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German Pages 260 [261] Year 2020
Moniz Bandeira Das deutsche Wirtschaftswunder und die Entwicklung Brasiliens
Luiz Alberto Moniz Bandeira
Das deutsche Wirtschaftswunder und die Entwicklung Brasiliens Die Beziehungen Deutschlands zu Brasilien und Lateinamerika (1949-1994)
Aus dem Portugiesischen übersetzt von Marie-Louise Sangmeister-Plehn
Frankfurt am Main • Vervuert Verlag
1995
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Moniz Bandeira, Luiz Alberto : Das deutsche Wirtschaftswunder und die Entwicklung Brasiliens : die Beziehungen Deutschlands zu Brasilien und Lateinamerika / Luiz Alberto Moniz Bandeira. Aus dem Portug. von Marie-Louise Sangmeister-Plehn . - Frankfurt am Main : Vervuert, 1995 ISBN 3-89354-062-8
NE: GT Die Originalausgabe erschien 1994 unter dem Titel "O milagre alemäo e o desenvolvimento do Brasil. As relagöes da Alemanha com o Brasil e a América Latina (1949-1994)" bei Editora Ensaio (Säo Paulo). © Margot Elizabeth Bender de Moniz Bandeira © der deutschen Ausgabe: Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1995 Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Gerd Peter Orlopp Printed in Germany
Die Veröffentlichung des vorliegenden Buches durch den Vervuert Verlag sowie die Übersetzung der Originalausgabe in das Deutsche wurden ermöglicht durch die Unterstützung der Firmen Siemens, Volkswagen, Mercedes Benz, Krupp, Bayer und Mannesmann sowie der Banco do Brasil, des Pressezentrums des brasilianischen Außenministeriums, des Generalkonsulats von Brasilien in Hamburg und des Instituts für Iberoamerika-Kunde, ebenfalls in Hamburg.
"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist." Ben Gurion
Für Margot, auch diesmal.
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
13
Abkürzungsverzeichnis der Archive
14
Vorwort
15
Kapitel I
23
Die Deutschen in Brasilien während der Kolonisation - Die Verbindung zwischen den Dynastien Braganza und Habsburg - Der Handelsvertrag mit den Hansestädten Lübeck, Bremen und Hamburg - Die deutsche Emigration nach Brasilien - Das Ringen um die europäische Vormachtstellung in Lateinamerika zu Beginn des 20. Jahrhunderts - Der Erste Weltkrieg und die Weimarer Republik
Kapitel II Die Krise der dreißiger Jahre und der Kompensationsvertrag - Die Handelsoffensive in Lateinamerika - Die Beziehungen der Regierung zum Dritten Reich - Das Stahluntemehmen Krupp und der Auflau der nischen Stahlindustrie - Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und der der Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland
Kapitel III
39
deutsche Vargas brasiliaAbbruch
53
Die brasilianische Militärmission in Berlin - Das deutsche Flüchtlingsproblem und die Auswanderung nach Brasilien - Der wirtschaftliche Aufschwung Westdeutschlands und die Hilfeleistungen des Marshallplans - Der Kalte Krieg - Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik - Die Wiederaufnahme diplomatischer und wirtschaftlicher Beziehungen zwischen Brasilien und der Bundesrepublik Deutschland
10
Kapitel IV
Luiz Alberto Moniz Bandeira
69
Die Situation Brasiliens nach dem Zweiten Weltkrieg und neue Perspektiven fiir den Handel mit Deutschland - Die Probleme mit den USA und das Wiederaufflackem des brasilianischen Nationalismus - Die Wahl von Vargas - Die Ansiedlung von Mannesmann und der Beginn der deutschen Investitionstätigkeit in Brasilien - Die deutsch-brasilianischen Handelsbeziehungen - Importbeschränkungen und die Gründung der brasilianischen Automobilindustrie - Die Projekte von Volkswagen in Brasilien Kapitel V
89
Die BRD als Handelspartner sowie Lieferant von Kapital und Technologie - Die Situation der DDR und der Aufstand vom 17. Juni 1953 - Die brasilianische Atompolitik - Die Mission von Admirai Alvaro Alberto da Mota e Silva - Der Kauf einer Urananreicherungsanlage in der BRD - Der Sturz von Vargas und die neue brasilianische Atompolitik Kapitel VI
107
Das deutsche Kapital und der Wirtschaftsboom in Säo Paulo - Der BrasilienBesuch des deutschen Wirtschqftsm in isters Ludwig Erhard - Der Beginn multilateraler Handelsbeziehungen - Die Handelsoffensive der BRD in Lateinamerika Das Scheitern der brasilianischen Bemühungen, deutsche Auswanderer in Brasilien anzusiedeln - Der hohe Bedarf an Arbeitskräften in der BRD und die Emigrationsbeschränkungen
Kapitel VII
121
Der Besuch von Juscelino Kubitschek in Bonn - Die Einladung an deutsche Investoren - Der Versuch der USA, auf die brasilianische Atompolitik Einfluß zu nehmen - Der Entwicklungsplan und die deutschen Kapitalexporte nach Brasilien - Brasilien als bevorzugter Partner für private Investitionen aus der BRD Der Wettstreit mit den USA und die Entwicklung der brasilianischen Automobilindustrie
Inhaltsverzeichnis
Kapitel VIII
11
141
Der Aufschwung der brasilianischen Industrie und die Schwierigkeiten des Aufbaus - Beginn der Verhandlungen mit der DDR und den übrigen Ländern des Ostblocks über zukünftige Handelsbeziehungen - Die Hallsteindoktrin - Der Brasilienbesuch von Brentanos - Die Frage der Besteuerung brasilianischen Kaffees in der BRD und die Entwicklungshilfe - Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
Kapitel IX
159
Die Einrichtung eines Entwicklungshilfe-Fonds durch die BRD - Die Bevorzugung der Länder Afrikas und Asiens - Die Mission Joäo Dantas in der DDR Der Zwischenfall mit der Bonner Regierung - Die BRD und die Hallsteindoktrin - Die Krise in der DDR und der Bau der Mauer - Der Rücktritt von Jänio Quadros und die Position der BRD
Kapitel X
177
Adenauers Bedenken wegen der Verhandlungen zwischen den USA und der UdSSR - Die Annäherung der BRD an Frankreich - Die Entwicklungshilfe und die Sorge um den Nordosten Brasiliens - Das Gesetz über den Gewinntransfer ins Ausland und die steigenden deutschen Investitionen - Die Delegation Granow und der Stillstand in den Verhandlimgen über die Frachtschiffahrt Der Abbruch der Beziehungen zwischen der BRD und Kuba
Kapitel XI
195
Die Politik Kennedys und der Sturz Adenauers - Die Delegation Egydio Michaelsen - Die Ermordung Kennedys - Der Militärputsch in Brasilien - Der Staatsbesuch von Heinrich Lübke - Regierungswechsel in Bonn - Die Ostpolitik Willy Brandts und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Brasilien und der DDR - Die brasilianisch-deutschen Verhandlungen über atomare Forschung
12
Kapitel XII
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215
Die Nuklearpolitik der USA und die Gründe für den Atom vertrag von 1975 zwischen Brasilien und der BRD - Die deutschen Investitionen in Brasilien und die Krise der achtziger Jahre - Der Stillstand beim Bau der Kernkraftwerke Angra II und III - Der Technologietransfer für die Anreicherung von Uran durch Ultrazentrifugen-Verfahren - Der Außenhandel zwischen Brasilien und der BRD Die Forderungen nach umfassenden Vorbehaltsklauseln seitens der BRD und die Verhandlungen des Außenministers CelsoAmorim im Jahre 1994
Schlußfolgerungen
239
Quellen- und Literaturverzeichnis
249
Ausgewertete Archivbestände Zitierte Veröffentlichungen Sonstige gedruckte Quellen Sonstige Dokumente Zeitungen und Zeitschriften
249 250 256 256 257
Biographie
258
A bkurzungsverzeichnis
13
Abkürzungsverzeichnis ABACC ACC ACESITA ADLAF AHC BRD CDU CEMIG CIA CIME CNEN CNPq CSN CSU DDR DFVLR EMFA ERP EU EURATOM EWG FDP GATT GELA IAEA EBRD IMF IPES KFA
Agencia Brasileiro-Argentina de Controle e Contabilidade de Materiais Nucleares Allied Control Council (Alliierter Kontrollrat) Companhia de Aços Especiáis Itabira Arbeitsgemeinschaft Deutsche Lateinamerika-Forschung Allied High Commission (Alliierte Hohe Kommission) Bundesrepublik Deutschland Christlich-Demokratische Union Centrais Elétricas de Minas Gérais Central Intelligence Agency Zwischenstaatliches Kommitee für Europäische Migration Comissäo Nacional de Energia Nuclear Conselho Nacional de Pesquisa (jetzt: Conselho Nacional de Desenvolvimento Científico e Tecnológico) Conselho de Segurança Nacional Christlich-Soziale Union Deutsche Demokratische Republik Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt Estado Maior das Forças Armadas European Recovery Program Europäische Union Europäische Atomgemeinschaft Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Freie Demokratische Partei General Agreement on Tariffs and Trade (Allgemeines Zollund Handelsabkommen) Grupo Executivo da Industria Automobilística International Atomic Energy Agency (Internationale Atomenergie-Organisation) International Bank for Reconstruction and Development (Weltbank) International Monetary Fund (Internationaler Währungsfonds) Instituto de Pesquisas e Estudos Sociais Kemforschungsanlage Jülich
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KFZ KPD MDB MRE NATO PSD PTB SATIPEL SED SMAD SPD SUMOC UDN UdSSR UNO USA
Kernforschungszentrum Karlsruhe Kommunistische Partei Deutschlands Missöes Diplomáticas Brasileiras Ministério das Relaföes Exteriores North Atlantic Treaty Organization Partido Social-Democràtico Partido Trabalhista Brasileiro Sociedade Anònima Taquariense de Papel Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sowjetische Militäradministration in Deutschland Sozialdemokratische Partei Deutschlands Superintendencia da Moeda e do Crédito Uniäo Democrática Nacional Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations Organization United States of America
Abkürzungsverzeichnis der Archive AA-PA ADA AGV AHI AHMRE ALES AMAE-F AN-APSTD AOA ARA HSTL NA PRO-FO RA-L
Auswärtiges Amt - Politisches Archiv Arquivo Doutel de Andrade Arquivo de Getülio Vargas Arquivo Histórico do Itamaraty (Rio de Janeiro) Arquivo Histórico do Ministério das Relaçôes Exteriores Brasilia Archiv der Ludwig Erhard-Stiftung e.V. Archiv du Ministère des Affaires Étrangères de France Arquivo Nacional - Arquivo Particular de San Tiago Dantas Arquivo Oswaldo Aranha Arquivo Renato Archer Harry S. Truman Library National Archives Public Record Office - Foreign Office Rothschild Archives - London
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KFZ KPD MDB MRE NATO PSD PTB SATIPEL SED SMAD SPD SUMOC UDN UdSSR UNO USA
