Die Badenischen Sprachenverordnungen von 1897: I. Band 9783205111313, 9783205085553


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German Pages [320] Year 1960

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Die Badenischen Sprachenverordnungen von 1897: I. Band
 9783205111313, 9783205085553

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Berthold Sutter Die Badenischen Sprachenverordnungen von 1897 I. Band

VERÖFFENTLICHUNGEN DER

KOMMISSION FÜR NEUERE GESCHICHTE ÖSTERREICHS 46

Berthold Sutter

Die Badenischen Sprachenverordnungen von 1897 I. Band

I9 60

VERLAG H E R M A N N BÖHLAUS NACHF. /

GRAZ-KÖLN

DIE BADENISCHEN SPRACHENVERORDNUNGEN VON i897 ihre Genesis und ihre Auswirkungen vornehmlich auf die innerösterreichischen Alpenländer

Von

Berthold Sutter

I. Band

I960 VERLAG HERMANN BÖHLAUS NACHF.

/

GRAZ-KÖLN

D I E KOMMISSION FÜR NEUERE GESCHICHTE ÖSTERREICHS Vorsitzender: Univ.-Prof. Dr. Hugo Hantsch Stellvertr. Vorsitzender: Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Leo Santifaller Univ.-Prof. DDr. Heinrich Benedikt Univ.-Prof. DDr. Karl Eder Univ.-Prof. DDr. Friedrich Engel-Janosi Hofrat Univ.-Doz. Dr. Alfred Hoffmann Univ.-Prof. Dr. Franz Huter Univ.-Prof. Dr. Alphons Lhotsky Hofrat Univ.-Prof. Dr. August Loehr Hofrat Dr. Alfred Meli Univ.-Prof. Dr. Alexander Novotny Hofrat Dr. Gebhard Rath Univ.-Prof. Dr. Friedrich Walter

Alle Rechte vorbehalten Gedruckt mit Unterstützung des Bundesministeriums für Unterricht und der Steiermärkischen Landesregierung Copyright ©

1960 by Hermann Böhlaus Nachf., Graz

In der Borgis Plantin gedruckt bei R. Spies Co., Wien V. Klischees: Patzelt & Co., Wien VII / Buchbinder: H. Scheibe, Wien III Buchausstattung: Ferry Α. Limberg, Wien I

INHALT Seite

Vorwort I. Zur Genesis der nationalen Differenzen in Böhmen

8 11

Badenis Friedensabsichten 1897 (11) — Kampf gegen seine Verordnungen unter Berufung auf Kaiser Joseph II. (12) — Spracheneinheit im Interesse des Staates (12) — Der Zentralismus Kaiser Josephs II. (13) — Opposition des Feudaladels (14) — Das böhmische Vaterland (15) — Einfluß der Romantik auf die slawischen Völker (16) — Das Slavenkapitel J. G. Herders (17) — Metternichs Haltung gegenüber dem Nationalitätenprinzip (18) — Die Königinhofer Fälschung (20) — Palackys Geschichtsschreibung (22) — Palackys „Mehrwertigkeit" der Slawen (29) — Das Wunder der nationalen Wiedergeburt (31) — Die wirtschaftliche Seite des Nationalitätenstreites (33) — „Verklammerung" der einzelnen Teile (35) — Metternichs Plan für Galizien (35)

II. Der Ausbruch der nationalen Gegensätze im Revolutionsjahr 1848/49

36

Die Wenzelsbader Petition (36) — Analoge Verhältnisse in der Steiermark (38) — Neue tschechische Forderungen (40) — Die „Böhmische Charte" vom 8. April 1848 (41) — Die sprachliche Gleichberechtigung: Pläne und Auswirkungen (42) — Proteste der Deutschen gegen das böhmische Staatsrecht (45) — Schlesische und mährische Proteste gegen das böhmische Staatsrecht (48) — Der Kampf um „Frankfurt" (50) — Der Prager Slawenkongreß (52) — Die Paulskirche garantiert die Achtung der Nationalität (55) — Das Problem Österreich in Frankfurt (56) — Der österreichische Reichstag 1848/49 (57) — Franz Grillparzer zur Sprachenfrage (57) — Der Kremsierer Verfassungsentwurf (59) — Ethnographische Einteilung der Monarchie (61) — Spätere ethnographische Teilungsvorschläge (62) — Kreiseinteilung und nationale Kurien nach dem Kremsierer Entwurf (63) — „Gleichberechtigung aller Nationalitäten" (67) — Die Grundlage des österreichischen Nationalitätenrechtes (67) — Fischhofs Nationalitätengesetz-Entwurf (69) — Zentralisation und Länderautonomie als innerpolitisches Problem (71)

III. Versäumte Gelegenheiten 1848—1890 Das Programm der Alttschechen (73) — Der Ausgleich mit Ungarn und seine Folgen (74) — Versuchter Ausgleich mit Böhmen 1871 (78) — Proteste gegen den Ausgleich (82) — Das Scheitern des böhmischen Ausgleiches (83) — Die TaaffeStremayrsche Sprachenverordnung 1880 (84) — Ablehnung der Erlernung slawischer Sprachen durch die Deutschen (86) — Die Sprachenanträge Wurmbrands und Scharschmids (88) — Die Haltung der Slowenen (92) — Tschechische Erfolge (94) — Teilung der Prager Universität (94) — Forderung nach Teilung Böhmens (95) — Soziale Probleme der tschechischen Arbeiter (96) — Nationale Mengung (97) — Wanderbewegung tschechischer Arbeiter (97) — Die Prazakschen Ordonnanzen (99) — Der Ausgleichsversuch von 1890 (99) — Nach den Deutschböhmen die Slowenen (101) — Erbitterung gegen den böhmischen Ausgleich (103) — Die slowenischen Erwartungen (105) — Die Südslawenfrage (106)

73

Inhalt

6

Seite

IV. Der Fall „Cilli" und das nationale Erwachen der Deutschen in den Alpenländern

107

Das „Koalitionsministerium" (107) — Das deutsche Gymnasium in Cilli (108) — Forderung nach slowenischen Parallelklassen (108) — Zusage durch die Regierung (109) — Aufnahme der Post „Cilli" in das Budget 1895 (110) — Die „Südostdeutschen Betrachtungen" Dumreichers (111) — Versteifung der Standpunkte (111) — Haltung des steiermärkischen Landtages (113) — Vergebliche Vermittlungsversuche (114) — Die Haltung des Ministerrates (116) — Die gescheiterte Wahlreform (117) — Annahme der Budgetpost „Cilli" (119) — Rücktritt der Regierung (119) — Kabinett Kielmansegg (120) — Nachwehen im steiermärkischen Landtag (121) — Die Haltung der konservativen Partei in der Steiermark (125) — Das Erwachen der Deutschen in den Alpenländern (127)

V. Badems Versuch mit untauglichen Mitteln

128

Zur Charakteristik Badenis (128) — Die Wiener Bürgermeisterfrage (130) — Enthebung des Grafen Thun als Statthalter in Böhmen (132) — „Glückliche" Zeit Badenis (133) — Wahlreform, Neuwahlen und Majoritätspläne (133) — Vorverhandlungen mit den Tschechen (136) — Erster Entwurf der Sprachenverordnung (139) — Vorverhandlungen mit den Deutschen (140) — Der Ministerrat vom 20. Februar 1897: Badenis Standpunkt (141); Gautsch erhebt Bedenken (143); Gleispachs Warnung (145); Frage der Majoritätsbildung im Abgeordnetenhaus (146); Welsersheimbs Bedenken (147) — Der Ministerrat vom 21. Februar 1897: Grundsätzliche Bedenken (150); Die Rechtsgrundlage (150); Zwang zur Erlernung der Landessprachen (152); Gleispachs Bedenken (153); Gefahr einer deutschen Irredenta (155); Badenis Optimismus (156); Der Text der Verordnung (158); Der Text der Zusatzverordnung (160) — Der revidierte Text (162) — Beratung der Thronrede Kaiser Franz Josephs (164) — Tschechische Einwendungen gegen den revidierten Text (167) — Verhandlungen mit den Deutschen (168) — Verhandlungen mit den Tschechen (175) — Tschechische Forderungen zum Verordnungstext (176) — Gemeinsame Verhandlung mit Tschechen und Deutschen (180) — Das Interview mit einem führenden Staatsmann (181) — Tschechische Repliken (183) — Antwort der deutsch-liberalen Presse (184) — Eröffnung der XII. Session des Reichsrates (190) — 35 tschechische Postulate (191) — Die Tschechen nach 1918 (198) — Der Ministerrat vom 31. März 1897 (199) — Mißglückte Majoritätsbildung (203) — Der Verfassungstreue Großgrundbesitz (204) — Präsidiumsfrage des Abgeordnetenhauses (207) — Bildung der Majorität im Abgeordnetenhaus gegen Badenis Willen (208) — Badeni wird gewarnt (217) — Die Rechte als Majorität (218) — Der Ministerrat vom 4. April 1897 unter dem Vorsitz des Kaisers (219); Stellungnahme des Kaisers (225); Ablehnung der Demission (226) — Ah. Handschreiben an Badeni (228) — Beurteilung der Ablehnung der Demission (229) — Erlassung der Sprachenverordnung für Böhmen (230) — Der neue „Eiserne Ring" (230) — Die deutschen Parteien (234)

VI. Die böhmischen Aufruhrakte Inhalt und Problematik der Sprachenverordnung (237) — Die deutsche Forderung nach nationalen Kurien (243) — Erregung unter den Deutschen (245) — Die ersten Proteste (245) — Der Grazer Gemeinderat schließt sich der Bewegung an (246) — Die Petition der Gemeinde Wien an den Kaiser (247) — Unpopuläre Ausgleichsvorlagen (249) — Unpopulärer Ausgleich mit Ungarn (251) — Ungarns wirtschaftliche Haltung gegen die Balkanstaaten (252) — Moderner ungarischer Colbertismus (253) — Die außenpolitische Seite der Sprachenverordnung (245) — Erste Opposition im Abgeordnetenhaus (255) — Die Sprachenverordnung für

237

Inhalt

7 Seite

Mähren (256) — Der Vollzugserlaß Badenis (256) — Parlamentarischer Ausnahmezustand (258) — Gleispachs Erklärung (261) — Obstruktion (262) — Schließung der XII. Session des Reichsrates (264) — Geschichte und Wesen der Obstruktion (264) — Rechtliche und politische Beurteilung der Obstruktion (265) — Adreßentwurf der Majorität (267) — Badenis Geheimerlaß vom 2. Juni 1897 (269) — Die tschechische Unterbewertung der Verordnungen (270) — Allgemeiner Radikalismus (272)

273

Anhang A. Sprachenverordnungen: 1. Taaffe-Stremayrsche Sprachenverordnung Böhmen vom 19. April 1880 (273) — 2. Badenische Sprachenverordnung Böhmen vom 5. April 1897 (274) — 3. Gautschsche Sprachenverordnung Böhmen vom 24. Februar 1898 (278) — 4. Gautschsche Sprachenverordnung Mähren vom 24. Februar 1898 (281) — 5. Clarysche Sprachenverordnung Böhmen vom 14. Oktober 1899 (284)

für für für für für

B. Gesetzesanträge : 6. Scharschmidscher „Sprachengesetz"-Antrag vom 8. Februar 1886 (285) — 7. Nationalitätengesetz für Böhmen, in der Textierung vom 10. Oktober 1871 (291)

Verzeichnis der gedruckten Quellen und Literatur

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ABBILDUNGSVERZEICHNIS Kasimir Graf Badeni 1846—1909, österreichischer Ministerpräsident 1895—1897 Dr. Joseph Maria Baernreither 1845—1925, österreichischer Handelsminister 1898, Minister O.P. 1916/1917 Paul Freiherr Gautsch von Frankenthurn 1851—1918, österreichischer Ministerpräsident 1897/1898, 1905/1906 und 1911 Zeno Graf Welsersheimb, FZM 1835—1905, österreichischer Minister für Landesverteidigung 1880—1905

Titelbild

Die Abbildungsvorlagen hat das Bildarchiv der österreichischen Nationalbibliothek zur Verfügung gestellt

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144 160

Armes Österreich, wie schwer trafen dich die Irrtümer derer, die deine Geschicke lenkten! ADOLPH FISCHHOF Österreich und die Bürgschaft seines Bestandes

VORWORT Die Badenischen Sprachenverordnungen für Böhmen und Mähren vom April 1897 bedeuten für das Zusammenleben der einzelnen Nationalitäten im alten Österreich einen entscheidenden Wendepunkt und für die zisleithanische Reichshälfte der Monarchie in den dieser noch verbleibenden letzten zwei Jahrzehnten ihres Bestandes eine Hypothek, durch welche die weitere innerpolitische Entwicklung in verhängnisvoller Weise beeinflußt, wenn nicht sogar bestimmt wurde. Dabei fallen weder die Abweichungen der Badenischen Ordonnanzen von der TaafFe-Stremayrschen Sprachenverordnung von 1880 und letztlich überhaupt Inhalt und beabsichtigte Tendenz, noch die überaus kurze, nicht einmal ein ganzes Jahr währende Gültigkeit und die Außerkraftsetzung durch den Ministerpräsidenten Freiherrn von Gautsch im Februar 1898 ins Gewicht. Das Unglück, das sie über Österreich brachten, bedingte allein schon die Tatsache ihrer Erlassung und ihre ungenügende politische Vorbereitung gegenüber den deutschen Parteien. Das Verhängnis wurde durch die Wahl des Zeitpunktes ihrer Vereinbarung und durch die Koppelung mit anderen wichtigen Staatserfordernissen noch größer, denn dadurch, daß Graf Badeni den Reichsrat wegen der notwendigen parlamentarischen Erledigung der die Verlängerung des wirtschaftlichen Ausgleiches mit Ungarn betreffenden Gesetzesvorlagen nicht auf längere Zeit vertagen konnte, spielten sich im Abgeordnetenhaus vor den Augen der Weltöffentlichkeit jene entwürdigenden Obstruktionsszenen ab, die das Ansehen der Monarchie bei den anderen Mächten tief herabsetzen mußten und, da sie deutlich genug die innere Zerrissenheit Österreichs dokumentierten, den Diskussionen, die in ganz Europa über den Fortbestand der Monarchie geführt wurden, jene akzentuierte, pessimistische Grundstimmung aufdrückten, die wiederum 1899, als außenpolitische Folgerung der durch die Badenischen Sprachenverordnungen entstandenen inneren Wirren in weitester Konsequenz, zur Änderung wichtiger Bestimmungen des russisch-französischen Bündnisses führte. Dabei wog nur noch schwerer, daß es nicht etwa die Tschechen, sondern die Deutschen waren, also jene, die sich bisher als staatstragendes und staatserhaltendes Element angesehen hatten, die nunmehr die Monarchie an den Rand des Abgrundes zu führen schienen. Die Folgen der Verordnungen sind sehr wohl, zumindest teilweise, vorausgeahnt worden und es hat nicht an warnenden Stimmen bereits Wochen vor der Erlassung gefehlt. Erschütternd ist in diesem Zusammenhang der Kampf des Grafen Welsersheimb als Verteidigungsminister für die unversehrte Erhaltung der einheitlichen Kommandosprache der bewaffneten Macht, um deren Schlagkraft auch nach innen zu sichern. Welsersheimb hat offensichtlich an die Oktroyierung einer umfassenden Lösung des deutsch-tschechischen Gegensatzes in Böhmen, wenn nicht überhaupt der gesamten Verfassungsfrage — notfalls unter dem Druck der Waffen — gedacht. Er war es daher auch, der im Ministerrat offen sagte, es werde von wenigen mehr bezweifelt, daß in Österreich der Augenblick nicht mehr ferne sei, „wo es nicht mehr weitergehen könne und Entschlüsse unausweichlich sein würden"; und er fügte hinzu, daß jetzt noch Geist, Kraft und

Vorwort

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Unerschütterlichkeit der Armee „eventuellen entsprechenden Beschlüssen eine feste Basis und zweifellose Wirksamkeit gewähren" könnten. Aber die Entschlußkraft zu einer umfassenden Neugestaltung der Monarchie fehlte, vor allem bei Kaiser Franz Joseph I. selbst. Wenn auch gerade nach den widerspruchsvollen Schwankungen und unheilvollen Irrwegen von 1848 bis 1866 das zähe Festhalten an den Dezembergesetzen bei seinem Alter durchaus verständlich ist, ja seine Verfassungstreue mit Recht gerühmt wird, so ist es doch eine Schwäche, daß er, der keinesfalls die Situation verkannt hat, nicht doch den Versuch einer Umgestaltung der zisleithanischen Hälfte seines Reiches wagte, obwohl eben infolge der Badenischen Sprachenverordnungen und ihrer unglückseligen Auswirkungen „das Problem der konstruktiven Reichsgestaltung" von verschiedenen Seiten ernsthaft, und zwar durchaus in positivem Sinne, zur Diskussion gestellt wurde. Es ist ein wesentliches, aber kein erfreuliches Kapitel der österreichischen Geschichte, das in dieser Arbeit aufgerollt wird, denn es zeigt, wie das übernommene gewaltige Erbe vieler Jahrhunderte innerhalb kurzer Zeit vertan wurde. Es zwingt uns, die franzisko-josephinische Epoche ohne jenen verklärenden Glanz zu sehen, der ihr allgemein seit den bitteren Jahren nach dem ersten Weltkriege rückschauend zuteil wurde. Die großen internen nationalen, politischen und sozialen Gegensätze und Spannungen, die nach dem April 1897 erstmals hemmungslos mit blindem Radikalismus ausgekämpft wurden, haben den Untergang der Monarchie wesentlich mitbedingt. Die militärische Katastrophe von 1918 war an sich keinesfalls größer als die etwa von 1809 und doch hat sie infolge ihrer Verbindung mit den inneren Gegensätzen das Ende des mächtigen Gesamtstaates der Habsburger herbeigeführt. Die Kenntnis der Geschichte der Badenischen Sprachenverordnungen und ihrer Folgen bietet demnach einen Schlüssel zum Verständnis der innerpolitischen Voraussetzungen für den Untergang der Monarchie dar, aber zugleich auch zum Nationalitätenproblem der österreichischen Reichshälfte mit seinen vielschichtigen Überlagerungen und staatsrechtlichen Verknüpfungen, weshalb die Inangriffnahme einer umfassenden Darstellung dieses verhängnisvollen Wendepunktes berechtigt erschien. Dies um so mehr, als auffallenderweise bisher die historische Forschung sich wenig mit den Badenischen Sprachenverordnungen im einzelnen auseinandergesetzt hat. Im Jahre 1923 veröffentlichte Paul M o l i s c h ein kleines Bändchen als Beitrag „Zur Geschichte der Badenischen Sprachenverordnungen", die einzige bisher erschienene Monographie, deren Bedeutung darin liegt, daß Molisch die inzwischen verbrannten Originalprotokolle des Ministerrates von 1897 heranziehen und verwerten konnte. Eine intensivere Beschäftigung mit den Sprachenverordnungen setzte erst nach dem zweiten Weltkrieg ein und hier sind die Arbeit des Grazer Kirchenhistorikers Andreas P o s c h „Badeni, heute gesehen" und die am Historischen Institut der Wiener Universität entstandenen Dissertationen von Friedrich Kornauth „Graf Badeni als Ministerpräsident" (1949) und Gertraud Hansel „Die tschechische Stellungnahme zu den Sprachenverordnungen Badenis" (1953) zu nennen. Die beiden letztgenannten wertvollen Teiluntersuchungen sind der Anregung Hugo H a n t s c h ' s zu verdanken, der selbst im zweiten Band seiner „Geschichte Österreichs" das Datum der Erlassung der Badenischen Sprachenverordnungen ein „für die österreichische Geschichte wichtiges" nennt; „denn mit diesem Tage tritt der Nationalitätenkampf in die Periode einer für das Gesamtreich und für die Existenz Österreichs verhängnisvollen Entwicklung, die alle anderen Interessen in den Hintergrund drängt" (S. 469).

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Vorwort

Die hier vorgelegte Arbeit, deren Erscheinen sich durch die dem Verfasser dienstlich übertragene wissenschaftliche Leitung der repräsentativen ErzherzogJohann-Gedächtnisausstellung des Landes Steiermark 1959 und durch seine durch Überlastung verursachte Erkrankung über ein Jahr verzögert hat, erscheint in zwei Teilen. Die Zäsur bot sich thematisch von selbst an. Der erste Band umfaßt die Genesis und die Vorgänge bis unmittelbar nach Erlassung der Verordnungen, eine Darlegung und Kritik ihres Inhaltes sowie den Hinweis auf die beginnende Obstruktion im Abgeordnetenhaus. Dem zweiten Band, der bereits in wenigen Monaten folgen und die notwendigen Register für beide Teile enthalten wird, ist die Darstellung des wachsenden und schließlich bis zu Unruhen ansteigenden Widerstandes gegen den Grafen Badeni und dessen Verordnungen vorbehalten, sowie den Grazer Ereignissen und den übrigen unglücklichen Nachwehen, durch welche das Ministerium Gautsch I nach wenigen Monaten zum Rücktritt genötigt und die Stellung des darauffolgenden Kabinetts des Grafen Thun unendlich erschwert wurde. Am konkreten Beispiel der Alpenländer wird die zunehmende Radikalisierung der politischen Lager, die durch Journalistik und Propaganda bedingte Versteifung der Parteien, die Macht einmal gewählter Schlagworte und schließlich die politische Erregung der Massen, die aber keineswegs jene staatsablehnende und -zerstörende Gesinnung annahmen, wie sie auf tschechischer wie auf deutscher Seite vorwiegend von akademisch gebildeten Schichten propagiert wurde, aufgezeigt und verdeutlicht. Allerdings die Motive und letzten Ziele der Parteien und die Hintergründe ihrer Verhandlungen zu klären war schwer, da - damals wie heute die Protokolle interner und bilateraler Parteiabkommen nicht den Weg in die staatlichen Archive fanden, also der genaue Wortlaut der oft für die weitere innenpolitische Entwicklung entscheidenden Pakte der historischen Forschung verlorenging. Auch bei dieser Arbeit galt das Wort, daß wir die Wahrheit nicht kennen, unsere Pflicht als Historiker aber ist, sie zu suchen. Die sachliche Darlegung der unglücklichen Politik des Ministerpräsidenten Badeni und der einzelnen Parteien sowie die an manchen Stellen als notwendig erschienene Kritik berührt jedoch — und da die aufgeworfenen Fragen doch immerhin noch eine gewisse Zeitnähe besitzen, sei dies mit Nachdruck betont — in keiner Weise das Bekenntnis zum heutigen Österreich, zu seiner Tradition und seiner Geschichte. Der Kommission für neuere Geschichte Österreichs (Wien) unter ihrem Vorsitzenden Univ.-Professor Dr. Hugo H a η t s c h habe ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe ihrer Veröffentlichungen den geziemenden Dank auszusprechen. Herr Univ.-Professor Dr. Friedrich W a l t e r (Wien) ist mir stets beratend und helfend beigestanden und ich bin ihm zu tiefstem Dank verpflichtet. Weiters habe ich Herrn Univ.-Professor Dr. Balduin S a r i a (München-Graz), der regen Anteil an der Arbeit nahm, für manchen sachlichen Hinweis zu danken. Herr Staatsarchivar Dr. Richard Blaas, Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchives Wien, Herr Univ.-Dozent Dr. Walter Goldinger, Direktor des Allgemeinen Verwaltungsarchivs Wien, sowie Herr Oberarchivrat Dr. Fritz Posch, Direktor des Steiermärkischen Landesarchivs Graz, haben mir durch großzügiges Entgegenkommen bei der Benützung der einschlägigen Archivalien die Arbeit wesentlich erleichtert, wie es in gleicher Weise durch die stete Hilfsbereitschaft der übrigen Beamten dieser Institute geschah. Das Lesen der Korrekturen teilte mit mir Herr Professor Dr. Karl Konrad Polheim, dem dafür auch hier herzlich gedankt sei. Graz, im Sommer 1960

Berthold

Sutter

I. ZUR GENESIS DER NATIONALEN DIFFERENZEN IN BÖHMEN Am 5. April 1897 erließ der österreichische Ministerpräsident Graf Kasimir Badeni, davon überzeugt, daß er in Ausübung des ihm zustehenden Vollzugsrechtes dazu berechtigt sei, nach erlangter kaiserlicher Zustimmung eine die Sprachenfrage in Böhmen betreffende Regelung, die er mit den führenden jungtschechischen Politikern besprochen und vereinbart hatte, um, wie er glaubte, „die Friedenssonne über Böhmen für immer aufgehen zu lassen". Den ihm vorausgesagten Widerstand der Deutschböhmen gegen die Verordnung schätzte er gering ein, und er war der Überzeugung, daß sich der Sturm der Entrüstung schnell legen werde. Er wollte das Problem Böhmen, von dem Karl Lueger vorwurfsvoll bemerkte, daß mit diesem die Politik in Österreich anfange und mit diesem die Politik in Österreich aufhöre, mit einem Federstrich lösen, er wollte den gordischen Knoten durchschlagen und damit die Voraussetzung für eine deutsch-tschechische Zusammenarbeit auf liberaler Basis im Abgeordnetenhaus schaffen. Er sprach den Deutschen das Recht, auf Grund der geschichtlichen Entwicklung eine bevorzugte Stellung einzunehmen, ab und verlangte, als einstiger Statthalter Galiziens das Befehlen gewöhnt, daß sie sich seinem Willen und seinen Anschauungen unterordnen. Er verkannte, daß die Regelung der Sprachenfrage in Böhmen nicht aus dem schwierigen und verworrenen Gesamtkomplex der böhmischen Frage herausgerissen werden konnte, er ließ unbedacht, daß nicht die Anerkennung historischer Länderindividualitäten, sondern nur mehr die nationale Scheidung innerhalb dieser Gebiete den nationalen Frieden bringen konnte, und er übersah schließlich das massenpsychologische Moment, daß er nach dem mißlungenen Ausgleichsversuch von 1890 nun nicht jenem Teil, durch den damals die Versöhnung scheiterte, ein wesentliches Zugeständnis erfüllen konnte, ohne den anderen Teil, die Deutschböhmen, in gleicher Weise zu befragen, zu berücksichtigen und zu befriedigen. Das Verhängnis, das die Badenischen Sprachenverordnungen über Österreich brachten, ist kaum abzusehen. Sie haben den ohnehin bereits radikalisierten Nationalismus so übersteigert, daß alle späteren Ausgleichsversuche in Böhmen scheiterten und ein einvernehmlicher staatsrechtlicher Umbau der österreichisch-ungarischen Monarchie unmöglich wurde. Zwei Punkte charakterisieren im wesentlichen die Verordnung mit ihrem Annex: die Bestimmung, nach der alle nach dem 1. Juli 1901 im Königreich Böhmen angestellten Beamten die Kenntnis von Deutsch und Tschechisch in Wort und Schrift nachweisen mußten, womit also eine Frage des Lebenskampfes und der Existenzsicherheit der Deutschen berührt war, und die Durchbrechung des Prinzips des ausschließlichen Gebrauches der deutschen Sprache als innere Amtssprache in Böhmen, worin die Deutschen eine Kampfansage gegen den bürokratischen Zentralismus erblickten, von dem sie immer noch glaubten, daß er ihnen Herrschaft und Führung nicht nur in den gemischtsprachigen Ländern, sondern auch im Reiche verbürge, obwohl dieser Zentralismus gar nicht mehr ein rein deutscher war. Beide Motive haben den bis zu Unruhen sich steigernden Kampf bestimmt. In den Petitionen der deutschen Hochschulen Österreichs an

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I. Zur Genesis der nationalen Differenzen in Böhmen

den Reichsrat haben die Professoren die wirtschaftliche Schädigung der Hochschulen selbst, der Studenten und der kommenden jungen Akademiker durch die Sprachenverordnungen in den Vordergrund gestellt und gebeten, deshalb deren Aufhebung zu erwirken. Die Studenten aber haben in den kritischen Novembertagen 1897, die von den Rufen „Abzug Badeni" erfüllt waren, Kaiser Joseph II. gehuldigt, den sie den deutschesten Habsburger nannten und dem sie schwuren, zu sorgen, daß sein „Lichterbe" nicht von dem polnischen Grafen besudelt oder gar vernichtet werde. Die geradezu kulthafte Verehrung, die Joseph II. bei den Studenten und der führenden, liberalen Intelligenzschicht während der Zeit der deutschen Parlamentsobstruktion gegen Badeni besaß1), lag in Josephs Gesetzen zugunsten der deutschen Sprache begründet. Nur haben die demonstrierenden deutschnationalen Studenten von 1897 übersehen, daß nach einem Wort des tschechenfreundlichen französischen Historikers Ernest Denis2) Joseph II. einen Platz im nationalen Pantheon der Tschechen noch eher als in dem der Deutschen verdienen würde, da er die slawische Renaissance überhaupt erst ermöglicht hatte. Die Studenten von 1897 haben weiters übersehen, daß Joseph die Ausdehnung der deutschen Sprache nicht dem Deutschtum Österreichs zuliebe wollte, „sondern nur weil seinem Doktrinarismus die Spracheinheit im Interesse des Staates und auch aller Volksstämme des Reiches zu liegen schien"3). Joseph wollte, was die Unzählige Postkarten mit dem Bildnis Josephs II. und seinem Ausspruch „Ich nenne Deutschland gerne unser gemeinsames Vaterland, weil ich es liebe und stolz darauf bin, ein Deutscher zu sein" wurden in Umlauf gesetzt. Sie wurden vor allem von Studenten einander zugesandt. — Aus dieser geistigen Haltung heraus schrieb 1899 der Grazer Reichsratsabgeordnete und Realschulprofessor Paul Hofmann-Wellenhof : „Joseph II. machte den ernstlichen Versuch b e w u ß t e r G e r m a n i s i e r u n g , gewiß in erster Linie von der Rücksicht auf die wohlverstandenen Bedürfnisse des Staates geleitet, doch war ihm, der sich a u s d r ü c k l i c h r ü h m t e , e i n D e u t s c h e r z u s e i n , auch nationales Gefühl keineswegs fremd." (Steiermark, Kärnten, Krain S. 21 f.) — In Deutschböhmen wurden 1919 von den Tschechen die zahlreichen für Joseph II. errichteten Denkmäler schonungslos entfernt. — Zur Verehrung Josephs II. vgl. F. E n g e l - J a n o s i , Kaiser Joseph II. in der Wiener Bewegung. — D e r s., Josephs II. Tod im Urteil der Zeitgenossen. 2 ) E. D e η i s, La Bohême I, S. 526: „Le monarque qui a mis fin aux persécutions religieuses et aboli le servage, mérite de prendre place dans le Panthéon national à côté des meilleurs souverains ; il a brisé les barrières qui empêchaient l'air et la lumière de circuler, il a ouvert le pays à la philosophie du XVIII e siècle et à l'humanisme de Herder et de Goethe, il a rendu possible la Renaissance slave et, quelque paradoxale que paraisse d'abord cette opinion, il est le précurseur direct des Dobrowsky, des Joungmann et même des Kollar et des Palatsky." Vgl. dazu H. H a s s i n g e r , Tschechisches Nationalbewußtsein S. 63. — Auch Jan Jakubec stellt an die Spitze seines Beitrages über „Die literarische Wiedergeburt des böhmischen Volkes" im tschechischnationalen Sammelwerk „Das böhmische Volk" (S. 46) die Verdienste Josephs II. und bezeichnet die Schul- und Wirtschaftsreformen des Kaisers, die Aufhebung der Zensur und die weite Pressefreiheit „die einzig verläßliche Tragsäule der böhmischen Nationalität". 3 ) H. S t e i η a c k e r, Die geschichtlichen Voraussetzungen S. 29. — A. F i s c h e 1, Sprachenrecht Nr. 37—43. — Vgl. die S. XLIII wiedergegebene Antwort Josephs II. auf die Vorstellungen eines ungarischen Magnaten: „Die deutsche Sprache ist die Universalsprache meines Reiches. Warum sollte ich die Gesetze und die öffentlichen Geschäfte in einer einzigen Provinz nach der Nationalsprache traktieren lassen ? Ich bin Kaiser des Deutschen Reiches; demzufolge sind die übrigen Staaten, die ich besitze, Provinzen, die mit dem

Der Zentralismus Kaiser Josephs II.

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deutsche nationale Intelligenz von 1897 gerade am allerwenigsten wünschte, „eine seiner Überzeugung entsprechende und seine Absichten tragende übernationale und überkonfessionelle, also im wahrsten Sinne des Wortes österreichische Gemeinschaft", ein österreichisches „Staatsvolk", eine österreichische Nation, wenn auch mit deutscher Staatssprache4). Diese sollte den Gang des Staatsmechanismus beschleunigen und vereinfachen, den von ihm als ein „kunstvoll geordnetes Räder- und Triebwerk" vorgestellten Staat in Gang halten, die Reibungen der Staatsmaschine verringern und die einzelnen Teile der Monarchie fester aneinanderketten. Denn „leidenschaftlicher noch als seine Mutter"5), kämpfte er für die Gesamtstaatsidee6). In Ungarn hat die 1784 erfolgte Einführung des Deutschen als allgemeine Geschäftssprache eine überraschend starke politische und nationale Auflehnung und Besinnung ausgelöst. Dessenungeachtet wollte Joseph II. in Galizien') und für die italienischen Länder und Landesteile durch Hofentschließungen von 1785 und 1787 nach Ablauf von drei Jahren in der ganzen richterlichen Verhandlung von Parteien, Richtern und Advokaten keine andere als die deutsche Sprache angewendet wissen, deren Kenntnis zum Anstellungserfordernis für Richter und Manipulationsbeamte sowie zur Zulassungsbedingung für Advokaten wurde. Obwohl die Gerichte damals kaum mit den Parteien und deren Vertretern in unmittelbare Berührung traten, war das mündliche Verfahren besonders in Kriminalfällen und Untertänigkeitssachen unumgänglich. In solchen Fällen sollte das Verfahren in der Geschäftssprache abgehandelt, das vorgelegte Material an Urkunden und Beweismaterial aus der Volkssprache in jene übersetzt, über die Verhandlung ein deutsches Protokoll aufgenommen und nur dessen Inhalt den verhörten Personen verdolmetscht werden. Der von Joseph II. damit eingeschlagene Weg hat sich als ein unheilvoller Irrweg erwiesen, aus dem Österreichs

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ganzen Staate in Vereinigung einen Körper bilden, wovon ich das Haupt bin. Wäre das Königreich Ungarn die wichtigste und die erste meiner Besitzungen, so würde ich die Sprache desselben zur Hauptsprache meiner Länder machen, so aber verhält es sich anders." W. W e i z s ä c k e r , österr. Staatsgefühl S. 309. Die Mittel, die Joseph II. anwandte, um sein Ziel zu erreichen, erwiesen sich jedoch als durchaus ungeeignet und zerstörten vielfach die natürlich gewachsenen Ansätze, zumal er die kluge und vorsichtige Politik seiner Mutter verließ. — Vgl. H. S t e i n a c k e r , Die geschichtlichen Voraussetzungen S. 28. — Zur Schulpolitik Maria Theresias in Böhmen E. W i n t e r , Deutsches Geistesleben in Barock und Aufklärung S. 399 ff. F. W a l t e r , Die österreichische Zentralverwaltung: Die Zeit Josephs II. und Leopolds II. (Veröffentl. d. Kommission für neuere Gesch. Österreichs 35) S. 65. Noch Joseph II. selbst hat die Verordnungen abschwächen müssen. In Ungarn wurde 1840 gesetzlich das Ungarische zur ausschließlichen Geschäftssprache der Behörden, bald auch zur ausschließlichen der Reichstagsverhandlungen und der Gesetze erklärt. Die königliche Eröffnungsbotschaft an den Reichstag wurde 1847 erstmalig nach 300 Jahren in ungarischer Sprache gehalten. (H. S c h ü t t e r , Österreichs Vormärz. III : Ungarn S. 55.) Das Gesuch des polnischen Landtages, die Landgerichte und Appellationsgerichte nicht mehr wie bisher bloß in lateinischer und deutscher, sondern auch in polnischer Sprache amtieren zu lassen, wurde mit kaiserl. Entschließung vom 2. April 1844 abgelehnt. (H. S c h i i t t e r , Österreichs Vormärz. I : Galizien u. Krakau S. 76 Anm. 37.) — Daß es Joseph II. bei der Einführung der deutschen Geschäfts- und Gerichtssprache um das Funktionieren der Staatsmaschinerie ging, beweist, daß er 1784 ein ruthenisches Generalseminar für Weltpriester schuf, in welchem die theologischen Fächer in ruthenischer Sprache vorgetragen wurden. Die gut ausgebildeten und der Sprache mächtigen Weltpriester waren entscheidend für die Selbstbesinnung des Volkes und wurden im 19. Jahrhundert Vorkämpfer der ruthenischen Kultur. (E. W i n t e r , Nationale und religiöse Kämpfe in Galizien.)

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I. Zur Genesis der nationalen Differenzen in Böhmen

Politiker und Parteien des 19. Jahrhunderts keinen Ausgang fanden. Gerade die Gleichberechtigung der Volkssprache vor allen richterlichen Instanzen wurde im Nationalitätenkampf zu einem Hauptpostulat, dem Badeni nachkommen wollte. In noch einem zweiten Punkt sollte „die überhastete und in den Grundlinien mehrfach verfehlte Lebensarbeit Josephs II." 8 ) für die weitere Entwicklung Österreichs zum Verhängnis werden: in seinem Wunsch nach vollständiger administrativer Verschmelzung der Länder, in seinem Kampf um die vollkommene Einheit der Monarchie und in seiner Idee des bürokratischen Zentralismus. Dieser Glaube an das Beamtentum, an die Bürokratie als Mittel der Zentralisierung, an die bürokratische Staatsmaschine ist geradezu ein „hervorstechendes Merkmal josephinischer Stimmungen durch Jahrzehnte geblieben"9). Kaiser Ferdinand II., der, soweit er unter den gegebenen Umständen es sein konnte, ein absoluter Fürst gewesen war, hatte sich in der „Verneuerten Landesordnung des Königreiches Böheim" vom 10. Mai 1627 mit der Gleichstellung der deutschen mit der tschechischen Sprache begnügt und trotz der Rebellion der Stände in Böhmen und des Sieges am Weißen Berge, die „eine wichtige Grundlage für einen neu erstehenden fürstlichen Absolutismus" in Böhmen boten10), darauf verzichtet, Böhmen mit den übrigen Ländern zu einem zentral regierten Staat zusammenzuschließen. Was die Ferdinande aus den Bedingtheiten ihrer Zeit heraus unterlassen hatten, begann Joseph II. zu versuchen. Seit dem Krisenjahr von 1704 war mancher Schritt hin zum österreichischen Einheitsstaat getan worden. Joseph aber, ohne dabei auf eine Unterstützung durch die deutsche Bevölkerung zu rechnen, wollte alles selbständige ständische Leben in den Provinzen zugunsten einer starken Gesamtstaatsgewalt unterdrücken, ein Streben, das ebenfalls starke regionale Opposition ausgelöst hat. So stieß er, als er den böhmischen Provinzialismus und seine Hauptstütze, den Feudalismus, überwinden wollte, um die allgemeine Volkswohlfahrt und dadurch die Staatswohlfahrt zu fördern, auf den Widerstand nicht nur der ursprünglich tschechischen, sondern auch der deutschstämmigen Geschlechter, die nach Böhmen verpflanzt, in den rund eineinhalb Jahrhunderten sich in den böhmischen Provinzialismus eingelebt hatten, und die sich nun gemeinsam mit den Tschechen zäh an die alten Vorrechte klammerten. „Um eine Rechtsbasis zu haben, spielten sie das böhmische ,Vaterland' gegen den Monarchen aus"11), und um dies leichter tun zu können, suchten sie die Sonderart Böhmens gegenüber Wien auch in kultureller Hinsicht hervorzuheben. Sie waren Schöpfer und Träger eines territorialen böhmischen Gemeinschaftsbewußtseins, allerdings ohne Rücksicht auf die sprachlichen und nationalen Unterschiede im Lande. Sie werden am 23. Sep8

) Η. v. S r b i k, Metternich I, S. 440. — Eine wertvolle, übersichtliche Zusammenfassung über Josephs Bestrebungen bietet F. W a 11 e r im Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums 3, 1938, S. 229—234. 9 ) F. V a 1 j a ν e c, Josephinismus S. 126 f. — Zur Verwaltungsreform Josephs II. und seinen gesamtstaatlichen Neuordnungen F. W a l t e r , Die österr. Zentralverwaltung : Die Zeit Josephs II. und Leopolds II. (Veröffentl. d. Kommission für neuere Gesch. Österreichs 35) S. 1—69. — Zur Rolle des Josephinismus bei Entstehung und Entwicklung des österr. Liberalismus K. E d e r, Der Liberalismus S. 40—56. — Vgl. F. M a a β, Der Josephinismus. Quellen zu seiner Geschichte; sowie die Arbeiten von E. W i n t e r , Der Josephinismus und seine Geschichte; Tausend Jahre Geisteskampf S. 285—310; Joseph II. 10 ) H. S t u r m b e r g e r, Kaiser Ferdinand II. und das Problem des Absolutismus S. 24—31 und S. 45. ") H. L a d e s, Die Tschechen S. 40.

Opposition des Feudaladels — Das böhmische Vaterland

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tember 1879 mit einer Rechtsverwahrung staatsrechtlichen Inhalts in den Reichsrat gehen, sie werden zur Zeit Badenis und des Ministerpräsidenten Grafen Thun ihre Rechtsverwahrungen wiederholen, sie werden das Schlagwort vom „böhmischen Staatsrecht" auf ihr Panier schreiben und ihre Haltung bis zum Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie nicht mehr aufgeben. Bedeutungsvoll wurde diese staatsrechtliche Haltung des Adels aber erst dadurch, daß das tschechische Bürgertum diesen territorial-ständischen Patriotismus übernahm und auf dieser Basis ein spezifisch tschechisches nationales Eigenleben, sprachlich, kulturell und politisch, entwickelte12). Da das „teure" Vaterland für die feudalen Böhmen den Raum ihrer persönlichen Expansion bedeutete, haben die josephinischen Reformen, das dem Josephinismus „von Anfang an eigene Gefühl für Rechtsgleichheit"13) und die Negierung aller Privilegien ihren Unwillen erregt. In Verfolgung ihrer ständischen Rechte begannen sie sich des Tschechentums anzunehmen, in den Vorsälen der kaiserlichen Burg tschechisch zu sprechen14), soweit sie dieser Sprache überhaupt halbwegs mächtig waren, und in zahlreichen, fast ausnahmslos deutsch verfaßten Apologien sich für das Tschechische einzusetzen, sich dabei noch als Kämpfer für eine verlorene Sache fühlend. So ist der Anstoß zur nationalen Bewegung nicht von den unteren Schichten des Volkes, sondern vom böhmischen Adel gegeben worden15). Josephs Zentralismus ist bis zum Untergang der Monarchie der Unstern Österreichs geblieben, denn eine Sünde gegen die Natur Österreichs war sein Unverständnis gegenüber den Verfassungsrechten der Länder und gegenüber dem Nationalgefühl, seine Achtlosigkeit gegenüber allem geschichtlich Begründeten, das er, leider nicht in der Tradition seines Hauses, sondern im Zeitgeist seiner Epoche befangen, einfach nicht begriff. Seine Bestrebungen um die Gleichheit im Tragen der Lasten und um die Gleichheit vor dem Gesetz, seine Mißachtung gegenüber noch so alten und berechtigten Privilegien waren in der Überzeugung begründet, daß die Kraft der Monarchie in der Einheit aller Teile, aller Nationen, aller Glaubensbekenntnisse liege. Durch den starken josephinischen Einschlag hat die österreichische Staatskunst niemals mehr im Sinne eines gesunden Gleichgewichtes den lebensfeindlichen, starren Zentralismus zugunsten eines staatserhaltenden und zugleich die notwendige Einheit des Reiches gewährleistenden Föderalismus überwinden können. Die innere Entwicklung Österreichs in nationaler und staatsrechtlicher Hinsicht vollzieht sich von 1848 an, in großen Linien gesehen, als ein Kampf für eine föderative Umgestaltung gegen den von u

) Wenn es auch Joseph II. war, der in Ungarn und in Böhmen den Haß gegen alles geweckt hat, „was deutsch, höfisch, zentralistisch war" (H. S t e i n a c k e r , Geschichtliche Voraussetzungen S. 35), so hatten die böhmischen Stände doch schon 1741 ihre oppositionelle und separatistische Haltung gegenüber dem Haus Österreich bewiesen, indem nach dem Verlust Prags und der Ausrufung des bayrischen Kurfürsten Karl Albert als König von Böhmen, zum Huldigungsakt am 19. Dezember die Mitglieder der Ständeschaft mit einer rühmlichen Ausnahme geschlossen erschienen waren und Eidschwur und Handkuß geleistet hatten. u ) F. V a 1 j a ν e c, Josephinismus S. 127. ") E. L e m b e r g , Grundlagen des nationalen Erwachens S. 35. ") Η. v. S r b i k , Metternich II, S. 187 f.: „Der tschechische Nationalismus ist aus dem panslawischen Gedanken geboren, der wieder eine Resultierende der Aufklärung, des Historismus und der Romantik, ein Gegenschlag gegen den germanisierenden Zentralismus Josephs II. und ein Seitenzweig des deutschen erwachenden und erstarkenden Nationalbewußtseins ist."

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I. Zur Genesis der nationalen Differenzen in Böhmen

der Krone, der Mehrzahl der deutschvölkischen Politiker u n d nicht zuletzt auch v o m Beamtentum getragenen u n d verteidigten Zentralismus. Als Joseph starb, hinterließ er unfertige Zustände. Es war i h m nicht gelungen, die einstigen Staaten, aus denen Österreich hervorgegangen war, einzuschmelzen. „Unter diesen Ruinen, die noch aus d e m Mittelalter in die Zeit des Umbruches v o m 18. z u m 19. Jahrhundert hineinragten, nistete sich n u n der nationale G e danke ein" 16 ). D i e allgemeinen Ideen dieser Zeitepoche haben den Nationalismus begünstigt, u n d es sind Herder u n d die große deutsche Geistesbewegung der Romantik, die auf die slawische Welt richtungweisend wirkten. D e r in der N ä h e v o n Pettau i m Gebiet der heute zu Jugoslawien gehörenden Untersteiermark geborene Slawist Matthias Murko hat 1897 während seiner Tätigkeit an der Grazer Universität die Zusammenhänge zwischen Romantik u n d d e m nationalen Erwachen bei den Tschechen, Slowaken u n d Südslawen herausgearbeitet und damit bewiesen, daß für die nationale Besinnung nicht Fremdherrschaft und nationale Unterdrückung ausschlaggebend waren. Seither ist die Auswirkung Herders u n d der deutschen Romantik auf die Slawen allgemein anerkannt u n d Murkos Darlegung vielfach bekräftigt worden 1 7 ). Johann Gottfried Herder hatte i m berühmten Slawenkapitel seiner „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" die slawischen Völker gefeiert u n d ihnen die Zukunft verheißen 1 8 ). Ihren Wiederaufstieg, ihre Befreiung von " ) H. L a d e s, Die Tschechen S. 47. " ) M. M u r k o, Deutsche Einflüsse auf die Anfänge der böhmischen Romantik. — J. M a 11, Die Bedeutung der deutschen Romantik. — D e r s., Slawische und deutsche Romantik. — Η. Ο η c k e n, Deutsche geistige Einflüsse. — E. B i r k e , Einflüsse der deutschen Geistesbewegung. — E. L e m b e r g , Der deutsche Anteil am Erwachen des tschechischen Volkes. — K. B i t t n e r , Herders Geschichtsphilosophie und die Slawen. — J. N a d l er, Goethe oder Herder? — Fr. S c h n a b e l , Geschichte des 19. Jhs. I, 185 ff., III, 152 ff. — Η. Κ o h η, Die Slawen und der Westen. — H. L a d e s, Die Tschechen S. 42 ff. — J. K ö r n e r , Die Slawen. — F. M e i n e c k e , Entstehung des Historismus II, S. 383—479. — D e r s., Weltbürgertum und Nationalstaat S. 83—92. — Ε. Κ e ys e r, Die Völker Osteuropas im Urteil Herders. — W. D o b b e k, Herders Haltung im politischen Leben. 18 ) So schreibt Herder von den Slawen (nach der Ausgabe von 1784): „ . . . Denn da sie sich nie um die Oberherrschaft der Welt bewarben, keine kriegssüchtige erbliche Fürsten unter sich hatten, und lieber steuerpflichtig wurden, wenn sie ihr Land nur mit Ruhe bewohnen konnten : so haben sich mehrere Nationen, am meisten aber die vom Deutschen Stamme, an ihnen hart versündigt. Schon unter Karl dem Großen gingen jene Unterdrückungskriege an, die offenbar Handelsvortheile zur Ursache hatten, ob sie gleich die christliche Religion zum Vorwande gebrauchten: denn den heldenmäßigen Franken mußte es freilich bequem seyn, eine fleißige, den Landbau und Handel treibende Nation als Knechte zu behandeln, statt selbst diese Künste zu lernen und zu treiben. Was die Franken angefangen hatten, vollführten die Sachsen ; in ganzen Provinzen wurden die Slaven ausgerottet oder zu Leibeigenen gemacht, und ihre Ländereien unter Bischöfe und Edelleute vertheilet. Ihren Handel auf der Ostsee zerstörten nordische Germanen; ihr Viñeta nahm durch die Dänen ein trauriges Ende, und ihre Reste in Deutschland sind dem ähnlich, was die Spanier aus den Peruanern machten. Ist es ein Wunder, daß nach Jahrhunderten der Unterjochung und der tiefsten Erbitterung dieser Nation gegen ihre christlichen Herren und Räuber ihr weicher Charakter zur arglistigen, grausamen Knechtsträgheit herabgesunken wäre ? Und dennoch ist allenthalben, zumal in Ländern, wo sie einiger Freiheit geniessen, ihr altes Gepräge noch kennbar. Unglücklich ist das Volk dadurch worden, dass es bei seiner Liebe zur Ruhe und zum häuslichen Fleiß sich keine daurende Kriegsverfassung geben konnte, ob es ihm wohl an

Joseph Maria Baernreither

1845—1925

Das Slavenkapitel J. G. Herders

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„Sklavenketten", hatte er als eine weltgeschichtliche Notwendigkeit angekündigt und ihnen das Bild einer großen historischen Sendung vorgezeichnet. D e r Glaube an die Zukunft aller Slawen, auch v o m Historiker August L u d w i g von Schlözer u n d v o n Friedrich Schlegel ausgesprochen, hat die T s c h e c h e n in den Jahrzehnten ihrer nationalen Wiedergeburt innerlich beflügelt. D e n n o c h darf der Einfluß Herders u n d der Romantik, wie Fritz Valjavec gezeigt hat, nicht überschätzt werden 1 9 ), denn w e n n auch die Entfaltung der nationalen Bewegungen in Ostmittel- u n d Südosteuropa in das 19. Jahrhundert fällt, ihre Grundlagen wurden bereits i m 18. Jahrhundert gelegt, wobei diese Grundlagen vorromantisch und vorherderisch sind 20 ). Leopold II. hat nach dem T o d e seines Bruders Joseph II. versucht, wohl überlegt, an die Traditionen ihrer großen Mutter anzuknüpfen 2 1 ). D a s Verhängnis Tapferkeit in einem hitzigen Widerstande nicht gefehlt hat. Unglücklich, daß seine Lage unter den Erdvölkern es auf Einer Seite den Deutschen so nahe brachte, und auf der andern seinen Rücken allen Anfällen östlicher Tataren frei ließ, unter welchen, sogar unter den Mongolen, es viel gelitten, viel geduldet. Das Rad der ändernden Zeit drehet sich indeß unaufhaltsam; und da diese Nationen größtentheils den schönsten Erdstrich Europa's bewohnen, wenn er ganz bebauet und der Handel daraus eröfnet würde; da es auch wohl nicht anders zu denken ist, als daß in Europa die Gesetzgebung und Politik statt des kriegerischen Geistes immer mehr den stillen Fleiss und das ruhige Verkehr der Völker unter einander befördern müssen und befördern werden: so werdet auch ihr so tief versunkene, einst fleißige und glückliche Völker, endlich einmal von eurem langen trägen Schlaf ermuntert, von euren Sklavenketten befreiet, eure schönen Gegenden vom adriatischen Meer bis zum karpathischen Gebürge, vom Don bis zur Muida als Eigenthum nutzen, und eure alten Feste des ruhigen Fleißes und Handels auf ihnen feuern dörfen. (Nach der OktavAusgabe von 1785 endet dieser Absatz: Es ist zu hoffen, daß da sich das Rad der Schicksale unaufhörlich drehet und Ein Volk nach dem andern auf den Schauplatz einer freieren Bildung tritt, auch ihre Zeit kommen, und die größtentheils schönen Gegenden, die sie bewohnen, dem Raube ihrer Unterdrücker entrißen, ein [Gefilde] Garten der Menschlichkeit, eine Flur des ruhigen, handelnden Fleißes seyn werden.) Da wir aus mehreren Gegenden schöne und nutzbare Beiträge zur Geschichte dieses Volks haben : so ist zu wünschen, daß auch aus andern ihre Lücken ergänzt, die immer mehr verschwindenden Reste ihrer Gebräuche, Lieder und Sagen gesammlet, und endlich eine G e s c h i c h t e d i e s e s V ö l k e r s t a m m e s i m G a n z e n gegeben würde, wie sie das Gemälde der Menschheit fordert." ( H e r d e r , Sämtliche Werke. Hrsg. v. B. Suphan Bd. 14, S. 279 f.) 1β ) F. V a l j a v e c , Die politischen Wirkungen der Aufklärung S. 293. — Vgl. auch die weiteren Arbeiten von Valjavec: Die Entstehung der politischen Strömungen S. 328—342; Die Entstehung des europ. Konservativismus S. 268 f. 20 ) Zusammenfassend sagt Valjavec: „So hat schon im 18. Jh. verschiedenes zur Erweckung der Völker in Ostmittel- und Südosteuropa beigetragen, neben der Aufklärung auch Barockes, Vorromantisches und der völlig neuartige Sinn für das Geschichtliche. Dennoch darf. . . gesagt werden, daß die nationalen Bewegungen ,Ζwischeneuropas' im 19. und 20. Jh. von Grundlagen ausgehen, die der Hauptsache nach in der zweiten Hälfte des philosophischen Jahrhunderts gelegt worden sind und aufgeklärtem Geiste entsprangen. Die Aufklärung hat daher auch als Urheberin der nationalen Bewegungen zu gelten, die ihre Virulenz erstmals in Ostmitteleuropa bekundeten und in der Folgezeit eine weltweite, weltgeschichtliche Bedeutung erlangt haben, die bis in unsere Zeit fortdauert." (Wirkungen der Aufklärung S. 296.) — Vgl. zum hohen Alter der deutschen Kultureinflüsse die umfassende Darstellung von F. V a l j a v e c über die „Geschichte der deutschen Kulturbeziehungen". 21 ) F. W a l t e r , Die österr. Zentralverwaltung: Die Zeit Josephs II. und Leopolds II. (Veröffentl. d. Kommission für neuere Gesch. Österreichs 35) S. 70—102. Leopold 2

Sutter, Sprachenverordnungen I.

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I. Zur Genesis der nationalen Differenzen in Böhmen

war, daß die Restauration Leopolds II., obwohl sie den Charakter einer Übergangslösung, einer Beruhigungsmaßregel hatte, während des Vierteljahrhunderts der nun einsetzenden Kriege zum Definitivum wurde und versteinerte. Nach der Beruhigung Europas war das Problem für Österreich, da schon unter Joseph Zentralismus und Germanisation gescheitert waren und die erstarkenden Nationalitäten sich immer heftiger auflehnten, einen Weg zu finden, auf dem der Zusammenhalt der Völker dieses österreichischen Staates, mit Hilfe der Deutschen als primi inter pares, und die Schonung der historisch landschaftlich-föderalistischen und der unaufhaltsamen nationalen Sondertendenzen zu vereinigen war. Es wäre eine dankenswerte Aufgabe, den nationalen Bestrebungen im einzelnen während der Metternich-Zeit nachzugehen. Metternich selbst hatte „für die außerordentlich glückliche Raumbedingung des Kaiserstaates einen guten Blick"22). Den Josephinismus, vor allem seine Zentralisation und Germanisation, hat er all die Jahrzehnte seines Wirkens hindurch verurteilt. Nach Metternichs Überzeugung hatte Österreich in sich die Voraussetzung, wenn nötig selbständig vom deutschen Gesamtkörper zu bestehen, sofern es die besonderen Erfordernisse erfüllte, die sich aus seiner inneren Gliederung ergaben. Österreichs Lebensproblem war für Metternich die Harmonie der Einheit und der Vielfalt. Der deutschen Nationalität gebührte nach seiner Ansicht ein Vorrang, da das Herrscherhaus ihr ursprünglich angehörte und sie das wahre zivilisatorische Element „in dieser ungeheuren Vereinigung von Völkern" war. Kraft ihrer kulturellen Überlegenheit sei sie zur Führung im Staate berufen. Niemals aber, meinte Metternich mit Recht, ist das Umtaufen der Benennungen im Sinne der österreichischen Monarchie gelegen; sie hat Ungarn, Italiener und Polen nie Deutsche genannt, sondern ihre Fürsorge auf das Zusammenleben verschiedener Volksstämme im gemeinsamen, in seiner Wechselwirkung heilsamen politischen Verband gerichtet23). Dieser Idee entsprach es auch, als er 1846 forderte, Galizien nicht zu germanisieren, sondern durch Förderung des deutschen Elementes zu zivilisieren24). Als Aufgabe der Regierung gegenüber dem Nationalitätenprinzip sah er, das „billige Ausmaß" des Gebunden- und Getrenntseins der politischen „war dazu verdammt gewesen, im Kampfe um den Bestand der Monarchie das Rad der Geschichte zurückzudrehen, auf nahezu allen Gebieten, auf denen Joseph seiner Zeit weit vorausgeeilt war, in die alten Bahnen einzulenken, die ihre große Mutter schon befahren hatte, und er war so um das Glück betrogen worden, ein Eigener sein zu dürfen." (Ebd. S. 101 f.) 2S ) Zum Folgenden H. v. S r b i k, Metternich ; hier I, S. 429. — Reiche Literaturangaben zum deutsch-tschechischen Problem im III. Band S. 173 und Anmerkungen ad 173 auf S. 219. ") K. W. L. M e t t e r n i c h , Nachgelassene Papiere VII, S. 207. M ) „Galizien bedarf der Beförderung des deutschen Elementes. Unter dieser Beförderung verstehe ich nicht das, was leicht unter dem Wortlaute Germanisieren verstanden wird. Ein Volksstamm kann nur durch die Beihilfe der Zeit — und einer langen Zeit — und ganz eigentümlicher Umstände in einen anderen umgeformt werden. Die Beförderung des deutschen Elementes muß in seinem eigenen Fortbestehen und in seinem Einfluß durch die ihm zu Gebote stehende Beihilfe, der Civilisation im echten Sinne dieses Wortes, gesucht werden. Mittel zum Zwecke liegen in der Beförderung von Ankäufen der Dominicalbesitzungen durch Deutsche ; durch die Erhebung des deutschen Bürgerstandes, durch die Beförderung und die Verbreitung der deutschen Sprache in den Schulen und auf anderen Wegen." (Ebd. VII, S. 209.) — Von den gleichen Gesichtspunkten geleitet war Erzherzog Johann, als er, wohl von Metternich dazu angeregt, die galizische Gutsherrschaft Nadwórna im gleichnamigen Gerichtsbezirk (Stanislawower Kreis) kaufte, die er allerdings sehr bald wieder abstieß und sich dafür die steirische Herrschaft Stainz erwarb.

Metternichs Haltung

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Körper zu finden, „welche vereint das Kaiserreich zu bilden berufen sind"25). Nach Metternichs Lieblingsausdruck ist Österreich ein „Agglomerat von Nationalitäten". Er wollte die Einheit schon mit Rücksicht auf die Außenpolitik gewahrt wissen und verlangte, daß sie in der obersten Regierung und Gesetzgebung bestehe, aber er achtete die Vielheit, die er in der Verwaltung berücksichtigt wissen wollte. Er wollte die Aufrechterhaltung der Rechtsverhältnisse der Länder, Schutz und Förderung der kulturellen Entwicklung der Nationalitäten, soweit es mit dem Einheitsprinzip und der Notwendigkeit der deutschen Leitung vereinbar war. Metternich stand mit seinen Ideen nicht allein. In der Ablehnung des Verwaltungszentralismus war ihm Joseph Franz Graf Saurau, der Letzte dieses alten steirischen Geschlechtes, der bis Ende 1830, volle 13 Jahre hindurch, das Amt und die Würde des Obersten Kanzlers und Ministers des Innern bekleidet hatte, vorausgegangen. In der ebenso weitblickenden Ablehnung einer zentralen Konstitution, die in Österreich zum Verfall führen mußte, stimmte mit ihm vorbehaltlos Erzherzog Johann, des Kaisers Bruder, überein, der in der Beurteilung der österreichischen Kardinalfrage gegenüber der treffsicheren und klaren Erkenntnis Metternichs nicht zurückstand26). Nach Metternich mußte die Einheit des Reiches bei einem Einheitsparlament in Brüche gehen, da es kein österreichisches Volk, sondern nur österreichische Völker gab. Er hat allerdings mit der Zentralkonstitution zugleich die Teilkonstitutionen abgelehnt. Heinrich v. Srbik hat gezeigt, wie das Grundmotiv seines Systems, das aut-aut der monarchischen oder der Volkssouveränität, ihn dazu geführt hat, den gemäßigten Föderalismus, den er administrativ durchführen wollte, auf dem ebenso wichtigen legislativen Feld abzulehnen, da er nicht erkannte, daß sich auch bei legislativen Berechtigungen der Teile die für Österreichs Großmachtstellung nötige Einheit von Heer, Finanzen und auswärtiger Leitung erhalten ließ27). Aber noch ein Fehler schlich sich in seinen Gedankenbau ein, der durch viele Jahre sein Wirken zu einem Teil kulturhemmend hatte werden lassen. Er glaubte, zugleich die kulturelle Entwicklung der Nation fördern und die politische hemmen, die Verwebung des kulturellen und politischen Moments hintanhalten zu können. Er, der „im kulturnationalen Zeitalter des eigenen, des deutschen Volkes" unlösbar wurzelte, vermochte nicht zu erkennen, daß nationale Kultur das Verlangen nach nationaler politischer Freiheit naturnotwendig mit sich führt 28 ). Metternich unterstützte das „Vaterländische Museum" in Böhmen, er war ein Anwalt der Förderung nationalkultureller slawischer Bestrebungen, doch erkannte er, der 1843 Palackys Wirken als staatsgefährlich bezeichnete, die Gefahren des „Tschechismus", er sah im tschechischen Nationalismus keine naturgemäße Entwicklung, sondern eine der sozialen Krankheiten der Zeit, und darum hat Franz Palacky in seinem Absagebrief an die deutsche Nationalversammlung in Frankfurt a. M. behauptet: „Metternich ist nicht bloß darum gefallen, weil er der ärgste Feind der Freiheit, sondern auch darum, weil er der unversöhnlichste Feind aller slawischen Nationalität in Österreich gewesen"29). Ein Feind aller slawischen ") Ebd. VIII, S. 430. M ) Α. Ρ o s c h, Erzherzog Johann und Metternich. ") Η. v. S r b i k , Metternich I, S. 435 f. — H. S c h i i t t e r , Österreichs Vormärz. IV: Niederösterreich S. 37. — Zu Metternichs Reformplänen für Österreich K. O. v. A r e t i n, Metternichs Verfassungspläne S. 721. 2β ) Η. v. S r b i k , Metternich II, S. 187. 2i ) F. P a l a c k y , Gedenkblätter S. 153. — H. S c h 1 i 11 e r, Österreichs Vormärz. II: Böhmen S. 74 ff. — G. R o l o f f , Fürst Metternich über die slavische Gefahr. 2*

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I. Zur Genesis der nationalen Differenzen in Böhmen

Nationalitäten in Österreich war nun Metternich keinesfalls, aber er wollte durch Überwachung verhindern, daß der kulturelle Aufschwung politisch ausgewertet werde. Die Furcht vor dem Nationalismus ging dabei so weit, daß er wissenschaftliche und künstlerische Regungen der Nationalitäten, wenn sie nicht von der Regierung ausgingen, als staatsgefährlich beargwöhnte, und die Furcht vor der Revolution bewog ihn, der geistig und politisch aufwärts drängenden Intelligenz mit den Mitteln der Polizei und der Zensur entgegenzutreten. Nicht anders als den Slawen erging es dabei den Deutschen, und trotzdem richtete sich gegen sie der Haß der anderen Nationen, denn das deutsche Element war für Metternich das staatserhaltende. Deutsch mußte nach seiner Überzeugung, von Ungarn mit den Partes adnexae und dem lombardo-venetianischen Königreich abgesehen, die innere Amtssprache der Monarchie sein, deutsch die gesamtstaatlichen obersten Behörden und deutsch das äußere Bild der Präsidialmacht des Deutschen Bundes. Die Aufgabe der Deutschen sah er in einer Vermittlerrolle zwischen den fremdnationalen Stämmen, aber die Entfaltung eines politischen Nationalismus der Deutschen wollte Metternich nichtsdestoweniger unterbinden. Es ist tragisch, daß sie dennoch der Haß der erwachenden Nationen traf. Bei den Deutschen Österreichs hat aus allen „Unterlassungen und Mißgriffen Metternichscher Regierungskunst" der Liberalismus neue Nahrung gezogen, und nicht so sehr der Nationalismus, sondern der Liberalismus wehrte sich in der Hoffnung auf freiheitliche Institutionen gegen das Metternichsche System30). Mit den Tschechen teilten die liberalen Deutschböhmen damals noch die Abneigung gegen den Zentralismus und gegen das verhängnisvolle Zwangssystem auf politischem und geistigem Gebiet, ohne zur Staatsfeindlichkeit der tschechischen Bestrebungen ein Gegengewicht zu schaffen. Trotz aller Vorsorge Metternichs wurden gerade in diesen Jahrzehnten der nach ihm benannten Ära von den Tschechen die Grundlagen für den großen Nationalitätenkampf gelegt. Es sind die Jahre, in denen der völkische Impuls in das tschechische Nationalbewußtsein umgesetzt wurde, in denen beispielsweise der Dichter Wenzelslaus Hanka 16 Handschriftenfragmente fälschte, darunter die berühmte Königinhofer und die Grünberger Handschrift. Hanka, der sich nicht scheute, selbst einige der ihm als Bibliothekar des böhmischen Nationalmuseums anvertrauten Handschriften durch Einfügung von Glossen und Miniaturen zu verfälschen, trat 1817 selbst als angeblicher Finder der aus zwölf ganzen Blättern und zwei schmalen Streifen bestehenden Königinhofer Handschrift auf. Der Zweck dieses Falsifikats31), dem im Laufe der Zeit eine geradezu abgöttische 30

) K. E d e r, Liberalismus in Altösterreich S. 83. — Zur Zensur vgl. die Arbeiten von J. M a r x , Die Zensur der Kanzlei Metternichs; Die amtlichen Verbotslisten; Metternich als Zensor ; Die österr. Zensur im Vormärz. — K. G 1 o s s y, Literarische Geheimberichte. 31 ) Die Echtheit wurde früh angezweifelt. — Der berühmte Slawist und Sprachforscher Bartholomäus Kopitar (1780—1844), Slowene, Kustos an der Wiener Hofbibliothek, sprach bereits 1824 von einer böhmischen Nachdichtung der serbischen Volkslieder. Schon damals fielen harte Worte, wie „Schandtat", „Schurkerei" und „Bubenstreich". Zum Echtheitsstreit F. Ρ a 1 a c k y, Gedenkblätter S. 67—77; 215—259. — M. Β ü d i η g e r, HZ 1, S. 127—152. Dazu die Erwiderung F. P a l a c k y s, HZ 2, S. 87—111, und die Entgegnung Β ü d i η g e r s, HZ 2, S. 112—117. — Α. ν. H e 1 f e r t, Die ältesten Denkmale böhmischen Schrifttums. (Mit umfassenden Literaturangaben. Glaubt an die Echtheit der Fälschungen.) — Die wichtigsten Beiträge zur endgültigen Klärung von Seiten der tschechischen Forschung selbst in den Jahrgängen des Prager „Athenäum" 1886/87 sowie im 10. und 11. Jahrgang des „Archivs für slawische Philologie". J. Gebauer, Th. G. Masaryk und Jaroslav Göll haben im „Athenäum" auf Grund sprachwissenschaftlicher, historischer,

Die Königinhofer Fälschung

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Verehrung seitens des tschechischen Volkes zuteil wurde, war, den Mangel einer eigenen Nationaldichtung, die den Deutschen und den Serben in so reichem Maße geschenkt war, auszugleichen und das Nationalbewußtsein durch eine antideutsche Wendung32) zu heben. Da die Königinhofer und die ihr schon ein soziologischer und paläographischer Kriterien über die Fälschungen ein vernichtendes Urteil gefällt und eindeutig nachgewiesen, daß es sich um einen von Wenzel Hanka und seinen Spießgesellen ausgeführten Betrug handelt. Dem modernen, realistischen Th. G. Masaryk hat seine sachliche Argumentation seine Popularität beim tschechischen Volk gekostet. Die drei Gelehrten wurden in den Tagesblättern auf das gemeinste verunglimpft, als Verräter am tschechischen Volk angeprangert, mit Gewalttätigkeiten bedroht und vielfach aus den gelehrten Gesellschaften und Vereinen, denen sie angehörten, ausgeschlossen. Wie sehr es sich dabei nur um Politik, nicht aber um Wissenschaft und um historische Wahrheiten handelte, beweist, daß im Klub der Alttschechischen Abgeordneten und in Massenversammlungen durch Abstimmung die Echtheit beschlossen wurde. (A. F i s c h e 1, Das tschechische Volk II, S. 11 f.) Gesamtberichte geben J. M u r k o , Deutsche Einflüsse S. 36ff. und J. K n i e s c h e k , Der Streit um die Königinhofer Handschrift. — V. F l a j s h a n s , Jak to vlastne bylo (1931). — Hankas „Technik" zeigte J. Mâchai (Hankovy Ohlasy písní ruskych) auf, der nachwies, daß fast alle lyrischen und lyrischepischen Gedichte der Handschrift mehr oder weniger wörtlich mit russischen Liedern übereinstimmen, die Hanka durch zwei russische Volksliedersammlungen bekanntgeworden waren. Vgl. dazu A. H a u f f e n, Zur Königinhofer Handschrift. — Trotz aller wissenschaftlicher Begründungen hörten die Versuche nicht auf, die Echtheit des Palladiums der Tschechen zu verteidigen. Martin 2unkovic war 1912 nicht der letzte, der dies mit Überzeugung tat. 1915 hinterlegten zwei ungenannte „alte Patrioten" einen namhaften Geldbetrag für denjenigen, der zum 500jährigen Jubiläum des Reformators Johannes Hus die Handschriften als echt nachweise (F. S p i n a , Neuere Literatur über die Königinhofer Handschrift), und noch 1933 strebte J. V r z a l i k mit seiner „Belehrung über die nichtgefälschten Handschriften" eine Ehrenrettung an, wie auch zuvor F. Mares, Professor der tschechischen Prager Universität, in den Jahren 1927 bis 1929 in mehreren Broschüren einen Kampf gegen die Handschriftengegner führte, die er als Werkzeuge der Wiener Regierung hinstellte. Die Formulierung bei H. M ü n c h (Böhmische Tragödie S. 133): „Die Königinhofer Handschrift, 1817 von Wenzel Hanka aufgefunden . . .", ist heute untragbar. Münch leugnet jedoch nicht, daß es sich um ein Falsifikat handelt. 32 ) In der Einleitung zur 1829 in Prag erschienenen tschechisch-deutschen Ausgabe weist der Kommentator, Wenceslaw Aloys Swoboda, bewußt auf die antideutschen Verse hin. So wird den Deutschen die Veranlassung der Greuel der Mongolenstürme zugeschrieben (S. 15 und S. 121): „Solcher Schönheit staunten wohl die Teutschen / Neideten ihr sehr die reichen Schätze / Spähten nach der Fährte ihres Zuges / überfielen sie in Waldes Mitten / Morden sie, und rauben ihre Habe." Besonders kraß wird der Gegensatz zwischen den friedliebenden Slawen und den gewaltsamen „Fremdlingen" im ersten angeblichen Heldenlied „Záboj, Slawoj, Ludëk" (S. 71) und ebenso auch im „Benes Hermanow" (S. 139) gezeichnet. Hier heißt es: „Fremde ziehen im langen Zuge / Teutsche sind es, Sachsenvolk / Vom Görlitzer Waldgebirg / Nahn sie unsrem Gau. — Gebet, o ihr Armen gebet / Silber, Gold, all euer Gut / Sonst die Hütten, die Gehöft / Brennen nieder sie. — Weh sie brannten alles nieder / Raubten Gold und Silberhort / Trieben uns die Herden fort / Ziehn auf Troska los." Und zum Schluß heißt es: „Stürmt die Schlacht vom Berg zur Ebne / Ha da war ein Angstgeheul / Ha, sieh, wie die Teutschen fliehn / Nieder mußten sie!" In der zu diesem Gedicht gegebenen historischen Erklärung (S. 26) heißt es: „An seiner Statt ließ er (gemeint ist Markgraf Otto der Lange von Brandenburg) den Bischof Eberhard als Reichsverweser, der noch weniger Scheu in der Befriedigung seiner Habsucht zeigte. Schaarenweise zogen Märker herein, im reichen Lande ihre Armut zu bessern. Sie raubten selbst im Heiligtume, vertrieben Manchen von seinem rechtmäßigen Besitztume raubten dem Landmanne sein Vieh, verdarben ihm die Saaten, hausten in schonungsloser Grausamkeit. Selbsthilfe gebot die N o t . . . " In der vorliegenden Übersetzung von 1829

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I. Zur Genesis der nationalen Differenzen in Böhmen

Jahr später folgende, ebenfalls gefälschte Grünberger Handschrift des „Libusin soud"33), bestehend aus nur 121 serbischen Zehnsilbern, den Anschein hatten, unmittelbare Zeugen der tschechischen Urkultur zu sein, eiferte nun jeder, der Nationaltscheche sein wollte, der antideutschen Gesinnung34) seiner angeblichen Ahnen nach. Die Königinhofer Handschrift hat den spezifischen Deutschenhaß des modernen Tschechentums begründet. Durch die Fälschungen Hankas, die Herder rechtzugeben schienen, wurde seinerseits wiederum Franz Palacky in seinen Auffassungen von der slawischen und böhmischen Vergangenheit beeinflußt. Er hat die Frühgeschichte des Tschechentums im Sinne der gefälschten Handschriften, die er als Quelle verwertete und deren Echtheit er von Josef Dobrovskys Tod an bis zu seinem eigenen Lebensende heftigst — und fast will es scheinen gegen bessere Einsicht — verteidigte, interpretiert und damit das Hankasche System auf die ganze tschechische Geschichte ausgedehnt. Die alten Tschechen waren nachPalackys Böhmischer Geschichte, deren erster Band 1836 in deutscher Sprache erschien, ein „friedfertiges, fleißiges, gutmütiges und argloses Volk; gastfrei bis zur Verschwendung; gegen Kriegsgefangene und fremde Ankömmlinge milder, als es im Geiste jener Zeit lag"35). Dieses „in der Kindheit begriffene, harmlose Volk" gab sich eine seiner milden Natur entsprechende demokratische Verfassung, die auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aufgebaut werden die Deutschen stets als die Fremdlinge bezeichnet. Auch diese Formulierung klingt dann im Nationalitätenkampf wieder auf. — Geradezu grotesk muten einzelne historische Erläuterungen zu der Fälschung an, oder die Bemerkung, wie Karl Alarteli bei Tours Europa vor der Herrschaft des Islams, so habe Jaroslaw der Böhme Europa bei Olmütz vor den noch entsetzlicheren Greueln mongolischer Herrschaft befreit. Ja sogar klösterliche, mittelalterliche Chroniken werden auf Grund der Fälschung berichtigt, „zumal bei den Fremden die Absicht nicht zu verkennen ist, Böhmens Fürsten in sehr unwürdigem Lichte und die vom Kaiser in Anspruch genommene Souveränität dadurch als gerechter hinzustellen" (S. 31). a3 ) Libuáas Gericht löste sofort, schon durch die mysteriöse Art der Einsendung und das plumpe patriotische und deutschfeindliche Begleitschreiben sowie durch das paläographische Aussehen des angeblichen Bruchstückes beim „Patriarchen der Slawistik" Josef Dobrovsky (1735—1829) größte Bedenken aus. Dobrovsky, der die Königinhofer Handschrift immerhin noch gelten ließ, nannte die Grünberger Handschrift einen „literarischen Betrug", ein Bubenstück, womit man aus übertriebenem Patriotismus und Haß andere und sich täuschen wolle. Dieses Urteil trug ihm den Vorwurf ein, er sei ein „slawisierender Deutscher", ein „Hyperkritiker", der der „Ahnherren Ruhm kalt und herzlos" bekrittele. (Vgl. J. M u r k o , Deutsche Einflüsse S. 20, S. 44 f.) — Zur Geschichte der „Auffindung" der Grünberger Handschrift W. W. Τ o m e k, Die Grünberger Handschrift, ebenso H. L a d e s , Die Tschechen S. 159 ff., der vor allem heute nicht mehr zugängliche Prager Archivalien heranzog. M ) Bei den von Hanka in echte Handschriften hineingefälschten 850 Glossen zum Wörterbuch des Bischofs Salomon von Konstanz, dem „mater verborum", übersetzte er den lateinischen Ausdruck „barbaras" mit dem eingeflickten Wort „nemec", das „Deutscher" bedeutet. M ) Palacky hat diese Formulierung aus Herders „Ideen" übernommen. Dort heißt es von den alten Slawen: „Sie waren mildtätig, bis zur Verschwendung gastfrei, Liebhaber der ländlichen Freiheit, aber unterwürfig und gehorsam, des Raubens und Plünderns Feinde." (Sämtliche Werke ediert von B. Suphan 14, Berlin 1909, S. 278 f.) — Im Kapitel „Böhmens Volksleben im Heidentum" führt Palacky in 54 Zitaten zwölfmal die Grünberger, sechsmal die Königinhofer Handschrift an, und von zwei vermerkten Urkunden ist eine vom Herausgeber des mährischen Urkundenbuches, Boczek, frei erfunden. Die Fälschungen dienten ihm aber als Grundlage, auf der er seine Theorie von der kulturellen Entwicklung Böhmens errichtete. Vgl. dazu E. S c h w a b , Wandlungen und Gegensätze S. 245 f.

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war36). Den Slawen, diesen Hegern und Pflegern der Humanität, stellte Palacky, von der durch die Philosophie der Romantik, von Schelling und vor allem von Hegel ausgebildeten Polaritätslehre beeinflußt, die Germanen polar gegenüber. Die Deutschen, die Vertreter des Machtprinzips in der Geschichte, gehörten nach Palacky ursprünglich zu den „Räubervölkern"37) wie die Hunnen und Awaren, die Mongolen und Tataren. Im deutschen Feudalismus sah er eine „wechselseitige Versicherungsanstalt des geraubten Gutes", der Deutsche ist bei ihm der „kriegerische, herrschsüchtige Eroberer", der Fremdling, der da gnadenlos und unerbittlich die friedlichen Slawen aufschreckt. Für ihn ist „das allgemeinste Merkmal der ursprünglichen slawischen Zustände die F r e i h e i t , wie das der germanischen die H e r r s c h a f t und ihr Correlat, die K n e c h t s c h a f t"38). Der Sinn, der Inhalt der tschechischen Geschichte, lag für ihn daher im ewigen Kampf und Gegensatz zwischen Germanen und Slawen, zwischen Deutschen und Tschechen. Den Gegensatz verschärfte er dadurch noch, daß er die Lehre von der demokratischen Sendung der Slawen ausbaute und dem angeblich feudal organisierten Deutschtum das demokratische Slawentum gegenüberstellte39). Der Idee der Demokratie, die ihm als das sittlich höhere, dem Ziele der Menschheitsentwicklung nähere Prinzip erschien, gehörte aber gerade damals die Zukunft, da sich das wirtschaftlich und politisch aufsteigende Bürgertum in der Metternichschen Ära nach freiheitlichen Errungenschaften sehnte. Hatten Hankas Fälschungen anfänglich nur auf die schmale aufsteigende Schicht der tschechischen Intellektuellen, so hat Palacky durch seine Böhmische Geschichte auf das Volk als Ganzes gewirkt, dem er seine Geschichtsauffassung so sehr einbrannte, daß es spätere, selbst von nationaltschechischer Seite erfolgte Widerlegungen ungehört und mit Empörung zurückwies40). Sein „aus dem *·) „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aller im Staate Lebender ist wie vor einem Jahrtausend so auch heute unser Wahlspruch." Palackys Manifest des Prager Slawenkongresses. 3 ') F. Ρ a 1 a c k y, Die Geschichte des Hussitentums u. C. Höfler S. 76. — Palacky nahm allerdings (Zur böhmischen Geschichtsschreibung S. 207) den Ausdruck zurück und ersetzte ihn unter dem Eindruck des Entrüstungssturmes durch das Wort „Raubvolk". — In der erstgenannten Schrift schrieb Palacky weiters (S. 79) : „Auch das russische Zarenreich wäre nach slawischen Grundsätzen niemals zu Stande gekommen : die dortigen Machthaber mußten die Kunst des Herrschens nach und nach ihren Feinden, zumeist den Tataren und Türken, ablernen. Man hat sich dessen vor der Welt nicht zu schämen: denn die diesfalligen tatarischen und türkischen waren von den hochgepriesenen römischen und deutschen Künsten der Vergewaltigung wesentlich nicht verschieden." — Auf S. 83 heißt es: „Die deutschen Kaiser, von der deutschen Hierarchie geleitet, erblickten im Christentume dieselbe Mission für sich, wie einst Cingischan in einer unmittelbaren Eingebung Gottes: nämlich alle Welt Gottes (d. h. ihrer) Botmäßigkeit zu unterwerfen; ihre Hab- und Herrschsucht mußte Christus dort, wie hier Gott unmittelbar, decken und rechtfertigen." 38 ) F. P a l a c k y , Die Geschichte des Hussitentums u. C. Höfler S. 78. 3 ») E. L e m b e r g , Palacky und Masaryk. Histor. Jahrb. 53, S. 439. — D e r s., Wege und Wandlungen des Nationalbewußtseins S. 185 ff. 40 ) 1949 noch konnte Zdenëk Nejedly (Dëjiny S. 77) schreiben, Palackys Geschichtsauffassung „zu brechen oder zu verändern ist über alle dahingegangenen Versuche der Reaktion nicht gelungen . . . Auch heute bleibt Palackys Auffassung im Volke unerschüttert und auch heute, bei sämtlichen Veränderungen in unserer heutigen nationalen Gesellschaft, bleibt sie ein Wall gegen jene, die unser Volk auf Wege verleiten möchten, die mit dem Geist unserer Geschichte nicht übereinstimmen." (Zitiert nach R. G. Ρ 1 a s c h k a, Von Palacky bis Pekar S. 19). — Vgl. dazu die Arbeiten von J. P f i t z n e r , Die Geschichtsbetrachtung der Tschechen und Deutschen; Erwachen der Sudetendeutschen; Wege der tschechischen Geschichtswissenschaft. — Gegen Palacky hatte vor allem Josef Pekar, dieser

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Schatz der romantischen Geschichtsanschauungen entnommener Grundsatz der naturgegebenen Feindschaft zwischen Germanen- und Slawentum, damit auch zwischen Deutschen und Tschechen"41), seine nationale Sendungsidee erfüllte das tschechische Volk, denn dessen Nationalismus hatte durch ihn einen sittlich wertvollen Kern erhalten, „das Volk als Ganzes ein Gesicht. Ein Gesicht, das liebenswert war und schön, verlockend schön42)." Palacky43), weitgehend ein „große Tscheche", wie ihn Josef Pfitzner nennt, Stellung genommen. In seiner 1928 entstandenen Schrift („Der Sinn der tschechischen Geschichte" S. 38 f.) heißt es: „In den Anschauungen der tschechischen nationalen Wiedererweckung des vergangenen Jahrhunderts, die auch in der Geschichtsauffassung Palackys ersichtlich sind, erscheinen die Tschechen wie die Slawen überhaupt als Träger einer hohen Kultur, einer höheren sogar als ihre westlichen Nachbarn. Dabei hat Palacky bekanntlich unsere Geschichte wesentlich als einen Kampf, ein Aufeinandertreffen und einen Widerstreit zweier Welten aufgefaßt, einer Welt der Freiheit, des Friedens und des Guten, d. h. der Welt der Demokratie auf slawischer, und einer Welt des Herrentums, der Gewalt, der Unterdrückung, d. h. der Welt des Feudalismus auf germanischer Seite: der Weiße Berg war für ihn der Inbegriff einer endgültigen Niederlage der alten, ursprünglich tschechischen Kultur. Es könnte eingehender nachgewiesen werden, welch mannigfaltigen Einfluß diese und ähnliche Vorstellungen von der ursprünglichen, hervorragenden slawischen Kultur auf die Auffassung unserer Geschichte gehabt haben, bis zu welchem Maße die Einwirkungen Westeuropas übersehen, verkleinert oder als kulturell und sittlich schädlich hingestellt worden sind; so mußte eine grundsätzliche falsche Anschauung von dem Verhältnis des mittelalterlichen Tschechentums zu Europa aufkommen, eine Anschauung, in der wie schon bei Dalimil die Regel galt, alles Gute als heimischen Ursprungs, alles Schädliche als aus der Fremde hineingetragen hinzustellen. Die Stellung der heutigen Historikergeneration zu dieser Frage ist eine grundsätzlich andere: wir glauben an keine hohe, ursprünglich altslawische Kultur (das, was in dieser Richtung in den Anfängen geschichtlichen Lebens tatsächlich bestanden hat, geht auf den Einfluß der Goten und namentlich auch auf Byzanz zurück) und wir betonen, daß vielleicht alles, was wir unter dem Begriff Kultur zusammenfassen, in das tschechische Volk seit Beginn seines staatlichen Lebens aus der Fremde hereingetragen worden ist. Wenn wir heute um uns blicken, dann ist wohl alles, was wir sehen, denken und tun, wie und wodurch wir leben, vom Ausland beeinflußt oder uns von ihm 4l unmittelbar gegeben." ) J. P f i t z n e r , Josef Pekafs Lebenswerk S. 14 f. «) R. G. Ρ1 a s c h k a, Von Palacky bis Pekar S. 16. " ) R. G. Ρ 1 a s c h k a, Franz Palacky. — Dem tschechischen Standpunkt sehr entgegenkommende Urteile bei H. M ü n c h , Böhmische Tragödie S. 134ff.; 180ff.; 683ff.; und bei Ζ. Τ o b o 1 k a, Franz Palacky. — Vgl. auch J. P f i t z n e r , Heinrich Luden und Frantisek Palacky, HZ 141, S. 96: „So tief der tschechische Siedlungsboden sich in das deutsche Gebiet einschiebt, so unlöslich die Geschichte der Sudetenländer mit der deutschen verknüpft war, so nachhaltig wurde Palacky in seinen entscheidenden Entwicklungsjahren von der deutschen Kultur befruchtet. Das ändert an seiner tschechischen Gesinnung und Kulturarbeit, an seiner Größe nichts." — Schon seine Zeitgenossen erkannten die Abhängigkeit, und so schrieb Franz Grillparzer 1849 gegen Palacky: „Glücklicherweise ist Herrn Palackys Gesinnung nicht die der Mehrheit seiner Landsleute, sondern nur einer kleineren Fraktion, der Partei der germanisierten Tschechen. Nachdem sie alles, was sie wissen und können, von den Deutschen gelernt haben, ahmen sie ihnen, zum schuldigen Danke, auch ihre neuesten Neuheiten nach. Denn woher stammt dieses Geschrei von Nationalität, dieses Voranstellen von einheimischer Sprach- und Altertumswissenschaft anders als von den deutschen Lehrkanzeln, auf denen gelehrte Toren den Geist einer ruhig verständigen Nation bis zum Wahnsinn und Verbrechen gesteigert haben? Dort ist die Wiege eurer Slawomanie, und wenn der Böhme am lautesten gegen den Deutschen eifert, ist er nichts als ein Deutscher, ins Böhmische übersetzt." (Sämtliche Werke, hrsg. v. A. Sauer, 13. Bd., S. 217 ff.) — Gegen eine am 24. April 1842 in der Beilage der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" erschienene Kritik seiner Geschichte von Böhmen

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Schiiler deutschen Geistesschaffens, von Herder, von Kant und dem Hegelismus, jedoch zugleich von der Tradition der böhmisch-mährischen Brüder beeinflußt, war Protestant, ebenso auch Paul Josef Safarik, der romantische Altertumsforscher, Philologe und Linguist, der bedeutendste Vertreter des wissenschaftlichen Panslawismus, und der Dichter Jan Kollar, der philosophische Begründer des literarischen Panslawismus. Jedoch nicht sosehr aus einer starren, einseitigen protestantischen Grundhaltung 44 ), als aus politischer Erkenntnis hat Palacky in seiner staatsmännischen Genialität, alle Kräfte in den Dienst des tschechischen Volkes zu stellen, die Revolution, den Aufstand der Hussiten als leuchtenden Höhepunkt der böhmischen Geschichte gesehen. Die Verluste, die das tschechische Volk gerade damals erlitt und die mit dem Untergang der Kulturblüte Böhmens zur Zeit Karls IV. gleichbedeutend waren, die Folgen und der Verfall dieser Zeit, die hin zur Schlacht am Weißen Berge führten, wurden ihm nicht bewußt. J. Pekar hat in seinem vierbändigen Werk „Zizka und seine Zeit" diese Schattenseiten aufgezeigt und eine Neubewertung der gesamten Hussitenzeit versucht. Sein Werk hat heftigsten Widerspruch erregt, denn Palacky hatte diese Epoche zum Heldenzeitalter des tschechischen Volkes gemacht, Palacky der Geschichte der Hussitenkriege als erster eine Physiognomie gegeben, die sich ungemein stark und lebendig erwies. Der Vorstellungswelt der Aufklärung verhaftet, war es Palacky unmöglich, religiöse Leidenschaften und dogmatische Fragen zu verstehen, weshalb er im Hussitenkrieg in erster Linie eine nationale Auseinandersetzung zwischen zwei Völkern und ihren Weltanschauungen sah, zwischen Deutschen und Tschechen, zwischen Feudalwesen und Demokratie. Er hat dabei den demokratischen Charakter des Taboritentums gewaltig überschätzt. Seine Auslegung, daß das Hussitentum seine Wurzeln daheim, „in der tschechischen Auffassung des christlichen Lebens habe", seine der nationalen Eitelkeit schmeichelnde Behauptung, daß damals das tschechische Volk alle anderen Nationen Europas übertraf und durch Hus und Comenius den Anspruch auf die ewige Dankbarkeit der Menschheit erworben habe, muß abgelehnt werden. Ihm ging es ja nur darum, die Deutschen schlecht, die Tschechen edel und auserwählt hinzustellen. Ohne Mühe ließe sich eine Blütenlese von in die Darstellung eingestreuten, darum um so wirksameren gehässigen Bemerkungen gegen verwahrte sich Palacky, der in seinen späteren Jahren überaus polemisch, ja streitsüchtig wurde, da es dort hieß: „Der Verfasser ist in Inhalt und Form ein Kind der deutschen Bildung, und so imponierend uns der böhmische Patriotismus die Spitze bietet, wir finden allenthalben nur die Frucht deutscher Studien, ein Erzeugnis deutscher historischer Kunst." Da ihm nun vorgeworfen wurde, er lohne die von den Deutschen empfangenen Wohltaten mit schwärzestem Undank, erklärte er, dieser Anwurf bestehe zu Unrecht, denn er habe in seiner Jugend „gar keinen deutschen Schulunterricht genossen". Er habe sich schon in der Jugend „in der gesamten antiken und modernen, italienischen, französischen, englischen und deutschen Literatur orientiert" und es sei daher nicht wahr, daß er sein Wissen den Deutschen zu verdanken habe. Allein Immanuel Kants Einfluß auf ihn ließ er gelten, denn „dem ernsten Studium der Werke des größten deutschen Denkers" schreibe er zu, wenn bei ihm „Glaube und Wissen in keine feindliche Kollision geraten" seien. Übrigens habe er sich „in fast allen Fächern so ziemlich als Autodidakt" bilden müssen. (Zur böhmischen Geschichtsschreibung S. 174 ff.) **) E. W i n t e r , Geisteskampf S. 345: „Geistig von der Romantik geprägt, bleibt er religiös doch der Aufklärung verbunden. In Palacky treffen sich Romantik, Aufklärung und Liberalismus. In seinem langen Leben vollzieht sich die Entwicklung von der Aufklärung zum Liberalismus. Die religiöse Entwicklung Palackys zeigt deutlich, wie nachhaltig die Aufklärung gerade im Religiösen gewirkt hat."

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die Deutschen zusammenstellen45). Palacky hat in der unter dem Titel „Große Österreicher" erscheinenden „Neuen österreichischen Biographie ab 1815" eine ausgezeichnete Würdigung erfahren46). Gewiß — er war ein bedeutender Historiker, eine große Persönlichkeit, und er war 1848 zum politischen Führer des tschechischen Volkes geworden, allein in die Reihe „Große Österreicher" aufgenommen zu werden, hat er, obwohl er einer von den ersten vierzig vom Kaiser ernannten Mitgliedern der Österreichischen Akademie der Wissenschaften war, gewiß kein Anrecht, denn er war alles eher als ein großer „Österreicher", er war einer der Totengräber der Monarchie, und es war seine Saat, die 69 Jahre nach seinem Tode so schrecklich aufging. Wir glauben daran, daß zum integrierenden Wesensgehalt eines großen „Österreichers" die völkerversöhnende Vermittlerrolle gehört. Palacky sprach in den späteren Jahren immerzu, so auch in seinem politischen Vermächtnis von der „von Jahr zu Jahr wachsenden Hoffart, Herrschsucht und Habgier der Deutschen", und sein Alter hat nicht weise Einsicht verklärt, sondern Polemik und Haß verzehrt. Sein von ihm selbst gesammeltes nationales Gelehrtengezänk ist widerlich; unverständlich, daß er seinen Streit mit Bartholomäus Kopitar selbst der Öffentlichkeit vorlegte. Unerträglich für ihn war jeder gegen ihn gerichtete Angriff, jede Kritik — und das ist der zweite Schatten, der auf seine Persönlichkeit fällt. Als im Mai 1861 deutschböhmische Historiker, unter ihnen Julius Lippert, der spätere ObersterblandmarschallStellvertreter, und Ludwig Schlesinger, der wie Lippert zu den Führern der Deutschböhmen im erfolgreichen ersten Regierungsabschnitt des Grafen Badeni gehörte, sich zusammentaten und den 1862 offiziell genehmigten Verein für die Geschichte der Deutschen in Böhmen gründeten, sah Palacky, der bisher allgewaltig und allein als „königlich böhmischer Landes-Historiograph" geherrscht hatte, darin sofort eine gegen ihn persönlich gerichtete Spitze47). Er wollte neben seinen Geschichtsmeinungen keine anderen gelten lassen. Der von Schlesinger und Lippert gegen ihn erhobene Vorwurf, er habe den „keuschen Boden der Wissenschaft" geschändet, besteht, sosehr sich Palacky dagegen verwahrte, zu Recht. Der alternde Palacky hat nicht mehr Politik und historische Wissenschaft säuberlich trennen und scheiden können48), er hat die Wissenschaft ins Feld *5) „Darum war es auch nicht die deutsche Sprache, was der böhmische Adel sich vorzugsweise anzueignen suchte ; vielmehr teilte auch er die alten Stammesantipathien seiner Landsleute und sprach ζ. B. : ,werde mir kein Nemec!', wenn er sagen wollte: ,werde mir kein Feind'." (Gesch. v. Böhmen III/2, S. 45.) — „ . . . vielmehr wurde durch beständiges Eifern gegen die ,böhmische Verruchtheit und Gottlosigkeit' von den Kanzeln herab, insbesondere in Deutschland, d e r u r a l t e Haß jenes Volkes gegen die Böhmen neu aufgestachelt, und Bann und Kreuzzug, über diese neuen Ketzer verhängt, fanden deshalb in jenen Ländern, bessere Aufnahme" (S. 109). — Bei der Würdigung Zizkas schreibt Palacky (S. 361 f.): „Wir sahen ferner, wie er, dem Feudaladel abhold, keinen Unterschied der Stände nach Geburt und Abstammung gelten lassen wollte. Deshalb war er auch nicht der Deutschen Freund, die von Alters her Kastenrechte förderten, und hing desto herzlicher den Slawen an, die damals in dieser Hinsicht noch naturgetreuer waren; deshalb griff er auch nach den Waffen, wie er selbst sagte,,nicht nur für die Befreiung der Wahrheit des göttlichen Gesetzes, sondern besonders auch der böhmischen und slawischen Nation'; er war einer der Wenigen seines Zeitalters, bei denen die Idee des Slawentums zugleich eine Triebfeder des Handelns war." " ) R. G. Ρ1 a s c h k a, F. Palacky. " ) F. Ρ a 1 a c k y, Zur böhm. Geschichtsschreibung S. 177. 4β ) J. Ρ e k a r, „Palackys Werk ζ. Β. hat, indem es die Größe und den Ruhm der nationalen Vergangenheit darlegte, unendlich viel zur Stärkung der nationalen Energie in dem Be-

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gesendet, um zu beweisen, daß die Deutschböhmen freche Eindringlinge seien und die deutsche Nation ein „Räubervolk". Palacky hat mit Hohn und Sophistik Lippert und Schlesinger, als sie sich gegen diesen Ausdruck verwahrten, geantwortet. Er nützte deren Worte, ein Volk bleibe das, was es ursprünglich gewesen, geschickt aus, verdrehte ihren Sinn und warf auf Grund römischer Schriftsteller den Deutschen vor, daß sie „nicht nur kriegs- und raublustig", sondern auch noch immer „arbeitsscheu" seien. Seine Lehre, die Deutschböhmen seien in Böhmen fremde Einwanderer, freche Eindringlinge, hatte furchtbare Folgen. Palacky hat in seiner Darstellung das Deutschtum in Böhmen durch die Hussiten ausrotten lassen, um auf dieser Theorie die Lehre aufbauen zu können, die Deutschen hätten kein kontinuierliches Recht auf ihren Grund und Boden, auf ihre Landsässigkeit in Böhmen, da sie Nachkommen der erst nach der Schlacht am Weißen Berge von den Habsburgern zu Germanisationszwecken herbeigerufenen Einwanderer seien. Gleichzeitig erklärte Palacky, das einst glorreiche Königreich Böhmen kenne leider heutzutage „keine ärgeren Feinde, als eben einige seiner eigenen deutschböhmischen Landes-Kinder! 49 )." Bewußt hat Palacky die deutsche Kolonisation möglichst spät angesetzt, um den Deutschen den Hinweis auf ein historisch begründetes, „uraltes" Recht unmöglich zu machen. 1846 zog Palacky in der Prager Musealzeitschrift gegen die „neudeutsche Theorie" und die „unverschämten Fanatiker" zu Felde, die angeblich die geschichtliche Wahrheit beugen wollten, und er kam zu dem Schluß, daß die ganze Theorie „auf purem Trug ruht und daß es sich vollständig und gründlich dartun läßt, daß insofern wenigstens im 7., 8., 9., 10. und 11. Jahrhundert auch nicht e i n Deutscher, höchstens gastweise, seinen Aufenthalt in Böhmen hatte, alle jetzt in Böhmen wohnenden Deutschen spätere Ankömmlinge, Kolonisten und Gäste in diesem Lande sind". Als Gäste und Fremdlinge aber wollten sich die Deutschböhmen nicht zur Seite schieben lassen, und aus diesem Grunde wurde um die Herkunft der Deutschen in Böhmen von beiden Seiten ein wissenschaftlicher Kampf mit aller Erbitterung geführt 50 ), wobei B. Bretholz, der sich in erster Linie gegen Palackys Kolonisationstheorie stellte, auch von deutscher wissenschaftlicher Seite angegriffen und angefeindet wurde. Palacky warf außerdem die Frage auf, was denn „die Deutschen als Rasse für sich im alten Böhmen so auffallend Großes" geleistet hätten. Wenn zivilisatorische Einflüsse überhaupt nach Rassen hervorzuheben und zu würdigen wären, so müßten Franzosen und Italiener vorzugsweise gepriesen und erwähnt werden, denn Kunst und Wissenschaft sei „den Böhmen aus jenen Ländern noch reichlicher" als aus Deutschland zugekommen. Mit anderen Worten — die Tschechen sind den Deutschen zu keinem Dank verpflichtet, denn sie hatten für Böhmen nichts geleistet und dessen Entwicklung nicht beeinflußt — eine Lehre, die der mühen um die Wiedereroberung der verlorenen Stellung unter den Völkern beigetragen. Aber es war auch e i n e z i e l b e w u ß t e A u s n ü t z u n g d e r G e s c h i c h t e da, wobei das i m m e r v o n n a t i o n a l k u l t u r e l l e m S t r e b e n getragene Ziel d e n V o r r a n g v o r d e r E r w ä g u n g hatte, ob d i e B e g r ü n d u n g aus der Geschichte m i t d e r W i r k l i c h k e i t v e r e i n b a r war oder nicht : das a g i t a t o r i s c h e H e r a u s b i l d e n eines ,Sinnes' der Geschichte war, ist und bleibt etwas Gekünsteltes." — (Der Sinn der tschech. Gesch. S. 61 ; Sperrung nicht im Original.) " ) F. Ρ a 1 a c k y, Zur böhm. Geschichtsschreibung S. 216. M ) B. B r e t h o l z , Geschichte Böhmens und Mährens bis 1306 S. 305 ff. — D e r s„ Meine „Geschichte Böhmens u. Mährens" u. ihre Kritiker S. 91 f. — D e r s., Palacky's „Kolonisationstheorie". — A. R ζ e h a k, Die Palacky'sche Kolonisationshypothese. —

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I. Zur Genesis der nationalen Differenzen in Böhmen

Tscheche Pekar meisterlich, doch ohne Erfolg, widerlegte51). Die tiefe Abneigung zwischen den Tschechen und den Deutschen bestand allerdings schon Jahrhunderte vor Palacky, und es braucht hier nur an das üble deutschfeindliche Pamphlet aus dem 14. Jahrhundert, an einzelne Worte von Johannes Hus, an dessen Schrift „Tractatulus" und an das böhmische Sprachenzwangsgesetz vom Jahre 1615 erinnert werden52). Der Haß der Tschechen beruhte auf KlassenR. H o l t z m a n n , Zur deutschen Besiedelung Böhmens u. Mährens. — Β. Β r e th ο 1 z, Kolonisations-Polemik. — E. S c h w a b , Die deutsche Besiedlung der Sudetenländer. — A. M a y e r , Völkerverschiebung in Böhmen. — Α. Ζ y c h a, Eine neue Theorie. — B. B r e t h o l z , Zur Zychaschen Kritik. — A. F i s c h e 1, Das angebliche Kolonistentum. — E. S c h w a r z , Deutsche Siedlung. — W. W o s t r y , Das Deutschtum Böhmens. — H. H i r s c h , Zur Entwicklung der böhmisch-österr.-deutschen Grenze S. 31. — H. P r e i d e l , Die Besiedlung Böhmens. — Die tschechische Friedensabordnung 1919 in Paris erhob im „Memoire III" die Forderung, ihrem Staat das sudetische deutsche Gebiet ohne Volksabstimmung zu überweisen, da es sich nicht um angestammte Bevölkerung, sondern um „Emigranten und Kolonisten handle", das „Ergebnis einer gewaltsamen Germanisation". Sie fühlte sich dabei durch die in der deutschen Wissenschaft beinahe vorherrschende Ansicht gedeckt. 51 ) „Und ein zweiter geschichtsbildender Faktor von unermeßlicher Wirksamkeit ist unsere Lage zwischen den Völkern, vor allem unsere Lage mitten unter den Deutschen. Sie übte Einfluß in verschiedenen Richtungen; davon seien die wichtigsten hervorgehoben. Vor allem sind die Fortschritte, Vorbilder und geistigen Richtlinien Europas durch deutsche Vermittlung, in deutschem Gewand zu uns gekommen — ich lasse die unmittelbaren Beziehungen zu Italien oder Frankreich, Spanien, den Niederlanden nicht außer Acht, aber die unmittelbaren deutschen Einflüsse und die unmittelbare deutsche Vermittlung hatten ein unzweifelhaftes Übergewicht. Dabei muß man für das Mittelalter diese V e r m i t t l u n g nachdrücklich betonen — heute ζ. B. wissen wir zum Unterschied von der Zeit Palackys, daß weder der Feudalismus eine Erscheinung deutschen oder germanischen Ursprungs ist, noch die Deutschen es waren, die den Bürgerstand schufen mit allem, was mit dieser Neubildung von ungeheurer sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Wichtigkeit zusammenhing — aber daß es die Deutschen waren, die das vom Westen übernahmen und in seiner deutschen Form zu uns brachten." (Der Sinn der tschech. Gesch. S. 51.) — „Die Aufzählung dessen, was die Deutschen auf unserem Boden geleistet haben, was sie uns gelehrt haben, wäre sehr umfangreich: der Städtebau, die Schaffung des Bürgerstandes und in engem Zusammenhang damit die spätmittelalterliche geistige und materielle Entfaltung und der Reichtum des Landes (man denke nur an den Silberbergbau) waren ζ. B. wesentlich ihr Werk (eines von vielen), so im 19. Jahrhundert die Schaffung der Großindustrie und zwar in den von der Natur aus ärmsten Gegenden, die der Tscheche von jeher verschmäht hatte und wo der deutsche Kolonist noch dem schlechtesten Boden seinen Lebensunterhalt abzuringen verstand. Und die Erziehung zum Nationalismus, die ich erwähnt habe, muß man nicht nur in dem Sinne verstehen, daß der Deutsche uns zu Feinden der Deutschen gemacht hat, sondern auch in dem Sinne, daß er uns zu Nachahmung und Wetteifer gezwungen hat, zu dem Streben, ihm an Fortschritt und Vorzügen, an Wohlhabenheit und Macht gleichzukommen; auch in dieser Richtung hat unsere schicksalweisende Lage inmitten der Deutschen einen segensreichen Einfluß auf uns gehabt ; wenn wir wirtschaftlich und industriell fähiger, in der Administrative, Disziplin, in der Arbeitsleistung fortgeschrittener sind als die anderen östlichen Völker, dann danken wir das vor allem der deutschen Erziehung." (Ebd. S. 53 f.) 62 ) W. W o s t r y , Ein deutschfeindliches Pamphlet. — A. F i s c h e 1, Das tschechische Volk II, S. 91 f. — F. M a t t h a e s i u s , Der Auszug der deutschen Studenten aus Prag S. 109 f. — H. Ζ a t s c h e k, Geschichte und Stellung Böhmens S. 72 f. — D e r s., Das Volksbewußtsein S. 21—31 und 45—50. — Κ. B i 11 η e r, Der Deutsche im tschechischen Schrifttum S. 284. (Bittner betont, daß der Sudetenraum keineswegs seit jeher das klassische Land der Volkstumskämpfe gewesen sei und es vor Palacky auch Zeiten

Palackys „Mehrwertigkeit" der Slawen

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gegensätzen, zeitweise auch auf Gegensätzen der Religion. Palacky hat ihn dieser Elemente entkleidet, ihn zuerst wissenschaftlich rein isoliert, um ihn dann völkisch und national zu akzentuieren, ihm nach außen hin scheinbar edlere Motive unterschoben, als dies Neid und wirtschaftliche Mißgunst sein können. Er hielt zwar den Deutschen vor, daß der charakteristischeste Zug fast aller Barbaren der sei, sich über alle anderen Völker der Erde hoch erhaben zu dünken und die Deutschen, „die gerecht sein wollen", müßten ihrem „nationalen Eigendünkel", ihrer „Selbstüberhebung" und „Überschätzung", diesen Eigenschaften der Barbaren, entsagen, aber er selbst rühmt im selben Atemzug dem „gemeinen" Tschechen nach, daß er „den gemeinen Deutschen in Böhmen an leichter Fassungsgabe, Anstelligkeit, Rührigkeit und Empfänglichkeit des Geistes, an Leselust und Bildungsdrang weit übertrifft" 53 ). Hier ist die Mehrwertigkeit der Slawen ausgesprochen, auf die in den stürmischen Badeni-Tagen mit dem Schlagwort von dem tief minderwertigen Slawen geantwortet wird. Dieser in einem Vielvölkerstaat doppelt verdammenswerte, wenn auch im Zorn und in Erregung getane Ausspruch wäre völlig aus seinem geschichtlichen Zusammenhang gerissen, wenn er nicht hier eingereiht, nicht hier seinen Hintergrund finden würde. Es wurden viele wegbestimmende Einflüsse auf Palacky in der Literatur herausgearbeitet — einer aber, der für seine Haltung gegenüber den Deutschen bestimmend war, übersehen: das Moment des ursprünglichen persönlichen Klassengegensatzes. Palacky war Autodidakt, er hatte zeitweise unter kargen Umständen das Lyzeum in Preßburg besucht, und er hatte über Erzieher- und Hofmeisterstellen seinen Weg beginnen müssen. Die Deutschen waren die Besitzenden, die geistig Satten, er der Homo novus und so schon persönlich erfüllt von der Unsicherheit und dem Neid des Emporkömmlings, wozu noch die Elemente der schwer zu fassenden inneren charakterologischen Abneigungen zweier so grundverschiedener Volksstämme im gleichen Siedlungsraum kamen. Seine soziale Herkunft erklärt manches, so auch, daß er die Akten zu seinem Lebensweg selbst herausgab, wörtlich beispielsweise die 1839 erfolgte kaiserliche Titelverleihung zum böhmisch-ständischen Historiographen edierte. Dieser Titel hat offensichtlich sein Selbstvertrauen gestärkt und ihn persönlich befriedigt. Er hat darum, zugleich jedoch auch, um seine allmächtige Stellung als Historiker zu festigen, den Mitmenschen den aktenmäßigen Hergang mitgeteilt. Er vergaß dabei, daß es das Los vieler junger Gelehrter war und heute noch ist, sich allein, fast ohne Hilfe, aus eigener Kraft und nur durch eigene Leistungen durchsetzen zu müssen, ohne Unterstützung derer, denen durch die Politik die sogenannte „Wissenschaftspflege" anvertraut ist. Diese sprechen zwar gern von „Kultur" und gebrauchen die gerade aktuellen Schlagworte wie „Begabtenförderung", doch erst dann, wenn die Hilfe nicht mehr gebraucht wird, wenn der Berg bezwungen ist, stellen sie sich ein, und zwar wiederum meist nur mit Titeln und Worten, die besonders reichlich und schön dann fließen, wenn es zu spät ist: am Grabe. Palacky hatte kein Recht unzufrieden zu sein, denn er hatte das Glück, daß am 7. März 1831 die böhmischen Stände ihn über einstimmigen Landtagsbeschluß in ihren gut bezahlten Dienst nahmen, nur damit er eine vielbändige Geschichte Böhmens verfasse, ungestört von einer anderen beruflichen Arbeit, von der Notwendigkeit, seinen Unterhalt durch einen Geldberuf verdienen zu eines friedlichen Miteinander und eines volklichen Zusammenstehens gab.) — A. F is c h e i , Das österr. Sprachenrecht S. 7, Nr. 12. ~'3) F. P a l a c k y , Zur böhm. Geschichtsschreibung S. 173.

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I. Zur Genesis der nationalen Differenzen in Böhmen

müssen. 1836 erschien der erste, 1867 der zehnte und letzte Band von Palackys Böhmischer Geschichte. Von Versöhnung ist in diesen zehn Bänden nicht oder nur wenig die Rede. Das mußte sich in Böhmen doppelt verhängnisvoll auswirken, denn dort wohnten Deutsche und Tschechen schicksalhaft nebeneinander und miteinander verwoben54), deren „Ideen" nach Palacky sich aber gegeneinander verhielten wie Tag und Nacht. Die „scharfe Frontstellung, der erklärte schroffe Gegensatz im urtümlichen Charakter der Kontrahenten gaben die ideale Vorbedingung für eine Übersteigerung der böhmischen Renaissance in einem erbarmungslosen Kampf um das Land, die Vorbedingung für ein Salto mortale im mitteleuropäischen Raum"55). Nicht weniger radikal, nicht weniger national als Palacky waren die meisten tschechischen Literaten56), nur hatten ihre Dichtungen eine noch größere Breitenstreuung, noch größeren unmittelbaren Einfluß auf die Volksmassen, die gern hörten, daß der Slawe nicht mehr Sklave sein solle und daß der Deutsche aus dem Lande verjagt werden müsse. Der ideologische Führer war Palacky; die nationale Verschärfung des Alltags zwischen den beiden Nationen in Böhmen haben die Literaten erreicht, und diese Verschärfung hat wiederum auf Palacky zurückgewirkt. Unter diesem Zug zum Radikalismus mußte die Idee einer die Deutschen und die Tschechen umfassenden, nach Überwindung von Haß und Feindschaft neu auflebenden „böhmischen Nation", wie dies Bernard Bolzano in seinen Erbauungsreden verfochten hatte, allerdings scheitern57). Palacky hat den Tschechen die politische und historische Ideologie geschenkt, durch die ihnen die Zukunft in Böhmen gehörte. Den Deutschen Böhmens hat bis zu ihrem grausamen und blutigen Untergang im Jahre 1945 die historische Sendungsidee gefehlt. E. Lemberg hat gezeigt, daß sie zu keinem Bewußtsein einer „sudetendeutschen Geschichte" kamen, „noch weniger zum Bewußtsein einer besonderen Funktion, einer Sendung des Sudetendeutschtums in seiner Umwelt". Er hat 1933 die Forderung aufgestellt, dem Sudetendeutschtum eine historische Physiognomie zu erarbeiten58). Die Ansätze kamen zu spät und litten außerdem unter der Uneinigkeit, ob sich die sudetendeutsche Sendungsidee in die tschechoslowakische Staatsideologie oder in die des gesamtdeutschen Volkes einordnen solle, denn nicht nur in der Metternichschen Ära glaubten die Deutschböhmen noch an das gemeinsame böhmische Vaterland. Sie sahen nicht, wie sich mit ungeheurer Raschheit der Nationalisierungsprozeß des tschechischen Volkes vollzog, wie von den Tschechen Baustein auf Baustein gelegt und zugleich die nationalen Ideen durch die „Patrioten" im Volke verankert wurden59). Palackys ") „Eine derart enge Verzahnung zweier Völker ist Gunst und Fluch zugleich." (H. A u b i n , Deutsche und Tschechen, HZ 160, 1939, S. 477.) M ) R. G. Ρ1 a s c h k a, Von Palacky bis Pekar S. 18. 5β ) Κ. Β i 11 η e r, Der Deutsche im tschechischen Schrifttum. ") E. F r a n z i s , Bernard Bolzano und die nationale Idee. — Α. Ν a e g 1 e, Bernard Bolzano. — E. V i n t e r , Bernard Bolzano. — D e r s., Β. Bolzano und sein Kreis. 5β ) E. L e m b e r g , Palacky und Masaryk. Histor. Jahrb. 53, S. 452 ff. S9 ) R. S t r i t ζ k o, Die Genesis der nationalen Dissonanzen. — Leo Graf T h u n , Über den gegenwärtigen Stand der böhmischen Literatur. — I. Α. Η e 1 f e r t, Wiederaufleben der böhmischen Sprache. — J. J a k u b e c , Die literarische Wiedergeburt. — E. L e mb e r g, Die Grundlagen des nationalen Erwachens. — J. M u r k o, Deutsche Einflüsse. — A. S p r i n g e r , Geschichte österr. II, S. 9—30. — Th. G. M a s a r y k , Ceská otázka. — J. H a η u s, Národní museum a nase obrozeni. — K. B i t t n e r , Der Deutsche im tschechischen Schrifttum S. 292 ff. — A. S k e η e, Slavischnationale

Das „Wunder" der nationalen Wiedergeburt

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historische Ideologie, die stark völkisch und national betonte Literatur, die Herausgabe tschechischer Wörterbücher und der böhmischen Enzyklopädie, Hankas üble Fälschungen, das nach dem Muster des 1811 in Graz gegründeten steirischen „Joanneums" 1818 errichtete Böhmische Nationalmuseum in Prag und die von diesem seit 1827 herausgegebene tschechische Museumszeitschrift sowie die übrigen Zeitschriften, in denen führende Tschechen ihre Ansichten darlegten, die von Karl Havlíéek ( 1821—1859) in meisterhafter Journalistik geleitete „Prazské Noviny" (Prager Zeitung), das tschechische Bürgerkasino, das in Prag und in vielen kleinen Städten entstand, und schließlich die Matice Öeska haben neben anderen Kräften zusammengewirkt und das „Wunder der tschechischen nationalen Wiedergeburt" vollbracht. Eine Reihe bedeutungsvoller Männer müßte in diesem Zusammenhang aufgezählt werden, so Josef Jungmann (1773—1847), Paul Josef Safarik (1795—1861), Frantisek Ladislav Öelakovsky (1799—1852) und der Pfarrer Samuel Tomasik, der in Oberungarn 1834 für die dortigen Slowaken das spätere slawische Nationallied „Hej, Slovane!" dichtete, das sich unter Abänderung des Wortes „Slowaken" in „Slawen" als allgemeines Kampflied durchsetzte. Beim allgemeinen Slawenkongreß 1848 haben die tschechischen Massen bei jeder Gelegenheit das „Hej, Slovane!" angestimmt. In den stürmischen Badeni-Tagen werden die deutschen Studenten in Laibach in Tomasiks Dichtung ein Hetzlied sehen60), das ihren nationalen Widerstand auslöst, das sie unsagbar erbittert und das sie mit der „Wacht am Rhein" zu übersingen versuchen. Was die tschechischen Philologen, Historiker und Dichter, die großen Männer der Wiedergeburt schufen, wurde in persönlicher Kleinarbeit, in unmittelbarer Bewegung. — E. D e n i s , La Bohème II, S. 3—231. — E. L e m b e r g , Volksbegriff und Staatsideologie. 60 ) Die Melodie des „Hej, Slovane", das während des Krieges 1941—1945 viel gesungen worden ist, wurde nach 1945 zur Nationalhymne Jugoslawiens erhoben, wobei der Text nicht übernommen, aber bisher noch kein neuer geschaffen wurde. Hej

S lo ν

ani

Hej Slovani, nasa ree slovanska iivo klije, dokler naie verno sree za ñas narod bije. Zivi, iivi, duh slovanski, bodi iiv na veke. Grom i peklo, prazne vase proti nam so steke. Naj tedaj nad nanti strasna burja naj se znese, skala poka, dob se lomi, zemlja naj se trese, Bratje, mi stojimo trdno kakor zidi grada, erna zemlja naj pogrezne tega, kdor odpada. Hei

Slawen

Hei, Slawen, lebhaft unsere Sache keimt Solange uns ein gläubiges Herz für unser Volk schlägt. Lebe, lebe, slawischer Geist, bleib lebendig in Ewigkeit. Donner und Hölle sind gegen uns leere Anschläge. Mag dann über uns ein schrecklicher Nordostwind fegen, Der Felsen kracht, die Eiche bricht, die Erde mag erzittern, Brüder, wir stehen fest wie Mauern einer Burg, Schwarze Erde mag verschlingen den, der abfällt.

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I. Zur Genesis der nationalen Differenzen in Böhmen

Beeinflussung dem Volke übermittelt61). Da die Träger der nationalen Bewegung aus dem Volke kamen und in diesem in der väterlichen Generation noch wurzelten, weil sie zu diesem durch den ethisch-pädagogischen Geist der Bewegung mit Liebe erfüllt blieben, wußten sie mit treffsicherem Instinkt, was diesem frommte und worauf dieses reagierte. So vergaßen sie beispielsweise nicht in der Camera, einem Schnürrock nach polnischem Muster, den der deutsche Schneidermeister Hassenteufel erfunden hatte, eine Volkstracht zu schaffen, die der nationalbewußte Tscheche demonstrativ trug. Diese kleinen, fast unwichtig und nebensächlich erscheinenden Bemühungen, diese täglichen Aussaaten, fielen auf fruchtbaren Boden. Die Zeit war reif dazu. Wir brauchen nur daran zu denken, daß gleichzeitig die Gebrüder Grimm die deutschen Volksmärchen sammelten, an der Herausgabe der Weistümer arbeiteten und das Grimmsche Wörterbuch in Angriff nahmen, daß damals Brentanos „Des Knaben Wunderhorn" gedruckt wurde, daß gleichzeitig in der Steiermark Erzherzog Johann, der spätere deutsche Reichsverweser, Volkslieder, Urkunden und Altertümer sammeln ließ, Sitten und Gebräuche rein zu erhalten bestrebt war, durch eine Preisfrage die Geschichtsforschung anregte, sich wünschte, es möge eine vaterländische Geschichte für das Volk entstehen und im grauen Lodenrock die steirische „Nationaltracht" schuf. In dieser Schau müssen die tschechischen Bestrebungen gesehen werden, doch fällt bei einem Vergleich mit dem Wirken Erzherzog Johanns auf, daß dieser den kulturellen Aufschwung in ein wirtschaftliches Wohlergehen und in „vaterländische Gesittung" münden lassen wollte. An eine Umsetzung in nationale Kräfte hat er gar nicht gedacht. Die Tschechen dagegen haben alle ihre Bemühungen vom nationalen Gesichtspunkt her gesehen. Zur Erklärung des schnellen Vollzuges des Nationalisierungsprozesses des tschechischen Volkes — im Sturmjahr 1848 war Prag noch eine deutsche Stadt, 1897, als Badeni die Sprachenverordnung für Böhmen erließ, war dessen Hauptstadt tschechisch und das deutsche Element in eine hoffnungs- und aussichtslose Minoritätsposition gedrängt — reicht jedoch der Zeitgeist allein nicht aus. Diese Entwicklung war nur möglich, weil die tschechischnationale Bewegung eine ausgesprochen demokratische war. Ein seit Jahrhunderten die nationalen Kulturgüter besitzendes, breites tschechisches Bürgertum fehlte. Die tschechischen Patrioten nahmen sich der Bauern, die überwiegend tschechisch waren, an und hetzten sie gegen die Grundherren und deren obrigkeitliche Gewalt auf. Sie konnten bei der Tatenscheu der Regierung durch den bekundeten Unwillen gegen die sozialen Ungerechtigkeiten und die politische Benachteiligung einen geradezu schrankenlosen Einfluß auf die untertänige Landbevölkerung erringen, die in den Führern der nationalen Bewegung Apostel religiöser Freiheit und Vorkämpfer für die Befreiung der Grundholden sahen. Die Patriotenpartei richtete gleichzeitig ihr " ) F. K l e i n w a e c h t e r , Der Untergang der Monarchie S. 135. — H. M ü n c h , Böhmische Tragödie S. 143—153. — Ein anschauliches Bild bei A. F i s c h e 1, Das tschechische Volk II, S. 94: „Es gab Patrioten, Vlastenzen genannt, die von einem Pfarrhaus zum anderen unermüdlich pilgerten, u m den Vertrieb der spärlichen Erzeugnisse der jungen Literatur ins Werk zu setzen, und sogar einen erheblichen Teil ihres geringen Einkommens opferten, u m den Druck und den Absatz von Büchern und Zeitungen in tschechischer Sprache zu ermöglichen. Andere wirkten durch Werbung von Mann zu Mann für den Besuch tschechischer Theatervorstellungen und Unterhaltungen, zu denen tschechische Einladungen ergingen und bei denen auch meist in dieser Sprache gesprochen wurde. Diese und manch andere, oft kleinliche Züge sind ebensoviele Beweise der völligen Hingabe an eine Idee, die jener ganzen Generation zur Ehre gereicht. Aus so kleiner Wurzel

Die wirtschaftliche Seite des Nationalitätenstreites

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Augenmerk auf den Prager Gewerbeverein62), den sie sehr bald unter ihre Botmäßigkeit brachte, und sie begann die Interessen der Handwerker und der kleinen Gewerbetreibenden gegenüber den Großindustriellen zu verteidigen. In der Nummer 95 des „Prazské Noviny" vom Jahre 1846 erschien, um die Geldmittel zur Errichtung einer tschechischen Gewerbeschule zusammenzubringen, ein Aufruf, in welchem diese Schule „die erste Morgenröte am Firmament der tschechischen Schulbildung, das erste Glied der festen Kette" genannt wird, mit der die Tschechen sich „an die neue Bildung, an das europäische Leben anschließen", indem sie sich vom „drohenden nationalen Untergang" bewahren. Um die wirtschaftlichen Kräfte, die in der tschechischen bäuerlichen Bevölkerung lagen, nicht mehr in das deutsche Wirtschaftspotential einfließen zu lassen, wurde in der Folgezeit eine landwirtschaftliche und mit der Landwirtschaft in Zusammenhang stehende Industrie mit geradezu beispielhafter Zähigkeit und Intensität kraft eigener Leistungen geschaffen, durch nationale Banken großzügig das Kapital flüssiggemacht, das die neugeschaffene tschechische nationale Wirtschaft ankurbelte und damit neue nationale Werke und neue nationale Kräfte erzeugte. Die durch Geburtenüberschuß bedingte Bevölkerungszunahme führte zu Expansionstendenzen, und die bescheiden lebenden tschechischen Arbeiter, vielfach entwurzelte Bauernsöhne, strömten als billige Arbeitskräfte in die deutschen Industrien und Bergbaue ein. Die gerade zur Zeit des Ministerpräsidenten Graf Badeni so stark betonten und dann immer wiederkehrenden Forderungen nach tschechischen Realschulen und Technischen Hochschulen sind nur im Hinblick auf die Bestrebungen, die nationale Wirtschaft auszubauen, zu festigen und räumlich zu erweitern, zu verstehen. Auf die wirtschaftliche Seite des Nationalitätenkampfes wird noch einmal hingewiesen werden müssen. Es war vor allem Hermann Aubin63), der betont hat, daß wie um 1400 auch im 19. und 20. Jahrhundert der tschechische Nationalitätenkampf zu keinem geringen Teil ein Kampf um den Arbeitsplatz gewesen ist, daß die Deutschen im Lande zum zweiten Male wirtschaftlich weit vorangeeilt waren und „mit unsäglicher Mühe auf dem kärglichen Boden, der sie landwirtschaftlich nicht ernähren konnte, eine blühende Industrie entwickelt" hatten, daß die Tschechen „in vorbildlicher Weise" eine im eigentlichen Sinne nationale Wirtschaft aufzubauen begannen und nach 1918 mit den Mitteln des direkten und indirekten Staatszwanges den deutschen Besitz für sich zu erobern versuchten. Hermann Aubin ist heute nach fast 20 Jahren dahin zu ergänzen, daß die Tschechen 1945 nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges alle Rücksichten fallenließen und noch vor der kommunistischen Machtergreifung durch die Vertreibung und Ausrottung der deutschen Minderheit sich die Möglichkeit schufen, sich die deutschen Industrien und Vermögenswerte anzueignen. erwuchs dann allmählich eine Bewegung, welche das mit der Julirevolution beginnende Zeitalter der Demokratie unwiderstehlich machte." '"'-) A. S p r i n g e r , Geschichte Österreichs II, S. 20. — H. S c h 1 i 11 e r, Aus Österreichs Vormärz. II : Böhmen S. 79. — Das böhmische Volk S. 147—226. — Über Bauern und Arbeiter H. K a u p a c h , Tschechischer Frühnationalismus S. 69—77. 6S ) H. A u b i η, Deutsche und Tschechen, HZ 160, S. 477. — Vgl. dazu auch O. P e t e r k a , Handel und Gewerbe Prags. — A. S p i t a l e r , Geschichte der sudetendeutschen Industrie. — Zum Aufbau der böhmischen Industrie H. R a u ρ a c h, Tschechischer Frühnationalismus S. 48—68. — Κ. B i t t n e r (Der Deutsche im tschechischen Schrifttum) formulierte S. 302: „Die Tschechen sind — darüber kann wohl kaum ein Zweifel bestehen — sowohl infolge der erdräumlichen Gegebenheiten, in welche sie ihr Schicksal 3

Sutter, Sprachenverordnungen I.

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I. Zur Genesis der nationalen Differenzen in Böhmen

Das Übergewicht der deutschen Minderheit beruhte auf der geistig-kulturellen und wirtschaftlichen Überlegenheit gegenüber dem zweiten Volk in Böhmen. Mit dem Aufstieg der Tschechen auf beiden Gebieten mußte sich das deutsche Übergewicht vermindern und das Verhältnis zu den Tschechen bis zum prozentualen Volksanteil herabsinken. Diese notwendige Folgerung, diese Entwicklung ist zu spät erkannt worden. Um 1870 noch hat auf den Hinweis, den Deutschböhmen drohe von den Tschechen Gefahr, eine hervorragende deutsche politische Persönlichkeit in Prag lachend geantwortet: „Die Tschechen haben nur einen Fehler, daß sie niemand ernst nimmt64)." Trotz aller Angriffe sind die Deutschen den Tschechen lange nicht feindlich gegenübergestanden65). Im Gegenteil, sie haben noch immer die nationale Selbstbesinnung gefördert und sich in erster Linie als Böhmen gefühlt. Im Jahre 1848 allerdings hat sich der geistige Zusammenhang gelöst. Der Slawenkongreß, Palackys Absage vom 11. April 1848 an das Frankfurter Vorparlament66) und die nationalen Forderungen der Wenzelsbader Versammlung haben Deutsche und Tschechen in Böhmen getrennt. Aber noch wäre ein gerechter Ausgleich möglich gewesen, denn „das tschechische Staatsrecht war noch nicht erfunden" und der Anspruch, die tschechische Sprache an Stelle der deutschen zur Staats- und Kultursprache im ganzen Land zu erheben, nicht einmal von den ärgsten Fanatikern erdacht worden. Die Tragik ist dabei, daß Metternich, der „schwer an der Sorge um die Zukunft des Reiches getragen hat", der seinen Zusammenbruch fürchtete, sich des einzig möglichen Weges einer dauernden Befriedung bewußt war, aber aus Tatenscheu und aus Mangel an „Civilcourage" nicht ging87).

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hineingestellt hat, wie auch durch den Gang der geschichtlichen Entwicklung voll und ganz in den deutschen Lebensraum hineingestellt und auch hineingewachsen, ihre kulturelle Entwicklung ist von der deutschen nicht zu trennen, sie sind ein fester Bestandteil des mittleren Europas geworden. Wenn die Tschechen nun alle diese erdräumlichen und geschichtlichen Gegebenheiten vergessen und aus ihren naturgegebenen Bindungen ausbrechen wollen, dann glimmt der Deutschenhaß in ihnen auf und schlägt zu Zeiten in hellen Flammen empor. Wenn sie sich wieder ihrer naturgegebenen Bindungen besinnen, sinkt der Deutschenhaß wieder in sich zusammen. Wieder hat dann der Deutschenhaß die Aufgabe, das Ausbrechen der Tschechen aus ihren naturgegebenen Bindungen zu fördern. Stellt sich im volklichen Werden die Unmöglichkeit des Ausbrechens aus den natürlichen und geschichtlich gegebenen Bindungen heraus, dann hat der haßvolle Kampf gegen die Deutschen seinen Sinn und seine Berechtigung verloren, er ebbt ab und löst sich schließlich in friedliches Nebeneinander." F. Κ 1 e i η w a e c h t e r, Untergang der Monarchie S. 131. Vgl. dazu J. P f i t z n e r , Erwachen der Sudetendeutschen.— E. L e m b e r g , Grundlagen des nationalen Erwachens. Wörtlich bei F. Ρ a 1 a c k y, Gedenkblätter S. 149—155 wieder abgedruckt. F. W a l t e r , Metternich und Gervay. Vor allem sei auf die Stelle (S. 191) verwiesen: Metternich „kannte ja genau die wunden Stellen am Körper der Monarchie, wußte um die schweren Gefahren, die ihre Zukunft umdüsterten, er hatte auch oft genug die rechten Mittel an der Hand, dem Unheil zu steuern, nur — und hier liegt seine unabdingbare tragische Schuld — zur Tat reichte die Kraft nicht mehr". — D e r s., Der Rücktritt Graf Carl Choteks. — Mit Recht spricht F. W a l t e r von einer „Schuld" Metternichs: „Metternich und Kolowrat trifft aber auch die volle Last der Verantwortung für den verhängnisvollen Stillstand des öffendichen Lebens. Denn ihre unüberwindliche Tatenscheu — nach 1835 stand ihnen kein starker Wille mehr entgegen — und ihr verkrampftes Festhalten am Hergebrachten hat jede Reform verhindert. Und Metternichs Schuld wiegt noch schwerer als die Kolowrats, denn der Staatskanzler war mit seinen außerordentlichen geistigen Fähigkeiten der Enge und Beschränktheit Kolowrats, dessen Macht vorweg auf

Verklammerung der einzelnen Teile — Metternichs Plan für Galizien

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Das Problem, das Österreich lösen mußte, wenn es leben wollte, war die Trennung, war die Scheidung der verschiedenen Nationalitäten innerhalb einer historischen Länderindividualität, damit die Mehrheit nicht über die Minorität die nationale Herrschaft ausüben konnte, denn die föderalistische Idee, auf den historisch-staatsrechtlichen Körpern der Länder aufgebaut, genügte nicht mehr, da die administrative Sonderung der Länder nicht die nationalen Verschiedenheiten an sich berücksichtigte und daher zu diesen in Widerspruch gelangen mußte. Zur Vermeidung und Verminderung der Reibung war die Schaffung von national getrennten Kreisen, die Teilung des Guberniums und des Landtages, die Schaffung nationaler Kurien unerläßlich, und, wo dies vollzogen wurde, hat es sich, wie die Teilung der Prager Universität und der mährische Ausgleich von 1905 beweisen, durchaus bewährt. Die Verklammerung der einzelnen Teile in der oberen Sphäre, die Metternich vor Augen hatte, war bei einer säuberlichen Scheidung sogar noch leichter. Für Galizien, wo Polen und Ruthenen aufeinanderstießen und der ruthenische Nationalismus ein Faktor in der Rechnung des Panslawismus Rußlands wurde, hat Metternich, zur letzten, reifen Einsicht der Notwendigkeit sich durchringend, einen Schnitt geplant, der Ruthenen und Polen trennen sollte68). Er wollte spätestens im Sommer 1849 Galizien, der natürlichen Scheidungslinie des Flußlaufes des San folgend und entsprechend der Trennung in den polnischen und den ruthenischen Volksstamm und ihrer kulturellen Verschiedenheit, in zwei Gubernien mit der Bezeichnung Ost- und Westgalizien zerlegen, den galizischen Landtag analog teilen und allenfalls die einstigen Herzogtümer Auschwitz und Zator wieder mit Schlesien, dessen integrierender Bestandteil sie einst gewesen, vereinigen. Durch die Förderung des deutschen Bürgertums und der deutschen Sprache wollte er das zivilisatorische und staatstragende Element stärken. Über die Errichtung des Krakauer Kreisamtes gedieh diese Angelegenheit nicht hinaus, an eine sinnvolle Anwendung des Prinzips auf andere Provinzen konnte gar nicht gedacht werden, denn inzwischen wurde Österreich vom Fieber jener Revolution geschüttelt, während der sich die Umwandlung der literarischen tschechischen Wiedergeburt in eine politische Bewegung vollzog. einer ungewöhnlichen Beherrschung des „Apparates" beruhte (die Metternich fehlte), turmhoch überlegen . . . Metternich selbst bezeichnet es immer wieder als das Grundübel, an dem die Monarchie leide, daß sie ,nicht regiert, sondern bloß administrirt' werde, aber er hat nichts getan, um dieses ,Gebrechen' zu beheben." (F. W a l t e r , österr. Zentralverwaltung. Veröffentl. d. Komm, für neuere Gesch. Österreichs 42, S. 350 f.) ββ ) Η. v. S r b i k, Metternich II, S. 189 ff. — K. W. L. M e t t e r n i c h , Nachgelassene Papiere VII, S. 207 ff. — H. S c h 1 i 11 e r, Aus Österreichs Vormärz. I : Galizien und Krakau S. 61 ff.

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II. DER AUSBRUCH DER NATIONALEN GEGENSÄTZE IM REVOLUTIONSJAHR 1848/49 Kulturelle und soziale Fragen hatten zu den Hauptursachen der Revolution von 1848/491) gehört, aber die Forderungen der Nationalitäten, getragen nicht vom Nationalbewußtsein, also von der Liebe zum eigenen Volk, sondern vom Nationalismus, dem Bestreben, die noch nicht erlangte eigene politische Einheit auf Grund kultureller Gemeinsamkeit und älterer historischer, politischer Erinnerungen zu erreichen2), traten im Sturmjahr 1848 als ein die Ereignisse bestimmender Faktor in den Vordergrund des Geschehens in Prag genauso wie in Agram, in Preßburg oder in Graz. Der Ruf nach Gleichberechtigung der Nationalitäten und ihrer Sprachen bemächtigte sich der nichtdeutschen Völker der Monarchie, die als folgerichtige Konsequenz aus diesem Schlagwort staatsrechtliche Begehren stellten. Als jedoch die führenden Männer des Sturmjahres, welche die nationalen Probleme mit ihren Widersprüchen und Überschneidungen aufgeworfen hatten, darangingen, befriedigende Lösungsmöglichkeiten zu suchen, traten josephinischer Staatszentralismus und historischer Provinzialismus den Plänen der nationalen Abgrenzung der einzelnen Völkerschaften entgegen, so daß eine echte Befriedigung nicht gefunden werden konnte. In Prag, wo sich die politische Kraft der Tschechen konzentrierte, waren schon in der am 11. März im Prager Wenzelsbad tagenden Versammlung neben demokratischen und liberalen Forderungen, scheinbar am Rande noch, die beiden tschechischen Hauptanliegen, Sicherung der böhmischen Nationalität in allen Kronländern Böhmens und vollkommene Gleichstellung der böhmischen wie der deutschen Sprache in Schule und Amt einerseits und „zeitgemäße Änderung — Erweiterung der böhmischen Landesverfassung — Anbahnung des Verbandes von Böhmen, Mähren und Schlesien zu gemeinsamer Ständeversammlung" andrerseits, verlangt worden3). Das ganze Revolutions jähr hindurch lassen sich diese beiden Postulate verfolgen, getrennt und gemeinsam auftretend, mit anderen, überschneidenden, ja widersprechenden Forderungen gekoppelt, doch x

) An neuerer Literatur vgl. A. N o v o t n y , 1848.— R. Κ i s ζ l i n g , Die Revolution.— Η. v. S r b i k, Die Wiener Revolution in sozialgesch. Beleuchtung. — F. E n g e l - J a n o s i , Soziale und staatswirtschaftliche Verhältnisse 1815—1848. — Ε. V. Z e n k e r , Wiener Revolution. — R. J. R a t h , The Viennese Revolution of 1848. — F. E n g e l J a n o s i , Zur Genesis der Revolution. — F. R o u b i k , Cesky rok 1848. — Κ. Κ a zb u n d a , Ceske hnuti r. 1848. — Interessant die Stellungnahme bei E. D e n i s , La Bohême II., S. 235—352. 2 ) An neueren Arbeiten zum Problem des Nationalismus neben den bereits genannten vgl. vor allem R. L a u n, Nationalgefühl und Nationalismus. — Μ. Η. Β o e h m, Die doppelte Wurzel des europ. Nationalismus. — H. Κ o h n, Die Idee des Nationalismus. — Dazu H. R o t h f e 1 s, Grundsätzliches zum Problem der Nationalität. — R. W i 11 r a m, Der Nationalismus als Forschungsaufgabe. — E. L e m b e r g , Geschichte des Nationalismus. *) Text verschiedentlich abgedruckt, so bei F. J. S c h o p f , Wahre Darstellung, 1. Heft, S. 49 ff.

Die Wenzelsbader Petition

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immer stärker und dabei nachhaltiger werdend. Sie sind mit der Auflösung des Reichstages in Kremsier nicht verstummt, und sie haben zur Zeit Badenis die politischen Gedankengänge der Jungtschechen beherrscht. Vor allem der Idee des „böhmischen Staatsrechtes", also der „Wiederherstellung der angeblich vor langer Zeit einmal vorhanden gewesenen staatsrechtlichen Einheit der Kronländer Böhmen, Mähren und Schlesien, der sogenannten ,Länder der Wenzelskrone' (man beachte die Analogie zu den Ländern der Stephanskrone) und deren Sonderstellung im Rahmen der Monarchie" 4 ), sollte die Zukunft gehören, da in ihr implizite die Unteilbarkeit Böhmens eingeschlossen war. 1848 allerdings waren die Begriffe und die politischen Forderungen noch nicht festgefahren, noch verlangten weder Parteien noch Wähler das Festhalten an sinnlos gewordenen Schlagworten. Bei den Formulierungen des tschechischen nationalen Programms 1848 ist, da alles im Fluß war und Weg und Art der politischen Kampfweise erst gesucht wurden, geradezu eine Unsicherheit spürbar. Die Tschechen haben 1848 ihre eigenen Widersprüche gewiß nicht empfunden, denn ihr Ziel hieß ja nicht nur „Böhmen", sondern auch ein freies, gleich- und wenn es ging vorberechtigtes Slawentum in Österreich. Das Prager Deutschtum des Jahres 1848, das zum einen Teil dem vermögenden Handels-, Industrie- und Gewerbestand, zum anderen dem Militär- und Beamtenstand angehörte, der Typus des Bourgois5), stimmte dabei der Parole der Wenzelsbader Versammlung: kein Tscheche, kein Deutscher, nur Böhme, Tscheche und Deutscher ein Leib (Öech a Nëmec jedno tèlo), Böhmen ihre unteilbare, schicksalhafte, naturgegebene Heimat, vorerst begeistert zu. Es wollte ja für die Konstitution, Freiheit und Grundrechte kämpfen, und da die Tschechen die kleinen Handwerker, die Gewerbetreibenden, die Arbeiterschaft und die slawischen Studenten, also das revolutionäre Element hinter sich hatten, so erschien den Prager Deutschen die Verwirklichung ihrer politischen Ideale nur im Bund mit den Tschechen erreichbar, denen sie, schon aus Furcht, als reaktionär zu gelten, nicht nachstehen wollten. So konnte der Oberstburggraf Rudolf Graf Stadion an den Minister des Innern, Franz Freiherrn von Pillersdorf, berichten, er überzeuge sich täglich mehr, daß die Wenzelsbader Petition der Bürgerschaft ziemlich allgemeine Sympathien für sich habe6). Aber die Anzeichen schwerer nationaler Dissonanzen blieben nicht aus, der innere Zwiespalt zwischen den beiden Nationen war bald kaum mehr zu verdecken7). Die Tsche4

) H. S t e i n a c k e r , Die geschichtlichen Voraussetzungen S. 108. — F. P a l a c k y macht 1851 in seiner Geschichte Böhmens (3. Bd., 2. Abt., S. 7 f.) bei der Schilderung der inneren Zustände Böhmens unter König Wenzel IV. eine genaue Unterscheidung zwischen den Begriffen „Krone Böhmen" und „Land Böhmen". — Vgl. dazu J. Ρ r o c h η o, Terra Bohemiae, regnum Bohemiae, corona Bohemiae. — W. W e g e n e r , Böhmen, Mähren und das Reich. 5 ) J. Ρ f i t ζ η e r, Zur nationalen Politik S. 211. 6 ) R. S t r i t ζ k o, Die Genesis S. 207. 7 ) Die Wandlung, die das nationale Bewußtsein der Deutschböhmen während des Jahres 1848 durchmachte, zeigt der Wortlaut der Huldigung Kaiser Franz Josephs I. durch die Deutschböhmen in Olmiitz am 2. Jänner 1849: „Gerecht den gerechten Wünschen einer jeden Nationalität werden Eure Majestät vor allem nie vergessen können, w i e e s d i e d e u t s c h e n S t a m m l a n d e w a r e n , um und an welche sich die anderen Lande schaarten, w i e d i e e r l a u c h t e n H ä u s e r H a b s b u r g u n d Lothringen d e u t s c h e n S t a m m e s sind, wie, w e n n D e u t s c h l a n d den glorr e i c h e n H a b s b u r g e r n viel, sehr viel, das Haus Habsburg D e u t s c h l a n d s e i n e g a n z e G r ö ß e z u d a n k e n h a t . Eure Majestät,

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II. Der Ausbruch der nationalen Gegensätze im Revolutionsjahr 1848/49

chen begannen sich abzusondern, Flugblätter erschienen mit der Forderung, sich im öffentlichen Leben nur mehr der tschechischen Sprache zu bedienen8); eine eigene Legion mit tschechischen Kommandanten wurde konstituiert9). Diese Legion hatte nach dem Bericht des Oberstburggrafen einen ungemein großen Zulauf und viele Mitglieder der Nationalgarde traten aus ihren Kompanien aus, um sich in der böhmischen Legion enrollieren zu lassen. Die Folge dieses Zulaufes war die Besorgnis10), „die Böhmen würden sich mit den Arbeitern vereinigen und Verrat an den Deutschen üben"11).

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mit Recht den Namen Ihres würdigen Vorfahren, jenes großen Reformators Österreichs führend, werden ein zweiter Josef, nur glücklicher als dieser, die Saat der Verbesserungen und neuer Institutionen nicht nur anpflanzen, sondern auch reifen sehen. . . " (H. A nk e r t, Die Huldigung Kaiser Franz Josephs I. S. 254.) Am 28. November 1848 schrieb der „Národní Noviny": „Verflucht sei jeder Slawe, der innerhalb der Grenzen seines Gebietes von einem Anderen Befehle annimmt, als von einem Slawen, verflucht derjenige, welcher von den Behörden sich andere Schriftstücke zustellen läßt oder ihnen andere übermittelt, als slawisch geschriebene, oder der im Landtag oder vor Gericht eine andere Sprache spricht, als die slawische." Vgl. dazu A. S k e n e , Slawisch — nationale Bewegung S. 125. Am 23. März erklärte das Offizierskorps der Nationalgarde, „daß nach seiner einstimmigen Meinung die böhmische Sprache in der Nationalgarde entschieden die gleiche Berechtigung mit der deutschen zu genießen habe. Die Unterfertigten sind deshalb der entschiedenen Ansicht, daß, sobald die Nationalgarde . . . eine bleibende Organisation erhalten haben wird, jeder einzelne Zug nach Mehrheit der Stimme zu beschließen haben wird, ob er deutsch oder böhmisch kommandiert werden will, . . . daß es endlich ebenfalls lediglich von der Entscheidung der Mehrheit der Kompanie abhängen soll, in welcher Sprache das Oberkommando stattfinden wird." (F. J. S c h o p f , Wahre Darstellung 1. Bd., 1. Heft, S. 74 f.) Vgl. dazu die „Notgedrungene Erklärung" Karl Havliíeks (J. S c h o p f , Wahre Darstellung 1. Bd., 1. Heft, S. 76—78). — Immer wieder fühlten sich die Tschechen veranlaßt zu beteuern, daß kein nationaler Zwist, keine nationale Zwietracht angefacht werden dürfe. (Ebd. 2. Heft, S. 52.) Ein Vergleich der nationalen Vorgänge im Frühjahr 1848 in Böhmen und in der Steiermark ergibt erstaunlich kongruente Bilder. In Graz, wo das Stärkeverhältnis zwischen Deutschen und Slawen gegenüber Prag umgekehrt lag, brach ebenfalls zwischen den deutschen und den slowenischen Studenten der nationale Gegensatz aus; die slowenischen Studenten traten, durch den Radikalismus einiger weniger verführt, trotz der Vermittlungsvorschläge der Grazer Bürgerschaft am 15. Mai aus der Akademischen Legion aus und schlössen sich der Propaganda für ein künftiges „Königreich Slowenien" an. (B. S u t t e r , Stellung der Steiermark S. 134 f. — J. A ρ i h, Die Slovenen u. die Märzbewegung. — D e r s., Die slovenische Bewegung im Frühjahr u. Vorsommer 1848. — A. G r ü n , An meine slowenischen Brüder. — D e r s., Antwort auf das Offene Sendschreiben des Vereines „Slovenja" in Wien. — R. C r a e m e r , Deutschtum im Völkerraum.) — Die gleichen Probleme, den gleichen Kampf um die Sprache, um die nationalen Farben, den Streit für und wider die Wahlen in die Frankfurter Nationalversammlung finden wir in Prag und in Graz, hier wie dort die gleichen Versuche die Gegensätze auszugleichen. So richtete die Grazer Bürgerschaft im Glauben an eine bleibende Eintracht zwischen Deutschen und Slowenen einen Aufruf der Versöhnung an die Akademische Legion (nach einem Maueranschlag im Besitz des Verfassers) : »Mit tiefem innigen Bedauern hat die Bürgerschaft von Graz wahrgenommen, wie schon seit längerer Zeit in Eurer Mitte sich der Zwiespalt erhob, welcher, hervorgerufen durch Einzelne, wovon Manche nicht einmal Eurem biederen Vereine angehören, nun störend auf Euere gegenseitigen brüderlichen Verhältnisse sowohl, als auch beunruhigend auf die Bewohner der Stadt einwirkt; — dem zu Folge erlaubt sich die Repräsentation der hiesigen Stadtgemeinde an Euch alle insgesamt, D e u t s c h e und S l o v e n e n

Analoge Verhältnisse in der Steiermark

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Worte des Vertrauens zu richten, und erwartet, dass Euer männlicher Sinn die Liebe und das Vertrauen der Stadt, — die in Euch allen die ersten muthvollen Vertretter der Wünsche der Nationen, die Verfechter der Freiheit, ehrt und hochschätzt, — nicht unberücksichtigt lassen, und gegenseitig wieder jenen Verband brüderlicher Einigkeit herstellen werdet, der sich bis jezt um Euch schlang, und es Euch möglich machte, mit jener Kraft Eueres jugendlichen Eifers vollkommen entscheidend aufzutreten, wie es geschah, und wie es ausserdem unmöglich gewesen wäre. S l o v e n e n und D e u t s c h e ! blicket zurück auf das, was Euere Einigkeit leistete, und zittert vor der Hydra „Uneinigkeit", denn diese würde nicht nur Euch, sondern auch jene Länder, die Ihr als Euer Vaterland begrüsst, zerreissen. Wenn die Sprache und die Wappenfarben der Länder verschieden sind, aus denen Ihr entsprossen seid, — soll dies ein Hinderniß sein, sich gegenseitig lieben und achten zu können, oder, — durch socielle und scientifische Bildung gleichgestellt, — auf ein und derselben Bahn vorwärts schreiten, und zum gemeinschaftlichen Ziele „Freiheit" gelangen zu können? Nein! D e u t s c h e und S l o v e n e n ! ein gleicher Gedanke beseelte Euch in den Tagen der Reformen, gemeinschaftlich habt Ihr gerungen und gesiegt, warum wollt Ihr Euch jezt trennen, Eure Kraft zersplittern, und dadurch den Zeitverhältnissen als Beute anfallen? Nein! das könnt Ihr unmöglich wollen ; die Stadt Graz ist stolz auf ihre Universität, und liebt alle akademischen Bürger derselben, wie ihre eigenen Söhne. — Erwiedert diese Achtung und Liebe durch ein festes, einiges, männliches Betragen, womit Ihr noch ferner den Bürgern der Stadt zur Seite stehen wollet, wo es gilt, die Ruhe und Ordnung zu erhalten, — die nun einmal erworbenen Rechte zu bewahren, — und Neue, wo es Noth thut, zu erringen. Es mögen nun die D e u t s c h e n an ihren Kokarden und Rockliezen die Farben Roth, Gold und Schwarz ; — und die S l o v e n e n Roth, Weiss und Blau tragen, — das gelte gleich, — wenn nur in ihrer Brust sich gleichartige Gefühle für das Gute, für das Recht und für die Wissenschaft bewegen, so kann Euch gegenseitig dadurch die vollste Beruhigung für die Aufrechterhaltung d e u t s c h e r und s 1 ο ν e n'scher Interessen erwachsen, denn Ihr strebet nach einem gleichen Ziele, und werdet es erreichen. Möge die Luft mit roth, gold und schwarzen, oder mit roth, weiss und blauen Fahnen spielen! — bedroht dies Euere Freiheit? — Nein! S l o v e n e n ! lasst dem D e u t s c h e n seine errungenen Farben sich an der Sonne spiegeln ; — D e u t s c h e ! lasst dem S l o v e n e n seine Farben an das Tageslicht bringen; — es waren ja Beide solche bis jezt verschlossen, und von Beiden zugleich wieder gefunden. — Gönnet Einer dem Andern die sichtbaren Zeichen der Freude, welche durch das Wiederfinden eines durch so lange Zeit als verloren gedachten lieben Kleinodes die Herzen der D e u t s c h e n und der S l o v e n e n im gleichen Maße durchzieht. Liebe, junge Freunde! gestattet den Bürgern von Graz, Euch einen Vorschlag zur Ausgleichung Eueres Zerwürfnisses zu machen. S t u d e n t e n e i n e r d e u t s c h e n U n i v e r s i t ä t ! das seid Ihr in Graz doch A l l e , — Ehret Alle insgesammt die deutsche Fahne mit den weiß und grünen Bändern, die Euch von zarter Hand gegeben wurde, — Versammelt Euch unter dieser Fahne zu einem einigen Corps, wenn Euch der Dienst unter die Waffen ruft; — traget aber am Hute und am Rockkragen Liezen mit den Farben jenes Landes, aus welchem Ihr stammt. Lasset die Fahnen wehen an den Häusern mit den Farben aller Nationen Oesterreichs, — denn Jeder liebe sein Vaterland ungestört, — denn nur dadurch kann ein festes Völkerband entstehen. Es leben hoch ! alle D e u t s c h e n und S l o v e n e n , welche unter Oesterreichs Krone in brüderlicher Eintracht leben. Es leben hoch ! alle österreichischen Universitäten. Es leben vor allem hoch ! die a k a d e m i s c h e L e g i o n der Universität in Graz. Graz, am 10. Mai 1848.«

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II· Der Ausbruch der nationalen Gegensätze im Revolutions jähr 1848/49

Am 23. März erfolgte durch kaiserliches Handschreiben die Erledigung der Wenzelsbader Petition12). In Prag war die Enttäuschung über die Geringfügigkeit und Unbestimmtheit der Zusagen allgemein. So wurde die sogenannte Prager Petition beschlossen, in der, dem Beispiel des Preßburger Reichstages folgend, die unauflösbare Vereinigung sämtlicher zur Krone Böhmens gehörigen Länder, eine eigene Volksvertretung, ein eigenes verantwortliches Ministerium und die Organisierung aller hierfür erforderlichen Zentralbehörden in Prag verlangt wurden. Auch in dieser zweiten Petition war die Forderung nach völliger Gleichstellung der tschechischen Sprache mit der deutschen nicht vergessen worden. Der am 31. März sich nach Wien begebenden Deputation wurde eine schriftliche Erläuterung mitgegeben. In dieser heißt es13) : „Gleichstellung, völlige Gleichstellung aller Nationen des Kaisertums in allen Beziehungen ist strenge Anforderung der Zeit und Gerechtigkeit, ist die Vorbedingung der Erhaltung des Einzelnen wie des Ganzen. Von der Gewährung hängt es ab, ob alle einzelnen Völker, die unter dem kaiserlichen Zepter Österreichs vereinigt sind, in dem Gesamtwohle gleichmäßig auch ihr eigenes Heil finden u n d a l s o t r o t z a l l e r S p r a c h v e r s c h i e d e n h e i t b r ü d e r l i c h z u s a m m e n w i r k e n sollen, im widrigen Falle würde — was Gott verhüte — gegenseitige Eifersucht die allgemeine Aufregung noch mehr steigern und es wäre ein unabsehbares Unglück — vielleicht das Verderben aller — wenn die einzelnen Teile ihren Vorteil in der Trennung, ihr Glück in der Auflösung des Ganzen zu finden glauben könnten. Slawen und Deutsche machen ihrer Zahl und geographischen Lage nach die Hauptkraft und Stütze des Kaisertums aus ; ihre Beruhigung tut daher vor allem not, denn nur ihre Sympathien können in entscheidenden Momenten den Ausschlag geben. Um solch ein namenloses Unglück zu verhindern und allseitiges Vertrauen herbeizuführen, wäre ein kaiserliches Manifest für alle von Slawen und Deutschen gemeinsam bewohnten Länder des österreichischen Kaiserstaates dringend notwendig, und zwar des Inhalts : Daß Se. k.k. Majestät d i e G l e i c h s t e l l u n g der N a t i o n a l i t ä t u n d S p r a c h e e i n e s j e d e n V o l k e s in allen Zweigen der S t a a t s v e r w a l t u n g und des öffentlichen U n t e r r i c h t s als S t a a t sρ r i η ζ i ρ a n g e n o m m e n und garantiert w i s s e n wollen. Für Böhmen insbesondere wäre darin zur befriedigenden Erledigung der unterbreiteten Petitionspunkte zugleich zu erklären, Se. k.k. Majestät geruhen, zur Erhöhung der diesfalligen Garantien die Genehmigung der engsten Verbindung Böhmens, Mährens und Schlesiens behufs der gemeinsamen Führung und Besorgung ihrer inneren Angelegenheiten in der Voraussetzung zuzusichern, daß sich die Bevölkerung dieser Kronlande dafür ausspricht. . . . . . Der Grundsatz gleicher Berechtigung soll unbedingt aufgestellt, dessen Verwirklichimg aber vor allem durch eine entsprechende Einrichtung des nationellen Unterrichts- und Erziehungswesens verbürgt sein. Böhmische Gegenden müssen durchgehende böhmische, wie die deutschen Gegenden deutsche Schulen haben ; d o r t w i e d a m u ß a b e r z u g l e i c h d a f ü r Sorge getragen werden, daß j e d e r m a n n auch die andere L a n d e s s p r a c h e w e n i g s t e n s v e r s t e h e n l e r n t . Die näheren gesetzlichen Bestimmungen hierüber müssen allerdings der nächsten Volksrepräsentantenversammlung (böhmischem Landtag) überlassen werden."

