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German Pages 473 [508] Year 1978
Alberto Martino Daniel Casper von Lohenstein
ALBERTO MARTINO
Daniel Casper von Lohenstein Geschichte seiner Rezeption Bandi 1661-1800
Aus dem Italienischen von Heribert Streicher
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1978
Gedruckt mit Unterstützung der
Alexander-von-Humboldt-Stiflung
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Martino, Alberto Daniel Casper von Lohenstein : Geschichte seiner Rezeption. - Tübingen : Niemeyer. Einheitssacht.: Daniel Casper von Lohenstein (dt.) Bd. ι. 1661-1800. - ι. Aufl. - 1978. I S B N 3-484-10290-x
I S B N 3-484-10290-X Titel der italienischen Originalausgabe, erschienen bei Libreria Editrice Athenaeum, Pisa 1975: Daniel Casper von Lohenstein. Storia della sua ricezione. Volume primo (1661-1800) © Libreria Editrice Athenaeum 1975 © für die deutsche Ausgabe: Max Niemeyer Verlag Tübingen 1978 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanisdiem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Satz und Druck: Büdierdruck Wenzlaff, Kempten Einband: Heinr. Koch, Tübingen
Für Werner Hahi und Georg Jäger
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
XIII
I. K A P I T E L
Probleme der Rezeptionsgesdiichte der Barockliteratur. Daniel Casper Lohenstein und sein Publikum
von
Inhalt: Die Entdeckung des Lesers und die Entstehung der Rezeptionsästhetik, S. ι
-
Der Versuch der neuen Ästhetik, zwischen Literatur und Geschichte, historischer und ästhetischer Erkenntnis zu vermitteln, S. 3 -
Rezeptionsästhetik und Literatursoziolo-
gie, S. 4 — Problematik der Wölfischen Theorie des »idealen Lesers«, S. 5 - Die Thesen W o l f g a n g Isers und die Reduktion des Lesers auf eine reine Formalkategorie, auf ein »Kompositionselement« des literarischen Textes, S. 6 -
Der tschechische Strukturalismus
und die Entdeckung des Lesers als eines integrierenden Bestandteils der Struktur des literarisdien Textes, S. 9 -
Die Kenntnis des Literaturwerks als Kenntnis der »Ge-
schichte seiner unzählige Male wiederholten Lektüre« (Arthur Nisin), S. 10 - M u k a r o v skys Unterscheidung zwischen »Artefakt« und »ästhetischem Gegenstand«, S. 11 - Felix Vodiòkas Begriff »Konkretisation«, S. 12 -
Mukarovsky und die Rekonstruktion des
für ein bestimmtes Publikum verbindlichen Systems von »ästhetischen Normen«, S. 13 Kodifizierte und nichtkodifizierte N o r m , S. 13
Mukarovskys Begriff
»Evolutions-
wert« und die Theorie der literarischen Evolution bei den russischen
Formalisten,
S. i j -
-
Hans Robert Jauß und sein Versuch, den ästhetischen Wert des Literaturwerks
zu quantifizieren, S. 16 -
D e r Begriff »Erwartungshorizont«, S. 16 -
tion der »Erwartungshorizonte«, S. 18 -
D i e Rekonstruk-
Unannehmbarkeit des Vorschlags von Jauß,
den ästhetischen Wert des Literaturwerks auf Grund der Distanz zwischen diesem und dem Erwartungshorizont des Publikums z u bestimmen, S. 19 -
Gründe für die Gren-
zen von Jaußens ästhetischer Betrachtung. Soziologische Undifferenziertheit der Begriffe Publikum und Erwartungshorizont bei Jauß. Auffassung der Entwicklung der »literarischen Reihe« als autonom und immanent, S. 22 - D a s Problem der Neuerung und der Automatisierung v o n Formalmustern und die Beziehung zwischen Stabilität der Sozialstruktur und Evolution künstlerischer Formen, S. 23 - Die Koexistenz verschiedener Gruppen innerhalb des literarischen Publikums sowie verschiedener ästhetischer Normen und die strukturelle Übereinstimmung zwischen Normenhierarchie und Gesellschaft, S. 23 -
Die Notwendigkeit einer beständigen empirischen Überprüfbarkeit der Grund-
sätze der Rezeptionsästhetik, S. 24 -
Die Auffassung der Literatur als eines Sonder-
systems sozialer Kommunikation und ihre Eignung zur Vertiefung der Beziehungen zwischen Rezeptionsästhetik und Geschichte, S. 25 - D e r Begriff des ästhetischen Kodes, S. 26 -
Richtige und falsche Dekodierungen, S. 27 -
Kunstbetrachtung im Umkreis
von Kommunikationsvorgängen und die Lösung des Problems des ästhetischen Vergnügens, S. 27 S. 28 -
Homogenität des deutschen literarischen Publikums des 17. Jahrhunderts,
Die Gelehrten: Produzenten und Konsumenten des Buchmarkts, S. 29 -
Die
deutsche Buchproduktion in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, S. 31 - Buchproduktion und Buchrezeption als typisch elitäre Erscheinungen, S. 34 -
Die Buchproduk-
Vili
Inhaltsverzeichnis
tion in lateinischer Sprache in Deutschland und Frankreich, S. 34 - Zahlenmäßige Konsistenz des literarischen Publikums des 17. Jahrhunderts, S. 35 - Wandel in der Buchproduktion des 18. Jahrhunderts, S. 36 - Literarisches Publikum und Universitätsbesuch, S. 37 - Desinteresse der Mittelschicht am Buch, S. 38 - Geringe Produktion von Dichtwerken, S. 39 - Das Publikum der Dichtwerke, S. 39 - Die Produktion von Dichtwerken in Deutschland und England, S. 39 - Beständige Abnahme der theologischen Buchproduktion und gleichzeitige Zunahme der dichterischen Produktion im Verlauf des 18. Jahrhunderts, S. 40 - Bibliophiler Eifer im 17. Jahrhundert, S. 42 Die übliche Lektüre der Mittelklassen, der unteren Volksschichten und des Bauernstandes, S. 42 - Die Adelsschicht als »Träger« der Dichtung. Die Bibliotheken der Adeligen, S. 45 - Die Produktion der Romanliteratur im 17. Jahrhundert, S. 54 - Die Preise der höfisch-historischen Romane, S. 56 - Zahlenmäßige Konsistenz des Publikums der dichterischen Produktion, S. 60 - Der Gelehrtenstand im 16. und 17. Jahrhundert, S. 61 Entstehung der Hofbürokratie und Rezeption des römischen Rechts in Deutschland, S. 66 - Universitätsbesuch des Adels im 16. und 17. Jahrhundert, S. 69 - Die Vertretung des Adels und des Bürgertums in den zentralen Regierungsorganen der Territorien und des Reiches, S. 73 - Die gesellschaftliche Integration zwischen adeliger und bürgerlicher Beamtenschaft im reaktiven Milieu des Hofes im Verlauf des 17. Jahrhunderts, S. 77 - Sozialer und geistiger Zustand der bürgerlichen Intelligenz, S. 78 - Entstehung der aristokratisch-höfischen Kultur aus der Amalgamierung zwischen adeligfeudalem und bürgerlich-städtischem Element, S. 80 - Die Höflichkeit, S. 81 - Notwendigkeit des Besuchs von Höfen sowohl für den Beamten eines Fürsten als auch für den Dichter, S. 83 - Hof und Repräsentation, S. 86 - Die Barockdichtung als Repräsentation der Macht, S. 88 - Die höfischen Werte, S. 89 - Der Gymnasialunterricht im 16. und 17. Jahrhundert, S. 95 - Primat der Rhetorik im Gymnasial- und Universitätsunterricht, S. 99 - Die Barockisierung der Rhetorik durch die Jesuiten, S. 100 Die Gründung der »Ritterakademien« und ihr pädagogisches Ideal, S. 105 - Der Beitrag der Sprachgesellschaften zum kulturellen Integrationsprozeß zwischen Adel und Bürgertum, S. 109 - Die Funktion der Sprachgesellschaften als Zentren der literarischen Kultur in Deutschland, S. i n — Fehlen einer literarischen Hauptstadt im deutschen Sprachgebiet des 17. Jahrhunderts, S. i n - Die deutschen Literaturzentren des 17. Jahrhunderts, S. i i j - Die adeligen Schriftsteller Niederösterreichs und ihre literarischen Beziehungen zu Weimar und Nürnberg, S. 1 1 6 - Stubenbergs Tätigkeit als Übersetzer italienischer und französischer Barockromane, S. 1 1 7 - Die Theorie des geschichtlichhöfischen Barockromans, S. 1 1 9 - Der Adel als Adressat des geschichtlich-höfischen Romans, S. 120 - Die gesellschaftliche Funktion des Romans: Unterweisung in der Höflichkeit, in der höfischen Beredsamkeit, in der politischen Doktrin und den Adelstugenden sowie Vermittlung einer allumfassenden Bildung, S. 120 - Labyrinthische Struktur des Romans, S. 124 - Der Roman als Theodizee und als »Fürstenspiegel«, S. 127 Die Entschlüsselung der Hinweise und Anspielungen auf Personen und Aktuelles sowie die Erkenntnis der geometrischen Struktur des Romans als Quellen eines ästhetischintellektuellen Vergnügens für Leser, die den ästhetischen und kulturellen Kode des Autors besitzen, S. 129 - Zugehörigkeit des geschichtlich-höfischen Barockromans zum Kommunikationsbereich der »repräsentativen Öffentlichkeit«, S. 1 3 1 - Die Theorie der Tragödie im Barock, S. 1 3 1 - Die Tragödie als politische Schule, S. 132 - Die ethische Funktion der Tragödie, S. 133 - Die Idealisierung der tragischen und epischen Helden, S. 133 - Der barocke Mensch und der Verlust des Individualitätsgefühls, S. 134 - Die
Inhaltsverzeichnis
IX
Welt als Theater, S. 135 - Die Entstehung des metaphorischen Kodes der Barockdichtung aus dem Bewußtsein der Relativität der Wirklichkeit, S. 137 - Die Funktion der Dichtung gemäß der barocken Ästhetik des Scharfsinns, S. 139 - Die Emblematik, S. 140 - Notwendigkeit der Kenntnis des emblematischen Kodes zur Entschlüsselung der Barockdichtung, S. 143 - Das barocke Ideal der Polymathie und sein Ursprung, S. 144 - Schriftsteller und literarisdies Publikum im 17. Jahrhundert. Ihre kulturelle und gesellschaftliche Homogenität, S. 146 - Ausschlaggebender Beitrag der Beamten der höfischen und der städtischen Bürokratie sowie des Adels zur Literatur und Poesie des 17. Jahrhunderts, S. 148 - Die enge Beziehung der Barockdichtung zur Macht und zu den herrschenden Klassen, S. 148 - Fürsten, Adel und Patriziat als Adressaten der hohen Barockdichtung, aufgefaßt als »repräsentative« ästhetische Kommunikation, S. 149 - Lohenstein und sein Publikum, S. 153 - Die kulturelle Homogenität zwischen Dichter und Publikum, die im Hof ihr gemeinsames geistiges Zentrum haben. Dieses bewirkt die Entsprechung zwischen den Werken des ersteren und dem Erwartungshorizont des letzteren, S. 170 - Das rhetorische und repräsentative Wesen der Barockdichtung als Ausdruck jener tiefen geistigen Integration zwischen Autor und Publikum, den beiden Polen der ästhetischen Kommunikation, die in der weitgehenden sozialen Integration zwischen der intellektuellen und der führenden Schicht gründet (dies wird durch die für das 17. Jahrhundert charakteristische gesteigerte soziale Mobilität ermöglicht), S. 172. II. K A P I T E L Die barocke Apotheose. Der unvergleichliche Lohenstein ( 1 6 6 1 - 1 7 3 1 ) Inhalt: Die ersten Dokumente zur Rezeptionsgeschichte Lohensteins. Die Periochen zu Cleopatra, Agrippina, Epicharis und Sophonisbe, S. 175 - Die Aufführung des Ibrahim Bassa in Danzig, S. 177 - Das Vorwort von Kormart zur Übersetzung der Maria Stuart von Vondel, S. 178 - Birkens Teutsche Dicht-Kunst, S. 178 - Hoffmannswaldaus Vorwort zu seinen Deutschen Übersetzungen, S. 179 - Morhofs Unterricht, S. 179 Kretschmers Devoti charakter animi, S. 180 - Die Poëseos Germaniae historia von Chenius, S. 181 - Der Ursprung von Lohensteins Ruhm und die Struktur der gelehrten und literarischen Information im 17. Jahrhundert, S. 182 - Die Trauergedichte auf Lohensteins Tod, S. 18 j - Der Lebens-Lauff von Hans Casper von Lohenstein, S. 187 Die Vollständige Deutsche Poesie von Rotth, S. 189 - Die ersten Publikationsankündigungen des Arminius im Catalogus Universalis, S. 190 - Die Rezension des Arminius in den Acta Eruditorum, S. 191 - Die Rezension von Thomasius, S. 197 - Die Rezension von Tentzel, S. 203 - Die Anmerkungen von Christian Wagner, S. 204 - Neukirchs Vorwort zum Arminius, S. 2 1 2 - Die dem Roman vorangestellten Widmungsgedichte, S. 2 1 6 - Christian Weises Analyse von Lohensteins Stil, S. 218 - Neumeisters Specimen, S. 221 - J . G. Meisters Unvorgreiffliche Gedancken Von Τeut sehen Epigrammatibus, S. 223 - Heideggers Mythoscopia Romantica, S. 224 - Werenfels' Dissertatio de meteoris orationis, S. 228 - Grob und seine Polemik gegen den Barockroman, S. 230 Die Rezensionen zur Mythoscopia Romantica von Leibnitz-Eckhart und von Gundling, S. 231 - Wernickes antibarocke Polemik, S. 234 - Die literarische Fehde zwischen Wernicke und Hunold, S. 239 - Schröters »lohensteinisdie« Rhetorik, S. 242 - Männlings Auszüge, S. 246 - Die Ausgabe des Arminius von 1 7 3 1 , S. 253 - Breslers De vita et scriptis Danielis Caspari à Lohenstein, S. 264 - Die Darstellung Lohensteins und seines dichterischen Werkes in der Uberlieferung von Enzyklopädien und verschiedenen
χ
Inhaltsverzeichnis
gelehrten Schriften, S. 265 - Albrecht von Haller, S. 279 - Johann Christian Günther, S. 280 - Benjamin Neukirch und sein Abrücken von der sdilesischen Barockdichtung, S. 283 - Gesellschaftliche Ursachen der Entwicklung des literarischen Geschmacks im antibarocken Sinn, S. 286 - Gründe für Lohensteins Erfolg zwischen 1661 und 1 7 3 1 , S. 287. III. K A P I T E L
Die Kritik der Aufklärung. »Die Lohensteinische schwülstige Schreibart« ( 1 7 2 2 1800) Inhalt: Die ersten Rhetoriken der Aufklärung und die Ablehnung der spezifischen Elemente des stilistischen und rhetorischen Kodes des Barock, S. 291 - Das Ideal der »Natürlichkeit« in der moralischen Literatur und in den Anstandsbüchern, S. 295 - Der Wandel in der Poetik und der Literaturkritik in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts, S. 296 - Johann Ulrich Königs Untersuchung von dem guten Geschmack, S. 298 - Junckers Untersuchung der Hanckischen Gedichte, S. 299 - Hanckes Poetischer Staar-Stecher, S. 300 - Die Polemik gegen das Barock und gegen Lohenstein in den Discoursen der Mahlern, S. 301 - Die von den Moralischen Wochenschriften propagierten stilistischen und ethischen Ideale, S. 303 - Der Lektürekanon der Moralischen Wochenschriften der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert, S. 3 1 1 - Der Mahler der Sitten, S. 314 - Von dem Einfluß und Gebrauche der Einbildungs-Krafft von Bodmer und Breitinger, S. 319 - Bodmers Vergleichung zwischen Lohensteins Arminius und Heideggers Apollo Auricomus, S. 322 - Ideologische Motive für Bodmers Polemik gegen Lohenstein, S. 323 - Die Critische Abhandlung von der Natur der Gleichnisse und Breitingers Kritik an Metapher und Gleichnis im Barock, S. 326 - Jakob Immanuel Pyra und sein Erweis, S. 335 - Die Kritik Gottscheds, S. 337 - Gottscheds Analyse des Panegyrikus zum Tode Hoffmannswaldau als exemplarisches Muster für die aufklärerische Methode, die Barockdichtung zu diffamieren, S. 341 - Der Anti-Longin von Johann Joachim Schwabe, S. 350 - Die Critische Untersuchung von Mylius, S. 352 - Der Critische Musikus von Scheibe und der Vergleich Bach-Lohenstein, S. 355 - Folgen der totalen Konfrontation zwischen klassizistischem und barockem Stil, S. 357 - Der Lektürekanon in Gottscheds Lehrbüchern für den Gymnasialunterricht, S. 358 - Die Polemik Gottscheds und seiner Schüler gegen die »lohensteinische« Dichtung Klopstocks, S. 359 - Die Abhandlung von den Gleichnissen von Curtius, S. 365 - Die Abhandlung von andern Tragödien, die auch von Sophonisben handeln von Johann Heinrich Schlegel, S. 366 - Erneute Schätzung Lohensteins im Historischen Entwurf von den Verdiensten der Evangelischen Gymnasiorum in Breßlau um die deutsdie Schaubühne von Johann Caspar Arletius, S. 369 - Mendelssohns Apologie von Lohensteins Prosastil, S. 369 - Wirkung der Rehabilitierung des Stils des Arminius durch Mendelssohn auf die Literaturkritik und -gesdiiditsschreibung, S. 370 - Friedrich Justus Riedels Briefe über das Publikum: erster Versuch einer historischen Interpretation von Lohensteins Dichtung, S. 375 - Das Urteil über Lohenstein in Christian Heinrich Schmids Kompilationen, S. 378 - Die Abhandlung Lohenstein, als dramatischer Dichter von Heinrich Daniel Zschokke und seine »Ehrenrettung« des sdilesischen Dichters, S. 381 Das Bild Lohensteins in historischen Darstellungen der Literatur, der Gelehrsamkeit und des Theaters aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, S. 385 - Unmöglichkeit einer richtigen Dekodierung von Lohensteins Dichtung wegen des radikalen Wandels der ästhetischen Normen im Verlauf des 18. Jahrhunderts, 8 . 3 9 6 - Auswirkungen der
Inhaltsverzeiânis
XI
radikalen Veränderung des literarischen Geschmacks auf die Budiproduktion des 18. Jahrhunderts. Auffallender Rückgang der emblematischen Literatur; Ursachen und Folgen, S. 400 - Der in den Sdiulanthologien des 18. Jahrhunderts vorgeschlagene Lektürekanon und sein Einfluß auf die literarische Geschmacksbildung, S. 401 - Gellerts >Klassizität< in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, S. 404 - Der von den Moralischen Wochenschriften in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts propagierte Lesekanon und ihr starker Einfluß auf die Geschmacksbildung beim literarischen Publikum, S. 4 1 1 - Lesegesellsdiaften und Leihbibliotheken. Weitere Verbreitung des Buches und fortschreitende Kommerzialisierung des literarischen Lebens, S. 413 - Tiefgreifende strukturelle Veränderungen in der Buchproduktion zwischen 1740 und 1800. Explosionsartige Ausbreitung der Belletristik und gleichzeitiger Rückgang der theologischen und der Erbauungsliteratur, S. 414 - Zunahme des literarischen Publikums und dementsprechende Entwicklung eines ausgedehnten Buchmarktes, S. 416 - Soziale und kulturelle Heterogenität des literarischen Publikums der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, S. 417 - Der Prozeß der >Verbürgerlichung< der Literatur und ihre Ursachen, S. 419 Das Problem der literarischen Intelligenz des 18. Jahrhunderts. Fortschreitende Abnahme der sozialen Mobilität und >Verbürgerlichung< der Intellektuellenschicht, S. 419 - Verlust an sozialem Prestige und von Machtpositionen in den zentralen Regierungsorganen der deutschen Territorien und des Reiches seitens der bürgerlichen Intelligenz im Verlauf des 18. Jahrhunderts, S. 423 - Hegemonie des Uradels in den hohen Rängen der Territorial- und der Reichsbürokratie und gleichzeitiges Zurückweichen des Bürgertums in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, S. 424 - Gotha und Hannover als Extremfälle der Unterbrechung des Osmose-Prozesses zwischen bürgerlicher Intelligenz und Adel, S. 423 - Ständige Verringerung des Index der vertikalen Mobilität im Heer, S. 425 - Umwandlung des Patriziats der Freien Reichsstädte in eine geschlossene Klasse, S. 425 - Ende des Prozesses der sozialen Integration von politischer und intellektueller Klasse und genetische Verknüpfung zwischen der Verdrängung der bürgerlichen Intelligenz in eine soziale Randposition und der politischen, sozialen und ästhetisch-literarischen Ideologie der Aufklärung, S. 426 - Gründe für die Verringerung der sozialen Mobilität. Schrumpfung der Bürokratie. Aristokratisierung des absolutistischen Staates in der zweiten Phase seiner Entwicklung. Aristokratisierung des Adels und dessen Übernahme französischer Sitten, Sprache und Kultur, S. 427 - Vom absolutistischen Staat gefördertes Bündnis zwischen Intellektuellenschicht und Bürgertum, S. 429 - Allianz der Hohenzollern mit dem Pietismus, S. 430 - Die Gesellschaftstheorie des Pietismus und ihr Beitrag zum Abbau des Feudalismus und zur Umwandlung der deutschen Gesellschaft in eine bürgerliche Gesellschaft, S. 431 - Herkunftsschicht der Begründer und der Anhänger des Pietismus, S. 431 - Preußen als Zentrum der antibarocken literarischen Kultur, S. 432 - Indirekter und direkter Beitrag des Pietismus zur Überwindung und Ablehnung der Barockdichtung, S. 433 - Die Phasenverschiebung im Entwicklungsprozeß des Barock zwischen der Literatur einerseits und den darstellenden Künsten sowie der Musik andrerseits stellt die Gegenprobe dazu dar, daß die Abkehr der bürgerlichen literarischen Intelligenz von den Formen der barocken Repräsentation des Absolutismus hauptsächlich wegen der verminderten Geschwindigkeit der Zirkulation der Eliten erfolgt, S. 434. Personenregister Tafeln
.
437 nach 458
Vorwort
Vorliegende Arbeit will ein Beitrag zur Sozialgeschichte der deutschen Literatur sein und ist der bislang erste Versuch, die Rezeptionsgeschichte eines Barockautors organisch und vollständig darzustellen. Die Verwirklichung dieses Werkes ist beschwerlich gewesen, einerseits wegen der Schwierigkeiten, die beim Aufspüren der seltenen, ja oft äußerst seltenen Quellen aus dem 17. und 18. Jahrhundert auftraten, andrerseits wegen des Fehlens einer topographischen Geschichte der deutschen Literatur und einer wissenschaftlichen Anforderungen genügenden Geschichte der einzelnen H ö f e und der wichtigsten städtischen Literaturzentren in diesen Jahrhunderten. Gäbe es zahlreichere Studien über Privatbibliotheken und zur Lesergeschichte, so hätte sich das Risiko vermindert, das wir nicht immer haben vermeiden können: nämlich den repräsentativen Wert dieses oder jenes Dokuments zu überschätzen. Auch die qualitativen und quantitativen Analysen der Buchproduktion des 17. und 18. Jahrhunderts sind unzureichend und können deshalb diesen oder jenen Vergleichspunkt problematisch werden lassen. Die Rezeptionsgeschichte, wie wir sie verstehen, beruht nicht nur auf der Kenntnis der literarischen Kritik und der Geschichte der Gelehrsamkeit, sondern auch auf der Geschichte der literarischen Zentren (Städte und Höfe, Gymnasien und Universitäten), der Buchproduktion und des Buchhandels, der Privatbibliotheken, des literarischen Publikums, der Unterrichtsfächer und -methoden, der Literatur- und Kulturgeschichte, der (politischen und sozialen, intellektuellen und bürokratischen) »Eliten« und der Gesellschaftsklassen. So ist es unvermeidlich, daß unserer A u f merksamkeit dieser oder jener f ü r unsere Untersuchung nützliche Beitrag entgangen ist, fehlt es doch an einem bibliographischen Hilfsmittel, das so viele und so verschiedene Bereiche umfaßt, wie es für eine Sozialgeschichte der deutschen Literatur, ihre einzelnen Perioden und ihre Probleme notwendig wäre.
XIV
Vorwort
Das Bewußtsein der Unzulänglichkeit der für die Forschung notwendigen Vorarbeiten hat uns in den langen Jahren, die dieser Rezeptionsgeschichte Lohensteins gewidmet waren, nie verlassen und zuweilen haben wir unseren Versuch für verfrüht gehalten. Dodi ist das Gefühl der Unzufriedenheit, das von dieser Erkenntnis herrührte, nicht unnütz gewesen. Es hat nämlich in uns den Plan reifen lassen, das Internationale Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur zu gründen, das im Anhang eine Spezialbibliographie beisteuert, um solche empirischen Forschungen im Bereich der Sozialgeschichte, deren Mangel wir in quantitativer wie qualitativer Hinsicht täglich verspürten, anzuregen. Wenn wir uns aus den angeführten Gründen der Schwäche dieser oder jener einzelnen Schlußfolgerung bewußt sind, geben wir uns doch der Hoffnung hin, mit dem vorliegenden Buch nicht nur eine sehr umfassende, wenn nicht vollständige Analyse der Dokumente - davon viele bisher unbekannte - die sich auf die Rezeptionsgeschichte von Daniel Casper von Lohenstein beziehen, zu bieten, sondern audi und vor allem ein wenngleich unvollkommenes, verbesserungsbedürftiges und modifizierbares Modell für eine historische Analyse der Rezeption eines Barockdichters. Die italienische Ausgabe dieser Arbeit erschien in Pisa im Jahre 1975. Die vorliegende deutsche Ausgabe wurde erweitert und verbessert. Wir haben unsere Forschungen von 1969 bis heute an der Bayerischen Staatsbibliothek, der Universitätsbibliothek und am Institut für Deutsche Philologie in München durchgeführt. Den hilfsbereiten Beamten dieser Bibliotheken, die sich stets eifrigst bemüht haben unsere Forschungen zu unterstützen, drücken wir an dieser Stelle unseren herzlichen Dank aus. Aber ohne die bereitwillige Mitwirkung zahlreicher anderer (deutscher, österreichischer, schwedischer, polnischer, französischer, schweizerischer und englischer) Bibliotheken und Archive wäre es nicht möglich gewesen, unsere Arbeit durchzuführen. Deshalb ist es unsere Pflicht, auch den Beamten jener Bibliotheken und Archive zu danken, die wir nie oder nur flüchtig besucht haben; sie haben über lange Jahre hin stets mit größter Sorgfalt unsere zahlreichen brieflichen Bitten um Mikrofilme und Photokopien erfüllt. Es sind dies die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, die Biblioteka Uniwersitecka Wroclaw, das österreichische Staatsarchiv Wien, die Universitätsbibliotheken von Mainz, Leipzig, Erlangen, Tübingen, Uppsala, Heidelberg, Freiburg im Breisgau und Jena, die Zentralbibliothek Zürich, die Sdileswig-Holsteinische Landesbibliothek, die Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, die Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel, die Landesbibliothek
Vorwort
XV
Stuttgart, die österreichische Nationalbibliothek Wien, die Niedersächsische Landesbibliothek Hannover, die Staatsbibliothek der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Marburg/Lahn, die Landesbibliothek Detmold, die Sächsische Landesbibliothek Dresden und schließlich die Bibliothèque Nationale in Paris und das British Museum in London. Das Interesse für Lohenstein und für die Rezeptionsästhetik wurde in uns wachgerufen durch Friedrich Sengle, den verehrten Lehrer, dem wir seit Jahren durch tiefe Gefühle der Ergebenheit und Zuneigung verbunden sind, und durch Georg Jäger, den Freund und treuen Weggenossen bei wissenschaftlichen Forschungen und Abenteuern. Dem Lehrer und dem Freund gilt unser herzlichster Dank für wertvolle Ratschläge und Anregungen. Manfred Windfuhr, der uns auf mehrere wichtige Dokumente zur Rezeptionsgeschichte Lohensteins aufmerksam gemacht hat, drücken wir für seine freundlichen Hinweise nochmals unseren herzlichen Dank aus. Zu tiefem Dank verpflichtet sind wir auch dem italienischen Nationalen Forschungsrat (CNR), der unsere Studien zum Teil finanziert hat, und der Alexander von Humboldt-Stiftung, die für die Druckkosten einen Beitrag gewährt hat. Dieser Stiftung gegenüber, mit der unsere ganze wissenschaftliche Laufbahn verbunden ist, empfinden wir die tiefste Dankbarkeit. Sie hat ein weiteres Mal unsere Forschungen gefördert, indem sie uns im Jahre 1974 einen langen Studienaufenthalt in München ermöglichte. Schließlich möchten wir, auch im Namen des Max Niemeyer Verlages, der Libreria Editrice Athenaeum für das Zustandekommen einer deutschen Ausgabe danken. München, den 18. April 1977
Alberto Martino
I. K A P I T E L
Probleme der Rezeptionsgeschichte der Barockliteratur Daniel Casper von Lohenstein und sein Publikum
In der Literaturgeschichtsschreibung und in der Literaturkritik zeichnet sich seit einiger Zeit geradezu eine kopernikanische Wendung ab, die in der Verlagerung des Hauptinteresses der Forschung vom Werk zu seinem Publikum, von Darstellungs- und Schöpfungsproblemen zu Fragen der Rezeption besteht. Wenn der Leser früher bei der Analyse literarischer Gegebenheiten, die sich auf das Studium von Autor und Werk konzentrierte, als eine »quantité négligeable« angesehen wurde, so wird heute die Forderung nach einer Literargeschichte des Lesers immer dringlicher, d. h. einer Literaturgeschichte, die das ausschließliche Interesse für Autor und Werk nicht mehr gelten lassen und das Publikum als einen der beiden Pole jenes eigentümlichen sozialen Kommunikationskreises betrachten will, den die literarische Kommunikation darstellt. In diesem Kreislauf, bei dem der Autor die Funktion des »Senders« und der Leser die des »Empfängers« ausübt, bedingen sich beide Funktionen gegenseitig, wie das bei jedem Kommunikationsprozeß geschieht.1 Die Analyse der Rezeptionsmechanismen, nach denen seitens des Lesers die »Lektüre« des literarischen Werkes erfolgt, und die der Einflüsse, welche die Sozialstruktur, die ästhetischen Normen, die ethischen Werte, die »Erwartungshorizonte« und die literarischen und sprachlichen Kodes des Publikums, an das sich der Autor wendet, auf Inhalt, Struktur und Sprache des Werkes ausüben, kurz, die Analyse der komplexen Beziehungen 1
V g l . HARALD WEINRICH, Für eine Literaturgeschichte des Lesers, in »Merkur« 21 (1967), 1026-1038. Wieder abgedruckt in H . W., Literatur für Leser. Essays und Aufsätze zur Literaturwissenschafl, Stuttgart 1971, S. 23-34. Über die Auffassung der Kunst als Sondersystem der sozialen Kommunikation vgl. SIEGFRIED J. SCHMIDT, ästhetizität. philosophische beitrage zu einer theorie des ästhetischen, Mündien 1971. Uber die Interdependenzbeziehungen, die nach den modernen Theorien der funktionalen Publizistik bei jedem Kommunikationsprozeß zwisdien >Sender< und >Empfänger< vorliegen, vgl. HENK PRAKKE, Kommunikation der Gesellschaft. Einführung in die funktionale Publizistik. Münster 1968, S. 60-95. Zur Kommunikationswissenschaft im allgemeinen vgl. COLIN CHERRY, KommunikationsforsMitte und Endekulinarischen< oder Unterhaltungskunst. Die letztere läßt sich rezeptionsästhetisdi dadurch charakterisieren, daß sie keinen Horizontwandel erfordert, sondern Erwartungen, die eine herrschende Geschmacksrichtung vorzeichnet, geradezu erfüllt, indem sie das Verlangen nach der Reproduktion des gewohnten Schönen befriedigt, vertraute Empfindungen bestätigt, Wunschvorstellungen sanktioniert, unalltägliche Erfahrungen als >Sensation< genießbar macht oder auch moralische Probleme aufwirfl, aber nur um sie als schon vorentschiedene Fragen im erbaulichen Sinne zu >lösenewiger Sinn< bringen sie rezeptionsästhetisch in die gefährliche Nähe der widerstandslos überzeugenden und genießbaren »kulinarischem Kunst, so daß es der besonderen Anstrengung bedarf, sie >gegen den Strich< der eingewöhnten Erfahrung zu lesen, um ihres Kunstcharakters wieder ansichtig zu werden. 48 Es ist leicht, diese Thesen v o n Jauß z u widerlegen, die sich im wesentlichen auf die Begriffe Automatisierung und V e r f r e m d u n g (»ostranenie«) 4 9 und auf die Theorie der literarischen E v o l u t i o n des russischen Formalismus sowie auf den Begriff E v o l u t i o n s w e r t des tschechischen Strukturalismus stützen. Es w ü r d e genügen, unter Wiederholung des v o n Jauß gegen die formalistische Theorie der literarischen E v o l u t i o n vorgebrachten
Ein-
w a n d s festzustellen, d a ß »die I n n o v a t i o n f ü r sich allein noch nicht den K u n s t d i a r a k t e r ausmache«. 50 U n d das gilt audi, w e n n J a u ß unter Innov a t i o n nicht nur eine V e r ä n d e r u n g des f o r m a l e n Musters, sondern audi der ethischen Perspektiven versteht. Es gibt W e r k e , die die E r w a r t u n g e n des Publikums nicht enttäuschen, sondern vielmehr befriedigen, die die formalen Muster nicht erneuern, sondern vielmehr eine Wiederherstellung der alten vornehmen und dennoch Meisterwerke sind. Es gibt auch W e r k e , die nicht nur nicht z u r »Emanzipation des Menschen aus seinen naturhaften, religiösen und sozialen Bindungen« 5 1 beitragen und je beitrugen, sondern im Gegenteil diese Bindungen z u festigen suditen und dennoch Meisterwerke sind. Es gibt W e r k e , die nicht verändern, sondern bewahren, es gibt >reaktionäre< W e r k e , die unleugbar schöner als gleichzeitig entstandene fortschrittliche 48
JAUSS, Literaturgeschichte
49
Zu den Begriffen Automatisierung und Verfremdung vgl. insbesondere die Beiträge
50
als Provokation,
S. 1 7 7 - 1 7 9 .
v o n VIKTOR SKLOVSKIJ, L'arte come procedimento [Iskusstvo kak priëm, 1916], in Iformalisti russi, S. 7 3 - 9 4 ; Theorie der Prosa, Frankfurt am Main 1 9 6 6 [O teorii prozy, Moskau 1 9 2 5 ] ; und den Aufsatz von JURIJ T Y N J A N O V , Das literarische Faktum [ O literaturnom fakte, 1924], in Texte der russischen Formalisten, I, 392-431. Z u diesen Grundbegriffen des russischen Formalismus vgl. ERLICH, Russian Formalism, u n d BROEKMAN, Strukturalismus, S. 54-57. JAUSS, Literaturgeschichte als Provokation, S. 191.
»i Ebd., S.
207.
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der
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und emanzipierte Werke sind. Die emanzipatorische Funktion oder die »gesellschaftsbildende Funktion« 52 sind keine ästhetischen Kategorien und können es nicht sein, noch viel weniger sind es ästhetische Wertkategorien, sondern der Politik und nicht der Kunst eigene Funktionen. Die Klassiker schließlich - und damit kommen wir zum schwächsten Punkt der Argumentationen von Jauß, der diese zur Stützung seiner Thesen über den ästhetischen Wert anführt - weit davon entfernt, »selbstverständlich« und »kulinarisch« zu werden, werden bei wiederholter Lektüre wie neu und gewinnen dabei eine sich steigernde Geschlossenheit und Tiefe. Das ist eine Tatsache, die uns gerade die Rezeptionsgeschichte täglich beweist. Und wenn es stimmt, daß das >kulinarische< Werk sich bei der Lektüre >aufzehrt< und allenfalls von dokumentarischem Interesse für den Kulturhistoriker bleiben kann, ist nicht einzusehen, daß die Meisterwerke denselben Konsum-Gesetzen wie die Unterhaltungsliteratur unterliegen können, wenn ihre Struktur dodi eine ganz andere ist. Der Strukturwert des klassischen Werkes erschöpft sich gewiß nicht in der möglichen, doch nicht notwendigen Neuheit der formalen Lösung. Der ästhetische Genuß, den man aus der erneuten Lektüre der Divina Commedia oder des Faust, aus dem nochmaligen Anhören einer Symphonie von Beethoven oder aus der wiederholten Betrachtung einer gotischen oder barocken Kathedrale, eines Bildes von Leonardo oder Kandinsky gewinnt, ist nicht ausschließlich auf das historische Bewußtsein der Neuheit der formalen oder ethischen Lösungen dieser Werke zurückzuführen. Es sei denn, man will im Gegensatz zu Jauß einräumen, die Werke seien dazu da, um »historisch von Historikern« 53 betrachtet, gelesen oder gehört zu werden. Jede Epoche der Kunstgeschichte bietet eine große Anzahl von gleich schönen und ästhetisch wertvollen Werken, die im Vergleich zur vorhergehenden Epoche durch dieselben formalen Muster, dieselben stilistischen Neuerungen, dieselben ethischen Kodes charakterisiert sind. Sollte man jedoch jedesmal nur dem ersten Werk im chronologischen Sinn, das eine bestimmte ethische und formale Innovation gebracht hat, einen positiven ästhetischen Wert zugestehen? Ist nur die erste gotische Kirche, das erste impressionistische Bild, die erste elisabethanisdie Tragödie schön? Es gibt in der Kunstgeschichte Epochen, die Jahrhunderte hindurch im wesentlichen die gleichen formalen Muster, die gleichen ethischen Werte geboten haben, Epochen, in denen die Entwicklung der Stile und der »Welt52
Ebenda.
53 Ebd., S. i68.
I.
22
Kapitel
anschauungen« äußerst langsam vor sich geht, und es gibt Zeiten wie die unsere, in denen sich die Ablösung ethischer Normvorstellungen und formaler Neuerungen in immer kürzeren Abständen und in einem zunehmend frenetischen Rhythmus vollzieht. Verfällt Jaußens Theorie mit ihrer Verherrlichung des Fetisches der Neuheit in eine banale Ästhetik der Avantgarden, in eine indirekte A p o logie der Vermarktung der Kunst? W i l l man eine Literaturgeschichtsschreibung vorschlagen, die ausschließlich an der Entstehung des Neuen interessiert ist, wie die des Positivismus ausschließlich an der Entdeckung des Alten im Neuen, an den sogenannten Einflüssen interessiert war? Doch anstatt weitere Einwände gegen die Thesen von Jauß über die Quantifizierbarkeit des ästhetischen Wertes vermittels Messung der Distanz z w i schen Erwartungshorizont und W e r k vorzubringen, ist es zweckmäßiger, die Gründe für die Grenzen und Widersprüche seiner ästhetischen Betrachtung aufzuspüren. Bei dem Versuch, zwischen Literatur und Geschichte eine Verbindung herzustellen, entdeckt Jauß im Publikum das Bindeglied zwischen »literarischer Reihe« und »nicht-literarischer Reihe«, das in der Lage ist, das literarische W e r k
geschichtlich aufzufassen, ohne seinem
spezifischen
Kunstcharakter Abbruch zu tun. Er operiert dann aber mit einem historisch und empirisch unbestimmten Publikumsbegriff. Auch wenn Jauß nicht wie Iser so weit geht, den Leser auf ein »epistemologisches Leserkonstrukt« (Sepp Fürnkäs) zu reduzieren, das nur in den Reaktionen auf die Signale des Textes existiert, 54 so spricht er doch v o m Leser allgemein, läßt aber den realen Leser außer acht, und seine Kategorie >Publikum< ist soziologisch nicht differenziert. 55 Daraus folgt, daß auch sein Begriff >Erwartungshorizont< jener soziologischen Differenzierung ermangelt, 58 die doch K a r l Mannheim selbst, von dem Jauß W o r t und Begriff entlehnt hat, dort als notwendig anerkannt hatte, w o er von den verschiedenen »Erwartungsebenen der verschiedenen Klassen« sprach. 57 Ist der Erwarungshorizont, von dem sich das W e r k , um nicht »kulinarisch« zu sein, entfernen Zitiert nach GEORG JÄGER, Die Wertherwirkung. Ein rezeptionsästhetischer Modellfall, S. 392. 55 Diese K r i t i k üben an Jauß audi WERNER BAUER, Text und Rezeption, S. 23 ; HARTMUT EGGERT, Studien zur Wirkungsgeschidite, S. 15 ; und GEORG JÄGER, Die Wertherwirkung, S. 392. Einige unserer Bemerkungen zu Jauß decken sich mit der eindringlichen Kritik an seiner Theorie in dem schon erwähnten Werk Gesellschaft. Literatur. Lesen. Literaturrezeption in theoretischer Sicht, S. 134-144. 5 e Vgl. GÜNTHER, Grundbegriffe, S. 233. 5 7 KARL MANNHEIM, Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus, S. 329. 54
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der
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muß, nun derjenige der durchschnittlichen Leser, der Leser mit Universitätsbildung, der Kritiker oder anderer Autoren? Die Unbestimmtheit seiner Begriffe Erwartungshorizont, Leser und Publikum führt Jauß dazu, daß er trotz seiner gegenteiligen Behauptungen wie die russischen Formalisten die Entwicklung der »literarischen Reihe« als eine immanente und autonome Entwicklung auffaßt. Die Probleme der Innovation und der Automatisierung der formalen Muster und der poetischen Sprache sind jedoch keine rein morphologischen Probleme, sondern audi solche der Entwicklung der Sozialstruktur. Nicht die einfache Wiederholung eines gegebenen Formalmusters und eines ethischen Kodes macht eine literarische Neuerung notwendig, sondern das Verschwinden oder der V e r f a l l oder der geistige und soziale Wandel jenes speziellen Publikums, das in jener bestimmten Form und in jenem bestimmten ethischen K o d e sein ethisches und formales Ideal dargestellt sah. Wenn das Wesen des literarischen Werkes, wie Jauß selbst einräumt, dialogisch und kommunikativ ist, wie könnte sich dann der Wandel des >Partnersintensiven< Lektüretypus gewöhnt w a r (wiederholte Lektüre eines oder weniger Bücher), auf eine ganz andere Weise aufgenommen als von einem Publikum, das wie das moderne an einen >extensiven< Lektüretypus gewöhnt ist (nicht wiederholte Lektüre vieler oder sehr vieler Bücher). 58 Ein anderes v o n Jauß nicht angepacktes Problem ist das der Koexistenz verschiedener Arten von literarischem Publikum, eine Koexistenz, die verschiedene Formen und verschiedene Systeme von ästhetischen N o r m e n möglich macht. Die Koexistenz verschiedener ästhetischer N o r m e n innerhalb einer Gesellschaft ist hingegen ein Problem, das sich M u k a r o v s k y schon v o r vielen Jahren gestellt hat und das er durch die Hypothese v o n der strukturellen Übereinstimmung zwischen Normenhierarchie und Gesellschaft in dem Sinn löste, daß »die jüngste N o r m und die oberste Schicht 58
V g l . ROLF ENGELSING, Die Perioden der Lesergeschichte in der Neuzeit. Das statistische Ausmaß und die soziokulturelle Bedeutung der Lektüre, in »Archiv für G e schichte des Buchwesens«, 10 (1970), Sp. 945-1002.
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I. Kapitel
oder Klasse einander zugeordnet sind, während die alternden, automatisierten Normen innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie absinken«.59 Der tschechische Strukturalismus bietet nicht nur einige grundlegende Begriffe zu einer Rezeptionsästhetik, sondern enthält auch manche fruchtbaren Möglichkeiten, an die empirische Literatursoziologie anzuknüpfen, die dagegen bei den Betrachtungen von Jauß und Iser fehlen. Mukarovsky hatte z.B. in Kapitoly ζ ceské poetiky (Prag 1941) schon klar erkannt, daß der Grund jeder Veränderung der künstlerischen Struktur außerhalb der künstlerischen Reihe liegt. Nur die Art und Weise, wie die Veränderung vor sich geht, hängt von Faktoren ab, die der künstlerischen Struktur innewohnen: J e d e Veränderung der künstlerischen Struktur w i r d in irgendeiner Weise von außen her angeregt (motiviert), sei es direkt durch die Entwicklung der G e sellschaft, sei es durch die Entwicklung eines der Kulturbereiche (Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Sprache u. ä.), die freilich auch, ebenso wie die Kunst selbst, v o m gesellschaftlichen Zusammenleben getragen werden; indessen beruhen die A r t , w i e ein äußerer Impuls liquidiert w i r d , und die Richtung, mit der er auf die Entwicklung der Kunst einwirkt, auf Voraussetzungen, die in der künstlerischen Struktur selbst enthalten sind (immanente Entwicklung). 6 0
Nun besteht das Grundproblem der Rezeptionsästhetik darin, nicht den Kontakt zur historischen und empirischen Wirklichkeit zu verlieren, in der die Rezeption eines Werkes stattfindet (politisch-soziale Struktur der Gesellschaft, soziale Zusammensetzung des Publikums, seine Bildung, seine geistigen Werte, Struktur des Buchmarkts, Beziehungen und Wechselbeziehungen zwischen Autor, Verleger, Buchhändler, Publikum usw.), um sich statt dessen auf diese oder jene Erkenntnislehre zu stützen. Beständige empirische Uberprüfbarkeit der Grundsätze muß eine Disziplin charakterisieren, die entstanden ist, um der Literatur ihre historische Dimension zurückzugewinnen. Die Forschungsentwicklung auf rezeptionsgeschichtlichem Gebiet wird zweifellos das wirksamste Korrektiv gegen die Versuchung, abstrakte Systeme zu errichten, darstellen. Um die Beziehungen zwischen Rezeptionsästhetik und Geschichte zu verstärken, kann aber auch die Auffassung des literarischen Textes als 59 60
GÜNTHER, Grundbegriffe, S. 233. JAN MUKAROVSKY, Kapitel aus der Poetik, Frankfurt am Main 1967, S. 19. Z u Mukarovskys Auffassung von der literarischen Evolution vgl. INGRID STROHSCHNEIDERKOHRS, Literarische Struktur und geschichtlicher Wandel. Aufriß Wissenschaftsgeschichtlicher und methodologischer Probleme, München 1 9 7 1 , S. 20-25.
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2-5
eines bestimmten Kommunikationstyps wirksam beitragen.81 Dadurch nämlich, daß die Rezeptionsästhetik die Auffassung von der Literatur als einem Sondersystem der sozialen Kommunikation anerkennt - einem System, das einen speziellen Informationstyp vermittelt (ästhetische Information), wobei es sich einer eigenen Sprache bedient (ästhetischer Kode), die von der >natürlichen< verschieden ist (nur die materiellen Zeichen sind identisch) - bindet sie den Bereich ihrer theoretischen Betrachtung und ihrer historischen Forschung fest an das geschichtlich-soziale Substrat der literarischen Phänomene und kann so einen weiteren ergiebigen Anknüpfungspunkt mit der empirischen Literatursoziologie finden. Sie kann überdies aus dem begrifflichen Instrumentarium der Theorie der funktionalen Publizistik, 62 der Linguistik 83 und des westlichen sowie des russischen Strukturalismus 64 Nutzen ziehen. Sicherlich eignen sich viele dieser begrifflichen Hilfsmittel besser zu Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der heutigen Rezeption als zu historischen Rezeptionsanalysen, die uns hier allein interessieren. Die Materialien, über die die historische und die zeitgeschichtliche Forschung verfügen, sind verschieden; verschieden sind daher zwangsläufig auch die Forsdiungstechniken und -instrumente. Die historische Rezeptionsanalyse eines literarischen Werkes benützt das gleiche Material wie jede historischliterarische Untersuchung: Rezensionen, Tagebücher, Dichtungslehren, Vorworte, Werke anderer Autoren, Literaturgeschichten, historische Darstellungen der Gelehrsamkeit, Briefwechsel, Stichwortartikel zeitgenössischer Enzyklopädien, Notariats- und Gerichtsverzeichnisse, Bibliothekskataloge, Bücherkataloge, Verlagsdokumente und ähnliches. Bei Analysen der gegenwärtigen Rezeption eines dichterischen Textes kann man dagegen alle von der Demoskopie entwickelten Hilfsmittel und 61
62
63
64
V g l . zu diesem Problem DIETER. BREUER, Einführung in die pragmatische Texttheorie, München 1974 (Uni-Taschenbücher, 106). V g l . besonders HENK PRAKKE, Kommunikation der Gesellschaft. Einführung in die funktionale Publizistik, Münster 1968. V g l . besonders das Buch von JÜRGEN TRABANT, Zur Semiologie des literarischen Kunstwerks. Glossematik und Literaturtheorie, München 1970 (Internationale Bibliothek für allgemeine Linguistik, Band 6). Vgl. besonders den A u f s a t z von ROLAND POSNER, Strukturalismus in der Gedichtinterpretation. Textdeskription und Rezeptionsanalyse am Beispiel von Baudelaires »Les Chats*, in Strukturalismus in der Literaturwissenschaft. Herausgegeben von Heinz Blumensath, K ö l n 1972, S. 202-242 (Neue Wissenschaftliche Bibliothek, 43); und die Arbeiten von JURIJ M. LOTMAN, Die Struktur literarischer Texte. Übersetzt von Rolf-Dietrich Keil, München 1972 (die russische Originalausgabe ist 1970 in Moskau erschienen); und Vorlesungen zu einer strukturalen Poetik, München 1972 (Originalausgabe Tartu 1964).
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I. Kapitel
Techniken verwenden (Interviews, Fragebögen, statistische Erhebungen usw.), und diese können auf >Testgruppen< von Lesern aus allen sozialen Schichten ausgedehnt werden. Eine solche Analyse kann demnach vom gebildeten Leser absehen und sogar die Reaktionen von Analphabeten erforschen, falls der Text wegen seiner Kürze vom Interviewer vorgelesen werden kann oder falls er im Radio oder im Fernsehen gelesen oder wiedergegeben worden ist.65 Die historische Rezeptionsanalyse, die gezwungen ist, die von einem literarischen Werk ausgelösten Reaktionen zu rekonstruieren und sich dabei einzig und allein auf Urteile stützt, die in den oben aufgezählten Zeugnissen überliefert sind, neigt indessen gefährlicherweise, aber auch notwendigerweise dazu, den repräsentativen Charakter dieser dokumentierten Reaktionen möglichst weit zu fassen und folglich das Publikum des Werkes mit der geringen Anzahl seiner Kritiker oder jener gebildeten Leser, die in Briefen oder Tagebüchern ihre Eindrücke oder Gefühlsregungen bei der Lektüre geschildert haben, zu identifizieren. Bei beiden Arten der Rezeptionsanalyse ist aber gewiß der Begriff des ästhetischen Kodes von Nutzen. Nach der informationstheoretischen Ästhetik, die die Kunst als einen Sondertypus der sozialen Kommunikation ansieht, enthält der literarische Text die Information, die der Autor seinem Publikum übermitteln will. Diese Information ist aber in einer Sondersprache kodifiziert, die von der >natürlichen< verschieden ist und ästhetischer oder künstlerischer Kode heißt.66 Das Lesen eines literarischen Textes oder die Betrachtung eines Kunstwerks sind nichts anderes als ein bewußter oder unbewußter Dekodierungsvorgang. »Jede Betrachtung von Kunstwerken enthält eine bewußte oder unbewußte Dekodierung«, schreibt Pierre Bourdieu. 67 Die Kommunikation erreicht ihren Adressaten nur, falls dieser den vom Autor 65
ββ
87
E i n interessantes Muster f ü r die A n a l y s e heutiger Rezeption eines kurzen poetischen Textes bieten WERNER BAUER U. a., Text und Rezeption. Wirkungsanalyse zeitgenössischer Lyrik am Beispiel des Gedichtes »Fadensonnen* von Paul Celan, F r a n k f u r t am Main 1 9 7 2 . V g l . MAX BENSE, Einführung in die informationstheoretische Ästhetik. Grundlegung und Anwendung in der Texttheorie, Reinbek bei H a m b u r g 1 9 7 1 (rowohlts deutsdie enzyklopädie) ; und ABRAHAM A . MOLES, Informationstheorie und ästhetische Wahrnehmung. Übersetzt von Hans Ronge in Zusammenarbeit mit Barbara und Peter Ronge, K ö l n 1 9 7 1 . Z u m Begriff ästhetischer und künstlerischer K o d e vgl. ROLAND POSNER, Strukturalismus in der Gedichtinterpretation, S. 2 0 8 - 2 0 9 ; und JURI; Μ . LOTMAN, Die Struktur literarischer Texte, S. 4 3 - 4 6 . PIERRE BOURDIEU, Zur Soziologie der symbolischen Formen. Aus dem Französischen von "Wolf H. Fietkau, F r a n k f u r t am Main 1970, S. 159.
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verwendeten K o d e kennt. Nach der Dekodierung des Textes, d. h. nach Abschluß des Verstehensprozesses drückt der Leser seine Reaktionen aus, indem er seinerseits seine A n t w o r t auf den T e x t kodifiziert (Interpretation). 68 Natürlich kann es vorkommen, daß der Leser den ästhetischen K o d e des Autors nur unvollständig kennt. In diesem Fall wird seine Dekodierung unvollkommen sein. Es kann auch geschehen, daß der Leser die Dekodierung des Textes versucht und dabei einen eigenen, von dem des Autors verschiedenen K o d e gebraucht. In diesem Fall wird der künstlerische T e x t behandelt, »als ob er ein nichtkünstlerischer wäre« (Juris M. Lotman). 69 Die Kunstbetrachtung im Umkreis der Kommunikationsprozesse legt auch eine einleuchtende Lösung des Problems des ästhetischen Vergnügens nahe. Dieses Vergnügen würde sich aus der Dekodierung des ästhetischen Kodes, in dem die im T e x t enthaltene Information formuliert ist, ergeben und sich zu den Resultaten dieser Tätigkeit direkt proportional verhalten. Roland Posner schreibt: »Der besondere Genuß, den man bei der K o m munikation mit einem Kunstwerk verspürt, ist auf die Erfolge zurückzuführen, die sich bei der Suche nach dem ästhetischen K o d e und der Entschlüsselung der ästhetischen Information einstellen.« 70 Es ist offensichtlich, d a ß dieser Genuß mehr intellektueller als emotioneller N a t u r ist: »Das ästhetische Vergnügen ist die Funktion v o n Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozessen (Dekodierungsvorgängen), d. h. eher ein cognitiv bestimmter als ein rein emotiv-irrationaler Prozeß« (Siegfried J. Schmidt). 71 W i r würden die Gültigkeit dieser These nicht verallgemeinern. Sicherlich gilt sie jedoch für die Barockdichtung. Diese ist eine intellektuelle Dichtung, die in einem eigenen intellektuellen ästhetischen K o d e , der aus rhetorischen, allegorischen und emblematischen Elementen besteht, verschlüsselt ist. Die Hartnäckigkeit, mit der man noch immer die Kodes der Erlebnisdichtung auf die Barockdichtung anwenden will, hat das Wesen dieser Dichtung entstellt und hat ihre Lektüre unmöglich oder unerfreulich gees Vgl. WERNER BAUER, Text und Rezeption, 69
70 71
S. 8.
LOTMAN, Die Struktur literarischer Texte, S. 45. Z u den verschiedenen Arten der »abweichenden Dekodierung« vgl. audi UMBERTO ECO, Le problème de la réception, in Critique sociologique et critique psychanalytique. Colloque organisé conjointement par l'Institut de Sociologie de l'Université Libre de Bruxelles et l'Ecole Pratique des Hautes Etudes (6e section) de Paris avec l'aide de l'UNESCO du 10 au 12 décembre 196}. Etudes de sociologie de la littérature. Editions de l'Institut de Sociologie. Université Libre de Bruxelles, S. 1 3 - 1 8 ; und UMBERTO ECO, La struttura assente. Introduzione alla ricerca semiologica. Milano 1968, S. 53. POSNER, Strukturalismus, S. 208. SIEGFRIED J . S C H M I D T , ästhetizität,
S. 51.
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I. Kapitel
macht. Die Rezeptionsgeschichte der Barockdichtung ist großenteils die Geschichte von Mißverständnissen, die auf den Versuch zurückgehen, sie mittels wesensfremder Kodes zu dekodieren. Unter diesem Aspekt ist die Rezeptionsgeschichte Lohensteins von exemplarischer Bedeutung. Schließen wir nun diesen kleinen Exkurs über die Rezeptions- und Wirkungsästhetik. Bei unserer Darlegung haben wir nicht den Anspruch erhoben, diese neue Ästhetik erschöpfend zu behandeln. Das wäre auch nicht möglich gewesen, da sie sich noch im Anfangsstadium ihrer Entwicklung befindet. Wir wollten nur die für unsere Untersuchung brauchbaren Begriffe (Publikum, Konkretisation, ästhetische Norm, Erwartungshorizont, ästhetischer Kode) klären. D a es aber bei einigen von diesen (Publikum, Erwartungshorizont) in der Form, wie sie von den derzeitigen Theoretikern der Rezeptionsästhetik herausgearbeitet worden waren, an der nötigen Spezifizierung und soziologischen Differenzierung fehlte, haben wir nicht gezögert, sie einer kritischen Uberprüfung zu unterziehen. Wir beginnen nun mit der Untersuchung des deutschen literarisdien Publikums des 17. Jahrhunderts, seiner Kultur, seiner ethischen Werte, seines Erwartungshorizonts, seiner ästhetischen Normen und Kodes. Das deutsche literarische Publikum des 17. Jahrhunderts ist bemerkenswert homogen. Diese Homogenität hat ihre Ursache in einer weitgehenden Identität zwischen dem Bücherproduzenten und dem Bücherkonsumenten in der Person des Gelehrten. Adrian Beier schreibt in seinem Kurtzen Bericht / von der Nützlichen und Fürtrefflieben Buch-Handlung (1690), einem für die Kenntnis der Organisation des Buchwesens und des literarischen Publikums des 17. Jahrhunderts äußerst wichtigen Dokument, daß, während im allgemeinen für alle Kaufleute die Hersteller der Waren von ihren Abnehmern verschieden seien, sie dagegen für den Buchhändler in der Person des Gelehrten vereint seien. Der Gelehrte produziert und der Gelehrte konsumiert auch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Ware des Buchhändlers. [ . . . ] der Buch-Händler ist / der zu denen Gelehrten sich am nähesten thut / und bestens in sie schicket / ja schier allein mit ihnen ümbgehet und recht zu sagen verkehret. Seine Wahren sind v o n - und v o r niemand als Gelehrten / k a u f f t jemand von andn Professionen zu Zeiten ein Teutsdi — oder bey andern Nationen in seiner Mutter-Sprach gestelletes Büchlein / so geschiehets zufälliger Weise und selten / d a ß daruf keine Rechnung oder Staat zu machen. So gehets [ . . . ] / einseitig zu / und hat der andere durch sein Geld den Buch-
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Handel nur durch ein allgemeines Mittel von weitem her zu stärken gehabt / wil der Buch-Händler andere Wahre haben / muß er sich wo anders hin wenden / hier ist wohl Geld / aber da handelt er nicht mit / davor kriegt er wohl andere Büdier / muß aber solche bey andern Leute bestellen / und das sind die Gelehrte. Das ists auch / so wir sagen wolten / wie fleisig ein KaufFmann aussiehet nach Abnehmern seiner Wahren / so sorgfältig ist er / woher der Abgang zu ersetzen / an beyden Theilen findet er andre - und andere Leute / der SeidenHändler bekömbt seine Wahren vom Stuhl der Würcker / verkaufft sie aber weit andern Leuten / wohl Fürsten und Herren / so gantz ungleiches Standes mit vorigen. Der Tuch-Händler kaufit die Wolle aus einer Fürstlichen Schäferey / und verlasset das Tuch wohl an Bürger und Bauer. Der Buchhändler hingegen hat zu seinen Kunden und Abnehmern die Gelehrten / als die ihre Gelehrsamkeit in Büchern suchen / aus Büchern von ander Arbeit urtheilen / sich daraus abmässen / erbauen / daran üben und vergnügen / und wenn eine Parthey vertrieben ist / er neue Wahren bedarff / die Liebhaber zu bedienen / und seine Handlung wieder zu verstärdken / so gehet er zu den Gelehrten / deren Arbeit sucht er. Der Buch-Händler allein ist der Gelehrten eigentlicher Abnehmer. 72 Produzenten und Konsumenten des Buchmarkts sind die Gelehrten, w ä h rend »der gemeine H a u f f e den Buchladen nicht viel K o t h i g machet«. 73 W a s Beier gegen Ende des 17. Jahrhunderts schreibt, ist auch durch einige Bittschriften v o n Buchhändlern aus den Jahren 1616
und 1641 bezeugt.
In einem Bittgesuch der Verleger und Buchhändler Leipzigs v o m 5. M ä r z 1616, in dem der große Schaden aufgezeigt w i r d , der dem Buchhandel der Stadt aus der Verpflichtung erwächst, bei S t r a f a n d r o h u n g des Verlustes der alleinigen Druckrechte und der Beschlagnahme der A u f l a g e eine größere A n z a h l v o n Exemplaren (manchmal im W e r t v o n mehreren hundert Gulden) aller A u s g a b e n und Nachdrucke der privilegierten W e r k e an die 72
Kurtzer Bericht / von Der Nützlichen und Fürtrefflichen Buch = Handlung / und Deroselben Privilegien, aufgetzet [sie] v o n ADRIAN BEIERN, J. C . Jena / uf Unkosten Johann Meyers. A n n o 1690, S. 4 - 6 . Wir wollten diese Stellen von Beier in extenso anführen, weil sein Werk nur durch die wenigen Zeilen und kurzen Zitate auf S. 14 der Geschichte des deutschen Buchhandels von Goldfriedrich (Leipzig 1908) bekannt ist. A u s diesem Werk zitiert man außerdem - als ob es Beiers Worte wären - den Satz »Der Gelehrte produciert und der Gelehrte konsumiert des Buchhändlers W a ren«, der jedoch von Goldfriedrich stammt. Verantwortlich für diesen Irrtum ist WALTER WITTMANN, Beruf und Buch im 18. Jahrhundert, Diss. Frankfurt am Main 1934, S. 9. Der Fehler wird weitergetragen von ROLF ENGELSING, Der Bürger als Leser, in »Archiv für Geschichte des Buchwesens« 3 (i960), Sp. 231. Nach Engelsing zitiert dann den apokryphen Satz HELMUT HILLER, Zur Sozialgeschichte von Buch 7 3 Ebd., S. 44. und Buchhandel, Bonn 1966, S. 92.
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I.
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Universitätsfakultäten und an die Bücherkommission der sächsischen Regierung zu schicken, heißt es, daß die Erhöhung der Bücherpreise, eine Folge dieser Verordnung, »alleine, oder ie meistentheils [ . . . ] den ordinem literatorum, Kirchen, Academien, Schulen, Pfarrherrn, Professores, Praeceptores, Scholaren, unndt dergleichen [ . . .]« 74 treffen würde. Ähnlich sind die Bücherkäufer in den Bittschriften zweier Buchhändler aus Königsberg, Hallervord und Hendel, soziologisch beschrieben. Die Gesuche wurden der preußischen Regierung am 2 1 . November 1 6 4 1 bzw. am Ende desselben Jahres vorgelegt. Die beiden Buchhändler erinnern zunächst daran, daß in Preußen und in Pillau die eingeführten Bücher früher sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten zum Wohl der studierenden Jugend Zollfreiheit genossen und daß die Schweden 1626 darauf eine Steuer erhoben hätten, die auch nach ihrem Rückzug geblieben sei, und weisen darauf hin, daß bis auf »Kirchen, Schulen, dürftige Pastoren, arme Studenten und Schüler« 75 fast niemand Bücher kaufe. Die Bücherkundschaft blieb das ganze 17. Jahrhundert hindurch fast ausschließlich auf Gelehrte und Studenten beschränkt.76 In einer Stadt, w o es keine Professoren und keine Universität gab, war eine Druckerei meistens »ein unnötiges Ding«. 77 Noch in den ersten Jahrzehnten des folgenden Jahrhunderts ist die Lage die gleiche. In Einigen Bemerkungen, welche sich über den deutschen Meßkatalogus machen lassen (1780), einer Abhandlung, die vielleicht den ersten Versuch darstellt, eine statistischvergleichende Untersuchung der deutschen Buchproduktion durchzuführen, schreibt nämlich Frömmichen: 74
75
76
77
Das Gesuch ist in dem Aufsatz von ALBRECHT KIRCHHOFF, Zur älteren Geschichte der kursächsischen Privilegien gegen Nachdruck, in »Archiv für Geschichte des Deutschen Buchhandels« 7 (1882), 1 4 6 - 1 6 2 , auf den Seiten 1 5 4 - 1 5 7 abgedruckt. Wichtige Stellen aus dem Gesuch sind wiedergegeben bei KARL LOHMEYER, Geschichte des Buchdrucks und des Buchhandels im Herzogthum Preußen (16. und ιγ. Jahrhundert) Zweite Abtheilung, in »Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels« 19 ( i 8 9 7 ) > i 7 9 - 3 0 4 . hier S. 248-249. Trunz schildert die Situation um das Jahr 1600 so: »Die Hauptmasse der Bücher, die sie [die Gelehrten] schrieben, schrieben sie für einander. Die gleiche Schicht, die die Erzeuger des Schrifttums umfaßte, enthielt auch ihre Leser.« (ERICH TRUNZ, Der deutsche Späthumanismus um 1600 als Standeskultur (1931), in Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche. Herausgegeben von Richard Alewyn, KölnBerlin 1970, S. 1 4 7 - 1 8 1 , hier S. 153 (Neue wissenschaftliche Bibliothek, 7). Zum Leserpublikum des 17. Jahrhunderts vgl. außerdem Lesen. Ein Handbuch. Herausgegeben von Alfred Clemens Baumgärtner, Hamburg 1973, S. 1 2 1 und S. 576. JOHANN GOLDFRIEDRICH, Geschichte des Deutschen Buchhandels vom Westfälischen Frieden bis zum Beginn der klassischen Litteraturperiode. (1648-1740), Leipzig 1908, S. 395.
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Noch v o r 60 J a h r e n w a r e n diejenigen, welche Bücher kauften, blos Gelehrte: heutiges Tages ist nicht leicht ein Frauenzimmer v o n einiger Erziehung, das nicht läse; der lesende Theil findet sich jetzt unter allen Ständen, in Städten und auf dem L a n d e , sogar die Musketiere in großen Städten lassen sich aus der Leihbibliothek Bücher auf die Hauptwache holen. 7 8
1690, im Jahr der Veröffentlichung von Adrian Beiers Bericht und des zweiten Teils von Lohensteins Arminius, verzeichnen die Meßkataloge 907 Werke (410 in Latein, 467 in Deutsch, 24 in Französisch, 6 in Italienisch). Von diesen 907 Werken gehören 358 (ca. 40 °/o) zum Fach Theologie, 92 zur Jurisprudenz, 87 zur Medizin, 133 zur Geschichte und ihren Hilfswissenschaften, 206 zur Philosophie, 26 (davon 5 in lateinischer Sprache) beschäftigen sich mit Dichtung und 5 mit Musik.79 1689, im Jahr der Veröffentlichung des ersten Teils des Arminius, verzeichnen die Meßkataloge 881 Werke (432 in Latein, 429 in Deutsch, 20 in Französisch). Von diesen 881 Werken gehören 339 zum Bereich Theologie, 97 zur Jurisprudenz, 91 zur Medizin, 129 zur Geschichte und ihren Hilfswissenschaften, 168 zur Philosophie, 39 (davon 12 in Latein und 3 in Französisch) sind der Poesie und 18 der Musik gewidmet.80 1680, im Publikationsjahr der ersten, sehr wichtigen Sammlung von Werken Lohensteins, werden 687 Werke verzeichnet (328 in lateinischer Sprache, 320 in Deutsch, 35 in Französisch, 4 in Italienisch). Von diesen 687 Werken betrafen 224 die Theologie, 54 die Jurisprudenz, 69 die Medizin, 120 die Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 164 die Philosophie, j ι (davon 8 in Latein, 8 in Französisch, 1 in Italienisch) die Dichtung, j die Musik.81 1665, im Jahr der Veröffentlichung von Lohensteins Agrippina und 78
[JOHANN C.] FRÖMMICHEN, Einige Bemerkungen, welche sich über den deutschen Meßkatalogus machen lassen, in »Deutsches Museum«, Zweiter Band. Julius bis Dezember, Leipzig, in der Weygandschen Buchhandlung, S. 176-187, hier S. 179. Der von uns zitierte Passus ist audi abgedruckt in Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen. Herausgegeben von Hans Widmann unter Mitwirkung von Horst Kliemann und Bernhard Wendt. Zweiter Band, Hamburg 1965, S. 195-196. Frömmichen stellt bei einem Vergleich zwischen dem Katalog der Buchmesse von 1780 und dem von 1620 fest, daß die theologischen Büdier V 5 der Produktion ausmachen, während es zuvor V3 war, und daß 1620 j von 7 Büchern in Latein geschrieben waren, jetzt dagegen nur 2 von 25. 78 Die Daten stammen aus dem Codex nvndinarivs Germaniae literatae bisecvlaris. M e ß-Jahrbücher des Deutschen Buchhandels von dem Erscheinen des ersten MeßKataloges im Jahre 1564 bis z» der Gründung des ersten Buchhändler-Vereins im Jahre 176j. Mit einer Einleitung von Gustav Schwetschke. Nebst j Tafeln Facsimile's, Halle 1850 (Reprint Nieuwkoop 1963), S. 168. 8 ° Ebd., S. 167. ei Ebd., S. 1 5 1 .
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I. Kapitel
Epicharis, beläuft sich die in den Meßkatalogen verzeichnete Buchproduktion auf 956 Werke (548 in Latein, 348 in Deutsch, 58 in Französisch, 1 in Italienisch, 1 in Spanisch). Von diesen 956 Werken beziehen sich 374 auf die Theologie, 90 auf die Jurisprudenz, 65 auf die Medizin, 133 auf die Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 240 auf die Philosophie, 40 auf die Poesie (8 in lateinischer, 25 in deutscher, 7 in französischer Sprache) und 14 auf die Musik.82 Im Jahr 1653, dem Publikationsjahr der ersten Lohensteinischen Tragödie, Ibrahim, beträgt die Zahl der in den Meßkatalogen festgehaltenen Buchproduktion 1158 Werke (729 in Latein, 390 in Deutsch, 30 in Französisch, 6 in Italienisch, 3 in Spanisch). Von diesen 1158 Werken betreffen jo6 die Theologie, 120 die Jurisprudenz, 65 die Medizin, 18 5 die Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 219 die Philosophie, 51 die Poesie (29 in Latein, 19 in Deutsch, 1 in Französisch, 2 in Italienisch), 12 die Musik.83 Der in den Meßkatalogen registrierte Jahresdurchschnitt der Buchproduktion beträgt in den fünf Jahren von 1651-1655 1034,6 Werke, im Jahrfünft 1661-1665 914,6 und in dem zwischen 1676 und 1680 794,8 Werke; in den Jahren 1681-1685 sind es 812,6 und im Zeitraum zwischen 1686 und 1690 861,2 Werke.84 Die Zahl der von 1601-1700 in den Meßkatalogen verzeichneten Titel beläuft sich auf 101 395 (der Jahresdurchschnitt für den Verlauf des 17. Jahrhunderts beträgt demnach etwa 1014). Darunter sind 58733 Titel von Werken in lateinischer Sprache; 38147 gehören zu Werken in deutscher und 4475 zu Werken in fremden Sprachen. Diese Zahlen haben nur einen relativen, keinen absoluten Wert. Unsere Daten stammen aus dem Codex Nundinarius von Gustav Schwetschke (der die seinen ausschließlich aus den Katalogen der Buchmessen von Frankfurt und Leipzig bezog) und von Zarncke, der die FünfjahresDurchschnittswerte der Buchproduktion auf Grund der Daten des Codex Nundinarius berechnet. Da nun viele der Werke, die in den Meßkatalogen eines bestimmten Jahres verzeichnet sind, bereits in früheren Jahren erschienen sind bzw. erst in den folgenden herauskommen sollten (manche von ihnen dürften niemals publiziert worden sein), deckt sich die tatsäch82 Ebd., S. 127. 83 Ebd., S. 110. 84 Vgl. FR. ZARNCKE, Erläuterung der graphischen Tafeln zur Statistik des deutschen Buchhandels in den Jahren i)64 bis 176$, in Geschichte des Deutschen Buchhandels his in das siebzehnte Jahrhundert. Von FRIEDRICH KAPP. AUS dem Nachlasse des Verfassers herausgegeben von der Historischen Kommission des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler. Mit drei lithographirten graphisch-statistischen Tafeln, Leipzig 1886 (Neudruck Aalen 1970), S. 794.
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lidie Buchproduktion pro J a h r nicht mit den Ankündigungen der offiziellen Organe der Buchmessen von Leipzig und Frankfurt. Diese bewegt sich vielmehr um etwa die Hälfte der Summe der in den Meßkatalogen verzeichneten Titel, wenn man die Resultate der präzisen Untersuchung Düsterdiecks über die Buchmeßkataloge von 1637 u r ) d 1658 als repräsentativ f ü r das gesamte Jahrhundert annehmen könnte. In diesen beiden Jahren beläuft sich die tatsächliche Buchproduktion jeweils nur auf 42,5 °/o bzw. auf 60 % der in den Meßkatalogen verzeichneten Titel. Als Durchschnittswert für die tatsächliche Jahresproduktion ergäbe sich demnach ein Wert um etwa j o o Titel herum. Aber die Meßkataloge registrieren nicht, außer in seltenen Fällen, die amtlichen und die Gelegenheitspublikationen, ebensowenig die Buchproduktion lokaler Art und nicht diejenige Süddeutschlands. Sie ignorieren ferner das Volksschrifttum, das wahrscheinlich den quantitativ bedeutsamsten Anteil an den Drucken der Epoche darstellt und das sich zusammensetzt aus K a lendern, Flugblättern, Liedern, Schul-, Bet- und Hausbüchern, Narrenund Volksbüchern, Historien und Sagen-, "Wetter-, Traum- und Rätselbüchern, kleinen Schriften über wunderbare Erscheinungen, Kriegsereignisse und Unglücksfälle. 85 Die tatsächliche Buchproduktion entzieht sich daher jeder zuverlässigen Schätzung. Dennoch sind Schwetschkes Daten auch repräsentativ, da die Kataloge normalerweise die Buchproduktion von Bedeutung registrieren, während die von ihr nicht erfaßten Werke in Deutschland nicht verbreitet wurden und praktisch hinsichtlich ihrer kulturellen Wirkung nicht existent waren. Sie zeigen, daß die offizielle Buchproduktion und die Rezeption des Buches das ganze 17. Jahrhundert hindurch eine überaus elitäre Ange85
Vgl. GOLDFRIEDRICH, Geschichte des deutschen Buchhandels (1648-1740), S. 28-29, und RUDOLF JENTZSCH, Der deutsch-lateinische Büchermarkt nach den Leipziger Ostermeß-Katalogen von 1740, 1770 und 1800 in seiner Gliederung und Wandlung, Leipzig 1912, S. 7. Zu den erheblichen Auslassungen in den Katalogen der Buchmessen von Frankfurt und Leipzig, die manchmal die katholische Literatur völlig übergehen, und dann auch zu den Grenzen des Werkes von Sdiwetschke vgl. außer dem Buch von Jentzsch (S. 4 - 1 2 ) M.[AX] SPIRGATIS, Die litterarisdie Produktion Deutschlands im 17. Jahrhundert und die Leipziger Meßkataloge, in Beiträge zur Kenntnis des Schrift-, Buch- und Bibliothekswesens. Herausgegeben von Karl Dziatzko. VI. Mit 2 Tafeln, Leipzig 1901 (Sammlung bibliothekswissenschaftlicher Arbeiten herausgegeben von Karl Dziatzko, 14. Heft), S. 2 4 - 6 1 . Eine eingehende und vorbildliche Analyse der Buchmeßkataloge von 1637 und i 6 j 8 , die in beträchtlichem Ausmaß die Daten von Schwetschke korrigiert, bietet PETER DÜSTERDIECK, Buchproduktion im 17. Jahrhundert. Eine Analyse der Meßkataloge für die Jahre 1637 und 16¡8, Frankfurt am Main 1973 (Sonderdruck aus dem »Archiv für Geschichte des Buchwesens«, Band 14, Lieferung 2, Sp. 163-220).
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I.
Kapitel
legenheit sind. Von den wenigen hundert gedruckten Werken ist etwa die Hälfte in lateinischer Sprache geschrieben und daher von vornherein einem breiten Publikum (das es gar nicht gibt) verschlossen. Während in Frankreich in den zehn Jahren von 1660-1669 die Produktion in lateinischer Sprache ein Drittel der Buchproduktion darstellt (32,9%), aber bereits im folgenden Jahrzehnt, 1670-1679, auf 1 3 , 4 6 % der gesamten Buchproudktion abgesunken ist,86 beträgt sie in Deutschland in denselben Jahrzehnten 5 8 , 4 % (die Buchproduktion in deutscher Sprache beläuft sich auf 36,3 % ) bzw. 54 % (wobei die deutschsprachige Produktion sich auf 4 2 , 6 % beläuft). Erst 1770 wird in Deutschland die Buchproduktion in lateinischer Sprache auf 14,25 % des Gesamtvolumens absinken und erreicht damit, ungefähr mit einem Jahrhundert Verspätung, die französischen Werte von 1670-1679. 87 Auch einige Daten über die Vermittlungszentren des Buches beweisen, daß im 17. Jahrhundert das deutsche literarische Publikum aus einer kleinen >Elite< bestand. Im Jahr 1700 gibt es auf dem deutschen Sprachgebiet etwa 450 Buchhandlungen (je eine für 31 000 Einwohner). 88 Wenn man dann die 951 in 86
V g l . DAVID T . POTTINGER, The French Book Trade in the Anden Régime ¡¡00-1791, H a r v a r d University Press. Cambridge, Massachusetts, 1958, S. 18. Pottingers A n gaben beziehen sich aber nicht auf das Gesamtvolumen der französischen Buchproduktion, sondern auf die v o n 200 Autoren des 17. Jahrhunderts, die als repräsentative Muster ausgewählt wurden.
87
In den zehn Jahren zwischen 1770 und 1779 ist die Buchproduktion in lateinischer Sprache in Frankreich auf 3,38 °/o zurückgegangen. Die Angaben beziehen sich auf die Produktion der von Pottinger für das 18. Jahrhundert als repräsentative Muster ausgewählten zoo Autoren. Deutschland zählt im Jahr 1600 ohne Österreich ca. 15 Millionen Einwohner, 1650 ca. 10 Millionen, 1700 wiederum ca. 15 Millionen. Die Bevölkerung der österreichischen Territorien (Österreich, Böhmen, Mähren, Schlesien usw.) umfaßt im Jahr 1600 ca. 7 Millionen und im Jahr 1754 ca. 6 Millionen [vgl. ERNST WOLFGANG BUCHHOLZ, Raum und Bevölkerung in der Weltgeschichte, vom Mittelalter zur Neuzeit, W ü r z burg 1966 (Bevölkerungs-Ploetz, Band 3), S. 46-57]. 1600 hatte das Deutsche Reich (mit Aussdiluß der Niederlande) eine Fläche v o n 720000 qkm (30 Einwohner pro qkm). Mehr als 3/i der Bevölkerung lebten auf dem Land [vgl. RUDOLF KÖTZSCHKE, Grundzüge der deutschen Wirtschaftsgeschichte bis zum 77. Jahrhundert. Zweite umgearbeitete Auflage. Unveränderter anast. Abdruck, Leipzig, Berlin 1923 (Grundriß der Geschichtswissenschaft. Reihe II. Abteilung I) ; und INAMA-STERNEGG und HÄPKE, Die Bevölkerung des Mittelalters und der neueren Zeit bis Ende des 18. Jahrhunderts in Europa, in Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Vierte, gänzlich umgearbeitete Auflage. Zweiter Band, Jena 1924, S. 670-787]. Im 17. Jahrhundert gibt es in Deutschland etwa 3000 Städte. D e r größte Teil dieser Städte hat eine Bevölkerung von weniger als 2000 Einwohnern; nur sehr wenige erreichen 30000 bis 40000 Einwohner. Die mittelgroßen Städte zählen eine Bevölkerung von j o o o bis 20000 Einwohnern, die kleinen von 2000 bis 5000. Breslau, Zentrum und Wiege der Barock-
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den Meßkatalogen von 1700 verzeichneten Werke (von denen 359, d.h. 38 % , in Latein geschrieben sind) mit 1000 - einer hypothetisch für eine mittlere Auflagenhöhe angenommenen Zahl - multipliziert, käme man auf eine Gesamtproduktion von 951000 Büchern, was einem Buch auf 15 Einwohner entspricht (es wären 3 Einwohner, wenn man ausschließlich Stadtbewohner berücksichtigt, die 1700 nur 20 % der Gesamtbevölkerung ausmachten).89 Diese statistischen Mittelwerte sind mit einem reichlichen Spielraum für einen zu hohen Näherungswert kalkuliert. Im 17. Jahrhundert liegt nämlich die durchschnittliche Auflagenhöhe eines Werkes eher bei joo als bei 1000 Exemplaren. Wenn man ferner bedenkt, daß die tatsächliche Produktion weit unter der von den Meßkatalogen angegebenen liegt, würde eine vorsichtige Kalkulation für das Jahr 1700 den hypothetischen Verbreitungswert eines Buches auf 60 Einwohner ergeben. Welches ist nun die zahlenmäßige Basis des tatsächlichen Lesepublikums? Für das 18. Jahrhundert ist als Durchschnitt der potentiellen (nicht der effektiven) Leser die Zahl von 1 0 % der erwachsenen Bevölkerung errechnet worden. 90 Für die Zeit zwischen 1648 und 1700 hat man ausgerechnet, daß das Lesepublikum, dessen Interessen durch die Bibel, das Hymnarium, den Katechismus und den Kalender nicht voll befriedigt wurden, bei etwa j 00 000 Personen lag.91 literatur, hat 1618 etwa 26000 bis 30000 Einwohner, im Jahr 1675 etwa 25000 bis 28000, im Jahr 1700 etwa 34000 [vgl. FRANZ EULENBURG, Zur historischen Bevölkerungsstatistik in Deutschland, in »Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik« III. Folge, 29 (1905), S. 519-527; und BERGIUS, Uber die Einwohnerzahl Breslaus gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts, in »Zeitschrift des Vereins für G e schichte und Alterthum Schlesiens« 3 (i860), 165-190]. 89
Vgl. GOLDFRIEDRICH, Geschichte des deutschen Buchhandels (1648-1740), Leipzig 1908 [Neudruck Aalen 1970], S. 389-390. Im Jahr 1965 sind allein in der Bundesrepublik 2455 Verlage und 8059 Buchhandlungen registriert worden [vgl. Der Leser als Teil des literarischen Lehens. Eine Vortragsreihe mit Marion Beaujean, Hans Norbert Fügen, Wolf gang R. Langenbucher, Wolfgang Strauß. 2. Aufl., Bonn 1972. (Forschungsstelle für Buchwissenschaft an der Universitätsbibliothek Bonn. Kleine Schriften, 8), S. 36]. In demselben Jahr 1965 belief sich die deutschsprachige Buchproduktion (Westdeutschland, Ostdeutschland, Österreich, Schweiz) auf 39728 Werke (vgl. ROBERT ESCARPIT, La révolution du livre. Deuxième édition revue et mise à jour, 1969. Réimpression, Paris 1972, S. 60).
90
V g l . RUDOLF SCHENDA, Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgeschichte der populären Lesestoffe 1770-1910, Frankfurt am Main 1970. (Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts, Band 5), S. 443. WALTER KRIEG, Materialien zu einer Entwicklungsgeschichte der Bücher-Preise und des Autoren-Honorars vom i j . bis zum 20. Jahrhundert. Nebst einem Anhange: kleine Notizen zur Auflagengeschidite der Büdier im. 1$. und 16. Jahrhundert, W i e n Bad Bocklet/Mainfranken-Zürich 1953, S. 69.
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Es ist unmöglich, die Richtigkeit dieser Hypothesen zu beweisen. Leichter ist es, eine Vorstellung von der zahlenmäßigen Grundlage des gelehrten literarischen Publikums zu bekommen. In seinem Sebaldus Nothanker schätzt der Aufklärer, Schriftsteller, Verleger und Buchhändler Friedrich Nicolai, ein höchst erfahrener Kenner des Buchmarkts und des Kulturwesens seiner Zeit, 1773 das traditionelle gelehrte Publikum auf 20000 Personen.92 Neben diesem Publikum ist in Deutschland zwischen 1 7 2 1 (dem Jahr der Veröffentlichung der Discourse der Mahlern, Zürich 1 7 2 1 / 2 3 , der ersten originaldeutschen moralischen Wochenschrift) und 1774 (Veröffentlichung von Goethes Werther) ein relativ großes, durchschnittlich gebildetes bürgerliches Publikum entstanden, das auf Quantität und Qualität der Buchproduktion einen beträchtlichen Einfluß ausübt, wie die von Jentzsch erarbeiteten analytischen statistischen Angaben beweisen.93 92
»Der S t a n d d e r Schriftsteller beziehet sich in Deutschland beynahe b l o ß auf sich selber, o d e r auf den gelehrten S t a n d . Sehr selten ist bey uns ein Gelehrter ein H o m m e de Lettres. Ein G e l e h r t e r ist bey uns ein Theologe, ein Jurist, ein Mediciner, ein P h i l o soph, ein Professor, ein Magister, ein D i r e k t o r , ein R e k t o r , ein K o n r e k t o r , ein Subr e k t o r , ein Baccalaureus, ein Collega infimus, höchstens ein schiefer Beiesprit o d e r ein schwerfälliger S p e k u l a n t [ . . . ] . Dieses gelehrte Völkchen v o n Lehrern u n d Lernenden, das e t w a 20 000 Menschen s t a r k ist, verachtet die übrigen 20 Millionen Menschen, die a u ß e r ihnen deutsch reden, so herzlich, d a ß es sich nicht die M ü h e n i m m t f ü r sie zu schreiben [. . .] D i e z w a n z i g Millionen U n g e l e h r t e n vergelten den 20 000 Gelehrten Verachtung mit Vergessenheit; sie wissen k a u m d a ß sie in der W e l t sind« (Leben und Meinungen des Herrn Magisters Sebaldus Nothanker. Nebst zuverlässiger Nachricht von einigen nahen Verwandten desselben. Erster Band. Vierte verbesserte Auflage. Mit Königl. Preuß. Kurfürstl. Brandenb. allergnädigster Freyheit, Berlin u n d Stettin bey Friedrich Nicolai, 1799, S. 142-144).
93
D e r W a n d e l , der sich zwischen 1721 und 1773 (insbesondere zwischen 1740 u n d 1770) in der S t r u k t u r des deutschen literarischen P u b l i k u m s vollzieht, w i r d durch die v o n R u d o l f Jentzsch f ü r die B u c h p r o d u k t i o n der J a h r e 1740 u n d 1770 herausgearbeiteten D a t e n sehr gut veranschaulicht. 1740 z ä h l t die gesamte P r o d u k t i o n 75 j W e r k e (hier ist zu beachten, d a ß die kritisch ü b e r p r ü f t e n D a t e n v o n Jentzsch sich n u r auf die O s t e r m e ß k a t a l o g e v o n Leipzig beziehen. Schwetsdike schätzt die P r o d u k t i o n des Jahres 1740 auf 1326 W e r k e ) . V o n diesen 755 W e r k e n (545 in Deutsch; 209 in Latein = 2 7 , 6 8 % ; 1 in Italienisch) beschäftigen sich 291 (38,54 °/o) mit Theologie, 97 mit J u r a (12,85 °/ 5° m i c Medizin (6,6 V0) 44 mit Philosophie (5,83 °/o), 40 mit allgemeiner Gelehrsamkeit ( 5 , 2 9 8 % ) , 85 m i t Geschichte u n d G e o g r a p h i e ( 1 1 , 3 8 % ) , 10 mit Staatswissenschaften ( 1 , 3 4 % ) , 4 m i t E r z i e h u n g u n d Unterricht ( 0 , 5 3 5 % ) , 18 mit Klassischer Philologie (2,45 % ) , 5 mit außerklassischer Philologie (0,662%), 44 mit Schönen K ü n s t e n u n d Wissenschaften (5,83 % ) . V o n diesen 44 W e r k e n beziehen sich 5 auf Theorie, 7 auf Musik, 10 auf Poesie, 2 auf das D r a m a , 20 ( = 45,45 % dieser Kategorie) auf die E r z ä h l u n g s l i t e r a t u r (10 O r i g i n a l t e x t e , 8 Ü b e r s e t z u n g e n aus d e m Englischen, 2 aus d e m Französischen). Naturwissenschaften u n d M a t h e m a t i k betreffen 25 W e r k e ( 3 , 3 1 % ) , Landwirtschaft u n d G e w e r b e 8 ( 1 , 0 6 % ) . A n p o p u l ä r moralischen Schriften figurieren 25 (3,31 % ) , an p o p u l ä r e n Zeitschriften 2 ( 0 , 2 7 % ) ,
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Wenn man im 18. Jahrhundert von zwei Arten von literarischem Publikum sprechen kann, die ein unterschiedliches kulturelles Niveau haben, aber gleichermaßen aktiv sind, um die Buchproduktion voranzutreiben und sie durch ihre Präferenzen in bestimmte Richtungen zu bringen, so gibt es im 17. Jahrhundert nur ein einziges literarisches Publikum: das der Gelehrten. Den zahlenmäßigen Bestand dieses Publikums kann man mit Hilfe der Datenaufbereitung aus der Zahl der an den Universitäten eingeschriebenen Studenten annähernd bestimmen. In Anbetracht dessen, daß es um 1620 - den Daten über den Universitätsbesuch zufolge, die Franz Eulenburg auf der Grundlage der Matrikelverzeichnisse erarbeitet hat - 7000 bis 8000 Studenten gab, und weiter in Anbetracht der Durchschnittsdauer eines Universitätsstudiums (4 Jahre) und des durchschnittlichen Lebensalters in jener Zeit (54 Jahre) berechnet Trunz die globale Anzahl aller zu Beginn des 17. Jahrhunderts lebenden Personen mit Universitätsausbildung auf etwa 50 000.94 Dieser Wert läßt an praktischen Hausbüchern und solchen über Spiele 7 (0,93 °/o). Summiert man den Prozentsatz der theologischen, juristischen und medizinischen Werke, kommt man auf insgesamt 5 8 , 0 1 % . Diese Tatsache zeigt deutlich, daß der Buchmarkt im J a h r 1740 »noch fast ganz f ü r ein gelehrtes Publikum bestimmt« ist (Jentzsdi, S. 318). Für 1770 verzeichnet Jentzsdi eine Gesamtproduktion von 1 1 4 4 Werken (für Schwetschke dagegen belauft sich die Produktion auf 1807 Werke). Von diesen sind 981 in Deutsch und 163 (14,25 °/o) in Latein geschrieben. Die theologischen Werke belaufen sich auf 280 (24,47 °/o), die juristischen auf 61 (5,33 °/o), die medizinischen auf 91 (7,95 % ) . Mit allgemeiner Gelehrsamkeit beschäftigen sich 52 Werke (4,46 °/o), mit Geschichte und Geographie m (9,615 %>), mit Staatswissenschaften 32 (2,8 °/o), mit Philosophie 34 (2,97 % ) , mit Erziehung und Unterricht 20 (1,75 °/o), mit Klassischer Philologie 35 ( 3 , 0 6 % ) , mit außerklassischen Philologien 16 (1,4 °/o). Die populärmoralischen Schriften belaufen sich auf 39 (3,41 % ) , die populären periodischen Schriften auf 35 (3,06 °/o), die praktischen Hausbücher auf 16 (1,4 o/»), Werke über Mathematik und Naturwissenschaften auf 7 1 ( 6 , 2 0 6 % ) , solche über Landwirtschaft und Gewerbe auf 60 (5,24 % ) . Unter der Rubrik »Schöne Künste und Wissenschaften« stehen 188 Werke (16,43 °/o); sie teilen sich folgendermaßen a u f : 14 sind allgemeine, theoretische Werke usw., 13 betreffen bildende Künste, 8 die Musik, 153 die Dichtung (28 Gesamtausgaben, 37 Gedichtbände, 42 Dramen, 46 Romane = 4,02 % der gesamten Buchproduktion). Zusammengenommen erreichen die Werke zur Theologie, Jurisprudenz und Medizin jetzt nur noch 36,76 % der gesamten Buchproduktion. Der Vergleich der analytischen Prozentwerte der Buchproduktion von 1740 und 1770 zeigt eine auffällige Zunahme der schöngeistigen Literatur und einen parallelen Rückgang der drei traditionellen wissenschaftlichen Disziplinen. Bedeutsam ist auch die Abnahme der theologischen und der Erbauungsliteratur. Die Rolle der moralischen Erziehung übernimmt nunmehr die Dichtung. (Die angeführten Daten sind, wie schon erwähnt, dem Werk von Jentzsch entnommen: Der deutsch-lateinische Büchermarkt. Vgl. besonders die Tafeln I—III im Anhang). 94
Vgl. ERICH TRUNZ, Der deutsche Späthumanismus um 1600 als Standeskultur in Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche. Herausgegeben chard Alewyn, Köln-Berlin 1970, S. 1 4 7 - 1 8 1 , hier S. 154.
[1931], von Ri-
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sich als Hinweis auf den zahlenmäßigen Bestand des literarischen Publikums um 1620 annehmen. D a Eulenburg weiter f ü r den Beginn des 18. Jahrhunderts einen Zuwachs des studentischen Bevölkerungsteils um etwa zwei Drittel im Verhältnis zur Situation um 1620 berechnet,95 können wir annehmen, daß diesem im großen und ganzen eine gleiche Zunahme des literarischen Publikums entspricht. Damit käme man für den Beginn des 18. Jahrhunderts auf ein literarisches Publikum von etwa 80000 bis 85000 Personen. Für die Dauer des 17. Jahrhunderts läßt sich, wenn man die Schwankungen in der Frequenz der Universitäten berücksichtigt, die auf den Dreißigjährigen Krieg zurückgehen (am stärksten fühlbar sind diese Schwankungen in den fünf Jahren von ι 6 } 6 - ι 6 4 ο ; β β sie spiegeln sich auch in der Buchproduktion wider, die 1 6 1 3 mit 1780 "Werken und 1 6 1 8 , bei Kriegsausbruch, mit 1 7 5 7 Werken die beiden Höhepunkte des gesamten 17. Jahrhunderts registriert hatte, um dann 1633 auf 726 Werke, 1 6 3 7 auf 408 Werke abzusinken und schließlich 1648 wieder auf 921 und 1700 auf 978 Werke anzusteigen),97 annehmen, daß die Größe des deutschen literarischen Publikums im Durchschnitt die 60 000 nicht überschreitet. Der Mittelstand hat kein Geld, um Bücher zu kaufen, schreibt Johann Adam Bernhard 1 7 1 8 , und die Reichen haben im Gegensatz zu dem, was in Frankreich, England und Holland geschieht, keine bibliophilen Ambitionen.98 In den Nachlaßinventaren von Kaufleuten aus Frankfurt am Main, die zwischen 1695 und 1705 verstarben, erscheint häufig kein einziges Buch. Von 50 Inventaren verzeichnen 14 ( = 2 8 % ) kein einziges Buch; 27 ( = 54 % ) führen kein einziges weltliches Buch auf. N u r 7 In95
Vgl. FRANZ EULENBURG, Uber die Frequenz der deutschen Universitäten in früherer Zeit, in »Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik«, III. Folge, 13 (1897), 481—555, hier S. 540. »« Ebd., S. J 34. 97 Vgl. ZARNCKE, Erläuterung, S. 792-794. 98 »Indessen haben dodi einige privati unter denen Gelehrten ihre Bibliothequen so vermehret, daß sie auf 20. und mehrere 1000. Thaler sind geschätzet worden. In Teutschland trifft man derselben wenig an; die Reichen machen daselbst keinen so grossen Staat davon denen Mittelmäßigen aber wird ihre Besoldung also in der Hand gezehlet, daß sie des Jahrs wenig 100. Thaler entbehren können« (Kurtzgefaste Curieuse Historie derer Gelehrten, Darinnen von der Gehurth / Erziehung / Sitten / Fatis, Schrifften etc. gelehrter Leute gehandelt, Und hin und wieder angewiesen wird was in diesem unter denen Teutsdien zumal so beliebten studio gantz überflüßig, zum Theil auch einer bessern Untersuchung noch benöthiget. Nebst einem unmaßgeblichen Vorschlag, wie dasselbe künftighin in eine richtige Verfassung zu bringen seye, Entworffen von JOHANN ADAM BERNHARD / Hanoviensi. Franckfurt am Mayn, verlegts Johann Maximilian von Sand, Anno 1718, S. 584).
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der Barockliteratur
yy
ventare ( = 1 4 % ) verzeichnen mehr als 5 weltliche Bücher (in 2 dieser Inventare erscheinen mehr als 20 b z w . mehr als j o weltliche Bücher). 99 Noch gegen Ende des 17. Jahrhunderts kann der Mittelstand, auch der wohlhabende, großenteils weder lesen noch schreiben.100 Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts wurde die Tätigkeit der Drucker, der Verleger und Buchhändler »so gut wie nur v o m Geschmack und von der Nachfrage aristokratischer Kreise« 101 bestimmt. Wenn das literarische Publikum des 17. Jahrhunderts elitär ist, ist das an Werken der Dichtung interessierte Publikum in diesem Jahrhundert noch elitärer. Die Statistiken, die den Anteil der poetischen Produktion am Gesamtvolumen der Buchproduktion veranschaulichen, beweisen dies deutlich. Im Jahr 1600 stellen poetische Werke 3 , 9 6 % der Buchproduktion, 1625 sind es 5,4 %>, 1650 5,1 °/o, 1675 3,5 % und 1700 2,8 °/o. In den gleichen Jahren ergeben sich für die theologische Produktion folgende prozentuale Anteile: 42,4; 45,8; 41,4; 40,5 und 43. Die Zahl der im 17. Jahrhundert in den Meßkatalogen verzeichneten theologischen Werke beläuft sich auf 44 497, während die Zahl der poetischen Werke sich auf 4 7 1 9 beläuft. G a n z anders ist die Situation auf dem englischen Buchmarkt. Während in Deutschland die Meßkataloge im Jahr 1600 42 poetische Werke verzeichnen (die tatsächliche Produktion wird sich um die Hälfte der angegebenen Ziffer halten), werden in England im selben Jahr effektiv 84 Werke dieser Kategorie veröffentlicht. Noch im Jahr 1640 hält sich die poetische Produktion in Deutschland auf dem zahlenmäßigen N i v e a u von 1600, während die A n z a h l poetischer Werke in England inzwischen auf i j 6 angestiegen ist. Noch auffallender treten die Unterschiede zwischen dem englischen und dem deutschen Buchmarkt hervor, wenn man das zahlenmäßige Verhältnis zwischen der schöngeistigen und der philosophischen und theologischen Produktion betrachtet. Während also im Jahr 1640 die in England publiVgl. WALTER WITTMANN, Beruf und Buch im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Erfassung und Gliederung der Leserschaft im 18. Jahrhundert, insbesondere unter Berücksichtigung des Einflusses auf die Buchproduktion, unter Zugrundelegung der Nachlaßinventare des Frankfurter Stadtarchivs für die Jahre 1695-1705, 1746-175; und 1795-1805. Inaugural Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Wirtschafts-und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Johann Wolfgang Goethe-Universität zu Frankfurt am Main, 1934, Drude: Heinrich Pöppinghaus o.H.-G., BodiumLangendreer, S. 68-69. 100 VGL. ROLF ENGELSING, Analphabetentum und Lektüre. Zur Sozialgeschichte des Lesens in Deutschland zwischen feudaler und industrieller Gesellschaft, Stuttgart 1973, S. 46. 1 0 1 HELMUT HILLER, Zur Sozialgeschichte von Buch und Buchhandel, Bonn 1966, S. 92. 99
I.
40
Kapitel
zierten philosophischen und religiösen Werke sich auf 251 und die schöngeistigen auf 156 belaufen (das Verhältnis ist 1,6:1), beträgt in Deutschland die Anzahl der in den Meßkatalogen verzeichneten religiösen und philosophischen Werke 400 und die der schöngeistigen 42 (das Verhältnis beträgt also 10,9: 1). In England steht die schöngeistige an zweiter Stelle hinter der philosophischen und religiösen Produktion und übertrifft die übrigen Buchsparten zahlenmäßig um das doppelte oder sogar mehr; in Deutschland steht sie, wenn man die Produktion auf dem Gebiet der Musik außer acht läßt, an letzter (so für das Jahr 1600) oder vorletzter Stelle (so für 1642).102 Erst von 1735 an zeigt sich in Deutschland in der Buchproduktion eine radikale Tendenzwende. Die fortschreitende Abnahme der theologischen Produktion wird von einer parallelen Zunahme der poetischen Produktion begleitet. Folgende Daten betreffen die theologische Produktion im Verlauf des 18.Jahrhunderts: 4 0 , 5 % (1735); 3 2 , 9 % (1740); 3 1 % (1745); 28,9 % (1750); 1 9 , 9 % (1775); 6 % (1800). Für die poetische Produktion gelten diese Werte: 3 , 6 % (173j); 3 , 9 % (1740); 6 , 4 % (1745); 8 , 7 % (1750); 1 4 , 3 % (1775); 2 7 , 3 % (1800).1»3 Die Umkehrung der Tendenz, die aus den von Goldfriedrich auf der Grundlage von Schwetschkes Codex nundinarius erarbeiteten Daten hervorgeht, wird im wesentlichen durch die äußerst genauen Angaben von Jentzsch bestätigt. Für den theologischen Bereich verzeichnet Jentzsch folgende Daten: 38,54% (1740); 2 4 , 4 7 % (1770); 13,55 % (1800). Zu diesen muß man die Daten über die populär-moralischen Schriften hinzunehmen, die Jentzsch im Gegensatz zu Schwetschke von den eigentlich theologischen unterscheidet: 3 , 3 1 % (1740); 3 , 4 1 % (1770); 3 , 9 7 % (1800). Bezüglich der schönen Künste und der Literatur macht Jentzsch folgende Angaben: 5 , 8 3 % (1740); 1 6 , 4 3 % (1770); 2 1 , 4 5 % (1800). Die Daten zur poetischen Literatur im eigentlichen Sinn sind für das Jahr 1740: 1 , 3 2 % (Gedichte); 0 , 2 6 % (dramatische Poesie); 2 , 6 5 % (erzählende Literatur: 20 Werke). Für das Jahr 1770: 3,23 % (Gedichte); 3 , 6 7 % (dramatische Poesie); 4 , 0 2 % (erzählende Literatur: 46 Werke). Für das Jahr 1800: 102 VGL. EDITH L. KLOTZ, A Subject Analysis of English Imprints for Every Tenth Year from 1480 to 1640, in »The Huntington Library Quarterly* 1 (1937-38), 4 1 7 - 4 1 9 ; H . S. BENNETT, English Books & Readers 160} to 1640. Being a Study in the History of the Book Trade in the Reigns of James I and Charles I, Cambridge 1970, S. 198; und SCHWETSCHKE, Codex nvndinarivs Germaniae literatae bisecvularis, S. 37 und 95. 103
GOLDFRIEDRICH, Geschichte des Deutschen Buchhandels vom Westfälischen zum Beginn der klassischen Literaturperiode, S. 17.
Frieden bis
Probleme
der Rezeptionsgeschichte
der
Barockliteratur
41
1,32 % (Gedichte); 11,68 % (Romane: 300); 2,49 % (dramatische Poesie: 64 Werke). 104 Diese Daten beweisen, ohne den geringsten Zweifel aufkommen zu lassen, daß die Entstehung eines größeren literarischen Publikums von der zunehmenden Ausbreitung der Belletristik (insbesondere der erzählenden Dichtung) 105 und der gleichzeitigen, parallelen Abnahme der theologischmoralischen Literatur begleitet ist. Zwischen den beiden Phänomenen besteht unbestreitbar eine Korrelation. Die fortschreitende Verweltlichung der literarischen Produktion darf man aber nicht als Ausdrude antitheologischer Positionen interpretieren. Das Gegenteil ist richtig. Dichtung und Roman vermögen allmählich die Andachts- und Erbauungsbücher zu ersetzen, weil sie deren ethische und moralische Inhalte übernehmen und ausdrücklich eine moralisierende Funktion ausüben. In diesem Sinne schreibt Rolf Engelsing: »Die Abkehr von der kirchlichen Literatur erfolgte, wenn auch keineswegs überall, nicht gegen die Repräsentanten der Kirche, sondern mit ihnen und auf ihre Anregung, und die Abkehr von der Erbauungsliteratur zur belletristischen und empirischen Literatur war zu wesentlichen Teilen ein Ubergang von den alten Formen der Erbauung zu modernen Formen der Erbauung.« 106 104
Vgl. JENTZSCH, Der deutsch-lateinische Büchermarkt, Tafeln I—III im Anhang. 105 VGL, HERBERT SCHÖFFLER, Protestantismus und Literatur. Neue Wege zur englischen Literatur des 18. Jahrhunderts. 2. unveränderte Auflage, Göttingen 1958, S. 202; und HELMUT PAPE, Klopstocks Autorenhonorare und Selbstverlagsgewinne, Frankfurt am Main (Sonderdruck aus dem »Archiv für Geschichte des Buchwesens«, Band X , Lieferung 1 - 2 , Frankfurt am Main 1969), Sp. 7-89. 1 0 « ENGELSING, Die Perioden der Lesergeschichte. Sp. 980. Zum deutschen Roman des 18. Jahrhunderts, seine moralische Funktion und sein Publikum vgl. GEORG JÄGER, Empfindsamkeit und Roman. Wortgeschichte, Theorie und Kritik im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1969 (Studien zur Poetik und Geschichte der Literatur, Band 11). Vgl. zu diesem Werk die Rezension von Alberto Martino in »Zeitschrift für deutsche Philologie« 90 (1971), S. 2 8 1 - 2 8 5 . Vgl. außerdem EVA D. BECKER, Der deutsche Roman um 1780, Stuttgart 1964 (Germanistische A b handlungen, 5); MAX GÖTZ, Der frühe bürgerliche Roman in Deutschland (172017$o). Diss. Mündien 1958 (Masdi.); KURT-INGO FLESSAU, Der moralische Roman, Studien zur gesellschaftskritischen Trivialliteratur der Goethezeit, Köln-Graz 1968 (Literatur und Leben. Neue Folge, Bd. 10); MARION BEAUJEAN, Der Trivialroman in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Ursprünge des modernen Unterhaltungsromans. 2. ergänzte Auflage, Bonn 1969 (Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft, Band 22); MARIANNE SPIEGEL, Der Roman und sein Publikum im früheren 18. Jahrhundert 1700-1767, Bonn 1967 (Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft, Band 4 1 ) ; MARLIES PRÜSENER, Lesegesellschaften im achtzehnten Jahrhundert. Ein Beitrag zur Lesergeschichte, Frankfurt am Main (Sonderdruck aus dem »Archiv für Geschichte des Buchwesens«, Band X I I I , Lieferung 1 - 2 , Frankfurt am Main 1972), Sp. 448-464; und WILHELM VOSSKAMP, Romantheorie in
42
I. Kapitel
Im 17. Jahrhundert gleicht sich der geringfügige zahlenmäßige Bestand des eigentlichen literarischen Publikums, d. h. des Publikums, das durch seine Wahl und Neigung den Kreislauf des Buches (zwischen Autor, Verleger, Buchhändler und Leser) aktiv bestimmt, gewissermaßen durch eine große bibliophile Begeisterung aus. Die Zeit zwischen 1648 und 1740 ist die Epoche der großen Privatbibliotheken. In vielen deutschen Städten (Hamburg, Leipzig, Augsburg, Dresden, Nürnberg, Bremen, Wien, Berlin) findet man häufig Privatsammlungen mit jooo, 7000, 17000, 20000, 25 000 und sogar 32 000 Bänden. 107 Lohenstein selbst besaß eine »herrliche Bibliothec«, die viele »rare und kostbare Bücher« enthielt; sie wurde 1684 verkauft. 108 In diesen umfangreichen Bibliotheken, die zumeist Juristen, Theologen, Medizinern und Professoren gehörten, war die schöne Literatur, von einigen Ausnahmen abgesehen, wenig oder überhaupt nicht vertreten. Wenn die Dichtung beim Gelehrtenstand wenig geschätzt war, so war sie es noch weniger bei den unteren Schichten. N u r die Zweckdichtung (Glückwunsch- und Hochzeitsgedichte, Trauerlieder usw.) spielte im häuslichen Leben des 1 7 . Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts eine große Rolle; sie wurde damals viel gebraucht und mißbraucht. Die übliche Lektüre der mittleren Schichten bildete nicht die (lyrische, erzählende oder dramatische) Dichtung, sondern die Zeitung Deutschland. Von Martin Opitz bis Friedrich von Blankenburg, Stuttgart 1 9 7 3 (Germanistische Abhandlungen, 40). 107 V g l . GUSTAV KOHFELDT, Zur Geschichte der ΒücherSammlungen und des Bücherbesitzes in Deutschland, in »Zeitschrift f ü r Kulturgeschichte« 7 (1900), 3 2 5 - 3 8 8 ; GOLDFRIEDRICH, Geschichte des Deutschen Buchhandels vom Westfälischen Frieden bis zum Beginn der klassischen Litteraturperiode (1648-1740), S. 1 4 - 1 5 ; EDUARD GEBELE, Augsburger Bibliophilen, in »Zeitschrift des historischen Vereins f ü r Schwaben und Neuburg« 52 (1936), 9 - 5 9 ; und ROLF ENGELSING, Der Bürger als Leser. Die Bildung der protestantischen Bevölkerung Deutschlands im iy. und 18. Jahrhundert am Beispiel Bremens, in »Archiv f ü r Geschichte des Buchwesens« 3 (i960), Sp. 2 0 5 368; hier Sp. 2 3 1 - 2 4 6 . 108 Vgl. Schlesiens curiose Denkwürdigkeiten / oder vollkommene Chronica Von Oberund Nieder- Schlesien / welche in Sieben Haupt- Theilen vorstellet Alle Fürstenthümer und Herrschafften / mit ihren Ober- Regenten / Landes-Fürsten / Hofhaltungen / Stamm- Registern / Verwandtschafften / Herren- und Adelichen Geschlechtern / Tituln / Wappen / Beschaffenheiten / Grentzen / Religionen / Schulen / Fruchtbarkeiten / Ströhmen / Bergen / Sitten / Manieren / Gewerben / und Maximen der alten und heutigen Inwohner: Sowol auch Deren Verfassungen / RegierungsArten / Staats- und Justiz-Wesen / Reichthümer / Regalien / Kriegs- und FriedensHändel / Veränderungen / Privilegien / Verträge / Bündnüsse / Edicta, und dergleichen / usw. Ausgefertiget von FRIDERICO LUCAE, Franckfurt am M ä y n / In Verlegung Friedrich Knochen / Buchhändlern. M D C L X X X I X , S. 656.
Probleme
der Rezeptionsgeschichte
der
Barockliteratur
43
(für die Männer), Hymnarien, die Bibel, Gebets-, Andachts- und Erbauungsbücher.109 »Im bürgerlichen Haushalt waren wiederholte tägliche Andachten und tägliche Lektüre der Bibel und der Erbauungsliteratur Sitte.« (Engelsing).110 Die bisher durchgeführten Untersuchungen über die gerichtlichen Nachlaßinventare verstorbener Bürger (Inventare, die für das 17. und 18. Jahrhundert die hauptsächliche Quelle für literatursoziologische Forschungen über den Lektüretypus der mittleren und der Handwerkerschichten darstellen und uns in der Tat ein ziemlich klares und erschöpfendes Bild von der Qualität und Quantität der gelesenen Bücher liefern) machen den absoluten Vorrang der religiösen Literatur gegenüber der weltlichen im Milieu des mittleren und kleinen Bürgertums und der Handwerkerschicht deutlich. Walter Wittmann, der die erste derartige Untersuchung unter Heranziehung der im Besitz des Stadtarchivs in Frankfurt am Main befindlichen Inventare durchgeführt hat, schrieb: »In den meisten Aufzeichnungen, soweit sie Nachlässe von Handwerkern, Kleinhändlern, niederen Beamten und Militärpersonen, also der unteren Stände enthalten, ist die religiöse Literatur alleinherrschend, nur in wenigen Fällen treten weltliche Bücher hinzu. Auch in den Büchereien der oberen Stände - höhere Beamte, Graduierte, viele Groß-Kaufleute u. a. - steht die Theologie als Stoffgebiet fast immer an erster Stelle; um 1700 und 1750 umfaßt sie oft genug [ . . . ] nodi die Hälfte aller überhaupt vorhandenen Bücher.« 111 Noch in den zehn Jahren zwischen 1750 und 1760 sind die in Kleinbürgerkreisen verbreitetsten Bücher Hymnarien, die Bibel, Andachtsbücher, die Vier Bücher vom wahren Christentum (1605/09) und das Paradiesgärtlein aller christlichen Tugenden (1612) von Johann Arnd. 1 1 2 Abgesehen von der gelehrten Literatur in lateinischer Sprache stellten »die 109
» I m häuslichen L e b e n spielte die Dichtung keine Rolle. D i e M ä n n e r griffen allenfalls z u r Z e i t u n g , die F r a u e n z u r E r b a u u n g s l i t e r a t u r « (ENGELSING, Der
Bürger
als
Leser,
S p . 2 4 8 ) . D i e Zeitungslektüre, die z u A n f a n g des 1 7 . J a h r h u n d e r t s v o r w i e g e n d v o n Juristen, hohen städtischen Beamten u n d H o f b e a m t e n , A d e l i g e n , Patriziern, fessoren u n d Studenten betrieben w u r d e Lektüre,
Pro-
( v g l . ENGELSING, Analphabetentum
und
S . 4 4 ) , breitete sich besonders in der z w e i t e n H ä l f t e des 1 8 . J a h r h u n d e r t s
unter den Mittelständen aus [ v g l . ROLF ENGELSING, Die Publikum.
Zeitungslektüre
in Bremen
von
periodische
den Anfängen
bis zur
Presse
und
Franzosenzeit,
ihr in
» A r c h i v f ü r Geschichte des Buchwesens« 4 ( 1 9 6 3 ) , S p . 1 4 8 1 - 1 5 3 4 ] . 110
ENGELSING, Die Perioden der Lesergeschichte, Sp. 964. 1 1 1 WITTMANN, Beruf und Buch im 18. Jahrhundert, S. 8. 112
V g l . HILDEGARD NEUMANN, Der Ein
Beitrag
zur Bildungsgeschichte
den
Vermögensinventaren
17¡0-60,1800-10,1840-50,
und
Bücherbesitz
der Tübinger
des Kleinbürgertums. Erbteilungen
der
Die
Tübinger
Bürger
von
ijjo-i8}o.
Bücherverzeichnisse Bürger
Diss. T ü b i n g e n 1 9 5 5 [ M a s c h . ] , S . 86.
aus den
in Jahren
I.
44
Kapitel
currenste M a t e r i e n « auf dem B u c h m a r k t nach J o h a n n J o a c h i m Becher {Politischer
Diseurs,
1 6 6 8 ) »Schuelbücher / Betbücher / Haußbiicher / G r i l -
len- oder N a r r e n - auch Liebsbücher / u n d C a l e n d e r « 1 1 3 dar. D a s ist die Buchproduktion, die in den verschiedenen Volksschichten und unter den B a u e r n v o n K o l p o r t e u r e n verbreitet w u r d e . L e t z t e r e zogen mit Büchern, Drucken, Broschüren, A n z e i g e n , Schmähschriften u n d K a l e n d e r n m i t ihrem K o r b v o n H a u s zu H a u s u n d v o n J a h r m a r k t zu J a h r m a r k t . ' 1 4 » K e i n B a u r « , schrieb A d r i a n Beier ( K u r t z e r Bericht,
1 6 9 0 ) , ist so a r m ,
d a ß er nicht »alle J a h r e einen C a l e n d e r « k a u f e n k a n n . 1 1 5 A u s diesen K a lendern holte sich der B a u e r wirtschaftlichen, wetterkundlichen u n d m e d i zinischen R a t , ferner praktische Ratschläge f ü r s tägliche L e b e n , f ü r den A c k e r b a u u n d die Pflege der T i e r e . 1 1 6 Sie bildeten z u s a m m e n mit der Bibel, dem H y m n a r , ein p a a r Andachtsbüchern u n d einem oder z w e i der beliebtesten V o l k s b ü c h e r ( D i e schöne hörnte
Siegfried,
Der ewige
Jude)
Magelone,
Faust,
Eulenspiegel,
Der
ge-
seine einzige L e k t ü r e .
W ä h r e n d beim Gelehrtenstand, beim mittleren u n d kleinen B ü r g e r t u m sowie in den Schichten der H a n d w e r k e r 1 1 7 u n d B a u e r n in der ersten H ä l f t e 113
114
D. JOHANN JOACHIM BECHERS / von Speyer / Römischer Käyserlicher Mayestät Commercien-Raths Politischer Diseurs Von den eigentlichen Ursachen / de β Auf- und Ahnehmens / der Stadt / Länder und Republicken / in specie, Wie ein Land Volckreich und Nahrhaft zu machen / und in eine rechte Societatem civilem zu bringen. Auch wird von dem Bauren- Hand-wercks und Kaufmannsstand / derer Handel und Wandel / item Von dem Monopolio, Polypolio und Propolio, von algemeinen LandMagazinen / Niederlagen / Kaufhäusern / Montibus pietatis, Zucht- und Werckhäusern / Wechselbäncken und dergleichen / außfürlich gehandelt. Franckfurt / In Verlegung Johann David Zunners / Anno Christi M D C L X V I I I , S. 64.
Über »Kolporteure und Kolportagebuchhandel« vgl. RUDOLF SCHENDA, Volk ohne Buch, S. 228-270. 115 ADRIAN BEIER, Kurtzer Bericht, S. 35. NE VGL. HELMUT HILLER, Zur Sozialgeschichte von Buch und Buchhandel, Bonn 1966 (Bonner Beiträge zur Bibliotheks- und Bücherkunde, Band 13), S. 95-96 und S. 1 2 1 I 2 J . Über Kalender vgl. auch KLAUS MATTHÄUS, Zur Geschichte des Nürnberger Kalenderwesens. Die Entwicklung der in Nürnberg gedruckten Jahreskalender in Buchform, in »Archiv für Geschichte des Buchwesens« 9 (i969), Sp. 965-1396; und Lesen. Ein Handbuch. Lesestoff. Leser und Leseverhalten. Leserwirkungen. Leseerziehung. Lesekultur. Herausgegeben von Alfred Clemens Baumgärtner unter Mitarbeit von Alexander Beinlich, Malte Dahrendorf, Klaus Doderer, Wolfgang R. Langenbucher, Hamburg 1973, S. 32-37. 117 Der Glaser Lorenz Frisch, der um 1625 in Straßburg lebte, besaß eine Bibliothek mit 77 Bänden; darunter war eine große Anzahl von Volksbüchern (Till Eulenspiegel, Fortunatas, Doctor Faustus, Ritter Pontus, Melusine, Lied vom hürnen Seyfried, Herzog Ernst, Der Finchen Ritter, Sieben Weise Meister, Die Schiltbürger, etc.), Gebetbüchern, Katechismen, Passionaren, Hymnarien, Psalterien, medizinischen Büchern, Sprichwortsammlungen, Werken über Arithmetik, über Eisengravierkunst (»uff Stai und Eyßen zu Etzen«) und Miniaturkunst (»Illuminierbuch«), ein Buch über
Probleme
der Rezeptionsgeschichte
der
Barockliteratur
45
des 17. Jahrhunderts das Interesse für Dichtung gering entwickelt ist, ist es, wie die auf uns gekommenen Kataloge der Adelsbibliotheken zeigen, beim Adel beachtlich. Dieser war auch schon der einzige Träger und Konsument der höfischen Dichtung des Mittelalters gewesen.118 Der österreichische Adelige Erasmus von Rödern (am Perg bei Rohrbach), der um 1570 geboren wurde und 1635 starb, hat ein zwischen 1601 und 1626 zusammengestelltes Inventar seiner Bücher hinterlassen. Die Bibliothek von von Rödern, eines kaiserlichen Rats, Landrats und (seit 1628) Deputierten des Ritterstandes, bestand aus 272 Bänden und hatte einen Wert von 658 Gulden. 119 Die am stärksten vertretenen Gebiete waren Theologie, Jurisprudenz (von Rödern studierte von 1 5 8 7 - 1 5 9 1 in Göttingen Jus), Geschichte und Medizin. Er besaß auch verschiedene Schulbücher: Grammatiken und Wörterbücher (darunter einige griechische, französische und italienische), Werke über Rhetorik, Dialektik und Logik. Zahlreich waren auch geographische, mathematische, astronomische, philosophische und alchimistische Werke vorhanden. Es fehlten auch nicht Werke über Musik, Militärarchitektur, Schach, Gartenkunst, Ackerbau, Gemmenkunde und Waffen. Die goldenen Bücher des Adelsethos waren in großer Zahl vertreten: von Ciceros De officiis bis zur lateinischen Übersetzung des Relox de principes von Antonio de Guevara (Horologii principuum libri tres, Torgau 1601), von der Politica des Justus Lipsius (Frankfurt 1590) bis zur Institutio principis christiani des Erasmus von Rotterdam und zum Adels-Spiegel (1591/94) von Cyriacus Spangenberg. Von Rödern besaß auch den Principe von Niccolò Machiavelli in einer lateinischen Ausgabe von 1589 (wahrscheinlich handelt es sich um folgende Ausgabe: Nicolai Machiavelli Princeps. Ex Sylvestri Telii Fulginatis traductione dilligenter emendata, s.l. et nom. typogr. 1589) und die Discorsi Träume, eines über Prophezeiungen, eines über »Dischzudit«, ein juristisches Werk und eines über Konservierung von Wein usw. usw. [vgl. ERNST MARTIN, Volks-und Modebücher zur Zeit des dreissigjährigen Krieges, in »Jahrbuch für Geschichte, Sprache und Litteratur Elsass-Lothringens« 13 (1897), 2 1 8 - 2 2 3 ] . 118 Vgl. WERNER FECHTER, Das Publikum der mittelhochdeutschen Dichtung, Darmstadt 1972 (unveränderter reprografisdier Nachdruck der Ausgabe Frankfurt am Main I93J)· NE VGL. LAURENZ PRÖLL, Ein Blick in das Hauswesen eines österreichischen Landedelmannes aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts. (Schluß) ( X X X I X . JahresBericht über das K.K. Staatsgymnasium im V I I I . Bezirke Wiens für das Schuljahr 1889. Wien 1889. Selbstverlag des K.K. Staatsgymnasiums im V I I I . Bezirke, S. 1-46). Der erste Teil der Arbeit von Pröll steht im XXXVIII. Jahresbericht [.../ für das Schuljahr 1888, Wien 1888, S. 1 - 4 7 . Unsere Zitate beziehen sich auf den zweiten Teil, der die Beschreibung der Bibliotheken von Erasmus von Roedern und Wolf von Oedt enthält.
46
I.
Kapitel
sopra la prima Deca di Tito Livio, ebenfalls in einer lateinischen Ausgabe (Nicolai Machiavelli Florentini Dispvtationum, De Repvblica. Libri III. Mompelgarti. Per Iacobvm Foilletvm. ij88). Gut vertreten waren auch lateinische und griechische Autoren: Catull, Tibull, Properz, Cicero, Horaz, Ovid, Terenz, Plinius, Vergil, Valerius Maximus, Hesiod, Homer, Plato, Sophokles usw. Die italienische Dichtung war lediglich mit einer Lyoner Petrarca-Ausgabe aus dem Jahr 1584 vertreten. An Werken der deutschen Literatur waren Ritterromane, Volksbücher, Schriften von Hans Sachs, Thomas Murners Narrenbeschwörung und De filio prodigo von Wilhelm Gnaphaeus (?) vorhanden. Nodi größeres Interesse an der Dichtung hatte der Baron Wolf von Oedt (auf Helfenstein), ein Freund Erasmus von Röderns. Seine Bibliothek bestand aus etwa 306 Bänden (der Katalog dazu ist, wie schon derjenige der Bibliothek von Röderns, von Laurenz Pröll mit vielen Ungenauigkeiten abgedruckt worden: wir haben versucht, diese teilweise zu verbessern). Zum größten Teil handelte es sich um historische und geographische Werke. Gut vertreten waren auch Theologie, Philologie und Naturgeschichte. Dagegen waren nur wenige Bücher über Medizin und Jura vorhanden. 41 Werke waren in italienischer, 34 in französischer Sprache geschrieben. Die deutsche Literatur war mit Ritterromanen 120 ('Teuerdank, 1 5 1 7 , von Kaiser Maximilian I. und Amadis), Volksbüchern, den Werken von Hans Sachs, dem Narrenschiff von Sebastian Brant, dem Wendunmuth von Hans Wilhelm KirchhofF, mit Schimpf und Ernst von Johannes Pauli und den Deutschen Poemata (Danzig 1640) von Martin 120
Sehr groß ist die Anzahl der in der Bibliothek der Herren von Frundsberg vorhandenen Ritterromane. Beim Tod Georgs II. von Frundsberg, dem letzten aus der berühmten schwäbischen Ritterfamilie, im Jahr i y 86 umfaßte die im Ahnenschloß Mindelburg aufbewahrte Bibliothek 616 teils gedruckte und teils handgesdiriebene Bände. Nach dem Verzeichnis von 1591 gliedern sie sich so auf: 2 $ j »Theologici« (Erbauungs- und Gebetbücher, liturgische Werke), 18 »Juridici«, 38 »Medici« und 48 »Philosophici« (Bücher über Philosophie, aber auch über Astronomie, Philologie, Wirtschaft usw.). In der Rubrik »Musicalia« sind 21 Werke aufgeführt, in der Rubrik »Cosmographica« 4, in der mit »Miscellanei libri« bezeichneten 75, in der Rubrik »Büedier frembder Sprachen« 8. Für uns ist die interessanteste Bücherrubrik die der »Historici«. Sie enthält 149 Nummern, unter denen außer den eigentlichen geschichtlichen Werken in großer Zahl mittelalterliche Epen, Ritterbücher, Schwankbücher, Volksbücher und Übersetzungen von literarischen Werken (z. B. verschiedene Übersetzungen von Boccaccios Decameron) vertreten sind [vgl. FRIEDRICH ZOEPFL, Die Bibliothek der Herren von Frundsberg, in »Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben und Neuburg« 52 (1936), 6 1 - 8 4 ; und FERDINAND GELDNER, Die Bibliothek der Herren von Frundsberg auf der Mindelburg, in »Archiv für Geschichte des Buchwesens« 9 (1969), 239-294].
Probleme der Rezeptionsgeschichte der Barockliteratur
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Opitz vertreten. Wolf von Oedt besaß außerdem die deutsche Übersetzung von Aegidius Albertinus des Guzmàn de Alfarache von Mateo Alemán. Die französische Literatur war vertreten durch den Trésor des proverbes françois (1612), durch La fleur de toutes les plus belles Chansons (1614), L'harmonie des chansons nouvelles (1616), den Recueil des sonnets, odes, hymnes, élégies et autres pièces retranchées aux éditions précédentes (Paris 1 6 1 7 ) von Pierre de Ronsard und durch dessen Œuvres (161 y). Der Baron hatte auch ein lebhaftes Interesse an der italienischen Literatur. In seiner Bibliothek waren vorhanden: die Fiammetta ( 1 6 1 1 ) , der Decamerone (1614) und der Filocolo (1612) von Boccaccio, der Pastor Fido ( 1611 ) von Battista Guarini, L'Architettura di Leonbattista Alberti Tradotta in lingua Fiorentina da Cosimo Bartoli Gentil'huomo et Accademico Fiorentino (1572), die Otto giornate del fuggilozio ( 1 6 1 3 ) von Tommaso Costo, die Dialoghi piacevoli (1604) und La civil conversazione von Stefano Guazzo, die Mirinda (Parma 1613), eine Hirtenfabel von Marc'Antonio Ferretti, der Ippolito (Venedig 1 6 1 1 ) , eine Komödie von Gregorio de' Monti und die Lettere amorose (15 66) von Girolamo Parabosco. Ein sehr ausgeprägtes Interesse an der italienischen Literatur hatte der österreichische Adelige Johann Jakob Freiherr von Lamberg (1561-1630), der 1601 von Erzherzog Ferdinand I. (dem späteren Kaiser Ferdinand II.) zum Geheimrat ernannt und 1603 Fürstbischof von Gurk wurde. Lamberg, der mehrere Jahre in Rom wohnte und am Collegium Germanicum studierte, hinterließ bei seinem Tod 1630 eine Privatbibliothek mit 1062 Druckwerken (etwa 740 sind noch heute in der Bayerischen Staatsbibliothek in München aufbewahrt), davon 8 31 in italienischer Sprache (von den übrigen sind 1 1 0 in Französisch, 88 in Spanisch und 33 in Latein geschrieben). Die Literatur und die auf das Sprachenstudium bezüglichen Bücher (Grammatiken, Wörterbücher, Lexika usw.) stellen mit 494 Titeln den ansehnlichsten Teil von Lambergs Bibliothek dar. Innerhalb dieser Sparte steht die italienische Sprache und Literatur mit 291 Titeln an erster Stelle (es folgen die griechische Literatur mit 84, die lateinische mit 7 1 , die französische und die spanische mit 2 1 , die orientalische und die neulateinische mit 3 Werken). Die italienische Literatur des 16. Jahrhunderts ist mit den Werken von Lodovico Ariosto, Pietro Aretino, Girolamo Parabosco, Jacopo Sannazaro, Pietro Bembo, Bernardo Tasso und Lodovico Paterno vertreten. Von den bedeutenderen Werken aus dem 14. Jahrhundert besaß der Baron von Lamberg auch spanische Übersetzungen (so vom ersten Teil der Divina Commedia von Dante, von Petrarcas Trionfi und Boccaccios Decamerone). Die Literatur des i j . Jahrhunderts ist ebenfalls
48
l.
Kapitel
gut vertreten. Es sind auch Ritterromane und Volksbücher vorhanden. Das goldene Buch des höfischen Ideals, Castigliones Cortegiano, liegt in mehreren Ausgaben sowie in spanischer und französischer Ubersetzung vor. Vorhanden ist auch der Galateo von Giovanni della Casa. Es fehlen auch nicht etliche »Fürstenspiegel«. Giovanni Boteros berühmtes Werk Della Ragion di stato libri dieci ist in der ersten venezianischen Ausgabe von 15 89 und in einer späteren Turiner Ausgabe vorhanden. Die übrigen 568 Titel der Privatbibliothek Lambergs verteilten sich auf folgende Gebiete: Theologie (127), Philosophie (72), Geschichte und Geographie (269), Mathematik und Naturwissenschaften (41), Landwirtschaft (15), Medizin (13), Rechtswesen (9), Musik- und Kunsttheorie (13) und Militärwissenschaft (9). 121 Stark vertreten sind die spanischsprachige und die italienischsprachige Literatur auch in der Bibliothek des Barons Leo Wilhelm von Kaunitz (1614-1655), der 1642 von Ferdinand III. zur böhmischen Grafenwürde erhoben wurde. Das Verzeichnis von 1656 umfaßt 176 Nummern. Außer zahlreichen theologischen und juristischen Werken besitzt Kaunitz verschiedene Werke über Politik (insbesondere über die Problematik der Staatsraison), von Innozenz Gentillet (Discours sur les moyens de bien gouverner en bonne paix un Royaume ou autre Principauté, 1576) bis zu Giovanni Botero (Discorsi sopra la ragion di stato, 1606; Detti Memorabili de' Personaggi illustri, 161 o), von Tommaso Campanella (De Monarchia H ispanica, 1653) bis zu Paolo Paruta (Discorsi Politici, 1629; Historia Venetiana), von Justus Lipsius (Opera, Antwerpiae 1600; Opera, 3 Bände, Antwerpiae 1601) bis zu Guicciardini (Istoria d'Italia, 1568). Das höfische Ideal ist durch die Werke von Antonio de Guevara vertreten (Fürstlicher Lustgarten, Leipzig 1624; Epistolae familiares, 1603). Es fehlt aber der Cortegiano von Castiglione. Die Dichtung, besonders die italienische und die spanische, ist reichlich vertreten durch Originalausgaben von Autoren wie Sannazaro (Arcadia), Cervantes (Don Quijote, Brüssel 1607), Boccaccio, Tasso und Petrarca. Die Aufstellung der Bücher aus Kaunitz' Besitz verzeichnet auch eine italienische Übersetzung der Diana des Portugiesen Jorge de Montemayor. Lateinische Lieblingsdichter sind Ovid und Vergil. 122 121 VGL. IRMGARD BEZZEL, Die Bibliothek berg (1 ¡61-1630).
Eine
Bibliothek
des Gurker
Bischofs
romanischsprachiger
Johann
Drucke
Jakob
des 16.
von
Lam-
Jahrhunderts,
in » A r c h i v f ü r Geschichte des Buchwesens« 9 ( 1 9 6 9 ) , S p . 1 5 0 9 - 1 5 2 8 . 122
V g l . GRETE KLINGENSTEIN, Leo Adeligen
im 7 7 . Jahrhundert,
Wilhelm
von
Kaunitz.
Ein
Beitrag
zum
Bild
in » A r c h i v f ü r österreichische Geschichte« 1 2 5
des
(1966),
Probleme der Rezeptionsgeschichte
der
Barockliteratur
Das Interesse für Dichtung des steirischen Barons H. Kaspar von Herberstein ist dagegen bescheidener. Das 1 6 1 7 erstellte Verzeichnis seiner Bibliothek, etwa 120 Werke umfassend, zeigt unmißverständlich, daß das Hauptinteresse des Barons von Herberstein der Hippologie (16 Bücher) und historischen und geographischen Werken (23) galt. Es sind wenige religiöse Bücher vorhanden, juristische fehlen ganz. Die Festungsbaukunst, Mathematik, Medizin, Weidwerk, Fechtkunst, Astronomie, Kosmographie, Nekromantie, Landwirtschaft, Botanik, Gemmenkunde sind höchstens durch vier oder fünf Werke, häufiger noch durch ein einziges vertreten. Herberstein besitzt auch Grammatiken und französisch-deutsche sowie italienisch-deutsche Wörterbücher. 64 Werke seiner Bibliothek sind in Französisch geschrieben, 22 in Italienisch, 21 in Deutsch und 13 in Latein. Die Dichtung ist mit einigen Ritterbüchern (Amadis), mit Ovids Metamorphosen, Äsops Fabeln (in Französisch), Boccaccios Decamerone (in Französisch) und dem Heptamêron der Marguerite de Navarre vertreten. Herberstein besitzt die Moralia (in französischer Sprache) und die Biographien (in der Ubersetzung von Jacques Amyot) von Plutarch, La civil conversazione von Stefano Guazzo, Fulvio Paccianis Dell'Arte di governare bene i popoli, die Lettere von Battista Guarini, herausgegeben von Agostino Michele, die Comedies facétieuses von Pierre de Larivey, zwei Werke von Ludovico Dolce und Delle Rime von Tommaso Stigliani. 123 Das lebhafte Interesse für Dichtung in österreichischen Adelskreisen wird durch die Forschungen Otto Brunners bestätigt, der die Kataloge zahlreicher Bibliotheken von Adeligen in Nieder- und Oberösterreich aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts analysiert hat. Brunner schreibt: »Von der Antike bis in die eigene Zeit fehlt hier kaum ein Werk von wirklichem Rang. Außerordentlich groß ist der Besitz an italienischen, französischen und spanischen Büchern, namentlich aus dem Bereich der Dichtung.«124 1 2 1 - 1 3 7 . Das Interesse für die spanische und italienische Dichtung blieb beim österreichischen Adel audi in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts lebendig; das beweist uns die Bibliothek des Grafen Christoph Otto von Sdiallenberg, der in Hagen bei Linz geboren wurde [vgl. LUDWIG PFANDL, Graf Schallenberg (1655-1733) als Sammler spanischer Dramen, in »Zentralblatt für Bibliothekswesen« 36 (1919), S. 9 7 108; und IRMGARD BEZZEL, Die Bibliothek des Grafen Christoph Otto von Schallenberg ( 1655-1733). Eine bedeutende Privatsammlung in Augsburg, in »Ardiiv für Geschichte des Buchwesens« 1 1 (1971), Sp. 1 7 4 7 - 1 7 6 0 ] . 123 Vgl. Steirische Miscellen zur Orts- und Culturgeschichte der Steiermark. Herausgegeben von J. v. Zahn, Graz 1899. Verlag von Ulr. Moser's Budihandlung (J. Meyerhofi), S. 43-46. 124 OTTO BRUNNER, österreichische Adelsbibliotheken des 15. bis 18. Jahrhunderts als
50
I.
Kapitel
Nach den Ergebnissen der Archivstudien Otto Brunners waren die verbreitetsten und für die Adelskultur bedeutsamsten Werke vor allem Ciceros De officiis, Petrarcas Canzoniere und Ariostos Orlando Furioso. Diese Werke waren in den Adelsbibliotheken oft in mehreren Ausgaben vorhanden.125 Zahlreich vertreten ist selbstverständlich die religiöse Literatur für den täglichen Gebrauch: die Bibel, Hymnarien und Gebetbücher.126 Aber auch die Patristik war sogar in den kleinsten Bibliotheken gut vertreten. Selbst Werke der mittelalterlichen Mystik (Rupert von Deutz, Bernhard von Clairvaux, Bonaventura, Tauler, Seuse, Thomas von Kempen, Dionysius Rickel) und der Spätscholastik waren zu finden. Die Literatur der Reformation (Luther, Melanchthon, Flacius Illyricus, Johannes Brenz, Heinrich Bullinger, Cyriacus Spangenberg, Herbrand) war unter den protestantischen Adeligen und die der Gegenreformation (Cesare Baronio, Roberto Bellarmino) unter den katholischen Adeligen weit verbreitet. Unzählig waren die Wörterbücher und Grammatiken zu den alten Sprachen und den drei wichtigsten romanischen Sprachen, die Lehrbücher der Briefschreibekunst und der Konversation, die Werke über rhetorische, antidialektische Logik der Humanisten, der deutschen Ramisten und Antiramisten. Die altgriechische und die lateinische Literatur waren fast vollständig vertreten. Die Werke der Humanisten waren stark verbreitet. Vertreten war auch die antike Philosophie (Plato, Aristoteles, Cicero, Seneca, Boethius), vor allem aber die der Renaissance (Marsilio Ficino, Pico della Mirandola, Pietro Pomponazzi, Giacomo Zabarella, Giambattista Porta, Francesco Patrizi, Bernardo Telesio, Girolamo Cardano, Justus Lipsius, Guillaume du Vair, Montaigne). Geringe Verbreitung fanden moderne wissenschaftliche Werke aus dem mathematisch-mechanischen Bereich (Kepler, Galilei), ein Beweis dafür, daß die mechanistische Auffassung des Universums beim zeitgenössischen Adel keinen günstigen Nährboden fand. Dagegen war die Anzahl der Werke über Kosmographie und die der Reiseberichte beträchtlich. Sehr gut war die politische Literatur vertreten. Weite Verbreitung fanden die Werke von Machiavelli (Discorsi, Istorie fiorentine, Principe, Arte della guerra), Giovanni Botero {Relazioni universali, Discorsi sopra la geistesgeschichtliche Quelle [1949], in O. B., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte. Zweite, vermehrte Auflage, Göttingen, 1968, S. 281-293, hier S. 286. 125 Ebenda. 12E VGL, OTTO BRUNNER, Adeliges Landleben und europäischer Geist. Leben und Werk Wolf Helmhards von Hohberg 1612-1688, Salzburg 1949, S. 1 5 8 - 1 6 5 .
Probleme
der Rezeptionsgeschichte
der
Barockliteratur
$1
ragion di stato) und Trajano Boccalini (Ragguagli di Parnaso). Ebenso verbreitet waren jedoch die >Fürstenspiegel< (Malvezzi, Mariana, Diego Saavedra Fajardo), die Anti-Madiiavelli-Literatur und die Libri politicorum VI von Justus Lipsius. Jean Bodin (Les six livres de la République), der Theoretiker der modernen Souveränitätsidee, war ebenso wie Machiavelli allgemein verbreitet. Reichlich vertreten waren die geschichtliche Literatur und, wegen des Bildungsganges der Adeligen, die juristische (vor allem das römische Recht). Selbstverständlich fanden sich auch häufig Bücher über das Militärwesen, über Hauswirtschaft, Landwirtschaft, Gartenbau, Traktate über die Jagd, über Pferde, Turniere und Heraldik. Die Werke, die das Adels>Ethos< zum Ausdruck bringen, wie Ciceros De offiáis, Castigliones Cortegiano (in Originalausgaben und in lateinischen und spanischen Übersetzungen vorhanden) 127 und Antonio de Guevaras Schriften (in Originalausgaben und in der deutschen Ubersetzung des Ägidius Albertinus), waren natürlich sehr verbreitet. Kehren wir jedoch zur Dichtung zurück. Wie bereits erwähnt, waren in den Adelsbibliotheken die verbreitetsten Dichtwerke der Canzoniere des Petrarca und der Orlando furioso des Ariost, die meist in mehreren Ausgaben vorhanden waren, überdies war hier die Dichtung der Antike beinahe vollständig zu finden. Die deutsche Literatur des Mittelalters war hingegen spärlich vertreten. Das gilt auch für die deutsche Literatur des 16. Jahrhunderts. Mit einer gewissen Regelmäßigkeit erschienen nur der Tbeuerdank Maximilians I., das Narrenschiff Sebastian Brants und die Werke von Hans Sachs. Daneben fand sich die lyrische und dramatische Dichtung in lateinischer Sprache (Petrus Lotichius, Paulus Melissus, Nikodemus Frischlin, Georg Calaminus). Die Barockpoesie ist nur in den Katalogen verzeichnet, die bis ins spätere 17. Jahrhundert hineinreichen (Balde, Moscherosch, Zesen, Gryphius, Bidermann, Avancini, Fleming). Dagegen ist in den Bibliotheken des 127
Auch die Bibliothek der Deutschen Nation in Perugia, die zwischen 1598 und 1600 eingerichtet wurde und 268 Werke umfaßte, besaß drei Exemplare des Cortegiano, eines davon in spanischer Übersetzung, Valladolid 1569. Eines dieser drei Exemplare, nämlich eine venezianische Ausgabe von 1559, war der Bibliothek von dem Edlen Johann Wilhelm von Gemmingen geschenkt worden. Dieser hatte unter anderem audi De Constantia von Lipsius (Lugduni 1 5 9 1 ) als Gesdienk gegeben. Von Lipsius besaß die Bibliothek der Deutschen Nation außerdem die Politica (Veronae 1601) und den Kommentar zu Tacitus' Annalen : ]. Lipsii ad annales Cornelii Taciti liber commentarius, Lugduni 1598 [vgl. FRITZ WEIGLE, Die Bibliothek der Deutschen Nation in Perugia, in »Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken«
34 (i?í4). 173-202]·
I.
52
Kapitel
Adels am Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts die deutsche Barockdichtung - sowohl des Früh- wie Spätbarock und dessen Epigonen, in ihrer höfischen wie antihöfischen und volkstümlichen Form -
breit
vertreten. So sind ζ. B. in der Bibliothek des Herzogs Heinrich von Römhild die Werke von O p i t z und Zesen, Moscherosch und Neumark, Grimmelshausen und August Bohse, Hoffmannswaldau und Lohenstein vorhanden. 127a Wenn für die deutsche Dichtung des 16. Jahrhunderts nur ein schwaches Interesse bestand, so w a r dagegen das für die große Dichtung der drei romanischen Hauptsprachen sehr stark. A u ß e r den schon genannten Werken waren weit verbreitet: Petrarcas Trionfi, Tassos Gerusalemme
liberata
und seine Aminta,
Sannazaros Arcadia, Guarinis Pastor fido und Boccac-
cios Decamerone.
Ebenfalls verbreitet waren die Werke von Angelo Poli-
ziano, Pierre de Ronsard, Philippe Desportes, Montemayor und Gil Polo. Mit einer gewissen Häufigkeit tauchten auf: die Novelas Cervantes (seltener dagegen der Don Quijote) die Comedia
de Callisto
y Melibea,
der Amadis
deutschen Ubersetzungen), das Heptamêron
ejemplares
ebenso wie die
von
Celestina,
(in französischen oder
der Marguerite de N a v a r r e ,
Gargantua und Pantagruel von François Rabelais, die Astrêe von Honoré d ' U r f é und die französische Plutarch-Obersetzung von Jacques A m y o t . Zahlreich vertreten w a r schließlich auch die Kunstliteratur: V i t r u v , Leon Battista Alberti, Giovanni Antonio Rusconi, Andrea
Palladio,
Sebastiano Serlio. Die bedeutende Ubersetzertätigkeit österreichischer Adeliger in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts — sie übertrugen mit großem Eifer Dichtwerke aus den romanischen Literaturen - beweist, wie tiefgehend und gründlich ihr Interesse an der Dichtung war. 1 2 8 127a VGL. G . JACOB, Heinrich, Herzog von Römhild 1676-1710 (Schriften des Vereins für Sachsen-Meiningische Geschichte u. Landeskunde. 21. Heft.) Hildburghausen 1896, S. 96-98. 128 Zur Tätigkeit österreichischer Adeliger als Ubersetzer und Verbreiter italienischer, französischer und spanischer Dichtung vgl. MARTIN BIRCHER, Johann Wilhelm von Stubenberg (1619-1663) und sein Freundeskreis, Berlin 1968 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker. Neue Folge, 25); und GERHART HOFFMEISTER, Die spanische Diana in Deutschland, Berlin 1972 (Philologische Studien und Quellen, Heft 68). Noch immer sehr brauchbar ist ferner das Werk v o n J . W . N A G L u n d J A K O B Z E I D L E R , Deutsch-Österreichische
Literaturgeschichte.
