahrscheinlichkeit auf eine Verletzung ihrer Souveränität beharren würden, wenn z. B. die Europäische Union amerikanische Konzerne zu ähnlichen Menschenrechtsprozessen vorladen würde, weil sie im Nahen Osten investiert hatten. Diese Argumentation stammt möglicherweise aus einem Beschluss des OLG Karlsruhe von 2005, in dem das Gericht die Zustellung einer anderen ATS-Klage an Daimler aussetzte – und der im folgenden Abschnitt zur Bauman-Klage geschildert wird. Das OLG Karlsruhe führte in obiter dicta aus, dass die Zustellung einer offensichtlich rechtsmissbräuchlichen ATS-Klage an einen deutschen Beklagten einen Verstoß gegen das Rechtsstaatgebot von den deutschen Behörden abverlangen würde, was als Gefährdung der deutschen Hoheit im Sinne von Art. 13 HZÜ anzusehen wäre. Eine offensichtlich rechtsmissbräuchliche Klage war seiner Ansicht nach gegeben, wenn die Klage ohne Erfolgsaussicht erhoben war, um mit Mediendruck den Beklagten zu schädigen, bis ihm ein Vergleich abgenötigt werden konnte. Durch die Aufnahme der Argumentation des OLG Karlsruhe machte die Bundesregierung dessen obiter dicta zur eigenen außenpolitischen Position. Jedenfalls legte die Bundesregierung nahe, dass sie fortan ATS-Klagen nach Muster der Apartheid-Klagen als Tangierung ihrer Souveränität betrachten würde. Damit verlangte sie eine Begrenzung von ATS-Klagen, die der Souveränität der Heimatstaaten der beklagten Konzerne gerecht werden konnte. Dieser Argumentationslinie schlossen sich einige Jahre später Großbritannien und die Niederlande an, und in Kiobel sollte sie den Supreme Court überzeugen. 7. Fazit zu den Apartheid-Klagen Die Apartheid-Klagen konfrontierten die deutsche Wirtschaft mit einem neuen und fundamentalen Risiko. Die deutsche Wirtschaft lebt von auf Nachhaltigkeit ausgerichtetem Export und Direktinvestitionen ins Ausland. Die Zukunftsfähigkeit dieses Geschäftsmodells fußt auf Rechtssicherheit. Bis 2002 konnten deutsche 177
Antwort der Bundesregierung, S. 2.
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Konzerne davon ausgehen, dass die für sie erforderliche Rechtssicherheit durch Beachtung der anwendbaren deutschen Gesetze sowie der Gesetze des jeweiligen Investitionslands gewährleistet war. Zwar hatten die Zwangsarbeiterklagen den Rechtsfrieden kurz gestört, aber sie wurden als einmalig und in erster Linie als politische Auseinandersetzung betrachtet, die keine Nachwirkung auf die nachfolgende Rechtsprechung ausüben und deren Rechtsrisiken durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ umfassend beiseitegelegt waren. In re Apartheid war jedoch ein neuartiger und direkter Angriff auf das Geschäftsmodell der deutschen Industrie. Wenn die Apartheid-Klagen zulässig waren, waren sämtliche deutsche Investitionen in Schwellenländern dem Risiko einer ATSMassenklage ausgesetzt, ungeachtet ob sie gesetzeskonform abgeschlossen, errichtet und betrieben worden waren. Die deutsche Industrie hatte bereits durch die Zwangsarbeiterklagen die volle Wucht von ATS-Massenklagen gespürt und daraus gelernt, dass die bloße Einleitung einer ATS-Klage, sofern eine begleitende Medienkampagne effektiv ist, zur Aufhebung jahrzehntelanger angenommener Rechtssicherheit führte. Die Apartheid-Klagen trugen das Risiko, jedes ATS-Verfahren gegen einen deutschen Konzern zu einer neuen Massenklage nach Zwangsarbeiterklagen-Muster zu machen, komplett mit Publizitätsstrategie, Milliardenforderungen, Discovery, Jury und punitive damages. Für die deutsche Industrie betraf dieses Risiko den Kern ihres Geschäftsmodells. Solange eine ATS-Klage gegen deutsche Konzerne wegen ihrer Auslandstätigkeiten erhoben werden konnte, auch wenn sie sich auf vage Vorwürfe der Beihilfe stützte, war die für die deutsche Industrie unerlässliche Rechtssicherheit bereits bei Einleitung der Klage gefährdet. Deswegen ist es nachvollziehbar, dass die Bundesregierung nicht nur gegen die Apartheid-Klagen protestierte, sondern ihren Widerstand gegen die Klagen auch dann bekräftigte, nachdem die Regierungen von USA und Südafrika auf die Seite der Kläger umgeschwenkt waren. Wenn Daimlers Beteiligung an einem südafrikanischen Dieselmotorenhersteller eine ATS-Klage begründete, konnten morgen die Joint Ventures deutscher Autohersteller in China zur Zielscheibe weiterer ATS-Milliardenklagen werden. Solche Klagen mussten aus Sicht der Bundesregierung nicht nur unzulässig sein, sie dürften vielmehr gar nicht erst erhoben werden können. Nur so war die für die Industrie nicht hinnehmbare Gefährdung der Rechtssicherheit, die bereits bei Klageerhebung entstünde, zu bewältigen. 8. Übergang zu Bauman Trotz der eben ausgeführten Auseinandersetzung zur Gerichtszuständigkeit blieb jedoch immer noch eine wirksame Einschränkung für ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne übrig: personal jurisdiction. Ein ausländischer Konzern, der sich aus den USA heraushielt und sein US-Geschäft durch eine Tochtergesellschaft abwickelte, hatte nicht genügende Kontakte mit den USA, um die Zuständigkeit der Bundes-
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gerichte für Menschenrechtsklagen aus anderen Ländern gegen ihn zu begründen, weil er keinen allgemeinen Gerichtsstand in den USA hatte. So wurde z. B. die Zuständigkeit der Bundesgerichte für eine ATS-Klage myanmarischer Angehöriger gegen den französischen Total SA wegen mangelnder Kontakte zum kalifornischen Forum verneint178. Jedoch sollte die nächste große ATS-Klage gegen einen deutschen Konzern diese letzte Schranke sprengen und damit ATS-Klagen zu einem unvermeidbaren und andie-Substanz-gehenden Rechtsrisiko für die deutsche Industrie machen.
IV. Bauman v. DaimlerChrysler Das letzte große ATS-Verfahren gegen einen deutschen Konzern lief unter dem Namen Bauman v. DaimlerChrysler179. In dieser Klage behaupteten Folter- und Verschleppungsopfer der Militärdiktatur Argentiniens, von der Leitung des argentinischen Mercedes-Werks ans Messer geliefert worden zu sein. Die Klage ist für ihre weitgehende Auslegung der internationalen Zuständigkeit amerikanischer Gerichte bekannt und stellte bis zu ihrer Entscheidung vor dem Supreme Court neue und erhebliche Risiken für deutsche Wirtschaftsinteressen dar. 1. Sachverhalt der Klage a) Hintergrund: Die Militärdiktatur Argentiniens In Argentinien hatte 1976 das Militär gewaltsam die Macht übernommen180. Es folgte der sog. „schmutzige Krieg“ der Militärjunta gegen ,Subversive‘ in der eigenen Bevölkerung. Eine Taktik des Regimes in diesem Krieg war das, was im internationalen Menschenrecht als „zwangsweises Verschwindenlassen“ bekannt wurde: Verdächtige Regimegegner wurden von staatlichen Sicherheitskräften verdeckt entführt, in Isolation inhaftiert, gefoltert und oftmals ermordet. Diese Personen wurden als „verschwunden“ bezeichnet, weil der Staat sich weigerte, sich zu ihrem Verbleib oder überhaupt zur Tatsache, dass sie verschwunden waren, zu äußern. Zwischen 1976 und 1983 verschwanden circa 30.000 Regimegegner auf diese Weise. Viele davon blieben für immer verschwunden.
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Siehe Doe v. Unocal Corp., 248 F.3d 915 (9th Cir. 2001). Siehe Bauman v. DaimlerChrysler AG, No. C-04-00194 RMW (N.D. Cal. Feb. 12, 2007), aff’d 579 F.3d 1088 (9th Cir. 2009), rev’d 644 F.3d 909 (9th Cir. 2011); Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746 (2014). 180 Die Angaben dieses Paragraphs werden der Zusammenfassung des Sachverhalts in der ersten Entscheidung des Ninth Circuit entnommen, siehe Bauman v. DaimlerChrysler AG, 579 F.3d 1088, 1095 ff. (9th Cir. 2009). 179
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b) Die Vorwürfe gegen Daimler Im Jahr 1951 erbaute Daimler ein Werk in Gonzales Catán, einem Vorort von Buenos Aires, das von seiner argentinischen Tochtergesellschaft Mercedes Benz Argentina S.A. geführt wurde. Zwischen 1976 und 1983 soll die Werksleitung mit Sicherheitskräften der Junta kollaboriert haben, um Mitglieder einer neuen Gewerkschaft verschwinden zu lassen. Hintergrund dieser Entführungen waren „harte Arbeitskämpfe in dem Werk … in deren Verlauf sich ein unabhängiger Betriebsrat gründete, der sich von der korrupten Haltung der offiziellen Automobilgewerkschaft SMATA distanzierte und sich gegen Entlassungen mit Streiks und betrieblichen Aktionen wehrte“181. Um diese unabhängige Gewerkschaft zu brechen, soll das Mercedes-Werk führende Gewerkschaftsmitglieder an die Militärjunta als Subversive denunziert haben, damit sie als Regimegegner ,verschwanden‘. Dieses Vorhaben kam der Politik der Junta offenbar entgegen, die eine Ausschaltung der Gewerkschaften anstrebte182. Das Management des Werks soll enge Kontakte zu argentinischen Geheimdiensten unterhalten haben, durch die es sich unliebsamer Arbeitnehmer entledigte. Das Werk soll Mitglieder des Militärs und der Staatspolizei eingestellt haben – z. B. arbeitete ab 1978 ein ehemaliger Polizeikommissar des Regimes als Sicherheitschef der Fabrik183 – die die Entführung unliebsamer Betriebsräte planten oder durchführten. In einem Fall soll der Manager des Werkes, Juan Tasselkraut, Gewerkschaftsmitglieder direkt an die Militärpolizei übergeben haben, damit sie beseitigt werden. Einen Mercedes-Mitarbeiter beordete Tasselkraut angeblich zu seinem Büro, wo Sicherheitskräfte auf ihn warteten184. Während seiner Verschleppung soll dieser Mitarbeiter gehört haben, wie Tasselkraut Namen und Adresse eines weiteren Gewerkschaftsmitglieds an die Militärpolizei weitergab. Diese Person war am nächsten Morgen nicht mehr auffindbar und ist bis heute verschollen185. Bis 1983 verschwanden mindestens 15 als regimekritisch eingestufte Gewerkschaftsmitglieder des Mercedes-Werks186. Einige haben ihr ,Verschwinden‘ überlebt, obwohl sie während ihrer Isolierhaft gefoltert wurden, während andere nie wiedergesehen wurden und als ermordet gelten.
181 Kaleck, Die verschwundenen Gewerkschafter von Mercedes Benz Argentina, Juridikum 3/2001, S. 347. Herr Kaleck ist deutscher Rechtsanwalt und hat die Bauman-Kläger bei erstmaliger Erstattung von Strafanzeige in Deutschland vertreten. Er war zur Zeit der BaumanKlage auch Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights, das die Kläger bei ihrer Rechtsverfolgung in Deutschland unterstützt hat. 182 Siehe Kaleck, S. 345. 183 Siehe Kaleck, S. 345. 184 Siehe Kaleck, S. 346 – 347. 185 Siehe Kaleck, S. 346 – 347. 186 Siehe Kaleck, S. 347.
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2. Strafverfahren in Deutschland und Argentinien Vor Erhebung einer ATS-Klage hatten die Überlebenden sowie die Hinterbliebenen der Mercedes-Mitarbeiter versucht, Strafverfahren gegen Mercedes und ihre leitenden Angestellten in Deutschland und Argentinien einzuleiten. Die Erfolglosigkeit dieser Verfahren, gemeinsam mit Daimlers Antwort auf die Strafermittlungen, scheinen die Erhebung einer ATS-Klage motiviert zu haben. Im Jahr 1999 haben Familienangehörige der Verschwundenen bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Strafanzeige gegen Juan Tasselkraut wegen Beihilfe zum Mord187 erstattet188. Darauf hat die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Tasselkraut eröffnet. Tasselkraut wurde zur Last gelegt, durch die eben geschilderte Weitergabe von Name und Adresse eines Gewerkschafters an die Militärpolizei dessen Ermordung in Gang gesetzt zu haben. Nach fünf Jahren stellte die Staatsanwaltschaft im November 2003 das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO ein, weil sie die Aussagen von Zeugen als unglaubwürdig verwarf und keinen eindeutigen Nachweis eines Mordes als gegeben sah189. Die Familienmitglieder leiteten darauf ein Verfahren auf Klageerzwingung ein, das jedoch 2005 vom OLG Nürnberg in letzter Instanz abgewiesen wurde190. In Argentinien hat sich anlässlich der medialen Berichterstattung über die in Deutschland eröffneten Strafermittlungen eine Gruppe ehemaliger Mercedes-Gewerkschafter in Argentinien gegründet, die sich die „Kommission der ehemaligen 187 „Da vor Geltung des Völkerstrafgesetzbuches am 30. Juni 2002 der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und damit auch der Tatbestand des Verschwindenlassens im deutschen Recht nicht existierte“, war nur eine Anzeige wegen Beihilfe zu Mord möglich, Kaleck, S. 348. 188 Siehe Strafanzeige J. Tasselkraut, Az. 407 Js 41063/98. 189 Siehe Kaleck, S. 348. Die Zeugenaussagen zu Tasselkrauts Beteiligung am Mord wurden aus argentinischen Prozessakten entnommen, die einen Zeitraum von 15 Jahren überspannten, und von der Staatsanwaltschaft für widersprüchlich erklärt (siehe Fn. 10 auf S. 348). Die Staatsanwaltschaft verneinte die Nachweisbarkeit eines Mordes aus dem Grunde, dass das endgültige Schicksal des von Tasselkraut angeblich fingierten Gewerkschafters nicht aufklärbar sei. 190 Siehe OLG Nürnberg, Az. Ws 829/04. Das European Center for Constitutional and Human Rights, das die Klage unterstützte, war mit diesem Verfahrensausgang offensichtlich nicht zufrieden: „Zur Begründung [des Urteils] hieß es, es gebe nicht genügend eindeutige Beweise für Tasselkrauts Beteiligung. Bereits im Junta-Prozess von 1985 hatte allerdings das dort zuständige Gericht … die Aussagen desselben Zeugen für glaubhaft befunden. Im Übrigen lehnte es das Nürnberger Gericht ab, sich mit der Auffassung der Staatsanwaltschaft auseinanderzusetzen, wonach – ungeachtet der konkreten, politischen Verhältnisse der Zeit – von dem erwiesenen dauerhaften Verschwinden regimekritischer Gewerkschafter nicht darauf geschlossen werden könne, dass tatsächlich eine Mordtat vorliegt. Ohne Belang für das Verfahren waren nach Ansicht des Gerichts auch die vorgelegten Dokumente und Nachweise, die eindeutig belegen, dass die Praktiken des Verschwindenlassens und der Ermordung von Regimegegnern systematisch (in ca. 30.000 Fällen) vom argentinischen Regime eingesetzt wurden“. European Center for Constitutional and Human Rights, Der Fall Mercedes Benz Argentina A.S. – Die verschwundenen Gewerkschafter, S. 2.
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Mitarbeiter und Familienangehörigen der Verschwundenen von Mercedes-Benz Argentina“ bezeichnet191. 2002 hat diese Gruppe eine eigene Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Buenos Aires gegen mehrere Personen erstattet192. Mercedes Argentina wurde beschuldigt, gemeinsam mit dem Politiker Carlos Ruckauf, der offiziellen Gewerkschaft SMATA, dem Manager Tasselkraut sowie diversen Militärs eine kriminelle Vereinigung mit dem Ziel gebildet zu haben, unliebsame Gewerkschafter verschwinden zu lassen. 2002 leitete die Bundesstaatsanwaltschaft Buenos Aires ein Ermittlungsverfahren gegen die genannten Beschuldigten ein. Nach fünf Jahren stellte die Staatsanwaltschaft im Jahr 2007 ihre Ermittlungen ein193. Zwar befand die Staatsanwaltschaft, dass Mercedes Argentina während der Militärdiktatur bei den Fällen verschwundener Arbeiter Gehilfe gewesen sei, da sie über die Beseitigung von Betriebsräten informiert würde. Dennoch sei Mercedes Argentina als Kapitalgesellschaft nicht strafrechtlich zu verfolgen194. Hinsichtlich der weiteren Beschuldigten sei die Beweislage zu unklar, um Anklage gegen sie zu erheben: Die Leitung von Daimler und SMATA sei über Arbeiterverschleppungen „im Bilde“ gewesen, jedoch könne der Tatnachweis nicht in Einzelnen geführt werden195. Das Ermittlungsverfahren wurde an das Bundesgericht für die Provinz San Martín, wo sich der Tatort der Entführungen befand, als örtlich zuständiges Gericht abgegeben. „Die Ermittlungen … sind seitdem praktisch zum Stillstand gekommen“196. 2009 hat die Grünen-Fraktion des Bundestags die Bundesregierung um eine Stellungnahme zum Ermittlungsverfahren in San Martín ersucht. Die Antwort der Bundesregierung lautete lapidar: „Das Verfahren in Argentinien ist der Bundesregierung nicht bekannt“197. 3. Die Antwort des Daimler-Konzerns: Der Tomuschat-Bericht Nach Einleitung des argentinischen Ermittlungsverfahrens scheint Daimler die Notwendigkeit gespürt zu haben, dem Vorwurf der Kollaboration mit der argentinischen Militärjunta proaktiv und öffentlich zu begegnen. Druck zum Handeln ging
191
Siehe Kaleck, S. 347. Siehe Procedimiento penal Nr. 4012, número de referencia 292 contra Santiago Omar Riveros, Juan Ronalda Tasselkrallt, José Rodríguez, Carlos Ruckauf ante el Tribunal Penal Federal de Primera Instancia de San Martín. 193 Kaleck, S. 348. 194 Kaleck, S. 348. 195 Kaleck, S. 348. 196 Kaleck,. S. 348. 197 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, Drucksache 17/992, 12. Dez. 2010, S. 7. 192
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
zum Teil von der Presse aus, wohl aber hauptsächlich von kritischen Aktionären, die auf den Hauptversammlungen auf Aufklärung drängten198. Im September 2002 berief Daimler eine externe Kommission ein, um die Vorwürfe der laufenden Strafermittlungen unabhängig zu untersuchen. Für die Leitung der Kommission wählte Daimler auf Vorschlag von Amnesty International den Berliner Völkerrechtler Christian Tomuschat, Professor an der Humboldt-Universität199. Prof. Tomuschat hatte sich bereits als Leiter der UN-Wahrheitskommission bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen in Guatemala einen internationalen Ruf erworben. Am 8. Dezember 2003 legte Tomuschat den Bericht seiner Kommission auf einer von Daimler einberufenen Pressekonferenz vor200. Der Bericht sprach Daimler von jeder Verantwortung für das Verschwinden von Arbeitnehmern während der argentinischen Militärdiktatur frei. Zwar habe das Mercedes-Management Kontakte zu argentinischen Geheimdiensten unterhalten und sei „nicht frei von Flecken“ gewesen, aber dennoch gebe es „keine Belege für … die These“, dass Daimler diese Kontakte genutzt habe, um unliebsame Gewerkschafter zu beseitigen201. Der Tomuschat-Bericht scheint jedoch ausgerechnet die Reaktion ausgelöst zu haben, die er verhindern sollte. Verschiedene Aspekte des Berichts ließen Menschenrechtsorganisationen von einem „Weißwaschen“ sprechen202. Tomuschat habe sehr oberflächlich recherchiert: Er habe sich auf Weisung Daimlers auf firmeninterne Dokumente beschränkt, Gespräche mit Familien der Opfer und Überlebenden abgelehnt sowie weitere Unterlagen von argentinischen Gerichten und Journalisten zurückgewiesen203. Diese Kritik wurde insbesondere von der Journalistin Gabriele Weber, die bereits ein Buch und mehrere Artikel über die verschwundenen Mercedes-Arbeiter veröffentlicht hatte204, erhoben. Des Weiteren sei seine „Kommission“ gar keine Kommission, sondern nur ein Team aus „Tomuschat und zwei weisungsabhängigen Mitarbeitern“205 gewesen. Zuletzt erschien vielen Menschen198 Siehe Dagmar Deckstein, Keine Beteiligung an Verbrechen der Militärdiktatur, Süddeutsche Zeitung, 19. Mai 2010, aufrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/merce des-benz-argentinien-keine-beteiligung-an-verbrechen-der-militaerdiktatur-1.907789. 199 Zunächst hat Daimler Amnesty International gebeten, die Untersuchung selbst zu leiten. Amnesty International lehnte aus der Befürchtung eines Imageverlusts ab und schlug stattdessen Prof. Tomuschat vor. Siehe Baumann/Boettger, Weiße Weste?, Amnesty International Journal, Februar 2004, aufrufbar unter http://www.amnesty.de/umleitung/2004/deu05/011? print=1. 200 Siehe Tomuschat/Eberhardt/Orce, Mercedes-Benz Argentina zur Zeit der Militärdiktatur (1976 – 1983) (2003). 201 Siehe ebd. Zu den Vorwürfen gegen Juan Tasselkraut befand Tomuschat, dass Anstiftung zu Verschleppung und Mord weder belegbar noch wahrscheinlich sei. 202 Vgl. z. B. Baumann/Boettger, Weiße Weste? 203 Vgl. z. B. den Rundbrief der Koalition gegen Straflosigkeit von Februar 2004, S. 4 ff. 204 Siehe Gabriele Weber, Die Verschwundenen von Mercedes Benz (2001). 205 Christian Rath, Gute Noten für Mercedes, TAZ, 9. Dez. 2003, aufrufbar unter http:// www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2003/12/09/a0165.
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rechtsorganisationen das Timing des Berichts verdächtig: Kaum eine Woche nachdem die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ihre Ermittlungen gegen Juan Tasselkraut eingestellt hatte, legte Tomuschat seinen Bericht vor206. 4. Die amerikanischen ATS-Klage Bauman v. DaimlerChrylser Am 14. Januar 2004207 haben Familienmitglieder der Opfer sowie Überlebende eine ATS-Klage gegen die Daimler AG vor dem Northern District of California in San Francisco erhoben208. Insgesamt 23 Kläger warfen Daimler eine Beilhilfe zu den Menschenrechtsverletzungen vor, die das Militärregime Argentiniens im Rahmen des gewaltsamen Verschwindenlassens von Mercedes-Arbeitnehmern begangen hatte. Im Einzelnen warfen die Kläger Daimler die Beihilfe zu folgenden Menschenrechtsverletzungen vor: (a) grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung; (b) Folter; (c) außergerichtliche Hinrichtungen; und (d) Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Klageschrift enthielt einen unbezifferten Antrag auf Gewährung von Schadensersatz nach dem Ermessen einer Jury, wobei die Kläger ihre Absicht kundtaten, punitive damages zu verlangen209. Bauman richtete sich ausschließlich gegen die deutsche Daimler AG. Im Gegensatz zu den früheren Strafanzeigen nannte Bauman weder Mercedes Argentina noch natürliche Personen, die in der Leitung von Mercedes Argentina tätig waren, als weitere Beklagte210. Die Haftung der Daimler AG für die Tätigkeiten ihrer argentinischen Tochter begründeten die Kläger einerseits mit der sog. „alter ego“-Theorie und andererseits mit einer Ratifikationstheorie211. Zum einen sei Mercedes Argentina als „alter ego“ von Daimler anzusehen, weil „[Mercedes Benz Argentina] was controlled and dominated by Daimler“ durch Daimler-Vorstände, die das operative Tagesgeschäft in
206
So der Vorwurf im Rundbrief der Koalition gegen Straflosigkeit von Februar 2004, S. 3. Tomuschat musste das Timing der Vorlage seines Berichtes vor der Presse verteidigen, verneinte aber einen Zusammenhang zwischen seinem Bericht und der Ermittlungsarbeit in Nürnberg: „Die Staatsanwaltschaft kannte das Papier noch gar nicht“. Siehe Rath, Gute Noten für Mercedes. 207 Zeitlich heißt das, dass die ATS-Klage etwa ein Monat nach Vorlage des TomuschatBerichts erhoben wurde. 208 Siehe Bauman v. DaimlerChrysler AG, No. C-04-00194 RMW, Doc. 1 (N.D. Cal. Jan. 14, 2004) (Complaint). 209 Siehe Bauman, No. C-04-00194 RMW, Doc. 11 (N.D. Cal. Feb. 2, 2004) (4th Amended Complaint), at 26 Nr. 3. 210 Der wahrscheinlichste Grund für das Auslassen weiterer Beklagter war, dass weder Mercedes Argentina noch die ehemalige Werksleitung hinreichende Kontakte mit den USA hatten, die die Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte begründet hätten. 211 Für eine detaillierte Darstellung der Durchgriffshaftung in ATS-Klagen, siehe Kapitel 2, Abschnitt B. II. 3. c).
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Argentinien mitbestimmten212. Zum anderen hafte Daimler als Prinzipal für das Verhalten von Mercedes Argentina, weil Daimler in Presseerklärungen Mercedes Argentina als Vertreter bezeichnet und durch das Inauftraggeben des TomuschatBerichts die Handlungen der leitenden Angestellten von Mercedes Argentinien ratifiziert habe213. 5. Der Zustellungsstreit in Deutschland Gleich nach seiner Einleitung stieß Bauman auf Widerstand aus der deutschen Justiz. Deutsche Gerichte haben die Zustellung der Klage an Daimler nach dem Haager Zustellungsübereinkommen (HZÜ) ausgesetzt, weil sie Bauman für eine mögliche Gefährdung der deutschen Souveränität hielten. a) Das HZÜ, der Souveränitätsvorbehalt und Daimlers Einwände gegen Zustellung Das HZÜ regelt die Zustellung in Streitigkeiten, bei denen beide Parteien aus unterschiedlichen HZÜ-Mitgliedsländern stammen214. Nach Art. 2 HZÜ bestimmt jeder Staat eine sog. zentrale Behörde, die für die Entgegennahme und Zustellung ausländischer Schriftstücke zuständig ist. Der Kläger muss die zuzustellenden Schriftstücke mitsamt einem Antrag auf Zustellung an die zentrale Behörde des Landes senden, in dem der Beklagte wohnhaft ist215. Die Behörde hat die Zustellung zu „bewirken oder zu veranlassen“216. Nach Art. 13 Abs. 1 HZÜ darf die Zustellung nur dann verweigert werden, wenn „der ersuchte Staat sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden“. Weil die Daimler AG ausländischer Beklagter war, musste gemäß Federal Rule of Civil Procedure 4 (f) (1) die Zustellung an ihrem Sitz in Sindelfingen nach den
212
Siehe Bauman, No. C-04-00194 RMW, Doc. 11, para. 24. „[Daimler] has publicly defended the former officials of [Mercedes Argentina] alleged to have engaged in the [disappearances of workers] and has publicly treated these officials as its own officials, referring to them as ,our top management‘ which [it] must protect. [] [Daimler] paid the full cost of [an] investigation [of their conduct by Prof. Tomuschat] and treated the investigation as if it was an internal review of its own operations. [] And, while [Prof. Tomuschat’s] report … concluded that these … officials had foreseeably placed [Argentinian] workers … in mortal danger …, [Daimler] nonetheless continues to defend the conduct of these officials and of [Mercedes Argentina]. [Daimler] has therefore ratified this conduct“. Bauman, No. C-04-00194 RMW, Doc. 11, para. 23. 214 Siehe Siehe Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965, BGBl Teil II Nr. 54, S. 1452 ff. (1977). 215 Siehe Art. 3 HZÜ. 216 Art. 4 Satz 1 HZÜ. 213
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Bestimmungen des HZÜ erfolgen217. In Deutschland unterhält jedes Bundesland eine eigene zentrale Behörde für die Zustellung ausländischer Schriftstücke und in Baden-Württemberg dient der Präsident des Amtsgerichts Freiburg als zentrale Behörde218. Im April 2004 stellten die Bauman-Kläger einen Zustellungsantrag beim Präsidenten des Amtsgerichts Freiburg. Offenbar hat Daimler nach Eingang des Zustellungsantrags den Amtsgerichtspräsidenten ersucht, ein Sachverständigengutachten einzuholen, um eine Gefährdung der Souveränität Deutschlands im Sinne von Art. 13 Abs. 1 HZÜ zu ermitteln und die Zustellung bis zum Abschluss dieser Prüfung auszusetzen219. Dies führte scheinbar zu einer Anfrage des Präsidenten beim Bundesjustizministerium, das jedoch seinerseits „keine Bedenken“ gegen die Zustellung von Bauman äußerte220. In Juli 2004 befand der Präsident, dass ein Expertengutachten überflüssig wäre, und bewilligte die Zustellung. Gegen die Zustellungsbewilligung stellte Daimler einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG vor dem OLG Karlsruhe. In seinem Antrag erbat Daimler die Aufhebung der Zustellungsbewilligung, weil nach seiner Darlegung die Bauman-Klage als Gefährdung der Souveränität Deutschlands im Sinne von Art. 13 Abs. 1 HZÜ anzusehen war. Daimler stützte dieses Ersuchen auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Zustellung einer Klage, die in Wirklichkeit nur prozessfremden Zwecken dient, als Verstoß gegen das Rechtsstaatsgebot und damit als Hoheitsgefährdung nach Art. 13 Abs. 1 HZÜ angesehen werden kann221. Die Bauman-Klage sei angesichts des Tomuschat-Berichts offensichtlich aussichtslos. Trotz dieser Aussichtslosigkeit werde sie erhoben, um mit „publizistischem Druck“ und hohen Verfahrenskosten einen Vergleich von Daimler abzunötigen. Solches Vorgehen verfolge offensichtlich prozessfremde Zwecke. Und mit einem Teil des so erstrittenen Geldes wollten die Kläger sogar ein Hospital für Arbeiter in Buenos Aires errichten. Damit werde Daimler „in die Zwangslage ge-
217 Siehe Fed. R. Civ. P. 4 (1) (f): „Unless federal law provides otherwise, an individual … [must] be served at a place not within any judicial district of the United States [] by any internationally agreed means of service that is reasonably calculated to give notice, such as those authorized by the Hague Convention on the Service Abroad of Judicial and Extrajudicial Documents“. 218 Siehe die Informationen auf der US-Webseite des deutschen Außenministeriums, „Ausländische Zustellungen“, aufrufbar unter http://www.germany.info/Vertretung/usa/de/05__ Dienstleistungen/04__Schriftstuecke/Zustellungen.html. 219 Weil dem Verfasser die Bewilligung durch den Präsidenten des Amtsgerichts Freiburg nicht vorliegen, wird eine Schilderung des Verfahrens vor dem Präsidenten des Amtsgerichts Freiburg der Darstellung der Journalistin Gabriele Weber entnommen, siehe Gabriele Weber, US-Klage gegen Daimler Chrysler verletzt die nationale Sicherheit Deutschlands, Frankfurter Rundschau, 9. Okt. 2004, aufrufbar unter http://labournet.de/branchen/auto/dc/ar/dcweiger. html. 220 Weber, aus obiger Fußnote. 221 Siehe BVerfGE 108, 238, 249 = NJW 2003, 2598.
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bracht, eine humanitäre Aktion durchzuführen, um sich vor einer US-Schadensersatzklage zu schützen“222. b) Aussetzung der Zustellung durch das OLG Karlsruhe Im März 2005 hat das OLG Karlsruhe die Zustellung von Bauman zwar nicht abgelehnt, aber unter analoger Anwendung von § 148 ZPO ausgesetzt223. Für die Aussetzung der Klage legte das Gerichte folgende Analyse zugrunde: Bei der Zustellung ausländischer Klagen seien fremde Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten, auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen224. Aufgrund der Ratifikation des HZÜ seien Verfahren vor ausländischen Gerichten zu fördern und auch solche Klagen zuzustellen, die in Verfahren erhoben würden, die die deutsche Rechtsordnung nicht kennt225. Doch könne ein Zustellungsersuchen gemäß Art. 13 Abs. 1 HZÜ abgelehnt werden, wenn Deutschland die Zustellung für geeignet halte, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden226. Eine hinreichende Gefährdung im Sinne von Art. 13 Abs. 1 HZÜ sei gegeben, wenn das mit der ausländischen Klage angestrebte Ziel offensichtlich gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats (Rechtsstaatsgebot) verstößt227. Nach Meinung des OLG Karlsruhe war ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsgebot durch die Zustellung von Bauman möglich, weil die Kläger punitive damages beantragt hatten. Zur Zeit der Entscheidung des OLG Karlsruhe war es in Deutschland eine noch offene Frage, ob die Zustellung einer amerikanischen Klage, die eine Forderung von punitive damages geltend machte, eine Hoheitsgefährdung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 HZÜ darstellte. Beim Bundesverfassungsgericht war im Jahr 2005 noch eine Verfassungsbeschwerde in der „Napster-Sache“228 anhängig, in der der Medienkonzern Bertelsmann behauptete, die Zustellung einer auch auf punitive damages ausgerichteten US-Klage verstoße gegen deutsche Rechtsstaatsprinzipi-
222
Weber, US-Klage gegen Daimler Chrysler. Siehe Beschluss des OLG Karlsruhe vom 7. 3. 2005 – 10 VA 5/04, aufrufbar unter http:// www.gabyweber.com/dwnld/prozesse/olg_karlsruhe.pdf. Die analoge Anwendung des § 148 ZPO auf die dem HZÜ unterliegende Zustellungsfrage leitete das Gericht aus einer teleologischen Analyse des Paragraphen ab (siehe S. 2 des Beschlusses), die für diese Diskussion nicht relevant ist. 224 Siehe OLG Karslruhe, S. 4. 225 Siehe OLG Karslruhe, S. 4. 226 Siehe OLG Karlsruhe, S. 4 – 5. 227 Siehe OLG Karlsruhe, S. 2 – 3 (Zitat an BVerfGE 108, 238, 247 ff.). 228 In der Napster-Klage haben mehrere Sänger eine class action gegen Bertelsmann unter der Theorie erhoben, Bertelsmann sei an der Musikbörse Napster beteiligt gewesen und habe hierdurch ihre Urheberrechte verletzt. Die Kläger forderten Schadensersatz in Höhe von etwa $ 17 Milliarden. 223
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en229. Das OLG Karlsruhe befand unter Ausübung seines Ermessens, dass die Zustellung an Daimler auszusetzen war, bis das BVerfG eine Entscheidung in der Napster-Sache gefällt hatte. Eine Aussetzung bis zur endgültigen höchstrichterlichen Entscheidung der ausschlaggebenden Rechtsfrage diene der Prozessökonomie230. Des Weiteren stelle die Aussetzung der Zustellung eine abgewogene Balance der Parteiinteressen dar: Der durch amerikanische Discovery zu erwartende Schaden für Daimler sei erheblich, während ein Schaden für die Bauman-Kläger infolge eines Zustellungsverzugs nicht zu erkennen sei231. So objektiv diese Begründung klingt, hätten Kenner meinen können, dass das OLG Karlsruhe durch die Kopplung von Bauman an eine Entscheidung in der Napster-Sache die Zustellung an Daimler auf ewig vereiteln wollte. Die vom OLG Karlsruhe zitierte Verfassungsbeschwerde gegen Zustellung der Napster-Klage war bereits seit 1994, d. h. seit elf Jahren vor dem BVerfG anhängig232 ; seit 1994 hatte das BVerfG alle sechs Monate routinemäßig eine neue Anordnung erlassen, die die förmliche Zustellung der Napster-Klage an Bertelsmann um weitere sechs Monate aussetzte. Es war nicht zu erwarten, dass das BVerfG die Napster-Sache in absehbarer Zeit entscheiden würde. Damit wurde die Zustellung der Bauman-Klage an Daimler scheinbar mit auf die lange Bank geschoben. Eine ablehnende Haltung des OLG Karlsruhe zur Bauman-Klage kam jedenfalls in obiter dicta des letzten Absatzes seines Beschlusses zum Ausdruck. Hier griff das Gericht auf den Souveränitätsvorbehalt des Art. 13 Abs. 1 HZÜ zurück, um Bauman mit der Gefahr einer Hoheitsverletzung in Verbindung zu bringen. Die Zustellung einer Klage verstoße gegen das zu achtende Rechtsstaatsgebot und stelle damit eine Hoheitsgefährdung im Sinne von Art. 13 Abs. 1 HZÜ dar, wenn „das Verfahren rechtsfremden Zwecken dienen soll“233. Nach Zitierung dieser Grundregel griff das Gericht die im von Daimler eingereichten Expertengutachten enthaltene Bezeichnung der prozessfremden Zwecke der Bauman-Klage auf: „[Bauman sei] in klarer Ermangelung von Erfolgsaussichten in offensichtlich missbräuchlicher Weise dazu genutzt …, [Daimler] u. a. mit publizistischem Druck und dem Risiko einer Verurteilung gefügig zu machen und zu einem Vergleich zu drängen“234. Das Gericht stellte 229 Die „Napster-Sache“ kam nie zur Entscheidung, weil Bertelsmann im November 2005 seine Verfassungsbeschwerde zurücknahm. In 2007 entscheid das BVerfG, dass die Zustellung einer auf punitive damages gerichteten Klage nicht gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstößt, siehe 2 BvR 1133/04, RIW 2007, 211. 230 Siehe OLG Karlsruhe, S. 3. 231 Siehe OLG Karlsruhe, S. 3. 232 Siehe hierzu Jan von Hein, Rechtshilfe und Rechtsstaat – Ein Beitrag zur Bewältigung des Justizkonflikts zwischen den USA und Deutschland, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Forschungsbericht 2008, aufrufbar unter http://www.mpg.de/4 61367/forschungsSchwerpunkt?c=166522. 233 OLG Karlsruhe, S. 5. 234 OLG Karlsruhe, S. 5 (Zitat von Daimlers Schriftsatz vom 23. August 2004, AS. 171, S. 9).
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nicht fest, ob diese Bezeichnung tatsächlich stimmte bzw. ob die Bauman-Kläger eine derartige Strategie tatsächlich verfolgten. Aber nach Ansicht des OLG war diese Klagestrategie, sollte sie sich in der Bauman-Klage bewahrheiten, als Souveränitätsgefährdung im Sinne von Art. 13 HZÜ anzusehen: „Ein derartiger Grund für die Klageerhebung … könnte einer Anordnung der Zustellung der Klageschrift entgegenstehen“235. Diese dicta des OLG Karlsruhe hätten allerdings nicht nur Bauman, sondern ATSKlagen im Allgemeinen gelten können. Die meisten ATS-Klagen gegen Großkonzerne wurden als Sammelklagen mit hunderten Ansprüchen erhoben und von einer Medienkampagne begleitet, deren Ziel es durchaus war, „publizistischen Druck“ auf z. B. Shell, Chevron oder Chiquita auszuüben. Der Beschluss des OLG Karlsruhe legte fest, dass es diese für ATS-Klagen nun typische Strategie – Klageerhebung als Teil einer umfassenden Entschädigungskampagne – als offensichtlicher Rechtsmissbrauch ansah. Als Ergebnis führte das OLG Karlsruhe weiter aus, dass die Zustellung von solchen typischen ATS-Klagen gegen das Rechtsstaatsgebot verstieße und deswegen nach Art. 1 Abs. 1 HZÜ abgelehnt werden durfte. Dies war die erste Aussage eines deutschen Gerichts zu ATS-Klagen, und sie fiel geradewegs feindselig aus. c) Zweite Zustellung in den USA Die Bauman-Kläger haben jedenfalls aus der Entscheidung des OLG Karlsruhe herausgelesen, dass keine Amtshilfe der deutschen Gerichte bei der Zustellung an Daimler zu erwarten war. Anstatt die Sache weiter in Deutschland zu verfolgen, nahmen die Kläger eine zweite Zustellung an den amerikanischen Sitz des – damals noch fusionierten – Weltkonzerns DaimlerChrysler in einem Vorort von Detroit vor. Die Rechtmäßigkeit und Bindungswirkung dieser Zustellung für die deutsche Daimler AG wurde im November 2005 vom Northern District of California bestätigt236, nachdem Daimler seine Einwände dagegen fallen ließ237. Damit schritt das Verfahren zur Rechtsfrage, die sein Schicksal bestimmen sollte: personal jurisdiction.
235 236
2005).
OLG Karlsruhe, S. 5. Siehe Bauman v. DaimlerChrysler AG, No. C-04-00194 RMW, (N.D. Cal. Nov. 22,
237 Daimler zog seine Einwände offenbar zurück, weil es das Risiko einer Entscheidung des District Court, die Chrysler als Zustellungsbevollmächtigte Daimlers in den USA festgelegt hätte, nicht eingehen wollte, siehe Bauman v. DaimlerChrysler AG, No. C-04-00194 RMW, (N.D. Cal. Nov. 22, 2005).
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6. Die Zuständigkeitsfrage a) Rechtliche Hintergründe Die Prinzipien amerikanischer Zuständigkeit wurden bereits in Kapitel 2, Abschnitt B. II. 1. dargelegt und werden hier kurz zusammengefasst. Die Zuständigkeit amerikanischer Gerichte für eine Klage gegen einen bestimmten Beklagten ist nur dann gegeben, wenn der Beklagte hinreichende Kontakte zum Forumstaat unterhalten hat. Um einen allgemeinen Gerichtsstand im Forum zu begründen, muss ein Beklagter systematische und andauernde wirtschaftliche Kontakte zum Forumstaat unterhalten haben238. Ein besonderer Gerichtsstand ist gegeben, wenn der Beklagte hinreichende „minimum contacts“ mit dem Forum hatte und die gegen ihn geltend gemachten Ansprüche aus diesen Kontakten entstanden sind239. Bei der Ermittlung von Forumkontakten im Kontext von aus mehreren Unternehmen bestehenden Konzernen beachten amerikanische Gerichte das aus dem Gesellschaftsrecht herrührende Trennungsprinzip. Rechtlich selbständige juristische Personen werden zum Zwecke der Zuständigkeitsprüfung getrennt betrachtet und sind nur für eigene Forumkontakte verantwortlich. Beim Vorliegen eines MutterTochter-Verhältnisses folgt aus dieser Regel, dass der bloße Besitz von Aktien einer in einem amerikanischen Forum ansässigen Tochtergesellschaft nicht ausreicht, um die Zuständigkeit des Forums für ihre ausländische Mutter zu begründen240. Als Ausnahme vom Trennungsprinzip lässt das Recht des Ninth Circuit den sog. „agency“-Test bei der Zuständigkeitsanalyse zu241. Nach diesem Test können die Forumkontakte der amerikanischen Tochter der ausländischen Mutter zugerechnet werden, um die Zuständigkeit der kalifornischen Gerichte für die Mutter anhand der Kontakte der Tochter zu begründen. Diese Zurechnung – und ihre einhergehende Bejahung der Zuständigkeit für die ausländische Mutter – ist zulässig, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: (a) die Tätigkeiten der Tochter im Forumstaat sind für die Mutter derart wichtig, dass, wenn die Tochter sie nicht mehr erbringen würde, die Mutter sie selbst erbringen müsste („sufficient importance“)242; (b) die Mutter beherrscht wesentliche Aspekte der Wirtschaftstätigkeit der Tochter („control“)243; und (c) die Bejahung des allgemeinen Gerichtsstands für die Mutter im Forumstaat ist 238
Siehe Helicopteros Nacionales de Colombia, S.A. v. Hall, 466 U.S. 408 (1984). Siehe International Shoe Co. v. Washington, 326 U.S. 310 (1945). 240 Siehe z. B. Doe v. Unocal Corp., 248 F. 3d 915, 925 (9th Cir. 2001): „The existence of a relationship between a parent company and its subsidiaries is not sufficient to establish personal jurisdiction over the parent on the basis of the subsidiaries’ minimum contacts with the forum“. 241 Siehe Unocal, 248 F.3d at 928 ff. 242 Diese Voraussetzung wird so formuliert: „[T]he parent would undertake to perform the services [of the subsidiary] itself if it had no representative at all to perform them“. Bauman v. DaimlerChrysler AG, 644 F.3d 909, 921 (9th Cir. 2011). 243 Siehe Bauman, 644 F.3d at 920: „[The agency] test requires the plaintiffs to show an element of control“. 239
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
unter einer Gesamtbetrachtung aller Umstände fair („reasonableness“)244. In solchen Fällen wird angenommen, dass die Tochter nicht als eigenständiges Unternehmen gegründet worden ist, sondern dass „the subsidiar[y’s] presence [merely] substitutes for the presence of the parent“245. b) Der notwendige Rückgriff auf den Agency-Test in der Bauman-Klage Um die Zuständigkeit der kalifornischen Gerichte für Daimler zu begründen, mussten die Bauman-Kläger auf den „agency“-Test zurückgreifen. Die Gründe hierfür waren, dass (a) die Daimler AG nur minimalste Kontakte zu Kalifornien hatte, und dass (b) auch wenn Daimlers Kontakte mit Kalifornien „minimum contacts“ dargestellt hätten, der sich daraus ergebende besondere Gerichtsstand trotzdem nutzlos gewesen wäre, weil die Bauman-Klage nicht aus diesen kalifornischen Kontakten entstand. Folglich mussten die Bauman-Kläger einen allgemeinen Gerichtsstand Daimlers in Kalifornien begründen, ohne sich auf Daimlers eigene (minimale) Kontakte zu Kalifornien zu berufen. Hierfür verwiesen sie auf Daimlers amerikanische Tochtergesellschaft für den US-Vertrieb, Mercedes USA. Keine Partei bestritt, dass Mercedes USA einen allgemeinen Gerichtsstand in Kalifornien besaß, weil sie dort eine dauerhafte, systematische und umsatzträchtige Wirtschaftstätigkeit betrieben hatte. Laut den Kläger war Mercedes USA auch als „agent“ von Daimler im Sinne des „agency“-Tests anzusehen. Dies sei der Fall, weil (a) die Umsätze von Mercedes USA derart groß seien, dass Daimler ohne Mercedes USA nicht überleben könnte, und (b) die Vertriebsvereinbarung zwischen Daimler und Mercedes USA durchgehende Kontrollrechte für Daimler vorsehe246. Aus diesem Grund seien die Kontakte von Mercedes USA zu Kalifornien der deutschen Daimler AG zuzurechnen, und weil diese Kontakte einen allgemeinen Gerichtsstand für Mercedes USA in Kalifornien begründeten, begründeten sie dort ebenso einen allgemeinen Gerichtsstand für Daimler. c) Die Entscheidungen der amerikanischen Gerichte aa) Die erstinstanzliche Entscheidung von 2007 und die erste Entscheidung des Ninth Circuit von 2009 2007 entschied das Northern District of California, dass kein „agency“-Verhältnis im Sinne des „agency“-Tests bestand und dass die Bauman-Klage infolge man244 Siehe Bauman, 644 F.3d at 919 – 920: „First, we examine whether ,the defendant ha[d] the requisite contacts with the forum state [through the agency test]. Second, if it did, we then turn to an examination of whether the assertion of jurisdiction is fair and reasonable“. 245 Unocal, 248 F.3d at 929 (Zitat von Bulova Watch Co., Inc. v. K. Hattori & Co., Ltd., 508 F. Supp. 1322, 1342 (E.D.N.Y. 1981)). 246 Siehe Bauman v. DaimlerChrysler AG, 579 F.3d 1088, 1094 ff. (9th Cir. 2009).
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gelnder Zuständigkeit abzuweisen war247. Aus Sicht des District Court war Mercedes USA als bloßer Vertriebspartner der Daimler AG anzusehen, was hieß, dass seine Dienstleistungen nicht überlebenswichtig („sufficiently important“) für Daimler waren, weil Daimler jederzeit einen anderen Vertriebspartner mit demselben Geschäft beauftragen könnte248. Des Weiteren seien Deutschland und Argentinien adäquate alternative Foren, die problemlos die Zuständigkeit für die Ansprüche der Kläger annehmen könnten249. Angesichts des schwachen, nur vertriebsbasierten Bezugs von Daimler zu Kalifornien sowie des Risikos eines internationalen Justizkonfliktes mit Deutschland und Argentinien sei die Annahme der Zuständigkeit für die Bauman-Klage als „unreasonable“ zu verneinen250. Gegen diese Entscheidung legten die Kläger Rechtsmittel beim Ninth Circuit ein. 2009 bestätigte ein Senat des Ninth Circuit die Entscheidung des District Court251. Das Gericht war der Meinung, dass die Kläger weder ein Beherrschungsverhältnis zwischen Daimler und Mercedes USA noch eine „sufficient importance“ der Vertriebstätigkeiten von Mercedes USA für Daimler nachgewiesen hatten. Zum Erfordernis eines Beherrschungsverhältnisses befand das Gericht, dass Mercedes USAs Status als unabhängiger Vertreiber ihm zu viel Entscheidungsspielraum im Geschäft überließ, um eine durchgehende Kontrolle Daimlers bejahen zu können252. Eine besondere Wichtigkeit der Vertriebstätigkeit von Mercedes USA für Daimler verneinte das Gericht, weil es davon ausging, dass bei einem Ausfallen von Mercedes USA Daimler den Vertrieb nicht selbst aufnehmen, sondern lediglich einen neuen
247
2007).
Siehe Bauman v. DaimlerChrysler AG, No. C-04-00194 RMW (N.D. Cal. Feb. 12,
248 „[I]t is not clear that [Daimler] would be required to perform [distribution] functions itself to avail itself of the California, luxury-vehicle market“. Bauman, No. C-04-00194 RMW, at 12. 249 Siehe Bauman, No. C-04-00194 RMW, at 13 ff. Es ist sehr ungewöhnlich, dass das Zurverfügungstehen alternativer Foren im Rahmen der Zuständigkeitsentscheidung geprüft wird; normalerweise gehört ein Vergleich der Angemessenheit verschiedener Foren zur forum non conveniens-Analyse. Trotzdem ging das District Court detailliert auf die Interessen von Deutschland und Argentinien an der Bauman-Klage ein, weil es die Erzeugung eines Justizkonfliktes als relevant für Frage nach der „reasonableness“ der Zuständigkeitsannahme fand. Im folgenden Berufungsverfahren rügte Daimler diese Analyse als unzulässige Verwandlung seines Antrags auf Abweisung wegen mangelnder Zuständigkeit in einen Antrag auf Abweisung wegen forum non convienens, aber das Ninth Circuit ließ die Gesamtbetrachtung des District Court zu, siehe Bauman v. DaimlerChrysler Corp., 579 F.3d 1088, 1095 (9th Cir. 2009). 250 Siehe Bauman, No. C-04-00194 RMW, at 13 ff. 251 Siehe Bauman v. DaimlerChrysler Corp., 579 F.3d 1088 (9th Cir. 2009). 252 Bauman, 579 F.3d at 1096: „[A]lthough DCAG [d. h. DaimlerChrysler AG] articulates some specific policies for MBUSA [d. h. Mercedes Benz USA], the Agreement was terminable, MBUSA goals are negotiated by both parties, and title to the cars passes in Germany. DCAG has no control over the product’s ultimate destination within the United States, and the evidence shows that MBUSA had the power to independently decide against buying DCAG G-Class vehicles in California. This is not pervasive and continual control“.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
unabhängigen Vertreiber aussuchen würde253. Allerdings gab der Ninth Circuit zu, dass die Analyse zur Wichtigkeit der Vertriebstätigkeit anders ausfallen könnte, denn „without [Mercedes USA] or another distributor, [Daimler] would not be able to sell Mercedes-Benz vehicles in California“254. Gegen diese Entscheidung stellten die Kläger einen Antrag auf Neuverhandlung vor demselben Senat des Ninth Circuit255. Im Mai 2010 hob der Senat seine Entscheidung von 2009 auf und ordnete eine Neuverhandlung an256. Sein Aufhebungsbeschluss ließ auf eine neue Neigung schließen, ein „agency“-Verhältnis zwischen Daimler und Mercedes USA zu bejahen: Vor dem nächsten Verhandlungstermin sollten die Parteien Stellungnahmen zu zwei Rechtsfragen einreichen: (1) Wie viel Kontrolle muss Daimler auf Mercedes USA ausüben können, um ein Beherrschungsverhältnis im Sinne des „agency“-Tests bejahen zu können; und (2) sollte ein „agency“-Verhältnis bejaht werden, wäre die Erstreckung der allgemeinen Zuständigkeit auf Daimler fair257. bb) Entscheidung des Ninth Circuit von 2011 Ein Jahr später hat der Senat des Ninth Circuit in Mai 2011 alle bisherigen Entscheidungen aufgehoben und ein „agency“-Verhältnis zwischen Daimler und Mercedes USA – und damit einen allgemeinen Gerichtsstand Daimlers in Kalifornien – bejaht258. Das Gericht bejahte zunächst, dass die Voraussetzung der „sufficient importance“ erfüllt war. Entgegen seiner ersten Entscheidung war es für den Ninth Circuit nun irrelevant, dass Daimler bei einem etwaigen Ausfall von Mercedes USA eine freie Wahl unter anderen Vertriebspartnern hätte. Die Frage sei vielmehr, was Daimler täte, wenn keine Tochtergesellschaft für Vertrieb mehr vorhanden wäre259. In einem solchen Fall war das Gericht überzeugt, dass Daimler den amerikanischen Vertrieb 253 Siehe Bauman, 579 F.3d at 1096 – 1097: „The evidence that DCAG has previously used independent distributors [], along with Toyota’s successful use of autonomous distributors, militates against a finding that without MBUSA, DCAG would personally market and distribute vehicles in California“. 254 So die Formulierung des District Court in Bauman, No. C-04-00194 RMW (N.D. Cal. Feb. 12, 2007), S. 12. Das Ninth Circuit gab zu erkennen, dass es die Frage zur Wichtigkeit von Mercedes USAs Vertriebstätigkeiten „close“ fand, siehe Bauman, 579 F.3d at 1096. 255 Ein Antrag auf eine Neuverhandlung einer Berufungssache vor demselben Senat ist gemäß Federal Rule of Appellate Procedure 40 zulässig, siehe Fed. R. App. P. 40 (a) (1): „[A] petition for panel rehearing may be filed within 14 days after entry of judgment“. 256 Siehe Bauman v. DaimlerChrysler Corp., 603 F.3d 1141 (9th Cir. 2010). 257 Siehe Bauman, 603 F.3d at 1141. 258 Siehe Bauman v. DaimlerChrysler Corp., 644 F.3d 909 (9th Cir. 2011). 259 „Our starting point is … that a subsidiary acts as an agent if the parent would undertake to perform [the subsidiary’s] services itself if it had no representative at all to perform them“. Bauman, 644 F.3d at 921.