Mit diesen nationalen Forderungen der revolutionären Prager stimmten die Wünsche des böhmischen Feudaladels überein. So überreichten am 2. April die in Wien anwesenden böhmischen Landstände dem Kaiser eine Adresse, die vom Fürsten Ferdinand Lobkowitz, Johann Adolph Fürst zu Schwarzenberg, Vinzenz Karl Fürst von Auersperg, Fürst von Schönberg und Hartenstein, Karl Fürst Paar, dann von den Grafen Eugen, Jaromir und Ottokar Czernin, Franz Ernst Graf Harrach, Vinzenz Graf Bubna und H. Graf Lützow unterzeichnet war " ) Text bei F. J. S c h o p f , Wahre Darstellung 1. Bd., 1. Heft, S. 81 ff. — A. F i s c h e 1, Sprachenrecht S. 71 ff., Nr. 169. ia ) R. S t r i t ζ k o, Die Genesis S. 206 f.

Die „Böhmische Charte" vom 8. April 1848

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u n d in der auch diese die Bitte aussprachen, „daß die tschechische Nationalität der deutschen überhaupt u n d insbesondere im Unterrichte u n d in der öffentlichen Verwaltung vollkommen gleichgestellt werde" 14 ). D i e Erfüllung dieser W ü n s c h e brachte das v o m Minister des Inneren, Franz Freiherr v o n Pillersdorf, als Antwort auf die Prager Petition veranlaßte, an ihn gerichtete kaiserliche Handschreiben v o m 8. April 1848, das sich selbst als Erledigung des von den „treuen Pragern überreichten Gesuches" bezeichnete und geradezu zur „Böhmischen Charte" gestempelt wurde 1 5 ). War Pillersdorf i m ersten kaiserlichen Handschreiben v o m 23. März 1848 noch bindenden Zusagen ausgewichen, gelang i h m dies i m zweiten nicht mehr, das so zu einem Grundpfeiler der böhmischen Staatsrechtsforderungen 1 6 ) werden sollte. Pillersdorf hat hier festgelegt, daß als Grundsatz „die vollkommene Gleichstellung der b ö h m i schen Sprache mit der deutschen in allen Zweigen der Staatsverwaltung u n d des öffentlichen Lebens" zu gelten hat u n d daß v o n n u n an „in B ö h m e n alle öffentlichen Ämter u n d Gerichtsbehörden nur durch Individuen, welche beider Landessprachen kundig sind, besetzt werden" sollen (§ 8). Weiters wurde von ihm die ") Wiener Zeitung, 10. April 1848, S. 480. — F. J. S c h o p f , Wahre Darstellung 1. Heft, S. 88—90. " ) Text bei F. J. S c h ο ρ f, Wahre Darstellung 2. Heft, S. 72. — A. F i s c h e 1, Sprachenrecht S. 73—76, Nr. 170. — E. B e r n a t z i k , österr. Verfassungsgesetze S. 1086. — H. M ü η c h, Böhmische Tragödie S. 175. — Vgl. auch Κ. H u g e l m a n n , Das kaiserliche Kabinettschreiben (dort auch ältere Literatur). — R. Z e h n t b a u e r , Verfassungswandlungen (S. 69—119: Der Ursprung des Kabinettschreiben vom 8. April; S. 120—182: Verhalt und Wirkung der Böhmischen Charte). — K. v. K r a u s s , Geschichtliches zum Kabinettschreiben vom 8. April 1848. — O. W e b e r , Das kaiserliche Handschreiben vom 8. April 1848. — F. Graf H a r t i g, Genesis der Revolution in Österreich S. 212—216. — K. H u g e l m a n n , Der ständische Zentralausschuß in Österreich im April 1848, S. 194 Anm. 1. — Zur tschechischen Beurteilung der beiden Kabinettschreiben und der darin enthaltenen Regelung der Sprachenfrage R. Τ r a u b, Kabinetni Listy. 16 ) Das böhmische Staatsrecht wurde von deutscher Seite abgelehnt. So findet sich 1890 bei C. ν. H ö f 1 e r, einem Hauptgegner Palackys, folgende Stelle (Gedanken über das böhmische Staatsrecht S. 170 f.): „Nichts ist unhistorischer, als zu glauben, daß, was unter gewissen, geschichtlichen Voraussetzungen entstand und dadurch eine Berechtigung hatte, dann auf natürlichem Wege sich auslebte, willkürlich unter ganz veränderten Zeitumständen wieder in das Leben gerufen werden könne. Die Geschichte und die Vergangenheit eines Volkes sind kein Topf, kein Glücksrad, in welches man nach Belieben greifen und aus ihm herausnehmen kann, was etwa irgendeiner politischen Partei als Rüstzeug für einen augenblicklichen Endzweck dienen kann. Man spielt überhaupt nicht mit Begriffen und am wenigsten mit historischen, und die Doctrinare, die sich dieses Spiel erlauben, müssen sich gefallen lassen, daß man sie mit Knaben vergleicht, die sich an Schneeballen belustigen. Um aber zum Schlüsse zu kommen, so ist auch in dieser Beziehung und Frage die Stellung der Deutschen in Böhmen eine gegebene. Sie haben mit diesem Spiele gar nichts zu schaffen. Ob heute jemand behauptet, das böhmische Staatsrecht sei keine Pfeife Tabak wert, oder morgen eine ganze Zukunft darauf gebaut werden soll: für die Deutschen in Böhmen, wie überhaupt für jeden besonnenen Mann ist das böhmische Staatsrecht eine historische Erscheinung, die als solche ihren Anfang — ihren Höhepunkt, ihr Ende hat. Sich dafür wie für eine lebensvolle Erscheinung zu interessieren, dazu fehlt jeder Anhaltspunkt. Die Sache hat für den historischen Forscher ein wissenschaftliches Interesse, für jeden anderen so viel und so wenig, als er dem antiquarischen Gegenstande abgewinnen mag. Ein Grund sich zu erhitzen, oder auch nur Partei zu nehmen, ist für uns nicht vorhanden. Was der Tag bringt, verschlingt er auch — hominum commenta dies delet. Wir

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II. Der Ausbruch der nationalen Gegensätze im Revolutionsjahr 1848/49

Errichtung verantwortlicher Zentralbehörden für das Königreich Böhmen in Prag mit einem ausgedehnten Wirkungskreis bewilligt (§ 3) und „die Vereinigung der Länder Böhmen, Mähren und Schlesien unter einer Zentralverwaltung in Prag und unter einem gemeinschaftlichen Landtag" als Gegenstand der Verhandlung für den nächsten Reichstag in Aussicht gestellt (§ 4). Die Durchführung dieser Verfügung sollte durch ein eigenes Gesetz geregelt werden. Mit diesem Handschreiben vom 8. April hat somit die Regierung in Wien den Umsturz der böhmischen Landesverfassung, ohne die Folgewirkungen zu bedenken, nur auf Grund zudringlicher Forderungen einer „Kluborganisation, einem mit gar keinem legalen Mandate bekleideten Privatverein in der Form einer Petitionserledigung gewährt", und so das erfüllt, wofür die böhmischen Stände, keinen Aufwand an Zeit und Mühe scheuend, Jahre hindurch gekämpft hatten17). In der Pillersdorfschen Verfassung vom 25. April 184818) ist von den am 8. April den Tschechen gemachten Zugeständnissen jedoch nichts enthalten. Im § 4 wurde nur allen Volksstämmen „die Unverletzlichkeit ihrer Nationalität und Sprache gewährleistet". So ist der Schluß erlaubt, Pillersdorf selbst habe dem kaiserlichen Handschreiben keine Gesetzeskraft zugeschrieben. Der Oberste Gerichtshof hat jedoch in seiner Entscheidung vom 13. Dezember 1898 das Handbillet vom 8. April als ein noch gültiges Gesetz erkannt19). „Die vollkommene Gleichstellung beider, der böhmischen wie der deutschen Sprache in Schule und Amt", also das eine Hauptanliegen der Tschechen, wurde auf Grund der Zusage vom 8. April sofort in die Tat umzusetzen versucht. Am 19. April 1848 sah sich der Prager Erzbischof in einem Konsistorialerlaß gezwungen festzuhalten, „daß, so wünschenswert auch die Kenntnis beider Landessprachen für jeden sein muß, der sein Fortkommen in Böhmen finden will, dennoch von keinem Zwange zur Einführung des Unterrichtes in beiden Landessprachen an den Volksschulen die Rede sein kann; zumal derselbe ohnehin dort, wo die Lehrer und das Volk nur einer der beiden Landessprachen kundig sind, gar nicht Platz greifen könnte"20). In einer Gubernialverordnung vom 11. August 1848 wurde ebenfalls die teilweise derart ausgelegte Gleichberechtigung beider Landessprachen, daß die Kinder utraquistisch unterrichtet wurden, also gleichzeitig deutsch und böhmisch in den Trivialschulen buchstabieren, lesen und schreiben lernten, verdammt. Durch die utraquistische Lehrmethode wären „die Kinder am Ende weder in der deutschen noch in der böhmischen Sprachlehre und Rechtschreibung gehörig bewandert"21). Diese Ansicht wurde mit einem Erlaß des Unterrichtsministeriums vom 2. September 1848 bekräftigt und der Unterricht in der Muttersprache in den Volksschulen mit Einschluß der drei

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sehen das Treiben an, wundern uns, oder wundern uns auch nicht, weil wir das Getriebe durchschauen und die Beweggründe kennen, und gehen ruhig vorüber. Es berührt uns nicht." F. S c h u b e r t , Böhm. Staatsrecht im Lichte gegenteiliger Meinungen. — H. S 1 a pn i c k a, Stellungnahme des Deutschtums d. Sudetenländer. — R. P l a s c h k a , Böhm. Staatsrecht in tschechischer Sicht. — J. K a l o u s e k , Grundlagen des böhm. Staatsrechtes. — D e r s., Ceské statili právo. Vgl. dazu H. S c h i i t t e r , Aus Österreichs Vormärz. II : Böhmen S. 30 ff. Κ. H u g e 1 m a η η, Die Entwicklung der Aprilverfassung. Erkenntnis des k.k. Gerichtshofes vom 13. Dezember 1898 Nr. 14934 (Sammlung Pfaff, Schey und Kupsky, 35 p. 662: Sammlung von zivilgerichtlichen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes. N.F. 1, S. 662). Dazu die die Entscheidung anfechtende Stellungnahme von Κ. ν. Κ r a u s s, Geschichtliches zum Kabinettschreiben S. 484 ff., 492 ff. F. J. S c h ο ρ f, Wahre Darstellung 2. Heft, S. 95 f. A. F i s c h e 1, Sprachenrecht S. 77 ff., Nr. 173.

Pläne und Auswirkungen der sprachlichen Gleichberechtigung

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Klassen der Hauptschulen anbefohlen22). Dagegen wurde in den böhmischen Gymnasien deutscher Distrikte die böhmische Sprache als freier Lehrgegenstand eingeführt23) und somit keinesfalls der in der VI. Sektion des Prager Nationalausschusses am 3. Juni von J. Erasmus Wocel vorgelegte „Entwurf über die Durchführung der Gleichstellung der tschechischen und deutschen Sprache in der Schule" vom Unterrichtsministerium übernommen und erfüllt. Dieser Entwurf hatte für die Gymnasien deutscher Gegenden vorgesehen, daß die tschechische Sprache und Literatur „als obligate Gegenstände vorgetragen werden", während andrerseits ebenso an tschechischen Gymnasien deutsche Sprache und Literatur Pflichtgegenstand sein sollten24). Für Mähren forderte in einer von der 23 " ) Ebd. S. 80 f., Nr. 174. ) Ebd. S. 81 f., Nr. 175. " ) F. J. S c h o p f , Wahre Darstellung 5. Heft, S. 70—72. Nach § 5 dieses Entwurfes gab es 19 böhmische Landgymnasien, davon neun in tschechischen und sieben in deutschen, drei, und zwar jene in Leitmeritz, Budweis und Neuhaus, in gemischtsprachigen Distrikten. Wocel schlug vor, zwei davon zu den deutschen, eines davon zu den tschechischen zu schlagen, so daß das Verhältnis zehn tschechische zu neun deutschen entstanden wäre. In der sogenannten „Magna Charta" der österreichischen Mittelschulen, dem im Jahre 1849 vom Ministerium für Kultus und Unterricht veröffentlichten „Entwurf der Organisation der Gymnasien und Realschulen in Österreich" wurde in den Vorbemerkungen (S. 6 f.) grundsätzlich zur Bedeutung des Unterrichtes der „notwendigen Landessprachen" Stellung genommen: „Übrigens ist die für beide klassischen Sprachen bestimmte Stundenzahl kleiner, als es vielleicht von vielen competenten Beurtheilern der Gymnasialeinrichtungen gewünscht wird; die Erfahrung wird entscheiden, ob eine Vermehrung derselben nothwendig ist. Der Plan baut auf die Wirkungen einer verbesserten Unterrichts-Methode; er nimmt Rücksicht auf den Widerwillen, den eine weit über die gewohnte Zahl hinausgehende Menge wöchentlicher Unterrichtsstunden finden würde, so wie auf die den österreichischen Gymnasien eigenthümliche Aufgabe, eine Mehrheit im Reiche gangbarer und häufig den Schülern nothwendiger Landessprachen zu lehren. Daß überall die Muttersprache der Schüler und ihre Literatur gründlich und ausführlich gelehrt werde, bedarf gegenwärtig keiner Rechtfertigung mehr; schwierig aber sind Bestimmungen darüber, ob die Schüler verpflichtet sein sollen, neben ihrer Muttersprache auch noch andere im Reiche gangbare Sprachen zu erlernen. Der Entwurf ordnet an: daß jedes Gymnasium verpflichtet sei, sämmtliche in dem Kronlande, wo es sich befindet, lebende Sprachen und auch die deutsche, wenn sie nicht schon unter ihnen enthalten ist, zu lehren, daß aber die Benützung dieses Unterrichtes durch die Schüler, mit alleiniger Ausnahme des Unterrichtes über die Muttersprache, den Schülern oder eigentlich den Eltern derselben völlig freigestellt sei. In einer Angelegenheit, welche die zartesten und mächtigsten Gefühle der Menschen berührt, scheint es weise zu sein, jeden, auch den bestgemeinten Zwang zu vermeiden, und zu erwarten, daß wahre Bedürfnisse und Interessen, wo sie vorhanden sind, auch ihre Befriedigung suchen werden. Wenn aber hienach die deutsche Sprache eine Ausnahms-Stellung zu haben scheint, weil sie an allen Gymnasien gelehrt werden soll, andere Sprachen hingegen nur an sämmtlichen Gymnasien des Kronlandes, in welchem sie leben, während jedoch ein Zwang, sie zu erlernen, wenn sie nicht die Muttersprache ist, dort so wenig als hier eintreten darf: so ist dies nicht eine Ungleichheit des Rechtes, sondern des Bedürfnisses; denn es ist ein Bedürfniß der allgemeinen Bildung, daß, wenn Schüler Zeit und Mühe auf Erlernung einer zweiten lebenden Sprache neben ihrer Muttersprache verwenden wollen, ihnen die Möglichkeit geboten sei, sich durch diese Sprache zugleich eine Literatur zugänglich zu machen, welche an Reichthum und Bildungskraft sowohl in ästhetischer als in wissenschaftlicher Beziehung vor vielen ausgezeichnet ist. Überdies ist es ein Bedürfniß eines mächtigen Reiches, daß wenigstens die Gebildeten aller Theile desselben sich untereinander zu verstehen die Fähigkeit haben; diese Fähigkeit wird am leichtesten erworben durch Erlernung der unter den gebildeten Klassen bereits am meisten verbreiteten Sprache, und es ist die Pflicht der Re-

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Jednota Morawská herausgegebenen Flugschrift der Professor der tschechischen Sprache und Literatur an der mährischen Landesakademie in Brünn, Aloys Sembera25), in tschechisch-deutschen Gebieten die deutsche Sprache als Pflichtgegenstand. Außerdem sollten in jedem Jahrgang noch zwei weitere Lehrfächer, ausgenommen Religion und Latein, in deutsch unterrichtet werden. Nach der von Sembera aufgestellten Tabelle wäre so beispielsweise Geschichte, Geographie und Mathematik abwechselnd ein Jahr deutsch und in der nächsthöheren Klasse dann wieder tschechisch zu unterrichten gewesen. Ohne besonderen Nachdruck wurde 1848 auf die Lösung der sprachlichen Gleichberechtigung an den Hochschulen gedrungen. Wocel hatte in seinem Entwurf nur gefordert, daß an der Prager Universität jene Gegenstände, welche für die Staatsprüfung vorgeschrieben seien, sowohl in tschechischer als in deutscher Sprache von ordentlichen Professoren vorgetragen werden müßten. Sembera, der sich eingehend mit der sprachlichen Gleichberechtigung im kirchlichen Leben auseinandersetzte, wollte die Doppelbesetzung aller Lehrstühle der mährischen Landesuniversität schon deshalb, um ein Abwandern der deutschmährischen Studenten nach Wien, der tschechischmährischen nach Prag und damit das rasche Ende und den Verfall der Landesuniversität zu verhindern. Noch war die Gleichberechtigung der Sprachen im Unterricht in Ermangelung geeigneter Lehrkräfte nicht durchgeführt, als Anton Jungmann bereits schrieb, es handle sich bei den Tschechen im Bewußtsein ihrer so mächtigen Nationalität keineswegs um bloße Gleichstellung und Gleichberechtigung beider Sprachen, sondern vielmehr um die Anerkennung der tschechischen Sprache als Nationalsprache für Böhmen. Jungmann war immerhin weitsehend genug, zu fordern, daß die Aufnahme in ein Gymnasium in allen Provinzen Österreichs abhängig gemacht werden solle von der wenigstens für den einfachen Gebrauch nötigen Kenntnis der in der betreifenden Provinz herrschenden Nationalsprache und der deutschen Sprache als „einer allen diesen Nationalitäten gemeinsamen Vermittlungssprache". Als Geschäftssprache der Zentralbehörden sollte Deutsch, als Geschäftssprache der Provinzialbehörden für die Amtsverwaltung innerhalb der Provinz die herrschende oder wenigstens vorherrschende Nationalsprache, als Geschäftssprache der Provinzbehörden in ihrem amtlichen Verkehr mit den Behörden anderer Provinzen durch die großen Verschiedenheiten der Nationalsprachen in Österreich wiederum die allen gemeinsame deutsche Sprache zur Anwendung kommen. Jungmann dachte an nationalstaatliche Provinzen eines Föderativstaates mit der deutschen Sprache als interprovinzieller Vermittlungssprache. Zu einer Verwirklichung dieses für den böhmischen Landtag als Entwurf vorbereiteten Planes kam es durch die politischen Ereignisse nicht, und so wurde er vergessen. Auch für die Gleichstellung der beiden Sprachen bei Gericht und den politischen Behörden wurde gesorgt. Noch im Mai erließ das k.k. Appellationsgericht in Prag einen gerade im Hinblick auf die späteren Badenischen Sprachenverordnungen interessanten Erlaß, in dem es heißt26) : „So wie es einerseits jedermann freisteht, alle gerichtlichen Eingaben entweder in böhmischer oder deutscher Sprache zu überreichen, so sind andererseits sämtliche Gerichtsbehörden verpflichtet, die Protokolle über gerichtliche Akten oder mündliche Verhandlungen jeder gierung, im Interesse des großen Ganzen zu sorgen, daß die Befriedigung eines so wichtigen Bedürfnisses denjenigen, welche es wünschen, möglich sei." 25 ) Gleichstellung der beiden Landessprachen. 2 ") A. F i s c h e i , Sprachenrecht S. 76 f., Nr. 172. — F. J. S c h o p f , Wahre Darstellung 3. Heft, S. 65 f. — Vgl. auch F i s c h e 1 S. 82 f., Nr. 176.

Protest der Deutschen gegen das böhmische Staatsrecht

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Art in jener Landessprache aufzunehmen, e b e n s o a l l e E r l e d i g u n g e n s c h r i f t licher E i n g a b e n oder g e r i c h t l i c h e n Protokolle, wie auch alle r i c h t e r l i c h e n E r k e n n t n i s s e i n j e n e r L a n d e s s p r a c h e herauszugeben, welcher die Partei mächtig ist, von der die schriftliche Eingabe überreicht, oder mit der das gerichtliche Protokoll aufgenommen wurde, und für welche die beschlossene Erledigung oder das geschöpfte Erkenntnis bestimmt ist, daher der böhmischen Partei böhmisch, und der deutschen deutsch." A u c h die Verwirklichung des zweiten Hauptanliegens, die staatsrechtliche Umgestaltung u n d Zusammenfassung der Länder der böhmischen Krone, wollten die T s c h e c h e n sofort durchsetzen, stießen jedoch dabei auf entschiedenen Widerstand. D u r c h das kaiserliche Handschreiben v o m 8. April u n d die daraufhin erfolgte Zusammenlegung des Komitees des Wenzelbades u n d der Gubernialkommission in eine Versammlung, die sich am 13. April den Titel eines „ N a tional-Ausschusses" beilegte, wuchs die Besorgnis der D e u t s c h b ö h m e n außerhalb Prags 27 ). D i e s e sahen die Lage u n d die kommende Entwicklung klarer als die Deutschen in Böhmens Hauptstadt. Zwar hatte noch a m 31. März zur Beruhigung der deutschböhmischen Bezirke das Komitee der deutschen Bürgerschaft mit Graf Albert D e y m an der Spitze einen Aufruf erlassen 28 ), aber die Anzeichen, daß die vielgepriesene Brüderlichkeit u n d Eintracht sich bald in eine Vorherrschaft der T s c h e c h e n umwandeln werde, waren zu deutlich. So protestierten schon am 9. April 1848 die in W i e n wohnenden D e u t s c h e n der drei böhmischen Kronländer beim Minister des Innern gegen die den T s c h e c h e n gemachten Zusagen, i m wesentlichen alle jene Punkte dabei berührend, die den Streit der beiden Nationalitäten in den kommenden Jahrzehnten bestimmen sollten 29 ). " ) J. Ρ f i t ζ η e r, Nationales Erwachen und Reifen S. 435 f. — D e r s., Die Grenz- und auslandsdeutsche Bewegung S. 313. — Zu wenig ist der Unterschied in der Stimmung der Prager Deutschen und der deutschböhmischen Provinz hervorgehoben in der anonym erschienenen Arbeit über „Die Revolution von 1848 und die Sudetendeutschen". In ihrer Arbeit „Z ceské revoluce" (S. 9) betont Α. Β a j e r o ν á, daß sich die deutsche Partei erst nach Herausgabe des Kabinettschreibens vom 8. April 1848 ihres Nationalismus bewußt geworden, während dagegen die tschechische Schlachtreihe dank ihren Führern schon gut organisiert gewesen ist. " ) „Deutsch-Böhmen!" „Mit tiefer Betrübnis haben wir erfahren, daß in den deutschen Bezirken des Königreiches die Besorgnis umläuft, als wollte der tschechische Teil unseres Volkes die junge Freiheit dazu mißbrauchen, Euere Sprache und Gesinnung zu stören und zu unterdrücken. Brüder ! wir haben in stürmischer Zeit unsere Gesittung ausgesprochen ; der erste Punkt unserer Petition erklärt die vollkommene Gleichstellung der beiden Nationalitäten, und hätte Euch über den Zweck der Bewegung vollkommen beruhigen können, wenn dieses Mißtrauen, nicht schon aus früheren Zeiten stammend, neu angefacht worden wäre. Es wäre namenloses Unglück für uns alle, wenn eine Beschuldigung wie diese die schöne großartige Eintracht im Vaterlande stören und Männer des Lichts und Fortschrittes, wie ihr es seid, in die reaktionäre Bahn treiben sollte. Wir erklären Euch daher feierlich, daß wir stets bemüht waren und sein werden, die Freiheit und die gleiche Berechtigung der beiden Nationalitäten zu wahren und daß wir nie zu einer Beeinträchtigung einer oder der andern stimmen werden. Ist doch ein großer Teil aus unserer Mitte Euerem Stamm entsprossen, und umgekehrt, ist doch unser aller Panier: das Recht der Freiheit, der Friede. Harret daher an unserer Seite aus und hofft, wie wir, nur von der Eintracht das künftige Glück des Vaterlandes." (F. J. S c h o p f , Wahre Darstellung 1. Bd., 1. Heft, S. 92 f. — R. S t r i t ζ k o, Die Genesis S. 208). 29 ) Wiener Zeitung, 12. April 1848. — F. J. S c h ο ρ f, Wahre Darstellung 1. Bd., 2. Heft, S. 91 f. Adresse der D e u t s c h e n aus Böhmen, M ä h r e n und Schlesien. In den Tagen der allgemeinen Aufregung kamen uns beunruhigende Gerüchte aus unserm Vaterlande zu, wie dort eine Partei voll Entschiedenheit an der Verfolgung ihrer

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Mit dieser Adresse stimmte der Wortlaut der am 15. April von der Stadt Saaz an den Prager Nationalausschuß gerichteten Protestation weitgehendst überein. Nur ein neues, wesentliches und die nächsten Wochen bestimmendes Moment trat hinzu: die Forderung „sogleicher Vertretung" der zum Deutschen Bunde gehörigen Provinzen durch Abgeordnete beim deutschen Parlament in separaten Tendenzen die Gemäßigten zum Schweigen bringt, einen großen Theil der Bevölkerung in den Hintergrund zu drängen sucht, und dennoch sich den Anschein gibt im Nahmen des ganzen Volkes zu sprechen. Diese Nachrichten wurden uns von Tag zu Tag bedenklicher, und die Prager Petitionen, obgleich mehrere Puñete derselben unseren Gesinnungen völlig entsprachen, waren nicht derart, um das durch jene Gerüchte und Flugschriften hervorgegangene Bedenken zu benehmen. Denn so sehr wir Deutsche im Interesse unseres Vaterlandes, der Freiheit und des Fortschrittes eine vollkommen g l e i c h e Berechtigimg beider Nationalitäten im Grundgesetze ausgesprochen wünschen, so fühlten wir dagegen uns durch das Verlangen einer Einverleibung von Mähren und Schlesien mit Böhmen und durch das auffallende Stillschweigen über die Stellung Böhmens als Bundesland zu Deutschland, endlich durch das Verlangen eines besonderen Ministeriums in um so größere Besorgnis versetzt, als wir darin die größte Gefahr für den festen Verband unserer Länder mit dem Kaiserstaate, den Fortbestand der Gesammt-Monarchie und unserer eigenen Nationalität erblickten. Bei dem unbestreitbaren Verhältnisse dieser Länder als Theile des Deutschen Bundes ist es nicht zulässig, daß das Deutsche Element auf Kosten eines andern aus dem rechtlichen Besitzstande auf solche Weise verdrängt werde. Das materielle Wohl des Landes, die Sicherheit der Interessen sämmtlicher Bewohner, welche nur im Verbände mit den Deutschen Nachbarländern gestärkt, und zur größeren Blüthe gebracht werden können, würden wir für sehr gefährdet halten. Was nun die Sprachfrage insbesondere anbetrifft, so mußten wir uns (was als Erläuterung unserer Adresse gelten kann) auch bei einer Gleichstellung der beiden Landessprachen doch vor einer Zurücksetzung verwahren, und uns daher entschieden gegen die Öechische Sprache als U n t e r r i c h t s s p r a c h e auf den jetzt bestehenden Deutschen Gymnasien und Realschulen erklären, so sehr wir es nothwendig finden, daß die Öechische Sprache L e h r g e g e n s t a n d in den obgenannten Lehranstalten werde ; dagegen aber auch auf der Prager Universität durch diese Gleichstellung die Deutsche Sprache keine Beeinträchtigung erleiden soll. Wir finden uns ferner in unseren Interessen verletzt, was jeder billig Denkende zugestehen wird, wenn bei dem bisherigen mangelhaften Unterrichte in der Öechischen Sprache sogleich die Verfügung ins Leben tritt, daß jeder Anzustellende beider Landessprachen kundig sein soll, wodurch a u g e n b l i c k l i c h eine große Anzahl talentvoller Vaterlandssöhne von öffentlichen Diensten ausgeschlossen blieben, da ja selbst die größere Zahl der öechisch gebornen jüngeren Männer nicht fähig ist, vollkommen Öechisch zu schreiben. Aus diesem Grund fanden wir, mehrere hundert Deutsche hier in Wien uns bewogen, zusammenzutreten und dem Minister des Innern eine Adresse zu übergeben, welche eine Verwahrung unserer Nationalität enthält und als Ausdruck der Gesinnungen und Wünsche unserer Deutschen Brüder ja selbst vieler gemäßigter Männer Czechischer Abstammung gelten kann. „Euer Exzellenz Herr Minister!" „Die Nachricht, daß ein Slavischer Theil der Bevölkerung Prags sammt seinem Anhange sich als den Repräsentanten und Stimmführer des ganzen Landes Böhmen aufgeworfen, und Se. Majestät unserem gütigsten Kaiser in einem Augenblicke, wo E i n i g k e i t z u m W o h l e j a z u r E r h a l t u n g d e s S t a a t e s s o N o t h t h u t , einige derartige Forderungen unterbreitet, die ein großer Theil Böhmens nicht hegt, ja entschieden zurückweiset, hat uns, derzeit in Wien lebende Deutsche aus Böhmen, Mähren und Schlesien mit gerechtem Unwillen erfüllt. Wir, die wir uns aus allen Deutschen Gegenden dieser Länder hier zusammen gefunden, kennen auch die Gesinnung und die Wünsche aller dieser Gegenden, deren Bewohner

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Frankfurt30). In der Erklärung der Stadt Teplitz an den Prager Nationalausschuß vom 23. April ist diese Forderung erneut aufgenommen worden und gipfelt hier in dem Bekenntnis, daß „in einem schleunigen und engem Anschluß des freien Böhmens an das freie Deutschland" der einzige, der feste Halt für das Wohl, für die Freiheit des Vaterlandes zu finden sei31). Anerkannten demnach Saaz und Teplitz den Prager Nationalausschuß, erklärte dagegen die Stadt Reichenberg in einer Eingabe an das Landespräsidium, daß jener nicht vom Zutrauen des Volkes berufen worden sei, sein Treiben teilweise selbst in Prag verwünscht und verdammt werde und das Volk nicht gewillt sei, „sich in das Schlepptau eines Klubs, der sich auf das Geschrei einiger Tausend, durch sie aufgeregte Personen hin, als Repräsentanten einer Nation von 4 Millionen freigewordener Menschen darstellen und solche tyrannisieren möchte, ziehen zu lassen"32). Die Proteste gegen die Wirksamkeit des Nationalausschusses häuften sich, und am 9. Mai konnten von dem inzwischen zur Wahrung der nationalen Rechte der Deutschen gebildeten Constitutionellen Verein 39 Städte und Orte namentlich aufgezählt werden, von denen die Kompetenz des Nationalausschusses bestritten, gegen die separatistischen Tendenzen, gegen jede Absonderung Böhmens von den mehr als den dritten Theil der Landesbevölkerung ausmachen, und sowohl durch Intelligenz als durch die größten Theils von ihnen geübte Industrie für die Blüthe des Landes sorgen. Wir sehen uns daher gedrungen, diese Gesinnungen vor Euer Exzellenz auch auszusprechen. 1.) Wir protestieren gegen jede Absonderung Böhmens, Mährens und Schlesiens von den übrigen österreichischen Deutschen Ländern und deren Interessen, welche offenbar durch das Verlangen nach einem eigenen verantwortlichen Ministerium in Prag beabsichtigt wird. 2.) Wollen wir uns auch mit den übrigen österreichischen Deutschen Ländern an Deutschland anschließen. 3.) Wir protestiren gegen jede Beeinträchtigung unserer Deutschen Nationalität in den genannten Ländern, mithin a) gegen Einführung der Slavischen Sprache in den Volksschulen Deutscher Ortschaften ; b) gegen das Einführen derselben als Unterrichtssprache in den ordentlichen Lehrgegenständen; c) Sprechen wir uns aus für die Aufrechterhaltung des Deutschen Elementes an der Prager Hochschule. d) Für die Wahrung Deutscher Sprache bei der Volksvertretung dieser Länder. e) Für die Nichtausschließung solcher Beamten in bloß Deutschen Gegenden, welche der böhmischen Sprache nicht mächtig sind. 4.) Protestiren wir feierlich gegen jede einseitige Besetzung öffentlicher Ämter und Bedienstungen bloß durch Eingeborne, indem dann die übrigen Provinzen Österreichs sich zu denselben Schritten gezwungen sehen müßten, und dadurch das schöne und feste Band der österreichischen Monarchie faktisch zerrissen wäre." „Euer Exzellenz! Alle Völker der constitutionellen Monarchie sehen Sie mit vollem Vertrauen als Minister an der Seite unseres allgeliebten Kaisers stehen! Wir Deutsche in Böhmen, Mähren und Schlesien fest überzeugt, daß das wahre Wohl der genannten Länder nur durch eine unmittelbare Vereinigung mit Österreich und durch dieses mit Deutschland erzielt werden könne, hegen die Zuversicht, Euer Exzellenz werden diesen Ausdruck der Gesinnungen der Deutschen Bewohner genannter Länder bei der Beschlußnahme über die Prager Petitionen berücksichtigen." Wien, am 9. April 1848. ao ) F. J. S c h ο ρ f, Wahre Darstellung 1. Bd., 2. Heft, S. 96 ff. — Die umfangreiche Antwort des Nationalausschusses S. 101—105. 31 ) Ebd. 2. Heft, S. 109 f. — Die Antwort des Nationalausschusses 3. Heft, S. 66. M ) F. J. S c h ο ρ f, Wahre Darstellung 1. Bd., 2. Heft, S. 98 ff. — Ähnlich die Protestation der Stadt Deutschbrod. Ebd. S. 117 f.

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übrigen deutschen Ländern einerseits, die Vereinigung Böhmens, Mährens und Schlesiens andrerseits, gegen die beabsichtigte Hintertreibung der Wahlen nach Frankfurt und gegen die Beeinträchtigung der deutschen Nationalität in den deutschen Kreisen Böhmens Stellung bezogen wurde33). Schon am Tage zuvor hatte der Prager Nationalausschuß erklärt, jede von wo immer eingehende Protestation von nun an unbeantwortet zu lassen, doch hatte er immerhin sich gleichzeitig zu einer öffentlichen Rechtfertigung veranlaßt gesehen34). Den politisch weitesten Schritt sollten aus Sorge um den Bestand des Deutschtums in Böhmen die Rittergutsbesitzer des Bezirkes und die Bürger der Stadt Eger vollziehen, indem sie die Lostrennung von Böhmen als Präventivmaßnahme gegen die zu erwartende „Beeinträchtigung der deutschen Nationalität", in letzter Konsequenz die Schaffung eines freien Deutschböhmen35) verlangten. Dieses Begehren ist der erste Ansatz, auf dem dann im Sommer 1848 Ludwig von Löhner seinen Plan der Trennung der Nationen aufbaute. Auch Mähren und Schlesien waren keinesfalls von den am 8. April den Pragern gemachten Zugeständnissen eines böhmischen Staatsrechtes begeistert — allerdings, daß sich Stimmen gegen den geplanten „böhmischen Zentrallandtag" erhoben, beeindruckte die Tschechen keineswegs36). Und doch waren die Gegen33

) Ebd. 3. Heft, S. 69 f. ) Ebd. 3. Heft, S. 67 ff. 35 ) „Bei der ins Leben tretenden repräsentativen Verfassung aller nicht ungarischen Länder, die in dem zu Wien abzuhaltenden Reichstage ihren Vereinigungspunkt finden sollen, können die provinziellen Landtage nur beratender Natur sein und bei einer solchen Sachlage kann ein Landtag für Eger neben jenem in Prag für Böhmen ohne Unzukömmlichkeit oder Rechtsstörung ganz wohl bestehen. Die Bewohner des Egerer Bezirkes halten diese Trennung auch für nützlich und notwendig, weil sie neben einigen materiellen Rechten, in deren Besitz sie sich befinden, auch jede Beschränkung ihrer deutschen Nationalität entschieden ablehnen müssen. Auch ist offenbar, daß das deutsche Element neben dem tschechischen auf einem böhmischen Landtage, es mag solcher bloß beratend oder mit einer höheren Wirksamkeit begabt sein, stets in der Minorität sich befinden wird, daher in den Beschlüssen der Majorität die Bedürfnisse und Interessen der Deutschen nie vertreten sein werden. Die Wiederbelebung und Organisierung dieses ehe bestandenen Landtages für den Egerer Bezirk hält die eben erwähnten Befürchtungen zurück und es handelt sich bloß darum, in welcher Art dieser Landtag ins Leben zurückgerufen werden s o l l . . . . . . Die zweite Bitte betrifft die Aufrechterhaltung der deutschen Nationalität im Egerer Bezirke. Dieselbe ist zwar in dem Allerhöchsten Kabinettsschreiben Eurer k.k. Majestät vom 8. April 1848 gewährleistet, allein der neunte Punkt dieses Allerhöchsten Reskriptes ist geeignet, das Bedenken laut werden zu lassen, daß schon jetzt die deutsche Nationalität gegenüber dem Tschechischen im großen Nachteile sich befindet. Ein großer Teil der deutschen Bewohner Böhmens, ja weitaus der größte, ist der tschechischen Sprache nicht kundig, weil ihnen bisher keine Gelegenheit geboten war, sich diese Sprache eigen zu machen. Die Verdrängung aller Deutschen von Amt und Würde, selbst in jenen Landesteilen, wo nur deutsch gesprochen wird, liegt am Tage. Ferner widerspricht der zwangsweise Volksunterricht in einer fremden Sprache den humanen und volkstümlichen Tendenzen unserer Zeit. Die Petitionen der Prager enthalten nicht den Gesamtwillen aller Bewohner Böhmens, die Deutschen sind darin nicht vertreten und es ist daher die Pflicht der gehorsamst Gefertigten, gegen jede Beeinträchtigung der deutschen Nationalität, die für sie aus den Petitionen der Prager entstehen könnte, zu protestieren und Eure k.k. Majestät zu bitten, die hierwegen erlassenen Verordnungen in einer Art zu erläutern, die geeignet ist, jeden Zweifel an der Unantastbarkeit ihres deutschen Lebens zu zerstreuen." (R. S t r i t ζ k o, Genesis S. 210 f.) '·) Das Manifest des Prager Nationalausschusses, die begehrte Vereinigung Böhmens mit Mähren und Schlesien betreffend, vom 6. Mai 1848 bei F. J. S c h ο ρ f, Wahre Dar-

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Schlesische und mährische Proteste gegen das böhmische Staatsrecht

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stimmen nicht nur vom Selbständigkeitswillen, sondern auch vom Willen des unmittelbaren Zusammenhanges mit dem Kaisertum diktiert, gewichtig genug, um gehört zu werden. So protestierte der Konvent des Herzogtums Schlesien am 9. Mai 1848 in einer Majestätsadresse „gegen jede Anmaßung Böhmens, welche darauf ausgeht, Schlesien zu Böhmen einzuverleiben". Schlesien als Land wolle und werde nie freiwillig sein eigenes provinzialständisches Leben aufgeben, um auf Landtagen anderer Provinzen über seine heimatlichen und örtlichen Bedürfnisse von Personen absprechen zu lassen, welche weder Kenntnis vom Lande Schlesien und seinen Bedürfnissen noch Sinn und Liebe genug für dieses Land hätten, um diesem das zukommen zu lassen, was seine Bedürfnisse erheischten. „Wir erkennen keiner anderen Provinz", heißt es weiter, „sei es Mähren, Böhmen, Österreich oder Galizien, das Recht zu, unsere provinziale Selbständigkeit anzutasten, und verwahren uns daher feierlich gegen jeden diesfälligen auf dem Reichstage ohne ausdrückliche Zustimmung Schlesiens beabsichtigten oder zu stellenden Antrag." Nicht minder nachdrücklich war die Verwahrung der mährischen Stände37) gegen alle die Abhängigkeit des Landes von Böhmen bezweckenden Manifestationen. Einzelne Städte, wie Hotzenplotz, Johannesthal, Sternberg und Hradisch, schlössen sich dem Protest der mährischen Stände an und erklärten in Petitionen an den Landtag, sie müßten dem Begehren nach Vereinigung des Markgrafentums Mähren und des Herzogtums Schlesien mit dem Königreich Böhmen ihre Mißbilligung aussprechen38). Gedungene Kolporteure, die in slawischen Gemeinden Mährens Aufrufe in tschechischer Sprache verbreiteten, in denen die Mährer zur Vereinigung mit Böhmen und zur Lossagung von Deutschland aufgefordert wurden, stießen auf Widerstand. Als anfangs April sich in Brünn das unbegründete Gerücht verbreitete, „böhmisch-tschechische" Studenten würden kommen, um die Bevölkerung für den Anschluß Mährens an Böhmen zu gemeinschaftlicher Landtagsversammlung und einer für Böhmen, Mähren und Schlesien in Prag zu bildenden Zentralverwaltung zu gewinnen39), rief diese Nachricht nach dem Bericht des Vizepräsidenten des mährisch-schlesischen Guberniums, Graf Leopold Lazansky, „eine ausgedehnte Indignation" hervor, und es war zu befürchten, „daß im Falle des Erscheinens einer böhmischen Deputation und öffentlichen Manifestation derselben eine gewaltsame und exzessive Gegendemonstration stattfinden würde". Die Stadtbewohner waren nämlich nach der Darstellung des Grafen Lazansky allgemein der Ansicht, „daß die stürmischen Bestrebungen zur Herstellung einer engen Verbindung der ehemaligen böhmischen Kronländer unter Ägide des Tschechentums nicht von der böhmischen Nation, welche einem großen Teil nach selbst aus deutschen Elementen besteht, sondern von einer kleinen Partei der exaltiertesten Slawisten ausgehe und daß man sich den Wünschen und Tendenzen dieser einseitigen und unberufenen Nationalitätsvertreter nicht fügen Stellung 3. Heft, S. 58—61. — F. P a l a c k y , Gedenkblätter S. 156 ff. (Proklamation der Böhmen an die Mährer). ") Κ. H u g e 1 m a η η, Die österr. Landtage 1848, III. AÖG 115, 1943, S. 36 ff. und 241 ff. 38 ) J. R a d i m s k y , Petice moravskëho S. 46, Nr. 17; S. 66 ad Nr. 28; S. 57, Nr. 25; S. 87, Nr. 50. 3β ) Am 6. April sah sich Rudolph Graf Stadion namens des böhmischen Landespräsidiums veranlaßt, eine Kundmachung gegen zwei Individuen zu erlassen, die sich für Mitglieder der Prager Studentenkompanie „Svornost" ausgaben und in Orten um Brandeis und Altbunzlau an die Bewohner Pamphlete aufrührerischen Inhalts austeilten. (F. J. S c h o p f , Wahre Darstellung 1. Bd., 2. Heft, S. 55 und 59 f.) 4

Sutter, Sprachenverordnungen I.

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solle"40). Aus diesem Grunde hat das Repräsentationskomitee der Stadt Brünn am 12. April eine Petition an den Kaiser beschlossen, in der die Erhaltung der selbständigen Provinz Mähren gefordert wurde41). Von einer lebendigen Tradition des böhmischen Staatsrechtes außerhalb Prags ist also 1848 nichts oder zumindest nur sehr wenig zu spüren, und lange noch hielten die slawischen Bewohner Mährens an ihrer besonderen Wesensheit fest, „nannten sich hartnäckig ,Mährer' (Moravci) und brachten dem Namen der Tschechen (Böhmen) und dessen Trägern Geringschätzung, ja Abneigung entgegen. Unter den Volkszugehörigen in Schlesien regten sich noch kaum die Anfänge des nationalen Bewußtseins42)." Wenn sich dies änderte, war dies ein Erfolg der tschechischen Propaganda. Mit den im Wenzelsbad am 11. März 1848 gefaßten Beschlüssen hatte der Nationalitätenkampf in Böhmen begonnen und sich durch die vom Wellenschlag des gesamtdeutschen Problems aufgeworfene Frage : Beschickung der Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt a. M. oder nicht, unheilbar vertieft, denn durch die Herstellung eines einigen deutschen Nationalstaates fühlten sich die Tschechen im Lebensnerv ihres völkischen Daseins bedroht. Am 11. April schrieb Palacky an den Präsidenten Soiron seinen berühmten öffentlichen Absagebrief43), der in Windeseile unter den Tschechen verbreitet wurde, mit dem Palacky dem Großteil der Tschechen aus dem Herzen sprach und durch den er über Nacht zu ihrem politischen Führer wurde. Was schon Ende März Karl Havlièek und andere ausgesprochen hatten, war nun von Palacky knapp formuliert, mit historischen Hinweisen untermauert worden. Der Kampf um Frankfurt, oder mit anderen Worten, die Lostrennung der sogenannten Länder der böhmischen Krone aus dem deutschen Verband, hat, so schlecht auch die Wahlen für die Deutsche Nationalversammlung ausfielen44), die Tschechen und 40

) R. S t r i t z k o , Die Genesis S. 212 f. — Β. Β r e t h o l z , Geschichte Böhmens und Mährens IV, S. 91 ff. ) F. J. S c h ο ρ f, Wahre Darstellung 1. Bd., 2. Heft, S. 93 f. " ) A. F i s c h e 1, Panslawismus S. 245. — Im Kremsierer Verfassungsausschuß erklärte am 23. Jänner 1849 der mährische Abgeordnete Mayer, Liechtensteinscher Justitiar und Güterinspektor, „Mähren kenne kein böhmisches, sondern nur ein mährisches Element, welche Ansicht das ganze Land aussprach, als man Mähren in Böhmen aufgehen lassen wollte". (A. S p r i n g e r , Protokolle S. 22.) — Zwei Tage später äußerte sich der schlesische Advokat Hein, „er sei durch den Eroberungsschuß des Abg. Palacky aufgeschreckt. . . Daß Ferdinand gekrönt wurde, und daß Schlesier aus Neugierde dabei waren, entscheide bei ihm auch nichts. Er wisse aber, daß die Antipathien der Schlesier gegen die Czechen sehr groß sind, und daß in Schlesien nur zwei Nationen seien, die deutsche und die slawische, Wasserpolaken genannt. Eine czechische Nation kenne er dort nicht." (Ebd. S. 38.) — Noch 1861 schien es Palacky notwendig, im „Närodni Listy" vom 11. und 16. Jänner in einem Artikel unter dem Titel „Historischer Trödel" den mährischen Standpunkt anzugreifen, das historische Staatsrecht verdiene keine Realisierung und, da der letzte Generallandtag Böhmens, Mährens und Schlesiens 1627 gewesen, sei es als rechtmäßig beseitigt anzusehen. 43 ) Text bei F. J. S c h o p f , Wahre Darstellung 1. Bd., 2. Heft, S. 76—80. — F. P a l a c k y , Gedenkblätter S. 149—155. " ) J. Ρ f i t ζ η e r, Die Wahlen in die Frankfurter Nationalversammlung. Der Verfasser versucht hier, der Beitrag entstand 1942, den unglücklichen Wahlausgang etwas zu beschönigen. In Böhmens Hauptstadt beteiligten sich an der Frankfurter Wahl nur die berühmten drei deutschen Prager. — Vgl. auch D e r s., Zur nationalen Politik S. 220. — Ebenso sind die bei F. J. S c h ο ρ f, Wahre Darstellung wörtlich wiedergegebenen Quellen heranzuziehen, so 2. Heft, S. 112, 113 und 114; 3. Heft, S. 44 f., 46 und 88 ff.; 4. Heft, S. 68 f.; 5. Heft, S. 45 ff. 41

Der Kampf um „Frankfurt"

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die Deutschen geschieden. „Unser Bund ist Österreich", kommentierte die tschechische Presse den Absagebrief. „Hier werden wir natürlich immer die Vormacht behalten, während wir im Deutschen Bund nur ein kleines Anhängsel bleiben müßten45)." Die tschechische Haltung gegenüber Österreich beleuchtet nicht minder der von Karl Havlièek am 17. März in der tschechischen „Prager Zeitung" unter dem Titel „Unsere Fahne" veröffentlichte Aufsatz, in welchem es heißt, Österreich solle ganz aus Deutschland ausscheiden und ein Bundesstaat werden, in welchem das natürliche Übergewicht der Slawen dauernd zur Geltung zu gelangen hätte. Innerhalb dieses Reiches, welches aber einen anderen als den verhaßten Namen „Österreich" annehmen müsse, soll die alte Herrlichkeit der böhmischen Krone wieder aufleben und die zu ihr gehörigen Länder einen engeren Verband mit völliger administrativer Selbständigkeit bilden. — Das gleiche slawische Österreich hat Paul Josef Safarik bei der Beratung der Bundesverfassung auf dem Prager Slawenkongreß vor Augen, wenn er dort erklärte : „Wir Slawen schmachten seit jeher in schwerster Knechtschaft und noch immer werden die Slawen in andere Formen umgegossen. Unsere Völker werden dazu erzogen, als Soldaten der deutschen Ruhmsucht zu dienen. In Madjarien muß der Slowak seine Nationalität verbergen, sein Name ist dort geschändet. Das muß sich ändern. Der Slawe muß gleiche Rechte wie der Deutsche und Madjare besitzen, j a d i e S l a w e n m ü s s e n d i e e r s t e S t e l l e e i n n e h m e n . Wenn sich achtzehn Millionen Slawen für den österreichischen Gesamtstaat schinden und für ihn ihr Blut vergießen, ist es nur geziemend, daß zuerst der Slawenstamm, dann der Deutsche, Madjare und Walache genannt und die österreichischen Völker fortan in dieser Reihenfolge angeführt werden")."

Im gleichen Sinne schrieb am 7. Juni 1848 Karel Havlicek in der „Národní Noviny" : „Die Gleichheit zwischen Tschechen und Deutschen fassen wir nicht so auf, daß den Tschechen und den Deutschen alles zu gleichen Teilen gebührt. Hiedurch würde den Tschechen gegenüber ein großes Unrecht begangen werden, denn im Lande gibt es drei Viertel Tschechen und ein Viertel Deutsche. Unsere Ansicht hierüber ist folgende : Der Tscheche und der Deutsche sollen in Bezug auf ihre Nationalität in Amt und Schule jede Bequemlichkeit haben, aber in jeder anderer Beziehung gebührt uns der Vorrang, weil wir in Böhmen (Cechy!) leben und die Mehrheit bilden4')."

Aus diesen Gründen und aus dieser Gesinnung heraus wurde von den Tschechen das Zustandekommen der Wahlen für das Frankfurter Parlament mit allen Mitteln zu verhindern versucht. Als der Deutschböhme Franz Schuselka in einem Offenen Brief die Tschechen zur Wahl für das Frankfurter Parlament aufforderte, antwortete Havliöek voll beißenden Spottes mit dem berühmten Absagelied an Frankfurt: „Suselka nám pise", dessen erster Vers zu einem geflügelten Wort wurde48). Ein anderes frankfurtfeindliches Lied endete mit dem 4δ

) ) 4 ') 48 )



4

H. R a u ρ a c h, Der tschechische Frühnationalismus S. 109. Nach A. F i s c h e 1, Panslawismus S. 277. Vgl. A. S k e n e , Slavisch-nationale Bewegung S. 125. „Schuselka aus dem Deutschen Reiche schreibt uns, daß wir kommen und den Deutschen helfen wollen, weil sie Bauchweh haben." Die letzte Strophe dieses volkstümlichen, doch recht pöbelhaften Gassenhauers oder Schlagers, wie wir sagen würden, lautete: „Aber Frankfurt wird erschrecken und sein Mützchen abnehmen, wenn erst der tschechische Löwe seine Mähne sträuben und mit dem Schweife schlagen wird." Eine zeitgenössische, deutschböhmische Umdichtung bei H. L a d e s, Die Tschechen S. 115. — Über die Person Schuselkas, der nach 1850 ebenfalls immer deutlicher zum Föderalismus abschwenkte, vgl. W. Κ o s c h, Franz Schuselka. — P. M o 1 i s c h, Geschichte d. deutschnationalen Bewegung S. 34 f. — Κ. H u g e 1 m a η η, Franz Schuselka. — F. E n g e l -

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II. Der Ausbruch der nationalen Gegensätze im Revolutions)ahr 1848/49

blutrünstigen Kehrreim: „Hr na Nëmce, hr na vroha, na Frankfurt Praha". Am Lande erklärten Agitatoren, ein „Herr Frankfurt" bedrohe das tschechische Volk und wolle den braven Kaiser Ferdinand absetzen, und die Bauern wurden mit gleichen Behauptungen hintergangen, sie müßten mehr Steuern zahlen und evangelisch werden, wenn sie für Frankfurt wählen würden49). Um der Frankfurter Nationalversammlung eine Opposition entgegenzustellen50), aber auch im Hinblick auf die Bestrebungen der Magyaren, wurde nach Prag ein Slawenkongreß einberufen, der am 2. Juni feierlich eröffnet wurde. Nach dem Wunsche Palackys, der zum Vorsitzenden gewählt wurde51), sollte das österreichische Gepräge der Veranstaltung entschieden festgehalten werden, doch brachte der Anarchist und Erzrevolutionär Michail Bakunin auch andere Töne in den Kongreß hinein52). Das provisorische Zentralkomitee hatte das Verhandlungsprogramm festgelegt, zu dessen bedeutendsten politischen Punkten die Fragen gehörten, ob und unter welchen Bedingungen die Slawen der österreichischen Monarchie die Neugestaltung des österreichischen Bundesstaates wollten; ob die Beschlüsse des Frankfurter Parlaments für irgendeinen Teil des slawischen Österreich Rechtsgültigkeit hätten, und wenn nicht, in welcher Weise dagegen von den Slawen Protest einzulegen sei53) ; und ob schließlich die als gemeinsam geltenden Beschlüsse der Versammlung durch eine eigene Abordnung vor den Kaiser zu bringen seien. Während des Slawenkongresses übertrumpften die gesamtslawischen Farben Blau-Weiß-Rot das deutsche Schwarz-Rot-Gold in Prag54), feierte der serbische

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J a η o s i (Kaiser Josef II. i. d. Wien. Bewegung S. 66) nennt Schuselka „ein bezeichnendes Beispiel für die politischen Literaten des Vormärz" und den „wohl fruchtbarsten Broschürenverfasser in der österreichischen Frage". Stenographischer Bericht der Nationalversammlung I, S. 119 f. vom 6. Juni, und S. 212 ff. vom 25. Juni 1848. So heißt es im Aufruf zum Slawenkongreß: „Die Nationen Europas verständigen und einigen sich; die Deutschen beriefen zu ihrer Vereinigung nach Frankfurt ein Parlament, welches darauf dringt, daß ihm Österreich von seiner Unabhängigkeit so viel abtrete, als zur Einheit Deutschlands notwendig ist ; es verlangt, daß Österreich mit Ausnahme Ungarns dem deutschen Reiche einverleibt werde. Ein solcher Schritt würde die Einheit Österreichs nicht bloß zerstören, sondern auch die V e r e i n i g u n g u n d U n a b h ä n g i g k e i t d e r s l a w i s c h e n S t ä m m e verhindern, wodurch ihrer Nationalität Gefahr drohen würde. An uns liegt es, daß wir das, was für uns das Heiligste ist, wacker verteidigen; es kam endlich die Zeit, daß auch wir Slawen uns verständigen und unsere Absichten vereinigen."— Abweichender Text bei F. J. S c h o p f , Wahre Darstellung 2. Heft, S. 124 f. An Adeligen hatten den Aufruf mitunterfertigt : Josef Math. Graf Thun, Albert Graf Deym, Johann Ritter von Neuberg, Georg Fürst Lubomirski, Vinzenz Graf Waldstein-Wartemberg, HanuS Graf Kolowrat-Krakowsky, Friedrich Graf Rummerskirch, Karl Maria Baron Villani und Robert Freiherr von Hildprandt. Wortlaut seiner Eröffnungsrede bei F. J. S c h ο ρ f, Wahre Darstellung 5. Heft, S. 66 ff. A. F i s c h e 1, Der Panslawismus S. 264 ff. — Reiches Quellenmaterial bietet auch dafür F. J. S c h o p f (Wahre Darstellung 5. Heft, S. 51—57), vor allem die Geschäftsordnung und das Programm der zu verhandelnden Gegenstände. Gegen diesen Passus erhob sich in Frankfurt am 14. Juni ein „wahrer Sturm", und nur die Erwägung, daß ja noch nicht feststehe, ob die Vorlage im verneinenden Sinne angenommen werde, verhinderte einen Protest. (Stenogr. Bericht I, S. 237—243; ebenso Sitzung vom 3. Juli, S. 661—677.) Schon am 10. und 11. April waren mehrere Deutsche, die das deutsche schwarzrotgoldene Abzeichen in Bändern oder Kokarden trugen, öffentlich beleidigt und die deutschen Farben beschimpft worden. Der Ausschuß der Deutschen legte entrüstet beim Nationalkomitee

Der Prager Slawenkongreß

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Erzpriester P. Stamatowitsch aus Neusatz auf einem der großen Plätze Prags den Gottesdienst nach griechisch-orthodoxem Brauch in kirchenslawischer Sprache. D e r Kongreß selbst aber ging vorzeitig zu Ende durch den von radikalen Arbeitern u n d Studenten ohne Vorbereitung inszenierten, unpopulären Prager Pfingstaufstand, den Alfred Fürst zu Windischgrätz als kommandierender General von B ö h m e n rasch unterdrückte. Windischgrätz fegte die unter Ausnützung der Spannung zwischen d e m H o f e u n d der Wiener Bevölkerung am 29. Mai v o m Grafen L e o T h u n aus den Vertretern des Prager Nationalausschusses kraft eigener Machtvollkommenheit gebildete provisorische böhmische Regierung 5 5 ) u n d den Nationalausschuß samt d e m Grafen Thun 5 6 ) hinweg, verhängte den Belagerungszustand u n d löste die tschechischen Kampfvereine auf 5 '). Eine VerBeschwerde ein und forderte dieses auf, „durch die ihm zu Gebote stehenden Mittel zur Kenntnis des tschechischen Volkes zu bringen, daß das Tragen der deutschen Farben keinerlei Demonstration gegen das uns verbrüderte Volk der Tschechen, keine Lossagung vom gemeinsamen Vaterland, sondern lediglich die Kundgebung einer Nationalität beabsichtige, deren gleiche Berechtigung durch das Wort des Landesfürsten sanktioniert wurde". Sehr bezeichnend ist die Antwort des Nationalausschusses, der das Ersuchen stellte, nur die böhmischen Farben Rot-Weiß „als ein politisches konstitutionelles Abzeichen für das ganze Königreich Böhmen" zu tragen, indem das Tragen eines „bloß nationalen Abzeichens" eine Teilung zwischen den Bewohnern Böhmens „zwar anfangs nur markieren würde, welche Teilung aber sehr leicht in eine wirkliche entsetzliche Spaltung übergehen könnte". (F. J. S c h o p f , Wahre Darstellung 2. Heft, S. 81 f.; S. 86 ff.; S. 89.) Graf Josef Math. Thun allerdings erklärte als Sprecher des Prager Nationalausschusses deutschen Vertretern aus Saaz, „daß derjenige einen Verrat am Vaterlande begehe, welcher die deutschen Farben trage, oder die drei-farbige Fahne ausstecke", worauf am 25. April der Ausschuß des deutschen Vereins aus dem Nationalausschuß austrat. (Ebd. 2. Heft, S. 118.) M ) Unter dem Vorwand, durch die Wiener Ereignisse besitze das interimistische Ministerium nicht mehr die nötige Unabhängigkeit, gab Leo Graf Thun als Gubernial-Präsident dem Drängen des Nationalausschusses nach und bildete am 30. März eine provisorische Regierung, der selbstverständlich Palacky und sein späterer Schwiegersohn Rieger, weiters Graf Albert Nostitz, Graf Wilhelm Wurmbrand u. a. angehörten. ( S c h o p f , Wahre Darstellung 4. Heft, S. 87.) Das Wiener Ministerium verwahrte sich, da es die separatistischen Absichten Prags durchschaute, sofort beim Kaiser gegen diesen illegalen Schritt, mit dem Antrag, diesen für null und nichtig zu erklären. (Ebd. 5. Heft, S. 64 f.) Die Rechtfertigung Leo Thuns (ebd. 5. Heft, S. 72 f.) stand auf recht schwachen Beinen. Am 29. Juni mußte er die Auflösung der provisorischen Regierung kundmachen. (Ebd. 6. Heft, S. 139 f.) 56 ) Die Auflösung des Nationalausschusses erfolgte am 25. Juni. (F. J. S c h o p f , Wahre Darstellung 6. Heft, S. 134.) — Leo Graf Thun, vorher Gubemialrat in Galizien, im April 1848 als Nachfolger des Oberstburggrafen Rudolph Graf Stadion zum böhmischen Gubernial-Präsidenten ernannt, war von den Tschechen als ein günstiges Vorzeichen zur Realisierung ihrer Pläne bei seinem Amtsantritt herzlich begrüßt worden, da er schon in seiner Jugend Sympathien für das Tschechentum geäußert hatte. Die Regierung glaubte „durch die Ernennung eines bekannten Tschechen" einen glücklichen Griff gemacht zu haben. Aber am 17. Juli schon wurde er ohne Angabe von Gründen enthoben. Am 25. Juli protestierte er dagegen brieflich beim Minister des Innern, Baron A. Doblhoff, der jedoch sehr kurz antwortete. Den Briefwechsel veröffentlichte Thun in der „Prager Zeitung", die in einem ausführlichen Kommentar selbstverständlich sich auf dessen Seite stellte. (Text bei F. J. S c h o p f , Wahre Darstellung 6. Heft, S. 163, 170—177.) In einem Aufruf fühlte er sich verpflichtet, sich vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. 5 ') So vor allem den Verein „Lipa Slowanska" (Slawische Linde), der gegründet wurde, um darüber zu wachen, daß die Gleichstellung beider Nationalitäten in Schule und Amt realisiert werde, daß sich Böhmen, Mähren und Schlesien zur Wahrung ihrer Selbständigkeit eng verbinden, „besonders gegen den Andrang des deutschen Völkerbundes", daß das politische Bewußtsein vom slawischen Standpunkt aus geweckt und befestigt und der

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Π. Der Ausbruch der nationalen Gegensätze im Revolutions)ahr 1848/49

bindung zwischen den radikalen Elementen und den Führern des Slawenkongresses hatte zwar nicht bestanden, doch mußte dieser vertagt werden, ohne jemals wieder einberufen zu werden. Das beratungsmäßige Ergebnis des Kongresses war bescheiden. Nur die Proklamation an die Völker Europas konnte vom Plenum geschäftsordnungsgemäß als Beschluß kundgemacht werden. Drei Resolutionen, eine Petition an den Kaiser und ein Manifest an die slawische Welt waren zwar ausgearbeitet worden58), konnten aber durch die Pfingstunruhen von der Vollversammlung nicht mehr genehmigt werden. Nicht geeinigt hatte sich der Kongreß, der, um den Schwierigkeiten der sprachlichen Verständigung zu entgehen59), in einzelnen, nach den Hauptnationen eingeteilten Sektionen gearbeitet hatte, „ob man den Kaiser um den Zusammenschluß auf Grund der historischen Grenzen der einzelnen Königreiche und Provinzen oder um eine Vereinigung gemäß dem verschiedenen sprachlichen und ethnographischen Charakter der Bevölkerung ersuchen sollte". Dieses Problem allerdings wurde weder damals noch irgendwann seitdem gelöst60). Trotzdem ist der beim Slawenkongreß vorbereitete Adreßentwurf an den Kaiser von Interesse, da er zeigt, wie die Slawen sich die Auseinandersetzung des Kaisertums mit der Nationalitätsidee dachten. Sie gingen von der Feststellung aus, daß Österreichs Großmacht auf der freien Entwicklung seiner einzelnen, insbesondere aber der vom gestürzten Metternichschen System „tief verletzten slawischen Nationalität" beruhe. Nur die Gleichberechtigung der verschiedenen Völker sei das hauptsächlichste Mittel zur Wiedergeburt Österreichs, das in einen Föderativstaat, in einen Bund gleichberechtigter Nationen umgewandelt werden sollte. Abgesehen von diesen allgemeinen Hinweisen bietet der Adreßentwurf keinen konkreten Plan für einen einheitlichen Lösungsversuch, sondern lediglich einen Katalog der Wünsche der slawischen Völker in Österreich. Die Nationalitätenfrage sollte in den einzelnen Provinzen verschieden behandelt werden, und in diesem, aus der schwierigen Zwangslage sich ergebenden Punkt erinnert das 51 Jahre später erlassene nationale Pfingstprogramm der Deutschen von 1899 an den Adreßentwurf des Slawenkongresses von 1848. Dieser gedachte „Bund gleichberechtigter Nationen" sah zwar die Vereinigung aller Slowenen, die Steiermark, Kärnten, Krain und das Litorale bewohnten, in einem Königreich Slowenien mit Sitz der Regierung und einer Universität in Laibach vor, keineswegs aber etwa eine nationale Trennung Böhmens, denn alle slawischen Volksstämme bis auf die Slowenen und die Ruthenen hatten die historischen Provinzen als Raum ihrer Nationalität anerkannt. Keine Lösung materielle Wohlstand der Slawen gehoben werde und daß es zu einem geistigen, kulturellen und wirtschaftlichen Verband aller slawischen Völker in Österreich komme. (Vgl. dazu F. J. S c h o p f , Wahre Darstellung 4. Heft, S. 81 f.) 5e ) Texte bei F. J. S c h ο ρ f, Wahre Darstellung 5. Heft, S. 92—99. i9 ) F. K o p p , Die Ereignisse der Pfingstwoche. — F. J. S c h o p f (Wahre Darstellung 4. Heft, S. 26) berichtet allerdings: „Der Verfasser, welcher die verschiedenen slawischen Stämme in ihren Wohnorten besuchte, hat überall einen Sprachunterschied, zuweilen einen gewaltigen, gefunden . . . Nicht einmal die österreichischen Slowenen haben eine und dieselbe Mundart; der Steiermärker drückt sich anders aus, als der Kärntner, und der Letztere wieder anders als der Krainer. Es wird daher auf dem Kongresse eine Verständigung zwischen den Slawen so verschiedener Mundart sehr schwer werden, und mir kommt ein Kongreß, aus solchen Elementen zusammengesetzt, wie das Ende des Turmbaues von Babel vor." — Vgl. dazu auch Α. Η. Β o e m u s, Der tschechische Panslawismus 1848. «Ό H. Κ o h η, Die Slawen und der Westen S. 83.

Der Prager Slawenkongreß

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hatte der Slawenkongreß gerade für das ruthenische Problem, das doch ein rein slawisches war, sowie für das Problem des kleinen Herzogtums Teschen gefunden; ebenso war die Frage der beiden Nationalitäten Böhmens nicht geklärt worden, obwohl die zwischen Tschechen und Deutschen bestehenden offenkundigen Spannungen, die auch durch Versöhnungsfeiern61) nicht überbrückt werden konnten, einen raschen und befriedigenden Ausgleich erheischt hätten, wodurch auch viel späteres Unheil verhindert worden wäre. Zwar suchten die führenden Tschechen des Prager Nationalausschusses propagandistisch von der Gedanken- und Vorstellungswelt auszugehen, daß es eine Deutsche und Tschechen umfassende böhmische Nation gäbe. Friedrich Graf Deym behauptete am 30. April, als er eine Erklärung über seinen Austritt aus dem Nationalausschuß abgab, er „kenne nur ein Vaterland, e s h e i ß t B ö h m e n , d o r t n u r e i n V o l k , d a s h e i ß t d a s b ö h m i s c h e , nur einen Staat, er heißt Österreich"62). Der Austritt Deyms aber erfolgte gerade deshalb, weil die tschechische Mehrheit Widerstand gegen die Wahlen nach Frankfurt leistete und so faktisch durch ihre Handlungen letztlich Böhmen, „das Vaterland in zwei Teile, das Volk in zwei Nationalitäten" spaltete und die Großmacht Österreich „durch der Provinzen Sonderinteressen" zersplitterte. „Mit der ganzen Kraft" seiner Überzeugung stellte Deym fest: „Wer vor allem Deutscher ist, wer vor allem Tscheche oder Slawe ist, ist kein Böhme." So geringfügig das unmittelbare Ergebnis des Slawenkongresses, gemessen an den beabsichtigten und dann tatsächlich erlassenen Proklamationen war, so bedeutungsvoll, ja epochal war er als stolze Heerschau der slawischen Völker, die sich, da sie das Banner des Panslawismus zum ersten Male offen entrollten, des ungeheuren Fortschrittes, der in ihnen wohnenden Kraft bewußt worden waren. Damals begann „die Lehre von der politischen Solidarität aller Zweige der Slawenfamilie" Glaubenssatz zu werden63). So hatte nicht mit Unrecht der Prager Slawenkongreß bei der Frankfurter Nationalversammlung größte Besorgnis erregt. Um die anderen Nationalitäten zu beruhigen, daß das deutsche Einigungswerk nicht auf ihre Unterdrückung hinzielt, stellte noch vor Beginn des Prager Kongresses am 27. Mai 1848 in der Paulskirche der steirische Abgeordnete Titus Mareck64) aus dem heute zu Jugoslawien gehörigen Lichtenwald den Antrag, Deutschland solle hiermit feierlich erklären, daß es zur Unterdrückung irgendeiner Nationalität nie die Hand bieten werde; daß allen jenen Staatsbürgern eines mit Deutschland verbundenen Staates, welche nicht zum deutschen Volksstamm gehören, alle Rechte der deutschen Staatsbürger zukommen und ihnen die Aufrechterhaltung und Achtung ihrer Nationalität garantiert sei und daß, drittens, die deutsche Sprache zwar Staatssprache sei, jedoch in jenen Kreisen, wo der größte Teil eine andere Sprache als die deutsche spricht, diese andere Sprache sowohl in Kommunalangelegenheiten, im Unterrichtswesen wie auch als Gerichtssprache eingeführt werden solle. Obwohl dieser Antrag in der Formulierung sl

) Einladung zur Versöhnungsfeier am 25. Mai 1848 bei F. J. S c h o p f , Wahre Darstellung 4. Heft, S. 72 f. e2 ) F. J. S c h ο ρ f, Wahre Darstellung 4. Heft, S. 67. — Eine heftige Antwort am 24. Mai. Ebd. S. 75—78. ") A. F i s c h e 1, Der Panslawismus S. 290. M ) H. Ν i e b o u r, Die Abgeordneten Steiermarks S. 255. — Mareck, der auch den Antrag stellte, alle deutschen Fürsten aufzufordern, für sich und ihre Nachfolger den betreffenden Regierungen zu entsagen und dann aus den Reihen der abgetretenen Fürsten das Reichshaupt zu wählen, erfreute sich in der Nationalversammlung großer Beliebtheit.

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des greisen Christoph Dahlmann ohne weitere Diskussion schon am 31. Mai fast einstimmig zum Beschluß erhoben wurde65), wirft Hermann Münch66) den Abgeordneten des Fünfzigerausschusses vor, eine Sprache geführt zu haben, „welche für die Ohren des tschechischen Volkes nicht wohlklingend war". Münch aber verschweigt, wie sehr sich Frankfurt um Böhmen bemühte, daß sich einige Frankfurter Abgeordnete persönlich nach Prag begaben, um dort vom 29. April bis 5. Mai mit dem Nationalausschuß zu verhandeln67), er verschweigt weiters, welche Worte die Tschechen in den vom Landespräsidenten Graf Stadion verbotenen „Pamphleten aufrührerischen Inhalts" gebrauchten und daß schließlich die Tschechen zwei Tage nach dem Verbrüderungsfest in eine deutsche Versammlung mit dem Ausruf eindrangen: „Haben wir euch einmal beisammen, ihr deutschen Hunde"68). Daneben spielte sich in Frankfurt der innere Zwiespalt ab69), ob Österreich zugunsten der nationalen Idee aufzugeben sei, ob es durch eine entsprechende Staatsform deutsches Bundesland würde und zugleich österreichischer Gliederstaat bleiben könnte, oder ob Gesamtösterreich deutsches Bundesland werden solle. Graf Friedrich Deym, der mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit für einen Staatenbund mit Österreich eintrat, hat sich in Frankfurt gegen eine Zertrümmerung Österreichs gewehrt und am 26. Oktober 1848 erklärt70): 65

) Stenogr. Bericht I, S. 118 f. (Antrag Mareck) und I,S. 183 (Beschluß): „Die Verfassungsgebende deutsche Nationalversammlung erklärt feierlich : daß sie im vollen Maaße das Recht anerkenne, welches die nichtdeutschen Volksstämme auf deutschem Bundesboden haben, den Weg ihrer volksthümlichen Entwickelung ungehindert zu gehen, und in Hinsicht a u f d a s K i r c h e n w e s e n , den U n t e r r i c h t , die L i t e r a t u r und die i n n e r e V e r w a l t u n g und Rechtspflege sich der G l e i c h b e r e c h t i g u n g i h r e r S p r a c h e , so weit deren Gebiete reichen, zu erfreuen, wie es sich denn auch von selbst verstehe, daß jedes der Rechte, welche die im Bau begriffene Gesammtverfassung dem deutschen Volk gewährleisten wird, ihnen gleichmäßig zusteht. Das fortan einige und freie Deutschland ist groß und mächtig genug, um den in seinem Schooße erwachsenen andersredenden Stämmen eifersuchtslos in vollem Maaße gewähren zu können, was Natur und Geschichte ihnen zuspricht ; und niemals soll auf seinem Boden weder der Slave, noch der dänisch redende Nordschleswiger, noch der italienisch redende Bewohner Süddeutschlands, noch wer sonst, uns angehörig, in fremder Zunge spricht, zu klagen haben, daß ihm seine Stammesart verkümmert werde, oder die deutsche Bruderhand sich ihm entziehe, wo es gilt." 66 ) Böhmische Tragödie S. 185 f. " ) Protokoll der Konferenz bei F. J. S e h ο ρ f, Wahre Darstellung 3. Heft, S. 46—54. ββ ) Β. Β r e t h o 1 ζ, Geschichte Böhmens und Mährens IV, S. 100. " ) F. H a u p t m a n n , Die staatsrechtlichen Bestrebungen S. 39—51. — W. S c h ü s s l e r , Die nationale Politik. — F. H. D e y m, Graf Friedrich Deym S. 65. 70 ) Stenogr. Bericht S. 2882. — Ähnlich Karl Giskra am 13. Jänner 1849 (Stenogr. Bericht S. 4660): „Am liebsten wäre es mir, und alle Schwierigkeiten schwänden allsogleich, wenn es gelänge, ganz Österreich ins Deutsche Reich hineinzunehmen. Thür und Thore weit zu öffnen, daß es hereinkommt in all seiner großen Mannigfaltigkeit und Herrlichkeit. Das wünschte ich, wenn es auf mich ankäme, und ganz Deutschland fände reichen Vortheil. Dann könnte sich ungehindert der Culturstrom hinübergießen nach dem Osten; dann hätten wir die Küsten von Istrien und Dalmatien mit ihrem Schiffsholz und tüchtigen Matrosen, dann folgte das Nahrücken an die so oft bemitleideten Deutschen in Ungarn und Siebenbürgen, und der Zweig der deutschen Civilisation wüchse rasch zum starken Stamme ; dann hätten Sie die weiten ungarischen Gefilde geöffnet für die deutschen Bauern, die sonst über den Ocean gehen müssen, und diese könnten dort unter dem Schutze deutschen Rechtes, deutscher Freiheit, dem reichen Boden tausendfältige Früchte abgewinnen, den süßen Wein ziehen, dem Nachbar-Fabrikanten rohen Stoff bieten, und guten Markt

Der österreichische Reichstag 1848/49

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„Das deutsche Werk eines Jahrtausends wollen sie opfern, wollen sie hingeben, u m ein System auszuführen, bloß um die Façade Ihres Gebäudes ganz regelrecht zu machen, werfen Sie einen der edelsten Teile deutscher Errungenschaften gleichgiltig hin, als wären fast 30 Millionen uns eng verbundener Menschen für Deutschland ohne Wert. Ich kann mir unmöglich Das, was Fleisch und Blut geworden ist, was innig zusammengewachsen ist, durch ein Decret als getrennt vorstellen . . . Das was Leben hat, muß lebendig bleiben; weder können wir einen Selbstmord, eine Verstümmelung zumuthen, noch sollen wir Deutschland den Rat geben, sich selbst zu verkleinern."

Inzwischen hatten die Wiener Maiereignisse des Jahres 1848 die Aufhebung der Pillersdorfschen Aprilverfassung und die Einberufung eines österreichischen Reichstages erzwungen, der am 22. Juli in Wien von Erzherzog Johann als Vertreter des Kaisers eröffnet wurde und dessen wichtigste Aufgabe sein sollte, Österreich eine Konstitution zu geben. Beherrscht hat den Reichstag allerdings die Nationalitätenfrage, gleichgültig ob der Antrag Kudlichs, die Geschäftsordnung, die Finanzen, die Grundrechte oder harmlose Interpellationen zur Verhandlung standen. Schon bei der vorbereitenden Sitzung am 12. Juli kam es zum Zusammenprall, als die Frage, in welcher Sprache verhandelt werden könnte, im Sinne einer deutschen Geschäftssprache gelöst werden sollte, um durch Übersetzungen den Geschäftsgang nicht unverantwortlich zu erschweren. Ebenso verkündete am 11. September Franz Ladislaus Rieger, Palackys späterer Schwiegersohn, unter großem Beifall: „Ich verwahre mich aber nochmals feierlichst gegen die Behauptung, daß es eine Staatssprache gebe und je geben könne, ich werde ein solches Privilegium einer Nation nie anerkennen71)." Die Sprachenfrage ist hier bereits zur Nationalitätenfrage geworden, und so ist die deutsche Sprache, obwohl in ihr verhandelt wurde, formell nicht als Verhandlungssprache des Reichstages anerkannt worden. Das „Konstitutionelle Blatt für Böhmen" schrieb am 19. Dezember 1848, wer die Verhandlungen im Reichstag über die Sprachenfrage erlebt habe, der müsse wahrlich zu der Ansicht gelangen, daß im Saale keine Parteien saßen, sondern Linguisten, und daß zwischen Deutschtum und Slawentum die österreichischen Staatsbürger mit ihren Rechten und Freiheiten zu Boden fielen. Weil die Sprachenbestrebungen nur dem einseitigen Hervorkehren der Nationalitäten dienten, hat Franz Grillparzer sich gegen sie gestellt, und das aus dem Jahre 1849 stammende, in Form eines Fabelepigramms niedergeschriebene Gedicht „Sprachenkampf" ist ein beredtes Zeitdem edlen Staate darbieten; dann hätten Sie das ganze große Österreich mit seinen metallreichen Bergen und seinen Schiffe tragenden Flüssen; dann böten Polens Wälder deutschen Schiffen Holz, die auf dem Dniester nach dem Pontus zögen; dann hätten wir den ,Keil und den Hammer' zugleich, um mit den Ruthenen zwischen Nord- und Südslaven hineinzudrängen, und an des schwarzen Meeres Küsten das deutsche Banner zu entfalten (Stürmisches Bravo auf mehreren Seiten). — Das sei ein monstrum horrendum ingens, sagte Herr von Vincke! Freilich wohl wäre es ein Monstrum für jene kleinliche Auffassung, die ein Drittheil von Deutschland weggeschnitten wissen will; ich nenne es vielmehr eine monströse Verunstaltung von Deutschland, Böhmen, Mähren, Steyermark, Kärnthen. Krain und Istrien bis an die adriatische Küste wegzureißen von dem alten Mutterlande." 71 ) Verhandlungen des österr. Reichstages 2, S. 329. — Im Gegensatz dazu die Wiener Zeitung vom 20. Juli 1848 (Sprachenwirren auf dem constituierenden Reichstage und ihre Lösung): „Wir unsererseits hätten durchaus keine ungerechte Beschränkung der Wahlfreiheit darin gesehen, wenn die Kenntniß der Deutschen Sprache als Bedingung der Wählbarkeit zum Delegierten aufgenommen worden wäre . . . Wir wollen jedoch keineswegs übersehen, daß

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Π. Der Ausbruch der nationalen Gegensätze im Revolutionsjahr 1848/49

dokument72). Grillparzer sprach auch von einer herrschenden „Influenza" der Nationalitäten, und er hat den Nationalismus bekämpft, auch den der Deutschen. Dies nachträglich um der sogenannten „nationalen Ehre" des Dichters willen zu leugnen oder zu beschönigen73), ist nicht notwendig. Grillparzer nennt es in seiner „Selbstbiographie" ein Unglück für Österreich, in seinem Länderkomplex zwei der eitelsten Nationen dieser Erde einzuschließen, die Böhmen nämlich und die Ungarn. Er spricht aber auch von der „deutschen Albernheit", durch die deutsche Literatur einen ganz neuen Nationalcharakter „anbilden" zu wollen. Die Tschechen und Ungarn „dünkten sich originell in der Nachahmung und erzeugten jene Ideenverwirrung, die im Jahre 1848 sich so blutig Bahn gebrochen hat. Sie vergaßen dabei. . ., daß ein Volksstamm kein Volk sowie ein Idiom oder Dialekt keine Sprache ist, und wer nicht allein stehen kann, sich anschließen muß." Friedrich Kainz warf 1940 Franz Grillparzer vor, er sei „keineswegs auf der Höhe der Zeitansichten" gestanden, „weder politisch noch sprachtheoretisch", was schon sein Ausspruch lehre, die besonnenen Tschechen wüßten, „daß die Sprache allerdings ein hohes Gut des Menschen ist, daß aber sein Wert in dem besteht, was er denkt und will, nicht in den Lauten, in denen er beides ausdrückt". Kainz fährt fort: „Ein schärferer politischer Blick hätte ihm zeigen können, daß die von der deutschen Romantik ins Leben gerufenen Kräfte des nationalen Selbstbewußtseins und der völkischen Aktivität diejenige Macht darstellten, der die politische Zukunft der Folgezeit gehörte. Und was die Verschiedenheit der Sprachen anbelangt, so hätte ihn schon die romantische Sprachphilosophie darüber belehren können, daß die einzelnen Sprachen nicht nur in der Lautform und der äußeren Beschaffenheit ihrer akustisch-graphischen Begriffszeichen auseinandergehen, sondern daß hier nationalcharakterologisch verschiedene geistige Einstellungen zur Welt schöpferisch zur Geltung kommen. Hier haben wir die politischen Auswirkungen eines Fehlers, in den Grillparzers Sprachentheorie mehrfach verfällt." Kainz übersah, daß Grillparzer das Problem tiefer faßte und daß der „Weg der neueren Bildung" eben doch „von Humanität durch Nationalität zur Bestialität" geführt hat. In der vom Erzherzog-Reichsverweser am 22. Juli im Reichstag verlesenen Thronrede hieß es, daß alle Nationen der österreichischen Monarchie dem Herzen Seiner Majestät gleich nahestehen und „in der freien Verbrüderung derselben, die Aufnahme einer solchen Bestimmung vielleicht von den theilweise auf ihre Nationalität so eifersüchtigen und trennungssüchtigen Slavischen Partheihäuptern als Verstoß gegen die vielberegte Gleichberechtigung, als ungerechte Bevorzugung des Deutschen Elementes verschrien, oder gar als gelegener Vorwand zur Nichtbeschickung des Reichstages ausgebeutet worden wäre." — Vgl. auch P. Μ o 1 i s c h, Die polit. Ideen im ersten österr. Reichstag. 72 ) „Zu Äsops Zeiten sprachen die Tiere, Die Bildung der Menschen ward so die ihre, Da fiel ihnen aber mit einmal ein, Die Stammesart sollte das Höchste sein. ,Ich will wieder brummensprach der Bär, Zu heulen war des Wolfs Begehr, ,Mich lüstets, zu blocken', sagte das Schaf, Nur einer, der bellt, schien dem Hunde brav. Da wurden allmählich sie wieder Tiere Und ihre Bildung der Bestien ihre." 7S

) F. K a i n z ,

(Sämtliche Werke I. Abt., 11. Bd., S. 218.) Grillparzers Stellung HZ 161, 1940, S. 498—531 (Folgendes S. 512f.).

Der Kremsierer Verfassungsentwurf

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in der vollen Gleichberechtigung aller, sowie in dem innigen Verbände mit Deutschland" alle Interessen eine feste Grundlage finden. „Die volle Gleichberechtigung aller Nationalitäten" wurde im Reichstag zum stets wiederholten und schließlich leergedroschenen Schlagwort. Eifersüchtig und mißtrauisch wurde über seine Erfüllung gewacht und so manche Verständigung erschwert. Dennoch wurde unter dem Druck der politischen Verhältnisse, nachdem bereits im August 1848 ein dreißigköpfiger Verfassungsausschuß zusammengetreten war, um aus sich einen Dreierausschuß zur Entwerfung der Grundrechte und einen Fünferausschuß zur Beratung der übrigen Teile der Verfassung zu wählen, schließlich in Kremsier, wohin der Reichstag inzwischen übersiedelt war und wo er am 22. November seine Tätigkeit wieder aufnahm, eine Verfassung geschaffen. Zu einer Beschlußfassung kam es, mit Ausnahme der ersten 15 der insgesamt 29 Paragraphen der Grundrechte, die vom § 7 bis § 32 in die Konstitutionsurkunde eingebaut werden sollten74), durch die am 7. März erfolgte Auflösung des Reichstages allerdings nicht mehr. Im Plenum des am 22. Jänner 1849 in Kremsier zusammengetretenen Verfassungsausschusses75) waren sich Nationalitäten und Parteien scharf gegenübergestanden, doch hatte sich, als nach Palackys Ausscheiden die Atmosphäre ruhiger geworden war, die allmähliche Besonnenheit durchzusetzen begonnen. Zur Kardinalfrage war der Streit geworden, ob die selbständigen Kronländer oder Provinzen nach dem historischen oder nach dem nationalen Prinzip gebildet werden sollten. Es gab fast ebenso viele Meinungen als Abgeordnete, weil die ideale Lösung der Nationalitätenfrage auf diese Weise nicht gleichmäßig für alle Provinzen und Reichsteile gefunden werden konnte, weswegen ja schon am Prager Slawenkongreß die Wünsche der verschiedenen slawischen Stämme in Österreich in der beabsichtigten Adresse an den Kaiser lediglich aneinandergereiht aufgezählt worden waren. Dabei waren es besonders die Tschechen, die nach dem Vorbild der Magyaren die Monarchie in möglichst selbständige Staaten auf der Grundlage des geschichtlichen Rechtes gliedern wollten. Bereits am 26. Juli 1848 aber hatte ein deutschböhmischer Abgeordneter, der Arzt Doktor Ludwig von Löhner76), der als Führer nicht nur der Deutschböhmen, sondern der ganzen deutschdemokratischen Linken des Wiener Reichstages angesehen werden kann, im Reichstag einen Antrag gerade entgegengesetzter Richtung eingebracht. Um einer Bedrohung der völkischen Minderheit durch die Hauptnation innerhalb eines historischen Gliederstaates vorzubeugen, verlangte er den demokratischen Föderalismus der Nationalitäten, also die Einteilung Österreichs in national und sprachlich abgerundete Staaten. Als Abgeordneter für Saaz legte T4

) Ε. Β e r η a t ζ i k, Österr. Verfassungsgesetze S. 115—145. — Zur Beurteilung des Verfassungswerkes J. R e d l i c h , österr. Staats- und Reichsproblem I, S. 221—323. — P. G e i s t - L á n y i , Nationalitätenproblem. — A. N o v o t n y , 1848, S. 118. — A. S p r i n g e r , Geschichte Österreichs seit 1809 II, S. 614—629. ") Protokolle des Verfassungsausschusses. — J. R e d l i c h , Das Originalprotokoll des Verfassungsausschusses. — Vgl. dazu auch H. K a u d e i k a, Die tschechische Frage. — Α. Η. Β o e m u s, Entwicklung des tschechischen staatsrechtlichen Programmes. — R. W i e r e r, Palackys staatsrechtliches Programm. 7β ) Α. Η. S p r i n g e r , Ostreich nach der Revolution S. 31, schreibt von den Mitgliedern der Linken nur Löhner und Schuselka eine politische Bedeutung zu. „Löhner war durch sein Rednertalent, seine vielseitige Bildung und vor allem durch seine rastlose Energie zu einer hervorragenden Stellung in der Kammer berufen und hatte auch dieselbe gleich nach den ersten Sitzungen errungen, . . ."

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er dem Wiener Verein der „Deutschen in Österreich" und im August 1848 dem Teplitzer Kongreß der Vertrauensmänner deutscher Gemeinden und Vereine seinen die Aufteilung Österreichs in nationale Reichskreise77) betreffenden Plan vor, der mit Mehrheit gebilligt wurde. Am 18. November führte Löhner, der übrigens nicht dem Verfassungsausschuß angehörte, seinen in Hinblick auf Frankfurt abgefaßten Plan des „nationalen Föderalismus" näher aus. „Allen Volksstämmen sei innerhalb ihrer Wohnsitze die volle Autonomie einzuräumen, da nur auf diese Weise das gleiche Recht aller verwirklicht und die Herrschaft des einen über den anderen beseitigt werden könne. Die historisch gewordenen Ländergrenzen dürfen kein Hindernis auf diesem Weg sein. Es seien daher nur Kronländer oder Nationsgebiete nach den Sprachengrenzen zu bilden und innerhalb dieser wäre die betreifende Sprache als ausschließliche Geschäfts- und Unterrichtssprache einzuführen." Für Österreich ohne Ungarn sah er so fünf ethnographische Gruppen vor, und zwar Deutsch-Österreich (die Erzherzogtümer, Nordtirol, die deutschen Teile Steiermarks, Kärntens, Böhmens und Mährens sowie der Kreis Troppau in Schlesien), Tschechisch-Österreich (die slawischen Teile Böhmens und Mährens sowie der Teschener Kreis in Schlesien), Slowenisch-Österreich78), Italienisch-Österreich (Südtirol, Dalmatien und Istrien) und Polnisch-Österreich. Innerhalb dieser Teilstaaten sollte als Amtssprache die Sprache des jeweiligen Volksstammes dienen, mit Ausnahme von PolnischÖsterreich, in welchem Polnisch und Ruthenisch vorgesehen waren. Da die Slawen das Schlagwort von der Gleichberechtigung der Nationalitäten gleichsam geprägt und in Umlauf gebracht hatten, mußten die Tschechen den Vorschlag Löhners annehmen, während die Slowenen auf Grund ihrer Forderungen von vornherein damit übereinstimmten. So griff im Oktober 1848 der Südslawe Ostrozinski die Gedankengänge Löhners auf, und der Laibacher Advokat Kautschitsch erklärte am 23. Jänner 1849 im Verfassungsausschuß des Kremsierer Reichstages, seine tschechischen Brüder müßten aus den von Palacky und Pinkas aufgestellten Grundsätzen doch auch die Konsequenzen ziehen und es müsse „nicht bloß jede Nationalität gewahrt, sondern auch bei der Provinzeinteilung berücksichtigt werden, denn sonst ist die so sehr gepriesene Gleichberechtigung der Nationalitäten eine reine Illusion, dann ist in Steiermark und Kärnten der Slawe, in Tirol der Italiener, in Böhmen der Deutsche eine Null. Eine unnatürliche Ehe trug nie gute Früchte, deshalb ließ man die Ehescheidung ") Α. E r η s t b e r g e r, Böhmens außenpolitische Stellung S. 285. — R. F. Κ a i η d 1, Böhmen S. 57 f. — A. F i s c h e 1, Panslawismus S. 299 f. — P. M o 1 i s c h, Geschichte d. deutschnationalen Bewegung S. 47. — F. H a u p t m a n n , Die staatsrechtlichen Bestrebungen S. 53—61, 69—76. — Stenogr. Bericht Teplitz S. 23 f.: „1. Die deutsch redende Bevölkerung in Böhmen lehnt unbedingt jede Verschmelzung mit den Tschechen in der Provinzialvertretung und -Verwaltung ab. 2. Wir verlangen für die am Reichstage vertretenen Provinzen Österreichs die Aufhebung der Provinzialgrenzen, Provinzialgubernien und Provinziallandtage. 3. Wir verlangen: a) eine möglichst freie, auf Selbstverwaltung gegründete Gemeindeverfassung mit Gemeinderäten aus direkten Wahlen; — b) die Einteilung der auf dem Reichstage vertretenen Provinzen in Reichskreise auf Grundlage der Sprachgrenzen mit dem Ministerium unmittelbar unterstehenden Kreishauptleuten, an deren Seite von den Gemeinden gewählte Kreisräte stehen." 78 ) Peter Κ o s 1 e r kam in seiner im Dezember 1848 entstandenen Schrift (Das Programm der Linken . . . mit Rücksicht auf Slovenisch- und Italienisch-Österreich) zu dem Schluß, daß „für den unbefangenen Beobachter kein anderer Ausweg übrig" bleibe, als das „sogenannte Slovenisch-Österreich zu konstituieren" (S. 20).

Ethnographische Einteilung der Monarchie

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zu; ebenso ist die unnatürliche Landesverbindung ein Fluch der Menschheit." Die Tschechen wollten die Schaffung einnationaler Länder den Slowenen und Ruthenen durchaus gewähren, zumal sie in den Ruthenen ein festes Bollwerk gegen Rußland sahen ; da sie aber vom großen, autonomen historischen, binationalen Böhmen nicht lassen wollten, mußte ihnen auch eine Teilung Galiziens unerwünscht sein. Als nach dem Sturz Badenis die Nationalitätenfrage geklärt werden sollte, stand das gleiche Problem unverändert einer Lösung hemmend entgegen. Palacky schwankte 1849 in der Frage, ob die Einteilung nach historischen oder ethnographischenProvinzen zu erfolgen habe. Ermaß aus historischen undnationalpolitischen Überlegungen der Nationalität eine hervorragende Bedeutung bei, was ihn also in Löhners Richtung drängen mußte. Andrerseits fürchtete er, schon zu stark in die Gedankenvorstellungen des böhmischen Staatsrechtes versponnen, um sich davon freizumachen, in Hinblick auf Frankfurt die Konsequenzen einer nationalen Teilung, da sich nach einer solchen die deutsche Ländergruppe höchstwahrscheinlich Deutschland unmittelbar angeschlossen hätte. Hermann Münch dürfte die Situation richtig gesehen haben, wenn er schreibt, „es macht den Eindruck, als ob Palacky des Grundsatzes halber die Trennung zwischen den tschechischen und den deutschen Landesteilen hätte befürworten wollen, sie aber nicht für durchführbar gehalten hat" 79 ). So kam es, daß Palacky am 23. Jänner 1849 im Verfassungsausschuß 80 ) nach der von Kautschitsch verfochtenen Neueinteilung selbst das Reich in acht nationale Ländergruppen teilte, und zwar in eine d e u t s c h e mit Österreich ob und unter der Enns, DeutschSteiermark, Kärnten, Salzburg, Deutschtirol, Vorarlberg, Deutsch-Böhmen, Deutsch-Mähren, Deutsch-Schlesien, in eine b ö h m i s c h e mit TschechischBöhmen, Mähren und Schlesien, die Slowakei in Ungarn, in eine p o l n i s c h e mit Galizien, Krakau, Bukowina, Ungarisch-Ruthenien an den Karpathen, eine i l l y r i s c h e mit Slawonien, Slowenisch-Steiermark, Slowenisch-Kärnten, Krain, Küstenland, eine i t a l i e n i s c h e mit Welschtirol, Lombardei und Venedig, eine s ü d s l a w i s c h e mit Dalmatien, Kroatien, Slawonien und der Woiwodina, in eine m a g y a r i s c h e mit Magyarenland in Ungarn und Siebenbürgen und schließlich in eine w a l a c h i s c h e L ä n d e r g r u p p e mit den romanischen und walachischen Ländern in Siebenbürgen, Ungarn und in der Bukowina. Dieser Einteilung aber fügte Palacky unmittelbar eine viel zuwenig beachtete Erklärung an, in der er feststellte: „Ich bin keineswegs gegen die Trennung Deutsch-Böhmens und Czechiens ; wäre diese nur praktisch möglich, dann würde ich sie vorschlagen. Böhmen ist ein Kesselland, einen Kessel kann man aber, ohne ihn zu vernichten, nicht teilen. (Eine Stimme: Wohl aber flicken.)"

Damit hat er im Nachsatz wieder genommen, was er im Vordersatz zu geben schien81). Zwar hat Palacky in der Národní Noviny im Dezember 1849 nochmals eo ) Protokolle S. 26. '·) Böhmische Tragödie S. 209. 81 ) Dagegen scheint Karl Havliiek an die Möglichkeit der nationalen Trennung geglaubt zu haben. In der Národní Noviny schrieb er im April 1849: „Die Nationalität bedeutet bei uns, daß dort, wo das Volk wohnt, auch die Regierung tschechisch sei, und daß sowohl bei den Gerichten als bei den Behörden und in allen öffenüichen Angelegenheiten die Sprache jenes Volkes angewendet werde. Das Wort, ,überall wo unser Volk wohnt', nehmen wir im ehrlichen Sinne. Wir verlangen, daß die Nationalitäten zu Zwecken der Landesverwaltung in angemessener Weise arrondiert werden. Nach diesem Grundsatz überlassen wir die Gegend in Böhmen, in denen die Deutschen geschlossen beieinander wohnen, der

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versucht, einen föderalistischen Staat nach Sprachgrenzen mit starker Selbständigkeit der einzelnen Gruppen zu verteidigen; in seinen 1874 erschienenen Gedenkblättern aber hat er zu seiner Rechtfertigung seinen angeblich ersten „noch nicht von außen her, durch Belehrung oder Widerspruch beeinflußten" Entwurf über die Einteilung des Staatsgebietes veröffentlicht, der nur vier Ländergruppen vorsah und von denen die deutsch-österreichische lediglich Österreich, Salzburg, Tirol nebst Vorarlberg und Steiermark umfassen sollte. Böhmen, Mähren und Schlesien waren geschlossen zur böhmischen Ländergruppe gezählt. Es schien Palacky im Zeitalter der böhmischen Staatsrechtsforderung angezeigt, seine Einteilung nach nationalen Gruppen zu verleugnen. Die Abgrenzung nach nationalen Gebieten griff 1906 Aurel C. Popovici in seinen berühmten politischen Studien über „Die Vereinigten Staaten von GroßÖsterreich" auf. Der Unterschied zu Löhners Plan von 1848 bestand hauptsächlich darin, daß Popovici 15 Nationalstaaten schaffen wollte, die zusammen einen „monarchischen Bundesstaat" gebildet hätten. Bosnien und die Herzegowina ließ er unberücksichtigt; das übrige Reich teilte er in die nationalpolitischen Individualitäten Deutsch-Österreich, Deutsch-Böhmen, Deutsch-Mähren (-Schlesien), Böhmen, Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien, West-Galizien, OstGalizien, Slowakenland, Krain, Woiwodina, Seklerland, Trento und schließlich Triest. Zu Krain sollten auch die slowenischen Gebiete der Steiermark und Kärntens gehören. Jeder Bürger eines Nationalstaates sollte auch österreichischer Bürger sein, aber niemand in mehr als in einem Nationalstaat politische Rechte ausüben können (Art. 3). Jeder Nationalstaat sollte seine eigene Staatssprache feststellen. „Die internationale Vermittlungssprache des Reiches" sollte die deutsche sein82). „Als solche ist sie die amtliche Sprache aller in Wien residierenden Reichsbehörden, der Reichsregierung, des Parlaments, der Armee und Marine, ferner ist sie die amtliche Sprache zwischen den einzelnen Nationalstaaten einerseits, zwischen diesen und dem Reiche andrerseits." Im Reichsparlament sollte jedes Mitglied auch seine eigene Sprache gebrauchen können, ebenso sollten nach Popovicis Plan auf Münzen, Banknoten und wohl auch auf Briefmarken alle Staatssprachen gleicherweise angewendet werden. Jeder Bundesbeamte sollte außer den sonstigen Nachweisen auch den erbringen, daß er sowohl die Staatssprache seines Staates sowie auch die deutsche Sprache vollkommen beherrscht. (Art. 25.) Von ähnlichen Überlegungen ging 1902, also vier Jahre vor Popovici, der Sozialdemokrat und spätere erste österreichische Bundespräsident der Zweiten Republik, Karl Renner, aus. Für ihn waren die Kronländer „der innere Feind der habsburgischen Monarchie", und er sah in der „Negation der historischen Gebiete" die Voraussetzung für den nationalen Frieden, den es so lange nicht deutschen Verwaltung." In konsequenter Folge verlangte er daher von den tschechischen Einwanderern ins deutsche Sprachgebiet, „daß sie die Sprache sprechen, die man in der neuen Heimat spricht, und sich den Gebräuchen fügen, die dort heimisch sind". — Zur Persönlichkeit Havliöeks H. R a u p a c h , Tschechischer Frühnationalismus S. 114—130. 8Î ) A. C. Ρ ο ρ ο ν i c i, Groß-Österreich S. 325 und vor allem S. 315. — Dem Buch Popovicis ging ein von R. Charmatz ausgearbeitetes Projekt voraus, das wenig Beachtung fand (Der demokratisch-nationale Bundesstaat Österreich), wohl deshalb, weil es auf dem sozialdemokratischen Programm basierte und adelsfeindlich eingestellt war. — Zu den verschiedenen Vorschlägen W. S c h ü ß 1 e r, Das Verfassungsproblem S. 155—170. — V. Β i b 1, Tragödie Österreichs S. 448 if. — D e r s., Der Zerfall Österreichs II, S. 412 ff.

Spätere ethnographische Teilungsvorschläge

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geben könnte, solange das Idol der Landeseinheit, „dieses Gespenst entschwundener Tage", nicht in die Grube gesandt sei83). Aber im Gegensatz zur „territorialen Autonomie" Popovicis verlangte Renner die „personale Nationalautonomie", deren Träger die in Nationalmatriken zusammengefaßten Individuen ohne Rücksicht auf ihren Wohnort sein sollten. Die Nationalitätserklärung sollte „ein rechte- und pflichtenerzeugender Akt" sein, das „Nationsganze" juristische Person, privat- und öffentlich-rechtlich handlungs- und rechtsfähig werden. Die Nation als Rechtssubjekt sollte dabei die Repräsentativhoheit und die geistige Kulturhoheit, zum Teil die Finanzhoheit und als Machtmittel zur Wahrung der Interessen und Erfüllung der Zwecke die Personalhoheit und die Amtshoheit besitzen. Da die konstituierten Nationen „Fremde auf eigenem, Angehörige auf fremdem Gebiete" haben, sollten sie „den Fremden Rechte zugestehen, um selbst in der Fremde Rechte zu haben". Die Gefahren, die eine Einteilung der Monarchie nach nationalen Provinzen oder Nationalstaaten mit sich gebracht hätte, dürfen allerdings nicht übersehen und zu gering angeschlagen werden. Zeigt doch das Beispiel Ungarn, daß auch bei Erfüllung der nationalen Forderungen und bei nationaler Selbständigkeit die zentrifugalen Kräfte vorherrschend blieben. Der Verfassungsausschuß in Kremsier wagte 1849 ohnehin nicht die historische Ländereinteilung anzutasten, da die Parteien selbst schließlich glaubten, daß die Einteilung auf nationaler Basis unmöglich sei und die Gebietseinteilung nach dem historischen Prinzip, nach dem Zufall des allmählichen Erwerbes beibehalten werden müsse. Den Reichsländern wurde sogar im § 4 trotz des Widerspruches der Deutschen und der Südslawen als „zum Kaiserstaate aber im Verhältnis untrennbar organischer Bestandteile" stehend, die Integrität, die Unantastbarkeit ihres räumlichen Bestandes garantiert. Zu den Ironien der Geschichte gehört es, daß es 1848 neben den Polen die Deutschen waren, an deren vom Zentralismus her bestimmten Widerstand die Einteilung nach nationalen Provinzen scheiterte und das historische Recht anerkannt blieb. Das Kompromiß zwischen dem historischen, dem nationalen und materiellen Prinzip glaubte der Verfassungsausschuß in der Teilung der großen Provinzen in mehrere möglichst national gesonderte Kreise (§ 3), denen eine beinahe provinzielle Autonomie gewährt werden sollte, gefunden zu haben. Die nationalen Belange hätten demnach auf den Kreistagen, die gemeinsamen politischen auf den Landtagen verhandelt werden sollen. Das den Kreisen eingeräumte selbständige Gesetzgebungs- und Verfügungsrecht in Gemeinde-, Schul- und Landeskultursachen hätte die Reibungsflächen zwischen den Nationen weitgehendst beseitigt, so daß die Kreiseinteilung als eine einigermaßen befriedigende Lösung zwischen der lebendig fortwirkenden Kraft der historischen Provinzen und den nationalen Ansprüchen auf Gleichberechtigung angesehen werden s3

) R. S p r i n g e r (d. i. K. Renner), Der Kampf d. österr. Nationen S. 42 f., S. 70 f., S. 85. Dem Personalitätsprinzip stellt Renner das Territorialprinzip in Antithese gegenüber. „Das Territorialprinzip involviert die rücksichtslose Preisgabe der eigenen, die rücksichtslose Beherrschung der fremden Minoritäten zu Gunsten der altansässigen, besitzenden Klasse." (S. 60.) Am eingehendsten von der rechtlichen Seite her wurde das „Territorialitäts- und Personalitätsprinzip im österreichischen Nationalitätenrecht" vom Czernowitzer Professor Josef Lukas 1908 behandelt. Auffallend ist, daß der erste Versuch einer systematischen Darstellung des österreichischen Nationalitätenrechtes erst 1899, und zwar von Rudof Herrmann v. Herrnritt mit seiner Arbeit „Nationalität und Recht" unternommen wurde.

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kann84). Diese Lösung mußte überdies dem Deutschtum in Innerösterreich willkommen sein, da die Bildung nationaler, ethnographischer Provinzen nur auf seine Kosten gehen konnte85), und gleichfalls den nicht im geschlossenen deutschen Siedlungsgebiet wohnenden Deutschböhmen, da sie bei einer strengen Scheidung völkisch verlorengegangen wären, sofern sie nicht zum Opfer der Auswanderung bereit gewesen wären86). Wohl zum Unglück der Monarchie haben die späteren Verfassungen, vor allem die von 1867, nicht auf die Kreiseinteilungen zurückgegriffen und den gemischtnationalen Ländern eine straffe Zentralgewalt zugestanden, durch welche die nationale Minorität innerhalb eines Landes in Gegensatz zur führenden Majorität gelangen mußte, zumal sich die Hoffnung auf eine Mäßigung und Beeinflussung der Bevölkerung durch den mit Vorrechten ausgestatteten adeligen Großgrundbesitz als trügerisch erwies. Zum Schutz der Nationalitäten sollten überdies nach dem Kremsierer Entwurf die Verhandlungen der Landtage „unter Anerkennung der gleichen Berechtigung der Landessprachen" öffentlich sein und die Wahlbezirke unter möglichster Berücksichtigung der Nationalitäten gebildet werden (§112). Reichsländern von gemischter Nationalität blieb es auf Grund der Forderungen der Deutschböhmen und der Zugeständnisse der Tschechen vorbehalten, eine Institution in die Landesverfassung aufzunehmen, durch welche Angelegenheiten von rein nationaler Natur nach Art eines Schiedsgerichtes zu entscheiden gewesen wären (§113). Die Tschechen jedoch sahen in den Kreisen an und für sich eine Verstärkung M

) Karl Renner sah 1902 in der Kreiseinteilung die günstigstmögliche Lösung der Nationalitätenfrage in Österreich: „Die Quadratur des Zirkels habe niemand gefunden und ebensowenig wird jemand die Zauberformel finden, die Staat und Nation reibungslos verbindet." Der Individualismus sei nicht restlos realisiert worden „und ebensowenig wird es der Sozialismus werden. Es handelt sich immer nur um Näherungswerte, wie die Ludolph'sche Zahl uns den Näherungswert für den Kreis in jeder für das praktische Bedürfnis ausreichenden Größe gibt. Auch die Nationalitätenfrage hat ihre Ludolph'sche Zahl und diese ist die Kreisverfassimg." (Der Kampf der österr. Nationen S. 146 f.) 85 ) So nennt Moritz Blagatinschegg Edler v. Kaiserfeld, der spätere steirische Landeshauptmann, am 29. September 1848 in der Grazer Zeitung in einem „Die Integrität der Provinzen" überschriebenen Artikel, eine Sonderung der Provinzen nach Nationalitäten „das Heilloseste". Er könne den Schlüssel zu diesem unseligen Antrag nur in der Besorgnis Löhners als Deutschböhme vor den tschechischen Übergriffen finden. „Aus Gründen der Freiheit, des Rechtes und der politischen Klugheit" müsse er allen Freunden des Vaterlandes den ersten Paragraphen des steiermärkischen Verfassungsentwurfes zurufen: „Die Steiermark ist ein einiges, unteilbares Herzogtum." Bereits am 14. September hatte der Ausschuß des steiermärkischen provisorischen Landtages gegen den Antrag Löhners, „die dermaligen Provinzen aufzulösen und neue nach ethnographischer Einteilung zu schaffen", mit der Begründung Protest eingelegt, „daß die innigsten Interessen, welche die Steiermärker bisher aneinanderketteten, zerrissen, die Einigkeit gestört und die gänzliche Lostrennung der slavischen Landesteile von den deutschen in Aussicht gestellt würde, während die Vertreter der slavischen Theile Steiermarks einstimmig ihre Sympathien für ein festes Zusammenhalten der Slaven mit den Deutschen und für die Untrennbarkeit des Herzogtums Steiermark laut aussprachen . . . " (F. 11 w o f, Der prov. Landtag S. 121 ff.) Siebzig Jahre später konnte die „Zerreißung" der Steiermark nicht mehr verhindert werden. 86 ) F. H a u p t m a n n , Die staatsrechtlichen Bestrebungen S. 58 f. — Bereits am Teplitzer Kongreß war dieses Problem aufgeworfen worden. Dabei fielen harte Worte: „Es handelt sich darum, den lebenskräftigen Teil der Deutschböhmen zu wahren und zu schützen und den kranken und faulen sich selbst zu überlassen. Wir Deutschböhmen, die wir in kompakten Massen leben, können uns nicht opfern einzelner verstreut lebender Deutscher wegen." (Stenogr. Bericht Teplitz S. 48 f.)

Kreiseinteilung und nationale Kurien

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des verhaßten Zentralismus und wollten daher den Gemeinden die gleichen Regierungsbefugnisse einräumen, was sie allerdings nicht durchsetzen konnten. Die radikalen Tschechen und der Slowene Krainz, die zwar den Zentralismus im Einheitsstaat bekämpften und mit aller Entschiedenheit für eine föderalistische Gestaltung der Monarchie eintraten, aber innerhalb der Länder selbst die größte Machtvollkommenheit und die straffste Zentralisation begehrten, wollten aus den Kreisen rein administrative Instrumente machen, und so zeigte am 24. Jänner 1849 Ladislaus Rieger die Möglichkeit auf, daß dann, wenn nationale Fragen auf einem Landtag zur Sprache kämen, diese „in Schiedsgerichten nach Curien entschieden" werden könnten und der Rekurs an das Reichsgericht offenstehen müßte. Am 22. Februar formulierte dann Riegers Mitstreiter Pinkas den Antrag, in Reichsländern mit gemischter Nationalität „zur Wahrung der nationalen Sonderinteressen besondere Nationalkurien zu bilden"87). Waren die nationalen Kurien, die kein entscheidendes Votum haben und nur den Charakter eines Schiedsgerichtes besitzen sollten, die Regulatoren nationaler Angelegenheiten, sanken die legislativen Kreistage zur Bedeutungslosigkeit herab. Gerade die Schaffung nationaler Kvirien, welche die Deutschen später, allerdings mit anderem Rechtsinhalt, als Hauptforderung anstrebten, die sie unter Badeni als „Vorbedingung" ihrerseits ansahen, als ein Postulat, das erfüllt werden müßte, aber nicht kompensiert werden könnte, wurde 1848 als eine Unmöglichkeit mit der Begründung abgetan, daß ein deutsch und tschechisch sprechender Mähre dann nicht wüßte, was er zu wählen habe, und daß die Polen die Ruthenen als eigene Nationalität überhaupt nicht anerkennten. Trotz dieses Widerstandes der Deutschen und der einmal gefallenen Entscheidung haben die Tschechen bei der Frage der Unterrichts- und Kultusangelegenheiten neuerdings versucht, die ihnen so verhaßten Kreistage unwirksam zu machen, dafür die Landtage, die sie als Grundsäulen des österreichischen Staatsgebäudes bezeichneten, mit größerer Macht auszustatten und angeblich zur Vermeidung jeglicher Nationalitätensuprematie und noch größerer Entfremdung der Nationalitäten, die sie durch die legislativen Kreistage befürchteten, die nationalen Kurien zu verwirklichen. Durch diese würden auch die „Herren Slawen aus der Steiermark" befriedigt werden. Die Deutschen beharrten jedoch auf ihrem Standpunkt. Eine neue Provinzeinteilung nach den Nationalitäten wäre loyal und das Vernünftigste gewesen, da sich aber diese nicht durchführen ließ, könnte von den Kreistagen nicht abgegangen werden. Selbst die nationalen Schiedsgerichte in den Reichsländern mit gemischten Nationalitäten wollten die Deutschen streichen, da diese 87

S

) Im Jahre 1898 bemerkte A. F i s c h e l (Nationale Curien S. 10) dazu: „Damit war das Curienprinzip in die Politik eingeführt, um nicht mehr daraus zu verschwinden. In der Tat ist das Institut der Curien ein sehr taugliches, wenn auch nicht so vollkommenes Mittel zur Schlichtung nationaler Streitigkeiten, wie die durchgreifende nationale Sonderung, welche wohl eine stärkere Bürgschaft für einen dauernden Frieden unter den Volksstämmen bieten mag, wo sie durchführbar ist. Immerhin genügen sie aber, um die Rechte der nationalen Minorität vor äußerster Vergewaltigung zu schützen, und können umsoweniger entbehrt werden, als es beispielsweise in Böhmen viele gemischtsprachige Bezirke gibt, die sich in eine territorial gesonderte nationale Verwaltung nicht einfügen lassen, und die sprachlichen Verhältnisse Mährens noch größere Schwierigkeiten darbieten. Die Voraussetzung dafür ist aber, daß sie wirksamer sind, als Schiedsgerichte sein können, und mit einem unmittelbaren Entscheidungsrecht ausgestattet werden. Tatsächlich führte auch die Entwicklung dazu, daß der schiedsgerichtliche Charakter von den Curien abgestreift und für sie eine Stellung in Anspruch genommen wurde, wie sie der einen oder anderen Kammer bei Einführung des Zweikammersystems zukommt." Sutter, Sprachenverordnungen I.

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ihrer Ansicht nach eine Verewigung des Nationalitätenstreites bedeuten würden, doch setzten hier die Tschechen ihren Willen durch. Bei dieser Gelegenheit schon fiel das entscheidende Wort, es wäre traurig, daß bei Ländern mit gemischten Nationalitäten immer nur an Böhmen gedacht werde, wo doch ähnliche Verhältnisse beispielsweise auch in Dalmatien und in Polen gegeben seien, wo sogar das masurische die Existenz des weitaus größeren ruthenischen Elementes bezweifle. Unterlagen die Deutschen bei der Abstimmung über die nationalen Schiedsgerichte, so vermochten sie andrerseits zu erreichen, daß die Einteilung der Wahlbezirke mit Rücksicht auf die Kreise und die Nationalitäten gebildet werden sollten. In den stürmischen Debatten um den Wirkungskreis der Landtage stand bei den Tschechen das kaiserliche Handschreiben vom 8. April im Vordergrund, da durch dieses ihnen ein konstituierender Landtag und verantwortliche Zentralbehörden zugesagt worden seien und sie daher dem Landtag verantwortliche Landesminister, vor allem auf dem Gebiete der Rechtspflege und des Unterrichtswesens, verlangen könnten88). Nach dem Prinzip der Gleichberechtigung der Nationalitäten sollte nach ihrem Plan jedes Land einen eigenen Kassationshof haben. Damit aber hatten sich die Tschechen, von den Südslawen in diesem Falle unterstützt, in ihrer eigenen Schlinge gefangen. Die Tschechen, wurde ihnen erwidert, sprächen immer von Provinzen als nationalen Einheiten, was aber doch gar nicht der Fall sei. Wie könnte also ein böhmischer Kassationshof für Tschechen und Deutschböhmen zugleich sorgen? Die Böhmen möchten immerhin in der Einbildung leben, daß sie ein unabhängiges Königreich bildeten, sie würden ja doch nur eine Provinz bleiben. Sie sollten nur nicht vom 8. April reden, denn die Staatsschrift, die den Ungarn ihre Achtundvierziger-Gesetze aberkannte und zu der die Tschechen doch stark applaudiert hätten, ließe sich doch auch genauso gut gegen den 8. April anwenden. Wenn jeder Landesteil Minister haben wollte, so hörten die Zentralminister auf und die ganze Zentralregierung wäre dann überflüssig. Trotz dieser grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten gelang es letzten Endes eine Einigung zu erzielen und die schier unüberbrückbaren Gegensätze im Sinne einer zwar spöttisch, aber treffend als „zentralistisch-föderalistisch"89) bezeichneten Verfassung zu lösen, mit der alle Parteien mehr oder minder im Prinzip einverstanden waren. Die Gleichberechtigung aller Volksstämme war klar ausgesprochen, die Schaffung nationaler Staaten nach den Wünschen der Polen und Tschechen jedoch verhindert worden. Das historische Prinzip herrschte bei der Einteilung des Reiches in 14 Reichsländer, das nationale bei der Einteilung in Reichskreise. Die staatsauflösenden Forderungen der Nichtdeutschen, vor allem der Tschechen, die Wünsche nach einem slawischen Föderativstaat, waren zurückgedrängt worden und eine Verfassung war entstanden, die ein unteilbares Österreich garantieren sollte. Wie Hans Kudlich später sagte, haben Deutsche und Tschechen, Polen und Südslawen in der Freiheit für weltliche und religiöse Dinge, die durch die Grundrechte garantiert werden sollten, eine Entschädigung 8e

) Dazu Palacky am 23. Dezember 1849 im „Národní Noviny" über „Von der Zentralisation und der nationalen Gleichberechtigung in Österreich", in Übersetzung in den Wiener Zeitungen erschienen. Franz Grillparzer wollte mit dem, allerdings dann nicht veröffentlichten Aufsatz „Professor Palacky" antworten, der beginnt: „Herr Professor Palacky ist wahnsinnig geworden. Er stellt in einem ernsthaft gemeinten Aufsatze in diesen Blättern an die Regierung die Anforderung, den einzelnen Kronländern eigene Ministerien des Innern, des Unterrichtes usw. zu gewähren." "") Vgl. A. S p r i n g e r in der Einleitung zu den Protokollen des Verfassungsausschusses S. 7.

.Gleichberechtigung aller Nationalitäten"

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für das Aufgeben nationaler Ideale gefunden90). „Die Nationalitäten sind sich nie mehr so nahe gekommen als in Kremsier, und auf der Grundlage der Kremsierer Verfassung hätte Österreich in engerer und weiterer Verbindung mit Ungarn rasch und kräftig aufblühen können91)." Wesentlich an diesem Verfassungsentwurf ist, daß er am 1. März einhellig, ohne Minoritätsvoten im Ausschuß angenommen worden war, seine uneingeschränkte Billigung durch das Plenum des Reichstages ohne längere Debatte bei der beabsichtigten Vorlage am 15. März gesichert war, die Tschechen demnach dem Entwurf zugestimmt und damit auch den Reichstag beschickt hätten und so die tschechische Frage im österreichischen Sinne gelöst worden wäre. „Die Vertreter in Kremsier haben ihr Österreichertum zweifellos ganz stark und bewußt empfunden, aber es ist für sie doch immerhin etwas Sekundäres gewesen92)." Das, was über allem thronte in der ganzen Kraft seiner Entwicklung, das, was ihr Wollen und Handeln grundlegend bestimmt hat, das ist ihre Nationalität gewesen93). Was der Reichstag von Kremsier geschaffen hatte, war ein ehrlicher Kompromiß unter der Devise „Gleichberechtigung aller Nationalitäten". Seine Fehler lagen nicht in diesem von großer Umsicht und sorgfältiger Überlegung getragenen Versuch, die Nationalitäten zu befriedigen und den Streit rechtzeitig zu beenden, sondern zum Teil in den bei den Grundrechten gebrauchten Formulierungen, zum Teil in der Tatsache, daß die Stellung des Kaisers und der Regierung trotz des sichtbaren heranziehenden Gewitters im Entwurf so geschwächt erschien, daß die Regierung notwendig Einhalt gebieten zu müssen glaubte. Für die weitere Entwicklung sollte der § 21 des Kremsierer Entwurfes bedeutungsvoll werden, dessen erster Absatz im Artikel 4 der oktroyierten Verfassung vom 4. März 1849 im wesentlichen unverändert übernommen wurde, dessen zweiter Absatz jedoch aus wohlüberlegten Gründen nicht rezipiert wurde. Da diese 1867 nicht mehr verstanden wurden, scheint im Artikel 19 des damals 90

) ) 9î ) 93 ) 91

Η. Κ u d 1 i c h, Rückblicke III, S. 220. Η. v. Z w i e d i n e c k — S ü d e n h o r s t , Deutsche Geschichte III, S. 68. P. G e i s t - L a η y i, Nationalitätenproblem S. 202 f. So hatte auf den Vorschlag des Zentrumsmannes Wildner von Maithstein, statt des Begriffes „Staatsbürger" in der Verfassung das Wort „Österreicher" zu gebrauchen, der Tscheche Rieger im konstituierenden Reichstag am 8. Jänner 1849 gehöhnt, Wildner hätte, wenn er die Grundrechte entworfen hätte, wahrscheinlich dekretiert: § 1.

Vor allem hat Jedermann auf österreichischem Boden ein österreichisches Bewußtsein zu haben. (Gelächter.)

§ 2.

Jeder Pole, Böhme, Italiener, Magyare ist, sobald er geboren wird, in den Lethestrom zu tauchen, damit er vergesse, daß seine tausendjährige Geschichte älter ist als die des einigen Kaisertums Österreich. ( B e i f a l l , Zischen.) Gleich nach der Geburt ist jeder österreichische Staatsbürger, oder nach der Ansicht des Herrn Abgeordneten besser, jeder Österreicher, damit er dem Staate nicht abhanden komme, nach Art eines Mautschrankens schwarz-gelb anzustreichen. (Gelächter und Beifall, Zischen.)

§ 3.

Gegen Ende seiner Rede erklärte Rieger, daß die „Absicht durchaus nicht dahin gegangen ist, durch die Grundrechte ein österreichisches Bewußtseyn zu begründen, wir wollten nicht das erzielen, daß sich in Folge der Grundrechte Jedermann als Österreicher fühle; wir wollten vielmehr durch die Grundrechte das erreichen, daß sich künftighin Jeder in Österreich a l s M e n s c h fühlen könnte . . . sollten aber diese Grundrechte wesentliche Einschränkungen erleiden, dann glaube ich, dürfte sich wohl bald in Österreich Jeder nur noch als Ö s t e r r e i c h e r fühlen können, keineswegs aber als freier M e n s e h." (Verhandlungen des österr. Reichstages 4, S. 301 f.) 5

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II. Der Ausbruch der nationalen Gegensätze im Revolutions;ahr 1848/49

erlassenen Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember der entscheidende Passus wieder auf. Bestimmungen über den Sprachenzwang für Beamte sind in allen drei Verfassungen dagegen nicht zu finden. Kremsier § 21

Märzverfassung Art. 4

Alle Volksstämme des Reiches sind gleichberechtigt94), Jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität überhaupt und seiner Sprache insbesondere.

Alle Volksstämme sind gleichberechtigt und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache.

Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staate gewährleistet.

Staatsgrundgesetz 1867 Art. 19 Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt, und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache,

Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staate anerkannt. In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämme wohnen, sollen die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, daß ohne Anwendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volksstämme die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält.

Zum Unglück wurde im Staatsgrundgesetz von 1867 der Ausdruck „landesübliche Sprache" übernommen, der sich bereits im § 13 der Allgemeinen Gerichtsordnung Kaiser Josephs II. von 1781 findet. Schon in josephinischer Zeit kam es zum Streit um die Bedeutung der Verordnungsstelle : „ B e i d e T e i l e s o w o h l als i h r e R e c h t s f r e u n d e h a b e n s i c h in i h r e n R e d e n d e r l a n d e s ü b l i c h e n S p r a c h e z u g e b r a u c h e n . . .", weshalb am 22. August 1803 von der Obersten Justizstelle an das Prager Appellationsgericht ein Erlaß erging, nach welchem einem jeden Kläger freistand, seine Klage in der landesüblichen deutschen oder böhmischen Sprache einzubringen. Eine Entscheidung der Streitfrage allerdings war mit dieser Auslegung nicht gegeben worden95). 1867 wurde nun in Unterschätzung des Gewichtes der Tatsache, daß die Deutschen in der Monarchie lediglich die relativ stärkste Volksgruppe bildeten, gegenüber der Gesamtheit der Nichtdeutschen jedoch in der Minderheit blieben, die Gelegenheit ungenützt gelassen, den Begriff einer Staatssprache einzuführen und zu definieren, ein Versäumnis, das sich bitter rächen sollte. Der Artikel 19 aber blieb die Grundlage des öffentlichen Rechtes M

) Minoritätsvotum: „Keiner Nationalität wird vor der anderen ein politisches Vorrecht eingeräumt." îs ) W. W e i z s ä c k e r , Das Recht S. 138. — Zu den rechtlichen Schwierigkeiten, die der Artikel 19 bot, vgl. L. G u m p l o w i c z , Österr. Staatsrecht S. 76 ff. und R. H. v. H e r r n r i t t , Nationalität und Recht S. 58—66.

Die Grundlage des österreichischen Nationalitätenrechtes

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in nationalen Fragen96). Zwar hatte der Arzt Adolph Fischhof, der schon als Deputierter Niederösterreichs dem Verfassungsausschuß des Kremsierer Reichstages angehört hatte, im August 1867, während der Vorarbeiten für die Dezemberverfassung dieses Jahres, als vertrauliche Vorschläge für die Parlamentarier einen Gesetzesentwurf über das Recht der Nationalitäten ausgearbeitet, doch zur ersehnten Festlegung des nationalen Rechtes kam es nicht87). In diesem Nationalitätengesetzentwurf sind die späteren Lösungsversuche bereits vorweggenommen. Fischhof sah vor, daß sich die Behörden der Königreiche und Länder im Verkehr mit den Zentralbehörden der deutschen Sprache zu bedienen hätten, daß aber jeder schriftliche oder mündliche Bescheid einer Verwaltungsbehörde in der Sprache der ansuchenden Partei erfolgen müsse. Die innere Geschäftssprache der Behörden sollte, wo nur eine Nation seßhaft war, die Sprache der Bevölkerung sein, in gemischtsprachigen Gebieten sollte die Sprache der Bevölkerungsmehrheit als innere Geschäftssprache gelten ; die koordinierten Behörden eines Landes im Verkehr untereinander sollten bei Gleichsprachigkeit sich der gemeinsamen Sprache, wenn sie verschiedene innere Amtssprache haben, der Sprache jener Behörde, an die sie sich wenden, bedienen. Im Verkehr einer unteren Behörde innerhalb eines Landes mit einer höheren und umgekehrt sollte die Sprache der unteren Behörde zur Anwendung kommen, doch die Behörden der Länder mit den Reichsbehörden in der deutschen Sprache verkehren. Auf dem Gebiete der Justiz sollte nach Artikel 11 des überarbeiteten Sprachengesetzentwurfes jeder Staatsbürger, „wenn er den Schutz des Gesetzes oder richterliche Hilfe in Anspruch nimmt, in seiner Gemeinde, seinem Bezirk oder bei der höheren Gerichtsinstanz des Landes sich jeder landesüblichen Sprache" bedienen können98). Für 9β

) Κ. H u g e 1 m a η η. Historisch-politische Studien S. 192 ff. — Hugelmann kommt bei seiner eingehenden Interpretation zu dem Schluß, daß jene Auslegung des Staatsgrundgesetzes bekämpft werden müsse, „der verfassungsmäßige Schutz werde einer österreichischen Sprache nur in jenem Königreiche oder Lande zuteil, in welchem sie vermöge ihrer geographischen Verbreitung in dem ganzen Lande oder in einem beträchtlichen Teile desselben als eine Landessprache betrachtet werden könne. Diese Auslegung würde zu der Konsequenz führen, daß einem Sprachenstamme in dem Lande A ein Recht nicht zustände, welches ihm im Lande Β zukommt, daß ζ. B. die Deutschen wohl in Böhmen überall, also auch in einem slawischen Bezirke, Berücksichtigung finden müßten, daß sie aber vielleicht schon in Galizien und der Bukowina, in Krain und dem Küstenlande und jedenfalls in Dalmatien ignoriert werden dürften, oder daß die Slawen Kärntens und Steiermarks, Schlesiens und Mährens den Deutschen völlig gleichstehen würden, die Tausende von Slawen aber, welche auf dem flachen Lande Niederösterreichs . . . wohnen, rücksichtslos germanisiert werden könnten. Eine solche Konsequenz widerspricht aber geradezu der Idee des Staatsgrundgesetzes, denn dasselbe hat doch die ausgesprochene Tendenz, alle Besonderheiten der einzelnen Länder zugunsten der anerkannten Freiheitsrechte zu durchbrechen . . ." (Hier S. 200.) 97 ) R. C h a r m a t ζ, Adolph Fischhof S. 200 if. 98 ) Schon im Sachsenspiegel (Landrecht) hatte der Wende das Recht, in seiner Muttersprache geklagt zu werden, allerdings unter Voraussetzung der Unkenntnis der deutschen Sprache. Diese Unkenntnis konnte „jedoch nicht mehr behauptet werden, wenn der Wende bereits einmal in deutscher Sprache geklagt5 eine Klage beantwortet oder ein Urteil gefällt" hatte. (Sachsenspiegel, Landrecht III, 71, §2, hrsg. v. C. H. Homeyer, 3. Aufl., Berlin 1861.) Außerdem durfte über den Wenden, wo nicht zu Königsbann gedingt wurde, nur sein Volksstamm zu Gericht sitzen. Auch im Falle, daß in einer Rechtssache zwischen einem Wenden und einem Deutschen verhandelt werden mußte, war jeder Sprachenzwang verpönt. Verstand der deutsche Kläger wendisch, wurde die Verhandlung ausschließlich in wendischer Sprache geführt, in allen anderen Fällen bediente man sich eines „Fürsprechers",

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Π. Der Ausbruch der nationalen Gegensätze im Revolutions)ahr 1848/49

die innere Geschäftssprache der Gerichtsbehörden und die Verkehrssprache der Gerichtsbehörden untereinander sollten die für die Verwaltung geltenden analogen Bestimmungen angewendet werden. Durch Errichtung nationaler Senate im Obersten Gerichtshof wollte Fischhof die Gleichberechtigung der Sprachen auch in der obersten Instanz gesichert wissen. Zum Schutz der nationalen Rechte und Interessen gegenüber den Organen der Verwaltung wollte er im Zentrum des Reiches der obersten Exekutivgewalt einen n a t i o n a l e n R a t beigeben. Dessen Mitglieder hätten „hervorragende und unabhängige Mitglieder aus jeder Nation zu sein, die zur Hälfte von der Krone ernannt, zur Hälfte von den nationalen Vertretungen gewählt werden würden. Die Mitglieder des nationalen Rates kämen im Rang unmittelbar nach den Ministern und dürften neben ihrer Stelle kein anderes Amt versehen. Der nationale Rat hätte auf Verlangen der Minister oder auf eigene Initiative Gutachten über Verwaltungsmaßregeln, soweit sie nationale Interessen berühren, zu erstatten, Klagen wegen Verletzung nationaler Rechte entgegenzunehmen und der Regierung vorzulegen. Wenn diese nichts zur Abhilfe täte, müßte der nationale Rat beim Reichsgericht einschreiteil. Die Regierung hätte alle nationale Rechte berührenden Gesetzentwürfe mit dem Gutachten des nationalen Rates dem Reichsrat vorzulegen. Der nationale Rat wäre auch berufen, bei Streitigkeiten zwischen den Völkern als Schiedsgericht zu fungieren . . .")." In der frühestens 1868 erfolgten umfassenden Neubearbeitung des Nationalitätengesetzentwurfes fehlen die Bestimmungen über den „Nationalen Rat". Um so mehr treten Fischhofs Bestimmungen hinsichtlich der nationalen Kurien hervor, die schon in seinem ersten Entwurf einen wesentlichen Platz einnahmen und eine neue, von den in Kremsier geforderten Tendenzen verschiedene Formulierung erhielten. Fischhof gab den schiedsgerichtlichen Charakter der Kurien auf und schrieb in den Landtagen gemischter Nationalität der nationalen Minderheit, anfänglich allerdings nur, wenn diese wenigstens ein Fünftel der Gesamtbevölkerung des Landes repräsentiert, das Recht zu, bei gesetzlichen Bestimmungen, die auf die im öffentlichen Unterricht und im öffentlichen Leben zu gebrauchende Sprache Bezug haben sollten, eine getrennte Abstimmung zu verlangen, und zwar in der Weise, daß der Vorschlag nur bei Zustimmung der Majorität einer jeden der beiden Kurien zu gelten hätte. Ebenso sollte in den Gemeinde- und Bezirksvertretungen sowie beim Landes- und Bezirksschulrat bei Entscheidungen über Sprachenfragen und bei Ernennung und Entlassung von Lehrern kuriatim abgestimmt werden. Fischhof hat 1869 in seinem berühmten Buch100) neuerdings zum ausreichenden Schutz der Nationen ein Nationalitätengesetz gefordert und in diesem, wie schon zwei Jahre zuvor, die Schaffung von Kurien, die möglichst nationale Arrondierung der Bezirke in Kronländern mit mehreren Nationen unter gleichzeitiger bedeutender Erweiteder die Funktion eines Dolmetschers hatte. (Ε. Η o y e r, Das Sprachenrecht des Sachsenspiegels.) ··) Fischhof bemerkte zu diesem Vorschlag in einer Fußnote : „Wir dachten anfangs an die Ernennung von nationalen Ministern ohne Portefeuilles, aber bei reiflicher Überlegung kamen wir von dieser Idee ab. Nationale Minister würden die bei uns ohnehin erschwerte Bewegung der Exekutive noch mehr hemmen, den parlamentarischen Charakter derselben alterieren und deren Verantwortlichkeit abschwächen. Die dem Parteiengetriebe fernestehenden Mitglieder des nationalen Rates sind überdies verläßlichere Wächter der nationalen Rechte, als die in prekärer Stellung befindlichen und von der Tagesleidenschaft bewegten Nationalminister." (R. C h a r m a t z, A. Fischhof S. 202.) 10 °) A. F i s c h h o f, Österreich und die Bürgschaft seines Bestandes.

Zentralisation und Länderautonomie als innerpolitisches Problem

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rung der a u t o n o m e n R e c h t e der Bezirke u n d die Errichtung eines Schiedsgerichtes i m Z e n t r u m des R e i c h e s als F o r u m zur A u s t r a g u n g nationaler Streitigkeiten, vorgesehen. D a s „ K u r a t i w o t u m " sollte n u n m e h r über das S c h u l - u n d S p r a c h e n w e s e n hinaus „bei allen Ä n d e r u n g e n der Landesverfassung u n d des L a n d e s Wahlgesetzes Platz greifen" 1 0 1 ). F i s c h h o f hat in d i e s e m B u c h m a n c h hartes, d o c h berechtigtes W o r t ausgesprochen, das vor allem die deutschliberalen Zentralisten s c h w e r traf. I m Kapitel Nationalstaat oder Nationalitätenstaat stellte er, o b w o h l damals jeder föderativ gesinnte D e u t s c h e als ein Verräter an der nationalen S a c h e hingestellt wurde, die B e h a u p t u n g auf, daß die „Analyse des Nationalitätenstaates i n abstracto zur Ü b e r z e u g u n g führe, daß d e s s e n föderative Gestaltung das unabweisliche Postulat seiner N a t u r sei". S o k o m m t er z u d e m S c h l u ß : „Wünschen wir ernstlich die Freiheit und den Frieden, so darf es in unserer Mitte ebenso wenig einen herrschenden Stamm, als einen herrschenden Stand und eine herrschende Kirche geben. D i e Z e n t r a l i s a t i o n i n Ö s t e r r e i c h i s t e i n A n a c h r o n i s m u s , e i n e V e r s ü n d i g u n g a m G e i s t e d e r Z e i t . U n d d e r D e u t s c h e bedarf dieser politischen Sünde nicht. Er überragt die Mitnationen, auch ohne sich auf's Piedestal des Vorrechtes zu stellen; seine moralische Überlegenheit bietet ihm dauerndere Garantien, als das künstlich gewonnene parlamentarische Übergewicht; denn hinab vom Piedestale des Vorrechtes stoßt ihn leicht die rohe Gewalt, aber keine Macht drängt ihn von der Höhe seiner Kultur hinweg. Nicht ein Vormund sei er den Völkern, sondern ein Vorbild; er stelle sich nicht über, oder gegen sie, sondern gehe ihnen entschlossen voran; und die jetzt nur widerstrebend seinen Gesetzen nachkommen, folgen dann freiwillig seinem Beispiele. Sucht der Deutschösterreicher ein Muster für sein politisches Vorgehen, so blicke er nach der Schweiz. Sein deutscher Bruder daselbst behauptet durch Maß, was er durch Kraft gewann; er verschmäht es, der Gebieter seiner Mitnationen, er wünscht nur, ihr Genosse zu sein. E r z o g d e n F r e u n d s c h a f t s b u n d d e m E i n h e i t s b u n d e v o r 102 )." F i s c h h o f s M a h n u n g e n nach föderativer U m g e s t a l t u n g blieben ungehört, w i e dann auch zur Zeit Badenis Julius Lippert, als er die Unhaltbarkeit des Z e n tralismus erkannte u n d vertrat, v o n d e n eigenen Parteianhängern fallengelassen wurde 1 0 3 ). I01

) Dazu schrieb Fischhof erläuternd (S. 191): „Die föderativen Einrichtungen mit der Beigabe des Kuratiwotums gestatten einerseits der nationalen Majorität jedes gemischten Kronlandes, ihre häuslichen Angelegenheiten selbständig zu ordnen, und hindern sie andererseits daran, die in der Minorität befindlichen Hausgenossen hiebei irgendwie in ihren nationalen Interessen zu schädigen. D a s K u r a t i w o t u m m a c h t d i e Geschicke der N a t i o n a l i t ä t e n u n a b h ä n g i g von den Wechself ä l l e n d e r p o l i t i s c h e n P a r t e i e n , es s t e l l t d i e M i n o r i t ä t u n d die M a j o r i t ä t in den L a n d t a g e n , bei E n t s c h e i d u n g e n , ü b e r n a t i o n a l e F r a g e n , als gleichberechtigte Paciszenten neben einander. Es ist die Schutzwehr der Schwachen, der feste Schild, mit dem jede Nationalität sich selber deckt." loa ) Ferner schreibt er (S. 111): „Folgen auch wir den Geboten der Natur, und Österreich wird nicht minder erstarken. N u r d i e Z e n t r a l i s a t i o n m a c h t d i e V ö l k e r z e n t r i f u g a l , man d e z e n t r a l i s i e r e Ö s t e r r e i c h , u n d sie w e r d e n z e n t r i p e t a 1." lü3 ) Die Darstellung des von Seiten Deutscher geführten Kampfes gegen den österreichischen Zentralismus muß einer eigenen kleinen Studie vorbehalten werden. Hier sei nur auf A. H. S p r i n g e r verwiesen, der 1850 (Österreich nach der Revolution) mit allem Nachdruck sich gegen die Zentralisation wandte. „Wer Zentralisation sagt, sagt Macht, sagt gegenseitige Eifersucht der Regierungen, sagt Intervention und Bureaukratie, sagt hohes Budget und zudringliche Polizei, sagt ökonomischen Verfall und politischen Druck; er will mit einem Worte das alte, von der Geschichte verurteilte System . . ." (S. 91.)

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Π. Der Ausbruch der nationalen Gegensätze im Revolutionsjahr 1848/49 Und etwas später (S. 92) heißt es : „In Österreich sprechen nicht bloß, wie auch sonst überall, politische Gründe gegen die Zentralisation, hier treten überdies die eigentümlichen nationalen Verhältnisse gegen dieselbe auf, und diese letzteren sind es, welche das Verlangen der Dezentralisation in die bestimmte Forderung der Föderation umgestalten." — Nach L. G u m p l o w i c z (Allgem. Staatsrecht S. 140) gibt es zwischen national verschiedenen Gruppen keinen Ausgleich. Polynationale Staaten können nach seiner Ansicht „nur entweder absolut regiert werden (solange es geht) oder sie müssen f ö d e r a l i s i e r t werden, so daß, wenn sie parlamentarisch regiert werden sollen, jeder territorialnationale Bestandteil sein eigenes Parlament besitzt. Eine dritte Möglichkeit, ein Zentralparlament, in dem die verschiedenen Nationalitäten maßgebend vertreten sind, ist nicht möglich, weil ein solches Mischmasch-Parlament nicht funktionsfähig ist." Dagegen leugnete schon 1850 J. Α. H e 1 f e r t (Österreich und die Nationalitäten S. 34), daß die Frage, ob Zentralisation oder ob Föderation „die eigentliche Haupt- und Lebensfrage Österreichs" sei. Es könne sich nur um die „rechte Mitte" drehen, „die zwischen jenen beiden, auf die Verhältnisse des österreichischen Staates ein für allemal unanwendbaren Extremen eingehalten werden soll".

III. VERSÄUMTE GELEGENHEITEN 1848—1890 Am 2. Dezember 1848 hatte Kaiser Franz Joseph den Thron des österreichischen Vielvölkerstaates bestiegen und auf Rat des Fürsten Felix Schwarzenberg den Wahlspruch „Viribus unitis" angenommen. Die Möglichkeiten, diesen zu verwirklichen, haben die vielen führenden Männer, die während der langen Regierungszeit des Kaisers kamen und gingen, allerdings auszunützen versäumt. Schon die oktroyierte Verfassung vom 4. März 1849 hätte dazu erste Gelegenheit geboten1). Durch die Unterlassungen von 1849 verhärtete sich der Nationalismus in den der Revolution unmittelbar folgenden Jahren, die daher für die Richtung, in die das Nationalitätenproblem in Österreich steuerte, von allerdings heute viel zuwenig erforschter und gewürdigter Bedeutung wurden2). Dazu kam, daß die Verfassungsexperimente, die durch die Staatskrise nach dem unglücklichen Verlauf des Feldzuges in Italien im Sommer 1859 ausgelöst wurden und mit dem 16 Monate nach der Schlacht von Solferino erlassenem Oktoberdiplom begannen3), das Ansehen des Gesamtstaates erschüttern und die Nationalitäten auf der Bahn des Radikalismus weiterdrängen mußten. So fällt in diese 17 Jahre zwischen Kremsier und Königgrätz die erste politische Tat der unter der Bezeichnung „Alttschechen" bekanntgewordenen Nationalpartei, der Strana narodni, die dann durch drei Jahrzehnte das tschechische bürgerliche Leben beeinflußt und gestaltet hat. Nichts ist bezeichnender, als daß diese erste politische Tat in der Anmeldung nationaler Forderungen bestand. Mitte Juli 1860 wurde Kaiser Franz Joseph ein Memorandum überreicht, das Rieger verfaßt und gemeinsam mit Palacky und neun anderen führenden Männern unterfertigt hatte. In diesem Schriftstück wurde, wie 1848, die Gleichberechtigung aller Völker, Pflege der Sprache, der Schulen, Zurücknahme der Germanisierung und eine föderative Umgestaltung Österreichs verlangt4). Kurz darauf, 1861, kam es zu jenem berühmten Bündnis zwischen den Alttschechen und dem Feudaladel, das ein gemeinsames Vorgehen beider Parteien in Fragen der Erneuerung des böhmischen Staatsrechtes und der Gleichberechtigung der tschechischen Sprache garantierte5). Das Verhängnis dieser Epoche aber war, daß die deutschen Liberalen zwar richtig erkannten, das böhmische Staatsrecht habe mit der Nationalitätenfrage keine innere Verbindung, es die Alttschechen benützen, um den in feudalen Vorstellungen lebenden Hochadel für sich zu gewinnen und es — der Beweis wurde nach 1918 erbracht — nur ein Mittel zur Herrschaft über ihre deutschen Mitbürger sein sollte, daß sie jedoch in der Annahme irrten, ') H. S c h 1 i 11 e r, Versäumte Gelegenheiten. ) J. R e d l i c h , österr. Staats- und Reichsproblem. — K. E d e r , Der Liberalismus S. 141—164. — W. R o g g e , Österreich von Világos bis zur Gegenwart. 3 ) W. G o 1 d i η g e r, Von Solferino bis zum Oktoberdiplom. — F. F e 11 η e r, Das „Februarpatent" von 1861. 4 ) K. K a z b u n d a , Narodni program cesky S. 501. — W. L o r e n z , Die tschechischen Parteien S. 29 f. s ) Die Nationalitätenfrage als Sprachenfrage in Österreich-Ungarn betont besonders F. W i 1 c k e, Das Problem des Rechtsschutzes S. 26—67. 2

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III. Versäumte Gelegenheiten 1848—1890

der bürokratische Zentralismus werde ihnen die Herrschaft sichern, der Liberalismus den Nationalismus bezwingen. „Deshalb verließen sie ihre während des Bestandes des deutschen Bundes noch außerordentlich starke nationale Stellung und gingen mit fliegenden Fahnen in das Lager der oktroyierenden Regierung über." So wurde nicht das Staatsrecht der einstigen deutschen Reichsländer als das älteste und unwiderrufene erklärt und nicht auf die von den Habsburgern eingegangenen Verpflichtungen zurückgegriffen, „sondern mit Preisgebung des eigenen Volkstums aussichtslose Staatspolitik getrieben". Die Liberalen vergaßen Staatsakte zu setzen, als sie noch erreichbar gewesen wären, sie versäumten die Auseinandersetzung mit den slawischen Minoritäten, die noch verhältnismäßig leicht zu einem guten Ende hätte geführt werden können. Den Sprachenstreit glaubte die deutschliberale Majorität durch den Hinweis auf die höhere Entwicklung der deutschen Sprache und auf die Notwendigkeit der Hebung der nationalen Kultur der Slawen beseitigen zu können. „Als ob man gegen den Nationalismus, der eine Gefühlssache ist, mit Vernunftsgründen aufkommen, als ob man die Befestigung der eigenen Macht ungestraft der Zukunft überlassen könne6)." War 1848/49 das erste Schicksalsjahr für das Verhältnis der Nationalitäten innerhalb der Monarchie zueinander, so wurde das Jahr 1866 das zweite, dessen Folgen noch verhängnisvoller werden sollten. Wenige Wochen vor der Schlacht bei Königgrätz, am 12. Juni 1866, schrieb der österreichische Parlamentarier und Autonomist Moritz Blagatinschegg Edler von Kaiserfeld in Besorgnis an den Wiener Universitätsprofessor Franz Karl Lott: „Mit dem preußischen Sieg ist das kleine Deutschland fertig; dann erfüllt sich Bismarcks Wunsch. Der Schwerpunkt Österreichs ist nach Ofen gerückt, und dann sagen wir Deutschland Ade! für immer 7 )." Tatsächlich war der Verlust der Schlacht von Königgrätz8) und der am 23. August 1866 zu Prag unterzeichnete Friede durch den Sieg Preußens von schicksalhafter Bedeutung für Österreich. Bismarck hatte getreu dem von ihm geprägten Wort gehandelt : „Es gibt kein deutsches Volk. Unsere Politik ist das Aufgehen Deutschlands in Preußen und damit die Umgestaltung Preußens zu Deutschland." Im Habsburgerreich aber war nunmehr das bisher staatstragende Element, das österreichische Deutschtum, seines Rückhaltes beraubt. Zwar hofften die Regierung, die Deutschen Österreichs und vor allem Kaiser Franz Joseph, dessen Fahrt ja noch 1863 durch Deutschland zu dem von ihm zur Reform des Deutschen Bundes einberufenen Fürstentag in Frankfurt a. M. einem Triumphzug geglichen hatte und dessen vollendeter Takt, dessen überlegene Führung der schwierigen Verhandlungen die erlauchte deutsche Fürstenversammlung für sich gewonnen hatte, auf einen gewissen Rückhalt wenigstens in den süddeutschen Ländern, doch wurde auch dieser kaum viereinhalb Jahre später durch die Begründung des Deutschen Reiches genommen. So hat durch die Politik Bismarcks, dem Kaiserfeld am 10. August 1866 in einem Brief mit Recht vorwirft, daß er leider nur preußisch und nicht deutsch sei, die nationale Frage in Österreich eine neue Gestalt angenommen. Den Bestand des Staates konnte nach 1866 nur mehr ·) Η. v. Z w i e d i n e c k - S ü d e n h o r s t , Deutsche Geschichte III, S. 222 f. ') F. K r o n e s , Moritz von Kaiserfeld S. 247 u. 249. Kaiserfeld war von 1870 bis 1884 Landeshauptmann der Steiermark. 8 ) Vgl. die Studie von O. R e g e 1 e , Staatspolitische Geschichtsschreibung. — W. S c h ü s s1 e r, Königgrätz 1866 S. 81 ff.