Ein
Handbuch zur Geschichte der deutschen Dichtung in Österreich-Ungarn. Hauptband (Von der Colonisation bis Kaiserin Maria Theresia) Mit 22, theils farbigen Beilagen und 122 Abbildungen im Text, Wien. K . u. K . Hof-Buchdruckerei und Hof-VerlagsBuchhandlung C a r l Fromme, 1899, S. 6 5 1 - 8 1 / .
Probleme
der Rezeptionsgeschichte
der
Barockliteratur
Í3
Wir haben versucht, eine topographische Karte des Kulturguts der Adeligen im 17. Jahrhundert zu zeichnen; sie ist freilich unvollständig (denn leider gibt es nicht viele Einzeluntersuchungen über Adelsbibliotheken in Mittel- und Norddeutschland). Es ist nun nicht uninteressant, die Verzeichnisse der Adelsbibliotheken mit dem einer bürgerlichen Bibliothek aus derselben Zeit zu vergleichen: Es handelt sich um die Bibliothek von Daniel Prasser, der um 1576 geboren wurde und 1656 starb; er war Bürger von Nieder-Wildungen (Waldeck). Prasser, Rechtsexperte wie sein Vater, der >Stadtschultheiß< war, wurde auch Bürgermeister und später gräflicher Rat. Der Umfang seiner Bibliothek w a r für die damalige Zeit ( 1 6 1 2 ) beachtlich: 2 1 7 Bände im Wert von etwa 168 Talern. Von diesen Werken waren 1 3 3 lateinisch und 84 deutsch geschrieben. Die 72 juristischen und politischen Werke hatten einen Wert von 99 Talern, die Ausgaben von antiken Autoren und die humanistischen Schriften umfaßten 56 Bände (22 Taler). Außerdem waren es 38 Bücher über Geschichte, Geographie, Naturgeschichte und Mathematik (18 Taler), 36 theologische und erbauliche Schriften (21 Taler) sowie i j praktische Hausbücher (über Kochkunst, Arzneikunde, Medizin usw.; $ Taler). Das zahlenmäßige Übergewicht der juristischen Werke ist deutlich, aber es erscheint noch auffälliger, wenn man den geldlichen Wert in Betracht zieht. Die lateinische Literatur war gut vertreten (Terenz, Seneca: Tragödien; Tibull, Properz, Horaz, Livius; Cicero: De officüs und andere Werke; Plinius, Sallust). Auch die Humanisten waren zu finden (Erasmus, Vives und Melanchthon), ferner einige Werke zur Rhetorik und Philosophie. Die deutsche Literatur war lediglich mit den lateinischen Komödien von Nikodemus Frischlin vertreten. 129 Das Desinteresse an der modernen Dichtung ist vollkommen. In Prassers Bibliothek sind weder Werke aus der großen romanischen Epik und Lyrik noch Ritterromane nodi irgendein Werk aus dem Bereich der Unterhaltungsliteratur vorhanden. 130 Die Bibliothek Prassers ist sicherlich für 12» Vgl. c . REICHARDT, Ein bürgerlicher Haushalt im Jahre 1612, in »Zeitschrift für Kulturgeschichte« 8 (1901), 1 9 5 - 2 1 7 . Der Katalog von Prassers Bibliothek ist auf den Seiten 2 1 0 - 2 1 J abgedruckt. 130 Audi im 15. und 16. Jahrhundert scheint das Interesse des Bürgertums an Dichtung und Literatur gering gewesen zu sein, wenn man nach zwei Bibliothekskatalogen dieser beiden Jahrhunderte urteilt. In dem 1464 angelegten Bücherverzeichnis des Nürnberger Patriziers Hans Tetzel kommen hauptsächlich religiöse Werke (insbesondere Passionare und Gebetbücher) und auf den Handel bezügliche Bücher vor. Es fehlen auch nicht Werke zur Geschichte und den Naturwissenschaften (Medizin und Astronomie). Sie sind in deutscher oder lateinischer Sprache verfaßt. Eine Unterhaltungs-
I. Kapitel
54
die Mittelschicht des 17. Jahrhunderts typisch: ihre Zusammensetzung ist durch berufliche (in diesem Fall juristische), religiöse und praktische Interessen bestimmt. Die lateinischen Klassiker stellten gewiß nur eine Quelle für die für jeden Beamten unentbehrliche Kenntnis der lateinischen Sprache dar. 130a Wenn das Lesepublikum zum größten Teil aus Gelehrten (Juristen, Theologen, Medizinern, Professoren) und Studenten besteht, so besteht das literarische Publikum im engeren Sinn, d. h. das Publikum, das jene 4,2 % der gesamten Buchproduktion - auf diesen Prozentsatz beläuft sich durchschnittlich die poetische Produktion im Verlauf des 17. Jahrhunderts - >konsumiertMeß-Catalogen< verzeichnet wurden, errechnet Wittmann, daß in den drei Jahren 1780, 1781 und 1782 - abgesehen von den in den Buchmeßkatalogen verzeichneten - 446 Romane veröffentlicht wurden (REINHARD WITTMANN, Die frühen Buchhändlerzeitschriften als Spiegel des literarischen Lebens, in »Archiv für Geschichte des Buchwesens« 13 (1973), Sp. 613-932, hierzu Sp. 825-849).
JENTZSCH, Der deutsch-lateinische Büchermarkt, S. 250-264. 133 VGL, DIE Bibliographie zum Barockroman von HANS GERD RÖTZER, Der Roman des Barock 1600-1700. Kommentar zu einer Epoche, München 1972, S. 151-152. 134 ARNOLD HIRSCH, Barockroman und Aufklärungsroman, in »Études Germaniques« 9 (1954). 97-111, hier S. 97.
I. Kapitel
56
viel mehr als die des Jahres 1 8 0 2 allein (497 Titel). 1 3 5 Die spärliche Produktion ist ein sprechendes Symptom für die geringe Verbreitung des R o mans im allgemeinen. Wenn man ferner den sehr hohen Preis für Klassiker des »geschichtlich-höfischen« (oder auch »heroisch-galanten«, »heroischhistorisch-höfischen« oder, kurz, des »höfischen«) Romans in Betracht zieht, dann wird klar, daß sich der große Roman des Barock an einen äußerst kleinen Kreis von Lesern wandte. Der Preis für die beiden Teile der Erstausgabe des Arminias
(bestehend
aus 409 Quartbögen mit insgesamt 3082 zweispaltig bedruckten Seiten, den Widmungen, den nicht paginierten Vorreden, den Registern und A n merkungen), verlegt von Friedrich Gleditsch in Leipzig 1689/90, betrug 8 Reichstaler. 136 Damit identisch w a r der Preis der Zweitausgabe von 1 7 3 1 in vier Bänden, 1 3 7 die dasselbe Verlagshaus veranstaltete, während der Preis der nunmehr vergriffenen Erstausgabe in der Schweiz 24 Gulden ( 1 6 Reichstaler) erreicht hatte. 138 135 Vgl. den Codex nvndinarivs Germaniae literatae continvatus. Der Me β-Jahrbücher des Deutschen Buchhandels Fortsetzung die Jahre 1766 bis einschließlich 1846 umfassend. Mit einem Vorwort von Gustav Schwetschke, Halle 1877 (Neudruck Nieuwkoop 1963), S. 317. Beträchtlich höher ist die französische Produktion im 17. Jahrhundert. Von 1600-1699 werden in Frankreich 1220 Romane veröffentlicht. Zwischen 1600 und 1609 sind es 112, zwisdien 1650 und 1659 61, zwischen 1680 und 1689 159 und zwischen 1690 und 1699 188 (die Angaben erfolgen nach POTTINGER, The French Book Trade, S. 37, der sie RALPH C. WILLIAMS, Bibliography of the Seventeenth Century Novel in France. New York 1931, S. 109-261, entnimmt). 186 THEOPHILI GEORGI, Buchhändlers in Leipzig, Allgemeines Europäisches Bücher-Lexicon, In welchem nach Ordnung des Dictionarii die allermeisten Autores oder Gattungen von Büchern zu finden, welche sowohl von denen Patribus, Theologis derer dreyen Christlichen Haupt- Religionen, und darinnen sich befindlichen Sectirern; Als auch von denen Juris- Consultis, Medicis, Physicis, Philologis, Philosophis, Historicis, Geographis, Criticis, Chymicis, Musicis, Arithmeticis, Mathematicis, Chirurgis, und Auctoribus Classicis, &c. noch vor dem Anfange des XVI. Seculi bis 1739 inclusive, und also in mehr als zweyhundert Jahren, in dem Europäischen Theile der Welt, sonderlich aber in Teutschland, sind geschrieben und gedrucket worden. Bey iedem Buche sind zu finden die unterschiedenen Editiones, die Jahr- Zahl, das Format, der Ort, der Verleger, die Anzahl der Bögen und der Preiß. Anfänglich von dem Autore nur zur Privat-Notitz zusammen getragen, Nunmehro aber auf vieler inständiges Verlangen zum Druck befördert und in vier Theile abgetheilet. Leipzig, in Verlegung Gotthilfft Theoph. Georgi. 1742, Anderer Theil E-L., S. 417. Ebenda. Vgl. audi WILHELM HEINSIUS, Allgemeines Bücher-Lexikon oder vollständiges Alphabetisches Verzeichniß der von 1700 bis zu Ende 181 o erschienenen Bücher, welche in Deutschland und in den durch Sprache und Literatur damit verwandten Ländern gedruckt worden sind. Nebst Angabe der Druckorte, der Verleger und der Preise. Vier Bände. Neu umgearbeitete, verbesserte und vermehrte Auflage. Vierter Band. T-Z, und Romane und Schauspiele enthaltend, Leipzig 1813, bey Johann Friedrich Gleditsch, Sp. 19 im Anhang »Romane«. 138 Vgl. s. II der Vorrede von Georg Christian Gebauer z. Ausgabe des Arminius v. 1731.
137
Probleme
der Rezeptionsgeschicbte
der
Barockliteratur
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Wer den Arminius erwarb (das Werk war mit schönen, von Sandrart in Kupfer gestochenen Tafeln ausgestattet und mit so großer Sorgfalt gedruckt, daß es als eines der typographischen Meisterwerke von Johann Friedrich Gleditsch,139 dem Gründer des größten deutschen Verlagshauses der Barockzeit, galt),140 hatte auf diesen Preis die Kosten des Bindens daraufzulegen, da auf Grund der hohen Transportkosten bis etwa 1830 Bücher gewöhnlich in Fässern transportiert und als lose Drudebogen verkauft wurden.141 Heften und Binden besorgte der Buchbinder, der sich für das Binden der beiden Quartbände der Erst- oder der vier Quartos der Zweitauflage des Arminius etwa einen bzw. zwei Gulden für einen Einband in Schweinsleder oder 16 Grosdien (2/z Gulden) bzw. 32 Groschen (iVs Gulden) für einen Pergamenteinband bezahlen ließ.142 189 VGL. FRIEDERICH ROTH-SCHOLTZENS, Herrenstadio-Silesii, Beytrag zur Historie derer Gelehrten Dritter Theil. Nürnberg und Altdorff bey Johann Daniel Taubers seel. Erben 172$, S. 184. In der Grabschrift, die Johann Friedridi Gleditsch von einem unbekannten Einwohner Leipzigs gewidmet und von Roth-Scholtz abgedruckt wurde, steht zu lesen: »Er lebet durch seinen weitberühmten Buchhandel, | Dergleichen v o r ihm in dieser Welt-berühmten | Handels-Stadt nicht gewesen. | Seine herrlichen Verlags-Bücher verherrlichen | seinen Nahmen, | Er wird durdi diese unter die lebendigen Todten | gerechnet, | Des unvergleichlichen Seckendorfs Lutherthum, [ Des s c h a r f sinnigen Zieglers Schauplatz | und Labyrinth, | Des klugen Lohensteins Arminius; Unterschiedliche Biblische Wercke | Tarnovii, Glassii, Carpzovii, Dieterici, Pritii, Herbergers, [ und vieler andern grossen Theologorum Bücher. | Das Haupt-Buch derer Redits-Gelehrten, | Celiarli, Tenzelli, Hübners und vieler anderer | berühmten Leute Antiquitäten, | Historische und nützliche Schafften mehr | Unter welchen | Der preißwürd. Bücher-Auszug der Gelehrten | billig den Vorzug hat, | verherrlichen dessen Nahmen, | und ruffen insgesamt | E r lebet.« 140 Zu Johann Friedridi Gleditsdi vgl. Letztes Ehren-Gedächtniß, Herrn Johann Friedrich Gleditsdoens, Weyland Bürgers und weitberühmten Buchhändlers in Leipzig. Anno 1 7 1 6 ; KELCHNER, Johann Friedrich Gleditsch, in Allgemeine Deutsche Biographie, I X . Band. S. 2 2 2 - 2 2 3 > GOLDFRIEDRICH, Geschichte des deutschen Buchhandels (1648-1740), S. 203Beispiel< vgl. JOACHIM DYCK, Philosoph, Historiker, Orator und Poet. Rhetorik als Verständnishorizont der Literaturtheorie des XVII. Jahrhunderts, in »Arcadia« 4 (1969), S. i - i j . Für O t t o Brunner ist >exemplum< (>BeispielPrima< am Breslauer ElisabetGymnasium (der berühmten Schule, die im 17. Jahrhundert Johann Peter Titz, Andreas Scultetus, Johannes Scheffler - unter dem Namen Angelus Silesius allgemein bekannt - , Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Heinrich Miihlpfort, Quirinus Kuhlmann, Johann Christoph Männling, Benjamin Neukirch besuchten) und an der Magdalenen-Schule derselben Stadt (die 1643 in ein Gymnasium umgewandelt wurde und die Martin Opitz, Andreas Tscherning, Lohenstein, Johann Christian Hallmann besuchten) folgendermaßen aufgebaut (wir geben in Klammern die jeweilige Wochenstundenzahl an): Exercitia prosae orationis emend. (2,2); Exercitia ligatae orationis emend. (2,2); Cicero (1,2); Terentius (0,2); Virgilius (1.2); Horatius (1,1); Grammatica graeca (1,0); Etymologia graeca (0,1); Syntaxis graeca (0,1); Hesiodus aut Homerus (2,2); Novum Testamentum (3,1); Evangelia graeca dominicalia (r,i); Melanchthonis Examen theolog. (2,1); Lectio sacra Pastoris Elisabetani (1,1); Hebrae (0,3); Dialéctica (2.3); Logica Aristotelica (2,0); Rhetorica (2,2); Musica (2: Musica, deinde Arithmetica, 1); Arithmetica (0; 2: Arithmetica absoluta, Synopsis Geometriae et Sphaericae); Sphaerica (1,0); Physica (1,0); Ethica et Politica (1,0); Histórica (2,o).282 F U E T E R , Geschichte der Neueren Historiographie, München und Berlin 1 9 1 1 ( = Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte. Abteilung I ) ; A N N A C O R E T H , österreichische Geschichtschreibung in der Barockzeit (1620-1740), Wien 1 9 5 0 ( = Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 3 7 ) ; und A D A L BERT K L E M P T , Die Säkularisierung der universalhistoriscben Auffassung. Zum Wandel des Geschichtsdenkens im 16. und 17. Jahrhundert, Göttingen-Berlin-Frankfurt i960 ( = Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft). 282
Vgl. C A R L S C H Ö N B O R N , Beiträge zur Geschichte der Schule und des Gymnasiums zu St. Maria Magdalena in Breslau, 18j7, IV. von 1617-1643, Progr. Breslau, 1 8 5 7 , Druck von Grass, Barth und Comp. (W.Friedrich), S. 2 0 - 2 1 . Z u den Studienplänen des Magdalenaeums in den Jahren, in denen es Lohenstein besuchte, vgl. C O N R A D M Ü L L E R , Beiträge zum Leben und Dichten Daniel Caspers von Lohenstein, S. 1 0 - 1 3 . Vgl. zu den beiden berühmten Gymnasien Breslaus außerdem Academiae et Scholae Germaniae, praecipué Dvcatvs Silesiae, cum Bibliothecis, in Nvmmis. Oder: Die Hohen und Niedern Schulen Teutschlandes, insonderheit des Hertzogthums Schlesiens, Mit ihren Bücher-Vorräthen, in Müntzen. Wie auch andere ehemals und jetzo woleingerichtete Schulen dieses Hertzogthums. Denen ein Anhang alter rarer goldener Müntzen so bey Grundgrabung des Hospital-Gebäudes zu Jauer Anno 1726 gefunden worden, beygefiiget: Dem Druck nebst nöthigen Kupffern überlassen von D. [octor] J O HANN C H R I S T I A N K U N D M A N N , Medico Vratislav. Der Kayserlichen Reichs-Academ. Nat. Curios. Mitgliede. Breßlau, verlegts Johann Jacob Korn, 1 7 4 1 , S. 3 1 - 8 6 . Die wichtigsten Schulordnungen der deutschen protestantischen Schulen des 1 7 . Jahrhunderts kann man in der folgenden Sammlung nachlesen: Die evangelischen Schulordnungen des siebenzehnten Jahrhunderts. Herausgegeben von Reinhold Vormbaum,
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Das Abfassen und Vortragen immer komplizierterer Reden und Gedichte (bei denen die Schüler ihre Fähigkeit zur >inventiodispositioelocutio< und >pronunciatio< beweisen mußten) und die regelmäßigen Übungen in der >ars disputatoria< und der >ars colloquendi< bereiteten zu jenen öffentlichen Prüfungen in Form von Disputationen, Deklamationen von Reden und Gedichten sowie dramatischen Aufführungen vor, die von dem Vollkommenheitsgrad, den die Schüler in der Eloquenz und in der Gestik erreicht hatten, und damit von Wert und Wirkung des erteilten Unterrichts Zeugnis ablegen sollten. Der Primat der Rhetorik innerhalb des Gymnasial- und Universitätsunterrichts283 ist dadurch gerechtfertigt, daß die Beredsamkeit an den theologischen ebenso wie an den juristischen Fakultäten, die am meisten besucht waren,284 eine ausgesprochene Berufsdisziplin war. Für protestantische Pastoren und katholische Priester, Juristen und Politiker, Gymnasiallehrer und Universitätsprofessoren bildete die Eloquenz die Grundlage für ihre berufliche Anerkennung und ihren Berufserfolg und stellte das wirksamste Kommunikations- und somit auch Aktionsinstrument dar. In einer Zeit, in der sehr wenige Leute lesen konnten und in der die Mittel der schriftlichen Kommunikation und Information (Zeitschriften, Zeitungen) nodi im Anfangsstadium steckten,285 war reden gleichbedeutend mit handeln. Die Beredsamkeit bietet daher einem städtischen Patriziat und einem Bürgertum, das durch Übernahme der Werte, Ideale und Konventionen, des Stils, des Geschmackes und der Umgangsformen der Aristokratie die Pfarrer zu Kaiserswerth am Rhein. Gütersloh. Druck und Verlag v o n C . Bertelsmann. 1863. 283 2 u m Rhetorik-Unterricht an Universitäten vgl. BARNER, Barockrhetorik, S. 387-447. A n der Universität Halle (gegründet 1693) studierten in den Jahren zwischen 1693 und 1700 27,2 °/o der Studenten Theologie, 56,8 °/o Jurisprudenz, 4,7 °/o Medizin und 1 1 , 4 % Philosophie. In den Jahren 1 7 0 1 - 1 7 1 0 sehen die Prozentsätze folgendermaßen aus: 37,2 % (Theologie), 49,5 °/o (Jura), 4,5 ®/o (Medizin) und 8,8 °/o (Philosophie) [vgl. FRANZ EULENBURG, Über die Frequenz der deutschen Universitäten in früherer Zeit, Anm. S. 506]. Diese Werte sind als weitgehend repräsentativ anzusehen. V o n Universität zu Universität kann der Prozentsatz der für Theologie und Jurisprudenz eingeschriebenen Studenten variieren, aber insgesamt vereinigen diese beiden Fakultäten im Lauf des 17. Jahrhunderts nicht weniger als 80 °/o der Studierenden. Diese Werte werden im übrigen durch die bereits erwähnten Daten über die Buchproduktion und durch die Bibliotheksbestände bestätigt. 285 V g l , d a z u ¿¡e äußerst nützliche Bibliographie Die deutschen Zeitungen des 17. Jahrhunderts. Ein Bestandsverzeichnis mit historischen und bibliographischen Angaben zusammengestellt von Else Bogel und Elger Blühn. Band I - Text. Band II - Abbildungen, Bremen 1971 ( = Studien zur Publizistik, Band 17). 284
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I. Kapitel
Voraussetzungen für die Übernahme von Hofämtern und für eine eventuelle Nobilitierung schafft,286 die besten sozialen Aufstiegschancen. Doch ist die Rhetorik bei dem Aristokratisierungsprozeß des Bürgertums nicht bloß ein äußeres Instrument, sondern die Quelle der Adelsund Hoftugenden selbst. Mit Redit behauptet Heinz Otto Burger, daß »die Maßstäbe für die aristokratische Stilisierung des Lebens sich zum Teil von den Stilbegriffen der Rhetorik herleiten, die ja nicht nur Redekunst, sondern mehr noch Lebenskunst, Humanität zum Inhalt hatte«.287 Während aber die ritterlich-adeligen Werte bei Cicero ihre Wurzeln hatten, wie wir gesehen haben, ist für die höfisch-aristokratischen Werte außer Cicero der Einfluß Quintilians durch Vermittlung Castigliones bestimmend.288 Im Lauf des 17. Jahrhunderts vollzieht sich in Deutschland mit der Erstarkung des Absolutismus allmählidi ein von den Jesuiten herbeigeführter tiefgreifender Wandel bezüglich des Ideals der Beredsamkeit; diese entwickelt sich aus logisch-rationalen und funktionalen, klassizistisch-bürgerlichen Formen weiter zu höfisch-barocken, ornamental-repräsentativen Formen.289 28β Uber die Beziehungen zwischen Bürgertum und Rhetorik im 17. Jahrhundert schreibt Walter Jens: »Schon ein erster Überblick lehrt, in wie eminentem Maße gerade die Rhetorik zum ideologischen Selbstverständnis hier des Adels (in der Renaissance), dort (im 17. Jh.) eines Bürgertums beigetragen hat, das, am Adelsstil und der von ihm geprägten, gesellschaftlich verbindlichen Gesdimacks-Kultur partizipierend, einen Aristokratisierungs-Prozeß durchlief, der einerseits zur Abhängigkeit von Idealen, die ihr Zentrum im Hof hatten, und damit zu einer verstärkten Opposition gegen den >gemeinen Pöbel< führte, andererseits aber auch [ . . . ] zumindest in bescheidenem Maße das bürgerliche Selbstbewußtsein emanzipatorisch beeinflußte. Der Prozeß ist also dialektisch zu sehen: Einerseits führte die Adaption des humanistisch-ritterlichen Rhetorenideals im Sinne der Teilnahme an der politischen Bewegung< im 17. Jh. zur Feudalisierung des Bürgertums, andererseits war Anpassung an eine >nicht durch Geburt und Rang legitimierte< Geschmadsskultur (Gadamer [Wahrheit und Methode, 1972, S. 33]) für den Bürger die einzige Chance, um sozial aufzusteigen: Der Erwerb von Wissen, das in gleicher Weise vom Pöbel wie vom dummen Regenten abhob, als schärfstes Klasseninstrument.« (WALTER JENS, Rhetorik, in Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Dritter Band. Fünfte Lieferung, Berlin 1971, S. 432-456, hier S. 438). 287
Vgl. HEINZ OTTO BURGER, Europäisches Adelsideal und deutsche Klassik, in H . O. B., >Dasein heißt eine Rolle spielenBarockisierung< der aristotelischen Rhetorik setzt bereits in der Renaissance ein, als sich die Rhetorik, die bei Aristoteles eine vollkommene Kunst (tedine), die Moral, Dialektik und Stilistik umfaßt, ist, bei Sperone Speroni und Francesco Patrizi zu einer reinen Wortkunst, zur »Kunst der geschmückten Rede« wird (GUIDO MORPURGO TAGLIABUE, Aristotelismo e barocco, in Retorica e barocco. Atti del III Congresso Internazionale di Studi Umanistici. Venezia ij-18 giugno 1954. A cura di Enrico Castelli, Roma 1955, S. 1 1 9 - 1 9 5 , hier S. 127). Zum Prozeß der >Barockisierung< der Rhetorik, der sich in Deutschland im 17. Jahrhundert vollzieht und sich insbesondere in der Verwandlung des klassischen Stilideals des A n g e messenem (>aptumZierlichkeit< (>elegantiasilbernen Latinität< und des Mittelalters auf den Manierismus des 17. Jahrhunderts (besonders den spanischen) vgl. ERNST ROBERT CURTIUS, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Fünfte Auflage, Bern und München 1965, S. 277-305. 294 VGL. BARNER, Barockrhetorik, S. 59. 295 VGL. FRANÇOIS DE DAINVILIE S. J., L'évolution de l'enseignement de la rhétorique au XVIIe siècle, in » X V I I e Siècle. Revue publiée par la Société d'étude du X V I I e Siècle« 80-81 (1968), S. 19-43, hier S· 22. 296
BARNER, Barockrhetorik,
S. 63.
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waren ferner ursprünglich nicht stilistisch-formale Gründe entscheidend, sondern beim Aufkommen des europäischen Absolutismus lagen ähnliche politische Verhältnisse wie beim nachaugusteischen römischen Prinzipat vor. Ohne Jesuitentum und Barock gleichsetzen und in den Jesuiten die einzigen >Träger< des Barockstils sehen zu wollen, 297 ist es unleugbar, daß die Patres der Gesellschaft Jesu überzeugte und eifrige Vertreter dieses Stiles waren und sich seiner zu bedienen wußten, um in den katholischen Ländern ihr kulturelles und pädagogisches Monopol aufzubauen. Sie waren am dynamischsten, als es darum ging, die Aristokratisierung und »Verhofung« der Kultur voranzutreiben und zu verwirklichen und den Höfen rhetorische Muster und Kulturmodelle als Alternative zu den unzeitgemäßen bürgerlich-humanistischen anzubieten. Der ungeheure Erfolg, der der Lehrtätigkeit der Jesuiten im 17. Jahrhundert zuteil wurde, zeigt, daß ihre Vorstellung von Kultur den Erfordernissen der Zeit entsprach. Die Gesellschaft unterhielt in Europa 1574 I 2 J Kollegien, 1608 waren es 306, 1616 372, 1626 446, 1640 5 2 1 , 1679 578 und 1 7 1 0 waren es 6 1 2 . Diese Kollegien waren überfüllt. In München zählte das Jesuitenkolleg 1 6 1 8 1200 Schüler, 1 6 3 1 waren es 1462; in Köln hatte es 1640 über tausend, in Münster 1 6 1 7 fast 1400 Schüler. U m die Mitte des 17. Jahrhunderts beherrschte der Jesuitenorden das gelehrte Unterrichtswesen in Italien, Portugal und Polen vollständig, in Spanien, Frankreich, Ungarn, in den spanischen Niederlanden und im katholischen Deutschland fast vollständig. 298 297
Die These, das Barock sei der künstlerische und literarische Ausdruck des Jesuitentums und der Gegenreformation, wird vertreten von WERNER WEISBACH, Der Barock als Kunst der Gegenreformation, Berlin 1 9 2 1 ; und v o n PAUL HANKAMER, Deutsche Gegenreformation und deutsches Barock. Die deutsche Literatur im Zeitraum des 17. Jahrhunderts, Stuttgart 1964 [ 1 . A u f l . 1 9 3 $ ] . Schon im 19. Jahrhundert waren B a rock und Jesuitentum von Cornelius Gurlitt als identisch erklärt worden, in Geschichte des Barockstiles, des Rococo und des Klassicismus (Stuttgart, V e r l a g von Ebner & Seubert, 1 8 8 6 - 1 8 8 9 ) . Seine Thesen wurden jedodi widerlegt von JOSEPH BRAUN S. J . , Die Kirchenbauten der deutschen Jesuiten. Ein Beitrag zur Kultur- und Kunstgeschichte des i j . und 28. Jahrhunderts. Erster Teil: Die Kirchen der ungeteilten rheinischen und der niederrheinischen Ordensprovinz. Mit 13 Tafeln und 22 Abbildungen im Text, Freiburg im Breisgau 1908 ( = Ergänzungshefte zu den »Stimmen aus Maria-Laach«, 99. u. 100.); Zweiter (Schluß-)Teil: Die Kirchen der oberdeutschen und der oberrheinischen Ordensprovinz. Mit 18 Tafeln und 31 Abbildungen im Text, Freiburg im Breisgau 1 9 1 0 ( = Ergänzungshefte zu den »Stimmen aus Maria-Laach«, 1 0 3 - 1 0 4 ) . 208 VGL. HEINRICH BOEHMER, Die Jesuiten. Auf Grund der Vorarbeiten von Hans Leube neu herausgegeben von Kurt Dietrich Schmidt, Stuttgart 1 9 5 7 , S. 1 9 8 - 1 9 9 . Über die Jesuiten in Deutschland vgl. die monumentale Monographie v o n BERNHARD DUHR S . J . , Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge, Freiburg im Breisgau
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I.
Kapitel
Sowohl die protestantischen Lateinschulen als auch die Jesuitenkollegien waren auf das Lateinstudium ausgerichtet und boten eine rein humanistisch-literarische Bildung. Nach dem Dreißigjährigen Krieg stellte es sidi allmählich heraus, daß diese Erziehungsweise als Vorbereitung der jungen Adeligen auf ihre zukünftigen (militärische, diplomatische und Regierungsgeschäfte betreifenden) Aufgaben unangemessen war. Vor allem eignete sie sich nicht mehr dafür, ihnen die vollkommene Beherrschung jener >höfischen< Disziplinen zu vermitteln, die in zunehmendem Maß zur notwendigen Voraussetzung für jede Hofkarriere wurden. Johann Balthasar Schupp schrieb, indem er sein Werk Der Teutsche Lehr-Meister, Oder: Ein Discours von Erlernung und Fortpflantzung der freyen Künste und Wissenschafften in Teutscher Sprach (1658) den adeligen >Land-Räthen< der Fürstentümer Estland und Livland widmete: Es hat mir sonderlich gefallen die hochrühmliche Vorsorge für Ihre HochAdeliche Jugend, daß selbige nicht allein zum Studiren, sondern auch zu allerhand nutz- und löblichen Wissenschafften und Adelichen Exercitien angehalten werde. Ich habe beobachtet, daß Eu. Wohlgeb. und Hoch-Edelgeb. Herrl. mit Fleiß erwegen, daß ein Pferd, welches im Turnier sol gebrauchet werden, weit anders abzurichten sey, als ein anders das nur am Wagen ziehen soll. Es stehet mehr zu wüntschen als zu hoffen, daß man aller Orthen bey der Jugend einen solchen Unterscheid machte, der Herren und Edelleute Kinder nicht angeführet würden, als ob sie dermahleins eine Grammatic oder Logic schreiben, und auch Schulmeister werden solten. Es ist rühmlich, daß Eu. Wohlgeb. und Hoch-Edelgeb. Herrl. nicht lang Ihre Herren Söhne im Schul-Staub sitzen lassen, sondern wann sie einen Grund in der Lateinischen Sprache gelegt haben, in Exercitien und andern nützlichen Wissenschafften selbige unterweisen lassen, und darauff in die Welt schicken, damit sie frembde Sprachen recht lernen, andere Länder Sitten und Gebräuche sehen, und sidi zu Dienst des Vatterlands im civil oder militar Estât geschickt machen.299 Am Übergewicht des Lateinunterrichts und der ausschließlich humanistischen Bildung übt auch Johann Riemer in seinem Stern-Redner (1689) strenge Kritik. »Der Hoff hat seine eigene Sprache. Und wer mit Regen-
289
(die Bände III und I V erschienen in München-Regensburg) 1907-1928. Eine Lobpreisung der von den Jesuiten betriebenen literarischen Erziehung und ihres kulturellen Monopols schrieb SFORZA PALLAVICINO, Vindicationes Societatis Jesu, qttibus multorum accusationes in eins istitutum, leges gymnasia, mores refelluntur, Romae 1649. JOHANN BALTHASAR SCHUPP, Der Teutsche Lehrmeister. Mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Paul Stötzner, Leipzig, Verlag von Richard Richter, 1891 ( = Neudrucke Pädagogischer Schriften, 3), S. 2 4 - 2 $ .
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der
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ten / oder vor denenselbigen etwas reden will; muß seine Schul-Rhetorica zu Hause lassen«, schreibt Riemer und drückt seine Verwunderung über die exklusive Pflege aus, die man in den Schulen dem Latein angedeihen ließ: Und wundert midi / daß man in Schulen nicht beßer bedacht ist / wie das jenige / woran einen Studirenden / Zeit seines Lebens / gelegen / bey Zeiten / und fleißiger getrieben werde. Dahingegen junge Leute mit der bloßen Latinität biß ins zwantzigste Jahr / und drüber / aufgehalten werden / und doch den Stylum, der von ihren Praeceptoribus vergebens gesuchet wird / nicht davon bringen. Dannenhero muß der geplagte schüler / wenn er sich mit den Cicerone und Mureto lange genung herum geworffen / so viele und lange Declamationes gemachet / und ohne zukünftigen Nutzen / von der Catheder herlesen. Woferne ihm das Concept von den Praeceptore nicht selbst gegeben und er dadurch aller Übung überhoben worden. Und gesetzt / daß ein junger Mensch auf der Schulfolter / so weit torqviret worden / daß er das Vermögen / eine Lateinische Catheder-Oration zu schreiben / mit aus derselben heraus bringe: Was hilffts ihm / wenn er nach Hofe kömmt: Was Nutzen hat das Rath-Hauß davon? und was vor Früchte mögen der Cantzel daher zufallen. [ . . . ] Denn wie viel hundert Hoff-Leu the / Syndici, Raths-Herren / Juristen / und andere Beamte; Ja so viel und noch mehr Pastores und Superintendenten sind / welche in ihren Aemtern grau und Lebens satt worden / denen Zeit ihrer Amts-Geschäffte / keine Ursache / eine Lateinische Oration zu halten / aufgestanden; wol aber lebt keiner / auch wol in dem allergeringsten Ampte / deme nicht / so zu sagen / alle Tage zehnerley Nöthigkeit / und Gelegenheit zu seiner deutschen Oratorie vorfalle. 300 Wie bereits erwähnt, widmete Riemer sein Werk den Herzögen Rudolph August und Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg, den beiden Fürsten, die eine der angesehensten Ritterakademien gründeten. Dies war ein neuer, ausschließlich dem Adel vorbehaltener Schultyp, der eine echte Alternative zur Erziehung durch Hauslehrer, die kostspielig und nicht ohne Nachteile war, und zu der einseitigen Gymnasialerziehung bieten sollte. Überdies wollten die Ritterakademien die »Kavalierstour«, die den Höhepunkt der aristokratischen Erziehung des 17. Jahrhunderts darstellte und häufig fünf bis sechs Jahre dauerte (obligatorisch war der Besuch eini800
JOHANN RIEMER,
Neu-aufgehender Stern-Redner, S. 4 - 8 . Von wenigen Ausnahmen (besonders in den sdilesischen Gymnasien) abgesehen, kümmerte man sich in den Lateinschulen des 17. Jahrhunderts nicht viel um die deutsche Sprache; die Programme sahen im allgemeinen keine eigenen Unterrichtsstunden für dieses Fach vor [vgl. A D O L F M A T T H I A S , Geschichte des deutschen Unterrichts, München 1 9 0 7 ( = Handbuch des deutschen Unterrichts an höheren Schulen. Erster Band Erster Teil), S. 45—93].
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I. Kapitel
ger Universitäten, w e n n auch ohne Immatrikulation, sowie der größeren europäischen H ö f e ) , nicht mehr so n o t w e n d i g machen oder sie wenigstens abkürzen, w a r sie dodi mit hohen Kosten f ü r die Familien und nicht w e n i ger großen Beschwerlichkeiten und G e f a h r e n f ü r die jungen A d e l i g e n und deren Privatlehrer verbunden. 3 0 1 D a s pädagogische Ideal der Ritterakademien bestand darin, die h u m a nistische Erziehung - jedoch unter Preisgabe jeder philologischen P e d a n terie - mit den konkreten Erfordernissen des H o f l e b e n s u n d der künftigen politischen und militärischen L a u f b a h n , f ü r die die A b k ö m m l i n g e des A d e l s ja bestimmt w a r e n , in E i n k l a n g zu bringen. D i e Voraussetzungen f ü r eine glänzende K a r r i e r e im Dienst der Fürsten und d a f ü r , ein v o l l endeter H ö f l i n g zu werden, bildete nicht nur die lateinische Beredsamkeit, sondern auch und v o r allem die Beherrschung des Französischen, Italienischen, Spanischen und Deutschen, ferner gute Kenntnisse in neuerer G e schichte, Geographie, W a p p e n k u n d e , Genealogie, politischer Wissenschaft, E t h i k , Jus, M a t h e m a t i k , P h y s i k und Festungsbauwesen. Ebenso n o t w e n dig w a r es außerdem, sich in den im eigentlichen Sinn ritterlichen Ü b u n g e n 301
In der Benachrichtigung, die 1692 aus Anlaß der bevorstehenden Eröffnung der Ritterakademie in Wien (1694) erschien, steht zu lesen: »Es ist durch lange Erfahrenheit allzubekant, welcher Gestalten bishero die Adeliche Jugend der Käyserl. Erbländer, zu Erlehrnung Adelicher Künst-und Wissenschafften, hat müssen in die frembde verschickt, und alldorten mit grossen Unkosten, Wagnus, und Gefahr erhalten werden, in Betrachtung dessen, audi zu Abstell-oder Verkürtzung bisherig kostbahrer Länder Raisen, haben die Löbl. N . Oest. Herren Land-Stände den heylsamen Schluß gefast, allhier zu Wienn eine Adeliche Schuel oder Academia, mit Käyserl. Lands-Fürstlidier Bewilligung, und hierüber allergnädigst erthailten Freyheiten, auf aigene Unkosten, und Unterhaltung, zuerbauen, dieselbe auch mit all erforderenden Nothdurfften nach Möglichkeit, absonderlich mit erfahrnen Professorn, und Lehrmeistern zubestellen, aufdas hinführo die Adeliche Jugend zu ihrer selbst aignen Anständigkeit, und des geliebten Yatterlands Nutzen wohl unterwisn, und gebührend erzogen werden möge [ . . . ] Die adeliche Wissenschafften, so man allda erlehrnet seynd: Reiten, Köpff- und Ringel-Rennen, und was deme anhängig, Fechten, Piquenspillen, Fahnen schwingen, nebst allen Kriegs-übungen mit der Mußqueten, Voltigiren, Dantzen, die Mathematica, Geometria, Architectura Civilis, & Militaris, Castrametation, Attaquier-und Defendirung der Plätze, Geographia, auch die Welt-und Himmels-Kugel zuerkennen, Historia universalis, particularis, moralis, & politica, das Jus Publicum, civile, & municipale der Käyserl. Erb-Königreich und Länder, wie nicht weniger die Hispanisch, Italianisch, und Frantzösische Sprachen [. . . ] Über dis gemessen Sie auch des Vortls an Sonn-und Feyrtagen den Käyserl. Hoff frequentiren: wie auch alle Sollenitet, und Festiviteten, so an selbigen vorbeygehen, godiren zukönnen [ . . . ] « [das Dokument wird zitiert von EVA-MARIE CSÁKY-LOEBENSTEIN, Studien zur Kavalierstour österreichischer Adeliger im i j . Jahrhundert, in »Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung« 79 (1971), S. 408-434, hier S. 4 1 1 ] . Über die »Kavalierstour« vgl. auch HARRY KÜHNEL, Die adelige Kavalierstour im 1 γ. Jahrhundert, in »Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich« N.F. 36 (1964), 364-384.
Probleme der Rezeptionsgeschichte der Barockliteratur
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auszuzeichnen, d. h. im Fechten, Tanzen, Pistolenschießen, Jagen, Reiten und in der Tranchierkunst. Die Unterweisung in diesen Fächern und ritterlichen Übungen machten sich die Ritterakademien zur Aufgabe. 3 0 2 Die ersten Schulen für Adelige wurden 1 5 8 9 in Tübingen (Collegium illustre) und 1 5 9 9 in Kassel (Hofschule, 1 6 1 8 umgewandelt ins Collegium Adelphicum Mauritianum) gegründet. Der Entwicklung dieser Institute setzte jedoch der Dreißigjährige Krieg ein Ende, und erst nach 1648 w u r den wieder neue gegründet: im pommerschen Kolberg ( 1 6 5 3 ) , in Lüneburg ( 1 6 5 5 ) , in Halle (1680), in Wolfenbüttel ( 1 6 8 7 ) , in Wien (1694), in E r langen (1699), 3 0 3 in Berlin ( 1 7 0 5 ) und in Liegnitz (1708). 3 0 4 In der 1688 von den Herzögen von Braunschweig erlassenen Ordnung der Ritterakademie
zu Wolfenbüttel
Neuen
sind in § 1 des V I . Kapitels
die Ziele der Akademie folgendermaßen erläutert: Wenn einer von adel von jugend auf seinen vornehmsten zweck sein lassen muß, wie er sich qualificirt machen müge, dermahleins in civil-, militair-, auch hoff-und landesbedienungen nützlich employret zu werden, oder wie er den seinigen selbsten wol vorstehen und mit reputation auf seinen gutem leben könne: so ist ausser zweiffei, daß zu solcher habilitirung nicht besser zuge302 Über die >Ritterakademien< vgl. PAULSEN, Geschichte des gelehrten Unterrichts, S. 514524; B. POTEN, Geschichte des Militär-Erziehungs-und Bildungswesens in den Landen deutscher Zunge, Berlin 1889-1897 ( = Monumenta Germaniae Paedagogica, Band X , X I , X V , X V I I , X V I I I ) ; FRIEDRICH DEBITSCH, Die
staatsbürgerliche
Erziehung
an
den deutschen Ritterakademien, Osterwieck am Harz 1928 ( = Hallische pädagogische Studien, Heft 4); BRUNO MAHLER, Die Leibesübungen in den Ritterakademien, Diss. Erlangen 1921; GEORG STEINHAUSEN, Die Idealerziehung im Zeitalter der Perücke, in »Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte« 4 (1894), 2 0 9 - 4 6 ; BARNER, Barockrhetorik,
S. 3 7 7 - 3 8 4 ; WILLY MOOG, Geschichte
der
Päd-
agogik. 2. Band: Die Pädagogik der Neuzeit von der Renaissance bis zum Ende des ιγ. Jahrhunderts. Neu herausgegeben von Franz-Josef Holtkemper. 8. unveränderte Auflage der 7. völlig neugestalteten Auflage, Ratingen und Hannover 1967, S. 311315. Die Neue Ordnung der Ritterakademie zu Wolfenbüttel (1688), von den Herzögen Rudolph August und Anton Ulrich von Braunschweig erlassen, ist nachzulesen in BraunschweigisAe Schulordnungen von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1828 mit Einleitung Anmerkungen Glossar und Register. Herausgegeben von Friedrich tColdewey. Zweiter Band: Schulordnungen des Herzogtums Braunschweig (mit Ausschluß der Hauptstadt des Landes). Berlin, A.Hofmann & Comp., 1890 ( = Monumenta Germaniae Paedagogica, Band 8), S. 207-249. 303 i n Erlangen wurde vor allem die theoretische und praktische Unterweisung im Rechtswesen gepflegt. Der Baron Groß von Trockau, der Gründer der Erlangener Ritterakademie, konzipierte diese in der Tat als eine dem Adel vorbehaltene Schule zur Ausbildung in der höheren Verwaltung (vgl. HANS LIERMANN, Die rechtsgelehrten Beamten der fränkischen Fürstentümer Ansbach und Bayreuth im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Beamtentums, in »Jahrbuch für fränkische L a n d e s f o r s c h u n g « 8/9 ( 1 9 4 3 ) , S. 2 5 5 - 2 9 2 , h i e r S. 2 6 4 - 2 6 5 ) . 304
Vgl. MOOG, Geschichte der Pädagogik, S. 313.
ιο8
7.
Kapitel
langen als an den örtern, woselbsten man zugleidi allerhand anständige studia und exercitia treiben, frembde sprachen fassen, gute und honeste conversation haben, audi anbey, wie am hoffe zu leben, sehen und erlernen kan: zu welchem ende dann diese fürstl. academie also eingerichtet, daß es an keinem von den erwehnten stücken den academisten fehlen sol.305
Der Hofbesuch, der den »Akademisten« sehr großzügig gestattet wurde, ergänzte den theoretischen Unterricht. Nicht weniger gereichet zu der academisten grossem nutzen und vortheil, das sie permission haben, den fürstlichen hoff zu frequentiren, wie sie denn ordinarie sonn- und freitags bey hofe kommen und denen angestelleten divertissementen, ballen und dergleichen mit beywohnen und von der daselbsten vorfallenden honnesten conversation mit profitiren können. Extraordinarie aber sollen sie, wenn frembde herrschafft gegenwertig oder sonderliche Veränderungen angestellet werden, gleichfals zu hofe geruffen werden. 306
Die Beredsamkeit wurde zwar auch gepflegt, aber sie hat den absoluten Vorrang, den ihr die protestantischen Lateinschulen und die Jesuitengymnasien eingeräumt hatten, verloren: »Oratoria und das Studium eloquentiae sol gleich wie die andern studia getrieben und öfters publice peroriret werden; wobey jederzeit solche materien zu choisiren, welche dem von adel demnegst in allerhand occurencen am meisten zustatten kommen können.«307 Die Gymnasien suchten ihren Unterricht zu modernisieren. Manche wollten eventuell interessierten Schülern, sowohl adeligen als auch bürgerlichen, sogar die Möglichkeit bieten, Ritterübungen zu praktizieren. Viele Gymnasien konnten auf diese Weise mit den Ritterakademien erfolgreich konkurrieren und verloren nicht alle adeligen Schüler, von deren Anwesenheit und Anzahl ja ihr Ansehen zu einem nicht geringen Teil abhing. Da es im übrigen nur wenige Ritterakademien gab und da diese für den niederen Adel zu kostspielig waren, konnten sie nur einen kleinen Teil des deutschen Adels aufnehmen. In diesem Sinn war ihre Wirksamkeit begrenzt. Trotzdem waren sie wichtig, weil sie ein aristokratisch-höfisches Erziehungsmodell verwirklichten, das sehr bald allgemein Nachahmung fand. Das Ideal des vollkommenen Hofmanns, des vollkommenen Kavaliers wurde nämlich nicht nur zum Ideal des Adels und der Hofbürokratie, sondern zu dem der ganzen Nation. 308 805 8oe so? 808
Neue Ordnung der Ritterakademie zu Wolfenbüttel, S. 23 J. Ebd., S. 240. Ebd., S. 236. V g l . STEINHAUSEN, Die Idealerziehung im Zeitalter der Perücke, S. 211.
Probleme der Rezeptionsgeschichte der Barockliteratur
109
Der Prozeß der kulturellen Integration zwischen Bürgertum und Adel, der ein Charakteristikum des 1 7 . Jahrhunderts ist und der in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts allmählich zum Stillstand kommt, ist außer von den Gymnasien, 808a den Universitäten und den Höfen auch von den sogenannten Sprachgesellschaften gefördert worden. Unter den zahlreichen Sprachgesellschaften des 1 7 . Jahrhunderts, die wirksam dazu beitrugen, die Verbindung des höfischen Elements mit dem gelehrten - die bedeutendsten »Energiezentren im Kräftefeld der deutschen Barockliteratur« 309 - Wirklichkeit werden zu lassen, ist die wichtigste und älteste die Fruchtbringende Gesellschaft. Sie wurde 1 6 1 7 in Weimar von K u r fürst L u d w i g von Anhalt-Köthen nach dem Vorbild der Florentiner Accademia della Crusca ( 1 5 8 2 ) , deren Mitglied der Fürst im Jahr 1600 geworden war, gegründet. 310 sosa Zwischen einem Zehntel und einem Fünftel der Primaner des Zittauer Gymnasiums waren z. B. unter Christian Weises Rektorat ( 1 6 7 8 - 1 7 0 8 ) adeliger Herkunft (vgl. H A N S A R N O H O R N , Christian Weise als Erneuerer des deutschen Gymnasiums im Zeitalter des Barock. Der »Politicus* als Bildungsideal, Weinheim 1 9 6 6 , S. 1 6 2 - 1 6 8 ) . SO» B A R N E R , S . 3 8 5 .
310 Über den von der Fruchtbringenden Gesellschaft unternommenen Versuch, zwischen humanistisch-bürgerlicher und adelig-höfischer Kultur zu vermitteln, vgl. O T T O B R U N NER, Adeliges Landleben, S . 1 8 0 - 1 8 3 ; U N D U R S H E R Z O G , Literatur in Isolation und Einsamkeit, S . J 4 1 . Vgl. zur Fruchtbringenden Gesellschaft F Ü R S T LUDWIG VON A N H A L T - K Ö T H E N , Der Fruchtbringenden Gesellschafl ΝahmenIVorhabenl Gemähide und Wörter. Mit Georg Philipp Harsdörffers »Fortpfiantzung der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft*, München 1971 ( = Die Fruchtbringende Gesellschaft. Quellen und Dokumente in vier Bänden herausgegeben von Martin Bircher. Erster Band) ; [ C A R L G U S T A V VON H I L L E , ] Der Teutsche Palmbaum: Das ist / Lobschrift von der Hochlöblichen / Fruchtbringenden Gesellschaft Anfang / Satzungen / Vorhaben / Namen / Sprüchen / Gemählden / Schriften und unverwelkliòem Tugendruhm. Allen Liebhabern der Teutsòen Sprache zu dienlicher Naòriòtung verfasset, durò den UNVERDROSSENEN Diener derselben. Mit vielen Kunstzierlichen Kupfern gedrukkt, und verlegt durò Wolffgang Endtern, Nürnberg 1 6 4 7 [Nachdruck München 1 9 7 0 ] ; [ G E O R G N E U M A R K , ] Der Νeu-Sprossende Teutsche Palmbaum. Oder Ausführlicher Beriòt / Von der Hoòlobliòen Fruòtbringenden Gesellsòaft Anfang / Absehn / Satzungen / Eigensòafft / und deroselben Fortpfiantzung / mit schönen Kupfern ausgeziehret / samt einem vollkommenen Verzei0nüß / aller / dieses Palmen-Ordens Mitglieder Derer Nahmen / Gewaòsen und Worten / hervorgegeben Von dem SPROSSENDEN. Zufinden bey loh. Hoffmann Kunsth. [ändler] in Nürnb. [erg], Drukkts / Joachim-Heinrich. Schmid in Weinmar / F. S . Hof-Buchdr. [ 1 6 6 8 ] [Nachdruck München 1 9 7 0 ] ; F . [ R I E D R I C H ] W. B A R T H O L D , Geschiòte der Fruòtbringenden Gesellsòaft. Sitten, Geschmacksbildung und sòone Rede-Künste deutsòer Vornehmen vom Ende des XVI bis über die Mitte des XVII Jahrhunderts, Berlin, Verlag von Alexander Duncker, Königl. Hofbuchhändler, 1 8 4 8 ; G O T T L I E B K R A U S E , Der Fruòtbringenden Gesellschaft ältester Ertzsòrein. Briefe, Devisen und anderweitige Sòriftstücke. Urkundliòer Beitrag zur Gesòiòte der deutsòen Spraògesellsòaften im 17. Jahrhundert. Hildesheim-New York 1 9 7 3 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig I 8 J J ) ;
no
I.
Kapitel
Die Gesellschaft, die auf Initiative von Fürsten und Adeligen entstanden war (unter den 750 Mitgliedern, die die Gesellschaft zwischen 1 6 1 7 und 1662 aufgenommen hatte, befanden sich ein König, drei Kurfürsten und 149 Herzöge), nahm auch solche Bürgerliche auf, die sich in der Gelehrsamkeit und der schöngeistigen Literatur ausgezeichnet hatten. 1648 war etwa ein Fünftel der 5 27 Mitglieder bürgerlicher Abkunft. 3 1 1 Zwischen Adeligen und Bürgerlichen herrschte Gleichberechtigung, wie die Verpflichtung, sich einen Beinamen aus der Pflanzenwelt zu wählen, beweist. Man wollte so eine moderne >Gesellschaft< ins Leben rufen, eine >höfische< Gesellschaft, die die Standes- und Konfessionsunterschiede überwinden sollte. 312 Die Neuheit und Kühnheit dieses Experiments zeigen sich an dem von Rudolf von Dietrichstein unternommenen Versuch, die Fruchtbringende Gesellschaft in einen Ritterorden umzuwandeln, der die Bürgerlichen ausschließen sollte, 313 und audi an dem ständigen Rückgang der Anzahl der Mitglieder bürgerlicher Herkunft nach dem Tod Ludwigs von Anhalt-Köthen im J a h r 1650. Von den 262 Mitgliedern, die zwischen 1 6 5 1 und 1662 unter der Präsidentschaft von Herzog Wilhelm I V . von Sachsen-Weimar in die Fruchtbringende Gesellschaft eintraten, waren nur 30 bürgerlichen Standes. 314 KLAUS BULLING, Bibliographie
zur Fruchtbringenden
Gesellsdiaft,
ao ( 1 9 6 5 ) , 3 - 1 1 0 ; K A R L F . OTTO, Die Spraâgesellschafien gart 1 9 7 2 ( =
in » M a r g i n a l i e n «
des 17. Jahrhunderts,
Stutt-
S a m m l u n g M e t z l e r , B a n d 1 0 9 ) , 1 4 - 3 3 ; FERDINAND VAN INGEN,
Sprachgesellscbaften
des
17.
Jahrhunderts.
Versuch
einer
Korrektur,
in
Die
»Daphnis.
Zeitschrift f ü r Mittlere Deutsche L i t e r a t u r « 1 ( 1 9 7 2 ) , 1 4 - 2 3 ; FERDINAND VAN INGEN, Überlegungen
zur Erforschung
kreis für deutsche
der Sprachgesellschaften,
Barockliteratur.
thek Wolfenbüttel
27.-31.
August
Erstes
Jahrestreffen
1973.
Vorträge
und Berichte,
S . 8 2 - 1 0 6 ; und CHRISTOPH STOLL, Sprachgesellschaften hunderts.
Fruchtbringende
Deutschgesinnte schwanenorden,
Gesellschaft.
Genossenschaft.
Aufrichtige
Hirten-und
Biblio-
Wolfenbüttel
in Deutschland Gesellschaft
Blumenorden
Arbeits-
August
an
des 17.
von der
der
1973, Jahr-
Tannen.
Pegnitz.
Elb-
München 1 9 7 3 . U b e r die Z u g e h ö r i g k e i t L u d w i g s v o n A n h a l t - K ö t h e n
zur C r u s c a v g l . ALFRED VON REUMONT, Beiträge Band,
in Internationaler in der Herzog
zur Italienischen
Geschichte.
Sechster
Berlin, V e r l a g der Königlichen Geheimen O b e r - H o f b u c h d r u c k e r e i ( R . Decker),
1 8 5 7 , S . 2 0 7 - 2 1 3 . V g l . auch F . FRIEDENSBURG, Die Beziehungen bringenden
Gesellschafl,
Schlesiens
in »Zeitschrift des Vereins f ü r Geschichte u n d
zur
Frucht-
Alterthum
Schlesiens« 2 7 ( 1 8 9 3 ) , 1 1 7 - 1 3 9 . 311
V g l . BRUNNER, Adeliges
312
V g l . BRUNNER, Adeliges
Landleben,
S. 1 8 1 .
Landleben,
S . 1 8 1 - 1 8 2 ; und K . F . O T T O , Die
Sprachgesell-
Landleben,
S . 1 8 2 - 1 8 3 ; UND K . F . OTTO, Die
Spraâgesell-
scbaften, S . 1 8 . 313
V g l . BRUNNER, Adeliges schafien, S . 2 4 - 2 5 .
814 V g l . Κ . F . OTTO, Die Sprachgesellschaften,
S . 2 5 . D i e Schuld a m R ü c k g a n g des bürger-
lichen Elements w i r d G e o r g N e u m a r k zugeschrieben, der v o n 1 6 5 3 an Sekretär der Fruchtbringenden Gesellschaft w a r ( v g l . OTTO, S . 2 6 ) .
Probleme der Rezeptionsgeschichte
der
Barockliteratur
III
Im Pegnesischen Blumenorden, der am 16. Oktober 1644 von Georg Philipp Harsdörffer und Johann K l a j in Nürnberg gegründet wurde, herrschte dagegen das bürgerliche Element vor. Die 14 unter dem Vorsitz des Stadtpatriziers Harsdörffer (1644-1658) in den Orden aufgenommenen Mitglieder waren alle Bürgerliche. Unter den j8 Mitgliedern, die unter Sigmund von Birken (1658-1681) in den Orden eintraten, waren fünf Adelige und einige Patrizier; von den 9 unter Martin Limburger (1681-1692) Aufgenommenen war ein einziger Adeliger. Dagegen befanden sich unter den sechs bis zum Jahr 1700 von Magnus Daniel Omeis in den Orden aufgenommenen Mitgliedern zwei Adelige. Die meisten Mitglieder des Blumenordens waren Bürgerliche mit Universitätsbildung, Priester, Juristen, Schulmänner. Es gehörten ihm aber auch einige bedeutende Kaufleute an.315 Die Rolle der Sprachgesellschaften erschöpfte sich nicht in der Förderung des Integrationsprozesses zwischen Adel und Bürgertum und in der Verwirklichung eines vielleicht noch verfrühten modernen Gesellschaftsmodells, das nicht auf der Geburt, sondern auf individueller Leistung und persönlichen Fähigkeiten beruhte. Eine ebenso wichtige Rolle spielten sie als Zentren der deutschen literarischen Kultur. Diese Zentren erfüllten zum Teil die Aufgaben, die einer politischen und kulturellen Hauptstadt zugefallen wären, wenn Deutschland eine solche besessen hätte. Das Fehlen eines geographischen Bezugspunktes, einer politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Hauptstadt, wie es Paris für Frankreich oder London für England waren, wirkte sich in Deutschland negativ auf das literarische Leben des 17. Jahrhunderts aus und führte zweifellos zu jenem Provinzialismus, jenen formalen Mängeln und jener gewissen Schwerfälligkeit und Unausgeglichenheit der Sprache, die die deutsche Barockliteratur kennzeichnen. Frankfurt und Leipzig 315a waren im 17. Jahrhundert Verlags- und Buchhandelszentren und übten als solche die wichtige Funktion der VerVgl. ARNOLD HIRSCH, Bürgertum und Barock im deutschen Roman. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des bürgerlichen Weltbildes. 2. Auflage besorgt von Herbert Singer, K ö l n - G r a z 1957, S. 109; OTTO, Die Sprachgesellschafien, S. 46-47; und RICHARD VAN DÜLMEN, Sozietätsbildungen in Nürnberg im 77. Jahrhundert, in Gesellschaft und Herrschaft. Forschungen zu sozial- und landesgeschichtlichen Problemen vornehmlich in Bayern. Eine Festgabe für Karl Bosl zum 60. Geburtstag, München 1968, S. 153-190, hier S. 170-180 (hier findet man die Liste der Mitglieder des Blumenordens von 1644 bis 1681, mit Angaben zu Beruf und Stand). 315a Über die Buchmessen von Leipzig, die gern vom Landadel Thüringens und Sachsens besucht wurden, vgl. ERNST HASSE, Geschichte der Leipziger Messen. Gekrönte Preisscbrift. Leipzig bei S. Hirzel 1885.
315
112
I. Kapitel
einheitlidiung des Buchmarktes aus. So erfüllten sie eine der Aufgaben der nidit vorhandenen kulturellen Hauptstadt. Die beiden Städte waren jedoch keine Kristallisationspunkte mit eigener kultureller Ausstrahlung, sondern nur Distributionszentren für die literarische Kultur aus den verschiedenen Regionen und unzähligen kleinen deutschen Staaten. Manche Literarhistoriker haben den kulturellen Mittelpunkt Deutschlands oder zumindest des katholischen Deutschland im 17. Jahrhundert in Wien sehen wollen. 316 So behauptete Günther Müller, das Kulturzentrum des deutschen Barock sei nicht Versailles, das erst 1682 zur Residenz Ludwigs X I V . wurde, sondern Wien gewesen: »Dem katholischen Deutschland ist der Habsburgische Kaiserhof damals naturgemäß kultur- und kirchenpolitischer Mittelpunkt. Aber auch Schlesien, die literarisch fruchtbarste Landschaft des protestantischen Deutschland in dieser Zeit, ist durch seine politische Zugehörigkeit zu Österreich notwendig auf diesen Hof ausgerichtet.« Zur Stützung seiner These erinnert Günther Müller an die diplomatischen Missionen Hoffmannswaldaus und Lohensteins am Wiener Hof, an das Jesuitentheater und an Wolf Helmhard von Hohberg. Man kann nicht leugnen, daß der Habsburgische Kaiserhof der Mittelpunkt der Hofkultur und im 17. Jahrhundert für sehr lange Zeit das Vorbild gewesen ist, nach dem sich die anderen deutschen Höfe richteten.317 Man kann auch nicht leugnen, daß Wien zusammen mit München der Mittelpunkt der Theaterkultur des deutschen Barock gewesen ist.318 Das Jesuitentheater (in lateinischer Sprache),319 die großen Theateraufführungen und Inszenierungen 816 Vgl. JOSEPH NADLER, Literaturgeschichte des deutschen Volkes, Dichtung und Schrifttum der deutschen Stämme und Landschaften. Erster Band: Volk (800-1740), Vierte, völlig neubearbeitete Auflage [ i . A u f l . 1 9 1 2 ] , Berlin 1939, S. 3 4 9 - 3 7 0 ; GÜNTHER MÜLLER, Höfische Kultur der Barockzeit, S. 9 6 - 1 0 2 ; PAUL HANKAMER, Deutsche Gegenreformation und deutsches Barock, S. 3 2 - 3 3 ; und EBERHARD STRAUB, Repraesentatio Maiestatis, S. 1 3 2 - 1 3 6 . 817 VGL, STRAUB, Repraesentatio Maiestatis, S. 1 3 2 . Über das Hofleben in Wien vgl. RICHARD MÜLLER, Wiens höfisches und bürgerliches Leben im Zeitalter der spanischen Habsburger, unter Einbeziehung der gleichzeitigen Literatur, in Geschichte der Stadt Wien. Herausgegeben vom Altertumsvereine zu Wien. Redigiert von Anton Mayer. VI. Band: Vom Ausgange des Mittelalters bis zum Regierungsantritt der Kaiserin Maria Theresia, 1740. (III. Theil). Mit 14 Tafeln und 44 Textillustrationen, Wien 1918, S. 2 9 1 - 3 3 2 . sie V g l . HEINZ KINDERMANN, Theatergeschichte Europas. III. Band: Das Theater der Barockzeit. Zweite verbesserte und ergänzte Auflage. Salzburg 1967, S. 249-562. 819 Ober das Jesuitentheater vgl. BERNHARD DUHR S. J., Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge in der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts, II.L, Freiburg im Breisgau 1 9 1 3 , S. 6 5 7 - 7 0 3 ; BERNHARD DUHR S. J., Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge. Dritter Band: Geschichte der Jesuiten in den Ländern deut-
Probleme
der Rezeptionsgeschichte
der
Barockliteratur
113
der Burnacini und der Galli-Bibiena, 320 die Oper und das Ballett erlebten tatsächlich in Wien eine Blütezeit.321 Am kaiserlichen Hof wurden mit großem Aufwand Opern mit italienischen Libretti, originalsprachliche spanische und italienische Komödien und Dramen sowie lateinische Jesuitendramen aufgeführt, während man das dramatische Repertoire der deutschen Literatur völlig vernachlässigte. Weder Gryphius noch Lohenstein - um nur die beiden größten Dramatiker der deutschen Barockliteratur zu nennen - wurden am Wiener Hof aufgeführt. Im Verzeichnis der Theaterspielpläne taucht zwischen 1658 und 1705, unter der Regierung Leopolds I., nur ein einziges Werk in deutscher Sprache auf. 322 Wien ist, was Oper, Musik, Architektur und bildende Künste im allgemeinen anbelangt, ein Kunstzentrum ersten Ranges, aber es ist kein literarisches Zentrum. Selbst Paul Hankamer, der doch die These von der Bedeutsamkeit des Kultureinflusses des Wiener Hofes auf die mitteldeutschen Höfe vertritt, definiert dessen Kultur als >wortlossprachlos< : scher Zunge
in der zweiten
Hälfte
des XVII.
Jahrhunderts,
1 9 2 1 , S . 4 5 9 - 5 0 1 ; WILLI FLEMMING, Geschichte
München-Regensburg
des Jesuitentheaters
in den
Landen
deutscher Zunge, Berlin 1 9 2 3 ( = Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte, 3 2 ) ; JOHANNES MÜLLER S . J . , Das Jesuitendrama Anfang
bis zum Hochbarock
( 166$).
in den Ländern
deutscher
deutschen Literatur, B a n d 7 und 8); KURT ADEL, Das Jesuitendrama Wien 1 9 5 7 ; HARALD BURGER, Jacob einer Deutung,
Berlin 1 9 6 6 ( =
Zunge
vom
2 Bde. Augsburg 1 9 3 0 ( = Schriften zur
Bidermanns
>BelisariusUdo von Magdeburg
Geschichte< muß möglichst >verwickelt< sein. Dies ist das hervorstechendste formale Kennzeichen des Barockromans. Welt und Leben sind ein Labyrinth, 3 5 7 weswegen die Struktur des Romans, der diese darstellt, ebenso vielschichtig und verwickelt sein muß. Catharina Regina von Greiffenberg lobt Anton Ulrichs Aramena
in einem dem dritten Teil des R o -
mans vorangestellten Widmungsgedicht - »Uber die Tugend-vollkommene unvergleichlich-schöne Aramena« ( 1 6 7 1 ) — folgendermaßen:
357
Lehr-Art / deutliche Regula und reine Exempel vorbestellet: worinnen erstliâ) von den Zeiten der Alten und Neuen Teutschen Poésie geredet / hernach / nebst andern Lehr-Sätzen / auch von den Symbolis Heroicis oder Devisen, Emblematibus, Rebus de Picardie, Romanen / Schau-Spielen / der Bilder-Kunst / Teutschen Stein-SchreibArt u. a. curieusen Materien gehandelt wird; samt einem Beitrage von der T. RechtSchreibung / worüber sich der Löbl. Pegnesische Blumen-Orden verglichen. Hierauf folget eine Teutsche Mythologie / darinnen die Poetische Fabeln klärlicb erzehlet / und derer Theologisch-Sittlich-Natürlich- und Historische Bedeutungen überall angefüget werden; wie auch eine Zugabe von etlich-gebundenen Ehr-Lehr- und LeichGedichten. Welches alles zu Nutzen und Ergetzen der Liebhaber T. Poésie verfaßet M A G N U S D A N I E L O M E I S / Comes Pal. Caes. Moral. Orator, und Poes. Prof. P. zu Altdorf / der im Pegnesischen Blumen-Orden so benannte Damon. Nürnberg / In Verlegung Wolfgang Midiahelles und Johann Adolph / Budihändl. Gedruckt zu Altdorf / durch Heinr. Meyern / Acad. Buchdr. A. 1704, S. 218. [ S I G M U N D V O N B I R K E N , ] Teutsche Rede-bind-und Dicht-Kunst / oder Kurze Anweisung zur Teutschen Poesy / mit Geistlichen Exempeln; verfasset durò Ein Mitglied der höchstlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft Den Erwachsenen. Samt dem Schauspiel Psyche und Einem Hirten-Gedichte. Nürnberg / Verlegt durch Christoph Riegel. Gedruckt bey Christoph Gerhard. A.C. MDCL X X I X , S. 307. Das Bild des Labyrinths wird als Symbol des europäischen Manierismus aufgefaßt von G U S T A V R E N É H O C K E , Die Welt als Labyrinth. Manier und Manie in der europäischen Kunst. Von 1520 bis 16¡o und in der Gegenwart, Hamburg 1968 (rowohlts deutsche enzyklopädie).
Probleme der Rezeptionsgeschichte der
Barockliteratur
I2J
D u Wunder aller Zier / und Schönheit aller Wunder / D u Himmel-volles B i l d ! des Höchsten Ehre-zunder / ein Spiegel seines Spiels! ein klarer Demant-Bach / in dem man schicklich siht die Himmels-Sdiickungs Sach / erlernet ihre kunst! Nachamerin der Witze / die alles trefflich f ü g t ! ihr helle Stralen-blitze v o m Wunder-Sonnen B r u n n ! w e r siht die Vorsicht nicht nadikünstlen ihren trieb / mit reiffem Rahtgewicht und juster Ordnungs-art? Wie schön pflegt sie zu füren / die Fälle / zufalls-weis! w i e richtig zu v e r w i r r e n die Lebens-Labyrinth! die Seltenheiten sie einführt in grosser mäng: die doch verlieren nie / durch vielheit / ihren Preis. D i e anzahl macht sie schätzen unzälig-wehrter noch, es pfleget zuzusetzen / die völligkeit / dem wehrt: wie die gefüllte B l u m / ie mehr sie Blätter treibt / ie höher stäts ihr R u h m in seltner Schönheit steigt. D a s künstliche zerrütten / voll schönster Ordnung ist. Es gehet aus der mitten / des klugen absehns Punct: w a n man die Striche zieht zum kunstbemerkten D u p f / das Fügungs-Bild man siht vollkommen klärlich stehn. [ . . .]. 3 5 8 D e n F a d e n der H a n d l u n g nach Möglichkeit zu v e r w i r r e n und ihn am E n d e auf unvorhersehbare und geschickte Weise zu entwirren, ist das grundlegende Strukturgesetz des Barockromans. 3 5 9 H i e r offenbart sich die ganze
358
[ C A T H A R I N A R E G I N A VON G R E I F F E N B E R G , ] » Ü b e r d i e T u g e n d - v o l l k o m m e n e gleichlich-schöne A r a m e n a « ,
Einleitung zu
unver-
[ A N T O N U L R I C H VON BRAUNSCHWEIG,]
Die Durchleuchtige Syrerinn Aramena. Der Dritte Theil: Der Bluts-Freundschaft gewidmet. Nürnberg / In Verlegung Johann Hofman / Kunsthändl. Gedruckt daselbst / durch Christoph Gerhard. Anno 1671, S. [ I - X ] , hier S. [I—II]. Der Text des Gedichtes von Catharina von Greiffenberg, wie er sich in der Ausgabe des dritten Teils der Aramena von 1679 findet, ist auch abgedruckt in Theorie und Technik des Romans im 17. und 18. Jahrhundert. Band I: Barock und Aufklärung. Herausgegeben von Dieter Kimpel und Conrad Wiedemann, Tübingen 1970, S. 16-20. Den Text der ersten Ausgabe von 1671 findet man dagegen in dem Buch von BLAKE LEE SPAHR, Anton Ulrich and Aramena, S. 190-193. Über die Beziehungen zwischen Catharina Regina von Greiffenberg und Anton Ulrich von Braunschweig vgl. HORST-JOACHIM FRANK, Catharina Regina von Greiffenberg. Leben und Welt der barocken Dichterin, Göttingen 1967 ( = Schriften zur Literatur, Band 8), S. 133-140. 859 Für Birken bemißt sich die Vollkommenheit des Romans nach der Anzahl der erzählten Geschichten, dem Intensitätsgrad ihrer Verschmelzung und der Geschicklichkeit, mit der sie am Ende entwirrt werden. In der Teutschen Dicht-Kunst schreibt Der Erwachsene im Anschluß an eine Aufzählung der größten Romane der europäischen Literatur: »Aber allen diesen tritt weit vor / die unvergleichliche Aramena / eine Wundergeburt eines Durchleuchtigsten Teutschen Helden / welche in Mänge und Män-
I. Kapitel
126
K u n s t des Romanschriftstellers, w i e Leibniz in einem Brief v o m 26. A p r i l 1 7 1 3 an H e r z o g A n t o n Ulrich v o n Braunschweig sagt. In diesem Brief schreibt der Verfasser der Theodizee
unter Bezugnahme auf die mit dem
Spanischen Erbfolgekrieg und dem Frieden v o n Utrecht zusammenhängenden politischen Ereignisse: Ich hätte z w a r wünschen mögen, daß der Roman
dieser Zeiten eine beßere
entknötung gehabt; aber vielleicht ist er noch nicht zum ende. U n d gleichwie E . D . mit Ihrer Octavia
nodi nicht fertig, so kan Unser H e r r G o t t auch nodi
ein p a a r tomos zu seinem Roman
machen, welche zuletzt beßer lauten mödi-
ten. Es ist ohne dem eine v o n der iîowdw-Macher besten künsten, alles in Verwirrung f a l l e n zu laßen, und dann u n v e r h o f f t herauß zu wickeln. U n d niemand ahmet unsern H e r r n beßer nach als ein Erfinder v o n einem schöhnen Roman.360 D i e H a n d l u n g s f ä d e n des R o m a n s zu v e r w i r r e n und zu entwirren, ist nicht
gung der Geschichten / und deren Wieder-entwikkelung / alle dergleichen Schriften / audi die Sophonisbe [L'Histoire afriquaine de Cléomède et de Sopbonisbe, Paris 1627-1628, von François du Soucy, Sieur de Gerzan, wurde von Philipp von Zesen übersetzt unter dem Titel Die Afrikanische Sopbonisbe, Amsterdam 1647] / hinter sich lasset: deren auch nun Octavia preislich nachfolget.« (BIRKEN, Teutsche Redebind-und Dicht-Kunst, S. 304). Es fehlt aber nicht an kritischen Stimmen bezüglich der »labyrinthischen« Struktur des Romans. So schreibt Susanna Elisabeth Prasch in der fünften ihrer Réflexions sur les Romans·. »Ce n'est pas aussi, qu'on puisse appeller de véritables Romans ces façons d'écrire, qui enchaînent, ou plûtost brouillent les histoires l'vne parmy l'autre, de telle sorte, qu'on n'en peut tirer le contenu, ou la conclusion, jusques à la fin de l'ouvrage. Cependant on ne se souvient plus du commencement, & il couste beaucoup de peine pour les ramasser. Il est bien vray, que ces Escrivains ont des methodes & des ordres tous particuliers, ou plûtost des desordres artificieux dans leurs narrations, en vertu desquels ils les partagent à la fois par l'entremise d'autres, ou ils transposent agréablement les parties, & ne veulent pas nous figurer les dioses si näifuement, comme font les Historiens & les Chroniqueurs; mais il faut bien prendre garde que ce ne soit vn Labyrinthe, où le Lecteur s'enveloppe, & ne sçache de quelle maniere s'en tirer; mais il faut prester secours à la memoire, afin qu'elle se puisse remettre, & pour cette raison ne faire point de discours trop prolixes tout à la fois, ny (pour m'expliquer en vn mot) imiter la Dianea.« [SUSANNA ELISABETH PRASCH, Réflexions
sur les Romans,
1 6 8 4 , in Texte
zur
Ro-
mantheorie I ( 1626-1 y31). Mit Anmerkungen, Nachwort und Bibliographie von Ernst Weber, München 1974, S. 183-228, hier S. 197-199 ( = S. 28-30 im Originaltext). Es ist das Verdienst Ernst Webers, dieses wichtige, französisch abgefaßte Zeugnis der deutschen Romantheorie aufgefunden und in seine schöne Anthologie aufgenommen zu haben; noch Vosskamp (Romantheorie) kannte es nicht unmittelbar, sondern nur durch die in den Acta Eruditorum (1684) erschienene Rezension]. 380
EDUARD BODEMANN, Leibnizens Briefwechsel mit dem Herzoge Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, in »Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen«, Jahrgang 1888, Hannover 1888. Hahn'sche Budihandlung, S. 73-244, hier 233-234·
Probleme der Rezeptionsgeschichte der Barockliteratur
1ZJ
nur ein technisch-formaler Kunstgriff des Schriftstellers, u m sein Werk interessant und spannend zu machen, sondern eine N o t w e n d i g k e i t historisch-philosophisch-theologischer Art. D e r Romanschriftsteller ahmt G o t t mit seiner epischen Schöpfung nach. D e r R o m a n verwandelt sich in eine Theodizee. W i l h e l m V o s s k a m p hat unlängst eine tiefschürfende u n d langerwartete Geschichte der Romantheorie im 17. und 18. Jahrhundert veröffentlicht. I m folgenden erläutert er die historisch-philosophisch-theologischen I m plikationen des episch-strukturellen Formalprinzips des Dualismus »Verwirrung« - »Entwirrung« : Verrätselung und Enträtselung, kunstvolle Verwirrung und endliche Entwirrung haben zeitgenössische Kommentatoren des hohen Romans in Anlehnung an Heliodors theoriebildendes Modell immer wieder als das zentrale Moment der erzählenden Romankombinatorik hervorgehoben [ . . . ] Das Heliodorsdie Modell der abenteuerlichen Verwicklung und am Ende glücklichen Auflösung erhält in den Interpretationen der Theoretiker des Anton Ulridischen Romans eine gesdiichtsphilosophische Komponente, insofern ihm heilsgeschichtliche Deutungen die Funktion einer universalen Welt- und Geschichtsauslegung zuschreiben. Erzählerische Verwicklungen der Romanhandlung sind nicht nur Instrument zur Spannung des Lesers, sondern »Nachbild« jenes »LebensLabyrinths« (Catharina), das die Wirkungen der unbeständigen Fortuna offenbart; und die endliche Auflösung aller Verwirrungen am Schluß fungiert nicht nur als ein dem Leser Vergnügen und Befriedigung verschaffendes H a p p y - E n d , sondern zugleich als Apotheose einer immer schon, wenn auch verborgen wirkenden Macht Gottes, die am Ende ihr verbrieftes Recht siegreich bestätigt. Der stetige Prozeß der Aufhellung aller fiktiven Rätsel beim Lesen des Romans entspricht einem Prozeß der »geschichtlichen« Erkenntnis, der am Ende zur Einsicht in die bis dahin versteckte, aber unsichtbar immer vorhandene wunderbare Ordnung Gottes führt. [ . . . ] Die Erzählkonstruktion des Romans ist ein Abbild des historischen Geschehens, der Roman eine Metapher f ü r die Geschichte. [ . . . ] Die Parallelisierung von Geschichte und Roman bestätigt seine gesdiichtsphilosophische Ausdeutbarkeit. Roman und Geschichte werden durch ein gemeinsames Strukturprinzip bestimmt, dem die Polarität von Verwicklung und »Entknotung« zugrunde liegt, und diese »Entknotung« ist in der Geschichte wie im Roman erst ganz am Ende möglich nach dem Durchlaufen aller scheinbar chaotischen Vorgänge und Erzählepisoden. [ . . . ] D a ß es die Möglichkeit der endgültigen Überschau am Schluß des Romans gibt, garantiert ein durch Fatum (»Verhängnis«) oder Providenz (»Vorsehung«) bedingtes sittliches und gottgewolltes Ordnungsgefüge, das das Geschehen der unbeständigen Fortunawelt im Roman »überwölbt«. Das Erkenntnisziel des Romans steht also f ü r den Leser immer schon fest: es ist die
128
I.
Kapitel
schließlich gewährte Einsicht in die Vollkommenheit der göttlichen Ordnung, die der Roman »nachbildend« ästhetisch vermittelt. 861 Bis sich der geschichtlich-höfische R o m a n am Ende als Theodizee, als A b bild der göttlichen W e l t o r d n u n g offenbart, spiegelt sein A b l a u f z u m großen Teil vielmehr die U n o r d n u n g in jenem privilegierten und b e v o r z u g t e n irdischen M i k r o k o s m o s wider, den der H o f , das göttlichste A b b i l d des Menschlichen, die realste und zugleich vergänglichste Wirklichkeit, darstellt. D i e Geschichte ist z w a r tatsächlich die Geschichte des Heilsgesdiehens, aber die Triebkräfte bei diesem P r o z e ß sind die aus göttlichem R e d i t regierenden Fürsten, die T r ä g e r einer absoluten und charismatischen Macht, A b b i l d e r Gottes auf Erden. 3 6 2 D i e Geschichte ist dynastische Geschichte. D i e P o l i t i k ist dynastische P o l i t i k ; sie hat ihr bewegendes Z e n t r u m an den Fürstenhöfen und ist nichts anderes als die K u n s t der Intrige. D e r Fürst, der im politischen Bereich handeln will, m u ß imstande sein, die Wirklichkeit durch den Schleier des Anscheins hindurch z u erkennen, dynastische und persönliche Interessenv e r k n ü p f u n g e n herauszufinden und das ehrgeizige Ränkespiel v o n einzelnen, v o n H ö f l i n g s g r u p p e n am eigenen H o f oder v o n befreundeten oder feindlichen H ö f e n zu entwirren. 361
WILHELM VOSSKAMP, Romantheorie in Deutschland. Von Martin Opitz bis Friedrich von Blanckenburg. Stuttgart 1973, S. 1 6 - 1 7 . Zur Theorie des deutschen Barockromans vgl. ferner BLAKE LEE SPAHR, Der Barockroman als Wirklichkeit und Illusion, in Deutsche Romantheorien. Beiträge zu einer historischen Poetik des Romans in Deutsdhland. Herausgegeben und eingeleitet von Reinhold Grimm, Frankfurt am Main-Bonn 1968, S. 1 7 - 1 8 ; BRUNO HILLEBRAND, Theorie des Romans. I: Von Heliodor bis Jean Paul, München 1972, S. 35-68; MAX LUDWIG WOLFF, Geschichte der Romantheorie mit besonderer Berücksichtigung der deutsàien Verhältnisse. I. Theil: Von den Anfängen bis gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, Nürnberg 1915, S. 52-84. Besonders über den engen Zusammenhang zwischen der Philosophie von Leibniz und der Auffassung des Romans sowie den Romanen von A n t o n Ulrich vgl. die gründliche Dissertation von JÜRG WAGNER, Barockraum und Barockroman. Studien zu Herzog Anton Ulrichs von Braunschweig »Aramena«. Diss. Züridi 1971, S. 149-192.
362
Zum Bild des absoluten Herrschers im 17. Jahrhundert und zur politischen Theorie des Absolutismus vgl. STEPHAN SKALWEIT, Das Herrscherbild des 17. Jahrhunderts, in » H i s t o r i s c h e Z e i t s c h r i f t « 1 8 4 ( 1 9 J 7 ) , 6 5 - 8 0 ; O T T O B R U N N E R , Vom
Gottesgnadentum
zum monarchischen Prinzip. Der Weg der europäischen Monarchie seit dem hohen Mittelalter, in Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen. MainauVorträge 1954, Lindau und Konstanz 1956 ( = Vorträge und Forschungen. Herausgegeben vom Institut für geschichtliche Landesforschung des Bodenseegebietes in K o n stanz geleitet v o n Theodor Mayer, Band 3); FRIEDRICH MEINECKE, Die Idee der Staatsräson; RUDOLF VON ALBERTINI, Das politische Denken in Frankreich zur Zeit Richelieus, Marburg 1951 ( = Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, H e f t 1); ETIENNE THUAU, Raison d'état et pensée politique à l'époque de Richelieu, Armand Colin 1966; EBERHARD STRAUB, Repraesentatio Maiestatis, S. 12-43.
Probleme der Rezeptionsgeschichte der
Barodditeratur
12 9
Hauptaufgabe der geschichtlich-höfischen Romane ist es, die Beobachtungsgabe zu entwickeln, die Menschenkenntnis zu verfeinern, den Geist dadurch zu schulen, daß man verwickelte Situationen löst und mit einem einzigen Blick das Labyrinth der internationalen Politik durchschaut. Der geschichtlich-höfische Roman verwandelt sich, indem er die bereits
Argents ( 1 6 2 1 ) enthaltenen Anregungen aufgreift, zu einem Fürstenspiegel. Birken lobt die Aramena in der schon erwähnten
in John Barclays
»Vor-Ansprache zum Edlen Leser« ( 1 6 6 9 ) als » H o f - und Welt-Spiegel« und als »Staats-Lehrstul«, 363 während Catharina Regina von Greiffenberg nach Hervorhebung verschiedener Vorzüge der
Aramena ihr Gedicht zum
Lobe von Anton Ulrichs Roman folgendermaßen beschließt: Man könte / auser dem / viel schöne Sachen zeigen in diesem wehrten Werk. Ein Staates-Dädal treibt Politikspiegel-Spiel / Regierungskünste schreibt; mahlt Schatten kluger Ränk / mit gutem Schein erhöhet / da oft sehr weit hinaus ein schlaues Absehn gehet; zeigt / durch verkürzungs-kunst / wie Heimlichkeit der Geist der hohen Anschlag sey / wie alles allermeist steh in der Ober-Madit. Es gibet auch zu sehen / den Stand und Lauf der Welt / wie es pflegt her zu gehen / nidit allezeit wie es sol / oft wunderbar und bunt; daß unschuld unterligt / und gehet / manche stund / Gewalt und List vor Recht. Doch Föbus fasst den zügel / der Erd-gekehrten Pferd' / und schwingt sich in den bügel sie redit zu leiten fort. Astrea fliegt zurück / und teilt aufs neue mit / ihr billigs Gleichheit-glück / nach juster Urteils-wag. Die Unschuld noch / mit Sternen / der Ehrenhimmel krönt. Und ob sich hier entfernen die Freuden- ausgäng' oft: verheiset hofnung doch / daß alles auf Gut-End die Tugend werde noch hinleiten was sie wirkt. Inzwischen werd erquicket mit süßem Schickungs-tau / Der / Der so schicklich schicket die schönste Wunder an / vom Höchsten Schickungs-Spiel. Er sei / zu höchstem Glück / der Gott-geschicke Ziel ! 3 6 4 Ins Labyrinth der Politik einzudringen, den roten Faden des Geschehens zu rekonstruieren, unter Verwandlungen die echte Wirklichkeit zu erkennen, in der Fabel, die von früheren Geschehnissen berichtet, die Be363 364
BIRKEN, »Vor-Anspradie zum Edlen Leser«, S. [ X I V ] . CATHARINA
REGINA
VON GREIFFENBERG,
gleichlidi-schöne Aramena«, S. [ I X - X ] .
»Uber
die
Tugend-vollkommene
unver-
130
I.
Kapitel
Ziehungen zu aktuellen Dingen zu entdecken, den Schlüssel dafür zu finden, um politische Figuren der eigenen Zeit im G e w a n d antiker Helden wiederzuerkennen - all das erzeugt im Romanleser, der über die notwendigen Vorkenntnisse verfügt, ein verfeinertes ästhetisch-intellektuelles Vergnügen. Es ist dies ein Vergnügen, das proportional zu dem Erfolg, mit dem man die Entschlüsselung betreibt, wächst und das seinen Höhepunkt erreicht, sobald der Leser den Punkt zu finden vermag, von dem aus der anscheinend wirre und unlösbar verwickelte Knäuel der unzähligen den R o man durchziehenden Episoden wie ein geometrisches N e t z mit einer völlig durchsichtigen und harmonischen Struktur erscheint. Selbstverständlich ist dieses ästhetische Vergnügen nur Eingeweihten vorbehalten, nämlich den Lesern, die den hermetischen K o d e der Devisen, Embleme, Metaphern, Allegorien und Anagramme dekodieren können, die die gelehrten Anspielungen und historischen Analogien zu begreifen wissen, kurzum, die den kulturellen und ästhetischen K o d e des Autors kennen und die vor allen Dingen selbst an den H ö f e n Erfahrungen gesammelt haben. Der ideale Leser und A u t o r des geschichtlich-höfischen Romans ist der Fürst (»der irdische Gott«, als welcher er im 17. Jahrhundert definiert und angesehen wird), so wie seine Gestalten beinahe nichts anderes sind »als lauter Helden-würdige und Fürstliche Mänschen-bilder«. 365 Birken schreibt in seiner »Vor-Ansprache zum Edlen Leser« in bezug auf die geschichtlichhöfischen Romane: »Wann nun / dergleichen Bücher / der A d e l mit nutzen liset / warum solte er sie nit auch mit rühm schreiben können? U n d wer soll sie auch bässer für den A d e l schreiben / als eine person / die den A d e l beides im geblüt und im gemüte träget? W e r / v o n der weise zu regiren / weißlich schreiben kan: der w e i ß zweifelsfrei audi w o l zu regiren / oder zur löblichen regirung zu helfen. Ja / er lernet solches im lehren / und schreibet ihm selber ins herze / was er auf das papier schreibet.«368 Wenn auch nur die Romane Anton Ulrichs von Braunschweig das Ideal der Identität zwischen dem Fürstenstand des Autors und dem seiner Gestalten verwirklichen, so spielen dodi alle Werke dieser epischen Gattung F. ZESIUS VON FÜRSTENAU, »Schuz-räde A n die unüberwündlichste Deutschinne«, in Ibrahims oder Des Durchleucbtigen Bassa Und Der Beständigen Isabellen WunderGeschichte: Durch Fil. Zaesien von Fürstenau. Amsteldam bey Ludwig Elzevieren, 1645, S. [ I X ] . Der Roman, den Philipp von Zesen übersetzt hat, ist von Madeleine de Scudéry und stellt die Quelle zu Lohensteins Ibrahim dar. see BIRKEN, »Vor-Ansprache zum Edlen Leser«, S. [ V I ] .
365
Probleme der Rezeptionsgeschichte der Barockliteratur
die Rolle eines Instruments »der höfischen und feudalen Selbstdarstellung und einer Untermauerung des absolutistischen Herrschaftsanspruchs« 367 und gehören deshalb im Sinne von Habermas zum Kommunikationsbereich der »repräsentativen Öffentlichkeit«. Unter Bezugnahme auf J ü r gen Habermas' Definition der repräsentativen Öffentlichkeit 3 6 8 schreibt Wilhelm Vosskamp: Der hohe Roman des 1 7 . Jhs. gehört [ . . . ] zum Kommunikationsbereich einer »repräsentativen Öffentlichkeit«, die sich am H o f des Fürsten konzentriert. Repräsentative Öffentlichkeit bedeutet »öffentliche Repräsentation von Herrschaft«, und der Roman zeigt Attribute ihrer Entfaltung. Dazu zählen nicht allein inhaltliche Momente einer verbindlichen geschichtsphilosophischen Grundierung, eines normativen Tugendsystems und einer dadurch bedingten vraisemblance und bienséance, vielmehr jene strukturhomologischen Korrespondenzen, die den Roman auch unter »formalen« und rhetorischen Aspekten zum Ausdruck repräsentativer Öffentlichkeit machen. E r bildet damit einen absoluten Gegentypus zum bürgerlichen Roman des 18. Jhs., der soziologisch primär durch seine »Privatheit« definiert ist. Der Roman des 1 7 . Jhs. ist außerdem nodi keiner der »transzendentalen Obdachlosigkeit« (Lukács), sondern einer der theologisch garantierten Wahrheit, der - und damit dem Epos verwandter als der bürgerlichen Epopöe - seine ästhetische Totalität aus einer gesdiiditstheologischen Grundlegung ableitet und dadurch erst als repräsentativ gelten kann, denn jene »Repräsentation« von Herrschaft, die er (»utopisch«) vertritt, erhält ihre Legitimation eben von dieser theologischen Begründung. 369 Wie f ü r die Theorie des geschichtlich-höfischen Romans ist auch f ü r die Theorie der Tragödie »der Könige-Fürsten-und Herren Ehrstand« 3 7 0 die einzige Gesellschaftsklasse, deren Handlungen und Schicksale dargestellt werden dürfen. O p i t z ' Definition der Tragödie mit ihrer Bestimmung der gattungsgerechten Themen und Figuren bleibt für das ganze 1 7 . Jahrhundert verbindlich: »Die Tragedie ist an der maiestet dem Heroischen getichte ge367 ses 369 370
VOSSKAMP, Romantheorie in Deutschland, S. 27. VGL. JÜRGEN HABERMAS, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 1 6 - 2 5 . VOSSKAMP, Romantheorie in Deutschland, S. 2 7 - 2 8 . GEORG PHILIPP HARSDÖRFFER, »Nothwendiger Vorbericht«, in Diana Von H . J . DE MONTE-MAJOR, in zweyen Theilen Spanisch beschrieben / und aus denselben geteutschet Durch Weiland den Wolgebornen Herrn / Herrn Johann Ludwigen / Freyherrn von Kueffstein / etc. Anjetzo aber Mit des Herrn C. G, Polo zuvor nie gedolmetschten dritten Theil vermehret / und Mit reinteutschen Red-wie auch neuüblichen Reimarten ausgeziert Durò G. P. H. Getrukt zu Nürnberg in Verlegung Michael Endters. Im Jahr 1646, S. [ I - X X I I ] , hier S. [ I I I ] .
I. Kapitel
13*
m e ß e / ohne das sie selten leidet / das m a n geringen standes personen v n d schlechte sachen e i n f ü h r e : w e i l sie n u r v o n K ö n i g l i c h e m w i l l e n / T o d t schlägen / v e r z w e i f f e l u n g e n / K i n d e r - v n d V a t e r m ö r d e n / b r a n d e / Blutschanden / k r i e g e v n d a u f f r u h r / k l a g e n / heulen / s e u f f z e n v n d dergleichen handelt.«371 E b e n s o w i e der geschichtlich-höfische R o m a n ist auch die T r a g ö d i e eine Schule der P o l i t i k . A u s diesem G r u n d m u ß der tragische D i c h t e r eine herv o r r a g e n d e K e n n t n i s der Geschichte, eine gründliche E r f a h r u n g in S t a a t s angelegenheiten, in der R e g i e r u n g s k u n s t u n d im H o f l e b e n besitzen. I n J o h a n n R i s t s W e r k Aller
Edelste
Belustigung
( i 666) findet sich eine
Stelle über die historisch-politische T r a g ö d i e , die als »die k l a r s t e theoretische B e g r ü n d u n g f ü r Lohensteins politische T r a u e r s p i e l e « bezeichnet w o r d e n ist. 3 7 2 W e g e n ihrer B e d e u t u n g geben w i r sie hier u n g e k ü r z t w i e d e r : Wer Tragoedien schreiben wil I muß in Historien oder Geschicht-Büchern so wol der Alten / als Neuen / trefflich seyn beschlagen / er muß die Welt-und Staats-Händel / als worinn die eigentliche Politica bestehet / gründlich wissen / nicht aber allein wissen / sondern auch verstehen / dann / in Tragoedien handelt man nicht von gemeinen Dingen / sondern von den allerwiditigsten Reich-und Welt-Händeln / da muß der Poet wissen / wie einem Könige oder Fürsten zu muthe sey / so wol zu Krieges - als Friedens Zeiten / wie man Land und Leute regieren / bey dem Regiment sich erhalten / allen schädlichen Rathschlägen steuren / was man f ü r G r i f f e müsse gebrauchen / wann man sich ins Regiment dringen / andere verjagen / ja wol gar auß dem Wege räumen wolle. In Summa / die Regier-Kunst muß er so fertig / als seine Mutter-Sprache verstehen. 373 371
372
373
Buch von der Deutschen Poeterey ( 1624). Nach der Edition von Wilhelm Braune neu herausgegeben von Richard Alewyn, Tübingen 1963 ( = Neudrucke Deutscher Literaturwerke, Neue Folge 8), S. 20. Zur Theorie der barocken Tragödie vgl. H A N S J Ü R G E N S C H I N G S , Consolatio Tragoediae. Zur Theorie des barocken Trauerspiels, in Deutsche Dramentheorien. Beiträge zu einer historischen Poetik des Dramas in Deutschland, Herausgegeben und eingeleitet von Reinhold Grimm, Band 1, Frankfurt/Main 1971, S . 1-44; D A V I D E . R . G E O R G E , Deutsche Tragödientheorien vom Mittelalter bis zu Lessing. Texte und Kommentare, Miindien 1972, S. 85-132; G E O R G P O P P , Über den Begriff des Dramas in den deutschen Poetiken des iy. Jahrhunderts, Diss. Leipzig 1895; W A L T E R R E I S S , Die Theorie des Tragischen im ιγ. Jahrhundert in Deutschland und Frankreich, Diss. Bern (gedr. in Berlin) 1910; W E R N E R J U K E R , Die Theorie der Tragödie in den deutschen Poetiken und ihre Durchführung in den bedeutendsten Trauerspielen des Siebzehnten Jahrhunderts, Diss. Heidelberg 1924 (Masdi.). G E O R G E , Deutsche Tragödientheorien, S . 105. Die Aller Edelste Belustigung Kunst-und Tugendliebender Gemiihter / Vermittelst eines anmühtigen und erbaulichen Gespräches Welches ist dieser Ahrt / die Vierte / und zwahr Eine Aprilens Unterredung / beschrieben und jürgestellet von D E M R Ü S T I G E N [ J O H A N N R I S T ] . Franckfurt / bey Joh. Georg Schiele 1 6 6 6 , S. 241-242. MARTIN OPITZ,
Probleme der Rezeptionsgeschichte der Barockliteratur
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Außer der Kunst des Regierens lehrt die Tragödie >Beständigkeit< und >GroßmutpersonaeScharfsinn< in Deutschland hingewiesen zu haben, während Klaus-Peter Lange (Theoretiker des literarischen Manierismus, München 1968) Tesauro und Matteo Pellegrini als Theoretikern des »Scharfsinns« eine Monographie gewidmet hat. Es wäre zu wünschen, daß nun die Zeit für eine vergleichende Untersuchung der deutschen Barockästhetik reif wird, SEI SFORZA PALLAVICINO, Del Bene libri quattro (Roma 1644), in S. P., Storia del Concilio di Trento ed altri scritti. A cura di Mario Scotti, Torino 1968, S. 508. 382 SFORZA PALLAVICINO, Considerazioni sopra l'arte dello stile e del dialogo (Roma 1646), in S. P., Storia del Concilio di Trento ed altri scritti, S. J49~553·
Probleme der Rezeptionsgeschichte der Barockliteratur
13 9
und weiteren recht ausdrucksvollen und prächtigen Figuren darstellen«.393 Audi die »Hauptvorzüge« der Beredsamkeit bestehen in der »Vergrößerung der Dinge, im Glanz der Sprache, der Mannigfaltigkeit der Figuren, im Numerus, den Aussprüchen, Vergleichen und Konzetti«. 394 Es ist hier nicht unsere Aufgabe, die barocke ¿rgaik-Ästhetik erschöpfend darzustellen.395 Wir wollen nur summarisch jenes System von ästhetischen Normen rekonstruieren, die im 17. Jahrhundert - zu einer Zeit, da die Poetik normativen Wert hat - die literarische Produktion bestimmen und die neben der literarischen Tradition einen integrierenden Bestandteil des >Erwartungshorizonts< des Lesers darstellen. Zusammenfassend können wir feststellen, daß die Poetik des Barock den großen Dichtungsformen (Tragödie, Heldenepos und geschichtlichhöfischer Roman) folgende Funktionen überträgt: Vermittlung von Gelehrsamkeit (besonders die Wissenschaft von der Politik), Verbreitung der aristokratisch-adeligen Werte der Hofkultur (Höflichkeit, Beständigkeit, Großmut, Heroismus, Edelmut, Rationalität, Unerschütterlichkeit), Aufdeckung der teleologischen Struktur des Kosmos (Roman und Tragödie als Theodizee) und ferner, Ausdruck der »repräsentativen Öffentlichkeit« zu sein. Der Zweck der Dichtung besteht darin, Staunen zu erregen. Die stili393
394
SES
PALLAVICINO, Del Bene, S. 5 1 4 .
PALLAVICINO, Dello stile, S. 539. 2ur barocken Ästhetik des Konzeptismus vgl. BENEDETTO C R O C E , I trattatisti italiani del Concettismo e Baltasar Gradan ( 1 8 9 9 ) , in Β. C., Problemi di estetica e contributi alla storia dell'estetica italiana, Bari 1 9 6 6 , S. 3 1 1 - 3 4 6 ; EUGENIO D O N A T O , Tesauro's Poetics: Through the Looking Glass, in »Modern Language Notes« 7 8 ( 1 9 6 3 ) , 1 5 - 3 0 ; F R A N C O C R O C E , Tre momenti del barocco letterario italiano, Firenze 1 9 6 6 , S . 9 3 - 2 2 0 ; F R A N C O C R O C E , Critica e trattatistica del barocco, in Storia della letteratura italiana. Direttori: Emilio Cecchi e Natalino Sapegno. Volume quinto. Il Seicento, Milano 1 9 6 7 , S. 4 3 7 - 5 1 8 ; R o c c o MONTANO, L'estetica del rinascimento e del barocco, Napoli 1 9 6 2 ( = quaderni di critica e testi I ) ; R o c c o MONTANO, Metaphysical and Verbal Arguzia and the Essence of the Baroque, in »Colloquia Germanica« I ( 1 9 6 7 ) , 4 9 - 6 5 ; HELLMUT J A N S E N , Die Grundbegriffe des Baltasar Gradan, Genève, Paris 1 9 5 8 ( = Kölner Romanistische Arbeiten. Neue Folge, Heft 9 ) ; K L A U S P E T E R L A N G E , Theoretiker des literarischen Manierismus. Tesauros und Pellegrinis Lehre von der >acutezza< oder von der Macht der Sprache, München 1968 ( = Humanistische Bibliothek. Abhandlungen und Texte, Reihe I : Abhandlungen, Band 4 ) ; G E R H A R T SCHRÖDER, Baltasar Gradins >Criticónpicturainscriptio< und >subscriptioBekandte und Unbekandte Poesie der Deutschen' ( 1703), in Rezeption und Produktion zwischen 1570 und 1730. Festschrift für Günther Weydt zum 6j. Geburtstag. Herausgegeben von *Wolfdietrich Rasch, Hans Geulen und Klaus Haberkamm, Bern und München 1972, S. 493-497.
Probleme der Rezeptionsgeschichte
der
Barockliteratur
143
h ö r e r n z u e r k e n n e n giebet / w i e die M o r a l i a auch in d e r N a t u r u n d K u n s t g e g r ü n d e t s i n d « , ist die A u f d e c k u n g d e r z a h l l o s e n , in e i n e m E m b l e m a u s d r ü c k b a r e n B e z i e h u n g e n zwischen m o r a l i s c h e r u n d n a t ü r l i c h e r W e l t n u r d e m j e n i g e n möglich, d e r eine breite, e n z y k l o p ä d i s c h e G e l e h r s a m k e i t u n d eine g e n a u e u n d g r ü n d l i c h e K e n n t n i s d e r z a h l r e i c h e n B ü c h e r , T r a k t a t e u n d E n z y k l o p ä d i e n über E m b l e m e besitzt. O h n e K e n n t n i s des e m b l e m a t i s c h e n K o d e s ist die B a r o c k d i c h t u n g z u m g r o ß e n T e i l u n v e r s t ä n d l i c h , w i e A l b r e c h t Schönes f a s z i n i e r e n d e
Unter-
suchungen ü b e r d e n G e b r a u c h d e r e m b l e m a t i s c h e n A r g u m e n t a t i o n e n u n d Beispiele i m tragischen B a r o c k t h e a t e r gezeigt h a b e n . 4 0 8 D i e B a r o c k d i c h t e r w a n d t e n sich a n ein P u b l i k u m v o n
Eingeweihten,
das i m s t a n d e w a r , K r y p t o g r a m m e , A n a g r a m m e u n d C h r o n o g r a m m e z u entziffern, a u f G r u n d d e r gleichen h u m a n i s t i s c h - r h e t o r i s c h e n B i l d u n g die F e i n h e i t e n gewisser v e r s t e c k t e r e m b l e m a t i s c h e r A n s p i e l u n g e n u n d der V e r w e n d u n g k o m p l i z i e r t e r A l l e g o r i e n , H y p e r b e l n , geistreicher u n d s c h a r f sinniger G e d a n k e n , v i r t u o s e r F i g u r e n u n d r h e t o r i s c h e r B i l d e r i m w e s e n t lichen z u erfassen u n d A n k l ä n g e a n M e t r e n , F o r m e n , T r o p e n u n d T o p o i d e r griechisch-lateinischen D i c h t u n g 4 0 9 u n d d e r j e n i g e n P e t r a r c a s 4 1 0 408 Vgl. ALBRECHT SCHÖNE, Emblematik
oder
und Drama im Zeitalter des Barock, S. 3 - 1 4 und
67-13$· 40» Manfred Windfuhr schreibt in einem der »Soziologie der Metaphorik« gewidmeten interessanten Kapitel seines Buches Barocke Bildlichkeit·. »Die Eigenarten rhetorischer Bildlichkeit lassen sich nicht erkennen und verstehen, wenn man nicht das Wechselspiel zwischen Dichter und Gesellschaft im Auge behält. Sowohl die topische Fixierung als auch das belebende Element der Variation beruhen auf einer engen Verbindung beider Bereiche. Der Dichter kann bei seinen gebildeten Lesern und Hörern Vorkenntnisse und Verständnis für seine Arbeit voraussetzen. Auch der Leser ist durch die untersten Stufen der rhetorischen Schulung gegangen oder auf andere Weise mit der Basis der dichterischen Mittel vertraut gemacht worden. Viele Bildfelder haben eine alte weltliche oder geistliche Tradition und werden von Generation zu Generation weitergereicht. Dadurch sind allen Beteiligten die topischen Bildmittel wenigstens in Umrissen bekannt. Der Dichter braucht nur auf sie anzuspielen, um den Kontakt mit seinem Partner herzustellen. Ist erst die Verbindung geschaffen, kann er von der Grundlage vertrauter Vorstellungen aus zu neuen Kombinationen und Variationen weiterschreiten. Der einsichtsvolle Leser erwartet von ihm die produktice Weiterbildung, die er selbst nicht leisten kann. Er ist zwar in der Lage, sie zu beurteilen und aufzunehmen, aber die Arbeit selbst muß von dem dafür Begabten und Ausgebildeten getan werden. Der Dichter verläßt sich darauf, daß der Leser mit Interesse und Spannung den Fortschritten seiner inventio folgt. Umgekehrt ist der Leser sicher, daß ihn der Dichter nicht mit völlig traditionslosen Einfallen überrascht. Beide Partner halten sich an die Spielregeln, die durch die Rhetorik festgelegt worden sind. Nur so ist es möglich, daß der Dichter seitenlang im allegorischen Doppelsinn sprechen oder in immer neuen Bildfeldern schwelgen und doch vom Leser verstanden werden kann.« [MANFRED WINDFUHR, Die barocke Bildlichkeit und ihre Kritiker. Stilhaltungen in der deutschen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1966 ( = Ger-
144
/. Kapitel
Marinos zu erkennen. Das Ideal der Polymathie, das eng mit der rhetorischen Bildung zusammenhing, war den Autoren und ihrem Publikum gemeinsam.411 Die Gelehrsamkeit mußte die Grundlage der Dichtkunst bilden.412 In der berühmten Trauerrede, die Lohenstein am 30. April 1679 aus Anlaß des Todes von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau hielt, steht zu lesen: »Zwar nichts anders als dichten können / ist eben so viel als ein Kleid allein von Spitzen tragen. Die Weisheit und ernste Wissenschaften müssen der Grund / jenes der Ausputz seyn / wenn ein gelehrter Mann einer Corinthischen Säule gleichen soll.«413 Der Dichter muß gelehrt sein und seine Werke bildungsträchtig, wenn er sich von den gewöhnlichen »Pritschmeistern« und >Versschmieden< unterscheiden will, ebenso wie sein Stil um so gewählter und gezierter sein muß, je notwendiger und dringender es wird, von der entwürdigenden Stiltradition der grobianischen Dichtung des 16. Jahrhunderts Abstand zu gewinnen. Das Ideal des gelehrten Dichters414 und damit auch die Gelehrsamkeit in der Barockpoesie leiten sich, außer von der rhetorischen Auffassung der manistisdie Abhandlungen, 15), S. 1 5 2 - 1 5 3 ] , Zur lateinisdien Diditungstradition, die im 17. Jahrhundert nodi lebendig und wirksam ist, vgl. KARL OTTO CONRADY, Lateinische Dichtungstradition und deutsche Lyrik des ij- Jahrhunderts, Bonn 1962 ( = Bonner Arbeiten zur deutschen Literatur, Band 4). 410 Zum europäischen und deutschen Petrarkismus vgl. GERHART HOFFMEISTER, Petrarkistische Lyrik, Stuttgart 1 9 7 3 ; und GERHART HOFFMEISTER, Barocker Petrarkismus: Wandlungen und Möglichkeiten der Liebessprache in der Lyrik des iy. Jahrhunderts, in Europäische Tradition und deutscher Literaturbarode. Internationale Beiträge zum Problem von Überlieferung und Umgestaltung. Herausgegeben von Gerhart Hoffmeister, Bern und München 1973, S. 3 7 - 5 3 . 411 Über das Ideal des Polyhistors im 17. Jahrhundert und über die Bedeutung der Ge. lehrsamkeit für die Barockliteratur vgl. HANKAMER, Deutsche Gegenreformation und Deutsches Barock, S. 6 4 - 1 0 2 ; CONRAD WIEDEMANN, Polyhistors Glück und Ende. Von Daniel Georg Morhof zum jungen Lessing, in Festschrifl Gottfried Weber. Zu seinem 70. Geburtstag überreicht von Frankfurter Kollegen und Schülern. Herausgegeben von Heinz Otto Burger und Klaus von See, Bad Homburg v. d. H.-BerlinZürich 1967, S. 2 1 5 - 2 3 5 ; BARNER, Barockrhetorik (besonders das Kapitel »Die gelehrte Grundlage der deutschen Barockliteratur«, S. 220-238). 412 VGL, FERDINAND VAN INGEN, Vanitas und memento mori in der deutschen Barocklyrik, Groningen 1966, S. 3 3 - 3 4 . 413 D . c . VON LOHENSTEIN, Lob-Rede / Bey Des Weiland Hoch-Edelgebohrnen / Gestrengen und Hochbenahmten Hn. Christians von Hofmannswaldau / auf Arnolds-Mühle / Der Rom. Kays. Majest. Rahts / der Stadt Breßlau Hochverdienten Rahts-Praesidis und des Königl. Burglehns Namslau Directoris, Den jo. Aprilis, Anno 1679. in Breßlau Hoch-Adelich gehalten Leich-Begängnüsse. Auf Unkosten Esaiä Fellgiebels sei. Wittib und Erben, S. [ 1 4 ] . 414
Uber das Ideal des gelehrten Dichters und über die Auffassung, daß die Funktion der
Probleme der Rezeptionsgescbichte der Barockliteratur
I4Í
Bildung, 415 vom Willen der Gelehrten her, eine geschlossene Kaste zu bilden, die sich über das niedere Volk und das Bürgertum erheben und sich dem Adel annähern sollte. Einzig die Gelehrsamkeit konnte Ausdruck und Legitimierung eines solchen elitären Willens darstellen. Barner schreibt: »Die Kunstdichtung soll die sozialen Grenzen zwischen den Gelehrten und den Vornehmen überspringen.«416 Je mehr der gelehrte Dichter versucht, sich der Sphäre des Adels zu nähern, desto mehr muß er sich von der >plebs< distanzieren.417 Deshalb findet man in den Barockpoetiken wiederholt die Behauptung, daß der Dichter nicht für alle, nicht für »Herrn O m n i s « schreibe (»Wer für Herr O m n i s schreibt / ist der Gelehrt zu nennen?«),418 sondern nur für eine kulturelle und aristokratische >EliteHerr auf Kittelau, Reisau und RoschkowitzAnmerckungen< zu seinen Tragödien zitierten Werken und den Autoren, die Just in einer alphabetischen Liste erfaßt hat, identisch sein dürfte)470 und einer wertvollen Sammlung antiker Gemmen und Münzen (sie wurde nach dem Tod des Dichters um 4000 Reichstaler verkauft),471 prächtig, freigebig und gastfreundlich,472 war Lohenstein - wie uns auch J. Tschernings Porträt zeigt, das den ersten Band des Arminias ziert - eine Gestalt von »fürstlicher Art«.478 In seinen Widmungen findet sich nichts Kriecherisches; der hyperbolische Lobpreis des Adressaten eines Werkes ist zugleich ein Preis des Dichters, seiner Wortgewalt und seines rhetorischen Gestus, die den Ruhm des Gefeierten unvergänglich zu machen vermögen (man denke an die evozierende Kraft der Eingangsworte der Trauerrede auf Hoffmannswaldau: »Der grosse Pan ist todt!«). Stolz erklärt Lohenstein im Vorwort zu den Blumen: »[ich habe] aus der Tichter-Kunst niemals ein Handwerck gemacht / weniger davon Auffenthalt oder Gewien zu suchen von nöthen gehabt«.474 FRIEDRICH LUCAE, Schlesiens curiose Denkwürdigkeiten, S. 6$6. 470 VGL. KLAUS GÜNTHER JUST, Register: Lohensteins geistiges Weltbild, in DANIEL CASPER VON LOHENSTEIN, Römische Trauerspiele. Agrippina. Epicbaris. Herausgegeben von Klaus Günther Just, Stuttgart 1955 ( = Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart C C X C I I I ) , S. 2 9 7 - 3 1 6 . 471 Vgl. Promtuarium Rerum Naturalium Et Artificialium Vratislaviense Praecipue Quas Collegit D. Io. CHRISTIANUS KUNDMANN. Medicus Vratislaviensis. Vratislaviae Apud Michaelem Hubertum, M D C C X X V I , S. 2 ; BRESLER, De vita et scriptis, S. 9 1 - 9 2 ; und BERNHARD ASMUTH, Daniel Casper von Lohenstein, Stuttgart 1971, S. 17. 489
472
473
474
Im Zedier steht: »Seine Aufführung und Lebens-Art betreffend, so war er nadi Erforderung der Umstände frygebig, prächtig, unermüdet und gastfrey, wie dann nicht leicht ein gelehrter Mann nach Breßlau gekommen, den er nicht tractiret und durdi seine gelehrte Discourse, wie auch sonst mit aller Höfflichkeit unterhalten hätte« (JOHANN HEINRICH ZEDLER, Grosses vollständiges Universal- Lexikon, Halle und Leipzig 1738, Bd. 18, Sp. 278b-279b). KLAUS GÜNTHER JUST, Daniel Casper von Lohenstein. Leben und Werk, in DANIEL CASPER VON LOHENSTEIN, Türkische Trauerspiele. Ibrahim Bassa. Ibrahim Sultan. Herausgegeben von Klaus Günther Just, Stuttgart 1953 ( = Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart, C C X C I I ) , S. X I - X X X V I , hier S. X X I I . DANIEL CASPERS VON LOHENSTEIN Blumen, S. [ 8 ] der »Vorrede«.
I.
Kapitel
D e r e x k l u s i v e u n d elitäre Freundeskreis (zu d e m sich berühmte K ü n s t ler w i e M a t t h i a s Rauchmüller, 4 7 5 der A u t o r der Zeichnungen z u den schönen Stichen, die das T i t e l b l a t t der Cleopatra-
u n d der
Sophonisbe-Ausgabe
v o n 1 6 8 0 schmücken, u n d der G r a v e u r S a n d r a r t , berühmte Dichter w i e H o f f m a n n s w a l d a u , C h r i s t i a n K n o r r v o n R o s e n r o t h u n d A b s c h a t z , bedeutende Politiker w i e P o s a d o w s k y u n d Nesselrode, hohe B e a m t e des Reiches wie Johann Albrecht Portner v o n Theurn,476 Universitätsprofessoren w i e J o h a n n C h r i s t o p h B e c k m a n n rechneten), der S e n a t v o n Breslau (schon 1 6 6 6 w a n d t e sich dieser an Lohenstein u n d andere Fachleute w i e C h r i s t i a n H o f f m a n n v o n H o f f m a n n s w a l d a u , u m ihre M e i n u n g z u r F r a g e der V e r w e n d u n g des Lateins in den beiden G y m n a s i e n der S t a d t zu h ö r e n ) 4 7 7 u n d der H o f der Piasten stellten Lohensteins unmittelbares literarisches P u b l i k u m dar, das P u b l i k u m , dem er seine W e r k e w i d m e t e , dem er seine M a n u skripte v o r l a s u n d f ü r das er manch p r u n k v o l l e , im H a n d e l nicht erhält-
475
478
Über die Freundschaft zwischen Lohenstein und Rauchmüller vgl. GOTTHARD MÜNCH, Kaspar von Lohenstein und Matthias Rauchmüller, in »Jahrbuch der Sdilesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau« X I (1966), S. 5 1 - 6 2 ; und E. W. BRAUNTROPPAU, Matthias Rauchmüller (1645-1686), in »Oberrheinische Kunst« 9 (1940), 78-109; 10 (1942), 1 1 9 - 1 5 0 . Johann Albrecht Portner von Theurn (1628-1687) gehörte einer der ältesten und vornehmsten Patrizierfamilien Regensburgs an. Er hatte in Straßburg und Mömpelgard Theologie, Jura und politische Wissenschaften studiert. Von 1650-1653 hielt er sich im Ausland auf. Von 1657 an gehörte er dem Inneren Rat der Stadt Regensburg an. Um 1670/71 verließ er die Stadt und gab sein Senatorenamt auf, um in Wien seinen Dienst als Reichshofrat aufzunehmen. Zuvor hatte er das ihm vom Herzog von Braunschweig angetragene Kanzleramt ausgeschlagen. In den siebziger Jahren weilte er mehrmals in Breslau. 1679 flüchtete er sich dorthin, um der Pest, die Wien bedrohte, zu entkommen. »Der Sorgsame« war sein Name als Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft. Die Totenrede auf Portner wurde von Christian Albert Lenz verfaßt (Oratio Funebris Johannis Alberti Portneri a Theuren, Tubingae 1687). Das österreichische Staatsarchiv (Abt.: Haus-, H o f - und Staatsarchiv) verwahrt zwei Briefe von Lohenstein an Portner, einen vom 18. August 1675 und einen vom 3 1 . März 1679; wir geben sie als Faksimile wieder. Zu Portner vgl. FÜRNROHR, Das Patriziat der Freien Reichsstadt Regensburg, S. 200-205 ! ur>d FRANZ HEIDUK, Die Dichter der galanten Lyrik, Bern und München 1 9 7 1 , S. 175.
477 VGL. HERMANN BENDER, Geschichte des Gelehrtenschulwesens in Deutschland seit der Reformation, in Geschichte der Erziehung vom Anfang an bis auf unsere Zeit, bearbeitet in Gemeinschafl mit einer Anzahl von Gelehrten und Schulmännern von K. A. Schmid. Fortgeführt von Georg Schmid. Fünfler Band. Erste Abtheilung, Stuttgart 1901, S. 1 - 3 3 7 , hier S. 74. Bender, dessen Quelle Schönborn ist (Zum Jubiläum des Professors D. Dr. Anton. Breslau 1853) erinnert daran, wie Martin Hanke in einem Gutachten »Von dem Lateinreden in beiden gymnasiis« berichtet, daß sich der Breslauer Senat 1666 wegen dieses Problems der Meinung »[der] allergeübtesten und verständigsten Männer« versicherte, unter denen auch Christian Hoffmann von H o f f mannswaldau und Lohenstein waren.
Probleme der Rezeptionsgeschichte
der
i*3
Barockliteratur
liehe Folioausgabe seiner Schriften persönlich herausgab. Im Vorwort zu den Blumen (1680) erklärt Lohenstein selbst ausdrücklich, daß dies sein Publikum sei: »das meiste / was aus meiner Feder geflossen / hat die Begierde vornehmen und vertrauten Freinden damit zu dienen / so wol anfangs gebohren / als itzt selbten zuzueignen veranlasset«.478 Lohensteins ideale Leserschaft, die er jedoch konkret niemals erreichen konnte, war der Wiener Hof. (Das bezeugen außer den Widmungen und manchen Gelegenheitsgedichten auch der Inhalt des Arminias, des Ibrahim Sultan und der Chor aus dem II. A k t der Sophonisbe). Sein tatsächliches Publikum setzte sich, abgesehen von den schlesischen und breslauischen Adeligen und Patriziern seines Freundeskreises, aus Angehörigen des Adels, des Patriziats und des hohen Hofbeamtentums, aus Professoren und Studenten zusammen. Unter den Lesern und Bewunderern Lohensteins befanden sich auch regierende Herzöge wie der letzte der Piasten und der Herzog von Braunschweig. Das Exemplar der prächtigen Folioausgabe des Ibrahim Sultan von 1673, das in der Herzog-AugustBibliothek von Wolfenbüttel aufbewahrt wird, zeigt auf dem Titelblatt folgende handschriftliche Bemerkung des Herzogs von Braunschweig: »Dies Buch hat Uns der Regierende Hertzog Georg Wilhelm zu Brieg, Ligenitz, Und Wohlaw in Schleßien, bei Unserer anwesenheit zu Brieg, den 23 Mai Pfingstags 1675. geschenkt.«479 Die >repräsentative< Qualität der Lohensteinischen Werke geht auch aus dieser Bemerkung hervor, denn wir können ihr entnehmen, daß diese gelegentlich zwischen souveränen Herrschern als >repräsentatives< Geschenk verwendet wurden. Ein Exemplar derselben Folioausgabe des Ibrahim Sultan war im Besitz des Barons Christoph Wenzel von Nostitz (1643-1712), eines kaiserlichen Wirklichen Geheimen Rats und Kämmerers, der 1692 Reichsgraf wurde.480 Ein Exemplar der Cleopatra-Ausgabe von 1661 befand sich im Besitz des Herzogs von Croy. 480a Herzog Heinrich von Römhild (1676 bis 1710), ein thüringischer Fürst, besaß den Arminius und die Sophonisbe.imh 478
DANIEL CASPERS VON LOHENSTEIN Blumen. Breßlau / A u f Unkosten Jesaiae Fellgibels / Buchhändlers alldar. 1680, S. [10] der »Vorrede«.
47» V G L . D A N I E L C A S P E R V O N L O H E N S T E I N , Türkische
Trauerspiele,
S. 92.
480 VGL. HANS VON MÜLLER, Bibliographie der Schriften Daniel Caspers von Lohenstein. In: Werden und Wirken, Leipzig 1924, S. 228. 480a Vgl. HANS VON MÜLLER, Bibliographie, S. 219. W i r sind der Ansicht, daß es sich um den H e r z o g Emil Bogislav von C r o y (1620-1684), den Statthalter Hinterpommerns (1665) und später Preußens (1670), handelt. 48ob V g l . JACOB, Heinrich, Herzog von Römhild, S. 96-98.
I.
164
Kapitel
Eine Sammlung von Werken Lohensteins (Sophonisbe, Cleopatra, Blumen, Geistliche Gedanken) von 1708 war im Besitz der alten patrizischen Familie der Holzschuher.4800 Die Bewunderung für Lohensteins dichterisches Werk blieb nicht auf das repräsentative Milieu der deutschen Höfe und der ihnen nahestehenden Personengruppen beschränkt, sondern hatte rasch auch auf die patrizischen Kreise der republikanischen Schweiz übergegriffen. Nach den überlieferten Zeugnissen zu urteilen, wurde Lohensteins dichterisches Werk gerade in der deutschen Schweiz - vielleicht wegen des Zaubers der geschmeidigen und preziösen Sprache - sogar Gegenstand eines ausgesprochenen Kultes. Der Arminius wurde im literarischen Milieu der Patrizier von St. Gallen begeistert aufgenommen, gelesen und diskutiert. Zentrum waren die Stadtwohnungen und die Sommerresidenzen der Familien von Paul Schlumpf und Edmund Witz.481 Und wenn es stimmt, daß Gotthard Heidegger, ein häufiger Gast in diesen Patrizierhäusern, auf Grund religiöser Bedenken versuchte, die Begeisterung seiner Freunde für Lohensteins großes episches Werk zu dämpfen, indem er den Bannfluch seiner Mythoscopia Romantica (1698) dagegen schleuderte, so stimmt es audi, daß seine Streitschrift nur geringen Erfolg haben sollte. In der Schweiz nämlich, wo der Arminius so sehr begehrt war, daß er um 1720/30 auf einen Preis von 24 Gulden kam, gab eine gelehrte Gesellschaft die Anregung zu einer doppelten Neuauflage des Romans, einer im Quart- und einer im Oktavformat; sie sollte die dringende Nachfrage der zahlreichen Bewunderer Lohensteins befriedigen. Der geplante Neudruck, mit dem wahrscheinlich die Druckerei von Emanuel Hortin in Bern beauftragt worden wäre - eben dieser hatte die beiden Einladungen zur Subskription für das Werk gedruckt - kam nur deshalb nicht zustande, weil sich Johann Friedrich Gleditsch d. J., um sich das gute Geschäft nicht entgehen zu lassen, anschickte, eine zweite, vierbändige, von Georg Chri480c VGL. HANS VON MÜLLER, Bibliographie, 4
S. 254.
8i Über das literarische Milieu von St. Gallen vgl. WALTER ERNST SCHÄFER, »Nachwort« zu GOTTHARD HEIDEGGER, Mythoscopia Romantica oder Discours von den so henanten Romans. Faksimileausgabe nach dem Originaldruck von 1698. Herausgegeben von Walter Ernst Schäfer, Bad Homburg v. d. H.-Berlin-Ziiridi 1969 ( = Ars poetica. Texte und Studien zur Dichtungslehre und Diditkunst. Texte, Band 3), S. 3 3 4 - 3 3 7 ; URSULA HITZIG, Gotthard Heidegger. 1666-ιγιι. Diss. Zürich (gedr. in W i n t e r t h u r ) 1 9 5 4 , S . 1 8 - 2 0 ; u n d A X E L LINDQUIST, » E i n l e i t u n g « zu J O H A N N G R O B ,
Epigramme. Nebst einer Auswahl aus seinen übrigen Gedichten. Herausgegeben und eingeleitet von Axel Lindquist, Leipzig 1929 ( = Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart, Publikation 273), S. 69-76.
Probleme der Rezeptionsgescbichte der
Barockliteratur
165
stian Gebauer herausgegebene A u f l a g e des Arminias
im Q u a r t f o r m a t zu
drucken. 4 8 2 A u c h Lohensteins Theater f a n d in der Schweiz Bewunderer. In der T a t w u r d e am 7 . September 1 7 1 0 in der uralten S t a d t Sitten im K a n t o n W a l l i s v o n den Schülern des G y m n a s i u m s unter der Regie ihres R h e t o r i k - P r o f e s sors I g n a z Pellissier die Epicharis
aufgeführt. Dies bezeugt ein seltenes und
höchst wertvolles (von J . M . V a l e n t i n aufgefundenes) D o k u m e n t : die I n haltsangabe des Stückes ( C o n i u r a t i o Punita Vorhaben
abgestraffte
dem Vralten
Gymnasio
Epicharis
Wird
Auff
zu Sitten in Wallis
Das ist Die
in ihrem
bösen
die Schau-Bühn
gebracht
von
den 7 . September
Anno
1710.
482 VGL. G E O R G C H R I S T I A N G E B A U E R , » V o r r e d e « , z u D A N I E L C A S P E R S VON LOHENSTEIN
Weiland Ihro Römischen Kayserlichen Majestät Raths und der Kayser- und Königlichen Stadt Breßlau Ober-Syndici Großmüthiger Feld-Herr Arminius oder Herrmann, Nehst seiner Durchlauchtigsten Thusnelda in einer sinn-reichen Staats-Liebesund Helden-Geschichte dem Vaterlande zu Liebe dem Deutschen-Adel aber zu Ehren und rühmlicher Nachfolge in Vier Theilen vorgestellet und mit säubern Kupfern ausgezieret. Andere und durch und durch verbesserte und vermehrte Auflage. Leipzig, bey Johann Friedrich Gleditsdiens sei. Sohn, 1 7 3 1 , S . I I - I I I , X X I I . Die folgenden Seiten Gebauers geben wir wörtlich wieder, da sie wertvolle Nachrichten über das Publikum und die Verbreitung des Arminius enthalten: »vor einigen Jahren [haben sich] unvermuthet verschiedene Freunde in der Schweitz gefunden, die nach ihren eigenen Worten, theils in Ansehen des hohen Preisses, der bey ihnen bis auf vier und zwanzig Gulden gestiegen, theils weil ihnen der Werth dieses Buches bekannt gewesen, freymüthig unternommen, solches zu ihrem eigenen Vergnügen, sintemahl sie weder Buchführer noch Buchdrucker sind, nach dem sehr üblichen Gebrauch der Subscriptionen von neuen an das Licht zu legen, wie die deßhalber zu Bern in Emanuel Hortins Druckerey zu zweyenmahlen ausgegebenen Vorschläge und Entwürfe davon mehrern Untericht geben. Dieses Schweitzerische Unternehmen machte bey vielen ein grosses Aufsehen, doch mehr bey andern als bey mir, indem ich vorlängst aus fleissigem Lesen ihrer herrlichen Geschichtschreiber des Stumpfens, des Stettiers, und anderer belehret war, wie grosse Liebhaber und Meister der männlichen Teutschen Beredsamkeit von alters her bey dieser Nation gewesen, in deren Schriften ich auf etlichen Blättern oft mehr Saft und Kraft gefunden, als in gantzen Büchern mancher auf die allerneueste Art sich ausdrückenden Scribenten. Von diesem ächten Geschlechte muß noch heut zu Tage ein grosser Saame vorhanden seyn, welches ich nur daraus schliesse, weil die Freunde in Bern sich unterstanden, statt eines Arminius, zwey, einen in Qvart, und den andern in Octav, den Gelehrten anzutragen, welches von ihnen nicht würde geschehen seyn, wenn sie nicht von der Menge derer, die auch an ihrem Orte die reine Hochteutsche Zunge, und sonderlich deren Meister, den Herrn von Lohenstein, hochachten, vollkommen wären überzeugt gewesen. Niemanden gieng die Sache näher an, als die Gleditschische Handlung, welche dieses Werk auch nur des säubern Druckes, und der kunstreichen Kupfer halben unter ihre Zierden bisher gerechnet hatte, und nun auf einmahl mit dem gäntzlidien Verluste dieses kostbaren Verlags bedrohet wurde. Die eintzige Rath war, mit denen Freunden in der Schweitz ein gewisses Abkommen zu treffen, damit der vorgeschlagene Druck unterbliebe, und den Mangel des Arminius durch eigene Auflage zu ersetzen. Ich hatte damahls die Gelegenheit, den itzigen Besitzer dieser Handlung täglich zu sprechen, und also konte mir audi
I. Kapitel
Gedruckt zu Sitten in Wallis / In Oberkeitlicher Druckerey / Durch Peter Paul Krähan).m Wir haben außerdem die Periochen der Breslauer Aufführungen der Cleopatra (1661), der Agrippina (1666), der Epicharis (1666) und der Sophonisbe (166p) aufgefunden.484 Diese Dokumente sind für die Geschichte des Barocktheaters von größter Bedeutung, denn sie räumen endgültig mit der Behauptung auf, Lohensteins Tragödien seien niemals aufgeführt worden und dies sei wegen ihrer Beschaffenheit auch nie möglich gewesen. Außer den erwähnten Periochen besitzen wir noch andere wertvolle Zeugnisse, die die These entkräften, bei Lohensteins dramatischen Werken handle es sich um reine Lesedramen. Eine Stelle aus dem handgeschriebenen Tagebuch des Danziger Senators Georg Schröder (1635-1703) beweist, daß die Truppe von Carl Andreas Paulsen (auch Pauli genannt), die unter dem Namen Mariische hochteutsche Comödianten< und >Die Hamburgische Comödianten< bekannt war, am 5. September 1669 in den Räumlichkeiten, wo die Fechtschule der Hansestadt untergebracht war, Lohensteins Ibrahim Bassa aufführte.485 Es handelt sich hierbei um ein besonders wichtiges Dokument (wir drucken es im folgenden Kapitel ab), weil es eines der beiden ist, die sich auf die Aufführung einer Lohensteinischen Tragödie durch Berufsschauspieler beziehen. Das andere ist eine kurze Notiz aus Birkens Tagedieses sein Vornehmen nicht verborgen bleiben: Als idi ihn nun dazu von selbst fest entschlossen sähe, unterließ ich nicht, nach Gewohnheit auch meine Gedancken zu eröffnen, und kam die Sache unter mannichem Gespräche endlich dahin, daß es hieß: Wer den Rath, nicht zu der Unternehmung, sondern zu der Ausführung ertheilet, mag auch mit der That aushelffen. Ich kan nicht leugnen: die alte Liebe zu der Dicht-und Rede-Kunst, zu den Geschichten und Alterthümern ward bey mir auf einmahl rege; die Dankbarkeit schiene von mir zu fodern, alles, was idi konte, zu der Vollkommenheit eines Buches beyzutragen, aus dem ich so viel Vergnügen und so vielen Nutzen vor diesem geschöpfiet; mich dünkte, als wenn die Asche des seligen Herrn von Lohenstein mir aus dem Grabe zurufte, daß ich dodi an dieser nadi seinem Tode ans Licht getretenen Frucht seines Geistes Landsmännische Treue erzeigen, ünd nicht gestatten solle, daß sie ohne alle, oder unter solcher Aufsicht von neuen sich der gelehrten Welt darstelle, bey der aus Unerfahrenheit, entweder der Mundart, oder audi der Sadien, sein alter Zustand sich mehr verschlimmere als verbessere. Und aus solchen BewegungsGründen habe ich diese Bemühung unternommen.« 483 D E R Text der Periodie ist abgedruckt bei J . M. VALENTIN, Une représentation inconnue de l' >Epicharis< de Lohenstein (Sion. 1710), in »Études Germaniques« 24 (1969), S. 245-248. 484 Vgl. ¿¡e Anmerkungen 1, 2, 3 und 4 des zweiten Kapitels des vorliegenden Buches. 485 VGL. JOHANNES BOLTE, Das Danziger Theater im 16. und iy. Jahrhundert, Hamburg und Leipzig, Verlag von Leopold Voß, 189$ ( = Theatergeschichtliche Forschungen, X I I ) , S. 1 0 3 - 1 0 4 .
Probleme der Rezeptionsgeschichte
der
Barockliteratur
167
buch vom ζj.Juli 166 j: »Die Comödie vom Ibrahim cum Palemón [Johann Gabriel Maier] vidi.« 485a Audi diese Aufführung des Ibrahim Bassa war von der Truppe Carl Andreas Paulsens veranstaltet worden. Diese hatte vom Nürnberger Senat am 20. Juni 1667 die Genehmigung erhalten, im städtischen Fechtsaal Theatervorstellungen zu geben.485b Über die Aufführungen der Breslauer Gymnasiasten besitzen wir dagegen außer den oben genannten Periodien die Tagebuchaufzeichnungen - in 30 handgeschriebenen Bänden - des Rektors des Elisabetanums. Elias Maior verzeichnet folgende Vorstellungen: V o m 28. Februar bis 3. März 1661 führten die Schüler des Elisabetanums Lohensteins Cleopatra und Gryphius' Cardenio und Celinde auf, vom 2. bis 18. Mai 1666 Agrippina und Epicharis. A m 14. Mai 1669 erhielten die Schüler des Magdalenäums vom Senat der Stadt die Erlaubnis, Hallmanns Antiochus und Stratonica und Lohensteins Sophonisbe zu spielen (sicherlich bezieht sich die auf uns gekommene Perioche auf diese Vorstellung). 488 Diese von Maior vermerkten Aufführungen waren nicht nur schulische Darbietungen nach A r t der >Actus scholasticiActus scholastici< vgl. R. MÖLLER, Geschichte des Altstädtiscben Gymnasiums. Zweiter Theil. Dritter Abschnitt. Der Unterricht in früherer Zeit und seine Hemmnisse. Dritte Beilage. Die Schulcomödien im Allgemeinen. Judith, eine lateinische Schulcomödie, aufgeführt im Altst. Gymn. 1682, in Bericht über das Altstädtische Gymnasium zu Königsberg in Pr. von Ostern 187} bis Ostern 1874, Königsberg 1874, S. 2-32; R. MÖLLER, Geschichte des Altstädtischen Gymnasiums. Zweiter Theil. Dritter Abschnitt. Der Unterricht in früherer Zeit und seine Hemmnisse. Vierte Beilage. Die rhetorischen Schulactus, in Bericht über das Altstädtische Gymnasium zu Königsberg in Pr. von Ostern 1877 bis Ostern 1878, Königsberg 1878, S. 2-28; DIETRICH EGGERS, Die Bewertung deutscher Sprache und Literatur in den deutschen Schulactus von Christian Gryphius; und BARNER, Barockrhetorik, S. 291-302.
/. Kapitel
ι68
Ü b e r l e g u n g e n eine gewisse R o l l e spielten. 4 8 8 B e w e i s d a f ü r ist die Tatsache, d a ß die V o r s t e l l u n g e n f a s t nie in den Schulräumen, sondern in besonders geräumigen G e b ä u d e n der S t a d t u n d gelegentlich auch f ü r ein ausgew ä h l t e s P u b l i k u m s t a t t f a n d e n . S o veranstaltete z u m Beispiel der H e r z o g v o n Brieg f ü r sich u n d seinen H o f , unter Ausschluß aller sonstigen Z u schauer, S e p a r a t a u f f ü h r u n g e n v o n Lohensteins Cleopatra u n d G r y p h i u s ' Cardenio
und Celinde
( 3 . M ä r z 1661)
(2. M ä r z
1661)
durch die Schüler des
Elisabetanums. 4 8 9 D a s P u b l i k u m dieser unwiderleglich bezeugten A u f f ü h r u n g e n 4 9 0 L o hensteinischer T r a g ö d i e n bestand aus den B e a m t e n der S t a d t v e r w a l t u n g , den P a t r i z i e r n , den Fürsten des Ortes, d e m H o f - u n d dem L a n d a d e l , den V e r w a n d t e n der Schüler, den G y m n a s i a l l e h r e r n u n d den G y m n a s i a s t e n selbst. J o h a n n C a s p a r A r l e t i u s schreibt in seinem Historischen
Entwurf
von den Verdiensten der Evangelischen Gymnasiorum in Breßlau um die deutsche
Schaubühne
( 1 7 6 2 ) über A n d r e a s G r y p h i u s , H a l l m a n n u n d L o -
henstein u n d das P u b l i k u m der V o r s t e l l u n g e n ihrer Schauspiele:
488 Maximilian Schlesinger, der Historiker des Breslauer Theaters, schreibt zu den Schüleraufführungen der Gymnasien: »Wie reichen Beifall der Zeitgenossen diese Vergnügungen fanden, kann man aus der Mitteilung ersehen, daß im Jahre 1669, der Glanzzeit der Schulkomödie, die Zuschauer sich beeiferten, namhafte Beiträge in die silbernen Schalen, welche am Eingange der Aula aufgestellt waren, zu legen. Die Einnahmen des Abends betrugen in jener Zeit gegen 500 Thaler; der Dichter empfing sechs silberne Becher im Werte einer Mark, jeder Aufseher einen und jeder Akteur einen oder anderthalb Thaler.« (MAXIMILIAN SCHLESINGER, Geschichte des Breslauer Theaters. Band 1:1 ¡22-1841, Berlin, S. 6). 489 VGL. H I P P E , AUS dem
Tagebuche,
S. 187.
490 Vagere Angaben über Aufführungen von Lohensteinischen Tragödien enthält die Chronik von FRIEDRICH LUCAE, Schlesiens curiose Denkwürdigkeiten / oder vollkommene Chronica von Ober und Nieder-Schlesien, Franckfurt am Mäyn / 1689, S. 578 (»Bey Lebzeiten derer dreyen berühmten Schlesischen Poeten in der Teutschen Sprache / Christiani Hoffmann von Hofmannswaldau / Andreae Gryphii, und Danielis Caspari, praesentirte gemeiniglich die studirende Jugend deß Jahrs einmal derselben Wercke / und hernach im Druck heraus gegebene Freuden-und TrauerSpiele / auff öffentlicher Schaubühne: weil aber die Spectatores ein erkleckliches hierzu contribuirten / so werden von solchen gesamieten Geldern / das Theatrum, die Kleidungen / samt allem Zugehör / jährlich zierlicher ausstaffiret / vermehret / und zu fernerem Gebrauch unterhalten. Durch diese Exercitia solte sich zwar die Jugend / nach etlicher Meynung / in wohlanständigen Sitten / sonderlidi in der Redekunst / perfectioniret machen / unterdessen improbiren es viel Kluge / in regard, daß die Jugend solcher Licenz mißbrauchte / darüber die Studia versäumete / daraus ein Handwerck gleichsam formine / anderer Excessen zugesdiweigen«). Auch Bresler spricht in De vita über die »Tragoediae« Lohensteins »ä iuuentute gymnasiorum vratislauiensium in scenam productae agitataeque« (BRESLER, De vita et scriptis Daniels Caspari à Lohenstein, S. 90).
Probleme der Rezeptionsgeschichte der
Barockliteratur
169
I d i mag und k a n hier keinen K u n s t - oder Schiedsrichter v o n den unterschiedenen Gaben dieser drey Schauspieldichter abgeben [ . . . ] A b e r so viel w i r d doch iedermann zugestehen, daß alle drey die deutsche Schaubühne, und besonders in Breßlau empor gebracht, da man anderwärts fast gar nicht daran gedachte. U n d w e r weiß, ob anderwärts so gute Gelegenheit sich hierzu ereignet, als hier in Breßlau, da theils in der Fasten, theils in J a h r m ä r k t e n , Fürsten, Freyherren, Edelleute und andere wackere Bürger sich diese Lust vergönnten, und den spielenden Personen ihre Mühe reichlich belohnten; w i e denn der nächste Amtsgenosse meines Sei. Vaters und mein ehemaliger Lehrer zu Elisabet, der Sei. H e r r Balthasar Stephani, meinem V a t e r versichert, daß er mitgespielt und nicht wenig gewonnen hätte, indem die Zuschauer und Z u h ö r e r v o n vornehmen Stande in die silberne Schalen reichlich Ducaten und harte Thaler eingelegt, und andere auch nicht wenig beygetragen hätten? daher auch die J u g e n d besonders in der Periode des unglückseligen H a l l m a n n s dergestalt verwildert, daß dem allzuhäufigen Spielen ein Riegel vorgeschoben worden [ . . . ] . Arletius behauptet ferner, daß »der Briegische H e r z o g mit seiner ganzen H o f s t a t t « 4 9 1 bei zweien der v o n den Schülern des Elisabetanums 1661
ab-
« 1 Historischer Entwurf von den Verdiensten der Evangelischen Gymnasiorum in Breßlau um die deutsche Schaubühne. Womit zu dem durò göttliche Gnade erlebten, und mit gnädiger Erlaubniß und Unterstützung Eines Hochlöblichen Magistrats im Jahr 1762. den 29. Januarii feyerlich zu begehenden Zweyhundertjährigen Gedächtniß der Stiftung und Einweihung des berühmten Gymnasii zu Elisabet Mäcenaten, Gönner und Freunde der Schulen und dergleichen Handlungen gehorsamst, ehrerbietigst und ergebenst einladet JOHANN CASPAR ARLETIUS, Rector, Professor und Bibliothecarius zu Elisabet, und Inspector der Evangelischen Schulen. Breßlau, gedruckt mit Graßischen Schriften, §§ V und III. § IV des Entwurfs von Arletius enthält außer Nachrichten über Aufführungen von Tragödien Hallmanns und Lohensteins auch einen interessanten Hinweis auf die Entstehungszeit der Tragödien Lohensteins, die auf den Ibrahim Bassa folgen: »Er [Lohenstein] hat sich unstreitig das grosse Muster und den ansehnlichen Ruhm des älteren Gryphii zur Nachfolge reitzen lassen, da er bereits als ein Knabe von 15 oder 16 Jahren seinen Ibrahim Bassa geschrieben. Die übrigen hat er hernach allhier als ein praktischer Rechtsgelehrter aufgesetzt, von welchen die beyden, Agrippina und Epidiaris wechselsweise zwölfmal von den Elisabetanischen Studenten vorgestellet worden sind. Im Jahr 1669 erlangten die Elisabetaner auf die Vorbitte des Rector Majors die vorher verweigerte Vergünstigung Lust- und Trauerspiele wechselsweise in der Fasten aufzuführen; jenes ist mir unbekannt; dieses aber war, wie ich aus einem Entwürfe zuverläßig weiß, Joh. Christ. Hallmanns sterbende Mariamne gewesen, welche man vom 25. Februar bis zum 12. März wechselsweise gespielt. Die Magdalenäer erlangten hernach audi die ihnen erstlich abgeschlagene Erlaubniß, und spielten vom 14. May an wechselsweise Lohensteins Sophonisbe und Hallmanns Antiodius und Stratonica. Bis hieher gehen meine Nadiriditen theils und hauptsächlich aus M. Elia Majors, Rectoris zu Elisabet, Schreibecalendern, wo er diese und andere Breßlauische Merkwürdigkeiten fleißig angemerket hat, theils aus einigen gedruckten Entwürfen oder Innhalten der aufgeführten Trauer-und Lustspiele, derer aber wenig sind.«
i/o
I.