Kernforschungszentrum Karlsruhe Kommunistische Partei Deutschlands Missöes Diplomáticas Brasileiras Ministério das Relaföes Exteriores North Atlantic Treaty Organization Partido Social-Democràtico Partido Trabalhista Brasileiro Sociedade Anònima Taquariense de Papel Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sowjetische Militäradministration in Deutschland Sozialdemokratische Partei Deutschlands Superintendencia da Moeda e do Crédito Uniäo Democrática Nacional Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations Organization United States of America
Abkürzungsverzeichnis der Archive AA-PA ADA AGV AHI AHMRE ALES AMAE-F AN-APSTD AOA ARA HSTL NA PRO-FO RA-L
Auswärtiges Amt - Politisches Archiv Arquivo Doutel de Andrade Arquivo de Getülio Vargas Arquivo Histórico do Itamaraty (Rio de Janeiro) Arquivo Histórico do Ministério das Relaçôes Exteriores Brasilia Archiv der Ludwig Erhard-Stiftung e.V. Archiv du Ministère des Affaires Étrangères de France Arquivo Nacional - Arquivo Particular de San Tiago Dantas Arquivo Oswaldo Aranha Arquivo Renato Archer Harry S. Truman Library National Archives Public Record Office - Foreign Office Rothschild Archives - London
Das deutsche Wirtschaftswunder und die Entwicklung Brasiliens
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Vorwort Viele Deutsche empfinden es als unangebracht, den raschen wirtschaftlichen Wiederaufstieg Westdeutschlands nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs als "deutsches Wunder" oder "Wirtschaftswunder" zu bezeichnen. Ein Wunder hat es wohl auch nicht gegeben. Aber wie sonst sollte man das bezeichnen, was sich in jener Zeit ereignete, in der Westdeutschland zur BRD wurde und einem Phönix gleich aus der Asche emporstieg. Möglich wurde dieser Aufschwung durch die Währungsreform von 1948 und natürlich auch durch günstige konjunkturelle Bedingungen, aber vor allem durch die Arbeitsmoral des deutschen Volkes, seinen hohen Bildungsstand und das beträchtliche technische Wissen. Der Marshallplan (.European Recovery Program) hatte für diesen wirtschaftlichen Wiederaufstieg Deutschlands eigentlich keine besonders große Bedeutung. Zwischen 1945 und 1952 stellten die USA für die Länder Westeuropas 32 Milliarden US-Dollar als Wirtschaftshilfe bereit, wovon die BRD lediglich 4,5 Milliarden US-Dollar erhielt, davon zwei Drittel als Schenkung1. Für Ludwig Erhard - in den Jahren des Wiederaufbaus Wirtschaftsminister - hatte der Marshallplan weniger eine materielle als vielmehr eine moralische und politische Bedeutung. Auch Charles Kindleberger - seinerzeit im amerikanischen Außenministerium an der Ausarbeitung des Marshallplans beteiligt - räumt ein, daß die Hilfeleistungen der USA fiir die westeuropäischen Länder zwar notwendig gewesen seien, aber keineswegs ausgereicht hätten, um deren raschen wirtschaftlichen Wiederaufbau zu gewährleisten; zwischen 1946 und 1953 habe die BRD lediglich 3,6 Milliarden USDollar erhalten2. Auch nach Einschätzung des damaligen brasilianischen Botschafters in Bonn war die im Rahmen des Marshallplans geleistete Hilfe der USA zwar notwendig, habe aber lediglich sechs Prozent der seinerzeit in der BRD getätigten Investitionen ausgemacht3. Der große Verdienst der USA lag darin, daß sie - anders als die UdSSR - Deutschland weder durch Reparationsleistungen schwächten, noch die deutsche Industrie demontierten; dadurch ermöglichten die USA - mit Unterstützung Großbritanniens - den drei Westzonen eine schnelle Wiederherstellung ihrer Produktionskapazitäten, um sich am Wiederaufbau West-
1 2
Erhard 1988, S. 848. Kindleberger 1987, S. 196-246.
3
Dienstliches Schreiben Nr. 200, Botschafter Luiz de Faro Jr. an Außenminister Vicente Rao, Bonn, 24.8.1953, AM-MDB 7/5/6.
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europas beteiligen zu können. Dem nordamerikanischen Steuerzahler sollten auf diese Weise höhere finanzielle Lasten für die Politik der Eindämmung des Kommunismus erspart bleiben. Es ist nicht Ziel der vorliegenden Untersuchung, die Ursachen und Bestimmungsfaktoren des wirtschaftlichen Aufschwungs in Westdeutschland zu diskutieren. Vielmehr soll gezeigt werden, daß Brasilien durch den Wiederaufstieg der BRD zur wirtschaftlichen Großmacht in den fünfziger Jahren mit dem notwendigen Kapital für die Fortführung seines Industrialisierungsprozesses rechnen konnte. Oder mit anderen Worten: Ziel dieses Buches ist die Bewertung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen der BRD zu Brasilien und Lateinamerika in der Zeit von 1949 bis zur deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990. Dieses Thema ist bislang kaum untersucht worden, so daß es galt, eine Lücke zu schließen, zumal Deutschland bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als einer der wichtigsten strategischen Partner Brasiliens hervorgetreten war. Brasilien entwickelte zur BRD Beziehungen besonderer Art, die über die sonst zwischen zwei Nationen üblichen Bereiche hinausgingen. Diese besonderen Beziehungen sind selbst durch den Zweiten Weltkrieg nicht wesentlich beeinträchtigt worden 4 . Abgesehen von den Untersuchungen, die sich mit der deutschen Einwanderung in Brasilien beschäftigen, gibt es bislang nur wenige Arbeiten über die Beziehungen zwischen beiden Ländern. 1958 legte Klaus Wyniken an der Universität Köln eine Dissertation über die Entwicklung der Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Brasilien vor. Über die Zeit von 1889 (Ausrufung der Republik in Brasilien) bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges hat Gerhard Brunn ein interessantes Buch veröffentlicht {Deutschland und Brasilien [1889-1914], Böhlau Verlag 1971), in dem er sich mit einer Dissertation kritisch auseinandersetzte, die 1966 an der Universität Rostock/DDR vorgelegt worden war (Jürgen Hell, Der Griff nach Südbrasilien: Die Politik des Deutschen Reiches zur Verwandlung der drei brasilianischen Südstaaten in ein überseeisches Neudeutschland [1890-1914]). Über dieselbe Periode hat auch Maria da Guia Santos eine Dissertation an der Universität Erlangen-Nürnberg angefertigt {Außenhandel und industrielle Entwicklung Brasiliens unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zu Deutschland, Wilhelm Fink Verlag 1984). Die von Albene Miriam Ferreira Menezes an der Universität Hamburg vorgelegte Dissertation trägt den Titel Die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Brasilien in den 4
Hermann Görgen, "Relaföes Especiáis", in: Deutsch-Brasilianische Hefte, 4-5/1985, S. 201-211.
Das deutsche Wirtschaftswunder
und die Entwicklung
Brasiliens
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Jahren 1920-1950 unter besonderer Berücksichtigung des Kakaohandels (Hamburg 1987). Außer den Arbeiten von Jürgen Hell und Gerhard Brunn, die auch diplomatische Aspekte behandeln, befaßten sich die genannten Untersuchungen mit den Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Brasilien, und zwar in erster Linie mit den Zeitspannen vor den beiden Weltkriegen. Die besten Bücher über politische Aspekte der außenwirtschaftlichen Beziehungen Brasiliens in den dreißiger Jahren schrieb der nordamerikanische Historiker Stanley E. Hilton (O Brasil e as Grandes Potencias - Os Aspectos Politicos da Rivalidade Comercial - 1930-1939, Rio de Janeiro, Civilizafäo Brasileira, 1977; Suästica sobre o Brasil: a Histöria da Espionagem Alemä no Brasil, Rio de Janeiro, Civilizafäo Brasileira, 1977). Über die deutsch-brasilianischen Beziehungen während der Jahre 1949 bis 1990 - von dem Zeitpunkt also, als Deutschland sich in zwei Staaten aufteilte, bis zur Wiedervereinigung - gibt es bislang kein Buch, weder im Portugiesischen noch im Deutschen. Abgesehen von einigen Artikeln, die entweder eher allgemein gehalten sind oder sehr spezifische Themen behandeln, fehlt bislang ein Buch, das für den Zeitraum 1949-1990 nicht nur die wirtschaftlichen Beziehungen sowie die Außenhandelsverflechtungen zwischen beiden Ländern darstellt, sondern auch die diplomatischen und politischen Beziehungen. Die brasilianisch-deutschen Beziehungen zu untersuchen, also die Beziehungen zu zwei Staaten einer Nation, der BRD und der DDR, stellt eine große Herausforderung dar. Mir genügt es nicht, an Hand von bereits veröffentlichten Statistiken zu zeigen, daß Deutschland immer einer der wichtigsten Wirtschafts- und Handelspartner Brasiliens war, oder daß ungefähr 1.400 Unternehmen in deutschem Besitz oder deutschen Ursprungs in Brasilien tätig sind, ein Land, auf das 70 Prozent aller privaten deutschen Direktinvestitionen in Lateinamerika entfallen. Mein Hauptanliegen ist, die Bedeutung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten aufzuzeigen, indem ich die Bedingungsfaktoren und Ursachen benenne, welche die BRD zu einem der drei wichtigsten strategischen Partner Brasiliens werden ließen; diesen Prozeß bewußt werden zu lassen und ihn zu verstehen, könnte dazu beitragen, Leitlinien der Außenpolitik zu formulieren. Ich habe die Methode historischer Analyse gewählt, da wirtschaftliche und politische Verhältnisse und Ereignisse nicht zufällig zustande kommen, sondern sich im Laufe von Jahren oder Jahrhunderten entwickeln und heranreifen. Ausgehend von den folgenden Hypothesen habe ich versucht, die internen wirtschaftlichen und politischen Bestimmungsfaktoren der Außenbeziehungen zwischen den beiden Ländern zu benennen und zu erklären:
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1. Deutschland besaß weder ein Kolonialreich wie Großbritannien und Frankreich, noch verfugte es über ein so großes Territorium mit so reichen Naturschätzen wie die USA; es wandte sich daher Brasilien zu, das ihm Absatzmärkte für seine Industrieprodukte bieten sowie Rohstoffe und Agrarerzeugnisse liefern konnte. 2. In Konkurrenz zu Großbritannien und den USA hat Deutschland es Brasilien möglich gemacht, seine internationale Autonomie zu vergrößern und seine Verhandlungsmacht zu stärken; es hat dem Lande neue Märkte geöffnet sowie alternative Bezugsquellen für Kapital und Technologie erschlossen, die für die brasilianische Entwicklung notwendig waren. 3. Alles deutet daraufhin, daß diese Situation weder durch die Bildung der EU noch durch die deutsche Wiedervereinigung grundsätzlich verändert worden ist; auch wegen der Beendigung des Ost-West-Konfliktes wird die Konkurrenz der Industrieländer, zu denen auch Brasilien zählt, zu den USA wieder stärker werden. 4. Deutschland kann für Brasilien das wichtigste Eingangstor zu den Märkten der EU und Osteuropas darstellen, zumal beide Staaten nicht nur gemeinsame Wirtschaftsinteressen haben, sondern auch enge Beziehungen zwischen den politischen Parteien - sowohl zwischen den Regierungsparteien als auch zwischen den Parteien der Opposition - , den Kirchen und den Gewerkschaften bestehen. Für meine Untersuchung habe ich hauptsächlich Primärquellen ausgewertet, d.h., unveröffentlichte diplomatische Korrespondenz - größtenteils geheim oder vertraulich - aus den Archiven des Itamaraty, des brasilianischen Außenministeriums, in Rio de Janeiro und Brasilia sowie des deutschen Auswärtigen Amtes. Diese Quellen beziehen sich überwiegend auf die Jahre zwischen 1949 und 1964, da die Gesetzgebung beider Länder den Zugang zu geheimen Dokumenten erst nach 30 Jahren gestattet. In der BRD und in Brasilien habe ich auch Informationen aus den Archiven anderer Institutionen genutzt sowie aus Dokumenten, die ich bei früheren Forschungsarbeiten in den USA, in Großbritannien und in Frankreich ausgewertet habe. Für die Periode nach 1964 habe ich mich hauptsächlich der Methode bedient, Geschichte erzählend zu rekonstruieren: durch Gespräche und gründliche Interviews mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Diplomaten und Politikern, die direkt an den Ereignissen beteiligt waren. Mein Dank gilt folgenden Personen, die mir Informationen geliefert haben: dem Journalisten Joäo Dantas, mit dem ich die Ehre und das Vergnügen hatte, bis zum
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Militärputsch von 1964 als leitender politischer Redakteur des Diàrio de Noticias in Rio de Janeiro zusammenzuarbeiten, dessen Direktor und Eigentümer er war; dem Kommandanten Renato Archer, ebenfalls seit vielen Jahren mein Freund, dessen Bereitschaft zur Zusammenarbeit für mehrere meiner Bücher sehr wertvoll war; dem ehemaligen Minister für Bergbau und Energie in der Regierung des Präsidenten Emesto Geisel, Shigeaki Ueki; dem Botschafter Paulo Nogueira Batista, dem Verantwortlichen für die Verhandlungen über den Atomvertrag mit der BRD. Für andere meiner Bücher wurde das Interview mit dem ehemaligen Außenminister Antonio Azeredo da Silveira bereits 1987 geführt. Meine Arbeit wurde auch durch die kontinuierliche Unterstützung des Conselho Nacional de Desenvolvimento Científico e Tecnológico (CNPq) ermöglicht; dies gilt ebenso für das Instituto Latino-Americano de Desenvolvimento Econòmico e Social (ILDES) der Friedrich-Ebert-Stiftung. Seit Beginn meiner Untersuchung erhielt ich auch von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) Unterstützung, von Dezember 1990 bis März 1991 in Bonn durch Peter Hengstenberg, dem Leiter der Lateinamerika-Abteilung, und durch Berndt Dienelt vom FES-Forschungsinstitut sowie durch Klaus Schubert, seinerzeit Leiter des FES-Büros in Säo Paulo. Meinen Dank möchte ich auch für die Unterstützung durch die Konrad-Adenauer-Stiftung aussprechen, vertreten von ihrem Hauptgeschäftsführer Dr. Lothar Kraft, von Dr. Peter R. Wellemann und vom Leiter des Archivs fiir Christlich-Demokratische Politik, Dr. Felix Becker. Mein Dank gilt auch der Ludwig-Erhard-Stifhing e.V., deren Geschäftsführer Dr. Horst Friedrich Wünsche und Andreas Schirmer mir fìlr meine Forschungsarbeit den Zugang zu ihrem Archiv ermöglichten. In Deutschland erhielt ich, wie immer, die Unterstützung von Dr. Stephan Wegener, der mir zahlreiche Kontakte vermittelte, so zum Beispiel mit den Archiven der Unternehmensgruppen Mannesmann und Thyssen. Professor Dr. Hermann M. Görgen gab mir wichtige und aufschlußreiche Interviews; er ermöglichte mir auch das Studium der Veröffentlichungen der Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft, die von ihm 1960 gegründet wurde und deren Präsident er bis zu seinem Tode im Mai 1994 blieb. Auch Botschafter a.D. Gerhard Moltmann, der zweimal in Brasilien tätig war, gab mir freundlicherweise ein Interview über seine Dienstjahre in der deutschen Botschaft, die bis in die sechziger Jahre ihren Sitz in Rio de Janeiro hatte. Wertvoll war für mich auch die Zusammenarbeit mit Dr. Freiherr von Boeselager und Dr. Freifrau von Boeselager, beide Mitarbeiter des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes. Genauso wertvoll war die Unterstützung, die ich durch die brasilianische Botschaft in Bonn sowohl 1990-1991 als auch 1993-1994 erfuhr, als ich dort am zweiten Teil meiner Untersuchung arbeitete; ich danke da-
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her den beiden Botschaftern Joäo Carlos Pessoa Fragoso und Francisco Thompson Flores sowie Stello Marcos Amarante, Elim Dutra, Sergio Rouanet, Generalkonsul in Berlin, Cesärio Melantönio Neto, Generalkonsul in Frankfurt, und Geraldo Miniuci Ferreira Jr., verantwortlich für das brasilianische Handelsbüro in Köln. Mein geschätzter und langjähriger Freund Mario Caläbria, von 1978 bis 1984 Botschafter Brasiliens in der Deutschen Demokratischen Republik, gab mir zahlreiche Auskünfte über die bilateralen Beziehungen, ebenso wie Günter Severin und Heinrich März, beide Botschafter a.D. der Deutschen Demokratischen Republik in Brasilien. In Brasilien war die öflhung der geheimen Archive des Itamaraty von entscheidender Bedeutung. Dafür danke ich den Professoren Celso Lafer und Fernando Henrique Cardoso sowie ihrem Nachfolger im Amt des Außenministers, Botschafter Celso Amorim, denen ich durch alte Bande der Freundschaft und durch Wertschätzung verbunden bin. Mein Dank gilt auch dem Leiter der Kommunikations- und Dokumentationsabteilung des Itamaraty, Adolf Libert Westphalen, dessen außergewöhnliche Gefälligkeit und großzügige Unterstützung entscheidend für den Erfolg meiner Forschung waren. Freundliche Unterstützung erfuhr meine Arbeit auch durch Almerinda Augusta de Freitas Carvalho, Leiterin des Dokumentationszentrums, Josal Luiz Pellegrino, Leiter des Archivs im Itamaraty, und Jayme Antunes, Direktor des Nationalarchivs in Rio de Janeiro. Natürlich ist es unmöglich, die Namen aller zu nennen, die mit mir in der brasilianischen Botschaft in Bonn und im Itamaraty in irgendeiner Weise zusammengearbeitet haben; aber auch ihnen allen gilt mein Dank. Ich nutze diese Gelegenheit, meine tiefe Dankbarkeit Theodor Wallau auszusprechen, Botschafter a.D. der BRD in Brasilia, der mir seit 1990 großzügige Unterstützung gewährt hat. Dies gilt auch für Botschafter Herbert Limmer und für den Wiitschaftsattach£ der deutschen Botschaft, meinen Freund Wolfgang G. Müller, dessen Mitarbeit unschätzbar war, denn er las und revidierte freundlicherweise die Kapitel dieses Buches, so wie er es auch zuvor schon mit dem Manuskript meines Buches Do ideal Socialista ao Socialismo Real - A Reunificagäo da Alemcmha getan hatte, das 1992 im Verlag Editora Ensaio erschienen ist. Abschließend möchte ich an dieser Stelle auch meiner Frau, Margot Elizabeth Bender, für ihre Beiträge danken, ebenso wie Gisele Tona Soares, seit 5 Jahren mit Fleiß und Ausdauer meine Mitarbeiterin. Und schließlich danke ich auch meinen beiden Forschungsassistentinnen, Victöria von Heuss Bioesst und Adriana Costa de Miranda, die mit großer Disziplin und sehr wirkungsvoll bei der Organi-
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Brasiliens
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sation der Dokumente und bei der Erstellung der Manuskripte dieses Buches mitgearbeitet haben. Die Unterstützung, die mir die genannten Institutionen und Personen gewährten, erfolgte freiwillig und ohne Eigeninteresse, ohne Bedingungen; sie bedeutete gleichzeitig auch nicht notwendigerweise Übereinstimmung mit meinen Meinungen, für die ich alleine verantwortlich bin.
Moniz Bandeira Brasilia, im Juni 1994.
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Kapitel I Die Deutschen in Brasilien während der Kolonisation - Die Verbindung zwischen den Dynastien Braganza und Habsburg - Der Handelsvertrag mit den Hansestädten Lübeck, Bremen und Hamburg - Die deutsche Emigration nach Brasilien Das Ringen um die europäische Vormachtstellung in Lateinamerika zu Beginn des 20. Jahrhunderts - Der Erste Weltkrieg und die Weimarer Republik. Seit dem Beginn der Entdeckungsfahrten, auf der Suche nach dem Seeweg nach Indien, waren deutsche Artilleristen auf portugiesischen Karavellen beschäftigt. So gab es um 1489 in Lissabon bereits eine Geschützmannschaft von 53 deutschen Marineartilleristen im Dienste des Übersee-Rates. Einige Deutsche nahmen auch an der Expedition von Pedro Alvares Cabral teil, der im Jahre 1500 Porto Seguro im Süden Bahias erreichte, und nur 14 Jahre nach der Entdeckung Brasiliens gab es in Deutschland schon erste gedruckte Informationen über Presillg Landt. Die reiche Kaufmannsfamilie Fugger aus Augsburg erhielt damals von dem Antwerpener Kaufmann Hieronymus Höltzel eine Kopie der in Nürnberg veröffentlichten Newen Zeytung auss Presillg Landt. Darin wurde über die Reise des Dom Nuno Manoel Cristövam de Haro berichtet, die er auf Befehl des Königs Manoel von Portugal angetreten hatte und die ihn an die Ostküste Südamerikas bis zur Mündung des Rio de la Plata führte 1 . Später reisten einige Deutsche nach Brasilien, wo sie sich aktiv an der Kolonisierung beteiligten. Die aus Ulm stammenden Brüder Sibald und Christövam Lins, die einige Zeit in Antwerpen gelebt hatten, erreichten 1540 Pernambuco, wo sie sich als Repräsentanten des Hauses Fugger in der Zuckerwirtschaft betätigten. Ein anderer Deutscher, Erasmus Schetz (oder Schecter), der aus Limburg stammte und in Antwerpen ansässig war, kaufte 1550 die Zuckerplantage Engenho do Govemador. Diese Zuckerplantage, früher unter dem Namen Engenho Säo Jorge dos Erasmus bekannt, hatte Martim Afonso de Souza, Donatar der Capitania Säo Vicente, gemeinsam mit Johann von Hülsen gegründet, einem Fachmann für hydraulische Zuckermühlen. Diese Zuckeimühle befand sich im Süden Brasiliens und war wahrscheinlich die größte an der Küste von Santos 2 . Dort 1
2
Kopie der Newen Zeytung auss Presillg Landt, Nürnberg, Hieronymus Höltzel, 1514 , in: Brasilien-Bibliothek der Robert Bosch GmbH, Katalog Band I, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1983, S. 10-11. Schwanz 1985, S. 16-19; Oberacker Jr. 1985, S. 56, 57 und 70.