Der Ausgleich mit Ungarn 1867 und seine Folgen

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das freie Zusammenwirken der Nationen garantieren, die ihn bewohnten9), und er konnte nie mehr absolut regiert werden, weil ihm mit dem Fehlen eines starken deutschen Elementes das Instrument dazu abging10). Für eine Konstitution nach westeuropäischem Muster aber war der österreichische Vielvölkerstaat nicht geeignet. Metternich war schon davon überzeugt gewesen, daß sie zum Untergang führen müsse. Kaiser Franz Joseph selbst hat nach 1866 nur schweren Herzens und durch die Umstände dazu gezwungen, den konstitutionellen Forderungen nachgegeben. Er hat das parlamentarische System im Grunde genommen immer abgelehnt, und die Verirrungen im Abgeordnetenhaus seit 1897 schienen ihm recht zu geben, er hat sich aber trotzdem mit der Tatsache, daß es ein Parlament gab, abgefunden und sich stets ihm gegenüber korrekt verhalten11). Ebensosehr jedoch hielt er an dem Rest seines Selbstherrschertums fest, an der Möglichkeit, auf einzelne Personen, Parteien und politische Institutionen mittelbar und unmittelbar einzuwirken12). Allerdings gelang es ihm dabei nicht, zu verhindern, daß gerade das Abgeordnetenhaus zum sichtbaren Schauplatz der widerlichsten nationalen Zusammenstöße wurde. Dem Unglücksjahr 1866 folgte der sogenannte Ausgleich mit Ungarn13), die Schaffung des Dualismus, der eine „Augenblicksnotwendigkeit" war14), der aber das Nationalgefühl der Tschechen verletzte, weil sie ein ebenso unanfechtbares und unverjährbares Recht auf ihre staatliche Sonderheit zu haben glaubten wie die Magyaren15). Auf das Deutschtum der Monarchie hat sich die Schlacht von Königgrätz und die Ausscheidung aus dem Deutschen Bund nicht minder verhängnisvoll ausgewirkt. „Der natürliche blutmäßige und politische Austausch mit dem größeren Kräftefeld der Nation" war nach 1866 zerrissen und das österreichischdeutsche Element, auf sich gestellt, mußte, jetzt erst vollends zur Minderheit geworden, „dem erhöhten Widerstreit der anderen Völker des Staates und dem Zwiespalt zwischen Staatsgefühl und Nationalgefühl ausgeliefert" sein16). Nun begann sich zu erweisen, daß bereits König Friedrich II. von Preußen Österreichs deutsche Natur durch die Eroberung Schlesiens im Tiefsten getroffen und zugleich die Länder der böhmischen Krone „der Zukunft slawischer Mehrheit", die Deutschen Böhmens den Tschechen überantwortet hatte17). So war eine der unmittelbaren Folgen des Jahres 1866 die bei einem nicht geringen Teil der führenden Bildungsschicht der Deutschen Österreichs hervortretende Über') „Das Werk, welches Österreich nun von seiner eigenen Lage vorgezeichnet ist, ist ein Werk des Ausgleiches, der Freiheit und des Friedens." B. C a r η e r i, Österreich nach Königgrätz S. 21. 10 ) H. H a η t s c h, österr. Geschichte II, S. 398. ") F. F e 11 η e r, Kaiser Franz Joseph u. das Parlament. ") Η. v. S r b i k, Franz Joseph I., HZ 144, S. 522. u ) Zur rechtlichen Seite des Ausgleiches Fr. Τ e ζ η e r, Res Hungaricae S. 478—507 ; 534—552. — D e r s., Das ständisch-monarchische Staatsrecht S. 118—136. — Zur Beurteilung: H. J. B i d e r m a n n , Geschichte des Österr.-Ungar. Ausgleiches. — J. A n d r á s s y , Ungarns Ausgleich. — W. S c h ü ß l e r , Österreich u. das deutsche Schicksal S. 27—53. — J. H. S c h w i c k e r , Der österreichisch-ungarische Ausgleich. — L. E i s e η m a η η, Le compromis Austro-Hongrois. — I. 2 o 1 g e r, Der staatsrechtliche Ausgleich. — J. R e d 1 i c h, Österr. Staats- u. Reichsproblem II, S. 523 ff. ") Η. v. S r b i k, Franz Joseph I., HZ 144, S. 523. ") H. H a η t s c h, Die Nationalitätenfrage S. 56. ") H. v. S r b i k, Zur gesamtdeutschen Geschichtsauffassung S. 261. ") H. v. S r b i k, Deutsche Einheit I, S. 102 f.

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III. Versäumte Gelegenheiten 1848—1890

betonung des Nationalgefühls auf Kosten der österreichischen Staatsidee. Georg Schönerer und Karl Hermann Wolf mit ihren irredentistischen Zielen sind ohne das Jahr 1866, ohne den Bruch in der österreichischen Tradition, die ja im deutschen Lebensraum vorher ihre Aufgaben mit zu erfüllen hatte, einfach undenkbar. Nun erst wurde von diesem Teil der Österreichdeutschen das Haus Habsburg als deutschfeindlich angesehen, obwohl es der Emporkömmling Preußen gewesen war, der es aus Deutschland hinausgedrängt hatte. Ein anderer Teil der Deutschösterreicher wiederum konnte sich in die Tatsache nicht hineinfinden, daß sich Nation und Staat nicht deckten. Für diesen Teil gilt die Feststellung, daß die bedeutendste Wirkung von 1866 auf die Deutschösterreicher „das nunmehr gleichsam aufgenötigte Gefühl ihrer österreichischen Sendung" war, das sie in der Aufgabe, „der Kitt im Bau eines zentralistischen Österreich zu sein", sahen18). Dieser Glaube reicht allerdings schon in die Zeit Maria Theresias zurück. Er trat 1848/49 in aller Deutlichkeit hervor, um nach Königgrätz verstärkt sich durchzusetzen. Heinrich von Srbik bekannte sich stets zu dieser Anschauung. Die Deutschen Österreichs blieben nach seiner Ansicht auch nach 1866 und 1871 „das eigentliche Staatsvolk in der Monarchie, sie blieben der Kitt und die festen Quadern des Ganzen, sie haben ihr Bestes für den Staat hingegeben", obwohl Österreich kein deutscher Staat mehr genannt werden konnte19). Wir dürfen jedoch die andere Seite nicht übersehen. Schon „der Liberalismus, der große Besserwisser, drängte die Deutschen in die Rolle des Staatsschulmeisters, die für sie höchst undankbar wurde"20). Unter der Leitung Schmerlings hätten die Deutschen durch Anerkennung der Rechte der anderen Nationen viel gewinnen können, aber damals glaubte ja Schmerling noch an die Aufrechterhaltung und Stärkung der Vorherrschaft Österreichs im Deutschen Bund, die sich auf die Position der Deutschen in Österreich auswirken mußte. Die Niederlage gegen Preußen im Kampf um die Vormachtstellung in Deutschland hat die Niederlage im Innern bedingt. Es wird heute gern beim Ringen und Suchen um die österreichische Idee darauf hingewiesen, daß der Anspruch der Deutschen, in der Monarchie der Kitt gewesen zu sein, zu Unrecht erhoben werde. Abgesehen von tschechischen und magyarischen Aussprüchen, welche als Beweis für die zentrifugalen Tendenzen dieser Nationen angeführt werden könnten, darf nicht übersehen werden, daß dieses Österreich in seiner geschichtlichen Entwicklung eben die deutsche Lösung des Problems des Donauraumes bedeutet hatte — eine Lösung, die 1866 allerdings zu zerbröckeln begann. Es geht daher nicht an, die durch die unheilvolle großpreußisch-kleindeutsche Lösung entstandene Problematik der Stellung der Deutschen in Österreich diesen als Schuld anzurechnen. Der deutsche Ursprung und Charakter der österreichischen Stamm- und nach 1918 verbliebenen Restlande kann nicht geleugnet werden, nur wird der Fehler gemacht, ihn mit dem unechten Deutschtum Bismarcks und Preußens gleichzusetzen. Österreich hat auch nach 1866 noch lange Zeit, bis Schönerer und Wolf kamen, versucht, das andere, bessere Deutschtum zu erhalten und die Lösung des donauländischen Problems im slawisch-magyarischen Sinne, wenn auch auf falschen Wegen, zu verhindern. Denn darüber kann kein Zweifel bestehen, daß die ") W. W e i z s ä c k e r , Zur Geschichte des österreichischen Staatsgefühls S. 321. Vgl. dazu auch W. S c h ü ß 1 e r , Österreich u. d. Südosten S. 213. — D e r s . , Königgrätz 1866 S. 81— 88. — R. F. Κ a i η d l , 1848/49— 1866— 1918/19. 19 ) Η. v. S r b i k , Die Reichsidee S. 469. 20 ) Η. v. Z w i e d i n e c k - S ü d e n h o r s t , Deutsche Geschichte III, S. 223.

Versuchter Ausgleich mit Böhmen 1871

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Tschechen, wenn sie sich zu Österreich bekannten, ein slawisches Österreich meinten, das aber nicht mehr das historisch gewordene gewesen wäre. Nichts ist doch bezeichnender als jene Forderung Karl Havliöeks im Jahre 1848, Österreich müsse zwar weiterbestehen, aber seinen bei den Slawen so verhaßten Namen ändern. Die Nationalitätenfrage in Österreich hat also auch eine außenpolitische Seite, hat als Problem des südöstlichen Alpen- und Donauraumes gesehen und gewertet zu werden. Die überwiegende Staatstreue tschechischer Beamter, die geradezu selbstverständliche Erfüllung des Fahneneides durch slawische militärische Einheiten im Ersten Weltkrieg, mit Ausnahme einiger tschechischer Regimenter, zeugen für die starke Bejahung der habsburgischen Monarchie durch die breiten Massen des Volkes trotz aller Unterminierungen durch politische Parteien und Presse. Als das die Monarchie verbindende Element muß bei Würdigung dieser Tatsachen bis zum Beginn der eigenen, preußischdeutschnationalen Verirrungen das deutsche Element angesehen werden, das allerdings diese Funktion ohne so große Nachteile für seinen eigenen Bestand auch bei einer föderativen Umgestaltung hätte ausüben können und müssen. Die Monarchie ist ja eben deshalb zerfallen, weil die Deutschen ihre Aufgabe, der Kitt zu sein, als eine Vorherrschaft angesehen, also falsch verstanden und durch den bürokratischen Zentralismus falsch erfüllt hatten. Die Gründung des Deutschen Reiches 1871 zwang die österreichische Regierung an die Befriedigung der Tschechen zu denken, wie dies 1866 gegenüber Ungarn notwendig gewesen war. Um diese Aufgabe, die schon zu den offenen und umstrittenen Fragen des Bürgerministeriums zählte21), zu lösen, berief am 27. Februar Kaiser Franz Joseph den Statthalter Graf Karl Siegmund Hohenwart als Ministerpräsidenten, der sogleich die Fäden nach Prag zu knüpfen begann22). Vor allem Albert Schäffle, ein Konvertit aus Schwaben, Gegner des liberalen Wirtschaftssystems und seit 1868 Professor für Nationalökonomie an der Wiener Universität, war das treibende Element. Wie später bei Badeni, so entglitten 1871 Hohenwart die Zügel, die von Schäffle und der böhmischen Opposition unter Rieger ergriffen wurden. Ende Mai übersandten Rieger und Palacky an Schäffle eine Denkschrift, und schon im Juni kam es zwischen Regierung und Opposition auf Grund wohlvorbereiteter Unterlagen zu Verhandlungen, wobei die Regierung nur eine Landtagswahlordnung, die Opposition aber das Aktionsprogramm, ein an den Landtag zu erlassendes Reskript, die Antwortadresse des Landtages, ein Nationalitätengesetz, das Rieger zum Verfasser hatte, und den verfassungsrechtlichen Teil ausgearbeitet hatte23). Diesem verfassungsrechtlichen Teil war vom Grafen Clam-Martinic bezeichnenderweise der Titel „Fundamentalartikel" gegeben worden, durch welche die gesamte richterliche Gewalt, die Gesetzgebungs- und Regierungsgewalt in allen nicht ausdrücklich als gemeinsam erklärten Angelegenheiten auf Böhmen übergegangen wären, welche also den Sinn haben sollten, den Dualismus in einen Trialismus, die österreichisch-ungarische Monarchie in eine österreichisch-ungarisch-böhmische zu verwandeln. Um die Einwilligung der Deutschböhmen zu ihrer Loslösung vom bisherigen zisleithanischen Einheitsstaat und ihrer Inkorporierung in den al

) F. F e 11 η e r, Kaiser Franz Josephs Haltung S. 328 f. ) Ε. Β ü c h s e 1, Die Fundamentalartikel. — W. R o g g e , Österreich von Világos III, S. 391. — A. K n o l l , Die Deutschen in Böhmen. — P. M o l i s c h , Deutsch-tschechische Ausgleichsverhandlungen. — Κ. Κ a ζ b u η d a, Ke zmaru ceského vyrovnáni. — Α. O. Z e i t h a m m e r , Zur Geschichte der Böhmischen Ausgleichsversuche. 2S ) Ε. Β e r η a t ζ i k, österr. Verfassungsgesetze S. 1097—1108.

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III. Versäumte Gelegenheiten 1848—1890

„böhmischen Staat" mit tschechischer Majorität zu erkaufen, suchten die Tschechen eine Sonderregelung des Verhältnisses der Nationalitäten durch ein als Landesangelegenheit erklärtes Nationalitätengesetz zu treffen. Dieses Nationalitätengesetz von 1871 ist im Anschluß an die zweite Redaktion des 1867 von Fischhof entworfenen Sprachengesetzes entstanden24), doch zeigt es Abweichungen, auf die Rieger mit Nachdruck von Fischhof aufmerksam gemacht wurde. Auf die Bedenken Fischhofs wollten die Tschechen jedoch keineswegs eingehen, da sie aus freien Stücken nur innerhalb gewisser Grenzen den Deutschböhmen entgegenzukommen bereit waren. Das Nationalitätengesetz von 1871 versucht zwischen den Rechten der Nationalität als solcher und den Rechten der einzelnen Angehörigen der Nationalität zu unterscheiden25). Seine wichtigste Bestimmung für den Schutz der Nationalität als solcher ist die Einteilung des Landtages in nationale Kurien, womit diese zum ersten Male in die praktische Nationalitätenpolitik eingeführt wurden. Das Wesen nationaler Kurien an sich ist durch ihren Zweck gegeben, für ein bestimmtes Gebiet der Gesetzgebung oder Verwaltung die absolute Herrschaft der Mehrheit auszuschließen und an deren Stelle das Erfordernis der Einstimmigkeit oder Übereinstimmung der in Betracht kommenden Interessengruppen zu setzen. Demnach sah das vom böhmischen Landtag zwar votierte, aber von der Krone nicht sanktionierte Nationalitätengesetz die Bestimmung vor, daß im Landtag zum Schutze der Unverletzlichkeit des gleichen Rechtes beider Nationalitäten jeder Gesetzentwurf, der Bestimmungen über den Gebrauch der Sprache im öffentlichen Leben, bei Behörden und solchen Bildungsanstalten enthält, welche nicht ausschließlich der anderen Nationalität gewidmet sind, nach der zweiten Lesung noch einer Abstimmung nach Nationalkurien unterzogen werden sollte26). M

) R. C h a r m a t z, A. Fischhof S. 256 u. 266 ff. ) Texte der Regierungsvorlage, des von Rieger als Berichterstatter dem böhmischen Landtag vorgelegten Berichtes und des mit diesem Kommissionsbericht beantragten, veränderten Wortlautes, gekürzt bei R. S 1 a w i t s c h e k, Sprachengebrauch bei den autonomen Behörden S. 805—808. — Vollständiger Text des „Nationalitätengesetzes" bei Ε. Β e Γη a t ζ i k, österr. Verfassungsgesetze S. 1093—1097. 2li ) Allerdings wäre die deutsche Kurie durch die Bestimmungen des § 11 in ihrer Zusammensetzung schwerstens bedroht gewesen, denn dort heißt es : „Die Nationalkurien werden in folgender Weise gebildet: Die Vertreter der Wahlbezirke der Städte und Landgemeinden gehören der Kurie jener Nationalität an, welcher ihre Wahlbezirke angehören. Die Vertreter sprachlich gemischter Bezirke haben beim Eintritt in den Landtag die W a h 1, ob und in welche Kurie sie eintreten wollen. Die Vertreter des Großgrundbesitzes sind in die Kurie jener Nationalität einzureihen, welcher der Bezirk angehört, in welchem ihr Besitz gelegen ist. Liegt derselbe in Bezirken verschiedener Nationalität, oder in sprachlich gemischten Bezirken, so steht es ihnen frei, ob und in welche Kurie sie sich einreihen lassen wollen. Das gleiche Recht gilt für die Virilstimmenberechtigten und für die Vertreter der Großindustrie. Die Nationalkurien haben sich nach Zusammentritt des Landtages zu einer neuen Session zu konstituieren und ihren Obmann zu wählen. In der Geschäftsordnung des Landtages müssen die nötigen Bestimmungen getroffen werden, welche es der Kurie möglich machen, die ihr zustehenden Rechte auszuüben." — W. R o g g e (Österreich seit Világos III, S. 459) nennt diese Bestimmungen eine „kolossale Fopperei", da die deutsche Kurie „unfehlbar durch Deutsche vom Schlage der Thun, Lobkowitz, der Salm, der Schwarzenberg usw. derart überschwemmt" worden wäre, „daß das germanische Element darin eine verschwindende Minderheit ausgemacht hätte". Die gleichen schweren Bedenken äußerte A. F i s c h h o f in einem Brief vom 29. September 1871 („Ein Brief Riegers an Adolf Fischhof." In: Die Zeit, Wiener Tageszeitung, 14. März 1903. Ebenso bei R. C h a r m a t z, A. Fischhof S. 270 f.) :

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Das böhmische Nationalitätengesetz

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Nach einer solchen Abstimmung gilt ein Gesetz für abgelehnt, wenn „die absolute Majorität der Gesamtzahl einer Kurie gegen sie gestimmt" hat. Über dieses Recht negativer Richtung hinaus sollte jede Nationalkurie in positiver Hinsicht bei der Votierung des Budgets die Verwendung der für Unterrichtszwecke bestimmten Beträge im Verhältnis des Steuerertrages aus den Bezirken ihrer Nationalität erlangen (§ 12). Eine für die Deutschen in Böhmen günstige Be„Zur Motivierung meiner Ansicht, daß die G r o ß g r u n d b e s i t z e r aus den nationalen Kurien ausgeschieden werden sollen, muß ich etwas weiter ausholen. Wie das Nationalitätengesetz die Basis des österreichischen Föderativstaates, so ist das Kuriatvotum das Fundament des Nationalitätengesetzes. Die nationale Kurie ist die Festung, innerhalb welcher die nationale Minorität sich erfolgreich gegen die Angriffe der nationalen Majorität verteidigen kann, solange die Besatzung eine ungemischt nationale, eine verläßliche ist. Mengt man aber dieser nationalen Besatzung fremde, zweifelhafte oder gar feindliche Elemente bei, so wird aus der Festung eine Falle. Für die Beurteilung der Nationalität eines Großgrundbesitzers gibt es kein sicheres Kriterium. Seine Nationalität von der örtlichen Lage seines Besitzes abhängig zu machen, wie dies in Ihrem Gesetz geschieht, ist die größte Willkür, die wahrhaft befremdend in einem Gesetze ist, das die Nationalität jedes Staatsbürgers schützen soll. Es kann jemand ein sehr guter Tscheche sein und seinen Grundbesitz in einem deutschen Lande haben und umgekehrt. Ihr Gesetz schafft MußTschechen, Muß-Deutsche und ist wahrhaft verletzend für die Großgrundbesitzer und gefährlich für die nationalen Kurien. Wie dem einen Teile der Großgrundbesitzer unberechtigter Zwang angetan wird, so wird dem anderen Teile, der zufällig in einem national gemischten Bezirke Grundbesitz hat, unbeschränkte Freiheit gelassen. Er kann nämlich bestimmen, ob er in eine nationale Kurie eintreten will und in welche. Diese unbeschränkte Freiheit ist für die nationalen Kurien noch gefahrlicher als der früher besprochene Zwang, denn es ist nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich, daß der in seiner Wahl Unbeschränkte im Interesse seiner nationalen Partei sich in die Kurie der Gegenseite einreihen werde. Die deutsche Kurie wäre dabei immer mehr bedroht, weil sie numerisch schwächer ist als die tschechische und ihr Veto daher durch Eindringlinge viel leichter illusorisch gemacht werden kann. Die Landtagskommission will zwar, wie Sie mir mitteilen, daß die Großgrundbesitzer beim Veto der Kurie nicht mitstimmen, aber erstens genügt das Fernhalten der Großgrundbesitzer von der Abstimmung nicht. Jede Nationalität soll in ihrer Kurie en famille sein, ganz vertraulich und ungezwungen verhandeln und das Geheimnis ihrer Pläne bewahren können. Zweitens ist im böhmischen Sprachengesetzentwurfe den Kurien nicht bloß ein Veto zugedacht, sondern auch die Initiative in der wichtigsten Nationalfrage, in der Schulfrage nämlich. Deshalb wäre das Eindringen mitberatender und mitbeschließender fremder Elemente auf das höchste gefahrlich. Es bleibt darum nichts übrig, als die Großgrundbesitzer von den Kurien und von den Kuriatvoten auszuschließen. Es wird ihnen hierbei kein allzu großes Opfer auferlegt, denn daß sie das nationale Interesse des einen oder anderen Volksstammes sich zu Herzen nehmen, haben sie in den letzten zehn Jahren nicht bewiesen. Die Abgeordneten dieser Gruppe sind weit mehr Vertreter einer Gesellschaftsklasse als einer Nationalität. Sollten die Großgrundbesitzer ihrer Ausschließung aus den Kurien nicht zustimmen, so bliebe kein anderer Ausweg, als der in meinem ersten Briefe angedeutete. In bezug auf die Vertreter der Städte und Landgemeinden gemischtsprachiger Bezirke gilt dasselbe, was von den Großgrundbesitzern dieser Bezirke gesagt wurde. Die Wahl der Kurie kann ihrem Belieben anheimgestellt werden. Da es jedoch in den meisten Fällen ein Kriterium für die Bestimmung ihrer Nationalität gibt, so sind sie in den Kurien einzureihen. Zur Hintanhaltung jeder Willkür beim Einreihen erlaube ich mir folgendes zu proponieren: Am Beginne jeder Landtagssession konstituieren sich die beiden nationalen Kurien, jedoch werden vorerst in dieselben nur die Abgeordneten der ungemischten Wahlbezirke eingereiht. Die so gebildeten Kurien bestimmen nun durch Vereinbarung, in welche Kurie jeder Vertreter eines gemischten Wahlbezirkes einzureihen sei. Jene Mitglieder, über welche eine Vereinbarung nicht erzielt werden kann (was wohl höchst selten der Fall sein wird), bleiben während der ganzen

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Stimmung, da sie über die Hälfte der Steuern aufbrachten 27 ) und nach § 12 Alinea 2 die Nationalkurien dazu das Recht der Besteuerung ihrer Nationsangehörigen für Unterrichtszwecke haben sollten. Hier liegen die Ansätze für die 1902 von Karl Renner geforderte Vermögensfähigkeit der als Nationsganzes gedachten Nationalkurien28). Nationale Schiedsgerichte waren im ursprünglichen Entwurf von 1871 enthalten, wurden jedoch wegen befürchteter Schwierigkeiten fallengelassen. Dagegen gaben die Tschechen hinsichtlich der nationalen Arrondierung nach, so daß der § 4 bestimmte : „Die Bezirke zum Zwecke der Verwaltung und die Wahl in die Vertretungskörper sind so einzuteilen, daß jeder derselben, soweit möglich, nur aus Gemeinden einer und derselben Nationalität bestehe." Um dem Begriff der Gleichberechtigung angeblich weitestgehend gerecht zu werden, schrieb das Nationalitätengesetz die Doppelsprachigkeit der Landesgesetze, der Verhandlungen im Landtag und der Protokolle vor. Die Vorsitzenden des Landtages hatten beider Sprachen mächtig zu sein (§ 3). Die Amtssprache einer Gemeinde sollte durch die Gemeindevertretung, allenfalls durch Abstimmung aller wahlberechtigten Gemeindemitglieder bestimmt oder festgestellt werden. In Gemeinden mit einer nationalen Minderheit von wenigstens einem Fünftel der Wahlberechtigten — eine Härtebestimmung für die deutschen Gebiete — und jedenfalls auch in Prag als der Landeshauptstadt, hätte die andere Landessprache subsidiarisch insoweit in Amtsgebrauch zu treten gehabt, daß die Gemeindeorgane im Verkehr mit den Parteien auch Eingaben in der Sprache der Minderheit anzunehmen, zu verbescheiden und Protokolle aufzunehmen gehabt hätten. Ebenso sollten alle öffentlichen Kundmachungen unter der gleichen Voraussetzung zweisprachig erscheinen (§ 5). Die Amtssprache der Mehrheit der Gemeinden eines Bezirkes sollte auch die Amtssprache der Bezirksvertretung sein. Sofern sich im Bezirk auch nur eine Gemeinde der anderen Nationalität befinde, so sollte ihre Sprache als Subsidiarsprache gelten (§ 6). Die Amtssprache der Bezirksvertretung hätte auch als Amtssprache der landesfürstlichen Bezirksbehörden und Gerichte zu dienen gehabt, doch sollte bei allen diesen Ämtern im Verkehr mit den Parteien die andere Landessprache insofern zugelassen sein, daß in dieser Eingaben anzunehmen, zu verbescheiden und Protokolle aufzunehmen gewesen wären (§ 7). Das bedeutete nun wieder die Durchbrechung der von den Deutschen verfochtenen Idee eines geschlossenen deutschen Siedlungsund Verwaltungsgebietes, das anzuerkennen die Tschechen aus ihren staatsrechtlichen Vorstellungen zu vermeiden suchten. Im Verkehr untereinander, ebenso mit vorgesetzten Stellen, sollten sich die Behörden der eigenen Sprache bedienen. Vorgesetzte Behörden sich aber an unterstellte in deren Sprache wenden. Als Amtssprache aller Zivilbehörden, deren Wirkungskreis sich auf das ganze Land erstreckt, hätte Tschechisch und Deutsch gleichmäßig angewendet werden sollen. Die für die Verwaltung des ganzen Landes bestellten landesfürstlichen und autonomen Zivilbehörden sowie die für die Rechtsprechung in höherer Instanz berufenen Gerichtshöfe sollten so zusammengesetzt sein, daß bei diesen Session von den Kurien und von dem Kuriatvotum ausgeschlossen. Diese Mitglieder sind auszuschließen, weil kein Zweifelhafter in eine der beiden nationalen Kurien eintreten darf. Die nationale Kurie absichtlich oder unabsichtlich durch Pseudonationale verunreinigen, hieße die Keime raschen Verderbens in den Boden der österreichischen Föderativverfassung legen." î7 ) F. W i e s e r , Die deutsche Steuerleistung. 2S ) K. R e n n e r , Der Kampf der österr. Nationen.

Das böhmische Nationalitätengesetz

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in beiden Landessprachen hätte verhandelt werden können (§ 8). Eine Formulierung, durch die geschickt die wörtliche Anerkennung des Tschechischen als innere Amtssprache vermieden worden war. D i e für die D e u t s c h e n einschneidendsten Bestimmungen enthielt der § 9, der in Hinblick auf den A n n e x zur Badenischen Sprachenverordnung interessant ist u n d der den Artikel 9 des Pillersdorfschen Kabinettschreibens v o m 8. April 1848 wieder aufnahm, der bestimmt hatte, daß von n u n an „in B ö h m e n alle öffentlichen Ämter u n d Gerichtsbehörden nur durch Individuen, welche beider Landessprachen kundig sind, besetzt werden" sollten. D a s Nationalitätengesetz v o n 1871 geht allerdings in seinen Bestimmungen über die „Böhmische Charte" v o m 8. April 1848 hinaus: „§ 9. Bei landesfürstlichen Behörden im Königreiche Böhmen darf niemand als K o n z e p t s b e a m t e r oder R i c h t e r angestellt werden, der nicht b e i d e r Landessprachen in Wort und Schrift mächtig ist. Insolange sich in Böhmen im öffentlichen Dienste Beamte vorfinden, welche nur einer Landessprache mächtig sind, ist dafür Sorge zu tragen, daß dieselben nur in solchen Bezirken verwendet werden, wo diese Sprache die Amtssprache ist. Autonome Behörden sind verpflichtet, Vorsorge zu treffen, daß die Anwendung der (Subsidiaramtssprache)29), soweit sie nach dem Gesetze einzutreten hat, vollständig zur Durchführung gelangen kann." G e g e n die Formulierung dieses Paragraphen hat sich Fischhof in einem Brief an Rieger mit aller Bestimmtheit gewandt 3 0 ) : „Schon das erste flüchtige Durchlesen des soeben publizierten N a t i o n a l i t ä t e n g e s e t z e n t w u r f e s hat mich frappiert. Ich kann in diesem Augenblicke noch nicht in eine detaillierte Kritik eingehen und Ihnen alles das bezeichnen, was ich in demselben vermisse und was ich an demselben tadle. Übrigens wird ein Vergleich des publizierten Entwurfes mit dem meinigen, der sich in Ihren Händen befindet, und mit dem Kapitel: ,Zum Schutze der nationalen Minoritäten' in meiner Schrift ,Österreich und die Bürgschaften seines Bestandes' Ihnen bald die Überzeugung verschaffen, daß in dem veröffentlichten Entwürfe große Lücken vorhanden sind. . . . Gegen Paragraph 9 muß ich vom Standpunkte der Gleichberechtigung sowohl, wie auch als Deutscher entschieden Einwand erheben. Wozu bedarf e i n B e a m t e r e i n e s r e i n d e u t s c h e n B e z i r k e s (in Böhmen) der K e n n t n i s der t s c h e c h i s c h e n S p r a c h e ? Dieser Paragraph ist entschieden zugunsten der tschechischen Beamten ersonnen und wird überall in deutschen Kreisen die größte Indignation hervorrufen. Er ist um so gehässiger, als er überflüssig ist, da bei Verwirklichung der Gleichberechtigungsidee in Böhmen jeder Beamte, schon um sein Avancement zu erleichtern, sich die Erlernung beider Landessprachen angelegen sein wird lassen." A u f die Kritik Fischhofs gegen den § 9, gegen den sich ebenso der Protest der deutschböhmischen Presse wendete, antwortete Rieger: „Denken Sie sich einmal das Gegenteil des Grundsatzes im Paragraphen 9 aufgestellt: ,Beamte und Richter in deutschen Gegenden müssen nicht Böhmisch, in böhmischen nicht Deutsch können!' Mit dieser einzigen Bestimmung ist der Deutschböhme fortan nur in einem Drittel, der Böhme nur mehr in zwei Drittel des Landes zu Hause. Im übrigen Landesteile ist er Fremdling. Denn er kann mittels seiner Sprache nicht Recht, nicht Schutz verlangen, noch erhalten, außer mit Hilfe teurer Dolmetsche und Advokaten, oder mit enormem Zeitverluste nach Delegierung an andere, seiner Sprache mächtige Behörden und Gerichte. Halten Sie das für rätlich, für zweckmäßig? Geben wir etwa ein Gleichberechtigungsgesetz für die Beamten oder für Millionen von Bürgern ? Sollen diesen Millionen zulieb die wenigen Beamten " ) Regierungsvorlage. Im Landtagsbeschluß dafür „Sprache der Minorität". E. B e r n a t z i k , österr. Verfassungsgesetze S. 1095. — Siehe Anhang 7, S. 291. 30 ) R. C h a r m a t ζ, Α. Fischhof S. 266 ff. 6

Sutter, Sprachenverordnungen I.

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sich nicht die Mühe nehmen, die zweite Landessprache zu lernen ? . . . Ist das etwa ein Sprachenzwang, wenn man von einem Kandidaten der klassischen Literatur verlangt, daß er Latein lerne ? . . . Ist nicht jeder Bissen Brot, den der Beamte ißt, zum Teil mit böhmischem, zum Teil mit deutschem Gelde bezahlt ? Gibt es überhaupt einen Zwang, Beamter zu werden ? Man hat davon gesprochen, daß man die Deutschen zu Bürgern zweiten Grades machen wolle. Nie tut man es mehr, als wenn man Ihrem Wunsche gemäß festsetzt, daß kein Beamter und Richter in böhmischen Gegenden der deutschen (wie keiner in deutschen der böhmischen) Sprache mächtig sein müßte. Dann ist eben der Deutsche in zwei Drittel des Landes nicht mehr Vollbürger. Der böhmische Beamte, zu dem er kommt, kann ihm (auch selbst wenn er deutsch spricht) aus Bequemlichkeit oder justament höhnisch zurufen: Nix deutsch! Soll es dazu kommen? Wer wird darunter leiden? . . . "

Die Deutschen mußten die Auswirkungen dieses Paragraphen anders als Rieger beurteilen, denn es ging bei vollkommener Doppelsprachigkeit der Beamten darum, daß rein tschechisch Gesinnte in deutsche Gebiete versetzt werden konnten, dort als ein Ansatzpunkt slawisierender Tendenzen gewirkt hätten und bei Entscheidungen in nationalitätenpolitischer Hinsicht sowohl in der Verwaltung als auch bei Gericht naturgegeben parteiisch gewesen wären. In gemischtsprachigen Gebieten hätte überhaupt nur eine proportionale Besetzung der Amtsstellen mit Deutschen und die Teilung der Gerichte in nationale Senate den Frieden bringen können. Die Bestimmungen über die Doppelsprachigkeit der Beamten in Böhmen, diese Kampfforderungen der nationalen Tschechen, die sich von 1848 an über den Nationalitätengesetzentwurf von 1871 bis zur Badenischen Sprachenverordnung verfolgen lassen, standen 1871 allerdings gar nicht im Vordergrund der deutschen Abwehr. Am 14. September 1871 war der böhmische Landtag mit dem zwischen der Regierung und den Tschechen vereinbarten Reskripte eröffnet worden, das die Anerkennung des böhmischen Staatsrechtes aussprach31) und die staatsrechtliche Neuregelung hinsichtlich Böhmens ankündigte. Deshalb schon blieb bereits der zweiten Landtagssitzung die deutsche Minorität fern und begründete ihren Schritt in einer dem Oberstlandmarschall zugesandten Denkschrift damit, daß nach dem Geiste des Reskriptes, durch das ausdrücklich das böhmische Staatsrecht Anerkennung finde, „der derzeitige böhmische Landtag unleugbar als ein von der Grundlage der bestehenden Verfassung losgelöster konstituierender Landtag" und demnach mit dem bestehenden Verfassungsrecht nicht vereinbar anzusehen sei. Weiters wurde feierlich gegen „eine Politik, durch welche der nationale Zusammenhalt der Deutschen in Österreich zerrissen werden soll", protestiert und „Verwahrung eingelegt gegen alle Beschlüsse des Landtages, welche dessen verfassungsmäßige Kompetenz überschreiten, oder nicht innerhalb der durch die Landesordnung vorgeschriebenen Form gefaßt werden"32). Die Deutschböhmen blieben mit diesem Protest nicht allein. Die fünf verfassungstreuen Landtage : Steiermark, Kärnten, Niederösterreich, Salzburg und Schlesien legten Rechtsverwahrung gegen die einseitige staatsrechtliche Umgestaltung Österreichs ein. Reichskanzler Friedrich Ferdinand Graf Beust übergab am 13. Oktober dem Kaiser eine Denkschrift des Inhaltes, daß die Fundamentalartikel annehmen auf ein einheitliches Prinzip der auswärtigen Politik verzichten hieße. Später griff, nachdem der Kaiser seinen Rat beansprucht hatte, der ungarische Ministerpräsident Julius Graf Andrássy ein, dem als Schöpfer des Ausgleiches von 1867 daran gelegen sein mußte, daß die staatsrechtlichen Grundlagen des Dualismus gewahrt blieben. ") Ε. Β e r η a t ζ i k, Verfassungsgesetze S. 1091 f. 3a ) W. R o g g e, Österreich von Világos III, S. 459 f.

Das Scheitern des böhmischen Ausgleiches

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Unter dem Druck der Verhältnisse gab Kaiser Franz Joseph nach. Am 26. Oktober reichte Hohenwart seine Demission ein, den der Monarch am nächsten Tag zum Verbleiben im Amte bestimmen wollte, jedoch ohne Erfolg. Am 30. Oktober entließ der Kaiser das Ministerium. In dem am 4. November an den Prager Landtag abgesandten Reskript wurden die „maßlosen Zugeständnisse an das böhmische Staatsrecht", die „die Krone bloßstellten", zurückgenommen. Allein diese Zurücknahme hat vollends zur Vergiftung des deutsch-tschechischen Verhältnisses beigetragen33). Jahrelang hat sich das mißlungene Verfassungsexperiment ausgewirkt, nicht nur in Böhmen, sondern in der ganzen zisleithanischen Reichshälfte, da in allen ihren Teilen aufgehorcht worden war. So wollten natürlich auch die Slowenen am anfänglichen, scheinbaren Erfolg der Tschechen ihren Gewinnanteil haben. In einer Adresse an den Krainer Landtag verlangte der Slowenenklub am 13. Oktober „die heißersehnte Vereinigung aller Slowenen in ein administratives und, soweit möglich, staatsrechtliches Gebiet". Bis das Königreich Slowenien fertig war, sollte eine dem slowenischen Landtag in Laibach verantwortliche Landesregierung geschaffen werden. Einen Hinweis auf die Fundamentalartikel allerdings mußten die Slowenen vermeiden, denn nie hätte dieses geplante Königreich Slowenien budgetmäßig für seine eigenen Bedürfnisse sorgen, seine Quoten für den Gesamtstaat, die gemeinsamen zisleithanischen staatlichen Angelegenheiten und für die Staatsschuld aufbringen können. So wies der Laibacher Landtag darauf hin, daß er die Pflicht habe, Krain vor Steuerüberbürdung zu bewahren und daß er bei einer staatsrechtlichen Umgestaltung der Monarchie auf „gewissenhafte Berücksichtigung der verschiedenen materiellen Leistungsfähigkeit" in den einzelnen Königreichen und Ländern dringen müsse. Walter Rogge höhnt in seiner österreichischen Geschichte in diesem Zusammenhang die Slowenen, daß „den Liliputanern bereits bei ihrer Gottähnlichkeit bange" ward34). Die Forderung der Slowenen, mögen sie berechtigt gewesen sein oder nicht, zeigen jedoch, daß die Befriedigung der Nationalitäten nicht einseitig zwischen Krone und Tschechen oder zwischen den Deutschen und den Tschechen in Böhmen allein gefunden werden konnte. Es war der große Fehler, daß die österreichischen Staatsmänner nur nach Böhmen starrten und sich von den Vorgängen dort ihr Handeln vorschreiben ließen. Eine staatsrechtliche Lösung der nationalen Probleme der zisleithanischen Reichshälfte hätte nur dann Erfolg haben können, wenn sie gleichsam für alle Provinzen erlassen und durchgesetzt worden wäre. Auch hier lohnt sich ein Vergleich mit den Badenischen Sprachenverordnungen, die ebenfalls den Tschechen entgegenkommen wollten und schließlich zurückgenommen werden mußten. Wie 1871 wird 1897/98 das zweite Übel ärger sein als das erste, der mit untauglichen Mitteln unternommene Versuch einer Lösung den Nationalitätenhader verschärfen und das Zusammenleben der beiden Völker in Böhmen vergiften. 1871 und 1897 wurde der Befriedungsversuch von Männern getragen, zuerst von Schäffle, dann von Badeni, denen die innerste Struktur des Staates fremd war. Die Deutschen wurden 1871 gar nicht, 1897 nur informativ herangezogen. Ein wesentlicher Unterschied allerdings besteht: Die Regierung versuchte 1871 sich und die Krone mit den Tschechen, 1897 darüberstehend die Tschechen mit den Deutschen zu vergleichen. Beide Versuche mißlangen. M

Η. v. S r b i k, Böhmische Tragödie S. 1049. ) W. R o g g e , Österreich von Világos III, S. 470 f.

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III. Versäumte Gelegenheiten 1848—1890

War Kaiser Franz Joseph vor dem entschiedenen Widerstand der ungarischen Regierung und der deutschen Liberalen zurückgewichen und hatte er Hohenwart fallengelassen, so blieb der Sprachenentwurf von 1871 doch das Programm der Tschechen. Er tauchte im wesentlichen unverändert in einer Denkschrift im Oktober 1879 wieder auf, die vor der Reichsratseröffnung vom Grafen Heinrich Jaroslav Clam-Martinic gemeinsam mit Rieger dem Kaiser namens der tschechischen Partei überreicht wurde35) und die Kaiser Franz Joseph einer Ministerialkommission überwies. Nach diesem Memorandum sollte jede Angelegenheit in der Sprache, in der sie anhängig gemacht wurde, durch alle Instanzen behandelt werden, also das Tschechische als gleichberechtigte innere Amtssprache bis in die Zentralstellen gelten. Das deutsche Gegenmemorandum, verfaßt von Landtags- und Reichsratsabgeordneten, lehnte Tschechisch als innere Amtssprache, die Doppelsprachigkeit für Beamte und die von den Tschechen ebenso geforderte Utraquisierung der Prager Universität rundweg ab. Anläßlich der Budgetdebatte des Jahres 1880 wurden von den Tschechen, die im Oktober 1879, wenn auch unter Rechtsverwahrung und Vorlage einer Deklaration, endlich in das Parlament eingetreten waren, ihre Forderungen in der Sprachenfrage mit allem Nachdruck wiederholt. Ministerpräsident Graf Eduard Taaffe, der sie bei der Majorität halten mußte, da die Existenz seines Ministeriums davon abhing, konnte die von ihnen präsentierte Rechnung nicht einfach negieren. So erschienen am 19. April 1880, getrennt für Böhmen und Mähren, zwei gemeinsame Verordnungen der Minister des Innern und der Justiz, die sogenannten Taaffe-Stremayrschen Sprachenverordnungen. Damit war jener unglückselige Reigen von Verordnungen eröffnet, die, statt die Gemüter zu beruhigen, wie ehrlichen Sinnes geglaubt wurde, Öl in das Feuer des Nationalitätenhasses gössen und die Flammen der Leidenschaft bis zu blutigen Ausschreitungen in Prag, Eger und Graz aufzüngeln ließen. Die Taaffe-Stremayrschen Sprachenverordnungen36) sind keineswegs auf alle Forderungen der tschechischen Denkschrift von 1879 eingegangen, sondern haben auf dem Grundsatz verharrt, daß Deutsch die innere Amtssprache im schriftlichen Verkehr der Gerichte untereinander und mit den anderen landesfürstlichen Behörden zu sein habe. Das Zugeständnis an die Tschechen bestand hauptsächlich darin, daß die politischen, gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Behörden verpflichtet wurden, „die an die Parteien über deren mündliche Anbringen oder schriftliche Eingaben ergehenden Erledigungen in jener der beiden Landessprachen auszufertigen, in welcher das mündliche Anbringen vorgebracht wurde oder die Eingabe abgefaßt" war (§ 1), also mit anderen Worten mit den Parteien in jener der beiden Landessprachen zu verkehren, deren sich diese bedienten. Auch protokollarische Erklärungen der Parteien waren in jener der beiden Landessprachen aufzunehmen, in welcher sie abgegeben wurden (§ 2) ; Urkunden und andere Schriftstücke, die „als Beilagen, Behelfe oder sonst zum amtlichen Gebrauche beigebracht" wurden, waren nicht mehr in die andere Landessprache zu übersetzen (§ 3). Auch für die Eintragungen in die öffentlichen Bücher, wie Landtafel, Bergbuch, Grundbuch, Wasserbuch, sowie in die Handelsfirmen·, Genossenschafts- und andere öffentliche Register war nunmehr die Sprache der mündlichen oder schriftlichen Einbringung entscheidend (§ 10). 3i

) G. Κ o 1 m e r, Parlament u. Verfassung III, S. 59. — Zu den politischen Ereignissen der Jahre 1871 bis 1879 W. R o g g e , Österreich seit der Katastrophe Hohenwart-Beust. 3β ) A. F i s c h e 1, österr. Sprachenrecht S. 208, Nr. 373. — G. Κ o 1 m e r, Parlament u. Verfassung III, S. 87 ff.

Die Taaffe-Stremayrsche Sprachenverordnung

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„Die nicht über Einschreiten der Parteien erfolgenden behördlichen Ausfertigungen" hatten in jener der beiden Landessprachen zu erfolgen, die von der Person, an welche die Ausfertigung gerichtet werden soll, gesprochen wurde. War die Sprache der Partei nicht bekannt oder keine der beiden Landessprachen, so sollte jene der Landessprachen gebraucht werden, „deren Verständnis nach Beschaffenheit des Falles wie insbesondere nach dem Aufenthalte der Partei vorausgesetzt" werden konnte (§ 4). Der Verkehr der politischen, gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Behörden mit den autonomen Organen hatte sich nach deren Geschäftssprache zu richten (§ 11). Die §§ 7 bis 9 regelten den Sprachgebrauch der Gerichte mit den Parteien, Angeschuldigten und Zeugen. Die gerichtliche Hauptverhandlung, die Vorträge des Staatsanwaltes und des Verteidigers hatten sich nach der vom Angeschuldigten gebrauchten Landessprache zu richten (§ 8). Von einer Einbeziehung des Tschechischen in den inneren Amtsgebrauch ist hier keinesfalls noch die Rede. Ja, Justizminister Karl von Stremayr hatte im Budgetausschuß zur Erbitterung der Tschechen geradezu wörtlich erklärt, daß er das Prinzip der sprachlichen Gleichberechtigung im inneren Amtsverkehr für undurchführbar halte. Trotzdem ist dieser Versuch, die so entscheidende und schwierige Materie der Sprachenfrage im Verordnungswege zu lösen, vollkommen gescheitert. Er hat die Deutschen verstimmt und unnütz erregt, die Tschechen in keiner Weise befriedigt oder versöhnt, sondern vielmehr durch diese zögernden Zugeständnisse weiter auf die Bahn des Radikalismus gedrängt. Bitter bemerkt der Journalist Heinrich Pollak in seinen Lebenserinnerungen, die Wirkung halber Maßregeln, im politischen Leben der österreichischen Monarchie so häufig schon angewendet, habe sich auch bei der Taaffe-Stremayrschen Sprachenverordnung wieder einmal recht klar und deutlich gezeigt; „sie entsprach nach keiner Richtung hin" 37 ). Obwohl ein gleichzeitig mit der Sprachenverordnung publizierter Erlaß an die Justizämter, der eine genaue Instruktion über die Anwendung der Verordnung enthielt, die Deutschen hätte beruhigen müssen, da in diesem Erlaß der deutliche Beweis lag, daß die Regierung mit der Sprachenverordnung die Deutschen in Böhmen nicht zu verletzen die Absicht hatte, feindeten sie die Verordnung allgemein an. Dabei haben drei Punkte ihre heftige Ablehnung bestimmt. Die Taaffe-Stremayrschen Sprachenverordnungen konnten, da sie das geschlossene deutsche Sprachgebiet nicht berücksichtigten, zur Anerkennung des böhmischen Staatsrechtes herangezogen werden. Neben dieser grundsätzlichen Überlegung war der politische Kleinkrieg des Alltags mitentscheidend. So äußerte sich nach dem Bericht eines Journalisten der Führer der deutschen liberalen Partei in Böhmen, Dr. Franz Schmeykal, zur Sprachenverordnung38) : „Sie ist gar nicht so schlimm, wie sie aussieht", meinte er unter Anderem, „für uns Deutsche beiweitem nicht so gefahrlich, als man sie darstellt, freilich darstellen m u ß , weil sie die Unterschrift des Grafen Taaffe trägt; das ist das einzige Gefährliche daran, und deshalb muß man dagegen opponieren. Wenn die Tschechen bezüglich des Gebrauches ihrer Sprache nichts anderes beanspruchen würden, als das, was ihnen in dieser Verordnung gewährleistet wurde, zu den darin enthaltenen Konzessionen könnten die Deutschen ohneweiters ihre Zustimmung geben."

Dies ist kein vereinzeltes Urteil. Ignaz von Plener, Finanz- und Handelsminister im Ministerium Auersperg, schrieb am 21. September 1884 an seinen Sohn Ernst aus Bad Gastein39) : ") Η. Ρ o 11 a k, 30 Jahre aus dem Leben eines Journalisten III, S. 271. 39 ) Ebd. III, S. 274. ) P. Μ o 1 i s c h, Briefe zur deutschen Politik S. 259 f.

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„ . . . Aus Breiskys Rede geht hervor, daß dem Taaffe das politische empressement höchst drückend ist, daß er sich gerne von ihm losmachen wollte, dagegen seine Hauptstütze in Böhmen und zunächst bei den Czechen sucht, es ist ihm daher vor allen Andern Dingen der böhmische Ausgleich (zwischen Deutschen und Czechen) Ziel seiner heißesten Wünsche, und jedes Vorkommniß, welches die nationale gegenseitige Anfeindung so an Tag bringt, das peinlichste Ereigniß. Hieraus folgt die Moral, daß die stärkste Opposition gegen alle modus vivendi formen — die erste und dringendste Pflicht der Deutschen in Böhmen ist, jeder Same und Anlaß der Zwietracht ist zu nähren und zu pflegen, jede Annäherung zu perhorresciren und diese Gesinnung in die Bevölkerung zu tragen. Nichts kann den Taaffe stürzen, als der Zwist, der Conflikt in Böhmen; dies ist der alleinige Boden, wo er geschlagen werden kann. Dem Breisky entschlüpfte die Äußerung, daß die Zustände in Böhmen dem Taaffe den größten Kummer bereiten etc. . . ."

Zur Furcht vor der Anerkennung des böhmischen Staatsrechtes und zum Kampf gegen Taaffe trat als dritte Komponente der Widerwillen, den Tschechen ein, wenn auch berechtigtes Zugeständnis zu machen, und als vierter und letzter Punkt die Abneigung der Deutschen gegen die tschechische Sprache hinzu. Von diesem Standpunkt aus gesehen bedeutete die Stremayrsche Sprachenverordnung tatsächlich eine Benachteiligung der Deutschen, denn die gebildeten Tschechen beherrschten durchweg beide Sprachen. So leicht die studierende Jugend der Tschechen das Deutsche erlernte, so schwer fiel es den deutschen Studenten, sich mit der zweiten Sprache des Landes zu befassen, weil sie Tschechisch mit Recht nicht zu den Weltsprachen rechnen konnten und für sie die Sprache des niederen Volkes war. Im Kampf gegen die Badenischen und Gautschschen Sprachenverordnungen wird die Ablehnung der Deutschen ganz offen damit motiviert, daß es für einen Deutschen eine Entwürdigung bedeute, Tschechisch oder Slowenisch zu lernen. Am 8. Februar 1898 wird der Rektor der Universität Graz, der Kanonist Professor Friedrich Thaner, dem auf Grund seiner akademischen Würde eine Virilstimme im steiermärkischen Landtag zustand, vor diesem Hause eine vielbeachtete Rede zur Sprachenfrage halten40). Er wird davon ausgehen, daß es eine Gleichwertigkeit der Sprache gibt, die niemand einfalle zu bestreiten. Jedem Menschen, jedem Volk sei seine Muttersprache die wertvollste, und in dieser Beziehung sei auch jede andere Sprache, sei die tschechische Sprache genau so viel wert wie die deutsche Sprache, „aber in dieser Beziehung ist auch jede andere Sprache der tschechischen Sprache gleichwertig, die Sprache der Indianerstämme wie der Aschantineger". Ein anderer Wertmesser für die Sprachen, wird Professor Thaner weiter fortfahren, ist ihre Bedeutung als Verkehrsund Verständigungsmittel, „und in dieser Beziehung mögen die Tschechen, die Polen, die Slowenen reden, was sie wollen und sich dabei auf den Kopf stellen, sie werden es nicht zustande bringen, daß man die tschechische Sprache in dieser Beziehung gleichwertig hält mit der deutschen Sprache". Und am Höhepunkt seiner Rede wird er zu dem Schluß kommen, daß durch die Erlernung einer slawischen Sprache die Deutschen „würden hinausgeschleudert werden aus der Bahn, welche die europäische Gesittung genommen habe. D i e D e u t schen w ü r d e n durch den Zwang, eine slawische Sprac h e zu l e r n e n , ich sage g e r a d e z u von i h r e m g e i s t i g e n N i v e a u h e r a b g e d r ü c k t , denn es ist durchaus kein Vorteil für irgend Jemanden, eine zweite Sprache zu lernen; die Zeit, welche er auf die Erlernung von Vokabeln verwendet, würde viel besser zu etwas anderem benützt und es kann ein teilweiser Ersatz dafür nur geschaffen werden, wenn die Erlernung dieser zweiten Sprache ganz besondere Vorteile hat oder eine unabweisliche Not40

) Stenogr. Prot. d. stmk. Landtages, 8. Landtagsperiode, S. 222—224.

Ablehnung der Erlernung slawischer Sprachen durch die Deutschen

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wendigkeit vorliegt41)." Diese unabweisliche Notwendigkeit hat durch das rasche und zielstrebige tschechische Vordringen für die Deutschen bestanden und letztlich hätte völkisch viel mehr als ein von seiner unbedingten Superiorität überzeugtes, ein doppelsprachiges und trotzdem deutschbewußtes Akademikertum genützt. Warnende und auffordernde Stimmen, so wie die Franz Schuselkas, der sich bis zu seinem Lebensende als Deutschböhme fühlte, wurden nicht gehört. Nach Schuselkas Meinung, den die Tschechen 1848 doch mit dem „Suselka nám pise" so angepöbelt hatten, brauchte das Deutschtum in Böhmen durchaus nichts zu fürchten, selbst wenn wirklich in allen Mittelschulen einige Stunden der tschechischen Sprache gewidmet werden sollten, worüber seines Erachtens „übertrieben viel geklagt" worden sei. „An sich mag wohl unzulässig erscheinen, daß jemand gezwungen werden soll, eine Sprache zu lernen, durch die er in der eigentlichen Bildung nichts gewinnen kann." Für den Deutschböhmen, der „irgendwie im öffentlichen Leben Deutschböhmens wirken will", wäre es aber „sicherlich wenigstens sehr nützlich, auch die Sprache der slawischen Landsleute zu kennen. Ja, wir nehmen keinen Anstand es auszusprechen, daß es in einem Staate, in welchem so viele Millionen Slawen leben, überhaupt für jedermann nützlich wäre, eine slawische Sprache zu verstehen42)." Die Doppelsprachigkeit hätte den Deutschen im politischen und nationalen Kampf manchen Vorteil gebracht und überdies diesen entschärft. So berichtet Ernst von Plener in seinen Erinnerungen43), daß sich zwischen ihm und seinem großen Gegner Julius Gregr ein persönlich besseres Verhältnis anbahnte, als er im böhmischen Landtag, in den Zeiten, da ihm längst bekannte Gegenstände behandelt wurden, begann, tschechisch zu lernen und er Gregr, der nur durch einen schmalen Gang von ihm getrennt saß, bat, einzelne Stellen und Worte aus tschechischen Reden ihm zu übersetzen. Plener rühmt sich, er habe es schließlich so weit gebracht, daß er auf tschechische Reden sofort deutsch antworten konnte, und er fügt die späte Erkenntnis hinzu, es sei ein Fehler vieler deutscher Abgeordneten gewesen, daß sie kein Wort tschechisch verstanden „und sich auch nicht die geringste Mühe gaben, es wenigstens teilweise zu erlernen, ja sogar bei jeder Gelegenheit mit ihrer Unkenntnis des Tschechischen brüsteten, was zum Beispiel in Kommissionssitzungen, in denen die Tschechen, am selben Tisch sitzend, ihre Sprache redeten, bei ihnen böses Blut machte und uns ins Unrecht setzte". Ähnlich lautet der erschütternde Bericht Friedrich F. G. Kleinwaechters über den Kampf, den die Deutschen in Prag mit untauglichen Mitteln kämpften. Als sein Vater „in den siebziger Jahren im deutschen Kasino in Prag — lange Zeit hindurch das Zentrum der österreichischen Politik — die Forderung aussprach, die Deutschen sollten die tschechische Sprache gründlich lernen, weil die Kenntnis der Sprache des politischen Gegners, abgesehen von der leichteren politischen ") Zur Beurteilung dieser Rede im slawischen Lager: „Wie weit der Wahnsinn der Schönerianer und der Deutschnationalen geht, beweisen auch die Vorgänge in Graz. Am 8. Februar sprach im steirischen Landtag der Universitätsrektor Dr. Thaner folgendermaßen: . . .". R. V r b a, Der Nationalitäten- und Verfassungskonflikt S. 173 f. ") A. S k e n e (Slavisch-nationale Bewegung S. 152) nennt 1893 die Doppelsprachigkeit der gebildeten Klasse „eine unabweisbare Notwendigkeit und Pflicht der Klugheit", denn nur so werde das Antipathie erregende Mißtrauen, „welches überall dort auftritt, wo ein Meinungsaustausch zwischen Gebildeten und Volk, wegen Unkenntnis der Volkssprache auf Seite der Ersteren, unmöglich ist, behoben werden". Überdies könne die Aufgabe, belehrend und aufklärend auf weitere Kreise der Bevölkerung zu wirken, nur bei Kenntnis der Volkssprache erfüllt werden. **) Ε. ν. Ρ 1 e η e r, Erinnerungen II, S. 441.

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Verständigungsmöglichkeit, schon als politisches Kampfmittel von unschätzbarem Wert sei, wurde ihm Verrat am eigenen Volke vorgeworfen". Erst Jahrzehnte später, als es zu spät war, „prangten in den deutschen Schulen Böhmens Plakate, in denen der deutsche Volksrat der deutschen Jugend die Erlernung der tschechischen Sprache als unbedingt notwendiges Kampfmittel dringend ans Herz legte"44). Aber bis sich diese bessere Einsicht durchrang, wurde jeder, der nicht vorbehaltlos der offiziellen deutschböhmischen Politik zustimmte, als Verräter am Deutschtum angesehen. Jene jungen politischen Kräfte, die bereits unter den veränderten Verhältnissen aufgewachsen waren und nicht mehr unter der deutschen Vorherrschaft gelebt hatten, also an diese nicht mehr glaubten, einen schärferen Blick für die Wirklichkeit und die Erfordernisse des Alltags hatten und demnach zu Kompromissen bereit waren, ließen die deutschböhmischen Parteien geradezu grundsätzlich nicht aufkommen. So kam es, daß viele Ämter, weil die Deutschösterreicher der slawischen Sprache unkundig waren, einfach mit Slawen besetzt werden mußten. Wenn sich einzelne über das Vorurteil hinwegsetzten, konnten sie, zu Amt und Würden gelangt, manche Slawisierungstendenz verhindern oder zumindest in ihrer Entfaltung beschränken. Als im Weltkrieg 1914—1918 die militärische Briefzensurstelle für den slowenischen Ergänzungsbereich des 3. Korps mit einem Deutschösterreicher besetzt werden konnte, wirkte sich dies für den Heeresabwehr- und Nachrichtendienst nachweislich bedeutungsvoll aus. Die Taaffe-Stremayrschen Sprachenverordnungen veranlaßten die in der Minorität stehenden deutschen Parteien des Abgeordnetenhauses am 28. April 1880 zu einer gemeinsamen Anfrage, welche Gründe die Minister des Innern und der Justiz für die Erlassung ihrer Verordnungen anzuführen vermögen und wie sie diese mit den Staatsgrundgesetzen in Einklang bringen könnten. Am 6. Mai 1880 verlangte der deutschböhmische Abgeordnete Eduard Herbst die Eröffnung der Debatte über die Sprachenverordnungen, doch wurde sein Antrag niedergestimmt. Außerhalb des Parlaments war die Reaktion nicht minder heftig, was Gundacker Graf Wurmbrand, den nachmaligen Landeshauptmann von Steiermark und Handelsminister im Koalitionsministerium Windischgrätz45), am 10. Mai 1880 bestimmte, einen von ihm sowie von 62 Mitgliedern der Minorität des Abgeordnetenhauses gezeichneten Antrag46) auf gesetzliche Festlegung des Deutschen als Staatssprache einzubringen. Die Regierung sollte aufgefordert werden, in Ausführung des Artikels 19 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, dem Reichsrat einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der unter Festhaltung der deutschen Sprache als Staatssprache den Gebrauch der landesüblichen Sprachen in Amt, Schule und öffentlichem Leben zu regeln imstande wäre. Dieser in der Sitzung vom 14. Dezember von Graf Wurmbrand motivierte Antrag wurde einem Ausschuß zur Beratung und Antragstellung zugewiesen. Hier nun wurde erklärt, daß die Bedeutung, Richtung und Tragweite des Antrages so lange nicht beurteilt werden könne, bis der Begriff der Staatssprache präzisiert worden sei. Graf Wurmbrand, aufgefordert eine Definition zu geben, äußerte den Wunsch, vorher die Anschauung der Regierung zu hören. Aber Ministerpräsident Graf Taaffe wußte keine Definition zu geben, verlangte diese vielmehr vom Grafen Wurmbrand und warf gleichzeitig die Frage auf, ob es ") F. Κ 1 e i η w a e c h t e r, Der Untergang der Monarchie S. 139 f. ) Siehe unten S. 107. ") Stenogr. Prot. IX. Session, S. 3419.

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Die Sprachenanträge Wurmbrands und Scharschmids

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im gegenwärtigen Zeitpunkt als opportun anzusehen sei, einen derartigen Gesetzentwurf einzubringen. Die Regierung gehe von der Ansicht aus, daß eine solche Opportunität nur dann als vorhanden angesehen werden könnte, wenn vorher eine Verständigung unter den verschiedenen Nationalitäten und politischen Parteien erfolge. Entwürfe, welche einfach amendiert und allenfalls durch eine Majorität des Parlaments zustande gebracht würden, könnten nicht im Interesse des Reiches sowie der Länder als heilsam erachtet werden. Ob der Moment schon da sei, wo von einer Verständigung zwischen den Parteien und Nationalitäten die Rede sein könnte, müsse er der Beurteilung des Ausschusses überlassen. Deshalb könne durch die Regierung noch nicht die Initiative ergriffen werden. Graf Taaffe verkannte die Situation, denn je länger die Frage der Staatssprache aufgeschoben wurde, um so schwerer mußte sie zu lösen sein. So wurde nur eine Sitzung am 2. April 1881 und nach Anfrage der Minorität eine am 22. Jänner 1883 zur Beratung des Wurmbrandschen Sprachenantrages abgehalten. Am Schluß der zweiten Verhandlung wurde vom Sprachenausschuß der Mehrheitsbeschluß gefaßt, den Antrag zu stellen, über den Sprachenantrag zur Tagesordnung überzugehen. Die der Minorität angehörenden neun Mitglieder des Sprachenausschusses hielten am Antrag Wurmbrand fest und meldeten einen Minoritätsantrag an, durch den der Sprachenantrag zwischen dem 24. und 29. Jänner 1884 im Abgeordnetenhaus zur zweiten Lesung kam. Berichterstatter dieses Minoritätsantrages war Dr. Eduard Sturm. „Wenn nicht baldigst dafür Sorge getragen werde", sagte er, „ d a ß d i e d e u t s c h e S p r a c h e i m g a n zen R e i c h an S t a a t s a n s t a l t e n g e l e h r t u n d gelernt w e r d e , wenn fortan der deutschen Sprache gar nicht oder nur unvollkommen mächtige junge Männer zum Staats- und Armeedienst zugelassen werden müßten, dann wäre auch die deutsche Amts- und Dienstsprache nicht länger haltbar, dann wäre die e i n h e i t l i c h e L e i t u n g des Staates und die e i n h e i t l i c h e F ü h r u n g des H e e r e s n i c h t länger möglich, dann wäre die A u f l ö s u n g des ö s t e r r e i c h i schen Staates in s e l b s t ä n d i g e nationale Ländergruppen unvermeidlich, welche jedoch kaum die staatliche L e b e n s f ä h i g k e i t der ,Länder der ungaris c h e n K r o n e ' b e h a u p t e n könnten!47)" Wenige Jahre später ist die Gefahr der Unkenntnis der deutschen Sprache gerade für die k. u. k. Armee mit Nachdruck hervorgehoben worden48). Auch sonst ist dieser Minoritätsantrag lesenswert, der aufzeigt, daß die deutsche Sprache zum unentbehrlichen Verständigungsmittel der nichtdeutschen Nationalitäten untereinander geworden sei. Nach einem kurzen Bericht über die ablehnende Haltung des Ministerpräsidenten Graf Taaffe und über die geradezu feindselige Beurteilung des Sprachenantrages durch die Mehrheit des Ausschusses stellte der Berichterstatter der Minorität fest : 47

) Stenogr. Prot. IX. Session, S. 11090—11285. ) K. S c h w a r z e n b e r g , Kann sich die österr.-ungarische Armee den Einflüssen der Nationalitätenkämpfe entziehen? Diese in München 1898 erschienene durchaus sachliche Schrift, die in der Fragestellung gipfelte, wo die Kenntnis der Armeesprache herkommen solle, wenn sie in den Volks- und Mittelschulen Böhmens, Galiziens, Ungarns usw. kaum noch gelehrt werde, wurde von der Staatsanwaltschaft Wien beschlagnahmt. Ministerpräsident Graf Thun gab am 4. Mai 1898 an die Statthalter die Weisung hinaus, in ihrem Verwaltungsgebiet der Verbreitung dieser Druckschrift entgegenzutreten, worauf in Graz vom k. u. k. Regierungsrat und Polizeidirektor acht Exemplare in den Buchhandlungen

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„Allein ungeachtet aller dieser entmutigenden Erfahrungen läßt die Minorität des Ausschusses die Hoffnung noch nicht sinken, daß die Mehrheit des österreichischen Abgeordnetenhauses die beantragte Resolution beschließen und die österreichische Regierung derselben nachkommen werde, d e n n i n e i n e r s t a a t s e i n h e i t l i c h e n R e g e l u n g d e r S ρ r a c h e η f r a g e liegt die K l ä r u n g der g e g e n w ä r t i g e n S i t u a t i o n und die G a r a n t i e einer g e d e i h l i c h e n Z u k u n f t des Reiches. Nur diejenigen können den Antrag der Minorität nicht annehmen, welche den Einheitsstaat der Sprachenfrage opfern, welche die sprachliche und staatsrechtliche Zersplitterung nicht scheuen."

Es ist bezeichnend, daß der Berichterstatter der Majorität des Sprachenausschusses, Stanislaus Ritter Madeyski von Poray, sich gegen den Vorwurf der Abgeordneten der rechten Seite des Parlaments wehrte, nicht den Mut gehabt zu haben, ganz offen gegen die deutsche Staatssprache aufzutreten, weshalb er sich zu einer ausführlichen schriftlichen Darlegung veranlaßt sah und in dieser mit Fettdruck hervorhob : „Die deutsche Sprache ist bloß geeignet und berufen, deutsche Staatsnationalität und deutschnationalen Staat zu schaffen." Und am Ende seiner Ausführungen setzte er ebenso in Fettdruck den Satz: „Für die deutsche Staatssprache ist in Österreich, wie es ist, kein Platz !49)" Diese Ansicht ist lange in Österreich die vorherrschende geblieben. Im September 1899 beschloß der Brünner Gesamtparteitag der Sozialdemokratie in Österreich eine Resolution, in der es unter Punkt 5 heißt : „Wir anerkennen kein nationales Vorrecht, verwerfen daher die Forderung einer Staatssprache; wie weit eine Vermittlungssprache nötig ist, wird das Reichsparlament bestimmen." Karl Renner folgte in seiner Studie selbstverständlich dem Brünner Parteibeschluß, obwohl der Unterschied zwischen Staatssprache und Vermittlungssprache zu den politischen Haarspaltereien gehörte. Da jedoch die nichtdeutschen Völker der Monarchie sich am Wort „Staatssprache" stießen, begann sich der Ausdruck „Vermittlungssprache" durchzusetzen. Daß diese Vermittlungssprache die deutsche sein müsse, war für die Deutschen selbstverständlich, die sich dabei auf die Lehre des berühmten Verwaltungsrechtlers und Soziologen Ludwig Gumplowicz stützen konnten, daß von den vielen Sprachen eines gemischtnationalen Staates „ganz unvermeidlich der Natur der Sache gemäß die älteste Kultursprache die Staatssprache" bleibe50). Auf Gumplowicz berief sich auch 1906 Aurel C. Popovici, konfisziert wurden. (LA Graz Statth. Praes. 1898-9-1368.) — Vgl. auch die Ausführungen des Grafen Welsersheimb im Ministerrat unten S. 147ff. und dessen 1895 geprägtes Wort: „Was wird aus der Armee werden, wenn die Dienstsprache nicht einmal mehr von den höheren Unteroffizieren so weit verstanden wird, um gegebene Befehle auszuführen. Das würde dann ein ganz unmöglicher babylonischer Turm. Dem muß Rechnung getragen werden. Die Dienstsprache muß gelernt werden, denn sonst wird die gemeinsame Armee zur Unmöglichkeit!" " ) St. M a d e y s k i , Die deutsche Staatssprache S. 118 u. 122. 50 ) L. G u m p l o w i c z , Grundriß der Soziologie S. 161. Unverändert in die 2. Aufl. (1905) übernommen (S. 262). Bereits 1885 fügte Gumplowicz hinzu: „Doch wird sie diesen Rang erst dann unbestritten behaupten, wenn daraus weder für die natürlichen Repräsentanten dieser Sprache irgend ein politischer Vorzug, noch für irgend ein anderes nationales Element, welches einen politischen Machtfaktor im Staate bildet, irgend ein politischer Nachteil sich ergibt." Er betonte mit Nachdruck, daß der Duo- oder gar Polyglottismus „den kämpfenden Nationalitäten zum Siege verhelfen" werde, gegen „die früher herrschenden Nationalitäten, deren Angehörige monoglott geblieben sind", und er vertrat als Idealbild den „allgemeinen Duo- und Polyglottismus aller nationalen Bestandteile des Staates", weil dies „den nationalen Kampf beendigen" könnte.

Die Sprachenanträge Wurmbrands und Scharschmids

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der erklärte, es sei selbstverständlich, „daß man für die Regelung der gemeinsamen Angelegenheiten einer Vermittlungssprache bedarf", und diese Sprache, wie ihm „ganz natürlich" erscheine, „die deutsche sein müßte" 51 ). Nicht anders hat darüber 1916 Ignaz Seipel gedacht, der in seiner Arbeit über „Nation und Staat" betont, daß „das Deutsche als österreichische Vermittlungssprache kein Zugeständnis an die Deutschen in Österreich ist, sondern ein Erfordernis des Staates. Jeder Staat bedarf einer Amts- und Vermittlungssprache; es ist nun klar, daß jede andere österreichische Sprache noch größere Schwierigkeiten zu überwinden hätte, um sich als Vermittlungssprache in Österreich durchzusetzen als die deutsche. Es ist verfehlt, die deutsche Vermittlungssprache als ein Recht der Deutschen zu fordern; nicht ihnen müssen die anderen Nationen diesen Vorrang der Sprache zugestehen, sondern dem Staat52)."

Als das Abgeordnetenhaus am 29. Jänner 1884 endlich zur Abstimmung über den Sprachenantrag des Grafen Wurmbrand schritt, zerfloß dieser in nichts. Der Majoritätsantrag des Sprachenausschusses, zur Tagesordnung überzugehen, wurde zwar in namentlicher Abstimmung mit 184 gegen 157 Stimmen abgelehnt, jedoch ebenso der Minoritätsantrag mit 186 gegen 155 zu Fall gebracht. Noch einmal wurde versucht, Deutsch als Staatssprache zu retten. Am 8. Februar brachte Max Freiherr von Scharschmid im Reichsrat einen vollkommen ausgearbeiteten, aus 28 Paragraphen bestehenden Gesetzentwurf ein53), der die deutsche Sprache als Staatssprache bei allen Staatsbehörden, Staatsämtern und Gerichten im inneren Dienst sowie im Verkehr derselben untereinander (§ 1), als Geschäftssprache des Reichsrates und seiner Delegation (§ 5), als Sprache der Reichsgesetze (§ 6) und der öffentlichen Bücher (§ 12) vorsah. Mündliches Anbringen und schriftliche Eingaben in der deutschen Sprache sollten bei allen Staatsbehörden, Staatsämtern und Gerichten, gleich wo immer, anzunehmen und in Deutsch zu erledigen sein (§2). Bei Zentralstellen und höchsten Gerichtshöfen sollten darüber hinaus alle Erledigungen und Ausfertigungen, auch wenn die Eingabe in einer anderen Sprache vorgelegt wurde, nur in deutscher Sprache hinausgehen (§1). Als Staatssprache sollte Deutsch einen obligaten Lehrgegenstand an den mehr als dreiklassigen Volksschulen, an allen Bürgerschulen sowie an den allgemeinen Volks- und Bürgerschulen, ferner an Lehrerbildungsanstalten, an Mittelschulen sowie an den vom Staate erhaltenen Gewerbe- und Fachschulen bilden (§ 3)54). Bei allen Staatsprüfungen, welche Studien an einer Hochschule 51

) A. C. Ρ ο ρ ο ν i c i, Die Vereinigten Staaten von Groß-Österreich S. 314 f. u. 325, Art. 25. ) I. S e i p e l , Nation und Staat S. 86. — Nach L. G u m p l o w i c z (Österr. Staatsrecht S. 80, Anm.) darf der Grund, warum es nicht gelungen ist, der deutschen Sprache in Österreich eine ähnliche Stellung, „wie es die magyarische in Ungarn errang, zu verschaffen, eine Stellung, die mit dem Ausdruck Staatssprache treffend bezeichnet wäre", „wissenschaftlicherweise nicht hinter parlamentarischen Kulissen oder in Gesinnungen leitender Minister gesucht werden: er liegt einfach in den tatsächlichen Bevölkerungsverhältnissen der österreichischen Länder". M ) 99 der Beilagen zu den stenogr. Prot, des Abgeordnetenhauses X. Session: „Gesetz vom . . . womit unter Festhaltung der deutschen Sprache als Staatssprache, Durchführungsbestimmungen zum Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1 8 6 7 . . . erlassen werden (Sprachengesetz)!" — Vgl. A. S c h a f f g o t s c h , Geschäftssprache der Behörden. österr. Staatswörterbuch II a , S. 383. — Siehe Anhang 6, S. 285. M ) Vier Jahre zuvor hatte schon der steirische Abgeordnete Bartholomäus Ritter v. Carneri anläßlich der Budgetdebatte für 1882 festgestellt: „Alle höhere Bildung ist nicht national, sondern allgemein menschlich, und die erste Bedingung ist eine hochentwickelte Sprache. Es gibt keinen größeren Irrtum, als der da meint, in Österreich genüge es, in den höheren äa

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oder höheren fachlichen Lehranstalt voraussetzen, sowie bei Rigorosen sollte die vollkommene Kenntnis der deutschen Sprache dadurch nachgewiesen werden, daß innerhalb der vorgeschriebenen Gesamtprüfung der Kandidat einen Gegenstand nach eigener Wahl in dieser Sprache ablegte. Bei Erlangung eines Staatsamtes und bei Ablegung der Advokaten- und Notariatsprüfung sollte der Nachweis der vollständigen Beherrschung von Deutsch in Wort und Schrift geliefert werden (§ 4). Außerdem versuchte der Sprachenantrag, die Landessprachen in den einzelnen Provinzen festzulegen (§ 7). In einem Gerichtsbezirk sollte innerhalb des so gezogenen Rahmens eine Sprache als landesübliche gelten, „wenn in dem Bezirke Gemeinden bestehen, welche diese Sprache als ihre Amtssprache gebrauchen und wenn zugleich mindestens der sechste Teil der einheimischen Bevölkerung in diesem Bezirke sich dieser als Umgangssprache bedient" (§ 8). Den Gemeindevertretungen sollte es aber vorbehalten bleiben, ihre Amtssprache zu bestimmen (§19). Der Verkehr der Behörden erster Instanz sollte sich nach der Sprache der anbringenden Parteien richten, sofern es sich um die Amtssprache oder im Bezirke der betreffenden Behörde üblichen Landessprache handelte. Auch bei allen strafgerichtlichen Angelegenheiten sollte in der ersten Instanz diese Regelung gelten, Anklageschrift sowie überhaupt alle Anträge, Erkenntnisse und Beschlüsse sich nach der Sprache des Angeschuldigten richten. Wenn auch auf slawischer Seite, zumindest teilweise, die Einsicht vorhanden war, daß die Sprachenfrage nach einer Lösung dränge, so sprach sie sich doch gegen den Gesetzesantrag aus. Die Situation umriß am 12. März 1886 der slowenische Abgeordnete Jakob Hren55) am deutlichsten, als er erklärte, „die Herren Antragsteller von 1880, als auch die Einbringer des gegenwärtigen Gesetzentwurfes" würden dadurch, daß sie die deutsche Sprache durch ein Gesetz als Staatssprache deklarieren wollen, den Standpunkt des Artikels 19 des Staatsgrundgesetzes, der die gleiche Berechtigung und Geltung aller Landessprachen statuiere, verrücken. Sie möchten, indem sie für die deutsche Sprache eine hegemone Stellung, ein Vorrecht, einen Vorrang verlangen und durch ein Gesetz statuieren wollen, einen Grundsatz aufstellen und ganz mit der Autorität und Sanktion eines Gesetzes umkleiden, „das den Angelpunkt und den Hebel, gewissermaßen die Archimedes-Schraube bilden würde, um die Ebenbürtigkeit, den Gleichwert der übrigen Landessprachen aus den Angeln zu heben. Dies aber, meine Herren, ist ein Standpunkt", fuhr Hren fort, „welchen wir nichtdeutschen Nationalen nie und nimmer acceptieren können, nimmer acceptieren werden, wenn wir uns nicht selbst zu Nationalitäten zweiten Ranges degradieren wollen und das werden und dürfen die Herren Antragsteller von uns nicht verSchulen das Deutsche als obligaten Gegenstand einzuführen ; deutsch Radebrechen wird da gelernt, aber nicht deutsch denken. Deutsch hat die Reichssprache zu sein, nicht nur im Amte, sondern auch in der Wissenschaft und das Letztere ist vielleicht noch wichtiger. Wäre ich nur alles dessen, was mir am Herzen liegt, so gewiß, als daß einst die Geschichte, ruhig alles abwägend, was heute nach Geltung ringt, die Deutschen bezeichnen wird als Diejenigen, welche das wahre Wohl aller Völker Österreichs angestrebt haben! Aber was wird bis dahin aus Österreich geworden sein." (Stenogr. Prot. IX. Session, 13. Feb. 1882, S. 6732.) òi ) Stenogr. Prot. X. Session, 28. Sitzung am 12. März 1886, S. 920—923. Die Stellungnahmen der slowenischen Abgeordneten im Reichsrat zu den nationalen Problemen und zum Sprachenstreit bleibt einer kleinen Studie vorbehalten. Über den Fragen im böhmischen Raum wurden die stillen, aber darum für die Entwicklung der Monarchie nicht minder bedeutsamen Vorgänge im südsteirisch-krainischen Raum allzu wenig beachtet.

Die Haltung der Slowenen

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langen. Es wäre dies auch ein vergebliches, eitles Bemühen, dem gegenüber wir gewiß stets in geschlossenen Reihen Opposition machen, in dessen Bekämpfung Sie uns stets geeint finden würden." Trotzdem gehe aber ein Teil der Slowenen in die Vorberatung ein, und zwar aus politisch-parlamentarischen Rücksichten, denn der Antrag trage immerhin 116 Unterschriften, und zweitens aus Gründen der Raison und der Utilität. Die Regelung der Sprachenfrage im Gesetzgebungswege durchzuführen, müsse geradezu für unerläßlich, für gebieterisch notwendig gehalten werden, wenn das Abgeordnetenhaus wolle, daß die im Artikel 19 der Staatsgrundgesetze ausgesprochene Anerkennung des gleichen Wertes der Nationalitäten, der gleichen Berechtigung aller Sprachen endlich nach 18 Jahren aus dem Stadium bloßer platonischer Verheißungen in das Stadium der Wirklichkeit trete. Die Slowenen könnten sich in dieser Frage mit den übrigen Stammesgenossen nicht auf der gleichen Linie befinden, denn die Slowenen seien ja in sprachlichen und nationalen Beziehungen ungünstiger gestellt als die Slawen ζ. B. in Böhmen oder Polen. „Denn trotzdem wir Slowenen auf geschlossenem Gebiete in geschlossenen, kompakten Massen in einer Zahl von rund 1,200.000 Einwohnern leben, so hat man von unserer nationalen Existenz bisher gewissermaßen kaum viel mehr als Notiz genommen, und wo es geschah, geschah es nicht von gesetzeswegen, sondern von der Herren Minister Gnaden! Das aber, meine Herren, ist kein Zustand, der uns genügen, der uns befriedigen kann i denn nicht von der Herren Minister Gunst und Gnaden wollen wir auf Kündigung ein kümmerliches nationales Dasein fristen, sondern wir wollen national existieren kraft Gesetz und Recht, kraft der durch die Verfassung anerkannten Grundrechte. Denn Minister und Regierungen kommen und gehen, und mit dem Wechsel derselben pflegt auch das Maß der Gunst und Ungunst zu wechseln."

Die Regelung der Sprachenfrage im Verordnungswege, also auf dem von den Tschechen bevorzugten, für sie überaus günstigen Weg, lehnte Hren grundsätzlich ab. Die ganze Spannung zwischen den Slowenen und Deutschen klang durch, als er auf die Stellung der Slowenen in der Untersteiermark anspielte, aber ebenso nicht minder die Spannung zwischen den Slowenen und den Tschechen. Rieger hatte namens des größeren, reicheren, letztlich doch nur an sich allein denkenden Bruders sich dagegen verwahrt, daß die Regelung dieser Frage aus dem böhmischen Landtag in den Reichsrat übertragen werde, und zwar angeblich, wie er sagte, um mit Hilfe anderer Faktoren das zu erreichen, was im böhmischen Landtag unerreichbar sei. Im steirischen Landtag aber hatten die Slowenen ihrerseits niemals die Aussicht, jene Rechte zu erkämpfen, die sich die Tschechen im böhmischen erzwungen hatten. Die Slowenen wollten nicht die Brosamen vom Tisch des Mächtigeren, sondern die gleichen Rechte wie dieser. Darum trat Hren dafür ein, daß die Slowenen sich mit den Deutschen über den vom Freiherrn von Scharschmid eingebrachten Gesetzentwurf auseinandersetzen, um „im Einvernehmen" jene Änderungen vorzunehmen, die von den Slowenen für die gleichberechtigte nationale Existenz als unerläßlich angesehen werden müßten. Dabei stieß sich Hren ebenfalls in erster Linie an dem Wort „Staatssprache". Den Weg zur Verständigung und Aussöhnung mit den Slowenen hätten die Deutschen damals noch durch Konzessionen von nicht allzu hohem Gewicht finden können, weil die Slowenen ihrerseits, von den Tschechen nicht unterstützt und von Serbien noch nicht unterminiert, zu Kompromissen bereit waren. Den Scharschmidschen Sprachenantrag wenigstens in einem Ausschuß zu beraten, waren neben den Slowenen jedoch auch die Ruthenen und selbst die

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Serbokroaten Dalmatiens bereit. Die Polen nahmen schließlich eine abwartende Haltung ein. Nur die Tschechen sagten, wie Graf Wurmbrand als Generalredner der ersten Lesung abschließend feststellte, unbedingt nein, den Deutschen vorwerfend, die Germanisation mit diesem Gesetz herbeizuführen, obwohl dieses gerade den Slowenen in Steiermark und Kärnten weit größere Rechte eingeräumt hätte, als sie bisher besaßen. Wurmbrand, der als steirischer Landeshauptmann sehr oft den Vorwurf hinnehmen mußte, er würde im Landtag den Slowenen zu weit entgegenkommen, hat hier im Abgeordnetenhaus sachlich festgestellt, daß die Ablehnung, den Scharschmidschen Sprachenantrag wenigstens zu beraten, nur aus der Forderung nach einer „Staatssprache für Böhmen" entsprang. Es gehe aber nicht um die staatsrechtliche Stellung Böhmens, sondern um die Berechtigung der Nationalitäten. Dies dürften die Tschechen nicht übersehen; je weiter sie sich auf der Bahn der staatsrechtlichen Ansprüche bewegten, desto lebensunfähiger würden sie das Parlament machen. „Über das Maß dessen, was den einzelnen Nationalitäten geboten werden soll, über das Maß dessen, was unumgänglich notwendig ist, um die Staatsverwaltung festzuhalten, kann gestritten werden; über die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes zum friedlichen Nebeneinanderwohnen der Nationen in Österreich und vorzüglich zur Aufrechterhaltung des Parlamentarismus in Österreich kann kein Zweifel existieren." Es sei längst Aufgabe der Regierung gewesen, ein solches Gesetz einzubringen, da sie es nicht getan, sehe die deutsche Linke gewissermaßen sich verpflichtet, das Programm des Ministeriums selbst durchzuführen. Der Scharschmidsche Gesetzesantrag wurde schließlich am 12. März 1886 mit 208 gegen die 68 Stimmen der Tschechen einem Sprachenausschuß zugewiesen, ihm jedoch dort, wie R. Charmatz bitter sagt, „ein stilles Begräbnis zuteil"56). Gerade damals durften die Tschechen nicht unzufrieden sein, da es ihnen gelungen war, wenn auch langsam, wichtige nationale Forderungen durchzusetzen. So waren in den 16 Jahren von 1864 bis 1880 an der Prager Universität die tschechischen Lehrstühle von zwei auf zwanzig erhöht worden, da die Mehrzahl der Hörer Slawen waren. Mit Gesetz vom 28. Februar 1882 war nun die altehrwürdige Universität unter Beibehaltung des gemeinsamen Namens CarolaFerdinandea in eine deutsche und eine tschechische Hochschule geteilt worden. Das Vermögen gehörte beiden Universitäten, deutsch und tschechisch waren die jeweilige Vortrags- und Unterrichtssprache. Am 10. Februar 1882 faßte der berühmte Rechtsgelehrte JosefUnger als Berichterstatter im Herrenhaus am Schluß der Generaldebatte die gegen eine Teilung sprechenden Argumente in einer großangelegten Rede zusammen. Meisterhaft reihte er die rechtlichen Einwendungen aneinander. Die Majorität des Ausschusses war für die unbedingte Erhaltung der alten Universität als solche, denn nach Ungers rechtlich begründeter Ansicht hatte man nach der Teilung nicht zwei alte, sondern zwei neue Universitäten. Er fürchtete, daß die tschechische Universität im Widerspruch zu allem österreichischem Herkommen doch alle alten Traditionen der Prager Universität in sich aufnehmen werde. Deshalb schon wollte er neben der alten eine neue Universität errichtet wissen. Dieser Majoritätsantrag ging im Plenum des Herrenhauses jedoch nicht durch. Solange die Monarchie bestand, hat sich die Teilung, von einigen seitens der Tschechen scharf geführten Angriffen um die Aufteilung der staatlichen Dotationen auf die beiden Universitäten abgesehen, ") R. C h a r m a t z , Österreichs innere Geschichte II s , S. 72.

Tschechische Erfolge — Teilung der Prager Universität

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bewährt57). Erst nach Begründung des tschechoslowakischen Staates begann sich die vom steirischen Abgeordneten Bartholomäus Ritter von Carneri am 13. Februar 1882 anläßlich der Beratung des Staatsvoranschlages und des Finanzgesetzes für das Jahr 1882 im Abgeordnetenhaus ausgesprochene Prophezeiung zu erfüllen58) : „Und was will man mit der Zweiteilung? Die Vernichtung der alten Universität. Man wirds erreichen; hat man es doch schon einmal erreicht, daß Hus ausrufen konnte: ,Gelobt sei der Allmächtige, daß wir die Deutschen ausgeschlossen haben!' Sie sind so gründlich ausgeschlossen worden, und so sehr im Interesse der Wissenschaft, daß schließlich aus Mangel an Lehrern und Lernenden die ganze Universität geschlossen werden mußte. Auch damals herrschte Versöhnungsdünkel."

Die Teilung der Prager Universität war nicht der einzige tschechische Erfolg im Unterrichtswesen. Das zielbewußte Vordringen der Tschechen machte selbst an den Grenzen Böhmens nicht halt. So forderten sie die Errichtung öffentlicher, tschechischer Volksschulen in Niederösterreich, um Stützpunkte für die nationale Propaganda im geschlossenen deutschen Sprachgebiet zu gewinnen, in das sie als Industriearbeiter einströmten59). Die Deutschen Böhmens, in die Verteidigung gedrängt und durch die immer größeren Forderungen der Tschechen bedrängt, suchten, um den nationalen Besitzstand zu erhalten, am 16. September 1884 im böhmischen Landtag durch einen von Dr. Eduard Herbst vorgelegten formellen Antrag die Teilung des Königreiches Böhmen in ein deutsches und tschechisches Verwaltungsgebiet gesetzlich zu erreichen. In diesem Zusammenhang erklärte der damalige Führer der Deutschböhmen, Dr. Eduard Herbst, eine scharf profilierte Persönlichkeit, deren Wort durch viele Jahre die deutschböhmische Politik entschied60), im Parlament: „Die Deutschen werden von dieser Forderung nie mehr ablassen, es mag geschehen, was da will. Und es wird der Friede und die Ruhe nicht eher eintreten, bis nicht dieser Forderung wird entsprochen werden!" Dr. Herbst hat mit seiner Prophezeiung recht gehabt. Diese nationale Trennung schien den Deutschen im Hinblick auf das Einströmen tschechischer Arbeiter in rein deutschsprachige Gebiete notwendig. Vor allem im Brüx-Duxer Kohlenrevier, auf dem zum Teil die Stärke der böhmischen " ) A. S a u e r, Die Prager Hochschulen. — Im Zeitraum von 1902 bis 1910 hat die österreichische Regierung die tschechische Universität in Prag um 1,781.754 Kronen besser dotiert als die deutsche Prager Universität. — Nach dem Zerfall der Monarchie und der Begründung des tschechoslowakischen Staates wurde die Deutsche Universität mit Gesetz vom 19. Februar 1920 (lex Maresch) entrechtet, indem dieses die Tschechische Universität zur alleinigen Rechtsnachfolgerin der karolinischen Gründung und rechtmäßigen Alleinerbin der alten Gebäude, der Insignien und des Archivs erklärte, der Deutschen Universität die Kontinuität mit der Karls-Hochschule und die Nennung Kaiser Karls IV. im Titel verbot. (R. S c h r e i b e r , Studien zur Geschichte d. Karl-Universität: Einleitung S. 11.) Die Ausfolgung der Insignien wurde aber erst am 25. November 1934, und zwar durch tagelange tumultarische Belagerung der Deutschen Universität erzwungen. Der Vorschlag, die Insignien in einem Museum der gemeinsamen Tradition aufzubewahren, war ungehört verhallt. (W. v. W o l m a r , Prag u. das Reich S. 555—565. Eine zwar politisch tendenziöse Darstellung aus dem Jahre 1943, doch mit wichtigem dokumentarischem Bildanhang.) 58 ) Stenogr. Prot. IX. Session, 192. Sitzung vom 13. Februar 1882. S. 6732. 5β ) A. S c h u b e r t , Frage des niederösterreichischen Tschecheneinschlages. 60 ) Zur Charakteristik Herbsts die geistreichen Bemerkungen bei R. C h a r m a t z, Lebensbilder S. 83 f. u. 130.

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Industrie beruhte, wurde ein erbitterter Kampf geführt, der Arbeitsplatz um Arbeitsplatz, Werk um Werk ausgefochten wurde. In Böhmen war mehr als ein Neuntel des Bodens in den Händen fideikommissarischen Großgrundbesitzes, der durch rund 50 feudal-aristokratische, zumeist tschechisch gesinnte Familien repräsentiert wurde. Die Löhne auf diesen meist in Tschechisch-Böhmen gelegenen Landgütern betrugen kaum eine Krone im Tag. Durch die Industrialisierung des Großgrundbesitzes schwanden zudem die Arbeitsmöglichkeiten. Das Getreide mußte der weitaus rentableren Zuckerrübe weichen. Die Zuckerfabriksökonomien führten die ersten englischen Sämaschinen, Mäh- und Dreschgarnituren und nach der Londoner Ausstellung 1851 den ersten Dampfpflug ein. Der landwirtschaftliche Großbetrieb sorgte für gute Straßen, veränderte die Landschaft und gab dem Häusler während der Verarbeitungszeit der Rübenerntc Arbeitsmöglichkeiten61). Die selbständigen tschechischen Bauern auf ihren kleinen und mittleren Höfen aber konnten nicht Schritt halten, sie arbeiteten weniger rentabel, sie waren bei den großen Bankinstituten nicht kreditfähig und sanken immer mehr zu Feldarbeitern herab. Der Überschuß der tschechischen Agrarbevölkerung mußte, ob er wollte oder nicht, zum Wanderstab greifen. In Deutschböhmen nun konnten Arbeiter durch die hochentwickelte Industrie den dreibis vierfachen Lohn erreichen, weshalb Knechte, ungelernte landwirtschaftliche Arbeiter und tschechische Bauernsöhne, die den väterlichen Hof nicht halten oder, dort überzählig, im heimatlichen Bereich keine Bauernarbeit mehr finden konnten, ganz natürlich den höheren Löhnen nachgingen und nach Deutschböhmen einwanderten. Diese große nationale Wanderbewegung vom Dorf in die Stadt ist nicht mit dem gleichzusetzen, was wir heute „Landflucht" nennen. Nicht der Wunsch nach besserem Leben war der Antrieb, sondern der nackte Existenzkampf. Auch kein politisches Motiv stand dahinter, nicht der Wunsch, das deutschböhmische Gebiet zu tschechisieren. In den nordböhmischen Industrieorten und im westböhmischen Kohlenrevier mußten die Tschechen ein neues, gänzlich fremdes, trostloses Leben in öden Wohnkasernen und elenden Notbauten beginnen. Die Entwurzelung des tschechischen Landvolkes ging nicht ohne Schmerzen vor sich62). Nichts blieb den in die Städte Abgewanderten als die Erinnerung und die Sprache. Entwurzelt und zum Proletariat abgesunken, wurden sie ein geeignetes Objekt der politischen Propaganda, waren sie bereit, an eine große Vergangenheit und an eine glücklichere Zukunft des Tschechentums zu glauben. Durch den Zustrom in das deutsche Gebiet wurde der nationale Streit für Tschechen und Deutsche auch zur „Brot- und Magenfrage", an deren Lösung immer weitere Volksschichten wirtschaftlich interessiert und bei der die Tschechen im Vorteil waren, denn sie lebten einfacher und genügsamer als die deutschböhmischen Arbeiter. Dieses Bild ist allerdings zu schematisch, um in allen Teilen zu stimmen. Die Deutschen gaben selbst ganze Erwerbszweige auf, denn einerseits wurde das alte deutsche Kleinhandwerk und Kleingewerbe durch die industrielle Massenerzeugung in Ermangelung einer weitblickenden Sozialpolitik arg bedrängt, andrerseits arbeiteten sich die Deutschen sozial empor. Sie suchten den Klauen des wilden Manchestertums, das auf ihren Leibern seine Fundamente errichtet und die einheimische deutsche Bevölkerung dezimiert hatte, zu entkommen und, wo sie es vermochten, den Erwerb durch häusliche, landwirtschaftliche oder andere unqualifizierte, körperβ1

) H. B e n e d i k t , Die wirtschaftliche Entwicklung S. 11—18.

62

) Κ. Τ s c h u ρ ρ i k, Franz Joseph I. S. 403. — F. Ρ e r k o, Die deutsch-tschechische Streitfrage. — F. S p i n a , Unser Verhältnis zur tschechischen Literatur S. 434 ff.

Nationale Mengung durch arbeitsuchende Tschechen

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lieh schwere und unsaubere Arbeit mit geringem Entgelt zu meiden. So schieden sie aus vielen Zweigen des Handwerks aus, sobald sich andere, besser zusagende, sozial gehobenere Erwerbsgelegenheiten anboten. Dadurch aber vollzog sich hinter der so umkämpften Sprachengrenze eine Strukturwandlung der unteren Volksschichten in den deutschen Städten. Der führende deutschböhmische Politiker und Parteiführer Ludwig Schlesinger, der seine bedeutsamste Rolle zur Zeit Badenis spielte, hat daher versucht, zwischen national gemischten und national gemengten Ortschaften zu unterscheiden. Danach bildeten sich national gemischte Ortschaften an der Sprachgrenze und in den Sprachinseln, wenn sie nicht schon von der Gründung an gemischt waren, auf langsamem und natürlichem Wege durch Heiraten, Übersiedlungen, Kauf und Verkauf oder Tausch. Es entstand dabei ein dauerndes Verhältnis der Gemischtsprachigkeit, das sich auf alle Einwohner ausdehnte, da in solchen utraquistischen Ortschaften in der Regel alle Bewohner der beiden Landessprachen mehr oder minder mächtig waren. In ursprünglich rein national geschlossenen Gebieten konnte nach Schlesinger durch die Niederlassung einer entsprechenden Anzahl anderssprachiger Elemente vorerst nur eine nationale Mengung entstehen, die sich jedoch nicht auf die heimatzuständige, damals steuerzahlende und wahlberechtigte Bevölkerung erstreckte. Sofern es nicht gelang, die Zugewanderten aufzusaugen, entstanden nach Jahren aus national gemengten utraquistische Ortschaften. Vor allem in den Kohlenbergbaubezirken des geschlossenen deutschen Sprachgebietes hatten sich durch die Zuwanderung tschechischer Arbeiter national gemengte Ortschaften gebildet63), in denen jedoch der alte Stock der ansässigen und steuerzahlenden Bevölkerung und die von diesen gewählten Gemeindevertretungen in ihrer deutschen Eigenart keine Veränderung erfuhren. Diese Tatsache kann für die Epoche vor Einführung des allgemeinen Wahlrechtes selbst für Orte nachgewiesen werden, in denen die Kopfzahl der eingewanderten tschechischen Arbeiter die der ansässigen deutschen Bevölkerung überwog. Wie leicht dem raschen Zuströmen der im steten Fluß befindlichen tschechischen Arbeiterbevölkerung ein ebenso rasches Abströmen folgen konnte, wenn der Grund, der die fremden Elemente zur Niederlassung veranlaßt hatte, wieder wegfiel, zeigte sich im Jahre 1879 bei Gelegenheit des Wassereinbruches in den unteren Duxer Kohlenschächten. „Die brotlose Bevölkerung verschwand aus mehreren Ortschaften so zu sagen über Nacht und ein Teil derselben schob sich weiter nach Norden bis an den Fuß des Erzgebirges vor, wo noch Arbeit zu finden war. Nach Bewältigung der Einbruchgewässer blieb die Rückströmung nicht aus64)." Auch 1910 konnte gegenüber dem Jahre 1900 durch das merkliche Nachlassen der Konjunktur und das Aufhören der Ergiebigkeit und der Rentabilität einzelner Gruben und der dadurch bedingten Verminderung der Arbeitsmöglichkeiten eine starke Abwanderung der zuletzt zugewanderten fremdsprachigen Arbeitskräfte festgestellt werden. Zuwanderung und Abwanderung waren so nicht von nationalen Voraussetzungen, sondern von den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen innerhalb der einzelnen Gebiete abhängig. In den Ortsgemeinden Tschausch (Bezirk Brüx), Dux (Bezirk Dux), Honositz, Lihn, 63

) Als ein Beispiel der Gegenwart illustriert uns diesen Vorgang die italienische Unterwanderung der deutschsprachigen Stadt Bozen mit italienischen Arbeitern, die Bozen immer mehr italienisieren. M ) L. S c h l e s i n g e r , Zur nationalen Abgrenzung S. 256. — Zu den späteren Wanderungszahlen W. W i η k 1 e r, Die Bevölkerung Böhmens. — Dazu auch die 1919 erschienene Flugschrift: „Die tschechischen Minderheiten im nordwestböhmischen Kohlenrevier." 7

Sutter, Sprachenverordnungen I.

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Neudorf, Nürschan, Untersekran, Steinaujezd (Bezirk Staab), Littitz (Bezirk Pilsen), Wilkischen (Bezirk Mies), Kummerau (Bezirk Luditz) und Ploschkowitz (Bezirk Leitmeritz) war die nationale Mengung überwiegend durch den aufblühenden Kohlenbergbau, in Wilkischen durch die Unternehmungen der Prager Eisenindustriegesellschaft, in Kummerau durch die Glashütte und in Ploschkowitz durch herrschaftliche Beamte und landwirtschaftliche Arbeiter herbeigeführt worden. Da die Bevölkerung Böhmens im Jahre 1821 nur 3,393.396, im Jahre 1891 dagegen 5,843.094 Personen zählte65) und der tschechische Bevölkerungsteil vom Ausgang der Metternichschen Ära bis zum Beginn der Ära TaafFe, nicht aber mehr seit Taaffe, prozentuell rascher als der deutsche wuchs, wanderte der tschechische Geburtenüberschuß in die Industrien der deutschsprachigen Gebiete Böhmens, aber auch Niederösterreichs einschließlich Wiens ab. Dem Handwerk, der Industrie und der Landwirtschaft Deutschböhmens nachträglich vorzuwerfen, die Schuld an der Vertschechung durch unnötige Beschäftigung tschechischer Arbeiter zu tragen, wäre ungerecht. Die tschechische Volkszahl hatte die tschechische Volkswirtschaft, dagegen die deutsche Volkswirtschaft Böhmens die deutsche Volkszahl des Landes überwachsen, zumal viele Deutschböhmen nach Wien66) und vor allem in die Steiermark und die übrigen Alpenländer auswanderten und dort sich Erwerb und fast immer mit Erfolg eine neue Heimstatt suchten. Da also die Deutschböhmen ihrerseits wiederum dem besseren und friedlich gesicherteren Erwerb nachwanderten, setzten allerdings erst um 1910 sozial- und kulturpolitische Maßnahmen ein, um die Säuglingssterblichkeit in Deutschböhmen herabzusetzen, Alkohol und Tuberkulose zu bekämpfen, um für die zusammengepferchten deutschen Arbeitermassen Lebensraum und bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen, so daß für eine Abwanderung aus Deutschböhmen der Anreiz fehlte. Die Organisation im nationalen Sinne von Produktion und Kapital einerseits, des Konsums andrerseits, Berufsbildung, Stellenzuweisung und die Schaffung eines Volkswirtschaftsrates wurden angestrebt67), um den schweren wirtschaftlichen Druck der Tschechen aufzuhalten. Aber nicht nur eine rein wirtschaftliche, auch eine geistige Überproduktion, für die keines der natürlichen Absatzgebiete groß genug war, steuerten die Tschechen bewußt an, um alle geographisch und historisch gegebenen Schranken und Dämme überfluten und einreißen zu können. 65

) H. R a u c h b e r g, Die Entwicklung der Bevölkerung Böhmens S. 434. — Vgl. dazu auch die übrigen Arbeiten von Rauchberg (Der nationale Besitzstand in Böhmen; Die Bevölkerung Österreichs). — F. S p i n a , Die neueste Statistik des Slawentums. — Es ist interessant, daß die Zeit von 1846 bis 1880, die Zeit der „deutschen Vorherrschaft" und der allgemein gültigen „Staats- und Amtssprache", die Zeit des zahlenmäßigen Aufschwunges der Tschechen ist, während in der Periode seit Taaffe, also in der Zeit der Erfüllung der tschechischen Schulforderungen, der Errichtung tschechischer Hochschulen, von 16 Mittelschulen, der Einschränkung der deutschen Staatssprache durch Einführung der inneren tschechischen Amtssprache, sich keine nennenswerte zahlenmäßige Entwicklung der Tschechen in Böhmen ergeben hat. Wohl aber hat zur Zeit Taaffes sich in Mähren und Schlesien das Verhältnis zugunsten der Slawen verschoben. (L. W a b e r , Die zahlenmäßige Entwicklung S. 642 ff.) 66 ) F. S t a η g 1 i c a, Wien u. das Sudetendeutschtum S. 8: „Von den 1,674.957 Einwohnern Wiens im Jahre 1900 sind 438.695 in Böhmen, Mähren und Schlesien geboren, das sind 26,2% der Bevölkerung . . . Das Anwachsen zur Großstadt verdankt Wien sehr wesentlich der Einwanderung aus den Sudetenländern... Von den 1910 in Wien Lebenden, aus Böhmen Eingewanderten waren 79,81% Deutsche (204.199) und 18,72% Tschechen (47.890) . . . " ,7 ) F. E r t i , Schutz der deutschen Arbeit. — F. J e s s e r, Nationale Frage.

Die Prazakschen Ordonnanzen

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Im Dezember 1886 wurde die Forderung der nationalen Teilung Böhmens von Ernst v. Plener im böhmischen Landtag wiederholt, der über Antrag von Karl Fürst Schwarzenberg zur Tagesordnung überging, worauf die 75 deutschen Abgeordneten, denen 167 tschechische gegenüberstanden, den Landtag verließen, um ihn Jahre hindurch nicht wieder zu betreten. Ausgelöst hatten den Antrag Pleners nicht zuletzt die am 23. September des gleichen Jahres ergangenen Erlässe des Justizministers Dr. Alois Prazak an das Oberlandesgericht in Prag und, einige Tage später, an das in Brünn, die gleichlautend bestimmten, daß in allen Fällen, in denen die Erledigung nur in einer Sprache hinauszugehen habe, diese schon in den Entwürfen und Referaten zur Anwendung kommen solle,wodurch die Instruktion Kaiser Ferdinands III. vom 26. November 1644 aufgehoben war68). Gegen die Einführung der tschechischen Sprache im inneren Dienst der Oberlandesgerichte in Prag und Brünn, denn nichts anderes bedeuteten die Prazakschen Ordonnanzen, erhob sich im Reichsrat und im Herrenhaus erbitterter Widerstand. Der einstige Staatsminister Anton von Schmerling zog scharf gegen die Sprachenverordnungen zu Felde. „So entschiedene Töne, wie sie hier Schmerling gegen die Regierung anschlug, erklangen nicht oft im Herrenhause", und sie beweisen, wie weit und tief der Widerstand gegen die Politik Taaffes ging. Der Bestand der Verfassung war nach der Ansicht Schmerlings von der Stellung des Deutschtums im Staate abhängig. Dieses sollte nicht weiter hervortreten, aber ebensowenig noch weiter zurückgedrängt werden, doch nicht um seiner selbst willen, sondern nur um als Bindemittel für den Zusammenhalt des österreichischen Gesamtstaates zu dienen69). Der Kampf gegen die Prazakschen Verordnungen im Reichsrat war ohne Erfolg, denn die Mehrheit des Hauses erklärte nach längerer Debatte im Mai 1887, daß kein Grund vorläge, die Verordnungen zu beanstanden. Der Versuch dès Landmarschalls Fürst Georg Lobkowitz, zwischen den Tschechen und Deutschen im Herbst 1887 auszugleichen und diese zum Wiederbesuch des böhmischen Landtages zu bewegen, scheiterte70). Von deutscher Seite wurde als Voraussetzung die vorherige Aufhebung der Sprachenverordnungen und die nationale Abgrenzung der Bezirke gefordert. Da die böhmischen Probleme einer Lösung bedurften, strebte Graf Taaffe, nachdem sich in den Dezembertagen 1889 die Gegensätze der Regierung zu den Liberalen durch eine Anfrage Pleners verschärft hatten, nicht mehr wie 1871 Hohenwart einen Ausgleich zwischen der Regierung und den Tschechen, sondern einen solchen auf allgemeiner großzügiger Basis zwischen Deutschen und Tschechen in Böhmen an. Auf Grund von Verhandlungen, die am 4. Jänner 1890 begannen und mit den Alttschechen, den liberalen Deutschen, den Vertretern des feudalen und verfassungstreuen Großgrundbesitzes, von der Regierung geführt wurden, kam es am 19. Jänner zu einem Ausgleichsprotokoll71). Von den 41 Ratstellen beim Oberlandesgericht ββ

) A. F i s c h e 1, Sprachenrecht Nr. 397 und 397 a (S. 230) und Nr. 17 (S. 17). ··) P. M o 1 i s c h, Anton v. Schmerling, AÖG 116, 1944, S. 58 f. 70 ) Zu den Befriedungsversuchen auf Grund „privater Konferenzen" der deutschböhmischen und tschechischen Führer, also im Schöße der streitenden Nationen, so z. B. 1883 K. G. H u g e l m a n n , Das Nationalitätenrecht S. 157 f. Zu denVersuchen 1887/88 H . M ü n c h , Böhmische Tragödie S. 399. ,1 ) Das ganze Protokoll ist abgedruckt bei A. F i s c h e 1, Materialien zur Sprachenfrage Nr. 44. — Ausführlicher Inhalt bei H. M ü η c h, Böhmische Tragödie S. 401 f. und K. G. H u g e l m a n n , Das Nationalitätenrecht S. 162 ff. — Eine genaue Darstellung über den Verlauf der Ausgleichsverhandlungen gibt Ε. ν. Ρ1 e η e r, Erinnerungen II, 7*

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III. Versäumte Gelegenheiten 1848—1890

in Prag sollten nur 26 für solche reserviert sein, die beider Landessprachen mächtig waren, die übrigen 15 solchen zugänglich sein, die nur Deutsch konnten. In Schulgemeinden mit mehr als 40, mindestens jedoch fünf Jahre bereits im betreffenden Schulsprengel wohnhaften schulpflichtigen Kindern der zweiten Landessprache sollte über Begehren der Eltern eine allgemeine, öffentliche Minderheits-Pflichtschule errichtet werden. Für das östliche Böhmen war die Errichtung einer neuen Handels- und Gewerbekammer gedacht, deren Gebiet vom Bereich der Kammern von Prag und Reichenberg auszuscheiden gewesen wäre. Für den Landtag wurde eine deutsche und eine tschechische Nationalkurie mit Vetorecht vorgesehen. Die Stremayrsche Verordnung von 1880 selbst war bei den Verhandlungen kaum berührt worden. Sie diente gleichsam als Grundlage der Verhandlungen über den Gebrauch der beiden Landessprachen. Zwar gab es einzelne Heißsporne, die in den unter den deutschen Mitgliedern stattgefundenen Vorbesprechungen beantragt hatten, es sollte der Regierung nahegelegt werden, vorerst die Sprachenverordnung zurückzuziehen, um den Boden für weitere Verhandlungen zu bereiten. Doch die gemäßigten Konferenzmitglieder unter Dr. Franz Schmeykal, dem besten Kenner der Verhältnisse der Deutschen in Böhmen, setzten durch, daß von der Einbringung dieses Antrages abgesehen wurde. Im Gegensatz zu seinem Freund und Gesinnungsgenossen Dr. Herbst riet Schmeykal ab, die Sprachenverordnung zum Gegenstand eines Angriffes gegen die Regierung zu machen, da es vielmehr politisch klüger wäre, nicht viel davon zu reden, um damit der Gegenpartei die ausgleichsfreundliche Gesinnung der Deutschen in Böhmen zu beweisen72). So wurde der Stremayrschen Verordnung nur insofern gedacht, als beschlossen wurde, daß sie nach erfolgter nationaler Abgrenzung der Gerichtssprengel zu revidieren wäre. Aber die Rechnung war ohne den Wirt, in diesem Falle ohne die Jungtschechen, von den deutschböhmischen und alttschechischen Abgeordneten gemacht worden. Es war der große Fehler Taaffes, die Jungtschechen übergangen zu haben, obwohl die böhmischen Landtagswahlen von 1889 den Alttschechen eine beispiellose Niederlage, den Jungtschechen, die vorher nur wenige Mandate erreicht hatten, aber 37 Sitze gebracht hatten73). Er hätte sehen müssen, daß die kommende Partei die der Jungtschechen war. Diese hätten den Ausgleich bei den Besprechungen kaum zerschlagen können, wären aber durch die Teilnahme an den Beratungen an die Ergebnisse gebunden gewesen. Plener wirft weiters TaafFe vor, daß er den Grafen Franz Thun, seit 7. Oktober 1889 Statthalter von Böhmen, nicht zugezogen hatte, da dies Thun als eine Zurücksetzung empfand und darum auch im weiteren Verlauf dem Ausgleichswerk nichts weniger als förderlich war74). Im Mai 1890 trat der Landtag zusammen, den nun die deutschen Abgeordneten wieder besuchten. Die Teilung des Landesschulrates wurde im Juni 1890, die des Landeskulturrates erst im Jänner 1891 vom Landtag angenommen. Alle anderen Vorlagen, die mit dem Ausgleich zusammenhingen, wurden von den Jungtschechen75) zu Fall gebracht. Dabei kam es zu den heftigsten Zusammen-

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S. 396. Vgl. dazu auch K. K a z b u n d a , Krise ceské politiky. — J. Κ a i ζ 1, Ζ mého zivota II, S. 574—589.—M. M e n g er, Der böhmische Ausgleich.—P. M o l i s c h , BriefeS. 315—328. Η. Ρ o 11 a k, 30 Jahre aus dem Leben eines Journalisten III, S. 274 f. 1891 standen bereits den 39 Alttschechen 51 Jungtschechen gegenüber. — Vgl. dazu W. L o r e n z , Die tschechischen Parteien S. 44—57. Ε. ν. Ρ 1 e η e r, Erinnerungen II, S. 396. Karl Kramar nannte in seinem Hochverratsprozeß am 21. Jänner 1916 die damalige Politik der Jungtschechen „eine Revolution des tschechischen Volkes, die den Kampf um das

Der Ausgleichsversuch von 1890

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Stößen zwischen Jung- und Alttschechen. Als am 3. März 1892 der böhmische Landtag neuerdings zusammentrat, hatten sich die Feudalen und Alttschechen unter dem Druck der Agitation der Jungtschechen geeinigt, die Vertagung der Ausgleichsverhandlungen zu verlangen. Das Schicksal des großzügigen Ausgleiches, der wahrscheinlich für Böhmen den nationalen Frieden gebracht hätte, war am 1. April 1892 entschieden, als die Ausgleichskommission die Vertagung der Beratung beschloß. Gemäß den Ausgleichsvereinbarungen vom Jänner 1890 hat Justizminister Dr. Friedrich Graf Schönborn am 3. Februar 1890 eine Durchführungsverordnung zu den Abmachungen über die Einrichtung beim Prager Oberlandesgericht, die sogenannte Schönbornsche Sprachenverordnung erlassen, in einer zweiten Verordnung des gleichen Tages die Vorbereitung einer Änderung der Gerichtsorganisation Böhmens zur nationalen Abgrenzung der Gerichtssprengel 76 ) und am 22. April 1892 die Errichtung eines Bezirksgerichtes in Werkelsdorf angeordnet. Als im böhmischen Landtag am 17. Mai 1893 der Bericht über die Errichtung eines Kreisgerichtes in Trautenau erstattet werden sollte, drohten die Jungtschechen mit der Obstruktion und entfesselten stürmische Szenen, die sich auf der Straße fortsetzten. Am 13. September 1893 mußte schließlich wegen der tschechischen Krawalle über Prag der Ausnahmezustand verhängt werden. Der böhmische Ausgleich war mißglückt. Taaffe mußte sein Amt, das er vierzehn Jahre bekleidet hatte, am 11. November 1893 niederlegen 77 ). Im Anschluß an die Ausgleichsverhandlungen von 1890 hatte am 9. Februar ein deutschböhmischer Parteitag in Teplitz stattgefunden, an dem die Wiener Abmachungen angenommen und von den Versammelten es als eine Ehrenpflicht erklärt wurde, an dem Übereinkommen festzuhalten. Keine Freude über den Ausgleich zeigten die deutschen Politiker der Alpenländer, da sie fürchteten, von den befriedigten Deutschböhmen im Stich gelassen zu werden, und da sie wegen der sinngemäßen Rückwirkung auf die Verhältnisse in Steiermark und Kärnten zugunsten slowenischer Ansprüche in Sorge waren. Gerade die steirischen Zeitungen stellten sich entschieden gegen den abgeschlossenen Ausgleich 78 ). Noch während der Ausgleichsverhandlungen meldete die Cillier Kampfzeitung „Deutsche Wacht" ihre Bedenken und Forderungen an. Am 12. Jänner 1890 schrieb sie, „die Sendlinge aus Deutschböhmen" würden eigentlich das ganze deutsche Volk in Österreich vertreten, denn der Ausgleich sei durchaus nicht bloß eine böhmische Angelegenheit, so gern er von der deutschen Frage abgetrennt werden würde. Die Deutschböhmen dürften daher keinen Augenblick vergessen, daß sie nicht provinzielle Interessen, sondern die Interessen aller Deutschösterreicher wahrnehmen müßten. Das Deutschtum dürfe nicht im Norden mit Zuhilfenahme Staatsrecht wieder zur Entfaltung brachte". Vgl. dazu P. Μ o 1 i s c h, Vom K a m p f der Tschechen S. 15. 76 ) A. F i s c h e 1, Sprachenrecht S. 237 f., Nr. 405 und S. 236 f. Nr. 404. — L. S c h l e s i n g e r , Zur nationalen Abgrenzung S. 262 f. " ) Zur Beurteilung Taaffes vgl. H. v. S r b i k, Böhmische Tragödie S. 1051. Srbik stimmt der Ansicht zu, daß nicht so sehr von einer einseitigen Slawisierungstendenz Taaffes, wohl aber von einem unverantwortlichen Zeitvergeuden dieses „Kaiserministers" bis 1890 und von einer Politik der Schutzlosigkeit der Deutschen gegenüber der praktischen Slawisierung zu sprechen ist. — Ebenso sagt R. C h a r m a t z (Lebensbilder S. 125—140): „ G r a f Eduard T a a f f e war besser als sein Ruf, was alles eher denn als ein helles vorbehaltloses L o b ist." — Zu seiner Beurteilung von tschechischer Seite J. Ρ e η i í e k, Aus bewegten Zeiten S. 13—16. , 8 ) Ε. v. P i e n e r, Erinnerungen II, S. 409 u. 412 f.

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III. Versäumte Gelegenheiten 1848—1890

eines nebelhaften Staatsrechtes, im Süden unter dem Schlagwort der „nationalen Autonomie" zur Abschlachtung überantwortet werden. Dies blieb der Tenor der „Deutschen Wacht". Nach Abschluß der Verhandlungen gab sie am 23. Jänner erneut ihr Mißtrauen kund. Die Alpenländer könnten, auch wenn die Deutschböhmen Zufriedenheit zur Schau trügen, vorderhand zur Freude keinen Anlaß finden. Drei Tage später heißt es im Leitartikel, es müsse die Frage gestellt werden, was bei den Verhandlungen für die Deutschen überhaupt, nicht nur für die Deutschböhmen allein gewonnen wurde. Eine nur wenig tröstliche Antwort sei zu erwarten, denn für die Deutschen außerhalb Böhmens dürfte gar nichts erreicht worden sein. Den gleichen Vorwurf erhoben die Slowenen gegen die Tschechen. Im „Slov. Narod" wurde diesen vorgehalten, daß sie viel zu separatistisch seien. Die Gefahr für die slowenische Nationalität fange schon damit an, daß mit dem böhmischen Ausgleich begonnen wurde, die Lösung der nationalen Frage in die Landtage zu verlegen. Die Regierung werde daraus die Konsequenzen ziehen müssen, schon deshalb, weil für Böhmen die gleichen Rechte gelten wie für die anderen Kronländer und die Deutschen darauf bestehen werden. Außerdem habe nun die Regierung „Plener und Konsorten die Hand zur Versöhnung" gereicht. Der Regierungsstandpunkt werde so wieder mehr in die Nähe des Standpunktes der Deutschliberalen gerückt, denn Taaffes Herz sei „immer bei den Linken" gewesen. Nachdem die Regierung von diesen unterstützt werden wird, habe sich die Lage der Slowenen nur verschlechtert. Bisher seien sie für Taaffe in vielen Fällen sehr notwendig gewesen, künftighin aber werde er sie nicht mehr benötigen und sich daher nicht um ihre Wünsche kümmern. „Es kommen schlimme Zeiten für unsere nationalen Bestrebungen. Mancher Schlag wird uns seitens der Regierung in der nächsten Zukunft ereilen, und wir haben nicht zu erwarten, daß die nationale Gleichberechtigung in Kärnten, Steiermark und Istrien Fortschritte machen werde." Die Slowenen resignierten jedoch keineswegs. „N a c h d e n D e u t s c h b ö h m e n d i e S l o w e n e n", wurde ihr Schlagwort, was die deutschen Zeitungen Innerösterreichs um so mehr gegen den böhmischen Ausgleich einnahm79). Bei dieser Gelegenheit regten sich bei den Slowenen neue historische, staatsrechtliche Vorstellungen80). War ihr Ziel im allgemeinen der „Illyrismus", das „Königreich Slowenien", das durch die Ausscheidung aller slowenischen und gemischtsprachigen Landesteile aus den Kronländern Kärnten und Steiermark und durch Vereinigung mit Krain und dem Küstenland entstehen sollte, machten sich hier Vorstellungen eines slowenischen „Innerösterreichs" geltend, das die ganze Steiermark und ganz 7e

) Die „Deutsche Wacht" warf am 6. Februar den Slowenen Neigung zum Russentum vor. Der „Slovenski Svet" vertrat gerade damals das Schlagwort „Einführung der slawischen Liturgie" mit Nachdruck, dabei die lateinische Liturgie verächtlich behandelnd. Die für sie eintretenden Geistlichen wurden sogar verspottet. Der Artikel ist voll von Zitaten aus der Bibel, aus päpstlichen Bullen und geistlichen Werken. (Vgl. dazu M. M u r k o, Die slawische Liturgie an der Adria S. 174. Der Wiener Nuntius Galimberti forderte schon am 12. Mai 1887 die österreichischen Bischöfe auf, der Agitation für die slawische Liturgie entgegenzutreten.) Die Zustände in Rußland wurden dabei in den Himmel gehoben, die gegenteiligen Berichte als „jüdisch-polnisch-deutsche Frechheiten" abgetan. Das Erscheinen einer herumziehenden russischen Konzertgesellschaft versetzte die Slowenen in Laibach „in einen Zustand der politischen Trunkenheit", so daß der Landespräsident sich gezwungen sah, das zur Hebung der „nationalen Reife" dienende Konzert der „Original-Russen" zu verbieten. so ) Zum historischen Staatsrecht bei den Slowenen und zum Gegensatz des „Illyrismus" zum kroatischen Staatsrecht Κ. Β r a u n i a s, Österreich als Völkerreich S. 230 f.

Nach den Deutschböhmen die Slowenen

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Kärnten einschließen sollte, um einerseits eine Parallele zu Böhmen zu gewinnen und um andrerseits die finanzielle Sicherung dieses slowenischen Länderkomplexes zu erreichen. Zwar war Innerösterreich nach dem Tode Kaiser Ferdinands I. unter Erzherzog Karl von Innerösterreich selbständig gewesen und es ließ sich aus dieser Tatsache ein dem böhmischen analoges innerösterreichisches Staatsrecht konstruieren; allerdings stand dieses auf noch schwächeren Füßen als das der Böhmen. Die „Deutsche Wacht" wies am 2. Februar die slowenischen Gedankengänge empört und erregt zurück. Der deutsch-böhmische Ausgleich, auf Steiermark angewendet, würde die vollständige Preisgebung des deutschen Stammes und der deutschen Kultur in den gemischtsprachigen Landesteilen bedeuten. „Uns selbst auf den Opferstock zu legen, haben wir noch immer Zeit. Vorläufig fühlen wir uns noch stark genug und haben auch noch die Entschlossenheit, unsere Stellung zu verteidigen und — es sei auch offen herausgesagt — den Boden wieder zu erobern, der uns abgenommen wurde." Den Gedanken, daß ein steirischer Landtag einer Teilung, einer Zerreißung der Steiermark zustimmen werde, sollten sich die Herren Slowenen aus dem Kopf schlagen. Sie könnten ruhig ihren Auszug aus der steirischen Landstube feiern — eine solche Parodie des deutschböhmischen Auszuges könnte keinen anderen als einen erheiternden Eindruck machen. Habe man aber etwa den Separatausgleich in Böhmen vollzogen, um andere Ausgleichsfragen brennend zu machen? Dann allerdings wäre das alte Chaos wieder im Staate, weil niemals „Steiermark und Kärnten über den böhmischen Leisten geschlagen" werden können. Als in der ersten Sitzung des Abgeordnetenhauses, das am 3. Februar seine Arbeiten wieder aufnahm, der steirischslowenische Abgeordnete Michael Vosnjak Klagen über das Cillier Kreisgericht und die nationale Zusammensetzung der Senate vorbrachte, brach in der „Deutschen Wacht" am 6. Februar vollends die Erbitterung gegen den böhmischen Ausgleich durch : „Die deutschböhmischen Abgeordneten aber, die jetzt in Ausgleichswonnen plätschern, mögen durch die Streiflichter, welche in der ersten Sitzung des Abgeordnetenhauses auf das steirische Unterland geworfen wurden, daran erinnert werden, d a ß e s a u c h a u ß e r h a l b B ö h m e n s D e u t s c h e g i b t , welche von der slawischen Hochflut bedroht sind. Mehr und mehr tritt ja die Ansicht an die Oberfläche, daß die Deutschböhmen die günstige Stellung, welche sie auf den Ausgleichskonferenzen innehatten, nur zu eigenem Frommen, d. h. zum Nutzen Deutschböhmens — soferne bei der ganzen Sache von einem reellen Nutzen überhaupt gesprochen werden kann — ausgebeutet und d i e ü b r i g e n Deutschen e i n f a c h v e r g e s s e n haben. Die nächste Zeit wird lehren, ob wir im Rechte waren, als wir der Besorgnis Worte liehen, daß der böhmische Ausgleich die deutsche Opposition noch tiefer spalten könnte, und ob die deutschen Abgeordneten aus den Alpenländern nicht genötigt sein werden, der Vereinigten deutschen Linken insgesamt den Rücken zu kehren."

In den anderen deutschen Städten der Steiermark war die Stimmung nicht anders als in Cilli. Dem Grazer Gemeinderat legte der Vizebürgermeister einen Dringlichkeitsantrag vor, der mit Stimmenmehrheit angenommen wurde: „Der Grazer Gemeinderat spricht seine Überzeugung dahin aus, daß, wenn auch durch den deutsch-böhmischen Ausgleich die Möglichkeit des Wiedereintrittes der deutschen Abgeordneten in den böhmischen Landtag geschaffen wurde, der Standpunkt der Deutschen in Österreich im allgemeinen unverändert blieb, da deren begründete Forderungen durch denselben nicht erfüllt sind, und hofft, daß die Deutschen nach wie vor denselben aufrechterhalten und etwaige Bestrebungen, die dem Ausgleiche zugrunde gelegten Bestimmungen auf andere gemischtsprachige Kronländer, insbesondere Steiermark, anwenden zu wollen, entschieden entgegentreten werden."

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III. Versäumte Gelegenheiten 1848—1890

Bei der öffentlichen Versammlung des Deutschen National-Vereines für Steiermark am 8. Februar 189081) wurde von den beiden Reichsratsabgeordneten und führenden nationalen steirischen Politikern Professor Paul Hofmann-Wellenhof und dem Advokaten Julius Derschatta von Standhart den Deutschböhmen vorgehalten, daß ihr Siegesjubel, ihr förmlicher Siegestaumel, in den sie sich hineinhetzten, ungerechtfertigt seien. Schon um der Erschlaffung der nationalen Spannkraft bei den Deutschen vorzubeugen, sei es notwendig, jenen Stimmen, die den Ausgleich als einen großen, ja entscheidendsten Erfolg der Deutschen hinstellten und daraus die völlige Veränderung der Parteistellung wie etwas Selbstverständliches ableiten, auf das entschiedenste entgegenzutreten. Die Deutschen Böhmens zögen vor zu retten, was noch zu retten sei, und begnügten sich mit der Aufrichtung eines erst zu erprobenden Schutzwalles. Aber wie kämen sie dazu, den anderen einreden zu wollen, daß in diesem mageren Ausgleich ein großer geschichtlicher Erfolg der deutschen Sache in Österreich zu erblicken sei. Es gehöre „fürwahr ein hoher Grad von politischem Sanguinismus dazu, darüber aufzujubeln, daß man den zerrissenen Faden, von dem inzwischen die Perlen herabgerollt sind, nun wieder anknüpfen darf". Die geschichtliche Sendung, der führende Beruf der Deutschen in Österreich fordere vielmehr den Wiedergewinn des verlorenen Bodens. Der Ausgleich habe zudem die Stellung der Deutschen im Parlament, die Stellung der Gesamtopposition außerordentlich geschwächt und die Wünsche der Slowenen gesteigert. Deshalb müsse in den Alpenländern der nationale Widerstand gegen die Regierung „noch in erhöhterem Maße als bisher Platz greifen". Die in dieser Versammlung selbstverständlich einstimmig angenommene Resolution ist jenem Dringlichkeitsantrag im Grazer Gemeinderat sehr ähnlich, nur wurde zusätzlich noch betont, daß „die nationale Partei im Ausgleich keinen Anlaß erblicken könne", in ihrer Stellung gegenüber der Regierung Taaffe „irgendwelche Änderung" eintreten zu lassen. An eine „Befriedung" war also nicht zu denken. Ja im Gegenteil — die innerösterreichischen nationalen Zeitungen versuchten den Kampf der Deutschen gegen die Regierung mit allen Mitteln zu entfachen und weiterzuführen. Die „Deutsche Wacht" sprach am 27. Februar von deutschböhmischer „Versöhnungsmeierei". Die Deutschen in den Alpenländern aber hätten die nationale Fahne ergriffen, „um sich des slawischen Übermutes und der nimmersatten Bedränger von der Gegenseite zu erwehren". Der Austritt der Deutschen aus dem Reichsrat habe wie ein Damoklesschwert über der Regierung gehangen. Sich dieser Waffe entschlagen zu haben, sei ein folgenschwerer Fehler. Deshalb müsse auch festgestellt werden, „daß bezüglich der Ersprießlichkeit des böhmischen Ausgleiches zwischen dem deutschböhmischen Volke und den Deutschen in den Alpenländern eine M e i n u n g s v e r s c h i e d e n h e i t besteht, w e l c h e s i c h z u m Z w i e s p a l t v e r s c h ä r f e n k a n n , der natürlich auch unter den Abgeordneten noch deutlicher zum Ausdrucke kommen müßte, als es ohnehin schon der Fall ist". Die Zeitungsfehde griff auf das Abgeordnetenhaus über. In der Budgetdebatte stießen am 17. April 1890 die Gegensätze offen aufeinander82). Am Tage zuvor hatte der steirische Abgeordnete Carneri zwar erklärt, daß der Ausgleich, wenn er ein Erfolg des Grafen Taaffe sei, nicht auch ein Erfolg der Deutschen sein könne, da es nur ein Entweder-Oder gebe, aber er hatte doch nur eine Umbildung ") P. Η o f m a n n - W e l l e n h o f u. J. v. D e r s c h a t t a , Der Deutsch-böhmische Ausgleich. ") Stenogr. Prot. X.Session S. 14210ff., 14231 ff. u. 14241 ff. Die Antwort Pleners auf Gregorec am 18. April S. 14300 f.

Die slowenischen Erwartungen

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der Regierung und eine Opposition „Gewehr bei Fuß!" gefordert. Der Wundarzt Karl Türk, der Herkunft nach Schlesier, Schönerianer nach der Gesinnung, griff deshalb Carneri an. Der Ausgleich sei für die Deutschböhmen ein Linsengericht wert, für die Alpenländer aber bedeute er „eine außerordentliche Verschärfung der bisher ohnedies schwierigen nationalen Lage", weil er die Ansprüche der Slowenen erhöhe. Er wisse nicht, ob die Deutschen in der Steiermark, speziell die Wähler Carneris dessen „kautschukartige Gymnastik der Gesinnung" mitmachen könnten. Damit schlug Türk jene Taktik ein, die sieben Jahre später zu einer gefährlichen Waffe der Schönerianer werden sollte: die Drohung mit der geschlossenen Masse angeblich unzufriedener, national radikaler Wähler, die jeden gemäßigten Abgeordneten verachten und daher nicht mehr wählen werden. Zwar lehnten 1890 selbst radikale Zeitungen wie die Cillier „Deutsche Wacht" aus Parteidisziplin offiziell die Haltung und das Vorgehen des Abgeordneten Türk ab und spotteten über die „Türkische Herrschaft", die der Abgeordnete aufrichten wolle. Sie ließen jedoch immerhin durchblicken, daß nur „entschiedene Haltung" die Sache der Deutschen in den Alpenländern vertreten könnte, unter Hinweis auf die Rede, die der slowenische Pfarrer und Kanonikus Dr. Leopold Gregorec, Abgeordneter der Landgemeinde Pettau, unmittelbar im Anschluß an Türk gehalten hatte. Gregorec hatte erklärt, der Ausgleich müsse mindestens auch auf Mähren, Schlesien, Steiermark, Kärnten und das Küstenland ausgedehnt werden. Die Bedrückung der Deutschen Böhmens sei nur ein „blasser Schatten" gegenüber den „Ungerechtigkeiten und Vergewaltigungen" gegen die Südslawen. Die Slowenen, ausgeschlossen aus den Landesschulräten und Landesausschüssen, würden von dem in Graz ins Leben gerufenen Verein „Südmark" gefährdet, da dieser gegründet worden sei, um verschuldeten slowenischen Besitzern ihre Güter abzukaufen und dort Deutsche anzusiedeln. Das sei nationaler Landfriedensbruch in schärfster Form. Die Bevölkerung südlich der Linie Villach—Klagenfurt—Völkermarkt in Kärnten, der Linie Spielfeld—Radkersburg in Steiermark sei slawisch : slowenisch, kroatisch oder serbisch. Diese südslawische Bevölkerung habe keine einzige Hochschule, die in Agram gelte als ausländische. Kroatische Mittelschulen gebe es zwar in Dalmatien, keine aber für die kroatische Minorität in Istrien. Die 400.000 steirischen Slowenen hätten es in zehn Jahren der Versöhnungsära kaum erst zu einer einzigen slowenischen Parallelklasse am Gymnasium in Marburg gebracht, ganz zu schweigen von einer rein slowenischen Lehrerbildungsanstalt. Die slowenischen Volksschulen in Südsteiermark und Südkärnten verdienten diesen Namen gar nicht, denn sie seien nicht den Bedürfnissen der slowenischen Bevölkerung angepaßt, sondern den Germanisationsgelüsten ihrer nationalen Gegner. „Solche Zustände herrschen in den von den Südslawen bewohnten österreichischen Ländern; wir entbehren dort jenes Schutzes für unsere Nationalität und Sprache, auf welchen wir Kraft des Staatsgrundgesetzes das vollständigste Recht haben. Wir leiden dort Vergewaltigungen, dergleichen die deutsche Minorität in Böhmen seitens der slawischen Majorität niemals zu erdulden gehabt hat. Gleichwohl hat es die Regierung für nötig gefunden, in Böhmen sanierend einzugreifen ; ich möchte sie einladen, auch in den Südländern das nämliche zu tun. Es wäre dies eminent im Interesse der Gerechtigkeit, des nationalen Friedens und auch im Reichsinteresse."

Der Weg zur Herbeiführung des nationalen Friedens sah Gregorec allein dann gesichert, wenn der Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes mittels eines Reichsgesetzes zur Durchführung gelange, denn die Slowenen würden in Triest, in Klagenfurt und in Graz kein Verständnis, kein Heil, nur Mißachtung, Zurück-

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III. Versäumte Gelegenheiten 1848—1890

setzung und Bedrückung erwarten. Den Slowenen Brosamen zukommen zu lassen, sei für sie entwürdigend. Ihre Selbstachtung, ihr nationaler Erhaltungstrieb gebiete ihnen die Durchführung des Artikels 19 und die Schaffung eines slowenischen bzw. südslawischen Verwaltungsgebietes anzustreben. Der Klub des rechten Zentrums habe eine Resolution gefaßt, in der es heiße, daß zu erwarten stehe, die Regierung werde nunmehr auch in den übrigen Ländern den berechtigten Forderungen und Wünschen auf nationalem und kirchlichem Gebiete ehestens entsprechen und sie einer gedeihlichen Lösung zuführen. Dieser Resolution, als zeitgemäß und der Situation entsprechend, müsse er sich innerlich anschließen. So national übersteigert und darum sachlich verzerrt Gregorec die Situation der Slowenen zeichnete, in einem hatte er recht : eine nationale Befriedung konnte und durfte sich nicht auf Böhmen allein erstrecken. Jeder böhmische Ausgleich mußte die Begehrlichkeit auch der ruhigeren und national gemäßigten Völker erwecken. Hier liegt die Tragik aller „Ausgleichsversuche", sei es der Hohenwarts von 1871, der Taaffes von 1890 oder der Badenis von 1897. Was den Deutschen in Böhmen, mußte ebenso den Slowenen in der Steiermark zustehen. Das Verhängnis des Ausgleiches von 1890 liegt demnach nicht allein darin, daß er scheiterte. Er hat die Deutschen der Alpenländer, speziell der Steiermark, in übersteigerter Furcht um ihren nationalen Besitzstand in eine kompromißlose Kampf- und Abwehrstellung, die Slowenen in übersteigertem Glauben an ihr nationales Recht in übertriebene, ebenso kompromißlose nationale Forderungen hineingedrängt. 1897 ging diese unglückselige Saat dann auf. Aber so sehr auch der deutsch-slowenische Raum 1897 im Vordergrund des politischen Geschehens stand, zu einer Lösung der Südslawenfrage kam es innerhalb der Monarchie doch nicht, einerseits, weil sie mit Ausnahme des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand83) auch nach der Annexion Bosniens und der Herzegowina zuwenig ernst genommen wurde und die Politiker von Böhmen gebannt blieben, andrerseits, weil ihre Lösung durch die Überschneidung der einzelnen Länder, der Nationalitäten der drei slawischen Stämme, der Slowenen, Kroaten und orthodoxen Serben, und der divergierenden nationalen, staatsrechtlichen und autonomistischen Vorstellungen zwischen den Kroaten, Serben und Slowenen überaus schwierig war. Allerdings standen bei dem von Franz Ferdinand vertretenen „Trialismus" und bei der sogenannten „Südslawischen Frage" auch wiederum nicht die Slowenen, sondern Kroatien, Dalmatien und Bosnien im Vordergrund84), obwohl die Vereinigung der Kroaten mit den österreichischen Südslawen ebenso auf dem Programm des slowenischen Politikers und Landeshauptmannes von Krain, Dr. Ivan Sustersic, stand. 83

) Franz Ferdinand hegte für die Slowenen aufrichtige Sympathien. Wenn er „aber bei offiziellen Anlässen slowenische Ansprachen anhören mußte, konnte er hierüber seinen Unmut kaum verbergen". (R. Κ i s ζ 1 i η g, Franz Ferdinand S. 230.) 84 ) R. S i e g h a r t, Die letzten Jahrzehnte S. 339—345. — G. F r a n z , Erzherzog Franz Ferdinand. — L. v. C h l u m e c k y , Erzherzog Franz Ferdinand S. 165—204. — Th. S o s n o s k y , Franz Ferdinand S. 75. — R. W. S e t o n - W a t s o n , Die südslawische Frage. — V. L i s c h k a, Die Dreiteilung. — H. W e η d e 1, Die Habsburger u. die Südslawenfrage. (Unter Berufung auf Edmund Steinacker stellt Wendel fest, [S. 21], daß Franz Ferdinand 1914 „schon nicht mehr von der Trialismus-Idee durchdrungen" war.) — Th. S o s n o s k y , Die Politik im Habsburgerreich I, S. 259—264; II,S.384—390. — B r e s n i t z v. S y d a c o f f , Vom habsburg. Kaiserhof S. 196—225. — G. W. K ö h l e r , Ideologie der kroatischen Frage. — F. F. G. Κ 1 e i η w a e c ht e r, Untergang der österr.-ungar. Monarchie S. 148—166.

IV. DER FALL „CILLI" U N D DAS NATIONALE ERWACHEN DER DEUTSCHEN IN D E N ALPENLÄNDERN Standen bisher die nationalen Gegensätze in Böhmen im Vordergrund, sollte das auf das Ministerium Taaffe folgende, sogenannte „Koalitionsministerium" letztlich durch den nationalen Gegensatz in der steirischen Stadt Cilli gestürzt werden. Zum neuen Ministerpräsidenten hatte am 11. November 1893 Kaiser Franz Joseph den Fürsten Alfred von Windischgrätz ernannt. Graf Schönborn behielt die Justiz, Graf Welsersheimb die Landesverteidigung, Graf Falkenhayn das Ackerbauministerium. Minister des Innern wurde der bisherige Handelsminister Marquis Oliver Bacquehem. Ernst von Plener, der eigentliche politisch führende Mann der Vereinigten Linken in diesem Kabinett1), übernahm die Finanzen, Stanislaus Ritter von Madeyski das Unterrichtswesen und Apollinar Ritter von Jaworski wurde polnischer Landsmannminister. Als Handelsminister trat der bisherige Landeshauptmann von Steiermark, Graf Gundacker Wurmbrand, ein. Bacquehem und Wurmbrand werden in den stürmischen BadeniTagen des Jahres 1897 zwei wichtige Ämter in der Steiermark bekleiden: jener das des Statthalters, dieser, bereits schwer krank, wieder das des Landeshauptmannes. In der Steiermark hatten sich die nationalen Gegensätze zwischen den Deutschen und den Slawen seit 1848 ebenfalls verschärft, vor allem durch den starken Einfluß der krainischen auf die steirischen Slowenen2). Diese hatten auch im Cillier Gebiet im Laufe der Jahre an Boden gewonnen3), die Majorität in der *) Ε. Ρ 1 e η e r, Erinnerungen VI, S. 105 f. — W. M e d i η g e r, Ernst Plener. — Im Gegensatz dazu urteilt R. C h a r m a t z (Lebensbilder S. 130 f.) sehr hart über Plener. Er sei „von Hochmut zerfressen, von Selbstüberschätzung und Ehrgeiz mißleitet, der politischen Engherzigkeit der großen Herren der Handelskammer von Eger hingegeben" gewesen und habe sich „verständnislos für die Aufgaben der Zeit" gezeigt. Wer anders als er dachte, sei auf seine starre Abwehr oder gar Verachtung gestoßen. 2 ) J. S u m a n , Die Slovenen. — H. K o r d o n , Die Windische Frage. — P. H o f m a n n - W e l l e n h o f , Steiermark, Kärnten, Krain S. 21 ff.; S. 71—97. — R. P f a u n d l e r , Die nationalen Verhältnisse. Im Jahre 1830 stand das Bevölkerungsverhältnis von Deutschen zu Slowenen 61,14% zu 38,86%. 70 Jahre später stand der Prozentsatz 68,71% zu 31,18%. Die Veränderung zugunsten der Deutschen führt R. Pfaundler in seiner späteren Arbeit (Nationale Bevölkerungsentwicklung S. 592) auf die wirtschaftliche Entwicklung und den Übergang zu den modernen Betriebsformen der Industrie zurück. — H. Suette (Der nationale Kampf) ist leider in seiner Darstellung allzu stark politisch bedingt. — A. H e i d r i c h, Der völkische Kampf. — G. W e r η e r, Sprache und Volkstum i. d. Unterstmk. — W. S c h n e e f u s s , Die Behandlung d. steir. Slowenen. — W. H e c k e , Volksvermehrung, Binnenwanderung und Umgangssprache. — Zum Vergleich der Lage dann der deutschen Untersteirer in Jugoslawien A. L e n z , Minderheiten in Slowenien. — M. W a m b o l t - U m s t a d t , Deutsche Minderheit. 3 ) Cilli 1867—1892. — A. G u b o, Geschichte der Stadt Cilli. — Schon 1848 bei den Wahlen nach Frankfurt war es im Cillier Wahlkreis zu Tumulten und Umtrieben gekommen. Der Verein „Slovenija" hatte einen Aufruf, jede Wahl nach Frankfurt abzulehnen, verbreitet (H. I b 1 e r, Frankfurter Nationalversammlung S. 110 f.). Es wird viel zu-

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IV. Der Fall „Cilli" und das nationale Erwachen der Deutschen

Notariatskammer und in der Bezirksvertretung errungen und schon seit der ersten Ära Taaffe Jahr um Jahr die Errichtung utraquistischer Parallelklassen in der Unterstufe des Gymnasiums in Cilli oder eines selbständigen utraquistischen Cillier Untergymnasiums verlangt. Die Forderung der Slowenen war um so berechtigter, als das Zahlenverhältnis zwischen den Schülern deutscher und slowenischer Nationalität seit der 1851 erfolgten Reform und Umgestaltung des Gymnasiums mit Ausnahme lediglich zweier Schuljahre zugunsten der Slowenen sprach4). Außerdem sollten nach den slowenischen Wünschen neben den rein deutschen Klassen nicht rein slowenische Parallelklassen errichtet werden, sondern deutsch-slowenische, wie sie sich bereits in Marburg bewährt hatten und in denen nur vier Gegenstände, nämlich Religion, Latein, Mathematik und slowenische Sprache slowenisch, die übrigen aber deutsch unterrichtet wurden, um es den slowenischen Schülern zu ermöglichen, unmittelbar aus der Volksschule, ohne eine Vorbereitungsklasse besuchen zu müssen, in das Gymnasium übertreten und nach Zurücklegung der deutsch-slowenischen Klassen des Untergymnasiums in das deutsche Obergymnasium aufsteigen zu können. Anläßlich der im März 1894 einsetzenden Beratungen im Budgetausschuß über die Erfordernisse des Unterrichtsministeriums drängten die Slowenen auf die Errichtung des slowenischen Untergymnasiums in Cilli und damit auf die Erfüllung jenes am 20. November 1888 vom Grafen Taaffe dem Grafen Hohenwart gegebenen Versprechens, von dem 1889 ein Teil durch die Aktivierung slowenischer Parallelklassen in Marburg bereits erfüllt worden war und dessen anderer Teil die Errichtung slowenischer Klassen in Cilli für 1894 vorsah. Vom Kabinett Windischgrätz wurde nun im März 1894 die grundsätzliche Bereitwilligkeit der Regierung beschlossen, allerdings unter dem Vorbehalt, daß der steirische Landtag oder die beiderseitigen nationalen Vertreter im Abgeordnetenhaus übereinstimmend den Plan gutheißen würden. Da die Regierung den Wunsch hatte, daß „diese verhältnismäßig geringfügige Angelegenheit" auch als solche behandelt werde, damit sie keine politischen Folgewirkungen oder Stöwenig beachtet, daß nicht nur die Tschechen, sondern auch die Slowenen damals größtenteils eine Beteiligung an den Wahlen ablehnten. Der Wahlbezirk Cilli umfaßte 1848 insgesamt 85.548 Einwohner. Als am 9. Oktober 1848 ein Murecker Bürgersohn, Student in Wien, in der Nacht die Cillier aufforderte, den Wienern gegen den heranziehenden Banus Jellacic zu Hilfe zu kommen, wurde dieses Ansinnen von der Cillier Nationalgarde abgelehnt, da es für sie keine Ehre wäre, gegen ihre Nachbarn, die für den Kaiser ins Feld ziehen, loszugehen. *) Übersicht nach Stichjahren auf Grund der statistischen Ausweise in den Programmen des Cillier Gymnasiums. Da der Abstand von 5 Jahren für die Zeit vom Schuljahrl872/73 bis 1881/82 nicht ausreicht, um die Schwankung zu veranschaulichen, wurden in diesem Zeitraum die jährlichen Zahlen ausgewiesen. Die Zahlen für das Schuljahr 1894/95 wurden angeführt, da es das letzte vor der von den Slowenen erreichten Veränderung war. Schuljahr 1851/52 1856/57 1861/62 1867/68 1872/73 1873/74 1874/75 1875/76 1876/77

Deutsche 40 41 45 82 52 62 71 85 91

Slowenen 125 173 214 219 135 126 98 89 95

Schuljahr 1877/78 1878/79 1879/80 1880/81 1881/82 1882/83 1887/88 1892/93 1894/95

Deutsche 98 110 119 120 127 130 125 134 130

Slowenen 98 104 112 121 130 137 214 242 237

Das deutsche Gymnasium in Cilli — Forderung nach slowenischen Parallelklassen

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rungen der neuen parlamentarischen Verhältnisse herbeiführe, verhandelte Plener mit den steirischen Abgeordneten Karl Graf Stürgkh und Alfred Josef Heilsberg, Vorstandsmitglied der Vereinigten Deutschen Linken, um einem Widerspruch von deutscher Seite vorzubeugen. Er erklärte dabei, daß die slowenische Forderung nicht zu umgehen sei5). Ebenfalls vertraulich wurden die Slowenen verständigt, denen von der Regierung die Zusage der Errichtung des slowenischen Gymnasiums gegeben wurde, allerdings mit der Einschränkung, daß, sofern sich nicht die Vertreter der beiden nationalen Gruppen der Steiermark einigen könnten, sich die Regierung den Zeitpunkt der Erfüllung vorbehalten müsse. Eine Zusage auf unbestimmte Zeit setzten die Slowenen einer Absage, zumindest aber einer systematischen Verzögerung gleich, so daß sich Graf Hohenwart, als Vertreter der Stadt Krainburg im Reichsrat verpflichtet, die slowenischen Interessen zu vertreten, genötigt fühlte, die Niederlegung seines Mandates und den Austritt der Slowenen aus dem Konservativen Klub anzudrohen. Dadurch hatte sich die Lage für die Regierung, an deren Bildung er selbst mitbeteiligt gewesen, wesentlich verschärft. So beschloß diese einen Zusatz zur vorbereiteten Erklärung des Unterrichtsministers, die dem Grafen Hohenwart vor der Sitzung des Budgetausschusses mit der Bemerkung mitgeteilt wurde, daß von ihr die Errichtung des slowenischen Untergymnasiums in Cilli für das Schuljahr 1895/96 erwogen werde, sie sich jedoch an diesen Termin nicht absolut binden lassen könne. Trotzdem kam es in der Budgetberatung zum ersten parlamentarischen Zusammenstoß in dieser Frage, da der deutschnationale Abgeordnete Ernst Bareuther, ein Deutschböhme, erklärte, daß die Errichtung von slowenischen Klassen in Cilli im Widerspruch zu den Grundsätzen der Koalition, politische und nationale Fragen zurückzustellen und den nationalen Besitzstand zu erhalten, stehe. Wenige Tage nach Abgabe der Regierungserklärung im Budgetausschuß erschien beim Unterrichtsminister Ritter von Madeyski der Bürgermeister von Cilli in Begleitung mehrerer Cillier Honoratioren. Madeyski hat mit dieser Abordnung die Angelegenheit beraten und war schließlich überzeugt, die Unterhändler beruhigt und dadurch gewonnen zu haben, daß er nicht die Errichtung slowenischer Parallelklassen wie in Marburg, sondern eines selbständigen Untergymnasiums versprach. Um so überraschter war Madeyski, als er bald darauf aus den Abgeordnetenkreisen der Linken erfuhr, daß diese selbst geteilter Ansicht darüber waren, ob Parallelklassen oder ein selbständiges Untergymnasium gefahrlicher seien6). Plener gesteht in seinen Erinnerungen, daß er die nationale Voreingenommenheit der Deutschen in dieser Angelegenheit unterschätzt habe. Er habe das Vorgehen Hohenwarts selbstverständlich mißbilligt, aber gedacht, die Deutschen würden mit der Zeit diese Schuleinrichtung, für die sich sachliche Gründe haben anführen lassen, ruhiger hinnehmen, und selbst dann, wenn sie dagegenstimmen würden, aus der Einstellung dieser Post in das Budget keine politischen Folgerungen ziehen7). Die Gegensätze in der Cillier Schulfrage begannen sich jedoch im Sommer 1894 allmählich zu versteifen, da die Zeitungen beider Seiten den Standpunkt der Unnachgiebigkeit vertraten. Die für den 3. Juni nach Graz einberufene Versammlung der deutschen Vertrauensmänner der Steiermark wurde zu einer Protestkundgebung gegen die in Cilli geplanten slowenischen Gymnasialklassen. Γ>

) Ε. Ρ 1 e η e r, Erinnerungen III, S. 145. ) Ministerrat vom 16. Juni 1895. 7 ) Ε. Ρ 1 e η e r, Erinnerungen III, S. 147.