Kapitel
wechselnd gegebenen Vorstellungen von A. Gryphius' Cárdenlo und Celinde und Lohensteins Cleopatra anwesend war (was wir aus der oben zitierten Tagebuchnotiz bei Elias Maior schon wußten). Ein zahlreicheres und heterogeneres Publikum sah dagegen die Danziger und die Nürnberger Aufführung des Ibrahim Bassa durch eine Truppe von Berufsschauspielern. Im allgemeinen aber setzten sich die Zuschauer der Tragödien Lohensteins aus Familien des gehobenen Mittelstands, des Patriziats und des Adels zusammen, d. h. den Schichten, aus denen die Schüler der Gymnasien zum großen Teil kamen.492 Dieses Publikum, das aus Beamten des Kaisers, der schlesischen Herzöge, der Territorialfürsten und des Magistrats, aus Ratsherren, Juristen, Gelehrten, Adeligen und Patriziern bestand, war ein kulturell homogenes Publikum.493 Gleiches Bildungsniveau verband auch 482 Die Breslauer Patrizier besuchten vorzugsweise das Elisabetanum. Dazu schreibt Friedrich Lucae: »Gleichwie die Stadt Breßlau in zwo Haupt-Gemeinden der beyden Haupt-Pfarr-Kirchen / [ . . . ] / abgetheilet wird / ebenfalls die Gymnasia. Die Elisabeth Kirche begreifft in sich die vornehmsten Häuser / und Patritios, also halten sich auch dieselben an das Gymnasium, mit dem ansehnlichsten Theil der Bürgerschaft.« Das andere Gymnasium der Stadt, das Magdalenäum, war auch äußerlich weniger herrschaftlich, aber das Ansehen mancher Rektoren und Lehrer verschaffte ihm zu bestimmten Zeiten eine größere Schülerzahl und eine gewisse Anzahl von Sdiülern aus dem Hochadel. So wurde das Magdalenäum unter dem Rektorat Kleinwächters besonders vom schlesischen Adel besucht. Hierüber schreibt Lucae: » Mag. Valentinus Kleinwächter / von Schweidnitz aus Schlesien / conservirte deß Gymnasii Flor Anno 1659. machte sich durch seine Authorität bey der Jugend furchtsam / und beliebt / und erbauete daher sehr viel / deßwegen ihm auch der Schlesische Adel starck anhieng und zulieff / sonderlich seine Landsleute / aus dem Schweidnitzischen und Jaurisdien. Es unterwarfen / sich audi seiner Information vieler Herren Standes-Personen / unter andern die Grafen von Dönhoff aus Preussen / die heutigen Grafen von Hohberg in Schlesien / und andere mehr / welche publice seine Lectiones frequentirten / und unter seinem Praesidio perorirten.« (FRIEDRICH LUCAE, Schlesiens curiose Denckwürdigkeiten /oder vollkommene Chronica, S. 574-576). 493
Heterogener war dagegen das Publikum, das die Theatervorstellungen der Jesuiten besuchte, die allen sozialen Schichten offenstanden [vgl. dazu MAXIMILIAN SCHLESINGER, Geschichte des Breslauer Theaters, S. 6; ALBERT STURM, Theatergeschichte Oberösterreichs im 16. und 17. Jahrhundert. Mit 12 Abbildungen, Wien 1964 ( = österreichische Akademie der Wissenschaften. Kommission für Theatergeschichte Österreichs, Heft 1), S. 1 0 2 - 1 0 3 ; und GÜNTER HESS, Spectator - Lector - Actor. Zum Publikum von Jacob Bidermanns CENODOXUS. Mit Materialien zum literarischen und sozialgeschichtlichen Kontext der Handschriflen von Ursula Hess. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 1 (1976), 3 0 - 1 0 6 ] . Exklusiver waren hingegen die Vorstellungen des kaiserlichen Hoftheaters. Zur Premiere war nur der Hof zugelassen; zu den späteren Aufführungen »konnte jeder bessere Wiener Bürger, ja auch der Fremde Zutritt erhalten« [ALEXANDER VON WEILEN, Das Theater. 1529-1740, in Geschichte der Stadt Wien. Herausgegeben vom Altertumsvereine zu Wien. Redigiert von Anton Mayer. VI. Band. Vom Ausgange des
Probleme
der Rezeptionsgeschichte
der
Barockliteratur
Publikum und Dichter. »Durch Gymnasium und Universität«, schreibt Flemming, »ist Dichter wie Publikum gegangen, und so sind beiden gemeinsam eine Menge bestimmter Anschauungen wie Kenntnisse.« 494 Die durch Latein und Rhetorik bestimmte Bildung, der Geschmack an Disputationen und an der Kasuistik der Leidenschaften, eine Vorliebe f ü r die rhetorische und repräsentative Gebärde sind dem Dramatiker und seinem Publikum gemeinsam, vor allem aber haben sie einen gemeinsamen geistigen Mittelpunkt: den H o f . Jede Lohensteinisdie Tragödie ist, wie Kindermann im Hinblick auf die römischen und afrikanischen Tragödien schreibt, »als Ruf in die Zeit, also von der theatralischen Wirkung auf ein höfisches oder dem H o f e nahestehendes Publikum gedacht«.495 Die kulturelle und geistige Homogenität, die zwischen Autor und Publikum besteht, erklärt die vollkommene Angemessenheit der Werke des ersteren gegenüber dem Erwartungshorizont des letzteren. Wenn man die Barockliteratur im allgemeinen und das dichterische Werk Lohensteins im besonderen verstehen will, muß man die romantische Auffassung von dem unvermeidlichen Gegensatz zwischen einem Werk der Dichtung und den Erwartungshorizonten des Publikums aufgeben (wobei dieses offensichtlich zu einem bürgerlichen und spießbürgerlichen Publikum abgesunken
485
Mittelalters bis zum Regierungsantritt der Kaiserin Maria Theresia, 1740. (III Teil). Mit 14 Tafeln und 44 Textillustrationen, Wien 1918, S. 3 3 3 - 4 5 6 , hier S. 399-400]. Zum Publikum des Wiener Hoftheaters vgl. audi FRANZ HADAMOWSKY, Barocktheater am Wiener Kaiserhof. Mit einem. Spielplan, in »Jahrbuch der Gesellschaft für Wiener Theaterforschung« 7 ( 1 9 5 1 - 1 9 5 2 ) , 7 - 1 1 7 , hier S. 2 0 - 2 1 ; und MARGARETE BAUR-HEINHOLD, Theater des Barock. Festliches Bühnenspiel im 17. und 18. Jahrhundert, München 1966, S. 36. In Universitätsstädten wie Heidelberg lud der Hof zu den eigenen Vorstellungen auch die Studenten ein, wie er diese audi dazu einlud, ihre Theatervorstellungen am Hof zu wiederholen [vgl. JOHANNES BOLTE, Schauspiele am Heidelberger Hofe 1650-1687, in »Euphorion« 31 (1930), S. 5 7 8 - 5 9 1 ] . Ausschließlich den zur Hofgesellschaft gehörenden Personen zugänglich waren die Vorstellungen der Hoftheater von Hannover und Celle. [Vgl. ROSEMARIE ELISABETH WALLBRECHT, Das Theater des Barockzeitalters an den weifischen Höfen Hannover und Celle. Hildesheim 1974 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 83), S. 2 1 4 - 2 1 7 ] . Zum Opernpublikum vgl. HELLMUTH CHRISTIAN WOLFF, Das Opernpublikum der Barockzeit, in Festschrifl Hans Engel. Zum siebzigsten Geburtstag. Herausgegeben von Horst Heussner, Kassel, Basel, Paris, London, N e w York 1964, S. 442-452. WILLI FLEMMING, »Einführung. Theater und Kultur im 17. Jahrhundert«, in Das schlesische Kunstdrama. Herausgegeben von Willi Flemming, Leipzig 1930 ( = Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst-und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe Barock, Band I), S. 1 1 . HEINZ KINDERMANN, Theatergescbichte Europas. III. Band: Das Theater der Barockzeit, S. 422.
I.
Kapitel
ist, das der Künstler nach seiner Selbsterhöhung zum genialen Schöpfer, zur göttlichen oder dämonischen Gestalt eines Lichtbringers und zur Verkörperung von Wahrheit und Geistigkeit notwendigerweise durch Werke schockieren muß, die dessen kulturellen, geistigen und ästhetischen Erwartungen zuwiderlaufen). Das Verhältnis zwischen dem Barockpublikum und seinen Dichtern ist ein harmonisches Verhältnis. Deren Werke entstehen nicht etwa als Ausdruck der Uneinigkeit mit der Gesellschaft oder der Mißbilligung der von ihr anerkannten Werte, sondern als Beitrag zur Verherrlichung der aristokratisch-feudalen Gesellschaftsordnung und zur Durchsetzung der höfischaristokratischen Werte der herrschenden Klasse.495a Die Dichtwerke des Barock stellen einen Beitrag zur >Repräsentation< der höfischen Gesellschaft und zum Prozeß der sozialen Integration zwischen dieser Gesellschaft und ihren damaligen und künftigen Beamten dar; sie sind nicht Zeichen eines sozialen oder moralischen Protestes. Die Barockliteratur erfüllt die gesellschaftliche Funktion der Propagierung der von der höfischen Gesellschaft als gültig anerkannten Normen und Werte um so leichter und wirkungsvoller, da sie in der Gesellschaft wurzelt und als >Gesellschaftsdichtungrepräsentative< Auffassung von der Dichtung vertieft die Bindung zwischen Dichter und Publikum, macht sie sogar unabdingbar. Manfred Windfuhr schreibt in seiner gewichtigen Untersuchung über die Barocke Bildlichkeit: »Für die rhetorisch verfahrenden Dichter ist es selbstverständlich, das Publikum als eine eigene Kategorie in ihren Arbeitsprozeß mit einzuschließen. Ihre Gedanken und Bilder sollen den Leser erreichen. Das ist ein wichtiges Ziel. Sie arbeiten nicht nur in Dialog mit sich und ihrem Werk, sondern berücksichtigen als drittes Element den Aufnehmenden.« 498 Von der Gelegenheitsdichtung bis zu den großen Formen der Epik und Dramatik ist die Barockliteratur Rhetorikübung. Die Barocktragödie steht in engem Zusammenhang mit den rhetorischen Übungen an den Gymnasien, die in der Barockzeit höchst bedeutsame Zentren des literarischen Lebens sind, während der höfische Roman, der »eines der wichtigsten Instrumente der rhetorischen Adelserziehung« dar495a Über die widitige Rolle der Großmütigkeit und der Beständigkeit, zweier Grundtugenden der aristokratisch-höfischen Ethik, in der Barockliteratur vgl. W . WELZIG, Magnanimitas. Zu einem Zentralbegriff der deutschen Barockliteratur. In »Orbis Litterarum« 28 (1973), 192-203. 49β WINDFUHR, Die barocke Bildlichkeit und ihre Kritiker, S. 175.
Probleme der Rezeptionsgeschichte der Barockliteratur
Γ/3
stellt, in der repräsentativen Rhetorik des Hoflebens »seinen natürlichen Wurzelboden« hat.497 Die rhetorische und repräsentative Natur der Barockliteratur - die in den nachfolgenden Epochen ein sehr großes und vielleicht unüberwindliches Hindernis für ihr Verständnis bilden sollte - führte ursprünglich nicht zu einem Bruch in der Kommunikation zwischen Autor und Lesern oder Hörern, vielmehr war sie Ausdruck einer vollkommenen Einigkeit und eines geistigen Gleichklangs zwischen den beiden Polen der ästhetischen Kommunikation. Diese vollkommene geistige Ubereinstimmung zwischen Autor und Publikum war im übrigen die Frucht jener weitgehenden sozialen Integration zwischen Intellektuellensdiidit und herrschender Klasse, die für das 17. Jahrhundert charakteristisch ist. Die Auflösung der althergebrachten Feudalstruktur der Gesellschaft, die Krise der Städte und der gleichzeitige Prozeß der Herausbildung der absolutistischen Territorialstaaten hatten eine derartig erhöhte soziale Mobilität bewirkt, daß die Übernahme der gesamten Intelligenz in die herrschende Klasse, die neue H o f bürokratie, möglich wurde. Solange der Index der sozialen Mobilität hoch blieb und damit die sozialen Aufstiegschancen der bürgerlichen Intelligenz ebenfalls sehr gut waren, verlor die Dichtung weder ihren Charakter noch ihre >RepräsentationsMesalliancen< verhinderte und den Jungakademikern die traditionellen Adelsprivilegien vorenthielt. So entstand ein Riß zwischen herrschender Klasse und Intellektuellenschicht. Die Intelligenz, ins Lager der Opposition gedrängt, kämpfte nun gegen das Machtzentrum (den H o f ) und die Gesellschaftsstruktur, bei der sich Formen herauskristallisiert hatten, die ihren natürlichen Machtwillen und das Bewußtsein ihrer geistigen Überlegenheit frustrierten. Die Intelligenz suchte und fand im Bürgertum - das in der ersten Hälfte des 18. Jahr497
BARNER, Barockrhetorik, S. 386. Uber die Bedeutung der Rhetorik f ü r den R o m a n des 1 7 . Jahrhunderts vgl. EGON COHN, Gesellschaftsideale und Gesellschaftsroman des ij. Jahrhunderts, S. 106.
174
I. Kapitel
hunderts eine wirtschaftliche Expansion erlebte - einen ideologischen Bundesgenossen und f ü r ihre Werke ein partnerschaftliches Publikum. Diese Faktoren werden w i r am Ende des dritten Kapitels im vorliegenden Buch analysieren. Das folgende Kapitel w i r d dagegen die Geschichte von Lohensteins R u h m darstellen. Seine Hochschätzung sollte noch das dritte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts einschließen, d . h . solange jenes bestimmte elitäre Publikum mit rhetorischer Bildung, f ü r das der schlesische Dichter seine Werke geschrieben hatte, noch vorhanden w a r und seine Funktion als literarischer Geschmacks->Träger< beibehielt. Nach 1 7 3 0 , als - infolge von Prozessen, auf die wir später eingehen werden - an die Stelle des elitären Publikums der Barockdichtung ein breites bürgerliches Publikum treten sollte, das von den Pietisten dazu erzogen wurde, in der repräsentativen Rhetorik des Barock den Ausdruck einer geistigen Leere und der Unaufrichtigkeit zu sehen,498 wurde der repräsentative und rhetorische dichterische K o d e der Schriftsteller des 1 7 . J a h r hunderts unverständlich und die früher so sehr gefeierte Dichtung Lohensteins wurde abgelehnt.
498 Über die Rolle, die der Pietismus bei der Verurteilung der Barockdichtung spielte, vgl. HANS SPERBER, Der Einfluß des Pietismus auf die Sprache des 18. Jahrhunderts, in »Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgesdiidite« 8 (1930), S. 4 9 7 - 5 1 5 ; und WINDFUHR, Die barocke Bildlichkeit, S. 440-456.
II. K A P I T E L
Die barocke Apotheose Der unvergleichliche Lohenstein (1661-1731)
Die ersten von uns entdeckten Dokumente zur Rezeptionsgeschichte Lohensteins sind die anläßlich der Aufführungen der Cleopatra (28. Februar 1661),1 der Agrippina (2. Mai 1666),2 der Epicharis (Mai 1666, vielleicht am 3. j.) 3 und der Sophonisbe (Mai 1669) 4 veröffentlichten Periochen. 1
Cleopatra von Daniel Casparn gesetztes Trauer-Spiel. Durch die in Breslaw bey dem Gymnasio zu St. Elisabet studierende Jugend auf öffentlichem Schau-Platz vorbestellet. Im Jahr 1661. Monat und T a g der A u f f ü h r u n g sind uns durch Elias Maiors Tagebücher bezeugt (vgl. HIPPE, Aus dem Tagebuche, S. 188). Die Perioche dokumentiert ihrerseits unbestreitbar die uns durch E. Maior überlieferte Information. Der T e x t der Perioche schließt sich eng an die Zusammenfassung der $ A k t e an, die die Ausgabe der Cleopatra von 1661 einleitet. Es ist eine einzige wesentliche Abweichung festzustellen: In der Perioche wird der Inhalt der ersten Szene des fünften A k t e s folgendermaßen angegeben: »Wird Antillus deß Antonii und Fulviae Sohn in dem Tempel der Isis, von den Römischen Soldaten ermordet.« Diese Szene fehlt in der Cleopatra- Ausgabe von 1661 ganz, w o Antillus (4. Szene, V . A k t ) nur als Leichnam vorkommt (die Ermordung des Antillus wird in den Versen 340—362 von Archibius berichtet). In der Ausgabe von 1680 wird der Mord an Antyllus in der dritten Szene des fünften Aktes dargestellt. Der Text, der der A u f f ü h r u n g durch die Schüler des Elisabetanums zugrundelag, stellte somit vielleicht den ersten Versuch einer N e u bearbeitung der sog. Urcleopatra durch Lohenstein dar. Die Perioche, die wir faksimiliert wiedergeben, befindet sidi in der Biblioteka Uniwersytecka W r o c l a w (Signatur: Y u iojo/6).
2
Daniel Caspers Agrippina Trauer-Spiel / Durò Die im Elisabetanischen Gymnasio Studierende Jugend au ff öffentlichem Schau-Platz vorgestellet Im Jahr 1666. Breßlau / Druckts Johann Christoph Jacob / Baumannischer Factor. Monat und T a g der A u f f ü h r u n g sind uns durch die Tagebücher Elias Maiors bezeugt (vgl. HIPPE, AUS dem Tagebuche, S. 188). Die Perioche ihrerseits beweist unbestreitbar die uns durch E. Maior überlieferte Information. Der Text der Perioche folgt - wenn man von einigen Auslassungen absieht (mandie sind, vielleicht nicht zufälligerweise, soldie von kühnen erotischen Episoden und Einzelheiten) - , dem »Innhalt«, wie er der Agrippina· Kusche von 1665 vorausgeschickt ist. Die Perioche, die wir faksimiliert wiedergeben, befindet sich in der Biblioteka Uniwersytecka W r o c l a w (Signatur: Y u 1050/6).
3
Epicharis Trauer-Spiel / Durch Die im Elisabetanischen Gymnasio Studierende Jugend auf} öffentlichem Schau-Platz vorgestellet Im Jahr 1666. Breßlau / Druckts Johann Christoph Jacob / Baumannischer Factor. Monat und T a g der A u f f ü h r u n g sind uns durch die Tagebücher Elias Maiors bezeugt (vgl. HIPPE, AUS dem Tagebuche, S. 188; Hippe läßt der Tagesangabe ein Fragezeichen folgen). Die Perioche ihrerseits beweist
I76
II.
Kapitel
Obgleich diese Inhaltsangaben - mit denen man die Vorstellungen anzuzeigen und die Behördenvertreter und die örtliche Prominenz dazu einzuladen pflegte - von höchster Wichtigkeit sind, da sie uns unwiderleglich die tatsächlich erfolgte Aufführung der Lohensteinischen Tragödien dokumentieren und wichtige Hinweise auf den Aufbau einiger, nun verlorengegangener handschriftlicher Fassungen der Tragödien liefern, sagen sie uns dodi nichts über die Interpretation und natürlich auch nichts über ihre Aufnahme von seiten des Publikums. Von diesem Gesichtspunkt aus interessanter ist das bereits erwähnte unbestreitbar die uns durch E. Maior überlieferte Information. Der Text der Perioche schließt sich dem »Innhalt Des Trauer-Spiels« an, der der Epicharis-Ausgabe von i 6 6 j vorangeht; er tut dies aber mit vielen Auslassungen, die das Verständnis der Abfolge der Ereignisse zuweilen erschweren. Die Periodie, die wir faksimiliert wiedergeben, befindet sich in der Biblioteka Uniwersytecka Wroclaw (Signatur: Y U 1050/6). * Sophonisbe Trauer-Spiel / Durò die Bey dem Magdalenischen Gymnasio zu Breßlau Studierende Jugend / Auff öffentlicher Schaubühne vorgestellet / Im May 1669. Breßlau / In der Baumannischen Erben Druckerey druckts Johann Christoph Jacob / Factor. Diese Aufführung der Sophonisbe vom Mai 1669 war uns durdi Elias Maiors Tagebücher bekannt (vgl. HIPPE, Aus dem Tagebuche, S. 188). Die Perioche beweist nun unbestreitbar die uns durch E. Maior überlieferte Information. Der Text der Periodie ist - wenn man von einigen sehr kurzen Bühnenanweisungen (Zelt, Tempel, Königssaal, Kerker usw.) und sehr häufigen, aber geringfügigen orthographischen Varianten absieht - , mit dem Text des »Innhalts« identisch, der der »editio princeps« der Tragödie aus dem Jahr 1680 vorangestellt ist. Die einzigen echten Varianten, die man bei einem Vergleich zwischen Perioche und »Innhalt« feststellen kann, sind die folgenden: »auff das Altar deß Abgots« statt »in die glüenden Armen des Abgotts« (I. A k t , 5. Szene); »Im Reyen mahlet die Einbildung der Eyfersudit« statt »Im Reyen mahlet die Eyversudit der Einbildung« (III. A k t , 5. Szene); »von Ferdinando Catholico« statt »von Ferdinanden dem andern«; »Philippo Austriaco« statt »Philippen dem Ertzherzoge« ( V . A k t , 1. Szene). Diese Perioche, die zweifellos den Lohensteinischen Text des >Innhalts< der ursprünglichen Fassung der Sophonisbe wiedergibt, ist sehr wichtig, denn sie beweist die wesentliche Ubereinstimmung zwischen dieser Fassung und der ersten gedruckten Ausgabe von 1680. Somit sind alle Hypothesen über eine angebliche Urfassung der Sophonisbe hinfällig. Unlängst hat Spellerberg, der sich ebenfalls auf einen Vergleich zwischen der Perioche und der Ausgabe von 1680 stützte, nicht nur das Nichtvorhandensein einer Urfassung der Sophonisbe bewiesen, sondern darüber hinaus durch eine eindringliche Textanalyse die in der gesamten Lohenstein-Literatur stets als sicher geltende Hypothese widerlegt, daß nämlich dieses Trauerspiel aus A n l a ß der Hochzeit von Margareta Theresia mit Leopold I. im Jahr 1666 geschrieben worden sei (vgl. GERHARD SPELLERBERG, 2ur »Sophonisbe« Daniel Caspers von Lohenstein, in Literaturwissenschaft und Geschichtsphilosophie. Festschrift für Wilhelm Emrich. Herausgegeben von Helmut Arntzen, Bernd Balzer, Karl Pestalozzi und Rainer Wagner. Berlin-New Y o r k 1975, S. 239-263). Die Perioche, die wir faksimiliert wiedergeben, befindet sich in der Universitätsbibliothek Mainz (Signatur: 4 0 A c 4199; Nr. 16). Die Kenntnis der Existenz dieses wichtigen Dokuments verdanken wir DIETRICH EGGERS, Die Bewertung deutscher Sprache und Literatur in den deutschen Schulactus von Christian Gryphius, Meisenheim am Glan 1967 ( = Deutsche Studien, Band 5), Anm. S. 28.
Die barocke
Apotheose
177
T a g e b u c h b l a t t des D a n z i g e r Senators G e o r g Schröder ( 1 6 3 5 - 1 7 0 3 ) , w o die A u f f ü h r u n g des Ibrahim
Bassa beschrieben ist, die am 5. September 1669
durch die T r u p p e C a r l A n d r e a s Paulsens (auch P a u l i genannt) in den R ä u men der Fechtschule der H a n s e s t a d t erfolgte. G e o r g Schröder, der die U n i versitäten L e i p z i g u n d Leiden besucht u n d dann in den Jahren 1 6 6 1 - 1 6 6 3 E n g l a n d , Frankreich, Italien, Deutschland u n d P o l e n bereist hatte, u m seine B i l d u n g z u v e r v o l l k o m m n e n , 5 gibt den I n h a l t v o n Lohensteins erster T r a g ö d i e genau w i e d e r u n d spendet ihr ein flüchtiges L o b , i n d e m er sagt, sie sei sehenswert. H i e r die bei Johannes B o k e aus Schröders handgeschriebenem Tagebuch abgedruckte Seite: Den j . S e p t . Eine Comoedie gesehen von Ibrahim Bassa und der Isabellen, welche wol anzusehen war. In dem ersten Actu kam der Soliman mit seinen Räthen zu deliberiren, ob er dem Ibrahim Bassa, der in die flucht mit der Armada sich begeben, solte nachschicken. Darauf wurd der Ibrahim Bassa mit seiner Isabella gefangen gebracht. In dem anderen Actu wurd praesentiret ein gefängnüß, darin Isabella gefangen, und wie der Soliman sie zu überreden sich angelegen sein last. In dem dritten Actu fält Soliman ein uhrtheil, das Ibrahim Bassa sterben solle, und wird praesentiret, wie Soliman, ihm ein Traürkleid schicket und eine Todten Mahlzeit bereiten last, da der strick in der Schüssel lieget, damit Ibrahim sol stranguliret werden. Aber indem Ibrahim stranguliret wird, kompt Soliman und schenkt ihm das Leben und bittet ihn mit seiner Isabella zu gast. In dem vierdten Actu practisiret die Kayserin Roxolana, das Ibrahim getödtet werde, und überredet den Soliman durch H ü f f e des Mufti, das sein Eidschwur, den er dem Ibrahim gethan, nicht zu halten, und das Ibrahim, wenn Soliman schlaffen würde, sollte enthäuptet werden. In dem Actu quinto sdilaffet Soliman und fantasiret, indes wird Ibrahim enthauptet, und Soliman wird unsinnig, indem er die Zeitung bekommet, und Isabella, nachdem sie das Haupt des Ibrahims überkommen, beweinet sie ihn und reiset von dannen, in der gantzen Welt über die Tyrannie des Solimans zu klagen. 6 A u d i die u n m i t t e l b a r anschließenden Zeugnisse beziehen sich auf L o h e n steins B ü h n e n w e r k e . I m V o r w o r t » A n den Hoch-geneigten Leser«, das C h r i s t o p h K o r m a r t 5
6
Vgl. JOHANNES BOLTE, Das Danziger Theater im 16. und 17. Jahrhundert. Hamburg und Leipzig, Verlag von Leopold V o ß , 1895 ( = Theatergesdiichtlidie Forschungen. XII.), S. 103. Bolte entnahm diese Angaben dem Danziger Gelehrtenlexikon, einem handgeschriebenen Werk, das in der Danziger Stadtbibliothek aufbewahrt wird. Bolte, S. 104. Das handgeschriebene Tagebuch Schröders trug den Titel Quodlibet oder Tagebuch. Die alte Signatur in der Danziger Stadtbibliothek w a r III A fol. 36. Blatt N r . 108 enthält die Mitteilungen über die A u f f ü h r u n g des Ibrahim.
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II.
Kapitel
seiner Ubersetzung der Maria Stuart von Vondel aus dem Jahr 1673 vorausschickt (die Widmung trägt das Datum »Dreßden 12 junii Anno 1673«), lobt er die Tragödien von »Gryphius und Caspar in Schlesien« (»vortrefliche Erfindungen in gebundener Rede«) und weist auf ihren großen Ruhm hin.7 Auch Sigmund von Birken, eine der hervorragendsten Persönlichkeiten der deutschen Literatur der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, der von seinem Wohnsitz Nürnberg aus eifrig literarische Beziehungen zwischen Hamburg, Wolfenbüttel, Weimar, Halle und Niederösterreich knüpfte,8 schätzt Lohensteins Tragödien in seiner maßgebenden und weitverbreiteten Teutschen Rede-bind-und Dicht-Kunst (1679) — eine Poetik, die Karl Borinski »lohensteinisch« nannte9 - als »fürtrefflich« und bezeichnet den Dichter als »unseren deutschen Seneca«. Die Schauspiele wurden v o r alters alle in gebundener R e d e / und z w a r gewöhnlich in der Jambischen und Trochaischen Verse-art verfasset / die C h ö r e aber in Leir Lieder / v o m Seneca meist Sapphisch oder Choriambisch / gesetzet. Diesen folgte H . Daniel Casper / unser Teutscher Seneca / welcher in seinen fürtrefflichen Teutschen Schauspielen das Genus Epicum, so w i r das Jambische Sechstrittige nennen / gleichwie andere das Fünftrittige und lange Trochaische / gebrauchet. 1 0 7
Maria Stuart: Oder Gemarterte Mayestät / Nach dem Holländischen JOST VAN VONDELS, Auf Anleitung und Beschaffenheit der Schaubühne einer Studierenden Gesellschafft in Leipzig ehemals Auffgeführet von CHRISTOPHORO KORMARTEN, Lips. Hall / In Verlegung / Joh. Fickens Witbe. Anno M.D.C. L X X I I I , S. [5] der Vorrede. Einige Jahre später lobt audi August Adolph von Haugwitz, der Verfasser einer Maria Stuarda, die Tragödien von Gryphius und Lohenstein im Vorwort zu seinem Prodromus Poeticus, Oder: Poetischer Vortrab / bestehende aus unterschiedenen Trauer-und Lust-Spielen / Sonnetten / Oden / Elegien / Bey-oder Uberschrifften und andern Deutschen Poetischen Gedichten gezogen Aus einen künfftighin / geliebts Gott / ans Licht zu gebenden vollständigen Poetischen Wercke / Und Zu dessen Vorschmack vorangeschickt von Einem Liebhaber der Deutschen Poesie / A.[UGUST], A.[DOLPH] VON H. [AUGWITZ] Nob. Lus. M D C L X X X I V . Dresden / Druckts und verlegts Christian Bergen.
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Zu Birkens Vermittlertätigkeit hinsichtlich literarischer Beziehungen vgl. BRUNNER, Adeliges Landleben, S. 190; BIRCHER, Johann Wilhelm von Stubenberg; und HERZOG, Literatur in Isolation. Eine klare Vorstellung von Ausmaß und Intensität der literarischen Beziehungen Birkens gewinnt man aus der Lektüre seiner nunmehr glücklicherweise publizierten Tagebücher (SIGMUND VON BIRKEN, Die Tagebücher. Bearbeitet von Joachim Kröll. 2 Teile, Würzburg 1971-1974, Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte V I I I . Reihe. Quellen und Darstellungen zur Fränkischen Kunstgeschichte Band 5 und 6). KARL BORINSKI, Die Poetik der Renaissance und die Anfänge der litterarischen Kritik in Deutschland, Berlin 1886, S. 3 j8. [SIGMUND VON BIRKEN] Teutsche Rede-bind-und Dicht-Kunst / oder Kurze Anwei-
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Die barocke
Apotheose
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Die Verwandtschaft zwischen Lohensteins und Senecas Theater hat audi Christian Hoffmann von Hofïmannswaldau im Vorwort zu seinen Deutschen Übersetzungen (i 679) hervorgehoben. In diesem Vorwort, das »An den geneigten Leser« gerichtet ist und eine kurze Skizze der Geschichte der Weltliteratur darstellt, erinnert Hofïmannswaldau an Gryphius und Lohenstein, »zwey berühmte Sinnreiche Männer«, die wie in allen ihren Unternehmungen »auch in jhren Trauer-Spielen / nach Art Sophoclis und Senecae gefertiget / was ein hurtiger und gelehrter Geist kan«, 11 zur Genüge bewiesen hätten. Den beiden schlesischen tragischen Dichtern wird im Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie (1682) von Daniel Georg Morhof ein noch höheres Lob gespendet. Im dritten Teil dieses Werkes, der eine Dichtungstheorie enthält, werden Gryphius' und Lohensteins Tragödien als nachahmenswerte Vorbilder hingestellt: »In diesen [den Trauerspielen] sind Andreas Gryphius, und Daniel Caspar von Lohenstein vortreflidi / von welchen in Teutscher Sprache das Muster zu nehmen.«12 Im zweiten Teil des Werkes, in dem Morhof eine der ersten und ausführlichsten Darstellungen der deutschen Literaturgeschichte bietet, charakterisiert er den Beitrag der zwei schlesischen Dichter zur tragischen Poesie der Deutschen folgendermaßen: [Gryphius und Daniel Caspar von Lohenstein] haben die Trauer-Spiele in Teutscher Sprache zur / höchsten Vollenkommenheit gebracht / daß wir den Außländern nichts darinnen nach zugeben haben / wie denn ihre Wercke einem sung zur Teutschen Poesy / mit Geistlichen Exempeln: verfasset durch Ein Mitglied der höchstlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft DEN ERWACHSENEN; Samt dem Schauspiel Psyche und Einem Hirten-Gedichte. Nürnberg / Verlegt durch Christoph Riegel. Gedruckt bey Christoph Gerhard. A . C M D C L X X I X , S. 332. 1 1 C . [ H R I S T I A N ] H . [ O F F M A N N ] v . H.[OFFMANNSWALDAU], Deutsche
Übersetzungen
Und
Getichte. Mit bewilligung deß Autoris. In Breßlau / Verlegts Esaias Fellgibel Budihändl. daselbst / 1679, S. [ X X V ] im Vorwort. Über dieses Vorwort, das in »Poetica« 2 (1968), 5 4 1 - 5 5 2 , wieder abgedruckt wurde, vgl. KLAUS GÜNTHER JUST, 2wischen Poetik und Literaturgeschichte. Christian Hof mann von Hofmannswaldaus »Gesamtvorrede«, in »Poetica« 2 (1968), 5 5 3 - 5 5 7 ; und SIGMUND VON LEMPICKI, Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. 2., durchgesehene, um ein Sach-und Personenregister sowie ein chronologisches Werkverzeichnis vermehrte Auflage, Göttingen 1968, S. 1 4 6 - 1 5 0 . 12
DANIEL GEORG MORHOF, Unterricht von der Teutschen Spradie und Poesie / Deren Ursprung / Fortgang und Lehrsätzen / Sampt dessen Teutschen Gedichten / jetzo von neuem vermehret und verbessert / und nach deß seel. Autoris eigenem Exemplare übersehen / zum andern mahle / von den Erben / herauß gegeben. Lübeck und Franckfurt / in Verlegung Johann Wiedemeyers / M D C C [Neudruck herausgegeben von Henning Boetius. Bad Homburg v. d. H . 1969 ( = Ars poetica. Texte und Studien zur Dichtungslehre und Dichtkunst. Texte, Band i ) ] , S . 3 5 1 .
II.
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Kapitel
jeden vor Augen liegen. Anderer Art Gedichte zu gesdiweigen / darinnen sie gleichfalls sehr glücklich gewesen. Herr Daniel Caspar ist sehr Sprudireich in seiner Schreibart / und hat eine sonderliche Art / sehr kurtz dieselbe zu fassen / so wohl in Trauerspielen / als in Oden. Es ist ihnen diese Poeterey so wohl außgeschlagen / weil sie die alten Griechen und Lateiner zum Zweck ihrer Nachahmung gehabt / ohne welchen nichts beständiges und vollenkommenes außgeführet werden kan. Denn wo keine gründliche Gelersambkeit bey einem Tichter ist / so wird nie was gutes und vollenkommenes von seinen Händen kommen.13 Lohensteins Gelehrsamkeit war auch in einem Lobgedicht gefeiert worden. Dieses hatte ein von ihm unterstützter und für drei Jahre wahrscheinlich als Hauslehrer aufgenommener Student verfaßt. Anton Kretschmer, so der Name des Studenten, wollte in seinem Devoti Character Animi (1675) das Werk wurde in Frankfurt an der Oder von der Universitätsdruckerei gedruckt - anläßlich des Namenstages von Lohenstein dem Mäzenatentum des Dichters huldigen und schrieb im repräsentativen und feierlichen Stil 13
Ebd., S. 216. Die Seite von Morhof findet sidi mit unbedeutenden Abänderungen in dem anonymen Werk Unvorgreiffliches Bedencken, das ein Jahr vor dem Unterricht erschien. Da Bücher im 17. Jahrhundert häufig, manchmal sogar jahrzehntelang, in Manuskriptform zirkulierten, bevor sie gedruckt wurden, ist ein Vergleich von Publikationsjahren zur Feststellung der Priorität einer Äußerung und der Richtung eines bestimmten Einflusses oder der Autorschaft einer Stelle in dieser Epoche fast stets von äußerst geringem Nutzen, war dodi der Sinn für literarisches Eigentum damals recht gering entwickelt. Hier folgt die Seite über Lohenstein aus dem Unvorgreifflichen Bedencken, einer Art Lexikon der deutschen Dichter: »DANIEL CASPAR VON LAUENSTEIN hat Gryphio nadigefolget / und seind von diesen beyden die Trauer-Spiele in deutscher Sprache zur höchsten Vollenkommenheit gebracht / daß wir denen Ausländem nunmehr nicht darinnen nachzugeben haben. E r ist sehr Sprüdi-reich in seiner Sdireib-Art / und hat eine sonderliche Weise / sehr kurtz dieselbe zu fassen / so wol in Trauer-Spielen als in Oden. Es ist aber diesen zierlichen Poeten ihre Poeterey so wol ausgeschlagen / weil sie die alten Griechen und Lateiner zum zweck ihrer Nachahmung gehabt / ohn welchen nichts beständiges und vollkommenes ausgeführet werden kan. Denn wo keine gründliche Gelartheit bey einem Tichter ist / so wird nie was gutes und vollenkommenes von seinen Händen kommen.« (M.K.C.P.C. Unvorgreiffliches Bedencken / Uber die Schrifften derer bekantesten Poeten hoAdeutscher Sprache; zusammen getragen Und zum erstenmahl Anno 1681. gedruckt in Königsberg bey denen Reußnerischen Erben. Anitzo zum andern mahl gedruckt / in Hamburg / Bey Georg Rebenlein, S. 38-39). Morhofs Urteil über Lohensteins Vortrefflichkeit als tragischer Dichter findet sich audi bei Johann Christian Kunckel in einer Anmerkung zu § V I I I seiner dem Breslauer Senat gewidmeten Verteidigungsschrift der schlesisdien Dichtung, wo Lohensteins Dichtkunst und insbesondere dem Arminius - der als »exactissimum Eloquentiae Germanicae Monumentum« bezeichnet wird - , häufige Belobigungen zuteil werden (Praefiscine! Silesiorum in Poesi Germanica Praestantiam Superiorum Permissu Lipsiae A.M.DCIIC.XXVIII. Maji, H.L.Q.C.P.P. M. JOH. CHRISTIANUS KUNCKEL, Et GEORGIUS NEICKE, Vratisl.
Immanuelis Titii, §§ III, X I , X I I I ) .
Silesii,
S. Th. Studd.
Literis
Die barocke
Apotheose
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dieser G a t t u n g und der Zeit einen Panegyrikus, der nicht nur hyperbolische Lobeserhebungen, sondern auch eine Reihe v o n interessanten biographischen Einzelheiten enthält (besonders über Lohensteins erfolgreiche T ä t i g k e i t als Rechtsanwalt in Breslau, v o r seiner Ernennung z u m »Regierungsrath« des Fürstentums Oels). U b e r Lohensteins dichterische Betätigung schreibt Kretschmer: TIBI nec temporis ratio ratio habita, nec studiorum fructûs rectè erogati censebantur, nisi quod reliquissent forenses curae temporis, humaniores literae id sibi raperent. Quoties hinc in scenam produxisti, quae in TE revivixisse opiTiuM quae TE Polyhistorem & omnigenae scientiae promumcondum ostenderent! Quoties frequentissima Panegyris copiam fandi mirata est! Ut alia profundissimae eruditionis monumenta, quae humanior orbis veneratur, taceam. 14 Nicht weniger enthusiastisch ist das Lob, das Lohenstein und den bedeutendsten schlesischen Dichtern in der Dissertation Poëseos Historia
Germanicae
(1681) gezollt w i r d , die Johannes Christopherus Chenius unter
der Leitung v o n Florian K l e p p e r b e i n diskutierte. In § X V I , w o sich ein flüchtiger H i n w e i s auf die zeitgenössische Literatur findet, steht: Nunc tangenda qvoqve esset tertia historiae nostrae periodus, qvae versatur circa Poëseos Germanicae incrementum, verum cum sufficienter illud nobilissimus Dominus ab Hoffmannswaldau b. m. Praef. Carm. exposuerit, prolixius hic non agam. Brevissimis tantum dico, Martinum Opitium, Boleslaviâ Silesiorum oriundum primum Poësin nostram nobis exhibuisse limatam; nobilissimos verò Viros, Dominum Gryphium, Dominum ab Hoffmannswaldau, & Dominum à Lohenstein, qvos Germaniae Horneros & Virgilios meritò dixeris. 15 Sicherlich ist Lohenstein auch in literarischen Kreisen außerhalb Schlesiens schon v o r 1679 oder 1682 bekannt, und z w a r bekannter als die wenigen aufgefundenen Zeugnisse vermuten lassen. D e r Z e i t p u n k t der D r u c k legung barocker W e r k e f ä l l t nur selten mit dem ihrer tatsächlichen Be14 Devoti Character Animi Nominali Viri Magnifici, Nobilissimi, Strenui atque Amplissimi Dn. Danielis Caspari â Lohenstein / Dynastae in Kittlau / Reyssau & Rußkowitz / Jcti famigeratissimi, inclutae Vratislaviensium Reip. Syndici merentissimi &c. Domini ac Maecenatis sui omni obsequiorum cultu devenerandi A.O.R MDCLXXV. d. }. Januar. St. N. féliciter recurrente Expressus & Francofurdo transmissus ab Observantissimo
Lohensteiniani
Nominis
Cultore
C H R I S T I A N O A N T O N I O CHRETSCHMERO.
F r a n c o f u r t i A d V i a d r u m , T y p i s Johannis Ernesti, A c a d . T y p o g r . , S. [ 1 1 ] . 15
Q.D.B.V. Poeseos Germanicae Historiam, Praeside M. FLORIANO KLEPPERBEIN Glogaviâ Silesio, publice defendet JOHANNES CHRISTOPHORUS CHENIUS, Magdeburgensis. Ad D. 2}. Jul. An. 1681 Wittembergae, T y p i s Johannis Wilckii.
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II.
Kapitel
kanntmadiung und Verbreitung zusammen. Bevor ein Werk gedruckt wird, kommt es fast immer als Manuskript in Umlauf, zunächst in der unmittelbaren Umgebung des Autors, sodann in immer weiteren Kreisen und immer zahlreicheren handschriftlichen Kopien; dies geschieht zuweilen jähre- und jahrzehntelang. Es ist Tatsache, daß zum Beispiel Birkens 1679 gedruckte Teutsche Dichtkunst schon seit 1 6 j o in verschiedenen handschriftlichen Fassungen weit verbreitet war, während man manche Seiten aus Morhorfs Unterricht (1682) in Werken von nicht sehr gewissenhaften Kompilatoren lesen konnte, die vor 1682 erschienen.16 Bei Universitätsprofessoren wie Morhof, deren Vorlesungen mehr oder weniger genau von Studenten schriftlich festgehalten wurden, war das Phänomen der handschriftlichen Verbreitung ihrer Werke erheblich, denn die Abschriften zirkulierten zu vielen Dutzenden und konnten auch in die geographischen Gegenden gelangen, aus denen die an der Universität Eingeschriebenen stammten. Der Brauch, unter Freunden und Bekannten Manuskripte eigener Werke herumgehen zu lassen, wird natürlich audi von den Dichtern selbst geübt, die sich nicht um ihre Publikation kümmern oder sie manchmal erst nach vielen Jahren publizieren, um den Originaltext wiederherzustellen, um sie vor den auffälligsten Entstellungen zu bewahren und schließlich um zu verhindern, daß andere ihre Urheberschaft in Anspruch nehmen. Das sind die Gründe, die Lohenstein veranlassen, im Jahr 1680 Die Blumen zu veröffentlichen.17 Es kommt also vor, daß der Bekanntheitsgrad eines Dichters nicht nur beträchtlich sein kann, bevor nodi sein Name in einem historischen, kriti16 17
Vgl. Anmerkung 1 2 in diesem Kapitel. »Diese Gedichte sind eine wenige Uberbleibung von denen / welche idi in meinen jüngern Jahren theils zu meiner eignen Vergnügung / theils gutten Freinden zu Liebe gefertigt. Der grössere Theil ist entweder durch vorwitzige Hände / oder durch meine Unachtsamkeit verlohren worden; weil ich sie niemals für etwas geschäzt habe / das aufzuheben / oder ans Licht zubringen würdig were. Diese würden audi in ihrem Staube vollends verweset seyn / wenn ich nicht erfahren hette: daß Fremde unterschiedene Stücke hievon nicht nur für ihre Arbeit ausgegeben / sondern auch so gar wider ihren Uhrsprung und Eigenschafft Erlauchten Personen mit Veränderung weniger Worte zugeschrieben hetten. Jedoch würde idi diese meine selbst wenig geschäzte Federn leichter / als Maro dem Bazillus / zwey seiner so hoch geschätzten Verse / haben gönnen können / wenn nur andere nicht meinen Getichten zwar meines Nahmens Uberschrifft gelassen / selbte aber auf gantz andere Fälle und Personen / darauf ich nie gedacht / mit einer mercklichen Veränderung verkehrt; oder gantz frembde Eyer in mein Nest geleget hetten. Diesemnach ich gleichsam zu meiner Vertheidigung dis an den Tag zu legen genöthiget worden; was ich für meine Brutt erkenne; womit ich midi der Untersteckung frembder Kinder befreyete« (LOHENSTEIN, Blumen, S. [ I - I I ] ) .
Die barocke
Apotheose
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sehen oder irgendeinem anderen Druckwerk erwähnt wird, sondern sogar bevor seine Werke veröffentlicht worden sind. Die große Berühmtheit, die Hofimannswaldau schon zu Lebzeiten genoß, beruhte fast ausschließlich auf einer intensiven Zirkulation seiner Werke in Manuskriptform, die abgesehen von den Grab-Schriflen, die 1643 niedergeschrieben, aber ohne Zustimmung des Verfassers 1663 und schon vorher veröffentlicht wurden, 18 abgesehen auch von einigen Gelegenheitsgedichten und einigen Oden, die in der Römischen Octavia anonym publiziert wurden - erst von 1679 an, 19 dem J a h r seines Todes, im Druck erscheinen sollten (1695 wird von Benjamin Neukirch die seinem Namen gewidmete, berühmte LyrikSammlung herausgebracht). Die besondere Struktur der gelehrten und literarischen Information, die sich in Ermangelung literarischer Zeitungen (die ersten erscheinen erst in den letzten beiden Dezennien des 17. Jahrhunderts) noch beinahe das ganze Jahrhundert hindurch (wie bereits im Humanismus und Späthumanismus) auf eine intensive und weitverzweigte Privatkorrespondenz stützt (Birkens Tagebücher sind ein Beweis dafür), und die elitäre Struktur des literarischen Publikums ermöglichen das Phänomen eines vom Verlagswesen und den Mitteln der gedruckten Information unabhängigen Ruhmes. Diese Mittel bieten obendrein bereits überholte Informationen an. 1675 und 1677, während der Hochblüte der zweiten Schlesisdien Dichterschule, erscheinen zwei poetische Lexika, zwei sogenannte »Schatzkammern«, nämlich die von Gotthilf Treuer (Teutscher Dädalus / Oder Poetisches Lexicon, 1675) und die von Michael Bergmann (Deutsches Aerarium Poetic um, oder Poetische Schatz-Kammer, 1677), in welchen Ausdrücke, allegorische Figuren, Embleme usw. aus Werken von Dichtern der »alten« Schreibart zusammengetragen sind; diesen wird so kanonischer Wert zugeschrieben. Treuers poetische Autoritäten sind folgende: Opitz, Fleming, 18
Vgl. ERWIN ROTERMUND, Christian Hofmann von Hofmannswaldau, Stuttgart 1963, S. 1 8 - 1 9 . 1 · C.[HRISTIAN] H . [OFMANN] V.[ON] H . [OFFMANNSWALDAU] , Deutsche Übersetzungen und Getichte. Mit bewilligung de β Autoris. In Breßlau / Verlegts Esaias Fellgibel Buchhändl. daselbst / 1679. Die von Goedeke ( G r u n d r i ß , III, S. 269) zitierte Ausgabe dieses Werkes von 1673 hat nie existiert, wie Franz Heiduk in der grundlegenden und sehr sorgfältigen Untersuchung zeigt, die er der Überlieferung der Werke von Hofimannswaldau, seien sie handschriftlich oder gedruckt, gewidmet hat: Hojfmannswaldau und die Überlieferung seiner Werke. Eine kritische Untersuchung mit dem Abdruck zweier bisher unbekannter Gedichte sowie einem Gesamtverzeichnis der Handschriften und ersten Drucke, in »Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts« 1975, S. 1 - 7 2 .
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II.
Kapitel
G u i l l a u m e du B a r t a s (in der Ü b e r s e t z u n g T o b i a s H ü b n e r s ) , D i e d e r i d i v o n dem W e r d e r , J o h a n n Michael D i l h e r r , Schottel, H a r s d ö r f f e r , R i s t , T s c h e r ning, C h r i s t i a n B r e h m e , Bucholtz, B i r k e n , K l a j , E n o c h Glaeser, Jesaias R o m p i e r , M a r t i n R i n c k a r t , Michael (oder D a v i d ? ) Schirmer u n d Michael (oder Sebastian oder J o h a n n oder P e t e r ? ) F r a n c k ; 2 0 die v o n B e r g m a n n f o l g e n d e : A u g u s t Buchner, K l a j , F l e m i n g , J o h a n n F r a n c k , H a r s d ö r f f e r , O p i t z , M a r t i n L u t h e r , J o h a n n R i s t , A n d r e a s Tscherning, Heinrich H e l d und V e n c e l Scherfïer. 2 1 D i e N a m e n H o f f m a n n s w a l d a u , Lohenstein u n d G r y p h i u s zieren die Titelseiten der beiden L e x i k a nicht und empfehlen auch nicht ihre K o n s u l t a t i o n . D a f ü r zitiert das Poetische
Lexicon
von
J o h a n n G e o r g H a m a n n noch im J a h r 1 7 3 7 , als B o d m e r u n d Gottsched schon seit einigen J a h r e n den lohensteinischen M y t h o s z e r t r ü m m e r t h a t ten, f a s t auf jeder Seite Bilder, M e t a p h e r n u n d » B l ü t e n « aus Lohensteins Dichtung. 2 2 20
M. GOTTHILF TREUERS / Predigers bey der Ober-Kirchen in Franckfurt an der Oder / Teutscber Dädalus / Oder Poetisches Lexicon, Begreiffend ein Vollständig-Poetisches Wörter-Buch in 1300 Tituln / aus der berühmten Poeten / Herren Opitzes / Flemmings / Bartasses / Werders / Dillherr / Schottels / Harßdorffers / Ristens / Brehmens / Tschernings / Buchholtzens / Glasers / Betuliens / Rumpiers / Klajens / Rinckarts / Schirmers / Franckens oc. Schrifften gesammlet / mit wolaußgesonnenen / Kunstrichtigen Adjectiven / anmuthigen Umschreibungen / zierlichen Gleichnüssen / Sprichwörtern / Erklärungen der alten Emblematen / Anagr. Epigr. Fabeln / Historien / Lehr-Gedichten / wie auch deutlichen Erläuterungen / dunckler Redens-Arten derer Griech-und Lateinischen Poeten außgezieret / und auf hoher Leute Anregungen außgefertiget zum Andernmal. Mit einer Vorrede Herrn Augusti Buchners / P. P. Wittenb. Mit Chur Sächs-und Brandenb. Privilegien. Berlin / In Verlegung Rupert Völckers / Budihändl. M D C L X X V .
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Deutsches Aerarium Poeticum, oder Poetische Schatz-Kammer / in sich haltende poetische Nahmen / Redens-Arthen und Beschreibungen / so wohl Geist-als Weltlicher Sachen / Gedicht und Handlungen; Zu Verfertigung eines zierlichen und säubern Reims / au ff allerhand fürfallende Begebenheiten: Theils aus HHn. Martin Opitzens / Paul Fleminges / Andreas Tscherninges / George Phil. Harsdörffers / Johann Franckens oc. auch unterschiedlicher deroselben Nachfolger / nütz-und lieblichen Schrifften ordentlich zusammen getragen; Theils aus dem Lateinischen / der Jugend bekamen und ordentlich gefaßtem Wercke / Hn. M. Melchior Weinrichs / wo es füglich klingen / und nach der Deutschen Mund-Arth sich schicken wollen / Reimstimmig übersetzet. Anitzo auffs neue / mit Hinzusetzung der Autoren Nahmen / vorangefügten BeysatzWörtern / mehren Redens-Arthen und vielen neuen Titeln vermehret / und auff vielfaltiges Anhalten und Begehr Gelehrter Leuthe Zum andern Mahl in Druck gegeben durò M. MICHAEL BERGMANN / Predigern zu Wohin in Vorpommern. Landsberg an der Warthe / gedruckt durch die Mamphrasische Erben. 1677. Der »Vorbericht« zu dieser Ausgabe ist 1675 datiert (eine vorhergehende Ausgabe des Werkes war 1662 in Jena ersdiienen); am Schluß desselben steht eine Liste: »Nahmen derer Autoren / so in dieser Poet. Schatz-Kammer angezogen werden.«
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JOHANN GEORGE HAMANNS Poetisches Lexicon oder nützlicher und brauchbarer Vorrath von allerhand Poetischen Redens-Arten, Beywörtern, Beschreibungen, scharff-
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Um auf das Problem der Entstehung von Lohensteins Ruhm zurückzukommen, so war dieser zweifellos schon beachtlich, als im Jahr 1680 die erste große Ausgabe seiner lyrischen und tragischen Dichtung publiziert wurde. Wenn wir den Zeitraum festlegen müßten, innerhalb dessen Lohensteins nationaler Ruhm entsteht und sich festigt, würden wir die Jahre zwischen 1665 und 1675 nennen. Nach 1675 ist Lohenstein nicht nur bekannt, sondern er wird als ein großer Dichter angesehen. Die Werturteile von Birken und insbesondere von Morhof 23 machen ihn gewissermaßen zu einem klassischen Dichter. Bei seinem Tod wird er als einer der größten Dichter der deutschen Literatur beweint. Lohensteins Tod am 28. April 1683 war der Anlaß zu unzähligen Trauergedichten, die den Dichter und seine Kunst mit hohem, zuweilen übertriebenem Lob bedachten. Christian Gryphius, Andreas' Sohn, bezeichnet den unvollendeten und noch unveröffentlichten Arminius als »wundervoll« und reiht den Dichter unter die größten Tragiker ein: »Ich schaue nächst bey ihm das hohe Traur-Spiel'stehn / | Er heist den Aeschylus die Segel vor ihm streichen; | Er sol dem Seneca gleich an der Seite gehn / | Und kaum dem Sophocles / als seinem Fürsten / weichen.«24 Christian sinnigen Gedancken und Ausdrückungen; Nebst einer kurtzen Erklärung der mythologischen Nahmen, aus den besten und neuesten deutschen Dichtern zusammen getragen, Und der studirenden Jugend zum bequemen Gebrauch mit einer Anweisung zur reinen und wahren deutschen Dicht-Kunst ans Licht gestellet. Neue verbesserte Auflage. Leipzig, In der Großischen Handlung, 1737. Hamann, der schon 1733 starb, hatte an den ersten beiden Zeitschriften Gottscheds (Tadlerinnen und Biedermann) mitgearbeitet und eine Fortsetzung von Ziglers Asiatischer Banise verfaßt. Hamann anerkennt die Discourse der Mahlern als Autorität auf dem Gebiet der Literaturkritik, ist auch mit der Kritik an dem von Bodmer als Beispiel für »Phöbus« angeführten Lohensteinischen Gedicht »Wenn so viel Zucker wär als Schnee« einverstanden, lobt aber den sdilesischen Dichter gelegentlich (S. 68 und 75) und zitiert ihn beinahe auf jeder Seite seines Lexikons, einer eigenartigen Mischung zwischen klassizistischer Theorie und barockem Beispielkanon. 23
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Über Morhofs Bedeutung für die Festlegung eines schulischen Lektürekanons, der nahezu die ganze erste Hälfte des 18. Jahrhunderts hindurch beträchtliche Wirkung ausübte, vgl. HANS GEORG HERRLITZ, Der Lektüre-Kanon des Deutschunterrichts im Gymnasium. Ein Beitrag zur Geschichte der muttersprachlichen Schulliteratur. Mit einem Geleitwort von Fritz Blättner, Heidelberg 1964, S. 28-33. CHRISTIAN GRYPHIUS, »Ach Kleinod dieser Stadt! Ach theurer Lohenstein!« (erster Vers des Trauergedichts), in In Funere Praenobilis Strenuique Viri, Domini Danielis Caspari à Lohenstein, Haereditarii in Kittlau, Reisau & Roschkovvitz, S. [ 8 - 1 3 ] , hier S. [ 1 1 ] . Mit Ausnahme der letzten 12 Verse ist dieses Gedicht wieder abgedruckt unter dem Titel »Über des berühmtesten Herrn von Lohensteins Absterben«, in CHRISTIAN GRYPHIUS, Poetisàie Wälder. Mit Königl. Polnischem und Chur-Sächsischem Privilegio. Franckfurt und Leipzig / Verlegts Christian Bauch. Anno 1698, S. 349-352. Ein noch höheres Lob zollt Christian Gryphius Lohenstein im »Ehren-Geticht«, das den Titel trägt: »Vorstellung des Kupffer-Tituls«; es ist dem ersten Teil der Erst-
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II.
Kapitel
Knorr nennt Hoffmannswaldau und Lohenstein ein »Götter-Paar« ;25 der anonyme Autor von Die Lohe an die Oder meint, daß die Lohensteinischen ausgabe des Arminias vorangestellt; dort heißt es unter anderem: »Unsterblidigrosser Geist! So lang als deutsche Helden / | U n d deutsche Tapferkeit auf deutschem Boden blühn / | So lange wird man dich der greisen Nachwelt melden / | Und einen Lorber-Strauch auf deiner Gruft erziehn. | D u hast uns schon vorlängst dein Ebenbild gewisen / ¡ Das hohe Trau 'rspil zeigt wie deine Feder prangt. | Man hat der Schlesier besonders Glück geprisen / | Das sie durch deine H a n d in diesem Stück erlangt. | Last nur Cleopatren und Agrippinen kommen / | Stellt die Epicharis und Sophonisben vor; I D u hast dem Sophocles vorlängst den Preiß genommen / | Und Eschyluß beseuffzt / was er durch dich verlohr. | Es will der Seneca dir mehr als willig weichen / | Corneille schämt sich nicht bald hinter dir zu gehn. | U n d T a ß o denckt ihm nidit den Gipfel zu erreichen / | auf welchem Lohenstein wird eingegraben stehn. ] D o d i ist es nicht allein mit Reimen ausgerichtet / | Arminius entdeckt die wahre Siges-Bahn. | Schau! wie Heliodor sich gantz erschrocken flüchtet: | Schau! was Barclajus selbst und Scudery gethan; | Schau! Wie Marini starrt / wie Sidney sich entsetzet / | Und wie Biondi fast v o r N e i d zerbersten wil. | Sie haben ja vorhin die kluge Welt ergötzet: | Jedweder sehnte sich nach ihrem Helden-Spil. | Itzt aber ist es aus: du hast allein gesiget / I D u hast Italien und Engelland gezähmt / | Und Franckreich / das sich sonst nur an sich selbst vergnüget / | Z u aller Deutschen Trost / durch deine Schrifft beschämt. I Unsterblich-hoher Geist; wie soll dir Deutschland dancken? Das deiner Trefligkeit so hoch verbunden bleibt. | Dein Ruhm weiß ausser dem fast nichts von Gräntz und Sdirancken / | Weil ihn der Zeiten Ruff biß an die Wolcken treibt.« Über Lohensteins Bedeutung für die Geschichte der deutschen Dichtung fanden sich etliche Hinweise auch in den von Christian Gryphius verfaßten >SchulactusSchulactus< des Gryphius erwähnt Lohenstein nicht (Der Deutschen Sprache unterschiedene Alter und nach und nach zunehmendes Wachsthum / ehemals In einem öffentlichen Dramate auf der Theatralischen Schau-Bühne bey dem Breßlauischen Gymnasio zu St. Maria Magdalena entworffen von CHRISTIANO GRYPHIO, Weiland des gedachten Gymnasii hochverdientem Rectore und Professore Publico, Wie auch bey der benachbarten Kirchen Bibliothecario. Breßlau / Verlegts Christian Bauch 1708), die anderen blieben Manuskript. Diese hat P. Feit in zwei Aufsätzen untersucht, in denen er daraus auch einige Stellen und Szenen anführt. V o n den zitierten Stellen haben zwei, die aus dem Actus von den Trauerspielen stammen, für uns eine gewisse Bedeutung, weshalb wir sie hier folgen lassen: »Liebes Breslau, ich bin versichert, wenn deine Einwohner itzt eine Cleopatra, eine Sophonisbe, einen Papinian oder Leo Armenius hören sollten, wie wohl vor diesem ehemals geschehen, die Zeit würde ihnen allzu lang und die Weile gar zu verdrießlich werden, weil niemand mehr etwas Rechtschaffenes sehen oder hören will, sondern nur kurz eingerichtete Possen verlangt.« »Es fing aber der von Lohenstein mit der Cleopatra an, dieser folgte Agrippina, Epicharis, Sophonisbe und endlich Ibrahim. Es ist unnötig, weitläuftiger davon zu reden. D u hast sie, o Breslau, meist alle selbst gesehen, gelesen, gelobet.« [FEIT, Christian Gryphius' Rätselweisheit. Ein Beitrag zur Geschichte der Schuldramen in Schlesien, in »Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens« 41 (1907), 2 4 1 - 2 7 1 , hier S. 247. Der zweite A u f satz von Feit, in dessen Anhang eine Szene aus CHRISTIAN GRYPHIUS, Der Teutschen Rätzel-Weißheit Dritten Theils (1704), publiziert ist, heißt Schwerttänze und Fechtschulen in Schlesien, insbesondere in Breslau, in »Zeitschrift des Vereins für Geschichte
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Tragödien es wert seien, in Marmor und Bronze eingegraben zu werden, und schätzt den Arminius als ein Werk, »dem keines gleicht«.26 Andere Trauergedichte, auf die wir schon hingewiesen haben, verherrlichen besonders Lohensteins politische Fähigkeiten. Der anonyme Verfasser einer »Grabschrifft« schreibt: »Hier ruhet Lohenstein / der Deutschen Zier und Krön / | Ein Kleinod Schlesiens / Astreens liebster Sohn / | Der Phönix seiner Zeit / der künfftig erst wird Leben / | Wenn ihn Arminius wird aus der Asche heben.«27 Die Ansicht, die Veröffentlichung des Arminius werde Lohenstein zu unvergänglichem Ruhm verhelfen, findet sich auch im Kurtz Entworfenen Lebens-Lauff (1685), der ersten, kurzen und vollständigen Biographie des Dichters, die sein Bruder verfaßt hat. Hans (Johann) Casper von Lohenstein, der den Versuch unternahm, den unvollendeten Arminius zu einem Abschluß zu bringen - was ihm allerdings wegen seiner angegriffenen Gesundheit nicht gelang28 - , schreibt nach und Alterthum Schlesiens« 38 (1904), 1 7 6 - 2 3 3 ] . Die deutsch geschriebenen Manuskripte von Gryphius' 7 >Sdiulactusexcursusexcursus< z u v e r t e i d i g e n sudit, schreibt der schweizerische T h e o loge: Wenn nun hier wider eingebracht w o r d e n / d a ß sich die i?omd«-Schreiber jeziger Zeit befleissen ihre Erzehlungen mit hochgelehrten / Theologischen / Moralischen u n d Philosophischen Discoursen reichlich zuuntersetzen / eine über die massen nette Schreibard z u f ü h r e n u n d sonsten allerhand Curiositäten v o r z u t r a g e n ; wie H e r r Lohenstein in seinem [ . . . ] grossen Werck von allem ein trefflich Muster w ä r e / sonderlich durchauß einen so gleichen u n d zierlichen stylum f ü h r e / d a ß wol nichts perfecters, u n d er bey aller Nachwelt ohnsterblich v e r r ü h m t bleiben w ü r d e &c. A l ß m ü ß t e der gute Arminius, oder sein Author, H e r r Lohenstein / der z w a r jezo verstorben / leiden / d a ß ein u n d andre A n d u n g über ihn in specie ergangen: W a n n (also flössen die W o r t ) den Romanen schon nachzusehen wäre, sollten dises doch bey verständigen weder Arminius noch andre seines gleichen geniessen / sonder allein die K ü r z e / bey denen das ohnschuldige Papeir / die kostbare Stunden / d a ß edle Gedächtnuß nicht so kläglich belästiget u n d verschwendet werden. Es sollte einer wol etlich mahl die Heil. Bibel durchlesen können / eh er mit dem grossen u n d schwähren Arminio zu E n d kommet. E r schüttet dem Leser den Kopf so voll / d a ß es anders alß zu Nachtheil andrer Studien nicht gedeyen kan. Seine Erzehlungen sind (wie idi vermeine / a u ß Mißverstand der .Roman-Gesetzen) so abscheulich verviertheilt / u n d an weit entlegne O h r t zerstreuet / d a ß sie das G e m ü t h ohne greuliche fatiques u n d absdileiffen des Gedechtnuß nicht zusamen schmiegen kan. [ . . . ] D a r u m wer eben Roman schreiben wil / sollt sie entweder k u r t z machen / wie die verschmizte Alte / oder in etliche vollkomne H a n d l u n g e n eintheilen / wie also Marini seinen Calliandro abgetheilt. D e r m u ß ein Monstrum memoriae seyn / der über dem letsten Buch des Arminii sich noch errinnert / was er in den ersten gelesen. 120 H e i d e g g e r verurteilt s o d a n n die unorganischen u n d oberflächlichen gelehrt e n A b s c h w e i f u n g e n , die eher d a z u geeignet sind, d e m Leser eine P s e u d o 119
Ebd., S. 89-90.
120 Ebd., S. 87-89.
Die barocke Apotheose
" 7
kultur zu vermitteln als zu seiner sinnvollen Unterrichtung und wissenschaftlichen Bildung beizutragen. D a s kan man nidit abredend sein / daß H e r r Lohenstein die Menge scharffsinniger wolgefaster Discursen in seinem Wercke hat (deren aber ein grosser Theil v o n schlechter N u t z b a r k e i t / alß zum Beyspil / ob die schwartze oder blauwe Augen an dem Damen-Volck den V o r z u g besitzen? ob die weisse oder Mörinnen zur Liebe tüchtiger? 1 2 1 Item v o n den Römischen Floralien122 Aristippischen Collegiis privatis,12S
/
und vil anders sehr üppiges). Allein dunckt
mich / w e r in selben Thematibus profitieren wolle / habe thunlicher andre B ü cher zubegrüssen / da alles gründlich / in seiner Ordnung / an seinem Orte / mit übrigen dazu gehörigen Materien vorkommt. Was nuzen mir 3. Federn / wenn idi den V o g e l haben soll? Was hilft es drey subtile Quaestionen
auß
der Physic oder Ethic zuwissen / wenn ich keinen Begriff des ganzen besitze? durch das lesen solcher Romans werden nur elende Stückler / die die Sternen loderen / das H ü n l im E y pippen hören / und etwa wissen wollen / was Milch ist / da sie doch nicht wissen / w a s eine K u h ist. 1 2 4
Heidegger beschränkt sich nicht darauf, einige Aspekte der Struktur des Barockromans zu kritisieren (Vermischung von gelehrten Abschweifungen und Fabel, undurchdringliche Verwicklung der Handlung und monströse Ausmaße), sondern er lehnt ihn wegen des Anspruchs, auf den er gegründet ist - nämlich die Heilsabsichten und -zwecke der Geschichte aufzuzeigen - , insgesamt ab. D a die Autoren von historischen Romanen aus dem Gewirr der Geschichte den unerforschlichen Plan der Vorsehung Gottes herauslesen wollen, verändern sie Ereignisse und Abläufe oder verfälschen sie durch Hinzufügung erfundener Umstände. Dieses Antasten der gottgewollten und daher heiligen (aber, was das Ziel angeht, unerkennbaren) Geschichte ist für den Kalvinisten Heidegger ein blasphemisches Unterfangen, eine Verfälschung und Profanierung eben jener göttlichen Ordnung, deren Struktur uns zu offenbaren sich jedoch die Romanschriftsteller anmaßen würden. Es seyn einige Romans, die den Zettel auß w a h r h a f t e n Historien entlehnen / w i e der Arminius, Cleopatra,125
Statira126
& c . aber indem sie ihn mit erlognen
121 Vgl. LOHENSTEIN, Arminius, Theil I, Buch 4. 1 22 Ebd., Theil II, Budi 1. 123 Ebd., Theil I, Buch 4. 1 2 4 HEIDEGGER, Mythoscopia Romantica, S. 92-93. 125 Roman (Orig.-Tit. : Clêopâtre, 1646-1657) ν. Gautier de Costes, sieur de La Calprenède. 128 Roman (Originaltitel: Cassandre, 1642-1645) von La Calprenède, ins Deutsche übersetzt unter dem Titel Statira oder Cassandra. Der aller durchlauchtigsten Kayserin Staats- und Liebesgeschichten (Leipzig 1689)
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II.
Kapitel
Umständen durchweben / oder auch wahrhaffte Historien under alten Nammen / mit falschen Circumstanzen beymengen / wie der Arminius, werden sie vil schlimmer / als die vorigen [rein erfundenen] / denn sie machen die wahrhaffte Geschichten zu Lügen / sie liegen nicht allein / sonder affrontieren audi höchlich die unschuldige Wahrheit / und indem sie mit ihrem Lügenschmier dieselbige verstellen / und / was einem nachsinnenden Gemüth / das ärgste und unerleidlichste ist / fälschen und erstücken sie auß eignem Stör-Kopff die Eventus und Verläuffe / die der Höchste der in dem Himmel ist / und schaffet was Er will / auß geheimem Rath-Schluß / zu seiner Ehr / auff seine Weise geordnet. 127
Heideggers Verständnislosigkeit und Ablehnung des geschichtlich-höfischen Barockromans und seiner Theorie (der Roman als Theodizee) hätte nicht radikaler sein können. Es ist gewiß kein Zufall, daß die erste sdiarfe Kritik am Arminius in der republikanischen und demokratischen Schweiz herangereift ist, in einem kulturellen Provinzmilieu, das in religiösen Fragen streng orthodox und von der weltlichen Pracht der Höfe, von ihrer heroisch-galanten Literatur und ihren formalen und geistigen Werten sehr weit entfernt war. Während unter Heideggers Freunden aus St. Gallen eine schwärmerische und vorbehaltlose Bewunderung für den Arminius aufflammte (auch dies eine typische Reaktion der Provinzkultur, die ihrem Wesen gemäß dazu neigt, entweder der Faszination der raffinierten formalen und geistigen Äußerungen der Hauptzentren der Kultur zu erliegen oder deren Einflüsse gereizt abzuwehren), waren andere Freunde und Bekannte von ihm in denselben Kampf gegen bestimmte Aspekte der literarischen Barockkultur verwickelt. In diesem Sinn analysierte Samuel Werenfels, ein Professor der Rhetorik und später der Theologie, mit dem Heidegger in brieflicher Verbindung stand, in seiner Dissertatio De meteoris oradonis (1694) 128 die ver127
ι28
HEIDEGGER, Mythoscopia Romantica, S. 7 3 - 7 4 . V g l . zu dieser Stelle, die er als »die vielleicht wichtigste des ganzen Werkes« betrachtet, Walter Ernst Schäfers N a c h w o r t (zum fotomechanischen Nachdruck der Mythoscopia Romantica), S. 3 5 0 - 3 J 2 . Die Abhandlung wurde veröffentlicht in Samuel Werenfels' Opuscula theologica, philosophica et philologica ( 1 6 9 4 ; spätere A u f l a g e n 1 7 0 2 , 1 7 4 2 und 1 7 7 2 ) und in SAMUELIS WERENFELSI Dissertationum Volumina Duo (Amsterdam 1 7 1 6 ) . Eine deutsche Übersetzung der Dissertatio de Meteoris Orationis wurde von Gottscheds Schüler Johann Simon Buchka angefertigt und erschien unter dem Titel Herrn Samuel Werenfels Abhandlung De Meteoris Orationis oder von der hochtrabenden Schreibart, übersetzt von Johann Simon BuAka, in Der Deutschen Gesellschaft in Leipzig Eigene Schriften und Uebersetzungen in gebundener und ungebundener Schreibart: ans Liât gestellet und mit einer Vorrede versehen, von Johann Christoph Gottsched, Poes.
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schiedenen Typen des falschen erhabenen 129 Stils, den er mit »inflatus«, »tumidus«, »turgidus« definiert (»schwülstig« übersetzt J. S. Buchka). Obgleich er seine Erläuterungsbeispiele aus der lateinischen Literatur bezog, sowohl aus der antiken (besonders der nachaugusteischen) als auch aus der humanistischen, richtete er seine Polemik deutlich gegen die zeitgenössischen Barockautoren. 130 Werenfels, der dem Stilideal des Boileau anhängt Prof. Extr. und Collegiaten zu Leipzig, wie auch der Kön. Preuß. Soc. der Wissens. Mitglied. Leipzig, druckts und verlegts Bernh. Christoph Breitkopf. 1730, S. 339-412 (S. 339-352 steht der »Vorbericht des Uebersetzers«), Unter dem Titel Des berühmten D. Werenfels Abhandlung de Meteoris Orationis, oder von der schwülstigen Schreibart wurde die gleiche Übersetzung von J . S. Buchka, allerdings ohne sein Vorwort, auch im Anhang zur Akademischen Redekunst, zum Gebrauche der Vorlesungen auf hohen Schulen als ein bequemes Handbuch eingerichtet und mit den schönsten Zeugnissen der Alten erläutert von JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHEDEN. Leipzig, verlegts Bernhard Christoph Breitkopf 1759, S. 349-416 veröffentlicht. Wir haben diese letztere deutsche Ausgabe von De Meteoris Orationis benutzt. Dagegen ist die lateinische Ausgabe, auf die wir Bezug nehmen, enthalten in SAMUELIS WERENFELSI Basileensis Dissertationum Volumina Duo, Quorum prius de Logomachiis Eruditorum & de Meteoris Orationis, Posterius Dissertationes Varii Argumenti Continet. Amstelaedami, Apud Rod. & Gerh. Wetstenios H.F.F. M D C C X V I , S. 271-328. 129 Werenfels meint, es gebe drei mögliche Typen von »Meteoren«, d. h. Redeweisen, »welche dem Scheine nach hoch; in der That aber leer, falsch und unvernünftig sind« (349; § I in der lateinischen Ausgabe): »Alle Meteoren in einer Rede können zu diesen drey Arten gezogen werden. Es wird entweder eine wahrhaftig hohe Schreibart bey einer geringen Sache gebrauchet; oder die Hoheit der Schreibart ist bey einer präditigen Materie nicht richtig; oder es ist endlich weder die Sache hoch, nodi die Hoheit der Schreibart wahrhaftig« (Des berühmten D. Werenfels Abhandlung de Meteoris Orationis, oder von der schwülstigen Schreibart, S. 367-368; § I X in der lateinischen Ausgabe). Werenfels, ein strenger Kritiker sprachlicher Unklarheiten (»Die Sprache ist uns nicht zur Verdunkelung unserer Meynung, sondern zur Eröffnung unserer Gedancken gegeben worden«, ebendort, S. 376; § X in der lateinischen Ausgabe), lehnt sowohl die Vertreter eines unverständlichen Stils und diejenigen, die das Dunkle als stilistisch schön bewundern (ebendort), als auch die mißbräuchliche Verwendung von gedankenreichen Allegorien und überspitzten Vergleichen und Antithesen ab (S. 384; § X I I in der lateinischen Ausgabe). Als Bewunderer von Boileau, den er »elegantissimus vir« (Buchka übersetzt »unvergleichlich«) und »summus Poeta« nennt (§ II), ist Werenfels Verfechter einer einfachen und natürlichen Ausdrucksweise (vgl. S. 387; § X I I I in der lateinischen Ausgabe). 130
Daß diese die eigentliche Zielscheibe seiner Kritik waren, beweist folgende Stelle unmißverständlich: »Aber auch diejenigen ergreifen, statt des Körpers den Schatten, denen alles hoch scheint, was selten, ungewohnt und außerordentlich ist. Diesen stinken alle Worte, alle gemeine und übliche Redensarten an. Bey Lesung der Scribenten bemerken sie nur das, was selten vorkömmt. Sie haben fast einen Ekel vor dem Cicero, dem Cäsar, Cornelius Nepos, Terentius. Denn man findet nichts in ihren Schriften, was man eintragen kann. Ist nicht Barclajus weit höher? Was für einen Schatz der seltensten Wörter, Redensarten, Formeln, Sprüche, Figuren, tropischer und verblümter Ausdrückungen kann man nicht aus diesem Scribenten sammlen? In den Poeten, besonders in den heutigen, kommen zwar viel seltene Dinge vor: aber in Vor-
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II.
Kapitel
und alle »barocken« Stileigentümlichkeiten ablehnt, von den Hyperbeln bis zu den scharfsinnigen Allegorien, von den Antithesen zu den Metaphern und gesuchten Vergleichen, von den Neologismen bis zum Kult des seltenen und preziösen Wortes, ist zusammen mit Heidegger ein Vorläufer der aufklärerischen Kritik gegenüber der Barockliteratur, sei es im Sinne Bodmers und Breitingers, 131 sei es im Gottschedschen Sinn. 132 Ein Freund Heideggers und sein Verbündeter in der Polemik gegen die galante Barockdichtung Schlesiens und den höfischen Roman ist Johannes reden der Bücher, in Uebersdiriften, in Einladungsschriften sind alle Redensarten, die vorkommen, würdig, daß man sie in Cedern ritzte, und in Gold ätzte. Aus so vielen Seltenheiten der Redensarten, die aus Poeten, Rednern, Philosophen, welche jemals gelebt haben, mit Haufen zusammen getragen werden, entspringt eine Schreibart, die einer Kunstkammer gleicht, wo nichts als Seltenheiten der Kunst und Natur pflegen aufbehalten zu werden. [ . . . ] Kurz: alle gemeine Arten zu reden, stinken diesen spanischen Rednern heftiger an, als des Cocytus stinkender Schwefelduft: sie fliehen mehr davor, als vor zischenden Nattern, und vor Tisiphonens gift-aufgelaufenen Schlangen, wie sie zu reden pflegen. Sie können audi mit Gott nicht anders reden, als aus ihrem Raritätenkasten oder Collectaneenbudie. Aber die betrügen sich gar gewaltig, denen seltene Dinge allezeit höher, als andere scheinen.« (ebd., S. 3 7 9 - 3 8 1 ; § X I in der lateinischen Ausgabe). Einige Seiten weiter prangert Werenfels die Gewohnheit an, die Sprache mit Hilfe von Bezeichnungen kostbarer Dinge zu schmücken: »Man sieht wenig auf die Gedancken: die Rede aber ist unvergleichlich, welche mit Marmor, Crystallen, Purpur, Seide, Scharlachen, hibernisdiem Tuche, Smaragden, Sapphir, Onyx, Jaspis, Rubinen, Diamanten, Brillianten besetzt und gezieret ist.« [(S. 390). Budikas Übersetzung entfernt sich hier beträchtlich vom lateinischen Original, wo es nur heißt: »Sit sensus humilis; dum verba sint aureata, marmorea, turrita, fastigiata.«· (§ X V ) ] . Werenfels vertritt die Meinung, nur der Stil seiner französischen Zeitgenossen sei frei von »Meteoren«: »Die Schriften der Italiener sind davon [von Meteoren] voll, und die spanischen Scribenten damit überhäuft. Viele Deutschen folgen ihnen hierinnen. Die heutigen Franzosen, welche klüger, als ihre Aeltern und Vorältern sind, haben endlich diesen verführerischen Schein verlassen, und sich von einer gründlichen und vernünftigen Schreibart einen Entwurf gemacht« (S. 41 j—416; § X X in der lateinischen Ausgabe). 131 In der Critischen Dichtkunst werden »der scharfsinnige Baslische Lehrer Hr. Werenfels« und seine »schöne Abhandlung de metoris orationis«· erwähnt (JOHANN JACOB BREITINGERS Fortsetzung Der Critischen Dichtkunst Worinnen die Poetische Mahlerey In Absicht auf den Ausdruck und die Farben abgehandelt wird, mit einer Vorrede von Johann lacob Bodemer. Zürich, bey Conrad Orell und Comp. 1740. und Leipzig bey Joh. Fried. Gleditsch, S. 296). 1 3 2 Gottsched, der die deutsche Übersetzung von De meteoris orationis in Der Deutschen Gesellschaft in Leipzig Eigene Schriften, die er herausgab, und in seine Akademische Redekunst aufnahm, erwähnte die Abhandlung von Werenfels häufig in seiner Critischen Dichtkunst (vgl. Versuch einer Critischen Dichtkunst durchgehends mit den Exempeln unserer besten Dichter erläutert. Anstatt einer Einleitung ist Horazens Dichtkunst übersetzt, und mit Anmerkungen erläutert. Diese neue Ausgabe ist, sonderlich im II. Theile, mit vielen neuen Hauptstücken vermehret; von JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHEDEN. Vierte sehr vermehrte Auflage, mit allergnädigster Freyheit. Leipzig, 1 7 5 1 . Verlegets Bernhard Christoph Breitkopf, S. 285, 354-355, 366).
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Grob (1643-1697), ein Mitglied des literarischen Zirkels von St. Gallen. In Epigrammen, die aus derselben Zeit stammen wie die berühmteren von Wernicke, die aber in Deutschland keinerlei Resonanz finden sollten, tadelt Grob die Dichtersprache der Zeit wegen »eitler worte pracht« und kritisiert die Romane, wobei er teilweise die gleichen moralischen und ästhetischen Gründe anführt wie die Mythoscopia Romantica. Für dieses Werk hätte er ein Widmungsgedicht geschrieben, wenn ihn der Tod nicht daran gehindert hätte. Im Poetischen Spazierwäldlein, Bestehend in vielerhand Ehren-, Lehr-, Scherz- und Straf gedickten (1700) widmet Grob der Romanliteratur folgendes Epigramm mit dem Titel »Er ist kein liebhaber der erdichteten Liebesgesdiichten« : W e r süsse t r ä u m e liebt u n d bilder o h n e w e s e n , D e r m a g , so l a n g ' es i h m g e f e i l t , R o m a n z e n lesen: D u r c h s o l d i e f a n t a s e i , u n d eitler w o r t e p r a c h t W i r d m a n vielleicht b e s c h w ä z t doch nicht gelehrt gemacht, D i e j u g e n d solte sich f ü r a u s d a r v o n e n t f e r n e n , Sie w i r d j a sonsten w o l das a l b r e buhlen l e r n e n : M a n les' aus reiner schrift w a s in der t a h t geschehn, S o k a n m a n diß hernach in r e d e n laassen sehn. Sie sollen dienlich sein die stunden z u v e r z e h r e n ; M i c h a b e r d ü n k t , m a n k a n die zeit a n bessers k e h r e n , D i e a l z u köstlich ist. M i r schmeket so ein b l a t , D a s neben schöner s p r a a c h ' auch leib u n d w a a r h e i t h a t . 1 3 3
Während Grobs epigrammatisches Werk, wie bereits erwähnt, außerhalb der Schweiz keinerlei Widerhall fand, erregte Heideggers ungestümes Pamphlet gegen die Romanliteratur in literarischen Kreisen Deutschlands ein gewisses Aufsehen 134 und führte sogar zur Reaktion einer Persönlichkeit wie Leibniz. 183 JOHANN GROB, Epigramme. Nebst einer Auswahl aus seinen übrigen Gedichten. Herausgegeben und eingeleitet von Axel Lindqvist, Leipzig 1929 ( = Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart. Publikation 273), S. 1 8 4 - 1 8 5 . Über Grobs Polemik gegen Lohenstein vgl. die Einleitung von Axel Lindquist zur obengenannten Ausgabe der Epigramme. In den Jahren 1694-1698, in denen Werenfels' Abhandlung und Heideggers Mythoscopia veröffentlicht und Grobs Epigramme zum Teil geschrieben wurden, schrieb Beat Louis de Muralt seine Lettres sur les Anglois et les François et sur les voyages (erstmals 1725 publiziert), in denen er das französische Barocktheater wegen der Darstellung von Tugenden und heroischen Gefühlen, die dem gewöhnlichen Leben fern waren, tadelte (BEAT LOUIS DE MURALT, Lettres sur les Anglois et les François et sur les voyages. Editées par Charles Gould-Charles Oldham, Paris 1933, S. 2 4 j ) . 134
Vgl. dazu WALTER ERNST SCHÄFER, Nadiwort zur Mythoscopia,
S. 3 5 2 - 3 5 5 .
II. Kapitel Leibnizens Eingreifen w u r d e sicherlich durch Heideggers kritische B e merkungen über die R o m a n e A n t o n Ulrichs v o n Braunschweig ausgelöst, 1 8 5 w i e man einem seiner Briefe an den H e r z o g selbst entnehmen kann, aus dem auch k l a r hervorgeht, daß er, w e n n er auch nicht der A u t o r der ganzen im Monatlichen
Auszug
-
der v o n seinem Sekretär J o h a n n G e o r g
Eckhart verfaßten und herausgegebenen Zeitschrift - in H a n n o v e r erschienenen Rezension der Mytboscopia
w a r , 1 3 ® diese doch angeregt hatte und
die Zeilen schrieb, die der Verteidigung der Aramena galten.
und der
Octavia
137
D i e Besprechung v o n Eckhart und Leibniz ist m a ß v o l l , diplomatisdi ausgewogen. G e l o b t werden die »ungemeine gelehrsamkeit« 1 3 8 Heideggers und seine löbliche Absicht, v o r unnützen und schädlichen W e r k e n und B e 13« Vgl. HEIDEGGER, Mytboscopia Romantica, S. [ X X X V I I ] , 38, y y, 81. 136 [ J O H A N N G E O R G E C K H A R T - G O T T F R I E D W I L H E L M L E I B N I Z ]
Rezension
zu:
Mytbo-
scopia Romantica, oder Diseurs von den so benannten Romans / das ist erdichteten Liebes- Helden- und Hirten- Gedichten / von dero Uhrsprung / Einrisse / Verschiedenheit / Nütz- und Schädlichkeit: samt Beantwortung aller Einwürffen und vielen besondern Historischen und andern anmutbigen Remarquen / verfasset von Gotthard Heidegger U.D.M. Zürich 1698. in 8vo 18. Bogen, in »Monatlicher Auszug aus allerhand neu- herausgegebenen / nützlichen und artigen Büchern. December M D C C . Zu finden Bey Nicol. Förstern / Buchhändl. in Hanover«, S. 881-894. 137 Leibniz schrieb in dem Brief vom 10. Februar 1701 an Herzog Anton Ulrich: »Une personne qui est chez moy travaille à une maniere de Journal des sçavans en Allemand. Il y a deja plusieurs mois imprimés de l'année passée. Je luy fournis quelque diose de mes correspondances, et il fait des extraits des nouveaux livres. Cela me donne moyen de faire paroistre de temps en temps quelque chose que je trouve à propos que le publique sçache, et comme un pasteur de Zuric nommé Heidegger a fait un livre contre les Romans, où il n'épargné pas meme l'illustre Aramene, j'ay fait faire recension de son livre et sans faire mention de cette hardiesse j'ay fait dire quelque chose en faveur des bons Romans et j'ay fait adjouter que, s'ils estoient tous comme cette Aramene et l'incomparable Octavie, dont on souhaite tant la continuation, et comme ceux de Mad.lle Scudery, rien ne seroit plus utile et qu'il seroit à souhaiter, que toutes sortes de connoissances fussent traités en façon de Romans, et puisque ce seroit comme des pierreries prises sur un fonds d'or« (Leibnizens Briefwechsel mit dem Herzoge Anton Ulrich von Braunschweig- Wolfenbüttel. Hrsg. von Eduard Bodemann, in »Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen«, Jg. 1888, S. 73-244, hier S. 149). Die Stelle aus der Rezension, die sicherlich Leibniz zur Verteidigung von Anton Ulrichs Romanen schrieb - was ihr Inhalt beweist, der mit den letzten Zeilen des oben angeführten Briefes an den Herzog nahezu identisch ist - , lautet folgendermaßen: »Es sollen billig auch unsre belustigungen selbst zum nutzen gerichtet seyn und wenn die Romanen alle wären wie die schöne Argenis / die Durchleuchtige Aramena / oder die vortreflidie Octavia (nach deren völliger Verfertigung so viele verlanget) und was von der mit recht belobten Mademoiselle de Scudery herkommen / würde man den nutzen mit der süssigkeit nicht leicht anders wo besser vermischet finden und mit dieser demnadi zu wünschen haben / daß alle nützliche Wissenschafften / so viel thunlidi / in solches Gold eingefasset wären« (Monatlicher Auszug, December des Jahrs M D C C , S. 894). iss Ebd., S. 892.
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Apotheose
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schäftigungen zu warnen.189 Auch wird Heideggers These, daß »manche« historischen Romane (Heidegger machte jedoch keine Unterschiede) die Geschichte verdrehen und das Wahre und das Falsche bis zur Unkenntlichkeit vermischen,140 eine gewisse Berechtigung zugesprochen. So erkennen Leibniz und Eckhart mit vorsichtigen Zugeständnissen und geschickten Unterscheidungen die kritischen Ausführungen Heideggers als berechtigt an, sofern sie schlechten Romanen gelten, und beschränken sich darauf, sie dort abzulehnen, wo sie sich auf gute Romane beziehen, zu denen selbstverständlich die Werke Anton Ulrichs zählen. Lohensteins Arminius wird bei zwei Gelegenheiten erwähnt, 141 doch die Verfasser der Rezension geben über ihn kein Werturteil ab. 141a Von dem gemäßigten Ton und der Abgewogenheit, die die Rezension der Mythoscopia Romantica im Monatlichen Auszug charakterisieren, findet sich keine Spur in derjenigen, die Nicolaus Hieronymus Gundling in der von ihm in Halle herausgegebenen Zeitschrift Neue Unterredungen veröffentlichte.142 Ein Schüler des Thomasius, betrachtet Gundling die Lektüre von Romanen als ein harmloses und moralisch »indifferentes« Vergnügen. Er verspottet Heideggers autoritären Dogmatismus und seinen « » Ebd., S. 894. «0 Ebd., S. 891. 1 « Ebd., S. 884 und S. 892. i4ia Leibniz muß der Arminius in Wirklichkeit nicht gut gefallen haben, wenn er mehr als zehn Jahre später in einem Brief vom 7. Juli 1 7 1 1 an Friedrich Wilhelm Bierling - der ihm seine Lineamenta methodi studiorum ( 1 7 1 1 ) zugeschickt hatte - , den Roman erwähnte und schrieb: »Mihi quoque boni Romanisci placent; sed Arminius Lohensteinii non satis, etsi ex juvenibus non sim, quibus eum displicere scribis.« (GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ, Die Philosophischen Schriften. Herausgegeben von C. J. Gerhardt. Siebenter Band, Hildesheim 1961, S. 496). In den Lineamenta hatte Bierling bei seiner Empfehlung, die »Poësin vernaculam, a politioribus ingeniis hodie egregie excultam« nicht zu vernachlässigen, unter diesen Opitz, Hoffmannswaldau, Lohenstein, Andreas und Christian Gryphius, Abschatz, Canitz, Besser und Neukirdi aufgezählt. Speziell über Romane hatte er sodann geschrieben: »Cur fabularum Romanensium lectionem nonnulli detestentur? Confundunt illas cum libris obscoenis. De Aramena & Octavia. De Arminio Lohensteinii, Sc stupenda, quae in isto libro latet eruditione. Cur non sit ad palatum nostrorum juvenum?« (Lineamenta Methodi Studiorum, Quae, Ad expeditius discendas Literas Elegantiores, Philosophiam, Et Historiam, In commodum Studiosae Juventutis suorumque Auditorum, Et Usum Collegii privati, Indicatis subinde lectissimis Libris & Auctoribus, Adumbravit FRIDERICUS WILHELMUS BIERLING, Historiarum, Eloquentiae, & Politices in Academia Hasso-Schaumburgica Professor Ordinarius. Rintelii, Sumtibus & Typis Hermanni Augustini Enax, Acad. Typogr. An. 1 7 1 1 , S. 42-4$). 142 [NICOLAUS HIERONYMUS GUNDLING, Gespräch über Gotthard Heideggers »Mythoscopia romantica«, in] »Neuer Unterredungen Dritter Monat oder Martius, Darinnen so wol sdiertz- als ernsthafft über allerhand gelehrte und ungelehrte Büdier und Fragen Freymüthig und unpartheyisch raisonniret wird vorgestellet von P.S.Q. Lützen / w o König Gustav Adolph von Schweden todt geblieben. Anno 1702«, S. 2 5 5 - 2 7 1 .
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II.
Kapitel
ungeschliffenen und dialektalen Stil; diesen parodiert er in einem fiktiven Brief an den Autor der Mytboscopia am Ende seiner Rezension. Gundling sieht Lohensteins Arminius, einen »mehr s eri e u x als belustigenden« Roman, als allen anderen Romanen überlegen an, »sowohl in seiner Schreibart als Aufführung« ; 143 er weist Heideggers negatives Urteil mit folgenden Worten zurück: das Judicium [ . . . ] das er von Lohenstein fallet / ist sehr stumpff: er tadelt ihn wegen seiner Schlesischen Affectirten Schreibart-, welches von einem andern noch könte erdultet werden / wann er nicht selbsten die Ober- und Nieder Sachsen mit seiner Sdiweitzerischen Mundart in besagter Mythoscopie geradbrechet hätte. Er bildet sich / so viel idi sehe / fest ein / Lohenstein habe seinen Arminius geschrieben / den Menschen damit die Philosophie, Philologie und Historie Systematisch zu lernen / da er doch nichts anders gesuchet / als seinen Leser / der von andern ernsthafiten Gedancken ermüdet worden / zubelustigen : alldieweilen so wohl der Leib als die Seele erlaubter Erquickungen fähig sind. (Ob er seinen Zweck erhalten, ist eine andere Frage). 144
Ein Jahr vor der Mytboscopia Romantica war die erste Ausgabe jener Epigramme von Christian Wernidke erschienen, die weit größeres Aufsehen als das Heideggersche Pamphlet erregen und die erste echte literarische Fehde im deutschen Sprachraum hervorrufen sollten. Sie war gewissermaßen eine Vorbotin der viel bissigeren und für die Literarästhetik viel bedeutungsvolleren Fehde, die Bodmer und Breitinger in Gegensatz zu Gottsched bringen sollte. Die erste Ausgabe der Überschrifften (i 697) enthielt zwei scharfe Epigramme gegen die auffallendsten Besonderheiten der Bildlichkeit der Barockpoetik, die vor allem bei der Verherrlichung weiblicher Schönheit Anwendung fand (Steine, Metalle, Stoffe und kostbare Aromen, Sterne, 1 « Ebd., S. 261. 144 Ebd., S. 262-263. Gundling sollte in seiner Historie der Gelahrheit, in der er audi an seine Besprechung yon Heideggers kleinem Werk erinnerte, schreiben: »Daniel Caspar von Lohenstein ist nidit, so hoch, zu aestimiren, als der Hofmannswaldau; [ . . . ] Weil er die Italiener gar zu sehr, imitiret hatt; Die nemlich, alzu ajfectirt schreiben. Sonst war er ein hochgelehrter Mann; Der auch steigt; Nicht allein, in Tragoediis; Welches man noch wohl toleriren könnte; Sondern auch, in andern Sachen. Mithin lasset sich dieser sein hoher Stilus, in dem bekannten Arminio, ebenfals ersehen. Indessen aber hatt er, aida, vortreffliche Gedancken. Etwas Spanisches blicket, überall, hervor. Jedoch der Sprache war er allerdings mächtig.« In der Anmerkung zu diesen Zeilen nennt er den Arminius eine »seiner [Lohensteins] vornehmsten Schriften; Ja Einer derer besten Romans« (NICOL. HIERON. GUNDLING, Vollständige Historie der Gelahrheit. Dritter Theil, in sich enthaltende Die Historiam Literariam sec. XVII. Also ans Licht, gestellet, von C.F.H. Franckfurt und Leipzig. Bey Wolffgang Ludwig Spring, Buchhändlern in Franckfurt am Mayn 1 7 3 5 , S. 4796-4800, Anm. S. 4798).
Die barocke
Apotheose
235
S o n n e n , M o r g e n r ö t e n ) . Sie t r a g e n die T i t e l » A n unsere teutschen P o e t e n « 1 4 5 u n d » A u f L y s a n d e r / u n d die löbliche heutige A h r t Ternsche V e r s e z u s c h r e i b e n « . 1 4 ® D i e b e i d e n E p i g r a m m e f ü h r t e n , d a sie k e i n e g e n a u e n H i n weise auf bestimmte Dichter enthielten, zu keinen R e a k t i o n e n . A b e r i m V o r w o r t z u r z w e i t e n A u s g a b e d e r Überschriften
( 1 7 0 1 ) erläuterte W e r -
n i c k e d e n S i n n s e i n e r K r i t i k u n m i ß v e r s t ä n d l i c h u n d b e z e i c h n e t e d i e schlesisdien Dichter u n d ihre N a c h a h m e r als A d r e s s a t e n . Etliche derselben [ E p i g r a m m e ] sind w i e d e r unsre Deutsche Poëten, oder meine M e i n u n g deutlicher auszudrücken / mehr w i e d e r die eingeführte Schreib-Art als die Poëten selbst gerichtet. Mich düncket / [ . . . ] daß w i r bishero in unsern Schrifften mit eitlen und falschen W ö r t e r n zu viel gespielet / und sehr w e n i g auff das bedacht gewesen / w a s die Italiäner Concetti
[ . . . ] und w i r füglich
E i n f a l l e nennen können / da doch dieselbe die Seele eines gedichtes sind. J a daß auch eben die jenige welche Sinnreich nachdrücklidie und Männliche
zu sein gewust / dennoch nicht eine
A r t zu schreiben gehabt haben. I n wollfliessen-
den Versen übertreffen w i r unstreitig die meisten A u s l ä n d e r [ . . . ] aber eben diese Lieblichkeit kitzelt nur allein das O h r / ohne ins H e r z zu dringen / u n d betrüget den Leser / welcher durch die glatten W o r t e entzückt / der Sache gemeinlich eben so w e n i g als der Poet selbst nachdenkt. Es sind B ä u m e / welche a u f s beste nur schöne B l ü h t / aber keine Früchte tragen. 1 4 7 W e r n i c k e , d e r ein Schüler M o r h o f s w a r u n d v o n d e r klassizistischen P o e t i k 145
»Ihr Teutschen wenn die Lieb aus eurer Feder quill't / | Ihr eure Buhlsdiafft wolt mit eurem Vers bedienen / | So kriegt man gleich zu sehn / ein marmorweisses Bild; | Ihr Aug ist von Achat / die Lippen von Rubienen / | Die Adern von Türckies / die Brüst aus Alabast: | Die frembde Buhlschafften sind lang nicht so verhaßt. Der Welsche betet sie als eine Göttin an / [ Und sucht so offt er immer kan / | vor ihr auf seinen Knien zu liegen; | Es macht sie der Franzos von lauter Witz / | Zur Freundschafft fähig / ja verschwiegen / | Und folgends ein Gefäß ohn eine Ritz; [ Der Englische der nichts als was natürlich thut / | Der macht sie von lauter Fleisch und Blut; | Ihr aber woll't Pigmaljons alle sein [ Und machet sie zu Bilder oder Stein« ([ CHRISTIAN WERNICKE,] Überschritte Oder Epigrammata, In kurtzen Satyren, kurtzen Lob-Reden und kurtzen Sitten-Lehren bestehend. Amsterdam, Bey Adrian Brackman, Anno 1697, S. 4 5 -
146
»Lysander hat gelernt an mehr als einem Ohrt / | Ein unverständlich Nichts durch aufgeblas'ne Wort [ In wolgezehlte Reim zu bringen; | In jederm Abschnitt hört man Klingen / | Schnee / Marmor / Alabast / Musk / Biesam und Ziebeht / | Seid / Purper / Perlen / Gold / Sonn' / Stern / und Morgenröht / | Die sich im Unverstand verschantzen | Und in gebrochnen Reyhen tantzen: | Ich lese sie zwar selten biß zum End / I Doch klopf ich in die Händ; ] Und denck: Es sind nicht schlechte Sachen / | Auß Schell'n ein Glockenspiel zu machen« (ebd, S. 63). [CHRISTIAN WERNICKE,] Überschriee Oder Epigrammata In acht Büchern / Nebst einem Anhang von etlichen Schäffer- Gedichten / Theils aus Liebe zur Poesie, theils aus Haß des Müssigangs geschrieben. Hamburg. In Verlegung Zacharias Hertel / 1 7 0 1 , S. [ V I I - V I I I ] ,
147
236
II.
Kapitel
Boileaus und dessen Hauptpostulaten beeinflußt wurde (»bon sens«, »raison«, »nature«, »clarté«, »bienséance«, »vérité«, »rien n'est beau que le vrai«), ging nach einem Lob für die Dichter des Berliner Hofes Canitz und Besser, »welche Ordnung zu der Erfindung / Verstand und Absehn zur Sinnlichkeit / und Nachdruck zur Reinligkeit der Sprache in ihren Gedichten zu setzen gewust«, >ex abrupto< das Thema der Bewertung von Hoffmannswaldaus und Lohensteins Dichtung an. Idi gebe auch mit Freuden den zweyen berühmten Schlesiern ihr verdientes Lob. Denn wer ist es wol / der in des Herrn von Hoffmannswaldaus Sdirifften viel zu tadeln / und in des Herrn von Lohensteins Gedichten nicht viel zu rühmen findet? Sinnreich und lieblich ist der erste / sinnreich und durchdringend der andre. Jenen ist jederman geneigt / diesen ist jederman gezwungen zu rühmen. Man findet in der That in den Trauerspielen des letztern unterschiedliche vortreffliche örter / und unter denen einige / welche es in Ausdrückung einer Sache die sie vor Augen stellen wollen / den besten alten Poeten gleich thun / wenn man aber die Wahrheit gestehen darf! / so hat er sich auch hierinnen unterweilen durch seine Hitze so weit verführen lassen / daß er schöne Sachen zur Unzeit angebracht / und prächtige Worte seinem Verstände zum Nachtheil und gleichsahm in einer Poetischen Raserey geschrieben hat. Wer findt nicht folgende Verse in seinem Ibrahim schön? Und meiner Adern-Brunn / für dem Chrystall nicht rein / Und Schwanen fleckigt sind / soll ein Gefässe seyn / Darinn der geile Hengst / den Schaum der Unzucht spritze? 148 allein was kan wol ungereimter als eben dieselbe seyn / wenn man betrachtet / daß er sie der Ambre des Mufti Tochter / einem unerfahrnem Kinde von zwölff Jahren / in den Mund geleget? Ich bin gäntzlich der Meinung / daß was die Frantzösische Schreib-Art zu der heutigen Vollkommenheit gebracht hat / meistentheils daher rühre / daß so bald nicht ein gutes Buch ans Licht kommt / daß nicht demselben eine so genannte Critique gleich auff den Fuß nachfolgen solte / worinnen man die von dem Verfasser begangene Fehler sittsahmlich / und mit aller Höflichkeit und Ehrerbietung anmercket / sintemahl dadurch ohne alle Ärgernüß dem Leser der Verstand geöffnet / und der Verfasser in gebührenden Schranken gehalten wird. Und dieses ist der Zweck einiger meiner Uberschriffte. Was ich von der gestirnten / balsamirten und vergüldeten Redens-Art halte / derer sich unsre Poeten, und unter denen die Schlesische insonderheit / ist aus der Uberschrifft auff Lysander zur genüge zu ersehen.149 148
Ibrahim Sultan, II, 73-75. Wernicke zitiert die Verse etwas ungenau (»Adern-Brunn« statt »Adern Quäll«) und mit leichten orthographischen Veränderungen (vgl. LOHENSTEIN, Türkische Trauerspiele, hrsg. von K.G.Just, S. 138). 149 WERNICKE, Uberschrifte, 1701, S. [ I X - X ] , Zu Wernickes Kritik an Lohenstein vgl. WINDFUHR, Die barocke Bildlichkeit und ihre Kritiker, S. 414-415. LOHENSTEIN,
Die barocke
Apotheose
237
Obgleich die Sammlung auch einige Epigramme enthielt, in denen H o f f mannswaldau und Lohenstein gelobt wurden, 150 war die Kritik an den beiden literarischen Idolen der Zeit und besonders ihren Nachahmern, 151 den Anhängern der »gestirnten, balsamirten und vergüldeten RedensArt«, ebenso unzweideutig wie scharf in ihrem Sarkasmus und wurde als eine unerhörte Provokation aufgefaßt. 150 Vgl. die Epigramme mit den Überschriften »Auf den Teutschen Poeten« und »Ursprung und Fortgang der Teutschen Poesie« (S. 95 und S. 128). In der dritten A u f lage der Ueberschriflen (1704) erklärt Wernicke in einer Anmerkung zum Epigramm »Auf den Teutschen Poeten« (hier hat es den Titel »Auf die schlesisdie Poeten«) die Unterschiedlichkeiten in seinen kritischen Urteilen und rechtfertigt das Lob, das er in manchen Epigrammen Hoffmanns Waldau und Lohenstein zollt, dadurch, daß er sagt, sie seien im jugendlichen Alter entstanden, als er die französischen und englischen Dichter noch nicht kannte. Dann macht er seine Position gegenüber den beiden großen schlesischen Dichtern endgültig klar: »Die Sache kurz zu machen, so ist man annodi der Meynung, daß die schlesischen nicht allein unsre besten Poeten; sondern auch mit den besten ausländischen Poeten möchten zu vergleichen seyn, wenn die zwey berühmten Männer Lohenstein und Hofmannswaldau es bey der reinen und natürlichen Schreibart des Opitz und Griphs hätten bewenden lassen; und nichts anders als ihre eigene Scharfsinnigkeit derselben zugefüget hätten. Es scheinet aber, daß sie beyderseits unter allen fremden Poeten sich die Welschen zum Muster gesetzet. Nun ist es unstreitig, daß dieselben am wenigsten unter allen andern zu folgen, weil in ihren Schriften mehr falscher als wahrer Witz, und vor eine reine Redensart hundert rauhe Metaphoren anzutreffen sind« (N. WERNIKENS, ehemaligen Königl. Dänischen Staatsrahts, und Residenten in Paris, Poetische Versuche in Ueberschriften; Wie auch in Helden· und Schäfergedichten. Neue und verbesserte Auflage. Zürich, bey David Geßner, Gebrüdere, 1749, Anm. S. 1 2 1 . Diese von J . J . Bodmer betreute Ausgabe gibt den Text der dritten Auflage von 1704 wieder). Das Epigramm »Ursprung und Fortgang der Teutschen Poesie«, in dem Hoffmannswaldau und Lohenstein wegen ihrer Veredelung der deutschen Dichtung verherrlicht werden, wurde nach dem Text der Grabrede beim Tod des Breslauer Senatspräsidenten in einer Ausgabe von 1705 anonym abgedruckt und im letzten Vers verändert (D. C. VON LOHENSTEIN Lob-Rede / Bey Des weyland Hoch- Edelgebohrnen / Gestrengen und Hochbenamten Herrn Christians von Hofmannswaldau / auf der Arnolds- Mühle / Der Rom. Kays. Mayestät Raths / der Stadt Breßlau Hochverdienten Raths-Praesidis, Und Des Königl. Burglehns Namlaslau Directoris, Den 30. Aprilis, Anno 1679. In Breßlau Hoch-Adelich gehaltenem Leich-Begängniß, in Des Todes Tempel / von XII. Ehren-Pforten. In so viel Abdankungen aufgerichtet. Gedruckt / Anno 1705, S. 85-109). 151
So scharf Wernickes Kritik an Lohensteins Dichtung auch sein kann, er unterläßt es doch nie, dem Autor des Arminius bedeutende poetische Qualitäten zuzusprechen. Seine Polemik zielt viel mehr auf die Lohensteinianer als auf Lohenstein selbst ab. Im Vorwort zur dritten Auflage der Epigramme wird Wernicke deutlicher - nachdem er sich kritisch über Lohensteins Vers »Zinober krönte Milch auf ihren Zudcerballen« (Ibrahim Sultan, 1 , 3 3 2 ; Wernicke zitiert den Vers ungenau, der nämlich so lautet: »Zienober krönet Milch auf ihren Liebs-Ballen«, und polemisiert besonders gegen den Ausdruck »Zuckerballen«, der seine eigene Erfindung ist!) verbreitet hat - : »Unterdessen gehet man so weit nicht, um dem Herrn von Lohenstein zu nahe zu treten. Man vergisset gerne seine Fehler, wegen seinen anderwertigen herrlichen Tugenden. Man hat es nur mit denen zu thun, die dessen Tugenden nicht erkennen, und sich allein
II.
z38
Kapitel
D e r erste, der Lohenstein verteidigte, w a r C h r i s t i a n Heinrich Postel, der den schlesischen Dichter oft in den V o r r e d e n zu seinen Opernlibretti gerühmt h a t t e . 1 5 2 E r tat es in einem Sonett, das gegen E n d e des J a h r e s 1 7 0 1 entstand u n d als F l u g b l a t t verbreitet w u r d e . B e k a n n t sind d a v o n nur die beiden ersten Vierzeiler, die m a n aus dem V o r w o r t zu Wernickes K l e i n epos Hans Sachs rekonstruiert hat. Schau edles Schlesien der Schwanen Vaterland Wie jetzt dein Lohenstein, das Wunder aller Erden, Der Teutschlands Sonne muß mit recht genennet werden, So frech gelästert wird durch Stoltz und Unverstand. Daß er der Götter Sprach in Reymen angewandt, Den Geist der Trauer-Spiel entfernt von W a l d und Heerden, J a daß ihn Phöbus selbst geführt mit seinen Pferden, Wird einem Tadelgern noch ungereimt genannt. 153 W e r n i c k e a n t w o r t e t e mit dem satirischen W e r k Ein Heldengedicht
Hans
Sachs genannt,
aus dem Englischen
der
Über-
schriften
Schäfergedichte,
Erklärungen
des
und
Übersetzers
(Altona 1702).
154
übersetzt
nebst
einigen
von dem Verfasser nöthigen
Postel reagierte d a r a u f nicht. A b e r der lite-
an dessen Fehler halten, dieselben zu ihrer Richtschnur im Schreiben setzen; und wenn sich jemand findet, der aus keinem Neid gegen den Poeten, sondern bloß allein zu Beförderung der deutschen Poesie dieselben anmerket; sich sogleich döhrichter Weise einbilden als hätte man einem König nach der Krone gegriffen« (WERNICKE, Poetische Versuche in Ueberschriflen, 1749, S. [ X X V I I ] ) . 152 VGL. SoLVEiG OLSEN, Christian Heinrich Posteis Beitrag zur deutschen Literatur. Versuch einer Darstellung, Amsterdam 1973 ( = Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur herausgegeben von Cola Minis, 7. Band), S. 17 und 301. C. F. Weichmann versuchte bei der Veröffentlichung des Wittekind Postel gegen den Vorwurf lohensteinischer Schwülstigkeit zu schützen: » [ . . . ] ich bin versichert, daß, wenn dieß Werk völlig wäre ausgearbeitet worden, Teutschland weit grössern Ruhm davon gehabt hätte, als Italien von seinem Tasso und Marino zugleich. Wenigstens, wird man an den meisten Orten finden, daß Er [Postel] natürlich genug ist, und wie emsig E r auch den Spaniern und Italiänern, insonderheit obigen beyden nebst unserm Lohenstein, folget, dennoch von deren hochtrabenden schwülstigen Schreib-Ahrt gar merklich abgehet.« (Der grosse 'Wittekind in einem Helden-Gedichte von CHRISTIAN HENRICH POSTEL, weyland heyder Rechten Licentiaten. Mit einer Vorrede von Dessen Leben und Schriften, auch zwey Registern der in diesem Werke enthaltenen Beschreibungen und Gleichnisse von C. F. Weichmann. Hamburg, bey Johann Christoph Kißner, 1724, S. [ X X I V - X X V ] in der »Vorrede«), 153 Von den Terzinen sind nur zwei Halbverse erhalten: »daß Hasen sich nur wagen den Löwen anzugehn« (zu ergänzen durch die Worte: nach seinem Tod). 154 Dieses Kleinepos von Wernicke wurde von J . J . Bodmer neu herausgegeben in der Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften, Zur Verbesserung des Urtheils und des Wizes in den Wercken der Wolredenheit und der Poesie. Erstes Stück. Zürich, Bey Conrad Orell und Comp. 1 7 4 1 , S. i i j - 1 3 7 . Dieser Nachdruck
Die barocke Apotheose
239
rarische Streit über den W e r t v o n Lohensteins Dichtung und Stil w a r damit nicht zu E n d e , denn an Posteis Stelle trat Christian Friedrich H u n o l d (Menantes), der viel mehr Einsatz und Kampfbereitschaft zeigte. 1 6 5 I m V o r w o r t zu Die Edle Bemühung
müssiger Stunden
( 1 7 0 2 ) 1 5 6 und in
einem Gedicht aus der S a m m l u n g , das » D e r Poesie rechtmässige K l a g e über die gekrönten und andre närrische Poeten« überschrieben ist, 1 5 7 greift H u nold Wernicke heftig an, sogar mit groben Beschimpfungen, und rühmt Lohenstein als K l e i n o d Schlesiens und V o r b i l d f ü r alle Zeiten.
Nicht
sehr vornehm rädite sich Wernicke, indem er H u n o l d bei den französischen und spanischen Ministerresidenten v o n H a m b u r g wegen eines seiner E p i gramme, das in F o r m einer » G r a b - S c h r i f f t « gegen K a r l I I . v o n Spanien
wurde kurz besprochen in den Critischen Versuchen ausgefertiget durch Einige Mitglieder der Deutschen Gesellschaft in Greifswald. Erster Band. Mit nöthigen Registern. In Verlegung Johann Jacob Weitbredhts. 1 7 4 2 , S. 5 2 2 - 5 2 3 . 155 Uber die Geschichte dieses literarischen Streits und seine Wortführer vgl. [BENJAMIN WEDEL,] Geheime Nachrichten und Briefe von Herrn Menantes Lehen und Schrifften. Cöln / Bey Johann Christian Oelsdinern, 1 7 3 1 , S. 3 1 - 4 0 ; [JOHANN J A C O B BODMER,] Nachrichten von dem Ursprung und Wachsthum der Critik bey den Deutschen, in Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Zur Verbesserung des Unheils und des Wizes in den Wercken der Wolredenheit und der Poesie. Zweytes Stück. Zürich, B ^ Conrad Orell und Comp. 1 7 4 1 , S. 8 1 - 1 8 0 , hier S. 1 0 3 - 1 2 3 ; JULIUS ELIAS, »Christian Heinrich Postel«, in Allgemeine Deutsche Biographie. 26. Band, Leipzig 1 8 8 8 , S. 4 6 5 - 4 7 3 ; JULIUS ELIAS, Christian Wernicke. Diss. München 1 8 8 8 ; E R I C H SCHMIDT, »Christian Wernicke«, in Allgemeine Deutsche Biographie, 42. Band, Leipzig 1 8 9 7 , S. 9 0 - 9 2 ; H E R M A N N V O G E L , Christian Friedrich Hunold (Menantes). Sein Leben und seine Werke. Diss. Leipzig 1 8 9 7 (gedr. in Lucka S . - A . ) ; RUDOLF PECHEL, » P r o l e g o m e n a « z u CHRISTIAN W E R N I C K E , Epigramme. 156
rischen
157
Herausgegeben
und
eingeleitet von Rudolf Pechel, Berlin 1909 ( = Palaestra LXXI), S. 1-108. Hier schreibt Hunold zu Wernickes Kritik am »vortrefflichen H e r r n von Lohenstein« : »Gewiß / es ist ein schlechtes Kennzeichen eines gesunden Verstandes / dasjenige ungereimt zu nennen / welches durch die Vollkommenheit eines hohen Geistes bey den Klügsten sich vorlängsten wunderwürdig gemacht / zumahl von denen / die wie der schmierichte Schuster beym Apelles, die Ausbesserung Kunstreidier Sinnen- Bilder weisen wollen / da sie nicht einmahl den Schatten davon zu entwerffen vermögend sind. [ . . . ] Und gesetzt / daß man mit prächtigen Wörtern zur Unzeit gespielet / so ist doch solches selbst Verständigen zu zeigen die Art unnützer Klüglinge« (Die Edle Bemühung müssiger Stunden / In Galanten, Verliebten / Sinn- Schertz- und SatyGedichten
/ V o n MENANTES [CHRISTIAN FRIEDRICH H U N O L D ] . H a m b u r g V e r -
legts Gottfried Liebernickel / Buchhändler im Thum. 1702, S. [ I I - I I I ] in der »Vorrede«), Lohenstein wird hier »Das Kleinod Schlesiens / ein Muster aller Zeiten / | Ein Schwan / der wunderschön nach seinen Tode singt«, genannt. Wernicke, »einem grossen Narren«, sind unter anderem folgende Verse gewidmet: »Der arme Stumper weiß nicht was er hat verletzet / | Und sein Verstand ist hier den Maul- Wurffs Augen gleich I Die kleinste Sylbe nur / die Lohen- Stein gesetzet / | Ist mehr / als sein Gehirn an Witz und Geiste reich.« (ebd., S. 87).
II.
240
Kapitel
gerichtet w a r , anzeigte. D i e politische Denunziation hatte jedoch f ü r H u nold glücklicherweise keine ernsten Folgen. 1 5 8 In einem anderen W e r k aus demselben J a h r , Die allerneueste lich
und
galant
zu schreiben
Wernicke fort. 1 5 9 Dieser antwortete in der N e u a u s g a b e der und des Kleinepos Hans
Sachs
Art /
Überschrifften
v o n 1 7 0 4 , w o H u n o l d grimmig verhöhnt
w i r d . 1 6 0 E i n e unmittelbare R e a k t i o n des Menantes stellt die K o m ö d i e Thörichte
Pritschmeister
höf-
( 1 7 0 2 ) , setzte H u n o l d seine A n g r i f f e gegen
Der
( 1 7 0 4 ) dar, 1 8 1 in der Wernicke, dessen E p i g r a m m e
auf burleske A r t parodiert werden, selbst unter den N a m e n N a r r w e d k und W e c k n a r r v o r k o m m t . Wernicke reagierte nicht d a r a u f , und so endete die literarische K o n t r o v e r s e über den W e r t v o n Lohensteins Dichtung, 1 6 2 Geheime Nachrichten, S . 3 1 - 4 0 . In den so übersdiriebenen Briefen: »Ein ander Schreiben an einen / der seine Sachen aus andern Biidiern stiehlet« und »Ein ander Schreiben An einen gelehrten Freund von einigen schlimmen Poeten / und andern unzeitigen Scribenten«, in Die Allerneueste Art / Höflid) und Galant zu Schreiben Oder: Auserlesene Briefe / in allen vorfallenden / auch curieusen Angelegenheiten / nützlich zu gebrauchen / Nebst einem zulänglichen Titular-und Wörter-Buch von MENANTES [CHRISTIAN FRIEDRICH H U N O L D ] . Hamburg Bey Gottfried Liebernickel im Dohm. 1707, S. 496-498; 509-519 (die Erstausgabe des Werkes erschien 1702, weitere Auflagen folgten in den Jahren 1709, 1715,
158 VGL. W E D E L , 159
1 7 1 8 und 1729).
LEO Vgl. die »Vorrede« und das Epigramm »An den teutsdien Mävius« (CHRISTIAN WERNICKE, Poetischer Versuch / In einem Helden-Gedidit Und etlichen SchäfferGedichten / Mehrentheils aber in Uberschrifften bestehend Als welche letztere in zehn Bücher eingetheilet / aufs neue übersehen / in vielen hundert Oertern verändert / und nebst den zwey letzten Büchern mit vielen neuen Uberschrifften hin und her vermehret sind. Mit durchgehenden Anmerckungen und Erklärungen. Hamburg / In Verlegung Zacharias Hertel / 1704. Hans Sachs nimmt die Seiten 388-422 ein. In Pecheis Ausgabe steht das Kleinepos hingegen S. J45-566). In der »Zuschrifft« und in der »Vorrede« wird Lohenstein ausdrücklich gegen Wernickes Angriffe verteidigt (Der Thörichte Pritsàimeister / Oder: Schwermende Poete / In einer lustigen Comoedie. Wobey zugleich eine Critique Uber eines Anonymi Uberschriften / Schäffer-Gedichte / und unverschämte Durchhechelung der HofmannsWaldauischen Schrifften. Auf sonderbare Veranlassung / allen Liebhabern der reinen Poesie zu Gefallen ans Licht gestellet. Von MENANTES [CHRISTIAN FRIEDRICH H U NOLD] Coblenz / Bey Peter Marteau den Jüngern / 1704. In Wirklichkeit »in Hamburg gedruckt / Verlegts Gottfried Liebernickel«). 162 Hunold erwähnte Lohenstein und sein dichterisches Werk audi in späteren Schriften. So werden in den Academischen Neben-Stunden (1713) Lohensteins Verwendung von Adjektiven als »nachdrücklich« und »scharfsinnig« und - wenngleich mit gewissen Einschränkungen - audi der Arminius gelobt: »Unter den Romanen sind unter den Teutsdien die vortrefflichsten / die Römische Octavia, und der Arminius, welcher letztere so viele Gelehrsamkeit und tiefsinnige Gedanken in sich faßet / daß dadurch bey manchem Leser die Anmuht vergeringert wird« (MENANTES Academische NebenStunden allerhand neuer Gedichte / Nebst Einer Anleitung zur vernünftigen Poesie. Halle und Leipzig /verlegts / Johann Friedrich Zeitler. 1713, S. [ X I V ] und 6j). Ebenfalls nidit uneingeschränkt ist in Hunolds Theatralischen Gedichten (1722) das
161
Die barocke
Fortsetzung
Apotheose
Fußnote
241
162
Lob, das er Lohensteins Tragödien spendet, denn er bemängelt, daß der Vorzüglidikeit der Verse keine gleichwertige Theatererfahrung gegenüberstehe (Theatralische / Galante
und Geistliche
Gedichte
/ Von MENANTES [CHRISTIAN FRIEDRICH HUNOLD].
Hamburg / Bey Johann Wolffgang Fickweiler im Dom. 1 7 2 2 , S. 122). Hunold verteidigt Lohensteins Dichtung, allerdings mit manchen Vorbehalten, auch in der »Vorrede« zur Poetik Erdmann Neumeisters. Hier schreibt Hunold nach Erwähnung von Thomasius' Urteil über Lohenstein und Hoffmannswaldau, das dieser in der bereits zitierten Erfindung derWissenschafl / anderer Menschen Gemüther zu erkennen ( 1 6 9 1 ) ausgesprochen hatte: »Allein welchen vernünfftig Gelehrten ist unbekandt / was der Herr von Lohenstein in seinen Trauer-Spielen / noch mehr aber in seinen beyden Theilen des Arminius erwiesen? Wir haben kein schöner Munster zur Nachfolge in der Poesie als dieses Buch; und da es das beste / so will es uns zur Ausübung dieser edlen Wissenschaft mit einer solchen Erinnerung auffmuntern / daß fast nichts schwerer / als ein Poet zu seyn. Ich habe ihn gelesen / und wenn ein jeder / den die Natur zur Poesie gleichsam zwinget / mit mir den Vorsatz hat / dessen Poetisch- Moralischen Geist / oder einem Adler in die Sonne so weit nachzufliegen / als es ihm der Genie und dem Fleisse nach möglich / der wird endlich zu der Geschicklichkeit gelangen / deren sein Talent fähig / und sich in seinem Gewissen zum Meister der Poesie machen / ob er gleich des Herrn von Lohensteins Schüler bleibt. Z w a r ist mir unverborgen / wie man diesen grossen Poeten des Fehlers der Lieblichkeit beschuldiget / und daß seine Verse nicht allzuwohl fliessen. Allein man thut ihm unrecht: er ist lieblich / aber nur vor hohe Geister. [ . . . ] Der H r . von Lohenstein muß [ . . . ] vielen nicht lieblich seyn / weil sie ihre Seele an nichts Hohes / das Hertz aber an was Gemeines gewehnet / und ihn hernach in seinen so herrlichen Gedancken nicht erreichen können; und daß seine Verse nicht allzuwohl fliessen / ist mehr die Tugend / als ein Fehler daran Schuld. Ist mir erlaubt / Poetisch zu reden / so würde sein Castalischer Brunnen besser oder ungehinderter fliessen / wenn er nicht zwischen so vielen Perlen und Corallen Stauden durchrieseln müste. Es scheint fast unmöglich / so viel schöne Gedancken und Realien in wenig Zeilen auszudrücken / und dabey wohlfliessend zu seyn; und was ist es endlich vor ein Nachtheil vor seine Poesie, wenn man saget: daß ihm schöne Gedancken besser / als Worte oder Verse aus der Feder geflossen?« ([ERDMANN NEUMEISTER,] Die Allerneueste Art / Zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen. Allen Edlen und dieser Wissenschaßt geneigten Gemühtern / Zum Vollkommenen Unterricht / Mit überaus deutlichen Regeln / und angenehmen Exempeln ans Licht gestellet / Von Menantes [Christian Friedrich Hunold]. Hamburg / Bey Joh. Wolffg. Fickweiler / im Dom / 1 7 1 7 , S. [ I X - X I ] ) . Weil Hunold ein Gedicht von Friedrich Wilhelm Sommer von Sommersberg ([CHRISTIAN FRIEDRICH HUNOLD,] Rezension zu : Das glückseelige Schlesien / oder: die Unvergleichlichen HeldenThaten des Aller-Durchlauchtigsten, Großmächtigsten und Unüberwindlichsten Heldens und Kaysers Carls des VI. in einem Teutschen Heroischen Gedichte, nach Art der alten Lateinischen Poeten vorgetragen; Von F.[riedrich] W.[ilhelm] S.[ommer] Octav. 12. Bogen, in »Vermischte Bibliothec Oder: Zulängliche Nachrichten und Unpartheyische Gutachten von allerhand mehrentheils neuen Büchern und andern gelehrten Materien. Das Ein und zwantzigste Stüde. Halle im Magdeburgischen 1720. In Verlegung der Neuen Buchhandlung / Auch bey derselben in den Messen zu Franckfurt unter dem Mehlischen und zu Leipzig unter dem Brummerischen Hause zu finden«, S. 762-802) negativ besprochen hatte, wurde er paradoxerweise Ursache eines Pamphlets zur Verteidigung der schlesischen Dichtung, das den Titel Die Ehre Der Schlesischen Poesie ( 1 7 2 1 ) trug. Der Verfasser der Streitschrift, mit ziemlicher Sicherheit Friedrich Wilhelm Sommer von Sommersberg [der alte, handgeschriebene Katalog der
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die erste Fehde in der deutschen Literatur, mit der sich gewissermaßen die Geburt der Kritik ankündigte,163 nicht sehr ruhmreich. Die Bilanz von Wernickes Angriff gegen Lohensteins Stil war recht mager. Lohensteins Ruhm blieb im wesentlichen nicht nur unangetastet, sondern fand sogar neue, unermüdliche Apologeten. Melancholisch schrieb Bodmer in seinen Nachrichten von dem Ursprung und Wachstum, der Critik bey den Deutschen (1741), indem er aus dem kritischen Abenteuer Wernickes mit dem »schlechten Geschmack« der schlesischen Barockdichtung das Fazit zog: »Nach diesem Anfall, den Wernike mit mehr Recht und Geschicklickeit als Glück auf den falschen Geschmack gethan, führten Hoffmannswaldau und Lohenstein ihre poetische Herrschaft unangefochten fort. Männling und Schröter posaunten den letztern mit aufgeblasenen Backen aus.«164 Schröter und Männling - das sind die beiden größten Herolde (»Ausposauner« nennt Bodmer sie giftig) des Lohensteinischen Ruhms in den ersten beiden Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts. Der ehrgeizige Versuch Christian Schröters war es, eine »lohensteinische« allgemeine und politische Rhetorik zu begründen. Im Vorwort zur Gründlichen Anweisung zur deutschen Oratorie nach dem hohen und Sinnreichen Stylo des vortrefflichen Herrn von Lohenstein (1704) rechtfertigt Christian Schröter seinen Modellvorschlag einer lohensteinischen Rhetorik als eine logische Folge der hohen stilistischen Vollendung, zu der der »unvergleichliche«165 Lohenstein die deutsche Sprache geführt habe. Bibliotheca Societatis Teutonicae schreibt sie jedoch Gottfried Christian Lentner zu (vgl. Bibliotheca Societatis Teutonicae Saeculi XVI-XVIII. Katalog der Büchersammlung der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Nach dem von Ernst Kroker bearbeiteten handschriftlichen Bestandsverzeichnis der Universitätsbibliothek Leipzig herausgegeben vom Zentralantiquariat der DDR in Leipzig. Mit Vorwort von Dietmar Debes I. A bis Κ. München 1 9 7 1 , S. 1 6 1 ) ] , tat so, als ob sich Hunolds Kritik gegen alle schlesischen Dichter richtete, um so das Gedicht Das glückselige Schlesien besser verteidigen zu können, wobei er sich die zu erwartende Empörung des Publikums wegen einer solch wahllosen Kritik zunutze machte. So zollte er Lohenstein (»dem berühmten Lohenstein«, »dem scharfsinnigen Lohenstein in seinem unschätzbaren Arminias«) und anderen schlesischen Dichtern, die Hunold in seiner Rezension weder kritisiert noch erwähnt hatte, gelegentlich hohes Lob. ([FRIEDRICH WILHELM SOMMER] Die Ehre Der Schlesischen Poesie Und Poeten Gründlich und au0richtig gerettet, Wider der Vermischten Bibliothec XXI. Theil. In der Leipziger Neujahrs-Messe 1 7 2 1 , S. 20, 27, 39, 104-105, I N ) , í e s V g l . H E R M A N N V O G E L , Hunold, 164
S. 30.
BODMER, Nachrichten von dem Ursprung und Wachsthum der Critik bey den Deutschen, S. 123. íes »Unvergleichlich« ist das Epitheton, das in der Gründlichen Anweisung mit dem N a men Lohenstein fast dauernd einhergeht (CHRISTIAN SCHRÖTERS Gründliche Anwei-
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[ . . . ] wer einen guten Meister will machen / muß ihm ein untadelhafftes Muster vor die Augen legen; und wer einen vollkommenen Redner will abgeben / muß den Besten zu seinem Führer erkiesen und andern vorstellen. [ . . . ] In diesem Absehen habe ich / da idi so glücklich bin / in dieser Kunst unterschiedene junge Herren von Adel zu unterrichten / gegenwärtige Oratorische Anweisung verfertiget / und diesen vortrefflichen Meister [Lohenstein] der Beredtsamkeit zum Handleiter erwehlet: Sintemal er aus seinem großmüthigen Herrmann die schönsten Exempel an die Hand gegeben hat. Zwar möchte sich iemand wundern / wie man die Oratorie aus diesem Buch solte begreiffen können: allein / wer dasselbe mit Bedacht und Nachdencken lieset / wird es für keine Unmögligkeit halten; wiewohl der Autor sich niemals hat lassen in Sinn kommen / die Oratorie darinnen abzuhandeln: und doch lassen sich alle Praecepta des Herrn Weisen / dem ich als dem Besten hierinnen gefolget / überaus wohl aus dieser Helden-Schrifft erläutern / wie solches der Augenschein giebet. Wolte sich iemand einen neuen Kummer machen / und sagen: Es sey doch nicht möglich / daß junge Leute bald in so hohem Stylo, wie der Herr von Lohenstein gethan hat / schreiben können / so muß ich solches wohl freylich gestehen: Allein / wer in der mittlem Schreibart sich nur rechtschaffen geübet / derselbe kan mit der Zeit wohl auch in der höhern etwas zu schreiben lernen: sonderlich wer diesen ungemeinen Redner zu imitiren sich bemühet / und daher auff alle seine Worte / Redensarten / Verbindungen / Ausdrückungen und Sinnreiche Sprüche genau Achtung giebet; davon in diesem Buche ein grosser Vorrath zu finden. Denn idi habe mit Fleiß alle Praecepta mit den schönsten Exempeln aus diesem Wercke beleget / damit die studirende Jugend einen Kern von reinen und auserlesenen Worten / ausbündigen Gleichnüssen / vortrefflichsten Realien / merckwürdigsten Geschichten / klugen Staats-Krieges-und Sitten-Regeln in einem kurtzen Auszuge möge beysammen haben. Für junge Leute ist ohne diß ein so weitläufftiges Buch nicht / als welche selten die Gedult haben / so viel Zeit darauff zu wenden; zu geschweigen / daß unterschiedene Sachen darinnen zu finden / die sie noch nicht verstehen / auch nicht wissen dörffen. Vornemlidi hab ich mich beflissen / alle Regeln mit Politischen Exempeln zu erklären / damit sonderlich die Adeliche Jugend beyzeiten einen Vorschmack in dieser Wissenschafft bekomme. Und kan ich in Wahrheit sagen: Daß kein Blat wird umgewendet werden / auff welchem man nicht die besten Sachen antreffen wird. [ . . . ] Bey iedwedem Capitel habe ich des Autoris Exempel zum Muster und zur Nachfolge gesetzt [ . . .]. 1ββ sung zur deutschen Oratorie nach dem hohen und Sinnreichen Stylo Der unvergleichlichen Redner unsers Vaterlandes, besonders Des vortrefflichen Herrn von Lohensteins in seinem Großmüthigen Herrmann und andern herrlichen Schrifften. Leipzig, verlegts Johann Friedrich Gleditsch, Im Jahr Christi 1704, S. [II, V I ] in der »Vorrede« und S. 60, 72). Schröters Werk ist jetzt in einem Nachdruck leicht greifbar: Kronberg/ 166 Ts.: Scriptor Verlag 1974. Ebd., S. [ I I I - V I ] in der »Vorrede«.
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Schröter, der seine Rhetorik auf der paradoxen Verbindung von Weiseschen Rhetorikregeln und Lohensteinischen »exempla« sowie linguistischen und stilistischen Mustern aufbaut, richtet seine Gründliche Anweisung zur deutschen Oratorie ausdrücklich an den Adel, den Adressaten eines weiteren, im gleichen Jahr erschienenen Werkes von ihm: der Kurtzen Anweisung zur Information der Adlichen Jugend (ι/04). 1β7 Auch der Politische Redner (1714) 1 8 8 wendet sich an ein Publikum von adeligen Schülern und zukünftigen Hofbeamten; und auch in diesem Werk stellt Christian Schröter, wie bereits in der Gründlichen Anweisung, eine Art Chrestomathie von ausgewählten Seiten aus dem Arminius zusammen, die er, mit politischen Betrachtungen versehen, seinen Lesern zur Nachahmung empfiehlt. 167
Kurtze Anweisung zur Information Der Adlichen Jugend, entworffen von CHRISTIAN SCHRÖTERN. Leipzig / verlegts Johann Friedrich Gleditsdi / Im Jahr 1704. ιββ Politischer Redner, Weither aufs deutlichste zeiget, wie man die in dem sinnreichen Arminio des berühmten Herrn von Lohensteins enthaltene vortreffliche Staats-Regierungs-Kriegs-Lebens-und Sitten-Regeln, Samt andern denckwürdigen Begebenheiten zu allerhand gelehrten Discursen, wie auch mit leichter Mühe und Arbeit zu allerhand Politischen, Zu Lob-Trauer-Hochzeit-und Glückwünschungs-Reden appliciren, und zugleich mit viel andern Theologischen, Politischen, Historischen und Geographischen curiösen Realien illustriren kan. Allen Liebhabern der Staats-und Kriegs-Kunst, wie auch der galanten Oratorie zu grossem Nutzen verfertiget, von CHRISTIAN SCHRÖTER, Con-Rectore der vereinigten Fürstl. und Stadt-Schule in Liegnitz. Leipzig 1 7 1 4 . Bey Joh. Friedrich Gleditsch und Sohn. Das Werk wurde in den Deutschen Acta Eruditorum rezensiert, und der anonyme Rezensent ergriff die Gelegenheit, um das Lob des Arminius zu singen: »ein sehr gut Buch«, in dem ein unglaublicher Sdiatz »von Realien aus der Historie, Natur und Welt-Weißheit« ausgebreitet sei. Immerhin fehlt nicht eine wenn audi vorsichtige kritische Bemerkung über den Roman: »Das eintzige, was man daran vielleicht aussetzen könte, ist, daß der Herr Autor die Natur eines Romans nicht allzuwohl in acht genommen, weil er seinen Personen, wenn sie gleich in gemeinen Umgange begriffen sind, oder auch sonst bey Gelegenheiten, da es ordentlich nicht zu geschehen pflegt, stets hohe Redens-Arten, und sehr weitläufftige mit vielen Exempeln und Gleichnissen ausgeschmückte Reden in den Mund legt. Allein auch dieses ist theils mit dem Zweck des Autoris, der nicht so wohl einen Roman schreiben, als in einem Wercke den Schatz seiner Gelehrsamkeit aufthun wollen, theils mit den Personen, die er einführt und die nicht von geringen Stande sind, zu entschuldigen. Wenn audi ja iemand in Behauptung dieses Fehlers halsstarrig seyn wolte, kan der Nutzen des Buchs alles reidilidi ersetzen.« (Rezension zu Politischer Redner, welcher aufs deutlichste zeigt, wie man die in dem sinnreichen Arminio des Herrn von Lohenstein enthaltene vortreffliche Staats-Regierungs-Kriegs-Lebens-und Sitten-Regeln, samt andern denckwürdigen Begebenheiten, zu allerhand gelehrten Discursen, wie auch zu allerhand Politischen, vornehmlich, zu Lob-Trauer-Hochzeit-und Glückwünschungs-Reden appliciren, und zugleich mit viel andern Realien illustriren kan, verfertigt, von Christian Schrötern, Con-Rectore der Fürstlichen und Stadt-Schule in Liegnitz. Leipzig 1714. bey Joh. Friedrich Gleditsch und Sohn, 8. 2. Alphab. 4. Bogen, in »Deutsche Acta Eruditorum, oder Geschichte der Gelehrten / Welche den gegenwärtigen Zustand der Literatur in Europa begreiffen. Neunzehender Theil. Leipzig, bey Joh. Friedrich Gleditsch und Sohn. 1 7 1 3 « , S. 594-601).
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So verwandelt sich der Arminius in eine »Schatzkammer« von Beispielen, politischen und moralischen Maximen, rhetorischen Materialien (»realia« und »loci communes«), Phrasen und Redensarten, in eine Enzyklopädie, die man dann zu Rate zieht, wenn man nach sprachlichem Schmuck für Komplimente, für politische sowie Leichen-, Gratulations- und Lobreden sucht.169 189
In der »Vorrede A n den Hochgeehrten und geneigten Leser« schrieb Schröter: »Nachdem ich im Jahr 1704 die bekannte Anweisung zur Oratorie aus dem sinnreichen Arminio des Herrn von Lohensteins heraus gegeben, hat dieselbe nicht nur viel Liebhaber, sondern auch die darauf gewendete Mühe gar ein geneigtes Urtheil bekommen. Wie ich nun darinnen gewiesen, welcher gestalt man die Kunst der Beredsamkeit aus diesem herrlichen Buche begrciffen könne : Also ist mein Absehen nunmehro zu zeigen, wie man sich die vortrefflichen Realien und Locos Communes bey ieder Gelegenheit zu N u t z e machen könne. Denn es fehlet der studirenden Jugend z w a r nicht allemahl am Fleisse, die schönen Sachen, welche sie in gelehrten Schrifften finden, in ihre Bücher einzutragen; aber doch insgemein am Judicio, daß sie noch nicht wissen, w o und wie sie diß und jenes mit guter Manier anwähren sollen. [ . . . ] Wolte aber iemand einwenden: Es sey allzu schwer und künstlich, so galant zu reden, damit der Stylus in der Elaboration des Thematis mit dem des Herrn von Lohensteins einiger massen überein komme; so ist diesem Kummer auch unschwer abzuhelffen, wenn man die in dem gantzen Arminio vorkommenden Phrases und schönen Redens-Arthen zu imitiren und appliciren sich bemühet« (SCHRÖTER, Politischer Redner, S. [ I - I V ] in der »Vorrede«). Natürlich birgt die Reduzierung des Arminius zu einem Repertorium von Formeln und beispielhaften Redeblüten, die sich zu den verschiedensten und heterogensten Ausdrucksfunktionen eignen, die Gefahr einer Entstellung des Werkes und einer wenn auch ungewollten Lädierlidhmachung seines Stiles in sich. Hunold erkannte diese G e fahr sehr deutlich und kritisierte scharf Schröters Vorschlag, den gehobenen und repräsentativen Stil des Arminius auch im normalen Gespräch zwischen Privatleuten und für Komplimente zu gebrauchen: »Der Herr von Lohenstein hat wohl nimmermehr das Absehen in den Reden des unvergleichlichen Armimi gehabt, daß man seinen Stylum biß zu Complimenten erniedrigen solte; er hat einen aequalen, nemlidi durchaus sublimen auch unter Dames einführen wollen, die er, wie man in vollkommenen Romanen thut, auf eine gantz andere A r t in der Beredsamkeit vollkommen praesupponiret, und würden endlich dergleichen Complimenten ungemein wohl passen, wenn alle Cavaliers und Dames scharffsinnige Lohensteins wären. So wenig nun der Stylus in solennen Reden mit dem Complimenten-Stylo, welcher nur eine natürliche Expression des Hertzens ist, übereinkommen darff; So unnöthig schwer sucht der Herr Christian Schröter der adelichen Jugend eine Imitation von Complimenten vorzuschreiben, und so übel würde er sie bey H o f e und überall recommandiren, wofern sie solche Praecepta auszuüben capabel wären. Man will dadurch sein Buch nicht tadeln, indem man die darinnen durchaus excerpirte Passagen von dem Hrn. v o n Lohenstein hoch zu schätzen verbunden; Allein es als eine Anweisung vor angehende Complimentisten, und nicht als ein Collectaneen-Buch zu erkennen, wird uns niemand mit Recht obligiren können.« (Die Manier Höflich und wohl zu Reden und Leben / so wohl Mit hohen, vornehmen Personen, seines gleichen und Frauenzimmer, Als auch / Wie das Frauenzimmer eine geschickte Aufführung gegen uns gebrauchen könne, Ans Liât
gestellet
Von
MENANTES
[CHRISTIAN
FRIEDRICH H U N O L D ] ,
Hamburg
/
Bey
Christian Wilhelm Brandt / Buchhändlern im Dohm, 1730 [1. A u f l . 1 7 1 6 ] , S. 68-69).
II.
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Es war nidit zu vermeiden, daß jemand, sobald er diese Tendenz, den Arminias in ein leicht zugängliches enzyklopädisches Handbuch zu verwandeln, bis zur letzten Konsequenz trieb, auf den Gedanken kam, einen wirklich systematischen Auszug aus Lohensteins Werken und auch aus dem Arminius zusammenzustellen. Dieser Mann sollte der schon genannte Johann Christoph Männling sein. In zwei Werken, dem Arminius Enucleatus (1708) und dem Lohensteinius Sententiosus (1710), exzerpierte Johann Christoph Männling Lohensteins gesamtes Werk, wobei er es, wie Dieter Kafitz schreibt, zu einer Sammlung »von curieusen Realien und Sentenzen mit beliebiger Verwendbarkeit, ein Beispiellexikon in der Art barocker Schatzkammern«170 reduzierte. Auch wenn Männlings Kompilationen Lohensteins Werk seiner echten poetischen Substanz entkleideten, trugen sie ebenso wie die von Christian Schröter doch beträchtlich zur Verbreitung seines Ruhmes sowie dazu bei, seinem Stil den Stempel der Mustergültigkeit zu verleihen. Verhängnisvoll für Lohensteins Ruhm sollten dagegen nach 1730 die Vorreden und Widmungen werden, die Männling seinen Exzerpten vorausschickte. In diesen brachte er nämlich seine unbedingte und unkritische Bewunderung für den Dichter in einer Prosa zum Ausdruck, die die Stileigentümlichkeiten der Lohensteinischen Diktion so sehr übertrieb, daß sie zu einer unfreiwilligen Parodie derselben wurde. Als nun die Polemik gegen den Lohensteinischen Stil losbrach, hielten sich viele nicht damit auf, Lohensteins Diktion von der seiner Anhänger und Bewunderer zu unterscheiden, sondern machten sich die lächerlichen Übertreibungen der Epigonen (insbesondere Männlings) zunutze, um das Schulhaupt zu diskreditieren. Das Vorwort zum Arminius Enucleatus beginnt folgendermaßen: Es ist hauptsächlich zu beklagen / daß W i t z und Alberkeit einerley LebensFaden haben / und jener nicht aus einem Magnetstein oder Asbest gesponnen ist / der die Ewigkeit zum Grunde hätte / sondern ofift eher zerreisset als eines unnützen Thorens / der seinen Freunden zum Verdruß / der Welt zur Uberlast mit den Krähen und Raben in die Wette lebet / da man doch diesen letztern gern ein Leichen-Tuch mit einem Tamaskenen Creutz würde auf den Leichkasten breiten / jenem aber ein Blat von dem Kraute tausend J a h r genant / verschreiben. Allein wie ein stets gebrauchtes R a d sich vor dem / das an der W a n d stille henckt / ausläufft; ein mahlender Stein ehe muß sich zermalmen als der in der Ruhe liegt / und ein starck brennendes Loder-Lidit ivo DIETER KAFITZ, Lohensteins
»Arminius«,
S. 48.
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geschwinder vergehet als eine rauchende Pech-Kertze; so kan es auch unmöglich seyn / daß nicht mühsamste Gemiihter ihnen am ersten mit ihrer Arbeit solten die Steine zum Grabe zutragen / und mit den Seidenwurm ihr Grab bereiten. Der unvergleichliche Herr Daniel Caspar von Lohenstein / welcher eben so wenig als der Phönix / Funchoang / Colubri oder das Einhorn seines gleichen gesehen und angetroffen hätte / wen man menschlich davon judiciren wolte / bey Leben verdient gehabt / in den Tempel der Unsterbligkeit gesetzt zu werden / weil er / wie ein tapfferer Fürst von ihm zu reden pflegte /allein mehr Weißheit von der gütigen Natur empfangen / als der Nil Seegen von Himmel sein Land fruchtbar zu machen / massen was von Chrysostomo gesagt wurde / es hätten ihm güldene Ketten aus dessen Munde gehangen / das kan von unserm berühmten Lohenstein gelten / weil was bey den Frantzosen Balsatzius, bey den Spaniern Gratianus, bey andern Gräffius, Morhof oc. gewesen / das war bey den Schlesiern dieser [ . . . ] . m Nicht weniger >barock< ist das Vorwort zum zweiten Teil des Arminius Enucleatus, w o Lohenstein und sein Roman mit Lob überschüttet werden, und zwar mittels der abgegriffenen Technik des Vergleichs mit Raritäten und kuriosen und abstrusen Dingen aus dem Orient. Der Fluß Chu in Sina, zeigt des Nachts auf seinem Grunde einen hellen Tag / daß man schweren solte es wäre auf desselben boden lauten brennende Lichter / die Inwohner dieses glauben / es müsten lauter helle Carfunkel seyn / wannenhero sie den Strom den Perlenfluß benennen. Ich würde nicht unrecht reden wann ich dis von dem gelehrten Lichte des Hrn. von Lohenstein sagte / daß es ein rechter Perlenfluß weiser Vergnügsamkeit sey / darinnen die hellen Carfunckel der Gelehrsamkeit hervor leuchten / daß auch die finstere Nacht 171
Arminius Enucleatus. Das ist: Des unvergleichlichen Daniel Caspari von Lohenstein / Herrliche Realia, Köstliche Similia, Vortreffliche Historien / Merckwürdige Sententien, und sonderbahre Reden. Als Köstliche Perlen und Edelgesteine aus dessen Taciti oder Armimi Ersterem Theile. Mit fteiß dehnen Liebhabern der Deutschen WohlRedenheit / Nebst einem vollkommenem Register zusammen getragen von M. JOH. CHRISTOPH MÄNNLING, B.S.P.L. C.P.S. Mit Königl. Poln. und Chur-Fiirstl. Sächsischen Privilegio. Stargardt und Leipzig / Bey denen Gebrüdern die Ernsten / und Johann Michael Jenisch / Buchhändler. 1708. S. [I] in der »Vorrede«. Männling hatte bereits in einem einige Jahr früher erschienenen Werk seine unbedingte Bewunderung für Lohenstein geäußert und er erwähnte ihn fast nie, ohne ihn »unvergleichlich« zu nennen (Der Europäische Helicon, Oder Musen-Berg / Das ist Kurtze und deutlidie Anweisung Zu der Deutschen Dicht-Kunst I Da ein Liebhabendes Gemüthe solcher Wissenschaft angeführet wird / Innerhalb wenigen Wochen Ein zierliches deutsches Gedichte zu machen / Aufgerichtet Von JOH. CHRISTOPH MÄNNLINGEN / Käyserl. Gekr. Poet. Alten Stettin / Gedruckt bey G. Dahlen / Königl. Reg. Buchdr. 1704, S. [II] in der »Vorrede« und S. 8, 17, 28). Uber Männling vgl. PAUL TWOREK, Leben und Werke des Johann Christoph Männling. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte des schlesischen Hochbarock, Diss. Breslau 1938.