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne
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selbst übernehmen müsste. Der amerikanische Markt sei für 19 % des globalen Mercedes-Umsatzes verantwortlich260. Daher sei Daimler für sein Überleben auf den amerikanischen Vertrieb angewiesen: „[Daimler] simply could not afford to be without a U.S. distribution system“261. Der Ninth Circuit stellte an zweiter Stelle fest, dass ein Beherrschungsverhältnis zwischen Daimler und Mercedes USA vorlag. Aus Sicht des Gerichts war ein Beherrschungsverhältnis gegeben, wenn der Muttergesellschaft ein Direktionsrecht gegenüber der wesentlichen Tätigkeiten der Tochter zustand; die tatsächliche Kontrolle der Tochter durch Inanspruchnahme des Direktionsrechts war irrelevant262. Im Falle von Mercedes USA sah das Gericht ein durchgehendes Direktions- und Weisungsrecht Daimlers als gegeben. Das Gericht ging die Vertriebsvereinbarung zwischen Daimler und Mercedes USA detailliert durch, um aufzuzeigen, dass sich Daimler „the right to control nearly all aspects of [Mercedes USA’s] operations“ vorbehalten hatte263. Deshalb schloss das Gericht, Daimler habe „the right to substantially control“ die Tätigkeiten von Mercedes USA264. Als Letztes befand der Ninth Circuit, dass die Erstreckung kalifornischer Zuständigkeit auf die deutsche Daimler AG fair sei. Das Vorliegen von Fairness stellte das Gericht in vier Schritten fest. Erstens verwies das Gericht auf Daimlers Kontakte zu Kalifornien und schloss daraus, dass es nicht unfair wäre, Daimler vor die kalifornischen Gerichte zu zitieren. Daimler sei vorsätzlich in den kalifornischen Markt eingedrungen und habe über Jahrzehnte erhebliche Gewinne daraus geschöpft265. Eine Klage in Kalifornien stelle für Daimler keine Härte dar, weil Daimler eine 260
Siehe Bauman, 644 F.3d at 922. Bauman, 644 F.3d at 922. 262 Siehe Bauman, 644 F.3d at 923 – 924. 263 Das Gericht listete die operativen Entscheidungen auf, die Daimler für Mercedes USA bestimmen konnte: „[T]he number of vehicles that MBUSA must sell; the approval of MBUSA’s Authorized Resellers, as well as the location of each retail sales outlet, showroom and service facility; the dealership standards that MBUSA must comply with; the business systems that MBUSA uses; the type of customer information that MBUSA must collect; which management personnel are appointed to run MBUSA; which management personnel positions shall exist at MBUSA; the standards and requirements MBUSA must meet for vehicle servicing; whether MBUSA is required to establish a Service Coordination Center, and if so, what tasks that Center will perform; the warranty terms applicable to MBUSA’s customers; whether MBUSA can alter or modify any vehicle; what technical service publications MBUSA shall have in its library; the content and scope of MBUSA’s advertising and marketing strategy; the type, design and size of MBUSA’s signs; the prices that MBUSA must pay to DCAG; the prices that MBUSA may charge to its Authorized Resellers; the working capital level and financing capability level that MBUSA must maintain; what other goods MBUSA may sell or manufacture; whether MBUSA must assist in vehicle homologation; and the sales numbers of various Authorized Resellers“. Offenbar konnte Daimler seine Kontrollrechte auf weitere Sachverhalte erweitern, solange sie einen Bezug zur Vertriebsvereinbarung aufwarfen. Bauman, 644 F.3d at 924. 264 Bauman, 644 F.3d at 924. 265 Bauman, 644 F.3d at 925. 261
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
Kanzlei in San Francisco mit einer Generalvertretung mandatiert und bereits mehrmals eigene Klagen in Kalifornien erhoben habe266. Insofern könne ein kalifornischer Gerichtsstand nicht als unfair betrachtet werden. Zweitens befand das Gericht, Kalifornien habe ein wichtiges Interesse an der Bauman-Klage. Der Kongress habe durch Verabschiedung des Torture Victim Protection Act267 gesetzlich festgelegt, dass „federal courts [in any state] have a strong interest in adjudicating and redressing international human rights abuses“268. Vor diesem Hintergrund hat der Ninth Circuit die Vorkommnisse in Argentinien als „our business“ bezeichnet269. Drittens setzte sich das Gericht mit dem Urteil des OLG Karlsruhe auseinander und kam zu dem Ergebnis, dass die Annahme der Zuständigkeit für die BaumanKlage keine Gefährdung der deutschen Souveränität bedeutete. Das Gericht legte zwar zunächst fest, dass US-Gerichte grundsätzlich sorgfältig vorgehen sollten, ehe sie ihre Zuständigkeitsvorstellungen auf Bürger ausländischer Rechtsordnungen erstreckten270. Aber für das Gericht war dennoch ausschlaggebend, dass zur Zeit der Klageerhebung fast die Hälfte des weltweiten Umsatzes des DaimlerChryslerKonzerns aus dem US-Markt stammte, und dass Daimler mit einem der größten drei Autohersteller der USA (Chrysler) fusioniert war271. Vor diesem Hintergrund sei offensichtlich, dass Daimler „extensive business“ in den USA betreibe272. Diese operative Entscheidung trage das Risiko nach sich, dass sich Daimler einer amerikanischen Klage werde stellen müssen273. Insofern könne es nicht sein, dass die gerichtliche Inanspruchnahme von Daimler durch kalifornische Gerichte deutsche Souveränität gefährde, auch wenn Daimler eine deutsche Gesellschaft sei. Schließlich befand das Gericht, dass es fair wäre, die Zuständigkeit für die Bauman-Klage anzunehmen, weil kein alternatives Forum in Argentinien oder Deutschland gegeben sei. Dass die Bauman-Klage in Argentinien nicht zulässig wäre, schloss das Gericht aus einem Urteil des obersten argentinischen Gerichts, das eine strikte Verjährungsfrist von 27 Monaten für Ansprüche aus dem „schmutzigen Krieg“ festlegte274. Zum Forum Deutschland hatte Daimler durch Expertengutachten 266
Bauman, 644 F.3d at 925. Zum Torture Victim Protection Act siehe Kapitel 1, Abschnitt C. I. 4. a). 268 Bauman, 644 F.3d at 927. 269 Bauman, 644 F.3d at 927. 270 „Great care and reserve should be exercised when extending our notions of personal jurisdiction into the international field“, Bauman, 644 F.3d at 926 (Zitat von Asahi Metal Indus. v. Superior Ct., 480 U.S. 102, 115 (1987)). 271 Siehe Bauman, 644 F.3d at 926. 272 Bauman, 644 F.3d at 926. 273 Bauman, 644 F.3d at 926. 274 Siehe Bauman, 644 F.3d at 928. Die zitierte argentinische Entscheidung stammte aus 2007: Corte Supreme de Justicia de la Nacion, 30/10/2007, „Larrabeiti Yanez, Anatole Alejandro y otro c/ Estado Nacional / proceso de concocimiento“, La Ley [L.L.] (2008-F-23). Amtlicher Leitsatz des Urteils war, dass Verbrechen gegen das Menschenrecht zwar nie ver267
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne
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bestritten, dass die Ansprüche der Bauman-Klage in Deutschland verjährt waren, sodass der Ninth Circuit die Zulässigkeit der Ansprüche vor deutschen Gerichten nicht gänzlich ausschließen konnte275. Aber in diesem Zusammenhang kam das Urteil des OLG Karlsruhe wieder zum Vorschein, um die Möglichkeit eines alternativen deutschen Forums zu verneinen. Nach Meinung des Ninth Circuit war eine ausländische Rechtsordnung nicht als adäquates alternatives Forum anzusehen, wenn dort eine wirksame Zustellung nicht möglich war276. Im Kontext der BaumanKlage war es für den Ninth Circuit vollkommen unklar, ob in Deutschland an Daimler zugestellt werden konnte. Daimler habe sich in Deutschland nach Kräften gegen die Zustellung gewehrt. Die deutschen Gerichte schienen die Bauman-Klage als Souveränitätsverletzung anzusehen, auch wenn das Urteil des OLG Karlsruhe keine endgültige Aussage getroffen hätte. Insofern könne ein deutsches Forum nicht vollständig ausgeschlossen werden, doch könne Deutschland in diesem Zusammenhang nicht als adäquates alternatives Forum angesehen werden, zu dessen Gunsten das kalifornische Verfahren einzustellen wäre277. Aus diesen Gründen legte der Ninth Circuit fest, dass Daimler der Inanspruchnahme durch die kalifornischen Gerichte unterlag. Das Gericht fasste seine Ansicht mit einem leicht abgeänderten Zitat aus Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co.278 zusammen, in dem der Second Circuit einen allgemeinen Gerichtsstand New Yorks für den niederländischen Shell in einer anderen ATS-Klage aufgrund der „agency“Theorie bejaht hatte: „The defendants control a vast, wealthy, and far-flung business empire which operates in most parts of the globe. They have a physical presence in the forum state [through their agent], have access to enormous resources, face little or no language barrier, have litigated in this country on previous occasions, have a four-decade long relationship with one of the nation’s leading law firms, and are the parent companies of one of America’s largest corporations, which has a very significant presence in [California]. [San Francisco], furthermore, where the trial would be held, is a major world capital which offers central location, easy access, and extensive facilities of all kinds“279. jähren und deswegen immer Gegenstand einer Strafverfolgung bilden können, doch dass zivilrechtliche Ansprüche zur Entschädigung von Menschenrechtsverbrechen der regelmäßigen gesetzlichen Verjährungsfrist unterliegen. 275 Siehe Bauman, 644 F.3d at 929 („As to Germany, there is conflicting expert testimony about whether equitable tolling, or an equivalent within the German legal system, would allow the suit to proceed. The answer is not clear“). 276 „[W]e consider[] the defendant’s amenability to service of process in the alleged alternative forum in deciding whether that forum [is] truly an alternative“. Bauman, 644 F.3d at 929. 277 So die umsichtige Formulierung des Gerichts: „[G]iven the concerns discussed above, and the issues that have already arisen with respect to plaintiffs’ efforts to serve DCAG in Germany, we cannot say that Germany is an adequate forum such that personal jurisdiction elsewhere should be defeated“. Bauman, 644. F.3d at 929. 278 Siehe Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co. 226 F.3d 88 (2d Cir. 2000). 279 Bauman, 644 F.3d at 930 (Zitat von Wiwa, 226 F.3d at 99).
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
7. Deutsche Reaktionen auf die Entscheidung des Ninth Circuit Die Bauman-Entscheidung des Ninth Circuit von 2011 begründete ein sehr weites Zuständigkeitskonzept: Hat ein ausländischer Konzern eine hinreichend umsatzkräftige amerikanische Tochtergesellschaft, hat er auch einen allgemeinen Gerichtsstand in Kalifornien, wenn nicht sogar in allen US-Bundesstaaten; folglich können die kalifornischen Gerichte alle Aspekte seiner weltweiten Tätigkeiten ihrer Gerichtsbarkeit unterwerfen. Damit waren alle Wirtschaftstätigkeiten eines internationalen Konzerns, egal wo sie auf der Welt betrieben wurden, den Kosten und Risiken eines typischen amerikanischen Verfahrens ausgesetzt, sobald der Konzern in die USA investiert und sich geschäftstypische Kontrollrechte über seine Tochter vorbehalten hatte. Angesichts der Wichtigkeit des amerikanischen Marktes für die deutsche Wirtschaft stellte die Bauman-Entscheidung eine erhebliche Gefahr für weltweite deutsche Wirtschaftsinteressen dar. Im Gegensatz zu den Apartheid-Klagen gab die Bundesregierung keine öffentliche Stellungnahme zur Bauman-Klage ab280. Dies mag angesichts der Risiken dieser Entscheidung für die deutsche Industrie merkwürdig erscheinen. Allerdings wurde die Bundesregierung nicht vom Ninth Circuit um eine Stellungnahme gebeten. Des Weiteren scheint eine öffentliche Position der Bundesregierung überflüssig gewesen zu sein, weil andere Vertreter des deutschen Staates und der deutschen Wirtschaft einen wirkungsvollen Protest gegen Bauman angeführt haben. a) Das Urteil des OLG Karlsruhe Der ,offizielle‘ Protest des deutschen Staates gegen Bauman ging nicht von der Bundesregierung, sondern von den deutschen Gerichten aus. Wie oben dargelegt hat das OLG Karlsruhe die Zustellung der Bauman-Klage im Jahr 2005 ausgesetzt, um eine Entscheidung des BVerfG in der Napster-Sache abzuwarten281. Gleichzeitig ergab sich aus seinem Beschluss ein dogmatisches Argument, weswegen Bauman – sowie die ATS-litigation gegen Konzerne im Allgemeinen – als Verletzung der deutschen Souveränität anzusehen war. Das OLG Karlsruhe hat im letzten Absatz seines Beschlusses auf den Vorbehalt des Art. 13 Art. 1 HZÜ zurückgegriffen, um Bauman mit einer Verletzung deutscher Hoheit in Verbindung zu bringen282. Die Bauman-Kläger hätten die Zustellung der kalifornischen ATS-Klage an Daimler beantragt; laut Art. 13 Art. 1 HZÜ könne ihr Antrag nur dann abgelehnt werden, wenn die Zustellung geeignet wäre, die deutsche 280 Siehe Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Agnes Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, 5. Juni 2012, Drucksache 17/9867. Auf Seite 5 ihrer Antwort auf eine Kleine Frage der GRÜNEN-Fraktion zum Kiobel-Verfahren gibt die Bundesregierung zu, „keine Einwände“ gegen das Bauman-Verfahren geltend gemacht zu haben. 281 Siehe Abschnitt B. IV. 5. b) dieses Kapitels, oben. 282 Siehe Beschluss des OLG Karlsruhe vom 07. 03. 2005 – 10 VA 5/04, S. 4 – 5.
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne
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Souveränität zu gefährden. Eine Souveränitätsgefährdung könne dann eintreten, wenn die Zustellung dem Rechtsstaatsgebot zuwiderlaufen würde, also wenn sie gegen „unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats“ verstieße283. Ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsgebot wäre bei der Zustellung einer Klage gegeben, die offensichtlich rechtsmissbräuchlich sei, weil sie eindeutig prozessfremde Zwecke verfolge284. Derartige Zwecke seien anzunehmen, wenn eine Klage, die ohne Aussicht auf Erfolg erhoben wurde, damit der Kläger mit „publizistischem Druck“ und Verfahrenskosten dem Beklagten einen Vergleich abnötigen kann, in Deutschland zugestellt werden solle285. Das OLG Karlsruhe hat diese Ausführungen nicht auf den konkreten Sachverhalt der Bauman-Klage angewandt. Aber durch amtliche Verkündung dieser Analyse hatte das Gericht die Möglichkeit offengelassen, wenn nicht nahegelegt, dass Bauman als eine Verletzung der deutschen Souveränität anzusehen war. Und nicht nur Bauman – alle größeren ATS-Klagen gegen Konzerne waren Teil einer weiteren Medienkampagne, die von Aktivisten betrieben wurde, um Druck auf die beklagten Konzerne auszuüben. Aus diesem Grunde nahm das OLG Karlsruhe zumindest stillschweigend die Position ein, dass ATS-Klagen gegen Konzerne missbrauchsanfällig waren und dass deutsche Gerichte deswegen bei jeder ATS-Klage genau prüfen müssten, ob die Zustellung verweigert werden müsste. Dies war die erste öffentliche Aussage der deutschen Gerichte zur ATS-litigation und sie wirkte wie eine Art Vergeltungsmaßnahme. Amerikanische Gerichte durften ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne zulassen, aber dafür behielten sich die deutschen Gerichte das Recht vor, jede dieser Klagen eingehend auf ihren missbräuchlichen Charakter zu prüfen und durch die Ablehnung der Zustellung deutsche Rechtsstaatsvorstellungen durchzusetzen. Diese Haltung des OLG Karlsruhe sollte etwa viereinhalb Jahre später zur Position der Bundesregierung werden. In ihrer Stellungnahme zur Apartheid-Klagen von Dezember 2009286 übernahm die Bundesregierung die Ansicht, dass die Zustellung einer „offensichtlich rechtsmissbräuchlichen“ Klage gegen das Rechtsstaatsgebot verstoßen und damit eine Souveränitätsgefährdung im Sinne von Art. 13 Abs. 1 HZÜ nach sich ziehen würde287. Daher müsse vor der Zustellung ausländischer Klagen, die auf „missbrauchsanfällige Rechtsinstitute“ stützen, stets geprüft werden, ob die konkrete Klage einen „offensichtlich rechtsmissbräuchlichen Charakter“ habe, um vor Gefährdungen der deutschen Hoheit zu schützen288. Damit 283
OLG Karlsruhe, S. 4. OLG Karlsruhe, S. 4. 285 OLG Karlsruhe, S. 5. 286 Siehe Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, 12. März 2010, Drucksache 17/992. 287 Antwort der Bundesregierung vom 12. März 2010, S. 2. 288 Antwort der Bundesregierung vom 12. März 2010, S. 2. 284
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
deutete die Bundesregierung an, dass sie wie das OLG Karlsruhe ATS-Klagen als „missbrauchsanfällig“ betrachtete und im Namen der deutschen Hoheit einer eingehenden ex ante-Prüfung jeder konkreten ATS-Klage vor Bewilligung der Zustellung zustimmte. b) Proteste der deutschen Wirtschaft Die Entscheidung des Ninth Circuit stieß auf heftigen Widerstand aus der Wirtschaft. Unzählige deutsche Konzerne hatten in den USA investiert, sei es durch den Bau einer Fabrik oder durch den Abschluss eines Vertriebsvertrags mit selbständigen amerikanischen Partnern. Diese Konzerne waren wenig begeistert davon, dass sie mit ihrer Entscheidung, in den USA zu investieren, praktisch all ihre weltweiten Tätigkeiten dem Risiko eines US-Prozesses ausgesetzt hatten. In der Vorbereitung auf die Revision von Bauman vor dem Supreme Court289 reichten mehrere deutsche Unternehmen sowie Industrievertreter amicus curiaeSchriftsätze gegen die Entscheidung des Ninth Circuit ein. In diesen Schriftsätzen machten diese Wirtschaftsteilnehmer sowohl ein dogmatisches als auch ein ökonomisches Argument geltend. aa) Das dogmatische Argument: Rechtsanwendungsbefugnis gleicht Rechtssetzungsbefugnis In dogmatischer Hinsicht versuchten die amicus curiae-Schriftsätze, die BaumanEntscheidung des Ninth Circuit unter Kiobel zu subsumieren und als unzulässige Ausübung amerikanischer Hoheitsbefugnisse auf dem Territorium fremder Souveräne zu charakterisieren. Hierfür griffen sie auf die Einschränkungen amerikanischer Normsetzung zurück, die der Supreme Court in Kiobel als Schranke für ATS-Klagen festgelegt hatte. Der Supreme Court habe bereits anerkannt, dass die Tätigkeiten ausländischer Wirtschaftsteilnehmer in anderen Ländern grundsätzlich außerhalb des zulässigen Normsetzungsbereichs der USA lägen290. Dies habe in der Zugrundelegung der „presumption against extraterritoriality“ zur Auslegung von Bundesgesetzen und zur Eingrenzung des Anwendungsbereichs von ATS-Ansprüchen Ausdruck gefunden291. Mit diesen Entwicklungen habe der Supreme Court beabsichtigt, Eingriffe in die Souveränität anderer Länder und Konflikte mit anderen Souveränen zu vermeiden292. Allerdings drohe die Erstreckung allgemeiner amerikanischer Gerichtsstände auf nichtamerikanische Wirtschaftsteilnehmer im Ausland 289
Zur Entscheidung des Supreme Court siehe Kapitel 2, Abschnitt B. VI. 5. Siehe Brief of amici curiae Economiesuisse, the Suisse Bankers Association, ICC Switzerland, Association of German Banks, and the European Banking Federation, Daimler AG v. Bauman, 134, S. Ct. 746 (2014) (No. 11-965), p. 4. 291 Brief of amici curiae Economiesuisse, S. 5. 292 Brief of amici curiae Economiesuisse, S. 7. 290
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne
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dieselben Souveränitätskonflikte auszulösen, die von der extraterritorialen Anwendung amerikanischer Gesetze auf fremdes Hoheitsgebiet verursacht werden293: „[W]hen a foreign plaintiff sues a foreign company for foreign conduct, the United States has no legitimate interest in the suit. In fact, given the position of foreign nations, providing such a cause of action could well ,generate[]‘ ,diplomatic strife‘“294.
Schließlich sei die Annahme der gerichtlichen Zuständigkeit als Bejahung einer Befugnis des jeweiligen Gerichts einzustufen, in Hinblick auf den vorliegenden Fall Recht zu setzen295. Dies könne vor allem in zahlreichen Protesten anderer Länder gegen die Erstreckung allgemeiner amerikanischer Gerichtsstände auf Gesellschaften und Sachverhalte, die keinen Bezug zu den USA aufweisen296, sowie in sog. Vergeltungsstatuten europäischer Staaten, die eine ähnlich weitgehende Zuständigkeit ausländischer Gerichte für amerikanische Wirtschaftsteilnehmer vorgesehen hätten297, gesehen werden. Insofern solle der Supreme Court die Ausübung amerikanischer Zuständigkeit denselben territorialen Schranken unterwerfen, die es in Kiobel für Normsetzung durch die Gerichte festgelegt habe. Dies war – zumindest unter traditionellen Kategorien – ein gewagtes Argument. Kiobel hatte sich ausschließlich mit der Rechtssetzungsbefugnis der USA befasst und ATS-Ansprüche als unzulässige gerichtliche Rechtssetzungen auf dem Hoheitsgebiet fremder Souveräne verworfen, sofern sie keinen territorialen Bezug zu den USA aufwarfen. Hier behaupteten Wirtschaftsteilnehmer jedoch, dass die Rechtsanwendungsbefugnis der amerikanischen Gerichte genauso beschränkt sein sollte wie die Rechtssetzungsbefugnis. Damit ersuchten sie um einen drastischen Bruch mit der herkömmlichen Rechtsprechung. Die Rechtsanwendungsbefugnis amerikanischer Gerichte findet grundsätzlich nur durch ein loses Konzept der Courtoisie gegenüber anderen Souveränen („international comity“) eine Schranke. Zuständigkeitsbeschränkungen werden als überflüssig betrachtet, weil angenommen wird, dass die Interessen anderer Souveräne an der Regelung ihnen nahestehender Sachverhalte durch die Anwendung allgemein anerkannter IPR-Bestimmungen angemessen be293 Siehe Brief of amici curiae Economiesuisse, p. 5 ff.; siehe auch Brief of amici curiae Chamber of Commerce of the United States of America, National Foreign Trade Council, Federation of German Industries, Association of German Chambers of Industry and Commerce, and Organization of International Investment, Daimler AG v. Bauman, 134, S. Ct. 746 (2014) (No. 11-965), p. 4 ff. 294 Brief of amici curiae Economiesuisse, S. 7 (Zitat von Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659, 1669 (2013)). 295 „After all, ,[j]urisdiction is power to declare the law‘“, Brief of amici curiae Economiesuisse, p. 5 (Zitat von Ex parte McCardle, 74 U.S. (7 Wall.) 506, 514 (1868)). 296 Brief of amici curiae Economiesuisse, S. 8 (Zitat von Charles Rhodes, Clarifying General Jurisdiction, 34 Seton Hall L. Rev. 807, 900 (2004): „[A]pplying the American conception of general jurisdiction to disputes without any relationship to the United States … is viewed with [abhorrence] by many other nations“). 297 Brief of amici curiae Economiesuisse, S. 8 – 9 (Zitat von Statuten aus Italien, Österreich, Belgien und Portugal, die zusammengefasst sind in: Gary Born, Reflections on Judicial Jurisdiction in International Cases, 17 Ga. J. Int’l & Comp. L. 1, 15 (1987)).
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rücksichtigt werden. Des Weiteren können Souveräne die eigenen Angehörigen vor übermäßig weitgehenden Erweiterungen internationaler Zuständigkeit durch die Aufstellung von Anerkennungs- und Vollstreckungshindernissen schützen. Aber nach der Darstellung der Wirtschaftsteilnehmer sollte die Annahme der Zuständigkeit selbst, sofern sie in einem Fall ohne Bezug zu den USA erfolgte, als Eingriff in fremde Souveränität qualifiziert werden, gleichgültig ob die sachnähere Rechtsordnung eines anderen Staates im Verfahren zur Anwendung kam. Allerdings hatte die bisherige ATS-Rechtsprechung eindeutig gezeigt, dass sich die traditionelle Differenzierung zwischen Rechtssetzung und Rechtsanwendung im Kontext von ATS-Massenverfahren auflöste. ATS-Klagen waren alles andere als Regelfälle der reinen Rechtsanwendung. Sie wurden als milliardenschwere Sammelklagen gegen namhafte Unternehmen erhoben, um den Beklagten vor die Wahl zu stellen, entweder Millionen für eine riskante Rechtsverteidigung auszugeben oder einen Vergleich abzuschließen. Die Herbeiführung dieser Zwickmühle durch nichts mehr als die Zulassung der gerichtlichen Inanspruchnahme verwandelte die Annahme der Zuständigkeit in eine Gelegenheit, die Wirtschaftstätigkeiten europäischer Konzerne in nichtamerikanischen Ländern effektiv zu regeln – ohne dass diese Tätigkeiten überhaupt einen Bezug zu den USA aufwarfen. Damit rief die weitgehende Erstreckung allgemeiner amerikanischer Gerichtsstände in ATS-Verfahren dieselben Sorgen über Rechtssetzung auf dem Hoheitsgebiet fremder Souveräne hoch, die die Kiobel-Entscheidung des Supreme Court animiert hatten. bb) Das ökonomische Argument: Bauman schadet dem Investitionsstandort USA Allerdings schien das Dogmatische nicht das Hauptargument dieser Schriftsätze zu bilden. Stattdessen legten deutsche Wirtschaftsteilnehmer dem Supreme Court dar, dass Bauman eine Gefährdung amerikanischer Wirtschaftsinteressen darstellte. In einem amicus curiae-Schriftsatz haben der Deutsche Industrie- und Handelskammertag und der Bundesverband der deutschen Industrie dieses Argument folgendermaßen formuliert: „Foreign direct investment plays a vital role in the health of the United States Economy. … Extraordinary assertions of jurisdiction can frustrate this commerce-promotion objective. … [Bauman’s g]eneral jurisdiction rules make [foreign companies] answerable in [American] courts for all claims regardless of where they occurred. This makes the foreign company a tempting target for plaintiffs[.] [Thus], ,[o]verseas firms … could be deterred from doing business here‘“298.
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Siehe Brief of amici curiae Chamber of Commerce of the United States of America, National Foreign Trade Council, Federation of German Industries, Association of German Chambers of Industry and Commerce, and Organization of International Investment, Daimler AG v. Bauman, 134, S. Ct. 746 (2014) (No. 11-965), p. 18 (Zitat von Stoneridge Inv. Partners, LLC . Scientific-Atlanta, 552 U.S. 148, 164 (2008)).
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne
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Der Bundesverband deutscher Banken, dessen Kapital mobiler ist als das industrieller Unternehmen, hat in einem zweiten amicus curiae-Schriftsatz dasselbe Argument schärfer formuliert. Der Verband machte deutlich, dass in der globalisierten Welt seine Mitglieder nicht mehr unbedingt auf amerikanische Töchter angewiesen wären und dass die Bestätigung von Bauman Kapitalflucht aus den USA einladen würde: „[Bauman] states a rule so broad that virtually every foreign company with a U.S.-based distribution subsidiary would automatically be swept within its ambit [and subjected to general jurisdiction in the U.S.]. If that standard were upheld, significant numbers of nonU.S. companies would abandon, or choose not to invest in, U.S. based-subsidiaries. … Some companies may choose to withdraw from the U.S. market entirely rather than running the risk of exposure to general jurisdiction in U.S. courts … These consequences would inflict significant harm upon the U.S. economy. … They would remove the tax base that those subsidiaries generate [which accounts for] nearly 14 % of total corporate income tax collected“299.
Ein weiterer Schriftsatz des deutschen Heizungs- und Sanitärkonzerns Viega & Co. GmbH KG verdeutlichte, dass die Vorhersagen der Verbände keine leeren Formeln waren300. Das Unternehmen plädierte für die Aufhebung von Bauman, weil es die Folgen der Entscheidung am eigenen Leib erlebt hatte und nun überlegte, aus dem amerikanischen Markt auszusteigen. Viega war durch den Aufkauf verschiedener US-Firmen in den amerikanischen Bau- und Bewässerungssystemmarkt eingestiegen. Die Firmen hatte Viega als separate Tochtergesellschaften beibehalten. Diese Firmen waren an einem großen Wohnbauprojekt in Nevada beteiligt. Gegen Ende 2011 wurde eine Sammelklage gegen die deutsche Viega KG vor dem District of Nevada erhoben; die Kläger stützten die Zuständigkeit des Gerichts auf den „agency“-Test in Zusammenhang mit den Tätigkeiten von Viegas Töchtern in Nevada301. Das Gericht berief sich auf Bauman, um einen allgemeinen Gerichtsstand Viegas in Nevada aufgrund der Tätigkeiten ihrer Tochtergesellschaften zu bejahen302. Viega legte dem Supreme Court dar, dass es sich nun gezwungen sah, seine USInvestitionen einzufrieren: „The implications of Bauma[n] are wide reaching. With Baumann controlling, the only means by which the German Viega Companies can minimize their risk of having to litigate in a forum in which their indirect subsidiaries conduct business is to avoid the forum completely. This means closing the subsidiaries and avoiding any business in the state altogether. The German Viega Companies have for the moment decided to limit any further U.S. investments until the legal situation is clarified, and have chosen in the meantime to invest in other countries that more predictably apply the relevant corporate law with respect to these 299
Brief of amici curiae Economiesuisse, p. 11 – 12. Siehe Brief of amicus curiae Viega GmbH & Co. KG and Viega Int’l GmbH, Daimler AG v. Bauman, 134, S. Ct. 746 (2014) (No. 11-965). 301 Siehe Waterfall Homeowners Ass’n v. Viega, Inc., Case No. 2:11-cv-1498 (D. Nev. 2012). 302 Siehe Waterfall, No. 2:11-cv-1498, Doc. 127, at 5:17 – 21. 300
518
Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
types of investments. Unless this Court definitively rejects Bauman, not only will the German Viega Companies consider both continuing the moratorium on U.S. investments and divesting themselves of their current U.S. investments, but they will also recommend to other similarly-situated foreign investors to do the same“303.
In Anbetracht derartiger Proteste wird das Ausbleiben einer förmlichen Stellungnahme der Bundesregierung nachvollziehbar. Das deutsche Unternehmertum hat in diesen Schriftsätzen Konsequenzen angedroht, die weit über die diplomatischen Möglichkeiten der Bundesregierung hinausgingen. 8. Aufhebung des Ninth Circuit durch den Supreme Court Im Jahr 2014 hat der Supreme Court die Bauman-Entscheidung des Ninth Circuit von 2011 aufgehoben304. Das Urteil des Supreme Court wurde in Kapitel 2, Abschnitt B. V. 5. umfassend dargelegt und wird deswegen an dieser Stelle nur in seinen wesentlichen Punkten wiedergegeben. Der Supreme Court hat den „agency“-Test nicht angesprochen, sondern die Voraussetzungen für die Bejahung eines allgemeinen Gerichtsstands in den USA erschwert und klarer formuliert. Eine Gesellschaft habe nur in demjenigen Bundesstaat einen allgemeinen Gerichtsstand, in dem ihre Kontakte derart systematisch und beständig seien, dass sie dort „at home“ sei305. Hohe Umsatzzahlen reichten bei weitem nicht aus, um das ,Zuhause‘ einer Gesellschaft zu bestimmen, es sei vielmehr eine physische Präsenz wie ein Sitz erforderlich306. Demnach hatten amerikanische Tochtergesellschaften ihren allgemeinen Gerichtsstand nur in dem Bundesstaat, in dem sie ihren Sitz hatten oder wo sie eingetragen seien. Außerdem seien bei jeder weiteren Behauptung eines Klägers, ein Unternehmen sei in einem anderen Bundesstaat als die genannten „zu Hause“, nicht ausschließlich die Kontakte des Unternehmens zu diesem Bundesstaat zu prüfen, sondern seine Forumkontakte seien stets im Gesamtkontext seines weltweiten Handelns zu würdigen. Mit dieser Entscheidung ist eine vorhin unbekannte Rechtssicherheit in das Recht der personal jurisdiction eingekehrt. Der Supreme Court brachte in Bauman einen klaren Willen zum Ausdruck, dass Unternehmen nur im Bundesstaat der Eintragung und im Bundesstaat des Sitzes einen allgemeinen Gerichtsstand haben. Zwar besteht das übliche common law-Risiko unvorhersehbar breiter Auslegung der Vorgaben des Supreme Court, aber im Grundsatz kann fortan festgehalten werden, dass Unternehmen ausschließlich in den genannten Bundesstaaten ihren allgemeinen Ge-
303 304 305 306
Brief of Viega GmbH, p. 17. Siehe Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746 (2014). Daimler, 134 S. Ct. at 756 – 757. Daimler, 134 S. Ct. at 761 – 762.
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne
519
richtsstand haben. Allgemeine Gerichtsstände aufgrund von „doing business“ sind nach Bauman nicht mehr zulässig307. Folglich kann die Gefahr einer Zurechnung des allgemeinen Gerichtsstands an die ausländische Konzernmutter nach dem „agency“-Test nur bei ATS-Verfahren vor den in den genannten Bundesstaaten gelagerten Gerichten bestehen. Denn die Gerichte anderer Bundesstaaten dürften die amerikanische Tochter ausschließlich über besondere Gerichtsstände in Anspruch nehmen, womit nur ein besonderer Gerichtsstand auf die ausländische Mutter erstreckt werden könnte. Damit dürften die Gerichte dieser Bundestaaten ausländische Unternehmen nur insofern in Anspruch nehmen, als die gegen sie erhobenen Vorwürfe Bezüge zum Forum aufweisen – was in den hier behandelten ATS-Fällen gegen deutsche und ausländische Unternehmen ausgeschlossen wäre. Als Resultat kann ein deutsches Unternehmen durch Konzernstrukturierung das Risiko einer Inanspruchnahme im Rahmen einer ATS-Klage auf ein Minimum reduzieren. Der „agency“-Test wird nur von den Gerichten des Second und Ninth Circuit angewandt. Solange ein deutsches Unternehmen außerhalb der zu diesen Circuits zugehörigen Bundesstaaten die Eintragung und Sitzgründung seiner Tochter erledigt, dürften die Gerichte des Second und Ninth Circuit ausschließlich besondere Gerichtsstände für die amerikanische Tochter bejahen. Somit könnten sie durch Anwendung des „agency“-Tests nur besondere Gerichtsstände der deutschen Konzernmutter zurechnen, womit die Gefahr eine Zurechnung zwar nicht verschwindet, jedoch auf Verfahren mit klaren Bezügen zum jeweiligen Circuit beschränkt ist. Die in dieser Arbeit behandelten ATS-Klagen weisen in aller Regel die für die Begründung eines besonderen Gerichtsstands erforderlichen Kontakte zum Forum nicht auf308. Als konkrete Folge dieses neuen Rechtsrahmens wäre ein Fokus auf den Ort des Sitzes der amerikanischen Tochtergesellschaft zu erwarten. Denn die meisten Tochtergesellschaften werden im Bundestaat Delaware eingetragen, der weder zum Second noch zum Ninth Circuit gehört. Deshalb bestünde das Risiko der Zurechnung eines allgemeinen Gerichtsstands nur noch bei Errichtung des Sitzes der Tochtergesellschaft in den zu diesen Circuits zugehörigen Bundesstaaten, worunter New York und Kalifornien die wirtschaftsstärksten wären. In der Entscheidung des Supreme Court scheint das dogmatische Argument der Wirtschaftsteilnehmer eine wesentliche Rolle gespielt zu haben. Das Gericht erkannte an, dass „[o]ther nations do not share the uninhibited approach to personal 307 So z. B. Linda Silberman, Daimler AG v. Bauman: A New Era for Judicial Jurisdiction in the United States, N.Y.U. Pub. L. & and Legal Theory Working Papers, Paper 522 (2015). 308 In der Literatur wird sogar die Ansicht vertreten, dass internationale Konzerne die ,Gewinner‘ der Bauman-Entscheidung seien, weil sie nun durch Konzernstrukturierung die Zurechnung allgemeiner Gerichtsstände an die ausländische Muttergesellschaft verhindern könnten, siehe Linda Mullenix, Personal Jurisdiction Stops Here: Cabining the Extraterritorial Reach of American Courts, 45 U. Toledo L. Rev. 705 (2014).
520
Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
jurisdiction advanced by the [Ninth Circuit in this case“, und dass weitgehende Ausdehnungen allgemeiner amerikanischer Gerichtsstände bereits zum Scheitern internationaler Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen geführt hatten309. Das Gericht berief sich deshalb zum Teil auf „[c]onsiderations of international rapport“, um amerikanische Zuständigkeitsregeln internationalen Standards anzupassen und die Zulässigkeit allgemeiner Gerichtsstände auf die Bundesstaaten des Sitzes und der Eintragung zu beschränken310. Das wirtschaftliche Argument der Wirtschaftsteilnehmer kam auch in der Entscheidung des Supreme Court zum Vorschein. Das Gericht räumte nämlich ein, dass die durch Bauman ins Leben gerufene Weltgerichtsbarkeit der kalifornischen Gerichte ein weltweites und nicht einschätzbares Rechtsrisiko für ausländische Konzerne erschaffen hatte: „If Daimler’s California activities sufficed to allow adjudication of this Argentina-rooted case in California, the same global reach would presumably be available in every other State in which [Mercedes USA’s] sales are sizable. Such exorbitant exercises of all-purpose jurisdiction would scarcely permit out-of-state defendants ,to structure their primary conduct with some minimum assurance as to where that conduct will and will not render them liable to suit‘“311.
9. Fazit zu Bauman Bauman312 trieb das Risiko für deutsche Wirtschaftstätigkeiten, das durch die bisherige Rechtsprechung entstanden war, zunächst auf die Spitze. Das Geschäftsmodell führender deutscher Konzerne setzt Rechtssicherheit als Basis für nachhaltiges Wachstum durch Auslandsinvestitionen voraus. Bei den Zwangsarbeiter- und Apartheid-Klagen wurde jedoch klar, dass die bloße Erhebung einer ATS-Klage mit ihren Milliardenforderungen und Pressekampagne zur Aufhebung jahrzehntelange angenommener Rechtssicherheit führen konnte. Die Apartheid-Klagen hatten durch die Bejahung der Beihilfehaftung das Risiko einer ATS-Klage auf alle Investitionen und Wirtschaftstätigkeiten im Ausland erstreckt, wo deutsche Konzerne in Kontakt mit dem Regime des jeweiligen Landes in Kontakt kamen, und zugleich durch die Ableitung von ATS-Deliktstatbeständen aus dem nirgends kodifizierten Völkergewohnheitsrecht einen ex ante-Ausschluss dieses Risikos durch z. B. Gesetzeseinhaltung unmöglich gemacht. Dennoch konnten deutsche Konzerne bis zur BaumanEntscheidung von 2011 das Risiko einer ATS-Klage trotz der bisherigen Rechtsentwicklung immer noch durch die Konzernstruktur begrenzen: Wenn eine deutsche Muttergesellschaft keine direkten Kontakte zu den USA unterhielt und nur über eine 309
Daimler, 134 S. Ct. at 763. Daimler, 134 S. Ct. at 763. 311 Daimler, 134 S. Ct. at 762 – 763. 312 Zum Zwecke des Fazits bezieht sich der Begriff „Bauman“ auf die Entscheidung des Ninth Circuit von 2011, bevor sie vom Supreme Court aufgehoben worden ist. 310
B. ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne
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Tochter in den USA tätig war, hatten die US-Gerichte keine Basis, das deutsche Mutterhaus überhaupt gerichtlich in Anspruch zu nehmen, geschweige denn für Ansprüche aus seinen Tätigkeiten in Drittstaaten. Bauman sprengte diese letzte Blockade und gesellte dem weltweiten ATS-Anspruch der Apartheid-Klagen einen allgemeinen amerikanischen Gerichtsstand, wo solche Ansprüche jederzeit gegen deutsche Konzerne mit amerikanischen Töchtern erhoben werden konnten, hinzu. Damit kündigte Bauman eine Art Weltgerichtsbarkeit der amerikanischen Gerichte für ATS-Ansprüche gegen Konzerne an. Ein Richter des Ninth Circuit, der diese Ausdehnung amerikanischer Zuständigkeit als Anmaßung ohne jedwede völkerrechtliche Grundlage empfand, summierte das Ergebnis sarkastisch: „[W]e on the Ninth Circuit now exercise jurisdiction over all the earth, on whatever matters we decide are so important that all civilized people should agree with us“313. Für die deutsche Wirtschaft war dieser weltumfassende Gerichtsstand inakzeptabel. Denn das von der Wirtschaft befürchtete Aufheben der für sie überlebenswichtigen Rechtssicherheit trat bereits bei Einleitung einer ATS-Klage ein. Die Eröffnung eines allgemeinen amerikanischen Gerichtsstands für Klagen gegen deutsche Konzerne aus aller Welt war insofern eine Einladung an ATS-Kläger, mithilfe der Gerichte des Ninth Circuit fundamentale deutsche Wirtschaftsinteressen anzugreifen. Das von Bauman erschaffene Rechtsrisiko griff rund um die Welt: Bauman machte es unmöglich, gegen das Risiko einer ATS-Klage aus der Dritten Welt abzusichern, sobald eine hinreichend umsatzstarke Investition in den USA gemacht worden war – die geschäftstüchtige amerikanische Tochtergesellschaft begründete nunmehr einen allgemeinen amerikanischen Gerichtsstand für das deutsche Mutterhaus. Diese Konsequenz sprang nicht nur die Gewinn- und Kostenprojektionen für US-Investitionen, sondern auch jede Einschätzung von Auslandsinvestitionen, die nunmehr dank Bauman der Inanspruchnahme amerikanischer Gerichte unterlagen. Nach der Aufhebung der Bauman-Entscheidung durch den Supreme Court jedoch besteht diese Gefahr nicht mehr in gleichem Maße fort.
313 Sarei v. Rio Tinto, PLC, 671 F.3d 736, 797 – 798 (9th Cir. 2011) (Kleinfeld, J., dissenting). Judge Kleinfeld sah betrachtete die Bejahung einer Weltgerichtsbarkeit als Missachtung fundamentaler völkerrechtlicher Grundsätze: „[U]niversal jurisdiction violates the most long-established, central and fundamental principle of the law of nations: ,equality of sovereignty‘, as it is called, meaning each sovereign’s authority over its subjects in its own territory equals that of other sovereigns within their respective territories, and excludes other sovereigns’ authority within that sovereign’s territory. Whether this is always a good rule as a matter of policy is debatable, but whether it is historically the most fundamental rule of the law of nations is not“ (S. 798 – 799).
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
C. Rechtsrisiken der ATS-Rechtsprechung für die deutsche Wirtschaft und die Antwort der Bundesregierung Die dogmatischen Entwicklungen der ATS-Rechtsprechung haben gemeinsam mit Besonderheiten des amerikanischen Verfahrensrechts das ATS zu einem einmaligen und systemrelevanten Rechtsrisiko für deutsche Wirtschaftsinteressen gemacht. Auf der einen Seite haben amerikanische Rechtsinstitute wie punitive damages, class action, discovery und jury trials die zu erwartenden Kosten eines ATSVerfahrens sowie die mit ihm verbundenen Unsicherheit derart in die Höhe getrieben, dass ein einziges Verfahren zur wahrgenommenen Existenzbedrohung eines Konzerns anwachsen und ihm einen Vergleich abnötigen konnte. Auf der anderen Seite hatten dogmatische Entwicklungen wie die Zulassung von Beihilfehaftung, die Weltgerichtsbarkeit von Bauman sowie die Bejahung eines universellen Anwendungsbereichs für ATS-Ansprüche zur Folge, dass das Risiko einer ATS-Klage deutschen Konzernen rund um die Welt verfolgte und nicht im Voraus minimiert werden konnte. Damit stand fest, dass die bloße Erhebung einer ATS-Klage zur Aufhebung der vom jeweiligen Konzern angestrebten Rechtssicherheit führte; dass dieses Risiko jeder Wirtschaftstätigkeit eines deutschen Konzerns in allen Ländern der Welt anhaftete; und dass dieses Risiko praktisch nur durch außergerichtliche Vergleiche bewältigt werden konnte. In diesem Abschnitt wird das Risiko einer ATS-Klage für deutsche Konzerne sowie die Antwort der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft auf dieses Risiko untersucht. Zuerst werden die Kostenfaktoren von ATS-Klagen skizziert, die ATS-Klagen zu besonders schädigende Ereignisse für Konzerne machten. Zweitens werden die dogmatischen Entwicklungen der ATS-Rechtsprechung, die die Zulässigkeitsvoraussetzungen für ATS-Klagen derart auflockerten, dass sämtliche Wirtschaftstätigkeiten deutscher Konzerne im Ausland als mögliche einklagbare Menschenrechtsverletzungen im Sinne des ATS in Betracht kamen. Drittens wird durch Berücksichtigung der besonderen Beschaffenheit der deutschen Wirtschaft dargelegt, warum deutsche Konzerne besonders ATS-klagegefährdet waren. Zuletzt werden die Stellungnahmen der Bundesregierung sowie führender Vertreter der deutschen Wirtschaft zu dem Risiko, die durch die ATS-Rechtsprechung entstanden war, sowie die Antwort des Supreme Court in der Kiobel-Entscheidung geschildert.
I. Die Kostenfaktoren von ATS-Prozessen ATS-Klagen erfordern hohe Auslagen. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich kaum von großangelegten amerikanischen Zivilverfahren; litigation in den USA ist eben teuer. ATS-Verfahren unterscheiden sich aber dennoch in wesentlichen Aspekten von anderen großen US-Klagen. Denn ATS-Klagen sollen den Beklagten
C. Rechtsrisiken der ATS-Rechtsprechung für die deutsche Wirtschaft
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empfindlich treffen. Während normale Zivilverfahren auf eine Geldzahlung abzielen, wollen ATS-Verfahren den Beklagten öffentlich als Exempel statuieren und anhand dessen fundamentale und, so hofft man, menschenrechtswahrende Änderungen internationaler Wirtschaftstätigkeiten herbeiführen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Gefahr einer ATS-Klage zum Abschreckungsfaktor erhoben werden. Diese strategische Ausrichtung führte dazu, dass in ATS-Klagen das Kostenpotenzial amerikanischer Rechtsinstitute maximiert und sofern möglich von außergerichtlichen Maßnahmen noch gesteigert wurde. Als Resultat war in jeder ATSKlage von folgenden Kostenfaktoren auszugehen, die gemeinsam Milliardenrisiken erzeugen konnten: Hohe Schadensersatzforderungen. Das amerikanische law of remedies lässt im Allgemeinen Schadensersatzansprüche zu, die nach deutscher Vorstellung sehr hoch sind314. Eine Körperverletzung allein kann Schmerzensgelder in sechs- bis siebenstelliger Höhe nach sich ziehen. Hinzu kommen bei vorsätzlich verübten Rechtsverletzungen punitive damages, deren Höhe sich nach der Verwerflichkeit der Verletzung sowie dem wirtschaftlichen Vermögen des Beklagten bemisst315. Gemeinsam können sich die Schadensersatz- und punitive damages-Ansprüche leicht auf einen sieben- bis achtstelligen Betrag belaufen. In ATS-Klagen schöpfte dieser Risikofaktor sein volles Potenzial aus. ATS-Klagen hatten ausschließlich Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Zwangsarbeit zum Gegenstand, was hieß, dass sie ausnahmslos hohe Schmerzensgelder und punitive damages in Aussicht stellten. Als Beispiel kann die ATS-Klage Mushikiwabo v. Barayagwiza316 dienen: in dem Fall wurde jedem Kläger ein Grundbetrag von $ 5,5 Millionen als Ersatz für Folter und grausame Behandlung zugesprochen, ehe das Gericht punitive damages in Höhe von $ 1 Million pro Kläger festlegte. Hohe und nicht erstattungsfähige Prozesskosten. Die Unterschiede zwischen der deutschen und der amerikanischen Prozesskostenregelung werden im Abschnitt D. III. 1. dieses Kapitels ausführlich untersucht. An dieser Stelle kann auf einen Hauptunterschied, die sog. „American rule“, hingewiesen werden, nach der jede Partei ungeachtet des Verfahrensausgangs die eigenen Anwaltskosten zu tragen hat317. In amerikanischen Verfahren bilden Anwaltsgebühren den Löwenanteil der Verfahrenskosten, weil Gerichtskosten vom Streitwert unabhängig sind und im Vergleich zu Deutschland sehr niedrig bleiben. In größeren Klagen wie ATS-Ver314
Zur Anwendbarkeit des amerikanischen law of remedies in ATS-Klagen, siehe Kapitel 1, Abschnitt C. II. 1. 315 Siehe BMW of North America, Inc. v. Gore, 517 U.S. 559 (1996). Die vom Supreme Court zugelassenen Faktoren zur Bestimmung der Höhe von punitive damages sind: „the degree of reprehensibility of the defendant’s conduct“; „[the] ratio [of punitive damages] to the actual harm inflicted on the plaintiff“; sowie das Vermögen der Beklagten (damit eine abschreckende Wirkung sichergestellt wird). 316 Siehe Mushikiwabo v. Barayagwiza, 1996 WL 164496 at *1 (S.D.N.Y. 1996). 317 Vgl. Fed. R. Civ. P. 54 (d) (1).
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
fahren sind Anwaltsgebühren umso höher, weil Anwälte auf Beklagtenseite meistens nach Stundensatz vergütet werden, die Klage erst nach Jahren abgewiesen wird und wegen ihrer Größe und geographischen Zerstreuung oft den Einsatz ganzer Mannschaften von Anwälten verlangt. Insofern bedeutet die bloße Erhebung einer ATSKlage hohe Verfahrensauslagen für deutsche Beklagte. Class Actions. Das amerikanische Rechtsinstitut der Sammelklage nimmt das Grundrisiko hoher Haftung und steigert sie ins Unermessliche. Class actions ermöglichen die Vertretung der Ansprüche in einem einzigen Verfahren, solange bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllt werden318. Die Größe der vertretenen „class“ ist nicht gesetzlich beschränkt; tausende Ansprüche können in einer class action gleichzeitig verhandelt werden und die Zahl der vertretenen Ansprüche muss im Vornherein nicht genau festgelegt werden319. Hierbei verringert sich die Höhe der vertretenen Schadensersatzforderungen nicht. Jeder vertretene Anspruchsteller behält sein Recht auf Schmerzensgeld und punitive damages. In ATS-Verfahren haben Kläger die Möglichkeit der class action dazu genutzt, tausende Ansprüche gleichzeitig gegen Konzerne geltend zu machen und dadurch Schadensersatz in Milliardenhöhe (bis Hundertmilliardenhöhe) zu verlangen. In den Zwangsarbeiterklagen wurde die Vertretung einer „class“ beantragt, die aus allen ehemaligen Zwangsarbeitern rund um die Welt bestand320. In Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. ersuchten die Kläger die Vertretung der Ansprüche des gesamten nigerianischen Ogoni-Volksstammes321. In Sarei v. Rio Tinto, Plc versuchten die Kläger, die Ansprüche aller indigenen Bewohner der Insel Bougainville zu vertreten322. Somit verwandelte die class action im Kontext von ATS-Klagen das normale Haftungsrisiko einer amerikanischen Klage, das sich bei schweren Verletzungen bereits im Millionenbereich bewegt, in astronomische Schadensersatzforderungen wie die $ 400 Milliarden, die von den Klägern der Apartheid-Klagen verlangt wurden323. Jury-Verfahren. Jury-Verfahren erhöhen die Risiken amerikanischer Klagen, weil sie deren Ausgang unvorhersehbar machen. Beim Jury-Verfahren entscheiden zwölf Laien aus dem Bezirk des jeweiligen Gerichts, was vorgefallen ist und welche Rechtsfolgen anzuordnen sind. Damit wird der Ausgang des Verfahrens nicht nur 318
Siehe Fed. R. Civ. P. 23 (a), (b) (2). Z. B. wurden durch die class action die Ansprüche von allen philippinischen Bürgern, deren Menschenrechte während der Diktatur on Präsidenten Ferdinant Marcos verletzt wurden, in einem einzigen Verfahren geltend gemacht. Dabei konnten weder Kläger noch Beklagter die genaue Zahl der Geschädigten angeben, es blieb bei einer begründeten Schätzung, dass etwa 10.000 Ansprüche geltend gemacht werden sollten. Siehe Kapitel 1, Abschnitt B. IV. 2. Dasselbe Prozedere wiederholt sich nun im Sammelverfahren gegen den Lebensmittelkonzern Chiquita, in dem etwa 10.000 kolumbianische Angehörige, derer genauen Anzahl nicht bestimmbar ist, vertreten werden, siehe Kapitel 2, Abschnitt A. III. 2. b) cc). 320 Siehe Abschnitt B. I. dieses Kapitels, oben. 321 Siehe Kapitel 2, Abschnitt A. III. 1. b) aa). 322 Siehe Kapitel 2, Abschnitt A. III. 1. b) cc). 323 Siehe In re South African Apartheid Litigation, 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009). 319
C. Rechtsrisiken der ATS-Rechtsprechung für die deutsche Wirtschaft
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durch das anzuwendende Recht, sondern durch eine Vielzahl unberechenbarer menschlicher Faktoren wie Sympathie, Gerechtigkeitssinn und Vorurteile mitbestimmt. Unternehmen haben schon lange vor Entstehung der ATS-litigation JuryVerfahren in tort-Klagen vermieden, weil sie sich wegen einer wahrgenommenen Sympathie der Jury für die natürlichen Personen, die gegen sie als Kläger auftraten, benachteiligt fühlten324. In ATS-Klagen spielen Sorgen um Benachteiligung wohl eine erhöhte Rolle, weil die Kläger wehrlose Menschenrechtsopfer und die Beklagten große, ,gesichtslose‘ und vor allem fremde Großkonzerne sind. Für ausländische Konzerne stellt ein Jury-Verfahren ein besonderes Rechtsrisiko dar, weil es so gut wie nur in den USA existiert. Discovery. Discovery bedeutet die Pflicht beider Parteien eines Rechtsstreits, auf Verlangen der Gegenseite ihre Beweise offenzulegen. Der Umfang amerikanischer Discovery ist umfassend: Parteien müssen alle Gegenstände und Unterlagen, die für ihre Ansprüche bzw. ihre Verteidigung „relevant“ sind, der gegnerischen Partei offenlegen325. Grundsätzlich tritt die Pflicht zur Teilnahme an Discovery ein, sobald die Zuständigkeit des Gerichts sowie die ausreichende faktische Darlegung in der Klageschrift feststeht. Allerdings kann ein Gericht Discovery im begrenzten Umfang anordnen, um seine Zuständigkeit oder das Vorliegen weiterer Zulassungsvoraussetzungen zu ermitteln326. Aus Discovery gehen sowohl erhebliche Kosten als auch Risiken hervor. Erstens verschlingt Discovery Unsummen an Geld, weil gesamte Firmenarchive verfügbar gemacht werden müssen, damit Anwälte, die nach Stundensatz vergütet werden, nach relevanten Dokumenten suchen können. Zweitens eröffnet Discovery das Risiko, dass die Kläger belastende Dokumente in ihren Besitz bringen, was die Kosten der Streitbeilegung in die Höhe treibt. Drittens trägt Discovery das weitere Risiko, dass die Kläger auf weitere Rechtsverletzungen oder zumindest auf rufschädigende Dokumente stoßen. Viertens ist Discovery auch international möglich, d. h. amerikanische Gerichte können Discovery weltweit anordnen und beschränken sich nicht auf Unterlagen oder Zeugen, die sich innerhalb der USA befinden327. Insofern stellt Discovery sicher, dass die bloße Verteidigung einer ATS-Klage hohe (und nicht erstattungsfähige) Kosten nach sich ziehen wird. 324
Ob diese Wahrnehmung der Realität entspricht, ist umstritten und Gegenstand mehrerer Forschungsprojekte. Nachgewiesen scheint zu sein, dass sich die Jury in der Mehrheit der Fälle zugunsten des Beklagten entscheidet, aber dass sie in Fällen, wo sie sich doch für den Kläger entscheidet, höheren Schadensersatz gewährt, als ein Richter zugesprochen hätte. Siehe z. B. Edith Greene, Juries and Damage Awards: The Process of Decisionmaking, 52 L. & Contemp. Problems 225 (1989). 325 Fed. R. Civ. P. 26 (b). 326 Siehe hierzu Stacie Strong, Jurisdictional Discovery in United States Federal Courts, 67 Wash. & Lee L. Rev. 489 (2010). 327 Dies geht aus der Entscheidung in Societe Internationale Industrielle Aerospatielle v. United States Dist. Ct., 482 U.S. 522 (1987) hervor. Das Supreme Court hat die Exklusivität des Das Haager Übereinkommens über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen für die Beweiserhebung in amerikanischen Zivilverfahren verneint und die Befugnis der District Courts bestätigt, weiterhin Discovery weltweit anordnen zu können.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
Des Weiteren stellt Discovery, wie ein Jury-Verfahren, ein einmaliges Rechtsrisiko dar, das nur in den USA existiert. Erfolgshonorare. Die Zulässigkeit von Erfolgshonoraren in den USA bedeutet, dass die Kläger eines ATS-Verfahrens – trotz der Tatsache, dass sie durch Discovery hohe Kosten verursachen – kein Kostenrisiko selbst tragen müssen. Amerikanische Anwälte dürfen Honorare vereinbaren, die nur im Erfolgsfall eine Gebührenzahlung seitens des Mandanten vorsehen328. Des Weiteren ist es zulässig sowie praxisüblich, dass die vertretenden Anwälte bis zum endgültigen Verfahrensergebnis die Gerichtskosten und sonstigen Verfahrensauslagen bestreiten. Insofern können Menschenrechtsopfer eine Sammelklage auf Schadensersatz in Milliardenhöhe erheben, ohne eigenes Geld hinlegen zu müssen. Europäische Staaten monieren seit Jahrzehnten, dass solche Honorare in Verbindung mit der amerikanischen Kostenregelung zur Einleitung mutwilliger Klagen praktisch einladen329. In ATS-Klagen vereinbaren die vertretenden Menschenrechtsorganisationen meistens einen Erfolgshonorar, was zur Folge hat, dass auch ATS-Klagen ohne finanziellen Aufwand der Kläger möglich sind330. Rufschädigung durch Medienkampagnen. ATS-Klagen bilden meistens nur einen Teil einer größeren Entschädigungskampagne mit begleitender Pressestrategie. Opfer von Menschenrechtsverletzungen werden von einer NGO zur Gruppe organisiert. Diese Gruppe macht zunächst in den Medien auf die von ihren Mitgliedern erlittenen Menschenrechtsverletzungen aufmerksam. Es folgt die Einleitung einer ATS-Klage mit entsprechender Pressekonferenz. Je grässlicher die Vorwürfe und je höher die Schadensersatzforderungen der Klage, desto wahrscheinlicher ist mediales Interesse. Die Ziele dieser Pressekampagne können unterschiedlich sein, aber die Taktik bleibt dieselbe: Durch das mediale Inverbindungbringen eines Konzerns mit ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzungen sollte die Gefahr einer derart permanenten Rufschädigung entstehen, dass der verklagte Konzern keine andere Wahl
328
Siehe den unteren Abschnitt D. III. 4. dieses Kapitels für einen Vergleich zwischen amerikanischen und deutschen Anwaltsvergütungsregeln. 329 Vgl. z. B. Christian Schwab, Erfolgshonorare für Rechtsanwälte: die Allokation von Prozesskosten und der Zugang zum Rechtssystem, S. 142 (Diss. Bochum 2011) („[D]em Grundsatz der Kostenerstattung [wird] die Funktion zugesprochen, von nicht aussichtsreicher oder mutwilliger Prozessführung von Vornherein abzuhalten bzw. das Einleiten und die Durchführung entsprechender Schritte zu sanktionieren“). 330 Es sollte jedoch angemerkt werden, dass im Falle des Unterliegens die Kläger die Prozesskosten des Beklagten (nach engerer amerikanischer Definition) grundsätzlich zu tragen haben, siehe Fed. R. Civ. P. 54 (d) (1). Im normalen Sammelklagengewerbe übernehmen die vertretenden Anwälte auch diese Kosten, aber die Menschenrechtsorganisationen, die ATSKlagen führen, verfügen meisten über zu wenig Geld, um die Kosten des Beklagten zu begleichen, weswegen sie doch auf die Kläger abgewälzt werden müssen. In zumindest einer ATSKlage (Al Shimari v. CACI Int’l, Inc.) mussten irakische Kläger etwa $ 13.000 an Prozesskosten tragen. Siehe detailliert hierzu Abschnitt D. III. 1. b) bb) dieses Kapitels, unten.
C. Rechtsrisiken der ATS-Rechtsprechung für die deutsche Wirtschaft
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hat, als den Opfern entgegenzukommen331. Damit gehen ATS-Klagen über die übliche Berichterstattung über große Klagen hinaus und kündigen effektiv einen Zweifrontenkrieg gegen die beklagte Gesellschaft an: Der Konzern kann den ATSProzess gewinnen, aber seinen Ruf unwiederbringlich geschädigt finden. Gewissensgetriebene Klägeranwälte. Es ist Allgemeinwissen, dass in den USA Sammelklagen zu einer Art Gewerbe geworden sind. Allerdings bleibt das Ziel der meisten Sammelklagen nichts anderes, als eine in Hinblick auf die Prozessrisiken vertretbare Entschädigung der Geschädigten zu erstreiten bzw. durch einen Vergleich abzuschließen. In ATS-Klagen sind die Anwälte oft verbissener. Meistens vertritt eine Menschenrechtsorganisation die Opfer und die Entschädigung der Opfer stellt nur ein Ziel der Klage dar. ATS-Klagen sind oft von der Überzeugung getrieben, dass eine historische Menschenrechtskatastrophe eine umfassende Entschädigung nach Muster der Zwangsarbeiterklagen verdient. Des Weiteren betrachten viele NGOs die Investition in Krisenregionen und die damit einhergehende Zusammenarbeit mit autoritären Regimes als grundsätzlich unmenschlich und sie wollen mit ATS-Klagen eine effektive Sanktion für solche Tätigkeiten festlegen. Nach dieser Sichtweise sollten Beklagte zu abscheckenden Exempeln für andere multinationale Konzerne werden. Solche Überzeugungen machen sowohl die Erhebung als auch die unerbittliche Fortführung einer ATS-Klage wahrscheinlicher. Das Zusammenwirken dieser Kostenfaktoren brachte viele Konzerne in eine Zwangslage: Entweder verglichen sie sich mit den Klägern, obwohl sie die ATSKlage für unbegründet hielten, oder sie fochten die ATS-Klage an und riskierten damit Schadensersatz in Milliardenhöhe sowie nicht wiedergutzumachende Rufschädigung. Als Resultat konnte die ATS-Klage als Entschädigungsvehikel gesehen werden, ungeachtet ob sie begründet war oder Erfolgsaussichten hatte. Die Kehrseite dieses Ergebnisses war, dass die Kostenfaktoren einer ATS-Klage und damit ihr Nötigungspotenzial bereits bei Klageerhebung, oder zumindest bei Klagezulassung eintritten. Aus deutscher Sicht hieß das, dass die bloße Zulassung einer ATS-Klage die Aufhebung von Rechtssicherheit bedeutete.