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arbeiteten etliche Deutsche und Flamen unter der Leitung von Peter Rössel, dessen Aufgabe es war, das Handelszentrum und die Zuckerfabrik der Familie Schwarz zu verwalten. Im selben Jahr, 1550, kam Hans Staden aus Homberg als Teilnehmer einer in spanischen Diensten durchgeführten Expedition des Diogo de Sanäbria in der Bucht von Paranaguà an. Später trat Staden in den Dienst des ersten portugiesischen Generalgouvemeurs in Brasilien, Tomé de Souza, und leitete den Bau eines Forts gegenüber von Bertioga, auf der Insel Santo Amaro (Säo Paulo). Er war der erste Deutsche, der in den brasilianischen Urwald vordrang und dabei mit dem Leben davonkam. Seine Erfahrungen bei den menschenfressenden TupinambäIndianera, die ihn neun Monate lang gefangen hielten, veröffentlichte er später. In den darauf folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten erreichten Deutschland immer neue Berichte über Brasilien. In jener Zeit war Deutschland in Hunderte von Herrschaftsgebieten - Königreiche, Fürstentümer und Herzogtümer - aufgeteilt. Als Teilstaaten des Heiligen Römischen Reiches hatten sie weder Mittel noch Macht, Unternehmungen nach Übersee zu starten. Vor allem die Niederlande konkurrierten in dieser Epoche mit Portugal und Frankreich um Besitzungen auf dem amerikanischen Kontinent (und in Afrika). Als die Truppen der niederländischen Westindischen Kompagnie den Nordosten Brasiliens besetzt hielten (1630-1654), standen viele Deutsche in ihrem Dienst, unter ihnen auch Graf Johann Moritz von Nassau3 . 1648 trennten sich die Niederlande im Westfälischen Frieden vom Heiligen Römischen Reich, das bereits in Auflösung begriffen war. Dadurch verlor Deutschland seine bedeutendsten Handelszentren sowie einen Teil der für den Überseehandel wichtigsten Häfen, deren Funktion erst später von den Hansestädten Lübeck, Bremen und Hamburg übernommen werden konnte. Im 19. Jahrhundert, als der portugiesische Hof auf der Flucht vor den napoleonischen Truppen nach Brasilien emigrierte (1808), begannen die Deutschen erneut, sich in Brasilien niederzulassen und bald aktiv am Wirtschaftsleben teilzunehmen. Dem Prinzregenten und zukünftigen König Joäo VI. war an einem Aufschwung der brasilianischen Wirtschaft gelegen, um die eigene Position gegenüber Großbritannien zu stärken, von dem Portugal wirtschaftlich abhängig geworden war. Ende des Jahres 1809 traf der Ingenieur Friedrich Ludwig Wilhelm Varnhagen in Rio de Janeiro ein und erhielt den Auftrag, die Möglichkeiten für den Bau eines Eisenhüttenwerkes zu prüfen, welches auf den Hügeln von
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Johann Moritz von Nassau Siegen-Dillenburg war Generaladmiral und Generalstatthalter in Nova Holanda. Diese Kolonie, die Holländer auf brasilianischem Territorium zu errichten versuchten, erstreckte sich zwischen 1630 und 16S4 von Pernambuco bis Maranhäo. Später erhielt Moritz von Nassau den Titel Reichsfürst.
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Arafoitaba, in der Nähe von Sorocaba (Provinz Säo Paulo) geplant war. Dieses Projekt wurde bald darauf einer Gruppe von schwedischen Bergleuten - unter der Leitung von Carl Gustav Hedberg - übergeben, die es jedoch nicht durchzufuhren vermochten. Vamhagen mußte 1815 die Leitung des Königlichen Eisenwerkes Säo Joäo de Ipanema übernehmen, das Oberstleutnant Daniel P. Müller zur Herstellung von Gewehren nach preußischen Modellen diente. In Säo Paulo gründete er eine kleine Fabrik mit 60 Arbeitern, einschließlich 10 Meistern, die in Deutschland unter Vertrag genommen worden waren 4 . Schon damals stellte Wilhelm Ludwig von Eschwege in Congonhas, Minas Gerais, Gußeisen her; zuvor hatte er mit Hilfe des Grafen von Palma 1812 den Bau einer anderen Eisenhütte beendet, die Fábrica Patriótica. In der Provinz Minas Gerais wurde bereits unter Mithilfe eines Deutschen Roheisen aus einem Hochofen gewonnen, und -zwar in der Fábrica de Ferro do Morro des Gaspar Soares, die von Manoel Ferreira da Cámara Bittencourt e Sá errichtet worden war. Nach der Niederlage Napoleon Bonapartes und dem Ende des Krieges in Europa konnten die deutschen Staaten erste politische Beziehungen zu Brasilien herstellen. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation, das infolge der Napoleonischen Kriege zerfallen war, konstituierte sich 1815 unter dem Namen Deutscher Bund von neuem. Dieser Staatenbund setzte sich aus vier Stadtstaaten (Lübeck, Bremen, Hamburg und Frankfurt) und 34 Fürstentümern zusammen, darunter Preußen und Österreich. Den Vorsitz führte die Dynastie Habsburg. Nachdem König Joäo VI. im Jahre 1808 die brasilianischen Häfen für den Handel mit anderen Nationen geöffnet hatte, löste er 1815 den kolonialen Status Brasiliens auf, indem er es mit Portugal zu einem gemeinsamen Königreich vereinte. Dies bedeutete praktisch die staatliche Unabhängigkeit des Landes, anerkannt durch die USA, Großbritannien, Rußland, Frankreich, Schweden, Österreich und Preußen. Das Ziel Joäo VI. war es, das Ansehen des Hauses Braganza wiederherzustellen und seine Position im Widerstand gegen die erdrückende Vormachtstelluung Großbritanniens zu stärken. Die Vermählung seines Erben, des Kronprinzen Dom Pedro, mit der Erzherzogin Leopoldina, Tochter des österreichischen Kaisers Franz I., öffnete einen weiteren Weg für neue Allianzen mit anderen europäischen Mächten, zumal Kaiser Franz den Vorsitz des Deutschen Bundes führte. Die Verbindung zwischen den Häusern Braganza und Habsburg weckte das Interesse verschiedener deutscher Staaten für Brasilien, wohin bereits etliche deutsche Wissenschaftler, Kaufleute, Unternehmer, Geistliche und Militärs immer häufiger reisten. Da Großbritannien Brasilien immer stärker dazu drängte, den Sklaven4
Ferreira Lima 1976, S. 159-165.
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handel einzustellen, benötigte König Joäo neue Arbeitskräfte für die Landwirtschaft sowie für Siedlungszwecke; vor allem die Grenzgebiete in Rio Grande do Sul und Santa Catarina sollten durch eine Besiedlung besser gegen mögliche Angriffe geschützt werden. Die Regierung von Joäo VI. warb daher intensiv bei der deutschen und italienischen Landbevölkerung für eine Einwanderung nach Brasilien. Den Engländern, Franzosen, Holländern und Spaniern hatte der Übersee-Rat immer mißtraut. Er befürchtete, deren Staaten könnten das Ziel verfolgen, sich Brasilien einzuverleiben. Eine Auswanderungswelle von Deutschen wurde durch den Industrialisierungsprozeß ermöglicht, der in einigen deutschen Staaten verstärkt einsetzte. Im Zuge verschärfter sozialer und politischer Auseinandersetzungen schauten sich Handwerker und Bauern nach besseren Lebensbedingungen auf dem amerikanischen Kontinent um. Ihre erste Kolonie, Leopoldina, errichteten die Deutschen um 1818 in Bahía. Von nun an kamen immer mehr Bauern aus mehreren Staaten des Deutschen Bundes nach Brasilien und ließen sich in verschiedenen Provinzen nieder (Minas Gerais, Espirito Santo, Rio de Janeiro, Säo Paulo und Paraná), vor allem jedoch in Rio Grande do Sul und Santa Catarina, wo neben ökonomischen und klimatischen Bedingungen auch politische und militärische Faktoren vorteilhaft waren. Nach der Ablösung Brasiliens vom Mutterland, 1822, ließ sich der Prinzregent zum Kaiser Dom Pedro I. ausrufen. Da viele portugiesische Truppenkontingente nach Lissabon zurückgekehrt waren (ungefähr 14.000 Mann), mußte ein neues brasilianisches Heer aufgestellt werden. Mit Hilfe des Majors Georg Anton von Schäfier rekrutierte Pedro I. daher Soldaten in den Staaten des Deutschen Bundes. Die Aufstellung der deutschen Bataillone, zwei Grenadier- und zwei Jägerbataillone, begann im Januar 1823. Diese Bataillone kämpften 1825-1828 in vorderster Front im Krieg mit den Vereinigten Provinzen des Rio de la Plata (Argentinien), der auf Grund des Aufstands in der Provinz Cisplatina (Uruguay) entbrannt war. Später ließ sich die Mehrheit der deutschen Soldaten als Siedler in Rio Grande do Sul nieder; 1830 waren es bereits etwa 6.000. Zu jener Zeit gehörten dem Hofe Dom Pedros I. 17 Handelsvertretungen deutscher Staaten - neben den Gesandten aus Österreich und Preußen auch etliche Konsuln - an. 1824 verließen 86 Schiffe mit 34.023 Kisten Zucker den Hafen von Salvador in Richtung Hamburg. Im folgenden Jahr wurden 21.263 Kisten nach Hamburg verschifft, d.h. etwa zwei Drittel der gesamten Zuckerprduktion von ungefähr 29.000 bis 30.000 Kisten in der Provinz Bahia 5 . Deutschland war Bra5
Denkschrift Peter Peyckes an Kaiser Pedro I., Salvador im März 1826, in: Herbert Minnemann, Handels- und Schiffahrt svertrag zwischen der freien Hansestadt Lübeck, Bremen
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siliens größter Abnehmer von Zucker und Kaffee, da Großbritannien und Frankreich diese Produkte ausschließlich aus ihren eigenen Kolonien importierten6. Deutschland bezog von Brasilien auch große Mengen an Tabak, Baumwolle, Leder, Indigo und anderen Rohstoffen. Die Handelsprivilegien, von denen Großbritannien profitierte und die seine Vorherrschaft sicherten, behinderten die brasilianischen Exporte von Tuch und Leinen sowie von verarbeiteten Eisen-, Stahlund Glaserzeugnissen, so daß das gesamte Ausfuhrvolumen nicht ausgeweitet werden konnte7. Bei einem Besuch Pedros I. in Salvador präsentierte der dort ansässige Konsul der Hansestadt Hamburg dem Kaiser ein Schreiben, in dem die Hansestädte Lübeck, Bremen und Hamburg den Wunsch bekundeten, mit Brasilien einen Handelsvertrag abzuschließen, der ihnen ähnliche Zollvorteile einräumen sollte, wie sie zuvor Großbritannien und Frankreich gewährt worden waren. Da "sie keine eigenen Kolonien besitzen, deren Produkte sie beim Import bevorzugen", boten die Hansestädte - insbesondere der Hafen von Hamburg - Brasilien mehr Vorteile als jede andere europäische Nation 8 . Auf Anraten des Bürgsmeister von Bremen schrieb der Senator Johann Karl Friedrich Gildmeister wenige Monate später an den Fürsten Metttemich in Österreich und hob hervor, "daß die Natur Deutschland beim Handel mit Brasilien an einen der ersten, ja vielleicht sogar den ersten Platz gesetzt hat. Diese Position wird bei einem normalen Verlauf der Dinge in Zukunft noch sicherer werden; zumal Brasilien bis jetzt seine Siedler vornehmlich aus Deutschland bezogen hat und dies auch wahrscheinlich in Zukunft tun wird" 9 . Senator Gildmeister ging zudem davon aus, daß die Zahl der Deutschen in Brasilien im Laufe der Zeit sehr wichtig werden würde, "aber noch kann man die Auswirkungen dieses Umstandes nicht genau bestimmen, genauso wenig wie die zukünftigen Auswirkungen des glücklichen Umstandes, der in dieser bewegten Epoche eine Tochter des Kaisers von Österreich auf dem Throne Brasiliens Platz nehmen ließ, auf dem Thron eines Reiches, das wegen der Verschiedenartigkeit seiner
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und Hamburg, und Sr. Majestät dem Kaiser von Brasilien, unterzeichnet zu Rio de Janeiro am 17. November 1827. (Ausgabe in Portugiesisch und Deutsch), Institut für Iberoamerika-Kunde, Hamburg 1977, S. 23-24. "Brasiliens Verhältnis zu Deutschland in National-Ökonomischer Hinsicht", Denkschrift des Senators Johann Karl Friedrich Gildmeister an den Fürsten Metternich, Juni 1826, in: Minnemann 1977, S. 27-31. Id., ib.