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der Unwissenheit und Kummers besser vertreiben wird / als der Basiliske durch Spiegel-Scheiben und die Demmerung durch angezündete Lichter. Die Sinenser rühmen von der Provinz Quantuing, es wären 3. sonderbahre dinge darinnen (1) ein Himmel ohne Schnee / weil es niemahls schneiet (2) Bäume so grünen / den sie behalten stets grüne Bläter / und (3) Einwohner so allezeit Blut speien / denn der Speichel wird von dem Betel so sie essen Blutroht. Ich will den Ruhm mit andern Worten unserm Arminio zu legen / daß darinnen anzutreffen (1) ein Vergnügen ohne Eckel / wegen der süssen Annehmlichkeit / (2) ein Reichthum ohne Ende / wegen der vielen Realien 1 und (3) eine Erndte ohne Mühe wegen der zusammen gesuchten Curiositäten.172 Widmung und Vorwort des Lobensteinius
Sententiosus
( 1 7 1 0 ) erschienen
den Kritikern der Aufklärung als ein wahres Muster des schwülstigen Stils. In der Zueignung an zwei Studenten, die Barone Franz Leopold und Maximilian von Lichnowsky, feiert der >barocke Sdiwulst< des Johann Christoph Männling, des gekrönten Dichters, seine Triumphe. Ich dediche Ihnen diß Buch / welches besser einen Leitstern und Wegweiser zur Tugend und angenehmen Weißheit wird abgeben / als die Raben dem Alexandre M. zu dem Ammonischen Jupiter bey den Troglodyten, und dem Bacho ein Widder / weil ich die hohe Gnade / so idi von Dero gnädigen Fr. Mutter unverdient genossen / durch nichts anders weiß zu verschulden / als auf diese Art und Weise an ihren holden Kindern / daß sie wie die Xinsien, i.e. unsterbliche Mensdien und Götter-Söhne / auf den Sinischen Berge Chinginus, in der Vogtey Suchuen zusammen kommen / und vom Flusse Choking Ihre Erqvickung schöpffen / also Sie allhier. Kommet schon diß Buch nicht gleich der 100. brüstigen Isis, (oder milden Natur) welche mit so viel Röhren als Brüsten einen feuchten Milch-Regen machet / so wird es doch einer lieb172
Arminius Enucleatus. Das ist: Des unvergleichlichen Daniel Caspari von Lohenstein / Herrliche Realia, köstliche Similia, vortreffliche Historien / merckwürdige Sententien, und sonderbahre Reden / Als Köstliche Perlen und Edelgesteine aus dessen deutschen Taciti oder Arminii Anderem Theile / Mit fteiß denen Liebhabern der Deutschen Wohl-Redenheit / Nebst einem vollkommenem Register zusammen getragen Von M . JOH. CHRISTOPH MÄNNLING / B.S.P.L. C.P.S. Mit Königl. Poln. und Chur-Fiirstl. Sächsischen Privilegio. Stargardt und Leipzig / B e y denen Gebrüdern die Ernsten / und Johann Michael Jenisch / Buchhändler. 1 7 0 8 , S. [III—IV] in der »Vorrede«. Johann Jänichen hatte im Jahre 1 7 0 6 geschrieben: »Des Herrn von Lohenstein Schrifften sind einem Ringe zu vergleichen / in welchem die schönsten Diamanten / Rubinen und andere Kostbarkeiten mit den angenehmsten Strahlen leuchten; weil die wohlgetroffene Ausführung der herrlichsten Sachen / daraus man eine gründliche Gelehrsamkeit schließen kann / in ungemeiner Menge in seinen Versen anzutreffen ist« [M. JOHANN JÄNICHEN, Gründliche Anleitung zur Poetischen Elocution, Leipzig M D C C V I , S. 1 2 (zitiert nach KARL SCHMIDT, Die Kritik am barocken Trauerspiel in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Diss. K ö l n 1 9 6 7 [Masch.], S. 1 9 ) ] .
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lidien Osiris nichts nachgeben / welche den stärckenden Wein auf den Altar der Vergnügung spritzet. Ich halte es zwar vor was seltsames / daß in der Stadt Evora, in der Provinz Transtagana, der so genandte Schreiber-Mardkt anzutreffen soll seyn / wo allerhand Notarti auf öffentlichen Mardkte ihre Tische wie Kram-Buden auffgeschlagen / und ihre Handschrifften / Suppliquen, Liebes-Briefe / Hochzeit-Carmina, gleich als andere Dinge öffentlich verkauften / doch versichere ich die edlen Gemüther / sie werden hier antreffen einen reichen Kram der angenehmsten Reden / klügsten Lehr-Sätze / galantesten Realien, womit sie ihren Verstand und Schreiben prächtiger sollen ausschmücken / als Persien seine Zimmer mit kostbahren Tapezereyen, und eine Königliche Braut in Franckreich mit Jubelen.173 Das V o r w o r t zu dem W e r k ist ebenso hochtrabend. So wenig das Feuer unter dem Dache / und der helle Diamant im Finstern verborgen bleiben / so nodi weniger Klugheit und Witz bey einem Menschen; Den Ambra verräth sein Geruch / den Löwen seine Klauen / aber den Menschen Rede und Verstand. Und da der Tag die Sonne / die Nadit aber den Mond und Finsterniß zum Merckzeichen hat / so bleibt der Vernunfft die Geschicklichkeit und Weißheit / hingegen eines Melampus Eigenthum und Palinur die Albertät; Welcher letztere denen Einwohnern in Malacca gleichet / die von den Holländern Spotts-weise Filii de Kackerlac (i.e. Käfer) benennet werden / so des Tages wenig oder nichts anders thun / als schlaffen / des Nachts aber und in finstern Orten / Geld können zehlen / und andere Tages-Wercke verrichten. So bleiben jene dargegen gleich den Mohren / welche vier Augen haben / daß sie nicht allein in die vergangene / gegenwärtige und zukünfftige Zeit sehen / sondern auch in alle vorher zueigens-würdige Vorfälle; und verknüpffen ihr Sehen mit Gedancken / Worten und Wercken. Die itzige ^4rg«s-gleiche hundert-äugige Welt / die zwischen Spreu und Weitzen / Schleen und Weinbeeren / Nacht-Eulen und Paradieß-Vögeln / liederlichen Skarteken und nützlichen Büchern weiß eine vernünfftige Wahl zu machen / als ein Indianischer Fürst Simandoca zwischen einer Sdiale Perlen und einer Schüssel Saltz. Ein Spanischer Manzius Sierra zwischen den Peruanischen Punchaeo oder goldnem Sonnen-Bilde und einem liederlichen Würffel178
Lohensteinius Sententiosus, Das ist: Des vortrefflichen Daniel Caspari von Lohenstein / Sonderbahre Geschichte / curieuse Sachen / Sinn-reiche Reden / durchdringende Worte / accurate Sententien, Hauptkluge Staats-und Lebens-Regeln / und andere befindliche Merckwürdigkeiten / Aus dessen sowohl Poetischen Schrijften und Tragoedien, als auch Lob-Reden / und andern ihm zustehenden gelehrten Büchern / Wie aus einem verborgenem Schatze zusammen colligiret / Und der gelehrten Welt zur Vergnügung / der Jugend zum nützlichen Gebrauch Nebst einem vollkommenen Register ans Tage-Licht gestellet von M . J O H A N N C H R I S T O P H M Ä N N L I N G / B.S. P.L.C. P.p.t.S.T.A. Breßlau / bey Joh. George Stecks sei. Wittib. 1710, S. [ I X - X I ] in der Widmung.
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Kapitel
Spiel. Ein unflätiger Hottentot zwischen garstigen Gedärmen / und Welsdien Delicatessen, die muß auffrichtig bekennen / daß des werthen H e r r n Daniel Caspari von Lohensteins Goldwerthe Schrifften mehr auf einem Blate K r a f f t und Safft in sich haben / als Hermes in zwantzig tausend und Epicurus in dreyhundert Büchern; massen seine Bücher der Majorin-Blume in Sina gleichen / derer eine eintzige ein gantzes H a u s mit ihren durchdringenden Geruch einbisamet. 174 Diese W i d m u n g e n u n d Vorworte, die der Gottschedianer Johann Simon Buchka »ein prächtiges Gebäude schallender Töne, die nichts bedeuten« 1 7 5 nennen sollte, w u r d e n selbstverständlich leicht zur Zielscheibe der aufklärerischen Kritik, aber die Auszüge selbst mußten den Bedürfnissen eines breiten Publikums entgegenkommen, w e n n sich Männling in der Vorrede z u m Lohensteinius Arminius
Enucleatus
Sententiosus
stolz mit d e m kommerziellen E r f o l g des
und den empfangenen Ermutigungen, er solle auch
die übrigen Werke des schlesischen Dichters exzerpieren, brüsten konnte. Gott und die edle Zeit / als die vollkommenste Werckmeister / welche dessen Arminium Enucleatum haben helfien an das Tages Licht bringen / und dermassen gesegnet / daß nicht allein die auffrichtigen Patrioten und LandesLeute / sondern auch geneigte Ausländer die erste Aufflage begierigst erhandelt / und dabey wie die Musen an dem Aganippen-Jirmm / die Nachtigalen bey Orpheus Grabe / die Bienen auf Hybla, und die Sinenser bey ihrer hochschätzbahren Giwsiwgs-Wurtzel sich contant erwiesen; solcher hat desto begieriger einige curieuse Gemüther angefeuret / von mir noch ferner diß was in meinem Besitz und Vermögen von Lohensteinischen Annehmlichkeiten / zu begehren / damit wann sich Lüttich rühmen wollte seines Brodtes / Engeland seiner schönen Berge / Wolle und Frauenzimmers / Peru seiner Gold-Adern / 174 Ebd., S. [I-III] in der »Vorrede«. Über diese und über die Widmung des Lohensteinius Sententiosus schrieb Johann Simon Buchka, der Ubersetzer von Werenfels' De Meteoris Orationis: »Was man in des Herrn von Lohensteins Schriften einzeln antrift, das ist hier auf einen Haufen zusammen gebracht. Ich glaube, man hat uns mit Bedacht darinnen ein rechtes Muster einer schwülstigen Schreibart geben wollen. Und wenn auch dieses der Vorsatz gewesen ist, so muß man sich doch wundern, daß sich die Vernunft so binden läßt und die Natur sidi so verleugnen kan.« (JOHANN SIMON BUCHKA,»Vorbericht des Ubersetzers« zu Herrn D. Samuel Werenfelsens, Prof. Theol. zu Basel, Abhandlung De Meteoris Orationis ins Deutsche übersetzt von Johann Simon Buchka, in Der Deutschen Gesellschaft in Leipzig Eigene Schriften und Uebersetzungen, in gebundener und ungebundener Schreibart, Leipzig 1730, S. 339-352, hier S. 348). 175
BUCHKA, »Vorbericht des Ubersetzers«, S. 351. Auf derselben Seite schrieb Budika: »Es ist leichter aus dem Lohenstein schwülstige Reden zusammen zu tragen und sich eine Schatzkammer von schönen Raritäten zu machen, als schöne Gedanken aus seinem Gehirne zu finden.«
Die barocke Apotheose
Decan Nils,
d e r D i a m a n t - G r u b e n / I t a l i e n der F e i g e n / E g y p t e n des f r u c h t b a h r e n M a n t u a des Virgilii,
Roterdam
seines Erasmi;
A l s o g l e i c h f a l l s Schlesien
seines grossen L o h e n s t e i n s / als des Deutschen Senecae,
w e l c h e r b e y seinen
schweren A m t s - G e s c h ä f f t e n / gleich als b e y seiner M ü h l e / m e h r gedichtet u n d geschrieben / w i e Campanella
in Fesseln u n d Grotius
i m K e r c k e r / als ein
Cato in seiner F r e y h e i t . 1 7 6 I n d e n ersten J a h r z e h n t e n des 1 8 . J a h r h u n d e r t s herrschte a u f d e m d e u t schen B ü c h e r m a r k t nicht n u r eine s t a r k e N a c h f r a g e nach
Sammlungen,
Chrestomathien, poetischen L e x i k a u n d A u s z ü g e n aus Lohensteins W e r k , w a s sich d u r c h d a s W o h l w o l l e n d o k u m e n t i e r t , m i t d e m d a s
literarische
P u b l i k u m die A r b e i t e n Schröters u n d M ä n n l i n g s a u f n a h m ; sehr g e f r a g t w a r e n auch N e u a u f l a g e n der W e r k e Lohensteins. D i e Lohenstein-Auszüge u n d - A n t h o l o g i e n stellen j a n u r das a u g e n f ä l l i g s t e Zeichen f ü r den E r f o l g d a r , d e s s e n sich L o h e n s t e i n s d i c h t e r i s c h e s W e r k w ä h r e n d d e r g a n z e n e r s t e n H ä l f t e des 1 8 . J a h r h u n d e r t s b e i m breiten P u b l i k u m e r f r e u e n sollte
und
d e r sich n a t ü r l i c h d u r c h d i e V e r ö f f e n t l i c h u n g d i e s e r b e q u e m e n u n d p r e i s w e r t e n 1 7 7 S u r r o g a t e w i e d e r h o l t e u n d noch g r ö ß e r w u r d e . Zwischen 1 7 0 1 u n d 1 7 4 8 (dem J a h r , in d e m z u m letzten M a l der V e r such u n t e r n o m m e n w u r d e , s e i n g e s a m t e s d i c h t e r i s c h e s W e r k z u p u b l i z i e ren) w u r d e n alle W e r k e Lohensteins - w e n n m a n v o n den Einzeldrucken mancher jugendlichen Gelegenheitsgedichte absieht einige d a v o n 178
mehrmals.
neu
herausgegeben,
178
MÄNNLING, Lohensteinius Sententiosus, S. [III—IV] in der »Vorrede«. A u d i in den Lemmata seines Poetischen Lexikons ( 1 7 1 5 ) zitiert Männling häufig Lohenstein und lobt ihn in der Widmung und im V o r w o r t des Werkes (M. JoH. CHRISTOPH MÄNNLINGS P.L.C. Poetisches Lexicon Darinnen Die Schönsten Realia und auserlesensten Phrases Aus denen berühmtesten Poeten Schlesiens So dann Eine vollständige Historia Mythologica Derer Heydnischen Götter und Göttinnen Und endlich ein Richtiges Reim-Register Nach Ordnung des Alphabeths Allen Liebhabern der Poesie zum Vergnügen sonderlich aber der Studirenden Jugend zum Nutz enthalten. Andere und um die Helffte vermehrte Auflage. F r a n k f u r t und Leipzig. Bey Jeremias Schreyen M D C C X I X , S. [III] in der »Zuschrifft« und S. [III] in der »Vorrede«). 177 Vgl. S. 58 des vorliegenden Buches. 178 Vgl. HANS VON MÜLLER, Bibliographie der Schriften Daniel Caspers von Lohenstein. 16j2-1748. Zugleich als ein Beispiel für die buchgewerblich exakte Beschreibung von deutschen illustrierten Büchern des 17. Jahrhunderts aufgestellt, in Werden und Wirken. Ein Festgruß Karl W. Hiersemann zugesandt am j. September 1924. Hrsg. von Martin Breslauer und Kurt Koehler, Leipzig / Berlin 1924, S. 1 8 4 - 2 6 1 , hier S. 2 5 3 260. Hans v o n Müller sind der v o n uns bereits erwähnte Nachdruck (vgl. A n m . 1 5 0 des vorliegenden Kapitels) der Grabrede zum Tode Hoffmannswaldaus v o n 1705 und derjenige (von 1 7 3 1 ) desselben Werkes in der v o n Johann Christian Lünig herausgegebenen Sammlung v o n Meisterwerken der höfischen Beredsamkeit - die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts weit verbreitet w a r - , unbekannt geblieben (Lob-
II.
Kapitel
A m 23. Februar 1 7 2 4 wurden auf der Theaterbühne des Zittauer G y m nasiums unter der Regie des Direktors Müller Die geduldigen dem Exempel
Herzogs
Hermanns
und Thusnelden
wurde auf der Grundlage von Lohensteins Arminius darin 60 Personen auf.
Helden
an
aufgeführt; das Stück verfaßt, und es traten
178a
Dasjenige Ereignis aber, das besser als jedes andere veranschaulicht, wie sehr Lohenstein beim deutschen literarischen Publikum noch zu Beginn des rede, welche bey dem Leichbegängniß Herrn Christians von Hofmannswaldau, Herr Daniel Caspar von Lohenstein abgelegt den jo. April i6jSubscriptionseinladung< zu entdecken, ergaben Fehlanzeige. Glücklicherweise hat Georg Christian Gebauer einen Teil des Textes der Einladung zur Subskription des Arminius, die von Emanuel Hortin zweimal gedruckt und verbreitet wurde, in das Vorwort zur zweiten Auflage des Romans eingefügt, »damit ein bey allen Billigen so gültiges Zeugniß einer ganzen gelehrten Gesellschaft nicht mit dem einzelen Bogen, auf dem es aufgestellet worden, und der vielleicht schon grossen theils untergegangen, endlich ganz verlohren werde« (S. X X I I ) . Angesichts der Bedeutung des Dokuments, aus dem die Gründe klar erkennbar sind (nämlich sprachliche Vollendung und Gelehrsamkeit), die den Arminius beim Leserpublikum des letzten Jahrzehnts des 17. und der ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts zu einem sehr großen Erfolg werden ließen, geben wir hier im folgenden das uns von Gebauer überlieferte Fragment wieder (daraus stammen auch die kursiv gedruckten, auf den Preis der Arminius bezüglichen Worte aus der »Vorrede«, die wir in Anm. 482 im I . K a p , zitierten): »Es ist keinem Teutschen, der nur die wenigste Sorg getragen, wie er zu vollkommener Ausübung und Besitzung seiner Mutter-Sprach gelangen könne, der Nahmen deß Lohensteinischen Arminius unbekannt; Seine Schriften hatten die gröste Hochachtung erlanget, ehe sie nur durch den Truck an das öffentliche Tag-Licht gekommen, und nachdeme selbige der Welt bekannt gemacht worden, sähe gantz Teutsdiland, daß Herr von Lohenstein der erste einen vollkommenen Sprach-Sdiatz, in welchem zugleich alle Wissenschaften, sonderlich die Staats-Klugheit enthalten, an den Tag geleget. Diß ware die Ursach, warum die Schriften dieses grossen Manns von seiner gantzen Nation bewunderet worden; Man fände in denselben eine vollkommene, und reine teutsdie Schreib-Art, welche bisher von keinem Deutschen zu einem so hohen Staffel der Vollkommenheit gebracht worden. Es ist auch allen Gelehrten bekannt, daß Herr von Lohenstein den Zweck, welchen er sich in diesem seinem Werck vorgesetzt, vollkommen erreichet, zumahlen er darinnen nicht nur den Reichtum der teutschen Sprach eröffnet, und was immer in der Welt in allen Wissenschaften vorkommet, mit treflichen und genügsamen Red-Arten durchgehend ausgetrudcet hat; sonder zugleich auch seine weitleuffige Gelehrsamkeit, von dem natürlichen Eintruck, so die Menschen von Gott, von seinem Wesen, und dem ihme gebührenden Dienst bey sich entdecken können; von der Wissenschaft und Beschaffenheit der natürlichen Dingen; von dem Geheimnuß der wahren Staats-Klugheit; von den merckwürdigen Sitten und Gebräuchen der alten Völkern; zur Verwunderung gezeiget, und seinem geliebten Teutschland zu allgemeinem Nutzen übergeben. Man kan deßwegen mit recht sagen, daß Herr von Lohenstein alle trefliche Gedanken der Griechen und Römern voll-
2*4
II.
Kapitel
essierte und alarmierte das Leipziger Verlagshaus Gleditsch, bei dem die Erstausgabe des Romans erschienen war. U m sich das seiner Ansicht nach offenbar gute Geschäft nicht entgehen und das Projekt der schweizerischen gelehrten Gesellschaft scheitern zu lassen, nahm es Gleditsch auf sidi, den nunmehr vergriffenen Arminius
neu zu drucken. Die Herausgabe der
Neuauflage, die im Frühjahr 1 7 3 1 in Leipzig erschien und von der Kritik beifällig aufgenommen wurde, 180 wurde Georg Christian Gebauer anvertraut. 181 kommen zusammen gebracht, und ganz ungezwungen in die reinste teutsche Red-Art versetzet, so daß weme dieselben nicht in ihrem Ursprung bekannt, man sie an keinem anderen Ort, als in dem hohen Geist deß Lohensteins suchen solte. In diesem Werk findet der Gotts-Gelehrte die herrlichsten Betrachtungen von Gott und seinem Wesen. Der Staats-Gelehrte findet die vollkommene Kunst, Statt und Länder vernünftig zu beherrschen, und durch weise Gesetz glückselig zu machen. Der Naturkündiger findet die Betrachtung der irrdisdien Leibern, und so viel seltsame Würkungen der Natur, die er vergeblich an andern Orten suchen würde. Der Sittenlehrer findet ein natürliche Abschilderung der unordentlichen Gemüths-Bewegungen der Menschen, samt dem Mittel selbige zu hemmen, und hernach vergnügt und glückselig zu leben. Der Kriegsmann, welcher ein Vergnügen traget an den blutigen Eroberungen der Stätten und Ländern, findet von Schlachten, von Zweykampf, von Belägerung und Bestürmungen so viel nachtrückliche Beschreibungen, daß ihme in diesem Stück keine angenehmere Erzehlungen werden zu Gesichte kommen; und endlich findet der Liebhaber der Jahrzeit Büchern und deß Alterthums, wordurch er sein Verlangen stillen kan; so daß kein Stand und Alter, deme die Lesung dieses Buchs nicht in alle weg nutzlich und angenehm seyn kan, weilen der grundgelehrte Lohenstein, der eine lebendige Bibliothec gewesen, seinen grossen Schatz vor seinem Ableben ausgeschüttet, und seinen Teutschen in seinem Arminius übergeben. Die Art zu schreiben, deren sich dieser vortrefliche Mann in diesem seinem Werk gebraucht, ist zwar hoch, doch sehr deutlich und begreiflich, anbey ungezwungen und durchgehends gleichförmig, weilen in dem ganzen Werk der gleiche Geist und die gleiche Gelehrsamkeit die Feder geführet« (DANIEL CASPERS VON LOHENSTEIN Großmüthiger Feld-Herr Arminius oder Herrmann, Leipzig 1 7 3 1 , S. X X - X X I I ) . 180 i n den Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen erschien folgende Besprechung des Werkes: »Bey Johann Friedrich Gleditschens seel. Sohn ist seit der letztern Oster-Messe zu haben: Daniel Caspers von Lohenstein Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann, nebst seiner Durchl. Thusnelda, in einer sinnreichen Staats-Liebes-und Helden-Geschichte oc. in 4. Es ist dieses die andere durch und durch verbesserte und vermehrte Auflage, und beträget in 4 bequemen Bänden 17 Alphab. und 7 Bogen, nebst etlichen und 20 säubern Kupffern. Man hat nicht nöthig, dieses vortreffliche Werde dem Leser anzupreisen, weil denen Liebhabern unserer deutschen MutterSprache bekannt genug ist, was für einen herrlichen Schatz sie an diesem Buche in der vollkommenen und reinen deutschen Schreib-Art besitzen, so daß man der Wahrheit nicht zu nahe treten wird, wenn man unsern Lohensteinischen Arminius unter denen deutschen Schrifften vom ersten Range einen vornehmen, wo nicht den ersten, Platz einräumet. So ist auch wenigen unbekannt, wie unser Grundgelehrte Herr von Lohenstein gleichsam eine lebendige Bibliothedk gewesen, und in seinem unschätzbaren Arminius der galanten Welt einen solchen Schatz aller Wissenschafften mitgetheilet, daß man fast alle gute Gedancken derer Griechischen und Lateinischen Scribenten
Die barocke
Apotheose
Fortsetzung Fußnote
255
180
hier beysammen findet und in Zweiffei gesetzt wird, ob man mehr das sdiarffsinnige Judicium, oder aber das unvergleichliche Ingenium, oder endlich die divinam Memoriam des Herrn Verfassers zu bewundern habe. Es kan ein Gotts- Gelehrter, ein Staats-Mann, ein Natur-Kündiger, ein Sitten-Lehrer, ein Kriegs-Mann, ein GesdiiditSchreiber, ein Liebhaber des Alterthums, ein Redner, ja jeder Stand und jedes Alter in diesem Wercke seine Vergnügung antreffen. Jedoch wir wollen uns hierbey nicht aufhalten, sondern kürtzlich anzeigen, in welchen Stücken gegenwärtige Auflage der erstem vorzuziehen sey. Der erste Vorzug bestehet darinn, daß sie mit einer gelehrten Vorrede Herrn D. Gebauers pranget, worinnen derselbe nicht nur das Leben und die Schrifften des Herrn von Lohenstein beschreibet, sondern audi die Ehre unsers Lohensteinisthen Arminius gegen alle Beschuldigungen gründlich und hinlänglich rettet; wobey er aber, nach seiner Gewohnheit, so aufrichtig ist, daß er auch die von den Feinden des Lohensteins nicht einmahl wahrgenommene Unvollkommenheiten desselben nicht verschweiget. Endlich erkläret er verschiedene in dem Arminius vorkommende Silesiasmos. Der andere Vorzug ist, daß eine unzähliche Menge Druck-oder Schreib-Fehler heraus geworffen, alle verdächtige Stellen, sonderlich aber die eigenen Nahmen der Personen und Orte in ihrem Ursprünge aufgesuchet, viele verderbte Worte als augenscheinliche Irrthümer zu rechte gebracht, viele auch, die der gelehrte Herr Revisor vor Varianten angesehen, mit Willen nicht verändert, um dem Herrn von Lohenstein seine Les-Art zu lassen, viele Verstümmlungen ergäntzet, viele verrückte Stücken an ihren rechten Ort gebracht, viele augenscheinlich verderbte Stellen nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit gebessert, überhaupt aber, nach der einem jeden gelehrten Scribenten schuldigen Hochachtung, und nach der Vorschrifft einer gesunden Critic in den letzten Fällen lieber zu wenig, als zu viel gethan worden. Der dritte Vorzug ist, daß die alten Anmerckungen zu grosser Erleichterung des Lesers gleich unter den Text gesetzet, und hin und wieder vermehret worden. Der vierdte Vorzug ist daß der Text in gewisse Absätze gebracht, und die Summarien nach dem Text geändert und ergäntzet, auch jeder Satz numeriret worden. Der fünffte Vorzug bestehet endlich in der Ergäntzung des Registers, welches über die Helffte vollständiger, als das erstere ist. Es wird auch vermuthlich dem Leser nicht mißfallen, daß man die allgemeinen Anmerkungen und die Summarien aller Bücher zusammen in unzertrennter Ordnung dem gantzen Wercke vorgesetzet hat« (Rezension zu: Daniel Caspers von Lohenstein Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann, nebst seiner Durchl. Thusnelda, in einer sinnreichen Staats-Liebes-und Helden-Geschichte oc. [Leipzig 1 7 3 1 ] , in »Neue Zeitungen von gelehrten Sachen Auf das Jahr 1 7 3 1 . Leipzig, den 26. Jul. Mit allergnädigsten Privilegiis. Leipzig, in der Post-Zeitungs-Expedition«, S. 527-528. Diese Rezension wurde von NICOLAUS HIERONYMUS GUNDLING in seiner Vollständigen Historie der Gelahrheit. Dritter Theil. Franckfurt und Leipzig 1735, Anm. S. 4798-4799 ungekürzt wiedergegeben. Francesco Saverio Quadrio, der möglicherweise indirekt Kenntnis von dieser Ausgabe hatte, widmete dem Arminius in seiner Weltgeschichte der Dichtung die folgenden wenigen Zeilen: »Arminio per il Signore di Lowenstein. In Lipsia 1 7 3 1 . in 4. Volumi quattro. È noto a conoscitori delle Storie, qual illustre figura facesse nell'antica Germania Arminio, del che è da vedere Giulio Cesare. Suggetto però più proprio a lavorare un Romanzo di Cavalleria non si poteva trovare. E questo, che ha dato in luce il Signor di Lowenstein, ha dagli intendenti però conseguita non poca laude« (Della Storia E Della Ragione D'Ogni Poesia. Volume Quarto dell'Abate FRANCESCO SAVERIO QUADRIO, Dove le cose all'Epica appartenenti sono comprese Alla Serenissima Altezza Di Francesco III. Duca Di Modana, Reggio, Mirandola &c. In Milano, M D C C X L I X . Nelle Stampe di Francesco Agnelli. Con licenza de' Superiori, S. 592). (Diese Stelle heißt auf deutsch:
II. Kapitel
In einer umfangreichen Vorrede versucht Gebauer eine umfassende Monographie über Leben und Werk Daniel Caspers von Lohenstein zu bieten, den er einen Meister der »reinen Hochteutschen Zunge« 182 nennt. Nach Anführung der im Lebens-Lauff von Hans Casper von Lohenstein enthaltenen biographischen Daten, die er unter Heranziehung weiterer Quellen ergänzt und korrigiert, zählt Gebauer rasch alle Werke des Dichters auf und richtet dann sein Augenmerk auf den Arminius, »seine vornehmste Schrift«, 183 und sucht diesen »unvergleichlichen«184 Roman geschickt zu verteidigen.185 Bestens unterrichtet über die bis dahin an dem Roman geübte Kritik und im Bewußtsein, daß diesem Werk aus einer begeisterten und unkritischen Verherrlichung Vorurteile erwachsen könnten, zitiert der Herausgeber zum Zeugnis für den Wert des Arminius ausführlich Stellen aus der in Bern gedruckten Einladung zur Subskription, aus den Rezensionen von Thomasius und Gundling (über Heideggers Werk) und publiziert ein noch unveröffentlichtes Lobgedicht auf den Roman von Eucharius Gottlieb Rink, einem Professor der Rechte an der Universität Altdorf. 186 Dann legt Georg Christian Gebauer, der Professor für Feudalrecht an der Universität Leipzig und »des Chur- und Fürstlich-Sächsischen Ober-Hof-Gerichts Beysitzer« war, 186a die Haupteinwände gegen den Arminius, die er gehört und gelesen hat, dar, um sie systematisch zu entkräften. »Arminius von Herrn von Lowenstein, Leipzig 1731, in 4 Quartbänden. Kennern der Geschichte ist bekannt, welch berühmte Gestalt Arminius im alten Germanien war, worüber man bei Julius Caesar nadilesen kann. Einen geeigneteren Gegenstand für einen Ritterroman hätte man nicht finden können. Und durch diesen Roman, den Herr von Lowenstein veröffentlichte, hat er bei Kennern kein geringes Lob geerntet«). lei Vgl. Anm. 4 8 2 im I. Kap. 182 G E O R G E C H R I S T I A N G E B A U E R , » V o r r e d e d e r n e u e n A u f l a g e « , i n D A N I E L C A S P E R VON LOHENSTEIN,
Großmüthiger Feld-Herr Arminius oder Hermann,
« s Ebd., S. VIII.
S. III.
184 Ebd., S. XVIII. 185 2u Gebauers Analyse des Arminius vgl. K A F I T Z , Lohensteins »Arminius«, S . 41-44. 186 Das Gedicht, das »Leipzig 1689« datiert ist und die Oberschrift »Auf Daniel Casper von Lohenstein« trägt, sdirieb Gebauer während seiner Studienzeit an der Universität Altdorf aus dem Exemplar des Arminius ab, das ihm Rink geliehen hatte. Es handelt sich um eine gewöhnliche Schulübung voller übertriebener Lobsprüche, nadi dem Geschmack jener Zeit verfaßt: »Du [ . . . ] , Lohenstein, bist mehr als du beschrieben, | Du machst, daß keine Zeit des Herrmanns Muth vergißt | Und nodi mehr, daß du mehr als er berühmt geblieben«, usw. ( L O H E N S T E I N , Arminius, 1731, S. X X V I I I - X X I X ) . 186a I m Jahr 1734 wurde er an die Universität Göttingen berufen und blieb bis zu seinem Tod 1773 dort. Bezüglich biographischer Angaben über Gebauer und insbesondere Auskünften über seine Bibliothek, die in der damaligen Zeit mit etwa 19000 Bänden die größte Privatbibliothek Göttingens darstellte, vgl. P A U L S A T T L E R , Georg Chri-
Die barocke
Apotheose
D e r V o r w u r f , der Arminius
sei kein vollkommener R o m a n (oder kein
vollkommenes E p o s ) , hat nach Gebauer keinen Sinn, weil es weder für die E p i k feststehende, absolute und allgemeingültige Regeln gebe nodi ein vollkommenes Epos existiere, ferner weil es, selbst wenn es sie jetzt gäbe, absurd wäre, den Arminius
nach dem R i c h t m a ß eines Vorbildes zu be-
urteilen, das lange Zeit nach Lohensteins T o d aufgestellt w u r d e und nacii dem der Dichter nicht gearbeitet habe. Gebauer macht den wichtigen Grundsatz der historischen R e l a t i v i t ä t der literarischen Produktion geltend und v e r t r i t t die Ansicht, d a ß m a n die W e r k e nach den Absichten und Zielsetzungen ihrer Verfasser beurteilen müsse. Sodann erklärt er die sechs Ziele des
Arminius·.
H a t denn aber wohl iemahls der Herr von Lohenstein den geringsten Verdacht von sich gegeben, daß sein Endzweck sey, ein mit allen Kunst-Regeln, und denen Beyspielen der Alten genau übereinstimmendes Helden-Gedichte zu verfertigen? oder ist er vielmehr wie alle Urheber grosser Sadien seinem eigenen Geiste und Begriffe nachgegangen, und hat also weder andere zum Beyspiele genommen, nodi sich andern zum Beyspiele gesetzet? Das letzte halte ich vor gegründet, weil es mit der That bestärcket wird; die anders urtheilen, weigern dem Herrn von Lohenstein ein Lob, dessen er nie begehret, und bürden ihm dagegen einen Endzweck auf, mit dem sich sein scharfsinniger Verstand, und weitläufftige Gelehrsamkeit nidit vergnügen können. Es ist eine ausgemachte Sache in der Vernunft-Lehre, daß man alle Handlungen der Menschen nach ihrem Endzwecke beurtheilen müsse, und also wird mir obliegen, die mannidifaltigen Absiditen des Herrn von Lohenstein hier zu wiederholen, so viel mir nehmlich dieselben aus fleissiger Lesung des Arminius kund worden. Die erste Bewegungs-Ursache ist ohnstreitig der ihm von seinen vornehmen Freunden beygebrachte Vorsatz, die Thaten unserer tapfern Vorfahren, insonderheit des Arminius und der mit ihm verbundenen Fürsten zu erheben, dabey er sich selbsten zwey Grund-Regeln vorgeschrieben: nichts von allen den wahren bey den Griechen und Römern befindlichen Umständen zu übergehen oder zu verändern, und denn, den ersonnenen Beysatz dermassen einzurichten, daß er mit alle dem, was die wahren Geschichte geben, in keinem Stücke streite. Auf solche Art hat er zwey so wichtige als wiedrige Eigenschaften, die Wahrhaftigkeit eines Geschicht-Schreibers und die Scharfsinnigkeit eines Helden-Dichters, wie es scheinet, auf das glücklichste mit einander vereiniget. Seine andere Absicht ist gewesen, des Allerdurchlauchtigsten ErtzHauses Österreich, als seiner angebohrnen Landes-Obrigkeit, Helden-Thaten stian Gebauers Büchersammlung,
in Beiträgen zur Göttinger Bibliotheks-
und Ge-
lehrtengeschickte. Herausgegeben und den Teilnehmern der 24. Versammlung deutsdier Bibliothekare gewidmet von der Universitäts-Bibliothek. Mit 8 Tafeln und ι Abbildung im Text. Göttingen 1928, S. 7 5 - 9 0 .
2j8
II.
Kapitel
unter mannigfaltiger Einkleidung vorzustellen, welches meinem wenigen Erachten nach ihm noch auf eine sinnreichere Art, als dem grossen Virgil mit dem August und dem Kayserlichen Hause, gelungen. Seine dritte Absicht ist auf den Teutschen Adel gestellet gewesen, um denselben zu einer rühmlichen Nachfolge der in dem Buche selbst beschriebenen Tugenden, und zu Vermeidung der daselbst abgemahlten Laster zu bewegen; wie denn auch zu solchem Ende nicht leicht ein altes berühmtes Haus übrig seyn wird, dessen edlen, und Gold und edle Steine wegstechenden Nahmen er nicht in diesen Purpur seines Helden-Gedichtes eingewürcket habe. Die vierte Absicht ist auf die Erhebung der innerlichen Güte unsers lieben Vaterlandes gegangen, dahin die LobSprüche der Bäder und Brunnen, der mit mancher Seltenheit angefülleten Gebürge, des Rhein-Weines, des Agtsteines, der Schlesischen Leinwand und Webe-Kunst, und dergleichen abzielen. Die fünfte Absicht bestünde darinne, daß der Herr von Lohenstein die Alterthümer aller Völcker, die alten und neuen Welt-Geschichte, den Anfang und Fortgang der meisten Künste, und die wichtigsten Fragen aus den natürlichen und moralischen Wissenschaften, aus der Staats-Klugheit, und der Gottesgelahrheit selbst als einen bittern Kern in diese überzuckerte Schalen eines Gedichtes fassen, und den Leser lüstern machen wollen, alles diß in seinem Ursprünge und Zusammenhange aufzusuchen. Zum sechsten mag er audi wohl haben weisen wollen, wie mächtig unsere Ternsche Sprache sey, und wie weit es die menschliche Sdiarfsinnigkeit und Einbildungs-Kraft bringen könne, davon die mannigfaltigen Aufzüge, Gastmahle, und insonderheit die beyden Wett-Streite der Blumen und Bäume gantz unleugbare Proben ablegen. Nun möchte ich wohl wissen, wie der Herr von Lohenstein alle diese so unterschiedene Absichten besser hätte erreichen und mit einander verknüpfen können, als solches in seinem Arminius von ihm geschehen; oder wie er den bereits vorgeschriebenen Kunst-Regeln bey dergleichen Vorhaben näher treten können, als er würcklich gethan.187 Nach Zurückweisung anderer gegen den Arminius vorgebrachter kritischer Einwendungen - wie die Vermischung heterogener Dinge, das Fehlen der Einheit der H a n d l u n g , eine falsche Charakterisierung der Personen und die völlige Vermengung von erfundenen und historisch wahren Elementen - und unter Berufung auf die Absichten des Autors, auf dessen nicht absolute und auch nicht blinde U n t e r w e r f u n g unter die Regeln der Epik, auf seine Treue gegenüber der historischen Überlieferung und auf die logische Aufrechterhaltung der Fiktion, er sei ein Historiker des germanischen Altertums, beschäftigt sich Gebauer ausführlich mit der Widerlegung verschiedener Einwände gegen die in den R o m a n eingestreuten Gespräche und Diskussionen über theoretische Fragen. «7
LOHENSTEIN, Arminius,
S. X X X I - X X X I I I .
Die barocke Apotheose
25 9
Vielen sind die in Arminius befindlichen Gespräche, u n d aufgeworffenen Streitfragen ein D o r n in Augen; wiewohl auch diese unter sich selbst nicht einig sind, indem einige sie wollen gantz ausgemertzet, die andern gründlicher ausgeführet, die dritten deutlicher entschieden wissen. Allein die ersten v e r w e r f e n unbilliger Weise eine der vornehmsten Absichten des grundgelehrten Verfassers, welche darinnen bestanden, d a ß er seinen Lesern den ersten Geschmack von der Weisheit und Gelehrsamkeit gleichsam spielende beybringen wollen. Wie ihm nun f r e y gestanden hat, dergleichen Endzweck zu erkiesen; auch unter so viel tausend Lesern des Arminius ohnfehlbar viele sich gefunden haben, u n d noch finden, welche eben diß vor das nützlichste u n d köstlichste halten, was andere verachten: Also ist den letztern weiter nichts vergönnet, als d a ß sie f r e y bekennen, diß w ä r e n nicht die Stellen, an denen sie ihr Vergnügen fänden, u n d d a ß sie bey Lesung des Arminius sich gefallen lassen, dem daher entstehenden Eckel durch Umschlagung einiger Blätter abzuhelfen. f . . . ] Die andern, welche die Gründlichkeit der A b h a n d l u n g tadeln, müsten w o h l zuförderst ihrer Beschwehrde Beweiß darlegen, u n d alsdenn w ü r d e vielleicht aus den meisten O r t e n erhellen, d a ß der angegebene U n g r u n d nicht v o n des Verfassers Unfähigkeit, sondern von der Beschaffenheit der redenden Person, von der N a t u r eines Gespräches, u n d von der innerlichen Schwäche der wieder die w a h r e Meinung gemachten E i n w ü r f e herrühre. Die letztern sind übel zufrieden, d a ß m a n so selten des H e r r n von Lohenstein eigene Meinung erkennen kan, oft auch die Frage gantz unentschieden gelassen wird. Was das erste anbetrift, so gehöret eines theils diß nicht zu des Verfassers Pflicht u n d Schuldigkeit, u n d findet die bekante V e r m a h n u n g auch hier statt: M a n solle nicht sehen, wer rede, sondern was geredet w i r d ; andern theils w i r d einem scharfsichtigen u n d aufmercksamen Leser nicht schwehr fallen, die Meinung des H e r r n von Lohenstein, so wohl aus der A r t des Vortrages, als aus Zusammenhaltung anderer Stellen, w o er ohne Bemäntelung sich ausdrücket, meisten theils zu errathen. Solte diß fehlen, u n d nach der letzten Klage die Sache gantz unentschieden gelassen seyn, m u ß m a n solches oft der U n e r g r ü n d lichkeit der Frage, u n d denn endlich des H e r r n v o n Lohenstein augenscheinlicher Liebe zu der zweiflenden L e h r a r t zurechnen, welche letztere aber ihm so wenig, als dem grossen Cicero u n d andern Academischen Weltweisen alter u n d neuer Zeiten zu verargen stehet. 1 8 8
Nachdem Gebauer schließlich den Vorwurf der Immoralität, der gegen Lohenstein wegen der überaus realistischen Darstellung der Unzucht erhoben wurde, zurückgewiesen und - um die Unbegründetheit der Ansicht, daß die Lektüre des Arminius nicht unterhaltsam und ergötzlich sei, zu beweisen - an die Begeisterung erinnert hat, mit der er als Fünfzehn188
Ebd., S. XXXVIII-XL.
26ο
II. Kapitel
jähriger zusammen mit Freunden das Werk gelesen habe, 189 erkennt er gelassen an, daß der Roman nicht frei von Unvollkommenheiten sei. Übrigens bin ich derjenige nicht, der aus allzu grosser Liebe zu dem H e r r n v o n Lohenstein der W a h r h e i t Abbruch zu thun gesonnen: U n d vielleicht erkenne ich die w a h r e n U n v o l l k o m m e n h e i t e n
des Arminius besser, als diejenigen,
welche ihn derselben so oft zu unrecht beschuldigen. Ich weiß die allzu hohen und gelehrten Reden mit der Niedrigkeit und andern Beschaffenheiten der redenden Personen nicht allemahl zu vergleichen; ich finde, d a ß die E x e m p e l , so wohl als die Gleichnisse, hin und wieder über die masse gehäuffet sind; ich bekenne, d a ß viele der letztern sich übersteigen, oder sonst mit der N a t u r der Dinge nicht g a n t z überein k o m m e n ; ich mercke wohl, d a ß die an Gedancken allzu reichen, und folglich mit eingeschalteten Sätzen allzu beschwerten P e rioden, und die vielen oft nur mit einem Schluß-Worte verbundenen RedensA r t e n , auch den aufmerksamsten Leser manchmahl hindern und verwickeln; ich fühle wohl, daß die bekannte H ä r t e der Lohensteinischen Poesie auch in denen im Arminius befindlichen Gedichten zu Zeiten anzutreffen. Allein da i 8 · Dies ist das einzige Zeugnis für eine >Lektüre< und eine spontane Rezeption des R o mans. Wir geben deshalb diese Stelle von George Christian Gebauer wieder; besser als jede gelehrte Rezension dokumentiert sie uns die Begeisterung des zeitgenössischen Publikums für diesen Roman und auch dessen Fähigkeit, die Lektüre mit natürlicher Unmittelbarkeit zu genießen: »Ich war etwa funfzehen J a h r alt, als einer meiner Schul-Gesellen mir und andern entdeckte, daß er ein glückseliger Besitzer des längst gewünschten Arminius geworden sey. Die Begierde war allzugroß, als daß einer auf den andern warten sollen; wir setzten uns zu dreyen und vieren in ein Häufgen zusammen, einer vertrat die Stelle des Vorlesers, und wir andern Hessen gewiß kein Wort auf die Erde fallen, noch durdi andere Händel unsere Aufmercksamkeit unterbrechen, ausser wenn die Schönheit des Vortrags einen von uns übermeisterte, daß das innige Vergnügen sich durdi die Zunge Luft machen muste, da denn die übrigen mit der grösten Ernsthaftigkeit, und als wenn an unserm Aussprudle des Buches Glück oder Unglücke gelegen sey, die an Tag gelegte Verwunderung bestätigten. Nachgehends habe ich auf Academien verschiedentlich diß Buch zu meinem Zeitvertreib erwehlet; und, ob ich wohl, nach der von Kindheit an gefaßten Gewohnheit, alle zum Lesen erwehlte Bücher auch von Anfang bis zu Ende zu durchgehen, nicht leicht etwas überschlagen, so muß ich doch bekennen, daß ich an den darinnen vorkommenden Erzehlungen ungleich mehr Vergnügen als an den wichtigen Fragen und B e r a t schlagungen gefunden. Nach langen Jahren hat gegenwärtige Auflage mich veranlasset, das gantze Buch von neuem und mit mehrerem Bedachte als vorher iemahlen geschehen, zu durchwandern, und da habe ich wahrgenommen, daß diejenigen Stellen, an denen ich vormahls wenig Geschmack gefunden, mich sonderlich vergnüget, folglich habe ich aus der Erfahrung begriffen, daß nicht alles im Arminius zu aller, wohl aber ein iedes zu seiner Zeit ergötzen und belustigen könne. Die Ursache mag wohl darinne bestehen, daß ich von denen Jahren so weit nicht entfernet bin, die bey dem Herrn von Lohenstein das Ziel seines Lebens gewesen, also wahrscheinlicher Weise in dem Alter midi befinde, in dem der Herr von Lohenstein diese seine tiefsinnige Gedancken aufgezeichnet; folglich mit ihm dencke, und also auch an dem was er gedacht, mein Vergnügen finde.« (ebd. S. X L I I I ) .
Die barocke Apotheose
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auch dieser zugestandenen Mängel Anzahl so groß nicht ist, als sich manche einbilden, hindert mich solches keinesweges an der dem treflichen Buche schuldigen Hochachtung. Ist der Vers harte, so sehe ich auf die treflichen Gedancken; ist der Gedancke nicht sonderlich, ergötze ich mich an den schönen Worten; ist ein Gleichniß, eine Metaphore oder Allegorie ungegründet, sind hundert andere unvergleichlich, und unverbesserlich; sind die Exempel zu überhäufet, muß ich doch derselben Reichthum bewundern; ziemet die Rede der Person nicht, wird sie desto besser klingen, wenn ein kluger Nachahmer des Arminius sie einer andern Person bey Gelegenheit in Mund leget. Und wann alle Stricke reissen, muß endlich die Entschuldigung des bekannten Naso dem Herrn von Lohenstein wieder alle seine Feinde und alle aufgebürdete Fehler zu statten kommen: Emendaturus, si licuisset, eram. Ihr würdet viel von mir verändert lesen, Wär' es zu thun mir nur vergönnt gewesen. Idi habe daher öfters bey mir gedacht: Ist diß der erste Aufsatz, davon der Verfasser nicht einmahl das Ende erreichen können, wie würde das MeisterStück aussehen, wenn er seine letzte Hand an dasselbe geleget hätte? Ist daß die Frucht seiner Gicht- und Krancken-Stunden, wie würde sie aussehen, wann er bey gesunden Tagen und aufgeklärtem Gemüthe ihr die Vollkommenheit gegeben? Sind diß Blumen, die er mitten unter den Dornen seiner wichtigen Amts-Geschäffte gezeuget; wie ausnehmend schöne würden dieselben gefallen seyn, wenn eine gelehrte Ruhe ihm gegönnet hätte, sie als seine Haupt-Arbeit abzuwarten? Hat der Herr von Lohenstein in der Helfte seiner Tage sich ein so herrliches Denckmahl stiften können; wie vortreflich würde solches geworden seyn, wann er das ordentliche Alter der Menschen zu dessen Ausarbeitung hätte anwenden können? Ich bin dabey ofte auf die Gedancken gerathen, die Göttliche Vorsehung, die allen Künsten und Wissenschaften ihre Zeiten und Staffeln setzet, habe ihm solches nicht gegönnet, damit auch den Nachkommen etwas übrig bleibe, daran sie ihre Kräfte prüfen können. Daß solches keine leichte Sache sey, weiset die Erfahrung, da wir in vierzig Jahren nichts gleiches, ich schweige etwas vortreflichers gesehen : Daß also der Arminius bey allen seinen Unvollkommenheiten dennoch bis auf die heutige Stunde das vollkommenste Buch in seiner Art verbleibet. 190 Die Wurzel der grundlosen kritischen V o r w ü r f e gegen den Arminius ist nach Gebauers Meinung hauptsächlich im N e i d nicht-schlesischer Dichter zu suchen, die wegen des Ruhmes der schlesischen Dichtung eifersüchtig waren, ferner in der Unwissenheit, der U n g e d u l d und der mangelnden Reflexion seitens vieler Leser und schließlich in der Ungeschicklichkeit der Epigonen und Apologeten. Lohensteins R u h m abträglich sind vor allem i»o Ebd., S. XLIV-XLV.
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IL Kapitel
die letzteren, da sie mit ihren übertriebenen Lobreden und ihrer mißlungenen Nachahmung des Lohensteinischen Stils ihr Idol in Mißkredit gebracht haben, das sie auf diese Weise als den Begründer einer unechten Beredsamkeit erscheinen lassen. Mit der Ungeschickligkeit ziele idi auf diejenigen, welche zwar das grosse und prächtige in dem Arminius erblicket, aber ohne den Witz und die Gelehrsamkeit des Herrn von Lohenstein zu besitzen, die Schritte machen wollen, davon dieser grosse Meister uns die Fußstapfen hinterlassen. An statt daß diese Leute erst hätten erwegen sollen, ob ihre Kräfte dahin zulangten, auch worinne denn die wahren Regeln der Nachahmung und geschickten Anwendung bestünden, haben sie vielmehr die Fehler ergriffen, eine Menge so genannter Realien aus dem Helden-Gedichte zusammen gestoppelt, diese mit lauter hochklingenden Worten an einander gehangen, und denn sich selbst beredet, daß sie den Gipfel der Teutschen Redner-Kunst bestiegen hätten. Daher ist es gekommen, daß man den Herrn von Lohenstein vor den Vater der falschen und unäditen Beredsamkeit ausgeschrien, ungeachtet er nichts weniger in willens gehabt, als eine Schule von seiner Schreib-Art zu stiften, auch an denen neuen Mißgeburten so wenig schuld hat, als Cicero, daß vor ohngefehr zweyhundert Jahren viele nicht lateinisch, sondern Ciceronianisch schreiben wollen. Endlich ist noch beyder Theile Unbedachtsamkeit anzuklagen. Die Freunde des Herrn von Lohenstein haben sich beredet, daß in dem Arminius alles, auch die unleugbaren Un Vollkommenheiten, Tugend und Vollkommenheiten wären; haben daher den Verfasser mit so ausnehmenden Lob-Sprüchen erhoben, als wenn nichts an seinem Wercke zu bessern sey, auch sonst menschlicher Verstand nicht vermögend seyn würde, etwas, das den Arminius in seiner Art erreiche oder übersteige, künftig hervorzubringen; sie haben geglaubet, daß alle Teutschen, wolten sie anders zierlich Teutsch sprechen, mit Lohensteinischer Zunge reden müsten, und haben also den oben bemerckten Irrthum entweder selbst begangen, oder doch andern solchen zu begehen Gelegenheit gegeben, nehmlich, daß man alle Arten zu schreiben nach dem im Arminius befindlichen Schrot und Korn ausmüntzen wollen: Da sie doch hätten zu bedencken gehabt, daß der Herr von Lohenstein durch sein frühes Absterben verhindert worden, seinem Wercke, die Vollkommenheit zu geben, die es von ihm würcklich hätte erwarten können; daß er nach der ihm beywohnenden grossen Selbst-Erkänntniß, ohnfehlbar davor gehalten, daß er ein Mensch sey, und also ihm auch was menschliches begegnen können; daß unmäßiges Lob mehr schade als nutze; und daß zwar die hohe spruch- und sinnreiche SchreibArt in dem Arminius in ihrer Vollkommenheit anzutreffen sey, mit derselben aber so wenig aller Vortrag als iede Speise mit einer obgleich noch so herrlich gewürtzten Brühe schmackhaft gemacht werde. Dagegen haben des Herrn von Lohenstein Feinde sich an das offt unmäßige Lob gestossen, von den unvoll-
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kommenen Stellen auf das gantze Werck geschlossen, seine Schreib-Art gantz verworfen, und dagegen die niedrige, leichte, fliessende, und, wie sie zu reden belieben, natürliche und galante zur allein herrschenden Königin und SelbstErhalterin auf dem Teutschen Parnaß erkläret. Ich fürchte, wenn wir so fortfahren, alle nicht iedem bekannte Exempel vor Schulfüchserey angeben, alle kühne Metaphoren und andere Tropos vor unnatürlich halten, alle Gleichnisse auf der Goldwage abwägen, alle Gedancken, deren sich der Pöbel der Poeten auf allen Blättern bedienet, gäntzlich aus der Teutschen R e d - A r t verweisen, alle Perioden nach dem verjüngten Maßstabe ausmessen, alle Wortspiele verbannen, daß nicht nur unsere Teutsche Helden-Sprache ihre gröste Zierde, die hohe Schreib-Art, einbüssen, sondern auch bey dem heutigen unglaublichen Eckel, da sich alle Scribenten gleich auf Gnade und Ungnade ergeben müssen, es endlich an gutem Willen fehlen werde, sich um unsere Sprache verdient zu machen. 191
Die ausgewogene Verteidigung des Arminius durch Gebauer - dessen Vermutung, daß jeder hohe dichterische Stil abgelehnt würde, durch die Kritik der Gottschedianer an Klopstock bestätigt werden sollte - ist ein klarer Beweis dafür, daß Lohensteins Dichterruhm zwar nicht beim Publikum, aber doch in der literarischen Kritik im Sinken begriffen ist. Als Gebauer nämlich seinen Namen unter die Vorrede zum Arminius setzte, und sie »Leipzig 1 7 3 1 , den. 7.Mertz« datierte, war Gottscheds Critische Dichtkunst, das Werk, das rasch zum Brevier der aufklärerischen Kritik in Deutschland wurde, schon seit etwa zwei Jahren verbreitet. Bevor wir zur Beschreibung der Rezeption von Lohensteins Werk in der Aufklärungszeit übergehen, ist es jedoch notwendig, daß wir - um eine genaue Vorstellung von Lohensteins Ruhm und Erfolg zu gewinnen innehalten und uns die Enzyklopädien, die Adelslexika, die geschichtlichen Darstellungen der Gelehrsamkeit und der Redekunst, die gelehrten Abhandlungen, die Dichteranthologien, die Geschichtswerke über Provinzen und Regionen, die Poetiken und Zeitschriften ansehen, in denen der Dichter mehr oder weniger ausführlich Erwähnung findet. Die Lohenstein in diesen Werken gewidmeten Seiten oder auch wenigen Zeilen stellen häufig, wie das in der Tradition der gelehrten Kompilationen des 17. Jahrhunderts liegt, nur ein Sammelsurium aus Daten und Urteilen dar, die man aus den verläßlichsten biographischen Quellen und von den angesehensten Kritikern bezogen hat. Bei allem Mangel an Originalität ergänzen diese Zeugnisse in eindrucksvoller Weise das Bild, das die Rezeption Lohensteins in diesem Zeitabschnitt bietet. 1« Ebd., S. XLVIII-L.
II.
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Kapitel
D a s Klischee, das sie vermitteln, entspricht weitgehend der allgemeinen Vorstellung, die ganze Generationen v o n Lesern v o n dem Dichter haben, da sie zugleich P r o d u k t und Ursache dieser Vorstellung sind. In manchen dieser Zeugnisse
finden
sich aber zwischen >Zitaten< originelle Bemer-
kungen. Dies ist ζ. B . der F a l l bei Breslers De Vita et scriptis Danielis pari à Lohenstein
den die D a t e n aus dem Lebens-Laujf
v o n H a n s C a s p e r v o n Lohenstein
wiedergegeben, w ä h r e n d über den Arminias masius
193
Cas-
( 1 7 0 2 ) . 1 9 2 I m biographischen T e i l der A b h a n d l u n g w e r das Urteil v o n Christian T h o -
und über die T r a g ö d i e n dasjenige v o n M o r h o f 1 9 4 in zusammen-
fassender F o r m angeführt werden. Doch schreibt Bresler (in den §§ V I I I und I X ) in De Vita
im Anschluß an ein L o b über Lohensteins politische
und diplomatische T ä t i g k e i t : §. V i l i . Haec ergo ciuilem statum eius merita sunt non mediocria: si autem ea consideraturus es, quae in litterariam rempublicam, quae in excolendam linguam germanicam fecit prorsus excellentia reperies. Is enim primus est, qui sublime dicendi scribendique genus ea felicitate in Germaniam introduxit, qua nec ante nec post eum quisquam vsus est. Hinc ipsi 8c inuentionis Sc propagations geminata gloria cedit. N a m si apud Gallos Balsazius, apud Hispanos Gratianus, sublimis orationis inuentores & architecti celebrantur, quidni Lohensteinium iisdem laudibus Germani ferre debent? §. I X . Sed Oratoris laudes excedit amplitudo eius eruditionis, Poetam enim, Historicum, Philologum, Philosophum, & Jureconsultum, vno nomine verum Polyhistorem eum fuisse; inter genuinos bonarum literarum aestimatores nemo facile inficiabitur. Arminias
& Thusnelda
inter concatenatos curiae
labores, inter fréquentes arthritidis dolores, elaborati, autorem abundé probant inter Germaniae eruditos, insignem, quidni principem locum? eum mereri. 195 192 Vgl. z u r Autorschaft dieser Schrift Anm. 467 im I. Kap. 193 »Hinc vir quidam praeclarus qui Arminium perlegerat, sie de eo existimavit: Librum in quo solidae plus eruditionis sit cumulatum, se nullum adhuc reperisse; nec heroicum scriptum legisse, ad quod attendus cogitationes essent dirigendae, quodque acriori perpendendum sit iudicio, non obscuritatis sed materiae sublimitatis & scribendi generis causa; res enim in vtramque partem ventilata, in medio indecisa relinquitur. Verae eruditionis nectarem generosae iuuentuti, grato dicendi lepore, historiis atque politicis axiomatibus referto, tanquam condimento perspersum in eo propinasse« ([BRESLER,] De vita et scriptis Danielis Caspari à Lohenstein, in »Observationum selectarum ad rem litterariam spectantium Tomus VI. Halae Magdeburgicae Ao. 1702«, S. 88-89). 194 Vgl. ξ X X I , S. 95-96. Im gleichen Paragraphen ist die Lohenstein gewidmete und von uns bereits angeführte Seite aus Erdmann Neumeisters Specimen Dissertationis Historico-Criticae de Poëtis Germanicis (1695) wiedergegeben. 185 Ebd., S. 88. Diesen I X . § übernimmt Michael Joseph Fibiger wie audi andere Stellen aus De vita, wobei er ihn in seiner Silesiographia renovata von Henel paraphrasiert.
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Apotheose
26 5
Auch Jacob Friedrich Reimmann erinnert in seinem Versuch einer leitung in die Historiara
Literariam
derer Teutschen
Ein-
(1709) daran, daß
Lohenstein, den er neben Gryphius und Hoffmannswaldau zu den größten deutschen Dichtern rechnet, 196 als erster »die scharfsinnige / sprachreiche [spruchreiche!] und gelehrte Schreibart« in die deutsche Dichtung eingeführt habe.1»7 D o r t heißt es: »Quam disertus Orator, ingeniosus Poeta, Historicus exactus, Philosophus profundus, Jureconsultus praeclarus, uno nomine, quam verus Polyhistor fuerit, norunt genuini bonarum literarum aestimatores. Arminias Sc Thusnelda inter concatenatos Curiae labores, inter fréquentes arthritidis dolores, elaborati, autorem abunde probant inter Germaniae eruditos insignem, quidni principem locum? eum mereri.« (NICOLAI HENELII ab HENNENFELD, Silesiographia renovata, necessariis scholiis, observationibus et indice atleta. Pars Prior. Wratislaviae & Lipsiae, A p u d Christianvm Bavchivm, Bibliopolam. A n n o M D C C I V , S. 387). Das von dem Scholiasten Henels aus Breslers De Vita bezogene Urteil über Lohenstein wird noch 1824 von George Thomas in seiner Geschichte der sdblesischen Literatur erwähnt und abgedruckt (GEORGE THOMAS, Handbuch der Literaturgeschichte von Schlesien. Eine gekrönte Preisscbrift. Hirschberg, gedruckt und verlegt bei C . W . J. Krahn 1824, S. 355). 198
JACOB FRIDERICH REIMMANNS Versuch einer Einleitung in die Historiara Literariam derer Teutschen. Und zwar Des dritten und letzten Theils Erstes Hauptstück. Darinnen Die Historia Theologiae Theticae, Polemicae, Exegeticae, Moralis und Asceticae, ingleichen der Philosophiae überhaupt / und insonderheit der Grammatisticae, Gymnasticae, Musicae, Graphicae. Item der Grammaticae, Rhetoricae, Logicae, Poeseos und Physicae von der Erfindung der Buchdruckerey an biß auf die gegenwärtige Zeit / in einem kurtzen / aber doch deutlichen und zureichenden Vortrage entworffen / Und Also denen Weiß- und Warheit- Liebenden Gemüthern zu einer höhern Abund tieffern Einsicht dieser Wissenschafften ein neuer Polar und Leitstern entdeckt wird. H a l l im Magdeburgischen 1709. Z u finden in Rengerisdier Buchhandlung, A n m . S. 435. Unter den größten deutschen Dichtern wird Lohenstein auch in einer Disputation aus dem Jahr 1689 von Christoph Christian Haendel aufgezählt (Deo. O. M. Clementer. Assistente. Permitiente. Item. Amplissima. Facvltate. Philosophica. Artem. Germanorvm. Poeticam. Dispvtatione. Pvblica. In. Alma. Altdorfina. 1IX. Jvnii. A.R.S. MDCLXXXIX. Habita. Exhibet. M. CHRISTOPHORVS. CHRISTIANVS. HAENDELIUS. Heilsbronna. Francvs. Poet. Lavr. Caes. Respondente JVSTINO WEZELIO. Norimbergense. Altdorfi Excvdit. Johannes. Henricvs. Schonnerstaedt, S. 36), ebenfalls in der Poetik von Griivel (Hochteutsche Kurze / deutliche und gründliche VersReim- Und Dicht-Kunst / Samt etlichen seiner Geistlichen und Weltlichen Lidern und Gedichten / Allen Libhabern diser edlen Kunst zum nützlichen und ergetzenden Gebrauch am Tage gegeben Von JOHANN GRÜVELN / Kaiserlichen gekrönten Poeten und Burgermeistern zu Cremmen. Im Verlegung des Autoris. Neuen-Ruppin / Drukkts Wendelin Müller / 1709, S. 8).
187 REIMMANN, Versuch, S. 444. A n Daniel Georg Morhofs Urteil anknüpfend, schreibt Reimmann in einem anderen Werk, der Poesis Germanorum Canonica & Apocrypha (1703): »Und sind dieselbigen [die Tragödien] so wohl durch ihn [Gryphius] / als audi hernachmahls durch den unvergleichlichen Lohnstein zu einer solchen Vortrefflichkeit gebracht / daß wir nunmehro denen Ausländern hierin T r u t z biethen können.« (JACOB FRIDERICH REIMMANNS Poesis Germanorum canonica & Apocrypha Bekandte und Unbekandte Poesie der Deutschen / Darinnen im I. Theile die bekandten und gemeinen Cánones von der Deutschen Elocution, Metro und Rythmo, imgleichen von
266
II.
Kapitel
Das Verdienst, in Deutschland als erster »die hohe A r t zu peroriren und zu schreiben« eingeführt zu haben, wird Lohenstein audi von Johann Sinapius 198 sowie in dem ihm gewidmeten Artikel im Grossen gen Universal-Lexikon,
vollständi-
das der Verleger Johann Heinrich Zedier ver-
öffentlichte,199 zugeschrieben. In der Kurtzen Anleitung Zur Historie Der dem Genere Jámbico, Trochaico und Dactylico kürtzlich entworffen und mit curieusen Exempeln erleutert. In dem II. Theile die unbekandten und biß dito noch von niemand untersuchten Grund- Reguln von denen Carminibus Emblematicis, Symbolicis, Hieroglyphicis, Parabolicis, Mythicis und Paradigmaticis deutlich und leichte vorgetragen / und mit unterschiedenen Exemplis bewehret worden. Leipzig / Bey Johann Christoph Kontäen / Buchhändl. in Goßlar. 1703, S. [27]). Auch Johann Friedrich Cramer zollt Gryphius und Lohenstein hohes Lob, er nennt sie »prestantissimi Poetae & de Germanico nomine praeclare meriti« ([JOHANN FRIEDRICH CRAMER,] Vindiciae Nominis Germanici, Contra Quosdam Obtrectatores Gallos. Berlini, Apud Joh. Michaelem Rudigerum, Bibliop. Anno M.D.C. X C I V , S. [24]). 188 Johann Sinapius, der in seiner Olsnographia (1707) geschrieben hatte, Lohenstein sei »ein [ . . . ] perfecter Redner / sinnreicher Poët, unvergleichlicher Historicus, accurater Philosophus, trefflicher Jurist« (S. 679-680), übernahm diese Worte im zweiten Band der Schlesischen Curiositäten (1728) vollständig und fügte hinzu: »[Lohenstein hat] zu erst die hohe A r t zu peroriren und schreiben in Deutsdiland aufgebracht, und fast in allen Gattungen der Poesie, welche zusammen gedruckt sind, sich hervor gethan« (Des Schlesischen Adels Anderer Theil / Oder Fortsetzung Scblesischer Curiositäten, Darinnen Die Gräflichen, Freyherrlichen und Adelichen Geschlechter / So wohl Scblesischer Extraction, Als auch Die aus andern Königreichen und Ländern in Schlesien kommen / Und entweder darinnen noch floriren, oder bereits ausgegangen, In völligem Abrisse dargestellet werden, Nebst einer nöthigen Vorrede und Register, ausgefertiget von JOHANNE SINAPIO. Leipzig und Breßlau. 1728, S. 787). i " Artikel »Lohenstein (Daniel Caspar von)«, in JOHANN HEINRICH ZEDLER, Grosses vollständiges Universal- Lexikon. Band 18. Halle und Leipzig 1738, Sp. ιγγ^-ιγ^3, hier Sp. 278 b . In Anlehnung an Breslers und Morhofs Urteil schrieb der anonyme Verfasser des Artikels im Zedier, die Schriften Lohensteins bezeugten, »daß er ein grosser Poet, Geschieht- Schreiber, Wort-Forschler, Welt-Weiser, und mit einem Worte, ein rechter Polyhistor gewesen. Sein herrlidies Werde, der großmüthige Feld-Herr A r minius betittult, bekräfftiget dieses zur Gnüge. [ . . . ] E r hat fast in allen Gattungen der Poesie sich hervor gethan, sonderlich aber sind seine Tragödien berühmt, welche erhaben, tieffsinnig, Spruch- reich, beweglich, aber fast allzu gelehrt geschrieben sind. Man sieht daraus, daß er die Griechen und Römer fleißig gelesen, welche er, was die Erfindung und Vorstellung der Chore betrifft, noch übertroffen hat. [ . . . ] E r hat des Gratians Chatholischen Ferdinand aus dem Spanischen mit gleichem Nachdruck übersetzt, und sowol in seinen Schrifften als Thaten gewiesen, daß er ein grosser Politicus gewesen.« (Sp. 278 b ). Der Panegyrikus zum Tod des Herzogs Georg Wilhelm wird »ein vollkommenes Meister-Stück« genannt (Sp. 278^), während von den Tragödien aus der Jugendzeit, Ibrahim Bassa, Agrippina und Epicharis, gesagt ist, sie bewiesen »eine grosse Gelehrsamkeit und einen redit männlichen Geist« (277k). Die gleichen Worte und beinahe dieselben biographischen Angaben kann man auch in dem Artikel über Lohenstein in dem von Jocher herausgegebenen Allgemeinen Gelehrten-Lexicon nachlesen (Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Darinnen die Gelehrten aller Stände sowohl männ- als auch weiblichen Geschlechts, welche vom Anfange der Welt bis auf ietzige Zeit gelebt, und sich der gelehrten Welt bekannt gemacht, Nach ihrer Geburt,
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Fortsetzung Fußnote 799 Leben, mertkwürdigen Geschichten, Absterben und Schrifften aus den glaubwürdigsten Scribenten in alphabetischer Ordnung beschrieben werden. Zweyter Theil. D- L heraus gegeben von Christian Gottlieb Jocher, der H. Schrifft Doctore, und der Geschichte öffentlichem Lehrer auf der hohen Schule zu Leipzig, Hildesheim 1961 [ = Unveränderter Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1750], Sp. 2503). Als unmittelbare Quelle für den Verfasser des Lohenstein-Artikels im Zedier ist sicherlich das Allgemeine Historische Lexicon (1709) anzusehen, das beim Verlagshaus von Thomas Fritsdi erschien und unter dem Namen Johann Franciscus Buddaeus' bekannt ist. In dem Artikel »Lohenstein (Daniel Caspar von)« steht unter anderem: »Lohenstein / [ . . . ] einer der berühmtesten poeten / so Teutschland auffzuweisen hat / ist zu Nimptsdi in Schlesien [ . . . ] gebohren. [ . . . ] Sein ungemeiner kopff that sich gar zeitlich hervor; denn er war kaum i j Jahr alt / als er die drey trauer-spiele / Ibrahim Bassa / Agrippina und Epidiaris verfertiget / welche dodi eine grosse gelahrtheit und redit männlidien geist an den tag legen. [ . . . ] E r ist der erste / der die hohe art zu peroriren und zu schreiben in Teutschland auffgebracht / welche zwar mit grossem applausu aufigenommen / und von einigen imitiret / von etlichen gar veraditet / von niemanden aber noch zur zeit vollkommen getroffen / geschweige denn übertroffen worden. Er war aber nicht nur ein grosser redner / sondern audi in allen übrigen stücken der gelahrheit rechtschaffen zu hause. Seine rühmliche geführte civil-bedienungen / und sein von ihm mit häuffigen und auserlesenen aber nie edirten anmerckungen erläutertes corpus juris zeugen von seiner redits-gelahrheit / seine schrifften aber / daß er ein grosser poete / historicus, philologus, philosophus, und mit einem wort ein rechter polyhistor gewesen. Sein eintziger Arminius / in welchem alle gelehrten was zu lernen antreffen können / bekräftiget dieses zur gnüge. Es ist dieser aus zwey qart-bänden bestehende roman zu dem ende verfertiget worden / damit junge cavallire und standes-personen / welche gerne romane lesen / hierdurch einen appétit zu denen künsten und wissensdiafften bekommen möchten. Der sdiarffsinnige Thomasius / so von diesem buche in seinen freymüthigen gedancken über allerhand büdier mit mehrern handelt / hat frey gestanden / daß er kein buch wisse / darinn er mehr gelahrheit angetroffen / und daß wegen der darinn enthaltenen wichtigen materien / davon meist auf beyde Seiten raisonniret wird / mehr auffmercksamkeit und nachdendcen erfordere / als der A r minius / wie er denn den autorem einen unerschöpflichen quell der gelahrheit zu nennen kein bedencken getragen. Es ist nur schade / daß der autor nidit die letzte hand an dieses werck legen können / indem er im 49Sten jähr seines alters an. 1683 den 27 aprii am schlage gestorben. Dahero sein bruder Johann Christian von Lohenstein das letztere buch hinzu thun müssen. Übrigens ist nicht zu übergehen / daß der A r minius nicht nur unter so vielen geschäfften / sondern audi offt unter denen hefftigsten gicht-schmertzen geschrieben worden. Ich zweiffle nicht / daß wenn die ausländer diesen in teutsdier spräche verfaßten roman solten lesen können / sie an denen Teutsdien mehr zu beneiden / als zu verachten antreffen würden. Seine teutsdien poesien sind anfangs stückweise / nachmals aber in 8 zusammen gedruckt worden / und sind sie zuletzt an. 1701 nebst der auf den Herrn von Hoffmannswaldau gehaltenen trauerrede heraus gekommen. Seine lob-rede auf den letztern Hertzog von Lignitz / Brieg und Wohlau / welche ein vollkommenes meisterstücke ist / hat man absonderlich in folio und in 8 herausgegeben. Er hat fast in allen gattungen der poesie sich hervor gethan / sonderlich aber sind seine tragödien berühmt / welche erhaben / tieffsinnig / spruchreich / beweglich / und fast allzu gelehrt geschrieben sind. Man siehet daraus / daß er die Griechen und Römer fleißig gelesen / welche er so wohl als den sonst in dieser art vortrefflichen Andream Gryphium / was die erfindung und Vorstellung der diore betrifft / übertroffen hat. Mit was vor fleiß und verstände er die bibel gelesen /
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II.
Kapitel
Fortsetzung Fußnote 199 zeigen unter andern seine poetisch verfaste geistliche betrachtungen über das J 3 S t e capitel des Propheten Jesaiä. E r hat des Gratians catholisdien Ferdinand aus dem Spanischen mit gleichen nachdrudc übersetzt / und so wohl in seinen schrifften als thaten gewiesen / daß er ein grosser politicus gewesen. Daher auch ein kluger Fürst geurtheilet: daß Lohenstein nicht ein syndicus einer Stadt / sondern ein grosser staatsminister zu seyn verdienet. Seine aufführung und lebens-art betreffend / so war er nach erforderung der umstände freygebig / präditig / unermüdet / und gastfrey / wie dann nicht leicht ein gelahrter mann nadi Breßlau kommen / den er nicht tractiret / und durch seine gelehrte / discourse und höfflichkeit unterhalten hat. E r widmete den tag denen geschafften / so ihm wegen des gemeinen wesens auff dem halse lagen / denen Studien aber und seinen freunden schenkte er die nacht. E r war geschickt beydes zu simuliren als zu dißimuliren / und wenn er sich erquicken wolte / so begab er sich auf sein Kittelau / wie Cicero in sein tusculanum, da er mit guten freunden / darunter unterschiedene vornehme manner waren / die zeit durch angenehme und nützliche gespräche zubrachte.« [Artikel »Lohenstein / (Daniel Caspar von)«, in Allgemeines Historisches Lexicon, in welchem das Leben und die Thaten derer Patriarchen / Propheten / Apostel / Väter der ersten Kirchen / Päbste / Cardinale / Bischöffe / Prälaten / vornehmer Gottes-Gelahrten / nebst denen Ketzern / wie nicht weniger derer Käyser / Könige / Chur- und Fürsten / grosser Helden und Ministern / ingleichen derer berühmten Gelahrten / Scribenten und Künstler / ferner ausführliche Nachrichten von den ansehnlichsten Gräflichen / Adelichen und andern Familien / von Conciliis, Münchs- und Ritter Orden / Heydnischen Göttern / etc. und endlich die Beschreibungen derer Käyserthümer / Königreiche / Fürstenthümer / freyer Staaten / Landschaften / Inseln / Städte / Schlösser / Klöster / Gebürge / Flüsse und so fort / in Alphabetischer Ordnung mit bewehrten Zeugnissen vorgestellet werden. Dritter und Vierdter Theil / H-Z. Samt dem Anhange. Leipzig / verlegts Thomas Fritsch / 1709, S. 346]. Die ungenierte Verwendung von Lemmata aus früher erschienenen Lexika im Zedier führte bei Fritsch zu einer Reaktion: er strengte einen Prozeß an, woraufhin der Verleger des Universal-Lexikons gezwungen wurde, Kursachsen zu verlassen und nach Halle und Berlin umzuziehen (vgl. BERNHARD KOSSMANN, Deutsche Universallexika des 18. Jahrhunderts. Ihr Wesen und ihr Informationswert, dargestellt am Beispiel der Werke von Jablonski und Zedier, in »Archiv für Geschidite des Buchwesens« I X (1969), Sp. 1553-1596). Audi der Lohenstein im Compendiösen Gelehrten-Lexicon ( 1 7 1 5 ) gewidmete Artikel ist nichts anderes als eine einfache und kurze Zusammenfassung des Artikels aus dem Allgemeinen Historischen Lexicon (Compendiöses Gelehrten-Lexicon, Darinnen Die Gelehrten, als Fürsten und Staats-Leute, die in der Literatur erfahren, Theologi, Prediger, Juristen, Politici, Medici, Philologi, Philosophy, Historici, Critici, Linguisten, Physici, Medianici, Mathematici, Scholastici, Oratores und Poeten, so wohl männ- als weiblichen Geschlechts, welche vom Anfang der Welt grösten theils in gantz Europa biß auf jetzige Zeit gelebet, und sich durch Schrifften oder sonst der gelehrten Welt bekant gemacht, an der Zahl über 20000. nach ihrer Geburth, Absterben, vornehmsten Schrifften, Leben und merkwürdigsten Geschichten, aus denen glaubwürdigsten Scribenten, die man jedesmahl fleißig angemerckt, kurtz und deutlich nach Alphabetischer Ordnung beschrieben werden, Denen Liebhabern der Historie der Gelehrten, und andern curieusen Personen zu nützlichen Gebrauch zum Druck befördert. Nebst einer Vorrede Hn. D. Joh. Burchard Menckens, Königl. Polnischen und Chur- Sächsischen Raths, und Historiographi, wie auch Histor. Prof. Publici, der Königl. Engl. Societät Socii, des großen Fürsten- Collegii Collegiati und der Universität Leipzig z.Z. Rectoris. Bey Johann Friedrich Gleditsdi und Sohn, Budihändl. in Leipzig, im Jahr 1715., Sp. 1 1 9 1 ) .
Die barocke
Gelahrbeit
Apotheose
269
( 1 7 1 8 ) erachtet G o t t l i e b Stolle Lohenstein als den größten
deutschen R e d n e r neben dem T h e o l o g e n C a s p a r N e u m a n n u n d definiert seinen oratorischen Stil als »prächtig / hoch / sehr gelehrt u n d tiefsinnig«. 2 0 0 U b e r den P a n e g y r i k u s z u m T o d des H e r z o g s G e o r g W i l h e l m , des letzten aus dem H a u s der Piasten, schreibt Stolle, er h a b e niemals e t w a s Ähnliches gelesen, 2 0 1 w ä h r e n d er in demjenigen auf den T o d v o n H o f f m a n n s w a l d a u »einige nicht geringe Fehler [ . . . ] , welche aber v o n denen darinn erscheinenden T u g e n d e n leicht bedeckt w e r d e n « , 2 0 2 finde. Bei der B e h a n d l u n g der deutschen tragischen D i c h t u n g schreibt er d a n n : W i r Teutsdien [ . . . ] haben uns derer Trauerspiele des A n d r e a s G r y p h i u s / und D a n i e l C a s p a r s v o n Lohenstein nicht zu schämen. Sie haben b e y d e mehr M a y e s t ä t als Sophocles, schreiben auch so beweglich als Euripides. Doch geht G r y p h i u s hierinn dem Lohenstein v o r . Ihre Personen sind meist nach dem Leben gebildet / nur daß sonderlich der Letztere ihnen allzu tiefsinnige und gelehrte Gedancken beylegt. I n Ausarbeitung der C h o r e hätte G r y p h i u s nicht die A l t e n zum Muster erwehlen sollen. D e r v o n Lohenstein hat darinn seinem eignem K o p f f e gefolget / und sie w e i t prächtiger / u n d k l ü g e r eingerichtet. 2 0 3 V o n Lohenstein lobt Stolle z u m Schluß die »moralischen Gerichte« 2 0 4 u n d 200 Kurtze Anleitung Zur Historie Der Gelahrheit, Denen / So den freyen Künsten Und der Philosophie obliegen / Zu Nutz In dreyen Theilen ausgefertiget Von GOTTLIEB STOLLEN / Polit. Prof. Pubi. Ord. Jen. Halle im Magdeburgischen 1 7 1 8 . In Verlegung der Neuen Buchhandlung / Audi bey derselben in den Messen zu Franckfurt unter dem Mehlischen, und zu Leipzig unter dem Sdiambergisdien Hause zu finden, S. 183. 201 Ebendort. Hohes Lob erfährt Lohensteins Redekunst auch durch Georg Heinrich Zindc (oder Zinke) in dessen Werk De Eloquentia. Über die dritte Epoche der deutschen Sprache, nämlich die sdilesische, schreibt Zinck: »Lohensteinius [ . . . ] , deinde Weisius exemplis pariter ac praeceptis illud elegans introduxere genus dicendi, quo nunc plures leguntur libri, numero, ilumine, copia, connexione Sc ornatu singulari, qui melius inter legendum perspicitur, quam describitur, sese distinguentes.« Und einige Seiten weiter: »Vnicus Lohensteinius, eloquentiae nostrae decus, vt Gryphiorum aliorumque laudem his arctioribus haut includamus terminis, in conspectum tuum prodeat. Nonne enim prodit omnis sublimions eloquentiae mysteria & acumen illius Arminius? Nonne profunda dictione atque dulcissimo verborum delectu omnis linea scatet?« (M. GEORGII HEINR. ZINCKII Primitiae Qvas De Eloqventia Pariter Ac Literarvm Historia Antehac In Salana Et Gerana Exhibvit Auctas Nunc Et Revisas In Fridericiana Stvdiosae Ivventvti De Novo Offerre Volvit. Halae Magdebvrg. [ 1 7 1 9 ] , S. i o j , 120). Diese Urteile von Zinck über Redekunst und Stil Lohensteins (vgl. audi S. 124 in De Eloquentia) wurden in einer in den Critischen Beyträgen, der berühmten Zeitschrift Johann Christoph Gottscheds, erschienenen Besprechung dieses Werkes bestritten (Rezension zu: M. Georg Henr. Zinckii dissertatio de eloquentia Germanorum d. i. Historie der deutseben Beredsamkeit. Halle, 1719.8.9. Bogen, in »Beyträge Zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, herausgegeben von Einigen Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Dreyzehendes Stück. Leipzig, bey Bernhard Christoph Breitkopf. 1735«, S. 1 0 7 - 1 2 3 ) . 202 STOLLE, Kurtze Anleitung, S. 183.
203 Ebd., S. 248.
204 Ebd., S. 291.
II.
IJO
insbesondere die in den Arminius
Kapitel
eingefügten Epigramme, eine Gattung,
in der »in Teutscher Sprache [ . . . ] wohl nodi keiner den Lohenstein übertroffen« hat. 2 0 5 Der »berühmte«, 206 »celeberrimus«, 207 der »unvergleichliche«, 208 der 205 Ebd., S. 3 2 1 . In einem anderen Werk hatte Gottlieb Stolle über den »unvergleichlichen« Lohenstein das folgende Urteil abgegeben: »Der scharffsinnige Herr Thomasius, der sonst / als ein genauer Censor mit Lobsprüchen allezeit sehr sparsam gewesen / hat ihn [Lohenstein] einem unersdiöpfilidien Quelle der Gelahrheit vergleichen / und dem großen Virgilio weit vorgezogen. Dennoch sind nicht alle Gedancken / die man in seinen Poesien antrifft / sein eigen; sondern man findet daselbst fast alles beysammen / was Savedra tieffes / La Mothe sinnreiches / Tacitus kluges / Seneca erbauliches und die alten Tichter so wohl als die neuern gelehrtes und schönes in sich haben; welches er aber entweder umb ein merckliches verbessert / oder doch mit seinen eignen Einfallen und Manieren dergestallt verbunden / daß idi ihn ohne Bedencken vor einen der allervortrefflichsten Künstler unter denen Poeten halte.« ([GOTTLIEB STOLLE,] Daß die größten Poeten die vortrefflichsten Diebe sind, in Außerlesener Anmerckungen Über allerhand wichtige Materien Und Schrifften / fiinffter Theil oder derselben Beschluß [ 1 7 0 7 ] , S. 1 5 7 - 1 7 8 , hier S. 177). Gottlieb Stolle (Pseudonym Leander aus Schlesien, vgl. G. CH. SCHREIBER, Proben der Nieder-Sächsischen Poesie, 1730, S. 16) sparte mit Lob für Lohenstein auch nicht in dem antibarocken Vorwort zum sechsten Teil der sehr bekannten Anthologie von Barockdiditern, in welcher der »unvergleichliche«, der »berühmte« Autor des Arminius »ein unerschöpflicher brunnen kluger, weiser und gelahrter gedancken« genannt wird ([GOTTLIEB STOLLE] »Vorrede wider die Schmeichler und Tadler der Poesie«, in Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte sechster Theil, nebenst einer Vorrede wider die Schmeichler und Tadler der Poesie. Mit Kön. und Churf. Sachs, allergnäd. Privilegio. Leipzig, bey Thomas Fritsdi, 1709, S. [ V I I I - I X ] ) . Über Stolle als Herausgeber des sechsten Teils der Hoffmannswaldau-Anthologie vgl. A. G. DE CAPUA, The Series Collection: A Forerunner of the Lyrical Anthology in Germany, in »The Journal of English and Germanic Philology« 54 (1955), S. 202-225, hier S. 205 und Anm. S. 205; und CONRAD WIEDEMANN, Vorspiel der Anthologie. Konstruktivische, repräsentative und anthologische Sammelformen in der deutschen Literatur des i j . Jahrhunderts, in Die deutschsprachige Anthologie. Band 2: Studien zu ihrer Geschichte und Wirkungsform. Herausgegeben von Joachim Bark und Dietger Pforte, Frankfurt am Main 1969 ( = Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts Band 2/2), S. 1-47, hier Anm. S. 45. So nennt ihn noch 1724 J . G. Neukirch (Anfangs-Gründe zur Reinen Teutschen Poesie Itziger Zeit / Welche der Studierenden Jugend Zum Besten und Zum Gebrauch seines Auditorii In Zulänglichen Regeln und deutlichen Exempeln entworffen JOHANN GEORGE NEUKIRCH Philosoph. Magist. & J.U.C. Halle im Magdeb. An. M D C C X X I V . Zu finden in der Rengerischen Buchhandlung, S. 8). 2 °7 Vgl. Π Α Ρ Ε Ρ Γ Ο Ν Criticvm De Praestantia Qvadam Poeseos Germanicae Prae Gallica Et Italica. Qvod D.O.M.A. In Illvstri Et Inclita Academia Jvlia Praeside Corn. Diet. Koch D. Et Logicae Primaeq. Philos. Prof. Ord. Patrono, Praeceptore, Hospite Atque Avvncvlo svo Omni Pietate Aeternvm Devenerando. Ad Diem XXII. Ma). A. MDCCXV. In Jvleo Majore Pvblice Examinandvm Proponit Respondens Avtor JOH. HENR. BEVTHNER. Hamburg. Phil. Et S. Theol. Cvltor. Helmstadii, Typis GeorgWolfgangi Hammii, Acad. Typogr., Anm. S. 9. 206
Die barocke
Apotheose
271
»vortrefflichste«, 209 der »gelehrte« 210 Lohenstein, dessen frühreifer Genius legendär 211 geworden war, findet seine begeistertsten Bewunderer natürlich unter seinen Landsleuten. Christian Meisner widmet Lohenstein in seiner Silesia loquens (1705) folgenden Eintrag: DANIEL CASPAR A LOHENSTEIN, Syndicus Vratisl. Reipublicae, mortuus Α. M D C X X C I I I . Orator egregius, cuius elegantia spirat in duabus praecipue Orationibus, quarum altera in obitum ultimi Silesiae Ducis, Piasteae propaginis, Georgii Guilielmi, Lignicensis, Bregensis ac Volauiensis Ducis conscripta, altera in exequiis Viri laudatissimi Christiani ab Hoffmannsuualdau, est publice habita. [ . . . ] Ad Poetas non absurde Milesiarum Conditores fabularum refero, idque recte 208 Vgl. außer den zahlreichen bereits angeführten Zeugnissen folgendes Werk: Promtuarium Rerum Naturalium Et Artificialium Vratislaviense Praecipue Quas collegit. D. Io. CHRISTIANUS KUNDMANN. Medicus Vratislaviensis. Vratislaviae Apud Midiaelem Hubertum, M D C C X X V I , S. 1. Kundmann zitiert hier eine Stelle aus GEORG WENDIUS, Vratislaviensium quorundam Patronorum & Civium Studium colligendi nummos (Progr. Breßlau 1679). 209 Nach Johann Friedrich Gauhe, der sich auf die Biographen des Dichters beruft und an Thomasius' Urteil über den Arminius erinnert, war Lohenstein »einer der vortrefflichsten Poeten, Redner, Historicorum oc. seiner Zeit« ( G A U H E , Adels-Lexikon, Zweyter Theil, 1747, Art. »Lohenstein«, Sp. 652-653, hier Sp. 652). 210
V g l . a u ß e r d e n z a h l r e i c h e n b e r e i t s z i t i e r t e n Z e u g n i s s e n GEORGE WILHELMS VON R E I N -
Fiirstl. Sachsen- Weimarischen Geheimen Raths und Ober- Hof- Marschalls Poetische U eher Setzungen und Gedichte. Weimar / gedruckt bey Joh. Leonhard Mumbachen / F. S. Hof-Budidr. 1 7 0 , S. [VI], Johann Christoph Wolf schreibt in dem Werk De Praecocibus eruditis (1707): »Iniquior forem in praeclara DAN. CASP. A LOHENSTEIN, Nobilis Silesii, merita, quae tum in res patriae civiles tum in Poesin inprimis Germanicam, ac varia studiorum genera cumulatiss. exstant, nisi illius quoque honorificam hoc loco facerem mentionem. Hujus exemplo pervulgati & tralatitii proverbii Veritas constat, quo Poëtae non fieri sed nasci dicuntur. Eo enim aetatis tempore, quo ab alio vix leviorem Linguae Germanicae notitiam exspectes, ita omnes ejus veneres & virtutes imbibit, ut ligato quoque sermoni graviter copiose & eleganter componendo idoneus esset. Anno enim a natività te i j . Tragoedias Ibrah. Bassae, Agrippinae & Epicharis nomine inscriptas, quae senilem spirant industriam, concinnavit, quas hodieque inter praestantissima poetici ingenii monumenta numerari illi norunt, qui à poetica dictione animum non prorsus fovent alienum« (Q.D.B.V. Primitiae Flensburgenses sive Oratio Inauguralis De Praecocibus Eruditis: Orationes binae de Necessitate & Utilitate Exercitii Declamandi a tironibus artis dicendi Carmine Latin. & German, habitae Cum Programmate, Ad illas audiendas Auditores invitante, publicae luci oblata & expósita a M. J o . CHRISTOPH W O L F I O , Lycei Flensburg. Con- Rectore. Hamburgi [ 1 7 0 7 ] , Typis Spierinqianis. Das Erscheinungsjahr des Werkes ist uns durch den Zedier (Bd. j 8 , S. 7J6) und durch eine Schrift von Johannes Klefeker, in der Lohenstein ebenfalls zu den frühreifen Gelehrten gerechnet wird, bezeugt (Io. K L E F E K E R I , Bibliotheca eruditorum praecocium sive ad scripta huius argumenti Spicilegium et accessiones. Hamburgi, Apud Christianum Liebezeit, M D C C X V I I , S. 201). BABEN /
211
II.
XJZ
Kapitel
m e f a c e r e e x i s t i m o , q u a n d o q u i d e m genere scribendi a d p o e t a s , elatius loquentes, p r o x i m e a c c e d u n t , i n quibus p a l m a t r i b u e n d a est DANIELI CASPARI LOHENSTEINIO, q u i in o p e r e n o n i n t e r m o r i t u r o , q u o d A r m i n i u s G e r m a n i c u s inscribitur, insignem S i l e s i o r u m e l o q u e n t i a m a m p l i f i c a t , q u a s i q u e
floribus
conuestit, et egregiis q u o q u e uersibus i d e m i l l u d l a u d a t u m opus d i s t i n g u i t . 2 1 2 C h r i s t o p h E r n s t Steinbach, der A p o l o g e t und B i o g r a p h v o n
Günther,
v e r t r i t t in seiner Kurtzen
Deutschen
Sprache
(1724),
und
gründlichen
Anweisung
einer d e r besten G r a m m a t i k e n
zur
d e r ersten H ä l f t e
des
1 8 . J a h r h u n d e r t s , die A n s i c h t , die deutsche S p r a c h e sei durch die W e r k e v o n O p i t z , H o f f m a n n s w a l d a u , G r y p h i u s u n d L o h e n s t e i n sehr v e r v o l l kommnet worden.213 212 Q.D.B.V. Silesiam Loqventem, Rectore Magnificentissimo, Serenissimo Principe Ac Domino, DN. Friderico Avgvsto, Principe Regio Et. El. Sax. Herede, &c. &c. &c. Praeside CONRADO SAMVELE SCHVRZFLEISCHIO, Prof. Pubi, protulit Avtor Et Respondens CHRISTIANVS MEISNERVS, Herrnstadiens. Silesius. In Auditorio Majori, die IX. Maji, A.O.R. M D C C V . Vitembergae, Literis Schvlzianis, Acad. Typogr. cap. I I I , § 2. Eine Rezension der Abhandlung erschien in den Critischen Versuchen ausgefertiget durò Einige Mitglieder der Deutschen Gesellschaft in Greifswald. Erster Band. Mit nöthigen Registern. In Verlegung Johann Jacob Weitbrechts 1742, S. 2 5 4 - 2 7 1 . Hier gibt der anonyme Verfasser über die sdilesischen Dichter und Redner des Barock ein sehr ausgewogenes Urteil ab: »Wer ihre Verdienste gegen die deutsche Beredsamkeit kennen will, darf nur die schlechte Beschaffenheit derselben vor den Zeiten dieser Männer ansehen und erwägen, daß sie nicht ohne Mühe die elende Gestalt der Redekunst verbessert und in Ordnung gebracht haben. Wir gestehen gerne, daß ihre Schriften, wenn sie nach der heutigen Verfassung der Kunst geprüfet werden, eine merkliche Aenderung erdulden müßten. Wer will aber so unbillig seyn und von Leuten, die den A n f a n g der Verbesserung einer Wissenschaft machen, eine vollkommene Einrichtung derselben fordern? Wir sehen es ein, daß man Grund habe ihnen einige Ausschweifungen vorzuwerfen. Wir finden sie aber nicht bey allen so stark, daß sie eine scharfe Beurtheilung verdienen. Wer ihre Schriften mit Vernunft lieset, hat noch heute V o r theil davon, obgleich schon bessere vorhanden sind. Und w i r glauben kaum, daß die heutige Beredsamkeit zu einem solchen G r a d gediehen wäre, wann diese Vorgänger nicht den Grund gelegt hätten. Unsere Meynung ist diese, daß man Ursache habe ein Urtheil von ihnen Zufällen, welches sowenig den blinden Verehrern ihrer Schriften als den unbilligen Verächtern ihrer Verdienste das Wort redet« (S. 263-264). 21S
CHRIST [OPH] E R N S T STEINBACHS Kurtze
und
gründliche
Anweisung
zur
Deutschen
Sprache. Vel succincta & perfecta Grammatica Linguae Germanicae Nova methodo tradita. Rostochii & Parchimi, A p u d Georg. Ludov. Fritsch. Anno 1724, S. [ V I ] in der »Vorrede«. Audi in seiner Günther-Biographie verteidigt Steinbach Lohenstein, »den guten Dichter« (Anm. 134) gegen Gottscheds kritische Äußerungen. E r hält jedoch den Einfluß, den Lohenstein auf Günther ausübte, für gering: »Diesem [Opitz] hat Günther am allermeisten nachgeahmt, übrigens aber dem Neukirch und dem Hrn. von Canitz die Künste im Dichten abgelernt. Denn ob er schon auch anderer in seinen Gedichten, als des Hrn. von Hofmannswaldau und Lohensteins gedenckt, s o h a t e r i h n e n d o d i w e n i g i m D i c h t e n n a c h g e a h m t « ([CHRISTOPH E R N S T STEINBACH,]
Johann Christian Günthers, Des berühmten Schlesischen Dichters / Leben und Schrifften. Gedruckt in Schlesien 1738. A u f des Verfassers eigene Unkosten, Anm. S. 1 3 1 ) .
Die barocke
Apotheose
273
Noch 1728, als Lohensteins Dichtung bereits mehrfach Kritik erfahren hatte, zollt Sigmund John ihm in seinem Parnassus Silesiacus höchstes und uneingeschränktes Lob: Soli facem accenderem, si multis merita Lohensteiniana persequi conarer. Scilicet adeo jam laudibus suis orbem implevit eruditum, magnus ille Patriae Papinianus & Sophocles, ut Poësin nesciret Germanicam, qui nesciret Lohensteinium, & quanto illustris H o f f m a n n s w a l d a v i u s suavitate, Gryphius senior gravitate, tanto excelluit noster Lohensteinius doctrinae ubertate, verborumque & aententiarum decore. [ . . . ] Dictio ejus alta selecta, luxuriatur rerum & verborum ubertate. In Tragicis felicissimus & cum G r y p h i o Princeps; M e d i tationes sacrae Theologum spirant omnibus absolutum numeris; reliqua carmina omnia erudito se ornatu probant. 2 1 4
Bezüglich des Arminias betont John sodann, daß »in hoc genere librorum nullum esse, qui superet Lohensteinium«. Anschließend erwähnt er die Urteile von Christian Thomasius und Christian Friedrich Hunold (Menantes) über den Roman. 215 In der Christian Stieff 2 1 6 zugeschriebenen Anleitung zur Poesie (1725) deren Charakteristikum darin besteht, daß sie spätbarocke, galante, frühklassizistische und frühaufklärerische Elemente in sich vereinigt 217 - setzen sich die Urteile über Lohenstein aus einer eigentümlichen Mischung von höchstem Lob, vorsichtigen Vorbehalten und offener Kritik zusammen. Nach einer kurzen Skizzierung der Geschichte der deutschen Dichtung bis zu Opitz, Fleming und Tscherning schreibt Christian Stieff mit Blick auf die spätere Entwicklung: 214
215 216
217
Parnassi Silesiaci Sive Recensionis Poëtarvm Silesiacorvm Qvotqvot Vel In Patria Vel In Alia Etiam Lingva Mvsis Litarvnt. Centvria I. Avctore M. JOH. SIGISMVNDO JOHNIO, Javor. Sil. Wratislaviae, Svmtv Midiael. Rohrlachii, Bibliop. Anno M D C C X X I I X , S. 1 3 9 - 1 4 1 . Ein ebenso hohes Lob zollt Lohenstein eine »DiditKunst« in Versen vom Juli 1730: »Der große Lohenstein zeigt einen Götter-Geist, | Und seine Muse singt, was unvergleichlich heist, | Es kan sein tieffer Sinn uns Brust und Hertze rühren, | Wer seine Lieder ließt, wird alsofort verspüren, | Daß nichts als wahrer Witz in seinen Reimen sey, | O großer Götter-Sohn! ich sag' es ohne Scheu, | Daß dessen göldne Sdirifft und seiner Citherschallen | Mir öffters eben so als Flaccus selbst gefallen.« (Des Herrn von HOHBERGS Bey trag Zum Schlesischen Helicon, Oder Sammlung auserlesener Gedichte, Worunter viele Neukirchische befindlich / Mit großer Mühe zusammen gebracht, und dem Druck übergeben. Sorau, zu finden in Hebolds Buchladen, 1733, S. 7 [die »Dicht-Kunst« steht in der Sammlung auf den Seiten 1 - 1 6 ] ) . S. JOHN, Parnassus silesiacus, S. 1 4 2 - 1 4 3 . Zum Problem der Autorschaft der Anleitung zur Poesie vgl. MARWARDT, Geschichte der deutschen Poetik. Band I: Barock und Frühaufklärung, S. 4 3 3 - 4 3 4 . Vgl. MARKWARDT, Geschichte der deutschen Poetik, I, S. 344-345.
II. Kapitel
*74
Endlich trat das unvergleichliche Kleeblatt, Gryphius, Hoffmannswaldau und Lohenstein hervor / welches mit ihrem Ruhme bey den Teutschen niemahls verwelcken wird. Gryphius hatte eine sehr tiefife Gelehrsamkeit, und verstund sowohl die alten als neuen Sprachen, war dabey eines muntern und sehr hurtigen Geistes, und eben so geschickt, die allerlächerlichsten Comoedien, als die allerbeweglichsten Trauer-Spiele zu schreiben. Seine Ausbildung ist durchdringend und voller K r a f f t ; dahero ihm auch, als er zum Poeten gecrönet, ein neues Wapen, ja gar der Adel conferirei worden. Er war sonst Land-Syndicus im Fürstenthum Glogau. Hoffmannswaldau, der R a t h s - P r d « « der Stadt Breßlau war, hatte sich zwar etwas auf die alten Dinge, aber doch nicht so gründlich gelegt, und folgte mehr denen Italiänern und damahligen Frantzosen, als denen Römern und G riehen nach; dannenhero ist seine Schreib-Art sehr lieblich und angenehm, und es kan sich noch keiner rühmen, daß er es ihm darinnen gleich gethan; welches um so mehr zu verwundern, weil er mehrentheils hierinnen sein eigner Lehr-Meister gewesen. Inzwischen hat er doch audi seine Fehler: Denn wie schön gleich seine Helden-Briefe seyn; so reichen sie doch an die K r a f f t der Ovidianiscben nicht, weil sie zwar ergötzen, aber nicht bewegen, da sie doch mehr bewegen als ergötzen sollten. In seinen Liebes-Gedichten, und insonderheit in Liedern, hat er etwas so ungemein süsses, daß er augenblicklich gefallen muß; aber eines ist zu beklagen, daß er die heil. Schrifft offt mißbraucht. Lohenstein hat alles, und mehr beysammen als Gryphius und Hoffmannswaldau besessen. Und er hat insonderheit in seinem Arminius Gedichte, die wir allen Ausländern können entgegen halten. Daß er zuweilen in Zusammensetzung der Wörter ein wenig hart ist / kan fast nicht anders seyn, weil sich gleichsam die allzusehr gehäufften Realien an einander stossen. Man sagt auch, wenn er länger gelebt hätte, daß er hierinnen unterschiedenes würde geändert haben. Er hat schon im 15 ten Jahre die drey Trauer-Spiele Ibrahim Bassa, Agrippina und Epiáoaris mit grosser Gelehrsamkeit und recht männlichem Geiste verfertiget; war sonst Stadt-Syndicus zu Breßlau. 218 A m Arminius
bemängelt Stieff die übermäßige Anhäufung von
»Rea-
l i e n und S e n t e n z e n « , daß hier »die Regeln eines w a h r h a f t e n
Ro-
m a n s « nicht beachtet seien, da er nicht »natürlich genug, sondern schon zu sehr gekünstelt« sei (letzteres sind Vorwürfe, die er gegenüber dem gesamten höfisch-barocken Roman vorbringt: gegenüber der Ar amena und der Octavia
von Anton Ulrich von Braunschweig, der
Banise von Zigler, Herkules
und Valiska sowie Herkuliskus
Asiatischen und
Herku-
ladisla von Andreas Heinrich Bucholtz). 219 Auch an den Tragödien Lohen218
[CHRISTIAN STIEFF,] Anleitung zur Poesie / Darinnen ihr Ursprung / Wachstbum / Beschaffenheit und rechter Gebrauch untersuchet und gezeiget wird. Breßlau, Bey
Michael Hubert, 1725, S. 81-83.
219
S. 99 und S. 157-158.
Die barocke
Apotheose
2-7 5
steins, d e r als m e i s t e r h a f t e r V e r f a s s e r v o n C h ö r e n g e m e i n s a m m i t S e n e c a belobigt w i r d , kritisiert Stieff die m a n g e l n d e N a t ü r l i c h k e i t an einer Stelle, w o seine V o r l i e b e f ü r d e n K l a s s i z i s m u s deutlich z u t a g e tritt. D e r beste Tragoedien-Sdireiber n e n L a t e i n e r n Seneca
u n t e r d e n e n G r i c h e n ist Sophocles,
u n t e r de-
g e w e s e n . D i e L a t e i n e r h a b e n es n i e m a h l s d e n e n G r i d i e n ,
u n d w i r a l l e n b e y d e n noch nicht gleich g e t h a n . D i e j e n i g e n , w e l c h e ihnen h e u tiges T a g e s a m nächsten k o m m e n , sind die F r a n t z o s e n ; d e n n die b e y d e n neille
u n d Racine
w i r d : U n d i h r e Tragoedien dence
Cor-
h a b e n alles v e r s u c h t , w a s z u N a d i ü b u n g der A l t e n e r f o r d e r t h a t t e n z i e m l i c h d a s G e w i c h t e . O b a b e r die
in der F r a n t z ö s i s c h e n P o e s i e so n a t ü r l i c h u n d délicat,
Ca-
als in der L a t e i -
nischen u n d G r i c h i s d i e n sey, d a r a n ist sehr z u z w e i f f e i n . D e n e n
Italiänern
g e h e t es in diesem S t ü c k e w i e d e n e n F r a n t z o s e n , u n d w e i l sie g e m e r c k t , d a ß i h r e S p r a c h e noch v i e l weibischer ist, so h a b e n sie eine A r t v o n S c h a u - S p i e l e n e r f u n d e n , w e l c h e m a n Opera g e n u g , u n d die Cadence
n e n n e t [ . . . ] . D i e T e u t s c h e Sprache ist heroisch
in unserer P o e s i e g a n t z n a t ü r l i c h ; a b e r unsre L e u t e
n e h m e n sich z u v i e l F r e y h e i t , u n d w e i c h e n a l l z u s e h r v o n d e n R e g e l n der A l t e n a b . D e r j e n i g e , w e l c h e r i h n e n a m meisten g e f o l g e t , ist d e r a l t e Gryphius.
Herr
L o h e n s t e i n ist schon sehr aus d e m W e g e g e w i c h e n , u n d h a t auch in S c h r e i b e n s - A r t m e h r Affectation
als natürliches W e s e n . H a l l m a n n s
der
Schau-
S p i e l e w e r d e n schlecht d a s L e s e n b e l o h n e n . 2 2 0 I n der verbreitetsten G r a m m a t i k des f r ü h e n 18. J a h r h u n d e r t s als d e r beste jemals publizierte R o m a n angesehen,221 gelobt sogar v o n den erbittertsten 220 Ebd., S. 164-165. In einer späteren Stelle kommt jedoch die barocke Freude am prächtigen, allegorischen und emblematischen Theater zutage: »Das Theatrum muß prächtig und voller Veränderung, die Kleider wie die Personen seyn. Hierzu gehört die Wissenschafft von der Iconologie, oder Bilder-Kunst. Wenn man den Alten folgen wolte, so solte man auch Chöre oder Zwisdien-Lieder machen, welches aber in Franckreich nicht mehr gebrauchet wird. Denn an statt der Chöre braucht man ietzt die Instrumental Music, wie in den Opern zwischen den Actibus die Balle oder Täntze praesentiret werden. Diese Chöre oder Lieder reden gemeiniglich von den Tugenden und Lastern, welche die vorhergehende Spiel-Personen an sich gehabt, und dienten den Zuschauern zur Information, daß sie zeigten, was sie aus dem Schau-Spiele zu lernen hätten, um hierdurch Zeit zu gewinnen, sich wiederum zu kleiden. Hierinnen sind Meister bey den Lateinern Seneca Tragicus, und bey den Teutschen Lohenstein.« (Ebd., S. 167). 221
Johann Bödiker widmet in seinen Grund-Sätzen der Teutschen Sprache (1690) dem Roman folgenden kurzen Abschnitt: »Es ist eine Mißgebuhrt aus Frandcreich, wie der A m a d y ß aus Spanien. U n d haben bißher gar schlechte Ritter gemacht. V o n Teutscher Arbeit ist die löblichste die Aramena. Andern gefällt Hercules und Herculiscus. Die letzte, und vielleicht die beste, so jemahls heraus kommen, ist Arminius des von Lohenstein.« (JOHANNIS BÖDIKERI, P. Gymn. Svevo- Colon. Rect. Grund-Sätze Der Teutschen Sprache Meistens mit Ganz andern Anmerkungen und einem völligem Register der Wörter, die in der Teutschen Übersetzung der Bibel einige Erläuterung erfordern Auch zum Anhange mit einem Entwurff und Muster eines Teutschen HauptWörter-Buchs verbessert und vermehrt von Joh. Leonh. Frisch. Berlin Verlegts C h r i -
2/6
II.
Kapitel
Romangegnern, 222 aufgeführt unter den Meisterwerken der Gattung in den Enzyklopädien der damaligen Zeit, 223 in den Poetiken 224 und Disser-
222
stoph Gottlieb Nicolai M D C C X X I I I , S. 376). Rudolf Windel hält Bödikers Werk für »die am meisten verwandte Schulgrammatik in den höheren Schulen im Anfang des X V I I I Jahrhunderts« (RUDOLF WINDEL, AUS Lehrbüchern für den deutschen Unterricht aus dem XVII. und XVIII. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Unterrichts, in »Neue Jahrbücher für Pädagogik« 7 (1904), S. 3 9 1 - 4 1 0 , hier S. 398). Hieronymus Freyer, ein erklärter Romangegner, schreibt: »Des Herrn von Lohenstein Arminius wird allenthalben gerühmet, und verdienet soldies Lob gewisser massen wol vor allen andern : hat aber nebst der ernsthaften und erhabenen Schreibart doch auch von diesen Händeln etwas mit dabey, das sich für junge Leute und züchtige Augen nicht schicket« (HIERONYMUS FREYER, Das XX Programma Vom Romanenlesen den 29 Martii 1730, in HIERONYMI FREYERI Paed. Reg. Glavch. Insp. Programmata LatinoGermanica Cvm Additamento Miscellaneorvm Vario. Halae Magdebvrgicae. Svmtibus Orphanotrophei Anno M D C C X X X V I I , S. 449-478, hier S. 470). Audi Gottfried Ephraim Scheibel, der mit Bannflüchen gegen Romane nicht spart, madit mit dem Arminius eine Ausnahme: »Der Arminius des Lohensteins ist zwar auch eine Romaine, aber den möchte man billig vor einen Commentarium über den Plutardium und Tacitum halten. Und wenn alle Romainen so aussähen, würde kein Mensch was auszusetzen haben.« Audi an anderen Stellen seines Pamphlets gegen die Dichtung lobt Scheibel »den ernsthafften Lohenstein« als ein »Wunder der Poesie«; er kritisiert ihn lediglich, weil er in dem Kleinepos Venus heidnische Idole besungen hat ([Die Unerkannte Sünden Der Poeten Welche man Sowohl in ihren Schrifften als in ihrem Leben wahrnimmt. Nach den Regeln des Christenthums und vernünftiger Sittenlehre geprüfet Von GOTTFRIED EPHRAIM SCHEIBEL Collega des Gymnasii zu S. Elisabeth in Breßlau. Leipzig Verlegts Johann Michael Teubner 1734, S. 87, 243, 47, 57). Ein Gegner der Romanlektüre ist auch Friedrich Andreas Hallbauer, dodi rechnet er wie Scheibel Lohenstein zu den bedeutendsten deutschen Dichtern und lobt dessen Arminius: »Es sind so viel romans in die teutsdie Sprache übersetzt, und in selbiger geschrieben, daß man alle Läden damit angefüllet siehet. Die meisten suchen sidi zwar mit angenehmen Teutsche, und mit den meisten nodi angenehmem Liebes-Sadien, beliebt zu machen: doch sind die wenigsten davon Lesens würdig. Denn wie sollten diejenigen verdienen gelesen zu werden, welche mit unflätigen Geschichten den Gift einer unreinen Liebe dem Gemüthe des Lesers unvermerckt beybringen? Man kann schon aus nützlichem Schriften die Zierlichkeit der teutsdien Sprache erlernen; zu geschweigen, daß in den meisten romanischen Schriften eine schwülstige und affectirte Schreib-Art angetroffen wird, welche diejenigen lächerlich und verächtlich macht, die sidi selbige angewöhnen. Indeß bleibet Lohensteins Arminius in grossem Werth, und wird nicht ohne besondern Nutzen, so wol in Absicht der Schreib- Art, als der Sachen gelesen werden.« (M. FRIEDRICH ANDREAS HALLBAUERS Der Hochlöbl. Philosophischen Facultät zu Jena Adivncti Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie Nebst einer Vorrede von Den Mängeln Der Schul- Oratorie. Mit Kön. Pohlnis. und Churfürstl. Sächsis. gnädigsten Privilegio. Jena, Verlegts Johann Bernhard Härtung, 1 7 2 J , Anm. S. 46 und Anm. S. J 3 ) .
223 Vgl. z. B. das Reale Staats-Zeitungs- und Conversations-Lexicon von Johannes Hübner, ein so verbreitetes und erfolgreiches Werk, daß es zwischen 1704 und 1729 dreizehn Auflagen erlebte (Reales Staats-Zeitungs-und Conversations-Lexicon, Darinnen so wohl Die Religionen und geistlichen Orden, die Reiche und Staaten, Meere, Seen, Insuln, Flüsse, Städte, Festungen, Schlösser, Häfen, Berge, Vorgebürge, Pässe und
Die barocke
Apotheose
Fortsetzung Fußnote
2
77
22J
Wälder, die Linien Deutscher hoher Häuser, die in verschiedenen Ländern übliche so geistliche als weltliche Ritter-Orden, Wapen, Reichs-Täge, gelehrte Societäten, Gerichte, Civil- und Militair-Chargen zu Wasser und Lande, der Unterscheid der Meilen, vornehmsten Miintzen, Maaß und Gewichte, die zu der Kriegs-Bau-Kunst, Artillerie, Feld-Lägern, Schlacht-Ordnungen, Belagerungen, Schiffahrten, Unterscheid der Schiffe und der darzu gehörigen Sachen gebräuchliche Benennungen; Als auch Andere in Zeitungen und täglicher Conversation vorkommende aus fremden Sprachen entlehnte Wörter, nebst den alltäglichen Terminis Juridicis und Technicis, Gelehrten und Ungelehrten zu sonderbarem Nutzen klar und deutlich beschrieben werden. Die neundte Auflage, darinnen die Geographischen Beschreibungen mit Fleiß rectificiret und vermehret, auch alles biß auf gegenwärtige Zeit continuiret worden, also daß das gantze Werde in allem über 24000. Artickel begreiffet. Nebst einem Anhange, vollständigen Registern, und einer ausführlichen Vorrede Herrn JOHANN HÜBNERS, Rectoris zu S. Johannis in Hamburg. Mit Rom. Kays. Majest. auch Königl. Poln. und Churfl. Sächsischen allergnädigsten Privilegiis. Verlegts Johann Friedrich Gleditschens seel. Sohn, Buchhändl. in Leipzig, Anno 1 7 1 9 , S. 1538). Im Artikel »Romans« steht im Allgemeinen Historischen Lexicon·. »In Teutschland hat August Bose, unter dem nahmen Talander, zu ausgange des 17. und anfange des 18. seculi sehr viel romans in seiner muttersprache heraus gegeben. So sind auch des Happels romanen nicht unbekannt, so wol als des Philipps von Zäsen. Unter allen solchen buchero aber, welche iemahls in unserer Teutsdien spräche das licht gesehen, ist keines an vortrefflidikeit mit dem Arminio und der Thusnelda des Herrn von Lohenstein, nodi auch mit der Syrerin Aramena, oder mit der Römischen Octavia, welche beyde den Hertzog Antonium Ulricum von Braunschweig zum uhrheber haben, auf einige art zu vergleichen.« (Allgemeines Historisches Lexicon, in welchem das Leben und die Thaten derer Patriarchen, Propheten, Apostel, Väter der ersten Kirchen, Päbste, Cardinale, Bischöffe, Prälaten, vornehmer Gottes-Gelahrten, nebst denen Ketzern; wie nicht weniger derer Kayser, Könige, Chur-und Fürsten, grosser Herren und Minister; ingleichen derer berühmten Gelahrten, Scribenten und Künstler; ferner ausführliche Nachrichten von den ansehnlichsten Gräflichen, Adelichen und andern Familien, von Conciliis, Münchsund Ritter-Orden, Heydnischen Göttern oc. und endlich die Beschreibungen derer Kayserthümer, Königreiche, Fürstenthümer, freyer Staaten, Landschajften, Inseln, Städte, Schlösser, Klöster, Gebürge, Flüsse und so fort, in Alphabetischer Ordnung mit bewehrten Zeugnissen vorgestellet werden. Dritte um vieles vermehrte und verbesserte Auflage. Vierter Theil, R-Z. Mit allergnädigsten Freyheiten. Leipzig, bey Thomas Fritschens sei. Erben, 1732, S. 147). Dieselben Worte stehen im Zedier, der in seinem Artikel »Romanen Romainen, Romans« den Artikel »Romans« aus dem Allgemeinen Historischen Lexicon - abgesehen von ein paar kleinen Ergänzungen vollständig wiedergibt (Artik. »Romanen« in Grosses Vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Zwey und Dreyßigster Band Ro-Rz. Leipzig und Halle, Verlegts Johann Heinrich Zedier, 1742, Sp. 700-703). 224 Vgl. z . B. die Gründliche Anleitung (1704) von Magnus Daniel Omeis, wo man über Romane folgendes lesen kann: »Von den Teutsdien aber / der Geburt und selbstErfindung nach / sind die vornehmsten / Herrn von Werdern Dianea / Herrn Budiolz Hercules und Herculiskus / die fürtrefflidie Wunder-Geburten eines Durchleuditigsten T. Heldens / Aramena und Octavia; dann auch Herrn von Lohenstein unvergleichlicher Arminius und Thußnelda / welche den Ausländern im geringsten nichts nadigeben.« Gestützt auf die Autorität von Huet, Morhof und anderen, vertritt Omeis die Ansicht, man solle die Zeit nicht mit der Lektüre von Romanen vergeuden, »die fast durchgehende in üppig- und unverschämten Liebes-Händeln bestehen«. Erlaubt
II.
2/8 tationen,225 ist der Arminias
Kapitel
auch nach der Einschätzung zahlreicher Ro-
manschriftsteller ein klassisches und unübertreffliches Vorbild. 226 Eine nicht minder hohe Wertschätzung genossen der Arminius und die anderen Werke Lohensteins bei ganzen Generationen von Dichtern, von denen viele dem schlesischen Dichter den ersten Anstoß zu eigenem Dichten verdankten. Noch im Jahr 1748, als Lohensteins Stil so sehr in Mißkredit und nützlich sei dagegen die Lektüre jener Romane, die »einen löblichen Endzweck und schöne Kunst- und Tugend-Regeln« enthalten. Unter diesen empfiehlt er vor allem den Arminius, »welcher dem aufmerksamen Leser nicht allein wegen der zierlichsten Red-Arten und tiefsinnigen Poesie / sondern auch ratione Historiae veteris Germanicae, herrlich nutzen und ihn ergetzen kan« (MAGNUS DANIEL OMEIS, Gründliche Anleitung zur Teutschen accuraten Reim-und Dicht-Kunst. Nürnberg 1704, S. 2 1 8 - 2 1 9 ) . Omeis, wie Birken Mitglied des »Löblichen Hirten- und Blumenordens an der Pegnitz« und unter dem bestimmenden Einfluß von dessen Dichtungslehre stehend (vgl. Markwardt, I, 307), nennt Lohenstein »den Teutschen Seneca« (S. 247) und lobt seine »herrlichen Schau- und [ . . . ] Trauerspiele« (S. 247) und seine Meisterschaft in der Komposition der Chöre (S. 236). Audi Georg Serpilius, der doch Liebesromane ablehnt, lobt im Vorwort zu seiner Übersetzung der Psyche Crética von Prasdi wie Omeis den Arminius (neben Hercules, Herculiscus, Argents, Aramena, Octavia, Cyrus, Clelia, Astrea), und zwar deswegen, weil er auf die Leser eine positive moralische Wirkung auszuüben und sie zu unterhalten vermöge (Ihro Magnificentz Hr. JOH. LUD. PRASCHII nunmehro seel. Psyche Crética, oder Geistlicher Roman / von der Menschlichen Seelen / wegen seiner Vortrefflichkeit aus dem Lateinischen ins teutsche übersetzet Von Einem Liebhaber der Praschischen Schrifften. Mit einer Censur und kurtzen Einleitung Ihro Magnificenz Hrn. D. Seeligmanns / und einer Vorrede Ihro Wohl Ehrwürden Hrn. Georgii Serpilii, Ev. Predigers in Regenspurg. Leipzig / bey Théophile Georgi, 170$, S. [ V I - V I I I ] in der »Vorrede«). 225 Noch im Jahr 1743 schrieb Martin Höckert - dessen Kenntnis der deutschen Literatur jedoch nur bis zum Jahr 1690 reichte - in der in Uppsala diskutierten Dissertation De Fabulis Romanensibus: »Daniel Caspar Lohenstein, Poeta Sc Poly-Histor. inclutissimus, e divino ejus ingenio emanavit fortissimus Imperator Arminius, juxta cum serenissima ejus Thusnelda, opus rebus politicis & amatoriis ferax, inq; gratiam nobilium Germaniae elaboratum. Auetori, fatis subrepto, ultimamque manum & limam operi non imponenti aderat, quod propitiori fortunae tribuendum, Arminii continuator, pari sollertia, eloquendi vi, & doctrinae praestantissimae copia pari, ad fastigium ineepta perdueturus« (Q. F. F. Q. S. Dissertatio Gradualis, De Fabulis Romanensibus, Quam, Adprobante Ampliss. Senatu Philosoph. In Illustri Lyceo Upsaliensi, Praeside Viro Celeberrimo, Mag. PETRO EKERMAN, Eloquentiae Profess. Reg. & Ord. Publico bonorum examini sistit, In Audit. Gustav. Ma), ad diem XVIII. Junii, Horis, ante meridiem,solitis, MARTINUS HÖCKERT, Stockholmiensis. Upsaliae M D C C X L I I I , S. 20). 22e Außer Zigler, dem Autor der Asiatischen Banise (vgl. Anm. 70 in diesem Kapitel), loben auch die Verfasser der Bellamira (Der getreuen Bellamira wohlbelohnte LiebesProbe / Oder die triumphirende Beständigkeit / In einem curieusen Roman Der galanten Welt Zu vergönneter Gemüths-Ergötzung an das Liât gegeben von TALANDERN [AUGUSTUS BOHSE] . Leipzig / Verlegts Moritz Georg Weidmann / Druckts Christian Sdiolvien / Ao. 1692, S. [ I V - V ] in der Vorrede), des Hengisto (Die unvergleichliche Helden-Thaten und beglückte Regierung Des Durchlauchtigsten Sächß. Königes Hengisto und seiner Ihn begleitenden Helden Der Galanten Welt In einem Liebs-Roman zu geziemender Gemüths-Ergötzung vorgestellet von HEROLANDERN. Dreßden / bey
Die barocke
Apotheose
ζ 79
geraten war, daß er als Inbegriff des schlechten poetischen und literarischen Geschmacks galt, sollte ihm Albrecht von Haller im Vorwort zur vierten Auflage seines Versuches Schweizerischer Gedichte227 seine Dankesschuld bezeigen. Meine Liebe zur Poesie war am hefftigsten, wie ich noch keine Kräffte hatte, etwas mir oder andern gefälliges hervor zu bringen. Meine Freunde werden mir es nach meiner so ernstlich bezeugten Sinnes-Änderung vergeben, wann ich sage, daß Lohenstein mein erstes Vorbild und meine Aufmunterung zum Dichten gewesen. [ . . . ] Nach meinen Reisen, und hauptsächlich zu Basel, befiel mich die poetische Krankheit wieder, nachdem ich mehrere Jahre nichts mehr dieser A r t gewagt hatte. Der angenehme und rechtschaffene H r . Drollinger, der getreue und forschende H r . P. Stähelin und einige andere dortige Freunde ermunterten mich zu einer neuen Probe. Ich hatte indessen die englischen Dichter mir bekannter gemacht und von denselben die Liebe zum Denken und den Vorzug der schweren Dichtkunst angenommen. Die philosophischen Dichter, deren Grösse ich bewunderte, verdrangen bald bey mir das geblähte und aufgedunsene Wesen des Lohensteins, der auf Metaphoren wie auf leichten Blasen schwimmt. 228
227
228
Joh. Christoph Miethen / und Joh. Christoph Zimmermann. 1699, S. [III—IV] in der »Vorrede«) und des Vorworts zum Adamarez (Die Jiittische Kasia Oder Der Durchlauchtige Adamarez Und die Durchlauchtige Adamia, In einer Liehes-und HeldenGeschichte / aus wahrhaßten Begebenheiten der galanten Welt zur Erinner- und Ergötzung beschrieben durò V. S. Hamburg und Leipzig, Verlegts Christian Jacob Fritsch, 1732, S. [3] in der »Vorrede«, die mit C. B . A . gezeichnet ist) im Arminius das unübertreffliche Vorbild für die Gattung des Romans. Noch 1749 steht im Vorwort zu Emma und Eginhard·. »Daß unter so vielen Liebs-Geschichten und Romanen bey Franckreich und Italien die vollkommenste Erfindungen berühmt sind, ist ohnstreitig; allein Teutsdiland hat hieran auch keinen Mangel gehabt, davon Arminius, Banise, der verliebte Irrgarten [Der Liebe Irregarten von A. Bohse] und die Liebesund Helden-Geschichte der Europäischen H ö f e [Der europäischen Höfe Liebes- und Heldengeschidite von Ch. F. Hunold] ein ohnverwerfflich Zeugnus ablegen, und dieselben bey der heutig-galanten Welt kein geringes Vergnügen erwecket, auch dadurdi noch mehrer Authores animiret, durdi dergleichen Schreib-Art diese die allgemeine Approbation geniessende Piecen zu imitiren« (Der Durò die Gewalt der Liebe In der Person Der Durchlauchtigsten Prinzeßin Emma Höchst beglückseeligte Secretarius Eginhard, Der galanten Welt zu einem wahrhafften Liebs-und Helden-Roman Zur vergönnten Gemüths-Ergötzung vorgestellet von POLIMON. Franckfurt und Leipzig 1749, S. [ I I - I I I ] in der »Vorrede«). D. ALBRECHT HALLERS, Königl. Groß-Britannischen Hofraths und Leib-Medici, der Arznei Prof., der Königl. Engl., Schwedischen und Upsalischen Gesellschaften der Wissenschaften Mitglieds, und des Großen Raths der Republic Bern, Versuch Schweizerischer Gedichte. Vierte, vermehrte und veränderte Auflage. Göttingen, Verlegts Abram Vandenhoeck, Universit. Buchdr. M D C C X X X X V I I I . Mit Königl. Polnischem und Churfiirstl. Sächsischem Allergnädigstem Privilegio. Die »Vorrede« ist datiert: »Göttingen, den 16. Januar 1748«. ALBRECHT VON HALLER, Gedichte. Herausgegeben und eingeleitet von Ludwig Hirzel.
II. Kapitel
28ο A u d i im Schreiben zwischen
an den Frhrn.
Hagedorns
und Hallers
von Gemmingen Gedichten,
über die
Vergleichung
dem kurzen A u f s a t z über die
anakreontische Dichtung, v o n H a l l e r im dritten B a n d der Sammlung ner Hallerischer
Schriften
klei-
( Z w e i t e , verbesserte und vermehrte A u f l a g e .
Bern, im V e r l a g E m a n u e l Hallers. 1 7 7 2 , S. 3 3 5 - 3 5 2 ) publiziert, gestand der berühmte A u t o r der Alpen
( 1 7 3 2 ) , er habe in seiner J u g e n d Lohenstein
nachgeahmt: ich schrieb eine Unendlichkeit v o n Versen v o n allen A r t e n , ehe ich f ü n f z e h n jährig w u r d e ; meine Begier w a r unersättlich, idi ahmte bald Brokes, bald Lohenstein und bald andere niedersächsische Dichter nach, indem ich eines v o n ihren Gedichten zum Muster v o r mich nahm und ein anders ausarbeitete, das nichts v o n dem Muster nachschreiben und doch ihm ähnlich seyn sollte. 2 2 9 Auch f ü r Brockes stellte Lohenstein bis 1 7 1 5 und danach das nachahmensw e r t e V o r b i l d , den erklärten Meister dar. 2 3 0 J o h a n n Christian G ü n t h e r hatte ebenfalls eine Periode, in der er L o h e n Frauenfeld 1882 ( = Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz und ihres Grenzgebietes. Herausgegeben von Jakob Baechtold und Ferd. Vetter. Dritter Band), S. 248-249. Über den Einfluß von Lohensteins Dichtung auf Haller vgl. ADOLF FREY, Albrecht von Haller und seine Bedeutung für die deutsche Literatur, Leipzig 1879, S. 9 - 1 1 ; KARL S. GUTHKE, Haller und die Literatur, Göttingen 1962, S. 90, 109, 123, 162; und KARL S. GUTHKE, Andacht im künstlichen Paradies. Albrecht Hallers *Morgen-Gedanckem, in Deutsche Barocklyrik. Gedichtinterpretationen von Spee bis Haller. Herausgegeben von Martin Bircher und Alois M. Haas, Bern und München 1973, S· 3 2 7-347· 229 A. v. HALLER, Gedichte. Hrsg. von L. Hirzel, S. 397-398. Haller schrieb 1777, in seinem Todesjahr: »Ohne die Kritik wird keine Nation jemals das Uebergewicht in Wercken des Witzes erhalten. Und es ist sehr wahrscheinlich, daß die wenige Aufnahme der Dichtkunst in den hundert nach Opizen verflossenen Jahren, den Mangel der wahren Kritik zur vornehmsten Ursache habe. Auch gute Köpfe, wie Lohenstein und Hofmannswaldau, Hessen sich durch die Geduld der Leser verleiten, bald hart und schwülstig und zur Unzeit gelehrt und metaphorisch, und bald wieder unkeusdi und matt zu seyn« (ALBRECHTS VON HALLER Weyl. Präsidenten der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen, oc. oc. Tagebuch seiner Beobachtungen über Schriftsteller und über sieb selbst. Zur Karakteristik der Philosophie und Religion dieses Mannes. [Herausgegeben von Johann Georg Heinzmann]. Zweyter Theil. Bern, in der Hallersdien Budihandlung, 1787, S. 326). In der von Haller in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen (1777, S. 326) veröffentlichten Rezension über die ersten zwei Bände der zwischen 1776 und 1780 in Leipzig erschienenen 5-bändigen Ausgabe von Christian Felix Weisses Trauerspielen steht, leicht verändert, dieselbe Bemerkung über die Aufgabe der Kritik und über Lohenstein (vgl. Hallers Literaturkritik. Herausgegeben von Karl S. Guthke, Tübingen 1970, S. 181). 230 VGL. ALOIS BRANDL, Barthold Heinrich Brockes. Nebst darauf bezüglichen Briefen von J. U. König an ]. J. Bodmer. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert. Innsbruck. Verlag der Wagner'schen Universitäts-Buchhandlung. 1878, S. 27 und 32.
Die barocke Apotheose
281
stein nachahmte und ihm nacheiferte, aber bald 2 3 1 verflog seine Bewunderung für die exotischen und preziösen Metaphern und Vergleiche und für den barocken Konzeptismus. U n d wenn er auch das Idol seiner Jugendjahre weiterhin schätzte, 2 3 2 so legte er doch entschieden seine Manier ab. 2 3 3 281 Francesco Delbono ist der Ansidit, man könnte Günthers »Mißtrauen gegenüber metaphorischen Übertreibungen und gesuchtem sprachlichem Schmuck« sogar bis auf das Jahr 1714 zurückführen [FRANCESCO DELBONO, Umanità e poesia di Christian Günther, Torino 1959 ( = Pubblicazioni dell'Istituto di Lingue e Letterature Straniere dell'Università di Genova, 1), Anm. S. 6 1 ] . Aus diesem Jahr stammt nämlich das von Delbono zitierte Gedicht »Auf die den 12. Sept. 1714. in Pilgramsdorf glücklich vollzogene Räderisch-Kanizisdie Verbindung«. Daraus sind die folgenden Verse: » [ . . . ] Was aber schreib idi wohl? | Die Venusmyrthen sind ein aufgewärmter Kohl, | Dem, wenn er fertig ist, oft Salz und Würze fehlen. | Soll Caniz und sein Buch hier excerpiret stehn? | Soll idi dem [Christian] Gryphius in seine Wälder gehn | Und als ein Blumendieb den Lohenstein bestehlen?« (JOHANN CHRISTIAN GÜNTHERS Sämtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgahe herausgegeben von 'Wilhelm Krämer. Fünfler Band: Gelegenheitsdichtungen bis zum Ende der Wittenberger Zeit (17101717), Darmstadt 1964, S. 46). 282 i n dem Gedicht »An einen andern guten Freund« stehen folgende Verse: »O nein, ich seh es wohl, was Lohenstein gethan, | Denn Gryph und dieser stehn in den berühmten Thoren I Der grauen Ewigkeit wie Hofmann obenan.« (JOHANN CHRISTIAN GÜNTHERS Sämtliche Werke. Historisch-krit. Gesamtausgabe hrsg. von Wilhelm Krämer. Dritter Band: Freundschaftsgedichte und -Briefe in zeitl. Folge, Darmstadt 1964, S. 32-33). 233
Im Gedicht »Auf die den 15. Aug. Α. 1 7 2 1 . in Schlesien glücklich geschehene Wiederkunft des Herrn Ernst Rudolf von Niddsch und Roseneck« gesteht Günther ein, er habe in seiner Jugend Lohenstein nachgeahmt, und leistet deswegen Abbitte: O bleib den Musen hold und Iis, was Caniz singt Und was nodi aus der Gruft von unserm Absdiatz klingt! Der Saz ist einmahl wahr, daß die den Phoebus haßen, Die er nicht würdig sdiäzt, in Versen sehn zu laßen. Erinnre dich dabey, so schlecht ich auch gelehrt, Was eigentlich vor Schmuck in unsre Kunst gehört; Nicht rauschend Flittergold noch schwülstige Gedancken, Nicht Sdilüße, die mit Gott und guten Sitten zandsen, Noch andres Puppenwerdc, das schlechte Seelen fängt. Vor diesem hab ich zwar audi midi damit gekränckt Und mancher Magdalis mit ausstudirten Grifen Aus Amors Contrapunct ein Ständchen vorgepfifen. Da drechselt idi mit Fleiß auf einer hohen Spur Wort Silben und Verstand audi wieder die Natur; Denn wollt idi dazumahl ein schönes Kind beschreiben, So lies idi ihren Mund mit Scharlachbeeren reiben. Erhob idi einen Kerl zuweilen um das Geld, So fing idi prächtig an: Orackel unsrer Welt! Ich flocht, wie jezt nodi viel, die Nahmen vor die Lieder Und gieng oft um ein A. drey Stunden auf und nieder. Audi schift ich oftermahl auf Dielen über Meer Und holt ein Gleidinüßwort aus Misisippi her, Bestahl den Lohenstein wie andre Sdiulmonarchen,
IL
282
Kapitel
Eines von Günthers Vorbildern für das neue Stilideal ist Friedrich Rudolf Ludwig von Canitz, 234 derselbe Canitz, 235 der die Abkehr Johann von Bessere236 und Benjamin Neukirchs von den zuvor nachgeahmten und gepriesenen Lohensteinischen Stilmustern bewirkte. Und war kein Reim darauf, so flickt ich ihn von Parchen, So schlimm das Wort audi klang; Marocco, Bengala, Fez, Bantam, Mexico, Quinsay, Florida, Die alle musten mir Baum, Steine, Thiere, Linsen Und was nur kostbar lies in Dichterkasten zinsen. Da klappte mir kein Vers, der nicht auf Stelzen gieng, Und wenn ich ohngefehr ein Maul voll Götter fing, So rast ich voller Lust und zog bey solchem Glücke Auf zwey Quart Milius zwölf Groschen aus der Ficke. Dies thät ich, als mein Wiz noch gar zu unreif hies Und wie ein siedend Fett den Schaum voran verstieß. Jezt lernt ich nach und nadi midi und die Wahrheit kennen Und lache, wenn midi viel noch einen Dichter nennen. (JOHANN CHRISTIAN GÜNTHERS Sämtliche
Werke.
Historisch-kritische
Gesamtausgabe
herausgegeben von Wilhelm Krämer. Vierter Band: Lob-und Strafschriflen in zeitlicher Folge, Darmstadt 1964, S. 237-238). Günthers Wertschätzung der großen sdilesischen Barockdichter bleibt dennoch bis zum Schluß unverändert. 1721 erschien nämlich die schon erwähnte Streitschrift Die Ehre der schlesischen Poesie und Poeten gründlich und auffrichtig gerettet, und Günther hatte dazu den Anhang geschrieben, der eine Kritik von Hunolds Dichtung enthält und wo erinnert wird an » [die] alten berühmten Schlesiern / Opitz / Lohenstein / Gryphius und [den] unvergleichlichen H o f f m a n n s w a l d a u « (C.[HRISTIAN] G . [ Ü N T H E R ] , » A n h a n g « , in [FRIEDRICH
WILHELM
SOMMER,] Die Ehre Der Schlesischen Poesie Und Poeten Gründlich und auffrichtig gerettet, Leipzig 1 7 2 1 , S. 1 - 2 4 , hier S. 21). Über die Zuschreibung dieses Anhangs an Günther vgl. DELBONO, Umanità e poesia di Christian Günther, S. 70-71 sowie Anm. 7 0 - 7 1 . Mit wenig überzeugenden Argumenten spricht dagegen Dahlke Günther die Autorschaft ab und stellt die Hypothese auf, die kritisch-polemische Schrift stamme von Georg Christian Gebauer (HANS DAHLKE, Johann Christian Günther. Seine dichterische Entwicklung, Berlin i960, S. 1 7 7 - 1 7 9 ) . Zum Vorgang der Überwindung des Barock in der deutschen Lyrik, bei dem Günther an erster und wichtigster Stelle steht, vgl. ERICH TRUNZ, Die Überwindung des Barock in der deutschen Lyrik, in »Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft« 3 j (1941), S. 192-207; 227-241. 234
Vgl. das Gedicht »An Herrn Mfarckard] von Rfiedenhausen], J.U.C. Anno 1720« (JOHANN CHRISTIAN GÜNTHERS Sämtliche
235
236
Werke.
Historisch-kritische
Gesamtausgabe
herausgegeben von Wilhelm Krämer, Zweiter Band: Klagelieder und geistliche Gedichte in zeitlicher Folge, Darmstadt 1964, S. 89-94). Aber Canitz selbst, der in der Einschätzung der Zeitgenossen den Gegenpol zur schlesischen Manier darstellte, äußerte seine Bewunderung für Lohenstein in der Satire »Von der Poesie« (vgl. Des Freyherrn von CANITZ Gedichte, Mehrentheils aus seinen eigenhändigen Schrifften verbessert und vermehret, Mit Kupfern und Anmerckungen, Nebst Dessen Leben und einer Untersuchung von dem guten Geschmack in der Dichtund Rede-Kunst, ausgefertiget von Johann Ulrich König, Sr. Kön. Ma), in Pohlen und Churfl. Durchl. zu Sachsen Hof-und Ceremonien-Rath. Mit Königl. Poln. und Kön. Preußis. allergn. Freyheit. Berlin und Leipzig, bey A. Haude und J . C. Spener, 1750. Dritte Auflage, S. 238). Ein Zeugnis für die Lohenstein-Nachahmung von Seiten Bessers sind nicht nur die vie-
Die barocke Apotheose
283
D i e E n t w i c k l u n g Benjamin Neukirchs, des Herausgebers der E r s t a u f lage des Arminius,
v o m Apologeten und N a c h a h m e r 2 3 7 Lohensteins z u m
A n h ä n g e r des französischen Klassizismus à la C a n i t z 2 3 8 stellt den a u f sehenerregendsten
Fall
einer A b s c h w ö r u n g
gegenüber der
schlesischen
Dichtungsmanier dar und beleuchtet in bezeichnender Weise die politischsozialen Implikationen bei der Ü b e r w i n d u n g der Barockpoesie. N e u k i r c h hatte Lohenstein nicht nur im V o r w o r t z u m ersten Teil des Arminius
und in dem Widmungsgedicht, das dem zweiten T e i l vorangeht,
gerühmt, sondern noch im J a h r 1 6 9 5 , als bereits seine A b k e h r v o n den K a n o n s der schlesischen Barockpoesie sich abzeichnet, 239 hatte er in der » V o r r e d e v o n der deutschen Poesie« zu seiner erfolgreichen A n t h o l o g i e der Barocklyrik dem schlesischen Dichter folgenden Lobgesang g e w i d m e t : A l l e seine gedancken sind scharfsinnig / seine ausbildungen zierlich / und wenn ich die Wahrheit sagen soll / so findet man in diesem eintzigen f a s t alles beysammen / w a s sich in denen andern nur eintzeln zeiget. Denn er hat nicht allein v o n Opitzen die heroische / v o n G r y p h i o die bewegliche / und v o n H o f f m a n n s w a l d a u die liebliche art angenommen; sondern auch viel neues hinzu gethan / und absonderlich in sententien / gleichnissen / und hohen erfindungen
sich höchstglücklich erwiesen. Seine Tragödien sind v o n den besten.
len Gedichte, die in den ersten beiden Bänden der Neukirch-Sammlung herausgegeben wurden, sondern auch die Lob-Schrifft Auf Herrn Jacob Friedrich Freyherrn von May del, In welcher Seine Fürtrefflichkeit so wohl, als sein blutiges Ende, Und was von beyden zu halten, vorbestellet (1678). Bezüglich dieser Lobschrift meinte ihr Herausgeber und Verleger Georg Wilhelm Göcking, Besser habe dabei »fast alle Realien aus der Lohensteinisdien Lob-Rede [zum Tod Georg Wilhelms]« verwendet (GEORG W I L H E L M G Ö C K I N G , » V o r r e d e « z u D A N . C A S P . VON LOHENSTEINS u n d J O H A N N VON
BESSERS Meister-Stücke Der Rede-Kunst, Zerbst 1739, S. [IV]). Über Besser vgl. WILHELM HAERTEL, Johann von Besser als Hof dichter. Diss. Heidelberg (gedruckt in Berlin 1 9 1 1 ) . 237 Zu Neukirch vgl. WILHELM DORN, Benjamin Neukirch. Sein Leben und seine Werke. Ein Beitrag zur Geschichte der zweiten schlesischen Schule. Weimar, Verlag von Emil Felber 1897 ( = Literarhistorische Forschungen. Herausgegeben von Josef Schick und M. Frhr. von Waldberg, IV. Heft). Vgl. zum Einfluß der Dichtung Lohensteins auf Neukirch insbesondere die S. 65-77. 238 Ober Neukirdi als Gegner der zweiten Schlesischen Dichterschule vgl. Dorn, S. 81-90. 289 1695 ist das Jahr, in dem seine Galanten Briefe und Gedichte erschienen (Coburg 1695), jenes Werk, das nach Ansicht Gottscheds beweist, »daß er [Neukirch] seine vorige hochtrabende Art zu denken und zu schreiben völlig hatte fahren lassen; indem darinnen alles natürlich, artig, aufgeweckt, und dennoch sinnreich ausgedrücket ward« {Herrn BENJAMIN NEUKIRCHS, weiland Marggräfl. Brandenburg-Anspachischen Hofraths, auserlesene Gedichte aus verschiedenen poetischen Schriften gesammlet und mit einer Vorrede von dem Leben des Dichters begleitet von Joh. Christoph Gottscheden. Regenspurg, gedruckt und verlegt von Zunkels Gebrüder, 1744, S. [14] in der »Vorrede« von Gottsched).