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IV. Der Fall „Cilli" und das nationale Erwachen der Deutschen

Selbst von Vertretern der gemäßigten politischen Richtung wurde erklärt, daß die Erfüllung der slowenischen Forderungen einen Bruch des Koalitionsprogramms bedeuten und die Deutschen zu entsprechenden Folgerungen verpflichten würde. Als im Juli 1894 Unterrichtsminister Madeyski bei Kaiser Franz Joseph in Ischl weilte, zeigte sich dieser zwar über den Plan des slowenischen Gymnasiums in Cilli nicht sehr erfreut, sprach sich aber für die sofortige Errichtung aus, da die Regierung das Versprechen nun einmal gegeben habe und die Agitation selbst immer heftiger werde. So brachte Madeyski im Ministerrat vom 19. August den Antrag ein, die Kosten für das slowenische Untergymnasium in Cilli bereits in den Staatsvoranschlag für das Jahr 1895 aufzunehmen. Er sprach sich dabei gegen die Angliederung der slowenischen Parallelklassen an das bestehende deutsche Gymnasium aus, da dieses dann leicht, schon in der Person des Direktors, slowenisiert werden könnte. Gegen den Antrag Madeyskis stellten sich Ernst von Plener und Graf Wurmbrand, der vorschlug, das slowenische Gymnasium in Rann bei Cilli oder Luttenberg zu errichten. Alle übrigen Regierungsmitglieder stimmten jedoch für die Aufnahme der Post „Cilli" in das Budget für 1895. Um eine Gefährdung der Koalition zu vermeiden, ließ Ernst von Plener durch einflußreiche Persönlichkeiten der Linken neuerdings mit dem steirischen Abgeordneten Karl Graf Stürgkh und dem deutschen Reichsratsabgeordneten für Cilli, Dr. Richard Foregger, verhandeln, dem eine Erweiterung des Gemeindegebietes von Cilli durch den Anschluß von deutschen Randgemeinden und die Errichtung einer deutschen Unterrealschule als Gegenwert angeboten wurden. Als weiteres Gegenzugeständnis wurde dem Grafen Stürgkh die Ernennung zum Ministerialrat im Unterrichtsministerium mit der Zuweisung des Mittelschulreferates in Aussicht gestellt, ein Vorgang, der die strengste Mißbilligung des Kaisers erfuhr. Bei den von Plener geführten und veranlaßten Verhandlungen hatte zwar Dr. Foregger zugesagt, in Cilli beruhigend zu wirken, doch stieß er dort auf Widerstand. Der gemäßigte Bürgermeister Dr. Josef Neckermann war 1893 gestorben, sein Nachfolger Gustav Stiger abwesend und dessen Vizebürgermeister Julius Rakusch radikalnational gesinnt. Dieser wußte Foregger unter Druck zu setzen, der, um seine Wähler nicht zu verlieren, eine Kampfschrift zur Cillier Gymnasialfrage veröffentlichte. Die Schrift gipfelte in der Feststellung8), daß es sich für die Slowenen nicht um eine neue Bildungsstätte handle, sondern „um die Niederwerfung des südlichsten und kräftigsten Bollwerkes, um die Entreißung des stärksten Stützpunktes der Deutschen in Untersteiermark und damit um die gänzliche Slawisierung des Unterlandes, denn mit Cilli fallen auch die kleinen deutschen Vorwerke; für die deutsche Stadt Cilli aber handelt es sich um Sein oder Nichtsein!" Diese und ähnliche Erklärungen machten das Problem Cilli zu einer Prestigefrage der Deutschen, die davon sprachen, daß die Forderung nach einem slowenischen Untergymnasium nur ersonnen worden sei, um der deutschen Stadt ein neues Martyrium aufzulegen. Geistig hatte den Kampf einer der führenden, aus der burschenschaftlichen Bewegung kommenden deutschen Parteipolitiker, Armand Freiherr von Dumreicher, mit seinen „Südostdeutschen Betrachtungen" 8

) R. F o r e g g e r , Cillier Gymnasialfrage S. 23. Vgl. den Brief Foreggers an Dumreicher vom 8. August 1894 bei P. Μ o 1 i s c h, Briefe S. 335. So schreibt er, den Cilliern würde es „sogar schmeicheln, wenn sich an die Cillier Frage die Sprengung der Koalition oder doch der bereinigten Linken' knüpfen würde".

Die „Südostdeutschen Betrachtungen" Dumreichers

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vorbereitet, die wiederum der mißglückte deutsch-böhmische Ausgleich von 1890 veranlaßt hatte und die Heinrich Friedjung „das hervorragendste literarische Denkmal, welches der Sprachenkampf in Österreich gezeitigt", genannt hat9). Der Zukunft des slowenischen Schrifttums könnten keine besonderen Erwartungen entgegengebracht werden, schrieb Dumreicher 1893, denn während der vielhundertjährigen Berührungen der Slowenen mit den zwei großen Kulturvölkern der Italiener und der Deutschen sei „kein geistzündender Funke auf die ersteren übergesprungen"10). Sie hätten vielmehr sich beim österreichischen Staate die Anfertigung einer Literatur bestellt, ja sogar die Anfertigung einer Literatursprache. „Der Staat war bereit, durch Aufopferung einiger hunderte von Gulden sich mit ihnen in den Fluch der Lächerlichkeit zu teilen. So wird denn — billig und schlecht — eine Art von bürokratischer Literaturentwicklung veranstaltet, eine Literaturentwicklung auf ärarische Kosten. Es werden Terminologien durch ,Kommissionen' festgestellt, es werden Schulmeister beurlaubt, um, statt Schule zu halten, Literatur zu machen, d. h. entweder ein deutsches Buch sogleich zu übersetzen oder aus drei Büchern ein viertes zusammenzustellen und dann dieses zu übersetzen." Aus solchen umgedrehten Teppichen aber soll die reifere Jugend in Österreichs südlichen Ländern das Bild der Welt und ihres Kulturschatzes in sich aufnehmen. Überdies könnten auch nur wenige solcher umgedrehter Gobelins geboten werden. „Bisher ist für 20 Gulden die ganze jährliche literarische Produktion der Slowenen zu kaufen. Das sind die Voraussetzungen, unter denen die staatliche Unterrichtsverwaltung es für erlaubt hält, an mittleren gelehrten Schulen den Bethätigungsraum der deutschen Unterrichtssprache einzuengen und jenen der slowenischen zu erweitern. In den österreichischen Südprovinzen wird ein Gymnasium nach dem andern ganz oder teilweise slowenisiert, und durch allerlei Umtriebe mit windischen Schülern überlastet, welche die Landpfarrer aus der Dorfjugend auswählen und in die Städte zur Schule senden. Das alles geschieht, wiewohl es an jeder kulturellen Vorbedingung derartiger Maßnahmen mangelt, und wiewohl solche Züchtung eines halbgebildeten Proletariates ernste sociale und politische Gefahren in sich birgt."

Solche Worte wurden von den deutschen Untersteirern gern gehört, und 1894 klammerte sich die deutsche Bevölkerung Cillis an Dumreicher, dem sie glaubten, daß er, wie er sagte, den „weltgeschichtlichen Hintergrund" sehe, von dem „das scheinbar so kleinliche Schauspiel gequälter deutscher Minderheiten" sich abhob. Sie erinnerten sich, daß er das Wort „Gemeinbürgschaft" geprägt und damit jenen Artikel in der „Bohemia" am 26. Dezember 1889 überschrieben hatte, in welchem er für den Austritt der Deutschen aus dem Reichsrat plädiert und diesen Schritt als ein Gebot der deutschen Solidarität bezeichnet hatte, in welchem er der Regierung die Enthaltungspolitik aller Deutschen als wohlüberlegte Tat klaren Handelns in drohende Aussicht stellte. Diese Solidarität, diese Gemeinbürgschaft aller Deutschen, forderten nun die Deutschen der Alpenländer, vergessend, daß sich die politische Situation geändert hatte und die Deutschen an der Erhaltung des Koalitionsministeriums absolutes Interesse haben mußten. Zwar versuchte Ernst von Plener der deutschnationalen Agitation entgegenzuwirken und die Bedeutung des politisch groß aufgezogenen Falles auf das ihm zukommende Maß herabzumindern, aber Dumreichers Worte hatten sich zu sehr festgesetzt. Es sei nicht geleugnet, daß die Slowenen mit ihrer Forderung nationale Ziele zu erreichen suchten ; die dröhnenden Mörser und die slowenischen Freudenfeuer auf 9 10

) Nach F. Β i 1 g e r, A. v. Dumreicher S. 21 f. ) A. D u m r e i c h e r , Südostdeutsche Betrachtungen S. 66 f. — F. Β i 1 g e r, A. v. Dumreicher. — Vgl. dazu A. S 1 ο d η j a k, Geschichte d. slowenischen Literatur.

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IV. Der Fall „Cilli" und das nationale Erwachen der Deutschen

den Höhen rings um die deutsche Stadt am Abend jenes Tages, der die Annahme der Budgetpost „Cilli" im Reichsrat bringen wird11), werden es beweisen. Um dem nachträglichen Einfluß des slowenischen Untergymnasiums auf den deutschen Charakter der Stadt Cilli so weit als möglich entgegenzuwirken, wurde von deutscher Seite auf das slowenische Untergymnasium im Schuljahr 1896/97 mit der Errichtung eines von auswärts stark besuchten deutschen Studentenheimes12) und dem Bau eines Deutschen Hauses geantwortet. Cilli konnte selbst in den Jahren 1919 bis 1941 unter jugoslawischer Herrschaft sein deutsches Bürgertum erhalten. Erst im Frühling 1945 werden nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches die Deutschen in Cilli, in Marburg und im übrigen ehemaligen steirischen Unterland innerhalb kurzer Frist grausam und völkerrechtswidrig ausgerottet oder vertrieben. n

) H. W a s t i a η, Der Kampf um Cilli S. 63. — Irgendeine Beeinträchtigung des deutschen Gymnasiums in Cilli durch das slowenische Untergymnasium läßt sich nicht nachweisen. Auffallend ist, daß eine Reihe von slowenischen Kindern nicht das slowenische Untergymnasium, sondern die deutschen Klassen besuchten und daß die überwiegende Mehrzahl der Schüler am slowenischen Untergymnasium nicht aus der Stadt Cilli selbst stammten. Schuljahr

Slowenisches Untergymnasium Slowenen

Deutsches Staatsgymnasium

Deutsche

Slowenen

davon in den Unterklassen, trotz des slow. Untergymnasiums

70 146 1895/96 184a) 120 88 88 1896/97 159 141 108 183 116 1897/98 55 128 190 84 24 1898/99 208 78 119 20 1899/00 136b) 226 92 16 1900/01 152 223 94 15 1901/02 213 92 1902/03 185°) 15 185 236 96 16 1903/04 200 258 92 12 1904/05 246 90 1905/06 194°) 9 1906/07 191 86 5 261 d 252 95 1907/08 164 ) 7 249 85 12 1908/09 136 233 83 1909/10 145 9 244 78 11 1910/11 160 239 1911/12 169e) 75 8 194 223 80 12 1912/13 215 225 85 16 1913/14 195 203 77 14 1914/15 a ) Im Durchschnitt besuchten das Cillier Gymnasium auch noch ein oder zwei Tschechen, Kroaten und Polen. b ) und ein Deutscher, die einzige Ausnahme. °) davon 160 von d e auswärts. ) davon 138 von auswärts. ) davon 139 von auswärts. la ) Von den 685 Mittelschülern, die in den ersten 10 Jahren des Bestandes Aufnahme gefunden hatten, stammten 416 aus Steiermark, 89 aus Niederösterreich, 70 aus Kärnten und 54 aus Krain. Die übrigen Länder sind mit weniger als 10 Schülern vertreten gewesen. (Denkschrift zur Feier des zehnjährigen Bestandes S. 36.) — Zur schweren Erschütterung, die das „Schulwesen der Deutschen in Südslawien" dann von 1919 bis 1941 durchstehen mußte, den Überblick von G. Graßl, Abgeordneter der südslawischen Nationalversammlung.

Versteifung der Standpunkte — Haltung des steiermärkischen Landtages

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Am 15. Oktober 1894 faßte der Klub der Vereinigten Deutschen Linken den bindenden Beschluß, gegen den Posten „Cilli" zu stimmen. Nun suchte die Regierung mit den Slowenen zu verhandeln, denen die Errichtung eines slowenischen Gymnasiums in Sachsenfeld, nahe Cilli, angeboten wurde, die sich jedoch ebenso auf Cilli versteiften und den Versuch der Regierung, ihnen eine andere Stadt einzureden, mit der Ablehnung des Budgetprovisoriums im Dezember 1894 quittierten. So wurde von slowenischer und von deutscher Seite das möglichste getan, um den Kampf um Cilli zum Brennpunkt der gesamten politischen Lage zu gestalten13). Am 7. Februar 1895 stellte im steirischen Landtag der langjährige Bürgermeister von Graz Dr. Wilhelm Kienzl den von 36 Abgeordneten14) unterstützten Antrag, der Landtag des Herzogtums Steiermark spreche sich „gegen die geplante Errichtung eines Staats-Untergymnasiums mit deutsch-slowenischer Unterrichtssprache in Cilli oder von slowenischen Parallelklassen am Staatsgymnasium zu Cilli und überhaupt gegen jegliche Maßnahme auf das entschiedenste aus, welche unter dem Vorwande kulturellen Bedürfnisses oder pädagogischer Rücksichten doch nur als neuer Vorstoß in das deutsche Sprachgebiet in Untersteiermark sich darstelle". Begründet war die Antragsformel in gleicher Weise damit, daß die slowenischen Gymnasialklassen in Cilli nur dazu dienten, dem nationalen Einfluß und der politischen Stellung der Slowenen im steirischen Unterland eine neue, für die weitere nationale Entwicklung maßgebende Stütze auf Kosten des durch den gegenwärtigen Regierungsgrundsatz gewährleisteten nationalen Besitzstandes der Deutschen zu gewinnen. Dies sei „ein offenbarer Bruch des der gegenwärtigen politischen Situation zu Grunde dienenden Koalitionsprinzipes", ein neuerlicher Angriff auf die Stellung der Deutschen in der Steiermark, der eine tiefgehende, das ganze Land erfassende Beunruhigung hervorgerufen habe und der so den nationalen Frieden im Lande „ernstlich und dauernd" gefährde15). Die zwölf katholisch-konservativen Abgeordneten, unter ihnen Alfred Prinz Liechtenstein, überreichten durch Prälat Alois Karion zwei Tage später dem Landtag einen Antrag, der die Erwartung aussprach, die Regierung in Wien werde „bei Regelung der Unterrichtsverhältnisse an den Gymnasien des steirischen Unterlandes die Frage so lösen, daß die Abiturienten in die Lage kommen, das Gymnasium nach achtjährigem Studium mit vollkommener Kenntnis beider Landes-Sprachen zu verlassen." Dieser Antrag wurde gestellt, um zu vermitteln, da die acht slowenischen Abgeordneten, durch den Resolutionsantrag Kienzls verletzt, am 8. Februar nach Abgabe der feierlichen Erklärung, daß ihr Verbleiben im Landtag mit der Würde des slowenischen Volkes unvereinbar sei, unter Protest die Landstube verlassen hatten. Karion hat bei Begründung seines Antrages am 12. Februar es als unbedingt erwünschenswert erklärt, daß der Wiedereintritt der slowenischen Abgeordneten „je eher desto besser stattfinden möge", wodurch er sich allerdings nicht die Sympathien der Deutschfreiheitlichen erwarb, die ganz energische Töne anzuschlagen versuchten. So sprach Kienzl bei der Begründung seines Antrages, ebenfalls am 12. Februar, von einem aufgedrungenen vierzehnjährigen Kampf, von Vorstößen feindlicher Völkerschaften, von einer heftigen Erschütterung der bescheidenen Hoffnungen, den nationalen Besitzstand zu erhalten. Er sagte, daß nach den slowenischen Gymnasialklassen „in der Bevölke") G. Κ o 1 m e r, Parlament und Verfassung V, S. 513. 14) Darunter die Grafen Stubenberg, Edmund und Franz Attems, Herberstein und Adalbert Kottulinsky. 15 ) Stenogr. Protokolle steir. Landtag VII. Periode, V. Session S. 171. 8

Sutter, Sprachenverordnungen I.

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IV. Der Fall „Cilli" und das nationale Erwachen der Deutschen

rung kein Hahn krähe", und redete von einem Kuckucksei, das gelegt werden solle, um der deutschfeindlichen Agitation einen neuen Hort und neuen Halt zu schaffen, von einem „in der Tat probaten Mittel zur Slawisierung deutscher Orte und Städte", von einem Bruch des Koalitionsprogramms, der die Deutschen „zu den entsprechenden Folgerungen verpflichten" würde. In auffallendem Gegensatz dazu stehen Bericht und Antrag des Sonderausschusses, dem die beiden Anträge Kienzl und Karion zur Behandlung zugewiesen worden waren. Mäßigung und Sachlichkeit herrschen hier vor. So wurde auf Grund eines von den Konservativen, Fortschrittlichen und Nationalen um der Garantie einer einstimmigen Annahme im Plenum des Landtages willen geschlossenen Kompromisses, der später heftigst angegriffen wurde16), vom Berichterstatter am 15. Februar der Antrag gestellt, die Regierung in Wien nachdrücklichst zu ersuchen, bei Lösung der Frage der Errichtung eines Staats-Untergymnasiums mit deutschslowenischer Unterrichtssprache in Cilli und überhaupt bei Verfügungen in bezug auf eine Änderung des Standes der Staats-Mittelschulen in Unter steiermark in jedem einzelnen Falle bei Ermittlung des kulturellen und pädagogischen Bedürfnisses nicht ohne Rücksichtnahme auf die mit den lokalen Verhältnissen vertrauten Landesschulbehörden vorzugehen und bei Befriedigung solcher anerkannter Bedürfnisse der Slowenen die gedeihliche Wirksamkeit der Unterrichtsanstalten im Interesse der Bevölkerung beider Nationalitäten nicht zu gefährden und den nationalen Frieden im Lande nicht zu erschüttern. Der Antrag Karions, schlug der Sonderausschuß vor, sollte dagegen vom Landesausschuß eingehend studiert und bis zur nächsten Session des Landtages Anträge vorgelegt werden. In dieser Form wurden die Anträge des Sonderausschusses am gleichen Tag vom Landtag — die Slowenen nahmen ja an der Sitzung nicht teil — einstimmig angenommen. Zwei Jahre später, anläßlich des Kampfes gegen Badenis Sprachenverordnungen, hätte eine so gemäßigte Sprache gar keine Aussicht mehr gehabt, in der Landstube gehört zu werden. Wie schwer sie sich schon 1895 durchsetzte, kann der Rede des Cillier Abgeordneten Dr. Wokaun knapp vor der Abstimmung entnommen werden. Sie ist diktiert von dem unmittelbaren Eindruck der heftigen nationalen Erschütterung, der nationalen Beunruhigung in Cilli, von lokaler Erbitterung und eingestandenermaßen von der Furcht vor den Cillier Wählern. Bei vielem, was Wokaun den Slowenen vorwarf, hätte er schuldbewußt an die eigene Brust klopfen müssen. Daß die deutschuntersteirischen Abgeordneten sich aber doch auf Grund des im Wege der Parteienverhandlungen gefundenen Kompromisses dem Antrag des Sonderausschusses unterwarfen und für diesen stimmten, war ein Sieg nationaler Besonnenheit im steirischen Landtag, die Bewährung der nationalen-konservativen Koalition. Am 19. Februar trat das Abgeordnetenhaus wieder zusammen. Im Budgetausschuß wurde die Abstimmung über den Titel „Mittelschule" in der Hoffnung auf eine Verständigung solange als möglich verzögert. Ende Februar lud Ministerpräsident Fürst Alfred Windischgrätz überraschend einen kleinen Kreis zu sich zum Diner ein, um anschließend die Frage „Cilli" erörtern zu können. Bei diesem intimen Lösungsversuch waren außer dem Hausherrn noch Unterrichtsminister Madeyski, verschiedene slowenische Abgeordnete, in Vertretung des Konservativen Klubs Graf Hohenwart, seitens der Vereinigten Linken, als deren Vertrauensmann und zugleich Referent des Budgets im Unterrichtswesen, Adolf Beer und schließlich die beiden konservativen steirischen Landtagsabgeordneten le

) Stenogr. Prot. VII. Periode, VI. Session, Sitzung vom 13. Februar 1896.

Vergebliche Vermittlungsversuche

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Fürst Alfred Liechtenstein, zugleich erbliches Herrenhausmitglied, und Prälat Karlon, seit 1873 auch Mitglied des Abgeordnetenhauses, zugegen. Karion hat damals sich bemüht, einen Ausweg dadurch zu zeigen, daß zwar die Post „Cilli" im Budget „verschwinde", damit die Linke nicht gezwungen würde „Nein" zu sagen, an ihre Stelle aber eine andere Post trete, durch die es möglich sein sollte, daß der Klub der Konservativen „Ja" sagen könnte. Diese andere Post sollte, wie Karlon schon im steirischen Landtag beantragt hatte, ermöglichen, die Unterrichtsverhältnisse an allen Gymnasien des Unterlandes so einzurichten, daß die Abiturienten dieser Anstalten mit voller Kenntnis beider Landessprachen ihre Schule verließen. Das war ein Kompromißvorschlag, den beide Seiten hätten annehmen können. Jeder andere mußte die Koalition gefährden, die parlamentarische Situation vernichten und die Regierung zum Sturz bringen. Die Slowenen begegneten dem Vorschlag Karions mit großem Mißtrauen, waren aber doch zur Konferenz bei Windischgrätz erschienen. Während Beer sich mit den Slowenen nicht einigen konnte, weil er von seinem Standpunkt nicht abging, die Post „Cilli" ganz zu streichen, gelang es Karlon und Liechtenstein im Verlauf der Konferenz die Slowenen zu bewegen, eine Erklärung dahin abzugeben, daß sie mit dem Antrag Karions sich zufriedengeben würden, wenn er zur Durchführung komme. Die Slowenen verlangten nur, die Regierung müsse ihnen sagen, wie die Durchführungen aussehen werden. Unterrichtsminister v. Madeyski aber „hat den Mund nicht aufgemacht, er hat eine Erklärung nicht abgegeben". Dadurch sind die Bemühungen der steirischen Konservativen gescheitert17). Als um Mitternacht Windischgrätz die Konferenz schloß, war nichts erreicht. Die Zurückhaltung Madeyskis scheint wohl darin begründet gewesen zu sein, daß er als Pole fürchtete, Karions Antrag, in der Untersteiermark durchgeführt, könnte analog auch von den Ruthenen in Galizien gefordert werden, also die Konsequenzen unabsehbar sein. Kurz darauf begann im Budgetausschuß des Abgeordnetenhauses die Debatte, doch wurde die Frage Cilli bis zum 11. Juni hinausgeschoben, ohne daß eine Einigung erreicht worden wäre, weshalb die Beratungen abgebrochen wurden. In der Ministerratssitzung vom 14. Juni 1895 teilte Finanzminister v. Plener mit, daß, wenn der Budgetausschuß die Post für das slowenische Untergymnasium annehme, die Vereinigte Linke auf Grund eines am Tag zuvor gefaßten Beschlusses gezwungen wäre, aus der Koalition auszutreten, worauf über Pleners Antrag beschlossen wurde, der Linken in der Cillier Frage entgegenzukommen und eine auch für die Rechte akzeptable Lösung anzustreben. Um den Gegenwert zu erfragen, den der Konservative Klub für den Fall seines Nachgebens fordere, nahm Minister Ritter von Jaworski zwar nicht als Bevollmächtigter, aber mit Wissen der Regierung, ex officio boni viri vorgehend, Verhandlungen mit dem Grafen Hohenwart auf. Dieser war bereit über einen entsprechenden Preis zu verhandeln, bezweifelte jedoch selbst sofort, daß der Konservative Klub über die bereits dem Unterhändler der Vereinigten Linken, Hofrat Professor Adolf Beer, gemachten Vorschläge hinausgehen werde, nämlich das Gymnasium zwar nicht in der Stadt Cilli selbst, aber in unmittelbarster Nähe, wie etwa in der rund 480 Einwohner zählenden Ortschaft Rann zu errichten, damit die Slowenen Cillis die Anstalt mit Leichtigkeit besuchen könnten. Nach Hohenwarts Meinung war dies das geeignetste Mittel, der Frage die Spitze abzubrechen. In diesem Sinne sprach Hohenwart anläßlich einer Sitzung des Subkomitees des Wahl17

) Stenogr. Prot, steir. Landtag VII. Periode, VI. Session, 13. Februar 1896, S. 445.

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IV. Der Fall „Cilli" und das nationale Erwachen der Deutschen

reformausschusses auch mit dem Ministerpräsidenten, doch kam dieser Vermittlungs Vorschlag nicht zustande, weil Beer auf eine Errichtung des slowenischen Gymnasiums in Rann nicht einging18). Graf Wurmbrand erklärte dazu, Rann bei Cilli — das nicht mit der südsteirischen Grenzstadt zu verwechseln ist — sei „nach den tatsächlichen Verhältnissen ein Vorort von Cilli" und deshalb sei diese Ortschaft noch nicht die richtige Örtlichkeit für das slowenische Gymnasium. Die Deutschen hätten ohnehin das fast doppelt so große Sachsenfeld vorgeschlagen. „Es handle sich da wirklich nur mehr um ganz geringe Entfernungen, um solche nach Minuten." 19 ) Der vom Justizminister Graf Schönborn lancierte Gedanke, den Deutschen zu versprechen, durch künstliche Mittel, wie durch Stipendien, der Gefahr, daß das deutsche Gymnasium leide, zu begegnen, kam zu spät. In der Sitzung vom 16. Juni sah sich der Ministerrat der gleichen Situation wie zwei Tage zuvor gegenüber. Fürst Windischgrätz, einsehend, daß eine einvernehmliche Lösung nicht mehr zu finden war, stellte die Frage, ob Graf Wurmbrand und Ernst von Plener, als die beiden aus der Vereinigten Linken hervorgegangenen Minister, im Falle deren Austrittes aus der Koalition demissionieren würden. Die Antwort war eindeutig : Nicht nur Wurmbrand und Plener, das ganze Ministerium müßte demissionieren, da die Koalition die Grundlage der Regierung sei — eine Meinung, die vor allem stark Innenminister Marquis Bacquehem, auch ein wenig in der Hoffnung, dann selbst Ministerpräsident zu werden, vertrat. Um den Bestand des Ministeriums zu retten, schlug Windischgrätz vor, mit Wissen und Einverständnis der Linken die Budgetpost „Cilli" mit dem Hintergedanken zu streichen, einfach am bestehenden Gymnasium slowenische Parallelklassen mit Beginn des Schuljahres 1895/96 zu errichten, da auf diese Weise die Möglichkeit gegeben war, im Budgetausschuß den Stein des Anstoßes aus der Welt zu schaffen und innerhalb des Staatshaushaltes im Wege von Revirements für die Parallelklassen, deren Eröffnung in der administrativen Machtvollkommenheit des Unterrichtsministers gelegen war, vorzusorgen. Windischgrätz verlangte als Voraussetzung für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen mit dem Konservativen Klub einerseits von Plener und Wurmbrand eine dahingehende Erklärung, daß sie sich bei ihrer Partei für den Plan einsetzen wollten und könnten, und andrerseits die Klarlegung der Frage, ob die Regierung der Ansicht sei, daß die Beratungen des Wahlreformausschusses fortgesetzt werden könnten. Sollten die Klubs der Majoritätsparteien zu keinem Beschluß kommen, die Wahlreformvorlage zu unterstützen, dann wäre für ihn, wie er schon wiederholt betont habe, die Grundlage zur Demission gegeben. Plener antwortete, er müsse offen gestehen, daß der Gedanke eines Zurückgreifens auf den ursprünglichen Plan von Parallelklassen aussichtslos sei, da dieses ,8

) Ministerratsprot. vom 16. Juni 1895. — Beer stammte aus einer alten mährischen Judengemeinde und hatte sich vom armen Hauslehrer zum einflußreichen Hofrat emporgearbeitet. Ein ungemein tätiger und kenntnisreicher Mann. Hat zahlreiche ökonomische und historische Schriften verfaßt. Kannte die Verhältnisse der einzelnen österreichischen Länder größtenteils aus eigener Beobachtung. 1896 wird er in den geistreichen, aber spöttischen Parlamentsbildern (Das Hohe Haus S. 108) als ein alter und veralteter Mann geschildert. „Sein unvermeidlicher schwarzer Salonrock mit der schweren grauen Tuchhose ist ebenso antiquiert, wie seine dozierende und pathetische, halb schulmeisterliche, halb predigerhafte Beredsamkeit. Längst überholt ist auch seine parlamentarische Lieblingsidee einer Allianz zwischen dem polnischen Adel und der deutschliberalen Bourgoisie." — Vgl. weiters die Wiener Dissertation von E. S t r a n s k y , Adolf Beer, in der jedoch der Fall „Cilli" nur gestreift wird (S. 82 f.). ") Ministerratsprot. f. 479.

Die Haltung des Ministerrates — D i e gescheiterte Wahlreform

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Projekt, wie Unterrichtsminister Madeyski bestätigte, bei den Deutschen auf Widerstand gestoßen wäre, die auf Grund der Erfahrungen in Marburg insofern eine für die Deutschen ungünstige Auswirkung fürchteten, als der deutsche Geist des Gymnasiums abgeschwächt werde20). Deshalb habe ja die Regierung das slowenische Untergymnasium vorgeschlagen. Auch dagegen hätten sich aber die Deutschen ausgesprochen. Aufregung und Aversion seien bereits so groß, daß es vergeblich wäre, auf den ersten Gedanken zurückzukommen. Die Linke könne unmöglich mehr von ihrem Standpunkt abgehen. Ihr drohe nicht nur der Verlust der Hälfte der Mandate, die Sache sei für sie zu einem Ehrenpunkt geworden. Es handle sich nicht mehr um den inneren Wert des Streitgegenstandes, sondern um die Meinungen, die immer stärker geworden seien und die Situation beherrschten. Er bedauere sehr, daß es so gekommen, aber er glaube, daß bei dieser Stimmung nichts mehr zu machen sei. Die Linke werde sicher bei Annahme der Cillier Post aus der Koalition austreten. Damit sei eine ernste Situation gegeben, denn durch den Austritt der Linken werde die ganze Koalition aufgelöst. Mit der Koalition schwinde die raison d'être für die Regierung. Die Cillier Frage aber sei nicht das einzige, wodurch sich die Situation so zugespitzt habe. Es sei ohne Klubabstimmungen evident, daß die Wahlreform nicht zustande gebracht werden wird. Es habe eine vertrauliche Sitzung des Subkomitees stattgefunden, um zu sehen, ob eine Einigung möglich sei. Die Sitzung sei resultatlos geblieben. Im Wahlreformausschuß selbst hätten Freiherr von Dipauli und Dr. Baernreither, also zwei Mitglieder der Koalitionsparteien, Reden gehalten, die, abgesehen von dem persönlichen feindseligen Geiste, sachlich so auseinandergingen, daß es undenkbar erscheine, in der Wahlreform die Parteien zu einer Einigung zu bringen. Außerdem würden unbedeutendere Dinge die Verstimmung unter den Parteien der Koalition nähren und daher hindernd wirken. Mitglieder des Konservativen Klubs würden jede Gelegenheit ergreifen, um ihre Feindseligkeit gegen die Linke und ihre Sympathien für die Antisemiten zum Ausdruck zu bringen. Freiherr Franz von Morsey, Abgeordneter des steirischen Landgemeindebezirkes Feldbach-Radkersburg, Freiherr von Dipauli und der Oberösterreicher Alfred Ebenhoch freuten sich über jede Niederlage der Linken und sprächen dies offen aus. Das erzeuge eine Stimmung, die mehr Einfluß habe als eine Abstimmung. Die Wähler der Linken stellten die Frage, wie es komme, daß die Partei mit solchen Männern in einem parlamentarischen Verband stehe. Nach und nach werde eine Situation herbeigeführt, die unhaltbar sei. Die Regierung habe keine Autorität im Hause, in der Wahlreformfrage schon lange nicht mehr. Es sei besser, zum Abschluß zu kommen und die Situation nicht erst noch auf eine kurze Frist aufrecht halten zu wollen ; dies sei auch im Interesse der Krone, damit die Regierung sich nicht auf den letzten Tropfen ausgebe. Er konkludiere, daß die Regierung ihre Demission zu unterbreiten hätte. Marquis Bacquehem, der in seinem Bereich alles versucht hatte, die Cillier Angelegenheit zu planieren, schloß sich Plener an. Der Budgetausschuß müsse zusammentreten, um über die Post „Cilli" zu entscheiden. Da diese votiert werde, gehe die Koalition in Brüche. Auch um die Wahlreform stehe es schlecht. Von seinem Vorschlag, eine fünfte Kurie zu schaffen und eine umfassende Reform im Einvernehmen mit allen iu

) In Ermangelung eines deutschen Professors, der des Slowenischen entsprechend mächtig, hätte ein Slowene zum Direktor ernannt werden müssen. Außerdem wehrten sich die Cillier gegen den Zuzug von slowenischen Mittelschullehrern für die Parallelklassen, in der Furcht vor nationalen Agitationen und einer Abschwächung, ja eines Schwindens „des deutschen Geistes" im Cillier Lehrkörper.

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IV. Der Fall „Cilli" und das nationale Erwachen der Deutschen

Parteien vorzubereiten, sei abgegangen worden. Nach Ablehnung der fünften Kurie sei über Vorschlag des Grafen Hohenwart auf die Arbeiterkammern gegriffen worden. Er habe, nur um keine Schwierigkeiten zu machen, entsprechende Anträge vorgelegt, obwohl er im früheren Kabinett die Arbeiterkammern durch eine Reihe von Jahren habe bekämpfen müssen. Zwei Parteien hatten sich jedoch mit dem Projekt nicht einverstanden erklärt21), worauf, um ein Scheitern der Reform zu verhindern, den Parteien die Verhandlungen überlassen worden seien. Bei der Beratung im Subkomitee habe sich bei den Majoritätsparteien selbst eine weitgehende Divergenz gezeigt. Nur durch Abbruch der Sitzung sei verhindert worden, daß bei einer Abstimmung sich die Koalitionsparteien entgegengestanden wären. Er hätte seine Aufgabe damit als beendet betrachtet. Die Wahlreform sei gescheitert. Als Ressortminister habe er die Konsequenzen daraus zu ziehen. Im Laufe der weiteren Debatte verwahrte sich Graf Falkenhayn gegen die Bemerkung Pleners, die Konservative Partei trage die Schuld an den „Schärfen und Verstimmungen" ; er müsse darauf hinweisen, wie die liberalen Zeitungen die konservative Partei und den Grafen Hohenwart behandeln. Ein liberales Blatt habe gerade am heutigen Tage eine vollständig unrichtige Behauptung aufgestellt, um die Konservativen zu diskreditieren. Er bitte, den Konservativen Klub nicht als Störenfried hinzustellen. Plener beteuerte sofort, er habe nicht dem Konservativen Klub als solchen nahetreten wollen, lediglich die Haltung einer ruhestörenden Gruppe gemeint, die mit den Jungtschechen in Kontakt stehe und von dem Vorgehen anderer Mitglieder des Klubs absteche. In diesem Zusammenhang entschlüpfte Plener die bittere Bemerkung, daß er auf die Zeitungen nicht angespielt habe, zumal führende und maßgebende liberale Blätter selbst die Linke im Stich ließen, ja gegen sie feindlich aufträten. Unterrichtsminister Madeyski rückte wieder die Frage „Cilli" in den Vordergrund. Der Unterrichtsverwaltung sei es gleich, ob Parallelklassen oder ein eigenes Untergymnasium errichtet werde. Doch die Cillier Frage sei nicht mehr zu begleichen. Die Regierung müßte losgelöst sein von der Zwangslage des gegebenen Wortes und der Gegnerschaft einer Koalitionspartei. Was die Wahlreform betreffe, müßte die Regierung von der Verbindlichkeit befreit sein, jene in umfassender Form vorzunehmen und von dem Einvernehmen mit den Parteien abhängig zu machen. Madeyski schlug allerdings vor, die Cillier Frage erst zu erledigen, also den Budgetposten durchzusetzen, und dann zu demissionieren, damit die künftige Regierung durch diese Frage nicht auch noch gehemmt werde. Ihm widersprach Graf Wurmbrand, der die Streichung im Budget im Interesse des kommenden Kabinetts befürwortete, damit diesem dann freistünde, sich so oder so zu entscheiden. Plener schlug nun vor zu demissionieren, bevor noch der formelle Schritt des Austrittes der Linken aus der Koalition feststehe. Allein Jaworski war der Ansicht, daß der Rücktritt erst erfolgen könne, wenn die Tatsache gegeben sei, welche ihn politisch notwendig veranlasse. Da die Mehrheit Jaworski beipflichtete, wurde schließlich einhellig beschlossen, daß, sobald der Obmann der Vereinigten Linken auf Grund des Klubbeschlusses der Partei und des Beschlusses des Budgetausschusses auf 21

) Dazu erklärte Graf Schönborn: „Die Regierung habe das Ihre mit ihrem Projekte getan und habe ein zweites nach dem Vorschlage des Grafen Hohenwart ausgearbeitet. Man könne nicht immer mit neuen Projekten kommen, wie mit Modeartikeln für den Tag." Schönborn stellte Bacquehem das beste Zeugnis aus. Im Subkomitee des Wahlausschusses habe der Innenminister unermüdlich mitgearbeitet, er habe die Vorschläge geprüft und zu brauchbarem Material verarbeitet. Dies wäre den ungerechten Vorwürfen gegenüber urbi et orbi zu verkünden.

Annahme der Budgetpost „Cilli" — Rücktritt der Regierung

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Annahme der Cillier Post den Austritt der Linken aus der Koalition der Regierung notifiziert habe, das Ministerium seine Demission unterbreiten werde. Es wurde genau festgelegt, daß am 18. Juni die Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses vom Präsidenten Freiherrn von Chlumecky früher zu schließen wäre, damit anschließend noch der Budgetausschuß den Beschluß über Cilli fassen und der Obmann der Linken noch am Abend dem Ministerpräsidenten und den anderen Obmännern den Austritt der Linken aus der Koalition bekanntgeben könne. Der zweite Ausweg, eine Auflösung des Hauses, wurde allgemein im Hinblick auf die Zivilprozeßreform und die Steuerreform, die von der Regierung beinahe zu Ende geführt worden waren, als „verderblich" abgelehnt. Eingehend wurde auch der Fall beraten, daß Kaiser Franz Joseph das Kabinett mit der Weiterführung der Geschäfte bis zur Berufung eines neuen, definitiven Kabinetts betraue. Auch hier waren die Meinungen geteilt; Windischgrätz wünschte, daß der Kaiser so bald als möglich ein definitives Kabinett ernenne, da die Regierung sich nicht einbilden dürfe, nach ihrer Demission noch einen Funken von Autorität zu besitzen. Er sei nicht der Ansicht, daß ein demissioniertes Kabinett imstande sei, das Haus zu beherrschen. Das Kabinett Windischgrätz hatte damit innerlich resigniert. Es beriet zwar am 17. Juni noch das Budget und Bacquehem hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, das definitive Budget noch durchzudrücken, „weil dann wenigstens die brennende Frage des schrecklichen Cilli, welche durch das fortwährende Verschieben aus einer Mücke zu einem Elefanten geworden sei, definitiv abgetan wäre". Aber die Regierung entschloß sich, nur ein viermonatiges Budgetprovisorium einzubringen. Das Rad rollte — die Regierung versuchte nicht mehr, in seine Speichen zu greifen. So kam es am 18. Juni abends im Budgetausschuß zu jener Kampfabstimmung, bei der sich 19 gegen 15 für die Bewilligung der Budgetpost „Cilli" aussprachen. Unmittelbar nach der Sitzung teilten die Vorstandsmitglieder der Vereinigten Deutschen Linken, Gandolf Graf Kuenberg, Adolf Beerund Viktor W. Ruß, dem Ministerpräsidenten den Austritt der Partei aus der Koalition mit. Am nächsten Tag überreichte Ministerpräsident Fürst Windischgrätz gemäß dem Ministerratsbeschluß vom 16. Juni dem Kaiser schriftlich die Demission des Gesamtministeriums. Franz Joseph gab Windischgrätz bekannt, daß er seine Entschließungen „wegen des Weiteren" bereits gefaßt habe, das Ministerium also nicht im Amt zu verbleiben brauche. Mit aller Bitterkeit erinnert sich Ernst von Plener noch nach 13 Jahren als Mitglied des Herrenhauses in seiner Rede vom 29. Dezember 1908 an das Scheitern der Koalition. „Und so sind wir (das Ministerium Windischgrätz) an dem jämmerlichen Cilli zu Grunde gegangen, das damals eine Haupt- und Staatsaktion war. Die Minister und die Koalition mußten zum Opfer fallen. Seit 14 Jahren steht aber die betreffende Post im Budget und wird von keinem Menschen angefochten. Das sind die vicissitudines des politischen Lebens."22) 22

) Am 21. März 1902 war es wiederum der Fall „Cilli", durch den nach längerer Ruhe mit einem Schlag die Dämme der parlamentarischen Ordnung überschritten wurden. Graf Karl Stürgkh stellte den Vermittlungsantrag, die slowenischen Parallelklassen in Cilli allmählich aufzulassen, dafür in Marburg ein selbständiges slowenisches Gymnasium zu errichten. Obwohl im Budgetausschuß sich eine Mehrheit von 25 gegen 22 Stimmen für diese Entschließung ausgesprochen hatte, wurde er im Plenum mit 283 gegen 170 Stimmen abgelehnt. Nach dieser Abstimmung kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen Alldeutschen und Klerikalen (vgl. G. Κ o 1 m e r, Parlament und Verfassung VIII, S. 30 ίϊ.) und nur schwer gelang es dem Ministerpräsidenten Dr. v. Koerber der nun einsetzenden Ver-

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IV. Der Fall „Cilli" und das nationale Erwachen der Deutschen

Am 19. Juni trat das Kabinett Windischgrätz zu seinem letzten Ministerrat zusammen. Die einzelnen Minister stellten nur mehr Anträge für Auszeichnungen verdienter Ressortbeamter. Den eigentlichen inhaltsschweren, bitteren Nachruf auf das Kabinett hatte Jaworski bereits drei Tage zuvor gehalten. Er habe bis zum letzten Augenblick gehofft, daß sich die Cillier Frage doch gütlich lösen lasse. Er zweifle, ob nicht die Gefahr für das Deutschtum woanders größer sein werde als in der Untersteiermark und ob die Linke dadurch, daß sie wegen Cilli die Koalition verlasse, einer größeren Gefahr werde erfolgreicher entgegentreten können. Die erbittertsten Feinde der Linken feierten den größten Triumph. Sie, die Linke, habe die Koalition gesprengt und die Regierung gestürzt. In der Koalition hätten sich die wahrhaft konservativen, aber einer gesunden Fortentwicklung nicht feindseligen Elemente zusammengefunden, um den extremen Elementen entgegenzutreten und erfolgreich zu arbeiten. Diese müsse nun mit allen durch sie möglichen Vorteilen in Brüche gehen. Jaworski hatte recht. Infolge der unglückseligen, verblendeten Politik der Vereinigten Deutschen Linken, die nach den langen Jahren Taaffes ein unbedingtes Interesse am Bestand des Koalitionsministeriums haben mußte, sollte die nächste Phase der innerpolitischen Entwicklung Österreichs den radikalen Extremen gehören, die dem Staat Wunden schlugen, die nicht mehr verheilten. Nach der Demission des Fürsten Windischgrätz betraute der Kaiser den Statthalter von Niederösterreich, Graf Erich Kielmannsegg, der in kluger Voraussicht seinen Urlaub nicht angetreten hatte23), provisorisch mit dem Vorsitz im Ministerrat. Dem neuernannten Ministerium war die Aufgabe gesetzt, die laufenden Geschäfte bis zur Konstituierung eines definitiven Kabinetts zu führen und das Budget für das Jahr 1895 auf parlamentarischem Wege durchzubringen. Bei der Debatte über das Finanzgesetz rückten im Reichsrat am 2. Juli 1895 die slowenischen Gymnasialklassen in Cilli wieder in den Vordergrund. Der steirischslowenische Abgeordnete Michael Vosnjak lehnte namens der Slowenen jeden Antrag ab, der darauf abzielen würde, die Parallelklassen in einen anderen Ort der Südsteiermark zu verlegen. Als der deutschklerikale Abgeordnete der Steiermark Mathias Kaltenegger für die Wünsche der Slowenen eintrat und sich darauf berief, daß ja auch die deutschen Minister im Ministerrat unter dem Fürsten Windischgrätz für die slowenischen Parallelklassen gestimmt hätten, kam es zu einer stürmischen Szene, denn wohl hatte Ernst von Plener, ehe es zur Abstimmung über das Budget und damit über die Post „Cilli" kam, sein Reichsratsmandat niedergelegt, nicht aber in gleicher Weise Graf Wurmbrand, der nun die Behauptung Kalteneggers als ein falsches Gerücht bezeichnete, worauf dieser, dem die Linke „Verräter am eigenen Volksstamme" zurief, erwiderte, daß weder Wurmbrand noch Plener die Konsequenzen gezogen hätten, sondern im Amte geblieben wären, und Plener als Finanzminister vielmehr das Budget mit der Post „Cilli" eingebracht habe. Stimmung der Linken wieder Herr zu werden. Von den katholischen Abgeordneten der Steiermark hatten Hagenhofer, Huber und Wagner für den Antrag Stürgkh gestimmt, Baron Morsey hatte sich der Stimme enthalten, obwohl er im Budgetausschuß dafür eingetreten war. Baron Morsey verteidigte am 31. März 1902 seine Haltung in einer Versammlung des katholischen konservativen Bauernvereines (Grazer Volksblatt, 2. April 1902), worauf ihm am 3. April 1902 die christlichsoziale „Reichspost" vorwarf, daß er mit seiner nationalen Grundsatzlosigkeit der alldeutschen kirchenfeindlichen Agitation den größten Vorschub leiste. M ) Prot, des Ministerrates vom 16. Juni 1895, f. 482.

Kabinett Kielmannsegg

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Ehe es zur namentlichen Abstimmung über die Post „Cilli" am 10. Juli 1895 kam, rief der Berichterstatter der Minorität, der Schlesier Theodor Haase, den Slowenen zu : „Wenn Sie über Cilli abgestimmt haben werden, nehmen wir von Cilli noch nicht Abschied. Sie erinnern sich an den Geist Cäsars, der dem sieghaften Brutus zurief : Bei Philippi sehen wir uns wieder. Ich rufe Ihnen zu: Bei Cilli werden wir uns wieder sehen! Denn wenn es Ihnen in Zukunft beifallen sollte, Ihre slawisch-nationalen Agitationen dadurch zu decken, daß Sie sich darüber beklagen, von uns bedrückt zu werden, daß Sie uns der Ungerechtigkeit, der Germanisierung zeihen, dann werden wir Sie an Ihre Abstimmung über das Gymnasium in Cilli erinnern, und wir werden Ihnen dadurch, so heiter Sie heute gestimmt sind, eine Ihnen dann — verlassen Sie sich darauf — nicht gerade angenehme Erinnerung bereiten. In diesem Sinne rufe ich Ihnen zu: Bei Cilli sehen wir uns wieder!"

Da ein Teil der Klerikalen und Christlichsozialen gegen Cilli stimmte, was die slawische Seite sehr übel aufnahm, wurde die Post „Cilli" nur mit 173 gegen 143 Stimmen angenommen. Am 20. Juli 1895 kam der gesamte Staatsvoranschlag mit der Post „Cilli" zur Abstimmung. Dumreicher hatte mit allen Mitteln versucht, die Vereinigte Deutsche Linke, deren Vorstand er seit November 1893 angehörte, zu bewegen, den Staatsvoranschlag zu Fall zu bringen. Cilli erhoffte nur mehr von ihm allein „Rettung", von ihm,, als dem guten Gewissen der Vereinigten Linken". Er aber, seit dem Tode Heilsbergs isoliert, vermochte doch nicht den Zug der Partei zum Kompromiß zu verhindern. Diese gab die Abstimmung über das Budget frei, und nur der unter Dumreichers Führung stehende linke Flügel stimmte gegen den Staatsvoranschlag, der damit in dritter Lesung einschließlich der Post „Cilli" angenommen war. Gebrochen darüber, daß es ihm nicht gelungen war, Cilli „vom Verderben zu bewahren", legte Dumreicher, „der in niemals rostender Wachsamkeit" mit dazu beigetragen hatte, daß die „Cillier" Frage das Koalitionsministerium stürzte, die Stelle im Parteivorstand nieder. Die Hauptaufgabe des provisorischen Kabinetts Kielmannsegg war mit der Annahme des Finanzgesetzes erfüllt. Am 18. August 1895 wurde Graf Kasimir Badeni, Statthalter in Galizien, in Ischl vom Kaiser mit der Regierung betraut, am 29. September 1895 seine Ministerliste von der Krone bestätigt. Neben Badeni war der Pole Leon Ritter von Bilinski, der Finanzminister, des Kabinetts einflußreichster Mann. Landesverteidigungsminister war wie bisher FZM. Graf Zeno Welsersheimb, Unterrichtsminister wurde Baron Dr. Paul Gautsch, der dieses Amt vom 5. November 1885 bis zum Sturz Taaffes bereits innegehabt hatte. Graf Johann Gleispach übernahm die Justiz, Hugo Freiherr Glanz von Eicha den Handel, Graf Johann Ledebur-Wichein das Portefeuille für Ackerbau. „Wien, daran gewöhnt, an jeder Ministerliste seinen Witz zu üben, freute sich an dem Satz: Bade nie den Bilinski im Gleispach, sonst verliert der Ledebur den Glanz."24) Der Budgetposten „Cilli" aber sollte auch für die innere Entwicklung im steirischen Landtag von Bedeutung werden, vor allem deshalb, weil Kaltenegger durch sein Eintreten für die slowenische Forderung die bête noir der liberalen und nationalen Deutschen im Lande wurde, die ihm sein Eintreten für diesen Budgetposten nicht vergaßen. Damit war das bisherige Einvernehmen zwischen Minorität und Majorität im Landtag gestört. Um einen ruhigen Verlauf der vom 28. Dezember 1895 bis 13. Februar 1896 dauernden Landtagssession, in der die 21

) Κ. Τ s c h u ρ ρ i k, Franz Joseph S. 436. Nachträglich traten in das Ministerium noch nach Gründung des Eisenbahnministeriums am 19. Jänner 1896 Emil Ritter von Guttenberg und am gleichen Tage DDr. Eduard Rittner als polnischer Landsmannminister ein.

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IV. Der Fall „Cilli" und das nationale Erwachen der Deutschen

Angelegenheit „Cilli" noch einmal zur Sprache kommen sollte, zu ermöglichen, wurde Kaltenegger von seiner eigenen Partei veranlaßt, dem Landtag während der ganzen Session fernzubleiben. Trotzdem nahm die Schlußsitzung am 13. Februar 1896, wie der inzwischen zum Statthalter in Graz ernannte Marquis Bacquehem bemerkte, einen größeren Umfang an, wies die Debatte stellenweise lebhaftere Akzente auf, als es in den Gepflogenheiten des steirischen Landtages lag. Der Unterrichtsausschuß, dem ein Jahr zuvor der Antrag Karion zugewiesen worden war, hatte nicht versäumt, durch einen Bericht die Frage Cilli erneut aufzurollen. In einem Resolutionsantrag wurde der Regierung vorgeworfen, das Staats-Untergymnasiummit deutsch-slowenischer Unterrichtssprache in Cilli trotz des einmütigen Beschlusses des Landtages entgegen dem Gutachten des Landesschulrates errichtet zu haben. Der Landtag wurde aufgefordert, die bestimmte Erwartung auszusprechen, die Regierung werde gemäß der vom Ministerpräsidenten Graf Badeni in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 10. Dezember 1885 hinsichtlich der nationalen Postulate der südslawischen Volksstämme abgegebenen solennen Erklärung, nach der „keine Konzessionen bloß zur Provokation Anderer" gewährt werden sollen, in Hinkunft bei Würdigung der kulturellen Ansprüche der slowenischen Nationalität in Steiermark „solche Zugeständnisse grundsätzlich für ausgeschlossen erachten, die geeignet sind, die Eintracht und den nationalen Frieden im Lande zu stören oder zu gefährden". Der HauptangrifF zielte jedoch auf die konservativen Landtags- und Reichstagsabgeordneten Karion, Kaltenegger und Hagenhofer25). So sprach der Berichterstatter des Unterrichtsausschusses von einem „unglaublichen, traurigen Schauspiel, daß bei der Abstimmung über die Budgetpost „Cilli" Vertreter des steiermärkischen Landtages, die an dessen einhellig gefaßtem Landtagsbeschluß teilnahmen, bei ihrer Abstimmung im Reichsrate gegen die Tendenz des Landtagsbeschlusses stimmten" und daß von einem dieser Herren, nämlich Kaltenegger, sogar in frivoler Weise dagegen gesprochen wurde. Die Verteidigung Karions fiel schwach aus, um so heftiger waren die Angriffe gegen ihn. Der deutschnationale Abgeordnete der Stadtgemeinde Windischgraz Dr. Starkel versäumte nicht, die Konservativen und in gleicher Weise die Liberalen heftigst anzugreifen. Als es zu einer erhitzten Debatte zwischen Starkel und Graf Stürgkh kam, griff schließlich Graf Wurmbrand ein, der seine Rede mit der Bitte schloß, die Diskussion doch zu beenden und im politischen Kampf nicht weiter zu gehen, als es für die Deutschen zweckmäßig sei, um die Konnationalen nicht zu verletzen und nicht Haß und Streitsucht zwischen den Deutschen hervorzurufen26). 25

) Nicht aber gegen den Prinzen Liechtenstein, da dieser dem Konservativen Klub im Herrenhaus erklärt hatte, daß er sich durch den steirischen Landtagsbeschluß gebunden fühle. ") Wurmbrand sagte wörtlich: „Ich negire, daß irgend Jemand deutscher sein kann, als ein Herberstein, als meine Familie und viele andere. Wir sind ebenso deutsch als Sie, aber wir sind Deutsche in Österreich und denken als Deutsche für den Bestand der Deutschen in Österreich. (Rufe: Wir auch!) Nachdem wir das Alle sind, haben wir nur einen Gedanken gemeinsam. Wie machen wir es, daß wir die Stellung der Deutschen in Österreich festigen? Ich komme darauf zurück, da gibt es nur Eines : uns zu e i n e n . Dann aber bilden Sie keine nationalen Fractionen, wo es nicht nöthig ist. Gehen Sie im politischen Kampfe nicht weiter, als es für die Deutschen zweckmäßig ist, um die Connationalen nicht zu verletzen und bringen Sie nicht Haß und Streitsucht zwischen den Deutschen hervor. Sie haben als Streitobject etwas erfunden, was gar nicht nothwendig war — den Juden. (Heiterkeit.) Nun sehen Sie, die anderen Nationalitäten haben ihn auch, aber bei ihnen ist er kein Streitobject; bei uns

Nachwehen im steiermärkischen Landtag

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Da Kaltenegger dem steirischen Landtag ferngeblieben war, hoffte die nationale Partei, er werde bei den allgemeinen Neuwahlen für den Landtag nicht mehr kandidieren, was auch Statthalter Marquis Bacquehem als entschieden klug und opportun ansah, um ein erträgliches Verhältnis im Landtag wieder herzustellen. Bei den konservativen Bauern aber, nicht nur in seinem Wahlbezirk, sondern im Lande überhaupt, war Kaltenegger beliebt. Er bereiste fleißig das Land, hielt zahlreiche Wählerversammlungen ab, sprach übrigens mit einer gewissen Geschicklichkeit, wenn auch meistens ohne Takt27), und trat jederzeit mit Nachdruck für die bäuerlichen und konservativen Interessen ein. Diesen Mann, für den sich gerüchtweise Graf Hohenwart einsetzte, bei dem er persona grata gewesen war, was die Deutschnationalen noch mehr erbitterte, sollte nun die ohnehin an Führerpersönlichkeiten nicht allzu reich gesegnete Konservative Partei selbst zur Seite schieben. Statthalter Marquis Bacquehem versuchte den nominellen Führer der Konservativen Partei, den Fürsten Alfred Liechtenstein, und den faktischen Parteiführer, den Prälaten Alois Karion, in wiederholten Rücksprachen unter Verwertung aller Vernunftgründe, die ihm zur Verfügung standen, zu bewegen, auf eine Kandidatur Kalteneggers zu verzichten28). Die Konservative Partei konnte von ihrem Standpunkt aus auf dieses Ansinnen nicht eingehen, sie hätte sich selbst aufgegeben, wenn sie dem Ansturm der Nationalen gegen Kaltenegger nachgegeben hätte. Als nun im August 1896, obwohl die Konservative Partei Veränderungen der Kandidatenlisten vornahm, Kaltenegger für die Landtagswahlen im Landgemeindebezirk Graz wieder aufgestellt wurde, rief dies sofort die Erbitterung der liberalen und deutschnationalen Parteien hervor, die den Volksdichter und Reichsratsabgeordneten Karl Morre als Gegenkandidaten nominierten und dem Statthalter mitteilten, daß sie die Nennung Kalteneggers als einen Akt besonderer Feindseligkeit seitens der Konservativen betrachten und als ein Zeichen dafür ansehen müßten, daß sich deren Partei mit Kaltenegger und seinem Vorgehen in der Frage „Cilli" nunmehr identifiziere. Die Nationale Partei glaubte daher ihrerseits jeder Rücksichtnahme auf die Konservativen im Landtag enthoben zu sein und beabsichtigte diesen Standpunkt zunächst dadurch zur Geltung zu bringen, daß sie entschlossen war, bei der Bildung der Landtagsausschüsse auf die konservativen Abgeordneten keine Rücksicht zu nehmen und sie nach Möglichkeit von allen Ausschüssen fernzuhalten. Da dieser Vorgang zweifellos als Gegenaktion den Austritt der Konservativen aus dem Landtag befürchten ließ, versuchte Statthalter Marquis Bacquehem noch im August 1896 ist er es durch Sie geworden und sogar in einem Lande, wo gar keine existiren. (Rufe: Oho!) In Steiermark kann man doch sagen, daß dies der Fall ist. Nun, meine Herren! Solche Richtungen, solche extravagante Streitigkeiten, welche die Parteien bis zum Hasse führen, so daß die Gemeinsamkeit des Stammes vergessen wird, das sind die schweren Fehler gewisser Parteien. So lange ich noch öffentlich sprechen werde, werde ich wenigstens, wie im steirischen Landtage, so im Abgeordnetenhause immer das Programm haben, die Deutschen zur Einigkeit zu mahnen. Ich kenne ihre Fehler, werde sie aber den Einzelnen so wenig als möglich fühlbar machen und werde nie persönlich Gehässigkeit und Haß zwischen den Deutschen zu vermehren suchen. Deshalb bitte ich Sie, die Discussion damit zu schließen, daß Sie Alle für diese Anträge stimmen." 27 ) So gab Kaltenegger private Gespräche mit dem Führer der Katholischen Volkspartei, Baron Dipauli, im Parlament bekannt, wodurch das damalige Mißtrauen zwischen den Christlichsozialen und der Katholischen Volkspartei noch verstärkt wurde. Berichtigimg Dipaulis in der „Reichspost" (17. Dezember 1895). Vgl. W. S t ö g e r , Das Verhältnis der Konservativen zur Christlichsozialen Partei S. 58. ") LA Graz Statth. Praes. 1896 — 22 L.W. ad 1498—2603.

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IV. Der Fall „Cilli" und das nationale Erwachen der Deutschen

eine Änderung durch den Fürstbischof von Seckau Dr. Leopold Schuster zu erreichen. In dem Bericht des Statthalters vom 30. August 1896 über diese Vorgänge an den Ministerpräsidenten Graf Badeni findet sich eine Stelle, die für den altliberal gesinnten Statthalter recht bezeichnend ist: „Der Fürstbischof, dem es zwar immer besonders unangenehm ist, in seinen gelehrten Studien durch politische Erörterungen unterbrochen zu werden, erklärte mir jedoch sofort, wie er die Haltung der konservativen, steirischen Abgeordneten im Reichsrate anläßlich der Beratung der Budgetpost ,Cilli' für einen taktischen Fehler angesehen habe, müsse er auch die Wiederaufstellung Kalteneggers als Kandidaten für den Landtag als unklug bezeichnen; es sei vielmehr seines Erachtens im Interesse der konservativen Partei gelegen, durch Abgeordnete im Landtag vertreten zu sein, welche nicht von vornherein eine gereizte Stimmung bei der gegnerischen Partei hervorrufen. Auch er sei der Meinung, daß das Erscheinen Kalteneggers im Landtage zu Vorgängen führen werde, welche die konservativen Abgeordneten schließlich nötigen würden, die Landtagsstube zu verlassen, wodurch aller Wahrscheinlichkeit nach eine vorzeitige Schließung des Landtages und eine längere Unterbrechung einer gedeihlichen Tätigkeit desselben herbeigeführt werden würde. Allein er habe, wie bisher, so auch diesmal aus prinzipiellen Gründen auf die Nominierung der Kandidaten keinerlei Einfluß genommen und dieselbe vollständig dem Wahlkomitee überlassen und dermalen, wo von der gegnerischen Partei sogar ein Gegenkandidat gegen Kaltenegger aufgestellt wurde, hielt er es selbst ohne eine schwere Schädigung der konservativen Interessen im Lande nicht für möglich, von der Wahl Kalteneggers Umgang zu nehmen."

Als im Sommer 1897 Karl Friedrich Freiherr von Rokitansky zum Landtagsabgeordneten gewählt wurde29) und damit die Konservativen einen ernsten Schlag erhielten, sah der Statthalter darin einen neuerlichen Beweis, wie sehr er recht gehabt habe, als er „bereits vor mehr als einem Jahr" den Fürsten Alfred Liechtenstein empfohlen hatte, „im eigensten Interesse der Konservativen Partei sich des Abgeordneten Kaltenegger bei einer passenden Gelegenheit zu entledigen und den Prälaten Karion mindestens nicht in den Vordergrund zu stellen". Fürst Liechtenstein soll in diesem Punkt mit dem Statthalter übereingestimmt, aber nicht die Energie gehabt haben, aus seiner Überzeugung die entsprechenden Folgerungen zu ziehen. In der Sitzung des steirischen Landtages vom 10. Februar 1897 wurde die Wahl der neuen Landesausschuß-Beisitzer und ihrer Ersatzmänner vollzogen. Das Ergebnis war vollkommen überraschend. In der vorausgegangenen Besprechung der Mitglieder des deutschen Landtagsklubs am 9. Februar hatten die „fortschrittlichen" Abgeordneten die Wiederwahl des bisherigen Landesausschuß-Beisitzers Dr. Moritz Ritter von Schreiner begehrt, eine Forderung, die von den sich in der Mehrheit befindlichen deutschnationalen Klubmitgliedern entschieden abgelehnt wurde. Nach einer stürmischen Debatte wurde in später Nachtstunde die. Besprechung resultatlos abgebrochen. Als die Abgeordneten sich in großer Verstimmung trennten, wurde sowohl von konservativer als auch von slowenischer Seite den fortschrittlichen Abgeordneten aus dem großen Grundbesitz ein Kompromiß angeboten, die damit den Landesausschuß mit Männern ihrer Partei hätten besetzen können. Aus Furcht vor Angriffen in der Presse lehnten diese die vorgeschlagenen Koalitionen ab und lieferten damit die autonome Verwaltung des Landes der Deutschnationalen Partei aus, die nach dem Scheitern der Besprechung der Mitglieder des deutschen Landtagsklubs in letzter Stunde durch Vermittlung der antisemitischen Abgeordneten ein Kompromiß mit den Slowenen schlössen. Zwar hatten die Konservativen sich ebenfalls vertraulich an die Deutschnationalen mit dem Ersuchen gewandt, ihre M

) Siehe darüber Band 2.

Die Haltung der konservativen Partei in der Steiermark

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Stimmen für den konservativen Abgeordneten Prälat Karion abzugeben, doch hatten die Deutschnationalen erwidert, daß sie bereit seien, für jeden konservativen Abgeordneten zu stimmen, einzig und allein den Prälaten Karion ausgenommen30). Da die Konservativen auf die Wahl Karions vertrauten und daher auf dieser bestanden, in der irrigen Annahme, daß die Deutschnationalen nicht für einen Slowenen stimmen, sondern eher weiße Stimmzettel abgeben würden, hatten sich diese Verhandlungen zerschlagen. So gaben bei dem zweiten Wahlgang in der Kurie der Landgemeinden, die sich aus zehn Konservativen (einer davon war gestorben), acht Slowenen und fünf deutschnationalen Bauern und Antisemiten zusammensetzte, zwei deutschnationale Abgeordnete ihre Stimmen für den slowenischen Kandidaten Professor Franz Robic ab, welcher dadurch mit zehn Stimmen gegen den katholisch-konservativen Abgeordneten Karion, auf den nur die neun konservativen Stimmen fielen, gewählt wurde. Dafür gaben die Slowenen bei der Wahl der drei Landesausschuß-Beisitzer, die aus dem ganzen Hause zu wählen waren, ihre Stimmen für die deutschnationalen Kandidaten ab, so daß diese jeweils im zweiten Wahlgang durchdrangen. Der Landesausschuß bestand auf Grund dieser Wahl aus vier deutschnationalen, einem aus dem großen Grundbesitz hervorgegangenen fortschrittlichen und einem slowenischen Beisitzer. Die slowenischen Abgeordneten nahmen die Wahl des Professors Robiß, hocherfreut über dieses Resultat, mit Zivio-Rufen auf, während die konservativen Abgeordneten, vor allem Fürst Liechtenstein und Prälat Karion, ihre große Verstimmung nicht verbergen konnten31). Die Wahl Robic' lag jedoch im Interesse des Kreises um den Landeshauptmann Graf Wurmbrand, der sich davon ein gedeihliches Zusammenarbeiten mit den Slowenen versprach, denen damit überdies die Möglichkeiten ständiger Angriffe gegen den Landesausschuß genommen waren. Zwar hatte auf Grund einer Anfrage am 26. Jänner 1897 im Landtag Graf Wurmbrand erklärt, daß dem Gerücht, es sei an ein Zugeständnis an die Slowenen in Form eines Landesausschußmandates gedacht, für seine Person nicht stimme, doch lag die nun im Wege der Kampfabstimmung erfolgte Wahl eines Slowenen ganz in seinem vermittelnden Sinne32). Der Sieg der deutschnationalen Abgeordneten und ihre absolute Mehrheit im Landesausschuß aber wird für dessen Verhalten bei den kommenden Ereignissen nach Erlassung der Badenischen Sprachenverordnungen von größter Bedeutung sein. Nach dem Verlust von Sitz und Stimme im Landesausschuß hätte die Konservative Partei unter allen Umständen bemüht sein müssen, das Landesausschußmandat wieder zu gewinnen. Die durch die Badenischen Sprachenverordnungen einsetzende starke nationale Strömung ließ die Annahme zu, daß den deutschnationalen und liberalen Parteien ein deutscher, konservativer LandesausschußBeisitzer genehmer sein mußte als der Slowene Professor Robic. Aber unter den konservativen Abgeordneten im Landtag, Bauern mit Ausnahme von Prälat 3

°) LA Graz Statth. Praes. 1897 — 22 a — 276. — Zu Karions Bedeutung vgl. K. M. S t ep a n, Stückwerk im Spiegel S. 98—107. — K. S c h w e c h l e r , Grazer Volksblatt S. 267—273. 31 ) LA Graz Statth. Praes. 1897 — 22 a — 477 ad 233. ") Gewählt als Landesausschuß-Beisitzer waren nun von der Wählerklasse des großen Grundbesitzes Franz Graf Attems (Ersatzmann Dr. Paul Freiherr von Störck); von der Wählerklasse der Städte und Märkte Dr. Julius von Derschatta (Ersatzmann Anton Walz); von der Wählerklasse der Landgemeinden Professor Franz Robic (Alois Posch); von dem ganzen Hause Dr. Josef Schmiderer (Dr. Leopold Link), Dr. Heinrich Reicher (Professor Johann Rumpf), Dr. Gustav Kokoschinegg (Josef Sutter).

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IV. Der Fall „Cilli" und das nationale Erwachen der Deutschen

Karlon, befand sich keine Persönlichkeit, die geeignet gewesen wäre, die Funktionen eines Beisitzers des Landesausschusses in entsprechender Weise zu versehen. Als nach dem Tode des populären Dechants Josef Proboscht, der im Lande allgemein als der geeignetste Nachfolger Karions in der Führung der Konservativen Partei betrachtet wurde, ein Mandat für den Landtag, aus dessen Mitte ja die Landesausschuß-Beisitzer gewählt werden mußten, neu zu vergeben war, versäumte die Konservative Partei eine geeignete, auch der deutschnationalen Landtagsmehrheit genehme Persönlichkeit für den Landtag zu gewinnen. Nach der Ansicht des Statthalters wäre es am besten gewesen, wenn ein Geistlicher Landtagsabgeordneter geworden wäre. Tatsächlich jedoch kandidierte im September 1897 in dem Landgemeinden-Wahlbezirk Weiz der Bauer Ferdinand Berger, der mit 107 Stimmen zum Abgeordneten gewählt erschien, während auf den deutschnationalen Kandidaten Josef Mosdorfer, einen Bruder des Reichsratsabgeordneten Franz Mosdorfer, nur 50 Stimmen entfallen waren. Der Statthalter nun meinte, daß im Wege einer Änderung der Landesordnung eine Vermehrung der Landesausschuß-Beisitzer zugunsten der Konservativen Partei, um ihr eine Vertretung im Landesausschuß zu sichern, im Landtag erreichbar und auf jeden Fall leichter durchzuführen gewesen wäre als etwa zugunsten der Slowenen, wenn eine geeignete Persönlichkeit bei den Konservativen vorhanden gewesen wäre. Wäre jedoch bei der Wahl im Bereich Weiz ein fähiger und auch der Gegenpartei sympathischer Mann kandidiert und gewählt worden, so wäre Karlon bei seinem Streben, wieder in den Landesausschuß zu gelangen, ein gefährlicher Konkurrent erwachsen. Daher habe dieser es zu verhindern gewußt, daß im Wahlbezirk Weiz ein Geistlicher kandidiert werde, und bewirkt, daß ein Bauer gewählt wurde, „damit er eben der einzige geeignete Kandidat der Konservativen Partei für den Landesausschuß verbleibe", vom Fürsten Alfred Liechtenstein „natürlich ganz abgesehen, der hiebei nicht in Betracht kommen" könne. Bei der feindseligen Stimmung der Landtagsmehrheit gegen Karlon, die sich schon darin geäußert hatte, daß die Deutschnationalen ihre Stimme lieber einem Slowenen als ihm gaben, war aber nicht daran zu denken, daß der Landtag eine Änderung der Landesordnung vornehmen werde, die den Konservativen den Wiedereintritt in den Landesausschuß ermöglicht hätte. So werde die Konservative Partei, schrieb Bacquehem, im Lande, solange Prälat Karlon seine hoffnungslose Kandidatur für den Landesausschuß aufrecht halte, aller Voraussicht nach zu ihrem großen Schaden auf eine Vertretung im Landesausschuß verzichten müssen33). Vollends hat Statthalter Olivier Marquis Bacquehem seine Ablehnung gegenüber der Konservativen Partei der Steiermark im Jänner 1898 in einem Schreiben an den Ministerpräsidenten Baron Gautsch bekundet. Wie später auszuführen sein wird, hatten Bezirksausschüsse und -Vertretungen Resolutionen gegen einzelne konservative Abgeordnete aus der Steiermark gefaßt, in denen ihnen das Mißtrauen wegen ihres Verhaltens im Abgeordnetenhaus ausgesprochen wurde. Darüber beschwerte sich Karlon beim Fürsten Alfred Liechtenstein, der das Schreiben an den Ministerpräsidenten weiterreichte, der wiederum vom Statthalter aufklärende Mitteilungen verlangte. Bacquehem antwortete, daß eine Schädigung der Konservativen Partei im Lande nach seiner Überzeugung durch solche Resolutionen nicht eintrete, da es nur deutschnational gesinnte autonome Körperschaften waren, die den konservativen Abgeordneten das Mißtrauen aus33

) LA Graz Praes. 1897 — 22 LW ad 145 — 2979.

Die Haltung der konservativen Partei in der Steiermark

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gesprochen hatten. Das Vertrauen deutschnationaler Kreise der Bevölkerung aber hätten konservative Abgeordnete nie besessen. Die Konservative Partei in Steiermark habe allerdings im Laufe der letzten Jahre, insbesondere seit der Cillier Affare und später seit Erscheinen der Sprachenverordnungen manches Unglück getroffen; sie habe sich auch bei den Wahlen manche Niederlage geholt. Und der Statthalter fährt weiter fort:34) „Es ist meiner Ansicht nach für eine politische Partei schon immer ein bedenkliches Zeichen, wenn der Führer derselben unaufhörlich die Hilfe der Regierung und der politischen Behörden gegen die anderen Parteien anruft; eine lebensfähige Partei muß es verstehen, auch ohne Hilfe der Regierung, ja gegen dieselbe sich Geltung zu verschaffen; das hat die jungczechische und die christlich-soziale Partei in Wien und Niederösterreich bewiesen. Die Niederlage der konservativen Partei in Steiermark, ihre derzeitige schwierige Stellung im Landtage haben in ganz anderen Momenten ihren Grund, die ich heute nur kurz andeuten will, da ich mir vorbehalte, Eurer Excellenz, wenn Hochdieselben sich hiefür interessieren, bei meiner nächsten Anwesenheit in Wien hierüber mündlichen Vortrag zu erstatten: — in der unklugen Haltung ihrer Führer, des Prälaten Karion und des Abgeordneten Kaltenegger, in der wachsenden Unpopularität des Ersteren selbst in konservativen, ja in geistlichen Kreisen, welche die Agitation des Landtagsabgeordneten Baron Rokitansky, des Führers des sogenannten ,Christlichen Bauernbundes' einerseits, die Umtriebe des früheren Reichsratsabgeordneten Baron Morsey, der von der jüngeren Geisdichkeit unterstützt wird, andererseits, so sehr erleichtert, und in der jüngsten Zeit in der bedauerlichen Tatsache, daß Prälat Karion angeblich eines Magenleidens wegen der laufenden Session des Landtags vollständig fernbleiben will, und die konservativen Abgeordneten im Landtag daher ihres offiziellen Führers entbehren, dessen Aufgabe es wäre, sie gegen die äußerst heftigen Angriffe, die von deutschnationaler Seite gegen sie unaufhörlich gerichtet werden, wirksam zu verteidigen."

Das Verhalten der konservativen Abgeordneten in der Affare „Cilli" hat der Konservativen Partei schwer geschadet, und sie wird den Vorwurf der Deutschfeindlichkeit nicht mehr abschütteln können. Der Kampf um Cilli aber war letztlich durch die Art, wie er geführt wurde, und durch die starre Haltung der Vereinigten Deutschen Linken, auch zu einem Zeitpunkt noch, als es offensichtlich war, daß dieser Standpunkt keine Aussicht auf Erfolg haben werde und nur ein Kompromiß sachlich das Problem lösen könne, zu einer Niederlage der Deutschen in den Alpenländern geworden. Wer aber nimmt den Sieg des anderen Teiles und die eigene Niederlage gelassen hin, schon gar in der Politik? Das unangenehme Gefühl von offensichtlichem Prestigeverlust wirkte doppelt kränkend. Zudem hatte die politische Journalistik, die in zunehmendem Maße in die Hände von Burschenschaftern und zugewanderten Deutschböhmen gelangte, alles getan, die Gemüter in der Steiermark zu erregen. Kein Politiker dachte daran, die Wogen wieder zu glätten, jeder wollte sie für sich ausnützen. Was sich so anstaute, brach bei den Badeni-Unruhen 1897 dann durch, die ohne den Fall „Cilli" gar nicht denkbar sind. Es wird gern gesagt, die Badenischen Sprachenverordnungen hätten die Deutschen der Alpenländer wachgerüttelt. Das stimmt — aber nur in beschränktem Maße. Es sind alle Anzeichen vorhanden, daß die „Nachtwächterfrage von Leitomischl" für die Alpenländer angesichts drängender wirtschaftlicher und anderer Probleme uninteressant wurde. Der Fall „Cilli" schnitt ins eigene Fleisch und war der eigentliche Anlaß für eine große nationale Erregung der Deutschen in der Steiermark, für eine Hellhörigkeit auch für die nationalen Fragen in Böhmen und für die Bereitschaft zur Gemeinbürgschaft. 34

) LA Statth. Korrespondenz 1898.

V. BADENIS VERSUCH MIT UNTAUGLICHEN MITTELN Dem neuen Ministerpräsidenten Graf Kasimir Badeni1) ging der Ruf voraus, ein kluger Reformer und ein exakter Administrator mit großem Verwaltungsgeschick zu sein, da es ihm als Statthalter in Galizien geglückt war, die Autorität der Regierung mit starker Faust und anerkannter Schlauheit zu wahren2). Die Gunst und das Vertrauen des Kaisers hatte er sich erworben, als dieser 1893 Galizien bereiste und dort enthusiastisch empfangen worden war. Franz Joseph schätzte die „höchst patriotische", militärfreundliche Amtsführung Badems3), der „wenigstens den Schein der Tatkraft" für sich hatte und unter den Ministern, Geheimräten, Statthaltern und Adjutanten, die in des Kaisers Nähe kamen, „nach langer Zeit der erste Optimist" war, ein Mann von Selbstvertrauen in einem Kreise „altösterreichischer Skepsis". Allerdings hat die Geschichte gelehrt, „daß sich die traditionellen Skeptiker besser bewährt haben als jene aus der Art geschlagenen Optimisten, die durch übel angewandte Energie ersetzen wollten, was ihnen an tieferer Einsicht in das Wesen des alten Österreich fehlte"4). *) Geb. am 14. Oktober 1846 zu Surochow in Galizien. Er entstammte einer ursprünglich italienischen Familie. Sein Ahne war als Feldoberst des Herzogs von Mailand mit der Prinzessin Bona Sforza, der Gemahlin König Sigismunds I. von Polen, 1518 ins Land gekommen und hatte sich in der Wojwodschaft Krakau ansässig gemacht. (J. B. W i t t i n g , Familie Badeni; D e r s., Ahnentafel Familie Badeni.) Er selbst trat nach dem Rechtsstudium in den Staatsdienst, wurde Bezirkshauptmann, dreiunddreißigjährig Hofrat und Leiter der Statthaltereiexpositur in Krakau, trat aber 1886, weil er nicht zum Statthalter ernannt worden war (A. C z e d i k , Ministerien II, S. 112), in den Ruhestand und verwaltete seine Güter. Wurde Führer der Krakauer Adelspartei und vom Großgrundbesitz in den Landtag entsandt. Am 11. Oktober 1888 ernannte ihn der Kaiser zum Statthalter in Galizien. Zu seinen Konflikten in dieser Eigenschaft 1890 mit den Ruthenen und mit dem Erzherzog Leopold Salvator vgl. : Nachlaß des Grafen E. Taaffe (hrsg. von S k e d l ) S. 674—683. 2 ) Ε. Ρ 1 e η e r, Erinnerungen III, S. 279. 3 ) „Und man muß sagen, daß er einer der besten Männer auf diesem nicht leichten und für Österreich sehr wichtigen Posten war. Persönliche Liebenswürdigkeit, moderne Weltauffassung und ein streng rechtlicher Sinn zeichneten ihn aus und erleichterten ihm seine Amtstätigkeit. So exakt und pünktlich hatte die galizische Statthalterei weder vor noch nach dem Grafen Badeni gearbeitet. Er war aber auch persönlich die Pünktlichkeit selbst, und jeden Morgen machte er einen Rundgang durch die Bureaus der Statthalterei. In seiner Programmrede, mit welcher er sich dem Landtag vorstellte, legte er Gewicht darauf, daß die Landesgesetzgebung und die Reichsgesetzgebung nicht kollidiere, die staatsbürgerlichen Rechte respektiert und der deutschen Sprache in den Schulen mehr Beachtung geschenkt würde; von den Beamten verlangte er pünktliche, exakte und rasche Erledigung der Geschäfte. Kein Wunder, daß der Kaiser auf diesen vortrefflichen Mann aufmerksam wurde." ( B r e s n i t z v. S y d a c o f f , Vom habsburgischen Kaiserhof S. 68). Seinen Ruf, ein guter Administrator zu sein, hat Badeni in Wien bestätigt. „Niemals ist im Ministerium des Inneren so gearbeitet worden wie unter ihm." „Die Referenten reichten einander die Tür, und wo ein Restant war, wurde er erledigt." (J. Ρ e η i í e k, Bewegte Zeiten S. 29). Zu Badenis vorministerieller Tätigkeit auch noch G. Κ o 1 m e r, Parlamentarisches Jahrbuch V, 1897/98, S. 10 ff. — J. R e d l i c h , Franz Joseph S. 389. 4 ) Κ. Τ s c h u ρ ρ i k, Franz Joseph S. 435 f.

Zur Charakteristik Badems

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Badeni stand als Pole über dem deutsch-tschechischen Gegensatz, der Wiener Boden jedoch u n d die Hintergründe der böhmischen Frage waren ihm fremd. I h m mangelte wirkliche, tiefere Kenntnis der Verhältnisse außerhalb Galiziens — er hatte ja nicht einmal in Wien, sondern in Krakau Rechtswissenschaft studiert — , i h m fehlte die echte Geschmeidigkeit des Staatsmannes und jenes psychologische Feingefühl, das für die vorsichtige u n d rücksichtsvolle Behandlung des österreichischen Parlaments unerläßlich war 5 ). „Er durchblickte weder den eigentlichen Charakter des deutsch-böhmischen Kampfes noch die Tragweite und das Gepräge des Kampfes des böhmischen Volkes mit dem österreichischen Staat. Er kannte die Personen nicht, er kannte die Verhältnisse nicht." 6 ) Badeni sah sich deshalb veranlaßt, sich anfänglich auf den Rat seines Bruders Stanislaus Badeni, Landmarschalls von Galizien, zu stützen, der, am 2. April 1891 z u m lebenslänglichen Mitglied des Herrenhauses ernannt, die Wiener Verhältnisse einigermaßen kannte u n d der den Kanzleidirektor des Abgeordnetenhauses, Sektionschef Dr. Heinrich Ritter von Blumenstock-Halban als einen ausgezeichneten Kenner der parlamentarischen Verhältnisse bezeichnete u n d als Ratgeber empfahl. Halban 7 ), der nach Alois von Czedik bereits in den letzten Jahren Taaffes einen bemerkenswerten Einfluß auf die Politik g e n o m m e n hatte u n d Badeni schon bei der Bildung seines Ministeriums zur Seite gestanden war 8 ), scheint dessen Unstern gewesen zu sein. N a c h den stürmischen N o v e m b e r tagen des Jahres 1897 i m Parlament hat die Linke gegen ihn die Beschuldigung 5

) „Badeni dachte an die Abgeordneten nur wie an Schachfiguren, die man da und dort hinschieben kann." ( B a e r n r e i t h e r , Verfall des Habsburgerreiches S. 4). 6 ) J. Ρ e η i í e k, Bewegte Zeiten S. 38. — Die politische Situation war um so schwieriger, als auf deutscher und tschechischer Seite absolute Parteidisziplin unbekannt war. Badeni hatte keine Ahnung „von der Nebenregierung im Prager deutschen Kasino", von der Rivalität zwischen den deutschen Führern. Die „Nebenregierung" des „Grazer Tagblattes" hat sich erst unter Gautsch I und Thun ausgewirkt, aber immerhin schon unter Badeni das Einschwenken Steinwenders und der Deutschen Volkspartei in die Obstruktion bewirkt. Die vom Präger deutschen Kasino inspirierten Tagesblätter gingen ihre eigenen Wege und desavouierten jederzeit ohne Bedenken die eigenen Abgeordneten und was diese in Wien mit der Regierung vereinbart hatten. Bei den Tschechen waren die Verhältnisse völlig gleich. K. Kramáí (Böhmische Politik S. 12 ff.) klagt, daß seit dem Tode Grégrs keine Einheit mehr zwischen dem jungtschechischen Hauptorgan und der Politik der böhmischen Abgeordneten in Wien herrschte, daß durch die Diskrepanz zwischen der Politik der Partei und des Blattes die Wiener Leitung der böhmischen Politik viele Vorwürfe wegen scheinbarer Zwiespältigkeit hinnehmen mußte, jedoch einfach die Persönlichkeit fehlte, welche die beiden politischen Strömungen in eine harmonische Linie vereinigt hätte. In Prag, „wo man kaum jemals einen Deutschen sieht", habe man gerade zur Zeit Badenis die schwierigen Verhältnisse des Tschechenklubs in Wien, auf diesem fremden Boden und in diesem „feindseligen Milieu" verkannt. Gegebenheiten, die Badeni übersah und daher nicht bei seiner Rechnung berücksichtigte. ") Bilinski bezeichnet ihn in seinen Memoiren als einen Mann „von hoher Intelligenz und viel politischem Sinn, aber etwas allzu sehr Faktotum und einigermaßen eingebildet". (J. Τ w a r d o w s k i, Bilinskis Memoiren S. 168). J. Ρ a t ζ e 11 (österr. Jahrbuch 1897, S. 134) bestätigt, daß sich unter Badeni „die geradezu groteske Erscheinung des Kanzleidirektor . . . Blumenstock, der mit der Änderung seines Namens in Halban seine jüdische Abstammung so gern vergessen lassen wollte, zu einer der einflußreichsten Persönlichkeiten" emporschwang. Die Christlichsozialen haben von Anbeginn Halban als „den bösen Geist Badenis" bezeichnet. 8 ) A. C z e d i k , österr. Ministerien II, S. 42. — Die Mitwirkung Haibans bei der Regierungsbildung möchte K. Hugelmann (Geschichte d. österr. Ministerien S. 45) „als etwas Bedauerliches gerne ausschließen". Hugelmann zeigt sich jedoch gerade in diesem

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Sutter, Sprachenverordnungen I.

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

erhoben, er sei der Ratgeber Badenis bei seinen Maßnahmen zur Unterdrückung der Opposition gewesen9). Gautsch hat nach seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten Halban, als die rechte Hand Badenis in allen parlamentarischen Intrigen, sofort als Kanzleidirektor entlassen. Auch sonst fehlte Badeni bei der Wahl seiner Ratgeber eine glückliche Hand, wie die neuerliche Berufung des Hofrates Rudolph Ritter von Freiberg ins Ministerpräsidium beweist10). Badenis größter Fehler war jedoch seine Unstetigkeit. Zwar betonte er in der Regierungserklärung vom 22. Oktober 1895, als er sein Ministerium dem Abgeordnetenhaus vorstellte: „Wir gedenken zu führen und nicht uns führen zu lassen", aber in entscheidenden Fragen hat auch er gezaudert und Tatkraft und Konsequenz vermissen lassen, sich mit Provisorien und Halbheiten begnügt, die seine Kräfte verbrauchten und die seiner Gegner stärkten. So beantragte er auf Grund von Drohungen der liberalen Abgeordneten unter Führung des Freiherrn Johann von Chlumecky beim Kaiser im November 1895 die Nichtbestätigung Dr. Karl Luegers11), der zum Bürgermeister von Wien mit 93 von 138 Stimmen gewählt worden war, um seinen Plan der Vereinigung aller österreichischen Liberalen zu einer Regierungsmajorität nicht zu gefährden. Damit hatte Badeni, den sein Vorgänger Graf Kielmannsegg, der niederösterreichische Statthalter, und der Abschnitt wenig informiert und verkennt so völlig die Rolle Kielmannseggs gegenüber Lueger. — In der letzten Sitzung des Ministerrates der Koalitionsregierung Windischgrätz am 19. Juni 1895 hatte Innenminister Marquis Bacquehem für Halban die Erwirkung des Komturkreuzes des Franz-Joseph-Ordens beantragt, mit der Begründung, daß Halban „ihn über die parlamentarischen Vorgänge und Verhältnisse im Abgeordnetenhause im Interesse der Regierung immer im Laufenden gehalten und dadurch gute Dienste geleistet hat". 9 ) Nach G. Κ o 1 m e r (Parlament u. Verfassung VI, S. 322) hat Halban „auf das entschiedenste in Abrede gestellt, als hätte er den Grafen Badeni damals zum Entschlüsse gedrängt, die Polizei in den Saal zu entsenden; er hatte die Absicht, zu seiner Verteidigung eine Schrift zu veröffentlichen und arbeitete an diesem Werk bis zu seinem nicht lange darauf erfolgten Tode. Diese Verteidigungsschrift hütete er wie einen Schatz. Das Manuskript verschwand nach seinem Tode." 10 ) Freiberg war unter Taaffe Presseleiter gewesen, war jedoch von Windischgrätz-Plener kaltgestellt worden. Halban und Freiberg, gleich diesem Jude, übten nun, obwohl sie persönlich die erbittertsten Feinde waren, auf Badeni einen bestimmenden Einfluß aus. Die zahllosen Unaufrichtigkeiten und Widersprüche in dessen Politik glaubt J. P a t z e l t (österr. Jahrbuch 1897, S. 134) dadurch erklären zu können, daß Badeni nie ausschließlich sein Ohr dem einen oder dem anderen von den beiden hingab, da er glaubte, sich unabhängig zu erhalten, wenn er ihren Einfluß abwechseln ließ. Aber gerade dadurch mußte er „der Spielball einander kreuzender Intrigen" werden. lr ) Chlumecky, der den Kampf gegen die Antisemiten sogar in das Programm zur Bildung einer Mehrheit hatte aufnehmen wollen, befürchtete von einer Bestätigung Luegers das Ende der Liberalen Partei. Nach Bilinskis Memoiren erfuhr dieser durch Halban, Chlumecky werde die Präsidentschaft im Abgeordnetenhaus und 60 deutsche Abgeordnete ihre Mandate niederlegen, wenn Badeni für Luegers Bestätigung eintrete. Bilinski erzählt in diesem Zusammenhang eine für die Charakteristik Badenis bedeutungsvolle Begebenheit: „Als Badeni als neuernannter Regierungschef mit Chlumecky konferierte, legte er sich auf die Nichtbestätigung Luegers fest, obwohl Chlumecky warnte und sich bereit erklärte, die Bestätigung den deutschen Parteien mundgerecht zu machen; daraufhin erst verpflichtete sich Chlumecky in Badenis Namen gegenüber den deutschen Parteien, daß Lueger keinesfalls die Bestätigung finden werde." Kurz nachher erklärte allerdings Badeni, er fühle sich stark genug, die Bestätigung Luegers beim Kaiser durchzusetzen. Daraufhin erst habe Chlumecky mit der Mandatsniederlegung gedroht. (J. Τ w a r d o w s k i, Bilinskis Memoiren S. 176 f.) Dieses unehrliche Spiel, das Badeni bei allen entscheidenden Fragen versuchte, hat seinen Sturz verursacht.

Die Wiener Bürgermeisterfrage

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Bezirkshauptmann Hans von Friebeis, der genaueste Kenner der politischen Zustände Wiens, vor einer Nichtbestätigung Luegers gewarnt hatten, „mit einer Kühnheit, wie sie nur totale Unkenntnis der einschlägigen Verhältnisse verleiht"12), den Wiener Antisemiten den Fehdehandschuh hingeworfen und sich die Sympathien der Wiener Bevölkerung zu verscherzen begonnen. In dem Maße, in welchem Luegers Popularität durch die Nichtbestätigung wuchs, begann die Badenis zu sinken. Als Lueger am 18. April 1896 abermals gewählt wurde, wurde ihm über Badenis Betreiben abermals die kaiserliche Bestätigung versagt. Es kam jedoch zu jenem Kompromiß, durch den Lueger sich vorerst mit der Stelle des Vizebürgermeisters begnügte und Josef Strobach als Platzhalter und „Strohmann", der Lueger de facto die Zügel im Gemeinderat überließ, Wiens Bürgermeister wurde. Diese von den Christlichsozialen entgegen den Intentionen der Liberalen mit Badeni heimlich vereinbarte Lösung war für die Regierung ohne bleibenden Wert, denn die jüdischliberalen Tageszeitungen, allen voran die „Neue Freie Presse", waren aufs tiefste verletzt, daß die Inaugurierung der Christlichsozialen im Wiener Rathaus von Badeni nicht verhindert worden war und er, „obwohl ihm dies sehr peinlich war"13), Lueger über dessen Verlangen eine Audienz beim Kaiser vermittelt hatte. Badeni, der beim besten Willen sein beim Regierungsantritt gegebenes Versprechen, die antisemitische Bewegung zu unterdrücken, ja einfach wegzuwischen, nicht einlösen konnte, wurde nun nach dieser Zwischenlösung in der Wiener Frage plötzlich von der deutschliberalen Presse, die gegen ihn bisher in nationaler Beziehung keinen ernsten Anstand erhoben, ihn vielmehr stürmisch begrüßt und ihn den Minister „mit der eisernen Hand" genannt hatte, zur Gefahr für das Deutschtum in Österreich erklärt. Die „Neue Freie Presse" gab die Parole aus, die Vereinigte Linke habe sträflicherweise ihre nationalen Pflichten dadurch verletzt, daß sie der Regierung so lange Heerfolge geleistet habe. Als dann Strobach am 31. März 1897 ohne Angabe besonderer Gründe, im politisch entscheidenden Augenblick, zurücktrat und Lueger am 8. April, drei Tage nach Erlassung der Badenischen Sprachenverordnung, das fünftemal mit überwältigender Mehrheit zum Bürgermeister gewählt wurde, setzte Badeni, der die Fragwürdigkeit einer deutschliberalen Bundesgenossenschaft in diesen für die Regierung kritischen Tagen erkennen mußte und der doch noch außer der Katholischen Volkspartei eine deutsche Parlamentspartei zu gewinnen hoffte, sich nun genau für das Gegenteil dessen ein, was er bisher dem Kaiser geraten hatte, nämlich für die am 16. April wirklich erfolgte Bestätigung Luegers. Er hoffte, in den Christlichsozialen, die bei den Reichsratswahlen 28 Mandate errungen hatten und darum als Parlamentspartei interessant geworden waren, eine Stütze seiner Regierung zu finden. Durch diese späte 12

) J. Ρ a t ζ e 11, Österr. Jahrbuch 1897, S. 3. — Auch der Ministerrat sprach sich am 29. Oktober und am 3. November 1895 fast einstimmig für Luegers Bestätigung aus, doch bestimmte Badeni die Minister zur Ablehnung und erreichte den Beschluß, diese Linie auch in Zukunft festzuhalten. (P. Μ o 1 i s c h, Deutschnationale Bewegung S. 183 f. — J. T w a r d o w s k i , Bilinskis Memoiren S. 168). Wie bei den Sprachenverordnungen zeigt sich hier schon, daß Badeni ernsthafte Warnungen des Ministerkollegiums in den Wind schlug. „Er machte Politik und traf Dispositionen allein." (J. Ρ e η i í e k, Bewegte Zeiten S. 50.) Auch der Einspruch des ungarischen Ministerpräsidenten Banffy bei Badeni hat eine gewisse Rolle bei der Nichtbestätigung mitgespielt. Lueger hat daraufhin im Abgeordnetenhaus das „Judäomagyarentum" am 29. Mai und am 16. November 1896 schwerstens angegriffen. 13 ) P. Μ o 1 i s c h, Stellung Wiens S. 204. (Nach Kielmannseggs Tagebüchern.) — Badeni hatte Lueger eingeladen, spät abends und unerkannt ins Ministerium zu kommen. 9*

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

Schwenkung14) hat Badeni die Christlichsozialen nicht mehr dauernd für sich gewinnen können, wohl aber dabei an Autorität verloren. Er hat damit zugleich die Deutschliberalen, die für eine Nichtbestätigung Luegers auf Zugeständnisse in der böhmischen Frage einzugehen bereit waren, und die Sozialdemokraten, die erbittertsten Feinde der Christlichsozialen, zu Beginn einer für ihn kritischen Periode endgültig von sich gestoßen. Kaiser Franz Joseph hat sich später gegenüber dem Grafen Kielmannsegg, die ministerielle Tätigkeit Badenis „ziemlich scharf" kritisierend, geäußert : „Die schwankende Haltung Badenis in der LuegerFrage und die von ihm damals begangenen Fehler waren Vorboten seines Mißerfolges."15) In der Frage der Entlassung des Grafen Franz Thun als Statthalter von Böhmen hat sich Badeni ähnlich verhalten. Um die Unabhängigkeit seines Kabinetts von den Parteien zu beweisen, verweigerte er anfänglich den Tschechen die von diesen geforderte Entlassung Thuns. Jedoch schon kurze Zeit später, nach Schluß der Landtagsperiode, am 16. Februar 1896, ließ Badeni den Grafen Thun doch fallen, an dessen Stelle Carl Graf Coudenhove berufen wurde. Die Jungtschechen haben die Entlassung des von ihnen so gehaßten Statthalters mit Recht als einen Sieg ihrerseits angesehen. Bei den Verhandlungen mit den Tschechen über die zu erlassende Sprachenverordnung ist das Verhalten Badenis nicht anders gewesen. Ernst von Plener erhebt daher den Vorwurf, Badeni sei unaufrichtig gewesen16). Nun ist es zu allen Zeiten schwer, bei Politikern zwischen ") Der Versuch Badenis, gegenüber dem Kaiser Gründe zu finden, aus denen sich Luegers Bestätigung scheinbar folgerichtig ableiten ließen, bei P. Μ o 1 i s c h, Die Stellung Wiens S. 205 f. 16 ) P. M o 1 i s c h, Die Stellung Wiens S. 206. (Nach Kielmannseggs Tagebüchern.) " ) E. P l e n e r , Erinnerungen III, S. 275. — Badeni wurde 1898 als „verschlagen und rücksichtslos" charakterisiert (Die Sprachenverordnungen des Grafen Badeni S. 48). — Treffend, wenn auch ironisch und spöttisch verzerrt, wird Badeni in den anonym erschienenen Parlamentsbildern aus Österreich (Das Hohe Haus S. 111—114) gezeichnet, wobei zu bedenken ist, daß diese Charakteristik 1896, also in Badenis „glücklicher" Zeit niedergeschrieben und veröffentlicht wurde: „Mehr als mittelgroße, breitgebaute und doch nichts weniger als plumpe Gestalt. Mächtiger Kopf, an den Schläfen dunkles, leicht ergrautes Haar, sonst völlig kahl. Diese Kahlheit scheint so zum Ganzen zu gehören, daß sie wie angeboren und gar nicht wie eine Folge des zunehmenden Alters aussieht: es ist eine rosige, jugendfrische Kahlheit, die sich neben dem üppigsten Haarwuchs nicht zu schämen brauchte. Das volle, rotwangige Gesicht mit ausdrucksvollen Zügen, die starke gewölbte Stirn contrastiren seltsam mit den schelmisch, fast möchte man sagen coquett blickenden Augen, dem putzigen kleinen Schnurrbart und dem unbefangen fröhlichen Lächeln des Mundes. Wie das Äußere ist auch der ganze Charakter voller Widersprüche. Seine Energie ist durch eine gewisse slavische Weichheit, sein Verstand durch eine leichtsinnige Güte getrübt. Seine Schmeichler lieben es, ihn mit Bismarck zu vergleichen, mit dem er doch höchstens den Kahlkopf gemein hat. Viel passender wäre ein Vergleich mit dem Grafen Taaffe, den er übrigens an heiterer Sorglosigkeit noch weit übertrifft. Voll burschikoser Sicherheit, stets unbekümmert, stets voll Vertrauen zu seinem Glücksstern. Wenn die Wogen politischer Leidenschaft am höchsten gehen und ihn zu verschlingen drohen, schnalzt er vergnügt mit den Fingern und denkt: es wird schon gehen! Das Fingerschnalzen ist überhaupt seine Lieblingsgewohnheit. Er spaziert oft von einem Ende des Parlamentssaales zum anderen und schnalzt dabei, daß man's bei der Galerie hört. Von einem glücklichen Mangel an Menschenkenntnis beseligt, schöpft er seine Urteile über Welt und Leben aus seiner leichtbeweglichen Phantasie. Gutmütig und weichherzig, glaubt er auch nicht an einen nachhaltigen Haß bei seinen Gegnern. Er ist offen und zutraulich und läßt sich von Jedem, der ihn fangen will, unschwer dupiren. Graf Badeni ist kein nationalitätsloser Aristokrat,

Graf Thun als Statthalter in Böhmen — „Glückliche" Zeit Badenis

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kluger Zurückhaltung, staatsmännischer Verhandlungstaktik, notwendiger Schlauheit und persönlicher „Unaufrichtigkeit" und Verschlagenheit zu unterscheiden. Bei Badeni trat der persönliche Charakterzug der Unehrlichkeit aber allzu deutlich hervor. Er war verbunden mit großem Selbstbewußtsein, das ihn auch in den stürmischesten Tagen nicht verließ. Badeni versprach jedem Verhandlungspartner alles, nur um ihn für seine Ziele zu gewinnen. Er war kein zäher Taktiker, der um jedes Zugeständnis feilschte und für jede zu gewährende Konzession zuvor einen Gegenwert einhandelte. Ihm fehlten die Kraft und der Mut, im entscheidenden Augenblick „nein" sagen zu können. Durch das gegenseitige Ausspielen der einzelnen Kräfte und Parteien hoffte er, sich nachträglich aus der Affäre ziehen zu können. Und gerade das machte sein Intrigenspiel so widerlich, dem er innerlich selbst nicht gewachsen war. Er war nicht leichtsinnig, er nahm seine Aufgabe ernst, aber aus der Diskrepanz seiner geringen staatsmännischen Fähigkeiten und der an ihn herangetragenen schwerwiegenden Probleme wurde er zum Falschspieler, den auch das große Geschick als gewissenhafter, fast pedantischer Verwaltungsbeamter nicht mehr retten konnte. Er sah nicht, daß zwischen der Stellung eines Statthalters von Galizien und der eines österreichischen Ministerpräsidenten wesentliche Unterschiede bestanden und er im politischen Getriebe der Reichshauptstadt nicht mehr die gleiche Befehlsgewalt hatte wie in Lemberg. Trotz dieser Mängel Badenis zerfällt seine Regierungszeit in eine „glückliche" und eine „unglückliche" Periode17). Den Wendepunkt bildet die Sprachenverordnung für Böhmen am 5. April 1897. Die Ereignisse, die durch diese Verordnung ausgelöst wurden, lassen vergessen, daß Badeni im „glücklichen" Zeitabschnitt, durch seine während einer vielj ährigen bürokratischen Karriere geschulte Gewissenhaftigkeit und sein strenges Pflichtgefühl dazu befähigt, wichtige Gesetze im Reichsrat durchbrachte, so das Beamtenversorgungsgesetz, die Neuregelung der Staatsbeamtengehälter, das Wahlreformgesetz, durch das im Abgeordnetenhaus die Zahl der Sitze auf 425 durch 72 Abgeordnete aus der allgemeinen Wählerklasse erweitert wurde18), die Personalsteuerreform, das Effektenumsatzwie es Taaffe war und wie es in Österreich so viele gibt, sondern durch und durch Pole, ja noch mehr (oder eigentlich noch weniger) durch und durch Galizianer. Betrachtet Alles und Jedes vom galizischen Standpunkt, und was sich von diesem nicht verstehen läßt, versteht er nicht. Zum Unterschiede von dem ersten polnischen Ministerpräsidenten Goluchowski, der den österreichischen Staatsgedanken nach Galizien verpflanzt hat, sucht er — wenn auch unbewußt — den galizischen Staatsgedanken in ganz Österreich heimisch zu machen. Als Mensch der liebenswürdigste Ministerpräsident, den Österreich je gehabt hat. Als Politiker conservativ nach polnischer Art, das heißt mit einer starken Beimischung der bekannten adeligen Demokratie und einer halb aus Wohlwollen, halb aus Leichtsinn fließenden Toleranz für jede fremde Anschauung. Nichts ist falscher, als das Bild, das die Wiener Presse von ihm entworfen hat: die ,eiserne Hand' trägt Glacéhandschuhe und läßt sich von Jedem schütteln, der mag. Der Mann, der sich angeblich in die Quere stemmt, um jeden Strom auf seine Mühle zu leiten, ist in Wirklichkeit ein geschmeidiger, epikuräischer Politiker, dessen ganzes Streben darauf gerichtet ist, mit dem Strome zu schwimmen. Er will nicht brechen, nur biegen, er will weniger führen als mitgehen — allerdings an der Spitze. Aber er stürmt nicht voran. Nein, er schlendert gemächlich hin, die Rockschöße unter die Arme geklemmt und die Hände in den Hosentaschen. Ein Anblick von vertrauenerweckender Breite und Behäbigkeit für Diejenigen, die hinterher gehen." 17 ) F. Κ o r η a u t h, Graf Badeni S. II. le ) Kaiser Franz Joseph gratulierte telegraphisch Badeni zur Durchbringung dieses Gesetzes, „Neue Freie Presse" 8. Mai 1896.

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

steuergesetz, das bedeutungsvolle Heimatrechtsgesetz, Gesetze zur Justizreform., das Patentgesetz und das Auswanderergesetz. Eine Reihe von Gesetzen, wie das der Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter, kam über das Stadium allgemeiner Vorschläge nicht hinaus ; ebenso hat Badeni die Staatsbudgets nicht rechtzeitig im Parlament zu erledigen vermocht19). Die größte Aufgabe, der Badeni gegenüberstand, war der Ausgleich mit Ungarn, und an dieser Aufgabe sollte er scheitern. Zwar waren die ungarischen Ausgleichsvorlagen, mit Ausnahme der Quotenfrage, bereits Ende August 1896 fertiggestellt und damit die Voraussetzungen geschaffen, diese Gesetze noch vor den für März 1897 ausgeschriebenen Neuwahlen dem alten Hause vorzulegen ; allein die Deutschliberale Partei hat dies, durch die Zwischenlösung in der Wiener Bürgermeisterfrage mißtrauisch geworden, zu verhindern gewußt. Wären die Ausgleichsvorlagen noch im alten Abgeordnetenhaus zur Beratung und Beschlußfassung gelangt, hätte die Deutschliberale Partei bei Akzeptation der unpopulären Vorlagen ihre Stellung bei den Reichsratswahlen unendlich erschwert, bei Ablehnung aber riskiert, daß sich die Regierung nach vollbrachtem Ausgleichswerk im neuen Hause der kräftig aufstrebenden antiliberalen Fraktion zugewandt hätte. Wurde jedoch der Ausgleich verschleppt und erst nach den Neuwahlen behandelt, konnte eine Regierung, die auf eine Mitwirkung der Deutschliberalen Partei beim Zustandekommen des Ausgleiches Wert legte, diese nicht außer acht lassen und bei der Bildung der parlamentarischen Majorität übergehen. Die Wünsche der Deutschliberalen Partei trafen sich dabei mit denen des liberalen Regimes in Ungarn, das Interesse daran hatte, daß die ohnehin stark zurücktretende Deutschliberale Partei in die Majorität des österreichischen Reichsrates einbezogen werde, da eine weitere Stärkung der antisemitischen Position auch das liberale System jenseits der Leitha erschüttern mußte. Die damals führenden magyarischen Politiker fürchteten überdies, es werde das für Ungarn durch den Ausgleich von 1867 geschaffene überaus günstige Verhältnis auf die Dauer nicht erhalten werden können, wenn nicht in Österreich die Deutschliberale Partei mitbestimmend bliebe. So lehnte die ungarische Regierung in dem Ende August 1896 stattgefundenen gemeinsamen Ministerrat unter dem Vorwand rechtlicher und formaler Gründe die Einbringung der Ausgleichsvorlagen im Jahre 1896 ab. Um aber den Ausgleich im Reichsrat wenigstens nach den Neuwahlen rechtzeitig durchzubringen, faßte Badeni den Plan, die Regierung durch die Berufung des Tschechenführers Dr. Josef Kaizl und des deutschböhmischen Abgeordneten Dr. Joseph Maria Baernreither, der als Berichterstatter in der Zivilprozeßreform „einen Rang unter den gesamten österreichischen Parlamentariern erlangt" hatte20), parlamentarisch zu verstärken und die gemäßigt freisinnigen Deutschen und Tschechen zu gemeinsamer parlamentarischer Arbeit zu vereinigen. Diese 19 20

) G. Κ ο 1 m e r, Parlament u. Verfassung VI, S. 63—96. ) J. R e d 1 i c h, loseph M. Baernreither. Eine biographische Skizze S. 26. — Über J. Kaizl vgl. J. P e n i i e k , Bewegte Zeiten S. 146—181. — G. Κ o 1 m e r, Parlamentarisches lahrbuch V, 1897/98, S. 203 f. — A. C z e d i k , österr. Ministerien II, S. 274 ff. — Vor allem Κ a i ζ 1 s, Ζ mého zivota Bd. 1—3 und die Auszüge daraus in der „Neuen Freien Presse" vom 8. Mai 1914, S. 7; 9. Mai S. 8; 12. Mai S. 6; 13. Mai S. 5 f.; 14. Mai S. 2; 15. Mai S. 3; dazu die Stellungnahmen und sachlichen Ergänzungen: C. Brockhausen NFP 10. Mai 1914 S. 2 ; Leitartikel 13. Mai 1914 (Abendblatt) ; Κ. M. Herrmann 14. Mai 1914 S. 3; Stephan v. Licht 16. Mai S. 2; J. Turnwald 17. Mai S. 3; Leitartikel (Die Unhaltbarkeit des Fürsten Thun) 18. Mai S. 1 und S. 3; 19. Mai S. 3; 24. Mai S. 8.

Wahlreform, Neuwahlen und Majoritätspläne

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politische Vereinigung der liberalen Deutschen und Tschechen zu einer großen Parlamentsmajorität war von Anfang an Badenis großer Traum, denn er war von der Vorstellung besessen, daß er für den Ausgleich mit Ungarn eine feste Majorität brauche und daher die Tschechen gewinnen müsse. An dieser Tatsache ändert nichts die von Karel Kramáí aufgestellte Behauptung, es bedeute eine unverdiente Ungerechtigkeit Badeni gegenüber, die Veranlassung zur Herausgabe der Sprachenverordnungen so darzustellen, „als hätte er das alles nur zu dem Zwecke angestrebt, um sich der böhmischen Stimmen für den österreichisch-ungarischen Ausgleich zu vergewissern"21). Nun war zwar Badeni „keineswegs genötigt, zur Sicherung des Ausgleiches mit Ungarn erst die Zustimmung der Tschechen durch die Sprachenverordnungen zu erkaufen", denn er hätte „vielmehr ebenso wie bisher weiterarbeiten können"22). Mehr als an einer Stelle aber hält Joseph Maria Baernreither in seinem Tagebuch fest, daß ihm Badeni erklärte, „er habe sich dem Kaiser gegenüber verpflichtet, den Ausgleich zustande zu bringen und dazu bedürfe er der Tschechen". Badeni war von dieser Notwendigkeit überzeugt und suchte durch geheime Abmachungen seinen Plan zu sichern. Er fand einen Bundesgenossen in Baernreither, den Karl von Grabmayr in seinen Erinnerungen23) „eine Verkörperung des krassesten Egoismus" und „ein Talent, aber kein Charakter" nennt. In den Künsten der parlamentarischen Intrigen wie kaum ein anderer gewandt und erfahren, verband sich in Baernreither „mit seltener Begabung, vielseitiger Bildung und größter Arbeitskraft ein glühender, nimmersatter Ehrgeiz, der ungehemmt durch irgendein moralisches Bedenken schonungs- und rücksichtslos gegen wirkliche und vermeintliche Gegner persönlichsten Zielen zustrebte". So gelang ihm durch seine geistige Überlegenheit wohl Anhänger und Gefolgschaften, aber keine Freunde zu gewinnen. In der Vereinigten Linken „ein unverbesserlicher Frondeur und trotz seines anerkannten Talents durch die überwiegende Autorität Pleners in Schranken gehalten", begann Baernreither schon lange vor den Neuwahlen, von Badeni unterstützt, seine Fäden zu spinnen, um im neuen Haus eine selbständige Gruppe des Großgrundbesitzes unter seiner Führung zu organisieren und gestützt auf solche Gefolgschaft zur heißersehnten Macht zu gelangen. Badeni seinerseits hoffte durch Baernreither zu jener Mittelpartei zu gelangen, die er in der Majorität brauchte und deren Aufgabe es sein sollte, zwischen der deutschsprachigen Linken und der slawischklerikalen Rechten ausgleichend zu wirken. Außerdem rechnete Badeni damit, daß die „Vereinigung der Verfassungstreuen Großgrundbesitzer" einen Kristallisationspunkt für alle gemäßigten Elemente und Fraktionen darstellen würde, deren er sich zu versichern suchte. So weihte er den Kärntner Abgeordneten Dr. Otto Steinwender, unter den Männern, die sich vom nationalen Radikalismus abwandten, vielleicht der wertvollste, und den Abgeordneten der deutschböhmischen Städte Karlsbad, Joachimsthal, Kaaden Dr. Viktor Wilhelm Ruß in das Grundsätzliche seines Planes ein. Josef Penizek nennt Steinwender eine „Säule" und einen „Hauptpfeiler" in den Vorbereitungen Badenis und er vermutet, daß es Steinwender deshalb war, weil dieser einmal gesagt, „die deutsch-böhmischen Streitereien fangen schon an, ihm fad zu werden. Vielleicht auch aus dem Grunde, weil er in einem Lucidum intervallum sich geäußert 2l

) K. K r a m á í , Böhmische Politik S. 19. ) P. Μ o 1 i s c h, Sprachenverordnungen S. 6. 23 ) K. G r a b m a y r , Erinnerungen S. 43 f. und S. 132. — Vgl. auch J. R e d l i c h , Joseph M. Baernreither S. 26. — G. Κ o 1 m e r, Parlamentarisches Jahrbuch V, 1897/98, S. 153 f. 2I

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

hatte, vom deutschen Standpunkte seien die Sprachenverordnungen gut. Vielleicht auch wegen seines Ausspruches, ihm und seiner Partei sei hauptsächlich an wirtschaftlichen Reformen gelegen."24) Badeni hat mit einer gewissen Interesselosigkeit und Eifersucht der nationalen Abgeordneten aus den Alpenländern gegenüber der deutsch-böhmischen Frage gerechnet und so gehofft, die deutschfortschrittlichen Abgeordneten Böhmens zu isolieren. Er versicherte sich auch des Freiherrn Johann von Chlumecky, der von 1885 an bis zum 22. Jänner 1897 dem Präsidium des Abgeordnetenhauses als Vizepräsident und Präsident angehört hatte, große Geschäftskenntnis besaß und oft genug entscheidenden Einfluß auf den Gang der parlamentarischen Geschäfte und tätigen Anteil bei der Bildung der drei Ministerien seit 1893 genommen hatte25). Chlumecky, der das Ministerium Badeni in dessen „glücklicher" Periode tatkräftig unterstützte, hat am 18. September 1896 in einer eingehenden Denkschrift die Absicht einer Ralliirung aller liberalen Elemente in Österreich durch Aussöhnung der Jungtschechen mit den Deutschliberalen herbeizuführen, warm begrüßt. Die Idee an sich war ja nicht neu, denn bereits Plener hatte sie konzipiert; er war allerdings am Widerstand des Grafen Thun gescheitert, der als böhmischer Statthalter einer Aufhebung des Ausnahmezustandes, der Voraussetzung für eine Versöhnung, hartnäckig widerstrebt hatte. Chlumecky hat in seinem Memorandum an Badeni jedoch dringend vor einseitigen Verfügungen gewarnt, da die Regierung in diesem Falle „nicht bloß mit der schärfsten Opposition des fortgeschrittenen nationalen Teiles der nicht klerikalen Deutschen, sondern insbesondere auch mit der Opposition des vorwiegend politisch fühlenden rechten Flügels der deutschliberalen Partei zu tun haben würde". Zur Verwirklichung seines Planes aber glaubte Badeni in erster Linie die andere Seite, die Tschechen gewinnen zu müssen. Der Preis, den er diesen zu zahlen bereit war, damit sie ins ministerielle Lager übergingen und ihre Zustimmung zu den für Österreich höchst ungünstigen Ausgleichsverhandlungen mit Ungarn gäben, sollte eine den Wünschen der Tschechen entgegenkommende Sprachenverordnung für Böhmen und allenfalls eine gleiche für Mähren sein. Hier aber hatte die Rechnung Badenis jenes große Loch, von dem Karl von Grabmayr spricht, durch das sich die gesamte Konzeption als eine Fehlspekulation erweisen sollte. Badeni und seine Berater rechneten damit, daß die Deutschen die Sprachenverordnung als den an die Tschechen zu zahlenden Kaufpreis, wenn auch widerwillig und brummend, letztlich aber doch hinnehmen würden. So ging es ihm darum, Baernreithers und seiner zu begründenden Partei sicher, die Brücke zu den Tschechen zu schlagen. Bereits im Oktober 1895, kurz nach seinem Amtsantritt, hatte Badeni beim Kaiser die Aufhebung des über zwei Jahre schon über Prag verhängten Ausnahmezustandes und die Begnadigung der 77 wegen der „Omladinaverschwörung" Verurteilten erwirkt und damit die erste Bedingung der Jungtschechen erfüllt, die von diesen als Voraussetzung für ihr Aufgeben der Opposition gestellt worden war. Das zweite Zugeständnis an die Tschechen war die Enthebung des Grafen Thun als ) J. Ρ e η i í e k, Bewegte Zeiten S. 51. — Daß Steinwender eingeweiht war, bezeugt auch Κ. v. G r a b m a y r , Erinnerungen S. 44. — Nach Peniiek verständigte Badeni im Dezember 1895 die deutschen Vertrauensmänner Baernreither, Russ, Lippert und Bareuther von seiner Absicht, die Gleichberechtigung der tschechischen Sprache im inneren Dienst anzuerkennen. Die „Reichspost" brachte am 1. Dezember 1895 die Mitteilung, daß ein solches Gerücht vorhanden sei. 25) R. S i e g h a r t , Die letzten Jahrzehnte S. 411. — Β. Β r e t h o 1 ζ, Johann Frh. ν. Chlumecky S. 86 ff. — G. Κ o 1 m e r, Das Herrenhaus S. 93 f.

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Vorverhandlungen mit den Tschechen

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böhmischen Statthalters im Jänner 1896, das dritte sollte die Sprachenverordnung werden. Badeni soll sich bereits als galizischer Statthalter geäußert haben, „die innere böhmische Amtierung wäre der point d'honneur für das böhmische Volk und zugleich eine Ehrenpflicht Österreichs ihm gegenüber". Die Idee, daß es ihm möglich sein müßte, durch eine Sprachenverordnung für Böhmen einen definitiven Ausgleich zwischen Tschechen und Deutschen zu schaffen, brachte er aus Lemberg mit. Er ging von dem Lehrsatz aus, daß eine Allianz ungleicher Kompaziszenten eine contradictio in adiecto ist, da dies ein Vertrag, bei welchem der Schwächere im Nachteil sein muß ; er glaubte, daß ein Ausgleich in Böhmen leichter durchführbar wäre, wenn die Tschechen im Besitz der gleichen Rechte wie die Deutschen sein würden und die Deutschen den Tschechen nicht erst etwas bei den eigentlichen Ausgleichsverhandlungen zu konzedieren brauchten, „was jenen eigentlich nicht gehörte, nämlich die innere böhmische Amtssprache. In dieser letzten Hinsicht stimmten seine Anschauungen mit jenen der böhmischen Abgeordneten überein."26) Badeni war in seiner Selbstsicherheit davon überzeugt, daß er ausersehen sei, „die Schuld des Staates an den Tschechen" zu tilgen, die „Abzahlung" zu leisten. So begann er nach vorausgegangenen inoffiziellen Fühlungnahmen vor seiner Berufung bereits im November 1895 als Ministerpräsident mit den Tschechen über die Regelung der Sprachenfrage in Verhandlungen einzutreten27), sich vorerst auf den nationalfreisinnigen tschechischen Abgeordneten Gustav Eim stützend, der seine Parteigenossen zur Aufgabe der Opposition und zur Annahme einer abwartenden Haltung zu bewegen versuchte. Eim, der im Prager Universitätsprofessor Dr. Josef Kaizl den Hauptvertreter jener Richtung sah, die bedingungslos die neue Regierung bekämpfen wollte, versuchte eine Zusammenkunft zwischen Badeni und Kaizl zu vermitteln, die zu Kaizls Erstaunen am 15. November 1895 wirklich zustande kam und die Kaizl den ersten Schritt zum Verlassen der bedingungslosen Opposition bezeichnete. Eim, der weiterhin der Verbindungsmann Badenis blieb, teilte drei Tage später Kaizl mit, daß Badeni die Frage der inneren Amtssprache in Böhmen und Mähren nach dem Grundsatz der völligen sprachlichen Gleichberechtigung lösen wolle, die Errichtung eines tschechischen Landsmannministeriums, einer tschechischen tierärztlichen Hochschule und einer tschechischen Universität in Mähren plane, die Entlassung Thuns vorhabe und eine Reform der Wahlordnung beabsichtige. Bei den Verhandlungen am 19. November konnte trotzdem keine Einigung erreicht werden, da Badeni als Gegenwert für seine Zugeständnisse die Beendigung der tschechischen Opposition im Reichsrat verlangte, Kaizl zögerte, eine entsprechende Zusage zu geben. Wiederum war es Eim, durch den Badeni vertraulich wissen ließ, er beabsichtige die Bildung einer Parlamentsmajorität aus Polen, Tschechen, gemäßigten Deutschen und böhmischen Großgrundbesitzern, die Umgestaltung seines Kabinetts auf parlamentarischer Grundlage und die Berufung Kaizls in dieses Ministerium. Das Mißtrauen Kaizls änderte sich zwar noch immer nicht, doch war er elastisch genug, sich der neuen 26 2;

) K. K r a m á f , Böhmische Politik S. 19. ) J. P e n i i e k , Bewegte Zeiten S. 55 f. — Nach J. Ρ a t ζ e 11 (österr. Jahrbuch 1897, S. 7) war bekannt, daß Badeni „die Einführung der internen tschechischen Amtssprache in Böhmen" den Jungtschechen „bereits vor seinem formellen Amtsantritte in Aussicht gestellt hatte". Vgl. A. C ζ e d i k, österr. Ministerien II, S. 45. Am 5. Februar 1897 nannte Vasaty im böhmischen Landtag, Badeni einen „redseligen Propheten", der schon im Dezember 1895 die innere tschechische Amtssprache versprochen und bis jetzt noch nicht eingeführt habe.

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

Situation anzupassen und in einer Audienz beim Kaiser zu erklären, daß die Tschechen hofften, mit den Deutschen in ein besseres Verhältnis zu treten. Mit den radikalen Jungtschechen nahm Badeni am 6. Dezember die Fühlung auf, sich an Dr. Julius Grégr mit der Frage wendend, auf welcher Basis eine Verständigung der Regierung mit den Tschechen möglich wäre. Grégr verlangte als Voraussetzung die Anerkennung des böhmischen Staatsrechtes, doch riet Eim Badeni von der Verwirklichung dieser staatsrechtlichen Forderung ab28). Er versuchte Zugeständnisse in der Sprachenfrage zu erreichen und Badeni vom Wert der tschechischen Stimmen bei der Erledigung des Ausgleiches mit Ungarn zu überzeugen. Bei einer Konferenz mit den tschechischen Vertrauensmännern am 22. Dezember 1895 hat Badeni, nach dem Tagebuch Kaizls, die Einführung der sprachlichen Gleichberechtigung bei den staatlichen Behörden von Böhmen in Aussicht gestellt und davon gesprochen, daß er von den Beamten die Kenntnis der zweiten Landessprache verlangen werde. Diese Neuerung verlangte Badeni aber in einer Weise vollzogen, welche die Deutschen nicht verletze, da er Tschechen und Deutsche als gleichberechtigte Partner behandeln wolle29). Nach Weihnachten gerieten die Verhandlungen zwischen Badeni und den Tschechen ins Stocken, da diese im böhmischen Landtag den Statthalter Graf Thun gleich bei seiner Begrüßungsansprache beschimpften, noch während seiner Rede demonstrativ den Saal verließen und nicht bereit waren, irgendwelche Zugeständnisse zu machen. In dieser Eröffnungssitzung des Landtages am 28. Dezember 1895 haben die Jungtschechen und der tschechischfeudale Großgrundbesitz eine Adresse an den Kaiser eingebracht, die in der Bitte um legislative und administrative Unabhängigkeit der Länder der böhmischen Krone gipfelte. Der Antrag des böhmischen Großgrundbesitzes, in den Mittelschulen Böhmens die zweite Landessprache jeweils als Pflichtfach einzuführen, wurde von den Tschechen, die das Aufkommen eines doppelsprachigen Beamtenkorps deutscher Nationalität in Böhmen verhindern wollten, und von den Deutschen abgelehnt. Der deutsche Antrag auf Errichtung nationaler Kurien wurde niedergestimmt. Als im Februar 1896 der Landtag geschlossen wurde, war keine positive Arbeit geleistet worden. Die Tschechen aber erhoben das ganze Jahr hindurch im Abgeordnetenhaus nationale Forderungen oder Einsprüche. So wurde der Antrag auf Gleichberechtigung beider Landessprachen in Böhmen und Mähren wiederholt. Dabei wirkte sich der nationale Hader im deutschböhmischen Siedlungsraum unmittelbar aus. Tschechische Turn- und Gesangvereine veranstalteten Ausflüge in das geschlossene deutsche Sprachgebiet, während deutsche Abgeordnete auf Wanderversammlungen den Nationalismus ihrer Wähler stärkten. Vermeintliche und wirkliche Provokationen lösten Exzesse aus, 28

) Damit stimmt die Bemerkung von J. P e n i z c k in seinem Nachruf vom 8. Februar 1897 auf Gustav Eim überein, daß durch einige tschechische Blätter jüngst das Gerücht gegangen sei, Eim hätte ein Buch gegen das böhmische Staatsrecht fertig. Zuvor hebt Penizek den Anteil Eims am Zustandekommen der Badenischen Sprachenverordnungen hervor: „Noch ist die Zeit nicht gekommen, um darzulegen, inwieweit er teils an schon vollzogenen, teils an vorbereitenden Dingen teilnahm. Allein der Wahrheit und Wirklichkeit gemäß muß ich konstatieren, daß sie hauptsächlich sein Werk sind, daß sie das Ergebnis sind einer stillen, aber intensiven Arbeit, seiner Sorge und Mühe und daß er in die Entwicklung und Wendung anfangs des Jahres 1897 am tatkräftigsten und ergiebigsten eingegriffen hat." (Bewegte Zeiten S. 18 f.) Die Bedeutung Eims für die Realisierung der Sprachenverordnungen hebt auch K. K r a m á f hervor (Böhmische Politik S. 17 f.). î9 ) J. K a i z l , Ζ mého zivota III, S. 546 ff.; S. 396 ff.

Erster Entwurf einer SprachenVerordnung für Böhmen

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so daß die Behörden wiederholt eingreifen mußten. Da wirtschaftliche Aufgaben, vor allem die Ausgleichsverhandlungen mit Ungarn, in den Vordergrund drängten, nahm Badeni die Besprechungen mit den Tschechen erst im Herbst 1896 auf 30 ). Gerüchte über eine kommende Neuregelung drangen in die Öffentlichkeit und wurden noch verstärkt, als Badeni am 6. November im Parlament die Erfüllung sachlich begründeter, mit den allgemeinen Interessen der Staatsverwaltung vereinbarer Anforderungen im Bereich der Justiz und Verwaltungspflege in Aussicht stellte. Mitte Dezember 1896 hatte Badeni seinen Entwurf der Sprachenverordnung für Böhmen fertiggestellt, mit der er die Tschechen an die Regierung binden und den nationalen Hader in Böhmen für immer zu schlichten und zu beenden hoffte31). Am 17. Dezember 1896 kam es zu einer offiziellen Konferenz zwischen Badeni einerseits und Herold, Kaizl und Pacák als Vertreter des Ceskyklub andrerseits, die an dem Entwurf bemängelten, daß er sich nicht auch auf Mähren bezog, daß er erst in fünf Jahren in Kraft treten solle, daß er nicht die Normalisierung der inneren Amtssprache bringe und daß er keine Bestimmungen über die Doppelsprachigkeit der Beamten enthalte. Über Kaizls Bitte übergab ihm Badeni den genauen Text des Verordnungsentwurfes, der am 18. Dezember von den jungtschechischen Abgeordneten beraten wurde, die einige wesentliche Änderungen verlangten32), welche teilweise, so die Erweiterung der Verordnung auf Mähren und die Reform der Sprachenfrage in Schlesien nicht unbegründet, teilweise, wie die sofortige Gültigkeit der Verordnung und die Einbeziehung des Landesverteidigungs- und Eisenbahnministeriums in den Wirkungskreis der von den Verordnungen betroffenen Behörden, allzu weitgehend waren33). Am 9. Jänner 30

) Bei der Versammlung der tschechischen Reichsratsabgeordneten in Prag am 9. Juni 1896 stellten Johann Kaftan, Dr. Eduard Grégr und Dr. Jan Vasaty den Antrag, „daß durch eine Deputation bei Badeni festgestellt werde, was er will". Der Antrag wurde abgewiesen. (J. K a i z l , Ζ mého zivota I I I , S. 532; danach Strafurteil des k. k. Landwehrdivisionsgerichtes gegen K. Kramár S. 152.) 31 ) Gertraud H a n s e l , Die tschechischen Stellungnahmen. Diese Wiener Dissertation hat als Quellen die Reden der tschechischen Abgeordneten, die Artikel und Berichte der wichtigsten tschechischen Zeitungen der Jahre 1897 bis 1900 und Kaizls Tagebuch verarbeitet und verschiedene Werke in tschechischer Sprache als Literatur herangezogen. 3a ) Text des tschechischen Entwurfes bei J. Κ a i ζ 1, Ζ mého zivota I I I , S. 547 ff. Anm. Am gleichen Tag berichtet das Wiener „Deutsche Volksblatt": „In parlamentarischen Kreisen taucht wieder mit aller Bestimmtheit die Nachricht auf, daß der Eisenbahnminister von Guttenberg nach Auflösung des Abgeordnetenhauses von seinem Posten zurücktreten werde. Als seinen voraussichtlichen Nachfolger nennt man einerseits Herrn von Bilinski, der im Finanzministerium absolut nicht heimisch werden kann, andrerseits den jungtschechischen Abgeordneten Dr. Kaizl. Letztere Kombination hat selbstverständlich den Übertritt der Jungtschechen ins Regierungslager zur Voraussetzung, entspricht aber übrigens weniger den jungtschechischen Wünschen, als denen der maßgebenden polnischen Kreise. Von jungtschechischer Seite beruft man sich darauf, daß Abgeordneter Kaizl eine Kapazität im Eisenbahnwesen sei, in Wirklichkeit wäre ihnen das Eisenbahnministerium wohl deshalb lieber als das Finanzministerium, weil sich Herr Kaizl an dessen Spitze sehr bald abnützen würde." 33 ) Außerdem verlangten die Tschechen die ausdrückliche Außerkraftsetzung der Erlässe des Justizministeriums vom 23. Mai und 30. Juni 1852 (A. F i s c h e i , Sprachenrecht Nr. 213, 214), durch die für den inneren Dienst ausschließlich die deutsche Sprache zu verwenden war, obwohl diese beiden Erlässe durch den Badenischen Verordnungsentwurf an sich aufgehoben schienen. Badeni ist auf dieses, demonstrative Zwecke verfolgende Begehren nicht eingegangen.

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

1897 erhielt Kaizl von Badeni den revidierten Text des Sprachenverordnungsentwurfes, der die wichtigsten Verbesserungsvorschläge der Tschechen berücksichtigte. Außerdem war von Badeni ein Entwurf der Bestimmungen über die sprachliche Qualifikation der Beamten ausgearbeitet worden, der ebenfalls Kaizl zur Stellungnahme übersandt wurde und der um einige Punkte, so hinsichtlich Vorschriften für eine sprachliche, mündliche und schriftliche Aufnahmsprüfung für Konzeptsbeamte, von den Tschechen vermehrt wurde. Auf diese Wünsche ging Badeni teilweise ein und versprach die Herausgabe der Verordnungen noch vor den Wahlen in den Reichsrat. Am 23. Jänner erstattete Badeni in Anwesenheit des böhmischen Statthalters Graf Coudenhove dem Kaiser Bericht. Gerüchte über diese Audienz veranlaßten den Führer der Deutschen Fortschrittspartei im böhmischen Landtag Dr. Ludwig Schlesinger34) zu einer Anfrage im böhmischen Landtag. Graf Coudenhove antwortete am 5. Februar 1897, daß nichts geschehen werde, was einer objektiven Würdigung der kulturellen und nationalen Bedeutung des deutschen Volkes hinderlich sei, eine Erklärung, die bei den Tschechen das alte Mißtrauen gegen Badeni wiederum wachrief. Inzwischen hatte Badeni die Verhandlungen mit den Deutschen aufgenommen, und hier beginnt nun die eigentliche Tragik der Sprachenverordnungen. Badeni wollte durch die Forcierung der Erlassung der Sprachenverordnung angesichts der für den Reichsrat ausgeschriebenen Neuwahlen die Bildung der Mehrheit im Abgeordnetenhaus, mit der er regieren konnte, voraus in bestimmte Wege leiten. Darum hatte er es eilig. Die deutschen Abgeordneten aber dachten nur an die Wahlchancen der nächsten Tage35). Da die Besprechung Badenis mit dem Führer der Deutschböhmen Dr. Schlesinger am 21. Dezember 1896 ergebnislos verlief, wollte Badeni den polnischen Landsmannminister Dr. Eduard Rittner mit den Entwürfen eines Kuriengesetzes und der Sprachenverordnung noch während der Tagung des böhmischen Landtages nach Prag senden, um Verhandlungen mit den beiden nationalen Parteien und dem Verfassungstreuen und Konservativen Großgrundbesitz einzuleiten und die Voraussetzungen für eine Verständigung zu gewinnen. Dieses Angebot Badenis, der den Deutschen außer dem Kuriengesetz als Gegenwert für die Sprachenverordnung die Kreierung einer deutschen Akademie der Wissenschaften in Prag in Aussicht stellte, wurde von Baernreither den liberalen Deutschen in Prag überbracht, die jedoch ablehnten, da sie befürchteten, daß durch solche Verhandlungen den Deutschnationalen, die davon ausgeschlossen bleiben sollten, eine gefährliche Waffe für den bevorstehenden Wahlkampf in die Hand gegeben würde. Gegen den Vorwurf, daß die liberalen Deutschen durch diese glatte Zurückweisung sich der Möglichkeit beraubten, Einfluß auf den Inhalt der Sprachenverordnungen zu nehmen und dadurch Verbesserungen im deutschen Sinne zu erzielen, argumentiert Paul Molisch, daß es ohnehin fraglich sei, ob sie Aussicht gehabt hätten, mit wesentlichen Einwänden durchzudringen, da zwischen der vom Ministerpräsidenten unterstützten tschechischen Forderung nach völliger Gleichberechtigung der tschechischen Sprache auch in Deutschböhmen und der von den Deutschen verlangten Wahrung der Einsprachigkeit ihres geschlossenen Sprachgebietes ein unüberbrückbarer Gegensatz bestand36). Auf diese Weise läßt 34

) Zu seiner Würdigung als böhmischer Geschichtsforscher vgl. den Nachruf von A. B a c h m a n n , Ludwig Schlesinger. ) J. M. B a e r n r e i t h e r , Verfall des Habsburgerreiches S. 1 ff. 3β ) Μ o 1 i s c h, Badenische Sprachenverordnungen S. 8. M

Vorverhandlungen mit den Deutschen

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sich nachträglich die Haltung der Deutschböhmen, die „ganz von der Furcht vor den bevorstehenden Wahlen beherrscht waren", nicht rechtfertigen. Baernreither klagt in seinem Tagebuch, daß die Deutschen nicht, gleich den Tschechen, in der Sprachenverordnung initiativ vorgehen und sich ganz von den Wahlgeschäften in Anspruch nehmen lassen. Man hat später, schreibt er wörtlich, „Badeni immer vorgeworfen, daß er nur mit den Tschechen verhandelt habe, sein Bestreben war aber von vornherein, auch mit den Deutschen in Konnex zu kommen — aber diese versagten sich beharrlich"37). Die Taktik Badenis, nur mit den Deutschliberalen, und zwar vor den Wahlen, verhandeln zu wollen, war allerdings falsch, da er die Stimmungen des Wahlkampfes, die auf den Gang von Verhandlungen nicht ohne Einfluß bleiben konnten, nicht bedachte. Weniger zutreffend ist schon der weitere Einwand, den Molisch erhebt, es habe ihm zu dieser Zeit auch kein Parteiführer verläßliche Zusagen machen können, denn die tschechischen Parteiführer haben es eben doch getan. Baernreither, den Badeni am 24. Jänner und 10. Februar um seinen Besuch bat38), spricht von einer „Furcht, irgendeinen entscheidenden politischen Gedanken zu fassen und unbekümmert daran festzuhalten", und er nennt Schlesinger „schwerfällig", so daß dieses Spiel der Tscheche gewinnen mußte. Im Ministerrat machte Badeni am 8. Februar vorläufige Mitteilung von seinem Vorhaben39), eine Sprachenverordnung für Böhmen zu erlassen. Der Entwurf befinde sich in Arbeit und werde nach Fertigstellung den Ministern mitgeteilt werden. Badeni kündigte an, daß er zur Beratung eine eigene Konferenz in Aussicht nehme und bei dieser Gelegenheit darlegen werde, was ihm den Anlaß zur beabsichtigten Hinausgabe einer solchen „Verordnung geboten habe und was für einen Erfolg die Regierung sich von dieser Maßnahme erwarten solle und notwendig erwarten müsse. Es werde dies mit einer Schilderung der politischen Situation verknüpft sein müssen, wie der Ministerrat sich dieselbe im neuen Parlament denke, und mit einer Darstellung der Haltung, welche nach seiner Ansicht die Regierung gegenüber derselben einzunehmen haben wird." Obwohl Badeni den Jungtschechen die Erlassung der Sprachenverordnung noch vor den Reichsratswahlen versprochen hatte, fand die angekündigte Beratung im Ministerrat auffallenderweise erst am 20. und 21. Februar statt40). ") B a e r n r e i t h e r , Verfall des Habsburgerreiches S. 4 f. Anm. 1. ) Wien H.H. St.Α., Baernreither, Nachlaß B, Kart. 47. 3> ) M.R.Z. 6/III vom 8. Februar 1897. — Die Originalprotokolle des k. k. Ministerrates gingen beim Brand des Justizpalastes am 15. Juli 1927 zugrunde. Im Verwaltungsarchiv Wien konnten jedoch Abschriften aufgefunden werden, die sich anscheinend J. Kaizl als Finanzminister im Kabinett Thun für sich und sein Ministerium anfertigen ließ. Politisch unbedeutende Beratungspunkte, wie Erwirkung von Orden, sind bei der Abschrift weggelassen worden, ebenso Punkte, die sich auf die Südslawen beziehen. Die Verhandlungen im Ministerrat über die Sprachenverordnungen Badenis sind in der Abschrift ausnahmslos, ebenso wie alle anderen in diese aufgenommenen Punkte im vollen Wortlaut der Originalprotokolle übernommen. 40 ) Die ausführliche Behandlung der Beratungen der Sprachenverordnung durch den Ministerrat im folgenden war notwendig und unerläßlich, da sich durch diese Quelle von hervorragender Wichtigkeit der Weg zur richtigen und objektiven Beurteilung Badenis und seiner Sprachenpolitik finden läßt. Paul Molisch, der die Ministerratsprotokolle benützte, hat ein Gesamtbild zu geben versucht, aber gerade der Ablauf der Debatte im einzelnen ist von aufschlußreicher Bedeutung. Hätte Badeni ein großangelegtes politisches Konzept gehabt, er hätte es bei Gelegenheit der prinzipiellen Diskussion vorgebracht. Der innere Zwiespalt des Kabinetts wird an vielen Stellen offenbar. Mit P. Μ o 1 i s c h (Sprachen-

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V. Badems Versuch mit untauglichen Mitteln

Dabei stand Badeni auf dem wie er sagte „einzig möglichen Standpunkt", daß die Regierung auch dem neuen Reichsrat gegenüber im wesentlichen bei ihrem Programm zu verbleiben habe, sich gegenüber den Parteien freie Hand wahren und die Gestaltung des Verhältnisses zu ihnen vorbehalten müsse. Damit stehe im Einklang, was bisher hinsichtlich der Tschechen geschehen sei. Seitens der Regierung müsse hilfreiche Hand geboten werden, um einerseits ein Einverständnis zwischen Deutschen und Tschechen in Böhmen herbeizuführen und andrerseits den Tschechen eine entsprechende Anteilnahme an den Verhandlungen des Reichsrates zu ermöglichen und sie für eine künftige Reichsratsmajorität zu gewinnen. In dieser Richtung einen ernsten Versuch zu machen, halte er die Regierung verpflichtet. Als Grund für die Betreibung der Sprachenverordnung gerade in diesem Zeitpunkt gab Badeni seine Sorge um die Konstellation der Parteiverhältnisse im neugewählten Parlament an. Er ging von der Rechnung aus, daß von den 425 Abgeordneten, die das Parlament von nun an haben sollte, etwa 85 Tschechen, 78 Galizianer, 30 Südslawen und 20 Italiener sein werden. Diese 213 Abgeordneten würden zwar die Mehrheit, jedoch nicht eine Majorität bilden, mit der es möglich wäre, weiterzukommen. Daher müßten die Deutschen in die Majorität einbezogen werden, wobei Badeni aber betonte, „daß darunter nicht mehr wie früher die Deutschliberale Partei zu verstehen sein wird". Er glaubte nämlich auf Grund der Zusagen und der Bestrebungen Baernreithers, daß die Mitglieder des deutschen Großgrundbesitzes einen Kristallisationspunkt darstellen könnten, an den sich noch eine Reihe anderer gemäßigter Elemente anschließen würde, so daß er doch eine Gruppe liberal gesinnter deutscher Abgeordneter in der Majorität gehabt hätte, und zwar in Form einer von der früheren Deutschliberalen Partei verschiedenen Vereinigung mit fortschrittlicher Tendenz. Über die wahrscheinliche Gruppierung dieser erstrebten regierungsfreundlichen Mittelpartei konnte Badeni nichts Genaueres sagen, sprach sich aber dafür aus, daß sich die Regierung so zu ihr stelle, daß ihr ein Zusammengehen mit der Regierung erleichtert werde, falls sie ein solches anstrebe. „Nur um die extremen Parteien — Klerikale, Deutschnationale, Antisemiten u. dgl. — werde sich die Regierung nicht bewerben; diesen Elementen vermöchte seines Erachtens die Regierung keine Versprechungen zu machen, sich auf keine Verpflichtungen einzulassen. Wollen sie die Regierung unterstützen, so werde das ihre Sache sein." Die Regierung hätte, fuhr Badeni weiter fort, bei ihrem Amtsantritt die Tschechen in einem Stadium größter politischer Erregung vorgefunden. Die Aufhebung des Ausnahmezustandes in Prag, zur Beseitigung dieser Erregung geschehen, wäre nicht als eine Konzession zu betrachten gewesen, ebensowenig die Amtsenthebung des Statthalters Graf Thun, die nach der ungeteilten Überzeugung des Kabinetts absolut geboten gewesen sei. Seither habe sich durch das persönliche Entgegenkommen der Regierungsmitglieder ein freundlicher Verkehr mit den Tschechen herausgebildet, und nur durch diesen sei es möglich gewesen, daß eine Reihe von wichtigen Dingen ohne Bestand einer eigentlichen Majorität unter Mitwirkung auch dieser Seite durchgesetzt werden konnte. Diese Situation wäre weiterhin nicht haltbar, denn es sei nichts geschehen, um die günstige Lage, zu der es die Regierung durch ihr persönliches Eingreifen gebracht habe, zu stabiliverordnungen S. 5) ist allerdings festzuhalten, daß die Ministerratsprotokolle kein vollständiges Bild der Verhandlungen geben, „da oft wichtige Dinge absichtlich nicht aufgenommen wurden. Allein, das in ihnen Enthaltene kann als tatsächlich bei der Beratung vorgebracht gelten, zumal jedes Protokoll sämtlichen Ministern zur Durchsicht zugestellt und nach allfälliger Berichtigung von ihnen beglaubigt wurde."

Der Ministerrat vom 20. Februar 1897: Badenis Standpunkt

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sieren. Wenn aber die Notwendigkeit anerkannt werde, daß in dieser Beziehung etwas geschehe, dann sei es seine innerste Überzeugung, daß mit einer Sprachenverordnung der Anfang zu machen sei. Badenis Unkenntnis der innigen Verquickung aller nationalen Probleme in Böhmen und deren Belastung mit der staatsrechtlichen Forderung der Tschechen belegt seine in diesem Zusammenhang gemachte Feststellung: „Der Irrtum bei den bisherigen Ausgleichsversuchen sei nach Seiner Ansicht darin gelegen gewesen, daß man über alles andere, nur nicht über das, was den wesentlichsten Stein des Anstoßes bildete, sich vereinbart habe. In Beziehung auf die sprachlichen Verhältnisse kam es zu keiner Auseinandersetzung, wiewohl man zugeben müsse, daß — wenn diese Frage aus dem Weg geräumt wäre — alle anderen Schwierigkeiten sich leichter beheben ließen." Die Einseitigkeit seines Vorgehens wollte Badeni nicht erkennen. Er glaubte, es genüge den Deutschen, die ihnen nach dem Gewicht ihrer Volkszahl gebührende Stellung im Lande zu sichern. Es sei etwas anderes, wenn die Wahrung allgemein staatlicher oder militärischer Interessen in Frage käme, den Deutschen aber „lediglich aus dem Gesichtspunkte ihrer traditionellen Stellung in Österreich auch in der Öffentlichkeit und im Parteienverkehr eine gewisse Präferenz einzuräumen", sei nach seiner Ansicht zu vermeiden, sonst werde es unmöglich sein, die strittigen Fragen aus der Welt zu schaffen und die Tschechen zufriedenzustellen. Mit Rücksicht auf die Einheit des Dienstes und die militärischen Interessen wolle er „das absolut Notwendige gesichert" wissen, im übrigen für keine der beiden Landessprachen einen Vorrang in der Öffentlichkeit schaffen. Außerdem glaube er nicht, daß durch die sprachliche Gleichstellung der Deutschen und Tschechen in Böhmen das Deutschtum zum Schaden des Staates geschwächt werde, da die deutsche Sprache nicht durch eine Verordnung oder im Wege eines Ausgleiches sichergestellt werden könne und der Rückgang in der Kenntnis der deutschen Sprache in Böhmen nicht aufzuhalten sei. Diese Erscheinung habe, soweit sie die Beamtenschaft betreffe, ein Interesse für den Staat und finde ihre Erklärung darin, daß es einem Tschechen möglich sei, seinen ganzen Studiengang von der untersten Stufe an zurückzulegen, ohne sich um die deutsche Sprache umsehen zu müssen. Daß es trotz der deutschen Amtssprache zahlreiche junge Beamte gäbe, die der deutschen Sprache nicht mehr genug mächtig seien, um darin amtieren zu können, liefere den Beweis, daß mit dieser „auch den allgemeinen staatlichen Interessen nicht genügend gedient war". Zu dieser einleitenden Darlegung Badenis nahm als erster, nachdem sich FZM. Graf Welsersheimb als Minister für Landesverteidigung vorerst des Wortes enthielt, Unterrichtsminister Dr. Paul Freiherr von Gautsch Stellung. Hinsichtlich der künftigen Parteienverhältnisse im Abgeordnetenhaus warnte er, eine genaue Schätzung in einem Augenblick abzugeben, wo das Wahlresultat noch nicht abgeschlossen sei. Die von Badeni angeführten Ziffern, so jene der Polen und Südslawen, könnten sich, meinte er, hinsichtlich ihrer politischen Wirkung im Abgeordnetenhaus vielleicht anders darstellen. Die Majorität des künftigen Hauses, die Gruppierung der Parteien, mit der die Regierung zu gehen haben werde, erscheine ihm aber von größter Wichtigkeit. Nach dem Regierungsprogramm vom 22. Oktober 1895 habe die Regierung übrigens nicht von vornherein mit einer bestimmten Majorität gerechnet, sondern durch ihr vorsichtiges Verhalten allen Parteien gegenüber die Möglichkeit erlangt, jener Unterstützung im Parlament teilhaftig zu werden, deren sie zur Erledigung der nächstliegenden Aufgaben notwendig bedufte. In dieser Beziehung schon trete eine Änderung ein. Da sich jedoch eine österreichische Regierung keinesfalls auf eine autonomistische sia-

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

wische Majorität stützen könne, müsse mit aller Entschiedenheit getrachtet werden, eine Gruppe liberal gesinnter Deutscher zu gewinnen. Gautsch betonte, es für seine Pflicht zu halten, schon jetzt zu erklären, daß eine Unterstützung der Regierung durch eine autonomistisch-slawische Majorität seinen persönlichen Grundsätzen auf das entschiedenste widersprechen würde und „er sich einer solchen Situation gegenüber in unlösbarem Gegensatze befände". Die Erfahrungen im Laufe der vergangenen Session hätten gelehrt, wie notwendig es sei, eine Gruppe gemäßigter Deutschliberaler in der Majorität zu besitzen. Zur Zeit des Grafen TaafFe seien große Gebiete wie Niederösterreich und vor allem Wien selbst noch in liberalen Händen gewesen, so daß die Regierung TaafFe stets auf eine große, geschlossene Opposition habe hinweisen und sich dadurch mancher übertriebener Ansprüche seitens der Majoritätsparteien habe erwehren können. Durch die Aufsplitterung und die allgemeine Zerfahrenheit der Parteien — (und den Sieg Luegers in Wien) — stehe zu befürchten, daß das Kabinett der nützlichen Wirkung einer solchen Opposition werde entbehren müssen, weshalb es um so notwendiger scheine, innerhalb der zur Regierung stehenden Parteien eine Kompensation für diesen Mangel zu finden. Speziell sein Ressort betreffend wolle er in Übereinstimmung mit den vom Ministerpräsidenten abgegebenen Versicherungen, die Aufrechterhaltung der Grundsätze der Reichsvolksschulgesetzgebung nicht nur in konfessioneller, sondern auch in autonomistischer Beziehung aufgefaßt wissen41), denn einer autonomistischen Gestaltung des österreichischen Schulwesens, sofern es sich um prinzipielle Dinge handle, könne er mit Rücksicht auf die Folgen einer solchen Vielgestaltung der Schuleinrichtungen unter keiner Bedingung zustimmen. Zum Allgemeinen wieder übergehend, forderte er, daß die Regierung in dem Moment, in welchem sie sich mit der Frage der künftigen Reichsratsmajorität befasse, gewisser Konsequenzen werde eingedenk sein müssen, die sich aus den parteimäßigen Ansprüchen ergeben. Wenn der Ministerpräsident hervorgehoben habe, daß es durch kluges und vorsichtiges Vorgehen der Regierung gelungen sei, zu den Jungtschechen ohne nennenswerte Konzessionen in ein relativ günstiges Verhältnis zu kommen, so sei dies nicht zuletzt dem Umstand zuzuschreiben, daß man in administrativer Beziehung dieser Partei gegenüber sehr nachgegeben habe. Er selbst habe es innerhalb seines Ressorts an einem möglichsten Entgegenkommen gegenüber berechtigten Wünschen nicht fehlen lassen, er entnehme aber daraus, daß dieser Einfluß auf die gesamte Verwaltung sich in verstärktem Maße fühlbar machen müsse, wenn er aus dem Bereich der Majorität heraus erfolge. Trotzdem erklärte Gautsch, er würde begrüßen, wenn es gelingen sollte, neben einer Gruppe liberaler Deutscher, die Jungtschechen ungeachtet ihrer bisherigen radikalen Färbung in den Verband der künftigen Majorität zu bringen. Er werde deshalb bereit sein, sich unter ganz präzise auszusprechenden Voraussetzungen und innerhalb der Grenzen, die hinsichtlich der Erhaltung und Förderung der deutschen Sprache unerläßlich seien, mit vollstem Entgegenkommen an der in Verhandlung stehenden Maßnahme zu beteiligen. Er behalte sich nur vor, bei der Spezialdebatte seinen Standpunkt genauer darzulegen. Bei der weiteren Diskussion werde nämlich darüber Klarheit zu gewinnen sein, „was die Regierung angesichts eines so weittragenden und folgenschweren Schrittes von der Haltung der Jungtschechen 41 )

Während Gautsch sowohl nach der konfessionellen als auch nach der autonomistischen Seite hin diese Frage abgesichert haben wollte, betonte Bilinski im Verlauf der Debatte nur, er teile die Anschauung, daß in der Schulgesetzgebung sich nicht zu weit auf das konfessionelle Gebiet vorgewagt werden dürfe.

Paul F r e i h e r r G a u t s c h von F r a n k e n t h u r n 1851 — 1 9 1 8

Der Ministerrat vom 20. Februar 1897: Gautsch erhebt Bedenken

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hinsichtlich der staatlichen Forderungen werde erwarten dürfen". Kein anderer Minister, auch Graf Gleispach nicht, hat an diesem Tag eine so klare und so scharfe Stellungnahme abgegeben, und Gautsch wird bei allen Verhandlungen über die Sprachenfrage letztlich in seinem grundsätzlichen Widerspruch zum Ministerpräsidenten verharren. Nach Gautsch sprachen Finanzminister Doktor Ritter von Bilinski, Eisenbahnminister FML. Ritter von Guttenberg, kurz Handelsminister Freiherr von Glanz, Justizminister Graf Gleispach, und im Verlauf der Debatte Minister Dr. Rittner. Sie alle betonten, „daß ohne die Deutschen nicht zu regieren" (Guttenberg), „schon vom Standpunkt des österreichischen Staates dringend zu wünschen sei, daß die Deutschen in der Majorität zahlreich vertreten seien" (Bilinski)42), „daß es höchst wünschenswert, ja notwendig ist, wenn in der künftigen Majorität auch die Deutschen Vertretung finden" (Rittner) und „daß die Heranziehung Zumindestens eines Teiles der gemäßigten Deutschen absolut notwendig ist und alles daran gesetzt werden solle, um dies zu ermöglichen" (Glanz). Graf Gleispach ging einen Schritt weiter und rüttelte damit an Badenis Traumbild. Mit den Parteien, und insbesondere mit den gemäßigten Deutschen, deren Heranziehung zur Majorität er als eine conditio sine qua non für die Zukunft der Regierung ansehe, sei notwendigerweise in Fühlung zu treten, um nicht von vornherein eine Situation zu schaffen, welche die Einbeziehung dieser gemäßigten Elemente unmöglich mache. „Die Regierung dürfe sich keiner Illusion darüber hingeben, daß die in Rede stehende Verordnung, wenn sie — sei es in der einen oder anderen proponierten Form — an die Öffentlichkeit gelangt, unter den Deutschen in Böhmen die stärkste Bewegung hervorrufen wird." Es müsse sich also darum handeln, die böhmische Frage, wie es schon in den letzten Stadien der verflossenen Session zutage getreten sei, von der gesamten deutschen Frage zu isolieren. Ob es dann möglich sein werde, einen Ausgleich der beiden Nationalitäten zustande zu bringen, werde die Zukunft lehren. Jedenfalls wolle er fixiert wissen, daß den gemäßigten Deutschen durch die Verordnung das Eintreten in die Regierungsmajorität nicht unmöglich gemacht werden dürfe und die Hinausgabe der Sprachenverordnung von einem gewissen Einvernehmen mit diesen gemäßigten Parteielementen abhängig sein werde. Gegen diese Forderung Gleispachs nahm Minister Dr. Rittner Stellung. Wenn die Regierung von der Voraussetzung ausgehen wollte, daß diese Verordnung erst dann hinauszugeben sei, wenn ein vollständiges Einvernehmen der Parteien darüber erzielt sein werde, müsse sie darauf verzichten, diese Aktion zustande zu bringen, da auf ein solches Einvernehmen absolut nicht zu rechnen sei. Am wenigsten sei zu erwarten, daß die Deutschen einer solchen Verordnung, möge man ihr nun diesen oder einen ähnlichen Inhalt geben, zustimmen werden. Er könne daher die vom Justizminister gewünschte Fühlungnahme mit den Parteien nicht in dem Sinne verstehen, daß, um die Verordnung in Kraft treten zu lassen, unter allen Umständen die Zustimmung dieser Parteien vorausgehen müsse, sondern er glaube, „daß die Regierung im geeigneten Zeitpunkte zu erwägen haben werde, ob es mit Rücksicht auf die Gestaltung der Verhältnisse und die Fühlungnahme mit den Parteien zu riskieren sei, mit der Verordnung vorzugehen oder nicht". Ackerbauminister Johann Graf Ledebur-Wichein, der im Anschluß an Graf Gleispach sprach, schwächte die Forderung der übrigen Kabinettsmitglieder ab. So sehr es erwünscht sei, daß eine aus gemäßigten liberalen Deutschen bestehende Gruppe in die Majorität einbezogen werde, rechne er auf einen ent12

) Bilinski verlangte jedoch im selben Atemzug, ebenso wie Badeni, daß vor allem getrachtet werden müsse, die Tschechen heranzuziehen.