II. Dogmatische Entwicklungen der ATS-Rechtsprechung, die die Erhebung einer ATS-Klage gegen ausländische Konzerne erleichterten Die Kostenfaktoren von ATS-Klagen wären für deutsche Interessen nicht weiter von Bedeutung, wenn das Risiko einer ATS-Klage auf Tätigkeiten innerhalb der 331
Vgl. Daimlers Bezeichnung der Strategie der Kläger in der Bauman-Klage: „[Die ATSKlage ist] in klarer Ermangelung von Erfolgsaussichten in offensichtlich missbräuchlicher Weise dazu genutzt …, [Daimler] u. a. mit publizistischem Druck und dem Risiko einer Verurteilung gefügig zu machen und zu einem Vergleich zu drängen. Beschluss des OLG Karlsruhe vom 7. 3. 2005, a.a.O, S. 5 (Zitat von Daimlers Schriftsatz vom 23. August 2004, AS. 171, S. 9).
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
USA oder zumindest auf Tätigkeiten mit einen Bezug zu den USA beschränkt werden konnte. Allerdings haben dogmatische Expansionen der ATS-Rechtsprechung die Gefahr einer ATS-Klage auf Wirtschaftstätigkeiten in aller Welt erstreckt und gleichzeitig einen allgemeinen amerikanischen Gerichtsstand ausgerufen, womit deutsche Konzerne jederzeit für Tätigkeiten ohne jedweden US-Bezug kraft des ATS in Anspruch genommen werden konnten. 1. Equitable tolling332 Die ATS-Rechtsprechung hat zwar eine Verjährungsfrist von zehn Jahren für ATS-Ansprüche festgelegt333. Gleichzeitig wurde durch „equitable tolling“ eine erhebliche Verlängerung der Verjährungsfrist ermöglicht. Equitable tolling hemmt den Beginn der Verjährungsfrist, wenn außerordentliche Umstände vorliegen, die außerhalb des Einflussbereichs des Klägers liegen und die rechtzeitige Einleitung der Klage verhindern334. Forti v. Suarez-Mason war die erste ATS-Entscheidung, die die Anwendbarkeit von equitable tollling auf ATS-Ansprüche bestätigte335. In den Zwangsarbeiterklagen hat der District of New Jersey das Ergebnis von Forti bestätigt und unter Anwendung von equitable tolling bejaht, dass Ansprüche von Zwangsarbeitern, die zwischen 1940 und 1945 entstanden waren, noch im Jahre 1998 rechtzeitig eingeleitet worden waren336, wonach „equitable tolling“ seinen Weg in die Rechtsprechung der Zweiten Welle fand. Das Verständnis von equitable tolling war mit der Überzeugung gepaart, dass die klagebegründenden Menschenrechtsnormen genauso weit in die Vergangenheit reichten wie die außerordentlichen Umstände, die den Beginn der Verjährungsfrist gehemmt hatten. Z. B. hat der Third Circuit in der Hereros-Entscheidung angedeutet, dass es das Verhalten der deutschen Armee im namibischen Kolonialkrieg zwischen 1904 und 1908 für menschenrechtswidrig hielte, auch wenn das Völkerrecht erst in 1945 Genozid zum Völkerrechtsverbrechen machte337. Die Anwendung von so verstandenem equitable tolling hat eine zeitliche Einschränkung für ATS-Klagen so gut wie abgeschafft. Demnach reichte der zeitliche Gefährdungsbereich von ATS-Klagen weit in die Vergangenheit zurück. Wie weit blieb ungeklärt – nach der Hereros-Klage dürfte man vor 1940 entstandenen Ansprüche als mehr oder weniger ausgeschlossen annehmen – aber fest stand, dass, solange equitable tolling anwendbar war, ein ATS-Anspruch zur Verfügung stand. 332 333 334 335 336 337
2007).
Zur Verjährung und equitable tolling siehe Kapitel 1, Abschnitt C. II. 2. Siehe z. B. Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999). Siehe Papa v. United States, 281 F.3d 1004 (9th Cir. 2002). Siehe Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531 (N.D. Cal. 1987). Siehe Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999). Siehe Hereros v. Deutsche Afrika-Linien GmbH & Co., No. 06-1684 (3d Cir. Apr. 10,
C. Rechtsrisiken der ATS-Rechtsprechung für die deutsche Wirtschaft
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Die Entscheidungen des Supreme Court in Kiobel und Bauman ließen diese Rechtsprechung zur Verjährungsfrist unberührt. Dennoch dürften diese Entscheidungen die Gefahr einer weit in die Vergangenheit reichende ATS-Klage signifikant verringert haben, denn eine solche Klage dürfte fortan an der Einrede der fehlenden persönlichen Zuständigkeit (Bauman) oder an der Einrede der nicht ausreichenden US-Bezüge (Kiobel) scheitern. 2. Die Zulassung von Haftung wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen 2002 hat der Ninth Circuit in Doe v. Unocal Corp. die Zulässigkeit einer indirekten Haftung eines Unternehmens wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen, die von einer ausländischen Regierung begangen worden waren, bejaht338. Nach Unocal haben ATS-Entscheidungen unter Berufung auf Entscheidungen und Gründungsstatuten internationaler Straftribunale die Existenz einer völkergewohnheitsrechtlichen Beihilfehaftungsnorm bestätigt und ATS-Klagen gegen Konzerne unter dem Vorwurf der Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen zugelassen. Die Voraussetzungen für Beihilfehaftung sind in der ATS-Rechtsprechung viel diskutiert und im Laufe ihrer Entwicklung immer enger ausgelegt worden. Allgemein muss ein Konzern eine Beihilfehandlung (actus reus) mit dem erforderlichen Vorsatzgrad (mens rea) begehen. Die Beihilfehandlung muss offensichtlich zur Förderung einer Menschenrechtsverletzung geeignet erscheinen339, allerdings kommt auch eine neutrale Handlung als Beihilfehandlung in Betracht, wenn sie mit dem Wissen begangen wurde, dass sie zur Begehung einer Menschenrechtsverletzung beiträgt340. Der erforderliche Vorsatz wurde zunächst als die Kenntnis des Beklagten bezeichnet, dass seine Handlung die Begehung irgendeiner Menschenrechtsverletzung erleichtert341, aber spätere Urteile haben einen subjektiven Zweck des Beklagten erfordert, zur Erleichterung der streitgegenständlichen Menschenrechtsverletzung beizutragen342. Die Voraussetzungen für Beihilfehaftung waren allerdings nicht das, was ihr Risiko für deutsche Konzerne ausmachten. Es war die Möglichkeit einer Beihilfeklage an sich, aus das Risiko der Erhebung einer ATS-Klage erhöhte und damit die von deutschen Wirtschaftsteilnehmern benötigte Rechtssicherheit untergrub. Denn dank dem Beihilfekonzept mussten ATS-Kläger keine Rechtsverletzung durch einen Konzern finden. Stattdessen konnten sie einfach eine Menschenrechtskatastrophe finden – dank equitable tolling auch in der Vergangenheit – und dann recherchieren, 338
Siehe Doe v. Unocal Corp., 395 F.3d 932 (9th Cir. 2002). Siehe In re South African Apartheid Litig., 617 F. Supp. 2d 228, 266 ff. (S.D.N.Y. 2009). 340 Siehe Licci v. Lebanese Canadian Bank, SAL, 673 F.3d 50 (2d Cir. 2012). 341 Doe v. Unocal Corp., 395 F.3d 932 (9th Cir. 2002). 342 Aziz v. Alcolac, Inc., 658 F.3d 388 (4th Cir. 2011); Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, 582 F.3d 244 (2d Cir. 2009). 339
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
welche Unternehmen Verträge mit der verbrecherischen Regierung abgeschlossen hatten. Dieses Wissen reichte aus, um eine ATS-Klage wegen Beihilfe einzuleiten und eine Pressekampagne anzustoßen. Dabei konnten die Kläger davon ausgehen, dass sie durch Discovery die Begründetheit ihrer Vorwürfe ermitteln konnten. Und auch wenn die Klage abzuweisen war, geschah dies meistens erst nach Jahren, während welcher hohe Kosten für Anwälte und Discovery angefallen waren, die die Kläger nicht tragen mussten. Selbst wenn das Gericht in einem frühen Verfahrensstadion seine Zuständigkeit verneinte oder durch forum non conveniens ein ausländisches Gericht als angemesseneres Forum bestimmte, hatte es zur Klärung des für diese Entscheidungen maßgeblichen Sachverhalts Discovery und mehrere Anhörungen angeordnet. Die Kiobel- und Bauman-Entscheidungen des Supreme Court sprachen die bisherige Rechtsprechung zur Beihilfehaftung nicht an. Dennoch dürften diese Entscheidungen die Gefahr einer Beihilfeklage beschränkt haben, denn – ehe eine solche Klage zur Beweiserhebung hinsichtlich des Tatbeitrags des Beklagten schreiten darf – die Klage die Einrede der fehlenden persönlichen Zuständigkeit (Bauman) sowie die Einrede der nicht ausreichenden US-Bezüge (Kiobel) überwinden müsste. 3. Durchgriffshaftung auf das Vermögen ausländischer Muttergesellschaften Das amerikanische common law erkennt bei der Schadensersatzgewährung das gesellschaftsrechtliche Trennungsprinzip grundsätzlich an. Nach diesem Grundsatz haftet für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft nur das Gesellschaftsvermögen, nicht die privaten Vermögen der Aktionäre. Auf das Verhältnis zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft angewandt ergibt das Trennungsprinzip, dass für die Verbindlichkeiten der Tochter nur das Gesellschaftsvermögen der Tochter haftet. Folglich kann das Verhalten der Tochter keine Ansprüche gegen die Mutter begründen. Trotz dieser Grundsatzregelung haben frühe Entscheidungen der Zweiten Welle wie Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co.343 und Bowoto v. Chevron Corp.344 die Zulässigkeit einer Durchgriffshaftung in ATS-Klagen zugelassen345. Diese Entscheidungen haben einen Haftungsdurchgriff auf das Vermögen einer ausländischen Muttergesellschaft zugelassen, wenn die Tochter, die angeblich für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war, als „alter ego“ der Mutter oder als ihr „agent“ zu qualifizieren war. Eine Tochter galt als „alter ego“ der Mutter, wenn (a) die Mutter jeden Aspekt ihrer Tätigkeiten derart durchgehend beherrschte, dass ihr jede faktische Eigenständigkeit abzusprechen war und (b) „failure to disregard the separate 343
Siehe Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88 (2d Cir. 2000). Siehe Botowo v. Chevron Corp., 312 F. Supp. 2d 1229, 1246 ff. (N.D. Cal. 2004). 345 Zur dogmatischen Entwicklung der Durchgriffshaftung siehe Kapitel 2, Abschnitt B. II. 3. c). 344
C. Rechtsrisiken der ATS-Rechtsprechung für die deutsche Wirtschaft
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nature of the corporate entities would result in fraud or injustice“346. Alternativ galt eine Tochter als „agent“ der Mutter, wenn in Hinblick auf eine bestimmte Menschenrechtsverletzung die Tochter auf Anweisung oder unter der Kontrolle der Mutter gehandelt hatte, oder wenn die Mutter die haftungsbegründende Handlung der Tochter nachträglich ratifiziert hatte347. Anhand dieser Durchgriffskonzepte haben ATS-Entscheidungen auf die Vermögen namhafter ausländischer Konzerne durchgegriffen, um sie für das Verhalten ihrer in Drittweltländern tätigen Tochtergesellschaften haftbar zu machen. Eine Durchgriffshaftung kam auch in Klagen gegen deutsche Konzerne vor, z. B. hat das Southern District of New York einen Haftungsdurchgriff auf die deutsche Daimler AG zugelassen, weil aus seiner Sicht Daimlers südafrikanische Tochter als Daimlers „agent“ in Hinblick auf Beihilfe zu Apartheid gehandelt hatte348. Die Zulassung der Durchgriffshaftung in ATS-Klagen hatte für deutsche Konzerne zur Folge, dass ihre Konzernstruktur keinen Schutz vor Inanspruchnahme durch eine ATS-Klage anbot. Das Risiko einer ATS-Klage begleitete jede neue Investition im Ausland, egal ob das deutsche Mutterhaus dort eine neue Gesellschaft gründete und sie mit einer unabhängigen Geschäftsleitung ausstattete. Solange Beziehungen zwischen der deutschen Mutter und der neuen ausländischen Tochter aufrechterhalten wurden – was bei jeder Auslandsinvestition der Fall ist – konnten Kläger in der Klageschrift ein „agency“-Verhältnis darlegen und Discovery zur Ermittlung seines tatsächlichen Vorliegens beantragen. Damit war die Verwicklung des deutschen Konzerns in die gerichtliche Inanspruchnahme, die durch das Trennungsprinzip erübrigt werden sollte, bereits geschehen. Nach der Kiobel-Entscheidung des Supreme Court besteht allerdings die Gefahr eines solchen Haftungsdurchgriffs nicht mehr im gleichen Maße fort, weil nach Kiobel ATS-Kläger zunächst nachweisen müssen, dass die Ansprüche gegen die zu belangende ausländische Gesellschaft hinreichende Bezüge zu den USA aufwerfen. 4. Die Anwendung des Weltrechtsprinzips auf ATS-Ansprüche Das Weltrechtsprinzip stammt aus dem Völkerstrafrecht und gestattet jedem Land der Welt einen Strafanspruch gegen Personen, die international geschützte Rechtsgüter verletzen, auch wenn weder Tat, Täter noch Opfer einen Bezug zu dem bestrafenden Land aufweisen349. Die ATS-Rechtsprechung hat das Weltrechtsprinzip 346 Bowoto 312 F. Supp. 2d at 1246 (Zitat von Doe v. Unocal Corp., 248 F.3d 915, 926 (9th Cir. 2001)). 347 Vgl. Bowoto, 312 F. Supp. 2d at 1239 (Zitat von Pacific Can Co. v. Hewes, 95 F.2d 42, 45 – 46 (9th Cir. 1938)). 348 In re South African Apartheid Litigation, 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009). 349 Zum Weltrechtsprinzip siehe Caroline Volkmann, Die Strafverfolgung des Völkermordes nach dem Weltrechtsprinzip (Diss. Mainz 2009).
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
auf die nach dem ATS einklagbaren Deliktstatbestände angewandt350. Die Begründung hierfür war, dass die Menschenrechtsnormen, die durch ATS-Delikte verletzt werden, in ihrem Anwendungsbereich „universell“ seien, weswegen sie vor USGerichten verhandelt werden durften, auch wenn weder Delikt, Täter noch Opfer einen Bezug zu den USA aufwiesen. Die Berufung auf das Weltrechtsprinzip geschah zunächst stillschweigend351, wurde aber in späteren ATS-Entscheidungen explizit für dogmatisch zulässig erklärt352. Die Behauptung, dass die Anwendung von ATS-Tatbeständen auf Verhalten im Ausland die Souveränität anderer Staaten verletzen konnte, wurde von der ATS-Rechtsprechung u. a. mit der Begründung abgelehnt, sie wende nur Völkerrechtsnormen an, deren universelle Anwendbarkeit alle Länder der Welt bereits zugestimmt hätten353. Die Anwendung des Weltrechtsprinzips auf ATS-Ansprüche schaffte jede räumliche Beschränkung des Risikos einer ATS-Klage ab. Gleichgültig wo ein Unternehmen in der Welt tätig war, konnte ein amerikanisches Gericht ATS-Tatbestände auf sein Verhalten anwenden und seine Handlungen zum Gegenstand einer ATS-Klage erheben. Ein Absichern gegen dieses Risiko gab es nicht: Weil ATSKlagen auf das Völkergewohnheitsrecht stützten, lieferte das strenge Befolgen örtlich anwendbarer Gesetze keine Rechtssicherheit. Des Weiteren wurde die Universalität der völkerrechtlichen Beihilfehaftung nebst der der zugrundeliegenden Verhaltensnormen bejaht. Dies hatte zur Folge, dass das Risiko einer ATS-Klage nicht nur aus dem eigenen Verhalten, sondern auch aus dem Verhalten von staatlichen Abnehmern bzw. Geschäftspartnern ging. Setzte ein staatlicher Käufer z. B. Fahrzeuge oder Softwareanwendungen gegen die eigene Bevölkerung ein, trat das Risiko der eben geschilderten, leicht machbaren ATS-Klage wegen Beilhilfe ein. Nach der Kiobel-Entscheidung des Supreme Court ist jedoch die Erstreckung von ATS-Tatbeständen auf Verhalten im Ausland grundsätzlich ausgeschlossen. 5. Die Weltgerichtsbarkeit durch Bauman Auch wenn die bisherige ATS-Rechtsprechung einen Anspruch ohne zeitliche und räumliche Grenzen erschaffen hatte, war bis zur Bauman-Entscheidung des Ninth Circuit354 das Risiko einer ATS-Klage durch die Schranken amerikanischer Zuständigkeitsprinzipien begrenzt. Solange ein ausländisches Unternehmen keine eigenen Kontakte zu den USA unterhielte, nahm es den amerikanischen Gerichten die Basis einer gerichtlichen Inanspruchnahme vorweg. Der „agency“-Test von Bauman räumte diese letzte Schranke weg. Durch den agency-Test konnten die 350
Siehe hierzu Kapitel 1, Abschnitt C. IV. 2. Siehe hierzu ebd. 352 Siehe Sarei v. Rio Tinto, PLC, 671 F.3d 736 (9th Cir. 2011), Doe v. Exxon Mobil Corp., 654 F.3d 11 (D.C. Cir. 2011). 353 Siehe Sarei v. Rio Tinto, PLC, 671 F.3d 736 (9th Cir. 2011). 354 Siehe Bauman v. DaimlerChrysler AG, 644 F.3d 909 (9th Cir. 2011). 351
C. Rechtsrisiken der ATS-Rechtsprechung für die deutsche Wirtschaft
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Kontakte einer amerikanischen Tochtergesellschaft dem ausländischen Mutterhaus zugerechnet und damit dem allgemeinen amerikanischen Gerichtsstand über die Tochter auf die Mutter übertragen werden, wenn die Wirtschaftstätigkeit der Tochter für die Mutter wichtig war und die Mutter ihre amerikanische Tochter beherrschte355. In Bauman hat der Ninth Circuit bejaht, dass das Verhältnis zwischen Daimler und seiner unabhängigen amerikanischen Vertriebsgesellschaft diese Voraussetzungen erfüllte, weil Mercedes USA etwa 19 % von Daimlers weltweitem Umsatz einfuhr und die Vertriebsvereinbarung zwischen Mercedes USA und Daimler viele Kontrollrechte für Daimler vorsah356. Damit war klar, dass hohe Umsätze der Tochter und vertraglich vereinbarte Kontrollrechte für die ausländische Mutter ausreichten, um den allgemeinen Gerichtsstand der Tochter auf die ausländische Mutter zu übertragen. Als Präzedenzfall war Bauman auf viele ausländische und deutsche Unternehmen und auf praktisch jeden größeren deutschen Konzern anwendbar. Allerdings ist nach der Aufhebung der Bauman-Entscheidung durch den Supreme Court das Risiko einer Gerichtsstandszurechnung nach dem „agency“-Test minimierbar. Durch Konzernstrukturierung können deutsche und ausländische Muttergesellschaften bestimmen, dass nur besondere Gerichtsstände an sie zugerechnet werden können, was die Zurechnung einer ATS-Klage aus dem Ausland effektiv ausschließen ließe357. 6. Ergebnis Die dogmatischen Entwicklungen der Zweiten Welle haben die üblichen Risiken einer ATS-Klage auf jede deutsche Wirtschaftstätigkeit in jedem Land der Welt erstreckt. Durch equitable tolling reichte das Risiko einer ATS-Klage so weit in die Vergangenheit zurück, wie amerikanische Billigkeitsvorstellungen dies erlaubte, während die Berufung auf das Weltrechtsprinzip bedeutete, dass ATS-Ansprüche einen weltweiten Anwendungsbereich genossen. Die Bejahung einer Beihilfehaftung hieß, dass eine deutscher Konzern überhaupt nicht an Menschenrechtsverletzungen beteiligt werden musste, um nach dem ATS verklagt zu werden – es reichte aus, dass er eine Person beliefert hatte, die seine Waren oder Dienstleistungen menschenrechtswidrig eingesetzt hatte. Durchgriffshaftung stellte sicher, dass ATSKlagen gegen ausländische Tochtergesellschaften auf namhafte deutsche Mutterhäuser durchschlagen konnten. Als letztes trat Bauman hinzu und rief einen allgemeinen amerikanischen Gerichtsstand für deutsche Konzerne aus, die eine erfolgreiche Tochtergesellschaft in den USA hatten. Zusammengenommen bedeuteten diese Entwicklungen, dass, sobald ein deutscher Konzern in die Dritte Welt investierte, die US-Gerichte bereitstanden, um ATSKlagen wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen entgegenzunehmen, die sich 355 356 357
Siehe Kapitel 2, Abschnitt B. II. 2. a) bb). Bauman, 644 F.3d at 922. Siehe hierzu Abschnitt B. IV. 8. dieses Kapitels, unten.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
auf eine auf irgendeine Weise mit der Investition in Verbindung bringbare Ausschweifung des jeweiligen Regimes stützten. Die bloße Erhebung einer solchen Klage hob bereits sämtliche Rechtssicherheit auf, die der Konzern durch Einhaltung der einschlägigen nationalen Gesetze angestrebt hatte, indem sie Milliardenforderungen stellten, Discovery-Auslagen in Millionenhöhe versprachen, von Mediendruck begleitet wurden und nur durch einen symbolisch wirksamen Vergleich frühzeitig zu beenden waren. Damit hatte die ATS-Rechtsprechung die internationale Rechtssicherheit direkt angegriffen, die unerlässliche Voraussetzung deutscher Wirtschaftstätigkeit ist358.
III. Die besondere Gefährdung deutscher Konzerne Wesentliche Merkmale der deutschen Wirtschaft haben im Zusammenspiel mit der eben geschilderten Rechtsprechung eine besondere Gefährdung deutscher Konzerne zum Risiko einer ATS-Klage erzeugt. Deutsche Wirtschaftsteinehmer sind traditionsreich, auf Auslandstätigkeiten ausgerichtet und auch in Herstellungs-, Verarbeitungs- und schwerindustriellen Sektoren tätig. Diese Beschaffenheitsmerkmale der deutschen Wirtschaft machen deutsche Konzerne zu – aus Sicht amerikanischer Klägeranwälten – idealen ATS-Beklagten. Die besondere Gefährdung deutscher Wirtschaftsteilnehmer hat wiederum zur Folge, dass ATS-Klagen als systemrelevantes Risiko für deutsche Wirtschaftsinteressen betrachtet werden mussten. 1. Die Beschaffenheit deutscher Wirtschaftstätigkeiten Wesentliche Merkmale der deutschen Wirtschaft setzten deutsche Konzerne einem erhöhten Risiko einer ATS-Klage aus. Vor allem haben eine zeitliche, eine räumliche und eine qualitative Dimension deutscher Wirtschaftstätigkeiten ihre Gefährdung verstärkt. Erstens erhöhte eine zeitliche Dimension der deutschen Wirtschaft das Risiko einer ATS-Klage. Vereinfacht gesagt sind die meisten deutschen Großkonzerne mehr als 50 Jahre alt. Die deutsche Wertschätzung von Tradition im Unternehmen neben dem Fokus auf nachhaltiges Wachstum stellt sicher, dass deutsche Gesellschaften auf eine langfristige Existenz ausgelegt sind. Manche deutschen Konzerne existierten vor359 oder seit360 der Kolonialzeit. Viele deutsche Auto- und Stahlhersteller361 sind 358
Wie in den unmittelbar vorigen Abschnitten ausgeführt besteht diese Gefahr nach Erlass der Kiobel- und Bauman-Entscheidungen des Supreme Court nicht im gleichen Maße fort. 359 Z. B. wurde Siemens 1847 gegründet. 360 Z. B. Deutsche Afrika-Linien & Co. GmbH, siehe Kapitel 2, Abschnitt A. III. 4. b). 361 Z. B. ist die Firma Krupp durch die Ausrüstung der preußischen Armee im DeutschFranzösischen Krieg zum Unternehmen von Weltrang geworden.
C. Rechtsrisiken der ATS-Rechtsprechung für die deutsche Wirtschaft
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durch Kriege zur Blüte gekommen. Dank der alliierten Wiederaufbaupolitik konnten die allermeisten deutschen Unternehmen gleich nach Kriegsende ihre Tätigkeiten ununterbrochen fortführen. Zweitens brachte eine räumliche Dimension der deutschen Wirtschaft ein erhöhtes Risiko von ATS-Klagen mit sich. Die deutsche Wirtschaft ist im Allgemeinen auf Auslandstätigkeiten ausgerichtet und insbesondere sind führende deutsche Großkonzerne von Auslandsinvestitionen abhängig: Z. B. sind in China im Jahre 2014 etwa 8.590 deutsche Unternehmen tätig362, während in 2013 mehr als 600 deutsche Unternehmen in Südafrika investiert hatten363. Die deutsche Politik hat die Notwendigkeit von Auslandstätigkeiten für die deutsche Wirtschaftsentwicklung seit langem erkannt und die Festlegung der erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen angestrebt. Deutschland war ein Anführer der Investitionsschutzbewegung der 1970er und 1980er Jahre und bis heute hat Deutschland die meisten Investitionsschutzabkommen mit anderen Ländern abgeschlossen364. Insgesamt unterhält Deutschland 125 Auslandshandelskammern in 85 Ländern365. Drittens erhöhen die konkreten Tätigkeiten, der Erfolg und das Ansehen deutscher Konzerne das Risiko einer ATS-Klage. Die deutsche Wirtschaft hat im Gegensatz zu anderen westlichen Wirtschaften einen hochwertigen industriellen Sektor aufrechterhalten, der weltweite Produktions-, Lieferungs- und Vertriebskanäle aufgebaut hat. Deutsche Firmen genießen internationales Ansehen als Qualitätsmarken und streben langfristige und nachhaltige Erfolgsstrategien an. 2. Deutsche Konzerne als ideale ATS-Beklagte Diese Gefährdungsfaktoren machten deutsche Unternehmen zu beinahe perfekten Zielscheiben für ATS-Klagen. Deutsche Firmen sind in der Regel alt genug, um während der großen Menschenrechtskatastrophen des 20. Jahrhunderts existiert zu haben. Ihre weltweite Ausrichtung erhöht die Chance, dass sie in einem Land tätig waren, wo die Regierung Menschenrechtsverletzungen begangen hat. Weil deutsche Unternehmen industriell tätig sind, ist es wahrscheinlicher, dass sie Direktinvestitionen in anderen Ländern vorgenommen haben, was engere Kontakte zu Regie362 So die Angabe der deutschen Auslandshandelskammern, siehe http://www.german-com pany-directory.com/list/?tx_cpsfmp_companymainplugin%5Bcontroller%5D=Company& cHash=a566d4e075dc3f8cca039887d52d0d81. 363 So die Angabe in Carol Paton, South Africa annuls bilateral investment treaty with Germany, Business Day, Oct. 28, 2013, aufrufbar unter http://www.safpi.org/news/article/2013/ south-africa-annuls-bilateral-investment-treaty-germany. 364 Diese Angabe entstammt der Industrie- und Handelskammer Karlsruhe, siehe http:// www.karlsruhe.ihk.de/international/zollundaussenwirtschaftsrecht/Gewerblicher_Rechts schutz/1249434/Bilaterale_Investitionsschutzabkommen_im_Internet.html (Zitat von Germany Trade & Invest vom Februar 2011). 365 Wieder eine Angabe der deutschen Auslandshandelskammern, siehe http://ahk.de/en/ ahk-locations/.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
rungskreisen (oft die Täter) sowie die Beschäftigung der örtlichen Bevölkerung (oft die Opfer) zur Folge hat. Der finanzielle Erfolg deutscher Konzerne bedeutet ferner, dass sie im Falle eines Unterliegens zahlungsfähig sind. Und weil deutsche Marken international hoch angesehen werden, verspricht eine Klage gegen deutsche Konzerne mediale Aufmerksamkeit, während die Massen an jahrelanger qualitätsbesessener Arbeit, die hinter der Prominenz deutscher Marken steckt, ein Erpressungspotenzial bei ernstzunehmender Schädigungsprognosen hergibt. Diese Beweggründe bekam die deutsche Wirtschaft zwischen 1997 und 2004 mehrmals zu spüren. Die Zwangsarbeiterklagen verhandelten Ansprüche aus dem Zweiten Weltkrieg und zeigten deutlich, dass ATS-Klagen auch dann zu Niederlagen führen können, wenn sie unbegründet sind. Falls die deutsche Wirtschaft dachte, dass ihr ,historisches‘ Risiko mit dem Globalvergleich und der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ausgeschöpft war, folgte ein Jahr später die HereroKlage, die Ansprüche aus den Jahren 1904 bis 1908 geltend machte. Obwohl die Hereros-Klage als quasi-verjährt abgewiesen wurde, wurden ab 2002 in anderen Fällen Beihilfeklagen zugelassen, was industrielle Investitionen in militärregierten Staaten und Krisenregionen praktisch zur per se Klagegrundlage erhoben. Es folgten in 2002 die Apartheid-Klagen mit Ansprüchen, die aus dem Zeitraum 1960 bis 1994 stammten und auf Menschenrechtsverletzungen fußten, die nicht die verklagten Gesellschaften, sondern südafrikanische Sicherheitskräfte begangen hatten. In 2004 erhob die Bauman-Klage Menschenrechtsverletzungen der argentinischen Militärjunta aus den Jahren 1976 und 1977 zum Gegenstand einer ATS-Klage gegen Daimler. Entscheidungsträger in der deutschen Wirtschaft und Politik müssen eingesehen haben, dass diese Risiken nicht nur vergangenheitsgewandt waren, sondern auch allen künftigen Auslandsinvestitionen deutscher Konzerne anhafteten. Nach der Bauman-Entscheidung des Ninth Circuit von 2011 hatte fortan jeder deutscher Konzern, der in den USA eine Tochtergesellschaft unterhielt, zumindest in Kalifornien einen allgemeinen Gerichtstand. Damit war jede neue Auslandsinvestition jedes führenden deutschen Konzerns dem Risiko einer ATS-Klage ausgesetzt.
3. Zusammenfassung: ATS-Klagen als systemrelevantes Risiko für deutsche Wirtschaftstätigkeiten Gemeinsam haben die Rechtsentwicklungen der ATS-litigation und die Kostenfaktoren eines US-Prozesses ein systemrelevantes Risiko für die deutsche Wirtschaft geschaffen. Die unerlässliche Grundlage der auf Auslandstätigkeiten ausgerichteten deutschen Wirtschaft ist, wie in dieser Arbeit nun oft erwähnt, internationale Rechtssicherheit. Die ATS-Rechtsprechung machte jedoch die Rechtssicherheit von Wirtschaftstätigkeiten in anderen Ländern zunichte. Durch das Abstellen auf das ungeschriebene und dem Augenmaß des jeweiligen Richters überlassene Völkergewohnheitsrecht, die Zulassung von Beihilfeklagen
C. Rechtsrisiken der ATS-Rechtsprechung für die deutsche Wirtschaft
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wegen von Dritten begangener Rechtsverletzungen, die Zurechnung der Handlungen ausländischer Tochtergesellschaften auf deutsche Mutterhäuser, die Bejahung weltweit anwendbarer Haftungstatbestände sowie die Festlegung eines allgemeinen amerikanischen Gerichtsstands für Konzerne mit US-Tochtergesellschaft erstreckte die ATS-Rechtsprechung das Risiko einer ATS-Klage auf sämtliche Auslandstätigkeiten aller international tätigen deutschen Konzerne. Das amerikanische Verfahrensrecht verwandelte dieses Risiko in einen eventuellen Milliardenverlust: Durch hohe (und nicht erstattungsfähige) Anwalts- und Prozesskosten, astronomische Schadensersatzforderungen sowie deren Vertausendfachen durch den Class Action-Mechanismus, die Offenlegung des Firmenarchivs und die millionenfachen Auslagen durch Discovery sowie die Aussicht auf ein Jury-Verfahren wurde ein einmaliges Rechtsrisiko erschaffen, die nicht im Voraus minimiert – außer dass man aus den USA desinivestierte – und nach seinem Eintreffen nur durch einen Vergleich in Millionenhöhe bewältigt werden konnte. Wichtig war, dass die für deutsche Wirtschaftsinteressen erforderliche internationale Rechtssicherheit bereits bei Erhebung einer ATS-Klage so gut wie aufgehoben war. Das hieß, dass die bloße Zulassung einer ATS-Klage gegen einen deutschen Konzern unter Umständen als Angriff gegen deutsche Interessen gesehen werden konnte. Je weniger Erfolgsaussichten eine ATS-Klage versprach und je weniger Bezüge eine ATS-Klage zum amerikanischen Forum aufwarf, desto mehr war sie aus deutscher Perspektive kein rechtsstaatliches Verfahren mehr, sondern eine Beeinträchtigung deutscher Interessen ohne Grundlage im Völkerrecht.
IV. Der Angriff der deutschen Politik und Wirtschaft auf die ATS-litigation in Kiobel und Bauman Entscheidungsträger der deutschen Politik und Wirtschaft haben mit der Zeit immer heftiger auf die Inanspruchnahme deutscher Konzerne durch ATS-Klagen reagiert. Die erste Äußerung der Bundesregierung aus Anlass einer ATS-Klagen kam bezüglich der Hereros-Klage und bestand lediglich in dem dogmatischen Argument, dass Völkermord erst nach 1945 zum Völkerrechtsverbrechen geworden sei366. 2005 folgte der Beschluss des OLG Karlsruhe, in der ein an sich rechtsmissbräuchlicher Charakter von ATS-Klagen angedeutet wurde und die Zustellung der Bauman-Klage ausgesetzt wurde367. 2009 reichte zum ersten Mal die Bundesregierung eine Stellungnahme in einem laufenden ATS-Verfahren ein368. Dem Second Circuit legte die Bundesregierung dar, dass die Annahme der Zuständigkeit für ATS-Klagen aus dem Ausland gegen deutsche Konzerne eine Verletzung des internationalen Verfahrensrechts darstelle. Zur selben Zeit adoptierte die Bundesregierung die Haltung, 366 367 368
Siehe Abschnitt B. II. 3. dieses Kapitels, oben. Siehe Abschnitt B. IV. 5. b) dieses Kapitels, oben. Siehe Abschnitt B. III. 6. dieses Kapitels, oben.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
dass ATS-Klagen missbrauchsanfällig seien und deswegen einer eingehenden Zustellungskontrolle in Deutschland unterworfen werden sollten. In 2011 haben deutsche Unternehmen als Reaktion auf die zwischenzeitliche Bauman-Entscheidung angefangen, Desinvestitionen aus den USA anzukündigen, falls das Risiko einer ATS-Klage nicht eingeschränkt werden sollte369. Das Revisionsverfahren von Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. vor dem Supreme Court370 nahmen die Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft zum Anlass, einen Frontalangriff auf die ATS-litigation zu lancieren. Kiobel richtete sich zwar gegen einen britisch-niederländischen Konzern, aber allen war klar, dass ein für Shell vorteilhaftes Urteil auch zum Vorteil der deutschen Wirtschaft wäre371. Sowohl die Bundesregierung als auch führende Wirtschaftsverbände haben amicus curiaeSchriftsätze ein, worin sie für eine einschneidende Einschränkung der bisherigen ATS-Rechtsprechung plädierten. 1. Die Stellungnahme der Bundesregierung372 In ihrem amicus curiae-Schriftsatz machte die Bundesregierung ihre Auffassung deutlich, dass die Zulassung von ATS-Klagen gegen ausländische Konzerne ohne Beachtung ihrer Bezugspunkte zu den USA fundamentale Völkerrechtsgrundsätze missachtet hatte und deshalb durch eine Neuauslegung völkerrechtskonform zu gestalten war. Hierbei beschrieb die Bundesregierung ihr Interesse an einer völkerrechtskonformen Neugestaltung des ATS als die allgemeine Aufrechterhaltung des „international rule of law“, inklusive „the promotion of human rights, and protection against human rights violations“373. Nach Ansicht der Bundesregierung hatte jedoch die bisherige ATS-Rechtsprechung souveränitätsbezogene Grundsätze des Völkerrechts außer Acht gelassen, indem sie „overly broad assertions of extraterritorial civil jurisdiction … against foreign defendants for alleged foreign activities that caused injury on foreign soil“ zugelassen hatte374. Diese Entwicklungen
369
Siehe Abschnitt B. IV. 7. b) dieses Kapitels, oben. Siehe hierzu detailliert Kapitel 2, Abschnitt B. VI. 371 Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Agnes Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, 5. Juni 2012, Drucksache 17/9876, S. 3:„Da Entscheidungen des U.S. Supreme Court Präzedenzwirkung haben und nicht zu erwarten ist, dass dieser in absehbarer Zeit erneut über die Auslegung des ATS urteilen wird, hat die Entscheidung im Fall Kiobel hohe Bedeutung für die zukünftige Anwendung des Gesetzes. Das Urteil wird somit weit über den konkreten Fall hinausreichende Wirkungen entfalten und kann auch für potentielle deutsche Streitparteien Bedeutung erlangen“. 372 Siehe Brief of amicus curiae The Federal Republic of Germany, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013) (No. 10-1491). 373 Brief of the Federal Republic of Germany, p. 2. 374 Brief of the Federal Republic of Germany, p. 2. 370
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liefen nicht nur dem Völkerrecht zuwider, sondern erschufen überdies „a substantial risk of jurisdictional conflicts with other countries“375. Die Bundesregierung bat den Supreme Court, die „Zulassung extensiver Gerichtsstände“376, die in der bisherigen ATS-litigation im Namen des Völkerrechts erfolgt worden war, durch ein völkerrechtlich gebotenes Erfordernis der Erschöpfung des ausländischen Rechtswegs einzuschränken, um die hoheitlichen Interessen anderer Souveräne in künftigen ATS-Klagen angemessen zu wahren. Dieses Ersuchen stützte die Bundesregierung auf zwei Hauptargumente, die im Folgenden geschildert werden. a) Die Annahme der Zuständigkeit für ATS-Klagen beeinträchtigt deutsche Souveränität Das Hauptargument der Bundesregierung machte geltend, dass die Zulassung von ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne, die die Auslandstätigkeiten der Konzerne zum Gegenstand hatten, die Souveränität Deutschlands beeinträchtigte. Diese Beeinträchtigung erfolgte durch die gerichtliche Inanspruchnahme deutscher Konzerne in Fällen, wo kein Bezug zu den USA vorlag, während die Gerichte des Tatortlands und insbesondere die deutschen Gerichte für die Verhandlung der Klage offenstanden und zudem eine engere Sachnähe zum Streit aufwiesen als das amerikanische Forum. Die Bundesregierung stützte dieses Vorbringen auf das „inherent interest“ eines jeden Landes „in applying its laws and using its courts in cases in which [its companies] are accused of the violation of international customary laws“377. Obwohl die Bundesregierung es nicht explizit in ihrem amicus curiae-Schriftsatz ausführte, ergab diese Behauptung nur dann einen Sinn, wenn man dieses Interesse als „inhärent“ betrachtete, weil es ein direkter Ausfluss der Souveränität des Heimatstaats der verklagten Gesellschaft war. Gegenüber dem Bundestag sprach die Bundesregierung jedoch offen aus, dass sie eine weitgehende Erstreckung amerikanischer Gerichtsgewalt als Gefährdung deutscher Hoheitsinteressen ansah378. Insofern stellte die Bundesregierung die bloße Bejahung der Gerichtszuständigkeit der amerikanischen Gerichte als mögliche Verletzung deutscher Hoheitsinteressen auf. Vor diesem Hintergrund legte die Bundesregierung die vorsichtig formulierte Behauptung dar, dass es aus völkerrechtlicher Sicht als „unreasonable“ zu qualifi375
Brief of the Federal Republic of Germany, p. 2. Siehe Antwort der Bundesregierung vom 5. Juni 2012, a.a.O, S. 9. 377 Brief of the Federal Republic of Germany, p. 10. 378 Siehe Anwort der Bundesregierung vom 5. Juni 2012, a.a.O, S. 2: „Die Bundesregierung ist … besorgt, dass US-amerikanische Gerichte über den ATS ihre Gerichtsgewalt auch auf Vorgänge erstrecken, die keine oder allenfalls nur geringe Verbindung mit den Vereinigten Staaten von Amerika aufweisen … [e]ine derartig weite Auslegung des ATS würde deutsche Souveränitätsinteressen verletzen“. 376
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zieren war, wenn, obwohl ein deutsches Forum offenstehe, amerikanische Gerichte ihre Gerichtsgewalt auf deutsche Beklagte in „cases that have little or no significant nexus with the United States“ erstreckten379. Die Souveräntität Deutschlands gebe ein völkerrechtlich legitimes und „inhärentes“ Interesse an Menschenrechtsklagen aus nichtamerikanischen Staaten gegen deutsche Konzerne her. Die USA hingegen könnten kein vergleichbares Interesse am Verhalten nichtamerikanischer Konzerne im Ausland behaupten380. Insofern überwiege Deutschlands Interesse an Menschenrechtsklagen aus fremden Staaten gegen deutsche Konzerne381. Was mit dieser gewählten Formulierung nicht gesagt, aber jedenfalls nahegelegt wurde, war, dass Deutschlands Interesse an Menschenrechtsklagen gegen deutsche Konzerne aus dem Ausland nicht nur überwiegend war, sondern dass die USA kein aus völkerrechtlicher Sicht ebenbürtiges, vergleichbares oder gleichwertiges Interesse an solchen Klagen geltend machen konnten. Nur Deutschland konnte sein Interesse an Menschenrechtsklagen gegen deutsche Konzerne aus dem Ausland auf seine territoriale Souveränität zurückführen, weil die Beklagten deutsche Angehörige waren und damit der souveränen Normsetzungs- und Gerichtsgewalt Deutschlands unterlagen. Die USA hingegen hatten als Basis eines Interesses nur das Weltrechtsprinzip, d. h. eine Ausnahme zum normalen Erfordernis, dass die Ausübung von Gerichtsgewalt durch einen Bezug zum eigenen Hoheitsgebiet gerechtfertigt war. Nur eins dieser Interessen konnte man als „inhärenten“ Ausfluss territorialer Souveränität bezeichnen. Auf dieser Grundlage konnte die Bundesregierung behaupten, dass die Missachtung seines „überwiegenden“ Interesses an Menschenrechtsklagen gegen deutsche Konzerne einer Beeinträchtigung seiner Souveränität gleichzusetzen war: Die Erstreckung der amerikanischen Gerichtsgewalt auf deutsche Konzerne in ATSKlagen „interefere[s] with [German] sovereignty“, „hugely affect[s]“ deutsche Hoheitsinteressen und sei „unacceptable“, sofern US-Gerichte ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne trotz des vollständigen Fehlens von Anknüpfungspunkten mit amerikanischen Hoheitsinteressen zuließen382. Dass extensive amerikanische Gerichtsgewalt zur Souveränitätsbeeinträchtigung führte, konnte aus Sicht der Bundesregierung in mehreren Folgen der ATS-litigation gesehen werden. Zum einen bedeutete die Ausdehnung von ATS-Tatbeständen auf die weltweiten Tätigkeiten deutscher Konzerne eine Verdrängung der deutscher Regelungsmacht und Gerichtshoheit: „Die Bundesrepublik Deutschland wird in ihrer Gesetzgebungshoheit betroffen, wenn ein US-amerikanisches Gesetz so weit ausgreifen kann, dass es die Reichweite der deutschen Justizgewährleistung unangemessen einschränkt“383. Zum anderen sah die Bundesregierung ATS-Klagen aus 379 380 381 382 383
Brief of the Federal Republic of Germany, p. 10. Brief of the Federal Republic of Germany, p. 10. Brief of the Federal Republic of Germany, p. 10 – 11. Brief of the Federal Republic of Germany, p. 10. Antwort der Bundesregierung vom 5. Juni 2012, a.a.O, S. 3.
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nichtamerikanischen Staaten gegen deutsche Konzerne als völkerrechtswidrige Inanspruchnahme seiner Angehörigen an: „Die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland wird verletzt, wenn deutsche Unternehmen und Privatpersonen durch US-amerikanische Gerichte der US-amerikanischen Rechtsprechung auch dann unterworfen werden, wenn sie keine Berührungspunkte mit den Vereinigten Staaten von Amerika haben“384. Aus deutscher Sicht waren derartige Eingriffe in deutsche Hoheitssphären nicht nur völkerrechtswidrig, sondern vollkommen unnötig: „No such interference should occur between two countries like Germany and the United States, which cooperate so closely in economic and political terms and have the same goals in fighting violations of human rights“385. Die Bundesregierung schlug dem Supreme Court eine Lösung für künftige ATSKlagen vor, die das Ziel der Entschädigung von Menschenrechtsverletzungen mit dem völkerrechtlichen Souveränitätsgrundsatz balancierte. Wenn eine ATS-Klage gegen einen ausländischen Konzern keine Sachnähe zu den USA aufweise, sollte der Kläger den lokalen Rechtsweg erschöpfen müssen386. Beim Fehlen aussichtsreichen Rechtsschutzes im Heimatstaat des Klägers sollte die Klage an den Heimatstaat des verklagten Konzerns abgegeben werden. Nur wenn auch dort keinen angemessenen Rechtsschutz zu erwarten wäre, sollte die Klage in den USA nach dem ATS zugelassen werden. Aber weil einen ungenügenden Rechtsschutz vor deutschen Gerichten nicht zu erwarten sei, sollten ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne, sofern keine Sachnähe zu den USA vorliegt, an die deutschen Gerichte abgegeben werden. b) Die Berufung auf die amerikanische Comity-Doktrin Die Bundesregierung ergänzte ihre Behauptung der Souveränitätsgefährdung mit einem Rückgriff auf die amerikanische „comity“-Doktrin. Die „international comity“-Doktrin ist die traditionelle Schranke der Rechtsanwendungsbefugnis amerikanischer Gerichte387. Diese Doktrin erlaubt US-Gerichte, einen anhängigen Fall zur Verhandlung vor einem ausländischen Gericht abzuweisen, wenn „the laws and interests of other sovereign states“ durch den Fall tangiert werden388. Die Abweisung unter Berufung auf comity ist zulässig, wenn „the laws and public policy of the [American] forum state and the rights of its residents will not be violated“389.
384
Anwtort der Bundesregierung, S. 3. Brief of the Federal Republic of Germany, p. 10. 386 Brief of The Federal Republic of Germany, p. 14 ff. 387 Vgl. hierzu Kapitel 1, Abschnitt C. IV. 1. 388 Brief of the Federal Republic of Germany, p. 10 (Zitat von Societe Nationale Industrielle Aerospatiale v. United States Dist. Court for S. Dist., 482 U.S. 522, 544 (1987)). 389 Brief of the Federal Republic of Germany, p. 10 (Zitat von Allstate Life Ins. Co. v. Linter Group, Ltd., 994 F.2d 996, 999 (2d Cir. 1993)). 385
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Die Bundesregierung argumentierte, dass die comity-Doktrin auf ATS-Klagen ohne US-Bezug gegen deutsche Konzerne anwendbar war: „It is reasonable to request that United States courts exercise judicial restraint, under the principle of international comity, and take into account the availability of venues with a more significant nexus before applying the ATS to torts committed on foreign soil by foreign tortfeasors that injured foreign victims and have no nexus to the United States“390.
Die Anwendbarkeit der comity-Doktrin begründete die Bundesregierung in drei Schritten: Zuerst bekräftigte die Bundesregierung Deutschlands starkes Interesse an Menschenrechtsklagen gegen deutsche Konzerne. Deutschland habe ein aus seiner Souveränität fließendes „inhärentes“ Interesse an Klagen gegen deutsche Unternehmen391. Die USA hingegen können kein derartiges Interesse geltend machen, wenn eine ATS-Klage aus dem Ausland stamme und sich gegen Angehörige eines nichtamerikanischen Staates richte. Insofern tangierten ATS-Klagen erhebliche deutsche Hoheitsinteressen. Zweitens legte die Bundesregierung dar, dass deutsche Gerichte für Menschenrechtsklagen offen stünden und angemessenen Rechtsschutz anböten. Das deutsche Rechtssystem biete ein adäquates, faires und international zuständiges alternatives Forum an392. Das materielle deutsche Recht enthalte in § 823 Abs. 1 BGB die rechtliche Grundlage einer Zivilklage zur Entschädigung einer Menschenrechtsverletzung393. Das deutsche Verfahrensrecht sehe durch § 17 ZPO die allgemeine Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Klagen gegen deutsche Konzerne vor394. Drittens erinnerte die Bundesregierung an die Beleidigung, die aus der Verweigerung ausginge, Menschenrechtsklagen gegen deutsche Konzerne den deutschen Gerichten zu überlassen. Die Bundesregierung sehe zwar ein und stimme zu, dass es unsinnig wäre, von ATS-Klägern die Erschöpfung eines Rechtsweges eines Landes zu erfordern, das korrupt sei und due process nicht gewährleiste395. Es könne jedoch nicht sein, dass US-Gerichte das deutsche Gerichtssystem als korrupt oder unfähig behandeln wollten. Insofern sei es „certainly reasonable and appropriate to require a victim of a tort committed in a third country by a German tortfeasor to go to Germany 390
Brief of the Federal Republic of Germany, p. 13. Brief of the Federal Republic of Germany, p. 13. 392 Brief of the Federal Republic of Germany, p. 11 („The German laws on international jurisdiction, private international law and the substantive law of compensation ensure that victims of those torts that are subject of the ATS can enforce their rights simply and efficiently before the German courts in cases involving those torts. German nationals and nationals of other countries who are the victims of such torts are entitled to file an action. German law does not discriminate on the basis of nationality or the principal place of residence of the victims of torts and German procedural law provides all plaintiffs with the same due process guarantee as United States law“). 393 Brief of the Federal Republic of Germany, p. 11 – 12. 394 Brief of the Federal Republic of Germany, p. 12. 395 Siehe Brief of the Federal Republic of Germany, p. 13. 391
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and utilize the legal system of the Federal Republic of Germany to seek legal satisfaction“396. Angesichts der starken deutschen Interessen, der schwachen amerikanischen Interessen sowie der Existenz eines adäquaten alternativen Rechtswegs in Deutschland argumentierte die Bundesregierung, dass die comity-Doktrin die Abweisung von ATS-Klagen gegen deutsche Konzerne erforderte, damit sie vorerst den deutschen Instanzenweg erschöpfen konnten. Somit hatte die Bundesregierung nicht nur eine völkerrechtliche, sondern auch eine nationalrechtliche Basis für ein Erfordernis der Erschöpfung dargelegt. c) Analyse der Argumente der Bundesregierung Die Bundesregierung hat ihr Interesse an der Kiobel-Entscheidung als „the international rule of law“ beschrieben. Was die Bundesregierung unter solchen ,internationaler Rechtsstaatlichkeit‘ verstand, war vor allem eins: international währende Rechtssicherheit. Dies kann darin gesehen werden, wie Bundesregierung dem Bundestag ihr Interesse an Kiobel schilderte: „Die Bundesregierung ist grundsätzlich darüber besorgt, dass die Zulassung extensiver Gerichtsstände … zur Rechtsunsicherheit führt. Für international agierende Akteurinnen und Akteure wird dadurch weniger vorhersehbar, welchem Recht sie unterworfen sind und welche Gerichte welcher Staaten über Streitfälle urteilen können“397.
Die Bundesregierung scheint sich im Klaren darüber gewesen zu sein, dass die von deutschen Wirtschaftsteilnehmern begehrte Rechtssicherheit bereits bei der Erhebung einer ATS-Klage und seiner Zulassung von einem US-Gericht aufgehoben worden war. Denn die Zielscheibe des amicus curiae-Schriftsatzes der Bundesregierung war die Erstreckung der amerikanischen Gerichtsgewalt auf deutsche Konzerne, was sie als per se Souveränitätsbeeinträchtigung verwarf, solange keine Bezüge zu den USA vorlagen. Des Weiteren lag ihre Lösung für diese Souveränitätsverletzung darin, die Abgabe von ATS-Verfahren an ausländische Rechtssysteme zu erfordern, ehe die amerikanischen Gerichte eine Basis für ihre Zuständigkeit überhaupt ermitteln durften. Die Bundesregierung stützte ihre Behauptung der Souveränitätsbeeinträchtigung sowie ihre Forderung nach einem Erfordernis der Erschöpfung auf ein Argument, die an ihre Ausführungen zu den Apartheid-Klagen erinnerte. Dort hatte die Bundesregierung in Hinblick auf die Ansprüche gegen Daimler und Rheinmetall aus Südafrika vorgeworfen, dass „[e]ine so weitgehende Inanspruchnahme von internationaler Gerichtszuständigkeit widerspricht einem allgemein anerkannten Grundsatz des Internationalen Zivilverfahrensrechts, wonach dafür enge Kontakte zum Gerichtsstaat vorhanden sein müssen, und verletzt dadurch die deutsche Gerichtsho396 397
Brief of the Federal Republic of Germany, p. 13. Antwort der Bundesregierung vom 5. Juni 2012, S. 9.
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heit“398. Allerdings war dieses Vorbringen nicht überzeugend, weil es an der staatlichen Praxis mit ihrer langen Pflege mannigfaltiger außerordentlicher Zuständigkeitsgründen scheiterte399. Das Argument der Bundesregierung im amicus curiae-Schriftsatz zu Kiobel war erheblich stärker. Die Bundesregierung fing damit an, die Ausübung von Gerichtsgewalt als Ausfluss territorialer Souveränität festzulegen. Damit war klar, dass sie nicht mehr über die Zulässigkeit außerordentlicher Zuständigkeitsgründe reden wollte, sondern über die Frage, ob die Annahme außerordentlicher Zuständigkeit überhaupt eine Basis in territorialer Souveränität hatte. Denn wenn nicht, war bei der Annahme außerordentlicher Zuständigkeit durch die US-Gerichte gleichzeitig von einer Beeinträchtigung der Hoheitsinteressen der Länder auszugehen, die kraft ihrer territorialen Souveränität ein „inhärentes“ Interesse am jeweiligen Verfahren hatten. Damit war eine Diskussion über Zuständigkeitsgründe aus dem Weg geräumt, um Platz für eine Debatte über eine Aufteilung der internationalen Gerichtsgewalt zu machen, durch welche die Wahrung der territorialen Souveränität eines jeden Landes gewährleistet werden konnte. Für die Bundesregierung scheint eine souveränitätsbasierte Aufteilung internationaler Zuständigkeit als Garant für internationale Rechtssicherheit dienen zu können: „Wenn bei der Grenzziehung [der internationalen Zuständigkeit] im Verhältnis zur Jurisdiktionsgewalt anderer Staaten … nicht Maß gehalten und Rücksicht genommen wird, entstehen Jurisdiktionskonflikte, die zu völkerrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Staaten über die Wirksamkeit dieser Grenzziehung führen können[; d]as ist auf jeden Fall zu vermeiden“400. Eine Verflechtung von deutschen Hoheitsinteressen und deutschen Wirtschaftsinteressen war in diesen Ausführungen nicht zu übersehen. Es ist deswegen nachvollziehbar, dass der Bundesverband der Deutschen Industrie die Bundesregierung auf die grundsätzliche Bedeutung von Kiobel aufmerksam gemacht und sie zur Einreichung einer Stellungnahme beim Supreme Court angeregt hat401. 2. Die Stellungnahme der deutschen Industrie402 Neben der Bundesregierung reichten führende Verbände der deutschen Industrie einen eigenen amicus curiae-Schriftsatz beim Supreme Court ein. Für den Schriftsatz 398 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, Drucksache 17/992, 12. Dezember 2010, S. 2. 399 Siehe Abschnitt B. III. 6. d) dieses Kapitels, oben. 400 Antwort der Bundesregierung vom 5. Juni 2012, S. 5. 401 Siehe Antwort der Bundesregierung, S. 3. 402 Siehe Brief of amici curiae Association of German Chambers of Industry and Commerce, Federation of German Industries, Chamber of British Industry (CBI), Confederation of Swedish Enterprise, Economiesuisse, and International Chamber of Commerce (ICC) Ger-
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waren sowohl der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) – und damit das unter seiner Obhut geführte Netzwerk der Auslandshandelskammern (AHK) – als auch der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) verantwortlich. Das Interesse dieser Verbände lag auf der Hand: Indem sich die amerikanischen Gerichte anschickten, „the world’s corporate court“ für „customary international law“ zu werden403, erschufen sie „an entirely new liability scheme“404, die jeder Auslandsinvestition mit dem Risiko von „expensive and burdensome lawsuits“ versah405. Gegen diese Entwicklung führten die Verbände dogmatische sowie rechtspolitische Argumente vor. a) Kapitalgesellschaften sind keine Völkerrechtssubjekte Zunächst brachten die Wirtschaftsverbände das dogmatische Argument vor, dass Kapitalgesellschaften nicht für Menschenrechtsverletzungen haften könnten, weil sie keine Völkerrechtssubjekte seien. Deswegen seien ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften wegen fehlender Haftungsgrundlage für unzulässig zu erklären. Die Verbände stützten dieses Argument auf die Behauptung, dass „[t]he law of nations governs whether corporations are liable under customary international law“406. Nur wer das Völkerrecht als Rechtssubjekt bestimme, könne durch völkerrechtliche Normen verpflichtet und für Verstöße gegen diese haftbar gemacht werden407. Deshalb müssten die Normen des Völkergewohnheitsrechts die Subjektqualität von Kapitalgesellschaften vorsehen, um ihre Haftbarkeit für Menschenrechtsverletzungen zu begründen. Aus Sicht der Verbände existierten keine derartigen Normen. Sie verwiesen auf Gründungsdokumente und Praxis internationaler Straftribunale sowie die nationalrechtliche gesellschaftsrechtliche Praxis, um das Fehlen eines entsprechenden staatengemeinschaftlichen Konsenses nachzuweisen. Zuerst führten die Verbände die Praxis internationaler Straftribunale an. Das Gründungsstatut des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals habe nur Strafverfahren gegen „Einzelpersonen oder … Mitglieder einer Organisation“ zugelas-
many, ICC Netherlands, ICC Switzerland, and ICC United Kingdom, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013) (No. 10-1491). 403 Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 6. 404 Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 21. 405 Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 1. 406 Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 6. Damit umgingen die Verbände die Debatte, ob nationales Recht oder das Völkerrecht bestimmt, wer für Verletzungen der primären Verhaltensgebote des Völkerrechts haftet. 407 „The norms that form the law of nations are constructed around the identification of ,international persons‘ and the specification of their duties, obligations, and responsibilities“. Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 6 – 7.