284
II. Kapitel
Seine geistliche gedancken voller k r a f f t / und seine begräbniß-gedidite unvergleichlich. I n seinem Arminius aber hat er sich als einen rechten Poeten erwiesen / und so viel artige / kurtze und geistvolle dinge ersonnen / daß w i r uns nicht schämen dürfFen / dieselbigen allen heutigen Frantzosen entgegen zu setzen. 240 I m J a h r 1 7 0 0 erfolgt mit dem Hochzeitsgedicht » A u f die L i n c i - und Regiußische Vermählung« 2 4 1 Neukirchs A b w e n d u n g v o n der schlesischen 240
241
BENJAMIN NEUKIRCH, »Vorrede« zu Herrn von Hofjmannswaldau schen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte erster theil. vom Jahre 1697 mit einer kritischen Einleitung und Lesarten Angelo George de Capua und Ernst Alfred Philippson, Tübingen Ihr Musen! helfft mir dodi! Idi soll schon wieder singen, Und ein verliebtes paar in Teutsdie verse bringen : Und zwar in Schlesien. Ihr kennt diß land und midi, Ihr wißt auch, wenn ihr wolt, wie vor Budorgis sidi Zum theil an mir ergetzt. Itzt scheinen meine lieder Ihm, wo nicht gantz veradit, doch mehr, als sonst zuwider. Mein Reim klingt vielen schon sehr matt und ohne krafft, Warum? Ich tränck ihn nicht in muscateller-safft; Idi speis' ihn auch nidit mehr mit theuren amber-kudien: Denn er ist alt genung, die nahrung selbst zu suchen. Zibeth und bisam hat ihm manchen dienst gethan : Nun will ich einmahl sehn, was er alleine kan. Alleine? fraget ihr: Ja, wie gedacht, alleine. Denn was ich ehmals schrieb, war weder mein noch seine, Hier hatte Seneca, dort Plato was gesagt; Da hatt' ich einen sprach dem Plautus abgejagt; Und etwan anderswo den Tacitus bestohlen. Auf diesem sdiwadien grund, idi sag es unverholen Baut' idi von versen offt damahls ein gantzes hauß, Und ziert' es nodi dazu mit sinne-bildern aus. Wie öffters muß ich doch der abgeschmackten sachen, Wenn ich zurücke seh', noch bey mir selber ladien; Gleidiwohl gefielen sie, und nahmen durch den schein, Wie schlecht er immer war, viel hundert leser ein. Ha! sdirie man hier und da; für dem muß Opitz weichen Ja, dacht idi, wenn ich ihn nur erstlich könt' erreichen! Den willen hätt' idi wohl. So, wie ich es gedacht, So ist es auch geschehn. Ich habe manche nacht Und manchen tag geschwitzt; allein ich muß gestehen, Daß idi ihm nodi umsonst versuche nachzugehen. O grausamer Horaz! was hat didi doch bewegt, Daß du uns so viel last im tiditen aufgelegt? So bald idi nur dein buch mit nutz und ernst gelesen; So ist mir audi nicht mehr im schreiben wohl gewesen. Vor kamen wort und reim; itzt lauff idi ihnen nach: Vor flog ich himmel-an; itzt thu idi gantz gemach. Idi schleiche, wie ein dadis, aus dem poeten-orden,
und andrer DeutNach einem Druck herausgegeben von 1961, S. 14.
Die barocke
Apotheose
Barockdichtung. Diese A b l e h n u n g und Verurteilung betrifft jedoch nur die »Schule« und die eigene Jugenddichtung, 2 4 2 nicht aber H o f f m a n n s w a l d a u 2 4 8 und auch nicht Lohenstein, denen Neukirch weiterhin hohes L o b spendet. W o v o n Neukirch abrät und w a s er verurteilt, ist die w a h l lose und unkritische V e r w e n d u n g der hervorstechendsten Stilmittel L o hensteins, w i e sie f ü r die Epigonen des schlesischen Dichters charakteristisch ist. N o c h in der weitverbreiteten Anweisung
zu Teutschen
Briefen
(1707)
rät Benjamin N e u k i r c h - nachdem er behauptet hatte, der gute Stil müsse, w e n n er ein solcher sein solle, »deutlich, üblich, ungezwungen, nicht zu hoch und nicht zu niedrig, nicht zu kurz und nidit zu lang, w o h l connectirt, gleich, w o h l punctirt, w o h l numerirt« 2 4 4 sein - , im Hinblick auf die zweite dieser Eigenschaften v o n der Lektüre deutscher R o m a n e ab, e m p fiehlt
aber mit den folgenden W o r t e n doch die der Octavia
Aramena
und der
v o n A n t o n Ulrich v o n Braunschweig und die v o n Lohensteins
Arminius: Und bin mit grosser müh kaum noch dein schüler worden. Kommt, spredi idi offtermahls, gold, marmel und porphir! Nein, denck'idi wiederum, flieht, flieht weit von mir! Ihr seyd mir viel zu theur bey diesen schweren jähren, Ich habe jung verschwendt, ich will im alter spahren. Und also bin idi nicht mehr nach der neuen weit: Denn idi erfinde nichts, was in die äugen fällt. Was wird denn Schlesien zu meinen versen sagen? Es sage, was es will; Idi muß es dennoch wagen. (B.[ENJAMIN] N. [EUKIRCH] , »Auf die Linde- und Regiußisdie Vermählung, den 8. Junii anno 1700«, in Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte sechsterTheil,nebenst einer Vorrede wider die Schmeichler und Tadler der Poesie. Mit Kön. und Churf. Sachs, allergnäd. Privilegio. Leipzig, bey Thomas Fritsdi, 1709, S. 1 0 1 - 1 0 4 , hier S. 1 0 1 - 1 0 2 ) . Dieses Gedicht ist auch in der von Gottsched herausgegebenen Ausgabe abgedruckt (BENJAMIN NEUKIRCH, Auserlesene Gedichte, Regenspurg 1744, S. 198-200). 242 VGL. ERWIN ROTERMUND, Christian Hofmann v. Hof mannswaldau, Stuttg. 1963,5.74. 243 Vgl. Neukirchs Satire »Auf unverständige Poeten« (1713), in der er die »süße Lieblichkeit« Hoffmannswaldaus lobt, aber die »falsche Kunst« der Dichter ablehnt, die sich »von der gesetzten Bahn der Alten« entfernt hätten; diese hätten auch, wie er, »Dem Bilde der Natur die Schminke vorgezogen« und »Der Reime dürren Leib mit Purpur ausgeschmückt« (Die Gegner der zweiten schlesischen Schule. Zweiter Teil. Hrsg. von Ludwig Fulda. Berlin und Stuttgart - Deutsche National-Literatur, 39. Band, S. 479-484). 244
ΒΕΝΙΑΜΊΝ NEUKIRCHS Anweisung zu Teutschen Briefen. Leipzig / verlegts Johann Paul Roth, Buchhändler in Ulm, 1735, S. $49. Die Anweisung wurde 1707 zum erstenmal veröffentlicht. Eine Ausgabe der Anweisung aus dem Jahr 1700, die Gottsched in seiner Biographie Neukirchs erwähnt (Gottsched: »Vorrede« zu NEUKIRCH, Gedichte, S. [XV]), scheint nie existiert zu haben (vgl. DORN, Neukirch, Anm. S. 23). Weitere Auflagen erschienen 1709, 1 7 2 1 , 1727, 1735, 1737, 1746 und 1760.
286
II. Kapitel
D e n n weil die ersten aus einer fürstlichen / der andre aus einer guten juristenfeder geflossen / so ist m a n wol versichert / d a ß beyde nichts pedantisches in sich haben. Gleichwol m u ß m a n sich auch mit dem Arminio in acht nehmen / d a ß man ihm nicht in allem nachaffe; sondern ihn so gebrauche / wie ihn der autor geschrieben hat. N u n w a r der seel. herr v o n Lohenstein ein gelehrter m a n n / u n d gleichsam eine Schatzkammer aller guten u n d erbaulichen wissenschafften. Sein absehen gieng auch nicht dahin / ein sdiertzhafftes u n d galantes buch zu schreiben: sondern er wolte unter dem zucker der liebe der jugend die geheimnisse des alterthums / f ü r allen dingen aber / den grund der w a h r e n sitten- u n d staats-kunst zeigen. H i e r b e y gebrauchte er sich eines guten styli, u n d weil er in der feder sehr fertig w a r / so fiel es ihm eben so leicht / s c h a r f sinnig u n d gelehrt / als einem andern abgeschmackt u n d pedantisch zu schreiben. Demnach finden wir dreyerley in diesem buche. Erstlich h a t es gute phrases·, z u m andern gute gleichnisse: z u m dritten gelehrte u n d erbauliche discurse. W a s die phrases belanget / so sind selbige so beschaffen / d a ß man sie in stylo curiae gar w o l gebrauchen kan. Also setzet er z u m exempel gar o f f t : er h a t allen fleiß fürgekehret / an statt; er hat allen fleiß a n g e w a n d t ; item / er h a t sich äusserst dahin bemühet / an statt: er h a t sich d a r u m bemühet. Die gleichnisse schicken sich w o h l in moralische; die discurse aber in erbauliche u n d gelehrte briefe. Entzwischen ist es doch mit durchlesung eines solchen buches nicht ausgerichtet. D e n n es ist geschickter / einen pathetischen oder gelehrten redner / als einen galanten Schreiber zu machen: u n d w e n n m a n nicht schon ein reiffes judicium, u n d im stylo sich ziemlich gegründet h a t / so k a n man sich über einem solchen autore z u m narren lesen. D e r herr v o n Lohenstein selbst hat nicht allezeit so geschrieben; sondern er hat sich in allem nach der materie u. nach denen personen gerichtet. Stund er f ü r geridite / so schrieb er juristisch : redete er aber mit galanten leuten / so schrieb er auch im galanten stylo. Das erste können seine rechts-schrifften u. das r a t h h a u ß in Breßlau; das andre aber der eintzige brief bezeugen / welchen er im namen des letzt verstorbnen H e r t z o g s v o n Brieg a n den Kayser geschrieben. Wer derowegen seinen Arminium nutzen will / der m u ß ihn mit unterscheid u n d verstände lesen. 245
Neukirchs Bekehrung vom Marinismus der Schlesier zum französischen Klassizismus Boileaus und seiner Berliner Nachahmer Canitz und Besser, von der barocken Ästhetik des Konzeptismus und des »Wunderbaren« zur klassizistischen der »raison«, des »bon sens«, der »clarté« und der »vérité«, die auf der Gleichsetzung von Schönheit, Wahrheit und Natur beruht,246 ist nicht das Ergebnis einer schweren Anstrengung oder einer 24
« Ebd., S. J50-JJ2.
246
Ober Boileaus Ästhetik im besonderen und über die klassizistische Ästhetik im allge-
Die barocke
Apotheose
287
inneren Erleuchtung, sondern die Folge seines Umgangs mit dem Berliner Hof und den dortigen Hofdichtern, die Frucht eines opportunistischen Kalküls, das aber nicht die erhofften Vorteile bringen sollte.247 Gottsched schreibt in der kurzen Biographie Neukirchs: »Es ist [ . . . ] kein Zweifel, daß der Berlinische Hof die Schule unsers Dichters gewesen, und ihm wenigstens den vormaligen Lohensteinischen Geschmack abgewöhnet habe.«248 Dasselbe war mit dem Hofdichter Johann von Besser geschehen (in der friderizianischen Zeit, 1 6 8 8 - 1 7 1 3 , erhielt er für seine Lob- und Trauergedichte außerordentliche Geldgeschenke in Höhe von über 13 000 Talern; für das Trauergedicht zum Tod von Sophie Charlotte bekam Besser beispielsweise 3000 Taler, für das Gedicht zur Feier der Thronbesteigung Friedrichs I. 2000 Taler).249 Er war zuerst Zeremonienmeister am Berliner Hof und später - nach der Entlassung durch Friedrich Wilhelm I., der den Prunk abschaffte und den Barockhof seines Vaters Friedrich I. abbaute am Dresdner Hof. Es ist also die Verlagerung des literarischen Zentrums aus dem habsburgischen Schlesien in das Preußen der Hohenzollern (und dann in das Sachsen der Wettiner) bestimmend für die erste entscheidende Entwicklungsphase des literarischen Geschmacks im antibarocken Sinn. In der Folgezeit wird die >Verbürgerlichung< des literarischen Publikums, die in den großen Handelszentren (Hamburg, Zürich, Leipzig) 250 von Persönlichkeiten wie Brockes, dem wichtigsten Mitarbeiter der Zeitschrift Der Patriot, Bodmer, Breitinger und Gottsched vorangetrieben wird, diese Entwicklung zu einem Abschluß bringen. Doch vom gesellschaftlichen Hintergrund, der in Deutschland den Triumph des Klassizismus und den Untergang des barocken Geschmackes in der Literatur bewirkte, sprechen wir im folgenden Kapitel. An dieser Stelle wollten wir nur daran erinnern, daß zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Bewunderung für Lohensteins poetischen Genius auch von jenen Dichmeinen vgl. K . HEINRICH VON STEIN, Die Entstehung der neueren Ästhetik, Stuttgart 1886 (fotomechanisdier Nachdruck Hildesheim 1964), S. 1 - 7 8 ; und RENÉ BRAY, La formation de la doctrine classique en France, Paris 1951. 2 « Vgl. DORN, Neukircb, S. 83-84. 24 8 Gottsched: »Vorrede« zu BENJAMIN NEUKIRCH, Auserlesene Gedichte, S. [ X I V ] . 249 Vgl. HAERTEL, Besser, S. 5 ; und DORN, Neukirch, Anm. S. 1 1 . 250 Über das literarische Leben im X V I I I . Jahrhundert in diesen drei Städten vgl. FEODOR WEHL, Hamburgs Literaturlehen im achtzehnten Jahrhundert, Wiesbaden 1967 (Neudruck der Ausgabe von i 8 j 6 ) ; HERBERT SCHÖFFLER, Das literarische Zürich 17001750, Leipzig 1 9 2 J ; und GEORG WITKOWSKI, Geschichte des literarischen Lebens in Leipzig, Leipzig und Berlin 1909.
288
II.
Kapitel
tern geteilt wurde, die den Stilidealen des französischen Klassizismus anhingen.251 Die Zeugnisse zur Rezeptionsgeschichte Lohensteins, die wir im vorliegenden Kapitel analysiert haben, beweisen deutlich, daß der große Erfolg, dessen er sich etwa sieben Jahrzehnte lang erfreut, auf einer nahezu vollkommenen Ubereinstimmung zwischen den Erwartungen des literarischen Publikums jener Zeit und den dichterischen Hervorbringungen des großen Schlesiers beruhen. Die Distanz zwischen dem Erwartungshorizont des Publikums und den Werken Lohensteins ist minimal. Weder formale Lösungen nodi dargestellte Werte und ideologische Inhalte bedeuten für das Publikum eine Überraschung. Beides findet seine Zustimmung. Wenn man von Distanz sprechen will, so besteht sie nur in dem Sinn, daß Lohensteins Werke (vor allem die Tragödien, die Reden und der Arminius) durch ihre stilistische Vollendung sowie ihre tiefgründige und umfassende Gelehrsamkeit die ehrgeizigsten Erwartungen noch übertrafen, die durch Opitzens literarische Restauration im Publikum erweckt wurden. Der scharfsinnige, sinn-, Sentenzen- und ideenreiche, metaphorische, elegante und erhabene Stil der Lohensteinischen Werke bezaubert die Leser der letzten Dezennien des 17. und der ersten des 18. Jahrhunderts und wird als das heiß ersehnte deutsche Gegenstück zu den aufs höchste bewun251 Auch Carl Gustav Heraus, unter der Regierung Karls V I . der klassizistische Dichter am Wiener Hof, schätzt - wenn er auch Boileau, Besser und Canitz wegen ihrer Einfachheit lobt und den Marinismus wegen der übertriebenen Verwendung schmückender Stilelemente verwirft (»Die edle poetische Entzückung muß in keinen Rausch, noch in eine verruckte Fantasey verunarten. Das wahre Hohe, oder so genannte Sublime, besteht auch nicht in schwulstigen Worten, noch in überhäuften Zierarten«) - , die großen schlesischen Dichter: »Wem dürften nachgehen in gravitetisdber Sprache der Tragödien ein Lohenstein, ein Gryphius? In verliebten Scherzen, und durchgehende [wo dieser angenehme Poët mehr auf seinen Landsmann, den Opitz, als auf die Welschen Allegorien und Metaphoren gedacht] einHofmannswaldau?« {Gedichte Und Lateinische Inschrifien des Kaiserl. Raths, auch Medallien- und Antiquitäten-Inspectors Herrn CARL GUSTAV HERAUS. Nach des Herrn Verfassers Ubersehung, und Hinzufügung der in dem ersten Exemplar abgängigen Stücke. In diesem bequemen Format von neuem aufgeleget von Peter Conrad Monath in Nürnberg. 1 7 2 1 , S. 27 und 17). »Die liebliche Flüssigkeit des Hofmanns-Waldau / und das Heroische Wesen vom Lohenstein« werden bewundernd erwähnt von Amthor (C.[HRISTOPH] H.[EINRICH] AMTHOR, Poetischer Versuch Einiger Teutscher Gedichte und Übersetzungen: So wie er sie / theils in frembdem Nahmen / theils vor sich selber entworffen. Nebst einem Vor-Bericht / Worin zugleich die wieder seine Gedichte / und andere Staats-Schrijften / von einigen Ungenannten bisher ausgegossene Schmähungen bescheidentlich abgelehnet werden. Flensburg / In Verlegung Balthasar Otto Bossecks. Anno 1 7 1 7 , S. [ I I I I V ] im »Vorbericht«), der zu den Anhängern einer prosaischen Diktion in der Dichtung gerechnet wird (vgl. Die Gegner der zweiten schlesischen Schule. Hrsg. von Ludwig Fulda. Berlin und Stuttgart - Deutsche National-Literatur. 38. Band).
Die barocke
Apotheose
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derten und gepriesenen französischen, italienischen, spanischen und lateinischen Vorbildern genossen. Die in Lohensteins Poesie und Prosa eingeflochtenen unzähligen literarischen Anspielungen (verborgen in einem Bild, im Rhythmus eines Verses, in einer rhetorischen Figur, in der Struktur eines Satzes, in einem Namen, einem Adjektiv, einem Emblem oder einer Sentenz) erregen die Bewunderung der Leser, die über ein so virtuos gehandhabtes und preziöses Spiel mit den Anklängen an verschiedene und weit zurückliegende literarische Traditionen staunen und Freude daran finden, wenn sie diese erkennen und dekodieren oder zumindest ihr Vorhandensein ahnen können. Die außerordentliche Gelehrsamkeit, die in dem feinen und komplizierten Geflecht der Anspielungen aufleuchtet und sich in den zahllosen Abschweifungen des Arminias frei entfaltet, wird nicht als ein der Dichtung fremdes, sondern als ein notwendiges, sie tragendes Element aufgefaßt. »Denn wo keine gründliche Gelersamkeit bey einem Tichter ist / so wird nie was gutes und vollenkommenes von seinen Händen kommen«,252 meinen mit Morhof die Leser des barocken Jahrhunderts. Die Reichhaltigkeit der in den gelehrten Exkursen des Arminim behandelten Themen und ihre tiefgründige Ausarbeitung schlagen das Publikum in Bann, das an diesen Problemen interessiert ist, sei es nun wegen ihrer wissenschaftlichen Aktualität (die Tatsache ist nicht zu vergessen und zu übersehen, daß Lohensteins Werke für das Barockpublikum einen echten Informationswert besitzen, so daß sie gelegentlich als Quellen für historische und wissenschaftliche Nachrichten und Kuriositäten zitiert werden),253 sei es wegen der Diskussionsform, in der sie dargeboten werden. Mit der fortschreitenden Abnahme ihrer Aktualität und ihres wissenschaftlichen Informationswertes sollten das Interesse an den gelehrten A b schweifungen und das Verständnis für ihre künstlerische Notwendigkeit als schmückenden und funktionalen Grundelementen der Struktur des Baroderomans schwinden. Diese Digressionen,254 eine Sonderform der 252 MORHOF, Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie, S . 216. 253 VGL. MICHAEL WIEDEMANNS Historisch-Poetischer Gefangenschafften Dritter Monat Martins, vorstellend den Souvenello oder Den abgestrafften Vorwitz. Leipzig / V e r legts Reinhard Wächtler. Im Jahr M D C X X C I X , S. 60, 63; und MICHAEL WIEDEMANNS Historisch-Poetischer Gefangenschafften Anderer Monat Februarius, vorstellend die Hugvenots oder Die ausgerotten Hugonotten. Leipzig / Verlegts Reinhard Wächtler. Im Jahr M D C X X C I X , S. 73. 254 Über die Abschweifungen und ihre Bedeutung für den Barockroman vgl. MICHAEL VON POSER, Der abschweifende Erzähler. Rhetorische Tradition und deutscher Roman im achtzehnten Jahrhundert, Bad Homburg v. d. H., Berlin, Zürich 1969 ( = Respublica literaria, Band j ) , S. 15-36.
II. Kapitel
Amplifikationsfigur, die in der rhetorischen und literarischen Theorie des Barock bevorzugt wurde, erschienen dann als Labyrinthe pedantischer Abwegigkeiten, und der Arminius und die anderen Barockromane als »toll gewordene Realenzyklopädien«. 255 Für die Leser der letzten Jahrzehnte des 17. und der ersten des 18. Jahrhunderts stellt der Arminius dagegen das bedeutendste deutsche Sprachdenkmal, die »summa« der wissenschaftlichen, philosophischen, historischen und politischen Kenntnisse dar, die die Menschheit im Lauf der Jahrhunderte angehäuft hat. Ferner ist dieser Roman für sie wegen der komplexen Handlung und der vollendeten Konzeption, in deren Rahmen sie sich meisterlich entwickelt, ein einzigartiges Muster der Erzählkunst. Die Reihe der positiven »Konkretisationen« von Lohensteins Werken im Bewußtsein der Rezipienten halten sich solange wie die ästhetischen und rhetorischen Normen des Barock Gültigkeit besitzen. Mit der Veränderung der ästhetischen und rhetorischen Normen und der Verwandlung des literarischen Publikums aus einer kleinen, kulturell und gesellschaftlich homogenen Elite in eine größere, kulturell und gesellschaftlich heterogene Lesermasse schwinden allmählich die Voraussetzungen für eine richtige Dekodierung der Werke Lohensteins und es beginnt eine lange Reihe »abweichender« Dekodierungen.
255
JOSEPH FREIHERR VON EICHENDORFF, Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands (1857), in J . v . E., Neue Gesamtausgahe der Werke und Schriften in vier Bänden, hg. von Gerhart Baumann in Verbindung mit Siegfried Grosse, Stuttgart 1 9 5 7 - 1 9 5 8 , IV, 102.
III. K A P I T E L Die Kritik der Aufklärung »Die Lohensteinische schwülstige Schreibart« (1722-1800)
Mit dem fortschreitenden und raschen Verfall der rhetorischen und ästhetischen Normen des Barock im dritten und vierten Dezennium des 18. Jahrhunderts und ihrer Ablösung durch die des französischen Klassizismus verfällt auch Ansehen und Ruhm der Dichtung Lohensteins in der Literaturkritik und Literaturgeschichtsschreibung. Während die Verfasser der barocken Rhetorik-Handbücher nicht wenig zu Lohensteins Erfolg beigetragen hatten, indem sie neben Anton Ulrich von Braunschweig auf ihn als das nachahmenswerte Sprach- und Stilvorbild hinwiesen1 und sogar, wie Christian Schröter, >lohensteinische< Rhetoriken schrieben oder, wie Kaspar Stieler, in ihren Werken den unveränderten Text der umfangreichen Lobrede auf den Herzog Georg Wilhelm, »ein Exempel aller Exempel«,2 übernahmen, schufen die ersten 1
2
Horst Joachim Frank weist in seiner Geschichte des Deutschunterrichts. Von den Anfängen bis ¡94J (München 1973, S. 86) auf die Bedeutung hin, die Lohenstein und Anton Ulrich von Lehrern der Beredsamkeit und Grammatikern zugeschrieben wurde, ferner auf die von ihnen als neuen sprachlichen Vorbildern ausgeübte »stilprägende Wirkung«. Bei der Veröffentlichung einer Neuausgabe des Teutschen Wolredners (1660) von Balthasar Kindermann fügte Kaspar Stieler im Kapitel »Von den Lobreden« den Text der Lob-Schrifft für Herzog Georg Wilhelm ein und schrieb dazu folgende Einführungsworte: »Ein Exempel aller Exempel wollen wir letztlich anher setzen / welches dem letzten Herzoge in Schlesien / Hn. George Wilhelmen / von Daniel Kasparn von Lohenstein zu unsterblichen Ehren gemacht worden / sintemal in demselben viel hundert Historien / und alles / was in dergleichen Fällen merkwürdig ist / nachgeahmet und gebrauchet werden kan / enthalten / und auf das Künstlichste angebracht worden ist« (Herrn BALTASAR KINDERMANNS Teutscher Wolredner Auf allerhand Begebenheiten im Stats-und Hauswesen gerichtet / als da sind: HochzeitKindtauf-Begräbniß-Empfah-Huldigungs-Glückwunsch-und viel andere wichtige Sachen / Anbring-Handel-und Beantwortungen / bey Abschickungen / Gesantschaften / Befehligen / auch in eigenen / ojfen-und sonderbaren Amts-und Bürgerlichen Geschafften nachrichtlich zugebrauchen. Nach heutiger Politischen Redart gebessert / und mit vielen Komplimenten / Vortragen / Beantwortungen / wie nicht weniger mit unterschiedlichen nohtwendigen und nützlichen Anmerkungen und Haubt-Einnerungen gemehret von dem Spaten [Kaspar Stieler]. Mit Chursächsischer Gnädigsten
III.
292.
Kapitel
>aufklärerischen< Rhetorik-Bücher - indem sie die dekorativen und repräsentativen barocken Stilmuster ablehnten und das Ideal der »Klarheit« und »Natürlichkeit« verfochten - , die Voraussetzungen für die spätere Abwertung des großen schlesischen Schriftstellers. So empfahl August Nathanael Hübner, Dozent an der Universität Halle, dem Mittelpunkt des Pietismus und der frühen Aufklärung, 3 in der Gründlichen
Anweisung
zum Deutschen
Stilo ( 1 7 2 0 ) die »Klarheit« und
die »natürliche Ordnung der Rede« und warnte als vor den größten Hindernissen auf dem Weg dorthin vor dem Gebrauch dunkler Allegorien, vor Hinweisen auf Gegenstände einer esoterischen Gelehrsamkeit, vor »hochtrabenden Worten und Redensarten«, ungewöhnlichen Hyperbeln, prunkhaften Allegorien und vor dem Mißbrauch von Gleichnissen, Tropen, rhetorischen Figuren und Adjektiven. Dann behandelte er den hohen Stil und seine Entartung, den »schwülstigen« Stil, 4 und schrieb: Es findet sich aber dieser schwulstige und hochtrabende Stilus bey denenjenigen, welche in ihren Ovationen (a) fremde alte Wörter und Redens-Arten gebrauchen, (b) sich unzeitiger, ungereimter und allzu vieler Epithetorum bedienen, (c) schwulstige Metaphoras mit einfließen laßen, auch in den Tropis und Schematibus selbst, weder Modum noch Selectum gebraudien, (d) viele Redens-Arten und Formuln ohne Distinction häuffen, und also dem Leser
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4
Freyheit. Wittenberg / Verlegung Joh. Wilhelm Fincelii Seel. Erben. Druckts in Jena Samuel Krebs. Im Jahr 1680, S. 789. Der Text dieser Ausgabe der Lohensteinischen Lob-Schrifft, die Hans von Müller unbekannt war, steht auf S. 789-862). Da die vorhergehenden Ausgaben des Wolredners in den Jahren 1660, 1662, 1665 und 1671 erschienen waren, gibt es keinen Zweifel, daß Lohensteins Panegyrikus (1675) durch Stieler in die Ausgabe von 1680 aufgenommen wurde. Stieler war nidit nur eine große Autorität in Sprach- und Stilfragen, sondern verfügte auch über eine 20jährige Erfahrung im Hofleben, und niemand konnte besser als er beurteilen, ob Lohensteins Beredsamkeit der modernen »Politischen Redart« entsprach. Über Halle als Zentrum der Aufklärung vgl. GEORG MENDE, Die Universität Halle als Zentrum der deutschen Aufklärung, in 450 Jahre Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Band II: Halle 1694-1817, Halle-Wittenberg 1817-194j [Halle / S. 1952] S. Ι—11 ; und NOTKER HAMMERSTEIN, Zur Geschichte der deutschen Universität im Zeitalter der Aufklärung, in Universität und Gelehrtenstand 1400-1800. Büdinger Vorträge 1966 herausgegeben von Hellmuth Rößler und Günther Franz, Limburg / Lahn 1970, S. 1 4 5 - 1 8 2 . Gründliche Anweisung zum Deutschen Stilo, Wie man denselben Durch gewisse Regeln gründlich erlernen, manierlich brauchen, geschickt verändern, und so dann der besten und berühmtesten Autorum Schri0ten glücklich imitiren könne. Nebst einer Vorrede Von Verbesserung der Methoden, und in wie weit diese gegenwärtige Anweisung dazu nützlich kan gebrauchet werden; Zum besten der studierenden Jugend dem öffentlichen Drude übergeben Von AUGUST NATHANAEL HÜBNERN, der Philosophischen Facultät in Halle Adjuncto, und des Stadischen Gymnasii Con-Rectore. Verlegts Nicolaus Förster, Hoff-Buch-Händler in Hanover 1720, S. 1 3 0 - 1 3 8 .
Die Kritik der
Aufklärung
29 3
und Zuhörer allen Appetit auf einmal benehmen, (e) allerhand poetische Phrases, Descriptiones, und Amplificationes in ihren Stilum mit einmischen, in Meinung, daß die Gravität des Stili dadurch erhalten würde.5 Dies scheint ein Katalog von Fehlern zu sein, die die aufklärerische Kritik in Lohensteins Werken feststellen sollte, aber Hübner, eine Übergangsgestalt zwischen Barode und Aufklärung, empfiehlt geradezu die Lektüre Lohensteins neben der von Gryphius, Besser, Brockes und Zigler, um zu vermeiden, daß man in solche Abirrungen des hohen und sentenzenreichen Stils verfällt.® Ähnliche Positionen zwischen Barock und Aufklärung wie A. N . Hübner bezieht Friedrich Andreas Hallbauer, der Lohenstein, wie wir gesehen haben,7 zu den größten deutschen Dichtern rechnet, wenn er auch gegen die »schwülstige und affectirte Schreibart« polemisiert. In der »Vorrede von den Mängeln der Schul-Oratorie«, die seiner Anweisung zur verbesserten Teutschen Oratorie (1725) vorangeht, kritisiert Hallbauer den traditionellen Unterricht in der »galanten« Rhetorik, der auf der Anwendung von Tropen, Redefiguren, Hieroglyphen, Emblemen, Allegorien und »loci topici« beruht. Hallbauer verwirft auch die von der »galanten« Rhetorik empfohlene Praxis, »collectanea« von rhetorischen Figuren und von »realia« bereitzuhalten, um daraus bei der Ausarbeitung einer Rede zu schöpfen. Von den Realien führt man ab / in dem man sie am meisten recommendiret / weil man Lappalien dafür ausgibt. Emblemata / Müntzen / hieroglyphische Figuren / Wappen oc sollen Realien galanter Reden seyn. Warum findet man sie aber nicht in den Exempeln der alten und neuen vortrefflichsten Redner? das sdilimste ist noch 1 daß man der Jugend die ohne dem an Spiel-Werdc ein Belieben trägt / eine solche Hochachtung vor diesen vermeinten Realien beybringt / daß sie sich angewöhnet / mit selbigen die Reden gantz zu überschütten. [ . . . ] Da [in den pedantischen Reden, die nach der Unterrichtsmethode der galanten Rhetorik angefertigt wurden] siehet man nichts als Historien / Fabeln / Lügen / Allegorien / Zeugnisse / Müntzen / Wappen / hieroglyphica, emblemata / lateinische / griechische und andre Brocken / Verse / fremde auetores / Bücher, u. d. g. Zu einer solchen falschen Beredsamkeit führet die galante Schul-Oratorie. Und wer dieselbige redit studirt hat / gelanget gantz gewiß in den Stand / daß er gezwungene periodos machen / daß er kein üblich Compliment vorbringen / daß er affektirte Briefe schreiben und sdiulfüchsische Reden halten kan.8 s Ebd., S. 326. « Ebd., S. 327. 7 Vgl. Anm. 222 des II. Kapitels. 8 M. FRIEDRICH ANDREAS HALLBAUERS Oer Hochlöbl. Philosophischen Facultät zu Jena
III.
Kapitel
Auch Adam Friedrich Glaffey trägt zur Zerstörung des barocken RhetorikKodes bei. In der Anleitung zu einer weit-üblichen Teutschen Schreib-Art (1730) verteidigt er das Ideal eines deutlichen Stils, der nicht reich ist an Worten (vor allem an seltenen Worten), an Epitheta, Synonymen, Neologismen, auch nicht übermäßig knapp und lakonisch, das Ideal eines natürlichen und »ungezwungenen« Stils, der der »gesunden Vernunft« entspricht. Die »Deutlichkeit« des Stils erreicht man durch Verzicht auf Amplifikationen, Tropen, Figuren und die Technik der »Häuffung« von Substantiven und Adjektiven, besser gesagt, durch Verzicht auf alle besonderen Eigenschaften des Barockstils, den Glaffey unter Hinweis auf den Täglichen Schauplatz der Zeit (1695) »allzu flosculirend und [ . . . ] zu hochtrabend«9 nennt. Als Daniel Peucer 1744 die Anfangs-Gründe der Teutschen Oratorie veröffentlicht, wo Gottsched als einer »der vornehmsten Urheber einer so langgewünschten Veränderung in der teutschen Beredsamkeit«10 gepriesen wird, stellt die Ablehnung der dem Rhetorik-Kode des Barock eigenen Elemente bereits einen obligatorischen Vorgang, einen Gemeinplatz in der Rhetorik-Theorie der Aufklärung dar. M i i n t z e n , emblemata,
W a p e n , W a h l s p r ü c h e , sinnreiche R e d e n ,
hieroglyphica,
r a r e G e w ä c h s e , B i l d e r , u n d S t a t u e n o c . b e s t ä n d i g a n z u f ü h r e n , ist ein Z e i c h e n des v e r d e r b t e n G e s c h m a c k s v o n d e r B e r e d s a m k e i t . D e n n dieses f ü h r e t a u f eine W o r t k r ä m e r e y u n d W ä s c h e r e y u n d nicht selten z u e i n e r s c h w ü l s t i g e n
und
a f f e c t i r t e n B e r e d t s a m k e i t . N u n a b e r soll d i e B e r e d t s a m k e i t eine n a t ü r l i c h e S c h ö n h e i t h a b e n , w i e Petronius
c. 2. v e r l a n g e t . W e r w i l l l a u t e r B l u m e n , o d e r
Adivncti Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie Nebst einer Vorrede von Den Mängeln Der Schul-Oratorie. Mit Kön. Pohlnis. und Churfiirstl. Sächsis. gnädigsten Privilegio. J e n a , Verlegts J o h a n n Bernhard Härtung, 1 7 2 5 , S. [ X I I I - X V ] in der »Vorrede«. 9
10
D. ADAM FRIEDR. GLAFFEYS, Kön. Pohln. und Cbur-Sächs. Hof-und Justitien-Raths, wie auch geheimden Archivarii, Anleitung zu einer weit-üblichen Teutschen SchreibArt, Worinnen die Grund-Lehren zu dem in Welt-Händeln gebräuchlichsten Stylo enthalten sind, Und so wohl Stückweise mit Exempeln erläutert, als auch am Ende mit gantzen ausgearbeiteten Proben bestärcket werden, Dritte und vermehrte Auflage. Leipzig verlegts J a c o b Schuster, 1747, S. 1 3 - 4 8 . M. DANIEL PEUCERS, aus der Lausitz, Conrectoris der Königl. und Cburfürstlichen Landschule Pforta erläuterte Anfangs-Gründe der Teutschen Oratorie, in kurzen Regeln und deutlichen Exempeln vor Anfänger entworffen. die dritte und vermehrte Auflage. Dresden 1744. verlegts George C o n r a d Walther, Königl. H o f - B u d i h ä n d l e r , S. 42. Peucer zählt Lohenstein (auf S. 4 1 ) immerhin zu den Rechtsgelehrten, die die Entwicklung der Beredsamkeit im Zeitraum zwischen der R e f o r m a t i o n und 1 7 2 0 , den er als silbernes Zeitalter der deutschen Beredsamkeit bezeichnet, gefördert haben (mit dem J a h r 1 7 2 0 hingegen beginnt f ü r Peucer das goldene Zeitalter).
Die Kritik der Aufklärung
295
Gewürtze, Statt der Speisen erwehlen? Krähen, die sich mit fremden Federn schmücken: alte Flicker, die einen Bettlersmantel zusammen sticken und vor ein köstlich Modekleid ausgeben, werden ausgelachet. 11 Die Empfehlung, im Sprechen »natürlich« zu sein, findet sich audi in der moralischen Literatur und in den Anstandsbüdiern. So wird in der Schrift Der Politische Philosophas
( 1 7 1 4 ) von Christoph August Heumann der
R a t erteilt, man solle bei der Unterhaltung weder in den Reden noch in den Gesten affektiert sein: »Denn alles affectirte und gezwungene Wesen machet den Menschen lächerlich: hingegen je mehr etwas naturell ist / je besser lasset es.« 12 In der Einleitung
zur Ceremoniel-Wissenschafft
Der
Privat-Personen
( 1 7 2 8 ) von Julius Bernhard von Rohr wird der Jugend empfohlen, sich in einer »natürlichen Beredsamkeit« zu üben und nach den Regeln einer »vernünfftigen Rede-Kunst« zu sprechen, anstatt die Formeln der Anstandsbücher und der galanten Rhetoriken auswendig zu lernen (Erwähnung finden Hunold, Bohse, B. Neukirch). 1 3 Julius Bernhard von Rohr, der die Hofliteratur von Guevara bis G r a cián und Jacques de Caillière zitiert (aus letzterem schöpft er mit vollen Händen), aber auch The Spectator,
den er gut kennt, warnt vor dem
»pathetischen oder oratorischen« Ton in der gewöhnlichen Unterhaltung und v o r den zu »zierlichen« und rhetorisch überfrachteten Reden. 14 Ob11 Ebd., S. 46-47. 12 Der Politische Philosophas Das ist / Vernunfftmäßige Anweisung Zur Klugheit Im gemeinen Leben. Auffgesetzet von CHRISTOPH A U G U S T H E U M A N N / Des Fiirstl. Seminarli Theologici zu Eisenach Inspectore. Zu finden In Franckfurt und Leipzig, Anno 1714, S. 23. 13 Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen / Welche Die allgemeinen Regeln / die bey der Mode, den Titulaturen / dem Range / den Complimens, den Geberden, und bey Höfen überhaupt, als auch bey den geistl. Handlungen, in der Conversation, bey der Correspondenz, bey Visiten, Assembleen, Spielen, Umgang mit Dames, Gastereyen, Divertissemens, Ausmeublirung der Zimmer, Kleidung, Equipage u.s.w. Insonderheit dem Wohlstand nach von einem jungen teutschen Cavalier in Obacht zu nehmen / vorträgt, Einige Fehler entdecket und verbessert, und sie hin und wieder mit einigen moralischen und historischen Anmerckungen begleitet, abgefast von J U L I O B E R N H A R D VON R O H R . Berlin, bey Johann Andreas Rüdiger, 1728, S. 169. 14 Ebd., S. 288-289. Auch die Stilideale der Epistolographie ändern sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts grundlegend [vgl. R E I N H A R D M . G. N I C K I S C H , Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts. Mit einer Bibliographie zur Brief schreiblehre (1474-1800), Göttingen 1969 ( = Palaestra, Band 254); und R E I N H A R D M . G. N I C K I S C H , Gottsched und die deutsche Epistolographie des 18. Jahrhunderts, in »Euphorion« 66 (1972), 365-382]. Geliert, der einflußreichste Autor des 18. Jahrhunderts, wird »eine natürliche und regelmäßige »Schreibart« emp-
296
111.
Kapitel
gleich Rohr anerkennt, daß die Beredsamkeit für einen Höfling eine nützliche Übung ist, gesteht er ihr nicht mehr den alten Primat zu (um so weniger der repräsentativen, dekorativen und galanten Beredsamkeit des Barock, der er die natürliche Beredsamkeit gegenüberstellt), da es nun nicht mehr allgemeiner Brauch ist, bei Hof oder bei diplomatischen Funktionen »weitläufftige und solenne Reden« 15 zu halten. Es steht außer Zweifel, daß die Rhetorik zu Beginn des 18. Jahrhunderts in ganz Europa im Niedergang ist,16 wie es auch keinen Zweifel darüber gibt, daß zwischen dem Aufstieg des Bürgertums, das stark an den angewandten Wissenschaften interessiert ist, und der Abwertung der Rhetorik 17 eine Korrelation besteht. Die Gedanken von Descartes, Arnauld, Bacon, Spinoza und Locke über die Nutzlosigkeit der Rhetorik 18 hatten sich ausgebreitet, und große geistige Bewegungen wie Aufklärung, Puritanismus19 und Pietismus20 verfochten das Ideal eines klaren und einfachen Stiles. Die Rhetorik mit ihrer tausendjährigen Tradition stirbt jedoch nicht, sondern sie verwandelt sich, indem sie, wie wir gesehen haben, die neuen universellen Ideale der Rationalität, Klarheit und Natürlichkeit übernimmt und sich rasch der Postulate und der Elemente, die der repräsentativen und dekorativen Rhetorik des Barock eigen waren, entledigte. Ebenso radikal wie der Wandel in der rhetorischen Theorie ist der sich in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts vollziehende Wandel in der Poetik und der Literaturkritik. So erklärt Gottlieb Siegmund Corvinus (Amaranthes) im Vorwort zum ersten Band der Proben der Poesie (1710), er habe nicht versucht, seine fehlen ( B r i e f e , nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen, von C . F. GELLERT. Mit Rom. Kays, auch Königl. Pohln. und Churfl. Sachs, allergn. Privilegien. Leipzig, bey Johann Wendler, 1 7 5 1 , S. 122). 15 ROHR, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft, S. 235. 18 Schon im 1 7 . Jahrhundert hatte es nicht an Kritik gegenüber dem Rhetorik-Unterricht und der ausschließlich rhetorisdien Bildung und Erziehung gefehlt. Man lese z. B. das 7. Kapitel des 4. Buches der Teutschen Winter-Nächte von Johann Beer (vgl. dazu HERZOG, Literatur in Isolation, S. 520-538). 17 Vgl. VASILE FLORESCU, La retorica nel suo sviluppo storico, Bologna 1971, S. 97-99. 18 Vgl. FRANÇOIS DE DAINVILLE S. J . , L'évolution de l'enseignement de la rhétorique au XVIIe siècle, in » X V I I e Siècle« 80-81 (1968), S. 34; und FLORESCU, La retorica nel suo sviluppo storico, S. 9 5 - 1 1 3 . 19 Über die Auffassung der Puritaner von der Rhetorik und über ihr Ideal eines klaren und einfachen Stils vgl. PERRY MILLER, The New England Mind. The Seventeenth Century. Harvard University Press. Cambridge, Massachusetts, 1954 [1. Aufl. 1 9 3 9 ] , S. 300-362. 20 Zur Ablehnung der Barockrhetorik seitens des Pietismus vgl. SPERBER, Der Einfluß des Pietismus auf die Sprache des 18. Jahrhunderts; und WINDFUHR, Die barocke Bildlichkeit, S. 440-456.
Die Kritik der
Aufklärung
Gedichte »mit hohen und prächtigen Worten« auszuschmücken und habe »bey der Poesie alles affectirte Wesen und hocherhabne Gedancken [ . . . ] jederzeit gescheuet.«21 Die hier unausgesprochene Polemik gegen die Barockdichtung wird deutlich in der »Vorrede von der Schwürigkeit und wahren Eigenschafft der Tiditer-Kunst«, einem wichtigen und wenig bekannten Dokument der im Entstehen begriffenen deutschen klassizistischen Poetik; diese Vorrede geht dem zweiten Band der Proben der Poesie ( 1 7 1 1 ) voran. Hier erinnert Corvinus an Neukirch und das Hochzeitsgedicht, das dessen Abkehr von der Barockpoesie signalisierte, und greift die schlesische Manier an, wobei er deren auffallendsten Zug, nämlich die Häufung von »realia«, streng kritisiert. Denn [ . . . ] viele [Tichter] bemühen sich zwar durch ihre Collectanea zu helffen, und überfüllen ihre Poesie mit so viel Realität (die doch mit Maasse wie das Gewürtze an denen Speissen darbey gebrauchet werden soll) offtermahls an, daß man ihnen wohl den Ruhm eines belesenen und gelehrten Menschens lassen muß, noch lange aber nicht dieselben vor ächte Tichter halten kan, weil die allzuvielen und überhäufften realia dem Leser einen Eckel machen, und ihre Muse von Einstreuung und Anbringung anderer scharfsinnigen und aus diesem Reali gezogenen Gedancken und schmackbaren Erfindungen bedaurens würdig abhalten, da doch die Delicatesse und Anmuth der gantzen Poesie in selbst erfundenen und wohl ausgesonnen Penseen am meisten bestehet, und man sich bey denen Lesenden dadurch am ersten insinuiren kan [ . . . ] . Wer in der Poesie was reales anzubringen gedencket, der muß auch zugleich das tertium comparationis mit ausdrücken, damit man nicht erst fragen darff, was er mit seinem Ratzel haben will, und der Autor dieses obscuren Werckes an statt der Erläuterung einen gantzen Schober voll Noten an seine Verse anzuhängen genöthiget werde, so, daß hernach wohl mancher einen solchen Bogen Verse vor den Ovidium cum Notis variorum anzusehen die höchste Raison hat. 22 Corvinus' Polemik wendet sich jedenfalls weder gegen Lohenstein, den er nicht erwähnt, noch gegen die anderen großen schlesischen Dichter, sondern gegen ihre Epigonen. Unmittelbar gegen Lohenstein, der auch mehrmals 21
Proben Der Poesie In Galanten-Verliebten-Vermischten
Schertz- und Satyrischen
Ge-
A M A R A N T H E S [ G O T T L I E B SIEGMUND C O R V I N U S ] , F r a n c k f u r t
und
Leipzig / bey Philipp Wilhelm Stocken / 1710, S. [ X ] im Vorwort. Proben Der Poesie In Galanten Verliebten Vermischten Schertz- und Satyrischen
Ge-
dichten 22
dichten,
abgelegt
abgelegt,
von
Von
AMARANTHES
[GOTTLIEB
SIEGMUND
CORVINUS],
Anderer
Theil. Nebst einer Vorrede von der Schwürigkeit und wahren Eigenschafft der Tichter-Kunst. Franckfurt und Leipzig, bey Philipp Wilhelm Stock. Ao. 1 7 1 1 , S. [ V I I I - X ] im V o r w o r t .
298
III.
Kapitel
zitiert wird, ist dagegen eines der ersten und bedeutendsten Dokumente der sich herausbildenden deutschen Ästhetik und der neuen Literaturkritik gerichtet: die Untersuchung Von dem Guten Geschmack In der Dicht- und Rede-Kunst (172.·/) von Johann Ulrich König, dem Hofdichter in Dresden (1720-1744). König, der Herausgeber der Werke der klassizistischen Dichter Besser (Leipzig 1732) und Canitz (Berlin 1727), schreibt Wernicke in dieser Abhandlung das Verdienst zu, den Mut aufgebracht zu haben, gegen »die Lohensteinische schwülstige Schreib-Art«23 angegangen zu sein. In seiner Analyse der Entwicklung der Literatur des 17. Jahrhunderts zum Marinismus und der Ausbreitung dieser »Pest« zuerst in Italien und dann in Deutschland schreibt er im Lichte des Boileauschen Rationalismus und der »gesunden Vernunft«24 ferner: Wie [ . . . ] gantz Welschland [ . . . ] von dem üblen Geschmack aus der Schule des Marino als mit einer Pest angesteckt, und der Italiänisdie Parnaß, mit schwülstigen Metaphoren, falschen Gedancken, gezwungenen Künsteleyen, lächerlichen Spitzfindigkeiten, läppischen Wort-und Buchstaben-Spielen, seltsamen Mischmasch, aufgeblasenen Vorstellungen, Hyperbolischen Ausdrückungen, zweydeutigen Gegensätzen, schülerhaiften Beschreibungen, weithergesuchten Allegorien, schulfüchsischen Erfindungen, uneigentlichen Redens-Arten, übelangebrachter Belesenheit, Mythologischen Grillen, und hundert anderen kindischen und geschminckten Auszierungen, als mit so viel allegemeinen Land-Plagen, heimgesucht ward [ . . . ] ; so zog sich dieses Gifft, mit den Marinischen Schrifften, auch nach Teutschland. [ . . . ] Die Lohensteinische Schule bekam auch bey uns die Oberhand über den guten Geschmack und verleitete fast gantz Teutschland sowohl, als die meisten seiner Landsleute. 25 23
JOHANN ULRICH KÖNIG, Untersuchung Vom dem Guten Geschmack In der Dicht- und Rede- Kunst, in Des Freyherrn von CANITZ Gedichte, Mehrentheils aus seinen eigenhändigen Schrifften verbessert und vermehret, Mit Kupfern und Anmerckungen, Nebst Dessen Leben, und einer Untersuchung von dem guten Geschmack in der Dichtund Rede-Kunst, ausgefertiget von Johann Ulrich König, Sr. Kön. Maj. in Pohlen und Churfl. Durchl. zu Sachsen Hof- und Ceremonien-Rath. Mit Koni gl. Poln. und Kön. Preußis. allergn. Freyheit. Berlin und Leipzig, bey A . Haude und J . C . Spener, 1750. Dritte Auflage, S. 383, Anm. Zu König vgl. MAX ROSENMÜLLER, Johann Ulrich von König. Ein Beitrag zur Litter atur geschieh te des 18. Jahrhunderts. Diss. Leipzig. 1896 (gedruckt in Leipzig-Reudnitz. Druck von August Hoffmann).
24
KÖNIG, Untersuchung, S. 374. Ebd., S. 379-380. König hatte, wie uns einige seiner Briefe an Bodmer beweisen, um 1725 auf das Drängen des Züricher Kritikers hin versucht, eine »Boberfeldisdie Gesellschaft« zu gründen, um den »guten Geschmack« zu verbreiten und gegen die Liebhaber »des üblen schwülstigen Geschmacks« - zu deren prominentesten er Lohenstein, Brockes (Königs eigentliche Zielscheibe) und Amthor rechnete - und ihre »schwülstige Schreib-Art« zu kämpfen. Unter den kritischen Schriften, die die Gesellschaft bei
25
Die Kritik der
Aufklärung
Die Beschuldigung, mit unangebrachter Gelehrsamkeit zu prunken, die hier in der Untersuchung von dem guten Geschmack gegen die Dichtung der Marinisten allgemein vorgebracht wurde, war, wie wir noch sehen werden, von Bodmer in den Discoursen der Mahlern ( 1 7 2 1 - 1 7 2 3 ) speziell auf Lohenstein gemünzt und von Gottlieb Friedrich Wilhelm Juncker wieder aufgenommen worden, und zwar in einer Untersuchung der Hanckischen weltlichen Gedichte (1727); diese war von demselben König inspiriert, wenn nicht gar bestellt. Hancke, der Adressat von Junckers scharfer Kritik, hatte im Vorwort zu seinen Weltlichen Gedichten (1727) unter Bezugnahme auf die Parodie des Arminius — die im »XIV. Discours« des dritten Teils der Discourse der Mahlern von Bodmer und Breitinger enthalten ist - , und auf die im »V. Discours« und im » X X I . Discours« des zweiten sowie im »VIII. Discours« des dritten Teils derselben Zeitschrift gegen Neukirch gerichteten kritischen Bemerkungen geschrieben: Ist es schon so weit gekommen, daß man dem gelehrten Herren v o n Lohenstein und dem berühmten Herren Benjamin Neukirch, ohngeacht der erste bey Kennern w a h r e r Gelehrsamkeit einen allgemeinen B e y f a l l und unsterblichen R u h m erworben, der andre aber unter allen jemahls gewesenen, und noch lebenden deutschen Poeten keinen seines gleichen gefunden, in öffentlichen Schrifften viele Fehler beyzumessen, und ihnen andre Leute, welche vielleicht noch nicht einmahl unter die Deos medioxumos S o kan ich mir v o n selbest das Prognosticon
gehören, vorzuziehen w e i ß ;
stellen, daß man mit mir nicht
säuberlicher v e r f a h r e n , sondern meine wenige Arbeit mit eben so zornigen A u g e n ansehen werde. 2 6
26
ihrem Kreuzzug gegen die »Lohensteinisdie Schreib-Art« hätte publizieren sollen, figurieren auch eine »Critique wider Lohensteins Romane« von Bodmer und eine »Prüfung von Lohensteins deütscher Übersetzung des Catholischen Ferdinands von Balthasar Gracian« von Johann Gottlieb Krause. König lädt Bodmer dazu ein, unter den Schriften der Gesellschaft auch seinen »Vorschlag zu einem Heldengedicht von Arminius« zu veröffentlichen. Dazu äußert er sich in dem Brief vom 15. V. 1725 folgendermaßen: »Ihr Entwurf eines Heldengedichts Arminius hat meinen vollkommenen Beyfall, es steckt mehr gesundes Urteil darinn als in den Lohensteinisdien, aber die Ausführung dürfte Zeit brauchen.« In dem Brief vom 15. VI. 1726 billigt König jedoch eine Umänderung des Titels des geplanten Epos in »Irmen-Säule«, »weil Arminius [ . . . ] wegen des Lohensteinisdien Romans mir nicht mehr neü genug, und gleichsam nur abgeborgt geschienen.« Der Plan zur Gründung der »Boberfeldischen Gesellschaft« scheiterte an Mißverständnissen und Trotzreaktionen zwischen Bodmer und König, als er einer glücklichen Verwirklichung bereits nahe zu sein schien (Königs Briefe an Bodmer, auf die wir uns beziehen, sind abgedruckt bei BRANDL, Brockes, S. 139-170). GOTTFRIED BENJAMIN HANCKES, Königl. Pohln. und Churfl. Sächß. G. A. Secretarti, Weltliche Gedichte, Nebst des berühmten Poetens, Herrn Benjamin Neukirchs, noch
III.
300
Kapitel
In seiner Untersuchung der Hanckischen weltlichen Gedichte hat Juncker nach der vollständigen Zitierung dieses Passus leichtes Spiel, wenn er über die offenkundige Schlauheit Hanckes spöttelt: [ . . . ] es [ k ö m m t ] uns sehr eigenliebig vor, daß er [ H a n c k e ] sich mit Lohenstein und Neukirch in Vergleidiung stellt, da er, mit C a n i t z zu reden, noch, w i e ein Erden-Schwamm, sich k a u m hervor gethan. Wir verlangen uns auch hier nicht auf die Frage einzulassen, ob des H e r r n v o n Lohensteins große Gelehrsamkeit überall w o h l angebracht worden, und verweisen den Leser vielmehr auf erwähnten Discours der Mahler. 2 7
Wenngleich dies der einzige in der Untersuchung vorkommende Hinweis auf Lohenstein ist, tarnte Hancke seine Antwort auf Junckers unbarmherzige und vernichtende Kritik zum Teil als einen Versuch, die schlesische Dichtung im allgemeinen und die Lohensteins und Neukirchs im besonderen zu verteidigen. Tatsächlich finden sich im Poetischen Staar-Stecher (1730), seiner Selbstverteidigung, nur wenige Seiten, wo Lohenstein erwähnt wird. Hancke weist den von Juncker gegen Lohenstein vorgebrachten Vorwurf, dieser habe häufig mit unangebrachter Gelehrsamkeit geprotzt, mit einer Schmähung zurück: »Es ist [ . . . ] zu beklagen / daß solche ErdWürmer einen so berühmten Mann anzutasten sich unterfangen.«28 Geniemahls gedruckten Satyren. Mit Kupffern. Dreßden, bey J . C. Zimmermann, u. J . N . Gerlachen. In Leipzig bey Heinr. Gottfr. Boetio, unter dem Rath-Hause 1727, S. [ I I - I I I ] in der »Vorrede«. 27
G . [OTTLOB] F . [ R I E D R I C H ]
W.[ILHELM]
J.[UNCKER],
Untersuchung
Herrn
Gottfried.
Benjamin Hänchens Weltlicher Gedichte, in Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte siebender theil, nebst einer Untersuchung der Hanckischen weltl. gedickte. Mit Kön. Pohln. und Churfürstl. Sachs, allergn. Privilegio. Franckfurt und Leipzig, verlegts Paul Straube, 1727. Buchhändler in Wien, S. [ I - L V ] , hier S. [VI]. Juncker, die »Mahler«, Boileau und Gottsched werden im Vorwort G. Chr. Schreibers zu den Proben der Nieder-Sächsischen Poesie gelobt. Hier wird eine »vernünfftige Poetische Sdireib-Art« verteidigt und es werden »schwülstige Redens-Arten« und die »schwülstige Schreib-Art« kritisiert. Auch eine Stelle aus dem Arminius wird bemängelt, weil Varus dort von Dingen spricht, die man zu seiner Zeit nicht kennen konnte. In einem Gedicht mit dem Titel »Als der Hoch-wohlgebohrne Herr, Herr Carl Siegmund von Eben und Brunnen nach recht löblich-vollendeten Academischen Studien In Dero geliebtes Vaterland zurütk reiseten« wird Lohenstein jedoch gelobt (GEORG CHRISTOPH SCHREIBERS Proben der Nieder-Sächsischen Poesie, Bestehend In Glückwünschungs-Hochzeit-Leicbenund vermischten Gedichten, Nebst einer Vorrede, Worinn Von den nöthigen Eigenschaften einer vernünftigen und reinen Poetischen Sdireib-Art gehandelt, und zugleich der Herr L. Brocks wider die Tadlerinnen vertheidigt wird. Jena und Leipzig, Bey Joh. Friedrich Rittern, S. [V, X ] , 12). 28
[GOTTFRIED BENJAMIN HANCKE,] Poetischer Staar-Stecher,
In welAern sowohl Die
Die Kritik der
Aufklärung
301
w a n d t e r w i r d jedoch K ö n i g s M e i n u n g über den M a r i n i s m u s u n d die V e r a n t w o r t u n g , die Lohenstein f ü r dessen V e r b r e i t u n g in Deutschland t r ä g t , w i d e r l e g t . H a n c k e beschränkt sich d a r a u f , eine Stelle aus der B i o g r a p h i e v o n M a r i n o a n z u f ü h r e n , 2 9 die K ö n i g w ä h r e n d seiner marinistischen P e r i ode geschrieben hatte u n d die Brockes' Ü b e r s e t z u n g der Strage centi (Der bethlehemitische
Kindermord)
degl'inno-
v o r a n s t a n d , w o der italienische
Dichter als der größte Dichter, der je gelebt habe, verherrlicht w i r d . 3 0 Z u Lohensteins
Verteidigung
erinnert H a n c k e
sodann
an
die
berühmten
W o r t e N e u m e i s t e r s : » C e l e b r i o r . . . [ e t c . ] . « 3 1 J u n c k e r empfiehlt er die L e k türe des Arminias:
» E i n schönes Buch [ . . . ] , dergleichen w i r in Deutscher
Sprache nicht haben, u n d w o r a u s er [ J u n c k e r ] deutsch lernen k ö n n t e « ; aber ironisch setzt er sogleich hinzu, das W e r k sei » z u m Durchlesen z u groß, u n d mit einem B l a t e der Schweitzerischen Mahler-Gesellschaft w i r d m a n eher f e r t i g . « 3 2 I m dritten J a h r z e h n t des 1 8 . J a h r h u n d e r t s stand, w i e m a n sieht, B o d mers u n d Breitingers berühmte Zeitschrift Die Discourse
der Mahlern
im
schlesische Poesie überhaupt, als auch Der Herr v. Lohenstein und Herr Hoffrath Neukirch Gegen die Junckerische Untersuchung verthaydiget / absonderlich aber die Ehre der Hanckischen Gedichte gerettet / und dergleichen Tadlern ihre Poetische Blindheit gewiesen wird. Breßlau und Leipzig, im Jahr 1730, S. 25. Hanckes Autorschaft geht aus dem Inhalt der Streitschrift, die eindeutig eine Selbstverteidigung darstellt, hervor. Über Hancke vgl. HERMANN PALM, Gottfried Benjamin Hancke, in Allgemeine Deutsche Biographie, X , S. 5 1 3 - 5 1 4 ; und GEORG BURKERT, Gottfried Benjamin Hancke. Ein schlesischer Spät-Barockdichter, Diss. Breslau 1933 (über den Hancke von Burkert zugeschriebenen Poetischen Staar-Stecber vgl. S. 20-22). Mäzen und Beschützer Gottfried Benjamin Hanckes war der Graf Franz Anton von Sporck. Wie schon bei J . Chr. Günther waren auch die Beziehungen zwischen Hancke und Sporck von Ferdinand Ludwig von Bresler und Aschenburg gefördert worden (vgl. BENEDIKT, Franz Anton Graf von Sporck, S. 249-251). 29 HANCKE, Poetischer Staar-Stedoer, S. 146. so Die von Handle angeführte Stelle ist die folgende: »[es] ist dodi ausgemacht, daß niemahls ein Diditer gebohren worden, dem die Natur ihre wunderbare Gaben reichlicher mitgetheilet. Niemand hat je eine so unglaubliche Fähigkeit zur Dicht-Kunst, niemand mehr lebhafftes, scharfsinniges und annehmliches zugleich besessen. Daher man ihn billig an Erfindung dem Ariosti, an Majestät dem Tasso, an Kürze aber sich selbst nur gleich geschätzt« (Leben des Ritters Marino, verfertigt von Hrn. JOH. ULRICH KÖNIG / Königl. Poln. und Churfiirstl. Sächs. Hof-und Ceremonien-Rath, in Hrn. Β. H . BROCKES / Lt. Com. Palat. Caes, und Raths-Herrn der Stadt Hamburg / verteutscbter Bethlehemitischer Kinder-Mord des Ritters Marino, nebst des Hrn. Ubersetzers eigenen Wercken, auch vorgedrucktem Vorbericht, Leben des Marino und beygefägten Anmerckungen von Hrn. König / Imgleichen einer Vorrede von Herrn Weichmann / Neue / von Seiner Rom. Kayserl. Majestät allergnädigst privilegine Auflage. Tubjngen / Drutkts und verlegts, Joh. Heinr. Schramm. 1739 [ 1 . A u f l . 1 7 1 5 ] , S. 4 3 - 1 0 1 , hier S. 88). 32 « HANCKE, Poetischer Staar-Stecher, S. 147-148. Ebd., S. 137.
III.
302
Kapitel
Mittelpunkt der Aufmerksamkeit sowohl der Gegner als auch der Bewunderer der Barockdichtung. Bodmer hatte darin unter dem Pseudonym Rubeen in Nachahmung von Boileaus Dialogue des Héros de roman den Arminius (und den höfisch-heroischen Roman im allgemeinen) treffend parodiert, wobei er dessen Gelehrsamkeit als pedantisch und den Stil als affektiert und schwülstig beurteilte.33 Bodmer hatte außerdem im achten »Discours« des dritten Teils der Zeitschrift seine Auffassung von »Phöbus« und »Galimathias« - die er als »durchaus leere [ . . . ] , laut-klingende, weit gespannte, aber arme Expressionen«34 definierte - , mit einem Gedicht von Lohenstein (»Wenn so viel zucker war / als schnee«) exemplifiziert.35 Das weite Edio von Bodmers Urteilen über Lohenstein ist eine Folge des großen Einflusses (der kommerzielle Erfolg war jedoch gering), den die Discourse der Mahlern, die erste36 der sogenannten Moralischen Wochenschriften in deutscher Sprache, in der literarischen Welt Deutschlands 33 Die Discourse der Mahlern. M D C C X X I I , S. I 0 J - I I 2 .
Dritter Theil. Zürich, Drückts Joseph
Lindinner.
34 Ebd., S. 58. 35 Das Gedicht ist im zweiten Teil des Arminius (S. 1420) enthalten und wird von Neukirch in der Einleitung zu seiner Anthologie Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte erster Theil (1697) zitiert. Bodmer wiederholte seine Kritik an diesem Gedicht in den Nachrichten von dem Ursprung und Wachsthum der Critik bey den Deutschen ( 1 7 1 4 ) und bestritt die Gültigkeit von Neukirchs Urteilen über Lohenstein und über andere Barockdichter, wie sie in der »Vorrede« zur Hoffmannswaldau-Sammlung zum Ausdruck kamen und von seinen Zeitgenossen ohne Überprüfung akzeptiert wurden: »Diese Urtheile sind zur selben Zeit durdigehends vor feine Critici angesehen worden, ungeachtet sie allein auf den willkürlichen Geschmack des Kunstrichters gebauet sind. J a ungeachtet man von der Kraft, so den Trauerspielen Lohensteins, und Gryphius, und den Heldenbriefen Hoffmanns Waldaus zugeschrieben wird, in Durchlesung derselben nichts empfindet, hat man diese Aussprüche doch mit Verleugnung der eigenen Empfindung ohne Foderung eines gründlichen Beweises, ohne Untersuchung, mit Glauben und Liebe angenommen. Was man darinnen nirgend hinzubringen gewußt hat, was dunckel, zweydeutig und verworren geschienen, hat man lieber seiner eigenen Ungeschicklichkeit, als des dreisten Kunstrichters verworrenen Kopf zugeschrieben« (BODMER, Nachrichten von dem Ursprung, S. 99-100). 36 Die erste in Deutschland gedruckte Moralische Wochenschrift war Der Vernänfftler ( 1 7 1 3 - 1 7 1 4 ) von Johann Mattheson, aber da es sich hier lediglich um eine Übersetzung einiger Nummern der englischen Zeitschriften Tatler und Spectator handelt, die den hamburgischen Verhältnissen angepaßt wurden, kann man sicherlich die Discourse der Mahlern als den ersten eigenständigen deutschen Versuch mit dieser im 18. Jh. erfolgreichen und weitverbreiteten literarischen Gattung ansehen (freilich nur bis zu einem gewissen Grad, denn auch Bodmers Zeitschrift nahm diejenigen von Steele und Addison zum Vorbild). Über die Moralischen Wochenschriften vgl. die g r u n d l e g e n d e M o n o g r a p h i e v o n W O L F G A N G M A R T E N S , Die
Aufklärung
Botschaft
der
Tugend.
im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften, Stuttgart 1968.
Die
Die Kritik der
Aufklärung
303
zu Beginn des 18. Jahrhunderts ausübten.37 Die Discourse der Mahlern, die an Boileaus Poetik festhalten und ihr kanonischen Wert beimessen, vertreten ein klassizistisches Sprach- und Dichtungsideal. Klarheit, Wahrheit und Natürlichkeit sollen die besonderen Kennzeichen des sprachlichen Ausdrucks sein, in Poesie und Prosa gleichermaßen. In einem »Discours«, der dem Lobpreis der »natürlichen« Dichtung von Opitz, »dem Bruder der Natur«, gewidmet ist - Bodmer stellt diese der künstlichen und unnatürlichen von Hoffmannswaldau, Lohenstein und Neukirch gegenüber - polemisiert er gegen die Sophisten der Beredsamkeit und sucht unter Heranziehung der obengenannten Dichter »den Unterscheid [ . . . ] , welcher zwischen einer scharfsinnigen Rede waltet, die wahrhafft und natürlich ist, und zwischen einem blossen Spiele der verderbten Imagination, das von der Zwey-deutigkeit oder einer übel-gemessenen Vergleichung und Allegorie gebohren wird, und die meisten male ein halbes Wortspiel ist«38 aufzuzeigen. Wie Bodmers und Breitingers Zeitschrift führen auch die anderen deutschen Moralischen Wochenschriften einen Kampf gegen den Barockstil, der als der Inbegriff des schlechten Geschmacks angesehen und mit den Worten »Bombast«, »Galimathias«, »Phöbus« und »Schwulst« charakterisiert wird. Sie versuchen die Lesegewohnheiten des bereits vorhandenen Publikums gründlich zu ändern, indem sie es dazu erziehen, einen klaren, verständlichen, einfachen und natürlichen Stil zu schätzen, und ein breiteres Publikum, das hauptsächlich in den Mittelschichten und unter den Frauen gesucht wird, zur Lektüre hinzuführen. Dabei verwenden sie wirklich eine verständliche, klare und anschauliche Prosa, die auch für Personen von äußerst bescheidenem Bildungsgrad faßbar ist. In Nr. 55 der Hamburger Zeitschrift Der Patriot vom 18. Januar 1725 kann man folgende hochinteressante Seite lesen: D i e Kunst, w o h l zu schreiben, beruhet vornehmlich auff einer z w a h r angebohrnen aber zugleich geübten Fertigkeit, ordentlich und w o h l zu dencken. Allein die meisten, und insonderheit die sich bedüncken lassen, diese K u n s t am besten zu besitzen, verfehlen ihrer darin, daß sie gar zu sehr zu künstlen suchen, und mit der z w a h r prächtigen, aber zugleich einfältigen und ungesdiminckten 87
38
Ober die literarische Kritik und die ästhetischen Theorien in den Discoursen der Mahlern und über ihre Wirkung in Deutschland vgl. FRIEDRICH BRAITMAIER, Geschichte der Poetischen Theorie und Kritik von den Diskursen der Maler bis auf Lessing. Zwei Teile in einem Band. Hildesheim 1972 (fotomechanischer Nachdruck der Frauenfelder Ausgabe von 1888-1889), I, 23-53. Die Discourse der Mahlern. Zweyter Theil. Zürich, Drückts Joseph Lindinner, M D C C X X I I , » X X I . Discours«, S. 1 6 1 - 1 6 8 .
3 °4
III. Kapitel
Schönheit der Natur sich nicht begnügen wollen. Gleichwohl ist diese nicht allein die Richtschnur von der Arth zu dencken selbst, sondern auch von dem EntwurfF und der Vorstellung unserer Gedancken. Wer unnatürlich denckt, muß auch nothwendig unnatürlich schreiben. Falsche Gedancken können mir unmöglich einen klahren und verständlichen Begriff geben, wenn gleich die dabey angebrachten Worte sie noch so deutlich nach dem Sinn ihres Verfassers ausdrücken. Sind sie niederträchtig, dunckel, auffgeblasen, kindisch, gezwungen und verworren; so wird auch die äusserste Stärcke der Beredsamkeit sie nicht anders machen. Dennoch folget es nicht, daß in der einzigen Geschicklichkeit, wohl zu dencken, zugleich die gantze Kunst wohl zu schreiben, bestehe. Hiezu gehört ein mehres, und es gibt die Menge von Scribenten, die zwar allerdings vernünfftig und gut genug dencken; ihre Gedancken aber allezeit auff eine gantz unförmliche, verdrießliche, und dabei entweder gar zu trockene, oder gar zu schwülstige Arth vortragen. [ . . . ] Alles, was tieff, und nicht zugleich klahr, oder deutlich ist, ist unnatürlich. Die Tieffe einer Schrifft aber besteht nicht in weit hergeholten durch einander verworrenen Metaphorischen und Geheimnißvollen Redens-Arten, sondern allein in der Bündigkeit und dem Gewicht der Sachen selbst: so wie die Deutlichkeit sich gleichfalls nicht durch platte, gemeine und langweilige Ausdrückungen äussert, sondern vielmehr durch einen reinen, muntern und netten Vortrag dieser Sachen. Demnach ist eines jeden Schrifft-Stellers n o t wendige Pflicht, seine Gedancken so leicht und begreifflich vorzustellen, daß man sie nicht allein ohne das geringste Kopff-brechen verstehen könne, sondern daß es auch blosserdings unmöglich sey, sie nicht zu verstehen.39 Die Pflicht des Schriftstellers, sich deutlich, einfach, äußerst anschaulich und klar auszudrücken, ist für die beginnende A u f k l ä r u n g nicht nur eine moralisch-pädagogische, sondern auch eine politische Pflicht. Eine größere Verbreitung des Lesens und eine Erweiterung der Leserschaft stellen die notwendigen Voraussetzungen zur Durchführung jenes Rationalisierungsprozesses, d. h. der Entfeudalisierung der Gesellschaft dar, der das politische Ziel der europäischen A u f k l ä r u n g ist. Die in der Gegenüberstellung von »gotischem« Stil und »natürlichem« S t i l 4 0 ausgedrückte Polemik gegen die »Pedantischen Zierahten«, 4 1 gegen den »falschen Schmuck«, 4 2 gegen Floskeln und gelehrte Anspielungen und 39
Der Patriot. Nach der Originalausgabe Hamburg 1724-26 in drei Textbänden und einem Kommentarband kritisch herausgegeben von Wolfgang Martens. Band II: Jahrgang 172;, Stück 53-104, Berlin 1970 ( = Ausgaben deutscher Literatur des X V . bis X V I I . Jahrhunderts unter Mitwirkung von Käthe Kahlenberg herausgegeben von Hans-Gert Rolofï), S. 1 6 - 2 1 . 40 Die Discourse der Mahlern. Zweyter Theil. » X X I . - X X I I . Discours«, S. 1 6 1 - 1 8 4 . « Ebd., S. 24. 42 Ebd., S. 20.
Die Kritik der
Aufklärung
3°5
die Propaganda für einen verständlichen, gefälligen, anschaulichen und möglichst natürlichen und rationalen Stil stellen einen gewiß nicht unwichtigen Aspekt des politischen Kampfes des Bürgertums gegen die Feudalgesellschaft dar. Das beweist die Tatsache, daß die von den Moralischen Zeitschriften betriebene Auseinandersetzung über den Stil nicht losgelöst ist von der Polemik gegen speziell aristokratische Werte wie »Höflichkeit«, »Ehre« und »Galanterie«. Die »Galanterie« ist für den Patrioten43 ebenso wie für Die Vernünfftigen Τadlerinnen (1725-1726), 4 4 die ausschließlich für ein weibliches Publikum bestimmte Zeitschrift von Gottsched, eine negative Eigenschaft. Auf der sprachlichen Ebene sind für Gottsched zwei Merkmale der Galanterie der Gebrauch von Fremdwörtern und der rhetorische Schwulst.45 Die feudale Auffassung von Ehre wird als unmoralisch und irrational verworfen.46 Die »Höflichkeit«, die als kaum vereinbar mit der Loyalität, der Anständigkeit und Aufrichtigkeit gilt, wird als ethisches und praktisches Ideal abgelehnt, desgleichen höfische Philosophie und Lebensauffassung. Der Hof wird als Zentrum der Heuchelei, der Intrigen, des Lasters und der seichten Äußerlichkeit angesehen. Etikette, Pomp, Aufwand, Zeremoniell, Gepränge, kurzum, die Ansprüche und die repräsentativen Funktionen des Hofes werden streng beurteilt und als unmoralisch verdammt. Der »politische« Mensch, d.h. der T y p des machiavellistischen Höflings, verkörpert das Gegenteil des Ideals der Moralischen Zeitschriften. Ihr Ideal ist einfach »der Mensch« oder »der Bürger«, der tugendhaft, anständig, redlich, aufrichtig, um das soziale Wohlergehen seiner Mitbürger und um das Glück aller Menschen besorgt und in seinen Handlungen ausschließlich von der Vernunft und der Religion geleitet ist. Ihr Ideal ist der Mensch, der einen für seinen Nebenmenschen nützlichen Beruf ausübt, nicht der Höfling, nicht der Held.47 Martens schreibt: »Die Wochenschriften [haben] für das Ideal des Helden, für Größe, an den Tag gelegte Er43
44
45 46 47
Vgl. N r . 1 3 7 vom 15. August 1 7 2 6 (Der Patriot. Nach der Originalausgabe Hamburg 1724-26 in drei Textbänden und einem Kommentarband kritisch herausgegeben von Wolfgang Martens. Band III: Jahrgang 1726, Stück io¡-i¡6, S. 262-270). Die Vernünfftigen Tadlerinnen Erster Jahr-Theil. 1725. Franckfurt und Leipzig, Bey Johann Brandmüller, S. 7 3 - 8 0 ( X . Stüde). Über Gottscheds Einstellung zur »Galanterie« vgl. ERIC A . BLACKALL, Die Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache 1700-177;. Mit einem Bericht über neue Forschungsergebnisse 1933-1964 von Dieter Kimpel, Stuttgart 1966, S. 7 1 . Uber die Einstellung der Moralischen Wodienschriften zur Galanterie vgl. MARTENS, Die Botschaft der Tugend, S. 354-360. Vgl. BLACKALL, Die Entwicklung, S. 7 1 . Vgl. MARTENS, Die Botschaft der Tugend, S. 3 7 8 - 3 7 9 . Vgl. MARTENS, Die Botschaft der Tugend, S. 3 4 2 - 3 5 4 .
30 6
III.
Kapitel
habenheit, demonstrative Würde, auf großer Szene exerzierte Magnanimitas und für Majestätisches nichts übrig. Sie diagnostizieren auf falschen Schein und halten sich an ehrliche Einfachheit.«48 Die Aufmerksamkeit verlagert sich vom Äußeren aufs Innere. Es interessiert nicht mehr, was der Mensch repräsentiert und wie er es repräsentiert, sondern was er ist, welches seine moralischen und sozialen Qualitäten sind und wie sein Innenleben aussieht (außerordentlich ist der Beitrag des Pietismus zu dieser Tendenz zur psychologischen Analyse, zur Bewertung und auch Uberbewertung der inneren Regungen). Der ästhetische Genuß bei der Betrachtung des großen Welttheaters mit seinen unzähligen Gestalten und der unendlichen Menge von Dingen und Geschehnissen geht verloren. Der verwickelte und verschachtelte Periodenbau, die metaphorische, sinnreiche, scharfsinnige und enzyklopädische Sprache des Barock, die mit der Technik der Anhäufung von »Realien«, »Kuriositäten« und gelehrten Anspielungen auf den Bereich der Geschichte, der Natur und der Mythologie versuchte, die unermeßliche Vielfalt der Wirklichkeit und die unendlichen Überschneidungen ihrer Perspektiven zwar nicht erschöpfend, aber doch wenigstens adäquat darzustellen, wird nun unverständlich, ja abstrus. Deswegen ist die Polemik gegen die barocke Rhetorik nicht zu vermeiden. In Nr. 70 des Patrioten vom 3. Mai 1725 wird die traditionelle rhetorische Bildung der Barockzeit folgendermaßen beurteilt: Das Gehirn der Knaben wird mit so vielen Recepten zu einer edlen, starcken und beweglichen Schreib-Art angefüllet, daß ihnen das natürliche, leichte und angenehme dagegen allzugeringe deucht. Wenn sie hernach unter die Leute kommen, w o man einzig der N a t u r und Vernunfft zu folgen hat; so wird es ihnen sauer dieses Flitter-Gold und diesen falschen Zierraht abzulegen, womit sie in den Schulen sich gebrüstet hatten. Sie haben sich viel zu eiffrig beflissen, so zu schreiben, daß man sie bewundern solle, und fällt es ihnen daher fast unmöglich, so zu schreiben, daß man sie verstehen könne. [ . . . ] Ich verwerffe keines Weges alle Rhetorische Bücher, und gebe vielmehr zu, daß sie auff verschiedene Arth ihren Nutzen haben. N u r kann ichs nicht gut heissen, wenn man gar zu starck darauff bauet, als ob sie insonderheit geschickt wären, Verstand, L e b h a f t i g k e i t und Feuer zu geben, oder wenn man die armen Kinder mit Erlernung etlicher hundert Barbarischer Worte mehrentheils nur umsonst zu martern pfleget. Eine gar zu genaue Beobachtung der Kunst-Regeln ist in diesem Fall der gesunden Vernunfft und wahren Beredsamkeit viel mehr zuwider, als deren gäntzliche Hindansetzung. Ein grosser Geist, der in Wissen« Ebd., S. 347.
Die Kritik der
Aufklärung
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schafften audi gar nidits gethan hat, wird allezeit mit seinen blossen natürlichen Gaben viel weiter kommen, als der allersorgfältigste und richtigste Scribent mit einer angebohrnen mittelmässigen Geschicklichkeit. Seine grösten Unrichtigkeiten sind öffters solche Schönheiten, die nachmahls zu würcklichen Regeln der Kunst werden. Dennoch ist es ein Vortheil, wenn einem solche Regeln bekannt sind, nicht eben um gut schreiben zu können: denn dieses kömmt auff den Verstand und die Krafït zu dencken an; sondern um dasjenige, so wir geschrieben, wohl nachzusehen, und uns nichts entwischen zu lassen, was Leute von minderer Fähigkeit nicht gern setzen mögten. Die hauptsächlichste Eigenschafft wohl zu schreiben, bestehet darin, wenn wir so deutlich schreiben, daß einer, der es lieset, alles was er lieset, wie mit Augen vor sich siehet. Dieses kann unmöglich geschehen, falls nicht der Scribent selber von dem, was er schreibet, in Bewegung gebracht worden; und nach der Maasse, wie er davon eingenommen oder erhitzt ist, werden auch die Metaphoren und Figuren von selbst in seine Feder kommen. Steht er würcklidi in derjenigen Gemiihts-Beschaffenheit, wovon er handelt; zweiffeit er; verwundert er sich; liebet er; hasset er: so wird er kaum hindern können, daß nicht solche Redens-Arthen sich in Menge darbieten, die seine Leidenschafft starck genug vorstellen. Die ungelehrten und gemeinen Leute sind eben so erfahrne Redner, als die gelehrten immer seyn mögen, wenn sie von ihren Neigungen und herrschenden Gemühts-Bewegungen auffgebracht werden. 49 Ein radikalerer Umsturz der rhetorischen Ideale des Barock ist kaum vorstellbar. Technik, Kunstanwendung, theoretische und praktische Kenntnis der rhetorischen Figuren, polyhistorische Gelehrsamkeit (als unermeßliches Reservoir, aus dem man Elemente zur Bildung von Metaphern, Vergleichen, Emblemen, Hyperbeln und Konzetti gewinnen konnte) - alle jene Kenntnisse, Regeln und technischen Fertigkeiten, die im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts als Grundlage der Redekunst galten, werden nun im Namen der gesunden Vernunft, der natürlichen Anlagen und der Spontaneität völlig abgewertet. Die Voraussetzung für eine echte Beredsamkeit wird unmittelbar in der Gefühlssituation des Redners oder Schriftstellers gesehen: nur wenn der Redner oder Schriftsteller von denselben Leidenschaften, die er darstellen will, ergriffen ist, kann er sie wirksam ausdrücken. Auf der eben angeführten Seite der Hamburger Zeitschrift, die manchen Keim der aufkommenden Ästhetik des Emotionalismus 50 und sogar An49 Der Patriot. Band II, Berlin 1970, S. 1 4 7 - 1 5 1 . 50
Z u r Ästhetik des Emotionalismus vgl. ALBERTO MARTINO, Geschichte der dramatischen Theorien in Deutschland im ¡8. Jahrhundert. I : Die Dramaturgie der Aufklärung ( 1730-1780). Tübingen 1 9 7 2 , S. 1 - 1 0 8 .
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III.
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zeichen der Poetik der Kunst als Schöpfung der Stürmer und Dränger enthält," klingt das horazische » [ . . . ] si vis me Aere, dolendum est primum ipsi tibi [.. .]« 62 an. Die Möglichkeit der Kommunikation zwischen dem Schriftsteller oder Redner und seinem Publikum beruht nicht mehr auf der Beherrschung eines gemeinsamen rhetorischen Kodes oder auf dem Besitz der gleichen polyhistorischen Bildung, sondern auf der Universalität der Sprache des Gefühls. Mit dem Appell an das Gefühl des Publikums vermag der Schriftsteller, der selbst von den Leidenschaften, die er ausdrücken und darstellen will, angerührt ist, mit diesem unmittelbar und spontan in eine sympathetische Verbindung zu treten, ohne sich durch irgendwelche intellektualistische Bedenken technischer und formaler Art hemmen zu lassen. Die einzige Rechtfertigung der Kommunikation liegt im Inhalt, der ungekünstelt seine adäquate Ausdrucksform findet. Eine so vollständige Ablehnung der Barockrhetorik - die ihren Daseinsgrund allein in Repräsentationsfunktionen hatte (dies brachte offensichtlich das absolute Ubergewicht der Form und der ornamentalen Elemente gegenüber dem Kommunikationsinhalt mit sich) und die sich, weit davon entfernt, an jene Emotivität zu appellieren, deren geringste Äußerung als eine unziemliche Vernachlässigung der Hofetikette angesehen wurde, mit ihrem Feuerwerk unzähliger Metaphern, Hyperbeln, Konzetti, Vergleichen und »Realien« ausschließlich an den Verstand des Publikums wandte - , stellt einen recht seltenen Fall dar. Der Patriot formuliert hier nämlich Auffassungen, die, wie gesagt, eher die Ästhetik des Emotionalismus ankündigen - die sich in Deutschland jedoch erst nach 1750, parallel zur Verbreitung der Ästhetik von Du Bos durchsetzen sollte —, als die rationale, in der Wolffschen Philosophie verankerte Poetik Gottscheds, die für das breite literarische Publikum zwischen 1730 und 1750 normativen Wert gewann. Jedenfalls sind die Stil- und Ausdrucksideale der Aufklärung, ob sie nun den Kategorien des »gesunden Menschenverstandes« und der »gesunden Vernunft« folgen oder auf der Vorstellung von der Universalsprache der Leidenschaften beruhen, denen des Barock entgegengesetzt. Und es konnte nicht anders sein, denn die ersteren sind von der Notwendigkeit diktiert, das breite Publi61
52
Zur Diditungslehre des Sturms und Drangs vgl. ROY PASCAL, Der Sturm und Drang. Stuttgart 1963; und BRUNO MARKWARDT, Geschichte der deutschen Poetik. Band II: Aufklärung, Rokoko, Sturm und Drang, Berlin 1956, S. 289-476. Zur Auffassung des »schöpferischen« Genies vgl. insbesondere PIERRE GRAPPIN, La théorie du génie dans le préclassicisme allemand, Paris 1952. Q. HORATIUS FLACCUS, Ars Poetica (V. 102-105), in Q. H . F., Opera, Oxford 196?.
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Aufklärung
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kum der Mittelklassen für das Lesen und damit für die Kultur und die Ideen der Aufklärung zu gewinnen, während sich die letzteren aus dem Versuch entwickelt hatten, die bürgerlich-humanistische Rhetorik und Diktion den Erfordernissen der höfischen Feierlichkeit und Repräsentation und den heroisch-ritterlichen Werten anzupassen. Da die soziologischen Implikationen der beiden Stilideale und ihre >Träger< derartig verschieden waren, könnte man erwarten, daß sich der Erfolg des aufklärerischen Stilideals auf die bürgerlichen Schichten, vornehmlich auf die Freien Reichsstädte beschränkt und daß der Hof weiterhin den repräsentativen, preziösen, monumentalen, sinnreichen und scharfsinnigen Barockstil pflegt. Statt dessen verdrängt der neue Stil den alten völlig und wird an manchen Höfen von Anfang an geschätzt. So lobte Johann von Besser, Zeremonienmeister am Berliner Hof ( 1 7 0 1 - 1 7 1 3 ) und später am Dresdner Hof ( 1 7 1 7 - 1 7 2 9 ) , in einem Brief vom 23. Februar 1724 die »natürliche und nachdrückliche Zierlichkeit« und »Reinigkeit« der Sprache des Patrioten. Besser schreibt, der Autor der Zeitschrift beherrsche »die Teutsche Sprache in soldier Vollkommenheit [ . . . ] , als ich noch keinen in meinem gantzen Leben angetroffen«. In einem zweiten Brief, vom 25. April 1724, bekräftigte er seine Wertschätzung des Stils der Zeitschrift: »Die Schreib-Arth des Patrioten stehet mir überaus wohl an.«53 Mit dem gleichen Wohlwollen beurteilte der Hofpoet Johann Ulrich von König, der Bessers Nachfolger im Amt des Zeremonienmeisters am Hof von Dresden werden sollte, den Kampf der Discourse der Mahlern gegen den lohensteinischen Stil und ihre Anstrengungen, für das Ideal eines klaren und natürlichen Stils zu werben. In einem Brief vom 28. März 1724 schrieb König in der Tat von Dresden aus folgendermaßen an Bodmer, wobei er zur Zeitschrift gratulierte: D e r V o r z u g , w e l c h e n Sie h i n u n d w i e d e r d r e y e n v o n unsern besten P o e t e n , n e m l i d i O p i z e n , K a n i z e n u n d Bessern gegeben, ist so gerecht; u n d die B e u r t h e i l u n g der Lohensteinischen u n d W a l d a u i s c h e n g e z w u n g e n e n 83
Schreibart
Bessers Briefe sind der Nr. 36 des Patrioten vom 7. September 1724 entnommen (Der Patriot. Nach der Originalausgabe Hamburg 1724-26 in drei Textbänden und einem Kommentarband kritisch herausgegeben von Wolf gang Martens. Band I: Jahrgang 1724, Stück I-J2, Berlin 1969, S. 303-304. Es scheint, daß Besser, vom Stil mancher späteren Nummern der Zeitschrift enttäuscht, sein sdimeichelhaftes Urteil über den Patrioten bereute und es dem Redakteur Weichmann zum Vorwurf machte, ohne sein Wissen die Briefe, die er an den Verleger Johann Christoph Kißner gerichtet hatte, veröffentlicht zu haben (vgl. Königs Brief an Bodmer vom i j . V . 172 j, abgedruckt bei BRANDL, Brockes, S. 1 3 9 - 1 4 8 ) .
III.
310
Kapitel
u n d ihrer N a c h f o l g e r so billig, d a ß nicht nur ich, w i e alle rechtschaffene K e n ner, hierinn v o r l ä n g s t m i t I h n e n einig, sondern dereinst g a n z D e u t s c h l a n d Ihnen w i r d nachrühmen müssen, d a ß Sie E i n e r v o n den ersten gewesen, w e l cher das H e r z gehabt, sich öffentlich w i d e r den bisher eingerissenen v e r d o r benen Geschmack z u e r k l ä r e n , u n d die Falschheit d e r j e n i g e n a u f g e b l a s e n e n D i c h t a r t z u zeigen, welche v o n den u n v e r s t ä n d i g e n insgemein die H o h e gen a n n t w o r d e n . I n z w i s c h e n d ö r f e n Sie sich nicht w u n d e r n , w a n n etliche mittelm ä ß i g e Geister diese W a h r h e i t n o d i nicht erkennen w o l l e n . Es ist v i e l leichter, ausschweiffend, unnatürlich, schwülstig u n d mit einem W o r t e sdiulfüchsisch, als männlich, natürlich, sittsam u n d nach d e m Geschmack des H o f e s u n d der W e l t k l u g e n z u schreiben. 5 4
M i t den letzten Worten der zitierten Stelle, w o K ö n i g den »unnatürlichen« und »schwülstigen«, den »Schulfüchsen« eigenen barocken Stil dem »natürlichen«, »sittsamen« und »dem Geschmack des Hofes« und den Weltklugen entsprechenden Stil gegenüberstellt, bezeugt er uns, daß Bodmers Stilideale, die ja diejenigen des Boileauschen Klassizismus sind, auch an vielen H ö f e n gebilligt wurden. Die Feststellung von König, der nur an wenigen H ö f e n selbst Erfahrungen gesammelt hatte (Wolfenbüttel, Weißenfels, Dresden), 55 gilt tatsächlich, z w a r nicht für alle H ö f e , aber sicher für jene - und diese bildeten nun schon die Mehrheit - , die unter dem Einfluß der französischen Sprache und Kultur standen. 56 Die gemeinsame Grundlage für die Stilideale der Moralischen Wochenschriften und der Hofdichter (Canitz, Besser, König) stellt in der T a t der formale und sprachliche Klassizismus der Franzosen dar. Auch die englischen Moralischen Wochenschriften, The Tatler, The Guardian und The Spectator von Richard Steele und Joseph Addison, die von den deutschen Wochenschriften offen und
erklärtermaßen
nachgeahmten
Vorbilder,
pflegten die formalen und sprachlichen Ideale des französischen Klassizismus. D e r Erfolg, der diesem Stilvorbild in Deutschland beschieden ist, sei es in den bürgerlichen Kreisen der Freien Reichsstädte und der großen Handelszentren, sei es in den Kreisen des Adels und des Hofes, wird nicht nur durch die politisch-militärische Macht und den künstlerischen und literarischen G l a n z des französischen Hofes begünstigt, sondern auch durch 54 Litterarische Pamphlete. Aus der Schweiz. Nebst Briefen an Bodmern. Zürich, bey David Bürgkli M D C C L X X X I , S. 30-31. Der vollständige Brief Königs, »Joh. Ulrich König an Bodmern. Dresden, den 28. Merz 1724«, steht auf S. 29-47. 5 5 Vgl. ROSENMÜLLER, König. 5 6 Zum französischen Kultureinfluß in Deutschland vgl. VIRGILE ROSSEL, Histoire des relations littéraires entre la France et l'Allemagne, Genève 1970 [1. A u f l . 1897]; und L. REYNAUD, Histoire générale de l'influence française en Allemagne, Paris 1914.
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Aufklärung
311
die besondere Qualität der klassizistischen »écriture«, einer »écriture bourgeoise«,57 die sich in einem aristokratischen und elitären Milieu, am Hof Ludwigs X I V . , herausgebildet hatte. So empfehlen im dritten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts die deutschen Moralischen Wochenschriften - die für ein bürgerliches Publikum bestimmt und von dem Wunsch getragen waren, die Mittelschichten zu emanzipieren - , im Namen des allgemeinen Stilideals der »clarté« die Lektüre von Hofdichtern wie Besser und König, deren Dichtung zum großen Teil eine Verherrlichung derselben Höfe ist, die sie als Zentren des Lasters schildern, während ebendiese Hofdichter jene Zeitschriften loben, die im Höfling das Abbild der Sittenlosigkeit sehen und die Werte der Aristokratie negativ beurteilen. In dem Katalog für eine ideale Frauenbibliothek, der von den Discoursen der Mahlern vorgeschlagen wurde, findet man die Werke von Opitz, Canitz, Besser (die drei einzigen deutschen Autoren, deren Lektüre empfohlen wird) und von sehr zahlreichen französischen Autoren (Charron, Voiture, Fontenelle, La Bruyère, La Rochefoucauld, Fénelon, Molière, Corneille, Racine, Boileau, La Fontaine, La Motte). Die Lektüre von griechischen und lateinischen Schriftstellern (Theophrast, Lukian von Samosata, Vergil, Lukan, Terenz, Horaz) sowie von englischen (Locke, Some Thoughts Concerning Education, 1693) wird in französischer Ubersetzung empfohlen. Die >bürgerliche< Literatur ist einzig und allein durch Daniel Defoes Robinson Crusoe und durch die französische Ubersetzung des Spectator (Le Spectateur ou le Socrate Moderne) vertreten. Im Katalog stehen außerdem die Argents von John Barclay (in den Ubersetzungen von Opitz und von Bohse), der utopische Roman Die Historie der Severamben (d. h. die Histoire des Sevarambes von Denis Veiras, 1677/79) und, als Gegengift gegen die Barockromane, die Mythoscopia von Heidegger.58 Auch Der Patriot empfiehlt dem weiblichen Publikum vor allem die Lektüre französischer Werke (Fénelon, Montaigne, Fontenelle, La Bruyère, Molière, La Rochefoucauld, La Motte) und französische Uberset57 Vgl. ROLAND BARTHES, Le degré zéro de l'écriture, Paris o. J., S. 79-88. 58 Die Mahler, Oder: Discourse Von den Sitten Der Menschen. Der vierdte und letzte Theil. Zürich, in der Bodmerisdien Druckerey. 1723, S. 1 0 3 - 1 0 4 . Über die dem schönen Geschlecht von den Moralischen Wochenschriften empfohlene Lektüre vgl. jetzt den grundlegenden Aufsatz von WOLFGANG MARTENS, Leserezepte fürs Frauenzimmer. Die Frauenzimmerbibliotheken der deutschen Moralischen Wochenschriften, in »Archiv für Geschichte des Buchwesens« 15 (1975), Sp. 1 1 4 3 - 1 2 0 0 .
III.
Kapitel
zungen englischer Werke (The Guardian). Die einzigen dort genannten deutschen Dichter kommen in der Rubrik der »zur Andacht und Erbauung« empfohlenen Werke vor. Es handelt sich um Erdmann Neumeister {Geistliche Cantaten)59 und Brockes (Irdisches Vergnügen in Gott). Zahlreich sind die empfohlenen Erbauungsbücher, unter denen Klassiker des Pietismus figurieren: der Vorgeschmack Göttlicher Güte und die Apostolische Aufmunterung von Joachim Lütkemann, die Geistlichen Erquickstunden von Heinrich Müller, die Vier Bücher vom wahren Christenthum von Johannes Arndt, die Betrachtung des Leidens Christi von Amadeus Creutzberg (Pseudonym für Balthasar Friedrich von Schütz), der Geistliche Frauenzimmer-Spiegel von Hieronymus örteln, die Schola pietatis von Johann Gerhard, die Zwey Bücher von der Zufriedenheit von Johann Adolf Hofmann, der Seelenschatz von Christian Scriver und die Heiligen Moralien und der Seelenschatz von Johann Lassenius.60 Weniger starr ist der für das weibliche Publikum von den Vernünfftigen 7adlerinnen ( 1 7 2 5 - 1 7 2 6 ) vorgesehene Lektürekanon. In der zweiten Nummer von Gottscheds Zeitschrift (vom 1 0 . 1 . 1725) wird wegen der Reinheit der Sprache die Lektüre von Lohensteins Arminius, der Octavia von Anton Ulrich von Braunschweig und der Asiatischen Banise von H. A. von Zigler zugelassen.61 Aber bereits in Nummer 26 (vom 27. VI. 1725) wird der Arminius zusammen mit der Octavia, der Clélie, Artamène, ou le Grand Cyrus, Les Avantures de Têlêmaque (von Fénelon), der Argents, Herkules und Valiska, der Asiatischen Banise, Orlando Furioso, Il Pastor Fido, der Aramena und Der Getreuen Sclavin Doris (von A. Bohse) unter den schlechtesten Büchern aufgeführt: »Es sind lauter Fabeln, die nirgends als in dem Gehirne einige Romanschreiber entstanden sind.«62 Die Tadlerinnen sind, wie schon erwähnt, in der Auswahl mustergültiger Vorbilder für die Dichterlektüre weniger streng als die Züricher und die hamburgische Zeitschrift. Das Problem des Lektürekanons für den Bereich der Dichtung wird folgendermaßen aufgeworfen und gelöst: 59 Neumeister hat kein Werk mit diesem Titel verfaßt, sondern folgende Schriften: Fünffache Kirchen-Andachten bestehend In theils eintzeln, theils niemals gedruckten Arien, Cantaten und Oden Auf alle Sonn-und Fest-Tage des gantzen Jahres (Leipzig 1 7 1 7 ) ; Neue Geistliche Gedichte Auff Alle Sonn- und Fest-Tage des gantzen Jahres gerichtet. Erster Theil (Eisenach 1718), Des Harmonischen Zions Anderer Theil (Eisenadi 1 7 1 8 ) ; Evangelischer Nachklang, Das ist: Neue Geistreiche Gesänge über die ordentlichen Sonn-und Festtags-Evangelia aufs gantze Jahr (Hamburg 1 7 1 8 ) . eo Der Patriot. Band I, S. 67-68. 61
Die Verniinfftigen Tadlerinnen. Erster Jahr-Theil. Johann Brandmüller, S. 16. «2 Ebd., S. 207.
1725. Franckfurt und Leipzig, Bey
Die Kritik der
Aufklärung
3*3
Ohne Zweifel werden viele zu wissen verlangen, was vor Schrifften man denn insonderheit zu lesen habe, wenn man sich eine angenehme, leichte und natürliche Schreib-Art in der Poesie angewöhnen will? So ist unsers Erachtens rathsam, erstlidi Christian Weisens Poetische Sachen zu lesen, dessen fliessende und reine Verse einem Anfänger zum Muster dienen können. Hernach kan Opitz und Gryphius folgen, welche sich nicht, wie Hofmannswaldau und Lohenstein / durch die Italiäner zu einem gekünstelten Wesen, und einer gezwungenen Hoheit verführen lassen. Endlich kan man Canitzen und Herrn von Bessers Sachen hinzusetzen. Wir nennen aber diese berühmte Männer nicht deswegen, als wenn wir, mit denen Schweitzern in ihren Discoursen der Mahler, diese allein vor Poeten ausgeben und alle übrige verwerffen wolten. Sondern wir halten einen Neukirch / Amthor / Philander [Mencke] / Brock und Richey / eben so hoch, als grosse Poeten gehalten zu werden verdienen. Nur haben wir es nicht vor nöthig geachtet, Anfänger mit einer gar zu grossen Poetischen Bibliothec zu überhäufen, und sie dadurch abzuschrecken. 63 F ü r die ersten Moralischen Wochenschriften b o t sich die folgende A l t e r n a t i v e a n : den L e k t ü r e k a n o n d e r deutschen W e r k e a u f die g a n z wenigen klassizistischen A u t o r e n z u beschränken ( u n d dabei das d a r a u s folgende Ü b e r g e w i c h t d e r französischen A u t o r e n des Klassizismus h i n z u n e h m e n ) o d e r ihn durch Einschluß einiger b a r o c k e r u n d g a l a n t e r A u t o r e n z u er-
63
Ebd., S. 96. Im » X X I I I . Stück 6. May 172$« veröffentlichten die Tadlerinnen folgenden Vorschlag zu einer idealen Frauenbibliothek (»Verzeichniß einer Teutschen Frauenzimmer-Bibliothec«) : »In groß Octav: Cansteins 7 eut sehe Bibel, Lassenii Perlen-Schatz, Arndts wahres Christenthum, Das Staats-und Zeitungs-Lexicon, Das Frauenzimmer-Lexicon, Bessers gebundene und ungebundene Schrifften, Amthors Poetische Schrifften, Pritii Ausübung der geistlichen Tugend-und Sitten-Lehre. Im gemeinen Octav: Rob. Boylens Theologische Schrifften, Henr. Müllers LiebesKuß und Erquick-Stunden, Gastreil von der Wahrheit der Christi. Religion, A. H. Franckens kleine Postille, Brockes irrdisches Vergnügen in Gott, La Placetten kurtzgefaßte Sitten-Lehre, Erd. Neumeisters und J . J . Rambachs geistliche Cantaten, J . Ad. Hofmanns Zufriedenheit, Desselben Ubersetzung von des Kays. Antoninus Betrachtungen \über sich selbst], Ernst historisches Bilder-Hauß, Chr. Thomasii VernunfftLehre, Eben desselben Sitten-Lehre, Menantes allerneuste Art zur Teutschen Poesie zu gelangen, Benjamin Neukirchs Anweisung zu Teutschen Briefen, Graf Henckels letzte Stunden verstorbener Personen, Fenelons Telemaque von Talandern, Locke von der Auferziehung der Kinder, Fenelon von Auferziehung der Töchter, H. Freyers Anweisung zur Orthographie, Chr. Gryphii Poetische Wälder, Canitzens NebenStunden, Der Englische Spectateur, J . Jac. Scheuchzers kleine Natur-Wissenschafft. In Duodez: Conr. Mellen Lust der Heiligen an Jehova, Freylinghausens Gesangbuch, Bellegarde von der Auslachenswürdigkeit, Fontenellens Gespräche zwischen einem Gelehrten und einem Frauenzimmer von mehr als einer Welt, Birckenmayers Curieuser Antiquarius, Hübners Historische und Geographische Fragen, Hellwigs Frauenzimmer Apotheckgen, M.F. B C Erste Gründe der Welt-Weißheit für Frauenzimmer. Erster Versuch 172).« (Tadlerinnen, I, 184-185).
314
III.
Kapitel
weitem. Die erste Lösung widersprach der Absicht der Moralischen Wochenschriften, ein möglichst breites Publikum zum guten literarischen Geschmack zu erziehen (währendhingegen dieses durch die vorausgesetzte Kenntnis des Französischen beinahe ausschließlich auf die höheren bürgerlichen Schichten eingeengt wurde), die zweite Lösung vereitelte die Bemühungen, einen vorbildhaft klaren und einfachen Stil durchzusetzen und den preziösen Stil der Barockautoren zu diskreditieren. Natürlich löst sich das Dilemma, das in den Jahren 1720-1740 noch unlösbar war, von selbst auf, als eine den neuen stilistischen und philosophischen Idealen der Aufklärung entsprechende Literatur entstand. Im »Verzeichniß einer Frauen-Bibliotheck«, publiziert in Der Mahler der Sitten (1746), der zweiten Auflage der Discourse der Mahlern, ist die deutsche Literatur reichlich vertreten. Während in den Discoursen die einzigen empfohlenen deutschen Autoren Canitz, Besser und Opitz waren, enthält der Lektürekanon deutscher Werke im Mahler der Sitten außer Canitz und Opitz (von Besser ist nicht mehr die Rede) Jakob Immanuel Pyra und Samuel Gotthold Lange (Thirsis und Damons freundschaftliche Lieder, Zürich 1745; Gedanken der unsichtbaren Gesellschaft, Pyras Zeitschrift, 1741), Johann Ludwig Meyer von Knonau (Ein halbes Hundert Neuer Fabeln, Zürich 1744), Haller (Versuch Schweizerischer Gedichten), Hagedorn, Karl Friedrich Drollinger, Johann Wilhelm Ludwig Gleim {Versuch in Scherzhaften Liedern, Berlin 1744), Christian Ludwig Liscow {Sammlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften, Frandsfurt und Leipzig 1739), Georg Friedrich Meier {Gedanken von Scherzen, Halle 1744) und Johann Lorenz von Mosheim {Heilige Reden, Helmstedt 1746). Darüber hinaus wird die Lektüre der Neuen Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes (Bremen 1744ft.), der wichtigsten unter den deutschen literarischen Zeitschriften der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, empfohlen.64 Angeraten wird auch die Lektüre vieler bürgerlicher Romane: von der Pamela (1740) von Samuel Richardson bis zur Vie de Marianne (1731/42) und dem Paysan Parvenu (1734/35) v o n Marivaux, von Defoes Robinson Crusoe bis zu Henry Fieldings The History of the Adventures of Joseph Andrews (1742). Im Verzeichnis stehen außerdem: der Don Quijote von Cervantes, die Argents von Barclay, Miltons Paradise Lost (von Bodmer selbst über84
Über diese Zeitschrift v g l . CHRISTEL MATTHIAS SCHRÖDER, Die »Bremer Beiträgen. Vorgeschichte und Geschichte einer deutschen Zeitschrift des achtzehnten Jahrhunderts, Bremen 1956.
Die Kritik
der
Aufklärung
315
setzt),65 die Histoire des Sevarambes von Veiras, der Télémaque von Fénelon, The Seasons von James Thomson, Addisons Cato, An Essay on Man und The Rape of the Lock von Alexander Pope, die religiösen Epen von Louis Racine (La Grâce, La Religion), die Lettres der Madame de Sévigné, die Lettres persanes von Montesquieu, der Pygmalion von SaintHyacinthe, die Characteristics von Shaftesbury, Fontenelles Entretiens sur la pluralité des mondes und Dialogues des morts, Le Spectacle de la nature (1732) des Abbé Pluche, Voltaires Histoire de Charles XII, Les lettres sur les Anglois et les François von Murait, Les Caractères von La Bruyère; ferner Werke von Charron, Rollin, John Tillotson, Holberg, Algarotti, Erasmus, Nicolas Charles-Joseph Trublet, William Derham (Physico-Theologie, oder Naturleitung zu Gott), Samuel Clarke und Locke. Natürlich fehlen audi nicht einige griechische und lateinische Schriftsteller (Plutarch, Platon, Xenophon, Theophrast, Marc Aurel, Boethius) und die englischen Moralischen Wochenschriften in deutscher Übersetzung: The Spectator {Der Zuschauer, Leipzig 1739-1743), The Guardian {Der getreue Hofmeister, Franckfurt und Leipzig 1725), The Universal Spectator {Der allgemeine Zuschauer, Celle 1742/43) und The Free-Thinker {Der Freydenker, Berlin ΐ742). ββ Die Literatur in französischer Sprache, die in den Discoursen der Mahlern über 6 j % der empfohlenen Werke ausmachte, ist im Mahler der Sitten sehr wenig vertreten. Der französische Klassizismus im eigentlichen und engeren Sinn wird jetzt nur durch ein paar Namen repräsentiert. Es ist symptomatisch, daß die Namen von Autoren wie Corneille, Racine, Molière, La Rochefoucauld und Boileau weggelassen und die hervorragendsten Vertreter des aufkommenden bürgerlichen Realismus (Fielding, Richardson, Marivaux) und einige Klassiker der Aufklärung (Voltaire, Montesquieu, Pope) aufgeführt sind. Es zeigt sich deutlich, daß die Vorliebe für den französischen Klassizismus ausschließlich stilistischer Natur war und sich nicht auf die ihn durchdringende aristokratische Ideologie erstreckte. Als ebenso deutlich ES Ü b e r M i l t o n in Deutschland v g l . H A N S - D I E T E R KREUDER, Milton Seine Rezeption
im latein-und
deutschsprachigen
Schrifttum
in
zwischen
1651
Deutschland. und
1732,
B e r l i n - N e w Y o r k 1 9 7 1 ( = Quellen und Forschungen zur S p r a d i - u n d Kulturgesdiidite der germanischen V ö l k e r . N e u e F o l g e 4 3 ) ; und LAWRENCE MARSDEN PRICE, Die nahme
englischer
Literatur
in Deutschland
1500-1960,
Bern und
München
Auf1961,
S. 1 0 9 - 1 1 9 . 68
Der Mahler
Der Sitten.
Von neuen übersehen
und stark vermehret.
Zürich, verlegts C o n r . O r e l l u. C o m p . 1 7 4 6 , S . 2 8 1 - 2 8 4 .
Der zweyte
Band.
3
i6
III.
Kapitel
erweist es sich, daß die Polemik gegen die Barockliteratur nicht bloß den Stil betraf, sondern auch und vor allen Dingen eine Polemik gegen deren aristokratische Ideologie und ihre streng hierarchische Auffassung von der Wirklichkeit und von der Gesellschaft war. In Nummer 66 des Mahlers der Sitten, die der Kritik von Hoffmannswaldaus Heldenbriefen gewidmet war, steht folgender bezeichnender Satz: »Etliche von diesen Heldenbriefen werden zwischen Personen von gantz ungleichem Stande gewechselt; in denselben regieren durchgehends die Ideen, daß hohes sich zum niedern herunterlasse; daß vornehmes und geringes sich nicht zusammen vertragen: und der Poet hat einen ungemeinen Vorrath von seltsamen Bildern und Gleichnissen, jeden dieser widerwärtigen Sätze glaubwirdig zu machen.«67 Der Vorwurf gegen die preziose barocke Bildersprache, sie habe die Funktion, die »widerwärtigen Sätze« über die Ungleichheit der Klassen glaubwürdig zu machen, zeigt klar die ideologische Motivation, die der Verurteilung der Barockdichtung durch die aufklärerische Literaturkritik zugrundeliegt. Außer der Nummer 66 des Mahlers der Sitten bezeugt das audi die Nummer 68, in der Amthors Gedicht »Monarch! daß in verwehnten Zügen« als »unterthänig« bezeichnet wird. 68 (In den Discoursen der Mahlern griff man für dasselbe Gedicht nur auf die Stilkategorien »Phöbus« und »Galimathias« zurück.) 69 βτ Ebd., S. 167. «8 Ebd., S. 186. 60 Die Discourse der Mahlern. Dritter Tbeil. Zürich, Drückts Joseph Lindinner, M D C C X X I I , S. 60-61. Christian Friedrich Weichmann versuchte im V o r w o r t zum zweiten Teil seiner Anthologie der niedersächsischen Dichtung Amthors Gedicht zu verteidigen, wobei er Bodmer v o r w a r f , den T e x t ungenau zitiert zu haben (C. F. WEICHMANNS Poesie der Nieder-Sachsen. Zweyter Theil. Dem vorgedruckt einige zwischen Herrn Doct. Fabricius und Herrn Prof. Richey freundlich-gewechselte StreitSchriften über verschiedene, die Teutsche Sprache betreffende, Puñete. Hamburg, bey Johann Christoph Kißner. 1732, S. [ X V I I - X V I I I ] in der »Vorrede«). Bodmer gab die Kopierfehler zu, wiederholte aber den V o r w u r f , es handle sich um »Phöbus« {Der Mahler der Sitten. Der zweyte Band, Anm. S. 187). Jedenfalls ist Weichmann bezüglich der Stilideale mit Bodmer einer Meinung und anerkennt dessen Polemik gegen »schwülstige Metaphern« (WEICHMANN, Poesie der Nieder-Sachsen, Zweyter Theil, S. [ X V I ] in der »Vorrede«), A n Lohensteins Stil tadelt Weichmann die lakonische K ü r z e (C.[HRISTIAN] F.[RIEDRICH] WEICHMANNS Poesie der Nieder-Sachsen, oder allerhand, mehrenteils noch nie gedruckte Gedichte von den berühmtesten Nieder-Sachsen, sonderlich einigen ansehnlichen Mit-Gliedern der vormals in Hamburg blühenden Teutschübenden Gesellschafft, mit deren Genemhaltung zusammen getragen, und teils aus den actis MSS. derselben mitgeteilet; auch mit einer ausführlichen Vorrede versehen, darin unter andern die Würde der Teutschen Sprache wider den angemasseten Vorzug der Französischen, auf Veranlassung des P. Bouhours vertheidiget wird. Welcher noch beyge füget Hrn. Β [arthold] H.[einrieb] B.[rockes] Untersuchung von den ganz verschiedenen Reim-Ahrten, sonderlich der Ober- und
Die Kritik der
Aufklärung
317
W a s die kritische Einstellung zu Lohenstein angeht, so beschränkt sich Der Mahler
der Sitten nicht d a r a u f , die P a r o d i e auf den Arminias70
und
die K r i t i k zu dem Gedicht » W e n n so viel Zucker w a r , als Schnee«,
71
beide in den Discoursen
abzu-
der
Mahlern
enthalten w a r e n , wieder
die
drucken. I m » B l a t t « 68 schreibt B o d m e r in einer eingehenden Auseinandersetzung mit Neukirchs U r t e i l über den vortrefflichen Stil L o h e n steins, das im V o r w o r t zu seiner A n t h o l o g i e der Barockdichtung steht: W i r können es nicht leugnen, Lohensteins Arminius ist ein geweihtes und heiliges Buch f ü r diejenigen, welche im Galimathias und Phöbus vortrefflich werden wollen, es ist werth, daß sie es in keiner geringem Hochachtung haben, als einer poetischen Bibel. Es ist so lehrreich, daß insgemein die Sache selbst, um welche es an einem Orte zu thun ist, das wenigste ist, das man daselbst lernet; die Metaphern und Gleichnisse, worinn sie versteckt, und öfters d a v o n erdrücket w i r d , geben uns weit mehrere, wichtigere, und unbekanntere Nachrichten, die w i r nicht erwarteten, und manchmal nicht verlangeten zu wissen, wenn sie uns durch diese K u n s t des Poeten nicht hinterlistig beygebracht würden. 7 2 I m » B l a t t « 5 hingegen polemisiert Der
Mahler
der Sitten
gegen C a n i t z
wegen des günstigen Urteils, das in der Satire » V o n der Poesie« über H o f f m a n n s w a l d a u und Lohenstein z u m Ausdruck kommt, und kritisiert »die Hoffmannswaldauischen Spielwercke« und »den Lohensteinischen Schulwitz«.73 Nieder-Sachsen, und wie man hierin eine Vereinigung treffen könne. Hamburg, bey Johann Christoph Kißner, im Dom, 1725 [1. Aufl. 1 7 2 1 ] , S. [ X X X I ] in der »Vorrede«). 70 Der Mahler Der Sitten. Von neuem übersehen und starck vermehret. Der erste Band. Zürich, verlegts Conr. Orell u. Comp. 1746, S. 1 1 2 - 1 1 9 . 71 Der Mahler Der Sitten. Der zweyte Band, S. 192-194. 72 Ebd., S. 1 9 0 - 1 9 1 . 73 Der Mahler Der Sitten. Der erste Band, S. 43-46. Ober die Beurteilung Lohensteins und besonders seines Arminius in den Moralischen Wochenschriften des 18. Jahrhunderts vgl. MARTENS, Die Botschaft der Tugend, S. 499 Α., S. 466 Α., S. 501, S. 502 Α., S. 504-505, S. 510. Noch 1749 schreibt Der Eidsgenoß, eine schweizerische Moralische Wochenschrift, satirisch über die Lebensführung eines Gecken und vor allem über seine Lektüre: »In seinen Anfängen schon muß er Hundert Schulen überstehen; Zeit, Gut und Blut auf Reisen und Ärzte verwenden; über den Lohensteinen, Hofmannswaldauen, Hunolden und Talandern erblassen und erblinden« (Der Eidsgenoß, Eine moralische Wochenschrift, 1749. Basel, Verlegt von Johann Rudolph Im Hof, S. 40). In Theresie und Eleonore, einer von Joseph Sonnenfels 1767 herausgegebenen Moralischen Wochenschrift, schreibt eine der imaginären Briefpartnerinnen: »Ich habe die Büdiersammlung meines Mannes durchgesehen: idi finde Ciarissen, Pamelen und Grandison, keinen einzigen sonst von neueren. Aber in einer Eike zum ausfüllen, steht Arminius und Thusnelde, Banise, u. d. gl. alte Romanen mehr, die zu nichts tau-
3
III.
i8
Kapitel
W i r haben uns hier über einige der wichtigsten Moralischen Wochenschriften aus folgenden Gründen verbreitet: wegen der Bedeutung und der außerordentlichen Wirkung, die sie bei der Ausbildung einer neuen Literatursprache und insbesondere der Erzählprosa des 18. Jahrhunderts, 74 bei der »Intellektualisierung« wenn nicht der Unterschicht, wie Hans M. Wolff behauptet, 75 so dodi mindestens der höheren und mittleren Schichten des Bürgertums und bei der Heranbildung eines bürgerlichen literarischen Publikums 7 6 und der Entwicklung seines Geschmackes gehabt haben. Die Moralischen Wochenschriften haben bei der Mittelschicht (die nur an die »intensive« religiöse und erbauliche Lektüre gewöhnt w a r und ausschließlich Bibeln, Katechismen, Erbauungsliteratur, Hymnarien und praktische Handbücher für Haus und Beruf besaß) mit der Gewöhnung an eine »extensive« literarische Lektüre auch den Brauch eingeführt, regelmäßig belletristische und dichterische Werke zu erwerben. Natürlich ist auch jetzt das Lesepublikum nicht sehr zahlreich, aber es ist hinsichtlich Vermögen und Bildung auch nicht mehr so streng elitär wie im 17. Jahrhundert. Es u m f a ß t nun Kaufleute und mittlere Beamte, nicht aber Handwerker, kleine Angestellte, Krämer, Bauern und Dienstboten, 77 soziale Schichten, für die Bücher und selbst die Moralischen Wochenschriften 78 aus Preisgründen unerreichbar sind oder einen unberechtigten Luxus gen, als das Hirn der Mädchen mit abentheuerlichen Entwürfen anzufüllen, und weiblidie D o n Quixoten aus ihnen zu bilden.« A b e r die Briefschreiberin Theresie, die Sonnenfels als Sprachrohr für seine Vorstellungen dient, rät im Hinblick auf die Erziehung der Tochter ihrer Freundin von der Lektüre moderner englischer Romane ab und empfiehlt die Lektüre der alten Romane des 17. Jahrhunderts wegen der hohen Auffassung der weiblichen Tugend, die diese durdidringt: »Constantine soll statt aller neuen Romane, eine Arminie Aramene, oder so etwas aus dem alten Fache lesen« (JOSEPH SONNENFELS, Theresie und Eleonore. Eine Wochenschrift. Wien 1767, in SONNENFELS gesammelte Schriften. Vierter Band. Wien, mit von Baumeisterisdien Schriften. 1784, S. 137-138, 149). 74
75
76
77
V g l . dazu BLACKALL, Die Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache, S. 36-7$, 132-156; und MARTENS, Die Botschaft der Tugend, S. 408-418, 461-469. HANS M. WOLFF, Die Weltanschauung der deutschen Aufklärung in geschichtlicher Entwicklung. Zweite Auflage. Durchgesehen und eingeleitet von Karl S. Guthke, Bern und München, S. 61. Über das Publikum der Moralischen Wochenschriften vgl. MARTENS, Die Botschaft der Tugend, S. 1 4 1 - 1 6 1 . Doch hatten die Hausangestellten natürlich in mehr oder minder großem Ausmaß die Möglichkeit, die Zeitungen, Zeitschriften und Bücher ihrer Herrschaft zu lesen. Vgl. über ihre Lektüre ROLF ENGELSING, Dienstbotenlektüre im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland, in »International Review of Social History* 13 (1968),
s. 384-429· 78
Zum Preis der Moralischen Wochenschriften vgl. MARTENS, Die Botschaft der S. 1 2 1 - 1 2 3 .
Tugend,
Die Kritik der
Aufklärung
319
darstellen würden. W i r werden jedoch später noch Gelegenheit haben, uns mit diesem neuen P u b l i k u m (dem P u b l i k u m der bürgerlichen Literatur in Deutschland und schließlich dem der W e i m a r e r Klassik) und seinen Lesestoffen zu befassen. J e t z t kehren w i r zur Bodmerschen K r i t i k an L o h e n stein zurück. In dem in Zusammenarbeit mit J o h a n n J a c o b Breitinger verfaßten und Christian W o l f f gewidmeten W e r k Von Einbildungs-Krafft
dem
Einfluß
steins T h e a t e r (besonders auf die Cleopatra
Gebrauche
und die Sophonisbe)
urteilt es nicht weniger streng als den Arminius. patra
und
der
( 1 7 2 7 ) richtet B o d m e r sein A u g e n m e r k auf L o h e n und be-
E r zitiert aus der
Cleo-
die Verse, die sich auf den Streit zwischen Antonius und Proculeius
über C l e o p a t r a s und O c t a v i a s Schönheit beziehen ( 1 , 8 6 4 - 8 6 7 ) , und diejenigen, mit denen Canidius ( 1 , 9 1 9 - 9 3 0 ) die Schönheit der K ö n i g i n v o n Ä g y p t e n preist (die er jedoch der Staatsräson opfern will), 7 9 und schreibt dann: Wenn gleich die einen von diesen verblühmten Gleichnissen angehen könten / so sie für sich allein stehen; so machet doch die hyperbolische Verschwendung derselben / und die Vermischung so vieler Kostbarkeiten einen verwirrten Begriff; und wenn ich mich lange bestrebt / ihn aufzuheitern / so lerne ich nichts weiters; als daß die Farbe ihrer Glieder heiter gewesen; aber was für eine Bildung und Lineamente sie gehabt / bleibet mir ein Geheimnis. Die Hochzeit des Schnees und der Glut verfällt biß auf das possierliche. 80 79
80
LOHENSTEIN, Afrikanische Trauerspiele. Klaus Günther Just, S. 49, J 0 - 5 1 .
Cleopatra.
Sophonisbe.
Herausgegeben von
[ J O H A N N J A C O B BODMER - J O H A N N J A C O B B R E I T I N G E R , ] Von dem Einfluß und Gebrauche Der Einbildungs-Krafft; Zur Ausbesserung des Geschmackes: Oder Genaue Untersuchung Aller Arten Beschreibungen / Corinne Die außerlesenste Stellen Der berühmtesten Poeten dieser Zeit mit griindtlicher Freyheit beurtheilt werden. Franckfurt und Leipzig 1 7 2 7 , S. 4 8 - 4 9 . In den Critischen Betrachtungen über die Poetischen Gemähide der Dichter schreibt Bodmer nadi Anführung der Verse 8 6 4 - 8 6 7 und 9 1 9 930 aus dem I. Akt der Cleopatra des »berüchtigten« Lohenstein: »Einige von diesen verblühmten Ausdrücken könnten schön heissen, wenn sie nur einzel angebracht würden, aber die hyperbolische Verschwendung derselben und die Vermischung so vieler Kostbarkeiten verwirret den Begriff, und wenn man sich lange bestrebet hat, durch die Dunkelheit durchzubrechen, so hat man nichts weiter gelernet, als daß die Farbe ihrer Glieder von den hellesten gewesen war, aber was vor eine Bildung, und was vor Lineamente sie gehabt haben, bleibet uns verborgen. Die Hochzeit des Schnees und der Glut ist eines von denen Spielen der Metapher, das eben so lustig als seltsam ist, aber wie Schnee zerschmeltzen und wie Glut verlöschen wird, wenn man die Metapher auflösen und statt der entlehnten die eigenen Nahmen setzen wird« (JOHANN J A C O B BODMERS Critische Betrachtungen über die Poetischen Gemähide Der Dichter. Mit einer Vorrede von Johann Jacob Breitinger. Zürich, verlegts Conrad Orell und Comp. 1741. und Leipzig bey Joh. Fried. Gleditsch, S. 1 6 1 - 1 6 2 ) . Diese Stelle, die mit der aus dem Einfluß (S. 4 8 - 4 9 ) zitierten nahezu identisch ist, zeigt,
III. Kapitel
320
Ebenso wie Bodmer keinerlei Verständnis für die barocke Technik der Antithesen, für die schmückende und pathetische, nicht erklärende oder belehrende Funktion der preziösen Metaphern, der Hyperbeln, Vergleiche oder Allegorien hat, so bringt er auch keines für die allegorisch-repräsentative Struktur (die er sich im Gegensatz dazu realistisch-psychologisch wünscht) der Gestalten von Lohensteins Theater auf. Das beweist sein Kommentar zur 6. Szene des III. Aktes der
Cleopatra.
A u f die Nachricht von Cleopatras (vorgetäuschtem) T o d hin wird Antonius - nachdem er die Götter in einem ganz pessimistischen Vers apostrophiert hat (»Ihr leichten Götter ihr | die kein Erbarmnüs regt«, 1 1 1 , 5 3 9 ) ~ i n dieser Szene von einem ekstatischen Todeswunsch ergriffen (»komm angenehmer Todt!«, 1 1 1 , 5 4 8 ) , der einer heftigen Sehnsucht nach der Geliebten entspringt. In dieser Ekstase, in dieser Liebes- und Todesverzückung versenkt er sich in die Geliebte, und ihre Gestalt verwandelt sich für ihn zu einem preziösen göttlichen und sinnlichen Sternbild. Cleopatra mein Licht! Ach! ich erblicke schon dein sternend Angesicht! Schaut ihren neuen Stern in den Saffirnen Zimmern / Und den verklärten Geist umb diese Pfosten schimmern; Hört! wie die Turteltaub umb ihren Buhlen girrt / Der in der Sterbligkeit ein-öder Wüsten irrt. Schaut / wie ihr Göttlich Haupt mit Ariadnens Kräntzen / Schaut / wie die Augen ihr als Ledens Kinder gläntzen; Schaut / wie ihr Rosen-Mund gleich einer Sonne spielt / Die steter Athems-West mit feuchtem Balsam kühlt! Schaut / wie die Marmel-Brust sich mit Rubinen spitzet / Wie die gewölbte Schooß wol-richend Ambra schwitzet / Wie noch die Libes-Flamm aus Hertz und Adern kwillt Und unser schatticht Nichts mit güldnem Licht umbhüllt! Schaut ihrs? Hier steht sie ja. Sie reicht uns A r m ' und Hände / Sie küßt / sie armet uns. Cleopatra / nein wende Dein Antlitz nicht hinweg! nein / bin ich doch bereit / Der morschen Sterbligkeit meist schon vermodert Kleid Dem Leib zu ziehen aus. Nicht scheue / meinem Schatten Den Himmel-hohen Geist der Seele zuzugatten Schau doch! ich atheme mehr in dir als in mir! Komm Schwerdt! komm süsser Todt! vermähle mich mit ihr. (III, 5 5 1 - 5 7*)· 8 1 daß der Verfasser der Seiten über Lohenstein, die in Von dem Einfluß und Gebrauche der Einbildungs-Krafft enthalten sind, Bodmer heißt (vgl. auch die anschließenden 81 Anmerk. N r . 83-85). LOHENSTEIN, Afrikanische Trauerspiele, S. 97-98
Die Kritik der
Aufklärung
321
B o d m e r analysiert diese Szene und diese Verse, die er zitiert, mit H i l f e der Kategorie der Wahrscheinlichkeit und sucht in der Darstellung der psychologischen P h ä n o m e n e geradezu wissenschaftliche Genauigkeit. Ich könte diese Verzückung loben / wenn sie zum Theil besser wäre vorbereitet worden / und hauptsächlich minder von der Lohensteinischen Sprache hätte. Der Geist ist in einem grossen Schmertz nicht müssig genug / die Natur zu durchwandern / und den Zeug zu verblühmten Red-Arten aufzusuchen. E r hafftet zu starck auf dem Gegenstand seiner Leidenschafft / als daß er sich davon ledig machen / und auf andere Sachen hinwenden könte: Die äussern Sinne selbst werden davon nicht nur geschwächt / sondern o fît stumpfï gemadiet / daß sie nichts wahrnehmen / als was ihre Leidenschaft angehet. 82 Anschließend vergleicht B o d m e r die Sophonisbe
v o n Trissino, v o n N a t h a -
niel Lee, v o n Corneille und v o n Lohenstein und befindet den C h a r a k t e r der Lohensteinischen Heldin - wobei er ständig mit der Kategorie der psychologischen Wahrscheinlichkeit operiert - , als unharmonisch, widersprüchlich und inkonsequent (»einen geflickten und unverknüpfften C h a rakter«).83 Lohenstein giebt der seinen [Sophonisbe] einen unsteten / leichten / ungetreuen / buhlerischen Sinn / dessen Unrichtigkeit ich nicht zusammen stimmen kan. Idi finde an statt der Carthagischen Sophonisbe stets den Poeten vor euch [mir] 1 der uns seine gelehrten Sprüche und belesene Metaphern mit unangenehmer Freygebigkeit zuwirfft / daß uns unmöglich wird ihn zu vergessen / und unsere Gedancken auf die Numidische Königin zu wenden. 84 Nicht weniger streng werden die Gestalten des Massinissa und des Scipio beurteilt. Lohensteins Masinissa ist [ . . . ] ein grösserer Buhler / als Soldat / und was noch seltzamer / ein grösserer Poet. Seine Ausdrücke sind so verblümt / und 82 83
84
BODMER-BREITINGER, Von dem Einfluß, S. 143. Ebd., S. 2 3 } . Audi in den Critischen Betrachtungen sollte Bodmer die Sophonisbe »einen geflickten und unverknüpften Character« nennen (S. 428). BODMER-BREITINGER, Von dem Einfluß, S. 230. In Bodmers Critisdien Betrachtungen heißt es: »Von Lohensteins Sophonisbe ist eben das wahr, was Aristoteles von einer Tragödie Cleophons gesagt hat, daß sie gar ohne Sitten und Charakter sey; womit er nichts anders sagen will, als daß dieser den Nutzen, den er mittelst des Gebrauches der Sitten hätte erhalten können, gantz und gar verabsäumet habe. Lohenstein giebt in der That seiner Sophonisbe einen so unsteten, leichten, ungetreuen, buhlerischen Sinn, daß man ihn nicht fest setzen und bestimmen kan. Wir finden statt der C a r thagischen Sophonisbe stets den Poeten vor uns, der uns séine gelehrten Sprüche und belesenen Metaphern mit unangenehmer Freygebigkeit zuwirft, daß uns unmöglich wird ihn zu vergessen, und unsere Gedancken auf die Numidische Königinn zu wenden« (S. 4 2 J - 4 2 6 ) .
III.
322
Kapitel
verzückert / er ist so reich an gefirnißten Einfällen / daß wir weder den Buhler / noch den Masinissa vor dem Poeten sehen können. Aber das ist der gemeine und beständige Fehler des Lohensteins. Der H r . von Muralt würde ihn unter dem Bilde eines ungeschickten Marionetten-Spielers vorstellen / der / wenn er für sie redet / seine Stimme nicht lange nach der Proportion dieser kleinen Figurn regieren kan; sondern sie von Zeit zu Zeit in ihrem natürlichen Thon hören läßt / wordurch die gantze Kunst verrathen und die geglaubete Zauberey zernichtet wird. / [ . . . ] Lohenstein giebt uns für den Scipio einen Meister der Rhetorick / der mit allgemeinen Sprüchen und Gleichnissen die Keuschheit predigt. Kurtz / Lohensteins Character alle verrathen den gefirnißten Poeten [ . . . ] . 8 5
Bodmer führt seine Polemik gegen Lohensteins Dichtung und Stil unablässig weiter.86 Bei der Herausgabe von Gotthard Heideggers Kleineren deutschen Scbrifften87 1732 nimmt er den Apollo Auricomus (1692), 88 eine scherzhafte Apologie der roten Haare aus der Feder des Verfassers der Mythoscopia Romantica - die vielleicht89 durch einige Seiten aus dem Arminius angeregt wurde, wo Flavius und Lucius eingehend die größere oder geringere Schönheit der schwarzen bzw. der weißen Frauen erörtern - , zum Anlaß, um eine Vergleichung zwischen Lohensteins Arminius und Heideggers Apollo Auricomus zu schreiben. Aus dem vierten Buch des ersten Teils des Arminius90 zitiert Bodmer ungenau einige Stel85
86
87
88
BODMER-BREITINGER, Von dem Einfluß, S. 234-235. In den Critiscben Betrachtungen schreibt Bodmer: »Masinissa ist so ein närrischer Buhler, und so ein lächerlicher Poet, daß wir weder den Poeten vor den buhlerischen Thorheiten, noch den Buhler vor dem gefirnießten Krame von Gelehrsamkeit und schülerischer Kunst erkennen können« (S. 428-429). Noch in einem 1784 veröffentlichten Aufsatz, also ein Jahr nach Bodmers Tod, wird »die Künsteley in Lohensteins Versen« kritisiert (BODMER, Die Hauptepochen der deutschen Sprache seit Karl dem Grossen. Der Zeitpunkt der Fruchtbringenden, in » Schwei tzersches Museum. 1784. Zweyter Jahrgang. Zweytes Quartal«. Zürich, bey Orell, Geßner, Füßli und Comp., S. 356-363, hier S. 361). GOTTHARD HEIDEGGERS Kleinere deutsche Schrifften. Nemlich: Schutzrede der rothen Haare. Lobschrifft des Tabackes. Oden und Uberschrifften. Salernitanische Schule. Nebst einer Lustschrift von den Vortheilen Des Jungfernstandes. Mit critischen Vorreden und Nachrichten [herausgegeben von Johann Jacob Bodmer]. Zurich, 1732. Druckts Marx Rordorf. Apollo Auricomus. Oder Schutz-Rede Der Schönen Haare, Vor den Beschriebnen Vätteren gethan; Mit hastiger Feder aufgefangen, und dem curiosen Leser zu Nutz und Lust
aufgetragen
Durch
WINCKELRIEDT [GOTTHARD HEIDEGGER]. G e t r u c k t zu
Irgendshausen. 1692. In den Kleineren den S. 3 5 - 1 3 3 · 89
80
V g l . HITZIG, Heidegger,
deutschen Schrifften steht das Werkchen auf
S. 2 3 .
LOHENSTEIN, Arminius, I, 458. Bodmer flickt nicht nur Sätze zusammen, die im Originaltext getrennt stehen, und läßt sie so als ein zusammenhängendes Ganzes erscheinen, sondern er läßt sogar Lucius Worte aussprechen, die von Flavius stammen!
Die Kritik der Aufklärung
323
len, die sich auf Lucius' und Flavius' Disput über die mehr oder weniger großen Vorzüge der Weißen bzw. der Schwarzen beziehen, und schreibt dann: Man siehet wol, daß diese Stelle von einem gemeinen Fehler des Lohensteinisdien Arminius nicht befreyet ist, da er nemlich seine Meynung mit blossen Gleichnissen und nicht mit ähnlichen Beyspielen von allgemeinen unstreitigen Grundsätzen beweiset. Die Exempel, die er anführet, sind von sehr besondern und gelehrten Anmerckungen aus der Natur und dem Alterthum hergenommen; so fern ist es, daß sie auf bekandte gemeine und unzweifelbare HauptSätze gegründet seyen. Diese Gattung von Gleichnissen können sehr leicht umgekehrt und gegen demjenigen selbst, der sie gebrauchet, gewandt werden. Wie wir denn sehen, daß Lohenstein sie zum Beweise gantz verschiedener Sachen brauchet. Von dieser Art Gleichnissen hat der theure Z . . .1 zu sagen gepfleget, daß dergleichen Gleichnissen Ungleichnissen seyen, denn wie eben derselbe saget, es bewährt nicht mit solchen Gemählden handeln; Beyspiele der Vorbildung lehren wol, aber beweisen nicht. Wenn ein Gleichniß eine Kraft zu beweisen und zu überführen haben soll, so muß es dieselbe nicht von der Übereinstimmung, sondern allein von dem festen Grundsatze, davon es ein Exempel vorstellet, bekommen. Dennoch hat der berühmte Lohenstein dergleichen seichte und wackelnde Beweise, die von blossen Gleichnissen hergeholet werden, in seinem Werck hin und wieder gebraucht, auch dieselben ernsthaften und gelehrten Leuten in den Mund geleget, mit einer Manier und Art, daß wir nicht anders glauben können, denn daß sie von ihm für ächte und gründlich gehalten worden. 91 Bodmers
Verständnislosigkeit
gegenüber
Lohensteins
Dichtersprache
scheint auf der Vorstellung zu beruhen, daß Gleichnisse die logische Struktur von Axiomen und Theoremen aufweisen und die Funktion wissenschaftlicher Beweisführung und rhetorischer Überredung erfüllen müßten (Lohenstein dagegen schreibt ihnen eine ornamentale, evokatorische, assoziative, suggestive, amplifikative und repräsentative Funktion zu, ferner diejenige, die Darstellung der Wirklichkeit möglichst zu erweitern, um von ihrer unendlichen Vielfalt und Vielfarbigkeit eine zutreffende V o r stellung zu vermitteln). In Wahrheit sind die tieferen Gründe für Bodmers Auseinandersetzung mit Lohenstein ideologischer und nicht stilistischer N a t u r .
(Immerhin
schätzte Bodmer — zum Erstaunen Gottscheds, der diese Inkonsequenz nicht verstehen sollte, - Miltons >barodken< Stil und er sollte auch K l o p 91
[JOHANN JACOB BODMER,] Vergleichung
Zwischen
Lohensteins
Arminius
und
Heid-
eggers Apollo Auricomus, in HEIDEGGER, Kleinere deutsàe Schrifften, S. 134-142, hier S. 136-137.
III.
Kapitel
stocks >neubarocken< Stil schätzen; f ü r beide ist der bei Lohenstein nicht unähnliche Gebrauch - und sogar übermäßige Gebrauch -
v o n Bildern
und Vergleichen charakteristisch.) Beweis d a f ü r ist eine Seite aus der obengenannten Vergleichung
(außer den bereits erwähnten, aber später ge-
schriebenen und speziell auf H o f f m a n n s w a l d a u und A m t h o r bezüglichen Stellen aus dem Mahler
der Sitten),
w o der Arminias
kritisiert w i r d , weil
darin Gestalten dargestellt sind, die in ihrem Verhalten v o n dem Ideal der »Höfflichkeit« bestimmt und v o m Geist der »Unterthänigkeit« anstatt v o n einem Abscheu d a v o r und v o n der Liebe zur »natürlichen F r e y h e i t « beseelt seien. [ . . . ] Lohenstein ist auf die Materie v o n der Schönheit der schwartzen H a u t und eine Menge andere Streit-Fragen v o n dergleichen Gattung in einem Wercke gerathen, w o sie sich am wenigsten schidceten. Wir verhiessen uns wilde Gemüther, rohe Meynungen, unbändige Sitten, abgeschildert zu
finden;
W i r hoffeten, solche R e d e n zu vernehmen, die v o n einer grossen Liebe zur natürlichen Freyheit, einem angebohrnen Abscheuen v o r der Unterthänigkeit und einer starcken Verachtung aller Höfflichkeit und Zierlichkeit Anzeige gäben; D i e Wahlstatt auf welche der Verfasser uns führet, das alte wilde Deutschland, die Personen, die er da aufführet, Arminius, Inguiomar, Segestes, M a r b o d , Hessen uns nichts anders vermuthen. 9 2 A n dessen statt finden w i r weiche Zärtlinge, artige Buhler, zierliche H ö f f l i n g e , gelehrte Doctoren, welche mit einer spitzfündigen K u n s t streiten, ob die blauen oder die schwartzen Augen schöner, ob die Weissen oder Möhrinnen zur Liebe tüchtiger, ob die schwartze oder die weisse H a u t schöner, welche Liebe die niedlichste und dergleichen. 93 82
93
In Wirklichkeit hatten sowohl Arminius als auch Marbod, ebenso wie andere germanische Fürsten, eine sorgfältige und verfeinerte Erziehung genossen, denn sie hatten die von Augustus auf dem Palatin gegründete Fürstenschule und den Kaiserhof besucht (vgl. ERNST HOHL, Zur Lebensgescbichte des Siegers im Teutoburger Wald, in »Historische Zeitschrift« 167, 1943, S. 457-475)· BODMER, Vergleichung, S. 139-140. Bodmer schreibt in den Betrachtungen·. »Welcher verständige Mensch, der aus Taciti Schrift von den Sitten der Germanen, und den Erzehlungen anderer Geschichtsschreiber, gelernet hat, was diese Nachkommen der Scythen vor eine Abneigung gegen alles das gehabt, was nach Kunst, Höflichkeit und Gelahrtheit schmedcete, muß sich nicht eben so sehr schämen als ärgern, wenn er in dem abentheurlichen Wercke von Arminius die wilden Helden des alten Deutschlands mit der Schulgelahrtheit eines Rectors von Physick, Sittenlehre, Natur- und Welt-Historie schwatzen höret?« (S. 516-517). In der Vergleichung schreibt Bodmer S. 1 4 1 : »Der grosse Pan von Deutschland, (denn Lohenstein wird von dem grossen Hauffen für einen solchen gehalten) scheinet seine Absicht meistens gerichtet zu haben, wie er seine Gelehrsamkeit an den Mann bringen möchte.« In den Critischen Betrachtungen heißt es: » [ . . . ] ich [sollte] einen [ . . . ] Verweiß dem von Lohenstein geben, welcher die Trauerspiele [. . . ] mit Schulgelehrsamkeit, Spitzfündigkeit und lährem
Die Kritik der
Aufklärung
3*5
A b g e s e h e n v o n w e n i g e n L o h e n s t e i n in d e m k u r z e n L e h r g e d i c h t der deutschen
Gedichte
i n d e r Vergleichung
Charakter
( 1 7 3 8 ) g e w i d m e t e n Versen,94 in denen manche d e r formulierten G e d a n k e n ausgedrückt sind, und abge-
s e h e n v o n e i n e m H i n w e i s i m V o r w o r t z u B r e i t i n g e r s Critischer kunst,95 über
b e s c h ä f t i g t sich B o d m e r n o c h m a l s i n d e n Critischen
die Poetischen
Gemähide
der Dichter
Dicht-
Betrachtungen
( 1 7 4 1 ) m i t i h m . E r schreibt h i e r
ü b e r die V e r w e n d u n g v o n M e t a p h e r n in d e r dramatischen D i c h t u n g : Es ist ohne Z w e i f e l etwas schweres, die metaphorischen R e d e n in dramatischen Gedichten anzubringen, w o nicht der Poet, sondern die Personen und z w a r im A f f e c t e reden, maassen w e r a l l d a redet, kein Poete ist, u n d die poetische Sprache nicht so öffentlich reden d a r f f . In den Erzehlungen u n d R e d e n der Poeten selbst können die Figuren durch die Z u s a m m e n h ä u f u n g und Wiederholung einer gewissen A r t leicht v e r w e r f f l i c h w e r d e n . D e n n dadurch entsteht ein Eckel, w i e derjenige ist, w e n n w i r allezeit Wiirtze, Salzen u n d C o n f e c t e essen. W e n n sie allzunahe beysammen stehen, so ist g a r zu bald geschehen, daß sie a n einander anstossen, und in Mißgeburten zusammenwach-
94
Schwulst so sehr angefüllet hat, daß alle Leidenschaft darunter gar erstecket wird. Bricht der Affect nodi einigemahl darunter hervor, so sind es [ . . . ] solche Affecte, die an nichts hangen, die gantz abgesonderte Stücke ausmachen, und nach dem Schulwitz schmecken. Allein es ist unvonnöthen, daß ich midi bey diesem [Lohenstein] aufhalte, weil auch die frostigsten Kunstrichter solches wahrgenommen haben. Darum will ich meine Klage lieber auf Andreas Gryphius richten [ . . . ] « (S. 360-361). »Er [Lohenstein] braucht ein Gleidiniß nicht zu einem Leitungsfaden, | Nein, sondern nur den Kopf der Bürde zu entladen, | Womit die Wissenschaft die drinnen ungeschickt | Auf einem Haufen liegt, die schwache Hirnsdial drückt. | Und was nodi fremder ist, er braudits im überführen, | Den zweiflenden Verstand dadurch mit Macht zu rühren: | Obs gleich nicht auf dem Grund einförmiger Sachen ruht, | Wie ein unstreitiges bekanntes Beyspiel thut. | Es ist ein leichtes Ding, dergleichen umzukehren, I Sich damit wider den, der sie erfand, zu wehren. | Ein solches Gleidiniß ist vielmehr ein Ungleidiniß, | Und fället einen Mann mit seinem eignen Spieß. | Nadi solchem nur allein ist Lohensteins Sinn gerichtet, | Es sey, daß er ein Spiel von Traurenden erdichtet, [ Das in dem Innersten das Herz erschüttern soll: | So ists, an Seufzer; von Gleidiniß Wörtern voll. | Es sey, daß Marc Anton, daß Sophonisbe sprechen, | Pflegt unterm Umhang stets er selbst hervorzustechen. | Sie zeigen Lohensteins gelehrte Schulfigur I In seiner eigenen unläugbaren Natur. | Als seine dunkle Sprach in Kieslingharten Tönen | Auf dem Parnaß erklang, ersdiracken die Camönen: | So sehr, als vor der Zeit, da Meister Klingsohr kam, Und einen Überfall des Berges unternahm. I Sie flohen Schreckenvoll auf dessen beyde Spitzen, | Und Hessen Lohenstein in s e i n e n S ü m p f e n s i t z e n . « (JOHANN JACOB BODMER, Character
der
deutschen
Ge-
dichte, in »Beyträge Zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, herausgegeben von Einigen Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Zwanzigstes Stüde«. Leipzig, Bey Bernhard Christoph Breitkopf. 1738. S. 624-659, hier S. 636-637. Die erste Ausgabe des Kleinepos mit dem Titel Charakter Der Teutschen Gedichte erschien 1734 in Zürich). 95
Hier erläutert Bodmer, indem er die Überlegenheit der verstandesmäßigen Analyse
326
III.