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Schreiben Peter Peyckes an Kaiser Pedro I., ib. "Brasiliens Verhältnis zu Deutschland in National-Ökonomischer Hinsicht", ib.
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Einwohner noch immer eines unverkennbaren Nationalcharakters entbehrt"» . Gildmeister war der Auffassung, daß die Deutschen in Brasilien durch Sprache, Denkweise und Gebräuche den Deutschen in Europa verbunden blieben, die daher ihre bevorzugten Handelspartner sein würden. Man könne darauf hoffen, daß sich die Beziehungen zwischen den Deutschen beider Kontinente ebenso entwikkelten wie die Beziehungen Großbritanniens zu seinen ehemaligen Kolonien in Nordamerika. Deutschland würde dann den "Mangel an Kolonien nicht länger als Entbehrung" empfinden 11 , denn Brasilien könne in gewisser Weise ein Anreiz für die deutsche Industrie werden 12 . Die Hansestädte drängten Österreich, das den Vorsitz des Deutschen Bundes innehatte, die Handelsbeziehungen der deutschen Staaten zu Brasilien zu konsolidieren. Dies blieb aber nicht die einzige Initiative der Hansestädte. Mitte 1827 kamen Gildmeister und der Syndikus des Hamburger Senats, Karl Sieveking, nach Rio de Janeiro, wo sie nach fünfmonatigen Verhandlungen einen Handelsvertrag mit dem Kaiserreich Brasilien abschlössen. In diesem Vertrag wurde den Hansestädten nach der Meistbegünstigungsklausel ein Zolltarif von 15% zugestanden - derselbe wie zuvor Großbritannien. Für Preußen galt weiterhin der Zolltarif von 24%, genauso wie für die übrigen Handelspartner Brasiliens, mit Ausnahme Portugals, dem ein Tarif von 16% gewährt worden war. Um seine Handelsprivilegien nicht zu verlieren, versuchte Großbritannien den Vertrag zu verhindern. Der damalige brasilianische Außenminister Marques de Queluz vermutete jedoch, daß Großbritannien auf Grund seiner "arroganten" Haltung und Frankreich auf Grund seiner "Hinterhältigkeit" vom brasilianischen Volk gehaßt würden, so daß freundschaftliche Beziehungen zu den deutschen Hansestädten und zu Preußen mit der Unterstützung der öffentlichen Meinung rechnen könnten13 . Brasilien suchte verstärkt nach neuen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen, um der Vormachtstellung Großbritanniens entgegenzutreten, dessen Interesse eher darin bestand, Fertigwaren nach Brasilien zu exportieren, als brasilianische Produkte zu importieren. Mit der Beschleunigung des Industrialisierungsprozesses in Teilen Deutschlands und nach der Gründung des Deutschen Zollvereins im Jahre 1834 wurden die deutschen Staaten zu den wichtigsten Abnehmerländern Brasiliens. Als Lieferanten von Fertigwaren nahmen die deutschen 10 11 12 13
Ib. Ib. Ib. Bericht des Senators Gildmeister an den Bremer Senat, ib., S. 115-125.
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Staaten bei den Warenexporten nach Brasilien allerdings nur den vierten Platz ein, hinter Großbritannien, Frankreich und den USA 14 . Der Strom deutscher Einwanderer wuchs, wenngleich ihr bevorzugtes Ziel noch immer die USA waren. Die Regierung Dom Pedros II. begann erneut, deutsche Soldaten für die Kampagne gegen den Diktator Juan Manoel de Rosas (1852-1852) sowie für den Krieg gegen Paraguay (1864-1870) zu rekrutieren. Trotz ihres außerordentlichen Wirtschaftswachstums konnten die deutschen Staaten praktisch keinen politischen Einfluß in Brasilien und in den übrigen lateinamerikanischen Staaten ausüben. Maßgeblich hierfür waren eine Reihe von Revolutionen und Kriegen sowie das Fehlen eines deutschen Einheitsstaates, dessen Schaffung auch durch die Rivalität zwischen den beiden Großmächten Preußen und Österreich behindert wurde. Die Situation begann sich jedoch ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu verändern. Die deutsche Einigung, die unter preußischer Führung nach der Niederlage Österreichs (1866) und Frankreichs (1870) zustande gekommen war, beseitigte die letzten wirtschaftlichen und politischen Hindernisse, die sich der Entwicklung der Produktivkräfte entgegengestellt hatten. Die Reichsgründung mit ihrer Zentralisierung der Macht ermöglichte die Vereinheitlichung der Industriegesetzgebung, des Münzwesens, der Maße und Gewichte sowie einen rigiden Zollschutz des Binnenmarktes (1879). Der Erwerb von Elsaß-Lothringen mit seinen reichen Vorkommen an Eisenerz und die fünf Milliarden Franc, die Frankreich nach der Niederlage von Sedan (1870) als Kriegsentschädigung zahlen mußte, trugen dazu bei, den Ausbau der deutschen Industrie zu beschleunigen. 1874 war der Ausbau des deutschen Eisenbahnnetzes (mit mehr als 20.000 km) nahezu abgeschlossen. Der deutsche Anteil am Welthandel wurde lediglich von Großbritannien übertroffen, und nach raschem wirtschaftlichem Aufschwung stand Deutschland 26 Jahre später hinter den USA an zweiter Stelle der führenden Industrienationen13. Mit einem Staatsgebiet, das sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts vom Atlantik bis zum Pazifik erstreckte, versuchten die USA, auch Lateinamerika mittels Monroe-Doktrin und Panamerikanismus-Politik als informelle Besitzungen für sich in Anspruch zu nehmen. Deutschland hingegen verfugte nicht über ein Wirtschaftsgebiet, das dem hohen Stand seiner wirtschaftlichen Entwicklung entsprochen hätte. Um die eigene Rohstoffversorgung zu verbessern und um zusätzliche Märkte für heimische Produkte und Investitionen zu gewinnen, mußte Deutschland seinen Machtbereich ausweiten und für eine Veränderung des globalen Status quo kämpfen. 14 Brunn 1971, S. 5-7; Wyneken 1958, S. 42-49. 15 Hilferding 1968, S. 411.
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Mit der Besetzung Togos und Kameruns an der Westküste Afrikas erwarb Deutschland 1884 zum ersten Mal Gebiete außerhalb Europas. Im Jahr darauf nahm es Tanganjika am Indischen Ozean in Besitz. Mit dem Sturz der Monarchie in Brasilien schienen sich im Jahre 1898 für einige diplomatische Kreise in Berlin neue Perspektiven zu eröffnen: die Möglichkeit, das Land in zwei oder mehrere Republiken aufzuteilen und durch eine Loslösung von Säo Paulo, Rio Grande do Sul und Santa Catarina entweder einen unabhängigen deutschen Staat, oder zumindest einen Staat unter starkem deutschen Einfluß zu bilden16. Der damalige deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck lehnte solche Pläne jedoch energisch ab, da er mögliche Interessenkollisionen mit den USA und Großbritannien fürchtete. Nach dem Rücktritt Bismarcks wurden diese Pläne allerdings von der deutschen Presse und diplomatischen Kreisen wieder aufgegriffen, wobei der Ausbruch des Bürgerkrieges in Rio Grande do Sul und Santa Catarina im Jahre 1893 sie in diesem Vorhaben bestärkte17. Tatsächlich kam es aber zu keinem Zerfall der brasilianischen Republik. Das Interesse Deutschlands an Brasilien nahm aber weiter zu, zumal der Außenhandel zwischen den beiden Staaten im 19. Jahrhundert bedeutender war als der zwischen Deutschland und den USA 18 . Nach der Aufhebung des Heydtschen Reskriptes im Jahre 1896 war es in Deutschland wieder erlaubt, für eine Auswanderung nach Säo Paulo, Paraná, Santa Catarina und Rio Grande do Sul zu werben. Schon damals beobachtete der französische Konsul in Säo Paulo "eine beunruhigende Zunahme deutschen Einflußes" in dieser Region, in der homogene ethnische Siedlungen "wahren Kleinstädten" in Deutschland glichen, so daß dort deutsche Produkte mit Leichtigkeit Absatz fänden19 . Der französische Konsul merkte außerdem an, daß die Anzahl der Deutschen in Säo Paulo mit nur 10.000 zwar wenig über der der Franzosen läge (5.000 bis 6.000), aber unbedeutend sei im Vergleich zu den 500.000 Italienern, 90.000 Portugiesen und 60.000 Spaniern. Santa Catarina jedoch sei bereits "total germanisiert", dies könne man in Kürze auch von Paraná und Rio Grande do Sul behaupten20. Die Zahl deutscher Immigranten stieg nach 1896 stetig an und erreichte 1907 ungefähr 350.000. Nach einem Bericht des britischen Gesandten in 16 Brunn 1971, S. 16-17; vergl. auch Hell 1966, S. 99-174. 17 Brunn 1971, S. 25. 18 Id., S. S; Menezes 1987, S. 2. 19 Depesche des Konsulats in Säo Paulo an den französischen Außenminister, Säo Paulo, 30.7.1895 - Brésil-Nouvelle Série - Correspendance Politique du Consul - 1866-1895, vol. 1, AMAE-F. 20 Ib.
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Rio de Janeiro, W. Haggard, an sein Außenministerium machte die Zahl der deutschen Einwanderer zwei Prozent der brasilianischen Bevölkerung aus 21 . Ganz im Sinne der von Wilhelm II. propagierten "Weltpolitik" zeigte Deutschland unverhohlen starkes Interesse an Lateinamerika und besonders an Brasilien, wo die Siedlungsgebiete der deutschen Einwanderer sich noch ausdehnten, wobei die ethnische und kulturelle Homogenität der Siedler bewahrt blieb. Diese Tatsache alarmierte sowohl Frankreich als auch Großbritannien und die USA, deren Presseorgane auch 1900 noch von der vermutlichen Absicht Deutschlands sprachen, sich das Territorium im Süden Brasiliens anzueignen 22 . Der brasilianische Gesandte in Washington, Assis Brasil, sah hinter der Kampagne gegen die "deutsche Gefahr" die "massiven Interessen" der maritimen Rüstungsindustrie, deren Haltung an die Monroe-Doktrin erinnere; das eigentliche Ziel sei es, die Ablehnung des amerikanischen Volkes gegenüber der geplanten Verstärkung der Streitkräfte auszuräumen 23 . Die USA sahen sich in ihren Befürchtungen über die wahren Absichten Berlins nur noch bestärkt, als 1905 Offiziere des Kanonenbootes Panther in Santa Catarina an Land gingen, um den Deserteur Steinhoff aufzuspüren, der aus Bremen nach Itajai emigriert war. Gegen diesen Vorfall protestierte der damalige brasilianische Außenminister Baräo do Rio Branco und drohte, das Kanonenboot zu versenken. Wie es der amerikanische Außenminister Elihu Root vorausgesagt hatte, entschuldigte sich Deutschland bei Brasilien, so daß sich letztlich aus dem Vorfall keine nachteiligen Konsequenzen für die deutsch-brasilianischen Beziehungen ergaben 24 . Gewiß waren beide Länder bemüht, Konflikte zu vermeiden. Als Außenhandelspartner Brasiliens lag Deutschland an zweiter Stelle - nicht nur als Lieferant von Fertigwaren, sondern auch als Abnehmer brasilianischen Kaffees und anderer landwirtschaftlicher Rohstoffe 25 . Von 1904 bis 1906 erhöhte sich der deutsche 21 Depesche Nr. 55, William Haggard an Edward Grey, Petrópolis, 8.7.1907 - File 26.088 PRO-FO 371-200. 22 Dienstliches Schreiben, Assis Brasil, Gesandter in Washington an Außenminister Olynto de Magalhäes, Washington, 16.5.1900, AHI-234/1/1; Washington Post, Washington, 8.5.1901; New York Herald, New York, 9.5.1901; 10.5.1901; 15.6.1901; 18.6.1901; 12.3.1902. 23 Dienstliches Schreiben, Assis Brasil an Olynto de Magalhäes, Washington, 12.5.1901, AHI-234/1/1. 24 Telegramme des Baräo do Rio Branco an Joaquim Nabuco, Botschafter in Washington, Rio de Janeiro, 9.12 1905 und 12.12.1905; Dienstliche Schreiben, Nabuco an Rio Branco, Washington, 16.2.1905 und 19.12.1905; Notiz von Außenminister Elihu Root an Nabuco, Washington, 11.12.1905, AHI-234/1/3. 25 New York Times, New York, 12.10.1905.