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sen408 und in Nürnberg seien keine Anklagen gegen Kapitalgesellschaften erhoben worden409. Das Gründungsstatut des Kriegsverbrechertribunals für Japan habe dieselbe Regelung410 getroffen. Modernere Straftribunale hätten eine völkerrechtliche Subjekteigenschaft von Gesellschaften weiterhin verneint: Die Gründungsstatuten der internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien411 und für Ruanda412 haben nur Zuständigkeit für natürliche Personen vorgesehen und vor diesen Tribunalen seien keine Anklagen gegen Kapitalgesellschaften erhoben worden413. Des Weiteren habe sich die Staatengemeinschaft beim Entwerfen des römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs bewusst dafür entschieden, die völkerrechtliche Subjekteigenschaft von Kapitalgesellschaften auszuschließen: Frankreich habe vorgeschlagen, die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs auf Kapitalgesellschaften zu erstrecken, aber dieser Vorschlag wurde wegen Einsprüche aus Ländern, die die Strafbarkeit von Gesellschaften nicht anerkennen, abgelehnt414. Aus Sicht der Verbände konnten diese Entwicklungen nur bedeuten, dass „the community of nations has not coalesced around any []definite[] … norm of corporate liability under international law“415. Stattdessen habe sich die Staatengemeinschaft für „domestic rather than international regulation of corporate entities“ entschieden416. An diesem Punkt verwiesen die Verbände auf die Vielfalt nationaler Regelungen gesellschaftlicher Haftung, um aufzuzeigen, dass keine einheitliche Praxis zur Haftbarkeit oder zum Haftungsumfang von Kapitalgesellschaften existierte. „European laws covering corporate liability … evidence a clear lack of any international consensus about if (or when) to hold corporations liable for their alleged misconduct and that of their parents, subsidiaries, affiliates, employees, contractors, and agents“417. Z. B. verneine Deutschland die Strafbarkeit von Kapitalgesellschaften und strebe eine Regelung durch zivil- und verwaltungsrechtliche Maßnahmen an. 408
Siehe Statut für den Internationalen Militärgerichtshof vom 8. August 1945, Art. 6. Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 8. 410 Siehe Statut des Internationalen Militärgerichtshofs für den Fernen Osten vom 19. Januar 1946, Art. 5. 411 Siehe Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien vom 25. Mai 1993, Art. 6. 412 Siehe Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda vom 8. November 1994, Art. 5. 413 Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 10. 414 Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 11 (Zitat von Per Saland, International Criminal Principles, in: The International Criminal Court: The Making of the Rome Statute 199 (Roy Lee ed., 1999)); Römisches Statut für den Internationalen Strafgerichtshof, Art. 25 (1). 415 Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 12. 416 Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 14. 417 Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 14. 409
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Dementgegen erlaube das Vereinigte Königreich eine begrenzte strafrechtliche Haftung von Kapitalgesellschaften in eng definierten Ausnahmefällen. Die „overwhelming diversity of domestic laws that govern and regulate legal persons around the globe“ widerlege jeden Versuch, einen „universal consensus of corporate liability under the law of nations“ zu behaupten418. Das Ergebnis dieser Ausführungen fassten die Verbände wie folgt zusammen: „[N]othing even approaching a consensus has emerged in Europe or elsewhere that the law of nations (as opposed to domestic legal norms) extends liability to legal persons such as corporations“419. Als Resultat müsse festgehalten werden, dass „international norms do not impose corporate liability“420. b) Die Erfahrung mit ATS-Klagen spricht ihnen jede Effektivität ab Das zweite Argument der Wirtschaftsverbände thematisierte die bisherige Erfahrung von Wirtschaftsteilnehmern mit ATS-Klagen. Damit legten die Verbände dar, dass ATS-Klagen trotz hoher Kosten ihr angebliches Ziel, nämlich die Durchsetzung von Menschenrechten in der Dritten Welt, verfehlt hatten. Zunächst wiesen die Verbände darauf hin, dass ATS-Klagen den Ruf des Beklagten erheblich schädigen: „The mere allegation that a company has violated the law of nations often inflicts considerable harm on relationships with customers, counterparties, and investors – casting a cloud that hangs over the company while the law-of-nations claims are litigated. Media coverage of such claims frequently attempts to tie the defendant corporation to heinous practices by foreign regimes, often without regard to the true nature of the relationship between the defendant company and its local subsidiary or contractor – let alone the truth or falsity of the allegations themselves“421.
Dazu betonten die Verbände, dass ATS-Klagen erhebliche Verfahrenskosten verursachten. Discovery sei insbesondere für ausländische Firmen sehr kostspielig, weil sie die Tätigkeiten von Tochtergesellschaften und Auftragsnehmern rund um die Welt nachverfolgen müssten422. Des Weiteren müssten sie meistens nicht kooperative Regimes der Dritten Welt um Zusammenwirken bei der Aufklärung des Falles bitten423. Die Folge seien langwierige, globale und deswegen teure Auslagen für ATSBeklagte. Aus Sicht der Verbände erzeugten die mediale Aufmerksamkeit und Kosten eines ATS-Verfahrens ein erhöhtes Missbrauchspotenzial. ATS-Klagen seien oft nur 418 419 420 421 422 423
Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 15. Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 4. Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 1. Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 17. Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 17 – 18. Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 18.
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Versuche, Konzernen unabhängig von den Erfolgsaussichten der Klage Vergleiche abzunötigen424. Die schlimmste Verfehlung von ATS-Klagen leiteten die Verbände aus der bisherigen Erfahrung mit ATS-litigation gegen Konzerne ab: ATS-Klagen verfehlten ihr Ziel. Das angebliche Ziel von ATS-Klagen sei die Beendigung von Menschenrechtsverletzungen durch die Regimes der Dritten Welt. Die bisherige Methode der ATS-litigation bestehe jedoch darin, „ATS suits as a means to extract substantial civil judgments and settlements against foreign corporations“ einzusetzen, um die Kosten von Investitionen in bestimmte Staaten zu erhöhen425. Diese Methode verfehle das Ziel: Wenn ATS-Klagen die Kosten von Investitionen in Krisenstaaten für westliche Gesellschaften zu sehr erhöhen, können chinesische Gesellschaften, die Menschenrechte nicht priorisieren, in die betroffenen Märkte eintreten426. Als Beispiel nannten die Verbände den kanadischen Ölkonzern Talisman Energy, der infolge einer ATS-Klage427 seine Beteiligung an einem sudanesischen Förderprojekt aufgeben musste und von einer chinesischen Firma ersetzt wurde428. „[R]eplacing a Canadian company with a Chinese company … in the name of human rights“ sei ein „perverses“ Ergebnis429. c) ATS-Klagen gefährden amerikanische Wirtschaftsinteressen An nächster Stelle legten die Wirtschaftsverbände dem Supreme Court nahe, dass die Fortführung der ATS-litigation amerikanischen Wirtschaftsinteressen schaden könnte. Die Verbände argumentierten, dass das Risiko einer ATS-Klage zur Benachteiligung des Investitionsstandorts USA sowie der Wettbewerbsfähigkeiten amerikanischer Gesellschaften führen könnte. Die Grundlage dieses Arguments lag in dem Gefährdungspotenzial sowie der globalen Einmaligkeit des Rechtsrisikos, die die bisherige ATS-Rechtsprechung für ausländische Konzerne erschaffen hatte. „[C]orporate tort liability by reference to the law of nations“ sei „an entirely new liability scheme“, das „no other country in the world“ zulasse430. Insofern müssten ausländische Unternehmen Strategien zur Vermeidung dieses Risikos entwickeln, um Rechtssicherheit für ihr operatives Geschäft zu erlangen. Allerdings könne das Risiko einer ATS-Klage nur dadurch minimiert werden, indem man die amerikanischen Gerichte einer Basis der Inanspruchnahme des zu verklagenden Konzerns beraubte. Aus Sicht der Verbände musste dies dazu führen, dass ausländische Konzerne Wirtschaftstätigkeiten mit US-Bezug zurück424 425 426 427 428 429 430
Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 18. Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 18. Siehe Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 18. Siehe Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, 582 F.3d 244 (2d Cir. 2009). Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 18. Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 18. Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 21.
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fahren würden, um das Risiko einer ATS-Klage durch die Vermeidung zuständigkeitsbegründender US-Kontakte zu minimieren. Konkret sollte die ATS-verursachte Desinvestition so aussehen: Ausländische Konzerne würden Wirtschaftstätigkeiten in den USA zweimal überlegen, weil „transacting business in [the US] … may subject it to international-law tort liability not found in any other country“431. Dieselben Konzerne würden auch Zusammenarbeit mit amerikanischen Konzernen außerhalb der USA aus der Befürchtung scheuen, dass „the partnership renders their activity subject to international-law oversight by the U.S. courts“432. Die Verbände mussten einräumen, dass manche Konzerne ihre Tätigkeiten in den USA nicht einfach aufgeben könnten. Aber sie blieben trotzdem der Meinung, dass das weltweite Risiko einer ATS-Klage zur Verringerung der Investitionen solcher Konzerne in die USA führen müsste: „If a judgment may be ordered against a foreign company arising out of events anywhere in the world, and then executed against any assets located in the United States, then the risk of putting such assets within the reach of the U.S. courts will increase“433. Deshalb würden ausländische Konzerne künftige Investitionen wie Fabriken, Vertriebszentren und Kapitalbeteiligungen außerhalb der USA verlagern, um sie vom Risiko der „corporate law-of-nations liability“ fernzuhalten434. d) Vergeltungsklagen gegen US-Konzerne? Das letzte Argument der Verbände befasste sich scheinbar mit praxisbasierten völkerrechtlichen Grenzen von Menschenrechtsklagen gegen Kapitalgesellschaften. Allerdings legte es dem Supreme Court gleichzeitig nahe, dass ein Festhalten an der Haftbarkeit von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen internationale Konsequenzen nach sich ziehen konnte, falls sich andere Länder seiner Ansicht anschlossen. Als Grundlage ihres Arguments machten die Verbände auf die nichtamerikanische Sichtweise bezüglich ATS-Klagen aufmerksam. Die meisten ATS-Klagen richteten sich gegen die Tätigkeiten nichtamerikanischer Konzerne in Regionen der Welt, wo nichtamerikanische Investition vorrangig sei435. Z. B. entstehe die KiobelKlage aus Shells Prospektionen in Nigeria, und in Nigeria sowie den anderen subsaharischen afrikanischen Ländern seien die Gesellschaften der EU bei weitem die größten Handelspartner436. Investitionen von derartiger Größe und geographischem 431 432 433 434 435 436
Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 20. Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 20. Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 20. Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 20. Siehe Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 21. Siehe Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 21.
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Umfang seien nicht leichtfertig unternommen und genehmigt worden und sollten nicht leichtfertig von anderen Ländern abgeurteilt werden: „The overseas investment and activity of foreign corporations under policies advanced by other developed nations should not be systemically undermined by the lurking potential that a U.S. jury may someday attach substantial tort liability to that overseas conduct“437. Um die Souveränitätsübertretung, die europäische Staaten durch ATS-Klagen gegen ihre Konzerne empfanden, zu versinnbildlichen, schlugen die Verbände dem Supreme Court vor, sich eine verkehrte Welt vorzustellen: „Imagine … that a European country asserted that a previously unheard-of norm of international law governed corporate behavior and was enforceable in its courts against U.S. corporations. On that basis … such a European country could put a U.S. corporation on trial based on a private plaintiff’s allegations of an overseas law-of-nations tort. A U.S. defense contractor with operations in Iraq or Afghanistan, for example, or a U.S. airline operator that contracted to transport foreign terrorist suspects, might find themselves defending their business activities (and the national-security policies of this country) before a foreign court – possibly with billion-dollar damages claims on the line“438.
Für den Supreme Court wäre es einfach gewesen, sich solche Klagen gegen amerikanische Sicherheitsfirmen vorzustellen, denn genau solche Klagen bildeten die Dritte Welle439 der ATS-Klagen, die im Jahre 2012 noch in regem Gange war. Die Aussicht, dass die Schadensersatzpflichten amerikanischer Firmen von Entscheidungen europäischer Gerichte über die Völkerrechtskonformität der Verhörs- und Verschleppungstaktiken des Antiterror-Krieges abhängen sollten, kann nicht bekömmlich gewirkt haben. Die Verbände legten dem Supreme Court nahe, dass eine solche Welt nicht nur imaginär, sondern durchaus möglich wäre, wenn ATS-Klagen gegen europäische Konzerne wegen ihrer Auslandstätigkeiten weiterhin zugelassen werden sollten. „[O]ne can hardly expect continued forbearance“ der europäischen Staaten, wenn ihre Gesellschaften dauernd vor US-Gerichte wegen behaupteter Menschenrechtsverletzungen aus Afrika oder Asien zitiert werden440. Die Zulassung ATS-ähnlicher Klagen gegen amerikanische Gesellschaften vor europäischen Gerichten wäre eine natürliche Folge der gegenwärtigen ATS-Praxis. Träte diese Folge ein, wären es amerikanische Konzerne, die ihre Tätigkeiten in der EU bzw. ihre Zusammenarbeit mit EU-Gesellschaften rund um die Welt zurückfahren müssten, um das Risiko einer Menschenrechtsklage in der EU durch Vermeidung von EU-Kontakten zu minimieren441.
437 438 439 440 441
Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 21 – 22. Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 22. Siehe hierzu Kapitel 3, Abschnitt C. II. ff. Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 22. Brief of German Chambers of Industry and Commerce, p. 23.
C. Rechtsrisiken der ATS-Rechtsprechung für die deutsche Wirtschaft
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Vor diesem Hintergrund baten die Wirtschaftsverbände den Supreme Court, die „Pandora’s box“ eines derartigen Justizkonfliktes nicht zu öffnen. Die Sperrung von ATS-Klagen gegen Kapitalgesellschaften würde der europäischen Sichtweise gerecht werden und damit jede Motivation für eine Vergeltungsgesetzgebung untergraben. 3. Entscheidung des Supreme Court und Analyse der deutschen Stellungnahmen Die Entscheidung des Supreme Court in Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. ist in Kapitel 2, Abschnitt B. VI. 5. detailliert dargelegt worden und wird hier nur in seinen wesentlichen Punkten zusammengefasst. Der Supreme Court hat die amerikanische „presumption against extraterritoriality“ auf die nach dem ATS gewährten Schadensersatzansprüche angewandt442. Fortan fiel grundsätzlich nur Verhalten auf amerikanischem Hoheitsgebiet in den Anwendungsbereich von ATS-Tatbeständen. Ansprüche aus dem Ausland mussten die USA hinreichend „berühren“, um im Rahmen einer ATS-Klage zulässig zu sein. Mit dieser Entscheidung hat der Supreme Court das Hauptargument der Bundesregierung scheinbar abgelehnt. Die Bundesregierung hatte die Adoption eines Konzepts der Aufteilung der internationalen Zuständigkeit vorgeschlagen, in der die Sachnähe des Streits zu Deutschland sowie die fehlenden Anknüpfungspunkte des Streits zu den USA amerikanische Zuständigkeit ausschließen sollte – zumindest bis zu dem Zeitpunkt, wo das Verfahren einen ausländischen Rechtsweg durchlaufen hatte. Der Supreme Court sprach dieses Konzept sowie die Grenzen amerikanischer Zuständigkeit überhaupt nicht an. Stattdessen legte der Supreme Court eine internationale Aufteilung der Rechtssetzungsgewalt zugrunde, die den traditionellen Konturen des völkerrechtlichen Territorialprinzips folgte. Gleichzeitig muss der Protest der Bundesregierung, dass die bisherige ATS-litigation aus ihrer Sicht „unacceptable“ sei, auf den Supreme Court gewirkt haben. Für den Supreme Court waren die „foreign policy consequences“ der bisherigen ATSRechtsprechung der Gesichtspunkt, der eine Einschränkung vom Anwendungsbereich des ATS erforderte443. Außenpolitische Konsequenzen waren seiner Meinung nach direkter Ausfluss der Tatsache, dass das ATS zur Regelung von „conduct within the territory of another sovereign“ geworden war444, die jede völkerrechtlich gebotene Achtung der Hoheit anderer Länder verletzte. Und für den Supreme Court lag der klarste Beweis, dass die bisherige ATS-Rechtsprechung die Souveränität anderer Länder beeinträchtigt hatten, in den Protesten anderer Regierungen: „Indeed, far from avoiding diplomatic strife, providing [ATS] cause[s] of action [for conduct in 442 443 444
Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659, 1663 ff. (2013). Kiobel, 133 S. Ct. at 1667. Kiobel, 133 S. Ct. at 1665.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
other countries] ha[s] generated it“445. Unter den Ländern, deren Protest der Supreme Court als Beleg hierfür aufführte, war Deutschland. Ein Argument der Wirtschaftsverbände scheint eine Rolle in der Kiobel-Entscheidung gespielt zu haben. Der Supreme Court akzeptierte nämlich ihre Prognose, dass die Fortführung der ATS-litigation in seiner bisherigen Forum zur Vergelung aus anderen Staaten führen konnte: „[A]ccepting petitioners’ view would imply that other nations, also applying the law of nations, could hale our citizens into their courts for alleged violations of the law of nations occurring in the United States, or anywhere else in the world“446. Mit dem Ergebnis von Kiobel müssen sowohl Bundesregierung als auch Wirtschaftsverbände zufrieden gewesen sein. Ihr Hauptanliegen war, die Erhebung einer ATS-Klage gegen deutsche Konzerne wegen Auslandstätigkeiten auszuschließen oder zumindest die Abweisung solcher Klagen zu einem frühstmöglichen Zeitpunkt in ATS-Verfahren zu ermöglichen. Kiobel erfordert grundsätzlich die Abweisung jeder ATS-Klage aus dem Ausland, es sei denn, die Kläger können einen hinreichenden Inlandsbezug nachweisen. Das Ergebnis von Kiobel ist deshalb womöglich effektiver als die Lösung, die die Bundesregierung in ihrem amicus curiae-Schriftsatz vorgeschlagen hat, auch wenn sie aus deutscher Sicht nicht perfekt sein mag: Es ist dem immerhin dem Augenmaß jedes Bundesrichters überlassen, welche Konstellationen die USA „berühren“, und Kiobel hat bereits zu auseinanderklaffender Rechtsprechung geführt447. Allerdings müssen diese Ergebnisse mit denen verglichen werden, die dem Vorschlag der Bundesregierung gefolgt wären. Die Bundesregierung hat ein Erfordernis der Erschöpfung vorgeschlagen, die in jeder ATS-Klage, die keine Sachnähe zu den USA aufwies, anzuordnen wäre. Hätte sich die Bundesregierung mit der amerikanischen forum non conveniens- und comity-Rechtsprechung auseinandergesetzt, wäre sie vielleicht überrascht gewesen, wie „sachnah“ sich viele Bundesgerichte in Bezug auf internationale Klagen dünken. 4. Der Erfolg der deutschen Argumente in Bauman Den Argumenten der Bundesregierung wurde im Ergebnis der nachfolgenden Entscheidung des Supreme Court in Daimler AG v. Bauman fast vollständig Rechnung getragen448. Obwohl der Supreme Court die Zurechnung von Gerichtsständen an ausländische Muttergesellschaften anhand des „agency“-Tests nicht ansprach, erhöhte das Gericht die Anforderungen für allgemeine Gerichtsstände, sodass die Foren, in denen die amerikanischen Töchter deutscher Unternehmen ihre 445 446 447 448
Kiobel, 133 S. Ct. at 1669. Kiobel, 133 S. Ct. at 1669. Siehe Kapitel 2, Abschnitt B. VII. 2. Zur Bauman-Entscheidung siehe Abschnitt B. IV. 8. dieses Kapitels, oben.
D. Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten
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allgemeine Gerichtsstände haben, nunmehr begrenzt und mit nie zuvor gesehener Sicherheit im Vornherein bestimmt werden können. Besonders wichtig ist, dass Bauman allgemeine Gerichtsstände wegen „doing business“ scheinbar aufgehoben hat. Dank dieses Ergebnisses können deutsche Unternehmen durch Konzernstrukturierung effektiv bestimmen, in welchen US-Foren ihre Tochter einen allgemeinen Gerichtsstand hat. Und weil nicht jeder Circuit die Gerichtsstandszurechnung durch den „agency“-Test zulässt, kann die Konzernstrukturierung weiterhin verhindern, dass etwas anderes als besondere Gerichtsstände an das deutsche Mutterhaus zugerechnet werden. Damit käme nur eine Zurechnung von Klagen mit US-Bezug in Betracht, was die Zurechnung von ATS-Klagen aus dem Ausland prinzipiell ausschließt. Als Resultat gibt Bauman deutschen Unternehmen die Mittel in die Hand, die von der Bundesregierung vorgeschlagenen souveränitätsbasierten Aufteilung der Zuständigkeit umzusetzen.
D. Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten In seiner Stellungnahme zur Kiobel-Entscheidung des Supreme Court hat die Bundesregierung die weitgehende Ausdehnung der internationalen Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte in ATS-Klagen gegen nichtamerikanische Konzerne als völkerrechtswidrig verworfen, weil die Heimatstaaten der verklagten Konzernen diesen Klagen sachnäher waren und für Menschenrechtsklagen gegen ihre Konzerne offenstünden. Als Beweis hiervon hat die Bundesregierung behauptet, dass Klagen gegen deutsche Konzerne wegen Menschenrechtsverletzungen im Ausland vor den deutschen Gerichten zulässig wären449. Dieser Abschnitt untersucht, inwiefern die Behauptung der Bundesregierung zutrifft. Im Folgenden befasst sich die Diskussion ausführlich mit der Fragestellung, ob eine typische ATS-Klage der Zweiten Welle, die sich gegen einen deutschen Konzern richtet, vor deutschen Gerichten zulässig wäre – und noch wichtiger, ob sie eine Aussicht auf Erfolg hätte. Als für diese Untersuchung typische Klage wird folgende Konstellation zugrundegelegt: (a) ein deutscher Konzern, (b) der im Ausland eine Wirtschaftstätigkeit betreibt, (c) ist angeblich an einer Menschenrechtsverletzung beteiligt (ob durch direkte Begehung oder mittelbar durch „Beihilfe“ nach amerikanischem Verständnis), (c) die im ausländischen Staat begangen wurde und (d) mindestens einen Angehörigen des ausländischen Staats geschädigt hat. Ferner wird ange-
449 Siehe Brief of The Federal Republic of Germany, p. 11: „The Federal Republic of Germany’s legal system allows plaintiffs to pursue violations of customary international law by German tortfeasors in German courts“.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
nommen, dass die ausländischen Opfer der Menschenrechtsverletzung(en) nach ATS-Vorbild eine Klage auf Schadensersatz vor deutschen Gerichten erheben. Die Untersuchung teilt sich in zwei Hauptanalysen. Zuerst werden die materiellrechtlichen Voraussetzungen der Menschenrechtsklage in Deutschland erörtert. Danach wendet sich die Untersuchung verfahrensrechtlichen Hürden der deutschen Rechtsordnung zu und wertet ihre zu erwartende Auswirkungen auf deutsche Menschenrechtsklagen anhand eines Vergleichs mit entsprechenden amerikanischen Regelungen aus. Vorgreifend kann gesagt werden, dass die deutsche Menschenrechtsklage ein steinigerer Weg erwartet als der, den ATS-Kläger genossen haben.
I. Vorbemerkung: Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Klagen gegen deutsche Unternehmen Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Menschenrechtsklagen gegen deutsche Unternehmen ist nach § 17 ZPO bzw. Art. 4 EuGVO gegeben. Weil die Errichtung einer Kapitalgesellschaft nach deutschem Recht einen Sitz des Unternehmens auf deutschem Hoheitsgebiet erfordert450, ist ein allgemeiner Gerichtsstand der deutschen Gerichte für deutsche Konzerne anzunehmen. Dies schließt die allgemeine Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Menschenrechtsklagen von Ausländern gegen deutsche Gesellschaften ein.
II. Materielles Recht der Menschenrechtsklage vor deutschen Gerichten 1. Rechtliche Grundlage der Klage a) § 823 BGB Nach Ansicht der Bundesregierung bildet § 823 BGB die rechtliche Grundlage einer Klage gegen einen deutschen Konzern wegen Menschenrechtsverletzungen im Ausland451. aa) § 823 Abs. 1 BGB – Unerlaubte Handlung Die Bundesregierung stützt die Haftung für im Ausland begangener Menschenrechtsverletzungen auf § 823 I BGB. Eine Menschenrechtsverletzung stellt ihrer Ansicht nach eine vorsätzliche und widerrechtliche Verletzung des Körpers, der
450 451
Siehe AktG § 5: „Sitz der Gesellschaft ist der Ort im Inland, den die Satzung bestimmt“. Brief of The Federal Republic of Germany, p. 11.
D. Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten
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Gesundheit oder der Freiheit eines anderen dar452. Als solche verpflichte sie den Täter zum Schadensersatz. bb) § 823 Abs. 2 BGB – Verstoß gegen eine Schutznorm Alternativ wäre eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB wegen Verletzung einer Schutznorm in Erwägung zu ziehen453. Hierfür müsste eine Schutznorm gefunden werden, deren Anwendungsbereich den ausländischen Tatort umfasst. In Betracht kämen zum einen die universellen Normen des völkergewohnheitsrechtlichen Menschenrechts. Die Qualifizierung von Menschenrechten als Schutznormen wäre nicht unplausibel. Richterrechtliches Gewohnheitsrecht kann als Schutznorm im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB qualifiziert werden454. Es bietet sich insofern eine analoge Qualifizierung völkerrechtlicher Gewohnheitsnormen als Schutznormen nach § 823 Abs. 2 BGB an. Des Weiteren haben Menschenrechtsnormen einen eindeutigen Schutzzweck für Individualinteressen, enthalten klare Verbote und weisen durch die Vermehrung internationaler Abkommen einen für die Definition untersagten Verhaltens hinreichenden Konkretisierungsgrad auf. Zum anderen könnten deutsche Strafgesetze mit internationalem Anwendungsbereich als Schutznormen in Betracht gezogen werden. Vor allem denkt man an die Tatbestände des Völkerstrafgesetzbuchs, die eine Geltung „auch dann [entfalten], wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist“455. Insofern wären Ansprüche wegen Völkermord456, Kriegsverbrechen457 und Verbrechen gegen die Menschlichkeit458 als Verstöße gegen das VStGB nach § 823 Abs. 2 BGB zulässig. Allerdings ist es fraglich, ob deutsche Strafgesetze – auch wenn sie im Ausland gelten – auf die Tätigkeiten deutscher Unternehmen bzw. Gesellschaften anwendbar sind. Der Grundsatz societas non potest delinquere ist im deutschen Strafrecht fest verankert und die deutsche Rechtsordnung erkennt demnach keine Straf- oder
452 Siehe Brief of The Federal Republic of Germany, p. 11: „[N]ationals of other countries who are the victims of such torts are entitled to file an action [for human rights violations]“. … Section 823 (1) of the German Civil Code provides that a person (persons are natural persons and entities with a legal persona like corporations) shall be held liable for the violation of another person’s ,life, body, health, freedom, property or another right‘“. 453 Eine Idee von Seibert-Fohr in: Die Deliktshaftung von Unternehmen für die Beteiligung an im Ausland begangenen Völkerrechtsverletzungen – Anmerkungen zum Urteil Doe I v. Unocal Corp. des US Court of Appeal (9th Circuit), ZaöRV 2003, 195, 204. 454 Siehe z. B. Spindler, BeckOK BGB § 823 Rn. 148 (30. Aufl. 2013) („Ohne Zweifel wird man Gewohnheitsrecht Schutzgesetzeigenschaft beimessen können“). 455 Siehe VStGB § 1. 456 Siehe VStGB § 6. 457 Siehe VStGB § 8. 458 Siehe VStGB § 7.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
Schuldfähigkeit juristischer Personen an459. Deshalb käme ein Verstoß gegen z. B. das VStGB nur in Klagen gegen natürliche Personen in Betracht. Gleichzeitig muss angemerkt werden, dass die Zulassung von Menschenrechtsklagen nach § 823 Abs. 2 BGB keine Souveränitätsbeleidigung im Sinne der deutschen Regierung darstellen würde. In seinem amicus curiae-Schriftsatz zu Kiobel hat sich die Bundesregierung gegen eine Souveränitätsbeeinträchtigung durch eine zu weitgehende Ausdehnung der Rechtsanwendungsbefugnis der amerikanischen Gerichte gewehrt, die dadurch entstanden war, indem amerikanische Gerichte die Zuständigkeit für Menschenrechtsklagen annahmen, die keinen Bezug zu den USA aufwarfen, während sachnähere Gerichte anderer westlicher Länder zur Verfügung standen460. In einer Menschenrechtsklage gegen einen deutschen Konzern wäre jedoch eine hinreichende Sachnähe der deutschen Gerichte zum Verfahren gegeben, weil Deutschland ein offensichtliches Interesse an Verfahren gegen seine Angehörige hat. Insofern würde die Zulassung von Zivilklagen wegen Verletzungen des universellen Menschenrechts als Schutznormverstöße i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB wohl ein deutsches ATS erschaffen, aber sofern sich solche Klagen gegen deutschen Konzerne richteten, würde die von der Bundesregierung beklagte Souveränitätsbeeinträchtigung, die durch die ATS-Rechtsprechung zustandekam, entfallen. b) Ausländisches Deliktsrecht – Rom II-Verordnung Allerdings ist die Auffassung der Bundesregierung insofern kritikwürdig, als sie die Fragen des IPR ausklammert. Entgegen der Ansicht der Bundesregierung scheint die Auffassung der Bundestagsabgeordneten Volker Beck und Christoph Strässer, die sie in einem eigenen amicus-curiae Schriftsatz zu Kiobel dargelegt haben461, plausibler: eine Menschenrechtsklage vor deutschen Gerichten müsste sich auf ausländisches Schuldrecht stützen. Die materiellrechtliche Grundlage einer Zivilklage wird der auf die Klage anwendbaren Rechtsordnung entnommen. Deutsches IPR bestimmt, welche Rechtsordnung auf Fälle vor deutschen Gerichten mit Auslandsbezug anwendbar ist462. In Zivilsachen mit außervertraglichen Schuldverhältnissen zum Gegenstand enthält die Rom II-Verordnung („Rom II“)463 die zur Bestimmung der anwendbaren Rechts459
Siehe z. B. Laue, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Verbänden, JURA 5/2010, 339, 339 – 340. 460 Siehe Abschnitt C. IV. 1. a) dieses Kapitels, oben. 461 Siehe Brief of amici curiae Volker Beck and Christoph Strässer, Members of Parliament of the Federal Republic of Germany, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013) (No. 10-1491). 462 Siehe Sonnenberger, MüKo BGB Einleitung, Rn. 618. 463 Siehe Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), EU Amtsblatt L 199/40.
D. Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten
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ordnung einschlägigen Vorschriften464. Rom II ist universell anwendbar, d. h. sie ist zur Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung auch dann anzuwenden, wenn das von ihr bezeichnete Recht nicht das Recht eines EU-Mitgliedstaates ist465. Art. 4 Rom II legt fest, dass auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus unerlaubten Handlungen das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem der Schaden eingetreten ist (lex loci damni). In ATS-Klagen tritt der Schaden am Tatbegehungsort ein, weil Menschenrechtsverletzungen ausnahmslos aus unmittelbaren Einwirkungen auf Körper, Gesundheit und Freiheit des Einzelnen hervorgehen. Für Verfahren in Deutschland bedeutet dies, dass auf Menschenrechtsklagen aus dem Ausland die Rechtsordnung des Staates anzuwenden ist, in dem die streitgegenständlichen Menschenrechtsverletzungen begangen worden sind. Als Resultat bildet ausländisches Schuldrecht bzw. das ausländische Deliktsstatut die materiellrechtliche Grundlage von Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten. Abweichungen von diesem Ergebnis dürften in der Regel ausgeschlossen sein. Nach der Rom II-VO kommen drei Ausnahmen in Betracht, die die Anwendung einer anderweitigen Rechtsordnung auf Menschenrechtsklagen zur Folge hätten: Art. 4 Nr. 3 („offensichtlich engere Verbindung“), Art. 26 („ordre public“) und Art. 16 („Eingriffsnormen“). Keine dieser Ausnahmen drängt sich auf. Art. 4 Nr. 3 Rom II erlaubt der Anwendung der Rechtsordnung eines anderweitigen Staates auf einen Streit, wenn die Gesamtheit der Umstände eine offensichtlich engere Verbindung des Falles zu diesem Staat ergeben. Es ist aber schwer vorstellbar, wie Menschenrechtsverletzungen aus fremden Ländern eine offensichtlich engere Verbindung zu Ländern außerhalb des Tatortlandes aufweisen sollten. Der Kläger ist in der Regel Bürger und Einwohner des Tatortlandes und wurde in seiner Heimat von einem (deutschen) Konzern verletzt. Die Europäische Kommission hat bereits mehrmals betont, dass solche Fälle in erster Linie mit dem Tatortland verbunden sind466. Die Tatsache, dass der Beklagte ein deutscher Konzern ist, lässt keine offensichtlich engere Verbindung des Falles zum deutschen Recht erkennen, denn die andere Streitpartei und die Gesamtheit der relevanten Begebenheiten stammen aus dem Tatortland. Auch die Tatsache, dass universelle Menschenrechte verletzt werden, begründet keine engere Verbindung zur deutschen Rechtsordnung, weil alle Rechtsordnungen der Welt der Wahrung internationaler Normen gleichermaßen verpflichtet sind. Art. 26 Rom II erlaubt die Zurückweisung ausländischer Rechtsvorschriften, die nach Rom II ansonsten anwendbar wären, wenn ihre Anwendung mit dem deutschen ordre public offensichtlich unvereinbar ist. Allerdings ist die Rechtsfolge eines ordre public-Verstoßes nicht die ganzheitliche Verneinung der Anwendbarkeit der fremden 464
Siehe Art. 1 Rom II; Junker, MüKo BGB, EGBGB Art. 40, Rn. 16 (5. Aufl. 2010). Siehe Art. 3 Rom II. 466 Siehe Brief of amicus curiae European Commission, Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 694 (2004); Brief of amicus curiae European Commission on Behalf of the European Union, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013) (No. 10-1491). 465
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
Rechtsordnung, sondern der geringstmögliche Eingriff in die Geltung der anstößigen Vorschrift467. Im Regelfall erfordert dies nur eine „ordre public-konforme Reduktion der lex causae i.S. einer ,geltungserhaltenden‘ Reduktion der derogierten Normen der ausländischen Rechtsordnung“468. Sollte eine Ja-oder-Nein-Entscheidung hinsichtlich einer ausländischen Norm vorliegen, wird zwar die ordre public-widrige Norm nicht mehr angewendet469, aber sämtliche anderen Normen der anwendbaren ausländischen Rechtsordnung bleiben hiervon unberührt. Denkbar wäre ein solches Ergebnis z. B. bei einer sehr engen Haftungsobergrenze470, aber die Nachjustierung des Haftungsausmaßes würde der Tatsache, dass ausländisches Deliktsrecht die Grundlage der Menschenrechtsklage bildet, keinen Abbruch tun. Art. 16 Rom II gestattet die Anwendung international zwingender Eingriffsnormen des Forumstaats trotz der Anwendbarkeit ausländischen Rechts. Eine Vorschrift gilt als international zwingend, wenn sie „(a) im normsetzenden Staat nicht dispositiv [ist], d. h. nicht durch Parteivereinbarung abbedungen werden [kann], und (b) darüber hinaus unabhängig davon, welche Rechtsordnung nach den Kollisionsnormen des IPR anzuwenden ist, den Sachverhalt … zwingend regeln [will]“471. Als Resultat bleibt festzuhalten, dass aus Sicht des in Deutschland geltenden IPR in der Regel das nationale Schuld- bzw. Deliktsrecht des Tatortlandes die rechtliche Grundlage von Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten bildet. c) Ausländisches Deliktsrecht nach dem EGBGB Die IPR-Bestimmungen der Rom II-Verordnung sind nur auf Ansprüche anwendbar, die nach dem 11. Januar 2009 entstanden sind472. Ansprüche, die vor diesem Datum entstanden sind, fallen unter die ältere Regelung des EGBGB. Art. 40 EGBGB bestimmt das auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung anwendbare Recht. Nach Art. 40 Abs. 1 ist grundsätzlich „das Recht des Staates, in dem der Ersatzpflichtige gehandelt hat“ (Handlungsort) anzuwenden, aber der Geschädigte kann anstatt dessen „das Recht des Staates … in dem der Erfolg eingetreten ist“ (Erfolgsort) verlangen. In Menschenrechtsklagen führt diese Regelung zur Anwendbarkeit ausländischen Deliktsrechts. In einer Menschenrechtsklage werden die zwei Optionen des Art. 40 EGBGB zur selben Rechtsordnung führen, weil bei Menschenrechtsverletzungen Handlungsort und Erfolgsort zusammenfallen. Verletzungen wie Folter, willkürliche Inhaftierung, Kriegsverbrechen oder außergerichtliche Hinrichtungen bestehen aus 467
Siehe Spickhoff, BeckOK VO (EG) 593/2008 Art. 21, Rn. 3 (30. Aufl. 2013). Spickhoff, BeckOK VO (EG) 593/2008 Art. 21, Rn. 3. 469 Spickhoff, BeckOK VO (EG) 864/2007 Art. 26, Rn. 4. 470 So z. B. Spickhoff, BeckOK VO (EG) 864/2007 Art. 26, Rn. 3. 471 Junker, MüKo BGB VO (EG) 864/2007 Art. 16, Rn. 1. 472 Siehe Art. 32 Rom II; Homawoo v. GMF Assurances S.A., [2012] I.L.Pr. 2 [European Court of Justice]. 468
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unmittelbaren physischen Eingriffen auf Rechtsgüter des Verletzten. Insofern tritt der Erfolg einer Menschenrechtsverletzung direkt am Ort des Eingriffs, d. h. am Handlungsort, ein. Abweichungen von diesem Ergebnis sind höchstwahrscheinlich ausgeschlossen. Das EGBGB enthält nur zwei Ausnahmen, die die Anwendung der deutschen Rechtsordnung auf Menschenrechtsklagen zur Folge hätten: Art. 6 („ordre public“) und Art. 41 („wesentlich engere Verbindung“). Im Kontext der Rom II-Verordnung wurde eben eruiert, warum diese Ausnahmen bei Menschenrechtsklagen nicht statthaft wären. Aus denselben Gründen vermögen sie ebenfalls nicht im Kontext des EGBGB, die Anwendbarkeit des ausländischen Deliktsstatus auf die Menschenrechtsklage in Frage zu stellen. Des Weiteren unterstellen Art. 40 EGBGB und Rom II eine fast identische Liste von Rechtsfragen dem ausländischen Deliktsstatut. Für die folgende Analyse sind vor allem folgende Rechtsfragen wichtig: Grund der Haftung und Haftungsausschlussgründe, Verjährungsfrist mitsamt Hemmungen sowie Voraussetzungen der Haftung für die Taten Dritter473. Sowohl Rom II als auch EGBGB unterstellen diese Fragen dem ausländischen Schuldstatut. Aus diesem Grunde ist festzuhalten, dass das nationale Schuldstatut des Tatortlandes ungeachtet der anwendbaren IPR-Regeln die rechtliche Grundlage von Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten bildet. Wegen der Übereinstimmungen der Rom II-Verordnung mit dem EGBGB wird sich im Folgenden die Analyse lediglich mit Rom II befassen. 2. Weitere Rechtsfragen, die vom ausländischen Deliktsrecht bestimmt werden Nach Art. 15 Rom II wird das ausländische Schuldstatut alle materiellrechtlichen Aspekte einer Menschenrechtsklage gegen einen deutschen Konzern regeln. Hierzu gehören: – Grund und Umfang der Haftung474 ; – Haftungsausschlussgründe475 ; – das Vorliegen, Art und Bemessung des Schadens476;
473 Siehe Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, S. 636 (2004). Diese Fragen werden als Sachrechtsfragen und nicht etwa als dem lex fori überlassene Verfahrensregeln eingestuft, was sie in den Anwendungsbereich des nach Art. 40 Abs. 1 EGBGB bestimmten ausländischen Schuldstatuts stellt. 474 Art. 15 lit. a Rom II. 475 Art. 15 lit. b Rom II. 476 Art. 15 lit. c Rom II.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
– die zulässigen Rechtsbehelfe zum Ersatz des Schadens477; – die Verjährung sowie etwaige Hemmungen der Verjährungsfrist478. Dies stellt klar, dass zumindest zwei Aspekte der amerikanischen ATS-Rechtsprechung in Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten nicht zu erwarten sind. Erstens sind astronomischen Schadensersatzforderungen von ATS-Klagen bei Menschenrechtsklagen in Deutschland nur schwer vorstellbar. Ausländisches Deliktsrecht wird den Umfang der Haftung des beklagten deutschen Konzerns bestimmen. In den allermeisten ausländischen Rechtssystemen ist die übliche Höhe von Schadensersatzansprüchen nicht annähernd so hoch sein wie in den USA. Insbesondere wo Menschen schuldhaft getötet worden sind, entsteht eine Kluft zwischen amerikanischen Ansprüchen – die eine Erstattung vom künftigen Einkommen des gestorbenen Ehegatten nebst großzügigen Schmerzensgeldern sowie Schadensersatz für den Verlust der ehelichen Zweisamkeit vorsehen – und ausländischen Vorstellungen. Des Weiteren stellen wenige Länder außerhalb der USA punitive damages zur Verfügung. Und auch wenn punitive damages in der ausländischen Rechtsordnung gegeben wären, würden diese in aller Regel gegen den deutschen ordre public verstoßen479 und deshalb wegfallen. Insofern müsste man von (aus amerikanischer Sicht) eher bescheidenen Schadensersatzansprüchen bei deutschen Menschenrechtsklagen ausgehen. Zweitens dürften „historical justice“-Klagen vor deutschen Gerichten in der Regel an der Einrede der Verjährung scheitern. Nach Art. 15 lit. h Rom II wird die Verjährungsfrist für Ansprüche aus nichtvertraglichen Schuldverhältnissen anhand des ausländischen Deliktsstatuts bestimmt. Außerhalb des amerikanischen Rechtsraums werden Verjährungsfristen strikt gehandhabt. In Insbesondere ,civil law‘Rechtssysteme nach kontinentaleuropäischem Vorbild stellen in der Regel eine regelmäßige Verjährungsfrist auf, die nur aufgrund weiterer Gesetze gehemmt oder verlängert werden kann480. Klagen wegen unerlaubter Handlungen fallen in aller Regel unter keine gesetzliche Ausnahme zur regelmäßigen Verjährungsfrist481. Auch wenn die Verjährungsfrist erst bei Kenntnisnahme der haftungsbegründenden Tat477
Art. 15 lit. d Rom II. Art. 15 lit. h Rom II. 479 Siehe hierzu Spickhoff, BeckOK VO (EG) 593/2008 Art. 21, Rn. 3. Erwägungsgrund 38 der Rom II-Verordnung legt eine Qualifizierung von punitive damages als ordre public-Verstoß nahe. Für Ansprüche, die vor dem 11. Januar 2009 entstanden sind, sieht Art. 40 Abs. 3 EGBGB vor, dass punitive damages nicht vor deutschen Gerichten geltend gemacht werden können. 480 Vgl. Grothe, MüKo BGB § 195 Rn. 1 ff. (6. Aufl. 2012). 481 In z. B. Deutschland sind nur eine Handvoll unerlaubter Handlungen aufgrund besonderer Gesetze aus der regelmäßigen Verjährungsfrist ausgenommen worden, siehe Grothe, MüKo BGB § 195 Rn. 12. Die Höchstverjährungsfrist des § 199 Abs. 2 BGB für Verletzungen von Leib, Leben oder Freiheit verlängert die auf unerlaubte Handlungen anwendbare Verjährungsfrist nicht, sondern sie stellt lediglich das absolute Ende vom Zeitraum fest, innerhalb dessen die regelmäßige Verjährungsfrist verlaufen darf bzw. innerhalb dessen eine fristgerechte Klage eingereicht werden darf. 478
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sachen beginnt, wird dies für Menschenrechtsklagen kein Hemmungsgrund sein, denn Menschenrechtsopfer erleben ihre Verletzungen schmerzhaft am eigenen Leib. Des Weiteren ist eine Billigkeitshemmung der Verjährungsfrist wie das amerikanische „equitable tolling“ in anderen Rechtsordnungen nicht zu erwarten482. Und selbst wenn ein anderes Land „equitable tolling“ zuließe, würde sich die Frage bei einem deutschen Prozess zwangsläufig stellen, inwiefern die Zulassung von Ansprüchen z. B. aus der argentinischen Diktatur bzw. der Apartheid-Ära einen Verstoß gegen deutschen ordre public darstellt oder nach deutschen Eingriffsnormen unzulässig wäre483. 3. Fragen der materiellrechtlichen Haftung Die Möglichkeit eines breiten Haftungsrahmens wegen Beihilfe zu von ausländischen Hoheitsträgern begangenen Menschenrechtsverletzungen war charakteristisches Merkmal amerikanischer ATS-Klagen. Bei Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten wäre es fraglich, ob Klägern eine vergleichbar weite Haftungsmöglichkeit zur Verfügung stünde. Gemäß Art. 15 lit. a Rom II wird in aller Regel das ausländische Schuldstatut den zulässigen Umfang der Haftung bestimmen. Damit kämen drei Haftungsmöglichkeiten in Betracht. Erstens wäre bei Vorfall der streitgegenständlichen Verletzungen in einem common law-Land wohl die Lehre von respondeat superior anzuwenden, die in Kapitel 2, Abschnitt B. II. 3. b) aa) geschildert wurde. Zweitens wären in Fällen aus nicht-common law-Ländern vermutlich die Maßstäbe einer Gehilfenhaftung anwendbar, die kontinentaleuropäischen Haftungskonzepten nicht unähnlich wären. Drittens könnte unter Umständen deutsches Schuldrecht zur Anwendung kommen. 482 Vgl. z. B. die Abweisung der Klage eines ehemaligen Zwangsarbeiters wegen Verjährung in einer Entscheidung des BGH vom 22. Juni 1967, BGHZ 48, 125. Als neueres Beispiel kann die Abweisung einer Klage vor den argentinischen Gerichten dienen: Die Tochter eines während der Militärdiktatur „verschwundenen“ Betriebsrats hat in 2008 eine Schadensersatzklage gegen seinen damaligen Arbeitgeber in Argentinien erhoben. Die Klage wurde als verjährt abgewiesen. Leitsatz des Urteils: Verbrechen gegen das Menschenrecht verjährten zwar nie, aber Ansprüche zur Entschädigung von Menschenrechtsverletzungen verjährten nach der regelmäßigen Verjährungsfrist von 27 Monaten. Ingegnieros, María Gimena c. Techint S.A. Compañía Técnica Internacional, 02/02/2012, LA LEY 13/03/2012, 4; AR/JUR/121/2012 [Corte Supreme de Justicia de La Nacion]; zustimmend Larrabeiti Yañez, Anatole Alejandro y otro c. Estado Nacional, 30/10/2007, LA LEY 2008-F , 316, AR/JUR/6655/2007 [Corte Supreme de Justicia de la Nacion]. 483 Denkbar wäre die Qualifizierung der Verjährungshöchstfrist des § 199 Abs. 2 BGB für Ansprüche aus „Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit“ als Eingriffsnorm i.S.v. Art. 16 Rom II: „Schadensersatzansprüche, die auf der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit beruhen, verjähren ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an“. Dieser Bestimmung könnte z. B. durch Verbindung mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG einen besonderen Charakter zugemessen werden.
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Selbst wenn deutsches Recht anwendbar wäre, wäre es fraglich, ob danach eine vergleichbar weite Haftung wie nach amerikanischem Recht möglich wäre. Diese Frage soll jedoch in der vorliegenden Arbeit nicht nachgegangen werden. 4. Durchgriffshaftung auf das Vermögen deutscher Muttergesellschaften Auch in Hinblick auf die Frage konzernrechtlicher Durchgriffe ist es fraglich, ob vor deutschen Gerichten eine vergleichbar weite Haftung wie nach amerikanischem Recht möglich wäre. Erstens wäre die Frage der anwendbaren IPR-Norm zu klären, die das anzuwendende Durchgriffsrecht bestimmen sollte. Zweitens gibt es wenige Anhaltspunkte für die Annahme, dass nichtamerikanische Rechtssysteme so weitgehende Durchgriffe wie diejenige zuließen, die nach den „agency“- und „alter ego“Tests der ATS-Rechtsprechung möglich waren. Diese Frage erfordert jedoch eine zu eingehende Analyse, um in der vorliegenden Arbeit nachgegangen zu werden.
III. Prozessuale Hürden Der Erfolg der ATS-litigation hatte maßgeblich mit Vorteilen des amerikanischen Verfahrensrechts für Kläger zu tun. Gemeinsam haben Discovery, Class Actions, Erfolgshonorare, niedrige Verfahrenskosten sowie die amerikanische Kostenregelung eine Klagemöglichkeit geschaffen, die verklagten Konzernen erhebliche Kosten und Risiken aufbürdete, während Kläger praktisch ohne eigene Auslagen bis zum Urteil schreiten konnten. Das Verfahrensrecht der USA war für Kläger derart vorteilhaft, dass die Bundesregierung Deutschlands die bloße Erhebung einer ATSKlage gegen einen deutschen Konzern als missbrauchsgefährdet ansah484. Das deutsche Verfahrensrecht lässt keine ähnliche Bevorteilung von Klägern zu. Eine Reihe von Regeln streben eine Waffengleichheit im Zivilverfahren an: Weder Kläger noch Beklagte sollen einen Vorteil genießen485. Hierzu gehören Regeln, die die Erhebung aussichtloser Klagen verhindern und das Kostenrisiko des Verfahrens gleichmäßig auf die Streitparteien verteilen. Bei Menschenrechtsklagen, wo ärmere Opfer aus der Dritten Welt deutsche Konzerne verklagen, wirken sich diese Regeln meistens zum Vorteil des Beklagten. Vor allem bilden vier Aspekte des deutschen Verfahrensrechts erhebliche Hürden für Menschenrechtsopfer, die im Folgenden analysiert werden: (1) Die deutsche Prozesskostenregelung; (2) das Fehlen einer bewährten Möglichkeit des kollektiven Rechtsschutzes; (3) fehlende Discovery und (4) Anwaltshonorare. 484
Siehe hierzu Abschnitt B. III. 6. e) dieses Kapitels, oben. Vgl. allgemein Thomas Jung, Der Grundsatz der Waffengleichheit im Zivilprozess (Diss. Erlangen 1990). 485
D. Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten
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1. Die deutsche Prozesskostenregelung im Vergleich zu den USA Die deutsche Prozesskostenregelung bildet ein Hindernis für Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten, die in den USA nicht oder zumindest nur bedingt gegeben ist. Zwar sind – entgegen des geläufigen Eindrucks von US-Prozessen – die Kosten amerikanischer Prozesse grundsätzlich von der unterliegenden Partei zu tragen: Federal Rule of Civil Procedure 54 (d) (1) gibt vor, dass „costs [of court proceedings] should be allowed to the prevailing party“. Auf dem ersten Blick liest sich diese Regel ähnlich wie § 91 ZPO, wonach „[d]ie unterliegende Partei [] die Kosten des Rechtsstreits zu tragen“ hat. Trotz scheinbarer Ähnlichkeit bestehen vier erhebliche Unterschiede zwischen der amerikanischen und der deutschen Prozesskostenregelung, die der deutschen Regelung eine wesentlich abschreckendere Wirkung zuteil werden lassen: (1) Die Grundgebühren deutscher Verfahren sind erheblich höher als in den USA und bei Klageerhebung fällig; (2) nur in Deutschland kommt die Verpflichtung in Betracht, Prozesskostensicherheit leisten zu müssen; (3) der Kläger trägt das Risiko weiterer erstattungsfähiger Prozesskosten, wobei „Prozesskosten“ in Deutschland viel breiter definiert werden als in den USA; und (4) die Wahrscheinlichkeit, dass die unterliegende Partei von ihrer Kostentragungspflicht befreit wird, ist in Deutschland so gut wie ausgeschlossen. a) Die erforderlichen Auslagen am Anfang des Verfahrens aa) Die Gerichtsgebühren Die Gerichtsgebühren in deutschen Zivilverfahren sind wesentlich höher als die entsprechenden Gebühren amerikanischer Gerichte und werden gleich bei Einleitung des Verfahrens fällig. Dies hat zur Folge, dass die bloße Einleitung einer Menschenrechtsklage mit einer hohen Kostenzahlung an verbunden ist. Die Gerichtsgebühren eines deutschen Zivilverfahrens werden durch das Gerichtskostengesetz (GKG) bestimmt486. Das GKG bestimmt die Höhe der anfallenden Gerichtsgebühren nach dem Streitwert des Verfahrens487. Für ein Zivilverfahren vor einem Amts- oder Landgericht fallen im Regelfall Gerichtsgebühren in Höhe vom Dreifachen der in Anlage 2 GKG bestimmten Basisgebühr an488. Die Gerichtsgebühren sind bereits bei der Einreichung der Klageschrift fällig489. Wer diese Ge486 Siehe § 1 Abs. 1 GKG: „Für Verfahren vor den ordentlichen Gerichten nach der Zivilprozessordnung … werden Kosten (Gebühren und Auslagen) nur nach diesem Gesetz erhoben“. 487 Siehe § 3 Abs. 1 GKG: „Die Gebühren richten sich nach dem Wert des Streitgegenstands (Streitwert), soweit nichts anderes bestimmt ist“. 488 Siehe Anlage 1 Nr. 1210 GKG. 489 § 6 Abs. 1 GKG.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
bühren nicht aufzubringen vermag, muss nach §§ 114, 117 ZPO Prozesskostenhilfe beantragen. Die Prozesskostenhilfe wird gewährt, wenn die Klage „hinreichende Aussicht auf Erfolg“ bietet und nicht mutwillig erscheint490. In den USA hingegen existiert kein GKG-ähnliches Gesetz. Die im Verfahren anfallenden Gebühren sind vom Streitwert der Klage vollständig entkoppelt. Gerichte erheben nur punktuelle Gebühren für die Erledigung von von den Parteien beantragten Leistungen wie z. B. die Eröffnung des Verfahrens, die Übermittlung des Sitzungsprotokolls oder die Bestellung eines zugelassenen Dolmetschers491. Dementsprechend entstehen Gerichtsgebühren nur, sofern die Parteien die Dienste des Gerichts tatsächlich in Anspruch nehmen. Die von amerikanischen Gerichten erhobenen Gebühren sind im Vergleich mit deutschen Gerichtsgebühren sehr niedrig, z. B. ist die Gebühr für die Eröffnung des Verfahrens gesetzlich auf $ 350 beschränkt492. Durch diese Regelung werden bei beiden Parteien Gerichtsgebühren erhoben, sobald sie konkrete Leistungen beim Gericht beantragen. Diese Gebühren sind bei der Beantragung der Leistung fällig und jede Partei muss bis zum Verfahrensende die eigenen Gerichtsgebühren tragen. Die stark unterschiedlichen Kostenszenarien, die aus diesen divergierenden Regelungen entstehen, können am besten durch ein Beispiel veranschaulicht werden. In der ATS-Klage Al Shimari v. CACI Int’l, Inc. verklagten vier ehemalige Abu GhraibHäftlinge die amerikanische Sicherheitsfirma CACI, deren Mitarbeiter die Kläger im irakischen Gefängnis gefoltert hatten493. In der Klageschrift haben die Kläger ihre Schadensersatzforderungen überhaupt nicht beziffern müssen, weil der Streitwert für die Bestimmung der anfallenden Gerichtsgebühren nicht nötig war. Stattdessen haben die Kläger darum gebeten, dass eine Jury die Höhe des ihnen zustehenden Schadenersatzes bestimme494. Die Gerichtskosten, die den Klägern dadurch anfielen, beliefen sich lediglich auf die gesetzlich festgelegte Summe von $ 350495. In Deutschland wäre ein solches Vorgehen undenkbar. Zur Festlegung der Gebühren des deutschen Gerichts wäre ein bezifferter Streitwert nötig gewesen. Zum Zwecke dieses Beispiels könnte man annehmen, dass die Kläger Schadenersatzforderungen am unteren Ende des amerikanischen Spektrums geltend gemacht 490
§ 114 Abs. 1 ZPO. Die Höhe dieser Gebühren wird von jedem Gericht unabhängig, aber innerhalb eines zulässigen Rahmens bestimmt und als Gebührenordnung („schedule of fees“) aufgestellt. Siehe die nachfolgende Fußnote. 492 Siehe 28 U.S.C. § 1914 (a) (2014): „The clerk of each district court shall require the parties instituting any civil action, suit or proceeding in such court, whether by original process, removal or otherwise, to pay a filing fee of $ 350“. 493 Siehe hierzu Kapitel 3, Abschnitt C. II. 4. 494 Siehe Al Shimari v. CACI Int’l, Inc., No. 08-cv-0827 (E.D. Va. Sept. 15, 2008), Amended Complaint paras. 111, 205. 495 Siehe die Gebührenordnung („Schedule of Fees“) der Eastern District of Virginia unter http://www.vaed.uscourts.gov/formsandfees/schedule.htm. 491
D. Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten
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hätten – man denke an etwa $ 1 Mio. pro Kläger496. Dies hätte einen Streitwert von insgesamt $ 4 Mio. ergeben, was Gerichtsgebühren nach dem GKG in Höhe von E 42.432 zur Folge gehabt hätten497. Nach § 6 Abs. 1 GKG wäre diese Gebühr bei Einreichung der Klageschrift fällig gewesen. Als Resultat hätten die Al ShimariKläger bereits bei Einleitung der Klage einen Betrag von E 42.432 bzw. E 10.608 je Kläger beim Gericht einzahlen müssen. Keiner der Kläger verfügte über ein derartiges Vermögen498, was einen Antrag auf Prozesskostenhilfe erfordert hätte. Allerdings hätte die Beantragung der Prozesskostenhilfe wahrscheinlich weitere Auslagen für die Kläger bedeutet. Zur Genehmigung von Prozesskostenhilfe hätten die Kläger nach § 114 Abs. 1 ZPO nachweisen müssen, dass ihre Klage eine „hinreichende Aussicht auf Erfolg“ besaß. In einer komplexen Menschenrechtsklage wäre dieser Nachweis ohne die Hilfe eines erfahrenen Menschenrechtsanwalts undenkbar. Und weil ein pro bono-Einsatz des Anwalts nicht unbedingt zu erwarten wäre499, hätten die Kläger gesetzliche Anwaltsgebühren in Kauf nehmen müssen, um Prozesskostenhilfe zu erlangen. bb) Prozesskostensicherheit nach § 110 ZPO Neben Gerichtsgebühren kommt für die Kläger in Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten das besondere Erfordernis in Betracht, Prozesskostensicherheit leisten zu müssen. Nach § 110 Abs. 1 ZPO muss ein Kläger, der seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort nicht in einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat hat, auf Verlangen des Beklagten Prozesskostensicherheit leisten. Diese Verpflichtung bleibt während des gesamten Verfahrens bestehen und ist erhöhungsfähig: „Ergibt sich im Laufe des Rechtsstreits, dass die geleistete Sicherheit nicht hinreicht, so kann der Beklagte die Leistung einer weiteren Sicherheit verlangen“500. Die Höhe der zu leistenden Sicherheit wird zwar nach freiem Ermessen des Gerichts festgesetzt501, doch muss das 496 Diese Annahme fußt auf der Betonung der Al Shimari-Klageschrift, dass CACI „Millionen“ durch ihre von der Armee in Anspruch genommenen Verhördienstleistungen verdient hat, siehe Al Shimari v. CACI Int’l, Inc., No. 08-cv-0827 (E.D. Va. Sept. 15, 2008), Amended Complaint paras. 10, 73, 92, 107. 497 Die Summe ergibt sich aus folgender Kalkulation: Anlage 2 GKG legt die Basisgebühr eines Verfahrens mit Streitwert von mehr als E 500.000 auf E 3.536 fest. Nach Anlage 1 Nr. 1210 GKG beträgt die Gerichtsgebühr eines Zivilverfahrens vor einem Amts- oder Landgericht das Dreifache der in Anlage 2 festgelegten Basisgebühr. Dementsprechend betragen die Gerichtsgebühren pro Kläger E 3.536 * 3,0 = E 10.608. Mit vier Klägern erhöht sich die Summe auf E 42.432 (= E 10.608 * 4). 498 Der Nachweis hiervon kann darin gesehen werden, dass es außerhalb der finanziellen Möglichkeiten der Kläger lag, Prozesskosten des Beklagten in Höhe von etwa $ 13.000 zu bestreiten – obwohl sie gleichmäßig auf alle vier Kläger verteilt wurden. Siehe Abschnitt D. III. 1. b) bb) dieses Kapitels, unten. 499 Siehe Abschnitt D. III. 4. dieses Kapitels, unten. 500 § 112 Abs. 3 ZPO. 501 § 112 Abs. 1 ZPO.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
Gericht vom zu erwartenden Kostenerstattungsanspruch des Beklagten als Grundlage für die Festsetzung ausgehen502. Die Verpflichtung, Prozesskostensicherheit leisten zu müssen, muss als ernstzunehmende Hürde für Menschenrechtsklagen aus dem Ausland vor deutschen Gerichten angesehen werden. Da die Menschenrechtsopfer bei solchen Klagen ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort immer im Ausland haben, kann jeder Beklagte nach Einleitung der Menschenrechtsklage die Leistung von Prozesskostensicherheit verlangen. Dies hat den Effekt, dass ausländische Kläger einen erheblichen Betrag (in Euro) vor Einleitung des Verfahrens werden ansammeln müssen, der noch über die bei Erhebung der Klage fälligen Gerichtsgebühren hinausgeht. Allerdings ist zu bedenken, dass der Kläger von der Pflicht zur Sicherheitsleistung befreit ist, wenn er Prozesskostenhilfe erhält503. In den USA kommt eine ähnliche Sicherheitspflicht nicht in Betracht. Nur bei einstweiligen Rechtsschutzmaßnahmen wie Arrest müssen Sicherheiten beim Gericht eingelegt werden. Insofern erfordert die deutsche Menschenrechtsklage viel höhere Aufwendungen von ausländischen Klägern, um überhaupt zum Vorverfahren zu gelangen. b) Das Kostenrisiko des Verfahrens Neben den Anfangsauslagen haften jedem deutschen Verfahren signifikante Kostenrisiken an. Nach § 91 Abs. 1 ZPO hat die unterliegende Partei eines deutschen Verfahrens die Prozesskosten zu tragen. Zwar sind unterliegende Kläger auch in den USA nach Federal Rule of Civil Procedure 54 (d) (1) verpflichtet, die „costs“ der gegnerischen Partei zu bestreiten, aber zwei Unterschiede dieser Regeln lassen aus der deutschen Kostenregelung ein wesentlich höheres Kostenrisiko entstehen: (a) Deutschland definiert erstattungsfähige Prozesskosten viel breiter als die USA, und (b) die Aussicht einer Kostenbefreiung ist in USA wesentlich höher als in Deutschland. aa) Die breite deutsche Definition erstattungsfähiger Prozesskosten Bei der Definierung von erstattungsfähigen Prozesskosten haben Deutschland und USA entgegengesetzte Regelungen festgelegt. Die deutsche Prozesskostenregelung basiert auf § 91 Abs. 1 ZPO, wonach die unterliegende Partei sämtliche „Kosten des Rechtsstreits“ zu tragen hat. Obwohl die ZPO diesen Begriff zum Teil punktuell konkretisiert504, hat die Rechtsprechung ihn breit und allgemein ausgelegt. Als erstattungsfähige „Prozesskosten“ gelten alle notwendigen Auslagen einer 502 503 504
§ 112 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Siehe § 122 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Siehe z. B. § 91 Abs. 2 – 4 ZPO.