Kapitel
sen, welche dem Enigmatischen Sphinx an Gestalt und Sprache gleich sehen, und eben sowohl einen ödipus vonnöthen haben. Alles Licht wird dadurch in Dunckelheit verwandelt und alle Lebhaftigkeit erstirbt. Es ist heut zu Tage keine Sünde mehr, frey herauszusagen, daß die Lohensteinische Schule sich dieser räthselmässigen Schreibart mit solcher Mühe beflissen habe, als wenn sie in der Rede das angenehmste und helleste Licht anzündte. Man muß eine weitläuftige Wissenschaft vieler Dinge besitzen, welche in dem gemeinen Leben nichts nützen, wenn man ihre Scribenten verstehen soll. Auch die bekanntesten Gedancken werden von ihnen in Allusionen und figürliche Redensarten eingepacket, und die Reden der geringsten und wildesten Leute damit beschweret. Ich beziehe mich auf das riesenmässige Buch von Arminius und Thußnelden, welches bey der besagten Secte in dem Ansehen einer poetischen Bibel steht. Die ersten Gedichte Neukirchs hatten ihm den bösen Ruhm erworben, daß er seinem Lehrmeister am nächsten gekommen. Bald entsteht das Räthsel von den fremden und weitgeholeten symbolischen Bildern, bald von dem ungeschickten Gebrauche und der unverständigen Wahl derselben, bald von ihrem Überflusse und ihrer unnöthigen Eindringung. Die Dunckelheit, die schon in seinen Gleichnissen herrschet, wo dodi der Grund der Ähnlichkeit muß erwähnet werden, muß nothwendig in den Metaphern, wo man ihm nach der Natur dieser Figur verschweigt, noch grösser werden; zumahl, wenn sie in dem sogenannten Tertio Comparationis mangelhaft sind.96 Das hier vorkommende Bild von den Gewürzen und vom Salz war schon von Johann Jacob Breitinger in seiner Critischen Abhandlung von der Natur, den Absichten und dem Gebrauche der Gleichnisse benutzt worden. Dieses Werk wurde 1740 von Bodmer herausgegeben, es enthält ohne literarischer Werke, d. h. der kritischen Betrachtung, gegenüber dem lediglich auf »Erfahrung und Empfindung« beruhenden Urteil zeigt, seine These, daß der auf die »Untersuchung« gegründete Ruhm unvergänglich und der auf die »Erfahrung« gegründete vergänglich sei, wobei er auf Corneilles Cid und auf Lohenstein verweist. Über den letzteren schreibt er: »Welchen Beyfall hat er sich zu seiner Zeit erworben; wie zuverlässig hat Neukirch seinen Arminius den Franzosen entgegengesezet; was vor ein Haufen Verehrer! Alleine nachdem zu unsren Zeiten der Weg der critischen Prüfiung mit ihm vorgenommen worden, wie tief ist er von dieser Höhe hinunter gefallen? Er hat an allen Lesern, die das Urtheil von dem Werth einer Schrift auf das Innerliche zu setzen wissen, Críticos bekommen; je erleuchteter auch die künftigen Zeiten seyn werden, destomehr Críticos wird er antreffen, und desto scharfsichtiger und ernsthafter werden solche seyn.« (JOHANN JACOB BREITINGERS Critische Dichtkunst Worinnen die Poetische Mahlerey in Absicht auf die Erfindung Im Grunde untersuchet und mit Beyspielen aus den berühmtesten Alten und Neuern erläutert wird. Mit einer Vorrede eingeführet von Johann Jacob Bodemer. Zürich, bey Conrad Orell und Comp. 1740. und Leipzig bey Joh. Fried. Gleditsdi, S. [ X V I ] ) . 96
BODMER, Critische Betrachtungen 108.
über die Poetischen
Gemähide
der Dichter, S. 1 0 7 -
Die Kritik der Aufklärung
327
Zweifel die schlechthin berühmteste kritische Äußerung über Lohenstein. Die Gleichnisse und andere Figuren sind wie das Saltz und Gewürtz, wird es mit allzu karger Hand über eine Speise gestreuet, so bleibet sie ungeschmackt; wird es dann am Unrechten Orte verschwendet, so folget Eckel darnach. Eine solche unzeitige und übermäßige Verschwendung des Gewürtzes in Zubereitung der Speise zeuget zwar von dem Reichtum und der Freygebigkeit des Hauß-Wirths; aber sie verräth zugleich desselben verderbten Geschmack. Auf gleiche Weise sind die Gleichnissen überaus bequem, eine Schrift herrlich auszuzieren; Jedoch wann sie am Unrechten Ort und ohne Maß verschwendet werden, so thun sie nicht nur den reichen Witz des Verfassers, sondern auch die Armuth seines Verstandes kund. Nach diesem Licht vergleicht sich. Lohensteins berühmtes Werck, Arminius genannt, einer kostbaren Mahlzeit, wo der reiche Wirth auf keine Kosten geachtet, und ohne Spahren auftischen lassen, was Garten, Heerde, Wald und Meer Niedliches und Leckerhaftes dargeben kan; wo insbesondere die entferntesten Theile der Welt auf die Tafel senden müssen, was sie seltenes und theures haben; bey alle diesem Uberfluß aber die Speisen so übel zubereitet, die Gerichte so ungeschickt gegattet, und so ungereimt vermischt sind, die Brühe so versaltzen, die Würtze so übermäßig verschwendet ist; daß die Gäste vor lauter Eckel bey überladener Tafel hungerig sitzen, wie dem Tantalus wiederfahren ist. Uberdiß vermehrt den Uberdruß die unbescheidene und ungestüme Prahlerey des Wirthes, der euch unaufhörlich zum Essen nöthigt, indem er euch nicht nur erzehlt, wie viel ihn eine jede Tracht zu stehen komme, sondern auch die Natur und das Wesen desselben mit ruhmräthiger Weitläufigkeit beschreibet
Im siebten Kapitel des Werkes, das dem Gebrauch von Gleichnissen in Tragödien gewidmet ist, wiederholt Breitinger den bereits in Von Ein flu β und Gebrauche
der Einbildungs-Krafft
dem
ausgesprochenen Vorwurf,
Lohensteins Bühnengestalten seien keine selbständigen Figuren, sondern lediglich Masken des Dichters; so seien seine Tragödien nichts anderes als ein fortgesetztes Selbstgespräch: »Lohenstein fraget, und Lohenstein antwortet.« Den Beweis für seine Behauptung sieht Breitinger im übertriebenen Gebrauch von Metaphern, Gleichnissen, Antithesen, Redefiguren und Sentenzen und im Übermaß der Gelehrsamkeit, die die Reden von Lohensteins Gestalten konstant charakterisiere. Breitinger arbeitet also mit dem 97
JOH.[ANN] JAC.[OB] BREITINGERS Critische
Abbhandlung
Von
der
Natur
den
Ab-
sichten und dem Gebrauche der Gleichnisse. Mit Beyspielen aus den Schriften der berühmtesten alten und neuen Scribenten erläutert. Durch Johann Jacob Bodmer besorget und zum Drucke befördert. Zürich, verlegts Conrad Orell und Comp. 1740 (ein fotomechanischer Nachdruck des Werkes wurde mit einem Nachwort von Manfred Windfuhr 1967 in Stuttgart veröffentlicht), S. 162-164.
3
III.
z8
Kapitel
Kriterium der psychologischen Wahrscheinlichkeit. 98 E r tadelt an Lohensteins Tragödien auch die Nichtbeachtung des »Wohlstands« (der grundlegenden Kategorie der Poetik und Rhetorik der französischen Klassik: der »bienséance«!) 9 9 sowie der Einheit des Ortes und der Zeit. Wann ich nur an Lohensteins Trauerspiele gedencke, so überfällt mich Frost und Eckel, der gedultigste Mensch, der nicht zugleich dumm ist, möchte über dem Lesen dieser Tragödien die Schwindsucht bekommen. Da findet man nichts anders als eine ungestaltete und ungeordnete Materie, einen Haufen verworrener Begebenheiten, wo weder Ort, noch Zeit, noch Wohlstand beobachtet ist. Die Character der Personen sind aus Augen gesetzt, und die Gemüts-Bewegungen gantz erstecket, und über die Schnur getrieben. Da reden nicht Anton, Cleopatra, August, Mecenas, Agrippa, Scipio, Masinissa, Syphax, sondern Lohenstein beständig; werffet ihr nur diese grossen Nahmen hinaus, so wird euch eine gantze Tragödie dieses Verfassers nicht anders vorkommen, als ein Soliloquium oder ein Gespräche, das Lohenstein mit sich selbst führet. Lohenstein fraget, und Lohenstein antwortet. Wie wolltet ihr vermuthen können, daß diese gelehrte, figürliche Reden und Sprüche einer klugen Person von dem Geschlechte der Menschen anstehen sollten; Wenn er bald in lauter Gleichnissen und Metaphorn mit sich selbst zancket, bald um eine Schöne von seiner eigenen Schöpfung in Schwulst und Wahnwitz buhlet, bald die verborgensten und seltensten Wunder der Natur mit einem Doctormässigen Ernst erkläret, wenn er plötzlich, wie in einer Verzückung, aus sich selbst geräth, und über die Wolcken fliegt, und im Augenblick wieder so tiefe •8 Über die beiden Verse, die Antonius in der Cleopatra (III, V . 526-527) ausspricht, als er die Nachricht vom Tod der ägyptischen Königin erfährt (»Lascht das Verhangnüß denn die Unglücks-Glutt mit Oele? | Armseeliger Anton! unheilbar HertzenRiß!«) und die im Einfluß (S. 142) bereits kritisiert wurden, schreibt Breitinger: »Wer Leuten, die von Bestiirtzung und Schrecken plötzlidi überfallen und niedergeschlagen werden, dergleichen kurtzweilige Spiele andichtet, der ist in der Sprache der Neigungen gantz unerfahren, und scheinet nicht unter Menschen auferzogen worden zu seyn.« Unter Bezugnahme auf die Verse 539-586, die ebenfalls bereits in einer von uns (S. 321) zitierten Stelle aus dem Einfluß (S. 143) bemängelt wurden, fährt Breitinger sodann fort: »Nachdem Anton über die Nachricht von Cleopatren Sterben solch einen lächerlichen Einfall haben können, würdet ihr euch nicht einbilden, daß die Liebe in seiner Brust noch so gewaltsam herrsdiete, daß ihn der Kummer über diesen Verlust aus sich selbst verzücken und in eine sanfte Liebes-Raserey stürtzen sollte, wie er im 539sten Verse und folgenden mit kläglichen Worten, welche doch mit ungereimten Witzes-Spielen, häuffig untermischet sind, zu erkennen giebt.« (BREITINGER,
Gleichnisse, S. 228).
99
Über »la vraisemblance« und über »les bienséances« als Grundkategorien des französischen Klassizismus vgl. RENÉ BRAY, La formation de la doctrine classique en France, Paris 1966, S. 1 9 1 - 2 1 4 und S. 2 1 5 - 2 3 0 . Zur Rhetorik der »bienséance« vgl. ARNALDO PIZZORUSSO, Morvan de Bellegarde e la retorica delle »bienséances«·, in A . P., Teorie letterarie in Francia. Ricerche sei-settecentesche, Pisa 1968, S. 57-83.
Die Kritik der
Aufklärung
fällt, daß er mit kindischen Sprüchwörtern, spitzfündigen Spielen, sdiliessenden Gleichnissen und dergleichen ohne Maß um sich wirft. Die höchste Hitze und der höchste Frost wechseln bey ihm ab, ein Kennzeichen des äussersten Verderbnisses in der Schreibart, wie der schwersten Kranckheit in dem menschlichen Leib. In allen diesen Stücken hat Andr. Gryph vor ihm nicht viel zum Voraus, ausgenommen daß seine Personen in einer menschlichern Sprache reden; und damit ich die Erfindung und Einrichtung der Tragödien dieses Poeten mit Stillschweigen übergehe, will ich nur sagen, daß er in die Gemüthes-Bewegungen, die Sprache, den Gang und Lauf derselben, ihr wahres Maß, ebenso wenig gekannt habe, als Lohenstein, und eben so frostig behandle. Beyde bewegen uns zwar zum Mitleiden, aber nicht durch die kunstreiche Vorstellung rührender Begebenheiten, sondern durch ihre abgeschmackte Ungeschicklichkeit, es ist ein eckelhaftes und kein angenehmes Mitleiden. Auf diese Weise werde ich die Materie von dem rechten Ort der Gleichnisse in Tragödien aus ihnen schwerlich änderst erklären können, als ab
opposito.10°
Um die Stichhaltigkeit seiner Behauptung zu beweisen, führt Breitinger die Verse an, die Antonius zu Beginn der Cleopatra ( 1 , 1 3 - 3 0 ) spricht.101 Danach ruft er aus: »Wie verschwenderisch werden die Gleichnisse über einander hin geworffen! Welche hieroglyphische und Rätzelmässige Dunckelheit schwebet über dem gantzen Ausdruck! Wie viel Wind macht diese Larve mit so weit aufgesperrtem Maule!« 102 Die Ablehnung der Lohensteinischen Gleichnisse wird im X V . Kapitel, das die Uberschrift »Von den Lohensteinischen Gleichnissen« trägt, 103 bekräftigt. Dort schreibt Breitinger, daß »der schlimme Geschmack der Lohensteinischen Schreibart meist von der ungeschickten Wahl und unmässigen Verschwendung fremder, unnützlicher, ungeheurer und unanständiger Gleichnisse herrühret«104 und erläutert seine Ansicht anhand einiger Stellen aus dem Arminias. Da Breitinger das Postulat aufstellt, daß die Hauptfunktion der Gleichnisse in einer Verdeutlichung bestehe (»die Gleichnisse [ . . . ] dienen, eine Sache zu erklären«),105 fällt ihm der Beweis nicht schwer, daß Lohen100 BREITINGER, Gleichnisse, S. 2 2 1 - 2 2 3 . 1 1 ® LOHENSTEIN, Afrikanische Trauerspiele, 102 BREITINGER, Gleichnisse, S. 224.
S. 2 3 - 2 4 .
ios E b d . , S . 4 5 9 - 4 9 0 .
10* Ebd., S. 4 6 3 . 1 "S Ebd., S. 464. Seite 13 hatte er geschrieben : » [ · . . ] die erste Absicht der Gleichnisse [ . . . ] bestehet darinnen, daß sie einen Gedancken in ein volles Lidit setzen, damit der Leser von demjenigen was man vorstellig machet, einen deutlichem und lebhaftem Eindruck bekomme.«
330
III.
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steins Gleichnisse im Gegenteil »einen klaren Gedancken in Finsterniß und Dunckelheit« hüllen.108 Übertriebene Gelehrtheit, der »durchgehends gantz figürliche und hieroglyphische« Stil107 und die »dundcelen« und »hieroglyphischen« Gleichnisse108 machen Brei tingers Meinung nach die Sprache Lohensteins noch geschmackloser, weil der Dichter sie unterschiedslos gebraucht und nicht darauf achtet, ob bestimmte rhetorische Figuren, der eine oder andere Vergleich, diese oder jene gelehrten Betrachtungen der einen oder anderen seiner Gestalten unter dem Gesichtspunkt der Wahrscheinlichkeit und der Angemessenheit in den Mund gelegt werden können. [ . . . ] was diese unmässige Verschwendung einer seltenen Belesenheit und diese hieroglyphische Sprache des von Lohenstein noch abgeschmackter machet, ist dieses, er leget dieselben solchen Personen in den Mund, die ihrem Character nach von dergleichen gekünsteltem Wesen und Wort-Gepränge himmelweit entfernet waren. Arminius, Inguiomarus, Marbod, und alle andern berühmten Helden des alten Deutschlandes reden in diesem Buch eben so gelehrt, als wenn sie bey Lohenstein in die Schule gegangen wären; selbst die Frauen und Töchter dieser Helden erklären einander in ihren vertrauten Gesprächen die tiefesten Geheimnisse der Natur; es ist euch, ihr höret jene Pretieuses ridicules bey Moliere reden. Noch lächerlicher ist, daß die Personen, welche Lohenstein in diesem wunderlichen Buch auf den Schauplatz führet, durch lauter Gleichnisse dencken, durch Gleichnisse einander bestraffen, widerlegen, überführen. Die Gleichnisse sind ihre Gründe, und die Einbildungs-Kraft ist ihre Vernunft. 109
Das Prinzip der Notwendigkeit einer sprachlichen und stilistischen Charakterisierung der Gestalten, die im Hinblick auf das Alter, die soziale Schicht, den Ort und den historischen Zeitabschnitt, in dem sie gelebt haben, »wahrscheinlich« sei, ein Prinzip, das Breitinger vielleicht einigen Versen der Ars poetica des Horaz entnommen hat,110 - denen die Poetik der Aufklärung einen unbestrittenen Normwert beimißt 111 - , stellt die ιοβ Ebd., S. 463. i«' Ebd., S. 462. " β Ebd., S. 463. Ebd., S. 469-470. 110 »Intererit multum, divosne loquatur an héros, | maturusne senex an adhuc fiorente iuventa | fervidus, et matrona potens an sedula nutrix, | mercatorne vagus cultorne virentis agelli, | Colchus an Assyrius, Thebis nutritus an Argis.« (Horatius, Ars poetica, V. 1 1 4 - 1 1 8 ) . 111 Vgl. z. B. den Versuch einer Critischen Dichtkunst durchgehends mit den Exempeln unserer besten Dichter erläutert. Anstatt einer Einleitung ist Horazens Dichtkunst übersetzt, und mit Anmerkungen erläutert. Diese neue Ausgabe ist, sonderlich im II. Theile, mit vielen neuen Hauptstücken vermehret, von JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHEDEN. Vierte sehr vermehrte Auflage, mit allergnädigster Freyheit. Leipzig 1 7 5 1 . Verlegts Bernhard Christoph Breitkopf, S. 146-147.
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Gegenposition zur Dichtungslehre und zum Stilgefühl des Barock dar. Dasselbe gilt im allgemeinen für das Prinzip der psychologischen Wahrscheinlichkeit, mit dem Bodmer und Breitinger beständig operieren und auf das auch die globale Ablehnung der Lohensteinischen Gleichnisse zurückgeht. Es handelt sich hier nicht nur um diese, sondern um alle Gleichnisse, sofern sie von Gestalten gebraucht werden, die ein Opfer der Leidenschaft sind. Tatsächlich fordert Breitinger von den Dichtern, die Sprache ihrer Gestalten deren Gefühlssituation anzupassen. U n d da nach Breitingers Ansicht die Ausdrucksweise eines der Leidenschaft verfallenen Menschen wie gebrochen, ohne Zusammenhang, lakonisch, reich an Ausrufen, Fragen und Apostrophen ist, wohingegen die Gleichnisse aus einer ruhigen, verstandesmäßigen Gegenüberstellung von Idee und Bild entstehen und stets nach der Anschauung des Autors der Gleichnisse - die Aufgabe haben, einen Gedanken zu erklären, zu intensivieren und auszuschmücken oder auch zu belehren, meint er, daß Gleichnisse ungeeignet seien, um Leidenschaften auszudrücken. Ihre Verwendung ebenso wie die jeglichen rhetorischen Schmuckes lasse die Darstellung derselben unwahrscheinlich und unnatürlich erscheinen. So bequem die Gleichnisse sind, den Schwung, die Grade und Wiirckungen einer Gemüths-Leidenschaft deutlich und nachdrücklich abzubilden; so übel schicken sie sich hingegen, wo die Regung selbst als redend eingeführt wird. Je heftiger die Bewegung ist, je weniger Zeit wird man übrig haben, je weniger Müh wird man aufwenden, die Ähnlichkeiten der Dinge hervor zu suchen. Die Leidenschaft ist voller Ungedult, sie wollte gerne viel Dinge auf einmahl sagen, die gemeine Sprache, da man sich nach den syntactischen Regeln der Fügung und Verbindung achtet, daucht ihr allzu matt und langsam, sie bedienet sich darum ihrer eigenen Figuren, meistens lauter abgekürtzter, gebrochener, halber, unausgeführter Sätze, z. E. des Ausrufïes, der Frage, der Anrede, u.s.f. [ . . . ] Hieraus folget, daß die Gleichnisse nicht zu der Sprache der Gemüths-Bewegungen gehören. Sie schiken sich alleine vor ruhige Leute, welche Zeit und Weile genug haben sich gemächlich zu erklären. Die Gleichnisse werden formiert, indem die Einbildung dem Verstände mancherley Bilder gerade zu vorleget, welche er dann gegen einander hält, und aus ihrer Vergleichung dasjenige, worinne sie einander ähnlich sind, sorgfältig hervorsuchet: Nun ist dieses wohl unleugbar die Arbeit eines ruhigen Geistes. Die Gleichniß-Bilder dienen [ . . . ] entweder einen Gedancken mit einem ähnlichen Bild zu erklären, oder selbigen auszuschmücken, oder zu verstärcken, oder endlich einen Unterricht von etwas zu geben: Nun ist die Leidenschaft zu eilfertig und zu eigensinnig, als daß sie den Gegenstand, der sie aufgebracht
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332
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hat, aus den A u g e n setzen, und zu Betrachtung fremder Bilder ausschweiften sollte. W a n n das Gemüth erhitzet ist, so hört alle K u n s t und Verstellung a u f , die Vernunft ist gefesselt, die ungestümen Triebe der N a t u r brechen mit G e w a l t hervor, aller Zierrath und weitgesuchter Sdimuck w i r d als etwas Nichtswürdiges weggeschmissen und mit Füssen getreten, der schönste Putz, die H a a r e , werden ausgerauffet; so fern ists, daß ein solcher Mensch eine gesetzte Doctoralisclie Mine annehmen, und mit einer dogmatischen Gelassenheit Lectionen geben könne. A l l d i e w e i l nun eine heftige Leidenschaft alle diese angeführten Absichten ausschließt, so w i r d daraus mehr als klar, daß die Gleichnisse sich v o r die Ausdruckung der Gemüths-Bewegungen-nicht schicken. 1 1 2
Brei tingers Kritik an der Metapher, 1 1 3 die nach Quintilian (Inst. or. 8, 6, 8 : »Metaphora est brevior similitude»«) »als ein kurtzgefaßtes Gleichniß« angesehen wird, 1 1 4 und am barocken Gleichnis offenbart deutlich, wie sehr die ästhetischen Normen der Aufklärung in einem Gegensatz zu denen des Barock stehen und wie verschieden die Auffassung von der Dichtung in diesen beiden Epochen ist. Wenn Breitinger von Lohensteins Metaphern und Gleichnissen sagt, sie seien exotisch, dunkel, hieroglyphisch und rätselhaft und steckten voller Hinweise und Anspielungen auf eine esoterische Gelehrsamkeit, so stellt er nicht nur objektive, sondern (vom Dichter) gewollte und (vom Barockpublikum) geschätzte Qualitäten ihrer Struktur fest. Der Barockdichter sucht in der Tat absichtlich exotische, dunkle, hieroglyphische und rätselhafte Gleichnisse und absichtlich verwebt er in seiner Dichtung Hinweise 112
BREITINGER, Gleichnisse, S. 165-167. 11s Zur Kritik Breitingers, Bodmers und Gottscheds an der Barockmetapher vgl. FRANZ MANSFELD, Das literarische Barock im kunsttheoretischen Urteil Gottscheds und der Schweizer. Diss. Halle-Wittenberg 1928 (gedruckt in Halle). Kettler hingegen neigt eher dazu, den »barocken Charakter« der Breitingerschen Auffassung von der Metapher herauszustellen, wobei er Stellen aus den Gleichnissen anführt (S. 1 1 und S. 468). In der Tat werden in Breitingers Ästhetik Elemente der Dichtungsauffassung des Barock (Einbildungskraft, das Wunderbare, figürlicher und pathetisch-enthusiastischer Stil, Metapher, Gleichnis) neu eingeschätzt, um die Diditersprache von der Plattheit der Klassizisten zu befreien. Aber da Kettler darauf bedacht ist, die Kontinuität der Barocktradition zu beweisen, tendiert er zu einer Überbewertung der diese Kontinuität stützenden Faktoren und zu einer Unterbewertung derjenigen, die Zeugnis sind für ein Abbrechen der literarischen Tradition zwischen Barock und Aufklärung (H. K . KETTLER, Baroque Tradition in the Literature of the German Enlightenment 17001750. Studies in the determination of a literary period, Cambridge [1943], S. 77-80, 84-92). 114
JOHANN JACOB BREITINGERS Fortsetzung
Der
Critischen
Dichtkunst
Worinnen
die
Poetisdie Mahlerey In Absicht auf den Ausdruck und die Farben abgehandelt wird, mit einer Vorrede von Johann Jacob Bodemer. Zürich, bey Conrad Orell und Comp. 1740. und Leipzig bey Joh. Fried. Gleditsch, S. 321.
Die Kritik der Aufklärung
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und Anspielungen auf eine esoterische Gelehrsamkeit, um auf diese Weise die für die Dichtkunst seiner Zeit maßgebenden ästhetischen Normen zu erfüllen. Und sein Publikum, für das dieselben ästhetischen Normen bindend sind, empfindet nicht Breitingers Überdruß angesichts der emblematischen Sprache, der »Hieroglyphen« und der esoterischen Gelehrsamkeit - alles Dinge, die der Barockpoesie eigen sind - , weil es das Gewebe der gelehrten Hinweise zu entwirren und ihren Kode zu entschlüsseln vermag. Breitingers Verständnislosigkeit gegenüber der Dichtung des Barock im allgemeinen und derjenigen Lohensteins im besonderen sowie seine daraus folgende Ablehnung derselben sind nicht auf die Entstellung der stilistischen Eigentümlichkeiten dieser Dichtung - deren Hauptzüge er vielmehr klar erkennt - , zurückzuführen, sondern entspringen dem Vorsatz, völlig andersgeartete Stilphänomene mit den Maßstäben des Klassizismus (Klarheit, Anschaulichkeit, Natürlichkeit, psychologische Wahrscheinlichkeit) zu beurteilen. Albrecht Schöne, der in Emblematik und Drama der Kritik Breitingers an der Verwendung von Gleichnissen in Barocktragödien einige sehr scharfsinnige Seiten gewidmet hat, schreibt: [ . . . ] die Lohensteinische Schreibart überhaupt und die poetae docti des Barockzeitalters insgesamt tragen gelehrte Belesenheit so offensichtlich zur Schau, daß dies audi 60 Jahre vor Breitingers Kritik dem Leser kaum entgehen konnte. Wenn er sich davon nicht abgeschreckt sah, solche Gelehrsamkeit im Gegenteil schätzte und bewunderte, dann hat man sie damals offensichtlich nicht als Ausdruck aufgeblasener Eitelkeit verstanden. Sie folgte und diente dem Interesse des Autors und Lesers an gelehrter Kenntnis gerade des Eigenartigen und Abgelegenen. Dem entsprachen diese Gleichnisse. Durch ihre mahlerische Kraft Licht und Klarheit über den Ausdruck der Gedancken zu streuen, wie Breitinger es dekretierte, 115 Anschaulichkeit zu vermitteln, wie dieser Theoretiker der malenden Poesie es verlangte, war denn audi nicht im entferntesten ihre Absicht. Als Erbteil der RenaissanceHieroglyphik barg die Enzyklopädie der emblematischen Bilder den Reiz des gelehrt Entlegenen, geheimnisvoll Ungewöhnlichen, rätselhaft Dunklen; man übte und rühmte den Scharfsinn, der auch und gerade im entlegenen und absonderlichen Bilde unerwarteten Gleichnischarakter zu entdecken wußte. Breitingers Einwände gegen die unmässige Verschwendung fremder, unnützlicher, ungeheurer und unanständiger Gleichnisse beruhen insofern auf einer klassizistischen Umwertung manieristischer Stilideale. Nicht den Gebrauch der emblematischen Bilder, wohl aber ihre Absichten hat er verkannt. Denn was er rätselhaft, dunkel, hieroglyphisch nennt, ist auf solche Weise keines»s Ebd., S. 322.
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III.
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wegs unrichtig bezeichnet. Nur sind diese Bestimmungen in der Poetik der Aufklärung negative Kriterien geworden; der Kritiker richtet nach Gesetzen, die für den Autor und seine Zeit nicht galten.116 Wenn aber Breitinger, wie Schöne behauptet, die Absichten der emblematischen Bilder verkennt und nach Gesetzen richtet, die für Lohenstein und seine Zeit keine Gültigkeit hatten, so geschieht dies offensichtlich nicht aus Launenhaftigkeit oder durch reinen Zufall. Es ist auch offenkundig, daß zumindest f ü r die Schweizer selbst die Dunkelheit von Lohensteins Stil nur relativ war. Breitinger und Bodmer urteilen jedoch aus der Perspektive des neuen, breiten bürgerlichen literarischen Publikums, das sich in Deutschland in den mittleren Dezennien des 18. Jahrhunderts herausbildet und für das Lohensteins Stil tatsächlich dunkel ist, 117 da ihm ja nicht mehr die polyhistorische akademische Bildung des elitären Barockpublikums zu Gebote steht. Das Problem ist jedoch nur scheinbar stilistischer Natur. Die Gegenüberstellung der rhetorischen Kategorien des Klassizismus und der A u f klärung (Klarheit, Einfachheit, Anschaulichkeit, Natürlichkeit) und derer des Barock (Dunkelheit, Rätselhaftigkeit, Sinnbildlichkeit, Künstlichkeit) bedeutet in Wirklichkeit viel mehr als eine lediglich stilistische Kontraposition: nämlich eine ideologische. Eine Gegenüberstellung findet eigentlich nicht zwischen dem geschmückten und repräsentativen Stil sowie dem einfachen und natürlichen Stil statt, sondern zwischen dem hierarchischen und feudalen Prinzip - das in der höfischen Beredsamkeit und Literatur 116 117
ALBRECHT SCHÖNE, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, S. 123. Auch Daniel Heinrich Arnoldt wirft Lohenstein häufige Dunkelheit vor. Im Versuch einer Anleitung zur Poesie der Deutschen schreibt er in § 572: »Es muß aber auch derjenige, so hoch oder sinnreich schreiben will, eine reife Beurtheilungskraft besitzen und gebraudien; sonsten wird er, indem er unvermuthete, hohe und weithergeholte Gedanken anbringen, und dabey sich kurz fassen will, dunkel und unverständlich werden, und so schreiben, daß auch der Sinnreichste, nicht anders, als mit vieler Mühe, ihn verstehen kann; weil alle Worte einer Anmerkung bedürfen.« Sich auf dieses letztere Wort beziehend, fügt er dann in einer Fußnote zu dem gleichen Paragraphen hinzu: »Welches auch unangenehmer wird, wenn man, um alles anbringen zu können, auch so gar die Construction verwirft, und die Sylben wider ihre natürliche Länge gebrauchet. In Lohensteins Schriften sind viel Exempel hievon zu finden. Diejenige sind am meisten in Gefahr in diesen Fehler zu gerathen, welche gerne gelehrt schreiben, Mythologien, und ausländische Raritäten anbringen wollen.« (DANIEL HEINRICH ARNOLDT, Der Heiligen Schrift Doct. und Prof. ord. Königl. Preuß. Consistorialraths und Hofpredigers, Versuch einer, nach demonstrativischer Lehrart entworfenen, Anleitung zur Poesie der Deutschen. Vermehrte und verbesserte Auflage. Königsberg 1 7 4 1 . Bey Johann Heinrich Härtung, Königl. privil. Buchdrucker. Die erste Ausgabe dieses Werkes war 1732 in Königsberg unter dem Titel Versuch einer systematischen Anleitung zur deutschen Poesie überhaupt erschienen).
Die Kritik der Aufklärung
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des Barock gepriesen und >dargestellt< wird-, und dem Prinzip der Gleichheit und der Demokratie, das, wenngleich unter der Maske der Sentimentalität, des »Allgemeinmenschlichen« und der Universalität des »Herzens« und der Vernunft, in der bürgerlichen Literatur der Aufklärungszeit hochgehalten wird. Daß darin die eigentliche Konfrontierung besteht, beweisen die bereits erwähnten Angriffe des Mahlers der Sitten und der Vergleichung gegen das höfische Ideal, den Geist der Untertänigkeit und die »widerwärtigen Sätze« der Klassenunterschiede, was alles die Barockdichtung charakterisiert, ferner die Tatsache, daß gerade Bodmer und Breitinger, die einerseits streng klassizistische Prinzipien auf die deutsche Barockdichtung anwenden, anderseits schließlich die Apologeten eines bildhaften und pathetisch-enthusiastischen Stiles sind und eine Wiederbelebung der Metapher und des Gleichnisses versuchen, die in Mißkredit geraten waren und von den klassizistischen Autoren sehr sparsam verwendet wurden. 118 Gerade diese erneute Schätzung von >barocken< Stilprinzipien wie dem Wunderbaren, der Metapher und dem Gleichnis sowie dem Pathetischen führte von 1740 an zu der berühmten Polemik zwischen den Schweizern und Gottsched und dessen Schülern. Der Hauptvorwurf der Gottschedianer gegen die schweizerische Kritik richtete sich gegen die offensichtliche und paradoxe Inkonsequenz, die in ihrer Ablehnung des Lohensteinischen Stils und ihrer Verteidigung Miltons (und später Klopstocks) lag. Um die Unbegründetheit dieses Vorwurfs der Inkonsequenz zu beweisen, schrieb Jakob Immanuel Pyra in der Uberzeugung, »daß zwischen dem Miltonischen Hohen, und dem Lohensteinischen Schwulste ein grosser Unterschied seyn müsse«,119 in seinem Erweis, daß die G*ttsch*dianische Sekte den Geschmack verderbe (1743): D a m i t jeder Leser klar erkenne, wie ungerecht und wiedersinnisch der V o r w u r f sey, daß die Herren Schweitzer den Lohensteinischen Geschmack, dem sie sich zuerst wiedersetzt haben, wiederum einführen wolten, und daß der Miltonische damit einerley sey; so wollen w i r sie gegen einander halten. Milton w a r z w a r so reich an Gelehrsamkeit, als Lohenstein; aber er hatte sie besser verdauet. D e r Sdilesier hatte z w a r die Philosophen und Kunstrichter, die besten Exempel und Regeln, auch w i e der Engländer gelesen aber nicht eine so tiefe Einsicht darein erlanget. Daher w a r sein feuriger Geist ne Zur Kritik der Schweizer an der Barockdichtung und zu ihren Stilidealen vgl. WINDFUHR, Die barocke Bildlichkeit und ihre Kritiker, S. 456-467. 11 9 [JAKOB IMMANUEL PYRA,] Erweis, daß die G*ttsch*dianische Sekte den Geschmack verderbe. Über die Hällischen Bemühungen zur Aufnahme der Critik. oc. Hamburg und Leipzig 1743, S. 48.
III.
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sich selbst gelassen geblieben, und ausschweifend geworden, da er sich nicht v o n Regeln der Alten hatte bändigen, nodi v o n ihren Mustern reinigen; sondern v o n der Italiänischen Schwulst des Marino blenden lassen. Miltons Geist aber hatte sich völlig, doch mit Vernunft nach denselben gebildet. D a h e r w a r dieser ein H e r r der R e g e l n ; Lohenstein hingegen ein Rebelle. In seinen E r findungen
beobachtete der Deutsche weder Wahrscheinlichkeit noch N o t h -
wendigkeit. Keines folgte aus dem andern, sondern es w a r nur viel bey einander ohne alle Verbindung zu einem Endzwecke. D a s beweist sein Arminius und seine Tragödien. K u r z , er schrieb R o m a n e n und Trauerspiele, weil Poeten solche geschrieben hatten, und er auch einer heissen und seine E i n fälle, ohne eine gründliche Absicht zu haben, anbringen wolte. 1 2 0 P y r a glaubt darüber hinaus, daß Lohenstein z w a r das W u n d e r b a r e »in ausserordentlichen Begebenheiten [ . . . ] « gesucht, »aber an dessen stat das Abenteuerliche ergriffen« h a b e 1 2 1 und daß nicht so sehr »die alzuhoch getriebnen Begriffe, sondern die v e r w i r r t e und unverständige A n w e n d u n g hoher G e d a n k e n und W o r t e , kurz, w a s man Phöbus und Galimathias heißt« 1 2 2 sein Fehler seien. T a d e l n s w e r t sind f ü r P y r a »nicht die vielen verblümten Redensarten, sondern die innerliche Unrichtigkeit, und die ungeschickte oft lächerl. A r t und Stelle derselben«. 1 2 3 In seinen Jugendjahren w a r P y r a unter dem Einfluß Lohensteins gestanden. 1 2 4 Seine Auseinandersetzung mit Gottsched ist v o n der Befürchtung bestimmt, die Schwülstigkeit Lohensteins durch die Plattheit C h r i 120 Ebd., S. 55-56. Ebd.,S. 59. » 22 Ebd., S. 67. ^Ebenda. 124 Über Lohensteins Einfluß auf Pyra vgl. GUSTAV WANIEK, Immanuel Pyra und sein Einfluß auf die deutsche Litteratur des achtzehnten Jahrhunderts. Mit Benutzung ungedruckter Quellen. Leipzig 1882, S. 8-10. In Der Tempel Der Wahren Dichtkunst Ein Gedicht in reimfreyen Versen von Einem Mitgliede der Deutschen Gesellschaft in Halle (Halle im Magdeburgischen, In Commißion der Fritsdiischen Buchhandlung 1737) hatte Jakob Immanuel Pyra die falsche Poesie (des Barock) folgendermaßen gekennzeichnet: Zwey Wege zeigten sich da, wo der Wald sich Schloß. Der eine war umpflantzt mit Myrthen und mit Lorbeern, An seinem Eintritt stand die falsdie Poesie Die in dem eitlen Sdimuck unechter Steine prahlte, Das dünn gewebte Zeug des weiten Kleides schwoll In tausend Falten auf. Mit übermahlten Rosen War ihr Gesicht geschmückt, die Glieder schienen starck, Doch war es lauter Schwulst und ein verstelltes Wesen. Zu ihrer Lincken war ein prächtig Opernhaus, Und mitten drauf ein Thron auf einer stoltzen Bühne. Die Wollust brüstet sich darauf in geilem Schmuck Und ein verführtes Volck trinckt ihren Zauberbecher. Zu ihrer Rechten zog ein buntes Pfauenpaar Die Ehrsucht voller Stoltz auf einem goldnen Wagen
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stian Weises abgelöst zu sehen.125 Sie stellt nur eine Episode in der langen Fehde dar, die die Schweizer mit den Gottschedianern ausfochten, und zwar wegen einer unterschiedlichen Stilauffassung und einer unterschiedlichen Bewertung der Bedeutung der Einbildungskraft beim dichterischen Schaffensprozeß ; ihren Höhepunkt erreichte sie im Streit um Klopstocks Dichtung. Doch bevor es zum Bruch kam, hatten die Schweizer und die Gottschedianer mehr als ein Jahrzehnt lang im Kampf gegen die Barockdichtung und ihre Epigonen gemeinsame Sadie gemacht. Und wenn Bodmer in Anknüpfung an Heideggers Polemik gegen Lohenstein und an Boileaus klassizistische Poetik der Initiator eines radikalen Kampfes gegen den Barockstil gewesen war, so hatte Gottsched unter dem Eindruck der literarischen Kritik der Discourse der Mahlern129 für diesen Kampf das höchst wirkUnd breitete den Schweif wie ein beäugtes R a d . Sie rief und suchte mich durch falschen Ruhm zu locken. Der reiche Geitz Schloß selbst die vollen Schätze auf, E r zeigte mir sein Gold, midi dadurch anzureitzen, D a ß idi der Laster Brut mein Spiel verkaufen soll. Die falsche Dichtkunst fing midi also an zu locken : Komm, lerne hier die Kunst, wie man redit hurtig reimt, Es soll mein Gnadenwind in deines Geistes Segel Auf allen Meeren wehn, die Gift und Neid beschäumt, Jedwede Zeile soll nach Mosch und Ambra riechen. Dein Reim wird lauter Gold und Diamanten streun, Mein grosser Anhang wird dein goldnes Lied bewundern. K o m m zu mir in mein Reich, es soll dich nicht gereun. D u solst in einem Thal bey schönen Nymphen spielen. Laß die bedornte Bahn: denn, glaub, es wird so seyn, Daß du oft weinen mußt, eh du wirst singen können. Darauf erschalte gleich die weichlichste Music, Gleich tanzt und sang in Creiß ein reitzend Chor Syrenen; Doch meine Führerinn entriß ihr allen Schmuck, Und rief : weich, Lasterbrut! so gleich verschwand audi alles. Nicht anders, als wenn sonst der Sonnen sinckend Licht Die Abendwolcken mahlt, woran man sich Palläste, Und Schlösser, Thürme, Thier und Menschen bilden sdiaut, D a , eh man sidis versieht, schnell alles wieder schwindet. [Freundschaftliche Lieder von J . I. PYRA und S. G . LANGE, Heilbronn 1885 ( = Litteraturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts 22), S. 88-89]. 125 Vgl. von P y r a auch die Fortsetzung des Erweises, daß die G*ttsch*dianische Sekte den Gesdimack verderbe. Wegen der sogenannten Hallischen Bemühungen zur Beförderung der Critik oc. Berlin, zu finden bey Johann Jacob Schütze 1744. 12E Vgl. TH. [EODOR] W.[ILHELM] DANZEL, Gottsched und seine Zeit. Auszüge aus seinem Briefwechsel. Nebst einem Anhange: Daniel 'Wilhelm Trillers Anmerkungen zu Klopstocks Gelehrtenrepublik. Leipzig 1848 (1970 wurde in Hildesheim ein fotomedianisdier Nachdruck dieses Werkes veröffentlicht), S. 187.
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same Instrument einer organischen und systematischen normativen Dichtungslehre geliefert, die auch auf die Schweizer ihren Einfluß ausüben sollte.127 In seinem Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen (1730), der auf dem philosophischen System von Wolff basiert,128 kritisiert Gottsched Lohensteins Dichtung beständig als Muster der »schwülstigen Schreibart.«129 Nach Zitierung der ersten drei Strophen des Lohensteinischen Trauergedichts zum Tod von Andreas Gryphius, das den Titel trägt: »Die Höhe des menschlichen Geistes über das Absterben Hn. Andreae Gryphii, Des Glogauischen Fürstenthums Landes-Syndici«, 130 schreibt Gottsched: Dieß ist nun ein rechtes Meisterstück, durcheinander gewirrter Metaphoren und anderer übelausgesonnener, verblümter Ausdrückungen; kurz, ein rechtes Galimatias, mit etlichen Phöbus durdiflochten. Nichts destoweniger hat sich unser Vaterland, eine geraume Zeit her, in dergleichen gefirnißte Verse aufs äußerste verliebt gehabt: und man hat keinen für einen Poeten halten wollen, der nicht diese hochtrabende Sprache reden können; die doch oft weder der Verfasser, noch seine Leser, mit allen ihren Sinnen haben erreichen können. 131
Bezüglich des Arminius wiederholt er Bodmers Kritik an der Schulgelehrsamkeit seiner antiken Helden: »Wie oft läßt Lohenstein seine alten Helden, wie belesene Schulmeister reden?«,132 während er dem Stil der Lohensteinischen Tragödien, deren Gestalten »lauter Phöbus« sprechen, eine »falsche Hoheit« vorwirft, die ihn »ganz unerträglich« macht.133 127 Ebenda. 128 V g l . JOACHIM BIRKE, Gottscheds Neuorientierung der deutschen Poetik an der Philosophie Wolffs, in »Zeitschrift für deutsche Philologie« 85 (1966), 560-575; JOACHIM BIRKE, Christian Wolffs Metaphysik und die zeitgenössische Literatur- und Musiktheorie: Gottsched, Scheibe, Mizler. Im Anhang: Neuausgabe zweier musiktheoretischer Traktate aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, Berlin 1966 ( = Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker. Neue Folge. Band 21); und WERNER RIECK, Johann Christoph Gottsched. Eine kritische Würdigung seines Werkes, Berlin 1972, S. 143-180. 12» GOTTSCHED, Versuch einer Critischen Dichtkunst, Leipzig 1751, S. 369. Z u Lohenstein vgl. die S. i n , 281, 295, 296, 304, 376, 414, 526-27, 619, 621. 1 3 0 D . [ANIEL] C . [ASPER] V . [ O N ]
L . [ O H E N S T E I N ] , Hyacinthen,
S. 23-24. Die
Sammlung
die eine eigene Seitenzählung hat, ist Teil des folgenden Werkes: DANIEL CASPERS VON LOHENSTEIN Blumen. Breßlau / A u f Unkosten Jesaiae Fellgibels / Buchhändlers alldar. 1680. 131 GOTTSCHED, Versuch, S. 282. 182 Ebd., S. 527. 133 Ebd., S. 621. In der Rezension über die Probe einiger Gedichte von Hudemann schreibt
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Aufklärung
33 9
Gottsched verurteilt auch den Stil des Panegyrikus zum Tode von Hoffmannswaldau. 134 In einem Gedicht, das im gleichen Jahr wie der Versuch unter dem Titel »Schreiben A n Herrn Prof. Joh. Friedrich May, als er ihm an seinem Geburtstage 1 7 3 0 den 23 März eine Übersetzung von Lucians Abbildung eines wahren und falschen Redners überreichte« erschien, schreibt er, daß die Zeiten vorbei seien, da man Lohenstein als größten Redner pries: So wies nun Lucían den Schwätzern seiner Zeit, Daß sie den rohen Mund der Plauderkunst geweiht; Der alten Redner Bahn vor Ungeduld verfehlet, Und aus Bequemlichkeit der Neuern Steg gewählet. H a t Deutschland, werther Freund ! nicht auch aus gleichem Wahn, Die wahre Redekunst fast in den Bann gethan? Wenn so viel Lehrer uns den Irrweg angewiesen, U n d für den Cicero den Lohenstein gepriesen. Die Zeiten sind vorbey. Die Einfalt wird verlacht, Man schreibt und spricht nicht mehr mit aufgeblähter Pracht: Die Wahrheit nimmt den Sitz auch in der Redner Munde, U n d alles, was sie spricht, hat die Vernunft zum Grunde. 1 3 5 Gottsched (daß er der Autor der Rezension sei, ist im Versuch einer Critischen Dichtkunst S. 753 belegt): »Gryphius und Lohenstein, nach dem bösen Muster des tragischen Seneca, haben ihre Helden fast übermenschlich reden lassen« ([JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHED,] Ludwig Friedrich Hudemanns J. U. D. Probe einiger Gedichte und Poetischen Übersetzungen, denen ein Bericht beygefüget worden, welcher von den Vorzügen der Oper, vor den Tragischen und Comischen Spielen handelt. Hamb. 1732. 16 Bog. in 8, in »Beyträge Zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, herausgegeben von Einigen Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Zehntes Stück«. Leipzig, Bey Bernhard Christoph Breitkopf. 1734, S. 268316, hier S. 277). 134 Ebd., S. 304. iss Herrn JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHEDS, der Weltw. und Dichtk. öffentl. Lehrers in Leipzig, der Kön. Preuß. und Bonon. Akad. der Wiss. Mitgliedes, Gedichte, Bey der itzigen zweyten Auflage übersehen, und mit dem II. Theile vermehret, nebst einer Vorrede ans Liât gestellet von M. Johann Joachim Schwaben. Leipzig, Verlegts Bernhard Christoph Breitkopf, 1 7 5 1 , S. 439. In einem anderen Glückwunschgedicht, »Schreiben A n Seine Wohlehrwürden, Herrn Nicolaus Kelz, Pastorn zu Waldau in Schlesien, und der Königl. D. Ges. zu Königsberg Mitgliede, zu seiner Magisterpromotion. 1735«, wirft Gottsched Lohenstein vor, er habe den Weg der Wahrheit und der Natur verlassen und statt der alten Griechen und Römer die Spanier und die Italiener nachgeahmt: »Wo ist der Fehler nun, den Breslau eifrig schilt, | Wenn Lohenstein bey uns nicht mehr, wie vormals, gilt? | Wenn wir vom Weizen Spreu, vom Golde Schlacken scheiden, | Und keinen leeren Schwulst in stolzen Worten leiden? | Wir ehren die Vernunft, wie Opitz auch gethan. | Warum blieb Lohenstein nicht gleichfalls auf der Bahn | Der Wahrheit und Natur? Was hat ihn doch getrieben, | Den Wind der Spanier, der Wälschen Dunst zu lieben? j Thats nicht sein grosser Pan,
III.
340 Obgleich Gottsched in der Ausführlichen
Redekunst
(1736)
Kapitel
anerkennt,
d a ß Lohenstein (und neben ihm Heinrich A n s h e l m v o n Z i g l e r , C h r i s t i a n T h o m a s i u s , E r a s m u s Francisci, P u f e n d o r f , C a n i t z , Besser, P a u l v o n Fuchs) a m E n d e des 1 7 . J a h r h u n d e r t s
» a u f verschiedene W e i s e der deutschen
Sprache u n d B e r e d s a m k e i t « Dienste erwiesen hat, v e r t r i t t er die Ansicht, d a ß sein Stil » g a r z u hochtrabend« sei. 1 3 6 I n den Vorübungen
der Beredsamkeit,
zum Gebrauche
der
Gymnasien
( 1 7 5 4 ) definiert Gottsched Lohensteins Stil als »schwülstig u n d hochtrab e n d « , »pedantisch«, » a f f e c t i r t « u n d »phantastisch«. 1 3 7 S o k ä m p f t Gottsched s o w o h l in seinen weitverbreiteten Lehrbüchern f ü r den G y m n a s i a l - u n d Universitätsunterricht als auch in den V o r r e d e n zu
seinen
poetischen
Werken,138
zu
Ausgaben
von
Dichtern,
die
er
sein Hofmannswaldau bloß? | Nur diesem gieng er nadi, nur dieser schien ihm groß? [ Was Rom und Griechenland für Muster nachgelassen, | Das war ihm viel zu schlecht, das schien er gar zu hassen« (ebd., S. 459). In einer Anmerkung zum Lobgedidit »Das erhöhte Preußen, oder, Friedrich der Weise. Seinem werthen Vaterlande, zu dem den 18. Jäner 1 7 5 1 eingefallenen fünfzigjährigen Andenken seiner Erhebung zur königlichen Würde, gewidmet«, das im zweiten Teil der Gedichte veröffentlicht wurde, spricht Gottsched von der »schwülstigen lohensteinischen Schreibart« (Herrn JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHEDS, der Weltw. und Dichtk. öffentl. Lehrers in Leipzig, der Kön. Preuß. und Bonon. Akad. der Wiss. Mitgliedes, Gedichte, Darinn sowohl seine neuesten, als viele bisher ungedruckte Stücke enthalten sind. Zweyter Theil. Leipzig, Verlegts Bernhard Christoph Breitkopf, 1 7 5 1 , Anm. S. 364). ΐ3Β JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHEDS Ausführliche Redekunst, Nach Anleitung der alten Grieàien und Römer, wie auch der neuern Ausländer; in zweenen Theilen verfasset und mit Exempeln erläutert. Statt einer Einleitung ist das alte Gespräche von den Ursachen der verfallenen Beredsamkeit vor gesetzet. Oie zweyte Auflage. Mit Kön. Poln. und Churf. Sächs. allergnädigster Freyheit. Leipzig, Verlegts Bernh. Christoph Breitkopf, Buchdr. 1739, S. 67-68. 137 Vorübungen der Beredsamkeit, zum Gebraudie der Gymnasien und größern Schulen, aufgesetzet von JOH. CHRIST. GOTTSCHEDEN. Mit Römisch. Kaiserl. Königl. Polnischer und Churfürstl. Sächsischer allergnädigster Freyheit. Leipzig, verlegts Bernhard Christoph Breitkopf. 1754, S. 5 1 - 5 4 , 76. 138 Vgl. JOH. CHRIST. GOTTSCHEDS, Prof. der Poes, in Leipzig, Sterbender Cato ein Trauerspiel, nebst einer Critischen Vorrede, darinnen von der Einrichtung desselben Rechenschaft gegeben wird. Leipzig, Zu finden in Teubners Buchladen, 1 7 3 2 ; und Die Deutsche Schaubühne nach den Regeln der alten Griechen und Römer eingerichtet, und mit einer Vorrede herausgegeben von J. C. Gottscheden. Zweiter Theil. Leipzig, bey Bernhard Christoph Breitkopf, 1 7 4 1 . Im Vorwort zu dieser Sammlung dramatischer Werke streitet Gottsched ein günstiges Urteil Riccobonis über Opitz, Gryphius und Lohenstein mit folgenden Worten an: »Wenn der Herr R.[iccoboni] [ . . .] auf unsre alten tragischen Dichter kömmt, so ist es allerdings wahr: daß Opitz, Gryph und Lohenstein, die ersten gewesen, die etwas erträgliches darinn gemacht. Allein der erste hat nur zwey alte Tragödien übersetzt: die andern beyden aber verdienen das Lob nicht, so er ihnen giebt, daß der eine unser Corneille, und der andre unser Racine zu nennen sey. Man sieht wohl, daß Herr Riccoboni seine Nachrichten von einem Schlesier bekommen habe« (S. 1 4 - 1 5 ) . Die Stelle, auf die Gottsched Bezug nimmt,
Die Kritik der
Aufklärung
341
schätzte,139 und zu Bibliographien 140 im Namen seiner klassizistischen Ideale 141 unermüdlich gegen Lohensteins »schlechten Geschmack«. Aber das vielleicht wirkungsvollste Instrument seiner Auseinandersetzung mit dem Barock stellen die Beyträge zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit dar, die von 1732 bis 1744 in Leipzig veröffentlichte Zeitschrift. Diese enthält im ersten Band die ausführlichste Analyse, die Gottsched jemals einem Werk von Lohenstein gewidmet hat: die Critischen Anmerkungen über D. C. von Lohenstein Lobrede bey des weyl. Herrn von Hofmannswaldau Leichenbegängnisse (1732). stammt aus Luigi Riccobonis Réflexions Historiques und lautet: » J e a n Opitz, André Gryphius, & Gaspard de Lohenstein sont les trois habiles Poetes Allemans, qui ont mis dans un vrai lustre & la Poësie & le Théâtre de leur Nation. [ . . . ] Les Pièces Dramatiques de ces Auteurs, qui sont presque toutes des Tragédies, sur-tout celles de Gryphius, qu'on peut appeller le Corneille des Allemans, ont mérité l'approbation du Public & se soutiennent encore de notre tems.« (Reflexions Historiques Et Critiques Sur Les Differens Theatres De L'Europe. Avec les Pensées sur la Déclamation. Par Louis RICCOBONI. A Amsterdam, A u x Depens De La Compagnie M D C C X L , S . 164). is® In der Widmung zu Neukirchs Auserlesenen Gedichten für den Reichsgrafen von Gotter, den preußischen Kriegsminister, schreibt Gottsched: » [ . . . ] Seit Opitz von uns with, I Und Flemming, Rist und Dach der Erden sich entzogen, | Schien auch Verstand u. Geist aus deutscher Luft verflogen. | Ein Schwärm vom Apennin, und von des Tagus Strand | Hatt' halb Germanien Geschmack und Sinn entwandt, | Den falschen Witz gepflanzt, Vernunft und Licht verbannet, | Theils schwülstig aufgebläht, theils schändlicher entmannet, | Der klare Bober ward durch Hoffmanns Bach getrübt, I Die Lohe ward vielmehr, als Castalis beliebt; | Die Oder schwoll davon, und ihre stolzen Fluthen | Erkühnten sichs, der Welt die Knechtschaft zuzumuthen« (Herrn BENJAMIN NEUKIRCH, Auserlesene Gedichte, Regenspurg, 1744, S. [I—II] in der Widmung). Im Vorwort zu demselben Werk finden sich häufig Anspielungen auf den »lohensteinischen Geschmack« und dessen negativen Einfluß auf die deutsche Dichtung (ebd., S. [ I I - X I V ] in der »Vorrede«), 140 In der »Vorrede« zu seinem Nöthigen Vorrath (1757) gibt Gottsched bei aller Anerkennung der Überlegenheit Corneilles und Racines gegenüber den deutschen tragischen Dichtern des 17. Jahrhunderts über Gryphius, Lohenstein und Hallmann ein weniger strenges Urteil als gewöhnlich ab. Er vertritt nämlich die Meinung, daß ihre Tragödien einen Vergleich mit allen italienischen und englischen Tragödien des 17. Jahrhunderts ohne weiteres aushalten könnten (Nöthiger Vorrath zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst, oder Verzeidmiß aller Deutschen TrauerLust- und Sing-Spiele, die im Druck erschienen, von ¡450 bis zur Hälfte des jetzigen Jahrhunderts, gesammlet und ans Licht gestellet, von Johann Christoph Gottscheden. Leipzig, bey Johann Michael Teubner, 1757, S. [ X V I I I ] in der »Vorrede«). 141 In den Vorübungen der Beredsamkeit schreibt Gottsched: »Die Schreibart der Erzählungen muß nicht versteckt und dunkel, sondern klar und deutlich; die Wortfügungen müssen nicht verstrickt, sondern gewöhnlich und leicht; die Worte aber zwar nicht pöbelhaft, aber doch üblich seyn, und in der bekanntesten Bedeutung genommen werden.« (S. 76). Über den dichterischen Stil vgl. S. 346-376 im Versuch einer Critischen Dichtkunst.
III.
342
Kapitel
In dieser Abhandlung will Gottsched nachweisen, wie tiefgreifend und positiv der Wandel in der deutschen Redekunst in den voraufgegangenen zehn Jahren gewesen sei. Während die Beredsamkeit des 17. Jahrhunderts und der ersten Jahre des 18. Jahrhunderts, wie sie uns durch Johann Christian Lünigs umfangreiche Chrestomathie Grosser Herren, vornehmer Ministren, und anderer berühmten Männer gehaltene Reden ( 1 7 0 7 - 1 7 3 1 ) belegt ist, nach Gottsched »ausschweifend« und »hochtrabend«, voller »weitgesuchter Zierrathen einer iibelverdaueten Belesenheit«, »schläferiger Complimenten« und »frostiger Curialformen« ist, basiert die neue, sich nach den klassischen griechischen und lateinischen Vorbildern richtende »wahre Beredsamkeit« auf den »wahren Regeln der Natur und Vernunft« und auf dem Ideal einer »edlen Einfalt«. 142 Um seine These zu erläutern, hält es Gottsched für ausreichend, eines der berühmtesten Beispiele barocker Beredsamkeit zu analysieren: eben Lohensteins Panegyrikus anläßlich Hoffmannswaldaus Tod. Diese Wahl schließt eine gewisse Anerkennung von Lohensteins Größe in sich, und in der Tat verkennt Gottsched bei dieser Gelegenheit die Qualitäten und Verdienste des Dichters nicht, wenn er auch meint, sie seien durch seinen verderbten Geschmack völlig verdunkelt und entwertet. W e r hat ihn nicht seit f ü n f z i g Jahren, sonderlich, seit dem sein Arminius ans Licht getreten, v o r den grösten Helden in der Wohlredenheit gehalten? Seine Verdienste waren audi in der T h a t so geringe nicht. Seine Belesenheit w a r erstaunend, sein Gedächtniß wunderwürdig, sein W i t z unerschöpflich, seine Arbeitsamkeit ganz sonderbar. N u r sein Geschmack w a r verderbt; nur die wahren Regeln der N a t u r und Vernunft waren ihm in der Dicht-und Redekunst unbekannt. M a n muß also Männer von dieser A r t mehr bedauren als verachten. D i e N a t u r hatte sie zu grossen Dingen bestimmet und fähig gemacht. N u r die Kunst hat sie entweder verlassen oder verführet, oder sie haben das wilde Feuer ihrer K ö p f e nicht überwältigen können. 1 4 3
Bei der Analyse der Lobrede, die »von einem Meister in der Kunst auf einen andern [...]> der nicht weniger davor angesehen worden«, 144 gehalten wurde, verwendet Gottsched die üblichen Kategorien des französischen 142
[JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHED,] Critische Anmerkungen über D. C. von Lohenstein Lobrede bey des weyl. Hochedelgebohrnen, Gestrengen und Hochansehnlichen Herrn Christians von Hofmannswaldau oc. den 30. April 1679. in Breßlau geschehenen Leichenbegängnisse gehalten, in »Beyträge Zur Critisdien Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, herausgegeben von Einigen Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Drittes Stück«. Leipzig, Bey Bernhard Christoph Breitkopf, 1732, S. 496-526, hier S. 496-501. 1 « Ebd., S. 498. 1 « Ebd., S. 498-499.
Die Kritik der Aufklärung
343
Klassizismus (»edle Einfalt«, »gesunde Vernunft«, »Natur«) und blickt starr auf die klassischen Vorbilder der griechisch-lateinischen Redekunst (Demosthenes, Cicero). Es ist unvermeidlich, daß Gottsched im Lichte soldier Kategorien und Vorbilder die allegorische Struktur der Rede auf den Tod des Breslauer Senatspräsidenten, die auf dem Vergleich Pan-Hoffmannswaldau aufgebaut war, wie eine »Gothische Erfindung« erscheint. Der ganze Inhalt unserer Rede ist nach der so hochbeliebten Art unsrer Vorfahren, allegorisch eingerichtet. Herr von Lohenstein stellet eine Vergleichung zwischen dem grossen Pan und dem Herrn von Hofmannswaldau an; Und dadurch will er dem letztern eine Lobrede verfertigen. Es wäre viel von dieser Gothischen Erfindung zu reden, da man auf eine so gezwungene Art sinnreich seyn, und die Thaten berühmter Leute durch weithergeholte Ähnlichkeiten erheben will. Dieser Kunstgriff ist Griechen und Römern unbekannt gewesen: Man miiste denn des Plutarchus Vergleichungen grosser Männer hieherziehen wollen; welches doch keine Lobreden seyn sollten, audi sonst von ganz anderm Schrot und Korne sind, als die Geburten unsrer allegorischen Redner. Plinius hat zum wenigsten den Kayser Trajan ohne dergleichen Künste zu loben gewußt. Dodi wir wollen davon überhaupt itzo nicht handeln. Dieses vorhabende Exempel einer allegorischen Rede wird uns zu besondern Anmerkungen Gelegenheit genug an die Hand geben. 145
Gottsched zitiert dann die ersten 16 Zeilen der Rede 146 und findet den Anfang »zu künstlich«147 und weit entfernt von der »edlen Einfalt«, mit der Cicero und Demosthenes ihre Reden gewöhnlich begannen, nämlich so, als ob sie improvisierten. »Von dieser edlen Einfalt aber«, klagt Gottsched, »hält Lohenstein nichts. Bey ihm muste auch das erste Wort ausgekünstelt und studirt seyn.«148 Nach Wiedergabe der nächsten sieben Zeilen der Lobrede kritisiert Gottsched die weitschweifige Adjektivierung, die »allegorische Spitzfindigkeit«, die »überflüssigen Vergleichungen« und die »ausschweifende Einbildungskraft«. Er hält den Vergleich zwischen Breslau und einem Schiff für abstrus und verwirft den Gebrauch eines Ausdrucks wie »Panischer Schrecken« als für ungebildete Leute unverständlich.149 Mit plattem, gesundem Menschenverstand und unendlicher Pedanterie kommentiert der Verfasser des Versuchs einer Critischen Dichtkunst jeden Ausdruck, jedes Bild, jeden Vergleich. Lohenstein verwendet den Ausdruck 145 146
147
Ebd., S. 499-500. LOHENSTEIN, Lob-Rede / Bey Des weiland Hoch-Edelgebohrnen / Gestrengen und Hochbenahmten Hn. Christians von Hofmannswaldau, S. [ 2 - 3 ] . GOTTSCHED, Critische Anmerkungen, S. joo. 14 Ebd., S. 501. » Ebd., S. 502-503.
III. Kapitel
344
»Das mitleidende Schlesien«, 150 und Gottsched glossiert: » [ . . . ] was verliert ganz Schlesien, wenn der Breßlauische Raths-Präses stirbt?«. 151 Lohenstein schreibt: »Zwar ich würde der Göttlichen Versehung in die Speichen treten / wenn ich den bisherigen Wohlstand der Stadt ihm / als einem einzelen Menschen / alleine zuschriebe«, 152 und Gottsched ruft aüs: Unser Redner will der göttlichen Vorsehung nicht in die Speichen treten! Unvergleichlicher Ausdruck! Wo bekommt denn die göttliche Vorsehung Speichen her? Daß das Glück als eine Göttin mit einem Rade gemahlet wird, und zwar seine Unbeständigkeit anzudeuten, das wissen wir wohl : Allein wie schicket sich dieses auf die göttliche Vorsehung? Verfährt sie denn auch in ihren Wegen so blindlings als eine heydnische Fortune? Das wird verhoffentlich unser Redner nicht haben sagen wollen. Aber wo kommen denn die Speichen her? Und gesetzt, daß es daran nicht mangeln mödite: Was soll es heissen in diese Speichen zu treten? Heißt es das Rad der göttlichen Vorsehung hemmen wollen? Welche Räder hemmt man denn dadurch, daß man in ihre Speidien tritt? Es dörfte nur ein sehr schlechtes Rad seyn, den stärksten Riesen einen so verwegenen Tritt mit einem Beinbruche zu belohnen. Also kann man denn unmöglich wissen, was unser Redner damit hat sagen wollen.153 Lohenstein nennt Penelope »die Keusche«, 154 und Gottsched fragt sich: »Warum nennt er sie denn die Keusche? Ist die Keuschheit mit dem Nahmen Penelope so unzertrennlich verbunden? So thut man sehr übel, daß man nicht alle unsre Töchter, die keine Phrynen werden sollen, so taufen lasset.« 155 Lohenstein schreibt: »Ein Sohn / der es seinen Ahnen zuvor thut / giebet seinem Geschlechte mehr Licht / als der künstlichste Schatten einem Gemähide Zierrath. Hingegen schüttet ein seinem Vater unähnlicher Sohn den Schimmel der Vergessenheit / und den Staub der Schande auf die gläntzenden Ehren-Bilder seiner tapfferen Vor-Eltern«, 1 5 6 und Gottsched kommentiert: »Wir begreifen es anfänglich nicht, wie man den Schimmel der Vergessenheit auf die glänzenden Ehrenbilder der tapfern Voreltern schütten könne? Wachset denn der Schimmel nicht selbst auf der Oberfläche schimmlichter Körper hervor? Und wer hat jemals gehört oder gesehen, daß man denselben auf etwas anders schütten könne? Mit dem 150 LOHENSTEIN, Lob-Rede, 151
S. [ 4 ] .
GOTTSCHED, Critische Anmerkungen,
S. 504.
GOTTSCHED, Critische Anmerkungen, LOHENSTEIN, Lob-Rede, S. [10]. GOTTSCHED, Critische Anmerkungen, LOHENSTEIN, Lob-Rede, S. [11].
S. $14.
152 LOHENSTEIN, Lob-Rede, S. [7-8]. 153 154 155 ΐ5β
S. J 19.
Die Kritik der
Aufklärung
345
Staube geht es w o h l an: aber dessen sein Wesen ist audi g a n z anders. W a r u m mengt man aber z w e y so verschiedene D i n g e in einer Redensart durch einander?«. 1 5 7 Gottscheds A n a l y s e bricht auf der zwölften Seite der Lobrede ab: M a n w i r d es uns nicht verdenken, wenn w i r müde werden, eine so verdrüßlidie Beurtheilung weiter fortzusetzen. Wir vermuthen audi, daß dieser A n f a n g der Lohensteinischen Rede, dasjenige genugsam w i r d bestätiget haben, w a s w i r oben überhaupt d a v o n geurtheilet. W i r haben j a fast keinen einzigen gesunden Satz darinn gefunden, und müssen gewiß viele, w o nicht alle Hochachtung v o r diejenige Feder verlieren, daraus sie geflossen ist. Wir übergehen das übrige, so darinnen noch anzumercken wäre, mit Fleiß: ob es gleich fast durchgehende eben so unrichtig gedacht, und lächerlich oder schwülstig ausgedrücket worden, als das vorige. 1 5 8 Diese Gottschedsche Interpretation der Lobrede zum T o d e v o n H o f f m a n n s w a l d a u ist ein exemplarischer F a l l der v o n der K r i t i k der A u f klärung gegenüber der Barockdichtung angewandten Diffamierungstechnik. Lohensteins Prosa w i r d an den Stilidealen v o n H o r a z , Dominique Bouhours, einem Feind Graciáns und des metaphorischen Stils, 1 5 9 und B o i leau sowie an denen der Redekunst160
Gottscheds gemessen, d. h. an den
GOTTSCHED, Critische Anmerkungen, S. 521. 158 Ebd., S. 524. In der Rezension über die ersten vier Nummern der Critischen Beyträge erwähnten die Greifswälder Critischen Versuche mit folgenden Worten audi diese Abhandlung Gottscheds: »Der vierte Beytrag enthält critische Anmerckungen über Lohensteins Lobrede bey dem Leichenbegängnisse des Herrn von Hofmannswaldau. Des Herrn von Lohensteins blinde Anbeter lernen vielleicht beym durchlesen dieser Anmerkungen, von ihrem Helden etwas weniger halten« (Rezension zu: Beyträge zur critisàien Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, herausgegeben von einigen Mitgliedern der deutschen Gesellschaft in Leipzig. 1. 2. 3. und 4. Stüde. 8. Leipzig 1732-1733, in »Critische Versuche ausgefertiget durdi Einige Mitglieder der Deutschen Gesellschaft in Greifswald. Erster Band. Mit nöthigen Registern«. In Verlegung Johann Jacob Weitbrechts. 1742, S. 1-36, hier S. 29). Audi Breitinger, der in der Untersuchung über den Panegyrikus zum Tode Hoffmannswaldaus {Gleichnisse, S. 263-274) seine These bestätigt findet, daß die Seiten aus Lohensteins Feder »nicht so sehr wegen der Menge Gleichnisse als der Unrichtigkeit derselben, Verdruß und Eckel bringen« (S. 274), erinnert an Gottscheds Abhandlung (S. 266). 159 VGL. [DOMINIQUE BOUHOURS,] La manière de bien penser dans les ouvrages d'esprit. Dialogues. Suivant la copie. A Amsterdam, Chez Abraham Wolfgango, Près de la Bourse, l'An 1688, S. 359—361 ; und [DOMINIQUE BOUHOURS,] Les entretiens d'Ariste et d'Eugene. Nouvelle Edition. Sur la copie imprimée à Paris. A Amsterdam Chez Jacques le Jeune. M D C L X X X I I . ιβο Grundriß Zu einer Vernunftmäßigen Redekunst Mehrentheils nach Anleitung der alten Griechen und Römer entworfen und zum Gebrauch seiner Zuhörer ans LiVerliebte Ariec »So soll der purpur deiner Uppen .. .«·, in Deutsche Barocklyrik. Gedichtinterpretationen von Spee bis Haller. Herausgegeben von Martin Bircher und Alois M. Haas, Bern und München 1973, S. 265-289, hier S. 284 und 265). Windfuhr schreibt: »Seine Trauerrede auf Hofmannswaldau von 1679 geht zwar von einem einleuchtenden Grundgedanken aus, hält aber in der Ausführung das anfängliche Niveau nicht durch.« (WINDFUHR, Die barocke Bildlichkeit, S. 328). 167 Über Pan und die Sage von seinem Tod vgl. FR. BROMMER, Pan, in Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Supplementband Vili, Stuttgart 1956, Sp. 949-1008. 168
Lohenstein richtet seine Trauerrede an ein Publikum, das er so apostrophiert: »Hochgebohrner Graf / des heiligen Römischen Reichs Semper-Frey / Hoch-und Wohlgebohme Grafen / Hoch-und Wohlgebohrne Freyherren / Hoch-Edelgebohrne / WohlEdle / Gestrenge / Hochbenahmte / Hochgelehrte / Gnädige und Hochgeehrte Herren. Wie audi Hochgebohrnes / Hoch-und Wohlgebohrnes / Wohlgebohrnes / Hoch-Edelgebohrnes / Wohl-Edles / Hoch-Ehr-und Tugendreiches Gnädiges und Hochgeehrtes Frauenzimmer« (LOHENSTEIN, Lob-Rede, S. [ 1 - 2 ] ) . A m Ende der Lobrede heißt es: »Daß aber Eurer Hoch-Gräflichen Excellenz, Eurer Hoch-Gräflichen und Freyherrlichen Gnaden / wie auch sämtlidie hochansehnliche Versammlung / auch nach dem Tode ihre Liebe gegen den nichts mehr zu erwiedern vermögenden Todten / ihr hertzliches Mitleiden gegen die hochbekümmerten Leidtragenden durch Beehrung heutigen Hoch-Adelichen Leich-Begängnüsses bestätigen wollen; dieses nehmen sie für ein unverfälschtes Merckmal ihrer hohen Genade / Gunst und Gewogenheit; für sich aber zu einer festen Verbindligkeit auf / solches mit gehorsamen und willigen Diensten abzuschulden« (ebd., S. [ 4 0 - 4 1 ] ) .
Die Kritik der
Aufklärung
34 9
Dies führte jedoch nicht zu einer grundlegenden Revision des Urteils der Kritik über Lohenstein, zumindest nicht bis zum Jahr 1765, als Mendelssohn eine teilweise Rehabilitierung des Dichters versuchte. Für die literarische Kritik war der >Fall< Lohenstein um die Mitte des 18. Jahrhunderts bereits abgeschlossen. Die einstimmige Ablehnung durch die Kritik der Schweizer und Gottscheds, noch verstärkt durch diejenige ihrer Schüler,1®9 hatte dazu beigetragen, ihn zu den Akten zu legen. 169 Natürlich fehlt es audi nicht an kritischen Stellungnahmen, die von der Schweizer Schule und der Gottscheds unabhängig waren. So wechseln ζ. B. bei C a r l Heinridi Heineke in seiner Untersuchung Von dem Was Longin eigentlich durch das Wort Erhaben verstehef K r i t i k und Lob der Dichtung Lohensteins miteinander ab. Heineke verwirflt Lohensteins »Flitter-gold« (hier klingt Boileaus kritisches Urteil über Tasso aus der »Satire I X « an, w o »le clinquant du Tasse« und »l'or de Virgile« gegenübergestellt werden) und erläutert seine Auffassung von »hochtrabendem« Stil durch Heranziehung von dessen Versen: »Im vorigen Jahrhundert herschete diese [die »hoditrabende«] verdorbene Schreibart so allgemein in Teutsdi-Land, daß man keinen Verfasser vor gelehrt hielte, dafern er nicht schwülstig dachte, oder wenigstens seine Gedanken in hoditrabende Wörter einhüllete. Die allerschleditesten Sachen, gemeine, ja nichtswürdige Einfälle musten mit Blumen gesdimücket, mit allerhand Specereyen bestecket, oder mit Rubinen, Saphiren und dergleichen Edelsteinen ausgezieret werden; wodurch der gemeine Mann nicht nur in Verwunderung gesetzet, sondern auch so betrogen ward, daß er die Undeutlichkeit in den Schriften, vor etwas Scharfsinniges ansahe. Lohenstein soll uns in dieser hochtrabenden Sdireib-Art zum Beyspiel dienen, wenn er die Oder, bey Kayser Leopolds Vermählung, also redend einführet: Des Löwen und der Jungfrau Himmels-Flammen [es folgen die V . 32-39 des »Zuruffs D e r frolockenden Oder über die Glückseeligste Vermählung D e r beyden Römischen Kayser-audi zu Hungarn und Böheimb Königlichen Majestäten / Herrn / Herrn Leopolds / und Fraun / Fraun Claudia Felicitas / A l s Selbte V o n dem Durdilauditen Liegnitz-Brieg-und Wohlauisdien Fürstlichen Hause A n dem 15. WeinMonats-und Vermählungs Tage feyerlidi begangen ward«, in D . C . v. LOHENSTEIN, Rosen, Breßlau / A u f Unkosten Jesaiae Fellgibeis Buchh. 1680, S. 8-12].« Heineke sieht im Sdiwulst das Gegenteil des Erhabenen, v o n dem Longinos handelt, und greift erneut auf Lohenstein zurück, um diese negative Stilkategorie zu exemplifizieren: »Wie das Erhabene in sich alle Vollkommenheiten begreifft: also besitzet dieß Schwülstige zugleich alle Fehler. Man findet in demselben das Unnatürliche, Undeutliche, Kindische und Matte auf einmahl. Lohenstein kan uns hierinnen vor andern sehr viel Exempel geben. Dieser Mann, welcher mit dem Sinnreichen, Scharfsinnigen und Erhabenen unsers grossen O p i t z nicht zufrieden war, suchte einen andern Weg, und da er von etlichen Italienern bloß das Schwülstige nadiahmete, so w a r d er endlich ein Meister in dergleichen Gedanken. Denn, wie Statius unter den Lateinern, Marino bey den Welschen, und Bartas unter den Franzosen im Schwülstigen oben an stehen; also giebet Lohenstein hierinnen bey uns Teutschen niemanden etwas nach. Man siehet solches deutlich, ausser unzehligen andern Stellen, im folgenden, wenn er die Zeugung der Perlen also beschreibt: Die Perle, die Scarlat und Infel muß bedecken [es folgen die Verse 34-40 aus der »Dreyfadien Bildung der Liebe« (D. C . v . LOHENSTEIN, Rosen, S. 86-90)] [ . . . ] D i e ß kan man mit Wahrheit undeutlich, übernatürlich, lächerlich und frostig zugleich nennen.« A b e r wenngleich Heineke L o henstein wegen seiner Schwülstigkeit kritisiert, so erkennt er dodi an, daß nur große
III.
3ί°
Kapitel
Diese Schüler wiederholen in der Tat mit geringen Abwandlungen den Bannfluch ihrer Lehrmeister gegen die Barockdichtung. So schreibt Johann Joachim Schwabe im Kommentar zu seinem Anti-Longin,
oder die Kunst
in der Poesie zu kriechen ( 1 7 3 4 ) , der Übersetzung von Alexander Popes und Jonathan Swifts Werk Π Ε Ρ Ι Β Α Θ Ο Υ Σ : Or, the art of sinking in Geister dazu imstande sind, auf derartige stilistische Irrwege zu geraten und daß es in Lohensteins Werk sehr schöne Stellen gibt: »Unterdessen muß die ganze Welt gestehen, daß man bey eben diesem Verfasser zuweilen sehr schöne Einfalle beydes in gebundener und ungebundener Rede finde. Jedoch, sie stehen, wo idi so reden darf, etwas dünne gesäet. Die Schlesier, seine Lands-Leute, und viel andere Ternsche, welche ihm blindlings folgen, nehmen dieß nicht in Acht, ja, weil die Wenigsten unter ihnen eben so viel Krafft, als er, im Denken besitzen, und sich mit seinem ächten Schmucke nicht auszuzieren vermögen, so bestehlen sie, statt dessen diesen ihren Abgott, wo sie können, nehmen ihm seine falschen Edelsteine, brüsten sich damit, und bringen, aus Mangel einer richtigen Beurtheilung, noch weit verwirrtere Gedanken herfür. Aber nicht nur die kleinen Geister sind durch Ausschreiben in diesen Fehler gerathen, sondern so gar ein Neukirch, ein Günter, die doch nachher das Flitter-Gold von dem gültigen zu unterscheiden wüsten, und andere Männer mehr, haben sich einiger von Lohenstein auf die Bahn gebrachter Spitzfündigkeiten nicht gäntzlich entäussern können; dodi gereichet es zu ihrem Ruhme, daß solches meistentheils in der Jugend geschehen, und daß sie selbst, bey zunehmenden Jahren und erlangtem besseren Geschmacke, durch eine gesunde Critick, durch Lesung der Alten, wie audi durch den Umgang mit Kennern und Welt-klugen Leuten von ihrer vorigen Thorheit überzeuget gewesen: wie solches schon von andern erinnert worden. Ohngeadit nun ein jeder vernünftiger Mensdi nothwendig alles, was einer Schwulst ähnlich siehet, mit Recht verachtet, so bleibet dodi gewiß, daß nur eigentlich grosse Geister dergleichen Ausschweifungen vorzubringen vermögen; die kriechende Scribenten werden niemahls dahin gelangen, und wenn wir ja zuweilen bey ihnen sich selbst übersteigende Gedanken antreffen, so haben sie sich bloß mit den Juwelen, Specereyen, Blumen und Kostbarkeiten ihrer Helden, die sie nachahmen wollen, ausgesdimücket, worinn sie sich ebenso groß düncken, wie die Schild-Träger bey den irrenden Rittern, welche, wenn sie die Abentheuer ihrer Herrn einer Prinzeßin erzehlen, sich des Worts wir bedienen, als wenn sie alle grosse Feld-Sdiladiten selbst mit verrichtet hätten.« Heineke zitiert zum Beweis dafür, daß das Erhabene ebenso durch einen mittleren wie durch einen gehobenen Stil ausgedrückt werden kann, zwei Halbverse aus der Cleopatra: »Rom mag die Welt besiegen / E r [August] sieget über Rom« ( 1 , 7 - 8 ) . Heinekes Kommentar zu diesem >Einfall< Lohensteins lautet folgendermaßen: »Die Ausdrückung ist ordentlich, kein Bey-Wort, keine verblühmte Redens-Art hält den Leser auf, das Erhabene dieses Gedankens deutlich zu empfinden.« (Untersuchung Von dem Was Longin eigentlich durch das Wort Erhaben verstehe? ausgefertiget von CARL
HEINRICH
HEINEKEN, in
DIONYSIUS
LONGIN
vom
Erhabenen
Griechisch
und
Teutsch, Nebst dessen Leben, einer Nachricht von seinen Schrifften, und einer Untersuchung, was Longin durch das Erhabene verstehe, von Carl Heinrich Heineken. Leipzig und Hamburg, Verlegts Conrad König. 1738, S. 3 1 3 - 3 7 6 , hier S. 320, 3 2 7 328, 341, 359-361, 373). Heinekes Übersetzung und Abhandlung wurden rezensiert in den »Beyträgen Zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, herausgegeben von Einigen Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Siebenzehendes Stüde«. Leipzig, Bey Bernhard Christoph Breitkopf. 1737, S. 108-140.
Die Kritik der
Aufklärung
351
poetry ( 1 7 2 7 ) , indem er Gedanken von Breitinger, Bodmer und Gottsched anklingen läßt: E r [unser grosser L * * n ] höret in den hefftigsten Affecten nicht auf zu spielen, und spitzfündige Reden zu führen. Seine Scharfsinnigkeit in Aufsuchung weit geholter Metaphoren leuchtet überall hervor. Man bleibet kalt, und wird nicht im geringsten gerühret, w o die hitzigsten Leidenschaften kommen könnten und sollten. Ein anderer würde uns die Bestürzung des Antons, die er über die Nachricht von dem Tode der Cleopatra empfindet, rührend vorgestellt haben. E r aber macht sie kanz kaltsinnig in folgendem Ausdrucke [es folgen die Verse 5 2 6 - 5 7 2 des I I I Aktes der Cleopatra],
Die hier ange-
brachte Entzückung würde vielleicht rührend werden, wenn sie in einer andern Sprache käme, und nicht auf so schöne Metaphoren folgete. So aber hat sie keine Wirkung, und ein Leser bleibt in seiner gesetzten Ruhe, welches gewiß bey solchen Umständen eine grosse Kunst des Dichters erfodert. 170
Auch Gottfried Ephraim Müller wiederholt in seinem erstmals 1 7 3 7 veröffentlichten Lehrgedicht Versuch einer Critik über die Deutschen Dichter die Gemeinplätze der von Bodmer-Breitinger und Gottsched an Loheni'O Anti-Longin, Oder die Kunst in der Poesie zu kriedoen, anfänglich von dem Herrn. D. SWIFT den Engelländern zum besten geschrieben, itzo zur Verbesserung des Geschmacks bey uns Deutschen übersetzt, und mit Exempeln aus Englischen, vornehmlich aber aus unsern Deutschen Dichtern durchgehends erläutert [von Johann Joachim Schwabe]. Diesem ist beygefiiget eben desselben Staatslügenkunst, nebst einer Abhandlung Sr. Hochedelgebohrnen, Hn. Johann Christoph Gottscheds, Prof. Log. & Metaph. Ord. und Poes. Extr. zu Leipzig, auch der Königl. Preuß. Soc. der Wissenschaften Mitglied, von dem Bathos in den Opern. Leipzig verlegts Joh. George Löwe, 1734, Anm. S. 65-66. In der Anm. S. 1 4 1 spricht Sdiwabe nochmals folgendermaßen von Lohensteins Stil: »In dieser Schreibart [Die beschwerte Schreibart. Welche ganz langsam gehet, als wenn sie unter der Last der Metaphoren erdrücket würde, und welche eine lange Schleppe von Worten hinter sich her ziehet] hat L * * * alle seine Gedichte gekleidet. Ich finde eben die Vorrede zu dem Schauspiele Ibrahim Sultan, wo der Thracisdie Bosphor redet, und seine Worte mit einer Last von Stralen Purpur, Myrthen, Kränze, Gold, Zucker, Schmelz, Diamant, Schaum, Perlen, Gestirne und Sonnen sehr stark beladen hat [es folgen die Verse 69-76 aus dem Prolog des Ibrahim Sultan]. In andern Stellen sind die Verse noch mehr beschweret, und zuweilen so sehr, daß sie dadurch ihre Füsse zerbrechen und hinken müssen. Einige Wörter verlieren, wegen der grossen Bürde von Metaphorn, die Köpfe, andern wird der Rückgrad zerbrochen, noch andere suchen sich mit neuen Zusätzen zu stützen und auf solche Art die Last von sich abzuwelzen. Sie verderben aber alle ihr gutes Ansehen und natürliche Schönheit darüber.« Gottsched rezensierte den Anti-Longin in den »Beyträgen Zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, herausgegeben von Einigen Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Neuntes Stüde«. Leipzig, Bey Bernhard Christoph Breitkopf. 1734, S. 164-186. Über die Bedeutung dieses Werkes für die antibarocke Polemik vgl. WINDFUHR, Die barocke Bildlichkeit und ihre Kritiker, S. 319.
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III.
Kapitel
stein geübten Kritik. 171 Desgleichen tut Christlob Mylius in der Critischen Untersuchung, ob, und in wie fern die Gleichniße in den Trauerspielen statt finden? (1743), die wie Müllers Gedicht im achten Band der Critischen Beyträge erschien. Obgleich der Vetter Lessings als getreuer Gottschedianer gegen die Gedanken Breitingers über die Erlaubtheit von Gleichnissen in Tragödien polemisiert (Breitinger gesteht ihren Gebrauch den nicht von Leidenschaften erschütterten Gestalten zu, während Mylius sie bis auf äußerst kurze ganz verbannen will), nimmt er bei der Kritik an den Gleichnissen in Lohensteins tragischer Dichtung doch die Breitingersche Argumentation wieder auf. Mylius zitiert Gleichnisse aus der Sophonisbe ( 1 , 1 1 - 1 3 und 66-67), der Cleopatra (I, 659-661), dem Ibrahim Sultan ( 1 , 5 1 0 - 5 1 3 ; 1 1 , 1 3 3 - 1 4 0 , 1 7 3 - 1 8 0 , 357-367; III, 89-93), der Agrippina (1,98-104, 1 0 6 - 1 1 0 ) und schließlich aus der Epicharis (I, 83-85, 1 1 9 - 1 2 0 ) 1 7 2 und schreibt dazu: 171
172
G. E. Müller widmet Lohenstein nach einer Charakterisierung der Kunst Hoffmannswaldaus, der als erster »die hohe Kunst erdacht, | wie man im Deutschen sidi den Deutsdien dunkel macht«, die folgenden Verse: Drauf ließ sich Lohenstein ein gleiches Irrlicht blenden, Was Hoffmann nur versucht, in Deutschland zu vollenden. Der hat sich allererst die Dichterart erkiest, Die einem kleinen Geist ein großer Anstoß ist. Denn was er nur berührt, muß Mosch und Ambra werden. E r gräbt sich Erzt und Stein aus einer fremden Erden, Schifft, wie sonst Günther that, auf Dielen über Meer, Und holt ein Gleichnißwort aus Missisippi her, Sucht Feuer in der See, und Wasser in den Flammen, Packt sein Excerptenbuch in einen Reim zusammen; Sein vollgestopfter Vers ist matt und ohne Kraft, Und wo er hoch sich dünckt, da ist er schülerhaft. Sein schwülstig Trauerspiel muß sich durch Tropen wälzen, Geht auf Cothurnen nie, und hinket stets auf Stelzen, Kein einziger Affect, nidit Einheit, Ort und Zeit Ist, wie es soll, bedacht: er suchet alles weit. Und muß sich denn sein Held zur Todesnacht bequemen, So läßt er ihn zuvor in China Abschied nehmen. Kurz, wer ihn reden läßt, der muß ihm ähnlich seyn: Und wenn Augustus spricht, so plaudert Lohenstein. Ergetzt eudi nun vielleicht dergleichen schönes Wesen, So dürft ihr nur, nächst ihm, den schwühlen Hallmann lesen. (G. [OTTFRIED] E.[PHRAIM] MÜLLER, Versuch einer Critik über die Deutschen Dichter, in »Beyträge Zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, herausgegeben von einigen Liebhabern der deutsdien Litteratur. Achter Band. Neun und zwanzigstes Stück«. Leipzig, Bey Bernhard Christoph Breitkopf 1742, S. 1 7 3 - 1 8 6 , hier S. 182). CHR. [ISTLOB] MYLIUS, Critische Untersuchung, ob, und in wie fern die Gleichniße in den Trauerspielen statt finden?, in »Beyträge Zur Critischen Historie Der Deutsdien
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I d i h o f f e durch diese Exempel aus den lohensteinischen Trauerspielen deutlich genug gezeigt zu haben, w i e ungereimt es ist, wenn häufige Gleichnisse in Trauerspielen angebracht werden. Lohensteins Gleichnisse haben dieses noch v o r andern voraus, daß sie nicht nur v o n Personen vorgebradit w e r den, welche ruhiges Gemüthes sind; sondern auch v o n denen, welche in vollen Leidenschaften reden, und daß sie öfters v o n wunderseltsamen Dingen hergenommen, und auf eine phantastische A r t ausgedrückt w o r d e n . 1 7 3
Mylius beschränkt sich darauf, nur zwei Stellen aus dem Ibrahim Sultan174 zu kommentieren und beweist so in Wirklichkeit lediglich, daß Lohensteins Gleichnisse dem dogmatisch übernommenen Prinzip Breitingers und Gottscheds von der psychologischen Wahrscheinlichkeit widersprechen.175 Spradie, Poesie und Beredsamkeit, herausgegeben von einigen Liebhabern der deutschen Litteratur. Achter Band. Ein und dreissigstes Stück«. Leipzig, Bey Bernhard Christoph Breitkopf 1743, S. 394-420, hier S. 401-404. i " Ebd., S. 404. 174 Die Verse 5 1 0 - 5 1 3 des I. Akts und die Verse 1 3 3 - 1 4 0 des II. Akts. Der Kommentar zu den ersteren lautet: »Wenn die Staatsminister in ihren Staatsunterredungen Zeit haben, ihre Stimmen mit Gleichnissen von Verschnittenen, Vögeln, Gudcuken und Falken zu erläutern; so muß der Gegenstand der Unterredungen nicht wichtig seyn« (ebd., S. 402). Über die letzteren Verse sagt Mylius: »Wer sollte hier nicht auf die Gedanken fallen, daß die Keuschheit der Ambre lauter verstelltes Wesen und Heucheley sey, da sie ihre Furcht vor dem Verluste derselben mit solchen Ausdrückungen beschreibt; zu deren Erfindung nothwendig ein ruhiges Gemüth erfodert wird?« (ebd.). 175 Uber die Verwendung von Gleichnissen in der Tragödie spricht Gottsched in § 25 des Kapitels »Von Tragödien, oder Trauerspielen« im Versuch: »Hier fraget sidis unter andern, ob sich in die Schreibart der Tragödien audi viele Gleichnisse schicken? Idi antworte, man darf nur auf die Natur sehen. Nun finde idi nicht, daß man im gemeinen Leben, wenn wir von ernstlichen und wichtigen Dingen reden, lange Vergleidiungen zu machen pfleget. Wem das, wovon er zu reden hat, zu Herzen geht; der hält sich mit solchen Spielen des Witzes nicht auf; sondern er dringt gerade auf die Sache selbst [ . . . ] Könige, Fürsten und Helden pflegen in ernsthaften Geschafften nicht lange mit künstlichen Vergleichungen zu spielen, sondern reden mit Ernste und Nachdrucke. Auf diese Natur muß man sehen. Ein anders ist es, mit einem Poeten, in einem Heldengedichte. Dieser ist selbst in der Fabel nicht mit verwickelt, die er erzählt; sondern gleichsam nur ein Zuschauer oder Herold derselben. Der kann sich also wohl bey kaltem Blute die Zeit nehmen, Gleichnisse zu machen, und so weitläuftig auszuführen, als er will. Allein in der Tragödie kömmt der Poet gar nicht zum Vorscheine : sondern es reden lauter andere Leute, die mit an den Begebenheiten Theil haben, und als ordentliche Menschen eingeführet werden müssen. Die Exempel der Alten sind mir audi nicht zuwider. Idi finde, daß Sophokles nicht über zwey oder drey Gleichnisse in seinem ödipus angebracht hat [ . . . ] Hergegen Lohenstein und Seneca sind fast überall voll davon: wodurch denn [ . . . ] ihre Schreibart die unnatürlichste von der Welt wird. Eben das ist von der Gelehrsamkeit und Belesenheit zu merken, welche diese beyden Tragödienschreiber ihren Personen zu leihen pflegen. Sie schicket sich für dieselben durchaus nicht, zumal wenn sie im Affecte reden; und könnte an bequemere örter versparet werden.« (GOTTSCHED, Versuch einer Critischen Dichtkunst, S. 622-623). Dieser Paragraph aus dem Versuch wurde von Breitinger
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III.
Kapitel
Dasselbe P r i n z i p hätte die V e r w e n d u n g v o n V e r s e n 1 7 8 absurd erscheinen lassen müssen, aber die aufgeklärten K r i t i k e r der Barockdichtung zeichnen sich nicht durdi Konsequenz aus. M y l i u s verurteilt mit derselben Strenge den Gebrauch v o n Gleichnissen bei G r y p h i u s und bei Shakespeare und bestätigt dadurch den Eindruck, daß K r i t i k e r v o n gottschedscher O r t h o d o x i e die Qualitäten der Dichtersprache übersehen und daß es ihnen an E m p fänglichkeit f ü r Dichterisches mangelt. 1 7 7
in seinen Gleichnissen (S. 1 9 8 - 2 1 1 ) angegriffen, und dieser Angriff führte zu Mylius' Eingreifen in den Critischen Beyträgen, wo er seinen Meister verteidigte. ΐ7β Der in der tragischen Dichtung notwendige Gebrauch des Verses und sogar des Reimes wird von G. B. Straube mit Argumenten vertreten, die man mit demselben Recht hätte heranziehen können, um einen an Gleichnissen und Metaphern reichen tragischen Stil zu rechtfertigen: »die tragischen Personen [dürfen] Dichter seyn«, »[der Poet kann] seine Personen [ . . . ] zu lauter Dichtern machen«. ([GOTTLOB BENJAMIN STRAUBE,] Ursachen, warum ein Trauerspiel nothwendig in Versen geschrieben seyn müsse, in »Beyträge Zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, herausgegeben von einigen Liebhabern der deutschen Litteratur. Siebenter Band. Acht und zwanzigstes Stüde. Mit nöthigen Registern zu diesem siebenden Band«. Leipzig, Bey Christoph Bernhard Breitkopf. 1741, S. 647-656, hier S. 6j4 und 651). 177
MYLIUS, Critisd>e Untersuchung, 405-407. Die von Mylius zitierten Verse Shakespeares sind ausschließlich Caspar Wilhelm von Borcks Übersetzung des Julius Caesar in Alexandrinern entnommen (Versuch einer gebundenen Übersetzung des TrauerSpiels von dem Tode des Julius Cäsar. Aus dem Englischen Wercke des Shakespear. Berlin, bey Ambrosius Haude 1741), die von Gottsched in den Critischen Beyträgen negativ rezensiert wurde: »Die elendste Haupt- und Staatsaction unsrer gemeinen Comödianten ist kaum so voll Schnitzer und Fehler wider die Regeln der Schaubühne und gesunden Vernunft, als dieses Stück Shakespeare ist.« ([JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHED,] Nachricht von neuen hieher gehörigen Sachen III, in »Beyträge Zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, herausgegeben von einigen Liebhabern der deutschen Litteratur. Siebenter Band. Sieben und zwanzigstes Stück«. Leipzig, Bey Bernhard Christoph Breitkopf. 1741, S. 5 1 6 - 5 1 7 , hier S. 516). Negativ äußert sich Gottsched über Shakespeare nochmals in den Anmerkungen über das J92. Stück des Zuschauers (in »Beyträge Zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, herausgegeben von einigen Liebhabern der deutschen Litteratur. Achter Band. Neun und zwanzigstes Stück«. Leipzig, Bey Bernhard Christoph Breitkopf 1742, S. 143-172), wo es heißt: »Sein Julius Cäsar, der noch dazu von den meisten für sein bestes Stück gehalten wird, hat so viel niederträchtiges an sich, daß ihn kein Mensch ohne Ekel lesen kann« (ebd., S. 161). Größeres Verständnis für Shakespeares Kunst beweist die Vergleichung Shakespears und Gryphs von J. E. Schlegel, der jedoch Bordes Obersetzung des Julius Caesar audi negativ beurteilt. Aber auch dieser Kritiker macht den beiden tragischen Dichtern den Vorwurf, manchmal »schwülstig« zu sein und unangebrachte Gleichnisse zu verwenden: »Beyde, so wohl Shakespear als Gryph sind in ihren Gemüthsbewegungen edel, verwegen, und noch etwas über das gewöhnliche Maaß der Höhe erhaben. Beyde sind auch zuweilen schwülstig und verfallen auf weit ausgeführte und weithergeholte Gleichnisse [ . . . ] . [ . . . ] beyde [sind] in Affecten bisweilen zu gekünstelt: sie bringen Gleichnisse an, wo niemand leicht mit Gleichnissen reden wird; und wenn sie sie auch
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Aufklärung
Das Prinzip der psychologischen Wahrscheinlichkeit und die Stilkategorie der »Natürlichkeit« führten nicht nur zu negativen Urteilen über Lohenstein, Gryphius, Shakespeare und Seneca, sondern gelegentlich audi über Corneille und Racine. Im Versuch einer Critischen Dichtkunst schreibt Gottsched: Sonderlich drucken die lohensteinischen Personen niemals den Affect redit natürlich aus: sondern, da sie im Schmerze aufhören sollten, auf Stelzen zu gehen, so bleiben sie unverändert bey ihren scharfsinnigen Sprüchen und künstlichen Spitzfündigkeiten. Ja selbst Corneille und Racine, haben sich in diesem Stücke oft genug versehen.178 Das Ausdrucksphänomen, das in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts konstant am Beispiel Lohensteins erläutert und negativ als »schwülstige lohensteinische Schreibart« bezeichnet wird, ist nichts anderes als was wir >Barock< nennen. Bei Lohenstein lehnt man den >reinsten< Ausdruck des Barock in der Dichtung ebenso ab wie man bei Badi den reinsten Ausdrude des Barock in der Musik verwirft, was uns ein sehr interessantes Dokument bezeugt, nämlich eine Stelle aus der sechsten Nummer des Critischen Musikus (unter dem Datum »Dienstags, den 14 May, 1737«) von Johann Adolph Scheibe, wo der große Komponist mit dem schlesischen Dichter verglichen wird. Der Herr [Johann Sebastian Bach] ist endlich in der Vornehmste unter den Musikanten. Er ist ein außerordentlicher Künstler auf dem Ciavier und auf der Orgel; und er hat zur Zeit nur einen angetroffen, mit welchem er um den Vorzug streiten kann. Ich habe diesen großen Mann unterschiedenemale spielen hören. Man erstaunet bey seiner Fertigkeit, und man kann kaum begreifen, wie es möglich ist, daß er seine Finger und seine Füsse so sonderbar und so behend in einander schrenken, ausdehnen, und damit die weitesten Sprünge machen kann, ohne einen einzigen falschen Ton einzumischen, oder durch eine so heftige Bewegung den Körper zu verstellen. Dieser grosse Mann würde die Bewunderung ganzer Nationen seyn, wenn er mehr Annehmlichkeit hätte, und wenn er nicht seinen Stücken, durch ein schwülstiges und verworrenes Wesen das Natürliche entzöge, und ihre Schön-
178
am rechten Orte anbrächten, so bringen sie sie öfters und weitläuftiger an, als die N a t u r zuläßt.« ([JOHANN ELIAS SCHLEGEL,] Vergleichung Shakespears und Andreas Gryphs bey Gelegenheit des Versuchs einer gebundenen Übersetzung von dem Tode des Julius Cäsar, aus den Englischen Werken des Shakespear. Berlin 1741, in »Beyträge Zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, herausgegeben von einigen Liebhabern der deutschen Litteratur. Siebenter Band. Acht und zwanzigstes Stück. Mit nöthigen Registern zu diesem siebenden Band«. Leipzig, Bey Bernhard Christoph Breitkopf. 1741, S. 540-572, hier S. 567 und 571). GOTTSCHED, Versuch einer Critischen Dichtkunst, S. 621.
III.
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heit durch allzugroße Kunst verdunkelte. Weil er nach seinen Fingern urtheilet, so sind seine'Stücke überaus schwer zu spielen; denn er verlangt, die Sänger und Instrumentalisten sollen durch ihre Kehle und Instrumente eben das machen, was er auf dem Claviere spielen kann. Dieses aber ist unmöglich. Alle Manieren, alle kleine Auszierungen, und alles, was man unter der Methode zu spielen versteht, drücket er mit eigentlichen Noten aus, und das entzieht seinen Stücken nicht nur die Schönheit der Harmonie, sondern es machet auch den Gesang durchaus unvernehmlich. Kurz: er ist in der Musik dasjenige, was ehmals der Herr von Lohenstein in der Poesie war. Die Schwülstigkeit hat beyde von dem Natürlichen auf das Künstliche, und von dem Erhabenen aufs Dunkele geführet; und man bewundert an bey den die beschwerliche Arbeit und eine ausnehmende Mühe, die doch vergebens angewandt ist, weil sie wider die Vernunft streitet. 179 N a t ü r l i c h ist Lohenstein nicht B a d i und auch nicht Shakespeare, Corneille oder Racine, aber er ist als L y r i k e r sicherlich viel bedeutender als N e u kirch, Pietsch, C a n i t z und Besser, die v o n der antilohensteinischen K r i t i k gerühmten »großen« Dichter, 1 8 0 und als T r a g i k e r ist er auch viel bedeutender als Gottsched, dessen F r a u Louise A d e l g u n d e Victorie K u l m u s , J o h a n n Elias Schlegel, Christoph O t t o v o n Schönaich und J o h a n n F r i e d rich v o n C r o n e g k - nach dem Handlexicon (1760),
der schönen
das Gottsched und seine Schüler zusammenstellten,
Wissenschaften 181
die größten
»modernen« T r a g i k e r . 179
JOHANN ADOLPH SCHEIBENS, Königl. Dänis. Capellmeisters, Critischer Musikus. Neue, vermehrte und verbesserte Auflage. [1. Aufl. Hamburg 1738-40]. Leipzig, bey Bernhard Christoph Breitkopf, 174$, S. 62. Zum Teil wird diese Stelle audi von GERALD ERNEST PAUL GILLESPIE, Daniel Casper von Lohensteins Historical Tragedies, Ohio State University Press, 1965, S. 18 zitiert. Über Scheibe und seine Zeitschrift, die erheblich unter dem Einfluß von Gottscheds Critischer Dichtkunst stand, vgl. JOACHIM BIRKE, Christian Wolffs Metaphysik und die zeitgenössische Literatur- und Musiktheorie: Gottsched, Scheibe, Mizler. Im Anhang: Neuausgabe zweier musiktheoretischer Traktate aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, Berlin 1966 ( = Quellen und Forschungen zur Spradi-und Kulturgeschichte der germanischen Völker N.F. 21) S. 49-66. 180 »d a s güldene Alter unserer Poesie müßte in denen Zeiten, da Besser und Canitz, Neukirch, Günther und Pietsdi gelebet und geschrieben haben, gesudiet, und festgesetzet werden« (GOTTSCHED, »Vorrede« zu NEUKIRCH, Auserlesene Gedichte, Regenspurg X744.S. [III]). lei »Bey uns Deutschen [. . .] haben Lohenstein, Andreas Gryph, Hallmann u.a.m. Trauerspiele verfertiget: welche aber die neuern Trauerspieldichtern, der Herr Professor Gottsched, desselben gelehrte Freundinn, Schlegel, Frh. von Schönaich und der sei. Bar. von Kronek, weit übertreffen« (Handlexicon oder Kurzgefaßtes Wörterbuch der schönen Wissenschaften und freyen Künste. Zum Gebrauche der Liebhaber derselben herausgegeben von Johann Christoph Gottscheden. Leipzig, in der Caspar Fritsdiisdien Handlung, 1760, Artikel »Tragödie - Trauerspiel«, Sp. 1J74). Im Artikel »Romane« heißt es: »Nach der opitzischen Aufklärung der schönen Wissen-
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Aufklärung
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E s ist eine Folge der in der ersten H ä l f t e des 1 8 . Jahrhunderts v o n der aufgeklärten K r i t i k vorgenommenen totalen K o n f r o n t a t i o n zwischen dem klassizistischen und dem Barockstil, w e n n es im J a h r 1 7 3 5 möglich ist, N e u k i r d i als einen der »besten deutschen Dichter« einzustufen; 1 8 2 w e n n man 1 7 4 1
J o h a n n V a l e n t i n Pietsch als den bedeutendsten Dichter des
Jahrhunderts ansehen k a n n 1 8 3 und w e n n der schulische Lektürekanon, den sdiaften, haben wir in Übersetzungen Philipps von Sidney Arkadia, des Herrn von Urfe Astrea, u. d. m. von Neumarken, Philipp von Zesen, Adolph Rosen von Kreuzheim, Schochen und andern Originale erhalten. So hat auch Herzog Anton Ulrich die Octavia und Aramena geschrieben. Nächst ihm sind Buchholzens, Herkules u. Lohensteins Arminius zu merken, denen man nodi die Banise von Zieglern beyfiigen muß« (ebd., Sp. 1407-1408). Im Artikel »Schwulst« wird als Beispiel für diesen Lohenstein zitiert (ebd., Sp. 1471). Im Artikel »Galimatias« sind zur Erläuterung des Begriffs die ersten 25 Verse aus Lohensteins Trauergedicht zum Tod von Andreas Gryphius, »Die Höhe des Menschlichen Geistes«, angeführt (ebd., Sp. 733). 182 [JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHED,] Nachricht von denen noch hinterbliebenen ungedruckten Schriften des seel. Herrn Hofraths Neukirch, in »Beyträge Zur Critisdien Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, herausgegeben von Einigen Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Dreyzehendes Stück«. Leipzig, Bey Bernhard Christoph Breitkopf. 1 7 3 J , S. 123-236, hier S. 125. iss j . G. Bock behauptet im Vorwort zu seiner Ausgabe der Gedichte von Pietsch, diese seien »so weit über viele Muster seiner Vorgänger erhöhet, daß man zweiflen solte, ob die Poesie der Deutschen jemahls bey den Nachkommen eine grössere Volkommenheit erhalten werde« (Des Herrn JOHANN VALENTIN PIETSCHEN weyland Königl. Preußis. Hof-Raths und Leib-Medici wie auch Professor, ord. der Academie zu Königsberg gebundene Schriften in einer vermehrten Sammlung ans Licht gestellet von Johann George Bode der Academie zu Königsberg Profess, ord. wie auch Mitgliede der Königl. Preußis. Societät der Wissenschafften. Königsberg Verlegts Christoph Gottfried Edcart, Königl. Preußis. privil. Buchhändler. 1740, S. [III] in der »Vorrede«). Bock verteidigt aber Lohenstein und die anderen schlesischen Dichter gegen die Angriffe jener Kritiker, die kleine Fehler stark zu vergrößern und verdienstvolle Leute in Mißkredit zu bringen pflegen: »Mit was Ungestüm fallen dergleichen Urtheils-Pächter den tiefsinnigen Lohenstein und einige von seinen Landesleuten an, schwärtzen sie mit den gräßlichsten Benennnungen, schelten jeden Ausdruck für schwulstig und aussätzig, vergessen sich selbst bey dieser Geringschätzung, daß sie ihrer schwindsüchtigen Sdireib-Art wegen verdieneten an das Riesen-Gebürge geschmiedet zu werden« (ebd., S. [VIII]). Gottsched polemisierte in seiner Rezension dieser Gedichtausgabe von Pietsch gegen Bock wegen dessen Verteidigung von Lohensteins Dichtung, wobei er ihm vorwarf, er schätze sie, weil er mit einem großen Bewunderer und Anhänger von Lohensteins Gedichten, dem Kapellmeister Johann George Neidhardt, befreundet sei (diesen Lohensteinianer, durch den um 1708 der lohensteinische Geschmack in Königsberg eingeführt wurde, hatte Gottsched in der Dichtkunst S. 283, 320 und 370 mit strenger Kritik bedacht), und er ahme in seinem Vorwort diesen Stil selbst nach. In der Beurteilung von Pietsch stimmt er dagegen mit Bock überein: »Unter allen Dichtern, die dieses Jahrhundert Deutschland hervorgebracht, hat Hofrath Pietsch fast mit einhälligen Stimmen den obersten Platz verdienet.« ([JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHED,] Des Herrn Johann Valentin Pietschen weil. Königl. Preuß. Hofraths und Leibmedici, wie auch Prof. ord. der Akad. zu Königsberg gebundene Schriften, in einer vermehrten Sammlung ans Liât gestellet
III.
358
Kapitel
Gottsched in seinen Lehrbüchern f ü r den G y m n a s i a l u n t e r r i c h t 1 7 5 4 u n d
1756 festgelegt hat (Vorübungen der Beredsamkeit bzw. Vorübungen der lateinischen und deutschen Dichtkunst), zum großen Teil Schriftsteller wie C a n i t z , Besser, Pietsch, C h r i s t i a n G o t t l o b Stockei, C h r i s t o p h Dietrich v o n B ö h l a u u m f a ß t 1 8 4 ( w ä h r e n d M o r h o f s K a n o n im Unterricht schen
Sprache,
von
der
Teut-
der 1 6 8 2 aufgestellt w u r d e , aber n o d i in den ersten J a h r -
zehnten des 1 8 . J a h r h u n d e r t s gültig w a r , A u t o r e n v o m F o r m a t eines G r y phius, H o f f m a n n s w a l d a u u n d Lohenstein einschloß). 1 8 6 D e r unbedeutendste der dem klassizistischen S t i l v o r b i l d treuen
Au-
toren w i r d aprioristisch über die größten Barockdichter gestellt. S o ist es unvermeidlich, d a ß das Festhalten an der rationalistischen D i c h t u n g s a u f fassung Gottsched u n d seine A n h ä n g e r
zur Ablehnung
der
Dichtung
Klopstocks, des größten deutschen Dichters u m die M i t t e des 1 8 . J a h r hunderts, f ü h r t e u n d diese in die N ä h e der D i c h t u n g Lohensteins rückte. 1 8 8 von Job. George Bock, der Akad. zu Königsb. Prof. ord. wie auch Mitgliede der Königl. Preuß. Societ. der Wissenschaften. Königsb. bey Eckardten 1740. in gr. 8. ι Alph. und 6 B., in »Beyträge Zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, herausgegeben von einigen Liebhabern der deutschen Litteratur. Siebenter Band. Fünf und zwanzigstes Stück«. Leipzig, Bey Bernhard Christoph Breitkopf. 1 7 4 1 , S. 1 3 1 - 1 6 6 , hier S. 154 und 1 3 1 ) . Die Rezension stammt sicherlich aus Gottscheds Feder, wie uns die Übereinstimmung einer Stelle (»Wie ich mich denn gar wohl besinne, daß er [Pietsdi] mir seine [Neukirchs] poetische Palinodie, darinn er dem lohensteinischen und hoffmannswaldauischen Geschmacke Abschied gegeben, mehr als einmal aus dem Kopfe vorgesaget: Ihr Musen helft mir doch, idi soll schon wieder singen oc«, ebd., S. 136) mit den folgenden Zeilen, die im Vorwort zur Ausgabe der Auserlesenen Gedichte Neukirdis stehen, beweist: »Und ich besinne mich, daß mir Hofrath Pietsch die neukirchische Palinodie, die er 1700 auf eine breslauisdie Hochzeit gemacht, und sich so anhebt: Ihr Musen helft mir doch; idi soll sdion wieder singen oc. nunmehro wohl vor fünf und zwanzig Jahren, ganz aus dem Kopfe vorgesagt« (GOTTSCHED, »Vorrede« zu NEUKIRCH, Auserlesene Gedichte, Regenspurg, 1744, S. [ I I ] ) . Pietsch hatte immerhin selbst Lohenstein in einigen Gedichten nachgeahmt, bevor er ein Bewunderer Neukirchs und ein Anhänger des französischen Klassizismus wurde. Zum Einfluß Lohensteins auf die Dichtung von Pietsch und zur literarischen Fehde zwischen Pietsch und Neidhardt vgl. JOHANNES HÜLLE, Johann Valentin Pietsch. Sein Leben und seine Werke. Ein Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts, Weimar 1 9 1 J ( = Forschungen zur neueren Literaturgeschichte, 50), S. 3 6 - 4 0 .
184 2 u dem Lektürekanon, den man aus den einflußreichen und weitverbreiteten Schulhandbüdiern Gottscheds ableiten kann, vgl. HANS-GEORG HERRLITZ, Der LektüreKanon des Deutschunterrichts im Gymnasium. Ein Beitrag zur Geschichte der muttersprachlichen Schulliteratur. Mit einem Geleitwort von Fritz Blättner. Heidelberg 1 9 6 4 , S. 3 3 - 4 1 .
185 Zum Lektürekanon Morhofs vgl. HERRLITZ, Der Lektüre-Kanon, S. 28-33. tee Zum Vergleich von Klopstocks mit Lohensteins Stil s. KARL LUDWIG SCHNEIDER, Klopstock und die Erneuerung der deutschen Dichtersprache im 18. Jahrhundert. Zweite, unveränderte Auflage, Heidelberg 1965 ( = Probleme der Dichtung. Studien
Die Kritik der
Aufklärung
359
In den soeben erwähnten Vorübungen Dichtkunst,
zum Gebrauche
der Schulen
der
lateinischen
und
deutschen
( 1 7 5 6 ) schreibt Gottsched: » W a s
die edlen und erhabenen W ö r t e r betrifft: so muß man sie nur an gehörigen Orten brauchen; nicht aber ihnen gezwungener Weise nachjagen: w i e v o r mals die Lohensteiner, und andre schwülstige Phantasten gethan haben, die v o n lauter Sonnen, Leuen, A d l e r n , G o l d , K r o n e n , Perlen, Edelsteinen und P u r p u r redeten«. A l s Fußnote f ü g t er folgende Bemerkung hinzu: » A u c h itzo haben sich einige neuere eine andre A r t v o n schwülstigen Ausdrückungen a n g e w ö h net; w a n n sie v o n M ä a n d e r n , Aeonen, M y r i a d e n , Cerasten, Amphisbänen, und H y d r e n , u. a. solchen Ungeheuern, reden.« 1 8 7
In den Randbemerkungen zum Auszug aus des Herrn Batteux Schönen Künsten
( 1 7 5 4 ) , einem H a n d b u c h f ü r den Universitätsunterricht, ist die
Anspielung auf Klopstock und auf die schweizerische Ästhetik noch deutlicher: U n d was wollen unsre ästhetischen, miltonischen, ätherischen, mizraimisdien, seraphischen, babylonischen und schwülstigen Dichter anders; als die Nachahmung der schönen N a t u r , in ein finstres, alchymistisdies, J a c o b Böhmisches, und herrenhuthisdies Galimathias v e r w a n d e l n ; das noch viel ärger ist, als aller vormalige lohensteinisdie und marinische Schwulst? D i e gar zu gedrechzur deutschen Literaturgeschichte. Band 8). Das Problem von Klopstocks »Barockstil· ist nodi offen. Während Walzel unter dem Einfluß Wölfflins und Worringers die Ansicht vertritt, daß wesentliche Stilzüge Klopstocks barock seien, formale, lexikalisdie und sprachliche Ähnlichkeiten zwischen Klopstock und der Barockdichtung betont und zu der Behauptung gelangt, daß »Klopstock im echteren Sinn des Wortes Barock verwirklicht als die deutsche Dichtung des sogenannten Barockzeitalters« (OSKAR WALZEL, Barockstil bei Klopstock, in Festschrift Max H. Jellinek zum 29. Mai 1928 dargebracht, Wien und Leipzig 1928, S. 167-190, hier S. 177), bestreitet K . L. Schneider (Klopstock und die Erneuerung, S. 1 1 6 - 1 1 7 ) diese Thesen mit Entschiedenheit. Heinz Otto Burger meint, es gebe Berührungspunkte zwischen Klopstock und der Barockdichtung, er spricht polemisch von einem »Neubarock« und betrachtet die Frage der Beziehung zwischen dem Autor des Messias und der Barockdichtung als noch offen (HEINZ OTTO BURGER, Deutsche Aufklärung im Widerspiel zu Barock und »Neubarock«, in Formkräfle der deutschen Dichtung vom Barock bis zur Gegenwart. Herausgegeben von Hans Steffen, Göttingen 1967, S. j6-8o). Zum Problem der Stilverwandtsdiaft zwischen Klopstock und Milton, die Gottsched betont hatte, vgl. BLACKALL, Die Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache, S. 240-265. Zur Dichtersprache Klopstocks vgl. ALOISIO RENDI, Klopstock. Problemi del Settecento tedesco, Roma 1965 ( = Pubblicazioni dell'Istituto di Filologia Moderna dell'Università di Roma, XI), S. 1 6 1 - 1 7 6 . !87 Vorübungen der lateinischen und deutschen Dichtkunst, Zum Gebrauche der Schulen entworfen von JOH. CHRISTOPH GOTTSCHEDEN. Mit Römisch Kaiserlicher, Königl. Pohlnischer und Churfürstl-Sächsischer allergnädigster Freyheit. Leipzig, verlegts Bernhard Christoph Breitkopf. 1756, S. 168 und Anm. S. 168.
360
III.
Kapitel
selte Beredsamkeit eines Neufville, und einiger unter uns, ist eben so verwerflich. [ . . . ] Bey uns gehts eben so. Im vorigen Jahrhunderte verderbten Hofmannswaldau und Lohenstein mit ihren Sdiülern den feinen opitzisdien Geschmack. Kaum hatten wir denselben in Deutschland wiederum geläutert, so kommen andre Verderber aus den Alpen, mit ihren wurmsamischen Epopeendichtern, die sich wie die Raupen im Frühlinge vermehren: und verderben wieder alles. Unter dem Vorgeben, daß sie denken, überdenken sie sich dergestalt, daß ihre Einbildungskraft lauter finstre Wortgespenster aushecket, und ein leeres Nichts in kauderwälsche Sprachsdinizer verhüllet. Werenfels hat sie längst in seiner Abhandl. de Meteoris Orationis, und Swift in seinem Antilongin bestrafet. Diese verdienten itzo mit lauter neuern Exempeln, das Bathos erläutert, nodi einmal aufgeleget zu werden.188 In der Gottschedschen Zeitschrift Neuer Büchersaal der schönen Wissenschaften und freyen Künste (17J0) wird an einer Stelle unter H i n w e i s auf die Ästhetik der Einbildungskraft v o n Breitinger und Bodmer und auf die Dichtung v o n Haller, Pyra und Klopstock v o n der »alpinischen Pest« gesprochen, w i e man bis dahin v o n der »marinistischen Pest« gesprochen hatte. Der Witz und Aberwitz einiger alpinischen Zöglinge drohet uns eine alpinische Pest. Man will itzt weder für den Verstand, noch für das Herz mehr schreiben; sondern bloß die Einbildungskraft blenden. Alles, was an dem schwülstigen Lohenstein ehemals mit so vielem Grunde verworfen worden, das wird itzo in viel höherm Grade, bis zum Unsinne getrieben. Man verachtet in Versen das Ohr, wie in den Redensarten die Sprache, und in den Gedanken die Vernunft. Je seltsamer jemand Thorheit und Worte durcheinander werfen kann, desto höher wird er von den einäugigten Führern der Blinden erhoben, ja fast gar vergöttert. Man hat die Regeln der Alten, wie eines Boileau, Canitz, und Neukirchs, als ein beschwerliches Joch vom Halse geschüttelt; und so folget man einer wilden Phantasie, als einem zaumlosen kollernden Gaule: der seine unvorsichtigen Reiter dahin trägt, wohin Pegasus noch keinen vernünftigen Dichter geführet hat. Alle Gespenster ihrer Einbildung sehen sie für so viel neue Geschöpfe ihrer Dichtungskraft an; und dünken sich mehr, als Prometheus, wenn sie aus dem Kothe ihrer Einfälle etwas gebacken haben, das einem halbigten Dinge ähnlich sieht.189 Auszug aus des Herrn Batteux, öffentlichen Lehrers der Redekunst zu Paris, Sàônen Künsten, aus dem einzigen Grundsatze der Nachahmung hergeleitet. Zum Gehrauche seiner Vorlesungen mit verschiedenen Zusätzen und Anmerkungen erläutert von Johann Christoph Gottscheden, der Weltweisheit ordentlichen, und der Dichtkunst außerordentlichen Lehrern. Leipzig, Verlegts Bernhard Christoph Breitkopf, 1754, S. 141. 18« [Rezension zu] Geschichte der königlichen Akademie der schönen Wissenschaften zu 188
Die Kritik der
Aufklärung
361
In einer anderen Zeitschrift Gottscheds, Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit, stehen die Anmerkungen und Regeln zu der itzt neu wieder aufblühenden lohensteinischen Schreibart (1756) des Gymnasialdirektors von Gera, Johann Gottfried Hauptmann. Zielscheibe der Polemik Hauptmanns ist die »Lohensteinisdie Schreibart« der modernen Dichter (besonders des nicht genannten Klopstock). Ironisch werden die Regeln dieses Stils folgendermaßen formuliert: [ . . . ] es ist zu wenig, nur in den Gedanken hodi zu steigen; nicht ein Wort darf gemein herauskommen. Den K a h n K a h n , die Biene Biene, den M u n d M u n d zu nennen, soll man sich nimmermehr bewegen lassen. [ . . . ] Deutliche K ü r z e ist eine Feindinn erhabener Seelen. Diese muß aus dem ungeheuren U m f a n g e ihres kunstreichen Gehirns verbannet werden. [ . . . ] in Leidenschaften wähle man die gekünsteltsten Worte, und suche dieselben, mit den verstiegensten Gedanken zu erheben; mit einer epigrammatischpathetischen Schreibart aufzukräuseln. [ . . . ] Gleichnisse und Beyspiele müssen nicht nur allenthalben eingemischet; sondern audi aus den entferntsten Zeiten, oder unbekanntesten Gegenden hergeholet, und zugleich mit allerhand mißisippischen B e y w o r t e n verbrämet werden, daß sie den Zuhörern und Lesern lauter R ä t h sel zu seyn scheinen. 190 Paris, darinnen unzählige Abhandlungen aus allen freyen Künsten, gelehrten Sprachen und Alterthämern enthalten sind. Mit Kupfern; aus dem Französischen übersetzt, von Luisen Adelg. Victorien Gottschedinn. III Th. Leipzig 1730; verlegts Joh. Paul Kraus, in »Neuer Büchersaal der schönen Wissenschaften und freyen Künste Des X . Bandes 4. Stück [herausgegeben von Johann Christoph Gottsched]. Leipzig, verlegts Bernhard Christoph Breitkopf, im Weinmonath 1750«, S. 348—354, hier S. 353— 354. Die Stelle wird auch von K.L.SCHNEIDER, Klopstock und die Erneuerung, S. 35 angeführt. Auf derselben Seite zitiert Schneider auch folgenden Passus aus den Jenaischen gelehrten Zeitungen (50. Stück, 1. Juli 17JO, S. 398): »Soviel ist gewiß, daß Herr Bodmer das Kriechende in der Poesie mit aller Gewalt ausrottet; Allein wird nicht zu gleicher Zeit gewissen Lohensteinischen Phöbus Thür und Angel geöfnet?« Schließlich zitieren wir, ebenfalls aus Schneiders Buch (S. 36), das folgende interessante Dokument zur Polemik gegen Klopstock, das den Schleswig Holsteinischen Anzeigen vom Jahre 1754 (28. Stück) entnommen ist und den Titel »Der heutige Witz« trägt: »Dem Schwärm gedankenloser Dichter | Sind wahre Kenner kleine Lichter. | Ihr Donner und ihr Blitz | Bringt Lohensteinischen Ambra wieder | Und schwärmt durch Od- und Heldenlieder, j Das ist ihr Witz. | Prosaisch denken sie noch kühner. | Sie spielen mit dem Weltversühner, | Sehn kühn der Gottheit Sitz. | Die Andacht muß der Schwulst vertreten. | Sie sprudeln, oder kurz, sie beten. | Das ist ihr Witz. I Olympens Vater, laß dem Flehen | Der Söhne doch genug geschehen; | Blick her von deinem Sitz! | Die schwülstigen Seraphs unsrer Erden | O! laß sie wieder menschlich werden! Gib ihnen Witz!« (Das Gedicht wurde auch abgedruckt in den Holsteinischen Streitschriften wegen der epischen Dichter, die von heiligen Dingen gesungen haben, Hamburg 1 7 J 5 , S. 43). leo Hrn. JOH. GOTTFRIED HAUPTMANNS, Directors des Gymnasii zu Gera, Anmerkungen und Regeln, zu der itzt neu wieder aufblühenden lohensteinischen Schreibart. Gera,
3 62
III. Kapitel
Hauptmann anerkennt immerhin, daß »die sogenannte Lohensteinische Schreibart« mehr von den »bewundernden Anbethern« Lohensteins als von dem schlesischen Dichter selbst entwickelt wurde. 191 Viel systematischer und mit viel größerem philologischen Eifer analysiert der Baron Christoph Otto von Schönaich die poetische Sprache der neuen »Lohensteinianer« in dem Werk Die ganze Ästhetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch (1754). 192 Mit einer Pedanterie, die des Scharfsinns nicht entbehrt, hebt der Anhänger der literarischen Ästhetik Gottscheds die stilistischen und lexikalischen Berührungspunkte zwischen der Dichtersprache Lohensteins und der Hallers, Klopstocks und Bodmers hervor. So ruft Schönaich angesichts des epischen Gedichts Der Noah in zwölf Gesängen (Zürich, bey David Gessner, 1752) von Bodmer - der angeklagt wird zu »lohensteinisiren« - , aus: E y ! wie w i r d dodi Lohenstein nicht geplündert: H i e r ein Blümchen; dort ein Steindien: bis er ganz ins Schweizerische w i r d übersetzet seyn [ . . . ] es geschieht oft, daß das, w a s man in der Jugend verworfen, im A l t e r geliebt wird. Denn z . E . so lobten w i r nichts weniger, als den H e r r n von Lohenstein, als w i r die Sitten maleten; nun aber ahmen w i r ihm nach, da w i r den N o a h verheutigen. 1 9 3
Beim Stichwort »Ambra« gebraucht Schönaich im Neologischen Wörterbuch den Ausdruck »Lohensteinischer Raritätenkasten«, 194 beim Stichwort gedruckt bey Job. George Schräders sei. hinterlassenen Wittwe. 1756, in »Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit«. Leipzig, Bey Bernhard Christoph Breitkopf. 1 7 J 7 , S. 1 3 5 - 1 4 7 , hier S. 143, 146. Gottscheds Zeitschrift druckt Hauptmanns »Einladungssdirift« mit einigen Kürzungen ab: »Man hat hier den Eingang der Einladungsschrift des Herrn Directors vom 21. Apr. des vorigen Jahres weggelassen; und nur das allgemein nützliche daraus mittheilen wollen« (ebd., Anm. S. 136). i " Ebd, S. 1 3 6 . I«2 Die ganze Ästhetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch; als ein sicherer Kunstgriff, in 24 Stunden ein geistvoller Dichter und Redner zu werden, und sich über alle schale und hirnlose Reimer zu schwingen. Alles aus den Accenten der heil. Männer und Barden des itzigen überreichlich begeisterten Jahrhunderts zusammen getragen, und den größten Wort-Schöpfern unter denselben aus dunkler Ferne geheiliget von einigen demüthigen Verehrern der sebraffischen Dichtkunst. 1754. 183 Die ganze Ästhetik in einer Nuß oder Neologisches Wörterbuch von CHRISTOPH OTTO FREIHERR VON SCHÖNAICH ( 1 7 ¡ 4 ) . Herausgegeben von Albert Köster. Berlin und Leipzig [1898-1900] ( = Deutsche Litteraturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts. Nr. 76-81), S. 361. Zu Schönaich vgl. OTTO LADENDORF, Christoph Otto Freiherr von Schönaich. Beiträge zur Kenntnis seines Lebens und seiner Schriften. Diss. Leipzig 1897 Druck von Oswald Schmidt). 1 9 4 SCHÖNAICH, Ästhetik,
S. 27.
Die Kritik der
Aufklärung
363
»Baumschule« spricht er von »lohensteinischen Gewächsen«,195 unter »Smaragdne Blätter« und »Waare« nennt er Lohenstein »den besten Steinschneider Deutschlandes«196 bzw. »Hrn. Würzkrämer«. 197 Im Neologischen Wörterbuch ist schließlich unter dem Lemma »Würzen« zu lesen: »Lohenstein beambriret alles, bis auf den Koth; Rath Bodmer durchwürzet gar die Luft; ja wohl die Sündfluth.«198 Wenn Gottsched und seine Schüler 1760 im Handlexicon der schönen Wissenschaften feststellen konnten, daß der Arminius »itzo gar nicht mehr gelesen wird« 199 (aber noch 1777 war er im Katalog einer Leihbibliothek verzeichnet!),199a so war dies paradoxerweise mehr das Verdienst der Dichtung Klopstocks als das ihrer eigenen unerbittlichen Kritik. Zwischen 1683 und 1748 ist die einzige bedeutende Dichtersprache diejenige Lohensteins. 1748 macht der Verleger Johann George Löwe den in der Geschichte der lohensteinischen Editionen letzten Versuch, eine Gesamtausgabe von Lohensteins Werken auf den Buchmarkt zu bringen, wobei er teilweise auf Restbestände früherer Ausgaben zurückgreift.200 Im gleichen Jahr veröffentlichen die Bremer Beyträge die ersten drei Gesänge von Klopstocks Messias. Ein Zusammentreffen von Daten, das nicht ohne Belang ist. Erst als Klopstock dem Publikum des 18. Jahrhunderts die so sehr erwartete neue Dichtung schenkt, wird die Lektüre Lohensteins überflüssig. (Bis 1748 mußte er immer noch ein bestimmtes Publikum von BewundeEbd., S . 4 3 . i»e Ebd., S. 324. 1 « Ebd., S. 3 7 1 . «β Ebd., S. 380. !·· Handlexicon oder Kurzgefaßtes Wörterbuch der schönen Wissenschaften und freyen Künste, Artikel »Lohenstein (Daniel Caspar von)«, Sp. 1028: » [ . . . ] diese Heldengeschichte [ist] viel zu schwülstig und hochtrabend, und mit gar zu vieler Schulgelehrsamkeit vollgestropft.« In dem gleichen Artikel, der in den biographischen Angaben den Lemmata vorhergehender Enzyklopädien wortwörtlich folgt, heißt es von den Tragödien Lohensteins: »Sie sind alle voll häufiger Anspielungen auf gelehrte Sachen, und so schwülstig, daß sie nicht ohne Nachlesen der starken Anmerkungen verstanden; folglich audi niemals gespielet werden können« (ebenda). 199a Vgl, J, Hofmeisterische Lees Bibliothec in Zürich an der Roosengass [ 1 7 7 7 ] , S. 74. 200
DANIEL CASPARS VON LOHENSTEIN, Erbherrn auf Kittlau, Reise und Roschkowitz, wie auch weyland Römisch-Kayserlicher, auch zu Ungarn und Böhmen Königl. Mayestät Raths, und der Stadt Breßlau wohlverdienten Ober-Syndici, Sämmtliche Poetische Wercke, Welche durchgängig von dem Herrn Verfasser selbst, mit historisch-critischen Anmerckungen aus alten und neuen Schriftstellern begleitet, Und mit Kupfern versehen. Diesen hat man noch die Lebens-Gescbichte dieses berühmten Poeten beygefüget. Leipzig, bey Johann George Löwe, 1748. Der einzige tatsächlich publizierte Band der Sammlung enthält das Vorwort zu den Blumen, den Panegyrikus zu Hoffmannswaldaus Tod, die Sophonisbe und die Cleopatra (vgl. HANS VON MÜLLER, Bibliographie der Schriften Daniel Caspers von Lohenstein, S. 259-260).
3¿4
III.
Kapitel
rem und Lesern haben, wenn Löwe auf den Gedanken kam, seine Sämmtlichen Poetischen Werke zu publizieren.) Nur eine neue, große Dichtersprache vermochte die alte endgültig zu ersetzen und in Vergessenheit geraten zu lassen. Es sollte kein Zufall sein, wenn man dann die Stilkategorie des Schwulstes nicht mehr an Lohenstein, sondern an Klopstock exemplifizierte. So sollte Johann Christoph Adelung in dem Budi Über den Deutschen Styl (178J) schreiben: »Merkwürdige Beyspiele des höchsten Schwulstes sind einige der letzten Oden Klopstocks, besonders seine Ode an die Genesung, wo die gemeinsten und alltäglichsten Gedanken in einen Schwall prächtiger und aufgeblasener Worte und Bilder eingekleidet werden.«201 Anderen Dichtern entnommene Beispiele für Schwülstigkeit führt Adelung in diesem Abschnitt mit der Überschrift »Der Schwulst« nicht an. Christian Wilhelm Snell erläutert in seinem Lehrbuch der Deutschen Schreibart (1788) die Stilkategorie der Schwülstigkeit, indem er dieselbe Ode von Klopstock heranzieht, die Adelung zitiert hatte.202 Während die aufklärerischen Stiltheoretiker der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die typischen Beispiele für die mit Schwulst bezeichnete stilistische Verirrung in der Dichtung Lohensteins gefunden hatten, fanden die der zweiten Jahrhunderthälfte solche in der Dichtung Klopstocks. Kehren wir jedoch zu Schönaich zurück. Der Baron war sich dessen nicht bewußt, daß die Verwandtschaft zwischen Lohenstein und Klopstock im wesentlichen auf der poetischen Natur ihrer Sprache beruhte. Nicht aus logischen Beweisführungen und philosophischen Inhalten, aus der »Wahrheit« und der prosaischen und schmucklosen Einfachheit des Stils, wie sie von der rationalistischen Poetik gefordert wurden, auch nicht aus dem Glauben an den Vorrang der Vernunft vor der Einbildungskraft konnte 201
JOHANN CHRISTOPH ADELUNG, Über den Deutschen Stil. Zweyter und dritter Theil. Berlin, bey Christian Friedrich Voß und Sohn, 1785, S. 175. Adelung widmet in seiner kurzen »Geschichte des poetischen Styles der Deutsdien« dem »Lohensteinisdien Geschmack« einen kurzen Abschnitt. Dort heißt es: »Vielleicht empfanden es Opitzens spätere Nachfolger, daß seine Dichtung nodi eines höhern Grades der innern Lebhaftigkeit fähig sey; allein das Beyspiel des Marino und der neuern Italiäner führte den Deutschen Geschmack sehr bald irre. Anstatt diese höhere Lebhaftigkeit in dem Grade der Anschaulichkeit zu suchen, setzte man sie in das Kostbare, in das Gesuchte, in das Ungewohnte, und so bildete sich der schwülstige Geschmack, der von dem Lohenstein, der ihn am weitesten trieb, seinen Nahmen bekommen hat« (JOHANN CHRISTOPH ADELUNG, Uber den Deutseben Styl. Zweyter Band. Dritte, vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin, bey Christian Friedrich Voß und Sohn, 1790, S. 312). 202 Lehrbuch der Deutsàien Schreibart für die oberen Klassen der Gymnasien von CHRISTIAN WILHELM SNELL, Prorektor des Gymnasii zu Idstein. Frankfurt am Main 1788, in Verlag der Hermannischen Buchhandlung, S. 189.
Die Kritik der
Aufklärung
365
eine echte, neue Dichtung erstehen, die es vermocht hätte, das Publikum dem Zauber der alten Barockpoesie zu entziehen: Dies konnte nur geschehen aus einer neuen Einschätzung der Rolle der Einbildungskraft und aus dem Glauben an ihren Vorrang und den des Enthusiasmus vor der Vernunft, aus dem Wissen um die metaphorische und nicht logische Natur der Dichtersprache und schließlich aus der intuitiven Erkenntnis, daß Gedichte nicht in Mußestunden gemacht, sondern in »Stunden der Weihe« geboren werden.203 Erst als die ersten Werke Klopstocks - gleichsam die Verwirklichung der Postulate der schweizerischen Ästhetik - erschienen, schlug der Barockdichtung die Stunde des endgültigen Untergangs. Heinz Otto Burger schreibt darüber: Für Gottsched und seine Getreuen bestand kein wesentlicher Unterschied zwischen >lohensteinischem Schwulst< und der >Schweizer Schreibart^ die sich mit Klopstocks Messiade siegreich durchsetzte. [ . . . ] Klopstock gilt den Gottsdiedianern als Lohensteinius redivivus. In Wahrheit hat gerade Klopstock mit seinem >Neubarock< den Stein auf das Grab Lohensteins gewälzt, der es f ü r immer verschloß. Das Grab daneben freilich war schon ausgehoben f ü r Lohensteins fanatischen Gegner Gottsched. 204
Nach 1748 ist die Auseinandersetzung mit Lohenstein tatsächlich zu Ende. Wenn man noch von ihm spricht, tut man es mit dem inneren Abstand, mit dem man einen ad acta gelegten Fall behandelt. Diese distanzierte Haltung erlaubt eine größere Objektivität und bisweilen die Anerkennung mancher Verdienste Lohensteins. So schreibt Michael Conrad Curtius in seiner Abhandlung von den Gleichnissen (1750): Der fast allgemeine Beyfall, welchen der Lohensteinische Geschmack in Teutschland gefunden, hat die meisten Dichter unsers Vaterlandes mit schimmernden, aber falschen Gleichnissen angefüllet: und vielleicht würde Lohenstein noch itzt der Held der teutschen Dichter seyn, wenn nicht Breitinger und Bodmer die N a t u r wieder in ihre Rechte gesetzet hätten. Die Ursache seiner Entfernung von den wahren Regeln der Gleichnisse war sein Eckel gegen alles, was bekannt und leicht schien: dieser ließ ihn die verborgensten Ähnlichkeiten der Dinge aufsuchen, und Vorwürfe miteinander vergleichen, welche auch in dem entferntesten Geschlechte nur eine schwache Ähnlichkeit hatten. [ . . . ] Er 203 VGL_ BURGER, Deutsche Aufklärung, S. 72. Die Ode »Die Stunden der Weihe« ist aus dem Jahr 1748 und steht in KLOPSTOCKS sämmtlichen Werken. Vierter Band. Leipzig, G. J . Gösdien'sche Verlagsbuchhandlung. 1854, S. 47-48. 204
BURGER, Deutsche Aufklärung,
S. 73.
III.