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Anteil an den brasilianischen Kaifeeausfuhren von 15% auf 31%, während der Anteil der USA von 62% auf 38% sank. Im selben Zeitraum stiegen die deutschen Käufe von 13% auf 17% der brasilianischen Gesamtexporte 26 . Deutschland nahm in den Außenbeziehungen Brasiliens eine immer wichtigere Rolle ein, da es Alternativen im Bereich Handel und Finanzen bot und somit Brasiliens Verhandlungsposition gegenüber Großbritannien und den USA stärkte. Zwar hatte sich Brasilien unter Baräo do Rio Branco den USA angenähert, blieb jedoch darauf bedacht, seine relative Autonomie zu wahren. Als 1906 der Weltmarktpreis des Kaffees dermaßen fiel, daß der Erlös die Produktionskosten nicht mehr deckte, unterstützten die Diskonto Gesellschaft und die Dresdner Bank den Vertrag von Taubate; später schlössen sich ihnen die First National City Bank sowie andere englische und französische Gruppen an. Mit dem Vertrag von Taubate sollte die Kaffeeproduktion wieder aufgewertet werden; zu diesem Zweck gewährte die Brasilianische Bank für Deutschland dem Bundesstaat Säo Paulo einen Kredit von 919.000 Pfund. Die britische Bank des Baron von Rothschild, Hauptgläubiger Brasiliens, hatte sich geweigert, die Summe zur Verfügung zu stellen27. Wie sich zeigte, hatte Deutschland beschlossen, Brasilien in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht nicht zu vernachlässigen, da es auch Chancen für eine erweiterte Einflußnahme sah. Deutschland versprach sich Vorteile sowohl beim Erwerb der reichen Rohstoffvorkommen, die es für die eigene wirtschaftliche Entwicklung benötigte, als auch beim Verkauf seiner Fertigprodukte. Die Regierung des Präsidenten Francisco da Paula Rodrigues Alves (1902-1906) hatte 1904 ein Programm zur Wiederaufrüstung des Heeres und der Marine ins Leben gerufen, was der deutschen Rüstungsindustrie exzellente Geschäfte versprach. Auf Initiative des Baron von Rothschild, der sich weigerte, Geld für das Geschäft mit Deutschland bereitzustellen28, wurde zunächst die englische Firma Vikkers-Armstrong mit dem Bau von drei Kriegsschiffen beauftragt. Die deutsche Rüstungsfirma Krupp, die mit der französischen Firma Schneider-Creuzot konkurrierte, erhielt 1908 den Auftrag für die Lieferung von weiterem Kriegsmaterial (für den Bau von Kasernen, Kanonenbooten etc.). Diese Entscheidung war ein harter Schlag für die Wirtschaft Frankreichs, dessen Diplomaten - ebenso wie die 26 Depesche Nr. 89, Milne Cheeham an Sir Edward Grey, Petröpolis, 22.9.1908, File 35.292, PRO-FO 371-403. 27 Valentim Boufas 1950, S. 214-215; D'Anthouard 1911, S. 78-79. Annex 12, S. 394-396. 28 Telegramm des Baron von Rothschild an den brasilianischen Finanzminister, 30.10.1905, Rothschild Archives - London XI/8/4.-
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Großbritanniens - dem brasilianischen Minister Baräo do Rio Branco vorwarfen, Deutschland bevorzugt zu behandeln. Diplomatische Kreise Frankreichs sprachen von einem "Handelsmanöver", als Kaiser Wilhelm II. den brasilianischen Kriegsministers Marschall Hermes da Fonseca nach Berlin und zu den Herbstmanövern im Elsaß einlud 29 . Die französische Gesandtschaft in Rio de Janeiro unternahm sogar den Versuch, sich an einer Kampagne gegen die Regierung Rodrigues Alves zu beteiligen 30 ; Zeitungen in London und Paris unterstellten der Regierung Alves, Deutschland noch nachträglich den Auftrag für jene Kriegsschiffe erteilen zu wollen, deren Bau schon bei der englischen Firma Vickers-Armstrong in Auftrag gegeben worden war 31 . Die sich verschärfende Rivalität zwischen den europäischen Großmächten blieb nicht ohne Einfluß auf die lateinamerikanischen Märkte. Für Brasilien war es jedoch ganz selbstverständlich, Deutschland den anderen europäischen Großmächten vorzuziehen. Im Jahre 1910 schickte Deutschland ein Gruppe von Militärberatern nach Brasilien, deren Aufgabe es war, bei der Neuaufstellung und Modernisierung der brasilianischen Armee mitzuwirken32. Das militärische Ansehen, das Deutschland durch den Sieg über Frankreich in der Schlacht bei Sedan erlangt hatte, ließ die deutsche Rüstungsfirma Krupp zu einem Hauptlieferanten von Kriegsmaterial in Lateinamerika werden 33 . Während Frankreich und England Rohstoffe in ihren eigenen Kolonien erwerben konnten und nur verhältnismäßig wenige Waren aus Brasilien einführten, nahm Deutschland auf dem europäischen Markt als Importeur brasilianischer Produkte den ersten Platz ein; gemessen an den brasilianischen Gesamtexporten war Deutschland immerhin das zweitwichtigste Abnehmerland. Dies half Brasilien, sich allmählich aus der politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit von den USA zu befreien. 1913 erreichten die 29 Depesche Nr. 84 der französischen Gesandtschaft in Brasilien an den Außenminister, Petröpolis, 19.7.1908, Brésil-Nouvelle Série, vol. 11, S. 150-160; Depesche (nur fur den Dienstgebrauch) Nr. 84, D'Anthouard an den Außenminister, S. 14, Depesche Nr. 311, Manneville an den Außenminister, London, 28.07.1908, Brésil-Nouvelle Série - Politique Étrangère - Dossier Général, vol. 22, S. 16 - AMAE-F; Depesche (vertraulich) Milne Cheeham an Sir Edward Grey, Petrôpolis, 13.10.1908 - PRO-FO 371/403 XC/A/035202. 30 Depesche Nr. 84, Französische Gesandtschaft in Brasilien an den Außenminister, 19.07.1908, Brésil-Nouvelle Série, vol. 11, S. 150-160. 31 Depesche Nr. 311, Manneville an den Außenminister, London, 28.7.1908, Brésil-Nouvelle Série - Politique Étrangère - Dossier Général, vol. 2, S. 16, ib. 32 Depesche Nr. 397, Französische Botschaft in Berlin an den Außenminister, Berlin, 19.7.1910, Brésil-Nouvelle Série - Politique Étrangère - Dossier Général, vol. 22, S. 89f., ib. 33 Brunn 1969, S. 328-331.
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deutschen Ausfuhren nach Brasilien einen Wert von 234 Millionen Goldmark 34 . Damit verdrängte Deutschland die USA und wurde auch zu einer ernsthaften Bedrohung für Großbritannien, das als Gläubiger und Lieferant von Fertigprodukten nach Brasilien nach wie vor an erster Stelle stand. Die Position als zweitgrößter Handelspartner Brasiliens hatte Deutschland inne, bis der Ausbruch des Ersten Weltkrieges den brasilianischen Handel mit ganz Europa drastisch reduzierte. Von jetzt an waren es wieder die USA, die den Außenhandel Brasiliens kontrollierten; Brasilien blieb keine andere Wahl, als gemeinsam mit den USA auf der Seite Großbritanniens und Frankreichs in den Ersten Weltkrieg einzutreten. Der deutschstämmige brasilianische Außenminister Lauro Müller gab daraufhin seinen Rücktritt bekannt, obwohl er erklärt hatte, in der Gestaltung der Außenpolitik nicht vom Kurs des amerikanischen Präsidenten Wilson abweichen zu wollen. Sein Amtsnachfolger, Ex-Präsident Nilo Pefanha, mußte nun die neutrale Haltung Brasiliens widerrufen, damit dessen Häfen von den Kampfgeschwadern der USA genutzt werden konnten. Wenig später wurde dies auch den Flotten Großbritanniens, Frankreichs und Italiens gestattet. Die Regierung des Präsidenten Wenceslau Braz ordnete zudem die Beschlagnahmung von 70 deutschen Handelsschiffen an (das Kanonenboot Elba versenkte sich selbst vor der Küste Bahias) und stellte sie den Alliierten zur Verfügung. Auf Anordnung des Präsidenten wurden brasilianische Piloten in England ausgebildet, und brasilianische Chirurgen leisteten auf den Schlachtfeldern in Frankreich den Verletzten Hilfe. Brasilianische Kreuzer und Zerstörer beteiligten sich an Patrouillefahrten auf dem Atlantik. Obwohl die Bevölkerung Brasiliens den Alliierten große Sympathie entgegenbrachte und die Versenkung seiner Schiffe Panamá, Macau, Lapa und Tijuca durch deutsche Torpedos heftige Empörung ausgelöst hatte, sprach sich die öffentliche Meinung dennoch nicht für eine Stationierung brasilianischer Truppen in Europa aus 35 . Seit 1915 führten die Confederando Operária in Säo Paulo und in Rio de Janeiro sowie andere Arbeiterorganisationen, die von anarchistischen Gewerkschaftlern und Sozialisten angeführt wurden, eine Kampagne gegen den Krieg. Einige Schriftsteller wie Lima Barreto und Monteiro Lobato stellten sich offen auf die Seite Deutschlands. Andere, wie zum Beispiel Alberto Torres, verhielten sich neutral. Heftiger Widerstand erhob sich, als Großbritannien im Jahre 1917 in Brasilien eine "Schwarze Liste" (Statutory List) aufstellen wollte und die 34 Menezes 1987, S. 2-3; Brunn 1971, S. 232-241; Santos 1984, S. 330. 35 Depesche Nr. 121, Arthur Peel an Lord A.J.Balford, Petrópolis, 27.12.1917, PRO-FO 505/360 - 034.933.