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Sutter, Sprachenverordnungen I.

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V. Badems Versuch mit untauglichen Mitteln

sprechenden Zuzug der Konservativen aus den deutschen Alpenländern43). Denn sollten die Konservativen mit weitgehenden Schulanträgen zurückhalten, würden sie die Eignung zur Einreihung in die Majorität besitzen und es wäre zu bedauern, wenn diese Elemente außer dem Konnex mit der Regierung blieben. Damit stellte sich Ledebur in Gegensatz zur grundsätzlichen Erklärung Badems, der betont hatte, daß sich die Regierung um die Klerikalen nicht bewerben werde und der ihr Fernbleiben von der Majorität geradezu als wünschenswert angesehen hatte. Für Ledebur stand fest, daß die Sprachenverordnung in deutschen Kreisen auf den lebhaftesten Widerstand stoßen werde, aber er glaubte, „daß die Befürchtungen, welche in gleicher Weise auch schon anläßlich der früheren Verordnung vom Jahre 1880 ausgesprochen wurden, heute ebensowenig begründet sind, als sie es damals waren. Man müsse eben nur das Moment des praktischen Bedürfnisses sich vor Augen halten." Hinsichtlich der Bildung der Majorität im Abgeordnetenhaus fand Leon Ritter von Bilinski in den beiderseitigen Äußerungen des Ministerpräsidenten und des Unterrichtsministers insofern „eine kleine Schattierung, als die Meinung des Ministerpräsidenten dahin zu gehen scheine, daß die Regierung auf ihrem Programm stehend das Herankommen der Parteien erst abzuwarten habe, während der Unterrichtsminister von der Bildung einer Majorität spreche". Er stelle sich auf die Seite von Gautsch, denn er glaube, „daß es notwendig sein werde, an die Konstruktion einer Majorität zu denken". Es wäre gewiß sehr erwünscht, würden die Parteien, auf deren Mitwirkung die Regierung reflektiere, diese in großen Staatsfragen spontan stützen. Er zweifelte jedoch, ob nach den Wahlen die Parteien ohne Bildung einer Majorität zu einer Unterstützung der Regierung geneigt sein würden. Deshalb werde darüber verhandelt werden müssen, was um so notwendiger sei, als die Bildung einer Majorität Verpflichtungen mit sich bringe. Es sei im staatlichen Interesse, in gewissen Fällen, so bei den Militärvorlagen, die Majorität fest in der Hand zu haben und diese in einzelnen Fällen, aus wichtigen staatlichen Rücksichten, selbst im Interesse einzelner Minoritätsparteien handeln zu lassen. Aus diesen Gründen verlange er, daß so früh als möglich an eine formelle Bildung einer Majorität geschritten werde, um nicht in die Gefahr zu kommen, daß diese in einem wichtigen Fall versage. Handelsminister Freiherr von Glanz trat der Überzeugung Biünskis bei, daß der Zeitpunkt nicht ausbleiben werde, wo die Regierung eine fixe Majorität brauchen werde, wenn schon nicht früher, so sicher bei den bevorstehenden militärischen Anforderungen. Gleispach glaubte, der Gegensatz zwischen Badeni und Gautsch in dieser Frage würde unter dem Druck der Situation und der Gestaltung der Verhältnisse im Parlament zweifellos von selbst verschwinden. Die Bildung einer möglichst festen Majorität entspreche gewiß den Intentionen des Ministerpräsidenten, „wenn er vielleicht auch mehr auf dem Standpunkte des vorläufigen Lavierens steht, wie der Unterrichtsminister". Dazu erklärte Badeni, er möchte sich auf den vom Unterrichtsminister eingenommenen Standpunkt stellen und sich bestimmter über die Bildung der Majorität aussprechen, wenn man wüßte, wie sich die Parteienverhältnisse unter den Deutschen gestalten werden. Man könne sich mit mehr oder weniger Sicherheit schon ein Bild von der künftigen Stellung der Tschechen, der Polen, ja auch der Südslawen machen. Bezüglich der Deutschen sei es, abgesehen von den Abgeordneten des Verfassungstreuen Großgrund43

) Ledebur gehörte zur konservativen Partei des böhmischen Feudaladels und war zugleich ein eifriger Katholik. G. K o l m e i , Parlamentarisches Jahrbuch V, 1897/98, S. 18 f. — A. C z e d i k , österr. Ministerien II, S. 130.

Der Ministerrat vom 20. Februar 1897: Bildung der Majorität

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besitzes, sehr schwer, eine Rechnung anzustellen, und dies gelte besonders für die Deutschnationalen, Antisemiten, Christlichsozialen und die Katholische Volkspartei. Das sei der Grund für seine Ansicht, daß die Regierung genötigt sei, eine zuwartende Stellung einzunehmen. Dazu erklärte Rittner, daß er sich dem anschließe, was Badeni vorgebracht habe. Ob man sich den Vorgang der Majoritätsbildung so denken wolle, daß unmittelbar Schritte zur Bildung gemacht werden, oder daß abzuwarten sei, ob die Parteien an die Regierung herantreten werden, darüber sei im Augenblick wohl ein Urteil verfrüht. Gautsch hat diesen Angriff Rittners nicht unwidersprochen hingenommen und vor Schluß der Regierungssitzung konstatiert, daß seine Darlegungen keineswegs den Sinn hatten, sofort zu einer Majoritätsbildung zu schreiten. Er habe selbstverständlich hierfür nur an jenen Zeitpunkt denken können, in welchem die Wahlen abgeschlossen seien. Allerdings wolle er, „daß ebenso wie gegenwärtig hinsichtlich des Eintrittes der Tschechen in die künftige Reichsratsmajorität bereits sehr wichtige Schritte getan werden sollen, solche vorbereitende Schritte jetzt schon in Beziehung auf die Deutschen nicht unterlassen werden". Mit einer Anspielung auf Badeni fügte Gautsch hinzu, es entspreche dies ja auch vollkommen jenem Grundsatz in dem Regierungsprogramm, demzufolge Regieren soviel wie Führen heiße. Bezüglich der in der Debatte in autonomistischer Richtung mit aufgeworfenen Fragen stellte Badeni zusammenfassend fest, daß in der Thronrede mit irgendeinem Passus auf die Möglichkeit einer Entlastung des Reichsrates innerhalb der Grenzen der geltenden Verfassung hingewiesen werden solle, wobei er sich von vornherein dagegen verwahre, daß die Regierung auf diesem Umweg irgend etwas von dem, was durch die Verfassung zentralisiert sei, zu dezentralisieren beabsichtige. Er halte es für ausgeschlossen, daß in der Frage des Volksschulwesens irgendwelche Konzessionen angebahnt werden, da auf diesem Gebiete keine neue prinzipielle Frage aufgeworfen werden solle. Denn selbst wenn ein solches Streben vorhanden wäre, läge die Möglichkeit einer Majorität für die Verwirklichung unter den gegebenen Verhältnissen gänzlich fern. Er habe in seiner Erklärung mit größter Entschiedenheit ausgesprochen, daß er auf dem Standpunkt der Verfassung stehe und an dieser nicht rütteln werde. Er halte es für eine Kapitalfrage, daß die Regierung auf diesem Standpunkt verharre. Nur auf diesem Wege sei es möglich, den Tschechen gegenüber die Stellung einzunehmen, die sie erkennen lasse, daß eine Realisierung ihrer staatsrechtlichen Ideen völlig aussichtslos sei. Im Anschluß an Badeni sprach FZM. Graf Welsersheimb44), und er, der sonst Erörterungen politischer Fragen bis zur äußersten Möglichkeit aus dem Wege ging, tat es sehr deutlich. Er trat für das unmittelbare militärische Erfordernis ein und machte aufmerksam, daß er bei der Detailberatung den Antrag stellen werde, mittels eines eigenen Paragraphen auszusprechen, daß die Sprachenverordnung den Gebrauch und die Geltung der Sprache bei der bewaffneten Macht und bei der Gendarmerie in keiner Weise berühre und daß die Vorschriften über die Korrespondenz mit den Militärbehörden aufrecht zu bleiben haben. Damit hatte Graf Welsersheimb, der in den insgesamt 25 Jahren, in denen er Verteidigungsminister war, einen unentwegten Kampf für die deutsche Kommandosprache gegen den nationalen Ansturm führen mußte, jeden Gedanken an ein Antasten der Geltung der Armeesprache kategorisch zurückgewiesen. Die ") In seiner Rede vom 7. Dezember 1888 sagte Graf Welsersheimb, auf seinen Säbel gestützt: „Meine Politik ist sehr einfach; sie steht in goldenen Zeichen auf diesem Portepée." 10*

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

beabsichtigte Sprachenverordnung, fuhr er fort, obwohl sie sich nur an die kaiserlichen Behörden wende, gehe prinzipiell über diesen Rahmen hinaus, denn der Vollzug der militärischen Anforderungen hänge nicht allein von den militärischen Behörden ab. Es sei daher von größter Wichtigkeit, daß der Armeesprache eine über das Niveau einer bloßen Landessprache hinausgehende allgemeinere Bedeutung gewahrt bleibe, sie für gemeinsame Angelegenheiten und Erfordernisse wie für den Verkehr zwischen verschiedenartigen Verwaltungsstellen und Nationalitäten überall im Reiche Geltung behalte und im öffentlichen Unterricht entsprechende Berücksichtigung und Pflege finde, indem davon die Möglichkeit der Aufrechterhaltung einer einheitlichen Dienstsprache in der Armee abhänge. Das Zurückgehen der Pflege der deutschen Sprache im öffentlichen Leben, in Amt und Schule, habe vor mehr als einem Dutzend Jahren dem damaligen Reichskriegsminister Anlaß gegeben, patriotische Besorgnisse auszusprechen, und zwar unter Umständen, da dieser Rückgang noch nicht annähernd so weit gediehen war als zum gegebenen Zeitpunkt, in welchem er sich auf einen bedeutenden Teil des Reiches erstrecke und zu befürchten sei, daß er in weiteren Teilen Platz greifen werde. Er stimme dem Ministerpräsidenten bei, daß dieses Zurückgehen des Gebrauches und der Geltung der deutschen Sprache nicht auf die Sprachenverordnung von 1880 zurückgeführt werden kann. Er sehe diese Erscheinung im Konnex „mit den offen erklärten Aspirationen der Böhmen, welche dem ihnen von den Ungarn gegebenen Beispiele folgen und dieselben Ziele erreichen wollen". In Ungarn sei, nachdem die Magyaren alle ihre nationalen Forderungen erreicht hätten, die Ausmerzung der deutschen Sprache nicht mehr zum Stillstand gekommen45) und deshalb blicke er nicht ohne schwere Besorgnis der Zukunft entgegen. Er fürchte, der Lösungsprozeß, den das Gefüge der Monarchie seit 37 Jahren durchmache, werde fortschreiten. Man könne verschiedener Ansicht sein, wie weit es damit werde gehen können; aber daß der Moment kommen werde, wo es nicht mehr weitergehen könnte und Entschlüsse unausweichlich sein werden, würde wohl von wenigen mehr bezweifelt. Daß dann eine Militärmacht bestehe, deren Geist, Kraft und Unerschütterlichkeit eventuellen entsprechenden Beschlüssen eine feste Basis und zweifellose Wirksamkeit gewähren würde4®), dafür müßte von ihm als berufenem Ressortminister vorgesorgt werden. Die Wirksamkeit politischer Beschlüsse hänge jedoch nicht allein von der Armee ab, dazu sei auch eine entsprechende Beamtenschaft notwendig. Man könne verschieden darüber denken, ob die Art der Reorganisation der Monarchie nach den Krisen von 1848/49 die richtigste war. Viele, die seinerzeit darüber den Stab gebrochen, hätten seither manches Gute daran zu finden gelernt. Daß die Armee den Bestand der Monarchie gerettet und daß ferner ohne die Kräfte der österreichischen Beamtenschaft eine rationelle staatliche Regeneration nicht durchführbar gewesen wäre, darüber bestehe kein Zweifel. Von der Basis dieser allgemeinen Erwägungen müsse er ausgehen und so seine Argumente gegen die Sprachenverordnung vorbringen. Sie führe zur völligen Verländerung des Beamtentums, zur Unmöglichkeit, andere als die Beamten des betreffenden Landes in diesem zu verwenden, somit zum Aufhören der freien Verfügbarkeit im Beamtenstand und zur größten Schwierigkeit bei den Zentralstellen, die äußere 45

) Zur Entwicklung der Dienstsprache der bewaffneten Macht in der ungarischen Reichshälfte F. Τ e ζ η e r, Res Hungaricae S. 540—552. ") Ähnlich am 23. Februar 1900 in der Rede zum Rekrutenkontingent in der Zeit der Obstruktion und der sozialen Wirren : „Die Armee muß gegen den äußeren und gegen den inneren Feind gerüstet werden." Er rief damit großen Widerspruch im Hause hervor.

Der Ministerrat vom 20. Februar 1897: Welsersheimbs Bedenken

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Geschäftsführung zu leiten oder auch nur zu verstehen. Den Deutschen in Böhmen, sofern sie sich in den Schutz der Sprachgebiete zurückgezogen haben, „werde augenscheinlich durch die Verordnungen, wie sie entworfen, dieses letzte Retranchement definitiv zerstört und der Krieg aufs Messer erklärt. Seit 37 Jahren seien alle sogenannten Ausgleiche, Vergleiche, Konzessionen — wenn auch wesentlich unter Mitwirkung der Deutschen selbst — auf Kosten des Deutschtums in der Monarchie erfolgt, und es seien Anzeichen erkennbar, daß die Belastungsprobe für die Gefühle der Deutschen, nicht nur vom spezifisch deutschnationalen, sondern vom Standpunkt des Gesamtösterreichertums an der Grenze der Tragfähigkeit und Willigkeit angelangt ist." Die Armee bilde, wie die gesamte Monarchie, ein Konglomerat von vielen verschiedenen Nationalitäten, deren Kitt historisch durch die Deutschen gebildet worden ist. Er möchte es der politischen Erwägung anderer überlassen, ob es riskiert werden solle, das mehr oder minder wichtige Deutschtum in Österreich zur äußersten Opposition zu provozieren, ob die damit verbundenen Schäden und Gefahren nicht den möglichen Gewinn weit übersteigen, ob dieser Gewinn ein so sicherer sei, um vorweg mit unwiederbringlichen Preisgebungen zu debütieren und ob solche zur Erreichung des konkreten Zieles wirklich notwendig wären. Jedenfalls könne das Bedenken vom militärischen Standpunkt nicht unterdrückt werden, daß „eine Austreibung des deutschen Elementes aus der willigen Mitwirkung an der Regierung Österreichs auf den Zusammenhalt, den Geist und die Wirksamkeit der Armee nicht ohne Rückwirkung bleiben würde". Er wolle die Frage aufwerfen, ob es sicher erscheine, daß, wenn die Konzessionen, wie sie die Verordnung in sich schließt, gemacht werden, nicht mehr oder minder ähnliche Aspirationen von anderen Elementen, welche zur Majorität gewonnen werden sollen, würden erhoben werden, — ob mit dieser Verordnung die Sache abgeschlossen und es wirklich erreicht werden wird, daß die Sprachenhetze zur Ruhe gelange und nicht weiter getrieben werde. Er gebe zu bedenken, daß die Südslawen mit ihren Forderungen nicht ausbleiben dürften und keine Gewähr gegeben zu sein scheine, daß mit dem, was die Verordnung biete, eine haltbare, ausreichende Majorität zu gewinnen sei und nicht eine noch bösere Opposition als die bisherige provoziert werden wird. Man könne vielleicht, und Welsersheimb legte die Betonung auf das Wort vielleicht, man könne vielleicht mit einer momentanen Kombination im Parlament über die Ausgleichsfragen hinüberkommen, aber nachher werde die Situation noch schwieriger werden. Für die militärischen Erfordernisse werde es dann unter allen Umständen eines ganz besonderen Druckes seitens der Regierung auf das gesamte Parlament bedürfen. Er verschließe sich nicht der großen Schwierigkeit der Sache. „Er habe seine Erwägungen vorgebracht, um das Seine beizutragen, daß zu einem richtigen Entschlüsse gelangt werde, dem er sich, nachdem er seine Pflicht erfüllt, fügen werde." Nach der bereits behandelten Verwahrung des Unterrichtsministers schloß Badeni die Sitzung. Werden die Beratungen vom 20. Februar 1897 im Ministerrat überblickt, so zeigt es sich, daß die Minister vielleicht in einem einzigen Punkt einig waren : Die Deutschen müßten in der künftigen Majorität im Abgeordnetenhaus vertreten sein. Allein selbst hier sind die verschiedensten Schattierungen unverkennbar. Über die Wirkung der Verordnung bei den Deutschen in Böhmen ließen Graf Gleispach und Graf Welsersheimb keine Illusion aufkommen, aber sowohl Graf Ledebur als auch Rittner versuchten die Notwendigkeit darzulegen, über solche Bedenken hinwegzugehen. Nur Gautsch und Welsersheimb aber haben gegen das Prinzip der Sprachenverordnung als solches und gegen das von

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

Badeni entworfene Programm an sich vom Grundsätzlichen her entschieden Stellung genommen. Schon am folgenden Tag, am 21. Februar, wurde die Ministerkonferenz fortgesetzt. Badeni betonte einleitend, daß die Sprachenverordnung, selbst wenn sie fertiggestellt und vom Kaiser approbiert sein werde, nicht sofort hinausgegeben würde. Erst werde dann mit den Parteien das Einvernehmen herzustellen, ihnen im allgemeinen die Absichten der Regierung bekanntzugeben und sie aufzufordern sein, „sich auszusprechen, wie sie glaubten, sich zu einer solchen Maßnahme verhalten zu sollen und verhalten zu können". Badeni hat hier verschwiegen, daß er den vorgelegten Entwurf bereits zuvor mit den Führern der Jungtschechen besprochen und deren Wünsche im Text berücksichtigt hatte. Er erklärte nur, wenn im angegebenen Sinne mit den Deutschen gesprochen werde, so nicht, um von ihnen ein förmliches Einverständnis mit der Verordnung zu erlangen, „was ja nicht möglich wäre", sondern um sie über die Absichten der Regierung aufzuklären und ihnen die zu ihren Gunsten bestehenden Kautelen auseinanderzusetzen. Er gedenke nicht bloß mit jenen unter den Deutschen zu sprechen, von denen erwartet werde, daß sie in die Majorität einzutreten bereit sein werden, sondern auch mit den Deutschböhmen, die „zunächst die Verordnung als eine für sie ungünstige Maßnahme auffassen werden". Um sich zu sichern und die Regierung, die im Grunde genommen mit der ganzen Sprachenverordnung keine rechte Freude hatte, stärker mit dieser Sache zu verknüpfen, erklärte er, es liege ihm fern, „diese Auseinandersetzung persönlich zu pflegen", und er verlangte, daß die Regierung als solche mit den Vertretern der Deutschen sprechen solle. In meritorischer Hinsicht lege er Gewicht darauf, daß die Regierung mit der Verordnung einen festen Punkt eingenommen habe, „von dem aus es keine Fortsetzung des Kampfes nach rückwärts oder vorwärts gibt". Diesen „festen Punkt" sah Badeni darin, daß der Böhme künftighin die Möglichkeit habe, alles das, was ihn als Partei angeht, in seiner Muttersprache verhandelt zu sehen, daß „aber die interne Einrichtung des Dienstes, der Verkehr der Vorgesetzten mit den untergebenen Beamten und Ämtern darunter nicht enthalten ist. Für die Regierung würden diese Grundsätze das unverrückbare Piedestal für ihr weiteres Vorgehen und Verhalten sein, den (politischen) Parteien aber wäre damit die Möglichkeit geboten, der Regierung das zu gewähren, was sie zu beanspruchen müssen glaubt." Gerade dieses „unverrückbare Piedestal" hat Badeni bei den Verhandlungen im Ministerrat in ein anderes Licht als bei den Verhandlungen mit den tschechischen Führern gerückt, da er die Verordnung diesen gegenüber, um sie zu gewinnen, so ausgelegt hatte, daß diese zur Überzeugung kamen, die Verordnung würde die Einführung des Tschechischen als innere Dienstsprache bedeuten. An diesem zweiten Verhandlungstag hat Gautsch ebenso wie am ersten schon im Grundsätzlichen Badeni widersprochen. Er wollte die Verordnung vom allgemein-politischen und vom staatlich-administrativen Gesichtspunkt her beurteilt wissen. Die Rechtsgrundlage für die Verordnung sah er in jenem vielumstrittenen Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte des Staatsbürgers. In Übereinstimmung mit dieser Grundbestimmung konnte sich nach seiner Ansicht der Inhalt der geplanten Verordnung auf nichts anderes beziehen als eben auf das, was Badeni als den fixen Punkt bezeichnet hatte, das heißt auf das Recht des Staatsbürgers, innerhalb seines Landes dasjenige, was ihn als Partei angeht, in seiner Sprache verhandelt zu sehen. Außerhalb seines Landes aber fielen die Instanzen nicht unter die Grundbestimmungen des

Der Ministerrat vom 21. Februar 1897: Grundsätzlicher Widerspruch

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Artikels 19, da er nur die landesüblichen Sprachen erwähnte, also in seiner Wirksamkeit auf die lokalen Behörden im Lande, soweit es sich um den amtlichen Verkehr handelte, eingeschränkt war. Aus dieser rechtlichen Auslegung, erklärte Gautsch, ergebe sich von selbst, daß die Administration im engeren Sinne, der Verkehr zwischen den vorgesetzten und untergebenen Behörden, die Korrespondenz der Behörden untereinander, einer Regelung auf Grund des Artikels 19 nicht unterliegen können. Damit sei „eine feste Grenze für Umfang und Inhalt der Verordnung gegeben". Die voraussichtliche politische Rückwirkung einer solchen Normierung werde aber sicher auch dann nicht ausbleiben, wenn sich diese streng an den durch den Artikel 19 vorgezeichneten Rahmen halte. Daraus sei zu folgern, daß es, wie Badeni schon angedeutet habe, nicht bloß ein Akt politischer Klugheit, sondern Pflicht der Regierung sei, ein entsprechendes Einvernehmen mit den Parteien vor Herausgabe der Verordnung herzustellen, um diese nicht mit einer unwiderruflichen Tatsache zu überraschen, durch die, soweit es sich um den gemäßigten Teil der liberalen Deutschen handelt, alle Pläne der Regierung vereitelt werden könnten. Es werde daher notwendig sein, einen belehrenden Einfluß gegenüber den Deutschen in dem Sinne zu üben, daß diesen klar wird, es handle sich im Wesen um nichts anderes als aus dem im Artikel 19 eingeschlossenen Recht die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und es im Sinne dieses Artikels weiter auszugestalten. Er könne jedoch nicht seine Sorge verhehlen, die nationalen Parteien würden „sich mit dem bisherigen Zustande dann auch nicht zufriedengeben, sondern analoge Forderungen stellen", denen die Regierung kaum Widerstand entgegenzusetzen in der Lage sein werde. Wenn die Regierung zu einem Beschluß über die Hinausgabe der Verordnung gelange — hier klingt deutlich genug der Wunsch durch, daß dieser Beschluß nicht gefaßt werde —, müsse zuvor Klarheit darüber gewonnen werden, was sie dafür einhandle, „welches die künftige Haltung derjenigen Partei sein werde, zu deren Gunsten ein so weitgehender und folgenschwerer Schritt geschieht. Es handle sich ja um die größte Konzession, die die Regierung den Tschechen überhaupt darzubieten vermag." Gautsch hat damit verlangt, daß Badeni, dessen Konzept jedoch schon festgelegt war, sich nicht mit vagen Zusagen begnüge und er von den Tschechen eindeutige Zusagen als Voraussetzung für die Erlassung der Verordnung fordern und erhalten müsse, daß also zuerst sich die Tschechen bindend festlegen und erst dann ihnen der Preis bezahlt, aber nicht dieser ihnen als ein Angeld ausgefolgt werde. Bei den Verhandlungen mit den Tschechen im Jänner 1897 hatte Badeni aber bereits bei diesen bewußt den Eindruck erweckt, die Sprachenverordnung würde ohne Gegenleistung gewährt werden, was am 5. März im Tschechenklub in Wien vom Obmann Dr. Engel hervorgehoben wurde, der Badeni des Wortbruches bezichtigte47). Es ist nicht anzunehmen, daß Badeni mit den Tschechen bewußt ein schlaues, aber falsches Spiel versuchte, das dann eben nicht aufging. Ihm war es an ihrer Gewinnung gelegen und er war bereit, dafür jeden Preis zu zahlen, doch durch den Widerspruch im Ministerrat in eine Zwangslage gekommen, wollte er mit der einen Hand zurückzunehmen, was er mit der anderen gewährt hatte. Gautsch hat am 21. Februar sodann auch von der politischadministrativen Seite her die Sprachenverordnung kritisiert. Es werde künftig nicht mehr möglich sein, von den sprachlichen Erfordernissen in Fällen abzusehen, wo dies im Interesse der gesamten Verwaltung gelegen wäre. Da die Beweglichkeit und die bisherige Freizügigkeit des Beamtenapparates eine starke 4r

j J. Κ a i ζ 1, Ζ mého zivota III, S. 558 ff.

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

Einschränkung erleiden werden, erscheine es unerläßlich, rechtzeitig in Verbindung mit der Verordnung entsprechende Vorkehrungen zu treffen, denn was er am meisten vermieden wissen wolle, wäre, daß ein Zustand eintrete, der sich mit dem Ausdruck „administrativer Föderalismus" bezeichnen lasse, da ein solcher Zustand nur die Vorbereitung für den staatsrechtlichen Föderalismus bilde. Im Interesse der Verwaltung verlange er, daß das Verwaltungsgebiet, das aus rein staatlichen Gründen zur Erhaltung der Einheit der Administration von der Wirksamkeit der Sprachenverordnung nicht berührt wird, klar begrenzt werde, „da sonst wirklich die völlige Verdrängung der deutschen Dienstsprache die unausbleibliche Folge wäre". Eine weitere, mit der Verordnung im Zusammenhang stehende Konsequenz betreffe das Schulwesen. Die Regierung müsse sofort darüber schlüssig werden, daß sie beide Landessprachen als obligaten Lehrgegenstand an sämtlichen Gymnasien vom Schuljahr 1897/98 an einführe. Dieser Punkt sei bei den in Aussicht genommenen Besprechungen mit den Parteien zur Diskussion zu stellen. Es sei ein Vorteil, wenn dieser Zwang zur Erlernung der Landessprachen bestehe, weil damit allein gegen das Zurückgehen der Kenntnis des Deutschen bei den Tschechen wirksam eingegriffen werde und es nur so möglich wäre, allmählich ein der tschechischen Sprache mächtiges deutsches Beamtenmaterial zu gewinnen. Um die Nachteile der Sprachenverordnung für die Administration wenigstens einigermaßen zu paralysieren, um das Zentrum der Verwaltung in einem gewissen Kontakt mit der Beamtenschaft zu erhalten, um die Einheitlichkeit der politischen Verwaltung zu sichern und um eine Garantie dafür zu schaffen, daß jene jungen Beamten, die das Streben hätten, sei es in, sei es außerhalb der Länder, eine höhere Stelle zu erlangen, des Deutschen auch wirklich vollkommen mächtig seien, sehe er die Einführung einer Prüfung für den höheren Staatsdienst, und zwar zunächst nur als einer fakultativen Einrichtung, als unerläßlich an. In diesem Punkte fand Gautsch die Zustimmung des Grafen Ledebur, der unter Hinweis auf seine „als Landesangehöriger" gemachten eigenen Erfahrungen und bei der Zentralstelle gewonnenen Einblicke eine solche Prüfung für sehr wichtig als Gegengewicht gegen die Schwierigkeiten ansah, die „zweifellos rücksichtlich der Heranziehung von brauchbaren Kräften für den Dienst bei den Zentralstellen bestehen". Ebenso fand Gautsch bei ihm wie beim Eisenbahnminister „lebhaftesten" Beifall für den Plan, an den Gymnasien die zweite Landessprache einzuführen. FML. Ritter von Guttenberg bezeichnete diesen geradezu als „die unerläßliche Voraussetzung für die anläßlich der Verordnung an die Beamten zu stellenden Anforderungen". Davon abgesehen verlangte auch er, daß der Verkehr der Behörden und Ämter untereinander wie bisher in deutscher Sprache zu erfolgen habe. Hinsichtlich der Sprachenverordnung schien es ihm angemessen, daß mit den Parteien vorerst Fühlung genommen und mit ihrer Hinausgabe sehr vorsichtig vorgegangen werde, zumal er sich des Eindruckes nicht erwehren könne, es werde trotz dieser Verordnung Schwierigkeiten haben, die Tschechen in die künftige Reichsratsmajorität hineinzubekommen, während es andrerseits notwendig sei, wenigstens einen Teil der deutschen Abgeordneten für die Majorität zu gewinnen. Im Gegensatz dazu bezog Finanzminister Bilinski zu den Anträgen des Unterrichtsministers mit keinem Wort Stellung. Bilinski dankte dem Ministerpräsidenten für die Mitteilung, daß vor der Herausgabe der Verordnung mit den Tschechen das Einvernehmen gepflogen werde, denn es sei bekannt, daß von dieser Seite ein solches Zugeständnis als die Lösung einer Vorfrage angesehen werde, nach der andere Begehren gestellt werden sollten. Bilinski verkannte die Schwierigkeiten nicht, jedoch verbohrte

Der Ministerrat vom 21. Februar 1897: Gleispachs Bedenken

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auch er sich in den Gedanken, daß sich die Regierung in einer Situation befände wie kein vorangegangenes Kabinett. Eine Majorität ohne die Tschechen wäre solange möglich gewesen, als die Vereinigte Deutsche Linke als große Partei bestanden habe. Seit dem Zerfall dieser Partei könne man dies nicht mehr sagen. Für die Position der Regierung bedeute dies eine Schwächung, weil sie sich dadurch zu einer Maßnahme wie die Sprachenverordnung für Böhmen gedrängt fühlt. „Vorsicht werde dabei sehr am Platze sein und im hohen Grade wünschenswert würde es sein, wenn sich die Regierung vergewissern könnte, daß sie auf diesem Wege sich die Mitwirkung der Tschechen für alle großen Staatsfragen sichert und dabei doch den gemäßigten Deutschen die Zugehörigkeit zur Regierungsmajorität nicht unmöglich macht." Nach dem Finanzminister, dem Ackerbau- und dem Eisenbahnminister sprach Graf Gleispach. Er hielt es „für angemessen, zunächst zu konstatieren, daß es ihm selbstverständlich nicht beifalle, bei diesem Anlasse als ein Angehöriger des deutschen Stammes zu sprechen, sondern lediglich vom österreichischen Standpunkte. Für seine unverrückbare Überzeugung, die er auszusprechen im Begriffe stehe, komme es in keiner Weise darauf an, daß der deutsche Volksstamm in Frage stehe. Er würde genauso sprechen, wenn ein anderer Volksstamm jene Stellung in Österreich einnehmen würde, welche gegenwärtig der deutsche innehat." In Beziehung auf das, was Badeni als den „fixen Punkt" der Verordnung bezeichnet habe, stimme er mit ihm überein. Von seinem Ressortstandpunkt aus bezeichnete er es sogar als wünschenswert, daß mittels der Verordnung dem Böhmen in seinem Lande die Möglichkeit geboten werde, in seiner Sprache jeden wie immer gearteten Verkehr bei den Behörden zu provozieren, in dieser Sprache gehört zu werden und die für ihn bestimmten amtlichen Ausfertigungen zugestellt zu erhalten. Gleispach hatte nichts dagegen, daß die Verhandlungen über eine „in böhmischer Sprache" gemachte mündliche oder schriftliche Eingabe in dieser Sprache geführt und daß die seitens der politischen und Gerichtsbehörden geschöpften Erkenntnisse vorweg in dieser Sprache gefaßt und hinausgegeben werden. Zu den Gründen, die Gleispach zu dieser Stellung bewogen, gehörte der beim Oberlandesgericht in Prag gebräuchliche Vorgang, der sich auf die Stremayrsche Sprachenverordnung gründete und nach dem ein in erster Instanz in tschechischer Sprache gearbeiteter und geführter Prozeß, infolge einer Berufung dem Oberlandesgericht vorgelegt, dort einem tschechischen Referenten zugeteilt wurde, der das Referat deutsch arbeiten und in einem tschechischen Senat deutsch vortragen mußte. Es war dies in Strafsachen, vor allem bei Verbaldelikten und bei der Wiedergabe von Zeugenaussagen, doch auch im Zivilverfahren geradezu bedenklich, nachdem schon die Übersetzung des Referenten vom Tschechischen ins Deutsche mangelhaft sein konnte. Die Erledigung des Oberlandesgerichtes wurde deutsch beschlossen und im Sekretariat noch einmal vom Deutschen ins Tschechische übersetzt und gelangte dann erst als Emanation des Obergerichtes an die erste Instanz. Ein Vorgang, demgegenüber kein objektiver Jurist schwere Bedenken unterdrücken konnte. Gleispach hatte daher nichts dagegen, daß die innere Amtssprache bei der Behandlung solcher böhmischer Akten diejenige der betreffenden Eingabe wäre, also demzufolge Requisitionen der einen Behörde an die andere anläßlich solcher Eingaben in deren Sprache verfaßt würden, da die oftmalige Übersetzung bedenkliche Folgen haben konnte. Die von Gleispach vertretene Ansicht, daß die Sprache der amtlichen Verhandlungen einer Eingabe auch bei Berichten an die Oberbehörden, die häufig informativer Natur waren, eine durchaus einheitliche zu sein habe, war von eminentem

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V. Badems Versuch mit untauglichen Mitteln

Interesse für die rechtsuchenden Parteien. Trotzdem befand sich Gleispach im Gegensatz zu dem von Badeni vorgelegten Entwurf. Gleispach hatte nicht die sogenannte innere Amtssprache vor Augen, sondern die Dienstsprache, in der alles zu geschehen hatte, was eine Behörde aus eigener Initiative tat, ferner das ganze Präsidialgeschäft, sämtliche Vormerke, Einreichungsprotokolle, die Registratur, den ganzen Verkehr der Untergebenen mit den Vorgesetzten, der einzelnen Abteilungen eines Amtes untereinander, also all das, was von Amts wegen geschah, wenn es nicht unmittelbar eine Parteienverhandlung im Gefolge hatte. Von dieser Dienstsprache verlangte Gleispach, daß sie die deutsche bleiben müsse. Er erachtete dies als ein unbedingtes Erfordernis, um überhaupt den Begriff einer Zentralregierung in Österreich zu ermöglichen. Es gab ja ein praktisches Beispiel, das ihn warnen mußte : den Gebrauch der polnischen Dienstsprache in Galizien, die der Amtierung in den Zentralstellen die größten Schwierigkeiten bereitete. So konnte Gleispach als Justizminister keinen einzigen aus Galizien stammenden Akt einsehen, nicht einmal eine Qualifikationstabelle lesen oder die Beilagen eines Gesuches studieren. Er war, und jeder österreichische Justizminister, der nicht Polnisch verstand, ausschließlich auf die Berichte des Oberlandesgerichtspräsidenten für Galizien und auf die Referenten im Justizministerium angewiesen. Zwar war eine absichtliche Irreführung des Ministers ausgeschlossen, aber jeder Referent sprach selbstverständlich zur Unterstützung des von ihm ausgearbeiteten Antrages, und ein Vergleich mit den Akten war dem Minister unmöglich, weil jedes Wort polnisch war. Von Abgeordneten und anderen Persönlichkeiten gingen bei Gleispach laufend Klagen über die Justiz in Galizien ein, er aber konnte darüber nur eine Berichterstattung verlangen. Fiel der Bericht negativ aus, war er ohnmächtig weiter vorzugehen, fiel er affirmativ aus, konnte er sich nicht überzeugen, ob die auf Grund des Berichtes von ihm erteilten Weisungen befolgt wurden. Gleispach bekannte offen, daß die Justizverwaltung in Galizien für ihn „ein verschleiertes Bild von Sais" war, das er nie enthüllen konnte. Deswegen erklärte er im Ministerrat, „er werde nie zustimmen, daß ein ähnlicher Zustand in Böhmen geschaffen werde". Er sprach seine Überzeugung unumwunden aus, daß die Sprachenverordnung, wenn sie in Böhmen Gültigkeit erlangen werde, „in kürzester Zeit mit Hochdruck für Mähren und Schlesien sowie für die südslawischen Gebiete reklamiert werden wird und daß die Regierung nicht in der Lage sein wird, den anderen Nationen das zu versagen, was sie den Böhmen bewilligt hat". Wenn daher hinsichtlich der Aufrechterhaltung der deutschen Sprache als der inneren Dienstsprache nicht rechtzeitig vorgesorgt werde, so werde man unaufhaltsam zu jenen Konsequenzen gelangen, die Unterrichtsminister Gautsch mit der Bezeichnung „administrativer Föderalismus" charakterisiert habe. Dieser „administrative Föderalismus" führe zum Föderalismus überhaupt. Es sei dies allerdings eine Regierungsform, die unter Umständen über manche Unbequemlichkeiten hinweghelfen mag, die aber Gleispach prinzipiell zurückwies, weil er sie mit dem Ruin des österreichischen Einheitsstaates und der Großmachtstellung des Reiches gleichsetzte. Um einem entsprechenden Einwand Badenis die Grundlage vorwegzunehmen, erklärte Gleispach, man könne nicht sagen, daß der Punkt, um den es sich handle, zu geringfügig sei, um zu einer solchen extremen Konklusion zu gelangen. Er begründete seine Behauptung damit, daß es sich bei der Sprachenverordnung „um die Rettung des letzten Restes der einheitlichen österreichischen Dienstsprache handle und die Beamtenschaft österreichisch und nicht national gesinnt sein müsse". Gleispachs Ausführungen scheinen einigen Mitgliedern des Ministerrates zu lange gedauert zu

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haben, doch ließ er nicht locker, denn es handelte sich da „um Überzeugungen und Grundsätze, welche in ihm festwurzeln, seit er überhaupt reif denke und an welchen er auch immer festhalten werde". Zu seiner Befriedigung sei bei der Sitzung tags zuvor mit Einmütigkeit auch seitens des Ministerpräsidenten betont worden, daß eine Regierung ohne die Deutschen, mit anderen Worten, eine Regierung gegen die Deutschen, in Österreich unmöglich sei. Wenn dies feststehe, so erscheine es ihm unmöglich, daß etwas geschehen solle, was die Durchführung dieses Standpunktes von vornherein zu einer Unmöglichkeit machen werde. Es werde allerdings nur mit den gemäßigten Elementen der Deutschen, speziell mit den Vertretern des Großgrundbesitzes und jenen Elementen gerechnet, die sich um diesen gruppieren und der gewiß „eine im hohen Grade gemäßigte Gruppe repräsentiere", die nur unter einem starken Zwang in die Opposition gedrängt werden könne. Aber die Probe, die ihm auferlegt werden soll, halte auch der Verfassungstreue Großgrundbesitz nicht aus. Diese Warnung aus dem Munde Gleispachs, der durch seinen engen Kontakt mit den Grafen Karl Stürgkh und Edmund Attems die Stimmung im Großgrundbesitz kannte, ist wichtig für die Frage, ob Badeni über die Haltung des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes bis zum letzten Augenblick getäuscht worden sei. Mag Baernreither das grundsätzliche Einverständnis seiner Parteigruppe erklärt haben, Gleispach hat hier im Ministerrat vor den Folgen einer zu weitgehenden Belastung gewarnt. Er wolle keine Rekriminationen nach rückwärts erheben, erklärte er, „aber wenn man erwäge, seit wann die Zersplitterung der deutschen Parteien datiert und die deutschnationale Frage wieder hervorgetreten ist, werde man auch die Antwort darauf haben, was man mit einer immer weitergehenden Belastung erzielt und wie weit man damit kommt". Und in diesem Zusammenhang hat Gleispach das denkwürdige Wort ausgesprochen: „Eine größere Gefahr als eine jungtschechische, als eine italienische, birgt eine deutsche Irredenta in sich." Obwohl schon am Tage zuvor FZM. Graf Welsersheimb die Rückwirkung der Sprachenverordnung auf die Armee behandelt hatte, brachte Gleispach diesen Punkt neuerdings zur Sprache und betonte dabei, daß noch so glänzende Erfolge der Armee im Wert bedeutend abgeschwächt würden, wenn dann nicht im Frieden großösterreichische, unbedingt verläßliche Beamten zur Verfügung stünden. Auch die mögliche Rückwirkung der Sprachenverordnung auf die auswärtige Politik, obwohl diese nicht nach den bestehenden Institutionen vor den Ministerrat gehörte, streifte er, dazu durch ein charakteristisches Faktum bewogen. Die Stadt Graz hatte an das ständige Präsidium des Deutschen Juristentages in Berlin die Einladung ergehen lassen, den für den Oktober 1897 in Aussicht genommenen Juristentag in Graz abzuhalten. Das Präsidium in Berlin hatte die Grazer Einladung dahin beantwortet, daß die Besorgnis bestehe, die Abhaltung des gesamtdeutschen Juristentages in Graz könnte der dermaligen österreichischen Regierung nicht genehm sein. Er habe als Justizminister mit Zustimmung des Ministerpräsidenten nicht gesäumt, dies sofort richtigzustellen, aber als ein bezeichnendes Symptom habe er diesen Vorfall dem Minsterrat nicht vorenthalten wollen. Abschließend faßte Gleispach zusammen, daß er für die Aufrechterhaltung der inneren Dienstsprache als einer unbedingten Notwendigkeit eintrete, daß er diese innere Dienstsprache gleichfalls paragraphiert zum Gegenstand einer besonderen Verordnung gemacht sehen möchte, welche nach erteilter kaiserlicher Sanktion entsprechend zu verlautbaren wäre und daß positive Garantien dafür geschaffen werden sollten, „daß diese enorm wertvolle Konzession an die notorisch anspruchsvolle Partei der Jungtschechen nicht ohne bestimmte

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

Garantien für ihre Haltung hinausgegeben und insbesondere auch eine Garantie dafür erlangt werde, daß man nicht mit der Heranziehung der Jungtschechen eine oppositionelle Haltung der gemäßigten Deutschen und somit eine Opposition sämtlicher deutscher Abgeordneten auf sich ladet". Hatte in der Ministerratssitzung vom 20. Februar von deutscher Seite her im wesentlichen Gautsch den Angriff gegen Badeni geführt, war ihm nunmehr am 21. Februar nicht weniger energisch und nachhaltig Gleispach zur Seite getreten. Im Anschluß sprach Minister Dr. Rittner. Er sah zwischen dem Standpunkt Badenis und dem Gleispachs keine prinzipielle Differenz, da bei beiden die Sache auf den „fixen Punkt" hinauslaufe. Es gebe ein Gebiet, das aus Rücksichten des Dienstes den Grundsätzen der Verordnung nicht unterworfen sein könne. Es handle sich eben die Grenze dafür zu finden, was eine innere Dienstsache und was eine Parteisache ist. Das von Gleispach angeführte Kriterium lehnte er ab, denn wohl bei Gericht, nicht bei der Verwaltung im ganzen komme es darauf an, ob eine Sache von einer Partei oder von Amts wegen moviert worden ist. Alles, was eine Parteisache betreffe, müsse in den Bereich der zu erlassenden Verordnung fallen. Hinsichtlich der Erlernung der zweiten Landessprache stimme er der Meinung zu, es müsse dafür Vorsorge getroffen werden, nur fasse er eine solche Maßnahme nicht als eine Konzession gegenüber den Tschechen auf und verlange daher, die Inkraftsetzung der Sprachenverordnung dürfe nicht von der obligaten Erlernung der zweiten Landessprache abhängig gemacht werden, da es sich um eine Maßnahme handle, die ja vor das Forum des böhmischen Landtages gebracht werden müsse. Im Gegensatz dazu verlangte Freiherr v. Glanz, daß bei der Fühlungnahme mit den Vertretern der Deutschen und der Tschechen dieser Schulpunkt klargestellt und durchgesetzt werde. Auch er verlangte in kurzen Worten die Sicherstellung der Haltung der Tschechen gegenüber den bevorstehenden wichtigen staatlichen Maßnahmen und schloß sich hinsichtlich der Grenzbestimmung, was zum Bereich der inneren Dienstsprache gerechnet werden müsse, der Meinung Rittners an. Den Zwiespalt, in welchem sich Badeni durch die energischen Forderungen einzelner Kabinettsmitglieder befand, suchte er mit der Erklärung zu entscheiden, er halte es für angemessen, daß neben der Sprachenverordnung „auch ein bestimmter Ausspruch dahin erfolge, daß der interne Dienstverkehr in allen Angelegenheiten, welche keine Parteisachen sind, durch diese Verordnung nicht berührt werde". Er beabsichtige unter Voraussetzung der Zustimmung des Ministerrates, in Verbindung mit der kaiserlichen Genehmigung der Verordnung eine besondere kaiserliche Entschließung zu erwirken, die den einzelnen Ministern den Anhalt bieten könne, die ihrem Ressort entsprechenden Verfügungen zu treffen. Als Zweck dieser Maßnahme gab Badeni die Sicherstellung desjenigen an, was die Regierung weiterhin im allgemeinen staatlichen Interesse erhalten wissen wolle. Kaiser Franz Joseph hat zu diesem Punkt im Ministerratsprotokoll am Rande „muß gleichmäßig sein" vermerkt, in der richtigen Erkenntnis, daß durch eine Rahmenverfügung, wie Badeni sie dachte, es letztlich der Willkür des einzelnen Ministers überlassen worden wäre, wie weit oder wie eng er die Grenze der Dienstsprache gezogen wissen wolle, sofern er überhaupt sich veranlaßt sah, eine Weisung hinauszugeben. Badeni hat im Ministerrat vom 21. Februar ausdrücklich erklärt, unter die Dienstsprache falle der Verkehr zwischen den untergebenen und vorgesetzten Personen, Behörden und Ämtern, weiterhin alles dasjenige, was keine Partei angehe, also interne Weisungen an die Unter-

Der Ministerrat vom 21. Februar 1897: Badenis Optimismus

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behörden, generelle Erlässe, worin die Aufmerksamkeit der Behörden auf dies oder jenes gelenkt, die Haltung der Beamten bestimmt oder eine Anordnung getroffen wird, die keine unmittelbare weitere Verfügung zur Folge hat. In diesem Vorbehalt sah Badeni den Unterschied gegenüber der für Galizien in Kraft gestandenen Verordnung, auf die Graf Gleispach so nachhaltig hingewiesen hatte. Die Möglichkeit, daß eine Sprachenverordnung für Böhmen die Aspirationen „anderer nationaler Parteien" anregen werde, leugnete Badeni. Er glaubte, daß die Gefahr nicht so groß sein dürfte, wie es den Anschein habe. Bei den Böhmen handle es sich um ein Volk von fünf Millionen, das ziemlich kompakt beisammen wohne; sollte in Dalmatien, das zunächst in Betracht kommen würde, in sprachlicher Beziehung eine Änderung getroffen werden, würde dies die Vertauschung nicht des Deutschen mit dem Kroatischen, sondern des Italienischen mit dem Kroatischen bedeuten, also von einer Preisgabe des Deutschen dabei nicht die Rede sein können48). An Badenis Worte anknüpfend hat Graf Welsersheimb noch einmal seinen Standpunkt präzisiert. Er begrüßte die von Badeni ausgesprochene Absicht, in Angelegenheit der Sprachenverordnung vor ihrer Erlassung mit den Parteien das Einvernehmen zu pflegen, um so klarzustellen, welche Wirkungen von dieser Verordnung nach der einen und nach der anderen Seite hin zu erwarten sein werden. Dann erst, nach diesen Besprechungen, sollte die Regierung abwägen und sich darüber schlüssig werden, ob die Verordnung das erreichen werde, was mit ihr bezweckt werde. Sollten sich Bedenken gegen die Verordnung erheben, müsse die Regierung diesen Rechnung tragen. Hinsichtlich der Parteienverhandlungen mit der tschechischen Seite verlangte er, die Jungtschechen weitestgehend zu binden. Er dachte dabei ganz speziell an die Militärvorlage, die damals noch ein Staatsgeheimnis war, die jedoch aus dem Wehrgesetz für jedermann herauszulesen war, da eine Vorlage schon mit Rücksicht auf die in das Jahr 1898 fallende Erneuerung der Bestimmungen über das Rekrutenkontingent kommen mußte. Den Jungtschechen war demnach selbstverständlich bekannt, daß die Militärvorlagen 1898 eingebracht und höhere Leistungen vorgesehen werden mußten. Welsersheimb verlangte daher, daß bei den Versuchen, die Jungtschechen für die Unterstützung der Regierung bei den gesamtstaatlichen Aufgaben zu gewinnen, wenn schon von der Militärvorlage nicht direkt gesprochen werden könne, so doch darauf geachtet werde, daß unter die von der Regierung zu erlangenden Versicherungen „auch die Unterstützung der militärischen Interessen im allgemeinen möglichst kategorisch mit einbegriffen werde, namentlich mit Rücksicht auf den Umstand, daß die Jungtschechen bis in die jüngste Zeit gegen die Armee eine heftige oppositionelle Haltung eingenommen haben". Es müsse ihnen klargemacht werden, daß die Opposition aufhören und die Regierung darauf rechnen können müsse, daß sie in allen wichtigen Fragen, die das militärische Interesse betreffen, die unbedingte Unterstützung der Tschechen finden werde. Mit anderen Worten, Welsersheimb wollte, daß die Tschechen als Preis für die Erlassung der Sprachenverordnung sich verpflichten, ihre Stimme der zu gewärtigenden Militärvorlage zu geben. Die weitere Diskussion, bei der FML. von Guttenberg sich den politischen Ausführungen Gleispachs anschloß und Ledebur die Ansicht vertrat, die vom Justizminister vorgebrachten Bedenken würden durch die neben der Verordnung von Badeni beabsichtigten, die innere Dienstsprache betreffende Deklaration zum 4e

) Bemerkung Kaiser Franz Josephs am Rande : „Das Deutsche muß erst eingeführt werden." Verwaltungsarchiv M.R.Z. 9, f. 93 r .

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

großen Teil behoben, ist nur summarisch im Protokoll dieser Ministerratssitzung festgehalten. Nach Eröffnung der Spezialdebatte über die von Badeni vorgelegten, bereits mit den Tschechen beratenen Verordnungsentwürfe49) machte Handelsminister Freiherr von Glanz aufmerksam, daß sich unter den Behörden, die dem Handelsministerium unterstanden und auf die demnach die Verordnung Anwendung finden sollte, die Post- und Telegraphenämter befänden, von denen nur ein kleiner Teil ärarisch war, während der größere Teil der Landpostämter in einer Art Vertragsverhältnis zur Postverwaltung stand. Da sich unter diesen wenige Postämter befanden, die in der Lage waren, den sich aus der Sprachenverordnung ergebenden Verpflichtungen nachzukommen, verlangte er, festzustellen, daß sich die Verordnung nur auf die nichtärarischen Postämter mit größerem Geschäftsumfang mitbeziehe. Freiherr von Glanz erhielt vom Ministerrat die Genehmigung, einen entsprechenden Passus bei der Bestimmung des § 12 des Entwurfes, dem späteren § 13 des endgültigen Textes, anzubringen50). Leider wurden der erhalten gebliebenen Abschrift der Ministerprotokolle der im Original offensichtlich beigefügte Entwurf Badenis nicht angeschlossen, so daß es nicht möglich ist, die einzelnen Phasen der Änderungen genau zu verfolgen. Gegen den Titel sowie gegen die Paragraphen 1 bis 6 inklusive des Entwurfes wurden vom Ministerrat keine Bedenken oder Bemerkungen vorgebracht, wohl aber hatte Graf Gleispach einen Gegenantrag zum § 7, der die „innere Amtssprache" zu regeln hatte, vorgelegt, da seiner Meinung nach die Stilisierung Badenis „nach Umständen auch zu einer völligen Tschechisierung des inneren Dienstes" führen konnte. Bei dem von Gertraud Hansel51) angeführten Regierungsentwurf dieses Paragraphen handelt es sich nicht um den Text, wie ihn Badeni vorgelegt hatte, auch nicht, wie die Verfasserin meint, um den Entwurf der Regierung nach der Ministerratssitzung vom 20. und 21. Februar 1897, sondern um das am 23. Februar vorgelegte Kompromiß innerhalb der Regierung, die über Antrag Rittners ein Ministerkomitee einsetzte, dem dieser, Gautsch und Gleispach angehörten und das eine alle Momente berücksichtigende Fassung zu finden hatte. Strittig war, welche Sprache bei Amtshandlungen verwendet werden sollte, die nicht über Einschreiten einer Partei eingeleitet wurden, jedoch Angelegenheiten betrafen, deren Erledigung eine Verhandlung mit den Parteien wie Vorladungen oder eine Ausfertigung an diese bedingten. Weiters ging es um die absolute Aufrechterhaltung der bestehenden Bestimmungen der Ausschließung des Tschechischen für den Verkehr mit den Behörden außerhalb Böhmens einschließlich der Zentralstellen und um die Frage, wieweit der § 7 auf den zum Zweck der Erledigung einer Parteisache geführten schriftlichen Verkehr mit anderen, landesfürstlichen, nichtmilitärischen Behörden anzuwenden war. Zum § 8 des Entwurfes, dem späteren § 9, machte der Handelsminister aufmerksam, daß nach der vorgelegten Textierung der zweiten Alinea in dem Falle, wo kein Einverständnis der Parteien hinsichtlich der Sprache eines Entscheides zustande kommt, also bei einer Rechtsentscheidung zwischen einem Tschechen und einem Deutschen, ein Deutscher hätte gezwungen werden können, einer *·) Der eine, die eigentliche Sprachenverordnung, welcher den Gebrauch der Landessprachen bei den Behörden im Königreich Böhmen betraf, der andere, welcher sich als Zusatzverordnung auf die sprachliche Qualifikation der bei den Behörden im Königreich Böhmen angestellten Beamten bezog. 50 ) Auch dieser Zusatz ist in der Art seiner endgültigen Formulierung (siehe Anhang S. 276, § 13) ein Entgegenkommen der Regierung gegenüber den Tschechen. 51 ) G. H a n s e l , Tschechische Stellungnahme S. 34 f.

Der Ministerrat vom 21. Februar 1897: Text der Verordnung

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Verhandlung in tschechischer Sprache beizuwohnen, auch wenn er diese nicht verstanden hätte. So verlangte Glanz, den Text dahin zu ändern, daß fraglichenfalls beim Mangel eines anderweitigen Einverständnisses der Parteien beide Landessprachen zu gebrauchen sind. Dieser Antrag wurde vom Ministerrat angenommen, die Textierung dem bereits eingesetzten Ministerkomitee überwiesen. Dieses legte am 23. Februar die Textierung „beide Landessprachen anzuwenden" vor, die genehmigt wurde. Auf Grund der Verhandlungen mit den Tschechen wurde nachträglich dieser Zusatz in „auch die zweite Landessprache anzuwenden" umgeändert. Die §§ 9 (später 10), 10 (11), 11 (12) wurden von den Ministern ohne Bemerkungen zur Kenntnis genommen. Bei § 12 (später 13) verlangte Glanz die schon zu Beginn der Spezialdebatte genehmigte Einfügung, welche die nichtärarischen Postämter nach Tunlichkeit in die Bestimmungen der Verordnung einbezog, und eine kleine sprachliche Änderung im zweiten Absatz, durch die an Stelle des Ausdruckes „innere Administration" die Bezeichnung „innerer Dienstgang" gesetzt wurde. Auch der § 13 (später 14) gab zu keiner Bemerkung Anlaß, doch beantragte Graf Welsersheimb, daß nach diesem als selbständiger Paragraph die von ihm angemeldete Bestimmung aufgenommen werde, nach der durch die behandelte Verordnung der Gebrauch und die Geltung der Dienstsprache der bewaffneten Macht und der Gendarmerie in keiner Weise berührt werde52), die Korrespondenz mit den militärischen Behörden in der deutschen Dienstsprache aufrecht bleibe und daß allen in deutscher Sprache ergehenden militärischen Anforderungen „stets durchwegs" entsprochen werde. Welsersheimb sprach damit ein wichtiges Prinzip aus, das von großer Tragweite war und das gerade die Tschechen bei verschiedenen Gelegenheiten versucht hatten anzufechten. So hatten sich einzelne Gemeindevorsteher in Böhmen geweigert, das in die Dienstbücher der Gendarmerie einzutragende Visum zu unterschreiben, weil die betreffenden Rubriken deutschsprachig waren. Von besonders weitgehender Bedeutung war der von Welsersheimb vertretene Grundsatz im Hinblick auf eine Mobilisierung, denn die Einberufungskarten, die sonstigen Drucksorten und zahlreichen in solchem Falle ergehenden Anforderungen, auch mobiler Kommanden und Organe, konnten ja unmöglich auf alle in allen Ländern der Monarchie bestehenden Sprachdivergenzen Rücksicht nehmen. Eine solche hätte die Schlagkraft der Armee geradezu untergraben. Es war daher von höchster Wichtigkeit, daß den Anordnungen, die von den Militärbehörden ergingen, in jedem Falle der Vollzug gesichert blieb und dieser nicht durch irgendwelche sprachliche Renitenzen einem Aufschub oder gar einer Verweigerung begegnete. Der Ministerrat hat sich dem Antrag des Grafen Welsersheimb gebeugt, auch Badeni, der wußte, daß bei militärischen Fragen der Kaiser ein feines Ohr hatte, 52

) Schon am 7. Dezember 1888 hatte Welsersheimb im Abgeordnetenhaus erklärt: „In der Armee ist der oberste Wille, daß die Sprache ein Mittel der Verständigung, reeller Leistung und nicht des Streites sei. Für die Armee gibt es keine Sprachenfrage und diese möge in sie auch nicht hineingetragen werden." Ähnlich im Budgetausschuß am 5. Mai 1891 und in der Debatte über das Budget des Landesverteidigungsministeriums am 26. Juni 1891. Am 10. November 1891 erklärte er: „Die Suche nach einer Armeesprache gefährdet den gemeinsamen Bestand des Heeres. Wir können dann vielleicht ein halbes Dutzend Armeen bekommen, bereit, gegeneinander zu kämpfen, aber keine, um die gemeinsamen Interessen der Monarchie zu sichern." Im gleichen Sinne stellte er am 26. Jänner 1893 fest: Die Armee national gruppieren und organisieren wollen, könnte dahin führen, daß diese Gruppen vielleicht eher bereit wären, gegeneinander loszugehen, statt gegen den gemeinsamen Feind. Deshalb ergebe sich die Notwendigkeit der gemeinsamen Armeesprache.

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

ein Einspruch Welsersheimbs gegen die Verordnung aus militärischen Gründen bei Franz Joseph schwer gewogen hätte und ein solcher die Erlassung der Verordnung sehr leicht in Frage stellen konnte. So wurde Welsersheimbs Antrag zur Redaktion und Einfügung in den Entwurf dem bereits erwähnten Ministerkomitee übertragen. Zu § 14 (später 16), der den Termin der Wirksamkeit der Verordnung betrifft, verlangte Graf Gleispach aus Gründen der Verzögerungstaktik, daß kein spezieller Termin angesetzt werde, da die Bestimmungen der zweiten Verordnung genügenden Spielraum gewährten, um etwaige Schwierigkeiten in absehbarer Zeit zu überwinden. Gautsch wies ebenso auf den Konnex dieser Verordnung mit dem zweiten vorgelegten Verordnungsentwurf hin, in dem ausgesprochen war, daß schon dermalen nach Tunlichkeit Vorsorge zu treffen sei, daß die betreffenden Behörden mit sprachkundigen Beamten nach Maßgabe des Bedürfnisses besetzt werden. Gautsch fürchtete, ein allzu rascher Zeitpunkt der Wirksamkeit der Verordnung würde eine große Verschiebung der Beamten zur Folge haben. Er glaubte, daß zwar kein sehr langer Zeitraum, doch einer von etlichen Monaten für den Eintritt der Wirksamkeit der Verordnung offenzuhalten wäre und beantragte, daß kein früherer Termin als der 1. Juli 1897 angesetzt werde. Badeni hat, durch seine Verhandlungen mit den Tschechen diesen gegenüber bereits gebunden, „gegen eine solche Hinausschiebung der Wirksamkeit" protestiert. Dies könnte verschieden gedeutet werden, „und er möchte namentlich vorbeugen, daß nicht die Meinung entstehe, als ob die Regierung irgendwelche besonderen Vorkehrungen aus Anlaß der Verordnung zu treffen gesonnen sei". Er selbst wolle im Bereich des ihm unterstellten Ressorts aus diesem Anlaß keine besonderen Maßnahmen treffen. Badeni fand bei Bilinski und Glanz für seine Ansicht Zustimmung und Unterstützung, so daß der Ministerrat gegen den Antrag des Unterrichtsministers beschloß, die Verordnung am Tage der Kundmachung in Wirksamkeit treten zu lassen. Sogleich nach der ersten Verordnung wurde auch der zweite Verordnungsentwurf, der die sprachlichen Qualifikationen der bei den k. k. Behörden in Böhmen angestellten Beamten betraf, eingehend behandelt. Schon zum § 1 beantragte Gautsch zwei Änderungen. Mit Rücksicht auf das Studienjahr verlangte er die Verlegung der Zeitbestimmung vom 1. Jänner 1900 auf 1. Juli 1900, die vom Ministerrat genehmigt, in der endgültigen Verordnung jedoch nochmals, und zwar auf 1. Juli 1901 geändert wurde. Außerdem wurde seinem Antrag zugestimmt, der Bestimmung „Beamte . . . haben die Kenntnis beider Landessprachen in Wort und Schrift nachzuweisen", nach Wort und Schrift den Zusatz „für den Dienstgebrauch" einzufügen. Diese Modifikation ist im Originaltext nicht berücksichtigt worden. Zum § 2 bemerkte zunächst Badeni, daß es sich hier eigentlich nur um die Manipulationsbeamten handelt, indem für die Konzeptsbeamten der normalmäßige dreijährige Termin für die Ablegung der praktischen Geschäftsprüfung bestand, wobei diese Beamten ihre sprachliche Eignung erweisen mußten. Gautsch hat hier Einwendungen erhoben. Für zertifizierte Unteroffiziere hatte bisher das Erfordernis eines formellen Sprachennachweises nicht bestanden, da man sich begnügt hatte, sich die Gewißheit über die erforderlichen Sprachkenntnisse aus der Konduitentabelle zu holen. Gautsch wies nun darauf hin, daß also in Zukunft ein solcher Unteroffizier, solange er die vorgeschriebene Prüfung nicht abgelegt hätte, nur provisorisch angestellt werden könnte. Diesen Einwand suchte Badeni durch die Feststellung zu widerlegen,

Zeno Graf Welsersheimh. F Z M

1835—1921

Der Ministerrat vom 21. Februar 1897: Text der Zusatz-Verordnung

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daß sich in Beziehung auf die Anstellung dieser Unteroffiziere nur etwa insofern etwas ändern werde, als künftig nicht von vornherein eine bestimmte Sprachkenntnis verlangt werde und sie unter der Voraussetzung schon angestellt werden können, daß sie binnen der vorgeschriebenen Zeit von drei Jahren die Prüfung ablegten. Auf diese Weise glaubte Badeni die bisher von deutscher Seite erhobenen Klagen über die Nichtanstellung von deutschen Unteroffizieren wegen nicht genügender Kenntnis der tschechischen Sprache ausschalten zu können. F Z M . Graf Welsersheimb wandte ein, daß überhaupt noch manches hinsichtlich der Beamten besonders zu regeln sein werde, worüber die vorgelegte Verordnung noch keinen Aufschluß gewähre. Hinsichtlich der zertifizierten Unteroffiziere regte er an, ihnen den sprachlichen Befähigungsnachweis schon in der Zeit der praktischen Erprobung zu ermöglichen, worauf der Ministerrat beschloß, dem eingesetzten Ministerkomitee die Erwägung einer entsprechenden Einschaltung zu übertragen. Im übrigen wurden die Bestimmungen des § 2 im vorgelegten Entwurf akzeptiert. Zum dritten und letzten Paragraphen beantragte Gautsch, daß bei den Worten: „Unbeschadet obiger Bestimmungen, ist schon dermalen nach Tunlichkeit des Dienstes . . ." nach Tunlichkeit der Zusatz „und Zulaß des Dienstes" eingefügt werde, was vom Ministerrat mit einer Mehrheit von fünf Stimmen beschlossen wurde, während hingegen die zweite von Gautsch beantragte Einfügung, „daß . . . die einzelnen Behörden mit sprachkundigen Beamten nach Maß des tatsächlichen Bedürfnisses a l l m ä h l i g besetzt werden", mit allen sonstigen Stimmen abgelehnt wurde, da das Wörtchen „allmählig" mit der Festsetzung der Wirksamkeit der Verordnung mit dem Tage der Kundmachung nicht gut harmonieren würde. Rein rechtliche Überlegungen haben hier den aus klugen politischen Gründen eingebrachten kleinen, doch bedeutungsvollen Zusatz „allmählig" zu Fall gebracht. Auch Graf Gleispach hat zu diesem Paragraphen einen Zusatzantrag gestellt. Er wollte auf seine Weise eine „allmählige" Überführung bei den Gerichtsbehörden erreichen und beantragte daher, die Beiziehung von Dolmetschern in der Verordnung zu verankern, wodurch einerseits einem politischen Bedürfnis, andrerseits dem Streben nach Doppelsprachigkeit nicht der Beamten, sondern der Ämter als solche entgegengekommen wäre. Rechtlich motivierte Gleispach sein Verlangen mit dem Unterschied zwischen dem richterlichen Beamten und jenen der politischen Verwaltung. Der richterliche Beamte bedurfte einer solchen Direktive, da er sich in einer Stellung der Partei gegenüber befand, die ihm nicht gestattete, selbst zu übersetzen. Als Richter fehlte ihm bei der mündlichen Verhandlung die Befugnis dazu. Daher stellte Gleispach fest, „ohne ein solches Mittel zur Hand zu haben, würde es dem Richter, solange die Verordnung über die sprachliche Qualifikation nicht ihre Wirkung geäußert haben wird, nicht möglich sein, mit der Sprachenverordnung daraus zu kommen, sie ehrlich in Anwendung zu bringen". Badeni versuchte diesen Zusatzantrag damit zu Fall zu bringen, daß er argumentierte, diese Bestimmungen könnten geeignet sein, die Deutschen sehr zu irritieren, was Gautsch widerlegte, der darauf hinweisen konnte, daß das Institut der Dolmetscher bei den Gerichten bereits etwas Bekanntes war und es sich um ein Hilfsmittel handelte, das die Justizpflege aus sachlichen Gründen nicht entbehren konnte. Unter dieser Argumentation erhob der Ministerrat schließlich keine Einwendung, verlangte aber, daß der Übergangscharakter des Zusatzes markiert werde. Badeni schloß nach diesem Punkt die Ministerratssitzung. Die Einsichtnahme in die Protokolle der Sitzungen vom 20. und 21. Februar wurde am 22. März von Kaiser Franz Joseph I. bestätigt. 11

Sutter, Sprachenverordnungen I.

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

Das Ministerkomitee hat rasch gearbeitet. Schon am 23. Februar konnte im Ministerrat53) Minister Dr. Rittner über das Ergebnis der Beratungen referieren. Die im Kontext der Verordnung vor dem Worte „Behörden" gesetzte Bezeichnung „k. k." wurde durchweg fallengelassen. Die Formulierung des § 7, wie er vom Ministerkomitee vorgelegt und vom gesamten Ministerrat zum Beschluß erhoben wurde, entspricht nicht dem erlassenen Text, da die Worte „jedoch Angelegenheiten betreifen, deren Erledigung eine Ausfertigung an Parteien zur unmittelbaren Folge hat" im späteren Originaltext fehlen. Das Ministerkomitee hatte als letzten Absatz diesem Paragraphen noch angefügt: „Mit den militärischen Behörden in und außer dem Lande und mit der Gendarmerie ist der Verkehr ausschließlich in der Dienstsprache der bewaffneten Macht zu führen." Minister Dr. Rittner erklärte dazu, das Ministerkomitee sei in Zweifel gewesen, ob nicht statt der Worte „in der Dienstsprache der bewaffneten Macht" die Ausdrucksweise „in der deutschen Sprache" gewählt werden sollte. Graf Welsersheimb hat auf dieses Ansinnen heftig und äußerst erregt reagiert. Er müsse ersuchen, an dem ersteren Terminus festzuhalten, der bisher immer gebraucht worden war und durch den die Betonung des nationalen Elementes vermieden werde, und er müsse sich auf seine Ausführungen vom 21. Februar beziehen. Im Zusammenhang mit dem § 7 könnte der ihn betreffende Absatz so ausgelegt werden, daß er sich nur auf jene Fälle beziehe, in denen eine Sache von einer Partei anhängig gemacht wurde oder in denen eine Erledigung an eine Partei hinausgegeben werden solle. Einer solchen Auslegung wolle er unter allen Umständen vorbeugen und er verlange daher, es müsse in der Verordnung eindeutig zum Ausdruck kommen, daß es bei der ganzen Korrespondenz und beim ganzen internen Verkehr mit den Militärbehörden und deren Organen sowie hinsichtlich aller von diesen gestellten Anforderungen bei den bestehenden Vorschriften zu verbleiben habe. Er lege den größten Wert darauf, daß seine Forderung in einem eigenen Paragraphen statuiert werde, denn „es könne nicht deutlich genug betont werden, daß die vorliegende Verordnung mit der Dienstsprache der Armee absolut nichts zu tun habe sowie daß letztere von allen Versuchen, ihre Geltung in irgendeiner Weise einzuschränken, unberührt zu bleiben habe". Gleispach hat Welsersheimb zu beruhigen und zu begütigen versucht. Ministerkomitee und Ministerrat hätten stets nur das unzweideutige Bestreben bekundet, den Interessen der Armee das vollste Entgegenkommen zu zeigen. Es sei dem Komitee „auch nicht einmal in der Phantasie eingefallen", an den Bestimmungen, welche die Dienstsprache der bewaffneten Macht betreffen, etwas zu ändern oder diese zu beschränken. Mit dem Schwanken zwischen „Dienstsprache der bewaffneten Macht" und „deutsche Sprache" und der Anfrage beim Ministerrat sei „nicht eine Polemik, sondern im Gegenteil ein Entgegenkommen gegenüber den Intentionen der Militärbehörden beabsichtigt gewesen". Er stimme dem Wunsche Welsersheimbs nach einem eigenen Paragraphen selbstverständlich zu. Er habe nur ein Bedenken gehabt, „daß nämlich der Gedanke in der Öffentlichkeit gar nicht erweckt werden sollte, und das würde vielleicht gerade durch eine spezielle Bestimmung geschehen —, als könnte die Regierung eine Änderung der Dienstsprache der bewaffneten Macht im Verordnungswege vornehmen". Auch Badeni erklärte, daß er dem Wunsche des Verteidigungsministers selbstverständlich Rechnung tragen werde, obwohl er den Passus in der vom Komitee beim § 7 beantragten Form für deutlich genug halte. Da sich FML. von Guttenberg, Gautsch und selbst Bilinski dem 53

) Das Protokoll dieser Sitzung wurde nicht wie die anderen von Dr. Robert von Hörmann geführt und ist weniger ausführlich, an einigen entscheidenden Stellen unklar und zerfahren.

Der revidierte Text

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Wunsche Welsersheimbs anschlössen, wurde der umkämpfte Passus im § 7 gestrichen und der dann als § 15 aufgenommene Text beschlossen. Die Jungtschechen haben bei den späteren Verhandlungen diesen Paragraphen ohne Bemerkung zur Kenntnis genommen54). Bei der Beratung der zweiten Verordnung konnte Gautsch beim § 2 als zweites Alinea folgende im Originaltext aufscheinende Einfügung durchsetzen: „Letztere Prüfung kann Manipulationsbeamten nachgesehen werden, wenn deren sprachliche Eignung während ihrer probeweisen Verwendung in zweifelloser Weise nachgewiesen wird." Die am 21. Februar von Gleispach beantragte Verankerung der Beiziehung von Dolmetschern in der Verordnung als Zusatz zum § 3 wurde vom Ministerkomitee vorgelegt und vom Ministerrat beschlossen55), fehlt jedoch im erlassenen Verordnungstext56). Badeni stellte anschließend fest, daß hiermit beide Verordnungen „in der vorstehenden Form seitens des Ministerrates zum Beschluß erhoben" erscheinen und daß, nach einem weiteren Beschluß, die von den einzelnen Ministern auf Grund der kaiserlichen Weisung hinauszugebenden Ressortverordnungen dem Ministerrat zur Beratung vorzulegen sein werden. In dieser Sitzung vom 23. Februar hat Gautsch versucht, einen Antrag durchzubringen, demzufolge „in die Verordnung über die A m t s spräche auch eine Bestimmung des Inhaltes Aufnahme zu finden hätte, daß hierdurch die D i e n s t 54

) Entscheidend dafür war die von Kramár eingenommene Haltung, die er im Zusammenhang mit der „Zde"-Frage in seinen „Anmerkungen zur böhmischen Politik" (S. 35 f.) erhellt: „In solch einem Augenblick, in welchem der politische Verstand eines Kindes hinreichen würde, um zu erfassen, daß es geradezu — man verzeihe mir das harte Wort — dumm ist, gegen sich einen so mächtigen Faktor im Staate aufzubringen, wie es die militärischen Kreise sind, und das zu einer Zeit, in welcher man in Wien gegen den deutschen Ansturm eine Stütze in den nichtdeutschen Völkern suchen mußte . . ., hat man es bei uns für ratsam erachtet, gegen das böhmische Volk die Heeresverwaltung aufzuhetzen . . . Und wiederum erwies sich bei uns die Furcht vor dem Radikalismus stärker als die primitivste politische Räson." 5ä ) „Insoferne dieses dermalen bei einzelnen Gerichts- und staatsanwaltschaftlichen Behörden nicht bewirkt werden könnte, sind die Vorschriften der Verordnung vom . . . über den Gebrauch der Landessprachen bei mündlichen Gerichtsverhandlungen und anderen unter Mitwirkung der Parteien bei Gericht vorzunehmenden gerichtlichen Amtshandlungen mit Hilfe der Beiziehung eines Dolmetschers durchzuführen." (Bei J. Κ a i ζ 1, Ζ mého zivota III, S. 564.) 56 ) Zu den Motiven, warum die Tschechen die Beiziehung von Dolmetschern ablehnten, vgl. K. K r a m á r (Böhm. Politik S. 31 f.): „Je entschiedener wir auf dem für uns kardinalen Grundsatz beharren müssen, daß jeder, ob Böhme oder Deutscher, bei jeder Behörde im Königreich Böhmen in seiner Sprache sein Recht finden muß, u n d z w a r sein volles Recht, n i c h t m i t Z u h i l f e n a h m e v o n D o l m e t s c h e r n , s o n d e r n v o n e i n e m o r d e n t l i c h e n r i c h t e r l i c h e n B e a m t e n , der bei dem betreffenden Amte zum regelmäßigen Amtsdienste eingesetzt ist, um so eher können wir im Interesse eines Übereinkommens in sprachlichen Angelegenheiten von der Forderung der Zweisprachigkeit abstehen, wo dies . . . nicht absolut notwendig ist. Allerdings unter dem Vorbehalte, daß dasselbe in Bezug auf die Kenntnis der deutschen Sprache für böhmische Beamte gelten soll. Gerade diese gegenseitigen Konzessionen werden naturnotwendig zum f a s t a b s o l u t b ö h m i s c h e n C h a r a k t e r u n s e r e r B e h ö r d e n führen, und ich gestehe, daß für mich wenigstens dies das wichtigste Postulat ist. M i t d e m A m t s d e u t s c h b r a c h t e n a u c h u n s e r e B e a m t e n d e n d e u t s c h e n , z e n t r a l i s t i s c h e n G e i s t m i t und wenn einmal unsere Behörden wieder innerlich böhmisch sein werden, dann werden die Dinge in dieser Hinsicht um vieles besser stehen." (Sperrung hier.) 11*

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V. Badems Versuch mit untauglichen Mitteln

s p r ä c h e nicht berührt werde". Die sehr knapp gehaltene und von einem sonst nicht herangezogenen Protokollführer verfaßte Niederschrift übergeht diesen bei Badeni auf völlige Ablehnung stoßenden Antrag, so daß Gautsch am 4. März 1897 einen Einsichtsvermerk anbrachte, unter Hinweis, daß sein Antrag vom Ministerpräsidenten nicht zur Abstimmung gebracht wurde. In der Ministerratssitzung vom 5. März verwahrte sich Badeni gegen diese Einsichtsbemerkung und gegen den Anschein, es wäre von seiner Seite ein während der Verhandlung gestellter Antrag wissentlich nicht zur Abstimmung gebracht worden. Badeni bestritt dabei nicht, daß eine Abstimmung über den Antrag Gautsch nicht erfolgte, betonte aber, daß ihm jede Absicht ferngelegen wäre, eine Abstimmung hintanzuhalten. Er warf vielmehr Gautsch vor, obwohl es der Gang der Verhandlungen leicht ermöglicht hätte, unterlassen zu haben, die Abstimmung über seinen Antrag herbeizuführen. Badeni bat daher, künftig rechtzeitig während der Verhandlung zu erinnern, „damit nicht der Vorsitzende erst im Wege einer nachträglichen Bemerkung im Protokolle von der bezüglichen Unterlassung Kenntnis erhalte". Gautsch, der mit seiner Bemerkung im Protokoll nur die Tatsache konstatieren wollte, daß er den Antrag gestellt hatte, erwiderte, er sei zu dieser Feststellung veranlaßt worden, da bei einer Berücksichtigung seines Antrages im Protokoll, gegen das sich seine Eintragung in erster Linie richtete, auch jene Äußerungen Aufnahme gefunden hätten, die der Ministerpräsident in Erwiderung vorgebracht hatte und die zugleich die Erklärung dafür boten, warum der Antrag nicht zur Abstimmung gelangte. Es liege ihm fern, gegen die Übung der Präsidialgewalt des Ministerpräsidenten etwas vorbringen zu wollen. Warum die Abstimmung über den Antrag, den er für sich als wichtig bezeichnen müsse, unterblieb, sei ihm gegenwärtig. Er habe sie während der Sitzung deshalb nicht weiter betrieben, weil er nach der Erwiderung des Ministerpräsidenten erkannt habe, daß sein Antrag unter den gegebenen Umständen aussichtslos wäre. Im Ministerrat vom 5. März konnte Badeni mitteilen, daß Kaiser Franz Joseph den Vortrag über die Sprachenverordnung „bereits allergnädigst zu resolvieren" geruhte und daß die erforderlichen Einleitungen zu den Unterredungen mit den Parteien getroffen seien. Da Badeni um Nennung jener Minister bat, die bei den offiziellen Besprechungen gemeinsam mit ihm intervenieren sollten, einigte sich der Ministerrat dahin, daß Finanzminister Bilinski und Justizminister Gleispach als die Vertreter der beiden neben dem Ministerium des Innern meistbeteiligten Ressorts sowie eventuell Ledebur als Ackerbauminister zu den Verhandlungen beizuziehen wären. Bereits zuvor war an diesem Tag im Ministerrat der Inhalt der Allerhöchsten Thronrede zur Sprache gekommen. Badeni bat, als Grundlage für weitere Beratungen Gautsch mit der Verfassung eines ersten Entwurfes der Thronrede zu betrauen, in der nach Ansicht des Ministerpräsidenten jedenfalls die Wahlreform erwähnt und der Umstand entsprechend betont werden sollte, daß das Abgeordnetenhaus nunmehr zum ersten Male in der durch die Wahlrechtserweiterung geschaffenen Zusammensetzung in Aktion trete und vorläufig in dieser Richtung ein gewisser Stillstand eintrete. Weiters sei der Ausgleich mit Ungarn zu nennen, da sich das neue Haus mit diesem unmittelbar zu beschäftigen haben werde. Auch ein Rückblick auf die Leistungen des früheren Reichsrates dürfte nicht fehlen, um daran eine Darlegung dessen anreihen zu können, was in weiterer Ausgestaltung des Geschaffenen zunächst noch nötig sein werde. Damit wäre der Übergang zu dem in Aussicht genommenen Arbeitsprogramm der Regierung

Beratung der Thronrede Kaiser Franz Josephs

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gegeben. Die Minister möchten daher dem Unterrichtsminister ihre Notate zukommen lassen, damit er die auf die einzelnen Ressorts sich beziehenden Punkte berücksichtigen könne. Wie schon einmal erwähnt, habe er, fuhr Badeni fort, „auch die Idee, daß in die Allerhöchste Thronrede ein — kurz ausgedrückt— autonomistischer Passus aufzunehmen wäre". Der Passus über die auswärtigen Beziehungen dagegen werde, wie üblich, im Einvernehmen mit dem Minister des Äußeren erst bei Abschluß des Textes festgestellt und entsprechend eingefügt werden. Gautsch, der zunächst in sachlicher Beziehung mit Badeni übereinstimmte, bat, bei den Programmpunkten der einzelnen Ressorts so wenig als möglich in Details zu gehen, da es nicht geraten erscheine, über die positive Arbeit, die das künftige Parlament nach Anschauung der Regierung zu leisten haben wird, zuviel im voraus zu sagen. Er glaubte jedoch, „daß an passender Stelle — wenn auch nur andeutungsweise — etwas über das sozialpolitische Programm zu sagen wäre, aber nicht in Verbindung mit dem Spezialprogramm eines einzelnen, hierbei näher berührten Ressorts, sondern als allgemein politischer Gesichtspunkt, welcher mit Rücksicht auf die großen Fragen der Zukunft sich nicht umgehen läßt"57). Bezüglich des autonomistischen Passus müsse er allerdings vorerst vom Ministerpräsidenten noch eine genaue Präzisierung dessen, was dieser damit beabsichtige und vorhabe, erbitten, da er nicht wisse, wie der vorgeschlagene Passus aufzufassen sei. In persönlicher Hinsicht schlage er vor, nicht ihn, sondern Dr. Rittner mit dem Entwurf der Thronrede zu betrauen; doch beschloß der Ministerrat, Gautsch und Rittner gemeinsam die Aufgabe zu übertragen. Dem Ministerpräsidenten, von Gautsch zur Äußerung genötigt, fiel es schwer, mit wenigen Worten präzise auszudrücken, was ihm bei seiner Anregung eines autonomistischen Passus vorschwebte. Er wollte, wie er selbst wörtlich betonte, vor allem nicht den Gedanken aufkommen lassen, „als wenn auf diesem Wege irgend etwas eingeführt werden solle, was den Grundsätzen der Verfassung zuwiderlaufe". Zunächst denke er „an eine mögliche und im hohen Grade erwünschte Entlastung des Reichsrates innerhalb der durch die Verfassung gezogenen Grenzen, überhaupt an eine tunliche Vereinfachung im Bereich der Legislative und der Administration", da der bisherige Zustand nicht auf die Dauer aufrecht bleiben könne. Auch auf dem Gebiet der Verwaltung glaube er „eine gewisse Einschränkung der ministeriellen Agenden für angemessen und erreichbar", ohne gegen irgendein Grundprinzip zu verstoßen „oder die Einheit zu lockern". Den „leichtesten Anknüpfungspunkt" für einen autonomistischen Passus dieser Bedeutung sah Gautsch im allgemeinen nicht bloß auf seiten der sogenannten autonomistischen Parteien, sondern auch in dem bei den Deutschen bestehenden Wunsch nach einer legislativen und administrativen Vereinfachung. ") Dieser Passus lautet in der Thronrede vom 29. März 1897: „So wichtig sich auch diese Ausgestaltung der Verfassung für die staatliche Gemeinschaft darstellt, sie erhält ihre volle Bedeutung in dem Bestreben nach gesunden Reformen. Ihre Tätigkeit wird darauf gerichtet sein, für die Bevölkerung in materieller und kultureller Beziehung ausreichende Vorsorge zu treffen und innerhalb des Rahmens der bestehenden Gesellschaftsordnung vorhandene Gegensätze zu mildern, ohne an die Leistungsfähigkeit der Unternehmer für sozialpolitische Zwecke übermäßige Ansprüche zu stellen und ihre auch den Arbeitern zugute kommende Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Auslande zu schwächen. In diesem Sinne wird Meine Regierung zunächst Entwürfe für eine Reform des Unfallund Krankenversicherungsgesetzes vorlegen."

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

Da allgemein geklagt wurde, daß die Landtage zuwenig Zeit für die Erledigung ihrer Geschäfte hätten, glaubte Gautsch, die Regierung könnte in der Thronrede die Absicht zu erkennen geben, in Zukunft den Landtagen die Möglichkeit zu einer eingehenderen Behandlung ihrer Angelegenheiten zu bieten, was von selbst einschloß, daß man bestrebt sein werde, künftig die Tätigkeit des Reichsrates mehr als bisher auf das unumgänglich Notwendige einzuschränken und allfallige Zweifel in Beziehung auf die Kompetenz des Reichsrates oder der Landtage eher zugunsten der letzteren zu entscheiden. Es sei ja richtig, daß sich der Reichsrat mit vielen Dingen befasse, die nicht streng in seine Ingerenz fallen oder fallen müssen. Es könne daher nach seiner Meinung ein ganz allgemein gehaltener Ausspruch sehr wohl erfolgen, ohne daß man dabei von Erweiterung der Autonomie spreche oder dieses Wort überhaupt gebrauche, das leicht zu einer mißverständlichen Deutung Anlaß bieten könnte58). Minister Dr. Rittner pflichtete Gautsch bei. Er müsse auf die grundsätzliche Verschiedenheit zwischen dem Begriff der Autonomie in politischer Beziehung und in Hinsicht auf die Verwaltung aufmerksam machen. „Gegen eine Vereinfachung der letzteren im Sinne des Prinzips der Selbstverwaltung würden vom politischen Standpunkt wohl keine Bedenken obwalten. Hingegen wäre betreffs der politischen Autonomie außerordentliche Vorsicht geboten, falls es sich um eine Ausdehnung der legislativen Kompetenz der Länder und nicht bloß darum handeln sollte, den Landtagen mehr Zeit für ihre Arbeiten zu gewähren als bisher." Mit einigen allgemeinen, lediglich Verfahrensfragen betreffenden Worten hat Badeni die Debatte über die Thronrede beschlossen. Nach den Protokollen des Ministerrates hat er der Ansicht Rittners von der Gefährlichkeit einer Ausdehnung der legislativen Kompetenz der Länder nicht widersprochen. Der Grazer Kirchenhistoriker Andreas Posch, der nach seinem eigenen Ausspruch „in Wort und Schrift für eine Ehrenrettung Badenis und seiner Sprachenverordnungen" eintrat59), hat 1948 die Sprachenverordnung charakterisiert als einen „Schritt zur Dezentralisation, zur Autonomie, die eher auf den geschichtlichen Rechten der Länder, als auf der nationalen Grundlage aufruhen sollte". Durch die Zurücknahme der Sprachenverordnungen sei der Schritt zum Föderalismus, zum Aufbau eines österreichischen Nationalitätenstaates „rückgängig" gemacht und „dieser Weg nie mehr ernstlich beschritten" worden. Mit dieser Formulierung wird der Eindruck erweckt, als habe Badeni ernstlich die Absicht gehabt, diesen Weg zu beschreiten. Mag Badeni mit solchen Gedanken sich heimlich getragen und mit dem Föderalismus und der Länderautonomie geliebäugelt haben — Posch selbst sagt anfänglich, daß es eine offene Frage sei, ob Badeni als Ziel die Anerkennung des böhmischen Staatsrechtes wollte60) —, eindeutig sich zu einer solchen staatsmännischen Konzeption zu bekennen, fand 58

) Der autonomistische Passus der Thronrede : „Umfang und Zahl der Ihnen zukommenden Vorlagen stellen an Sie große Ansprüche, aber Ich setze in Ihren guten Willen und Ihre Arbeitskraft das Vertrauen, daß Sie ihre Erledigung auch deshalb zu beschleunigen wissen werden, um den Landtagen aller Königreiche und Länder ein größeres Maß von Zeit und freiere Bewegung für ihre Tätigkeit zu gestatten. Diese Forderung ergibt sich aus der Rücksicht für die richtige Besorgung der, der autonomen Entscheidung der Landtage zugewiesenen Angelegenheiten, welche im Laufe der Zeit aus sachlichen Gründen und im Interesse einer rascheren Administration nur eine Vermehrung erfahren können." si ) Α. Ρ o s c h, Heinrich Ritter von Srbik f S. 189. — B. S u t t e r , Andreas Posch S. 64. e0 ) A. P o s e h, Badeni, heute gesehen S. 32, 36.

Tschechische Bedenken gegen den revidierten Text

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Badeni jedenfalls, was das Ministerratsprotokoll belegt, nicht den Mut. Selbst Rramáí schreibt Badeni nur den „großen politischen Gedanken" zu, bereit gewesen zu sein, in den kulturellen Belangen den Wünschen der Tschechen sukzessive nachzukommen. „Die Durchführung des inneren Gehaltes des böhmischen Staatsrechtes wollte niemand", schreibt er, als die Tschechen allein, die verpflichtet gewesen, eine Regierung zu unterstützen, welche den Tschechen „in jeder Hinsicht, die staatsrechtlichen Postulate ausgenommen", entgegenkommen wollte. Die Tschechen waren mit der am 23. Februar und 5. März vom Ministerrat beschlossenen Fassung des Verordnungsentwurfes nicht einverstanden, da er nicht die Erfüllung der Forderung nach Gleichberechtigung in der inneren Amtssprache brachte und außerdem Badeni nunmehr entgegen seinen ursprünglichen Zusagen als Gegenwert für die Verordnungen den Eintritt in die Parlamentsmajorität verlangen mußte. Am 7. März richtete Kaizl schriftlich von Prag aus an Badeni die Bitte um Verbesserung der Entwürfe. Dr. Kaizl an Badeni61): Bei der Unterredung am 3. ds. Mts. habe ich Ihnen gesagt, es hänge alles, was jenseits der Sprachen-Verordnung liegt, von dem Eindrucke ab, welchen diese Verordnung erzielen wird. Es ist daher notwendig, daß Sie gerade über diesen Eindruck, soweit er bisher zu überblicken ist, informiert sind. Deshalb schreibe ich Ihnen und bitte selbstverständlich um volle Vertraulichkeit, nunc et semper. Die Verordnung I, wie sie aus dem Conseil gekommen ist, sehr bedeutend abgeschwächt gegenüber jenem revidierten Texte, welchen Sie mir am 9. Januar 1897 zur Einsicht mitteilten. § 7 bedeutet kaum mehr die innere böhmische Amtssprache, sondern eine quantitative Änderung der Verordnung ex 1880; ganz anders ist der correspondierende § 6 des besagten revidierten Textes. Bei § 13 wird die Beschränkung der Ausnahme auf die Post-Sparkasse verlangt und eine teilweise Remedur für die staatlichen Etablissements. Im § 9 erregt die neue Fassung des 2. Absatzes Anstoß. Im § 12 wurden die Depositenbücher und Eisenbahnbücher ausgelassen. § 15 ist ein problematisches Novum. Im § 16 wird die ausdrückliche Anführung wenn auch nur demonstrativ der Erlässe v. J. 1852 u. der Verordnung ex 1880 vermißt. Endlich wird eine Erwähnung der Unterrichtsbehörde für notwendig erachtet, — wenn vielleicht auch in einer besond. Verordnung oder Amtserinnerung: so wie die 2sprachigkt. bei äußerem Zugdienst der Eisenbahnen. Die Verordnung II befriedigt, vorausgesetzt, daß der letzte Absatz des § 3 entfällt u. daß die auspunktierten Stellen nichts Schlimmes verbergen. Soviel hinsichtlich der Verordnungen an sich. Nun zu den begleitenden Umständen und zur Stellung, welche diesen Verordnungen im System der politischen Ereignisse angewiesen wird. Es wird ein vierfaches releviert: 1. daß die Erlassung der Verordnungen vor den Wahlen absolut wie losgelöst von jedem anderen Zusammenhang erwartet w. durfte, 2. daß dann der Aufschub bis nach den Wahlen kam u. damit 3. zugleich die Erlassung der Verordnungen an zuvor zu perfektionierenden Stipulation geknüpft wird, u. 4. daß die Verordnungen durch das Conseil sehr einschneidend abgeändert sind. Im Sinne des ersten Momentes ist nun zunächst nur eine befriedigende Ausgestaltung der Verordnungen anzustreben (werden). Die absolute Erlassung der Verordnungen soll den Boden herstellen, auf dem dann eine Transaktion zu ruhen hätte. Mit dieser Direktive werden die drei Verordnungs-Referenten Mittwoch Vormittags erscheinen. Ich fasse die Situation heute viel weniger pessimistisch auf, als unmittelbar nach der vorgestrigen Beratung. Aber als conditio sine qua non erachte ich eine gewaltige Verbesserung der Verordnungen. 61

) J. Κ a i ζ 1, Ζ mého zivota III, S. 560 f. (Nach dem Konzept.)

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V. Badems Versuch mit untauglichen Mitteln

Am 11. März berief Badeni die tschechischen Abgeordneten Herold, Kaizl, Pacák, Engel und Kramár zu sich, um über ihre Wünsche zu beraten. Im Verlauf der Debatte stellte er die Herausgabe einer gleichlautenden Verordnung für Mähren in ungefähr sechs Monaten in Aussicht. Nach Kaizls Tagebuch nahm Badeni diesmal die tschechischen Einwendungen mit großem Widerstreben zur Kenntnis, da er keine Zugeständnisse machen wollte. Gertraud Hansel ordnet in ihrer Dissertation62) an dieser Stelle den Bericht Josef Peniceks ein: „Ich bedaure jetzt, daß ich zum Andenken nicht habe in Farben eine graphische Darstellung aller Veränderungen der strittigen und wichtigen Artikel dieser Verordnungen photographieren lassen; es wäre dies ein interessantes Dokument und auch ein lehrreiches. Es würde beredt verkünden, wie schwer und mühsam wir jeden Fußbreit des Fortschrittes in der Geltendmachung der nationalen Rechte erkämpfen müssen. Das Original ist lithographiert. Die ersten Korrekturen sind mit schwarzer Tinte gemacht, die zweiten mit Bleistift, die dritten mit blauer Tinte, die vierten mit roter. Dann ist die ganze Stilisierung einfach durchgestrichen und nebenan in margine ist eine neue niedergeschrieben. In dieser wiederholt sich abermals die ganze Prozedur mit allen Regenbogenfarben."

Der Bericht über diesen für die zähe Verhandlungstaktik der Tschechen so aufschlußreichen Verhandlungsvorgang gehört allerdings einem früheren Stadium an. Aus dem Bericht Badenis im Ministerrat vom 22. März 1897 wissen wir, daß bei den nun erst einsetzenden offiziellen Verhandlungen die Jungtschechen geneigt waren, den Deutschen die gewünschten Kurien zuzugestehen und keine Einwendungen gegen die deutsche Dienstsprache zu erheben. Einen Hauptpunkt der tschechischen Forderungen bildete allerdings ihr Verlangen, daß Mähren eine Sprachenverordnung erhalte, und zwar, wenn auch nicht unter einem mit der Verordnung für Böhmen und abgesondert von dieser, so doch möglichst gleichzeitig. Die Tschechen machten diese Forderung geradezu zu einer Conditio sine qua non, und Badeni erklärte im Ministerrat, er halte es für ausgeschlossen, daß ohne diese Konzession etwas mit dieser Partei anzufangen sein werde. Über den Verlauf der Verhandlungen Badenis mit den Deutschen sind wir weniger gut unterrichtet, trotzdem ist es möglich, Licht in diese Frage zu bringen. In der Literatur haben sich zwei an sich widersprechende Ansichten festgesetzt. Einerseits wird behauptet, Badeni habe zwar mit den Deutschen verhandelt, sie aber nur mangelhaft informiert und ihnen die wesentlichsten Punkte der Verordnung falsch dargestellt oder verschwiegen, somit die deutschen Unterhändler wissentlich getäuscht. Nach der zweiten stets wiederkehrenden Ansicht habe es sich gerade konträr verhalten. Nicht die Deutschen, sondern vielmehr Badeni sei von zahlreichen deutschen Parteiführern und Abgeordneten irregeführt worden. Vor allem die Vertreter des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes wären mit den Verordnungsentwürfen im großen und ganzen einverstanden gewesen und hätten nur gegen die geforderte Zweisprachigkeit der Beamten Bedenken geäußert. Die Vertreter der ersteren Ansicht berufen sich auf Baernreither, der in seinem immerhin erst nachträglich niedergeschriebenen Tagebuch63) sagt, daß bei den Verhandlungen mit Badeni, der „mehr und mehr mit der apodiktischen Behaup6î

) G. H a n s e l , Tschechische Stellungnahme S. 37. ) J. M. B a e r n r e i t h e r , Verfall des Habsburgerreiches S. 4 f.

63

Verhandlungen mit den Deutschen

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tung" auftrat, die Sprachenverordnung sei „unausweichlich"64), seine Bedenken gegen dessen ganzes Vorgehen und gegen den Inhalt der Sprachenverordnungen, „die niemand zu Gesicht bekam und die er in ganz verschiedener Weise darstellte", immer mehr und mehr gestiegen seien. Wenige Zeilen zuvor schreibt Baernreither allerdings in seinem Tagebuch, daß die letzten Tage des Februar und die erste Hälfte März von einer Reihe von Konferenzen ausgefüllt waren, „die Badeni mit Gruppen unserer Partei über die Frage der Sprachenverordnung und seine Zukunftspolitik hatte. Es waren immer vier bis sechs Herren, die zu ihm gebeten wurden, denen er seine Absichten auseinandersetzte und die ihm ihre Ansichten darüber mitteilten. Bei dieser Gelegenheit wiederholte Badeni immer dasselbe. Es sei sein aufrichtiges Bestreben, mit den Deutschen zu regieren, doch müsse er die Jungtschechen gewinnen; er habe sich dem Kaiser gegenüber verpflichtet, den Ausgleich (mit Ungarn) zustande zu bringen und dafür bedürfe er der Tschechen. Wollen die Deutschen die Situation nicht akzeptieren, so würden den Tschechen die Konzessionen doch gemacht werden, jedoch ohne Kompensationen für die Deutschen, welche in der Opposition in die denkbar schlechteste Lage kommen würden." Baernreither vermerkt weiters in seinem Tagebuch einen von ihm an Badeni gerichteten Brief65), der eine weitestgehende Einweihung in die Einzelheiten der Verordnung voraussetzt, da Baernreither forderte, „es müßten jene Härten und undurchführbaren Konsequenzen der Verordnung beseitigt und die übrig bleibende bittere Pille durch sofort realisierbare Kompensationen versüßt werden, damit ein gewisses tolerari posse erzielt würde". Die gegenteilige Auffassung, nicht Badeni habe die Deutschen, sondern vielmehr die Deutschen, besonders Baernreither und der Verfassungstreue Großgrundbesitz, hätten Badeni getäuscht, fußt in erster Linie auf Badeni selbst66) und auf tschechischen Darstellungen und Memoiren67). Zur Erhärtung dieser Ansicht könnte auch auf zwei Stellen in Josef Redlichs politischem Tagebuch hingewiesen werden. Gelegentlich einer eingehenden Aussprache zwischen ihm und Ernst v. Koerber am 5. November 1909, vier Monate nach Badenis Tod 68 ), kam Koerber auf Badeni zu sprechen, mit dem er in Karlsbad kurz vor dessen 64

) Ähnlich Heinrich Prade, später Minister im Kabinett Beck, in seinen, leider nur mehr zum Teil erhalten, sich heute noch in Privatbesitz befindlichen handschriftlichen Erinnerungen : „Schon im Jahre 1897 vor Erlassung der Sprachenverordnungen versuchte Graf Badeni die Deutsche National-Partei für seine Regierungspolitik zu gewinnen. Dr. Steinwender und ich verhandelten separat mit ihm, blieben aber untereinander in Fühlung. Er machte mir auch den Vorschlag, es möchten 1 oder 2 Mitglieder unserer Partei in sein Kabinett eintreten, worauf ich ihm schon damals antwortete, er möge mit Dr. v. Derschatta in Graz und Dr. Karl Schücker in Reichenberg in Verhandlung treten. In meiner letzten Unterredung mit Graf Badeni, die im Ministerium des Innern in seiner Privatwohnung stattfand, warnte ich ihn ernstlich vor der Erlassung der Sprachenverordnung. Er schloß mit den Worten: ,Die Sprachenfrage ist das Wichtigste. Der gordische Knoten muß durchhauen werden und ich werde ihn durchhauen, mit dem anderen Quark werden wir dann schon fertig werden.'" °5) J. M. B a e r n r e i t h e r , Verfall des Habsburgerreiches S. 5 Anm. 1. 6δ ) G. Κ o 1 m e r, Parlament u. Verfassung VI, S. 207. ") J. Ρ e η i i e k, Bewegte Zeiten S. 48, 56. — Κ. K r a m á f , Böhmische Politik S. 19. — Ζ. Τ o b o 1 k a, Politické dëjiny ceskoslovenského národa III/2, S. 144. — Wenn G. H a n s e l (Die tschechische Stellungnahme S. 31) bemerkt, „auch A. Posch (Badeni S. 34) ist dieser Ansicht", so beruht dies auf einem Irrtum. 6e ) Badeni starb am 9. Juli 1909 in Kraäne.

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

Tod gespeist hatte. Nach Redlichs Eintragungen69) „meinte" Koerber zu ihm : „Badeni sei doch sehr ungerecht beurteilt worden. Er könne das um so ruhiger sagen, als er Badeni scharf opponiert habe, als er sein erster Sektionschef war. Auf meine Frage gibt Koerber zu : es sei richtig, er habe mit Badeni einen sehr scharfen Auftritt gehabt, von dem an er sich ganz passiv verhielt. Dies geschah, als er in Angelegenheit der Statthalterei — Abteilung Triest, glaube ich — merkte, daß Badeni hinter seinem Rücken direkte seine Sektion betreffende Anordnungen traf. Da habe er gemerkt, daß die Polen doch andere Vorstellungen von Loyalität im Dienste hätten als wir. Badeni sei von zahlreichen angesehenen deutschen Abgeordneten über die Bedeutung der Sprachenfrage irregeführt worden. Koerber sprach dann sehr scharf über die politische Unklugheit und Unverläßlichkeit der Deutsch-Österreicher, ferner darüber, wie tief jetzt das Niveau der deutschen Abgeordneten gesunken sei." Die zweite Stelle findet sich unter den Eintragungen zum 9. März 1910. Bei der an diesem Tag von Rudolf Sieghart, dem Vorstand der Präsidialkanzlei des Ministerpräsidenten, gegebenen Abendgesellschaft traf Redlich den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Baron Ignaz Ruber, Justizminister in den Ministerien Gautsch I und Thun. Ruber erzählte hier nun Redlich, „wie er als Sektionschef unter Badeni den Justizminister Graf Gleispach vor Erlassung der Sprachenverordnungen gewarnt habe, jedoch umsonst. Dr. Schlesinger, der Führer der Deutschen in Böhmen, habe die Verordnungen als zulässig bezeichnet!"70) Sind die Worte Koerbers vom letzten Beisammensein mit dem Grafen Badeni beeinflußt, befand sich Ruber als Justizminister im Kabinett Thun in der Abhängigkeit des Finanzministers Josef Kaizl, wie dessen nach seinem Tode von tschechischer Seite veröffentlichter Briefwechsel aus seiner Ministerzeit beweist. Redlich selbst schreibt, daß man aus den Briefen Kaizls sieht, wie dieser „als Exekutivorgan der Jungtschechen in dem Verwaltungsapparat des Staates gleich einer nagenden Ratte herumrumort" 71 ). Die Tschechen hatten ein Interesse, Badeni nachträglich in Schutz zu nehmen und die Deutschen für die Erlassung der Sprachenverordnung für Böhmen mitverantwortlich zu machen. Leider sind von Badeni keine Tagebücher, noch von deutscher Seite Briefe bekannt, die den Verlauf der Verhandlungen Badenis mit den Führern der Deutschen in Böhmen im einzelnen verfolgen und die nachträglichen Darstellungen überprüfen lassen. Feststeht jedenfalls, daß Badeni von deutscher Seite mit Nachdruck vor der Erlassung der Sprachenverordnung gewarnt wurde. Die voraus erhobenen Einwände der Deutschen waren sehr ernst. Im Nachlaß Baernreithers befindet sich ein Brief, den Badeni ihm am 13. März 1897 schrieb und der — offensichtlich Badenis Antwort auf Baernreithers im Tagebuch vermerkten eigenen Brief an Badeni — für die Frage, ob Badeni getäuscht worden sei, sehr aufschlußreich ist72). 69

) J. R e d l i c h , Politisches Tagebuch I, S. 29. ) Ähnlich auch A. S p i t z m ü l l e r in seinen Erinnerungen („ . . . und hat auch Ursache, es zu lieben" S. 34) : „Graf Badeni hat übrigens, wie ich aus streng vertraulicher, aber zuverlässiger Quelle erfuhr, den Text der Sprachenverordnungen vor deren Veröffentlichung einer Reihe von prominenten deutschen Politikern mitgeteilt, welche den Entwurf zwar nicht einwandfrei, aber doch als diskutierbar bezeichnet hatten. Badeni aber war zu vornehm, um diesen Sachverhalt der Öffentlichkeit mitzuteilen, da er sich durch die Gebote der Diskretion für gebunden erachtete, obwohl ihm der Kanzleivorstand des Abgeordnetenhauses, Sektionschef von Halban, dem ich die diesbezüglichen Mitteilungen verdanke, dazu riet." ") J. R e d l i c h , Politisches Tagebuch I, S. 229. '") Wien H.H. St.Α., Baernreither, Nachlaß B, Kart. 47.

,0

Verhandlungen mit den Deutschen

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Der k. k. Ministerpräsident. Euer

Hochwohlgeboren!

Im Besitze des sehr geschätzten Schreibens vom 11. d. M. sowie des gleichzeitig an den Herrn Justizminister gelangten Briefes vom gleichen Tag bin ich Euer Hochwohlgeboren für die mir gegebenen gütigen Aufklärungen sowie für Ihren Schritt beim Herrn Dr. Schlesinger zu neuerlichem lebhaftesten Danke verpflichtet. Ich wünschte nur, daß nicht bloß I h r e Bes o r g n i s s e über die Rückwirkung der Regierungsaktion, sondern auch die Überzeugung bei Eurer Hochwohlgeboren sich vertiefen möchte, daß meine Absichten die redlichsten sind und ich mich aus den Ihnen eingehend entwickelten Gründen in eine Zwangslage begebe, die ich, wenn ich wollte, leicht vermeiden könnte. Der höhere Standpunkt, den Euer Hochwohlgeboren in der böhmischen Frage bisher immer eingenommen und die von Ihnen stets bewiesene Objektivität in diesen Angelegenheiten sind gewiß geeignet, Ihren Besorgnissen bei mir die ernsteste Rückwirkung zu schaffen, allein ich glaube, daß sich die Sachen in der Praxis ganz anders gestalten werden und bitte ich gefälligst nicht zu übersehen, daß die Durchführung in der Hand der Regierung bleibt. Ich beschränke mich hier auf diese kurzen Andeutungen, allein j e s t ä r k e r i c h Euer Hochwohlgeboren i m p r e s s i o n i e r t f i n d e , um so größeren Wert muß ich darauf legen in einem so kritischen Augenblicke mit Ihnen mich in steter Fühlung zu befinden und Ihres Rates, auf den ich so großen Wert lege, nicht zu entbehren. Ich möchte daher Ihre bewährte Opferwilligkeit neuerdings dahin in Anspruch nehmen, daß ich Sie bitten möchte den für den 16.—20. geplanten Ausflug nach Tirol im Interesse der guten Sache aufzugeben und sich in dieser Zeit mit meiner Gesellschaft in Wien zu begnügen. Die Sonne Südtirols lockt zwar sehr, aber ultra montes zu wandern haben ja Euer Hochwohlgeboren in den Osterferien des Reichsrates auch hinreichende Gelegenheit. Wenn es uns im Vereine gelänge die Friedenssonne über Böhmen aufgehen zu lassen? Das wäre wohl dieses kleine Ihnen zugemutete Opfer wert. Wenn Euer Hochwohlgeboren vielleicht Verpflichtungen, die ich nicht kenne, nach dem Süden führen müßten, dann hätte ich nur die eine bescheidene Bitte, daß Sie wenigstens am 21. mir das Vergnügen Ihres Besuches schenken möchten. Sie können darüber vollauf beruhigt sein, daß ich am Vorabend Ihrer Wahl weder eine mündliche noch eine schriftliche Zusage von Ihnen verlangen werde, die Euer Hochwohlgeboren nicht vor Ihren Wählern wie vor Jedermann zu vertreten vermöchten. Ihren freundlichen Eröffnungen entgegensehend zeichne ich mit dem Ausdrucke vorzüglichster Hochachtung. 13. März 1897 Badeni

Die tatsächlichen Auswirkungen der Sprachenverordnungen bei den Deutschen allerdings hat niemand vorausgesehen. Niemand ahnte, daß es zu einer einmütigen Volksbewegung kommen würde, und die deutschen Abgeordneten aus den Alpenländern ihren Gram, daß sich die Politik vornehmlich um Böhmen drehte, vergessen und sich geradezu an die Spitze der Abwehrbewegung stellen würden. So gesehen, bleiben beide in der Literatur immer wiederkehrenden Behauptungen über die Verhandlungen zwischen Badeni und den Deutschen am Oberflächlichen haften. Beide Ansichten versuchen die Ereignisse auf eine möglichst kurze Formel zu bringen, bemüht, aus einem nachklingenden politischen Gegenwartsinteresse die Schuld entweder den Deutschen oder dem Grafen Badeni anzulasten, wodurch die feinen Verästelungen und die Hintergründe vereinfacht und verkannt werden. Beide Ansichten müssen, obwohl sie jeweils ein Körnchen Wahrheit für sich haben, fallengelassen werden, so bequem sie als Erklärung für die Katastrophe nach Erlassung der Verordnungen auch gewesen sein mögen, denn sie sind letztlich in ihren Formulierungen falsch.

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V. Badems Versuch mit untauglichen Mitteln

Die offiziell namens der Regierung von Badeni, Bilinski und Gleispach geführten Besprechungen mit den deutschfortschrittlichen Abgeordneten hatten insofern scheinbar Erfolg, als diese den Standpunkt der Regierung in der Hauptsache als richtig anerkannten. Auch sie waren der Ansicht, daß eine Mehrheit aus den gemäßigten Parteien nur dann gebildet werden könnte, wenn ein Modus vivendi mit den Tschechen gefunden werde. „Sie haben auch den Inhalt der Sprachenverordnung, s o w e i t i h n e n d e r s e l b e i n d e n G r u n d z ü g e n m i t g e t e i l t w o r d e n i s t , nicht ernstlich beanständet, wenn sie auch nicht unterlassen haben, in der einen oder anderen Richtung ihre Wünsche zum Ausdrucke zu bringen."73) Die Deutschfortschrittlichen haben sich ferner bereit erklärt, auf Grund des Regierungsprogramms in die Majorität einzutreten, jedoch dies mit ziemlicher Übereinstimmung nur „unter der Voraussetzung, daß die Deutschböhmen nicht durch eine extrem oppositionelle Haltung das Unterstützen der Regierung zur Unmöglichkeit machen". Weniger günstig für die Regierung war die Konferenz mit den deutschböhmischen Delegierten Dr. Alois Funke, Julius Lippert74), Ludwig Schlesinger und Dr. Karl Schücker verlaufen, mit denen am 20. März offiziell im Ministerpräsidium verhandelt wurde, da diese „teils mit mehr, teils mit weniger Intensität einen Sturm in Deutschböhmen in Aussicht gestellt haben, welchen die Abgeordneten nicht einzudämmen in der Lage wären und welcher sie eventuell nötigen würde, entweder mit diesem Winde zu segeln oder ihre Mandate niederzulegen, worauf voraussichtlich noch extremere Abgeordnete gewählt werden würden"75). Besonders Schlesinger und Funke haben diesen Standpunkt eingenommen, während Lippert gewisse Vermittlungsvorschläge machte, die nach Gleispachs Meinung nicht unbedingt abzuweisen und vielleicht auch für die Jungtschechen akzeptabel waren. Sie bezogen sich auf die Zertifikatisten und auf die Verlängerung der Frist zur Erlernung der zweiten Landessprache. Gleispach vertrat im Ministerrat vom 22. März die Ansicht, mittels eines allgemeinen Passus zur Bestimmung des § 2 der Qualifikationsverordnung die Zertifikatisten in Böhmen überhaupt von diesen Bestimmungen auszunehmen, also in diesem Punkt den Wünschen der Deutschböhmen nachzugeben, doch beschloß der Ministerrat nur, den Vertretern der Jungtschechen nahezulegen, in diesem Punkt den Deutschböhmen ein prinzipielles Zugeständnis zu machen. Hinsichtlich des Termins für den Nachweis der Sprachenkenntnis verlangten die Deutschen eine sehr weitgehende, die Frist von elf Jahren offenlassende Erstreckung. Schien dieser Zeitraum dem Justizminister zwar zu lange, so trat er doch für eine „angemessene Erweiterung" der Frist ein, zumal von jungtschechischer Seite die Geneigtheit zu einem solchen Zugeständnis bestand. Die Regierung beschloß jedoch, die Verlegung des Termins nur um zwei Jahre, vom 1. Juli 1900 auf den 1. Juli 1902, und das Eintreten der Regierung in diesem Punkte gegenüber den Jungtschechen, ohne allerdings dann auf diesem Datum zu beharren. Bei den Besprechungen war Schücker hauptsächlich um das Schicksal der bereits angestellten einsprachigen Beamten in Böhmen besorgt. Gleispach hatte gegen diesen Einwand jedoch vorgebracht, daß jene selbstverständlich gerade so ihr weiteres Fortkommen finden könnten und 73

) Referat des Justizministers Graf Gleispach im Ministerrat vom 22. März 1897. VA Wien M.R.Z. 15/1897, f. 177 v . '*) Julius Lippert, den am 12. Dezember 1895 der Kaiser zum Oberstlandmarschallstellvertreter ernannt hatte, war wie Ludwig Schlesinger Historiker und wissenschaftlich tätig. Vgl. Heinrich A n k e r t , Julius Lippert. ,5 ) Bericht des Grafen Gleispach in der Ministerratssitzung vom 22. März 1897, f. 177 v —178.

Verhandlungen mit den Deutschen

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finden werden wie bisher, nachdem durch die Verordnung die Zahl der böhmischen Geschäftsstücke nicht zunehmen werde und zur Bearbeitung der deutschen Geschäftsstücke „durch alle Instanzen hindurch noch immer deutsche Beamte in erklecklicher Anzahl nötig sein werden". Nach Gleispachs Bericht im Ministerrat vom 22. März 1897 hatten die Abgeordneten „das Prinzip der Zweisprachigkeit einstimmig als grundsätzlich richtig anerkannt", nur wollten sie es „nicht in dem Wortlaut der Verordnung direkt ausgesprochen" sehen. Dr. Schlesinger hatte in diesem Zusammenhang von Kursen, die an den Mittel- und Hochschulen zur Erlernung der zweiten Landessprache eingeführt werden sollten, gesprochen und davon, daß die Verordnung nicht eher in Kraft treten sollte, bis durch die Absolvierung dieser Kurse die Vorbedingung zur entsprechenden Amtierung geschaffen wäre. Mit der Darstellung der Regierungsverhandlungen durch den Grafen Gleispach nach dem Protokoll der Ministerratssitzung vom 22. März stimmt die von den vier deutschen Abgeordneten am 6. April zu ihrer Rechtfertigung veröffentlichte Erklärung im wesentlichen überein76), nur daß in dieser zusätzlich betont wird, daß sie die Regierung darauf hingewiesen haben, die Regelung der Sprachenfrage sollte nur auf dem Wege der Gesetzgebung und in jedem Falle nur von dem Standpunkte des Bedürfnisses vorgenommen werden. Feststeht, daß die Behauptung des Abgeordneten Dr. Alois Funke bei der Begründung seines Dringlichkeitsantrages zur Aufhebung der Sprachenverordnung für Böhmen am 9. April im Abgeordnetenhaus: „Wir haben um den Text gebeten, um in die genaue Kenntnis dieser Verordnung zu kommen, man hat uns das verweigert, man hat uns gesagt, sie sei noch nicht ganz fertiggestellt. In ihren Grundzügen ist sie uns bekanntgeworden, aber ein schriftliches Zeichen haben wir nicht in die Hand bekommen . . .""), auf Wahrheit beruht. Auch nach des Jungtschechen Kaizls Tagebuch 78 ) haben am 22. März die deutschen Abgeordneten schwere Bedenken gegen die Pläne der Regierung geäußert, die Regelung der Sprachenfrage auf dem Gesetzes- und nicht auf dem Verordnungswege verlangt und sich gegen die Auffassung gestellt, daß die innere Amtssprache eine Sache der Regierung und der Tschechen sei. Durch den sonst ausgezeichnet informierten Julius Patzelt79) hat sich in der Literatur die Behauptung festgesetzt, die Regierung habe zwei Entwürfe ausarbeiten lassen, einen, welcher der deutschliberal-alttschechischen und einen zweiten, welcher der jungtschechischen Auffassung entsprach. Sie habe beide den Deutschen vorgelegt, und deren Vertrauensmänner hätten diesen abgelehnt, jenen im großen und ganzen akzeptiert. Dadurch seien jene differierenden Versionen entstanden, die später über die von den deutschen Vertrauensmännern dem Grafen Badeni über die Sprachenverordnung abgegebenen Gutachten verbreitet worden sind, „wonach sie nach der einen Mitteilung an der Sprachenverordnung nichts Anstößiges gefunden, nach der anderen den Ministerpräsidenten vor ihrer Erlassung auf das Entschiedenste gewarnt haben sollten". Die Mitteilung Patzelts beruht ganz offensichtlich auf einer Verwechslung, denn ein solches falsches Spiel mit zwei verschieden günstigen, auf die Tschechen und die Deutschen abgestimmten Entwürfen läßt sich nirgends belegen. Wohl aber 7e

) ') 78 ) '·) 7

Siehe unten Anm. 87. Stenogr. Protokoll und G. Κ o 1 m e r, Parlament u. Verfassung VI, S. 213. J. Κ a i ζ 1, Ζ mého zivota III, S. 404. J. Ρ a t ζ e 11, österr. Jahrbuch 1897, S. 35 f. — V. Β i b 1, Der Zerfall Österreichs II, S. 510 nennt Julius Patzelt einen „der begabtesten politischen Schriftsteller".

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

handelte es sich bei den Verhandlungen an sich um zwei Verordnungen, um die eigentliche Sprachenregelung und um die Zusatzverordnung, die sprachliche Qualifikation der Beamten betreffend. Diese zweite Verordnung ist die, von der Patzelt zu berichten weiß, daß sie von den deutschen Vertrauensmännern rundweg abgelehnt wurde, während die Sprachenverordnung an sich im damaligen Stadium der Konzipierung und in der damals noch vorliegenden Formulierung noch keinen wesentlichen Anstoß zu erregen brauchte. Auch Molisch80) verkennt die Entwicklung, wenn er feststellt, durch die Darstellung Badenis, der selbst die Verhältnisse nur ganz oberflächlich gekannt habe, hätten die Deutschen die irrige Auffassung gewonnen, daß nicht die Beamten, sondern die Ämter zweisprachig sein müßten, also bei jedem Amt sich ein Beamter befinden müsse, der gegebenenfalls mit einem Tschechen in dessen Sprache verkehren könnte. Molisch kommt zu dieser Behauptung durch den Schluß, Graf Gleispach hätte sonst nicht im Ministerrat vom 22. März 1897 berichten können, daß der von der Regierung vertretene Grundsatz der Zweisprachigkeit von den Abgeordneten einstimmig gebilligt wurde. Dieser Schluß ist falsch. Die Deutschen Böhmens haben damals die Gleichstellung beider Sprachen im Parteienverkehr anerkannt, um so mehr, als durch den Gleispachschen Zusatzantrag das Institut der Dolmetscher in jenem Verordnungsentwurf noch verankert war, der bei der Unterhandlung am 20. März als Grundlage diente. Aus dem von Molisch selbst als Hauptquelle benützten Ministerratsprotokoll geht dies eindeutig hervor. Die volle Schärfe und Spitze für die Deutschen erhielt die Verordnung erst am 30. März, als die Regierung die mildernden Formulierungen aufgab, den Wünschen der Tschechen entgegenkam und beim § 7 Alinea 2 die so wesentliche Einfügung wegließ und damit die innere tschechische Amtssprache anerkannte. Daß dies erst im letzten Augenblick geschah, bestätigt neben den Ministerratsprotokollen das Tagebuch Kaizls. Da die vier deutschen Vertrauensmänner bei der Konferenz am 20. März von der Regierung mit allem Nachdruck auf die Konsequenzen einer extrem oppositionellen Haltung aufmerksam gemacht und befragt, was sie selbst zur Erreichung einer besseren Situation vorschlagen würden, andeuteten, daß Verhandlungen von Volk zu Volk am ehesten zu einer Verständigung führen könnten, lud Badeni unter Gleispachs Einfluß die vier Vertreter der Deutschböhmen, Schlesinger, Funke, Lippert und Schücker, und die Vertreter der Jungtschechen zu einer gemeinsamen Konferenz im Ministerium des Innern ein, nachdem Badeni bei der jungtschechischen Abordnung angefragt und diese sich bereit gezeigt hatte, die Wünsche der Deutschböhmen in Erwägung zu ziehen und das möglichste zu tun, um einen Modus vivendi zu finden. Gleispach hat allerdings auf diese von ihm geförderte Aktion selbst wenig Hoffnungen gesetzt. In der bereits mehrfach erwähnten Ministerratssitzung vom 22. März, in der neuerdings die Sprachenverordnungen behandelt wurden und in der Gleispach als Referent der Verhandlungen mit den Deutschen nicht verschwieg, daß die deutschböhmischen Abgeordneten darauf hingewiesen hatten, daß die geplante Maßregel in der Bevölkerung einen Sturm hervorrufen würde, den sie nicht eindämmen könnten, griff Gleispach die „sehr diskutable Frage" neuerdings auf, inwieweit die Regierung auf eine Angliederung des deutschen Großgrundbesitzes an die Fortschrittliche Partei rechnen könnte, auch für den Fall, daß die Deutschböhmen extrem oppositionelle Bahnen einschlagen sollten. *°) P. Μ o l i s c h, Sprachenverordnungen S. 12 f.

Verhandlungen mit den Jungtschechen

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Über die offiziellen Verhandlungen mit den Jungtschechen referierte Badeni im Anschluß an Gleispach. Er stellte dabei fest, daß bei den für den 23. März angesetzten Besprechungen mit den Tschechen die Regierung nur dann mit diesen zu einem Ergebnis werde gelangen können, wenn sie „ohne zu mäkeln, mit einer gewissen Entschiedenheit und Offenheit erklärt, was sie für möglich und durchführbar halte". Badeni verlangte, daß sich die Regierung darüber schlüssig werden und sie dann „mit größter Coulance die Grenze bezeichnen müsse, bis zu welcher sie gehen kann. Anders würde es nicht möglich sein, mit dieser Partei fertig zu werden." Er halte es für ganz unmöglich, mit dem künftigen Abgeordnetenhaus zu regieren, wenn die Tschechen in die Opposition gingen. Diese aus Vertretern zweier Länder fest zusammengeschlossene Partei werde im Reichsrat flankiert sein von dem konservativen Großgrundbesitz und werde andrerseits einen natürlichen Anschluß bei den südslawischen Abgeordneten finden. Gegen diese Gruppierung werde mit einer strammen Opposition nichts zu richten sein. Dafür jedoch, wie sich die Deutschböhmen schließlich verhalten werden, könne der Ministerpräsident keine Verantwortung übernehmen. Er glaube noch immer, daß diese, auch wenn die Umstände sie dazu drängen sollten, sich nicht in eine schroffe Opposition zur Regierung stellen werden. Hingegen halte er es für sicher, daß der Verfassungstreue Großgrundbesitz und die mährischen Tschechen mit der Regierung gehen werden, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß das Ministerium — eine Anspielung auf die innerhalb der Regierung immer deutlicher werdende Differenz zwischen den einzelnen Richtungen — nach außen und innen fest zusammenhalte und damit den Gruppen im Parlament in ihrer schwierigen Lage einen festen Halt biete. Gautsch hat Badeni beigestimmt, daß es, ganz abgesehen von eventuellen weiteren Konsequenzen innerhalb der Regierung, notwendig sei, „wenigstens für die Verhandlungen mit den Tschechen eine bestimmte Linie zu gewinnen, welche das Verhalten der Regierung zu dieser Partei fest begrenzt". Gautsch sah als Programm für die nächste Zeit die Notwendigkeit an, „baldmöglichst nach dem Zusammentritt des Reichsrates, jedenfalls aber im Zusammenhang mit dem Eintritt der Tschechen in die Majorität die Sprachenverordnung für Böhmen hinauszugeben". Die von Badeni dem Ministerrat bekanntgegebene, von den Jungtschechen erhobene Forderung nach einer Sprachenverordnung für Mähren löste aber schon eine so heftige Diskussion aus, daß sie ohne Einigung abgebrochen werden mußte. Gleispach bemerkte, er habe nicht einen Augenblick gezweifelt und sich in diesem Sinne bereits ausgesprochen, daß eine Sprachenverordnung für Böhmen in absehbarer Zeit die Erlassung einer analogen Verordnung für Mähren zur notwendigen Folge haben werde. Er hat rein sachlich einer Sprachenverordnung für Mähren eine noch größere Berechtigung als für Böhmen zugeschrieben, da Mähren nur von einem Viertel Deutschen und drei Viertel Tschechen bewohnt war und so das Zahlenverhältnis zugunsten der Tschechen sprach, da in Mähren in der Hauptsache keine geschlossenen Sprachgebiete bestanden und da im ganzen Land Deutsche und Tschechen ohne räumliche Trennung wohnten. Er war jedoch von der Wichtigkeit überzeugt, daß die Regierung auch nur den Schein einer staatsrechtlichen Bedeutung der Verordnung für Böhmen zu vermeiden trachten müsse und daß daher für Böhmen und Mähren zwei getrennte Verordnungen zu erlassen wären, die sich weder in ihrem Inhalt decken noch gleichzeitig erscheinen sollten. Aus Gründen der Opportunität wollte er schließlich, daß die Regierung diesen Punkt benütze, um gegenüber den Jungtschechen ein Pfand für die Einhaltung ihrer Zusagen in der Hand zu

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

behalten. Gautsch schloß sich der Meinung Gleispachs an. Er hielt es für notwendig, mit der Verordnung für Mähren zuzuwarten, da durch die Verordnung für Böhmen in die Verwaltung anfänglich eine vorübergehende Störung hineinkommen werde, die erst nach Überwindung der ersten Stadien der Durchführung weichen würde. Gautsch argumentierte nun, daß für die Aufnahme der Verordnung in Mähren es entschieden günstiger sein werde, erst den Eintritt dieses Zeitpunktes in Böhmen abzuwarten. Gautsch wollte aber letzten Endes nichts anderes als Gleispach : mit dem Zugeständnis einer Verordnung für Mähren zu warten, da er es nicht für unbedenklich hielt, den Tschechen auf der einen Seite alles zu gewähren und auf der anderen Seite für diejenigen, die doch auch in das Lager der Regierung gezogen werden sollten, sich bloß auf das Gebiet der Versprechungen zu begeben. Ebenso hielt es Bilinski für wünschenswert, wenn die Regierung für den Eintritt der Tschechen in die Majorität eine gewisse formelle Garantie besäße, die nach seiner Ansicht erst darin gelegen sein konnte, daß die Tschechen mit den zur Regierung stehenden Parteien eine jener genehme Adresse beschließen. Dagegen sprach sich jedoch Graf Ledebur aus, daß bloß um eine Garantie zu gewinnen mit dem Zugeständnis einer mährischen Verordnung noch länger zugewartet werde. Wenn an die Zusage der Tschechen hinsichtlich des Kuriengesetzes gedacht werde, so bedürfe es zwar einer derartigen Bürgschaft für die Einhaltung. Der Zeitpunkt für die Einlösung sei aber doch zu fern, um daran einen Termin zu knüpfen. Er halte es vorerst für genug, daß die Tschechen einmal in die Majorität einträten und die Regierung dafür eine Sicherheit erlange. Badeni seinerseits suchte sich über die geäußerten Bedenken und über die Forderung, ein Faustpfand gegenüber den Jungtschechen in der Hand zu behalten, einfach hinwegzusetzen. Die Schwierigkeiten lägen weniger im Meritum der Sache als in der Form. Er stellte sich auf den Standpunkt der tschechischen Unterhändler, die erklärt hatten, sie würden sich mit einem späteren Erscheinen der mährischen Verordnung zufriedengeben, wenn es sich für sie nicht um den moralischen Effekt handeln würde und sie nicht eines gewissen Auftriebes in Böhmen bedürften, um zu leisten, was die Regierung von ihnen verlange. Badeni machte sich diese Argumentation zu eigen und glaubte, daß sich die Regierung hinsichtlich der Verordnung für Mähren „ohne Rückhalt bestimmt und entschieden erklären könnte und sollte". Weiters war Badeni überzeugt, daß die mährischen Deutschen, die nichts gegen die böhmische Verordnung einwendeten, von vornherein auf eine analoge Verfügung für Mähren gefaßt seien. Zu einer Einigung über diesen Fragenkomplex, abgesehen davon, daß sich kein prinzipieller Widerspruch gegen die Erlassung der mährischen Sprachenverordnung an sich ergab, kam es nicht. An die lange fruchtlose Auseinandersetzung anschließend, berichtete Gleispach über die Detailwünsche der Tschechen zur Sprachenverordnung für Böhmen. Die §§ 1 bis 6 hatten offensichtlich keine Beanstandung gefunden, doch hielt es Gleispach selbst für gut, beim § 4 das Wechseln der Ausdrücke „Person" und „Partei" zu vermeiden und konstant den Ausdruck „Person" beizubehalten, was ihm richtiger erschien, da es sich nicht immer gerade um eine Partei im Sinne des Rechtsverfahrens handeln mußte. Der Paragraph des Anstoßes bei den Tschechen war der siebente geblieben. Schon zum ersten Absatz verlangten sie, daß in der Wendung „bei allen d e r E r l e d i g u n g o d e r E n t s c h e i d u n g dieser Sache dienenden Amtshandlungen" die Worte „der Erledigung oder Entscheidung" wegbleiben sollten. Diese geänderte Fassung, die Weglassung dieser vier Worte, hätte das Einreichungsprotokoll, die Registratur, überhaupt die ganze innere

Tschechische Forderungen zum Verordnungstext

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Manipulation und die amtlichen Bemerkungen über eine Sache in sich geschlossen und damit diese Bereiche der inneren Dienstsprache tschechisiert. Während Gleispach diese Textänderung nicht als annehmbar bezeichnete und FZM. Welsersheimb darin eine über die ursprüngliche Idee weit hinausgehende, die Kontrolle seitens der Zentralstellen erschwerende Modifizierung erblickte, hielt Graf Ledebur dies doch mehr für „formale Dinge, von nicht so großer Bedeutung", um an dieser Änderung eventuell das Zustandekommen der Einbeziehung der Tschechen in die Majorität scheitern zu lassen. Ein unabweisbares Bedürfnis konnte nach seiner Ansicht hier nicht im Wege stehen, da es nur selten zu einer Revision der Protokolle seitens einer hohen Stelle komme. Er hielt es für wünschenswert, daß sich der Justizminister in diesem Falle dem Wunsche der Tschechen akkommodiere, für welche die geforderte Änderung insofern von Bedeutung wäre, als sie in der Textierung des Regierungsentwurfes „eine gewisse Minderberechtigung" der tschechischen Sprache zum Ausdruck gebracht sehen. Da das Einreichungsprotokoll hinsichtlich seiner Führung durch die Bezeichnung des Gegenstandes der Eingabe und die Möglichkeit der Verfassung eines Auszuges für die Partei von Interesse war und faktisch in ganz Böhmen schon der Usus bestand, daß sich die Eintragungen in das Einreichungsprotokoll nach der Sprache der Eingabe richteten, verlangte Badeni, da es ihm nicht möglich schien, mit der Sprachenverordnung etwas zu kassieren, was für die Tschechen günstig war und in Böhmen schon allgemein bestand, zwischen dem Einreichungsprotokoll und der übrigen Manipulation und Vormerkung zu unterscheiden. So wurde vom Ministerrat beschlossen, an der Formulierung festzuhalten, was dann auch geschah, den Jungtschechen gegenüber jedoch „ausdrücklich zu erwähnen", daß unter den Amtshandlungen, für die im Sinne dieser Bestimmung die Sprache der Eingabe maßgebend zu sein hat, die Eintragungen in das Einreichungsprotokoll mit inbegriffen sind. Alinea 2 des § 7 hatte bei den Jungtschechen in gleicher Weise Ärgernis erregt81), da sie glaubten, in dem Passus „jedoch Angelegenheiten betreffen, deren Erledigung eine Ausfertigung an Parteien zur unmittelbaren Folge hat", „ebenfalls eine ungebührliche Einschränkung in der Anwendung der böhmischen Sprache" erblicken zu müssen. Bei einer Besprechung mit Gautsch hatte Kramár die tschechische Ablehnung dieses Passus damit gerechtfertigt, daß die Jungtschechische Partei ernstlich befürchte, es werde nach Hinausgabe der Verordnung von radikalen, den Jungtschechen feindlichen Elementen gesagt werden, die Gleichberechtigung der tschechischen Amtssprache sei durch die Verordnung zwar durchgeführt, doch existiere daneben noch eine innere deutsche Dienstsprache. Darin liegt, so werde gesagt werden, eine Ungerechtigkeit, ein Mangel an Gleichberechtigung. Kramár hatte nun weiter argumentiert, die jungtschechischen Abgeordneten könnten dieser Einwendung nur dadurch begegnen, daß sie durch die beantragte Kürzung 81

) Regierungsentwurf. „Bei Amtshandlungen, die nicht über Einschreiten einer Partei eingeleitet werden, jedoch Angelegenheiten betreffen, deren Erledigung eine A u s f e r t i g u n g a n P a r t e i e n z u r u n m i t t e l b a r e n F o l g e h a t , sind je nach Beschaffenheit des Falles beide Landessprachen oder eine derselben anzuwenden." Verlautbarungstext. „Bei Amtshandlungen, die nicht auf Einschreiten einer Partei eingeleitet werden, sind nach Beschaffenheit des Gegenstandes beide Landessprachen oder eine derselben anzuwenden."

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Sutter, Sprachenverordnungen I.

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

der von der Regierung vorgeschlagenen Fassung sagen könnten, Alinea 2 des § 7 beziehe sich auch auf die innere Dienstsprache, es werde daher die Gleichberechtigung auch für die innere Dienstsprache gewahrt. Wenngleich die deutsche Sprache die innere Dienstsprache sei und noch bleibe, wogegen die jungtschechischen Abgeordneten ja nichts hätten, so könnten sie doch behaupten, diese bestehe vorläufig nur deshalb, weil nicht über genug Beamten verfügt werde. Sie könnten weiters sagen, daß in Zukunft auf Grund des Alinea 2 des § 7 das Tschechische im inneren Dienst Anwendung finden werde. Während die Textierung des Regierungsentwurfes für die Kenner der Materie ziemlich eindeutig die Auslegung ermöglichte, die innere Dienstsprache habe unter allen Umständen die deutsche zu bleiben und die Gleichberechtigung der beiden Sprachen beziehe sich nicht auf die innere Dienstsprache, sondern nur auf die Amtssprache, standen die Jungtschechen auf dem Standpunkt, die deutsche Sprache könne zwar vorerst die innere Dienstsprache bleiben, pro futuro aber und legal gelte auch bezüglich der inneren Dienstsprache die Gleichberechtigung beider Sprachen. Durch diese Ansicht war der Ministerrat vor die Entscheidung gestellt, ob er, obwohl die theoretische Anerkennung nur die Vorstufe für die praktische Durchführung sein konnte, theoretisch die böhmische Sprache als innere Dienstsprache anerkenne. Kramár hatte in gleicher Weise bei einer längeren Besprechung mit Gleispach auch diesem zu beweisen versucht, daß in Alinea 2 durch die Stilisierung sehr der Unterschied zwischen den beiden Sprachen und ihre ungleiche Behandlung hervortrete. Trotz der Argumente, die Kramár vorgebracht hatte, traten Gautsch und Gleispach im Ministerrat auf das entschiedenste gegen die jungtschechischen Streichungsforderungen auf. Sie verfochten die Ansicht, daß auf eine theoretische Anerkennung nicht eingegangen werden könne, da mit dem Regierungsentwurf bereits an die äußerste Grenze gegangen wurde und es daher ausgeschlossen sei, bei den weiteren Verhandlungen noch etwas nachzugeben. Gleispach hat in diesem Zusammenhang neuerdings versucht, die in seinem seinerzeitigen Gegenantrag zu § 7 vorgeschlagene Fassung durchzusetzen, doch beschloß der Ministerrat auf der bisherigen Formulierung zu beharren, da es sich um eine bereits bei der Beratung des Verordnungsentwurfes im Ministerrat „reiflich erwogene Frage" handelte und das Kabinett bei deren Beratung zu der gegebenen Textierung in der bestimmten Intention schließlich gelangt war, „daß die Geltung der deutschen Sprache als innere Dienstsprache von dieser Verordnung unberührt zu bleiben und die Doppelsprachigkeit sich nur auf den Bereich der Amtssprache zu erstrecken habe". Es ist für die Beurteilung der Frage, ob Badeni die deutschen Abgeordneten getäuscht hat oder nicht, wesentlich, daß also im Ministerrat vom 22. März die Regierung noch auf ihrem Standpunktverharrte und entschlossen war, eine Gleichberechtigung des Tschechischen als innere Dienstsprache abzulehnen. Erst am 30. März hat Badeni in diesem Punkt den Jungtschechen nachgegeben und im Ministerrat des nächsten Tages erklärt, durch die endgültige Fassung trete eine Erweiterung gegenüber dem früheren Text ein, wobei dem Ermessen der Regierung ein größerer Spielraum geboten werde. Das Hauptgewicht falle auf die Wendung „je nach Beschaffenheit des Gegenstandes", da dieser Ausdruck einen weiteren, nicht auf einen vereinzelten Fall beschränkten Kreis von Geschäften umschließe. Badeni gab am 31. März den Ministern weiters bekannt, daß den Jungtschechen ausdrücklich erklärt wurde, hinsichtlich jener Gegenstände, die künftig im allgemein dienstlichen Interesse deutsch zu bleiben hätten, werde eine amtliche Weisung an die Behörden in Böhmen ergehen. An diese Erklärung wurde von den Jungtschechen

Tschechische Forderungen zum Verordnungstext

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nur der Wunsch geknüpft, daß dasjenige, was im Sinne der früheren Stilisierung des § 7 Alinea 2 hätte tschechisch werden sollen, jedenfalls tschechisch zu bleiben habe, was Badeni namentlich zu erwähnen zusagte 82 ). Zum zweiten Alinea des § 9 im Regierungsentwurf : „Bei den der Erledigung oder Entscheidung der Sache dienenden Amtshandlungen, die unter Mitwirkung der Parteien vorgenommen worden sind, ist, soweit nicht die gegenwärtige Verordnung etwas anderes bestimmt, d i e j e n i g e d e r b e i d e n Landessprac h e n , d i e a l l e n P a r t e i e n b e k a n n t i s t , sonst aber mangels eines anderweitigen Einverständnisses der Parteien beide Landessprachen anzuwenden", forderten die Jungtschechen eine Änderung des Schlusses, und zwar dahingehend, daß nunmehr die S p r a c h e d e s e r s t e n A n b r i n g e n s entscheidend sein sollte und bei Ermangelung eines Einverständnisses die z w e i t e Landessprache anzuwenden wäre. Da Gleispach erklärte, daß gegen diese Formulierung keine Bedenken zu erheben wären, wurde die Änderung vom Ministerrat am 22. März angenommen. Auch gegen § 10 Absatz 1 erhoben die Jungtschechen Bedenken83). Die Worte „zuzustellenden" und „für denselben" schienen den Jungtschechen den Gebrauch der tschechischen Sprache einzuengen. Der Text wurde erst am 30. März, um den „Bedenken der Jungtschechen Rücksicht zu tragen", geändert, da Gleispach im Ministerrat vom 22. März erklärte, daß der Einwand keine Berechtigung hätte, da er auf einem mangelnden Verständnis des Vorganges beruhe. In Strafsachen gab es keine Amtssprache, da sich die Anwendung der einen oder der anderen Sprache nach dem Bedarf und nach der Person richtete, mit welcher das Gericht zu tun hatte. Zu Absatz 2 des gleichen Paragraphen forderten die Jungtschechen, daß in der Wendung, „und die Erkenntnisse und Beschlüsse zu verkünden", vor den zwei letzten Worten eingefügt werde: „zu beraten u n d . . .". Dies gestand Gleispach ohne weiteres zu, ebenso die Änderung des dritten Absatzes des § 11, wo wieder die Sprache des ersten Anbringens als ausschlaggebend festgelegt wurde84). Die Änderung wurde damit begründet, daß sie auch der zu § 9 angebrachten Bemerkung entspreche. Wie weit die Jungtschechen mit Einzelheiten bei ihren Forderungen gingen, zeigt, daß sie zum § 12 verlangten, daß bei den öffentlichen Büchern neben Land82 83

) Zum Durchführungserlaß des Innenministeriums vom 27. April 1897 siehe unten S. 256 ff. ) Regierungsentwurf: „ I n strafgerichtlichen Angelegenheiten sind die Anklageschrift sowie überhaupt die dem Angeklagten z u z u s t e l l e n d e n Anträge, Erkenntnisse und Beschlüsse f ü r d e n s e l b e n in jener der beiden Landessprachen abzufassen, deren er sich bedient."

Text der Verlautbarung: „ I n strafgerichtlichen Angelegenheiten sind die Anklageschrift, sowie überhaupt die den Angeschuldigten betreffenden Anträge, Erkenntnisse und Amtshandlungen in jener der beiden Landessprachen abzufassen, deren er sich selbst bedient h a t . " 84 ) § 11, vorletzter Absatz, Entwurf: „Bei Beteiligung von Parteien, die sich bei den mündlichen Verhandlungen verschiedener Landessprachen bedienen, hat das Gericht diejenige Landessprache zu gebrauchen, die allen Parteien bekannt ist, sonst aber Fragen an die Parteien, sowie an alle übrigen an der Verhandlung teilnehmenden Personen in der von ihnen gebrauchten Landesprache zu richten, seine Entscheidungen und Entschlüsse aber in beiden Landessprachen zu verkünden." Verlautbarungstext: „ . . . hat das Gericht die Sprache des ersten Anbringens, nötigenfalls beide L a n d e s sprachen zu gebrauchen." 12*

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

tafel, Bergbuch, Grundbuch, Wasserbuch auch die Depositenbücher mitaufgezählt werden sollten85). Gleispach war hier schwankend. Gegen die Forderung sprach, daß die Depositenbücher ein Kontrollmittel bildeten, das bis zu den Zentralstellen vorgelegt werden mußte. Andrerseits mußte sich Gleispach sagen, daß sich der Brauch herausgebildet hatte, nach welchem die Depositenbücher in Böhmen bereits zweisprachig geführt wurden. So schloß er sich schließlich der im Ministerrat vorwiegenden Anschauung an, daß dem Wunsche nachzugeben sei, zumal die Formulierung der Stelle im Streitfall den Tschechen durch die nur beispielsweise Aufzählung einiger öffentlicher Bücher ohnehin die Auslegung gestattete, die Depositenbücher seien im § 12 der Verordnung inbegriffen. Eine weitere entscheidende Änderung wurde von jungtschechischer Seite bei § 13 Absatz 2 verlangt86). Handelsminister Freiherr von Glanz hat die Ausscheidung der gesamten Manipulation des Post- und Telegraphendienstes aus den Bestimmungen dieses Absatzes als vom dienstlichen Standpunkt bedenklich bezeichnet und den Ministerrat bewogen, auf seinem Standpunkt zu verharren. Für den nächsten Tag, den 23. März, erhoffte Badeni, daß er es zu einer Einigung mit den Tschechen und anschließend daran zu einer Verständigung mit den Deutschen werde bringen können. So fand am Morgen eine mehrstündige Konferenz statt, an der die tschechischen Abgeordneten Herold, Kaizl, Pacák, Engel, Kramár, Adámek und Brzorád einerseits, Badeni, Bilinski, Gleispach und Gautsch andrerseits teilnahmen. Da die Regierung nur die vorgeschlagenen Änderungen bei den §§9, 10, 11 und 12 genehmigte, jedoch nicht gedachte, in der Frage der inneren Amtssprache und beim § 13 nachzugeben, verlief die Verhandlung ergebnislos. Badeni, der die Herausgabe der Verordnung für Böhmen für den 31. März und der für Mähren für den 20. April in Aussicht stellte, bat die Tschechen, gegenüber den deutschen Abgeordneten, die de facto nicht bestehende Einigkeit mit der Regierung vorzutäuschen. Die deutschen Delegierten Funke, Lippert, Schlesinger und Schücker waren viel zuwenig gewandte Diplomaten, um bei der nachmittägigen gemeinsamen Sitzung mit den Tschechen und der Regierung das Spiel zu durchschauen oder die Verhandlungen an sich zu reißen. Sie beharrten auf ihrem Standpunkt87), und schließlich waren Deutsche 85

) Nach dem Entwurf der Tschechen sollte auch das Eisenbahnbuch mitinbegriffen sein. Vgl. J. K a i z l , Ζ mého zivota III, S. 548 Anm. § 10. 80 ) Entwurf und Verlautbarungstext: „Dasselbe gilt bezüglich des inneren Dienstganges und der Manipulation des Post- und Telegraphendienstes und der der Zentralleitung unmittelbar unterstehenden ärarischen industriellen Etablissements, sowie für den gegenseitigen Verkehr der betreffenden Ämter und Organe."

F o r d e r u n g d e r J u η g t s c h e c h e η: „Dasselbe gilt bezüglich des inneren Dienstganges des Post- und Telegraphendienstes, sowie für den gegenseitigen Verkehr der betreffenden Ämter und Organe." 87 ) Die Abgeordneten Funke, Lippert, Schlesinger und Karl Schücker veröffentlichten am 6. April folgende Erklärung: „Auf Einladung des Herrn Ministerpräsidenten fanden wir uns bei demselben am 20. März zu einer Besprechung ein, welcher auch der Herr Justizminister beiwohnte. Offenbar im Zusammenhang mit der im böhmischen Landtag am 5. Februar abgegebenen Erklärung teilte uns der Ministerpräsident seine Absicht mit, für Böhmen eine Sprachenverordnung zu erlassen, in welcher grundsätzlich von allen kaiserlichen Beamten (Justiz, politische Verwaltung, Post, Finanzen) die Kenntnis beider Landessprachen gefordert würde. Wir erklärten einmütig gegen eine derartige Sprachenverordnung auf das entschiedenste Stellung nehmen zu müssen und kennzeichneten unumwunden unseren Stand-

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und Tschechen auf Badeni verstimmt und die Sitzung endete in völliger Disharmonie. Ungeachtet der bestehenden Spannungen und trotz des Scheiterns der Verhandlungen am 23. März haben Kaizl und Kramáí getreu der von ihnen verfolgten zielstrebigen Politik von sich aus die Verhandlungen schon am nächsten Tag mit Badeni, Gleispach und Rittner wieder aufgenommen. Dagegen mußte Badeni am 25. März Baernreither schriftlich bitten, mit dem Grafen Karl Stürgkh zu ihm kommen zu wollen88). Badeni war ungeachtet aller Warnungen und der innerhalb der Regierung stets wachsenden Spannungen entschlossen, die Verordnung zu erlassen und versuchte, da er die deutschen Volksabgeordneten aus Böhmen für die Verordnungen nicht gewonnen hatte, über die Presse seinen Einfluß geltend zu machen und die breiteren Kreise sowie die liberalen Abgeordneten noch vor Zusammentritt des Reichsrates in seinem Sinne umzustimmen. So ließ er im offiziösen „Fremdenblatt" die Deutschliberalen mit der Erklärung mahnen, daß sie es selbst in der Hand hätten, der „drohenden Reaktion zu wehren", indem sie sich durch „einige Opfer" den Eintritt in die Majorität ermöglichten, die dann „alle maßvollen liberalen Elemente" ohne Unterschied der Nationalität vereinigen würde. Am 27. März veröffentlichte das in Prag erscheinende Presseorgan „Bohemia" das bekannte „Interview mit einem führenden Staatsmann", hinter dem sich niemand anderer als Badeni selbst verbarg. Der Versuch, mit diesem Artikel die Deutschen zu gewinnen und die Versöhnung anzubahnen, mißlang, zumal Badeni die hier ausgesprochenen Grundprinzipien selbst drei Tage später, in seiner Zwangslage völlig verblendet, aufgab und die Deutschen sich doppelt hintergangen, irregeführt und geprellt fühlen mußten. „Die S p r a c h e n v e r o r d n u n g , sagte mein hochgestellter Gewährsmann, ist fast ausgearbeitet; das heißt, nicht die Sprachenverordnung, sondern die S p r a c h e n v e r o r d n u n g e n . Für B ö h m e n und M ä h r e n wird je eine Verordnung ausgegeben. Um jeden Schein einer staatsrechtlichen Nachgiebigkeit zu vermeiden, ist dieser Weg gewählt worden, trotzdem beide Verordnungen fast denselben Inhalt haben. Der Wortlaut ist aber ein verschiedener. S c h l e s i e n b l e i b t g a n z u n b e r ü h r t . Die für Böhmen bestimmte Verordnung setzt in § 1 zwar fest, daß alle Beamten bei allen landesfürstlichen Behörden in Böhmen beider Landessprachen mächtig sein müssen, aber fast jeder folgende Paragraph bedeutet eine Milderung dieser principiellen Feststellung. Vor Allem sind die punkt dahin, daß die Regelung der Sprachenfrage nur auf dem Wege der Gesetzgebung und in jedem Falle nur von dem Standpunkte des Bedürfnisses vorgenommen werden sollte. Wir unterließen nicht den Nachweis zu erbringen, daß die geplante Verordnung weitaus die Erfüllung eines praktischen Bedürfnisses überschreitet, vielmehr die Bedeutung einer politischen Aktion zu Ungunsten des deutschen Volkes besitzt, durch welche dieses Volk sich auf das empfindlichste verletzt fühlen muß. In einer zweiten Besprechung vom 23. März, an welcher außer dem Ministerpräsidenten auch die Minister des Unterrichtes, der Justiz und der Finanzen, sowie vier Vertreter des tschechischen Volkes Anteil nahmen, hielten wir die von uns am 20. März abgegebenen Erklärungen im vollen Umfang aufrecht. Wir betonten weiters, daß die Vertreter des deutschen Volkes, trotz der traurigsten Erfahrungen immer wieder ihre Bereitwilligkeit zu einer friedlichen Verständigung mit den tschechischen Landesgenossen ausgesprochen haben, daß aber die Regelung der Sprachenfrage, im Sinne der Wünsche und staatsrechtlichen Bestrebungen der Tschechen, herausgerissen aus dem ganzen Komplexe der böhmischen Frage und ohne Berücksichtigung der bekannten Wünsche des deutschen Volkes nur zu einer Verschärfung der nationalen Gegensätze im Lande führen und die Aussichten auf eine friedliche Beilegung des nationalen Streites vollständig vereiteln müßte." S8 ) Wien H.H.St.A., Baernreither, Nachlaß B, Kart. 47.