366
Kapitel
ist sich allemahl gleich, das ist, allezeit unnatürlich und schwülstig in seinen Ausdrücken, obgleich seine Gedanken oft edel und erhaben sind, und dem besten Dichter Ehre machen würden. 2 0 5 A u c h J o h a n n Heinrich Schlegel findet in seiner Abhandlung Tragödien,
die auch von Sophonisben
setzung der Sophonisba
handeln
von
andern
( 1 7 5 8 ) , die er seiner Ü b e r -
v o n J a m e s T h o m s o n beigab, einige lobende W o r t e
f ü r einzelne Verse Lohensteins: H ä t t e Lohenstein durch Vorurtheile und ansteckende Exempel sich nicht zu einem ganz verderbten Geschmacke verleiten lassen, so w ü r d e gewißlich etwas bessers v o n ihm zu erwarten gewesen seyn. Es sind ihm hin und wieder, w o er der N a t u r folgt, einige Zeilen geglückt, die verschiednes Gutes in sich haben. S o empfängt Sophonisbe den Giftbecher: 2
°5 Abhandlung von den Gleichnissen und Metaphern und deren Poetischem Gebrauche durch MICHAEL CONRAD CURTIUS aus Mecklenburg. Wismar bey Johann Andreas Berger, 1750, S. 44-45. Curtius schreibt dort in § 22: »Eine Tragödie ist eine Nachahmung einer grossen affectvollen Handlung, welche durch redende Personen vorgestellet wird. Die Regeln des Affects gelten hier durchgehende, und, wie derselbe in der Tragödie steiget, oder fällt, kan der Gebrauch der Gleidinisse statt finden, oder nicht. Die größte Kunst eines Comödien- oder Tragödiensdireibers ist, durch die natürliche Vorstellung der Handlungen, die Zuschauer vergessen zu machen, daß die Begebenheit, welcher sie beywohnen, und an deren Erfolg sie so starken Antheil nehmen, erdichtet sey. Wird aber wohl ein Mensch glauben, daß er eine wahrhafte Begebenheit höre, wenn die Lohensteinisdie Cleopatra in ihrem Tode [in Wirklichkeit handelt es sich nur um einen fingierten Selbstmord] nodi mit diesen künstlichen Metaphern um sich wirft; O Nectar unsers Lebens, O Labsal unsrer Seel, o zuckersüsses Gift, Wohl diesem der durch dich so trüber Noth entschifit, der in dein Todtenbild sein einigs Heil vermummet. fCleopatra, III, 242-245]« (ebd., S. 78). Curtius erwähnt Lohenstein auch in anderen Schriften. So redinet er ihn in seiner Abhandlung von dem Erhabenen in der Dichtkunst (1760) zu den Dichtern, die in den Schwulst verfallen seien (MICHAEL CONRAD CURTIUS, Professor an der Ritterakademie zu Lüneburg, Kritische Abhandlungen und Gedichte. Hannover, Verlegts Johann Christoph Richter. 1760, S. 1-68, hier S. 44); in der Abschilderung des Reichs der Beredsamkeit (1746) kritisiert er seinen Stil und seine falsche Beredsamkeit (M. C. CURTIUS, Eine Abschilderung des Reichs der Beredsamkeit in einem Glückwunsche an den Herrn Angelius Johann Daniel Äpinus, wie derselbe das Amt eines Professors der Beredsamkeit auf der hohen Schule zu Rostock übernahm, in M. C. C., Kritische Abhandlungen, S. 1 1 5 - 1 3 8 , hier S. 126-127); und in Die Schicksale der Dichtkunst. Ein Gedicht (1750) verurteilt er seine Schwülstigkeit (CURTIUS, Kritische Abhandlungen, S. 1 7 1 - 1 8 8 , hier S. 184-185). Schließlich findet sich in der Geschichte der Teutschen Beredsamkeit in einer Rede (1750) folgende Stelle: »Lohenstein, ein noch den Nachkommen verabscheuungs würdiger Name, Lohenstein der Verführer des teutschen Geschmacks in der Dichtkunst, streuete seinen Gift auch über die Beredsamkeit aus. Stat der wahren Grösse herrschte Schwulst, stat feuriger Affecten kraftlose und unbelebte
Die Kritik der
Aufklärung
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Willkommen, süßer T r a n k ! ich nehm ihn freudig an, Weil Masinißa mir nichts bessers schenken kann. Erwünschter Freyheitssaft! Verlangte Morgengabe! M a n kann die A b w e g e , auf welche der menschliche Verstand immerzu geräth, nicht genug bedauern, und zu seiner eignen Warnung nicht genug v o r Augen haben. Wäre es nicht natürlich zu glauben, daß, wenn die V o r w e l t etwas gutes ergriffen, die Nachwelt es nicht nur beybehalten, sondern auch zu einer höhern Vollkommenheit bringen würde? U n d gleichwohl ist so vielmals, und immer zu verschiednen Zeiten das Gegentheil geschehen! Ein Lohenstein liest die Regeln des Aristoteles und die Charaktere des Livius, er betrachtet die B e y spiele des Sophokles, er hat Corneillen zum Zeitgenossen, und f o l g t keinem v o n ihnen. U n d w i e vielmals haben überhaupt die Menschen v o r der v o n ihren V o r f a h r e n betretnen richtigen Bahn die Augen verschlossen, um sich selbst neue und ganz falsche Wege zu machen, welche sie, wenn sie endlich aus ihrem Irrthum kommen, mit Mühe und großem Zeitverlust zurückwandern müssen. 206 Figuren, stat angenehmer Erläuterungen die ausschweifende Prahlerey einer pedantischen Gelehrsamkeit. Die Kraft der Überzeugung ward in dunkle Gleichnisse, und unverständliche Metaphern verhüllet, und je weiter eine Rede von den Begriffen der Menschheit entfernet, je weiter dieselbe über die Vernunft erhaben war, desto schöner, desto bewundernswürdiger war sie. Sein Arminius ward die allgemeine Schatzkammer der Redner. Ein Buch, welches dem Gedächtnisse und der Belesenheit Lohensteins Ehre macht; aber seinem Witze, seiner Denkungsart, seiner Beurtheilungskraft, und dem Geschmack seiner Schüler, das ist, des grossesten Theils der teutsdien Nation aus dem siebenzehnten Jahrhundert, schimpflich ist. Ein Buch, in welchem ein wilder Longobarde und Cheruscer mit der Einsicht eines Euklides, und mit einem Schwulst redet, dessen nur ein Lohenstein fähig war, und der, zu unserer Schande, nur bey uns, Verehrer gefunden hat.« (CURTIUS, Kritische Abhandlungen, S. 1 3 9 - 1 5 2 , hier S. 146147). Auch Basedow betrachtet Lohensteins Stil in seinem Lehrbuch prosaischer Wohlredenheit im Paragraphen »Von dem Schwulste« als schwülstig: »Es ist auch schwülstig alles mit Blitz, Donner und Hagel, Ambra, Nectar, Rosen, Lilien, Alabaster, Chrystallen, Sonnen, Sternen, Corallen, dem Feuer des Aetna, dem Eise der Alpen, dem Tyger, dem Crocodill, dem Alexander und Cäsar, dem Nero und Phalaris zu vergleichen. Einen solchen Schwulst findet man in Lohenstein, Hofmannswaldau, der asiatischen Banise, und fast in allen Ritterbüchern und schlechten Romanen« (Lehrbuch prosaischer und poetischer Wohlredenheit in verschiedenen Schreibarten und Werken zu academischen Vorlesungen eingerichtet von M. JOHANN BERNHARD BASEDOW, Professor der Moral, schönen Wissenschaften, und der deutschen Sprache in Soroe. Koppenhagen, im Verlage der Rothenschen Buchhandlung. 1756, S. 348). 206
JOHANN HEINRICH SCHLEGEL, Abhandlung von andern Tragödien, die auch von Sophonisben handeln, in JAKOB THOMSONS Sophonisba ein Trauerspiel aus dem Englischen übersetzt und mit Anmerkungen erläutert; wie auch mit zwoen Abhandlungen von Numidien und andern Trauerspielen die von Sophonisben handeln begleitet von Johann Heinrich Schlegeln Königl. Sekret, in der dän. Kanzley. Leipzig, bey Johann Wendler 1758, S. 183-208, hier S. 199. Im dritten der drei aus der Sophonisbe zitierten Verse (V, 307-309) schreibt Schlegel irrtümlich »Erwünschter Freyheitssaft!« anstatt »Gewünschter Freyheits-Saft!«. Auch einige Seiten vorher
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III.
Kapitel
J . H. Schlegel wirft Lohenstein jedoch nicht nur vor, er habe die aristotelischen »Regeln« der dramatischen Dichtkunst und die Vorbilder Sophokles und Corneille mißachtet, sondern auch die »Sitten« mit den »Gebräuchen«, d.h. mit dem historischen, geographischen und ethnographischen Kolorit verwechselt. [ . . . ] die ganze T r a g ö d i e [ist] v o l l v o n etwas, das mit den Sitten nicht selten verwechselt w o r d e n ist. E s sind nehmlidi Gebräuche, oder dasjenige, w a s v o n manchen allein unter dem N a h m e n der A l t e r t h ü m e r verstanden w i r d , unter welche dodi die D e n k u n g s a r t der A l t e n vornehmlich gehören sollte, w o f e r n man anders einen w a h r e n N u t z e n u n d nicht einen bloßen Z e i t v e r t r e i b in ihrer K e n n t n i ß sudit. Lohenstein hat bey seiner T r a g ö d i e den Seldenus [ J o h n Seiden, De Diis Syris, L o n d o n 1 6 1 7 ] und andre Gelehrte, die v o n der M y t h o logie geschrieben, v o r A u g e n gehabt, und sidi große M ü h e gegeben, die schändlichen afrikanischen G ö t z e n , und ihre schändliche V e r e h r u n g recht umständlich zu beschreiben. Seine Personen reden bisweilen mit einer A n d a c h t d a v o n , die unmöglich die Zuschauer erbauet haben k a n n , j a w e n n etwas lebhafte V o r stellungen und Verzierungen des Theaters d a r z u gekommen sind, so ist es sog a r möglich, daß sie bey E i n f ä l t i g e n schädliche Eindrücke haben machen k ö n nen. Lohenstein scheint die R e g e l , seine Personen nach den U m s t ä n d e n ihrer Z e i t und N a t i o n zu schildern; mit der viel nöthigern, sie zu charakterisiren, hatte Schlegel Lohenstein den Vorwurf gemacht, die Alten nidit nachgeahmt zu haben, obwohl er sie kannte: »Es hat dieser Poet, dem es gewißlidi an einer Art von Fleiße nicht gefehlt, einen großen Reichtum von Anmerkungen seinen Tragödien beydrucken lassen. Wenn man durch dieselben von seiner weitläuftigen Belesenheit in den schönen Schriften der Alten überzeugt wird, so muß man erstaunen, daß eben derjenige, der sie so viel gelesen, sich es so wenig hat einfallen lassen, sie nachzuahmen. Und wenn er dodi nur den Livius mit Empfindung gelesen hätte, wie weit anders würde seine Sophonisbe seyn! Aber anstatt einer livianischen Sophonisbe sieht man hier die wollüstigste und die grausamste, die albernste, ja die niedrigste Person aus dem menschlichen Geschlechte, oder vielmehr ein solches Gemische von Thorheiten und Lastern, dergleichen niemals in einem menschlichen Herzen gewesen seyn kann [ . . . ] « (ebd., S. 194-195). Wenn Schlegel Lohensteins Sophonisbe »mehr in der Absicht, durch die Vergleichung zu vergnügen, als in der Hofnung, Schönheiten daraus zu entdecken, die sich denen bey Thomson und Corneillen entgegen stellen ließen«, betrachtet, sie aber doch untersucht, so hält es Garlieb Hanker fast zweieinhalb Jahrzehnte später für völlig überflüssig, in der Vorrede zu seiner Sophonisbe ein Wort über Lohensteins Tragödie zu verlieren: »Der Verfasser der [ . . . ] [Sophonisbe] ist der weiland berühmte, nunmehr ziemlich begrabene, Herr Kaspar von Lohenstein. Man kennt die überspannte Einbildungskraft, die morgenländischen Metaphern, den unzeitig tändelnden Wiz und den abgeschmackten Phöbus dieses sonderbaren Schriftstellers. Seine Trauerspiele gehören, im eigentlichen Verstände, unter diejenigen, worüber man lachen muß; und jedes Wort würde verlohren seyn, das man über seine Sophonisbe sagen wollte.« (F. L. EPHEU [Pseudonym für GARLIEB HANKER], Sophonisbe. Ein Trauerspiel in vier Aufzügen. Dessau und Leipzig, auf Kosten der Verlagskasse für Gelehrte und Künstler. 1782, S. 27).
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Aufklärung
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f ü r e i n e r l e y g e h a l t e n z u h a b e n , er v e r g i ß t , ü b e r die G e b r ä u c h e , d e r S i t t e n , u n d i n d e m er sie a l l z u v i e l m i t i h r e m G ö t z e n d i e n s t e beschäftigt, l ä ß t er sie die H a n d l u n g e n v e r s ä u m e n , welche die H a u p t s a c h e ausmachen, o d e r er l ä ß t sie ungereimt und widernatürlich handeln.207
Während Curtius und J . H. Schlegel nicht über das Zugeständnis einiger einzelner Verdienste oder poetischer Qualitäten hinausgehen, erkennen Arletius und Mendelssohn in Lohenstein einen »großen Geist« und ein »Genie«. Johann Caspar Arletius, Professor am Elisabetanum in Breslau, schreibt in seinem Historischen Entwurf von den Verdiensten der Evangelischen Gymnasiorum in Breßlau um die deutsche Schaubühne (1762) die Mängel Lohensteins dem Einfluß der spanischen und italienischen Dichtung zu und hält ihn für größer als seine Kritiker: »Lohenstein war ohnstreitig ein grosser Geist, der ohngeachtet seiner Fehler, in die ihn die grosse Kenntniß und Liebe zum Wälschen oder Spanischen Geschmack verführet, die verkleiner liehen Spottreden seiner viel kleinern Feinde nicht verdienet.«208 Während dieses von einem gewissen Lokalpatriotismus diktierte Urteil von Arletius, dem ersten Historiker des breslauischen Gymnasialtheaters, wirkungslos bleibt, sollte der 313. der Briefe, die Neueste Litteratur betreffend, den Moses Mendelssohn dem Dichter widmete, die LohensteinKritik der folgenden Jahrzehnte stark beeinflussen. Dieser »Brief« vom 3 1 . 1 . 1 7 6 5 scheint kraft der Autorität des Kritikers und auf Grund der Bedeutung der Zeitschrift eine echte Ehrenrettung darzustellen und leitete tatsächlich den Prozeß einer kritischen Revision des bereits traditionell absolut negativen Urteils über Lohensteins Werk ein. S i e lachen, d a ß ich v o n d e m so sehr verschrienen L o h e n s t e i n sage, er h a b e m a n ches gute, das b e k a n n t e r z u s e y n v e r d i e n e t ? U n d w o h e r w i s s e n , o d e r v e r m u t h e n S i e das G e g e n t h e i l ? Ich w e t t e d a h e r , w e i l seit d e m G o t t s c h e d a l l e P o e t i k e n u n d Ä s t h e t i k e n die B e y s p i e l e des S c h w ü l s t i g e n , H o c h t r a b e n d e n u n d 207
208
J . H . SCHLEGEL, Abhandlung von andern Tragödien, S. 198-199. Im gleichen Jahr, in dem Schlegels Abhandlung veröffentlicht wurde, erschien von Dommeridi ein kleines Schulhandbuch, in dem Lohenstein flüchtig erwähnt wird: »Die Widerherstellung und Verbesserung der deutschen Poesie haben wir hauptsächlich dem Martin Opitz [ . . . ] zu danken. Ausser ihm haben der Herr von der Werder, Flemming, Tsdierning, von Lohenstein, Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Rist, Harstörffer, Christian Weise [ . . . ] sich durch Gedidite bekant gemacht.« ( E n t w u r f einer Deutschen Diàtkunst zum Gebrauch der Schulen abgefasset von M. JOHANN CHRISTOPH DOMMERICH Rektor der Herzogl. großen Schule zu Wolfenbüttel. Braunschweig im Verlage des großen Waisenhauses 1758, S. 8). JOHANN CASPAR ARLETIUS, Historischer Entwurf von den Verdiensten der Evangelischen Gymnasiorum in Breßlau um die deutsche Schaubühne, Breßlau 1762, § IV.
III.
370
Kapitel
Sinnlosen aus dem Lohenstein entlehnt, weil Lohensteinisch bey unsern schönen Geistern nach der M o d e so viel heißt, als B o m b a s t und U n v e r n u n f t , und weil noch niemand das Lesen seiner Schriften in einer andern Absicht empfohlen, als u m zu lernen, wie m a n nicht schreiben muß. Ich gestehe es, d a ß er alle diese Fehler hat, die ihm unsere Kunstrichter zuschreiben, und sie fallen so sehr in die Augen, d a ß es ein sehr geringes Verdienst ist, sie entdeckt zu haben. H i n g e g e n hat sein prosaischer Styl gute Eigenschaften, die m a n bey vielen T a d e l e r n seiner Schriften vergebens suchen würde. Ich finde an vielen Stellen seines Arminius einen historischen Styl, den sich unsere Geschichtsschreiber z u m Muster nehmen sollten. G e d r u n g e n e K ü r z e , runde Perioden, kernhafte Ausdrücke und eine Beredsamkeit, die a m Erhabenen grenzet, w i r d m a n in diesem ungeheuern R o m a n e öfter finden, als m a n glauben sollte. 2 0 8
Nach Anführung der ersten Seite des Arminius schreibt Mendelssohn, indem er sich an den fiktiven verwundeten Offizier wendet, dem die Briefe gelten: »Lassen Sie es seyn, daß die Gedanken nicht neu sind, ich sehe hier nur blos auf die Sprache, und frage, ob Sie hier das Weitschweifige und Wässerige finden, mit welchen uns unsere gewöhnliche Geschichtschreiber einschläfern?« 210 Sodann zitiert Mendelssohn einen Teil der von Arminius nach seiner Wahl zum Feldherrn gehaltenen Rede, 211 denn er sieht darin ein »Meisterstück von martialischer Beredsamkeit«, 212 und schließt den Brief mit den Worten: »Man sollte nicht glauben, daß ein Kopf, wie Sie sehen, des Erhabenen fähig ist, sich bey andern Gelegenheiten bis zu dem lächerlichsten und ungereimtesten Nonsens herablassen könnte, wenn man nicht wüßte, daß der Mangel an Geschmack und die Liebe zum Ausserordentlichen die besten Fähigkeiten zu verderben und das Genie auf die abentheuerlichste Irrwege zu verleiten im Stande sind.« 213 Die Rehabilitierung des Lohensteinischen Prosastils 214 durch Mendelssohn blieb nicht ohne Echo. So übernahm Herder - der bereits in Uber die 20» [MOSES MENDELSSOHN,] Drey hundert und dreyzehenterBrief, in »Briefe, die Neueste Litteratur betreffend«, X X I t e r Theil. Berlin 1765. bey Friedrich Nicolai, S. 139-144, hier S . 1 3 9 - 1 4 0 .
2»° Ebd., S.
141.
S U L O H E N S T E I N , Arminius, 212
213 E b d . , S . 214
S.
31-32.
MENDELSSOHN, Drey hundert und dreyzehenter Brief, S. 141. 143-144.
Gelobt wird Lohensteins Prosastil audi zu Beginn der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, und zwar im Progrès des Allemands (1752) von Jakob Friedrich von Bielfeld. Hier findet sich folgende Stelle: »HOFFMANNSWALDAU & LOHENSTEIN furent admirés assez longtems, sans être fort admirables, le premier avait le talent d'alambiquer ses pensées & de faire des jeux de mots, ses ouvrages sont si fort semés de concetti & de pointes, qu'on ne saurait les lire sans dégoût. LOHENSTEIN au contraire
Die Kritik der
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neuere Deutsche Litteratur (x 767) an den Brief Mendelssohns über Lohenstein erinnert hatte 215 - , in einer 1769 in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek erschienenen Besprechung der dreibändigen Ubersetzung der Werke des Tacitus von Johann Samuel Müller (Hamburg 1765/66) die positive Beurteilung der Prosa des Arminius von Seiten Mendelssohns, nachdem er die Miillersche Version scharf kritisiert hatte: dierdiait tout le sublime dans l'emphase de l'expression, son stile est si ampoulé, si guindé, si pompeux, qu'il tombe souvent dans un pur galimathias. on doit cependant lui savoir gré d'avoir banni de la langue allemande tous les mots étrangers, son roman héroïque du généreux capitaine arminius est écrit avec beaucoup de correction &: de pureté, mais comme ses autres ouvrages dans un stile trop relevé, on y reconnaît la main d'un pédant spirituel.« ([JAKOB FRIEDRICH FREIHERR VON BIELFELD,] Progrès des Allemands dans les sciences, les belles-lettres et les arts. Particulièrement dans la poesie et I'eloquence. M D C C L I I , S. 109). Bielfelds Werk wurde in der von Gottsched herausgegebenen Zeitschrift Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit (Leipzig, Bey Bernhard Christoph Breitkopfen, 1 7 J 2 , S. 887-906) rezensiert. Hier wurde das oben angeführte Urteil über Genauigkeit und Reinheit des Lohensteinischen Stils in folgender Weise kommentiert: »Der Herr Verfasser merket an, daß der gute Geschmack in der Dichtkunst sich nach Opitzen und Flemmingen wieder verlohren habe: weil Hoffmannswaldau und Lohenstein auf Abwege gerathen. Indessen lobet er dodi den Arminius, als ein sehr wohlgeschriebenes Budi. Wir besorgen sehr, daß dieses eben der Fehler schuldig sey, als seine andern Schriften, die er einer schwülstigen Schreibart beschuldiget: weswegen er ihn einen witzigen Pedanten (un Pedant spirituel) nennet. Denn gewiß, nirgends ist mehr Witz und Pedanterey, d.i. übelangebrachte Belesenheit verschwendet; als im Arminius« (S. 896). Bielfeld hatte am Anfang seines Werkes über den Arminius selbst ein völlig negatives Urteil abgegeben: »Depuis le tems de luthèr, plusieurs savans ont travaillé à épurer & à perfectionner la langue allemande; mais comme ce n'était pas alors le régne du bon goût, ils la gâtèrent absolument à force de vouloir lui faire faire des progrès, on vit de romans in folio écrits dans le goût des amadis, mais d'un stile ridiculement empoulé, plein de phoebus & de pompeux galimathias. tels sont entre autres le roman d'hercule & d'herculisca, 1 'octavie romaine, l'arminius de lohenstein, la princesse hanise d'asie, & plusieurs autres.« (BIELFELD, Progrès, S. 12). Stockhausen hatte im Critiscben Entwurf einer auserlesenen Bibliothek ( 1 7 5 1 ) , der ein Jahr vor Bielfelds Werk erschien, über die deutsche Romanproduktion geschrieben: »Unter den Deutschen hat man die wenigsten Romane, welche gut genennt werden könnten. Ich glaube nicht, daß Sie die Gedult haben, die Octavia und Aramena, den Herkules und Herkuliskus, den Armenius, ob er gleich auch nicht so schlecht ist, durchzulesen« (JOHANN CHRISTOPH STOCKHAUSENS Critischer Entwurf einer auserlesenen Bibliothek für die Liebhaber der Philosophie und schönen Wissenschaften. Zum Gebrauch akademischer Vorlesungen. Vierte verbesserte und viel vermehrte Auflage. Berlin, bey Haude und Spener 1 7 7 1 , S. 240). 215 »Die Litt. Br. führten aus Lohenstein ein Muster des Prosaischen Styls an: wir könnten aus vielen Schriftstellern der vorigen Jahrhunderte noch mehr Beispiele geben, daß der gute körnichte Vortrag nicht so fremde gewesen, als man meint.« (JOHANN GOTTFRIED HERDER, Über die neuere Deutsche Litteratur. Fragmente, als Beilagen zu den Briefen, die neueste Litteratur betreffend. Dritte Sammlung. Riga, bey Johann Friedrich Hartknoch. 1767, in HERDERS Sàmmtliche Werke. Herausgegeben von Bernhard Suphan. Erster Band. Berlin, Weidmannsche Buchhandlung. 1877, S. 373).
III. Kapitel
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Die deutsche Übersetzung des Tacitus aus dem vorigen Jahrhundert kenne idi nicht, daß aber wahrhaftig in unsrer Machtvollen nachdrücklichen Sprache eine bessere möglich sey, zeigen einige Proben von einem Autor, den man hier nicht erwarten wird: Lohenstein. In seinem Arminius und Thußnelda sind viele Stellen aus dem Lateiner wörtlich nachgeahmt, und oft mit ausserordentlichem Glücke. Sein häufiges Wortgeklingel abgerechnet- hört man nicht ein dem Tacitus Ähnliches, wenn er anfängt: Rom hatte sich bereits so vergrößert, daß es seiner eignen Gewalt überlegen war f . . . ] . Herder zitiert diese Stelle aus dem Arminius sohn in den Briefen Annalen
(I, 5 - 6 ) , die audi Mendels-
bereits anführt, vergleicht sie mit einer Stelle aus den
des Tacitus (I, 2) und ruft aus: »Läuft nicht eine ähnliche A d e r
der Schreibart? und sie ist überall, w o deutscher Heldenmuth spricht, und der Beschreiber [Lohenstein] sich nicht unter Perlen und Edelgestein verirrt, noch sichtbarer.« 216 Im » X V I . Brief. V o n den tragischen und komischen Dichtern der Deutschen« aus seinem Kurzen Frauenzimmer
Unterricht
in den schönen
Wissenschaften
für
( 1 7 7 2 ) schätzt audi Christian D a v i d Hohl die Lohenstei-
nische Prosa wieder, wobei er sich auf Mendelssohns Urteil beruft. Der Name eines Lohensteins ist, wie Sie wißen, beynahe unter uns Deutschen zu einem Sprüchworte geworden; so, daß man gemeiniglich sagt, wenn man eine abentheuerliche schwülstige und sinnlose Schreibart, nennen will: es ist Lohensteinisch. Wenn von seinen Trauerspielen und anderen poetischen Arbeiten die Rede ist, so kann man ohne partheisch, oder ungerecht zu seyn, sagen; sie sind unnatürlich, es herrscht Nonsense, und übertriebene Schwulst, nebst unzähligen und fast allemal übel angebrachten Gleichnißen darinnen; allein seiner Prosa muß man würklich Gerechtigkeit wiederfahren lassen, sie ist nicht so elende, als man sie gemeiniglich ausgiebt. Ich habe vor einigen Jahren seinen Arminius zum zweitenmale gelesen, und mich damals gewundert, wie ein Mann, der zu seiner Zeit einen so schönen, kräftigen prosaischen Styl schreiben, und dennoch in der Poesie so niedrig, kriechend und unharmonisch 218
[HERDER, Rezension zu] Des C. Cornelius Tacitus sämtliche Werke. Übersetzt duró Job. Sam. Müller. Drey Bände groß 8. Hamb, bey Job. Carl Bobn ιγ6)-66, in »Allgemeine deutsche Bibliothek. Des neuntes Bandes zweytes Stüde. Mit Königl. Preußl. Churfürstl. Sächßl. und Churf. Brandenburg, allergnädigsten Freyheiten«. Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nicolai, 1769, S. 1 1 0 - 1 1 9 , hier S. n j und 1 1 7 . Herder erwähnt Lohenstein nodi in den Briefen zur Beförderung der Humanität (Adite Sammlung Riga, 1796. bei Johann Friedrich Hartknoch), in der Adrastea (Fünfter Band. Leipzig, bei Johann Friedrich Hartknoch 1803. [ 1 8 0 4 ] ) und in den Alten Volksliedern (Zweiter Theil. Englisch-Nordisch und Deutsch). (Vgl. H E R D E R , Sämmt-
licbe Werke. Herausgegeben von B.Supban, XVIII, 112 und 127; XXIV, 245 und
3 6 6 - 3 6 7 ; X X V , 66).
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sich ausdrücken konnte. Wie gerne unterschreibe idi das Urtheil der Verfasser der Litteratur Briefe, wo es heißt, daß Lohenstein eine weit beßere Prosa schreibe, als man bey vielen Tadelern seiner Schriften vergebens suchen würde. Idi finde, heißt es weiter, an vielen Stellen seines Arminius einen historischen Styl, den sich unsere Gesdiichtschreiber zum Muster nehmen sollten. Gedrungene Kürze, runde Perioden, kernhafte Ausdrücke, und eine Beredsamkeit, die am Erhabenen grenzet, wird man in diesem ungeheuern Romane öfter finden, als man glauben sollte.217 Hohl führt die zwei Stellen aus dem Arminius an ( 1 , 5 - 6 ; 3 1 - 3 2 ) , die schon in den Literaturbriefen (Nr. 3 1 3 ) erscheinen, und variiert dann nur die Urteile von Mendelssohn, J . H . Schlegel und Bodmer-Breitinger: Ich könnte zu diesen angeführten Beyspielen gar leicht noch mehrere hinzuthun, wenn diese nicht schon hinlänglich wären, Sie zu überzeigen, daß Lohenstein würklich des Erhabenen fähig gewesen, und blos aus Mangel des guten Geschmacks, und aus Liebe zum Ausserordentlichen, auf ganz ungewöhnliche Irrwege verleitet worden sey. Ich kann mich in der That nicht genugsam verwundern, daß ein Mann von so viel Gelehrsamkeit, und gründlicher Belesenheit in den schätzbarsten Schriften der Griechen und Römer, dennoch so ungereimt und abgeschmackt in seinen Trauerspielen seine Personen, habe redend und handelnd aufstellen können. Er hatte den Sophokles und Euripides gelesen, und nie ist es ihm eingefallen diese große Muster nachzuahmen; er folgte blos seinem verderbten Geschmacke. Ohne alle Kenntniße der Welt und des menschlichen Herzens, schrieb er seine Trauerspiele; an statt, daß seine Personen unter den Umständen, in die er sie versetzt, ihrem Charakter und der Natur der menschlichen Seele gemäß reden sollten; so spricht er dagegen, und legt ihnen Gleidi217
[CHRISTIAN DAVID HOHL,] Kurzer Unterricht in den schönen Wissenschaften für Frauenzimmer. Zweyter Theil. Chemnitz, bey Johann Christoph Stößel, 1772, S. 404-40J. Mendelssohns positive Beurteilung von Lohensteins Prosastil beeinflußte audi Johann Joachim Eschenburg. In seiner Ausgabe von Lessings Kollektaneen zur Literatur steht nämlidi: »Lohenstein verdient freilich mehr Achtung und Aufmerksamkeit, als man ihm, seit Gottsched und andre ihn verriefen, zu sdienken pflegt; und in seinem Arminius sind wirklich einige schöne Stellen, und einzelne treflidie Züge. Vergi, die Litteraturbriefe, Th. X X I . S. 139FR.« ( G O T T H O L D E P H R A I M LESSINGS Kollektaneen zur Literatur. Herausgegeben und weiter ausgeführt von Johann Joachim Eschenburg. 2 Bde. Berlin 1790. bei Christian Friedrich Voß und Sohn, II, 272). Der Name Lohenstein, das Adjektiv »lohensteinisch« und der Arminius werden da und dort gelegentlich audi in Lessings Werken erwähnt, nie aber wird ein wirklich eingehendes kritisches Urteil über den Dichter formuliert (vgl. G O T T H O L D E P H R A I M LESSING, Sämtliche Schriften. Herausgegeben von Karl Lachmann. Dritte, auf's neue durchgesehene und vermehrte Auflage, besorgt durch Franz Muncker. Stuttgart. G. J. Göschen'sdie Verlagshandlung. 1886-1924, I, 251; V, 181; VII, 129, 384; X, 280; XV, 343, XVI, 58).
III.
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Kapitel
niße, Wortspiele und Antithesen in den Mund, die nur er, Lohenstein, sagen konnte, weil er sie mit Mühe und Sorgfalt auf seiner Studierstube ausgedacht hatte. Ich werde Ihnen von allen diesen Beyspiele anführen, damit Sie sich selbst davon überzeugen können. Aber, was nützt mir alles dieses, höre ich Sie sagen, daß Sie mich mit den Fehlern eines Schriftstellers bekannt machen; da ich nur die Schönheiten desselben entwickelt und auseinander gesetzt haben will? Mehr als Sie denken. Eben dadurch werden Sie die Schönheiten anderer Werke destomehr schätzen und empfinden lernen, wenn Sie diese Beyspiele einer lächerlichen Schreibart werden gelesen, und sich gehörig bekannt gemacht haben. Die Trauerspiele Lohensteins heißen: Ibrahim türkischer Sultan, Agrippina Mutter des Kaisers Nero, Epicharis, Sophonisbe, Cleopatra. Nun waffnen Sie sich ein wenig mit Gedult, wenn Sie die Personen dieser Trauerspiele wollen sprechen hören. 218 Als Beispiele für diese »lächerliche Schreibart« folgen Verszitate aus dem Ibrahim
Sultan
( 1 , 1 5 - 3 6 , 6 1 - 6 7 , 3 1 9 - 3 3 7 ) , der Sophonisbe
II, 8 6 - 1 1 1 ) und der Cleopatra
(1,278-281;
( 1 , 1 3 - 3 0 , 2 2 2 - 2 3 7 , 256-260; V, 259-261,
2 8 1 - 2 8 7 , 2 9 8 - 3 0 3 ) . Hierauf schreibt Hohl: Nun das ist wahr, werden Sie sagen, das sind ia lauter lächerliche abgeschmackte Reden, die der Dichter seinen Personen in den Mund legt; es können doch ohnmöglich die ganzen Trauerspiele damit angefüllt seyn? Ganz gewiß; denn ich weiß nur einige Stellen in welchen er der Natur folgt, davon idi Ihnen ebenfalls eine Probe hersetzen will, daraus Sie erkennen werden, daß er es würklich gekonnt, sich natürlich ausdrücken, und blos aus Liebe zum Sonderbaren und Studierten, solch eckelhaftes Gewäsche, seinen Personen in den Mund gelegt habe.219 Nachdem Hohl zum Beweis dafür, daß Lohenstein sich auch »natürlich« ausdrücken und »erhaben« sein kann, einige Verse aus der Epicharis 5 7 1 - 5 8 0 , 5 6 6 - 5 6 9 ) 2 2 0 und der Cleopatra
(III,
( 1 1 , 3 3 1 - 3 3 6 , 3 4 3 - 3 5 0 ) zitiert
hat, geht er mit einem Seufzer der Erleichterung zur Behandlung des dramatischen Werkes von Johann Elias Schlegel über, den er als den größten dramatischen Dichter Deutschlands ansieht.221 Die Revision des kritischen Urteils über Lohenstein, die Mendelssohn durch seine mutige und nonkonformistische Rehabilitierung angeregt hatte 218 HOHL, Kurzer Unterricht, S. 408-409. 2 »e Ebd., S. 421. 220 Hohl schreibt über die sechste Szene des dritten Aktes der Epicharis, aus der er die Verse 566-569 und 571-580 zitiert: »Es ist überhaupt diese ganze Scene gut, so, daß man fast auf die Gedanken kommt, ob auch Lohenstein Verfaßer davon sey? Wenn die Sprache nicht rauh und unharmonisch wäre, so könnte sie einem ietzigen Dichter Ehre machen« (ebd., S. 422). 221 Ebd., S. 424.
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Aufklärung
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- er verwendet als einer der ersten den Begriff »Genie« (natürlich im eigentlichen Sinn der rationalistischen Ästhetik der Aufklärung) 222 in bezug auf Lohenstein223 - , kulminiert in dem Versuch Friedrich Justus Riedels, den Dichter historisch zu verstehen. In den Briefen über das Publikum (1768) zeigt Riedel zunächst die Relativität, Wandelbarkeit und Subjektivität des Schönen (»die Schönheit ist bloß subjektivischer Natur, nicht aber eine objektivische Beschaffenheit der Sache, die man schön nennet«) 224 und des Geschmacks auf und versucht dann eine historische Kritik, die mit Hilfe einer Analyse der geographi222 Ober Mendelssohns Begriff des Genies vgl. B. ROSENTHAL, Der Geniebegriff des Aufklärungszeitalters (Lessing und die Popularphilosophen). Berlin 1933 ( = Germanische Studien, Heft 138), S. 79-89; und GRAPPIN, La théorie du génie, S. 160-166. Zum Genie-Begriff der Aufklärung vgl. außer den Werken von Grappin und Rosenthal ALFRED BÄUMLER, Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft. Mit einem Nachwort zum Neudruck, Darmstadt 1967, S. 1 1 5 - 1 6 6 ; HERMANN WOLF, Versuch einer Geschichte des Geniebegriffs in der deutschen Ästhetik des 18. Jahrhunderts. I. Band: Von Gottsched bis auf Lessing, Heidelberg 1923; und GIORGIO TONELLI, Genius from the Renaissance to 1770, in Dictionary of the History of Ideas. Studies of Selected Pivotal-Ideas. Philip P. Wiener Editor in Chief. Volume II: Despotism to Law, Common, N e w Y o r k 1973, S. 293-297. 22s Der erste ist Philipp Ernst Bertram, der in seinem Entwurf einer Geschichte der Gelahrheit (1764) schreibt: »Man muß ihnen [Hofmannswaldau und Lohenstein] Genie zugestehen, aber anstatt daß sie die reichen und dabey oft falsdi ausgemahlten und geschmückten Bilder der Italiäner nach den Regeln ausbessern und die falschen Züge hätten auslösdien sollen, so trugen sie noch neue Schminke auf, verstellten die Natur gänzlich, und häuften Tropen mit Tropen, wozu noch des letztern unausstehliche Härte im Ausdruck kam. Dieser lohensteinische Geschmack verdarb alles; der falsche Glanz blendete um so mehr unglaublich viele Köpfe, als die Bemerkung gar sehr bestätiget wird, daß mehrere Menschen eher von dem Prächtigen und Schimmernden, als von dem wahren natürlich Grossen eingenommen werden und es richtig empfinden können« (PHILIPP ERNST BERTRAMS, Professons Honorarii des Staatsrechts und der Geschichte auf der Universität zu Halle, wie auch der königlichen und herzoglichen teutschen Gesellschaften zu Göttingen und Jena Mitglieds, Entwurf einer Geschichte der Gelahrheit für diejenigen, welche sieb den schönen Wissenschaften, der Weltweisheit und der Rechtsgelehrsamkeit widmen. Erster Theil. Halle, bey Johann Justinus Gebauer, 1764, S. 362). 224 FRIEDRICH JUST RIEDEL, Über das Publicum. Briefe an einige Glieder desselben. Jena bey Christian Henrich Cuno, 1768, S. 45. In der Gesamtausgabe von Riedels Werken findet sich die Stelle S. 49-50 (FRIEDRICH JUST RIEDELS Weiland K. K. Raths, sämmtliche Schriften. Vierter Theil. Verschiedene Briefe. Wien, bei Joseph, Edlen von Kurzbek. k. k. Hofbuchdrucker, Groß-und Buchhändler. 1787). Die Schrift Über das Publicum existiert jetzt in einer sorgfältigen Ausgabe: Briefe über das Publikum von Friedrich Just Riedel (1768). Herausgegeben von Eckart Feldmeier. Wien 1973 (Wiener Neudrucke 4). Über Riedels Ästhetik vgl. RICHARD WILHELM, Friedrich Justus Riedel und die Ästhetik der Aufklärung, Heidelberg 1933 ( = Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. Neue Folge. X X I I I ) . Über die Briefe vgl. besonders S. 8 0 - 1 1 8 .
III. Kapitel
376
sehen, ethnischen, klimatischen, sozialen und kulturellen Verhältnisse zur Rekonstruktion des Milieus führt, in dem das literarische Werk entstanden ist, und will so, durch die Erkenntnis der Umstände und Bedingungen seiner Entstehung, zu seiner individuellen Eigenart vordringen. Nach Riedel basiert edite Kritik nicht auf »Regeln«, die stets relativ und veränderlich, niemals universell und objektiv sind, sondern auf der Fähigkeit, sich in die inneren und äußeren Umstände des Werkes hineinzuversetzen und sich in die Absichten, in die Seele und in die Denkweise des Autors einzufühlen. Der Kritiker muß in der Lage sein, sich in f r e m d e Aussichten zu versetzen [ . . . ] damit er völlig in eben dem Geiste lese, in welchem der A u t o r gedichtet hat; nicht diesem ein falsches Ideal unterschiebe; nicht ihn nach fremden Regeln beurtheile, die er nicht beobachten wollte, nicht durfte; damit er endlich nicht derjenigen Empfindung folge, die er als deutscher Kunstrichter des achtzehenden Jahrhunderts hat, sondern derjenigen, die er haben würde, wenn er unter solchen Umständen Kunstrichter w ä r e , unter welchen der Dichter geschrieben hat. 2 2 5
Riedel ist sich nicht nur der entscheidenden Wichtigkeit, die das historische Milieu für die Entstehung des literarischen Werkes hat, sondern auch der Zusammenhänge, die zwischen Werk und Publikum bestehen, bewußt. Der Autor schreibt »für Menschen in concreto«™ deren Geschmack von folgenden Umständen bestimmt wird: Zeit, Ort, Religion, Alter, Tradition, Regierungsform und soziale Schicht. Dem geschichtlich bedingten Geschmack des konkreten Publikums, für das er schreibt, muß der Autor seine Werke anpassen.227 Riedel hat als erster dem Problem des Publikums eine Arbeit gewidmet. Dabei geht er von der der heutigen Rezeptionsästhetik zugrundeliegenden Erkenntnis aus, daß kausale Beziehungen die Struktur und den literarischen Kode des Werkes an das Publikum binden, für das es bestimmt ist. Er macht so tatsächlich den ersten, höchst modernen Versuch, Lohensteins Dichtung dadurch zu erfassen, daß er ihre Stileigentümlichkeiten auf den Geschmack ihrer Leser zurückführt. Er schreibt nämlich im »Vierten Brief an den Herrn Canzleydirector Wieland« : Nicht die bekannte Lehre v o m Costume w i l l ich hier noch einmal vortragen, wenn sie gleich in dieses Fach gehöret und aus der Verschiedenheit des G e schmacks erklärt werden muß. Ich merke nur an, daß das Gewöhnliche nicht nur in einzelnen Theilen des künstlichen Werks, zu beobachten ist, in den 225 22
RIEDEL, Sämmtliche Schriften, I V , S. 1 0 2 - 1 0 3 .
« E b d . , S. 61.
2
" Ebd., S. 2 J - 2 6 , 6 1 - 6 2 .
Die Kritik der Aufklärung
377
Charakteren, Kleidungen, Sitten, Reden und Handlungen der Personen; sondern selbst auf gewisse Art im ganzen Bau, in der Anlage, im Styl und im Tone. Ein Autor, der schreibt, um von seinen Landsleuten gelesen zu werden, muß soviel Condescendenz haben, daß er ihrem Geschmadce, wenn er audi verderbt seyn sollte, wenigstens einigermaßen seine Leyer in den üblichen Ton stimmt. Wenn also die Nation das collossalische, das ungeheure, das wunderbare liebt, so soll er, wie Milton, hierinnen sidi ihr gleichstellen und gerade das zur Grundlage seines Werks machen, wovon er weiß, daß es die meisten schmecken werden. Erlaubt sey es dagegen einem andern, einem Ariost, in Betracht seiner Zeit und seiner Landsleute, das heroische und lustige zu mischen, poetische Erdichtungen mit Ammenmährgen, und ein so verwickeltes Ganzes zu schaffen, daß man beynahe eine Fee nöthig hat, um den Faden nicht zu verlieren. - Ich will selbst Lohensteinen seinen Schwulst nicht so hoch anrechnen, als man insgemein zu thun pfleget, weil ich die Zeit kenne, in welcher er geschrieben hat. Ampullas verlangte damals der Leser und sesquipedalia verba·, der Schriftsteller bequemte sich nach der Zeit, flocht aber in eine Reihe von übertriebenen Metaphern und Gleichnißen noch immer so viel gründliche Gedanken ein und oft so gut gesagt, daß wir darüber seinen Schwulst leicht vergessen können. Die große Kunst ist freylich die, zugleich seinen Zeitgenoßen zu gefallen und auch ein Schriftsteller für die Nachwelt zu werden. Verschiedene Werke sind für die Zeiten und für die Umstände, unter welchen sie erschienen, sehr gut gemacht; allein mit den Zeiten ändern sich die Umstände und dann will und kann sie niemand mehr lesen. Wer ließt jetzt noch die Streitschriften von der Wolfisdien Philosophie? Niemand, und bald wird auch niemand mehr Lust haben, einen Blick auf die neologischen Wörterbücher, Ästhetiken in einer Nuß, Vorspiele, Bodmeriaden, Gnissel, und andere gute, mittelmäßige und elende Sdiriftchen zu werfen. Liscow ist schon fast vergessen, weil die elenden Skribenten vergessen sind, die er an den Pranger stellte und weil man ihn nicht verstehen kann, ohne einen Sievers, Philippi, Rodigast und Manzel zu kennen, die man vielleicht nicht kennen will. Wenn aber ein Autor klug genug ist, um durch allgemeine Schönheiten die unter die besondern für seine Nation mit Weisheit hingestreuet werden, sein Werk für alle Leser und zu allen Zeiten intereßant zu machen; dann kan er stolz auf den Beyfall der Nachwelt und gewiß seyn, daß sie seinen Nachlaß als ein Heiligthum bewahren wird. 228 Leider versteht es Riedel nicht, seine Erkenntnisse über die Notwendigkeit einer historischen Kritik und über die Wechselbeziehungen zwischen Publikum und Werk konsequent zu vertiefen und nutzbar zu machen; die ersteren waren wahrscheinlich durch die Lektüre des Esprit des lois (1748) von Montesquieu, der Réflexions critiques sur la poésie et sur la peinture 228
Ebd., S. 92-94.
37«
111.
Kapitel
(171 9) von Jean Baptiste Dubos und der Herderschen Fragmente Über die neuere Deutsche Litteratur (1767) angeregt worden. So kehrt er bereits am Ende der soeben zitierten Stelle zum Dogma von der Allgemeingültigkeit und Zeitlosigkeit des Schönen und damit zum Dogma von der Allgemeingültigkeit und Zeitlosigkeit des ästhetischen Geschmacks zurück. Diese Unsicherheit wirkt sich bei Riedel auch auf das Urteil über Lohenstein aus, das er im »Siebenten Brief an den Herrn Hofrath Kästner« abgibt. In diesem kurzen Abriß der deutschen Literaturgeschichte steht: Es giebt Philosophen, die sichs zur Ehre rechnen, v o n allem dem, w a s man insgemein glaubt, nichts zu glauben. Es giebt Dichter, die dadurch erst ihren C r a n z zu verdienen gedenken, daß sie niemals so reden, wie man insgemein spricht. Dies w a r Lohensteins F a l l [ . . . ] Deutliche Gedanken durch gesuchte Metaphern zu verdunkeln, niemals eigentlich zu reden und einheimische Bilder mit indianischen Farben und Schmuck aus der neuen Welt unkenntlich zu machen; dies waren die K u n s t g r i f f e seiner Poesie. D i e Gottschede haben ihn d a f ü r gezüchtiget; es w a r aber einmahl auch Zeit, seinem Genie Gerechtigkeit wiederfahren zu laßen, und es ist geschehen. Unterdeßen w a r er zu seiner Zeit ein gefährlicher M a n n ; sein Beyspiel w a r desto ansteckender, je glänzender es w a r , und er verführte das junge Dichtervolk, die edle E i n f a l t zu verlaßen und mit einer unbändigen Phantasie nach Galimathias zu gaukeln. 2 2 9
Die »edle Einfalt«, die Riedel der entfesselten Phantasie Lohensteins und den Kunstgriffen und Gaukelspielen seiner gesuchten Metaphern und exotischen Bilder gegenüberstellt, ist trotzdem immer noch eine »Regel«, eine Stilkategorie des ästhetischen Ideals des Klassizismus. Indem er seine historisch-kritischen Erkenntnisse beiseite läßt, kehrt er zur normativen Poetik Gottschedscher Prägung zurück. "Wie Riedel Lohensteins Stil an einer ihm fremden Kategorie, der »edlen Einfalt«, mißt, so bewertet Christian Heinrich Schmid Lohensteins Theater nach einem seinem (allegorisch-rhetorisch-repräsentativen) Wesen völlig entgegengesetzten Maßstab: dem der Rührung, einer der grundlegenden Kategorien der Dramaturgie der Aufklärung. 230 Hier der Eintrag, den 229 Ebd., S. 170-171; in Über das Publikum steht die Stelle S. 151-152. Im »Zweiten Brief an Herrn Flögel« hatte Riedel, als er von der deutschen Sprache handelte, ausgerufen: »Wie mandier Edelgestein liegt noch im Kothe des Philanders von Sittenwald, der Fruchtbringer, der Hans Sachsen, der Lohensteine, und anderer, die wir nicht lesen, als um ihrer zu spotten?« (RIEDEL, Sämmtliche Schriften, IV, 26). 230 VGL. ALBERTO MARTINO, Geschichte der dramatischen Theorien in Deutschland im 18. Jahrhundert. I: Die Dramaturgie der Aufklärung (iy30—1780), Tübingen 1972 ( = Studien zur deutschen Literatur Band 32), S. 137-142, 174.
Die Kritik der
Aufklärung
179
e r n a c h d e r E r w ä h n u n g v o n G r y p h i u s i n s e i n e r Chronologie Theaters
des
deutschen
( 1 7 7 j ) Lohenstein widmet:
D e r nächste, der sich nach ihm der tragischen M u s e g a n z w e i h e t e , w a r D a n i e l C a s p a r v o n Lohenstein, dessen erstes T r a u e r s p i e l im J a h r 1 6 6 1 erschien. E i n a u f b r a u s e n d e s Feuer u n d Neuerungssucht rissen ihn auf A b w e g e , u n d so, w i e er ü b e r h a u p t d e m deutschen Geschmacke verderblich w a r d , so hinderte er auch den geringen F o r t g a n g , den die deutsche B ü h n e bisher g e h a b t hatte. N o c h k a n n t e n die Deutschen den w a h r e n K o t h u r n nicht, u n d er lehrte sie bereits auf Stelzen gehn. Hochschallender U n s i n n in den G e s i n n u n g e n , übertriebne B i l der, unzeitiger u n d ängstlicher W i t z machen seine T r a u e r s p i e l e lächerlicher, als rührend. Sein Enthusiasmus erhascht z u w e i l e n einen starken
Gedanken
u n d einen k ü h n e n A u s d r u c k , der einzeln L o b v e r d i e n t . Seine P l a n e sind seltsam u n d gigantisch, C h a r a k t e r e achtet er g a n z u n d gar nicht. Seine T r a u e r spiele, die uns heut z u T a g e eben so possirlich scheinen, als sie z u seiner Z e i t b e w u n d e r t w u r d e n , s i n d : K l e o p a t r a , Epicharis, A g r i p p i n a , I b r a h i m S u l t a n , u n d Sophonisbe. Seine grosse Belesenheit in den A l t e n , die, w i e b e y B e n j a m i n Johnson, sein G e n i e vielleicht m e h r erstickt, als g e n ä h r t hatte, verleitete ihn, m i t ihren schönsten Penseen z u p r a n g e n , v o r n e h m l i c h h a t er den Seneca u n d f a s t i m m e r z u r U n z e i t g e p l ü n d e r t . N o c h m u ß ich der Zwischenspiele gedenken, die m a n b e y i h m findet, u n d die er R e y e n nennt. E r starb 1683 im neun u n d v i e r z i g s t e n Jahre seines A l t e r s . 2 3 1 A l s K o m p i l a t o r , d e r S c h m i d w a r , ü b e r n i m m t er a u f dieser Seite J. H . Schlegels U r t e i l ü b e r das T h e a t e r Lohensteins. D i e s gilt auch f ü r ein a n d e res W e r k , d e n Nekrolog von
andern
Nekrolog, nius
Tragödien,
( 1 7 8 5 ) , w o er einige Stellen aus der die
auch
von
Sophonisben
handeln
Abhandlung einrückt.
w o S c h m i d auch M e n d e l s s o h n s U r t e i l ü b e r d e n Stil des
u n d d a s j e n i g e B r e i t i n g e r s a u s d e r Abhandlung
(das W e r k w i r d
von
den
fälschlich B o d m e r zugeschrieben) über die
Im
Armi-
Gleichnissen übertrieben
gelehrte Sprache der R o m a n f i g u r e n e r w ä h n t , betrachtet er jedoch die T r a g ö d i e n als das B e d e u t e n d s t e
von
Lohensteins
dichterischer
( » D i e Trauerspiele sind unter seinen poetischen Schriften das
Produktion erheblich-
231 [CHRISTIAN HEINRICH SCHMID,] Chronologie des deutschen Theaters, 1775, S. 30-32. In einem anderen Werk Schmids stehen die beiden folgenden kurzen Urteile über Lohenstein: »Daniel Caspar von Lohenstein (st. 1683) gab seinen Zeitgenossen ein schädliches Beispiel durch den Schwulst, und das dem Marino nachgeahmte Unnatürliche in seinen Gedichten«, »Daniel Caspar von Lohenstein (st. 1683) durch Seneka und Italiener verderbt, brachte ungeheure Karadttere, Schwulst, falschen Witz, unzeitige Gelehrsamkeit in seine rauh versifizierten Trauerspiele.« (D. CHRISTIAN HEINRICH SCHMID, Anweisung der vornehmsten Bücher in allen Theilen der Dichtkunst. Leipzig, in der Weygandschen Buchhandlung 1781, S. 407, 615).
III.
380
Kapitel
ste«) 232 und erfaßt einen der Grundzüge des Lohensteinischen Stils: die Technik der gelehrten Anspielung. Lohenstein war überhaupt ein guter Kopf, dem es nicht so sehr an Genie, als an Geschmack, fehlte. Weil er sidi aber von der Natur entfernte, und hierinnen bald Nachahmer fand, die seine Übertreibungen noch mehr übertrieben, so ward er, ohne es zu wollen, der Stifter einer Secte, die man (obgleich H o f mannswaldau noch eher auf diese Abwege verfiel) nach ihm Lohensteinianer nannte, und die unsre Dichtkunst wieder viele Stufen zurückwarfen, indem sie sie ganz vom guten Geschmack trennten. So muste unsre kaum etwas gebildete Poesie in eben dem Lande wieder verdorben werden, in welchem sie war verbessert worden. In allen Gedichten des Lohenstein kommt viel Bombast und Unsinn vor, ein falsches Pathos, und unnatürliche Bilder. Von diesen Fehlern läßt sich mehr als eine Ursache angeben. Bey der großen Kenntniß der ausländischen Sprachen las Lohenstein viele italienische Dichter, besonders die aus der neuern verderbten Epoche, z.E. den Marino, und gewann ihre Fehler lieb. Unter den alten Schriftstellern las er den Seneka am liebsten. Er las die bessern alten Schriftsteller, nicht, um sich nach ihnen zu bilden, sondern, um auf sie anzuspielen, und in den Erklärungen dieser Anspielungen seine Gelehrsamkeit zu zeigen. Neuerungssucht, oder Begierde, seine Vorgänger zu verdunkeln, führte ihn irre, auch einiges trug vielleicht das ungestüme Jugendfeuer bey, das er bey seinen ersten Versuchen nicht mäßigen konnte, und hernach, da er sah, daß seine neue Manier gefiel, nicht mäßigen wollte. In den Trauerspielen fällt seine unnatürliche Sprache doppelt auf, zumal, da das erhaben seyn sollende oft mit den niedrigsten Ausdrücken abwechselt. 233
In den Skizzen einer Geschichte der teutschen Dichtkunst (1784), die ein Jahr vor dem Nekrolog in Olla Potrida, einer von Heinrich August Ottokar Reichard herausgegebenen Zeitschrift, veröffentlicht wurden, hatte Christian Heinrich Schmid ein ähnliches Urteil über Lohenstein abgegeben: In allen seinen Werken sieht man den Mann von Genie, den Neuerungssucht und ungestüme Hitze über die Grenzen rissen, den einige italienische Schriftsteller, Seneka, und Hofmannswaldau irre führten. Übertreibung, Affec2 3 2
Nekrolog oder Nachrichten von dem Leben und den verstorbenen teutscben Dichter. Erster Band. Berlin, bey
CHRISTIAN HEINRICH SCHMID,
Schriflen der vornehmsten
August Mylius 1785, S. 1 3 8 - 1 5 5 (auf diesen Seiten steht der Artikel »Daniel Kaspar von Lohenstein«), hier S. 139. Mendelssohns Urteil wird S. 152 erwähnt, das von Breitinger S. 1 5 1 . Der Aufsatz von Joh. H. Schlegel ist mit einigen stilistisdien Änderungen S. 1 4 1 - 1 4 6 abgedruckt. In dem Artikel über Lohenstein zitiert Schmid auch
2 3 3
das Gedicht »O Venus leihe mir« (Herrn von Hoffmannswaldau schen auserlesener Gedichte erster Theil, S. 237). S C H M I D , Nekrolog, S . 1 5 2 - 1 5 3 .
und andrer
Deut-
Die Kritik der
Aufklärung
381
tation, unnatürliche und verschwendete B i l d e r , unzeitige Gelehrsamkeit, f a l sches Pathos, eine A r t v o n poetischer R a s e r e y machen die Leetüre seiner Schriften w i d e r w ä r t i g . I n seinen Trauerspielen ( K l e o p a t r a , E p i d i a r i s , A g r i p p i n e , I b r a h i m Sultan, Sophonisbe) geht er immer auf Stelzen. D a sieht man nichts, als gigantische Sentimens, ängstlidien W i t z , ausgekramte Belesenheit. 2 3 4 I n derselben Zeitschrift publiziert einige J a h r e später H e i n r i c h Z s c h o k k e e i n e A b h a n d l u n g , w a h r s c h e i n l i c h s e i n erstes W e r k : steinals
dramatischer
Dichter
(179ο).
23
235
Daniel Lohen-
® D a r i n versucht er ausdrücklich
e i n e » E h r e n r e t t u n g « d e s D i c h t e r s , w e n i g s t e n s i m R a h m e n seines d r a m a t i schen W e r k e s . 2 3 7 CHRISTIAN HEINRICH SCHMID, Skizzen einer Geschichte der teutschen Dichtkunst. Siebente Epoche. Von Lohenstein bis auf Kanitz, in »Olla Potrida. 1784. Zweites Stück«. Berlin, in der Weverschen Buchhandlung, S. 70-80, hier S. 7 1 . Vgl. auch CHRISTIAN HEINRICH SCHMID, Skizzen einer Geschichte der deutschen Dichtkunst. Nachtrag zur siebenten Epoche, in »Olla Potrida. 1789. Drittes Stück«. Berlin, in der Weverschen Buchhandlung, S. 9 0 - 9 1 , w o bibliographische Angaben zu Lohensteins Werken geliefert werden und wo der Schluß des Arminius fälschlicherweise seinem Bruder, der irrtümlich Christian statt Hans (Johann) genannt wird, zugeschrieben ist. Uber den Arminius gab Schmid einige Jahre später das folgende Urteil ab: »Das Werk ist völlig in dem Gesdimack der damaligen Heldenromane geschrieben, in denen man eine seltsame Verflechtung abentheuerlicher und unwahrscheinlicher Begebenheiten, spielende Allegorien, Ubertreibung in Karakteren und Ausdruck, strotzende moralische Declamationen, und große gelehrte Digressionen, aus Geschichte und Alterthümer gewohnt war. Die Schreibart hat eine unangenehme rednerische Einförmigkeit; wo auch Personen redend eingeführt werden, reden sie Lohensteinischen Schwulst und Unsinn, und prunken mit unzeitiger Gelehrsamkeit. Daß übrigens in diesem Roman zuweilen wirklich große Gedanken, und mehrere Stellen vorkommen, die sich durch gedrängte Kürze auszeichnen, hat Mendelssohn in den Litteraturbriefen dargethan.« ([CHRISTIAN HEINRICH SCHMID,] Über die verschiedenen deutschen Gedichte, die sich auf die Geschichte vom Hermann oder Arminius gründen, in »Journal von und für Deutschland. Herausgegeben von Siegmund Freyherrn von Bibra. Neunter Jahrgang. Neuntes Stück [1792]«, S. 765-77$, hier S. 767). 235 Vgl. j . j . BÄBLER, Johannes Heinrich Daniel Zschokke, in Allgemeine Deutsche Biographie. Fünfundvierzigster Band, Leipzig 1900, S. 449-465, hier S. 464. 28« [HEINRICH DANIEL] ZSCHOKKE, Lohenstein, als dramatischer Dichter, in »Olla Potrida. 1790. Erstes Stück«. Berlin, in der Weverschen Buchhandlung, S. 78-94. 237 »Es sind gewisse Namen in der gelehrten Welt, welche das unglückliche Schicksal haben, daß, wenn irgend einmal ein witziger Kopf mit satyrischem Lächeln auf sie hinschielte, dieselben in eben dem Augenblicke das Ziel des Aftterwitzes werden, wohin dann männiglidi, jeder litterarische Scribler seinen bleiernen Pfeil abdrückt. Es ist ungerecht, daß man alsdann, ohne das Gute solches beklagenswürdigen Schriftstellers von seinen Fehlern mit richtiger Delicatesse abzusondern, Schönheiten und Mängel voll lächerlicher Wut untereinander wirft, und ein allgemeines: >Creuzige ihn!< über ihn anstimmt. - So mußte manches Gute neben dem schlechten vermodern; mancher wirklich schöne Gedanke blieb der Nachwelt so gut, als ungeboren, weil er, nebst seinem Schöpfer, durch die Intoleranz mancher oft unbärtigen Critiker, ganz und gar vergessen gemacht wurde. Ist es daher nicht eine dankbare und angenehme Besdiäffti234
382
III.
Kapitel
Zschokke räumt ein, daß Lohenstein, den er schon als Gymnasiast gelesen hatte, als er im Hause des Rektors Elias Kaspar Reichard wohnte und zu dessen reichhaltiger Bibliothek Zutritt hatte,238 kein »Originalgenie«, kein Schöpfer und Vorbote neuer dramatischer Formen sei, aber er betont die Dürftigkeit der auf ihn gekommenen Theatertradition und meint - nicht ohne polemische Spitze gegen die Lohenstein-Kritik des Klassizismus —, daß allenfalls die Lohensteinisdien Tragödien, gerade wenn man sie an den Normen der klassizistischen Dramaturgie messe, wegen der geforderten Regelmäßigkeit unbestreitbar den Preis erlangen würden. Lohenstein lebte in einem J a h r h u n d e r t , w o m a n n o d i w e n i g e o d e r gar keine Muster des Deutschen Schauspieles v o r sich hinstellen k o n n t e ; die meisten v o r handenen D r a m e n w a r e n elende Ü b e r s e t z u n g e n der A u s l ä n d e r ; k e i n e r k o n n t e d a m a l s schon das Ächtkomische in der L a u n e eines M o l i e r e , welcher selbst z u dieser Z e i t erst a u f z u s t e h n anfieng, b e w u n d e r n ; keiner k o n n t e das w a h r e tragische Schöne aus den ersten, lautern Q u e l l e n , eines o d e r mehrerer Meisterstücke d a m a l i g e r Dichter schöpfen, sondern der Kunstrichter bestimmte seine R e g e l n nach den alten Schauspielen der Griechen u n d R ö m e r , ohne, bei all seinen gelehrten E x p l i c a t i o n e n auf die U r s d i ö n h e i t des Trauerspieles, auf die g e h e i m n i ß v o l l e n M i t t e l , T h r ä n e n der W e h m u t z u erwecken, oder tiefes G r a u sen z u erregen, acht z u haben. - L o h e n s t e i n k o n n t e also in diesen V e r h ä l t nissen w o h l nicht k l ü g e r h a n d e l n , als w e n n er sich nach irgend einem Griechischen oder Lateinischen M u s t e r , in Absicht des mechanischen Baues seine T r a gödien bildete, ohne d a b e i auf die steigende K u n s t seiner E n k e l , v i e l w e n i g e r auf S t o l z u n d U n d a n k b a r k e i t derselben, Rücksicht z u nehmen. Eingestehn m u ß m a n freilich, d a ß er k e i n O r i g i n a l g e n i e w a r , welches neue P f a d e z u b r e -
gung die Ehre manches solcher Vergessenen oder Verachteten zu retten? - ist es nicht eine angenehme Leetüre, Gedanken irgend eines vorigen Jahrhunderts wiederzufinden, welche noch anjetzt dem Genius Deutscher Dichtkunst Ehre bringen? - Ich will es einmal wagen, unsre Leser auf einen guten, (Mängel seines Zeitalters hier abgeredinet) vergessenen, ganz verkannten dramatischen Dichter Deutschlands im vergangenen Jahrhundert aufmerksamer zu machen. Es ist der übel bekannte Daniel Caspar von Lohenstein! - Wir wollen hier weder sein Leben erzählen, welches man in allen Gelehrten-Lexicis, und beinah in allen litterarischen Sammlungen lesen kann, noch uns mit Anatomirung seiner vielen Gedichte, groß und klein, beschäftigen ; sondern den guten Mann, nur von Seiten seiner dramatischen Arbeiten, den richtenden Lesern zur Beurtheilung geben« (ebd., S. 78-79). 238 Diese Bibliothek hatte ihn zu höchst intensiven und ungeordneten Lektüren angeregt: »Heut Swedenborg, morgen Spinoza, Albertus Magnus und die flagella daemonum neben Plutarch und Plato, und Lohenstein und Broke neben Ossian, Shakespeare und Schiller« (zitiert aus BÄBLER, Zschokke, S. 450). Aus diesen Werken machte Zschokke umfangreiche Auszüge (vgl. HEINRICH ZSCHOKKE, Eine Selbstschau. Mit einem Bildniß des Herrn Verfassers. Aarau 1842. Verlag bei Heinrich Remigius Sauerländer).
Die Kritik der
Aufklärung
383
dien, ausgieng; aber sind alle diejenigen, welche keinen Anspruch auf diesen glänzenden Titel machen können, der Unsterblichkeit unwerth? - Wie mancher unter den Deutschen Tragödiendichtern, welcher seinen N a m e n in der Einbildung schon mit unverlöschlichen Flammenzügen auf die T a f e l der U n vergeßlichkeit hingepinselt sieht, w ü r d e dann noch weniger seyn, als Lohenstein vielleicht im J a h r e 1 7 9 0 seyn dürfte! - D a n k sey es unserm Genius, wenn w i r jetzt Kunst und N a t u r , diese beiden Gesellschafterinnen und Grazien der Dichtkunst, so genau als möglich mit einander verbanden: man gebe aber nicht manchen unsrer Kunstrichter, oder Ramlers B a t t e u x die Schuld, daß w i r das Trauerspiel nicht mehr nach Lohensteinischer A r t zustutzen. Batteux und R a m l e r mit ihm, sagt: »die T r a g ö d i e hat mit der Epopöe die Größe und Wichtigkeit gemein; sie kann Wunderwerke geschehen lassen; ihre Sprache ist lyrisch, voll Entzückens, Begeisterung und Trunkenheit der Seele; die H a n d lung ist heroisch, wenn sie einen großen Gegenstand hat, als die Bestrafung eines T y r a n n e n , u.s.w. sie w i r d durch die agirenden Personen heroisch, als K ö n i g e und Prinzen« 2 3 9 u.s.f. U n d beurtheilten unsre Leser Lohensteins Trauerspiele nach dieser N o r m , so würden sie unstreitig den Preiß der v e r langten Regelmäßigkeit d a v o n tragen. 2 4 0 N a c h d e m Zschokke seinen Versuch, Lohenstein zu rehabilitieren, auf die dramatische Dichtung eingegrenzt hat, engt er den Gegenstand seiner Untersuchung noch weiter ein, denn er spricht nur v o n Epicharis Agrippina.
und
A u ß e r d e m versucht er auch kein Gesamturteil über diese bei-
den T r a g ö d i e n , deren Struktur er v o n vornherein als unharmonisch bezeichnet, sondern er beschränkt sich d a r a u f , ihre schönen Verse, die »schönen Perlen« herauszustellen: 239 In Wirklichkeit zitiert Zschokke Batteux ungenau und durch Zusammenfügen von Stücken einiger verschiedener Stellen aus dem Kapitel »Von der Tragödie« der Einleitung in die Schönen Wissenschaften. Im Original heißen die Stellen so: »Die Tragödie hat mit der Epopee die Größe und die Wichtigkeit der Handlung gemein ( . . . ) « (S. 262); »Ihre [Batteux bezieht sich auf die Oper oder »lyrisches Schauspiel«] Verrichtungen gleichen den Wunderwerken« (S. 263); » [ . . . ] und folglich muste die Sprache der Personen [der Oper] gantz lyrisch seyn, sie muste die Entzückung, die Begeisterung, die Trunkenheit der Seele ausdrücken, damit die Tonkunst alle ihre Würkungen dabey äußern konnte« (S. 264); »Die Handlung [der Tragödie] ist heroisch, entweder an sich selbst, oder wegen des Characters derer, die sie verrichten. Sie ist heroisch an sich selbst, wenn sie einen großen Gegenstand hat; als die Erlangung eines Throns, die Bestrafung eines Tyrannen. Sie wird heroisch durch den Character derer, die sie verrichten, wenn die Personen, die agiren, oder wider welche man agirt, Könige und Printzen sind« (S. 269) (Einleitung in die Schönen Wissenschaften. Nach dem Tranzösischen des Herrn BATTEUX, mit Zusätzen vermehret von C. W. Ramler. Zweyter Band. Leipzig, in der Weidmännischen Buchhandlung. 17J6). 240 ZSCHOKKE, Lohenstein,
S. 7 9 - 8 1 .
3
84
III.
Kapitel
Da wir also an Lohenstein den harmonischen Bau seiner Schauspiele eben so wenig, als an Shakespearn dem Vergötterten bewundern dürfen, welcher jenen aber auch an richtiger und auszeichnender Darstellung seiner Caractere übertraf; so müssen wir uns allein an seine Gedanken halten, welche nicht selten den oben angeführten Verlust ersetzen. Sdiöne Perlen bleiben immer schön, sinken nie unter ihren Werth, wenn sie auch unregelmäßig geordnet in einem Gothischen Brautschmuck prangen müssen, wo sie freilich den Effect verlieren, welchen sie künstlidi und mit Geschmack aneinander gereihet, haben würden. Epicharis und Agrippine sind zwei der besten Lohensteinischen Geburten. Wir wollen uns, ohne uns an den Plan des Dichters zu fesseln, vorzüglich schöne Stellen aus dem ersten genannten Trauerspiele heben, und dann die Leser selbst über ihn und sein Genie urtheilen lassen.241 Mit einer gewissen Freiheit zitiert Zschokke die »schönen Perlen« aus der Epicharis (I, 4 - 1 2 , 18-20, 85-88, 245, 296-297, 57X-573» 744~748, 7 5 3 " 7555 Π, 1 - 1 5 , 293-296; I I I , 571-574» 576-580; 242 V, 428-436, 526-540) und aus der Agrippina (I, 1 0 0 - 1 0 7 , 1 1 1 - 1 x 6 , 1 2 5 - 1 3 0 , 1 3 4 - 1 4 2 , 1 4 8 15ο; 248 II, 4 1 - 4 3 , 48-50» 53-57» 2 7 1 - 2 7 2 , 2 8 1 ; I I I , 9 - 1 6 , 1 4 5 - 1 4 8 , 1 7 7 192, 244 4 9 7 - 5 1 6 ; IV, 33-39, 43-50) und schließt die Abhandlung mit folgenden Worten: So weit wäre mancher durch einige Züge aus diesen beiden Tragödien auf Lohenstein aufmerksamer geworden, so such er immerhin die Schriften dieses guten, wirklich zu tief herabgewürdigten Dichters aus dem Staube der Bibliothek hervor - man würde sie in der That nicht unbefriedigt wieder hinlegen; — ich indes möchte mir es wohl gar zur Ehre rechnen können, die Honneur des unglücklichen Poeten aus dem vorigen Jahrhundert einigermaßen gerettet zu 2
« Ebd., S. 82. Bei diesen Versen ruft Zschokke aus: »Das heiß ich geshakespearisirt!« (ebd., S. 85). 243 Anläßlidi dieser Verse schreibt Zschokke: »Hier scheint die Liebe selbst Lohensteins Feder geführt zu haben; die Gedanken ketten sich plötzlich so sdiön aneinander; die Reime fließen so sanft, so rein; die Bilder sind mehrentheils so glücklich gewählt und passend, daß idi keinen Augenblick anstehe zu behaupten : hätte Lohenstein, statt mit Melpomenen klagend durch Trauer-und Leichengefilde zu gehen, lieber in wollustathmenden Myrtenhainen, unter Feen und Rittern, schalkhaften Nympfen und verliebten Faunen herumirren wollen, - er wäre Deutschlands Ariost, oder wenn auch nur der Spenser seines Volks geworden« (ebd., S. 87). 244 Bezüglich dieser Szene mit dem Inzestversuch, die bei vielen Kritikern des 19. Jahrhunderts Entrüstung auslösen sollte, schrieb Zschokke: » [ . . . ] wenn es mit zur Kunst eines Dichters gehört, durch sein Genie alles, den Himmel zur Hölle, und die Hölle zum Himmel umschmelzen, auch das schrecklichste Laster liebenswürdig machen zu können; so besaß Lohenstein diese Kunst vollkommen in seiner Gewalt« (ebd., S. 90). Die Agrippina stand immerhin im Catalogus Librorum a commissione Caes. Reg. Aulica prohibitorum. Edilio nova. Cum privilegio S. C. R. Apost. Majestatis. Viennae Austriae Typis Geroldianis. 1776, S. 7. 242
Die Kritik der
Aufklärung
385
haben. Es ist wahr, daß er Fehler genug hat, aber dieselben sind, wie schon gesagt, Fehler seines Zeitalters; man setze ihn immer unter die mehr als mittelmäßigen Dichter Deutschlands! 245 Zsdiokkes A b h a n d l u n g ist die letzte, die das 18. Jahrhundert Lohenstein gewidmet hat. W i r müssen nun die geschichtlichen Darstellungen der deutschen Literatur, der Gelehrsamkeit und des Theaters der z w e i t e n H ä l f t e des 18. Jahrhunderts untersuchen, die mehr oder weniger ausführ lidi v o n Lohenstein sprechen. Michael H u b e r bietet in seinem Discours la littérature
allemande
préliminaire
sur l'histoire
de
(1766), einem kurzen, f ü r das französische Publi-
k u m v e r f a ß t e n A b r i ß der deutschen Literatur, eine ziemlich ausgewogene Beurteilung des Lohensteinischen W e r k s , w o b e i er außer den traditionell negativen Urteilen audi die teilweise Rehabilitierung durch Bielfeld und durch Mendelssohn berücksichtigt. Chrétien de Hofmannswaldau & Daniel-Caspar de Lohenstein, deux Gentilshommes Silésiens, voulurent se frayer une route nouvelle & s'égarerent. Ces deux hommes adoptèrent le faux goût de quelques Poètes Italiens, & changerent les beautés naturelles d'Opitz, en enflure & en concetti. Loin de s'attacher à exprimer le sentiment, ou à faire parler les personnages suivant leur caractère, ils ne cherchèrent qu'à éblouir par les antitheses les plus recherchées & par l'érudition la plus fastueuse. Leurs productions monstrueuses furent néanmoins admirées comme des chef-d'ceuvres; & bientôt ce mauvais goût infecta la Poésie & l'éloquence. Ils jouirent de la plus grande célébrité, & ils furent regardés comme des Génies rares qui avoient atteints la perfection. [ . . . ] Cependant Lohenstein n'étoit pas sans mérite, au milieu de son enflure & de son galimathias, on trouve souvent des pensées sublimes. M. de Haller convient que c'est la lecture de ses Poésies qui lui a fait naître l'idée de faire des vers. Lohenstein est encore Auteur d'un Roman héroïque, intitulé: Le Généreux Capitaine Arminius. Ce Roman, pour la pureté du stile, & pour le nombre oratoire, est un de nos meilleurs Ouvrages de prose; on y trouve même quelquefois une éloquence qui va jusqu'au sublime. En cela Lohenstein est pour les Allemands, ce que Balzac est pour les François. 246 245 ZSCHOKKE, Lohenstein, 248
S. 94.
[MICHAEL] HUBER, Discours préliminaire sur l'histoire de la littérature allemande, in Choix De Poésies Allemandes, Par M. [MICHAEL] HUBER. Tome Premier. A Paris, chez Humblot, Libraire, rue Saint-Jacques, près Saint-Ives. M . D C C . L X V I . Avec Approbation & Privilège du Roi, S. I X - X L I V , hier S. X X I X - X X X . Einen kurzen A b r i ß der deutschen Literaturgeschichte hatte das französische Publikum bereits im Journal Étranger lesen können, w o Junker seinen Essay Sur la Poésie Allemande veröffentlicht hatte. In dieser Darstellung wird Lohenstein nur zusammen mit H o f f mannswaldau, der »un sot« genannt wird, und mit Neukirch erwähnt; nadi Junker
III.
386
Kapitel
Auch in einer anderen für das französische Publikum geschriebenen A b handlung, der Dissertation sur l'Origine, Théâtre Allemand
les Progrès & l'Etat actuel du
( 1 7 7 2 ) , die von Georg Adam Junker und Liébault als
Einführung zu einer Sammlung der besten deutschen Dramen in französischer Übersetzung veröffentlicht wurde, erscheint das negative Urteil hätten alle drei sträflicherweise den von dem »großen Opitz« vorgezeichneten Weg verlassen ([GEORG ADAM] JUNKER, Essai Sur la Poésie Allemande, in »Journal Étranger. Septembre 1 7 6 1 . Dédié A Monseigneur Le Dauphin, Par M. l'Abbé Arnaud. A Paris, diez Jacques-François Quillau. M . D C C . L X I . Avec Approbation & Privilege du Roi«, S. 95-148, hier S. 98. Junkers Essay übte einen gewissen Einfluß auf Michael Huber aus, dessen Discours préliminaire von Chr. D. Ebeling übersetzt und in verschiedenen Punkten durch eine Reihe von Informationen erweitert wurde. Die Stellen aus Huber lauten in Ebelings Übersetzung und nach dessen Bearbeitung wie folgt: »Hoffmannswaldau und sein treuer Schüler Daniel Caspar Lohenstein, zwey schlesische von Adel, welche ansehnliche Bedienungen im Breslauischen Rathe bekleideten, wolten sich einen neuen Weg bahnen und verirrten. Diese nahmen den falschen Gesdimack einiger italienischen Dichter, sonderlich des Marino an, und verkehrten Opitzens natürliche Schönheiten, in Schwulst und spitzfündigen Witz. Anstatt Empfindungen auszudrücken, oder die Personen nach ihren Charactern reden zu lassen, suchten sie nichts als durch die gesuchtesten Antithesen, durdi übertriebene Metaphern, gehäufte übelpassende Gleichnisse, und durch neue höchst prahlerische Gelehrsamkeit zu blenden. Der letzte Fehler ist besonders Lohenstein eigen, der freylich ausgebreitete Kenntnisse, besonders in der Geschichte besaß, die neuern Sprachen gut verstand und lange gereiset hatte. Sein heroischer Roman Arminius [s. Discourse der Mahler 3ter Theil, S. 105.f. wo der Arminius strenge und richtig beurtheilet wird.], und besonders seine Trauerspiele (davon er schon im fünfzehnten Jahre drey verfertigte), sind so voll gelehrter Anspielungen, daß man sie nicht ohne Nachlesen der starken Anmerckungen verstehen wird. Daher haben sie auch niemals können aufgeführet werden. Man hat auch einige Lobreden von ihm, in sehr hochtrabender Schreibart [. . . ] ihre [von Hoffmannswaldau und Lohenstein] ungeheure Schriften wurden als Meisterstücke und Werke seltener Genies angesehen, die die Vollkommenheit erreicht hätten. Vor allen wurden Hofmannswaldaus Heldenbriefe, so wie auch seine Liebeslieder bewundert. Seine Übersetzung des Guarini und des sterbenden Sokrates vom Theophile, hatten auch vielen Beyfall. Dieser verderbte Geschmack steckte bald die Dichtkunst und Beredsamkeit an; in kurzem schwärmten alle deutsche Dichter, welche alle diese beyden Männer zu Mustern nahmen, in Prose und Versen hoch daher. Lohenstein hatte seine Verdienste; mitten unter seinem Schwulste und Galimathias findet man oft erhabene Gedanken. Haller gesteht, daß ihm das Lesen des Lohensteins die Idee gegeben habe, Verse zu machen. Sein Arminius ist in Ansehung der Reinigkeit des Styls und des oratorischen Numerus eines unserer besten Werke in Prosa; man findet sogar bisweilen eine Beredsamkeit darin, die bis zum Erhabenen steigt. Von dieser Seite ist Lohenstein das, was Balzac für die Franzosen ist« ( [ M I C H A E L H U B E R - CHRISTOPH DANIEL EBELING,] Kurie
Geschichte
der
deutschen
Dichtkunst, in »Hannoverisches Magazin, worin kleine Abhandlungen, einzelne Gedanken, Nachrichten, Vorschläge und Erfahrungen, so die Verbesserung des Nahrungs-Standes, die Land-und Stadt-Wirtschaft, Handlung, Manufacturen und Künste, die Physik, die Sittenlehre und angenehmen Wissenschaften betreffen, gesamlet und aufbewahret sind. Fünfter Jahrgang, vom Jahre 1767. Hannover, gedruckt bey H . F. C. Schlüter, Landschaftl. Buchdrucker. 1768«, Sp. 1 1 4 - 1 2 8 , hier Sp. 1 2 3 - 1 2 4 ) .
Die Kritik der
Aufklärung
387
über das Theater Lohensteins durch die Anerkennung des »Talents« und des »Genies« des Dichters gemildert. [ G r y p h i u s & Lohenstein] subtituerent l'esprit au sentiment, le f a u x brillant au sublime, & inonderent le Théâtre A l l e m a n d de Pieces plus insupportables encore que les farces insipides & les Drames pédantesques qui parurent en même-temps. L e goût que les Allemands prirent aux Ouvrages de Marino
&
d'autres poëtes Italiens de la même trempe, les détourna du v r a i chemin presque aussi-tôt qu'il leur avoit été f r a y é . C e goût si opposé à la simplicité de la nature se f a i t déjà sentir dans les Pieces d'André l'excès p a r Daniel
Caspar
de Lohenstein,
Gryphius;
il f u t porté à
qui en infecta presque toute l'Alle-
magne. [ . . . ] Quoique ces Pieces soient pleines de défauts monstrueux, tout n ' y est pas méprisable, & nous nous réservons d'en faire connoître les beautés essencielles. Ces deux hommes ne manquoient ni de talens ni de génie, & ils auroient illustré la Scene Allemande, s'ils n'avoient pas été entraîné p a r le mauvais goût de leur siècle. [ . . . ] Tandis que Lohenstein & ses imitateurs se rendoient inintelligibles à force de vouloir être sublimes, il s'éleva pour ainsi dire une nouvelle secte de Poëtes dramatiques en Allemagne, qui voulant éviter l'enflure ridicule du ton de Lohenstein, donna dans le bas & dans le trivial. [ . . . ] N o u s avons dit que Lohenstein avoit infecté toute l'Allemagne du mauvais goût de M a r i n o : cependant quoique cet homme singulier f û t regardé alors comme le génie le plus sublime, il se trouva dès le commencement de ce siècle de bons esprits qui évitèrent la contagion, qui oserent ne pas l'imiter, écrivirent dans un style également éloigné de l'enflure & de la bassesse [ . . .]. 2 4 7 247
[GEORG ADAM] JUNKER-LIÊBAULT, Dissertation sur l'origine, les Progrès & l'Etat actuel du Théâtre Allemand, in Théâtre Allemand, ou recueil des meilleures pieces dramatiques, Tant anciennes que modernes, qui ont paru en langue Allemande; précédé d'une Dissertation sur l'Origine, les Progrès & l'état actuel de la Poésie Théatrale en Allemagne. Par M. M. JUNKER & LIEBAULT, Tome premier. Nouvelle Edition (1. Aufl. 1772). A Paris, Chez M. Junker, premier Professeur de Droit public, à l'École Royale Militaire. Chez Durand neveu, Libraire, rue Galande. Et diez Couturier, Imprimeur-Libraire, Quai & près l'Église des Augustins. M . D C C . L X X X V . Avec approbation & Privilege du Roi, S. 1-93, hier S. 50, 52, 54, 61. Eine Rezension zur Ausgabe von 1772 der Sammlung erschien in der in Mailand publizierten Gazzetta Letteraria (Nr. 36, 3. September 1772, S. 283-284). Es scheint, daß Junker das Versprechen, die »wesentlichen Schönheiten« von Lohensteins Theater aufzuzeigen, nicht gehalten hat. Außer dem Théâtre Allemand von Junker und Liebault erschien in Frankreich ein von Friedel herausgegebenes Nouveau Théâtre Allemand, das ebenfalls eine Einleitung mit einer kurzen Geschichte des deutschen Theaters enthält, worin Gryphius und Lohenstein die folgenden kurzen Bemerkungen gewidmet sind: »Gryphius & Lohenstein [ . . . ] se vouerent à la Tragédie. Mais avec du génie, ils nuisirent aux progrès de la scene allemande. Le ton emphatique qui regnoit dans leurs Ouvrages, éblouit & entraîna tous les esprits dans un temps où le goût n'étoit pas formé« ([ADRIAN CHRISTIAN] FRIEDEL, Histoire abrégée du Théâtre Allemand, in
388
III.
Kapitel
Fortsetzung Fußnote 247 Nouveau Théâtre Allemand. Par M. FRIEDEL, Professeur en survivance des Pages de la grande Écurie du Roi. Premier volume. A Paris. M . D C C . L X X X I I . Avec Approbation & Privilege du Roi, S. 1 - 5 4 , hier S. 6). Audi in Italien kommen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kurze geschichtliche Abrisse der deutschen Dichtung und des deutschen Theaters heraus. Die Nachrichten über Lohenstein, die sie enthalten, sind fast stets aus zweiter Hand und häufig scheinen sie den französischen Darstellungen von Michael Huber und Georg Adam Junker entnommen zu sein. Im Saggio sopra la poesia Alemanna von G. Β. Corniani heißt es: »Laenstein [sic!] e Hofmanswaldau [ . . . ] diffusero per l'Allemagna quel falso brillante, che regnava allora anche in Italia, e che aveva qui pure corrotte le sorgenti del gusto. Questi due Poeti produssero degl'imitatori, dei quali non occorre fare parole« (GIOVAN BATISTA CORNIANI, Saggio sopra la poesia Alemanna, in »Nuova raccolta d'opuscoli scientifici e filologici [hg. von Angelo Calogeri in Venedig von 175 5 bis 1774]. Tomo ventesimo sesto [opuscolo V I I ] . All'Illustriss. e Reverendiss. Möns. Mario Guarnacci Nobile Volaterrano Votante e Decano della Signatura di Giustizia di Roma. In Venezia, M D C C L X X I V . Presso Simone Occhi. Con Licenza de' Superiori, e Privilegio«, S. 1 - 5 0 , hier S. 10). (Die Stelle heißt in deutscher Ubersetzung: »Laenstein [sic!] und Hofmannswaldau [ . . .] verbreiteten in Deutschland jenen falschen Glanz, der damals auch in Italien herrschte und der auch hier die Quellen des guten Geschmackes verdorben hatte. Diese beiden Dichter fanden Nachahmer, die nicht der Rede wert sind«). Pietro NapoliSignorelli schreibt in der Storia Critica De' Teatri, nachdem er von den Tragödien des »durch Marinos Geist infizierten« Gryphius gesprochen hat: »Ii mal gusto di siffatti componimenti giunse all'eccesso per mezzo di Daniel Gasparo di Lobenstein. Egli compose cinque Tragedie, Epicari, e Agrippina, pubblicate nel i 6 6 j , Ibraim nel 1673, e Sofontsba, e Cleopatra nel 1682 [sic!] le quali, benché piene di mostruosità, presentano di quando in quando alcuni lampi d'ingegno non dispregevoli. Uno de' più noti imitatori di Lohenstein fu Giovanni Cristiano Hallmann [ . . . ] . Alla ridicola gonfiezza de' nominati Drammatici [si lusingò] [ . . . ] di far argine Cristiano Weisse [...]« (Storia Critica De' Teatri Antichi e Moderni Libri III. Del Dottor D. PIETRO NAPOLI-SIGNORELLI. Dedicata All'Eccellentissimo Signore D. Giambattista Centurione Grande di Spagna [ . . . ] . In Napoli M D C C L X X V I I . Nella Stamperia Simoniana. Con Licenza de' Superiori, S. 287-288). (Das Zitat lautet auf deutsch: »Der schlechte Geschmack von dergleichen Werken erreichte den Gipfel durch Daniel Caspar von Lohenstein. Er verfaßte fünf Tragödien: Epicharis und Agrippina wurden 1665 publiziert, Ibrahim 1673, Sophonisbe und Cleopatra 1682 [sie!]. Wenngleich diese voller Ungeheuerlichkeiten sind, enthalten sie dodi dann und wann einige nicht zu verachtende Geistesblitze. Einer der bekanntesten Nachahmer Lohensteins war Johann Christian Hallmann [ . . . ] . Christian Weisse [schmeichelte sich], der lächerlichen Geschraubtheit der genannten Dramatiker [ . . . ] Einhalt zu gebieten [ . . . ] . « ) Aurelio Bertòla de' Giorgi widmet Lohenstein in der Idea della poesia alemanna nur folgende ganz kurze Bemerkung: »Daniele Gaspero di Lohenstein forse più gonfio e più irregolare, ma più originale di Grifio scrisse molte tragedie, la migliore delle quali è Γ Ibraim pubblicata nel 1673 e imitata poi dai Francesi. Nel 1681 diede alla luce una Sofonisba dietro al nostro Trissino, e più a Pietro Cornelio, che avea mandato fuori la sua vent'anni prima« ([AURELIO BERTÒLA de' GIORGI,] Idea della poesia alemanna. Tomo I. Napoli. Presso i Fratelli Raimondi M D C C L X X I X , S. 31). (Die Stelle heißt auf deutsch: »Daniel Casper von Lohenstein, der vielleicht schwülstiger und unregelmäßiger, aber origineller als Gryphius war, schrieb viele Tragödien, von denen Ibrahim die beste ist, die 1673 publiziert und später von den Franzosen nachgeahmt wurde. 1681 veröffentlichte er eine Sophonisbe, nach unserem Trissino
Die Kritik der
Aufklärung
389
N i c h t alle kompilatorischen W e r k e sind bereit, die v o n Mendelssohn v e r suchte R e h a b i l i t i e r u n g L o h e n s t e i n s a n z u e r k e n n e n . V i e l e v e r h a r r e n
auf
d e n a l t e n P o s i t i o n e n G o t t s c h e d s o d e r B o d m e r s u n d B r e i t i n g e r s . S o spricht J o h a n n J a k o b Dusch im » X V I I I . Brief. V o n H o f m a n n s w a l d a u s Heldenb r i e f e n « , e n t h a l t e n i m d r i t t e n T e i l d e r Briefe
zur Bildung
des
Geschmacks
( 1 7 6 7 ) , noch ausschließlich v o m » S c h w u l s t u n d U n s i n n des L o h e n s t e i n s « 2 4 8 und v o m
» v e r d e r b t e n G e s c h m a c k des L o h e n s t e i n s « , 2 4 9 d e r » a u f
p h e r n , w i e a u f leichten B l a s e n , s c h w i m m e t « .
A u c h F r i e d r i c h T r a u g o t t H a s e f ä l l t i m Versuch deutschen
Dichtkunst
Meta-
250
einer
Geschichte
der
( 1 7 7 7 ) ein g ä n z l i c h n e g a t i v e s U r t e i l ü b e r L o h e n s t e i n .
Z w e e n Dichter dieser Zeit sind mehr durdi ihre Abweichungen v o n dem w a h ren Geschmack und durch das Aufsehen, welches sie damals machten, als durch ihre wahren Verdienste um die deutsche Dichtkunst merkwürdig, H o f f m a n n v o n H o f f m a n n s w a l d a u , und C a s p a r v o n Lohenstein, d a v o n sich der erstere durch zärtliche und witzige Gedichte, und der letztere durch ein Gedicht A r minius und durch Trauerspiele hauptsächlich bekannt gemacht; aber sie sind so voll Künsteleyen und Schwulst, daß sie durch ihre Arbeit in der T h a t dem deutschen Geschmack ungleich mehr schadeten, als nutzten. Denn da das Ü b e r triebene und A f f e k t i r t e allezeit ungleich leiditer ist, als das w a h r e eigentliche Natürliche, weil idi durch jenes sehr leicht einer schon ganz bekannten Idee, eine gewisse unbekannte Gestalt geben kann, zumal wenn sich das Geschäft dieser Umbildung unsern Gehirn schon mechanisch gemacht, welches sehr leicht geschieht; so folgte gleich ein ganzes H e e r v o n Dichtern diesem Irrlichte des Geschmacks, und es w a r mehr als ein Genie nöthig, um unser V a t e r l a n d wieder auf die rechte Bahn zu leiten. 2 5 1 und außerdem nach Pierre Corneille, der die seinige zwanzig Jahre zuvor herausgebracht hatte«). Schließlich lesen wir in einem kurzen Aufsatz, Sul teatro tedesco, der im Mercurio d'Italia erschien, folgendes: »Nel Seicento Opitz si mise a tradurre tragedie greche e a trasportarne le bellezze nella lingua tedesca. Grifico e Lohenstein però vollero imitare piuttosto Marini. Ricusarono altri la turgidezza mariniana divenuta tre volte più nauseosa in bocca de' Tedeschi: ma cercando il naturale diedero nel plebeo e nel burlesco« (Sul teatro tedesco, in »Mercurio d'Italia storico-politicoletterario«, Venezia, Vol. I, aprile 1796, S. 2 1 1 - 2 1 9 ) . (Diese Stelle lautet übersetzt: »Im 17. Jahrhundert begann Opitz griechisdie Tragödien zu übersetzen und ihre Schönheiten in die deutsche Sprache zu übertragen. Gryphius und Lohenstein zogen es jedoch vor, Marino nachzuahmen. Andere lehnten die marinistische Geschwollenheit ab, die im Munde der Deutschen dreimal so ekelhaft geworden war, aber auf der Suche nach dem Natürlichen verfielen sie ins Pöbelhafte und Burleske«). 248 [JOHANN JAKOB DUSCH,] Briefe zur Bildung des Geschmacks An einen jungen Herrn von Stande. Dritter Theil. Leipzig und Breslau, bey Johann Ernst Meyer, 1767, S. 316. Der » X V I I I . Brief. Von Hofmannswaldaus Heldenbriefen« steht auf den S. 314-324. 2 « Ebd., S. 323. 2 «o Ebd., S. 317. 251
[FRIEDRICH TRAUGOTT HASE,] Versuch einer Geschichte der deutschen Dichtkunst, in
390
III.
Kapitel
Karl August Kütner wiederholt in seinen Charakteren teutscher Dichter und Prosaisten (1780) im wesentlichen Brei tingers Kritik an Lohenstein, wenn er auch dessen echtes Dichtertalent und - unter dem Einfluß von Mendelssohns positivem Urteil - die stilistischen Qualitäten mancher Seiten aus dem Arminius anerkennt. Es ist zu verwundern, daß ein M a n n v o n so schönen natürlichen A n l a g e n , der seinen Geist in den besten Schriften aller Jahrhunderte genährt, und durch Reisen und E r f a h r u n g e n unter Menschen verfeinert hatte, so leicht und unver»Leipziger Musenalmanach aufs Jahr 1777. [Herausgegeben von Friedrich Traugott Hase]«, Leipzig, im Schwickertschen Verlage, S. I - J 2 , hier S. 40. Wie Hase spricht auch Leonhard Meister bezüglich der Dichtung Hoffmannswaldaus und Lohensteins von »Irrwischen«: »Hofmannswaldau und Lohenstein, von einigen italiänischen Dichtern erhitzt, verschmähten die gewohnte Bahn und verloren sich unter glänzenden Irrwischen. Senekas Fehler war Verschwendung an sublimirten Sprüchen und Ausdrücken [ . . . ] Lohenstein strotzte mit Gelehrsamkeit ohne Verstand, am Unrechten Orte« ([LEONHARD MEISTER,] Bey träge zur Geschichte der teutschen Sprache und National-Literatur. Erster Theil. London [in Wirklichkeit Zürich], Bey der typographischen Gesellschaft, 1777, S. 325). Ebenfalls 1777 erwähnt Westenrieder den Arminius in der Einleitung in die schönen Wissenschaften: »In Deutschland war ausser der asiatischen Banise vom Ziegler; dem Arminius vom Lohenstein De. Gellerts schwedische Gräfinn einer der vorzüglichsten, der Anfangs Aufsehen machte« (LORENZ WESTENRIEDER, Einleitung in die schönen Wissenschaften. Zum Gebrauch seiner Vorlesungen. Erster Theil [München], 1777, S. 196). Der Leipziger Musenalmanach widmete Lohenstein auch im Jahr 1782 eine kurze Charakterisierung, die viele Ungenauigkeiten enthält. Man kannte den Dichter nunmehr lediglich aus zweiter Hand: »Er [Lohenstein] brachte die besten Anlagen, unter andern auch zur Dichtkunst, mit auf die Welt, und seine Angehörigen und Vorgesetzten versäumten nichts, sie auszubilden. Lohenstein vergötterte den Hofmanswaldau, und hob ihn weit über den Opitz; schon daraus kann man auf eine Gleichheit des Gesdimaáes schließen. Lohenstein bildete sich gleichfalls nach Marino und andern neuen Italiänern, nur mit dem Unterschiede, daß er den Hofmanswaldau an Schwulst, gesuchter Schulgelehrsamkeit und unächtem Putze weit hinter sich zurück ließ. Breitinger sagt sehr richtig von ihm, daß er einen Wirth vorstelle, welcher seinen Gästen zwar alles vorsetze, was die vier Welttheile nur Theures und Seltenes haben, aber dabey nicht nur die Speisen so schlecht zurichte, versalze und überwürze, daß die Gäste bey voller Tafel vor lauter Ekel verhungern, sondern sie auch mit seiner unbescheidenen und ungestümen Prahlerey martere, und ihnen bey jedem Gerichte vorrechne, wie viel es ihm koste. Seine Gedichte sind, fünf [!] Trauerspiele, Sophonisbe, Cleopatra, Ibrahim Sultan, Ibrahim Bassa, Agrippina und Epicharis, welche der wenigen Handlung und vielen unverdauten Gelehrsamkeit wegen, nie aufgeführet worden, Blumen und Hyacinthen, zwey Sammlungen von Gelegenheitsgedichten, geistliche Gedidite und der erleuchtete Hoffmann, aus dem Französischen. Außerdem hat man von ihm Arminius und Thusnelda, einen Heldenroman in Prosa, welcher bey einzelen guten und erträglichen Stellen doch von eben dem Schwulste strotzet, von welchem alle seine Gedichte angestecket sind. Er brachte denselben aber nicht zu Ende, daher Neukirch nachmals den zweyten Theil heraus gab« (Daniel Caspar von Lohenstein, in »Leipziger Musenalmanach auf das Jahr 1782. [Herausgegeben von Engelhard Benjamin Sdiwickert] «, Leipzig, im Schwickertschen Verlage«, S. 46-47).
Die Kritik der
Aufklärung
391
brüchlidi den prunksüchtigen welschen Geschmack liebgewann, der nach Opitzen alles taumeln machte. Wenn Hofmannswaldau dem Marino nur auf die Spur kam, so erreichte Lohenstein ihn ganz; denn er ward bald der glücklichste Nachahmer aller berüchtigtsten Fehler des Italieners. Alle seine Poesien strotzen von welschem Unsinne und teutscher Pedanterey, und einzelne schöne Gedanken, die seinem Genie Ehre machen, liegen unter Haufen von frostigen Allegorien, Spitzfindigkeiten, Tiraden und dunkeln Anspielungen so tief verschüttet, daß es kaum lohnt, sie aufzuklauben. Er fieng jugendlich an zu dichten, und blieb seinen Fehlern bis ans Ende getreu. Alle Seiten seiner Schriften zeugen davon; allermeist hat er figürliche Redensarten, ungereimte Gleichnisse und den ganzen Reichthum seiner überlästigen Sdiulgelehrsamkeit in seinen Trauerspielen auf Eins zusammengehäuft. Seine Personen reden mehr, als sie handeln, und vertiefen sich in wahrhaftig tragischen Situationen in so widrige Metaphern und Sentenzen, daß man sie vergißt und nur den Dichter deklamiren hört. Am auffallendsten verräth sich sein falscher Geschmack überall durdi den Aufwand von fremdem Flitterputze, durch die unnatürliche Menge von Edelgesteinen und Spezereyen, von denen jede Zeile blinkt und duftet. Audi als Prosaist ist er original und sonderbar, und dodi fast erträglicher, denn als Dichter. In dem Arminius, einem abentheuerlichen Staats-und Heldenromane, der bey allen Mängeln der lohensteinischen Dichterey auch den der gedehntesten Weitläuftigkeit hat, sind ihm einzelne Reden und Schilderungen oft meisterhaft geglückt; ja einige verdienen als Muster einer männlichen und gedrängten Prosa ausgezeichnet zu werden. - Verführt hat der lohensteinische Geschmack viele zu unglücklichen Nachahmungen; aber auch einige unsrer besten neuern Dichter haben just diesem ihre ersten Begeisterungen zu verdanken. 252 252
[KARL AUGUST KÜTNER,] Charaktere teutscher Dichter und Prosaisten. Von Kaiser Karl, dem Grossen, bis aufs Jahr 1780. 2 Bde. Berlin 1781. bey Christian Friedrich Voß und Sohn, 1 6 9 - 1 7 3 . Als Anmerkung zu den Seiten 1 6 9 - 1 7 2 zitiert Kütner die Stelle aus Breitingers Gleichnissen, in der der Arminius mit einer Tafel voll köstlicher, aber schlecht zubereiteter und überwürzter Speisen verglichen wird. Auch Carl Friedrich Flögel ist durch Breitingers Gleichnisse beeinflußt und wiederholt dessen Beurteilung von Lohensteins Theater, aber er betont mit stärkerem Nachdruck und größerer Oberzeugung als Kütner auch die Verdienste des Dichters und sdiließt sich Mendelssohns Urteil über den Arminius an: »Er [Lohenstein] war ein frühzeitiger und sehr fähiger Kopf, dabei besaß er eine weitläufige Gelehrsamkeit, sein Unglück war, daß er dem falschen und ausschweifenden Witze der neuern Italiener, und besonders des Marino zu sehr anhieng, auch sich nach dem Seneca und Gracian zu sehr bildete; darüber verfiel er in Schwulst, und brachte seine Gelehrsamkeit am unschicklichen Orte auf eine pedantische Weise an, daß man immer den Lohenstein in den Personen reden hört, die er in seinen Schauspielen auftreten ließ; welchen Fehler man auch dem Corneille mit Recht vorgeworfen hat. Übrigens war Lohenstein gar nicht der schlechte Mann, wozu ihn einige Kunstrichter haben herabwürdigen wollen. Es kommen besonders in seiner Prosa im Arminius wahrhaftig erhabne Stellen, kernichte Ausdrücke, und eine männliche Schreibart vor, deren sich unsre besten Schriftsteller
392
III.
Kapitel
In den historisch-literarischen Kompilationen der beiden letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts setzt sich das Urteil über Lohenstein in zunehmendem Maß aus einem Sammelsurium von Gemeinplätzen der literarischen Kritik zusammen. So finden sich im Handbuch der allgemeinen Litterargeschichte (1790) von Carl Joseph Bouginé die biographischen Angaben über Lohenstein aus dem Gelehrten-Lexikon von Christian Gottlieb Jöcher und die »loci communes« über die »männliche Beredsamkeit« der Tragödien, über den »schwülstigen verdorbenen Geschmack in den Stil« und die übertriebene »Schulgelehrsamkeit« seiner Schriften. Der Arminius, dessen zweiter Teil sogar Benjamin Neukirch zugeschrieben wird (»Benjamin Neukirch lieferte den 2ten Theil, da Lohenstein nach der Ausarbeitung des ersten Theils starb«), wird »eine schwülstige, gar zu gelehrte; ermüdende Heldengeschichte« genannt.253 Auch Johann Kaspar Friedrich Manso verrät in der Kurzen Übersicht der Geschichte der deutschen Poesie (1792) eine recht oberflächliche Kenntnis Lohensteins, die ihn behaupten läßt, daß von diesem niemals eine Tragödie aufgeführt worden sei. (»So beliebt er war, so konnte doch nie ein Stück von ihm auf das Theater gebracht werden, weil es selbst für den gelehrtesten Mann eine wahre Unmöglichkeit ist, ihn ohne Commentar zu verstehen.«) Als er dann von Hoffmannswaldau und Lohenstein spricht, äußert er die Meinung, beide hätten - durch die italienische Dichtung (von nicht schämen dürften; ob ich gleich seinen übrigen Fehlern gar nicht das Wort rede. Das ist der Fehler vieler Kunstrichter seit je her gewesen, daß sie geschwind einige Irrthümer aufraffen, welches gewiß die schlechteste Kunst eines Gelehrten ist, deßwegen einen Schriftsteller verschreien, und das Gute, was er an sidi hat, unberührt laßen. Durch dergleichen einseitige und schiefe Urtheile sind schon viele Männer abgeschreckt worden, ihre schriftstellerischen Talente weiter auszubilden, und der Welt nützlich zu werden, denen der Kritikaster nicht werth war die Schuhriemen aufzulösen. So sehr Lohenstein audi ist verschrieen worden, so haben doch einige unsrer besten Dichter ihm ihre erste Bildung zu verdanken, worunter der große Dichter Herr von Haller einer der vornehmsten ist.« (CARL FRIEDRICH FLÖGEL, Geschichte der komischen Litteratur. 4 Bde. Liegnitz und Leipzig, bey David Siegert. 1 7 8 4 - 1 7 8 7 , IV, 3 1 5 - 3 1 6 ) . Lediglich auf die Übernahme der oben erwähnten Stelle aus den Gleichnissen von Breitinger reduziert sich das Urteil über Lohensteins Stil, das in dem A b schnitt steht, den Peuker in den Nachrichten »Daniel Caspar von Lohenstein« widmet ([JOH. GOTTL. PEUKER,] Kurze biographische Nachrichten der vornehmsten schlesischen Gelehrten die vor dem achtzehnten Jahrhundert gebohren wurden, nebst einer Anzeige ihrer Schriften. Grottkau, im Verlag der Evangelischen Schulanstalt. 1788, S. 71-71). 253 CARL JOSEPH BOUGINÉ Hochfärstl. Badischen Kirchenraths und ordentlichen Professors der Gelehrtengeschicbte auf der Fürstensdiule zu Carlsruh Handbuch der allgemeinen Litterargeschichte nach [Christoph August] Heumanns Grundriß. Dritter Band. Zürich, bey Orell, Geßner, Füßli und Comp. 1790, S. 1 7 2 - 1 7 3 .
Die Kritik der
Aufklärung
393
Marino und Guarini) verführt - »in kurzer Zeit unser Vaterland mit einer Fluth von Heroiden, Trauerspielen und Helden-und Ritterromanen, in denen sie Schwulst für Erhabenheit, abgeschmackte Bilder, Gleichnisse und Antithesen für den Ausdruck wahrer Empfindungen und Leidenschaften, Witzeleyen für Gefühle und schale Gelehrsamkeit für Gedankenfülle verkauften«, übersdiwemmt. Um schließlich den Geist der Dichtung Lohensteins und seiner Anhänger zu charakterisieren, zitiert Manso aus Breitingers Gleichnissen die Stelle, wo der Arminias mit einem Mahl voll köstlicher, aber schlecht gewürzter und schlecht zubereiteter Speisen verglichen wird. Mit diesem Roman »erweckte [Lohenstein] [ . . . ] ein Heer von Nachfolgern, die, so unglaublich es scheint, ihn an Schwulst und Unsinn oft noch übertreffen, ohne ihn in den einzelnen Schönheiten zu erreichen«.254 Noch oberflächlicher kennt Johann August Eberhard Lohenstein, dem er die Autorschaft der Romane Herkules (1659/60) und Herkuliskus (I66J) von Andreas Heinrich Bucholtz zuschreibt.255 254
[JOHANN KASPAR FRIEDRICH MANSO,] Kurze Übersicht der Gesàichte der deutschen Poesie, in Nachträge zu Sulzers allgemeiner Theorie der schönen Künste. Charaktere der vornehmsten Dichter aller Nationen; nebst kritischen und historischen Abhandlungen über Gegenstände der sdoönen Künste und Wissenschaften von einer Gesellschaft von Gelehrten. Ersten Bandes zweytes Stück. Leipzig, im Verlage der Dykisdien Buchhandlung. 1792, S. 253, 241, 244. Auch in der Allgemeinen Theorie der Schönen Künste selbst finden sich negative Urteile über Lohenstein. So liest man im Artikel »Heroide«, in den Werkausgaben von Lohenstein stünden »Heldenbriefe, die eben so schwülstig als platt sind« (JOHANN GEORG SULZER, Allgemeine Theorie der Schönen Künste in einzeln, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden, Artikeln abgehandelt. Zweyter Theil. Neue vermehrte zweyte Auflage. Leipzig, in der Weidmannschen Buchhandlung, 1792, Sp. 576a). Im Artikel »Sonnet« steht hingegen, in den Ausgaben von Lohensteins Werken gebe es auch »Sonette, die durch Plattheit eben so ekelhaft sind, als durch Schwulst« (JOHANN GEORG SULZER, Allgemeine Theorie der Schönen Künste in einzeln, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden, Artikeln abgehandelt. Vierter Theil. Neue vermehrte zweite Auflage. Leipzig in der Weidmannschen Buchhandlung, 1794, Sp. 43 jb). Im Jahr 1794 erscheinen auch die Abschnitte aus deutschen und verdeutschten Schriftstellern zu einer Anleitung der Wohlredenheit besonders im gemeinen Leben geordnet von
J.[OHANN]
H.[EINRICH]
L.[UDVIG]
MEIEROTTO. B e r l i n
1794.
In
der
Königl.
Preuß. Akadem. Kunst-und Buchhandlung, in denen einige kurze Stellen aus dem Arminius angeführt sind (vgl. S. 3 1 1 , 318, 347 und $59), und die Hamburgische Theater-Geschichte. Hamburg 1794. Auf Kosten des Verfassers, und gedruckt bei J . P. Treder, in der es heißt: »Der schwülstige, falscherhabne Geschmack Lohensteins, des Nachahmers des Marino, und seiner Nachfolger in Deutschland hatte die mehrsten Köpfe unter den damaligen Opermachern verrückt« (S. 149). 255
Im Artikel »Roman« der Nachträge zu Sulzers allgemeiner Theorie behauptet J . A. Eberhard in der Tat, als Nachahmungen der französischen Romane der Scudéry, Gombervilles und La Calprenèdes seien »in Deutschland Lohensteins Heldenromane,
III.
394
Kapitel
Schon Christian Friedrich Daniel Schubart hatte in den wenigen Zeilen über den Barockroman in seinen Vorlesungen ten für Unstudierte
über die schöne
Wissenschaf-
( i 7 7 7 ) , w o er die R o m a n e v o n Bucholtz H a p p e l z u -
schrieb, gezeigt, w i e ungenau man die deutsche Literatur des 1 7 . J a h r h u n derts damals kannte: »Herkules und V a l i s k a , und Herculiscus v o n H a p p e l sind ungeheure R o m a n e ; noch ungeheurer aber ist: A r m i n i u s v o n L o h e n stein, w o r i n n doch oft so glückliche, im w a h r e n historischen Stile geschrieben, Stellen v o r k o m m e n , daß ihn sogar Mendelssohn in den Berliner L i t teraturbriefen als Muster anpreißt.« 2 5 6 I m K a p i t e l » V o m Trauerspiele« der Vorlesungen
hatte Schubart dem
Barocktheater hingegen folgende W o r t e gewidmet: »Lohenstein gieng auf Stelzen. Seine schwülstige, nonsensikalische, abentheurliche Schreibart ist so z u m Sprüchworte geworden, daß man Bombast noch itzt Lohensteinisch nennt. G r y p h , der unter die V ä t e r der deutschen Schaubühne gezehlet w i r d , folgte ihm nach [ ! ] . « 2 5 7 D a dies im letzten Viertel des 1 8 . Jahrhunderts der Kenntnisstand der Fachgelehrten in der Barockliteratur w a r , setzt es uns in Erstaunen, w e n n Herkules und Herkuliskus, Arminius und Thusnelda, worin das Abentheuerliche der Handlung noch mit dem Schwulste der Schreibart, dem falschen Glänze des Cavalier Marino und mit Anspielungen auf Charaktere und Begebenheiten der damaligen Höfe versetzt wurde«, entstanden ([JOHANN AUGUST EBERHARD,] »Roman«, in Charaktere der vornehmsten Dichter aller Nationen; nebst Kritischen und historischen Abhandlungen über Gegenstände der schönen Künste und Wissenschaften von einer Gesellschaft von Gelehrten. Ersten Bandes erstes Stück, S. 38-44, hier S. 43). In einer italienischen Rezension über die ersten beiden Bände der Nachträge wird der oben zitierte Passus Eberhards folgendermaßen entstellt: »Parlando in seguito di altri scrittori di romanzi [Eberhard] f a menzione di Lohenstein autore di stile assai gonfio, die ha scritto l'Ortensia [!] e l'Atterrito [!], l'ornamento delle quali due opere fu tratto per la maggior parte dai fatti e dalle idee degli antichi. L'A. vi rimarca il buono e il cattivo con qualche asprezza« (was übersetzt bedeutet: »Als er [Eberhard] anschließend von anderen Romanschriftstellern spricht, erwähnt er Lohenstein, einen Autor mit sehr schwülstigem Stil, der die Ortensia [!] und den Atterrito [!] geschrieben hat. Das Ornamentale dieser beiden Werke wurde zum großen Teil aus Geschehnissen und Vorstellungen der Alten bezogen. Der Autor hebt darin das Gute und das Böse mit einer gewissen Schärfe hervor«), (Rezension zu: Nachträge zu Sülzets allgemeine Theorie der sdiönen Künste, oder Charaktere der ec. Ricerche intorno alla teoria generale di Sulzer sulle belle-arti, ossia carattere de' principali poeti di tutte le nazioni. Con illustrazioni critiche e storiche. Opera di una società di letterati. Tomo primo. Lipsia. 1792. Tomo secondo. Lipsia. 1793. in 8vo. gr., in »Memorie per servire alla storia letteraria e civile«, Anno M D C C X C I V . Novembre, S. 1 - 1 2 , hier S. 2 - 3 ) . 25e Vorlesungen über die schöne Wissenschaften für Unstudierte [CHRISTIAN FRIEDRICH D A N I E L ] SCHUBART. Herausgegeben 257
gen Zuhörer. Augsburg 1777, S. 88. Ebd., S. 38.
von Herrn
von einem
seiner
Professor ehmali-
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Aufklärung
395
wir in einem Organ für Buchhändler aus dieser Zeit ein Zeugnis für ein deutlicheres Interesse am Arminias finden. Im »X. Stück. Hamburg, den j . M ä r z , 1778« der Buchhändlerzeitung wird nämlich »eine Beurtheilung von Lohensteins Arminius, diesem durch neuere geistlose Hirn-Geburten so unbillig verdrängten Buche« als dringlich hingestellt.258 Das letzte Dokument zur Rezeptionsgeschichte Lohensteins im 18. Jahrhundert besteht aus einigen Seiten der Vorlesungen über die Geschichte der deutschen Poesie (1798-1800) von Johann Adolph Nasser, in denen dieser über den Dichter ein sehr strenges Urteil fällt, das allerdings auch eine Anerkennung seines »Genies« und der Qualität seines Werkes enthält. Daniel Casper von Lohenstein, ein Dichter, der, wenn er so viel Geschmack, als Genie und Gelehrsamkeit besessen hätte, sicher eine sehr ehrenvolle Stelle in der Geschichte unserer Poesie würde eingenommen haben, ietzt aber kaum ein anderes Verdienst hat, als dieses, daß er uns nie vergebens suchen läßt, wenn wir etwa einmal Beispiele eines ausgearteten Geschmacks oder des poetischen Unsinns aus ihm entlehnen wollen. Seine Gedichte strotzen von den Schätzen seiner großen Gelehrsamkeit und man mögte sagen, daß er alle Reiche der Natur und das ganze Gebiet des menschlichen Wissens zu ihrer Ausschmückung geplündert habe. In seinen Trauerspielen wird man kaum eine Seite aufschlagen, wo man nicht Gold und Silber, oder Marmor, Alabaster, Perlen, Korallen, Diamanten, Smaragde, Rubinen, Topasen und andere Edelsteine, Rosen, Lilien, Tulpen, Veilchen, Narzissen oc. Bisam, Ambra, Weihrauch, Salz, Zucker, Wermuth, Galle, Ysop, Aloe, oder dergleichen antrifft. Außerdem reden seine Personen so gelehrt, so gesucht und zum Theil so schwülstig, daß man sich nach der Unterhaltung mit ihnen wie von einem Schwindel ergriffen fühlt. So ist es in den frühern, wie in den spätem Produkten seiner Muse. Die Ursache dieses falschen Geschmacks ist zum Theil in den Mustern, die sich Lohenstein zum Vorbilde wählte, - unter den Italienern waren Marino und Guarini, unter den Lateinern Seneka seine Lieblingsschriftsteller - zum Theil in seiner Eitelkeit und in dem Beifall zu suchen, den der unnatürliche Ton unter seinen Landsleuten fand, ein Beifall, der sich lange Zeit erhalten hat, und noch zu Anfange dieses Jahrhunderts mehrern, in Lohensteins Manier verfertigten, Produkten in reichem Maaße zu Theil ward. Gerne gestehe ich es Ihnen, meine Herren, daß mir nicht leicht eine Arbeit so ekelhaft geworden ist, als das Durchlesen dieser, etwa vier Alphabete starken 258 Rezension z u : Wodan. Erstes Stück. 4 Octav-Bogen. Hamburg bey ]. P. C. Reuß, 1778, in »Buchhändlerzeitung auf das Jahr 1778. Erster Jahrgang«. Hamburg, in der Heroldschen Buchhandlung, S. 152-156, hier S. 155-156. Zur Buchhändlerzeitung vgl. REINHARD WITTMANN, Die frühen Buchhändlerzeitschriflen als Spiegel des literarischen Lebens, in »Archiv für Geschichte des Buchwesens« 13 (1973), Sp. 613-932.
396
III. Kapitel
Sammlung [Breßlau 1689]. Nur äußerst selten findet man einen guten und glücklich ausgedrückten Gedanken und noch seltner ein ganzes Gedicht, bei welchem man mit Vergnügen verweilt, nachdem man sich lange genug durch den abgeschmacktesten Wust hindurch gearbeitet hat. Aber wahr ist es wieder, daß man nicht leicht einige Seiten durchlesen wird, ohne sich zu dem Bekenntniß gezwungen zu fühlen, der Mann habe etwas besseres leisten können, wenn er nicht zu sehr dem Geschmack seiner Zeiten gefröhnt hätte.259 Nasser zitiert Verse aus der Sophonisbe (I, 2 1 5 - 2 3 0 , 2 7 5 - 2 8 7 ; I I , 1 3 6 1 4 2 , 3 8 3 - 3 9 0 , 4 2 0 - 4 3 6 ; I V , 3 7 7 - 3 8 9 ) , der Cleopatra (I, 4 5 7 - 4 6 6 , 8 6 0 872; I V , 5 4 0 - 5 7 1 ) und aus den Thränen (»Thränen der Mutter Gottes unter dem Creutze des Herren«, V . 1 - 6 ; »Thränen D e r Maria Magdalena zu den Füssen Unsers Erlösers«, V . 1 - 8 ) und beschließt dann seine Lohenstein gewidmeten Seiten folgendermaßen: Doch genug und vielleicht schon zu viel von einem Dichter, der sich so unverantwortlich gegen den guten Geschmack versündigt hat. Moses Mendelssohn hatte einmal von ihm gesagt: »Lohenstein hat sein Gutes, was bekannter zu sein verdient«. Aber, damit man ihn nicht mißverstehen möge, erklärt er [ . . . ] , daß bei diesem Urtheile nur von einem prosaischen Werke Lohensteins die Rede gewesen sei, nämlich von seinem Roman: Arminius und Thusnelda. In diesem Romane kommen wirklich vortrefliche Stellen vor, wie auch Mendelssohn schon einige dergleichen angeführt hat. Aber wenn er in Versen spricht, so ist er um nichts besser, als in seinen übrigen Gedichten.260 Die im vorliegenden Kapitel analysierten Dokumente aus den Jahren, die zwischen der Publikationszeit des zweiten und dritten Teils der Discourse der Mahlern ( 1 7 2 2 ) und des zweiten Bandes der Vorlesungen von J . A . Nasser liegen (1800), zeigen, wie weitgehend die allgemeinen ästhetischen Normen der A u f k l ä r u n g die Rezeption von Lohensteins dichterischem Werk in dieser Periode bestimmen. Die radikale Veränderung der ästhetischen Maßstäbe, die sich im Lauf des 18. Jahrhunderts vollzog, machte die >Lektüredeutschen< Studenten der Universität O r l é a n s enthielt g e m ä ß einem 1664 angelegten K a t a l o g (Catalogus librorum qui Aureliae in bibliotheca germanicae nationis exstant confectus anno 1664. A u r e l i a e apud A n t . Rousselet) 209 R o mane (zum Bereich der Rechtswissenschaften gehörten 1385 W e r k e , zur Theologie 328, zur M e d i z i n 74, z u den Staats Wissenschaften 264, zur schönen Literatur 8 j o , zur M a t h e m a t i k 63, z u Geschichte und G e o g r a p h i e 873; 307 w a r e n L e x i k a und G r a m matiken). D i e Lektüre dieser R o m a n e , unter denen alle W e r k e der damals modernen A u t o r e n w a r e n , begeisterte die Studenten sicherlich am meisten. W i e der Bibliothekar 1678 klagte, verschwanden in der T a t viele R o m a n e - aber kein einziges W e r k anderer A r t ! - aus dieser Bibliothek. V g l . CH. CUISSARD, La Bibliothèque de la nation germanique à l'Université d'Orléans, in »Centraiblatt f ü r Bibliotheks-Wesen« 9 (1892), 8-21).
Die Kritik der
Aufklärung
411
18. Jahrhunderts300 die bevorzugte Lektüre des literarischen Publikums darstellt, wird jetzt durch »vernünftige« Romane ersetzt, die das Schöne u n d R e i t z e n d e der T u g e n d u n d U n s c h u l d u n m i t t e l b a r o d e r m i t t e l b a r z u r A b s i c h t h a b e n , den guten Geschmack verbessern h e l f e n , u n d die R e i n i g k e i t u n d Schönheit der S p r a c h e erheben, d a m a n b e y den e t w a s ä l t e r n R o m a n e n f a s t k e i n e a n d e r e Absicht, als die L i e b e des V e r f a s s e r s z u a b e n theuerlichen, w u n d e r l i c h e n u n d unmöglichen Geschichten b e m e r k e n k a n .
Die Moralische Wochenschrift Der Redliche (1751), der die soeben zitierte Stelle entnommen ist, zählte in ihrem Katalog einer idealen Frauenbibliothek folgende »vernünftige« Romane auf: die Pamela (Pamela, oder die belohnte Tugend, Hamburg 1742 oder Leipzig 1743 und 1750) 301 und die Clarissa (Geschichte der Ciarisse, eines vornehmen Frauenzimmers. Aus dem Englischen übersetzt [von Johann David Michaelis'], Göttingen 1748 [2. Aufl. 1749]) von Richardson, das Leben der schwedischen Gräfin von G** von Geliert (Leipzig 1746-1748), die Lebensgeschichte des Dechants von Killerine (Frankfurt und Leipzig 1742) und Der englische Weltweise oder Historie des Herrn Clevelands (Berlin 1736-1740; 2. Aufl. 1741) von Antoine-François Prévost und schließlich Fénelons Télêmaque. Auch zahlreiche moralisdie und literarische Zeitschriften werden im Redlichen zur Lektüre empfohlen: Der Zuschauer (Leipzig 1739—1743 und Leipzig 1744), Die Zuschauerin (Hannover 1747-1748), Der Aufseher oder Vormund (Aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von L. A. V. Gottsched, Leipzig 1745), Der Mahler der Sitten, Der Patriot, Die vernünftigen Τadlerinnen, Die Belustigungen des Verstandes und des Witzes (Leipzig 1741-1745), Der Gesellige (Halle 1748-1750), Der Jüngling (Leipzig 1747-1748), Der Freydenker;302 Neue Beiträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes (Bremen und Leipzig 1744-1748), Einleitung in die Monatsschriften der Deutschen (Erlangen 1747-1752), Sammlung soo Nach Alwin Schultz, der sich bei seiner Rekonstruktion des Lebens der Frau zu Beginn des 18. Jahrhunderts auf das Frauenzimmer-Lexicon von Gottlieb Siegmund Corvinus (Amaranthes) stützte, bestand die Lieblingslektüre des weiblichen Publikums, soweit sie Romane betraf, aus der Asiatischen Banise von Zigler, dem Arminius von Lohenstein, der Astrée von d'Urfé, den Werken der Madeleine de Scudéry, Anton Ulrichs von Braunschweig, August Bohses und Hunolds (vgl. Alltagsleben einer deutschen Frau zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts von Dr. ALWIN SCHULTZ, Professor der Kunstgeschichte an der Κ. K. deutschen Universität zu Prag. Mit 33 Abbildungen. Leipzig Verlag von S. Hirzel 1890, S. 1 3 3 - 1 3 4 ) . soi Mattheson ist der Übersetzer der Hamburger Ausgabe von 1742, Jacob Schuster derjenige der Leipziger Ausgabe von 1743 (2. Auflage 1750). 802 Diesen Titel tragen drei Moralische Wochenschriften. Die erste erschien 1735 in Göttingen, die zweite in den Jahren 1741/43 in Danzig und die dritte 1742 in Berlin.
412
III.
Kapitel
Critischer, Politischer, und andrer geistvollen Schriften, Zur Verbesserung des Urteils und des Wizes in den Werken der Wolredenheit (Zürich 1 7 4 1 1744)· D a Der Redliche dieses letztere Werk empfiehlt, das nicht eigentlich eine Zeitschrift, sondern eine von Bodmer herausgegebene Sammlung von kritischen Aufsätzen und Schmähschriften ist - von denen viele die Fehde mit Gottsched betreffen - , gibt er sich in Sachen Literarästhetik deutlich als Anhänger der Schweizer zu erkennen. Bestätigt wird diese Hypothese auch durch die Rubrik »Lehrbücher« im Katalog. Dort werden die folgenden Werke aufgeführt: Anweisung, wie man die frey en Künste lehren und lernen soll (übersetzt von Johann Joachim Schwabe, Leipzig 173 8 ; 2. Ausg. 1750) von Charles Rollin; Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften und Künste, Beurtheilung der Gottschedischen Dichtkunst und Gedanken von Scherzen von Georg Friedrich Meier; Critische Dichtkunst und Critische Abhandlung von der Natur, den Absichten und dem Gebrauche der Gleichnisse von Breitinger; Critische Betrachtungen über die Poetischen Gemähide der Dichter und Critische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie von Bodmer; Regeln der Satyre (Jena 1750) von Johann Andreas Grosch. Aus dem Bereich der schönen Literatur empfiehlt Der Redliche die Lektüre der Fabeln von Daniel Stoppe, Geliert und Hagedorn und der Gedichte von Besser, Haller, Bodmer, Hagedorn, Gleim, Samuel Gotthold Lange, Immanuel Jakob Pyra, Christoph Dietrich von Böhlau, Klopstock {Messias), Milton (Verlohrnes Paradies), Ewald Christian von Kleist {Der Frühling, 1749), der Satiren von Swift, Holberg und Liscow, der Komödien von Holberg 303 und Geliert und der von Gottsched herausgegebenen, in der Deutschen Schaubühne gesammelten Theaterstücke (Leipzig 1740-174 j). Schließlich wird die Lektüre der ebenfalls von Gottsched herausgegebenen Schriften der deutschen Gesellschaft in Leipzig (Leipzig 1730-1739), der Kleinen Schriften von Johann Michael von Loen und der Moralischen Abhandlungen {aus dem Dänischen. 2 Thle. Copenhagen 1744) von Holberg empfohlen.304 303 De Politische Kannengehter (Hamburg und Leipzig 1743) von Holberg enthält eine Szene, in der der Barockroman satirisch behandelt wird (erwähnt werden Herkules und Herkuliskus von Bucholtz), und z w a r wegen seines Anspruchs, die Kunst der Politik zu lehren [De Politische Kannengehter. Die niederdeutsche Übersetzung von LUDWIG HOLBERGS Politischem Kannengießer herausgeg, von C. Borchling, Norden u. Leipzig 1924 ( = Drucke des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung, V I ) , S. 8]. 304
Vgl. Der Redliche, Eine Wochenschrifi. 17$ i, S. 193-204.
Nürnberg, in Commißion bey Stein und Raspe.
Die Kritik der Aufklärung
413
Die Wirkungskraft der Moralischen Wochenschriften, die durch ihre Förderung und Verbreitung einer neuen ästhetisch-literarischen Erziehung 305 einen Faktor von ungeheurer Wichtigkeit bei der Geschmacksbildung des literarischen Publikums der mittleren Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts und auch bei der Umwandlung der Buchproduktion darstellen, zeigt sich auch in der von ihnen angeregten306 Einrichtung von Lesezirkeln (auch Lesekabinette oder Lesegesellschaften genannt). Diese Lesezirkel führen zu einer wesentlichen Veränderung der zweiten Phase innerhalb des literarischen Kommunikationsprozesses, der drei Komponenten umfaßt: Produktion (Autor), Verteilung (Buchhändler) und Rezeption (Publikum). Mit den Lesegesellschaften307 und später mit den Leihbibliotheken308 wird die Verbreitung der Literatur - die nicht mehr wie im 17. Jahrhundert ausschließlich den Buchhändlern obliegt - , außerordentlich intensiviert, und das Buch erreicht soziale Schichten, die früher vom Kreislauf der Literatur teilweise ausgeschlossen waren. Die Kommerzialisierung des literarischen Lebens, die in England mit den journalistischen Versuchen Addisons und Steeles809 begonnen hatte und sich in Deutschland mit der Nachahmung von deren Zeitschriften fort805 Vgl. hierzu MARTENS, Die Botschaft der Tugend, S. 4 5 6 - 4 6 1 . so« Vgl, ENGELSING, Der Bürger als Leser, Sp. 298. »07 Uber die Lesegesellsdiaften vgl. PRÜSENER, Lesegesellschaflen im achtzehnten Jahrhundert; BARNEY M. [ARTIN] MILSTEIN, Eight Eighteenth Century Reading Societies. A Sociological Contribution to the History of German Literature, Bern and Frankfurt/M. 1972 ( = German Studies in America, X I ) ; ALOIS JESINGER, Wiener Lekturkabinette, Wien 1928; KLAUS GERTEIS, Bildung und Revolution. Die deutschen Lesegesellschaften am Ende des iS. Jahrhunderts, in »Archiv für Kulturgeschichte« 53 ( 1 9 7 1 ) , 1 2 7 - 1 3 9 ; C A R L H A A S E , Der
Bildungshorizont
der
norddeutschen
Kleinstadt
am Ende des 18. Jahrhunderts. Zwei Bücherverzeichnisse der Lesegesellschaften in Wunstorf aus dem Jahre 1794, in Festschrift Hermann Aubin. Zum 80. Geburtstag. Herausgegeben von Otto Brunner, Hermann Kellenbenz, Erich Maschke, Wolfgang Zorn. Band II, Wiesbaden 1965, 5 1 1 - 5 2 5 ; ENGELSING, Der Bürger als Leser, Sp. 2 9 5 -
3 20 ·
sos 2 u den Leihbibliotheken vgl. GOLDFRIEDRICH, Geschichte des deutschen Buchhandels (1740-1804), S. 25 5—264 ; MATTHIAS WELLNHOFER, Die Anfänge der Leihbibliotheken und Lesegesellschaflen in Bayern [Traunstein 1949] ; IRENE JENTSCH, Zur Geschichte des Zeitungslesens in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts. Mit besonderer Berücksichtigung der gesellschaftlichen Formen des Zeitungslesens, Diss. Leipzig 1 9 3 7 ; und RICHARD SCHMIDT, Theorie der Leihbücherei. Ihr Wesen, ihre Geschichte, ihre Gestalt. Vorträge und Aufsätze. Herausgegeben von Wilhelm Vosskamp, DortmundMarten [1954], S. 7 7 - 1 8 4 . Über die Leihbibliotheken bereiten Georg Jäger, Alberto Martino und Wolfgang v o n Ungern-Sternberg eine Monographie vor. 300 Vgl. ALEXANDRE BELJAME, Le public et les hommes de lettres en Angleterre au 18e siècle, Paris 1881 ; und ARTHUR S. COLLINS, The Growth of the Reading Public during the Eighteenth Century, in »The Review of English Studies« 2 (1926), 2 8 4 294, 4 2 8 - 4 3 8 .
III.
414
Kapitel
setzte, verstärkte sich im Lauf der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts derartig, daß der Beruf des freien Schriftstellers möglich wurde (im 17. Jahrhundert war dies nicht nur wirtschaftlich, sondern mehr noch moralisch unmöglich).310 Während die Werke, die nodi 1740 in den Leipziger Ostermeßkatalogen verzeichnet sind — wir berücksichtigen hier ausschließlich diesen Anteil der Buchproduktion - , sich bloß auf eine Anzahl von 755 belaufen, registrieren diese Kataloge für 1770 1144 und für 1800 sogar 2569 Werke. 311 Nodi bedeutsamer als der explosionsartige Produktionszuwachs sind jedoch die Veränderungen in ihrer Zusammensetzung. Die im Katalog der Leipziger Messe von 1740 verzeichneten Werke (545 in Deutsch, 209 in Latein, 1 in Italienisch) beschäftigen sich großenteils mit Theologie (291 = 38,54 °/o) und Wissenschaften (Jura: 97; Medizin: j o ; allgemeine Gelehrsamkeit: 40; Geschichte und Geographie: 85; Staatswissenschaften: 10; Philosophie: 44; Erziehung und Unterricht: 4; Philologie: 23; Naturwissenschaften und Mathematik: 25). Die Schönen Künste und Wissenschaften stellen mit 44 Werken (5 Theorie, 7 Musik, 10 Poesie, 2 Drama, 20 Erzählkunst) nur 5,83 % der Produktion. Unter den theologischen Werken sind 144, gleich 1 9 , 0 8 % der gesamten Buchproduktion, moralische Erbauungswerke. Die 20 erzählenden Werke (10 Originalromane, 8 Ubersetzungen aus dem Englischen, 2 aus dem Französischen) stellen 2,65 % der gesamten Buchproduktion dar. In der Buchproduktion, die der Katalog der Leipziger Ostermesse von 1800 verzeichnet (2442 Werke in Deutsch, 102 in Latein, 19 in Französisch, 6 in Italienisch), ist die erzählende Dichtung dagegen mit 300 Romanen vertreten, gleich 11,68%) der gesamten Buchproduktion. Die Erbauungsliteratur ist mit 149 Werken auf 5,80 % der Buchproduktion insgesamt abgesunken, Schöne Künste und Wissenschaften verzeichnen aio Z u r Entstehung des » f r e i e n Schriftstellers« v g l . H A N S JÜRGEN HAFERKORN, Der Schriflsteller. Deutschland
Eine
literatur-soziologische
zwischen
1750
und
Studie
1800,
Entstehung
und
Autorenhonorare
und
1-2,
F r a n k f u r t am M a i n
STERNBERG, Chr. stehung
des freien
M.
Wieland
und
Schrifistellertums
1 9 6 9 , S p . 5 - 2 7 2 ) ; WOLFGANG VON
das Verlagswesen in Deutschland,
Rhetorik, 311
die Entstehung
Ästhetik,
Ideologie.
des VerlagsAspekte
in
seiner
Zeit.
Studien
und
Urheberrechts
einer kritischen
X.
UNGERNzur
Ent-
in » A r c h i v f ü r Geschichte des
Buchwesens« 1 4 ( 1 9 7 3 - 1 9 7 4 ) , S p . 1 2 1 1 - 1 5 3 4 ; u n d MARTIN VOGEL, Der und
freie
Selbstverlags-
(Sonderdruck aus dem » A r c h i v f ü r Geschichte des Buchwesens«, B a n d
Lieferung
Markt
Lage
in » A r c h i v f ü r Geschichte des Buchwesens« 5
( 1 9 6 4 ) , S p . 5 2 3 - 7 1 2 ; HELMUT PAPE, Klopstocks gewinne
über seine
bis zum
Jahre
Kulturwissenschaft,S.
literarische 1800,
in
117-136.
Z u r Gegenüberstellung der Buchproduktion in den J a h r e n 1 7 4 0 und 1 7 7 0 v g l . A n m . N r . 93 im I. K a p i t e l .
Die Kritik der
Aufklärung
415
zusammengenommen ein Aufkommen von 551 Werken (21,45 % der gesamten Buchproduktion). Die Theologie registriert, die Erbauungsliteratur eingeschlossen, ein Aufkommen von 348 Werken ( = 1 3 , 5 5 % des Gesamtvolumens). Die Jurisprudenz ist mit 129 Werken (5,02%), die Medizin mit 209 ( 8 , 1 3 5 % ) , die allgemeine Gelehrsamkeit mit 37 ( 1 , 4 4 % ) , Geschichte und Geographie sind mit 272 (10,59 °/°)> die Staatswissenschaften mit 93 (3,62 % ) , die Philosophie mit 94 (3,66%), Erziehung und Unterricht mit 105 (4,09%), die Philologie mit 106 ( 4 , 1 3 % ) und schließlich Naturwissenschaften und Mathematik mit 183 Werken (7,12 % ) vertreten.312 Die beiden auffälligsten Erscheinungen, die aus dem Vergleich der analytischen Daten der Buchproduktion von 1740 mit denen des Jahres 1800 hervorgehen, sind - wie wir bereits am Anfang des ersten Kapitels des vorliegenden Buches gesagt haben - die Expansion der schöngeistigen Literatur und der Rückgang der theologischen und der Erbauungsliteratur. Der prozentuale Anteil der Schönen Künste ändert sich von 5,83 % (1740) auf 2 1 , 4 5 % (1800). Die Belletristik hat - darüber kann kein Zweifel sein - auf Kosten des Erbauungsschrifttums an Terrain gewonnen.313 Tatsächlich ist die Zuwachsrate der ersteren ( + 15,62) mit der Zahl der Abnahme des letzteren ( - 13,28) beinahe identisch. Aber die Lesegesellschaften, die Leihbibliotheken, die sehr starke Zunahme und die tiefgreifende strukturelle Veränderung der Buchproduktion, der Beruf des freien Schriftstellers und audi die Moralischen Wochenschriften stellen nicht den Hauptgrund für den radikalen Wandel des literarischen Lebens im 18. Jahrhundert dar. Damit die Moralischen Wochenschriften verbreitet wurden und, im günstigsten Fall ( P a t r i o t , Tadlerinnen), die astronomische Auflage von 2000-5000 Exemplaren erreichen konnten,314 damit viele Verleger ihre Hoffnungen zum großen Teil auf die Massenproduktion der Belletristik setzten, damit die Lesezirkel besucht wurden und die Leihbibliotheken, eine rein kommerzielle Einrichtung, gediehen, damit schließlich eine ge312 VGL_ JENTZSCH, Der deutsch-lateinische Büchermarkt (insbes. die Taf. I—III im Anh.). 313 VGL. JENTZSCH, S. 3 2 3 , und SCHÖFFLER, Protestantismus
und Literatur,
S. 1 8 7 - 1 9 1 .
314 Zur Auflagenhöhe der Moralischen Wochenschriften, von denen die meisten auf weniger als 700-800 Exemplare kommen und nicht länger als ein Jahr bestehen (niedrige Auflage und Kurzlebigkeit der Moralischen Wochenschriften werden jedoch weitgehend durch ihre sehr große Zahl ausgeglichen; etwa 200 erscheinen zwischen 1720 und 1780, von denen die meisten nur lokale oder regionale Bedeutung besitzen und nur in diesem Rahmen verbreitet sind), vgl. MARTENS, Die Botschaft der Tugend, S. 1 1 1 - 1 1 3 .
4i 6
III.
Kapitel
wisse Anzahl von Schriftstellern - freilich auf dem Wege der direkten Subskription und somit unter Vermeidung des Zwischenhandels (Verleger und Buchhändler) 315 - ausschließlich von den Einnahmen aus eigenen Werken zu leben vermochten, bedurfte es eines zahlreichen und lesefreudigen Publikums, das wirtschaftlich in der Lage war, Zeitschriften und Romane in großer Menge zu kaufen, 316 sich den Lesegesellschaften anzuschließen, das Abonnement bei den Leihbibliotheken zu bezahlen und gelegentlich für ein einzelnes Werk oder die Gesamtausgabe eines seiner bevorzugten Schriftsteller zu subskribieren. Ein solches Publikum existiert zu Beginn des 18. Jahrhunderts, nimmt im Verlauf desselben ständig zu 817 und gibt einem ausgedehnten Buchmarkt und den neuen Institutionen (Lesegesellschaften und Leihbibliotheken), die die Zirkulation von Büchern fördern, Impulse. Diese breite Leserschaft stellt das wichtigste und auffälligste Phänomen des literarischen Lebens des 18. Jahrhunderts und die Vorbedingung der »Leserevolution« dar, 318 die sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland vollzieht. Die zahlenmäßige Erweiterung des Publikums der schöngeistigen Literatur verhält sich zweifellos proportional zu deren Produktionszuwachs. 31
5 Klopstock und Wieland haben sidi mehrmals dieser Methode bedient. Vgl. PAPE, Klopstocks Autorenhonorare, und UNGERN-STERNBERG, Wieland und das Verlagswesen seiner Zeit. Die Subskriptionslisten, die außer dem Namen des Subskribenten häufig seinen Beruf oder gesellschaftlichen Stand angeben, stellen für die Analyse des literarischen Publikums sehr wertvolle Dokumente dar. Vgl. dazu DIETER NARR, Vom Quellenwert der Subskribentenlisten, in »Württembergisch Franken« 50 (1966), 159-168.
316
317
Zum starken Konsum von Romanen, deren Jahresproduktion, wie wir bereits erwähnt haben, in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts 300 Titel erreichte, und zum Trivialroman vgl. MARTIN GREINER, Die Entstehung der modernen Unterhaltungsliteratur. Studien zum Trivialroman des 18. Jahrhunderts, Reinbek bei Hamburg 1964; und BEAUJEAN, Der Trivialroman in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, S. 1 7 7 - 2 0 3 . Natürlich erhob sich gegen die übermäßige Bevorzugung der Romanlektüre durch das Publikum, und besonders das weibliche Publikum, ein Protest seitens vieler Zeitgenossen. Vgl. z . B . C.[ARL] F.[RIEDRICH] POCKELS, Fragmente zur Kenntniß und Belehrung des menschlichen Herzens. Erste Sammlung. Hannover, in der Schmidtsdien Buchhandlung. 1788, S. 6 1 - 7 0 ; und JOHANN GEORG HEINZMANN, Appel an meine Nation, Bern 179$, S. 1 3 9 - 1 4 7 .
Zur Erweiterung des literarischen Publikums vgl. GOLDFRIEDRICH, Geschichte des deutschen Buchhandels (1740-1804), S. 2 4 7 - 3 4 2 ; HERBERT SCHÖFFLER, Protestantismus und Literatur. Neue Wege zur englischen Literatur des 18. Jahrhunderts, 2. unveränderte Auflage 1958, S. 1 8 1 - 2 1 4 ; UND ENGELSING, Analphabetentum und Lektüre, S. $6-68. 318 Vgl. z u diesem Begriff ENGELSING, Die Perioden der Lesergeschichte in der Neuzeit. Sp. 982-983, und Der Bürger als Leser, Sp. 324.
Die Kritik der
Aufklärung
417
Herbert Schöffler, der sich auf die von Jentzsdh ausgearbeiteten Daten der Buchproduktion der Jahre 1740, 1770 und 1800 stützt, vertritt die Ansicht, daß ebenso wie in den Jahren 1740-1800 die schöngeistige Literatur von 32 auf 424 Titel angestiegen sei, sich das Dichtungspublikum in denselben Jahren um das Dreizehnfache vermehrt habe.319 Dieses Publikum ist nicht mehr das elitäre Publikum des 17. Jahrhunderts, das der Träger der Barockliteratur gewesen war, sondern es ist eine breite Leserschaft, die viele und verschiedene soziale Schichten umfaßt. Ein Breslauer Buchhändler, Johann Friedrich Korn, schrieb 1797, indem er den Vorschlag des großen Bibliographen Meusel, in den Bücherkatalogen die Einteilung der Buchproduktion nach Rubriken wegzulassen und nur noch eine alphabetische Anordnung zu bieten, kritisierte: diess ist ein Wunsch eines G e l e h r t e n , a b e r u n a u s f ü h r b a r u n d höchst nachtheilig f ü r den B u c h h ä n d l e r in seinem G e w e r b e . D e r B u c h h ä n d l e r macht seinen D e b i t nicht allein a n G e l e h r t e , s o n d e r n er h a t aus a l l e n S t ä n d e n
Ab-
n e h m e r . D i e s e n z u g e f a l l e n , j e d e m das V e r z e i c h n i s nach seinem G e b r a u c h e b e q u e m e r z u machen, ist es n o t h w e n d i g , dass dasselbe verschiedene R u b r i k e n h a b e , u n d z u w ü n s c h e n , dass noch m e h r e r e e i n g e f ü h r t w ü r d e n , theils u m der K u n d e n w i l l e n , theils z u r eigenen E r l e i c h t e r u n g . 3 2 0
Der Buchhändler hat nicht nur Gelehrte als Kunden, sondern Personen aus allen sozialen Ständen. Im Verlauf eines Jahrhunderts hat sich die Lage auf dem Buchmarkt völlig verändert (man denke an Adrian Beiers Äußerung aus dem Jahr 1690: der Gelehrte produziert und konsumiert die Ware des Buchhändlers). Das literarische Publikum ist nicht mehr elitär und auch nicht mehr aristokratisch, sondern es ist breit geworden und gehört in seiner Mehrheit den verschiedenen Schichten des Mittelstandes an.321 Vor allem besteht es aus dem das ganze 18. Jahrhundert hindurch in steilem Aufstieg begriffenen handeltreibenden Bürgertum, dem Träger der Literatur der Aufklärungszeit. 319
Vgl. SCHÖFFLER, Protestantismus und Literatur, S. 203. JOHANN FRIEDRICH KORN, d. ält., Einige Bemerkungen über Hr. Meusel's Wunsch im Allg. litt. Anzeiger 1797. No. LXXVI. S. 784, in »Allgemeiner Litterarischer Anzeiger, oder: Annalen der gesammten Litteratur für die geschwinde Bekanntmachung verschiedener Nachrichten aus dem Gebiete der Gelehrsamkeit und Kunst. Mit Kurfürstlich-Sächsischer gnädigster Freiheit. Oktober 1797. No. C X V I I I - C X X X . nebst Beilagen zu No. C X V I I I . C X X I . C X X I V . C X X X « . Leipzig, in der Expedition des Allgemeinen Litterarischen Anzeigers, und in der Kurfürstlich-Sächsischen ZeitungsExpedition, Sp. 1 2 4 1 - 1 2 4 2 , hier Sp. 1 2 4 1 . 321 Ober das literarische Publikum des Zeitalters der Aufklärung vgl. ENGELSING, Der Bürger als Leser; JOCHEN GREVEN, Grundzüge einer Sozialgeschicbte des Lesers und der Lesekultur, in Lesen. Ein Handbuch, S. 1 1 7 - 1 3 3 , hier S. 1 2 2 - 1 2 8 ; R. WITTMANN, 320
4i 8
III. Kapitel
Die Darstellung bürgerlicher Umgebung und bürgerlicher Familien, von Personen, die von der Ausübung des Handels und der freien Künste und Berufe leben, von Geldproblemen und Gewerben nimmt in der epischen 322 und dramatischen 323 Literatur des 18. Jahrhunderts beständig zu. Geld spielt bei der Konstruktion von Peripetien in Erzählungen und auf der Bühne 3 2 4 immer häufiger eine Rolle. So wie der Kaufmann den Krieger allmählich verdrängt, ebenso treten in der Literatur die bürgerlichen Die frühen Buchhändlerzeitschriften, Sp. 619-632; G U N T E R E R N I N G , Das Lesen und die Lesewut. Beiträge zu Fragen der Lesergeschichte; dargestellt am Beispiel der schwäbischen Provinz, Bad Heilbrunn/Obb. 1974; W A L T E R R U M P F , Das literarische Publikum und sein Geschmack in den Jahren 7760-/77o. (Versuch einer sozialliterarischen Literaturbetrachtung), Diss. Frankfurt a. M. 1924 [Masch.], S. 35-66; und A L F R E D N O L L A U , Das literarische Publikum des jungen Goethe, Weimar 193J ( = Literatur und Leben, 5. Band). Über das Romanpublikum im besonderen vgl. SPIEGEL, Der Roman und sein Publikum, S . 37-58, 85-102; BEAUJEAN, Der Trivialroman, S . 178-187; BEAUJEAN, Das Lesepublikum der Goethezeit (Die historischen und soziologischen Wurzeln des modernen Unterhaltungsromans), in Der Leser als Teil des literarischen Lebens. 2. Aufl. 1972, Bonn, S . 5-32; und A L B E R T W A R D , Book Production, Fiction, and the German Reading Public 1740-1800, Oxford 1974. Zum Publikum der Moralischen Wochenschriften vgl. M A R T E N S , Die Botschaft der Tugend, S . 1 4 1 - 1 6 1 ; PAMELA C U R R I E , Moral Weeklies and the Reading Public in Germany, 1711-1750, in »Oxford German Studies« 3 (1968), 69-86; und J Ö R G SCHEIBE, Der »Patriot» (1724-1726) und sein Publikum. Untersuchungen über die Verfassergesellschaft und die Leserschaft einer Zeitschrift der frühen Aufklärung (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 109), Göppingen 1973. Über das Publikum der lehrhaften Dichtung vgl. C H R I S T O P H SIEGRIST, Das Lehrgedicht der Aufklärung, Stuttgart 1974 ( = Germanische Abhandlungen 43), S. 233-244. 322
323
324
Zum bürgerlichen Roman vgl. BEAUJEAN, Der Trivialroman; SPIEGEL, Der Roman und sein Publikum; FLESSAU, Der moralische Roman; G Ö T Z , Der frühe bürgerliche Roman in Deutschland ( 1720-17 ¡o)·, und E R N S T BAASCH, Der Kaufmann in der deutschen Romanliteratur des 18. Jahrhunderts, in Aus Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Gedächtnisschrift für Georg von Below, Stuttgart 1928, S. 279-298. Zur >Verbürgerlidiung< des Romans vgl. A R N O L D H I R S C H , Bürgertum und Barock im deutschen Roman. Zur Entstehungsgeschichte des bürgerlichen Weltbildes. 2. Auflage besorgt von Herbert Singer, Köln und Graz 1957. Zum bürgerlichen Drama vgl. R I C H A R D D A U N I C H T , Die Entstehung des bürgerlichen Trauerspiels in Deutschland, Berlin 1965; L O T H A R PIKULIK, »Bürgerliches Trauerspiel« und Empfindsamkeit, Köln/Graz 1966; K A R L S . G U T H K E , Das deutsche bürgerliche Trauerspiel, Stuttgart 1972; W O L F G A N G SCHAER, Die Gesellsdiaft im deutschen bürgerlichen Drama des 18. Jahrhunderts, Bonn 1963; und M A R T I N O , Geschichte der dramatischen Theorien in Deutschland, S. 357-436. VGL. SPIEGEL, Der Roman und sein Publikum, S . 49; H A N S - R I C H A R D A L T E N H E I N , Geld und Geldeswert. Über die Selbstdarstellung des Bürgertums in der Literatur des 18. Jahrhunderts, in das werck der bucher. Von der Wirksamkeit des Buches in Vergangenheit und Gegenwart. Eine Festschrift für Horst Kliemann. Zu seinem 60. Geburtstag herausgegeben von F. Hodeige, Freiburg/Br. 1956, S. 201-213; und H. R. ALTENHEIN, Geld und Geldeswert im bürgerlichen Schauspiel des 18. Jahrhunderts, Diss. Köln 1952 (Masch.).