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Partei, die die Voraussetzung der Prozessbezogenheit erfüllen505. Eine Auslage ist als prozessbezogen zu qualifizieren, wenn „ein enger Zusammenhang der zugrundeliegenden [Auslage] mit der gerichtlichen Auseinandersetzung [vorliegt], der es aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit rechtfertigt, die Kosten denjenigen des Rechtsstreits zuzuordnen“506. Ergebnis dieser breiten Definition ist, dass – sobald ein Verfahren rechtsanhängig ist507 – sämtliche Parteiauslagen grundsätzlich als erstattungsfähig zu qualifizieren sind. Unter die deutsche Definition von Prozesskosten fallen sämtliche gerichtliche Gebühren und Auslagen508, sämtliche im Rahmen der Rechtsverteidigung vorgenommene Parteiauslagen für z. B. Reisen, Zeugen und Dokumentenerstellung509 sowie die gesetzlichen Gebühren der Anwälte der obsiegenden Partei510. In den USA hingegen ist die Regelung umgekehrt. Zwar gibt Federal Rule of Civil Procedure („FRCP“) 54 (d) (1) vor, dass die „costs“ eines Gerichtsverfahrens grundsätzlich von der unterliegenden Partei zu tragen sind. Aber dort endet die Ähnlichkeit mit § 91 ZPO. Zunächst schließt der Wortlaut von FRCP 54 (d) (1) die Gebühren von Anwälten explizit aus der Definition erstattungsfähiger Prozesskosten aus511. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung den Begriff „Prozesskosten“ eng definiert. Als „costs“ i.S.v. FRCP 54 kommen nur Auslagen der Parteien in Betracht, die explizit durch ein Gesetz als erstattungsfähige Prozesskosten bestimmt worden sind512. 28 U.S.C. § 1920 gibt durch punktuelle Auflistung die Gesamtheit der Auslagen vor, die der unterliegenden Partei als Prozesskosten aufgebürdet werden dürfen513. Nach 28 U.S.C. § 1920 (a)514 kommen nur die meisten gerichtlichen 505
Siehe Schulz, MüKo ZPO § 91, Rn. 40. Schulz, MüKo ZPO § 91, Rn. 40. 507 Siehe hierzu Schulz, MüKo ZPO § 91, Rn. 38 ff. 508 Schulz, MüKo ZPO § 91, Rn. 54. 509 Schulz, MüKo ZPO § 91, Rn. 55. 510 Schulz, MüKo ZPO § 91, Rn. 56 – 61. 511 Siehe Fed. R. Civ. P. 54 (d) (1): „Unless a federal statute, these rules, or a court order provides otherwise, costs – other than attorney’s fees – should be allowed to the prevailing party“. Dies ist eine Kodifizierung der allgemein bekannten „American rule“, wonach jede Streitpartei grundsätzlich für die eigenen Anwaltskosten aufkommen muss, siehe z. B. John Leubsdorf, Toward a History of the American Rule on Attorney Fee Recovery, 47 L. & Contemp. Problems 9 (1984). 512 Siehe Crawford Fitting Co. v. J.T. Gibbons, Inc., 482 U.S. 437, 445 (1987) („We hold that absent explicit statutory … authorization …, federal courts are bound by the limitations set out in 28 U. S. C. … § 1920“). 513 Siehe hierzu z. B. Winniczek v. Nagelberg, 400 F.3d 503, 504 (7th Cir. 2005) („Rule 54 (d) allows a party to recover only those costs listed in 28 U.S.C. § 1920“). 514 Siehe 28 U.S.C. § 1920 (a) (2014): „A judge or clerk of any court of the United States may tax as costs the following: (1) Fees of the clerk and marshal; (2) Fees for printed or electronically recorded transcripts necessarily obtained for use in the case; (3) Fees and disbursements for printing and witnesses; 506
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
Gebühren sowie eine begrenzte Anzahl von Parteiauslagen wie z. B. Aufwendungen für Zeugen, Dolmetscher, Kopien und Dokumentendruck als Prozesskosten in Betracht. Als Resultat sind die Auslagen eines amerikanischen Verfahrens grundsätzlich nicht als erstattungsfähige Prozesskosten anzusehen, es sei denn, § 1920 bestimmt das Gegenteil. bb) Die vergleichsweise niedrige Wahrscheinlichkeit einer Kostenbefreiung in Deutschland Eine Befreiung von der Kostenerstattungspflicht ist in Deutschland nur nach engen Ausnahmetatbeständen zulässig, während eine Kostenbefreiung in fast jedem amerikanischen Verfahren möglich ist. Die deutsche Regelung geht wieder von § 91 ZPO aus. Nach jedem Verfahren muss das Gericht von Amts wegen entscheiden, welcher Partei die Prozesskosten zu Lasten fallen (Kostengrundentscheidung)515. Hierbei gebietet der Grundsatz der Kosteneinheit des Prozesses, dass sämtliche Kosten des Verfahrens in diese Entscheidung einzustellen und auf die Parteien zu verteilen sind516. Die Rechtsprechung hat bereits festgelegt, dass die Kostenerstattungspflicht des § 91 ZPO keine unbillige Härte darstellt517. Eine Befreiung von dieser Pflicht ist nur in eng definierten Ausnahmefällen möglich, etwa nach §§ 91a, 93 ZPO. Die Armut des Klägers ist für die Kostenbefreiungsfrage nicht relevant518. Im Gegensatz zur deutschen Vorgehensweise lässt die amerikanische Prozesskostenregelung unter einer Vielzahl von Umständen eine Befreiung von oder eine Ermäßigung der Kostenerstattungspflicht zu. Der Wortlaut von FRCP 54 (d) (1) ist nicht zwingend formuliert: „[C]osts [of court proceedings] should be allowed to the prevailing party“. Die Rechtsprechung hat dies dahingehend ausgelegt, dass FRCP 54 lediglich eine Vermutung aufstellt, dass die unterliegende Partei die Prozesskosten zu tragen hat519. Diese Vermutung kann widerlegt bzw. entkräftet werden520 (4) Fees for exemplification and the costs of making copies of any materials where the copies are necessarily obtained for use in the case; (5) Docket fees under section 1923 of this title [N.d.V.: der Begriff „docket fees“ bezeichnet kleine Gebühren (etwa $ 20 je Schriftstück) für die Einfügung von von den Parteien eingereichten Schriftsätzen in die Prozessakte]; (6) Compensation of court appointed experts, compensation of interpreters, and salaries, fees, expenses, and costs of special interpretation services under section 1828 of this title“. 515 Schulz, MüKo ZPO § 91, Rn. 8. 516 Schulz, MüKo ZPO § 91 Rn. 7. 517 Siehe Jaspersen/Wache, BeckOK ZPO § 91, Rn. 9 (12. Ed. 2014). 518 In solchen Fällen verweist die Rechtsprechung auf die Möglichkeit des Klägers, den Streitwert des Verfahrens zu senken und die Prozesskostenhilfe in Anspruch zu nehmen, siehe Jaspersen/Wache, BeckOK ZPO § 91, Rn. 9. 519 „Rule 54(d) creates a presumption in favor of awarding costs to prevailing parties, and it is incumbent upon the losing party to demonstrate why the costs should not be awarded“.
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und im Gegensatz zu den deutschen Gerichten erkennen amerikanische Gerichte eine Vielzahl von (aus deutscher Sicht) weitläufigen Widerlegungsgründen an. Eine Befreiung von der Kostenerstattungspflicht ist möglich, wenn: (a) die Vermögensverhältnisse der beiden Parteien weit auseinanderklaffen und die unterliegende Partei die vergleichsweise Mittellose ist; (b) die Abwälzung der Prozesskosten auf einen unterliegenden Kläger eine abschreckende Wirkung auf künftige Kläger in ähnlichen Fällen ausüben würde; oder (c) die im Prozess entschiedenen Fragen „close and complex“ waren521. Ob solche Gründe vorliegen und eine Kostenbefreiung rechtfertigen, liegt im Ermessen des Prozessgerichts522. Diese Regelung hat bereits in ATS-Klagen zur Befreiung eines unterliegenden Klägers von seiner Kostentragungspflicht geführt. Bowoto v. Chevron Corp. war eine ATS-Klage indigener Stammesbewohner von Nigeria gegen Chevron523. Die Kläger waren arme Fischer und Tagelöhner, deren traditioneller Lebensraum von ChevronProspektion verseucht wurde524. Chevron soll das nigerianische Militär zur Niederschlagung eines Protests der Kläger auf einer seiner Bohrinseln angestachelt haben. Bowoto schritt bis zur Hauptverhandlung vor einer Jury fort, wo die Jury Chevron von einer Beihilfe zu den vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen freisprach. Danach beantragte Chevron gemäß FRCP 54 die Erstattung von Prozesskosten in Höhe von $ 485.159525. Das Gericht wies den Antrag zurück und ließ Chevron auf den eigenen Prozesskosten sitzen. Das Gericht zeigte sich zunächst erstaunt, dass Chevron – das fast $ 5 Mrd. pro Quartal verdiente – die Erstattung von mehr als $ 400.000 von kleinen Fischern und Tagelöhnern erwartete, die allesamt zwischen $ 60 und maximal $ 1.200 im Monat verdienten526. Vor diesem Hintergrund befand das Gericht, dass die Abwälzung von Prozesskosten in sechsstelliger Höhe Bowoto v. Chevron Corp., No. 3:99-cv-02506, Doc. 2315, at 1 (N.D. Cal. Apr. 22, 2009) (Zitat von Stanley v. Univ. of S. Cal., 178 F.3d 1069, 1079 (9th Cir. 1999)). 520 Siehe die zweite Satzklausel im Zitat der obigen Fußnote. 521 „District courts may consider a variety of factors in determining whether to exercise their discretion to deny costs to the prevailing party. The Ninth Circuit has approved the following reasons for refusing to award costs to a prevailing party: great economic disparity between the parties and the losing party’s limited financial resources, ,the chilling effect of imposing . . . high costs on future civil rights litigants‘, and whether the issues raised were close and complex“. Bowoto, No. 3:99-cv-02506, Doc. 2315, at 2 (Zitat von Ass’n of Mexican-American Educators v. California, 231 F.3d 572, 593 (9th Cir. 2000) (en banc)). 522 Bowoto, No. 3:99-cv-02506, Doc. 2315, at 2. 523 Siehe hierzu Kapitel 2, Abschnitt A. III. 1. b) bb). 524 Die Verseuchung hat ihren Protest hervorgerufen, siehe ebd. 525 Bowoto, No. 3:99-cv-02506, Doc. 2315, at 1. 526 Siehe Bowoto, No. 3:99-cv-02506, Doc. 2315, at 2 – 3. Chevron begründete diese Forderung mit einem Verweis auf die niedrigen Lebenshaltungskosten Nigerias, die seiner Meinung nach ein hohes verfügbares Einkommen der Kläger zur Folge nach sich ziehen sollten. Das Gericht war unbeeindruckt und wies darauf hin, dass niedrige Lebenshaltungskosten zwangsläufig auch niedrige Löhne für die Kläger bedeuteten. Auf dieser Grundlage verneinte das Gericht, dass die Kläger finanziell imstande waren, die hohen Kosten amerikanischer Prozessführung aus nigerianischen Löhnen zu bestreiten.
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auf derart bedürftige Kläger eine besonders abschreckende Wirkung auf künftige ATS-Kläger auslösen würde527. Des Weiteren stellte das Gericht fest, dass die Bowoto-Klage außerordentliche und komplexe Rechts- und Tatsachenfragen aufgeworfen hatte, was gegen die Übertragung der Prozesskosten auf die Kläger sprach528. Andere ATS-Klagen haben eine Kostenermäßigung in Aussicht gestellt. Amerikanische Gerichte sind verpflichtet, sämtliche von der obsiegenden Partei als Prozesskosten eingeforderten Auslagen auf Notwendigkeit und Prozessbezogenheit einzeln und „eingehend“ zu prüfen529. Die ATS-Klage Al Shimari v. CACI Int’l, Inc. wurde nach etwa fünf Jahren Vorverfahren abgewiesen530. Danach hat CACI die Erstattung von Kosten in Höhe von etwa $ 15.580 beantragt531 – wobei nicht vergessen werden sollte, dass in Deutschland nur die Gerichtsgebühren von Al Shimari E 42.432 (etwa $ 59.000) betragen hätten532. Der Eastern District of Virginia hat jedoch die erstattungsfähigen Kosten auf $ 13.731 reduziert, ehe es CACIs Antrag auf Kostenerstattung stattgegeben hat533. Selbst mit dieser Ermäßigung wurde die Entscheidung des District Courts von Menschenrechtsorganisationen als Abschreckung künftiger Kläger moniert534. c) Fazit zu Prozesskosten Die Prozesskosten stellen einen erheblichen Abschreckungsfaktor in Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten dar. Menschenrechtsopfer in deutschen Verfahren müssten mit zwei Kostendimensionen rechnen, die bei amerikanischen Prozessen nicht oder nur bedingt gegeben wären. Erstens wäre die bloße Einleitung einer Menschenrechtsklage mit für arme Ausländer unerschwinglichen Auslagen 527
Bowoto, No. 3:99-cv-02506, Doc. 2315, at 3. Bowoto, No. 3:99-cv-02506, Doc. 2315, at 3 – 4. 529 Vgl. z. B. Shah v. Vill. of Hoffman Estates, No. 00-cv-4404, 2003 WL 21961362, at *1 (N.D. Ill. Aug. 14, 2003) („[The] court must review a proposed bill of costs in scrupulous detail. The claimed expenses must be reasonable, both in amount and necessity to the litigation“). 530 Zum Verlauf von Al Shimari siehe Kapitel 3, Abschnitt C. II. 4. 531 Siehe Al Shimari v. CACI Int’l, Inc., No. 1:08-cv-827, Doc. 474 (E.D. Va. Aug. 30, 2013), at 1. 532 Siehe die Darstellung in Abschnitt D. III. 1. a) aa) dieses Kapitels, oben. 533 Siehe Al Shimari, No. 1:08-cv-827, Doc. 474, at 1. 534 So die Auffassung vom Anwalt der Al Shimari-Kläger: „[A]fter [CACI] successfully dismissed the lawsuit in the trial court, they sought to impose costs against our four torture victims. So, you know, given the massive economic disparity – a multibillion-dollar corporation on the one hand, and four torture victims, three of whom are clearly indigent – that suggests the purpose was simply to deter and intimidate our plaintiffs and other human rights victims from seeking accountability in U.S. courts“. Interview of Baher Azmy, in: 10 Years After Abu Ghraib, Ex-Prisoners Seek Justice in Torture Lawsuit Against U.S. Contractor CACI, DemocracyNow, May 5, 2014, aufrufbar unter http://www.democracynow.org/2014/5/5/10_years_ after_abu_ghraib_ex. 528
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verbunden, einerseits durch die Gerichtsgebühren und andererseits durch die Prozesskostensicherheit; allerdings gäbe es die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe. Zweitens müssten die Kläger mit dem Kostenerstattungsanspruch des Beklagten im Falle eines Unterliegens rechnen, was eine weitere hohes Kostenrisiko darstellen würde, das sich nicht minimieren lässt. 2. (Fehlender) Kollektiver Rechtsschutz in Deutschland Kollektiver Rechtsschutz hat dem ATS zu seiner besonderen Geltung verholfen. Die Möglichkeit einer class action machte die ATS-Klage zu einer ernsthaften Bedrohung für Konzerne. Class actions waren für die frühen Erfolge der Zweiten Welle der ATS-litigation maßgeblich verantwortlich: Es war die Androhung von class actions, die in der deutschen Industrie nach 60 Jahren Widerstand die Bereitschaft zur Verhandlungen mit ehemaligen Zwangsarbeitern wachrief. Im Gegensatz zum amerikanischen Verfahrensrecht sieht deutsches Recht nur sehr begrenzte Möglichkeiten zum kollektiven Vorgehen vor. Die neueste und class action-ähnlichste Möglichkeit – das Kapitalanlegermusterverfahren – scheidet von Vornherein aus, weil es nur bei Verstößen gegen die Kapitalmarktgesetze zur Verfügung steht. Im Folgenden werden die verbleibenden Kollektivierungsmöglichkeiten deutschen Rechts sowie ihre Geeignetheit für Menschenrechtsklagen erörtert: (1) die Verbandsklage; (2) das Musterverfahren; und (3) die gebündelte Durchsetzung durch eine Interessengemeinschaft. Von diesen hat nur die Interessengemeinschaft eine Aussicht auf Machbarkeit, ist jedoch mit ernsten Risiken behaftet. a) Die Verbandsklage Die Verbandsklage gilt als „eines der wichtigsten Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes in Deutschland“535. Durch die Verbandsklage wird ein Verein oder Verband zur gerichtlichen Geltendmachung fremder Interessen – meistens die seiner Mitglieder oder die der Allgemeinheit – berechtigt. Die Verbandsklage ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn ein Gesetz sie ausdrücklich vorsieht. Insofern ist die Möglichkeit einer Verbandsklage an die Verletzung von Gesetzen gekoppelt, die ihre Durchsetzung durch die Verbandsklage explizit vorsehen. Vor allem können Verbände bei Verstößen gegen das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb536, gegen das Behindertengleichstellungsgesetz537 und gegen die Bestimmungen über zulässige AGB in §§ 307 bis 309 BGB538 gerichtlich vorgehen. 535
Eva Zirngibl, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess in den USA und Deutschland, S. 113 (Diss. Augsburg 2006). 536 Siehe § 12 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). 537 Siehe § 13 Behindertengleichstellungsgesetz. 538 Siehe § 1 Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (UKlaG).
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
Für Opfer von Menschenrechtsverletzungen wird eine Verbandsklage nicht in Betracht kommen. Denn Verbände können in aller Regel nur auf Unterlassung klagen539. Für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen wird eine Unterlassungsanordnung sinnlos sein, da ihre Verletzungen bereits eingetreten sind. Auch wenn z. B. das UWG eine Gewinnabschöpfungsklage in Aussicht stellt, sind sämtlich dadurch erstrittene Beträge an den Bundeshaushalt zu zahlen540. Insofern bedeutet eine Verbandsklage immer die Übernahme des vollen Prozesskostenrisikos ohne Aussicht auf Opferentschädigung. Außerdem wäre es aus kollisionsrechtlicher Sicht ohnehin fraglich, ob die Gesetze, die eine Verbandsklage vorsehen, in den hier behandelten Fällen überhaupt anwendbar wären. b) Das Musterverfahren Unter Musterverfahren versteht die Literatur „jeden Rechtsstreit, dem die Parteien oder Dritte eine über den konkreten Fall hinausgehende Bedeutung zumessen, unabhängig davon, ob dies ausdrücklich oder stillschweigend geschieht“541. Der Wesenszug eines Musterverfahrens ist eine Bindungswirkung für ähnliche Ansprüche: Sein Ergebnis soll „auf gleichgelagerte Sachverhalte übertragen werden“542. Die Bindungswirkung eines Musterverfahrens kann auf zweifache Weise angestrebt werden. Einerseits kann ein Musterverfahren aufgrund einer Musterprozessabrede vonstattengehen. Andererseits kann ein Kläger einen sog. faktischen Musterprozess verfolgen. In dieser Variante wird ein Urteil angestrebt, das aufgrund seiner Überzeugungskraft auf „Parallelverfahren bzw. gleichgelagerte Sachverhalte“ Anwendung finden sollte543. Bei Menschenrechtsklagen sind Musterverfahren wegen praktischer Hürden nur schwer vorstellbar. Wenn die bisherige amerikanische Praxis als Indikator der Bereitschaft von Konzernen genommen wird, bei der Einklagung von Menschenrechtsverletzungen mitzuwirken, kann der Abschluss einer Musterprozessabrede so gut wie ausgeschlossen werden544. Wenn es in einer Menschenrechtsklage einen Musterprozess geben sollte, wird es ein faktischer Musterprozess sein. Dementsprechend sind von den üblichen Gefahren eines faktischen Musterprozesses auszugehen: Die Ansprüche der nicht am Verfahren beteiligten Geschädigten können verjähren, ehe ein Urteil im Musterprozess vorliegt545 ; die Musterkläger müssen das 539
Siehe Eva Zirngibl, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 113; Stephanie Eichholz, Die US-amerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäquivalente (Diss. Hamburg 2002). 540 Siehe § 10 Abs. 1 UWG. 541 Zirngibl, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 136. 542 Zirngibl, S. 136. 543 Zirngibl, S. 137 – 138 („[Die Präzedenzwirkung des Musterverfahens] ergibt sich allein aus der Autorität des Spruchkörpers und der Überzeugungskraft der Urteilsbegründung“). 544 Siehe hierzu die Diskussion der Zweiten Welle in Kapitel 2, Abschnitten B. II. 5. ff. 545 Zirngibl, , Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 141 – 142.
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volle Prozesskostenrisiko auf sich nehmen, ohne dass eine Präzedenzwirkung garantiert ist546 ; der Beklagte kann jederzeit die Ansprüche der Musterkläger anerkennen, um ein Urteil mit Präzedenzwirkung zu vermeiden547; bei politisierten Rechtsfragen kann die Präzedenzwirkung ausbleiben, auch wenn der Kläger im Musterprozess obsiegt548. Aus diesen Gründen kann angenommen werden, dass ein Musterprozess zur Durchsetzung von Menschenrechten zu risikobehaftet ist, um praktisch relevant zu sein. c) Gebündelte Durchsetzung durch eine Interessengemeinschaft Eine wichtiger werdende und umstrittene Form des kollektiven Rechtsschutzes in Deutschland geht von Interessengemeinschaften aus, die eine Vielzahl von fremden Schadensersatzansprüchen gebündelt durchsetzen. In puncto Menschenrechtsklagen bildet die Interessengemeinschaft die einzige Kollektivierungsmöglichkeit des deutschen Rechts, di zumindest eine gewisse Erfolgsaussicht besitzt. aa) Begriff der Interessengemeinschaft Als Interessengemeinschaft kommt jede „rechtsfähige Organisation“ in Betracht, die die Interessen einer Gruppe von Geschädigten zusammenfasst549. Das „Geschäftsmodell“550 der Interessengemeinschaft verläuft wie folgt: Nach Eintritt eines mehrere Personen betreffenden Schadens wird eine Organisation wie z. B. eine GmbH zum Zwecke der Anspruchsbündelung und gerichtlicher Durchsetzung gegründet. Die Geschädigten treten ihre Schadensersatzansprüche an diese Organisation ab, die sie dann in einem einzigen Verfahren gegen den Beklagten geltend
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Zirngibl, S. 141 – 142. Eichholz, Die US-amerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäquivalente, S. 236. 548 In diesem Zusammenhang ist vor allem auf den Wollheim-Musterprozess zu verweisen. Der Kläger Wollheim war während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiter in der IG FarbenFabrik am KZ Auschwitz und hat in 1951 vor dem LG Frankfurt einen Musterprozess gegen die IG Farben Industrie i.L. erhoben. Das LG Frankfurt hat in einer „mutigen Entscheidung“ (S. 182 des unten zitierten Buches) von 1953 die Klage für zulässig erklärt, was zu einem Globalvergleich führte, der 30 Mio. DM für die Zwangsarbeiter der IG Farben verwaltete. Trotz dieses Prozesserfolgs sind andere deutsche Gerichte dem LG Frankfurt in weiteren Zwangsarbeiterklagen nicht gefolgt. Das Ausbleiben einer Präzedenzwirkung in Deutschland hat die Einleitung in Kapitel 2, Abschnitt A. II. 1. und in B. I. dieses Kapitels geschilderten HolocaustKlagen in den USA erforderlich gemacht. Siehe hierzu Joachim Rumpf, Der Fall Wollheim gegen die I.G. Farbenindustrie AG in Liquidation: Die erste Musterklage eines ehemaligen Zwangsarbeiters in der Bundesrepublik Deutschland – Prozess, Politik und Presse (Diss. Frankfurt 2010). 549 Siehe Zirngibl, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 158 – 159. 550 So die Bezeichnung für die Funktionsweise von Interessengemeinschaften aus Sicht des LG Düsseldorf, Urteil vom 17. Dezember 2013, 37 O 200/09 (Kart) U., Abs. 103. 547
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
macht. Als Kläger dieses Verfahrens tritt allein die Interessengemeinschaft als nunmehrige Forderungsinhaberin auf. Bei Menschenrechtsklagen hätte das Vorgehen durch die Interessengemeinschaft einen entscheidenden Vorteil: Solange die Interessengemeinschaft ihren Sitz innerhalb der EU hätte, wäre sie nach § 110 Abs. 1 ZPO von der Pflicht befreit, Prozesskostensicherheit leisten zu müssen. Und weil die Interessengemeinschaft Möglichkeiten hätte, Geld zu sammeln, Anwälte zu koordinieren und den Sachverhalt aufzuklären, böte sie aus strategischer Sicht erhöhte Erfolgschancen beim tatsächlichen Prozess. bb) Das Recht der Interessengemeinschaft Die Tätigkeiten von Interessengemeinschaften haben im Gegensatz zur Verbandsklage keine explizite gesetzliche Grundlage und sind nicht direkt gesetzlich geregelt. Allgemein anwendbare Rechtsvorschriften regulieren die verschiedenen Aspekte interessengemeinschaftlicher Tätigkeit. Z. B. bestimmt das GmbH-Gesetz bzw. das Aktiengesetz, ob die Interessengemeinschaft rechtmäßig errichtet wurde, während § 398 BGB die Voraussetzungen für die wirksame Abtretung einer Schadensersatzforderung an die Interessengemeinschaft vorgibt. Diese allgemeinen Vorgaben sind leicht erfüllt. Rechtliche Hürden für Kollektivklagen durch Interessengemeinschaft ergeben sich allerdings aus Sondervorschriften, nämlich aus dem Rechtsdienstleistungsgesetz und aus § 138 BGB. (1) Das Rechtsberatungsgesetz und das Rechtsdienstleistungsgesetz Die traditionell größte rechtliche Hürde für Interessengemeinschaften lag in einer deutschen Besonderheit, dem Rechtsberatungsgesetz (RBerG). Bis zum 1. Juli 2008 war die gebündelte Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen durch eine Interessengemeinschaft aufgrund des RBerG unzulässig. Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG war die geschäftsmäßige „Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten“ nur in eng definierten Sonderfällen erlaubnisfähig551. Nach h.M. war die Erwerbung fremder Schadensersatzansprüche zur „klageweise[n] Geltendmachung der Forderungen einzelner Geschädigter“ nach dem RBerG nicht erlaubnisfähig552, was i.V.m. § 134 BGB zur Folge hatte, dass Abtretungen von Schadensersatzansprüchen an Interessengemeinschaften unwirksam waren553. „Damit [blieb] den Interessengemeinschaften nur die Aufgabe, auf eigene Kosten vorprozessual Informationen und Beweismaterial zu sammeln und so den Sachverhalt aufzuklären“554. 551
Art. 1 § 1 Satz 1 RBerG. Die Besorgung von Schadensersatzansprüchen scheint nach dem RBerG nur im Rahmen der gewerblichen Inkassotätigkeit erlaubnisfähig gewesen zu sein, siehe Art. 1 § 1 RBerG. 553 Zirgibl, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 159. 554 Zirgibl, S. 159. 552
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Das Außerkrafttreten des RBerG gab Interessengemeinschaften neue Chancen. Am 1. Juli 2008 wurde das RBerG vom Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) abgelöst. Nach dem RDG gilt als Rechtsdienstleistung „jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert“555. Die Durchsetzung eines fremden Schadensersatzanspruchs vor Gericht fällt eindeutig unter diese Definition und ist deshalb als Rechtsdienstleistung zu qualifizieren. Organisationen können befugt sein, Rechtsdienstleistungen zu erbringen, wenn sie bei der zuständigen Behörde nach den Vorgaben des RDG registriert sind556. Als zulässige Rechtsdienstleistung einer registrierten Organisation kommt auch die Durchsetzung fremder Schadensersatzansprüche in Frage557. Fraglich wäre allerdings, welcher der in § 10 Abs. 1 RDG genannten Tätigkeitsbereiche in den hier behandelten Fällen einschlägig wäre. Denkbar wäre die Dienstleistung im „ausländischen Recht“ (Nr. 3). Die neue Regelung des RDG lässt die Interessengemeinschaft als ernstzunehmende Kollektivierungsmöglichkeit für Geschädigte in Menschenrechtsklagen erscheinen. Jedoch bleibt abzuwarten, wie intensiv sich die deutschen Gerichte gegen Kollektivverfahren unter der Federführung von Interessengemeinschaften sträuben werden. Deutschland hat keine Tradition der class actions und deutsche Gerichte stehen Kollektivverfahren eher ablehnend gegenüber. (2) Klagen von Interessengemeinschaften und Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB Ein Urteil des LG Düsseldorf vom 17. Dezember 2013 bestätigt die Prognose, dass Bündelungsklagen von Interessengemeinschaften keine freie Fahrt vor deutschen Gerichten werden erwarten können. Das Urteil des LG Düsseldorf hatte Schadensersatzansprüche gegen deutsche Zementhersteller wegen Kartellrechtsverstöße zum Gegenstand. Die deutschen Zementhersteller hatten durch Preisabsprachen den Marktpreis für Beton erhöht. Nach einem Bußgeldverfahren des Bundeskartellamts versuchten geschädigte Abnehmer der Hersteller, ihre kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche durch eine Interessensgemeinschaft gebündelt geltend zu machen. Hierfür wurde eine belgische Aktiengesellschaft gegründet, deren Gegenstand die „außergerichtliche und gerichtliche Geltendmachung kartellrechtlicher Schadensersatzforderungen“ war558. 36 Unternehmen traten Schadensersatzansprüche in Höhe von etwa E 131 Mio. an die belgische Gesellschaft ab. Die Interessengemeinschaft zahlte die Gerichtsgebühren bei Einleitung der Klage 555
Art. 1 § 2 Abs. RDG. Siehe §§ 10, 12 Abs. 4 RDG. 557 So wurde im Ureil des LG Düsseldorf vom 17.12. 2013, 37 O 200/09 (Kart) U., Abs. 49, anerkannt, dass die Besorgung und klageweisen Durchsetzung fremder Schadensersatzansprüche zulässig ist, solange die Interessengemeinschaft die vom RDG vorausgesetzte Registrierung erledigt hat. 558 Siehe LG Düsseldorf vom 17. Dezember 2013 – 37 O 200/09 (Kart) U., Abs. 5. 556
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
und war wegen ihres Sitzes innerhalb der EU nicht verpflichtet, Prozesskostensicherheit nach § 110 ZPO zu leisten. Obwohl das LG Düsseldorf die Zulässigkeit dieser Bündelungsstrategie nach dem RDG bestätigen musste, hat es die Klage wegen Verletzung des § 138 BGB abgewiesen. Das Gericht erwähnte zunächst, dass die Abtretung von Schadensersatzforderungen an eine Interessensgemeinschaft nach der alten Regelung des RBerG unwirksam gewesen wäre559. Darauf musste das LG Düsseldorf jedoch zugeben, dass dieselbe Strategie nach dem RDG doch wirksam war: Solange eine Interessensgemeinschaft die erforderliche behördliche Registrierung erhalten habe, dürfe sie fremde Schadensersatzansprüche besorgen, um diese gebündelt gerichtlich durchzusetzen560. Trotz Zulässigkeit nach dem RDG fand das LG Düsseldorf die Abtretungen der Schadensersatzforderungen an die Interessengemeinschaft sittenwidrig nach § 138 BGB und deshalb unwirksam. Der Grund für die Sittenwidrigkeit der Abtretungen: Die Interessengemeinschaft verfügte „nicht über eine finanzielle Ausstattung[], die die im Fall des Prozessverlustes von ihr zu tragenden Prozesskosten, insbesondere die Kostenerstattungsansprüche der Beklagten, vollständig deckten“561. Nach Ansicht des Gerichts war die „gleichmäßig[e] Verteilung des Kostenrisikos unter den Prozessbeteiligten“ als verfahrensrechtliche Umsetzung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes und des Rechtsstaatsprinzips anzusehen562. Deswegen dürften „Forderungsabtretungen nicht dazu missbraucht werden, den Prozessgegner der Möglichkeit zu berauben, seinen Rechtsanspruch auf Erstattung oder Zahlung der Prozesskosten zu verwirklichen“, ohne die guten Sitten i.S.v. § 138 BGB zu verletzen563. Das wissentliche Vorschieben einer „vermögenslosen Partei zur Prozessführung“ sei als Rechtsmissbrauch zu qualifizieren, die zur Nichtigkeit der Forderungsabtretung wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB führe564. Aus Sicht des LG Düsseldorf war die Interessengemeinschaft in der vorliegenden Kartellrechtsklage als vorgeschobene mittellose Klägerin anzusehen und die Abtretungen von Schadensersatzforderungen an sie wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Zu Beginn der Klage habe die finanzielle Ausstattung der Interessengemeinschaft lediglich dazu ausgereicht, einen Gerichtskostenvorschuss zu leisten565. Bis 2010 seien durch die Tätigkeit der Interessengemeinschaft bilanzielle Verluste von mehr als E 2 Millionen aufgelaufen566. Deshalb müssten die Forderungsinhaber gewusst haben, dass sie durch die Abtretung ihrer Forderungen an die Interessengemeinschaft 559 560 561 562 563 564 565 566
LG Düsseldorf, Abs. 67 – 94. LG Düsseldorf, Ab. 94. LG Düsseldorf, Abs. 96. LG Düsseldorf, Abs. 100. LG Düsseldorf, Abs. 98. LG Düsseldorf, Abs. 98. LG Düsseldorf, Abs. 111. LG Düsseldorf, Abs. 113.
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das gesamte Prozesskostenrisiko auf den Beklagten abwälzten, auch wenn keine verwerfliche Gesinnung hinter den Forderungsabtretungen lag567. Dies verletze den Grundsatz der gleichmäßigen Verteilung des Prozesskostenrisikos auf nicht hinnehmbare Weise und sei deshalb als sittenwidrig i.S.v. § 138 BGB anzusehen568. Insofern seien die Abtretungen der Schadensersatzforderungen an die Interessengemeinschaft unwirksam und die Klage abzuweisen. Das Urteil des LG Düsseldorf bringt eine starke Abneigung gegen Kollektivverfahren zum Ausdruck569. Allerdings bedarf die Anwendbarkeit des § 138 BGB im Kontext von Menschenrechtklagen aus dem Ausland einer besonderen Untersuchung. Grund hierfür ist, dass wegen der Rom I-Verordnung das Verhältnis zwischen Menschenrechtsopfer, Interessengemeinschaft und beklagtem Unternehmen fremdem Recht unterliegt. Deshalb muss die Anwendbarkeit deutscher Rechtsvorschriften auf die Tätigkeit von Interessengemeinschaften in Menschenrechtsklagen aus dem Ausland unter Berücksichtigung der einschlägigen Rom I-Bestimmungen festgestellt werden. Die Abtretung einer Forderung an eine Interessengemeinschaft zum Zwecke der gerichtlichen Geltendmachung stellt ein vertragliches Schuldverhältnis dar. In Deutschland bestimmt die Rom I-Verordnung570, welches Recht auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbar ist. Die Rom I-Verordnung ist universell anwendbar, d. h. sie ist auch dann anwendbar, wenn das von ihr designierte anwendbare Recht nicht das Recht eines EU-Mitgliedstaates ist571. Art. 14 Rom I regelt, welches Recht auf die Abtretung von Forderungen anwendbar ist. Art. 14 Rom I ist auch auf die Abtretung von Forderungen aus nicht567
Siehe LG Düsseldorf, Abs. 117: „Das folgt daraus, dass das von der Klägerin vorgegebene ,Geschäftsmodell‘ für die Zedenten wegen des von diesen lediglich in Form von Kostenzuschüssen zu leistenden überschaubaren finanziellen Aufwandes, des für sie entfallenden finanziellen Risikos der Prozessführung und der Aussicht den weit überwiegenden Teil der durchgesetzten Forderungen zu erhalten, offensichtlich äußerst vorteilhaft war, weil die Durchsetzung von Forderungen in der hier geltend gemachten Größenordnung erhebliche Mittel erfordert und mit erheblichen finanziellen Risiken verbunden ist. Dieser Gedanke musste sich auch den Zedenten aufdrängen“ (Hervorhebung des Verfassers). 568 Für das Gericht war auch wichtig, dass den Zedenten die Unterkapitalisation der belgischen Aktiengesellschaft und damit die Verschiebung des Prozesskostenrisiko auf den Beklagten im Falle ihres Unterliegens evident sein musste, siehe Abs. 103 ff. 569 „It should be noted that the business model of the [organizational] plaintiff … has been challenged in other civil courts in Europe (see recently the interlocutory judgment of the District Court of Helsinki from July 4th, 2013), but it has never been declared illegitimate [except in the ruling of the Düsseldorf court]“. Marta Requejo, Is Private Enforcement of Competition Law Still an Option in Germany?, Conflict of Laws .net, March 10, 2014, aufrufbar unter http://con flictoflaws.net/2014/is-private-enforcement-of-competition-law-still-an-option-in-germany/com ment-page-1/. 570 Siehe Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), Amtsblatt Nr. L 177 vom 4. 7. 2008, S. 6. 571 Siehe Art. 2 Rom I.
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
vertraglichen Schuldverhältnissen, d. h. auf die Abtretung deliktischer Ansprüche anwendbar572. Rom I regelt drei Aspekte der Forderungsabtretung, die für Menschenrechtsklagen relevant sind: 1. Die Abtretung von Schadensersatzansprüchen von Menschenrechtsopfern an eine Interessengemeinschaft unterliegt dem von diesen Parteien gewählten Recht. Nach Art. 14 Abs. 1 Rom I unterliegt „das Verhältnis zwischen Zedent und Zessionar aus der Übertragung einer Forderung … dem Recht, das nach dieser Verordnung auf den Vertrag zwischen Zedent und Zessionar anzuwenden ist“. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Rom I können die Parteien eines Vertrags frei wählen, welche Rechtsordnung auf die Abtretungsvereinbarung anzuwenden ist. Ihre Rechtswahl wird, zumindest inter partes, sowohl auf die Verpflichtungs- als auch auf die Verfügungsaspekte der Zession Anwendung finden573. Insofern können Menschenrechtsopfer und Interessengemeinschaft bestimmen, welche Rechtsordnung ihr Zessionsverhältnis bestimmen sollte. Zum Zwecke dieser Untersuchung wird davon ausgegangen, dass sie die Anwendbarkeit ausländischen Rechts vereinbaren. 2. Gleichzeitig bleiben einige Aspekte der Forderungsübertragung dem Forderungsstatut unterworfen. Nach Art. 14 Abs. 2 Rom I bestimmt – ungeachtet der Rechtswahl der Parteien – das Forderungsstatut die Übertragbarkeit der Schadensersatzforderung, die konkreten Voraussetzungen für eine wirksame Abtretung sowie den Inhalt der abgetretenen Forderung. Im Falle von Menschenrechtsverletzungen wird ausländisches Schuldrecht das Forderungsstatut bilden574. Deshalb regelt ausländisches Schuldrecht die genannten Aspekte der Abtretungen von Schadensersatzansprüchen an die Interessengemeinschaft. 3. Das aus der Abtretung entstehende Verhältnis zwischen Neugläubiger (Interessengemeinschaft) und Schuldner (beklagtem Unternehmen) unterliegt auch ausländischem Schuldrecht. Nach Art. 14 Abs. 2 Rom I ist das Forderungsstatut auf „das Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner“ anzuwenden. Da in Menschenrechtsklagen ausländisches Schuldrecht das Forderungsstatut darstellt,
572 Siehe Kieninger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u. a., Internationales Vertragsrecht, VO (EG) 593/2008 Art. 14, Rn. 5 (2. Aufl. 2011): „Was den Gegenstand der Abtretung angeht, so beschränkt sich Art. 14 nicht auf Forderungen, die in den Anwendungsbereich der Rom I-VO fallen. Die Vorschrift gilt daher insbesondere auch für die Abtretung von Forderungen aus gesetzlichen Schuldverhältnissen, deren anwendbares Recht in Rom II geregelt ist“. Siehe zustimmend Martiny, MüKo BGB VO (EG) 593/2008 Art. 14, Rn. 15 (5. Aufl. 2010). 573 So Erwägungsgrund 38 der Rom I Verordnung. 574 Das Forderungsstatut wird in Art. 14 Abs. 2 Rom I als „[d]as Recht, dem die übertragene Forderung unterliegt“ bezeichnet. In Menschenrechtsklagen wird dies das ausländische Schuldstatut sein, dem die Schadensersatzforderungen für die im Ausland begangenen Menschenrechtsverletzungen entsprungen sind, siehe Abschnitt D. II. 1. b) – c) dieses Kapitels, oben.
D. Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten
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wird es auch auf das Verhältnis zwischen Interessengemeinschaft und beklagtem Unternehmen Anwendung finden. Ausgehend von der Annahme, dass Zedent und Zessionar die Anwendbarkeit ausländischen Rechts auf ihr Verhältnis vereinbaren, führt Rom I zum Ausschluss deutschen Rechts aus allen Aspekten der Zession und den daraus entstehenden Schuldverhältnissen. Damit stellt sich die Frage, inwiefern die vom LG Düsseldorf vertretenen Auffassung, die Abtretung der Ansprüche an die Interessengemeinschaft sei nach § 138 BGB nichtig, auch in solchen Fällen zum Tragen käme. Bei Menschenrechtsklagen ausländischer Opfer ist eine derartige Anwendung von § 138 BGB zur Aufhebung von Forderungsabtretungen problematisch. Nach Art. 14 Abs. 2 Rom I ist die Wirksamkeit einer Forderungsabtretung allein nach dem Forderungsstatut zu beurteilen, was in Menschenrechtsklagen das ausländische Schuldstatut sein wird. Inwieweit der vom LG Düsseldorf aufgestellte Grundsatz der Nichtigkeit der Abtretung bei Geltung ausländischen Rechts von einem deutschen Gericht durchgesetzt würde (etwa als Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Rom I oder über den ordre public i.S.d. Art. 21 Rom I) ist fraglich und kann hier nicht näher untersucht werden. Jedenfalls ist aber davon auszugehen, dass entsprechenden Klagen von Interessengemeinschaften in Deutschland auf Schwierigkeiten stoßen könnten. d) Fazit zu Kollektivierungsmöglichkeiten Das Fehlen von Kollektivierungsmöglichkeiten erschwert Menschenrechtsklagen erheblich. Kapitalanlegermusterverfahren, Verbandsklagen und Musterprozesse scheiden aus rechtlichen sowie praktischen Gründen aus. Nur die Interessengemeinschaft bietet theoretisch eine Möglichkeit an, Menschenrechtsklagen kollektiv zu erheben. Allerdings ist es eine offene Frage, inwieweit diese Möglichkeit sich in die Praxis tatsächlich umsetzen ließe. 3. Discovery Amerikanische Discovery-Regeln waren ein maßgeblicher Erfolgsfaktor der ATS-litigation. Die Möglichkeit, das beklagte Unternehmen zur Offenlegung eigener Unterlagen zu zwingen, erleichterte nicht nur die Aufklärung des Sachverhalts, sondern machte den Beweisantritt vieler Kläger erst möglich. Es bedarf keiner langwierigen Erörterungen, um die Kluft zwischen amerikanischer Discovery und der deutschen Vorlegungspflicht nach §§ 420 – 427 ZPO darzustellen. Federal Rule of Civil Procedure 26 (b) (1) erlaubt den Parteien, „any nonprivileged matter that is relevant to any party’s claim or defense“ von der gegnerischen Partei zu erhalten. Aus dieser Vorgabe entsteht eine grundsätzliche Pflicht der Streitparteien zur Offenlegung von betriebseigenen Unterlagen. Um Beweisunterlagen anzufordern, muss die beweiserhebende Partei lediglich die von ihr ge-
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Kap. 4: Das ATS und Deutsche Interessen
suchten Informationen beschreiben, wonach die gegnerische Partei verpflichtet ist, sämtliche in ihrem Besitz befindlichen Dokumente durchzuforschen und alle relevanten Unterlagen an die erhebende Partei auszuhändigen575. Will die gegnerische Partei eine Unterlage nicht offenlegen, muss sie begründen, dass die Unterlage vor der Offenlegungspflicht privilegiert ist. In Deutschland kommt hingegen die Pflicht, auf Verlangen der gegnerischen Partei Urkunden vorzulegen, nur selten und in Bezug auf einzelne Unterlagen in Betracht. Eine Pflicht zur Vorlage einer Urkunde tritt nur ein, wenn der Prozessgegner bereits auf das gesuchte Schriftstück Bezug genommen hat576 oder wenn „der Beweisführer nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts … die Vorlegung der Urkunde verlangen kann“577. Darüber hinaus muss der Antrag des Beweisführers auf Vorlage die gesuchte Urkunde sowie ihren Inhalt detailliert beschreiben578. Diese Anforderungen setzen nicht nur die Kenntnis des Klägers über die gesuchte Urkunde, sondern auch sein auf dem bürgerlichen Recht fußendes Recht, die Urkunde zu verlangen, voraus. Insofern wird eine Vorlagepflicht in deutschen Menschenrechtsprozessen nur seltenst in Frage kommen. Aus diesen Gründen ist in deutschen Menschenrechtsklagen keine nennenswerte Beweiserhebung vom Beklagten zu erwarten. Die Aufklärung des Sachverhalts sowie die Ansammlung der nötigen Beweismaterialien werden vollständig auf Kosten und durch die unabhängigen Bestrebungen des Klägers vorgenommen werden müssen. Neben Gerichtsgebühren und Prozesskostensicherheit bilden die Beweissammlungskosten eine weitere Auslage für Menschenrechtsopfer am Anfang des Verfahrens. 4. Die Vergütung der prozessführenden Anwälte Ohne kostenlose „pro bono“-Rechtsdienstleistungen wäre die ATS-litigation undenkbar gewesen. Filartíga wurde unentgeltlich von der Menschenrechtsorganisation Center for Constitutional Rights erhoben und bis zum Urteil verfochten. Die Fälle der Ersten Welle wurden meistens von NGOs mit gelegentlicher pro bonoMitarbeit von Großkanzleien betreut. Obwohl die berühmt-berüchtigten amerikanischen Klägeranwälte an den Holocaust- und Apartheid-Klagen beteiligt waren, 575
Siehe hierzu Fed. R. Civ. P. 34. § 423 ZPO. 577 § 422 ZPO. 578 Siehe § 424 ZPO: „Der Antrag soll enthalten: 1. die Bezeichnung der Urkunde; 2. die Bezeichnung der Tatsachen, die durch die Urkunde bewiesen werden sollen; 3. die möglichst vollständige Bezeichnung des Inhalts der Urkunde; 4. die Angabe der Umstände, auf welche die Behauptung sich stützt, dass die Urkunde sich in dem Besitz des Gegners befindet; 5. die Bezeichnung des Grundes, der die Verpflichtung zur Vorlegung der Urkunde ergibt. Der Grund ist glaubhaft zu machen“. 576
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wurden die meisten großen Klagen der Zweiten und Dritten Welle von denselben NGOs betrieben, die in der Ersten Welle aktiv waren. Ohne pro bono-Anwälte hätte es die ATS-litigation nie gegeben. Der Bedarf an kostenlosem Rechtsbeistand in Menschenrechtsklagen entspricht der Armut der Menschenrechtsopfer, die in solchen Klagen vertreten werden. Die allermeisten Kläger gehören zu den Ärmsten der Dritten Welt, die über so gut wie keine finanziellen Mittel verfügen. In den USA steht kostenloser Rechtsberatung nichts im Wege. Das amerikanische Berufsrecht enthält keine gesetzlichen Anwaltsgebühren, setzt zulässigen Anwaltsgebühren keine Untergrenze579 und enthält sogar eine standesrechtliche Pflicht für jeden Anwalt, jährlich unentgeltliche pro bono-Dienstleistungen für Bedürfte zu erbringen580. Pro bono-Tätigkeiten werden sowohl von den Anwaltskammern als auch von Kanzleien gefördert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die pro bono-Vertretung von Menschenrechtsopfern bei deutschen Prozessen zulässig wäre. Denn es ist nicht zu erwarten, dass Menschenrechtsopfer, die vor deutschen Gerichten klagen würden, bemittelter wären als ihre in USA klagenden Vorfahren. Eine kostenlose Vertretung ausländischer Menschenrechtsopfer vor deutschen Gerichten wäre mit Schwierigkeiten für die (deutschen) Anwälte verbunden. Bei außergerichtlicher Beratung kann ein Anwalt auf eine Vergütung gänzlich verzichten, solange die Voraussetzungen für die Bewilligung der Beratungshilfe vorliegen581. Bei Vertretung vor Gericht greifen jedoch strengere Vorgaben. Nach § 49b Abs. 1 Satz 1 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) ist es unzulässig, im Vornherein ein Anwaltshonorar zu vereinbaren, das geringer ist als die gesetzlichen Anwaltsgebühren582. Der Gesetzgeber scheint von diesem Grundsatz nur vereinzelt abweichen lassen zu wollen. Zwar wird die vereinbarte Vergütung eines Anwalts gemäß § 8 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) erst am Ende seines Vertretungsauftrags fällig583, und an diesem Punkt eröffnet § 49b Abs. 1 Satz 2 BRAO dem 579
Die amerikanische Standesregelung trägt vielmehr der Sorge um überhöhte Honorarsvereinbarungen Rechnung, siehe American Bar Association (ABA) Model Rule of Professional Conduct 1.5, die das Erfordernis einer „reasonable fee“ festlegt. 580 Siehe ABA Model Rule of Professional Conduct 6.1.: „Every lawyer has a professional responsibility to provide legal services to those unable to pay. A lawyer should aspire to render at least (50) hours of pro bono publico legal services per year“. 581 Siehe §§ 4 Abs. 1 Satz 3, 34 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG); Mayer, Vergütungsvereinbarung: Neues bei Beratungshilfe, pro bono und Erfolgshonorar: Streichung von § 3a RVG plus Änderungen in § 4, 4a RVG: Paradigmenwechsel, AnwBl Online 7/2013, 311, 311. 582 Siehe § 49b Abs. 1 Satz 1 BRAO: „Es ist unzulässig, geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, als das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorsieht, soweit dieses nichts anderes bestimmt“. 583 Sofern nichts anderes vereinbart ist, siehe Furmans, in: Graf von Westphalen: Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, BRAO § 49b, Rn. 28 (34. Ergänzungslieferung 2013).
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Anwalt die Möglichkeit, „besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers, insbesondere dessen Bedürftigkeit, Rechnung [zu] tragen durch Ermäßigung oder Erlass von Gebühren oder Auslagen“. Jedoch darf der Rechtsanwalt die Möglichkeit eines Erlasses nur „im Einzelfall“ in Erwägung ziehen. Was als „Einzelfall“ anzusehen wäre, ist unklar. Die bisherige Praxis ließe darauf schließen, dass ein Anwalt mehrere Vergütungsansprüche im Jahr erlassen dürfte, ohne dass die Erlässe mehr als nur zulässige „Einzelfälle“ betreffen584. Trotzdem eröffnet die Unklarheit hinsichtlich des Begriffs „Einzelfall“ die konkrete Möglichkeit, Anwälten von Menschenrechtsopfern das Leben zu erschweren, indem man auf ihre genaue Einhaltung des § 49b BRAO bei Menschenrechtsvertretungen achtet. Sollte eine pro bono-Vertretung zu risikobehaftet sein, könnte die Möglichkeit eines Erfolgshonorars eine gleichwertige Alternative für Menschenrechtsklagen darzustellen. Nach § 4a Abs. 1 Satz 1 RVG ist die Vereinbarung eines Erfolgshonorars zulässig, wenn „der [Mandant] aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse bei verständiger Betrachtung ohne die Vereinbarung eines Erfolgshonorars von der Rechtsverfolgung abgehalten würde“. Der Erfolgshonorar kann vorsehen, dass „für den Fall des Misserfolgs … keine … Vergütung zu zahlen ist“, solange „für den Erfolgsfall ein angemessener Zuschlag auf die gesetzliche Vergütung vereinbart wird“585. In Menschenrechtsklagen wären Erfolgshonorare eine zulässige sowie aus Sicht der Opfer akzeptable Lösung. Menschenrechtsopfer sind oft derart mittellos, dass sie „ohne die Vereinbarung eines Erfolgshonorars“ von der Rechtsverfolgung absehen würden586. Im Falle des Unterliegens entstünden keine Anwaltsgebühren für die Opfer, was für sie ergebnisgleich wäre mit einer pro bono-Vertretung. Bei einem Prozesssieg müssten die Opfer zwar einen erhöhten Anteil der gewonnenen Summe an den Anwalt abgeben. Aber in den meisten amerikanischen ATS-Klagen waren die Opfer nur zweitrangig an eine Geldzahlung interessiert, in erster Linie wollten sie eine gerichtliche Erklärung erstreiten, dass der Beklagte menschenrechtswidrig gehandelt hatte. Des Weiteren haben die meisten amerikanischen Menschenrechtsorganisationen Erfolgshonorare mit den von ihnen vertretenen Menschenrechtsopfern geschlossen587. Insofern wären die Kläger deutscher Verfahren, zumindest was die Vergütung der vertretenden Anwälte angeht, nicht schlechter gestellt als ihre Vorgänger in amerikanischen Menschenrechtsverfahren. 584 „[N]ach einer Studie aus dem Jahr 2011 würden bereits derzeit 2/3 aller Anwälte mehrere Mandate pro Jahr pro bono bearbeiten. Zusätzlich sei davon auszugehen, dass in etlichen Fällen, in denen Anwälte Beratungshilfe leisteten, aus Gründen mangelnder Verhältnismäßigkeit von Aufwand und Ertrag darauf verzichtet werde, den Vergütungsantrag zu stellen“. Mayer, Vergütungsvereinbarung, S. 311. 585 § 4a Abs. 1 Satz 2 RVG. 586 Zumal bei der Beurteilung dieser Voraussetzung die Möglichkeit des Klägers, „Beratungs- oder Prozesskostenhilfe in Anspruch zu nehmen, außer Betracht“ bleibt. § 4a Abs. 1 Satz 3 RVG. 587 Vgl. den Vergleich in Doe v. Unocal, Kapitel 2, Abschnitt A. II. 2. g), nach dem ein Teil der Vergleichssumme an die vertretende NGO floss und in weitere Menschenrechtsklagen investiert wurde.