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britischen Konsulate damit beauftragte, Geschäfte, an denen Deutsche beteiligt waren, zu überwachen oder gar zu verbieten. Für Präsident Wenceslau Braz wurde es zunehmend schwieriger, den Anordnungen der Alliierten Folge zu leisten und Tätigkeiten der Deutschen in Brasilien zu unterbinden, die auf irgendeine Weise den "Krieg unterstützen" oder später zum "Wiederaufbau seiner Wirtschaft und seines Handels" fuhren konnten 36 . Auch nach Bekanntgabe des Kriegseintritts weigerte sich das brasilianische Abgeordnetenhaus, den Ausnahmezustand zu verhängen. Der Senat schwächte Zwangsmaßnahmen gegen Deutsche ab und es kam zu keinem Verbot ihrer geschäftlichen Tätigkeiten auf brasilianischem Territorium. Diese Entscheidung mißbilligte der britische Gesandte Arthur Peel und bezeichnete sie als "nicht ausreichend"37. Seiner Meinung nach war sie einerseits darauf, daß die Deutschen in vielen brasilianischen Staaten eine wichtige Rolle spielten, andererseits auf das starke Interesse Brasiliens an Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit Deutschland, zurückzufuhren. Viele "einflußreiche Brasilianer" seien bereit, sich für diese Beziehungen einzusetzen, wie zum Beispiel auch der Ministerpräsident des Staates Säo Paulo, Altini Arantes 38 . Der britische Gesandte hob weiterhin hervor, daß Deutschland nicht nur brasilianischem Kaffee und anderen Produkten gute Absatzmöglichkeiten böte, vielmehr könne es durch seine Handelspolitik die Entwicklung brasilianischer Industriesektoren fördern39; in Rio Grande do Sul, Paraná und Santa Catarina hätten Deutsche umfangreiche Investitionen getätigt, ebenso in Säo Paulo, Rio de Janeiro und Bahia 40 . Ein möglicher Wegfall Deutschlands als Wirtschaftspartner beunruhigte Untemehmerkreise, die aus den deutsch-brasilianischen Beziehungen Gewinne erzielten. Ihr Einfluß war so stark, daß sie schließlich den Senat dazu bringen konnten, viele der im Gesetz über den Ausnahmezustand vorgesehenen Maßnahmen nachträglich zu ändern oder sogar zu annulieren41. Der Gesandte Arthur Peel bemerkte hierzu, daß die deutschen Handelsinteressen auf diese Weise erhal36 Mitteilung Nr. 4 des Außenministeriums an das Wirtschaftsministerium, Rio de Janeiro, 7.6.1918, an Nilo Peganha, in: Ministerio das Relagöes Exteriores - Guerra da Europa Documentos Diplomáticos - Attitüde do Brasil, Imprensa Nacional, Rio de Janeiro 1918, S. 97. 37 Depesche Nr. 106, Peel an Baiford, Rio de Janeiro, 17.11.1917, PRO-FO 506/360 034.933. 38 Depesche Nr. 121, Peel an Baiford, Petrópolis, 17.12.1917, PRO-FO 505/360 - 034.933. 39 Depesche Nr. 106, Peel an Baiford, Rio de Janeiro. 17.11.1917, PRO-FO 505/360 034.933. 40 Santos 1984, S. 228-234. 41 Depesche Nr. 121, Peel an Baiford, Petrópolis, 17.12.1917, PRO-FO 505/360 - 034933.
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ten blieben und in Friedenszeiten rasch wiederbelebt werden könnten. Er erkannte sehr klar, daß Brasilien kein Interesse daran haben könne, die "Perspektiven für einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung" Deutschlands nach dem Krieg zu zerstören 42 . Die Alliierten verfolgten im Ersten Weltkrieg vornehmlich das Ziel, deutsche Investitionen auszumerzen, wo immer sie konnten. Deutschland sollte nach dem Krieg nicht wieder wirtschaftliche Großmacht werden können, die mit ihnen auf dem Weltmarkt konkurriere. Auch der Druck der Alliierten auf Brasilien erfolgte unter dieser Zielsetzung: Die brasilianische Regierung mußte den Kaufvertrag für Kriegsgerät bei der deutschen Rüstungsfirma Krupp annulieren, deutschen Firmen erteilte Konzessionen für die Erstellung eines Eisenbahnnetzes in Santa Catarina sowie fiir die Verlegung eines Tiefseekabels zwischen Pernambuco and Teneriffa wurden wieder entzogen. Trotz Widerstandes wurden nur zwei Monate vor Kriegsende die deutschen Banken liquidiert, nachdem ihnen die Lizenz für das Bankengeschäft in Brasilien entzogen worden war 43 . Aber nicht nur Deutschland verlor wirtschaftlich an Bedeutung. Die USA nutzten den Ersten Weltkrieg auch, um gegen die Interessen Großbritanniens und Frankreichs zu handeln, indem sie begannen, die Kontrolle Ober das Fernmeldenetz und die Eisenerzgruben Brasiliens zu übernehmen. Die USA waren jetzt nicht nur Brasiliens wichtigstes Abnehmerland, sondern auch wichtigster Lieferant von Fertigwaren. Wie J.F. Normano hervorhob, war ab 1919 "der Versuch der USA, [...] in Brasilien Fuß zu fassen, ein ständiger Versuch, europäische, insbesondere britische Positionen zu verdrängen und zu übernehmen" 44 . Mittel- und langfristig verlor Großbritannien mehr Einfluß als Deutschland, denn es konnte seine Positionen auf den lateinamerikanischen Märkten, welche die USA einzunehmen begannen, lange Zeit weder behaupten noch wiedererlangen. 1922 stand England noch an erster Stelle der Lieferanten von Fertigprodukten nach Brasilen, aber nur zwei Jahre später wurde dieser Platz bereits von den USA eingenommen. Diese Niederlage war jedoch nicht nur auf die konjunkturellen Bedingungen des Ersten Weltkrieges zurückzuführen, sondern hatte auch viele andere Faktoren als Ursache. So hatte Großbritannien seit Mitte des 19. Jahrhunderts nur ersatzweise auf Brasilien als Rohstofflieferanten zurückgegrif42 Depesche Nr. 106, Peel an Baiford, Rio de Janeiro, 17.11.1917, PRO-FO 505/360 034933. 43 Dekret Nr. 3393, 16.11.1917, in: Ministério das Relaçôes Exteriores - Guerra da Europa Documentos Diplomáticos - Attitude do Brasil, 1918, S. 99-100. 44 Normano 1939, S. 291.
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fen, den Vorzug aber seinen Kolonien in Afrika gegeben. Die Tatsache, daß Großbritannien mehr am Export als am Import von Waren interessiert war, trug zweifelsohne dazu bei, daß es an Einfluß verlor und seine Vormachtstellung einbüßte. Die USA, bereits Hauptabnehmer brasilianischen Kaffees, Kakaos, Kautschuks und anderer Produkte, nutzten die Lücken, die der Erste Weltkrieg im Welthandel hatte entstehen lassen und stiegen als Lieferanten von Fertigprodukten vom dritten Platz auf den ersten Platz auf. Nach vorübergehend geringen Absatzeinbußen in den Jahren 1922 und 1923 konnten die USA ihre führende Position noch festigen. Deutschland konnte, so wie es der Gesandte Arthur Peel vorausgesehen hatte, nach kurzer Zeit bereits wieder Handelsbeziehungen mit Brasilien aufnehmen - trotz der militärischen Niederlage, die das Land erlitten hatte und ungeachtet der reparationsbedingten Inflation und der andauernden sozialen Unruhen, welche die Weimarer Republik erschütterten. Bereits 1926 alarmierte der "außergewöhnliche Aufschwung" der deutsch-brasilianischen Handelsbeziehungen britische Diplomaten in Rio de Janeiro; Deutschland war inzwischen wieder Brasiliens drittgrößter Lieferant von Fertigprodukten, mit einem Anteil von 13% an der brasilianischen Gesamteinfuhr industrieller Erzeugnisse, während der britische Anteil 19% betrug und der Anteil der USA 29% 45 . Der Gesamtwert der nach Brasilien exportierten deutschen Waren stieg von 4,2 Millionen Pfund im Jahre 1922 auf 10,1 Millionen Pfund im Jahre 1926-ein Zuwachs von über 100% in nur vier Jahren. Die britischen Ausfuhren konnten hingegen im selben Zeitraum nur einen Zuwachs von 20% verzeichnen, sie erhöhten sich von 12,5 Millionen Pfund auf 15,2 Millionen Pfand 46 . Als Importeur von Kaffee, Kakao, Tabak, Kautschuk, Baumwolle, Leder und anderen brasilianischen Rohstoffen lag Deutschland bereits 1921, knapp drei Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, an dritter Stelle. Bei anhaltendem Anstieg der deutschen Einfuhren aus Brasilien verdoppelte sich ihr Wert bis 1926 nahezu und erreichte damit 7,8 Millionen Pfand, gegenüber 4,2 Millionen Pfand im Jahre 1922. Im selben Zeitraum sank der Gesamtwert der von Großbritannien eingeführten brasilianischen Waren um fast die Hälfte, von 6,8 Millionen Pfand auf drei Millionen Pfand 47 . Die Weltwirtschaftskrise von 1929 wirkte sich zwangsläufig auf den gesamten Welthandel aus. Die brasilianischen Exporte nach Deutschland, die mit 9,2 Millionen Pfand im Jahre 1927 und mit 10,9 Millionen Pfand 1928 noch weit höher lagen 45 Manchester 1973, S. 284. 46 Boletim Semanal dos Servidos Comerciáis - MRE, Nr. 17, Rio de Janeiro, 19.9.1932; id., Nr. 18, Rio de Janeiro, 26.9.1932, AHI, U t a 726, Mapo 10438. 47 Id., ib.
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als die Ausfuhren nach Großbritannien (drei Millionen Pfund 1927 und 3,3 Millionen Pfund 1928), sanken 1929 auf 8,3 Millionen Pfund, 1930 auf 5,9 Millionen Pfund und 1931 auf 4,5 Millionen Pfand. Dieselbe Entwicklung war bei den brasilianischen Einfuhren aus Deutschland zu beobachten. Nachdem sie 1927 auf 8,4 Millionen Pfand und 1928 auf 11,3 Millionen Pfand gestiegen waren, verzeichneten sie 1929 einen leichten Rückgang auf 10,9 Millionen Pfand. 1931 erreichten sie den Tiefststand von drei Millionen Pfand 48 . Beide Länder gerieten aufgrund der Weltwirtschaftskrise in eine finanzielle Notlage, die den Rückgang des Außenhandels zur Folge hatte. Dennoch galt die Feststellung, die der brasilianische Botschafter in Berlin 1932 machte: "Deutschland kann in Europa der größte Absatzmarkt für unsere Produkte sein. Für seine bedeutenden Industrieanlagen, die nur von denen der USA übertroffen werden, und für das Wohlergehen seines Volkes, dessen Lebensstandard zu den höchsten der Welt gehört, kauft und verwertet es die meisten Rohstoffe unter allen europäischen Ländern und kann dies in Zukunft in noch größerem Maße tun" 49 .
48 Id., ib. 49 'Intercämbio Brasileiro-Alemäo" - Memorandum an Seine Exzellenz Dr. Getülio Vargas, Chef der Provisorischen Regierung, vorgelegt von dem brasilianischen Gesandten in Berlin, 26.7.1932, AHI, Lata 726, Ma$o 10438.