Die Kritik der
Aufklärung
419
Werte (zur bürgerlichen Ideologie gehört auch die »Empfindsamkeit«, mit ihrer anscheinend »antibürgerlichen« Auffassung v o m V o r r a n g der Gefühle gegenüber den gesellschaftlichen Konventionen und ihrer Verachtung des Geldes) 325 an die Stelle der aristokratisch-adligen. 326 Die Verbürgerlichung der Literatur 3 2 7 ist im Grund eine Folge der V o r machtstellung, welche das Bürgertum im Lauf des 18. Jahrhunderts gegenüber dem A d e l als Konsument der Buchproduktion erlangt, dank seiner verbesserten wirtschaftlichen Lage und dem Absinken der Buchpreise 328 (das seinerseits mit der Ausdehnung des Buchmarktes parallel läuft). Die Verleger produzieren - und das Buch ist gerade im 18. Jahrhundert eine W a r e wie jede andere - auf der Basis der Marktnachfrage. Die K ä u f e r sind Bürger, und die Ware, in diesem Fall das Buch, paßt sich naturgemäß ihrem Geschmack an. A b e r das Problem der >Verbürgerlichung< der Literatur ist mit dem Rückgriff auf diese Marktgesetze allein nicht gelöst. Wenn die Ausbildung eines breiten bürgerlichen Literaturpublikums offenkundig die Folge des wirtschaftlichen Aufstiegs des Bürgertums ist und ebenso offenkundig die >bürgerliche< Buchproduktion v o m Vorhandensein eines Publikums ermöglicht wird, welches diese anregt und sie >konsumiert< (der M a r k t stimuliert und regelt das Angebot), so sind jedoch die Ursachen der Bereitschaft der deutschen Intellektuellen, bürgerliche Ideologien und literarische Formen zu rezipieren, zu entwickeln und zu propagieren, weniger offenkundig. Wie kommt es, daß die Intellektuellenschicht, die im 17. Jahrhundert (mit unbedeutenden Ausnahmen einzig jener Intellektuellen, die, wie bereits dargestellt, die aristokratisch-höfische Kultur von den reaktionären Positionen nostalgischer Trauer um die präabsolutistische agrarische Feudalwelt her angriffen) danach strebt, den H o f und die höfischen Werte zu Zur Empfindsamkeit vgl. nun die grundlegende Monographie von GERHARD SAUDER, Empfindsamkeit. Band I: Voraussetzungen und Elemente, Stuttgart 1974. 326 Uber die Krise des Heldenideals in der Literatur des 18. Jahrhunderts vgl. ANSELM MALER, Der Held im Salon, Zum antiheroiscben Programm deutscher Rokoko-Epik, Tübingen 1973 ( = Studien zur deutschen Literatur, Band 37), S. 42-62. Über die wachsende Ablehnung der stoischen Ethik im Deutschland des 18. Jahrhunderts vgl. DORIS FULDA MERRIFIELD, Senecas moralische Schriften im Spiegel der deutschen Literatur des achtzehnten Jahrhunderts, in »DVjs« 41 (1967), 528-546. 325
327
328
Zur »Verbürgerlichung« der Literatur vgl. Die Verbürgerlichung der deutschen Kunst, Literatur und Musik im 18. Jahrhundert. Von Dr. LEO BALET in Arbeitsgemeinschaft mit Dr. E. Gerhard, Strassburg, Leipzig, Zürich, Leiden 1936. Über Büdierpreise im 18. Jahrhundert vgl. GOLDFRIEDRICH, Geschichte des deutschen Buchhandels (1740-1804), S. 247-342; und KRIEG, Materialien zu einer Entwicklungsgeschichte der Biiàjer-Preise, S. 27-30.
III.
420
Kapitel
verherrlichen, sich im 18. Jahrhundert die Interessen der bürgerlichen Stände zu eigen macht und die Werte und die Sozialordnung kritisiert, deren glühender Fürsprecher sie zuvor gewesen war? Es ist dies ein Problem von kapitaler Bedeutung, das man sich unseres Wissens in rigoros wissenschaftlichen Termini niemals gestellt hat, weder in der Wissens- noch in der Literatursoziologie. Probleme wie das der >Verbürgerlichung< der Intelligenz und sein Gegenstück, das ihrer Aristokratisierung, oder moderne Fragestellungen wie die nach den progressiven oder reaktionären >Optionen< der Intelligenz lassen sich nicht durch den ausschließlichen Rückgriff auf psychologische Kategorien wie »Klassenbewußtsein« und »Gesinnungslosigkeit« (Mannheim) 329 oder »Opportunismus« (Benda) 330 lösen. Z u Recht betont A l f r e d von Martin, wenn er von der »Charakterlosigkeit« der humanistischen Intelligenz spricht, daß diese psychologische Eigenart eine Folge der besonderen Zwischenposition der Intelligenz in der sozialen Struktur (als »Schicht zwischen den Schichten«) darstellt. Aber, so fügt Martin hinzu, bloß das Fehlen einer soliden ökonomischen Basis, die typisch für diesen Stand ist, bedingt »den Charakter der Intelligenz als einer in jedem Sinne freischwebenden.« 331 Wenn die Intelligenz im 17. Jahrhundert auf Grund ihrer Zwischenstellung zwischen Bürgertum und Aristokratie und wegen ihres Mangels an einer soliden ökonomischen Basis gedrängt war, an die H ö f e zu gehen und sich, zunächst kulturell, dann sozial, mit der Aristokratie zu verbinden, dann kann die entgegengesetzte Option, die sie jetzt im 18. Jahrhundert zu Gunsten des Bürgertums tätigt, ohne daß sich ihre soziale Zwischenposition verändert hat, einzig von der geringen oder totalen U n möglichkeit bestimmt worden sein, am H o f ansehnliche Beschäftigung zu finden, die ihrer Kultur und Ausbildung angemessen war, und von der Ablehnung des Adels, sie unter seinesgleichen aufzunehmen; nicht jedoch von einem auf undefinierbare Weise gereiften »Selbstbewußtsein« 331 " oder einem unversehens erworbenen Klassenbewußtsein. Diese unsere Hypothese ist richtig, wenn sich zeigen läßt, daß die Gesse KARL MANNHEIM, Ideologie
S.
und
Utopie.
Fünfte
Auflage,
Frankfurt/Main
1969,
139.
330 JULIEN BENDA, La trahison des clercs, Paris 1927. 331 ALFRED VON MARTIN, Soziologie der Renaissance. Dritte Auflage, München 1974 ( = Beck'sdie Schwarze Reihe, Band io6), S. 72. 83ia I m »ansteigenden Selbstbewußtsein« der Literaten sieht z. B. Fritz V a l j a v e c (Geschichte der abendländischen Aufklärung. Wien 1961, S. 223) die W u r z e l n der A u f klärung.
Die Kritik der Aufklärung
421
schwindigkeit der Zirkulation der Eliten oder der Index der sozialen Mobilität, der im 1 7 . Jahrhundert bemerkenswert hoch w a r , im L a u f des 1 8 . Jahrhunderts stark absinkt. D a m i t greifen w i r auf das analytische Instrumentar zurück, welches die Theorie der Eliten ausgearbeitet hat, 3 3 2 und das allein es erlaubt, die gängigen abstrakten ideologischen Konstruktionen unschwer durch eine streng wissenschaftliche, auf empirisch und statistisch verifizierbare Daten gestützte A n a l y s e des Phänomens der >Verbürgerlichung< der Intellektuellenschicht zu ersetzen. 332 Zur Theorie der Eliten und deren Zirkulation vgl. V I L F R E D O P A R E T O , Trattato di sociologia generale. Introduzione di Norberto Bobbio, 2 voli., Milano 1964 [1. Aufl. 1916], S . 528-540 ( = §§ 2026-2059); G A E T A N O M O S C A , La classe politica a cura e con un'introduzione di Norberto Bobbio, Bari 1972 [1. Aufl. Roma 1896 unter dem Titel Elementi di scienza politica] ; R O B E R T M I C H E L S , La sociologia del partito politico nella democrazia moderna, Bologna 1966 [1. Aufl. Leipzig 1 9 1 1 unter dem Titel Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie] ; M A X W E B E R , Politik als Beruf, in M. W., Gesammelte politische Schriften. Dritte, erneut vermehrte Auflage. Mit einem Geleitwort von Theodor Heuss. Herausgegeben von Johannes Windielmann, Tübingen 1971, S. 505-560; HANS P. DREITZEL, Elitebegriff und Sozialstruktur. Eine soziologische Begriffsanalyse, Stuttgart 1962 ( = Göttinger Abhandlungen zur Soziologie 6. Band); A. F. K. O R G A N S K I , Le forme dello sviluppo politico, con una prefazione di Franco Ferrarotti, Bari 1970 [1. Aufl. New York 1965 unter dem Titel The Stages of Political Development] ; A X E L S E E B E R G , Das Eliteproblem heute, in Führungsschicht und Eliteproblem. Konferenz der Ranke-Gesellschaft Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben, Frankfurt am Main, Berlin, Bonn 1957 ( = Jahrbuch III der Ranke-Gesellschaft), S. 9 - 1 6 ; und H E L L M U T H R Ö S S L E R , Elite, in Führungsschicht und Eliteproblem, S. 136-143. Eine gute zusammenfassende Darstellung des Problems der Eliten bietet die Monographie von T. B. BOTTOMORE, Elite und Gesellschaft. Eine Übersicht über die Entwicklung des Eliteproblems, München 1969 [1. Aufl. London unter dem Titel Elites and Society]. Über die intellektuellen Eliten im besonderen vgl. J U L I E N B E N D A , La trahison des clercs, Paris 1927 ( = »Les cahiers verts«, 6); R A Y M O N D A R O N , L'opium des intellectuels, Paris 1955; THEODOR G E I G E R , Aufgaben und Stellung der Intelligenz in der Gesellschaft, Stuttgart 1949; Louis B O D I N , Les intellectuels, Paris 1962; A N T O N I O G R A M S C I , Gli intellettuali e l'organizzazione della cultura, Torino 1955; K A R L M A N N H E I M , Uomo e società in un'età di ricostruzione. Studi sulla struttura sociale moderna, Roma 1972, S. 98-105 ; K . M A N N H E I M , Ideologie und Utopie, S. 134-143 ; F R É D É R I C B O N / M I C H E L A N T O I N E B U R N I E R , Les nouveaux intellectuels, Paris 1 9 7 1 ; J A C Q U E S L E G O F F , Les intellectuels au moyen âge, Paris 1972; H E L L M U T H R Ö S S L E R , Die Socie tas Jesu, in Führungsschicht und Eliteproblem, S. 25-34; C A R L J . B U R C K H A R D T , Der honnête homme. Das Eliteproblem im siebzehnten Jahrhundert, in C. J. Β., Gestalten und Mächte. Reden und Aufsätze, München 1941, S. 73-96; und A L F R E D VON M A R T I N , Soziologie der Renaissance. Uber die deutsche bürgerliche Intelligenz des 18. Jahrhunderts vgl. H A N S G E R T H , Die sozialgeschichtlicbe Lage der bürgerlichen Intelligenz um die Wende des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Soziologie des deutschen Frühliberalismus. Diss. Frankfurt am Main 1935; W. H . B R U F O R D , Die gesellschaftlichen Grundlagen der Goethezeit, Weimar 1936 ( = Literatur und Leben, 9. Band), S. 236-
422
III.
Kapitel
D e r Vorgang der Amalgamierung zwischen bürgerlicher Intelligenz und A d e l wurde bereits im ersten K a p i t e l beschrieben. Dieser Prozeß beginnt im 1 6 . Jahrhundert und dauert ungefähr bis zum Ende des 1 7 . J a h r h u n derts; ermöglicht hatte ihn die gesteigerte vertikale soziale Mobilität (zumindest soweit sie die intellektuelle Elite betraf), die v o n der f ü r die Organisation des absolutistischen Territorialstaates notwendigen E r w e i terung des Beamtenapparates in großen Dimensionen hervorgerufen w o r den w a r (in Preußen z . B . vollzog sich in den J a h r e n zwischen 1 6 5 0 und 1 7 0 0 etwa eine zahlenmäßige Zunahme der höheren Ä m t e r in der Bürokratie um 50 % ) . 3 3 3 In dieser Periode ist die N a c h f r a g e nach juristischen Experten, nach Theologen, Ärzten und Unterrichtenden höher als das Angebot. Jedem, der ein Universitätsstudium abgeschlossen hatte, v o r allem in den Rechtswissenschaften, standen glänzende Karrieren in fürstlichem Dienst offen. Die Erhebung in den Adelsstand, oft auch die Erwerbung von Latifundien beträchtlichen Ausmaßes krönte die K a r r i e r e vieler »gelehrter R ä t e « . D e r Beamte des Fürsten stieß auf keine nennenswerten Widerstände, weder beim Versuch, verwandtschaftliche Beziehungen mit den Patrizierfamilien oder dem U r a d e l anzuknüpfen, um eine erreichte ansehnliche Stellung in der Gesellschaft zu festigen oder um eine verheißungsvolle K a r r i e r e zu fördern, noch, wenn er versuchte, sich nach Erlangung des Adelsbriefes in den Besitz ritterlicher Lehen oder sogar v o n Baronien oder Grafschaften zu setzen. Jedoch einmal v o n den Erhebungen in den Adelsstand abgesehen: schon die akademischen Titel D o k t o r , Lizentiat oder Magister verliehen adelige Prärogativen und Privilegien. Die juristische und soziale Gleichstellung derjenigen, die ein Universitätsstudium hinter sich hatten, mit dem A d e l w a r so weitgehend, daß im 16. und 1 7 . J a h r 2 9 3 ; NORBERT ELIAS, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Erster Band. Zweite, um eine Einleitung vermehrte Auflage, Bern und München 1969 [1. Aufl. Basel 1 9 3 9 ] , S. 1 0 - 4 2 ; WOLF LEPENIES, Melancholie und Gesellschaft, Frankfurt am Main 1969, S. 7 9 - 1 1 7 ; und HANS JÜRGEN HAFERKORN, Zur Entstehung der bürgerlich-literarischen Intelligenz und des Schriftstellers in Deutschland zwischen 17jo und 1800, in Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften j. Deutsches Bürgertum und literarische Intelligenz iy¡0-1800. Mit Beiträgen von Ulrich Dzwonek, Hans Freier, Hans Jürgen Haferkorn, Thomas Metscher, Volker Ulrich Müller, Claus Ritterhof}, Harro Segeberg, Anthony Williams und Harro Zimmermann herausgegeben von Bernd Lutz, Stuttgart 1974, S. 1 1 3 - 2 7 5 (Haferkorns Beitrag besteht nur in einer Bearbeitung seiner von uns bereits zitierten Dissertation von 1959: Der freie Schriftsteller). 333 Vgl. GERD HEINRICH, Amtsträgerschaft und Geistlichkeit. Zur Problematik der sekundären Führungsschichten in Brandenburg-Preußen 14JO-1786, in Beamtentum und Pfarrerstand, S. 1 7 9 - 2 3 8 , hier S. 199.
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hundert ein Doktor und einige Professoren der Universität von Wien, ohne geadelt zu sein, unter den »Landständen« figurieren. Aber im Verlauf des 18. Jahrhunderts wandelt sich die gesellschaftliche Stellung der bürgerlichen Intelligenz tiefgreifend. Die Gleichstellung eines Studienabschlusses mit dem Adelspatent entfällt (Kaiserin Maria Theresia erläßt sogar ein Dekret, um den Studenten das Tragen adeliger Kleidung zu verbieten) 334 und die Möglichkeiten der bürgerlichen Intellektuellen, einflußreichere Stellungen zu erlangen, verringern sich. Kanzlerposten sind nun fast ausschließlich dem Adel vorbehalten, und ebenso zum großen Teil diejenigen der Räte am Hof und in der Regierung. Am preußischen Hof Friedrich Wilhelms I. verlieren die Gelehrten fast alle Machtpositionen. Die höchsten Hof- und Regierungsämter werden den Militärs anvertraut, welche die oberste Stufe der Skala des Sozialprestiges besetzen.335 In Hessen-Darmstadt tritt der Adel, wie bereits erwähnt, in steigendem Maß in die Regierungsstellen ein: während 1704 von sechs Hofräten drei Bürgerliche und drei Adelige (zwei davon aus dem Uradel) waren, entfallen 1728 auf neun Räte sechs Adelige (drei davon aus dem Uradel), und nur noch drei sind Bürgerliche. Die >Ritterschaft< Hessens, die im 16. und 17. Jahrhundert die neugeadelten Familien als gleichgestellt anerkannt hatte und Verwandtschaft mit ihnen schloß, schließt sich im Lauf des 18. Jahrhunderts immer stärker ab (zwischen 1700 und 1750 nimmt sie bloß einen einzigen Neugeadelten auf). 336 In den Ernestinischen Staaten Thüringens besetzt der Adel am Ende des 17. Jahrhunderts in steigendem Maß die Stellungen in der höheren Beamtenschaft, wo er schließlich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine beherrschende Position erringt. In Gotha gehörten von den 27 geheimen Räten der Jahre 1 6 5 1 - 1 7 6 0 1 1 (41 %>) dem Uradel an, 3 ( 1 2 % ) dem Briefadel und 13 ( 4 7 % ) dem Bürgertum. In der zweiten Hälfte des 18. und in den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts erobert der alte Adel in den Gothaer Ratskollegien eine absolute Hegemonie. Tatsächlich gehören die 16 Mitglieder der geheimen Räte in den Jahren zwischen 1760 und 1826 zu hundert Prozent dem Uradel an. Dies ist ein Grenzfall. Aber das Bestreben des alten Adels, eine Position der Hegemonie in der höhe384 VGL. KLEBEL, Das Ständewesen, in Führungsschicht und Eliteproblem, S. 56-57. 335 VGL, SIEGFRIED ISAACSOHN, Das preußische Beamtenthum unter Friedrich Wilhelm I. und während der Anfänge Friedrich des Großen, Berlin 1884, Puttkammer Sc Mühlbrecht, Buchhandlung für Staats- und Redits Wissenschaft. 64 Unter den Linden, S. 68, 72-73, 1 8 1 - 2 0 3 . 33E Vgl. ECKHARDT, Beamtentum und Pfarrerstand in Hessen, S. 87-96.
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ren Beamtenschaft zu erringen, ist auch in den anderen Ernestinischen Staaten klar zu erkennen. In Meiningen, wo in den Jahren 1706-1763 der Uradel vier geheime Räte (33 % ) gestellt hatte (2 der Briefadel und 4 das Bürgertum), steigen die geheimen Räte aus dem Uradel in der Zeit zwischen 1763 und 1826 auf 11 ( 5 8 % ) , während jeweils 4 vom Briefadel und vom Bürgertum gestellt werden. In Weimar, wo es in der Zeit von 1672 bis 1710 aus dem Uradel nur zwei geheime Räte gegeben hatte ( = 2 0 % ) (1, d.h. 1 0 % , entstammte dem Briefadel, 7 = 7 0 % waren Bürgerliche), steigt ihre Zahl zwischen 1756 und 1815 auf 6 (38 % ) , während 2 ( 1 2 % ) dem Briefadel und 8 ( 5 0 % ) dem Bürgertum entstammen. Noch eindeutiger tritt die Hegemonie des Uradels in Erscheinung, wenn man die Präsidenten der Landeskollegien in Betracht zieht. In Altenburg steigt die Zahl der vom Uradel gestellten Präsidenten von 24 ( 4 7 % ) in den Jahren 1603-1760 (das Bürgertum stellt 21, gleich 4 2 % , der Briefadel ι, gleich 2 % ) in den Jahren 1760-1826 auf 15 ( 9 4 % ) , wobei das Bürgertum einen (gleich 6 % ) stellt (aus dem Brief adel ist niemand darunter). In Eisenach steigt die Zahl der vom Uradel gestellten Präsidenten von I i ( 3 7 % ) für die Jahre 1596-1756 (das Bürgertum stellt 19, gleich 63 °/o, der Briefadel keinen) in den Jahren 1756-1815 auf 8 (61 % ) (wobei jetzt das Bürgertum 4, gleich 31 % , und der Briefadel 1, gleich 8 % , stellt). Ein analoges Vordringen des Uradels und dazu ein paralleles Zurückweichen des Bügertums läßt sich für diese Gremien in Gotha und Meiningen feststellen.337 Derselbe Prozeß (Vordringen des Uradels — Zurückweichen des Bürgertums) vollzieht sich in den hohen Rängen der Bürokratie der Albertinischen Staaten Sachsens338 und in Bayern 339 (hier wird die Erblichkeit der Ämter um 1700 legalisiert). In den Weifenlanden vollzieht sich der Prozeß der Aristokratisierung des Staates frühzeitig und total. Schon nach 1648 werden die bürgerlichen Juristen schrittweise aus den höchsten Ämtern der Zentralverwaltung und den verantwortungsreichen Stellungen ausgeschlossen. Sie verschwinden aus dem Kollegium des geheimen Rats und finden einzig als Sekretäre in subalternen Stellungen Beschäftigung.340 337
V g l . ULRICH HESS, Geheimer Rat und Kabinett in den Ernestinischen Staaten Thüringens. Organisation, Geschäftsgang und Personalgeschichte der obersten Regierungssphäre im Zeitalter des Absolutismus. W e i m a r 1962 ( = V e r ö f f e n t l i c h u n g e n des T h ü -
ringischen Landeshauptarchivs Weimar, Band 6), S. 164 und 223. 838 V g l . SCHIECKEL, Die Pfarrerschaft und das Beamtentum in Sachsen-Thüringen, S. 162; u n d HELBIG, Der Adel in Kursachsen. 839 Vgl. SCHRENCK-NOTZING, Das bayerische Beamtentum, S. 28 u n d 45. 340 V g l . LAMPE, Aristokratie, Hofadel und Staatspatriziat in Kurhannover, I, 215-237.
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Gotha und die Weifenlande sind Extremfälle, in denen jener Prozeß der Osmose zwischen bürgerlicher Intelligenz und Adel zunichte gemacht wurde, der f ü r das 16. und einen großen Teil des 17. Jahrhunderts typisch gewesen war. In diesen beiden Territorien ist der Index der vertikalen Mobilität gleich Null. Nicht bloß in den zentralen Verwaltungsorganen der deutschen Territorien, sondern auch in denen des Reiches ist das Zurückweichen der bürgerlichen Intelligenz und das parallele Vordringen des Uradels auffällig. Um bei einem Beispiel zu bleiben: die Vizekanzler des Reiches, die, wie erwähnt, im 16. Jahrhundert bis auf eine Ausnahme alle Bürgerliche waren, rekrutierten sich im 18. Jahrhundert ausschließlich aus der Hocharistokratie (Grafen, und zumeiste Reichsgrafen). 341 Auch im Heer verringert sich der Index der vertikalen Mobilität kontinuierlich. Während zur Regierungszeit des Großen Kurfürsten tatsächlich einige Bauernsöhne die höchsten Ränge im Heer erreicht hatten und es noch unter König Friedrich I. Offiziere bürgerlicher Herkunft in der Leibgarde gab, beginnt unter Friedrich Wilhelm I. ein radikaler Prozeß der Aristokratisierung des Heeres, der seinen Höhepunkt in den letzten Regierungsjahren Friedrichs II. erreichen sollte. 1 7 3 9 waren alle Generäle adeliger Abstammung, während unter den 2 1 1 Generalstabsoffizieren nur 1 1 nicht dem Adel angehörten. Im Todesjahr Friedrichs des Großen (1786) sind neun Zehntel der preußischen Offiziere Abkömmlinge aus adeliger Familie. Unter den 689 höheren Offizieren (vom Majorsrang aufwärts) waren nur 22 nicht von adeliger Herkunft. Analog verhält sich die Situation in Sachsen, w o sich der Offiziersstand im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum größten Teil aus dem Adel rekrutiert. In Bayern dagegen, w o der einheimische Adel nur selten die militärische Laufbahn einschlug, rekrutierte sich der Offiziersstand audi aus den bürgerlichen Ständen und besonders aus den Unteroffizieren, welche ihren Dienst als gemeine Soldaten begonnen hatten. 3413. Die Tendenz zum allmählichen Sich-Abschließen findet sich audi in den Senaten und höheren Stellen der Freien Reichsstädte. Die Patrizier verwandeln sich in eine geschlossene Klasse. Den Grenzfall bildet hier Nürnberg, wo zwischen 1 5 2 1 und 1729 nur eine neue Familie in den Senat der Über die Bürokratie in den kleineren Fürstentümern Niedersachsens vgl. G . v . LENTHE, Zur Geschichte des Beamtentums in Niedersacbsen. 341 VGL. o . y . GSCHLIESSER, Das Beamtentum der hohen Reichsbehörden, S. 5. 84ia VGL. KARL DEMETER, Das Deutsche Offizierkorps in Gesellschaft und Staat 16501945, F r a n k f u r t am Main 1962, S. 1 - 4 4 .
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Stadt und damit in das Patriziat aufgenommen wird. 342 Gleichfalls in Nürnberg schließen die Patrizier in Kleiderverordnungen die Doktoren des Rechts und der Medizin aus dem obersten, also ihrem eigenen Stand aus und stellen sie den Großhändlern (dem zweithöchsten Stand der Stadt) gleich.343 Die Patriziate von Basel, Bern, Zürich, Straßburg, 344 Ulm, Augsburg 345 und Münster 348 tendieren gleichfalls dazu, sich mehr oder minder deutlich abzusperren, um feudalistische Lebensformen anzunehmen und sich in einen Landadel zu verwandeln, wobei sie Handel und Kaufmannstum aufgeben. Im Herzogtum Württemberg, das auf Grund der vollkommenen Entmachtung des Adels (die Adeligen sind gezwungen, ihre Lehen den Grafen, später den Herzögen von Württemberg zu verkaufen) und des darauffolgenden massiven Exodus desselben eine besondere soziale Struktur aufweist, wird die herrschende Klasse (gebildet aus dem reichen städtischen Bürgertum, den herzoglichen Beamten, den Familien der Universitätsprofessoren und den Prälaten) nach einer Periode starker Fluktuation im 16. Jahrhundert nach 1648 immer undurchlässiger, um sich schließlich nach 1740 zu einer ganz abgeschlossenen Kaste zu entwickeln. 347 Die zunehmende Undurchlässigkeit der höheren Klassen (Adel und Patriziat) ist zwangsläufig für die bürgerliche Intellektuellenschicht vom parallelen Verlust an sozialem Prestige begleitet. Nicht bloß die Juristen und Mediziner, sondern auch die Theologen verlieren, wie die Etikettevorschriften der Städte und H ö f e aufzeigen, im Lauf des 18. Jahrhunderts immer mehr an Prestige und Beachtung. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts ist der Klerus auf die letzte Stufe der höheren bürgerlichen Berufe zurückgefallen 348 (nur die ärmeren Studenten studieren im 18. Jahrhundert Theologie). Wenn man die Rolle betrachtet, die der protestantische Klerus (und die Söhne von Pastoren) für die Produktion, Rezeption und Verbreitung der Aufklärungsliteratur gespielt haben, 349 und sich vergegenwärtigt, welchen Verlust an Sozialprestige dieser Stand im Verlauf des 342 VGL. HIRSCHMANN, Das Nürnberger Patriziat, S . 265. 843 VGL. HOFMANN, Nobiles Norimbergenses, S . 1 4 5 . 344 V g l . A . V. KAGENECK, Das Patriziat im Eisass unter Berücksichtigung der Schweizer Verhältnisse, und GUYER, Politische Führungsschichten der Stadt Zürich. 345 VGL. RIEBER, Das Patriziat von Ulm, Augsburg, Ravensburg, Memmingen, Biberach. 34E VGL. LAHRKAMP, Das Patriziat in Münster. 347 V g l . DECKER-HAUFF, Die geistige Führungsschicbt Württembergs, S. 65-66. 348 V g l . HEINRICH, Amtsträgerschaft und Geistlichkeit, S. 2 1 6 . 349 »Prediger schufen die Aufklärungsliteratur, Prediger lasen und empfahlen sie. Ihr Vorbild gewann die Laien f ü r die A u f k l ä r u n g und f ü r die Belletristik, so wie es sie ehemals auf die Erbauungsliteratur verwiesen hatte« (ENGELSING, Der Bürger als
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18. Jahrhunderts hatte hinnehmen müssen, so drängt sich die Annahme einer Korrelation zwischen beiden Erscheinungen auf. Zwischen der Verdrängung der bürgerlichen Intelligenz in eine soziale Randposition und der politischen, sozialen und ästhetisch-literarischen Ideologie der Aufklärung besteht eine genetische Verknüpfung. Die Intelligenz, die an der politischen Macht nicht mehr beteiligt ist wie im 17. Jahrhundert, reagiert damit, daß sie das System in Frage stellt. Die mangelnde Integration von politischer und intellektueller Klasse hat ihre Ursachen in den Folgen der verminderten vertikalen sozialen Mobilität, wie sie das 18. Jahrhundert kennzeichnet und die hier darzustellen versucht wurde. Aber die Verringerung der sozialen Mobilität selbst hat vielfache Gründe. Einer der wichtigsten ist zweifellos die Schrumpfung der Bürokratie. Wie die Expansion der Bürokratie im 16. und 17. Jahrhundert einen starken Anstieg des Index der sozialen Mobilität bewirkt hatte, so läßt ihn deren Schrumpfung notwendigerweise sinken. Der Staat ist nicht mehr in der Lage, die gesamte Intellektuellenschicht zu absorbieren, um so weniger als diese im Lauf des 18. Jahrhunderts beträchtlich gewachsen war ( 1 7 7 3 gibt es in Deutschland z . B . etwa 3000 Schriftsteller, 1 7 8 7 sind es 6000; 1790 kommt auf 4000 Einwohner ein Schriftsteller, in Kursachsen sogar einer auf 2 7 1 4 Einwohner). 350 Die Schrumpfung der Bürokratie jedoch erklärt zwar die Beschränkung, aber nicht die fast totale Unterbrechung des Prozesses der Osmose zwischen politischer Klasse und bürgerlicher Intelligenz. Die Erklärung des Phänomens findet sich in der Geschichte des absolutistischen Staates. Diese Geschichte läßt sich in zwei deutlich unterschiedene Phasen einteilen: die Anfangsphase seiner Organisation und seines Aufbaus und die spätere Phase seiner Konsolidierung. In der ersten Phase, die in manchen Territorien bis ans Ende des 17. und in die ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts reicht, während sie in anderen bereits nach dem Westfälischen Frieden abgeschlossen ist, erfordert die Auflösung des Feudalsystems eine zahlreiche und zuverlässige Bürokratie, die mit akademischen Graden (insbesondere dem »doctor utriusque juris«) versehen ist. Diese Bürokratie rekrutiert der Fürst vornehmlich unter der Klasse bürgerlicher Intellektueller. Leser, Sp. 249). Vgl. audi SCHÖFFLER, Protestantismus und Literatur; und ARNOLD HAUSER, Sozialgescbichte der Kunst und Literatur, München 1958, II, 45. 350 VGL. GOLDFRIEDRICH, Geschichte des deutschen Buchhandels (1740-1804). S. 2 4 9 - 2 5 0 ; und JOHANN GEORG MEUSEL, Das gelehrte Teutschland oder Lexikon der jetzt lebenden teutsd>en Schriftsteller. 5. Ausgabe. Bd. 1 - 2 3 . Lemgo: Meyer 1 7 9 6 - 1 8 3 4 . Neudruck Hildesheim: Olms 1967.
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Nach Abschluß des Prozesses der Liquidierung der politischen, juristischen und militärischen Macht des Adels unterliegt der absolutistische Staat jedoch einem weitestgehenden Prozeß der Aristokratisierung; an dessen Ursprung steht freilich der Wille des Fürsten zur Hebung von Glanz und Prunk seines Hofes dadurch, daß er sich mit adeligen Dienern umgibt (so herrscht in den deutschen Territorien ζ. B. das Bedürfnis, den Hof Ludwigs X I V . nachzuahmen), aber mehr noch die von der politischen Vernunft diktierte Notwendigkeit einer Versöhnung mit der entmachteten Adelsklasse (mit der der Fürst doch stets durch ein Gefühl der Zugehörigkeit verbunden ist), indem man sie zum Ausgleich f ü r die verlorenen Rechte und Privilegien mit ansehnlichen Aufgaben und Ämtern entschädigt, um die latente Gefahr einer Revolte und einen Faktor der Instabilität zu beseitigen. Der Adel seinerseits hatte mit beständig zunehmendem Universitätsbesuch die notwendigen Kenntnisse erworben, um verantwortungsvolle Posten in der Staatsverwaltung zu übernehmen. Begünstigt von größerem Uberfluß der Mittel und besseren Beziehungen konnte sich der Adel ferner durch lange Aufenthalte im Ausland und an den größeren Höfen Europas leichter jene eleganten Manieren und jene Attitüde des Mannes von Welt aneignen, die geeignet waren, ihn vorteilhaft von den »pedantischen« bürgerlichen Juristen zu unterscheiden. Die bürgerliche Intelligenz, die den absolutistischen Staat organisiert, aufgebaut und mit dem notwendigen ideologischen und juristischen (Pufendorf, Thomasius, Stryck) Fundament versehen hatte, wird damit von der Macht ausgeschlossen, zugunsten der Klasse, die der Schaffung dieses Staates den hartnäckigsten Widerstand und den bewaffneten Aufstand entgegengesetzt hatte. Natürlich ist die politisch an den Rand gedrängte bürgerliche Intelligenz, abgesehen vom Fall der Weifenlande, wo der Prozeß der Aristokratisierung des Staates frühzeitig eingetreten war und der Adel, kastenmäßig geschlossen, die gelehrten Räte und die Neugeadelten nie in seinen Kreis aufgenommen hatte, 351 nicht identisch mit derjenigen, die mit dem Fürsten an der Schaffung des absolutistischen Staates mitgearbeitet hatte. Wie wir im ersten Kapitel darlegten, ist diese Klasse bereits mit dem Uradel und dem Patriziat verschmolzen, und es ist vielmehr gerade die herrschende Klasse, die in der Epoche der großen sozialen Mobilität ( 1 5 0 0 1690) aus der Verschmelzung der bürgerlichen Intelligenz mit dem Blutsadel und dem Patriziat hervorgegangen ist und der es nun - in ihrem 351 VGL. LAMPE, Aristokratie,
Hofadel
und Staatspatriziat in Kurhannover,
S. 2 1 5 - 2 3 7 .
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biologischen, kulturellen und ökonomischen Erbe regeneriert und zwischen 1648 und 1690 besonders homogen geworden - mit Erfolg gelingt, die bürgerliche Intelligenz des 18. Jahrhunderts von den Zentren der Macht fernzuhalten. Um ihren Monopolanspruch auf die Macht zu rechtfertigen und ihr Sozialprestige zu steigern, muß diese herrschende Klasse die Distanz zwischen sich und den anderen Klassen so weit wie möglich vergrößern. Deshalb verweigert sie hinfort >Mesalliancenreaktionär< sein kann wie in Württemberg, w o das Bürgertum die Macht bereits besitzt 357 - ausgesprochen bürgerlich ist (besonders der hallesche Pietismus entwickelt und propagiert unter den preußischen Untertanen eine »>solide< bürgerliche Gesinnung«), 358 stammten die Begründer und Ideologen dieser Bewegung sowohl aus dem höheren Bürgertum als auch aus dem niederen Adel, also aus gesellschaftlich gefährdeten Schichten. Die ersten Anhänger des Pietismus gehörten den höheren Ständen des städtischen Bürgertums, dem Patriziat und der Intelligenz an. Ihnen schlossen sich dann Angehörige aus dem mittleren und unteren Bürgerstand (meist Handwerker, deren Existenz durch die Entwicklung der Manufakturen bedroht war) und später aus dem Adel an (meist aus dem niederen Landadel, dem es an den notwendigen Mitteln fehlte, um das aufwendige Leben der großen Herren zu führen). 359 In Preußen waren die Junker, die Verfechter der Orthodoxie und der Feudalordnung in der sehen Pietismus, in »Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte« 4 (1926), 1 4 4 - 1 7 6 . Über die beiden Hauptvertreter dieser Bewegung, Spener und Francke, vgl. JOHANNES WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, Tübingen 1970 ( = Beiträge zur historischen Theologie, 42) und ERICH BEYREUTHER, August Hermann Francke und die Anfänge der ökumenischen Bewegung, Leipzig 1957. 35β VGL. DEPPERMANN, Der hallesche Pietismus, S. 1 7 2 - 1 7 9 . 35' Zum Pietismus in Württemberg vgl. HARTMUT LEHMANN, Pietismus und weltliche Ordnung in Württemberg vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1969. 358 VGL. DEPPERMANN, Der hallesche Pietismus, S. 174. Vgl. audi HEINRICH, Amtsträgerschaft und Geistlichkeit, S. 208-209. 359 Vgl. HARTMUT LEHMANN, Der Pietismus im alten Reich, in »Historische Zeitschrift« 214 (1972), 58-95, hier S. 82-85.
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Gesellschaft, dem Pietismus abgeneigt, da dieser durch das Bündnis mit dem Absolutismus ihre gesellschaftliche Stellung unterhöhlte. Der der Krone in Bürokratie und Heer dienende und dem absolutistischen Staat treue Adel hing dagegen zum Teil dem Pietismus an. Auch der Hofadel hegte für den Pietismus Sympathien. 360 D a pietistische Ideen und Gefühle bei der Dynastie, die den Pietismus als die den Staatsinteressen am besten entsprechende Religion bevorzugte, wohlgelitten waren und eine Staatskarriere immer mehr begünstigten, nahm die Zahl der adeligen Schüler des Paedagogium Regium, des von Francke zur Erziehung der Söhne aus den Familien der höheren Stände (des Adels und des wohlhabenden Bürgertums) gegründeten Instituts, rasch zu. Während 1698 nur 5 von 41 Neueingeschriebenen Adelige sind, gehört 1 7 1 5 schon beinahe die Hälfte von ihnen ( 1 7 von 35) dem Adel an. Im Jahr 1 7 3 0 machen die adeligen Schüler sogar zwei Drittel der Neuzugänge aus (30 von 45). 361 Dank der Gunst der Hohenzollern (der Staat versprach den Schülern des Paedagogium Regium z . B . eine bevorzugte Einstellung in seine Ämter) 362 errang der Pietismus schnell wichtige Machtpositionen in der Kirche, der Schule und der Verwaltung Preußens und beteiligte sich wirksam am Abbau der feudalistischen Lebensordnung und an der Verbürgerlichung des Adels und der Gesellschaft (der Pietismus trug unter anderem zum Sieg des preußischen Staates über die Landstände bei). Wenn daher bereits nach 1685 der preußische Hof und Berlin dank der ausschließlichen Vorliebe Sophie Charlottes für die französische Sprache und Kultur 3 6 3 und durch die Anwesenheit französischer Flüchtlinge 364 die f ü r die Entwicklung des Klassizismus geeignetste Umgebung darstellten, 365 wurde dann ganz Preußen durch den dem Pietismus gewährten Schutz 361 3βο VGL. HINRICHS, Preußentum und Pietismus, S. 174-216. Ebd., S. 216. 362 VGL. DEPPERMANN, Der hallesche Pietismus, S. 144. ses Vgl. OTTO KRAUSKE, Königin Sophie Charlotte. Geboren 20J30. Oktober 1668. Gestorben i.Februar 170$, in »Hohenzollern-Jahrbuch« 4 (1900), 1 1 0 - 1 2 6 . 364 »Vielleicht das wichtigste Element in dem geistigen Leben Berlins um 1700 bildeten die französischen Prediger und Litteraten, welche zusammen mit ihren Landsleuten, den ausgewanderten Hugenotten, in der brandenburgischen Hauptstadt Aufnahme gefunden hatten.« [ADOLF HARNACK, Das geistige und wissenschaftliche Leben in Brandenburg-Preußen um das Jahr ijoo. Eine Skizze, in »Hohenzollern-Jahrbuch« 4 (1900), 1 7 0 - 1 9 1 , hier S. 172]. Zur Literatur der Refugies vgl. ERICH HAASE, Einführung in die Literatur des Refuge. Der Beitrag der französischen Protestanten zur Entwicklung analytischer Denkformen am Ende des 77. Jahrhunderts, Berlin 1959. 365 2 u r Dichtung am Berliner Hof unter Friedrich I. vgl. LUDWIG GEIGER, Berlin 16881840. Geschichte des geistigen Lebens der preußischen Hauptstadt. Erster Band. Erste Hälfte. Berlin. Verlag von Gebrüder Paetel. 1892, S. 15-49.
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zuerst seitens Friedrichs I I I . ( 1 6 9 4 G r ü n d u n g der Pietisten-Universität in H a l l e ) und sodann Friedrich Wilhelms I., der den Barockhof seines V a t e r s abbaute, in bürgerlicher Einfachheit lebte und den S t a a t w i e ein U n t e r nehmen verwaltete, w o b e i er seine Struktur rationalisierte - z u m M i t t e l p u n k t der antibarocken literarischen K u l t u r . Tatsächlich w i r k t e der Pietismus nicht nur indirekt, durch seinen Beitrag z u m Verbürgerlichungsprozeß der Gesellschaft und ihrer herrschenden Klassen, sondern auch direkt, durch seine A u f f a s s u n g v o n Sprache, 8 6 6 Stil und Poesie, 3 6 7 verstanden als unmittelbarer Ausdruck der G e f ü h l e , bei der U b e r w i n d u n g und Verurteilung der Barockdichtung 3 8 8 und somit bei der Verbürgerlichung der Literatur stark mit. see Über die Sprache des Pietismus und über seine Beziehung zur Dichtersprache des Barock vgl. AUGUST LANGEN, Der Wortschatz des deutschen Pietismus, Zweite, ergänzte Auflage, Tübingen 1968, S. 398-427. 367 Francke ist gegen den Gebrauch »feiner Historien, feiner Sinn-Bilder, Emblemata und Symbola« (AUGUST HERMANN FRANCKE, Sonn-Fest- und Apostel-Tags-Predigten, Halle 1734 [7. Aufl.], II, 259). Rambach, der ebenfalls gegen »Historien, Fabeln, Sinnbilder« und jegliches Kunstmittel eingestellt ist, tritt für einen natürlichen, einfadien und leicht verständlichen Stil ein. Zur Erläuterung des Stils seiner Predigten schreibt er: »Ich habe midi dabey sonderlich der Deutlichkeit, Reinigkeit und Einfalt befliessen. Die Deutlichkeit erfordert, daß man unverständliche theils veraltete, theils neugemachte Wörter, wie auch öftere parentheses und weitläuftige periodos vermeide, und solche Worte in natürlicher, leichter und ungezwungen fliessender Ordnung gebrauche, welche Gelehrte und Ungelehrte, so bald sie dieselben hören, auch verstehen können. Die Reinigkeit verlanget, daß man sich fremder, scholastischer, in den SprüdiWörtern des gemeinen Pöbels gewöhnlicher, und aus der Übung gekommenen Worte enthalte, hingegen übliche Redens-Arten und richtige Constructiones gebrauche. Die Einfalt schliesset alle hohe poetische Redens-Arten, schwülstige epitheta oder BeyWorte, kaltsinnige Wort-Spiele, oratorische Umschreibungen, hochgetriebene mystische, oder sonst paradox und fremd klingende Ausdrücke aus, samt solchen Formeln, die nach dem H o f - und Cantzeley-Sfi/o, oder gar nach Romanen und nach dem Theatro schmecken; und will hingegen heilige, und der Biblischen Schreib-Art gemässe Redens-Arten haben« (D. JOHANN JACOB RAMBACHS, Ersten Superint. S. Theol. Prof. prim, und des Hoch-Fürstl. Consistorii Assessoris in Glessen Evangelische Betrachtungen Über die Sonn- und Fest-Tags-Evangelia Des gant zen Jahrs, Mit heygefügten Dispositionen über iede Betrachtung, Und nützlichen Registern versehen. Die neunte Auflage [1. Aufl. 1730]. Mit Rom. Käyserl. und Königl. Pohln. und Chur-Sächsischen wie auch Königl. Preuß. und Chur- Brandenb. allergnädigsten Privilegiis. Halle, In Verlegung des Wäysenhauses. 1758, S. 18-27). Auch Zinzendorf, der jedem dekorativen Kunstgriff abgeneigt ist, predigt das Stilideal der Natürlichkeit. Vgl. hiezu HANS-GÜNTHER-HUOBER, Zinzendorf S Kirchenliederdichtung. Untersuchung über das Verhältnis von Erlebnis und Sprachform, Berlin 1934 ( = Germanische Studien. Heft 150); und WILHELM BETTERMANN, Theologie und Sprache bei Zinzendorf, Gotha 1935· 868 Über den Beitrag des Pietismus zur Kritik an der Barockdichtung und zu ihrer Überwindung vgl. WINDFUHR, Die barocke Bildlichkeit und ihre Kritiker, S. 440-456; und SPERBER, Der Einfluß des Pietismus auf die Sprache des 18. Jahrhunderts.
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III.
Kapitel
Das Ende des Barock in der Dichtung bedeutet jedoch nicht den Tod des Barock. Mit dem Pietismus, der Aufklärung 369 und der Empfindsamkeit, den geistigen Bewegungen, in denen sich der Protest der bürgerlichen Intelligenz gegen ihren Ausschluß aus den Zentren der Macht und die Verminderung ihres Sozialprestiges ausdrückt, und mit den ihnen entsprechenden literarischen Formen findet das Barock tatsächlich nur in der Dichtung sein Ende. Dort, wo die Hocharistokratie, die Prälaten und der Adel mit ihren Aufträgen und Erwerbungen noch ausschließlich die künstlerischen Äußerungen bedingen und weiterhin die Funktion von Kunstträgern erfüllen, hält der barocke Repräsentationsgeschmack auch im 18. Jahrhundert an. In der Musik und in den darstellenden Künsten, insbesondere in der Architektur, feiert das Barock in Deutschland vielmehr seine glänzendsten Triumphe gerade um 1 7 3 0 - 1 7 5 0 und erlischt erst um 1760-1780 (ein Jahrhundert nach dem Höhepunkt der Entwicklung der Barockdichtung). Diese Phasenverschiebung im Prozeß der Stilentwicklung zwischen einerseits der Literatur und andererseits den darstellenden Künsten und der Musik ist auffallend. Aber diese Disharmonie stellt die Gegenprobe dazu dar, daß sich die bürgerliche literarische Intelligenz von den Formen barocker Repräsentation des Absolutismus entfernt, weil sich die soziale Mobilität verringert. Wenn nämlich das Barock in der Musik und in den darstellenden Künsten noch viele Jahrzehnte nach seinem Erlöschen im literarischen Bereich fortdauert (Johann Sebastian Bach, der »Lohenstein der Musik«, komponiert seine Matthäuspassion 1729 und seine Kunst der Fuge 1749-1750, annähernd in den Jahren der ersten und der vierten Auflage der Critischen Dichtkunst Gottscheds (1730 bzw. 1 7 5 1 ) ; die Treppenhäuser Balthasar Neumanns in den Schlössern von Würzburg, Bruchsal und Brühl werden zwischen 1729 und 1748 errichtet; die Wallfahrtskirche von Vierzehn369
Zur Aufklärung vgl. ERNST CASSIRER, Die Philosophie der Aufklärung, Tübingen 1932; H A N S M . WOLFF, Die Weltanschauung der deutschen Aufklärung in geschichtlicher Entwicklung. Zweite Auflage. Durchgesehen und eingeleitet von Karl S. Guthke, Bern und München 1963 [1. A u f l . 1949]; FRITZ VALJAVEC, Geschichte der abendländischen Aufklärung, Wien 1961; EDUARD WINTER, Frühaufklärung. Der Kampf gegen den Konfessionalismus in Mittel- und Osteuropa und die deutsch-slawische Begegnung. Zum 250. Todestag von G. W. Leibniz im November 1966, Berlin 1966 ( = Beiträge zur Geschichte des religiösen und wissenschaftlichen Denkens, Band 6); PETER G A Y , The Enlightenment: An Interpretation. 2 Bde., N e w Y o r k 1969-1973; NORMAN HAMPSON, The Enlightenment, 1968; NICOLAO MERKER, L'illuminismo tedesco. Età di Lessing, Bari 1974 [1. A u f l . 1968] ; und LESTER G . CROCKER, An Age of Crisis. Man and World in Eighteenth Century French Thought, Baltimore 1970.
Die Kritik der
Aufklärung
435
heiligen entsteht zwischen 1743 und 1 7 7 2 , die »Wies«, eine oberbayrische Wallfahrtskirche, zwischen 1746 und 1754 und die Asamkirche in München zwischen 1 7 3 3 und 1746), 370 so geschieht dies deshalb, weil der andere Teil der deutschen bürgerlichen Intelligenz des 18. Jahrhunderts - Künstler und Musiker - noch fest in die höfischen Machtzentren integriert ist und ausschließlich von den Kommissionen der Fürsten, des höheren Klerus oder des Adels zu leben vermag. Folgerichtig emanzipiert sich diese künstlerisch tätige bürgerliche Intelligenz nicht von der Aristokratie, sondern fährt fort, in ihren Werken deren Intentionen auszudrücken und deren Werte zu verherrlichen. Der so sehr gefeierte Prozeß der >Emanzipation< der bürgerlichen Intelligenz ist eine Folge der verlangsamten Zirkulation der Eliten, nicht eine autonome und selbsttätige Errungenschaft des Geistes und schon gar nicht des reif gewordenen Klassenbewußtseins. Ideologische Revolutionen ereignen sich, wie viele politische auch, wenn sich die »freischwebende« Intelligenz, sobald sie von der Macht völlig oder zu einem großen Teil ausgeschlossen wird, gezwungen sieht, die eigenen Interessen mit denen einer aufsteigenden sozialen Klasse zu verbinden (die Existenz einer solchen Klasse stellt für die Intellektuellen offensichtlich die »conditio sine qua non« f ü r eine Alternative dar), die mit der machtbesitzenden Klasse notwendigerweise im Konflikt steht.
370
Die Phasenverschiebung zwischen dem literarischen Barock und dem Barock in Musik und darstellender Kunst wird aus der graphischen Darstellung, die von Richard Müller auf Grund der biographischen Daten von Musikern, Dichtern und Künstlern angefertigt wurde, deutlich. Vgl. RICHARD MÜLLER, Dichtung und bildende Kunst im Zeitalter des deutschen Barock (Wege zur Dichtung 28), Frauenfeld/Leipzig 1937, S. 33·
Personenregister Die Zahlen beziehen sich jeweils auf die ganze Textseite einschließlich der Anmerkungen. Das Personenregister wurde vom Verfasser aufgestellt.
Abbt, Thomas 407 Abschatz, Hans Aßmann von 7 0 , 1 4 6 , 1 4 7 , 1 5 8 , 1 6 2 , 206, 2 1 6 , 2 1 7 , 2 3 3 , 2 8 1
Achilleus Tatios (Tatius) 225 Adam, Antoine 119 Addison, Joseph 302, 310, 3 1 5 , 346, 410, 413 Adel, Kurt 1 1 3 Adelung, Johann Christoph 364, 404 Aepinus (Äpinus), Angelus Johann Daniel 366
Agnelli, Francesco 255 Aisdiylos 185, 186 Aisopos 49 Alardus von Canthier, Matthias Andreas 402
Albertazzi, A d o l f o 1 1 8 Alberti, Julius Gustav 407 Alberti, Leon Battista 47, j 2 Albertini, Rudolf von 128 Albertinus, Aegidius 47, 51 Albertus Magnus (Albredit von Boilstädt) 382
Alciati (Alciato), Andrea 140 Alemán, Mateo 47 Alewein, Hans Adolf von 82, 83 Alewyn, Richard 3, 30, 37, 88, 132, 153 Alexander der Große 248, 367 Algarotti, Francesco 3 1 5 Alighieri, Dante 47 Altenheim, Hans Richard 418 Amthor, Christoph Heinrich 288,298,313, 3 i 6 > 324 Amyot, Jacques 49, 52 Andrian-Werburg, Klaus von 76 Anna Sophia von Braunschweig 1 $2 Anton 162 Anton, Eduard 63 Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbiittel $8, 83, 8$, 105, 107, 119, 120, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 146, 1 5 2 , 1 5 3 , 1 6 3 , 1 9 3 , 198, 208, 2 1 3 , 2 3 2 , 2 3 3 . 2 74> 2 7 7 . 2 9 1 , 3 1 2 , 3 5 7 , 408, 411
Apuleius, Lucius 102, 22J Aretino, Pietro 47 Ariosto, Ludovico 47, j o , 5 1 , 301, 377 Aristoteles 50, 98, ι ο ί , 120, 214, 321, 367, 368
Arletius, Johann Caspar 168, 169, 369 Arnaud (abbé de Granddiamp), François 386
Arnauld, Antoine 296 Arndt (Arnd), Johann
43, 312, 3 1 3 , 401,
408
Arnold, K a r l 88 Arnoldt, Daniel Heinrich 334 Arntzen, Helmut 176 Aron, Raymond 421 Artzat, A d a m Caspar von 158 Asmuth, Bernhard 156, 161, 204, 206 Assarino, Luca 1 1 8 , 1 5 3 Assig, Andreas von 158 Assig, Hans von 147 Aubin, Hermann 7 2 , 4 1 3 August II. von Polen 154 Augustus, Gaius Octavius 136, 219, 258, 324
.
Ausonius, Decimus Magnus 8 5 , 2 1 5 Avancini, Nicolaus von 5 1 , 147 Ayrenhoff, Cornelius Hermann von 404 Ayrer, Jacob 406 Baasch, Ernst 418 Badi, Johann Sebastian 355, 356, 434 Bade, A . L. 398 Bacon, Francis 296 Bäbler, J . J . 381, 382 Baeditold, Jakob 280 Bäumler, A l f r e d 375 Bailliar, Ernst Claudius 160 Balde, Jakob 5 1 , 1 4 7 Balet, Leo 419 Balzac, Jean-Louis Guez de 247, 264, 385, 386
Balzer, Bernd 176 Barclay, John 122, 129, 153, 186, 198, 219, 229,311,314
43
8
Barck, Karl-Heinz 3 Bareikis, Robert P. 402 Bark, Joachim 270,402 Barlaeus, Caspar 70 Barner, Wilfried 62, 87, 88, 96, 97, 99, 1 0 1 , 102, 107, 109, 138, 144, I 4 J , 147, 148, ι67» r 73 Baronio, Cesare jo Barth, Johann August 98 Barthes, Roland 3 1 1 Barthold, Friedrich W. 109 Bartoli, Cosimo 47 Basedow, Johann Bernhard 367 Batllori S. J., Miguel 101 Batteux, Charles 359,360, 383 Bauch, Christian 185, 186, 265 Baudelaire, Charles 3,25 Bauer, C. F. 96 Bauer, Johann 189 Bauer, Werner 3, 22, 26, 27 Baumann, Georg 135, 155, 175, 176, 187 Baumeister, Josef Anton Ignaz von 318 Baumgartner, Alfred Clemens 30, 44 Baur-Heinhold, Margarete 1 7 1 Beaujean, Marion 3 5 , 4 1 , 4 1 6 , 4 1 7 Beaumarchais, Pierre Augustin Caron de 410 Becher, Johann Joachim 44 Beck, C. H. 420 Becker, Eva D. 41 Becker, W.G. 399 Beckmann, Johann Christoph 1 5 3 , 1 5 4 , 1 6 2 Beer, Johann 153, 296 Beethoven, Ludwig van 21 Beichling, Wolfgang Dietrich von 154 Beier, Adrian 2 8 , 2 9 , 3 1 , 4 4 , 4 1 7 Beinlich, Alexander 44 Beljame, Alexandre 413 Bellarmino, Roberto 50 Bellegarde, Jean-Baptiste Morvan de 313, 328 Below, Georg von 67,418 Bembo, Pietro 47 Benda, Julien 420,421 Bender, Hermann 162 Bender, Wolfgang 346 Benedikt, Heinrich 160,301 Benjamin, Walter 140 Bennett, H. S. 40 Benrath, Gustav Adolf 72 Bense, Max 26 Berckenmeyer, P. L. 313
Personenregister Berg, Hans Christoph 2 Bergen, Christian 178 Berger, Johann Andreas 366 Bergius, Carl Julius 3 5 Bergmann, Michael 1 8 3 , 1 8 4 Bernhard, Johann Adam 38 Bernhard von Clairvaux 50 Bernhardt 192 Bertelsmann, Carl 99, 405 Bertòla de' Giorgi, Aurelio 388 Bertram, Philipp Ernst 375 Besser, Johann von 84, 221, 233, 236, 252, 282, 283, 286, 287, 288, 293, 298, 309, 310, 3 1 1 , 313, 314, 340, 356, 358, 412 Bettermann, Wilhelm 433 Beuthner, Johann Heinrich 270 Beyer, Hildegard 145 Beyreuther, Erich 431 Bezzel, Irmgard 48, 49 Bibra, Siegmund von 381 Bickerisdi, Wilhelm 5 5 Bidermann, Jacob 51, 88, 1 1 3 , 147, 170 Bielfeld, Jakob Friedrich von 370,371,385 Bierling, Friedrich Wilhelm 233 Biondi, Giovan Francesco 118, 152, 153, 186 Birdier, Martin 52,109, 116, 1 1 7 , 1 5 2 , 1 7 8 , 280, 348 Birke, Joachim 338,356 Birken, Sigmund von 85, i n , 1 1 7 , 118, 119, 120, 124, 125, 126, 129, 130, 133, 134» 135. 145. 147. 166, 167, 178, 182, 183, 184, 1 8 5 , 1 9 3 , 213,278 Bischoff, Theodor 1 1 7 Blaas, Richard 158 Blackall, Erich A. 3 0 5 , 3 1 8 , 3 5 9 Blättner, Fritz 185,358 Blanckenburg, Friedrich von 42, 1 2 1 , 128 Bleicher, Thomas 3 Blendinger, Friedrich 80 Bleßing, Johann George 188 Biodi, Ernst 198 Blome (Familie) 409 Blühn, Elger 99 Blum, Joachim Christian 403 Blumensath, Heinz 3,25 Bobbio, Norberto 421 Boccaccio, Giovanni 46, 47,48,49, 52 Boccalini, Trajano 51 Bock, Johann Georg 357,358 Bodemann, Eduard 126, 232 Bodin, Jean 51
Personenregister Bodin, Louis 421 Bodmer, Hans Jakob 3 1 1 Bodmer, Johann Jacob 184, 185, 230, 234, 237> 238. 239. 241. 280, 287, 298, 299, 301, 302, 303, 309, 310, 314, 316, 3 1 7 , 319» 3 2 0 > 3 2 I > 3 2 2 > 3 2 3> 3 2 4i 3 2 5 . 3 z 6 . 3 2 7 . 331» 332, 334. 3 3 J . 337. 33«. 34^. 349. 3 5 1 . 360, 361, 3^2, 363. 3 6 5 . 373. 379. 3 8 9 . 4 i 2 Böckmann, Paul 100 Bödiker, Johann 27 j , 276 Bühlau, Christoph Dietrich von 358, 4 1 2 Boehm, Laetitia 64, 65 Böhme, Jacob 359 Boehmer, Heinrich 103 Boethius, Anicius Manlius Severinus 50, 31; Boetius, Heinrich Gottfried 300 Boetius, Henning 1 7 9 , 2 2 3 Böttcher, Irmgard 146 Bogel, Else 99 Bohn, Johann Carl 203, 372 Bohours, Dominique 316, 3 4 j Bohse, August j 2 , 83, 87, 2 2 1 , 277, 278, 279.29J,311,312,313,317,411 Boileau-Despréaux, Nicolas 202, 229, 236, 286, 288, 298, 300, 302, 303, 310, 3 1 1 , 3 1 5 . 337. 345. 349.360 Boisdeffre, Pierre de 10 Bolte, Johannes 1 6 6 , 1 7 1 , 1 7 7 Bon, Frédéric 421 Bonaventura (Giovanni Fidanza da Bagnorea) j o Boor, Helmut de 92 Borchling, C. 4 1 2 Borck, Caspar Wilhelm von 354 Borinski, Karl 94, 9J, 178 Borja, Juan de 400 Borkenau, Franz 90,91 Bosl, Karl 76, 77, i n , 1 1 7 Bosseck, Balthasar Otto 288 Botero, Giovanni 48,50 Bottomore, T. B. 421 Bouginé, Carl Joseph 392 Bourdieu, Pierre 26 Boyle, Robert 3 1 3 Brackmann, Adrian 235 Bräuning-Oktavio, Hermann 406,407,410 Braitmaier, Friedrich 303 Brandenburger, Anna Rosina 159 Brandenburger, Johann Christoph 1 J 9 Brandis, Franz Adam von 147
439 Brandl, Alois 280, 299, 309 Brandmüller, Johann 305, 3 1 2 Brandt, Christian Wilhelm 245, 252 Brant, Sebastian 4 6 , 5 1 Braubach, Max 72 Brauer, Adalbert 57 Braun S. J., Joseph 103 Braun-Troppau, E. W. 162 Braune, Wilhelm 132 Braunschweig-Ullmann, Renate 3 Bray, René 287,328 Brehme, Christian 184 Breitinger, Johann Jakob 210, 230, 234, 287, 299. 3 0 I > 3 ° 3 . 3 J 9 . 3 2 1 , 322, 325, 326, 327, 328, 329, 330, 3 3 1 , 332, 333, 334. 335. 337. 3 3 8 , 345. 35*. 352, 353. 360, 365, 373, 379, 380, 389, 390, 391, 392, 3 9 3 , 4 1 2 Breitkopf, Bernhard Christoph 229, 230, 269, 325. 3 3 ° . 339. 340. 342. 347. 349. 3 5 ° . 3 5 1 . 352, 353. 354. 355. 35«, 357. 358, 359. 3 6o > 3 6 i > 3 6 2 , 371 Brenz, Johannes jo Breslauer, Martin 251 Bresler und Aschenburg, Ferdinand Ludwig von 159, 160, 1 6 1 , 168, 264, 265, 266, 301 Breuer, Dieter 2 5 , 1 1 6 Brockes, Barthold Hinrich 280, 287, 293, 298, 299, 300, 301, 3 1 2 , 3 1 3 , 316, 382, 402, 406 Brodmann, Helmtrud 3 Broekman, J a n M. 12, 20 Brommer, Fr. 348 Brüggemann, Fritz 202 Bruford, W. H . 421 Brummer, Hinridi 224 Brunner, Otto 49, 50, 64, 69, 77, 87, 9 1 , 92, 93. 95. 96, 97. ι ° 9 . "5. "6. 128, 153, 1 7 8 , 4 1 3 Budiholtz (Bucholtz), Andreas Heinridi 147, 153, 184, 274, 277, 357, 393, 394, 412 Budiholz, Ernst Wolfgang 34 Buchka, Johann Simon 228, 229, 230, 250 Budiner, August 1 4 5 , 1 4 7 , 1 8 4 Buck, August 1 3 7 , 1 3 9 , 1 4 0 , 1 4 5 Buddeus (Buddaeus), Johann Franz 159, 160, 267 Bühr, Monika 3 Bülau, F. 154 Bürger, Gottfried August 403
Personenregister
440 Biirgkli, D a v i d 310 Burk, Albert i j 8 Bulling, Klaus 110 Bullinger, Heinrich j o Burckhardt, Carl J. 421 Burger, Harald 113 Burger, Heinz Otto 88, 89, 100, 144, 198, 359. 365.398 Burkert, Georg 301 Burnacini (Familie) 113 Burnet, Thomas 205 Burnier, Michel Antoine 421 Busch, Heinrich von dem 397 Butschky, Samuel von 82, 86, 87 Buzás, László 136 Caesar, Gaius Julius 255,256, 367 Caillière, Jacques de 91,295 Calaminus, Georg 51 Calogerà, Angelo 388 Campanella, Tommaso 48,251 Canitz, Friedrich Rudolf Ludwig von 221, 233, 236, 272, 281, 282, 283, 286, 288, 298, 300, 309, 310, 311, 313, 314, 317, 34°. 3Î 6 » 35 8 . 3 6 ° . 3 8 i > 4 % 4°4. 4 ° 6 Canstein, Carl Hildebrand von 313 Canthier s. Alardus von Canthier Capua, Angelo George de 85, 270, 284 Cardano, Girolamo 50 Carlowitz, Christoph von 150 Carlsson, Anni 198 Carpzov, Johann Benedict 57 Carsten, Francis L. 68 Cassirer, Ernst 434 Castelli, Enrico 102 Castiglione, Baldassarre 48, 51, 92, 93, 94, 100 Cato, Marcus Porcius 251 Catullus, Gaius Valerius 46 Cecchi, Emilio 1 1 8 , 1 3 9 Celan, Paul 3, 26 Cellarius (Keller), Christoph 57 Centurione, Giambattista 388 Cervantes Saavedra, Miguel de 48,52,198, 314 _ Chaplain, Jean 119 Charron, Pierre 3 1 1 , 3 1 5 Chenius, Johannes Christoph 181 Cherry, Colin 1 Christian von Wohlau 157,158 Christian II. von Anhalt 152 Christine von Schweden 137
Chvatik, Kvetoslav 11 Cicero, Marcus Tullius 45, 46, 50, 51, 53, 95, 96, 98, 100, 102, 105, 160, 188, 229, 259, 262, 268, 339, 343 Clarke, Samuel 315 Claudia Felicitas 151, 349 Claudianus, Claudius 85,102 Cleophon (Kleophon) 321 Cohn, Egon 94, 173 Coing, Helmut 67 Colin, Armand 128 Collins, Arthur S. 413 Colombo, Cristoforo 95 Conrad, Hermann 64 Conrady, Karl Otto 144 Conte, Giuseppe 140, 142 Corduas, Sergio 11 Coreth, Anna 98 Corneille, Pierre
186, 275, 311, 315, 321,
341. 355. 3 5 6 . 3 6 7> 3 6 8 > 3 8 8 . 3 8 9 .
391 Corniani, Giovan Battista 388 Corvinus, Gottlieb Siegmund 296,297,411 Cosmerovius von Lorenzberg, Matthäus 114 Costanzo, Mario 139 Costo, Tommaso 47 Cotta, Christ. Gottfried 252 Cotta, Johann Georg 67,73, 252 Couturier 387 Cramer, Johann Andreas 407 Cramer, Johann Friedrich 266 Cranz, August Friedrich 406 Creutzberg, Amadeus (Balthasar Friedrich von Schütz) 312 Croce, Benedetto 139 Croce, Franco 139 Crocker, Lester G. 434 Cronegk, Johann Friedrich von 356, 402, 403 Croy, Emil Bogislav von 163 Csáky-Loebenstein, Eva-Marie 106 Cuissard, Ch. 410 Cunaeus, Petrus 70 Cuno, Christian Henrich 375 Cuno, Johann Heinrich 192 Cunrad, Christian 147 Currie, Pamela 418 Curtius, Ernst Robert 92,97,102, 136 Curtius, Michael Conrad 365, 366, 369, 402 Czepko von Reigersfeld, Daniel 147
Personenregister Dach, Simon 147,341 Dachs, K a r l 147, 148 Dahle, G . 247 Dahlke, Hans 202, 282 Dahm, Georg 67 Dahrendorf, Malte 44 Dainville S. J., François de 102,296 Danzel, Theodor Wilhelm 337 Daul, Hans Joachim 80 Daunicht, Richard 418 Debes, Dietmar 242 Debitsdi, Friedrich 107 Decker, R. 110 Decker-Hauff, Hans-Martin 76,426 Deer, Bened. Christian 408 Defoe, Daniel 3 1 1 , 3 1 4 , 4 0 9 Delbono, Francesco 202,281 Del H o y o , Arturo 93 Della Casa, Giovanni 48 Demeter, K a r l 425,430 Demosthenes 343 Denis, Michael 401, 402, 403 Deppermann, Klaus 4 3 0 , 4 3 1 , 4 3 2 Derham, William 315 Descartes, René 296 Desportes, Philippe 52 Diderot, Denis 410 Dieterici, Johann Conrad 57 Dietrichstein, Rudolf von 1 1 0 , 1 1 6 Dilherr, Johann Michael 184 Dilthey, Wilhelm 135 Dockhorn, Klaus 97 Doderer, Klaus 44 Dönhoff (Familie), von 170 Dolce, Ludovico 49 Domarus, M a x 76 Dommerich, Johann Christoph 369 Donato, Eugenio 139 Dorn, Wilhelm 2 1 2 , 2 8 3 , 2 8 5 , 2 8 7 Dreitzel, Hans P. 421 Drollinger, K a r l Friedrich 2 7 9 , 3 1 4 Drusus, N e r o Claudius 136 D u Bartas, Guillaume de Salluste 184, 349 D u Bos (Dubos), Jean-Baptiste 308, 378, 398 Düffel, Peter von 94 Dülmen, Richard van 1 1 1 , 117 Dünnhaupt, Gerhard 118, i j o Düsterdieck, Peter 33 Duhr S. J., Bernhard 1 0 3 , 1 1 2 Duncker, Alexander 109 Durand 387
441 Dusch, Johann Jakob 389,402,403 D u Vair, Guillaume 50 Dyck, Joachim 97, 138, 145 Dyck, Johann Gottfried 393 D z i a t z k o , K a r l 33 D z w o n e k , Ulrich 422 Ebeling, Christoph Daniel 386 Eben und Brunnen, C a r l Siegmund von 300 Eberhard, Johann August 393, 394, 399 Ebner 103 Eckart, Christoph Gottfried 357,358 Eckhardt, Albrecht 76, 423 Eckhardt, K a r l August 67 Eckhart, Johann Georg 232,233 Eco, Umberto 27 Eggers, Dietrich 167, 176, 187 Eggert, Hartmut 2, 3, 2 2 , 1 3 5 Ehrenzeller, Hans 149 Ehrismann, Gustav 92 Eichendorff, Joseph von 3, 290 Eichorn (Sciurus), Andreas 63 Eiffer, Günter 92 Eisner, Christine 133 Ekerman, Peter 278 Eleonore 152 Elias, Julius 239 Elias, Norbert 70, 88, 89, 90, 422 Elisabeth Marie von Oels 159 Elsas, M . J . 59 Elzevier, L u d w i g 130 Emrich, Wilhelm 176 Enax, Hermann Augustin 233 End ter, Johann Friedrich 152 Endter, Michael 1 3 1 , 1 5 2 Endter, W o l f g a n g 82, 109, 134, 146 Engel, Hans 171 Engelsing, R o l f 23, 29, 39, 41, 42, 43, 318, 397.4I3.4I6. 417.426 Epikuros 250 Erasmus von Rotterdam, Desiderius $3.251,315 Erbe, Michael 66 Erdmannsdörffer, Bernhard 156 Erler, Adalbert 66 Erler, Georg 158 Erlich, Victor 16,20 Ermini, Giuseppe 71 Ernesti, Johann August 404 Erning, Gunter 418 Ernst, Jacob Daniel 313
45,
442
Personenregister
Ernst, Johann ι 8 ι Ernst, Johann Nikolaus 58, 247, 248 Escarpit, Robert 4, J, 35 Esdienburg, Johann Joadiim 3 7 3 , 4 0 7 Eßmarch, Nicolai Ludovici 408 Eulenburg, Franz 3 5 , 3 7 , 3 8 , 9 9 Euler, Friedrich Wilhelm 64 Euripides 269, 373 Faber Du Faur, Curt von 149 Fabian, Bernhard 9 Farinelli, Arturo 95 Farwick, P. L . Leo 90 Fechter, Werner 4 j Feind, Barthold 224,406 Feit, P. 186 Felber, Emil 283,400 Feldmeier, Eckart 3 7 J Fellgiebel, Jesaias 86, 144, i j i , 155, 157, 1 6 3 , 179, 1 8 3 , 188, 3 3 8 , 349
Fénelon, François de Salignac de la Mothe 311,312,313,315,347,411
Ferdinand I. (II.) 47 Ferdinand II., der Katholisdie
157, 176,
299
Ferdinand I I I . 48, 1 1 4 , 1 5 2 Ferdinand Maria 74 Ferrarotti, Franco 421 Ferretti, Marc'Antonio 47 Fibiger, Michael Joseph 264 Ficino, Marsilio j o Fick, Johann Simon 178 Fickweiler, Johann Wolf gang 223, 241 Fieguth, Rolf 3, 12 Fielding, H e n r y 3 1 4 , 3 1 5 , 4 0 9 , 4 1 0 Fietkau, Wolf H . 26 Fincelius, Johann Wilhelm 292 Fischer, Ludwig 97, 102, 138, 145 Fischer, Wolfram 409 Flacius Illyricus 50 Fleischer, Christoph 1 5 0 , 2 1 3 Fleischer, Friedrich 398 Fleischmann, M a x 198 Fleming, Paul 51, 70, 147, 183, 184, 202, V3.34i,3f9.37i Flemming, Willi 80, 89, 1 1 3 , 134, 135, 147, 148, 1 7 1
Flessau, Kurt-Ingo 4 1 , 4 1 8 Flögel, K a r l Friedrich 3 7 8 , 3 9 1 , 3 9 2 Florescu, Vasile 296 Förster, Nicolaus 232, 292, 345 Foilletus (Foillet), Iacobus (Jacques) 46
Fontenelle, Bernard le Bovier de 3 1 1 , 313, 315 Forster, Leonard 1 3 6 , 1 4 1 Francesco I I I . d'Esté 255 Francisci, Erasmus 340 Franck, Christian 403 Frandc, Johann 184 F r a n t i , Michael 184 Franck, Peter 184 Franck, Sebastian 184 Francke, August Hermann 3 1 3 , 4 3 1 , 432, 433 Frank, Horst-Joachim 1 1 7 , 125, 291, 401, 404
Franz, Günther 60, 64, 7 2 , 7 4 , 292 Freier, Hans 422 Frey, Adolf 280 Freyer, Hieronymus 276, 3 1 3 Freylinghausen, Johann Anastasius 3 1 3 Frick, Wilhelm 1 1 5 Fricke, Gerhard 138 Fried, Pankraz 76 Friedel, Adrian Christian 3 8 7 , 3 8 8 Friedensburg, F. 110, 157 Friedensburg, W. 54 Friedrich, H u g o 1 3 9 , 1 4 0 Friedrich, Wilhelm 98 Friedrich II. 4 0 4 , 4 2 3 , 4 2 5 , 4 2 9 Friedrich I I I . (I.) 150, 287, 340, 425, 430, 43^,433 Friedrich August 1 9 2 , 2 7 2 Friedrich Wilhelm von Brandenburg 73, 150,425 Friedrich Wilhelm I.
287, 423, 425, 430,
433 Fries, Erich 67 Frisdi, Johann Leonhard 275 Frisch, Lorenz 44 Frischlin, Philipp Nikodemus 5 1 , 53 Fritsch, Ahasvérus 57 Fritsch, Caspar 356 Fritsch, Christian Jacob 279 Fritsch, Georg Ludwig 272 Fritsch, Johann 91 Fritsch, J . Thomas 203, 218, 267, 268, 270, 277. 285 Fritzsch, Johann Ernst 336 Froberg, Christian Sigmund 399 Frömmidien, Johann C. 3 0 , 3 1 Fromm, Hans 2 Fromme, C a r l 5 2 Frundsberg, Georg II. von 46
Personenregister
443
Fuchs, Paul von 340 Fügen, Hans Norbert 3 j Fürnkäs, Sepp 22 Fürnrohr, Walter 6j, 79, 156, 162 Füßli, Rudolf 322, 392 Fueter, Eduard 98 Fulda, Ludwig 285,288 Fulda Merrifield, Doris 419 Gadamer, Hans-Georg 17, 88, 100 Gaertner, Hans 1 1 Gärtner, Theodor 252 Galilei, Galileo 50 Galli-Bibiena (Familie) 1 1 3 Gastrell, Francis 3 1 3 Gauhe, Johann Friedrich 1 5 0 , 2 7 1 Gay, Peter 434 Gebauer, Georg Christian j 6 , i6j, 253, 254. 255» 263,282
2
57»
2
58»
2
59»
Gebauer, Johann Justinus 375 Gebele, Eduard 42 Gebhardt, Bruno 156 Gehe, Franz Ludwig 68 Gehring, Paul 14$ Geiger, Ludwig 432 Geiger, Theodor 421 Geldner, Ferdinand 46 Geliert, Christian Fürchtegott
2É
°>
2ÉI
>
Gerzan du Soucy, François de 126 Gessner, David 224, 237, 322, 362, 392 Geßner, Salomon 402, 403, 404, 406, 407 Getto, Giovanni 1 1 8 , 1 3 6 Geulen, Hans 142 Gfug, Christoph Heinrich von 188 Ghelen, Johann van 1 1 j Gil Polo, Gaspar 52, 131 Gillespie, Gerald Ernest Paul 1 1 6 , 35 6 Glaeser, Enoch 184 Glaffey, Adam, Friedrich 294 Glaß, Salomon $7 Gleditsch, Johann Friedrich $6, 57, 83, 84, 134. i j ° > 156, IJ9, 196, 197»
2
° ° , 203»
190, 1 9 1 , 20
4>
2
°5,
2o6
192,
> 2.13,
2 1 7 , 220, 2 3 0 , 2 4 3 , 2 4 4 , 2 5 4 , 268, 2 7 7 , 319,326,332
Gleditsch, Johann Friedrich d. J .
j6, 164,
165
Gleditsch, Johann Ludwig 57, 83 Gleim, Johann Wilhelm Ludwig 314, 403, 412
Gnaphaeus, Wilhelm 46 Göcking, George Wilhelm 252, 283 Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von 403
295, 296,
390, 4 0 1 , 4 0 2 , 4 0 3 , 404, 4 0 $ , 406, 4 0 7 , 408,409,411, 412
Gemmingen, Eberhard Friedrich von 280, 402
Gemmingen, Johann Wilhelm von 51 Gensicke, Hellmuth 73 Gentillet, Innozenz 48 Georg III. von Brieg 157, 168,169 Georg Wilhelm von Liegnitz, Brieg und Wohlau 136, IJ7, 158, 163, 188, 222, 2 5 2 , 2 6 6 , 2 6 7 , 269, 2 7 1 , 2 8 3 , 286, 2 9 1
George, David E. R . 132 Georgi, Gotthilfït Theophil 56, 58, 278 Gerhard, Christoph 85, 120, 124, 12J, 179 Gerhard, E. 419 Gerhard, Johann 312 Gerhardt, C. J . 233 Gerhardt, Paul 147 Gerlach, J . N . 300 Gerold, Carl 1 1 4 Gerold, Joseph 384 Gerteis, Klaus 413 Gerth, Hans 421
Goedeke, Karl 1 8 3 , 2 0 2 , 3 4 7 Görlitz, Walter 76 Görres, Johann Joseph von 90 Göschen, Georg Joachim 36$, 373 Goethe, Johann Kaspar 405 Goethe, Johann Wolfgang von 3, 36, 39, 4 0 3 , 4 0 7 , 409
Gotting, Franz 405 Götz 91 Götz, Max 41, 418 Götz, Thomas Matthias 82 Götze, Ludwig 72 Göze (Götze), Christian 190, 191, 223 Goeze, Gottlieb Friedridi 409 Goldfriedrich, Johann 29, 30, 33, 35, 40, 42>
55» 57»
XI
4 , 4 0 3 , 413» 4 1 6 , 4 1 9 , 4 2 7
Goldsmith, Oliver 410 Gomberville, Marin Le Roy de 393 Gotter, Friedrich Wilhelm 407 Gotter, Gustav Adolf von 341 Gottsched, Johann Christoph 184, 185, 2 1 2 , 2 2 8 , 2 2 9 , 2 3 0 , 2 3 4 , 2JO, 2 6 3 , 269, 2 7 2 , 2 8 3 , 2 8 $ , 2 8 7 , 2 9 4 , 2 9 5 , 300, 3 0 5 , 308, 3 1 2 , 3 2 3 , 3 3 0 , 3 3 2 , 3 3 5 , 3 3 6 , 3 3 7 , 338» 3 3 9 . 340» 341» 3 4 2 , 3 4 3 , 3 4 4 , 345» 3 4 6 , 347» 3 4 8 , 349» 3 5 1 » 3 5 * . 3 5 3 , 3 5 4 ,
444 355» 35*. 357, 358, 359, 360, 361, 362, 363, 365, 369, 371, 373, 375, 378, 389, 402,404,412,434 Gottsched, Louise Adelgunde Victorie (geb. Kulmus) 3 5 6 , 3 6 1 , 4 0 6 , 4 1 1 Gottschling, Caspar 220,221 Gould, Charles 231 Gracián, Baltasar 93, 94, 95, ι ο ί , 138, 139. 142. 157» i 59» 202, 218, 247, 264, 266, 268, 295, 299, 345, 391 Gracián, Lorenzo (d. h. Baltasar) 94 Grave (Graevius, Greffe, Gräffius), Johann Georg 247 Gräfe, Eberhard 399 Gramsci, Antonio 421 Grappin, Pierre 308, 375 Grass, Carl Wilhelm 98 Graß, Samuel 169 Greiffenberg, Catharina Regina von 87, 116, 117, 124, 125, 127, 129, 146, 147 Greiner, Martin 2 , 4 1 6 Gretser, Jacob 113 Greven, Jodien 417 Grimm, Gunter 3, 402 Grimm, Reinhold 128, 132 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von 52,134, 145, 149,408 Grob, Johann 164,231 Grosdi, Johann Andreas 412 Groß, Johann Heinrich 220 G r o ß von Trockau, Christoph A d a m 107 Grosse, Abraham Heinrich 223 Grosse (Groß, Gros), Johann 82, 185, 190, 191, 192, 196 Grotius, Hugo 251 Gründer, Gottfried 135 Grünhagen, Colmar 157 Grüvel, Johann 265 Grundmann, Günther 80 Gryphius, Andreas 51, 55, 70, 113, 138, r 4°» 147. i 6 7 . l 6 g , i 6 9» 17°. Ï 7 8 . 179» 180, 181, 184, 185, 202, 221, 223, 233, 237, 265, 267, 269, 272, 273, 274, 275, 281, 282, 283, 288, 293, 302, 313, 325, 3^9. 338, 339. 341. 354» 355» 35^, 357» 358, 379» 387, 388, 389, 394 Gryphius, Christian 147, 167, 176, 185, 186, 187, 216, 221, 223, 233, 281, 313 Gschliesser, Oswald von 60, 73, 77,425 Guarini, Battista 47, 49, 52, 217, 386, 393, 395 Guarnacci, Mario 388
Personenregister Guazzo, Stefano 47, 49 Gühring, Adolf 347 Günther, Christoph 192, 196 Günther, Johann Christian 160, 202, 272, 280, 281, 282, 301, 350, 352, 403, 406 Günther, Hans 3, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 19, 22, 24 Günther, Hans R. G. 430 Guette, R. 17 Guevara, Antonio de 45,48, 51,86, 94, 295 Guicciardini, Francesco 48 Gumbrecht, Hans Ulrich 2 Gundling, Nikolaus Hieronymus 58, 160, 233,234,255,256 Gurlitt, Cornelius 103 Gustav Adolf von Schweden 233 Guthke, Karl S. 280,318,418,434 Gutknecht, Christoph 404 Gutt, Christian 83 Guyer, Paul 80, 426 Haas, Alois M. 280, 348 Haase, Carl 413 Haase, Eridi 432 Haberkamm, Klaus 142 Habermas, Jürgen 88, 89, 131 Hadamowsky, Franz 1 1 3 , 1 7 1 Haendcke, Berthold 157 Haendel, Christoph Christian 265 Häpke, Rudolf 34 Haertel, Wilhelm 283, 287 Haferkorn, Hans Jürgen 414,422 Hagedorn, Friedrich von 203, 280, 314, 401,402,403,408,412 Hagen, Friedrich Caspar 189 Hager, Werner 88 Hahn 126 Hallbauer, Friedrich Andreas 276,293,403 Haller, Albrecht von 279, 280, 314, 348, 360, 362, 385, 392, 402, 403, 406, 407, 412 Haller, Emanuel 280 Hallervord, Johann (?) 30 Hallervord, Martin 222 Hallmann, Johann Christian 98, 147, 151, 167,168,169, 275, 341, 356, 388 Hamm, Georg Wolfgang 270 Hammerstein, Notker 292 Hampe, Theodor 167 Hampson, Norman 434 Hancke (Hanke), Gottfried Benjamin 299, 300, 301, 406
Personenregister Hankamer, Paul 112, 113, 115, 144, 153 Hanke, Martin 162 Hanker, Garlieb 368 Happel, Eberhard Werner 121, 153, 277, 394 Harnack, Adolf 432 Harsdörffer, Georg Philipp 82, i n , 116, 1 1 7 , 1 1 8 , 120, 1 3 1 , 1 3 3 , I 4 J , 146, 1 4 7 ,
184, 3 6 9>4° 8 Hartknoch, Friedrich 3 7 1 , 3 7 2 Hartlieb, Johannes 54 Hartmann, Karl-Heinz 135 Härtung, Fritz 78 Härtung, Johann Bernhard 276, 294 Härtung, Johann Heinrich 334 Hase, Friedrich Traugott 389, 390 Hase, Theodor de 397 Hasse, Ernst 1 1 1 Hassinger, Herbert 68 Haude, Ambrosius 282,298,354,371 Haugwitz, August Adolf von 146,147,178 Hauptmann, Johann Gottfried 361, 362 Hauser, Arnold 427 Heboid, Gottlieb 273 Heckel, Hans 202 Heidegger, Gotthard 164, 224, 225, 226, 2 2 7 , 228, 230, 2 3 1 , 2 3 2 , 2 3 3 , 2 3 4 , 2 J 6 , 311,322,323,337
Heiduk, Franz 147, 1J4, 162, 183, 203 Heineke, Carl Heinrich 203, 349, 350 Heinrich, Gerd 72, 73, 422, 426, 429, 431 Heinrich von Römhild J2, 145, 163 Heinrich von Veldeke 406 Heinsius, Wilhelm 56,58 Heinzmann, Johann Georg 55, 280, 416 Heibig, Herbert 74, 80,424 Held, Heinrich 184 Heliodoros 127,128, 186, 225 Hellwig, Christoph 313 Helwidi (H«llwich), Christian (von) 159, 160
Hemmerde, Carl Hermann 399 Henckel, Erdmann Heinrich von 313 Hendel, Peter 30 Henel von Hennefeld, Nicolaus 158, 264, 265 Henkel, Arthur 140 Henniges, Heinrich von 159 Henrici (Picander), Christian Fr. 408 Heraus, Carl Gustav 288 Herberger, Valerius 57 Herberstein, H. Kaspar von 49
445 Herbrand, Jacob 50 Herder, Johann Gottfried 370, 371, 372, 378, 407 Hermann, Johann Christian 364 Hermes, Johann Timotheus 409 Hermes Trismegistos 2 j o Herolander 278 Herold, Christian 395 Herrlitz, Hans Georg 185, 358, 401, 402, 404
Herrmann, Hans Peter 97 Hertel, Zacharias 57,235,240 Herzog, Urs 87, 109, 113, 115, 116, 178, 296
Hesiodos 46, 98 Hess, Gerhard 2 Hess, Günter 170 Heß, Heinrich Ludwig von 407 Hess, Ulrich 424 Hess, Ursula 170 Heumann, Christoph August 159,160,295, 39* Heuss, Theodor 421 Heussner, Horst 171 Heybey, Martin Theodor 223 Hiersemann, Karl W. 251 Hildebrandt-Günther, Renate 97 Hille, Carl Gustav von 109 Hillebrand, Bruno 128 Hiller, Helmut 29, 39,44 Hinrichs, Carl 80, 87, 88,430, 432 Hinterhäuser, Hans 121 Hintze, Otto 68, 73, 77, 78,430 Hinzmann, Gerhard 135 Hippe, Max 167, 168, 175, 176 Hirsch, Arnold 5 5 , 1 1 1 , 4 1 8 Hirsch, E . D . 17 Hirschberg, Valentinus Theocritos von 1 5 1 Hirschmann, Gerhard 80, 426 Hirzel, Ludwig 279, 280 Hirzel, Salomon 1 1 1 , 4 1 1 Hitzig, Ursula 164,224,322 Hocke, Gustav René 124 Hodeige, F. 418 Hoe 409 Höck, Wilhelm 135 Höckert, Martin 278 Hölty, Ludwig Christoph Heinrich 403 Hofer, Walther 95 Hoffmann, August 298 Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von 52, 70, 85, 98, 1 1 2 , 144, 1 4 7 , 1 5 4 ,
446 ι 6 ι , 162, 168, 179, 181, 1S3, 184, 186, 200, 202, 203, 218, 220, 221, 222, 233, 234, 236, 237, 240, 241, 242, 2$I, 252, 265, 267, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 280, 282, 283, 284, 28J, 288, 300, 302, 303» 309. 313. 316, 317. 3M. 339. 340. 341. 342, 343» 34ί> 347. 34», 35*. 3Í8> 36ο, 367. 369. 37°. 371. 375. 380, 385. 386,388, 389. 390.391. 393 Hoffmeister, Gerhart 52, 144 Hofmann, Hanns Hubert 76, 80, 426 Hofmann, Heinrich Albert 101, 107 Hofmann, Johann 62,85,109,120,12j, 152 Hofmann, Johann Adolf 3 1 2 , 3 1 3 Hofmeister, J . 363 Hohberg, von 273 Hohberg (Grafen), von 170 Hohberg, Wolf Helmhard von 50, 1 1 2 , 116, 117, 1 1 9 Hohenzollern (Dynastie) 287, 430, 432 Hohl, Christian David 372, 373, 374 Hohl, Ernst 324 Hohmann, Walter 2 Holberg, Ludwig 3 1 5 , 4 1 2 Holtkemper, Franz-Josef 107 Holzsdiuher (Familie) 164 Horneros 3 , 4 6 , 9 8 , 1 8 1 , 3 4 7 Horatius Flaccius, Quintus 46, 53, 85, 96, 98,102, 226, 230, 284, 308, 3 1 1 , 330, 345 Horn, Hans Arno 109 Hortin, Emanuel 164,165,253 Huber, Michael 385, 386, 388 Hubert, Michael 1 6 1 , 2 7 1 , 2 7 4 Hudemann, Ludwig Friedrich 338, 339 Hübner, August Nathanael 292, 293 Hübner, Johann 57,220,276,313 Hübner, Tobias 184 Hülle, Johannes 358 Huet, Pierre Daniel 1 2 1 , 2 7 7 Humblot 385 Humm, Anton 83,152 Hund, Gabriel von 158 Hunold, Christian Friedrich 223, 239, 240, 241, 242, 245, 273, 279, 282, 295, 313; 317,408,411 Huober, Hans-Günther 433 Hutten, Ulrich von 195 Im Hof, Johann Rudolf 317 Inama-Sternegg, Karl Theodor von 34, 54 Ingarden, Roman 3, 8, 12, 13 Ingen, Ferdinand van 3, 1 1 o, 144
Personenregister Isaacsohn, Siegfried 59, 68, 74,423 Iser, Wolfgang 2, 5, 6, 7,9, 24 Jablonski (Jablonsky), Johann Theodor 268 Jacob, G. 52, 97, 163 Jacob, Johann Christoph 175, 176 Jacobi, Friedrich Heinrich 403 Jacobi, Johann Georg 403, 406 Jacques le Jeune 345 Jäger, Georg 3 , 2 2 , 4 1 , 2 5 2 , 4 1 3 Jänichen, Johann 248 Jakobson, Roman 15 Jansen, Hellmut 139 Jauss, Hans Robert 2, 3, 16, 17, 18, 19, 20, 21,22,23,24 Jellinek, Max H. 359 Jenisch, Johann Michael 58, 247, 248 Jens, Walter 100 Jentsch, Irene 413 Jentzsch, Rudolf 33,36, 37,40, 41, 55, 415, 417 Jerschke, Irmgard 116 Jesinger, Alois 413 Joachim II. 73 Jöcher, Christian Gottlieb 160, 266, 267, 392 Jons, Dietrich Walter 140 Jördens, Karl Heinrich 160 Johann August, Fürst zu Anhalt, Herzog zu Sachsen 252 Johann Friedrich von Ansbach 145 Johann Georg von Anhalt 151 Johann Georg IV. von Sachsen 151, 192 Johann II. Kasimir 137 Johannes Chrysostomos 247 John, Johann Siegmund 160, 273 Jonson, Benjamin 379 Jugler, Johann Friedrich 192 Juker, Werner 132 Julius von Braunschweig 73 Juncker, Gottlieb Friedrich Wilhelm 299, 300, 301 Jung-Stilling, Johann Heinrich 408 Junker, Georg Adam 385, 386, 387, 388 Just, Klaus Günther 86,161, 179, 236, 319 Justinian I. 66 Juvenalis, Decimus Junius 85,102 Kaier, Miroslav 12 Kaczerowsky, Klaus 149 Kästner, Abraham Gotthelf 378, 402
Personenregister Kästner, Erich 404 Kafitz, Dieter 194,197,199, 201, 208, 246, 256
Kageneck, Alfred von 80,426 Kahlenberg, Käthe 304 Kaiser, Gerhard 2, 7 , 1 6 Kaiser, Marianne 87 Kaldenbach, Christoph 147 Kalivoda, Robert 11 Kamper, Georg 155 Kandinsky, Wassily 21 Kapp, Friedrich 32 Karl I., der Große 322,391 Karl II. von Spanien 239 Karl VI. 241,288 Karoline von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld 406,410 Karoline Henriette Christiane von Hessen 405,406,410
Karsdi(in), Anna Luise 403,406 Kaufmann, Ekkehard 66 Kaunitz, Leo Wilhelm von 48 Kaven, Johann Heinrich 396 Kayn, Georg Rudolph von 252 Keil, Rolf-Dietridi 25 Keisers, Brigitte 3 Keldiner, Ernst 57 Kellenbenz, Hermann 413 Kelz, Nicolaus 339 Kepler, Johannes jo Kern, Arthur 115 Kerner, Peter 404 Kettler, H . K . 332 Kimminich, Otto 67 Kimpel, Dieter 125, 30J Kindermann, Balthasar 291 Kindermann, Heinz 1 1 2 , 1 1 3 , 1 7 1 Kirchhoff, Albredit 30, 397 Kirchhoff, Hans Wilhelm 46 Kirdimair von Ragen zu Lamprechtsburg, Karl Ludwig J4 Kirchner, Gottfried 90 Kirchner, Joachim 192, 193, 198, 203 Kißner, Johann Christoph 238, 309, 316, 317 Klaj, Johann 1 1 1 , 1 1 7 , 1 8 4 Klebel, Ernst 68, 423 Klefeker, Johannes 271 Klein, Joseph 67 Kleinwächter, Valentin 170 Kleist, Ewald Christian von 402,403, 406, 412
447 Klempt, Adalbert 98 Klepperbein, Florian 181 Kliche, Dieter 3 Kliemann, Horst 31,418 Klingenstein, Grete 48 Klopstock, Friedrich Gottlieb 41, 263, 323, 335» 337» 348» 358, 359» 3 6 °» 361» 362, 363, 364, 3 6 5 , 3 9 7 , 402, 403, 406, 407, 412,416
Kloßmann (Klosemann), Caspar 135 Klotz, Edith L. 40 Knigge, Adolf Franz Friedrich Ludwig von 94» 407 Knodi, Friedrich 42 Knorr von Rosenroth, Christian 70, 162, 186, 1 8 7
Koch, Cornelius Dietrich 270 Koebner, Wilhelm 59 Koehler, Kurt 2 j 1 Koeler, Christoph 147 König, Conrad 203,350 König, Johann Ulrich von 280, 282, 298, 2 99» 3 0I > 3°9> 3 1 0 » 402 Koerting, Heinridi 118 Köster, Albert 362 Kötzschke, Rudolf 34 Kohfeldt, Gustav 42 Kohl, Johann Peter 252 Kolbe, Jürgen 2 Koldewey, Friedrich 107 Kontäe, Johann Christoph 142, 266 Kormart, Christoph 177,178 Korn, Johann Friedrich 417 Korn, Johann Jacob 98 Kossmann, Bernhard 268 Krähan, Peter Paül 166 Krämer, Wilhelm 281,282 Krahn, C . W . J . 265 Kramm, Heinridi 79, 80 Kranz, G. 202 Kraus, Johann Paul 361 Krause, Gottlieb 109 Krause, Johann Gottlieb 299 Krauske, Otto 432 Krauss, Werner 93 Krebs, Samuel 292 Kretsdimer, Christian Anton 180, 181 Kreuder, Hans-Dieter 315 Kreuz (Creutz), Friedrich Karl Kasimir von 402, 406, 407 Krieg, Walter 35, 59,419 Kristian von Hagen 151
Personenregister
448 Kroll, Joachim 117, 167, 178 Kroker, Ernst 242 Kruedener, Jürgen von 88 Kruntorad, Paul 91 Kuefstein (Kuffstein), A d a m von 116 Kuefstein (Kuffstein), Johann (Hans) Ludw i g von 1 3 1 , 1 4 6 , 1 4 7 Kühn, Georg Wilhelm 221 Kühnel, H a r r y 106 Kütner, K a r l August 390, 391 Kuffner, Nicolaus 54 Kuhlmann, Quirinus 70, 98 Kuhn, L. M. R. 63 Kunckel, Johann Christian 180 Kundmann, Johann Christian 9 8 , 1 6 0 , 1 6 1 , Kunne-Ibsdi, Elrud 3 K u r z b e k (Kurzböck), Joseph v o n 375
Le Breton, André 118 Lee, Nathaniel 321 Leeuwe, Hans de 3 Le G o f f , Jacques 421 Lehmann, Günther K . 2 Lehmann, Hartmut 431 Lehmann, Rudolf 84 Lehms, Georg Christian 407 Leibniz, Gottfried Wilhelm 193,231, 232, 233 Lempicki, Sigmund von 179, Lenthe, Gebhard von 7 3 , 7 6 , Lentner, Gottfried Christian Lenz, Christian Albert 162 Lenzer, Rosemarie 3 Leonardo da Vinci 21 Leopold I. 64, 113, 114, 116, r55,
iS^» 1 5 9 .
79, 126, 128, 221 80, 425 242
136, i j o , 151,
1 7 6 , 194. 204. 2 1 4 .
286,
349
L a Bruyère, Jean de 3 1 1 , 3 1 5 , 409 La Calprenède, Gautier de Coste, Sieur de " 7 , 393
Lachmann, K a r l 373 Ladendorf, O t t o 362 Lämmert, Eberhard 2, 3, 135 La Fontaine, Jean de 311 Lahrkamp, Helmut 80,426 Lamberg, Johann Jakob von 47, 48 La Mothe le Vayer, François de 199, 212, 224, 270 L a Motte-Houdart(t), Antoine de 311,402 Lampe, Joachim 76, 80, 424,428 Lanckisch, Friedrich 123, 189 Landau, Marcus 114 Landolt, Hanspeter 88 Landwehr, John 140, 401 Lange, Klaus-Peter 138,139 Lange, Samuel Gotthold 314, 337, 412 Lange von Langenau, Andreas 158 Langen, August 433 Langenbudier, W o l f g a n g R. 35,44 L a Placette, Jean 313 Larivey, Pierre de 49 L a Rothe, Sophie v o n 409 La Rochefoucauld, François de 199, 212, 224, 270 Lassenius, Johann 3 1 2 , 3 1 3 Laurentius, Martin Christoph 195 Laurer, Johann Christian 156, 203 Lausberg, Heinrich 97 Lauterbach, Johann 63 Lauterbach, W o l f g a n g A d a m 252
Leopold Wilhelm (Erzherzog von Österreich) 114 Lepeni.es, W o l f 422 Lessing, Gotthold Ephraim 132, 144, 303, 3Î2.
3 7 3 . 3 7 Í . 402·,
403. 4°$> 406» 4 0 7 ,
434
Leube, Hans 103 Lichnowsky, Franz Leopold von 248 Lichnowsky, Maximilian von 248 Lichtwer, Magnus Gottfried 402, 403, 406 Liébault 386,387 Lieberich, Heinz 66 Liebernickel, Gottfried 239, 240 Liebezeit, Christian 271 Liebpert, Ulrich 400 Liermann, Hans 107 Lillo, George 410 Limburger, Martin 1 1 1 Lindinner, Joseph 302, 303, 316 Lindquist, A x e l 164,231 Lipp, Balthasar 101 Lipsius, Justus 4$, 48, 50, 51, 70, 90, 91, 93. 9 4 . 9 5 . " o . 1 4 0 . 1 4 1 . 201
Liscow, Christian Ludwig 314, 377, 412 Livius, Titus 46, 53, 96, 102, 367, 368 Lober, Johann 189 Locke, John 2 9 6 , 3 1 1 , 3 1 3 , 3 1 5 Löffler, Dietrich 2 Loen, Johann Michael von 412 Löwe, Johann George 252, 351, 363, 364 Logau, Balthasar Friedrich von 158 Logau, Friedrich von 135, 146, 147, 158, 402,403,405
Personenregister Lohenstein, Daniel Casper von (Sohn des Dichters) 1 5 1 Lohenstein, Elisabeth Casper von (geb. Herrmann) 2 1 7 Lohenstein, Hans (Johann) Casper von 1 5 5 , 1 5 6 , 1 8 7 , 188, 2 1 2 , 2 1 6 , 2 1 7 , 2 1 8 , 256,264,267,381
Lohmeyer, K a r l 30 Longinos 203, 349, 3J0, 351 Loos, Erich 93 Loredano, Giovan Francesco 1 1 8 , 2 1 8 Lotichius, Petrus 51 Lotman, Juris M. 2 5 , 2 6 , 2 7 Lötz, Albert 68 Loyson, Estienne 91 Lubbers, Klaus 2 Lucae, Friedrich 42, 161, 168, 170 Lucanus, Marcus Annaeus 102, 3 1 1 Ludwig X I V . 69, 1 1 2 , 136, 217, 3 1 1 , 428 Ludwig von Anhalt-Köthen 109, 1 1 0 , 1 1 7 , 146
Ludwig I X . von Hessen-Darmstadt 406 Ludwig von Liegnitz 157 Ludwig von Württemberg 145 Lüders, E v a 135 Lünig, Johann Christian 2 5 1 , 3 4 2 Lütkemann, Joachim 3 1 2 Luise von Liegnitz, Brieg und Wohlau 1 5 1 , 157 Lukács, G y ö r g y 1 3 1 Lukianos von Samosata 3 1 1 , 3 3 9 Lumscher, Nathanael 189 Lunsingh Scheurleer, Th. H . 91 Luppius, Andreas 222 Luther, Martin 50, 116, 184, 371 Lutz, Bernd 422 Maatje, Frank C . 3 Machiavelli, Niccolò 45, 46, 50, 5 1 , 94, 95, 201
Macpherson, James 382,402 Männling, Johann Christoph 58, 98, 208, 2 4 2 , 246, 2 4 7 , 248, 249, 2 5 0 , 2 5 1
Magendie, Maurice 119 Magris, Claudio 400 Mahler, Bruno 107 Mahrholz, Werner 430 Maier, Johann Gabriel 167 Maior, Elias 167, 169, 170, 1 7 5 , 1 7 6 Mair von Nördlingen, Hans 54 Maler, Anselm 419 Malraux, André 17
44 9 Malvezzi, Virgilio 51 Mamphras, Jeremias 184 Mandelkow, K a r l Robert 2 , 1 1 Mannheim, K a r l 1 6 , 2 2 , 4 2 0 , 4 2 1 Mansfeld, Franz 332 Manso, Johann Kaspar Friedrich 392, 393 Manzel, Ernst Johann 377 Marcus, Adolph 430 Marcus Aurelius Antoninus 3 1 3 , 3 1 5 Margareta Theresia 176 Marguerite de Navarre 49, 52 Maria Theresia 5 2 , 1 7 1 , 4 2 3 Mariana, Juan de 51 Marini, Giovanni Ambrosio 1 1 8 , 153, 186, 226
Marino, Gian Battista 144, 202, 238, 298, 3 0 1 , 3 3 6 , 349, 360, 3 6 4 , 3 7 9 , 380, 386, 3 8 7 , 3 8 8 , 389, 390, 3 9 1 , 3 9 3 , 394, 3 9 5 , 402
Marivaux, Pierre Carlet de Chamblain de 314,315,409,410
Markwardt, Bruno 1 2 1 , 1 3 8 , 221, 2 2 5 , 2 7 3 , 2 7 8 , 308
Marteau d. J., Peter 240 Martens, Wolfgang 87, 302, 304, 305, 309, 311,
317,318,413,415,418
Martialis, Marcus Valerius 8 5 , 1 0 2 Martianus Capella 225 Martin, A l f r e d von 8 0 , 8 1 , 9 2 , 1 4 8 , 4 2 0 , 4 2 1 Martin, Ernst 4 5 Martino, Alberto 41, 307, 378, 413, 418 Martiny, Fritz Klaus 76 Maschke, Erich 4 1 3 Masen, Jacob 1 0 1 , 1 4 7 Matthäus, Klaus 44 Mattheson, Johann 3 0 2 , 4 1 1 Matthias, Adolf 105, 404 Maurer, Friedrich 92 Mauser, Wolfram 3 Maximilian I. 46, 51 Maximilian II. Emanuel 74 May, Johann Friedrich 339 Maydel, Jacob Friedrich von 283 Mayer, Anton 1 1 5 , 1 7 0 Mayer, Theodor 77, 128 Mazingue, Etienne 119 Meid, Volker 145 Meier, Georg Friedrich 314, 398, 399, 4 1 2 Meierotto, Johann Heinrich Ludwig 393 Meinecke, Friedridi 8 1 , 9 5 , Ι 2 & Meisner, Christian 2 7 1 , 2 7 2 Meister, Johann Gottlieb 223, 224
450 Meister, Leonhard 390 Mei, Conrad 3 1 3 Melandithon, Philipp jo, 53, 72, 98 Melissus, Paulus 51 Mencke, Johann Burdiard 268, 313 Mencke, Otto 1 9 2 , 1 9 3 Mende, Georg 292 Mendelssohn, Moses 349, 369, 370, 371, 372. 373. 374. 37Í. 379. 380. 385, 389. 39°. 391. 394. 396 Menéndez Pidal, Ramón 9 j Mercier, Louis-Sébastien 410 Merde, Johann Heinrich 407 Merck, Johanne Marie Elisabeth 407 Merian, Matthäus 152 Merker, Nicoiao 434 Mertner, Edgar 9, 136 Mertz, Georg 101 Merula, Paulus 70 Metsdier, Thomas 422 Meusel, Johann Georg 417,427 Mevius, Jacob 195 Meyer (Mayer), Heinridi 62 Meyer, Johann 2 9 , 1 5 9 , 2 5 2 Meyer, Johann Ernst 389 Meyer, Johann Heinrich 427 Meyer von Knonau, Johann Ludwig 314 Meyerhoff, J . 49 Meyjes, G. H. M. Posthumus 91 Michaelis, Johann Benjamin 403 Michaelis, Johann David 4 1 1 Midiahelles, Wolfgang 124 Michele, Agostino 49 Midieis, Robert 421 Midieisen, Peter 3 Mieth, Johann Christoph 219, 221, 279 Miller, Perry 296 Milstein, Barney Martin 413 Miltenberger, Johann-Philipp 152 Milton, John 314, 315, 323, 335, 336, 346, 347. 3 5 9 . 3 7 7 . 4 1 2 Minis, Cola 238 Mitgau, Hermann 73, 79, 429 Mitternacht, Johann Sebastian 87 Mizler, Lorenz Christoph 338, 356 Möller, Helmut 59,409 Möller, R. 167 Moser, Justus 406, 407 Moles, Abraham A. 26 Moliere (Jean Baptiste Poquelin) 3 1 1 , 3 1 5 , 382 Monath, Peter Conrad 288
Personenregister Montaigne, Michel Eyquem de 3 1 1 Montano, Rocco 139 Montemayor, Jorge de 48, 52, 1 3 1 Montesquieu, Charles de Secondât de 315, 377 Monti, Gregorio de' 47 Moog, Willy 107 Moore, Edward 410 Morhof, Caspar Daniel 222 Morhof, Daniel Georg 144, 147, 179, 180, 182, 185, 189, 193, 222, 223, 235, 247, 264, 265,266, 277, 289,358 Morpurgo Tagliabue, Guido 102 Mosca, Gaetano 421 Mosdierosch, Johann Midiael 51, 52, 378, 408 Moser, Friedrich Karl von 407 Moser, Ulrich 49 Mosheim, Johann Lorenz von 314 Mühlbrecht, Otto 423 Mühll, Peter von der 90 Miihlpfort, Heinridi 98, 147, 202, 221, 223 Müller 252 Müller, Adolph 57 Müller, Conrad 59, 98, 158, 159 Müller, Friedrich Wilhelm 407 Müller, Georg 63 Müller, Gottfried Ephraim 3 5 1 , 352 Müller, Günther 80, 94, 100, 1 1 2 , 1 1 5 , 1 1 6 Müller, Hans von 163, 164, 2 5 1 , 252, 292, 363 Müller, Heinridi 3 1 2 , 3 1 3 Müller, Johann Samuel 3 7 1 , 3 7 2 Müller S. J., Johannes 1 1 3 Müller, Rainer A. 69, 72 Müller, Richard 1 1 2 Müller, Richard 88,435 Müller, Volker Ulrich 422 Müller, Wendelin 265 Müller-Seidel, Walter 2 Münch, Gotthard 162 Mukarovsk^, Jan 9, 10, 1 1 , 12, 13, 14, 15, 23.24 Mumbach, Johann Leonhard 271 Muncker, Franz 373 Muralt, Beat Louis de 231, 315, 322 Muretus (Muret), Marcus Antonius (Marc Antoine) 105 Murner, Thomas 46 Musäus, Karl 409 Mylius, August 380 Mylius, Christlob 352, 353, 354
Personenregister
451
Nadler, Joseph 1 1 2 Nagl, Johann Willibald 5 2 , 1 4 7 Narr, Dieter 416 Napoli Signorelli, Pietro 388 Nasser, Johann Adolph 395, 396 Naumann, Christian Nikolaus 402 Naumann, Hans 80 Naumann, Manfred 3 Neander, Joachim 407 Neicke, Georg 180 Neidhardt, Johann George 357 Nepos, Cornelius 229 Nerlich, Michael 16 Nero Claudius Drusus Germanicus Caesar 367» 374 Neruda, Jan 1 2 , 1 3 Nesselrode, Franz von 158, 162, 215 Neufville (Neuville), Charles Frey de Neukirch, Benjamin 84, 85, 98, 1 2 1 , 154, 158, 183, 203, 2 1 2 , 2 1 3 , 214, 218, 2 2 1 , 223, 233, 272, 273, 282, 284, 285, 286, 287, 29$, 297, 299, 301, 302, 303, 3 1 3 , 3 1 7 , 326, 341,
360 140, 216, 283, 300, 350,
35. 357» 35 8 » i 6 °> 385, 39°. 39*. Neukirch, Johann George 270 Neumann, Balthasar 434 Neumann, Caspar 269 Neumann, Eduard 92 Neumann, Hildegard 43, 397, 408 Neumark, Georg 52, 109, 1 1 0 , 357 Neumeister, Erdmann 1 2 1 , 160, 2 2 1 , 222, 223,241,264,301,312,313 Nickisdi, Reinhard M. G. 295 Niciisch und Roseneck, Ernst Rudolf von 281 Nicolai, Christoph Gottlieb 276 Nicolai, Friedrich 36, 370, 372, 403 Nisin, Arthur 10, 17 Nisius, Johann 94 Nivelle de La Chaussée, Pierre-Claude 4 1 0 Nösselt, J . August 407 Nollau, Alfred 418 Nosti'tz, Christoph Wenzel von 163 Nostitz, Otto von 1 $7 Occhi, Simone 388 Oedt, Wolf von 45, 46,47 Oellers, Norbert 3 Oelschner, Johann Christian 239 örteln, Hieronymus 3 1 2 Oestreich, Gerhard 68, 70, 78, 81, 9 1 , 95, 141,430
Oldham, Charles 231 Olms, Georg 1 9 3 , 4 2 7 Olsen, Solveig 238, 347 Omeis, Magnus Daniel i n , 123, 124, 147, 277.278 Opel, Julius Otto 202 Opitz, Martin 42, 47, 49, 52, J5, 70, 98, 1 1 5 , 1 1 6 , 1 1 8 , 1 2 1 , 128, 1 3 1 , 132, 1 3 3 , 147, i j i , 152, 1 8 1 , 183, 184, 202, 2 2 1 , 2 33> 2 37> 272. 273. 2 8 o > 2 S l < 2 8 3 . 2 g 4 . 288, 303, 309, 3 1 1 , 3 1 3 , 314, 339, 341, 349, 3 j 6 , 360, 364, 369, 3 7 1 , 385, 386, 389> 39°. 3 9 1 · 4 02 > 4 ° 3 > 4 ° 6 Opitz, Salomon 5 j Orell, Conrad 230,238,239, 3 1 5 , 3 1 7 , 319, 322, 326, 327, 332, 346, 347, 392 Organski, A. F. K . 421 Ott, Gabriel Maria 60 Otto Jr., Karl F. 8 3 , 1 1 0 , 1 1 1 Ovidius Naso, Publius 46, 48, 85, 96, n 8 , 209, 261, 274, 297 Pacciani, Fulvio 49 Padvtler S. J., G. M. 101 Paetel, Elwin 432 Paetel, Hermann 432 Palladio, Andrea 52 Pallavicino, Ferrante 1 1 8 Pallavicino, Sforza 1 0 1 , 1 0 4 , 1 3 8 , 1 3 9 , 1 4 1 Palm, Hermann 301 Pape, Helmut 4 1 , 4 1 4 , 4 1 6 Papinianus, Aemilius 273 Parabosco, Girolamo 47 Paratore, Ettore 102 Pareto, Vilfredo 421 Paruta, Paolo 48 Pascal, Roy 308 Pasch, Georg 1 9 4 , 1 9 5 Paterno, Ludovico 47 Patrizi, Francesco 50, 102 Paul, Jean (Johann Paul Friedrich Richter) 128, 149 Pauli, Johannes 46 Paulmann, Inge 16 Paulsen, Carl Andreas 166, 167, 177 Paulsen, Friedrich 84, 95, 96, 107 Pechel, Rudolf 239, 240 Pellissier, Ignaz 165 Pelzhoff er, Franz Adam von 147 Peregrini (Pellegrini), Matteo 1 0 1 , 138, 139 Persius Flaccus, Aulus 85
Personenregister
45* Perthes, Friedrich A n d r e a s 157 Pestalozzi, K a r l 2, 176 Petrarca, Francesco 46, 47, 48, 50, 51, 52,
Prasser, D a n i e l 53 P r a z , M a r i o 141
$ 5 , 9 5 , 1 4 3 , 218 Petronius A r b i t e r , G a i u s 225 Peucer, D a n i e l 294 Peuker, Johann G o t t l i e b 392 P f a n d l , L u d w i g 49 P f e i f f e r , C h r i s t o p h 187, 188, 218 Pfeiffer, Gerhard 76,80 Pfeiffer-Belli, W o l f g a n g 206 Pfligersdorffer, G e o r g 90 P f o r t e , Dietger 270, 402 Phalaris 367
P r e r a d o v i d i , N i k o l a u s v o n 76, 77 P r é v o s t d'Exilés, Antoine-François 410, 411 Price, L a w r e n c e Marsden 315, 409, 4 1 0 Pritius (Pritz, P r i z ) , Johann G e o r g 57, 313 Proli, L a u r e n z 45, 46 Propertius, Sextus 46, 53 Prüsener, Marlies 4 1 , 4 1 3 P u f e n d o r f , Samuel v o n 340,428 P u t t k a m m e r , A l b e r t 423 P y r a , J a k o b Immanuel 3 1 4 . 335. 33 6 . 337. 360,412
Philipp, W o l f g a n g 1 3 5 , 1 3 6 Philippi, Johann Ernst 377 Philippson, Ernst A l f r e d 85, 284 Piast 151
Q u a d r i o , Francesco Saverio 1 3 9 , 2 5 5 Q u i l l a u , Jacques-François 386 Quintiiianus, Marcus Fabius 100,332
Piasten (Dynastie) 158, 162, 252, 269 P i c o della M i r a n d o l a , G i o v a n n i 50 Picon, G a é t a n 17 Pietsdi, Johann V a l e n t i n 356, 357, 358 P i k u l i k , Lothar 418 Pizzorusso, A r n a l d o 1 1 9 , 3 2 8 P l a n i t z , H a n s 67 P l a t o n 46, 50, 210, 284, 315, 382 Plautus, Titus Maccius 2 2 5 , 2 2 6 , 2 8 4 Plinius 46, 53, 160, 21 j , 343 Plodeck, K a r i n 88 Pluche, A n t o i n e 315 Plutardios 49, 52, 276, 315, 343, 382 Podcels, C a r i Friedrich 4 1 6 Pöppinghaus, Heinrich 39 P o l á k , M i l o t a Z d i r a d 15 P o l i m o n 279 P o l i z i a n o , A n g e l o 52 P o m p o n a z z i , P i e t r o 50 Pope, Alexander 315,350 P o p p , G e o r g 132 P o r t a , Giambattista 50 Portner v o n Theurn, Johann Albrecht 162 P o s a d o w s k y , H a n s A d a m v o n 158, 162 Poser, Michael v o n 289 Posner, R o l a n d 3, 25, 26, 27 Post, H e r m a n n v o n 397 Postel, Christian Heinrich 238, 239, 347 Poten, Β. 107 Pottinger, D a v i d T . 34, 56 Prätorius, O t h o 145 Prakke, Henk 1,25 Prasdi, Johann L u d w i g 147, 148, 278 Prasch, Susanna Elisabeth 126
R a a b e , P a u l 193 Rabelais, François 52 Rabener, G o t t l i e b W i l h e l m 402, 403, 406, 408 Racine, Jean 275, 3 1 1 , 315, 341, 355, 356 Racine, Louis 315 R a i m o n d i 388 Rambach, Johann Jacob 3 1 3 , 4 3 3 R a m l e r , K a r l W i l h e l m 383, 403, 405, 407 Ranke, Leopold von 68,421 Rasch, Wolfdietrich 142 Raspe, Gabriel 4 1 2 Raudimüller, Matthias 1 5 7 , 1 6 2 Rebe, de 91 Rebenlein, G e o r g 180 Reckert, C a r l Christian 406,407 Redeker, Horst 2 Reichard, Elias K a s p a r 381 Reichard, Heinrich A u g u s t O t t o k a r 380 Reichardt, C . 53 Reicke, Emil 63 Reimarus, H e r m a n n Samuel 407 Reimmann, J a c o b Friedrich 142, 159, 265 Reinbaben, G e o r g W i l h e l m v o n 271 Reiser, R u d o l f 88, 156 Reiss, W a l t e r 132 R e n d i , A l o i s i o 359 Renger 159,265 Repgen, K o n r a d 72 R e s e w i t z F. G a b r . 407 Reumont, A l f r e d v o n 110 Reusner, Friedrich 180 R e u ß , Johann Philipp C h r . 395
Personenregister Reuther, Barthold 194 Reyger, Arnold von 63 Reynaud, L. 310 Rhete, David Friedrich 222 Riccoboni, Louis (Luigi) 340,341 Richardson, Samuel 314, 3 1 5 , 409, 4 1 1 Richelieu, Armand 128 Richey, Michael 3 1 3 , 3 1 6 , 4 0 9 Richter, David 157 Richter, Johann Christoph 366 Richter, Karl 2 Richter, Richard 104 Rickel, Dionysius 50 Rieber, Albredit 80, 426 Riechel, Johann Sebastian 195 Rieck, Werner 338 Riedel, Friedrich Justus 375, 376, 377, 378, 397 Riedenauer, Erwin 76, 80 Riedenhausen, Marckard von 282 Riefstahl, Hermann 152 Riegel, Christoph 124, 179 Riemer, Johann 83, 104, 105 Rinckart, Martin 184 Rinder, J . C. 55 Rink, Eucharius Gottlieb 256 Rist, Johann 84, 8j, 8 6 , 1 3 2 , 1 4 7 , 1 8 4 , 341, 369 Ritsehl, Albredit 430 Ritter, Johann Friedrich 300 Ritterhoff, Claus 422 Rocher, Daniel 92 Rodigast, Samuel R. 377 Rödern, Erasmus von 45,46 Rörer, Johann Günther 155, 187 Rössler, Hellmuth 64, 69, 72, 80, 92, 292, 421 Rötzer, Hans Gerd 5 5 Rohr, Julius Bernhard von 295, 296 Rohrlach, Michael 160,202,203,273 Rollin, Charles 3 1 5 , 4 1 2 Roloff, Hans-Gert 304 Rompier, Jesaias 184 Ronge, Barbara 26 Ronge, Hans 26 Ronge, Peter 26 Ronsard, Pierre de 47, 52 Rordorf, Marx 322, 346 Rose von Kreuzheim, Adolph 357 Rosenfeld, Helmut 57 Rosenmüller, Max 298,310 Rosenthal, B. 375
4J3 Rossel, Virgile 310 Rotermund, Erwin 183,285 Roth, Friedrich von 158 Roth, Johann Christian 367 Roth, Johann Paul 158,285 Roth von Schreckenstein, Karl Heinrich 79 Roth-Scholtz, Friedrich 57 Rotth, Albrecht Christian 1 2 2 , 1 2 3 , 1 8 9 , 1 9 3 Rousselet, Ant. 410 Rousset, Jean 137 Rudolph I. von Habsburg 194 Rudolf August von BraunsdiweigLüneburg 83, 105, 107, 163, 196 Rüdiger, Johann Andreas 295 Rüdiger, Johann Michael 189, 266, 400 Rumpf, Walter 418 Runde, Justus Friedrich 66 Rupert von Deutz 50 Rusconi, Giovanni Antonio 52 Rusterholz, Peter 348 Rutsdiky, Michael 2 Saavedra Fajardo, Diego de 51, 199, 212, 218, 270 Sachs, Hans 46, 51, 202, 378 Sälze, Karl 88 Saint-Hyacinthe (d. h. Hyacinthe Cordonnier, genannt le Chevalier de Thémiseul, genannt) 315 Salfeld, Christoph 122, 197, 198, 200 Salicetus, Bartolomeo (oder Riccardo?) Salier (Dynastie) 77 Sallustius Crispus, Gaius 5 3 , 2 1 4 Sand, Johann Maximilian von 38 Sandrart, Jakob (oder Joachim, oder Johann Jakob?) von 57, 162 Sannazaro, Jacopo 47, 48, 52 Sapegno, Natalino 1 1 8 , 1 3 9 Sattler, Paul 256 Sauder, Gerhard 419 Sauerländer, Heinrich Remigius 382 Savigny, Friedrich Karl von 68 Schäfer, Walter Ernst 164, 224, 228, 231 Schaer, Wolfgang 418 Schalk, Fritz 93 Schallenberg, Christoph Otto von 49 Schaller, Gottfried Jacob 406 Scharff, Georg Friedrich 400 Scharff, Gottfried Balthasar 202 Sdieffler, Johann (Angelus Silesius) 70, 98, 408
Personenregister
454 Scheibe, Jörg 418 Scheibe, Johann Adolf 338, 355, 356 Scheibel, Gottfried Ephraim 276 Sdienda, Rudolf 35,44 Schenk zu Schweinsberg, Eberhard 80 Scherer, Emil Clemens 97 Scherffer, Vencel 184 Scherpe, Klaus 3 Sdieudizer, Johann Jacob 313 Scheunemann, Dietrich 13 j Schick, Josef 283 Schieckel, Harald 74,424 Sdiiele, Johann Georg 132 Schiller, Friedrich 3,382 Schings, Hans Jürgen 132 Schirmer, David 184 Sdiirmer, Michael 184 Schlattmann, Julius 68 Schlegel, Friedrich 2 Schlegel, Johann Elias 354, 355, 356, 374, 402, 403 Schlegel, Johann Heinrich 366, 367, 368, 369. 373. 379 Schlenstedt, Dieter 3 Schlesinger, Maximilian 168, 170 Schlüter, H. F. C. 386 Sdilumpf, Paul 164 Schmid, Christian Heinrich 378, 379, 380, 381 Schmid, Georg 162 Schmid, Herta 3, 12 Schmid(t), Joachim-Heinridi 109 Schmid, Κ. Α. ι6ι Schmidt, August 1 1 7 Schmidt, Erich 239 Schmidt, Gustav 68 Schmidt, Jakob Friedrich 402 Schmidt, Johann Wilhelm 416 Schmidt, Karl 248 Sdimidt, Karl Dietrich 103 Sdimidt, Richard 413 Schmidt, Siegfried J . 1 , 2 7 Sdimoller, Gustav 68 Schmück, Michel 63 Schneider, Karl Ludwig 358, 359, 361 Schneppen, Heinz 70, 71 Sdiodi, Johann Georg 357 Sdiöberl, Joachim 140 Schöffler, Herbert 41, 287, 415, 416, 417, 427
.
Schönaich, Christoph Otto von 364
356, 362,
Schönborn, Carl 98, 162 Schöne, Albredit 140, 142, 143, 207, 333, 334 Sdiönnerstädt, Johann Heinrich 265 Sdioltz, Christian von 1 j8 Scholvien, Christian 191, 192, 278 Schott, Gerhard 347 Sdiottel(ius), Justus Georg 184 Schräder, Johann George 362 Schräg, Johann Leonhard 1 1 7 Schräg, J . S . 167 Schramm, Johann Heinrich 301 Schramm, Maria (geb. Misler) 407, 409 Schramm, Percy Ernst 409 Schreiber, Georg Christoph 270, 300 Schrenck und Notzing, Niklas von 75, 424 Schrenkendorf, Gottfried 402 Sdirey, Jeremias 2 j i Schröder, Christel Matthias 314 Schröder, Georg 166, 177 Schröder, Gerhart 139 Schröter, Christian 154,208, 220, 242, 243, 244. 245, 2 4 6 , 2 5 1 , 2 9 1 Sdiubart, Christian Friedrich Daniel 394, 406 Schubert, Ernst 72 Sdiücking, Levin L. 4 Schür 91 Schütte, Otto 54 Schütze, Johann Jacob 337 Schuhmann, Guenther 145 Schultz, Alwin 4 1 1 Schultz, Martin 272 Sdiulze, Friedrich 63 Schupp, Balthasar 83, 104 Sdiurtzfleisdi, Konrad Samuel 272 Schuster, Jacob 1 5 4 , 2 9 4 , 4 1 1 Schwabe, Johann Joachim 339, 350, 351, 402,412 Schwetschke, Gustav 3 1 , 32, 33, 37, 40, 56, 114 Sdiwidsert, Engelhard Benjamin 390 Scaliger, Julius Caesar 139 Scarron, Paul 198 Sciurus (d. h. Andreas Eidiorn) 63 Scriver, Christian 3 1 2 Scudéry, Madeleine de 118, 1 1 9 , 130, 152, 153, 186, 198,232, 393, 399,411 Scultetus, Andreas 98 Seckendorf!, Veit Ludwig von 57, 81, 82, 146, 154 See, Klaus von 140, 144
Personenregister Seeba, Hinridi C. ι Seeberg, Axel 421 Seeligmann, Gottlob Friedrich 278 Segeberg, Harro 422' Seiler, Karl Günther 82 Seiden, John 368 Seneca, Lucius Annaeus 50, 53, 85, 102, 133. !79» 186, 2 5 1 , 270, 275, 278, 284, 339, 3 J 3 , 355, 379, 380, 390, 39I. 3 9 5 . 4 I 9 Senftenau, Jakob Kurz von 73 Serlio, Sebastiano $2 Serpilius, Georg 278 Seubert 103 Seuse, Heinrich jo Sévigné, Marie de Rabutin-Chantal de 315 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, third Earl of 31 5 Shakespeare, William 354, 355, 382, 384 Sicul, Christoph Ernst 192 Sidney, Sir Philip 1 5 1 , 1 5 3 , 186, 357 Siegrist, Christoph 418 Siegert, David 392 Sievers (Sivers), Henrich Jacob 377 Sinapius, Johann 1 5 9 , 1 6 0 , 266 Singer, Herbert 3 , 1 1 1 , 4 1 8 Skalweit, Stephan 72, 128 Sklovskij, Viktor 20 Snell, Christian Wilhelm 364 Sommer, Dietridi 2 Sommer von Sommersberg, Friedrich Wilhelm 2 4 1 , 2 4 2 , 2 8 2 Sonnenfels, Joseph 3 1 7 , 318 Sophie von Hannover 145 Sophie Charlotte von Preußen 287, 432 Sophie Leonore von Hessen 1 j 1 Sophokles 46, 179, 185, 186, 269, 273, 275, 353. 367.368, 373 Sorel, Charles 198 Späth, Adelaide Anne 1 7 Spahr, Blake Lee 1 1 9 , 1 2 5 , 1 2 8 Spalding, Johann Joadiim 407 Spangenberg, Cyriacus 4 5 , 5 0 , 6 3 Spee von Langenfeld, Friedrich 147, 280, 348 Spellerberg, Gerhard 176 Spener, Johann Carl 282, 298, 371 Spener, Philipp Jakob 431 Sperber, Hans 1 7 4 , 2 9 6 , 4 3 3 Speroni, Sperone 102 Spiegel, Marianne 4 1 , 87, 409, 418
455 Spieringk, Nikolaus 2 7 1 , 3 4 7 Spindler, A . R . C . 398 Spinoza, Baruch de 296,382 Spirgatis, Max 33 Sporck, Franz Anton von 160, 301 Sporhan-Krempel, Lore 54 Spring, Wolfgang Ludwig 160,234 Ssymank, Paul 63 Stadelmann, Rudolf 409 Stähelin, P. 279 Stamm, Rudolf 88 Stammler, Wolfgang 66 Statius, Publius Papinius 102, 349 Staufer (Dynastie) 77 Steck, Johann Georg 249 Steele, Richard 3 0 2 , 3 1 0 , 4 1 0 , 4 1 3 Steffen, Hans 198,359 Steger, Hugo 2 Stein, Johann 4 1 2 Stein, K . Heinrich von 287 Steinbach, Christoph Ernst 272 Steinbicker, Clemens 76 Steinhausen, Georg 63, 94, 107, 108, Stempel, Wolf-Dieter 16 Stephani, Balthasar 169 Sterne, Laurence 409,410 Stettier, Michael 165 Stieff, Christian 1 8 7 , 2 7 3 , 2 7 4 , 2 7 5 Stieler, Kaspar 61, 62, 291, 292 Stigliani, Tommaso 49 Stock, Philipp Wilhelm 297 Stockhausen, Johann Christoph 371 Stockei, Christian Gottlob 358 Stölzel, Adolf 6 7 , 7 1 , 7 3 Stößel, Johann Christoph 373 Stötzer, Ursula 97 Stötzner, Paul 104 Stolberg-Stolberg, Christian Graf zu 407 Stolberg-Stolberg, Friedrich Leopold zu 403,407 S toll, Christoph 1 1 0 Stolle, Gottlieb 159, 160, 203, 252, 270 Stoppe, Daniel 4 0 2 , 4 0 8 , 4 1 2 Stradi, Ernst 68 Strantz, C. F. F. von 63 Straub, Eberhard 8 8 , 1 1 2 , 1 2 8 Straube, Gottlob Benjamin 354 Straube, Paul 300 Strauß, Wolfgang 35 Striedter, Jurij 16
115
403, Graf
269,
456 Strohsdineider-Kohrs, Ingrid 24 Stromer, Wolfgang von 80 Struve (Struvius), Burkhard Gotthelf 160, 192 Stryck (Stryk), Samuel 428 Stubenberg, Johann Wilhelm von $2, 116, II7, 118, 146, 147, 1 5 1 , I J 2 , 22$ Stumpf, Johannes 16$ Sturm, Albert 170 Suerbaum, Ulrich 9 Sulzer, Dieter 140 Sulzer, Johann Georg 393 Suphan, Bernhard 3 7 1 , 372 Swedenborg, Emanuel von 382 Swift, Jonathan 3 5 0 , 3 5 1 , 3 6 0 , 4 1 2 Szarota, Elida Maria 136, 1 3 7 Szyrocky, Marian 147 Tacitus, P. Cornelius 51, 90, 102, 219, 247, 270, 276, 284, 3 7 1 , 372 Tarnow (Tarnovius), Johann 57 Tarot, Rolf 145 Tasso, Bernardo 47 Tasso, Torquato 48, $2, 150, 186, 238, 301, 349 Tauber, Johann Daniel 57 Tauler, Johannes 50 Tausdihuber, Georg 1 1 3 Telesio, Bernardo 50 Telius, Sylvester 45 Tentzel (Tenzelius), Jacob (oder Ernst? oder Wilhelm Ernst?) 57 Tentzel, Wilhelm Ernst 1 56, 203, 204, 207, 225
Terentius A f e r , Publius 46, 53, 96, 98, 229, 311 Tesauro, Emanuele ι ο ί , 137, 138, 139, 140, 1 4 1 , 142 Tetzel, Hans 53, 54 Teubner, Johann Michael 276, 340, 341 Theiler, Willy 90 Théophile de Viau 386 Theophrastos 3 1 1 , 3 1 5 Theuerkauf, Gerhard 76 Thieme, Hans 67 Tholuck, A . 60, 63 Thomas, George 265 Thomas von Kempen 50 Thomasius (Thomas), Christian 94, 1 2 1 , 122, 159, 160, 193, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 20J, 233, 241, 2$6, 264, 267, 270, 2 7 1 , 273, 3 1 3 , 340, 428
Personenregister Thomasius, Jacob 1 5 9 , 1 6 0 Thomson, James 3 1 5 , 366, 367, 368 Thuau, Etienne 128 Tiberius Iulius Caesar 136 Tibullus, Albius 46, 53 Tiemann, Hermann 94 Tietze (Titius), Immanuel 180 Tillotson, John 3 1 5 Tittmann, Julius 1 1 7 Titz, Johannes Peter 5 5 , 7 0 , 9 8 Tobler, Johann 407 Todorov, Tzvetan 15 Töllner, J . G . 407 Tonelli, Giorgio 1 5 4 , 3 7 5 Trabant, Jürgen 25 Traian (Marcus Ulpius Traianus) 343 Trattner, Johann Thomas von 403 Treder, J . P . 393 Tresdier, Veit Jacob 87, 94 Trevor-Roper, Hugh R e d w a l d 66 Treuer, Gotthilf 1 8 3 , 1 8 4 Triller, Daniel Wilhelm 337, 402, 407 Trissino, Gian Giorgio 3 2 1 , 3 8 8 Trublet, Nicolas Charles-Joseph 3 1 5 Trübner, K a r l J . 2 1 6 Trunz, Erich 3 0 , 3 7 , 6 5 , 1 3 3 , 2 8 2 Tscherning, Andreas 98, 147, 184, 273, 369 Tscherning, Johann 161 Turk, Horst 2 Tworek, Paul 247 Tynianov, Jurij 1 5 , 2 0 Uhde-Bernays, Hermann 1 1 6 Uhmann, Christoph 82 Ullrich, Hermann 400 Ungern-Sternberg, Wolfgang von 4 1 3 , 4 1 4 , 416 U r f é , Honoré d' 5 2 , 3 5 7 , 4 1 1 Ursinus, August Friedrich 407 U z , Johann Peter 402,403,408 Valentin, Jean-Marie 16$, 166 Valerius Maximus 46 Valéry, Paul 1 7 Valjavec, Fritz 420, 434 Valvasor, Johann Weikhard von 147 Vandenhoeck, Abraham 279 Varese, Claudio 1 1 8 Vehse, Eduard 80 Veiras, Denis 3 1 1 , 3 1 5 Vercingetorix 136
Personenregister Vergilius Maro, Publius 46, 48, 85, 96, 98, 102, 1 8 1 , 182, 202, 203, 251, 258, 270,
311.347.349 Vetter, Ferdinand 280 Vetter, Theodor 346 Vincenti, Leonello 400 Viritius, Andreas 141 Vitruvius Pollio 52 Vives, Luis 53 Vodiika, Felix 12, 13, 19 Vodosek, Peter 140 Völcker, Rupert 184 Vogel, Hermann 239, 242 Vogel, Martin 414 Vogt, Erika 87 Voiture, Vincent 3 1 1 Volckmann, Jakob 194 Volkmann, Herbert 149 Volkmann, Ludwig 140 Voltaire (François-Marie Arouet) 3 1 5 , 4 1 0 Vondel, Joost van den 178 Vormbaum, Reinhold 98,40J Voß, Christian Friedrich 364, 373, 391 Voß, Georg 399 Voß, Johann Heinrich 403 Voß, Leopold 166, 177 Vosskamp, Wilhelm 413 Vosskamp, Wilhelm 41, 121, 126, 127, 128, 1 3 1 , I J 2 , I J 3 , 198
Wäditler, Reinhard 289 Wagner, Christian 188, 192, 197, 204, 20$, 206, 208, 209, 2 1 1 , 218, 225
Wagner, Ignaz 402,403 Wagner, Jiirg 128 Wagner, Michael Alois 280 Wagner, Paul 20J Wagner, Rainer 176 Wahrenburg, Fritz 135 Wahrendorff, Johann Peter 157, 158 Waldberg, Max von 216,283 Waldis, Burkhard 406,407 Wallbrecht, Rosemarie Elisabeth 171 Wallmann, Johannes 431 Walther, George Conrad 294 Walzel, Oskar 100, 359 Waniek, Gustav 336 Ward, Albert 418 Warneken, Bernd Jürgen 16 Warnke, Frank J . 136 Weber, Ernst 126 Weber, Gottfried 144
457 Weber, Max 421 Wedel, Benjamin 239, 240 Wegener, Carl Hanns 146 Wehl, Feodor 287 Weichmann, Christian Friedrich 238, 301, 309,316
Weidmann, Moritz Georg
94, 122, 202,
278, 3 7 1 , 3 8 3 . 393
Weigle, Fritz 5 1 , 7 1 Weilen, Alexander von 1 1 3 , 1 7 0 Weinridi, Harald 1 Weinrich, Melchior 184 Weisbach, Werner 103 Weise, Christian 87, 88, 109, 147, 154, 202, 218, 219, 220, 2 2 1 , 243, 244, 269, 3 1 3 , 337. 369.388
Weise, Johann Ernst 220,221 Weiße, Christian Felix 280,403 Weitbredit, Johann Jacob 239, 272, 345 Weitenauer S. J., Ignaz 402,403 Weitolshausen (genannt Schrautenbach), Ludwig Carl von 406,407 Wellek, René 1 1 Wellnhofer, Matthias 413 Welzig, Werner 172, 207 Wendius (Wend, Wendt, Wende), George 271
Wendland, Ulrich 220 Wendler, Johann 296, 367 Wendt, Bernhard 3 1 Wendt, Midiael 145 Wentzel, Johann Christoph 221 Wentzlaff-Eggebert, Friedrich Wilhelm 92, 1 4 2
Werder, Diederidi von dem 118, 147, 150, i8
4 . 277, 369
Werenfels, Samuel 228, 229, 230, 231, 250, 360
Wernicke, Christian
231, 234, 235, 236,
237, 238, 239, 240, 241, 298
Westenrieder, Lorenz 390 Wettiner (Dynastie) 287 Wettstein, Gerhard 229 Wettstein, Rod. 229 Wever, Arnold 381 Weydt, Günther 142 Weygand, Friedrich 3 1 , 6 6 , 3 7 9 Wezelius (Wezel, Wetzel), Justinus 265 Widmann, Hans 3 1 Wieacker, Franz 67 Wiedemann, Conrad 125, 144, 148, 270 Wiedemann, Michael 289
Personenregister
45« Wiedemeyer, Johann 179 Wieland, Christoph Martin 376, 403, 406,
Wutzenstein, Franz von 147 Wutzenstein, Johann B. von 147
407,410,414,416
Wiener, Philip P. 375 Wiese, Benno von 3 Wieser, Max 30 Wilcke, Johann 181 Wilhelm, Richard 375 Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar IJ2
Xenophon 315 Young, Edward 402 110,
Wille, Wilhelm 158 Williams, Anthony 422 Williams, Ralph C. $6 Wilpert, Gero von 347 Winckelmann, Johannes 421 Windel, Rudolf 276 Windfuhr, Manfred 143, 172, 174, 236, 296.327.33j.348.351.433 Windischgrätz, Gottlieb Amadäus von 1 1 6 Winkler, Martin 134 Winkler, von Mohrenfels, Joseph Johann Paul Carl Jacob 406 Winter, Carl 102 Winter, Eduard 79,434 Winter, Hinridi j4 Witkowski, Georg 54, 287 Witte, Henning 222 Wittelsbacher (Dynastie) 76 Wittmann, Reinhard 55, 3 9 5 , 4 1 7 Wittmann, Walter 29, 39, 43, 64, 397, 408
Witz, Edmund 164 Wölfflin, Heinrich 359 Wohlfeil, Rainer 76,78 Woitkewitsdi, Thomas 198 Wolf, Hermann 375 Wolf, Johann Christoph 271 Wolff, Christian 308, 319, 338, 3$6, 377 Wolff, Erwin $ Wolff, Hans M. 318,434 Wolff, Hellmuth Christian 171 Wolff, Joseph 402 Wolff, Max Ludwig 128 Wolfgang, Abraham 345 Worringer, Wilhelm 3J9
Zabarella, Giacomo j o Zachariä, Just Friedrich Wilhelm 401,402, 4 0 3 , 406, 4 0 7
Zaehle, Barbara 94 Zäunemannin, Sidonia Hedwig 406 Zahn, J . von 49 Zanichelli, Cesare 118 Zanichelli, Giacomo 1 1 8 Zanichelli, Nicola 1 1 8 Zarncke, Fr. 32, 38 Zavatta, Bartolomeo 137 Zedier, Johann Heinrich 63, 64, 1J9, 160, 1 6 1 , 2 6 6 , 2 6 7 , 268, 2 7 1 , 2 7 7 , 3 9 7
Zeidler, Christian 87 Zeidler, Jakob $2, 147 Zeitler, Johann Friedrich 240 Zeller, Rosmarie 82 Zesen, Philipp von j i , J2, 83, 126, 130, 147, 149, 1 5 1 , 2 2 $ , 2 7 7 , 3 J 7
Zieger, Johann 399 Zigler und Kliphausen, Heinrich Anselm von 5 7 , 1 4 6 , 1 4 7 , 1 5 1 , 1 8 $ , 206, 2 2 1 , V 4 . 2 7 8 , 2 9 3 , 3 1 2 , 340, 3 5 7 , 390, 4 1 1
Zimmermann, Harro 422 Zimmermann, Johann Christoph 279, 300 Zimmermann, Johann Joachim Daniel 407 Zinck (Zinke), Georg Heinrich 269 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von 407, .433 Zirotin, Carl Heinrich von 1 $7 Zirotin, Primislaus von 157 Zoepfl, Friedrich 46 Zollikofer, Georg Joachim 407 Zorn, Wolfgang 7 2 , 4 1 3 Zsdiokke, Heinrich Daniel 381, 382, 383, 384,385
Zunkel 212,283 Zunner, Johann David 44
Tafeln
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