D. Menschenrechtsklagen vor deutschen Gerichten
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5. Fazit zu prozessualen Hindernissen Das deutsche Verfahrensrecht stellt eine hohe Hürde für Menschenrechtsklagen gegen deutsche Unternehmen dar. Die Erhebung der Klage ist mit hohen Gerichtsgebühren und womöglich auch mit der Pflicht, die zu erwartenden Prozesskosten des verklagten Konzerns als Sicherheit zu leisten, verbunden. Kollektives Vorgehen nach dem Muster amerikanischer class actions ist ausgeschlossen, obwohl die Interessengemeinschaft hier eine gewisse Abhilfe leisten könnte. Allerdings ist bei weitem nicht geklärt, inwieweit das Geschäftsmodell der Interessengemeinschaft in diesen Fällen zulässig wäre. Sollte es irgendwo Menschenrechtsopfer geben, die diese ersten Hürden bewältigen können, werden sie ihre Behauptungen ohne Discovery beweisen und damit rechnen müssen, dass, falls ihnen dies nicht gelingt, sie das volle Prozesskostenrisiko tragen werden. Angesichts dieser verfahrensrechtlichen Vorgaben bräuchte man Geld, Mut und Ausdauer, um eine Menschenrechtsklage vor deutschen Gerichten zu erheben.
IV. Fazit zu Menschenrechtsklagen in Deutschland Aufgrund der vorhergehenden Analyse kann festgehalten werden, dass die Bundesregierung in ihrem amicus curiae-Schriftsatz im Grundsatz Recht hatte: die deutschen Gerichten stünden prinzipiell für Menschenrechtsklagen aus dem Ausland gegen deutsche Konzerne offen. Allerdings ist das konkrete Auftreten solcher Klagen unwahrscheinlich oder nur unter außerordentlichen Umständen vorstellbar. Das materielle Recht, das deutsche Gerichte auf Menschenrechtsklagen aus dem Ausland anwenden würden, würde im Vergleich zu ATS-Klagen wohl niedrige Schadensersatzforderungen in Aussicht stellen und diese auch nur unter vergleichbar strengen Voraussetzungen zulassen. Das deutsche Verfahrensrecht verlangt hohe Auslagen von Menschenrechtsopfern gleich am Anfang des Verfahrens, stellt den Opfern keine Hilfe bei der Aufklärung des Sachverhalts zur Verfügung und bürdet ihnen das Prozesskostenrisiko im Falle einer Niederlage auf. Deshalb sind Menschenrechtsklagen nur in dem außerordentlichen Fall denkbar, in dem die Teilnahme einer deutschen Gesellschaft an einer gravierenden Menschenrechtsverletzung offensichtlich oder durch öffentliche Quellen nachweisbar ist. Und selbst unter solchen für die Kläger günstigen Vorzeichen könnten die zu verklagenden Gesellschaften auf hohe Gerichtsgebühren und das Prozesskostenrisiko hinweisen, um die Kläger zu einem Vergleich zu bewegen.
Thesen 1. Das ATS war von 1980 bis 2013 die zentrale Vorschrift der human rights litigation in den Vereinigten Staaten und führte durch die mediale Verbreitung seiner Prozesse eine internationale Bewegung an, die durch Inanspruchnahme traditioneller Streitverfahren vor nationalen Gerichten die Durchsetzung der Menschenrechte anstrebt. Vorrangiges Ziel dieser Bewegung ist es, anhand der Rechtsbehelfe und Verfahrensvorteile nationaler Gerichtsbarkeit internationale Menschenrechte zur weltweiten Geltung zu verhelfen. Hierzu sollen Opfer möglichst vollständig entschädigt werden. 2. Das ATS verweist auf Völkerrechtsverletzungen fußende Deliktsklagen in den Zuständigkeitsbereich der Bundesgerichte. Außer dieser knapp formulierten Zuweisung enthält das ATS keine weiteren Vorschriften zu den auf seiner Grundlage statthaften Klagen. Die amerikanische Jurisprudenz hat durch Anlehnung teils an das Völkerrecht, teils an andere amerikanischen Rechtsgebiete das gesamte Recht des ATS herausgebildet. Die Entwicklung eines Rechts zum ATS fand 1980 durch die Entscheidung des Second Circuit in Filartíga v. Pena-Irala ihren Anfang und sie läuft bis in die Gegenwart fort. 3. Die ständige Rechtsprechung in ATS-Klagen begründete Grundsätze, die unstrittig sind und in allen ATS-Klagen als anwendbar gelten: a) Der Wortlaut des ATS weist den amerikanischen Bundesgerichten die Zuständigkeit für die Verhandlung von auf Völkerrechtsverstößen beruhenden Deliktsklagen ausländischer Staatsangehöriger zu. Nach ständiger Auslegung der Gerichte, die 2004 vom Supreme Court in Sosa v. Alvarez-Machain höchstrichterlich akzeptiert wurde, geht zusätzlich aus dem Wortlaut des ATS eine Begleitkompetenz der Bundesgerichte hervor, bei Vorliegen einer Völkerrechtsverletzung einen Schadensersatzanspruch nach amerikanischem Recht zu gewähren. Die Tatbestände und damit die Ansprüche, die nach dem ATS anerkannt bzw. gewährt werden, sind folglich amerikanisches common law. b) „Law of nations“ im Sinne des ATS wird von den amerikanischen Gerichten als das Völkergewohnheitsrecht in seiner aktuellen Ausprägung verstanden. Gerichte haben ferner entschieden, dass Verletzungen von „universal, specific, and obligatory“ Normen des Völkergewohnheitsrechts als „violation[s] of the law of nations“ im Sinne des ATS zu qualifizieren seien, und dieser Standard für einklagbare Normen wurde vom Supreme Court in Sosa abgesegnet. Als Belege für die Existenz einer diese Voraussetzungen erfüllenden Norm des Völkergewohnheitsrechts werden internationale Erklärungen und Übereinkommen angeführt, selten wird jedoch die
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tatsächliche Praxis von Staaten in Hinblick auf die jeweilige Norm berücksichtigt. Es besteht deshalb ein breiter und nicht einschätzbarer Spielraum des jeweiligen Gerichts beim Befinden über die Existenz einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm sowie bei der Qualifikation einer Norm als einklagbarer ATS-Tatbestand. Der Supreme Court hat in Sosa v. Alvarez-Machain lediglich zur Vorsicht in der Anerkennung neuer Tatbestände ermahnt und angeordnet, dass der Maßstab einer „universellen“ bzw. „spezifischen“ Norm eng auszulegen sei. c) Nach amerikanischer Rechtsauffassung entfalten völkerrechtliche Normen eine unmittelbare Bindungswirkung gegenüber Hoheitsträgern sowie privaten Akteuren. Hoheitsträger können für Machtmissbräuche haften, die aus Sicht der Gerichte nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Ebene staatengemeinschaftlicher Sorge erhoben worden sind; insofern verneint die amerikanische Rechtsprechung, dass die Behandlung der eigenen Bürger eine rein innere Angelegenheit darstellt. Private Akteure sind nach amerikanischer Auffassung unmittelbar von Völkerrechtsnormen gebunden, die „offenses of universal concern“ (Universalstraftaten) festlegen. Der Inbegriff einer Universalstraftat ist Piraterie; bei modernen Völkerrechtsnormen, die unmittelbar für Einzelne bindend sind, orientieren sich die Gerichte hauptsächlich an der Liste der Universalstraftaten im § 404 des Restatement (Third) Foreign Relations. d) Einklagbare Völkerrechtsverletzungen im Sinne des ATS sind (1) Genozid/ Völkermord, (2) Kriegsverbrechen, (3) Sklaverei sowie ihre moderne Verkörperung Zwangsarbeit, (4) Verbrechen gegen die Menschlichkeit, (5) Piraterie, sowie unter Umständen (6) Terroranschläge mit Tötungsabsicht. Des Weiteren stellen die folgenden Tatbestände Völkerrechtsverletzungen im Sinne des ATS dar, sofern sie hoheitlich begangen werden: (7) willkürliche Inhaftierung, (8) Folter, (9) grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung, (10) außergerichtliche Hinrichtungen, (11) zwangsweises Verschwindenlassen, (12) die Errichtung und Aufrechterhaltung eines staatlichen Apartheid-Systems bzw. systematische Rassendiskriminierung, sowie (13) willkürliche Ausbürgerung. Diese Tatbestände sind durch eine derart umfangreiche Rechtsprechung festgelegt worden, dass die common lawPräzedenzmethodik ihre fortwährende Gültigkeit gewährleisten wird, auch wenn sich eine Änderung der völkerrechtlichen Rechtslage ergeben sollte. e) Nicht als Völkerrechtsverletzungen im Sinne des ATS gelten Verstöße gegen Arbeits- und Umweltschutzrechte sowie Kinderarbeit. Rechtspositionen des Arbeitsrechts können aus Sicht der Gerichte angesichts der stark unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Staaten nicht als universelle Völkerrechtsnormen qualifiziert werden. Dasselbe gilt für Umweltschutzrechte, wobei in diesem Kontext hinzukommt, dass internationale Umweltrechte inhaltlich zu unbestimmt sind, um konkrete unerlaubte Handlungen im Vornherein erkennen zu lassen. Kinderarbeit haben die Gerichte nicht als Völkerrechtsverletzung qualifiziert, weil die Staatenpraxis eindeutig zur generellen Zulässigkeit von Kinderarbeit tendiert und die
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Staatengemeinschaft nicht einmal zu den „worst forms“ der Kinderarbeit einen Konsens bilden konnte. f) Nach Auffassung der amerikanischen Gerichte können Kapitalgesellschaften auf dieselbe Art und Weise wie natürliche Personen für Menschenrechtsverletzungen haften. Die ständige Rechtsprechung lässt ATS-Ansprüche gegen Unternehmen zu. ATS-Entscheidungen seit 2003 bejahen explizit die Haftung von Kapitalgesellschaften für Menschenrechtsverletzungen und lehnen eine gegenteilige Regel als eine Art Immunität für Unternehmen in Völkerrechtsklagen, die keine Basis im Völkerrecht finde, ab. Zwar befand der Second Circuit in seiner Kiobel-Entscheidung von 2010, dass Kapitalgesellschaften nicht für Menschenrechtsverletzungen haften können, weil juristische Personen keine Völkerrechtssubjekte seien. Allerdings lehnten der Ninth Circuit, der Seventh Circuit, der DC Circuit und der Eleventh Circuit die Entscheidung des Second Circuit ab und bejahten ausdrücklich die Haftbarkeit juristischer Personen für Menschenrechtsverletzungen. Des Weiteren hat sich der Supreme Court der Ansicht des Second Circuit bei der Revision von Kiobel nicht angeschlossen und in seiner Kiobel-Entscheidung von 2013 angedeutet, dass ATS-Ansprüche gegen Kapitalgesellschaften weiterhin zulässig sind, solange die Klage hinreichende Inlandsbezüge aufwirft. Gegenwärtig muss der Second Circuit entschieden, ob seine Entscheidung von 2010 noch rechtskräftig ist, aber die Entscheidungen einiger Senate und District Courts lassen bereits auf eine haftungsfreundliche Rechtsauffassung schließen. g) Sowohl die direkte als auch die indirekte Haftung juristischer Personen für Menschenrechtsverletzungen ist nach ständiger ATS-Rechtsprechung zulässig. Direkte Haftung fußt auf der respondeat superior-Doktrin des common law: Eine Kapitalgesellschaft haftet verschuldensunabhängig für die Rechtsverletzungen eines Mitarbeiters, die er im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses begeht. Auch wenn diese Verletzungen vorsätzliche Delikte sind, haftet das Unternehmen immer noch, solange die Unrechtshandlungen im engen Zusammenhang mit der Beschäftigung stehen und als zu erwartender Ausfluss der Tätigkeiten des Arbeitnehmers anzusehen sind. Die direkte Haftung eines Unternehmens kommt in der ATS-Rechtsprechung allerdings nur selten vor, meistens nur in Klagen der Dritten Welle gegen Vertragsnehmer der US-Armee oder in Streiten, wo Unternehmen Zwangsarbeiter beschäftigt haben. h) Die indirekte Haftung eines Unternehmens für Menschenrechtsverletzungen kann auf zweifache Weise begründet werden. Erstens haften Unternehmen für menschenrechtswidrige Handlungen ausländischer Hoheitsträger nach dem ATS, wenn dem Unternehmen eine „joint action“ mit den externen Hoheitsträgern nachgewiesen werden kann. „Joint action“ wird anhand der Rechtsprechung der Bundesgerichte zu 28 U.S.C. § 1983 definiert. „Joint action“ im Sinne des ATS i.V.m. § 1983 liegt vor, wenn das Unternehmen durch zielgerichtetes Zusammenwirken mit staatlichen Akteuren oder mit signifikanter staatlicher Unterstützung eine Menschenrechtsverletzung herbeiführt. Zweitens können juristische Personen wegen
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„aiding and abetting“ (Beihilfe) zu Menschenrechtsverletzungen nach dem ATS haften, auch wenn die Haupttat nur hoheitlich begehbar war. Die Voraussetzungen der Beihilfehaftung werden von den Gerichten aus dem Völkerstrafrecht abgeleitet. Objektiv ist eine Beihilfehandlung (actus reus) erforderlich, die aus jeder praktischen Unterstützung bestehen kann, die sich wesentlich auf die Tatbegehung auswirkt. Subjektiv musste bis 2009 nur die tatsächliche oder konstruktive Kenntnis (mens rea) vorliegen, dass die Beihilfehandlung die Begehung einer Menschenrechtsverletzung erleichtern würde. Die jüngere Rechtsprechung erfordert jedoch einen subjektiven Zweck bzw. die subjektive Absicht des Beklagten, die Begehung der streitgegenständlichen Menschenrechtsverletzungen zu begünstigen. i) Die Gründung einer Tochtergesellschaft in einem mit besonderen Risiken behafteten anderen Land schließt die Haftung der Muttergesellschaft keineswegs aus, weil die Haftung einer Tochtergesellschaft – ob als direkt oder indirekt einzustufen – anderen Konzerngesellschaften bis an die Konzernmutter zugerechnet werden kann. Zwar beachtet die amerikanische Jurisprudenz generell das gesellschaftsrechtliche Trennungsprinzip, lässt jedoch einen Haftungsdurchgriff auf das Vermögen der Muttergesellschaft im Einzelfall zu. Nach der „alter ego“-Theorie haftet die unmittelbare Mutter einer Tochter für Handlungen der Tochter, wenn die Mutter die wesentlichen Tätigkeiten der Tochter derart durchgehend dominiert, dass die Tochter als bloße Fassade ohne Eigenleben anzusehen ist. Des Weiteren rechnet die „agency“-Theorie die Handlungen der Tochter der Mutter zu, wenn die Tochter in Hinblick auf eine bestimmte Rechtsverletzung auf Anweisung oder unter der Kontrolle der Mutter gehandelt hat. j) In ATS-Verfahren greifen die Gerichte fast nie auf die „alter ego“-Theorie, sondern meistens auf die „agency“-Theorie zurück, um die Handlungen einer ausländischen Tochter der Konzernmutter zuzurechnen. Die Voraussetzungen der „alter ego“-Theorie sind sehr restriktiv und lassen ohnehin eine Haftungszurechnung nur an die Mutter im unmittelbaren Besitz der Aktien der jeweiligen Tochtergesellschaft zu, was bei Konzernen mit mehreren Ebenen von Tochtergesellschaften eine bis an die Konzernspitze reichende Zurechnung effektiv sperrt. Im Gegensatz zur „alter ego“Theorie ist in ATS-Klagen die Haftungszurechnung anhand der „agency“-Theorie meistens möglich. Die „agency“-Theorie lässt eine Haftungszurechnung nicht nur auf die unmittelbare Mutter, sondern auch bis an die oberste Konzernmutter zu, solange die Konzernmutter in Bezug auf eine konkrete Menschenrechtsverletzung eine hinreichende Kontrolle auf die Tätigkeiten der Tochter ausgeübt hat. Des Weiteren ist ein Nachweis des Einflusses der Mutter in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen oft möglich, weil Menschenrechtsverletzungen meistens aus gewaltsamen politischen Auseinandersetzungen in der Dritten Welt hervorgehen, denen Konzerne mit einer gegenseitig abgesprochenen und zentral koordinierten Strategie begegnen müssen. Eine solche Sachlage reicht aus, um die Frage des Vorliegens eines „agency“-Verhältnisses für die Bestimmung vor einer Jury zuzulassen, was die erstmalige Zulassung der Ansprüche gegen das Unternehmen und die Fortführung des Verfahrens zur Folge hat.
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4. Zwischen 1995 und 2011 haben die amerikanischen Gerichte den Anwendungsbereich des ATS stetig auf immer weitere Sachverhalte und Personen erweitert. Das Ergebnis dieser Erweiterungen war die Herausbildung des ATS zur Basis eines amerikanischen Weltforums für Menschenrechtsverletzungen. a) Bis 2013 haben die amerikanischen Gerichte einen weltweiten Anwendungsbereich für das ATS festgelegt. Dieser universelle Anwendungsbereich wurde aus dem völkerstrafrechtlichen Weltrechtsprinzip abgeleitet. Grundsätzlich ist der völkerrechtlich zulässige Normsetzungsbereich eines Landes auf sein Hoheitsgebiet beschränkt (Territorialprinzip). Das Weltrechtsprinzip dient als Ausnahme zum Territorialprinzip und gestattet jedem Land der Welt einen Strafanspruch gegenüber Personen, die international geschützte Rechtsgüter verletzen, auch wenn weder Täter, Tat noch Opfer einen Bezug zu dem bestrafenden Land aufweisen. Damit darf das bestrafende Land die Verletzung eines international geschützten Rechtsguts seiner Regelungsmacht auch dann unterwerfen, wenn diese sich auf fremdem Hoheitsgebiet ereignet hat und nur fremde Angehörige darin involviert waren. Ständige ATS-Rechtsprechung hat die im Rahmen von ATS-Klagen thematisierten Völkerrechtsnormen als „universelle“ Rechtsgüter konzipiert und auf dieser Grundlage das Weltrechtsprinzip analog auf nach dem ATS gewährte Schadensersatzansprüche angewandt. Damit durften ATS-Ansprüche auf das Verhalten ausländischer Akteure in anderen Ländern angewandt werden. Dieser Schluss wurde 2004 vom Supreme Court durch die concurring opinion von Justice Breyer in Sosa v. Alvarez-Machain bekräftigt, in der er eine „universal civil jurisdiction“ für Menschenrechtsverletzungen als logische Folge des völkerstrafrechtlichen Weltrechtsprinzips bezeichnete. b) Auch unter Berufung auf das Weltrechtsprinzip haben amerikanische Gerichte bis 2013 verneint, dass ATS-Klagen einen Bezug zu den USA aufwerfen mussten. Der Grundgedanke des Weltrechtsprinzips ist, dass alle Mitglieder der Staatengemeinschaft sich verpflichten, an der Unterbindung besonders verwerflicher Taten internationaler Relevanz – im klassischen Verständnis Piraterie und Sklavenhandel – mitzuwirken. Zu diesem Zweck spricht die Staatengemeinschaft einen weltweit gültigen Strafanspruch gegen alle Personen aus, die international geschützte Rechtsgüter verletzen, der jederzeit von allen Ländern der Welt als Basis eines Strafprozesses aufgegriffen werden kann. Aus diesem Grund kann jedes Land, in welchem der Täter einer Universalstraftat vorgefunden wird, den Täter strafrechtlich verfolgen, auch wenn er ausländischer Angehöriger ist und weder Tat noch Opfer einen Bezug zum bestrafenden Land aufwirft: Es wird angenommen, dass das Land im Namen der Staatengemeinschaft handelt und deshalb trotz des Fehlens eines Inlandsbezugs ein Interesse am Vorgehen gegen den Täter hat. Unter analoger Anführung dieser Aspekte des Weltrechtsprinzips legten die amerikanischen Gerichte in Hinblick auf das ATS fest, dass die Staatengemeinschaft den USA ein Interesse an der Verhandlung von Menschenrechtsverletzungen zugesprochen hatten, das auch gegeben war, wenn weder Täter, Tat noch Opfer einen Bezug zu den USA aufwarfen. Die Gerichte fassten Menschenrechtsverstöße als Verletzungen „universeller“
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Rechtsgüter auf und bejahten ein Interesse der USA als Mitglied der Staatengemeinschaft an der Beseitigung z. B. der Folter und außergerichtlicher Hinrichtungen, was der Ninth Circuit unterdessen als „our business“ beschrieb. Dieser Schluss wurde durch die Verabschiedung des Torture Victim Protection Act gesetzgeberisch bekräftigt. c) Die Einführung der Beihilfehaftung in die ATS-Jurisprudenz machte fast jede auch legitime Wirtschaftstätigkeit von Konzernen in Ländern mit fragwürdiger Menschenrechtsbilanz zum eventuellen Gegenstand einer ATS-Klage. Drei Aspekte der Beihilfehaftung erstreckte das Risiko einer ATS-Klage auf sämtliche wirtschaftlichen Tätigkeiten. Erstens erforderte das Beihilfekonzept keine tatsächliche Beteiligung eines Unternehmens an der Begehung einer Menschenrechtsverletzung. Ein Unternehmen konnte allein durch die Aufnahme einer Wirtschaftstätigkeit Beihilfe leisten, solange andere Personen die Begehung einer Menschenrechtsverletzung durch die Wirtschaftstätigkeit erleichtert fanden. Zweitens erforderte Beihilfehaftung kein Rechtsverhältnis zwischen Täter und Unternehmen und ließ deshalb den Umstand zu, dass die Handlungen unternehmensfremder Personen einem Unternehmen zugerechnet werden konnten. Damit erstreckte sich das Haftungsrisiko eines Wirtschaftsteilnehmers weit über die eigene Belegschaft auf alle Personen hinaus, die möglicherweise einen Vorteil aus seiner Wirtschaftstätigkeit ziehen und in eine Menschenrechtsverletzung umsetzen konnten. Drittens waren die Tatbestandsvoraussetzungen für Beihilfe sehr niedrig. Der Tatbeitrag eines Unternehmens wurde bereits als wesentliche Unterstützung der Haupttat qualifiziert, wenn die Haupttat ohne ihn nicht auf dieselbe Weise stattgefunden hätte, während die haftungserforderliche Kenntnis des Beklagten schon vorlag, wenn er hätte wissen können, dass sein Beitrag die Begehung irgendeiner Menschenrechtsverletzung erleichtert – wobei konkrete Kenntnisse hinsichtlich der Haupttat nicht erforderlich waren. d) Kläger in anderen ATS-Fällen griffen diese breite Definition von Beihilfe auf, um auch normale Geschäfte und Wirtschaftstätigkeiten unter das Verständnis von Beihilfe zu subsumieren. Insbesondere Rohstoff- und Lebensmittelkonzerne fanden ihre handelsüblichen Tätigkeiten von ATS-Klägern als Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen kritisiert. In Doe v. Unocal und Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy bezeichneiten die Kläger den von der beklagten Energiegesellschaft finanzierten Bau von Straßen für die Zulieferung von Pipeline-Teilen sowie die Zahlung von Förderungsabgaben an eine ausländische Regierung als Beihilfe an deren Menschenrechtsverletzungen – obwohl diese ,Beihilfehandlungen‘ durchaus gängige Aspekte jeder Förderungstätigkeit sind. Weitere Kläger versuchten, dieses Risiko einer Beihilfeklage auf gängige Geschäftstätigkeiten weiterer Wirtschaftssektoren zu erstrecken. Im Technologiesektor bezeichneten ATS-Kläger den Verkauf von Softwareanwendungen an Überwachungsstaaten als Beihilfe zu deren Übergriffen auf die eigene Bevölkerung. In den Apartheid-Klagen warfen die Kläger deutschen Banken vor, durch die Durchführung von Restrukturierungsverhandlungen für die Schulden des südafrikanischen Regimes Beihilfe zu dessen systemati-
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schen Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung geleistet zu haben. Sämtliche weitere Klagen gegen Finanzdienstleister fußen auf dem Beihilfekonzept: Durch die Betätigung routinemäßiger Bankdienste mit dem Wissen, dass Geld für Hisbollah oder Al-Qaida bestimmt ist, sollen Banken Beihilfe zu nachfolgenden Terrorangriffen dieser Organisationen geleistet haben – ein Argument, das sogar bei den District Courts des Second Circuit akzeptiert wurde. Als breiteste Auslegung der Beihilfe dient wohl Doe v. Nestlé, in dem die Kläger dem schweizerischen Lebensmittelkonzern vorwerfen, durch nichts mehr als den Kauf des marktbilligsten Kakaos Beihilfe zu Zwangsarbeit auf liberianischen Kakaoplantagen geleistet zu haben. e) Neben diesen Erweiterungen des sachlichen Anwendungsbereichs des ATS haben die amerikanischen Gerichte Durchgriffsprinzipien auf die prozessuale Frage der Zuständigkeit angewandt, um allgemeine amerikanische Gerichtsstände auf ausländische Gesellschaften zu erstrecken. Grundsätzlich sind ausländische Unternehmen nur dann einem allgemeinen amerikanischen Gerichtsstand unterworfen, wenn sie systematische und anhaltende wirtschaftliche Kontakte zum amerikanischen Forum unterhalten. Wenn eine separat gegründete amerikanische Tochtergesellschaft die Wirtschaftstätigkeit des Konzerns in den USA führt, werden unter Beachtung des Trennungsprinzips die Kontakte der Tochter generell nur der Tochter zugerechnet. Jedoch lässt die Jurisprudenz der USA einen „Zuständigkeitsdurchgriff“ auf die Mutter im Einzelfall zu. Nach dem „alter ego“-Test wird einerseits der allgemeine Gerichtsstand der amerikanischen Tochter der Mutter zugerechnet, wenn die Mutter die wesentlichen Tätigkeiten der Tochter derart durchgehend dominiert, dass der Tochter jede faktische Eigenständigkeit abzusprechen ist. Andererseits kann nach dem „agency“-Test der allgemeine Gerichtsstand der amerikanischen Tochter der ausländischen Mutter zugerechnet werden, wenn (a) die Tochter Dienstleistungen erbringt, die aus konzernweiter Sicht unerlässlich sind, und (b) die Tochter von der Mutter faktisch beherrscht wird. f) Die zeitweilig vertretene Auslegung des „agency“-Tests in der ATS-Rechtsprechung ließ einen allgemeinen Gerichtsstand für fast jede ausländische Konzernmutter bejahen, die eine wirtschaftlich erfolgreiche amerikanische Tochter hatte. Zunächst legte der Second Circuit in Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co. fest, dass die Unterhaltung eines Investor Relations Office in New York City als Etablierung eines „agent“ in New York anzusehen war. Später befand der Ninth Circuit in Bauman v. DaimlerChrysler, dass Daimlers unabhängige amerikanische Tochter für Vertrieb als „agent“ anzusehen war, weil sie Umsätze in einer Höhe einfuhr, die für die Profitabilität des Daimler-Konzerns unerlässlich waren, während sich Daimler in der Vertriebsvereinbarung eingehende aber praxisübliche Kontrollrechte vorbehalten hatte. Ergebnis dieser Entscheidungen war, dass eine ausländische Muttergesellschaft einen allgemeinen Gerichtsstand in den USA hatte, wenn sie eine amerikanische Tochtergesellschaft mit aus Sicht der amerikanischen Gerichte hinreichend hohen Umsatzzahlen hatte. Weitere Kontakte der ausländischen Gesellschaft zum amerikanischen Forum waren nicht zwingend erforderlich: Solange das je-
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weilige Gericht davon überzeugt war, dass nebst Vorliegen der „agency“-Voraussetzungen die Inanspruchnahme der Muttergesellschaft unter Würdigung aller Umstände „reasonable“ war, eröffnete die Tätigkeit der amerikanischen Tochter einen amerikanischen Gerichtsstand der Mutter. Dieser Gerichtsstand war allgemeiner Natur und erstreckte damit die Kompetenz des amerikanischen Forums auf alle Ansprüche gegen die Mutter, gleichgültig ob sie einen Bezug zu den USA aufwarfen. g) Parallel zur Erstreckung allgemeiner Gerichtsstände auf ausländische Konzerne schaffte die amerikanische Rechtsprechung die forum non conveniens-Doktrin in ATS-Klagen effektiv ab. Traditionell dient die forum non conveniens-Doktrin als Korrektiv für die sehr weitgehend ausgelegte internationale Zuständigkeit amerikanischer Gerichte. Nach der forum non conveniens-Doktrin kann ein persönlich wie sachlich zuständiges Gericht nach freiem Ermessen eine Klage abweisen, wenn es ein ausländisches Gericht als geeigneteres Forum für die Verhandlung der Klage betrachtet. Voraussetzung hierfür ist, dass ein adäquates, alternatives Forum existiert und die vom Verfahren berührten privaten und öffentlichen Interessen für eine Verhandlung im Ausland deutlich überwiegen. ATS-Klagen schienen ideale Fälle für forum non conveniens zu sein: Ausländische Kläger warfen namhaften ausländischen Konzernen die Unterstützung von Menschenrechtsverletzungen durch Wirtschaftstätigkeiten in nichtamerikanischen Ländern vor. Damit existierten zwei alternative Foren – im Tatortland sowie in der Heimat des Beklagten – die den Zeugen und Beweismaterialien des Falles näher stünden und überdies gerichtshoheitliche Interessen an der Verhandlung des Streits hätten. Jedoch haben viele Entscheidungen die Anwendbarkeit der forum non conveniens-Doktrin in ATS-Klagen verneint. Unter Anlehnung an das Weltrechtsprinzip haben Gerichte ein besonderes amerikanisches Interesse an der Unterbindung von Menschenrechtsverletzungen bekräftigt. Damit war die Abweisung einer ATS-Klage wegen forum non conveniens nicht zulässig, sobald der Kläger die Verletzung einer „universellen“ Menschenrechtsnorm im Sinne des ATS geltend machte. Insofern schloss die Zulassung einer ATS-Klage ihre Abweisung wegen forum non conveniens zwangsläufig aus. h) Das zwischenzeitliche Ergebnis dieser Entwicklungen war ein stets zuständiges amerikanisches Forum mit weltweiter Gerichtsbarkeit für Menschenrechtsverletzungen. Das ATS hatte einen weltweiten sachlichen Anwendungsbereich. Dank Beihilfehaftung erstreckte sich der Anwendungsbereich des ATS auf jede auch scheinbar neutrale oder legitime Wirtschaftstätigkeit in Ländern, wo Menschenrechtsverletzungen verübt worden waren. Amerikanische Durchgriffsprinzipien rechneten die (Beihilfe-)Haftung ausländischer Töchter ihren europäischen Muttergesellschaften zu. Ähnliche Durchgriffskonzepte rechneten denselben europäischen Muttergesellschaften den allgemeinen amerikanischen Gerichtsstand ihrer US-Töchter zu. Damit konnten ausländische Angehörige nichtamerikanische Konzerne aufgrund von Handlungen außerhalb der USA auf der Grundlage des ATS vor amerikanischen Gerichten in Anspruch nehmen, auch wenn die Klage rein ausländische Bezüge hatte und keine zu den USA aufwarf. Unter Berufung auf das
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Weltrechtsprinzip haben die Gerichte ein gewichtiges Interesse des amerikanischen Forums an der Verhandlung von Menschenrechtsverletzungen angenommen, was nicht nur ihre Regelung ausländischer Parteien und Sachverhalte rechtfertigte, sondern auch die Abgabe des ATS-Verfahrens an ausländische Gerichte ausschloss. i) 2014 hat der Supreme Court durch die Aufhebung der Bauman-Entscheidung des Ninth Circuit diese weltweite Gerichtsbarkeit signifikant eingeschränkt. Anhand der Bauman-Entscheidung des Supreme Court können internationale Unternehmen durch Konzernstrukturierung die Zurechnung allgemeiner Gerichtsstände weitgehend verhindern (siehe hierzu Ziff. 11 unten). Damit entfällt prinzipiell die Möglichkeit, den zur Einleitung einer ATS-Klage aus dem Ausland erforderlichen allgemeinen Gerichtsstand auf deutsche und ausländische Muttergesellschaften zu erstrecken. 5. Menschenrechtsorganisationen haben das amerikanische Weltforum zum Kernpunkt einer rechtspolitischen Strategie gemacht, die Möglichkeit einer gerichtlichen Inanspruchnahme in den USA aufgrund des ATS zum Abschreckungsfaktor für internationale Unternehmen zu erheben, der der Wirtschaft einen starken Anreiz zur Wahrung der Menschenrechte setzte. Die Druckmittel amerikanischer Massenklagen sollten in Verbindung mit medialer Anschwärzung des Beklagten sicherstellen, dass die bloße Einleitung einer ATS-Klage – unabhängig von ihren Erfolgsaussichten – einem internationalen Unternehmen mit millionenfachen Auslagen und nicht reparierbarer Rufschädigung konfrontierte und damit in eine Notlage brachte. Gleichzeitig sollten die Vorteile amerikanischer Verfahren für Kläger gewährleisten, dass Menschenrechtsorganisationen keinem ernsthaften Risiko ausgesetzt waren und deshalb eine überlegene Verhandlungsposition genossen. Vor diesem Hintergrund stellten Menschrechtsorganisationen die bewährte Strategie amerikanischer Massenverfahren, den Beklagten zu einem Vergleich zu nötigen, in den Dienst der internationalen Menschenrechte. a) Zu den wesentlichen Kostenfaktoren amerikanischer Massenverfahren, die in ATS-Klagen relevant waren, gehörten: (1) Discovery. Das Vorverfahren amerikanischer Klagen besteht aus „pre-trial discovery“, im Rahmen welcher beide Parteien verpflichtet sind, ihrem Gegner sämtliche relevante Beweismaterialien offenzulegen. Diese Pflicht erstreckt sich über die Grenzen der USA hinweg und verschlingt deshalb Unsummen an Zeit und Geld, weil oft ganze Mannschaften von Anwälten auf mehreren Kontinenten erforderlich sind. (2) Verteilung des Prozesskostenrisikos. Die sog. „American rule“ sieht vor, dass jede Partei grundsätzlich die eigenen Prozesskosten zu tragen hat. Von den Prozesskosten bilden die Anwaltsgebühren den größten Anteil und liegen bei größeren Verfahren oft in siebenstelliger Höhe. (3) Sehr hohe Schadensersatzforderungen. Die zulässige Höhe von Schadensersatzforderungen ist in den USA ohnehin sehr hoch. Bei vorsätzlichen Rechtsverletzungen kann zusätzlich auch Strafschadensersatz (punitive damages) gewährt werden. (4) Class Actions. Das amerikanische Verfahrensrecht enthält das Institut der class action: Sind viele Geschädigte mit ähnlichen Ansprüchen gegen einen Beklagten vorhanden,
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können die Ansprüche tausender Personen gleichzeitig in einem Musterverfahren gegen den Beklagten durchgesetzt werden. Bei einer class action reduziert sich die Höhe des jeweiligen vertretenen Anspruchs nicht; die class action ermöglicht stattdessen die Vertausendfachung bereits hoher Schadensersatzforderungen. (5) Jury-Verfahren. Der Ausgang des Verfahrens liegt in den Händen einer Jury, d. h. von zwölf Laien aus dem jeweiligen Gerichtsbezirk. Das Recht auf ein Jury-Verfahren ist in den USA verfassungsrechtlich verbrieft und kann vom Kläger in einem Zivilverfahren vor den Bundesgerichten in Anspruch genommen werden. b) Zu den risikominimierenden Vorteilen für Kläger in amerikanischen Verfahren gehörten: (1) Sehr niedrige Gerichtsgebühren: Die Gerichtsgebühren in den USA sind im internationalen Vergleich sehr niedrig. Bei Eröffnung des Verfahrens nur $ 350 an die Gerichtskasse zu entrichten. (2) Keine vorherige Aufklärung des Sachverhalts nötig: Die Kehrseite von Discovery sind sehr niedrige Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung durch den Kläger. Zur Einleitung einer Klage vor den Bundesgerichten genügt eine Klageschrift, die einen Klageantrag und einen knappen Sachvortrag zu den klagebegründenden Tatsachen enthält. Es wird generell angenommen, dass der Sachverhalt erst durch Discovery – und damit auch auf Kosten des Beklagten – aufgeklärt wird. (3) Erfolgshonorare: Kläger amerikanischer Verfahren vereinbaren meistens ein Erfolgshonorar mit ihren Anwälten. Erfolgshonorare sehen eine Vergütung nur im Falle des Obsiegens vor und befreien Kläger dadurch vom größten Teil ihres Prozesskostenrisikos im Voraus. Es ist außerdem üblich, dass die vertretenden Anwälte die Auslagen der Kläger bestreiten und damit jedes restliche Kostenrisiko übernehmen. Gemeinsam bewirken diese Vergütungspraxen, dass Kläger eine millionenschwere Klage einleiten und bis zum Urteil verfechten können, ohne eigenes Geld vorlegen zu müssen. c) Parallel zur Einleitung einer ATS-Klage haben Menschenrechtsorganisationen eine Pressekampagne gegen das jeweils verklagte internationale Unternehmen angestoßen. Durch die mediale Verbindung des Konzerns mit ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzungen sollte die Gefahr einer derart permanenten Rufschädigung entstehen, dass der verklagte Konzern keine andere Wahl hatte, als den Forderungen der Menschenrechtsorganisation entgegenzukommen, um der Klage ein Ende zu setzen. d) Gewollter Endeffekt dieser Strategie war es, dass sich das Risiko einer ATSKlage bereits bei seiner Erhebung realisieren sollte, ungeachtet ob sie eine Aussicht auf Erfolg hatte. Die Kostenfaktoren großer Sammelklagen in Verbindung mit der Erwartung auf Rufschädigung durch die Medien sollten internationale Unternehmen vor die Wahl zwischen einer kostspieligen und langfristig riskanten Rechtsverteidigung und einem Vergleich stellen. Damit hatte das Unternehmen keine Chance, sich effektiv zu verteidigen: Entweder musste es für seine Verteidigung Millionen an seine Anwälte zahlen und das Risiko tiefgehender Rufschädigung auf sich nehmen, oder es musste sich mit den Klägern vergleichen.
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e) Die Rolle des ATS im Rahmen dieser Strategie war es, ein amerikanisches Forum für die Erhebung der Menschenrechtsklage zu gewährleisten. Solange das ATS ein Forum garantieren konnte, dessen Gerichtsbarkeit sich über sämtliche Menschenrechtsverletzungen und dessen Zuständigkeitsbereich sich über internationale Unternehmen in aller Welt erstreckte, konnten Menschenrechtsorganisationen durch die bloße Erhebung einer ATS-Klage einen Anreiz für die weltweite Wahrung der Menschenrechte sorgen. 6. Diese Strategie hatte die Folge, dass die Erhebung einer ATS-Klage gegen ein internationales Unternehmen gleichbedeutend war mit der Aufhebung internationaler Rechtssicherheit. Bereits bei Zustellung einer ATS-Klage mussten internationale Unternehmen mit Auslagen in Millionenhöhe und Rechtsrisiken in Milliardenhöhe rechnen. Diese Auslagen und Risiken existierten unabhängig von den Erfolgsaussichten der jeweiligen ATS-Klage. Insofern trat das Schädigungspotenzial einer ATS-Klage schon bei Klageeinleitung ein und wurde nur noch teurer, je länger das Verfahren anhängig blieb. Somit konnten Kläger durch nichts mehr als Klageerhebung internationale Rechtssicherheit aufheben. Das beste Beispiel hiervon waren die Zwangsarbeiterklagen: Obwohl sie von den Gerichten als unzulässig abgewiesen wurden, sah sich die deutsche Wirtschaft genötigt, einen Globalvergleich abzuschließen, um ihren internationalen Ruf zu wahren. 7. Diese Entwicklungen zogen signifikante Beeinträchtigungen der hoheitlichen Interessen anderer Souveräne nach sich. Sowohl die Zulassung universell anwendbarer ATS-Tatbestände als auch die Erstreckung allgemeiner amerikanischer Gerichtsstände weit über die Grenzen der USA hinaus griffen in die Befugnisse anderer Länder ein, die eng mit ihrer territorialen Souveränität zusammenhingen. a) Die Erstreckung des Anwendungsbereichs des ATS auf Verhalten in anderen Ländern wurde unter Berufung auf das Weltrechtsprinzip gerechtfertigt. Allerdings vermochte das Weltrechtsprinzip die Gewährung von Schadensersatz nach dem ATS nicht zu tragen. Stattdessen zog die Anwendung von ATS-Tatbeständen auf Verhalten in anderen Ländern erhebliche Eingriffe in fremde Souveränität nach sich. ATS-Tatbestände mögen aus „universellen“ Menschenrechtsnormen abgeleitet worden sein, aber das Menschenrecht diente lediglich als Indikator der Rechtswidrigkeit. Sämtliche anderen Elemente von ATS-Ansprüchen waren amerikanische Rechtskonzepte, die keineswegs „universell“ waren – z. B. wurde die Qualifizierung als Hoheitsträger, die Hemmung der Verjährungsfrist, die Zurechnung von Haftung unter Konzerngesellschaften, die zulässigen Haftungsausschlussgründe sowie Art, Umfang und Höhe des zu gewährenden Schadensersatzes nach amerikanischem Recht bestimmt. Als Ergebnis haben ATS-Entscheidungen amerikanisches Deliktsrecht auf Verhaltensweisen auf dem Hoheitsgebiet anderer Souveräne angewandt. Für das Weltrechtsprinzip ging das zu weit: Auch wenn das Weltrechtsprinzip die Entwicklung nationalrechtlicher Sekundärnormen zur Umsetzung universell anerkannter Verhaltensgebote zulässt, kann es die weltweite Anwendung des gesamten nationalen Deliktsrechts nicht rechtfertigen.
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b) Die Befugnis eines Staates, Personen durch seine Gerichte in Anspruch zu nehmen, ist ebenfalls Ausfluss seiner territorialen Souveränität. Traditionell wird diese Macht als Rechtsanwendungsbefugnis bezeichnet und sie unterliegt im Gegensatz zur Rechtssetzungsbefugnis keiner effektiven territorialen Schranke. ATS-Verfahren haben diese Freiheit jedoch überstrapaziert und die gerichtliche Inanspruchnahme ausländischer Konzerne zur Souveränitätsbeeinträchtigung anderer Länder erhoben. Problematisch war zunächst die Zurechnung allgemeiner Gerichtsstände an europäische Muttergesellschaften anhand des „agency“-Tests, um diese für Menschenrechtsverletzungen, die keinen Bezug zu den USA aufwarfen, in Anspruch zu nehmen, ohne dass die verklagten Gesellschaften überhaupt Kontakte zu den USA hatten. Selbst wenn die außerordentlichen Gerichtsstände der Staaten nur eine sehr schwache Anknüpfung zum jeweiligen Staat hergeben, weisen sie immerhin einen Bezug zum eigenen Hoheitsgebiet wie z. B. Zustellung innerhalb der eigenen Grenzen auf. Der „agency“-Test ermöglichte hingegen die Erstreckung nicht bloß eines Gerichtsstands, sondern eines dauerhaften allgemeinen Gerichtsstands auf Unternehmen, die keinerlei Bezugspunkt zu den USA auch nur implizierten: War ein „agency“-Verhältnis gegeben, konnten Personen, die keinen Bezug zu den USA hatten, Ansprüche ohne US-Bezug gegen Unternehmen, die auch keine Kontakte zu den USA unterhielten, vor amerikanischen Gerichten geltend machen. Ein derartiges Ergebnis war selbst im anarchischen System fragwürdig. 8. Ab 2009 sahen mehrere Circuit Courts das auf Basis des ATS entwickelte Weltforum als Beeinträchtigung der Souveränität anderer Länder an. Aus dieser Überzeugung heraus schränkte die Rechtsprechung zwischen 2009 und 2013 den Anwendungsbereich des ATS teilweise stark ein. a) Im Ninth Circuit können die Gerichte seit 2009 nach freiem Ermessen verfügen, dass ATS-Kläger zunächst den ausländischen Rechtsweg erschöpfen müssen, ehe ihre Klage in den USA zulässig ist. Der Ninth Circuit zieht aus der Stellung der USA als Mitglied der größeren Staatengemeinschaft den Schluss, dass den hoheitlichen Interessen anderer Länder an der Verhandlungen von Sachverhalten, die auf ihrem Hoheitsgebiet entstanden sind, bei der Zulassung von ATS-Ansprüchen Rechnung zu tragen ist. Dementsprechend können Gerichte im Ninth Circuit ATSKlagen zur erstmaligen Verhandlung im Ausland abweisen, wenn die Inlandsbezüge der Klage schwach sind und kein „matter of universal concern“ vorliegt. Bisher scheint diese Regel zu ergeben, dass, sofern eine Universalstraftat den Gegenstand der ATS-Klage bildet, die Gerichte nach Ermessen entscheiden können, die Klage entweder bei sich zu behalten oder an das jeweilige ausländische Rechtssystem abzugeben. Ist jedoch keine Universalstraftat in der ATS-Klage vorhanden, können nur starke Inlandsbezüge die Abweisung der Klage zur erstmaligen Erschöpfung des ausländischen Rechtswegs verhindern. b) Im Eleventh Circuit müssen ATS-Kläger seit 2009 ihren Sachvortrag substantiiert darlegen. Bis 2009 war für die Zulassung einer ATS-Klage nur ein knapper Sachvortrag mit Klageantrag erforderlich. Der Sachvortrag der Klageschrift musste
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lediglich eine Kenntnisnahme des Beklagten über die tatsächlichen Vorfälle in ermöglichen, die als Basis der Klage dienten, weswegen Kläger abstrakt und ohne Lebenssachverhalt darlegen durften. Diese Regelung bezweckte die regelmäßige Zulassung von Ansprüchen, damit der Sachverhalt durch Discovery im Vorverfahren umfassend aufklärt werden konnte. Im Jahr 2007 hat der Supreme Court die Darlegungslast für Kartellrechtsklagen angehoben, weil solche Klagen durch verheerende Discovery-Kosten ein Erpressungspotenzial entfalten, die die Abnötigung von „in terrorem“-Vergleichen von Beklagten ermöglicht. Um der Missbrauchsanfälligkeit solcher Klagen zu begegnen, erforderte der Supreme Court inskünftig substantiiert dargelegte Sachvorträge, um die Kosten der Aufklärung des Sachverhalts erstmals auf die Kläger zu verlegen. Seit 2009 stuft der Eleventh Circuit ATS-Klagen auch als an sich missbrauchsanfällige Klagen ein, die angehobenen Darlegungsanforderungen unterliegen sollen. Dementsprechend müssen Kläger die faktische Grundlage ihrer ATS-Ansprüche substantiiert darlegen. Diese Regel ergibt, dass Kläger bereits vor Einleitung einer ATS-Klage den Sachverhalt bis zu dem Grad aufgeklärt haben müssen, an dem die Identifizierung genauer Handlungen, Personen, Daten, Orten und Zeiten im Sachvortrag möglich ist. Diese effektive Aufklärungspflicht bürdet Klägern hohe Kosten auf, denn die Aufarbeitung des Sachverhalts in ATS-Klagen erfordert internationale Koordination sowie das Mitwirken meist feindseliger ausländischer Regierungen. c) Seit 2009 schränken mehrere Circuits die Definition von Beihilfe auf die absichtliche Unterstützung eines Unternehmens von durch Dritte begangenen Menschenrechten ein. i) Diese Einschränkung geht aus dem problematischen Ergebnis der ursprünglichen Beihilferechtsprechung vor. Zunächst wurden die Tatbestandsvoraussetzungen für Beihilfehaftung aus der Rechtsprechung internationaler Straftribunale abgeleitet. Erforderlich war eine Beihilfehandlung (actus reus), die mit dem erforderlichen Unrechtsbewusstsein (mens rea) begangen wurde. Allerdings wurde der Tatbeitrag eines Unternehmens bereits als wesentliche Unterstützung der Haupttat qualifiziert, wenn die Haupttat ohne ihn nicht auf dieselbe Weise stattgefunden hätte, während die haftungserforderliche Kenntnis des Beklagten schon vorlag, sofern er hätte wissen sollen, das sein Beitrag die Begehung irgendeiner Menschenrechtsverletzung erleichtert – wobei konkrete Kenntnisse hinsichtlich der Haupttat nicht erforderlich waren. Ergebnis dieser Regel war, dass „simply doing business with a state [] who violates the law of nations“ als Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen qualifizierte. Dieses Ergebnis fanden die amerikanischen Gerichte äußerst problematisch, denn es hatte wie (wie in Ziff. 4.d. erwähnt) zur Folge, dass die bloße Aufnahme einer Wirtschaftstätigkeit in bestimmten Ländern ohne weiteres den Tatbestand der Beihilfe erfüllen konnte. ii) Zur Einschränkung der Handlungen, die unter die Beihilfe-Definition fallen, haben ab 2009 der Second Circuit und der Fourth Circuit die subjektive Voraussetzung des Beihilfetatbestands restriktiver ausgelegt. Nun muss die subjektive
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Absicht des verklagten Unternehmens nachgewiesen werden, durch eine Wirtschaftstätigkeit einem Dritten die Begehung der in der jeweiligen Klage streitgegenständlichen Menschenrechtsverletzungen zu erleichtern. d) Im Second und Eleventh Circuit ist die Sperre der forum non conveniensEinrede in ATS-Klagen seit 2009 aufgehoben worden. Der Eleventh Circuit legt fest, dass, auch wenn die USA ein Interesse an der Verhandlung von Menschenrechtsverletzungen hätten, dieses amerikanische Interesse dem Interesse des Tatortlandes an der gerichtlichen Aufarbeitung schwerwiegender Menschenrechtsverstöße der eigenen Angehörigen auf dem eigenen Hoheitsgebiet keineswegs ebenbürtig ist. Es müssen stattdessen Inlandsbezüge nachgewiesen werden, um ein vorrangiges amerikanisches Interesse an einem ATS-Verfahren zu begründen. Der Second Circuit geht noch weiter und setzt für künftige ATS-Klagen fest, dass die USA kein Interesse an der Gewährung eines Forums für die Verhandlung von Menschenrechtsverletzungen hatten. Diese Feststellung lässt zu, dass Gerichte ATS-Klagen zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt wegen forum non conveniens abweisen, ohne dem Vorliegen einer Menschenrechtsverletzung überhaupt einen Wert beizumessen. Gemeinsam geben diese Entscheidungen den District Courts ein Mittel an die Hand, ATS-Klagen ohne Inlandsbezüge nach freiem Ermessen abzuweisen. Und weil die Abweisung wegen forum non conveniens nur wegen Ermessensmissbrauch aufgehoben werden kann, ist sie als effektives Ende einer ATS-Klage anzusehen. 9. In den Jahren 2013 und 2014 hat der Supreme Court zwei Entscheidungen verkündet – Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. und Daimler AG v. Bauman – die den Anwendungsbereich des ATS erheblich einschränken. Diese Entscheidungen gehen aus einer Anerkennung der hoheitlichen Interessen anderer Souveräne an den Parteien und Sachverhalten von ATS-Klagen sowie aus einer Relativierung des amerikanischen Interesses an ATS-Verfahren gegenüber den Hoheitsinteressen anderer Staaten hervor. 10. In Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. hat der Supreme Court den Anwendungsbereich des ATS grundsätzlich auf das Hoheitsgebiet der Vereinigten Staaten beschränkt. ATS-Klagen aus anderen Ländern sind inskünftig nur zulässig, wenn sie das Hoheitsgebiet der Vereinigten Staaten hinreichend „berühren“. Nun müssen die unteren Gerichte die Frage beantworten, unter welchen Umständen eine „Berührung“ der USA gegeben ist. a) Die amerikanische Auslegungsdogmatik enthält die sog. „presumption against extraterritoriality“. Diese Doktrin ist eine allgemeine Vermutung, dass Bundesgesetze nur Verhalten auf dem Hoheitsgebiet der USA zum Gegenstand haben, es sei denn, der Gesetzgeber bringt einen eindeutigen Willen zum Ausdruck, dass diese Vermutung für ein bestimmtes Gesetz nicht gelten soll. b) Der Supreme Court fasst die Tatbestände, die die Rechtsprechung nach dem ATS entwickelt hat, als extraterritoriale Anwendung des ATS auf, weil diese Tatbestände weltweit – d. h. auch auf Verhalten auf fremdem Hoheitsgebiet – anwendbar sind. Diesen Schluss sieht das Gericht durch die mannigfaltigen und vehementen
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Proteste anderer Souveräne bestätigt, die aus seiner Sicht zuverlässige Nachweise von Souveränitätsverletzungen darstellen. c) Demzufolge ist der Anwendungsbereich des ATS grundsätzlich auf das Hoheitsgebiet der Vereinigten Staaten beschränkt. ATS-Klagen, die sich auf Sachverhalte aus anderen Ländern stützen, sind inskünftig nur ausnahmsweise zulässig, wenn sie die Vermutung widerlegen, sie seien extraterritoriale Rechtsanwendungen. Dies ist der Fall, wenn die in der ATS-Klage geltend gemachten Ansprüche die USA hinreichend „berühren“ („touch and concern“). Umfang und Schranken dieser Regel sind unklar. d) In Hinblick auf Klagen ohne signifikanten Inlandsbezug scheint die Rechtsprechung zum Konsens gekommen zu sein. Generell haben die Gerichte sog. „foreign cubed“-Fälle – ausländischer Kläger, ausländischer Beklagter, ausländischer Sachverhalt – als extraterritorial im Sinne von Kiobel abgewiesen. Allerdings gilt diese Feststellung nicht für den Ninth Circuit, das die „foreign cubed“-Klage Doe v. Nestlé nicht als extraterritorial abgewiesen hat, obwohl sie keinen Bezug zu den USA aufwirft. e) In Hinblick auf ATS-Klagen mit Inlandsbezügen ist die Rechtsprechung zur Frage, unter welchen Umständen eine „Berührung“ der USA zu bejahen ist, in wesentlichen Punkten zerstritten. Zwar scheint die bloße Tatsache, dass ein verklagtes Unternehmen seinen Sitz in den USA hat, für die meisten Gerichte keine „Berührung“ der USA im Sinne Kiobels darzustellen. Aber von diesem Punkt abgesehen ist keine Einheitlichkeit in der Rechtsprechung ersichtlich. Einige Gerichte legen fest, dass ATS-Klagen immer als extraterritorial abzuweisen sind, solange die streitgegenständlichen Menschenrechtsverletzungen im Ausland begangen wurden, auch wenn sie von einem amerikanischen Unternehmen in den USA geplant und aus der US-Zentrale gesteuert wurden. Ein anderes Gericht hingegen sieht signifikante Vorbereitungs- oder Steuerungshandlungen in den USA als hinreichend gewichtig, um eine Berührung der USA im Sinne Kiobels zu bejahen. f) Die Reichweite des künftigen Anwendungsbereichs des ATS hängt maßgeblich von der Entscheidung des Ninth Circuit in Doe v. Nestlé sowie von den Ausgängen der Berufungsverfahren der in obigen Ziffer dargelegten Entscheidungen ab. Erst nach Verkündung dieser Entscheidungen kann die einschränkende Wirkung der Kiobel-Entscheidung mit einiger Sicherheit festgestellt werden. 11. In Daimler AG v. Bauman hat es der Supreme Court ausländischen Unternehmen ermöglicht, die Eröffnung allgemeiner amerikanischer Gerichtsstände gegen sie mittels Durchgriffs über ihre amerikanischen Tochtergesellschaften auszuschließen. Damit können europäische Gesellschaften durch ihre Konzernstrukturierung bestimmen, ob sie einem allgemeinen amerikanischen Gerichtsstand unterliegen sollen, die ihre Inanspruchnahme in ATS-Klagen ermöglichen würde. a) Die Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte wird anhand der Kontakte des Beklagten zum Forum begründet. Traditionell eröffnet eine systematische und an-
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haltende Wirtschaftstätigkeit des Beklagten im Forum („doing business“) einen allgemeinen Gerichtsstand, während vereinzelte oder unsystematische Kontakte nur einen besonderen Gerichtsstand für Ansprüche gegen den Beklagten begründen, die aus diesen Kontakten entstehen. b) Die Gründung einer amerikanischen Tochtergesellschaft bot vor 2014 keinen absoluten Schutz vor der Inanspruchnahme durch die amerikanischen Gerichte an. Zwar beachtet die amerikanische Jurisprudenz bei der Erörterung der eigenen Zuständigkeit grundsätzlich das Trennungsprinzip, lässt jedoch im Einzelfall eine Zurechnung des allgemeinen Gerichtsstands der amerikanischen Tochter an die ausländische Muttergesellschaft zu. Dies ist zulässig, wenn die Tochter als „agent“ der Mutter zu qualifizieren ist, weil sie aus konzernweiter Sicht unerlässliche Dienstleistungen für die Mutter erbringt und unter der faktischen Kontrolle der Mutter steht. c) In Bauman hat der Supreme Court die Voraussetzungen für die Eröffnung eines allgemeinen amerikanischen Gerichtsstands signifikant eingeschränkt. Ein Beklagter hat nur dann einen allgemeinen Gerichtsstand in den Vereinigten Staaten, wenn seine Kontakte zum amerikanischen Forum derart systematisch und andauernd sind, dass er im Forum „zu Hause“ ist. Um in einem Bundesstaat „zu Hause“ zu sein, muss ein Unternehmen seinen Sitz – ob Verwaltungs- oder Vertriebszentrale – dort haben oder dort im Handelsregister eingetragen sein. Eine systematische, dauerhafte und auch umsatzträchtige Wirtschaftstätigkeit in einem weiteren Bundesstaat reicht nicht mehr aus, um dort das „Zuhause“ eines Unternehmens zu bejahen. Damit scheint ein allgemeiner Gerichtsstand aufgrund von „doing business“ nicht mehr zulässig zu sein. d) Nach dem „zu Hause“-Test von Bauman hat eine Gesellschaft in aller Regel nur in zwei US-Bundesstaaten einen allgemeinen Gerichtsstand: Im Staate der Registereintragung sowie im Staate des Sitzes. Nur die Gerichte dieser Bundesstaaten können eine allgemeine Zuständigkeit für Ansprüche gegen die Gesellschaft ungeachtet ihrer Bezüge zum Forum annehmen. Die Gerichte der anderen Bundesstaaten können deshalb nur besondere Gerichtsstände auf die Gesellschaft erstrecken. Als Resultat erstreckt sich die Zuständigkeit der Gerichte dieser Bundesstaaten ausschließlich auf Ansprüche, die aus den Kontakten der Gesellschaft zum jeweiligen Forum entstanden sind. e) Obwohl die Bauman-Entscheidung den „agency“-Test nicht abgeschafft hat, ermöglicht sie durch Konzernstrukturierung einen Ausschluss der Zurechnung allgemeiner Gerichtsstände amerikanischer Tochtergesellschaften an ihre europäischen Mütter. Fortan haben amerikanische Tochtergesellschaften nur in dem Bundesstaat der Eintragung und dem Bundestaat des Sitzes einen allgemeinen Gerichtsstand. Währenddessen wird der „agency“-Test nur im Second und im Ninth Circuit angewandt. Solange eine amerikanische Tochtergesellschaft nicht in den diesen Circuits zugehörigen Bundesstaaten eingetragen wird oder einen Sitz gründet, dürften die in diesen Circuits gelagerten Gerichte keinen allgemeinen Gerichtsstand
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bejahen, den sie anhand des „agency“-Tests der europäischen Muttergesellschaft zurechnen könnten. Stattdessen dürften sie nur besondere Gerichtsstände zurechnen, die stets einen Bezug zum jeweiligen Bundesstaat aufweisen müssen. Bei ATSKlagen aus dem Ausland ist in der Regel davon auszugehen, dass solche Bezüge nicht gegeben sind. Als Resultat ist festzuhalten, dass bei entsprechender Konzernstruktur die Erhebung einer aus dem Ausland stammenden ATS-Klage gegen eine europäische Muttergesellschaft an dem Fehlen des dafür erforderlichen zurechenbaren allgemeinen Gerichtsstands der Tochter scheitern sollte. f) Die Bauman-Entscheidung bringt einen klaren Willen des Supreme Court zum Ausdruck, amerikanische Gerichtsstände – zumindest im Wirtschaftsverkehr – einzuschränken. Das Gericht erwähnte ausdrücklich in seiner Entscheidung die Pflicht der USA als Mitglied der Staatengemeinschaft, die Grenzen amerikanischer Zuständigkeit dahingehend zu zeichnen, dass die Inanspruchnahme ausländischer Angehöriger durch sachnähere ausländische Gerichte nicht ungebührlich beeinträchtigt wird. Insbesondere war das Gericht darüber besorgt, dass die zu weitgehende Erstreckung allgemeiner Gerichtsstände auf nichtamerikanische Unternehmen internationale Rechtssicherheit gefährden würde. Als Beispiel für international zulässige Gerichtsstände führte der Supreme Court die Brüssel I-Verordnung der Europäischen Union an und es hat durch den „zu Hause“-Test die grundsätzliche Regelung der Brüssel I-VO für juristische Personen effektiv adoptiert. 12. Durch die Kiobel- und Bauman-Entscheidungen hat der Supreme Court das stets zuständige amerikanische Forum mit weltweiter Gerichtsbarkeit für Menschenrechtsverletzungen, die die Rechtsprechung für ATS-Ansprüche errichtet hatte, effektiv aufgehoben. Dank Bauman können amerikanische Gerichte die Zuständigkeit für Menschenrechtsverletzungen aus dem Ausland nur dann annehmen, wenn das verklagte Unternehmen seinen Sitz in ihrem Bundesstaat hat oder dort eingetragen ist. Und auch wenn die Zuständigkeit des amerikanischen Gerichts gegeben ist, hat das ATS nach Kiobel keinen universellen Anwendungsbereich mehr: Die jeweilige ATS-Klage muss die Vereinigten Staaten nachweislich „berühren“.