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Kapitel II Die Krise der dreißiger Jahre und der Kompensationsvertrag - Die deutsche Handelsoffensive in Lateinamerika - Die Beziehungen der Regierung Vargas zum Dritten Reich - Das Stahlunternehmen Krupp und der Aufbau der brasilianischen Stahlindustrie - Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und der Abbruch der Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland. Zu Beginn der dreißiger Jahre mußten Brasilien und Deutschland noch schwer an den Folgen des Börsenkraches von 1929 tragen. Zwar hatte sich die brasilianische Währung unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg als bemerkenswert stabil erwiesen, aber durch den Verfall des Weltmarktpreises für Kaffee wurden Wirtschaft und Finanzen des Landes schwer erschüttert. Die Regierung Getülio Vargas (1930-1945), die durch die Revolution von 1930 an die Macht gelangt war, sah sich gezwungen, die Bedienung der Auslandsschulden für einige Monate einzustellen. Dies trug jedoch nicht zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Landes bei. Hatte die Kaffeeausfuhr 1933 noch 73% der gesamten Exporterlöse erreicht, so sank dieser Anteil 1934 auf 61%, 1935 auf 51%, 1936 auf 45% und 1937 schließlich auf 42%'. Auch Deutschland litt unter extremer Devisenknappheit. Zwischen 1931 und 1934 verminderten sich die zentralen Gold- und Devisenbestände dramatisch um mehr als fünf Millionen Goldmark. Um einen Finanzkollaps zu vermeiden, mußten Außenhandel und Devisengeschäfte strengen Kontrollen unterzogen werden. In dieser Situation hielten es die Regierungen in Berlin und Rio de Janeiro für erforderlich, den Handel zwischen beiden Ländern wiederzubeleben und auszuweiten. Zu diesem Zweck wurde ein bilaterales Verrechnungssystem geschaffen, dem eine künstliche Rechnungseinheit, die ASKI-Mark {Ausländer-Sonderkonto für Inlandszahlungen), die nur für Käufe in Deutschland verwendet werden konnte, zugrunde lag. 1934 begannen Gespräche über ein neues Handelsabkommen. Die Regierung Hitlers entsandte eine Sonderkommission nach Brasilien, die über den Import von Rohstoffen und Kolonialwaren aus jenen Länder verhandeln sollte, die ihrerseits deutschen Exporten Konzessionen machten2. Die deutsche Regierung erklärte sich bereit, Brasilien für die 1 2
Taunay 1939, S. 62. Memorandum Nr. 1000, brasilianische Gesandtschaft in Berlin an MRE, 13.6.1934; Schreiben EC/548/811 (81)(24), Botschafter Felix de Barros Cavalcanti de Lacerda, geschäftsfuhrender Außenminister, an das Finanzministerium, Rio de Janeiro, 19.6.1934;
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Lieferung bestimmter Waren - vor allem für Kaifee - feste Einfuhrquoten anzubieten. Eine Erhöhung dieser Quoten wurde in Aussicht gestellt, sobald für das Wechselkursproblem und die Frage der blockierten Kredite Lösungen gefunden seien3. Dieser Vorschlag kam der Regierung Vargas durchaus entgegen, denn im Handel mit Deutschland konnte sich Brasilien einen Aktivsaldo von 1,2 Millionen Pfund gutschreiben; noch höhere Ausfuhrüberschüsse erzielte Brasilien lediglich im Handel mit den USA (10,2 Millionen Pfund) sowie mit Frankreich (2,1 Millionen Pfund)4. Allerdings gab es auch Unstimmigkeiten in den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen, auf die der Generaldirektor des Departamento Nacional da Industria e Comércio, J. M. Lacerda, hinwies5. Seiner Einschätzung nach würde das Zugeständnis weitreichender Handelsbegünstigungen auf Kosten der nationalen Produktion die wirtschaftliche Situation Brasiliens, das "unter schwersten Opfern einen Industrieapparat" aufgebaut habe, nachteilig beeinflussen6. Brasilien hatte bereits zuvor mehrere Verträge mit Meistbegünstigungsklauseln unterzeichnet. Zollkonzessionen, die Brasilien Deutschland gegenüber machte, hätten demnach auch für andere Länder Geltung. Genau dieser Punkt ließ die brasilianische Seite in Schwierigkeiten geraten. Die USA, mit denen Brasilien ebenfalls über ein Handelsabkommen! beriet und die sich für liberalere Praktiken auf der Grundlage der Meistbegünstigungsklausel aussprachen, protestierten zwangsläufig gegen einen Vertrag zur Einführung des bilateralen Verrechnungssystems mit Deutschland. Vargas gab dem Drängen der USA jedoch nicht nach und konnte dies auch nicht tun. Denn Deutschland bezog neben brasilianischem Kaffee und Kakao auch Reis, Fleisch und Leder aus Rio Grande do Sul, aus dem Nordosten und Säo Paulo erhielt es Baumwolle, die sich in den USA nicht absetzen ließ7, sowie Tabak und Kakao aus Bahia. In Bahia beabsichtigten zudem die deutschen
Memorandum J. Nr. 1000 11/34, deutsche Gesandtschaft, 25.6.1934; Schreiben Nr. 201, Oswaldo Aranha an Botschafter Cavalcanti de Lacerda, geschäftsführender Außenminister, Rio de Janeiro, 27.6.1934, AHI, Lata 1820, Macos 17306 bis 17322. 3 Memorandum J. Nr. 1000 Q/34, Deutsche Gesandtschaft an das Außenministerium, 25.6.1934, ib. 4 Gutachten des Departamento Nacional da Industria e Comércio, a) J. M. Lacerda, Generaldirektor, Rio de Janeiro, 31.7.1934, Anhang zur Mitteilung Nr. 8.451-934, des Arbeitsministeriums, Rio de Janeiro, 8.8.1934, ib. 5 Id., ib. 6 Id., ib. 7 Brief von Getúlio Vargas an Oswaldo Aranha, Rio de Janeiro, 30.10.1934, Dokument 43B, Band XVI, AGV.
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Finnen Stahlunion und Krupp Mangan abzubauen8. Die Aussicht, in Form von Kompensationsgeschäften Rohstoffe, insbesondere Baumwolle, gegen deutsches Kriegsgerät (für Heer und Marine) einzutauschen, stellte für die brasilianische Seite einen großen Anreiz dar. Denn dem Land fehlten aufgrund der gesunkenen Kaffeausfuhren vor allem die notwendigen Devisen für seine Rüstungsvorhaben. Begünstigt wurde die deutsche Handelsoffensive durch die Devisenknappheit, die in ganz Lateinamerika herrschte. Zwar protestierte die deutsche Regierung (im Oktober 1934) gegen die Meistbegünstigungsklausel in dem Handelsabkommen von 1925 zwischen Brasilien und den USA; das Deutsche Reich selbst konnte gleichzeitig jedoch aufgrund der wirtschaftlichen Situation Lateinamerikas Kompensationsverträge durchsetzen. Solche Verträge wurden mit Brasilien, Venezuela, Kolumbien, Peru, Equador, Nicaragua, Guatemala und El Salvador abgeschlossen. Die ersten Erfolge seiner Handelsoffensive konnte Deutschland schon bald verbuchen. Die Exporte Venezuelas nach Deutschland beliefen sich allein in der ersten Hälfte des Jahres 1935 auf 5,8 Millionen Bolivar und lagen damit weitaus höher als im gesamten Jahr 1934; die Importe aus Deutschland machten im ersten Halbjahr 1935 8,4 Millionen Bolivar aus - gegenüber 11,2 Millionen Bolivar im gesamten Vorjahr9. Diese Entwicklung zeigte sich in allen Ländern, die die künstliche Verrechnungseinheit ASKI-Mark akzeptiert hatten. Die Ausfuhren Perus nach Deutschland stiegen von 27,7 Millionen Soles in den Monaten April bis November 1934 auf 31 Millionen Soles in der gleichen Zeitspanne des Jabres 1935, während sich die peruanischen Einfuhren aus Deutschland von 9,4 Millionen Soles auf 18,5 Millionen Soles erhöhten10. Auch mit Nicaragua nahm der Handel zu. Im Außenhandel mit Guatemala gingen zwar die guatemaltekischen Ausfuhren nach Deutschland von 5,4 Millionen US-Dollar im Jahre 1934 auf 2,7 Millionen US-Dollar im Jahre 1935 zurück; die Einführen Guatemalas aus Deutschland stiegen aber innerhalb nur eines Jahres rasant an, und zwar von 930.542 US-Dollar auf 2,1 Millionen US-Dollar11. Der deutsche Anteil an den brasilianischen Exporten wuchs von 13,3% im Jahre 1934 auf 16,5% im Jahre 1935, der deutsche Anteil an den brasilianischen Importen erhöhte sich in derselben Periode noch stärker, von 14,02% auf 20,44% 12 . Für die Länder Lateinamerikas war der auf dem ASKI-Verrechnungssystem basierende 8
Memorandum, o.J., AHI, LATA 726, Maço 10438.
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The Financial Times, London, 6.4.1936, AHI, Lata 726, Maço 10438.
10 Id.,ib. 11 Le Petit Parisien, Paris, 14.6.1936. 12 Le Petit Parisien, Paris, 14.6.1936.
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Handel offensichtlich von Vorteil, da sie jetzt Industrieprodukte importieren konnten, ohne ihre Devisenbestände antasten zu müssen. Größter Nutznießer dieses Systems war jedoch Deutschland; es konnte nicht nur die von ihm benötigten Rohstoffe und Agrarprodukte beziehen, sondern auch neue Märkte für seine Industrieprodukte erschließen und damit wiederum die wirtschaftliche Position der USA und Großbritanniens schwächen. Der Anteil Großbritanniens an den brasilianischen Importen sank von 17,14% im Jahre 1934 auf 12,43% im Jahre 193513. In einem verbalen Memorandum der amerikanischen Botschaft an das Itamaraty wurde eine 1935 durchgeführte Analyse amerikanischer Exporte erwähnt, die gezeigt habe, daß das ASKI-System sich auf alle Bereiche des amerikanischen Exportes auswirke14. Diese Entwicklung wurde als "alarmierend" empfunden13. 1936 setzte die Regierung Vargas das amerikanische Außeiuninisterium mittels eines Aide-memoire von der Erneuerung des Kompensationsvertrages mit Deutschland in Kenntnis. Die amerikanische Regierung erwiderte hierauf, daß sie diesen bilateralen Austausch zwischen Brasilien und Deutschland für "schädlich" und "nachteilig" halte, da er Restriktionen und Diskriminierungen enthalte, welche die von den USA angestrebte Ausdehnung des internationalen Handels behinderten16 . Aber auch diese Mal gab Vargas dem Drängen der USA nicht nach. Obgleich die USA 193S mit Brasilien einen Handelsvertrag abgeschlossen hatten, dessen MeistbegQnstigungsklausel für ihre Interessen äußerst vorteilhaft war, setzten sie Brasilien weiterhin unter Druck. Der amerikanische Außenminister Cordel Hull erklärte, daß die amerikanische Regierung "im Prinzip" keine Einwände gegen einen Vertrag zwischen Brasilien und Deutschland habe, solange ihm liberale "Grundsätze" zugrunde lägen 17 . Die amerikanische Regierung unterstatze jedoch keine ASKI-Kompensationsgeschäfte, da dadurch amerikanische Produkte vom brasilianischen Markt verdrängt würden 18 . Hinter dieser Haltung der amerikanischen Regierung stand maßgeblich die Meinung des amerikanischen 13 Id., ib. 14 Memorandum, Botschaft der USA, Rio de Janeiro, 16.8.1936, AHI, Lata 726, Ma