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bereits angestellten Beamten von der Verpflichtung, die Kenntnis der cechischen Sprache nachzuweisen, für immer befreit : ferner ist der Eintritt von Beamten in den Staatsdienst auch für eine mehrjährige Übergangsperiode nicht an diesen Nachweis gebunden, die Beamten werden aber verpflichtet, binnen einer Frist von sechs Jahren, und wenn eine Änderung, die noch in Verhandlung steht, Platz greift, in sieben Jahren die Prüfung aus der cechischen Sprache abzulegen. Eigene Prüfungscommissionen, in welchen den Deutschen eine ausreichende Vertretung eingeräumt wird, um die Prüfungscandidaten vor überflüssiger Strenge zu schützen, werden eingesetzt. Insbesondere müssen die Manipulationsbeamten vor jeder Härte verschont bleiben und es dürfen an sie nicht Anforderungen gestellt werden, wie an die Conceptsbeamten. In jenen Bezirken, wo das sachliche Bedürfniß für die Kenntniß des Cechischen seitens aller Beamten nicht besteht (damit ist das geschlossene deutsche Sprachgebiet gemeint) genügt es, wenn in jedem Amte nur ein Beamter der cechischen Sprache mächtig ist. Die Verordnung tritt am 1. Juli 1897 in Kraft, aber erst vom 1. Juli 1903, bzw. falls die oben erwähnte Änderung vorgenommen wird, am 1. Juli 1904 wird der Eintritt von Beamten in den Staatsdienst in Böhmen und Mähren an die Kenntniß der èechischen Sprache gebunden sein. D i e S p r a c h e d e r B e h ö r d e n b l e i b t d i e d e u t s c h e , und nur in Parteisachen werden die Behörden je nach der Sprache der Eingabe oder der Betheiligten deutsche oder cechische Bescheide ausstellen. A u c h i m V e r k e h r m i t d e n B e h ö r d e n außer Landes - und mit den O b e r b e h ö r d e n müssen sich alle B e a m t e n in B ö h m e n a u s s c h l i e ß l i c h der d e u t s c h e n S p r a c h e b e d i e n e n . Die Verordnung wird auch nicht ohne Rückwirkung auf die cechischen Beamten bleiben. E s w i r d n i c h t a n g e h e n , d a ß m a n s i c h m i t d e r o b e r f l ä c h l i c h e n K e n n t n i ß der d e u t s c h e n S p r a c h e begnügt, wie d i e s j e t z t a l l z u o f t w a h r n e h m b a r i s t ; alle Beamten werden die deutsche Sprache in einem vollkommen ausreichenden Maße beherrschen müssen. D e r Z w a n g t r i f f t a l s o b e i d e N a t i o n a l i t ä t e n i n g l e i c h e r W e i s e . Glauben Sie mir, daß die Regierung nicht leichten Herzens und gewiß nicht die Gefühle der Deutschen mißachtend mit dieser Sprachenverordnung vorgeht. Sie ist sich bewußt, daß die Verordnung den Deutschen ein Opfer auferlegt, und daß der erste Eindruck ein schmerzlicher sein werde. A b e r das O p f e r soll g e b r a c h t w e r d e n im I n t e r e s s e des L a n d e s u n d d e s R e i c h e s . Die Verordnung ist die V o r b e d i n g u n g , aber auch die e i nzige B e d i n g u n g f ü r den E i n t r i t t der J u n g i e c h e n in eine alle e x t r e m e n E l e m e n t e a u s s c h l i e ß e n d e R e g i e r u n g s m e h r h e i t , in der die liberalen Deutschen den ihnen gebührenden Platz einnehmen werden. Die Deutschen gewinnen die Mitwirkung der Jungcechen zur Erhaltung der freien Schule und für alle größeren Aufgaben eines fortschrittlichen Staatswesens. Ihre beiderseitige Verständigung könnte seinerzeit durch die B e r u f u n g eines i e c h i s c h e n und eines d e u t s c h l i b e r a l e n P a r t e i m a n n e s i n d i e R e g i e r u n g des Weiteren gefördert werden. Alle staatsrechtlichen Experimente bleiben für alle Zukunft ausgeschlossen. Die Sprachenfrage würde fortan ruhen, und das C u r i e n g e s e t z wäre gesichert. Die Sprachenverordnung entfernt sich nicht sehr weit von dem ohnehin schon bestehenden factischen Zustande, sie codificirt nur, was in der Praxis ohnehin zum großen Theile vorhanden ist. Wollen die Deutschen einem Scheine, einem schönen Traume zu Liebe ungleich wichtigere Partei- und nationale Interessen aufgeben? D i e V e r o r d n u n g i s t u n a u s w e i c h l i c h . Wenn die gegenwärtige Regierung sie nicht erließe, würde sie von einer anderen, den Deutschen vielleicht feindlichen Regierung erlassen werden. D a n n h a b e n S i e d i e Sprachenverordnung und das k l e r i c a l e R e g i m e dazu. Die b e s t i m m t e A b s i c h t der g e g e n w ä r t i g e n R e g i e r u n g ist aber das Z u s a m m e n g e h e n mit den C e c h e n u n d d e n l i b e r a l e n D e u t s c h e n . Das ist ein ernster Wendepunkt und der Überlegung aller besonnenen Deutschen wert, ob wegen einer Verwaltungsmaßregel, die nicht mehr umgangen werden kann, die Regierung gedrängt werden soll, eine Mehrheit ohne die liberalen Deutschen zu bilden. Die deutschen Abgeordneten aus Mähren sind durch die ihr Land betreffende Sprachenverordnung auch nichts weniger als befriedigt, aber sollen denn die Deutschen in Österreich die einzige, ich sage die einzige Nation sein, die den Verhältnissen, ich sage den zwingenden Verhältnissen, niemals Rechnung tragen will? Viel steht

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auf dem Spiele. E s i s t d e r a u f r i c h t i g s t e W u n s c h d e r R e g i e r u n g , d a ß d a s S p i e l f ü r d i e l i b e r a l e n D e u t s c h e n n i c h t v e r l o r e n g e h e ; sie können und sollen es gewinnen, wenn sie den großen Moment richtig erfassen."

Badeni hatte, wie das tschechische Blatt „Politik" mit Recht bemerkte, mit diesen Enthüllungen „seine eigene, nunmehr nichts weniger als beneidenswerte Situation um vieles verschlimmert", denn auf tschechischer wie auf deutscher Seite wirkte der Artikel alarmierend. Kaizl verglich Badeni mit einem „Pferdehändler, der jemanden an der Nase herumführen wollte", und in einem Brief an seine Frau charakterisierte er die augenblickliche Lage: Badeni habe die Deutschen zu prellen versucht, so wie er es mit den Tschechen probiert habe. „Er wollte die Deutschen beschwichtigen, tat dies aber in einer Weise, die sie nicht beruhigte, uns aber erzürnte." 89 ) Die Folgen machten sich auch sofort bemerkbar. Die radikale Minorität des Tschechenklubs, zu der dessen Obmann, der Arzt Dr. Emanuel Engel gehörte, sah nun ihre bei der internen Konferenz vom 5. März eingenommene Haltung und ihre Forderung nach Rückkehr in die Opposition nachträglich bestätigt und gerechtfertigt. Allein eine Rückkehr war für die Jungtschechen nicht mehr möglich, da dies eine völlige Niederlage ihrer seit Monaten verfolgten Politik bedeutet hätte. Die Sprachenverordnung in der von Badeni in der „Bohemia" mitgeteilten und erläuterten Form des Regierungsentwurfes hinzunehmen, war jedoch für die Jungtschechen ebenso unmöglich, da die öffentliche Meinung sehr empfindlich auf das Interview reagiert hatte. So erklärten die „Národní Listy", die wie die meisten Zeitungen jenes wörtlich abgedruckt hatten, in ihrer Replik, der betreffende Staatsmann gebe sich einer verhängnisvollen Täuschung hin, wenn er glaube, daß eine Sprachenverordnung, deren Zweck es wäre, die Tschechen zu befriedigen, lediglich den äußeren Verkehr berühren könne, ohne den inneren zu alterieren, ohne somit den bisher ausschließlich deutschen Charakter der Behörden zu verwischen. Wolle die Regierung eine derartige Verordnung erlassen, so möge sie es immerhin tun, dann möge sie aber davon keinen günstigen Eindruck auf die tschechische öffentliche Meinung gewärtigen. Es sei unwahr, daß eine Sprachenverordnung, geschweige denn eine so magere, die einzige Bedingung für irgendein Abkommen zwischen den Tschechen und der Regierung abgeben könnte. Erst nach Veröffentlichung der Sprachenverordnung werden die tschechischen Abgeordneten und die tschechische Öffentlichkeit die Gesinnung, den Standpunkt und die prinzipielle Auffassung des Grafen Badeni in bezug auf die Nationalitätenfrage beurteilen und die Frage beantworten können, ob mit ihm überhaupt ein Zusammengehen möglich sei. Welche Bedingungen erfüllt werden müßten, damit in der tschechischen Politik eine Wendung eintrete, darüber sei mit den tschechischen Abgeordneten überhaupt nicht verhandelt worden. Um den unangenehmen Eindruck, den der Artikel der „Bohemia" hinterlassen hatte, in der Öffentlichkeit zu verwischen90), erklärte der Vorsitzende des Tschechenklubs Presseleuten gegenüber, daß wegen der Sprachenverordnung die Verhandlungen mit der Regierung noch gar nicht zu einem Resultat geführt hätten und auch nicht führen könnten, falls deren Ergebnis nicht über jene in der „Bohemia" dargestellte Tragweite hinausreichen sollte. Auch innerhalb des Tschechenklubs, der sich am 27. März, dem Tage der Eröffnung des Reichsrates bereits konstituierte, wurde das lavierende Vorgehen 89 β0

) J. Κ a i ζ 1, Ζ mého íivota I I I , S. 572. ) Die tschechische Zeitung Mährens „Lidové noviny" griff in gleicher Absicht die „Bohemia" an, daß sie bei der Wiedergabe des Interviews bewußt jene Vorteile, welche für die Tschechen geschaffen seien, verkleinert und negiert habe.

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der Regierung in schärfster Weise kritisiert, wobei allerdings auch die eigene politische Führung mit äußerst erregten Vorwürfen überhäuft91) und der Abbruch der Beziehungen zum Grafen Badeni verlangt wurde, falls nicht in den allernächsten Stunden eine definitive Beschlußfassung falle. Die parlamentarische Kommission des Tschechenklubs sah sich mit Rücksicht auf die kritische Situation am 28. März gezwungen, die Regierung vor die Entscheidung zu stellen. Die „Politik" vom 29. März spricht von einem „Ultimatum", in welchem betont worden sei, daß die tschechischen Abgeordneten nicht gewillt seien, ihre zustimmende Haltung der Regierung gegenüber fortzusetzen, da ein Wohlwollen gegenwärtig durchaus nicht begründet wäre. Der Inhalt des „Ultimatums" lasse sich am leichtesten in den Worten „Entweder — Oder" zusammenfassen. Badeni hatte, wie sich nun zeigte, mit dem Interview sich und den Tschechen die Möglichkeit genommen, noch im letzten Augenblick Kompromisse zu schließen92), denn die aufmerksam gemachte Öffentlichkeit verfolgte nun zu genau jeden Schritt der Verhandlungen und deren Ergebnis. Den Tschechen hatte er die Karte in die Hand gespielt, mit der sie ihn unter Druck setzen konnten. Diesem Druck ist Badeni unterlegen, obwohl sich auf deutscher Seite ebenso schnell scharfe Stimmen gegen das Interview erhoben93). Der Leitartikel im Morgenblatt der „Neuen Freien Presse" vom 28. März war deutlich genug. Er hätte für Badeni eine ausreichende Warnung sein müssen. Wien, 27. März. Das neue Abgeordnetenhaus ist noch nicht constituiert und harrt erst der Eröffnungen, die ihm am Montag vom Throne herab gemacht werden sollen, aber von dem Bilde der bevorstehenden Regierungs-Politik ist der Schleier schon gefallen. Graf Badeni selbst — denn nur er kann der leitende Staatsmann sein, der dem Interviewer der Bohemia die heute mitgetheilten Aufklärungen gegeben hat — unterzog sich der Mühe, das Bild zu entschleiern. Was da zum Vorschein kommt, ist weder neu noch sonderlich complicirt. Graf Badeni wendet sich an die Deutschen und sagt ihnen, er habe Krieg und Frieden in seiner Toga, sie hätten zu wählen. Das neue System fängt damit an, daß für Böhmen eine neue Sprachenverordnung erlassen wird, mit der verglichen, die Sprachenverordnungen Stremayr's und Praáak's harmlose Vorübungen waren. Jeder im Staatsdienste Stehende in Böhmen, er sei, wer er sei, vom " ) Tschechische Zeitungen schrieben dazu, daß man in Kreisen der tschechischen Abgeordneten hoffe, daß Herold, Kaizl, Pacák und Kramár, die seit sechs Monaten die Verhandlungen mit der Regierung führten, von ihrem übermäßigen Sanguinismus geheilt sind. 92 ) So hatte noch am 25. März die „Politik" geschrieben, daß trotz der Vermittlung der Regierung die Verhandlungen zwischen Deutschen und Tschechen gescheitert seien, die Regierung jedoch versuchen werde, „die Differenzen auszugleichen". 93 ) Auch ausländische Zeitungen nahmen zum Interview Stellung, so die Berliner „NationalZeitung" vom 29. März: „Die Regierung muß die Tschechen kaufen, und zwar mit einem Stück aus der Haut der Deutschen. Von den Deutschen verlangt und erwartet die Regierung, daß sie sich das Stück Haut nicht nur gutwillig herausschneiden lassen, sondern auch noch froh darüber sind, daß sie nicht am ganzen Körper geschunden werden, und daß sie aus Freude und Dankbarkeit über die gnädige Strafe der Regierung die Mehrheit bilden, deren Badeni bedarf. Fügen die Deutschen sich nicht gutwillig, so erhalten die Tschechen dennoch ihre Belohnung, aber Alles, was in Österreich liberal und deutsch ist, wird für vogelfrei erklärt und der national-klerikal-feudalen Hetze überliefert. Die Regierung weiß ganz genau, welchen Zuständen sie das ganze Land aussetzt, wenn sie die Drohung gegen die widerspenstigen Deutschen wirklich ausführen wollte. Sie braucht die Deutschen notwendig, so notwendig wie die Tschechen, ja vielleicht noch mehr, aber sie droht ihnen nur: Werden sich die liberalen Deutschen in Österreich diesen Hohn gefallen lassen? Werden sie sich selbst und ihre Sache aufgeben?"

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Statthalter bis zum letzten Amtsdiener herab, muß nach einer kurzen Übergangsfrist beider Landessprachen mächtig sein. Daran ist nichts zu ändern, das ist, wie der leitende Staatsmann sich ausdrückt, „unausweichlich". Sind die Deutschen damit zufrieden — gut. Dann wird ihnen die Himmelsthür zur Regierungs-Majorität geöffnet, sie können an der Seite der Jungczechen Platz nehmen, sie gewinnen ihre Mitwirkung zur Erhaltung der freien Schule, sie können es sogar mit der Zeit zu einem Parteiminister im Cabinet bringen. Sind die Deutschen nicht zufrieden— auch gut. Dann wird die Sprachenverordnung dennoch erlassen, die Majorität aber wird ohne sie und gegen sie gebildet. Wenn dann die freie Schule nicht zu erhalten ist und anstatt der liberalen Regierung, die Graf Badeni vorziehen würde, eine clericale kommt, umso schlimmer für die fortschrittlichen Deutschen. Du hast's gewollt, George Dandin! Wenn dann der Nothschrei des erwürgten Deutschtums in Böhmen sich erhebt, wenn es immer finsterer in Österreich wird, daß es selbst den kühlen Praktikern in den Regierungspalais zu grauen beginnt, wenn alle die Folgen einer solchen bei der größten Gefährlichkeit doch kindlich naiven Politik eintreten, die eintreten müssen und die wir ja aus halbvergangener Zeit kennen, dann werden wir wieder hören, was wir durch fünfzehn Jahre unter Taaffe gehört haben: die Deutschen sind schuld. Warum haben sie die Regierung ins Lager ihrer Feinde „gedrängt"? Die Melodie ist, wie gesagt, weder originell noch schwierig aufzufassen, die Lehrjungen in der Politik pfeifen sie auf den Gassen, und wir kennen sie in allen Tonarten auswendig. Deßwegen wollen wir vorerst von allem Guten und Schlimmen, das die Deutschen erwartet, absehen und nicht einmal fragen, um wie viel denn die Deutschen in Österreich weniger werth sind als die Jungczechen, daß diese eine Bedingung stellen dürfen, unter der sie in die Regierungspartei eintreten, während Jenen eine Bedingung gestellt wird, unter der sie in die Regierungspartei aufgenommen werden. Aber wir wollen nicht von den Deutschen und nicht von den Czechen, wir wollen von Österreich sprechen. Ist es denn für Österreich so ganz gleichgültig, ob es fortschrittlich oder rückschrittlich regiert wird, daß Graf Badeni mit solchem Gleichmuth sich auf den Markt stellt und ausrufen läßt: Bei mir ist Beides zu haben: der Fortschritt und der Rückschritt, je nach Belieben, wer mir die Majorität liefert, der hat mich? Ist denn Österreich so gar nicht daran interessiert, wie die nächste Generation seiner Bürger erzogen wird, daß der österreichische Minister-Präsident den Deutschen sagen läßt: Sie, die Deutschen, gewinnen die Mitwirkung der Jungczechen zur Erhaltung der freien Schule, wenn sie die czechischen Bedingungen annehmen? Hat denn der „führende" Minister-Präsident in diesen Haupt- und Grundfragen des Staates gar keine Meinung ? Was Graf Taaffe in Österreich zerstört hat, das ist nicht wieder aufzubauen. Niemand weiß das besser, als die fortschrittlich gesinnten Deutschen. Sei's. Was geschehen ist, das ist geschehen. Die deutsche Grundlage Österreichs ist aufgegeben. Die Deutschen sind eine Nationalität wie jede andere und haben sich ihrer Haut zu wehren wie jede andere. Aber der Grundsatz ist doch hoffentlich noch nicht aufgegeben, daß das Interesse Österreichs in der österreichischen Regierung eine Vertretung finden muß; das scheint doch einem Parlament gegenüber, das alle möglichen Parteien aufweist, nur keine Staatspartei, nothwendiger als je zu sein. Wenn aber die Regierung das Staatsinteresse wahrzunehmen hat, dann ist doch das Mindeste, was von ihr gefordert werden kann, daß sie sich selbst darüber klar ist, was das Staatsinteresse ist. Hält sie dafür, daß ein clericales Regiment mit der confessionellen Schule im österreichischen Interesse gelegen ist, dann kann es doch keinen Preis geben, für den sie den Staat einer liberalen Majorität ausliefert. Ist sie aber der Überzeugung, daß ein solches Regime das Staatsinteresse schädigt, dann wissen wir keinen zulässigen Ausdruck für die Verantwortlichkeit, die sie auf sich ladet, wenn sie den Staat einem rückschrittlichen Regime preisgibt. Eine Regierung, die in solchen Lebensfragen des Staates die Entscheidung davon abhängig macht, welche Partei ihr die größere Bequemlichkeit bietet, hat nicht blos die Führung aufgegeben, sondern verdient nicht den Namen einer Regierung, sie kann Alles sein, fortschrittlich, rückschrittlich, deutsch, slavisch, nur nicht österreichisch. Ist es denn aber auch wahr, daß die Deutschen und insbesondere die deutschen Abgeordneten aus Böhmen, an welche der Antrag auf ehrbare Annäherung zunächst gerichtet ist, nur zu wählen haben? Es fällt uns nicht ein, mit den überlegenen Staatsmännern zu streiten, welche die böhmische Sprachenfrage verächtlich damit abthun zu können glauben, daß das ein Streit um den Nachtwächter von Leitomischl sei. Denn es kommt offenbar nicht darauf

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an, wie hoch oder wie gering sie oder irgend eine Regierung den Werth dieser Dinge bemessen, sondern darauf, wie die dritthalb Millionen Deutschen in Böhmen, welche von der geplanten Sprachenverordnung betroffen werden, die Frage bewerthen. Diese aber sind nun einmal der Überzeugung und durch keine Lockung und keine Drohung davon abzubringen, daß sie ein Recht haben, nicht als Deutsche zweiter Güte behandelt zu werden. Sie sind der Überzeugung, daß sie dasselbe Recht haben, wie die Deutschen in Tirol und in der Steiermark, Länder, in denen ebenfalls zwei Volksstämme nebeneinander, aber territorial geschieden wohnen und wo es dennoch Niemandem einfallt, von sämmtlichen landesfürstlichen Beamten zu verlangen, daß sie deutsch und italienisch oder deutsch und slovenisch functioniren. Sie berufen sich darauf, daß in Böhmen genau dieselben nationalen Verhältnisse bestehen, denn es gibt dort neunzig zusammenhängende deutsche Bezirke, und darunter sechsundsiebzig, in denen sich kein einziges czechisches Dorf befindet, und sie können sich gegenüber der an sie im Namen der Gleichberechtigung gestellten Forderung auch auf das Staatsgrundgesetz berufen, welches nicht etwa bestimmt, daß Deutsche und Czechen, sondern daß alle Volksstämme des Staates gleichberechtigt sind, daß somit für die Czechen in Böhmen kein anderes Recht gelten kann, als für die Italiener in Tirol, und daß Graf Badeni, der noch keine Verordnung erlassen hat, die von allen Richtern, Beamten und Dienern in Galizien die Kenntniß beider Landessprachen fordert, auch kein Recht hat, eine solche Verordnung für Böhmen zu erlassen. Man mag es billigen oder mißbilligen, daß die Deutschen in Böhmen von diesem ihrem Recht nicht lassen wollen, aber da sie diesen Standpunkt einnehmen, seit 37 Jahren an demselben unter den härtesten Kämpfen und Opfern festhalten, so ist es kindisch, zu glauben, daß ihre Abgeordneten die Wahl haben, ihn zu vertreten oder ihn aufzugeben. Jedermann, der Böhmen auch nur einigermaßen kennt, weiß, daß ein Sturm nationaler Empörung diese Abgeordneten hinwegfegen würde, wenn sie, sei es um welchen Preis immer, dem czechischen Übermuth sich beugen wollten, und wer es nicht weiß, den müssen die Wahlen in Böhmen belehren, welche einerseits zeigten, wie dankbar die Deutschen in Böhmen für die Vertheidigung ihres nationalen Rechtes sind, und die andererseits auch sagen, wer an die Stelle der gegenwärtigen Abgeordneten treten würde, falls sie in diesem Punkte das Vertrauen der Wähler täuschen sollten. Die Namen Schönerer, Iro, Kittel sind in dieser Beziehung ein Programm und ein Fingerzeig, daß unter Umständen diese angebliche Querel um den Nachtwächter von Leitomischl eine österreichische Frage erster Ordnung werden kann. Graf Badeni meint freilich, die Verordnung sei unausweichlich, wenn er sie nicht erlasse, werde sie eine künftige Regierung erlassen, welche den Deutschen vielleicht feindlicher sein werde. Da muß man doch fragen: Unausweichlich — für wen? Für Österreich sicherlich nicht, denn er selbst läßt im ganzen übrigen Österreich das Gegentheil des Zustandes als Recht gelten, den er in Böhmen schaffen will. Und was die deutschfeindliche Regierung der Zukunft betrifft, so ist bei allem Respect vor der Staatskunst des Grafen Badeni nicht anzunehmen, daß er von der Zukunft mehr weiß, als irgend ein beschränkter Unterthanenverstand; wol aber wissen wir aus der Vergangenheit, daß vor sieben Jahren ein Gegner der Deutschen, Graf Schönborn, Minister war, und dieser erließ eine Sprachenverordnung, nach welcher nicht ein willkürlich aufgestelltes Prinzip angeblicher Gleichberechtigung, sondern das sachliche Bedürfniß darüber entscheiden soll, von welchen Beamten im deutschen Sprachgebiet Böhmens die Kenntniß der czechischen Sprache zu fordern sei. Nein, wir glauben nicht, daß die Deutschen in Böhmen sich durch an die Wand gemalte Zukunftsbilder schrecken lassen, sowie es unwahrscheinlich ist, daß sie politische Wechsel auf die Zukunft anzunehmen gesonnen sind. Graf Badeni sagt ihnen, die Sprachenverordnung sei die einzige Bedingung für die deutsch-czechische Majorität, mit ihr seien alle staatsrechtlichen Experimente für alle Zukunft ausgeschlossen. Kann das der Minister-Präsident, kann das überhaupt Jemand verbürgen ? Glaubt er wirklich, daß die Deutschen schon vergessen haben, was sie mit dem Vertrauen auf solche Versprechen unter ministerieller Bürgschaft im Jahre 1890 für Erfahrungen gemacht haben? Und wenn sämmtliche Jungczechen sich mit ihm verbürgen, daß unter der Sprachenverordnung die Streitaxt für alle Zeiten begraben sei, wer bürgt für die Jungczechen? Steht denn nicht hinter ihnen schon eine Partei, die auf den Augenblick lauert, in welchem sie gegen die Jungczechen denselben nationalen Dolchstoß wird führen können, unter dem vor sieben Jahren die altczechische Partei verblutete, und wird diese Partei sich durch das

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Versprechen ihrer Vorgänger fester gebunden fühlen, als die Jungczechen durch die von ihren Vorfahren eingegangenen Verpflichtungen ? Doch untersuchen wir nicht weiter die Prophezeiungen des Grafen Badeni. Das Wichtigste an seinen Eröffnungen ist, daß sie über die Gegenwart aufklären. Diese Aufklärung ist vollkommen. Da er die Deutschen zu wählen auffordert, wo sie keine Wahl haben, so ist es klar, daß er und wie er gewählt hat. Daß die Sprachenverordnung unausweichlich sein soll, ist nur ein anderer Ausdruck dafür, daß die czechisch-reactionäre Majorität unausweichlich ist, und davon kann nach dem Ergebnisse der Wahlen Niemand überrascht sein. Das Einzige, was in Erstaunen zu versetzen vermag, ist, daß Graf Badeni den Muth hat, jetzt noch zu sagen, es sei sein Wunsch, daß das Spiel für die liberalen Deutschen nicht verloren gehe. Denn wenn er diesen Wunsch hat, so muß er wol überzeugt sein, daß für Österreich eine andere Politik ersprießlicher wäre, als die, deren Grundzüge er verzeichnet. Diese Politik ist es ja, die das Spiel für die liberalen Deutschen verloren macht, und indem Graf Badeni sie dennoch unternimmt, handelt er gegen seine eigene, bessere Überzeugung. Er ist nicht der erste Minister in Österreich, der das thut, aber wir können uns nicht erinnern, daß je einer vor ihm sich so offen dazu bekannt hätte. A m gleichen T a g erschien in der Grazer „Tagespost" die erste Stellungnahme der deutschen Alpenländer, die nicht minder heftig war, obwohl d e m Interview die durchaus noch vertretbaren Beschlüsse der Regierung zugrunde lagen. D a s Motiv, das die radikale Haltung der deutschen Alpenländer in den kommenden Ereignissen wesentlich mitbedingte, die Furcht vor ähnlichen Sprachenverordnungen, ist hier bereits in aller Deutlichkeit ausgesprochen. „Wir müssen das entscheidende Wort über diese Neuerung den Deutschen Böhmens überlassen, da sie zunächst betroffen sind und die praktischen Wirkungen auf die nationalen Verhältnisse ihres Kronlandes am sichersten beurteilen können und da es ferner an ihnen liegt, abzuschätzen, ob das versprochene Wahlkuriengesetz eine für sie ausreichende Entschädigung ist. Die Deutschen Böhmens, und zwar nicht bloß die fortschrittlichen, sondern auch, wie die Berufung Schücker's zeigte, die deutschvölklichen, haben ja an den Beratungen teilgenommen und sie werden gewiß ihre Anschauungen zum Ausdruck gebracht haben. Wir unsererseits haben allerdings gewichtige Bedenken wider das Zugeständnis, welches den Tschechen gemacht werden soll. Bedenken, die durch die Beschwichtigungsversuche des Staatsmannes, welchem die ,Bohemia' ihre Mitteilungen verdankt, ganz und gar nicht beseitigt werden. . . Eines aber muß unter allen Umständen festgehalten werden : Die Sprachenverordnung, wie sie für Böhmen geplant ist, darf unter keiner Bedingung früher oder später ihre Ausdehnung auf die Alpenländer finden. Gegen jede derartige Möglichkeit müßten nicht allein die Alpendeutschen die allerentschiedenste Verwahrung einlegen ; dagegen müßten kräftige Bürgschaften gewährt werden und in dem Verlangen nach solchen Bürgschaften haben alle Deutschen treu zusammenzustehen, die Deutschböhmen nicht ausgenommen. Denn wenn auch sie selbst und aus irgend einem Grunde und im Hinblick auf ihre provinziellen Verhältnisse sich mit der ihnen zugedachten Verordnung abfinden wollten, so wäre es ihre Pflicht, gleichzeitig dafür zu sorgen, daß die deutschen Alpenländer, in denen ganz andere Verhältnisse herrschen, von dem verhängnisvollen Zweisprachensystem bewahrt bleiben. In dieser Hinsicht darf es keine Nachgiebigkeit und keine Opportunität, kein Schwanken und kein Zaudern geben." Badeni übersah diese Vorzeichen des aufsteigenden Unheils. Er wollte die T s c h e c h e n gewinnen ; das war für ihn das Primäre. D i e D e u t s c h e n hatten, nach seiner Auffassung, kein Recht auf ihren historischen Vorrang. Aber selbst w e n n er die Absicht gehabt hätte, noch Verhandlungen von Volk zu Volk aufzunehmen, wäre i h m dazu durch die von ihm geplante Verquickung von Sprachenverordnung u n d Eintritt der T s c h e c h e n in die erträumte Majorität kein Spielraum geblieben. Jetzt zeigte sich, daß Gautsch recht hatte, als er im Ministerrat, entgegen der lavierenden Taktik des Ministerpräsidenten, nach allen in Frage kommenden Seiten hin energische Schritte zur Vorbereitung einer der Regierung genehmen

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Majorität verlangt hatte. Badeni geriet nun in eine gerade bei seiner Verhandlungspolitik gefahrliche Zeitnot, da vom 4. bis zum 26. März das Abgeordnetenhaus in den einzelnen Kurien gewählt worden und schon am 27. März der Reichsrat zu seiner X I I . Session zusammengetreten war. Die Morgenausgabe der „Neuen Freien Presse" hatte an diesem Tag Badeni noch einmal die Hand angeboten. Er möge einen gerechten Ausgleich zwischen Deutschen und Tschechen suchen und sich seines gegebenen Wortes erinnern. Wien, 26. März. Die Galerien des Reichsrathes werden morgen von Zuschauern überfüllt sein. Was die Menge anzieht, ist keine gewöhnliche Neugierde. Es ist die Ahnung, daß die Männer dort unten im Saale ein neues Schicksal für Österreich bedeuten, und es ist der Wunsch, in später Erinnerung sagen zu können: Ich war dabei, als die ernste Wendung begann. In solchen Augenblicken wittert der einfachste Mensch historische Luft, sein Eindruck ist die unbewußte Zusammenfassung aller Fäden der Gedankenkette, sein mahnender Instinct waches Verständniß für das Erlebte. Dieser Reichsrath ist ein Werth für sich, und die Regierung wird ihn nicht umwerthen. Säße auf der Ministerbank ein großer Feldcapitän der Politik, ein Starker gegen Starke, selbst ein Werth, der nicht erst durch Vorrückung über Nullen entsteht, dann gäbe es einen prächtigen Kampf, und die Möglichkeit jener wunderbaren Erfolge, die eine wirkliche Individualität so häufig gegen die Übermacht errungen hat. Nein, dieser Erfolg wäre nicht wunderbar, sondern natürlich und nothwendig wie die Vernunft, zwingend wie die Existenz der Monarchie und schön, wie es Muth und Gesinnung immer waren. Welcher ruhmvolle Platz ist frei für einen Minister-Präsidenten, der sich entschließen könnte, die Kletten von seinem Rocke abzureißen, sein Ohr böswilligen Ränkeschmieden zu verschließen, unbrauchbare Werkzeuge fortzuschleudern, der Führer und Ausdruck der gesamten Intelligenz in Österreich zu sein! Ein Minister-Präsident, ein wirklicher Mann, der mehr in sich hat, als ein Amtsblatt verleihen kann, einer jener Kräftigen und Gesunden, die willensfahig sind, wüßte, daß in diesem Parlamente alle Parteien, Nationen, Stände und Classen vertreten sind, daß jedoch das Ganze des Reiches, die Gesammtheit, die sich gegen die einzelnen Interessen stemmt, jeder wirksamen Vertretung entbehrt. Einst bestand eine Staatspartei, aber sie ist nicht mehr und liegt zerschmettert am Boden, ein Opfer des Irrthums, daß Mäßigung jemals in Österreich zur parlamentarischen Geltung führen könne. Das haben die übrigen Parteien begriifen, und sie sind mit dem festen Vorsatze ins Haus gekommen, ihr Ja nur gegen ein politisches Meistgebot auszusprechen, ihr Nein als Drohung zu verwenden und sich nur um die eigenen Interessen zu kümmern. Eine Partei der Staatspolitik fehlt nahezu gänzlich in diesem Reichsrathe. Das ist ein folgenschweres Ereigniß, viel ernster und wichtiger als Jene glauben, die es seit Jahrzehnten vorbereitet haben. Alle Parteien nennen sich österreichisch, aber eine Partei, deren Ziele nur auf die Gesammtheit gerichtet sind und die vollständig im Wohle des Staates aufgeht, ist kaum mehr vorhanden. Ein solches Haus, der schwarze Reichsrath, wie es bereits im Volksmunde heißt, bringt die Gefahr der schwersten inneren Krise. Der mächtigste Trieb in seiner Majorität ist glühender Haß gegen die Verfassung und gegen die freisinnigen Deutschen. Siegestrunken werden die herrschenden Parteien ihren Triumph ausnützen wollen, gedrängt von noch radicaleren Elementen, müssen sie jede Besonnenheit verlieren. Wenn Graf Badeni nur auch die dürftigsten Voraussetzungen eines Staatsmannes hat, so muß er wissen, daß seine Situation überaus schwierig sei. E i n e M a j o r i t ä t a u s P o l e n , C z e c h e n u n d Clericalen b e d e u t e t eine i n n e r e U m w ä l z u n g von g a r n i c h t zu e r m e s s e n d e r T r a g w e i t e . Die Czechen verlangen eine Sprachenverordnung, die alle Deutschen in Böhmen und in der Monarchie aufs tiefste verbittern müßte. Kein deutscher Abgeordneter würde darüber im Zweifel sein, daß die Abstinenz vom Landtage unvermeidlich wäre, und Graf Badeni stünde an jenem Punkte, wo selbst Graf Taaffe zur Umkehr gezwungen war. D i e D e u t s c h e n w ü r d e n s o f o r t d i e a 11 e r r a d i c a 1 s t e R i c h t u n g einschlagen, und der d e u t s c h e R a d i c a l i s m u s setzt sich tief i n s G e m ü t h u n d i s t g e w ö h n l i c h u n h e i l b a r . Es war nicht leicht, die Deutschen als Partei niederzuringen, aber die Deutschen als Volk in ihrem Nationalgefühl

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verletzt, in ihrer Heimat beunruhigt, sind nicht zu überwinden. Hat Graf Badeni nicht feierlich versprochen, daß er den Czechen niemals ohne Verständigung mit den Deutschen eine Concession machen werde? Zeugen dafür sind Freiherr v. Chlumecky, Hofrat Beer und Graf Kuenburg im Herrenhause. Die Berufung in die erste Kammer entbindet die alten Führer der Partei nicht der Pflicht, den Ministerpräsidenten im Nothfalle an sein Wort zu erinnern und öffentlich zu erklären, daß sie dem Grafen Badeni nur deshalb politische Dienste erwiesen haben, weil sie diese Bürgschaft zu haben glaubten. Die Deutschen sind zu einem gerechten und billigen Ausgleich bereit, aber gegen jede Verschiebung des nationalen Gleichgewichtes durch einseitige Maßregeln werden sie sich auflehnen und mit dem Aufgebote der ganzen Kraft kämpfen. B e t r i t t d e r M i n i s t e r - P r ä s i d e n t d i e s e n W e g , d a n n s i n d T a g , S t u n d e u n d O r t zu b e r e c h n e n , wo s e i n Cabinet scheitert. Kann Graf Badeni die Clericalen befriedigen ? Wieder berufen wir uns auf sein Wort. Er hat vor der Abstimmung über den Dispositionsfonds versichert, daß er die leitenden Grundsätze der Schulgesetzgebung nicht ändern werde. E i n M i n i s t e r - P r ä s i d e n t m u ß g e w i ß s e i n W o r t a c h t e n u n d d a r f e s n i c h t b r e c h e n , um nach reiner Zweckmäßigkeit augenblicklicher Bedürfnisse eine Majorität zu bilden. Diese Erklärung hat jedoch Graf Badeni nicht blos im Budget-Ausschusse des Abgeordnetenhauses abgegeben. Freiherr v. Chlumecky, Hofrath Beer und Graf Kuenburg sind lebende Zeugen für die Thatsache, daß der Minister-Präsident in allen Verhandlungen mit der Linken betheuerte, er werde jeden Angriff auf die Principien des Schulgesetzes zurückweisen und die Trennung der Confessionen in den Unterrichtsanstalten sowie die geistliche Schulaufsicht niemals bewilligen. Einem Cardinal wird der Mund verschlossen, aber einem Mitgliede des Herrenhauses nicht, und die gewesenen Führer der Linken, deren Verantwortung durch das Ende der Partei nicht aufgehoben ist und die ihren eigenen Ruf wahren müssen, werden reden, wenn Graf Badeni jemals die Lust haben sollte, die Wünsche der Clericalen zu befriedigen. Hat Freiherr von Gautsch einen so niedrig gesteckten Ehrgeiz, daß er, um sein Portefeuille zu behalten, seinen Namen mit dem Untergange der Volksschule, mit der Zerstörung eines der größten und rühmlichsten Werke der österreichischen Gesetzgebung verknüpfen möchte?94) W e n n m o r a l i s c h e G a r a n t i e n n o c h i r g e n d e i n e G e l t u n g in Ö s t e r r e i c h h a b e n , so k a n n G r a f B a d e n i g e g e n d e n W i l l e n u n d o h n e Zus t i m m u n g d e r D e u t s c h e n k e i n e S p r a c h e n v e r o r d n u n g v o n ger a d e z u e i n s c h n e i d e n d e r B e d e u t u n g in B ö h m e n e r l a s s e n u n d n o c h w e n i g e r d i e S c h u l e n d e n C l e r i c a l e n p r e i s g e b e n . Wäre auch sein Wort nicht verpfändet, so müßte ihn die kühle Erwägung davon abhalten. Es mag sein, daß viele Regierungen an den Czechen zu Grunde gegangen sind, denn Böhmen war stets das Massengrab der Minister. Noch gefährlicher ist jedoch, unter den Deutschen in Böhmen eine Stimmung hervorzurufen, die an Hoffnungslosigkeit grenzt. Das hat noch kein Ministerium überlebt und auch dafür sind die Zeugen im Herrenhause : Graf Belcredi und Graf Hohenwart. Die Regierung wird noch erfahren, daß die Niederlage der Linken eine Erschütterung des ganzen politischen Systems bis auf die Wurzeln herbeiführen muß. Graf Badeni kann eine feste Majorität nicht bilden, ohne seiner Vergangenheit ins Gesicht zu schlagen, und thut er es dennoch, so wird der Preis enorm sein. Die künftige Majorität wird den Ausgleich mit den drückenden Verzehrungssteuern, mit dem galizischen Petroleum-Monopol, mit einer kaum faßbaren Bankacte, mit einer unzureichenden Quote zu schlucken haben. H a t G r a f Badeni den p o l i t i s c h e n Κ o st e η ν ο r aη sc h 1 a g für einen solchen A u s g l e i c h b e r e i t s e n t w o r f e n ? So reich ist der Staat nicht, um das zu leisten. Wir werden sehen, wie die Parteien der Rechten und ihre Verbündeten, die Feinde der Gleichberechtigung, die wüthenden Vorkämpfer der häßlichsten Reaction sich bis zu jener Grenze vorwagen werden, wo die Vitalität der Monarchie verletzt wird. Graf Badeni glaubte, er werde M

) Ein völlig ungerechtfertigter Angriff, denn Gautsch hat, wie die Ministerratsprotokolle zeigten, von vornherein jedes Antasten des Reichsvolksschulgesetzes abgelehnt. Es ist zu bemerken, daß in diesen kritischen Tagen vor Erlassung der Sprachenverordnung die „Neue Freie Presse" vielmehr Graf Gleispach lobend als Verteidiger der nationalen und liberalen Interessen hervorhebt.

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von den Wahlkämpfen nicht berührt, aber er wird sich überzeugen, d a ß e r s e l b s t h a r t g e t r o f f e n wurde, als die f r e i s i n n i g e n D e u t s c h e n von i h r e n G e g n e r n z e r t r e t e n w o r d e n s i n d . Die Sieger scheinen keine Lust zu haben, sich ein Leitseil gefallen zu lassen, und fühlen ihre Macht. Geht die Regierung mit ihnen, so wird sie in das Schicksal von Parteien verwickelt, die auf die Dauer nicht regieren können, weil Österreich kein Spanien und weil die auswärtige Lage mit inneren Zuckungen unverträglich ist. Weigert sie sich, ihnen nachzugeben, so muß entweder das Haus oder die Regierung weichen. E s g i b t n u r E i n e H o f f n u n g f ü r d e n G r a f e n B a d e n i . W i r meinen einen gerechten Ausgleich zwischen Deutschen und Czechen. Jede Politik der einseitigen Lösung und Begünstigung ist der Ruin für das M i n i s t e r i u m und eine Krise für Ö s t e r r e i c h , ja für die Monarchie. Niemals werden sich die Deutschen einer Politik fügen, die ohne sie entscheidet. Sofort werden ihre Abgeordneten den böhmischen Landtag verlassen, und dann ist der Schwerpunkt der politischen Situation nicht mehr im Reichsrathe, sondern im Volke, das sich in seinen heiligsten Rechten gekränkt fühlt. Alles ist zu retten durch den Frieden in Böhmen, der nicht mehr eine czechische, sondern eine deutsche Frage ist und das Reich vor der clericalen Schmach, vor der tiefsten geistigen Erniedrigung bewahren könnte."

Zwei Tage später, am 29. März, wurden die größtenteils in Uniform oder in Nationaltracht erschienenen Mitglieder des Reichsrates von Kaiser Franz Joseph, der seinerseits die Uniform eines Feldmarschalls trug, in feierlicher Zeremonie, der nur die Schönerianer und die Sozialdemokraten ferngeblieben waren, im Thronsaal begrüßt. In der vom Kaiser sitzend verlesenen Thronrede war nur die vom Außenminister eingefügte Stelle, die der auswärtigen Politik des Reiches gewidmet war, klar, ja scharf präzisiert. Die anderen Teile fielen allgemein durch ihre politische „Farblosigkeit" auf. Die den Augenblick alles beherrschende Frage, auf welche Majorität die Regierung im neuen Reichsrat sich zu stützen gedenke, fand in der Thronrede keine Beantwortung. Die an keine Partei sich wendende und keine ausschließende Thronrede, die kein politisches, sondern ein Arbeitsprogramm entwarf, verglich die „Neue Freie Presse" am 30. März mit jenen ein Menschenangesicht darstellenden Bildern, auf denen die Augen so schmal gemalt sind, daß sie sich immer auf den Beschauer zu richten scheinen, er mag sich rechts oder links von dem Bilde oder gerade gegenüber aufstellen. Daß Badeni dies wollte, beweist ein in der Regierungspresse erschienener inspirierter Kommentar, in welchem es heißt, die kaiserliche Thronrede habe die Ziele der legislativen Tätigkeit mit Sorgfalt und Vorsicht so abgesteckt, daß keinerlei politische oder nationale Partei die Pfade anderer zu kreuzen bemüßigt wäre. Die Regierung suche nicht, sie vermeide es vielmehr bei den von der Thronrede aufgezählten Vorlagen in das Überzeugungsgebiet einer Partei einzudringen. Sie sei nicht in die Wegspuren einer bestimmten politischen, nationalen oder staatsrechtlichen Partei getreten. Mit den auf der Thronrede dunkel schwimmenden „autonomistischen Fettaugen" wußten die Kommentatoren allgemein am wenigsten anzufangen. Streit dagegen gab es um die versöhnlichste Stelle. „Wenn die Lösung so zahlreicher und wichtiger Aufgaben gelingen soll, werden nationale Gegensätze Ihre Beratung und sachgemäße Entscheidung nicht erschweren oder beirren dürfen. Eine ersprießliche Lösung dieser Aufgaben wird rückwirkend das Wohl jedes Landes und Volksstammes fördern, zur Beseitigung bestehender Schwierigkeiten beitragen und alle Kräfte zu gemeinsamem Handeln im Dienste der Macht und der Interessen des Reiches vereinen. Meine Regierung wird unabläßlich bemüht sein, H i n d e r n i s s e d e r A n n ä h e r u n g zu e n t f e r n e n u n d i n n e r h a l b d e r g e l t e n d e n V e r f a s s u n g

Eröffnung des Reichsrates

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einen Ausgleich sich bekämpfender Ansprüche anzubahnen, um so den Boden zu schaffen, auf dem sich die Gegner in wechselseitiger Anerkennung ihres Rechtes und ihrer Kraft versöhnen können — und mit Hilfe des Allmächtigen — auch versöhnen werden."

Die Tschechen, der Regierung vorwerfend, sie habe die volkswirtschaftlichen Angelegenheiten dem Abgeordnetenhaus nur deshalb zur schleunigen Aufarbeitung vorgelegt, um die politischen und nationalen Konfliktpunkte zurückzudrängen, waren ungehalten und erbittert über den Zusatz, daß die Beseitigung der nationalen Gegensätze innerhalb der geltenden Verfassung sich vollziehen soll95) und die führenden nationalen und liberalen deutschen Zeitungen fanden wiederum, daß sich diese Empörung und das, was man in der tschechischen Presse über die Sprachenverordnung lesen könne, nicht mit der Versicherung, daß die Sprachenverordnung die einzige Bedingung für den Eintritt der Jungtschechen in die Regierungsmajorität sei, übereinstimmen lasse. So hatte beispielsweise Kaizl, um die von den Jungtschechen eingeschlagene Politik vor seinen Wählern zu rechtfertigen, in den „Národní Listy" die Sprachenverordnung als einen unleugbar großen Fortschritt genannt, der mit den Forderungen des böhmischen Staatsrechtes voll und ganz in Einklang stehe und viele Mißstände beseitige. Außerdem erklärte er, um Angriffen seitens der Radikalen vorzubeugen, daß die Tschechen gegenüber der Regierung zu nichts verpflichtet seien, die Bemerkung in seinem Tagebuch vom 3. März: „Die Sprachenverordnungen sind neben anderen Zugeständnissen (mährische Universität, Thronrede usw.) als Gegenleistung dafür gedacht, daß wir in die Parlamentsmehrheit eintreten und der Regierung die Erledigung des ungarischen Ausgleiches und des Wehrgesetzes ermöglichen", den Lesern des Blattes wohlweislich verschweigend. Zusätzlich war die Bemerkung, die Tschechen seien zu nichts verpflichtet, an die Adresse Badeni gerichtet, denn jene waren entschlossen, dessen Zwangslage auszunützen und sich nun den Eintritt in die Majorität, da auch bei ihnen die Politik auf der Straße gemacht werden mußte, möglichst teuer abkaufen zu lassen. Für sie war die Erlassung der Sprachenverordnung nun wirklich nicht der Preis, sondern nur Vorbedingung, Voraussetzung, um überhaupt über jene Punkte und Forderungen zu verhandeln, unter denen sie bereit waren, in die zu bildende Regierungsmajorität einzutreten. Noch am 28. März, dem Tag nach Eröffnung der Parlamentssession, schrieb Kaizl in sein Tagebuch, daß die Lage unverändert sei und die Regierung den 95

) Die „Národní Listy" kommentierten die Thronrede in einem sehr heftigen Ton: „Alles dasjenige, was wir vor sechs Jahren der damaligen Thronrede vorhalten mußten, gilt auch von der heutigen. Sie ist eine große Tagesordnung, zu deren Erledigung eine sechsjährige Legislatur-Periode nicht ausreicht. Ihr Hauptcharakter ist volkswirtschaftlich, politisch ist sie vollständig farblos und verrät, daß die Regierung nur ein sogenanntes Geschäftsparlament haben will, eine nichtpolitische Majorität, welche sich mit den Regierungsvorlagen volkswirtschaftlichen Inhalts, vor allem mit der Genehmigung des österreichisch-ungarischen Ausgleiches beschäftigen soll, mit Ausschluß aller staatrechtlichen, Verfassungs-, nationalen und freiheitlichen Fragen. Das aber wird schwer gehen. E s i s t d i e Q u a d r a t u r des Zirkels, i n n e r h a l b der b e s t e h e n d e n V e r f a s s u n g , die den d e u t s c h e n Z e n t r a l i s t e n a u f d e n L e i b g e n ä h t ist, d i e Ans p r ü c h e der S l a w e n und D e u t s c h e n , der Z e n t r a l i s t e n und F ö d e r a l i s t e n so a u s z u g l e i c h e n , daß s i c h d i e s e l b e n m i t der H i l f e G o t t e s v e r s ö h n e n . Hier ist es die erste Bedingung, daß der feste, entschlossene Wille und die Fähigkeit des leitenden Staatsmannes e i n e R e v i s i o n u n d R e f o r m d e r V e r f a s s u n g durchsetzen, d a ß d i e Gleichberechti-

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Grundsatz der Parität beider Landessprachen nicht anerkennen wolle. Badeni glaubte aber, um die von ihm gesuchte Majorität im Parlament zu gewinnen, dem vom Tschechenklub gestellten „Ultimatum" entsprechen zu müssen und gab so in den umstrittenen und kritischen Angelpunkten der Sprachenverordnung am 30. März trotz aller Einwendungen, Gegenvorstellungen und Warnungen offiziell namens der Regierung endgültig nach. Jetzt war der Tschechenklub bereit, der Regierung seine mit der Sprachenverordnung nicht zusammenhängenden zahlreichen Wünsche bekanntzugeben, die, größtenteils nicht aktueller Natur, in den Bereich der weiteren Entwicklung der Verhältnisse fielen, deren Erfüllung die Regierung jedoch als Voraussetzung für den Eintritt der Tschechen in die Majorität diesen zusagen sollte. Karl Kramár hat einige Jahre später die damit eingeschlagene tschechische Politik heftig kritisiert96). Er bekennt, daß in fortwährender Furcht, den Radikalen könnte die sprachliche Gleichberechtigung nicht genügen, die Tschechen gleich eine ganze Reihe ihrer Postulate formulierten und sie zur nicht geringen Überraschung des Grafen Badeni diesem vorlegten. Da die Sprachenverordnung eine Kardinalwendung in der österreichischen Politik bedeutet habe, wären die Tschechen verpflichtet gewesen, eine Regierung, die sie herausgegeben, um jeden Preis zu unterstützen und sie nicht gleich wieder mit neuen Forderungen zu schwächen. Sie hätten vielmehr zeigen müssen, daß jede Regierung, die den Tschechen gegenüber Gerechtigkeit übe, bei diesen volle Unterstützung finden werde. Soweit sich Kramár an der Jahreswende 1905/06 erinnern konnte, waren es 35 Postulate, die von ihnen vorgetragen wurden und mit denen sich Badeni auch allmählich „versöhnte". Der Eindruck, den die Nachricht von den 35 neuen Forderungen, in kritischen Augenblicken erhoben, auf nichtböhmische Kreise machte, war so ungünstig, daß Kramár erklärte, die Gegner hätten mit jenen 35 Postulaten gründlich operiert und „das ungerechte, harte Wort, die Böhmen wären unersättlich und niemals zu befriedigen", sei dieser Stimmung entsprungen. Auch die am 31. März 1897 mit den Vertretern des Tschechenklubs verhandelnden Minister waren deprimiert, zumal bei dieser von Badeni in Anwesenheit des Unterrichtsministers, des Finanzministers und des Justizministers geführten Besprechung die Tschechen infolge der durch das Interview ausgelösten politischen Verschärfung weit weniger entgegenkamen als früher, und, um mit den Worten Kramárs zu sprechen, die „lange Litanei" schier nicht enden wollte. So wünschten die tschechischen Unterhändler, es möge in Schlesien hinsichtlich der Sprache bei den Gerichten der bisherige Zustand zugunsten der Tschechen gebessert werden. Da sie mit diesem Begehren auf eine Sprachenverordnung für Schlesien hinzielten, erwiderten die Minister, daß die Regierung schon mit Rücksicht auf das Fehlen sprachkundiger Beamten und g u n g der s l a w i s c h e n S p r a c h e n in den Ä m t e r n u n d im ö f f e n t l i c h e n L e b e n v o l l s t ä n d i g z u r T a t w i r d . Wir werden sehen, wie weit diese Gleichberechtigung wenigstens in Bezug auf die Sprache des Sechs-Millionen-Volkes durchgeführt werden wird. Die Restituierung des anerkannten Staatsrechtes der Länder der böhmischen Krone aber läßt sich innerhalb der bestehenden Verfassung nicht durchführen, und deshalb wissen wir bereits heute mit Bestimmtheit, daß die Regierung des Grafen Badeni innerhalb der sechs Jahre nichts unternehmen wird für die große Sache des böhmischen Staatsrechtes. Lassen wir alle Illusionen fallen! Nach dem Tone der Thronrede können wir diesbezüglich vom Grafen Badeni nichts erwarten. Hoffen wir aber, daß unsere Abgeordneten in der Adresse an die Krone umso stärker die Saiten unseres großen tschechischen Rechtes anschlagen werden, ebenso wie sie dies heute in ihrer staatsrechtlichen Verwahrung tun werden." ··) K. K r a m á r , Böhmische Politik S. 20 ff.

Die 35 tschechischen Postulate

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der politischen Gegebenheiten nicht die Absicht habe, eine Sprachenverordnung für diese Provinz zu erlassen. Immerhin wurde den Jungtschechen versprochen, daß die Regierung bestrebt sein werde, die Verhältnisse durch die Gewinnung einer größeren Anzahl sprachkundiger Beamten zu bessern. Aber die Jungtschechen ließen von der Frage Schlesien nicht so schnell ab und wünschten nun die Zurückziehung der hinsichtlich der sprachlichen Einrichtungen bei den Volksschulen in Schlesien geltenden Verordnung. Da jedoch in Schlesien die Gemeinden für alle Schulerfordernisse aufzukommen hatten und nach dem Reichsvolksschulgesetz die Landesschulbehörde die Unterrichtssprache nach Anhörung derjenigen, welche die Schule erhalten mußten, zu bestimmen hatte, war die Regierung nicht in der Lage, den Jungtschechen in diesem Punkt nachzugeben, doch wurde diesen zugesagt, daß die Regierung auf eine Besserung der sprachlichen Verhältnisse und Zustände an den tschechischen Volksschulen in Schlesien „tunlichst" bedacht sein werde. Daraufhin verlangten die Jungtschechen, daß die Verstaatlichung des tschechischen Gymnasiums in Troppau beschleunigt werde97) und erreichten schließlich die Zusicherung, daß der für die Verstaatlichung erforderliche Betrag in das Budget für 1898 aufgenommen werde. Allerdings unter einer Bedingung. Die Jungtschechen mußten sich verpflichten, bei der „Matice skolská", dem tschechischen Schulverein, mit ihrem ganzen Einfluß zu sorgen, daß diese Organisation nicht etwa dann durch die frei gewordenen Geldmittel ein neues tschechisches Gymnasium in Schlesien errichte, denn es gehörte zur selbst einbekannten nationalen Taktik der Tschechen, daß sie von Gemeinden und privaten Korporationen tschechische Mittelschulen errichten ließen, um dann nach einiger Zeit deren Übernahme in die Staatsverwaltung mit aller Heftigkeit zu verlangen. Ohne Gegenforderung wurde von den verhandelnden Ministem zugestanden, daß in Böhmen bei der Eisenbahn die Rufe der Kondukteure auch in tschechischer Sprache erfolgen werden. Dann kam die Frage der Errichtung neuer Hochschulen in Mähren an die Reihe98). Hier wich die Regierung einer bestimmten Antwort aus, indem sie lediglich in Aussicht stellte, daß der Kredit zur Heranbildung von Lehrkräften an Hochschulen im Jahre 1898 um 6000 Gulden erhöht und die Erhöhung in den erläuternden Bemerkungen mit dem Erfordernis eines künftig einzurichtenden 97

) Schon am 2. März 1896 hatte der Schlesier Dr. Franz Sláma im Abgeordnetenhaus diese Forderung erhoben. In Schlesien war das erste tschechische Gymnasium 1887 errichtet worden, das zweite wurde 1908 eröffnet. — Zu den nationalen Verhältnissen in Schlesien die Arbeiten von H. H e r z , Der nationale Besitzstand in Mähren und Schlesien, 1910, und Die nationale Berufsgliederung in Mähren und Schlesien. — Über die Entwicklung des tschechischen Schulwesens in der Monarchie vgl. Ο. Κ á d η e r, Das böhmische Schulwesen. — Zur großzügigen staatlichen Förderung des Schulwesens der nichtdeutschen Völker in der Monarchie vgl. R. C h a r m a t z , Österreich als Völkerstaat S. 43—49, und W. S c h n e e f u s s , Demokratie im alten Österreich S. 118—126. So gab es allein im Jahre 1913 insgesamt 79 deutsche, 30 tschechische, 19 polnische, 5 italienische, eine slowenische, 3 serbo-kroatische und 21 utraquistische, davon wiederum 12 polnischruthenische Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten (Verordnungsblatt für den Dienstbereich des k. k. Ministeriums für Kultus und Unterricht Jg. 1914). 9e ) Vgl. dazu die Forderungen der Abgeordneten Tucek und Dr. Gabriel Blazek, Professor der tschechischen Techn. Hochschule in Prag, am 25. Februar 1896 im Parlament. — Neben die 1869 errichtete Prager tschechische Technische Hochschule trat 1899 durch kaiserliche Verordnung in Brünn eine zweite tschechische Technische Hochschule. Die tschechische Universität in Mähren wurde nicht Wirklichkeit, obwohl unter Ministerpräsident E. v. Koerber Vorbereitungen zu deren Eröffnung getroffen worden waren. Der von 13

Sutter, Sprachenverordnungen I.

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

Hochschulunterrichtes in Mähren begründet werde"). Sehr reserviert war die Antwort der unterhandelnden Minister auf die jungtschechische Forderung, der Komensky-Schule in Wien das Öffentlichkeitsrecht zu erteilen. Da die diese Schule besuchenden tschechischen Kinder die Entlassungsprüfung in Lundenburg ablegen mußten, stellte Gautsch als Zugeständnis die Möglichkeit der Prüfungsablegung in Wien in Aussicht. Die von den Lehrern an der Komensky-Schule zugebrachte Dienstzeit werde beim Übertritt in den öffentlichen Dienst womöglich angerechnet und bei der Errichtung weiterer tschechischer Real- und Fachschulen in Böhmen kein Stillstand eintreten100). Eine gesetzliche Regelung des Fachschulwesens in Böhmen wurde von ihm prinzipiell zugestanden, jedoch erst für den Zeitpunkt in Aussicht gestellt, in welchem die Organisation dieser Anstalten vollendet sein werde, wobei Gautsch dafür zwei Jahre anberaumte. Mit besonderem Nachdruck erklärten die Tschechen, daß die böhmischen Lehrbücher, vor allem die Geschichtslehrbücher, in einem volksfeindlichen Ton abgefaßt seien und sie daher eine Umarbeitung verlangen. Dieser Wunsch erwies sich als Bumerang, indem Gautsch sehr scharf antwortete, daß sich ein Teil der Geschichtsbücher, in denen gewiß einige Tatsachen aus übergroßer Ängstlichkeit unterdrückt worden seien, bereits in Umarbeitung befänden, jedoch deshalb, weil in einzelnen von österreichischer Geschichte kaum mehr die Rede wäre101). Kaiser Franz Joseph aus seiner Diözese verbannte Erzbischof Kohn von Olmütz, er starb 1915 in Ehrenhausen (Stmk.), hat in seinem Vermächtnis in munifizentester Weise der zu errichtenden tschechischen Universität in Mähren gedacht. **) Bei Ausbruch des Weltkrieges gab es in der österreichischen Reichshälfte der Monarchie die fünf deutschen Universitäten in Wien, Prag, Graz, Innsbruck und Czernowitz, die tschechische Universität in Prag und die zwei polnischen Universitäten in Krakau und Lemberg (diese mit zehn ruthenischen Lehrkanzeln). Daneben bestanden noch außer dem Verbände einer Universität zwei katholisch-theologische Fakultäten in Salzburg und Olmütz, wobei jene im Studienjahr 1912/13 65 Deutsche und einen Tschechen, diese 23 Deutsche und 140 Tschechoslawen als Hörer hatte. Außer vier deutschen Technischen Hochschulen in Wien, Prag, Graz und Brünn existierten zwei tschechische in Prag und Brünn und eine polnische in Lemberg. Neben der Montanistischen Hochschule in Leoben stand die in Pribram. Ebenso existierten zwei Tierärztliche Hochschulen, eine in Wien und eine polnische in Lemberg. Das gleiche Bild zeigt sich bei den Kunstakademien, da die in Wien, Prag und Krakau jeweils national abgestimmt waren. Zwar gab es nur die Hochschule für Bodenkultur in Wien, doch existierten landwirtschaftliche Fachabteilungen an der tschechischen Technischen Hochschule in Prag mit 39 Lehrkräften und 176 Studierenden und an der Krakauer Universität mit 22 Lehrkräften und 296 Studierenden, (österr. statist. Handbuch 33, 1914 Wien 1916, S. 406 Anm. 1 und 3; Verordnungsblatt für den Dienstbereich des k. k. Ministeriums für Kultus und Unterricht Jg. 1914.) — Zur Entwicklung des nationalen Volksschulwesens in Böhmen vgl. W. W i η k 1 e r, Aus der neuesten Volksschulstatistik. 10 °) Im Jahre 1916 konnte der Tscheche O. K á d n a r (Das böhmische Schulwesen S. 113) schreiben: „Das Fachschulwesen hatte in Böhmen lange gegen Gleichgiltigkeit und Ungunst der Bevölkerung zu kämpfen, die aus Gründen des Konservativismus und der Bequemlichkeit ihre Söhne immer lieber in Mittelschulen ausbilden ließ, wiewohl sich ihnen nach Absolvierung einer Fachschule eine materielle und sozial bei weitem viel bessere Zukunft bieten würde. Erst in den letzten Jahren führten volkswirtschaftliche und p o l i t i s c h e E r w ä g u n g e n auch auf diesem Gebiete eine dermaßen e rf r e u l i c h e W a n d l u n g herbei, daß ausgenommen Niederösterreich unsere Länder unter allen Ländern Österreichs a m b e s t e n in dieser Hinsicht a u s g e s t a t t e t sind." 101 ) So „bedauerte" der Tscheche Dr. Eduard Grégr am 12. Februar 1895 im böhmischen Landtag, daß die tschechische Jugend in den Schulen nicht in der Liebe zu Böhmen,

Die 35 tschechischen Postulate

195

Gegenüber dem Wunsche nach größerer Pressefreiheit verhielten sich die unterhandelnden Minister sehr ablehnend. Als daraufhin die Jungtschechen die von der Regierung ohnehin geplante Abschaffung des Zeitungsstempels forderten, wurde ihnen geantwortet, daß die Regierung bereit sei, eine entsprechende Vorlage im Abgeordnetenhaus einzubringen, allerdings unter der Voraussetzung und der ausdrücklichen Bedingung, daß vom Abgeordnetenhaus eine andere gleichwertige Einnahmequelle unter einem bewilligt werde. Damit ließen die Jungtschechen von ihren umfassenden Schul- und Presseforderungen ab, warfen jedoch die Frage der Aufnahme nichtdeutscher Reden im Parlament in das stenographische Protokoll auf102). Da diese Frage zunächst eine Angelegenheit des Abgeordnetenhauses selbst war, wurden die verhandelnden Vertreter an das Präsidium des Hauses verwiesen. In Verfolgung dieses Zieles war es dem Obmann des Tschechenklubs Dr. Engel ein willkommener Anlaß, als im stenographischen Protokoll des Abgeordnetenhauses vom 7. April 1897 lediglich vermerkt worden war, daß der Abgeordnete Josef Steiner eine Rede in böhmischer Sprache gehalten hatte, an das Präsidium des Hauses die Anfrage zu richten, ob es die Erfüllung des stets wiederholten Wunsches, auch tschechische Reden aufzunehmen, wenigstens anzubahnen bereit sei. Nicht weniger umfassend waren die finanziellen Wünsche der Tschechen. Als der Finanzminister Dr. v. Bilinski die Überweisung von 10 Millionen Gulden aus dem Ertrag der Konsumsteuer an die Länder in Aussicht stellte, bezeichneten sie diese Summe als ungenügend und verlangten nicht nur eine Erhöhung dieses Betrages, sondern dazu noch die gänzliche Überweisung der Grundsteuer an die Länder. Bilinski lehnte eine Erhöhung der Summe von 10 Millionen ab, stellte jedoch in Übereinstimmung mit der schon im Parlament abgegebenen Erklärung in Aussicht, daß im Zeitpunkt eines sehr bedeutenden Ertrages aus der Personaleinkommensteuer die Grundsteuer den Ländern überwiesen werden könnte. sondern zu Österreich, dieser „staatlichen Mißgeburt Schmerlings", erzogen werde. „Ich glaube, daß unser Volk sehr gut die Bedeutung des Wortes ,Vaterland' kennt; es hält aber einzig und allein die Länder der Böhmischen Krone für sein Vaterland . . ." (VI. Session S. 823). — Ähnliche Töne auch bei Κ. Κ r a m á r (Das böhmische Staatsrecht S. 48): „Und die zentralistische Unterrichtsverwaltung? Die verbietet den Schulkindern, einen Komensky zu feiern, die würde aus der böhmischen Geschichte am liebsten alle Blätter ausreißen, worauf geschrieben steht, was das böhmische Volk für die Freiheit des Gewissens getan und gelitten, und mit der Geschichte dort anfangen, wo die zentralistische Bureaukratie in den böhmischen Ländern die ersten Versuche machte, durch ihre Germanisation die wohltätigen Wirkungen der Reformen Maria Theresias zu beweisen. Man kann sich doch nicht wundern, daß nichts das böhmische Volk so schmerzt und beleidigt als das Gefühl, daß sein geistiges und kulturelles Leben in der Hand einer Behörde liegt, welche . . . absolut kein Verständnis hat." 102 ) Die erste nichtdeutsche Rede im Abgeordnetenhaus war am 11. September 1861 von einem dalmatinischen Abgeordneten, dem Serben Ljubisa, gehalten worden, der dem Präsidium von seiner Rede eine deutsche Übersetzung überreichte, die in das stenographische Protokoll aufgenommen wurde. Mit diesem Brauch wurde jedoch in der VIII. Session am 10. Dezember 1873 gebrochen, indem der Präsident erklärte, daß der Inhalt der Rede nicht in das stenographische Protokoll aufgenommen werde, da er und die Stenographen nicht in der Lage gewesen seien, den Inhalt des Gesprochenen zu konstatieren und die Rede aufzuzeichnen. (K. H u g e l m a n n , Die Parlamentssprache des österr. Abgeordnetenhauses. In: Historisch-politische Studien S. 262—272.) Bei diesem Gebrauch ist es geblieben, auch wenn der Vorsitzende der Sprache mächtig war. Bei der Stellung von Anträgen war die schriftliche Überreichung in deutscher Sprache unbedingte Voraussetzung. 13*

196

V. Badems Versuch mit untauglichen Mitteln

Auch die obligatorische Altersversicherung stand auf dem Wunschzettel der Tschechen. Die Regierung verwies hier „auf die schlimmen Erfahrungen in anderen Ländern und auf das Verhältnis zu Ungarn", das große Vorsicht in der Behandlung dieser Frage verlange. Das Ansuchen, die Aktivitätszulagen der Beamten in Prag jenen in Wien gleichzustellen, wurde unter Hinweis auf das gerade erst zustande gekommene Beamtengehaltsgesetz abgelehnt. Die Unterstützung und Förderung von Agrargenossenschaften und Genossenschaften der Gewerbetreibenden wurde als im Programm der Regierung liegend erklärt, ebenso die von den Tschechen gewünschte Verstaatlichung der Nordwestbahn, doch wurde den Unterhändlern beteuert, daß eben gerade die Jungtschechen im Parlament dafür stimmen müßten. In diesem Zusammenhang wurden von den Tschechen Wünsche hinsichtlich der Tauernbahn und des Karawankenprojektes vorgebracht103), doch hielt sich hier die Regierung die Entschließung unter Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände vor. Selbst wegen der Eisenbahntarife mußten Aufklärung und Erläuterungen gegeben werden. Die Anfrage, ob ein Kartellgesetz und die obligatorische Feuerversicherung vorbereitet werde, wurde ebenso wie die Frage, ob eine weitere Reform der Gewerbeordnung beabsichtigt sei, von der Regierung bejaht. Schließlich stellten die Vertreter der Tschechen die dringende Bitte an die Regierung, in irgendeiner Form etwas zur Hebung des Bauern- und Gewerbestandes zu unternehmen. Erst der dritte große, von den Jungtschechen zur Sprache gebrachte Fragenkomplex betraf das böhmische Staatsrecht und die unmittelbaren politischen Forderungen. So stellten sie das Ersuchen, die Regierung wolle in ihren Enunziationen während der Adreßdebatte im Parlament den sogenannten autonomistischen Passus der kaiserlichen Thronrede entsprechend interpretieren, der Bedeutung der böhmischen Frage gedenken und speziell erklären, daß die Sprachenverordnung die Grundlage zur Lösung dieser Frage bedeute. Sie ersuchten um Aufklärung hinsichtlich des Verhaltens der Regierung im Falle der Abgabe staatsrechtlicher Erklärungen des Tschechenklubs im Parlament und sie forderten die Verantwortlichkeit der Statthalter gegenüber den Landtagen. Die Regierung beantwortete diese Anfragen dahin, daß der autonomistische Passus jene Interpretation finden werde, die ihm bereits in den Ministerberatungen gegeben wurde. Weiters verlangte sie zwar nicht das Abschwören des Staatsrechtes seitens der Jungtschechen, wohl aber Mäßigung und Takt, und sie erklärte, entsprechend los

) Die zweite Bahnverbindung des österreichischen Inlandes mit Triest, damals allgemein gefordert, war für Böhmen wirtschaftlich von Interesse, da die Verbindung Budweis— Triest durch den Bau der geplanten Predil-Tauernlinie um 172 km verkürzt werden konnte. Für die Predil-Tauernlinie sprachen auch militärische Erwägungen. Aus politischen und nationalen Gründen traten die Tschechen vielfach für den Bau der Wochein—Karawanken—Tauernlinie ein. Aufschlußreich in diesem Zusammenhang die umfassende Anfrage des Abgeordneten Dr. Sylvester am 2. Juni 1898 im Reichsrat. (Stenogr. Prot. XIV, S. 1363—1370.) Vgl. auch die Interpellationen vom 7. und 8. Mai 1897 (Stenogr. Prot. XII, S. 606 und 613) und die drei Interpellationen vom 6. Mai 1898 (Stenogr. Prot. XIV, S. 1209 ff.). Am 20. September 1905 eröffnete Kaiser Franz Joseph den ersten Teilabschnitt der Tauernbahn, der von Schwarzach nach Gastein führte. In den aus diesem Anlaß von Josef Ρ e η i ì. e k niedergeschriebenen „Herben Reminiszenzen" (Bewegte Zeiten S. 261—270) wird die Tauernbahn als eine politische Besänftigung der Süddeutschen, als die „Sprachenverordnung der deutschen Alpenländer" bezeichnet. Vergessen war, daß die Tschechen selbst die Tauernbahn als „tunlichst kurze Verbindung der Hinterländer, insbesondere des industriereichsten und exportfähigsten Kronlandes, des Königreiches Böhmen, mit Triest" verlangt hatten.

Die 35 tschechischen Postulate

197

der Art der von der Partei im Parlament abgegebenen Erklärung ihre Antwort einrichten zu wollen. Gegenüber dem Wunsche der Jungtschechen nach Vertretung in der Regierung durch zwei Minister, einen Landsmannminister und einen Ressortminister, erklärte Badeni, daß er eine Vertretung des tschechischen Volkes und einer so starken Partei, wie die der Jungtschechen, als billig anerkenne. Da Badeni jedoch durch die politische Lage und das ungeklärte Verhältnis zum Verfassungstreuen Großgrundbesitz außerstande war, hinsichtlich der Zahl und der Art dieser Vertretung oder der in Betracht kommenden Personen und ihres Wirkungskreises Zusicherungen zu geben, ließ er sich von vornherein auf keine Diskussion ein. Desgleichen wurde der Wunsch nach Berufung von Konnationalen in die Zentralstellen dahin beantwortet, daß die Regierung nicht gewillt sei, Abgeordnete auf Beamtenposten zu ernennen und sich bei ihren Ernennungen auch künftighin nicht von etwas anderem als von den Erfordernissen des Dienstes leiten zu lassen. Gegen Ende dieser eingehenden Konferenz mit den Jungtschechen betonte Badeni die Notwendigkeit, auf Grund der stattgefundenen Besprechung mit der Regierung künftighin zusammenzuarbeiten und eine präzise Erklärung abzugeben, die sich nicht allein auf den Eintritt in die Majorität, sondern auch auf die Haltung in der Frage des Ausgleiches und des Wehrgesetzes erstrecken müßte. Hier begannen die jungtschechischen Unterhändler einen recht eigentümlichen Standpunkt einzunehmen. Sie erklärten, daß das, was sie vorgebracht hatten, den Charakter einer akademischen Erörterung hätte, und daß sie selbst für ihre Person sich im gegebenen Zeitpunkt nicht binden könnten. Erst wenn die Verordnung hinausgegeben sei, könnten sie in ihrem Klub auf jene Stimmung rechnen, die es ihnen ermöglichen werde, diesen für ihre Intentionen zu gewinnen. Erst nach verschiedenen Vorhaltungen gelang es den unterhandelnden Ministern, die Abgeordneten zu einer Stellungnahme zu bewegen. Aufgefordert, sie möchten, nachdem sie ein Votum des Klubs nicht zu verbürgen in der Lage seien, nun, nachdem sie die Äußerungen der Regierung vernommen haben, wenigstens für ihre Person sich im bejahenden oder verneinenden Sinne aussprechen, gaben die Jungtschechen lediglich die Gegenerklärung ab, daß sie eine Äußerung am 1. April durch den Abgeordneten Dr. Engel abgeben werden. Dies war ein ungewöhnliches Verhalten, da damals — wie heute — Verhandlungen mit einer politischen Partei immer durch Vertrauensmänner geführt wurden, die im Namen ihrer Partei auftraten. Wenn diese für ihre Person eine positive oder sonst eine konkrete Erklärung abgaben, so war die Sache als abgemacht angesehen. 1897 galt es noch als ein Akt der politischen Treue und Ehrenhaftigkeit, daß die Führer einer Partei nach reiflicher Überlegung dessen, was sie zugestanden, auch dafür eintreten mußten, ihre Anhänger auf den gleichen Standpunkt zu bringen. Die meisten der von den Jungtschechen der Regierung Badeni vorgelegten politischen Forderungen kehren als „Wünsche der böhmischen Abgeordneten" in den 24 dem Ministerpräsidenten Graf Thun am 1. November 1898 vorgelegten Punkten wieder104). Ein Vergleich zeigt, daß, durch Gautsch und Gleispach bedingt, sich das Kabinett Badeni weit zurückhaltender und vorsichtiger äußerte und weit weniger entgegenkommend war. Der Unterschied wird allein schon in der Antwort Thuns auf die autonomistischen Begehren offenbar, indem er antwortete, die Politik der Regierung sei wohl hauptsächlich 1M

) J. Κ a i ζ 1, Ζ mého Zivota III, S. 838—842 Anm.

198

V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

gekennzeichnet durch die politische Stellung des Kabinettchefs. Nachdem dieser stets Mitglied des böhmischen konservativen Großgrundbesitzes war, Mitglied des Wahlkomitees, Mitglied der Gruppe Hohenwart im Herrenhaus, so sei dessen politische Stellung wohl bekannt, und er habe übrigens im Hause bereits auf die Übereinstimmung mit der Majorität hingewiesen. Die Tschechen haben, wie die Verhandlungen mit Badeni und die im folgenden Jahr mit Graf Thun zeigen, mit aller Hartnäckigkeit auf ihren politischen Wünschen gegenüber der Wiener Regierung bestanden. Es ist jedoch notwendig, wie Österreichs großer Historiker Heinrich Ritter von Srbik festgestellt hat, den Endpunkt der Betrachtungen böhmischer Fragen nicht mit dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie zu setzen, und es ist daher wohl nicht unbillig, die gegenüber Badeni in entscheidenden Tagen von den Tschechen vorgebrachten Postulate sachlich mit den „schweren Beeinträchtigungen, denen die deutsche Minderheit in dem neuen Nationalitätengebiet des tschechoslowakischen Volkes ausgesetzt war", zu vergleichen. Dabei sei abgesehen von einer Gegenüberstellung der Förderung der Tschechen in der Monarchie und jener „furchtbarsten und barbarischsten Sünde gegen die Menschlichkeit, die für immer mit dem Namen Benesch verbunden sein wird : der Austreibung von drei Millionen Sudetendeutscher aus ihrer durch die Jahrhunderte mit der Arbeit des Geistes und der Hand zu berechtigtem Eigen erworbenen Heimat in wirrer Flut von Tränen und Blut"105). Wie ganz anders sehen, objektiv betrachtet, die Freiheiten der nationalen Volksgruppen im sogenannten „Völkerkerker" Österreich und in der demokratischen Tschechoslowakei aus. Während Österreich in Böhmen ständig neue tschechische Schulen errichtete106), wurden in der Tschechoslowakei bis zum Jahre 1934, spätere Statistiken waren nicht greifbar, 34 deutsche Mittelschulen, 284 Volks- und Bürgerschulen ganz und weitere rund 4000 Schulklassen gesperrt, während für die tschechischen Minderheiten im Sudetenraum 228 tschechische Bürgerschulen mit 1203 Klassen und 117 tschechische Volksschulen mit 2562 Klassen neu errichtet wurden. Während Österreich mit Rechtswirkung vom 28. Februar 1882 die alte Karls-Universität in Prag teilte und sowohl die deutsche als auch die tschechische Universität Rechtsnachfolgerinnen der von Karl IV. gegründeten Universität wurden, haben die Tschechen mit der „lex Maresch" vom 19. Februar 1920 die Prager deutsche Universität der Rechtsnachfolgeschaft der Karls-Universität beraubt, ihr verboten, den alten Namen zu führen, der allein der tschechischen Universität zugesprochen wurde, und sie der Gründungsurkunde, der Insignien des Rektors und der Dekane, der Sternwarte und des historischen Gebäudes des Karolinums beraubt. 1945 wurde die deutsche Universität in Prag geschlossen, ein Teil der Professoren, so der Historiker Josef Pfitzner, hingerichtet. Von allen staatlichen Beamten wurde nach 1919 eine Prüfung ihrer Kenntnisse in der tschechischen Staatssprache verlangt, die deutschen Beamten bei der Wirtschaftskrise vom Abbau zuerst betroffen, so daß die Deutschböhmen rund 70.000 Staatsbeamte weniger hatten, als ihnen nach dem Prozentsatz der Bevölkerung zugestanden wären. Im Zuge der Bodenreform kamen von 1,700.000 Hektar des enteigneten landwirtschaftlichen Bodens, das waren 58% der gesamten Nutzfläche im sudetendeutschen Gebiet, 94% an Tschechen. Was mit dieser Politik des tschechoslowakischen Staates verfolgt wurde, zeigt die Ausrottung der deutschen Volksgruppe in Böhmen 1945, zeigt die Ermordung von 600.000 Deutschen, eine Tatsache, die nicht geleugnet und nicht beschönigt werden kann. 105

) Η. v. S r b i k, Böhmische Tragödie S. 1046 f.

Die Tschechen nach 1918 — Der Ministerrat vom 31. März 1897

199

Im Ministerrat, der im unmittelbaren Anschluß an die Konferenz der Regierung mit den Jungtschechen am 31. März 1897 stattfand, gab Badeni den veränderten Text der beiden Verordnungen bekannt und konstatierte, daß diese auf Grund der Abmachungen mit den ParteienVertretern fertiggestellt erscheine. Eine Diskussion oder Debatte darüber fand nicht mehr statt. Über Ersuchen Badenis referierte Gautsch, anschließend Bilinski und zum Schluß Badeni selbst über die vorausgegangene Verhandlung. In diesem Zusammenhang entspann sich allerdings eine sehr tiefgehende Debatte. Gleispach erklärte unumwunden, ) Als Beispiel für die Förderung des Schulwesens der einzelnen Nationen und Volksgruppen in Österreich sei das steigende Wachsen der Zahl der Gymnasien und der Realschulen, wobei die Realgymnasien zu den Gymnasien gerechnet wurden, herausgegriffen. Dabei ist besonders auffällig, daß die deutschen Mittelschulen einen viel geringeren Anteil am Zuwachs hatten als die slawischen Gymnasien und Realschulen.



4 7

Galizien

Steiermark

5 5

24 2

6 6

52 22 30

20 15 3











































21 1



2



1897/98 insgesamt

192

davon: deutsch tschechisch polnisch ruthenisch serbokroatisch slowenisch italienisch utraquistisch

103 44 26 2 4

56 24 32

24 13 11



















1913/14 insgesamt davon: deutsch tschechisch polnisch ruthenisch serbokroatisch slowenisch italienisch utraquistisch

372 145 73 103 15 7 2 10 17

4 9

Schlesien

165 95 33 21 1 4

Gymnasien

Mähren

1881/82 insgesamt davon: deutsch tschechisch polnisch ruthenisch serbokroatisch slowenisch italienisch utraquistisch

davon in:

der

Böhmen

A. E n t w i c k l u n g

Gesamt

loe

7 5 1 1

— —

30 2

8 7





— .

25 2





















1*)

1



83 36 47

39 14 24











101 13



































11 7 2 2

118 1 —

9 8 — — —



3

1*)

*) Außerdem die vier selbständigen Gymnasialklassen mit deutsch-slowenischer Unterrichtssprache in Cilli.

200

V. Badems Versuch mit untauglichen Mitteln

daß er in der Haltung der tschechischen Parteivertreter keine genügende Garantie für die Regierung erblicke und er selbst bei einzelnen der erschienenen Abgeordneten nicht ganz sicher wäre, ob sie innerlich ihre volle Zustimmung zu den besprochenen Punkten wirklich gegeben hätten. Ihm schien es daher nicht möglich, auf dieser unsicheren Basis die Verordnung hinauszugeben, nachdem von den Vertretern der Jungtschechen nicht einmal ein bestimmtes Versprechen, eine persönliche Garantie dafür, daß sie das Einverständnis des Klubs durchsetzen wollten, vorlag. Gleispach fragte mehrmals im Ministerrat, was geschehen würde, wenn der Klub nach einigen Wochen, nachdem die Verordnung schon hinausgegeben und nachdem die Deutschen durch diese hochgradig verstimmt wurden, „nein" sagen würde. Bilinski widersprach ihm. Formell habe Gleispach vollkommen recht, gewiß wäre es besser, früher einen Beschluß des Klubs zu haben, aber die Regierung müsse, um sich eine mögliche Situation im Parlament zu schaffen und um jene Majorität zu erhalten, die sie für ihre Zwecke brauche, das Risiko, das mit einer früheren Hinausgabe der Verordnung verbunden wäre,

1913/14 insgesamt davon: deutsch tschechisch polnisch ruthenisch serbokroatisch slowenisch italienisch utraquistisch

Steiermark

Schlesien

22 10 12

16 12 4































































93 60 23 5

25 10 15

23 15 8





























































46 16 30

29 16 13

























































1 —

4

1 —

3 1 148 83 43 14 —

1 —

6 1

4 4

Galizien

Mähren

1897/98 insgesamt davon: deutsch tschechisch polnisch ruthenisch serbokroatisch slowenisch italienisch utraquistisch

Realschulen

87 61 16 5

davon in:

Gesamt 1881/82 insgesamt davon: deutsch tschechisch polnisch ruthenisch serbokroatisch slowenisch italienisch utraquistisch

der

Böhmen

B. E n t w i c k l u n g

5 —



5

4 4



3 3

5 — —



5

5 5

3 3





8 8

14 — —

14

— —

201

Der Ministerrat vom 31. März 1897

auf sich nehmen. Badeni antwortete dem Grafen Gleispach, sichtlich gereizt, daß er allerdings Zweifel in das Wort der Parteivertreter zu setzen berechtigt sei, daß aber unter allen Umständen ein gewisses Vertrauen notwendig sei und man dieses zu der Gesamtheit des Klubs schließlich ebenso haben könne wie zu den Führern der Partei. Da von diesen behauptet wurde, die Verordnung nötig zu haben, um den Klub in die Richtung der mit der Regierung getroffenen Abmachungen zu leiten, verlangte nun Badeni, daß ihnen völlig vertraut werde. Gleispach erklärte in seiner Widerrede, er vermöge nicht abzusehen, wie durch das frühere Erscheinen der Verordnung das Vertrauen in die Regierung gestärkt werden sollte. Er wollte, daß die Regierung den Abgeordneten nicht mehr Vertrauen entgegenbringe als diese der Regierung, und daß nicht a priori zu diesen eine Stellung eingenommen werden dürfe, welche die Regierung in eine völlige Abhängigkeit gegenüber der Jungtschechischen Partei bringe. Die Regierung müsse, bevor sie den entscheidenden Punkt überschreite, eine Garantie seitens der Jungtschechen haben, weil Baernreither bei einer ebenfalls am 31. März stattgefundenen Unterredung ihm mitgeteilt habe, daß sich der Klub des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes in einer sehr schwankenden Situation befinde. Gleispach wußte, daß noch für den gleichen Tag ein Zusammentritt dieser Partei unter Intervention von Parteigenossen aus dem Herrenhaus angesetzt war und daß keineswegs das Resultat dieser Sitzung feststand. Gleispach hat dies sowie seine Sorgen im Ministerrat nicht verschwiegen und verlangt, daß vor dem Beschluß, die Sprachenverordnung zu erlassen, darüber Klarheit zu schaffen ist, wie sich die Deutschen verhalten werden. Gegenüber der vereinigten Opposition der Deutschen im Reichsrate mit den Tschechen, Polen, Italienern und Südslawen zu gehen, hielt Gleispach, wie er in diesem Ministerrat vom 31. März neuerdings ausdrücklich betonte, für die Regierung ausgeschlossen. Gautsch stimmte ihm sofort zu, obwohl er glaubte, daß ein gewisses Risiko bei Unterhandlungen mit Parteien nicht zu umgehen sei. Da zur Abgabe der bindenden Kluberklärung der Jungtschechen noch kein Termin gesetzt worden war, verlangte er, daß dies bei der Zusammenkunft mit dem Abgeordneten Dr. Engel am 1. April nachgeholt werde. Weit wichtiger als dieses C. E n t w i c k l u n g

der

Schülerzahl

Gymnasien :

Realschulen :

1881/82

1897/98

1913/14

1881/82

1897/98

1913/14

Österreich insgesamt

53.142

62.570

111.861

16.617

28.412

48.892

davon : Böhmen deutsch tschech.

6.129 10.455

5.640 9.005

7.640 11.788

2.475 2.471

3.018 5.561

4.632 10.245

Mähren deutsch tschech.

3.991 2.242

3.196 3.689

3.216 3.850

2.301 612

3.547 2.055

3.908 4.237

Schlesien

1.422

1.759

2.578

892

1.292

1.445

Galizien

11.140

15.543

41.335

938

2.095

4.267

1.855

2.664

3.274

481

889

2.048

Steiermark

202

V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

Risiko mit den Jungtschechen, das ihm nicht so groß dünkte, daß sich daraus eine politische Schwierigkeit ergeben könnte, schien ihm die Möglichkeit, nach Hinausgabe der Sprachenverordnung nicht jene Majorität bilden zu können, an der zum mindesten der Verfassungstreue Großgrundbesitz mit einigen Annexen Anteil hatte. Darum verlangte er auch in diesem Ministerrat, daß sich dieser volle Klarheit verschaffe. Badeni allerdings war sich seiner Sache sicher. Er berief sich auf seine Besprechungen mit dem Verfassungstreuen Großgrundbesitz, vor allem auf die Zusagen Baernreithers, mit dem er den ganzen Inhalt der Sprachenverordnung in ihrer ursprünglichen Textierung durchbesprochen hatte. Badeni glaubte unverändert daran, daß der Sprachenverordnung von dieser Seite keine Opposition erwachsen werde. Badeni wurde überdies von Graf Ledebur bestärkt, der ebenfalls überzeugt war, daß seitens des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes sich kein Anstand gegen die Verordnung ergeben könne. Er verlangte vielmehr, um die Stimmung der Jungtschechen durch eine Verzögerung der Verordnung nicht zu verschlimmern, daß mit der Hinausgabe nicht mehr gezögert werde. Hier aber hackte Graf Welsersheimb ein, der sonst nur grundsätzliche Erklärungen abzugeben und sich nicht an Einzeldebatten zu beteiligen pflegte. Er zweifelte daran, ob es im Klub der Jungtschechen zu positiven Beschlüssen über alle die Dinge kommen werde, die zwischen der Regierung und den Parteiführern abgemacht worden waren. Er verlangte, daß dieser Klub einen Beschluß fasse, ob er in die Majorität eintreten wolle oder nicht. Welsersheimb erkannte richtig, daß dafür die Regierung eine Garantie benötige und diese bekommen konnte, wenn sie den Parteivertretern klarlegte, daß es sich für sie um eine entscheidende Frage handle. Für die Jungtschechen stand ihre Existenz als große Partei damals schon durch die extremen Richtungen im eigenen Lager auf dem Spiele, so daß sie Anschluß an die Regierung suchen mußten, um nicht das gleiche Schicksal wie die Alttschechen zu erleiden. So hielt es Graf Welsersheimb für gerechtfertigt, von den jungtschechischen Vertretern zu verlangen, daß sie sich die Überzeugung verschaffen, ob ihr Klub mit ihnen übereinstimme oder nicht. Da Gleispach diese Forderung Welsersheimbs aufgriff und hartnäckig vertrat, mußte Badeni nachgeben, und so wurde beschlossen, die Parteienvertreter am nächsten Tag zu der bestimmten Erklärung aufzufordern, ob sie für die einverständliche Haltung ihres Klubs persönlich einstehen. Auf Grund dieses Beschlusses brach Badeni die Ministerratssitzung ab und stellte die Fortsetzung für den Abend des 1. April in Aussicht. Am Vormittag des 1. April ließ Badeni die Jungtschechen wissen, daß die Regierung tags zuvor die bei der Sitzung mit den Jungtschechen abgegebenen Äußerungen gutgeheißen hatte. Er ließ dabei durchblicken, daß er diese Zustimmung im Ministerrat habe erkämpfen müssen, folglich ein gleiches von den Parteivertretern erwartet werden könne. Um 4 Uhr nachmittags erschienen die Abgeordneten Engel und Kaizl im Ministerpräsidium und gaben Badeni in Anwesenheit von Gautsch, Bilinski und Gleispach die bindende Erklärung ab, ihr Klub werde, „nachdem ihm mitgeteilt worden sei, die Regierung habe die gestern abgegebenen Äußerungen der Minister gutgeheißen, in die Majorität eintreten und sich bemühen, die von der Regierung eingebrachten Vorlagen durchzubringen". An diese Erklärung hielten sich die Mitglieder des Tschechenklubs jedoch nur unter der ausdrücklichen Voraussetzung gebunden, daß die Erlassung der Sprachenverordnung bis zum 3. April vollzogen wird.

Mißglückte Majoritätsbildung

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Der Ministerrat am Abend des 1. April dauerte nicht lang. Badeni gab die Erklärung Engels und Kaizls zu Protokoll. Der Ministerrat nahm dies zur Kenntnis, behielt sich jedoch mit Rücksicht auf die noch schwebenden Verhandlungen mit den Vertretern des deutschen konservativen Großgrundbesitzes bis in die Vormittagsstunden des 2. April die letzte Entschließung vor, ob die Sprachenverordnung dem Kaiser zur Genehmigung vorzulegen sei oder nicht. Die Einigung mit den Tschechen war durch die Preisgabe der ausschließlichen inneren deutschen Amtssprache zustande gekommen; das Experiment der Bildung einer liberalen deutsch-tschechischen Majorität, um derentwillen mit so hohem Einsatz gespielt worden war, aber mißlang. Um den 25. März hatten die Besprechungen und Bildungen der parlamentarischen Verbände begonnen. Am Tage hernach schon mußte Badeni die erste schwere Enttäuschung hinnehmen, da es nicht zur Bildung der erwünschten Mittelpartei kam. Der Verfassungstreue Großgrundbesitz hätte mit den Deutschfortschrittlichen nach Badenis Berechnung zusammen einen parlamentarischen Klub in der Stärke von 78 Abgeordneten bilden können, der nach der gleichen Kalkulation um 15 Mandate sogar stärker als der Tschechenklub gewesen wäre. Eine in die Majorität einbezogene Mittelpartei mit 78 Mandaten, die der Regierung zur Verfügung stand, hätte für diese eine enorme Stärkung ihrer Position im Parlament bedeutet. Aber der Verfassungstreue deutsche Großgrundbesitz erwies sich doch nicht als Kristallisationspunkt, denn als bei der Versammlung der deutschfortschrittlichen Abgeordneten die Frage aufgeworfen wurde, ob sie mit dem Verfassungstreuen Großgrundbesitz in engere Fühlung treten sollten, gingen die Meinungen auseinander, und während einerseits die Notwendigkeit eines Handin-Hand-Gehens betont wurde, hielt ein Teil der Redner ein selbständiges Vorgehen der Deutschen Fortschrittspartei für wünschenswert. Eine Einigung konnte nicht erzielt werden, doch setzte die Versammlung immerhin ein dreigliedriges Komitee ein, dem Max Mauthner, Dr. Anton Pergelt und Dr. Adolf Promber107) angehörten und das beauftragt wurde, bezüglich der zunächst zur Entscheidung gelangenden parlamentarischen Fragen, wie Wahl des Präsidiums, des Büros und der Ausschüsse sich mit dem Verfassungstreuen Großgrundbesitz wegen eines gemeinsamen Vorgehens zu verständigen. Am 28. März jedoch schon beschlossen die deutschfortschrittlichen Abgeordneten, daß wohl in allen wichtigen nationalen und wirtschaftlichen Fragen enge Fühlung mit dem Verfassungstreuen Großgrundbesitz zu suchen sei, eine Verschmelzung aber mit diesem angesichts der Divergenzen in den Standpunkten beider Fraktionen untunlich erscheine. Den zweiten Schlag für Badeni bedeutete, daß der Verfassungstreue Großgrundbesitz selbst in seiner Haltung zu schwanken begann. Am 28. März hatte Badeni sowohl Baernreither als Kaizl zum Eintritt in die Regierung, vorerst als Landsmannminister, eingeladen, in der Hoffnung, mit diesen „ein modernes Regiment führen zu können". Um die neue Partei der Verfassungstreuen Großgrundbesitzer, die zum Zünglein an der Waage wurde, für die Regierung ganz bestimmt zu gewinnen, stellte Badeni in Aussicht, in der parlamentarischen Kommission dahin zu wirken, daß einer aus dieser Gruppe, und zwar der 107

) Mauthner und Promber bildeten die jüdisch-kapitalistische „Freie deutsche Vereinigung", zu der sich elf Abgeordnete, zumeist Industrielle und Vertreter der Handelskammern deutscher Gebiete, zusammenfanden, nachdem sie vergebens gehofft hatten, sich einer Regierungsmehrheit anschließen zu können.

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

steirische Landeshauptmann Edmund Graf Attems, zum Präsidenten des Abgeordnetenhauses gewählt werde108). Nun aber sollte es sich zeigen, wie gefährlich es war, einen Plan auf eine neue Partei aufzubauen, die recht heterogene Elemente umschloß, obwohl sie eine einheitliche, aus dem privilegierten Wahlrecht hervorgegangene Gruppe der Wahlkurie des Großgrundbesitzes darstellte. Von kulturkämpferischen Altliberalen bis zu den ausgesprochenen Klerikalen waren alle Nuancen vertreten; entschieden nationale Gesinnung der einen begegnete bei anderen einer lauen Gleichgültigkeit, die bei den beiden mährischen Gutsbesitzern und Abgeordneten Aristides Baltazzi und Graf Moriz Vetter von der Lilie, die später ausschieden, eine geradezu tschechenfreundliche Färbung annahm. Wirtschaftliche Reaktionäre, verstockte Manchestermänner saßen neben Sozialreformern modernster Richtung. Mit diesem „merkwürdigen, nur durch den gleichartigen antidemokratischen Ursprung der Mandate zusammengetragenen Mischbrei"109) hätte Baernreither ein leichtes Spiel gehabt, wenn nicht der Tiroler Abgeordnete und spätere Präsident des k. k. Reichsgerichtes, Dr. Karl von Grabmayr, eine entschieden nationale, soziale und antiklerikale Richtung verlangt und dabei die Sympathie des linken Flügels des Klubs gefunden hätte. Nicht Baernreither hat umgeschwenkt, wie oft behauptet wurde, sondern die von ihm gegründete Partei hat ihm trotz eines starken rechten Flügels von Anfang an in nationaler Hinsicht die Gefolgschaft versagt. Grabmayr bezeugt, daß „die ergebenen Satelliten Badenis, unterstützt durch Baernreithers zweideutige Haltung", alles aufboten, um die neue Partei ins Lager der Regierung zu ziehen, daß die „verwaschenen, kryptoklerikalen Mittelparteitendenzen so mancher Klubgenossen" sehr stark hervortraten, daß es schwer war, „aus einer als Hauptstütze der Regierung ins Leben gerufenen Partei eine oppositionelle Gruppe" zu machen, „der sich der enttäuschte Minister108

) J. M. B a e r n r e i t h e r , Verfall des Habsburgerreiches S. 5 f. Anm. 3. — Auch Gleispach hat alle Anstrengungen gemacht, um die Kandidatur des Grafen Attems für das Präsidium des Hauses zu sichern. (J. Ρ a t ζ e 11, österr. Jahrbuch 1897, S. 42 f.) 10β ) Κ. v. G r a b m a y r , Erinnerungen S. 44 f. — Grabmayr gibt anläßlich seines Berichtes über das Ende des Kurienparlamentes einen Rückblick auf den „Verfassungstreuen Großgrundbesitz" (Erinnerungen S. 130ff.): „Mit dem alten Hause war auch der V e r f a s s u n g s t r e u e G r o ß g r u n d b e s i t z ' dem unerbittlichen Orkus verfallen. Volle zehn Jahre hatte ich in diesem politischen Verbände zugebracht, war einer seiner Führer und oft sein Sprecher gewesen. Auf einem kurz vor dem Abschied aufgenommenen Gruppenbilde sind die dreißig Herren unseres Verbandes ,verewigt'. Ich habe mich die lange Zeit über gut mit ihnen vertragen; es waren in der großen Mehrzahl liebe Leute, mit besten Manieren, es war eine ,gute Gesellschaft', mit der man in unserem Klub verkehrte. Zu einer wirklichen Befreundung bin ich mit keinem gekommen. Noch schärfer als in anderen politischen Verbänden machte sich bei uns der geistige Abstand zwischen den Führern und der Herde bemerkbar. Wenngleich ungern, mußte man sich gestehen, daß allzu viele unserer Herren nicht einmal das bescheidene Mittelmaß eines Durchschnittsabgeordneten erreichten, daß uns ganze Kronländer, ζ. B. Mähren und Schlesien, nicht einen einzigen Vertreter schickten, den man auf einen irgendwie erheblichen parlamentarischen Posten stellen konnte. Die Schlesier Sedlnitzky, Spens und Hirsch waren reine Nullen, ebenso von den Mährern Dubsky, Klein und Tersch. Der reiche Mährer Max Kübeck trug einen berühmten Namen, aber es war ihm nicht beschieden, als einziger Sohn des im Vormärz so einflußreichen Hofkammerpräsidenten Karl Kübeck auch das geistige Erbe des anerkannt bedeutenden Vaters anzutreten. Ein seelensguter Mann, Legationsrat a. D., blieb er im Klub wie im Hause in gleich bescheidenem Dunkel. Von den Niederösterreichern waren Kielmannsegg, Skrbensky und Eitz nur als ,Stimmen' zu brauchen. Doblhoff und Ludwigstorff waren liebenswürdige Landedelleute, mit

Der verfassungstreue Großgrundbesitz

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kandidat Baernreither w o h l oder übel anschließen mußte", und daß „die verschiedenen Exzellenzen u n d Kämmerer, die sich da versammelt hatten, u m zu segnen", erst lernen mußten, zu fluchen. Als Voraussetzung für seinen Eintritt in die Regierung verlangte Baernreither, durch den Druck innerhalb seines Klubs dazu genötigt, unter Hinweis auf die aktuelle Situation, daß er „vor allem endlich den Wortlaut der Sprachenverordnung erhalten u n d ermächtigt sein müsse, denselben nicht nur selbst eingehend zu prüfen, sondern ihn auch einem engeren Kreis von politischen Freunden i m Zusammenhang mit der ganzen Portefeuillefrage vorzulegen". A m 30. März hatte Badeni den T s c h e c h e n gegenüber in der Frage der inneren A m t s sprache endgültig nachgegeben. A m gleichen T a g erhielt Baernreither abends den hektographierten T e x t der Verordnung. M a n hat den späten T e r m i n nachträglich als böswilligen Vorsatz Badenis ausgelegt, doch wollte dieser die bis zu diesem Zeitpunkt bestandene Uneinigkeit zwischen Regierung u n d T s c h e c h e n den D e u t s c h e n gegenüber nicht eingestehen. D e r Verordnungstext, den Baernreither erhielt, stimmte n u n allerdings nicht mehr mit d e m überein, was i h m bisher mitgeteilt worden war. Baernreither konferierte am 31. März mit Gleispach, anschließend mit seinen Vertrauten, zu denen vor allen Fürst Alain Rohan, Graf Karl Stürgkh u n d Anton Freiherr von Ludwigstorff gehörten. Dieser denen man sehr angenehm verkehrte ; Ludwigstorff, Geheimer Rat und beim Kaiser gut angeschrieben, machte auch Anspruch auf politische Bedeutung. Zu besserer Geltung brachten es zwei jüngere Herren, Baron Freudenthal als Landmarschallstellvertreter von Niederösterreich und Baron Ehrenfels als Führer der Agrarier und Präsident der Landwirtschaftlichen Gesellschaft. Unter den Böhmen waren reine Figuranten Fürstel, Baron Aehrenthal, der Bruder des Ministers, und der alte Graf Zedtwitz. Mein Jugendfreund aus der Konzipientenzeit Dr. von Jaksch, mit dem ich als junger Advokat ein Vierteljahr lang in Kanzleigemeinschaft lebte, war gewiß intelligent und als Jurist nicht ohne Kenntnisse und Begabung; aber er war indolent und bequem und überdies mit einem Sprachfehler behaftet, der seine Betätigung als Redner ausschloß. Ein sehr sympathischer Kollege war Dr. Hans Damm, ein wohlhabender Gutsbesitzer aus der Saazer Gegend, der jedoch nie im Hause sprach und sich auch im Klub bescheiden im Hintergrunde hielt, so daß wohl niemand von uns ahnen konnte, es werde gerade er im neuen Hause des gleichen Stimmrechts zu einer führenden Rolle gelangen. Hoffnungsvoller Nachwuchs unter den Böhmen war der Erbgraf Trautmannsdorf, ein erzklerikaler Aristokrat, den jedoch seine deutschnationale Gesinnung zu den Verfassungstreuen' geführt hatte, weit über den aristokratischen Durchschnitt unterrichtet, des Wortes und der Feder mächtig. Der siebente Böhme war Bärnreither. Von den vier Steirern . . . war Graf Edmund Attems ein sympathischer, intelligenter Aristokrat, der in seiner Heimat als langjähriger, von allen Parteien geschätzter Landeshauptmann eine hervorragende Rolle spielte. Doch diese ansehnliche Stellung absorbierte sein ganzes Interesse und so nahm er an den Vorgängen im Abgeordnetenhaus und im Klub nicht den mindesten Anteil. Im Hause nur ,stumme Person', machte er sich auch bei den Klubberatungen selten bemerkbar . . . Aus Krain saß bei uns neben Baron Schwegel, Graf Barbo, der immerhin geistig und rhetorisch das Mittelmaß erreichte und der auch später, ab 1911, als Abgeordneter des Gottscheer Wahlkreises die Vertretung der Krainer Deutschen ganz anständig führte. Kärnten hatte uns den Hochosterwitzer Grafen Khevenhüller gesendet, der, ganz unbrauchbar für parlamentarische Aufgaben, mit Vorsicht behandelt werden mußte und uns durch sein leidenschaftlich aufbrausendes Temperament in manche Verlegenheit brachte. Mein engerer Kollege aus Tirol war Graf Robert Terlago, ein Neffe Max Kübeck's, an Intelligenz seinen Standesgenossen meist überlegen, aber unsympathisch durch seine Egozentrik.. . So beschaffen war die an Adelstiteln reiche, aber an Intelligenz ziemlich arme Gesellschaft, die als Verfassungstreuer Großgrundbesitz' ein starkes Gewicht in die politische Waagschale legte, so wie es jeweils die Parteileitung der fügsamen Herde vorschrieb. In

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Konferenz, deren Vorsitz der Vizepräsident des Herrenhauses, Fürst Karl Auersperg, führte, waren auch deutschböhmische Abgeordnete, so Alois Funke, Dr. Anton Pergelt, der Notar Friedrich Nitsche u n d Univ.-Prof. Dr. August Fournier, beigezogen worden. D a diese den Verordnungstext ablehnten u n d erklärten, jedem Ministerium u n d jedem Minister, der sich irgendwie mit diesen Sprachenverordnungen identifizieren würde, die allerschärfste Opposition zu machen, u n d da selbst die „Konniventesten" erklärten, daß nach Publizierung der Sprachenverordnungen es für jedes Mitglied des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes unmöglich sei, in die bestehende Regierung einzutreten 1 1 0 ), war Baernreither gezwungen, das Angebot Badenis auszuschlagen. Fürst Karl Auersperg erschien am nächsten T a g an der Spitze einer Deputation beim Ministerpräsidenten und beschwor Badeni, die Verordnungen nicht zu erlassen. M i t dem „vorläufigen" Verzicht Baernreithers auf den Ministersessel war die Haltung des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes gegenüber der Regierung noch nicht entschieden. Baernreither gab trotz der nationalen Gegenströmung innerhalb der eigenen Partei die H o f f n u n g nicht auf, diese in die Regierungsmajorität hineinmanövrieren zu können. Badeni wiederum hoffte, den Verfassungstreuen Großgrundbesitz doch noch für die Majorität zu gewinnen. So gingen die Verhandlungen zwischen Badeni einerseits u n d Baernreither u n d Baron Ludwigstorff andererseits weiter. Badenis Kartenhaus aber war bereits mit der v o m Fürsten Auersperg abgegebenen Erklärung restlos eingestürzt, zumal Gleispach sowohl die Mitunterfertigung der Sprachenverordnung — Gautsch brauchte sie nicht der Parteileitung saßen neben zwei aristokratischen Nullen Schwege!, Bärnreither, Stürgkh und ich beisammen. Obmann war Baron Schwegel. . . Daß es an Anlässen für das beschwichtigende Eingreifen eines Vermittlers nicht fehlte, dafür sorgte B ä r n r e i t h e r , der eigentliche Schöpfer und politische Führer unseres Verbandes. Es ist nicht leicht, eine so komplizierte Natur ganz zu verstehen und richtig zu werten. Ein feiner Kopf, eine ungewöhnliche Begabung, war er von einem brennenden Ehrgeiz beseelt und immer bereit, dieser einen beherrschenden Leidenschaft alle anderen Rücksichten zu opfern. Er hatte keine Freunde, nur Gehilfen, die er für seine Zwecke ausnützte und unbedenklich fallenließ, wenn er ihrer nicht mehr bedurfte. Mit Talent und Neigung zur Intrigue verband er ein großes Geschick, in allen Kreisen Verbindungen zu unterhalten und sich aus allerlei Kanälen wertvolle Informationen zu verschaffen. Niemand im Hause war über alle Vorgänge so gut unterrichtet wie er, alle Fäden der politischen Intrigue liefen durch seine Hände. Dabei war er ein eminenter Arbeiter, von einem wahrhaft unermüdlichen Fleiße, gründlich gebildet namentlich auf wirtschaftlichem Gebiete, ein trefflicher Berichterstatter, dessen Referate sich durch gediegene Klarheit auszeichneten. Auch als Redner im Hause hatte er trotz seines minder tauglichen Organs große Erfolge, aber die größte Meisterschaft bewährte er in den Klubberatungen, wo er, nachdem zuerst die anderen gesprochen hatten, mit logischer Schärfe und unübertrefflicher Präzision die Frage zergliederte und mit klugem Urteil in der Regel den Nagel auf den Kopf traf. So kam es, daß der Klub äußerst selten anders als nach seinem Sinne beschloß. Diese glänzenden Eigenschaften wurden leider getrübt durch eine kleinliche Eifersucht auf fremde Erfolge. Darunter hatten Stürgkh und ich nicht wenig zu leiden. S t ü r g k h war Aristokrat im guten Sinne, ein loyaler Charakter, verträglich und wohlwollend. Er war klassisch gebildet, zitierte Latein und Griechisch, seine Art war etwas dogmatisch und trocken, sein Stil gewunden, so daß seine Leitartikel in der ,Montagspresse' (,der dieswöchentliche Stürgkh') der Arbeiterzeitung manchen Anlaß zu spöttischem Hohn boten. Wie Bärnreither war er Junggeselle und wie dieser ging er ganz in der Politik auf. Daß Stürgkh noch zu einer bedeutenden politischen Rolle bestimmt war, stand für mich außer Zweifel." no ) J. M. B a e r n r e i t h e r , Verfall des Habsburgerreiches S. 6. — Zur Person Grabmayrs die Würdigung E. Benedikts in der „Neuen österr. Biographie" (1929).

Die Präsidiumsfrage des Abgeordnetenhauses

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zu unterzeichnen, da sein Ressort von ihr nicht betroffen wurde — als auch sein Verbleiben im Kabinett Badeni vom Eintritt Baernreithers in die Regierung und dem des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes in die Majorität abhängig gemacht hatte. Gautsch hat sich in diesem Punkte Gleispach angeschlossen. Badeni sah sich daher genötigt, seine Demission und die der gesamten Regierung dem Kaiser bei einer Audienz am Vormittag des 2. April anzubieten. Zu diesem Schritt hatte ihn noch ein Ereignis gedrängt, das den Schiffbruch seiner Politik vervollständigte: die gegen seinen Willen sich anbahnende Bildung einer slawisch-konservativen Majorität. Die Parteien hatten bei Zusammentritt des Abgeordnetenhauses erwartet, die Thronrede werde Aufschluß über die Majoritätspläne der Regierung geben. Badeni hatte dies vermieden und in den der Regierung nahestehenden Blättern als markantestes Merkmal des neuen Abgeordnetenhauses hervorheben lassen, daß in diesem keine Majorität vorhanden sei und daß nur ein Verband der Parteien, eine Koalition, die Mehrheit werde bilden können, die dem Hause die Richtung gebe und zugleich mit der Regierung die Führung übernehme. Das feudale Organ „Vaterland" schrieb in gleicher Weise, an das Zustandekommen einer festen Majorität sei nicht zu denken. Die vielen Parteien werden sich gegenseitig fortwährend paralysieren und die Majoritäten, wenn sich solche bilden, werden mehr zufälliger und vorübergehender Natur sein. Eine dauernde Beeinflussung der Regierung nach einer bestimmten Richtung wird das Haus nicht auszuüben vermögen. Um so unabhängiger und kraftvoller werde die Stellung der Regierung sein. Aber das werde sich vielfach auch nur als Schein erweisen. Die meisten Parteien werden immerfort geneigt sein, der Regierung ein Bein zu stellen, wenn einer ihrer Forderungen nicht bald in befriedigendem Maße entsprochen werde. So werde die Regierung selber darauf angewiesen, die Parteien gegeneinander auszuspielen und durch kleine Konzessionen sich kurzfristige Majoritäten zu schaffen, Majoritäten von Fall zu Fall. Badeni hatte damit gerechnet, anfänglich, bis die Entrüstung seitens der Deutschen über die Sprachenverordnung sich gelegt habe, im Abgeordnetenhaus lavieren zu können; allein schon die Wahl des Präsidiums verlangte eine gewisse Entscheidung. Am 25. März nannte die „Neue Freie Presse" als wahrscheinlichen Präsidenten den Tiroler Dr. Theodor Kathrein, einen überzeugten Katholiken, der sich dem Klub der Katholischen Volkspartei angeschlossen hatte und am 16. April 1891 zum zweiten Vizepräsidenten, am 20. März 1893 zum ersten Vizepräsidenten des Abgeordnetenhauses gewählt worden war und reiche Erfahrung in Führung der Präsidialgeschäfte besaß. Als seinen vermutlichen Stellvertreter nannte die Zeitung David Ritter von Abrahamovicz und Dr. Edmund Engel, der aber als Karlsbader Kurarzt eine Wahl im vorhinein schon ablehnte. Vier Tage später wußten die Zeitungen nur zu berichten, daß die Wahl des Präsidiums des Abgeordnetenhauses noch immer den Gegenstand von Beratungen innerhalb der einzelnen bereits konstituierten Fraktionen des Hauses bilde. Als zweiter Vizepräsident wurde an Stelle Engels der erst 37jährige Tscheche Dr. Karel Kramár genannt, dem in der Generaldebatte über das Budget am 9. und 10. Dezember 1896 die Aufgabe zugefallen war, die politische Schwenkung und die Annäherung des Jungtschechenklubs an das Kabinett Badeni zu rechtfertigen. Die Nennung Kramárs als Vizepräsident lag im Interesse Badenis, allein als Präsident wollte er nicht Kathrein, sondern den steirischen Landeshauptmann Graf Edmund Attems, für den sich am 30. März auch die Deutsche Volkspartei erklärte. Diese beschloß, nicht nur bei der Wahl die des

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

Grafen Attems zum Präsidenten, sondern auch eine beliebig von der rechten Seite des Hauses zu nominierende Kandidatur für die Stelle des Vizepräsidenten sowie die des Christlichsozialen Dr. Robert Guido Pattai zum zweiten Vizepräsidenten zu unterstützen. Sollte aber die Präsidentenstelle mit einem Mitglied der Rechten besetzt werden, wollte der Verband der Deutschen Volksparteien in der Person des Abgeordneten Heinrich Prade einen eigenen Kandidaten für das Präsidium aufstellen. Unabhängig davon beschloß der Klub der Deutschen Volkspartei, in allen wirtschaftlichen Fragen mit den Christlichsozialen gemeinsam vorzugehen. Während innerhalb der parlamentarischen Verbände die Möglichkeiten der Besetzung des Präsidiums noch erwogen und beraten wurden, begann der feudale tschechischkonservative Großgrundbesitz die Pläne Badenis zu durchkreuzen. Der Gegensatz zwischen Badeni und den Tschechischfeudalen resultierte aus persönlichen und allgemein politischen Motiven. Schon die Berufung des polnischen „Parvenü" hatte ihren Stolz verletzt. Der historische Adel Böhmens respektierte zwar den Willen und die Wahl des Monarchen, behandelte den Ministerpräsidenten aber nur mit schwer verhaltener Aversion. Josef Penizek erzählt, daß die tschechische Aristokratie Badeni wohl die Rechte, die er ihr reichte, mit dem Wunsche drückte, mit ihm in Freundschaft zu leben, aber in ihrem Herzen für ihn doch nur unfreundliche Gefühle hegte111), denn sie befürchtete nicht ganz mit Unrecht, daß Badeni die Macht des böhmischen Adels zugunsten des polnischen zu verdrängen und zu brechen versuchen werde. In Badenis Plan einer Zusammenfassung aller liberalen Elemente sahen sie nichts anderes als eine Paralysierung zentraüstischer und föderalistischer Tendenzen, die eine Isolierung der Feudalen zur Folge gehabt hätte. So innig nun andererseits die Beziehungen zwischen den Feudalen und Alttschechen waren, und so dauernd sich das Bündnis zwischen den beiden politischen Gruppen erwies, so kühl blieb stets das Verhältnis zu den Jungtschechen. Die ständische und übernationale Haltung des Adels hatte mit der stark nationalen und demokratischen Richtung dieser Partei keine Berührungspunkte mehr112). Während es dem Adel gelungen war, gegenüber der Alttschechischen Partei die führende Rolle zu spielen und die ursprünglich liberale Partei in eine konservative umzuwandeln, die nur mehr auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet liberal dachte, wurde der Gegensatz zu den Jungtschechen immer nur notdürftig unter dem Zwang des Augenblickes geleimt. Die Feindschaft war dabei gegenseitig. Der klerikalfeudale Fürst Karl Schwarzenberg warf am 29. November 1889 im böhmischen Landtag den Jungtschechen vor, die den Antrag gestellt hatten, am Prager Museum ein Hus-Medaillon anzubringen, daß sie Wallfahrten nach Konstanz zur Todesstätte von Johannes Hus arrangierten, obwohl dieser der Vertreter des Kommunismus im 15. Jahrhundert und die Hussiten Räuber und Mordbrenner gewesen. In dem Lärm, mit dem die Jungtschechen die Rede begleiteten, rief er ihnen das Wort „Neu-Hussiten" zu. Als Badeni 1895 sich bemühte, ein Kompromiß hinsichtlich der Landtagswahl in Böhmen zu finden, legte Schwarzenberg sein Reichsratsmandat nieder. Wie unerbittlich die Jungm n2

) J. P e n i z e k , Bewegte Zeiten S. 30. ) W. L o r e n z , Die tschechischen Parteien S. 20. — Durch den Abbruch der Beziehungen zu den bürgerlichen Parteien wurde der feudale Adel zu einer „Hofpartei", bis durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes er als politische Partei (1897: 19 Mandate) aus dem Reichsrat ausschied und nur im böhmischen Landtag verblieb, wo er bis zum „Annapatent" des Jahres 1913 noch 48 Abgeordnete besaß.

Bildung der Majorität gegen Badenis Willen

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tschechen ihrerseits sein konnten, zeigte ihr Betreiben des Sturzes des Grafen Franz Thun als Statthalter von Böhmen. Als Badeni diesen fallenließ, „ihn aus dem Weg räumte, der zum böhmischen Volke führen sollte", wurde die Kälte zwischen Badeni und dem Feudaladel „noch um einige Grade herabgedrückt", trat zwischen ihnen eine neuerliche Verschärfung ein, da Thun damals schon als der Favorit der tschechischfeudalen Großgrundbesitzer galt. Außerdem erklärte ein inspirierter Kommentar in der Regierungspresse nicht gerade sehr taktvoll, Graf Badeni wolle Realpolitik machen und eine solche sei nur mit lebensfähigen, keineswegs jedoch mit abgestorbenen Parteien möglich. Da aber Thun nach seiner Enthebung vom böhmischen Statthalterposten Obersthofmeister bei Erzherzog Franz Ferdinand, dem präsumtiven Thronfolger, wurde, war der größte Stein des Anstoßes zwischen den Feudalen und den Jungtschechen entfernt, so daß im Jänner 1896 noch auf Grund von Vorbesprechungen zwischen dem jungtschechischen Abgeordneten Hermann Janda und dem Prinzen Friedrich Schwarzenberg unter Vermittlung des Erzbischofs von Prag, Kardinal Reichsgraf Dr. Franz Schönborn-Buchheim, eine Aussöhnung zwischen den Jungtschechen und den maßgeblichen Männern der Feudalen, dem Fürsten Georg Lobkowitz und dem Grafen Karl Buquoy de Longueval, zustande kam. Mit diesem Schachzug hatten die Tschechischfeudalen jedes Separatabkommen zwischen Badeni und den Jungtschechen erschwert, das von ihnen so gefürchtet wurde, weil es ihnen dann nicht mehr möglich gewesen wäre, die demokratischen Grundsätze der Jungtschechen auszugleichen und abzuschwächen und sie zur Unterstützung des erhofften feudalen Ministeriums zu gewinnen. Sobald der tschechischfeudale Großgrundbesitz eine Annäherung der Standpunkte Badenis und der Jungtschechen registrierte, sorgte er, daß diese wiederum zu ihrer intransigenten Haltung zurückkehrten. Die Furcht vor einer deutsch-tschechischen Zusammenarbeit auf liberaler Basis, der Schrecken, es könnte nach dem Eintritt der Böhmen und der Deutschen ins Kabinett Badeni tatsächlich zu einer deutsch-böhmischen Annäherung auf liberaler Basis kommen113), veranlaßte nun in den letzten Tagen des März 1897 die tschechischen Großgrundbesitzer, in die Bildung der Majorität des Reichsrates entscheidend einzugreifen und bereits von Badeni geknüpfte Fäden durch die Restaurierung der alten Rechten wieder zu zerreißen. In einem an den Grafen Karl Buquoy am 7. April 1897 gerichteten Brief schildert Graf Eugen Czernin das gespannte Verhältnis des Ministerpräsidenten zum böhmischen Feudaladel. Czernin berichtet, daß die konservativen Großgrundbesitzer bei ihrem Eintreffen in Wien von Badeni gänzlich ignoriert wurden und diese dasselbe ihm vis-à-vis taten114). Am 25. März fand die erste Beratung des böhmischen konservativen Großgrundbesitzes unter dem Vorsitz des Alterspräsidenten Graf Eduard Palfly von Erdöd statt. Bei dieser wurde beschlossen, der Klub der konservativen Großgrundbesitzer müsse auch im neuen Parlament seine volle Selbständigkeit wahren und dürfte unter keinen Umständen ein Bündnis anstreben, das irgendein Opfer seiner politischen Überzeugung verlange, ein Aufgeben oder eine Beschränkung seiner Grundsätze zur Vorbedingung haben würde. Zugleich wurden den Jungtschechen gegenüber versöhnliche Töne gesucht und so im Situationsbericht in der „Politik" gemeldet, in der Sitzung der Feudalen sei die Hoffnung ausgesprochen worden, daß, nachdem das parallele Vorgehen des Großgrundbesitzes und der übrigen Vertreter 113

) K. K r a m á r, Böhmische Politik S. 22. ) P. Μ o 1 i s c h, Briefe S. 346.

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Sutter, Sprachenverordnungen I.

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V. Badems Versuch mit untauglichen Mitteln

des tschechischen Volkes in gemeinsamen Fragen so manche Schärfe aus früheren Jahren gemildert habe, der freundschaftliche Verkehr mit den tschechischen Volksabgeordneten aufrechterhalten werde, da durch eine Verständigung von Fall zu Fall zur Erreichung der beiden Parteien vorschwebenden Ziele viel erreicht werden könne. In Erfüllung des in schöne Worte gekleideten Beschlusses, sich nicht von der Regierung binden zu lassen, nahmen die Feudalen als ersten Schachzug gegen Badeni vertrauliche Besprechungen und Verhandlungen mit der Katholischen Volkspartei des Barons Dipauli auf, die ja Badeni trotz des Einspruches des Ackerbauministers Graf Ledebur außerhalb der Majorität wissen wollte. Der parlamentarische Klub der Volkspartei hatte sich ebenfalls am 26. März konstituiert und sich mit ihm die Majorität der deutschklerikalen Mitglieder des früheren Hohenwart-Klubs fusioniert, während die Minorität, als deren Wortführer Graf Julius Falkenhayn fungierte, entgegen der am gleichen Tage abgegebenen Erklärung, sich im Falle einer Fusion dem Beschluß zu unterwerfen, am 29. März sich doch als selbständiges „Zentrum" konstituierte, um von Dipauli unabhängig zu sein. Die sechs Abgeordneten dieses Zentrums forderten in Annäherung an das Oktober-Diplom die historische Eigenberechtigung und Integrität der Königreiche und Länder unter voller Aufrechterhaltung des die einzelnen Teile des Reiches einigenden Bandes. Trotz der Absplitterung des „Zentrums" schlössen sich insgesamt noch 31 Abgeordnete zur Katholischen Volkspartei zusammen, mit der den klerikalfeudalen Tschechen nicht schwerfiel, die Verbindung aufzunehmen, zumal Dipauli einen Ministerposten anstrebte. Außerdem war es den Feudalen gelungen, Kaiser Franz Joseph für die Katholische Volkspartei einzunehmen, was ihre Bestrebungen in der Folge wesentlich erleichterte. So hat der Monarch im Ministerrat vom 4. April sich schützend vor den Dipauli-Klub gestellt und die Angriffe auf diese Partei energisch zurückgewiesen. Als der feudale Adel Böhmens sich mit Dipauli geeinigt hatte, trat er mit dem Polenklub und den Jungtschechen in Fühlung. Hier kam ihrem Spiel gegen Badeni jene völlige Uneinigkeit innerhalb des Tschechenklubs zugute, die sich schon bei den Verhandlungen mit Badeni am 31. März gezeigt hatte, als die tschechischen Unterhändler nicht in der Lage waren, eine bindende Zusage der Regierung zu geben, wodurch Gleispach eben dann zu jener Bemerkung veranlaßt wurde, er sei im Zweifel, ob alle Unterhändler innerlich zu den Vereinbarungen mit der Regierung stünden. Von vornherein lehnte die Führung des Tschechenklubs eine Koalition mit den liberalen Deutschen allerdings nicht ab. Auf die Frage, ob die Jungtschechen eine Koalition mit den Deutschliberalen schließen würden, erklärten die Führer des Jungtschechenklubs am 29. März dem Berichterstatter der „Politik" gegenüber, es sei gleichgültig, welche Vertreter die Regierung zur Bildung einer Majorität heranziehe. Hauptsache sei, daß die in Betracht kommenden Parteien „das Programm der sprachlichen und nationalen Gleichwertigkeit im Schilde tragen". Nach dem Brief des Grafen Czernin vom 7. April 1897 sollten die Jungtschechen bis auf Kaizl und Kramár „entschieden gegen ein Zusammengehen mit den Deutschliberalen" gewesen sein. Kramár hat einige Jahre später die für den Tschechenklub äußerst schwierige Situation geschildert, zumal der Polenklub den Plänen zur Wiedererrichtung der Rechten beitrat. Die Entscheidung im Tschechenklub fiel nach „einem großen Kampf". Die Rechte trug den Sieg davon, der den Bruch jener Politik bedeutete, durch und für welche die Einigung in den strittigen Fragen der Sprachenverordnungen zustande gekommen war.

Bildung der Majorität gegen Badenis Willen

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Die Erklärung des Tschechenklubs Badeni gegenüber, daß er sich an die Regierung gebunden fühle und der Ministerpräsident ihn zum Beitritt in die Rechte ermächtigen müsse, war nur ein politischer Schachzug und die höfliche Wahrung der äußeren Form, als Angst, das Gesicht zu verlieren. Den Bestrebungen des feudalen tschechischen Adels, die von Badeni gesuchte Majorität zu verhindern, kam auch in völlig unerwarteter Weise der Polenklub entgegen. Dieser, keineswegs ein so innerlich einheitlicher Verband, wie es nach seiner Taktik im Abgeordnetenhaus den Anschein hatte, bestand aus drei Fraktionen : aus der führenden Fraktion (den Podoliern), aus der Krakauer Partei (zu deren Führern Badeni zählte) und aus der liberalen Fraktion. Der polnische Adel war nun mit Badeni, der sich in Galizien als „Bürger-Statthalter" hatte feiern lassen, unzufrieden, da er durch die Schaffung der fünften Kurie in Galizien die oppositionelle Bewegung gegen den Adel gestärkt und verschärft hatte. In der zweiten Sitzung des neu gewählten Abgeordnetenhauses vom 30. März gelangte so das Thema der galizischen Wahlen zur Verhandlung. Der oppositionelle Bauer Thomas Szajer war während der Wahlbewegung in Galizien wegen angeblicher Majestätsbeleidigung eingekerkert, trotzdem aber zum Abgeordneten gewählt, nicht jedoch nach Zustellung des Wahlzertifikates wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Der Krakauer Redakteur Ignacy Daszyñski bezeichnete die „Rückschrittlichen vom Polenklub" als die Feinde des Volkes und erklärte im Abgeordnetenhaus, es mache den Eindruck, als wäre Szajer der herrschenden Clique in Galizien zuliebe verhaftet worden. Im Laufe der überaus heftigen Debatte rollte der Advokaturskandidat Dr. Michael Danielak, ebenfalls als Redakteur in Krakau tätig, das erschütternde, mit dem Blute von sieben ermordeten polnischen Bauern getränkte Bild der Wahlen in Galizien auf. Eine solche Sprache in galizischen Angelegenheiten war ein Novum, denn seit Jahrzehnten hatte kein Pole im Hause das Wort ergriffen, um galizische Zustände anzuprangern. Die Disziplin und der innere Zusammenhalt des Polenklubs hatten verhindert, daß Galizien und seine Administration im Parlament behandelt wurden. Der Polenklub, der nun nicht mehr allein im Namen des polnischen Volkes auftreten und sprechen konnte, schob alle Schuld an dieser Wandlung der Wahlreform Badenis zu. Demnach haben polnische Abgeordnete nach Beginn der Ministerkrise erklärt, Badeni verdiene seitens des Polenklubs keine Unterstützung. Der Obmann, der Großgrundbesitzer Apollinar Ritter von Jaworski, hatte zudem persönlich noch nicht vergessen, daß Badeni ihn nicht als Minister für galizische Angelegenheiten vom provisorischen Kabinett Kielmansegg in das seine übernommen und ihm den bürgerlichen Universitätsprofessor und Sektionschef Dr. Eduard Rittner, im Kabinett Kielmansegg Leiter des Unterrichtsministeriums, für dieses Amt vorgezogen hatte115). Das 115

) Auch zwischen dem gemeinsamen Außenminister, dem Polen Graf Agenor Goluchowski, und Badeni soll kein besonders gutes Verhältnis bestanden und dieses sich bemerkenswerterweise erst gebessert haben, als die Spannung zwischen dem Wiener und dem Petersburger Kabinett nachgelassen hatte (J. Ρ e η i έ e k, Bewegte Zeiten S. 44 f.). Goluchowski war es, der von Kaiser Franz Joseph nach dessen Rückkehr vom Schloß Wallsee am 27. November 1897 als erster zur Berichterstattung gerufen wurde. Seinem Einfluß wurde damals die sofortige Entlassung des Kabinetts Badeni zugeschrieben. (G. Κ o 1 m e r, D a s Herrenhaus, 1906, S. 145. — D e r s., Parlament u. Verfassung V I , S. 334. — A. C ζ e d i k, österr. Ministerien II, S. 100.) Dies ist durchaus glaubhaft. Auch auf die Aufhebung der Gautschschen Sprachenverodnungen durch den Ministerpräsidenten Clary hat Goluchowski ebenfalls offensichtlich Einfluß genommen, was ihm von den Slawen in der Delegation im November 1899 heftigst vorgeworfen wurde.

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entschiedene Dementi polnischer Blätter in Lemberg, daß der Polenklub gegen Badeni intrigiere, war zu auffallend, um über den wahren Sachverhalt hinwegzutäuschen. Die Furcht vor einer deutsch-tschechischen Annäherung bestimmte auch den Polenklub, den Wünschen der feudalen Böhmen willig entgegenzukommen. Als die internen Besprechungen eine Annäherung der Standpunkte gebracht hatten, lud Ritter von Jaworski als ältester Klubobmann für den Mittag des 2. April die Klubobmänner und die Vertreter der noch nicht konstituierten Parteigruppen, um die Wahl des Präsidiums zu klären, zu einer Obmännerkonferenz ein. Während noch am 31. März und am Tage hernach die Zeitungen aus dem Parlament zu berichten wußten, daß es den Anschein habe, die Kandidatur des Grafen Attems zum Präsidenten werde von den einflußreichsten parlamentarischen Vereinigungen in ernste Erwägung gezogen, schlug Jaworski selbst bei der Obmännerkonferenz, obwohl deren Vorsitzender, Dr. Kathrein, Abrahamovicz und Kramár für das Präsidium vor, das geschäftsordnungsmäßig nach den ersten vier Wochen neuerlich, und zwar definitiv für die ganze Session zu wählen war. Als Gegenantrag wurden Attems, Abrahamowicz und Kramár genannt, wobei die Christlichsozialen die Ersetzung Kramárs durch Dr. Pattai, die Deutschfortschrittlichen die Kombination Kathrein, Attems, Kramár verlangten. Während der Diskussion, bei der angeregt wurde, die Zahl der Vizepräsidenten zu vermehren, erschien Ministerpräsident Badeni, der von der Audienz beim Kaiser kam und mitteilte, daß eine Krise bestehe. Wegen dieser „Indisposition" empfahl er, die Präsidentenwahl zu verschieben. Trotz des Einspruches des Tschechen Dr. Engel, die Wahl des Präsidiums doch nicht wegen einer Ministerkrise zu vertagen, beschloß die Mehrheit, die Vorbesprechung auf den 5. April und die Plenarsitzung, die für den 3. April angesagt war und auf deren Tagesordnung die Wahl des Präsidenten, der zwei Vizepräsidenten, der zwölf Schriftführer und der zwei Ordner stand, auf den 6. April zu verschieben. Die am 2. April dem Kaiser angebotene Demission des Grafen Badeni kam für die meisten politischen Gruppen völlig unerwartet, da Badeni seit dem Zusammentritt des Reichsrates seinen Optimismus bewahrt und mit Nachdruck betont hatte, die Frage der Majorität sei für ihn keine Prinzipienfrage, sondern eine Frage der reinen Zweckmäßigkeit. Kaiser Franz Joseph nahm die Demission zur Kenntnis und behielt sich einige Tage Bedenkzeit vor, um die Lage überprüfen zu können. Auffallend ist, daß von Anfang an geradezu als sicher hingestellt wurde, daß Badeni mit der Regierung wieder betraut werde. Nur flüchtig tauchte einmal der Name des Fürsten Alfred von Liechtenstein116) als jener lle

) Fürst Alfred von Liechtenstein, Besitzer der steirischen Herrschaft Hollenegg, Bruder des für die christlichsoziale Bewegung bedeutsamen Fürsten Alois von Liechtenstein, war streng katholisch und hatte sich bereits 1873 an die Spitze der klerikalen Bewegung in der Steiermark gestellt. Er trat besonders gegen die „moderne" und für die konfessionelle Schule auf. Er hatte mit seinem Bruder den „Liechtenstein-Klub" gegründet, der als rechtes Zentrum auch noch nach der Mandatsniederlegung des Fürsten Alois von Liechtenstein fortbestand. Fürst Alfred sukzedierte am 19. August 1887 als erbliches Mitglied in das Herrenhaus. Im steirischen Landtag betonte er am 8. Februar 1898 in der Debatte über eine Resolution gegen die Badenischen Sprachenverordnungen, er habe sich überzeugt, daß Graf Badeni gesetzlich das Recht zur Erlassung der Verordnung hatte. Als der Fürst dann gegen die Resolution stimmte, wurde er von den Zuhörern auf der Galerie verhöhnt, so daß diese Landeshauptmann Graf Attems räumen lassen mußte. Auf der Straße wurde Liechtenstein, als er das Landhaus verließ, mit Pfuirufen empfangen. Nach

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Persönlichkeit auf, die zur Bildung eines klerikal-konservativen Kabinetts ausersehen sei. Wenn der radikale Alldeutsche Karl Hermann Wolf am 9. April im Abgeordnetenhaus bemerkte, die Ministerkrise sei eine der bekannten in Österreich üblichen Komödien gewesen, und zwar eine Komödie, wie sie aufdringlicher, deutlicher und greifbarer als Komödie erkennbar noch nicht so leicht dagewesen wäre, weshalb kein Mensch in ganz Österreich, der nicht zu den politisch Naiven gehöre, sie ernst genommen habe, so war dies eine demagogische Floskel, die nicht mit den Tatsachen übereinstimmte. Das Demissionsangebot Badenis, das aus einer unlösbaren Zwangslage resultierte, war völlig ernst und verschlechterte zudem die Situation für das Kabinett. Durch den von Badeni dem Kaiser unterbreiteten Rücktritt glaubte der Polenklub jeder Rücksicht auf den Ministerpräsidenten, gleichwohl dieser Pole war, entbunden zu sein und ging mit aller Konsequenz an die Bildung der konservativ-klerikalen Majorität. Nach der durch Badeni unterbrochenen Obmännerkonferenz nahmen die Führer dieser Gruppe so engen Kontakt mit den Jungtschechen und der Katholischen Volkspartei auf, daß parlamentarische Beobachter die Anbahnung von Verständigungsversuchen zwischen diesen Gruppen schon am nächsten Morgen zu melden wußten. Damit war die Lage aber keinesfalls geklärt, und die „Neue Freie Presse" spricht im Leitartikel vom 4. April von einem „Mückenschwarm von Möglichkeiten und von einem Wirbelsturm sich kreuzender Meldungen". Jedenfalls hatte Badeni noch in der Audienz, in der er Kaiser Franz Joseph die Demission unterbreitet hatte, von diesem den Auftrag erhalten, seine Bemühungen zur Bildung der von ihm gesuchten und geplanten Majorität fortzusetzen. Damit wurde für Badeni der Verfassungstreue Großgrundbesitz, mit dem er noch am gleichen Tag die Verhandlungen wieder aufnahm, noch einmal zum Zünglein an der Waage. Baernreither und Ludwigstorff, die mit Badeni neuerlich unterhandelt hatten, konnten bei der abendlichen Sitzung des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes die Herausgabe eines Kommuniqués durchsetzen, das die Tür zur Regierung offenhalten sollte. In dieser Aussendung wurde betont, daß unter der Leitung des Barons Ludwigstorff und des Grafen Guido Dubsky in der letzten Zeit mehrere Besprechungen des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes und der diesen nahestehenden Gruppen stattgefunden hätten, über die am 1. April abends anberaumte Sitzung aber in den öffentlichen Blättern teilweise ganz unrichtige Versionen in Umlauf gesetzt worden seien. Gegenstand der Verhandlungen an diesem Abend sei eine Anfrage der Regierung gewesen, ob sie bei der Majoritätsbildung unbedingt auf die Gruppe zählen könne und wie sich diese zu der bevorstehenden Sprachenverordnung verhalten werde. Eine eingehende Debatte habe ergeben, daß die Situation eine unbedingte Antwort auf die Frage noch nicht zulasse. Zu der Sprachenverordnung sei definitiv noch nicht Stellung genommen und in der Debatte über diese Angelegenheit das eminente Staatsinteresse und die Bedürfnisse der Verwaltung in den Vordergrund gestellt worden. Schließlich sei einhellig die Erklärung angenommen worden, „daß die Gruppe n a c h w i e v o r g e n e i g t s e i , d i e R e g i e r u n g , w e n n i r g e n d m ö g l i c h , in i h r e r s c h w i e r i g e n L a g e , e i n e M a j o r i t ä t zu b i l d e n , zu u n t e r s t ü t z e n , d a ß s i e es j e d o c h a b l e h n e n m ü s s e , h e u t e s c h o n m i t e i n e m der Demission des Kabinetts Thun wurde Alfred Liechtenstein im September 1899 als ernstlicher Kandidat für die Bildung eines der Rechten des Abgeordnetenhauses genehmen Ministeriums in Aussicht genommen. Er lehnte jedoch in Hinblick darauf, daß die Linke eine solche Regierung heftigst bekämpft hätte, die ihm zugedachte Mission ab.

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u n b e d i n g t e n Ja o d e r N e i n zu a n t w o r t e n , w e i l die M a j o r i t ä t s b i l d u n g selbst sowie das darauf b a s i e r t e Regierungsprogramm noch nicht feststehe". Am 3. April wurden vom Kaiser, der sich den beträchtlichen Rest seines Selbstherrschertums, auf Parteien, politische Institutionen und Personen unmittelbar und mittelbar einzuwirken117), niemals nehmen ließ, Baernreither und Ludwigstorff empfangen, die ihm versprachen, wenn Badeni die Nichteinbeziehung der Katholischen Volkspartei in die Regierungsmajorität zusichere, dahin zu wirken, daß der Verfassungstreue Großgrundbesitz die Aktionen der Regierung mit Ausnahme der Sprachenverordnungen unterstützen, doch aus deren Erlassung sonst keine Konsequenzen ziehen werde. Damit schien die Lage geklärt, und der Leitartikel der „Neuen Freien Presse" vom 4. April beginnt mit der Nachricht, daß die Krise, wenn auch nicht formell, so doch der Sache nach als gelöst angesehen werde, da der Verfassungstreue Großgrundbesitz unter dem Eindruck der Demission Badenis und der drohenden Gefahr einer klerikalen Regierung und einer klerikalen Parlamentsmajorität sich entschlossen habe, die Sprachenverordnung nicht mehr als ein Hindernis für den Eintritt in die Regierungsmajorität anzusehen. Damit wäre die Bedingung, die Badeni für sein Verbleiben im Amte stellte, erfüllt, das Gewitter vorüber, keiner seiner Blitze hätte gezündet, heiterer Himmel könne wieder über Österreich lachen und die einzig Leidtragenden wären bis auf weiteres die Deutschen in Böhmen. Aber die „Neue Freie Presse" hatte nur mit dem Teil ihrer Prophezeiung, Badeni und das gesamte Kabinett werde im Amte verbleiben, recht, denn während Badeni mit dem sich selbst intern uneinigen liberalen Großgrundbesitz verhandelte und an die deutschfortschrittlichen Abgeordneten heranzukommen suchte, die trotz der kritischen Lage sich nicht über die Statuten ihres Klubs einigen konnten, hatte der Polenklub mit Energie die Ziele einer gegen Badeni gerichteten Majoritätsbildung weiterverfolgt. Badeni hat dagegen, was er in seiner Lage zu tun können glaubte, unternommen. Da es den Polen um die Gewinnung des Tschechenklubs ging, trat Badeni dem Gerücht entgegen, die Demission sei erfolgt, um vom Kaiser mit der Bildung einer neuen Regierung betraut zu werden, die dann nicht an die Vereinbarungen mit den Jungtschechen gebunden wäre und Zeit hätte, neue Verhandlungen von Volk zu Volk in Böhmen aufzunehmen. So erklärte Badeni einem Korrespondenten der „Národní Listy", die den Bericht in Fettdruck wiedergab, er werde, falls er als Sieger aus der Krise hervorgehe, alles erfüllen, was er mit den tschechischen Abgeordneten vereinbart habe. Dies gelte nicht bloß für die Sprachenverordnung. Um aber Badeni oder einer neuen Regierung für alle Fälle den Rückzug abzuschneiden, schrieb die gleiche Zeitung, es geschehe, was da wolle, die Herren in Wien mögen doch dessen eingedenk sein, „daß das tschechische Volk zum letzenmal in bescheidener Weise die bloße Gleichberechtigung in seinen Ländern mit den deutschen Minoritäten verlangt hat. Wird es auch diesmal mit seiner gerechten Forderung grausam abgewiesen, so wird es darangehen, jenes volle Recht anzustreben, welches ihm in dem altehrwürdigen tschechischen Reiche seit tausend Jahren gebührt." Um die Majorität der Rechten zu verhindern, erklärte Badeni den Parteien gegenüber mit größter Bestimmtheit, daß er keine reaktionäre Majorität bilden und sich auf keine klerikale Regierungspartei stützen werde. Die „Politik" als Organ der Feudalen forderte daraufhin als Gegenzug in diesem Spiel die Jungtschechen auf, die " ' ) Η. v. S r b i k, Franz Joseph I., HZ 144, S. 522.

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Situation nicht ungenützt vorübergehen zu lassen, initiativ in die Krise einzugreifen und im engen Kontakt mit den konservativen Parteien an die Errichtung einer Majorität aus der Rechten kräftig und in führender Stellung mitzuwirken. Geschehe dies, dann werde das neue oder rekonstruierte Kabinett einfach mit fertigen Tatsachen zu rechnen haben. Auch einem Mitarbeiter der „Neuen Freien Presse" gegenüber erklärte Badeni noch am 2. April, diesmal unter dem Pseudonym „Ein Staatsmann, welcher den vollen Einblick in die innere Situation hat"118), daß die Bildung der Majorität, wie er sie angestrebt habe, gescheitert sei. Er habe die Demission des Gesamtkabinetts gegeben, „weil er eine klerikale Majorität nicht bilden wollte und nicht bilden will". Sollte an ihn der Auftrag ergehen, einen neuen Versuch zur Majoritätsbildung zu unternehmen, dann werde er dabei an bestimmten Voraussetzungen festhalten. Er werde von den Zusagen, die er den Tschechen gemacht habe, nicht das Mindeste zurücknehmen. Das möge ein anderer unternehmen. Er würde es als unanständig betrachten, hinterher an diesen Zusagen zu mäkeln. „Sind die fortschrittlichen Deutschen bereit, unter dieser Voraussetzung noch an der Majoritätsbildung teilzunehmen, dann wird Graf Badeni, falls der Ruf an ihn ergeht, sie willkommen heißen; wenn nicht, dann wäre auch der zweite Versuch als gescheitert zu betrachten. Daran halten Sie fest — so schloß unser Gewährsmann — und auch an einem zweiten Punkt: nach Rom geht Graf Badeni nicht!" Bei der Audienz, zu der Badeni am 3. April um 10.55 Uhr vom Kaiser befohlen worden war, richtete Franz Joseph an seinen Ministerpräsidenten die Frage, ob er bereit wäre, die Neubildung eines Kabinetts zu übernehmen, das sich auf die vermutliche Majorität des Abgeordnetenhauses stützen könnte119). Badeni lehnte das Ansinnen, ein konservatives Kabinett zu bilden, mit Entschiedenheit ab. Unter drei Voraussetzungen war er bereit, die Regierungsgeschäfte weiterzuführen : daß die Sprachenverordnung in der mit den Tschechen zuletzt vereinbarten Formulierung erlassen werde, eine Gruppe fortschrittlicher Deutscher in die Majorität eintrete und er nicht mit einer sogenannten konservativen-klerikalen Majorität regieren müsse. Aber was halfen dem Grafen Badeni diese Forderungen und seine Erklärungen dem Kaiser, den Parteien und den Journalisten gegenüber, daß er einer slawisch-klerikalen Majorität nicht zur Verfügung stehe, da die Führer des böhmischen Großgrundbesitzes, des Polenklubs, der Jungtschechen und der Katholischen Volkspartei seit Beginn der Krise laufend gemeinsame Konferenzen abhielten. Um Badeni nicht im Zweifel über ihre Ziele zu lassen, teilten die konservativen Großgrundbesitzer ihm in geeigneter Weise mit, daß sie die Einbeziehung der Katholischen Volkspartei zur Voraussetzung ihres eigenen Eintrittes in die Majorität machen müßten. Dipauli seinerseits warf Badeni die Hartnäckigkeit, mit der er an der immer unwahrscheinlicher werdenden liberalen Majoritätskombination festhielt, vor und ließ ihn wissen, daß nicht die Liberale Partei, sondern die Katholische und die Deutsche Volkspartei gemeinsam mit der Christlichsozialen Vereinigung die Repräsentanten des deutschen Volksstammes in Österreich seien. Am Rande dieser Ereignisse, doch mit diesen aufs engste verknüpft, vollzog sich der Rücktritt des Wiener Bürgermeisters Josef Strobach und die Wiederwahl Luegers120), der sich Badeni gegenüber für die Ruhe Wiens nach Erlassung der 1Ιβ

) Die Stellung des Grafen Badeni, N F P 3. April 1897, Morgenblatt S. 2. ) Ministerratsprotokoll 4. April 1897. — Über die Audienzen geben die Tagebücher der Flügeladjutanten des Kaisers (H.H.St.A. Wien) nur über Beginn und Dauer Auskunft. ,2U ) R. Κ u ρ ρ e, Κ. Luegerund seine Zeit S. 369, sieht den Grund für den Rücktritt Strobachs 119

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Sprachenverordnung nur im Falle seiner Vorrückung und Bestätigung verbürgte. Es ist daher nicht daran zu zweifeln, daß sich der Wechsel auf dem Bürgermeisterstuhl gerade in diesen kritischen Tagen im Einvernehmen mit Badeni und nicht ohne sein Zutun vollzog, und daß, ehe der Platzwechsel unternommen wurde, die Gewißheit bestand, die Regierung werde die von ihr bisher verweigerte Bestätigung nunmehr beim Kaiser beantragen121). Badeni hat dafür zwar nicht den Anschluß der Christlichsozialen an die Regierung, aber doch, bei allem Widerstand gegen die Sprachenverordnung die Bereitschaft Luegers eingehandelt, mitzuhelfen, daß keine Stagnation der sozialpolitischen Gesetzgebung eintrete. So haben sich die Christlichsozialen lange nicht mit der Obstruktion befreundet und erst nach Beschließung der „lex Falkenhayn" sich der obstruierenden Linken angeschlossen. Ein Einlenken der Liberalen in der Frage der böhmischen Sprachenverordnung konnte allerdings Badeni durch den Rücktritt Strobachs nicht erreichen, obwohl unter Beiziehung parlamentarischer Kreise Badeni ein Kompromiß zu schließen suchte, durch das bei Anerkennung Luegers ein Sitz im Wiener Gemeindepräsidium der Liberalen Partei überlassen worden wäre, die dafür ihrerseits ihre Zustimmung zu den Sprachenverordnungen geben sollte. nur im Ausgang der Wahlen aus der allgemeinen Kurie in Wien und Niederösterreich. Badeni soll sich nach Kuppe sogar über den Sieg der Christlichsozialen gefreut haben, „weil diese überall die Sozialdemokraten niedergerungen hatten". Eine neuerliche Nichtbestätigung Dr. Luegers für den Fall seiner Wiederwahl schien ausgeschlossen. Auch K. S k a 1 η i k, Κ. Lueger S. 110 glaubt, daß Lueger durch den Wahlausgang das Interesse Badenis gewonnen hatte. Skalnik meint weiters, die Regierung hatte im April 1897 „ganz andere Sorgen, als daß sie die ,Bürgermeisterfrage' von neuem aufrollen" konnte. Es stimmt, daß Badeni Sorgen hatte, aber gerade deswegen hat er die Wiener Bürgermeisterfrage wieder ins Rollen gebracht. In der innerhalb der österreichischen Biographie (Bd. 12, S. 113) erschienenen Würdigung Luegers vom gleichen Verfasser spricht dieser die Ansicht aus, daß Lueger „nicht zuletzt unter dem Eindruck des die österreichische Innenpolitik an sich schon schwer genug belastenden Sprachenstreites, mit kaiserlicher Sanktion in aller Form Herr im Wiener Rathaus" wurde. Der Rücktritt Strobachs war aber gewiß nicht ein einseitiger Schachzug der Christlichsozialen. Auf die Notwendigkeit, Luegers Wirkung auf die österreichische Gesamtpolitik, auf die deutsche Innenpolitik und auf den deutschen Katholizismus eindringlicher darzustellen, wurde jüngst erst hingewiesen. (H. S c h n e e , Politische Entwicklung Luegers, HJb. 76, S. 78.) 121

) Dazu schrieb die „Neue Freie Presse" im Leitartikel vom 9. April: „Woher weiß Dr. Lueger, daß ,dermalen' ihm die Bestätigung gewährt werden könne ? Wer sagt ihm, daß der Kaiser, was er im vorigen Jahr erwartete, in diesem Jahr nicht mehr erwarte ? Herr Lueger selbst fühlt es, daß diese Frage mit Notwendigkeit sich aufdrängt, daß er eine Antwort darauf schuldig sei, wenn er will, daß man an seine Loyalität glaube, denn er hat eine Art von Antwort in seiner heutigen Rede zu geben versucht, indem er sagte, sein Verzicht im vorigen Jahr sei der Ausfluß seiner Treue zum Monarchen gewesen, Versprechungen seien von ihm weder verlangt noch gegeben worden. Allein diese Antwort ist rein negativ und macht die Frage nur noch viel dringender. Wenn ihm kein Versprechen gegeben wurde, was berechtigt ihn zu glauben, daß die Zeit des Verzichtes zu Ende sei? Wenn die Treue zum Monarchen ihm den Verzicht auferlegte, wo ist diese Treue, wenn er heute kommt, um die Bestätigung zu verlangen? Nicht weil die Ära Lueger etwa größere Schrecken hat als die Ära Strobach, sondern weil die Autorität der Krone auf eine bisher ohne Beispiel dastehende Art in diese Wiener Bürgermeister-Frage verwickelt wurde, h a l t e n w i r d i e s e n u n a u f g e k l ä r t e n P u n k t f ü r e i n e n d e r d u n k e l s t e n in d e r G e s c h i c h t e d e s Min i s t e r i u m s B a d e n i." (Sperrung hier.)