Anhang A: ATS-Klagen der Ersten Welle 1.
Abebe-Jira v. Negewo, 72 F.3d 844 (11th Cir. 1996)
2.
Abiola v. Abubakar, 2008 U.S. Dist. LEXIS 2937 (N.D. Ill. 2008)
3.
Adras v. Nelson, 917 F.2d 1552 (11th Cir. 1990)
4.
Ahmed v. Magan, No. 2:10-cv-342 (S.D. Ohio 2012)
5.
Alejandre v. Rep. of Cuba, 996 F. Supp. 1239 (S.D.Fla. 1997)
6.
Alvarez-Machain v. U.S., 331 F.3d 604 (9th Cir. 2003), rev’d sub nom. Sosa v. AlvarezMachain, 542 U.S. 692 (2004)
7.
Ali Shafi v. Palestinian Authority, 642 F. 3d 1088 (D.C. Cir. 2011)
8.
Amergi v. Palestinian Authority, 611 F.3d 1350 (11th Cir. 2010)
9.
Anderman v. Fed. Rep. of Austria, et al., 256 F. Supp. 2d 1098 (C.D. Cal. 2003)
10. Arce v. Garcia, 434 F.3d 1254 (11th Cir. 2006) 11. Argentine Rep. v. Amerada Hess Shipping Co., 488 U.S. 428 (1989) 12. Bancoult v. McNamara, 370 F. Supp. 2d 1 (D.D.C. 2004) 13. Belhas v. Ya’alon, 1:05-cv-02167-PLF (D.D.C. 2006) 14. Bleiser v. Bundesrepublik Deutschland, No. 08-C-6254, 2010 WL 3947524 (N.D. Ill. 2010) 15. Cabello v. Fernández Larios, 205 F. Supp. 2d 1325 (S.D. Fla. 2002), aff’d 402 F.3d 1148 (11th Cir. 2005) 16. Cabiri v. Assasie-Gyimah, 921 F. Supp. 1189 (S.D.N.Y. 1996) 17. Cabrera v. Jiménez Naranjo, No. 1:10-cv-21951-EGT (S.D. Fla. 2010) 18. Chavez v. Carranza, 413 F. Supp. 2d 891 (W.D. Tenn. 2005), aff’d 559 F.3d 486 (6th Cir. 2009) 19. Che v. Shanghai Mun. Branch Comm. Of Chinese Communist Party, No. 1:10-CV-7964, 2010 WL 4235973 (S.D.N.Y. 2010) 20. Daventree Ltd. v. Republic of Azerbaijan, 349 F. Supp. 2d 736 (S.D.N.Y. 2004) 21. de Rapaport v. Suarez-Mason, No. C87-2266-JPV (N.D. Cal. Apr. 11, 1989) 22. Doe v. Ali (Tukeh), No. 1:05-cv-701 (E.D. Va. 2004) 23. Doe v. Amal, No. 1:12-CV-1359, 2012 WL 6202972 (E.D. Va. 2012) 24. Doe v. Bolkiah, 74 F. Supp. 2d 969 (D. Haw. 1998) 25. Doe v. Constant, No. 08-4827-CV. (S.D.N.Y. 2006)
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Anhang A: ATS-Klagen der Ersten Welle
26. Doe v. Islamic Salvation Front, 257 F. Supp. 2d 115 (D.D.C. 2003) 27. Doe v. Karadzic, 866 F. Supp. 734 (S.D.N.Y. 1994), 176 F.R.D. 458 (S.D.N.Y. 1997), 192 F.R.D 133 (S.D.N.Y. 2000) 28. Doe v. Liu Qi, 349 F. Supp. 2d 1258 (N.D. Cal. 2004) 29. Doe v. Lumintang, No. 1:00-cv-00674-AK (D.D.C. 2000) 30. Doe v. Neveleff, No. 1:11-cv-907, 2011 WL 5027754 (W.D. Tex. 2011) 31. Doe v. Reddy, No. 02-cv-5570 WHA, 2003 WL 23893010 (N.D. Cal. Aug. 4, 2003) 32. Doe v. Saravia, 348 F. Supp. 2d 1112 (E.D. Cal. 2004) 33. Filartíga v. Pena-Irala, 630 F.2d 876 (2d Cir. 1980), 577 F. Supp. 860 (E.D.N.Y. 1984) 34. Fiouris v. Turkish Cypriot Cmty., No. 10-CV-1225, 2010 WL 7378418 (D.D.C. 2010) 35. Ford v. Garcia, aff’d in 289 F.3d 1283 (11th Cir. 2002), cert. denied, 537 U.S. 1147, (2003) 36. Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531 (N.D. Cal. 1987), 694 F. Supp. 707 (N.D.Ca. 1988) 37. Greenham Women Against Cruise Missiles v. Reagan, 591 F. Supp. 1332 (S.D.N.Y. 1984) 38. Guanipa v. Chavez, No. 1:2009-cv-20999 (S.D. Fla. 2009) 39. Harbury v. Hayden, 522 F.3d 413 (D.C.C. 2008) 40. Haven v. Rep. of Poland, No. 99 C 727 (N.D. Ill. 1999) 41. Hilao v. Estate of Ferdinand Marcos, 103 F.3d 767 (9th Cir. 1996) 42. Hoang Van Tu v. Koster, 364 F.3d 1196 (10th Cir. 2004) 43. Holland v. Islamic Rep. of Iran, 496 F. Supp. 2d 1 (D.D.C. 2005) 44. Hurst v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 474 F. Supp. 2d 19 (D.D.C. 2007) 45. Hwang Geum Joo v. Japan, 172 F. Supp. 2d 52 (D.D.C. 2001) 46. In re Estate of Marcos Human Rights Litigation, MLD 840-MLR (D. Haw. May 16, 1991), 978 F.2d 493 (9th Cir. 1992), aff’d 25 F.3d 1467 (9th Cir. 1994) 47. Jafari v. Islamic Rep. of Iran, 539 F. Supp. 209 (N.D. Ill. 1982) 48. Jaffe v. Broyles, 616 F.Supp. 1371 (W.D.N.Y. 1985) 49. Jama v. U.S. Immigration & Naturalization Serv., 22 F. Supp. 2d 353 (D.N.J. 1998) 50. Jara v. Barrientos, No. 3:13-cv-1075-J-99MMH-JBT (S.D. Fla. 2013). 51. Jean v. Dorelien, No. 03-20161 (S.D.Fla. verdict issued Feb. 23, 2007) 52. Jogi v. Piland, 131 F. Supp.2d 1024 (C.D. Ill. 2001) 53. Joo v. Japan, 172 F. Supp. 2d 52 (D.D.C. 2001), 413 F.3d 45 (D.C. Cir. 2005) 54. Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232 (2d Cir. 1995) 55. Koohi v. U.S., 976 F.2d 1328 (9th Cir. 1992) 56. Kpadeh v. Emmanuel, 261 F.R.D. 687 (S.D. Fla. 2009 57. Lafontant v. Aristide, 844 F. Supp. 128 (E.D.N.Y. 1994)
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58. Latchford v. Turkish Rep. of N. Cyprus, No. 12-CV-846, 2012 WL 1913761 (D.D.C. 2012) 59. Linder v. Portocarrero, 963 F.2d 332 (11th Cir. 1992) 60. M.C. v. Bianchi, 782 F. Supp. 2d 127 (E.D. Pa. 2011) 61. Martinez v. City of Los Angeles, 141 F.3d 1373 (9th Cir. 1998) 62. Martinez-Baca v. Suarez-Mason, 1988 U.S. Dist. LEXIS 19470 (N.D. Cal. 1988) 63. Matar v. Dichter, 500 F. Supp. 2d 284 (S.D.N.Y. 2007), aff’d 563 F.3d 9 (2d Cir. 2009) 64. Mehinovic v. Vuckovic, 198 F. Supp. 2d 1322 (N.D. Ga. 2002) 65. Murillo v. Micheletti, No. 4:11-cv-02373 (S.D. Tex. 2011) 66. Mushikiwabo v. Barayagwiza, 1996 U.S. Dist. LEXIS 4409 (S.D.N.Y. 1996) 67. Mwangi v. Bush, No. 5:12-373-KKC (E.D. Ky. June 18, 2013) 68. Mwani v. Bin Ladin, 244 F.R.D. 20 (D.D.C. 2007) 69. Ochoa Lizarbe v. Hurtado, No. 07-21783-CIV, 2008 U.S. Dist. LEXIS 109517 (S.D. Fla. 2008) 70. Ochoa Lizarbe v. Rivera Rondon, 402 F. App’x 834 (4th Cir. 2010) 71. Orkin v. Swiss Confederation, 444 F. App’x 469 (2d Cir. 2011) 72. Papa v. United States, 281 F.3d 1004 (9th Cir. 2002) 73. Paul v. Avril, 901 F. Supp. 330 (S.D. Fla. 1994) 74. Princz v. Fed. Rep. of Germany, 26 F.3d 1166 (D.C. Cir. 1994) 75. Ramirez de Arellano v. Weinberger, 724 F.2d 143 (D.C. Cir. 1983) 76. Republic of Philippines v. Marcos, 806 F.2d 344 (2d Cir. 1986) 77. Reyes v. Grijalba, No. 02-22046 (S.D. Fla. 2006) 78. Rojas Mamani v. Sanchez Berzain, 636 F. Supp. 2d 1326 (S.D. Fla. 2009) 79. Ruiz v. Fed. Gov’t of the Mexican Rep., 2007 U.S. Dist. LEXIS 74736 (W.D. Tex. 2007) 80. Saltany v. Reagan, 702 F. Supp. 319 (D.D.C. 1988) 81. Sanchez-Espinoza v. Reagan, 568 F. Supp. 596 (D.D.C. 1983), aff’d 770 F.2d 202 (D.C. Cir. 1985) 82. Saperstein v. Palestinian Auth., No. 04-20225, 2006 WL 3804718 (S.D. Fla. Dec. 22, 2006) 83. Schneider v. Kissinger, 310 F. Supp. 2d 251 (D.D.C. 2004) 84. Sexual Minorities Uganda v. Lively, 2013 WL 4130756 (D. Mass. Aug. 14, 2013) 85. Siderman de Blake v. Rep. of Argentina, 965 F.2d 699 (9th Cir. 1992) 86. Tachiona v. Mugabe, 169 F. Supp. 2d 259 (S.D.N.Y.2001) (Tachiona I); 186 F. Supp. 2d 383 (S.D.N.Y.2002) (Tachiona II); 386 F.3d 205 (2d Cir. 2004) 87. Taveras v. Taveraz, 477 F.3d 767 (6th Cir. 2007) 88. Tel-Oren v. Libyan Arab Republic, 726 F.2d 774 (D.C. Cir. 1984) 89. Todd v. Panjaitan, CIV.A. 92-12255-PBS, 1994 WL 827111 (D. Mass. 1994)
604
Anhang A: ATS-Klagen der Ersten Welle
90. United States v. Schiffer, 836 F. Supp. 1164 (E.D. Pa. 1993), aff’d 31 F.3d 1175 (3d Cir. 1994) 91. Van Dardel v. Union of Soviet Socialist Republics, 736 F. Supp. 1 (D.D.C. 1990) 92. Whiteman v. Fed. Rep. of Austria, No. 00 Civ. 8006 (S.D.N.Y. 2002) 93. Wong-Opasi v. Tenn. State Univ., 229 F.3d 1155 (6th Cir. 2000) 94. Xuncax v. Gramajo, 886 F. Supp. 162 (D. Mass. 1995) 95. Yousuf v. Samantar, 552 F.3d 371 (4th Cir. 2009), 130 S. Ct. 2278 (2010), 699 F.3d 763 (4th Cir. 2012)
Anhang B: Fälle der Zweiten Welle Es gestaltet sich schwierig, die Fälle der Zweiten Welle genau zu beziffern. Diese Schwierigkeit entsteht aus zwei Aspekten amerikanischen Vorgehens, die in der ATS-Rechtsprechung besonders präsent waren, und die nur bedingt durch eine Fallauflistung wiedergegeben werden können. Einerseits waren viele Klagen der Zweiten Welle class actions, durch welche die Ansprüche hunderter bis tausender Personen geltend gemacht werden. Andererseits bestanden viele Verfahren der Zweiten Welle aus mehreren Einzelklagen, die zum Zwecke von Discovery und ggf. der Hauptverhandlung zusammengelegt wurden. Damit kann ein Zitat mehrere Einzelklagen und zehntausende Ansprüche decken. Das beste Beispiel hiervon bilden die etwa 40 Einzelklagen ehemaliger Zwangsarbeiter gegen die deutsche Industrie, die, obwohl sie allesamt als Sammelklagen erhoben wurden und die Ansprüche von mehr als 200.000 Personen geltend machten, lediglich unter dem Namen In re Holocaust Era German Industry, Bank and Ins. Litig., 2000 U.S. Dist. LEXIS 11650 (S.D.N.Y. 2000) zitiert werden. Nähme man die Anzahl der Ansprüche, die im Rahmen der Zweiten Welle geltend gemacht worden sind, als Grundlage einer Fallschätzung, müsste man von mehreren hunderttausenden Klagen ausgehen. Nähme man hingegen die Anzahl der konkreten Streitverfahren (ob Einzeloder class action-Musterverfahren) mittels welcher diese Ansprüche durchgesetzt worden sind, als Basis, hätte man rund 165 ATS-Klagen. Diese Arbeit legt letztere Zahl zugrunde, rundet sie aber mit Anmerkungen zu der Anzahl der im jeweiligen Verfahren zusammengelegten Klagen und ggf. mitvertretenen Ansprüchen aus. 1.
Abagninin v. AMVAC Chemical Corp., 545 F.3d 733 (9th Cir. 2008)
2.
Abecassis v. Wyatt, 669 F. Supp. 2d 130 (D.D.C. 2009), 785 F. Supp. 2d 614 (S.D. Tex. 2011)
3.
Abrams v. Societe Nationale des Chemins de Fer Francais, 332 F.3d 173 (2d Cir. 2002)
4.
Adamu v. Pfizer, Inc., 399 F. Supp. 2d 495 (S.D.N.Y. 2005), rev’d sub nom. Abdullahi v. Pfizer, Inc., 562 F.3d 163 (2d Cir. 2009)
5.
Adhikari v. Daoud & Partners, 697 F. Supp. 2d 674 (S.D. Tex. 2009), No. 1:09-cv-1237 (S.D. Tex. Aug. 23, 13)
6.
Afriat-Kurtzer v. Arab Bank, Plc, No. 05-CV-00388 (consolidated with Almog v. Arab Bank)
7.
Aguilar v. Imperial Nurseries, No. 07-cv-0193 (D. Conn. 2008)
8.
Aguinda v. Texaco, Inc., 945 F. Supp. 625 (S.D.N.Y. 1996), 142 F. Supp. 2d 534 (S.D.N.Y. 2001), aff’d 303 F.3d 470 (2d Cir. 2002) (NB: Verfahren wurde als Sammelklage im Namen aller Bewohner einer gesamten ecuadorianischen Küstenregion erhoben)
9.
Agurenko v. Arab Bank, PLC, No. 1:10-CV-626, 2010 WL 2416041 (E.D.N.Y. 2010)
10.
Ahmad v. Foundation for Int’l Research & Education, No.1:13-cv-003376 (S.D.N.Y. May 17, 2013)
606
Anhang B: Fälle der Zweiten Welle
11.
Ahmed v. Dubai Islamic Bank, No. 08-21564 (S.D. Fla.)
12.
Ahmed-Al-Khalifa v. Queen Elizabeth II, No. 5:13-cv-103 (N.D. Fla. May 21, 2013)
13.
Aikpitanhi v. Iberia Airlines of Spain, 553 F. Supp. 2d 872 (E.D. Mich. 2008)
14.
Aldana v. Fresh Del Monte Produce, Inc., 305 F. Supp. 2d 1285 (S.D. Fla. 2003), rev’d 416 F.3d 1242, 1252 – 53 (11th Cir. 2005) (per curiam); No. 01-3399-Civ (S.D. Fla. Oct. 16, 2007), aff’d 578 F. 3d 1283 (11th Cir. 2009)
15.
Al-Khalifa v. Salvation Army Nigeria, No. 3:13-cv-289 (N.D. Fla. Apr. 29, 2013)
16.
Almog v. Arab Bank, PLC, 471 F. Supp. 2d 257 (E.D.N.Y. 2007), rev’d No. 1:04-cv-055 (E.D.N.Y. 23 Aug. 2013)
17.
Alomang v. Freeport-McMoran, Inc., Civ. A. No. 96-2139, 1996 WL 601431 (E.D. La. 1996)
18.
Alperin v. Vatican Bank, WL 21303209 (N.D. Cal. 2003), 410 F.3d 532 (9th Cir. 2005) (NB: Verfahren wurde als Sammelklage tausender Anspruchsinhaber erhoben)
19.
Amlon Metals, Inc. v. FMC Corp., 775 F. Supp. 668 (S.D.N.Y. 1991)
20.
Arndt v. UBS AG, 342 F. Supp. 2d 132 (E.D.N.Y. 2004)
21.
Aziz v. Alcolac, Inc., 658 F.3d 388 (4th Cir. 2011) (NB: Verfahren wurde als Sammelklage tausender kurdischer Anspruchsinhaber erhoben)
22.
Baloco v. Drummond Co., Inc., 640 F.3d 1338 (11th Cir. 2011)
23.
Bank Julius Baer & Co. Ltd. v. Wikileaks, 553 F. Supp. 2d 980 (N.D. Cal. 2008)
24.
Bano v. Union Carbide Corp, 273 F. 3d 120 (2d Cir. 2001), 198 F. App’x 32 (S.D.N.Y. 2006)
25.
Bao Ge v. Li Peng, 201 F. Supp. 2d 14 (D.D.C. 2000)
26.
Bauman v. DaimlerChrysler AG, No. Civ-04-00194, (N.D. Cal. Nov. 22, 2005), No. Civ04-00194 (N.D. Cal. Feb. 12, 2007), aff’d 579 F.3d 1088 (9th Cir. 2009), rev’d 644 F.3d 909 (9th Cir. 2011); rev’d Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746 (2014)
27.
Beanal v. Freeport-McMoran, Inc., 969 F.Supp. 362 (E.D. La. 1997), 197 F.3d 161 (5th Cir. 1999)
28.
Bera v. Shell Petroleum Dev. Co. of Nigeria, No. 11-CIV-8169, 2011 WL 5522680 (S.D.N.Y. 2011)
29.
Bigio v. Coca-Cola Co., 239 F.3d 440 (2d Cir. 2000), 448 F.3d 176 (2d. Cir. 2006)
30.
Bodner v. Banque Paribas, 114 F. Supp. 2d 117, 128 (E.D.N.Y. 2000) (NB: Verfahren bestand aus drei zusammengelegten Sammelklagen mit tausenden Anspruchsinhabern gegen französische Banken)
31.
Bowoto v. Chevron, 312 F. Supp. 2d 1229 (N.D. Cal. 2004), 557 F. Supp. 2d 1080 (N.D. Cal. 2008), No. 3:99-cv-02506 (N.D. Cal. Apr. 22, 2009), aff’d 621 F.3d 1116 (9th Cir. 2010)
32.
Brooks-McCollum v. Emerald Ridge Serv. Corp. Bd. of Dir., 166 F. App’x 618 (3d. Cir. 2006)
Anhang B: Fälle der Zweiten Welle
607
33.
Burger-Fisher v. Degussa AG, 65 F. Supp. 2d 248 (D.N.J. 1999)
34.
Burnett v. Al Baraka Inv. & Dev. Corp., 274 F. Supp. 2d 86 (D.D.C. 2003) (NB: Verfahren wurde als Sammelklage mit mehr als 2.000 Anspruchsinhabern gegen arabische Finanzdienstleister erhoben)
35.
Carrizosa v. Chiquita Brands Int’l, Inc., 2007 WL 3458987 (S.D. Fla. 2007)
36.
Castillo v. Spiliada Maritime Corp., 732 F.Supp. 50 (E.D.La. 1990) (MTD)
37.
Che v. Shanghai Mun. Branch Comm. Of Chinese Communist Party, No. 1:10-CV-7964, 2010 WL 4235973 (S.D.N.Y. 2010)
38.
Chen v. China Cent. Television, 2007 WL 2298360 (S.D.N.Y. Aug. 9, 2007)
39.
Chowdhury v. Worldtel Bangladesh Holding, Ltd., 588 F. Supp.2d 375 (E.D.N.Y. 2008)
40.
Cong v. Conocophillips Co., No. 12-CV-1976, 2012 WL 2525460 (S.D. Tex. 2012)
41.
Cooperhill Inv. Ltd v. Republic of Seychelles., No. 1:11-CV-962, 2011 WL 601962 (S.D.N.Y. 2011)
42.
Corrie v. Caterpillar, Inc., 503 F.3d 974 (9th Cir. 2007)
43.
Daobin v. Cisco Sys., Inc., No. 11-CV-1538, 2011 WL 3962879 (D. Md. 2011)
44.
David v. Signal Int’l, LLC, 588 F. Supp. 2d 718 (E.D. La. 2008)
45.
Deirmenjian v. Deutsche Bank, AG, 526 F. Supp. 2d 1068 (C.D. Cal. 2007)
46.
Delgado v. Villanueva, No.12-Civ-3113, 2012 WL 1366755 (S.D.N.Y. 2012)
47.
Deutsch v. Turner Corp., 317 F. 3d 1005 (9th Cir. 2003)
48.
Diaz v. Grupo Mexico Inc., No. 10-CIV-355 (9th Cir. 2012)
49.
Doe v. Cisco Sys., Inc., No. CV-11-249-PSG, 2011 WL 1338057 (N.D. Cal. 2011)
50.
Doe v. ExxonMobil Corp., 393 F. Supp. 2d 20 (D.D.C. 2005), 473 F.3d 345 (D.C. Cir. 2007), rev’d 654 F. 3d 11 (D.C. Cir. 2011), 527 F. App’x 7 (D.C. Cir. 2013)
51.
Doe v. Nestle, SA, 748 F. Supp. 2d 1057 (C.D. Cal. 2010), rev’d 738 F.3d 1048 (9th Cir. 2013)
52.
Doe v. Neveleff, No. 1:11-cv-907, 2011 WL 5027754 (W.D. Tex. 2011)
53.
Doe v. Reddy, No. 02-cv-05570 WHA, 2003 WL 23893010 (N.D. Cal. Aug. 4, 2003)
54.
Doe v. The Gap, Inc., CV-01-0031, 2001 WL 1842389 (D. N. Mar. I. 2001); No. CV-010031, 2002 WL 1000068 (D. N. Mar. I. May 10, 2002)
55.
Doe v. Unocal Corp., 963 F. Supp. 880, 883 (C.D. Cal. 1997), 67 F. Supp. 2d 1140 (C.D. Cal. 1999), 27 F. Supp. 2d 1174 (C.D. Cal. 1998), aff’d 248 F.3d 915 (9th Cir. 2001), 110 F. Supp. 2d 1294 (C.D. Cal. 2000), rev’d 395 F.3d 932 (9th Cir. 2002)
56.
Doe v. Wal-Mart Stores, Inc., 572 F.3d 677 (9th Cir. 2009)
57.
Dominican Republic v. AES Corp., 466 F. Supp. 2d 680 (E.D. Va. 2006)
58.
Duveen v. United States Dist. Court (In re Austrian & German Holocaust Litig.), 250 F.3d 156 (2d Cir. 2001)
59.
Eastman Kodak Co. v. Kavlin, 978 F.Supp. 1078 (S.D. Fla. 1997)
608
Anhang B: Fälle der Zweiten Welle
60.
Empagran S.A. v. Hoffman-La Roche, Ltd., 2001 WL 761360 (D.D.C. 2000)
61.
Estate of Rodriguez v. Drummond Co., Inc., 256 F. Supp. 2d 1250 (N.D. Ala. 2003), aff’d sub nom. Romero v. Drummond Co., Inc., 552 F.3d 1303 (11th Cir. 2008)
62.
Fagan v. Deutsche Bundesbank, 438 F. Supp. 2d 376 (S.D.N.Y. 2005)
63.
Farmer-Paellman v. Fleetboston (In re African Slave Descendants’ Litig.), 471 F.3d 754 (7th Cir. 2006)
64.
Fiouris v. Turkish Cypriot Cmty., No. 10-CV-1225, 2010 WL 7378418 (D.D.C. 2010)
65.
Fischer v. Erste Group Bank AG, No. CV-12-3328, 2012 WL 2775095 (E.D.N.Y. 2012)
66.
Flomo v. Firestone Natural Rubber Co., LLC, 643 F.3d 1013 (7th Cir. 2011)
67.
Flores v. Southern Peru Copper Corp., 253 F. Supp. 2d 510 (S.D.N.Y. 2002), aff’d 414 F.3d 233 (2d Cir. 2003)
68.
Frazer v. Chicago Bridge & Iron, 2006 WL 801208 (S.D. Tex. 2006)
69.
Friedman v. Bayer Corp., 1999 WL 33457825 (E.D.N.Y 1999)
70.
Ganguly v. Charles Schwab & Co., Inc., 2004 WL 213016 (S.D.N.Y. 2004)
71.
Genocide Victims of Krajina v. L-3 Servs., Inc., 804 F. Supp. 2d 814 (N.D. Ill. 2011) (NB: Verfahren wurde als Sammelklage hunderter bosnischer Anspruchsinhaber erhoben)
72.
Giraldo v. Drummond Co., Inc., 808 F. Supp. 2d 247 (N.D. Ala. 2011), No. 2:09-cv-1041 (N.D. Ala. July 25, 2013) (NB: Verfahren ist eine Sammelklage mit etwa 600 kolumbianischen Anspruchsinhabern)
73.
Guzman-Martinez v. Corr. Corp. of Am., No. 11-CIV-2390, 2011 WL 6062622 (D. Ariz. 2011)
74.
Hamid v. Price Waterhouse, 51 F.3d 1411 (9th Cir. 1995)
75.
Herero People’s Reparations Corp. v. Deutsche Bank, AG, 370 F.3d 1192 (D.C. Cir. 2004)
76.
Herero People’s Reparations Corp. v. Deutsche Bank, No. 03-Civ.–991 (S.D.N.Y. Apr. 5, 2006)
77.
Hereros v. Deutsche Afrika-Linien Gmblt & Co., No. 05-Civ-1872 (D.N.J. Jan. 17, 2006), aff’d 232 F. App’x 90 (3d Cir. 2007) (NB: sämtliche Herero-Klagen wurden im Namen des gesamten namibischen HereroStammes erhoben)
78.
Hidalgo v. Siemens Aktiengesellschaft, No. 11-CV-20107, 2011 WL 74581 (S.D. Fla. 2011)
79.
Holocaust Victims of Bank Theft v. Magyar Nemzeti Bank, 807 F. Supp. 2d 689 (N.D. Ill. 2011) (NB: Verfahren wurde als Sammelklage im Namen tausender ungarischer Anspruchsinhaber erhoben)
80.
In re Agent Orange Prod. Liab. Litig., 373 F. Supp. 2d 7 (E.D. N.Y. 2005) (NB: Verfahren war eine Sammelklage tausender vietnamesischer Angehöriger)
Anhang B: Fälle der Zweiten Welle
609
81.
In re Assicurazioni Generali S.P.A. Holocaust Ins. Litig., No. 1374, 2000 U.S. Dist. LEXIS 17853 (S.D.N.Y. 2000) (NB: Verfahren besteht aus acht zusammengelegten Klagen mit hunderten Anspruchsinhabern gegen europäische Versicherungsgesellschaften)
82.
In re Austrian and German Bank Litig., 2001 U.S. Dist. LEXIS 2311 (S.D.N.Y. March 7, 2001); rev’d In re Austrian, German Holocaust Litigation (Duveen), 250 F.3d 156 (2d Cir. 2001) (NB: Verfahren bestand aus zwei zusammengelegte Sammelklagen gegen österreichische Banken)
83.
In re Austrian and German Holocaust Litig., 80 F. Supp. 2d 164 (S.D.N.Y. 2000), aff’d sub nom. D’Amato v. Deutsche Bank, 236 F.3d 78 (2d Cir. 2001); In re Holocaust Era German Industry, Bank and Ins. Litig., No. 1337, 2000 U.S. Dist. LEXIS 11650 (S.D.N.Y. 2000) (NB: Verfahren bestand aus mehr als 40 zusammengelegten Sammelklagen mit über 240.000 Anspruchsinhabern gegen die deutsche Industrie)
84.
In re Chiquita Brands Int’l, Inc., Alien Tort Statute & Shareholder Derivative Litig., 536 F. Supp. 2d 1371 (J.P.M.L. 2008), 690 F. Supp. 2d 1296 (S.D. Fla. 2010), No. 0:08-md01916 (S.D. Fla. June 3, 2011) (NB: Verfahren besteht aus sieben zusammengelegten Sammelklagen gegen einen amerikanischen Lebensmittelkonzern; mehr als 4.000 Personen haben Ansprüche angemeldet)
85.
In re Holocaust Victim Assets Litigation, No. CV-96-4849, 2000 U.S. Dist. LEXIS 20817 (E.D.N.Y. Nov. 22, 2000) (NB: Verfahren bestand aus drei zusammengelegten Sammelklagen gegen Schweizer Banken; tausende Personen haben Ansprüche angemeldet)
86.
In re Nazi Era Cases Against German Defendants Litig., 198 F.R.D. 429 (D.N.J. 2000), 213 F. Supp. 2d 439 (D.N.J. 2002)
87.
In re South African Apartheid Litig., 238 F. Supp. 2d 1379 (S.D.N.Y. 2004), rev’d sub nom. Khulmani v. Barclay Nat. Bank Ltd., 504 F.3d 254 (2d Cir. 2007); 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009), rev’d sub nom. Balintulo v. Daimler AG, 727 F.3d 174 (2d Cir. 2013); No. 1:02-md-01499-SAS (S.D.N.Y. Dec. 12, 2013), No. 02-MDL-1499 (S.D.N.Y. Apr. 17, 2014) (NB: Verfahren besteht aus drei zusammengelegten Einzelklagen)
88.
In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 392 F. Supp. 2d 539 (S.D.N.Y. 2005) (NB: Verfahren besteht aus sechs zusammengelegten Sammelklagen tausender Anspruchsinhaber gegen arabische Finanzdienstleister)
89.
In re World War II Era Japanese Forced Labor Litigation, 114 F. Supp. 2d 939 (N.D. Cal. 2000), 164 F. Supp. 2d 1160 (2001) (NB: Verfahren bestand aus etwa 25 zusammengelegten Sammelklagen tausender Anspruchsinhaber gegen die japanische Industrie)
90.
In re Xe Servs. Alien Tort Litig., 665 F. Supp. 2d 569 (E.D. Va. 2009) (NB: Verfahren besteht aus sechs zusammengelegten Einzelklagen mit etwa 50 Anspruchsinhabern)
91.
Ivanovic v. Overseas Mgmt. Co., No. 11-80726-Civ, 2011 WL 5508824 (S.D. Fla. 2011)
610
Anhang B: Fälle der Zweiten Welle
92.
Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999)
93.
Jama v. Esmor Corr. Servs. Inc., 22 F. Supp. 2d 353 (D.N.J. 1998), 549 F. Supp. 2d 602 (D.N.J. 2008)
94.
Jaso v. Coca-Cola Co., 435 F. App’x 346 (5th Cir. 2011)
95.
Javier v. Garcia-Botello, 239 F.R.D. 342 (W.D.N.Y. 2002)
96.
Javier H. v. Garcia-Botello, 239 F.R.D. 342 (W.D.N.Y. 2006)
97.
Jesner v. Arab Bank, Plc, No. 06-CV-3869 (E.D.N.Y.)
98.
Jogi v. Piland, 131 F. Supp.2d 1024 (C.D. Ill. 2001)
99.
Jota v. Texaco, Inc., 157 F.3d 153 (2d Cir. 1998)
100. Kaplan v. Al Jazeera, No. 10-CV-5298-KMW, 2011 WL 2941526 (S.D.N.Y. 2011) 101. Keating-Traynor v. Westside Crisis Ctr., No. C 05-04475 CRB, 2006 WL 1699561 (N.D. Cal. June 16, 2006) 102. Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 456 F. Supp. 2d 457 (S.D.N.Y. 2006), rev’d 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010); aff’d on other grounds 133 S. Ct. 1659 (2013) 103. Kruman v. Chistie’s Int’l PLC, 129 F. Supp. 2d 620 (S.D.N.Y. 2001) 104. Latchford v. Turkish Rep. of N. Cyprus, No. 12-CV-846, 2012 WL 1913761 (D.D.C. 2012) 105. Lev v. Arab Bank, PLC, No. 08-CV-3251, 2010 WL 623636 (E.D.N.Y. Jan. 29, 2010) 106. Licci v. American Express Bank Ltd., 704 F. Supp. 2d 403 (S.D.N.Y. 2010), rev’d in part sub nom. Licci v. Lebanese Canadian Bank, SAL, 672 F.3d 155 (2d Cir. 2012), 732 F. 3d 161 (2d Cir. 2013) 107. Licea v. Curacao Drydock Co., 584 F. Supp. 2d 1355 (S.D. Fla. 2008) 108. Lim v. Gov’t of Singapore, No. 11-C-50172, 2011 WL 2428948 (N.D. Ill. 2011) 109. Luu v. Int’l Inv. Trade & Serv. Grp., No. 11-CV-182, 2011 WL 1398984 (S.D. Tex. 2011) 110. Magnifico v. Villanueva, 783 F. Supp. 2d 1217 (S.D. Fla. 2011) 111. Makro Capital of America, Inc. v. UBS AG, 372 F. Supp. 2d 623 (S.D. Fla. 2005) 112. Manzanarez v. C&Y Sportswear, No. CV-0012715-NM (C.D. Cal. 2000) 113. Margallo-Gans v. Farrell, No. Civ-09-4026, 2009 WL 5120729 (D.S.C. 2009) 114. MARKS, Inc. v. EODT Gen. Sec. Co., No. 3:10-CV-443, 2011 WL 6151424 (E.D. Tenn. 2011) 115. Marootian v. New York Life Ins. Co., No. 99-12073 (C.D. Cal. Jan. 17, 2000) 116. Martinez v. BP P.L.C., No. 1:12-cv-308, 2012 WL 609438 (D.D.C. 2012) 117. Mastafa v. Australian Wheat Bd. Ltd., No. 07-CV-7955 (S.D.N.Y. 2008) 118. Mastafa v. Chevron Corp., 759 F. Supp. 2d 297 (S.D.N.Y. 2010) 119. Matias v. Taylors Int’l Servs., Inc., No. 09-3256, 2010 WL 3825402 (E.D. La. 2010) 120. Maugein v. Newmont Mining Corp., 298 F. Supp. 2d 1124 (D. Colo. 2004)
Anhang B: Fälle der Zweiten Welle
611
121. McClelland Engineers, Inc. v. Munusamy, 579 F. Supp. 149 (5th Cir. 1986) 122. Mendonca v. Tidewater, Inc., 159 F. Supp. 2d 299 (E.D.La. 2001) 123. Mohamed v. Erinys Int’l Ltd., No. 4:09-CV-3362, 2010 WL 2679426 (S.D. Tex. 2010) 124. Movsesian v. Victoria Versicherung AG, No. CV-03-09407 (C.D. Cal. 2003), No. 0756722 (9th Cir. 2010) 125. Mujica v. Occidental Petroleum Corp., 381 F. Supp. 2d 1164 (C.D. Cal. 2005), 564 F.3d 1190 (9th Cir. 2009) 126. Nat’l Coalition Gov’t of the Union of Burma v. Unocal, Inc., 176 F.R.D. 329 (C.D. Cal. 1997) 127. Okpabi v. Royal Dutch Shell, P.L.C., No. 11-14572, 2011 WL 5027193 (E.D. Mich. 2011) 128. Orkin v. Swiss Confederation, 444 F. App’x 469 (2d Cir. 2011) 129. Papageorgiou v. Lloyds of London, 436 F. Supp. 701 (E.D. Pa. 1977) 130. Park v. Korean Broadcasting Sys., 2008 WL 4724374 (C.D. Ill. 2008) 131. Ponce-Rubio v. N. Brevard, Inc., No. 6:03-cv-738-ORL-31KRS (M.D. Fla. July 14, 2004) 132. Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 244 F. Supp. 2d 289 (S.D.N.Y. 2003), 453 F. Supp. 2d 633 (S.D.N.Y. 2006), 582 F.3d 244 (2d Cir. 2009) 133. Prince Hotel, SA v. Blake Marine Grp., 433 F. App’x 706 (11th Cir. 2011) 134. Robert v. Bell Helicopter Textron, Inc., 2002 WL 1268030 (N.D. Tex. 2002) 135. Roe v. Bridgestone Corp., 492 F. Supp. 2d 988 (S.D. Ind. 2007), rev’d sub nom. Flomo v. Firestone Natural Rubber Co., LLC, 643 F.3d 1013 (7th Cir. 2011) 136. Roe v. Unocal Corp., 70 F. Supp. 2d 1073 (C.D. Cal. 1999) (MTD) 137. Saharkhiz v. Nokia, No. 1:10-cv-912 (E.D. Va.) 138. Saldana v. Occidental Petroleum Corp., No. CV-1:11-8957, 2011 WL 5142961 (C.D. Cal. 2011) 139. Saperstein v. Palestinian Auth., No. 04-20225, 2006 WL 3804718 (S.D. Fla. Dec. 22, 2006) 140. Sarei v. Rio Tinto, PLC, 221 F. Supp. 2d 1116 (C.D. Cal. 2002), 456 F.3d 1069 (9th Cir. 2006), 487 F. 3d 1193 (9th Cir. 2007), 550 F.3d 822 (9th Cir. 2008) (en banc), 650 F. Supp. 2d 1004 (C.D. Cal. 2009), 671 F.3d 736 (9th Cir. 2011) (en banc); rev’d sub nom. Rio Tinto, PLC v. Sarei No. 11-649 (S. Ct. Apr. 22, 2013), No. 02-56256 (9th Cir. June 28, 2013) (en banc) (NB: Verfahren wurde als Sammelklage zehntausender papua-neuguineischer Anspruchsinhaber erhoben) 141. Sequihua v. Texaco, Inc., 847 F. Supp. 61 (S.D. Tex. 1994) (NB: Verfahren wurde als Sammelklage im Namen aller Bewohner einer gesamten ecuadorianischen Küstenregion erhoben) 142. Shan v. China Construction Bank Corp., No. 09-CIV-8566 (S.D.N.Y. 2010)
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Anhang B: Fälle der Zweiten Welle
143. Shiguago v. Occidental Petroleum Co., No. 06-4982 (C.D. Cal. 2010) 144. Sinaltrainal v. Coca-Cola Co., 256 F. Supp. 2d 1345 (S.D. Fla. 2003), 474 F. Supp. 2d 1273 (S.D. Fla. 2006), 578 F.3d 1252 (11th Cir. 2009) 145. Sinaltrainal v. Nestle, No. 06-CV-61623 (S.D. Fla. 2006) 146. Singh v. Crompton Greaves Ltd., No. 4:11-cv-1207-SNLJ, 2011 WL 5833969 (E.D. Mo. 2011) 147. Siswinarti v. Jennifer Shien Ng, No. 2:05-cv-04171, 2005 WL 2511406 (D.N.J. Aug. 16, 2005) 148. Stutts v. De Dietrich Group, 465 F. Supp. 2d 156 (E.D.N.Y. 2006) 149. Tamam v. Fransabank SAL, 677 F. Supp. 2d 720 (S.D.N.Y. 2010) 150. Tercero v. C&Y Sportswear, Inc., No. CV-0012715-NM (C.D. Cal. 2000) 151. Thuy Thi Vu v. W & D Apparel Corp., No. 12-CV-282, 2012 WL 251632 (S.D. Tex. 2012) 152. Torrez v. Corr. Corp. of America, 2007 WL 3046153 (D. Ariz. 2007) 153. Tsunami Victims Group et al. v. Accor North America et al., No. 05-CV-0259 (S.D.N.Y. 2005) 154. Turedi v. Coca-Cola Co., 460 F. Supp. 2d 507, 523 (S.D.N.Y. 2006), aff’d 343 F. App’x 623 (2nd Cir. 2009) 155. Turkcell Iletisim Hizmetleri A.S. v. MTN Grp., Ltd., No. 12-CV-479, 2012 WL 1050075 (D.D.C. 2012) 156. Tymoshenko v. Firtash, No. 11-civ-2794, 2011 WL 5059180 (S.D.N.Y. 2011), No. 11CV-2794 (S.D.N.Y. Aug. 28, 2013) 157. Ungaro-Benages v. Dresdner Bank, 2003 WL 25729923 (S.D. Fla. 2003), aff’d 379 F.3d 1227 (11th Cir. 2004) 158. United Bank of Africa PLC v. Coker, 2003 WL 22741575 (S.D.N.Y. 2003) 159. Viera v. Eli Lilly & Co., No. 1:09-cv-495-RLY-DML, 2010 WL 3893791 (S.D. Ind. 2010) 160. Vietnam Ass’n for Victims of Agent Orange v. Dow Chemical Co., 517 F.3d 104 (2d. Cir. 2008) 161. Weisskopf v. United Jewish Appeal, No. 11-CV-668, 2011 WL 6212514 (E.D. Tex. 2011) 162. Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88 (S.D.N.Y. 2000), No. 96 Civ. 8386, 2002 U.S. Dist. LEXIS 3293 (S.D.N.Y. Feb. 28, 2002), 2009 U.S. App. LEXIS 11873 (2d Cir. 2009) 163. Wong-Opasi v. Tenn. State Univ., 229 F.3d 1155 (6th Cir. 2000) 164. Xiaoning v. Yahoo! Inc., No. 07-CV-02151-CW (N.D. Cal. 2007) 165. Zheng v. Yahoo!, 2009 WL 4430279 (N.D. Cal. 2009)
Anhang C: Ausgewählte Gesetzesund Abkommenspassagen Torture Victim Protection Act of 1991 Pub. L. 102 – 256, 106 Stat. 73; codified at 28 U.S.C. § 1350 note (2014) SECTION 1. SHORT TITLE. This Act may be cited as the ‘Torture Victim Protection Act of 1991’. SEC. 2. ESTABLISHMENT OF CIVIL ACTION. (a) LIABILITY- An individual who, under actual or apparent authority, or color of law, of any foreign nation– (1) subjects an individual to torture shall, in a civil action, be liable for damages to that individual; or (2) subjects an individual to extrajudicial killing shall, in a civil action, be liable for damages to the individual’s legal representative, or to any person who may be a claimant in an action for wrongful death. (b) EXHAUSTION OF REMEDIES- A court shall decline to hear a claim under this section if the claimant has not exhausted adequate and available remedies in the place in which the conduct giving rise to the claim occurred. (c) STATUTE OF LIMITATIONS- No action shall be maintained under this section unless it is commenced within 10 years after the cause of action arose. SEC. 3. DEFINITIONS. (a) EXTRAJUDICIAL KILLING- For the purposes of this Act, the term ‘extrajudicial killing’ means a deliberated killing not authorized by a previous judgment pronounced by a regularly constituted court affording all the judicial guarantees which are recognized as indispensable by civilized peoples. Such term, however, does not include any such killing that, under international law, is lawfully carried out under the authority of a foreign nation. (b) TORTURE- For the purposes of this Act– (1) the term ‘torture’ means any act, directed against an individual in the offender’s custody or physical control, by which severe pain or suffering (other than pain or suffering arising only from or inherent in, or incidental to, lawful sanctions), whether physical or mental, is intentionally inflicted on that individual for such purposes as obtaining from that individual or a third person information or a confession, punishing that individual for an act that individual or a third person has committed or is suspected
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Anhang C: Ausgewählte Gesetzes- und Abkommenspassagen of having committed, intimidating or coercing that individual or a third person, or for any reason based on discrimination of any kind; and (2) mental pain or suffering refers to prolonged mental harm caused by or resulting from– (A) the intentional infliction or threatened infliction of severe physical pain or suffering; (B) the administration or application, or threatened administration or application, of mind altering substances or other procedures calculated to disrupt profoundly the senses or the personality; (C) the threat of imminent death; or (D) the threat that another individual will imminently be subjected to death, severe physical pain or suffering, or the administration or application of mind altering substances or other procedures calculated to disrupt profoundly the senses or personality.
Anhang C: Ausgewählte Gesetzes- und Abkommenspassagen
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Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 Artikel 3 Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person. Artikel 4 Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel in allen ihren Formen sind verboten. Artikel 5 Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Artikel 9 Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden. Artikel 15 1. Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit. 2. Niemandem darf seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen noch das Recht versagt werden, seine Staatsangehörigkeit zu wechseln.
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Anhang C: Ausgewählte Gesetzes- und Abkommenspassagen Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966
Artikel 6 (1) Jeder Mensch hat ein angeborenes Recht auf Leben. Dieses Recht ist gesetzlich zu schützen. Niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden. (2) In Staaten, in denen die Todesstrafe nicht abgeschafft worden ist, darf ein Todesurteil nur für schwerste Verbrechen auf Grund von Gesetzen verhängt werden, die zur Zeit der Begehung der Tat in Kraft waren und die den Bestimmungen dieses Paktes und der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes nicht widersprechen. Diese Strafe darf nur auf Grund eines von einem zuständigen Gericht erlassenen rechtskräftigen Urteils vollstreckt werden. […] Artikel 7 Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Insbesondere darf niemand ohne seine freiwillige Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden. Artikel 8 (1) Niemand darf in Sklaverei gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel in allen ihren Formen sind verboten. Artikel 9 (1) Jedermann hat ein Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit. Niemand darf willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden. Niemand darf seine Freiheit entzogen werden, es sei denn aus gesetzlich bestimmten Gründen und unter Beachtung des im Gesetz vorgeschriebenen Verfahrens. (2) Jeder Festgenommene ist bei seiner Festnahme über die Gründe der Festnahme zu unterrichten und die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen sind ihm unverzüglich mitzuteilen. (3) Jeder, der unter dem Vorwurf einer strafbaren Handlung festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, muss unverzüglich einem Richter oder einer anderen gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Amtsperson vorgeführt werden und hat Anspruch auf ein Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung aus der Haft. Es darf nicht die allgemeine Regel sein, dass Personen, die eine gerichtliche Aburteilung erwarten, in Haft gehalten werden, doch kann die Freilassung davon abhängig gemacht werden, dass für das Erscheinen zur Hauptverhandlung oder zu jeder anderen Verfahrenshandlung und gegebenenfalls zur Vollstreckung des Urteils Sicherheit geleistet wird.
Anhang C: Ausgewählte Gesetzes- und Abkommenspassagen
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Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 Artikel 1 (1) Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck „Folter“ jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhendenGrund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.
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Anhang C: Ausgewählte Gesetzes- und Abkommenspassagen Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948
Artikel II In dieser Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: (a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe; (b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe; (c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; (d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; (e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe. Artikel IV Personen, die Völkermord oder eine der sonstigen in Artikel II aufgeführten Handlungen begehen, sind zu bestrafen, gleichviel ob sie regierende Personen, öffentliche Beamte oder private Einzelpersonen sind.
Anhang C: Ausgewählte Gesetzes- und Abkommenspassagen
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Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949 Artikel 3 Im Falle eines bewaffneten Konflikts, der keinen internationalen Charakter aufweist und der auf dem Gebiet einer der Hohen Vertragsparteien entsteht, ist jede der am Konflikt beteiligten Parteien gehalten, wenigstens die folgenden Bestimmungen anzuwenden: 1. Personen, die nicht direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen, einschliesslich der Mitglieder der bewaffneten Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben, und der Personen, die infolge Krankheit, Verwundung, Gefangennahme oder irgendeiner anderen Ursache ausser Kampf gesetzt wurden, sollen unter allen Umständen mit Menschlichkeit behandelt werden, ohne jede Benachteiligung aus Gründen der Rasse, der Farbe, der Religion oder des Glaubens, des Geschlechts, der Geburt oder des Vermögens oder aus irgendeinem ähnlichen Grunde. Zu diesem Zwecke sind und bleiben in bezug auf die oben erwähnten Personen jederzeit und jedenorts verboten: a. Angriffe auf Leib und Leben, namentlich Mord jeglicher Art, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung; b. die Gefangennahme von Geiseln; c. Beeinträchtigung der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende und entwürdigende Behandlung; d. Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines ordnungsmässig bestellten Gerichtes, das die von den zivilisierten Völkern als unerlässlich anerkannten Rechtsgarantien bietet. 2. Die Verwundeten und Kranken sollen geborgen und gepflegt werden. Eine unparteiische humanitäre Organisation, wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, kann den am Konflikt beteiligten Parteien ihre Dienste anbieten. Die am Konflikt beteiligten Parteien werden sich anderseits bemühen, durch besondere Vereinbarungen auch die andern Bestimmungen des vorliegenden Abkommens ganz oder teilweise in Kraft zu setzen. Die Anwendung der vorstehenden Bestimmungen hat auf die Rechtsstellung der am Konflikt beteiligten Parteien keinen Einfluss. Artikel 146 Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, alle notwendigen gesetzgeberischen Massnahmen zur Festsetzung von angemessenen Strafbestimmungen für solche Personen zu treffen, die irgendeine der im folgenden Artikel umschriebenen schweren Verletzungen des vorliegenden Abkommens begehen oder zu einer solchen Verletzung den Befehl erteilen. Jede Vertragspartei ist zur Ermittlung der Person verpflichtet, die der Begehung oder der Erteilung eines Befehles zur Begehung der einen oder andern dieser schweren Verletzungen beschuldigt sind und hat sie ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor ihre eigenen Gerichte zu ziehen. Wenn sie es vorzieht, kann sie sie auch gemäss den ihrer eigenen Gesetzgebung vorgesehenen Bedingungen zur Aburteilung einer andern an der Verfolgung in-
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Anhang C: Ausgewählte Gesetzes- und Abkommenspassagen
teressierten Vertragspartei übergeben, sofern diese gegen die erwähnten Personen ausreichende Beschuldigungen nachgewiesen hat. Jede Vertragspartei soll die notwendigen Massnahmen ergreifen, um auch diejenigen Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen des vorliegenden Abkommens zu unterbinden, die nicht zu den im folgenden Artikel umschriebenen schweren Verletzungen zählen. Unter allen Umständen müssen die Angeklagten nicht geringere Sicherheiten in bezug auf Gerichtsverfahren und freie Verteidigung geniessen als die in Artikel 105 ff. des Genfer Abkommens vom 12. August 19491 über die Behandlung der Kriegsgefangenen vorgesehenen. Artikel 147 Als schwere Verletzungen, wie sie im vorhergehenden Artikel erwähnt sind, gelten jene, die die eine oder andere der folgenden Handlungen umfassen, sofern sie gegen Personen oder Güter begangen werden, die durch das vorliegende Abkommen geschützt sind: vorsätzlicher Mord, Folterung oder unmenschliche Behandlung, einschliesslich biologischer Experimente, vorsätzliche Verursachung grosser Leiden oder schwere Beeinträchtigung der körperlichen Integrität der Gesundheit, ungesetzliche Deportation oder Versetzung, ungesetzliche Gefangenhaltung, Nötigung einer geschützten Person zur Dienstleistung in den bewaffneten Kräften der feindlichen Macht oder Entzug ihres Anrechts auf ein ordentliches und unparteiisches, den Vorschriften des vorliegenden Abkommens entsprechendes Gerichtsverfahren, das Nehmen von Geiseln sowie Zerstörung und Aneignung von Gut, die nicht durch militärische Erfordernisse gerechtfertigt sind und in grossem Ausmass auf unerlaubte und willkürliche Weise vorgenommen werden.
Anhang C: Ausgewählte Gesetzes- und Abkommenspassagen
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Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 Artikel 7: Verbrechen gegen die Menschlichkeit (1) Im Sinne dieses Statuts bedeutet „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ jede der folgenden Handlungen, die im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen wird: a) vorsätzliche Tötung; b) Ausrottung; c) Versklavung; d) Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung; e) Freiheitsentzug oder sonstige schwer wiegende Beraubung der körperlichen Freiheit unter Verstoß gegen die Grundregeln des Völkerrechts; f) Folter; g) Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation oder jede andere Form sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere; h) Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaft aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, Gründen des Geschlechts im Sinne des Absatzes 3 oder aus anderen nach dem Völkerrecht universell als unzulässig anerkannten Gründen im Zusammenhang mit einer in diesem Absatz genannten Handlung oder einem der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen; i) zwangsweises Verschwindenlassen von Personen; j) das Verbrechen der Apartheid; k) andere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art, mit denen vorsätzlich große Leiden oder eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der geistigen oder körperlichen Gesundheit verursacht werden. (2) Im Sinne des Absatzes 1 a) bedeutet „Angriff gegen die Zivilbevölkerung“ eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Absatz 1 genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat; b) umfasst „Ausrottung“ die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen [6] – unter anderem das Vorenthalten des Zugangs zu Nahrungsmitteln und Medikamenten –, die geeignet sind [7], die Vernichtung eines Teiles der Bevölkerung herbeizuführen; c) bedeutet „Versklavung“ die Ausübung aller oder einzelner mit einem Eigentumsrecht an einer Person verbundenen Befugnisse und umfasst die Ausübung dieser Befugnisse im Rahmen des Handels mit Menschen, insbesondere mit Frauen und Kindern;
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Anhang C: Ausgewählte Gesetzes- und Abkommenspassagen d) bedeutet „Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung“ die erzwungene, völkerrechtlich unzulässige Verbringung der betroffenen Personen durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen aus dem Gebiet, in dem sie sich rechtmäßig aufhalten; e) bedeutet „Folter“, dass einer im Gewahrsam oder unter der Kontrolle des Beschuldigten befindlichen Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden; Folter umfasst jedoch nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind; f) bedeutet „erzwungene Schwangerschaft“ die rechtswidrige Gefangenhaltung einer zwangsweise geschwängerten Frau in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen oder andere schwere Verstöße gegen das Völkerrecht zu begehen. Diese Begriffsbestimmung ist nicht so auszulegen, als berühre sie innerstaatliche Gesetze in Bezug auf Schwangerschaft; g) bedeutet „Verfolgung“ den völkerrechtswidrigen, vorsätzlichen und schwer wiegenden Entzug von Grundrechten wegen der Identität einer Gruppe oder Gemeinschaft; h) bedeutet „Verbrechen der Apartheid“ unmenschliche Handlungen ähnlicher Art wie die in Absatz 1 genannten, die von einer rassischen Gruppe im Zusammenhang mit einem institutionalisierten Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer anderer rassischer Gruppen in der Absicht begangen werden, dieses Regime aufrechtzuerhalten; i) bedeutet „zwangsweises Verschwindenlassen von Personen“ die Festnahme, den Entzug der Freiheit oder die Entführung von Personen durch einen Staat oder eine politische Organisation oder mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates oder der Organisation, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen oder Auskunft über das Schicksal oder den Verbleib dieser Personen zu erteilen, in der Absicht, sie für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen.
(3) Im Sinne dieses Statuts bezieht sich der Ausdruck „Geschlecht“ auf beide Geschlechter, das männliche und das weibliche, im gesellschaftlichen Zusammenhang. Er hat keine andere als die vorgenannte Bedeutung. Artikel 25: Individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit (1) Der Gerichtshof hat aufgrund dieses Statuts Gerichtsbarkeit über natürliche Personen. (2) Wer ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen begeht, ist dafür in Übereinstimmung mit diesem Statut individuell verantwortlich und strafbar. (3) In Übereinstimmung mit diesem Statut ist für ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen strafrechtlich verantwortlich und strafbar, wer a) ein solches Verbrechen selbst, gemeinschaftlich mit einem anderen oder durch einen anderen begeht, gleichviel ob der andere strafrechtlich verantwortlich ist; b) die Begehung eines solchen Verbrechens, das tatsächlich vollendet oder versucht wird, anordnet, dazu auffordert oder dazu anstiftet; c) zur Erleichterung eines solchen Verbrechens Beihilfe oder sonstige Unterstützung bei seiner Begehung oder versuchten Begehung leistet, einschließlich der Bereitstellung der Mittel für die Begehung;
Anhang C: Ausgewählte Gesetzes- und Abkommenspassagen
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d) auf sonstige Weise zur Begehung oder versuchten Begehung eines solchen Verbrechens durch eine mit einem gemeinsamen Ziel handelnde Gruppe von Personen beiträgt. Ein derartiger Beitrag muss vorsätzlich sein und entweder i. mit dem Ziel geleistet werden, die kriminelle Tätigkeit oder die strafbare Absicht der Gruppe zu fördern, soweit sich diese auf die Begehung eines der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechens beziehen, oder ii. in Kenntnis des Vorsatzes der Gruppe, das Verbrechen zu begehen, geleistet werden; e) in Bezug auf das Verbrechen des Völkermords andere unmittelbar und öffentlich zur Begehung von Völkermord aufstachelt; f) versucht, ein solches Verbrechen zu begehen, indem er eine Handlung vornimmt, die einen wesentlichen Schritt zum Beginn seiner Ausführung darstellt, wobei es jedoch aufgrund von Umständen, die vom Willen des Täters unabhängig sind, nicht zur Tatausführung kommt. Wer jedoch die weitere Ausführung des Verbrechens aufgibt oder dessen Vollendung auf andere Weise verhindert, ist aufgrund dieses Statuts für den Versuch des Verbrechens nicht strafbar, wenn er das strafbare Ziel vollständig und freiwillig aufgegeben hat. g) Die Bestimmungen dieses Statuts betreffend die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit berühren nicht die Verantwortung der Staaten nach dem Völkerrecht.