Luegers neuerliche Wahl — Badeni wird gewarnt

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Die Ministerkrise hat das Interesse an den Sprachenverordnungen in weitesten Kreisen geweckt, da sie die Demission Badenis nicht zuletzt mitbedingt hatte. In den deutschen Bezirken Böhmens wuchs die Erregung durch die Nachricht der „Národní Listy" am 31. März, daß am Tage zuvor sich Badeni mit den Tschechen geeinigt hätte, und durch die von der gleichen Zeitung veröffentlichte Erläuterung der den Tschechen entgegenkommenden Paragraphen in der erwarteten Verordnung. Der systematische Widerstand gegen die Sprachenverordnung setzte nicht erst mit ihrer Publikation ein, und es stimmt nicht, wenn Karel Kramár behauptet, die eigentliche Ursache der Erbitterung der Deutschen sei die Bildung der Rechten als Majorität und nicht die Sprachenverordnung gewesen, diese hätte nur als Vorwand für die Fanatisierung der Bevölkerung, zur Inszenierung des Widerstandes gedient122). Noch vor dem 1. April wurde die Einberufung eines „Parteitages der Deutschen in Böhmen" verlangt, auf dem alle Deutschen ohne Unterschied der Fraktionsstellung erscheinen und gemeinsam in einer Kundgebung gegen die Sprachenverordnung protestieren sollten. Die Bezirksvertretung von Eger beschloß am 2. April einhellig eine Resolution, in der energisch gegen die Sprachenverordnung Stellung genommen wurde, da diese eine Vergewaltigung des geschlossenen deutschen Sprachgebietes bedeute und geeignet sei, die nationalen Gegensätze statt zu mildern auf das heftigste zu verschärfen. Die „Neue Freie Presse" brachte auf den Titelseiten vom 1. und 4. April sachliche Stellungnahmen gegen die geplante Regelung. Der am 1. April vom ursprünglich in Graz, seit 1894 an der Prager Deutschen Universität wirkenden Zivilrechtler und neugewählten Abgeordneten Dr. Emil Pfersche veröffentlichte Artikel ist im Glauben niedergeschrieben, daß die Verordnungen noch nicht fertiggestellt seien. Pfersche warnte vor diesem „politischen Zaubermittel", da es für die Deutschen unannehmbar sei und die Verständigung beider Stämme nicht fördern werde. Er verlangte, daß der polyglotte Staat sich des einfachen Hilfsmittels des Übersetzungswesens bediene. Denn würde nur die tschechische Forderung nach Zweisprachigkeit der Beamten in Erfüllung gehen, dann würden trotz aller Versicherungen der Regierung die Verordnungen nicht von staatsrechtlichen und nicht von fachmännischen, sondern von politischen Rücksichten auf Kosten der Deutschen diktiert sein. In deutschen Gebieten müßte eine tschechische Eintragung in die öffentlichen Bücher amtlich übersetzt werden, denn diese müßten dem Publikum verständlich bleiben. Pfersche hat sich hier sehr jenem Standpunkt des Justizministers Gleispach genähert, den dieser im Ministerrat nicht hatte durchsetzen können. Gewichtiger noch war die am 4. April von Julius Lippert veröffentlichte Stellungnahme, in der er bereits mit aller Schärfe Vergleiche zur Situation im Jahre 1890 anstellte und dabei darauf hinwies, daß die Deutschen damals Versprechungen in scharf artikulierter Form besessen hatten und getäuscht worden sind, daß sie jetzt aber überhaupt nur Gegenangebote in nebelhafter Form besäßen. Lippert bezweifelte das Verordnungsrecht der Regierung und hat damit einen entscheidenden Punkt berührt und vorweggenommen ; er betonte, daß die „Nachtwächterfrage" zwar bewitzelt werden kann, aber die „Gemeinbürgschaft" berührt, daß die Anstellung und das Weiterkommen deutscher Beamter und deutscher Unteroffiziere als „Certifikatisten" erschwert, ja in Frage gestellt sein wird, und daß die böhmische Frage als deutsche Frage in Österreich zu gelten habe, weshalb für die Austragung dieses Falles der 122

) Κ. Κ r a m á f, Böhmische Politik S. 26.

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böhmische Landtag nicht der geeignete Boden sein werde. In der „Bohemia" begann am 1. April Dr. Ludwig Schlesinger mit reichem, wohlfundiertem Zahlenmaterial die Bedürfnisfrage in den Vordergrund zu stellen. Die Jungtschechen ihrerseits wiederum fürchteten einen Umschwung der politischen Situation, der sich als ein schwerer Rückschlag für ihre Parteipolitik ausgewirkt hätte, und veröffentlichten als Rechtfertigung ihren Wählern gegenüber einen Bericht über die gesamten Verhandlungen mit der Regierung. Innerhalb von 24 Stunden waren die vom Polenklub geführten Verhandlungen so weit gediehen, daß am 3. April abends bei Badeni Ritter von Jaworski (Polenklub), Freiherr von Dipauli (Katholische Volkspartei), Graf Eduard Palfly von Erdöd (tschechischkonservativer Großgrundbesitz), Freiherr von Ludwigstorff (Verfassungstreuer Großgrundbesitz), Dr. Cajetan Bulat (Gemäßigte Kroaten) und Dr. Engel (Tschechenklub) erscheinen konnten, um ihm den Eintritt ihrer parlamentarischen Verbände in eine Regierungsmajorität unter bestimmten Voraussetzungen anzubieten. Badeni behielt sich Bedenkzeit vor, um in der Zwischenzeit noch einmal zu versuchen, mit dem Verfassungstreuen Großgrundbesitz übereinzukommen. Durch den Zwiespalt innerhalb des eigenen Parteiklubs hatte dieser vermieden, eine eindeutige Stellung zu beziehen. Nun konnte er die Entscheidung nicht länger hinausschieben und gab am Morgen des 4. April der Regierung gegenüber seine endgültige, vertrauliche Erklärung ab. Er sei bereit, sie zu unterstützen, jedoch erst dann, wenn der Sturm, den die Erlassung der Sprachenverordnung hervorrufen werde, vorüber wäre. Weiters wolle er sich der Verordnung gegenüber freie Hand in der Weise vorbehalten, daß einige seiner Mitglieder gegen die Erlassung der Verordnung stimmen, einige bei der Abstimmung sich ihrer Stimme enthalten oder sich absentieren könnten und nur einige wenige dafür zu stimmen brauchten. Schließlich stellte der Verfassungstreue Großgrundbesitz als Bedingung für seinen Eintritt in die Majorität, daß Baron Dipauli mit seinem immerhin 31 Mandate starken Klub der Katholischen Volkspartei der Majorität nicht angehöre oder bei Eintritt des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes aus dieser ausscheide123) — eine Forderung, auf die von der Regierung nicht eingegangen werden konnte, denn die Katholische Volkspartei war der einzige Klub, der in der sich abzeichnenden tatsächlichen Majorität rein deutsch war. So konnte Badeni diese Gruppe nicht auch noch von sich weisen oder von ihr verlangen, so naiv zu sein, für die Sprachenverordnung mit dem vollen Bewußtsein einzutreten, nach ihrer Erlassung und nach Abwehr des ersten Sturmes von der Regierung ostentativ abgestoßen zu werden. Übrigens haben, wie sich zeigen sollte, die allgemeinen Ereignisse im Parlament und der Sieg der nationalen und freisinnigen Richtung innerhalb der Partei das angekündigte Einschwenken des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes in die Regierungsmajorität ein für allemal unmöglich gemacht. Grabmayr gibt ein anschauliches Bild, wie die grundsätzliche Billigung der Sprachenverordnung und der Anschluß an die tschechisch-polnisch-klerikale Mehrheit verhindert wurde, wie die politische Erziehung der Partei sich schrittweise und in langwierigen inneren Kämpfen vollzog, und wie er stets von neuem den zwar gemäßigten, aber doch entschieden freisinnigen und nationalen Charakter der Partei betonen und in Furcht vor einem „unheilbaren Riß zwischen den Großgrundbesitzern und den deutschen Volksabgeordneten" immer wieder und wieder für den „unerläßlichen Anschluß" an die deutschen Linksparteien plädieren mußte. !23

) Bekanntgabe Badenis in der Ministerratssitzung vom 4. April 1897, f. 250.

Die Rechte als Majorität — Der Ministerrat vom 4. April 1897

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Für den späteren Vormittag des 4. April, es war ein Sonntag, hatte Kaiser Franz Joseph einen Ministerrat unter seinem Vorsitz angeordnet. Als er um 11 Uhr zusammentrat, stand fest, daß die Bildung einer Majorität ohne Rücksicht auf die Absichten des Grafen Badeni und die Entscheidung der Krone im Werden war. Am Morgen waren nach dem Vertreter des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes die bereits genannten Klubobmänner unter Jaworskis Führung, die am Abend zuvor ihre Bereitschaft in die Majorität einzutreten bekundet hatten, im Ministerpräsidium erschienen, um sich die Antwort Badenis zu holen. Dieser teilte in Anwesenheit der Minister Gautsch, Gleispach, Bilinski, Rittner und Ledebur den Erschienenen mit: „Die Herren haben mir gestern erklärt, daß sie die Majorität bilden wollen. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß der Standpunkt der Regierung der ist, daß in diese Majorität auch die Vertreter des böhmischen Volkes und wenigstens der liberale Großgrundbesitz einbezogen sein müssen. Bezüglich der Herren von der böhmischen Partei ist eine Übereinstimmung bereits erzielt worden. Nachdem jedoch die Erklärung, die Herr Baron Ludwigstorff namens des liberalen Großgrundbesitzes abgegeben, aber der Regierung nicht genügt, bin ich nicht in der Lage, das Anerbieten der Herren bezüglich ihres Eintrittes in die Majorität anzunehmen und erkläre, daß das Ministerium auf seiner Demission beharrt."

Unmittelbar im Anschluß daran versammelten sich im Präsidialsaal des Abgeordnetenhauses die leitenden Männer des Polenklubs, des feudalen Großgrundbesitzes, der Polenfreundlichen Ruthenen, der Gemäßigten Kroaten, der Klerikalen Slowenen, der Katholischen Volkspartei, des Zentrums, der Rumänen und „lediglich als Privatperson" Dr. Engel vom Tschechenklub. In dieser Versammlung wurde der Antrag gestellt, es werde den Klubs empfohlen, der Einsetzung einer provisorischen parlamentarischen Kommission zuzustimmen. Vom Polenklub wurde der Antrag ergänzt : „ . . . zum Zwecke der Anbahnung einer parlamentarischen Majorität". Der Antrag wurde mit diesem Zusatz angenommen und die Klubs der Rechten für den 5. April einberufen. Dr. Engel, der sich nun nicht mehr gegen seine innerste Überzeugung für eine liberale deutsch-tschechische Majorität einsetzen mußte, dankte Herrn von Jaworski für den Beschluß des Polenklubs, Hand-in-Hand mit dem Tschechenklub zu gehen, sprach seine Genugtuung über diese Haltung aus und versicherte, daß auch der Klub der tschechischen Abgeordneten mit dem Polenklub in vollster Kongruenz handeln wolle. Ungefähr zur gleichen Zeit, als die Klubobmänner der Rechten mit diesen Versicherungen und Beteuerungen im Parlament auseinandergingen, trat die Regierung unter dem Vorsitz des Kaisers zur Klärung der Ministerkrise zusammen. Von seinem Monarchen aufgefordert, die Situation und die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten darzulegen, erklärte Badeni, der zuvor von Franz Joseph noch allein in Audienz empfangen worden war, die Lage hätte sich, seit er dem Kaiser die Meldung erstattet, daß sich das Gesamtkabinett veranlaßt sehe, seine Demission zu unterbreiten, noch wesentlich verschärft, da nun feststehe, daß die Voraussetzungen, von denen das Kabinett bei der Majoritätsbildung ausgehen wollte, nicht eintreten werden. Die Regierung habe eine Absage vom Verfassungstreuen Großgrundbesitz erhalten, obwohl dieser sich ursprünglich direkt und indirekt auf das entschiedenste dahin ausgesprochen, die Regierung möge nur mit der Sprachenverordnung vorgehen. Dieser Klub habe geradezu unter der Zusicherung seiner Unterstützung die Regierung zur Herausgabe der Sprachenverordnung animiert und noch in letzter Zeit bei verschiedenen seiner Vertrauensmänner, wie bei dem Grafen Josef Oswald Thun-Hohenstein,

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den Rat erhalten, keine Schwierigkeiten zu machen. Ja Oswald Thun habe geradezu darum gebeten. Der Ernst der Situation liege nun darin, daß die Regierung im Augenblick vor das Abgeordnetenhaus treten müßte, ohne eine feste Majorität an der Seite zu haben. Nach diesem Bericht Badenis forderte Kaiser Franz Joseph Graf Welsersheimb auf, sich offen über die Situation auszusprechen, doch überließ dieser, da er als Landesverteidigungsminister in der Politik nicht zu führen habe, den anderen Ministern den Vortritt. Gautsch schloß sich der Darstellung der Situation durch Badeni an. Er hielt den Tschechen gegenüber mit der Anerkennung nicht zurück, daß sie bei den Konferenzen im Abgeordnetenhaus über die Bildung einer autonomistisch-slawischen Majorität den Standpunkt eingenommen hatten, sie könnten an einer derartigen Majorität so lange nicht teilnehmen, als sie der Ministerpräsident dazu nicht ermächtigt habe. Die Erklärungen des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes jedoch hätten sich „auf der Linie eines immer mehr sich steigernden Rückzuges" bewegt, jedoch habe keine so bestimmt und entschieden ablehnend gelautet, wie die am Vormittag abgegebene, durch die nun die Bildung einer Majorität unter Beiziehung von Mitgliedern des gemäßigt liberalen Großgrundbesitzes endgültig gescheitert sei. Die Regierung habe sich jedoch bei ihren bisherigen Schritten von der als richtig anerkannten Voraussetzung leiten lassen, daß sie angesichts der Größe der von ihr zu lösenden staatlichen Aufgaben, der Vermehrung der Zahl der Abgeordneten und der mit ihr herbeigeführten Steigerung der Zahl der radikalen und turbulenten Elemente im Abgeordnetenhaus für die Führung der Geschäfte einer fixen Majorität bedürfe. Diese Majorität könnte mit Beziehung auf die Zusammensetzung des Kabinetts, die ja auch keine homogene sei, aus Parteien verschiedener Schattierungen bestehen. Andererseits müsse er konstatieren, daß eine Majorität, die zum größten Teil aus autonomistisch-konservativ-slawischen Gruppen bestehen werde, so gut wie bereits vorhanden sei. In dieser Richtung hätten unter den Parteien wesentliche Annäherungen stattgefunden und die nächsten Stunden schon dürften eine weitere Annäherung unter diesen Elementen herbeiführen, da nach der vormittäglichen Besprechung beim Ministerpräsidenten sich die einzelnen Klubobmänner ihrer Verpflichtung gegenüber der Regierung ledig betrachten dürften. Er müsse die Situation als eine sehr ernste bezeichnen, denn er sehe keinen Ausweg, es wäre denn, die Regierung trete ohne feste Majorität vor das Haus. Damit glaube er nichts zu gewinnen, denn er befürchte eine Reihe von Zwischenfällen und Niederlagen, die das Ansehen der Regierung wesentlich schwächen müßten, so daß diese nach einigen Wochen sich auf dem gleichen Standpunkt wie jetzt, also in der gleichen Zwangslage befinden würde. Dem Abgeordnetenhaus könnte nur eine Regierung imponieren, die über eine feste und verläßliche Majorität verfüge, auch wenn diese nicht groß sei. Auch Bilinski, der im Anschluß an Gautsch sprach, betonte, daß ohne eine verläßliche Majorität im Abgeordnetenhaus nichts erzielt werden könne, da es von einer zu großen Zahl radikaler Elemente, die vor keinem extremen Mittel, auch nicht vor systematischer Obstruktion zurückschreckten, durchsetzt sei. Allein schon der Ausgleich mit Ungarn umfasse so umfangreiche Gesetzesentwürfe, daß ohne eine feste Majorität keine Sicherheit für das formelle Zustandekommen des Ausgleiches gegeben sei. In diesem Zusammenhang sprach Bilinski ein folgenschweres Wort aus, indem er verlangte, die Majorität müsse so fest sein, daß sie eventuell die Attentate der Minorität durch eine Änderung der Geschäftsordnung zurückweisen könnte. Von diesem Gesichtspunkte aus wäre die Regierung bemüht gewesen, eine feste Majorität zu schaffen, in der

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nach einstimmigem Beschluß sowohl die Tschechen als Teile der liberalen Deutschen vertreten sein sollten. Er glaube, Badeni war bemüht, dem Kaiser gut zu dienen, indem er die Tschechen für die positive Arbeit im Parlament, für die Interessen des Staates zu gewinnen suchte, da sie eine Menge guter und nützlicher Eigenschaften für den Dienst des Staates besitzen, sie aber auch das Material für eine furchtbare Opposition in sich enthielten. Bilinski behauptete sogar, die Tschechen hätten sich bei den mit ihnen geführten Verhandlungen in ihren Ansprüchen „äußerst maßvoll und loyal" benommen. Eine Majorität mit Ausschluß der Tschechen zu bilden bezeichnete er als aussichtslos, da sie nach seiner Ansicht ebenso wie die Koalition unter Windischgrätz-Plener scheitern müßte. Sicherlich wäre es das Ideal, wenn sich zu den autonomistischen Elementen, die sich um die Tschechen gruppieren, noch liberale Deutsche beigesellen wollten, doch teile er keineswegs den Standpunkt, daß bei dem Ausschlüsse liberaler deutscher Elemente keine Deutschen in der Majorität wären, nachdem Baron Dipauli formell vollkommen im Rechte sei, wenn er erkläre, daß der von ihm geleitete Klub, der die Vertreter einer Anzahl deutscher, innerösterreichischer Kronländer umschließe, ein rein deutscher Klub sei, auch wenn durch ihn nur überwiegend Teile der bäuerlichen Bevölkerung vertreten werden und das Gros der gebildeten deutschen Bevölkerung auf seiten der Liberalen stünde. Bilinski sah, abgesehen von einer mit Ausschluß der Tschechen gebildeten Koalition, gegen die er sich entschieden aussprach, nur zwei mögliche Wege. Der eine bestand nach seiner Ansicht im Versuch, nochmals eine Vermittlung zwischen den Tschechen und den Deutschen in Böhmen herbeizuführen, doch glaubte er nicht, daß dieser Weg zum Ziele führen könnte, da die Tschechen sich einfach auf die ihnen gemachten Zusagen berufen und auf ihrem Scheine bestehen würden. Aber selbst wenn die tschechischen Abgeordneten neue Verhandlungen einleiten wollten, würden sie dadurch gegenüber der Stimmung ihrer Volkskreise so wesentlich an Autorität einbüßen, daß sie nicht mehr die Kraft besäßen, in eine Majorität einzutreten, sondern weit eher in die Opposition gehen müßten. Der zweite Weg wäre die Bildung einer Majorität mit slawisch-autonomistischem Charakter. Es sei bedauerlich, daß sich die liberalen Deutschen in eine solche Majorität nicht einfügen lassen wollten, allein angesichts der Notwendigkeit der Erledigung des Ausgleiches, an die sich sofort die Wehrvorlagen anschließen müßten, wäre es unmöglich, die ganze Aktion so lange zu vertagen, bis etwa neue Verhandlungen zwischen Tschechen und Deutschen ein anderes Resultat ergeben haben würden, woran er allerdings nicht zu glauben vermöge. Er könne dieses Suchen nach einer Majorität überdies nicht verstehen, denn eine fertige Majorität sei ja bereits gegeben, eine Majorität, der sich die Tschechen anschließen würden und die stark genug wäre, die künftige Regierung gegen alle Angriffe zu schützen, die Arbeitseinteilung im Hause zu regeln und für die Ausgleichs- und Wehrvorlagen einzutreten. Bilinski hat hier eine Umbildung der Regierung im slawisch-konservativen Sinne, die Angleichung der Regierung an die Majorität im Abgeordnetenhaus befürwortet. Einen völlig anderen Standpunkt nahm Graf Gleispach ein. Er spreche weder als Deutscher noch als Liberaler, denn seiner Nationalität nach sei er ein Österreicher, seiner Gesinnung nach Anhänger einer kräftigen Zentralregierung. Er schicke diese Bemerkung voraus, weil er nach seiner innersten Überzeugung für seine Person einer Regierung nicht angehören könne, die über eine slawisch-föderalistisch-klerikale Majorität verfügt, und zwar, weil das gänzliche Zurückdrängen des deutschen Elementes in Österreich die größten Ge-

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

fahren für den Staat selbst involviere. Die Deutschen seien, fuhr Gleispach fort, mit Ausnahme von Galizien und Dalmatien der einzige Kitt, welcher die ganze Monarchie bei ihren vielen, meist zentrifugalen Nationalitäten zusammenhalte. Die deutsche Sprache sei die Sprache der Kultur in Österreich, sei die Sprache der Wissenschaft, der Armee, und zwar die einzig taugliche für die Armee, und die Sprache des mächtigsten Bundesgenossen. Wenn das deutsche Element in seiner Gesamtheit in Opposition gehe, so würden die Grundlagen für die Existenz des kraftvollen Einheitsstaates in bedenklicher Weise durch die föderalistischen Tendenzen der ausschließlich slawischen Mehrheit, die dann an den Deutschen kein Gegengewicht habe, erschüttert. Einem solchen Ansturm könnte keine österreichische Regierung standhalten. Unter den gegebenen Auspizien sei eine Zustimmung der Deutschen zum Ausgleich vollkommen ausgeschlossen. Die im Dipauli-Klub vereinigten Elemente könnten als Repräsentanz des gebildeten Deutschtums nicht betrachtet werden. Der liberale Deutsche in Österreich sei ausnahmslos Zentralist, zwar vielleicht aus Egoismus, aber es sei gewiß wertvoll, wenn das persönliche Interesse mit jenem des Staates auf das innigste zusammenfalle. Jedenfalls aber müsse der liberale Deutsche als ein unentbehrliches Mitglied einer Regierungsmehrheit betrachtet werden. So könne auch er einem Ministerium, das sich auf eine slawisch-föderalistisch-klerikale Majorität stützt, nicht angehören. Auf Gleispachs Worte replizierte Graf Ledebur. Er wandte sich speziell gegen die Behauptung, daß die Deutschen den Kitt für die Monarchie bilden, denn den Kitt der Monarchie bilde vielmehr das dynastische Gefühl. Er begrüße den Beitritt des Barons Dipauli zur Majorität auf das freudigste, denn er glaube, daß der deutsche Volksstamm aus den Alpenländern in allen seinen Ständen in diesem Klub seine Vertretung finde. Auf die gegebene Situation, vor der die Regierung stand, ging Graf Ledebur allerdings nicht näher ein, ebensowenig Handelsminister Freiherr von Glanz, der lediglich betonte, daß die Bildung einer Majorität ohne die Tschechen nicht möglich sei. Die Eventualität einer slawisch-klerikalen Majorität sei zwar gegeben, sie könne den Ausgleich mit Ungarn schaffen, für die Dauer aber involviere sie große Gefahren für die Monarchie. Auch der galizische Landsmannminister Dr. Rittner vertrat die Ansicht, daß die Jungtschechen in der künftigen Majorität jedenfalls Aufnahme finden müßten, sollten die Geschäfte des Parlaments nicht ins Stocken geraten. Im übrigen nahm auch er gegen Graf Gleispach Stellung. Er könne sich der Anschauung nicht anschließen, daß unter allen Umständen die Bildung einer konservativen Majorität perhorresziert werden müsse. Die gegenwärtige Regierung könne eine derartige Majorität allerdings nicht bilden, allein es gehe nicht an, den Satz aufzustellen, daß eine solche konservative Majorität mit dem Bestände der Monarchie unvereinbar sei. Einer Stellungnahme zu den vom Kaiser aufgeworfenen Problemen entzog sich Eisenbahnminister F M L Ritter von Guttenberg, da er sich nur als Arbeitsminister betrachtete. Um so schärfer antwortete Graf Gleispach auf die gegen seine Anschauungen vorgebrachten Einwände. Er bemerkte, daß er sich ungenau ausgedrückt habe, denn auch er halte die Bildung einer Majorität ohne die Tschechen ebenso für ausgeschlossen wie Badeni oder Gautsch, da die Tschechen gekräftigt aus den Wahlen hervorgegangen, eine intelligente, in sich geeinigte Partei bilden und sich bei einer Majoritätsbildung nicht übergehen lassen. Allein, ein Element, welches an seine Erklärung, die Regierung unterstützen zu wollen, den Wunsch nach einem dem Landtage verantwortlichen Statthalter knüpft, welches überdies erklärt hatte, es betrachte die jetzt er-

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langten Konzessionen nur als eine Etappe zum Staatsrecht, welches von einer selbständigen Finanzverwaltung im Lande und der Leistung einer Quote für das Reich spricht, welches trotz aller Unterhandlungen mit der Regierung mit einer Rechtsverwahrung in den Reichsrat eintrat124) und sich für die Adreßdebatte bestimmte Erklärungen im staatsrechtlichen Sinne vorbehalten hat, ein solches Element bilde im Verein mit autonomen Konservativen, Polen, Ruthenen, Südslawen, ohne das Ferment des liberalen Deutschtums und statt dessen im Verbände mit der Dipauli-Gruppe, die sich ausdrücklich als dem Föderalismus zuneigend erklärt, eine Gefahr für die Verfassung und die Monarchie. Um den Eindruck, den Gleispach mit dem Hinweis auf die Rechtsverwahrung der Tschechen beim Kaiser gemacht hatte, zu verwischen, verwies Bilinski auf die Tatsache, daß auch in der Zeit von 1880 bis 1891 die Tschechen unter einer Rechtsverwahrung sich im Parlamente befunden hatten und daß die mit ihnen gebildete Majorität trotz des heftigsten Widerstandes der Deutschliberalen durch mehr als zehn Jahre eine Reihe der wichtigsten und für den Staat notwendigsten Reformen in glattester Weise erledigt habe. Bilinski verwahrte sich dagegen, daß eine Majorität, die so Großes geleistet, als für die Monarchie schädlich bezeichnet werde. Er fühlte sich nach seiner ganzen politischen Vergangenheit und als einstiger Mitarbeiter an jener Majorität persönlich verletzt und daher verpflichtet, deren Verdienste um den Kaiser und den Staat hervorzuheben. Nach einer kurzen Zwischenbemerkung von Gautsch, daß er mit Rücksicht auf die vom Kaiser gerichtete Aufforderung, ihre Anschauungen über die Lage darzulegen, vermieden habe, über die Frage der künftigen Entwicklung zu sprechen, zumal er seine Ansichten über die Majoritätsbildung und über seine persönliche Stellung in den Ministerratssitzungen der letzten Zeit niedergelegt habe, betonte Badeni, es unterliege keinem Zweifel, daß sein Kabinett für eine slawisch-klerikal-polnische Majorität nicht zur Verfügung stehe. Gleispach und Gautsch hätten sich immer in diesem Sinne geäußert. Eine Umbildung seines Kabinetts aber wollte Badeni, um nicht ganz in die Abhängigkeit der von ihm nicht gewünschten Majorität zu kommen, auch wiederum vermeiden, weshalb er feststellte, habe er das bestehende Kabinett weiterzuführen, dies nur unter dem Vorbehalte geschehen könne, daß an diesem nichts geändert werde und in der gleichen Zusammensetzung wie bisher verbleibe, allerdings es unternimmt, ohne geschlossene Majorität vor das Haus zu treten. Die Vorbedingungen dafür hätten zu sein, daß erstens die Sprachenverordnung hinausgegeben werde. Diesen einen festen Punkt müsse die Regierung haben, da sie mit diesem die Beruhigung besitzt, daß sie während der schweren Zeit, in der sich die künftige Majorität kristallisiert, wenigstens von dieser Seite keinen Angriff zu erfahren haben werde. Zweitens müsse er als Ministerpräsident daran festhalten, daß unter den von den Tschechen für den Eintritt in die Majorität gestellten Bedingungen sich neben einer Reihe minder wichtiger Wünsche für die Zukunft die Forderung nach einer Vertretung der Tschechen im Kabinett befinde, wenn 124

) Stenographisches Protokoll X I I . Session S. 14. Auch die Abgeordneten des konservativen böhmischen Großgrundbesitzes erklärten, daß sie „unter gleichem Vorbehalte und Rechtsverwahrung dieses Hohe Haus betreten, welcher unsere Vorgänger im Jahre 1879 bei ihrem Eintritte in den Reichsrat Ausdruck gegeben haben." Die sozialdemokratischen Abgeordneten tschechischer Nation protestierten sofort gegen diese Erklärung, sie protestierten „gegen die Ausgrabung vergilbter historischer Privilegien und Dokumente" und dagegen, daß man das Volk auf phantastische staatsrechtliche Irrwege locken und „durch Vorspiegelung nationaler und wirtschaftlicher Vorteile blenden will".

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auch ohne fachliches Ressort. Nachdem es sich bei den bisherigen Verhandlungen um einen Ausgleich zwischen Deutschen und Tschechen gehandelt habe, so wäre, wie er dies schon oft hervorgehoben habe, wenn es auch bisher noch nicht protokollarisch niedergelegt worden sei, ebenso die Berufung eines Deutschen in der gleichen Stellung in das Kabinett in Aussicht genommen worden. Dadurch wäre keine Verschiebung im Stimmenverhältnis im Kabinett eingetreten. Nunmehr handle es sich um die eine Schwierigkeit, ob nämlich die Tschechen zu bestimmen sein werden, mit der Berufung einer ihrer Persönlichkeiten in das Kabinett so lange zu warten, bis sich die Deutschliberalen aus Böhmen gleichfalls für den Eintritt in das Kabinett entschlossen hätten, was jedoch nicht früher zu erwarten sei, „als bis der durch die Erlassung der Sprachenverordnung hervorgerufene Sturm" vorübergegangen wäre. Die Tschechen müßten sich also in diesem Falle gedulden. Badeni war überzeugt, daß die gleichzeitige Berufung der zwei geplanten Minister durch den Kaiser nach allen Seiten eine gewisse Beruhigung auslösen würde. Wesentlich für das Ergebnis und den Ausgang des Ministerrates ist Badenis anschließende Erklärung, er wäre, wenn der Kaiser zu befehlen geruhte, für seine Person bereit, den Versuch zu wagen, ohne feste Majorität vor das Haus zu treten, unter der Bedingung jedoch, daß das Kabinett in seiner Gänze im Amte verbleibe. Damit wäre bekundet, daß sich die Regierung weder nach rechts noch nach links abdrängen lasse und nach unterbreiteter Demission über kaiserlichen Befehl sich zu diesem gewagten Schritte entschlossen habe. Nun glaubte Graf Welsersheimb den Augenblick für gekommen, seine Anschauungen vor dem Kaiser darzulegen. Er habe keine Veranlassung, an den im Ministerrat vom 20. Februar entwickelten Ansichten irgend etwas zu ändern. Die von ihm in jenem Zeitpunkt ausgesprochenen Besorgnisse seien eingetroffen, und er sei durch die letzten Phasen der Entwicklung nicht überrascht worden. Eine Erörterung darüber, was vor längerer Zeit hätte geschehen können, wäre nutzlos, weshalb er die Situation in ihrer gegenwärtigen Gestaltung allein ins Auge fasse. Es gehe um die Wahl zwischen einer national-klerikal-föderalistischen Majorität und der Erwägung, ob momentan eine feste Majoritätsbildung mit anderen Elementen auf Grund einer deutsch-tschechischen Verständigung oder aber mit Ausschluß der Tschechen möglich wäre. In dieser Beziehung gebe er sich keiner Illusion hin. Was jedoch die erste Eventualität anbelange, so könne er sich den bereits geäußerten Bedenken nicht verschließen, speziell im Hinblick auf die von einer Regierung einst mit derartigen Ideen versuchte Aktion und binnen kurzer Frist hiermit gemachten wenig glücklichen Erfahrungen. Wenn darauf hingewiesen wurde, daß eine ähnliche Majorität, wie die jetzt in Betracht gezogene, dem Staate durch lange Zeit gute Dienste geleistet habe, so könne er, der dem Kabinett Taaffe fast durch diese ganze Zeit angehörte, dies nur bestätigen, allein, er müsse betonen, daß dieses Kabinett das größte Gewicht darauf gelegt habe, wesentlich eine Regierung des Kaisers zu sein und ausdrücklich erklärte, über den Parteien zu stehen. Diese ganze Regierungsperiode wäre ein Kampf zugunsten der Autorität der Krone und der Staatsgewalt nicht nur gegen die Opposition gewesen, sondern auch gegen die vielseitigen, weitgehenden, seither nur gewachsenen Aspirationen der Majoritätsparteien. Solcher extremer Aspiration könne allein eine kräftige, zielbewußte Regierung über den Parteien Herr werden, und nur einer derartigen Regierung des Kaisers könnte er als Minister für Landesverteidigung angehören, nur eine solche könnte die größeren Staatsaufgaben gedeihlich lösen. Wenn der Kaiser eine solche Re-

Der Ministerrat vom 4. April : Stellungnahme des Kaisers

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gierung wolle, dann zweifle er nicht, daß alle dieser angehörenden Mitglieder unter dem kaiserlichen Willen ausharren und sich über die Bedenken, die aus momentanen Parteikonstellationen entstehen könnten, hinwegsetzen werden. Die Regierung werde die Majorität dort zu nehmen haben, wo sie zu finden sei, und, gestützt auf die vom Throne ausgehende Macht, mit Gottes Hilfe weiterarbeiten. Die Regierung müßte, der Unterstützung des Kaisers versichert, eventuell so weit gehen, als dies erforderlich würde, denn eine fortgesetzte Krise wäre nicht im Interesse der Krone. Angesichts des wohl erbrachten Beweises, daß eine andere politische Kombination untunlich wäre, und nachdem Badeni sich bereiterklärt habe, das Wagnis zu unternehmen, würden gewiß die Mitglieder des Kabinetts sich dem allerhöchsten Dienste, selbst unter den bestehenden Stürmen und Gefahren, nicht entziehen. Welsersheimb gab sich der Täuschung hin, ein entsprechend festes Vorgehen würde schwankende Elemente, also den Verfassungstreuen Großgrundbesitz, schlüssig machen, weshalb er mit dem Wunsche schloß, daß der Kaiser eine kräftige Regierung nach seinem Willen zur Verfügung haben möge. Nun erst sprach Kaiser Franz Joseph selbst seine Ansichten aus, einleitend die von den Ministern dargelegten Ansichten kurz zusammenfassend und hervorhebend, daß er nach vielfachen Schwierigkeiten ein starkes Ministerium haben wolle, das mit Entschiedenheit und Objektivität auftritt. Er anerkannte, daß das bisherige Vorgehen des Kabinetts seinen Wünschen entsprochen habe, und er betonte, daß das Ministerium kein parlamentarisches sei, nachdem ein derartiges Kabinett in dieser Reichshälfte überhaupt unmöglich sei. Der Wunsch des Ministeriums, sich auf eine feste Majorität zu stützen, sei wohl begreiflich, nachdem im Reichsrat sehr schwierige Fragen, wie der Ausgleich mit Ungarn und die Wehrvorlage, zur Lösung gebracht werden sollen. Zu diesem Zwecke habe die Regierung verschiedene Einleitungen getroffen und die böhmische Frage, die immer zu den brennendsten und schwierigsten zähle, in Angriff genommen, indem im fortgesetzten Einvernehmen mit den Tschechen die Sprachenverordnung durchberaten und festgestellt wurde. Diese Sprachenverordnung bilde nun die Ursache, daß der konservativere Teil der liberalen Deutschen an der Majoritätsbildung nicht teilnehmen wolle. Er sehe es als zweckdienlich an, einen Teil dieser Deutschen in der Majorität zu haben, doch müsse er betonen, daß er die in der Partei Dipauli vertretenen Deutschen als ebenso gute Deutsche angesehen wissen möchte. Es sei dies schon mit Beziehung auf die auswärtigen Verhältnisse bis zu einem gewissen Grade jedenfalls erwünscht. Er würde überhaupt Wert darauf legen, daß diese Elemente nicht zurückgestoßen werden. Der deutsche Großgrundbesitz in Böhmen habe im Laufe der von der Regierung geführten Verhandlungen den Moment zu einer billigen Verständigung mit den Tschechen gelangen zu können, verabsäumt. Von den Ministern seien sehr viele und mitunter sehr wichtige Ansichten und Grundsätze entwickelt worden, allein mit Ausnahme der von Badeni und Welsersheimb gemachten Vorschläge vermisse er eine bestimmte Angabe über die Richtung, die eingeschlagen werden solle, speziell von jener Seite, die eine ablehnende Haltung gegenüber dem deutschliberalen Elemente perhorresziere, während Bilinski eine ganz bestimmte Alternative aufgestellt habe. Die Bildung eines Ministeriums, das den Deutschen mehr entgegenkomme, erachtete Kaiser Franz Joseph jedoch für unmöglich und hielt es für absolut notwendig, daß die jetzige Regierung bleibe und mit voller Entschiedenheit vorwärts gehe. Weiters erklärte er, er könne nicht zugeben, daß diese Regierung im jetzigen Augenblick, 15

Sutter, Sprachenverordnungen I.

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V. Badems Versuch mit untauglichen Mitteln

nachdem ihr plötzlich und unvermittelt Schwierigkeiten bereitet würden, vom Schauplatz zurücktreten sollte. Hierdurch würde auch die Krone tangiert, nachdem es bekannt sei, daß diese Regierung die Regierung des Kaisers ist. Die Regierung müsse auf die Bildung einer festen Majorität verzichten, müsse vorwärts gehen, die Sprachenverordnung hinausgeben und die Frage der Verstärkung des Ministeriums auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, wobei dies überhaupt sehr zu überlegen sein werde. Wenn die zur Zeit noch schwankenden Elemente, wie der Großgrundbesitz, sehen werden, daß die Regierung Courage besitzt, so werden sich diese schon der Regierung anschließen, da kaum anzunehmen sei, daß diese Elemente in eine entschiedene Opposition eintreten könnten. Dafür wäre ja außer der Sprachenverordnung kein Anlaß gegeben. So forderte der Kaiser die Minister auf, entsprechend seinen Wünschen fest zusammenzuhalten, in der bisherigen Weise entschieden vorzugehen und die Absichten der Bildung einer festen Majorität der Entwicklung der Ereignisse zu überlassen. Die nächste dringende Aufgabe sei der Ausgleich. Darum sei es kein Zeitpunkt, mit Veränderungen im Kabinett vorzugehen. Die Vorlagen seien mit großer Mühe geschaffen worden, und diese Arbeit von neuem einem Kabinett, das schwer zu finden wäre, zu überlassen, wäre nahezu unmöglich. Auf eine Zwischenbemerkung Badenis hin, er habe sich dem Kaiser unter dem Vorbehalt zur Verfügung gestellt, daß das Kabinett in seiner bisherigen Zusammensetzung verbleibe, da eine partielle Ministerkrise unmöglich sei, bezeichnete der Kaiser gleichfalls eine partielle Ministerkrise als ausgeschlossen und betonte, daß die Minister, welche eventuell ausscheiden wollten, ihren Austritt gar nicht zu motivieren vermöchten. „Diese Minister haben die Sprachenverordnung mit den Tschechen vereinbart, ihr zugestimmt und würden doch nicht deshalb ausscheiden wollen, weil es einem Teile der Deutschliberalen einfällt, plötzlich Opposition zu machen?" Auf diesen scharfen Angriff antwortete Gautsch, daß in der Auffassung ihrer Pflichten gegenüber dem Kaiser alle Mitglieder des Kabinetts einig sein werden. Er möchte jedoch hervorheben, daß er von allem Anfang an der Sprachenverordnung gegenüber den vom Ministerrat in seiner Gesamtheit eingenommenen Standpunkt festgehalten habe, daß die Sprachenverordnung nur unter der Voraussetzung zu erlassen wäre, wenn die allerdings an diesem heutigen Tag gescheiterte Majorität zustande komme. Es habe sich darum gehandelt, speziell zur Anbahnung besserer Verhältnisse in Böhmen den Deutschen gegenüber billige Rücksicht zu üben. Was die gegenwärtig durch die Erklärung Badenis und die Äußerungen des Kaisers geschaffene Situation betrifft, so schließe diese Voraussetzung in sich, daß im Kabinett keine Veränderung eintritt, das Ministerium von seinem Programm nicht abgeht und daß die Tatsache der geänderten Situation nach außen hin vollständig klargestellt werden müßte. Es handle sich nicht bloß darum, daß sich das Ministerium dem Kaiser vollkommen zur Verfügung stelle, sondern, und hier sprach Gautsch ein sehr wesentliches Wort aus, daß es ihm gelingen werde, in der neuen Situation ersprießliche Dienste leisten zu können. Wenn das Ministerium unter diesen Verhältnissen eine Stellung haben soll, so müsse man in den parlamentarischen Kreisen wie in der Öffentlichkeit die Situation der Regierung richtig verstehen. Gautsch betonte, er wolle keinen entsprechenden Antrag stellen, doch auf die Tatsache verweisen, daß nach der in der Öffentlichkeit herrschenden Meinung das Ministerium seine Demission angeboten habe, weil ihm die Bildung einer Majorität nicht gelungen sei. Wenn nun dieselbe Regierung mit der Sprachenverordnung vorgehe, ohne daß die

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Öffentlichkeit über ihr Verbleiben im Amte und die Gründe für dieses Verbleiben aufgeklärt worden sei, so würde dies einen derartigen Sturm gegen das Kabinett entfesseln, daß er gar nicht wisse, wie ihn das Kabinett aushalten sollte. Zwar von einer Auf klärung der öffentlichen Meinung verspreche er sich keine besondere Wirkung. Auch Bilinski bezeichnete im Anschluß an Gautsch es als selbstverständlich, daß jeder dem Befehle des Kaisers nachkommen werde. Bilinski präzisierte weiters die Situation dahin, daß, nachdem über kaiserlichen Wunsch die Regierung im Amte bleiben soll, sie einerseits einen Teil der Linken für die Majorität nicht gewinnen kann, andererseits jedoch eine Reihe dringender Aufgaben im Hause durchzuführen berufen ist, die Regierung mit einer konservativ-slawischen Majorität weitergehen wird, allerdings mit dem Hintergedanken, daß, wenn die Verhältnisse sich gebessert haben werden, neue Elemente für die Majorität gewonnen werden. Bilinski glaubte in diesem Ministerrat noch, daß die Vertreter des deutschliberalen Großgrundbesitzes, obschon sie sich freie Hand behalten haben, die Regierung in der Lösung der großen Arbeiten fördern werden. Kaiser Franz Joseph antwortete darauf, daß man niemandem verbieten könne, für die Regierung zu stimmen. Eine derartige Haltung des deutschen Großgrundbesitzes, wie sie der Finanzminister angedeutet habe, würde für die Erledigung der Ausgleichsvorlagen vorläufig genügen. Er könne nicht glauben, daß die Liberale Partei gegen die Ausgleichsvorlagen stimmen werde. Es sei undenkbar, daß der Großgrundbesitz fortgesetzte Opposition machen sollte, da von einem Teil bekannt sei, daß er nicht einmal gegen die Sprachenverordnung Einwendung erhebt. Badeni bemerkte dazu, der Großgrundbesitz würde nur in Opposition treten, wenn er die Gewißheit erlangt, daß eine feste Majorität gegen ihn gebildet werden soll. Wenn die Regierung diesem jedoch die Sorge in dieser Hinsicht nimmt und ohne feste Majorität vor das Haut tritt, dann glaube er, könne das Unternehmen gewagt werden. Kaiser Franz Joseph aber wollte nicht entscheiden, ohne alle Möglichkeiten erörtert zu haben. Er anerkannte, daß die Minister sich loyal über die Situation ausgesprochen hatten, allein er vermißte noch eine Andeutung, was geschehen sollte, wenn die Regierung nicht im Amte bleibe. Der Finanzminister habe eine Anregung gegeben, nach welcher wohl eine Majorität, aber nicht das jetzige Ministerium möglich bleibe, was er sehr bedauern müßte. So stellte der Kaiser die Frage, was nach Ansicht jener Minister, die mehr nach der Seite der Liberalen hinneigen, weiterhin zu geschehen hätte, ob etwa der Reichsrat aufgelöst werden sollte. Gautsch antwortete, er halte die Auflösung des Reichsrates für vollkommen ausgeschlossen, weil Neuwahlen noch viel schlechter ausfallen würden. Bei streng objektiver Betrachtung der Lage sehe er zwei Möglichkeiten. Die eine wäre, daß die vorhandene Majorität benützt werde, um diese durch ein Kabinett leiten zu lassen, das dieser Majorität selbst nicht entnommen, doch aus Männern zusammengesetzt wäre, die den verschiedenen Schattierungen dieser Majorität nahestünden. Die zweite Möglichkeit sehe er in der Berufung einer Regierung gegeben, welche die Verhandlungen zwischen Deutschen und Tschechen wieder aufnimmt, allerdings auf einer anderen, breiteren Basis und unter Aufrechterhaltung der den Tschechen bereits gemachten Zugeständnisse, ein Weg, von dem Gautsch überzeugt war, daß er nicht zum Ziele führen würde, weshalb er auf den anderen Ausweg als den erfolgverheißenderen hinwies. Kaiser Franz Joseph stimmte der Anschauung des Unterrichtsministers von der Resultatlosigkeit des zweiten Weges zu, doch riet Bilinski dem Kaiser von der Berufung eines parlamentarischen Ministeriums nachdrücklichst ab und 15*

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betonte gleichzeitig, um den Kaiser von diesem Gedankengang wieder abzubringen, daß nach seiner Ansicht wohl der jetzige Ministerpräsident berufen wäre, diese Majorität zu führen. Der Kaiser bemerkte darauf, daß Graf Badeni für eine solche Kombination leider nicht zu haben sei. Es sei richtig, daß die großen und wichtigen Fragen, die ihre Lösung im Parlament finden sollen, eine feste Majorität als wünschenswert erscheinen lassen, allein man müsse sich fragen, wie man unter den gegenwärtigen Verhältnissen im österreichischen Reichsrat eine solche Majorität überhaupt schaffen könnte. Und nun sprach der Kaiser ein sehr wesentliches Wort aus: Vielleicht habe das Ministerium darin gefehlt, daß es den Versuch einer Majoritätsbildung überhaupt unternahm. Die von Gautsch gegebene Anregung einer Klarstellung der Situation nach außen hin erklärte der Kaiser für richtig und stellte die Frage, ob dies durch eine Emanation der Krone oder im Hause erfolgen solle, worauf Badeni sich gegen eine Kundgebung im Hause aussprach. Hier aber meldete sich Gleispach, der im zweiten Teil der Ministerratssitzung bei der Beratung des weiteren Weges vor allem im Vergleich zu Gautsch sich auffallend schweigend verhalten hatte, zu Wort, um festzustellen, daß zwischen dem vom Kaiser ausgesprochenen Wunsche, das Kabinett möge im Amte verbleiben, und den Ausführungen des Finanzministers ein wesentlicher Unterschied obwalte. Der Finanzminister habe nach wie vor die Bildung einer festen slawisch-föderalistischen Majorität im Auge, während der Befehl des Kaisers die Fortführung der Geschäfte durch die jetzige Regierung bezwecke, wobei diese sich auf die für sie eintretenden Elemente stützen solle. Kaiser Franz Joseph erklärte die Auslegung seines Wunsches durch den Justizminister als richtig und gab erneut, wie es im Protokoll dieser denkwürdigen Sitzung ausdrücklich heißt, der Hoffnung Raum, daß die gemäßigten Elemente der Liberalen Partei sich der Regierung anschließen werden. Gautsch aber kam mit bewunderungswürdiger Beharrlichkeit noch einmal auf die Anregung der Klarstellung der Situation nach außen hin zurück und schlug vor, der Kaiser möge die Gnade haben, ein an den Ministerpräsidenten gerichtetes, für die Veröffentlichung bestimmtes allerhöchstes Handschreiben zu erlassen, in welchem die Demission abzulehnen und die Bemerkung beizufügen wäre, daß das Ministerium wie bisher auf der Grundlage seines Programms und der kaiserlichen Thronrede im Amte zu verbleiben hat. Badeni fügte nur noch die Bitte hinzu, dieses kaiserliche Handschreiben am 6. April, dem Tage des Wiederzusammentrittes des Reichsrates, der Öffentlichkeit übergeben zu dürfen. Dann schloß Kaiser Franz Joseph diesen für die Geschichte Österreichs so bedeutungsvollen Ministerrat. Noch am gl eichen Tage richtete Franz Joseph an Badeni folgendes kaiserliches Handschreiben : Lieber Graf B a d e n i ! Im Namen des Gesamtministeriums haben Sie mir unter Darlegung der Umstände, welche sich der Herstellung fester parlamentarischer Verhältnisse zur Zeit entgegenstellen, die Demission des Kabinettes angeboten. Ich nehme die Demission nicht an, da ich Gewicht darauf lege, daß eine von mir gewählte Regierung, unbeirrt durch zeitweilige Parteischwieiigkeiten, ihre Tätigkeit ausschließlich durch das allgemeine staatliche Interesse bestimmen lasse. Indem ich Sie und die Mitglieder Ihres Kabinettes der Fortdauer meines vollsten Vertrauens versichere, erwarte ich, daß das Ministerium auch künftig mit patriotischer Hingebung und nachdrucksvoller Festigkeit die Geschäfte führen und unentwegt an jenen Grundsätzen festhalten wird, welche in der bei seinem Amtsantritte abgegebenen programmatischen Erklärung und in der Thronrede vom 29. v. M. enthalten sind. Wien, 4. Mai 1897. Franz Joseph m. p. Badeni m. p.

Ablehnung der Demission

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„Niemand wird so einfältig sein, zu glauben, daß die Krise klar und nett gelöst wurde; sie ist nur schleppend geworden, wie eine langsamer verlaufende, aber unheilbare Krankheit." Nicht treffender als mit diesen von der „Neuen Freien Presse" gebrauchten Worten könnte die Situation charakterisiert werden. Es war eine „Vertagung" der Krise, keine Lösung. Seit Paul Molisch125) wird in der Literatur gegen den Kaiser der Vorwurf erhoben, er sei zu optimistisch gewesen, und die von Bilinski gehegte Zuversicht habe bei ihm den Ausschlag gegeben, das Rücktrittsgesuch abzulehnen. Gewiß war dieser Optimismus mitbestimmend und ebenso der Eintritt der Katholischen Volkspartei in die Majorität, was schon Richard Charmatz richtig erkannte126), von Molisch jedoch zu Unrecht mit der Begründung bestritten wurde, dieser Umstand sei bei der Beratung im Ministerrat nicht zum Ausdruck gekommen. Beide Faktoren, die gehegte Zuversicht und das Aufscheinen eines deutschen Elementes durch die Dipauli-Gruppe in der Majorität, haben dem Kaiser den Entschluß erleichtert. Auch hier bei der Ministerkrise vom April 1897 bewahrheitet es sich, daß Franz Joseph im Grunde „niemals ein Mann der starken Initiative" war. In ihm lag immer „verborgen unter der Hülle der unnahbaren, entschlußfesten Majestät eine Scheu vor letzten Entschlüssen, ein Hang zum vorsichtigen Hinausschieben, bis die Ehre und die äußerste Staatsräson" ihn zur Tat zwangen, ein Ausweichen nicht mehr möglich machten127). Letztlich maßgebend jedoch war für die Nichtannahme der Demission Badenis ein gewichtiger Faktor, der bisher in der Literatur übersehen wurde, doch damals klar genug zum Ausdruck kam. Kaiser Franz Joseph dachte gar nicht daran, Badeni leichtfertig einer, wie er glaubte, momentanen Schwierigkeit zuliebe fallenzulassen. Badeni hatte sich bisher bewährt und er hatte, was am schwersten wog, die Ausgleichsverhandlungen mit Ungarn geführt und, abgesehen von der Quotenfrage, bei der den beiden Deputationen bis zu den im Gesetze dafür vorgesehenen Möglichkeiten der Vortritt überlassen werden sollte, abgeschlossen. Der ungarische Ausgleich konnte nicht leicht von einem anderen Ministerium vor dem Parlament vertreten werden als von demjenigen, das ihn unterhandelt und abgeschlossen hatte. Es hätte sich auch nur unter den größten Schwierigkeiten ein Staatsmann finden lassen, der diese Erbschaft zu übernehmen bereit war, selbst wenn er vom Vertrauen der Krone und dem der parlamentarischen Majorität getragen worden wäre. Darum war es notwendig, daß das Ministerium Badeni im Amte verblieb. Ein Wechsel in der Person des Ministerpräsidenten hätte eine Kette von Schwierigkeiten gegenüber der anderen Reichshälfte bedeutet. Die Budapester Zeitungen meldeten bei Ausbruch der Wiener Ministerkrise ja auch sofort die ungarischen Ansprüche an, und der Pester Lloyd schrieb, der „leider nicht allzu gesunde Körper, der sich Österreich nennt", könne eine „reaktionäre Revoltierung seines Organismus" nicht ertragen, und auch die Machtstellung Österreich-Ungarns, die nicht auf der mechanischen Fertigstellung des wirtschaftlichen Ausgleiches, sondern von der lebendigen Fortentwicklung des Gefühls und des Bewußtseins der Gemeinsamkeit zwischen den beiden Staaten der Monarchie beruhe, dürfe der verhängnisvollen Probe nicht unterworfen werden, ob sie auch dann noch intakt bleiben könne, wenn man jenes Bewußtsein der Gemeinsamkeit zerstöre. „Es wird nicht Ungarn und nicht die Liberale Partei dafür verantwortlich zu machen sein, wenn sich immer hartnäckiger die Erwägung geltend machen sollte, ob die la5

) P. Μ o 1 i s c h, Sprachenverordnungen S. 15. ) R. C h a r m a t z , Österreichs innere Geschichte II, S. 107. 127 ) Η. v. S r b i k, Franz Joseph I., HZ 144, S. 515.

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

Opfer, welche Ungarn ununterbrochen der Großmachtstellung der Monarchie bringt, gerechtfertigt seien, wenn drüben mit unsagbarer Verblendung an der Kompromittierung der Garantien gearbeitet wird, an welche diese Position geknüpft ist." Aber nicht nur Kaiser Franz Joseph, auch die Minister Gautsch und Gleispach werden wegen der unglücklichen Scheinlösung der Ministerkrise von Paul Molisch mit Tadel bedacht, da sie nicht mit Nachdruck und Festigkeit ihr Rücktrittsgesuch vertreten und ihr weiteres Verbleiben im Amte als unmöglich erklärt und lediglich eine Entscheidung des Kaisers darüber eingeholt hätten, ob er auch unter anderen Verhältnissen den Fortbestand der bisherigen Regierung wünsche128). So leicht haben es sich Gleispach und Gautsch nicht gemacht, und Molisch übersieht eines: die Autorität des Kaisers, der ganz allgemein auf Grund seiner Charakterveranlagung und seines Majestätsbewußtseins „von den Staatsdienern Selbstverleugnung vor der Staatsräson und dem dynastischen Prestige" verlangte129). Das sprach Franz Joseph ja auch hier ganz deutlich aus, als er den Ministern vorhielt, daß bekannt sei, die Regierung sei die Regierung des Kaisers, und daß deshalb die Krone tangiert würde, wenn diese Regierung wegen plötzlicher Schwierigkeiten vom Schauplatz zurücktreten wollte. Das ihn nicht minder leitende Prinzip der Heiligkeit des gegebenen Wortes wiederum war es, das ihn veranlaßte, die Minister daran zu erinnern, daß sie ja die Verordnungen mit den Tschechen abgehandelt und vereinbart hätten. Die Verteidigung von Gautsch, daß dies stets unter Vorbehalt geschehen sei, verhallte beim Kaiser. Wir haben die gleiche Einstellung des Monarchen beim „Fall Cilli" gesehen. Er war durchaus mit dem den Slowenen gegebenen Versprechen nicht einverstanden. Da aber die Zusage gegeben worden war, verlangte er deren sofortige Einlösung. Am 5. April 1897 erschien die Badenische Sprachenverordnung für Böhmen. Dieses Datum ist für die österreichische Geschichte wichtig, „denn mit diesem Tag tritt der Nationalitätenkampf in die Periode einer für das Gesamtreich und für die Existenz Österreichs verhängnisvollen Entwicklung, die alle anderen Interessen in den Hintergrund drängt"130). Die Verordnung trat mit dem Tage der Kundmachung in Kraft. Mit folgerichtiger Konsequenz vollzog sich am gleichen und am folgenden Tag die Bildung der Rechten. Die Parteiführer hatten entschieden, die Zusage der einzelnen Klubs war zwar notwendig, aber lediglich eine Formsache, die ohne Schwierigkeiten erledigt wurde. Noch am 5. April konnte Jaworski die Regierung und die koalierten Klubs verständigen, „der Polenklub erachte es für notwendig, daß im Abgeordnetenhaus eine konstante Majorität gebildet werde. Zu diesem Zwecke vereinigt sich der Polenklub mit den Jungtschechen, mit dem slawischen christlichnationalen Verbände, dem Verbände des konservativen böhmischen Großgrundbesitzes, mit dem Zentrum, der Katholischen Volkspartei und dem Rumänenklub. Diese vereinigten Klubs setzen zum Zwecke eines einheitlichen Vorgehens im Abgeordnetenhaus eine gemeinsame provisorische parlamentarische Kommission ein." Pro foro interno beschloß der Polenklub, „es wäre angezeigt, daß den obgenannten Parteien auch der Verfassungstreue Großgrundbesitz beigezogen 128

) P. M o l i s e h, Sprachenverordnungen S. 15. "») Η. v. S r b i k, Franz Joseph I., HZ 144, S. 520. 13 °) H. H a η t s c h, Geschichte Österreichs II, S. 469.

Erlassung der Sprachenverordnung für Böhmen — Der neue „Eiserne Ring"

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werde"131). Weiters wurde an die Katholische Volkspartei die Aufforderung gerichtet, keine engere Verbindung mit den Christlichsozialen einzugehen132). Die Bildung der Rechten als Majorität machte sich bei der unter Vorsitz des Alterspräsidenten des Abgeordnetenhauses in Anwesenheit des Ministerpräsidenten Graf Badeni stattfindenden Konferenz aller Parteien am Mittag des 5. April sogleich bemerkbar. Die Forderung nach Vermehrung des Präsidiums wurde vom Vertreter des Polenklubs kühl abgelehnt, ebenso der von Dr. Otto Steinwender namens der Deutschen Volkspartei gestellte Antrag, zum Präsidenten Graf Attems, zum Vizepräsidenten einen Tschechen und zum zweiten Vizepräsidenten Dr. Pattai zu wählen. Die Rechte hielt an der Liste Kathrein, Abrahamowicz und ein Vertreter der Tschechen fest, und als der Alterspräsident eine Abstimmung über die Wahlvorschläge durchführen wollte, verhinderte dies Dr. Engel, so daß nur eine „Umfrage" an die einzelnen Vertreter der Parteien gerichtet wurde, die keinesfalls überzeugend für die Liste Kathrein ausging. Bei den anschließenden Verteilungen der zwölf Schriftführerstellen fielen schließlich je zwei den Tschechen und Polen, je eine den Christlichsozialen, der Katholischen Volkspartei, dem Südslawischen Klub und dem Konservativen Großgrundbesitz, drei den übrigen Deutschen und eine den kleinen Parteien, die unter sich den Sozialdemokraten Dr. med. Roman Jarosiewicz aus Galizien auslosten, zu. Zwar wurde vorgeschlagen, der Wiener Hof- und Gerichtsadvokat Dr. Viktor von Fuchs (Katholische Volkspartei) und der Universitätsprofessor Dr. Gustav Gross (Deutsche Fortschrittspartei) sollten als Ordner in ihrer Funktion verbleiben, allein die Tschechen setzten ohne Rücksicht auf die Linke an Stelle von Gross den ihrem Klub angehörenden Dr. Ignaz Lang durch. Am Abend versammelten sich die Delegierten der koalierten Klubs zuzüglich des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes beim Alterspräsidenten, um den Modus procedendi der Plenarsitzung vom 6. April festzusetzen. Gleich zu Beginn der Sitzung stellte Baernreither die Anfrage, zu welchem Zweck diese einberufen sei, denn er und seine Parteigenossen hätten gehört, daß schon ein gemeinsames Exekutivkomitee gewählt worden sei, weshalb er Auskunft darüber wünsche, ob diese Nachricht auf Wahrheit beruhe, welche Parteien in diesem Komitee vertreten seien und zu welchem Zweck. Jaworski antwortete, daß weder ein provisorisches noch definitives Komitee bestehe und die Sitzung lediglich zur Beratung der Formalitäten der Plenarsitzung einberufen worden sei. Diese Mitteilung Jaworskis stimmte insofern mit den Tatsachen überein, als sich erst am 7. April die parlamentarische Kommission der Klubs der neugebildeten m

) Es geschah dies im Bewußtsein der zahlenmäßigen Schwäche der Majorität und aus Furcht vor den radikalen Fraktionen der Rechten, die anläßlich der Debatte um die Freilassung des Abgeordneten Thomas Szajer mit solchem Nachdruck ihre Stimme gegen den Polenklub erhoben hatten. U m den Verfassungstreuen Großgrundbesitz auf seine Seite zu ziehen, setzte der Polenklub bei der Feststellung des sogenannten Schlüssels für die Ausschußwahlen durch, daß dem Verfassungstreuen Großgrundbesitz einige Mandate für die Ausschüsse reserviert wurden, damit dieser nicht gezwungen wäre, mit den übrigen Gruppen auf der Linken in Wettbewerb um die Ausschußmandate zu treten. Allein der Verfassungstreue Großgrundbesitz lehnte ab, u m nicht durch Annahme eines solchen Gnadenbeweises als eine Art Anhang der Rechten zu erscheinen. 132 ) Infolge der ursprünglichen Haltung Badems in der Wiener Bürgermeisterfrage waren ja Ebenhoch und Dipauli mit 17 katholischkonservativen Abgeordneten im November 1895 aus dem der Regierungspartei angehörenden Hohenwart-Klub ausgetreten und hatten die „Katholische Volkspartei" gegründet, die an die Christlichsozialen damals eine freundnachbarliche Anlehnung suchte. R. K u p p e , Dr. Karl Lueger S. 87.

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

Majorität konstituierte und ihre Geschäftsordnung festlegte, nach der die Klubobmänner respektive deren Stellvertreter in die Kommission einzutreten hatten, deren Vorsitz alternativ geführt, deren Einberufung durch den Senior Ritter von Jaworski auf Verlangen eines der Klubs erfolgen sollte. Dieser Beschluß der Klubs der Rechten zeigte in aller Deutlichkeit, daß bei der Beilegung der Ministerkrise Badeni wiederum von völlig falschen Voraussetzungen ausgegangen war. Das offiziöse Fremdenblatt erklärte in Übereinstimmung mit dem Ministerrat vom 4. April, es werde nunmehr Sache der Regierung sein, ohne organisierte Majorität ihr Programm zu verwirklichen, von der Überzeugung erfüllt, daß sie dabei stets auf die Mehrheit zählen könne, die von jeder Parteitendenz frei, das Parlament in Einklang mit den großen Staatsaufgaben bringen wolle. Die rasche und dem parlamentarischen Frieden am meisten entsprechende Lösung der Krise, die den Repräsentanten eines maßvollen Fortschrittes die Möglichkeit lasse, dem öffentlichen Interesse gemeinsam mit anderen großen Parteien wirksam zu dienen, mache die Bemühungen zwecklos, die im Parlament von den konservativen Fraktionen unternommen wurden, eine Majorität zu bilden, die einem modernisierten „Eisernen Ring" gleichgesehen habe. „Ist die Notwendigkeit einer festen Majorität entfallen, so ist selbstverständlich damit auch das von ihrer Unerläßlichkeit ausgehende Bemühen der konservativen Parteien, eine solche ins Leben zu rufen, gegenstandslos geworden." Es werde allerdings für die Wahl des Präsidiums eine Mehrheit konstruiert werden müssen, doch werde „dies eine Majorität ad hoc sein, der darüber hinausgehende Zwecke fremd bleiben werden" und die im Augenblick „durch die absolute Notwendigkeit geboten" werde, endlich zur Konstituierung des Hauses zu schreiten, eine Notwendigkeit, die von allen Parteien im gleichen Maße anerkannt werde. Solche Worte entsprachen der eitlen Hoffnung Badenis, waren aber angesichts der Lage leere Phrasen, denn die parlamentarische Kommission der Rechten übte praktisch ein Aufsichtsrecht aus. Ohne Einvernehmen mit ihr konnte die Regierung keine Aktion einleiten, keine Vorlage zur Erledigung bringen. In der Plenarsitzung vom 6. April zeigte die neugebildete Majorität ihre Macht und beging dabei einen unverzeihlichen Fehler. Bei der Wahl des Präsidiums und des Büros übernahm sie mit rücksichtsloser Ausnützung ihrer Stimmenmehrheit allein alle Sitze und ließ im Gegensatz zu den Gesetzen des parlamentarischen Herkommens die Minorität, die wenigstens die zweite Vizepräsidentenstelle erwartet hatte, unberücksichtigt. Präsident des Hauses wurde Freiherr Dr. Theodor von Kathrein mit 258 von 392 abgegebenen Stimmen, während Edmund Graf Attems nur 114 Stimmen erhielt. Zum ersten Vizepräsidenten wurde David Ritter von Abrahamovicz133), zum zweiten Vizepräsidenten Dr. Karl Kramár gewählt134). An der Wahl hatten sich unter Verwahrung gegen den Bruch des parlamentarischen Herkommens die Deutsche Volkspartei, die Fortschrittspartei und die Schönerer-Gruppe nicht beteiligt. Es ist in dem nun einsetzenden schweren politischen Kampf mehrfach behauptet worden, der neuerstandene „Eiserne Ring" sei Badenis Werk gewesen, 133

) Attems erhielt gegenüber den 251 Stimmen für Abrahamovicz nur mehr 75, gegenüber den 233 für Kramár nur 76 Stimmen. 134 ) Kramár wurde nach dem Untergang der österr.-ungar. Monarchie der erste Ministerpräsident der tschechoslowakischen Republik. Zu seiner Lebensgeschichte H. M ü n c h , Böhmische Tragödie S. 571—585. — Strafurteil des k. k. Landwehrdivisionsgerichtes Wien gegen Kramár vom 3. Juni 1916.

Der neue „Eiserne Ring"

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er sei nach der Theorie Bismarcks, ein Staatsmann müsse immer zwei Eisen im Feuer haben, der tatsächlich erfolgten Vereinigung der Parteien auf der Rechten mit der Katholischen Volkspartei nicht hindernd entgegengetreten; allein selbst die „Neue Freie Presse" widerrief schon am 9. April diese Ansicht in der Erkenntnis, daß Graf Badeni von seinen engsten Parteigenossen bei der Jagd nach einer Majorität überritten wurde und sich plötzlich einer von ihm nicht gewollten Tatsache gegenüber sah. Da aber die breiten deutschen Wählerschichten nicht glauben konnten, daß die Polen gegen den Willen ihres Ministerpräsidenten der Rechten beigetreten waren135), beschuldigten sie Graf Badeni des Treubruches und der politischen Unehrlichkeit. Die agitatorische Behauptung, Badeni habe den „Eisernen Ring" geschmiedet, schien durch seine nunmehrige Haltung in der Wiener Bürgermeisterfrage und durch die Bestätigung Luegers um so glaubwürdiger. Trotzdem entspricht es nicht der historischen Wahrheit, wenn Kramár 1906 behauptete, daß „daher all der unausrottbare Haß" gegen Badeni kam, „obwohl er durch die Bildung der Rechten nicht minder überrascht und aufgebracht war als die Deutschen selbst"136). In Wien genoß er schon lange den denkbar schlechtesten Ruf, und man warf ihm vor, er habe ebenso brutal wie die ruthenische Bevölkerung die Wiens unterdrücken wollen. Gewiß war der gesamte deutsche Volksteil, der gerechterweise Anteil an der Regierung haben und um keinen Preis zulassen wollte, daß eine Majorität oder eine Regierung gegen ihn gebildet werde, durch die Ereignisse im Abgeordnetenhaus erbittert. Aber so groß auch der Unwille darüber gewesen sein mag, den eigentlichen Anstoß zur großen Volksbewegung gegen Badeni gaben unmittelbar die Sprachenverordnungen selbst. Badeni seinerseits konnte in gleicher Weise der Rechten nicht verzeihen, daß sie sich gegen ihn gebildet hatte, und deshalb „herrschte zwischen ihm und der Parlamentsmajorität niemals ein volles Vertrauen"137), auch dann nicht, als nach Ansicht der Rechten die Situation im Parlament eine völlige Harmonie zwischen Regierung und Majorität erheischt hätte. Die Majorität, die im Augenblick ihrer Konstituierung lediglich 224 von 425 Abgeordneten vereinigte, war nicht nur zahlenmäßig schwach, sondern auch eine Vereinigung heterogener Elemente. Die Jungtschechen an sich waren, wie schon ihre offizielle Bezeichnung „Národní strana svobodomyslna" (Nationale-freisinnige Partei) ausdrückte, freisinnig und liberal. Ihr Eintritt in die Majorität erfolgte unter der Zusicherung, daß sich die koalierten Klubs für die Autonomie der Länder einsetzen werden. Hierin waren Polen und Tschechen sich einig, und der vom Grafen Adalbert Dzieduszycki als „die Resultierende der politischen Programme der in der Majorität vereinigten Parteien" im Mai 1897 ausgearbeitete Adreßentwurf wurde geradezu die feste Grundlage ihrer gemeinsamen föderalistischen und autonomistischen Forderungen. Auch Dipauli stimmte zu, da 135

) J. P a t z e l t (österr. Jahrbuch 1897, S. 46) weiß zu berichten, daß der Beschluß der parlamentarischen Kommission des Polenklubs, eine Majorität zu bilden, deshalb sofort den neuverbündeten Klubs mitgeteilt wurde, damit ein Zurückziehen des Beschlusses seitens des Polenklubs unmöglich wurde. „Zu dieser entscheidenden Sitzung hatte auch Minister Dr. Rittner sein Erscheinen zugesagt, um Aufklärung über die Situation zu erteilen. Als er im Polenklub erschien und erfuhr, was vorgefallen, verließ er indessen sofort die Sitzung, ohne das Wort zu ergreifen, und da erst erfuhr die Majorität des Polenklubs, daß sie das Opfer einer Intrigue geworden war." "·) K. K r a m á r , Böhmische Politik S. 26. 137 ) Ebd. S. 23.

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

seine Partei grundsätzlich föderalistisch dachte und im Wege der Verländerung ihre Schulwünsche erfüllt werden sollten. Der Vorwurf gegen die jungtschechischen Abgeordneten seitens ihrer Wähler, daß sie sich mit den Klerikalen und dem Adel liiert, ergo ihr freisinniges Programm verraten hätten, blieb nicht aus, und deshalb fühlte sich Kramár noch nach Jahren verpflichtet, zu betonen, es sei ihnen dies nicht im Traum eingefallen, im Gegenteil, sie hätten sich jederzeit mit aller Energie volle Selbständigkeit in Fragen politischer Freiheit und in Schulfragen vorbehalten138). Der Zusammenhalt des neuen „Eisernen Ringes" hat seinen führenden Politikern genug Sorgen gemacht, und es ist fraglich, ob er nicht sehr schnell wieder auseinandergefallen wäre, wenn Badeni es verstanden hätte, mit den einzelnen Teilen der Majorität in Umgehung des Organs der Gesamtmajorität zu verkehren und wenn nicht die deutsche Linke mit ihrem verzweifelten Kampf gegen die Sprachenverordnungen eine gewisse Amalgamierung und Verkettung der Majorität bedingt und den Ministerpräsidenten trotz seines Widerstrebens durch die Obstruktion zur Majorität hingedrängt hätte. Theoretisch wäre es immer noch möglich gewesen, daß durch deren Heterogenität Badeni die Führung übernommen hätte und sie ihm nachgegangen wäre, allein dazu hätte es eines größeren Staatsmannes als Badeni bedurft und an sich geordneter parlamentarischer Zustände. Diese wiederherzustellen wurde von Tag zu Tag immer schwerer, denn der Kampf gegen die Sprachenverordnungen nahm ungeahnte Ausmaße und Formen an. Für den äußeren Verlauf der nun einsetzenden Ereignisse, die schließlich zum Sturz Badenis führten, doch auch für die weitere politische Entwicklung war die territoriale Zusammensetzung der großen deutschen Parlamentsparteien mitunter von geradezu ausschlaggebender Bedeutung. Der als stärkster deutscher Klub aus den Wahlen vom März 1897 hervorgegangene Verband der Deutschen Volkspartei, der sich politisch zum nationalen Radikalismus, wirtschaftlich zum christlichen Sozialismus bekannte und dem mit 44 Abgeordneten die Zahl seiner Mandate mehr als zu verdoppeln gelungen war, hatte sein Schwergewicht in den innerösterreichischen Alpenländern, da er zehn Mandate aus der Steiermark, neun aus Kärnten, sechs aus Niederösterreich, aber nur je vier aus Böhmen, Mähren und Schlesien, drei aus Oberösterreich, zwei aus Salzburg und je eines aus Vorarlberg und aus der Bukowina errungen hatte. Da die Partei nach Länderverbänden aufgebaut war, fiel der Steiermark und ihren radikalen, zu Karl Hermann Wolf und Georg Schönerer hinneigenden Elementen die führende Rolle zu, die im Kampfe gegen die Gautschschen Sprachenverordnungen ohne Rücksicht auf die besonnenere, einlenkende Haltung des Großteils der deutschböhmischen Abgeordneten ausgeübt wurde. Diese waren überwiegend in der Deutschen Fortschrittspartei vereinigt, die 35 Mandate errungen hatte und die mit 23 Abgeordneten aus Böhmen, sieben aus Mähren, zwei aus Schlesien und nur drei aus Wien-Niederösterreich ein fast territorial geschlossenes Bild zeigt. So kann sie mit Recht eine böhmisch-mährische Parlamentspartei genannt werden, doch hat bei ihr das völlige Fehlen von Abgeordneten aus dem deutsch-innerösterreichischen Alpenraum das Aufeinanderabstimmen der Lebensinteressen der alpenländischen Deutschen und der Deutschböhmen sowie den Zusammenhalt und das gemeinsame, auch nach außen hin als einheitlich dokumentierte Vorgehen der Deutschen Fortschrittspartei und der Deutschen Volkspartei unendlich erschwert und oft sogar zur Unmöglichkeit werden lassen. Dabei hatte die Fort138

) Ebd. S. 24.

Die deutschen Parteien

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schrittspartei, die mit dem Eintritt der Wiener Altliberalen keine Freude hatte, da sie fürchtete, in den Verdacht zu kommen, das altliberale Programm zu vertreten, und die aus ihrer Mitte die jüdischen Mitglieder ausschied, um bei den Deutschnationalen keinen Anstoß zu erregen139), im Streben, als eine völlig neue Organisation zu erscheinen, am längsten als parlamentarischer Verband zu ihrer Konstituierung gebraucht, die erst am 6. April erfolgte. Elf auf das deutschfortschrittliche Programm gewählte Abgeordnete sahen sich gezwungen, dem Klub fernzubleiben und gründeten so die „Freie deutsche Vereinigung". Die Deutsche Fortschrittspartei bildete den Rest der einst so mächtigen Vereinigten Deutschen Linken140). Sie hat vergebens gegen den wachsenden Radikalismus angekämpft und schließlich sich ihm unterworfen. Allerdings war es der Deutsche Fortschrittsklub, der als böhmisch-mährischer Verband im April 1897 den Kampf gegen die Sprachenverordnungen eröffnete und anführte. Die Deutsche Volkspartei folgte anfänglich nur zögernd. Dann jedoch hat sich das Blatt gewendet, die Führung entglitt der Fortschrittspartei, deren parlamentarischer Klub in seinem am 6. April endgültig beschlossenen Programm die nationalen Forderungen und den Kampf gegen die Badenischen Sprachenverordnungen geradezu an die Spitze stellte. Die unversehrte Erhaltung des deutschen Besitzstandes, die Einräumung der dem deutschen Volke und seiner Sprache auf Grund seiner kulturellen und geschichtlichen Bedeutung sowie im Interesse des Staates und dessen einheitlichen Verwaltung zukommende Stellung, die Forderung, die Verhältnisse der Nationalitäten untereinander im Wege der Gesetzgebung zu ordnen, die Verwahrung gegen jede die nationalen und wirtschaftlichen Interessen des deutschen Volkes schädigende Regelung der Sprachenfrage im Verordnungsweg, die Forderung, nicht weiterhin durch Maßnahmen der Verwaltung das deutsche Element zurückzudrängen und zu schädigen, eine gründliche Umgestaltung der Verwaltung in freiheitlicher Beziehung, die Durchdringung der Verwaltung vom Geiste der Verfassung, die staatliche Aufsicht über die Schule und die treue Wahrung ihres interkonfessionellen Charakters und ihre weitere Ausgestaltung auf dieser Grundlage unter Vermeidung der Verländerung, und die freie Meinungsäußerung in Wort und Schrift, das freie Vereins- und Versammlungsrecht sowie die Freiheit der Wahlen und der Ausbau der Staatsgrundgesetze wie überhaupt aller freiheitlichen Institutionen waren als Grundsätze für die Abgeordneten der Deutschen Fortschrittspartei zur Ausübung ihrer Mandate festgelegt worden. Dieses Programm zu verwirklichen, gelang ihnen zwischen den Mühlsteinen des wachsenden nationalen Radikalismus und der konservativen klerikalen Haltung der Majorität allerdings nicht. Wie der parlamentarische Klub der Fortschrittspartei war auch die christlichsoziale Vereinigung noch keine Reichspartei. Sie hatte 24 Mandate in WienNiederösterreich, nur je eines in Böhmen, Mähren und Vorarlberg erworben. Weder die Deutsche Volkspartei noch die Fortschrittspartei und die Christlichsozialen hatten damals auch nur einen Tiroler als Abgeordneten. Tirol und Oberösterreich waren die Hauptstützpunkte der zur Rechten des Hauses gehörenden Katholischen Volkspartei. Von den 13 deutschtirolischen Abgeordneten gehörten zwei dem Verfassungstreuen Großgrundbesitz, einer dem Zentrum und neun der Katholischen Volkspartei an. Von den 20 oberösterreichischen Mandaten waren ihr zwölf, von den 23 deutschsteirischen nur sechs zugefallen. Da die 139 140

) G. K o l m e r , Parlament u. Verfassung VI, S. 217. ) Über die Entwicklung der deutschen Parteien R. C h a r m a t z , S. 157—192.

Deutsch-österr. Politik

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V. Badenis Versuch mit untauglichen Mitteln

sechs steirischen mit den zwölf oberösterreichischen Abgeordneten gingen, blieb die Tiroler Gruppe in der Minderheit, was sich bei den verschiedenen Versuchen, die Katholische Volkspartei aus der Majorität herauszulösen, als ein Verhängnis erwies, denn der Vorwurf gegen die hinter der Katholischen Volkspartei stehenden katholischen deutschen Kreise, sie würden nicht die nationale Sache der Deutschen vertreten, wog in den stürmischen Tagen, die auf die Erlassung der Sprachenverordnungen Badenis folgten, doppelt schwer und schien im Verhalten der Abgeordneten der Katholischen Volkspartei gerechtfertigt. Darum ist es auch kein Zufall, daß am 11. Dezember 1897 im Arkadenhof der Wiener Universität der Medizinstudent Franz Födisch erklärte, die deutschnationale Studentenschaft warte nur darauf, dem Volke zeigen zu können, wie es sich aus den Fesseln der römischen Todfeindin losmachen solle, und daß am Tag hernach Theodor Georg Rakus, bei einem Deutschen Volkstag in Wien, ohne Vorbehalt die Parole „Los von Rom" ausgab.

VI. DIE BÖHMISCHEN AUFRUHRAKTE „Die Sprachengesetze Badenis", schrieb 1947 Heinrich von Srbik an den Grazer Kirchenhistoriker Andreas Posch, „waren nicht gut inszeniert, aber im Kerne berechtigt"1). Srbik hat damit eine knappe, aber treffsichere Charakteristik gegeben, in der implizite zum Ausdruck gebracht ist, daß die Verordnungen, mit denen Badeni keineswegs etwas völlig Neues statuiert hatte, an sich schon nicht restlos den Ansprüchen gerecht wurden, die an sie gestellt werden mußten, sollten sie eine echte Befriedung im Sprachenkampf herbeiführen. Badeni unterlag dem Fehler, zu glauben, daß nur eine weitestgehende Realisierung des tschechischen Schlagwortes von der Gleichberechtigung der beiden böhmischen Landessprachen den Frieden bringen könne. Bei der überstürzten Gewährung der tschechischen Forderungen — im letzten Augenblick, wie er meinte, um seine Ziele zu retten — übersah er die Konsequenzen, die sich aus einer Gleichberechtigung um jeden Preis ergeben mußten. Den „berechtigten Kern" hatte Gleispach im Ministerrat aufgezeigt. Er bestand im Grundsatz, daß ein in tschechischer Sprache abgehandelter Fall auch bei den Senaten der Gerichtshöfe zweiter Instanz tschechisch behandelt und erledigt werden sollte. Dem Geist der Verordnungen aber widersprach geradezu die im § 7 aufgenommene Bestimmung, daß die Sprache des Anbringens bei allen der Erledigung oder Entscheidung der betreffenden Sache dienenden Amtshandlungen anzuwenden sei. Es mag sein, daß dieser Passus nicht dem tschechischen Chauvinismus allein entsprang und, obwohl nicht einzusehen ist, wieso, geglaubt wurde, er wäre ein integrierender Bestandteil sprachlicher Gleichberechtigung. Jedenfalls verletzte er den doch gerade sonst von den Tschechen so hartnäckig vertretenen entscheidenden Grundsatz, daß der einzelne vom Gericht und der politischen Behörde in seiner Sprache angeredet werde. Aber um den Menschen, um den einzelnen geht es ja meistens gar nicht in der Politik, sondern um das Prinzip, um das Schlagwort. Kaizl hat in seiner durchaus sachlichen, wenn auch parteiischen Darstellung des Sprachenstreites unmittelbar nach Erlassung der Verordnung vom 4. April daher fälschlicherweise dem abstrakten Begriff „Sprache" die Rechtsfähigkeit „gleichberechtigt" und „gleichwertig" zugeschrieben und ihn wie eine juridische Person behandelt2). Der Brünner Abgeordnete Dr. Otto Lecher, durch seine zwölfstündige Obstruktionsrede in der Nachtsitzung des Abgeordnetenhauses vom 28. auf den 29. Oktober 1897 berühmt geworden, hat, wenn auch in einem anderen Zusammenhang, bitter bemerkt: „Es gibt bei uns keinen Unsinn und keine Ungerechtigkeit, die nicht hof- und parlamentsfähig wären, wenn man nur versteht, ihnen das Mäntelchen der Gleichberechtigung umzuhängen." 3 ) Was konnte die Rechtssentenz für einen Sinn haben, ' ) A . P o s c h , Heinrich R. v. Srbik S. 189. Srbik fährt weiter fort: „Die Badeni-Tage fallen in mein erstes studentisches Semester, ich erlebte sie als Augenzeuge, nicht als Teilnehmer. Die Schönerer-Richtung schien mir damals schon grundverfehlt wie auch später stets. Es war engstirnige Bierbankpolitik der Rauschebärte." 2 ) J. K a i z l , Sprachenstreit S. 255. 3 ) O. L e c h e r , Der österr.-ung. Ausgleich S. 281.

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VI. Die böhmischen Aufruhrakte

„daß überhaupt in den böhmischen Ländern beide Sprachen im ganzen inneren Dienst als vollauf gleichberechtigt gelten und gleichwertig nebeneinander stehen", wenn schon nicht einmal bei allen Verfahren, vor allem schriftlichen Vorladungen und Benachrichtigungen der ersten Instanz, der Tscheche tschechisch, der Deutsche deutsch angesprochen wurde. Zwar war „das sprachliche Recht des Klägers bis ins Extrem gewahrt, aber das ebenso gute sprachliche Recht des Beklagten im zivilrechtlichen oder verwaltungsrechtlichen Verfahren einfach ignoriert und ein unvernünftiges und ungerechtes Resultat erzielt" worden4). Das sprachliche Recht des Beklagten oder Teilbetroffenen hätte jedoch dann in gleicher Weise seine Wahrung gefunden, wenn in der Verordnung festgelegt worden wäre, daß Ämter oder Gerichte in allen Fällen jene der beiden Landessprachen, die von der anzuredenden Partei voraussichtlich gebraucht wird, im Zweifelsfalle beide Landessprachen, zu verwenden hätten5). Dann wären zwar vielleicht die beiden Landessprachen nicht völlig gleichberechtigt gewesen, aber der einzelne, die Partei im Sinne des Rechtsverfahrens, hätte den Schutz und das Recht seiner Sprache besessen. Darum allein hätte es letztlich und ausschließlich gehen dürfen. J. Kaizl höhnte, daß eigentlich alles, was die Deutschen gegen die Badenischen Verordnungen vorbringen, was sie als Ursache ihrer Beunruhigung und Bedrängnis anführen könnten, in dem Satz zusammengefaßt sei: Es sei eine Schmach und Schande, daß deutsche Richter in tschechischer Sprache werden verhandeln müssen, wenn es irgend jemand einfalle, eine tschechische Klage einzubringen6). Dieses einzige sei „nichts als wesenloser Schein". Aber das war eben doch nicht das einzige, und deswegen hätten die Deutschen in Böhmen die Verordnungen noch nicht als „Aufruhrakte" bezeichnen können. Der Inhalt der Badenischen Ordonnanzen deckt sich zum Teil mit der TaaffeStremayrschen Sprachenverordnung vom 20. April 1880, da die Paragraphen, die sich auf die grundsätzliche Gleichstellung beider Landessprachen im Verkehr der Behörde mit der Partei bezogen, bis auf geringfügige Formulierungsänderungen gleichlautend übernommen worden waren7). Daran nahm auch nie4

) Ε. Ρ f e r s c h e, Der böhmische Sprachenstreit S. 498. ) Eine solche Verordnung wäre in Böhmen durchführbar gewesen, da die Deutschen in geschlossenen Gebieten beisammenwohnten. In gemischten Gebieten, vor allem auch in Mähren, wäre es im wesentlichen auf eine überwiegende zweisprachige Amtsführung hinausgekommen. Die Gautschschen Sprachenverordnungen bestimmten für Böhmen und Mähren daher jeweils im § 4: „Behördliche Ausfertigungen, welche nicht über Einschreiten von Parteien oder n i c h t a n P e r s o n e n g e h e n , w e l c h e d i e A n g e l e g e n h e i t a n h ä n g i g gemacht haben, erfolgen in jener der beiden Landessprachen, die von der Person, an welche die Ausfertigung gerichtet werden soll, gesprochen wird. Ist diese Sprache nicht bekannt, oder ist sie keine der beiden Landessprachen, so ist jene der Landessprachen zu gebrauchen, deren Verständnis nach Beschaffenheit des Falles, wie insbesondere n a c h d e m A u f e n t h a l t s o r t e d e r P a r t e i , v o r a u s g e s e t z t werden kann." 6 ) Kaizl spielte hier wörtlich auf eine Rede Schückers in Eger an. Vgl. dazu Kaizls Rede am 6. Mai im Abgeordnetenhaus (XII. Session S. 546) und die Bestätigung der Richtigkeit durch Schücker am 8. Mai (S. 645). — In seinem Aufsatz (Der deutsch-böhm. Sprachenstreit) vermeidet Kaizl bewußt den Begriff Deutschböhmen und setzt dafür ausschließlich die Wendung „die Deutschen in den Sudetenländern". ') Nachstehende Konkordanz zeigt, wie weit die Badenischen Verordnungen auf denen Stremayrs basieren und die Gautschsche Sprachenverordnung für Böhmen wiederum die Verordnungen von 1880 und 1897 zum Vorbild hat. (Siehe Anhang 1,2 und 3, S. 273—281.)

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Inhalt und Problematik der Sprachenverordnung

mand mehr Anstoß. Neu war die Ausdehnung der Verordnung über den Bereich der Gerichts- und staatsanwaltlichen sowie politischen Behörden hinaus auf die den Ministerien für Finanzen, des Handels und des Ackerbaues im Königreich Böhmen unterstehenden Behörden. Neu waren jene Stellen des § 7, um deren Formulierung die Tschechen mit der Regierung so lange und so hart gefeilscht hatten und die den Tschechen die Parität beider Sprachen im inneren Amtsverkehr gewährleisten sollten und die als Sprache des gesamten Rechtsganges mit Ausnahme der strafrechtlichen Fälle die des ersten Anbringens bestimmten. Neu war schließlich der zweite Teil der Verordnung, nach der alle Beamten, die nach dem 1. Juli 1901 in Böhmen eingestellt würden, die Kenntnis beider Landessprachen in Wort und Schrift nachzuweisen hatten und „schon dermalen nach Tunlichkeit und Zulässigkeit des Dienstes Vorsorge zu treffen" war, daß die einzelnen Behörden mit sprachkundigen Beamten „nach Maß des tatsächlichen Bedürfnisses besetzt werden". Das traf die Deutschen, und zwar aller Berufsklassen, am härtesten. Bei einer Versammlungsrede am 18. Juli 1897 wies Otto Lecher darauf hin, daß nach der Verordnung ab 1901 die neueintretenden Briefträger, die staatlichen Förster und Jäger, ja selbst die Straßenräumer beide Landessprachen in Wort und Schrift vollkommen beherrschen müßten 8 ). Diese und ähnliche demagogische Floskeln verfehlten nicht ihre Wirkung. Es war nicht mehr der Streit „nobler Stadtherren" um eine Frage, von der die breiten Volksschichten unberührt blieben. Viele, die bereit waren, sich als Soldat für zwölf Jahre zu verpflichten, sahen nun ihre Zukunft gefährdet. Nach dem Gesetz vom 19. April 1872 konnten Soldaten, die zwölf Jahre, davon acht als Unteroffiziere, treu gedient hatten, Anspruch auf Beamtenposten als Militär-Zertifikatisten erheben. Wenn aber ein Deutschböhme zwölf Jahre in deutschen Regimentern diente, hatte er keine Möglichkeit, tschechisch zu lernen. Die Sprachenverordnung Badenis schrieb die Kenntnis der zweiten Landessprache nicht als Anstellungserfordernis vor, aber innerhalb von drei Jahren nach Anstellung sollte der Militär-Zertifikatist die verhältnismäßig schwere Taaffe-Stremayr §1 =

Badeni 1 erweitert

Gautsch = 1 verkürzt

2 =

2

3 = 4 = 5 =

3 = 4 = 5 eingefügt: „und autonomen Behörden im Königreich Böhmen" = 8 = 6 =

6 = 7 = 8 =

9 = 10 = 11 =

10

11 wesentlich ergänzt 12 14 verändert 7 9 13 15 16

=

=

2

3 4 verändert

5 wie bei Badeni 9 6 11

. . . . = 12 =13 = 15 = 8 = 10 =14 =16 = 18

verändert verändert verändert verändert

verändert

Verordnung betr. die sprachliche Qualifikation § 1—3 = 1 7 verändert 8 ) O. L e c h e r , Der Kampf gegen die Sprachenverordnungen S. 9.

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VI. Die böhmischen Aufruhrakte

zweite Landessprache in Wort und Schrift beherrschen lernen. Zwar gab es den Gnadenweg, doch konnte sich auf diesen keiner verlassen. Die Tschechen, die beim Militär automatisch einigermaßen Deutsch lernten, waren also auch hier gegenüber den deutschen Unteroffizieren im Vorteil. Thomas G. Masaryk, der damals zu den besonneneren tschechischen Politikern gehörte und sich als Gelehrter nicht gescheut hatte, an der Entlarvung der Königinhofer Fälschung mitzuarbeiten, erklärte in einem der „Neuen Freien Presse" gewährten Interview, daß er nicht einsehe, warum „in böhmischen Bezirken alle Beamten Deutsch und in den deutschen Bezirken alle Beamten böhmisch können" sollten. „Wenn ein Beamter in seiner bescheidenen Stellung in einem böhmischen Bezirke leben und sterben will — soll man es ihm ruhig gewähren." Das heißt allerdings, „daß böhmische, deutsche und gemischtsprachige Bezirke bestimmt werden müßten". Im Gesetzesentwurf, den am 28. Juni 1897 die deutschliberalen Prager Universitätsprofessoren Ulbrich und Pfersche veröffentlichten, stehen diese Gedankengänge im Vordergrund, und Gautsch hat sie im § 7 seiner Sprachenverordnung vom 24. Februar 1898, und zwar nur für Böhmen, in die Wirklichkeit umzusetzen versucht, indem er anordnete, daß die Amts- und Dienstsprache der Behörden, auf welche die Verordnung Anwendung fände, jene Landessprache sei, zu welcher als Umgangssprache sich die anwesende Bevölkerung ihres Amtsbezirkes nach dem Ergebnisse der jeweiligen Volkszählung bekennt. In sprachlich gemischten Bezirken sollten beide Landessprachen gleichmäßig Anwendung finden. Formulierungen, die an den § 7 des Scharschmidschen Sprachenantrages erinnern. Masaryk hat 1897 allerdings nicht wie Gautsch und Scharschmid die Volkszahl, das Wahlergebnis, sondern das praktische Bedürfnis zur Grundlage erklärt. „Es kann in einer böhmischen Stadt nur zehn Deutsche geben, und die geben dem Gerichte und dem Steueramte (etwa große Fabriksbesitzer und dergleichen) mehr zu tun als tausend Landbauern." Nach Masaryk sollten in der ersten Instanz die Ämter, nicht die Beamten zweisprachig sein. Seine Ansicht deckte sich hier mit der des Grafen Gleispach, die im Ministerrat sich gegenüber Badeni nicht hatte durchsetzen können. Für die zweite Instanz wollte Masaryk ein zweisprachiges Beamtentum. Den Verordnungsweg für die Sprachenfrage lehnte er genau so wie die „Radikalen Tschechen" und die Deutschen grundsätzlich ab, denn „Verlegenheits-, Gelegenheits-Verordnungen lösen die böhmische Frage nicht!" 9 ). Da die Verordnungen nicht gut „inszeniert" waren, herrschten über die effektiven Erschwernisse hinaus in der deutschen Bevölkerung die unglaublichsten Vorstellungen über ihre Auswirkungen. Selbst in die neuere Literatur haben sich Unklarheiten eingeschlichen10). Paul Molisch hat die rechtlichen Konsequenzen so dargestellt, daß dann, wenn einem Tschechen zu Czaslau einfiel, einen Deutschen in Eger oder Asch zu belangen, beim dortigen Gericht die ganze Verhandlung tschechisch zu führen war, ob sie der Beklagte verstand oder nicht. Diese Behauptung, die sich bei genauer Überprüfung als eine exakte Auslegung des Verordnungstextes erweist, suchte G. Hansel zurechtzurücken und übersah dabei, daß nach der strengen begrifflichen Unterscheidung der Juristen nur im zivilrechtlichen Verfahren von Beklagten, dagegen im strafrechtlichen von Beschuldigten gesprochen wird. Zudem erstrecken sich die Privatanklage») „Neue Freie Presse" 15. April 1897, S. 1 f. — Vgl. dazu E. L e m b e r g , Palacky u. Masaryk S. 443 ff. — R. G. Ρ 1 a s c h k a, Von Palacky bis Pekar S. 77 ff. 10 ) P. Μ o 1 i s c h, Sprachenverordnungen S. 15 f. — G. H a n s e l , Tschechische Stellungnahme S. 46.

Inhalt und Problematik der Sprachenverordnung

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delikte im wesentlichen lediglich auf Ehrenbeleidigung und Ehebruch. Molisch hat also eindeutig ein Beispiel aus dem zivilrechtlichen Verfahren genommen. Zu diesem gehört auch die berühmte „scheanglede Kuh", die den deutschböhmischen Bauern von den Agitationsrednern als anschaulicher, leicht verständlicher Rechtsfall11) immer wieder in verschiedensten Variationen vorgehalten wurde und der schließlich in der nationalen Erbitterung so ausgelegt wurde, als dürfe sich das deutsche Volk „in seiner eigenen Heimat, vor seinem eigenen Gericht über seine eigenen Geschäfte nicht einmal mehr in seiner eigenen Sprache verständigen"12). Entgegen dieser Version allerdings sagt der §10 der Badenischen Verordnungen ausdrücklichst, daß in strafgerichtlichen Angelegenheiten die Sprache des Beschuldigten für alle Erkenntnisse und Amtshandlungen maßgeblich sein sollte, also auch dann, wenn ein Tscheche einen Deutschen beim Strafgericht in tschechischer Sprache wegen Ehrenbeleidigung oder Ehebruch verklagte. Aber auch bei zivilrechtlichen Streitigkeiten, bei denen in der Sprache der Klage die Verhandlung zu führen war, hatte das Gericht nach § 11 „nötigenfalls beide Landessprachen zu gebrauchen", waren alle richterlichen Erklärungen „auf Verlangen der Parteien in beiden Landessprachen zu protokollieren". Schlechter standen die Verhältnisse bei den die politische Verwaltung betreifenden Rechtsfragen, da für diese keine Vorsorge wirklicher Gleichberechtigung getroffen worden war. Ein Tscheche konnte — und solche „Späße" wurden systematisch betrieben — bei einer Bezirkshauptmannschaft in einem rein deutschen Bezirk Böhmens etwa eine Wasserrechtsfrage oder eine Bausache tschechisch anhängig machen, die nun nicht nur berechtigterweise tschechisch erledigt, sondern auch bei allen zu ihrer Entscheidung oder Erledigung dienenden Amtshandlungen wie örtlichen Kommissionierungen tschechisch geführt werden mußte. Die Betroffenen mußten zu solchen mündlichen Kommissionierungen daher einen Vertreter, der auch der tschechischen Sprache mächtig war, entsenden, was mit Unkosten verbunden war. Selbstverständlich galt das auch umgekehrt von deutschen Eingaben in tschechischen Gebieten, und ironisch bemerkte Masaryk dazu, daß nun von einem tschechischen Gericht ") Ein deutscher Bauer verkauft am Markte seine Kuh einem tschechischen Bauern, der nach einiger Zeit einen Fehler an ihr entdeckt. „Die Kuh ,scheanglet', sie gefallt ihm nicht mehr, und er will daher den Kauf rückgängig machen und klagt. Der deutsche Bauer kriegt ein Papier zugestellt; angeredet wird er ,pan', außer diesem Wort wird er soviel wie gar nichts verstehen, er weiß nicht, ist es eine Einladung zu einer Hochzeit oder ein Todesurteil. Was bleibt ihm übrig als, da kein tschechischer Advokat in der Nähe ist, zu einem solchen zu reisen, oder hinzuschicken. Er hat Kosten und Auslagen, um nur zu erfahren, was in dem Papier drin steht. Er lernt in der Schule lesen und schreiben, mit vieler Mühe hat sich der Schulmeister das ganze Leben geplagt, und nun kriegt der alte Bauer ein Papier in die Hand und er versteht es nicht einmal. Und nun kommt die neue Zivilprozeßordnung; . . . die Verhandlung soll mündlich sein, nicht die vielen Schriften sind mehr notwendig; die zwei Parteien werden vorgeladen; der Richter sagt, rede du und rede du und die Sache wird mündlich ausgetragen. Seit den Sprachenverordnungen ist dies nimmer möglich. Die Verhandlung muß in der Sprache des Klägers geführt werden und der Bauer, der wegen der ,scheangleden Kuh' geklagt ist, muß tschechisch können, wenn er verstehen will, was der Kläger dem Richter erzählt. . . hat sein ganzes Leben deutsch geredet ; dort sitzt ein deutscher Beamter, der muß in seinem Prozeß tschechisch reden. Der Kläger erzählt über den Kuhhandel, der Deutsche hört den Richter und den Kläger um sein Geld und seine Kuh verhandeln, und er versteht kein Wort davon." (O. L e c h e r , Sprachenverordnungen S. 12 f.) ") O. L e c h e r , Sprachenverordnungen S. 13. 16

Sutter, Sprachenverordnungen I.

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VI. Die böhmischen Aufruhrakte

auf eine deutsche Eingabe hin wegen einer Lappalie mit einem anderen tschechischen Gericht oder Amte deutsch verhandelt werden müßte. Hier liegt der große Trugschluß der Badenischen Sprachenverordnungen, deren Geist, die Gleichberechtigung der beiden Landessprachen in Böhmen herzustellen, dadurch mit den schwersten Widersprüchen beladen war. Bei den Ministerratssitzungen war die Sorge um die innere deutsche Amtssprache im Vordergrund gestanden, die Frage, ob ein tschechischer Rechtsfall nach Vorlage an einen Gerichtshof erst ins Deutsche übersetzt werden solle oder nicht. Selbst bei der Beleuchtung der Verordnung durch den Vertreter des Justizministers am 9. April 1897 im Abgeordnetenhaus stand wiederum nur diese Seite im Vordergrund der Begründung. Das Volk reagierte darauf nicht, das war eine Frage für Juristen und für tschechische Parteiführer und Politiker. Die unmittelbaren Auswirkungen des § 7 der Sprachenverordnungen und die sprachlichen Qualifikationsbestimmungen lösten den spontanen Widerstand aus, die Sorge der Deutschen, den Tschechen ausgeliefert zu sein, Ladungen und Benachrichtigungen zu erhalten, die unverständlich waren und, was in bäuerlichen Gegenden ebenso schwer wog, die Empörung, nicht einmal mehr alle Eintragungen im Grundbuch lesen zu können. Wenn die Verordnung wirklich die Gleichberechtigung beider Landessprachen gewollt hätte, so hätte sie die doppelsprachige Eintragung in die öffentlichen Bücher vorsehen müssen, schon um eine Schädigung des Realkredites und des damit verbundenen eminenten wirtschaftlichen Nachteiles, der sich aus der Zulassung unverständlicher tschechischer Eintragungen in die öffentlichen Bücher rein deutscher Gebiete ergeben mußte, zu vermeiden13). Selbst eine bessere „Inszenierung" hätte jedoch die aus diesen Punkten entspringende Auflehnung nicht verhindern, höchstens vielleicht etwas eindämmen können. Ein Vergleich mit dem Ausgleichsprotokoll von 1890 zeigt, wie sehr sich die Situation für die Deutschen verschlechtert hatte. So schrieb am 23. April 1897 Ludwig Schlesinger an Badeni14) : „In dem durch einen sechsunddreißigjährigen nationalen Kampf politisch gereiften deutschböhmischen Volke zittert noch heute die Entrüstung über die Zerstörung des Friedenswerkes von 1890 nach. Dasselbe wurde damals als eine Staatsnotwendigkeit hingestellt, und heute soll eine den Wiener Vereinbarungen schnurstracks zuwiderlaufende, das nationale Leben des deutschen Volkes unterbindende Maßnahme zur Befriedigung der Friedensstörer eine nothwendige Forderung der Staatsraison sein?"

Die Badenische Sprachenverordnung für Böhmen vergrößerte, ganz abgesehen davon, daß sie von den Tschechen als eine Anerkennung des böhmischen Staatsrechts gedeutet wurde, entgegen dem von den Deutschen so zäh verteidigten Plan einer Teilung des Landes in ein tschechisches und deutsches, das doppelsprachige Gebiet und damit die nationalen Reibungsflächen. Da nun die Deutschen als Minorität fürchten mußten, dem Druck der Tschechen und deren nationalen Expansionspolitik zu erliegen, glaubten sie mit nationaler Intoleranz antworten zu müssen. Badeni hatte zudem als wesentlichsten Punkt vergessen, daß die Sprachenfrage nur ein Teil des großen Fragenkomplexes war, der sich aus dem Zusammenleben der beiden Nationen in Böhmen ergab, und dieser wiederum nur einzig und allein gesamtösterreichisch zu lösen war. Er hatte allem Anschein nach den Veröffentlichungen des jungtschechischen Abgeordneten Karl Kramár 1896 in der Wiener Wochenschrift „Die Zeit" keine Beachtung geschenkt oder gar nicht erfaßt, wie bewußt und geschickt von diesem ") K. G r a b m a y r , Die Sprachenverordnungen S. 15 f. ") P. Μ o 1 i s c h, Briefe S. 348.

Deutsche Forderung nach nationalen Kurien

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der Zeitpunkt gewählt worden war, um seine Gedanken zum böhmischen Staatsrecht vor einem größeren Publikum darzulegen15). Der Anhang „Graf Taaffe und der nationale Friede" ist nicht an dessen, sondern direkt an Badenis Adresse gerichtet gewesen. Kramár hat hier mit nicht zu überbietender Deutlichkeit erklärt, es wäre unpolitisch, daran zu zweifeln, daß das böhmische Volk seinem Staatsrechte treu bleibt, weil es darin sein gutes Recht und seine bessere Zukunft sieht. Er hat weiters gewarnt: „Man wirft zwei Völkern den Frieden nicht von oben auf den Kopf, Völkern, die noch gestern im heißen Kampfe fochten und an alles, nur an keinen Frieden dachten." Dabei stand Kramárs Schrift keinesfalls vereinzelt da. Friedrich Pacák, ein führender, aus der Sokolbewegung kommender Jungtscheche, hatte in seinen 1896 erschienenen Skizzen zur Regelung der Sprachenfrage „die volle Autonomie und die volle Gleichberechtigung der Nationalitäten", Sprachenfreiheit und Staatsrecht, als notwendig bezeichnet. Er hat mit dieser Kampfschrift geistig den § 7 der Badenischen Sprachenverordnungen vorbereitet, jedoch die Kompetenz zur Regelung der Sprachenfrage dem Reichsrat und der Exekutive abgesprochen und sie nur den Landtagen zuerkannt16). Hinter den von Kramár und Pacák vertretenen Ansichten stand die Jungtschechische Partei, über deren Ziele Badeni aus den Reden im böhmischen Landtag und im Reichsrat informiert gewesen sein mußte. Er suchte einen Sturz gleich dem Taaffes zu vermeiden, aber aus den Geschehnissen, die zu dessen Sturz geführt hatten, wollte er die Lehren nicht ziehen. Die Deutschen hatten ihrerseits nichts Positives als Gegenwert für die Sprachenverordnungen eingehandelt oder erhalten. Zwar war ihnen eine deutsche Akademie in Prag in Aussicht gestellt worden und ebenso ein Kuriengesetz, das aber der böhmische Landtag erst beschließen mußte, wobei es, weil sich die tschechischen Unterhändler zu nichts verpflichtet hatten, nicht feststand, ob dies auch geschehen werde, und das überdies von den Deutschen als „Kaufpreis" abgelehnt wurde. In der gemeinsamen Sitzung am 23. März mit der Regierung und den Jungtschechen hatte daher Ludwig Schlesinger, als Badeni erklärt hatte, er sei bereit, „namens der Gesamtregierung die bestimmte Zusage zu machen, daß die Regierung in der nächsten Session des böhmischen Landtages das Kuriengesetz (Wahlkurien) einbringen und mit Nachdruck für dessen Zustandekommen eintreten werde", geantwortet, das Kuriengesetz sei für die Deutschen keine Konzession. Schon im böhmischen Landtag hatte Schlesinger mehrfach, so am 15. Februar 1897, im gleichen Sinne hervorgehoben, daß die Deutschböhmen das Kuriengesetz nicht als Objekt eines Tauschhandels ansehen könnten, nicht als eine nationale Konzession, für welche sie zu Gegenleistungen verpflichtet wären, sondern als Vorfrage, deren Erledigung über ihr Verbleiben im böhmischen Landtag, über alle weiteren Verhandlungen entscheide17). Denn wie die Sprachenfrage bei den Tschechen, so war bei den Deutschen die nationale Autonomie zum „allerorten herumschwirrenden Schlagwort" geworden, das als Allheilmittel, als der Weg zum goldenen Zeitalter, wo Lamm und Wolf friedlich nebeneinander grasen werden, gepriesen wurde. Solche Schlagworte sind gefährlich, weil sich in ihnen alle Sehnsucht sammelt, weil sie den Blick für das Gegebene ") K. K r a m á r , Böhmisches Staatsrecht. 16 ) F. Ρ a c á k, Sprachenfrage S. 71 f. 17 ) In diesem Sinne stellte L. S c h l e s i n g e r am 5. April in der NFP (Abendblatt S. 1 f.) die am 3. April abgedruckten Äußerungen eines „Staatsmannes mit vollem Einblick in die innere Situation" richtig. Zu Schlesingers gemäßigter und politisch besonnener Haltung vgl. P. Μ o 1 i s c h, Briefe S. 347—353. 16*

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VI. Die böhmischen Aufruhrakte

trüben, politisch günstige Gelegenheiten zur Verwirklichung eines Etappenzieles ungenützt vorübergehen lassen und weil sie den Irrglauben erwecken, bei Erfüllung des im Schlagwort Geforderten werde das Paradies auf Erden entstehen. Die Deutschböhmen hatten die Unmöglichkeit einer raschen Verwirklichung des „Föderalismus der Nationalitäten" erkannt, wenn auch nicht sich damit innerlich abgefunden, und daher die nationale Autonomie, an der sie bedingungslos festhielten, nicht mehr in Form der Teilung der Territorien, sondern in Form der Trennung der gemeinsamen Institutionen nach dem Kurienprinzip gewünscht. So wurden von ihnen nationale Kurien, denen auf dem Gebiete der Landesverwaltung und Gesetzgebung sowie auf dem der Landesfinanzen ein selbständiges, von dem Übelwollen des rivalisierenden Volksstammes unabhängiges Dasein gewährleistet werden sollte, als tauglichstes Werkzeug zur Herbeiführung eines dauernden Friedens in Böhmen und Mähren angesehen. Demnach hätte Badeni sich sagen müssen, daß die Kurien eigentlich die Voraussetzung für jeden nationalen Ausgleich überhaupt zu bilden hätten, nach deren Einführung den tschechischen Forderungen, die Regelung der Sprachenfrage der Gesetzgebung des böhmischen Landtages zu überlassen, nachgegeben werden konnte, in der berechtigten Hoffnung, daß ein Einverständnis zustande komme, da bei den Beratungen der Sprachenfrage die Kurien bereits ihren wirksamen Schutz den jeweiligen Minderheiten im deutschen und tschechischen Landesteil hätten angedeihen lassen können. Die Regierung mußte jede Friedensaktion in Böhmen durch ein von ihr eingebrachtes Kuriengesetz einleiten, wenn an den Ernst ihrer Vermittlungstätigkeit geglaubt werden sollte. „Das nationale Recht, in Teile zu gehen", von der Minderheit durch die Zustimmung zu einer für sie ungünstigen Sprachenverordnung kaufen zu lassen, mußte diese daher erbittern. Für die Regierung hätten die Kurien, die seit 1848 immer wieder, so in Fischhofs Schriften, bei den Verhandlungen 1871 und beim Ausgleich 1890 eine erhebliche Rolle gespielt hatten, den zusätzlichen Vorteil gehabt, den Tschechen gegenüber sagen zu können, daß sie unter der Voraussetzung der Kurien die Zweiteilung Böhmens als „entbehrlich" ansehe und verhindere, also dem böhmischen Staatsrecht entgegenkomme. Es ist kein Zufall, daß im Anschluß an die Badeni-Tage gerade zu diesem Problemkreis Alfred Fischel in der Wiener Wochenschrift „Die Zeit" eine grundlegende kleine Studie veröffentlichte, die in der Feststellung gipfelte, daß es sich bei dem Österreich bis in seine Fundamente unterwühlenden Nationalitätenzwist um Sein oder Nichtsein des Staates handelt und deshalb die Regierung ehebaldigst für eine Beruhigung durch die Schaffung von Kurien sorgen müsse18). Trotzdem aber wurde keine durchgreifende Tat gesetzt — schon gar nicht von der Krone. Ihr und den Regierungen kann daher der Vorwurf nicht erspart werden, daß sie nicht kraft ihrer Autorität für die Einführung eines Kuriengesetzes in Böhmen sorgten und sich immer mit Halbheiten begnügten, an denen schließlich die Monarchie zugrunde ging. In diesem Punkte 18

) A. F i s c h e l , Nationale Kurien S. 24. Fischel untermauert seine Ansicht, daß die Schaffung von nationalen Kurien „die wesentliche und vorzügliche Voraussetzung für das Friedenswerk" sei, mit dem Hinweis auf die geschichtliche Bewährung von kuriativen Trennungen, so nach dem Westfälischen Frieden bei Beratungen im Reichstag in Religionssachen, wo auch nicht die Mehrheit entscheiden durfte, sondern die katholischen und protestantischen Reichsstände als selbständige, gleichberechtigte Körperschaften aufzutreten und zu verhandeln berechtigt waren. Ein gültiger Reichstagsbeschluß konnte in diesem Fall nur durch Vereinigung der Beschlüsse beider Körperschaften zustande kommen.

Erregung der Deutschen — Die ersten Proteste

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erinnert die franzisco-josephinische Ära in aller Deutlichkeit an die Ära Metternich, die sich darin von jener kaum unterscheidet. Die Erregung der Deutschen über die Verordnung wurde durch jene tschechischen Blätter gesteigert, die den Sprachenerlaß, da durch ihn der ganze innere Amtsverkehr tschechisiert und das böhmische Staatsrecht anerkannt werde, vorerst tendenziös feierten und ihn bewußt falsch auslegten19). Außerdem erschien in vielen tschechischen Zeitungen ein Aufruf an die Beamten, „keine deutschen Quittungen mehr auszustellen und die Nation in ihrem Kampfe zu unterstützen". Die Zeitungen erklärten weiters, daß die Verordnung den Weg zu weiteren Zielen geebnet habe, also diese nur eine „Anzahlung" wäre. Kaizl gedachte ausführlich der „mannigfachen Beschränkungen", die in der neuen Verordnung „zuungunsten des Gebrauches der böhmischen Sprache" noch enthalten seien. Es werde sich ergeben, schrieb er, „daß diese Verordnungen durchaus noch nicht jene volle Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit reintegrieren, die der verneuerten Landesordnung von 1627 zugrunde liegt, sondern nur eine ansehnliche Hebung jener inferioren Stellung bewirken, die der Sprache der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung in den Sudetenländern ungeachtet der gesetzlichen Parität bis zum heutigen Tage eingeräumt war"20). Die Reform erstrecke sich nur auf Behörden innerhalb Böhmens und Mährens. Die Zentralbehörden in Wien sowie alle Instanzen des Heeres und des Eisenbahnwesens seien noch immer ausgenommen. Die radikalen Tschechen, wie etwa Vasaty, nannten überhaupt die Sprachenverordnungen Badenis gleich „eine Beleidigung des tschechischen Volkes" durch „bettelhafte Brösel", während sich dieser Zug zu ihrer Unterbewertung seitens der Tschechen bei den anderen politischen Richtungen erst allmählich durchsetzte. Vollends erbitterte die Deutschen ein in den „Národní Listy" veröffentlichter genauer Bericht Pacáks über die Verhandlungen, die von den tschechischen Delegierten mit der Regierung geführt worden waren, da sich der Verfasser darin rühmt, jeden einzelnen Paragraphen der Verordnung genau bei den Verhandlungen durchbesprochen zu haben21). Die Deutschen sahen „in dieser Einseitigkeit" bei den Verhandlungen eine „tiefe Kränkung" und eine „schmerzliche Verletzung" ihrer nationalen Gefühle. Dies alles war Öl in das Feuer, das allgemein aufflammte. Zwei Tage nach Erlassung der Verordnung lagen die ersten Protestbeschlüsse deutschböhmischer Gemeinden vor, so von Komotau, Podersam, Karbitz, Schönlinde, Teplitz, Neudek, Hohenelbe, Platten, Asch und Niemes. Sie sprechen von „nationalem Unglück", von „Demütigung des deutschen Volkes", von „schwerer Verletzung und ungerechtfertigter Zurücksetzung der Deutschen in Böhmen", von „Auslieferung des deutschen Sprachgebietes an die Tschechen" und von Ausschluß der Deutschen „von allen Behörden in ihrer eigenen Heimat". Einen Tag später folgten die Proteste der Städte Reichenberg, Tetschen, Saaz, Dux, Kaaden, Haida und Budweis. Der Ton dieser Stadtratsbeschlüsse war bereits um einige Grade aggressiver. Die Reichsratsabgeordneten wurden aufgefordert, „mit allen Mitteln die entschiedenste Opposition zu machen", auf der Forderung „der gesetzlichen Anerkennung eines geschlossenen deutschen Sprachgebietes in Böhmen zu beharren", die le

) Vgl. G. H a n s e l , Die tschechischen Stellungnahmen S. 48 ff. ) J. Κ a i ζ 1, Sprachenstreit S. 259. — Entgegen der tschechischen Behauptung, dieser Artikel sei niemals von deutscher Seite beantwortet worden, ist festzustellen, daß sich der Prager Universitätsprofessor Emil Pfersche dieser Mühe unterzog. Sein Beitrag erschien im Juni 1897 in der gleichen Berliner Zeitschrift „Die Zukunft", S. 495—499. 21 ) Wörtliche Übersetzung in der N F P , 14. April 1897, S. 4 f. 20

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VI. Die böhmischen Aufruhrakte

„Wiederaufhebung mit allen Mitteln" zu verlangen und „schleunigst zu erwirken", die „rücksichtsloseste Bekämpfung dieser Verordnungen mit allen Mitteln" zu betreiben und den „Eingriff in die Rechte der gesetzgebenden Gewalt", die „einseitige Begünstigung der Tschechen", „die Vermehrung des Zwistes in Böhmen" nicht stillschweigend hinzunehmen. Diese Beschlüsse, spontan und unabhängig voneinander gefaßt, griffen sehr bald auf die Alpenländer über. Am 13. April wurde im Klagenfurter Gemeinderat eine Resolution gegen die „Slawisierung Österreichs", die „Verdrängung der deutschen Kultursprache", die „Beleidigung der Deutschen" gefaßt und den Abgeordneten Dank und Ermunterung ausgesprochen. Der Grazer Gemeinderat folgte am 26. April. Der einstimmig angenommene Dringlichkeitsantrag wurde damit begründet, daß in den Verordnungen für Böhmen „eine Verletzung der Staatsgrundgesetze sowie ein zunächst gegen das deutsche Volk in Böhmen, mittelbar aber gegen den ganzen Volksstamm gerichteter schwerer Angriff" erblickt werden müsse. Schon aus diesen Gründen und in der weiteren Erwägung, daß schädliche Rückwirkungen von kaum absehbarer Tragweite auf die gesamte innere Politik und auf die Interessen der in den Alpenländern seßhaften Deutschen die notwendigen Begleiterscheinungen „der zwei Sprachenverordnungen für Böhmen" sein müßten, stelle sich die eheste Aufhebung als dringend geboten dar. Der Grazer Gemeinderat sprach daher die sichere Erwartung aus, „daß alle deutschen Abgeordneten, denen das Stammesbewußtsein noch nicht verlorenging, insbesondere aber die Grazer Abgeordneten" auf die Beseitigung der Sprachenverordnungen und Erlassung eines Sprachen- und Nationalitätengesetzes hinarbeiten werden. Doch damit nicht genug. Angestachelt von den „begeisterten Kundgebungen" und den „mannhaften Worten" der „wahrhaft deutschfühlenden Reichsboten" beschloß der Grazer Gemeinderat zusätzlich, dem Reichsrat eine entsprechende Petition, deren inhaltliche Verschärfung in der Sitzung vom 10. Mai verlangt wurde, vorzulegen. Ignaz Graf Attems, vom Bürgermeister gebeten, die Petition im Herrenhaus einzubringen, dankte schriftlich in überschwenglichen Worten für die ihm zugedachte Ehre. Nach einem im Gemeinderat vom 25. Mai erstatteten Bericht bat Attems, der Bürgermeister wolle geneigtest die Verfügung treffen, daß auch in Zukunft die Petitionen der Landeshauptstadt Graz ihm zur Überreichung zukommen, da er sich sehr geschmeichelt fühlen würde, der Dolmetsch der Gesinnung und der Wünsche des echt deutsch und freiheitlich gesinnten Gemeinderates sein zu dürfen. Solche Worte können nur in Zeiten des nationalen Hochfluges niedergeschrieben werden. Die Begeisterung zum Kampf gegen Badeni war allgemein. Inzwischen hatten ja längst die ersten Volksversammlungen eingesetzt, und die Abgeordneten wurden mit Zuschriften und Telegrammen überschüttet. Die Deutschen lebten im Wahne, nun ihre Stärke, ihre Kraft erkannt zu haben. Selbst die deutschen Vertrauensmänner hatten mit einer solchen spontanen Erregung bei ihren Wählern nicht gerechnet. Schlesinger versicherte dem Ministerpräsidenten am 23. April „auf Ehrenwort", daß von sehen der Parteileitung nicht der geringste Anstoß zu dieser elementaren, bereits in andere Kronländer übergreifenden Bewegung gegeben worden ist, daß vielmehr die Parteileitung schon heute mit Vorwürfen zu kämpfen habe, daß nicht schon längst durch Einberufung der großen Vertrauensmännerversammlung die Gelegenheit zu einer Massenkundgebung geboten worden ist22). Und Schlesinger sieht die Entwicklung richtig voraus. Es läge gar nicht in ihrer 32

) Brief Schlesingers an Badeni bei P. Μ o 1 i s c h, Briefe S. 347.

Die Wiener Petition an den Kaiser

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Macht, die hochgehenden Wogen zu besänftigen, selbst wenn sie dies gegen ihre politische Überzeugung versuchen wollten. Seine und die Abdankung der Fortschrittspartei selbst wäre die natürliche Folge eines solchen fruchtlosen Beginnens. Darum versuchten die Vertrauensmänner auch gar nicht die Bevölkerung aufzuklären, daß die Majorität im Abgeordnetenhaus nicht Badenis Werk war, er grundsätzlich nicht gegen die Deutschen regieren wollte und er die Verordnungen als den Beginn einer Friedensära angesehen hatte. Die Furcht vor der Ausbreitung der radikalen Gruppe, durch die selbst die Gemäßigten sich veranlaßt sahen, Unnachgiebigkeit zu mimen, hat die Politik der deutschen Parteien in den kommenden Monaten bestimmt, und zwar nicht nur in Böhmen. In Wien beschloß der Gemeinderat in seiner Plenarsitzung vom 19. Mai 1897, den Bürgermeister, seine beiden Stellvertreter und die Schriftführer als Deputation zum Kaiser mit dem Auftrage zu entsenden, diesem eine Adresse zu überreichen, die, unter Hinweis auf die Notwendigkeit einer fruchtbringenden Tätigkeit der Reichsvertretung, die Bitte um kaiserliche Anordnung enthielt, daß die Sprachenfrage in Österreich unter Aufhebung der für Böhmen und Mähren erlassenen Verordnungen im Gesetzgebungswege geregelt werde. Da es sich bei der zur Überreichung dieser Adresse angestrebten Audienz um eine politische Angelegenheit handelte, mußte ordnungsgemäß der Ministerpräsident gebeten werden, die Audienz bei Kaiser Franz Joseph zu erwirken. Im Ministerrat vom 26. Mai legte Badeni das Ansuchen der Stadt Wien dem Kabinett zur Entscheidung vor, das er allerdings von vornherein durch den Zusatz beeinflußte, daß er nicht die Absicht habe, die Zulassung dem Kaiser zu empfehlen. Wenn auch die Regierung die „verschiedenen Kundgebungen von Gemeinden, welche über deren Wirkungskreis hinausgehen und auf Grund des allgemeinen Petitionsrechtes beschlossen werden, über sich ergehen läßt", wobei die Statthaftigkeit solcher Beschlüsse nach Badenis Ansicht keineswegs bestand, „so könne sie doch eine derartige Kundgebung, wie sie mit der Überreichung der Wiener Adresse beabsichtigt sei, um so mehr als unbedingt unzulässig ablehnen, als man gewärtigen müßte, daß dem Beispiel von Wien sicher auch eine ganze Reihe von deutschböhmischen Gemeinden folgen würde". Dieser Ansicht stimmte Gautsch sogleich zu, der als Liberaler kein Interesse daran hatte, daß auch im nationalen Kampf der Christlichsoziale Lueger an Popularität gewinne. Es sei „doch unzweifelhaft unstatthaft, daß mit solchen Kundgebungen in Form von Deputationen bis an die Stufen des Allerhöchsten Thrones herangetreten werde". Die Ablehnung würde aber nicht ausschließen, dem Bürgermeister zu eröffnen, daß ihm unbenommen bleibe, um die eventuelle Vorlage der Adresse im Dienstwege einzuschreiten. Dann werde es Sache der Regierung sein zu erwägen, ob sich der Inhalt überhaupt zur Vorlage an den Kaiser eigne. Dieses Vorgehen würde ja mit den vom Ministerpräsidenten anläßlich der Beantwortung der wegen der Aufhebung eines Beschlusses des Gemeinderates von Troppau eingebrachten Interpellation am 6. Mai ausgesprochenen Intentionen übereinstimmen23). Graf Gleispach widersprach dem Unterrichtsminister mit der Be23

) Der Gemeinderat der Landeshauptstadt Troppau hatte am 14. April in einer Resolution die Sprachenverordnung für Böhmen eine „Zwangsmaßregel" genannt, ihre Erlassung „eine Verletzung der Verfassung" bezeichnet und die deutschen Abgeordneten Schlesiens aufgefordert, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln gegen ein solches Vorgehen der Regierung Stellung zu nehmen und gegen eine etwaige Ausdehnung derartiger sprachlicher Zwangsmaßregeln auf Schlesien mit aller Entschiedenheit Verwahrung einzulegen. Zwei Tage später sistierte der Landespräsident von Schlesien diese Entschließung mit der

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VI. Die böhmischen Aufruhrakte

gründung, daß es ihm, falls die Entscheidung über ein solches Ansuchen um Vorlage der Adresse gefällt werden müßte, unmöglich wäre, sich für diese Vorlage auszusprechen. Je mehr man die Autonomie zu fördern und sie zu erweitern bestrebt sei, um so strenger müsse man auf die Einhaltung der gesetzlichen Grenzen seitens der autonomen Körperschaften sehen. Was speziell die Kundgebung der Gemeinde Wien anbelange, welche durch die Sprachenverordnung in keiner Weise berührt ist und doch in einer so abnormen Form zu der Frage Stellung genommen hat, so könne auch die Haltung gegenüber dem Beschlüsse der Gemeinde Troppau schon aus dem Grunde keine Analogie bieten, weil Schlesien doch als ein durch die Sprachenverordnungen nächstbetroffenes Land insofern gelten könne, als ähnliche Verhältnisse doch wenigstens möglicherweise zu einer derartigen Verfügung auf dem sprachlichen Gebiete Anlaß bieten könnten. Ein Widerspruch mit der zitierten Erklärung des Ministerpräsidenten würde sich daher nicht ergeben, wenn ein Hinweis auf die eventuelle Vorlage der Adresse im Dienstwege in der Erledigung an den Bürgermeister von Wien unterbliebe, was sich auch deshalb empfehlen würde, weil ein solcher Hinweis schon die Geneigtheit voraussetze, einem Ansuchen dann Folge zu leisten. Deshalb wäre er für eine einfache Ablehnung des vorliegenden Ansuchens ohne weiteren Beisatz. Rittner und Bilinski pflichteten dem Justizminister bei. Bilinski betonte zusätzlich, daß die von Wien gewählte Form der Kundgebung jedenfalls ein Novum bilde, für dessen weitere Nachahmung kein Präjudizium geschaffen werden sollte. Außerdem konnte er sich einen Seitenhieb auf Gautsch nicht versagen mit der im Protokoll lediglich angedeuteten Bemerkung „hinsichtlich ähnlicher Kundgebungen einzelner Universitäten". Gautsch reagierte sofort darauf. Er müsse aufmerksam machen, „daß doch ein Unterschied bestehe, ob eine derartige Petition seitens einer Gemeinde an Seine Majestät oder seitens einer Korporation, wie es die Universität ist, an das Abgeordnetenhaus gerichtet werde". Er habe indes über die bis jetzt von den Universitäten vorliegenden Petitionen noch keine Disposition getroffen, und er behalte sich vor, auf diese Angelegenheit zurückzukommen. Die eindeutige Stimmung im Ministerrat Begründung, daß der Gemeinderat eine unberufene Kritik am Vorgehen der Regierung geübt und besonders zu einer Bekämpfung dieser Aktion aufgefordert habe. Daraufrichtete der Troppauer Abgeordnete Franz Hofmann, von den steirischen Abgeordneten der Deutschen Volkspartei unterstützt, am 28. April (XII. Session S. 345) an Badeni die Anfrage, wie er das Vorgehen des Landespräsidenten zu rechtfertigen vermöge. Badeni beantwortete diese Interpellation am 6. Mai 1897, ein Zeichen, daß damals noch nicht alle guten parlamentarischen Spielregeln verschüttet waren. Außerdem zeigte sich Badeni durchaus von einer versöhnlichen Seite : „Angesichts der Tatsache, daß politische Actionen außerhalb des gesetzlich umschriebenen Wirkungskreises der Gemeindevertretungen liegen, muß die in der Interpellation angeführte Verfügung des Herrn Landespräsidenten für Schlesien als begründet und in diesem Sinne die Anfechtung derselben als nicht zutreffend bezeichnet werden. Da die Regierung sich jedoch den Umstand vor Augen hält, daß seit einer langen Reihe von Jahren bei mannigfachen Gelegenheiten und gerade auch in der letzten Zeit aus dem in der Interpellation gedachten Anlasse in anderen Kronländern derartige Kundgebungen autonomer Körperschaften unangefochten stattgefunden haben, und da es überdies der Regierung ferne liegt, auch nur den Schein erwecken zu wollen, als stünde sie gegenüber öffentlichen Äußerungen in politischen Dingen auf dem Standpunkte eines ängstlichen Rigorismus, namentlich insolange gewisse Grenzen des Zulässigen nicht überschritten werden, so glaubt sie auch in dem berührten Falle von der bisher geübten milderen Praxis nicht abgehen zu sollen und wird dem entsprechend keinen Anstand nehmen, einem Recurse gegen die erwähnte Verfügung Folge zu geben."

Die Wiener Petition an den Kaiser — Unpopuläre Ausgleichsvorlagen

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wollte Badeni ausnützen, und so stellte er abschließend fest, daß der Gemeinderat von Wien seinen Wirkungskreis jedenfalls überschritten habe. Gegen den damit offensichtlich angestrebten strengeren Kurs der Regierung sprach eines allerdings: die Regierung mußte mit der Tatsache rechnen, daß bisher in allen Fällen, wo Gemeinden gegen die Sistierung derartiger Beschlüsse, welche eine politische Kundgebung enthielten, an das Reichsgericht appellierten, sie bei diesem sachfállig wurde. Mit der Zustimmung des Minsterrates zu einer Ablehnung des Wiener Ansuchens um Zulassung zur Audienz bei Kaiser Franz Joseph hatte sich Badeni eine Rückendeckung geholt, durch die er den Christlichsozialen gegenüber im vertraulichen Gespräch alle Schuld auf die Stimmung im Ministerrat schieben konnte. Denn noch hoffte er die Christlichsozialen und damit die Stadt Wien aus der Bewegung herauszuhalten, was ihm um so dringlicher schien, als die Alpenländer von der gleichen Erregung wie die Deutschen in Böhmen ergriffen wurden. Diese aktive Politik der Alpenländer gegen Badeni ist eine Tatsache, die im Kampf gegen die Verordnungen eine gewichtige Rolle spielte. Nun zeigte es sich gerade am Beispiel Wien und Graz, wie verfehlt es war, die Verordnungen unmittelbar nach Beendigung eines Wahlkampfes zu veröffentlichen, der in Heftigkeit geführt worden war, der die breiten Volksschichten politisch und national erregt und der in der allgemeinen Kurie überwiegend jenen Abgeordneten den Sieg gebracht hatte, die ausschließlich oder hauptsächlich eine nationale Idee vertraten24). Dieses Moment der vom Wahlkampf her noch bestehenden politischen Aufgewühltheit ist eine Hauptvoraussetzung zum Verständnis des raschen Reagierens der Deutschen, der so schnellen Steigerung der Empörung. Die Bevölkerung mußte nicht erst politisch aufgerufen werden, sie war durch die Wahlen bereits in einem Stadium allgemeiner Spannung. Eine solche vor neuen Maßnahmen erst verklingen zu lassen, hat sich stets als politische Klugheit erwiesen. Den Deutschen kam bei ihrem Kampf gegen die Sprachenverordnung noch ein Umstand zugute : Badeni mußte noch 1897 auf parlamentarischem Wege die den ungarischen Ausgleich betreffenden Gesetze durchbringen, die keinesfalls für die österreichische Reichshälfte günstig waren und so ohne Nachteil oder Schaden ein geeignetes und überdies volkstümliches Angriffsziel bilden konnten. Wären die Ausgleichsgesetze populär gewesen, hätten die deutschen Parteien es gegenüber ihren Wählern schwer gehabt, ihre Haltung zu rechtfertigen. So aber konnte Otto Lecher am Morgen des 29. Oktober 1897, am Ende seiner zwölfstündigen Rede erklären, die Deutschen wünschten, „daß alle Abmachungen vernichtet werden, welche diese unfähige Regierung mit Ungarn getroffen hat, und aus diesem Grunde allein schon — nicht lediglich wegen der Sprachenverordnungen und der anderen Sünden, müßte das Ministerium Badeni fallen". Der hervorragende Nationalökonom Eugen von Böhm-Bawerk, Finanzminister des auf Badeni folgenden Kabinetts Gautsch I, wird sich wehren, das „geistige Eigentum Badems" mit seinem Namen zu decken und so den Rücktritt der M

) Vgl. zum Wahlkampf und zur Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses die anonyme Studie über „Das österreichische Parlament" in der Berliner Wochenschrift „Die Zukunft" 1897, S. 505. — Chlumecky hatte am Ende der XI. Parlamentssession in seiner am 22. Jänner 1897 gehaltenen Schlußrede recht eindringlich auf die Gefahr des Radikalismus aufmerksam gemacht: „Ein Zug nach energischem Radikalismus macht sich allenthalben bemerkbar, den man mitunter durch einen Wettkampf mit demselben — wie ich glaube, mit Unrecht — zu bekämpfen sucht. Es ist daher die Besorgnis eine begreifliche, daß diese Strömung die neuen Wahlen und somit auch das neue Haus beherrschen wird."

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Gesamtregierung beschleunigen. Als Graf Thun im Frühjahr 1898 erneut die parlamentarische Erledigung der Ausgleichsvorlagen versuchte, setzte ein allgemeiner Sturm ein. Gegen die Ungarn wurde manch hartes, bitteres Wort ausgestoßen. In Graz verbreitete der „Grazer Bürgerverein" eine vom Rechtsanwalt Alfred Gödel und Universitätsprofessor Julius Kratter unterzeichnete Agitationsschrift, die nach dem Urteil des Statthalters „nebst trivialen und geschmacklosen Angriffen gegen die andere Reichshälfte tatsächliche Unrichtigkeiten und geradezu Absurditäten" enthielt25). So heißt es hier, „es wäre wahrlich Zeit, den Übermut der Magyaren, die trotz ihrer Bereicherung zur Lösung der sozialen Frage nichts getan haben, zu zähmen". Man müßte einfach aufhören, „im Wege eines sogenannten Ausgleiches mit unseren sauer verdienten Steuergeldern die hochmütigen, herrschsüchtigen und undankbaren Ungarn zu mästen". Es sei „bei dem ins Krankhafte getriebenen Nationalstolz und Dünkel der Magyaren als bestimmt vorauszusetzen, daß sie die volle Unabhängigkeit und Selbständigkeit jedem nur mäßigen Vorteile, den sie aus einem neuerlichen Ausgleich mit Österreich ziehen könnten, vorziehen würden. Nur dann, wenn ihnen ein neuer Ausgleich ganz besondere Vorteile in den Schoß werfen würde, dann würden sie denselben eingehen. Daraus folgt von selbst für uns der vernünftige Schluß, daß jeder Ausgleich, der zwischen uns und den Ungarn zum Abschluß kommt, für uns schlecht ist, denn einen für uns guten oder auch nur einigermaßen der Billigkeit entsprechenden Ausgleich gehen die schlauen Ungarn gar nicht ein." Daher „lieber gar kein Ausgleich mit Ungarn", denn Ungarn sei auf Österreich viel mehr angewiesen als dieses auf Ungarn. Der seltene Augenblick sei da, die Sache endlich einmal zu Österreichs Vorteil zu wenden. Was damit begehrt wurde, bedeutete nichts anderes als die Forderung, das gemeinsame staatsrechtliche Verhältnis von Österreich zu Ungarn auf eine reine Personalunion zu reduzieren. Mit der Grazer Agitationsschrift wurde ein an das Abgeordnetenhaus zu richtender gedruckter Petitionstext mitübersandt, der nur mehr von den einzelnen Körperschaften unterzeichnet zu werden brauchte. Auch hier hatten sich die Verfasser keine Zurückhaltung auferlegt. „Das bisher zwischen Österreich und Ungarn bestandene, durch den sogenannten A u s gleich' geschaffene Verhältnis hat sich im Laufe der Jahre als ein für Österreich höchst ungerechtes, drückendes und schädigendes dargestellt, sodaß eine Fortsetzung dieses verderblichen Zustandes unter gleichen oder einigermaßen ähnlichen Bedingungen wie bisher, eine große Gefahr für Österreich bilden würde, daher mit allen zulässigen Mitteln gegen eine derartige Erneuerung des Ausgleiches umsomehr entschiedene Stellung zu nehmen ist, als bei Nichterneuerung des bisherigen Ausgleichsverhältnisses riesige Geldmassen, die sonst nach Ungarn fließen würden, in Österreich bleiben und hier zum Nutzen aller in Österreich lebenden Völker zur Hebung der Landwirtschaft, des Gewerbes, des Handels, sowie zur Einrichtung einer staatlichen Altersversorgung in Cisleithanien und zur Schaffung einer selbständigen Staatsbank verwendet werden könnten."

Der letzte Ausgleich zwischen den beiden Reichshälften war mit den Gesetzen vom 21. Mai 1887 über die Beitragsleistungen zu den gemeinsamen Angelegenheiten, mit der Verlängerung des Zoll- und Handelsbündnisses und der des österreichisch-ungarischen Bankprivilegs von Taaffe geschlossen worden und galt bis 31. Dezember 1897. Das Zoll- und Handelsbündnis sollte, wurde es nicht zeitgerecht gekündigt, automatisch weitere zehn Jahre gelten. So wurde schon am 15. Februar 1896 im österreichischen Abgeordnetenhaus von allen Parteien dringlich die Kündigung gefordert. Die zwischen der österreichischen ") LA Graz Statth. Praes. 1296 — 26 — 1898.

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und der ungarischen Regierung geführten Verhandlungen waren nicht gerade von freundlichen Stimmen begleitet. Trotzdem kam es, mit Ausnahme der Quotenfrage, zu einer Einigung. Bereits am 1. Oktober 1896 bezeichnete der Finanzminister Ritter von Bilinski im Abgeordnetenhaus die Badenischen Ausgleichsvorlagen mit Ungarn als abgeschlossen, als eine feste Sache mit der Beifügung: „Im übrigen muß sich die Regierung der Tatsache fügen, daß d i e s e s Hohe Haus den Ausgleich nicht machen wird. Der Inhalt dieses Ausgleiches ist immer gut, und ich wiederhole nochmals, auf den Inhalt dieses Ausgleiches kann die österreichische Regierung ebenso wie die ungarische — und das ist ein Beweis dafür, daß das Werk gelungen ist — stolz sein." Den breitesten Raum unter den Vorlagen nahmen die Gesetzentwürfe ein, die der Durchführung der Valutaregulierung und der Erneuerung des Privilegiums der Österreichisch-Ungarischen Bank gewidmet waren. Diese sollte zwar als private Aktiengesellschaft weiter bestehen, aber unter die paritätische Autorität beider Staaten, Österreichs und Ungarns, gebeugt werden. Die Erfahrung hatte jedoch damals schon gezeigt, daß das rücksichtslose und impetuose Vorgehen der Ungarn ihnen bei Ausnützung ihrer sogenannten paritätischen Rechte stets das Übergewicht sicherte26). Von wirtschaftlicher Seite wurde zudem eine staatliche Zettelbank abgelehnt, da das österreichische Budget damals ein chronisches, wenn auch verschleiertes Defizit aufwies und die Bedürfnisse der Kriegsverwaltung ins Ungeheure stiegen. So hatte 1897, also inmitten einer vollkommen außenpolitisch ruhigen Friedensperiode, der Kriegsminister sein Budget um 30,1 Millionen überschritten, was den Abgeordneten Lecher veranlaßte zu bemerken, daß die Achtung der Kriegsverwaltung vor dem Steuergulden und vor dem Budgetrecht der Volksvertretung gleich Null sei. „Solche Gesetzwidrigkeiten nennt man in Österreich Patriotismus." Nach Ansicht der Wirtschaft sollte und durfte der Schlüssel zum Metallschatz der Bank nicht in die Hände des Finanzministers, sondern nur in die Hände der Vertrauensmänner des Kapitalismus gelegt werden, da eine staatliche 2e

) O. L e c h e r in 20. Sitzung der XIII. Session des Abgeordnetenhauses am 28. Oktober 1897 (S. 1065): „Die Politik der Ungarn ist eine herzlich einfache. Sie haben folgenden Grundsatz. Sie wollen möglichst viel von den gemeinsamen Einnahmen empfangen, sie wollen möglichst wenig zu den gemeinsamen Ausgaben hergeben, sie wollen alle gemeinsamen Institute zum möglichst größten Vorteile ihrer Reichshälfte ausnützen und sie nehmen für Ungarn jedes Vorrecht rücksichtslos in Anspruch, das ihnen irgendwie nützlich oder zweckmäßig erscheint und sind bereit, wenn es ihnen Nutzen bringt, jederzeit die Parität mit Füßen zu treten und die Gleichberechtigung hinter den Ofen zu stellen. Sie haben weiters das System, vor platonischen Paragraphen, vor Noten und Versprechungen durchaus nicht zurückzuschrecken." — Vgl. auch Lechers Rede am 28. April 1897 (XV. Session S. 329—340) und seinen Beitrag: Der österr.-ungar. Ausgleich S. 281. — Es ist kein Zufall, daß gerade 1897 die deutsche Übersetzung des Buches von J. Andrássy d. J. über Ungarns Ausgleich mit Österreich erschien, in welchem er das ständige Staatsbündnis mit Österreich verteidigte. — Vgl. auch A. S p i t z m ü l l e r , Die staatsfinanziellen Vereinbarungen. — Zur weiteren Entwicklung der Zollfrage R. S i e g h a r t , Zolltrennung u. Zolleinheit. — Dazu H. F r i e d j u η g, Histor. Aufsätze S. 170—175. — R. C h a rm a t ζ (Deutsch-österr. Politik S. 133 f.) erklärte 1907: „Auch der staatsrechtliche Dualismus ist unhaltbar geworden . . ." „Der Übergang zur Personalunion ist nicht mehr zu vermeiden." — Vgl. die Artikelserie „Der österreichisch-ungarische Ausgleich" im 19. Jg. der Monatsschrift „Deutsche Worte". Verfasser der sieben ausgezeichneten Untersuchungen waren St. B a u e r , H. F r i e d j u η g, O. L e c h e r , Κ. S c h w e i t z e r , F. T e z n e r , L. V e r k a u f , O. W i t t e l s h ö f e r. — A. M a t l e k o v i t s , Geschichte des ungar. Staatshaushaltes S. 77 und 87.

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und obendrein dualistisch eingerichtete Bank zum Tummelplatz politischer Einflüsse herabgewürdigt werden mußte. Ungarn hatte nun allerdings das Recht zur Errichtung einer selbständigen Notenbank, ohne jedoch damals noch in der Lage zu sein, eine eigene Bank gründen zu können. Die österreichische Regierung war also hier bei den Verhandlungen in unbedingtem und uneinnehmbarem Vorteil. Trotzdem hat Badeni diese günstige Lage nicht ausgenützt und der Dualisierung des Geldwesens, das gleich der Armee ein starkes Bollwerk der Reichseinheit gewesen war, ohne weiteres zugestimmt. Noch größere Nachteile für Österreich enthielt der zweite Teil der Ausgleichsverhandlungen, der das Zoll- und Handelsbündnis umfaßte. Dieses mußte staatsrechtlich nach gleichen, von Zeit zu Zeit zu vereinbarenden Grundsätzen geregelt werden, und auf ihm beruhte die Gemeinsamkeit des Wirtschaftsgebietes der Monarchie. Nun stand die Wichtigkeit des ungarischen Marktes für die österreichischen Industrieprodukte und des österreichischen Marktes für die ungarischen Agrarprodukte solange außer Zweifel, solange allein der Österreich-ungarische Markt in Betracht gezogen wurde. Österreichs natürliche Richtung der Industrieausfuhr wies über Ungarn hinaus auf den Balkan, zumal die Donau als eine geeignete Wasserstraße den Transport erleichtern half. Handelsbeziehungen zur unteren Donau bestanden ja schon lange und die Völker des Balkans, so Rumänen und Südslawen, waren zudem durch das nationale Band mit zahlreichen Stammesgenossen in der Monarchie verbunden. So hatte Österreich bis in die Mitte der achtziger Jahre nach den Donaureichen einen bedeutenden Industrieexport aufgebaut, der sich weiter zu entwickeln versprach, da die politische Emanzipation dieser jungen Staatengebilde mit einer Hebung der Konsumfähigkeit verbunden war. Allein jede gesunde Handelstätigkeit beruht auf Gegenseitigkeit, und die Balkanstaaten wollten die österreichischen Tuche, Kleider und Schuhe mit Weizen, Ochsen und Schweinen bezahlen. Das bedeutete für Ungarn eine gefährliche Konkurrenz, weshalb es unter allerlei veterinärpolizeilichen Vorwänden die Grenze im Süden und Osten versperrte und den von dort kommenden Getreide- und Pflaumentransporten alle nur möglichen Schwierigkeiten bereitete. Als sich Rumänien und Serbien zu Gegenmaßnahmen genötigt sahen, kam es zu Verstimmungen, Repressalien und endlich zum Zollkrieg mit Rumänien, durch den dem österreichischen Export ein aufnahmefähiger Markt geraubt wurde. Vom Ausbruch des rumänischen Zollkrieges bis zum Beginn des Ministeriums Badeni hatte sich die österreichische Ausfuhr nach Rumänien, Serbien und Bulgarien um 50 Millionen Gulden im Jahr vermindert, ein unermeßlicher Schaden, zumal in diese Jahressumme noch gar nicht der mögliche Anstieg des Exportes bei liebevoller Pflege des Balkanhandels einkalkuliert ist. Besonders die Textilindustrie litt an dieser Entwicklung, und Österreichs Industrie mußte daher von dem neuen Zoll- und Handelsbündnis mit Ungarn verlangen, daß es dem Industrieexport nach dem Balkan nicht jede Zukunft nehme. Ungarn mußte, mit anderen Worten, die Macht, willkürliche Viehimportverbote zu erlassen und Transportwege zu sperren, genommen werden. Aber gerade in dieser Richtung traf der von dem Kabinett Badeni vereinbarte Ausgleich keine Vorkehrungen, was um so bedauerlicher war, als die handelspolitische Feindschaft gegen die Donaufürstentümer auch in politischer Beziehung für die Monarchie böse Früchte zu tragen begann. Das Verhängnis war ja, daß die Monarchie dem Orient gegenüber die ungarische Seite zeigte und sie dort, durch Ungarns rücksichtslose Nationalitätenpolitik, als Feind der Rumänen und Südslawen galt. Da durch Ungarns Verhalten den Donaustaaten die Möglichkeit eines Exportes ihrer Pro-

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dukte nach Norden und Westen genommen war, drängten sie naturgemäß nach dem Schwarzen und dem Ägäischen Meer. Rumänien und Bulgarien opferten Unsummen für Eisenbahn- und Hafenbauten am Pontus Euxinus, wobei sie auf diesem Weg wohl oder übel in den Machtbereich und unter die Botmäßigkeit Rußlands kommen mußten. Serbien und Bulgarien strebten nach Mazedonien und Saloniki, um sich den Exportweg nach dem Ägäischen Meer zu sichern. Durch dieses gleichartige Streben mußte sich Zündstoff anhäufen, während die Monarchie absolutes Interesse haben sollte, den Frieden auf dem Balkan zu fördern und nicht durch Versperrungen der Handelswege nach Norden und Westen die Eifersucht Serbiens und Bulgariens um das Tor nach dem Süden zu schüren. Unter diesen Voraussetzungen war die Stimmung gegenüber Ungarn nicht gerade günstig, zumal es bestrebt war, durch einen modernen ungarischen Colbertismus in Form von Steuer-, Zoll- und Eisenbahnnachlässen, Grundschenkungen, Zuwendungen von öffentlichen Lieferungsaufträgen, finanziellen Begünstigungen aller Art, persönliche Auszeichnungen und Adelsverleihungen an Fabrikanten, durch Verbot von Reklame für österreichische Waren in den ungarischen Bahnstationsgebäuden, durch Vergebung von Lieferungsaufträgen, wo es nur ging, ausschließlich an ungarische Firmen eine eigene Industrie zu schaffen27), die naturgemäß die österreichische Ausfuhr nach Ungarn schwächen mußte. So hatten bereits damals in einzelnen Industriezweigen, wie in der Glas-, Zucker-, Chemikalien- und Maschinenerzeugung, der Elektrotechnik und vor allem in der Müllerei, die ungarischen Produkte so siegreich nach Österreich übergegriffen, daß sich die Stimmen mehrten, die „Schutz vor Ungarn" verlangten. Ungarn hat gegen diese Forderungen mit der Errichtung ungarischer Zollschranken gedroht. Allein österreichische Wirtschaftsexperten erklärten, daß zwar der Schaden ein beträchtlicher wäre, jedoch Österreich durch Gewährung von Exportprämien den ungarischen Zolltarif unschädlich machen könnte, die Kosten dafür die „exorbitanten Opfer für die gemeinsamen Auslagen" nicht überstiegen und ein ungarischer Zolltarif mit der Spitze gegen Österreich bald zusammenbrechen müßte, da durch zoll- und eisenbahntarifliche Maßnahmen der ungarische Agrarexport so herabgedrückt werden könnte, daß Ungarn in einem solchen Zollkrieg sehr schnell seine Niederlage erkennen müßte. Entgegen diesen Überlegungen ließ sich Badeni von den Ungarn einschüchtern, die erklärten, reichsdeutsch-preußische Kapitalgeber würden unter dem Schutz der ungarischen Zollmauern in Magyarien Fabrik an Fabrik errichten und das Deutsche Reich dem ungarischen Agrarexport willig seine Tore öffnen. Allein der Faktor „deutscher Markt für Ungarns Mehl, Ochsen und Borstenvieh" war eine höchst unbestimmte Größe in der handelspolitischen Rechnung. Außerdem erhob sich die Frage, wo die neue ungarische Industrie ihre Arbeiter finden werde. Die Gefahr, daß die in der ungarischen Zukunftsindustrie zur Geltung gelangten slawischen Proletariermassen, denn auf solche war die ungarische Industrie angewiesen, den ungarischen Nationalstaat revolutionär verändern 27

) J. S z t e r é n y i , Die ungarische Industriepolitik. (Vom ungar. Standpunkt aus.) — A. M a t l e k o v i t s , Die Großindustrie Ungarns. — Zur Beurteilung der österr. Industrie vgl. im Gegensatz dazu F. H e r t z , Die Schwierigkeiten der industriellen Produktion in Österreich. — Zur sozialen und wirtschaftlichen Struktur Ungarns A. M a y , The Hapsburg Monarchy S. 227—251. — E. v. P h i l i p p o v i c h , österr.-ungar. Handelspolitik und die Interessen Österreichs. — J. Β u η ζ e 1, Lage der gewerblichen Arbeiter in Ungarn.

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würden, war ein hoher Kaufpreis für das als agrikoler Verfassungsstaat großgewordene und zu Ansehen gelangte Ungarn. Badeni hatte auch hier die Situation des Verhandlungspartners nicht erfaßt und selbst kein großes Konzept gehabt. Die vom Abgeordnetenhaus, von diversen landwirtschaftlichen Körperschaften und anderen Korporationen bewußt und mit Hintergedanken gestellten Anträge auf Kündigung des Zoll- und Handelsbündnisses mit Ungarn, versäumte er als ein in die Hand der Regierung gelegtes Pressionsmittel zu verwenden und unter Hinweis auf die Haltung der Bevölkerung Vorteile für Österreich zu erreichen. Die Stimmung im Abgeordnetenhaus wäre für den Ausgleich trotzdem „keine ganz ungünstige" gewesen, sofern Badeni einige halbwegs namhafte Erfolge beim Ausgleich erzielt und er in innerpolitischen Fragen eine glücklichere Hand gehabt hätte. Nicht nur die Ausgleichsverhandlungen, auch die Badenischen Sprachenverordnungen selbst hatten eine außenpolitische Seite. Durch die Obstruktion im Abgeordnetenhaus mußte das Ausland aufmerksam werden, das Ansehen des polyglotten Staates in der Welt Einbuße erleiden. Das Duell Badeni im Herbst 1897 hat in England allgemeines Aufsehen erregt. Das Deutsche Reich wurde durch die von der Deutschen Reformpartei für den 9. Mai nach Dresden einberufene Versammlung mit der Tagesordnung „Die Lage der Deutschen in Österreich und die Stellungnahme gegenüber den bedrängten Volksgenossen" unmittelbar in die Geschehnisse hineingezogen. Von den österreichischen Abgeordneten waren in Dresden die Schönerianer Karl Irò, Karl Türk, von der Deutschen Volkspartei Karl Kittel und Heinrich Prade anwesend. Das Wort zu ergreifen war ihnen durch die dortige Polizei verboten worden. Die Versammlung, an der 2000 Menschen teilnahmen und die drei Telegramme, an den deutschen Kaiser, dem der Dank für sein Eintreten für die deutschen Volksgenossen im Ausland ausgesprochen wurde, an den König von Sachsen und an den Fürsten Bismarck beschloß, wurde von der Polizei aufgelöst. Es wird noch zu zeigen sein, wie leicht die weiteren Vorgänge im Sommer 1897 zu einer Verstimmung zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich, dem mächtigsten Bundesgenossen der Doppelmonarchie, hätten führen können. Wie Deutschland, allein schon wegen der Erhaltung der militärischen Schlagkraft Österreichs, an der Sicherung der deutschen Position in der Monarchie interessiert war und sein mußte, hatte Rußland das Interesse, die Stellung der Slawen in Österreich zu festigen. Vom 27. bis 29. April 1897 hatte Kaiser Franz Joseph dem Zaren Nikolaus II. in St. Petersburg einen offiziellen Besuch abgestattet. Am 30. Mai kehrte der russische Botschafter Peter Graf Kapnist nach Wien zurück. Er war am 25. Mai vom Zaren noch in Tsarskoe-Selo in Audienz empfangen worden, deren Verlauf Kapnist dem österreichischen Botschafter in Petersburg, Franz Prinz von und zu Liechtenstein, mitteilte. Dieser wiederum erstattete an den österreichisch-ungarischen Außenminister Graf Agenor Goluchowski am 29. Mai über das Gespräch mit Kapnist einen Bericht28), in welchem es heißt : „Der Graf teilte mir den Verlauf seines Gespräches mit Seiner Majestät in folgender Weise mit: . . .Auf die inneren Verhältnisse österreich's übergehend, bemerkte Kaiser Nicolaus zu Kapnist, daß ihm Graf B a d e n i mit der S ρ ra c h e η ν e r o r d η u η g nur den b e r e c h t i g t e n W ü n s c h e n d e s z u r Ü b e r m a c h t g e l a n g t e n S l a v i sm u s R e c h n u n g g e t r a g e n zu h a b e n s c h e i n e . 28

) H.H.St.A. Ausw. Amt X/108 f. 373—380.

Die außenpolitische Seite der Sprachenverordnungen

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Der Botschafter flocht in seine Erzählung ein, wie sehr er persönlich dem österr. Ministerpräsidenten zu Dank verpflichtet sei, der nicht nur in der Petroleumfrage trotz der Sonderinteressen Galiziens den Standpunkt, daß Rußland besseres und billigeres Petroleum Österreich geben könne, einnehme, sondern auch jetzt der beabsichtigten Durchfuhr Russischer Schafe durch Österreich und die Schweiz nach Frankreich jede Erleichterung zu gewähren sich bereit erklärt hat. Besonders, fügte er streng vertraulich hinzu, habe sich Graf Badeni dadurch ein großes Verdienst erworben, daß er die Überführung der Leiche eines von den Altgläubigen als heilig verehrten Bischofs Isidor (?) (!) von Triest nach Bjelokrynica in der Bukovina hintertrieben habe. Kapnist war von Pobedonostzew ohne Vorwissens des Ministers des Äußern gebeten worden, in diesem Sinne zu wirken, da zu befürchten sei, daß der Fanatismus der Altgläubigen, die, seitdem man sie nicht mehr in Rußland verfolge, allmählich verschwänden, dadurch neue Nahrung finde."

Die Bemerkung Zar Nikolaus' II. „von den berechtigten Wünschen des zur Übermacht gelangten Slavismus" zeigt, wie notwendig es gewesen wäre, daß vom Parlament das Ansehen und die Einmütigkeit des Staates gewahrt worden wäre. Die Tschechen hatten allerdings nicht viel Interesse mehr daran, und Schönerer und die „Unverfälschten deutschen Worte", die zum führenden Obstruktionsblatt wurden, verfolgten alles, was österreichisch war und fühlte mit unauslöschlichem Haß. Die großen von den Sprachenverordnungen ausgelösten Ereignisse sind bekannt. Im Parlament setzte sofort am 6. April, als nach der Wahl des Büro die meritorischen Arbeiten beginnen sollten, die Opposition gegen die Sprachenverordnungen ein. Die Abgeordneten der Deutschen Fortschrittspartei, der Deutschen Volkspartei und des Alldeutschen Verbandes hemmten die Verhandlungen über das Rekrutenkontingent und das Budget für das laufende Jahr durch gesondert eingebrachte Dringlichkeitsanträge über die Aufhebung der Verordnungen vom 5. April und Regelung der Sprachenfrage im Wege der Gesetzgebung. Am 9. April kamen die drei Dringlichkeitsanträge zur Begründung. Badeni selbst griff in die Debatte ein. Am Schluß seiner fast nach jedem Satz von rechts und links unterbrochenen Rede appellierte er an beide Volksstämme in Böhmen, wobei er nicht versäumte, die Bemerkung hinzuzufügen, es erweise sich allerdings als notwendig, „daß der böhmische Volksstamm, der auf das Zusammenleben mit dem deutschen Volksstamm angewiesen ist, im wohlverstandenen eigenen Interesse und beseelt vom gemeinstaatlichen Patriotismus, zur Besserung der gegenseitigen Beziehungen und zur Schaffung friedlicher Verhältnisse in Böhmen auch das Seinige beitragen wird". Da Justizminister Graf Gleispach erkrankt war, hatte in der gleichen Sitzung Sektionschef Dr. Ignaz Edler von Ruber die undankbare Aufgabe, hinsichtlich der Justizverwaltung die Sprachenverordnung und das Einschlagen des Verordnungsweges zu verteidigen. Ruber wies auf die Reihe der Präzedenzfälle hin, in denen die Regelung bei den Gerichtsbehörden in Böhmen, aber auch beim Oberlandesgericht in Graz, im Verordnungswege erfolgte. Bei der anschließenden namentlichen Abstimmung wurde mit 221 gegen 153 Stimmen die dringliche Behandlung der Anträge abgelehnt. Badeni, obwohl er mit solchem Widerstand nicht gerechnet hatte, versuchte nicht einmal, wenigstens die Verordnung für Mähren zurückzuhalten. Im Ministerrat vom 15. April, in welchem auch die Erwirkung der Bestätigung der Wahl Luegers zum Wiener Bürgermeister behandelt wurde, sprach Badeni lediglich den Wunsch aus, die Sprachenverordnung für Mähren und den die böhmische

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Sprachenverordnung erläuternden Vollzugserlaß „baldmöglichst nach Ostern" in Beratung zu ziehen. Als Vorbedingung für die mährische Sprachenverordnung hatte Kaizl namens des Tschechenklubs nach Beilegung der Ministerkrise noch zusätzlich die Trennung der Volks- und Bürgerschulen in Mähren nach der Unterrichtssprache verlangt. Auch dieses Begehren kam im Ministerrat zur Sprache und Gautsch, einige Mißverständnisse hinsichtlich der sprachlichen Verhältnisse an den mährischen Mittelschulen aufklärend, wies lediglich auf den seit 1871 in Böhmen bestehenden Erlaß hin. Widerstand leistete er keinen. Ein am 15. April eingesetztes Ministerkomitee trat am 20. April zusammen und legte am Tag hernach dem Ministerrat seine Anträge vor. Im Protokoll heißt es kurz und bündig : „Der Ministerpräsident bringt hierauf, gleichfalls unter Hinweis auf die bereits vorausgegangenen Besprechungen, die Angelegenheit der Sprachenverordnung für Mähren zur Schlußfassung. Nachdem die Hinausgabe einer solchen analogen Verordnung für Mähren unerläßlich erachtet und nur der Zeitpunkt für die betreffende Aktion offengehalten wurde, erklärt sich nunmehr nach der Proposition des Ministerpräsidenten der Ministerrat einhellig einverstanden, daß die den Gebrauch der Landessprachen bei den Behörden in der Markgrafschaft Mähren betreffende Verordnung, sowie die damit zusammenhängende Verordnung über die sprachliche Qualifikation... — vollkommen gleichlautend mit den betreffenden Verordnungen für Böhmen zu erlassen seien."

Was bei den „vorausgegangenen Besprechungen" abgehandelt wurde, wissen wir nicht. Am 15. April war es jedenfalls noch nicht sicher, daß die Sprachenverordnung für Mähren den gleichen Wortlaut wie die für Böhmen erhalten werde, denn über eine Frage Badenis bemerkte Gleispach, daß für sein Ressort in Mähren die Verhältnisse günstiger liegen als in Böhmen und von seinem Standpunkt daher eine wesentliche Änderung gegenüber den Bestimmungen der für Böhmen erlassenen Verordnung kaum nötig falle. Auch über die am 21. April erfolgte Diskussion zu den einzelnen Punkten des Durchführungserlasses zu den Sprachenverordnungen erfahren wir nichts. Der Entwurf war von Badeni ausgearbeitet, am 15. April an Gleispach „zur entsprechenden Benützung" weitergegeben und am 20. April vorberaten worden. Im Ministerrat wurde lediglich noch vereinbart, daß die beteiligten Ministerien prinzipiell gleichlautende Erlässe hinausgeben sollten, allerdings unter Berücksichtigung der speziellen Bedürfnisse der einzelnen Ressorts. Gerichtet wurden die Erlässe an den Statthalter in Böhmen als Statthalter und als Präsident der Finanzlandesdirektion, an den Präsidenten des Oberlandesgerichtes, an die Oberstaatsanwaltschaft in Prag, an die Post- und Telegraphendirektion in Prag, an die Berghauptmannschaft und die k. k. forsttechnische Abteilung für Wildbachverbauung in Königl. Weinberge. Beschlossen wurde weiters, wesentlich gleichlautende Vollzugsvorschriften auch für Mähren hinauszugeben. Friedrich Kornauth irrt also, wenn er die Entwicklung so darstellt, als hätten die Vorgänge im Parlament Badeni bewogen, neuerlich seine Demission anzubieten, und der Plan, rasch wieder beseitigt, sei „nur durch einen Justizministererlaß vom 27. April 1897 ersetzt" worden, „der den § 7 der Verordnungen milderte, indem er anordnete, daß diese den inneren Dienst bei Gerichten nicht tangierten"29). Sollten wirklich neuerliche Demissionsabsichten bestanden haben — ein ursächlicher Zusammenhang mit den bereits in den ersten, die Sprachenverordnungen behandelnden Ministerratssitzungen erwähnten Vollzugserlässen, denn es 2β

) F. Κ o r η a u t h, Graf Badeni S. 80.

Die Sprachenverordnung für Mähren — Der Vollzugserlaß Badenis

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handelt sich nicht nur, wie Kornauth meint, um den einen des Justizministers, läßt sich nicht konstruieren. Die Tschechen waren über den Inhalt der Vollzugserlässe schwer empört, da sie manches zurücknahmen, was gewährt erschien30). Erlaß des Ministerpräsidenten als Leiter des Ministeriums des Innern an den Statthalter in Böhmen. Die Ministerialverordnung vom 5. April 1897, betreffend den Gebrauch der Landessprachen bei den Behörden im Königreiche Böhmen hat den Zweck, die Regelung der sprachlichen Behandlung von Parteisachen, welche nach der Verordnung vom 19. April 1880, L.G.B1. Nr. 14 auf den äußeren Verkehr der Behörden mit den Parteien beschränkt war, nunmehr auf alle Amtshandlungen auszudehnen, welche der Erledigung oder Entscheidung einer Parteisache dienen. Den politischen Behörden wird es sonach obliegen, die Bestimmungen der eingangs erwähnten Verordnung im ganzen Bereiche des Verhandlungs- /Erhebungs-/ Entscheidungsund Vollzugsverfahrens bei Amtshandlungen über Anliegen von Parteien, Gemeinden und autonomen Organen und in den von diesen anhängig gemachten Administrativprocessen, ferner bei Amtshandlungen in den von Amtswegen gegen Parteien, Gemeinden und autonome Organe wahrzunehmenden administrativen und polizeilichen Angelegenheiten endlich in Strafsachen, im vollen Umfange in Anwendung zu bringen. Dagegen haben die Bestimmungen der eingangs erwähnten Verordnung a u f A n g e l e g e n h e i t e n des i n n e r e n Dienstes, w e l c h e n i c h t P a r t e i s a c h e n b e t r e f f e n , insbesondere auf Präsidialsachen, ferner auf den Registraturdienst der Behörden und auf den administrativen Rechnungsdienst k e i n e A n w e n d u n g zu finden. In ersterer Beziehung ist insbesondere darauf zu verweisen, daß die im Dienstverbande der Behörden stehenden Beamten, Angestellten und Diener in ihren persönlichen Beziehungen zu den Dienstbehörden nicht als Parteien im Sinne der in Rede stehenden Verordnung aufgefaßt werden können, und daß es daher rücksichtlich der Amtshandlungen in Personalsachen und Disciplinarangelegenheiten bei den bestehenden Vorschriften zu verbleiben hat. Für die vertraulichen und streng officiösen Correspondenzen der Behörden untereinander ist die allgemeine Dienstsprache nach wie vor maßgebend. In dieser Sprache sind alle Berichte politischer und polizeilicher Natur, dann die Berichte über statistische Daten, welche direktivmäßig an die Oberbehörden zu deren Amtsgebrauche erstattet werden, ferner alle Berichte, gutächdichen Äußerungen und Auskünfte zu erstatten, welche von der Oberbehörde fallweise in der Dienstsprache abgefordert werden. Was schließlich die von den politischen Behörden zu führenden Vormerke anbelangt, so wird grundsätzlich daran festzuhalten sein, daß für das Einreichungsprotokoll und jene Vormerke, in welche den Parteien Einsicht zu nehmen gestattet ist oder aus welchen über Verlangen Abschriften erfolgt werden, der § 12 der eingangs erwähnten Verordnung maßgebend ist, daß somit die Eintragungen in diese Vormerke nach der Sprache des betreffenden Parteiactes, bzw. der Parteien zu erfolgen haben. Hierher gehören insbesondere das Aufgebotbuch und die Eheregister für Civilehen, das Wasserbuch mit der Wasserkarten- und Urkundensammlung, der Waldcataster, das Gewerberegister, die Hilfscassenregister u. a. Jene Vormerke, welche von den politischen Behörden nur für den amtlichen Gebrauch geführt werden, sind dagegen ausschließlich in der Dienstsprache zu führen. Hievon beehre ich mich Eure Excellenz mit dem Ersuchen in die Kenntnis zu setzen, die der Statthalterei unterstehenden Behörden und Ämter über die ihnen aus der eingangs erwähnten Verordnung erwachsenden Pflichten entsprechend belehren und von den diesfalls erlassenen Weisungen anher Abschriften vorlegen zu wollen. 30

) Ministerratsprotokoll vom 21. April, 1. Beilage, S. 289—290. Die dem Inhalt nach gleichlautende Verordnung des Justizministers an das Oberlandesgericht in Brünn bei A. F is c h e i , Sprachenrecht S. 251 f. Nr. 421.

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Sutter, Sprachenverordnungen I.

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VI. Die böhmischen Aufruhrakte

Was die gleichzeitig erlassene Verordnung betreffend die sprachliche Qualification der bei den Behörden im Königreiche Böhmen angestellten Beamten betrifft, ersuche ich Eure Excellenz mir hinsichtlich der nach § 2 dieser Verordnung zu erlassenden Verordnungen gefälligst geeignete formulierte Vorschläge erstatten zu wollen, welche einerseits die Modalitäten zu umfassen haben werden, wie die bei der Statthalterei vorzunehmenden praktischen Prüfungen zum Zwecke des Nachweises über die sprachliche Befähigung umzugestalten wären, und andererseits sich auf die zur Erweisung der sprachlichen Befähigung eigens anzuberaumende Prüfung zu beziehen hätten. In letzterer Beziehung wäre in Erwägung zu ziehen, ob es sich nicht empfehlen würde, die praktische sprachliche Prüfung für die Beamten aller bezüglichen Ressorts im Lande durch eine einzige gemeinsame Prüfungscommission vornehmen zu lassen, in welche die einzelnen Ressorts Prüfungscommissäre fallweise entsenden könnten. Diesfalls wollen Eure Excellenz zunächst mit den anderen in Betracht kommenden Landesbehörden das Einvernehmen pflegen und das Resultat den zu erstattenden Vorschlägen zu Grunde legen."

Wenige Tage vor Erlassung dieser Verordnung, am 23. April, hatte Kaizl unter dem Druck radikaler Strömungen bei Badeni brieflich um Weisungen an die Behörden gebeten. „Es ist dringend notwendig", schrieb er, „daß die Behörden Weisung betreffend die sofortige Durchführung der Sprachenverordnung erhalten. Manche tun, als ob nichts geschehen wäre und warten offenbar; manche lassen es bei Halbheiten bewenden. Das Ergebnis ist die Verblassung des guten Eindruckes, den die Verordnungen hervorgerufen, und das ich im Interesse unserer Politik bedauere. Ich habe heute den Herrn Statthalter aufmerksam gemacht, daß weder die Finanz-Landesdirektion noch die Postdirektion, ebenso das Strafgericht, die Polizei-Direktion die Verordnungen entsprechend durchführe. Ich habe ihn ersucht, er möge ein offiziöses Communiqué erscheinen lassen, des Inhaltes, daß die Vorbereitungen zur vollen Durchführung der Verordnung bei den Behörden im vollen Zuge sind, und daß laut werdende Klagen wider die Behörden unberechtigt sind, weil dies und jenes nicht im Handumdrehen fertiggebracht werden kann."31) Wie bitter enttäuscht mußte Kaizl gewesen sein, daß Badeni das ihm ebenfalls vorgeschlagene offizielle Kommunique an die Prager amtliche Zeitung ablehnte und lediglich ohne nähere Angabe ihres Inhaltes Durchführungsbestimmungen versprach. Diese, obwohl „streng vertraulich" hinausgegeben, blieben nicht geheim und gelangten wortgetreu in die Öffentlichkeit, in der sie auf tschechischer Seite allgemeine Empörung hervorriefen. Politisch hatte Badeni damit nichts gewonnen, sondern nur seine eigene Situation erschwert. Als er das einsah und der Druck der verhältnismäßig kleinen Gruppe der Radikalen auf die Jungtschechen sich verstärkte, zog er die Vollzugserlässe zurück32). Mit dem Erscheinen der Sprachenverordnung für Mähren am 22. April 1897 war für die Linke das Zeichen zum äußersten Widerstand gegeben. Ein Redakteur eines deutschböhmischen Provinzblattes verlangte die Obstruktion, und als nach Beendigung der vom 10. bis zum 27. April dauernden Osterferien das Parlament ") J. K a i z l , Ζ mého «vota III, S. 586 f. und S. 412. ) In seiner großen Obstruktionsrede am 28. Oktober 1897 charakterisierte Lecher recht trocken die schwankende Politik Badenis: „Es ist ja die Methode Seiner Exzellenz, des Herrn Ministerpräsidenten, die er, seit er nach Westösterreich gekommen ist, bei jeder großen Frage, vor der er gestanden ist, angewendet hat, auch bei der ersten großen Frage, die ihn hier erwartete, bei der Wiener Bürgermeisterfrage, immer erst etwas schlecht zu machen und dann, wenn er sich blamiert hat, es noch einmal zu machen und wieder schlecht." (Stenogr. Prot. XIII. Sess. S. 1111.)

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Parlamentarischer „Ausnahmezustand"

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am 28. April wieder zusammentrat, griff die Deutsche Fortschrittspartei diese Parole auf und brachte, wie die Alldeutschen, einen Dringlichkeitsantrag über die sofortige Aufhebung der Sprachenverordnung für Mähren ein. Als der Präsident des Hauses vorschlug, die Dringlichkeitsanträge erst nach Erledigung der Tagesordnung zur Debatte zu stellen und sich die überwiegende Mehrheit dafür aussprach, setzte die von der Presse und den Wählern geforderte Obstruktion ein und verzögerte jede Arbeit zunächst durch eine endlose Reihe namentlicher Abstimmungen. Zwei Tage nach Beginn des vom Abgeordneten Dr. Lecher am 28. April proklamierten „parlamentarischen Ausnahmezustandes" stellte die Deutsche Fortschrittspartei durch die am 16. April 1897 über Veranlassung Badenis durch den Kaiser erfolgte Bestätigung Luegers zum Bürgermeister von Wien erbittert und durch das Gerücht über eine Ausdehnung der Verordnungen auf Schlesien beunruhigt, den Dringlichkeitsantrag auf Erhebung der Ministeranklage gegen alle Mitglieder des Kabinetts Badeni, von denen die Sprachenverordnung unterfertigt worden war33). Zusätzlich kündigte sie ihre Obstruktion auch in wirtschaftlichen Fragen an. Der Vorstand des parlamentarischen Verbandes der Deutschen Volkspartei, Dr. Otto Steinwender, erklärte jedoch, diesen letzteren Schritt der Deutschen Fortschrittspartei mit seinem Gewissen nicht vereinen zu können. So beschloß die Deutsche Volkspartei am 10. Mai, während bereits die Debatte über die Gesetzesvorlage betreffend die Handelskonvention mit Bulgarien begann, daß sie die von der Fortschrittspartei angekündigte Obstruktion in wirtschaftlichen Fragen nicht mitmachen werde. Diese Entschließung rief so großen Widerstand bei den Fortschrittlichen und bei der Mehrzahl der nationalen deutschen Wähler hervor, daß der Klub der Deutschen Volkspartei sehr rasch einlenken mußte. Das „Grazer Tagblatt" zog alle Register der Journalistik und der Demagogie. Das Volk juble den Abgeordneten zu, und in Hunderten von Kundgebungen sei der Kriegsruf „Obstruktion" als ernste, wohlerwogene, unerbittliche Forderung an die Abgeordneten gerichtet worden. Wenn da eine Enttäuschung einträte, sie wäre furchtbar. „Wir glauben nicht daran, aber wir fühlen uns gedrungen, im Sinne der Parteileitung der Deutschen Volkspartei Steiermarks, im Sinne der gesamten deutschnationalen Wählerschaften Steiermarks und Kärntens zu erklären, daß wir mit voller Hingebung, ausdauernd, und ohne Scheu vor Opfern, hinter den deutschen Abgeordneten stehen, wenn sie den Pfad der Obstruktion nicht um Haaresbreite verlassen. Käme es, was wir für unmöglich halten, zu einer Lockerung, zu einer Durchbrechung des Beschlusses, so wäre eine Berufung auf die deutschgesinnte Wählerschaft also gewiß nicht gestattet." Auch die übrige Provinzpresse sprach sich mit rücksichtsloser Schärfe aus. In der „Tetschen-Bodenbacher Zeitung" wurde das Vorgehen der Deutschen Volkspartei mit dem Sprichwort „Wasch mir den Pelz und mach mich nicht naß" 33

) Die Ministeranklage war zweifellos eines der schärfsten Mittel, deren sich parlamentarische Parteien bedienen konnten — nicht mußten —, um einen Minister wegen Gesetzesverletzung zur Verantwortung zu ziehen. Die Anwendung dieses Mittels setzte nach den Bestimmungen des Gesetzes vom 25. Juli 1867, RGBl. 101, voraus, daß ein Minister durch innerhalb seines Wirkungskreises begangene Handlungen und Unterlassungen vorsätzlich oder aus grober Fahrlässigkeit die Verfassung des Staates oder eines Landes, oder ein anderes Gesetz verletzt habe. Nicht jede Gesetzesverletzung seitens eines Ministers mußte zur Stellung eines Anklageantrages führen. Für die politischen Parteien war die Bedeutung der Verletzung, noch mehr ihr politisches Interesse an der tatsächlichen Einleitung einer Verfolgung ausschlaggebend.

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VI. Die böhmischen Aufruhrakte

charakterisiert. Am 12. Mai heißt es in der Abendausgabe der „Neuen Freien Presse", die Wählerschaften scheinen für das Gaukelspiel des Herrn Steinwender und Genossen in der Obstruktionsfrage nicht das nötige Verständnis zu besitzen. Versammlungen wurden einberufen, in denen Parteileitung und Vorstand des parlamentarischen Klubs der Deutschen Volkspartei von den eigenen Anhängern in einer Schärfe kritisiert wurden, die wir heute gar nicht mehr kennen. Es ist überhaupt zum Verständnis der Badeni-Zeit notwendig, darauf hinzuweisen, daß in der Monarchie die Demokratie viel weiter gefaßt wurde als heute in der Republik, daß damals ein viel offeneres Wort geführt wurde als heute, und daß Regierung und Abgeordnete der oft beißenden, doch gesunden Kritik und notwendigen Kontrolle durch das Volk unterlagen, das jene ungesunde, übersteigerte Selbstherrlichkeit und Selbstüberschätzung von Politikern, und wenn es sein mußte mit Spott, noch einzudämmen und zu verhindern trachtete. Die Abgeordneten mußten laufend sich vor ihren Wählern rechtfertigen, die genau Bericht verlangten, warum ihr Mandatar bei dieser oder jener Debatte nicht so oder so gesprochen habe. Ein Verschanzen hinter der Anonymität eines Klubs oder einer Parteileitung gab es noch nicht. Der Abgeordnete hatte den Auftrag nicht von der Partei, sondern wirklich noch vom Volke, dessen Willen er erfüllen mußte, auch wenn die Parteileitung anders entscheiden wollte. Die Chefredakteure der Parteizeitungen hatten noch den Mut, in Leitartikeln gegen die Parteileitung aufzutreten und zu polemisieren. Die Wähler als richtungweisende Instanz waren eben noch nicht ausgeschaltet. Dies hatte zwar den Nachteil einer allfälligen Radikalisierung, den Vorteil jedoch einer wirklichen über die bloße Erfüllung der Wahlpflicht hinausgehenden demokratischen Anteilnahme des Volkes am innerstaatlichen Leben. Zur Beruhigung der Wählerschaft gab die Deutsche Volkspartei die Erklärung ab, daß sie den Kampf gegen die Regierung mit den schärfsten und äußersten Mitteln und bis zum Stillstand der parlamentarischen Tätigkeit führen werde. Das Rekruten- und Steuerbewilligungsgesetz, der Ausgleich mit Ungarn sowie jede andere Regierungsvorlage, die von Bedeutung sei, werde daher bekämpft und deren Zustandekommen möglichst verhindert werden. Die Beurteilung, in welchen wirtschaftlichen Fragen die Politik des äußersten Widerstandes anzuwenden sei, behielt sich die Partei jedoch vor. Als zur Obstruktion ungeeignet sollten alle Anträge und Vorlagen gelten, für welche sie nach Wortlaut und Geist ihres Programms stimmen mußte, wie beispielsweise für den in Verhandlung stehenden Gesetzesentwurf, der die bäuerlichen Genossenschaften betraf. Bereits am 6., 7. und 8. Mai waren die Anträge auf Versetzung der Minister in den Anklagestand behandelt worden. Bei Beginn der Lesung nahm Badeni als erster Redner das Wort und verteidigte, von Zwischenrufen der Obstruktion wiederholt unterbrochen, in einer juridisch meisterhaften Rede die Befugnis der Regierung zur Erlassung allgemein verbindlicher Verordnungen. 68 Redner beteiligten sich an der dreitägigen Debatte, die nun folgte. Zu den ersten stürmischen Szenen kam es, als der alldeutsche Abgeordnete Κ. H. Wolf erklärte, daß nun die Deutschen in Österreich ihre Kraft erkannt hätten. „Jetzt haben wir gesehen, daß wir uns von den Tschechen, von den Slovenen und anderen, im Vergleiche mit dem deutschen Volke kulturell tief minderwertigen Nationalitäten . . ." Weiter kam Wolf vorerst nicht, denn ein Sturm der Entrüstung setzte ein, der kaum beruhigt werden konnte. Dann fuhr Wolf unter stürmischer Unruhe und anhaltenden Zwischenrufen fort, gerade das Gegenteil dessen zu behaupten, was Palacky den Tschechen gelehrt hatte und seither ihnen heilig war :

Parlamentarischer „Ausnahmezustand' '

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„denn jeder, der die Geschichte kennt, weiß doch, daß das deutsche Volk ein Kulturvolk schon gewesen ist, wie von den Tschechen noch gar nicht die Rede war ( L e b h a f t e U n r u h e . ) ; daß die Tschechen in ihrer ganzen Kultur nur Schüler der Deutschen sind und alles, was sie an Kultur und Literatur produzieren, nur eine Übersetzung aus dem Deutschen ist. (L e bh a f t e r B e i f a l l l i n k s . — S t ü r m i s c h e r W i d e r s p r u c h r e c h t s . ) Wenn man uns Deutschen zumutet, die Sprache eines solchen kulturell minderwertigen Volkes (Großer a n d a u e r n d e r Lärm, w ä h r e n d d e s s e n der Redner fortf ä h r t ) uns aufdrängen zu lassen, so werden wir uns dagegen natürlich auf das allerentschiedenste wehren. Wir Deutsche ( S t ü r m i s c h e U n r u h e r e c h t s u n d R u f e : D a s W o r t z u r ü c k n e h m e n ! Er darf n i c h t f o r t s e t z e n ! F r e c h h e i t ! Unv e r s c h ä m t h e i t ! D a s i s t d i e d e u t s c h e K u l t u r ! ) lernen ja gerne fremde Sprachen, wir lernen gerne Weltsprachen, durch deren Kenntnis der geistige Horizont erweitert wird. (Während des großen andauernden Lärms bleiben die weiteren Worte des Redners, welcher schon bisher nur schwach vernehmbar war, vollkommen unverständlich. — Pause. — Zum Präsidium:) ,Auf dem Dache sitzt ein Greis, der sich nicht zu helfen weiß.' Ich beantrage eine Unterbrechung der Sitzung, da ich mich durch die brutalen Einwürfe nicht um mein Recht bringen lasse ( S t ü r m i s c h e r L ä r m r e c h t s u n d R u f e : Zurücknehmen! Sie w e r d e n n i c h t w e i t e r s p r e c h e n ! — R u f e l i n k s : N i c h t s z u r ü c k n e h m e n ! W i e d e r h o l e n , w e i l es w a h r i s t ! D a r a n w e r d e n sich die H e r r e n gewöhnen!)." N a c h der Unterbrechung der Sitzung ließ sich der den Vorsitz führende Vizepräsident David Ritter v o n Abrahamowicz hinreißen, als W o l f erklärte, die großpolnische Idee sei die Hauptsache für die Regierung, diesem das Wort zu entziehen, worauf noch einmal die Sitzung zur Beruhigung unterbrochen werden mußte. A m nächsten T a g war es Justizminister Graf Gleispach, der bald nach Eröffnung der Sitzung einen wilden Entrüstungssturm auf der Linken entfachte. „Hohes Haus! Es ist nicht meine Absicht und nicht meine Sache, in die Beurteilung der Frage einzugehen, inwieferne Dringlichkeitsanträge ohne Dringlichkeit, namentlich Abstimmungen, Anträge auf Versetzung von Ministern in den Anklagestand u. dgl., kurz die Obstruktion, mit der parlamentarischen Moral vereinbar ist oder nicht. ( O h o ! l i n k s . ) Ich überlasse die Beurteilung dieser Frage dem Hohen Haus und der öffentlichen Meinung. Zu dem Gegenstand der Tagesordnung, nämlich zu dem Antrage, einige Mitglieder des Kabinetts in den Anklagestand zu versetzen, erlaube ich mir Folgendes zu bemerken. Die Erklärungen und Rechtsanschauungen, welche Seine Exzellenz der Herr Ministerpräsident zu Beginn der vorigen Sitzung in diesem Hohen Hause abgegeben hat, sind durch die Ausführungen der folgenden Redner in keiner Weise nicht einmal erschüttert, geschweige denn widerlegt worden. ( W i d e r s p r u c h l i n k s . ) Es mag aber im Laufe der Debatte kommen und vorgebracht werden, was da wolle, für den Juristen und für den Nichtjuristen steht eine Tatsache unverrückbar fest: daß einer Regierung, welche denselben Weg betreten hat, welchen ihr vorangegangene Regierungen aller Parteischattierungen gegangen sind, und welcher in übereinstimmenden Beschlüssen beider Häuser des Reichsrates seine Sanction gefunden hat, weder culpa noch dolus imputiert werden kann, und daß infolge dessen selbst diejenigen, welche die Anträge auf Versetzung der Mitglieder der Regierung in den Anklagestand unterschrieben haben, e i n e s o l c h e A n k l a g e n i e e r n s t l i c h g e w o l l t h a b e n k ö n n e n." D e r Entrüstungssturm auf der deutschen Seite war so arg, daß Präsident Dr. Kathrein die Sitzung unterbrechen mußte u n d nach Wiedereröffnung Graf Gleispach gerade noch unter d e m „tosenden Lärm" den Stenographen seine kurze Rede diktieren konnte, ohne jedoch von diesen immer verstanden zu werden. Dabei erklärte Gleispach: „Die Äußerung, die ich getan, und auf Grund welcher Sie mich an der Fortsetzung meiner Rede hindern, gründet sich auf meine Auffassung, daß es sich bei den Anträgen, die

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VI. Die böhmischen Aufruhrakte

in Verhandlung stehen, lediglich um einen Akt der parlamentarischen . . . ( L e b h a f t e U n t e r b r e c h u n g e n links u n d R u f e : W i d e r r u f e n ! — G r o ß e r W i d e r s p r u c h r e c h t s u n d R u f e : A u s r e d e n l a s s e n ! — A b g e o r d n e t e r Wolf: I h r e A n s i c h t i s t u n s i n d i e s e m F a l l e W u r s t ! ) . . . um einen Akt der parlamentarischen Taktik gehandelt hat, wobei es mir selbstverständlich nicht beigekommen ist, durch die Wiedergabe dieser Auffassung irgend eine Partei beleidigen zu wollen. " ( B e i f a l l

rechts.) Nach Schluß dieser Rede richtete der Grazer Abgeordnete Dr. Hofmann von Wellenhof an die Linke den Appell, dem Justizminister Gelegenheit zu geben, einfach zu erklären, daß er seine Äußerungen mit Bedauern vorbehaltslos und unbedingt zurücknehme. Wenn er diese Erklärung abgebe, so wolle die Linke dementsprechend ihm gegenüber vorgehen; gebe er sie aber nicht ab, so sei sie nicht gesonnen, sich weiter im Abgeordnetenhaus von ihm Belehrungen über parlamentarische Würde oder parlamentarische Moral erteilen zu lassen. Da die Erklärung des Justizministers in dem Tumult einfach nicht hatte gehört werden können, stellte Georg Schönerer den Antrag, daß diese dem Hause durch einen mit lauter Stimme begabten Schriftführer zur Kenntnis gebracht werde, worauf Präsident Dr. Kathrein von seinem Recht Gebrauch machte und selbst die Erklärung Gleispachs verlas. Der Zwischenruf des Abgeordneten Hofmann von Wellenhof: „Das ist alles ?" kündigte an, daß die deutschen Parteien nicht gewillt waren, sich mit dieser Erklärung zufrieden zu geben. Der Kampf gegen Graf Gleispach wird in die Grazer Ereignisse im Frühjahr 1898 entscheidend hineinspielen. Am 8. Mai kam es nach einer nicht minder stürmischen Debatte auf Grund des schon am 6. Mai von Kaizl gestellten Antrages, über die Anklageanträge zur Tagesordnung überzugehen, zur namentlichen Abstimmung, die von Zwischenrufen der Linken begleitet wurde. Als der steirische Abgeordnete Kaltenegger sich für den Antrag Kaizls und damit gegen die Anklageanträge aussprach, wurde er mit Pfuirufen überschüttet. Ebenso war es zuvor den Führern der Konservativen, Josef Freiherr von Dipauli und Alfred Ebenhoch, als diese in gleicher Weise gestimmt hatten, ergangen. Mit 203 gegen 163 Stimmen fielen die Anträge auf Anklageerhebung. Obwohl am gleichen Tag der Präsident Dr. Kathrein an die Abgeordneten appellierte, sie möchten doch selbst das Gefühl haben, wie weit sie innerhalb der Grenzen des Erlaubten gehen könnten, tobte die Obstruktion weiter. Am 18. Mai versuchte der in Eger ansässige Advokat Dr. Zdenko Schücker, Mitglied der Deutschen Fortschrittspartei, vier Stunden lang vergeblich als erster Redner zu der auf der Tagesordnung stehenden Gebührennovelle zu sprechen. Trotz des Stimmengewirres forderte Präsident Kathrein in regelmäßigen Abständen Dr. Schücker auf, das Wort zu ergreifen, doch kam dieser über die Anrede „Hohes Haus" niemals hinaus, so daß sich der Präsident gezwungen sah, die Sitzung aufzuheben. Als am 24. Mai die Beratungen fortgesetzt werden sollten, lagen vor: 21 Petitionen gleichen Inhalts in Angelegenheit des bevorstehenden Ausgleiches mit Ungarn, 40 Petitionen von böhmischen Gemeinden gegen die Einfuhr und den Verkauf von Saccharin, eingebracht von einem tschechischen Abgeordneten, und 290 Petitionen deutscher Gemeindevertretungen, Bezirksausschüsse und des Professorenkollegiums der deutschen Prager Universität betreffend die Sprachenverordnungen. Außerdem waren in 47 anderen Angelegenheiten Petitionen von Abgeordneten überreicht worden. Die reine Verlesung der 290 Namen der die Petitionen verfaßten Körperschaften allein hätte

Parlamentarischer „Ausnahmezustand" — Schließung der XII. Session

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schon geraume Zeit in Anspruch genommen, da die Schriftführer jeweils einen Teil der Formel wiederholen mußten34). Die Obstruktion verlangte zusätzlich, daß einzelne Petitionen mit Rücksicht auf ihre Bedeutung und die Gewichtigkeit der petitionierenden Körperschaften vollinhaltlich verlesen würden, beantragte darüber namentliche Abstimmung und vor dieser nach § 62 der Geschäftsordnung eine Unterbrechung der Sitzung auf zehn Minuten. So wurde achtmal über Aufruf durch die Schriftführer namentlich abgestimmt und siebenmal zuvor über Antrag die Sitzung auf zehn Minuten unterbrochen. Als dieses Spiel mit der Geschäftsordnung bereits sechs volle Stunden dauerte, stellte Kaizl an den Präsidenten die Anfrage, ob er geneigt sei, das Hohe Haus zu befragen, ob es nach § 62 der Geschäftsordnung zulässig sei, vor der Abstimmung über die einfache Frage nach der namentlichen Abstimmung die Pause von zehn Minuten zuzulassen35). Nach einer stürmischen Debatte, während der das Präsidium völlig hilflos dem Tumult gegenüberstand und sich kaum Gehör verschaffen konnte, wurde unter dem Vorsitz von David Ritter von Abrahamowicz darüber abgestimmt, ob vor der Abstimmimg über eine einfache Frage formaler Natur die Zehnminutenpause nach § 62 der Geschäftsordnung unzulässig sei. Unter minutenlangem Lärm sprach die Majorität sich für diese Auslegung aus, was den Abgeordneten Dr. Funke veranlaßte, festzustellen, daß die Minorität vergewaltigt worden sei und das Präsidium einen Rechtsbruch begangen habe. Mit Verlesung der letzten Petitionen und der eingegangenen Dringlichkeitsanträge ging die Sitzung zu Ende. Um 11.20 Uhr hatte sie begonnen, um 20.30 Uhr wurde sie geschlossen. In der nächsten Sitzung, am 26. Mai, die um 11.10 Uhr begann, protestierte der Wiener Universitätsprofessor Gustav Gross gegen das Protokoll. Durch die namentlichen Abstimmungen und entsprechenden Anträge ging die Zeit auf. Um 19 Uhr brach der Vorsitzende die Sitzung ab, deren Fortführung er für den 28. Mai festlegte. Durch dieses Verfahren entzog er der Obstruktion die Möglichkeit, Anträge auf wörtliche Verlesung von Petitionen zu stellen, da kein Einlauf bei der Fortsetzung einer Sitzung zur Verlesung kam; aber dieses Vorgehen des Präsidiums war der Obstruktion ein willkommener Anlaß zu neuen Anfragen. Vor allem wurde zuerst Schluß der Sitzung beantragt und darüber mehrmals namentlich abgestimmt, wobei immer sämtliche Namen der anwesenden Abgeordneten verlesen werden mußten. Als das Präsidium endlich zur Tagesordnung übergehen konnte, versuchte Dr. Schücker zuerst vergeblich seine großangelegte Obstruktionsrede zu halten, da die Linke ihren eigenen Redner am Sprechen hinderte. Erst als der Antrag auf Schluß der Debatte mit 171 gegen 112 Stimmen angenommen wurde, konnte Dr. Schücker jene Rede halten, zu der er bereits am 18. Mai angesetzt hatte, aber über die Anrede nicht hinausgekommen war. Ihm gelang es, die Wahl eines Sonderaus34

) So ζ. B. „Petition der Stadtgemeinde Reichstadt, Bezirk Niemes, um Aufhebung der Sprachenverordnungen für Böhmen vom 5. April 1897; Petition der Bezirksvertretung Niemes in derselben Angelegenheit;. . . Petition der Gemeindevertretung Ringelshain, Bezirk Gabel, in derselben Angelegenheit ( s ä m t l i c h e ü b e r r e i c h t durch d e n A b g e o r d n e t e n K i r c h e r ) ; Petition der Stadtverwaltung von Brüx in derselben Angelegenheit (überreicht durch den Abgeordneten Dr. Schücker). Vgl. Stenogr. Prot. XII, S. 886. 35 ) Stenogr. Prot. XII, S. 897. — Im § 62 hieß es: „Wenn gegen die Ordnung und Fassung der Fragen vom Hause nichts erinnert wird, hat der Präsident, ehe er zur Abstimmung auffordert, nach jeder Frage, wenn wenigstens 20 Mitglieder es verlangen, durch 10 Minuten inne zu halten, nach deren Verlauf erst zur Abstimmung geschritten werden kann."

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VI. Die böhmischen Aufruhrakte

schusses durchzusetzen, so daß auch diese Sitzung letztlich ergebnislos verlaufen war, als sie am Abend geschlossen wurde. In der folgenden Sitzung, am 1. Juni, konnte nach stundenlangen Protesten gegen das Verhalten und Vorgehen des Präsidiums, nach Verwahrung gegen die Handhabung der Geschäftsordnung und dem formellen Antrag der Deutschen Fortschrittspartei, die Vizepräsidenten David Ritter von Abrahamowicz und Dr. Karl Kramár sollten ihre Ehrenämter sofort niederlegen, „da zu versehen sie sich mindestens ganz unfähig gezeigt haben", und nach einer zweistündigen Unterbrechung der Sitzung immerhin der kaiserlichen Verordnung vom 18. Februar 1897, betreffend die „Gewährung von Unterstützungen zur Linderung des Notstandes für von Wasser-, Feuerund Elementarschäden überhaupt betroffene Gemeinden und Einzelne" die verfassungsgemäße Genehmigung ohne weitere Zwischenfälle erteilt werden. Die Sitzung am 2. Juni dauerte nur mehr eine Viertelstunde. Ritter von Jaworski gab namens der Majorität die Erklärung ab, es für müßig zu erachten, die Sitzungen des Hohen Hauses derzeit formal weiterzuführen. Unter den gegebenen Umständen verzichte die Majorität auch auf die formale Beschließung der von allen Parteiverbänden der Majorität einstimmig beschlossenen Adresse an den Kaiser. Darauf erhob sich Ministerpräsident Graf Badeni, um die XII. Session des Reichsrates im Auftrage des Kaisers zu schließen. Es ist bemerkenswert, daß die erste „prinzipielle" oder „technische" Obstruktion, also der Versuch einer Minorität innerhalb eines Parlamentes nicht nur einem einzelnen Gesetz, sondern jeder Beschlußfassung und jedem ordnungsgemäßen Verfahren im Abgeordnetenhaus mit allen Mitteln einer Verschleppungstaktik entgegenzuwirken, in der ausgesprochenen Absicht, das Parlament so lange arbeitsunfähig zu machen, bis es tut, was die Minorität will, in England, und zwar ebenfalls aus nationalen Gründen, angewandt wurde36). Der Führer der irischen Fraktion Charles Stewart Parnell (1846—1891) beschloß, durch systematische Anwendung der Obstruktion das englische Parlament so lange an jeder ordnungsgemäßen Erledigung seiner Geschäfte zu hindern, bis es die Selbstverwaltung Irlands, die Home Rule, zugestehe. Parnell eröffnete am 24. Juli 1877 seinen Obstruktionsfeldzug, als ein durch die erste Besetzung Transvaals durch England bedingtes Gesetz über die Regelung der südafrikanischen Verhältnisse zur Diskussion stand. Von diesem Zeitpunkt an haben die Iren fünf Jahre hindurch die Obstruktion fortgesetzt und durch ihre Massenanträge und Dauerreden die Gesetzgebung Englands so gut wie lahmgelegt. Trotz äußerster Ausdehnung der Sitzungen konnten nur wenige Gesetze beschlossen werden, ein unerträglicher Zustand für ein Reich, in dem das Parlament die eigentliche Zentralregierung war. Als William Ewart Gladstone die Führer der irischen Bewegung unter Anklage stellen ließ und im Jänner 1881 dem Parlament ein Ausnahmegesetz für Irland vorlegte, waren die Iren zur Anwendung der äußersten Mittel entschlossen. Einer 22stündigen Sitzung folgte eine, die 42 Stunden ohne Unterbrechung dauerte. Ein Ire sagte höhnend, ihre Kenntnis der Geschäftsordnung sei so gründlich, daß sie diese Unterhaltung noch lange fortsetzen könnten. Erst als Gladstone die irischen Führer enthaften ließ und eine vollständige Selbstverwaltung Irlands in Aussicht stellte, außerdem 3e

) M a s s ο η, De l'obstruction parlamentaire, bietet eine sehr übersichtliche Geschichte der Obstruktionen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in England, Nordamerika, Österreich, Ungarn, Belgien, Griechenland, Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, Rumänien und Chile.

Obstruktion: ihre Geschichte, rechtliche und politische Beurteilung

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durch die Änderung des Wahlrechtes von 1884/85 die Iren statt 33 bis 40 nunmehr 86 Mandate erhielten und ihre Fraktion daher kräftig genug geworden war, in zweifelhaften Fällen den Ausschlag zu geben, zumal den 333 Liberalen 251 Konservative und 86 Parnellites gegenüberstanden, ließen sie von der Obstruktion ab, die für sie keinen Sinn mehr hatte. Den von den Iren erprobten technischen Mitteln der Obstruktion begegnen wir in ähnlicher Weise in Österreich, nur daß die Anwendung physischer Gewaltmittel bei der Mehrheit und der Minderheit in England eine viel geringere Rolle als in Österreich spielte. Gerade nach den stürmischen Herbstsitzungen des Jahres 1897 im österreichischen Reichsrat wird ein Teil der deutschnationalen radikalen Bevölkerung Österreichs die Anwendung der physischen Gewalt in Form von Lärm, Schreien, Pfeifen, Pultdeckelschlagen zur Übertönung der Redner und des Präsidiums und von groben Tätlichkeiten, um eine Fortsetzung der Beratung unmöglich zu machen, mit dem Wesen der Obstruktion gleichsetzen, obwohl sie nur deren letztes und äußerstes Mittel ist, das keine Rücksicht mehr auf das im Hause geltende Recht und den gesellschaftlichen Anstand nimmt. Die eigentliche Kunst der Obstruktion besteht dagegen darin, die Geschäftsordnung dem Sinne nach zu umgehen, jedoch unter äußerlicher, scheinbarer Respektierung ihres Wortlautes jede Beschlußfassung zu verzögern. Dies wird durch planmäßige Ausnützung der Redefreiheit, also durch möglichst lange und möglichst viele Reden, zu erreichen versucht, wobei die Rede nicht der Sache zu dienen, sondern die Verschleppung der Beratung zu erreichen hat. Daneben wird die Antragsfreiheit mißbraucht durch zahllose, immer aufs neue gestellte Anträge auf namentliche Abstimmungen, auf Vertagungen, auf Auszählen des Hauses, um festzustellen, ob Beschlußfähigkeit gegeben sei, durch Amendements zu jeder Zeile eines Gesetzesvorschlages, durch fortwährende, aber völlig an sich sonst zwecklose Disputationen über Auslegungen der Geschäftsordnung, durch Interpellationen, endlose Verlesungen von Petitionen oft gleichen Inhalts und gleichen Wortlautes — am 7. Juni 1898 wird Schönerer 2183 gleichlautende Petitionen mit 51.674 Unterschriften vorlesen wollen —, und durch alles, was im Rahmen der Geschäftsordnung zur Lahmlegung des Parlamentes herangezogen werden kann. Die Majorität hat nur zwei Möglichkeiten, sich der Obstruktion zu erwehren : durch Änderung der Geschäftsordnung und durch physische Gewalt. Beides hat bereits die englische Parlamentsmehrheit gegen die obstruierenden Iren angewandt. Als der Sprecher in der Sitzung, die vom 31. Jänner bis zum 2. Februar 1881 dauerte, unter Bruch aller Überlieferungen keinem Redner mehr das Wort erteilte, mit der Begründung, es liege offenbar Obstruktion vor, beantragten die Iren in der folgenden Nachtsitzung, dem Sprecher wegen seines Vorgehens die Mißbilligung auszusprechen. Am 4. Februar wurde durch Abstimmung ein Ire nach dem anderen von der Sitzung ausgeschlossen, und da keiner dem Beschluß gehorchte, von den Saaldienern jeweils unter Gewalt entfernt. Viereinhalb Stunden dauerte diese Prozedur, bis alle 36 Iren von der Sitzung ausgeschlossen waren, worauf die Majorität sofort die von Gladstone vorgeschlagene Änderung der Geschäftsordnung mit einigen Modifikationen beschloß. Im Sommer 1882 wurde ein obstruierender Ire auf 14 Tage von den Sitzungen ausgeschlossen. Die gleichen Wege, Einschränkung der Redner und der Antragsteller und Verleihung von Strafgewalt dem Präsidenten gegen widerspenstige und die Debatte absichtlich verzögernde Mitglieder des Hauses, hat die Majorität im österreichischen Reichsrat 1897 eingeschlagen. Sieben Jahre später hat Erich Brandenburg in seinem Vortrag über „Die parlamentarische Obstruktion, ihre Geschichte und ihre Be-

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VI. Die böhmischen Aufruhrakte

deutung" an die Feststellung, daß es eine entschlossene und rücksichtslose Minderheit in der Hand hat, durch prinzipielle Obstruktion ihren Willen ganz oder zum Teil der Mehrheit aufzunötigen, die Frage geknüpft, ob jene als ein berechtigtes Mittel erscheint, „um der Tyrannei der Mehrheit einen Damm entgegenzubauen". Brandenburg, der von der Überlegung ausgeht, daß der irrt, der im Beschluß des Parlamentes ohne weiteres den Ausdruck des Volkswillens verkörpert sieht, kommt bei seinen theoretischen Überlegungen zu keinem eindeutigen Ergebnis. Da durch fortgesetzte Obstruktion nicht nur die Festlegung verkehrter oder für die individuelle Freiheit bedrohlicher Beschlüsse verhindert, sondern zugleich die Existenz der parlamentarischen Regierungsform und eventuell das Staatswesen selbst bedroht werde, sei eine prinzipielle Obstruktion zu verwerfen. Dieser Standpunkt werde dadurch erhärtet, daß es sich gezeigt habe, daß in den beiden Fällen von prinzipieller Obstruktion, in England als auch in Österreich, weder die Iren an dem Weiterbestand des englischen Weltreiches noch die Deutschösterreicher, Tschechen oder Magyaren an dem der habsburgischen Monarchie Interesse hatten. Da Obstruktion das Ansehen des parlamentarischen Systems in jedem Falle schädige, werde die Minorität zum Schutze ihrer Interessen, wo nicht nationale Fragen auf dem Spiele stehen, zuerst alle anderen Mittel des sogenannten Minoritätenschutzes ausschöpfen müssen. Obwohl vom demokratischen und parlamentarischen Standpunkt aus die prinzipielle Obstruktion in den Kulturstaaten England und Österreich nicht zu rechtfertigen sei, müßte sie doch vom Standpunkte des bezweckten Schutzes nationaler Gefühle und Interessen, gegen eine Mehrheit, die diese vergewaltigen wolle, als berechtigt angesprochen werden37). Von politischer Seite wurde 1903 vom steirischen Landtagsabgeordneten Franz Graf Attems nachdrücklichst, ja geradezu im Tone der Verzweiflung auf die in ihren Konsequenzen noch immer zu milde beurteilten „unheilvollen Einwirkungen" und noch immer nicht richtig erkannten ungeheuren Gefahren der Obstruktion für die Monarchie hingewiesen. Von juristischer Seite wurde ein Jahr später, davon ausgehend, daß der politische Zweck der Obstruktion juristisch vollkommen gleichgültig ist, von E. Radnitzky versucht38), die technische Obstruktion rechtlich mit der Prozeßschikane des Zivilprozesses gleichzusetzen, als ein ebenso gehässiges, aber auch ebenso untaugliches Kampfmittel zu erklären, die Rechtswidrigkeit der Obstruktion zu beweisen und die Behauptung zu widerlegen, daß die technische Obstruktion ein erlaubtes oder mindestens nicht verbotenes Kampfmittel sei, da sie den Wortlaut der Geschäftsordnung für sich oder nicht gegen sich habe. Die Verteidiger der Obstruktion versuchten nämlich damit zu argumentieren, daß, wenn zur Zeit des Zustandekommens der Geschäftsordnung an den Gebrauch ihrer Bestimmungen über Dringlichkeitsanträge, über die Verlesung von Interpellationen und über namentliche Abstimmungen zu Obstruktionszwecken nicht gedacht wurde, dies einen solchen Gebrauch noch nicht zum Unrecht stemple, denn das Recht sei reich an Sätzen, deren Zweck sich im Laufe der Zeit geändert oder vervielfacht hat. Zwei Jahre nach Radnitzky hat in der gleichen Zeitschrift, veranlaßt durch die vorausgegangenen parlamentarischen Obstruktionsvorgänge im ungarischen Abgeordnetenhaus, Gustav Schwarz, ordentlicher Professor an der Universität in Budapest, die Rechtslehre der Obstruktion erneut aufgegriffen und versucht, eine „juristische Diagnose der Obstruktion" zu stellen39). ") E. B r a n d e n b u r g , Parlamentarische Obstruktion S. 41. 38 ) F. A t t e m s , In zwölfter Stunde. — E. R a d n i t z k y , Obstruktionstaktik. 39 ) G. S c h w a r z , Rechtslehre der Obstruktion.

Obstruktion: ihre Geschichte, rechtliche und politische Beurteilung

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Er kommt zu dem Schluß, daß es sich bei dieser Frage „nicht um das materielle Staatsrecht oder das materielle Privatrecht, sondern um das formelle Verhandlungsrecht handelt". Und Schwarz fährt fort: „Und warum die fundamentalsten Regeln alles Verhandlungsrechtes gerade auf die parlamentarische Verhandlung nicht sollen angewendet werden können: dafür ist man die Begründung bisher schuldig geblieben." Den staatsrechtlichen Einwand, der im Satze „salus reipublicae suprema lex este"40) begründet ist, ließ er nicht gelten. Hatte Radnitzky die Obstruktion mit der „Prozeß-Schikane" gleichgesetzt, wurde sie nun von Schwarz als „Prozeß-Lüge" gedeutet, die nach dem § 178 der damaligen österreichischen Zivilprozeßordnung durch den Schöpfer des österreichischen Zivilprozeßgesetzes Franz Klein untersagt war, da nach diesem Paragraphen jede Partei in ihren Verträgen alle im einzelnen Falle zur Begründung ihrer Anträge erforderlichen tatsächlichen Umstände der Wahrheit gemäß vollständig und bestimmt anzugeben hatte. Auch die Prozeßlüge hat nach Schwarz eigentlich nur die Prozeßobstruktion zum Zweck, und „das Wesen der Obstruktion ist eigentlich immer nur Lüge. Denn Lüge ist es, wenn jemand unter dem Vorwande, daß er verhandeln will, das Wort ergreift, um in Wahrheit die Verhandlung zu vereiteln." Am Ende seiner umfassenden Abhandlung fordert daher Schwarz: „Es muß nachgewiesen, es muß die Überzeugung verbreitet und ins allgemeine Bewußtsein gebracht werden, daß niemand, in keinerlei Verhandlung und unter keinerlei Umständen, ein Recht auf Obstruktion hat, daß kein Leiter einer Verhandlung berechtigt ist, die Obstruktion zu dulden, daß er vielmehr vermöge des Rechtes der Verhandlungspolizei verpflichtet ist, derselben vorzubeugen und ihr, sobald er sie erkannt hat, ein Ende zu machen." Um der so gefährlichen Obstruktion, an der sich die Wähler draußen in den Provinzen zu berauschen begannen, und um jener so verhängnisvollen Strömung, durch die jenen Abgeordneten vom Volke zugejubelt wurde, die es im Parlament am tollsten und wildesten trieben, den Boden zu entziehen und wieder eine besonnene Atmosphäre zu schaffen, hatte Badeni, der auch hier eine Fehlrechnung aufstellte, am 2. Juni 1897 die XII. Session des Reichsrates vorzeitig beendet. Zu dieser Maßnahme, zu der die österreichischen Regierungen 28 Jahre nicht mehr Zuflucht genommen hatten, seit 1869 war der Reichsrat nie während einer Legislaturperiode geschlossen, sondern immer nur vertagt worden, war Badeni allerdings auch durch den von der Rechten vorbereiteten Adreßentwurf, mit welchem die Thronrede beantwortet werden sollte, bewogen worden. Die Rechte, die sich bei den Beratungen innerlich gefestigt hatte, wollte mit diesem die Regierung zu einer Stellungnahme zur Majorität und zur Annahme ihres gemeinsamen Programms zwingen, dem jedoch die Regierung schon mit Rücksicht auf die notorische Abneigung der Krone vor jeglichem verfassungsrechtlichen Experiment nicht zustimmen konnte, da der Adreßentwurf durch den Hinweis auf die historische Eigenberechtigung der Königreiche und Länder prinzipiell das böhmische Staatsrecht anerkannte und dadurch gewissermaßen 40

) Ebd. S. 65: „Der Abgeordnete, so wurde dieser Satz umschrieben, ist vor allem verpflichtet, nach seinem besten Wissen und Können das allgemeine Wohl zu fördern und alles zu verhindern, was dem allgemeinen Wohle abträglich ist. Wenn also die Majorität einen Beschluß beabsichtigt, der dem allgemeinen Wohle zuwider wäre, so ist die Minorität verpflichtet und folglich auch berechtigt, alle ihr zu Gebote stehenden Mittel anzuwenden, um die Beschlußfassung, wenn sie diese nicht in die richtige Bahn lenken kann, zu verhindern. Das Mittel hier ist eben die Obstruktion."

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VI. Die böhmischen Aufruhrakte

die Revision der Verfassung im föderalistischen Sinne verlangte41). Ja der Majoritätsentwurf kollidierte geradezu mit der Thronrede, als in ihm die politischen und staatsrechtlichen Tendenzen aller bestehenden großen Parteien nicht paralysiert wurden. Entgegen allen späteren zu Badenis Ehre ihm unterlegten staatsrechtlichen Konzeptionen hat er im Budgetausschuß am 25. Mai 1897 erklärt, er weise den Gedanken an einen Umsturz der Verfassung von sich, was aber eine verfassungsmäßige Korrektur nicht ausschließe, nicht jedoch aus politischen, sondern aus sachlichen Gründen. Konkrete Vorschläge seien in diesem Momente jedoch noch nicht vorhanden42). Da die Rechte fest entschlossen war, die Annahme ihrer Adresse im Abgeordnetenhaus durchzusetzen, lehnte sie vorerst Badenis Vorschlag, mit Rücksicht auf die Obstruktion das Abgeordnetenhaus zu vertagen, rundweg ab. Durch diese Haltung veranlaßt, bot Badeni am 20. Mai in Pest dem Kaiser neuerdings seine Demission an, ohne daß jedoch die Krone auf dieses Begehren einging. Obstruktion und Parlamentspräsidium spielten jedoch dem Ministerpräsidenten, wenn auch ungewollt, den Anlaß zur Vertagung in die Hände, da sich die Vorgänge im Abgeordnetenhaus so verschärft hatten, daß selbst der Verfassungstreue Großgrundbesitz durch Baernreither sich 41

) „Das Haus der Abgeordneten ist von der Überzeugung durchdrungen, daß nur durch gegenseitige Anerkennung der historischen und angeborenen Rechte der Völker Österreichs in allen Königreichen und Ländern der nationale Friede erzielt werden kann. Die gerechte Durchführung der gesetzlich gewährleisteten Gleichberechtigung aller Nationalitäten im gesamten öffentlichen Leben, in Amt und Schule, sowie die Wahrung der historischen Eigenberechtigung und Integrität der Königreiche und Länder unter Aufrechthaltung des dieselben vereinigenden realen Bandes sind die Gewähr für die Erreichung dieses hohen Zieles. Das Abgeordnetenhaus ist überdies beseelt von der Zuversicht, daß zahlreiche und gewichtige Aufgaben nur dann ersprießlich und rechtzeitig gelöst werden können, wenn der überbürdete Reichsrat entlastet und den Landtagen der Königreiche und Länder den althergebrachten historischen Traditionen gemäß ein weiterer Wirkungskreis eingeräumt wird, zumal bei den bestehenden Unterschieden in den Verhältnissen der einzelnen Länder gleichförmige Satzungen nicht überall die Bürgschaft eines guten Erfolges bieten. Der großen Wichtigkeit der Autonomie der Königreiche und Länder eingedenk, wird das Haus der Abgeordneten freudigst die Gelegenheit ergreifen, den Landtagen die materiellen Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben dadurch in reichlichem Maße in die Hand zu legen, daß ihnen einzelne von den bestehenden Steuern überwiesen oder ein entsprechender Antheil an dem Steuererträgnis des Staates gewährt werde. Es würde aber auch das für das Aufblühen der Monarchie unentbehrliche Gedeihen der Königreiche und Länder in hohem Maße fördern, wenn die Gelegenheit geboten wäre, der Verwaltung der einzelnen Länder den nötigen Grad der Selbständigkeit zu geben und dieselben in Übereinstimmung mit den verschieden gearteten Landesbedürfnissen zu gestalten, wodurch auch eine Vereinfachung und Verbilligung des Verwaltungsgebarens ermöglicht würde. Das Abgeordnetenhaus wird mit dem größten Eifer die Bestrebungen aller Völker in bezug auf allgemeine Bildung, Wissenschaft und Kunst fördern; es bringt den ernsten Wunsch zum Ausdruck, es mögen die Schulen den Bedürfnissen der verschiedenen Länder und Nationen entsprechen, was nur durch eine erweiterte gesetzgeberische Mitwirkung der Landtage in vollem Maße erreicht werden kann. Im Einklang mit den Worten der a.h. Thronrede legt das Haus den größten Wert auf die erziehliche Aufgabe der Schule in der Weise, daß durch dieselbe der Grund zu einer religiösen und sittlichen Lebensauffassung, zum wahren Wohle der Jugend und zur Heranbildung einer Generation geschaffen werden soll, die imstande wäre, die bestehende Gesellschaftsordnung durch friedliche, jeden Umsturz ausschließende Reformarbeit im Geiste der sozialen Gerechtigkeit auszubilden." " ) J. Ρ a t ζ e 11, österr. Jahrbuch 1897, S. 73 f.

Der Geheimerlaß Badems vom 2. Juni 1897

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gegen die parteiische und gesetzwidrige Auslegung der Geschäftsordnung seitens des Präsidiums auf das entschiedenste verwahrte, und so eine Auflösung unumgänglich schien. Mit der Schließung des Reichsrates hatten die Abgeordneten Zeit, ihre Tätigkeit auf entsprechende Agitation in ihren Wahlkreisen zu verlegen. Durch die Schließung war allerdings die Immunität der Abgeordneten aufgehoben und es der Regierung möglich, ihr mißliebige Abgeordnete, die sich zu weit vorwagten, strafrechtlich zu verfolgen. Daß Badeni in dieser Weise vorgehen wollte, bewiesen seine Äußerungen im Ministerrat vom 29. Mai 1897, dessen erster Tagesordnungspunkt Badenis Vorschlag „betreffs der eventuellen Schließung — anstatt Vertagung des Reichsrates" bildete. Das Protokoll ist sehr knapp und beginnt damit, daß Badeni „anknüpfend an die vorangegangene Besprechung über die gegenwärtige parlamentarische Situation die Ansicht" aussprach, es dürfte sich empfehlen, den Antrag einer „eventuell notwendig werdenden Einstellung der reichsrätlichen Tätigkeit nachträglich in der Art zu stellen", daß die kaiserliche Ermächtigung anstatt zur Vertagung des Reichsrates zu einer Schließung erbeten werde. Denn es würden „auf diese Weise jene Reichsratsabgeordneten, welche wegen irgend welcher Delikte sich in Untersuchung befinden oder bereits verurteilt sind, der Immunität verlustig" werden und das Bewußtsein „von dem Erlöschen dieses Vorrechtes während der Zeit, als der Reichsrat geschlossen ist, im allgemeinen auf die Abgeordneten die Wirkung üben dürfte, daß dieselben in ihren Reden und Aktionen sich vor Ausschreitungen eher frei halten werden". Die Schließung bedinge allerdings, daß das Haus bei Wiedereröffnung neu konstituiert werden müsse, aber die Regierung werde damit gleichzeitig wieder freiere Hand erhalten — eine Annahme, die sich als irrig erwies. Die Debatte ist im Protokoll nicht vermerkt, lediglich das Einverständnis des Ministerrates. Wie weit Badeni gegen die Abgeordneten vorgehen wollte, lehrt der von ihm am 2. Juni an die Statthaltereien und Landespräsidien hinausgegebene Geheimerlaß, der durch Pflichtverletzung eines Beamten in Klagenfurt zur Kenntnis der dortigen deutschnationalen Tageszeitung kam und acht Tage später vollinhaltlich, vorerst ohne eine Bemerkung, im „Grazer Tagblatt" abgedruckt wurde43) : „Zu allen in nächster Zeit stattfindenden politischen Versammlungen sind politische Conceptsbeamte zu entsenden, vorzugsweise solche, welche mit entsprechender Begabung ein energisches Auftreten verbinden. Hochverrätherischen und unpatriotischen Äußerungen, wie solche bedauerlicherweise in den letzten Tagen in radical-deutschnationalen Versammlungen gefallen sein sollen, ist unbedingt mit allen gesetzlichen Mitteln entgegenzutreten ; hiebei hat als Richtschnur zu dienen, daß es nicht geboten erscheint, durch ein voreiliges Einschreiten zu verhindern, daß ein Redner sich ausspreche, denn nur auf diese Art kann der Thatbestand eines Delictes zutagetreten; daß aber, sobald der Gedanke klar ausgedrückt ist, es sich empfiehlt, nach Constatirung des Sachverhaltes die gefallenen Äußerungen zu beanständen, eventuell wegen derselben die Versammlung aufzulösen, weil das passive Verhalten der behördlichen Abgeordneten nur zu oft die erfolgreiche Durchführung des Strafverfahrens erschwert hat und auch das k. k. Reichsgericht in einem Erkenntnis der allerdings nicht unbedenklichen Anschauung Ausdruck gegeben hat, daß die von einem zurecht bestehenden Vereine vorgenommenen Acte ihm nicht ") Dieser Geheimerlaß wurde am 23. September 1897 in einem im Abgeordnetenhaus vom Grazer Abgeordneten Dr. v. Hochenburger eingebrachten Antrag, Badeni „wegen der durch Hinausgabe des Erlasses vom 2. Juni 1897 . . . begangenen Gesetzesverletzung in Anklagestand zu versetzen", wörtlich zitiert. Stenogr. Prot., XIII. Session, Eröffnungssitzung S. 37, und Beilage 5 zu dem Stenogr. Prot. XIII.

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VI. Die böhmischen Aufruhrakte

mehr als Ausschreitungen seines rechtlichen Wirkungskreises zur Last gelegt und als Gründe zur Auflösung desselben geltend gemacht werden können, wenn diese Acte im Beisein und ohne Inhibition des Regierungs-Commissärs vorgenommen werden. Abgesehen davon ist auch über alles Wissenswerthe, über die Agitation gegen Regierung und Sprachenverordnungen Meldung zu erstatten, eventuell sofortige gerichtliche Anzeige zu veranlassen und hierüber, sowie über die Resultate des bezirksgerichtlichen Verfahrens oder über die allfällige Zurücklegung der Anzeige ungesäumt zu berichten."

Trotz der zu erwartenden Schikanen legten sich die Abgeordneten weder der deutschen noch der tschechischen Seite irgendwelche Mäßigung auf. Schon im Ministerrat vom 29. Mai hatte Graf Welsersheimb mitgeteilt, daß von mehreren Landeschefs, insbesondere von jenen in Wien, Prag, Brünn und Triest, motivierte, dringliche Anträge auf sofortige Vermehrung der Gendarmerie gestellt worden seien. So sei für Böhmen eine Vermehrung um 231 Mann, für Mähren um 145 und für das kleine Triester Gebiet um 44 Mann wegen der „Reibungsverhältnisse sozialistischer und nationaler Natur" gefordert worden. Woher er das Geld und die für den Dienst qualifizierten Personen nehmen solle, wisse er nicht. Dem Statthalter in Böhmen habe er zwar eine momentane Hilfe von 39 Gendarmen bereits gewährt, die vom Ministerpräsidenten als Leiter des Ministeriums des Innern unterstützten weiteren Anträge könne er jedoch nicht erfüllen. Wie recht die Statthalter mit ihrer Bitte um Vermehrung der Gendarmerie gehabt hatten, sollte sich, auch wenn die Agitation in den ersten Wochen noch in relativ ruhigen Bahnen verlief, bald zeigen. In Brünn schlössen sich am Pfingstmontag, dem 7. Juni, am deutschmährischen Vertrauensmännertag die mährischen Deutschliberalen der Obstruktion vorbehaltlos an, obwohl sie diese im April noch abgelehnt hatten. Die Sozialdemokraten, wegen der Bestätigung Luegers, der Auflösung der Eisenbahnerorganisation und der Wahlvorkommnisse in Galizien ergrimmt, traten auf dem vom 6. bis 12. Juni in Wien tagenden Parteitag der Obstruktion ebenfalls bei44). Gleichzeitig bekannten sie sich zu den Grundsätzen der nationalen Autonomie, die vom „Brünner Parteitag" im September 1899 weitergebildet und dann für eine Reihe von Jahren die Grundlagen für Agitation und Organisation der österreichischen Sozialdemokraten werden sollten. Bei den Tschechen wurde dagegen der Ruf nach baldiger Realisierung des böhmischen Staatsrechtes immer lauter und die Bewertung der Sprachenverordnungen immer geringer. Eduard Grégr erklärte auf einer Wählerversammlung: „Alle wirtschaftlichen, konfessionellen und sozialen Fragen müssen zurückstehen. Sie werden in dem selbständigen und freien Königreich Böhmen besser gelöst werden als in dem verworrenen, unnatürlichen und auf die Dauer unmöglichen Zisleithanien."45) J. Kaizl verteidigte als erster Redner am 7. Juni 1897 in Königgrätz vor einer Mitgliederversammlung der Jungtschechen die Sprachenverordnungen, die er als eine „große Errungenschaft", als einen „bedeutenden Fortschritt" rühmte. Die Zukunft der jungtschechischen Partei liege bei Badeni, verkündete er, und nicht bei einer Parlamentsmajorität, „die durch den tschechischen Adel wesentlich beeinflußt werde"46). Eine Woche später, in Kuttenberg, sprach Kaizl bereits anders. G. Hansel übersieht diese durch den auf die Königgrätzer Rede folgenden heftigen Widerspruch der jungtschechischen Presse bedingte Wandlung47). Wohin die jungtschechische Politik steuerte, lehrt ") ") ") ")

L. Β r ü g e 1, Národni Listy J. Κ a i ζ 1, Ζ G. H a n s e l ,

Gesch. d. österr. Sozialdemokratie IV, S. 312. 19. Juli 1897, S. 1 f. mého zivota III, S. 623. Tschechische Stellungnahme S. 75.

Die tschechische Unterbewertung der Verordnungen — Allgemeiner Radikalismus

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die Rede, die Kramár am 14. Juni in Hocik hielt. Auch er hob hervor, „daß man Badeni jetzt im Kampfe um die Sprachenverordnung nicht verlassen dürfe", aber im selben Atemzug noch fügte er hinzu: „Ich bin überzeugt, daß dem Ministerpräsidenten kein anderer Ausweg bleibt, als mit der Mehrheit zu gehen, die genau weiß, daß sie im Sinne ihres Programms handeln muß, wenn sie sich halten will. . ."48) Sonntag für Sonntag sprachen die Abgeordneten in Versammlungen, Sonntag für Sonntag wurde ihr Ton schneidender, ihre Forderungen unbescheidener. Die emporstrebende Partei der Radikalen Staatsrechtler in Böhmen warf den Jungtschechen Mißgriffe und Mißerfolge vor, machte Kramár und Kaizl zur Zielscheibe ihrer Angriffe. Ein Aufruf wurde im Juni erlassen, der verkündete, der Sitz der tschechischen Nation sei nicht bloß in Böhmen, Mähren und Schlesien, sondern auch in jenem Teile Niederösterreichs, „der unter König Ottokar II. von Böhmen an die Habsburger verlorenging. Wo einst der Premyslide auf dem Schlachtfelde unterlag, müsse jetzt wieder die Kraft des guten Rechtes siegen."49) Am 29. Juli erschien in den „Národní Listy" ein „Organisieren wir uns zum Kampfe gegen die Deutschen" überschriebener Artikel, in welchem es heißt: „Nach der Herausgabe der Sprachenverordnungen, mit denen uns Badeni nur einen kleinen Teil unseres alten Rechtes wiedergab, eröffneten die Deutschen einen provokatorischen Kampf, welcher nicht nur gegen unser Sprachenrecht, sondern gegen unsere Nation selbst gerichtet ist. Daher ist es an der Zeit Gegenmaßnahmen zu treffen : Ausmerzung der deutschen Sprache aus den Vereinen, der Journalistik, aus den autonomen Behörden und den Geldanstalten, sowie Ausschaltung der Deutschen aus den Kanzleien und dem privaten Leben! Svüj k svému! (Jedem das Seine.)"

Staatsrechtlich am weitesten steckte Prinz Friedrich Schwarzenberg vor seinen Budweiser Wählern unter der Parole „Das Staatsrecht voran" am 4. Juli die slawischen Ziele. Er forderte die Ausdehnung der Badenischen Sprachenverordnungen auf alle Länder, und er lehnte den Zentralismus der Verwaltung und den Zentralismus der Gesetzgebung als zwei Dinge ab, mit denen sich die Majorität nicht einverstanden erklären könnte — allerdings nur innerhalb Zisleithaniens und nicht innerhalb Böhmens50). „Wir wollen, daß unsere Landtage der Mittelpunkt werden für jene Angelegenheiten, die vor ihr Forum gehören, und daß jene gemeinsamen Angelegenheiten, welche wirklich gemeinsam sind, Gegenstand des Centraiparlaments bleiben. Überall sehen wir Anzeichen, daß der Centraiismus sich überlebt hat: die Landesfinanzen sind in desolatem Zustande und die Länder sind hilflos gegenüber ihrer eigenen Verarmung. Unser Adreßentwurf war ein Hinweis, daß die Verhältnisse in den einzelnen Kronländern nach einer Remedur rufen, und daß eine solche nur auf dem in diesem Entwürfe vorgezeichneten Wege gefunden werden kann. Es muß nun unser Bestreben sein, das darin in Worten Gesagte in Thaten umzuwandeln. Die S p r a c h e n v e r o r d n u n g e n sind ein Erfolg, insoweit sie den B e g i n n der Durchführung der sprachlichen Gleichberechtigung bedeuten, der Einheit des Königreiches entsprechen und den Begriff des sogenannten geschlossenen deutschen Sprachgebietes negieren. Allein, ohne sofort wieder übertriebene Forderungen vorzubringen, sage ich, daß die Vollendung dieses Werkes erst dann wird geschehen sein, bis auch bei den h ö h e r e n I n s t a n z e n für das tschechische Volk eingeführt wird, was Andere, an Zahl und Steuerkraft kleinere Völker schon besitzen. Zum Beispiel die Italiener. Dann erst werden wir sagen können : Wir haben erreicht, was wir unter dem Begriffe Gleichberechtigung verstehen. Es besteht fürwahr auch kein Grund, weshalb dieser Begriff an den L a n d e s g r e n z e n Halt « ) Národní Listy 14. Juni 1897, S. 2. 4 ·) G. Κ o 1 m e r, Parlament u. Verfassung VI, S. 272. ä0 ) J. Ρ a t ζ e 11, österr. Jahrbuch 1897, S. 86.

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VI. Die böhmischen Aufruhrakte

m a c h e n s o l l . Deshalb betrachten wir die Sprachenverordnungen als den glücklichen Beginn einer Action. Ein A u s g l e i c h müßte somit auf a l l g e m e i n e r Basis und in allen Ländern vor sich gehen und zu einer Correctur der bestehenden Verfassung werden. Insbesondere müßte auf Mähren und Schlesien Rücksicht genommen und Garantien gegeben werden, daß ein Ausgleich unternommen werden wird auf Grund der Gerechtigkeit."

Von deutscher Seite wurde ihm geantwortet, er würde das Staatsrecht nur hervorkehren, um die Aufmerksamkeit von der auch den tschechischen Landarbeitern gegenüber auf den Gütern im „Königreich der Fürsten Schwarzenberg" gezeigten unsozialen Haltung abzulenken. Die Rechnung für die antiösterreichische Haltung wurde diesem Geschlecht — eine ausgleichende Gerechtigkeit der Geschichte — teilweise schon in der ersten tschechoslowakischen Republik, restlos nach 1945 präsentiert. Das offiziöse „Fremdenblatt" warf dem Prinzen sofort vor, daß er unmöglich als Repräsentant des konservativen Adels gesprochen haben könne, denn dieser habe den Beruf, das nationale Moment nicht einseitig auszubilden, sondern mit den Bedürfnissen der Gesamtheit in Einklang zu bringen. Wie bei den Tschechen die Radikalen Staatsrechtler, so begannen bei den Deutschen die Schönerianer für zunehmenden Radikalismus zu sorgen. Ja diese bemächtigten sich vielfach der Führung, so in der Steiermark, und es lohnt sich, neben die bekannten Ereignisse in Wien und Böhmen die weniger bekannten, doch nicht weniger wichtigen und aufschlußreichen in den Alpenländern zu stellen.

ANHANG Α. SPRACHENVERORDNUNGEN

1. TAAFFE-STREMAYRSCHE SPRACHENVERORDNUNG FÜR BÖHMEN Verordnung der Minister des Innern und der Justiz vom 19. April 1880, L.G.Bl. Nr. 14, betreifend den Gebrauch der Landessprachen im Verkehre der politischen, Gerichts- und staatsanwaltschaftlichen Behörden im Königreiche Böhmen mit den Parteien und autonomen Organen1). § 1. Die politischen, Gerichts- und staatsanwaltschaftlichen Behörden im Lande sind verpflichtet, die an die Parteien über deren mündliche Anbringen oder schriftliche Eingaben ergehenden Erledigungen in jener der beiden Landessprachen auszufertigen, in welcher das mündliche Anbringen vorgebracht wurde oder die Eingabe abgefaßt ist. § 2. Protokollarische Erklärungen der Parteien sind in jener der beiden Landessprachen aufzunehmen, in welcher die Erklärung abgegeben wird. § 3. Urkunden oder andere Schriftstücke, welche in einer der beiden Landessprachen abgefaßt sind und als Beilagen, Behelfe oder sonst zum amtlichen Gebrauche beigebracht werden, bedürfen keiner Übersetzung. § 4. Die nicht über Einschreiten der Parteien erfolgenden behördlichen Ausfertigungen haben in jener der beiden Landessprachen zu erfolgen, die von der Person, an welche die Ausfertigung gerichtet werden soll, gesprochen wird. Ist die Sprache, deren sich die Partei bedient, nicht bekannt oder ist sie keine der beiden Landessprachen, so ist jene der Landessprachen zu gebrauchen, deren Verständnis nach Beschaffenheit des Falles wie insbesondere nach dem Aufenthaltsorte der Partei vorausgesetzt werden kann. § 5. Die Bestimmungen der §§ 1—4 gelten auch rücksichtlich der Gemeinden in jenen Angelegenheiten, in denen sie als Parteien anzusehen sind. § 6. Alle amtlichen Bekanntmachungen, welche zur allgemeinen Kenntnis im Lande bestimmt sind, haben in beiden Landessprachen zu ergehen. Lediglich für einzelne Bezirke oder Gemeinden bestimmte amtliche Bekanntmachungen haben in den Landessprachen zu erfolgen, welche in den betreffenden Bezirken oder Gemeinden üblich sind. § 7. Aussagen von Zeugen sind in jener Landessprache aufzunehmen, in welcher dieselben abgegeben werden. § 8. In strafgerichtlichen Angelegenheiten sind die Anklageschrift, sowie überhaupt die dem Angeschuldigten zuzustellenden Anträge, Erkenntnisse und Beschlüsse für denselben in jener der beiden Landessprachen auszufertigen, deren er sich bedient hat. In dieser Sprache ist auch die Hauptverhandlung zu pflegen, und sind in derselben insbesondere die Vorträge des Staatsanwaltes und des Verteidigers zu halten und die Erkenntnisse und Beschlüsse zu verkünden. *) Die Taaffe-Stremayrsche Sprachenverordnung für die Markgrafschaft M ä h r e n vom 18. April 1880, L.G.Bl. 17, gleichlautend bis auf den Namen des Kronlandes. 18

Sutter, Sprachenverordnungen I.

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Anhang

Von den Bestimmungen des vorstehenden Absatzes darf nur insofern abgegangen werden, als dieselben mit Rücksicht auf ausnahmsweise Verhältnisse, insbesondere mit Rücksicht auf die Zusammensetzung der Geschworenenbank unausführbar sind oder der Angeschuldigte selbst den Gebrauch der anderen Landessprache begehrt. Bei Hauptverhandlungen gegen mehrere Angeschuldigte, welche sich nicht derselben Landessprache bedienen, ist die Hauptverhandlung in jener Landessprache abzuhalten, welche das Gericht für den Zweck der Hauptverhandlung entsprechender erachtet. In allen Fällen sind die Aussagen der Angeschuldigten und der Zeugen in der von ihnen gebrauchten Landessprache aufzunehmen und die Erkenntnisse und Beschlüsse jedem Angeschuldigten in dieser Sprache zu verkünden und auf Verlangen auszufertigen. § 9. In bürgerlichen Rechtsstreiten ist das Erkenntnis samt Gründen in jener Landessprache auszufertigen, in welcher der Rechtsstreit verhandelt wurde. Haben sich die Parteien nicht derselben Landessprache bedient, so hat, falls nicht ein Einverständnis vorliegt, daß das Erkenntnis samt Gründen nur in einer der Landessprachen ausgefertigt werde, die Ausfertigung in beiden Landessprachen zu erfolgen. §10. Die Eintragung in die öffentlichen Bücher (Landtafel, Bergbuch, Grundbuch, Wasserbuch usw.), dann in die Handelsfirmen-, Genossenschafts- und andere öffentliche Register sind in der Sprache des mündlichen oder schriftlichen Ansuchens, beziehungsweise des Bescheides, auf dessen Grund sie erfolgen, zu vollziehen. In derselben Sprache sind die Intabulationsklauseln den Urkunden beizusetzen. Bei Auszügen aus diesen Büchern und Registern ist die Sprache der Eintragung beizubehalten. §11. Der Verkehr der politischen, gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Behörden mit den autonomen Organen richtet sich nach der Geschäftssprache, deren sich dieselben bekanntermaßen bedienen. Der Verkehr mit den Gemeindebehörden, welche die Funktionen der politischen Bezirksbehörde ausüben, wird hierdurch nicht berührt. W i e n , am 19. April 1880. T a a f f e m . p.

S t r e m a y r m . p.

2. BADENISCHE SPRACHENVERORDNUNG /. Verordnung der Minister des Innern, der Justiz, der Finanzen, des Handels und des Ackerbaues vom 5. April 1897, L.G.Bl. Nr. 12, betreffend den Gebrauch der Landessprachen bei den Behörden im Königreiche Böhmen2). (Kundgemacht in der amtlichen Wiener Zeitung vom 6. April 1897).

§ 1. Die Gerichts- und staatsanwaltschaftlichen Behörden, sowie die den Ministerien des Innern, der Finanzen, des Handels und des Ackerbaues unterstehenden Behörden im Königreiche Böhmen sind verpflichtet, die an die Parteien über deren mündliche Anbringen oder schriftliche Eingaben ergehenden Erledi2

) Die Badenische Sprachenverordnung für die Markgrafschaft M ä h r e n vom 22. April 1897, L.G.Bl. Nr. 29, gleichlautend bis auf den Namen des Kronlandes.

Α. Sprachenverordnungen

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gungen und Entscheidungen in jener der beiden Landessprachen auszufertigen, in welcher das mündliche Anbringen vorgebracht wurde oder die Eingabe abgefaßt ist. § 2. Protokollarische Erklärungen der Parteien sind in jener der beiden Landessprachen aufzunehmen, in welcher die Erklärung abgegeben wird. § 3. Urkunden oder andere Schriftstücke, welche in einer der beiden Landessprachen abgefaßt sind und als Beilagen, Behelfe oder sonst zum amtlichen Gebrauche beigebracht werden, bedürfen keiner Übersetzung. § 4. Die nicht über Einschreiten der Parteien erfolgenden behördlichen Ausfertigungen haben in jener der beiden Landessprachen zu erfolgen, die von der Person, an welche die Ausfertigung gerichtet werden soll, gesprochen wird. Ist die Sprache, deren sich die Partei bedient, nicht bekannt, oder ist sie keine der beiden Landessprachen, so ist jene der Landessprachen zu gebrauchen, deren Verständnis nach Beschaffenheit des Falles, wie insbesondere nach dem Aufenthaltsorte der Partei vorausgesetzt werden kann. § 5. Die Bestimmungen der §§ 1—4 gelten auch rücksichtlich der Gemeinden und autonomen Organe im Königreiche Böhmen in jenen Angelegenheiten, in denen sie als Parteien anzusehen sind. § 6. Aussagen von Zeugen sind in jener Landessprache aufzunehmen, in welcher dieselben abgegeben wurden. § 7. Von den im § 1 bezeichneten Behörden ist die Sprache des mündlichen Anbringens oder der Eingabe, mit welcher eine Partei eine Sache anhängig macht, bei allen der Erledigung oder Entscheidung dieser Sache dienenden Amtshandlungen anzuwenden. Insbesondere hat bei den Gerichtshöfen die Antragstellung und Beratung im Senate in dieser Sprache zu erfolgen. Bei Amtshandlungen, die nicht über Einschreiten einer Partei eingeleitet werden, sind nach Beschaffenheit des Gegenstandes beide Landessprachen oder eine derselben anzuwenden. Ist zum Zwecke der Erledigung der im Absatz 1 und 2 bezeichneten Angelegenheiten mit anderen landesfürstlichen, nicht militärischen Behörden im Lande schriftlicher Verkehr zu pflegen, so gelten auch für diesen Verkehr die im Absatz 1, beziehungsweise 2 gegebenen Bestimmungen. Für den Verkehr mit Behörden außer dem Lande und mit Zentralstellen hat es bei den bestehenden Vorschriften zu verbleiben. § 8. Alle amtlichen Bekanntmachungen, welche zur allgemeinen Kenntnis im Lande bestimmt sind, haben in beiden Landessprachen zu ergehen. Lediglich für einzelne Bezirke oder Gemeinden bestimmte amtliche Bekanntmachungen haben in den Landessprachen zu erfolgen, welche in den betreffenden Bezirken oder Gemeinden üblich sind. § 9. Sind an einer Sache mehrere Parteien beteiligt, die sich in ihren mündlichen Anbringen oder Eingaben verschiedener Landessprachen bedienen, so haben die im § 1 genannten Behörden die Erledigung oder Entscheidung in beiden Landessprachen auszufertigen, falls nicht ein Einverständnis der Parteien vorliegt, daß die Ausfertigung nur in einer der beiden Landessprachen erfolgen soll. Bei den der Erledigung oder Entscheidung der Sache dienenden Amtshandlungen, die unter Mitwirkung der Parteien vorgenommen werden, ist, soweit nicht die gegenwärtige Verordnung etwas anderes bestimmt, die Sprache der Eingabe, nötigenfalls in Ermangelung eines anderweitigen Einverständnisses der Parteien, auch die zweite Landessprache anzuwenden. 18*

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§ 10. In strafgerichtlichen Angelegenheiten sind die Anklageschrift, sowie überhaupt die den Angeschuldigten betreifenden Anträge, Erkenntnisse und Amtshandlungen in jener der beiden Landessprachen abzufassen, deren er sich bedient hat. In dieser Sprache ist auch die Hauptverhandlung zu pflegen und das Verhandlungsprotokoll zu führen und es sind in derselben insbesondere die Vorträge des Staatsanwaltes und des Verteidigers zu halten und die Erkenntnisse und Beschlüsse zu beraten und zu verkünden. Von den Bestimmungen des vorstehenden Absatzes darf nur insofern abgegangen werden, als dieselben mit Rücksicht auf ausnahmsweise Verhältnisse, insbesondere mit Rücksicht auf die Zusammensetzung der Geschworenenbank unausführbar sind oder der Angeschuldigte selbst den Gebrauch der anderen Landessprache begehrt. Bei Hauptverhandlungen gegen mehrere Angeschuldigte, welche sich nicht derselben Landessprache bedienen, ist die Hauptverhandlung in jener Landessprache abzuhalten, welche das Gericht für den Zweck der Hauptverhandlung entsprechender erachtet. In allen Fällen sind die Aussagen der Angeschuldigten und der Zeugen in der von ihnen gebrauchten Landessprache aufzunehmen und die Erkenntnisse und Beschlüsse jedem Angeschuldigten in dieser Sprache zu verkünden und auf Verlangen auszufertigen. § 11. In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist das Protokoll über die mündliche Verhandlung in der Sprache der Verhandlung, wenn aber die Parteien nicht die gleiche Landessprache gebrauchen, in der Sprache der Klage zu führen (§ 7). Aussagen von Zeugen, Sachverständigen und Parteien, die zum Zwecke der Beweisführung vernommen werden, sind jedoch stets in der von diesen Personen bei ihrer Aussage gebrauchten Landessprache im Protokolle zu beurkunden. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Vorträge der Parteien und der von ihnen bei einer mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen, soweit nicht das Protokoll lediglich eine zusammenfassende Darstellung des Inhalts des mündlichen Parteivorbringens gibt. Das Gericht hat bei der mündlichen Verhandlung die Sprache zu gebrauchen, in welcher die Verhandlung von den Parteien geführt wird. Bei Beteiligung von Parteien, die sich bei der mündlichen Verhandlung verschiedener Landessprachen bedienen, hat das Gericht die Sprache des ersten Anbringens, nötigenfalls beide Landessprachen zu gebrauchen. Alle richterlichen Erklärungen sind in der Sprache, in der sie vom Richter abgegeben wurden, und wenn die Verkündigung in beiden Landessprachen erfolgte, auf Verlangen der Parteien in beiden Landessprachen zu protokollieren. § 12. Die Eintragungen in die öffentlichen Bücher (Landtafel, Bergbuch, Grundbuch, Wasserbuch, Depositenbücher usw.), dann in die Handelsfirmen-, Genossenschafts- und andere öffentliche Register sind in der Sprache des mündlichen oder schriftlichen Ansuchens, beziehungsweise des Bescheides, auf dessen Grund sie erfolgen, zu vollziehen. In derselben Sprache sind die Intabulationsklauseln bei Urkunden beizusetzen. Bei Auszügen aus diesen Büchern und Registern ist die Sprache der Eintragung beizubehalten. § 13. Bei allen landesfürstlichen Kassen und Ämtern im Königreiche Böhmen, die mit Geld gebaren, hat es hinsichtlich der Führung der Kassajournale, Kassaausweise und aller sonstigen Kassenbehelfe, welche von den Zentralorganen zur

Α. Sprachenverordnungen

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Ausübung der Kontrolle oder Zusammenstellung periodischer Nachweisungen benützt werden, bei den bestehenden sprachlichen Vorschriften zu verbleiben. Dasselbe gilt bezüglich des inneren Dienstganges und der Manipulation des Post- und Telegraphendienstes und der der Zentralleitung unmittelbar unterstehenden ärarischen industriellen Etablissements sowie für den gegenseitigen Verkehr der betreffenden Ämter und Organe. Auf die nichtärarischen Postämter mit größerem Geschäftsumfange finden die Bestimmungen der gegenwärtigen Verordnung nach Tunlichkeit Anwendung. § 14. Der Verkehr der im § 1 bezeichneten Behörden mit den autonomen Organen richtet sich nach der Geschäftssprache, deren sich dieselben bekanntermaßen bedienen. § 15. Die Geltung der Dienstsprache der militärischen Behörden und der Gendamerie, für den Verkehr mit denselben und für deren dienstliche Anforderungen, wird durch diese Verordnung in keiner Weise berührt. § 16. Die gegenwärtige Verordnung tritt am Tage der Kundmachung in Wirksamkeit. Am gleichen Tage verlieren alle in früheren Verordnungen enthaltenen Bestimmungen, die mit den Vorschriften der gegenwärtigen Verordnung in Widerspruche stehen, ihre Kraft. Β a d e η i m. p. Ledebur

Β i 1 i η s k i m. p.

m. p.

Gleispach

m. p.

G l a n z m. p.

II. Verordnung der Minister des Innern, der Justiz, der Finanzen, des Handels und des Ackerbaues vom 5. April 1897, L.G.Bl. Nr. 13, betreffend die sprachliche Qualifikation der bei den Behörden im Königreiche Böhmen angestellten Beamten3). § 1. Beamte, die bei den Gerichts- und staatsanwaltschaftlichen Behörden sowie bei denjenigen Behörden im Königreiche Böhmen, welche den Ministerien des Innern, der Finanzen, des Handels und des Ackerbaues unterstehen, nach dem 1. Juni 1901 angestellt werden, haben die Kenntnis beider Landessprachen in Wort und Schrift nachzuweisen. § 2. Dieser Nachweis ist entweder gelegentlich der für den betreffenden Dienstzweig vorgeschriebenen praktischen Prüfung oder bei einer hierfür eigens anzuberaumenden Prüfung, der sich der Beamte spätestens drei Jahre nach seinem Dienstantritte zu unterziehen hat, zu erbringen. Letztere Prüfung kann Manipulationsbeamten nachgesehen werden, wenn deren sprachliche Eignung während ihrer probeweisen Verwendung nachgewiesen wird. Die näheren Bestimmungen über die Vornahme dieser Prüfungen werden im Wege einer besonderen Verordnung getroffen. Unteroffizieren, die mit dem Certificat versehen und nach Böhmen zuständig sind, kann in besonders rücksichtswürdigen Fällen der Nachweis der sprachlichen Eignung vom Ressortminister erlassen werden. 3

) Die Verordnung für die Markgrafschaft M ä h r e n gleichlautend bis auf den Namen des Kronlandes.

vom 22. April 1897, L.G.B1. Nr. 30,

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§ 3. Unbeschadet obiger Bestimmungen ist schon dermalen nach Tunlichkeit und Zulaß des Dienstes Vorsorge zu treffen, daß in jenen Zweigen des Staatsdienstes, für welche die Verordnung vom 5. April 1897, betreffend den Gebrauch der Landessprachen bei den Behörden im Königreiche Böhmen Giltigkeit hat, die einzelnen Behörden mit sprachkundigen Beamten nach Maß des tatsächlichen Bedürfnisses besetzt werden. Β a d e η i m. p. Ledebur

m. p.

Bilinski

m. p.

Gleispach

m. p.

G l a n z m. p. 3. G A U T S C H S C H E SPRACHENVERORDNUNG FÜR BÖHMEN Verordnung der Minister des Innern, der Justiz, der Finanzen, des Handels und des Ackerbaues vom 24. Februar 1898, L.G.Bl. Nr. 16, betreffend den Gebrauch der Landessprachen bei den Behörden im Königreiche Böhmen. (Kundgemacht in der amtlichen Wiener Zeitung vom 5. März 1398.)

Vorbehaltlich gesetzlicher Regelung werden für die Gerichts- und staatsanwaltschaftlichen Behörden sowie die den Ministerien des Innern, der Finanzen, des Handels und des Ackerbaues unterstehenden Behörden im Königreiche Böhmen nachstehende Vorschriften provisorisch erlassen: § 1. Erledigungen und Entscheidungen, welche über mündliche Anbringen oder schriftliche Eingaben von Parteien an dieselben ergehen, werden in jener der beiden Landessprachen ausgefertigt, in welcher das mündliche Anbringen vorgebracht wurde oder die Eingabe abgefaßt ist. § 2. Protokollarische Erklärungen der Parteien sind in jener der beiden Landessprachen aufzunehmen, in welcher die Erklärung abgegeben wird. § 3. Urkunden oder andere Schriftstücke, welche in einer der beiden Landessprachen abgefaßt sind und als Beilagen, Behelfe oder sonst zum amtlichen Gebrauche beigebracht werden, bedürfen keiner Übersetzung. § 4. Behördliche Ausfertigungen, welche nicht über Einschreiten von Parteien oder nicht an Personen ergehen, welche die Angelegenheit anhängig gemacht haben, erfolgen in jener der beiden Landessprachen, die von der Person, an welche die Ausfertigung gerichtet werden soll, gesprochen wird. Ist diese Sprache nicht bekannt oder ist sie keine der beiden Landessprachen, so ist jene der Landessprachen zu gebrauchen, deren Verständnis nach Beschaffenheit des Falles, wie insbesondere nach dem Aufenthaltsorte der Partei vorausgesetzt werden kann. § 5. Die Bestimmungen der §§ 1—4 gelten auch rücksichtlich der Gemeinden und autonomen Organe im Königreiche Böhmen in jenen Angelegenheiten, in denen sie als Parteien anzusehen sind. § 6. Aussagen von Zeugen sind in jener Landessprache aufzunehmen, in welcher dieselben abgegeben wurden. § 7. Amts- und Dienstsprache der Behörden, auf welche diese Verordnung Anwendung findet, ist jene Landessprache, zu welcher als Umgangssprache sich die anwesende Bevölkerung ihres Amtsbezirkes nach dem Ergebnisse der jeweiligen Volkszählung bekennt. In sprachlich gemischten Amtsbezirken haben beide Landessprachen gleichmäßig Anwendung zu finden.

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Als sprachlich gemischte Amtsbezirke im Sinne des vorstehenden Absatzes sind anzusehen: a) Die Amtsbezirke jener Behörden und Organe, deren Amtsbezirk nur eine oder mehrere Gemeinden umfaßt, wenn wenigstens in einer Gemeinde des Amtsbezirkes mindestens ein Viertel der anwesenden Bevölkerung nach den Ergebnissen der letzten Volkszählung sich zu der anderen Landessprache als Umgangssprache bekennt. b) Die Amtsbezirke jener Behörden, deren Amtsbezirk einen ganzen Gerichtsbezirk umfaßt, wenn wenigstens ein Fünftteil der Gemeinden des Gerichtsbezirkes eine zu der anderen Landessprache sich bekennende Bevölkerung hat oder in dem sub a) bezeichneten Maße sprachlich gemischt ist. c) Die Amtsbezirke jener Behörden, deren Amtsbezirk sich über mehrere Gerichtsbezirke erstreckt, wenn auch nur ein Gerichtsbezirk anderssprachig oder im Sinne der Bestimmung sub b) als sprachlich gemischt anzusehen ist. d) Die Amtsbezirke der für die Landeshauptstadt Prag bestellten Behörden. § 8. Insoweit für Amtshandlungen, welche der Erledigung oder Entscheidung eines mündlichen Anbringens oder der Eingabe einer Partei dienen, in dieser Verordnung keine besondere Verfügung getroffen ist, haben sich die Behörden für solche Amtshandlungen ihrer eigenen Amtssprache zu bedienen; in sprachlich gemischten Amtsbezirken hat hiebei die im Parteianbringen gebrauchte Amtssprache Anwendung zu finden. Bei Amtshandlungen, die nicht auf Einschreiten einer Partei eingeleitet werden, haben sich die Behörden ihrer eigenen Amtssprache zu bedienen, insofern die Beschaffenheit des Gegenstandes nicht die Anwendung der anderen Landessprache erfordert; in sprachlich gemischten Amtsbezirken dagegen ist stets jene der beiden Amtssprachen zu gebrauchen, welche der Beschaffenheit des Gegenstandes entspricht. Ist zum Zwecke der Erledigung der im Absätze 1 und 2 bezeichneten Angelegenheiten mit anderen landesfürstlichen, nicht militärischen Behörden im Lande schriftlicher Verkehr zu pflegen, so gelten auch für diesen Verkehr die im Absätze 1, beziehungsweise 2 getroffenen Bestimmungen. Für den Verkehr mit Behörden außer dem Lande und mit Zentralstellen hat es bei den bestehenden Vorschriften zu verbleiben. § 9. Alle amtlichen Bekanntmachungen, welche zur allgemeinen Kenntnis im Lande bestimmt sind, haben in beiden Landessprachen zu ergehen. Lediglich für einzelne Bezirke oder Gemeinden bestimmte amtliche Bekanntmachungen haben in den Landessprachen zu erfolgen, welche in den betreffenden Bezirken oder Gemeinden üblich sind. § 10. Sind an einer Sache mehrere Parteien beteiligt, die sich in ihren mündlichen Anbringen oder Eingaben verschiedener Landessprachen bedienen, so haben die Behörden die Erledigung oder Entscheidung in beiden Landessprachen auszufertigen, falls nicht ein Einverständnis der Parteien vorliegt, daß die Ausfertigung nur in einer der beiden Landessprachen erfolgen soll. Bei den der Erledigung oder Entscheidung der Sache dienenden Amtshandlungen, die unter Mitwirkung der Parteien vorgenommen werden, ist, soweit nicht die gegenwärtige Verordnung etwas anderes bestimmt, die Amtssprache der betreffenden Behörde anzuwenden; in sprachlich gemischten Amtsbezirken sind in Ermangelung eines anderweitigen Einverständnisses der Parteien beide Sprachen anzuwenden.

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§ 11. In strafgerichtlichen Angelegenheiten sind die Anklageschrift, sowie überhaupt die den Angeschuldigten betreffenden Anträge, Erkenntnisse und Amtshandlungen in jener der beiden Landessprachen abzufassen, deren er sich bedient hat. In dieser Sprache ist auch die Hauptverhandlung zu pflegen und es sind in derselben insbesondere die Vorträge des Staatsanwaltes und des Verteidigers zu halten und die Erkenntnisse und Beschlüsse zu verkünden. Von den Bestimmungen des vorstehenden Absatzes darf nur insoferne abgegangen werden, als dieselben mit Rücksicht auf ausnahmsweise Verhältnisse, insbesondere mit Rücksicht auf die Zusammensetzung der Geschworenenbank unausführbar sind oder der Angeschuldigte selbst den Gebrauch der anderen Landessprache begehrt. Bei Hauptverhandlungen gegen mehrere Angeschuldigte, welche sich nicht derselben Landessprache bedienen, ist die Hauptverhandlung in jener Landessprache abzuhalten, welche das Gericht für den Zweck der Hauptverhandlung entsprechender erachtet. In allen Fällen sind die Aussagen der Angeschuldigten und der Zeugen (§ 6) in der von ihnen gebrauchten Landessprache aufzunehmen und die Erkenntnisse und Beschlüsse jedem Angeschuldigten in dieser Sprache zu verkünden und auf Verlangen auszufertigen. § 12. In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist das Protokoll über die mündliche Verhandlung in der Amtssprache des Gerichtes, in sprachlich gemischten Gerichtsbezirken (§ 7 lit. b) aber, wenn sich nicht beide Parteien bei der Verhandlung der anderen Landessprache bedient haben, in der Sprache des ersten Anbringens (Klage, Gesuch) zu führen. Aussagen von Zeugen, Sachverständigen und Parteien, die zum Zwecke der Beweisführung vernommen werden, sind jedoch stets in der von diesen Personen bei ihrer Aussage gebrauchten Landessprache im Protokolle zu beurkunden. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Vorträge der Parteien und der von ihnen bei einer mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen, soweit nicht das Protokoll lediglich eine zusammenfassende Darstellung des Inhalts des mündlichen Parteivorbringens gibt. Das Gericht hat bei der mündlichen Verhandlung die Sprache zu gebrauchen, in welcher die Verhandlung von den Parteien geführt wird. Bei Beteiligung von Parteien, die sich bei der mündlichen Verhandlung verschiedener Landessprachen bedienen, hat das Gericht nötigenfalls beide Landessprachen zu gebrauchen. Alle richterlichen Erklärungen sind ohne Rücksicht darauf, in welcher Sprache sie vom Richter abgegeben wurden, in derjenigen Sprache zu protokollieren, in welcher gemäß Absatz 1 das Verhandlungsprotokoll geführt wird. § 13. Die Eintragung in die öffentlichen Bücher (Landtafel, Bergbuch, Grundbuch, Wasserbuch, Depositenbücher usw.), dann in die Handelsfirmen-, Genossenschafts- und andere öffentliche Register sind in der Sprache des mündlichen oder schriftlichen Ansuchens, beziehungsweise des Bescheides, auf dessen Grund sie erfolgen, zu vollziehen. In derselben Sprache sind die Intabulationsklauseln bei Urkunden beizusetzen. Bei Auszügen aus diesen Büchern und Registern ist die Sprache der Eintragung beizubehalten. Stimmt die Sprache des mündlichen oder schriftlichen Ansuchens mit der Amtssprache der die Eintragung vollziehenden Behörde nicht überein, so ist der Eintragung eine Übersetzung in der Amtssprache beizufügen.

Α. Sprachenverordnungen

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In diesem Falle ist über Ansuchen der Partei bei der Ausfertigung von Auszügen aus den erwähnten Büchern und Registern auch noch auf diese Übersetzungen Rücksicht zu nehmen. § 14. Bei allen landesfürstlichen Kassen und Ämtern im Königreiche Böhmen, die mit Geld gebaren, hat es hinsichtlich der Führung der Kassajournale, Kassaausweise und aller sonstigen Kassenbehelfe, welche von den Zentralorganen zur Ausübung der Kontrolle oder Zusammenstellung periodischer Nachweisungen benützt werden, bei den bestehenden sprachlichen Vorschriften zu verbleiben. Dasselbe gilt bezüglich des inneren Dienstganges und der Manipulation des Post- und Telegraphendienstes und der der Zentralleitung unmittelbar unterstehenden ärarischen industriellen Etablissements, sowie für den gegenseitigen Verkehr der betreffenden Ämter und Organe. Auf die nichtärarischen Postämter mit größerem Geschäftsumfang finden die Bestimmungen der gegenwärtigen Verordnung nach Tunlichkeit Anwendung. § 15. Der Verkehr der Behörden mit den autonomen Organen richtet sich nach der Geschäftssprache, deren die Letzteren sich bekanntermaßen bedienen. § 16. Die Geltung der Dienstsprache der militärischen Behörden und der Gendarmerie, für den Verkehr mit denselben und für deren dienstliche Anforderungen, wird durch diese Verordnung in keiner Weise berührt. § 17. Hinsichtlich der sprachlichen Qualifikation der Beamten sind die Behörden unter genauer Beachtung der grundsätzlichen Bestimmungen dieser Verordnung gehalten, die Besetzung der einzelnen Dienstesstellen lediglich nach Maßgabe des tatsächlichen Bedürfnisses vorzunehmen. Jeder Beamte wird somit das an Sprachkenntnissen besitzen müssen, was der Dienst bei der Behörde seiner Verwendung wirklich erfordert. Hiernach ist schon bei den Konkursausschreibungen vorzugehen. § 18. Diese Verordnung tritt mit 15. März 1898 in Wirksamkeit ; mit demselben Tage treten die Ministerialverordnung vom 5. April 1897, L.G.B1. Nr. 12, betreffend den Gebrauch der Landessprachen bei den Behörden im Königreiche Böhmen, dann die Ministerialverordnung vom 5. April 1897, L.G.B1. Nr. 13, betreffend die sprachliche Qualifikation der bei den Behörden im Königreiche Böhmen angestellten Beamten und alle früheren mit den gegenwärtigen Vorschriften im Widerspruche stehenden Bestimmungen außer Kraft. Gautsch

m. p.

B ö h m m. p.

Koerber

m. p.

R u b e r m. p. B y l a n d t m. p.

4. GAUTSCHSCHE SPRACHENVERORDNUNG FÜR MÄHREN Verordnung der Minister des Innern, der Justiz, der Finanzen, des Handels und des Ackerbaues vom 24. Februar 1898, L.G.Bl. Nr. 19, betreffend den Gebrauch der Landessprachen bei den Behörden in der Markgrafschaft Mähren. (Kundgemacht in der amtlichen Wiener Zeitung vom 5. März 1898.)

Vorbehaltlich gesetzlicher Regelung werden für die Gerichts- und staatsanwaltschaftlichen Behörden sowie die den Ministerien des Innern, der Finanzen, des Handels und des Ackerbaues unterstehenden Behörden in der Markgrafschaft Mähren nachstehende Vorschriften provisorisch erlassen:

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Anhang

§ 1. Erledigungen und Entscheidungen, welche über mündliche Anbringungen oder schriftliche Eingaben von Parteien an dieselben ergehen, werden in jener der beiden Landessprachen ausgefertigt, in welcher das mündliche Anbringen vorgebracht wurde oder die Eingabe abgefaßt ist. § 2. Protokollarische Erklärungen der Parteien sind in jener der beiden Landessprachen aufzunehmen, in welcher die Erklärung abgegeben wird. § 3. Urkunden oder andere Schriftstücke, welche in einer der beiden Landessprachen abgefaßt sind und als Beilagen, Behelfe oder sonst zum amtlichen Gebrauche beigebracht werden, bedürfen keiner Übersetzung. § 4. Behördliche Ausfertigungen, welche nicht über Einschreiten von Parteien oder nicht an Personen ergehen, welche die Angelegenheit anhängig gemacht haben, erfolgen in jener der beiden Landessprachen, die von der Person, an welche die Ausfertigung gerichtet werden soll, gesprochen wird. Ist diese Sprache nicht bekannt oder ist sie keine der beiden Landessprachen, so ist jene der Landessprachen zu gebrauchen, deren Verständnis nach Beschaffenheit des Falles wie insbesondere nach dem Aufenthaltsorte der Partei vorausgesetzt werden kann. § 5. Die Bestimmungen der §§ 1—4 gelten auch rücksichtlich der Gemeinden und autonomen Organe in der Markgrafschaft Mähren in jenen Angelegenheiten, in denen sie als Parteien anzusehen sind. § 6. Aussagen von Zeugen sind in jener Landessprache aufzunehmen, in welcher dieselben abgegeben wurden. § 7. Von den Behörden ist die Sprache des mündlichen Anbringens oder der Eingabe, mit welcher eine Partei eine Sache anhängig macht, bei allen der Erledigung oder Entscheidung dieser Sache dienenden Amtshandlungen (mit Ausnahme der Beratung) anzuwenden. Bei Amtshandlungen, die nicht über Einschreiten einer Partei eingeleitet werden, jedoch zur Verständigung von Parteien zu führen bestimmt sind, ist die der Beschaffenheit des Gegenstandes entsprechende Landessprache anzuwenden. Ist zum Zwecke der Erledigung der im Absätze 1 und 2 bezeichneten Angelegenheiten mit anderen landesfürstlichen, nicht militärischen Behörden im Lande schriftlicher Verkehr zu pflegen, so gelten auch für diesen Verkehr die im Absätze 1, beziehungsweise 2 gegebenen Bestimmungen. Für den Verkehr mit Behörden außer dem Lande und mit Zentralstellen hat es bei den bestehenden Vorschriften zu verbleiben. § 8. Alle amtlichen Bekanntmachungen, welche zur allgemeinen Kenntnis im Lande bestimmt sind, haben in beiden Landessprachen zu ergehen. Lediglich für einzelne Bezirke oder Gemeinden bestimmte amtliche Bekanntmachungen haben in den Landessprachen zu erfolgen, welche in den betreffenden Bezirken oder Gemeinden üblich sind. § 9. Sind an einer Sache mehrere Parteien beteiligt, die sich in ihren mündlichen Anbringen oder Eingaben verschiedener Landessprachen bedienen, so haben die Behörden die Erledigung oder Entscheidung in beiden Landessprachen auszufertigen, falls nicht ein Einverständnis der Parteien vorliegt, daß die Ausfertigung nur in einer der beiden Landessprachen erfolgen soll. Bei den der Erledigung oder Entscheidung der Sache dienenden Amtshandlungen, die unter Mitwirkung der Parteien vorgenommen werden, ist, soweit nicht die gegenwärtige Verordnung etwas anderes bestimmt, die Sprache der Eingabe, nötigenfalls in Ermanglung eines anderweitigen Einverständnisses der Parteien, auch die zweite Landessprache anzuwenden.

Α. Sprachenverordnungen

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§ 10. In strafgerichtlichen Angelegenheiten sind die Anklageschrift, sowie überhaupt die den Angeschuldigten betreifenden Anträge, Erkenntnisse und Amtshandlungen in jener der beiden Landessprachen abzufassen, deren er sich bedient hat. In dieser Sprache ist auch die Hauptverhandlung zu pflegen und das Verhandlungsprotokoll zu führen und es sind in derselben insbesondere die Vorträge des Staatsanwaltes und des Verteidigers zu halten und die Erkenntnisse und Beschlüsse zu verkünden. Von den Bestimmungen des vorstehenden Absatzes darf nur insofern abgegangen werden, als dieselben mit Rücksicht auf ausnahmsweise Verhältnisse, insbesondere mit Rücksicht auf die Zusammensetzung der Geschworenenbank unausführbar sind oder der Angeschuldigte selbst den Gebrauch der anderen Landessprache begehrt. Bei Hauptverhandlungen gegen mehrere Angeschuldigte, welche sich nicht derselben Landessprache bedienen, ist die Hauptverhandlung in jener Landessprache abzuhalten, welche das Gericht für den Zweck der Hauptverhandlung entsprechender erachtet. In allen Fällen sind die Aussagen der Angeschuldigten und der Zeugen (§ 6) in der von ihnen gebrauchten Landessprache aufzunehmen und die Erkenntnisse und Beschlüsse jedem Angeschuldigten in dieser Sprache zu verkünden und auf Verlangen auszufertigen. § 11. In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist das Protokoll über die mündliche Verhandlung in der Sprache der Verhandlung, wenn aber die Parteien nicht die gleiche Landessprache gebrauchen, in der Sprache des ersten Anbringens (Klage, Gesuch) zu führen Aussagen von Zeugen, Sachverständigen und Parteien, die zum Zwecke der Beweisführung vernommen werden, sind jedoch stets in der von diesen Personen bei ihrer Aussage gebrauchten Landessprache im Protokolle zu beurkunden. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Vorträge der Parteien und der von ihnen bei einer mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen. Gibt jedoch das Protokoll lediglich eine zusammenfassende Darstellung des Inhalts des mündlichen Parteivorbringens, so ist es, bei Beteiligung von Parteien, die sich bei der mündlichen Verhandlung verschiedener Landessprachen bedienen, in der Sprache, über welche sie sich hiefür geeinigt haben, nötigenfalls in beiden Sprachen zu führen. Das Gericht hat bei der mündlichen Verhandlung die Sprache zu gebrauchen, in welcher die Verhandlung von den Parteien geführt wird. Bei Beteiligung von Parteien, die sich bei der mündlichen Verhandlung verschiedener Landessprachen bedienen, hat das Gericht die Sprache des ersten Anbringens, nötigenfalls beide Landessprachen zu gebrauchen. Alle richterlichen Erklärungen sind in der Sprache, in der sie vom Richter abgegeben wurden, und wenn die Verkündigung in beiden Landessprachen erfolgte, auf Verlangen der Partei in beiden Landessprachen zu protokollieren. § 12. Die Eintragung in die öffentlichen Bücher (Landtafel, Bergbuch, Grundbuch, Wasserbuch, Depositenbücher usw.), dann in die Handelsfirmen-, Genossenschafts- und andere öffentliche Register sind in der Sprache des mündlichen oder schriftlichen Ansuchens, beziehungsweise des Bescheides, auf dessen Grund sie erfolgen, zu vollziehen. In derselben Sprache sind die Intabulationsklauseln bei Urkunden beizusetzen. Bei Auszügen aus diesen Büchern und Registern ist die Sprache der Eintragung beizubehalten.

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Anhang

§ 13. Bei allen landesfürstlichen Kassen und Ämtern in der Markgrafschaft Mähren, die mit Geld gebaren, hat es hinsichtlich der Führung der Kassajournale, Kassaausweise und aller sonstigen Kassenbehelfe, welche von den Zentralorganen zur Ausübung der Kontrolle oder Zusammenstellung periodischer Nachweisungen benützt werden, bei den bestehenden sprachlichen Vorschriften zu verbleiben. Dasselbe gilt bezüglich des inneren Dienstganges und der Manipulation des Post- und Telegraphendienstes und der der Zentralleitung unmittelbar unterstehenden ärarischen industriellen Etablissements, sowie für den gegenseitigen Verkehr der betreffenden Ämter und Organe. Auf die nichtärarischen Postämter mit größerem Geschäfsumfang finden die Bestimmungen der gegenwärtigen Verordnung nach Tunlichkeit Anwendung. § 14. Der Verkehr der Behörden mit den autonomen Organen richtet sich nach der Geschäftssprache, deren die letzteren sich bekanntermaßen bedienen. § 15. Die Geltung der Dienstsprache der militärischen Behörden und der Gendarmerie, für den Verkehr mit denselben und für deren dienstliche Anforderungen, wird durch diese Verordnung in keiner Weise berührt. § 16. Hinsichtlich der sprachlichen Qualifikation der Beamten sind die Behörden unter genauer Beachtung der grundsätzlichen Bestimmungen dieser Verordnung gehalten, die Besetzung der einzelnen Dienstesstellen lediglich nach Maßgabe des tatsächlichen Bedürfnisses vorzunehmen. Jeder Beamte wird somit das an Sprachkenntnissen besitzen müssen, was der Dienst bei der Behörde seiner Verwendung wirklich erfordert. § 17. Diese Verordnung tritt mit 15. März 1898 in Wirksamkeit; mit demselben Tage treten die Ministerialverordnung vom 22. April 1897, L.G.B1. Nr. 29, betreffend den Gebrauch der Landessprachen bei den Behörden in der Markgrafschaft Mähren, dann die Ministerialverordnung vom 22. April 1897, L.G.B1. Nr. 30, betreffend die sprachliche Qualifikation der bei den Behörden in der Markgrafschaft Mähren angestellten Beamten und alle früheren mit den gegenwärtigen Vorschriften im Widerspruche stehenden Bestimmungen außer Kraft. G a u t s c h m . p. B ö h m m . p. K o e r b e r m . p. R u b e r m. p. B y l a n d t m. p.

5. CLARYSCHE SPRACHENVERORDNUNG FÜR BÖHMEN Verordnung der Ministerien des Innern, der Justiz, der Finanzen, des Handels und des Ackerbaues vom 14. Oktober 1899, L.G.Bl. Nr. 29, betreffend den Gebrauch der Landessprachen bei den Behörden im Königreiche Böhmen4). (Kundgemacht in der amtlichen Wiener Zeitung vom 17. Oktober 1899.)

§ 1. Die Ministerialverordnung vom 24. Februar 1899, L.G.Bl. Nr. 16, betreffend den Gebrauch der Landessprachen bei den Behörden im Königreiche Böhmen, wird außer Kraft gesetzt. 4

) Die Clarysche Sprachenverordnung für die Markgrafschaft M ä h r e n vom 14. Oktober 1899, L.G.Bl. Nr. 77, gleichlautend bis auf den Namen des Kronlandes und der herangezogenen Bezugsverordnungen.

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Α. Sprachenverordnungen — Β. Gesetzesanträge

§ 2. Bis zur gesetzlichen Regelung, welche in Vorbereitung steht, haben in Ansehung des Gebrauches der Landessprachen jene Bestimmungen und Grundsätze provisorisch in Anwendung zu kommen, welche hiefür bis zum Zeitpunkte des Beginnes der Wirksamkeit der mit 15. März 1898 außer Kraft getretenen Ministerialverordnung vom 5. April 1897, L.G.B1. Nr. 12, maßgebend gewesen sind. § 3. Die gegenwärtige Verordnung tritt mit dem Tage der Kundmachung in Kraft. C l a r y m. p. K o e r b e r m . p. Stibral

m. p.

Kindinger

m. p.

Kniaziolucki

m. p.

B. GESETZESANTRÄGE

6. SCHARSCHMIDSCHER ,,SPRACHENGESETZ"-ANTRAG Antrag des Abgeordneten Freiherrn v. Scharschmid und Genossen. (99 der Beilagen zu den stenogr. Protokollen des Abgeordnetenhauses. — X. Session.)

Das hohe Hause der Abgeordneten wolle dem anruhenden ./. Entwürfe eines Gesetzes, „womit unter Festhaltung der deutschen Sprache als Staatssprache Durchführungsbestimmungen zum Artikel XIX des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, R.G.B1. Nr. 142, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger erlassen werden (Sprachengesetz)"· seine Zustimmung erteilen. In formeller Beziehung wird angetragen, das hohe Haus wolle mit der Vorberatung dieses Antrages einen aus dem ganzen Hause zu wählenden Ausschuß von 36 Mitgliedern beauftragen. Wien, 8. Februar 1886.

Scharschmid.

Gesetz vom . . . womit unter Festhaltung der deutschen Sprache als Staatssprache, Durchführungsbestimmungen zum Artikel XIX des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, R.G.B1. Nr. 142, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger erlassen werden (Sprachengesetz). Mit Zustimmung beider Häuser des Reichsrates finde Ich anzuordnen, wie folgt: § 1. Die deutsche Sprache ist als Staatssprache bei allen Staatsbehörden, Staatsämtern und Gerichten im inneren Dienste, sowie im Verkehr derselben untereinander ausschließlich zu gebrauchen. Alle Erledigungen und Ausfertigungen der Zentralstellen und höchsten Gerichtshöfe sind nur in deutscher Sprache hinauszugeben, auch wenn die Eingabe in einer anderen Sprache an dieselben gerichtet war.

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Anhang

Die öffentlichen mündlichen Verhandlungen bei den höchsten Gerichtshöfen werden in der deutschen Sprache geführt, welcher sich auch die Vertreter der Behörden und der Parteien zu bedienen haben. Parteien, welche sich selbst vertreten, können, wenn sie der deutschen Sprache nicht mächtig sind, sich der Landessprache (§ 7), welche ihre Muttersprache ist, bedienen. Sie haben jedoch zur Übersetzung ihrer Äußerungen in die deutsche Sprache entweder einen beeideten Dolmetsch mitzubringen oder nach den im Verordnungswege festzusetzenden Bestimmungen die Beigebung eines solchen von amtswegen zu erwirken. § 2. Mündliche Anbringen und schriftliche Eingaben in der deutschen Sprache sind bei allen Staatsbehörden, Staatsämtern und Gerichten anzunehmen und in derselben Sprache zu erledigen. § 3. Die deutsche Staatssprache ist in Volksschulen auch abgesehen von den Bestimmungen des § 22 als Unterrichtssprache entweder ausschließlich oder neben einer Landessprache (§ 7) oder endlich als Unterrichtsgegenstand dort einzuführen, wo es die Schulgemeinde begehrt. Die Schulbehörde kann auch ohne solches Begehren nach Maßgabe des nachgewiesenen Bedürfnisses oder des vorhandenen staatlichen Interesses die Errichtung von Volksschulen mit der deutschen Sprache als Unterrichtssprache verfügen, wenngleich selbe im Lande, beziehungsweise im Schulsprengel nicht üblich ist. Die deutsche Sprache bildet als Staatssprache einen obligaten Lehrgegenstand an den mehr als dreiklassigen Volksschulen, an allen Bürgerschulen sowie an den allgemeinen Volks- und Bürgerschulen, ferner an Lehrerbildungsanstalten, an Mittelschulen, sowie an den vom Staate erhaltenen Gewerbe- und Fachschulen. § 4. Bei allen Staatsprüfungen, welche Studien an einer Hochschule oder höheren fachlichen Lehranstalt voraussetzen, sowie bei Rigorosen ist die vollkommene Kenntnis der deutschen Sprache durch Ablegung der Prüfung aus einem vom Kandidaten zu wählenden Gegenstande in dieser Sprache nachzuweisen. Insbesondere ist bei den praktischen Staatsprüfungen, ferner bei Advokatenund Notariatsprüfungen der Nachweis vollständiger Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift zu liefern. Zur Erlangung eines Staatsamtes, sowie des Notariates ist der Nachweis der vollständigen Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift erforderlich. Beamte bei öffentlichen Eisenbahnunternehmungen, deren dienstliche Stellung sie zum Verkehre mit Parteien verpflichtet, haben sich über die Kenntnis der deutschen Sprache in Wort und Schrift auszuweisen. § 5. Die Geschäftssprache des Reichsrates und seiner Delegation ist die deutsche. Der Geschäftsordnung bleibt es vorbehalten zu bestimmen, inwiefern mit Festhaltung der bisherigen Übung andere Sprachen bei den Verhandlungen gebraucht werden können. § 6. Die deutsche Sprache ist die Sprache der Reichsgesetze. § 7. Als Landessprachen, deren Gebrauch in Schule, Amt und öffentlichem Leben für die Bezirke, wo dieselben üblich sind, durch die nachfolgenden Bestimmungen geregelt wird, sind anzusehen :

Β. Gesetzesanträge

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die d e u t s c h e , insoweit ihr nicht schon als Staatssprache eine besondere Stellung zugewiesen ist : in Österreich ob und unter der Enns, Steiermark, Kärnten, Krain, Salzburg, Tirol und Vorarlberg, Triest, Böhmen, Mähren, Schlesien und in der Bukowina; die b ö h m i s c h e in Böhmen, Mähren und Schlesien ; die p o l n i s c h e in Galizien und Schlesien; die r u t h e n i s c h e in Galizien und der Bukowina; die s l o v e n i s c h e in Steiermark, Kärnten, Krain, Triest, Görz und Istrien ; die s e r b o - k r o a t i s c h e in Dalmatien und Istrien; die i t a l i e n i s c h e in Triest, Görz, Istrien, Tirol und Dalmatien; die r u m ä n i s c h e in der Bukowina. § 8. Eine der im § 7 erwähnten Sprachen ist dann als die in einem Gerichtsbezirke des betreffenden Landes übliche anzusehen, wenn in dem Bezirke Gemeinden bestehen, welche diese Sprache als ihre Amtssprache gebrauchen (§ 19) und wenn zugleich mindestens der sechste Teil der einheimischen Bevölkerung in diesem Bezirke sich derselben als Umgangssprache bedient. In den Städten mit eigenem Statute sind jene Sprachen als daselbst übliche anzusehen, welche von mindestens dem sechsten Teile ihrer einheimischen Bevölkerung als Umgangssprache gebraucht werden. Für Angelegenheiten der Angehörigen solcher Bezirke ist die betreffende Sprache auch bei den einen weiteren Umfang umfassenden Behörden (Bezirkshauptmannschaft, Gerichtshof erster Instanz usf.), zu welchen jener Bezirk gehört, als landesüblich zu behandeln. § 9. Für die k. k. Behörden (Staatsbehörden, Staatsämter, Gerichte) erster Instanz gelten im Verkehre mit den Parteien als Regel (§ 16) nachfolgende Bestimmungen: Alle amtlichen Bekanntmachungen, welche zur allgemeinen Kenntnis im Sprengel der betreffenden Behörde bestimmt sind, haben in der Amtssprache und in den im Bezirke üblichen Landessprachen zu ergehen. Dasselbe gilt von Drucksorten, welche zur Hinausgabe an Parteien, oder zum Gebrauche derselben dienen. Bekanntmachungen, welche nur für einsprachige Gemeinden in gemischtsprachigen Bezirken bestimmt sind, können neben der Amtssprache auch bloß in der Sprache der betreffenden Gemeinden erfolgen. Die für Parteien bestimmten behördlichen Ausfertigungen, die nicht über Einschreiten derselben erfolgen, sind in der Amtssprache oder in der im Bezirke üblichen Landessprache hinauszugeben, je nachdem deren Kenntnis bei der Partei vorausgesetzt werden kann. Die Kenntnis der vom Amte unter Beachtung dieser Bestimmung gewählten Sprache hat zur Folge, daß eine Zurückweisung der behördlichen Ausfertigung aus Gründen der Sprache n i c h t statthaft ist. § 10. Die Parteien können sich in ihren mündlichen Anbringen und schriftlichen Eingaben an die k. k. Behörden erster Instanz der Amtssprache oder der im Bezirke der betreffenden Behörde üblichen Landessprache bedienen. Bei den Verhandlungen hierüber ist sich im Verkehre mit den Parteien jener Sprache zu bedienen, in welcher das Anbringen beziehungsweise die Eingabe erfolgte. Das Gleiche gilt von der hinauszugebenden Erledigung. Protokollarische Erklärungen können gleichfalls in der Amtssprache oder in einer im Bezirke üblichen Landessprache abgegeben werden und sind in der Sprache aufzunehmen, in welcher sie abgegeben wurden.

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Anhang

Die Wahl zwischen den genannten Sprachen steht im kontradiktorischen Verfahren dem Gegenteile gleichfalls frei. Wenn sich die Streitteile verschiedener in dem Bezirke üblicher Landessprachen bedient haben, so hat auch die Erledigung beziehungsweise Entscheidung in den Sprachen zu erfolgen, deren sich die Parteien bedient haben, wenn sie sich nicht ausdrücklich darauf geeinigt hätten, daß die Erledigung, beziehungsweise Entscheidung bloß in einer der gebrauchten Sprachen hinausgegeben werde. Wenn mehrere Personen, welche zusammen einen Streitteil bilden, sich über die Verhandlungssprache nicht einigen können, so entscheidet die Mehrheit und soweit dies nicht tunlich ist, die Behörde über die Sprache der Erklärungen und der an die Partei hinauszugebenden Erledigung. § 11. Urkunden oder andere Schriftstücke, welche in einer der im Bezirke üblichen Landessprachen abgefaßt sind und als Beilagen, Behelfe oder sonst zum amtlichen Gebrauche beigebracht werden, bedürfen keiner Übersetzung. § 12. Die Eintragungen in die öffentlichen Bücher (Landtafel, Bergbuch, Grundbuch, Eisenbahnbuch, Wasserbuch u. dgl.), dann in die Handelsfirmen, Genossenschaften und ähnliche Register haben in der deutschen Sprache und insofern das mündliche oder schriftliche Ansuchen in einer anderen im Bezirke üblichen Landessprache erfolgte, außerdem im Übersetzungswege auch in dieser zu geschehen. In letzterem Falle ist der Bescheid in beiden Sprachen hinauszugeben. Die Intabulationsklausel auf Urkunden ist in der Sprache des hinauszugebenden Bescheides beizusetzen. § 13. Aussagen von Zeugen und Sachverständigen, sowie das Gutachten der letzteren ist nach Wahl derselben in der Amtssprache oder in einer anderen im Bezirke üblichen Landessprache aufzunehmen. § 14. In strafgerichtlichen Angelegenheiten sind die Anklageschrift, sowie überhaupt die dem Angeschuldigten zuzustellenden Anträge, Erkenntnisse und Beschlüsse für denselben in der Amtssprache oder in einer anderen im Bezirke üblichen Landessprache auszufertigen, je nachdem er sich der einen oder der anderen zu seiner Verantwortung bedient hat. In derselben Sprache ist auch die Hauptverhandlung zu pflegen und sind in derselben insbesondere die Vorträge des Staatsanwaltes und des Verteidigers zu halten und Erkenntnisse und Beschlüsse zu verkünden. Von diesen Bestimmungen darf nur insofern abgegangen werden, als dieselben mit Rücksicht auf ausnahmsweise Verhältnisse, wie insbesondere mit Rücksicht auf die Sprachkenntnisse der Beteiligten, auf die Zusammensetzung der Geschworenenbank unausführbar sind, oder der Angeschuldigte selbst den Gebrauch einer anderen zulässigen Sprache begehrt. Bei Hauptverhandlungen gegen mehrere Angeklagte, welche sich verschiedener zulässiger Sprachen bedienen, ist die Hauptverhandlung in jener Sprache (Amtssprache oder bezirksüblichen Landessprache) abzuhalten, welche das Gericht für den Zweck der Hauptverhandlung entsprechend erachtet, wobei auf die Sprache, welche die Mehrzahl der Angeschuldigten versteht, tunlichst Bedacht zu nehmen ist. In allen Fällen sind Aussagen der Angeschuldigten und der Zeugen, welche sich einer der obenerwähnten Sprachen bedienten, in derselben Sprache aufzunehmen und Erkenntnisse und Beschlüsse jedem Angeschuldigten gleichfalls in derselben Sprache zu verkünden und eventuell auszufertigen.

Β. Gesetzesanträge

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§ 15. Für die k. k. Behörden (Staatsbehörden, Staatsämter, Gerichte) zweiter Instanz gelten im Verkehre mit den Parteien als Regel (§ 16) nachfolgende Bestimmungen : Alle amtlichen Bekanntmachungen, welche zur allgemeinen Kenntnis bestimmt sind, haben nebst der Amtssprache in den Landessprachen zu ergehen, welche in den Sprengein der ihnen unterstehenden Bezirke üblich sind. Bekanntmachungen, welche nur für einsprachige Bezirke bestimmt sind, können neben der Amtssprache auch bloß in der im betreffenden Bezirke üblichen Landessprache erfolgen. Die Bestimmungen des § 10 bezüglich der Drucksorten und der behördlichen Ausfertigungen, welche nicht über Einschreiten der Parteien erfolgen, finden auch bei Behörden zweiter Instanz sinngemäße Anwendung. Eingaben von Parteien, welche unmittelbar an eine Behörde zweiter Instanz gerichtet sind, können gleichfalls in einer beliebigen in einem Bezirke des betreffenden Amtssprengeis üblichen Sprache verfaßt sein. Inwiefern die Erledigung hierüber von der Behörde zweiter Instanz direkt an die Partei erfolgt, ist dieselbe in der gesetzlich zulässigen Sprache der Eingabe hinauszugeben. Bei Erledigungen und Entscheidungen zweiter Instanz, welche durch die Behörde erster Instanz den Parteien zugestellt werden, ist dafür zu sorgen, daß die Ausfertigimg der Partei in der Sprache der ersten Entscheidung hinausgegeben werde. Es muß daher, falls diese Sprache eine andere als die Amtssprache war, für eine authentische Übersetzung der Entscheidung II. Instanz Vorsorge getroffen werden. Bezüglich der mündlichen Strafverhandlungen II. Instanz finden die Bestimmungen des § 14 dieses Gesetzes sinngemäße Anwendung. § 16. Inwieweit in einem Verwaltungsgebietebeziehungsweise in einem gemischtsprachigen Bezirke mehr als zwei Sprachen üblich sind oder die geringere Ausbildung einer der im § 7 erwähnten Sprachen oder die geringere Verbreitung der Kenntnisse ihrer fachtechnischen und fachwissenschaftlichen Terminologie die Durchführung der in den §§ 9—15 vorgeschriebenen Bestimmungen erheblich erschwert oder untunlich erscheinen läßt, sind in administrativem Wege ausnahmsweise Abweichungen von diesen Bestimmungen zu erlassen, um den Gang der geordneten Administration und Rechtspflege zu sichern. § 17. Auch in Eingaben, welche unmittelbar an die Zentralstellen gerichtet werden, können sich die Parteien der im § 7 erwähnten Sprachen bedienen. § 18. Inwiefern Gemeinden oder andere autonome Organe als Partei auftreten, finden auch auf dieselben die Bestimmungen der §§ 8—17 sinngemäße Anwendung. § 19. Die Gemeinde ist berechtigt, im amtlichen Verkehr mit den landesfürstlichen Behörden, und zwar sowohl im natürlichen, wie im übertragenen Wirkungskreis sich nach ihrer Wahl ihrer eigenen oder der staatlichen Amtssprache zu bedienen. Für Gemeinden mit eigenem Statute gelten im übertragenen Wirkungskreise bezüglich der Sprache die für k. k. Behörden erster Instanz erlassenen Gesetze und Verfügungen. Die Gemeindevertretung bestimmt ihre Amtssprache. In gemischtsprachigen Gemeinden ist der sprachliche Verkehr der Parteien mit denselben unter Beachtung der Bestimmungen des Artikels X I X des Staatsgrundgesetzes vom 24. Dezember 1867, R.G.B1. Nr. 142, sowie des gegenwärtigen Gesetzes durch die Gemeindevertretung zu regeln. 19

Sutter, Sprachenverordnungen I.

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Inwiefern die Sprache der Gemeinde nicht eine Landessprache ist (§ 7), hat die Gemeindevertretung für ihren Verkehr mit den k. k. Behörden und anderssprachigen Gemeinden sich einer Landessprache oder der staatlichen Amtssprache, beziehungsweise der Staatssprache zu bedienen. § 20. Die autonomen Bezirksbehörden, als : Bezirksvertretungen, Straßen-Kontributionsfondsausschüsse usw. können als ihre Geschäftssprache eine der im Bezirke üblichen Landessprachen oder die staatliche Amtssprache bestimmen. Im Verkehre der Parteien mit denselben finden die Bestimmungen der §§ 8—17 sinngemäße Anwendung. § 21. Im Verkehre der Parteien mit dem Landesausschüssen finden die Bestimmungen der §§ 8—17 sinngemäße Anwendung. § 22. Bezüglich der Unterrichtssprache an Volksschulen gelten als Regel die Bestimmungen des § 6 des Reichsvolksschulgesetzes vom 14. Mai 1869, R.G.B1. Nr. 62. Wenn jedoch in einem Volksschulsprengel eine zweite Landessprache von mindestens einem Sechstel der einheimischen Bevölkerung als Umgangssprache gebraucht wird, so hat auch diese Sprache als Unterrichtssprache in der Volksschule dann zu dienen, wenn nach einem fünfjährigen Durchschnitte mindestens 40 dieser Minorität angehörige schulpflichtige Kinder vorhanden sind und seitens ihrer Eltern oder gesetzlichen Vertreter der Anspruch auf den Volksschulunterricht in dieser Sprache erhoben wird; wenn ferner die Gemeindevertretung, beziehungsweise die Vertretungen der eingeschulten Gemeinden oder innerhalb derselben mindestens eine Minorität von einem Drittel ihrer Mitglieder diesem Begehren zustimmen. In solchem Falle ist in der Regel eine gesonderte Schulanstalt zu errichten, falls nicht die Schulbehörde in anderer Weise Vorsorge trifft. Die Verpflichtung zur Erhaltung einer derartigen Schule hört jedoch auf, wenn in drei aufeinanderfolgenden Jahren die Zahl der in dieser Schule eingeschriebenen Kinder durchschnittlich weniger als 30 beträgt. § 23. An Privatschulen mit ÖfFentlichkeitsrecht kann nur eine im Gebiete der betreffenden Landesschulbehörde geltende Landessprache (§ 7) als Unterrichtssprache gebraucht werden. § 24. Bezüglich des Gebrauches der Landessprachen als Unterrichtssprache in Lehrerbildungsanstalten gelten die Bestimmungen des § 31 des Reichsvolksschulgesetzes vom 14. Mai 1869, R.G.B1. Nr. 62. § 25. Die Landessprachen können unter Beachtung der Bestimmungen des Alinea 3 des Artikel XIX des Staatsgrundgesetzes vom 24. Dezember 1867, R.G.B1. Nr. 142, als Unterrichtssprache an Mittelschulen (Gymnasien, Realgymnasien, Realschulen, Staatsgewerbeschulen) nach Maßgabe ihrer Eignung für den betreffenden Unterricht dienen. § 26. Die Unterrichtssprache an Hochschulen wird von Fall zu Fall im Gesetzgebungswege geregelt. § 27. Inwieferne durch die Verordnung des Ministeriums vom 5. Juni 1869, Z. 2354, auf Grund der Allerhöchsten Entschließung vom 4. Juni 1869 die polnische Sprache als Sprache des inneren Dienstes der dort erwähnten Behörden eingeführt wurde, dann inwieferne die italienische Sprache in Südtirol, Dalmatien und einigen Teilen des Küstenlandes bei Gerichten und Behörden als Amtssprache dermalen in Gebrauch steht, wird an diesem Verhältnisse durch das gegenwärtige Gesetz nichts geändert. § 28. Mit der Durchführung dieses Gesetzes ist Mein Gesamtministerium beauftragt.

Β. Gesetzesanträge

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7. N A T I O N A L I T Ä T E N G E S E T Z FÜR BÖHMEN Gesetz vom . . . betreffend den Schutz des gleichen Rechtes der böhmischen und deutschen Nationalität im Königreich Böhmen5). Mit Zustimmung des Landtages Meines Königreiches Böhmen finde Ich zu verordnen, wie folgt : § 1. In allen Beziehungen des öffentlichen und bürgerlichen Rechtes haben der b ö h m i s c h e und der d e u t s c h e Volksstamm im Königreiche Böhmen gleiches Recht auf Achtung, Wahrung und Pflege ihres nationalen Eigenwesens und insbesondere ihrer Sprache. § 2. Angehörige der einen Nationalität des Landes dürfen wegen ihrer Abstammung und Sprache weder durch Gesetze, noch durch behördliche Verfügungen, noch auch in bezug auf Benützung jeder Art öffentlicher, mit Hilfe allgemeiner Landesmittel erhaltener Anstalten ungünstiger behandelt werden, als Angehörige des anderen Volksstammes unter gleichen Umständen. Das gilt insbesondere für das aktive und passive Wahlrecht für öffentliche Vertretungskörper, in bezug auf die gleichmäßige Zulassung zu öffentlichen Ämtern und Würden bei gleicher Befähigung, in bezug auf gleichmäßige Berücksichtigung bei Feststellung der Verwaltungs- und Gerichtssprengel, bezüglich der Verhandlungssprache öffentlicher Behörden und Anstalten und des Verkehres der Einwohner mit denselben, sowie auch bezüglich der gleichmäßigen Gewährung der öffentlichen Mittel und Anstalten zur Ausbildung. § 3. Die Landesgesetze sind in beiden Landessprachen zur Beschlußfassung vorzulegen, zu beschließen und kundzumachen. Bei allen Verhandlungen des Landtages darf sich jedes Mitglied beliebig der einen oder anderen Landessprache bedienen. Alle Mitteilungen der Regierung an den Landtag, sowie alle Anträge und Beschlußfassungen im Landtage haben in beiden Landessprachen Ausdruck zu finden; die Landtagsprotokolle werden in beiden Landessprachen geführt und veröffentlicht. Der Vorsitzende des Landtages und sein Stellvertreter müssen beider Landessprachen mächtig sein. § 4. Die Bezirke zum Zwecke der Verwaltung, der Justizpflege und der Wahlen in Vertretungskörper sind so einzuteilen, daß jeder derselben, soweit möglich aus Gemeinden einer und derselben Nationalität bestehe. § 5. Die Amtssprache der Gemeinde wird durch die Gemeindevertretung bestimmt. Wird dagegen von Gemeindewahlberechtigten eine Einwendung erhoben, so ist die Amtssprache mittelst Abstimmung aller wahlberechtigten Gemeindeglieder durch absolute Majorität festzustellen. Stellt sich in einer Gemeinde eine nationale Minderheit von wenigstens einem Fünftel der Wahlberechtigten heraus, so hat in dieser Gemeinde die andere Landessprache insoweit in Amtsgebrauch zu treten, daß die Gemeindeglieder sich ihrer in der Vertretung bedienen können, daß alle öffentlichen Kundmachungen in derselben zu erlassen und daß im Verkehre der Gemeindeorgane mit den Parteien in derselben Sprache auch Eingaben anzunehmen und zu verbescheiden, sowie auch auf Verlangen Protokolle aufzunehmen sind. 5

) In der am 10. Oktober 1871 vom böhmischen Landtag beschlossenen Textierung. Da jedoch die deutsche Minorität unter Protest den Landtag verlassen hatte, erhielt dieses Gesetz nicht die kaiserliche Sanktion. Zum Text der Regierungsvorlage E. B e r n a t z i k , Österr. Verfassungsgesetze 2. Aufl., S. 1093—1097, Nr. 204.

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Diese Anwendung der anderen Landessprache hat jedenfalls in der Landeshauptstadt zu gelten. § 6. Die Sprache der Mehrheit der Bevölkerung eines Bezirkes ist auch die Amtssprache der Bezirksvertretung. Wofern sich im Bezirke auch nur eine Gemeinde der anderen Nationalität befindet, so ist ihre Sprache nach Maßgabe des § 5, Absatz 2, zum Amtsgebrauche zuzulassen. § 7. Die Amtssprache der Bezirksvertretung hat auch als Amtssprache der landesfürstlichen Bezirksbehörden und Gerichte zu dienen. Doch ist bei allen diesen im Verkehr mit den Parteien, über Begehren derselben, die andere Landessprache insofern zuzulassen, daß in derselben Eingaben anzunehmen, zu verbescheiden und Protokolle aufzunehmen sind. § 8. Im Verkehre untereinander bedienen sich koordinierte Behörden ihrer eigenen Amtssprache; ebenso untergeordnete im Verkehre mit vorgesetzten. Kaiserliche und königliche Zivilbehörden geben ihre Erlässe an untergeordnete Behörden in der Sprache der letzteren. Als Amtssprache aller kaiserlichen und königlichen Zivilbehörden, deren Wirkungskreis sich über das ganze Land erstreckt, haben gleichmäßig die böhmische und die deutsche Sprache Anwendung zu finden. Die für die Verwaltung des ganzen Landes bestellten landesfürstlichen und autonomen Behörden, sowie die für die Rechtssprechung in höherer Instanz berufenen Gerichtshöfe müssen so zusammengesetzt sein, daß bei denselben in beiden Landessprachen verhandelt werden könne. § 9. Bei landesfürstlichen Behörden im Königreiche Böhmen soll niemand als Konzeptsbeamter oder Richter angestellt werden, der nicht beider Landessprachen in Wort und Schrift mächtig ist. Insolange sich in Böhmen im öffentlichen Dienste Beamte vorfinden, welche nur einer Landessprache mächtig sind, ist dafür Sorge zu tragen, daß dieselben nur in solchen Behörden verwendet werden, wo ihre Sprache die Amtssprache ist. Autonome Behörden sind verpflichtet, Vorsorge zu treffen, daß die Anwendung der Sprache der Minorität (§ 5 und 6), soweit sie nach dem Gesetze einzutreten hat, vollständig zur Durchführung gelangen könne. § 10. Zum Schutze der Unverletzlichkeit des gleichen Rechtes beider Nationalitäten wird der Landtag in nationale Kurien eingeteilt. §11. Die Nationalkurien werden in folgender Weise gebildet : Die Vertreter der Wahlbezirke der Stadt- und Landgemeinden gehören der Kurie jener Nationalität an, welcher ihre Wahlbezirke angehören. Die Vertreter sprachlich gemischter Bezirke, die Vertreter des Großgrundbesitzes und der Großindustrie, sowie die Virilstimmberechtigten haben beim Eintritt in den Landtag die Wahl, ob und in welche Nationalkurie sie eintreten wollen; jedoch dürfen jene Vertreter des Großgrundbesitzes, die selbst einen Großgrundbesitz haben, nur in jene Kurie eintreten, in deren Sprachgebiete ihr Großgrundbesitz gelegen ist. Die Nationalkurien haben sich nach Zusammentritt des Landtages zu einer neuen Session zu konstituieren und ihren Obmann zu wählen. In der Geschäftsordnung des Landtages sind die nötigen Bestimmungen zu treffen, welche es der Kurie möglich machen, die ihr zustehenden Rechte auszuüben. § 12. Jede Nationalkurie kann bei der jeweiligen Votierung des Budgets verlangen, daß der darin für Schul- und Unterrichtszwecke überhaupt festgestellte Aufwand, insoweit er nicht für beiden Nationalitäten gemeinsame Anstalten

Β. Gesetzesanträge

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seine Verwendung findet, im Verhältnisse des Steuerertrages aus den Bezirken ihrer Nationalität für Bildungsanstalten ihrer Sprache verwendet werde. In demselben Verhältnisse kann sie die Zuweisung des Ertrages der zu diesem Zwecke gewidmeten Fonds, insofern sie keine bestimmte besondere Widmung haben, in Anspruch nehmen. Es bleibt jeder Nationalkurie unbenommen, für Bildungsanstalten ihrer Sprache eine beondere Umlage auf die Bezirke und Gemeinden ihrer Nationalität rechtsgültig zu beschließen. Die Ausübung der den Kurien in den vorstehenden Absätzen eingeräumten Rechte ist gesetzlich zu ordnen. Im Geiste dieser Bestimmung ist auch nationalen Minoritäten in Bezirken und Gemeinden durch das Gesetz eine ähnliche Gewähr zu bieten, daß sie nach Zulaß der aus den zu Bildungszwecken gewidmeten Bezirks- und Gemeindeeinkünften verhältnismäßig auf sie entfallenden Mittel, oder durch besondere Umlagen, oder aus anderen eigenen Mitteln, unter Beobachtung der Landesschulgesetze für Gründung und Leitung von Anstalten zur Ausbildung der Jugend ihrer Nationalität in deren eigenen Sprache Sorge tragen können. § 13. Jede nationale Kurie kann verlangen, daß jene Bestimmungen eines Gesetzentwurfes, welche den Gebrauch der Sprache im öffentlichen Leben, bei Behörden und in solchen Bildungsanstalten, welche nicht ausschließlich der anderen Nationalität gewidmet sind (§ 12), betreffen, nach der zweiten Lesung im Landtage noch einer Abstimmung nach Nationalkurien unterzogen werden. Nach einer solchen Abstimmung ist jene Bestimmung für abgelehnt zu betrachten, gegen welche die absolute Majorität der Gesamtzahl einer Kurie gestimmt hat. Dies gilt insbesondere auch für die zur weiteren Ausführung dieses Gesetzes zu erlassenden Gesetze. § 14. Bei der Wahl von Abgeordneten des Landtages in Vertretungskörper, an denen das Königreich Böhmen mit anderen Königreichen und Ländern des Reiches teilnimmt, muß mindestens ein Drittel der Gewählten der böhmischen und mindestens ein Viertel der deutschen Nationalkurie entnommen sein. § 15. Das gleiche Recht der beiden Volksstämme wird unter den Schutz des Krönungseides gestellt. § 16. Das gegenwärtige Gesetz ist bezüglich jeder Änderung wie ein Landesgrundgesetz zu behandeln. Jede Abänderung desselben bedarf außerdem zu ihrer Geltung der Annahme durch beide Nationalkurien des Landtages.

VERZEICHNIS DER GEDRUCKTEN QUELLEN UND LITERATUR A d l e r , Sigmund (Hrsg.), Geschichte des Österreichisch-Ungarischen Ausgleiches. Siehe: Bidermann, Hermann Ignaz. A n d r á s s y , Julius Graf, Ungarns Ausgleich mit Österreich vom Jahre 1867. Leipzig 1897. A n k e r t , Heinrich, Die Huldigung Kaiser Franz Josef I. durch die Deutschböhmen in Olmütz am 2. Jänner 1849. (Mitteilungen des Vereines f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen 55, Prag 1917 S. 249—255.) — Julius Lippert. (Mitteilungen des Vereines f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen 48, Prag 1910 S. 361—384.) A p i h , Joseph, Die slovenische Bewegung im Frühjahr und Vorsommer 1848. (Österr. Jahrbuch, hrsg. v. Frhr. ν. H e 1 f e r t, 16, Wien 1892 S. 175—208.) — Die Slowenen und die Märzbewegung von 1848. (österr. Jahrbuch, hrsg. v. Frhr. v. H e l f e n , 14, Wien 1890 S. 79—106.) A r e t i n , Karl Otmar Freiherr von, Metternichs Verfassungspläne 1817/1818. Dargestellt an Hand des Briefwechsels des bayerischen Gesandten in Wien Frhr. v. Steinlein mit dem bayerischen Außenminister Graf Aloys Rechberg. (Histor. Jahrbuch 74, 1955 S. 718—727.) A 1 1 e m s, Franz Graf, In zwölfter Stunde. Ein offenes Wort über die Gefahren der parlamentarischen Obstruktion in Österreich-Ungarn. Graz 1903. A u b i n , Hermann, Deutsche und Tschechen. Die geschichtlichen Grundlagen ihrer gegenseitigen Beziehungen. (HZ 160, 1939 S. 457—479.) A u e r s p e r g , Anton Alexander Graf von, Antwort auf das Offene Sendschreiben des Vereines Slovenja in Wien. Graz 1848. Wiederabgedruckt in Anastasius Grüns (Pseud.) Werke. Hrsg. v. Eduard Castle. 6. Teil: Aufsätze und Reden S. 134—143. — An meine slowenischen Brüder! Ein Wort der Verständigung gelegentlich des vom Vereine Slovenja in Wien ergangenen Aufrufes. Anastasius G r ü n s (Pseud.) Werke. Hrsg. v. Eduard C a s 11 e. 6. Teil: Aufsätze und Reden S. 130—134. A u s g l e i c h , Der österreichisch-ungarische. (Artikelserie.) (Deutsche Worte, hrsg. v. Engelbert P e r n e r s t o r f e r , 19, Wien 1899.) Siehe St. B a u e r , H. F r i e d j u η g, O. L e c h e r , Κ. S c h w e i t z e r , F. T e z n e r , L. V e r k a u f , O. W i t t e l s h ö f e r. B a c h m a n n , Adolf, Ludwig Schlesinger (Nachruf.) (Mitteilungen des Vereines f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen 38, Prag 1900 S. 345—352.) B a e r n r e i t h e r , Joseph Maria, Der Verfall des Habsburgerreiches und die Deutschen. Fragmente eines politischen Tagebuches 1897—1917. Hrsg. v. Oskar M i t i s. Wien 1938. B a j e r o v á , Anna, Ζ ìeské revoluce r. 1848 (Aus der tschechischen Revolution im Jahre 1848. Tschechisch). Prag 1919. B a u e r , Stefan, Der österreichisch-ungarische Ausgleich. VI.: Der Ausgleich und die Industrie. (Deutsche Worte 19, Wien 1899 S. 124—139.) B e n e d i k t , Edmund, Karl Grabmayr von Angerheim. (Neue österr. Biographie 6, Wien 1929 S. 93—96.) B e n e d i k t , Heinrich, Die wirtschaftliche Entwicklung in der Franz-Joseph-Zeit. (Wiener Historische Studien 4, Wien 1958.) B e r i c h t , Stenographischer, über die Verhandlungen der deutschen constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main. Hrsg. auf Beschluß der Nationalversammlung . . . v. Franz W i g a r d. Band 1—9, Leipzig 1848/49. B e r i c h t , Stenographischer, über die Verhandlungen der am 28. August 1848 in Teplitz im Namen der deutschen Städte, Gemeinden und Konstitutionellen Vereine zusammengekommenen Vertrauensmänner. Teplitz 1848.

Gedruckte Quellen und Literatur

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Sutter, Sprachenverordnungen I.

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