624
Anhang C: Ausgewählte Gesetzes- und Abkommenspassagen Statut für den Internationalen Militärgerichtshof vom 8. August 1945
Artikel 6 Der durch das in Artikel 1 genannte Abkommen eingesetzte Gerichtshof zur Aburteilung der Hauptkriegsverbrecher der der europäischen Achse angehörenden Staaten hat das Recht, alle Personen abzuurteilen, die im Interesses der der europäischen Achse angehörenden Staaten als Einzelpersonen oder als Mitglieder einer Organisation oder Gruppe eines der folgenden Verbrechen begangen haben: Die folgenden Handlungen, oder jede einzelne von ihnen, stellen Verbrechen dar, für deren Aburteilung der Gerichtshof zuständig ist. Der Täter solcher Verbrechen ist persönlich verantwortlich: […] b) Kriegsverbrechen: Nämlich: Verletzung der Kriegsgesetze oder -gebräuche. Solche Verletzungen umfassen, ohne jedoch darauf beschränkt zu sein, Mord, Misshandlungen oder Deportation zur Sklavenarbeit oder für irgendeinen anderen Zweck, von Angehörigen der Zivilbevölkerung von oder in besetzte Gebieten, Mord oder Misshandlungen von Kriegsgefangenen oder Personen auf hoher See, Töten von Geiseln, Plünderung öffentlichen oder privaten Eigentums, die mutwillige Zerstörung von Städten, Märkten oder Dörfern oder jede durch militärische Notwendigkeit nicht gerechtfertigte Verwüstung; c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Nämlich: Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation oder andere unmenschliche Handlungen, begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung vor oder währund des Krieges, Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, begangen in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist, und zwar unabhängig davon, ob die Handlung gegen das Recht des Landes verstieß, in dem sie begangen wurde, oder nicht. Anführer, Organisatoren, Anstifter und Teilnehmer, die am Entwurf oder der Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung zur Begehung eines der vorgenannten Verbrechen teilgenommen haben, sind für alle Handlungen verantwortlich, die von irgendeiner Person in Ausführung eines solchen Planes begangen worden sind.
Anhang C: Ausgewählte Gesetzes- und Abkommenspassagen
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Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien vom 25. Mai 1993 Artikel 6: Persönliche Zuständigkeit Der Gerichtshof hat Gerichtsbarkeit über natürliche Personen nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Statuts. Artikel 7: Individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit 1. Wer ein in den Artikeln 2 bis 5 dieses Statuts genanntes Verbrechen geplant, angeordnet, begangen oder dazu angestiftet hat oder auf andere Weise zur Planung, Vorbereitung oder Ausführung des Verbrechens Beihilfe geleistet hat, ist für das Verbrechen individuell verantwortlich. 2. Die amtliche Stellung eines Beschuldigten, ob als Staats- oder Regierungschef oder als verantwortlicher Amtsträger der Regierung, enthebt den Betreffenden nicht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit und führt auch nicht zur Strafmilderung. […]
Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda vom 8. November 1994 Artikel 5: Persönliche Zuständigkeit Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda hat Gerichtsbarkeit über natürliche Personen nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Statuts. Artikel 6: Individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit 1. Wer ein in den Artikeln 2 bis 4 dieses Statuts genanntes Verbrechen geplant, angeordnet, begangen oder dazu angestiftet hat oder auf andere Weise zur Planung, Vorbereitung oder Ausführung des Verbrechens Beihilfe geleistet hat, ist für das Verbrechen individuell verantwortlich.
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Verzeichnis der Judikatur Abagninin v. AMVAC Chemical Corp., 545 F.3d 733 (9th Cir. 2008) Abebe-Jira v. Negewo, 1993 WL 814304 (N.D. Ga. 1993), aff’d 72 F.3d 844 (11th Cir. 1996) Abiodun v. Martin Oil Serv., Inc., 475 F.2d 142 (7th Cir. 1973) Abiola v. Abubakar, 2008 U.S. Dist. LEXIS 2937 (N.D. Ill. 2008) Abrams v. Societe Nationale des Chemins de Fer Francais, 332 F.3d 173 (2d Cir. 2002) Adamu v. Pfizer, Inc., 399 F. Supp. 2d 495 (S.D.N.Y. 2005), rev’d sub nom. Abdullahi v. Pfizer, Inc., 562 F.3d 163 (2d Cir. 2009) Adhikari v. Daoud & Partners, 697 F. Supp. 2d 674 (S.D. Tex. 2009), No. 1:09-cv-1237 (S.D. Tex. Aug. 23, 13) Adra v. Clift, 195 F. Supp. 857 (D. Md. 1961) Aguilar v. Imperial Nurseries, No. 07-cv-0193 (D. Conn. 2008) Aguinda v. Texaco, Inc., 945 F. Supp. 625 (S.D.N.Y. 1996), 142 F. Supp. 2d 534 (S.D.N.Y. 2001), aff’d 303 F.3d 470 (2d Cir. 2002) Ahmad v. Foundation for Int’l Research and Education, No.1:13-cv-003376 (S.D.N.Y. May 17, 2013) Ahmed v. Magan, No. 2:10-cv-342 (S.D. Ohio May 22, 2012) Ahmed-Al-Khalifa v. Queen Elizabeth II, No. 5:13-cv-103 (N.D. Fla. May 21, 2013) Aldana v. Fresh Del Monte Produce, Inc., 305 F. Supp. 2d 1285 (S.D. Fla. 2003), rev’d 416 F.3d 1242 (11th Cir. 2005) (per curiam); No. 01 – 3399-Civ (S.D. Fla. Oct. 16, 2007), aff’d 578 F. 3d 1283 (11th Cir. 2009) Alejandre v. Rep. of Cuba, 996 F. Supp. 1239 (S.D. Fla. 1997) Alfred Dunhill of London, Inc. v. Rep. of Cuba, 425 U.S. 682 (1976) Al-Khalifa v. Obama, No. 1:13-cv-49 (N.D. Fla. July 1, 2013) Al-Khalifa v. Salvation Army Nigeria, No. 3:13-cv-289 (N.D. Fla. Apr. 29, 2013) Almog v. Arab Bank, PLC, 471 F. Supp. 2d 257 (E.D.N.Y. 2007), rev’d No. 1:04-cv-055 (E.D.N.Y. 23 Aug. 2013) Al-Odah v. U.S., 321 F.3d 1134 (D.C. Cir. 2003) Alperin v. Vatican Bank, 2003 WL 21303209 (N.D. Cal. 2003), 2008 WL 509300 (N.D. Cal. 2008), 410 F.3d 532 (9th Cir. 2005) Al-Quraishi v. Nakhla, 728 F. Supp. 2d 702 (D. Md. 2010), rev’d sub nom. Al-Quraishi v. L-3 Servs., Inc., 657 F. 3d 201 (4th Cir. 2011), reinstated sub nom. Al Shimari v. CACI Int’l, Inc., 679 F.3d 205 (4th Cir. 2012) (en banc)
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Verzeichnis der Judikatur
Al Shimari v. CACI Int’l, Inc., 657 F. Supp. 2d 700 (E.D. Va. 2009), aff’d 658 F.3d 413 (4th Cir. 2011), rev’d & reinstated 679 F.3d 205 (4th Cir. 2012) (en banc), No. 1:08-cv-827 (E.D. Va. June 25, 2013) Alvarez-Machain v. U.S., 331 F.3d 604 (9th Cir. 2003) Ameralda Hess Shipping Corp. v. Argentine Rep., 830 F.2d 421 (2d Cir. 1987) Amergi v. Palestinian Authority, No. 09 – 13618 (11th Cir. July 27, 2010) Amlon Metals, Inc. v. FMC Corp., 775 F. Supp. 668 (S.D.N.Y. 1991) Anderman v. Fed. Rep. of Austria, et al., 256 F. Supp. 2d 1098 (C.D. Cal. 2003) Arce v. Garcia, 434 F.3d 1254 (11th Cir. 2006) Arndt v. UBS AG, 342 F. Supp. 2d 132 (E.D.N.Y. 2004) Asahi Metal Indus. v. Superior Court, 480 U.S. 102 (1987) Aschroft v. Iqbal, 556 U.S. 662 (2009) Aziz v. Alcolac, Inc., No. 1:09-cv-00869 (D. Md.), 658 F.3d 388 (4th Cir. 2011) Baker v. Carr, 369 U.S. 186 (1962) Balcero v. Drummond Co., Inc., 2:09-cv-01041-RDP, Doc. 113 (N.D. Ala. Jan. 6, 2011), No. 2:09-cv-01041 (N.D. Ala. July 25, 2013). Baloco v. Drummond Co., Inc., 640 F.3d 1338 (11th Cir. 2011) Banco Nacional de Cuba v. Sabbatino, 376 U.S. 398 (1964) Bao Ge v. Li Peng, 201 F. Supp. 2d 14 (D.D.C. 2000) Baraket v. Holder, 632 F.3d 56 (2d Cir. 2011) Bauman v. DaimlerChrysler AG, No. Civ-04 – 00194, (N.D. Cal. Nov. 22, 2005), No. Civ04 – 00194 (N.D. Cal. Feb. 12, 2007), aff’d 579 F.3d 1088 (9th Cir. 2009), rev’d 644 F.3d 909 (9th Cir. 2011); rev’d sub nom. Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746 (2014) Beanal v. Freeport-McMoran, Inc., 969 F. Supp. 362 (E.D. La. 1997), 197 F.3d 161 (5th Cir. 1999) Belhas v. Ya’Alon, 515 F.3d 1279 (D.C. Cir. 2008) Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S. 544 (2007) Benjamins v. British European Airways, 572 F.2d 913 (2d Cir. 1978) Bera v. Shell Petroleum Dev. Co. of Nigeria, No. 11-CIV-8169 (S.D.N.Y. 2011) Bigio v. Coca-Cola Co., 239 F.3d 440 (2d Cir. 2000), 448 F.3d 176 (2d. Cir. 2006) Bivens v. Six Unknown Federal Agents, 403 U.S. 388 (1971) Blum v. Yaretsky, 457 U.S. 991 (1982) BMW of North America, Inc. v. Gore, 517 U.S. 559 (1996) Bodner v. Banque Paribas, 114 F. Supp. 2d 117, 128 (E.D.N.Y. 2000) Bolchos v. Darrell, 3 F. Cas. 810 (D.S.C. 1795)
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Bowoto v. Chevron, 312 F. Supp. 2d 1229 (N.D. Cal. 2004), 557 F. Supp. 2d 1080 (N.D. Cal. 2008), No. 3:99-cv-02506 (N.D. Cal. Apr. 22, 2009), aff’d 621 F.3d 1116 (9th Cir. 2010) B.T. Shanker Hedge v. British Airways, 1982 U.S. Dist. LEXIS 16469 (N.D. Ill. 1982) Bulova Watch Co., Inc. v. K. Hattori & Co., Ltd., 508 F. Supp. 1322 (E.D.N.Y. 1981) Bundesarbeitsgericht (BAG) vom 16. 02. 2000, NZA 2000, 385 = ArboR 2000, 228 Bundesgerichtshof (BGH) vom 24. 06. 2002, 11 ZR 300/00, NJW 55, 3024 Bundesgerichtshof (BGH) vom 25. 02. 2002, II ZR 196/00, NJW 55, 1803 Bundesgerichtshof (BGH) vom 26. 02. 1993, V ZR 74/92, NJW 1993, 1580 Bundesgerichtshof (BGH) vom 2. 7. 1991, XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 Bundesgerichtshof (BGH) vom 16. 09. 1985, II ZR 275/84, NJW 39 (1986), 188 Bundesgerichtshof (BGH) vom 22. 06. 1967, BGHZ 48, 125 Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vom 24. 1. 2007, 2 BvR 1133/04, RIW 2007, 211 Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vom 25. 07. 2003, BVerfGE 108, 238, NJW 2003, 2598 Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vom 13. 05. 1996, BVerfGE 94, 315 = NJW 1996, 2717 Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vom 10. 02. 1954, 2 BvN 1/54, BGHZ 11, 151, NJW 1954, 505 Burger-Fisher v. Degussa AG, 65 F. Supp. 2d 248 (D.N.J. 1999) Burger King Corp. v. Rudzewicz, 471 U.S. 462 (1985) Burnett v. Al Baraka Inv. & Dev. Corp., 274 F. Supp. 2d 86 (D.D.C. 2003) Burnham v. Superior Court of California, 495 U.S. 604 (1990) Burton v. Wilmington Parking Auth., 365 U.S. 715 (1961) Cabello v. Fernandez Larios, 205 F.Supp.2d 1325 (S.D. Fla. 2002) Cabiri v. Assasie-Gyimah, 921 F. Supp. 1189 (S.D.N.Y. 1996) Cabrera v. Jiménez Naranjo, No. 1:10-cv-21951-EGT (S.D. Fla. 2010) Camacho v. Rogers, 199 F. Supp. 155 (S.D.N.Y. 1961) Canadian Overseas Ores Ltd. v. Compania de Acero Del Pacifico S.A., 528 F. Supp. 1337 (S.D.N.Y. 1982) Canadian Transport Co. v. U.S., 663 F.2d 1081 (D.C. Cir. 1980) Carmichael v. United Technologies Corp., 835 F.2d 109 (5th Cir.1988) Castillo v. Spiliada Maritime Corp., 732 F. Supp. 50 (E.D. La. 1990) Chan v. Society Expeditions, Inc., 39 F.3d 1398 (9th Cir.1994) Chavez v. Carranza, 413 F. Supp. 2d 891 (W.D. Tenn. 2005), aff’d 559 F.3d 486 (6th Cir. 2009) Chen Gang v. Zhao Zhizhen, No. 3:04-CV-1146-RNC (D. Conn. Sept. 20, 2013) Cheney v. United States Dist. Court, 542 U.S. 367 (2004) Chowdhury v. Worldtel Bangladesh Holding, Ltd., 588 F. Supp.2d 375 (E.D.N.Y. 2008), rev’d No. 09 – 4483 (2d Cir. Feb. 10, 2014)
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Coleman v. Miller, 307 U.S. 433 (1939) Cong v. Conocophillips Co., No. 12-CV-1976 (S.D. Tex. 2012) Corrie v. Caterpillar, Inc., 503 F.3d 974 (9th Cir. 2007) Corte Supreme de Justicia de la Nacion (Argentina), 02/02/2012, „Ingegnieros, María Gimena c. Techint S.A. Compañía Técnica Internacional“, La Ley 13/03/2012, 4, AR/JUR/121/2012 Corte Supreme de Justicia de la Nacion (Argentina), 30/10/2007, „Larrabeiti Yanez, Anatole Alejandro y otro c/Estado Nacional/proceso de concocimiento“, La Ley 2008-F-23 Cuba R. Co. v. Crosby, 222 U.S. 473 (1912) Cunningham v. Southlake Ctr. for Mental Health, Inc., 924 F.2d 106 (7th Cir. 1991) D’Amario v. Providence Civic Ctr. Auth., 783 F.2d 1 (1st Cir.1986) Damaskinos v. Societa Navigacion Interamericana, S.A., Pan., 255 F.Supp. 919 (S.D.N.Y. 1966) Daobin v. Cisco Sys., Inc., No. 11-CV-1538, 2011 WL 3962879 (D. Md. 2011) de Rapaport v. Suarez-Mason, No. C87 – 2266-JPV (N.D. Cal. Apr. 11, 1989) De Wit v. KLM Royal Dutch Airlines, N.V., 570 F. Supp. 613 (S.D.N.Y. 1983) Deirmenjian v. Deutsche Bank, AG, 526 F. Supp. 2d 1068 (C.D. Cal. 2007) Dennis v. Sparks, 449 U.S. 24 (1980) Deutsch v. Turner Corp., 317 F.3d 1005 (9th Cir. 2003) Diggs v. Schultz, 470 F.2d 461 (D.C. Cir. 1972) Doe v. Cisco Sys., Inc., No. CV-11 – 249-PSG, 2011 WL 1338057 (N.D. Cal. 2011) Doe v. Constant, No. 08 – 4827-cv (2d Cir. Sept. 1, 2009) Doe v. Exxon Mobil Corp., 393 F. Supp. 2d 20 (D.D.C. 2005), rev’d 654 F. 3d 11 (D.C. Cir. 2011), vacated & remanded 527 F. App’x 7 (D.C. Cir. 2013) Doe v. Islamic Salvation Front, 257 F. Supp. 2d 115 (D.D.C. 2003) Doe v. Karadzic, 866 F. Supp. 734 (S.D.N.Y. 1994), 176 F.R.D. 458 (S.D.N.Y. 1997), 192 F.R.D 133 (S.D.N.Y. 2000) Doe v. Liu Qi, 349 F. Supp. 2d 1258 (N.D. Cal. 2004) Doe v. Lumintang, No. 1:00-cv-674 (D.D.C. Sept. 13, 2001) Doe v. Nestle, SA, 748 F. Supp. 2d 1057 (C.D. Cal. 2010), rev’d 738 F.3d 1048 (9th Cir. 2013) Doe v. Reddy, No. 02-cv-05570 WHA, 2003 WL 23893010 (N.D. Cal. Aug. 4, 2003) Doe v. Saravia, 348 F. Supp. 2d 1112 (E.D. Cal. 2004) Doe v. The Gap, Inc., CV-01 – 0031, 2001 WL 1842389 (D. N. Mar. I. 2001); No. CV-01 – 0031, 2002 WL 1000068 (D. N. Mar. I. May 10, 2002) Doe v. Unocal Corp., 963 F. Supp. 880 (C.D. Cal. 1997), 67 F. Supp. 2d 1140 (C.D. Cal. 1999), 110 F. Supp. 2d 1294 (C.D. Cal. 2000), 248 F.3d 915 (9th Cir. 2001), 395 F.3d 932 (9th Cir. 2002) Doe v. Wal-Mart Stores, Inc., 572 F.3d 677 (9th Cir. 2009)
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Dreyfus v. von Finck, 534 F.2d 24 (2d Cir. 1976) Duveen v. United States Dist. Court (In re Austrian & German Holocaust Litig.), 250 F.3d 156 (2d Cir. 2001) Eastman Kodak Co. v. Kavlin, 978 F. Supp. 1078 (S.D. Fla. 1997) El-Masri v. Tenet, 479 F.3d 296 (4th Cir. 2007) Empagran S.A. v. Hoffman-La Roche, Ltd., 2001 WL 761360 (D.D.C. 2000) Equal Employment Opportunity Comm’n (EEOC) v. Arabian Am. Oil Co., 499 U.S. 244 (1991) Estate of Rodriguez v. Drummond Co., Inc., 256 F. Supp. 2d 1250 (N.D. Ala. 2003), aff’d sub nom. Romero v. Drummond Co., Inc., 552 F.3d 1303 (11th Cir. 2008) Ezekiel v. B.S.S. Steel Rolling Mills (N.D. Fla. Apr. 22, 2013) Fernandez v. Wilkinson, 505 F. Supp. 787 (D. Kan. 1980) Filartíga v. Pena-Irala, 630 F.2d 876 (2d Cir. 1980), 577 F. Supp. 860 (E.D.N.Y. 1984) Fish v. East, 114 F.2d 177 (10th Cir. 1940) Fletcher v. Atex, Inc., 68 F.3d 1451 (2d Cir. 1995) Flomo v. Firestone Natural Rubber Co., LLC, 643 F.3d 1013 (7th Cir. 2011) Flores v. Southern Peru Copper Corp., 253 F. Supp. 2d 510 (S.D.N.Y. 2002), aff’d 414 F.3d 233 (2d Cir. 2003) Ford v. Garcia, 289 F.3d 1283 (11th Cir. 2002) Ford v. Surget, 97 U.S. (7 Otto) 594 (1878) Forti v. Suarez-Mason, 672 F. Supp. 1531 (N.D. Cal. 1987), 694 F. Supp. 707 (N.D. Cal. 1988) Foster & Elam v. Nielson, 27 U.S. (2 Pet.) 253 (1829) Friedman v. Bayer Corp., 1999 WL 33457825 (E.D.N.Y 1999) Fund of Funds, Ltd. v. Vesco, No. 74-civ-1980, 1976 WL 800 (S.D.N.Y. 1976) Gallagher v. Neil Young Freedom Concert, 49 F.3d 1442 (10th Cir. 1995) Genocide Victims of Krajina v. L-3 Servs., Inc., 804 F. Supp. 2d 814 (N.D. Ill. 2011) Gilford Motor Co. v. Horne, [1933] All E.R. 109 (Ct. of Appeals of England) Giraldo v. Drummond Co., Inc., 808 F. Supp. 2d 247 (N.D. Ala. 2011), No. 2:09-cv-1041 (N.D. Ala. July 25, 2013) Goldwater v. Carter, 444 U.S. 996 (1979) Goodyear Dunlop Tires Operations, SA v. Brown, 131 S. Ct. 2846 (2011) Greenham Women Against Cruise Missiles v. Reagan, 591 F. Supp. 1332 (S.D.N.Y. 1984) Gulf Oil Corp. v. Gilbert, 330 U.S. 501 (1947) Hamid v. Price Waterhouse, 51 F.3d 1411 (9th Cir. 1995) Handel v. Artukovic, 60 F. Supp. 42 (C.D. Cal. 1985) Haven v. Rep. of Poland, No. 99 C 727 (N.D. Ill. 1999) Helicopteros Nacionales de Colombia, S.A. v. Hall, 466 U.S. 408 (1984)
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Verzeichnis der Judikatur
Herero People’s Reparations Corp. v. Deutsche Bank, AG, 370 F.3d 1192 (D.C. Cir. 2004) Herero People’s Reparations Corp. v. Deutsche Bank, No. 03-Civ.–991 (S.D.N.Y. Apr. 5, 2006) Hereros v. Deutsche Afrika-Linien Gmblt & Co., No. 05-Civ-1872 (D.N.J. Jan. 17, 2006), aff’d 232 F. App’x 90 (3d Cir. 2007) Hidalgo v. Siemens Aktiengesellschaft, No. 11-CV-20107 (S.D. Fla. 2011) Hilao v. Estate of Ferdinand Marcos, 103 F.3d 767 (9th Cir. 1996) Holland v. Islamic Rep. of Iran, 496 F. Supp. 2d 1 (D.D.C. 2005) Holocaust Victims of Bank Theft v. Magyar Nemzeti Bank, 807 F. Supp. 2d 689 (N.D. Ill. 2011) Homawoo v. GMF Assurances S.A., [2012] I.L.Pr. 2 [European Court of Justice] Hua Chen v. Honghui Shi, No. 09-Civ-8920 (S.D.N.Y. Aug. 1, 2013) Huynh Thi Anh v. Levi, 586 F.2d 625 (6th Cir. 1978) Ibrahim v. Titan Corp., 391 F. Supp. 2d 10, 14 (D.D.C. 2005), aff’d sub nom. Saleh v. Titan Corp. 580 F.3d 1 (D.C. Cir. 2009) IIT v. Vencap, Ltd., 519 F.2d 1001 (2d Cir. 1975) In re African Slave Descendents’ Litig., 471 F.3d 754 (7th Cir. 2006) In re Agent Orange Prod. Liab. Litig., 373 F. Supp. 2d 7 (E.D.N.Y. 2005) In re Alien Children Educ. Litig., 501 F. Supp. 544 (S.D. Tex. 1980), aff’d on other grounds sub nom. Plyler v. Doe, 457 U.S. 202 (1982) In re Arbitration Between Monegasque de Reassurances S.A.M. (Monde Re), 311 F.3d 488 (2d Cir. 2002) In re Assicurazioni Generali S.P.A. Holocaust Ins. Litig., No. 1374 (S.D.N.Y. 2000) In re Austrian and German Holocaust Litigation, 80 F. Supp. 2d 164 (S.D.N.Y. 2000), aff’d sub nom. D’Amato v. Deutsche Bank, 236 F.3d 78 (2d Cir. 2001) In re Chiquita Brands Int’l, Inc., Alien Tort Statute & Shareholder Derivative Litig., 690 F. Supp. 2d 1296 (S.D. Fla. 2010), No. 0:08-md-01916 (S.D. Fla. June 3, 2011) In re Estate of Ferdinand E. Marcos Human Rights Litigation, MLD 840-MLR (D. Haw. May 16, 1991), 978 F.2d 493 (9th Cir. 1992), aff’d 25 F.3d 1467 (9th Cir. 1994) In re Holocaust Victim Assets Litigation, No. CV-96 – 4849, 2000 U.S. Dist. LEXIS 20817 (E.D.N.Y. Nov. 22, 2000). In re Iraqi and Afghan Detainees Litig., 479 F. Supp. 2d 85 (D.D.C. 2007), aff’d sub nom. Ali v. Rumsfeld, 649 F.3d 762 (D.C. Cir. 2011) In re Microsoft Corp., Antitrust Litig., 127 F. Supp. 2d 702 (D. Md. 2001) In re South African Apartheid Litig., 238 F. Supp. 2d 1379 (S.D.N.Y. 2004), rev’d sub nom. Khulmani v. Barclay Nat. Bank Ltd., 504 F.3d 254 (2d Cir. 2007); aff’d Am. Isuzu Motors, Inc. v. Ntsebeza, 553 U.S. 1028 (2008); 617 F. Supp. 2d 228 (S.D.N.Y. 2009), rev’d sub nom. Balintulo v. Daimler AG, 727 F.3d 174 (2d Cir. 2013); No. 1:02-md-01499-SAS (S.D.N.Y. Dec. 12, 2013), No. 02-MDL-1499 (S.D.N.Y. Apr. 17, 2014) In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 392 F. Supp. 2d 539 (S.D.N.Y. 2005)
Verzeichnis der Judikatur
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In re Union Carbide Corp. Gas Plant Disaster at Bhopal, India, 634 F. Supp. 842 (1986) In re World War II Era Japanese Forced Labor Litig., 114 F. Supp. 2d 939 (N.D. Cal. 2000), 164 F. Supp. 2d 1160 (N.D.Cal.2001) In re Xe Servs. Alien Tort Litig., 665 F. Supp. 2d 569 (E.D. Va. 2009) Independent Living Ctr. of S. Cal., Inc. v. Shewry, 543 F.3d 1050 (9th Cir. 2008). International Shoe Co. v. Washington, 326 U.S. 310 (1945) Iragorri v. United Technologies Corp., 274 F.3d 65 (2d Cir. 2001) Iwanowa v. Ford Motor Co., 67 F. Supp. 2d 424 (D.N.J. 1999) Jackson v. Metropolitan Edison Co., 419 U.S. 345 (1974) Jafari v. Islamic Rep. of Iran, 539 F. Supp. 209 (N.D. Ill. 1982) Jaffe v. Broyles, 616 F.Supp. 1371 (W.D.N.Y. 1985) Jama v. Esmor Corr. Servs. Inc., 22 F.Supp.2d 353 (D.N.J. 1998) Jansen v. The Brigantine Vrow Christina Magdalena (D.S.C. 1794), aff’d by Talbot v. Jansen, 3. U.S. 133 (1795) Jara v. Barrientos, No. 3:13-cv-1075 (M.D. Fla. 2013) Jean v. Dorelien, No. 03 – 20161 (S.D.Fla. Feb. 23, 2007), aff’d 431 F.3d 776 (11th Cir. 2005) Johnson v. Eisentrager, 339 U.S. 763 (1950) Jones v. Petty-Ray Geophysical Geosource, Inc., 722 F. Supp. 343 (S.D. Tex. 1989) Jota v. Texaco, Inc., 157 F.3d 153 (2d Cir. 1998) Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232 (2d Cir. 1995) Kaplan v. Al Jazeera, No. 10-CV-5298-KMW, 2011 WL 2941526 (S.D.N.Y. 2011) Kaplan v. Central Bank of Iran, No. 10-cv-483 (D.D.C. Aug. 20, 2013) Kelberine v. Societe Internationale, 363 F.2d 989 (D.C. Cir. 1966) Khedivial Line, S.A.E. v. Seafarers’ Union, 278 F.2d 49 (2d Cir. 1960) King v. Massarweh, 782 F.2d 825 (9th Cir. 1986) Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 456 F. Supp. 2d 457 (S.D.N.Y. 2006), rev’d 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010); aff’d on other grounds 133 S. Ct. 1659 (2013) Kirkpatrick & Co. v. Envt’l Tectonics Corp., Int’l, 493 U.S. 400 (1990) Klinghoffer v. SNC Achille Lauro, 739 F. Supp. 854 (S.D.N.Y. 1990), aff’d 937 F.2d 44 (2d Cir. 1991) Kpadeh v. Emmanuel, 261 F.R.D. 687 (S.D. Fla. 2009) Kruman v. Christie’s Int’l PLC, 129 F. Supp. 2d 620 (S.D.N.Y. 2001) Lafontant v. Aristide, 844 F. Supp. 128 (E.D.N.Y. 1994) Latchford v. Turkish Rep. of N. Cyprus, No. 12-CV-846, 2012 WL 1913761 (D.D.C. 2012) Lebron v. Nat’l Railroad Passenger Corp., 513 U.S. 374 (1995) Lev v. Arab Bank, PLC, No. 08-CV-3251, 2010 WL 623636 (E.D.N.Y. Jan. 29, 2010)
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Verzeichnis der Judikatur
LG Berlin vom 01. 02. 2000, 2 O 199/99, NJW 1999, 2825 LG Bonn vom 2. 7. 1993 und vom 5. 11. 1997, 1 O 134/92 LG Bremen vom 3. 12. 1992 und vom 2. 6. 1998, I O 2889/90 LG Düsseldorf vom 17. 12. 2013, 37 O 200/09 (Kart) U. LG Frankfurt vom 27. 1. 1960, NJW 1960, 1575 LG Frankfurt vom 10. 6. 1953, 2/3 O 406/51, in: IfZ, ED 422, Bd. I LG München vom 26. 6. 2000, 22 O 10945/00 Licci v. American Express Bank Ltd., 704 F. Supp. 2d 403 (S.D.N.Y. 2010), rev’d in part sub nom. Licci v. Lebanese Canadian Bank, SAL, 672 F.3d 155 (2d Cir. 2012), 732 F. 3d 161 (2d Cir. 2013) Licea v. Curacao Drydock Co., 584 F. Supp. 2d 1355 (S.D. Fla. 2008) Linder v. Portocarrero, 963 F.2d 332 (11th Cir. 1992) Liu v. Rep. of China, 892 F.2d 1419 (9th Cir. 1989) Lopes v. Reederei Richard Schroder, 225 F. Supp. 292 (E.D. Pa. 1963) Lowendahl v. Baltimore & ORR, 287 N.Y. 62 (N.Y. App.), aff’d 272 N.Y. 360 (Ct. App. 1936) Lugar v. Edmondson Oil Co., 457 U.S. 922 (1982) Madison Shipping Corp. v. National Maritime Union, 282 F.2d 377 (3rd Cir. 1960) Magnifico v. Villanueva, 783 F. Supp. 2d 1217 (S.D. Fla. 2011) Makro Capital of Am., Inc. v. UBS AG, 372 F. Supp. 2d 623 (S.D. Fla. 2005) Manzanarez v. C&Y Sportswear, No. CV-0012715-NM (C.D. Cal. 2000) Marbury v. Madison, 5 U.S. (1 Cranch) 137 (1803) Martinez v. BP P.L.C., No. 1:12-cv-308 (D.D.C. 2012) Martinez v. City of Los Angeles, 141 F.3d 1373, 1384 (9th Cir. 1998) Martinez-Baca v. Suarez-Mason, 1988 U.S. Dist. LEXIS 19470 (N.D. Cal. 1988) Mastafa v. Australian Wheat Bd. Ltd., No. 07-CV-7955 (S.D.N.Y. 2008) Mastafa v. Chevron Corp., 759 F. Supp. 2d 297 (S.D.N.Y. 2010) Matar v. Dichter, 500 F. Supp. 2d 284 (S.D.N.Y. 2007), aff’d 563 F.3d 9 (2d Cir. 2009) Maugein v. Newmont Mining Corp., 298 F. Supp. 2d 1124 (D. Colo. 2004) M.C. v. Bianchi, 782 F. Supp. 2d 127 (E.D. Pa. 2011) McClelland Engineers, Inc. v. Munusamy, 579 F. Supp. 149 (5th Cir. 1986) McKenna v. Fisk, 42 U.S. (1 How.) 241 (1843) Mehinovic v. Vuckovic, 198 F. Supp. 2d 1322 (N.D. Ga. 2002) Mendonca v. Tidewater, Inc., 159 F. Supp. 2d 299 (E.D. La. 2001) Mohamed v. Jeppesen Dataplan, Inc., 579 F. 3d 943 (9th Cir. 2009), rev’d 614 F.3d 1070 (9th Cir. 2010)
Verzeichnis der Judikatur
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Mohammadi v. Islamic Rep. of Iran, NO. 09-cv-1289 (D.D.C. May 31, 2013) Morrison v. National Australia Bank Ltd., 130 S. Ct. 2869 (2010) Mostyn v. Fabrigas, 1 Cowp. 161, 98 ER 1028 (1774) Movsesian v. Victoria Versicherung AG, No. CV-03 – 09407 (C.D. Cal. 2003), No. 07 – 56722 (9th Cir. 2010) Moxon v. The Fanny, 5317 F. Cas. 942 (D.C. Pa. 1793) Mujica v. Occidental Petroleum Corp., 381 F.Supp.2d 1164 (C.D. Cal. 2005), 564 F.3d 1190 (9th Cir. 2009) Murillo v. Micheletti, No. 4:11-cv-02373 (S.D. Tex. Sept. 28, 2011) Mushikiwabo v. Barayagwiza, 1996 U.S. Dist. LEXIS 4409 (S.D.N.Y. 1996) Mwangi v. Bush, No. 5:12 – 373-KKC (E.D. Ky. June 18, 2013) Mwani v. Bin Ladin, 244 F.R.D. 20 (D.D.C. 2007), No. 1:99-cv-125 (D.D.C. May 29, 2013) Nat’l City Bank v. Rep. of China, 348 U.S. 356 (1955) Nat’l Coalition Gov’t of the Union of Burma v. Unocal, Inc., 176 F.R.D. 329 (C.D. Cal. 1997) Nguyen Da Yen v. Kissinger, 528 F.2d 1194 (9th Cir. 1975) Nixon v. Condon, 286 U.S. 73 (1932) Nixon v. United States, 506 U.S. 224 (1993) Ochoa Lizarbe v. Hurtado, No. 07 – 21783-Civ (S.D. Fla. Apr. 3, 2008) Ochoa Lizarbe v. Rivera Rondon, 402 F. App’x 834 (4th Cir. 2010) Okpabi v. Royal Dutch Shell, P.L.C., No. 11 – 14572, 2011 WL 5027193 (E.D. Mich. 2011) OLG Hamm vom 02. 03. 2010, 4 U 174/09, NJW-RR 2010 OLG Hamm vom 27. 10. 2000, 9 W 47/00, NJW 2000, 3577 OLG Karlsruhe vom 7. 3. 2005, 10 VA 5/04 OLG Köln vom 03. 12. 1998, 7 U 222/97, NJW 1999, 1555 OLG Nürnberg, Az. Ws 829/04 O’Reilly De Camara v. Brooke, 209 U.S. 45 (1908) Ortiz v. Fibreboard Corp., 527 U.S. 815 (1999) OVG Nordrhein-Westfalen (Münster) vom 19. 11. 1997, 14 A 362/93, NJW 1998, 2302 Papa v. United States, 281 F.3d 1004 (9th Cir. 2002) Papageorgiou v. Lloyds of London, 436 F. Supp. 701 (E.D. Pa. 1977) Paul v. Avril, 901 F. Supp. 330 (S.D. Fla. 1994) Pauling v. McElroy, 278 F.2d 252 (D.C. Cir. 1960) Pennoyer v. Neff, 95 U.S. 714 (1877) Perkins v. Benguet Consolidated Mining Co., 342 U.S. 437 (1952) Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 U.S. 235 (1981)
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Verzeichnis der Judikatur
Powell v. McCormick, 395 U.S. 486 (1969) Presbyterian Church of Sudan v. Talisman Energy, Inc., 244 F. Supp. 2d 289 (S.D.N.Y. 2003), 453 F. Supp. 2d 633 (S.D.N.Y. 2006), 582 F.3d 244 (2d Cir. 2009) Princz v. Fed. Rep. of Germany, 26 F.3d 1166 (D.C. Cir. 1994) Prosecutor v. Akayesu, No. ICTR-96 – 4-T (Int’l Crim. Trib. for Rwanda Trial Chamber, Dec. 10, 1998) Prosecutor v. Furundzija, IT-95 – 17/1-T (Int’l Crim. Trib. for Former Yugoslavia Trial Chamber Dec. 10, 1998) Prosecutor v. Rutaganda, Case No. ICTR-96 – 3-T, 69 (Int’l Crim. Trib. for Rwanda Trial Chamber Dec. 6, 1999) Prosecutor v. Tadic, ICTY-94 – 1 (Int’l Crim. Trib. for Former Yugoslavia Trial Chamber May 7, 1997) Rasul v. Bush, 542 U.S. 446 (2004) Rasul v. Rumsfeld, 414 F. Supp. 2d 26 (2006), aff’d sub nom. Rasul v. Myers, 512 F.3d 644 (D.C. Cir. 2008) Rep. of the Philippines v. Marcos, 862 F.2d 1355 (9th Cir. 1988) Reyes v. Grijalba, No. 02-Civ.–22046 (S.D. Fla. Mar. 31, 2006) Roe v. Bridgestone Corp., 492 F. Supp. 2d 988 (S.D. Ind. 2007) Roe v. Unocal Corp., 70 F. Supp. 2d 1073 (C.D. Cal. 1999) Rojas Mamani v. Sanchez Berzain, 636 F. Supp. 2d 1326 (S.D. Fla. 2009) Romero v. Drummond Co., 256 F. Supp. 2d 1250 (N.D. Ala. 2003), 552 F.3d 1303 (11th Cir. 2008) Rosborough v. Management & Training Corp., 350 F.3d 459 (5th Cir. 2003) Saldana v. Occidental Petroleum Corp., No. CV-1:11 – 8957, 2011 WL 5142961 (C.D. Cal. 2011) Saleh v. Titan Corp., 436 F. Supp. 2d 55 (D.D.C. 2006), aff’d 580 F.3d 1 (D.C. Cir. 2009) Salomon v. A. Salomon & Co., [1897] A.C. 22 (House of Lords of England) Sanchez-Espinoza v. Reagan, 770 F.2d 202 (D.C. Cir.1985) Sarei v. Rio Tinto, PLC, 221 F. Supp. 2d 1116 (C.D. Cal. 2002), 456 F.3d 1069 (9th Cir. 2006), 487 F. 3d 1193 (9th Cir. 2007), 550 F.3d 822 (9th Cir. 2008) (en banc), 650 F. Supp. 2d 1004 (C.D. Cal. 2009), 671 F.3d 736 (9th Cir. 2011) (en banc); rev’d sub nom. Rio Tinto, PLC v. Sarei No. 11 – 649 (S. Ct. Apr. 22, 2013), No. 02 – 56256 (9th Cir. June 28, 2013) (en banc) Sequihua v. Texaco, Inc., 847 F. Supp. 61 (S.D. Tex. 1994) Seth v. British Overseas Airways Corp., 329 F.2d 302 (1st Cir. 1964) Sexual Minorities Uganda v. Lively, 2013 WL 4130756 (D. Mass. Aug. 14, 2013) Shah v. Village of Hoffman Estates, No. 00-cv-4404, 2003 WL 21961362 (N.D. Ill. Aug. 14, 2003) Shiguago v. Occidental Petroleum Co., No. 06 – 4982 (C.D. Cal. 2010)
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Siderman de Blake v. Rep. of Argentina, 965 F.2d 699 (9th Cir. 1992) Sinaltrainal v. Coca-Cola Co., 256 F. Supp. 2d 1345 (S.D. Fla. 2003), 474 F. Supp. 2d 1273 (S.D. Fla. 2006), 578 F.3d 1252 (11th Cir. 2009) Sinaltrainal v. Nestle, SA, No. 06-CV-61623 (S.D. Fla. 2006) Sinatra v. Nat’l Enquirer, Inc., 854 F.2d 1191 (9th Cir.1988) Smith, Kline & French Laboratories Ltd. v. Bloch, 2 All E.R. 72 [C.A. 1982] Societe Internationale Industrielle Aerospatielle v. United States Dist. Ct., 482 U.S. 522 (1987) Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692 (2004) Stafford v. Briggs, 444 U.S. 527 (1980) Stutts v. De Dietrich Group, 465 F. Supp. 2d 156 (E.D.N.Y. 2006) Tachiona v. Mugabe, 169 F. Supp. 2d 259 (S.D.N.Y.2001), 186 F. Supp. 2d 383 (S.D.N.Y.2002), 386 F.3d 205 (2d Cir. 2004) Tamari v. Bache & Co. S.A.L., 730 F.2d 1103 (7th Cir. 1984) Tel-Oren v. Libyan Arab Republic, 726 F.2d 774 (D.C. Cir. 1984) The Atlantic Star, [1974] 1 A.C. 437, 471 [H.L. 1973] The Brig Malek Adhel, 43 U.S. (2 How.) 210 (1844) The Nereide, 13 U.S. (9 Cranch) 388 (1815) The Paquete Habana, 175 U.S. 677 (1900) Thuy Thi Vu v. W & D Apparel Corp., No. 12-CV-282, 2012 WL 251632 (S.D. Tex. 2012) Todd v. Panjaitan, CIV.A. 92 – 12255-PBS, 1994 WL 827111 (D. Mass. 1994) Trajano v. Marcos, 878 F.2d 1439 (9th Cir. 1989) Trans-Continental Inv. Corp. S.A. v. Bank of the Commonwealth, 500 F. Supp. 565 (C.D. Cal. 1980) Turedi v. Coca-Cola Co., 460 F. Supp. 2d 507, 523 (S.D.N.Y. 2006), aff’d 343 F. App’x 623 (2nd Cir. 2009) Tymoshenko v. Firtash, No. 11-CV-2794 (S.D.N.Y. Aug. 28, 2013) Ungaro-Benages v. Dresdner Bank, 2003 WL 25729923 (S.D. Fla. 2003); aff’d 379 F.3d 1227 (11th Cir. 2004) United States v. Agrawal, 726 F.3d 235 (2d Cir. 2013) United States v. Flick, 6 Trials of War Criminals Before the Nuremberg Military Tribunals Under Control Council Law No. 10, 1192 (1952) United States v. Krauch, 8 Trials of War Criminals Before the Nuremberg Military Tribunals Under Control Council Law No. 10, 1190 (1949) United States v. Krupp, 9 Trials of War Criminals Before the Nuremberg Military Tribunals Under Control Council Law No. 10 (1950)
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Verzeichnis der Judikatur
United States v. Ohlendorf, 4 Trials of War Criminals Before the Nuernberg Military Tribunals 569 (1949) United States v. Smith, 18 U.S. (5 Wheat.) 153 (1820) United States v. Tesch and Two Others, 1 Law Reports of Trials of War Criminals 93 (1947) United States v. von Weizsacker, 14 Trials of War Criminals Before the Nuernberg Military Tribunals 478 (1950) Upper Lakes Shipping Ltd. v. International Longshoremen’s Ass’n, 33 F.R.D. 348 (S.D.N.Y. 1963) Valanga v. Metropolitan Life Ins. Co., 259 F. Supp. 324 (E.D. Pa. 1966) Viera v. Eli Lilly & Co., No. 1:09-cv-495, 2010 WL 3893791 (S.D. Ind. 2010) Vieth v. Jubelirer, 541 U.S. 267 (2004) Vietnam Ass’n for Victims of Agent Orange v. Dow Chemical Co., 517 F.3d 104 (2d. Cir. 2008) Waterfall Homeowners Assoc. v. Viega, Inc., No. 2:11-cv-1498 (D. Nev. 2012) Webber v. Inland Empire Inv., Inc., 74 Cal. App. 4th 884 (Cal. App. 1999) Whiteman v. Fed. Rep. of Austria, No. 00 Civ. 8006 (S.D.N.Y. 2002) Wilson v. Garcia, 471 U.S. 261 (1985) Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88 (2d Cir. 2000); No. 96 Civ. 8386, 2002 U.S. Dist. LEXIS 3293 (S.D.N.Y. Feb. 28, 2002) World Wrestling Entm’t, Inc. v. Jakks Pac., Inc., 425 F. Supp. 2d 484 (S.D.N.Y. 2006) Xiaoning v. Yahoo! Inc., No. 07-CV-02151-CW (N.D. Cal. 2007) Xuncax v. Gramajo, 886 F. Supp. 162 (D. Mass. 1995) Yousuf v. Samantar, 552 F.3d 371 (4th Cir. 2009), 130 S. Ct. 2278 (2010), 699 F.3d 763 (4th Cir. 2012) Zheng v. Yahoo!, 2009 WL 4430279 (N.D. Cal. 2009) Zivotofsky v. Clinton, 571 F.3d 1227 (D.C. Cir. 2009), rev’d 132 S. Ct. 1421 (2011)
Stichwortverzeichnis § 823 BGB 369, 554 § 1983 94, 135 f., 138 – 141, 173, 175, 184, 186, 189, 194, 240, 247, 260, 326, 370, 434, 445 f., 586 act of state doctrine 97, 139, 146, 152 – 156, 187 „agency“-Test 222, 273 – 276, 300, 348, 350, 352, 505 f., 517 – 519, 532 f., 553, 590, 595, 599 aiding and abetting 39, 48, 166, 184, 196, 217, 225, 235, 239 – 242, 247, 251, 288 f., 291 f., 325 f., 339 – 341, 343, 436, 476, 587 Arab Bank 123 f., 248 – 251, 253, 322 f., 328, 394 f., 403 f. at home 333, 351, 518 außergerichtliche Hinrichtung 38, 51, 116, 120, 134 f., 223, 230, 263, 322 Bauman 34, 41, 49 f., 55, 165, 218, 246, 272, 322, 348 – 352, 412, 417, 419, 458, 491 – 495, 499 – 522, 527, 529 f., 532 – 534, 536 f., 552 f., 590, 592, 597 – 600 Beihilfehaftung 41, 49, 209, 214, 217, 220, 235, 239 – 241, 251, 259, 265, 288 f., 291 f., 303, 325 f., 339, 342 f., 420, 476, 520, 522, 529 f., 532 f., 587, 589, 591, 596 Bowoto 32, 44, 166, 204, 208 – 210, 257, 295 – 299, 302, 327, 333, 530 f., 569 f. Chiquita 32 f., 218, 227 – 231, 302, 305, 322 f., 504, 524 Cisco 33, 166, 254 – 256, 302, 394, 415 f. class action 35, 42, 56, 141 – 145, 176, 183, 199, 206, 212, 216, 227, 300 f., 303 f., 345, 365, 373, 464 f., 476, 502, 522, 524, 571, 592 color of law 37, 81, 83, 91, 93 f., 117, 119 f., 125, 135 f., 139 – 141, 163, 173, 186, 189, 260, 269, 434, 440, 446 f. Comity 541
Daimler 34, 41, 48 f., 55, 128, 238, 242 – 244, 246, 263, 270, 272, 348 – 351, 394, 407, 411 f., 419, 458, 462 f., 471, 477 – 480, 482 – 486, 492, 494 f., 497 – 504, 506 – 512, 514 – 520, 527, 531, 533, 536, 543, 552, 590, 597 f. Darlegungslast 185, 330, 344 f., 596 discovery 34, 345, 448, 522, 592 Drummond 44, 125, 204, 210, 218 f., 223 – 226, 257, 262, 264, 322, 326, 333, 394, 399 – 401, 404, 417, 440, 445 Durchgriffshaftung 209, 222, 224, 259, 292 – 295, 300, 499, 530 f., 533, 562 EGBGB 557 – 560 equitable tolling 133 f., 260, 265 – 267, 468, 511, 528 f., 533, 561 Erfolgshonorar 35, 526, 581 f., 593 Erschöpfung 45, 53, 183, 212, 317, 320, 330, 334 – 338, 369, 387, 419, 427, 539, 542 f., 552, 595 Exxon 32, 117, 128, 141, 168, 213 – 215, 326, 328 f., 332, 364, 366, 394, 405, 416 – 418, 532 Filartíga 30 f., 51, 57, 65 – 79, 83, 90, 98 f., 101 f., 105, 110 – 112, 114, 116, 121, 129 f., 155, 160 f., 171, 199 f., 218, 261, 268, 310, 312, 314, 332, 441, 580, 584 Firestone 166, 232 f., 236, 302, 328, 361, 364, 366, 414 Folter 31, 37 – 39, 42, 51, 67 f., 70 – 73, 79 – 81, 86, 89 – 91, 93, 97, 101, 103, 110, 112, 114 – 119, 122, 125, 127, 134 f., 161, 184, 187, 193 f., 207 – 209, 214, 216, 221 – 223, 229 – 231, 242, 247, 253, 263, 269, 291, 321 – 323, 325, 336, 344, 353 f., 356, 361, 365, 382, 398, 401, 412, 421, 423, 426 – 428, 434 f., 442, 444 – 446, 477, 486, 494, 499, 523, 558, 585, 589
656
Stichwortverzeichnis
foreign cubed 156, 334, 374, 393, 395 – 397, 399, 404 f., 417 – 419, 598 Forti 82, 94, 99 – 102, 111 – 114, 116, 118 – 123, 130, 133 f., 139 f., 155, 528 forum non conveniens 45, 53, 170, 172, 207, 268 – 270, 277, 279 – 283, 330, 352 – 359, 372, 419, 490, 507, 530, 552, 591, 597 Gerichtsgebühren 34 f., 42, 563 – 566, 570 f., 575, 580, 583, 593 Gerichtsstand 40 f., 49, 53, 167, 207, 252, 270 – 272, 274, 276, 300, 347, 349 – 352, 494, 505 f., 508, 510 – 512, 517 – 519, 521, 528, 533, 553 f., 590 – 592, 598 f. grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung 51, 70, 91, 103, 114, 116 – 119, 207, 209, 212, 214, 222, 229, 263 f., 291, 421, 428, 443, 499 Haftung von Kapitalgesellschaften 38, 45, 53, 252, 259, 359, 361, 371, 411 – 414, 418, 440, 484 f., 547, 586 Haftungszurechnung 287, 298 f., 587 Herero 34, 55, 165, 246, 458, 466 – 469, 536 hoheitliches Handeln 37, 81 f., 85, 90 f., 94, 99, 119, 122, 124 – 127, 134, 138 – 140, 194, 198, 223, 230, 247, 346, 434, 445 Holocaust litigation 174 Immunität 32, 60 f., 82, 100, 139, 180, 248, 258, 284, 324, 360, 371, 375, 414, 426, 428, 432, 435 – 438, 447, 457, 586 Interessengemeinschaft 467, 571, 573 – 579, 583 joint action 32, 39, 94, 136, 138, 140, 175, 178, 184, 186, 189 f., 214, 247, 435 f., 446, 476, 586 Karadzic 29, 31, 52, 80 – 100, 113, 123 – 126, 130, 140 f., 143 – 145, 148, 150 f., 155 f., 163, 171 – 173, 175, 185 f., 192 f., 200, 203, 214, 232, 248 f., 256 f., 260 f., 301, 336, 346, 360, 421, 433 – 436, 438, 445 f., 462, 467, 476 Khulumani 48, 237 f., 240 f., 243 – 245, 262 f., 303, 326, 342 f., 440, 472, 482 Kinderarbeit 200, 232, 235 f., 585
Kiobel 30, 32, 45 – 47, 50, 52 – 55, 78, 166 – 168, 203 – 208, 213, 215, 226, 231, 235, 244 f., 251 – 253, 256, 259, 302, 311, 322, 325 f., 331 – 333, 359, 361 – 383, 385 – 421, 452 – 454, 483, 491 f., 512, 514 – 516, 522, 524, 529 – 532, 534, 537 f., 543 – 545, 549, 551 – 553, 556 f., 586, 597 f., 600 Kostenbefreiung 566, 568 f. Kostenrisiko 491, 526, 562, 566, 571, 593 Kriegsverbrechen 31, 33, 37 – 39, 51, 84, 86, 88, 90 f., 99, 116, 124 f., 130, 132, 150, 173, 191, 193, 204, 211 f., 214, 216, 222, 224, 229 – 231, 264, 269, 290, 322 f., 329, 336 f., 371 f., 397, 401, 421, 424, 433, 438 – 441, 443 – 445, 449, 452, 498, 555, 558, 585 law of remedies 128 – 131, 260, 523 Licci 33, 166, 251 – 253, 394, 396, 405, 409 f., 413, 415, 529 Marcos 31, 82, 100 – 103, 110, 113, 116, 118, 120, 123, 130, 133 f., 142 – 145, 149 – 153, 160, 162, 187, 279, 301, 321, 524 Mercedes 49, 165, 348 – 351, 463, 479 f., 494 – 500, 506 – 509, 520, 533 Musterverfahren 35, 571 f., 593 personal jurisdiction 74, 271 f., 393, 413, 493, 504 f., 510 f., 518, 520 Piraterie 84 f., 149, 159, 316, 318, 329, 336, 384, 390, 585, 588 political question doctrine 95, 146, 148 – 152, 154, 156 presumption against extraterritoriality 156 – 158, 327 – 330, 375 f., 383, 388, 390, 392, 400, 411 f., 416, 452, 454 f., 514, 551, 597 Prozesskosten 34 f., 42, 377, 523, 526, 537, 563, 565 – 570, 576, 583, 592 Prozesskostensicherheit 563, 565 f., 571, 574, 576, 580 Recht auf gewerkschaftliche Organisation 219, 264 Rechtsanwendungsbefugnis 158 f., 382, 514 f., 541, 556, 595
Stichwortverzeichnis Rechtsdienstleistungsgesetz 574 f. Rechtssetzungsbefugnis 157 f., 369, 382, 514 f., 595 respondeat superior 39, 286 f., 561, 586 Rheinmetall 34, 48, 242 – 244, 407, 411, 477 f., 481 – 486, 543 Rio Tinto 32, 45, 124, 203 f., 210 – 213, 302 f., 311, 315, 326, 329 f., 334 – 338, 364, 366 f., 376, 378 f., 394 f., 397, 414, 417, 445, 477, 490, 521, 524, 532 Rom II 556 – 561, 578 Sinaltrainal 45, 140, 165, 218, 220 – 223, 262, 299 f., 322, 344 – 346, 440 Sittenwidrigkeit 575 f. Sosa 44, 53, 163, 168, 198, 209, 220, 259, 304, 306 – 308, 310, 312, 316 – 330, 332, 334, 339, 360 f., 364, 368, 376, 383 f., 387 – 391, 408, 413 f., 421, 438, 440, 443 f., 446, 468, 486 f., 557, 584, 588 Souveränität 30, 43, 46, 153, 156, 270, 311, 317, 320, 334, 369, 374, 390, 457, 478, 489, 491 f., 500 f., 510, 512 – 514, 516, 532, 539 – 542, 544, 551, 594 f. state secret 451 Talisman 45, 204, 215 – 218, 247, 269, 283 – 286, 290 – 292, 302, 315, 326, 339 – 344, 360 f., 440, 445, 447, 529, 548, 589 Territorialprinzip 157, 161, 271, 327, 329 f., 374 f., 379, 383 – 385, 388 f., 588 universal, definable, and obligatory 111, 113 f., 116, 118 – 121, 123, 162, 263 f., 319, 321 f. Universal jurisdiction 374 Unocal 32, 52, 66, 126, 164, 167, 173 f., 181 – 199, 204, 209, 217, 239, 241, 251, 258, 261 f., 272 f., 275 f., 284, 288 – 297, 302, 305 f., 331 f., 339 f., 344, 360, 420, 433, 436, 440 f., 445, 457, 476, 494, 505 f., 529, 531, 555, 582, 589
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Verbandsklage 571 f., 574 Verbrechen gegen die Menschlichkeit 38, 51, 99, 104, 116, 123, 126 – 128, 132, 183, 207 – 209, 211 f., 214, 216, 229 – 231, 250, 264, 321 f., 336 f., 353, 361, 365, 397, 467, 477, 496, 499, 555, 585 Verjährung 52, 132, 175, 267, 282, 461, 528, 560 f. Völkermord 34, 37, 81, 86 – 88, 91, 116, 123 f., 132, 150, 173, 211 f., 216, 246 f., 249, 264, 269, 329, 336 f., 371, 403, 409, 466, 469, 537, 555, 585 Völkerrechtssubjektivität 58, 91, 105, 107, 110, 212, 244 f., 259, 283 f., 286, 324, 359 – 364, 366, 368, 370 – 375, 404 – 406, 484 Weltrechtsprinzip 38, 46, 51, 76, 85, 99, 156, 158 – 163, 167, 210, 260, 267 – 270, 282, 303, 311, 317, 326, 334 – 336, 352, 355, 369, 371, 373 – 375, 378, 382, 385 – 387, 531, 533, 540, 588, 591 f., 594 willkürliche Inhaftierung 38, 51, 102 f., 116, 121 f., 134, 183, 214, 263 f., 319, 322, 353, 421, 426, 429, 558, 585 Wiwa 32, 166, 173, 203 – 208, 258, 268 f., 274 – 276, 279 f., 284 f., 295, 298, 311, 347 – 349, 365, 370, 386, 417, 511, 530, 590 Yahoo!
33, 166, 253 f., 258
Zustellung 50, 74, 81, 100, 246, 265, 489, 491 f., 500 – 504, 511 – 513, 537, 594 f. Zwangsarbeit 38 f., 99, 116, 126, 169, 174 f., 178 f., 182 – 184, 186 – 188, 190 – 192, 194, 197 f., 200, 232 – 234, 236, 264, 288 f., 322, 336, 344, 386, 405, 459 – 462, 486, 523, 585, 590 Zwangsarbeiterklagen 48 f., 145, 178, 266 f., 301, 457 – 459, 461 – 465, 467, 469, 476, 493, 524, 527 f., 536, 573, 594 Zwangsweises Verschwindenlassen 122